Philosophie der Nondualität: Religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation David R. Loys 9783495824146, 9783495491409


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Vorwort
Inhalt
I. Einleitung
1. Einführung in Leben und Werk David R. Loys
1.1. Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970)
1.2. Erster Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Fortsetzung des Studiums auf Hawaii (1970–1974)
1.3. Promotion in Singapur (1974–1985)
1.4. Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990)
1.5. Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der Bunkyo Universität in Chigasaki (Japan) (1990–2005)
1.6. Rückkehr in die Vereinigten Staaten: Besl Family Chair Professor für Ethik, Religion und Gesellschaft an der Xavier University in Cincinnati (2005–2010)
1.7. Die Zeit nach der Emeritierung (seit 2010)
1.8. Zusammenfassung: Zum nondualen Ansatz Loys
2. Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft
2.1. Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan
2.2. Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)
2.3. Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys
II. David R. Loys Philosophie der Nondualität
1. Konzeption: Der nonduale Ansatz
1.1. Die nonduale Dialektik der Leere
1.2. Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition
2. Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung
2.1. Die Negation dualistischen Denkens
2.1.1. Loys Interpretation von Nāgārjunas Philosophie der Leere (śūnyavāda)
2.1.2. Nāgārjunas śūnyata und Derridas différance: Loys buddhistische Schließung (clôture) der Dekonstruktion
2.2. Die Nonpluralität der Welt
2.3. Die Nondualität von Subjekt und Objekt
2.4. Nondualismus als radikaler Phänomenalismus
2.4.1. Jenseits von Transzendenz und Immanenz: Loys Nirvāṇa-Interpretation
2.4.2. Nondualer Phänomenalismus und transzendenter Hyperessentialismus: Loys Abkehr vom Paradigma der negativen Theologie
2.4.3. Die Phänomenologische Differenz: Savikalpa- und nirvikalpa-Erfahrung
2.4.4. Die Widerlegung von Objekt und Subjekt
2.4.5. Der irreduzible Rest: nirvikalpa-Erlebnisse als Licht-Prozesse
2.4.6. Nonduale und duale Wahrnehmungsphysiologie Die Rolle unserer Sinnesorgane:
2.4.7. Nonduale Phänomenologie der Zeit Sein-Zeit (uji) als stehendes und fließendes Jetzt (nunc stans et fluens):
2.5. Nondualismus und Theismus
2.5.1. Wo »Ich« nicht bin, kann »Gott« nicht sein Das Verhältnis von Nondualismus und Theismus aus der Sicht Loys:
2.5.2. Die unaufhebbare Differenz zwischen Mensch und Gott Zur Gegenkritik des Theismus:
3. Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung
3.1. Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes
3.2. Der Verblendungsmechanismus II: Die Hypostasierung des Objektes
3.3. Die konstitutive Funktion der Intentionalität und die nonduale Natur unserer Handlungen
3.4. Die Reziprozität der Verblendungsmechanismen
4. Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum
4.1. Die nonduale Befreiung zur Sprache
4.2. Tote, lebende und heilende Worte: Die Nondualität von Sprechen und Schweigen
5. Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung
5.1. Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung
5.2. Praxis: Die De-Automatisierung der Erfahrung
5.2.1. Die drei Yogas der Bhagavadgītā als korrelative Wege zum Nicht-Selbst
5.2.2. Meditation und kōan-Praxis
5.2.3. Der »Gnadenakt« der Selbstentwerdung
6. Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit
6.1. Die Hua-yen-Vision letzter Wirklichkeit
6.2. Zur Rezeption des Hua-yen-Buddhismus durch Loy: Analogien und Differenzen
7. Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis
7.1. Das Epos der Evolution
7.2. A New Buddhist Story: Loys spiritueller Evolutionismus
7.3. Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie
8. Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus
8.1. Apologie und Kritik: Die reinkarnatorische Karmalehre im Kontext des buddhistischen Modernismus
8.2. Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor
8.3. Zur Kritik an Batchelors Buddhismusinterpretation
8.4. Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy
8.5. Loy und Batchelor im Vergleich und in der Kritik
9. Reflexion und Rezension
9.1. Loys phänomenologische Leerstelle
9.1.1. Die »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna)
9.1.2. Das »nicht-feststehende« (apratiṣṭhita) nirvāṇa
9.2. Nondualismus und Mystik
9.2.1. Zur Geschichte »mystischer Erfahrung«
9.2.2. Typologien der Mystik und mystischen Erfahrung
9.2.3. Phänomenologie der nondualen Erfahrungen
9.2.4. Mystik und Moral: Loys Reaktion auf Yasutanis Kriegs-Zen
9.2.5. Einheit oder Vielheit mystischer Erfahrung
9.2.5.1. Das konstruktivistische Paradigma
9.2.5.2. Das non-konstruktivistische Paradigma
9.2.6. Loys nonduale Erfahrung im Kontext der Mystikforschung
9.3. Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus
9.3.1. Das Problem des transzendental-egologischen Solipsismus
9.3.2. The Lack of Transcendence: Loys radikaler Phänomenalismus als Nihilismus
10. Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie
10.1. Nonduale Psychologie
10.1.1. Transpersonale Psychologie und Psychotherapie: Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund von Loys nondualer Psychologie
10.1.2. Der Nexus im philosophischen und psychologischen Denken Loys
10.1.3. Das Unbewusste, die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten in der verzerrten Form des Symptoms
10.1.4. Projektion und prapañca: Die Verdrängung des Konstruktcharakters von Welt und Selbst
10.1.5. Ontologische Daseinsschuld und Ödipusprojekt
10.1.6. Si vis vitam, para vacuum: Die Urangst vor der eigenen Leere
10.1.7. Die Angst, der Tod und die Schuldigkeit des nichtigen Daseins: Loys Heidegger-Interpretation
10.2. Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)
10.2.1. Eine buddhistische Psychohistorie des Westens
10.2.1.1. Die innere Leere (lack) als Grundkategorie der psychohistorischen Analyse und das Wego als Träger historischer Prozesse
10.2.1.2. Die westliche Geistesgeschichte als Geschichte der Freiheit für ein Selbst und die ethische Revolution der Bibel
10.2.1.3. Die Geburt des säkularen Fortschrittsglaubens aus dem Geist des Chiliasmus
10.2.1.4. Der Bruch der Immanenz mit der Transzendenz und die sukzessive Despiritualisierung der Welt
10.2.1.5. Der historische Ursprung der kapitalistischen und neo-liberalistischen Konkurrenzgesellschaft und die Krise der Zivilgesellschaft
10.2.1.6. Die Genese der subjektivistischen Innerlichkeitskultur des Westens
10.2.1.7. Der kapitalistische Konsumerismus als globale Religion der Gegenwart
10.2.2. Individuelle Selbstrealisierungsprojekte und profanierte Erlösungssurrogate
10.2.2.1. The Living Death of Being Unknown: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Ruhmes
10.2.2.2. Der Midaskomplex: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Geldes
10.3. Loys methodischer Nihilismus
10.3.1. Die Schule der Angst und der Mut zum Nichts-Sein
10.3.2. Loys ātmanloses Ātman-Projekt
11. Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus
11.1. Die Bewegung des Engagierten Buddhismus
11.1.1. Die modernistische Diskontinuitätsthese
11.1.2. Die traditionalistische Kontinuitätsthese
11.1.3. Projektion und Konstruktion: Modernismus und Traditionalismus als Spielformen des Orientalismus?
11.1.4. Der engagierte Buddhismus als Aufgabe, Fortführung und Transformation der eigenen Tradition
11.2. The Great Awakening: Loys buddhistische Sozialtheorie
11.2.1. Die vier edlen Wahrheiten von der Tatsache, der Ursache, der Vernichtung und des achtfachen Pfades zur Überwindung des sozialen du&hdotu;khas
11.2.2. Die sozio-politischen Verbote und Gebote des Engagierten Buddhismus
11.3. Buddhismus und Ökonomie
11.3.1. Einführung in den buddhistischen Ökonomiediskurs
11.3.2. Die innere Leere (lack) des Kapitalismus: Loys bud�dhis�tische Wirtschaftsethik
11.4. Buddhistische Ökologie
11.4.1. Arne Næss’ Ecosophy T und die tiefenökologische Bewegung
11.4.2. Das Verhältnis des Buddhismus zur Tiefenökologie
11.4.3. Typologien des öko-buddhistischen Diskurses
11.4.4. Die holistische Wende innerhalb des Buddhismus
11.4.5. Loving the World as our own Body: Loys Öko-Dharma
11.4.6. Zur Kritik des relational-holistischen Öko-Buddhismus
11.4.7. Loy im Kontext des öko-buddhistischen Diskurses
12. Komprehension
13. Siglen
14. Literaturverzeichnis
15. Personenregister
16. Sachregister
17. Zitierte Schriften
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Philosophie der Nondualität: Religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation David R. Loys
 9783495824146, 9783495491409

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Welten der Philosophie 19 Fabian Völker

Philosophie der Nondualität Religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation David R. Loys

VERLAG KARL ALBER

https://doi.org/10.5771/9783495824146

.

B

WELTEN DER PHILOSOPHIE

A

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Welten der Philosophie 19 Wissenschaftlicher Beirat: Claudia Bickmann †, Rolf Elberfeld, Geert Hendrich, Heinz Kimmerle †, Kai Kresse, Ram Adhar Mall, Hans-Georg Moeller, Ryôsuke Ohashi, Heiner Roetz, Ulrich Rudolph, Hans Rainer Sepp, Georg Stenger, Franz Martin Wimmer, Günter Wohlfart und Ichirô Yamaguchi

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Fabian Völker

Philosophie der Nondualität Religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation David R. Loys

Verlag Karl Alber Freiburg / München

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Fabian Völker Philosophy of Nonduality Religio-Historical Mapping and Philosophical Critique of David R. Loy’s Interpretation of Buddhism David R. Loy is currently one of the most renowned Buddhist thinkers with a Western background. With his philosophy of nonduality based on different religious traditions Loy claims an interreligious foundation for establishing social and environmental ethics that is aimed at the challenges of the present age. In addition to a chronological introduction to Loy’s life and work, the book offers not only a comprehensive systematic analysis of his thinking, but also an introduction to the movement of Socially Engaged Buddhism as well as the discourse fields dealt with by Loy: mysticism, transpersonal psychology, psychohistory, deep ecology and Buddhist economics.

The Author: Fabian Völker is research assistant at the Institute for Religious Studies and Inter-Faith Theology at the University of Münster. His fields of research include Buddhism, Hinduism, Jainism, Sikhism, Intercultural Philosophy and Transcendental Philosophy.

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Fabian Völker Philosophie der Nondualität Religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation David R. Loys David R. Loy gehört zu den derzeit renommiertesten buddhistischen Denkern mit westlichem Hintergrund. Mit seiner an unterschiedliche religiöse Traditionen anknüpfenden Philosophie der Nondualität beansprucht Loy eine interreligiöse Grundlage, auf der er zugleich eine auf die konkreten Herausforderungen der Gegenwart abzielende Sozial- und Umweltethik etabliert. Neben einer chronologischen Einführung in das Leben und Werk Loys bietet das Buch nicht nur eine umfassende systematische Analyse seines Denkens, sondern zugleich auch eine Einführung in die Bewegung des sozial-engagierten Buddhismus sowie die von Loy behandelten Diskursfelder der Mystik, Transpersonalen Psychologie, Psychohistorie, Tiefenökologie und Buddhistischen Wirtschaftslehre.

Der Autor: Fabian Völker ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie der Universität Münster. Zu seinen Forschungsfelder gehören neben dem Buddhismus, Hinduismus, Jainismus und Sikhismus vor allem die interkulturelle Philosophie und Transzendentalphilosophie.

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder – EXC 212 »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne«.

Originalausgabe © VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2020 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise, Bad Wünnenberg Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN (Buch) 978-3-495-49140-9 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-82414-6

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Meinen Eltern

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2018/2019 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität als Dissertation angenommen. Entstanden ist sie in den Jahren 2012 bis 2018. Allen voran schulde ich hierfür meinem Lehrer und Doktorvater Herrn Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel Dank, der diese Studie von Anfang an mit unermüdlicher Geduld betreut hat, mich bei meiner Entwicklung stets konstruktiv und kritisch begleitet hat und auf dessen Zuspruch und Unterstützung ich uneingeschränkt vertrauen konnte. Für die alles andere als selbstverständliche Atmosphäre aus akademischer Freiheit, geistiger Offenheit und wissenschaftlicher Strenge, die ich während meiner Promotionszeit an dem von ihm geleiteten Seminar für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie erleben durfte und die mein Denken nachhaltig geprägt hat, bin ich zutiefst dankbar. Ohne seine ideologiefreie und für Deutschland beispiellose Verbindung religionswissenschaftlicher, philosophischer und theologischer Forschung hätte dieses Buch niemals geschrieben werden können. Herrn Prof. Dr. Karl Baier danke ich für das Korreferat. Herrn Prof. Dr. Rolf Elberfeld danke ich für die Aufnahme in die Reihe »Welten der Philosophie«. Dem Exzellenzcluster »Religion und Politik« der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster danke ich für die Übernahme von Druckkosten. Ganz besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. David R. Loy für die Diskussionen mit mir und nicht zuletzt die Zeit, die er sich genommen hat, um immer wieder auf Fragen zu Biographie und Werkinterpretation einzugehen. Diese Dissertation wäre ohne die immerwährende Unterstützung meiner Familie, Freunde und Kollegen unmöglich gewesen, denen ich zu größter Dankbarkeit verpflichtet bin. Mein Dank gilt insbesondere Achim Riggert und Michael Boch für die vielen produktiven Gespräche in unserem gemeinsamen Lektürekreis sowie Dr. Martin Bunte, der mir immer wieder neue Gedankenanstöße gab 9 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Vorwort

und mir zur besseren Klärung transzendentaler Fragen verhalf, mit denen ich mich auch abseits des Dissertationsprojektes kontinuierlich auseinandergesetzt habe. Mathias Schneider und Bastian Becker möchte ich für die aufwendige Lektüre und aufmerksame Korrektur des Manuskriptes danken. Den Herren Jens und Janosch Prögler danke ich für die Bearbeitung der Graphiken. Für ihre Geduld und Liebe während meines mehrjährigen Arbeitsprozesses bin ich nicht zuletzt meiner Frau Daniela und meiner Tochter Maya zutiefst dankbar. Fabian Völker Münster im Winter 2019

10 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Inhalt

I.

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

1. Einführung in Leben und Werk David R. Loys . . . . . . . 1.1. Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Erster Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Fortsetzung des Studiums auf Hawaii (1970–1974) . . . . . . . . . . 1.3. Promotion in Singapur (1974–1985) . . . . . . . . . . . 1.4. Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990) . . . 1.5. Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der Bunkyo Universität in Chigasaki (Japan) (1990–2005) 1.6. Rückkehr in die Vereinigten Staaten: Besl Family Chair Professor für Ethik, Religion und Gesellschaft an der Xavier University in Cincinnati (2005–2010) . . . . . . 1.7. Die Zeit nach der Emeritierung (seit 2010) . . . . . . . . 1.8. Zusammenfassung: Zum nondualen Ansatz Loys . . . .

22

2. 2.1. 2.2. 2.3.

Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan . . . . Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen) . . . . . Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys . .

68 68 75 86

II.

David R. Loys Philosophie der Nondualität

. . . . . . . .

95

1. Konzeption: Der nonduale Ansatz . . . . . . . . . . . . 1.1. Die nonduale Dialektik der Leere . . . . . . . . . . . . 1.2. Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95 101

22 30 39 45 54

59 63 65

107 11

https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Inhalt

2. Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung . . . . 2.1. Die Negation dualistischen Denkens . . . . . . . . . . . 2.1.1. Loys Interpretation von Nāgārjunas Philosophie der Leere (śūnyavāda) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Nāgārjunas śūnyatā und Derridas différance: Loys buddhistische Schließung (clôture) der Dekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Nonpluralität der Welt . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Die Nondualität von Subjekt und Objekt . . . . . . . . 2.4. Nondualismus als radikaler Phänomenalismus . . . . . . 2.4.1. Jenseits von Transzendenz und Immanenz: Loys Nirvāṇa-Interpretation . . . . . . . . . . . 2.4.2. Nondualer Phänomenalismus und transzendenter Hyperessentialismus: Loys Abkehr vom Paradigma der negativen Theologie . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3. Die Phänomenologische Differenz: Savikalpaund nirvikalpa-Erfahrung . . . . . . . . . . . . . 2.4.4. Die Widerlegung von Objekt und Subjekt . . . . . 2.4.5. Der irreduzible Rest: nirvikalpa-Erlebnisse als Licht-Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6. Nonduale und duale Wahrnehmungsphysiologie: Die Rolle unserer Sinnesorgane . . . . . . . . . . 2.4.7. Nonduale Phänomenologie der Zeit: Sein-Zeit (uji) als stehendes und fließendes Jetzt (nunc stans et fluens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5. Nondualismus und Theismus . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1. Wo »Ich« nicht bin, kann »Gott« nicht sein: Das Verhältnis von Nondualismus und Theismus aus der Sicht Loys . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2. Die unaufhebbare Differenz zwischen Mensch und Gott: Zur Gegenkritik des Theismus . . . . .

115 115

3. Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung . . . 3.1. Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der Verblendungsmechanismus II: Die Hypostasierung des Objektes . . . . . . . . . . . .

204

12 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

115

119 132 140 145 150

154 158 161 171 176

179 185

185 197

205 212

Inhalt

3.3. Die konstitutive Funktion der Intentionalität und die nonduale Natur unserer Handlungen . . . . . . . . . . 3.4. Die Reziprozität der Verblendungsmechanismen . . . . . 4. Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum . . . 4.1. Die nonduale Befreiung zur Sprache . . . . . . . . . . . 4.2. Tote, lebende und heilende Worte: Die Nondualität von Sprechen und Schweigen . . . . . . 5. Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung 5.1. Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung 5.2. Praxis: Die De-Automatisierung der Erfahrung . . . 5.2.1. Die drei Yogas der Bhagavadgītā als korrelative Wege zum Nicht-Selbst . . . . . . . . . . . . 5.2.2. Meditation und Kōan-Praxis . . . . . . . . . 5.2.3. Der »Gnadenakt« der Selbstentwerdung . . . .

218 225 229 229 232

. . 243 . 243 . . 255 . . 258 . . 273 . . 282

6. Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit . . . 6.1. Die Hua-yen-Vision letzter Wirklichkeit . . . . . . . . 6.2. Zur Rezeption des Hua-yen-Buddhismus durch Loy . . .

285 287 296

7. 7.1. 7.2. 7.3.

300 305 310

8. 8.1. 8.2. 8.3. 8.4. 8.5.

Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis . . . . . . . Das Epos der Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . A New Buddhist Story: Loys spiritueller Evolutionismus . Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Apologie und Kritik: Die reinkarnatorische Karmalehre im Kontext des buddhistischen Modernismus . . . . . Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Kritik an Batchelors Buddhismusinterpretation . . Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy Loy und Batchelor im Vergleich und in der Kritik . . .

317

. 328 . 329 . . . .

337 346 349 358

13 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Inhalt

9. Reflexion und Rezension . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. Loys phänomenologische Leerstelle . . . . . . . . . . . 9.1.1. Die »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) . . . . . . . . . . . 9.1.2. Das »nicht-feststehende« (apratiṣṭhita) nirvāṇa . . 9.2. Nondualismus und Mystik . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1. Zur Geschichte »mystischer Erfahrung« . . . . . . 9.2.2. Typologien der Mystik und mystischen Erfahrung . 9.2.3. Phänomenologie der nondualen Erfahrungen . . . 9.2.4. Mystik und Moral: Loys Reaktion auf Yasutanis Kriegs-Zen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5. Einheit oder Vielheit mystischer Erfahrung? . . . 9.2.5.1. Das konstruktivistische Paradigma . . . . 9.2.5.2. Das non-konstruktivistische Paradigma . . 9.2.6. Loys nonduale Erfahrung im Kontext der Mystikforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus . . . . . . . 9.3.1. Das Problem des transzendental-egologischen Solipsismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2. The Lack of Transcendence: Loys radikaler Phänomenalismus als Nihilismus . . . . . . . . . Introspektion und Retrospektion: Nonduale Psychologie und Psychohistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1. Nonduale Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1. Transpersonale Psychologie und Psychotherapie: Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund von Loys nondualer Psychologie . . . . . . . . . . 10.1.2. Der Nexus im philosophischen und psychologischen Denken Loys . . . . . . . . . 10.1.3. Das Unbewusste, die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten in der verzerrten Form des Symptoms . . . . . . . . . . . . . . 10.1.4. Projektion und prapañca: Die Verdrängung des Konstruktcharakters von Welt und Selbst . . . 10.1.5. Ontologische Daseinsschuld und Ödipusprojekt . 10.1.6. Si vis vitam, para vacuum: Die Urangst vor der eigenen Leere . . . . . . . . . . . . . . . . . .

363 363

365 369 372 380 389 400 409 416 420 426 434 437 438 447

10.

14 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

451 451

452 464

467 474 477 481

Inhalt

10.1.7. Die Angst, der Tod und die Schuldigkeit des nichtigen Daseins: Loys HeideggerInterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2. Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1. Eine buddhistische Psychohistorie des Westens . 10.2.1.1. Die innere Leere (lack) als Grundkategorie der psychohistorischen Analyse und das Wego als Träger historischer Prozesse . . . . . . . . . . 10.2.1.2. Die westliche Geistesgeschichte als Geschichte der Freiheit für ein Selbst und die ethische Revolution der Bibel . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1.3. Die Geburt des säkularen Fortschrittsglaubens aus dem Geist des Chiliasmus . . . . . . . . . 10.2.1.4. Der Bruch der Immanenz mit der Transzendenz und die sukzessive Despiritualisierung der Welt 10.2.1.5. Der historische Ursprung der kapitalistischen und neo-liberalistischen Konkurrenzgesellschaft und die Krise der Zivilgesellschaft . . . 10.2.1.6. Die Genese der subjektivistischen Innerlichkeitskultur des Westens . . . . . . . 10.2.1.7. Der kapitalistische Konsumerismus als globale Religion der Gegenwart . . . . . . . . . . . . 10.2.2. Individuelle Selbstrealisierungsprojekte und profanierte Erlösungssurrogate . . . . . . . . . 10.2.2.1. The Living Death of Being Unknown: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Ruhmes 10.2.2.2. Der Midaskomplex: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Geldes . . . . . . . . . . . 10.3. Loys methodischer Nihilismus . . . . . . . . . . . . . 10.3.1. Die Schule der Angst und der Mut zum Nichts-Sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2. Loys ātmanloses Ātman-Projekt . . . . . . . . 11. Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus 11.1. Die Bewegung des Engagierten Buddhismus . . 11.1.1. Die modernistische Diskontinuitätsthese 11.1.2. Die traditionalistische Kontinuitätsthese

. . . .

. . . .

. . . .

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488 498 500

503

509 522 530

538 546 552 561 562 565 569 569 577 581 585 592 600

15 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Inhalt

11.1.3. Projektion und Konstruktion: Modernismus und Traditionalismus als Spielformen des Orientalismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4. Der Engagierte Buddhismus als Aufgabe, Fortführung und Erneuerung der Tradition . . . 11.2. The Great Awakening: Loys buddhistische Sozialtheorie . 11.2.1. Die vier edlen Wahrheiten von der Tatsache, der Ursache, der Vernichtung und des achtfachen Pfades zur Überwindung des sozialen duḥkhas . 11.2.2. Die sozio-politischen Verbote und Gebote des Engagierten Buddhismus . . . . . . . . . . . . 11.3. Buddhismus und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1. Einführung in den buddhistischen Ökonomiediskurs . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2. Die innere Leere (lack) des Kapitalismus: Loys buddhistische Wirtschaftsethik . . . . . . 11.4. Buddhismus und Tiefenökologie . . . . . . . . . . . . 11.4.1. Arne Næss’ Ecosophy T und die tiefenökologische Bewegung . . . . . . . . . . . . . 11.4.2. Das Verhältnis des Buddhismus zur Tiefenökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3. Typologien des öko-buddhistischen Diskurses . 11.4.4. Die holistische Wende innerhalb des Buddhismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.5. Loving the World as our own Body: Loys Öko-Dharma . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.6. Zur Kritik des holistischen Öko-Buddhismus . . 11.4.7. Loy im Kontext des öko-buddhistischen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Komprehension: Loys Buddhismusinterpretation 13. Siglen

605 608 622

623 628 635 635 643 656 660 667 674 683 698 706 714

. . . . . 717

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723

14. Literaturverzeichnis

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15. Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

825

16. Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

845

17. Zitierte Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

881

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I. Einleitung

Vor mehr als fünfzig Jahren sprach der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Ernst Benz (1907–1978) von Buddhas Wiederkehr (1963) und meinte damit nicht nur die innere Reform und bewusste Selbsterneuerung des Theravāda-Buddhismus Südostasiens sowie des Mahāyāna-Buddhismus Chinas und Japans im 19. und 20. Jahrhundert, sondern auch das Hervortreten einer Reihe neuer Formen des Buddhismus, die eine betont sozial-politische Aktivität entwickelt und dabei über die sozial und geographisch beschränkte Sphäre hinaus zum ersten Mal ein religiöses Gemeinschaftsbewusstsein eines Weltbuddhismus herausgebildet hatten. Die bedeutsamste Tatsache war für Benz allerdings, dass der asiatische Buddhismus dabei mit einem weltmissionarischen und politischen Sendungsbewusstsein gegenüber der westlichen Welt aufgetreten war. 1 Der deutsche Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007) hielt diese Begegnung der primär auf Reflexion basierenden abendländischen Kultur mit den von Meditation bestimmten asiatischen Kulturen und damit auch den Buddhismus für »das eigentliche weltgeschichtliche Ereignis der gegenwärtigen Jahrhunderte« 2. Der britische Kulturtheoretiker und Geschichtsphilosoph Arnold J. Toynbee (1889–1975), der sich in hohem Alter selbst der buddhistischen Meditation zugewandt hatte, soll in einer berühmten Bemerkung zudem bereits vermutet haben, dass die Begegnung des Buddhismus mit der technisierten Industriezivilisation des Westens aus der Sicht kommender Generationen möglicherweise als das weitreichendste Ereignis des 20. Jahrhunderts interpretiert werden würde. 3 Cf. Benz 1963: 7 f. Weizsäcker 1977: 434. 3 Loy gibt keine bibliographische Angabe für das Zitat: »›The coming of Buddhism to the West may well prove to be the most important event of the twentieth century.‹« Loy 2010d: 241. Cf. Loy 2008: 1. Perry Schmidt-Leukel hat Toynbees Zitat als persönliche Erinnerung des US-amerikanischen Quäkers Douglas Van Steere (1901–1995) 1 2

17 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einleitung

Bei seiner anhaltenden Konfrontation und Interaktion mit der westlichen Kultur der Gegenwart ist der Buddhismus dabei mit Erscheinungs- und Lebensformen der Moderne konfrontiert, die es zur Zeit seiner Entstehung im Indien der zweiten Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends noch nicht gab und auf die er kritisch und vor allem selbstkritisch reagieren muss. 4 Durch die positiven Errungenschaften des medizinisch-technischen Fortschritts kam es nicht nur zu einer enormen Steigerung des Lebensstandards in nahezu allen Bereichen des menschlichen Daseins, sondern zugleich auch zu historisch beispiellosen Fehlentwicklungen: Eine superexponentiell wachsende Erdbevölkerung, eine beispiellose Zerstörung der Umwelt und rückhaltlose Ausbeutung der erschöpfbaren Rohstoffreserven der Erde im Zuge einer akzelerierten Industrialisierung und Urbanisierung sowie die Entwicklung nuklearer, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen mit einem nahezu unbegrenzten Zerstörungspotential haben die Menschheit im 21. Jahrhundert an den Rand einer planetaren Katastrophe gebracht, unentrinnbar scheint , wenn nicht weitreichende Gegenmaßnahmen und tiefgreifende Transformationen der gesamten Wirtschafts- und Sozialstruktur der Weltgemeinschaft eingeleitet werden, um sie abzuwenden. Neben den verheerenden Auswirkungen der bereits explodierten »Bevölkerungsbombe« 5, der alltäglich eskalierenden ökologischen Krise sowie einem durch intensives Lobbying der internationalen Waffenindustrie forcierten Rüstungswahn besteht die entscheidende ökonomische Herausforderung dabei in der effektiven Bekämpfung struktureller Gewalt, die der Ansicht vieler führender Vertreter der modernen Umweltbewegung zufolge von der weltweiten Hegemonie ausgewiesen: »According to Steere, Toynbee made this frequently quoted but hardly ever sourced remark at the last of his ›Adam Flexner‹ Lectures at Bryn Mawr College. The proper name of the lectures was the Mary Flexner Lectures, and Toynbee delivered them under the title ›Encounter Between Civilizations‹ at Bryn Mawr in 1946–47.« Schmidt-Leukel 2013a: 8. Cf. Steere 1960: 170. In einem Anschreiben zum »ZenChristian Colloquium«, das 1967 vom »Friends World Committee« ausgerichtet wurde, haben die Veranstalter die Sätze Toynbees folgendermaßen zitiert: »When the historian of a thousand years from now comes to write of this 20th century, he will be little interested in the domestic squabbles of the democratic free enterprise and communistic politics, but what will really grip him will be what happend when for the first time in history Christianity and Buddhism deeply interpenetrated each other.« Irie 1979: 2. Cf. Irie 1981: 5. 4 Cf. Schmidt-Leukel 2017a: 294 ff. 5 Ehrlich 1971.

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Einleitung

des internationalen Finanzkapitals und einer alle Lebensräume kolonisierenden Kreuzzugsmentalität des Turbokapitalismus ausgeht. 6 Die Entstehung einer globalen Weltkultur verlangt zudem nach praktischen Maßnahmen zur Förderung basisdemokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sowie der Menschenrechte insgesamt, von denen vor allem das Recht auf individuelle Selbstbestimmung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Religionsfreiheit besondere Herausforderungen für den Buddhismus mit seinen traditionell exklusivistisch-patriarchalen Strukturen und seiner Skepsis gegenüber autonomer Subjektivität darstellen. 7 Dabei gilt es sowohl aus blankem Eigennutz als auch globaler Solidarität gegenüber der Menschheit nicht nur punktuelle und temporäre, sondern systemische und originär nachhaltige Lösungsstrategien für eine weltpolitische Ordnung zu entwickeln, die auch die historische Genesis dieser überkomplexen Krisen in den Blick nehmen und deren tiefer liegende Ursachen analysieren. Die weltumspannende Notlage der Gegenwart, die sich immer mehr der menschlichen Kontrolle entzieht, ist nicht nur Ausdruck ökonomischer, ökologischer und politischer Faktoren sowie überholter Leitvorstellungen, die überdacht und revidiert werden müssen, sondern Symptom eines anthropozentrischen Menschenbildes und eines materialistisch-mechanistischen Weltbildes, die wiederum das Ergebnis tiefenpsychologischer Mechanismen sowie kultur- und geistesgeschichtlicher Weichenstellungen sind, die es umfassend aufzudecken gilt. Ohne eine globale Revolution in der Sphäre des menschlichen Bewusstseins – so der damalige Staatspräsident der Tschechoslowakei Václav Havel (1936–2011) in einer Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses am 21. Februar 1990 – werde sich nichts zum Besseren verändern und die ökologische, soziale und demographische Katastrophe, auf die die Welt zusteuere oder der allgemeine Zusammenbruch der Auf den Sinnzusammenhang zwischen Kapitalismus und ökologischer Krise haben bereits früh Barry Commoner (1917–2012) in The Closing Circle (1971), der »Club of Rome« in dem 1972 veröffentlichten Bericht über Die Grenzen des Wachstums (The Limits of Growth), Herbert Gruhl (1921–1993) in Ein Planet wird geplündert (1975), Wolfgang Harich (1923–1995) in Kommunismus ohne Wachstum? (1975) sowie Carl Améry (1922–2005) in Natur als Politik (1976) hingewiesen. Cf. Améry 1976; Commoner 1973; Gruhl 1975; Harich 1975; Meadows, D. 1972. 7 Näheres zu den Herausforderungen des Buddhismus durch den Liberalismus und seine charakteristischen Werte, den Feminismus, die ökologische Krise, den wissenschaftlichen Materialismus sowie die religiöse Vielfalt und damit zusammenhängender Probleme findet sich bei Schmidt-Leukel 2017a: 182–186, 297–319. 6

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Einleitung

Zivilisation unvermeidlich sein. 8 Angesichts der von Lewis Mumford (1895–1990) charakterisierten Megamaschine eines expansiven Industriesystems, die ein Eigenleben entwickelt und den Menschen dabei untergeordnet, funktionalisiert und versklavt habe und des vom britischen Sozialhistoriker und Friedensaktivisten Edward P. Thompson (1924–1993) beschriebenen Exterminismus einer tendenziell zu Zerstörung und Selbstausrottung neigenden Menschheit, hatte bereits der Sozialökologe Rudolf Bahro (1935–1997) in seiner Logik der Rettung (1987) einen revolutionären Theorieansatz über die gesamtgesellschaftlichen Grundlagen spiritueller Politik vorgelegt, der die erforderliche Umschaffung der Gesellschaft an einen »vielmillionenfache[n] Sprung in eine neue Bewußtseinsverfassung« 9 knüpft, ohne den letztlich jede Maßnahme zum Scheitern verurteilt sei. 10 Die »Wahrheit über uns selbst zu suchen« sei daher »die wichtigste politische Disziplin« 11, da die conditio humana die innerste Ursache und das letztlich Bedingende aller konkreten Erscheinungsformen unserer zivilisatorischen Krise sei. 12 Vor diesem Hintergrund ist das Werk David R. Loys zu verstehen, der zu den derzeit renommiertesten buddhistischen Denkern westlicher Prägung gehört. Mit seiner an unterschiedliche religiöse Traditionen anknüpfenden Philosophie der Nondualität beansprucht Cf. Havel 1999: 891. Bahro 1987: 300 f. 10 Cf. Mumford 1981; Thompson 1981. 11 Bahro 1987: 24. 12 Insofern die ökologische Krise als Krise des Bewusstseins aufgefasst wird, bedarf es Johannes Heinrichs zufolge auch einer »Ökologie des Bewußtseins«. Heinrichs 2007: 34. Heinrichs, der als Nachfolger Bahros bis 2002 den Lehrstuhl für Sozialökologie an der Humboldt-Universität zu Berlin inne hatte, spricht daher von einer Tiefenökologie, die Umweltverschmutzung und Umweltzerstörung als »unausweichliche Folge der »Innenweltverschmutzung« und »Gedankenzerstörung« erkennt. Heinrichs 2007: 56. Jochen Kirchhoff setzt dieser »psycho-kosmologische[n] Krise« im Anschluss an Ken Wilber, Bahro und Heinrichs eine integrale Tiefenökologie entgegen, die die ökologische Krise als »Ausdruck eines zutiefst neurotischen Mensch-KosmosVerhältnisses« analysiert. Kirchhoff 1998: 21. Wie sich die realen Herausforderungen der modernen technisierten Gesellschaft hingegen schnell zu einem technikfeindlichen Ökopessimismus, apokalyptischen Defätismus und annihilationistischen Misanthropismus auswachsen können, zeigt die Studie von Herman 1998: 394–461. Für eine zeitgenössische Bestandsaufnahme der »Erde im Griff des Anthropozän« siehe Lesch/Kamphausen 2017. Emil M. Ciorans (1911–1995) Précis de décomposition (1949) sowie Ulrich Horstmanns Das Untier (1983) können hier als zeitlose Klassiker des apokalyptischen Denkens genannt werden. Cf. Cioran 1978; Horstmann 2004a. 8 9

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Einleitung

Loy eine interreligiöse Grundlage, auf der er zugleich eine buddhistische Psychologie, Psychohistorie, Sozialtheorie, Wirtschaftsethik und Tiefenökologie etabliert. Loys im Grunde apologetischer Versuch einer zeitgemäßen Buddhismusinterpretation kreist dabei um das zentrale Anliegen, den Buddhismus als gelebte Weisheitslehre den Bedingungen heutiger Welterfahrung anzupassen und angesichts der konkreten Herausforderungen der Gegenwart kreativ neu zu entwerfen, ohne dabei fundamentalen buddhistischen Anliegen und dem zeitlosen Kernbestand des Buddhadharma mit seinen wichtigsten überlieferten Lehren untreu zu werden. 13 Eine wesentliche Aufgabe besteht nach Ansicht Loys folglich in der gewissenhaften Klärung, welche Aspekte der buddhistischen Lehre im Einzelnen als zeitlosgültige und unverzichtbare Kernaussagen präzisiert, vertieft und aktualisiert und welche als historisch bedingte und überkommene Formen verworfen werden müssen. Angesichts der Notwendigkeit, sich der Realität einer globalisierten Welt zu stellen, deren Kultur ideologisch am stärksten vom Westen geprägt ist, entwickelt Loy sein gesamtbuddhistisches Welt- und Selbstverständnis dabei nicht mehr allein von der eigenen Tradition und einer Rückbesinnung auf ihr geistiges Erbe her, sondern in ständiger Auseinandersetzung mit westlichen Diskursen, Interpretamenten und Deutungskategorien, für deren geistige Bewältigung und konstruktive Adaption er als westlicher Buddhist prädestiniert ist. Dabei betont Loy vor allem den dialogischen Charakter sowie die Wechselseitigkeit dieser nachhaltigen Veränderungsprozesse, die Grundfragen der menschlichen Existenz berühren. Es geht ihm nicht nur darum, was der Buddhismus von der Moderne, sondern auch, was die Moderne vom Buddhismus zu lernen hat und wie beide zu einer neuen Synthese zu verbinden sind, die sowohl der westlichen als auch der östlichen Gedankenwelt differenziert gegenübersteht und dabei weder in die Fehlform einer anachronistisch-ökoprimitivistischen Zivilisationsund Technikfeindlichkeit noch in deren Kehrseite einer grenzenlosen Technik- und Zivilisationsgläubigkeit mit ihrem Fortschritts- und Produktionswahn verfällt.

13

Cf. Loy 2015a: 1–4.

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1. Einführung in Leben und Werk David R. Loys

1.1. Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970) David Robert Loy wurde am 27. Juli 1947 als erster Sohn von Robert und Irene Loy in der Panamakanalzone geboren. Sein Vater war im Zweiten Weltkrieg der US-Navy beigetreten und zu dieser Zeit auf einer Militärbasis dort stationiert, weshalb Loy im Navy Hospital der Coco Solo Naval Air Station zur Welt kam. Die Wurzeln der Familie Loy liegen in Schweden und Polen. Die Großeltern seines Vaters waren aus Schweden eingewandert, während die Familie seiner Mutter eine Generation später aus Polen emigrierte. Beide Elternteile wurden in Rockford (Illinois) in der Nähe von Chicago geboren und bekamen nach David noch vier weitere Kinder: Gregory Michael, Nancy, Richard und Kevin. Als Sohn eines US-Navy-Angehörigen musste Loy aufgrund der häufigen Versetzungen seines Vaters in seiner Kindheit mehrfach umziehen und daher ständig die Schule wechseln, was ihn nach eigener Aussage »quite bookish and self-contained« 1 machte. Er verbrachte Teile seiner Kindheit u. a. in Virginia, Maryland und SanDiego, aber keiner dieser Orte und keine der Schulen, die er dort besuchte, machte einen bleibenden Eindruck auf ihn. Nachdem sein Vater die Navy verlassen hatte, kehrte die Familie nach Rockford zurück, wo Loy noch zwei Jahre lang bis 1965 die East Rockford Highschool besuchte, auf die bereits seine Eltern gegangen waren. In seiner Freizeit spielte er Tennis, beteiligte sich aktiv im Debattierclub und gründete einen Schachclub, dem er als Gründungspräsident vorstand. Religiös war Loys Kindheit und Jugend durch den katholischen Glauben seiner Eltern geprägt, dem er sich trotz seiner christlichen Erziehung nie wirklich verbunden fühlte. Von einer ausgeprägten religiösen Sozialisation kann in Loys Fall kaum die Rede sein. Der 1

Loy 2004b.

22 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970)

christliche Hintergrund seiner Eltern dürfte daher insgesamt keinen besonderen Einfluss auf die Schwerpunkte seiner akademischen Karriere gehabt haben, denn bereits in jungen Jahren galt sein Interesse vielmehr der Philosophie. Insbesondere die existentielle Dimension philosophischen Denkens, mit der ihn William James Durants (1885–1981) zur damaligen Zeit enorm populäres Buch The Story of Philosophy – The Lives and Opinions of the Greater Philosophers (1926) erstmalig bekannt machte, hatte einen prägenden Einfluss auf sein Verständnis des Menschen und seine spätere Buddhismus-Rezeption. Nach dem Abschluss der Highschool besuchte Loy ab 1965 das in der Nähe von Minneapolis gelegene Carleton College in Northfield (Minnesota). Während seiner Zeit in Carleton erhielt Loy das Angebot, sein vorletztes Schuljahr (junior year) in England am King’s College der University of London zu verbringen. Obwohl sich Loy rückblickend zu dieser Zeit als schüchternen Bücherwurm und introvertierten Außenseiter beschreibt, nahm er das Angebot an und verließ für ein Jahr (1967–1968) die Staaten, um am King’s College in London bei Godfrey Norman Agmondisham Vesey (1923–2013) und Peter Guy Winch (1926–1997) analytische Philosophie zu studieren. Doch Loy fand in keinem der beiden einen philosophischen Lehrer, denn weder fand er ihre Persönlichkeiten inspirierend noch die Inhalte ihrer Lehre beeindruckend. Loy studierte in seinem Jahr am King’s College die Werke von Bertrand Russell (1872–1970), Ludwig Wittgenstein (1889–1951), John L. Austin (1911–1960) und Peter Strawson (1919–2006), von denen aber allein das Spätwerk Wittgensteins eine anhaltende Faszination auf ihn ausüben und sein Denken grundlegend prägen konnte, da es ihm die fundamentale Funktion der Sprache nachdrücklich bewusst machte. Zumindest in dieser Wertschätzung Wittgensteins und dessen postum publizierten Philosophischen Untersuchungen (1953) kam er mit seinem Lehrer Winch überein, der als Anhänger, Interpret und späterer Nachlassverwalter Wittgensteins bekannt wurde und die zentrale These des späten Wittgensteins radikalisierte, nach der es keine Sätze gibt, die unabhängig vom Pluralismus unterschiedlicher Sprachspiele und der kulturellen Kontextualität und Kontingenz ihrer jeweiligen grammatikalischen, morphologischen und semantischen Struktur Gültigkeit für sich beanspruchen können. Wittgensteins Linguistizismus folgend behauptete Winch das Fehlen eines einheitlichen und universal verbindlichen Maßstabs zur Bewertung kultureller Normen und Praxen 23 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

sowie die radikale Kontextualität verschiedener Kulturen mit ihren jeweils sprachspielrelativen Lebenswelten und Wirklichkeitsauffassungen. 2 Es war aber nicht der sprachrelativistische Ansatz, sondern vor allem das existentielle Moment von Wittgensteins Radikalisierung der methodischen Sprachkritik zur Therapie, die philosophische Fragen wie im Denken wurzelnde und in der Sprache sedimentierte Krankheiten behandelt, das Loys Rezeption und Verständnis der östlichen Philosophie nachhaltig prägen sollte. So hat Loy seine von Wittgenstein inspirierte Grundauffassung der buddhistischen Philosophie der Leerheit (śūnyavāda) als Kathartikon der Sprache und Therapeutikum des von spekulativ-metaphysischen und existentiellen Fragen bedrängten Denkens bis heute beibehalten. Die buddhistische Lehre wurde in ihrem soteriologischen Telos für Loy dadurch als Analogon zu Wittgensteins therapeutischem »Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache« 3 begreifbar. Aber abgesehen von Wittgenstein und dessen anhaltender Wirkung auf Loys Denken lehrte ihn das Studium der analytischen Philosophie nach eigener Auskunft nur, dass ihn die analytische Philosophie nicht interessierte, weshalb er sich wieder verstärkt der existentiellen Seite der Philosophie zuwandte. 4 Neben dem Versuch, dem englischen Winter durch eine Reise nach Madrid zu entkommen, widmete sich Loy den Rest des Jahres daher vor allem der russischen Literatur, von der ihn insbesondere die Schriften Fjodor M. Dostojewskis (1821–1881) und Lew N. Tolstois (1828–1910) begeisterten und verbrachte seine Zeit mit der Lektüre Friedrich Wilhelm Nietzsches (1844–1900), Søren Kierkegaards (1813–1855) und Martin Heideggers (1889–1976). Vor allem Nietzsches Werk und Heideggers Brief über den Humanismus (1947) und Gelassenheit (1955) betrachtet Loy rückblickend immer noch als die stärksten westlichen Einflüsse auf sein eigenes Denken. 5 Cf. Winch 1992. Winch behauptet zwar keine vollkommene Inkommensurabilität von Kulturen oder Lebensformen, zweifelt aber Thomas Göller zufolge die Möglichkeit »eines von einer Kultur oder Lebensform unabhängigen Rationalitäts- oder Objektivitätsmaßstabes« an: »Nach Winch gibt es letztlich kein Kriterium, mit dessen Hilfe die Objektivität (oder Rationalität) der einen oder anderen Realitätsauffassung – sei sie magisch-mystisch oder wissenschaftlich-theoretisch – beurteilt werden könnte.« Göller 2014: 49. 3 Philosophische Untersuchungen § 109. In: Wittgenstein 1984a: 299. 4 Cf. Loy 2004b. 5 Cf. Heidegger 1969; Heidegger 1978a. 2

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Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970)

In seinem Vortrag Gelassenheit, den Heidegger 1955 bei der Conradin-Kreutzer-Feier in seiner Heimatstadt Meßkirch gehalten hatte, war Heidegger Fragen nachgegangen, die auch Loys akademisches Werk maßgeblich bestimmen sollten: Was ist das Wesen des Menschen und wie bestimmt sich sein Verhältnis zur Technik und Natur im Atomzeitalter? Können wir eine Haltung des gleichzeitigen »Ja« und »Nein« zur Technik einnehmen, die uns ihrer Übermacht nicht wehr- und ratlos ausliefert, ohne sie dabei rigoros zu verwerfen? Wie Loy nach ihm konstatiert Heidegger in seinem Vortrag eine neue Stellung des Menschen in der Welt und zur Welt, die maßgeblich durch die Philosophie der Neuzeit und die moderne Technik bedingt ist. Die Welt erscheine dem Menschen wie ein Gegenstand, auf den das »rechnende Denken« seine Angriffe ansetze und denen nichts widerstehen könne. Die Natur würde dadurch zu einer einzigen riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie. 6 Eine Frage Heideggers wird Loy wohl unmittelbar angesprochen haben, denn sie bringt ein zentrales Anliegen seines späteren Engagements zum Ausdruck: »Könnte nicht, wenn schon die alte Bodenständigkeit verlorengeht, ein neuer Grund und Boden dem Menschen zurückgeschenkt werden, ein Boden und Grund, aus dem das Menschenwesen und all sein Werk auf eine neue Weise und sogar innerhalb des Atomzeitalters zu gedeihen vermag?« 7 Loy wird darauf seine ganz eigene, buddhistische Antwort geben und dem »rechnenden Denken« eine spezifisch buddhistische Version der von Heidegger angemahnten Haltung der »Gelassenheit zu den Dingen« 8 eines »besinnlichen Denkens« entgegenstellen, die gerade dieses Verlangen nach einem substantiellen Grund und Boden des Menschenwesens als das stets vergebliche und verhängnisvolle Sisyphos-Projekt der Menschheit durchschaut. Im Jahr 1969, auf der Höhe des Vietnamkrieges (1955–1975), als die USA über eine halbe Million Soldaten in Südostasien stationiert hatte, kehrte Loy für sein letztes Jahr (senior year) und seinen Bachelor-Abschluss im Hauptfach Philosophie nach Carleton zurück. Hier musste er feststellen, dass sich die Atmosphäre am College radikal verändert hatte. Die Proteste gegen den Vietnamkrieg waren wäh-

6 7 8

Cf. Heidegger 1969: 23. Heidegger 1969: 26. Heidegger 1969: 28.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

rend seiner Abwesenheit rapide angewachsen und der Campus extrem politisiert worden. Das Studium bedeutete zur damaligen Zeit eine vorübergehende Zurückstellung vom Wehrdienst, sodass sich Loy mit seinem bevorstehenden Abschluss der konkreten Gefahr ausgesetzt sah, eingezogen und zum Kampfeinsatz nach Vietnam geschickt zu werden. Einige Monate zuvor hatte Loy mit zwei seiner Kommilitonen aus der Abschlussklasse – Harold Henderson und Paul Smith – intensiv über die ethische Dimension des Krieges diskutiert und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er immoralisch und illegal sei und eine aktive Teilnahme mit seinem Gewissen daher unvereinbar. Die Eltern waren mit der Richtung des Denkens, die der Sohn zu dieser Zeit eingeschlagen hatte, durchaus nicht einverstanden, was Loy allerdings nicht daran hinderte, den Wehrdienst zu verweigern. Im Gegensatz zu anderen US-Amerikanern, die ihrer Opposition gegen den Vietnamkrieg mit der Verbrennung ihres Wehrpasses (»draft-card burning«) Ausdruck verliehen, entschieden sich Loy, Henderson und Smith dazu, ihre Pässe an ihr jeweiliges Rekrutierungsbüro zurückzuschicken. Sie legten ihren Pässen einen Brief bei, der ihren Entschluss dokumentierte, einem möglichen Einberufungsbescheid nicht nachkommen zu wollen – eine Entscheidung, die zur damaligen Zeit leicht eine Verurteilung und mehrjährige Gefängnisstrafe hätte nach sich ziehen können. Mit der Gewissheit, eine Teilnahme am Krieg nicht verantworten zu können und der Ungewissheit, ob ihn sein reines Gewissen eventuell ins Gefängnis bringen würde, floh Loy nicht wie so viele Kriegsdienstverweigerer nach Kanada, sondern engagierte sich als aktiver Mitarbeiter in der Widerstandsbewegung gegen die Wehrpflicht in San Francisco. Er war außerdem gelangweilt vom Mittleren Westen der USA, weshalb San Francisco ein Ort zu sein schien, an dem das öffentliche Bewusstsein stark von der Ablehnung des Vietnamkrieges geprägt war und diesbezüglich revolutionäre Dinge geschahen. Tatsächlich genoss die Bay Area am Ende der 1960er Jahre notorische Bekanntheit als eine Brutstätte für Wehrdienstverweigerer und Bundesrichter, die bereit waren, Anklagen gegen sie entweder ganz fallen zu lassen oder die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Besondere Berühmtheit erlangte dabei der führende Bundesrichter in San Francisco Cecil F. Poole (1914–1997), der allgemein abgeneigt war, Fälle von Wehrdienstverweigerung strafrechtlich zu verfolgen. Bereits 1967 und 1968 waren mehr als neunzig Prozent aller Fälle, die in seinem Büro eingegangen waren, vor Anklageerhebung bereits 26 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970)

wieder fallen gelassen worden. 9 Hierhin zog es Loy mit einer Reihe anderer Gesinnungsgenossen aus Carleton, mit denen er sich in San Francisco ein Apartment teilte. Ihre latente Sorge vor einer Inhaftierung sollte sich schnell bestätigen, als ein Mitarbeiter der Widerstandsbewegung aus Loys näherem Umfeld zu zwei Jahren Haft in einem Bundesgefängnis verurteilt wurde. Loy selbst wurde für seine aktive Teilnahme an den konzentrierten Aktionen der Widerstandsbewegung zu dreißig Tagen Haft auf einer Gefängnisfarm verurteilt und saß mehrere Tage für eine Demonstration vor einem Informationszentrum der Armee in einem Gefängnis in San Francisco, bevor die Anklage gegen ihn fallen gelassen wurde. Dass es nie zu einer Anklage und Verurteilung für seine Verweigerung des Kriegsdienstes kam, lag vor allem an der Änderung des nationalen Wehrdienstgesetzes durch Richard M. Nixon (1913– 1994), an der die Widerstandsbewegung, aber vor allem die sogenannte Harvard Study Group um John Rawls (1921–2002), Thomas Schelling (1921–2016), Hilary Putnam (1926–2016), Judith Shklar (1928–1992), Michael Walzer und andere einen wichtigen Anteil hatte. Die bis dahin gültige Regelung, Männer solange nicht zum Wehrdienst einzuziehen, solange sie sich im Studium befanden, hatte zu Protesten von Seiten einiger Professoren geführt. Die Harvard Study Group bezog auf einem Fakultätstreffen 1966 gegen die bestehenden Gesetze Stellung und argumentierte, dass diese ungerecht seien und vor allem Kinder aus der Oberschicht, also diejenigen, die sich das Studium leisten konnten, vor dem Kriegseinsatz bewahre. Wenn man nicht alle wehrfähigen Männer für den Einsatz benötige, müsse eben das Los darüber entscheiden. Allein das Losverfahren sei wirklich fair und nicht diskriminierend, wie die Gruppe in einem später publizierten Positionspapier erklärte. 10 Diese Empfehlung führte dazu, dass Nixon die allgemeine Wehrpflicht 1969 durch ein »Selektives Wehrdienstsystem« ersetzte und am 1. Dezember des Jahres zwei Lotterieziehungen, die sogenannten »Draft Lotteries«, durchführen ließ, um festzulegen, welcher der wehrpflichtigen Männer der Jahrgänge 1944 bis 1950 einberufen werden sollte. Loy blieb bei den Ziehungen verschont. 11

Cf. Dancis 2014: 332. Cf. Harvard Study Group 1967: 95; Buchstein 2009: 280. 11 Cf. Loy 2014a. 9

10

27 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

Die Eindrücke des Vietnamkrieges und sein eigenes Engagement in einer Anti-Kriegs-Bewegung hatten Loy zur Introspektion gezwungen. Er war zwar seinen friedlichen Grundsätzen treu geblieben, aber ihm wurde auch deutlich, dass Sozialkritik schnell in Gewalt umschlagen konnte, was ihm die Weathermen und die Black Panther Party deutlich vor Augen führten. 12 Die Ereignisse hatten in ihm mehr und mehr die Überzeugung reifen lassen, dass es nicht genüge, nur das politische und soziale System zu kritisieren. Vielmehr müsse die Kritik und Veränderung direkt beim Menschen und damit unmittelbar bei ihm selbst ansetzen; eine Haltung, die nicht zuletzt auch durch Loys wachsendes Interesse an spirituellen Fragen und seine Lektüre existentieller Philosophie motiviert war. Von Heidegger und Nietzsche war es für Loy nach eigener Auskunft nur ein kleiner Schritt zu den Werken Daisetsu Teitarō Suzukis (1870–1966) und Alan Watts (1915–1973) gewesen. 13 Vor allem die von William BarBei den Weathermen handelte es sich um eine linksradikal-militante Untergrundorganisation, die Ende der 1960er bis 1970er-Jahre aktiv war und vor allem für Bombenanschläge gegen Regierungsgebäude bekannt wurde. Die Black Panther Party ist eine sozialistisch-revolutionäre Bewegung, die im Interesse afro-amerikanischer Gerechtigkeit den bewaffneten Widerstand gegen die gesellschaftliche Unterdrückung propagiert. 13 Dass vor allem die von Loy geschätzte Spätphilosophie Heideggers zentrale Einsichten und anhaltende Inspiration taoistischem und zen-buddhistischem Gedankengut zu verdanken und Heidegger wesentliche Erkenntnisse teilweise fast wörtlich deutschen Übersetzungen ostasiatischer Texte ohne Hinweise auf die jeweilige Quelle übernommen hat, ist spätestens seit Reinhard Mays erstmals 1989 unter dem Titel Ex Oriente Lux. Heideggers Werk unter ostasiatischem Einfluß publizierter Studie bekannt, die 2014 in zweiter Auflage als Heideggers verborgene Quellen erschien. Der von Loy erkannte inhaltliche Zusammenhang von Heideggers Spätwerk und dem Zen-Buddhismus kann daher nicht überraschen. May attestiert Heidegger in seiner Untersuchung eine »plagiatorische Vorgehensweise« (XI), eine »auf verschlüsselte Präsentation bedachte Aneignung« (76) und eine »planmäßig erarbeitete Übernahme ostasiatischer Denkweisen« (77). May, Re. 2014. Heidegger nutzte dabei Martin Bubers (1878–1965) Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse (1910), Richard Wilhelms (1873–1930) Übersetzung des Tao Te King (1910) und Chuang-tzu (1912) sowie die Übertragung und Kommentierung des Tao Te King (1870) durch Victor von Strauß (1809–1899). Zudem kannte Heidegger »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« (39) die von August Faust (1895–1945) herausgegebene und mit einem Geleitwort von Rudolf Otto (1869–1937) versehene Anthologie Zen. Der lebendige Buddhismus in Japan (1925), die Ōhazama Schūejs Übersetzungen des Hsin Hsin Ming, japanisch Shinjinmei und Cheng-dao ke, japanisch Shōdōka, enthält. Erstere wird von der Tradition Chien-chih Seng-tsʾ an/Sēngcan, japanisch Kanchi Sōsan (gest. 606) und letztere Yung Chia Hsuan Chue (jap. Yōka Genkaku, 665–713) zugeschrieben. May resümiert: »Alle Fälle belegen, dass Heidegger sehr wahrscheinlich die bahnbrechen12

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Kindheit und Jugend, Beginn des Philosophiestudiums (1947–1970)

rett (1913–1992) kompilierte Anthologie Zen Buddhism. Selected Writings of D. T. Suzuki (1956) hatte einen enormen Einfluss auf Loy und prägte sein Verständnis des Zen-Buddhismus nachhaltig. Erst später studierte Loy auch Suzukis Essays in Zen Buddhism (1927) und dessen komparative Arbeit Mysticism. Christian and Buddhist (1957), die ihn erstmals mit der Gedankenwelt Meister Eckharts (1260–1328) und der christlichen Mystik vertraut machte. Seine erste Bekanntschaft mit den Schriften Watts verband sich wiederum mit einer außergewöhnlichen Begebenheit. Nachdem die Beziehung zu seiner damaligen Freundin gescheitert war, trampte Loy die Küste Kaliforniens entlang und kampierte während seiner Reise eines Nachts am Ufer eines Flusses. Als Lektüre hatte er sich Albert Camus’ L’homme révolté (1951) mitgenommen, doch die darin versammelten philosophisch-politischen Essays konnten ihn nur wenig begeistern. Kurioserweise fand er im Sand nahe seines Zeltplatzes eine Ausgabe von Watts The Book. Against the Taboo of knowing who you are (1966), das zu einem einschneidenden Lektüreerlebnis führte. Auch wenn Loy den Einfluss Suzukis auf sein Denken als wesentlich größer beschreibt, so kann doch Watts Einfluss kaum unterschätzt werden. Neben Schriften zum Zen-Buddhismus und Taoismus hatte Watts auch zur christlichen Mystik Dionysius PseudoAreopagitas (zw. 476–518/28), dem Verhältnis östlicher Befreiungswege zur westlichen Psychotherapie, Fragen spiritueller Praxis und Kontemplation und dem Verhältnis des Menschen zur Natur und Religion publiziert und damit eine Vielzahl von Themen antizipiert, um die sich auch Loys späteres Denken im Wesentlichen drehen sollte. Vor allem The Two Hands of God. The Myths of Polarity (1963), in dem Watts sich gegenseitig bedingende Beziehungen, wie Leben und Tod, Gut und Böse, Subjekt und Objekt etc. problematisiert, die üblicherweise als unabhängig voneinander aufgefasst werden, scheint Loy bewusst oder unbewusst zu einigen Kerngedanken seiner Philosophie der Nondualität inspiriert zu haben, die er in seiner Dissertation erstmals elaboriert hat. Wie Loy hatte Watts hier vor dem Hintergrund zen-buddhistischer Praxis den Verdacht geäußert, dass alles den Gedanken seines Werkes bereits seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts vornehmlich anhand der genannten Texte […] planmäßig und wohldurchdacht erarbeitet hat, ohne jemals einen den Gepflogenheiten entsprechenden Hinweis auf die Quellen seines Denkens zu geben.« May, Re. 2014: 76.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

das, was uns in Begriffen und Erfahrung getrennt erscheint, in Wahrheit nur in gegenseitiger Abhängigkeit existiere und das Gefühl individuierter Existenz und die Erfahrung der Trennung des Menschen vom Universum sich einer bloßen Illusion verdanke. 14

1.2. Erster Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Fortsetzung des Studiums auf Hawaii (1970–1974) Den letzten Sommer seines insgesamt zweijährigen Aufenthaltes in San Francisco verbrachte Loy in New York und hütete dort ein Haus für Freunde aus Carleton. Auf der Rückfahrt machte Loy die Bekanntschaft mit einem Mann, der eine Weltreise mit seiner Freundin plante. Da sich Loy aufgrund seiner Lektüre mittlerweile immer stärker für spirituelle Fragen interessierte, schloss er sich diesem Unternehmen kurzerhand an. Die geplante Selbstfindungsreise sollte Loy ursprünglich irgendwann nach Indien führen, wo er sich einen Guru suchen wollte. Sie endete aber aufgrund akuten Geldmangels bereits bei der ersten Station auf Hawaii, wo er die nächsten fünf Jahre seines Lebens verbringen sollte. Auf Hawaii angekommen trennte sich Loy von seinen Weggefährten und schlug sich allein auf der Inselgruppe durch. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er mit kleineren Jobs. So arbeitete er u. a. zwei Wochen auf den Ananas-Feldern von Molokai, einer der acht vulkanischen Hauptinseln Hawaiis und half dort unter widrigen Arbeitsbedingungen und für einen Lohn von nur 1,60 $ die Stunde bei der Ernte. Reichte das Geld nicht aus, bot die Insel mit ihrem reichhaltigen Angebot an Früchten meist ausreichend Nahrung, um den Tag zu überstehen. In seiner Anfangszeit auf Hawaii übernachtete Loy bloß mit Zelt und Schlafsack ausgestattet in Strandanlagen oder dem Halawa-Tal im äußersten Osten Molokais. Dort gab er sich ausgiebig seinen »dreams of enlightenment« 15 hin und konsumierte gelegentlich entheogene Substanzen, vor allem Marihuana und psilocybinhaltige Pilze, die er nach eigener Aussage immer mit einer sakramentalen Geisteshaltung einnahm und deren Konsum für ihn untrennbar mit seinen spirituellen Ambitionen verCf. Watts 1963: xv. Insofern nicht anders angegeben, sind alle biographischen Informationen und Zitate den Transkripten meiner Interviews mit Loy entnommen, wobei die Zitate von Loy persönlich gegengelesen wurden.

14 15

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Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Studium auf Hawaii (1970–1974)

knüpft war bis sie von der zen-buddhistischen Praxis abgelöst wurden. An sein Leben als »drop-out« im Halawa-Tal erinnert sich Loy heute als »one of the greatest times in my life«, weil er absolut besitzlos und daher sorglos glücklich gewesen war. Auf Hawaii machte Loy im Februar 1971 auch die Bekanntschaft mit Robert Baker Aitken (1917–2010), der zu dieser Zeit noch kein Rōshi (autorisierter Zen-Lehrer) war, ihn aber dennoch in die ZenPraxis einführte. 16 Ein Freund Loys hatte vom Koko-an Meditationsraum (zen-dō) in der Nähe der Universität gehört, den Aitken 1959 zusammen mit seiner Frau Anne Arundel Hopkins Aitken (1911– 1994) gegründet hatte und dessen Mediationsgruppe als Diamond Saṅgha bekannt wurde. Nach ihrer ersten Meditation erfuhren sie, dass am darauffolgenden Wochenende ein japanischer Zen-Meister im Zendō eine siebentägige Periode intensiver Zen-Praxis (sesshin) abhalten würde. Bei dem Zen-Meister handelte es sich um Loys späteren Lehrer und Meister Yamada Kōʾ un (»pflügende Wolke«) Kyōzō (1907–1989). Da Loy selbst kein reguläres Mitglied der Gruppe war und sich rückblickend als »casual visitor who somehow slipped in through the cracks« 17 bezeichnete, war er allerdings unsicher, ob er und sein Freund dem japanischen Meister überhaupt beiwohnen dürften. Zu diesem Zeitpunkt hatte Loy erst vier Stunden Zazen Aitken wurde während des Zweiten Weltkrieges in einem Lager in der Nähe von Kobe (Japan) interniert und lernte dort den Zen-Buddhismus über Reginald Horace Blyth (1898–1964) kennen, der bereits zwei Jahre zuvor das Buch Zen in English Literature and Oriental Classics (1942) publiziert hatte und später noch fünf der ursprünglich acht geplanten Bände von Zen and Zen Classics veröffentlichen sollte. Nach seiner Entlassung kehrte er nach Hawaii zurück und studierte kurzzeitig an der University of California in Berkeley, wo er den Rinzai-Mönch Nyōgen Senzaki (1876–1958) kennen lernte, unter dem er sein Zen-Training begann. Während eines Aufenthaltes in Japan nahm er 1950 an seinem ersten sesshin im Engaku-ji Tempel in Kamakura teil, der zu den Haupttempeln der japanischen Rinzai-Linie (rinzai-shū) gehört. Wenig später lernte er Sōen Nakagawa (1907–1984) kennen, unter dem er seine Zen-Ausbildung im Ryūtaku-ji Tempel in Mishima fortsetzte. 1957 traf er erstmals Yasutani Hakuʾ un Ryōkō (1885–1973). Aitken gehört nicht nur zu den Gründungsmitgliedern des 1978 in Berkeley etablierten Buddhist Peace Fellowship (BPF), sondern zählt als Friedensaktivist und Sozialreformer auch zu den renommiertesten Vertretern des Engagierten Buddhismus weltweit. Zu Aitkens Diamond Saṅgha siehe Baroni 2015. Aitkens Korrespondenz wurde publiziert in Baroni 2012. Zu Aitken insgesamt siehe Tworkov 1994. Näheres zu Aitken und dem von ihm mitbegründeten Buddhist Peace Fellowship bei Simmer-Brown 2000. Aitkens Rolle im Kontext der Anfänge des (Zen-)Buddhismus in Amerika analysiert Prebish 1999: 8–20. 17 Loy 1997b: 48. 16

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

praktiziert und noch keine Idee davon, was das siebentägige sesshin mit Yamada eigentlich für ihn bedeuten würde. Seine Erwartung, etwas zu sitzen, Tee mit dem Meister zu trinken und ungezwungen über Zen zu sprechen, sollte daher schnell enttäuscht werden. Seine Eindrücke beim ersten Anblick Yamadas und die Erfahrung des sesshins hat Loy Jahre später im November 1994 festgehalten und diese in einer Gedenkschrift zum siebten Todestag Yamadas 1997 publiziert: The scenario was set for disaster. The reason that did not happen was Yamada Roshi. On the first evening we waited in the dôjô for him to meet us and make some introductory remarks. He walked into the room and I practically fell of my zafu [traditionelles Kissen, das zur Sitzmeditation verwendet wird; F. V.]. I had never seen anyone walk or talk like that. He acted and spoke from a different dimension than I had encountered before. Despite all the Zen books I had read, I knew nothing about that dimension, yet he inspired me to do whatever was necessary to realize it. That helped me survive the next seven days, which were the most painful of my life – less for my aching legs than for my mind, once it slowed down enough to realize how neurotic it was. Despite the roshi’s inspiration and guidance, I was in suicidal despair by the sixth day, but the post-sesshin party relieved the tension and I became a permanent convert to Zen practice. (My friend never visited again.) 18

Der enorme persönliche Eindruck, den Yamadas charismatische Erscheinung auf Loy gemacht hatte, wurde in der Folgezeit zu einem unverlierbaren Bestandteil seiner spirituellen Praxis und festigte seine Überzeugung, im Zen-Buddhismus seinen ganz persönlichen Weg gefunden zu haben. Auch während seiner physischen Abwesenheit fühlte Loy Yamadas Präsenz, die ihm eine konstante Hilfe und ein kontinuierlicher Bezugspunkt während seiner Meditation blieb. Noch 2015, in seinem Vorwort zu einer englischen Übersetzung von Yamadas Zen no Shōmon (The Authentic Gate of Zen), schreibt Loy rückblickend über das erste Treffen mit Yamada: »[M]eeting Yamada Kōun Roshi literally changed my life.« 19 In der Zeit nach dem ersten sesshin traten in Loy eine Reihe auffälliger innerer Erfahrungen hervor, die nicht nur eine Wandlung seines Denkens verursachten, sondern sein ganzes Leben betrafen und bis in die Bereich der physischen Leiblichkeit hineinwirkten. Be18 19

Loy 1997b: 49. Loy 2015b: VII.

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Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Studium auf Hawaii (1970–1974)

reits am ersten Abend, nachdem Loy in sein Appartment zurückgekehrt war und sich hingelegt hatte, erlebte er kurz vor dem Einschlafen die Entfaltung einer neuen Dimension der Erfahrung in sich, die zu einer Erschütterung seines ganzen Wesens führte: Sein Körper verselbstständigte sich und erwachte zu einem eigenen Leben. Diese neue Erfahrungsdimension und nicht bewusst kontrollierte Verhaltensweise seines Körpers wirkte sich auch am nächsten Morgen noch aus. Während des Duschens bemerkte Loy, dass sein Körper seine Haare auf eine vollkommen neue und effektivere Art und Weise wusch als sonst. Neben dieser Erfahrung der Emanzipierung körperlicher Abläufe, die sich in einem anonymen Automatismus eines verselbstständigten Leibes artikulierte – eine Erfahrung, die für Loy von programmatischer Bedeutung wurde und die er später als nonduales Handeln philosophisch reflektieren sollte – kam auch die Erfahrung der Ekstasis, des Außer-sich-seins und Vergessens der eigenen Individualität hinzu, die Loy während eines Aufenthalts in den Wäldern machte. Durch diese qualitativ neuen Erfahrungen, die Loy später als initiatische Erlebnisse deutete, begann sein bisheriger Lebensgrund zu wanken. Das bisherige Zentrum seines Lebens, Fühlens und Denkens hatte sich von der Vorstellung eines autonomen Subjektzentrums zu einer dynamischen Erfahrungsdimension jenseits der starren Grenzen der Subjekt-Objekt Spaltung verlagert, die eine uneingeschränkte Identifikation mit dem Körper oder anthropozentrischen Selbstbewusstsein nicht mehr möglich machte. Die philosophische Auslegung dieser nondualen Erfahrungen hat Loy später zu seinem philosophischen Hauptinteresse gemacht und deren Implikationen in eigenen Theorien weiter ausgebildet. Neben einer Reihe weiterer Erlebnisse analoger Art entdeckte Loy kurz nach seinem ersten sesshin Philip Kapleaus (1912–2004) Anthologie The Three Pillars of Zen (1965), die seine spirituellen Erfahrungen intellektuell komplementierte und bei einer ersten rationalen Durchdringung der neuen Erfahrungsdimension half. Neben einer detaillierten Beschreibung der spezifischen Zen-Praxis der von Yamada geleiteten Sanbō-Kyōdan – der religiösen Gemeinschaft (kyōdan) der drei Schätze (sanbō) Buddha, Dharma und Saṅgha – und verschiedenen Einführungsvorträgen von Yamadas eigenem Lehrer und Vorgänger Yasutani Hakuʾ un (»Weiße Wolke«) Ryōkō (1885–1973), versammelt die Anthologie Abschriften von individuellen Gesprächen der Schüler mit dem Meister (dokusan) und u. a. Yamadas kenshōki, i. e. Yamadas persönlichen Erfahrungsbericht 33 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

(kenshō taiken ki) über dessen initiales Erleuchtungserlebnis (kenshō: »Schau des wahren Wesens«). Das Buch, das über die Jahre zum Klassiker für Zen-Praktizierende auf aller Welt avancierte, wurde auch für Loy »a kind of bible for some years.« Yamada kehrte ein Jahr später nach Hawaii zurück, um einen zweiten sesshin zu veranstalten, an dem Loy ebenfalls teilnahm. Auf Einladung von Aitken lebte Loy danach in Haiku-Pauwela auf Maui, der zweitgrößten Insel des Hawaii-Archipels, wohin Aitken 1969 zusammen mit seiner Frau gezogen war, um ein zweites Zendo einzurichten. Dort setzte Loy seine Zen-Praxis unter Aitken fort und begann ebenfalls mit der zen-spezifischen kōan-Praxis. 20 Es war Kung-an (jap. kōan) ist kein originär buddhistischer Begriff, sondern wurde ursprünglich aus der juristischen Sprache entlehnt und bedeutet wörtlich so viel wie Tisch (an) eines Magistraten oder Richters (kung) und bezeichnete im mittelalterlichen China einen schriftlich vorliegenden Fall auf dem Tisch eines Magistraten, also einen Fall vor Gericht oder die Aufzeichnung über die Entscheidung eines Richters über denselben. Kung bedeutet fernerhin öffentlich, offiziell und unvoreingenommen im Gegensatz zu privat, eigennützig und parteiisch (ssu), weshalb kung-an (kōan) häufig mit »öffentlicher Fall« übersetzt wurde. Im chʾ an-/zen-buddhistischen Kontext bezieht sich kung-an (kōan) auf Aussprüche, Dialoge oder Dharma-Gefechte (jap. hossen) der Chʾ an-/Zen-Meister und allgemeine Geschehnisse oder Gespräche (jap. mondō) zwischen Meister und Schüler. Während seiner Genese wurde der Begriff auf drei verschiedene Weisen verwendet: (I) Einmal impliziert kung-an, dass ein Meister als spiritueller Richter im Dialog mit einem Gesprächspartner fungiert; (II) wurden damit Kommentare zu einem schriftlichen Dialog bezeichnet, insofern auch hier ein Meister als spiritueller Richter gegenüber einem alten Fall auftritt und (III) wurde der Begriff kung-an auch als Bezeichnung der Textgattung verwendet, um den einheitlichen Schriftkorpus zu bezeichnen, der eine Sammlung alter Fälle zum Zwecke ihrer Kommentierung aufbewahrt. Die beiden bis heute berühmtesten Kung-an-Sammlungen dieser Art sind das Pi-yen-lu (jap. hekiganroku) und Wumen-kuan (jap. mumonkan). Das Fo-kuo Yüan-wu Chʾ an-shih Pi-yen-lu (jap. bukka engo zenji hekiganroku) – so der vollständige Titel – wurde von Yüan-wu K’o-ch’in (jap. Engo Kokugon, 1063–1135) zu Beginn des 12. Jahrhunderts vollendet. Grundlage waren die von Hsüeh-tou Chʾ ung-hsien (jap. Setchō Jūken, † 1052) gesammelten und in Versen kommentierten Fälle (hsüh-tʾ ou ho-shang pai-tse sung-ku, denen Yüan-wu jeweils einführende Hinweise (chʾ ui-shih) vorausschickte. Darüber hinaus versah er jede einzelne Zeile eines jeden Falles mit Zwischenbemerkungen (chu-yü) und fügte sowohl dem Fall selbst als auch den Versen von Hsüeh-tou einen erläuternden Prosakommentar (pʾ ing-chʾ ang) hinzu. Die andere klassische kung-an-Sammlung aus der Zeit der Sung-Dynastie bildet die 48 kung-an umfassende »torlose Schranke«, das Wu-men-kuan, das im 13. Jh. von Wu-men Hui-kʾ ai (1184–1260), einem Chʾ an-Meister aus der Yang-chʾ i Linie der Lin-chi-Schule, zusammengestellt und kommentiert wurde. Insofern in diesen Sammlungen ein spezifisches Repertoire an Fällen fixiert und kanonisiert wurde, übernahm der Begriff kung-an noch eine (IV) vierte Bedeutung: »[A] body of laws or set of legal standards used to regulate 20

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Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Studium auf Hawaii (1970–1974)

ebenfalls Aitken, der Loy davon überzeugte, seine Studien an der University of Hawaii fortzusetzen und ihm das für die Immatrikulation nötige Geld lieh. Er hatte wohl gehofft, dass Loy Sinologie oder Japanologie studieren würde, um in Zukunft die Übersetzertätigkeiten für den Diamond Saṅgha übernehmen zu können. Stattdessen setzte Loy aber seine philosophischen Studien fort und schrieb sich 1974 für einen Master in asiatischer Philosophie ein. Daran war Aitken wohl nicht ganz unschuldig, denn er hatte Loy zuvor mit den Worten »This is the philosophy behind Zen« Tiruppattur Rameseshayyar Venkatachala Murtis (1902–1986) Klassiker The Central Philosophy of Buddhism. A Study of the Mādhyamika System (1955) zur Lektüre empfohlen, das wohl zusätzlich Loys grundlegendes Bedürfnis nach einer vertiefenden Reflexion und philosophischen Durchdringung seiner Zen-Praxis und spirituellen Erfahrungen motiviert haben mag. In diese Zeit fällt auch Loys erster Kontakt mit den Schriften Emanuel Swedenborgs (1688–1772), die er über Wilson van Dusens (1923–2005) Buch The Presence of Other Worlds: The Psychological/Spiritual Findings of Emanuel Swedenborg (1974) kennen lernte und ihn zur Lektüre von Swedenborgs Heaven and Hell (De coelo et ejus mirabilibus, et de inferno ex auditis et visis, 1758) inspirierte. Die frappanten Analogien zu buddhistischen Lehren, insbesondere die profunden Parallelen zum sogenannten Tibetischen Totenbuch (bar-do thos-grol), faszinierten Loy bereits bei seiner ersten Lektüre. Aber auch Swedenborgs Vita als Naturforscher und Seher und sein dynamischer Charakter beeindruckten Loy, dessen Theothe Ch’an school as a whole.« Foulk 2000: 21. Dieses Verständnis artikuliert sich besonders deutlich in einem Ausspruch Chung-feng Ming-pens (jap. Chūhō Myōhon, 1263–1323) aus der Yuan-Dynastie (1279–1368), der die Chʾ an-Meister als Hauptrichter der öffentlichen Gerichte der monastischen Gemeinde bezeichnete: »The socalled venerable masters of Ch’an are the chief officials of the public law courts of the monastic community, as it were, and their collections of sayings are the case records of points that have been vigorously advocated.« From Shan-fang ye hua (Evening Talks in a Mountain Room), in T’ien-mu Chung-feng ho-shang kuang-lu 11, Manji zokozōkyō (Kyoto, 1884) 31/7/606a18–c10. Zitiert nach: Buswell 1991: 346. »A whole independent genre evolved out of the Sung Ch’an master’s practice of commenting on kung-an stories. Many Ch’an masters (or their students) would compile collections of, usually, 100 old kung-an cases with the master’s own brief comments attached to each of them. These collections were called nien-ku (›picking up the old [cases or masters]‹) when a prose commentary was attached, and sung-ku (›eulogizing the old [cases or masters]‹) when the commentary was in poetic form.« Schlütter 2000: 176. Zum Hekiganroku siehe Roloff 2013: 36–50. Zum Mumonkan siehe Shūdō 2004.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

logie und Gottesbild er später als Zwischen- und Vermittlungsstufe zwischen Theismus und Nondualismus würdigte. 21 Er wird allerdings erst Jahre später dazu kommen, seinem Interesse für Swedenborg eine eigene Studie – The Dharma of Emanuel Swedenborg: A Buddhist Perspective (1995) – zu widmen. 22 Cf. Loy 2014b. Loy hatte die Ergebnisse seiner Arbeit erstmals im November des Jahres 1994 in Form eines Vortrages (The Dharma of Emanuel Swedenborg: A Buddhist Reading of Heaven and Hell) auf der Konferenz der American Academy of Religion in Chicago vorgestellt und nach der Publikation seines Artikels fast genau ein Jahr später im November des Jahres 1995 vor den Swedenborgianern der Academy of the New Church des Bryn Athyn College in Pennsylvania wiederholt. Am Mitchell Performing Arts Center des Bryn Athyn College hat Loy 2014 seinen bisher letzten Vortrag zu Swedenborg gehalten: Uncanny Parallels: The Problems and Possibilities that Buddhism and Swedenborgianism Share. Sein Artikel wurde erstmals 1995 im Arcana Magazine der Swedenborgian Church publiziert und im Anhang von Andrew Bernsteins Buch Swedenborg. Buddha of the North (1996) in überarbeiteter Form wiederveröffentlicht. Bei seiner Recherche hatte ihn vor allem die Tatsache überrascht, dass und in welchem Ausmaß D. T. Suzuki von den Lehren Swedenborgs beeinflusst worden war. Suzuki hatte Swedenborgs Schriften während seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten (1897–1908) und seiner Arbeit als Redakteur unter Paul Carus (1852–1919) für die Open Court Publishing Company in LaSalle (Illinois) kennen gelernt. Nach seiner Rückkehr nach Japan (1909) publizierte er 1910 die erste japanische Übersetzung von Swedenborgs De coelo et ejus mirabilibus, et de inferno ex auditis et visis (1758) als Tenkai to Jigoku und nahm noch im selben Jahr als VizePräsident am internationalen Swedenborg-Kongress in London teil. 1913 publizierte er Suedenborugu und 1914 die Übersetzungen von Swedenborgs De Nova Hierosolyma et ejus doctrina coelesti (1758) als Shin Erusaremu to Sono Kyōsetsu und Sapienta angelica de divino amore et de divino sapientia (1763) als Shinchi to Shinʾ ai. 1915 folgte noch eine Übersetzung von Sapientia Angelica de Divina Providentia (1764) als Shinryo Ron. Neun Jahre später beendete Suzuki seine Swedenborg-Studien mit der abschließenden Arbeit Suedenborugu – Sono Tenkai to Tarikikan (1924). Beide Studien Suzukis wurden 1996 in der Übersetzung von Andrew Bernstein publiziert. Cf. Suzuki, D. 1996. In Deutschland ist Swedenborg vor allem durch Immanuel Kants (1724–1804) Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766) bekannt geworden und gleichzeitig in Verruf geraten. Kant hatte Swedenborgs achtbändiges Werk Arcana coelestia (1749–1756) – oder wie Kant schreibt »acht Quarterbände voll Unsinn« (AA II: 360) – aufgrund der »Nachfrage und Zudringlichkeit vorwitziger und müßiger Freunde« (AA II: 367) gekauft und – was nach Kants Auskunft noch schlimmer war – auch gelesen und diese Mühe sollte nicht verloren sein, weshalb er die Träume eines Geistersehers verfasste. Die Wirkung von Kants Text war, dass man sich über Swedenborg als »Erzphantast unter allen Phantasten« (AA II: 354) und seine »Märchen […] aus dem Schlaraffenland der Metaphysik« (AA II: 356) in akademischen Kreisen nicht mehr positiv äußern konnte, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Kant hatte darüber hinaus Swedenborgs Visionen in Anlehnung an Samuel Butlers (1613–1680) Hudibras (1662) lächerlich 21 22

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Kontakt mit dem Zen-Buddhismus, Studium auf Hawaii (1970–1974)

Im Folgenden Jahr studierte Loy an der University of Hawaii Taoismus bei Chang Chung-Yuan (1907–1988), Konfuzianismus bei Chung-ying Cheng, Hinduismus bei Kashi Nath Upadhyaya, Buddhismus bei David J. Kalupahana (1936–2014) und besuchte ein Seminar des indischen Heidegger-Experten und komparativen Philosophen Jarava Lal Mehta (1912–1988). Im Gegensatz zu seinen Lehrern am King’s College konnten ihn hier sowohl die Persönlichkeiten einiger seiner Lehrer als auch die Inhalte ihrer Publikationen beeindrucken. Endlich wurden alle seine intellektuellen und existentiellen Interessen zum expliziten Thema der Seminare. In Hawaii erschöpfte sich die Philosophie nicht mehr im bloß Theoretischen, sondern war an geistigen und existentiellen Zwecken ausgerichtet. Sie trat hier als Weisheitslehre auf, die erst in einer alle Daseinsbereiche des Menschen transformierenden Lebenspraxis ihre endgültige Erfüllung findet; eine Form der Philosophie also, die Loy seit seiner Zeit am King’s College in London und dem Studium der analytischen Philosophie gesucht hatte. Vor allem Chang Chung-Yuan scheint Loys Ideal einer Synthese von Theorie und Praxis in Personalunion verkörpert zu haben, denn er wirkte auf ihn wie »an old Taoist Master«. Es waren wohl Menschen wie Chung-Yuan und Yamada, deren Loys ursprüngliche Suche nach einem Guru gegolten hat. Angesichts Loys bleibender Faszination für das Spätwerk Heideggers waren auch Chung-Yuans Seminare von besonderer Bedeutung für Loy, da sein Lehrer intime Kenntnis der Philosophie Heideggers besaß. Vom 17. bis 21. November 1969 hatte im Stadtteil Mānoa von Honolulu bereits ein internationales Symposium »Heidegger and Eastern Thought« zu Ehren von Heideggers achtzigstem Geburtstag stattgefunden, an dem auch Loys Lehrer Chung-Yuan und Mehta teilgenommen hatten. 23 Am 18. August 1972 hatte Chung-Yuan Heidegger zudem zu einem persönlichen Gespräch getroffen und dabei dessen Konzept der Lichtung mit ihm erörtert und mögliche Parallelen zum östlichen, speziell chinesischen und taoistischen Denken mit gemacht: »[W]enn ein hypochondrischer Wind in den Eingeweiden tobt, so kommt es darauf an, welche Richtung er nimmt, geht er abwärts, so wird daraus ein F–, steigt er aber aufwärts, so ist es eine Erscheinung oder eine heilige Eingebung.« AA II: 348. Kants Werke werden zitiert nach den von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Schriften (AA = Akademieausgabe) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl. 23 Die Beiträge des Symposiums wurden in Philosophy East and West 20, 3 (1970) publiziert. Cf. Ma 2008.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

ihm diskutiert. Im Kommentar zu seiner Übersetzung des Tao Te Ching, die Chung-Yuan im Sommer 1973 begonnen und 1975 als Tao – A New Way of Thinking (1975) vorgelegt hatte, ist der tiefe Eindruck, den Heideggers Denken auf Loys Lehrer ausgeübt hat, deutlich zu spüren. 24 Chung-Yuans Seminare und die Lektüre seiner Schriften müssen Loy einen prägenden Einblick in die Möglichkeiten komparativen Philosophierens vermittelt und besonders Loys Interesse an der philosophischen Frage intensiviert haben, was der gemeinsame Kern der Lehren Heideggers, des Taoismus, des AdvaitaVedānta und des (Zen-)Buddhismus sei. Dafür spricht auch seine erste Hausarbeit, die Loy in einem Kurs Chung-Yuans anfertigte und die er erst Jahre später in seinen Unterlagen wiederfand. Zu seiner eigenen Überraschung antizipierte dieser Text bereits das Grundkonzept von Nonduality (1988), das Loy erst in Singapur, also Jahre später im Rahmen seiner Dissertation ausarbeiten sollte. Hier liegt wohl der Schlüssel zum Verständnis der persönlichen Entwicklung Loys und zum inneren Zusammenhang seiner philosophischen, existentialpsychologischen und sozial-engagierten Phasen, denn das Thema der Nondualität bleibt von nun an der archimedische Punkt seiner Spiritualität und Prinzip seiner Weltanschauung, die er später in ihrer Anwendung auf die Bereiche der Religionsphilosophie, Psychologie und Ethik entfaltet. Zeit seines Lebens wird Loy von nun an versuchen, diese nonduale Erfahrungsgrundlage akademisch aufzuarbeiten, durch interdisziplinäre Arbeiten zu vertiefen, praktischexistentiell zu intensivieren und denkerisch einzuholen. Neben den Seminaren an der Universität verbrachte Loy die meiste Zeit damit, im Café zu sitzen, mit Freunden zu sprechen und im Koko-an Zendo jeden Morgen und Abend seiner Meditationspraxis nachzugehen. Der Abschluss seines Studiums bestand in einer mündlichen Master-Prüfung, die Loy auf eher unkonventionelle Weise gestaltete. Nachdem ihm eine Reihe von Fragen präsentiert worden waren, erklärte Loy seinen Widerwillen gegenüber den angefragten Themen und präsentierte dem Prüfungsausschuss seine eiDie Erinnerungen an sein Treffen mit Heidegger hat Chung-Yuan schriftlich festgehalten. Sie wurden publiziert als Chung-Yuan 1977. Auch Jarava Lal Mehta hat Heidegger mehrfach getroffen und mit ihm u. a. über indische Philosophie, insbesondere aber die Lehren des Vedānta debattiert, die Übersetzungsschwierigkeiten anhand von Paul Deussens (1845–1919) stark von Platon, Kant und Schopenhauer geprägten Vokabulars problematisiert und Suzukis Zen-Verständnis mit ihm erörtert. Cf. Mehta 1977.

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Promotion in Singapur (1974–1985)

genen Fragen und Antworten, die er für wesentlich relevanter hielt. Dass er die Prüfung dennoch bestand, schreibt Loy dem Wirken Chung-Yuans zu, der wohl ebenfalls dafür sorgte, dass Loy nach dem Master eine Doktorandenstelle angeboten wurde, die er aber ablehnte.

1.3. Promotion in Singapur (1974–1985) Nach seinem Master in asiatischer Philosophie, den er mit Auszeichnung absolvierte, verließ Loy Hawaii. Der Abschied fiel besonders Aitken schwer, der wohl einen potentiellen Nachfolger in ihm gesehen hatte, während Loy sich bereits seit seinem ersten Treffen mit Yamada immer als dessen Schüler betrachtet hatte. Er kehrte zum Festland zurück, wo er seit fünf Jahren nicht mehr gewesen war, um einige Zeit in Rockford bei seiner Familie zu verbringen. Dort arbeitete Loy eine Zeit lang in einem betreuten Wohnheim für psychisch Kranke, in dem er ein junges Mädchen mit multipler Persönlichkeitsstörung betreute. In der Folgezeit bereiste er das Land und besuchte andere buddhistische Gemeinden. Die Bücher Chögyam Trungpas (1939–1987), insbesondere dessen Buch Cutting through Spiritual Materialism (1973), hatten Loy tief beeindruckt, weshalb er sich dazu entschlossen hatte, einige seiner Shambhala-Meditationszentren zu besuchen. Die Organisation wirkte allerdings eher sektiererisch – »cultish« – auf Loy, was ihn als freiheitsliebenden Individualisten eher abschreckte und ihn erneut in seiner Entscheidung bestätigte, auch weiterhin unter Yamada praktizieren und dem Zen treu bleiben zu wollen. Loys Vater hatte unterdessen einen Job bei der Sundstrand Corporation in Singapur angenommen, die Industrie- und Raumfahrtprodukte herstellte und in deren Produktionsstätte er schnell zum Werkleiter aufstieg. Seine Eltern luden ihn daraufhin nach Singapur ein und übernahmen seine Reisekosten. Loy nutzte diese Gelegenheit, um auf dem Weg dorthin mehrere Abstecher zu machen. Er besuchte Freunde in Japan, darunter auch Yamada und seine Meditationsgruppe in Kamakura, bei denen er sich bereits zu diesem Zeitpunkt sehr willkommen fühlte, machte einen Zwischenstopp in Hong Kong und flog weiter nach Bangkok, wo er einen Freund traf, der Schüler des einflussreichen buddhistischen Theravāda-Mönches Bhikkhu Buddhadāsa (1906–1993) war, den sie gemeinsam besuch39 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

ten. Von Thailand ging es weiter nach Singapur, wo er am Heiligabend des Jahres 1977 bei seinen Eltern eintraf. Nachdem er einige Zeit in Singapur verbracht hatte, schlug ihm ein Bekannter seines Vaters vor, die National University of Singapore zu besuchen und sich zu erkundigen, ob dort möglicherweise jemand mit seinen Qualifikationen und Kenntnissen als Dozent gesucht werde. Ein anschließendes Vorstellungsgespräch mit dem Direktor des Instituts und anderen Mitarbeitern verlief überraschend gut. Zwar konnten seine ZenKenntnisse wenig beeindrucken, aber sein prestigeträchtiger Aufenthalt am King’s College und sein Studium mit Winch und Vesey hatten einen enormen Eindruck hinterlassen. Nachdem er von der Universität geraume Zeit keine Rückmeldung erhalten hatte, hatte Loy die Hoffnung schon fast aufgegeben und wollte nach Indien weiterreisen. Er blieb aber noch eine Woche, um einen Vortrag in einem buddhistischen Zentrum zu halten. Am Tag vor seinem Vortrag wurde ihm doch noch eine Stelle an der Universität angeboten. Als Dozent hielt Loy an der philosophischen Fakultät von 1982 bis 1985 Seminare zum Taoismus und Buddhismus, insbesondere zum chinesischen Chʾ an- und japanischen Zen-Buddhismus ab und unterrichtete Einführungen in die indische und chinesische Philosophie. Während dieser Zeit war Loy ebenfalls Mitglied einer informellen Madhyamaka-Studiengruppe, die sich während der Jahre 1983 und 1984 traf und zu der auch Peter Della Santina (1950–2006) gehörte, der von 1983–1985 das buddhistische Studien-Projekt am Institut für Lehrplanentwicklung der Universität Singapur leitete. Della Santina hatte bereits 1979 eine Dissertation über die Madhyamaka-Lehre des buddhistischen Philosophen Nāgārjuna (ca. 2.-3. Jh. n. Chr.) verfasst und war folglich der ideale Gesprächspartner für Loy, der ein intensives Interesse an Nāgārjunas Philosophie der Leerheit (śūnyavāda) hatte. 25 Da Della Santina blind war, las Loy ihm die Texte vor und gemeinsam widmete man sich einem intensiven Studium von Nāgārjunas Hauptwerk, den Mūlamadhyamakakārikā, i. e. den Lehrstrophen (kārikā) über die Wurzel (mūla) des Mittleren (madhyamaka) (Weges). Zu dieser Zeit publizierte Loy auch seine ersten eigenen Artikel im Bereich interkultureller Philosophie, die sich neben Nāgārjuna und dessen Madhyamaka-Lehre vor allem mit dem hinduistischen 25 Della Santinas Dissertation wurde publiziert als Madhyamaka Schools in India. Cf. Della Santina 1986.

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Promotion in Singapur (1974–1985)

Philosophen und Wanderprediger Śaṅkara (zw. 650–780 n. Chr.) und dessen Advaita-Vedānta auseinandersetzten. In seinem ersten, 1982 im International Philosophical Quarterly publizierten Artikel Enlightenment in Buddhism and Advaita Vedanta: Are Nirvana and Moksha the Same? diskutiert Loy die Frage, ob es sich bei der »Befreiung« (mokṣa) im Advaita-Vedānta und dem »Erlöschen« (nirvāṇa) im Buddhismus nicht um ein und dieselbe nonduale Erfahrung handeln könnte. Er formuliert dabei bereits hier die für seine existentiell-erfahrungsbasierte Akzentuierung interkultureller Philosophie und für sein gesamtes Werk entscheidende Grundthese, dass die unterschiedlichen Systeme des Mahāyāna-Buddhismus und AdvaitaVedānta nicht auf verschiedenen, sondern auf derselben nondualen Erfahrung basieren, deren vorrangiges Kennzeichen es sei, dass in ihr der Dualismus eines erfahrenden Selbst, das unterschieden ist von dem, was es wahrnimmt, suspendiert ist. 26 Die theoretische Verengung eines allein an den dogmatischen Aussagen dieser Systeme orientierten Zuganges erklärt Loy hingegen für inadäquat, weil er die Zentralität und existentielle Wahrheit der allgemeinmenschlichen und kulturübergreifenden Erfahrungsgrundlage verfehle, die jeder theoretischen Aussage zuvor- und zugrundeliege und vor deren Hintergrund sich doktrinäre Differenzen als unterschiedliche Auslegungen derselben Erfahrung vermitteln ließen. Aber nicht nur die Systeme des Mahāyāna-Buddhismus und Advaita-Vedānta, sondern alle Religionen und Philosophien, in denen sich eine solche nonduale Erfahrung dokumentiert, begreift Loy trotz ihrer theoretischen Divergenzen fortan als kulturell kontingente Ausformungen und Akzentuierungen derselben nondualen Erfahrungsdimension. Seine ersten systematischen Reflexionen führten Loy zu der Frage, wie Nondualität unabhängig der religiösen Symbolsysteme des Buddhismus, Hinduismus und Taoismus zu analysieren sei und wie viele unterschiedliche Formen der Nondualität sich insgesamt unterscheiden ließen. Angeregt durch die erstmals 1984 erschienene Publikation Derrida on the Mend von Robert Magliola und seinem darin ausgeführten Vergleich von Nāgārjuna und Jacques Derrida

26 »In summary, I am suggesting that the difference between Buddhist nirvana and the Vedantic moksha is one of perspective. The Vedantic explanation–that of merging into the One–is a more objective philosophical view. The Buddhist interpretation is more accurately a phenomenological description. But in each case the actual experience is the same.« Loy 1982: 73.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

(1930–2004), studierte Loy die Werke Derridas und publizierte als einer der ersten Denker überhaupt einen kulturübergreifenden Strukturvergleich buddhistischer Lehren mit Derridas Dekonstruktion. Alle diese Publikationen, die in seiner Erstlingsschrift Nonduality zusammengefasst wurden, verraten die eifrigen Bemühungen Loys, sich über seine spirituellen Erfahrungen Klarheit zu verschaffen und sie mittels der buddhistischen, hinduistischen und taoistischen Traditionen zu verstehen und in einer metaphilosophischen Reflexion unabhängig zu schematisieren. Nachdem sich ihm der innere Zusammenhang dieser Arbeiten erschlossen hatte, entschloss sich Loy, sie in Form einer Dissertation systematisch zusammenzufassen. Die Abgabe seiner Promotion war allerdings von einer Reihe von Problemen überschattet. Der Erstbetreuer seiner Arbeit war Goh Swee Tiang, mit dem es im Verlauf der Promotion immer wieder zu Differenzen und Unstimmigkeiten gekommen war. Swee Tiang hatte u. a. verlangt, dass sich Loy in seiner Arbeit primär mit Mystik auseinandersetzt, was Loy allerdings ablehnte, da er sich zu dieser Zeit bereits mitten in der Ausarbeitung seiner Kerntheorie der Nondualität befand. Swee Tiang drohte Loy daraufhin, dass er ihn unter diesen Umständen nicht beim Promotionskommitee empfehlen würde und er ohne Zustimmung seines Betreuers seine Arbeit nicht einreichen könnte. Loy musste sich also über seinen Doktorvater hinwegsetzen, um seine Promotion in der von ihm vorgesehenen Form einreichen zu können, die auch ohne die Zustimmung Swee Tiangs angenommen wurde. Dazu hatten wohl auch maßgeblich seine zahlreichen Publikationen beigetragen, die bereits während seiner Promotionszeit entstanden waren. 1984 reichte Loy seine Doktorarbeit ein, die 1988 als Nonduality. A Study in Comparative Philosophy erschien. Zuvor hatte Loy den Brief einer Herausgeberin der Yale University Press erhalten, die seinen Taoismus-Artikel Wei-wu-wei. Nondual Action (1985) in Philosophy East and West gelesen hatte. Sie wollte wissen, ob er an einer vollständigen Monographie zu diesem Thema arbeite. Nachdem Loy den Artikel als Vorarbeit zu seiner Dissertation ausgewiesen hatte, ließ sie sich das Manuskript zusenden. Der Gutachter war davon derart begeistert, dass die Arbeit trotz der Verlagspolitik, keine Dissertationen zu publizieren, mit geringen Veränderungen erscheinen konnte. Während seiner Zeit in Singapur lernte Loy auch seine heutige Frau Linda Goodhew kennen, die es nach ihrem Abschluss an der University of Oxford und einem freiwilligen Jahr als Englischlehrerin 42 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Promotion in Singapur (1974–1985)

in Indonesien aufgrund ihrer Vorliebe für tropisches Wetter nach Singapur gezogen hatte. Sie arbeitete dort an ihrer Promotion über das Frauenbild in der Literatur des 18. Jahrhunderts und unterrichtete als Dozentin im anglistischen Seminar der Universität. Sie zogen nach kurzer Zeit zusammen, heirateten aber erst am 17. Juli des Jahres 1990. Loy unterrichtete zu dieser Zeit Zen-Buddhismus in einem öffentlichen Abendkurs, aus deren Mitgliedern eine Meditationsgruppe hervorging, die er leitete und ihm somit erstmals die Gelegenheit gab, die Zen-Praxis aus der Perspektive des Lehrers zu erfahren. Seinen Kontakt zu Yamada intensivierte Loy, indem er ihn in den frühen 1980er Jahren zu mehreren sesshins nach Singapur einlud. Die einnehmende Wirkung, die Yamada bereits bei seinem ersten Treffen auf Loy gemacht hatte, intensivierte sich bei diesen Treffen, sodass Loy Yamada zunehmend als eine Personifikation des buddhistischen Bodhisattva-Ideals empfand. Nach mahāyānistischer Auffassung ist der Bodhisattva ein Wesen (sattva), das nach dem vollkommenen Erwachen (bodhi), i. e. dem Ideal der Buddhaschaft strebt, um möglichst effektiv für die Erlösung aller Wesen wirken zu können. In der Polemik des »großen Fahrzeugs« (mahā-yāna) gegenüber dem pejorativ als »kleines Fahrzeug« (hīna-yāna) bezeichneten älteren Buddhismus war es im Selbstverständnis des Mahāyāna-Anhängers die ausgezeichnete Eigenschaft eines Bodhisattvas, nicht wie der »hīnayānistische« Arhat primär nach seinem eigenen Heil, seiner eigenen Vervollkommnung und einem möglichst baldigen Eingehen in das nirvāṇa zu streben, sondern sein gesamtes Erlösungsstreben von Anfang an in den Dienst aller Wesen zu stellen. Das »große Fahrzeug« der Bodhisattvas und Buddhas (buddhayāna/bodhisattvayāna) geleitet daher nach Auffassung seiner Anhänger mehr Wesen über den Strom des saṃsāra als das »kleine Fahrzeug« der Hörer (śrāvaka) und Alleinverwirklicher (pratyekabuddha), deren spirtuelle Motivation als unzureichend abqualifiziert wird. 27 Im Mahāyāna-BuddhisWährend der Śrāvaka die buddhistische Lehre von einem Buddha vernimmt und ihn sein »Fahrzeug« (śrāvakayāna) zur Arhatschaft führt, erlangt der Pratyekabuddha (pāḷi paccekabuddha) die Erleuchtung, ohne die Lehre von einem Buddha zu vernehmen. Der Pratyekabuddha unterscheidet sich dabei nur insofern von einem vollständig erleuchteten Buddha (samyaksaṃbuddha), als dass er keine eigene Gemeinde (saṅgha) begründet und nur ethische Grundregeln (śīla) lehrt. Der Bodhisattva strebt hingegen selbst das Ideal der vollkommenen Buddhaschaft an, um in der Zukunft selbst einen Saṅgha begründen und den Dharma in Zeiten der Vergessenheit proklamieren zu können, um so zur bestmöglichen Hilfe für alle Lebewesen zu wer-

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

mus wird das Wirken zum Heil der zahllosen empfindungsfähigen Wesen daher zum eigentlichen Ziel spiritueller Praxis, wie dies ein Passus aus dem Upāya-Kauśalya-Sūtra belegt: »For the welfare of all living creatures, I generate the wish for awakening.« 28 Für Loy verkörperte Yamada dieses Bodhisattva-Ideal und damit die Komplementarität von weltabgewandter Freiheit und weltzugewandtem Altruismus als einer Synthese von Weisheit (prajñā) und Mitgefühl (karuṇā), wie er in Erinnerung an seinen ersten selbstorganisierten sesshin mit Yamada schreibt: Never having organized a sesshin before, I made about every mistake possible, and in particular was not sensitive enough to his [Yamadas; F. V.] own needs in such a hot, humid climate. But none of this seemed to bother him. His bodhisattva compassion dwelt on the possibilities rather than the problems, and despite his age he did not spare himself to teach the students in the best way that he could. Any ideas I might had about the ›glamor‹ of being a Zen teacher were replaced by an appreciation of just how heavy the ›iron yoke‹ was for a truly committed teacher. His trips to Singapore remain an inspiring example of selflessness for me. 29

Auch mehr als 25 Jahren nach dessen Tod hat Loy seinen Eindruck Yamadas nie relativiert, der zeitlebens »the best example of a true bodhisattva« und »a model of how to live compassionately and selflessly« 30 für ihn geblieben ist.

den. Cf. Schmidt-Leukel 2008: 95 ff. Zwar wurde schon im älteren Buddhismus derjenige, der sich gleichzeitig um das eigene Heil und das Heil der anderen bemühte, höher gestellt als derjenige, der ausschließlich nach dem eigenen Erwachen strebte, aber damit, so Lambert Schmithausen, war »nicht die Legitimität der Beschränkung auf das eigene Heil in Frage gestellt« und keine »Deklassierung« intendiert, wie dies dann im Mahāyāna-Buddhismus gedacht war. Schmithausen 2000: 439. Eine ausführliche Beschreibung des paccekabuddha gemäß seiner Familienherkunft (gotra), seines spezifischen Heilspfades (mārga), seiner vollständigen Erkenntnis (samudāgama), seiner Wohnstätte (vihāra) und seines Lebenswandels (cāritra) findet sich in der Pratyekabuddhabhūmi. Cf. Kloppenborg 1974: 126–129. 28 Upāya-Kauśalya-Sūtra 1, 28. In: Tatz 1994: 33. 29 Loy 1997b: 50. 30 Loy 2015b: IX.

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Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990)

1.4. Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990) Während ihrer Treffen in Singapur hatte Yamada Loy nahegelegt, seine Meditationspraxis unter seiner persönlichen Anleitung in Kamakura zu vertiefen, wo Yamada zu dieser Zeit den Sanbō-Kyōdan leitete und den Sanʾ un Meditationsraum (zen-dō) als zentrale Übungshalle (dōjō) der Organisation betreute. Ursprünglich wollte Loy mit seiner Freundin Linda eine Weltreise unternehmen, aber da ihre Arbeit an der Dissertation länger dauerte als erwartet und Loy nicht tatenlos in Singapur auf sie warten wollte, pendelte er nach seiner Promotion im Jahre 1985 eine Zeit lang zwischen Singapur und Kamakura und erlebte dort eine intensive Phase der Zen-Praxis unter der Führung Yamadas. Eineinhalb Jahre später kam auch Linda nach Kamakura, woraufhin nun beide ganz nach Japan übersiedelten. Im Nachhinein stellte sich diese Verspätung als glückliche Fügung heraus, denn kurz danach stürzte Yamada schwer und war bis zu seinem Tod am 13. September 1989 bettlägerig. Diese intensive Phase spiritueller Praxis wäre demnach nicht möglich gewesen, wenn sie die Weltreise wie geplant begonnen hätten. Auch die Sprachbarrieren wurden mit zunehmendem Alter Yamadas ein immer größeres Problem, denn Loys Japanisch-Kenntnisse reichten nicht aus, um die Gespräche mit seinem Lehrer in dessen Muttersprache zu führen. Yamadas Englisch blieb zeitlebens besser als Loys Japanisch. Trotz dieser sprachlichen Barrieren war Yamada Loy zufolge dennoch stets bemüht, seine Schüler und Schülerinnen mit gewissenhafter Strenge und motivierender Aufmerksamkeit so gut es ging auf ihrem spirituellen Weg zu begleiten und zu unterstützen: A final opportunity to learn from Kôun Roshi occurred after moving to Kamakura to continue Zen practice at the San’un Zendo. It was wonderful to be part of an international community of students motivated by his daily presence. By then he was approaching 80, yet he and Okusama [wörtl. »die Frau des Hauses«, i. e. Yamadas Ehefrau Yamada Kazue Myo-en Daishi; F. V.] maintained a daily schedule that perhaps none of us could have matched. He still commuted to Tokyo for work almost every day, and usually gave many dokusan after returning at night. He had a superhuman source of energy but, being human as well, this took its toll. Perhaps we should not have been surprised at his final illness. 31

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Loy 1997b: 50.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

Die internationale Gemeinschaft um Yamada umfasste eine Reihe Schüler, die nachher selbst bekannte Zen-Lehrer wurden, wie z. B. der deutsche Jesuit Hugo Makibi Aiʾ un (»Wolke der Liebe«) Enomiya-Lassalle S.J. (Societas Jesu) (1898–1990), der für seinen selbstlosen Einsatz nach dem Abwurf der Atombombe am 6. August 1945 über Hiroshima die japanische Staatsbürgerschaft zugesprochen bekam und 1968 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde; der Schweizer Jesuit Niklaus Goʾ un (»Wolke der Erleuchtung«) Brantschen S.J.; der philippinische und ehemalige Jesuit Ruben L. F. Keiʾ un (»Wolke der Gnade«) Habito; der deutsche Benediktinermönch Willigis Kyoʾ un (»leere Wolke«) Jäger; Peter Chōʾ un (»aufklärende Wolke«) Lengsfeld (1930–2009); Gundula Zuiʾ un (»glückliche Wolke«) Meyer; der deutsche Pallottinerpater Johannes Hōʾ un (»Wolke des Dharma«) Kopp SAC (Societas Apostolatus Catholici) und Brigitte Kōʾ un (»strahlende Wolke«) Doru Chiko (»strömendes Licht der Weisheit«) D’Ortschy (1921–1990), die als erste autorisierte ZenLehrerin (rōshi) der Harada-Yasutani-Linie und erste deutsche ZenMeisterin (shōshike) überhaupt ab 1972 sesshins mit Yamada in Deutschland veranstaltete. Zu Ruben Habito und Brigitte D’Ortschy pflegte Loy ein besonders enges und intensives Verhältnis, die mit ihren Erfahrungen im buddhistisch-christlichen Dialog und ihren Kenntnissen der damit zusammenhängenden religions-theologischen und -philosophischen Fragen zu interessanten Gesprächspartnern für Loy wurden. D’Ortschy verband mit dem kalifornischen Jesuiten Thomas G. Hand (1920–2005), der einer der ersten katholischen Priester innerhalb des Sanbō-Kyōdan und ein Pionier des buddhistisch-christlichen Dialogs war, eine langjährige Freundschaft, während Habito seine doppelte Religionszugehörigkeit und multiple religiöse Identität als katholischer Christ und Buddhist in seinen eigenen Publikationen reflektiert. 32 Mit dem ehemaligen jesuitischen Priester Habito verbindet Loy bis heute eine Freundschaft, die nicht zuletzt auch auf ihre gemeinsamen Forschunginteressen zurückzuführen ist, in deren Zentrum die interreligiöse Dimension von Spiritualität und Mystik

Hand hat eine Reihe interkultureller Studien publiziert, darunter u. a. A Taste of Water: Christianity through Taoist-Buddhist Eyes (1990), Always a Pilgrim: Walking the Zen Christian Path (2004) und das postum publizierte When no Wind Stirs: A Tale of Enlightenment and True Love (2006), das er als Reaktion auf seine Krebsdiagnose verfasste und kurz vor seinem Tod komplettierte.

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Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990)

sowie deren sozio-ökologischen und politischen Implikationen stehen. 33 Es war aber vor allem die ältere D’Ortschy, von der Loy tief beeindruckt war. Sie hatte bereits 1964 mit ihrer Zen-Praxis unter Yasutani begonnen und ihre Praxis nach dessen Tod (1973) unter Yamada fortgesetzt, bis 1989 auch dieser starb. 34 Als Architektin hatte sie zudem in Zusammenarbeit mit Taro Amano (1918–1990) das Sanʾ un-Zendo in Kamakura entworfen und als Übersetzerin Kapleaus Buch The Three Pillars of Zen (1965) ins Deutsche übertragen (Die drei Pfeiler des Zen, 1969). Sie gründete 1975 ihr eigenes Zendo in München-Schwabing, in das sie Loy bis zu ihrem Tode mehrfach einlud und von dessen Buch Nonduality sie fasziniert war. Zusammen planten sie ein Zendo in Frankreich mit Loy als ihrem Nachfolger, das in einem Haus eingerichtet werden sollte, das Loy dort kurz zuvor auf einer Reise mit Linda gekauft hatte. Dieser Plan wurde allerdings durch D’Ortschys Krebs-Erkrankung und ihren vorzeitigen Tod am 9. Juli 1990 in Grünwald vereitelt. Bei der kōan-Praxis, die Loy bereits unter Aitken auf Hawaii begonnen hatte und nun in Kamakura fortsetzte, bevorzugte Yamada das mu-kōan als Einstieg. Im mu-kōan fragt ein Mönch den Tʾ angChʾ an-Meister Chao-chou Tsʾ ung-shen (778–897 n. Chr.), ob auch ein Hund die Buddha-Natur habe, woraufhin Chao-chou mit »Nichts« (chin. wu; jap. mu) antwortet. Die Konzentration auf dieses einzige Wort (chin. hua-t’ou) des kōan wurde im Sanbō-Kyōdan bis zur kenshō-Erfahrung kultiviert. Erst danach konnte man sich den restlichen kōans der klassischen Sammlungen Mumonkan, Hekiganroku, Shōyōroku und Denkōroku widmen. 35 Loy hatte das mu-kōan bereits auf Hawaii unter der Anleitung Aitkens absolviert und seine Antwort von Yamada bei einem seiner Besuche bestätigen lassen. Dennoch war dieses Ereignis für Loy nicht mit einer spezifischen Der ursprünglich von den Philippinen stammende Habito lebt seit mehreren Dekaden in den USA und ist Professor für Weltreligionen und Spiritualität an der Perkins School of Theology der Southern Methodist University in Dallas (Texas). Er gründete 1991 das Maria Kannon Zen Center in Dallas und ist mit der gebürtigen Deutschen Maria Reis Habito verheiratet, mit der zusammen er zwei Söhne hat. Habitos Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen (Zen-)Buddhismus, BuddhistischChristlicher Dialog, Mystik, Spiritualität und sozial-ökologisches Engagement. 34 D’Ortschys Nekrolog auf ihren Lehrer Yamada findet sich in ihren mittlerweile publizierten Originalmanuskripten: Cf. D’Ortschy 2010a. Weitere Originalmanuskripte finden sich in D’Ortschy 2010b. 35 Yamadas Kommentare zum Mumonkan und Hekiganroku liegen vor in Yamada 2002 und Yamada 2004. 33

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

kenshō-Erfahrung verbunden. Tatsächlich gab es unter den vielen spirituellen Erfahrungen zu dieser Zeit kein gesondertes Moment, das für Loy die kenshō-Erfahrung gewesen wäre. Für ihn sei immer entscheidend gewesen, dass eine spirituelle Erfahrung kein intuitives Verständnis ihrer selbst produziere und er sich daher zeitlebens um die intellektuelle Integration dieser existentiellen Erfahrungsdimension bemüht habe: »Just because there is an opening doesn’t mean you understand that opening.« Erst die Verbindung von Theorie und Praxis als einer Synthese von intellektueller Durchdringung und existentieller Verwirklichung hat Loy 1987 während seiner Zeit in Kamakura zu einer tiefen Realisierung geführt, die D’Ortschy nachträglich als »genuine deep enlightenment« authentifizierte. Bereits seit seinen frühen Experimenten mit Marihuana und psychoaktiven Pilzen auf Hawaii waren Loy Einheitserfahrungen bekannt. Von Yamada hatte er aber gelernt, dass die Erfahrung der Einheit und Ganzheit nur ein Teil, der eigentliche Gehalt der genuinen kenshō-Erfahrung allerdings in der Erfahrung der Leerheit bestand. Dennoch war für ihn das Konzept der Leerheit (śūnyatā) durch die bisherigen Erfahrungen weder intellektuell klarer noch existentiell realer geworden. Loy erinnert sich aber, dass das intensive Studium der Prajñāpāramitā-Sūtras und Nāgārjunas Systematisierung der darin enthaltenen Philosophie der Leere in Verbindung mit intensiver Zazen-Praxis schließlich um 1987 die intellektuelle und existentielle Realisierung der Leerheit (kenshō) brachten, die sich in einem höchsten Akt der meditativen Selbstentäußerung ereignete, in dem kein Rest von Ich- und Eigenheit mehr übrig blieb und das Selbstbewusstsein zusammenbrach. Loy beschreibt dieses Ereignis als eine tiefgreifende Erschütterung seiner Persönlichkeitsstruktur, die den Bannkreis aller ichbezogenen Erfahrung durchbrach und die tief verwurzelte Illusion eines autonomen Selbst in der Leerheit vernichtete: After some period in Kamakura alone with very intensive zazen and lots of study I do remember a night when the bottom fell out of the bucket. That would be the deep experience of emptiness. It was sort of losing all ground – losing all ground. Completely letting go and it was very, very painful. It was not fun, it was not happy, it was ›Oh my god, I’d lost‹. And it actually took a while before the joy and the freedom implicit in that became apparent. At that time it was very disorienting and painful.

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Zen-Ausbildung in Japan (Kamakura) (1985–1990)

Da Yamada als Direktor der Kenbikyō-in Klinik in Tōkyō, in der auch seine Frau als Oberärztin arbeitete, ein viel beschäftigter Mann war, wandte sich Loy mit den Eindrücken dieser bisher nur geahnten, aber niemals erreichten existentiellen und intellektuellen Realisierung der Leerheit, die alles, was sich bisher in seinem spirituellen Leben ereignet hatte, verblassen ließ, hilfesuchend an D’Ortschy, die ihm bei der Verarbeitung und Integration seiner Erfahrung half. Für Loy war diese Erfahrung allerdings nicht das Resultat der kōan-Praxis, sondern vielmehr das Ergebnis seiner langjährigen meditativen und intellektuellen Anstrengungen gewesen. Die Arbeit mit den kōans hatte für Loy nie einen mit der Zazen-Praxis vergleichbaren Wert, die stets die entscheidende Kraft seiner spirituellen Entwicklung gewesen war. Tatsächlich sah er sogar eine Gefahr in einer zu mechanischen kōan-Praxis, die schnell zum Substitut für wahrhaft spirituellen Fortschritt werden konnte. Anstatt die persönliche Transformation zu forcieren, ging es vielfach nur darum, möglichst schnell die verschiedenen Stufen des kōan-Kurrikulums zu durchlaufen, um schlimmstenfalls das »Ziel« zu erreichen, als authentifizierter Zen-Lehrer anerkannt zu werden. Dazu war aber nur das Lernen einer neuen Sprache, der Sprache der kōans nötig, die man auch ohne transformative Meditationserfahrungen meistern konnte. Die intrikate Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Verifikation authentischer Erleuchtungserfahrungen, die ihn bereits in seiner Zeit mit Yamada intensiv beschäftigte, sieht Loy auch heute noch als eine zentrale Herausforderung an, der sich die Zen-Gemeinde angesichts einer Reihe sexueller Missbrauchsfälle in den Vereinigten Staaten durch Zen-Meister wie Hakuyū Taizan Maezumi (1931–1995), Kyōzan Jōshū Sasaki (1907–2014) und Eido Tai Shimano unbedingt und immer wieder selbstkritisch stellen müsse. 36 Welchen Wert hat 36 Hakuyū Taizan Maezumi war ein Schüler und Dharma-Nachfolger (hassu) Yasutanis und Begründer des Zen Center of Los Angeles (1967) und des Kuroda Institute for the Study of Buddhism and Human Values (1976). Er musste sich für einen Alkoholentzug in die Betty Ford Klinik einweisen lassen und pflegte nachweislich sexuelle Beziehungen zu seinen Schülerinnen. Cf. Wright 2010. Kyōzan Jōshū Sasaki war der Gründer des Mount Baldy Zen Center im Norden von Los Angeles. Einer seiner bekanntesten Schüler war der kanadische Musiker, Dichter und Schriftsteller Leonard Cohen (1934–2016). Sasakis sexuelle Übergriffe auf Schülerinnen dokumentiert ein eigens dafür angelegtes Archiv (http://www.sasakiarchive.com/). Die Fälle von Eido Tai Shimano und dem deutschen Klaus Zernickow, alias Sōtetsu Yūzen, hat Christopher Hamacher in seinem Beitrag »Zen Has No Morals!« – The Latent Potential for Corruption and Abuse in Zen Buddhism, as Exemplified by Two Recent Cases

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

die Zen-Praxis und Zen-Tradition, wenn sie nicht zur Meisterung der Begierden, Reinigung des Intellekts, persönlichen Transformation, sittlichen Läuterung und moralischen Vervollkommnung beiträgt und ihre vorgeblich erleuchteten Meister, die als Verkörperungen von Weisheit und Mitgefühl idealisiert und verehrt werden, derart amoralisches Fehlverhalten dokumentieren? Handelt es sich dabei um Einzelfälle oder um ein strukturelles Problem, das in der Lehre und (kōan-)Praxis des Zen-Buddhismus selbst grundgelegt ist? Eine prekäre Frage und grundlegende Herausforderung, der sich angesichts der durch Ichikawa Hakugen (1902–1986) und Brian Victoria aufgedeckten Verstrickung von Yamadas Lehrer Yasutani und dessen eigenem Lehrer Harada Sogaku Daiʾ un (»Große Wolke«) (1871– 1961) in den sogenannten »Zen des Kaiserlichen Weges« (jap. kōdōzen, engl. imperial-way zen) und deren aktive moralische, ideologische und physische Unterstützung rechts-nationaler Ideologien im Namen des (Zen-)Buddhismus während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit vor allem auch Loys eigene Tradition des Sanbō-Kyōdan stellen muss. Ich werde darauf später ausführlich zurückkommen. Nach der Absolvierung seines kōan-Kurrikulums Ende 1987 sprach Yamada Loy eine vollwertige Autorisierung als Zen-Lehrer aus und gab ihm den Dharma-Namen Tetsuʾ un (»Wolke der Weisdokumentiert (http://www.thezensite.com/ZenEssays/CriticalZen/Zen_Has_No_ Morals.pdf). Eine deutsche Übersetzung findet sich unter https://derunbuddhist. files.wordpress.com/2013/08/zen-hat-keine-moral.pdf. Mark Oppenheimer hat den Skandalen um das »Zen-Raubtier« Shimano eine eigene Studie gewidmet. Cf. Oppenheimer 2013. Shimano war ein Schüler von Yamadas altem Zimmergenossen aus Schul- und Universitätszeiten und späterem Zen-Meister Nakagawa Sōen (1907– 1984), der auch der Lehrer Robert Aitkens gewesen war und auf dessen Vermittlung Shimano 1960 nach Hawaii übersiedelte. Aitken wusste nachweislich bereits ab 1964 von sexuellen Übergriffen Shimanos auf weibliche Mitglieder des Diamond Saṅgha und wandte sich hilfesuchend an Sōen und Yasutani, der Shimanos weitere Ausbildung in Hawaii übernommen hatte und ihn als potentiellen Dharma-Nachfolger sah. Beide zeigten wenig Interesse an den Vorfällen und in einem Brief vom 11. September 1964 versprach Aitken Stillschweigen über die Vorfälle zu bewahren. Erst 1995, nach einer Reihe weiterer Skandale um Shimano, erging ein Ersuchen an das damalige Vorstandsmitglied der Zen Studies Society Richard Rudin, das von Aitken, Kapleau und sechs weiteren prominenten Zen-Lehrern unterzeichnet worden war, in dem darum gebeten wurde, Shimano von seinen Ämtern zu entbinden. Erst 2010 (!) entschuldigte sich Shimano in einem öffentlichen Brief und gab offiziell seinen Rücktritt bekannt. Die entsprechenden Dokumente finden sich online im Shimano-Archiv (http://www.shimanoarchive.com/).

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heit«). Kurz nach Yamadas Tod wurde Loy als einem seiner senior students auch das »Siegel der Bestätigung« übertragen (inka shomei), womit Loy als offizieller Dharma-Nachfolger (hassu) Yamadas anerkannt wurde. Yamada hatte zu Lebzeiten bereits eine Liste mit den von ihm persönlich designierten Nachfolgern angefertigt, konnte die Zeremonie aber aufgrund seines Sturzes nicht mehr selbst durchführen. Die meisten von Yamadas Schülern kehrten nach dem Abschluss ihrer Ausbildung als Zen-Lehrer/-innen in ihre Heimatländer zurück, aber für Loy gab es keinen spezifischen Ort, zu dem er hätte zurückkehren können oder wollen. In den ersten Jahren in Japan war Loy praktisch arbeitslos gewesen und musste von den Ersparnissen, die er während seiner Zeit in Singapur auf die Seite gelegt hatte und dem geringen Einkommen leben, das er durch englische Konversationskurse verdiente, die er ein bis zwei Mal in der Woche für Mitarbeiter japanischer Firmen anbot. Im April 1986 übernahm Loy dann die Halbtagsstelle seines Zen-Freundes Stefan Karpik an der Bunkyo-Universität in der Nähe von Tokyo, die er bis März 1990 inne haben sollte und mit der Loys akademische Karriere in Japan begann. Seine Freundin Linda arbeitete zu dieser Zeit bereits ganztags an der Gakushūin-Universität in Tokio, während Loy erst im April 1990 eine volle Stelle an der neu gegründeten Fakultät für internationale Beziehungen der Bunkyo-Universität erhielt, auf der er ganze fünfzehn Jahre lang bis zum Dezember des Jahres 2005 bleiben sollte. Dazwischen lag eine Zeit der Krise für Loy. Nach seiner Arbeit an Nonduality hatte er sich ab 1985 thematisch verstärkt existentiellpsychologischen Themen zugewandt. Aufgrund der überraschenden Erkrankung seines Vaters an Bauchspeicheldrüsenkrebs, der er nach fünfjährigem Leiden 1993 erlag sowie dem Tod Yamadas, empfand Loy in dieser Phase seines Lebens ein fortgesetztes Bewusstsein seiner eigenen Sterblichkeit, das ihn dazu veranlasste, alles zum Thema Tod zu lesen, das er finden konnte. 37 Vor allem die Arbeiten Ernest Beckers (1924–1974), insbesondere dessen Studie The Denial of Death (1973), für die er zwei Jahre nach seinem Tod den PulitzerPreis erhielt und Escape from Evil (1975) beeindruckten Loy nachhaltig und initiierten eine lebenslange Auseinandersetzung mit der existentiellen Psychotherapie und transpersonalen Psychologie. 38 In Cf. Loy 2000a: 321. Zentrale Einsichten Beckers wurden in Deutschland vor allem in der Thanatopsychologie rezipiert, aber primär in der Ende der 1980er Jahre von den amerikanischen

37 38

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den folgenden Jahren versuchte Loy die neuen Einsichten, die er neben den Arbeiten Beckers vornehmlich aus den Werken von Sigmund Freud (1856–1939), Otto Rank (1884–1939), Carl Gustav Jung (1875– 1961), Philippe Ariès (1914–1984), Rollo May (1909–1994), Norman O. Brown (1913–2002) und Irvin Yalom gewonnen hatte, mit seinen existenzphilosophischen und buddhistischen Erkenntnissen aus der Nonduality-Phase miteinander zu verbinden. Kurz nach seiner grundstürzenden Erfahrung der Leerheit war D’Ortschy mit der Bitte an Loy herangetreten, einen Zen-Vortrag (teishō) zu verfassen, der er nur widerwillig nachkam. Kaum hatte er sich an den Schreibtisch gesetzt, um seine Gedanken zu Papier zu bringen, machte Loy allerdings eine plötzliche und unerwartete Erfahrung dessen, was er in Nonduality als nonduales Denken beschrieben hatte. 39 Eine selbstlose Spontaneität und Kreativität bemächtigte sich seiner, die zwei Tage anhielt und in deren Verlauf sich sein eigenes Ich vollständig passiv verhielt und als leitende Instanz fehlte. Loy berichtet, wie sich in Sozialpsychologen Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Thomas A. Pyszczynski entwickelten »Terror-Management-Theorie« (TMT) elaboriert. Die TMT geht dabei mit Becker davon aus, dass das Bewusstsein unserer Sterblichkeit (Mortalitätssalienz) und die Angst vor unserem unvermeidlichen Tod die grundlegende und treibende Kraft ist, auf deren Kompensation unmittelbar und mittelbar alle unsere Handlungen ausgerichtet sind. Ein Leben im permanenten Bewusstsein des eigenen Todes ist unerträglich, weshalb der Mensch versucht, diesen horror mortis durch unterschiedliche Bewältigungsmechanismen (»Terror-Management«) zu kompensieren. Die Funktion der Religion besteht dieser Theorie zufolge darin, die Todesfurcht mit der Hoffnung auf Transzendenz und damit auf ein Leben über den physischen Tod hinaus zu bewältigen, während die Funktion der Kultur primär darin besteht, diese Angst durch symbolische Unsterblichkeit zu neutralisieren, indem der Mensch seine Identität beispielsweis auf die Nation, die Spezies usw. projiziere, also kulturelle Symbole, die den eigenen Tod überdauern. Cf. Greenberg/Pyszcynski/Solomon 2003; Greenberg/ Pyszcynski/Solomon 2015. Der Titel The Worm at the Core geht auf einen Passus aus The Varieties of Religious Experience (1902) von William James (1842–1910) zurück, in dem James die Furcht vor dem Tod als »Wurm im Herzen« (worm at the core) des Menschen bezeichnet: »Back of everything is the great spectre of universal death, the all-encompassing blackness […]. The fact that we can die, that we can be ill at all, is what perplexes us; the fact that we now for a moment live and are well is irrelevant for that perplexity. We need a life not correlated with death, a health not liable to illness, a kind of good that will not perish, a good in fact that flies beyond the Goods of nature. […]. And so with most of us: a little cooling down of animal excitability and instinct, a little loss of animal toughness, a little irritable weakness and descent of the pain-threshold, will bring the worm at the core of all our usual springs of delight into full view, and turn us into melancholy metaphysicians.« James, W. 2002: 139 f. 39 Cf. Loy 1988: 150–161. Alle folgenden Zitate aus Nonduality sind der zweiten Auflage (= Loy 1997a) entnommen.

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dieser Zeit die Gedanken wie von selbst fortschrieben, ohne dass er sie bewusst hätte zusammenfügen oder in eine Struktur bringen müssen. Das Ergebnis dieses nondualen Denkprozesses war ein erster zusammenhängender Entwurf dessen, was 1996 als Lack and Transcendence. The Problem of Death and Life in Psychotherapy, Existentialism, and Buddhism publiziert werden sollte. Den Entwurf dazu arbeitete Loy bis 1990 zu einem ersten Manuskript aus, das er D’Ortschy vorlegte, die den Text im Gegensatz zu Nonduality allerdings nicht mochte und wenig Interesse an Loys neuen Ideen zeigte. Die ersten systematisch elaborierten Gedanken dieser Phase publizierte Loy in einer Reihe von Artikeln, von denen vor allem The Nonduality of Life and Death: A Buddhist View of Repression (1990), Avoiding the Void: The Lack of Self in Psychotherapy and Buddhism (1992) und Trying to Become Real: A Buddhist Critique of Some Secular Heresies (1992) Loys buddhistischen Neuentwurf einer existentiellen und transpersonalen Psychologie dokumentieren. Zusammen mit einer Reihe anderer Arbeiten entstand aus den Publikationen dieser Zeit seine zweite Monographie Lack and Transcendence, die bereits 1992 abgeschlossen, aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Herausgeber bei Humanities Press aber erst 1996 publiziert werden konnte. Sie wurde 1999 mit dem Frederick J. Streng Book Award ausgezeichnet und ist das maßgebliche Dokument für Loys zweite Leitidee der inneren Leere (lack). Die von Loy in Lack and Transcendence beschriebene These beruht im Wesentlichen auf zwei Grundannahmen. Erstens, auf der anātman-Doktrin (pāḷi anattā), i. e. der Lehre vom Nicht-Selbst oder Nicht-Ich, die eine axiomatische, zur Aufhebung der Verblendung führende Grundeinsicht des Buddhismus artikuliert, der zufolge der Mensch kein für sich bestehendes, unabhängiges, unvergängliches (nitya) und leidloses (aduḥkha) Selbst (ātman) besitzt. Zweitens, auf der freudianischen Vorstellung der Verdrängung und der Rückkehr des Verdrängten in symbolischer Form. Loy verbindet beide Perspektiven mit den Erkenntnissen seiner existenzphilosophischen Studien und geht davon aus, dass unsere verdrängten Vorstellungen nicht vornehmlich sexueller Natur sind, wie es die klassische Psychoanalyse nach Freud behauptet, oder unsere Angst vor dem Tod, wie es die existentielle Psychologie nach Becker glaubt, sondern den Verdacht zum Ausdruck bringen: »›I‹ am not real.« 40 Ein Problem entstehe 40

Loy 1996a: xi.

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dort, wo unser scheinbar autonomes und unbewusst konditioniertes Bewusstsein eines Ego-Selbst sich selbst begründen, i. e. sich selbst real machen wolle. Dieses unendliche Projekt, sich selbst zu objektivieren, sei aufgrund des Fehlens eines substantiellen Wesenskernes des Menschen allerdings dauerhaft zum Scheitern verurteilt, weshalb das Selbst-Gefühl vom unvermeidbaren Schatten eines Gefühls der inneren Leere (lack) begleitet werde. Diesen Kerngedanken hatte Loy bereits in Nonduality angerissen und prägnant formuliert: Why does the mind seek? Because it is trying to fix itself, to find a secure home. The mind tries to objectify itself because it experiences its own formlessness, its emptiness, as uncomfortable. That the egoself is a fiction is not something that we need to learn from an exotic philosophy, for we all experience it. But we experience it as a lack, a bottomless hole which, try as we may, can never be filled up. 41

Dieses Gefühl der inneren Leere (lack) werde unterdrückt und kehre als Symptom in Form unzähliger Realisierungsprojekte zurück. Ein prominentes Beispiel für die unbewusste Kompensation dieses Gefühls innerer Leere (lack) und unseren Versuch, uns in dieser Welt real zu machen, sei beispielsweise das menschliche Verlangen nach Ruhm, Reichtum und Liebe. Im Anschluss an Nietzsche entwickelt Loy hier ebenfalls die für sein Transzendenzverständnis zentrale These, dass auch die im Zentrum der Religion stehende existentielle Beziehung des Menschen zu einer transzendenten Wirklichkeit jenseits aller Phänomenalität nur eine lebensdienliche Illusion ist, die sich diesem alles beherrschenden Gefühl innerer Leere (lack) verdankt. Transzendenz ist für Loy nur ein weiteres Realisierungsprojekt, das Anhänger religiöser Traditionen vergeblich generieren, um durch die unbewusste Projektion eines substantiellen Selbst über den physischen Tod hinaus ihre innere Leere (lack) zu kompensieren.

1.5. Professor für Philosophie und Religionswissenschaft an der Bunkyo Universität in Chigasaki (Japan) (1990–2005) Ende 1989 hatte sich Loy unter dem Eindruck von Yamadas Tod immer mehr aus dem Sanbō-Kyōdan zurückgezogen. In der Folgezeit konnte er weder mit Akira Kubota Jiʾ un (geb. 1932) noch mit Yama41

Loy 1997a: 146 f.

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Professor für Philosophie und Religionswissenschaft in Chigasaki (1990–2005)

das Sohn Yamada Ryōʾ un Masamichi (geb. 1940), die als dritter und vierter Abt (kanchō) die Leitung des Sanbō-Kyōdan übernommen hatten, auch nur eine annähernd vergleichbare Beziehung wie zu Yamada aufbauen und so blieben regelmäßige Zusammenkünfte mit den neuen Meistern der Tradition weitestgehend aus. In den folgenden Jahren ging Loy nur noch sehr selten in das Sanʾ un-Zendo und besuchte vereinzelt diejenigen Veranstaltungen (kenshōkai), auf denen gemeinsam kōans diskutiert wurden. Nachdem er 1990 eine Stelle als Professor an der Bunkyo-University angenommen hatte und am 14. Oktober 1991 sein Sohn Mark Loy Goodhew geboren worden war, verlief der äußere Lebensgang Loys von nun an vielmehr in der Form eines stillen und unauffälligen Gelehrten-Daseins. Er führt das typische Leben eines Professors und Familienvaters und widmet sich fortan der Ausarbeitung der historischen, ethischen, ökonomischen und ökologischen Implikationen seiner beiden Hauptwerke Nonduality und Lack and Transcendence. Seine Arbeit nach 1992 kann daher als Konsolidierung, Präzisierung und praktische Vertiefung der in allen Bereichen seines Denkens wiederkehrenden Leitideen der Nondualität und inneren Leere (lack) gesehen werden, aus denen er nun sukzessive und mit werkimmanenter Stringenz seine sozialtheoretischen, ökologischen und ökonomischen Thesen entwickelt: »I had written what I wanted to say with the first two books, so I could explore more the implications.« Während seiner Zeit in Kamakura gibt er den Sammelband Healing Deconstruction. Postmodern Thought in Buddhism and Christianity (1996) heraus, der aus den Vorträgen der vierten International Buddhist-Christian Dialogue Conference hervorging, die bereits 1992 an der University of Boston stattgefunden hatte. 2002 folgt die Publikation von A Buddhist History of the West. Studies in Lack, in der Loy – als erster Buddhist überhaupt – eine buddhistische Deutung der westlichen Geistesgeschichte unternimmt. Bereits der Titel verrät, dass es an der Grenze zwischen Loys existentialpsychologischer und sozial-engagierter Periode steht. In A Buddhist History of the West erweiterte Loy den bereits in Lack and Transcendence ausformulierten Gedanken der inneren Leere (lack) von einer rein individuellen zu einer kollektiven Fragestellung: Ist die Geschichte des Westens das Beispiel einer Gruppendynamik dieser inneren Leere (lack)? Inwiefern hat diese Kollektivleere die Kultur- und Entwicklungsgeschichte des Westens beeinflusst? Ist diese innere Leere (lack) bereits institutionalisiert worden und Teil des politischen Systems? 55 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

Basiert das kapitalistische Wirtschaftssystem auf der Kompensation dieser inneren Leere (lack) durch Konsum und inwiefern lässt sich ein szientistischer Fortschrittsglaube ebenfalls als versuchte Kompensation dieses Mangels dekonstruieren? Mit seiner buddhistischen Psychohistorie des Westens versucht Loy die sozio-historische Entwicklung der abendländischen Kultur bis zu ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform aus anthropologischen Ursachen zu erklären, um vor diesem psycho-historisch informierten Hintergrund sein Projekt eines sozial-engagierten Buddhismus im Kontext der globalen Moderne und ihrer zivilisatorischen Krise zu entwerfen. A Buddhist History of the West kann daher auch als intellektuelle Vorbereitung auf seine sozial-engagierten Schriften interpretiert werden, insofern die Überwindung des individuellen, kollektiven und strukturellen Leids der Gegenwart für Loy eine adäquate Analyse der Ursachen ihrer Genese in der Vergangenheit voraussetzt. Loys Schwerpunkte verlagern sich in der Folge konsequenterweise von der Aufstellung und Klärung seiner theoretischen Leitkonzepte der Nondualität und inneren Leere (lack) hin zu den praktischen Implikationen dieser Theoreme, in denen sein Forschungsansatz in seinem sozial-engagierten Telos konkrete Gestalt gewinnt. Dies wird in den folgenden Schriften auf besondere Weise anschaulich. Vor allem in The Great Awakening. A Buddhist Social Theory (2003) und dem nach seiner Zeit in Kamakura veröffentlichten Werk Money, Sex, War, Karma. Notes for a Buddhist Revolution (2008) elaboriert Loy primär die psychologischen, politischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen seines Denkens in ihrem Gegenwartsbezug. Seine engagierte Arbeit an den neuen Themenkomplexen ist nun weniger von philosophischen und psychologischen Fragestellungen, sondern von wissenschaftlichen Szenarien motiviert, die ihm zeigen, dass die menschliche Aktivität auf diesem Planeten gravierende Folgen für die menschliche Entwicklung haben wird und im schlimmsten Fall einen Zusammenbruch des Ökosystems herbeiführen kann. Die globale Erderwärmung geschieht schneller als zuerst angenommen; das Artensterben wird durch den Klimawandel weiter forciert und eine fortdauernde, super-exponentielle Entwicklung der Weltbevölkerung wird zur Erschöpfung der globalen Ressourcen mit entsprechenden harten Verteilungskämpfen führen. 42 Diese Probleme sind für Loy bis heute deutliche Indizien 42

Cf. Loy 2009b.

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dafür, dass die Menschheit einen kritischen Augenblick in ihrer biologischen und sozialen Evolution erreicht hat, der die Grenzen des Wachstums veranschaulicht und zur Nachhaltigkeit mahnt. Bei der Lösung dieser problematischen Aspekte könne sich die Menschheit nicht einfach auf angestammte ökonomische und politische Systeme verlassen, sondern müsse auch kritisch nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten. Wie bereits nach seinen Erfahrungen in der AntiKriegsbewegung vertritt Loy auch hier wieder die Auffassung, dass die Kritik und Veränderung beim Menschen selbst ansetzen und die Ausbildung einer neuen Mentalität in den Fokus des Interesses gerückt werden muss, die die Beziehung des Menschen zur Erde neu evaluiert. Um Antworten aus einer buddhistischen Perspektive formulieren zu können, müsse der Buddhismus zuvor allerdings selbst einen Transformationsprozess durchlaufen, denn auch Loy ist sich darüber bewusst, dass religiöses Wissen durch die modernen Wissenschaften und Deutungsperspektiven kritisch-rational und neu beurteilt wurde. Angesichts eines tiefgreifenden und radikalen Globalisierungsund Pluralisierungsprozesses und der damit unausweichlich gewordenen Auseinandersetzung und wechselseitigen Durchdringung der Kulturen und Lebensformen unterschiedlichster Provenienz begegnen sich die Religionen und Weltanschauungen in einem sehr viel breiteren und intensiveren Ausmaß als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. In diesem multireligiösen Weltkontext und der damit einhergehenden gleichberechtigten Anwesenheit anderer religiöser Gemeinschaften wurden Religionen im Verlauf des 20. Jahrhunderts in ihrem exklusivistischen Anspruch zunehmend relativiert. Auf diese durch die Prozesse der Individualisierung, Pluralisierung und Säkularisierung maßgeblich veränderte Situation der Gegenwart will auch Loy als Buddhist in seinen Schriften aktiv reagieren und den Buddhismus angesichts der Herausforderungen der Moderne selbstkritisch neu entwerfen. Dabei geht es ihm auch um den Aufweis, dass die säkulare Verdächtigung spiritueller Perspektiven im Zuge zeitgenössischer Sozialkritik deplatziert und fehlgeleitet ist, da sie uns der zweckdienlichen Übernahme wichtigen Gedanken- und Kulturguts beraube, das neue Perspektiven für spezifisch westliche aber auch globale religiöse, politische, soziale, ökonomische und vor allem ökologische Problemkomplexe biete. Aber nicht nur Loy, sondern eine Vielzahl zeitgenössischer Buddhisten aus Ost und West haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Lehre des Buddha in ihren sozial-ethischen Im57 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

plikationen für die drängenden Herausforderungen des 21. Jahrhunderts neu zu formulieren. Diese Bewegung firmiert einem Ausdruck des vietnamesischen Zen-Mönchs Thích Nhât Hạnh zufolge als Engagierter Buddhismus, zu der auch Loy als einer der profiliertesten Akteure ab dieser Phase seines Denkens zählt. Wie beeinflussen und verändern sich der Buddhismus und der Westen in ihrer Konfrontation gegenseitig und welchen konstruktiven Beitrag können Buddhisten zu den Herausforderungen der Moderne leisten? Inwieweit können Errungenschaften der westlichen Moderne wie Demokratie, Feminismus und die Trennung von Kirche und Staat als konstruktive Herausforderungen für den Buddhismus selbst aufgegriffen werden? Nach Nonduality und Lack and Transcendence sind Loys Publikationen bis heute vornehmlich der Klärung dieser Fragen verpflichtet. In The Great Awakening: A Buddhist Social Theory (2003) diskutierte Loy konsequenterweise die Rolle seiner spezifischen Vision eines sozial-engagierten Buddhismus anhand ausgewählter Themen wie Armut und Gier, der Globalisierung und dem globalen Konkurrenzkapitalismus, dem Einfluss transnationaler Unternehmen, dem Terrorismus und Heiligen Krieg, einer möglichen Rehabilitation von Serienmördern und den Möglichkeiten und Grenzen einer nondualen Tiefenökologie (deep ecology). Seit dieser Zeit ist Loy auch verstärkt als buddhistischer Sozialaktivist in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Sein Engagement manifestiert sich vor allem in einer allmählich intensiver werdenden Vortrags- und Workshoptätigkeit. So schaltete sich Loy nach den Terroranschlägen des 11. Septembers mit den Vorträgen Good vs. Evil? Buddhist Reflections on the New Holy War (2002), A Buddhist Perspective on the War on Terror (2004) und Terrorism as a Religion (2005) mehrfach in die laufenden Debatten ein. Neben The Heart of Buddhist Social Ethics (2005) und The Philosophy of Poverty (2005) ist es vor allem der Vortrag Healing Ecology: A Buddhist Perspective on the Eco-crisis, den er seit 2007 immer wieder hält und zu dem er regelmäßig Workshops veranstaltet. Seine buddhistische Fassung einer existentiellen und transpersonalen Psychologie und deren sozial-politische Implikationen kommuniziert er seit 2007 immer wieder auf Workshops mit dem Titel Transforming Self, Transforming World. Populäre Vorträge, die er bis heute regelmäßig hält, sind neben Healing Ecology vor allem seit 2011 The World is made of Stories zur gleichnamigen Publikation und seit 2013 Why Buddhism and the West Need Each Other. 58 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Rückkehr in die Vereinigten Staaten (Cincinnati, 2005–2010)

Seine publizistische Tätigkeit in Kamakura endete mit der Veröffentlichung von The Dharma of Dragons and Daemons (2004), einem Projekt, das er zusammen mit seiner Frau Linda begonnen hatte. Die Idee stammte von Loy, der es für die ideale Möglichkeit hielt, um seine Buddhismus- und ihre Literaturkenntnisse in einem Buch über ihre gemeinsame Leidenschaft für Fantasyliteratur zu vereinen und dabei auch noch die Publikationsliste seiner Frau zu füllen, die ihre Publikationstätigkeit seiner Meinung nach zu stark vernachlässigt hatte. Die einzelnen Kapitel enthalten buddhistische Interpretationen von John Ronald Reuel Tolkiens (1892–1973) The Lord of the Rings (1954/1955), Michael Endes (1929–1995) Momo (1973), Hayao Miyazakis Anime-Filmen Kaze no Tani no Naushika – Nausicaä aus dem Tal der Winde (1984) und Mononoke Hime – Prinzessin Mononoke (1997), der Romantrilogie His Dark Materials von Philip Pullman, die Northern Lights (1995), The Subtle Knife (1997) und The Amber Spyglass (2000) umfasst und Ursula Kroeber Le Guins (1929–2018) Earthsea-Saga, die mit A Wizard of Earthsea (1968), The Tombs of Atuan (1971) und The Farthest Shore (1972) eine ursprüngliche Triologie bildet und später von Le Guin durch Tehanu (1990) und The Other Wind (2001) erweitert wurde.

1.6. Rückkehr in die Vereinigten Staaten: Besl Family Chair Professor für Ethik, Religion und Gesellschaft an der Xavier University in Cincinnati (2005–2010) Nach 20 Jahren war Loy des Lebens in Japan überdrüssig geworden. Das stark konfuzianistisch geprägte japanische Bildungs- und Schulsystem mit seinen hierarchischen Strukturen missfiel ihm, sein Job an der Universität motivierte ihn nicht mehr und es fehlten ihm die inspirierenden Kontakte und der intellektuelle Austausch mit Kollegen, die seine disziplinübergreifende Arbeitsweise kreativ hätten voran treiben können. Obschon sein Job in Japan überdurchschnittlich gut bezahlt wurde und seine Frau Linda noch mehr verdiente, zog es ihn zurück in die Vereinigten Staaten. Dort und nicht in Japan schien die Begegnung des Buddhismus mit der westlichen Geisteswelt vorwiegend stattzufinden und innovative und schöpferische Synthesen hervorzutreiben. Die primär von Paul F. Knitter lancierte Berufung auf den vakanten Besl Family Chair for Ethics/Religion and Society 59 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Einführung in Leben und Werk David R. Loys

an der Xavier University in Cincinnati (Ohio) kam Loy zu diesem Zeitpunkt also äußerst gelegen. Knitter, der als führender Vertreter des religiösen Pluralismus gilt, wollte mit der Berufung Loys die Ausrichtung der Universität auf den interreligiösen Dialog weiter forcieren und schätzte Loy zudem als Freund und buddhistischen Dialogpartner. Nach einem Bewerbungsgespräch nahm er die Position an, die er von Januar 2006 bis zum Juli 2010 inne haben sollte. Das erste Semester lebte Loy allein im Haus von Knitter, der zu diesem Zeitpunkt bei einer Freundin in Neuseeland lebte und dort an seinem Buch Without Buddha I could not be a Christian (2009) arbeitete, bis auch seine Familie nachziehen und man sich ein gemeinsames Domizil suchen konnte. Die Heimkehr wirkte sich vor allem für seinen Sohn positiv aus, der nun vier Jahre lang eine amerikanische Highschool besuchen konnte, hatte für seine Frau allerdings fatale Folgen, die beruflich nicht an ihre Karriere in Japan anschließen konnte. Loy arbeitete von nun an halbtags und hielt an der Xavier University Seminare über Buddhismus und Zen-Buddhismus, Buddhismus und Gesellschaftstheorie, Buddhismus und Thanatologie sowie Buddhismus und Ökologie ab. Zu dieser Zeit begann Loy auch vermehrt in populärwissenschaftlichen Magazinen und Online-Journals wie Adbusters, Buddhadharma: The Practitioner’s Quarterly, Dharma World, Inquiring Mind, Insight Journal, Rightview Quarterly, Shambhala Sun (seit 2015 The Lion’s Roar), Tikkun, Tricycle: The Buddhist Review und Turning Wheel, dem Journal des Buddhist Peace Fellowship zu publizieren. Aus einer Reihe dieser Beiträge ging in überarbeiteter Form Money, Sex, War, Karma. Notes for a Buddhist Revolution (2008) hervor. Es ist dasjenige Buch Loys, mit dem er auch über die Grenzen des englischsprachigen Raumes hinaus bekannt wurde, denn es wurde bislang bereits ins Spanische, Italienische, Französische, Niederländische, Thailändische, Koreanische, Estonische, Japanische und Deutsche übertragen und auch außerhalb der akademischen Welt breit rezipiert. Ein Jahr später erschien mit Awareness Bound and Unbound. Buddhist Essays (2009) eine Aufsatzsammlung, die eine Reihe weit verstreuter Artikel und Beiträge aus den Jahren 1990 bis 2008 umfasst, die inhaltlich mehr an Nonduality und Lack and Transcendence anschließen. Seine Zeit an der Xavier University unterbrach Loy durch eine Reihe von Gastaufenthalten an anderen Universitäten. Nach einem kurzen Aufenthalt an der Universität Kapstadt im April 2007 führte 60 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Rückkehr in die Vereinigten Staaten (Cincinnati, 2005–2010)

Loy der zweite nach Israel. Von Januar bis August des Jahres 2009 war er am Institute for Advanced Study der Hebräischen Universität von Jerusalem als Teil der Forschungsgruppe »The Sociology of Contemporary Jewish Mysticism in Comparative Perspective« beschäftigt. Dort wollte er seine Kenntnisse der unter dem Einfluss kabbalistischer Strömungen entstandenen osteuropäischen Erneuerungsbewegung des neuzeitlichen Chassidismus des 18. und 19. Jahrhunderts vertiefen. Bei seinem Studium dieses jüngsten Zweiges der jüdischen Mystik machte Loy allerdings eine ähnliche Erfahrung wie bei seinem vormaligen Studium der analytischen Philosophie in London. Die intensive Auseinandersetzung mit der jüdischen Mystik lehrte ihn, dass ihn die jüdische Mystik nicht interessierte, weshalb er sich, angeregt durch das Studium von Toshihiko Izutsus (1914– 1993) Sufism and Taoism. A Comparative Study of Key Philosophical Concepts (1983) der islamischen Mystik und dem Sufismus Ibn ʿArabīs (1165–1240) zuwandte. 43 Es waren aber vor allem seine Erfahrungen abseits der Universität, die ihn während seines Aufenthaltes in Jerusalem nachhaltig prägten und seinen Blick auf den Israelisch-Palästinensischen Konflikt dauerhaft veränderten. Die bis in die Gegenwart reichenden religiös-politischen Auseinandersetzungen seit dem gescheiterten UNTeilungsplan von 1947 und dem Palästinakrieg von 1948 machten Loy erneut das äußerste Konfliktpotential einer bis zum Fanatismus getriebenen (religiösen) Identität bewusst und müssen ihn wohl erneut darin bestätigt haben, wie zentral die von ihm in Nonduality und Lack and Transcendence beschriebene Dekonstruktion der eigenen Identität ist. Die Situation vor Ort ließ in Loy darüber hinaus die Überzeugung reifen, dass vor allem die zionistische Bewegung und die Israelische Regierung den Großteil der Verantwortung an den fortgesetzten gewaltsamen und militärischen Konflikten zwischen Israel und den Palästinenserorganisationen trugen und die uneingeschränkte Unterstützung des Landes durch die Vereinigten Staaten ein verhängnisvoller Irrtum sei. Nach mehreren Monaten des Aufenthalts in Israel kam Loy aufgrund seiner Erfahrungen zu dem Schluss, dass die israelische Regierung ihre vom UN-Sicherheitsrat als illegal verurteilten Siedlungen im Westjordanland auch weiterhin materiell und ideell unterstützen und von der Armee beschützen las-

43

Cf. Izutsu 1984a.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

sen würde und die Regierung kein aufrichtiges Interesse daran habe, ihre Annexionspolitik aufzugeben. 2009 erschien mit A Buddhist Response to the Climate Emergency ein Buch mit Beiträgen von (u. a.) Bhikkhu Bodhi, Robert Aitken, Thích Nhât Hạnh und dem 14. Dalai Lama Tenzin Gyatso, an dem Loy als Herausgeber beteiligt war und das sein anhaltendes Bemühen um eine buddhistische Alternative zu den konventionellen Denkschemata des modernen Westens und eine neue tiefenökologische Umweltethik für das integrale System Mensch-Natur dokumentiert. Zusammen mit seinem Kollegen und Betreiber der Internetseite Ecological Buddhism: A Buddhist Response to Global Warming (www.ecobuddhism.org) John Stanley und Gyurme Dorje hatte Loy eine Reihe Beiträge vornehmlich tibetischer Provenienz versammelt, um die buddhistische Kritik fundamentaler Prämissen gegenwärtiger Paradigmen des Umweltbewusstseins zu eruieren und eine mögliche buddhistische Antwort auf die drohende Klimakatastrophe zu finden. Loys eigener Lösungsansatz ist auch hier wieder ganz seinen beiden Leitideen der Nondualität und der inneren Leere (lack) verpflichtet, die er als geistige und ethische Grundlage seiner buddhistischen Ökophilosophie für den modernen westlichen Kulturkreis heranzieht. Die Aufgabe des Buddhismus besteht für Loy demnach darin, den Menschen von der Illusion seiner Independenz zur Wirklichkeit universaler Interdependenz zu führen und damit eine fundamentale Veränderung in der Wahrnehmungsweise des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur zu evozieren. Dadurch bestimmt sich die conditio humana einem Ausdruck Thích Nhât Hạnhs zufolge als Inter-Sein, worauf sich auch für Loy jedes wahrhaft ethische Verhalten gründet. Dem praktischen Vollzug müsse also die theoretische Einsicht in den holistischen und reziproken Zusammenhang allen Seins vorausgehen. Als Folge dieser im konkreten Lebensvollzug des Menschen verankerten Weisheit erwachse ein natürliches Mitgefühl mit allen Menschen und dem Rest der Natur. Diese nonduale Egalität allen Lebens gelte es mittels der buddhistischen Tradition und Praxis zu kultivieren. Nur so könne der Mensch sein Bild von sich als einem der Natur entgegengesetzten Individuum revidieren und seiner bisherigen Rolle als todbringendes Virus der Biosphäre entgehen, um möglicherweise zu einem veritablen Vehikel des kosmischen Evolutionsprozesses zu werden: »When I realize that ›I‹ am what the whole world is doing, right here and now, then taking care of ›others‹ be-

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Die Zeit nach der Emeritierung (seit 2010)

comes as natural and spontaneous as taking care of my own leg. This is the vital link between wisdom and compassion.« 44 Ein Jahr später erschien mit The World is Made of Stories (2010) eine Schrift, die Loys ausgereifte Gedanken zur Sprache in populärer Form enthielt und noch im selben Jahr mit dem S & P (Spirituality & Practice) Award als eines der besten spirituellen Bücher des Jahres ausgezeichnet wurde. In seinen langjährigen sprachphilosophischen Studien zu Nāgārjuna, Dōgen (1200–1253), Heidegger, Wittgenstein und Derrida war er zu dem Ergebnis gekommen, dass kein Sprachsystem in der Lage sei, Wirklichkeit letztgültig abzubilden, alle dogmatischen Aussagen religiöser Traditionen nur vorläufige Geltung besäßen und die Anhaftung an jedwedem prinzipiell unabgeschlossenen Bezugssystem – und sei es »the Big Story of Buddhism« 45 – als Ausdruck anhaltender Verblendung heilshinderlich wirke. Stattdessen müsse es, wie Heidegger dies zuvor in dem für ihn so einflussreichen Brief über den Humanismus formuliert hatte, um die »Befreiung der Sprache aus der Grammatik in ein ursprünglicheres Wesensgefüge« 46 gehen, sodass sie primär in ihrer heilsevokativen Funktion betrachtet und als geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya/saṃsāra) zum Wohl aller Lebewesen instrumentalisiert werden könne. Alle philosophischen, religiösen oder wissenschaftlichen Sprachsysteme seien daher nur relativ gültige Geschichten (stories) über die Wirklichkeit und niemals die Wirklichkeit selbst. Alles kommt für Loy daher darauf an, wie effektiv die jeweiligen Geschichten sich darin erweisen, die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen, den Menschen zur theoretischen Einsicht in die integrale Einheit der Wirklichkeit zu führen und deren praktisch-existentielle Verwirklichung zu befördern.

1.7. Die Zeit nach der Emeritierung (seit 2010) Nachdem seine Professur an der Xavier University bereits um 18 Monate verlängert worden, aber im Juli 2010 endgültig ausgelaufen war, bewarb sich Loy auf eine Reihe hochkarätiger Positionen, darun44 45 46

Loy 2009b: 9. Cf. Loy 2002a: 214; Loy 2018: 71. Loy 2010a: 100. Heidegger 1978a: 312.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

ter ein Lehrstuhl am California Institute for Integral Studies (CIIS) in San Francisco, deren Philosophie vor allem an die Lehren des bengalischen Brahmanen, Politikers, Dichters und Philosophen (Śrī) Aurobindo Ghose (1872–1950) anschließt und eine Erweiterung der Grenzen der traditionellen Studiengänge um transdisziplinäre, interkulturelle und angewandte Studien lanciert – ein Ansatz, der kongenial zu Loys wissenschaftlich-akademischen Ausrichtung passt. 47 Allerdings hatte keine seiner Bewerbungen Erfolg, was ihn anfangs frustrierte, ihm aber rückblickend als Glücksfall erschien, denn die Naropa Universität in Boulder (Colorado) offerierte ihm kurz darauf eine zwar schlecht bezahlte, dafür aber wenig arbeitsintensive Stelle für ein Semester als Teil des »Frederick P. Lenz Residential Fellowship for Buddhist Studies and American Culture and Values«, die Loy aufgrund mangelnder Alternativen annahm und von August bis Dezember 2011 inne hatte. Da Loy die Stadt an den Ausläufern der Rocky Mountains sofort gefiel und die Familie aufgrund ihrer Ersparnisse aus Japan finanziell relativ gut abgesichert war, konnte Loy die Zeit neben der Arbeit ungestört für eigene Studien nutzen, die ihm bei einer zeitaufwendigen Betreuung von Studenten und Doktoranden an einer größeren Universität nicht geblieben wäre. Parallel zur Lehrtätigkeit entstand ein erstes Manuskript seiner Monographie A New Buddhist Path: Enlightenment, Evolution and Ethics in the Modern World, die 2015 erschien. 48 Am 14. Juni 2014 hatte Loy von seiner alma mater, dem Carleton College in Northfield (Minnesota), einen Ehrendoktortitel für seine Beiträge zu einem besseren Verständnis des Buddhismus und seiner Praxis in der modernen Welt erhalten, den er im 22. April 2016 aber wieder zurück gab. Das Kuratorium hatte mit der Begründung, man wolle keine spezifische Moral definieren, fördern oder durchsetzen, sondern seine finanzielle Verantwortung dem College gegenüber wahrnehmen, weiterhin in fossile Brennstoffe investiert. In einem offiziellen Schreiben erhob Loy nachdrücklich Einspruch gegen diesen Beschluss. Die Entscheidung sei nicht nur finanziell fragwürdig, Die Privatuniversität wurde von Haridas Chaudhuri (1913–1975) und seiner Frau Bina gegründet, die auf die Empfehlung Aurobindos nach San Francisco kamen. Zu den bekannteren Arbeiten Chaudhuris zählen u. a. Integral Yoga: The Concept of Harmonious and Creative Living (1965), Philosophy of Meditation (1965), The Evolution of Integral Consciousness (1977) und The Essence of Spiritual Philosophy (1990). 48 Cf. Loy 2015a. 47

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Zusammenfassung: Zum nondualen Ansatz Loys

da die globale Gemeinschaft immer mehr die Abkehr von fossilen Energieträgern vorantreibe, sondern angesichts der durch Förderung und Verbrennung fossiler Energieträger dokumentierten Klimaschäden auch in einem hohen Maße moralisch verwerflich. Als sozialengagierter Buddhist und um Klimaschutz bemühter Umweltaktivist fühlte er sich daher dazu verpflichtet, seinen Ehrendoktortitel als Zeichen des Protestes zurückzugeben. 49 Im November 2014 übernahm Loy eine Gastprofessor an der Radboud-Universität in Nijmegen, an der er verschiedene Vorträge (»The Buddhist Revolution«) hielt und Meditationsworkshops (»How Zen are you?«) veranstaltete. Von Januar bis April 2016 besetzte er den nach Yehan Numata (1897–1994) benannten »Numata Chair in Buddhist Studies« an der University of Calgary. Loy ist Gründungsmitglied, Direktor und Vizepräsident des »Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center« (RMERC), der im Juni 2017 in der Nähe von Boulder (Colorado) eröffnet wurde und arbeitet derzeit an einem größeren Projekt mit dem tentativen Arbeitstitel The Ghost Dance. Der Titel ist von einem Zitat aus dem gleichnamigen Werk des US-amerikanischen Anthropologen und Ethnologen Weston La Barre (1911– 1996) inspiriert (»Each religion is the Ghost Dance of a traumatized society.« 50) und soll Loys buddhistische Theorie des Ursprungs der Religion, Sprache und Schriftkultur enthalten. 2018 erschien mit Ecodharma: Buddhist Teachings for the Ecological Crisis seine bislang letzte Monographie.

1.8. Zusammenfassung: Zum nondualen Ansatz Loys Aus dieser biographisch-werkgeschichtlichen Einführung in Loys bisherigen Werdegang lassen sich die thematischen Schwerpunkte und spezifischen Charakterzüge seiner Arbeit resümierend akzentuieren. Vor allem in seinen beiden Hauptwerken Nonduality und Lack and Transcendence zeigt sich die für Loys gesamtes Schaffen so grundlegende Zusammengehörigkeit theoretischer Selbstauslegung und rationaler Rekonstruktion seiner spirituellen Erfahrungen und die für seine Arbeitsweise so charakteristische Zusammenfügung multidisziplinärer, i. e. epistemologischer, metaphysischer, psycho49 50

Cf. Loy 2016a. La Barre 1972: 44.

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Einführung in Leben und Werk David R. Loys

logischer, sozialethischer, ökonomischer und ökologischer Fragestellungen in interkultureller Perspektive. Praxis und Theorie sind in Loys Werk aufs engste miteinander verknüpft. Sie bedingen und fördern sich gegenseitig und regen zur wechselseitigen Vertiefung an, sodass nicht nur die Erfahrung die philosophische Reflexion inspiriert, sondern auch die abgeleitete Theorie die existentielle Vertiefung fordert. Loy hat seine Erfahrungen nicht nur auf das genauste analysiert und philosophisch durchdrungen, sondern auch kontinuierlich an ihrer theoretischen Begründung und Systematisierung gearbeitet. Sein Ringen um praktische Realisierung und theoretische Fundierung kann daher als experimentelle Mystik-Forschung oder transpersonale Phänomenologie im Selbstversuch und deren gleichzeitig interkulturell-philosophische und existentialpsychologische Schematisierung im weiteren Kontext seiner spezifisch zen-buddhistischen Tradition beschrieben werden. So hat Loy – wie auch Swedenborg – seine Grundlagen stets aus lebendiger Erfahrung gewonnen (viva experientia didici). 51 Inhaltlich sind alle Publikationen eng aufeinander bezogen und es besteht ein thematisches Kontinuum, das Loy mit werkimmanenter Stringenz sukzessive entfaltet hat. Bereits in Nonduality sind alle Theorien, die er in seinen nachfolgenden existentialpsychologischen und sozial-engagierten Phasen ausgearbeitet hat, keimhaft enthalten. Der Grundgedanke von Lack and Transcendence wird bereits in seiner Theorie nondualen Denkens antizipiert und seine Abschlussreflexion über »nonduale Werte« referiert skizzenhaft die praktischen Implikationen seiner Kerntheorie der Nondualität für die philosophische Werttheorie, Ethik, Ästhetik und Sozialtheorie. 52 Loys Folgepublikationen enthalten demnach keine prinzipielle Modifikation oder konstitutive Ausweitung, sondern vielmehr eine inhaltliche Analyse, Vertiefung und Ausgestaltung seines philosophischen Ansatzes ohne gravierende Wendepunkte. Insgesamt hat sich dabei der Schwerpunkt seines Forschens zunächst von der Metaphysik und Erkenntnistheorie auf die transpersonale und existentielle Psychologie, später zunehmend auf die Sozialtheorie und Ökologie verlagert, ohne dabei die in Nonduality entworfene Philosophie einer grundlegenden Revision oder entscheidenden Korrektur zu unterziehen. Es geht Loy dabei durchgängig um eine umfassende Integration aller Bereiche un51 52

Cf. Benz 1948: 316. Cf. Loy 1997a: 146–149, 295–304.

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Zusammenfassung: Zum nondualen Ansatz Loys

ter die konstitutiven Leitideen der Nondualität und der inneren Leere (lack), die seiner interdisziplinären, interreligiösen und integralen Vision eines modernen Buddhismus für die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dokumentiert.

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2. Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

Eine religionshistorische Einordnung und philosophische Kritik der Buddhismusinterpretation Loys setzt ein tiefergehendes Verständnis seiner zen-buddhistischen Gemeinschaft, ihrer Entwicklung und den philosophischen Ansichten ihrer Meister voraus. Bevor ich mich im Einzelnen einer Analyse von Loys Philosophie der Nondualität zuwende, ist folglich eine kurze Einführung in die Geschichte der japanischen Reformbewegung des Sanbō-Kyōdan angezeigt, dessen Theorie und Praxis Loy nachhaltig beeinflusst haben.

2.1. Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan Der Sanbō-Kyōdan ist eine japanische Zen-Linie, die am 8. Januar 1954 von Yasutani gegründet wurde und der eine zentrale Rolle in der weltweiten Rezeption des Zen-Buddhismus zukommt. 1 Die Ursprünge der Gemeinschaft gehen auf Yasutanis Zen-Lehrer Harada zurück, der als Sōtō-Mönch und als Professor an der sōtō-affiliierten Komazawa-Universität rein formal der Sōtō-Linie angehörte. Darüber hinaus wurde Harada von Dokutan Sōsan (1840–1917) im RinzaiZen ausgebildet, von dem ihm das »Siegel der Bestätigung« übertragen wurde und in dessen Linie der nach Lin-chi I-hsüan/Linji Yixuan (jap. Rinzai Gigen, † 866 n. Chr.) benannten Lin-chi-Schule (chin. linchi-tsung/linji-zong; jap. rinzai-shū) er somit ebenfalls stand. 2 Vor diesem persönlichen Hintergrund strebte Harada eine Synthese des sōtō-typischen »Zen der schweigenden Erleuchtung« (chin. moCf. Buksbazen 1976: 64. Cf. Sharf 1995a: 420. Die Chʾ an-Meister wurden in der Regel nach dem Hauptort ihres Wirkens benannt. Dieser Ortsbezeichnung wurde noch der religiöse Initiationsname hinzugefügt. Lin-chi I-hsüan bezieht sich demnach auf den Tempel Lin-chi und I-hsüan bezeichnet wiederum den monastischen Inititationsnamen Lin-chis. Cf. Brück 2007a: 23. 1 2

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Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan

chao-chʾ an; jap. mokushō-zen) und des rinzai-spezifischen »Zen des Betrachtens der Worte« (chin. kʾ an-hua chʾ an; jap. kanna-zen) an. 3 Seine synkretistische Praxis verband sich dabei mit starken reformatorischen und kritischen Ambitionen und dem Ziel einer grundlegenden Erneuerung des japanischen Zen-Buddhismus. Im Zentrum von Haradas Kritik stand der seiner Auffassung nach vom Sōtō-Zen praktizierte und vom eigentlichen Erfahrungsgehalt des kenshō entkernte, oberflächliche Intellektualismus und die damit einhergehende leere Scholastik, die Dōgens Lehre ihrer existentiellen Bedeutung beraubt habe. Der Rinzai-Zen hatte Haradas Auffassung zufolge ebenfalls den eigentlichen Erfahrungskern des Zen-Buddhismus über seiner stark institutionalisierten kōan-Praxis im Rahmen der monastischen Priesterausbildung verloren. Harada betonte demgegenüber eine Synthese von mokushō- und kanna-zen und eine primäre Ausrichtung auf die kenshō-Erfahrung, die er als genuinen Gehalt des Zen-Buddhismus jenseits sektiererischer Grenzen verstand. Der große Einfluss, den diese Laienreformbewegung auf den Zen-Buddhismus in Deutschland und den USA ausüben konnte, steht der Ansicht Robert H. Sharfs zufolge allerdings in einem asymmetrischen Verhältnis zu ihrem vergleichsweise marginalen Status in Japan. Dem Anspruch des Sanbō-Kyōdan, allein die authentischen Lehren des Zen zu bewahren und den polemischen Attacken, die von Seiten Haradas und seiner Anhänger gegen die orthodoxe Zen-Gemeinde Japans gerichtet wurden, stünden moderne Rinzai- und Sōtō-Mönche gleichgültig gegenüber, wenn sie überhaupt davon Kenntnis nähmen, was darauf hinweisen würde, dass Harada alles andere als ein angesehenes Mitglied der orthodoxen Zen-Orden gewesen sei. 4 Sharf hat eine informative Beschreibung der Zen-Praxis in Japan gegeben, mit der sich Harada zu Lebzeiten konfrontiert sah und die wohl zum motivationalen Hauptgegenstand seiner reformatorischen Ambitionen wurde. Demnach war die traditionelle Ch’anIn der Zusammensetzung kanna bedeutet kan Heinrich Dumoulin (1905–1995) zufolge »sehen« und na sei gleich wa und stehe für watō, i. e. eine andere Bezeichnung für kōan. Cf. Dumoulin 1985: 329. Foulk beschreibt kʾ an-hua chʾ an als »meditative practice of ›looking at‹ or ›observing‹ (k’an) a single ›word‹ or ›phrase‹ (hua-t’ou) with the aim of frustrating or stopping the discursive intellect and eventually, in a sudden breakthrough, attaining enlightenment. The ›words‹ to be used in this manner usually derived from a root case (pen-tse) in […] a koan collection«. Foulk 2000: 21. 4 Cf. Sharf 1995a: 419. 3

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

und Zen-Praxis nicht darauf ausgerichtet, Erleuchtungserfahrungen zu evozieren, sondern im Wesentlichen an der Perfektionierung der rituellen Performanz interessiert. Die moderne Vorstellung, Ch’anund Zen-Mönche müssten satori erfahren, bevor sie den dharma »erben« können, sei unzutreffend. Zu diesem von Harada kritisierten erfahrungsfernen Ritualismus habe auch die allgegenwärtige Dekadenzvorstellung eines letzten Zeitalters der entarteten Lehre (mappō) beigetragen, in dem Erleuchtung für schlechterdings unmöglich gehalten wird und demnach auch kein praktikables Ziel für Mönche mehr darstellt. Für moderne Rinzai- und Sōtō-Mönche sei das nirvāṇa einfach ein unmöglich entferntes Ideal, weshalb kenshō oder satori auch selten ein Thema in den Mönchshallen (sōdō) seien. Novizen (unsui), die in Zen-Klöstern studieren, seien normalerweise bestrebt, ihre Ausbildung zu einem schnellen Abschluss zu bringen, um nach ihrer Heimkehr den Familientempel zu übernehmen. Die wenigen Mönche, die das Talent und den Ehrgeiz besäßen, »Meister« (rōshi) zu werden und dafür mehr als zehn bis fünfzehn Jahre im Kloster verbringen, seien ebenfalls primär damit beschäftigt, das aufwendige und komplexe zeremonielle Repertoire eines Zen-Rōshis zu perfektionieren und nicht nach kenshō oder satori zu streben. Im Fall des Rinzai-Zen bedeute dies vor allem das Beherrschen einer großen Auswahl von Kōan-Sammlungen sowie der dazugehörigen Kommentare, um die Schüler durch ritualisierte Kōan-Austausche führen zu können. Auch hier würden präskriptive religiöse Texte weniger als praktische Leitfäden für die Meditation, sondern vielmehr als Liturgien behandelt, die für die rituellen Darbietungen auswendig gelernt werden mussten. 5 Aber gerade wegen seiner unkonventionellen Ideale und reformatorischen Ambitionen vereinte Harada für einen seiner prominentesten, nicht japanischen Schüler Kapleau das Beste des japanischen Zen-Buddhismus in seiner Lehre. Harada starb am 12. Dezember 1961 im Alter von 91 Jahren. 6 An Haradas Lehren schloss auch sein Dharma-Nachfolger (hassu) Yasutani an, der seine Lehre ganz im Geiste seines Meisters als Restitution der authentischen Lehre Dōgens in Form einer reformatorischen Synthese von Sōtō- und Rinzai-Zen mit einem primären Cf. Sharf 1995b: 241 ff. Kapleau hat ihn rückblickend in The Three Pillars of Zen als selbstlosen, mitfühlenden und vollendeten spirituellen Meister von beispielloser Disziplin idealisiert. Cf. Kapleau 2000: 304 f. 5 6

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Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan

Fokus auf der kenshō-Erfahrung verstand. 1952 publizierte Yasutani die Lobeshymne auf das Shūshōgi, eine Anthologie, die 1890 von der Sōtō-Schule aus den Schriften Dōgens kompiliert wurde und eine leicht verständliche Zusammenfassung der Lehren Dōgens für Laienanhänger bietet und als Einführung in die Hauptprinzipien der Schule insgesamt dient. In seinem dazu verfassten Epilog verlieh Yasutani seiner Kritik an den Erscheinungsformen des japanischen Zen-Buddhismus seiner Zeit unmissverständlich Ausdruck: Now, when we observe the present state of affairs in Buddhism, and reflect upon the Way of the Patriarchs, we find the great Dharma has degenerated to earth. People of wicked beliefs are everywhere under heaven. They have no faith in life before, or in life after, and they do not admit that Buddhas really exist. They do not acknowledge the virtue of holding memorial services, do not practice zazen, and do not know the substantial nature of pure sitting. They have no insight into what non-thinking might be. They do not know how to utilize old kōan. They do not understand how both the Sōtō and Rinzai sects have strong points and shortcomings, evils and excellent characteristics. Almost all such people are uselessly clinging to sectarian views; and in particular, there is not one in a hundred who does not deny self-realization. Alas! 7

Im Vorwort zum Go-i, Sanki, Sanjū, Jūjūkinkai Dokugo (»Soliloquy on the Five Degrees, the Three-Fold Turning, the Three-Fold Gathering and the Ten Grave Prohibitions«) fokussiert Yasutani seine Kritik auf die soteriologische Bedeutungslosigkeit zeitgenössischer ZenPraxis, in der kenshō und satori zu verzichtbaren Randerscheinungen verkommen seien oder sogar vollkommen geleugnet würden. 8 Verstrickt in heillose Sektiererei und bar soteriologischer Relevanz habe der japanische Zen-Buddhismus seinen eigentlichen Sinn und Zweck verloren, da weder in der Rinzai- noch in der Sōtō-Schule die transformative Erfahrung des kenshō im Zentrum der Lehre und Praxis stehe. Stattdessen habe sich in der Zen-Gemeinde ein quietistischer Fideismus ausgebreitet und selbsternannte Buddhismus-Experten verkündeten an den Universitäten falsche Interpretationen der Lehre Dōgens, wodurch sie die Menschen mit ihrer leeren Scholastik nicht nur von der alles entscheidenden Zazen- und Kōan-Praxis, sondern in letzter Konsequenz auch von der Befreiung selbst abhielten. 9 Diese 7 8 9

Epilog zur Lobeshymne auf das Shushōgi. Zitiert nach: Yamada 1974: 109. Cf. Go-i, Sanki, Sanjū, Jūjūkinkai Dokugo. Zitiert nach: Yamada 1974: 114. Cf. Epilog zur Lobeshymne auf das Shushōgi. Zitiert nach: Yamada 1974: 110 f.

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

weit verbreiteten Fehlinterpretationen der Lehren Dōgens machte Yasutani fernerhin für die verhängnisvolle Vorstellung einer konstitutiven Differenz zwischen Sōtō- und Rinzai-Zen verantwortlich. In seinem Kommentar zu Dōgens Genjōkōan-Faszikel forderte Yasutani daher die Überwindung sektiererischer Grenzen und die Restitution einer kenshō-zentrischen Lehre und Praxis, die er als eigentlich Orthodoxie und Orthopraxie des Zen-Buddhismus verstand. Ihrem erfahrungsgemäßen Wesensgehalt nach seien die Sōtō- und RinzaiSchule nicht voneinander unterschieden und auch die Differenz zwischen mokushō- und kanna-zen bilde keine wechselseitig ausschließende Differenz. Statt unmaßgebliche Spielarten der konkreten Praxis in den Vordergrund zu rücken, müssten sich beide Schulen erneut auf das ureigentliche Konstituens des Zen-Buddhismus besinnen, das Yasutani in einem normativen und einheitlichen Erfahrungsgrund verortet, der für ihn eine alle Zen-Denominationen gleichermaßen übergreifende Einheits- und Sinnstiftung verbürgt. Wenn es innerhalb der Zen-Sekte hingegen niemanden mehr gäbe, der den Weg wahrhaft verwirklicht und authentisch erfahren habe, dann sei Dōgens Buddhadharma zur bloßen Philosophie herabgesetzt und der Zen-Buddhismus insgesamt zerstört. 10 Wie bei seinem Lehrer Harada gründet sich auch bei Yasutani die anti-sektiererische und integrativ-reformative Haltung gegenüber der Rinzai- und Sōtō-Schule in seinem persönlichen Verhältnis zu beiden Richtungen. Bereits im Alter von vier Jahren wurde er 1889 dem Rinzai-Tempel Fukuju-in in Kuryō übergeben, wo er unter Genpō Tsuyama Oshō lernte. Mit zwölf Jahren wurde er in den Teishin-ji Tempel der Sōtō-Schule gebracht, wo er neben rinzai- nun auch sōtō-spezifische Zen-Praktiken erlernte. Nachdem er 1896 unter Ryōgi Yasutani Oshō ordiniert wurde und den Namen Yasutani Ryōkō erhielt, begann er mit sechzehn Jahren seine Studien bei dem bekannten Sōtō-Meister Bokusan Nishiari (1821–1910), von dem er auch die Dharma-Übertragung erhielt. 11 Bis zu seinem Treffen mit Harada, den er durch das buddhistische Journal Daijozen kennenlernte, bezeichnete sich Yasutani rückblickend selbst als »blind fellow« 12. Im Jahr 1925 wurde er im Alter von 41 Jahren Priester im Teishin-ji Tempel und wohnte seinem ersten sesshin mit Harada im Nippon-ji 10 11 12

Cf. Shōyōroku Dokugo. Zitiert nach: Yamada 1974: 113; Yasutani 1996: 39. Cf. Sharf 1995a: 420 f. Yamada 1974: 109.

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Zur historischen Entwicklung des Sanbō-Kyōdan

Tempel bei. Zwei Jahre später authentifizierte Harada Yasutanis kenshō-Erfahrung während seines zweiten sesshins, der als achttägige Winterklausur (rōhatsu-sesshin) im Hosshinji-Kloster in Obama stattfand. Unter Harada lernte Yasutani über 20 Jahre lang, hörte dessen Lehrreden (teishō) zu den klassischen Kōan-Sammlungen und nahm an den Vorträgen zum Shōbōgenzō teil. 13 Am 28. März 1938 beendete er seine formalen kōan-Studien unter Harada, von dem ihm am 8. April 1943 das »Siegel der Bestätigung« übertragen und zu dessen Dharma-Nachfolger (hassu) er ernannt wurde. 14 Bereits Harada hatte gegenüber einer Vielzahl seiner zeitgenössischen Zen-Meister die progressive Position vertreten, dass grundsätzlich jeder Mensch unter der qualifizierten Anleitung eines ZenMeisters kenshō erlangen könne. Diese Anschauung erlaubte es ihm bei seiner Integration des Laienbuddhismus (jap. zaike bukkyō) weit über die allgemeinen Entwicklungen seiner Zeit hinauszugehen, indem er buddhistischen Laienanhängern (zaike) nach der Absolvierung ihres kōan-Kurrikulums eine vollwertige Autorisierung zur Zen-Lehrtätigkeit aussprach und damit eine Loslösung des Zen-Buddhismus von seinem monastischen Kontext initialisierte. Diesen Prozess forcierte Yasutani, indem er sowohl japanische als auch ausländische, sowohl buddhistische als auch nicht-buddhistische Laienanhänger als vollwertige Zen-Schüler akzeptierte und sie nach Abschluss ihrer kōan-Ausbildung ebenfalls als Zen-Lehrer autorisierte. Damit leisteten Harada und Yasutani einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Laisierung des Zen-Buddhismus und dessen weltweiter Verbreitung. 1949 gründete Yasutani in Hokkaidō seine eigene laienorientierte Zazen-Gruppe Hakuʾ un-kai – ein Vorläufer des späteren Sanbō-Kyōdan. Ab 1951 publizierte er in der Zeitschrift Dawn Bell/Awakening Gong (kyōshō) und betreute ab 1952 insgesamt 25 Zen-Übungsgruppen für Laienanhänger (zazenkai) im Raum Tōkyō. Am 23. Mai 1953 gründete Yasutani zusammen mit seinem Schüler und späterem Nachfolger Yamada einen Hakuʾ unkai-Ableger in Kamakura. Yasutani löste sich am 8. Januar 1954 offiziell von der Sōtō-Schule und gründete seine eigene unabhängige Laienorganisation (Sanbō-Kyōdan) als unabhängige, religiöse Körperschaft des öffentlichen Rechts (shūkyō-hōjin) und vollendete damit den von Harada initialisierten Laisierungs-Prozess, indem er end13 14

Cf. Yamada 1974: 116. Cf. Buksbazen 1976: 63.

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

gültig mit der monastischen Tradition brach. 15 Trotz seines formellen Bruchs mit der Sōtō-Linie übertrug Yasutani weiterhin das »Siegel der Bestätigung«. Neben Yamada autorisierte Yasutani auch Satomi Myōdō (1896–1978), Brigitte D’Ortschy, Hakuyū Taizan Maezumi, Philip Kapleau und Akira Kubota Jiʾ un, den Dharma-Nachfolger Yamadas und dritten Abt (kanchō) des Sanbō-Kyōdan. 16 Yasutani starb am 28. März 1973 im Alter von 88 Jahren. 17 Yamada selbst hatte über seinen alten Zimmergenossen aus Schul- und Universitätszeiten Nakagawa Sōen Kontakt zum ZenMeister Yamamoto Genpō (1866–1961) aufgenommen und 1943 mit dem Zen-Training unter Kōno Sōkan begonnen. Kōno Sōkan wirkte zu dieser Zeit als Abt eines Nebentempels (betsuin) in der Mandschurei, der zum japanischen Myōshin-ji-Haupttempel der gleichnamigen Linie der Rinzai-Schule in Kyōto gehört. 18 Yamada hatte dort von 1941 bis 1946 zusammen mit seiner Familie gelebt und als Direktor der Manchuria Mining Company gearbeitet. In dieser Zeit traf er auch seinen ehemaligen Kommilitonen Nakagawa Sōen wieder, der ihn mit Kōno Sōkan in Kontakt brachte. 19 Nach seiner Rückkehr nach Japan setzte Yamada sein Training unter Asahina Sōgen (1891–1979), dem Abt (kanchō) der Engaku-ji-Linie der Rinzai-Schule in Kita-Kamakura und unter dem zur Mokusen-ji-Linie gehörendem Hanamoto Kanzui in Ōfuna fort, bis er 1950 mit der Zen-Schulung unter Yasutani begann. Aus demselben Jahr stammt auch Yamadas kenshōki, i. e. sein persönlicher Bericht über seine kenshō-Erfahrung (kenshō taiken ki). Der Erfahrungsbericht wurde in Kapleaus The Three Pillars of Zen festgehalten, in welchem Yamada als »Mr. K. Y., a Japanese Cf. Yamada 1974: 120. Satomi Myōdō erhielt am 18. September 1960 zusammen mit Yamada das »Siegel der Bestätigung« von Yasutani. Cf. Buksbazen 1976: 64. Die spirituelle Autobiographie von Satomi Myōdō wurde von Sallie B. King ins Englische übertragen: Cf. King, S. 1993. 17 In einer posthum veröffentlichten Gedächtnisschrift des ZCLA (Zen Center of Los Angeles), der von Yasutanis Schüler Maezumi begründet wurde, ist Yasutanis letztes Gedicht publiziert worden, das er kurz vor seinem Tod verfasst hat: »Bright, bright, clear, clear, naked and splendid. The great earth, mountains, and rivers–the uncovered womb. There are flowers and the moon–who is the Master! Spring, Autumn, Winter, and Summer compete with new garb.« Yasutani 1976a: 6. Robert Aitken hat zwei Nachrufe auf Yasutani verfasst, davon einen in Zusammenarbeit mit seiner Frau: Cf. Aitken 1974; Aitken 1976; Yamada 1974: 119. 18 Cf. Borup 2008: 32. 19 Cf. Aitken 1990: 152. 15 16

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

Executive, Age 47« berichtet, wie er am 27. November 1953 auf der Bahnfahrt nach Kamakura die Zeile Dōgens »I came to realize clearly that Mind is no other than mountains and rivers and the great wide earth, the sun and the moon and the stars« 20 las und in der darauffolgenden Nacht kenshō erfuhr. 21 1960 beendete Yamada offiziell sein kōan-Training und erhielt von Yasutani im selben Jahr das »Siegel der Bestätigung«. 1967 wurde er als authentischer Zen-Meister (shōshike) der Harada-Yasutani-Linie anerkannt und folgte Yasutani 1970 als nominelles Linienoberhaupt und zweiter Abt (kanchō) des Sanbō-Kyōdan nach. Zu dieser Zeit wurde auch der Meditationsraum (zendō) San-un in Kamakura eingerichtet, in dem seither regelmäßig Meditationen (zazen), Belehrungen (teishō) und individuelle Gespräche mit dem Meister (dokusan) abgehalten werden. Der Name San-un (drei Wolken) bezieht sich auf die Namen der drei Gründungsväter der Gemeinschaft, i. e. Daiʾ un (»Große Wolke«) Harada, Hakuʾ un (»Weiße Wolke«) Yasutani und Kōʾ un (»Pflügende Wolke«) Yamada. 22 Gegenüber seinen Vorgängern war Yamada der erste Abt, der keine Ordination und somit keinen monastischen Hintergrund mehr hatte. 23 Dies führte zu einer weiteren Stärkung der Laienposition innerhalb des Sanbō-Kyōdan, zu dessen weltweiter Verbreitung Yamada einen entscheidenden Beitrag leistete. Yamada war bis zu seiner Erkrankung der Direktor der Kenbikyō-in Klinik in Tōkyō, in der auch seine Frau Yamada Kazue als Oberärztin arbeitete. Er starb am 13. September 1989 im Alter von 82 Jahren in Kamakura nach langer Erkrankung an Herzversagen.

2.2. Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen) Eine kritische Darstellung der Geschichte des Sanbō-Kyōdan kann nicht umhin, die chauvinistischen, sexistischen, ultra-nationalistischen und militaristischen, anti-semitischen und anti-demokratischen Äußerungen Yasutanis sowie seine aktive moralische, ideologische und physische Unterstützung rechts-nationaler Ideologien im Namen des Buddhismus während des Zweiten Weltkriegs und in der 20 21 22 23

Kapleau 2000: 229. Cf. Kapleau 2000: 229–232. Cf. Habito 2004: xii. Cf. Habito 1990: 234.

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

Nachkriegszeit zu dokumentieren und in ihrer Bedeutung für Loys Philosophie der Nondualität zu reflektieren. Da sich diese Seite Yasutanis wie bei vielen gleichgesinnten Zen-Meistern seiner Zeit ausschließlich in japanischsprachigen Publikationen dokumentierte, blieb dieser Aspekt des japanischen Zen-Buddhismus westlichen Anhängern und Forschern lange Zeit verborgen. Erst durch Brian Daizen Victorias einflussreiche Werke Zen at War (1997) und Zen War Stories (2003) kam es im Westen zu einer umfassenden Konfrontation und allmählichen Zurkenntnisnahme des sogenannten »Zen des Kaiserlichen Weges« (kōdō-zen, engl. imperial-way zen), der eine Variante des von Buddhisten aller Denominationen getragenen »Buddhismus des kaiserlichen Weges« (kōdō-bukkyō) und »Schutz des Staates« (gokoku-bukkyō) verkörperte. 24 Victoria war dabei stark von den Studien Ichikawa Hakugens (1902–1986) beeinflusst worden, der in seinem Buch Religion under Japanese Fascism (Nihonfashizumu-ka no shūkyō, 1975) über Yasutani geschrieben hatte, er sei »no less a fanatical militarist and anti-communist than his master« 25 (Harada). Victoria kam in seinen Untersuchungen zu einem radikaleren Urteil und schrieb über Yasutanis Persönlichkeit: »Yasutani was an even more fanatical militarist, not to mention ethnic chauvinist, sexist, and anti-Semite, than his master!« 26

Micah Auerback hat kürzlich den gravierenden und nachhaltigen Impakt, den Victorias Buch verursacht hat, betont: »In Anglophone scholarship, critical attention to the relationship between Japanese Buddhism and modern Japanese overseas aggression grew dramatically in the 1990s. In 1997, Brian Daizen Victoria’s mass-circulation Zen at War alerted a wide readership to the pervasive, largely uncontested, and apparently enthusiastic cooperation of some leaders in the modern Japanese Zen Buddhist community with Japan’s wartime mobilization through 1945. Although Zen at War has been critiqued in both English and Japanese, it sill poses problems that students of Zen Buddhism have only just begun to confront.« Auerback 2013: 155. Zahlreiche Artikel Victorias zu diesem Problemkomplex finden sich im Asia-Pacific Journal, u. a. Zen as a Cult of Death in the Wartime Writings of D. T. Suzuki (2013); D. T. Suzuki, Zen and the Nazis (2013); A Zen Nazi in Wartime Japan: Count Dürckheim and his Sources–D. T. Suzuki, Yasutani Hakuʾ un and Eugen Herrigel (2014); Zen Masters on the Battlefield I/II (2014); The Zen of Hitler Jugend (2016) etc. 25 Ichikawa Hakugen, Nihon Fashizumu ka no Shūkyō. Tokyo: Enuesu Shuppankai, 1975, p. 22–23. Zitiert nach: Victoria 2006: 167. Darüber hinaus waren Hakugens Zen and Contemporary Thought (Zen to gendai shisō, 1967), The War Responsibility of Buddhists (Bukkyōsha no sensō sekinin, 1970) und Buddhism during the War (Senjika no Bukkyō, 1977) für Victorias Arbeit maßgeblich. Cf. Ives 1994a; Ives 2009. 26 Victoria 2005: 68. 24

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

Harada hatte bereits 1915 ein Buch mit dem Titel A Primer on the Practice of Zen (sanzen no kaitei) publiziert, in dessem zehnten Kapitel er die Natur wie Arthur Schopenhauer (1788–1860) als eine einzige Aneinanderreihung von Streit, Kampf und Wechsel des Sieges beschrieben hatte. Die gesamte Tier-, Pflanzen und Menschenwelt sei ein einziger Krieg der perpetuierten gegenseitigen Aufhebung und wechselseitigen Verdrängung, Verzehrung und Vernichtung. 27 Der (Zen-)Buddhismus bilde als Teil eines Universums des Kampfes keine Ausnahme. So habe auch der Buddha Śākyamuni einen Krieg gegen Māra führen müssen, um zur Erleuchtung zu gelangen. 28 Daher sei es völlig aussichtslos, die wahre Lehre des Buddhas zu erfassen, ohne in diese Arena des Krieges einzutreten oder diesen universalen Kriegszustand auch nur für eine Sekunde zu vergessen. 29 Hatte Harada sein Kriegs-Zen (sensō-zen) ursprünglich noch als Metapher für den spirituellen Kampf gegen erlösungsobstruktive Faktoren verstanden, so gab er diese rein metaphorische Deutung bereits 1934 zugunsten einer Befürwortung der japanischen Überlegenheits- und Weltherrschaftsansprüche im Namen des Zen-Buddhismus auf: The Spirit of Japan is the Great Way of the [Shinto] gods. It is the substance of the universe, the essence of Truth. The Japanese people are the chosen people whose mission is to control the world. The sword which kills is also the sword which gives life. Comments opposing war are the foolish opinions of those who can only see one aspect of things and not the whole. Politics conducted on the basis of a constitution are premature, and therefore fascist politics should be implemented for the next ten years. … Similarly, education makes for shallow, cosmopolitan-minded persons. All of the people of this country should do Cf. Die Welt als Wille und Vorstellung I. In: S I: 208; Victoria 2006:136. Schopenhauers Werke werden zitiert nach der von Ludger Lütkehaus herausgegebenen Ausgabe letzter Hand (= S) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl. 28 So beschreibt eine Episode aus dem Lalitavistara-Sūtra – einer mahāyānistischen Hagiographie des Buddhas – wie der zukünftige Buddha Māra unter dem Bodhi-Baum zum Kampf herausfordert. In einer Vision sieht Māra das Ende seiner Macht voraus und versammelt seine Herrscharen, um den Bodhisattva Siddharta zu erschlagen: »Nun, auf, mit einem großen Heere wollen wir in den Kampf ziehen, wollen den Aszeten erschlagen, der einsam am Fuße jenes Baumriesen sitzt! Rüstet rasch ein Heer aus allen vier Truppengattungen, und wenn ihr mir einen Gefallen tun wollt, handelt aufs schnellste!« Waldschmidt 1991: 152. 29 »[I]n all phenomena of either the ordinary world or the spiritual world, there is not one where war is absent. How could Zen alone be free of this principle? It is impermissible to forget war for even an instant.« Harada Sogaku. Sanzen no Kaitei. Tokyo: Kokusho Kankōkai, 1915, p. 116. Zitiert nach: Victoria 2006: 137. 27

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Zen. That is to say, they should all awake to the Great Way of the Gods. This is Mahayana Zen. 30

Die wohl bekannteste Äußerung Haradas zeigt ihn als notorischen Kriegseiferer und überzeugten Nationalisten, der das Marschieren von Soldaten und das Feuern von Waffen als vollgültige Manifestation letzter Wirklichkeit und den Pazifikkrieg und Zweiten Weltkrieg als heiligen Krieg im Namen des Buddhismus zu würdigen wusste. 31 Nachdem sich der Kriegsverlauf 1943 zu Ungunsten Japans entwickelt hatte und sich 1944 eine Niederlage der Japaner abzeichnete, die sogar eine Invasion Japans möglich erschienen ließ, war Harada unbesehen dazu bereit, dem Aufruf der Regierung zu folgen und im Namen des Buddhismus die Zivilbevölkerung für die äußersten Kriegsaktivitäten zu mobilisieren und die Bürger auf den Einsatz ihres eigenes Lebens bei der Verteidigung Japans einzuschwören: It has never been as necessary as it is today for all one hundred million people of this country to be commited to the fact that as the state lives and dies, so do they. … We must devote ourselves to the practice of Zen and the discernment of the Way. We must push on in applying ourselves to ›combat zazen,‹ the king of meditation. 32 It is necessary for all one hundred million subjects [of the emperor] to be prepared to die with honor. … If you see the enemy you must kill him; you must destroy the false and establish the true–these are the cardinal points of Zen. It is said that if you kill someone it is fitting that you see his blood. It is further said that if you are riding a powerful horse nothing is beyond your reach. Isn’t the purpose of the zazen we have done in the past to be of assistance in an emergency like this? 33

Dieser militaristischen und nationalistischen Ideologie Haradas blieb Yasutani nicht nur treu, sondern erweiterte sie um einige Aspekte und bezog sie stark in seine Interpretation des Buddhismus mit ein.

Quoted in Ichikawa, Nihon Fashizumu ka no Shūkyō, p. 163. Zitiert nach: Victoria 2006: 137. 31 In seinem Artikel The One Road of Zen and War, der 1939 im Daijō Zen-Magazin erschien, schreibt Harada: »[If ordered to] march: tramp, tramp, or shoot: bang, bang. This is the manifestation of the highest Wisdom [of Enlightenment]. The unity of Zen and war of which I speak extends to the farthest reaches of the holy war [now under way].« Quoted in Ichikawa, Nihon Fashizumu ka no Shūkyō, p. 197. Zitiert nach: Victoria 2006: 137. 32 Zen no Seikatsu. February 1943. Zitiert nach: Victoria 2006: 138. 33 Daijō Zen. July 1944. Zitiert nach: Victoria 2006: 138. 30

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

Im Februar 1943 publizierte Yasutani ein Buch mit dem Titel Zen Master Dōgen and the Treatise of Practice and Enlightenment (dōgen zenji to shūshōgi), in dem er das vom japanischen Armee-Ideologen Arita Hachirō (1884–1965) entwickelte Konzept einer Großostasiatischne Wohlstandssphäre (daitōa kyōeiken) und die Errichtung einer neuen Weltordnung nicht nur befürwortete, sondern es sogar zur vordringlichsten Aufgabe des Buddhismus erklärte, die dafür notwendige geistige Kultur Japans zu fördern. 34 Der euphemistische Begriff einer Großostasiatischen Wohlstandssphäre stand für den japanischen Hegemonieanspruch, einen Block asiatischer Nationen unter japanischer Herrschaft zu vereinen und von westlichen Einflüssen zu befreien und wurde mit dem Slogan »Acht Himmelsrichtungen unter einem Dach« (hakkō ichi-u) assoziiert. Das Buch Dōgen Zenji to Shūshōgi sah Yasutani als seinen ganz persönlichen Beitrag zu diesem imperialistischen Projekt: Asia is one. Annihilating the treachery of the United States and Britain and establishing the Greater East Asia Co-prosperity Sphere is the only way to save the one billion people of Asia so that they can, with peace of mind, proceed on their respective paths. […] I believe this is truly the critically important mission to be accomplished by our great Japanese Empire. In order to fulfill this mission it is absolutely necessary to have a powerful military force as well as plentiful material resources. Furthermore, it is necessary to employ the power of culture, for it is most especially the power of spiritual culture that determines the final outcome. 35

Der Geist Japans und der japanischen Bevölkerung war Yasutani zufolge entscheidend durch den Einfluss des Buddhismus geprägt, dessen japanische Form den Kulminationspunkt der gesamten Tradition für ihn verkörperte. Die buddhistische anātman-Lehre (muga) bilde dabei das Herzstück, da in ihr alles enthalten sei, was den Geist Japans im Einzelnen konstituiere. Anātman lehre die Vernichtung des eigenen Selbst, sodass man sich vollkommen selbstlos für das japanische Gemeinwohl (messhi hōkō) und ehrerbietig für den Kaiser aufopfern könne; anātman sei fernerhin der Glaube an ein überindividuelles und unbegrenztes Leben, das sich im Schwur manifestiere, sieben Dieses Buch (dōgen zenji to shūshōgi) wird in der Bibliographie Yasutanis nicht aufgeführt, die 1976 als Teil der Yasutani Roshi Memorial Issue des Zen Center of Los Angeles publiziert wurde. Cf. Buksbazen 1976: 62. 35 Yasutani Ryōkō (a.k.a. Haku un). (1943) Dōgen Zenji to Shūshōgi (Zen Master ʾ Dōgen and the Shūshōgi), Tokyo: Fuji Shobō, p. 1. Zitiert nach: Victoria 2005: 69. 34

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Mal sterben zu wollen, um die Dankesschuld zu begleichen, die man gegenüber seinem Vaterland trage. Die anātman-Lehre statte die Menschen außerdem mit einer Tapferkeit, Courage und Kraft aus, die so dringend benötigt werde, um devot dem heiligen Vorhaben zu dienen, die »Acht Himmelsrichtungen« unter dem »Dach« der Großostasiatischen Wohlstandssphäre zu vereinen und das Reine Land bereits auf dieser Erde zu verwirklichen. 36 Während die Verehrung des Kaisers ein allgemeines Charakteristikum des japanischen Buddhismus sei, habe sich in Dōgens Person das Ideal eines Patrioten und Nationalisten in Perfektion verkörpert und in seinem BuddhaDharma artikuliert, der »throughly and completely, from beginning to end« 37 von der Pflicht der Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser und der Sorge um das Wohl der Nation durchdrungen sei. Yasutani erklärte Dōgen zur historischen Leitfigur seines radikal-nationalistisch gewendeten Zen-Buddhismus und deutete zu diesem Zweck in seinen Schriften nicht nur Dōgens Leben und Lehre soweit um, dass er darin als loyaler Anhänger und Diener des Kaisers und patriotischer Verteidiger der Nation erscheint, sondern stilisierte ihn auch zum ideologischen Vorläufer der Meiji-Restauration (1868–1890) und instrumentalisierte ihn somit als Propaganda-Mittel für den japanischen Militarismus. So wird auch Dōgens Interesse an der Verkündung und Verbreitung des Dharmas und dessen Reise nach China auf der Suche nach der wahren Lehre in Yasutanis Imagination kurzerhand von einem rein spirituellen zu einem patriotischen Akt verklärt und glorifiziert: [Dōgen] travelled to faraway great Song China in search of the true Dharma of the Buddha because, being deeply angered by the tyranny exercised by the military government in Kamakura and deploring the hardship endured by the Imperial House, he was consumed by his reverence for the emperor and concern for what he might do to ensure the welfare of this imperial land. If one thoroughly examines what Zen Master Dōgen accomplished during his lifetime, it is clear that he was determined to cultivate the foundation of the people’s spirit, causing them to awake to the true Spirit of Japan. 38

Auch die Praxis des Zazen habe Dōgen allen Bürgern Japans nicht primär um ihrer Erleuchtung willen gelehrt, sondern vielmehr um 36 37 38

Cf. Victoria 2005: 70. Dōgen Zenji to Shūshōgi, p. 21–22. Zitiert nach: Victoria 2005: 70. Dōgen Zenji to Shūshōgi, p. 21–22. Zitiert nach: Victoria 2005: 71.

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

zur Kultivierung des japanischen Geistes beizutragen. 39 Im Zazen aktualisiere sich nicht nur der authentische Weg des Farmers, des Kriegers, des Fabrikarbeiters oder Händlers, sondern vor allem der Weg des loyalen Staatsbürgers, der frei von Individualismus und Eigeninteressen nur noch dem Wohl des Kaisers und der Nation diene und seine ihm zugefallene Rolle innerhalb des Staates protestlos annehme und bedingungslos erfülle. Als Nationalist und Militarist, der die Bestrebungen Japans unterstützte, den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht- und Einflussbereich des Landes ständig auszudehnen, sah sich Yasutani mit den evidenten Widersprüchen zwischen seiner bellizistischen und imperialistischen Ideologie einerseits und den ethischen Grundsätzen des Buddhismus andererseits konfrontiert. Wie konnten die Schrecken des Angriffskrieges und das Morden im Namen Japans mit dem ersten ethischen Grundsatz des Buddhismus vereint werden, der explizit jedes Verletzen oder Töten empfindungsfähiger Wesen (pāṇātipāta) untersagt? Wie konnte die Kolonialherrschaft über Taiwan (1895–1945) und Korea (1905–1945) als Teil der generellen japanischen Expansionspolitik aus buddhistischer Perspektive gerechtfertigt werden, wenn der zweite ethische Grundsatz des Buddhismus ausdrücklich das Nehmen von Nichtgegebenem (adinnādāna) verbietet? Die Antwort fand Yasutani in der Philosophie des MahāyānaBuddhismus, die die Transgression ethischer Grundsätze als ein durch Mitleid (karuṇā) motiviertes, geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) in Ausnahmefällen legitimiert. So erklärt Śāntideva im Śikṣā-Samuccaya und Bodhicaryāvatāra, dass für das Heil der Wesen jedes Mittel gerechtfertigt sei. 40 Dieser Logik folgend, erklären einige Texte nun, dass es sogar verdienstvoll sei, wenn der Bodhisattva aus Mitleid und mit einer heilsfördernden (kuśala-citta) oder neutralen (avyākṛta-citta) Geisteshaltung einen Menschen als geschicktes Mittel töte, dabei die Wiedergeburt in der avīci-Hölle freiwillig in Kauf nehme und dieser Akt im Wissen darum geschehe, dass er alternativCf. Dōgen Zenji to Shūshōgi, p. 29–30. Zitiert nach: Victoria 2005: 71. »Then if he sees the greater advantage for beings let him transgress the rule.« Śikṣā-Samuccaya 8. In: Bendall/Rouse 2006: 163. »Selbst Verbotenes ist dem Mitleidigen gestattet, der den Nutzen erkennt.« Bodhicaryāvatāra 5, 84. In: Steinkellner 2005: 135. Es findet sich eine Vielzahl mahāyānistischer Texte, in denen die Transgression ethischer Grundsätze als Anwendung geschickter Mittel gerechtfertigt wird, u. a. Akṣayamatinirdeśa-Sūtra 19. In: Braarvig 1993: 569–575; Saddharma-Puṇḍarīka-Sūtra 2, 3. In: Borsig 2009: 98; Vimalakīrtinirdeśa 8. In: Burton, W. 2008: 94.

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los sei und den Getöteten vor schlimmeren Wiedergeburten bewahre. 41 Seine radikalste Zuspitzung hat diese buddhistische Rhetorik des Tötens allerdings im Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra und Aṅgulimālīya-Sūtra gefunden. Ersteres berichtet, wie der Buddha in einem früheren Leben als König einen Brahmanen tötete. Als Brahmane, der die buddhistische Lehre ablehnt und verschmäht, zählt er zu den sogenannten icchantikas, die nach buddhistischer Auffassung keine Anlage zur Buddhaschaft besitzen und in der avīci-Hölle wiedergeboren werden. Um dem Brahmanen sein Vergehen vor Augen zu führen und ihn dazu zu veranlassen, die buddhistische Lehre anzunehmen, habe der Buddha ihn in seiner früheren Geburt als König getötet. In der Hölle würde der Brahmane anschließend begreifen, dass seine anti-buddhistische Polemik für seine Ermordung und sein post-mortales Schicksal verantwortlich ist und daraufhin Anerkennung für die Wahrheit der Mahāyāna-Lehren empfinden, was eine Wiedergeburt außerhalb der avīci-Hölle zur Folge habe, wo er zehn Äonen (kalpas) lang leben werde: »O good man! Because of this, I, in 41 Cf. Madhyamakahṛdayakārika 4, D187b. In: Eckel 2008: 189. Im SaṃyuttaNikāya weist der Buddha die alte vedische Vorstellung zurück, derzufolge ein Söldner nach dem Heldentod in der Schlacht in den Himmel komme. Die gewalttätige Gesinnung, i. e. karmisch unheilsame Geisteshaltung (akuśala-citta) des Soldaten, der seinen Feinden ja den Tod wünscht, ist es, was hier zur Wiedergeburt in der Hölle führt. Cf. Saṃyutta-Nikāya 305. In: Bodhi 2000b: 1334 f. Rupert Gethin hat überzeugend nachgewiesen, dass aus Theravāda-Sicht der Akt des Tötens niemals mit einer heilsfördernden (kuśala-citta) oder neutralen (avyākṛta-citta) Geisteshaltung verbunden sein kann. Cf. Gethin 2004. Diese Möglichkeit wird im mahāyānistischen Upāsakaśīla-Sūtra hingegen explizit affirmiert. Cf. Upāsakaśīla-Sūtra 24, 1068c In: Shih 1994: 171. Während Asaṅga das Töten rein metaphorisch als Abschneiden kommender Wiedergeburten, i. e. als Erlösung interpretiert, darf Nāgārjuna zufolge »selbst eine Schädigung vorgenommen werden« wenn sie »einem anderen Nutzen bringt.« Ratnāvalī 3, 64. In: Okada 2006: 146. Cf. Mahāyāna-Saṅgraha 7, 10. In: Keenan 2003: 89. Dem Mahāyāna-Brahmajāla-Sūtra (3, 3a) zufolge vereitelt das Töten jegliche Erlösungsmöglichkeit und zieht den unmittelbaren Ausschluss aus dem Orden nach sich (pārājika). Cf. Muller 2012: 260. Im Kommentar des koreanischen Yogācārin Taehyeon (8. Jh.) zum Sūtra, das ab 753 n. Chr. auch unter japanischen Buddhisten bekannt war und dort einen enormen Einfluss ausübte, findet sich hingegen ein längeres Zitat aus der umfangreichen Yogacārabhūmi, das die mahāyānistische Apologie und Rhetorik des Tötens als gerechtfertigte Anwendung eines durch Mitleid motivierten geschickten Mittels expliziert. Cf. Śīlapaṭala der Bodhisattvabhūmi. In: Tatz 1986: 71; Beommanggyeong-Gojeokgi 3, 3, A, IIb. In: Muller 2012: 262 f. Dazu auch Schmithausen 2003a: 43 ff.; Schmithausen 2007: 429. Cf. Upāya-Kauśalya-Sūtra 3, 135–137. In: Tatz 1994: 74. Näheres zum Töten aus Mitleid bei Jenkins 2011.

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

the days gone by, gave this person a life of ten kalpas. How am I to be said to have killed?« 42 Während das Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra die karmische Folgenlosigkeit des Tötens eines icchantikas beschreibt und dabei das Motiv des Mitleids betont, findet sich eine konkrete Tötungsanweisung im Aṅgulimālīya-Sūtra, bei der das Mitleid für das Opfer und das Heil der getöteten Person keine konkrete Rolle mehr zu spielen scheinen. Hier wird der Mord an »unbelehrbaren Irrlehrern« nicht nur als karmisch folgenlos, sondern als Verehrung des eigenen Wesenskernes und Verehrung des Buddhas verherrlicht: Das die Handlungsnorm formulierende Wort (dharmapada) des Buddha besagt, dass man die übelgesonnenen (duṣṭa) Irrleher (pāṣaṇḍa), welche die vortreffliche Lehre (saddharma) zerstören, wie die unerschöpflichen Befleckungen der eigenen Person vernichten und gänzlich zuschanden machen soll; solche Handlungen sind nicht Zugrunderichten, sondern im Gegenteil Verehrung des eigenen Wesenskernes (oder des Buddha selbst). 43

Entgegen der immer noch verbreiteten Ansicht, es handle sich beim Buddhismus um eine radikal pazifistische Religion, deren gewalttätige Entgleisungen ein ausschließlich situationsbedingter Ausdruck individueller Krisen, sozialer Umbrüche oder gar struktureller oder ökonomischer Probleme darstellen müsse und dessen Lehre keine Grundlage zur Legitimierung von Gewaltanwendung biete, dokumentieren die angeführten Passagen eine genuin buddhistische Rhetorik des Tötens, die Yasutani problemlos für die religiöse Sanktionierung seiner imperialistischen, nationalistischen und bellizistischen Ideologie sowie die japanische Expansionspolitik und das Morden im Namen der Nation in Anspruch nehmen konnte:

Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra 15, 20b. In: Yamamoto, K. 1974: 393. Insgesamt unterscheidet der Buddha im Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra drei unterschiedliche Grade des Tötens nach Ausmaß ihrer karmischen Folgen. Die geringfügigste Form des Tötens betrifft das Töten von Insekten und Tieren, ausgenommen den in ein Tier transformierten Körper eines Bodhisattvas. Die schwerwiegendste Form des Tötens, die eine Wiedergeburt in der avīci-Hölle zur Folge hat, umfasst den Mutter- und Vatermord, den Mord eines Arhats, Pratyekabuddhas oder Bodhisattvas der letzten Stufe. Das Töten eines icchantika habe allerdings überhaupt keine negativen karmischen Auswirkungen, da es dem Graben eines Loches, dem Mähen des Rasens, dem Fällen eines Baumes oder dem Zerschneiden einer Leiche vergleichbar sei. Cf. Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra 15, 20b. In: Yamamoto, K. 1974: 394 f. 43 Aṅgulimālīya-Sūtra. In: Schmithausen 2003a: 31. Fußnote 35. Leicht modifiziert. 42

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

[O]f course one should kill, killing as many as possible. One should, fighting hard, kill everyone in the enemy army. The reason for this is that in order to carry [Buddhist] compassion and filial obedience through to perfection it is necessary to assist good and punish evil. However, in killing [the enemy] one should swallow one’s tears, bearing in mind the truth of killing yet not killing. Failing to kill an evil man who ought to be killed, or destroying an enemy army that ought to be destroyed, would be to betray compassion and filial obedience, to break the precept forbidding the taking of life. This is a special characteristic of the Mahāyāna precepts. 44 In making China cede the island of Taiwan, and, further, in annexing the Korean peninsula, our Great Japanese Imperial Empire engaged in the practice of a great bodhisattva, a practice that reveals itself through compassion and filial obedience. […]. In a similar manner we must throroughly and completely explain the great ideal of the founding of our nation, that is to say, the great spirit of the eight directions of the world under one roof. In so doing we will not only be able to clarify the understanding and conviction of our own people but, furthermore, make the various peoples of the world understand and acquiesce to our ideals. In truth, it is our Japanese Mahāyāna Buddhism that is fully equipped with the superb homilies necessary to accomplish this task. 45

Erst im Jahre 2000 hat sich der dritte Abt Akira Kubota Jiʾ un in einem öffentlichen Schreiben, das im Kyōshō-Magazin des Sanbō-Kyōdan publiziert wurde, für Yasutanis Aussagen entschuldigt. 46 Wie sich zeigen wird, besteht eine konstitutive Grundannahme von Loys Buddhismusinterpretation in der Überzeugung, dass die nonduale Erfahrung von Welt und Selbst den Erwachten frei macht von den Wurzeln unsittlichen Verhaltens und zugleich sittlich vervollkommnet. Der in Kreisen sozial-engagierter Buddhisten immer noch weit verbreitete Glaube, dass eine nonduale Erfahrung an und für sich soziale Kompetenz, ökologisches Engagement und eine gesellschaftspolitische Qualifikation impliziert, ist durch die historische Erscheinungsform des japanischen Kriegs-Zen und seines schrankenlosen Amoralismus wenn nicht bereits falsifiziert, so doch zumindest einer äußert schweren Prüfung ausgesetzt worden. Wenn die buddhistische kenshō- und satori-Erfahrung problemlos mit Nationalismus, Militarismus, Totalitarismus, Faschismus und anderen men44 45 46

Dōgen Zenji to Shūshōgi, p. 245–246. Zitiert nach: Victoria 2005: 72. Dōgen Zenji to Shūshōgi, p. 254–255. Zitiert nach: Victoria 2005: 72 Cf. Kubota 2001.

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Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen)

schenverachtenden Ideologien vereinbar ist und spirituelle Praxis offenkundig nicht Aggressionen und Ressentiments aufarbeitet, bewusst macht und abbaut, dann steht nichts weniger als das gesamte gesellschaftspolitische Alternativprogramm Loys in seinem vielleicht fundamentalsten Kernstück zur Disposition. Haradas und Yasutanis Kriegs-Zen (sensō-zen) konfrontiert Loy mit der entscheidenden Frage, wie tragfähig sein Programm eines auf nondualer Erfahrung gegründeten engagierten Buddhismus sein kann, wenn bereits die »erleuchteten« Meister seiner eigenen Tradition ein derart amoralisches Fehlverhalten dokumentieren (siehe 9.2.4.). Diese zentrale Herausforderung seiner Buddhismusinterpretation muss zudem im größeren Kontext der anhaltenden Debatte um das richtige Selbst- und Fremdverständnis des Zen-Buddhismus insgesamt gesehen werden, die Steven Heine in seiner Rekonstruktion in zwei antagonistische Lager unterteilt hat, deren jeweilige Standpunkte er als Traditional Zen Narrative (TZN) und Historical and Cultural Criticism (HCC) voneinander unterscheidet. Das traditionalistische Zen-Narrativ (TZN) präsentiere den Zen-Buddhismus als eine Vision nondualer Erfahrung »außerhalb der Schriften«, die frei von Anfechtung sei, weil sie nicht definiert werden könne und in ihrer genuinen Transrationalität jedem Erklärungsversuch widerstehe. Die literarischen Ausdrucksmittel der ansonsten radikal-ikonoklastischen Tradition seien diesem Zen-Verständnis zufolge lediglich als heuristische oder geschickte Mittel (upāya-kauśalya) anzusehen, die anhand von Paradoxa und anderen literarischen Techniken den Weg zur Stille und absoluten Wahrheit (paramārtha-satya) weisen, während der Zen-Buddhismus aufgrund seiner Betonung der Gleichheit aller Wesen und integralen Einheit der Wirklichkeit zudem ideal dafür geeignet sei, gesellschaftliches und ökologisches Engagement zu verstärken. Dieses Bild werde von Vertretern einer kulturwissenschaftlich-historischen Analyse und Kritik (HCC) hingegen als zutiefst ahistorische, stark idealisierte und insgesamt romantisch-verklärte Propagandavorstellung kritisiert und als unwissenschaftliche Spielform eines »invertierten Orientalismus« (reverse orientalism) abgewiesen, die mit dem japanischen Kriegs-Zen, dem innerhalb der Tradition real-existierenden Ritualismus mit seiner magisch-diesseitigen Denkweise sowie der extensiven Produktion schriftlicher Texte in China und Japan unvereinbar sei. 47 Es muss sich im Verlauf der 47

Cf. Heine 2008: 6–9.

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

Arbeit zeigen, inwiefern es Loy als Vertreter des traditionalistischen Zen-Narrativs (TZN) gelungen ist, in seiner Buddhismusinterpretation zwischen den beiden Extremen der propagandistischen Apologie und exzessiven Kritik der kulturwissenschaftlich-historischen Analyse selbstkritisch zu vermitteln.

2.3. Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys Im Gegensatz zu Harada und Yasutani ist über Loys persönlichen Lehrer Yamada bisher keine Verstrickung in den »Zen des Kaiserlichen Weges« bekannt geworden. Es ist zudem unklar, inwiefern er sich selbst mit der politischen Seite seines eigenen Lehrers Yasutani kritisch auseinandergesetzt hat. In seinem Nekrolog unterstreicht Yamadas Schüler und Loys Freund Ruben Habito hingegen drei spezifische Leistungen, um die sich Yamada in seiner Rolle als Linienoberhaupt besonders verdient gemacht habe: Die (1) Laisierung des Zen, die (2) Sorge um die soziale Dimension menschlicher Existenz und das (3) Durchbrechen traditioneller Grenzen zwischen Buddhisten und Christen. Habito sieht es als vorzügliche Leistung Yamadas an, die Laisierung des Zen entschieden voran getrieben und somit zu seiner weltweiten Verbreitung des Zen-Buddhismus beigetragen zu haben. Obschon sich unter den Mitgliedern des Sanbō-Kyōdan immer noch buddhistische Mönche und Tempelpriester, katholische Priester und Nonnen sowie evangelische Pastoren fänden, habe im San-un Zendō in Kamakura allzeit »a pervasive spirit of lay practice« 48 geherrscht. Das zentrale Ziel von Yamadas Bestrebungen sei die Überwindung der überkommenen Unterscheidung von religiösem und säkularem Leben und die Nivellierung der traditionellen Grenzen zwischen Mönchen und Laien gewesen, die in der buddhistischen Tradition gegenüber den monastischen Vertretern des Buddhismus als geringer eingeschätzt wurden. Galionsfigur dieser Haltung sei für Yamada der oft von ihm zitierte Laie Vimalakīrti gewesen, der im Vimalakīrtinirdeśa als Verkörperung der Weisheit erscheint und buddhistische Mönche und Bodhisattvas belehrt. 49 Als zweite Leistung Yamadas betont Habito dessen Sorge um die soziale Dimension menschlicher Existenz: Yamada sei zutiefst davon 48 49

Habito 1990: 234. Cf. Vimalakīrtinirdeśa 2–3. In: Thurman 2006: 20–33.

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Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys

überzeugt gewesen, dass mit der kenshō-Erfahrung die Erkenntnis der nondualen Einheit der Wirklichkeit einhergehe, durch deren existentielle Verwirklichung sich wahrhaft selbst-loses Handeln in der Welt als natürliche Disposition einstelle. In dieser zur Interdependenz mit allen belebten und unbelebten Phänomenen erwachten und auf die Gesamtheit der Existenz geöffneten Seinsweise identifiziere man sich in ebenso eindeutiger Weise mit der Totalität der Welt, wie man es zuvor mit seinem eigenen Körper getan habe. Dadurch sei der ichsüchtigen Neigung, andere Menschen, Tiere und nicht zuletzt die gesamte Ökosphäre als manipulierbare und instrumentalisierbare Objekte zu missbrauchen, radikal die Grundlage entzogen. Durch die Überwindung aller Empfindungen der Entfremdung und die simultane Realisation unserer gesamtexistentiellen Einheit mit allen Seinsformen, werde das Leiden aller Lebewesen zum eigenen Leid und die frühere Sorge um sich und das eigene Wohl in die altruistische Sorge um das Wohl der gesamten Werdewelt gewandelt. Wer in diesem holistischen Seinsmodus existiere, könne nicht mehr indolent und teilnahmslos die Leiden dieser Welt ungerührt ignorieren, sondern erfahre das akute Bedürfnis der aktiven Mit- und Umgestaltung der Lebenswelt. So diskutierte Yamada nicht nur zen-spezifische Themen in seinen Vorträgen und seinen publizierten Vorworten zu der im zweimonatigen Rhythmus erscheinenden offiziellen Zeitschrift des Sanbō-Kyōdan (kyōshō), sondern adressierte auch regelmäßig politische, ökonomische, ökologische und sozialpolitische Probleme und bekundete seine Sorge angesichts wachsender Armut und globaler Militarisierung. Habito erinnert sich in seinem Nekrolog an Yamadas Utopie, die er in Gesprächen und Vorträgen wiederholt artikuliert habe: »He sometimes spoke of the impossible dream of getting these world leaders together in a ›Zen summit‹ to tackle together the crucial problems confronting humankind based on a Zen process of self-emptying.« 50 Darüber hinaus sei das Durchbrechen traditioneller Grenzen zwischen Buddhisten und Christen ein wesentliches Verdienst seines Wirkens gewesens. Gegenüber Yasutani, der den christlichen Glauben an Gott noch als Hindernis auf dem Zen-Weg kritisiert hatte, bestand Yamadas progressiver Beitrag in der umfassenden Integration christlicher Laien, der ausschlaggebend dafür war, den Zusammenhang des Sanbō-Kyōdan mit der christlichen Rezeption des Zen50

Habito 1990: 235.

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

Buddhismus dauerhaft zu etablieren. 51 Durch die große Anzahl nichtjapanischer Christen unter Yamadas Schülern und Schülerinnen kam es im San-un-Zendō in Kamakura nicht nur zur unausweichlichen Begegnung der unterschiedlichsten Kulturen und Lebensformen, sondern auch zur Konfrontation christlicher und buddhistischer Theorie und Praxis. Die gemeinsame Meditation warf die Frage nach der interreligiösen Grundlage spiritueller Praxis auf und beförderte beiderseitige Transformationsprozesse und eine konstruktive Veränderung in Selbst- und Fremdwahrnehmung sowohl teilnehmender Buddhisten als auch Christen. Habito erinnert sich, wie die von Yamada gelebte authentische Offenheit gegenüber dem Christentum eine Atmosphäre der Innerlichkeit erzeugte, die es ihm erlaubte, seinen christlichen Glauben in einem zen-buddhistischen Kontext konkret und neu zu erfahren und wie diese interreligiöse Atmosphäre auch auf Yamada selbst zurückwirkte: We were allowed to have a Eucharistic celebration in a separate room while the Buddhists were in the main hall reciting the morning sūtras. It was in these very intimate Eucharistic celebrations during sesshin that Christian liturgical expressions came alive with cosmic, and at the same time quite concrete, significance. […] [H]e [Yamada; F. V.] himself gradually became more and more appreciative of those dimensions of the Christian religious tradition that somehow reverberated themes in the world of Zen, and he took up some of these themes in his own teishō now and then. Yamada Rōshi’s Zen life and teaching, in short, was simply bringing to its full implications the key principle in Zen of ›no reliance on words or concepts,‹ which means that it is a call to a constant return to the fundamental Zen experience, the experience of the world of emptinesss (›karappo no sekai‹ as he would frequently repeat in Japanese, even while he was on his sick-bed in the months preceding his passing). In this world of emptiness there is no longer Buddhist nor Christian. 52

Nach Sharf wurde diese interreligiöse Praxis zwischen Buddhisten und Christen durch einen von westlichen Diskursen geprägten Religionsbegriff ermöglicht, der einen spezifischen Erfahrungsmodus als irreduzible Grundlage und Essenz aller Religionen unabhängig ihrer kulturellen Erscheinungsformen behauptet. 53 So ist der Begriff der

51 52 53

Cf. Habito 1990: 235. Habito 1990: 236. Cf. Sharf 1995b: 228.

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Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys

»religiösen Erfahrung« Wayne Lee Proudfoot zufolge erst im späten 18. Jh. entstanden und verbindet sich primär mit den Werken Friedrich Schleiermachers (1768–1834), der Religion in der zweiten Rede Über die Religion (1799) als »Sinn und Geschmack für das Unendliche« 54 und in der Glaubenslehre (1821/22) als »Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit« 55 bestimmt hatte. 56 Von historisch entscheidender Bedeutung für das Zen-Verständnis des Sanbō-Kyōdan sind allerdings nicht die Schriften Schleiermachers, sondern die Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung (1876) sowie die zweibändige Kritik der reinen Erfahrung (1888/1890) von Richard Avenarius (1843–1896), die sich seit 1895 im Besitz von William James (1842– 1910) befanden und seinen »radikalen Empirismus« (radical empiricism) maßgeblich prägten. James entwickelte hier im Anschluss an Avenarius die wirkungsgeschichtlich folgenreiche Idee einer »reinen Erfahrung« (pure experience), der »per se kein Dualismus von Repräsentiertwerden und Repräsentanten« innewohnt: Das augenblickliche Feld des Gegenwärtigen ist zu jeder Zeit das, was ich ›reine‹ Erfahrung nenne. Objekt oder Subjekt ist diese soweit nur gewissermaßen oder potentiell. Solange sie als solche besteht, ist sie einfache, nicht näher bestimmte Wirklichkeit oder Existenz, ein einfaches Das. In dieser naiven Unmittelbarkeit ist sie freilich gültig; es gibt sie, wir wirken auf sie ein, und ihre retrospektive Verdopplung in einen mentalen Zustand und eine Wirklichkeit, auf die sich dieser Zustand bezieht, ist nur eine der Einwirkungen. 57

Der Weg dieser »reinen Erfahrung«, die »undifferenziert und undifferenzierbar in Gedanke und Gegenstand« 58 ist, lässt sich von Avenarius über James bis zu Kitarō Nishida (1870–1945) weiterverfolgen, der von seinem Schulfreund Daisetsu Teitarō Suzuki auf die Arbeiten von James aufmerksam gemacht worden war und die reine Erfahrung (junsui keiken) in seinem Hauptwerk Zen no Kenkyū (1911) rezipierte. 59 In dieser unmittelbaren und reinsten Form der Erfahrung gibt es Nishida zufolge »noch kein Subjekt und kein Objekt«, inso-

Schleiermacher 1868: 37. Schleiermacher 1960: 33. 56 Cf. Proudfoot 1985: xiii. 57 James, S. 2006: 19. Cf. Avenarius 1876; Avenarius 2004. Zur »reinen Erfahrung« bei Avenarius und deren Rezeption bei James siehe Lamberth 2004: 83–87. 58 James, S. 2006: 83. 59 Cf. Sharf 1998: 102. 54 55

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fern die Erkenntnis und ihr Gegenstand hier »völlig eins« 60 seien. 61 Es war wiederum Suzuki, der James’ Lehre von der reinen Erfahrung und Nishidas Interpretation derselben aufgriff und sie mit der Erleuchtungserfahrung des Buddhas und dem Wesen des Zen identifizierte sowie die buddhistische Lehre insgesamt als Form des radikalen Empirismus interpretierte. 62 Die Rhetorik der reinen Erfahrung erlaubte es Suzuki dabei, die vielfältigen, kulturell bedingten Manifestationen der Religionen von ihrem vermeintlich universellen Erfahrungskern zu unterscheiden. 63 Im Geiste Suzukis erklärte auch der Rainzai-Meister Zenkei Shibayama (189–1974) – ehemaliger Abt des Nanzen-ji-Tempels und Lehrer an der shin-buddhistischen Ōtani Universität in Kyōto, zu dessen Buch A Flower does not talk (1970) Suzuki das Vorwort verfasste –, dass Zen nicht auf den Buddhismus beschränkt sei, sondern die Wahrheit oder das Absolute selbst sei, insofern es als »unmittelbare ursprüngliche Erfahrung« alle »sektiererischen Unterscheidungen der Religionen und Philosophien« 64 übersteige. Durch die begeisterte Aufnahme der Schriften Suzukis und seiner Epigonen sowie den enormen Einfluss, den Suzukis psychologistische Interpretation auf die Wahrnehmung des ZenBuddhismus im Westen ausüben konnte, entstand auf diese Weise das modernistische Konstrukt des Zen als einer geschichts- und metaphysiklosen, rein erfahrungszentrierten und ikonoklastischen Tradition, die Natürlichkeit, Spontaneität und Freiheit gegen leere Scholastik und formalen Ritualismus setzt. 65 In den Augen der westlichen Zen-Gemeinde machte es gerade die charakteristische Eigenheit und Nishida 2001: 29. Eine eingehende Auseinandersetzung mit Nishidas James-Rezeption und seiner Lehre reiner Erfahrung findet sich bei Demmel 2004; Dilworth 1969; Elberfeld 1999: 81–88; Krueger 2006 und Odin 1996: 81–84. 62 »Buddhism is radical empiricism or experientialism, whatever dialectic later developed to probe the meaning of enlightenment-experience.« Suzuki, D. 2002: 42. »Buddhist philosophy […] starts from the absolute present which is pure experience, an experience in which there is yet no differentiation of subject and object, and yet which is not a state of sheer nothingsness.« Suzuki, D. 2002: 60. Näheres zu Suzukis propagandistischem »Zen-Orientalismus«, der in vielerlei Hinsicht das abschätzige Bild des Buddhismus in der Fremdwahrnehmung der christlichen Missionare umkehrte, findet sich bei Faure 1996: 53 f. und Borup 2004. 63 Cf. Sharf 1995b: 230; Sharf 2000: 273 ff. 64 Shibayama 2000: 17, 22. 65 Den vorläufigen Höhepunkt scheint diese Entwicklung in der These Astrid Heidemanns gefunden zu haben, es gäbe seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein vom Buddhismus vollkommen »unabhängiges Zen«. Heidemann 2013: 11. 60 61

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Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys

Anziehungskraft des Zen aus, keine glaubensbasierte Doktrin, Metaphysik oder bloß spirituelle Technik, sondern vielmehr selbst »reine Erfahrung« und als die vollständige und unmittelbare Erfahrung des Lebens die sprach-, kultur-, geschichts- und kontextinvariante Erfahrungsbasis aller Religionen zu sein. 66 Diesem anachronistischen Konstrukt war auch Yamada grundsätzlich verpflichtet. Religion bestand für Yamada nicht in einem spezifischen Korpus dogmatischer Glaubenssätze oder der sprachlich, historisch und kulturell bedingten Erscheinungsform einer religiösen Tradition, sondern in einer zeitlos gültigen Dimension nondualer Erfahrung, die für ihn den transreligiösen und synthetisierenden Einheits- und Quellgrund aller Religionen konstituierte. Dieses essentialistische Zen-Verständnis erlaubte den Christen unter Yamadas Führung eine rein phänomenologische Deutung der buddhistischen Lehre und Praxis und dadurch wiederum eine Implementierung zenbuddhistischer Meditations- und Kontemplationspraxis in den Kontext christlichen Glaubens. Auf diese Weise wurde für viele Christen eine Identifikation der spirituellen Erfahrung des (Zen-)Buddhismus mit der spirituellen Erfahrung christlicher Mystik möglich. Habito beschreibt Yamadas Zen-Verständnis entsprechend als »Weg reiner Erfahrung« jenseits religiöser und konfessioneller Grenzen: Zen is not a philosophy or school of thought, but a way of pure experience, independent of mental concepts. Given the proper guidance, a person assiduous in practice could be led to that pure and genuine Zen experience, whether that person were a professed Buddhist Christian, or what. He [Yamada; F. V.] stressed the point that Zen practice makes the Buddhist more fully a Buddhist, and suggested that the Christian could be a better Christian by living the Zen life. 67

In Deutschland verbindet sich Yamadas Einfluss vor allem mit den Namen seiner Schüler Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990) und Willigis Jäger sowie der evangelischen Pfarrerin Gundula Cf. Sharf 1993: 1 f. Bereits Ernst Benz hatte in seiner kritischen Darstellung der westlichem Umdeutung des Zen-Buddhismus und der Entstehung »seines Schattens, des Zen-Snobismus«, klar gesehen, dass Suzuki die »Ablösung des Zen von seinen buddhistischen Grundlagen und die dadurch geschaffene Voraussetzung für seine Verwestlichung« noch durch seine psychologische Interpretation der Erleuchtung (satori) und die Leugnung ihres metaphysischen Charakters intensiviert und damit insgesamt eine »Entbuddhisierung« des Zen in die Wege geleitet hatte. Benz 1962: 6, 22–26. 67 Habito 1990: 236. 66

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Der Sanbō-Kyōdan – Loys Zen-Buddhistische Gemeinschaft

Meyer. 68 Jäger und Meyer erhielten den höchsten Autorisierungsgrad als unabhängige Zen-Meister (shōshike) der Sanbō-Kyōdan-Linie und bildeten damit zeitweilig zusammen mit Akira Kubota Jiʾ un und Yamadas Sohn Yamada Ryōʾ un Masamichi, der im Oktober 2004 die Leitung als vierter Abt (kanchō) der Gemeinschaft übernommen hatte, die Führungsriege der Organisation. Am 11. Januar 2009 verließ Willigis Jäger formal den Sanbō-Kyōdan, um im Juni 2009 seine eigene Zen-Linie zu gründen, die er nach seinem Dharma-Namen Kyōʾ un (»Leere Wolke«) benannte. Die Kyōʾ un-Zen-Linie ist die erste eigenständige und unabhängige Zen-Linie in Europa und hat ihren Sitz auf dem Benediktushof in Holzkirchen in Unterfranken, wo auch weiterhin Yamadas modernistisch-universalistisches Zen-Verständnis propagiert wird, insofern auch Jäger »Zen« dezidiert als »Erfahrungsebene« bestimmt, die »das Rationale und Personale« aller Konfessionen und Religionen übersteigt und deren »wirkliche Einheit« und »spirituelle Quelle« 69 bildet. Auch die evangelische Theologin und von Jäger autorisierte Zen-Meisterin Doris Zölls, die 2007 die spirituelle Leitung des Benediktushofs übernahm, betont weiterhin diese »Kulturen und Religionen übergreifende Dimension des Zen.« 70 Wie die folgende Darstellung von Loys Philosophie der Nondualität im Einzelnen zeigen wird, ist Loy in allen drei Punkten, die Manfred Bergler teilt die Rezeptionsgeschichte des Zen-Buddhismus in Deutschland in insgesamt fünf Phasen ein. Zur Pioniergeneration der Zenforsching zählt Bergler (1) die christlich engagierten Religionswissenschaftler Hans Haas (1868– 1934) und Wilhelm Gundert (1880–1971) sowie die religionswissenschaftlich interessierten protestantischen Theologen Rudolf Otto (1869–1937) und Karl Heim (1874– 1958), von deren »exoterischer Betrachtungsweise« er wiederum (2) die »esoterische Betrachtungsweise« einiger Forscher unterscheidet, die den Zen-Buddhismus auch aus der persönlichen Erfahrung des Zen-Übenden kannten, wie Eugen Herrigel (1884–1955) und August Faust (1895–1945). Daran schloss sich nach Bergler (3) durch die Arbeiten von Daisetsu Teitarō Suzuki (1870–1966) und Carl Gustav Jung (1875–1961) eine Phase der »Verwestlichung« des Zen-Buddhismus an. Als vierte Phase nennt Bergler (4) das christliche Zen, wie es Heinrich Dumoulin (1905– 1995), Hugo-Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990) und Karlfried Graf Dürckheim (1896–1988) als bedeutendste Wortführer dieser Bewegung entwickelt haben. Die fünfte Phase bildet (5) die Szene der damaligen (1984) Gegenwart, die Bergler im Zeichen der Popularisierung und Säkularisierung einer Vielfalt von zen-buddhistisch orientierten Meditationspraktiken sieht. Cf. Bergler 1984. 69 Jäger/Zölls/Poraj 2009: 14. In dieser Erfahrung sind Jäger zufolge »alle dualistischen Unterscheidungen von Ich und Du, Subjekt und Objekt, wahr und falsch« aufgehoben. Jäger/Zölls/Poraj 2009: 16. 70 Jäger/Zölls/Poraj 2009: 84. 68

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Der konkrete Einfluss Yamadas auf das Denken Loys

Habito als spezifische Leistungen Yamadas namhaft macht, von seinem Lehrer nachhaltig beeinflusst worden. Die von Yamada forcierte Laisierung des Zen setzt auch Loy fort, indem er Privatschüler in ihrer Meditationspraxis, ihren Studien und ihrem Lebenspfad begleitet; Yamadas Sorge um die soziale Dimension menschlicher Existenz findet ihren Ausdruck in Loys sozial-engagiertem Buddhismus und das Durchbrechen traditioneller Grenzen zwischen Buddhisten und Christen setzt Loy fort, indem er das zugrundeliegende Zen-Verständnis als Hinleitung zu einer universal gültigen und transreligiösen Erfahrungsdimension in seiner Theorie nondualer Erfahrung expliziert und umfassend elaboriert.

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II. David R. Loys Philosophie der Nondualität 1. Konzeption: Der nonduale Ansatz

»There were not two; beholder was one with beheld; it was not a vision compassed but a unity apprehended.« 1 Diese von Plotin (205– 270 n. Chr.) beschriebene Erfahrung der Nondualität von Subjekt und Objekt zitiert Loy als Beleg für die außergewöhnlichste und kontraintuitivste Behauptung, die eine Vielzahl religiöser und philosophischer Traditionen nicht nur dokumentiere, sondern gegenüber unserer alltäglichen und dualistischen Erfahrung auch als wahrheitsgemäßer behaupte. Analoge Belege einer solchen nondualen Erfahrung ließen sich in zahlreichen Schriften sowohl westlicher als auch östlicher Provenienz nachweisen. So seien korrespondierende Aussagen in den Werken Meister Eckharts und Jakob Böhmes (1575–1624) sowie des englischen Malers, Dichters und Mystikers William Blake (1757–1827) zu finden. In impliziter und expliziter Form sei diese nonduale Erfahrungsdimension auch in den philosophischen Systemen von Baruch de Spinoza (1632–1677), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), Arthur Schopenhauer (1788–1860), Henri-Louis Bergson (1859– 1941), Alfred North Whitehead (1861–1947), Nietzsche (1844– 1900), Heidegger (1889–1976) und Wittgenstein (1889–1951) angesprochen. Loy entwickelt seine Philosophie der Nondualität allerdings primär an drei asiatischen Systemen: Dem Taoismus, dem Mahāyāna-Buddhismus und dem Advaita-Vedānta, die er als bedeutendste Repräsentanten einer nondualen Denkt- und Erfahrungstradition Asiens versteht. Das gemeinsame Merkmal dieser Systeme sei es, dass sie unsere alltägliche und dualistische Erfahrung der Welt

Zitiert nach: Loy 1997a: 1. Cf. Enneade VI, IX, 11, 73: »Da es nun nicht zwei waren, sondern er selbst, der Schauende, mit dem Geschauten eins war (es ist also eigentlich nicht ›Geschautes‹, sondern sozusagen ›Geeintes‹), so trägt er, wenn er sich nur an seinen Zustand im Augenblick der Vereinigung erinnert, ein Abbild von Jenem in sich.« In: Harder 1956: 203.

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

mit einem alternativen Erfahrungsmodus kontrastieren, in dem sich die wahre Natur der Realität als nonduale und integrale Totalität offenbare. Dass diese religiösen Denksysteme zudem auf derselben nondualen Erfahrung basieren und sich ihre Unterschiede erst aus der reflektierenden und interpretierenden Wiedergabe dieser Erfahrung ergeben, ist für Loy Beweisziel und heuristisches Prinzip seiner Studie zugleich. Diese ausschließlich in der Erleuchtung erfahrbare Nondualität sei derart charakterisiert, dass in ihr keine Unterschiedenheit mehr zwischen Subjekt und Objekt wahrgenommen und die Welt nicht mehr als Ansammlung diskreter Entitäten, die in Zeit und Raum interagieren, erfahren werde. Da unser natürliches und alltägliches Bewusstsein und Wissen allerdings über Intentionalität, i. e. einen unauflösbaren Objekt-Bezug definiert werde und dadurch gekennzeichnet sei, dass es immer Bewusstsein/Wissen von einem Objekt für ein Subjekt ist, entziehe sich diese nonduale Erfahrung zwangsläufig dem Zugriff durch diskursiv-thetisches Denken, das auf der erkenntniskonstitutiven Dualität von Subjekt und Objekt basiert. 2 Der vorphilosophische und vormeditative Standpunkt könne sich in dieser tieferen Erfahrungsdimension folglich nicht selbst durchdringen und begreifen, weil er seinen Gegensatz, den absoluten Standpunkt nondualer Erfahrung, im Medium des Begriffs nicht bloß faktisch, sondern notwendig missverstehen müsse. Zum nondualen Erfahrungsmodus und Standpunkt übergegensätzlicher Wahrheit könne es demnach nur unter Voraussetzung und durch die radikale Transzendierung des dualen Erfahrungsmodus selbst kommen. Daher überschreite die nonduale Erfahrung auch notwendig den Kompetenzbereich einer auf begrifflicher Reflexion beruhenden Philosophie, die in letzter Konsequenz unweigerlich einer meditativen Praxis weichen müsse, die Loy als notwendige Bedingung der Möglichkeit Intentionalität ist Edmund Husserl (1859–1938) zufolge »die Eigenheit von Erlebnissen, ›Bewußtsein von etwas zu sein‹.« Husserl 1992a: 188. Diese intrinsische Intentionalität des Bewusstseins, die in einem konstitutiven und irreduziblen Korrelationsverhältnis von reinem Ich und phänomenalem Objekt besteht, ist es, was nach Husserl »Bewußtsein im prägnanten Sinne charakterisiert«. Husserl 1992a: 187. Wahrnehmen sei daher immer »Wahrnehmen von etwas«. Husserl 1992a: 188. Zum cogito selbst gehöre daher ein »ihm immanenter ›Blick-auf‹ das Objekt, der andererseits aus dem ›Ich‹ hervorquillt, das also nie fehlen kann.« Husserl 1992a: 75. In jedem aktuellen cogito richte sich somit ein vom reinen Ich »ausstrahlender ›Blick‹ auf den ›Gegenstand‹ des jeweiligen Bewußtseinskorrelats, auf das Ding, den Sachverhalt usw.« und vollziehe »das sehr verschiedenartige Bewußtsein von ihm.« Husserl 1992a: 188.

2

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nondualer Erfahrung postuliert: »[P]hilosophy cannot grasp the source from which it springs and so must yield to praxis: the intellectual attempt to grasp nonduality conceptually must give way to various meditative techniques which, it is claimed, promote the immediate experience of nonduality.« 3 Die wahre Natur der phänomenalen Wirklichkeit könne aus Sicht der nondualen Traditionen demnach nur vom beide Erfahrungsarten zugleich erfassenden Standpunkt der Nondualität aus erkannt werden. So erkannte der zur Buddhaschaft strebende Bodhisattva Siddhārtha Gautama im Zusammenhang mit der Erleuchtung unter dem Pipal-Baum (ficus religiosa) die Wahrheit über den saṃsāra im Konditionalnexus des Entstehens (pāḷi paṭicca-samuppāda; skt. pratītya-samutpāda), der die Leid hervorbringenden, kausal miteinander verknüpften Faktoren beschreibt und den Prozess der Wiedergeburt illustriert. Nur aus der nirvāṇischen Erleuchtungsperspektive konnte der Buddha den wahren Wirkzusammenhang des saṃsāra durchschauen; das Wesen des nirvāṇa ist für Loy hingegen für niemanden, der noch im saṃsārischen Verblendungszusammenhang steht, erkennbar. Letztlich reduziere sich die Möglichkeit der Verifikation einer nondualen Erfahrungsdimension daher auf die nonduale Erfahrung selbst, die man entweder selber oder ein anderer gemacht haben müsse, dessen Zeugnis man geneigt sei zu akzeptieren. 4 Darin läge auch die genuine Herausforderung und unvermeidliche Spannung einer systematischen Philosophie der Nondualität begründet, deren unmittelbare Erfahrung weder begrifflich erlangt noch letztgültig rekonstruiert und verstanden werden könne: »There Loy 1997a: 5. Bereits der Buddha hatte in einem berühmten Passus aus dem Kālāma-Sutta des Aṅguttara-Nikāya dem von einer Vielzahl konfligierender Lehrmeinungen verwirrten Volk der Kālāmer geraten, nur die persönliche Erfahrung zum Maßstab ihrer Überzeugungen zu machen und sich nicht auf die zehn Quellen des Glaubens zu verlassen, von denen vier die Autorität heiliger Schriften (mündliche Tradition, Lehrnachfolge, Hörensagen und Textsammlungen), vier rationale Erwägungen (Logik, Schlussfolgerung, vernünftiges Überlegen und die Akzeptanz einer Anschauung, nachdem sie gründlich überdacht wurde) und zwei die vermeintliche Autorität eines charismatischen Redners oder die eines spirituellen Meisters (guru) betreffen. Cf. Aṅguttara-Nikāya 3, 66. In: Nyānatiloka 1993a: 168. Cf. Bodhi 2012: 280 (hier Aṅguttara-Nikāya 3, 65, respektive I, 189). Allerdings räumt Loy zugleich ein, dass selbst die nonduale Erfahrung für einen Skeptiker nicht zwingend sei und leicht als trügerisches, bloß ozeanisches Gefühl in Frage gestellt und rein naturalistisch erklärt werden könne. Cf. Loy 1997a: 6 f. 3 4

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is no argument which, using the premises of our usual dualistic experience (or understanding of experience), can provide a valid proof that experience is actually nondual.« 5 Trotz dieses finalen Unvermögens philosophischer Reflexion haben die nondualen Systeme sich nicht auf ihre kontemplative Praxis allein beschränkt, sondern diese nonduale Erfahrung in einem umfangreichen Korpus philosophischer Schriften reflektiert, der die materiale Basis für Loys hermeneutisch-phänomenologische Studie und systematische Rekonstruktion bildet. Insofern Loys These zufolge allen drei Systemen (Taoismus/Mahāyāna-Buddhismus/Advaita-Vedānta) dieselbe phänomenale Erfahrung zugrunde liegt und sich alle metaphysischen Kategorien aus dieser Erfahrung deduzieren lassen, biete sich indes die Möglichkeit, theoretische Divergenzen und kontradiktorische Ontologien aus den nachträglichen und notwendig insuffizienten, diskursiven Explikationsversuchen und unterschiedlichen Akzentuierungen dieser transdiskursiven Erfahrung zu erhellen und durch eine rückführende Anbindung an die gemeinsame Erfahrungsgrundlage zu vermitteln. 6 Dies ist auch die heuristische Annahme, auf deren Grundlage Loy eine Kerntheorie der Nondualität entwirft, deren Anspruch es ist, verschiedene, scheinbar disparate Postulate der nondualen Systeme zusammenzuführen und in einer konsistenten Metaphilosophie zu vermitteln. Loys Ansatz ist also primär hermeneutisch motiviert: [T]his work is not an attempt to establish, in some supposedly objective and rigorous fashion, whether our experience is or can be nondual. Instead, I shall construct a theory which is coherent in that it integrates a large number of otherwise disparate philosophical claims, and which is hence plausible as a systematic interpretation of these claims. 7

Über diesen konzilierenden Beitrag zu den östlichen Weisheitslehren hinaus ist Loys systematisches Interesse an den nondualen Systemen auch auf deren potentiellen Nutzen für die technisiserte und durch einen fortschreitenden, gesellschaftlichen Atomismus gekennzeichnete Industriezivilisation des Westens mit ihren ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen gerichtet:

5 6 7

Loy 1997a: 8. Cf. Loy 1997a: 4 f. Loy 1997a: 6.

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I write this book because I believe it is relevant to more than just our scholarly understanding of Asian philosophy: I hope that its critique of subject–object dualism helps to challenge the dualistic categories that have largely determined the development of Western civilization since Aristotle. […]. Despite increasing suspicion about the merits of technocratic society and the dualistic mode of experiencing that undergirds it, there is no agreement about what the root of the problem is and therefore what alternative there might be. 8

Loy zufolge sind die nondualen Traditionen des Ostens für den Westen folglich von doppeltem Nutzen: Einerseits können sie uns über die wahren Ursachen unserer individuellen und kollektiven Probleme aufklären und andererseits scheinen sie dazu auch noch das probate Heilmittel an der Hand zu haben, insofern die praktische Erfahrung der Nondualität nicht nur die wahre Natur der Wirklichkeit offenbare, sondern zugleich auch eine in diesem Leben erfahrbare Erlösung für das Individuum verspreche und damit eine potentiell sinnrestituierende Antwort auf die von Loy diagnostizierte nihilistische Krise der Gegenwart bietet. Der Buddhismus kann der Kultur des Westens in einer zunehmend globalen Situation mitsamt ihren beispiellosen Risiken folglich das bieten, was sie Loy zufolge am meisten braucht: »[T]he spiritual message that may yet awaken us to who we are and why we as a species have such a penchant for making ourselves unhappy.« 9 Damit die buddhistische Lehre ihre Wirksamkeit in der gerade entstehenden Weltkultur entfalten könne, müsse sie sich allerdings unweigerlich den modernen Lebensformen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen anpassen und im wechselseitigen Austausch mit dem säkularen Weltbild und dem Wertesystem der jeweiligen Gesellschaft des Westens neue Ausdrucksformen generieren, die direkt zu dieser Kulturgemeinschaft sprechen und auch diejenigen Menschen existentiell tangieren und intellektuell überzeugen, die sich normalerweise nicht für asiatische Kulturen und den Buddhismus in der Vielfalt seiner Erscheinungsformen interessieren. Es ist daher Loys ambitioniertes Hauptbestreben und vorrangigstes Ziel, mit seiner Philosophie der Nondualität die Grundmerkmale eines zeitgenössischen Buddhismus zu entwerfen, der den konstitutiven Lehren seiner Überlieferung treu bleibt, dabei aber gleichzeitig mit 8 9

Loy 1997a: 13. Loy 2008: 4.

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

der Moderne und vielen typischen Kennzeichen des heutigen Weltbildes vereinbar sein will, ohne ihn dabei auf seine philosophischen, ethischen und psychologischen Aspekte zu reduzieren. 10 Eine solche Buddhismusinterpretation schließt für Loy fraglos auch bedeutsame Veränderungen an den vormodernen Überzeugungen der eigenen Tradition mit ein, die angesichts der Erkenntnisse der westlichen Philosophie sowie der modernen Natur- und Sozialwissenschaften keine uneingeschränkte Plausibilität mehr für sich beanspruchen können. Ein kontrastierender Vergleich der überwiegend dualistischen Denkmuster des Westens mit den spezifisch nondualistischen Erkenntnisformen des Ostens soll daher auch die unbewussten Voraussetzungen des asiatischen Buddhismus freilegen und einer kritischen Reflexion zugänglich machen, um idealerweise beide Dialogpartner zu einem vertieften Selbstverständnis und einer grundlegenden Neubesinnung zu führen. Die Relativierung äußerer Formen und schriftlicher Offenbarung durch die Integration einer nondualen Erfahrungsdimension birgt für Loy nicht zuletzt auch das genuine Potential, die Weltreligionen auf die apophatische Dimension ihrer Traditionen hin zu öffnen, vor deren Hintergrund dogmatische Differenzen untereinander relativ erscheinen. Durch diesen interreligiösen Dialog und nondualen Zugang zur Wirklichkeit könnten die religiösen Traditionen zudem zukunftsfähig werden für das Zusammenleben in einer Situation des religiösen Pluralismus und globaler gegenseitiger Abhängigkeit und Weltverantwortung. Loy ist davon überzeugt, dass eine angemessene Antwort auf die kollektive Herausforderung des zeitgenössischen Materialismus und Nihilismus sowie deren ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen nur gefunden werden kann, wenn sich die Religionen interreligiös organisieren und solidarisch zusammenarbeiten. Eine interreligiöse Theologie und lebendige Religiosität der Nondualität birgt für Loy damit ein unverzichtbares Potential im vordringlichen Kampf gegen die ubiquitären Sinnerosionen des materialistisch-naturalistischen Reduktionismus, Säkularismus und Atheismus, sodass eine philosophische Einholung und kritische Aneignung der nondualen Traditionen Asiens unbedingt geboten ist, um ein weltweites Umdenken zu lancieren: »In place of an internecine feud among rival opposition parties, which enervates them and keeps them from becoming genuine rivals to the 10

Cf. Loy 2015a: 2 f.

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Die nonduale Dialektik der Leere

incumbent government, we have a united front which must be taken seriously.« 11

1.1. Die nonduale Dialektik der Leere Loy verwendet den Begriff der Nondualität primär zur Kennzeichnung der Nichtzweiheit von Subjekt und Objekt. 12 Insgesamt könnten allerdings mindestens fünf unterschiedliche, eng miteinander verknüpfte Bedeutungsdimensionen des Begriffes expliziert werden, die er als (1) Negation dualistischen Denkens, (2) Nonpluralität der Welt, (3) Nondualität von Subjekt und Objekt, (4) Nondualität von Dualität und Nondualität und (5) unio mystica zwischen Gott und Mensch bezeichnet und voneinander unterscheidet. 13 Über die Negation dualistischen Denkens (Subjekt-Seite) und die korrelierende Einsicht in die Nonpluralität der Welt (Objekt-Seite) führe dieser Reduktionsprozess zu der Erkenntnis, dass unsere Erfahrung ihrem Wesen nach in Wirklichkeit nondual sei und damit jeder Trennung in Subjekt und Objekt vorausliege (Reflexionsstufe 1). Eine exzellente Analogie für diese Erfahrung habe der japanische Philosoph und Zen-Buddhist Shinʾ ichi Hisamatsu (1889–1990) in seiner Charakterisierung des »ostasiatischen Nichts« als leeren Raum gegeben. Demnach sei die buddhistische Leere »allpervasive, unobstructed and unobstructing, pure, formless, unattainable, stable, empty, unattached, impartial, voiding voidness (beyond the distinction between void and non-void), and without any distinction between inner and outer.« 14 Während der leere Raum aber normalerweise als leb- und bewusstlos vorgestellt werde, erweitert Loy dieses Bild zur GeistRaum-Analogie (»mind-space-analogy«), denn die letzte Wirklichkeit sei im Taoismus, Mahāyāna-Buddhismus und Advaita-Vedānta der Grund von allem einschließlich allen Bewusstseins. 15 Die entLoy 1997a: 14. Cf. Loy 1997a: 9. 13 Cf. Loy 1997a: 17. 14 Loy 1983: 415. Hisamatsu selbst spricht von »no-obstruction […] omnipresence […] impartiality […] broad and great […] formless […] purity […] stability […] voiding-being […] voiding-voidness […] without obtaining.« 1960: 80 f. Eine detaillierte Darstellung des »ostasiatischen Nichts« findet sich bei Nambara 1960. 15 Eine ausführliche Analyse der Geist-Raum-Analogie findet sich in Loy 1997a: 261–276. 11 12

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

scheidende Frage sei allerdings nun, wie das Verhältnis des nondualen Geistraumes zur Dualität der phänomenalen Mannigfaltigkeit, respektive die Dualität von dualer und nondualer Erfahrung in den einzelnen Systemen bestimmt werde (Reflexionsstufe 2). Während im Sāṅkhya-Yoga der Pluralität der Menschen die Pluralität einzelner Geisträume (puruṣa) korreliere und deren unvermittelbare Differenz zur materiellen Mannigfaltigkeit (prakṛti) in letzter Konsequenz nicht nur dual, sondern plural bleibe, habe der Advaita-Vedānta diese Vielheit einzelner Geistmonaden zwar zugunsten eines Geistmonismus verworfen, aber diese letzte Dualität ebenfalls unvermittelt gelassen, um den erlösungskonstitutiven Geistraum radikal von der phänomenalen und illusionären Mannigfaltigkeit abzuheben. Der frühe Sthavīravāda-/Theravāda-Buddhismus habe wiederum den entgegengesetzten Schluss gezogen und den leeren Geistraum als phänomenales Nichts zugunsten der phänomenalen Mannigfaltigkeit verworfen, während der Taoismus eine Haltung des sowohl-als-auch kultiviert habe, die sowohl der Nondualität als auch der Dualität Realität attestiere. Der Madhyamaka-Buddhismus habe auf die Herausforderung einer adäquaten Verhältnisbestimmung von dualer und nondualer Erfahrung hingegen mit der Lehre der zwei Wahrheiten (dvayasatya) reagiert und zwischen einer bedingten und provisorischen Wahrheit für uns und einer unbedingten und endgültigen Wahrheit an sich unterschieden: Durch die nonduale Erfahrung werde die phänomenale Welt dualer Erfahrung als ein Standpunkt weltlich-verhüllter Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) und empirischkonventioneller Lebenspraxis (vyavahāra) erkannt. Angesichts des begriffsinhärenten Dualismus und dem damit einhergehenden Unvermögen der philosophischen Reflexion könne aber auch der Nondualität in letzter Konsequenz keine Realität attestiert werden, da das Konzept der Nondualität von dem der Dualität abhängig und somit leer (śūnya) sei, weshalb von einem absoluten Standpunkt (paramārtha-satya) aus gegenüber allen gnoseologischen und ontologischen Fragen konsequent geschwiegen werden müsse. Die von Loy als Nondualität von Dualität und Nondualität priorisierte Ideallösung dieses Verhältnisses, die weder an der Leere und Nondualität anhaftet und somit die phänomenale Welt entwertet, wie dies Loy dem Advaita-Vedānta vorwirft, noch an den welthaften Phänomenen und der Dualität anhaftet und somit den leeren Geistraum negiert, wie dies im Abhidharma-Buddhismus der Fall sei, findet ihren paradigmatischen und pointierten Ausdruck im berühmten 102 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Die nonduale Dialektik der Leere

Vers aus dem Herz-Sūtra (prajñāpāramitā-hṛdaya-sūtra): »Form is no other than emptiness, and emptiness is no other than form« 16. Damit werde auch die hypostasierte Vorstellung eines statischen Geistraumes, der die von ihm unterschiedenen Phänomene manifestiere, zugunsten einer ursprünglicheren, dynamischeren, aktiveren und kreativeren Form der Nondualität aufgelöst und vermittelt. Für Loy gibt es daher keine zwei Dimensionen – Geistraum und Phänomene – deren Verhältnis es nachträglich zu bestimmen gilt, sondern allein das ursprünglich nonduale Erfahrungsfeld leerer Phänomenalität, dem kein unvergängliches Substratum unterliegt und keine erfahrungstranszendente Seinssphäre vorgelagert ist: »[C]hanging yet unchanging, since phenomena change although their nature as empty does not.« 17 Bei dieser Denkbewegung, die über die Negation aller Dualität und Phänomenalität durch den Nullpunkt des Bewusstseinsfeldes jenseits aller Erscheinungsformen und die negatio negationis zurückführt in die existentiell gewandelte Lebenswelt der Nondualität von Form (rūpa) und Leere (śūnyatā), beruft sich Loy u. a. auf die in der Tʾ ang-Dynastie (618–907 n. Chr.) in China entstandene Lehre der sogenannten »fünf Stufen« (chin. wu wei pʾ ien-cheng) des chinesischen Chʾ an-Meisters Tung-shan Liang-chieh/Dongshan Liangjie (jap. Tōzan Ryōkai, 807–869 n. Chr.), der zusammen mit seinem Schüler Tsʾ ao-shan Pēn-chi/Caoshan Benji (jap. Sōzan Honjaku, 840–901 n. Chr.), zum Namensgeber der chʾ an-buddhistischen Tsʾ ao-tungSchule (tsʾ ao-tung-tsung/cao-dong-zong, jap. sōtō-shū) wurde. 18 Loy 1983: 421. Cf. Conze 2002: 169. Loy 1983: 421. 18 Der Name der Ts ao-tung-Schule ist aus einer Zusammenziehung der Schriftzeiʾ chen der beiden Gründerfiguren entstanden, die wiederum nach den Bergen benannt wurden, auf denen ihre Klöster standen. Eine andere Theorie besagt, dass das erste Schriftzeichen (tsʾ ao) in Tsʾ ao-tung nicht auf Tsʾ ao-shan zurückgeht, sondern sich vom Namen des Wohnsitzes Tsʾ ao-hsi Hui-nengs ableitet, wodurch die Herkunft der Schule von Hui-neng als sechstem Patriarchen des Chʾ an-Buddhismus ausgewiesen werden soll. Cf. Dumoulin 1985: 207, 323. Das Denken Tung-shans und Tsʾ aoshans ist wiederum stark vom Mahāvaipulya-Buddhāvataṃsaka-Sūtra, den darauf basierenden Lehren des Hua-yen-Buddhismus und Hua-yen-Denkern wie Fa-tsang/ Fazang (643–712 n. Chr.) oder Chʾ eng-kuan/Chengguan (737–839 n. Chr.) beeinflusst worden. Cf. Benická 2007. Vor allem die Lehre der Nondualität von li (Eigentlichsein/ Wirk-lichkeit) und shi (sachhaltiges Zeitlich-Sein) hat sich stark auf das Praxis-Verständnis der Tsʾ ao-tung-Schule ausgewirkt. Näheres zur deutschen Übersetzung und Diskussion beider Begriffe im Kontext der Hua-yen-Philosophie bei Obert 2000: 101– 106. 16 17

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

Die Lehre, die Tung-shan laut Überlieferung bereits von seinem Meister Yün-yen Tʾ an-sheng/Yunyan Tansheng (780–841 n. Chr.) wie eine Geheimlehre anvertraut worden sein soll, umfasst dabei folgende Stufen: (1) das Relative im Absoluten (cheng-chung-pʾ ien, jap. shōchūhen); (2) das Absolute im Relativen (pʾ ien-chung-cheng, jap. henchūshō); (3) den Ausgang aus dem Absoluten (cheng-chung-lai, jap. shōchūrai); (4) die Ankunft im Relativen (chien-chung-chih, jap. kenchūshi) und (5) das Fortschreiten in der Nondualität des Relativen und Absoluten (chien-chung-tao, jap. kenchūtō). 19 Entscheidend für Loys Verständnis der Nondualität sind hierbei die Stufen drei bis fünf. Stufe drei beschreibt die äußerste Grenze der Negation und Reduktion, in der die gesamte Subjekt-Objekt-Spaltung zusammen mit der phänomenalen Mannigfaltigkeit des Bewusstseinsfeldes mit einem Schlag transzendiert wird. Allein die Negation des objektvierenden Bewusstseins und die Aufhebung aller Dualität erweist sich nicht als End-, sondern Inversionspunkt des spirituellen Pfades, denn der Durchgang durch den radikalen Negativismus absoluter Leere führt zu einer weiteren Präliminarstufe, in der die Rückwendung in die Phänomenalität vollzogen wird. Die absolute Leere ist für sich also nichts. Sie ist nur die Auflösung der Phänomenalität und zugleich ihr höchstes Prinzip, auf das sich alle Mannigfaltigkeit reduzieren lässt und von dem alle Phänomenalität gleichzeitig begründet wird. Die Leerheit kann sich aber nur in der Erfahrung der Vielheit offenbaren, also im Entstehen von etwas Bestimmtem, Begrenztem und Endlichem, denn sie ist die Mitte aller polaren Extreme, die sich nur inmitten der wesenhaft korrelativen Phänomenalität offenbart. Auf der vierten Stufe bleiben ewige Leere und unendliche Form dabei aber eins und dasselbe, nur unter zweierlei Modi erfahren. Dem Wesen nach herrscht hier die vollkommene Nondualität zwischen Dualität und Nondualität als einer absoluten Synthesis des Absoluten und Relativen. Von einer Manifestation oder Schöpfung kann für Loy daher nicht die Rede sein, sondern nur von der gänzlichen Gleichheit und Zugleichheit der Leere und Form. Die phänomenale Welt ist daher nichts anderes als die unter der SubjektBenická übersetzt cheng (jap. shō) mit »right« und pʾ ien (jap. hen) mit »biased«. Cf. Benická 2007: 231. Buswell und Gimello übersetzen cheng (jap. shō) mit »absolute« und pʾ ien (jap. hen) mit »relative«. Cf. Buswell/Gimello 1992: 9. Zur Bedeutung beider Wörter schreibt Verdú: »Cheng (the straight) denotes absoluteness, substance, equality, and ideal principle. P’ien (the biased) denotes relativity, diversity, function, concreteness, matter, and so forth.« Verdú 1974: 118. 19

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Die nonduale Dialektik der Leere

Objekt-Korrelation bestimmt gesetzte Selbsterscheinung der Leere selbst, die zur Unendlichkeit endlicher Formen hypostasiert wird. In der abschließenden fünften Stufe vollendet sich der transformative Weg, der von einem anthropozentrischen Weltbild zu einem kosmozentrischen Selbstbild, vom individuellen Selbstbewusstsein zum kosmischen Universalbewusstsein führt. Diese Stufe findet ihren natürlichen Ausdruck in der Aktivität eines Bodhisattvas, der existentiell gegründet in die absolute Wahrheit (paramārtha-satya) und Weisheit (prajñā) der Leere frei wird zu wahrhaft selbstlosem Mitgefühl (karuṇā) und altruistischem Handeln in der phänomenalen Welt relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya). Diesem Transformationsprozess entspricht strukturell auch die buddhistische Parabel vom Ochsen und seinem Hirten (shih niu tʾ u, jap. jyūgyūzu), die dem chinesischen Chʾ an-Meister des zwölften Jahrhunderts Kuo-an Shih-yüan/Kuoān Shīyuan (jap. Kaku-an Shien, 12. Jh.), zugeschrieben wird und die in ihrer klassischen Form in zehn Bildern die Entwicklungsstadien des Erleuchtungswegs des ZenAdepten veranschaulicht und kodifiziert. Auch hier findet Loy in den Bildern acht bis zehn die für sein Denken so zentrale Vorstellung einer sukzessiven Rückkehr zur Phänomenalität, die in der Realisierung der Nondualität von Dualität und Nondualität kulminiert. Der achten Tuschezeichnung, die einen leeren Kreis zeigt und den Loy mit Tung-shans dritter Stufe (»der Ausgang aus dem Absoluten«) identifiziert, folgt die Darstellung eines blühenden Zweigs auf der neunten Tuschezeichnung, der die Integration wieder auflebender Phänomenalität symbolisiert und den Loy mit Tung-shans vierter Stufe (»die Ankunft im Relativen«) identifiziert: »Emptiness at this stage is found in phenomena of the everyday world.« 20 Einerseits sieht der Bodhisattva die phänomenale Welt von nun an sub specie vanitatis et vacui in ihrer nondualen Eigentlichkeit; andererseits erfährt er sich weiterhin als in der Welt der empirischen Vielfalt agierendes Subjekt. Doch die welthaften Phänomene sind nun völlig verwandelt und transparent für ihre Leerheit geworden, sodass sich ihre phänomenale Anwesenheit und Abwesenheit ungehindert durchdringen und beide Perspektiven keinen Gegensatz mehr verkörpern. In den Worten des britischen Anglistik-Professors Reginald Horace Blyth (1898–1964), der Loys Lehrer Robert B. Aitken während ihrer gemeinsamen Zeit in einem japanischen Internie20

Loy 1983: 421.

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

rungslager für den Zen-Buddhismus begeisterte, sind die Dinge fortan »beautiful–but not desirable; ugly–but not repulsive; false–but not rejected.« 21 Das abschließende zehnte Bild, das den Titel »Entering the Marketplace with Helping Hands« 22 trägt, verbindet wie Tungshans fünfte Stufe (»das Fortschreiten in der Nondualität des Relativen und Absoluten«) die Vollkommenheit der Weisheit (prajñāpāramitā) mit dem zweiten Grundpfeiler der Spiritualität des MahāyānaBuddhismus, i. e. dem universalen Mitgefühl (mahākaruṇā) des welterlösenden Bodhisattvas, der sich selbstlos in der Welt engagiert. 23 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lässt sich Loys Denken anhand der verschiedenen Phasen dieser transformativen Möbiusschleife stufenweise in seiner philosophischen, psychologischen und sozial-engagierten Dimension zusammenhängend aus seinen Schriften rekonstruieren. Diese Denkbewegung gilt es im folgenden Hauptteil anhand der zentralen thematischen Momente der Reduktion, De-

Zitiert nach: Jones, K. 2012: 105. Kapleau 2000: 343. 23 Gereon Kopf hat die Ochsen-Bilder auf die berühmten Versen aus Dōgens Genjōkōan bezogen: »To study the buddha-way is to study the self; to study the self is to forget the self; to forget the self is to be actualized by myriad dharmas; to be actualized by myriad dharmas is to cast off body and mind of self and other.« In: Kopf 2001: 57. Mit seiner Interpretation iteriert Kopf exakt das Verständnis Loys: »[I]t is possible to argue that ›to study the self‹ describes a process of mediation (pictures 1– 6); ›to forget the self‹ identifies the state of detachment from preconceptions also known as ›emptiness‹ (sunyata; pictures 7–8); ›to be actualized by the ten thousand dharmas‹ evokes the ›wisdom‹ (prajna) of ›seeing things as they are‹ (yathabhuta darsana; picture 9); and ›to cast off body and mind of self and other‹ evokes the bodhisattva or Chan master who returns to the village out of ›compassion‹ (karuna; picture 10).« Kopf 2015: 160. Kopf interpretiert den buddhistischen Nondualismus als Form der Phänomenologie in Kopf 2000. Diese Stufen des Reflexions- und Realisierungsprozesses finden sich ebenfalls in dem bekannten Gleichnis von den Bergen und Flüssen des chinesischen Chʾ an-Meisters Chʾ ing-yüan Wei-hsin/Qingyuan Weixin (jap. Seigen Ishin, 9. Jh.): »Vor dreißig Jahren, bevor ich, nun ein alter Mönch, mit der ZenAusbildung begonnen hatte, war ich gewohnt, einen Berg als Berg und einen Fluß als Fluß zu sehen. Später hatte ich Gelegenheit, erleuchteten Meistern zu begegnen, und unter ihrer Führung konnte ich bis zu einem gewissen Grad die Erleuchtung erlangen. Wenn ich auf dieser Stufe einen Berg ansah, sieh da!, das war kein Berg. Wenn ich einen Fluß ansah, sieh da!, das war kein Fluß. Nun aber habe ich zu einer Einstellung letzter Gelassenheit gefunden. Jetzt sehe ich einen Berg als Berg und einen Fluß als Fluß, geradeso wie früher.« In: Izutsu 1984b: 34. Günter Wohlfart beschreibt diese 360-Grad-Drehung als »Transzendenz ins Diesseits« und in Anlehnung an Heidegger als Bewegung der »Reszendenz«. Wohlfart 1991: 127. Eine bedenkenswerte Kritik der »Reszendenzbewegung« als »antiplatonischer Verheerung« gibt Janke 2007: 229–236. 21 22

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Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition

duktion, Sublimation, Realisation, Kulmination, Evolution, Reinkarnation, Introspektion, Retrospektion und Aktion nachzuzeichnen. Zuvor muss allerdings eine begriffliche Ungenauigkeit Loys problematisiert werden, die den zentralen Begriff der Nondualität selbst betrifft, dessen Ambiguität Loy weder terminologisch auflöst noch ausreichend ausdifferenziert, wodurch eine geistesgeschichtliche Einordnung und philosophische Kritik seiner Philosophie erheblich erschwert wird.

1.2. Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition Mit (Non)dualität wird üblicherweise der Sanskrit-Begriff (a)dvaita (tib. gñis-med-ñid; chin. pu-erh; jap. fu-ni) übersetzt, von dem der Terminus ursprünglich stammt. 24 Paul Hacker (1913–1979) hat hingegen gezeigt, dass der Begriff dvaita in Śaṅkaras Advaita-Vedānta gewöhnlich nicht »Dualität«, sondern »›der Zustand, daß ein Zweites da ist‹, also etwa ›Zweitheit‹« bedeutet. Die Aufmerksamkeit sei dabei nicht auf »zwei Dinge, sondern nur auf das Zweite (die Welt) gerichtet« 25, weshalb das Wort oft gleichbedeutend mit »Mannigfaltigkeit« (skt. prapañca; tib. spros pa; chin. xi lun; jap. keron) sei, also der Welt (jagat), die dem ātman als »das Zweite« gegenübertrete. Entsprechend bedeute advaita hier nicht »›Zweiheitlosigkeit, Nichtmehrzweiheit‹, sondern ›das, was kein Zweites neben sich hat‹.« Viel besser als advaitavāda passe zur Bestimmung von Śaṅkaras Position daher der Terminus aikātmyavāda, »Ātman-Monismus« 26. Tilmann Vetter (1937–2012) übersetzt im kritischen Anschluss an die Ausführungen Hackers (a)dvaita entsprechend mit Vielheit(los). 27 Daraus folgt, dass die Bedeutung des Begriffes dvaita untrennbar mit der Bedeutung des Begriffes prapañca verbunden ist, so, wie der Begriff advaita mit dessen Negation (skt. niṣprapañca; tib. spros bral; chin. lixilun; jap. rikeron).

Klaus Mylius übersetzt die entsprechenden Termini advaita mit Nichtzweiheit, Einsheit, Einzigkeit; advaya mit nichts Zweites habend, einzig, einheitlich; advitīya mit ohne Zweites, unvergleichlich, ohne Gefährten. Mylius: 2005: 25. 25 Hacker 1978a: 76. 26 Hacker 1978b: 222. Fußnote 21. 27 Cf. Vetter 1978: 112 f. 24

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

Bhikkhu Ñānanada führt papañca (pāḷi) etymologisch auf pra + pffiffi pañc zurück, was so viel bedeute wie »›spreading out,‹ ›expansion‹, ›diffuseness‹ and ›manifoldness.‹« 28 Der papañca bezeichne primär die Tendenz zur Ausbreitung und Diversifikation im Bereich des diskursiv-analytischen Denkens (vikalpa/vitarka/vicāra), wodurch die wahren Sachverhalte verschleiert und eine falsche Wahrnehmung der Realität insgesamt verursacht werde. 29 Dan Lusthaus übersetzt prapañca ensprechend mit »psycho-linguistic proliferation of cognitive-conative projections onto experience; or the linguistic ›excess‹ responsible for and resulting from mistaking interpretation for ›reality‹.« 30 Für Christian Lindtner ist der prapañca wiederum synonym mit »extended world of plurality« 31, während Perry Schmidt-Leukel mit »›Vielheitlichkeit‹ (›Vielheitswelt‹) bzw. ›in Unterscheidungen wahrgenommene Phänomene‹« übersetzt, wobei im Kontext von Nāgārjunas Philosophie »die begriffliche Konstruktion der Welt« 32 gemeint sei. Der prapañca ist Bernhard Weber-Brosamer und Dieter M. Back zufolge also »einerseits die Welt, im Sinne des Vielfältigen, das als Objekt dem erkennenden Subjekt entgegensteht, andererseits auch die ausdifferenzierte gedankliche Tätigkeit des Subjekts, dessen begriffliches Erfassen der Welt.« 33 Es muss also zwischen einer subjektiven (kognitiv-noetischen) und einer objektiven (ontologisch-noematischen) Dimension des prapañca unterschieden werden. Der (1) subjektive modus operandi des prapañca wird Lambert Schmithausen zufolge mit insgesamt drei Gruppen von Begriffen assoziiert: (1α) Begriffe wie Sprache (vāc) und Benennung (abhilāpa) seien synonym zu prapañca; (1β) alles, was mit Vorstellung (vikalpa), unangemessener bzw. heilshinderlicher Reflexion (cintā), falschen Überzeugungen, weltlichem Wissen (laukika-jñāna) und sinnverwandten Kategorien verbunden sei, habe die Form des prapañca, der (1γ) fernerhin mit Ausdrücken assoziiert werde, die eine (geistige) Anstrengung, Aktivität oder Unruhe bezeichnen. 34 Der (2) objektive modus operandi des prapañca bezeichne Ñānanada 1976: 4. Cf. Ñānanada 1976: 4; May, Ja. 1959: 175. 30 Lusthaus 2006: 55. 31 Lindtner 1997: 336. 32 Schmidt-Leukel 1993: 382. 33 Weber-Brosamer/Back 2005: 67. 34 Schmithausen fasst dies folgendermaßen zusammen: »[P]rapañcaḥ bezeichnet eine Handlung des Subjekts, die sich dadurch auszeichnet, daß dieses nicht ruhig in der 28 29

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Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition

hingegen die Produkte oder Korrelate der geistigen Handlung des »Ausbreitens« selbst, insbesondere die phänomenale Erscheinungswelt. 35 Auch für Hans Peter Sturm ergeben sich zwei analoge Bedeutungsfelder: Den (1) kognitiv-linguistischen Aspekt bezeichnet er als »das noetische der Begriffsvermannigfachung samt der damit einhergehenden Vorstellungsdiversifikation, Zerstreuung oder Proliferation der (inneren) Rede und des sprachgebundenen, affektiv-emotional und volitional (mit)geprägten Denkens«, während er (2) den ontologischen Aspekt als das »noematische der (gemeinten) Weltausbreitung, Phänomenvielfalt, Erscheinungsdiversität, Mannigfaltigkeit des Vorkommenden, Pluralität der Wesen(heiten) und Dinge« 36 deutet. Beide Aspekte sind Sturm zufolge nun »gnoseologisch beleuchtet, untrennbar aneinander gebunden […], da Welt im weitesten Sinne nur in der Weise multipler, durch begrifflich (vor)gegebene Bedeutungen geprägte Vorstellungsgehalte, […], Form-Inhalt-Komplexe (nāma-rūpa), gewußt werden, d. h. sein« 37 könne. Insofern der Buddhismus unsere empirische Individualität aber als eine durch den prapañca projizierte Hypostase betrachtet, kann es sich beim prapañca um kein Denken handeln, das irgendwelchen ansichseienden Individuen objektiv zukommt. So erklärt bereits der Buddha das individuelle Selbst-Bewusstsein im Yavakalāpi-Sutta des Saṃyutta-Nikāya unzweideutig als Form des prapañca. 38 Folglich kann der prapañca auch bereits in einem prä-mahāyānistischen Sinn keinem Ich, sondern das reifizierte Ich nur dem prapañca zukommen, dem das diskursiv-analytische Denken (vikalpa/vitarka/vicāra) als dessen subjektiver modus operandi entspringt. Das relative Ich wird demnach im prapañca als dem ursprünglich denkenden Wissen gebildet, genau so, wie die uns als faktisch und schlechtweg fertig entgegentretenden Dinge. 39 Subjekt und Objekt, Ich und Welt sind direkten Schau der Wirklichkeit verharrt, sondern sich durch Reflexion und Benennung über sie erhebt oder ›verbreitert‹, wobei je nach dem Zusammenhang manchmal das inhaltliche Moment der ›Ausbreitung‹ oder Übertragung vielheitlicher oder falscher Bestimmungen, manchmal hingegen das formale Moment der geistigen Aktivität oder Unruhe im Vordergrund steht.« Schmithausen 1969: 140 f. 35 Cf. Schmithausen 1969: 141 f. 36 Sturm 2014: 106. 37 Sturm 2014: 107. Eine ausführliche Analyse der Begriffe nāma und rūpa findet sich bei Falk 2006. 38 »Bhikkhus, ›I am‹ is a proliferation [asmīti bhikkave papañcitametaṃ].« Saṃyutta-Nikāya 4, 248. In: Bodhi 2000b: 1259. Pāḷi-Ergänzungen F. V. 39 Dies deckt sich grundsätzlich mit den Ausführungen Schmithausens: »Viewed in a

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

demnach korrelative Glieder einer Disjunktion, deren Zweiheit eine höhere Einheit verlangt. Als solche sind sie Prinzipiate eines höheren Prinzips (prapañca), von dem die in relatives Denken (nāma) und vorgestelltes Sein (rūpa) unterschiedene Totalität phänomenalen Daseins überhaupt erst projiziert wird (nāmarūpa-prapañca). Der prapañca umfasst also zusammenfassend nicht nur das Denken als subjektiv-kognitive, konzeptuell-noetische und begriffliche-ideale Dimension phänomenaler Existenz (nāma), sondern auch das Seiende als deren objektiv-ontische, perzeptuell-noematische und sinnlichreale Entsprechung (rūpa): iert projiz

prapañca

proj

izier

t

nāma

rūpa perzeptuell-noematische und sinnlich-reale Körperlichkeit (Sein/Objekt)

konzeptuell-noetische und begrifflich-ideale Geistigkeit (Denken/Subjekt)

Die Totalität phänomenaler Existenz (nāmarūpa-prapañca)

Die Befreiung besteht für Nāgārjuna im Zur-Ruhe-Kommen (upaśama) aller subjektiven Wahrnehmung und Empfindung (sarva-upalambha) sowie alles objektiv Sichtbaren (draṣṭavya), i. e. des prapañca. Auch Śaṅkara spricht von der »vollständigen Auflösung« und »Einschmelzung« desselben (prapañca-pravilaya). 40 Nondualität bezeichnet also die absolute Wirklichkeit (paramārtha-tattva/nirguṇa brahman) jenseits von Konzept und Perzept (nāma-rūpa), die concrete way, worldly existence (bhava) is the personality (satkāya) or its constituents (skandha), or the ›basis-of-personal-existence‹ (ātmā-bhāva), which is likewise equated with prapañca.« Schmithausen 1987b: 511. »Thus, prapañca in the expression prapañcâbhirata is […] the objects-of-desire (kāma, i. e. kāmaguṇa) and the (basic constituents of) personal existence (bhava, i. e. ātma-bhāva).« Schmithausen 1987b: 513. Fernerhin werde der prapañca auch im Yogācāra unmittelbar mit dem Ich- und Selbst-Bewusstsein (ahaṃkāra) assoziiert. Cf. Schmithausen 1987b: 513 f. Ian C. Harris (1952–2014) hat diesen Aspekt folgendermaßen zusammengefasst: »Prapañca then is the activity of consciousness that leads us to the belief that we are isolated beings at large in an extended world of plurality. […]. In other words, because of prapañca categories such as self, other, being, non-being, nirvāṇa, saṃsāra, subject, object etc. arise.« Harris, I. 1991: 18. 40 Cf. Mūlamadhyamakakārikā 25, 24a. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 100; Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 3, 2, 21. In: Deussen 1982: 529 f.

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Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition

bleibt, wenn der prapañca durch Gnosis (tattvadarśana/brahmajñāna) vernichtet wurde (niṣprapañca/aprapañca). 41 Diese Nondualität kann nun entweder (I) die Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) oder (II) die nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) bezeichnen. Erstere kann mit Śaṅkara näherhin als asymmetrische Nondualität (advaitavāda) bestimmt werden, insofern »die Wirkung das Wesen der Ursache, nicht aber die Ursache das Wesen der Wirkung (kāryasya kāraṇātmatvaṃ natu kāraṇasya kāryātmatvaṃ)« bzw. »die phänomenale Welt ihrem Wesen nach brahman, nicht aber das brahman seinem Wesen nach die phänomenale Welt (brahmasvabhāvo hi prapañco na prapañcasvabhāvaṃ brahma)« 42 ist (A = B, aber B 6¼ A); letztere lässt sich mit dem HerzSūtra als symmetrische Nondualität (advayavāda) spezifizieren, insofern »Form Leere und Leere Form« (rūpaṃ śūnyatā śūnyataiva rūpaṃ) ist (A = B und B = A). Während das brahman für Śaṅkara unabhängig von der Welt existieren kann, kann die Welt unmöglich unabhängig vom brahman existieren. Der Satz des Herz-Sūtras macht hingegen deutlich, dass es ohne Leere keine Form und ohne Form keine Leere geben kann. Wie die Sanskrit-Termini advaita/advaya, acittaka/sacittaka und nirākāra/sākāra bereits andeuten, lässt sich diese Unterscheidung darüber hinaus auf verschiedene erkenntnistheoretische Debatten innerhalb der indischen Philosophie zurückführen, in denen es primär um die umstrittene Frage nach dem epistemologischen und transzendental-ontologischen Status des Bewusstseins und dessen metaphysische Implikationen geht. Die begriffliche Unterscheidung zwischen einer ontologischen (advaita) und einer phänomenalistischen (advaya) Form der Nondualität übernehme ich dabei von Kameshwar Nath Mishra und Tiruppattur Rameseshayyar Venkatachala Murti, der diese bereits 1955 im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der buddhistischen Madhyamaka-Lehre Nāgārjunas und dem Advaita-Vedānta Śaṅkaras in den Diskurs eingebracht hat, um zwischen der Transzendenzerfahrung einer nondual-transphänomenalen Wirklichkeit (advaita) und einer nondual-phänomenalen Erfahrung (advaya) ohne Subjekt und Objekt zu differenzieren. 43 Von 41 42 43

Ausführlich dazu Sturm 2002: 393–468. Cf. Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 2, 1, 9 und 3, 2, 21. In: Deussen 1982: 272, 529. »Advaya and Advaita […], the former, meaning ›non-dual‹ and the latter denoting

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

Sallie B. King und Paul J. Griffiths übernehme ich die im Zusammenhang mit den Lehren des indischen Buddhismus explizierte Unterscheidung zwischen einer nondualen Erfahrung der Bewusstseinsvorstellungen, Gedanken, Willens- und Gemütsregungen (sacittaka) und solchen Versenkungszuständen, in denen diese vollständig fehlen (acittaka), wie im Zustand der Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl (pāḷi saññā-vedayita-nirodha-samāpatti), der sich in seiner radikalen Form- und Gestaltlosigkeit als vollkommene Bewusstseinsleere nur noch schwer von einem Zustand absoluter Bewusstlosigkeit unterscheiden lässt. 44 Die Frage, ob das Bewusstsein selbst wesenhaft form- und gestalthaft (sākāra) oder in seinem tiefsten Grund formund gestaltlos (nirākāra) ist, wurde vor allem im Kontext des Yogācāra-Buddhismus zwischen Ratnākaraśānti bzw. Śāntipa (10./ 11. Jh.) und Mokṣākaragupta (12. Jh.) kontrovers diskutiert. Wenn es den Voraussetzungen der Yogācārins zufolge kein extramentales Objekt der Wahrnehmung »Das ist blau« gibt, dann sei es das Bewusstsein selbst, das die »Gestalt« (ākāra) blau annimmt. Uneinigkeit herrschte dabei vor allem in Bezug auf das Bewusstsein eines Buddhas, das bereits frühe Texte, wie das Vasubandhu (4./5. Jh. n. Chr.) zugeschriebene Mahāyānasūtralaṅkāra-bhāṣya und Sthiramatis (ca. 510–570 n. Chr.) Mahāyānasūtralaṅkāra-vṛtti-bhāṣya, ›monism‹ are conventional in Buddhist and Vedāntic Schools respectively which are actually diametrically opposed to each other in several contexts.« Mishra 1988: 3. »Advaya is knowledge free from the duality of the extremes (antas or dṛṣṭis) of ›Is‹ and ›Is not‹, Being and Becoming etc. It is knowledge freed of conceptual distinctions. Advaita is knowledge of a differenceless entity–Brahman (Pure Being) or Vijñāna (Pure conscioueness). The Vijñānavāda although it uses the term advaya for its absolute, is really an advaita system. ›Advaya‹ is purely an epistemological approach; the advaita is ontological. The sole concern of the Mādyamika advaya-vāda is the purification of the faculty of knowing. […]. The emphasis is on the correct attitude of our knowing and not on the known. On the ontological standpoint of the Advaita Vedānta, the emphasis is on the thing known.« Murti 1968: 217. 44 Die von Loy explizierte Erfahrung der Nondualität charakterisiert Griffiths folgendermaßen: »[N]ondualistic consciousness […] would consist in a series of presentations (Vorstellungen, Vijñaptayaḥ) without there being any sense of separation between the presentation in question and the subject ›having‹ it. There would be a series of pictures without any viewer. It is important to note that the ›pictures‹ in question could possess any degree of complexity (i. e., have as much content as required)«. Griffiths 1990a: 78. Dabei beruft sich Griffiths u. a. auf Jinaputras Kommentar (bhāṣya) zu Asaṅgas Abhidharmasamuccaya, in dem dieser eine Erfahrung beschreibt, »in which what is cognized and that which cognizes are identical (samasamālambyālambakajñāna).« Griffiths 1990a: 90. Cf. King, S. 1988: 275.

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Zur trichotomen Typologie der Nondualität: Eine Arbeitsdefinition

mit einem diaphanen und inhaltsleeren Bewusstsein (anākāratva) assoziieren und auf diese Weise bereits ante litteram die spätere Position der Nirākāravādins der Yogācāra-Schule antizipieren, die die letzte Wirklichkeitsebene des Bewusstseins als form- und gestaltlos (nirākāra) behaupten. 45 Wie sich zeigen wird (siehe 2.4.), kritisiert und negiert Loy in seiner radikal phänomenalistischen Philosophie (advaya/sacittaka/ sākāra) letzlich jede Form von Nondualität, die eine transphänomenale Wirklichkeit bzw. ein form- und gestaltloses Bewusstsein und dessen Transzendenzerfahrung in unmittelbarer Intuition oder quasi-kataleptischen Versenkungszuständen als erlösungskonstitutiv postuliert (advaita/acittaka/nirākāra). Darüber hinaus fehlt bei ihm eine begriffliche Unterscheidung zwischen der dualen Erfahrung vom Standpunkt der Verblendung, der nondualen Erleuchtungserfahrung und einer dualen Erfahrung, in der die Phänomenalität und SubjektObjekt-Spaltung vom Standpunkt der Erleuchtung wieder integriert ist. Letztere wird hier im Anschluss an den Yogācāra-Buddhismus als (III) »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) bezeichnet. 46 Ob die Erleuchtung nun als Transzendenzerfahrung eines transphänomenalvorstellungsfreien Bewusstseins (lokottara-nirvikalpa-jñāna) oder – wie bei Loy – als nonduale Wirklichkeit der Erfahrung interpretiert wird, das laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna bezeichnet den Quellen zufolge den Bewusstseinszustand des Bodhisattvas nach dem Erwachen, der die Belehrung und dadurch die Erlösung anderer Wesen ermöglicht. 47 Unter »Nondualität« verstehe ich im Folgenden also nicht weniger als drei verschiedene Positionen, die ich als (I) Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) bzw. asymmetrische Nondualität (advaitavāda), als (II) nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) bzw. symmetrische Nondualität (advayavāda) und als (III) nach der Als Beispiel kann hier folgender Passus aus Buddhaguhyas (ca. 700 n. Chr.) Mahāvairocanābhisaṃbodhivṛtti zitiert werden: »Ultimately, the mind does not possess the nature of apprehending subject or apprehended object, because it is empty by nature [and] free from all phenomenal characteristics such as blue and yellow.« In: Yiannopoulos 2017: 258. Cf. Griffiths 1990b: 94; Kajiyama 1965a: 426–425; Mookerjee 1935: 77; Williams 2010: 101, 311 ff. 46 Cf. Lusthaus 2006: 513 47 Cf. Frauwallner 2010: 195 f. 45

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Konzeption: Der nonduale Ansatz

Erleuchtung (I/II) erlangte Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) voneinander unterscheiden werde. Es ließen sich zweifellos noch mehr begriffliche Unterscheidungen einführen, um Loys Position im Kontext der indischen und insbesondere der buddhistischen Philosophie weiter zu differenzieren, aber die hier vorgeschlagene trichotome Typologie reicht in ihrer heuristischen Funktion aus, um die Ambiguität, mit der Loy den Begriff der Nondualität nutzt, terminologisch aufzulösen, seine Philosophie der Nondualität geistesgeschichtlich einzuordnen und damit einer philosophischen Kritik zugänglich zu machen. 48

Weiterführende Aspekte finden sich bei Mohanty 2002: 26–53. Insofern Nonduality immer noch als primäre Quelle und Standardwerk zum Thema gilt, wundert es nicht, dass Loys fehlende Trennschärfe und die daraus resultierenden Irrtümer mittlerweile ihren Weg in die Lehrbücher gefunden haben. Ein gutes Beispiel ist der Eintrag »Nonduality« von Hillary S. Webb in der Encyclopedia of Psychology and Religion, in dem sie unter Berufung auf Loy arglos alle drei Formen der Nondualität miteinander identifiziert und damit weder Loy noch dem Gegenstand gerecht wird. Cf. Webb 2009.

48

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2. Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

2.1. Die Negation dualistischen Denkens 2.1.1. Loys Interpretation von Nāgārjunas Philosophie der Leere (śūnyavāda) In seiner Kritik dualistischen Denkens rekurriert Loy primär auf die Argumente Nāgārjunas und dessen Philosophie der Leere (śūnyavāda), in deren Zentrum die Einsicht steht, dass jeder Begriff (A) notwendigerweise seinen kontradiktorischen und schlechthin unabtrennlichen Gegensatz (pratidvandvin) mit- und entgegensetzt (-A) und somit jede Affirmation unmittelbar eine Negation impliziert, zu der sie in logischer Dependenz steht. Jedes bestimmte Etwas und thematisch Gewusste ist demnach nur das, was es ist, allein dadurch, dass es alles andere nicht ist, sodass jeder der entgegengesetzten Begriffe den jeweils anderen zu seiner eigenen Bestimmung notwendig voraussetzt. Diese universale Interdependenz erfasst Nāgārjuna zufolge ausnahmslos alle Begriffe und Verstandeskategorien unseres diskursiv-analytischen Denkens (vikalpa/vicāra/vitarka), deren logische Relationalität er in den Mūlamadhyamakakārikā anhand einer Reihe konkreter Gegensatzpaare exemplifiziert, wie z. B.: »Without relation to ›good‹ there is no ›bad‹, in dependence on which we form the idea of ›good‹. Therefore ›good‹ is unintelligble. There is no ›good‹ unrelated to ›bad‹ ; yet we form our idea of ›bad‹ in dependence on it. There is therefore, no ›bad‹.« 1 Entsprechend kann etwas nur in Relation zur Gegenwart (pratyutpanna) als zukünftig (anāgata) oder vergangen (atīta) beschrieben werden und die Gegenwart nur als Übergang von der Vergangenheit zur Zukunft. Eine Ursache (pratyaya/hetu) ist nur Ursache in Relation zu einer Wirkung (phala) und somit abhängig von ihr. Der Ge1

Mūlamadhyamakakārikā 23, 10–11. In: Sprung 1979: 213. Cf. Loy 1997a: 18.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

dankengang wiederholt sich in den Mūlamadhyamakakārikā ständig, aber an immer anderen Begriffen: Einheit (ekārtha) und Vielheit (nānārtha); Identität (ekatva) und Differenz (anyatva); Substanz (dravya) und Attribut (lakṣaṇa); Subjekt (viṣayin) und Objekt (viṣaya); Eigensein (svabhāva) und Anderssein (parabhāva); Seiendes (bhāva) und Nichtseiendes (abhāva); Dasein (astitva) und Nichtsein (nāstitva); Vergänglichkeit (nitya) und Unvergänglichkeit (anitya); Entstehen (utpāda/saṃbhava), Bestehen (sthiti) und Vergehen (bhaṅga/nirodha/vibhava); Geburt (jāti) und Tod (maraṇa); Bindung (bandhana) und Befreiung (mokṣa); saṃsāra und nirvāṇa etc. Da sich die Bedeutung von Begriffen ausschließlich in Abhängigkeit zu anderen Begriffen konstituiert, besitzen sie Nāgārjunas begriffskritischer Analyse zufolge kein mit sich identisches Selbstsein (svabhāva), i. e. keine relationslose Unabhängigkeit bzw. Aseität. 2 2 Jan Westerhoff problematisiert die Polysemie des svabhāva-Begriffes, der in verschiedenen philosophischen Traditionen auf ganz unterschiedliche Weise verwendet werde. So sei die Verwendung des Begriffes bei Dharmakīrti (zw. 550–660 n. Chr.) oder im Yogācāra (trisvabhāva) eine andere als bei den Mādhyamikas. Bei Nāgārjuna ließen sich allein drei Bedeutungs-Dimensionen von svabhāva unterscheiden: (1) Eine ontologische, (2) eine kognitive und (3) eine semantische. Die ontologische Dimension zerfalle wiederum in drei Subkategorien, die Westerhoff von Chandrakīrti übernimmt: (1α) Essenz-svabhāva, (1β) Substanz-svabhāva und (1γ) Absolutessvabhāva. Cf. Westerhoff 2009: 19–52, 188–194. Nāgārjunas primäre Verwendung des Begriffes sei Substanz-svabhāva. Für ein korrektes Verständnis von Substanzsvabhāva müsse allerdings geklärt werden, was es bedeute, völlig unabhängig von einem anderen zu sein. Zu diesem Zweck unterscheidet Westerhoff noch einmal zwischen einer Abhängigkeit dem Sein (existential dependence) und einer Abhängig dem Begriff (notional dependence) nach. Erstere bezeichne die gegenseitige Abhängigkeit eines Objektes von seinen Teilen, so wie die Existenz eines Buches notwendigerweise mit der Existenz seiner Seiten einhergehe und von diesen abhänge. Die Abhängigkeit Nord-Englands von Süd-England sei wiederum ein Beispiel für eine rein begriffsmäßige Abhängigkeit. Sollte Süd-England durch eine Katastrophe zerstört werden, würde dies nicht die Existenz Nord-Englands beeinflussen, sondern nur dessen Beschreibung. Ein gutes Beispiel für beide Formen der Abhängigkeit ist Vers 13 aus Nāgārjunas Śūnyatāsaptati: »A father is not a son, a son is not a father. Neither exists except in correlation with the other. Nor are they simultaneous. Likewise for the twelve members [pratītyasamutpāda; F. V.].« In: Lindtner 1997: 99. Der Sohn ist hier dem Sein nach abhängig vom Vater, während der Vater nur in seiner Bestimmung als Vater abhängig ist vom Sohn. In diesem Sinne bedeutet svabhāva weder dem Sein noch dem Begriff nach von irgendetwas abhängig zu sein. Dies geht klar aus Candrakīrtis (ca. 570–650 n. Chr.) Prasannapadā (264) hervor: »What is relative to certain conditions does not truly exist, like the heat of water, like ›this side‹ and ›other side‹ or like the long and the short. That is what is meant by self-existence.« In: Sprung 1979: 155.

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Die Negation dualistischen Denkens

Da mithin jeder Begriff nur aus der genuinen Relationalität seiner positiven und negativen Größen heraus verstanden werden kann und alle Begriffe aufgrund ihrer wesenhaften Interdependenz frei von inhärenter Existenz sind (niḥsvabhāva), sind alle Begriffe buddhistisch gesprochen leer des Ansichseins (svabhāva-śūnya/niḥsvabhāva). Das Problem dualistischen Denkens besteht für Loy darin, dass dieser begriffsinhärente Dualismus in der gewöhnlichen Weltsicht normalerweise nicht erkannt wird und man den Relationsbegriffen unseres Denkens gerade jenes relationslose Eigensein (svabhāva) attestiert, das Nāgārjunas Philosophie der Leere ihnen uneingeschränkt abspricht. 3 Diese Negation dualistischen Denkens sei in den nondualen Systemen primär soteriologisch motiviert, da hier allgemein behauptet werde, dass diese dichotomisierende Tendenz des Geistes uns davon abhalte, Situationen so zu erleben, wie sie an sich selbst verfasst sind, i. e. wenn keine dualistischen Kategorien mehr Anwendung finden. 4 Dualistisches Denken sei demnach falsch, aber diese Unterscheidung in richtiges und falsches, nonduales und duales Denken sei wiederum selbst dualistisch und müsse dekonstruiert werden. Die Sūtras der Vollkommenheit der Weisheit (prajñāpāramitā) des Mahāyāna-Buddhismus hätten diesen Gedanken zu seinem konsequenten Ende geführt und auch noch die verbleibende Dualität der Dualität und Nondualität negiert. 5 Die Philosophie der Leere tendiere daher natürlicherweise zur Selbstaufhebung und paradoxalen Formulierungen nach dem Muster A ist nicht-A, deshalb ist es A. Den klarsten Ausdruck habe dieses Paradox wiederum im Diamant-Sūtra (vajracchedikā-prajñāpāramitā-sūtra) gefunden, wo es heißt: »Subhūti, when (the Tathāgata) expounds the Dharma, there is really no Dharma to teach: but this is (expediently) called teaching the Dharma.« 6 So konnte Nāgārjuna behaupten, dass der Buddha keine Ansichten vertreten habe und es das alleinige Anliegen seiner heilspragmatischen Lehre gewesen sei, die antinomische Struktur aller Ansichten (dṛṣṭi) und deren folgerechte Unhaltbarkeit zu lehren. 7 Selbst die Cf. Loy 2003a: 177. Cf. Loy 1997a: 18. 5 »The perfection of wisdom should not be viewed from duality nor from non-duality«. Conze 1978: 78. Cf. Loy 1997a: 19. 6 Lu 1970: 195. Cf. Loy 1997a: 19. 7 Im Śūraṅgama-Samādhi-Sūtra lehrt der Buddha vor einer Versammlung Devas, Nāgas und anderer göttlicher Wesen, dass man sich vom Komplex der zwölf binden3 4

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

Aporetik der Leerheit (śūnyavāda) dürfe von dieser Universalabweisung diskursiv-thetischen Denkens nicht unberücksichtigt bleiben und müsse in einem letzten Schritt qua Selbsteinschluss mit abgewiesen werden. Wer auch noch die Leerheit, die von den Buddhas als Zurückweisung jeglicher Ansicht gelehrt worden sei, als eine philosophische Position und wahrheitsgemäße Aussage über die Realität verfehle, der ist Nāgārjuna zufolge unheilbar. 8 Auf diese Gefahr macht auch Loy an mehreren Stellen seines Werkes aufmerksam. Die Gefahr bestehe darin, dass die Leerheit als privilegierter Zugang zum Wesen der Welt verstanden, als metaphyische Kategorie angeeignet und auf diese Weise in ihrem rein heuristischen Wert radikal verfehlt werde. 9 Man müsse sich in letzter Konsequenz von der Leerheit befreien, wie von der buddhistischen Lehre insgesamt, die der Buddha im Alagaddūpama-Sutta der mittleren Sammlung (majjhimanikāya) als Floß beschrieben hatte, das zum Entrinnen, aber nicht zum Festhalten tauglich sei. 10 Die paradoxale Zuspitzung hat dieser Gedankengang für Loy beim chinesischen Ch’an-Meister Huang-Po Hsi-yün/Huangbo Xīyun (jap. Ōbaku Kiun, † ca. 850 n. Chr.) gefunden, der auch noch Nāgārjunas »anti-philosophy« 11 als eine Position interpretiert und entsprechend verworfen habe: »The fundamental dharma of the dharma is that there are no dharmas, yet that this dharma of no-dharma is in itself a dharma; and now that the nodharma dharma has been transmitted, how can the dharma of the dharma be a dharma?« 12 den Ansichten (dṛṣṭigatabandhana) befreien müsse (parimoktum): »Those twelve bonds are: 1. the view of a self (ātmadṛṣṭi), the view of a being (sattvadṛṣṭi), the view of a living being (jīvadṛṣṭi), the view of an individual (pudgaladṛṣṭi), the view of nihilism (ucchedadṛṣṭi), the view of eternalism (śāśvatadṛṣṭi), the view of the belief in a self (ātmagrāhadṛṣṭi), the view of the belief in what pertains to the self (ātmīyagrāhadṛṣṭi). the view of existence (bhavadṛṣṭi), the view of non-existence (vibhavadṛṣṭi), the view of a personality (satkāyadṛṣṭi), the view of all dharmas (sarvadharmadṛṣṭi).« Śūraṅgama-Samādhi-Sūtra 84. In: Boin-Webb 2003: 173. Im Kontext von Nāgārjunas Radikalaporetik und Loys Adaption derselben ist aber zweifelsohne jede denkmögliche Ansicht (dṛṣṭi) gemeint. 8 Cf. Mūlamadhyamakakārikā 13, 8. In: Loy 1997a: 18. 9 Cf. Loy 1996a: 89. 10 Cf. Majjhima-Nikāya 22. In: Neumann, K. 1995: 158; Loy 2008: 49. 11 Loy 1997a: 20. 12 Blofeld 1958: 64 f. Zitiert mit Loys Modifikationen nach: Loy 1997a: 20. Da es Loy trotz Anführungszeichen mit der heute verpflichtenden Form der Textidentität nicht immer ganz so genau nimmt und seine Änderungen in der Regel nicht ausweist, sah ich mich gezwungen, alle Zitate am Original zu überprüfen. Ich zitiere daher im

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Das Ergebnis dieses Negationsexzesses sei es, dass weder richtiges noch falsches Denken, nicht einmal eine Anti-Lehre gelehrt werden könne, sondern das begriffliche Denken in toto suspendiert werden müsse. Keine Denkform sei von dieser Universalkritik ausgeschlossen. Zu diesem Zweck hätten Zen-Meister entsprechend translogische Erleuchtungstechniken instrumentalisiert, um die dual-diskursive Struktur thetischen Denkens unvermittelt zu brechen und den Schüler so zu einem Erwachen jenseits der Sprache zu führen. Wenn wir unsere unmittelbare Erfahrung also normalerweise unbewusst mit einem begrifflichen Netz dualistischer Kategorien überlagern, aus denen sich die Struktur unseres in Relationen operierenden Denkens konstituiert, dann stellt sich für Loy allerdings die Frage, welche Form des Denkens nach deren Aufhebung überhaupt noch übrigbleibt? Kann es so etwas wie nondual-transdiskursives Denken überhaupt geben oder handelt es sich dabei um eine Contradictio in Adjecto? »If all language seems to dualize, in distinguishing subject from predicate/attribute, how can there be such a thing as nondual, or nonconceptual, thinking? Can we get along without dualistic categories? And even if we can, is it desirable?« 13

2.1.2. Nāgārjunas śūnyata und Derridas différance: Loys buddhistische Schließung (clôture) der Dekonstruktion Bevor ich mich der Darstellung Loys zuwende, ist es sinnvoll, einen kurzen Abriss der westlichen Rezeptionsgeschichte Nāgārjunas zu geben, um Loys Interpretation und Adaption der Lehre von der Leerheit geistesgeschichtlich besser einordnen zu können. Seitdem der italienische Jesuit und Tibet-Missionar Ippolito Desideri (1684–1733) im 18. Jh. die erste westliche und systematische Auseinandersetzung mit der Madhyamaka-Lehre Nāgārjunas unternommen und den Buddhismus in seinen Schriften als Atheismus verurteilt hatte, ist Nāgārjunas Philosophie der Leerheit (śūnyatā-darśana) in den folgenden Jahrhunderten u. a. als Nihilismus, Monismus, Irrationalismus, Misologie, Agnostizismus, Skeptizismus, Kritizismus, Dialektik, Folgenden direkt nach den Quellen und verweise anschließend auf die Stelle, an der Loy das Zitat anführt. Wo Loy das Zitat in erheblicher Weise alteriert, zitiere ich direkt nach Loy mit Verweis auf die Originalquelle. 13 Loy 1997a: 21.

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Mystizismus, Akosmismus, Absolutismus, Relativismus, Nominalismus und linguistische Analyse mit therapeutischem Wert interpretiert worden. 14 Andrew P. Tuck hat diese Historie der abendländischen Nāgārjuna-Rezeption als eine Aneinanderreihung von Eisegesen (»a collection of intelligent misreadings« 15) beschrieben und anhand zentraler Interpretationsparadigmen in insgesamt fünf Phasen unterteilt. 16 Mit The Conception of Buddhist Nirvāṇa (1927) habe Fyodor Ippolitovich Stcherbatsky (1866–1942) die bis zu diesem Zeitpunkt vielfach maßgebende Auffassung des Buddhismus als Atheismus und Nihilismus (I) abgelöst, wie sie nach Desideri u. a. von Eugène Burnouf (1801–1852), Jules Barthelemy Saint-Hilaire (1805–1895), Max Müller (1823–1900), Johan Hendrick Caspar Kern (1833–1917), Louis de La Vallée Poussin (1869–1938) und Arthur Berriedale Keith (1879–1944) vertreten worden war und eine kantische Phase (II) inauguriert, in der das Madhyamaka als transzendentaler und absoluter Idealismus paraphrasiert worden sei. 17 Daran habe sich eine analytische Phase (III) angeschlossen, in der sich eine Hinwendung von metaphysischen Begriffen und Fragestellungen zu sprachphilosophischen Problemkomplexen vollzogen habe. Richard Hugh Robinson (1926–1970) kritisierte als einer der ersten Vertreter dieser Phase Stcherbatskys Explikation des indischen Buddhismus und Madhyamaka als kantische und hegelsche Paraphrase, deren Ergebnis ein Zerrbild – »[a] destructured, untextured changeling« 18 – sei, welches fälschlicherweise als authentische Beschreibung und genuine Darstellung des Originals ausgegeben werde. Ziel sei hingegen eine am Programm des logischen Empirismus angelehnte, formal-logische Sprachanalyse, aussagenlogische Rekonstruktion und vollständige Übertragung der Mūlamadhyamakakārikā »into logical notation, thus bringing to light formal features which do not appear

Cf. Ruegg 1982: 2. Tuck 1990: 100. 16 Huntington unterscheidet hingegen nur drei, i. e. eine nihilistische, eine absolutistische und eine linguistische Phase der Madhyamaka-Interpretation. Cf. Huntington 2007: 25–32. 17 Cf. Stcherbatsky 2003. Murtis The Central Philosophy of Buddhism (1955) muss ebenfalls als repräsentative Schrift zu dieser kantischen Phase der Nāgārjuna-Rezeption gezählt werden. Cf. Murti 1968. 18 Robinson, R. 1965: 63. 14 15

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from the consideration of examples taken out of context and listed topically.« 19 Im Anschluss an die posthum publizierten Philosophischen Untersuchungen (1953) Wittgensteins und der darin dokumentierten Aufgabe seines ursprünglichen Programms der Reglementierung der natürlichen Sprache qua Konstruktion einer logisch-semantischen Idealsprache, kam es zu einer vierten Phase der NāgārjunaInterpretation, die Tuck als post-Wittgensteinsche Phase (IV) bezeichnet. Mit Wittgensteins Radikalisierung der methodischen Sprachkritik zur Therapie, die philosophische Fragen als im Denken wurzelnde und in der Sprache sedimentierte Krankheiten behandelt, wurde auch Nāgārjunas Leerheit (śūnyatā) als Kathartikon der Sprache und Therapeutikum des von spekulativ-metaphysischen und existentiellen Fragen bedrängten Denkens interpretiert. Die Weisheitslehre des Madhyamaka sei in ihrem soteriologischen Telos daher als Analogon zu Wittgensteins therapeutischem »Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache« 20 zu verstehen, denn »Friede in den Gedanken«, so Wittgenstein in einer Bemerkung aus dem Jahre 1944, sei »das ersehnte Ziel dessen, der philosophiert.« 21 Frederick J. Streng (1933–1993) vertrat als Initiator dieses Interpretationsparadigmas zudem die Auffassung, dass Nāgārjuna die Einsicht Wittgensteins vorweggenommen habe, dass sich die Verbindung von Signifikant und Signifikat keiner naturgegebenen Gesetzmäßigkeit und Isomorphie von Sprache und Welt verdanke, sondern arbiträr sei und auf einer ansich völlig willkürlichen und beliebigen Konvention beruhe, die nur in der Welt der menschlichen Sprachpragmatik und Familienähnlichkeiten intersubjektiver Sprachspiele (loka-saṃvṛti/vyāvahārika) Geltung habe. 22 Die Folgezeit bestätigte die bereits von Tuck antizipierte dekonstruktionistische Phase (V), in der Nāgārjuna als buddhistischer Vorläufer poststrukturalistischer Positionen expliziert wurde. 23 Tuck bezog sich dabei auf die erstmals 1984 erschienene Publikation Derrida on the Mend von Robert Magliola und seinem darin ausgeführten

Robinson, R. 1957: 307. Philosophische Untersuchungen § 109. In: Wittgenstein 1984a: 299. 21 Wittgenstein 1984b: 511. 22 Cf. Streng 1967: 139–142. 23 »[I]t has not been difficult to anticipate current studies trumpeting the arrival of a new deconstructionist interpretation of Mādhyamika«.Tuck 1990: 99. 19 20

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Vergleich von Nāgārjuna und Jacques Derrida (1930–2004). 24 Nāgārjunas Weg der Leere (śūnyavāda) und dessen Kritik der Vorstellung einer mit sich selbst identischen Bedeutung von Zeichen (svabhāva) hat seither eine breite Rezeption und Reflexion buddhistischer Philosophie im Licht poststrukturalistischen Denkens und eine kritische Rezeption und Reflexion poststrukturalistischen Denkens im Licht buddhistischer Erfahrung generiert. Vor allem das Denken Derridas weist auch für Loy eine so große inhaltliche Nähe zur buddhistischen Negation dualistischen Denkens auf, dass ein Vergleich für ihn gerechtfertigt ist, um die eigene Position im Kontext postmoderner Diskurse zu situieren und sie vor deren Negativfolie zu aktualisieren und zu schärfen. Dabei entsprächen die postmodernen Implikationen buddhistischen Denkens einer Vielzahl der zeitgenössischen Anliegen des Poststrukturalismus. Diese beinhalten für Loy »similar critiques of self-existence/self-presence; a shared suspicion about the ontotheological quest for Being, and a corresponding emphasis on groundlessness; the deconstruction of such ›transcendental signifieds‹ into ungraspable traces of traces; a rejection of Truth (with a capital T) as the intellectual attempt to fixate ourselves; and the questioning of both objectivists and subjectivists values.« 25 Während die postmodernen Implikationen buddhistischen Denkens bereits Gegenstand diverser Untersuchungen gewesen wären, seien die religiösen und existentiellen Implikationen postmodernen Denkens bislang kaum erkannt, geschweige denn erforscht worden. Auch Derrida habe das Potential seines eigenen Ansatzes entweder nicht erkannt oder sogar bewusst verkannt. 26 Eine buddhistische Interpretation sei hingegen nicht nur in der Lage, dieses ungenutzte Potential aus der Latenz zu heben und die Dekonstruktion in ihrer genuin spirituellen Dimension fruchtbar zu machen, sondern Derridas Analysemethode auch zu einem konsequenten und vollendeten Abschluss (clôture) zu bringen. Derridas poststrukturalistischer Neuansatz verbindet sich vor allem mit dem Namen der Dekonstruktion (déconstruction). Diesen Begriff, der aus der Amalgamierung der morphologisch überlappenden Wörter Destruktion und Konstruktion entstanden ist, prägte Derrida für ein spezifisch anti-hermeneutisches

24 25 26

Cf. Magliola 2000: 87. Loy 1993: 483 f. Cf. Loy 1996b: 1 f.

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und anti-essentialistisches Lektüreverfahren philosophischer Texte. 27 Zu den Schlüsselbegriffen der Dekonstruktion und der Theorie Derridas überhaupt gehören die Begriffe der présence und der différance, die in fast allen seinen Schriften wiederkehren und für Loys Vergleich mit Nāgārjunas Philosophie der Leere von entscheidender Relevanz sind. Mit dem Begriff der Präsenz (présence) bezeichnet Derrida ein Moment absoluter Aseität und irreduzibler Singularität, das von aller Alterität suspendiert ist. Das Motiv homogener Präsenz sei das entscheidende Strukturmerkmal der gesamten abendländischen Metaphysik, in der es in den unterschiedlichsten Varianten als Idee und Wesen eines betrachteten Dinges (eidos), als Substanz, Essenz und Existenz (ousia), als Punkt (stigme), als Jetzt und Augenblick (nun), als Selbstpräsenz des cogito, des Bewusstseins und der Subjektivität, als transzendentales Signifikat, usw. auftauche, weshalb Derrida die abendländische Metaphysik insgesamt als Präsenzmetaphysik bestimmt. 28 Dem identitätslogischen Präsenzdenken stellt Derrida ein Philosophieren über die irreduzible Differenz (différance) entgegen, um die logozentrische Vorstellung isolierter Bedeutungen und starrer Identitäten zu einem differentiellen Gefüge konstitutivdynamischer Sinnverweisungen zu verflüssigen. Für Derrida gibt es keine Präsenz und Identität unabhängig der semiologischen Differenz, so, wie es für Nāgārjuna kein Eigensein (svabhāva) jenseits der Die Dekonstruktion zielt dabei auf »die Offenlegung der inneren Widersprüchlichkeit und uneinholbaren Vieldeutigkeit eines Textes«. Sie versteht sich »nicht als systematische Theorie oder wissenschaftliche Methode und entzieht sich kalkuliert einer eindeutigen Definition und klaren Begrifflichkeit; sie stellt sich vielmehr als Praxis einer subversiven Lektürestrategie dar, die, indem sie das Marginalisierte gegen das Priorisierte stark macht, das (über binäre Oppositionen organisierte) Bedeutungsgefüge des Textes ›dezentriert‹ und ›verschiebt‹.« Damit zielt die Dekonstruktion »auf eine fundamentale Kritik des abendländischen Denkens. Gegen dessen ›logozentrische‹ ›Metaphysik der Präsenz‹ bringt sie die Vorgängigkeit der Schrift vor dem gesprochenen Wort, der Materialität des sprachlichen Zeichens (Signifikant) vor seiner Bedeutung (Signifikat) sowie die unaufhebbare Differenz und Zeitlichkeit vor jeglicher Präsenz des Subjekts, bestimmbaren Intention oder stabilen Bedeutung ins Spiel.« Schwalm 2007: 144. Für Derrida ist dabei die Anerkennung wesentlich, dass »man es bei einem klassischen philosophischen Gegensatz nicht mit der friedlichen Koexistenz eines Vis-à-Vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun hat. Einer der beiden Ausdrücke beherrscht (axiologisch, logisch usw.) den anderen, steht über ihm.« Derrida 1986: 88. Die allgemeine Strategie der Dekonstruktion eines Gegensatzes besteht für Derrida daher zunächst darin, »im gegebenen Augenblick die Hierarchie umzustürzen.« Derrida 1986: 88. 28 Cf. Derrida 1974: 26. 27

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von der Sprache insinuierten Relationen und Leerheit (śūnyata) gibt. Derridas présence findet für Loy folglich seine buddhistische Entsprechung im svabhāva-Begriff, zu dessen durchgehender Dekonstruktion sich Nāgārjuna der Leerheit (śūnyata) und Derrida der différance bedient, die Loy wiederum in funktionaler Analogie zueinander liest: »The fundamental presupposition of metaphysics–that we can mirror the whole terrain from some Archimedean point of pure, self-contained thought–is an illusion they [Nāgārjuna und Derrida; F. V.] subvert, and their weapons are śūnyatā/différance.« 29 Der zentrale Begriff der différance ist ein Neologismus Derridas, der durch einen graphischen Eingriff (différ-e-nce zu différ-a-nce) entstanden ist, dabei das Wort allerdings lautgleich lässt. Mit dieser Neuschöpfung kritisiert Derrida einerseits den Phonozentrismus, der von einem Vorrang der Stimme und mündlichen Rede gegenüber der Schrift ausgeht, aber den konstruierten Bedeutungsunterschied bei einem Homophon wie différ(e/a)nce nicht einzuholen vermag; andererseits kommt es gegenüber dem französischen Wort différence (Unterschied) zu einer Erweiterung der Bedeutung. Das »a« in différance verweist auf das Partizip Präsens (différant) des Verbs différer, das nicht nur »Andersheit«, »Unterschied« oder »Distanz«, sondern auch »Aufschub« oder »Verzögerung« bedeutet und damit den statischen Aspekt der différence um einen dynamischen Aspekt erweitert. 30 Diese beiden Differentialaspekte kennzeichnen Derridas différance somit als Bewegung, die sowohl einen räumlichen als auch einen zeitlichen Unterschied begründet. Insofern Zeichen niemals mit sich selbst identisch sind, sondern ihre Bedeutung erst aus der Differenz zu allen anderen Zeichen im semiologischen Netz der Oppositionen erhalten, ist dem Zeichen eine unauflösbare Dichotomie und irreduzible Disjunktion eingeschrieben, die Derrida als Verräumlichung (espacement) bezeichnet: Derridas différance bezeichnet also analog zu Nāgārjunas śūnyata die Tatsache, dass jeder Begriff (A) unmittelbar sein Gegenteil (-A) mit- und entgegengesetzt, von dem er sich unterscheidet und auf das er sich konstitutiv bezieht. 31 Auf diese Weise zeitigt jedes inhomogene Zeichen eine Verräumlichung zwischen den verschiedenen Differenz-Elementen (différents/différences), die in einer konstituierenden und originären Kausalität zu29 30 31

Loy 1997a: 251. Cf. Derrida 1974: 44. Cf. Derrida 1999: 40.

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sammenhängen. Indem Zeichen also in einer Vermittlung mithin auf Umwegen immer auf andere Zeichen rekurrieren und damit einen irreduzibel polysemantischen und endlosen Iterationsprozess eines prinzipiell unabschließbaren Zeichensystems generieren, ist eine selbstidentische Bedeutung des Zeichens auch zeitlich uneinholbar. Diese Bewegung des präsenzlosen Bedeutens, in der jedes gegenwärtige Element auf etwas anderes als sich selbst vorausweist und noch das Merkmal (marque) des vergangenen Elements an sich behält, ist als ursprungsloser Begriffsprozess ziel- und endlos. Diesen dissoziativen Aspekt der différence bezeichnet Derrida wiederum als Verzeitlichung (temporisation). Die von allen metaphysischen Voraussetzungen entbundene »Urschrift« oder »Urspur«, wie Derrida die différance in diesen beiden Aspekten der Verräumlichung und Temporisation bezeichnet, beschreibt also eine unerschöpfliche Sprachbewegung als Retention und Protention von Verschiedenheiten, die sich von Zeichen zu Zeichen fortsetzt, ohne dabei als hyperessentialistisches Substitut des negierten, präsenzmetaphysischen und wahrheitsbegründenden Ursprungs zu dienen. 32 Als endloses Spiel der Signifikanten beschreibt die différance somit den ursprungslosen Mechanismus einer endlosen Streuung (dissémination) und Erzeugung von Bedeutung in einem transfiniten saṃsāra der Zeichen. Dieses Spiel der différance bezeichnet für Derrida die allgemeine Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats, wodurch das gesamte identitäts- und präsenzlogische Denken der abendländischen Metaphysik und Onto-Theologie in ihrem konstitutiven Logozentrismus als Suche nach einem mit sich selbst identischen Signifikat von Grund auf erschüttert werde. 33 Indem die différance dabei als Funktion des Zeichensystems selbst wiedereingeschrieben und nicht als ursprungsmetaphysisches Substitut potenziert wird, negiert sie sich permanent selbst und setzt in dieser Negation zugleich einen neuen Negationsgegenstand, der wiederum selbst Cf. Loy 1997a: 258. Der Begriff der Spur (trace) »beschreibt im grammatologischen Denkmodell die Wirksamkeit der « différance », jener Bewegung des Bedeutens also, die durch das aufschiebende Moment der Zeichenverwendung die Selbstgegenwart identischer Bedeutungen unterhöhlt.« Wagner-Egelhaaf 1998: 50. Die différance ist Derrida zufolge damit zwar schlechthin »ursprünglicher«, doch könne man sie nicht mehr »Ursprung« und auch nicht mehr »Grund« nennen: »[D]iese Begriffe gehören wesensmäßig in die Geschichte der Onto-Theologie, das heißt in das System, das als Auslöschung der Differenz fungiert.« Derrida 1974: 44. 33 Cf. Derrida 1974: 87. 32

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zum Gegenstand der Dekonstruktion wird, usw. ad infinitum. Was bleibt sind endlose, von aller Präsenz und Identität suspendierte Verweisungszusammenhänge und Bezeichnungsbewegungen, das genetische Werden von Zeichen und Zeichen dieser Zeichen, von Spuren und Spuren dieser Spuren: »[T]he continual circulation of signifiers signifies that meaning has no firm foundation or epistemological ground. […] [J]ust as every sign is a sign of a sign, so everywhere there are only traces, and those traces are traces of traces.« 34 Die Analogie zwischen Nāgārjuna und Derrida geht für Loy allerdings weiter als die von beiden projektierte ersatzlose Zerstörung einer jeden logozentrischen Metaphysik. Beide wenden sich vehement gegen die Inauguration einer privilegierten Metasprache durch die Dekonstruktion, die lediglich der Akt einer parasitären Subversion der Sprache von innen sei. Dabei sind beide Denker zwar notwendig auf die Logozentrismen der Sprache angewiesen, aber sie werden methodisch bewusst unter einer Durchstreichung (sous rature) oder in Anführungsstrichen (entre guillemets) genutzt, ohne sich dabei an ihre Kategorien zu binden. 35 So weist Nāgārjuna auch die Leerheit (śūnyatā) noch als Ansicht (dṛṣṭi) zurück und verkündet die Leerheit der Leerheit selbst (śūnyatā-śūnyatā), während Derrida betont, dass es keinen Namen für die différance gebe, die weder ein Wort noch ein Begriff sei, weder Existenz noch Wesen habe und in keine Kategorie des Seienden gehöre. Loy resümiert die meta-reflektorischen Parallelen beider Denker folgendermaßen: The point of śūnyatā is to deconstruct the self-existence/self-presence of things. […]. Although the concept of śūnyatā is so central to Mādhyamika analysis that the school became known as śūnyāvāda (›the way of śūnya‹), there is no such ›thing‹ as śūnyatā. Here the obvious parallel with Derrida’s différance runs deep. Śūnyatā, like différance, is permanently ›under erasure,‹ deployed for tactical reasons but denied any semantic or conceptual stability. It ›presupposes the everyday‹ because it is parasitic on the notion of things, which it refutes. […]. Likewise, to make the application of śūnyatā into a meth-

Loy 1992a: 235 ff. Cf. Magliola 2000: 29. Ein ausgeführter Vergleich von Derrida und Madhyamaka findet sich bei Magliola 1997: 139–155. Diese Ausstreichung ist Derrida zufolge »die letztmögliche Schrift«: »Unter ihren Strichen verschwindet die Präsenz eines transzendentalen Signifikats und bleibt dennoch lesbar. Verschwindet und bleibt dennoch lesbar, wird destruiert und macht doch den Blick auf die Idee des Zeichens selbst frei.« Derrida 1974: 43.

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od would miss the point of Nāgārjuna’s deconstruction as much as of Derrida’s. Derrida is concerned that we not replace the specific, detailed activity of deconstructive reading with some generalized idea about that activity that presumes to comprehend all its different types of application. […]. For both, différance/śūnyatā is a ›nonsite‹ or ›non-philosophical site‹ from which to question philosophy itself. 36

Trotz dieser tiefgreifenden Analogien im Denken Nāgārjunas und Derridas betont Loy gleichwohl die radikalen Differenzen zwischen einem buddhistischen und Derridas poststrukturalistischen Dekonstruktionismus. Loys Kritik zielt dabei vor allem darauf, die bei Derrida in der Latenz gebliebenen radikalen Implikationen der Dekonstruktion zur vollen Geltung zu bringen und damit dessen analysemethodischen Ansatz unter buddhistischen Vorzeichen zu einem konsequenten und vollendeten Abschluss (clôture) zu führen. Den Begriff der Geschlossenheit (clôture) verwendet Derrida, um im Gegensatz zum allgemeinen Ende oder Tod (fin), den Abschluss, respektive die Vollendung der Epoche der »Präsenzmetaphysik« zu bezeichnen, ohne damit eine neue Epoche der Dekonstruktion ausrufen zu wollen. Von der clôture ist nicht eine einzelne historisch-metaphysische Epoche, sondern eine besondere Form des Denkens betroffen, die eine Unterteilung in Epochen überhaupt erst ermöglicht. Indem es die Identität auch noch in der Differenz bewahrt und wie in Hegels bestimmter Negation das Negierte durch die Negation nicht auslöscht, sondern in einer neuen Form aufhebt, ermöglicht dieses Denken den Fortgang und Zusammenhang der Geschichte unter dem Gesichtspunkt der Identität von Identität und Differenz. 37 Es ist dieses Denken, das für Derrida zu einem Abschluss gekommen ist und das er in seinem Essay La voix et la phénomène (1967) folgendermaßen expliziert hat: Loy 1992a: 234. Wenn etwas die Negation von etwas Anderem ist, wird es selbst durch das bestimmt, was es negiert. In der Negation des Anderen wird das Negierte folglich aufgehoben (vernichtet und bewahrt) und das Negierte und Negierende zu einer höheren Einheit hinaufgehoben. Hegel setzt dies in der Einleitung der Phänomenologie des Geistes (1807) folgendermaßen auseinander: »Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkömmt, in der That das wahrhafte Resultat; es ist hiemit selbst ein bestimmtes und hat einen Innhalt. […]. Indem dagegen das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefaßt wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar eine neue Form entsprungen, und in der Negation der Uebergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige Reihe der Gestalten von selbst ergibt.« Hegel 1999: 57. 36 37

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In diesem Sinne glauben wir innerhalb der Präsenzmetaphysik, der Philosophie als Wissen der Gegenstandspräsenz, als dem Sich-naheSein des Wissens im Bewußtsein ganz einfach an das absolute Wissen als an die Abgeschlossenheit (clôture), wenn nicht sogar an das Ende der Geschichte. Und zwar glauben wir buchstäblich, daß ein solcher Abschluß stattgefunden hat. Die Geschichte des Seins als Präsenz, als Selbstpräsenz im absoluten Wissen, als thetisches oder athetisches Selbstbewußtsein (consience [de] soi) in der Unendlichkeit der Parousie ist abgeschlossen. Die Geschichte der Präsenz ist zum Abschluß gekommen. Denn »Geschichte« hat immer nur folgendes gemeint: »Gegenwärtigung« des Seins, Produktion und Sammlung des Seienden in der Präsenz als Wissen und als Herrschaft. 38

Loy wendet den Begriff der clôture nun auf Derridas Dekonstruktion selbst an, um seinen Anspruch einer buddhistischen Vollendung der Dekonstruktion zu indizieren. Das Problem bei Derridas Dekonstruktion sei ihre mangelnde Radikalität. 39 Derridas Dekonstruktion sei einseitig, da sie jeweils nur eine Seite (présence) dekonstruiere und dabei die Notwendigkeit der gegenläufigen Bewegung übersehe, insofern die Dekonstruktion einer Seite auch notwendig ihr Korrelat (différance) erfasse und transformiere. Ohne identitätslogische Präsenz könne es auch keine alteritätslogische Differenz mehr geben, da beide Konzepte interdependent und konstitutiv aufeinander verwiesen seien. Derridas unvollendet gebliebene »einfache Dekonstruktion« der Präsenz führe lediglich zu einer vorübergehenden Umkehrung der Hierarchie der Dualitäten und/oder einer diskontinuierlichen und hereinbrechenden Befreiung von Referenz und Präsenz. 40 Derrida 1979: 162 f. Cf. Loy 1997a: 249. 40 Jens Schlieter hat die Kritik Loys und anderer an Derrida aufgegriffen und kritisch kommentiert: »Man könnte diese entscheidenden Differenzen einerseits, wie dies R. Magliola, D. Loy, H. Coward, C. Zong-qi und andere getan haben, als Bausteine einer Kritik an Derrida verwenden: an einer unvollendet gebliebenen Dekonstruktion, oder sogar: an einer haltlos-heillosen Verstrickung in die Sprache. Man könnte andererseits aber auch Nāgārjuna ›dekonstruieren‹ und ihm metaphysische Residuen nachzuweisen suchen.« Schlieter 1999: 166. Worin diese metaphysischen Residuen Nāgārjunas bestehen sollen, sagt Schlieter allerdings nicht. Loy greife fernerhin zu kurz, wenn er im Glauben an eine mögliche »Selbstdekonstruktion« Derrida vorhalte, er sei nicht konsequent zu dieser vorgedrungen. Als Beleg zitiert Schlieter einen Passus aus einem Brief Derridas: »Deconstruction takes place, it is an event that does not await the deliberation, consciousness, or organization of a subject, or even of modernity. It deconstructs it-self. It can be deconstructed. [Ça se deconstruit.] The ›it‹ [ça] is not here an impersonal thing that is opposed to some egological subjectivity. It is in 38 39

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Derridas Dekonstruktion bliebe daher auf halbem Weg stecken und komme nicht über das endlose Reden über die Differenz hinaus, während eine durch den Buddhismus dekonstruierte Dekonstruktion eine umfassende und befreiende Transformation unserer Selbst- und Welterfahrung ermögliche. 41 Bereits der Versuch einer clôture der Dekonstruktion scheint für Loy mit Derridas Anliegen unvereinbar, der bewusst der Zwischenstufe »reiner Textualität« und dem endlosen Spiel des Schriftzeichens als Prozess von Spuren und den Spuren dieser Spuren verhaftet bleibe: »Any notion of a clôture for deconstruction seems incongruous with Derrida’s project, whose différance, in deconstructing any proffered ›transcendental signified,‹ allows the dissemination of endless suplementation.« 42 Die Ironie dabei sei Derridas Überzeugung, jedes transzendentale Signifikat einer potenziell bezeichenbaren und nicht-metaphorischen Wahrheit zugunsten endloser Supplementierungen widerlegt und damit ein negatives Äquivalent in der Wahrheitsbehauptung des Wirtstextes geschaffen zu haben, da seine eigene Dekonstruktion ja nur auf diese Weise einen Wahrheitsanspruch behaupten könne. Denn die Motivation hinter jeder Interpretation sei die Überzeugung, dass es in einem Text eine Wahrheit zu entdecken gebe, oder – was dasselbe für Loy ist – dass sich aus seiner Kritik irgendeine Wahrheit deconstruction (the Littré says, ›to deconstruct itself [se deconstruire] … to lose its construction‹).« Derrida 1988: 4. Cf. Schlieter 1999: 167. Fußnote 32. Eine ausführliche Analyse der Sprachsicht Nāgārjunas findet sich bei Schlieter 2000: 226–256. Im Gegensatz zu Schlieter bin ich hingegen davon überzeugt, dass gerade im Rahmen einer transzendental-metaphysischen Interpretation die Weite und Tiefe von Nāgārjunas Denken in all seinen Aspekten umfassend gewürdigt werden kann und auf diese Weise jene postmodernistische Verzerrung vermieden wird, die das Madhyamaka auf eine »Dekonditionierung« der Sprache reduziert, der es lediglich um eine Beschränkung der »Reichweite ihrer Suggestionskraft« geht. Schlieter 1999: 166. Cf. Völker 2018b. 41 Auf dieses Problem macht auch Hans-Peter Sturm unter Berufung auf Loy aufmerksam: Der Dekonstruktionismus sehe sich »mit der endlosen formalen Wiederholbarkeit der stets gleichen Operation der Signifikation gerechtfertigt, ohne zu erkennen, daß, indem sich darin ihre Form oder Struktur abbildet, diese jedoch immer identisch bleibt, wir uns davon inhaltlich eine abgeschlossene (definite) Idee bilden können und deren Form wiederum in Blick nehmend unsere Konsequenzen zu ziehen haben. Ausnahmslose Differenz macht alles Differente in der Differenz nämlich ausnahmslos indifferent, d. h. identisch. Differenz ist nur im Gegensatz zu Identität definierbar, und das heißt denkbar. […]. Das modern-postmoderne Entkommen aus den Fesseln der Identität führt geradewegs in die Falle der Differenz.« Sturm 2014: 113 f. 42 Loy 1997a: 249.

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ableiten ließe. Dabei übersehe Derrida, dass er die Wurzel aller möglichen Wahrheit – sei sie positiv assertorisch oder derivativ-dekonstruktiv aus ihrer Negation gewonnen – bereits liquidiert habe. 43 Der Nondualist habe diese Schwierigkeit hingegen nicht, insofern seine vollendete Dekonstruktion die Widerlegung jeglicher Wahrheit und jeglichen Irrtums, einschließlich seiner eigenen Wahrheit zur Folge habe. Die buddhistische Maximal-Dekonstruktion und subsekutive Negation dualistischen Denkens führe daher die extreme Einsicht herbei, dass das Denken angesichts seiner immanenten Grenzen insgesamt transzendiert werden müsse. Der Nondualist sei daher vielmehr »happy for others to realize the ultimate meaninglessness of his statements as long as they realize the meaninglessness of all others as well.« 44 Denn in letzter Konsequenz besteht der eigentliche Sinn und Zweck der Dekonstruktion für Loy in der grundstürzenden Einsicht, dass die Sprache notwendigerweise über sich hinaus an die spirituelle Praxis verweisen muss: »Only meditative practice can actually […] open up a new mode of experience.« 45 Für den konsequenten Nondualisten kann Derridas Position daher nur eine illusionäre Befreiung sein, denn in Wirklichkeit bleibe Derrida mit der Affirmation einer endlosen Zirkulation der Zeichen in der schlechten Unendlichkeit reiner Textualität gefangen, die immer ungreifbarer werde. 46 Dadurch würden vielleicht die Wucherungen der dissémination befreit, aber ein solch »freies Spiel« müsse als nihilistisch bezeichnet werden, wenn seine einzige Motivation der Selbstzweck sei. 47 Kontestabel sei also nicht die Tatsache, dass die Differenz dem Begriff qua Begriff und somit allen Kategorien unseres Cf. Loy 1997a: 258. Loy 1997a: 259. 45 Loy 1997a: 256. 46 Cf. Loy 1997a: 256. Gegenüber Loy argumentiert Garrett Zantow Bredeson in seinem Vergleich von Dōgen und Derrida für eine größere Nähe der Ergebnisse buddhistischer und poststrukturalistischer Dekonstruktion. Es sei absolut essentiell die irreduzible Komplexität der Bewegung der différance nicht als absolute Unbegreiflichkeit der Wirklichkeit oder unaufhörliche intellektuelle Frustration zu begreifen, i. e. Derridas Dekonstruktion nicht wie Loy als Affirmation einer schlechten Unendlichkeit zu verfehlen: »It would only be so if we ignored Derrida’s suggestion to adopt a ›Nietzschean joy‹ in the face of différance. […]. We can […] joyfully affirm our place in the space of play opened up by différance. In so doing we will neither reduce experience to truth nor condemn ourselves to chasing after an unattainable goal.« Bredeson 2008: 77 f. Cf. Derrida 1999: 56. 47 Cf. Loy 1997a: 259. 43 44

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Denkens eingeschrieben sei, sondern die Behauptung, dass die semiologische Differenz eines unabschließbaren Zeichensystems unentrinnbar sei und die Dekonstruktion mithin nicht über den Begriff hinausgehen und qua clôture und abschließender Negation dualistischen Denkens an eine spirituelle Praxis und nonduale Erfahrung von Sprache und Denken verweisen könne. Derridas Dekonstruktion dualistischen Denkens ist für Loy also unvollendet, negativ-logozentrisch und damit letztendlich insuffizient. Diese Einschätzung beruht vor allem auf den disparaten Methoden Nāgārjunas und Derridas, die in Hinblick auf ihr Telos vollkommen divergieren. Während die différance für Derrida eine Strategie ohne Finalität, ein Spiel und Kalkül ohne Ende ist, ist die Philosophie der Leere (śūnyavāda) für Nāgārjuna und Loy genuin soteriologisch motiviert: Sie dient der Beendigung des Leidens (duḥkha). Eine heilsgeleitete und faktische Negation dualistischen Denkens jenseits der bloß schematischen Dekonstruktion identitätslogischen Präsenzdenkens komme für Derrida hingegen nicht in den Blick: Derridas »deconstruction is more focused on the dukkha that operates in language, which is the place we intellectuals search for a truth to fixate on; his philosophical critique does not address the role of grasping and fixation in the rest of our lives.« 48 Die nonduale Dekonstruktion dürfe daher nicht auf das Medium der Textualität limitiert werden oder bei der alleinigen Negation dualistischen Denkens stehen bleiben. Die nonduale clôture, die Loy im Blick hat, geht nicht nur über Derrida hinaus, indem sie Identität und Differenz gleichermaßen dekonstruiert, sondern transzendiert auch noch den rein textuellen Geltungsbereich, den Derrida der Dekonstruktion zugewiesen hatte. Einer soteriologisch motivierten und vollendeten Dekonstruktion müsse es in ihrer ganzen Radikalität vor allem um die Dekonstruktion der scheinbaren Objektivität der Welt selbst gehen, die darauf beruhe, dass man Wahrnehmungen als Zeichen selbstexistenter Objekte auffasse und – wie gleich noch zu zeigen sein wird – auch der Dekonstruktion der Vorstellung einheitlicher, in allem zeitlichen Wechsel mit sich selbst identisch bleibender Subjektivität. 49 Nāgārjunas »real target« sei daher »that automatized, sedimented metaphysics disguised as the world we live in.« 50 Worum es Loy neben der rein formalen clôture also geht, ist eine materiale 48 49 50

Loy 2009a: 60. Cf. Loy 1992a: 227 f. Loy 1992a: 241.

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Ausweitung der Grenzen der Textualität und damit der Kompetenz der Dekonstruktion auf die Totalität phänomenalen Seins selbst: »What would happen if these claims about textuality were extrapolated into claims about the whole universe?« 51 Dem Begriff ist qua Begriff also nicht nur der Zugang zur transdiskursiv-nondualen Realität verwehrt, seine transzendentale Qualität führt uns Loy zufolge auch noch in die Irre, indem der Begriff die Pluralität der Welt überhaupt erst projiziert und unsere dual-diskursive Erfahrung ursprünglich konstituiert. 52 Die Negation dualistischen Denkens und die clôture der derridaschen Dekonstruktion führt also zur zweiten Form der Nondualität: Der Nonpluralität der Welt. 53 Loys Projekt einer buddhistischen Dekonstruktion umfasst in kritischer Rücksicht auf Derridas Ansatz also zusammenfassend viererlei: (1) Die formale clôture der Dekonstruktion, die sowohl identitätslogisches Präsenzdenken als auch alteritätslogisches Differenzdenken negiert und somit zur Negation des dualistischen (Präsenz-/ Differenz-)Denkens in toto führt 54; (2) die radikalisierende Transgression und materiale Ausweitung der Dekonstruktion als Transzendierung ihrer textuellen Limitation und die Anwendung dekonstruktionistischen Denkens auf die konstitutiven Kategorien unserer dualistischen Selbst- und Welterfahrung 55; (3) das soteriologische Telos, das Loys nondualen Ansatz bestimmt 56 und (4) die damit einhergehende Substitution reiner Theorie durch spirituelle Praxis. 57

2.2. Die Nonpluralität der Welt Im Gegensatz zu Derridas textuell limitiertem Begriff der différance betont Loys buddhistische Dekonstruktion, dass der Begriff der Leerheit (śūnyatā) nicht nur eine rein formale Dekonstruktion dualistiLoy 1993: 481. Cf. Loy 1997a: 21. 53 »[T]he world itself is nonplural, because all the things ›in‹ the world are not really distinct from each other but together constitute some integral whole.« Loy 1997a: 21. 54 Cf. Loy 1997a: 249. 55 »[T]his Textuality (literally, ›that which is woven, web‹) extends beyond language means.« Loy 1993: 482. 56 »Healing Deconstruction […] emphasizes the healing possibilities of deconstruction.« Loy 1996b: 2. 57 »[R]ealizing this healing potential requires a move from theorizing to practice, for only that can truly deconstruct the self.« Loy 1996b: 2. 51 52

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schen Denkens, sondern auch eine materiale Dekonstruktion der Totalität phänomenalen Seins und somit eine Negation der Pluralität der objektiven Welt insgesamt impliziert. Für Loy ist Zweiheit folglich nicht nur ein soteriologisches und erkenntnistheoretisches, sondern auch ein ontisches Problem. Innerhalb der Universaldekonstruktion der Leerheit korrespondiere der textuellen différance auf phänomenaler Seite der Begriff der Kausalität. 58 Diese différance der objektiven Welt werde als Form universaler Kausalität im Buddhismus im Konditionalnexus des Entstehens-in-Abhängigkeit (pratītyasamutpāda) festgehalten. 59 Positiv gewendet gründet für Loy im Postulat der universalen Interdependenz aller Phänomenalität die Überwindung des falschen Glaubens an die alleinige Realität endlicher Hypostasen und die holistische Idee einer integralen und nondualen Einheit der Wirklichkeit. Insofern alle begrifflich repräsentierten Erscheinungen als solche nicht isoliert und in radikaler Unterschiedenheit und Unabhängigkeit aus-sich-selbst bestehen, sondern wesenhaft relational sind, verweisen sie in ihrer gegenseitigen AbCf. Loy 1992a: 247. Für Loy ist ein spezifisches Verständnis des Konditionalnexus maßgeblich, das erstmals im Kontext des (Prāsaṅgika-)Madhyamaka formuliert wurde und sich erheblich von dessen ursprünglicher Bedeutung unterscheidet. Jeffrey Hopkins hat die für Loy leitende Madhyamaka-Interpretation folgendermaßen resümiert: »Pratītyasamutpāda, ›dependent-existence‹, is taken as referring to the dependent-arising which is the designation of all phenomena in dependence on the thought that designates them. Without thought to designate the existence of phenomena, the arising of phenomena does not occur. However, phenomena undeniably appear to common beings as if they exist in and of themselves, appearing from the object’s side toward the subject rather than appearing to be imputed by the subject toward the object. ›Existing in dependence on a designating consciousness‹ is the special meaning of dependent-arising in the Prāsaṅgika system.« Hopkins 1983: 167. In diesem Sinne beschreibt auch Dan Lusthaus die Funktion des Konditionalnexus im Kontext des für Loy zentralen YogācāraBuddhismus als dialektische und dekonstruktionistische Ent-Nominalisierung aller Ansichten (dṛṣṭi) über die Wirklichkeit, i. e. als Aufweis, dass die phänomenale Welt ausschließlich in Form referenzloser Verweisungszusammenhänge leerer Signifikanten (prajñaptir) existiert. Cf. Lusthaus 2006: 71. Die »Struktur der Welt«, so auch Vetter, sei für Nāgārjuna nicht unabhängig von unserem Denken, sondern konstitutiv durch dasselbe bedingt, sodass mit der »Überwindung der Bestimmungen des Denkens« auch »die Welt in ihrer Bestimmtheit verschwinde.« Vetter 1982: 92. Die phänomenale Pluralität der Welt ist demnach transzendentallogischer Natur; sie existiert ausschließlich in leeren Signifikanten (prajñaptir-upādāya), i. e. im Begriff. Eine ausführliche Analyse dieser für das Madhyamaka insgesamt zentralen Begrifflichkeit findet sich bei Loy allerdings nicht. Cf. May, Ja. 1959: 159. Fußnote 489; Sturm 2014: 263 f.

58 59

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hängigkeit in einem ersten Schritt über sich hinaus auf das alle Hypostasen einende Moment: »The world is not a collection of things but a web of interacting processes. Nothing has any reality of its own apart from that web, because everything, including us, is dependent on everything else.« 60 Nāgārjunas revolutionärer Interpretation zufolge, die Loy als »a ›Copernican revolution‹ within Buddhism« 61 würdigt, sei der Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitiger-Abhängigkeit in seiner letzten radikalen Konsequenz aber keine Aussage über die universale Kausalität und integrale Totalität interdependenter Dharmas, sondern die Lehre ihrer eigentlichen Inexistenz. Das Prinzip universaler Relationalität widerlege ja gerade die Existenz relationsloser Entitäten, ohne deren Dasein auch keine Relation mehr möglich und somit das konstitutive Prinzip der Kausalität selbst nicht mehr gedacht werden könne. Der formalen clôture, die nicht nur identitätslogisches Präsenzdenken, sondern auch alteritätslogisches Differenzdenken negiert, korrespondiere somit ebenfalls eine materiale clôture der Dekonstruktion, die nicht nur die Vorstellung mit sich selbst identischer Entitäten, sondern auch das Prinzip der Kausalität als solches widerlege: »Nāgārjuna’s use of interdependence to refute the self-existence of things is equivalent to what Derrida does for textual meaning, […]. But Nāgārjuna’s second and reverse move is one that Derrida doesn’t make: the absence of any self-existing objects refutes causality/différance.« 62 Das Grundargument Nāgārjunas rekonstruiert Loy in zwei Schritten: (1) Die Einsicht in die universale Dependenz aller Erscheinungen widerlegt die Existenz aus-sich-selbst-bestehender Entitäten. (2) Ohne die Existenz aus-sich-selbst-bestehender Entitäten ist auch keine Relation mehr möglich und damit letztlich auch keine Kausalität mehr denkbar. 63 In einer letzten Konsequenz hebe sich der Konditionalnexus folglich selber auf, sodass der Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitiger-Abhängigkeit tatsächlich ein Lehrsatz vom Nicht-Entstehen-ohne-gegenseitige-Abhängigkeit sei (»nondependent nonorigination« 64). Diese Interpretation sieht Loy bereits im

60 61 62 63 64

Loy 2003a: 85. Loy 1996a: 87. Loy 1992a: 247. Cf. Loy 1993: 67. Loy 1997a: 227. Cf. Loy 2009a: 64; Loy 2003a: 182 f.; Loy 1996a: 92 f.

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Widmungsvers der Mūlamadhyamakakārikā bestätigt, in der Nāgārjuna die Bedeutung der Lehre vom abhängigen Entstehen nicht mit alles umfassender Interrelationalität, sondern mit Nichtvergehen (anirodham), Nichtentstehen (anutpādam), Nichtabbrechen (anucchedam), Nichtandauern (aśāśvatam), Nichteinheit (anekārtham), Nichtvielheit (anānārtham), Nicht-zur-Erscheinung-Kommen (anāgamam) und Nicht-aus-ihr-Verschwinden (anirgamam) identifiziert. 65 Aber auch unter der Prämisse der Existenz atomistisch gedachter Entitäten könne der Zusammenhang von Ursache und Wirkung Nāgārjuna zufolge nicht widerspruchsfrei gedacht werden. Alle vier denkmöglichen Kausalzusammenhänge, die in der Figur des Tetralemmas oder Vierkants (catuṣkoṭi) erfasst werden, überführt Nāgārjuna in die Aporie: 66 Ein Ding kann demnach weder (α) aus sich selbst (satkāryavāda), noch (β) aus einem Anderen (asatkāryavāda), noch (γ) sowohl aus sich selbst als auch aus einem Anderen, noch (δ) weder aus sich selbst noch aus einem Anderen entstehen. (α) Wenn Ursache und Wirkung gemäß der Theorie des satkāryavāda identisch sind und die Wirkung in der Ursache präexistiert, dann kann es keinen Unterschied zwischen Ursache und Wirkung geben. Wenn Kausalität die Relation zwischen zwei distinkten Entitäten meint, dann kann in Anbetracht der Identifikation von Ursache und Wirkung nicht von Kausalität gesprochen werden. (β) Wenn Ursache und Wirkung gemäß der Theorie des asatkāryavāda vollkommen voneinander unterschieden sind, worin besteht dann die Rela65 Cf. Loy 1997a: 226. Die pratītyasamutpāda-Formel setzt Nāgārjuna zudem mit der Leerheit gleich: »We interpret the dependent arising of all things (pratītya-samutpāda) as the absence of being in them (śūnyatā).« Mūlamadhyamakakārikā 24, 18a. In: Sprung 1979: 238. Zitiert mit Loys Modifikationen nach: Loy 1997a: 226. 66 catuṣ: vierfüßig; koṭi: Spitze, Kante. Ein vollständiges Tetralemma (catuṣkoṭi) ist eine »Verbindung von vier Aussagen, die in ihrer Gesamtheit alle kombinatorisch möglichen Behauptungen erfassen soll. Es wird oft in folgender allgemeiner Form wiedergegeben: (1) S ist P. (2) S ist Nicht-P. (3) S ist P und Nicht-P. (4) S ist weder P noch Nicht-P.« Paul, G. 2008: 56. Nāgārjuna bezeichnet die dharmas in der Acintyastava entsprechend als »befreit vom Vierkant« (catuṣkoṭi-vinirmukta), i. e. sie sind durch keine der vier kombinatorisch möglichen Thesen, mit denen wir uns auf etwas beziehen können, widerspruchsfrei sag- oder denkbar, i. e. die dharmas können weder als seiend [~a], noch als nicht-seiend [~~a], noch als sowohl seiend als auch nichtseiend [~(a^~a)], noch als weder seiend noch nicht-seiend [~(a_~a)] konsistent beschrieben oder gedacht werden. Als Inbegriff der phänomenalen Welt stehen die dharmas somit pars pro toto für die universelle Unaussprechlichkeit und Undenkbarkeit der allumfassenden Totalität ontischen Einzelseins und diskursiv-thetisch Denkbarem. Cf. Acintyastava 23. In: Tola/Dragonetti 2002: 129.

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tion zwischen der Ursache und ihrer Wirkung? Ohne wesenhaften Zusammenhang könnte alles aus allem entstehen, wie Milch aus einem Stein. 67 Die prä-mahāyānistische, i. e. abhidharmische Annahme kausal-verknüpfter Dharmas, die lediglich für einen kurzen Augenblick existieren, kann diese Aporie ebenfalls nicht lösen, denn egal wie kurz der Augenblick der Existenz der Dharmas gefasst wird, er muss immer in die drei Phasen ihres Prozesses – Entstehen (utpāda), Bestehen (sthiti) und Vergehen (nirodha) – unterteilt werden (temporale Aporie). 68 Auch die Annahme einer kleinsten, unteilbaren Einheit muss abgewiesen werden, denn ein Dharma, das mit anderen Dharmas im Raum verbunden sein soll, muss in seiner dreidimensionalen Ausdehnung immer noch sechs Richtungsabschnitte – Norden, Süden, Osten, Westen, Zenit und Nadir – aufweisen. Insofern ein Dharma also noch räumlich fassbar ist, ist es teilbar und ohne diese Seiten nicht mehr existent (räumliche Aporie). (γ) Die Widerlegung des satkāryavāda und des asatkāryavāda konstituieren gemeinsam die Widerlegung der dritten Alternative. (δ) Da die vierte Alternative bereits selbst die Negation eines kausalen Zusammenhangs impliziert, muss sie nicht eigens widerlegt werden. Wenn ein Ding weder aus sich selbst noch aus einem Anderen entsteht, dann ereignen sich alle Prozesse völlig kontingent und ohne erkennbaren Zusammenhang. Loy konkludiert: »Nāgārjuna arranges these […] solutions that have been proposed into a ›tetralemma‹ which exhausts the possible alternatives and then rejects them all. Any understanding of cause-and-effect that tries to relate these two separate things together can be reduced to the contradiction of both asserting and denying identity. He concludes that their ›relationship‹ is incomprehensible and unreal.« 69 Cf. Loy 2009a: 37. Der Abhidhamma-piṭaka (abhidharma: den Dharma betreffend) des Pāḷi-Kanons beinhaltet die systematisierte Scholastik der Lehrreden des Buddha aus dem Suttapiṭaka und enthält in beiden erhaltenen Rezensionen sieben Bücher (Dhammasaṅgaṇi, Vibhaṅga, Dhātukathā, Puggalapaññatti, Kathāvatthu, Yamaka, Paṭṭhāna). Die abhidharmische Lehre besteht primär darin, die kleinsten, irreduziblen Daseinsphänomene/-faktoren (dharma) zu unterscheiden, zu klassifizieren, zu kategorisieren und die Bedingungszusammenhänge (pāḷi paṭṭhāna) zwischen ihnen zu analysieren. Die dharmas konstituieren der Analyse des Abhidharma zufolge die absolute Wirklichkeit (pāḷi paramatthato). Cf. Abhidhammattha-Saṅgaha 1, 2. In: Bodhi 2010: 25. Eine ausführliche Darstellung der Dharma-Theorie findet sich bei Rosenberg 1924: 120–140. 69 Loy 1997a: 229. 67 68

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Um diese kontraintuitive Behauptung der nonkausalen und nonpluralen Realität der Welt mit unserer alltäglichen Erfahrung einer Welt zu vermitteln, die aus einer Mannigfaltigkeit ontischer Entitäten besteht, die in Zeit und Raum kausal miteinander interagieren, habe Nāgārjuna die Lehre der zwei Wahrheiten (dvayasatya) postuliert. Bei Nāgārjuna heißt es dazu: The teaching of the Buddhas is wholly based on there being two truths: that of a personal everyday world and a higher truth which surpasses it. Those who not clearly know the true distinction between the two truths cannot clearly know the hidden depths of the Buddha’s teaching. Unless the transactional realm is accepted as a base, the surpassing sense cannot be pointed out; if the surpassing sense is not comprehended nirvana cannot be attained. 70

Vom relativen Standpunkt der Verblendung (saṃvṛti-satya) aus halten wir unsere alltägliche Erfahrung folglich für wahr. Von einem absoluten Standpunkt (paramārtha-satya) aus erkennen wir hingegen ihre Relativität und begreifen, dass diskrete Entitäten mit Eigensein (svabhāva) nicht existieren und die Welt in Wahrheit eine Realität jenseits aller Pluralität und Kausalität ist. 71 Um das Verhältnis saṃsārischer Pluralität und nirvāṇischer Nonpluralität zu illustrieren, zitiert Loy abschließend Huang-Po, der in der Chün-chouNiederschrift gleichsam alle Hypostasen zu illusionären Manifestationen des einen (Buddha-)Geistes erklärt: All the Buddhas and all sentient beings are nothing but the One Mind, beside which nothing exists. This Mind, which is without beginning, is unborn and indestructible. It is not green nor yellow, and has neither form nor appearance. It does not belong to the categories of things which exist or do not exist, nor can it be thought about in terms of new or old. It is neither long nor short, big nor small, for it transcends all limits, measures, names, traces and comparisons. It is that which you see before you–begin to reason about it and you at once fall into error. 72

Mūlamadhyamakakārikā 24, 8–10. In: Sprung 1979: 230 ff. Cf. Loy 1992a: 239 f. Für Loy konstituiert der Standpunkt der verhüllten Wahrheit den saṃsāra und der Standpunkt der höchsten Wahrheit das nirvāṇa. Er beruft sich hierbei ebenfalls auf Nāgārjuna: »That which, taken as causal or dependent, is the process of being born and passing on, is, taken non-causally and beyond all dependence, declared to be nirvāṇa.« Mūlamadhyamakakārikā 25, 9. In: Sprung 1979: 255. Cf. Loy 1997a: 224. 72 Blofeld 1958: 29. Cf. 1997a: 21 f. 70 71

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Diese Einsicht in den transdiskursiven Urgrund, der alle endlichen Hypostasen transzendiert und als Einheitsband aller Erscheinungen fungiert, ist Loy zufolge allen nondualen Traditionen gemeinsam. Im Taoismus sei dieses unteilbare, geburt- und todlose, spirituelle Ganze das Tao, im Advaita-Vedānta das brahman und im Mahāyāna-Buddhismus werde der Gedanke der Einheit der Wirklichkeit u. a. als dharmakāya, dharmadhātu, vijñāptimātratā, tattva oder tathatā kommuniziert. 73 Zwar finde sich keine Stelle in den kanonischen Texten des Pāḷi-Buddhismus, die explizit die Nondualität von Subjekt und Objekt affirmiere, aber es sei auch keine Stelle nachweisbar, die eine solche negiere. 74 Stattdessen interpretiert Loy die anātman-Lehre als eine indirekte Affirmation. Da Subjekt und Objekt wechselseitig abhängige Begriffe seien und es kein Subjekt ohne Objekt und kein Objekt ohne Subjekt geben könne, laufe die Negation des Subjektes (ātman) phänomenologisch auf dasselbe hinaus. 75 Im Madhyamaka-Buddhismus sei hingegen keine Affirmation der Nondualität von Subjekt und Objekt nachweisbar, weil sich der Mādhyamika priEntgegen der Deutung Loys, der die »Das-heit«, »Es-heit« oder »wahre Wirklichkeit« (tattva) und die sinnverwandte Kategorie der »Soheit« bzw. »Soigkeit« und »Wahrheit« (tathatā) mit der nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) identifiziert, hat Lambert Schmithausen überzeugend aufgezeigt, dass mit tathatā im Pāḷi-Kanon ursprünglich der Lehrsatz vom Entstehenin-gegenseitiger-Abhängigkeit (pratītya-samutpāda) als »die sich immer bewahrheitende, niemals unzutreffende, unabänderliche Regel« gemeint war. Schmithausen 1969: 105. Diese ursprüngliche Auffassung habe sich gewandelt, sodass tathatā im Mahāyāna-Buddhismus »zu einer metaphysischen Wesenheit, zur wahren Wirklichkeit verdichtet« worden sei, indem Äquivalente wie »außerhalb von Vorstellung und Rede liegendes Element« (niṣprapañco-dhātu), »merkmalloses Element« (animittodhātu), »wahres Wesen der Gegebenheiten« (dharma-dhātu) und »Grenze des ephemer Seienden« (bhūtakoṭi) hinzugefügt wurden. Schmithausen 1969: 106. Die Yogācāra-Schule vertrete die konkrete Auffassung, nach der »die erlösende Einsicht als eine von sogenannten vikalpas freie Erfahrung einer einheitlichen transphänomenalen, aber auch Sprache und Denken transzendierenden wahren Wirklichkeit, der sog. tathatā bestimmt« werde. Schmithausen 1978: 112. 74 Insofern Nondualität für Loy immer eine sinnliche Erfahrung ohne Subjekt-Objekt-Spaltung meint, lassen sich allerdings mehrere Stellen anführen, die Loys These widerlegen, indem sie jede Form der sinnlichen Erfahrung explizit negieren, wie dies beispielsweise in der Beschreibung des radikal transphänomenalen Zustands der Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl (pāḷi saññā-vedayita-nirodha) der Fall ist, der im Pāḷi-Kanon zudem explizit mit dem Erwachen zum nirvāṇa identifiziert wird. Ich werde darauf im Zusammenhang mit Loys Meditations- und Praxisverständnis noch ausführlich eingehen (siehe 5.2.2.). 75 Cf. Loy 1997a: 28. 73

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mär der Widerlegung aller Thesen verpflichte und sich des Paradoxes gewahr sei, dass jede Bestimmung das bestimmungslose Absolute (tattva) verfehle – und sei es die Bestimmung als bestimmungslos und absolut. Tattva bzw. die tathatā sei niemals sagbar, sondern immer nur erfahrbar und diese Erfahrung könne in letzter Konsequenz weder als dual noch als nondual, weder als sowohl-dual-alsauch-nondual noch als weder-dual-noch-nondual beschrieben werden. 76 Im Yogācāra-Buddhismus fänden sich hingegen eine Vielzahl expliziter Belegstellen und somit der philosophische Höhepunkt des Buddhismus insgesamt. So interpretiert Loy die Yogācāra-Philosopheme des Nur-Geists (cittamātra) sowie der vollkommenen Beschaffenheit und des wahren Wesens der Phänomene (pariniṣpannasvabhāva) als Affirmation einer nondualen Erfahrung, wobei er davon ausgeht, dass es sich dabei in den nondualen Traditionen des Taoismus, Advaita-Vedānta und (Pāḷi-, Madhyamaka- und Yogācāra)Buddhismus immer um die nonduale Wirklichkeit der Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) und niemals um eine Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) handelt. Spätere chinesische und japanische Entwicklungen – Loy bezieht sich hier vor allem auf den Tʾ ien-Tʾ ai- und Hua-yen-Buddhismus und die praktische Applikation dieser Lehren im Reinen Land-, Chʾ an-/Zenund Tantrischen Buddhismus – seien hingegen nur aus dieser Vollendungsgestalt des Buddhismus abgeleitete Ausarbeitungen und Synthesen. 77 Aber auch die Affirmationsbegriffe, die Loy im Buddhismus identifiziert, verweisen für ihn nur approximativ auf das, was begrifflich nicht fixiert werden kann. Denn, so Loy eingedenk der Radikalnegation dualistischen Denkens und unter Berufung auf die Worte Lao-tzes/Laozis, »After all, any Tao that can be Taoʾ d is not the real Tao.« 78

»Mādhyamika is most aware of the paradox that any claim of nonduality amounts to a savikalpa [with thought-construction; F. V.] attempt to describe the nirvikalpa [without thought-construction; F. V.].« Loy 1997a: 55. 77 Cf. Loy 1997a: 30. 78 Loy 1997a: 25. 76

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

2.3. Die Nondualität von Subjekt und Objekt Nach der Negation dualistischen Denkens und der Einsicht in die Nonpluralität der Welt, bleibt für Loy die abschließende Frage offen, wie die Relation zwischen dem Subjekt und der als nonplural erfahrenen Welt gedacht werden muss. Die Welt werde nicht als Ganzes erfahren, wenn das wahrnehmende Subjekt immer noch in seiner Betrachtung der Welt von dieser unterschieden werde. Aus diesem Grund tendieren die beiden vorherigen Formen von Nondualität dazu, in die Nondualität von Subjekt und Objekt zu münden, die den Dualismus eines erfahrenden Selbst, das unterschieden ist von dem, was es wahrnimmt (»sense-object, physical action, or mental event« 79), negiert. Alle drei Formen von Nondualität, i. e. die Negation dualistischen Denkens, die Nonpluralität der Welt und die Nondualität von Subjekt und Objekt, stehen für Loy in einem engen begründungstheoretischen und korrelativen Konnex einer reduktiven Reflexion, an deren argumentativen Ende die schlechthinnige Nondualität der Erfahrung steht: »[T]he nondualistic systems also agree that our usual sense of duality–the sense of separation (hence alienation) between myself and the world ›I‹ am ›in‹–is the root delusion that needs to be overcome.« 80 Dieses cartesianische Ich – »the prisonhouse of consciousness« 81 – sei den nondualen Traditionen zufolge die fundamentale Kernillusion, die es zu überwinden gilt, da sie den Menschen vom Kosmos trenne und alles als Nicht-Ich taxiere und fixiere, was dieses zum Selbst hypostasierte Ich vermeintlich nicht sei. Die anātman-Doktrin (pāḷi anattā) vom Nicht-Selbst artikuliere hingegen die axiomatische, zur Aufhebung der Verblendung und dualistischen Erfahrung führende Grundeinsicht des Buddhismus, der zufolge der psycho-physische Komplex des Menschen kein für sich bestehendes, unabhängiges, unvergängliches (nitya) und leidloses (aduḥkha) Selbst (ātman) besitzt, sondern in einer Ansammlung unbeständiger Aggregate und lose verbundener Prozesse besteht, die unter dem Aspekt ihrer Einheit das menschliche Individuum begründen. Diese weltlichen Daseinsgruppen – die sogenannten fünf Gruppen des Anhaftens (pañca-upādāna-skandhā) – konstituieren die Totalität der menschlichen 79 80 81

Loy 1997a: 25. Loy 1997a: 178 f. Loy 1996a: 79.

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Die Nondualität von Subjekt und Objekt

Existenz: Der Mensch setzt sich buddhistischer Daseinsanalyse zufolge aus Gestalt bzw. Körperlichkeit (rūpa), Empfindung (vedanā), Wahrnehmung (samjñā), Geistformation bzw. Disposition (samskāra) und intentionalem Bewusstsein (vijñāna) zusammen. Diese skandhas sind nun nichts, das Ich habe (»Ich habe einen Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen etc.«), sondern das Ich ist ein Effekt der Interaktion und reziproken Wirkweisen dieser skandhas. Da diese skandhas fernerhin bedingt (asaṃskṛta-dharma) und konstanter Veränderung unterworfen sind (pratītya-samutpāda/kṣaṇikavāda) und daher dem buddhistischen Grundsatz, dem zufolge jegliche Vergänglichkeit (anitya) mit Frustration und Leid (duḥkha) verbunden ist, nicht als unvergängliches und leidfreies Selbst (ātman) des Menschen begriffen werden können, folgert der Buddhismus hieraus die allgemeine Inexistenz der brahmanischen Idee eines ātman. Loy unterscheidet dabei einen synchronen und einen diachronen Aspekt der Dekonstruktion des ātman voneinander. Der synchronen Dekonstruktion entspricht hierbei die Lehre der skandhas, während er die diachrone Dekonstruktion mit der pratītya-samutpāda-Lehre identifiziert. 82 Cf. Loy 1996a: 85. Cf. Loy 2009a: 63. Die anātman-Lehre wird im SaṃyuttaNikāya und der quasi-kanonischen Schrift Milindapañhā des Theravāda-Buddhismus, in der die buddhistische Lehre in Form eines Dialogs zwischen dem buddhistischen Mönch Nāgasena und dem indo-griechischen König Menander/Menandros (milinda) auseinandergesetzt wird, anhand des berühmten Wagengleichnisses illustiert. Ein Wagen ist demnach nur eine bloße Bezeichnung (skt. prajñapt; pāḷi paññatti) für ein Konglomerat aus Einzelteilen, das unabhängig von Deichsel, Achsel, Rädern, usw. nicht der Substanz (dravyasat), sondern lediglich der Bezeichnung nach existiert (prajñaptisat). Cf. Saṃyutta-Nikāya 135. In: Bodhi 2000a: 230; Milindapañha 1, 1. In: Nyānaponika 1998: 51 f. Aber auch die Deichsel, Achsel und Räder selbst sind wiederum aus Teilen zusammengesetzt und folglich nicht für sich seiende Substanzen. Analoges gilt für das menschliche Selbst und die fünf skandhas. Während die Einheit zusammengesetzter Gegenstände und Körper nur relative Existenz (saṃvṛtisat) für sich beanspruchen kann und als illusorische Hypostase verworfen wird, werden die pṛthag-dharmas, i. e. die letzten, irreduziblen und aufgrund ihres je individuellen und unverkennbaren Wesensmerkmals (svalakṣaṇa) qualitativ voneinander unterschiedenen Daseinskonstituenten (dharma) in der realistischen Ontologie der frühbuddhistischen Abhidharma-Scholastik als Grenze der Reduktion, Substrat und wirklichkeitskonstitutive Realitäten (paramārthasat) betrachtet, die durch den Konditionalnexus (pratītyasamutpāda) geregelt werden. Aber auch diese atomistisch vorgestellten und fluktuierenden dharmas setzen sich dem Madhyamaka-Gelehrten Śāntideva (ca. 7.-8. Jh. n. Chr.) zufolge noch aus den sechs Richtungsabschnitten – Norden, Süden, Osten, Westen, Zenit und Nadir – zusammen und können daher keine letzte, substantielle Realität (dravyasat/paramārthasat) für sich beanspruchen. 82

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

Der Kern der anātman-Lehre besteht für Loy allerdings in der Einsicht, dass die Wechselwirkung der unpersönlichen mentalen und physischen Prozesse der fünf skandhas die Illusion erzeugt, dass das Bewusstsein das Attribut eines selbstidentischen Selbst mit inhärenter Existenz (svabhāva) sei. 83 Das Selbstbewusstsein könne aber nur als ein unpersönlicher Prozess verstanden werden, der auf kein zugrunde liegendes Substrat oder Selbst als Träger dieses Bewusstseins verweise. Das Problem entstehe, wenn sich dieses konditionierte Bewusstsein zu einer immateriellen, immortalen, inkorruptiblen und personalen Seele hypostasieren wolle oder, wie Loy schreibt, versuche sich selbst zu be-gründen (»ground itself«) und sich transzendental real zu machen (»make itself transcendentally real« 84). Das SelbstBewusstsein sei dieser kontinuierliche und vergebliche Versuch, sich selbst zu reifizieren und das konditionierte Bewusstsein als unkonditioniertes Selbst zu realisieren. Das Bewusstsein könne sich allerdings genau so wenig selbst ergreifen, wie ein Auge sich selbst sehen könne. 85 Entsprechend der Einsicht der zeitgenössischen Psychologie sei das Gefühl eines autonomen Subjektzentrums folglich als psychologisches, soziales und linguistisches Konstrukt zu identifizieren, das es theoretisch zu dekonstruieren und meditativ-praktisch zu entrealisieren gelte: 86 Psychologisch, weil das reifizierte Selbst-Bewusstsein ein Produkt der Reziprozität der skandhas sei, die in wesenhafter Interdependenz mit dem Rest des Kosmos stünden; sozial, weil sich der Schein eines inhärent existenten Selbst in der Beziehung und Interaktion zu anderen Selbst-Konstrukten entwickle und konsolidiere und sprachlich, weil dieses Gefühl mit dem Erlernen bestimmter Cf. Bodhicaryāvatāra 9, 87. In: Steinkellner 2005: 141. Denn das, was »eine östliche Seite hat«, so der direkte Nāgārjuna-Schüler Āryadeva (zw. 150–250 n. Chr.) in seinem Werk in vierhundert Strophen (catuḥśataka), das habe auch einen östlichen Teil: »Weil also das Atom Teile hat, darum wird das Atom als Nichtatom bezeichnet.« Catuḥśataka 9, 15. In: Frauwallner 2010: 143. Allgemein, so bereits Nāgārjuna in seiner Juwelenkette (ratnāvalī) und den Siebzig Strophen über die Leerheit (śūnyatāsaptatikārikā), könne es logisch keine Einheit ohne Vielheit und keine Vielheit ohne Einheit geben; nichts könne Eins sein, wenn es mehrere Teile enthalte und etwas Teilloses sei nirgendwo zu finden. Cf. Ratnāvalī 1, 71. In: Frauwallner 2010: 140. 83 Loy 1992b: 152. 84 Loy 1994: 70. 85 Cf. Loy 1994: 71. 86 »[T]his deconstruction/reconstruction is what the Buddhist spiritual path is about.« Loy 2008: 17.

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Die Nondualität von Subjekt und Objekt

Begriffe, wie »Ich«, »Mich«, »Mein« und »Mir« verbunden sei, die die Illusion erzeugten, es müsse dort ein Ding geben, auf das diese Begriffe rekurrieren. 87 Die Wiedervereinigung von Subjekt und Objekt dürfe dabei allerdings nicht bloßes Erkenntnispostulat bleiben, sondern müsse meditativ vollzogen und existentiell verwirklicht werden, sodass Körper und Geist, Subjekt und Objekt nicht mehr gegeneinander isoliert erfahren werden und die Verdopplung in innere und äußere Erfahrung eliminiert wird. Diese nonduale Erfahrung der Selbstlosigkeit offenbart uns Loy zufolge zum ersten Mal unsere wahre, i. e. formlose, unteilbare, geburt- und todlose Natur jenseits intellektueller Begreifbarkeit, welche zugleich die wahre Natur der Welt selbst sei. 88 Integraler Bestandteil dieser Erfahrung sei die Erkenntnis der ursprünglichen Ungeschiedenheit von Subjekt und Objekt und die Einsicht, dass unsere gewöhnliche Selbst- und Welterfahrung an sich schon immer nondual gewesen sei und unser dualistisches Denken, die Pluralität der Welt und die Differenz von Subjekt und Objekt nur eine Illusion sind, die ursächlich für das ubiquitäre Leid und unsere kontinuierliche Frustration (duḥkha) angesichts universaler Vergänglichkeit im Kreislauf des saṃsāra verantwortlich ist. 89 Der spirituelle Pfad dient folglich der radikalen Beseitigung der Wahnvorstellung von Zweiheit und dem Ziel, die genuin nonduale, i. e. leidfreie und wahrheitsgemäße Natur unserer Erfahrung zu realisieren und zu leben. 90 In dieser Erfahrung liegt für Loy fernerhin der vom Buddha beschriebene Mittelweg (madhyamā-pratipad) zwischen der eternalistischen Affirmation (śāśvatavāda) und der annihilationistischen Negation (ucchedavāda) eines Selbst (ātman). 91 Die nonduale Erfahrung bedeute weder die erlösende Erfahrung einer transzendenten Wirklichkeit für ein Selbst noch die nihilistische Erlösung von einem Selbst, sondern lediglich das Ende des Verblendungszusammenhangs und die positive Einsicht, dass unserer nondualen Erfahrung nie ein autonomes Subjekt zugrunde gelegen habe, das überhaupt erlöst oder vernichtet werden könnte: »[T]here can be no extinction of the self because there never was a self to be extin-

87 88 89 90 91

Loy 2008: 16 f. Cf. Loy 1997a: 36. Cf. Loy 1997a: 57. Cf. Loy 1997a: 27. Cf. Loy 2008: 48.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

guished, and there can be no salvation for the self because there never was a self to be saved.« 92 Ziel könne allerdings auch nicht die irreversible Befreiung vom Gefühl eines autonomen Subjektzentrums, sondern lediglich die existentielle Emanzipation und einsichtsvolle Transformation und Sublimation der Illusion selbst sein. Tatsächlich wären wir ohne die regulatorischen und integrativen Funktionen der psychologischen Selbststruktur überhaupt nicht lebensfähig. Das vollständige Fehlen eines kohärenten, einheitlichen und kontinuierlichen Selbstgefühls wäre vielmehr ein psychopathologisches Problem und als solches mit klinisch schwerwiegenden Syndromen vergleichbar. Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins, unterschiedliche Schweregrade der Derealisation und Depersonalisierung wären die fatalen und pathologischen Folgen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen würden. Der Zustand der Erleuchtung entspräche dann eher einem traditionell psychiatrischen Krankheitsbild mit allen Anzeichen einer dissoziativen Identitätsstörung. 93 Loy 2003a: 29. Der Mādhyamika Jñānagarbha (8. Jh. n. Chr.), der von der tibetischen Tradition als Nachfolger Bhāvavivekas (ca. 500–570 n. Chr.) und Lehrer Śāntarakṣitas (ca. 725–788 n. Chr.) beschrieben wird, schreibt analog zur Realität der Negation: »The negation of arising, because it is the negation of the concept of real arising, is consistent with Reality (tattva), so [we] also consider it [to be ultimate]. […]. However, when [the negation of real arising] is analyzed from the standpoint of reason, it is only relative. Why? If there is no object of negation (pratiṣedhya), it is clear that in Reality there can be no negation (pratiṣedha). If there is no object of negation, there can be no negation. That is, there can be no negation without any content (viṣaya).« Satyadvayavibhaṅgakārikā/-vṛtti 9. In: Eckel 1992: 76. 93 Cf. Engler 1988. Die klinische Psychiatrie neige daher dazu, »Meditation als Einladung zu einer psychotischen Entdifferenzierung hart errungener Ichgrenzen zu betrachten.« Engler 1988: 63. Näheres zu den oftmals unterschlagenen negativen Wirkungen kontemplativer und meditativer Praxis findet sich bei Tremmel/Ott 2017. Bereits Ernst Mach (1838–1916) hatte darauf hingewiesen, dass man der Ichvorstellung praktisch nicht entbehren könne und eine Erfahrung atomistischer Empfindungen, die gleich nach ihrem Verschwinden vergessen würden, »eine zusammenhanglose Mosaik und Folge von psychischen Zuständen« ergeben würde, wie man dieselbe »bei den niedersten Tieren und bei den tiefstehenden Idioten annehmen« müsse. Mach 1987: 192. Es bietet sich daher an, auf die von Ken Wilber eingeführte Unterscheidung zwischen prä- und transpersonal hinzuweisen. Cf. Wilber 2001: 180–221. Präpersonal wären dann solche Bereiche der Psyche, »die zur Konsolidierung einer stabilen Persönlichkeit notwendig sind. Störungen in diesen Entwicklungsprozessen führen zu klassisch-klinischen Störungen und ein Mangel an starker Ich-Struktur sollte nicht mit einer transpersonalen Entwicklung verwechselt werden, in deren Verlauf es irgendwann zu einer Transzendenz, nicht aber zu einer Auflösung, dieses Ichs 92

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

Entsprechend will auch Loy das Selbstgefühl nicht eliminieren, sondern transzendieren, integrieren und durch eine kritisch geläuterte Auffassung substituieren: The point isn’t to get rid of the self: that’s not possible, for there never has been a self. Nor do we want to get rid of the sense of self: that would be a rather unpleasant type of mental retardation. Rather, what we work toward is a more permeable, less dualistic sense of self, which is more aware of, and more comfortable with, its empty constructedness. 94

Doch was bedeutet eine solche nonduale Erfahrung im konkreten Einzelfall? Die Implikationen seiner Hypothese hat Loy anhand seiner Theorie eines radikalen Phänomenalismus elaboriert.

2.4. Nondualismus als radikaler Phänomenalismus In der nondualen Erfahrung wird weder die Pluralität unseres begrifflich-vorstellenden Denkens noch die Mannigfaltigkeit der phänomenalen Welt erfahren. Die basale und epistemologisch konstitutive Dualität von Subjekt und Objekt wird hier ebenso transzendiert wie die Trinität von Wissen, Wissendem und Gewusstem. In dieser Erfahrung sind alle mannigfaltigen Unterscheidungen geschwunden und jede Dualität eliminiert. Daraus resultiert für Loy die Frage nach dem Verhältnis von erscheinender Dualität und realer Nondualität, die für seine Philosophie von entscheidender Relevanz ist. Ist mit der Differenz zwischen saṃsārischer Dualität und nirvāṇischer Nondualität nicht eine weitere Dualität zwischen trügerischer Pluralität und unsagbarer Nonpluralität, der vielheitslosen Leere und deren in eine Vielzahl partikularer Einzeldinge zersplitterten Erscheinung eingeführt? Wie explizieren die nondualen Traditionen das Verhältnis zwischen der begrifflich-idealen (nāma) und sinnlich-realen (rūpa) phänomenalen Welt der Namen und Gestalten und ihrem eigentlichen nondualen Realitätsgehalt? Sind die welthaften Phänomene nur eine trügerische Illusion (māyā), die den eigenschaftlosen Geist verschleiert oder sind sie reale Manifestationen dieses Geistes? Die erste Alternative postuliert Loy zufolge de facto nicht die Nonplurakommen kann.« Walach/Kohls/Belschner 2005: 409. In den Worten Jack Englers: »Sie müssen zuerst jemand sein, ehe Sie niemand werden können.« Engler 1988: 38. 94 Loy 2008: 22. Cf. Loy 2015a: 45.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

lität und integrale Einheit der Phänomene, sondern vielmehr einen monistischen Illusionsgrund, wodurch ein neuer Chorismos zwischen Geist und Phänomenen, zwischen erscheinender Illusion und subsistierender Realität eingeführt werde. Die zweite Alternative umgehe dieses Problem hingegen, indem hier alle Phänomene als realer Ausdruck des integralen Geistes verstanden würden. Eine konsistente Theorie der Nondualität muss Loy zufolge also folgende Fragen diskutieren und entscheiden, die sich aus ihrem Einheitspostulat theoretisch ergeben: (1) Sind die relativen Phänomene reale Transformationen des einen Seinsprinzips, was Loy als abgeschwächten Pluralismus/Monismus bezeichnet, oder sind die relativen Erscheinungsformen eine illusionäre Scheinentfaltung des Einen, was Loy als starken Monismus interpretiert? (2) Besteht das Verhältnis von Nondualität und Dualität, dem transdiskursiv Absoluten und dem diskursiv Relativen, in einer (I) kosmologischen, (II) ontisch-ontologischen oder einer (III) phänomenologischen Differenz? 95 In der (I) kosmologischen Differenz wird Nondualität als transzendente Qualität betrachtet, die der Dualität nicht immaniert, sondern in einer außerweltlichen Seinsweise über, unter oder jenseits des Vielen realisiert ist. Das Nonplurale und das Plurale konstituieren zwei kosmologisch unterschiedene Seinsbereiche, die zueinander in Beziehung gesetzt werden müssen, wodurch die Welt-negierende Transzendenz des Nondualen betont wird. Die erlösende Befreiung (mokṣa) von der Bindung an die Weltlichkeit (bandha) kann folglich nur postmortal im Tod realisiert werden (videhamukti), wenn der Seinsbereich der Dualität (saṃsāra) abschließend transzendiert wird. Wenn nirvāṇa und saṃsāra kosmologisch different sind, kann es zu Lebzeiten keine letztgültige Befreiung im saṃsāra geben. Erlösung (mokṣa) ist folglich ein extramundan-transzendenter und rein eschatologischer Begriff, der den Übergang von einem leidhaften (saṃsāra) in einen erlösten Seinsbereich (nirvāṇa) kennzeichnet. 96 In der an Heidegger angelehnten (II) ontisch-ontologischen Differenz wird Nondualität hingegen als immanente Qualität betrachtet, die der erscheinenden Dualität inhäriert. 97 Das nonduale Sein und das Cf. Loy 1997a: 23 f. Cf. Loy 2018: 52. 97 Den zentralen Begriff der ontologischen Differenz hat Heidegger erst im unmittelbaren Anschluss an die Erstveröffentlichung von Sein und Zeit (1927) eingeführt. Der Sache nach ist die programmatische Unterscheidung zwischen dem Sein des Seienden (ontologische Ebene) und dem Seienden (ontische Ebene) aber bereits in der Einlei95 96

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

vielheitlich Seiende konstituieren hier keine kosmologisch distinkten Sphären. Nirvāṇa und saṃsāra haben wie Morgen- und Abendstern dieselbe Extension (bhūtakoṭi), aber unterschiedliche Intension, wodurch die Immanenz des Nondualen betont wird. Ontologisch gibt es also nur einen Seinsbereich, der auf zwei unterschiedliche Weisen erfahren werden kann. Das zweitlose Absolute kann durch Nichtwissen (avidyā) und die dadurch verursachte Begriffs- und Vorstellungspluralität (prapañca/vikalpa/kalpanā) fälschlich als vielheitlich-fragmentierte, phänomenale Welt (saṃsāra) wahrgenommen werden oder sub specie vanitatis et vacui wahrheitsgemäß als nirvāṇa erfahren werden, womit die eingangs beschriebene Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) bezeichnet ist. Die erlösende Befreiung (mokṣa) von der Bindung an die Weltlichkeit (bandha) kann bereits in diesem Leben vollständig verwirklicht werden (jīvanmukti/bodhisattva), gerade weil keine kosmologische, sondern eine rein ontologische Differenz zwischen nirvāṇa und saṃsāra besteht. Erlösung (mokṣa) ist folglich ein intramundan-immanenter Begriff. 98 In der (III) phänomenologischen Differenz ist neben der kosmologischen auch die ontisch-ontologische Differenz verschwunden. Die Erfahrung verweist weder auf »Dinge« noch auf einen subjektiven Träger der psychischen und physischen Phänomene, sondern austung zu Sein und Zeit präsent. Dort schreibt Heidegger, dass Sein »jeweils das Sein eines Seienden« bezeichnet, dieses Sein des Seienden aber selbst kein Seiendes ist. Heidegger 2006: 9. Eingeführt hat Heidegger den Begriff der ontologischen Differenz dann in seiner Marburger Vorlesung über die Grundprobleme der Phänomenologie vom Sommersemester 1927. Cf. Heidegger 1975: 22. Das Verhältnis von Sein und Seiendem hat Heidegger bis zuletzt beschäftigt. Im Nachwort zur vierten Auflage von Was ist Metaphysik? (1943) hatte Heidegger noch geschrieben, dass es zur Wahrheit des Seins gehöre, dass »das Sein wohl west ohne das Seiende«. Heidegger 1978b: 304. In der nachfolgenden fünften Auflage (1949) schrieb Heidegger dann abweichend, dass es zur Wahrheit des Seins gehöre, dass »das Sein nie west ohne das Seiende«. 1978b: 304. Auf diese weitreichende Modifikation des Textes hat der deutsche Jesuit und Neuthomist Johannes Baptist Lotz (1903–1992) hingewiesen und seinem Lehrer Heidegger vorgeworfen, dass er »mit dem Sein des Seienden noch nicht die letzte Tiefe des Seins erreicht« habe. Lotz 1978: 99. Lotz unterscheidet daher von der ontologischen in einem weiteren Schritt die metaphysische Ebene, die nicht auf das schon immer im Seienden athematisch enthaltene Sein des Seienden, sondern auf das subsistierende Sein unabhängig alles Seienden als dessen Ermöglichungsgrund geht, das als Absolutes wiederum nicht mit »dem gemeinsamen Sein aller Dinge (esse commune omnium)« verwechselt werden dürfe. Lotz 1978: 106. 98 Cf. Loy 2018: 53 f.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

schließlich auf sich selbst und die in ihr beschlossenen Bewusstseinsvorstellungen, Gedanken, Willens- und Gemütsregungen, die entweder mit oder ohne Subjekt-Objekt-Spaltung erfahren werden können. Saṃsāra steht hier für unsere alltägliche, durch Nichtwissen (avidyā) gekennzeichnete Erfahrung, die sich innerhalb der Subjekt-ObjektSpaltung vollzieht, während nirvāṇa die nonduale Wirklichkeit dieser sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) bezeichnet, die diese Spaltung transzendiert. Die erlösende Befreiung (mokṣa) von der Bindung an die Weltlichkeit (bandha) kann auch hier bereits in diesem Leben vollständig verwirklicht werden (jīvanmukti/bodhisattva), weil zwischen nirvāṇa und saṃsāra weder eine kosmologische noch eine ontologische, sondern eine rein phänomenologische Differenz besteht. Erlösung (mokṣa) ist hier ebenfalls als intramundan-immanenter Begriff gefasst. 99 Bezieht sich Loys nonduale Erfahrung nun auf eine übergegensätzliche Transzendenz, die hinter den sinnlich wahrnehmbaren Phänomenen und jenseits der sinnfälligen Welt der Erfahrung verortet ist (kosmologische/ontisch-ontologische Differenz) oder ist diese von aller Pluralität suspendierte Erfahrung nur eine radikal modifizierte Form der sinnlichen Erfahrung selbst (phänomenologische Differenz)? Kurz: Wird in der nondualen Erfahrung die Realität erfahren (advaita/acittaka/nirākāra) oder ist die nonduale Erfahrung diese Realität selbst (advaya/sacittaka/sākāra)? Das Postulat einer kosmologischen bzw. ontisch-ontologischen Differenz zwischen Nondualität und Dualität entspricht Loy zufolge der Unterscheidung einer vom Identitätsdenken bestimmten westlichen Metaphysik, die, insbesondere aufgrund der wirkmächtigen Gedanken von Parmenides (ca. 6.-5. Jh. v. Chr.), Platon (ca. 427–347 v. Chr.) und Kant, die Tendenz zeige, die phänomenale Welt konstanten Wandels (kosmos aisthetos/mundus sensibilis/phaenomenon) gegenüber einer subsistierenden und unwandelbaren Realität (kosmos noetos/mundus intelligibilis/noumenon) hinter den gestalthaften Phänomenen zu desavouieren und die sinnliche Erfahrung gegenüber einer abstrakt intellektuellen oder intuitiven Erkenntnis zu entwerten. 100 Für Loy Cf. Loy 2018: 55 f. Um Loys Platon-Interpretation zu widerlegen, reicht bereits ein einziger Passus aus dem Timaois aus: »[N]achdem die Welt in der obigen Weise mit sterblichen und unsterblichen belebten Wesen ausgerüstet und erfüllt worden, ist sie so selbst zu einem sichtbaren Wesen dieser Art geworden, welches alles Sichtbare umfaßt, zum Abbilde des Schöpfers und sinnlich wahrnehmbaren Gott und zur größten und bes99

100

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

ist die sinnliche Erfahrung hingegen keineswegs die Grenze, die zur nondualen Realität hin transzendiert werden muss. Im Gegenteil: »Reality is staring us in the face all the time, but somehow we misperceive it.« 101 Entscheidend sei vielmehr die Art der Wahrnehmung selbst: »I argue […] that what must be transcended is not sense-perception in toto but a certain type of sense-perception generally. […] [A]nother kind of sense-perceiving can be developed that reveals Reality–or, to be more exact, is Reality.« 102 Für Loy ist die Welt, wie sie in der zu transzendierenden Wahrnehmung des natürlichen Menschen erscheint, eine Fiktion, die der Geist hervorbringt, indem er diese ursprünglich reine Erfahrung mit mentalen Konstrukten überlagert. 103 Bei der nondualen Erfahrung handelt es sich hingegen um eine Erfahrung ohne Innen und Außen, in der es kein erfahrendes Subjekt gibt und die Erfahrungen auf kein zugrunde liegendes Objekt verweisen. 104 Eine nonduale Philosophie der Erfahrung unterscheidet sich für Loy demnach signifikant in zwei wesentlichen Aspekten von Kants Erkenntnislehre. Erstens sei es der Anspruch des Mahāyāna-Buddhismus und des Advaita-Vedānta, dass der Prozess der verstandesmäßigen Bestimmung unserer Sinneseindrücke dekonstruiert und de-automatisiert werden könne. Zweitens postuliere der Nondualist keine Dinge an sich (noumena) hinter den Erscheinungen (phaenomena), sondern unterscheide lediglich »the ›bare percept‹ from its conceptual and emotional superimpositions« 105, also zwischen sinnlicher Anschauung in Bezug auf die formgebende Tätigkeit des Verstandes (savikalpa) und sinnlicher Anschauung ohne diesen Bezug (nirvikalpa). Das Ding an sich sei die nonduale Perzeption selbst, also die reine Materie unserer Anschauung ohne Bezug auf die formalen Funktionen des Subjektes und des Verstandes: »I can ›let go‹ of the ›seizing‹ too–that is, even the ›I‹ can

ten, zur schönsten und vollendetsten, die es geben konnte, geworden, diese eine und eingeborene Welt.« Timaios 92 B. In: Loewenthal 2010a: 191. Ken Wilbers prägnante Kritik trifft daher auch Loy, wenn er schreibt: »This [Timaios 92 B; F. V.], of course, upsets the common ecophilosopher and neopagan prejudice, which views a strawman Plato as being nothing but a fountain of Western hatred of this world.« Wilber 1997: 262. 101 Loy 1997a: 39. 102 Loy 1997a: 39. 103 Cf. Loy 1997a: 39. 104 Cf. Loy 1997a: 40. 105 Loy 1997a: 42.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

be let go–and what is experienced then is the original thing-in-itself, a nondual percept.« 106

2.4.1. Jenseits von Transzendenz und Immanenz: Loys Nirvāṇa-Interpretation Für Loy ist die nonduale Erfahrung und somit die nondual erfahrene Phänomenalität selbst die letzte Realität des nirvāṇas, was wiederum erklärt, warum Loy die Erleuchtungserfahrung als nirvāṇa und nicht mit dem im Buddhismus gebräuchlichen Begriff bodhi bezeichnet. Für Loy gibt es keine in der Erleuchtung erfahrene transzendente Wirklichkeit, sondern nur die Erleuchtungserfahrung als letzte Wirklichkeit selbst: Reality is Appearance itself, although this of course cannot be appearance as we normally understand it, which is appearance of something. The nondualist explanation turns the usual view upside down: it is our normal, commonsense understanding–in which we distinguish between physical objects and their appearance to us–that is guilty […] of metaphysically postulating a reality ›behind‹ appearance. […] In this way the nondualist presents us with the possibility of actually returning to things-in-themselves, percepts as they are, before they have been thought-constructed into the dualistic world of a subject confronting a materialized world of discrete objects. 107

Die einseitig Transzendenz-orientierte Interpretation, in der die Welt sinnlicher Erfahrung zur jenseitigen Wirklichkeit eines kosmologisch oder ontologisch differenten nirvāṇa überstiegen wird, das in Teilen des Pāḷi-Kanons als überweltliche (pāḷi lokuttara) und unbedingte (pāḷi asankhata) Wirklichkeit gekennzeichnet und als Bedingung der Möglichkeit der Erlösung verstanden wird, kontrastiert Loy mit einer rein Immanenz-orientierten Interpretation, die vor allem im modernen Buddhismus des Westens und der Achtsamkeitsbewegung an Popularität gewonnen habe und in der unter dem Einfluss der Psychotherapie der buddhistische Pfad auf ein therapeutisches Programm zur psychischen Entstörung und Entwicklung des Menschen reduziert werde. 108 Bei diesem instrumentellen Zugang zur Meditations106 107 108

Loy 1997a: 48. Loy 1997a: 41. Cf. Loy 2015a: 5, 10; Loy 2018: 58 ff. Dem entspricht die nirvāṇa-Interpretation

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

und Achtsamkeitspraxis gehe es mithin nicht darum, die wahre Natur dieser Welt einschließlich unserer selbst hier und jetzt zu erkennen, sondern primär um die Zähmung des rastlosen »Affengeistes« (monkey mind), die Bewältigung tief verwurzelter mentaler Probleme und Beziehungsschwierigkeiten sowie den Versuch, die transformative Kraft buddhistischer Praxis auszubeuten, um Stress zu bewältigen und auf diese Weise mitunter die Produktivität und Arbeitseffizienz von Individuen und Organisationen zu steigern. 109 Loy kann allerdings weder ein klassisch-transzendentes Verständnis des Buddhismus (otherworldly buddhism) noch ein rein immanentistisches Verständnis des Buddhismus (this-worldly buddhism) überzeugen. 110 Perry Schmidt-Leukels, der unter Berufung auf das Udāna, das Itivuttaka, den Visuddhimagga und die Milindapañha argumentiert, dass das nirvāṇa des Pāḷi-Buddhismus nicht auf den Bewusstseinszustand einer erleuchteten Person reduziert werden könne. Als Ziel eines erfolgreich gegangenen Erlösungswegs wäre das nirvāṇa von diesem abhängig und somit dem Konditionalnexus (pratītyasamutpāda) zufolge unvermeidlich vergänglich. Erleuchtung müsse vielmehr als die Erfahrung einer unbedingten (asaṃskṛta) und überweltlichen (lokottara) Wirklichkeit interpretiert werden. Cf. Schmidt-Leukel 2008: 48 f.; Schmidt-Leukel 2016; Udāna 8, 3. In: Seidenstücker 1920: 94; Itivuttaka 43. In: Seidenstücker 1922: 27; Visuddhimagga 507–509. In: Nyānatiloka 1975: 588–592; Milindapañha 4.7. In: Nyānaponika 1998: 252 f. Eine analoge Interpretation findet sich allerdings in kritischer Absicht auch bei Loy, der sarkastisch fragt, welche »Nicht-Selbste« diese ontologisch distinkte Seinssphäre nach dem Tod eigentlich erreichen sollen: »With the transcendentalist approach I want to escape this unsatisfactory world, but what is this ›I‹ that wants to go somewhere else?« Loy 2015a: 39. Cf. Loy 2015a: 14 ff., 24. Dem stellt Loy kontrastierend Stellen aus dem Khuddhaka-Nikāya des Pāḷi-Kanons entgegen – das Aṭṭhakavagga aus dem Sutta-Nipāta und das Bāhiya-Sutta aus dem Bodhivagga des Udāna –, die das Erwachen zum nirvāṇa weniger als Transzendenzerfahrung, sondern als »an unselfish, nongrasping way of living here and now« bezeugen. Loy 2015a: 16. Cf. Sutta-Nipāta 4, 1–16. In: Nyānaponika 2003: 171–202. Für Loys nirvāṇa- und Buddhismusinterpretation insgesamt ist dabei vor allem folgender Passus aus dem Bāhiya-Sutta von entscheidender Relevanz: »Was das betrifft, Bāhiya, so hast du dich also in dieser Weise zu üben, daß alles das, was du siehst, hörst, denkst und dessen du dir bewußt wirst, ausschließlich nur als Gesehenes, Gehörtes, Gedachtes und Bewußtgewordenes zu gelten hat. In dieser Weise also, Bāhiya, hast du dich zu üben. Insofern nun, Bāhiya, alles das, was du siehst, hörst, denkst, oder dessen du dir bewußt wirst, für dich ausschließlich nur als Gesehenes, Gehörtes, Gedachtes oder Bewußtgewordenes gilt, gehörst du weder dem Hienieden, noch dem Jenseits an, noch auch dem, was innerhalb beider liegt; eben dies ist das Ende des Leidens.« Udāna 1, 10. In: Seidenstücker 1920: 8. Cf. Loy 2015a: 18 f. Hier könnte allerdings analog zu Loys Kritik gefragt werden, welches »Nicht-Selbst« diese nonduale Erfahrung eigentlich machen soll. 109 Cf. Loy 2015a: 26–38. 110 Cf. Loy 2018: 59.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

Ersteres gehe unvermeidlich mit einer Abwertung dieser Welt einher und habe aufgrund seiner quietistischen und eskapistischen Implikationen unter dem Einfluss der Globalisierung und Modernisierung zunehmend an Überzeugungskraft verloren, während letzteres eine modernistische Sichtweise und narzisstische Selbstbefangenheit dokumentiere, die der extremen Vision der nondualen Erfahrung nicht annähernd gerecht werde. Loys eigene Interpretation des nirvāṇas muss dabei im größeren Kontext seiner Buddhismusinterpretation gesehen werden, deren allgemeines Hauptanliegen es ist, den Buddhismus für die heutige Gesellschaft relevant zu machen, indem man ihn kritisch befragt, säkularisiert und seine mythologischen Wurzeln aus achsenzeitlicher Überlieferung durch eine moderne Weltsicht substituiert, die mit der Naturwissenschaft und einer Vielzahl moderner Erkenntnisformen potentiell vereinbar sein will. 111 Sowohl der kosmologische Dualismus einer transzendenten Deutung als auch der psychologistische Reduktionismus einer immanentistischen Deutung des nirvāṇas sind für Loy zutiefst defektiv, weil sie keine weltanschauliche Grundlage für einen zeitgenössischen Buddhismus bieten, der sich angesichts der drohenden Klimakatastrophe und anderer Herausforderungen der Globalisierungsproblematik als wesentlich sozial-engagiert entwerfen soll. Wenn das höchste Ziel buddhistischer Praxis die mystische Erfahrung einer unbedingten Seinssphäre jenseits der Welt ist oder es dabei lediglich um spirituelle Wellness auf der Grundlage eines materialistisch-reduktionistischen Paradigmas geht, dann führt der buddhistische Pfad für Loy geradewegs weg von den drängenden Problemen der Gegenwart und direkt in die Immoralität der sozialen Indifferenz hinein: »If awakening involves transcending this suffering world, we can ignore its problems because we are destined for a better place. If the Buddhist path is psychological therapy, we can continue to focus on our own individual neuroses.« 112 Will der Buddhismus hingegen sein befreiendes Potential für das Individuum verwirklichen und darüber hinaus auch noch die gesellschaftspolitischen, ökonomischen und ökologischen Probleme der Weltgemeinschaft adressieren, dann bedarf es Loy zufolge einer alternativen Auslegung der buddhistischen Lehre, die Erlösung nicht außerhalb der Welt, sondern in der Welt selbst sucht und findet. Die 111 112

Cf. Loy 2015a: 3. Loy 2015a: 7. Cf. Loy 2018: 60.

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erwachte Art der Welt- und Selbsterfahrung, die Loy dabei im Sinn hat und als eigentlichen Gehalt des nirvāṇas interpretiert, sei in ihrer phänomenologischen Differenz dabei aber so radikal von unserem gewöhnlichen Selbstverständnis und Welterleben unterschieden, dass man gegenüber der rein immanentistisch-psychologistischen Verkürzung durchaus von einer spezifisch phänomenalistischen Variante der Welttranszendenz sprechen könne, ohne dabei die gefallene Welt in kosmologischer oder ontisch-ontologischer Differenz hinter sich lassen zu müssen: »Understanding the difference between these two will help us to see a third possibility, which emphasizes neither transcending this world nor accepting it as it is (or seems to be).« 113 Das nirvāṇische Erwachen könne daher am besten auf der Grundlage der Lehren Dōgens als Prozess der Selbstentwerdung bei gleichzeitiger Weltwerdung verstanden werden, dessen existentielle Verwirklichung und Integration in unser tägliches Leben ganz natürlich zu verantwortlichem Handeln in der Welt motiviere, da man nunmehr das Wohl der Welt nicht mehr von seinem eigenen trennen könne. 114 Wie sich noch näher zeigen wird, ist Dōgens Buddhismusinterpretation insgesamt für Loy in einem eminenten Sinn als philosophische Grundlage eines sozial-engagierten Buddhismus geeignet, da Dōgen auch noch die mahāyānistische Variante der Trans113 Loy 2015a: 10. Diese Vorstellung Loys widerspricht allerdings grundsätzlich der frühbuddhistischen Tradition, für die ein transzendentes Erlösungsideal (lokuttara) und weltimmanentes Wirken keinen Widerspruch verkörperte. Nachdem Siddhārtha Gautama zum Buddha geworden war, hatte er zunächst mit dem Gedanken gespielt, den Dharma nicht zu verkünden und zu predigen, sondern zu schweigen, weil die Wahrheit, die er entdeckt hatte, »schwer zu gewahren, schwer zu erkunden« und dem »Vergnügen suchenden Geschlechte« kaum verständlich sei. Majjhima-Nikāya 26. In: Neumann, K. 1995: 189. Daraufhin erschien die Gottheit Brahmā Sahampatti, die den Buddha eindringlich anflehte, die buddhistische Lehre zum Wohle der Welt zu verkünden, woraufhin dieser sich »aus Erbarmen zu den Wesen« zur Verbreitung der Lehre entschloss. Neumann, K. 1995: 190. In einer anderen Erzählung wird überliefert, wie die böse Gottheit Māra der Legende nach den Buddha davon abhalten wollte, den dharma zu verbreiten und stattdessen sofort in das endgültige parinirvāṇa einzugehen. Der Buddha erwiderte daraufhin, dass er nicht eher die Welt verlassen werde, bis er einen Orden (saṅgha) für Mönche (skt. bhikṣus; pāḷi bhikkhus) und Nonnen (skt. bhikṣuṇīs; pāḷi bhikkunīs) sowie eine Gemeinschaft für männliche (upāsaka) und weibliche (upāsikās) Laien etabliert und damit sichergestellt habe, dass Menschen im Einklang mit dem dharma leben und nach der Erlösung streben können und die buddhistische Lehre auch weiterhin zum Wohle aller Wesen und Heil der Welt verkündet und verbreitet werde. Cf. Dīgha-Nikāya 26. In: Neumann, K. 2004: 261 f. 114 Cf. Loy 2015a: 20.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

zendenzproblematik vermieden habe, der zufolge sich der kosmologische Dualismus auf individueller Ebene wiederhole, wenn einige Texte des Mahāyāna-Buddhismus zwischen einem »höheren« Teil des Menschen bzw. seiner unwandelbaren Buddha-Natur (tathāgatagarbha) und einem »niederen« Teil des Menschen bzw. seinem wandelbaren Körper mit seinen ephemeren Emotionen und Bedürfnissen unterscheiden. Loy ist davon überzeugt, dass auf der Grundlage der Lehren Dōgens beide Fehlformen einer transzendenten und immanentistischen Buddhismusinterpretation vermieden werden können und gleichzeitig eine authentische Adaption buddhistischer Lehren an den Kontext der Postmoderne möglich ist: »Buddhist enlightenment is not simply a more mindful adaptation to our unfortunate existential condition, nor is it attaining some other dimension that is distinct from and therefore indifferent to this world. Rather, it is a transformative realization that the world as we usually experience it (including the way that I usually experience myself) is neither real nor unreal but a psychological and social construction that can be deconstructed and reconstructed, which is what happens when one follows the Buddhist path.« 115

2.4.2. Nondualer Phänomenalismus und transzendenter Hyperessentialismus: Loys Abkehr vom Paradigma der negativen Theologie Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass die Philosophie der Leere (śūnyavāda) mit ihrer reduktiven Vorgehensweise für Loy eine rein epistemologische Aussage über unsere Erfahrung und dezidiert kein apagogischer Beweis eines erfahrungstranszendenten Substrats oder der Versuch einer real-ontologischen Vernichtung aller Phänomenalität ist. Die Negation der prädikativen Sprache dient nicht der hyperaffirmativen Inanspruchnahme eines überwesentlichen und unaussprechlichen Jenseits, welches über alle Gegensatzpaare erhaben ist und nur schweigend im Nichtwissen gewusst werden kann. Loy weist immer wieder darauf hin, dass der Dekonstruktionismus der Leerheit (śūnyatā) nicht als Bewegung verstanden werden darf, die der apophatischen Methode der negativen Theologie folgt und qua Negation aller Denkbestimmungen zu einer übergegensätzlichen Transzendenz 115

Loy 2015a: 40.

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jenseits sinnlicher Erfahrung führen will, auf die als allerhöchste Position nur durch die entschiedenste Negation verwiesen werden kann. Ziel sei dezidiert kein erfahrungstranszendentes Jenseits, sondern ein transformiertes Diesseits: Shunyata does not mean non-existence, or a void, nor does it describe some transcendent reality such as God or Brahman. According to Nagarjuna shunyata simply refers to the fact that things have no ›essence‹ or self-being of their own. […]. For Nagarjuna, shunyata is a concept that is useful because it can help us realize something, but which does not itself refer to something. Shunyata is a shorthand way to refer to this absence of self-existence. […]. Nagarjuna’s ›ultimate truth‹ does not refer to something that transcends this world. 116

Damit weiß sich Loy erneut zutiefst geeint mit Derrida, der sich vor allem in seinem Jerusalemer Vortrag zur Eröffnung eines von der Hebrew University veranstalteten Kolloquiums über »Absence et négativité« im Juni des Jahres 1986 von der negativen Theologie distanziert und gegen den Vorwurf verwahrt hatte, sein poststrukturalistischer Dekonstruktionismus führe deren Paradigma fort. 117 Derrida hatte in seinem Vortrag die Differenz zwischen der (Super-) Affirmation und (Super-)Negation einer hyperaffirmativen Hyperessentialität als entscheidenden Unterschied zwischen der Methode der Negativen Theologie und seiner Dekonstruktion gekennzeichnet. Während die apophatische Rede der Negativen Theologie jenseits aller positiven Prädikation und jenseits des Seienden ein überwesentliches Über-Sein behalte, initiiere die dekonstruktionistische Rede der différance keine Bewegung zu einer überseienden und überwesentlichen Hyperessentialität (hyperousia; superessentialis). Die différance sei weder dies noch das, weder sinnlich noch intelligibel, weder positiv noch negativ, weder drinnen noch draußen, weder über- noch untergeordnet, weder aktiv noch passiv, weder anwesend noch abwesend, nicht aufhebbar, ja nicht einmal neutral oder dialektisierbar in 116 Loy 2008: 48 f. Loys Interpretation findet sich bestätigt durch Keiji Nishitani (1900–1990), der den Standpunkt der Leerheit als »das absolute Diesseits, wo es kein Jenseits gibt«, kennzeichnet. Nishitani 2001: 184. 117 Cf. Derrida 1999: 34 f. Derrida wendet sich damit auch gegen diejenigen, die die Dekonstruktion als »bastardierte Wiederauferstehung der negativen Theologie« interpretiert hatten. Derrida 2006: 39. Derridas Rezeption der Mystik und negativen Theologie hat eine bis heute andauernde Debatte evoziert, die an dieser Stelle nicht eigens rekonstruiert werden kann. Cf. Enders 2007; Kühn 2009: 167–175; Kühn 2013a: 110–132; Kühn 2013b: 390–440; Margreiter 1997: 397–414; Münnix 2008.

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einem Dritten, ohne jedoch auf diese Weise auf eine transdiskursive Dimension jenseits aller Prädikationsmöglichkeiten zu verweisen. 118 In Derridas Abwehr der Negativen Theologie und der Kritik einer »onto-theologische[n] Wiederaneignung« 119 der différance vermeint Loy den genuin buddhistischen Kampf gegen erfahrungstranszendente Hypostasen und metaphysische Tendenzen innerhalb der eigenen Tradition in Form einer reifizierenden Superaffirmation der Leerheit (»hypostatized śūnyatā« 120) wiederzuerkennen. Die Kritik eines solchen apophatischen Hyperessentialismus sei geradezu das Paradigma buddhistischen Philosophierens überhaupt. Ein authentischer Buddhismus definiert sich für Loy dementsprechend zu einem wesentlichen Teil über diese Inkompatibilität und Inkommensurabilität mit dem transzendenzoffenen Ansatz einer jeden Negativen Theologie. 121 Die Leerheit darf für Loy daher nicht von der phänomenalen Form getrennt und die phänomenale Form nicht von der Leerheit unterschieden werden. Form und Leere sind nondual, wie es der berühmte Vers aus dem Herz-Sūtra verkündet: »[F]orm is not other than emptiness, and emptiness is not other than form.« 122 Die Form als Manifestation der Leerheit zu betrachten, dokumentiere bereits eine dualistische Verfehlung ihres eigentlichen Aussagegehalts: »[O]ne must be careful not to reify emptiness into something that phenomena arise from, […]. A more accurate phenomenological description is that empty phenomena appear and disappear.« 123 Für Loy stellt Transzendenz als solche, i. e. alles, was jenseits der sinnlichen Erfahrung liegt und die Grenzen des phänomenalen Diesseits zu einem hyperessentialistischen Jenseits überschreitet, nicht

118 Cf. Derrida 2006: 14 f., 23, 62, 69. Auf »die unterschiedliche intentionale Begründung des negativ-theologischen Diskurses und der Sprachbewegung der différance« hat vor allem Martina Wagner-Egelhaaf in ihren Studien wiederholt aufmerksam gemacht. Wagner-Egelhaaf 1998: 51. »Im einen Fall (Derrida) wird die Vorgängigkeit einer transzendenten Wahrheit geleugnet, im anderen Fall (negative Theologie/Mystik) wird deren Transzendenz qua Negation zum Ausdruck gebracht: Zwei intentional vollkommen verschiedene, ja entgegengesetzte Modelle entwickeln vergleichbare sprachliche Formen.« Wagner-Egelhaaf 1991: 338 f. Cf. Loy 2009a: 47. 119 Derrida 2006: 23. 120 Loy 1992a: 249. 121 »Buddhist philosophy has been preoccupied with refuting any tendency to postulate a transcendental-signified, including any ›hyperessentialism.‹« Loy 1992a: 228. 122 Loy 1997a: 268. Cf. Conze 2002: 171. 123 Loy 1997a: 268 f.

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nur eine Fehlinterpretation Nāgārjunas, sondern das eigentliche philosophische, theologische und existentielle Problem dar. Wir seien ständig darum bemüht, uns von der manifesten Welt abzulösen, um zu einer realeren aufzusteigen, aber gerade dieser kosmologische Dualismus zwischen einer irrealen und realen Seinssphäre sei unsere eigentliche Verblendung, die als einzigen verbleibenden Kanditaten für die reale Welt die gegenwärtige übrig lasse, deren eigentliche Natur uns verborgen bleibe, weil wir permanent damit beschäftigt seien, sie zu transzendieren. 124 Da die phänomenalen Hypostasen Loy zufolge aber auf nichts anderes verweisen als auf ihre eigene Substanzlosigkeit (niḥsvabhāva), bleiben in seinem nondualem Phänomenalismus konsequenterweise nur zwei unterschiedliche Erfahrungsmodi über: Die verblendete Perspektive, in der wir unsere auf der Dualität von Subjekt und Objekt basierende Erfahrung einer phänomenalen Welt mannigfacher Erscheinungen für real halten und diejenige Perspektive, in der wir diese Erfahrung als substanz- und substratlose Illusion falsifizieren: For Mahāyāna, śūnyatā is not a category distinct from phenomena but a statement about their lack of self-nature. As the Prajñāpāramitā Heart Sutra says, emptiness is not other than form. […]. For Mādhyamika, the ›two-truths‹ doctrine is a shorthand way of expressing a difference between two modes of experience: what we normally experience as real is, from the perspective of another experience, unreal. 125

Doch während einige Stellen des Pāḷi-Kanons das Erwachen zum nirvāṇa explizit mit einem radikal transphänomenalen Zustand der Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl (pāḷi saññā-vedayitanirodha) identifizieren, von dem aus die phänomenale Welt sinnlicher Erfahrung als Illusion durchschaut wird, verkehrt Loy dieses Verhältnis geradezu in sein Gegenteil, indem er alles zur Illusion erklärt, was jenseits der phänomenalen Welt sinnlicher Erfahrung behauptet wird. 126 Die phänomenale Welt ist für Loy nur ein Schein ohne ontologisches Substrat (adhiṣṭhāna). In ihr kommt nichts zur Erscheinung. Sie hat buddhistisch gesprochen keine Grundlage, insofern sie sich auf nichts anderes bezieht, weder ein wahrgenommenes

124 125 126

Cf. Loy 1996a: 93. Loy 1997a: 69. Aṅguttara-Nikāya 6, 14. In: Bodhi 2012: 870.

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Objekt noch ein wahrnehmendes Subjekt: »They [our percepts; F. V.] are only the phenomenal manifestation […] of nothing.« 127 Der Gleichmut des Bodhisattvas beruhe darauf, dass er alle dharmas als śūnya, also ohne Bezug auf irgendetwas außerhalb von ihnen Liegendes betrachte. Diese Erfahrung sei die tathatā, die Erfahrung der »Soheit/Soigkeit« der Dinge, die Loy mit dem nirvāṇa identifiziert. Angesichts Loys rigoroser Ablehnung von Transzendenz scheint diese phänomenalistische Interpretation letzter Wirklichkeit notwendig aus seinen erkenntnistheoretischen Prämissen zu folgen. Auch Nāgārjunas Lehre der zwei Wahrheiten (dvayasatya) und dessen kontroverse Identifikation von saṃsāra und nirvāṇa legt Loy dahingehend aus. 128 Diese zentrale Aussage des Madhyamaka-Buddhismus lasse keine andere Deutung zu, als dass sie den dualen Erfahrungsmodus als saṃsāra und den nondualen Erfahrungsmodus als nirvāṇa charakterisiere: »The key point is that samsara and nirvana are not different realms of existence (they share the same koti, ›limits‹), for the terms refer to different ways of experiencing or ›taking‹ this world. […] [S]amsara is awareness bound and nirvana is the ›same‹ awareness liberated. […]. This also helps us understand the significance of the Madhyamaka distinction between two truths– samvrti the everyday transactional truth and paramartha the supreme truth« 129.

2.4.3. Die Phänomenologische Differenz: Savikalpa- und nirvikalpa-Erfahrung Für den saṃsārischen und nirvāṇischen Modus der Erfahrung verwendet Loy die Termini savikalpa (differenziert) und nirvikalpa (undifferenziert). Loy übersetzt savikalpa mit »with thought-construction« 130 und nirvikalpa mit »without thought-construction« 131. Sabedeutet »mit« und Nir-/Nis- ist ein negatives Präfix, das »hinaus, Bodhi 2012: 179. Cf. Bodhi 2012: 51 f. Cf. Mūlamadhyamakakārikā 25, 19–20: »Es gibt nichts, was den Saṃsāra vom Nirvāṇa, und das Nirvāṇa vom Saṃsāra unterscheidet. Die Grenze des Nirvāṇa ist zugleich die Grenze des Saṃsāra. Zwischen diesen beiden wird auch nicht der feinste Unterschied gefunden.« In: Weber-Brosamer/Back 2005: 100. 129 Loy 2009a: 19. 130 Loy 1997a: 43. 131 Loy 1997a: 43. 127 128

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weg von«, respektive »frei von, Negation von« meint. Kalpa pffiohne, ffi geht wiederum auf die Wurzel klṛip zurück, was nach Monier-Williams »to frame, form, invent, compose, […] imagine« 132 bedeutet. Vi suggeriert Unterschiedenheit, Verschiedenheit, Getrenntsein und Bifurkation. Der Verstand (manas) wird in der Regel als dasjenige Vermögen charakterisiert, dem neben einer integrativen und synthetischen Funktion (saṁkalpa: Beschluss, Entschluss, Absicht, Wunsch, Willen, bzw. Idee, Einbildung, Phantasie) auch eine differenzierende und analytische Funktion (vikalpa) zukommt. Vikalpa meint hier also die Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit der Vorstellung. Savikalpa bezeichnet dementsprechend unsere Wahrnehmung (pratyakṣa) und Kognition (saṁjñāna) mit Bezug auf die formgebenden Funktionen des Verstandes, womit unsere alltägliche, auf der Dualität von Subjekt und Objekt basierende Erfahrung einer objektiven Welt mannigfacher Erscheinungen gemeint ist. Demgegenüber bezeichnet nirvikalpa eine nonduale Wahrnehmung (pratyakṣa) und Kognition (saṁjñāna), in der kein Bezug auf diese formgebenden Funktionen gegeben ist und somit keine Vorstellungsdiversität und -pluralität mehr erfahren wird. 133 Den zentralen Begriff des prapañca definiert Loy entsprechend als »the differentiation of the nondual world of nirvikalpa experience into the discrete-objects-of-the-phenomenal world, which occurs due to savikalpa thought-construction« 134 oder kurz als »conceptual proliferation.« 135 Prapañca-nāmarūpa meint Monier-Williams 2005: 308. Eine detaillierte Diskussion von savikalpa und nirvikalpa pratyakṣa findet sich bei Datta 1997: 78–85. 134 Loy 1997a: 54. 135 Loy 2009a: 21. Die entscheidende Frage ist auch hier wieder, ob die von Nāgārjuna mit dem Zur-Ruhe-Kommen des prapañca (prapañca-upaśama) assoziierte Realität jenseits des prapañca (paramārtha-tattva/tathatā) die nonduale Wirklichkeit der Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) oder die Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) bezeichnet, die als solche unabhängig von unserer sinnlichen Erfahrung ist. Ich halte Loys phänomenalistische Lesart Nāgārjunas, die die relative Wahrheit des saṃsāra und die absolute Wahrheit des nirvāṇa mit zwei Formen der Erfahrung (savikalpa/nirvikalpa) identifiziert, für unvereinbar mit den Quellen, insofern Nāgārjuna tattva mit dem wahren Sein (dravya) des Buddha (tathāgata) identifiziert, durch dessen Erkenntnis und unmittelbare Innewerdung man selbst zum Buddha werde. Cf. Mūlamadhyamakakārikā 22, 15. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 69; Acintyastava 37–41. In: Tola/Dragonetti 2002: 130. Insofern saṃsāra und nirvāṇa dieselbe Wirklichkeitsgrenze (bhūtakoṭi) haben, beziehen sie sich wie Morgen- und Abendstern auf denselben Seinsbereich (tattva), ohne dabei denselben Sinn zu besitzen. Indem Nāgārjuna tattva anhand eines Zitats 132 133

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bei Loy also die begrifflich-ideale (nāma) und sinnlich-reale (rūpa) phänomenale Welt der Namen und Gestalten (nāmarūpa), die durch den prapañca aus unseren nirvikalpa-Erlebnissen entfaltet wurde. Wenn diese nirvikalpa-Erlebnisse per se allerdings bar der Differenz von Subjekt und Objekt und der Trinität von Wissen, Wissendem und Gewusstem sind, stelle sich allerdings die Frage, inwiefern überhaupt noch von Wahrnehmung gesprochen werden könne. Wenn das reine nirvikalpa-Erlebnis keinem Subjekt eine Erkenntnis über ein Objekt vermittle, dann sei der Begriff der Wahrnehmung vielleicht nicht mehr zutreffend und sollte der savikalpa-Erfahrung vorbehalten

aus dem Kevaṭṭa-Sutta des Dīgha-Nikāya näherhin als transzendentales BewusstSein spezifiziert, wird fernerhin deutlich, dass Nāgārjuna die Realität jenseits des prapañca nicht als nonduale Wirklichkeit unserer sinnlichen Erfahrung begreift: »In [jenem] Bewusstsein (vijñāna), das unzeigbar (anidarśana) und grenzenlos (ananta) ist und überall herrscht, haben die Erde, das Wasser, das Feuer und das [sic!] Wind keinen festen Platz eingenommen (na gādh). Hier (d. h. im Bewusstsein) [hört die Vorstellung von der Existenz] der Länge (dīrgha), der Kürze (hrasva), der Feinheit (aṇu), der Grobheit (sthūla), des Guten (śubha) und des Schlechten (aśubha) [auf]. Hier hören eben (api) [die Kategorien] Name (nāma) und Form (rūpa) restlos (aśeṣaṃ) auf.« Ratnāvalī 1, 94–95. In: Eda 2005: 302 ff. Cf. Dīgha-Nikāya 11. In: Walshe 1995: 179 f. Folgt man der Interpretation Schmithausens, dann handelt es sich bei Loys Lesart des Yogācāra-Buddhismus ebenfalls um eine phänomenalistische Verkürzung. In der Yogācārabhūmi bedeute die Negation des prapañca (niṣprapañca/ aprapañca) in subjektiver Verwendungsweise zunächst »frei von der ausbreitenden Tätigkeit der Rede oder Vorstellung«, »außerhalb des Bereiches von Vorstellung und Rede liegend« oder im Sinne von nirabhisaṃskāra »frei von jeder geistigen Aktivität oder Unruhe überhaupt«. Schmithausen 1969: 141 f. In objektiver Verwendungsweise bedeute niṣprapañca/aprapañca wiederum »frei von jeglicher vielheitlicher Erscheinung« oder »frei von den von Reflexion und Rede gesetzten Bestimmungen«. Cf. Schmithausen 1969: 142. Hiermit sei im Yogācāra-Buddhismus allerdings dezidiert keine nonduale Erfahrung, sondern die Transzendenzerfahrung einer transphänomenalen Wirklichkeit bezeichnet. Cf. Schmithausen 1978: 112. Gegenüber Schmithausen hat Lusthaus eine phänomenologische Interpretation des Ch’eng wei-shi lun vorgelegt, die eine größere Nähe zu Loys buddhistischem Phänomenalismus aufweist. Lusthaus interpretiert das buddhistische Erwachen (bodhi) im Kontext des YogācāraBuddhismus als »see[ing] things as they are actually becoming (yathābhūtaṃ)«: »Through insight (jñāna), our deepest incessant misinterpretations (prapañca) are extinguished, put to rest (prapañcopaśama), and experience becomes peaceful. Buddhism is a method (mārga) for rectifying our cognitive activities.« Lusthaus 2006: 4, 55. Es stellt sich hier allerdings ebenfalls die Frage, ob eine solche Interpretation nicht die nach der Erleuchtung erlangte Erfahrung der phänomenalen Welt (laukikapṛṣṭhalabdha-jñāna) mit der absoluten Wirklichkeit (paramārtha-tattva) verwechselt und diese dadurch ebenfalls phänomenalistisch verkürzt.

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

bleiben: »As a result, what might be called ›only perception‹ turns out to be equivalent to no perception.« 136

2.4.4. Die Widerlegung von Objekt und Subjekt Um seine phänomenalistische These zu konsolidieren, der zufolge nur nonduale nirvikalpa-Erlebnisse real sind und die Illusion eines erfahrenden Subjektes und eines erfahrbaren Objektes lediglich auf den Hypostasen des prapañca beruht, setzt Loy seine Theorie nondualer Erfahrung in Bezug zu westlichen Wahrnehmungstheorien und bezieht in seine Kritik des Objektbegriffes einige Argumente George Berkeleys (1685–1753) mit ein. Loys an Berkeleys Immaterialismus angelehnte Widerlegung basiert dabei auf der Annahme, dass alle drei Charakteristika dessen, was wir allgemein als physisches Objekt visueller Wahrnehmung bezeichnen, widerlegt und somit die Vorstellung diskreter, materieller und undurchdringlicher Entitäten, die eine inhärente Existenz haben und in der Zeit beharren, negiert werden kann: Ein physisches Objekt zeichne sich demnach primär dadurch aus, dass es (1) aus Materie bestehe, die als solche Ursprung unserer visuellen Sinneseindrücke und impermeabel sei und (2) durch erfahrungsunabhängige Aseität (reines Aus-sich-selbst-Bestehen) und (3) Persistenz qualifiziert sei. 137 Dabei rekurriert Loy auf die 1713 publizierten Dialoge zwischen Hylas (hyle: Stoff) – dem Vertreter des Materialismus – und Philonous (philos: Freund, nous: Geist) – dem Vertreter des Immaterialismus und Spiritualismus –, in denen Berkeley das Substanz-Konzept von Materie widerlegt, dem zufolge perzipierte Sinneseindrücke nur als Qualitäten verstanden werden können, die einem materiellen Substrat inhärieren und als von diesem abhängig gedacht werden müssen. Qualitäten seien immer Qualitäten-von und als solche notwendig auf eine zugrundeliegende Substanz verwiesen. So argumentiert Hylas, dass er, wenn er Loy 1997a: 39. Loy grenzt diese alltagssprachliche Form der Aseität (self-existence) von dem Madhyamaka-Begriff der inhärenten Existenz und des Eigenseins (svabhāva), der ebenfalls mit Aseität (self-existence) übersetzt werden kann, klar ab: »This concept of svabhāva differs from that of Mādhyamika, according to which nothing that has self-existence could ever be changed or destroyed, but it does embody the commonsense notion. The bubble may have a very short life, but it nonetheless exists until it pops.« Loy 1997a: 75. 136 137

161 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

sinnlich wahrnehmbare Dinge als viele Weisen und Eigenschaften ansehe, auch dazu genötigt sei, ein materielles Substrat anzunehmen, ohne das man ihr Dasein nicht begreifen könne. Hylas räumt auf die Nachfrage des Philonous, mit welchem seiner Sinne Hylas dieses materielle Substrat denn wahrnehme, allerdings sogleich ein, dass ausschließlich Qualitäten perzipierbar seien, ein materielles Substrat selbst hingegen niemals unmittelbar erfahren werde: »It is not itself sensible; its modes and qualities only being perceived by senses.« 138 Mit Berkeley kommt Loy zu dem Schluss, dass wir keine materiellen Entitäten wahrnehmen, die sich durch Aseität und Persistenz auszeichnen, sondern nur eine Mannigfaltigkeit perzipierter Qualitäten, von denen wir unmöglich auf ein persistierendes Substrat schließen können, dessen Akzidenzien sie wären. Der Eindruck von Materie (1) sei lediglich ein savikalpa-Gedankenkonstrukt des prapañca, das auf der Kombination visueller und taktiler nirvikalpa-Erlebnisse beruhe. 139 So hatte Berkeley in An Essay Towards a New Theory of Vision (1709) argumentiert, dass man Dinge, die sich in einiger Entfernung befinden, niemals durch den Gesichtssinn wahrnehme. Dieses oder jenes Ding zu sehen, suggeriere dem Verstand lediglich, dass nach dem Durchlaufen einer gewissen Entfernung, der Vorstellung des Gesichtssinns auch eine Wahrnehmung und tastbare Vorstellung korrellieren müsse, die mit der sichtbaren Vorstellung verknüpft war. Diese Verknüpfung von Tast- und Gesichtssinn, zwischen sichtbaren und tastbaren Vorstellungen, sei aber überhaupt nicht notwendig, wovon man sich durch einen einfachen Blick in den Spiegel überzeugen könne. 140 Streng genommen, so Loy im Anschluss an Berkeley, könne man niemals die Impermeabilität eines Objekts sehen: »That I see it as impermeable is part of the savikalpa determination of the luminous nirvikalpa percept. […]. Of course this relating-together of the senses must occur quite early and is now so automatized or ›subconcious‹ that it is normally impossible to see ›objects‹ as other than impermeable.« 141 Wenn es kein erfahrungsunabhängiges und materielles Objekt mehr gibt, kann konsequenterweise auch keine Aseität (2) und Persistenz (3) prädiziert werden. Geistesgeschichtlich sei seine Theorie 138 139 140 141

Berkeley 2009: 136. Cf. Loy 1997a: 75. Cf. Berkeley 1957: 32 f. Loy 1997a: 75.

162 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

nondualer Wahrnehmung daher am angemessensten als Form des Phänomenalismus zu begreifen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts philosophisch relevant wurde, als er durch Kritiker und Interpreten der kantischen Philosophie eingeführt wurde. Er bezeichnet hier die erkenntnistheoretische Auffassung, der zufolge sich valide Erkenntnis grundsätzlich nur auf bewusste Sinneseindrücke und Phänomene (phaenomena) bezieht und nicht auf Dinge an sich (noumena). Dabei unterscheidet sich der Phänomenalismus allerdings von einem erkenntnistheoretischen Illusionismus dadurch, dass die Existenz von Noumena jenseits der Erscheinungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird. Demgegenüber tendiert analog zu Loys nondualem Phänomenalismus eine strengere phänomenalistische Erkenntnisauffassung dazu, die Annahme materieller Trägersubstanzen von Qualitäten als Hypostasen jenseits der Phänomene abzulehnen und auch auf der Seite des Subjektes das Postulat eines subsistierenden Erkenntniskonstituens der Phänomene im Sinne einer transzendentalen Einheit der Apperzeption abzuweisen. 142 Daher unterscheidet Loy seinen nondualen Phänomenalismus streng von einem subjektiven Idealismus oder Solipsismus, der alle Objekte und somit alle anderen fühlenden Wesen auf private Erlebnisse des einen Subjekts reduziert. Berkeley habe daher zu voreilig die endlose Mannigfaltigkeit von Ideen einem von allen Ideen schlechthin verschiedenen Subjekt zugesprochen, das diese erkennt oder wahrnimmt und das er als Geist, Seele oder sein Selbst bezeichnete. 143 Neben der idealistischen Widerlegung und Auflösung des Objektbegriffes zugunsten 142 Cf. HWPh: Phänomenalismus. Bd. 7: 484. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Phänomenalismus wurde vorgelegt von Stegmüller 1974 und Wüstenberg 2004. 143 Cf. Loy 1997a: 76. Loy bringt keinen Beleg für diesen Vorwurf. Es ist aber wahrscheinlich, dass er dabei folgende Stellen vor Augen hatte: »But besides all that endless variety of ideas or objects of knowledge, there is likewise something which knows or perceives them, and exercises diverse operations, as willing, imagining, remembering about them. This perceiving, active being is what I call mind, spirit, soul or myself. By which words I do not denote any one of my ideas, but a thing entirely distinct from them, wherein they exist, or, which is the same thing, whereby they are perceived; for the existence of an idea consists in being perceived.« Berkeley 2009: 24. »But it will be objected, that if there is no idea signified by the terms soul, spirit, and substance, they are wholly insignificant, or have no meaning in them. I answer, those words do mean or signify a real thing, which is neither an idea nor like an idea, but that which perceives ideas, and wills, and reasons about them. What I am myself, that which I denote by the term I, is the same with what is meant by soul or spiritual substance.« Berkeley 2009: 86 f.

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substratloser nirvikalpa-Erlebnisse müsse auch noch die Vorstellung eines in der Zeit beharrenden und mit sich selbst identischen Subjektes eliminiert werden. Ein nondualer Phänomenalismus dekonstruiere Subjekt und Objekt gleichermaßen radikal und löse beide in nirvikalpa-Erlebnisse auf, womit Loy dem Problem des Solipsismus entkommen zu können hofft: »This avoids the problem of all the data of consciousness becoming private: I may be the only one in the universe, but only because I am the universe.« 144 Zu diesem Zweck supplementiert Loy die anātman-Lehre mit den Argumenten, die David Hume (1711–1776) in A Treatise of Human Nature (1738), John Levy (1910–1976) in The Nature of Man According to the Vedanta (1956), Jean-Paul Sartre (1905–1980) in La Transcendance de l’Ego (1936) und Nietzsche in einigen nachgelassenen Fragmenten aus den Jahren 1887/88 entwickelt hatten. Hume wies die Annahme der vollkommenen Identität und Einfachheit eines reinen und unwandelbaren Bewusstseins mit dem Einwand ab, dass es keinen konstanten und unveränderlichen Eindruck unseres Ichs oder unserer Persönlichkeit gäbe. Die Identität des Subjektes werde folglich nicht durch ein zugrundeliegendes präsynthetisches Substrat gewährleistet, sondern ausschließlich aufgrund der kontinuierlichen Synthesis momentaner Vorstellungen konstituiert, die aufgrund der Assoziationsprinzipien der Ähnlichkeit, der räumlichen und zeitlichen Kontiguität (Berührung/Angrenzung) und der Kausalität zum Schein von Identität verbunden würden. 145 In Wirklichkeit bestehe das Subjekt nur aus einem Bündel rasch aufeinanderfolgender, kausal verknüpfter und nur für einen kurzen Moment existierender Vorstellungen. Ein von den Perzeptionen unabhängiges Ich könne Hume zufolge niemals wahrgenommen werden: »I never can catch myself Loy 1997a: 88. Wie Perzeptionen, die Hume als diskret voneinander existierende Entitäten denkt, miteinander verbunden werden sollen, um so den Schein eines sich selbst gleichbleibenden Subjektes hervorzurufen, war für ihn ein Problem, das ihm angesichts seiner allgemeinen Ansicht, es könne keine realen Verknüpfungen geben, aporetisch erschien. Im Appendix zu A Treatise of Human Nature räumt er kapitulierend ein: »In short there are two principles, which I cannot render consistent; nor is it in my power to renounce either of them, viz. that all our distinct perceptions are distinct existences, and that the mind never perceives any real connexion among distinct existences. Did our perceptions either inhere in something simple and individual, or did the mind perceive some real connexion among them, there wou’d be no difficulty in the case. For my part, I must plead the privilege of a sceptic, and confess, that this difficulty is too hard for my understanding.« Hume 2003: 452. 144 145

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at any time without a perception, and never can observe anything but the perception. […] [A]ll our particular perceptions […] are different, and distinguishable, and separable from each other, and may be separately consider’d, and may exist separatley, and have no need of any thing to support their existence.« 146 Für Loy ist Humes konstitutive Annahme, dass das Ich-Bewusstsein ausschließlich im Modus der Intentionalität gegeben ist und das Ich folglich niemals von seinem unauflösbaren Objekt-Bezug getrennt werden kann, eine ausdrückliche und folgenreiche Kernaussage der nondualistischen Position. Reflexion, die nicht als nachträgliche und objektivierende, sondern als unmittelbare Vertrautheit des Bewusstseins mit sich selbst gedacht wird oder ein reines Bewusstsein, das unabhängig von seinem Erfahrungsobjekt (Bewusstseinvon) als autonomes Selbst charakterisiert und in intellektueller Anschauung unmittelbar intelligiert werden könnte, ist dieser Theorie zufolge unmöglich. 147 An die irreduzible Intentionalität des Bewusstseins habe auch Levy angeschlossen und daraus ein weiteres Argument für die These der Nondualität der Erfahrung abgeleitet. Wenn man sich eines Objektes bewusst sei, dann sei nur dieses Objekt allein gegenwärtig und das Subjekt, das dieses Objekt gewahre, im Bewusstsein nicht vorhanden. Wenn man sich seiner eigenen Wahrnehmung bewusst werde, präsentiere sich dem Bewusstsein ebenfalls nichts außer dieser spezifischen Selbstvorstellung und diese bilde wiederum einen völlig neuen Gegenstand des Bewustsseins. Daran macht Levy eine für sein Argument überaus bedeutsame Tatsache fest: »[T]he so-called subject who thinks, and its apparent object, have no immediate relation.« 148 Wenn nun die Vorstellung eines Subjektes und diejenige eines Objektes immer getrennte Objekte des Bewusstseins sind, habe keiner der beiden Begriffe irgendeine reale Bedeutung. Ein Objekt könne in Ermangelung eines Subjektes folglich nicht das sein, was man normalerweise als Objekt bezeichne und ein Subjekt könne in Ermangelung eines Objektes nicht das sein, was man normalerweise als Subjekt bezeichne. Erst in der Erinnerung als der Fähigkeit des Bewusstseins, neben den aktuellen Wahrnehmungen auch Wahrneh146 A Treatise of Human Nature (1888), Book 1, Part 4, 6. In: Hume 2003: 180. Cf. Loy 1997a: 76. 147 Cf. Loy 1997a: 139. 148 Levy 2004: 75. Cf. Loy 1997a: 139.

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mungen des unmittelbar vorangegangenen Augenblicks festzuhalten, was Edmund Husserl (1859–1938) als Retention oder primäre Erinnerung bezeichnet hatte, würden diese beiden Vorstellungen offenbar zu einer ganz neuen Vorstellung zusammengeführt: »I am the perceiver or the thinker.« 149 Levy kommt daher in einem weiteren Schluss zu dem Ergebnis, dass Erinnerung und das Bewusstsein der individuellen Existenz synonym sind. 150 Auch Sartre sei in seiner Analyse der reflexiven Struktur des Selbstbewusstseins zu diesem Ergebnis gekommen und habe mit La Transcendance de l’Ego (1934) eine Schrift vorgelegt, die in dieser Hinsicht eine Schrift des Mahāyāna-Buddhismus sein könne. Die Erscheinung des Ich führt Sartre hier wie Levy auf einen reflexiven Akt des Bewusstseins zurück und erläutert den Unterschied zur präreflexiven und nicht-egologischen Dimension des Bewusstseins anhand zwei unterschiedlicher Momente einer Buchlektüre. Das Resultat sei unzweifelhaft. Während man lese, gebe es Bewusstsein von dem Buch, von den Romanhelden, aber das Ich bewohne dieses Bewusstsein nicht, welches nur Bewusstsein von dem Objekt und nicht-positionales Bewusstsein von sich selbst gewesen sei. Es gab also kein Ich im unreflektierten Bewusstsein während der aufmerksamen Lektüre des Buches. 151 Ebenso gäbe es kein Ich-Bewusstsein, wenn ich einer Straßenbahn nachlaufe, wenn ich auf die Uhr schaue, wenn ich mich in die Betrachtung eines Portraits vertiefe, usw. Das Ich entstehe erst durch einen reflexiven Akt auf das präreflexive Bewusstsein. Tatsächlich sei man immer in die Welt der Objekte versenkt und diese Ichlose Dimension sei kein Mangel, sondern der Bewusstseinstruktur inhärent. Für Sartre sei diese impersonale Spontaneität des Bewusstseins beängstigend gewesen, für den Buddhisten hingegen der Inbegriff der Befreiung. 152 Diese Einsicht in die Präreflexivität und impersonale Spontaneität des Bewusstseins übernimmt Loy und geht mit Levy und Sartre davon aus, dass Subjekt und Objekt nie gleichLevy 2004: 76. Cf. Loy 1997a: 139. Levy 2004: 76. Cf. Loy 1997a: 139. 151 Cf. Sartre 1982: 50. 152 Loy bezieht sich dabei auf folgenden Passus: »[T]ranscendental consciousness is an impersonal spontaneity. It determines its existence at each instant, without our being able to conceive anything before it. Thus each instant of our conscious life reveals to us a creation ex nihilio. Not a new arrangement, but a new existence. There is something distressing for each of us, to catch in the act this tireless creation of existence of which we are not the creators.« Sartre 1991: 98 f. Cf. Loy 1996a: 78. 149 150

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zeitig intentionaler Gegenstand des Bewusstseins sein können. Allein durch die Erinnerung würden unterschiedliche Perzeptionen zum Schein eines subsistierenden Subjektes synthetisiert, wodurch wiederum die Illusion einer simultanen Existenz von wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt entstehe. »The usual function of memory as superimposition is to interpret the perception so that it is seen as–in this case, as an object presented to a subject. Levy’s argument is of paramount importance for the nondualist.« 153 Neben Hume, Levy und Sartre rekurriert Loy fernerhin auf Aufzeichnungen aus Nietzsches Nachlass, um seine Theorie eines radikalen Phänomenalismus zu untermauern. Nietzsche hatte in einem nachgelassenen Fragment zur Psychologie und Erkenntnislehre die Auffassung vertreten, dass der kausale Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Begehrungen sowie zwischen Subjekt und Objekt absolut verborgen oder sogar reine Einbildung sei. Zwischen zwei Gedanken ein »unmittelbares ursächliches Band« anzunehmen sei bloße »Folge der allergröbsten und plumpsten Beobachtung.« 154 Denken, wie es die Epistemologen ansetzten, komme nirgendwo vor und sei tatsächlich eine willkürliche Fiktion, die durch »Heraushebung Eines Elementes aus dem Prozeß und Subtraktion aller übrigen« erreicht werde und nichts weiter als »eine künstliche Zurechtmachung zum Zweck der Verständlichung« 155 sei. Der Geist als ein Etwas, das denkt, sei eine zweite Folge dieser falschen Selbstbeobachtung, welche an ein »Denken« als Kausalzusammenhang zweier Gedanken glaube. Zuerst werde mit dem Denken ein Akt imaginiert, der gar nicht vorkomme und dann bilde man sich dazu auch noch ein »Subjekt-Substrat« ein, in dem jeder Akt dieses Denkens und sonst nichts Anderes seinen Ursprung habe, »d. h. sowohl das Thun, als der Thäter sind fingirt.« 156 In einem späteren Fragment aus dem Frühjahr 1888 hatte Nietzsche die Vorstellung des Denkens als einer kausalen Verkettung von Gedanken als gewohnheitsbedingtes Vorurteil verworfen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass alle Bewusstseinsmomente vollkommen atomistisch seien und in keinem konditionaLoy 1997a: 140. Nachgelassene Fragmente. Zur Psychologie und Erkenntnisslehre. In: KSA 13: 53. Nietzsches Werke werden zitiert nach der von Giorgio Colli und Mazzino Montinari herausgegebenen Kritischen Studienausgabe (= KSA) unter Angabe von arabischer Band- und Seitenzahl. 155 Nachgelassene Fragmente. Zur Psychologie und Erkenntnisslehre. In: KSA 13: 54. 156 Nachgelassene Fragmente. Zur Psychologie und Erkenntnisslehre. In: KSA 13: 54. 153 154

167 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

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len Nexus zueinander stünden: »In summa: everything of which we become conscious is a terminal phenomenon, an end–and causes nothing; every successive phenomenon in consciousness is completely atomistic« 157. Wenn der Schein eines persistierenden Subjektes also auf der Verknüpfung atomistisch gedachter Bewusstseinsmomente qua falsch interpretierter Erinnerung (»memory ›wrongly interpreted‹« 158) beruht, dann – so Loy im Anschluss an Hume, Levy, Sartre und Nietzsche – hebe sich die Empfindung der Subjekt-Objekt-Dualität und der Wahn individuierter Existenz nach Abbruch der Synthesis auf. Übrig bleibe dann nur noch der genuine Strom subjekt- und objektloser nirvikalpa-Erlebnisse, von dem kein unabhängig existierendes Subjekt mehr erfahren werde. Unsere Identität bestehe dann nicht mehr darin, konstitutiv Bezogener auf den fluktuierenden Bewusstseinsstrom zu sein, sondern im gegenwärtigen Inhalt des Bewusstseins selbst. In der nondualen Erfahrung höre folglich nicht das Bewusstsein als solches auf, sondern werde vielmehr eins mit seinem Gegenstand: »I am the thought process« 159. Ohne die Synthesisfunktion der Erinnerung müsse jedes nirvikalpa-Erlebnis daher als »an entirely fresh object of consciousness« 160 und »unsupported thought« 161 interpretiert werden: We cling to a thought by linking up thoughts in a series, rather than letting each thought arise spontaneously and independently. The effect of such linking is that the nondual nature of each individual thought is obscured. This is not to deny that thoughts also stand in a causal relationship; from another point of view, it is undeniable that previous thoughts somehow condition later ones. But when one ›forgets oneself‹ and becomes a nondual thought, there is no longer any awareness that the thought is caused. Then it arises spontaneously, as if ›self-caused.‹ 162

Ein Gedanke ist demnach »unsupported«, wenn er nicht so erfahren wird, als würde er in Abhängigkeit von etwas anderem entstehen oder von einem unabhängigen Subjekt der Gedanken hervorgebracht, Nietzsche 1968: 265. Cf. Loy 1997a: 141; Nachgelassene Fragmente. Wille zur Macht als Erkenntniss. In: KSA 13: 335. 158 Loy 1997a: 141. 159 Loy 1997a: 158. 160 Loy 1997a: 140. 161 Loy 1997a: 138. 162 Loy 1997a: 142. 157

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denn wenn das Prinzip der Kausalität von einem absoluten Standpunkt (paramārtha-satya) aus betrachtet keine Gültigkeit mehr besitzt, dann kann auch unser Denken seiner wahren Natur nach nicht so verstanden werden, als ob frühere Gedanken spätere verursachen. 163 Im Gegensatz zum dualen, i. e. analytisch-differentiellen Denken (vijñāna) nennt Loy eine Reihe solcher Gedanken, die als ihre eigene Ursache und Wirkung erfahren werden, nonduale Weisheit (prajñā). 164 Mit einem Begriff des Ch’an-Meisters Kuei-shan Ling-yu/Guishan Lingyou (771–853 n. Chr.) bezeichnet Loy diese nonduale Form des Denkens auch als »gedankenloses Denken«: »Thoughtless thought is not a mind completely void of any thoughts. Rather ›one (nondual) thought is thoughtless thought.‹« 165 Loy hat dies in der folgenden Graphik veranschaulicht: 166

Vijñāna

Prajñā

Kreativität

Der Unterschied zwischen vijñāna und prajñā, i. e. zwischen dual-diskursivem und nondual-transdiskursivem Denken, besteht Loy zufolge also darin, ob man die atomistisch gefassten und ephemeren nirvikalpa-Erlebnisse (hier: noetische) miteinander in eine kausale und logische Beziehung setzt und sie somit zum Schein eines mit sich selbst identischen Subjektes verbindet, das als Urheber und Substrat der hypostasierten Gedanken fungiert oder ob man dieselben nirvikalpa-Erlebnisse als singuläre Phänomene einer unerklärlichen Krea-

Cf. Loy 1997a: 182. Die Erleuchtung mit der Inhibierung der Synthesisfunktion der Erinnerung zu identifizieren, steht allerdings in einem eklatanten Widerspruch zur buddhistischen Tradition. Die Buddha-Legende erzählt, wie Siddhārta Gautama unter dem PipalBaum in drei Etappen, den sogenannten drei Nachtwachen, die Erleuchtung (bodhi) fand. Der Legende zufolge erinnerte er sich in der ersten Nachtwache an alle seine Existenzen, die er bis zu diesem Leben durchlaufen hatte. Cf. Majjhima-Nikāya 36. In: Bodhi 2001: 341. 165 Loy 1997a: 143. 166 Cf. Loy 1997a: 144 f. 163 164

169 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

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tivität auffasst. Vijñāna und prajñā »have the same root jñā (to know). The vi- prefix of vijñāna (also in vi-kalpa and vi-tarka) signifies ›separation or differentiation.‹ Hence vijñāna refers to knowing that functions by discriminating one thing from another. In contrast, the pra- prefix of prajñā means ›being born or springing up‹–presumably referring to a more spontaneous type of knowing in which the thought no longer seems to be the product of a subject but is experienced as arising from a deeper nondual source.« 167 Der kreative Grund der unvermittelt auftauchenden nirvikalpaErlebnisse bleibt Loy zufolge allerdings grundsätzlich unbegreiflich. Darüber hinaus sei auch die Frage nach der Erstursache des Reifikationsprozesses aporetisch. Geht man davon aus, dass die Synthese singulärer nirvikalpa-Momente die Illusion von Individualität ursprünglich erzeugt, dann kann es sich dabei um keinen synthetischen Akt handeln, der irgendeinem ansichseienden Individuum objektiv zukommt. Wenn die Ursache der Verblendung (avidyā) folglich transpersonal und somit als unbewusstes/metaphysisches Prinzip interpretiert werden muss, stellt sich allerdings unweigerlich die Frage, wie der Ursprung der Verblendung (avidyā) überhaupt sinnvoll gedacht werden kann. Loys Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der avidyā ist symptomatisch für die nondualen Traditionen: »[N]o definitive answer is given in the nondualist traditions, presumably because none can be given. What can be provided is the phenomenology of the process as we experience it now.« 168 Die von Loy projektierte Erlösung kann folglich nicht die rigorose Befreiung vom Denken (vijñāna) als etwas eo ipso Negativem, sondern nur die Befreiung und Sublimierung des Denkens selbst (prajñā) sein: An die Stelle eines weltflüchtigen Quietismus einer vollumfänglichen Negation des Denkens tritt die Transformation unserer Wahrnehmung: »[L]iberating delusion« 169 bezeichnet für Loy die erlösende Erkenntnis, dass es niemals ein Selbst (ātman) gegeben hat und die phänomenalen Hypostasen nur auf ihre eigene Substanzlosigkeit (niḥsvabhāva) verweisen: »What distinguishes liberated delusion is the utter freedom of the mind to dance freely from one

167 Loy 1997a: 136. Loy geht auf die Frage der Kreativität als Ungrund der nirvikalpaErlebnisse ein in Loy 1997a: 150–161. 168 Loy 1997a: 146. Vergleiche zu dieser Frage Völker 2014. 169 Loy 1997a: 147.

170 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

śūnya thing to another, from one set of concepts to a different and perhaps contradictory set.« 170

2.4.5. Der irreduzible Rest: nirvikalpa-Erlebnisse als Licht-Prozesse Wenn unser Erkennen kein hypostasiertes Objekt mehr projizierend vor sich hinstellt (dharmanairātmya) und sich selbst nicht mehr als erkennendes Subjekt reifiziert (pudgalanairātmya), dann steht es laut Loy im absoluten Erleben und der reflexionslosen Gewissheit einer einzigen nirvikalpa-Empfindung fest, die für ihn das nicht weiter dekonstruierbare, epistemologische Residuum unserer alltäglichen savikalpa-Erfahrung konstituiert. 171 »[P]erceiving-only« 172, reine Wahrnehmung, die als solche frei von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt ist, wäre demnach das absolute Erleben eines visuellen nirvikalpa-Erlebnisses. Analoges gilt nach Loy für unsere auditiven, olfaktorischen, gustatorischen und taktilen Empfindungen. So beschreibt Loy nonduales Hören in Übereinstimmung zum nondualen Sehen visueller nirvikalpa-Erlebnisse und nondualen Denken

170 Loy 1997a: 148. Leider gehorcht uns die Welt nicht aufs bloße Wort und ist auch nicht entgegen der Logik und Naturgesetze manipulierbar, was Loy an dieser Stelle zu insinuieren scheint. Wer glaubt, er könne zwischen begrifflichen Realitätsrastern und Symbolsystemen, die sich gegenseitig logisch ausschließen, frei oszillieren, wird seine objektive Grenze sehr schnell an den unhintergehbaren Grundstrukturen der faktischen Weltwirklichkeit finden, deren Widerständigkeit auch das postmodernste Denken nicht niederzuringen vermag. Das scheint auch Loy an anderer Stelle einzusehen, ohne dies jedoch als klaren Hinweis auf die Revisionsbedürftigkeit seiner erkenntnistheoretischen Grundannahmen zu begreifen: »Nevertheless, if in this dreamlike world my unimpeded body steps in front of a nonobstructred truck, a painful reminder of pratītya-samutpāda is predictable.« Loy 1993: 487. Das konzediert Loy auch an anderer Stelle seines Werkes, wenn er dem Klimawandel eine Realität attestiert, die als solche unabhängig von unserer relativen »Geschichte« (story) der Wirklichkeit sei. Cf. Loy 2010a: 6. Freilich ist die erfahrungsunabhängige Realität des Klimawandels nur schwerlich mit seinen erkenntnistheoretischen Prämissen zu vereinbaren. Damit bleiben aber sowohl die invariante Gesetzmäßigkeit der kausalen Naturzusammenhänge als auch diejenige unseres Denkens (Logik) sowie der Zusammenhang beider völlig ungeklärt. 171 Loy übersetzt beide Begriffe entsprechend als »denial of the self (pudgalanairātmya)« und »denial of the reality of dharmas (dharmanairātmya)«. Loy 1997a: 194. 172 Loy 1997a: 91.

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noetischer nirvikalpa-Erlebnisse als reines Klangerlebnis, das auf kein Objekt mehr verweist und von keinem Subjekt mehr wahrgenommen wird. 173 Diese nulldimensionalen nirvikalpa-Empfindungen sind in ihrer absoluten Einheit für ihn das unrelativierbare und eigentlich Reale. 174 Was aber sind nirvikalpa-Erlebnisse, wenn sie weder einem Subjekt zukommen noch als Objekte reifiziert werden können? Sind sie physisch oder mental, räumlich oder temporal, wie lange dauern sie an? The nondualist response is that such questions presuppose there are such ›things‹ as ›sense-data,‹ but to understand them as something presented to a subject means the nirvikalpa percept has already been processed into objectified savikalpa. Something about nondual perception is always indeterminable by intellectual analysis, for the presupposition of all such analysis is the dualistic need to objectify what in this case cannot be grasped objectively. One question that is meaningful is whether nondual percepts are physical or mental. The nondualist answer is that they can be neither because they are prior to the delusive bifurcation of mind from matter […]. 175

Da diese nirvikalpa-Erlebnisse keine Objekte mehr sind, die von einem unabhängig subsistierenden Subjekt zu Bewusstsein gebracht werden, muss das Prinzip ihrer Illumination und Bewusstheit in ihnen selbst liegen, weshalb Loy von nondualem Licht spricht. Unsere gewöhnliche Auffassung von Licht beruhe allerdings auf einer dualistischen Ontologie, die Licht als Medium zwischen Subjekt und Objekt begreife und mechanistisch das Objekt im Auge des Subjektes abbilde. In Ermangelung sowohl eines Subjektes als auch eines Objektes müsse Licht folglich nicht nur das Objekt in sich einschließen, auf das es angeblich verweist, sondern auch das subjektive Bewusstsein, das angeblich ein Gewahrsein von ihm hat: »This means that visual ›things‹ are composed not of matter but of something which we might term ›Light,‹ and such ›Light-things‹ are śūnya because 173 »There is a line a famous Zen master wrote at the time he became enlightened which reads: ›When I heard the temple bell ring, suddenly there was no bell and no I, just sound.‹ In other words, he no longer was aware of a distinction between himself, the bell, the sound, and the universe. This is the state you have to reach.« Loy 1997a: 70 f. »The sound need not be a sound of something, and without any such thoughtconstruction we have ›a pure sound, a bark without its dog‹«. Loy 1997a: 71. 174 Zur »Nulldimensionalität« einer »präperzeptiven Empfindung« siehe 9.2.3. und Bunte 2016: 234–242. 175 Loy 1997a: 88.

172 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

they do not ›refer‹ to anything else (e. g., a material substratum) when they are experienced as they are in themselves, nondually.« 176 Aber auch das nonduale Licht kann Loy zufolge nicht im Sinne eines physischen Objektes persistieren, sondern unterscheidet sich von der Vorstellung eines gleichbleibenden Objektes, das den wechselnden Vorstellungen dieses Objektes subsistiert, indem die Kontinuität des nondualen Lichtes als aktive Persistenz und seine beständige Gegenwart als Akt interpretiert werden müsse. Eingedenk der Problematik, dass jeder Begriff das nirvikalpa-Erlebnis in ein savikalpa-Konstrukt verwandelt und damit verfehlt, spricht Loy annäherungsweise von leeren »Ereignissen« und »Prozessen« (»empty events or processes« 177): »According to the nondualist, then, what is seen? Instead of a self-existing, material object, which passively persists unchanged, there is śūnya, self-luminous sentience, which actively dwells.« 178 Diesen nondualen nirvikalpa-Erlebnisstrom aktiv persistierender und selbstleuchtender Licht-Prozesse identifiziert Loy mit der Erfahrung der vollkommenen Beschaffenheit und dem wahren Wesen der Phänomene (skt. pariniṣpanna-svabhāva, chin. yüanchʾ eng-hsing, jap. enjō-shō), wie es in den klassischen Schriften des Yogācāra-Buddhismus (yogācāra: Praxis des Yogā) gelehrt wird. Loy setzt dabei Grundkenntnisse dieser philosophischen Schule des Mahāyāna-Buddhismus voraus, die er nicht eigens darstellt. So beispielweise die Struktur unseres Bewusstseins (citta), die den Yogācārins zufolge aus der Korrelation acht verschiedener Bewusstseinsformen besteht: Die supraliminalen Bewusstseinsprozesse (pravṛttivijñāna) setzen sich aus den fünf Sinnesbewusstseinsformen zusammen, i. e. (1) dem visuellen Bewusstsein (cakṣur-vijñāna), (2) dem auditiven Bewusstsein (śrotra-vijñāna), (3) dem olfaktorischen BeLoy 1997a: 76. Loy 1997a: 78. 178 Loy 1997a: 79. In diesem Zusammenhang wird auch Loys Interpretation der Leerheit (śūnyatā) verständlich, die er mit diesem aktiv persistierenden Lichtstrom nondualer nirvikalpa-Erlebnisse identifiziert. Die spirituelle Interdependenz der Leere sei »a formless spiritual potential that gives life to everything«. Loy 2009a: 119. Etymopffiffi logisch betrachtet komme śūnyatā von der Wurzel śū, »which means ›to be swollen,‹ like a hollow balloon but also like a pregnant woman.« Loy 1996a: 88 f. Die übliche Übersetzung von śūnyatā mit Leerheit supplementiert Loy seiner Interpretation entsprechend mit »pregnant with possibilities«: »Rather than śūnyatā being a negative concept, Nāgārjuna emphasizes that it is only because everything is śūnya that any change, including spiritual transformation, is possible.« Loy 1996a: 89. 176 177

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

wusstsein (ghrāṇa-vijñāna), (4) dem gustatorischen Bewusstsein (jihvā-vijñāna) und (5) dem taktilen Bewusstsein (kaya-vijñāna). Zu diesen manifesten Formen tritt (6) der Verstand, respektive das Gemüt als geistiges Vermögen, das sowohl das Denken, Empfinden und Vorstellen als auch das Wollen umfasst (mano-vijñāna) und (7) das Individuations-Bewusstsein, das die Ich-Vorstellung (kliṣṭamanas) verursacht. Die subliminale Schicht des Bewusstseins bildet als achte Bewusstseinsform das Speicherbewusstsein (ālaya-vijñāna), das alle karmischen Bewusstseinseindrücke, Anlagen und Samen (vāsana/saṃskāra/bīja) aufbewahrt. Der Yogācāra-Lehre von den drei Naturen (trisvabhāva) zufolge besteht die gesamte Erscheinungswelt aus Umwandlungen oder Formationen (pariṇāma) des reinen Bewusstseinsstroms, der anhand dreier Naturen analysiert wird: (1) Die vorgestellte, nur eingebildete und projizierte Natur (skt. parikalpita-svabhāva, chin. pien-chihsing, jap. henge-shō) steht immer unter den Kategorien von ergreifendem Subjekt und ergriffenem Objekt (grāhya-grāhaka-bhāva). Parikalpita-svabhāva meint also die Hypostasen der Verblendung, zu denen die Projektion eines als unabhängig imaginierten Ich-Substrates und der falsche Glaube an real existierende und selbstseiende Entitäten in der Außenwelt gehören. Die projizierte Natur (parikalpita-svabhāva) identifiziert Loy mit der verblendeten Perspektive der savikalpa-Erfahrung, in der wir unsere auf der Dualität von Subjekt und Objekt basierende Erfahrung einer phänomenalen Welt mannigfacher Erscheinungen für real halten. 179 (2) Die abhängige, nur in kausalen Bezügen bestehende Natur (skt. paratantra-svabhāva, chin. i-tʾ a-hsing, jap. etashō) besteht Loy zufolge in der Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit (pratītya-samutpāda) aller Phänomene. 180 Die Dinge nicht als Dinge, i. e. die fingierten Phänomene nicht in ihrer Interdependenz, sondern eigentlichen Inexistenz zu sehen, bildet für Loy wiederum (3) ihre perfekte und absolute Natur (pariniṣpanna-svabhāva). 181 Die phänomenologische Entsprechung zur absoluten Natur ist bei Loy allerdings keine Transzendenzerfahrung einer transphäno-

179 »The prapañca-world of discrete objects causally interacting ›in‹ space and time corresponds to the parikalpita-svabhāva, the ›imagined nature.‹« Loy 1997a: 237. 180 »[A]ll-conditionality correspond[s] to paratantra-svabhāva, the interdependent or ›other-dependent nature.‹« Loy 1997a: 237. 181 »[S]pace has been used as a simile for the Yogācāra pariniṣpanna«. Loy 1997a: 237.

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Nondualismus als radikaler Phänomenalismus

menalen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra), sondern die nonduale Wirklichkeit unserer sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/ sākāra), die er mit dem nirvikalpa-Erlebnisstrom aktiv persistierender und selbstleuchtender Licht-»Prozesse« identifiziert. Derselbe Bewusstseinsstrom konstituiert für ihn also einerseits das phänomenale Material, aus dem die projizierte Natur (parikalpita-svabhāva) konstruiert wird (saṃsāra) und andererseits – sub specie vanitatis et vacui – den nondualen nirvikalpa-Erlebnisstrom, der vollkommen leer (śūnya) an projizierten Hypostasen (parikalpita-svabhāva) ist (nirvāṇa). 182 In seinem Kommentar (bhāṣya) zu Vasubandhus Triṃśikā-Vijñaptimātratāsiddhi – dem Nachweis (siddhi), dass alles nur (mātratā) Wissen/Bewusstsein/Erkennen (vijñapti) ist in dreißig Versen (triṃśikā) – beschreibt Sthiramati eine gleichmäßige, undifferenzierte (nirvikalpa), objekt- und subjektlose Erfahrung, die Loy als Beleg für seinen buddhistischen Radikalphänomenalismus nimmt: »Where there is an object there is a subject, but not where there is no object. The absence of an object results in the absence also of a subject, and not merely in that of grasping. It is thus that there arises the cognition which is homogenous, without object, indiscriminate and supramundane. The tendencies to treat object and subject as distinct and real entities are forsaken, and thought is established in just the true nature of one’s own thought.« 183 182 Paul Williams’ Interpretation von pariniṣpanna-svabhāva weist deutliche Parallelen zu Loys radikalem Phänomenalismus und dessen Identifikation letzter Wirklichkeit mit der nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung auf: »[T]hrough meditation we come to know that our flow of perceptions, of experiences, really lacks the fixed enduring subjects and objects which we have constructed out of it. There is only the flow of experiences. The perfected nature is, therefore, at least in this context expressed as the fact of nonduality. In itself it is the very negative – the negation, the absence – that is ›not-two‹ here. There is neither subject nor object but a single flow. It is also emptiness, explained for this tradition as meaning that one thing is empty of another (i. e. the conceptualized nature). What remains, the basis which is empty of those enduring entities, the flow of perceptions themselves (in enlightenment seen as they truly are) nevertheless really does exist«.Williams 2010: 91. Dadurch wird noch einmal deutlich, wieso Loy die Yogācāra-Lehre als philosophische Vollendungsgestalt des Buddhismus versteht: »In Yogācāra the claim that experience is nondual […] attains full development and explicitness, and so it is fitting that with that claim Buddhist philosophy may be said to have reached its culmination.« Loy 1997a: 29 f. 183 Conze 1954: 210. Cf. Loy 1996a: 61. Entgegen der Angabe Loys, der den Text Vasubandhu zuschreibt, handelt es sich dabei um einen Passus aus Sthiramatis Triṃśikāvijñaptimātratāsiddhibhāṣya. Insofern Sthiramati hier und im Kommentar

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2.4.6. Nonduale und duale Wahrnehmungsphysiologie: Die Rolle unserer Sinnesorgane Loy kommt in seiner subtraktiven Analyse zu dem Ergebnis, dass nirvikalpa-Erlebnisse keine Objekte sind, die von einem unabhängig subsistierenden Subjekt zu Bewusstsein gebracht werden und das Prinzip ihrer Illumination und Bewusstheit somit in ihnen selbst liegen muss. Darin schließt sich für Loy allerdings unmittelbar die Frage nach der Rolle unserer Sinnes-Organe und den damit verknüpften Kausalprozessen einer dualistischen Wahrnehmungsphysiologie an. Wofür benötige ich überhaupt Sinnesorgane, wenn die nirvikalpaErlebnisse selbstleuchtend sind? Andererseits lasse sich ihre Notwendigkeit kaum bestreiten, denn wer keine Augen habe, der könne weder dualistisch noch nondualitsich sehen. 184 Um diese Implausibilität zu vermeiden, müsse auch der Nondualist auf die von Bertrand Russell (1872–1970) beschriebenen Sensibilia zurückgreifen, um seine Behauptung selbstleuchtender Lichtprozesse erklären zu können. Um die Objektivität der Erkenntnis zu rehabilitieren und die Faktizität von Konstanten sinnlicher Wahrnehmung erklären zu können, hatte bereits John Stuart Mill (1806–1873) über present oder actual sensations hinaus den Materiebegriff als »Permanent Possibility of Sensation« 185 konkretisiert. Russell prägte für diese phänomenalistische Modifikation des Materiebegriffes den Terminus der Sensibilia. Sensibilia wurden demnach postuliert, um zu begründen, wie trotz der Negation des Substanz- und Materiebegriffes kontinuierliche und analoge Erscheinungen erklärbar sind. Denn trotz ihres metaphysischen und physischen Status als Sinnesdaten und ihrer perspektivischen Beschränkung seien diese sensibilia, so Loy im Anschluss an Russell, nicht notwendigerweise »data to any mind« 186 und somit zum darauffolgenden Vers von einem wahrnehmungslosen (acitta) und transzendenten Wissen (lokottara jñāna) spricht, halte ich eine Auslegung des Textes entgegen der Interpretation Loys als Beleg für eine Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit für wesentlich überzeugender: »Weil weder ein Geist als Subjekt noch ein Gegenstand als Objekt da sind, ist ›er ohne citta, ohne Wahrnehmung‹. Da (sein Wissen) in der Welt als für sie unangemessen nicht zum Vorschein kommt und es indifferenziert ist, ist es über die Welt erhaben; darum ist ›sein Wissen transzendent‹.« Triṃśikāvijñaptimātratāsiddhibhāṣya 28. In: Jacobi 1932: 60 f. Cf. Buescher 2007: 138. 184 Cf. Loy 1997a: 89. 185 Zitiert nach HWPh: Phänomen. Bd. 7: 473. 186 Loy 1997a: 89.

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nicht auf eine einzige, rein subjektive Sphäre limitiert. Loys kontraintuitives Postulat, das unserem Verständnis physiologischer Wahrnehmungsprozesse diametral entgegengesetzt ist, besagt in seiner ganzen Radikalität folglich, dass Sinnesorgane inessenzielle Hypostasen sind, denen im Prozess unserer reinen nirvikalpa-Erfahrung keine konstitutive Funktion zukommt: »[S]ense-organs are no more necessary to perception than sense-objects are, because both are śūnya. […]. Since they are all śūnya, to believe that we perceive with the sense-organs is a delusion.« 187 Unsere gewöhnliche Auffassung, der zufolge Sinnesorgane die notwendige Bedingung der Möglichkeit jeder Wahrnehmung und normalerweise als hinreichender Beweis für die Dualität von Subjekt und Objekt interpretiert werden, sei nur eine Schlussfolgerung, die aufgrund von Automatisierungsprozessen denknotwendig erscheine, es aber tatsächlich nicht sei. Der entscheidende Punkt sei, dass die Notwendigkeit von Augen für die optische Wahrnehmung kein unmittelbares nirvikalpa-Erlebnis, sondern etwas Erschlossenes (savikalpa) sei. 188 Wie tief auch immer diese basale Annahme bereits verinnerlicht sei und wie unmittelbar und unbewusst sie automatisch vollzogen werde, zu glauben, dass die Sinnesorgane Empfindungen bloß passiv aufnehmen und dass Vorstellungen erst im Gehirn gebildet werden, sei eine Annahme, die schon unbewusst eine Form des Dualismus von Körper und Geist voraussetze und folglich nur ein savikalpa-Konstrukt sein könne. Stattdessen optiert Loy für eine Interpretation unserer Sinnesorgane als Objektivierungen des prapañca. Dies decke sich zudem mit der Auffassung des tibetischen Buddhismus, derzufolge der Körper »materialized karma-potential« 189 sei und sich in den Sinnesorganen karmische Neigungen (saṃskāra) konzentrierten. 190 Vergleichbar einer Traumerfahrung Loy 1997a: 89 f. »The sense of duality can only be thought-constructed by juxtaposing one nondual experience (e. g., an eye opening) with another (the experience of a self-luminous Light-object).« Loy 1997a: 91. 189 Loy 1997a: 94. 190 Das karman wird als unsichtbare Kraft (adṛṣṭa/apūrva) mit ethisch-moralischem Charakter als Verdienst (dharma) bezeichnet, wenn es aus guten Gedanken, Worten und Taten entstanden ist und bei seinem »Reifwerden« das Merkmal von Lust (sukha) trägt und heißt Schuld (adharma), wenn es aus schlechten Gedanken, Worten und Taten entstanden ist und bei seinem »Reifwerden« das Merkmal von Leid (duḥkha) trägt. Darüber hinaus wird unterschieden zwischen »angehäuftem Karma« (saṃcitakarman), das dem Selbst bzw. dem feinstofflichen Körper (sūkṣma-śarīra) des Men187 188

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also, in der wir als verkörpert erscheinen und scheinbar unsere Sinnesorgane nutzen, welche für die Traumerfahrung selbst allerdings nicht notwendig sind, könnte auch die wahre Natur unseres Wachzustandes als reine Wahrnehmung interpretiert werden, die fälschlicherweise in ein geistiges und erfahrendes Subjekt und ein materielles und erfahrenes Objekt segmentiert und hypostasiert wurde: »[P]erceiving only (without sense-objects and sense-organs)« 191. An dieser exponierten Stelle sei eine kritische Zwischenbemerkung erlaubt, die Loys Philosophie der Nondualität insgesamt betrifft. Das entscheidende Kriterium, anhand dessen Loy alle Religionen beurteilt, ist deren Fähigkeit, die Anhaftung sowohl am eigenen als auch an jedem anderen religiösen Sprachsystem zu überwinden und den Menschen auf diese Weise für die heilskonstitutive Erfahrung der Nondualität zu öffnen. 192 Jede Aussage über die Wirklichkeit muss sich diesem soteriologischen Telos letztlich unterordnen, denn die »wahre Wirklichkeit« (tattva) und »Soheit« (tathatā) unserer sinnlichen Erfahrung kann als undenkbares Jenseits allen Denkens laut Loys apodiktischem Diktum niemals gesagt, sondern immer nur erfahren werden. Daraus ließe sich der nachvollziehbare Anspruch ableiten, die Aufgabe seiner Philosophie der Nondualität beschränke sich rein negativ auf die Zersetzung und Unterminierung positiver Prädikate, sodass die Vollendung der philosophischen Reflexion konsequenterweise in ihrer Beendung bestehe. Wie es Karl Jaspers (1883–1969) in seiner Darstellung von Nāgārjunas Weisheitslehre beschrieben hat, müsste dann »das reinste, fehlerfreie Denken das Denken selber an die Grenze« bringen, »wo es scheitert« und somit in umgekehrter Richtung »zum Durchbruch in das Nichtdenken, zur Freiheit« 193 führen. Die Selbstvernichtung als Selbstvollendung des Denkens wäre zumindest konsequent, insofern Loy selbst immer wieder das Paradox betont, dass ausnahmslos jede Beschreibung der Nondualität nur ein savikalpa-Konstrukt sei. 194 Das bedeutet allerdings auch, dass er an denjenigen Stellen, an denen er über rein apophatische Aussagen hinaus kataphatische Aussagen über die letzte schen als Eigenschaft (guṇa) inhäriert und demjenigen Karma, das bereits begonnen hat wirksam zu werden (prārabdha-karman). Ausführlich dazu Chemparathy 1997: 192 ff. 191 Loy 1997a: 91. 192 Cf. Loy 2010a: 100. 193 Jaspers 2007: 562. 194 Cf. Loy 1997a: 55.

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Wirklichkeit macht, nur ein savikalpa-Konstrukt gegen ein anderes austauscht und sich bei seiner Beschreibung dessen, was nach seiner eigenen Behauptung doch unbeschreibbar ist, heillos in innere Widersprüche verstrickt. Seine Interpretation unserer Sinnesorgane als Objektivierungen des prapañca und unserer empirischen Erfahrung als Traum ist somit nicht nur extrem kontraintuitiv, sondern seinen eigenen kriteriologischen Prämissen zufolge auch nutzlos. Ohne heilsrelevanten Gehalt kann dieses hochspekulative savikalpa-Konstrukt auch nicht als geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) auf der Ebene weltlich-verhüllter Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) gerechtfertigt werden, denn es trägt weder zur Befreiung der Lebewesen noch zu einem besseren Verständnis ihrer empirisch-konventionellen Lebenspraxis (vyavahāra) bei. Loy ist sich dieses methodischen Kernproblems zwar durchaus bewusst, nur scheint er nicht immer die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Mehr noch, er insiniuiert, dass sein savikalpa-Konstrukt einer nondualen Gnoseologie dem savikalpa-Konstrukt einer dualen Wahrnehmungsphysiologie überlegen ist und einen prinzipiellen Mehrwert gegenüber anderen Wucherungen des prapañca besitzt. Wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird, betrifft dieses grundsätzliche Problem in einem eminenten Sinn auch seine Phänomenologie der Zeit, in der die nonduale Erfahrung jenseits des prapañca mittels des prapañca und seiner Begriffe konstruiert wird – was ist ein Prozess ohne seinen semantischen Gegenbegriff der Beharrung? Was ist Unzeitlichkeit ohne Zeitlichkeit? Alle Begriffe sind relativ, i. e. nur denkbar mit ihrem Gegensatz und man möchte mit Fichte »das K[un]ststük, den ersten ohne das lezte zu denken, angestellt« 195 sehen.

2.4.7. Nonduale Phänomenologie der Zeit: Sein-Zeit (uji) als stehendes und fließendes Jetzt (nunc stans et fluens) Nāgārjunas pratītya-samutpāda-Interpretation hatte als Lehrsatz vom Nicht-Entstehen-ohne-gegenseitige-Abhängigkeit zusammen

195 Wissenschaftslehre 1805. In: GA II/9: 195. Fichtes Werke werden zitiert nach der von Reinhard Lauth, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs, Peter K. Schneider und Günter Zöller herausgegebenen Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (GA) unter Angabe der Abteilung (römische Ziffer) sowie arabischer Band- und Seitenzahl. I: Werke; II: Nachgelassene Schriften; III: Briefe; IV: Kollegnachschriften.

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mit der Vorstellung real existierender Entitäten zugleich das Kausalitätsprinzip als solches aufgehoben. Ohne die Existenz selbstseiender dharmas konnten keine Relationen angenommen und ohne Relationen konnte auch das konstitutive Prinzip der Kausalität selbst nicht mehr gedacht werden. Doch führt Nāgārjunas Reflexion nicht nur zur Negation selbstseiender Entitäten und kausaler Verbindungen, sondern auch zur radikalen Dekonstruktion der Zeit selbst. Ohne die Hypostasierung kausal verknüpfter Objekte (dharma-nairātmya) und ohne die Reifikation eines Subjektes (pudgala-nairātmya), das dem nondualen Bewusstseinsstrom als dessen unwandelbarer Träger in intentionaler Bezogenheit entgegengesetzt wird, ist nichts in der Zeit enthalten. Ohne den Standpunkt relativer Unwandelbarkeit selbstseiender Entitäten und eines autonomen Subjektes in der Zeit kann es aber auch keine Erfahrung der Zeit selbst mehr geben, da beide Konzepte interdependent und aufeinander bezogen sind: If there is no rock at rest relative to the water, there is no longer a perspective from which to be aware of any current. Since everything is carried along together in the current, it means that the experience will be of no current at all. In short, if there is no permanent self (and no sense-of-self that thinks of itself as nontemporal) apart from the current, then there can be no sense of change. 196

Nach der Negation dualistischen Denkens, der Nonpluralität der Welt und der Dualität von Subjekt und Objekt, endet mit der Nihilierung der ursprünglichen Ich-Hypostase für Loy also auch die Erfahrung der Zeit als solcher. 197 Ohne erfahrendes Subjekt und ohne phänomenale Welt als einer Ansammlung diskreter Entitäten, die in Zeit und Raum interagieren, kann die nonduale Erfahrung der Zeit offenbar nur als Erfahrung einer werdelosen Ewigkeit gedacht werden, die von aller Zeitlichkeit absolviert ist. Trotzdem beschreibt Loy die nonduale Erfahrung als Erfahrung kontinuierlich wechselnder, aktiv persistierender und selbstleuchtender nirvikalpa-Erlebnisse. Wie lässt sich aber dann der Gedanke der Zeitlosigkeit mit der Annahme kontinuierlichen Wandels vereinbaren? Dies wirft für Loy die grundsätzliche Frage nach der Möglichkeit einer Phänomenologie der nondualen Zeiterfahrung auf. Die Negation von Zeit impliziert für Loy die Annahme der Ewigkeit und ihrer phänomenologischen Varianten, derer er ins196 197

Loy 1996a: 43. »To end the self is to end time.« Loy 1996a: 37.

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gesamt drei voneinander unterscheidet: (1) Die Ewigkeit als einer unendlichen Zeitdauer im Sinne eines endlosen Lebens der Seele nach dem Tod; 198 (2) die Ewigkeit als etwas außerhalb der Zeit; 199 (3) die Ewigkeit, die identisch ist mit der Zeit, womit Loy das »stehende Jetzt« (nunc stans) bezeichnet. 200 Für Loy scheiden die ersten beiden Formen der Ewigkeit als adäquate Beschreibung des nondualen Erfahrungsmodus aus, da beide auf der Illusion eines Selbst beruhen, das seine Endlichkeit kompensieren will, indem es seine fragile Existenz perpetuiert und angesichts des unvermeidlichen Todes in (1) die ewige Zeit oder (2) zeitlose Ewigkeit projiziert. 201 In der nondualen Erfahrung sind die Hypostasen selbstseiender Entitäten und die Illusion eines autonomen Subjektes allerdings aufgehoben. So stellt sich erneut das Problem, wie die nonduale Erfahrung einer zeit- und werdelosen Ewigkeit mit dem phänomenologischen Befund kontinuierlichen Wandels konsistent vermittelt werden kann. Dies ist Loy zufolge nur durch (3) die Identifikation der Ewigkeit mit der Zeit selbst möglich und diese nonduale Erfahrung der Zeit werde nur durch eine radikale Dekonstruktion der Zeit selbst begreiflich. Das Grundargument vollzieht sich dabei in drei Schritten: (α) Die Einsicht in die universale Leerheit aller Phänomene widerlegt die Existenz aus-sich-selbst-seiender Entitäten, womit sowohl die objektive Welt der Phänomenalität als auch die subjektiven Daseinsgruppen der fünf skandhas gemeint sind (niḥsvabhāva/anātman); (β) ohne die Existenz aus-sich-selbst-seiender Entitäten in der Zeit kann es keine Phänomene, sondern nur noch Prozesse geben, die als solche identisch sind mit der Zeit; 202 (γ) wenn es nur noch zeitliche »[E]ndlessness of time, duration without cessation«. Loy 1996a: 39. »[A] timeless realm distinguished from the visible world of ever-changing sensory phenomena.« Loy 1996a: 40. 200 »[A] finite eternity«. Loy 1996a: 41. 201 Loy 1996a: 41. 202 Cf. Loy 2009a: 84. Ich kann Rein Raud in seiner Kritik an Loys Position nicht folgen, wenn er behauptet: »Even […] Loy […] understand[s] ›things‹ as self-identical ›objects‹ that are presumably out there in the world, whether real or unreal.« »Although all these authors [Kim, Tanahashi, Nishiho, Mizuno, Loy; F. V.] stress that Dōgen teaches the unessentiality of all things, they nevertheless imply a starting point that is much more essentialist than the one Dōgen actually seems to hold.« Raud 2012: 156. Wenn Loy überhaupt von »Objekten« spricht, dann beruht dieser Umstand allein auf einer Akkommodation, insofern er hier vom relativen Standpunkt der Verblendung (saṃvṛti-satya) aus argumentiert und dessen Irrtum festhält. Wenn Raud von einem weniger-essentialistischen-Ausgangspunkt bei Dōgen gegenüber Loy 198 199

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Existenz und prozesshafte Phänomene gibt, dann kann es auch keine objektive Zeit mehr geben, die vollkommen losgelöst von diesen Prozessen existiert, i. e. ohne selbstseiende Entitäten in der Zeit kann auch die Zeit nicht mehr als objektiver Behälter zeitunabhängiger Phänomene vorgestellt werden. 203 Somit sind nicht nur die subjektiven und objektiven Phänomene als nonduale Prozesse identisch mit der Zeit, sondern auch die Zeit selbst ist identisch mit diesen nondualen Prozess-Phänomenen. Die Zeit manifestiert sich ausschließlich in Form dieser Prozesse, unabhängig derer ihr keine isolierte und inhärente Existenz zukommt (»time is objects« 204). Loy beruft sich dabei vor allem auf Dōgen, der diese Form der Zeiterfahrung in seinem Hauptwerk Shōbōgenzō – der Schatzkammer des wahren Dharma-Auges – als Uji (Sein-Zeit/Existenz-Moment) 205 beschrieben habe: ›Being-time‹ here means that time itself is being … and all being is time. Each moment is all being, is the entire world. Reflect now whether any being or any world is left out of the present moment. Time is not separate from you, and as you are present, time does not go away. Do no think that time merely flies away. Do not see flying away as the only function of time. If time merely flies away, you would be separated from time. The reason you do not clearly understand being-time is that you think of time as only passing. You may suppose that time is only passing-away, and do not understand that time never arrives. … People only see time’s coming and going, and do no thoroughly understand that being-time abides in each moment. Being-time has the quality of flowing. … Because flowing is a quality of time, moments of past and present do not overlap or line up side by side. Do not think flowing is like wind and rain moving from east to west. The entire world is not unchangeable, is not immovable. It flows. Flowing is like spring. Spring with all its numerous aspects is called flowing. When spring flows there is nothing outside of spring. … Thus, flowing is completed at just this moment of spring. 206 spricht, überspringt er offenbar die gesamte dialektische Bewegung der Leerheit, die Loy explizit macht. 203 Cf. Loy 2009a: 85. 204 Loy/Goodhew 2004a: 60 f. 205 Raud übersetzt Uji nicht wie Loy mit »being-time«, sondern mit »existence-moment«, wodurch auch Loys eigene Position stellenweise klarer wird. Ich nutze in der Folge beide Übertragungen. Cf. Raud 2012: 158 f. Eine Übersicht über die verschiedenen Übersetzungen von Uji in westliche Sprachen findet sich bei Elberfeld 2004: 149 f., 225. 206 Tanahashi 1985:76–80. Cf. Loy 1996a: 45. Eine deutsche Übersetzung der von Loy

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Ohne etwas in der Zeit kann Zeit nicht mehr als Kommen und Gehen von etwas erfahren werden. Der protentions- und retentionslose Existenz-Moment, der so in seiner ungestörten Ursprünglichkeit aufleuchtet, ist gegenstands- und subjektlos, denn Identität und Differenz, Subjekt und Objekt, Ich und Welt sind Reflexionsprodukte (prapañca), die erst nachträglich aus der endlosen Gegenwart des unmittelbaren Erlebens konstruiert werden. Jeder reflexionslose und selbstvergessene Moment ist für Loy demnach absolut, ohne damit jedoch die Möglichkeit des Wandels zu negieren: The now does not change (it is always now) but flows (that now never ceases to transform). While the now is immutable in the sense that it is always the same now, rather than a series of fleeting nows, nevertheless there is transformation, although experienced differently once one is the transformation rather than an observer of it. […]. We end up with a nunc both stans and fluens: a now which does not change in the sense that it is always now, yet nonetheless flows serenely from just-this-one-thing to another just-this-one-thing. 207

Wenn es keine objektive Welt gibt, die vom Frühling in den Sommer, vom Sommer in den Herbst und vom Herbst in den Winter übergeht, dann gibt es nur die nonduale Erfahrung der Sein-Zeit des Frühlings, der Sein-Zeit des Sommers, der Sein-Zeit des Herbstes und der SeinZeit des Winters, die alle je für sich absolut und vollkommen sind. Somit wird die nonduale Erfahrung der Zeit zur Erfahrung der Zeitlosigkeit in der Zeit und zur Wandellosigkeit inmitten des Wandels, weil jeder konkrete Moment uji ist, was Dōgen als »ereignishaftes Verlaufen (kyōryaku)« 208 bezeichnet. 209 Das Gleiche gilt für den Menschen. Wenn es kein reifiziertes Subjekt in der Zeit gibt, das geboren wird, lebt und stirbt, dann gibt es nur die nonduale Erfahrung der Sein-Zeit der Geburt, der Sein-Zeit des Lebens und der Sein-Zeit des Todes. Wir entgehen dem Tod also nicht, weil wir ein unsterbliches Selbst (ātman) haben, sondern weil wir niemals geboren wurden. Zu erkennen, dass es keinen selbstseienden und unwandelbaren Geist gibt und keine Seele jenseits des phänomenalen Wandels gefunden werden kann, ist für Loy auf eine lebendige und wesenhafte Weizitierten Texte Dōgens, deren Verständnis zusätzlich durch seine bis zum Äußersten getriebene Nutzung und Variation des sprachlichen Ausdrucks erschwert wird, liegt vor bei Elberfeld 2004: 386–391. 207 Loy 1996a: 48. Cf. Loy/Goodhew 2004a: 62; Loy 2009a: 86. 208 Elberfeld 2004: 268. 209 Cf. Loy 1996a: 43.

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Reduktion: Von der dualen zur nondualen Erfahrung

se wahrer Seelenfrieden: »I am not in time because I am time; and if I am time I cannot be trapped by time. To be time is to be free from time.« 210 Nur wer nicht in der Zeit, sondern in der Gegenwart lebt, so Loy unter Berufung auf Wittgenstein, sei glücklich, denn für das Leben in der Gegenwart gäbe es keinen Tod; nur wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit verstehe, könne man sagen, dass derjenige ewig lebt, der in der zeitlosen Gegenwart der Sein-Zeit (uji) existiert. 211 Ohne eine objektive Vergangenheit und Zukunft wird in einer letzten Konsequenz allerdings auch der Begriff der Gegenwart in seinem alltagssprachlichen Sinn als flüchtiger Moment zwischen Zukunft und Vergangenheit redundant. Ohne ein Selbst gibt es niemanden mehr, der sich dieses Jetzt bewusst werden könnte, denn das Selbst ist vom Jetzt nicht unterschieden. Auf diese Weise vollendet sich die Dekonstruktion der Zeit für Loy. 212 Loys nondualer nirvikalpa-Erlebnisfluss aktiv persistierender und selbstleuchtender Lichtprozesse lässt sich also abschließend als nonduale Erfahrung der Zeit im stehenden und fließenden Jetzt (nunc stans et fluens) spezifizieren. 213 Dabei sind alle einzelnen nirvikalpaLoy 1996a: 44. Cf. Loy 2008: 38; Genjōkōan. In: Ōhashi/Elberfeld 2006: 40 ff. Cf. Wittgenstein 1984a: 168 f. Cf. Loy 1996a: 46 f. 212 Loy 1996a: 46. Loy macht allerdings darauf aufmerksam, dass Dōgen damit keineswegs die Vergangenheit oder Zukunft negiert, sondern nur die Ansicht ablehnt, dass Zukunft und Vergangenheit außerhalb des gegenwärtigen Moments liegen: »What is present is always changing, but it’s always the present. When I remember what happened earlier I’m remembering now. When I plan for the future I’m planning now.« Loy 2008: 41. Das betont auch Holbrook 2002: 198. 213 Aus der Vorstellung des nunc stans hatte bereits Thomas von Aquin (1225–1274) in seiner Summa Theologiae (1, 10, 2) den Begriff der Ewigkeit gewonnen. Cf. Aquin 1933: 171. Für die christlichen Interpreten der Scholastik war damit jener zeitlose Moment bezeichnet, in dem »die Ewigkeit in ihrer ganzen Fülle zugleich gegenwärtig ist« (aeternitas est tota simul), den Cusanus (1401–1464) als »einfache Ewigkeit« (nunc aeternitatis) beschrieben und Augustinus (354–430 n. Chr.) mit der »immer stehenden Ewigkeit« (semper stantis aeternitatis) Gottes identifiziert hatte. Summa Theologiae 1, 10, 4. In: Aquin 1933: 177; De visione Dei 10. In: Cusanus 1987: 48; Confessiones 11, 13. In: Augustinus 1966: 623. Diese Begrifflichkeit geht auf Boëthius (ca. 480–526 n. Chr.) zurück, der im vierten Kapitel seines Traktates Quomodo trinitas unus Deus ac non tres dii versucht hatte, vom Jetzt her die Ewigkeit zu denken und zwischen einem fortdauernden (nunc permanens) und einem bewegten Jetzt (nunc currens) unterschieden hatte. Cf. Boëthius 1891: 1253. Während die Zeit für Boëthius nur das zum nunc fluens/currens depotenzierte nunc stans/permanens war und zwischen dem werdelosen Leben Gottes in der einfach-einen Gegenwart seiner vollständigen Selbstpräsenz und dem zerfließenden und begrenzbaren Leben in der Zeit un210 211

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Lichtprozesse in ihrer vollkommenen Beschaffenheit und ihrem wahren Wesen nach Uji: Absolut und vollkommen in ihrem ExistenzMoment. Im reinen Fließen des zeitlosen Jetzt artikuliert sich dabei die Erfahrung der kontradiktorischen Gleichzeitigkeit von Zeitlosigkeit – es gibt nichts, kein Ding, das fließt und niemanden, der diesen Fluß beobachtet – und dem phänomenologischen Befund konstanter Veränderung und Prozessualität. 214 Das nunc stans et fluens ist eine immerwährende Neuschöpfung im stehenden Jetzt. Die Welt, einschließlich unserer selbst, werde in der nondual erfahrenen Zeit mit einem Ausdruck aus Platons Timaios zu einem bewegten Bild der Ewigkeit (»a moving image of eternity« 215) oder buddhistisch gewendet zum saṃsāra als dem bewegte Bild des nirvāṇas. 216

2.5. Nondualismus und Theismus 2.5.1. Wo »Ich« nicht bin, kann »Gott« nicht sein: Das Verhältnis von Nondualismus und Theismus aus der Sicht Loys Neben der Negation dualistischen Denkens, der Nonpluralität der Welt, der Nondualität von Subjekt und Objekt sowie der Nondualität von Dualität und Nondualität nennt Loy die unio mystica als fünfte

terschieden werden musste, ist bei Loy dieser Dualismus zwischen fließender Zeit und stehender Ewigkeit im Nondualismus des nunc stans et fluens aufgehoben, sodass jeder Existenz-Moment (uji) eine absolute Synthesis von Zeit und Ewigkeit bedeutet. 214 Eine phänomenologische Beschreibung dieser Bewusstheit, in der weder Permanenz noch Fluss, weder Ewigkeit noch Zeitlichkeit, weder Sein noch Nichts, sondern das Zusammenfallen aller Gegensätze erlebt wird, unternimmt Algis Mickunas: »[A]t this juncture the phenomena of this world would surge through this anonymous presence unhindered by any modification of primordial emptiness of flux and permanence; then the very phenomena would think in me, and the creative awareness would collapse into the phenomena of the world.« Mickunas 1993: 272. 215 Loy 1996a: 49. Cf. Timaeus 37 D. In: Loewenthal 2010a: 116. 216 Cf. Loy 1997a: 224. Elberfeld hat an Loys Platon-Vergleich kritisiert, dass er in seiner Parallelisierung das Motiv der Zahl nicht berücksichtige, dem aber bei Platon eine gewichtige Rolle zukomme, insofern das »äonische Bild« ein »nach Zahlen« gehendes Bild sei. Cf. Elberfeld 2004: 346. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen; es sollte dabei allerdings berücksichtigt werden, dass Loy bei seiner Adaption weder eine hermeneutisch korrekte Interpretation Platons anstrebt noch behauptet, dass sich seine buddhistische Interpretation mit Platons genuinem Verständnis dieser Metapher uneingeschränkt deckt.

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Form der Nondualität. 217 Die Vorstellung einer mystischen Vereinigung des Menschen mit Gott als einer Erfahrungswirklichkeit wirft für Loy allerdings grundlegendere Fragen zum Verhältnis von Theismus und Nondualismus auf: Wie lässt sich das Verhältnis zwischen dem personalen Gott des Theismus und dem unpersönlichen Absoluten des Nondualismus näher bestimmen? Handelt es sich bei der unio mystica um dieselbe Erfahrung der Nondualität in einem theistischen Kontext oder transformiert der theistische Bezugsrahmen auch die Erfahrung als solche? 218 Um diese Fragen zu klären, ist für Loy kein anderes Werk der religiösen Tradition Indiens so gut geeignet wie derjenige Abschnitt aus dem Bhīṣmaparvan des über 100.000 Verse umfassenden indischen Nationalepos Mahābhārata, der als Bhagavadgītā – der Gesang des Erhabenen – bekannt ist. 219 Vor allem die textinhärente Spannung zwischen theistischen und nondualistischen Vorstellungen macht die Bhagavadgītā für Loy zum paradigmati217 Cf. Loy 1997a: 17. Eine Darstellung der Ursprünge des Begriffes der unio mystica bietet Haas 2014: 718–739. 218 Cf. Loy 1997a: 277, 286 f. 219 Durch mehrfache redaktionelle Überarbeitungen und Ergänzungen, die mehrere Jahrhunderte andauerten und der Bhagavadgītā erst in der Gupta-Zeit (320–550 n. Chr.) ihre bis heute weitestgehend unveränderte Gestalt gaben, wurde der Inhalt mit einer Vielzahl philosophischer Konzepte koordiniert, die während der langen Entstehungszeit der heutigen Textgestalt ausgebildet wurden. So finden sich neben Einflüssen aus den Upaniṣads, Sāṅkhya- und Yogatexten, mit denen die Autoren der Bhagavadgītā vertraut waren, auch philosophische Konzepte, die in der Auseinandersetzung mit den heterodoxen Systemen wie dem Buddhismus oder Jainismus Eingang in den orthodoxen Brahmanismus und damit die Bhagavadgītā fanden. Die Handlung der Bhagavadgītā beginnt mit der achtzehntätigen Entscheidungsschlacht zwischen den beiden verfehdeten Fürstengeschlechtern der Kauravas und Pāṇḍavas um die Vorherrschaft über das westliche Gangā-Yamunā-Zweistromland, die im Zentrum der Erzählung des Mahābhārata steht. Die Kauravas, die in Hastināpura, einem Ort im heutigen Distrikt Meerut im indischen Bundesstaat Uttar Pradeś herrschten, hatten die Pāṇḍavas aus Indraprastha durch ein Würfelspiel in ein dreizehnjähriges Exil gezwungen. Als nach ihrer Rückkehr aus dem Exil die Kauravas entgegen der Vereinbarung den Pāṇḍavas die rechtmäßige Herrschaft über die Hälfte des Königreiches verweigern, kommt es zum Krieg und zur entscheidenden Schlacht bei kurukṣetra, die mit der Vernichtung der Kauravas und dem Sieg der Pāṇḍavas endet. Die Bhagavadgītā berichtet vom Beginn der Schlacht und wie Arjuna in den Reihen der gegnerischen Kauravas zahlreiche Verwandte und Freunde erblickt und existentiell verzweifelt nicht kämpfen will. Sein Wagenlenker Kṛṣṇa versucht ihn daraufhin zum Kampf zu bewegen und seine Bedenken durch eine Reihe religiöser Unterweisungen zu zerstreuen, die den Inhalt des Textes bilden und in dessen Verlauf sich Kṛṣṇa als Verkörperung des höchsten Gottes Viṣṇu offenbart. Cf. Brück 2007b: 125– 287; Davis, R. 2015; Malinar 1996.

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schen Text, an dem die theoretische Auseinandersetzung zwischen Theismus und Nondualismus diskutiert und vertieft werden kann. Diese inhaltliche Komplexität und Heterogenität des Werkes hatte bereits den indischen Kommentatoren die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen und dabei teilweise stark voneinander abweichenden philosophisch-theologischen Lehren aus der Bhagavadgītā herauszulesen und ihr wie Śaṅkara im System des Advaita-Vedānta eine akosmistisch-monistische oder wie Rāmānuja (11./12. Jh.) im ViśiṣṭādvaitaVedānta eine panentheistisch-realistische Deutung zu geben. 220 Neben den älteren (Mukhya-)Upaniṣads und den von Bādarāyaṇa um die Zeitenwende verfassten Brahmasūtras gehört die Bhagavadgītā zu den prasthānatraya, i. e. den sogenannten drei konstitutiven Ansatzpunkten, die den traditionellen Kanon einer jeden Vedānta-Schule bilden. Sie zählt neben der Śvetāśvatara-Upaniṣad und dem Nārāyaṇīya-Abschnitt des Mahābhārata zudem zu den Grundtexten der bhakti-Bewegung. Die Bhagavadgītā ist in ihrem thematisch breiten Spektrum für Loy daher sowohl aus theoretischer als auch praktischer Hinsicht relevant: »We are particularly concerned to see the implications of nonduality for the two main philosophical problems that the Bhagavad-gītā raises: the interrelations among the various yogas or margas (›paths to God‹), and the relationship between personal God and impersonal Absolute.« 221 Die zwischen Nondualismus und Theismus intermittierenden Aussagen der Bhagavadgītā werfen für Loy dabei die Frage nach dem höchsten Prinzip auf: Ist das mit Eigenschaften behaftete saguṇa/saviśeṣa-brahman oder das eigenschaftlose nirguṇa/nirviśeṣabrahman das höchste Prinzip? Ist Kṛṣṇa als persönlicher Gott das Absolute oder muss der Gott des transzendenten Theismus einem unpersönlichen und eigenschaftslosen Absoluten untergeordnet werden? Während für Rāmānuja und dessen synergistisches Gnadenverständnis die Erlösung ausschließlich im Zusammenwirken liebender Gotteszuwendung (bhakti) und göttlicher Gnade möglich ist, ist ein īśvara, dessen erlösende Gnade sich ein Gläubiger im gottgefälligen Verhalten aneignen könnte, für Śaṅkara nur für ein im Zustand latenter Verblendung (avidyā) befangenes Individuum letztgültige Realität. Unter den Voraussetzungen des Advaita-Vedānta besitzt Kṛṣṇa demnach nur als Teil eines kosmischen Verblendungszusam220 221

Cf. Loy 1997a: 286 f. Loy 1997a: 277.

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menhanges und im Bereich vorläufiger Wahrheit (vyāvahārika) Geltung, während die Vorstellung von einem mit konkreten göttlichen Attributen behafteten brahman von einem absoluten Standpunkt (paramārthika) aus als illusionär durchschaut und die Wahrheit als eine Realität jenseits aller Eigenschaften erkannt werden muss. 222 Im Anschluss an Rāmānuja und Śaṅkara besteht die Frage für Loy also darin, ob es einen dritten Weg gibt, der die Synthese beider Standpunkte erlaubt, ohne dabei eine der beiden Positionen der jeweils anderen unterzuordnen: »Regarding the question of goal, this encourages us to reflect on the possibility of a nondual relationship between man and God.« 223

222 Loys Lesart des Advaita-Vedānta wurde der Sache nach – wenn auch ohne Bezug auf Loy – in jüngerer Zeit vor allem von Seite einiger christlicher Interpreten – insbesondere durch Bradley M. Malkovsky – in Frage gestellt, der versucht, die Rolle eines personalen Schöpfergottes (īśvara) im System Śaṅkaras aufzuwerten und der Idee göttlicher Gnade in dessen Soteriologie eine herausragende Stellung einzuräumen. Cf. Malkovsky 2000; Malkovsky 2001. Dieser Versuch geht vor allem auf die Analyse systemspezifischer Begrifflichkeiten Śaṅkaras durch Paul Hacker zurück, der in seinem wegweisenden Artikel zu den Eigentümlichkeiten der Lehre und Terminologie Śaṅkaras (1950) darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Śaṅkara den Herrn (īśvara) oder höchsten Herrn (parameśvara) oft gleichbedeutend mit paramātman und paraṃ brahma verwendet und der Gottesbegriff bei Śaṅkara daher »merkwürdig in der Schwebe« stehe zwischen »Paraṃ und Aparaṃ Brahma«. Der »gefühlsmäßige Theismus« sei im Advaita-Vedānta Śaṅkaras mit dem »gedanklichen Monismus« eine »unlogische, dafür aber um so lebendigere Vereinigung eingegangen«. Hacker 1978a: 109. Śaṅkara macht allerdings selbst unmissverständlich klar, dass einem wirkenden īśvara und dessen Gnade keinesfalls Realität in einem absoluten Sinne zukommt und diese Vorstellung nur vom vyavahāra-Standpunkt, also innerhalb des Bereiches der nāmarūpa-Lebenspraxis möglich ist, welche von der Verblendung (avidyā) fingiert ist: »Der [alltägliche Sprach]gebrauch, wie Beherrscher und zu Beherrschendes, Allwissenheit usw., ist im absoluten Sinne hinsichtlich eines ātman, der seiner Natur nach durch Wissen frei von allen zusätzlichen Bestimmungen [ist], nicht zutreffend.« Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 2, 1, 14. In: Stephan 2004: 405. Fußnote 15. Stephan hat gegen Malkovskys christliche Eisegese überzeugend aufgezeigt, dass einem īśvara in Śaṅkaras System nur eine Guru-analoge Funktion zukommt, insofern er sich »aus Mitleid mit der Welt dazu entschließt, Erlösungswissen als Anleitung zur Selbsterlösung zu vermitteln, wie Śaṅkara zu Beginn des BhGBh [Bhagavadgītāśaṅkarabhāṣya; F. V.] erwähnt«. Daher bleibe die »Möglichkeit göttlicher Gnade in Śaṅkaras BhGHb-Soteriologie beschränkt.« »Ein direktes Eingreifen dieses Gottes in den spirituellen Reifeprozeß, indem er durch einen Gnadenakt die avidyā als solche beseitigen würde«, lehre Śaṅkara nirgendwo. Stephan 2004: 412 f. Cf. Stephan 2002. Loys Interpretation des Advaita-Vedānta kann zumindest in dieser Hinsicht einer genaueren Analyse standhalten. 223 Loy 1997a: 287.

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In einem ersten Schritt stellt Loy der von den theistischen Traditionen betonten Gottesliebe (bhakti) zu Christus, Allāh, Kṛṣṇa, Amida, usw. das von den nondualistischen Traditionen betonte Primat der Erkenntnis (jñāna) des tathāgatagarbha oder ātman entgegen und erörtert, ob der Differenz zwischen einem personalen und einem impersonalen Absoluten die funktionale Unterscheidung zwischen Gefühl und Verstand korrespondiert. Das emotionale Erleben der Bhakti-Religiosität fordere ein personales, mit Eigenschaften behaftetes Anderes (saguṇa-brahman), auf das man sich beziehen könne und das im Hinduismus häufig anthropomorphe oder theriomorphe Züge aufweise, während der Verstand nach einer letzten Wirklichkeit ohne Eigenschaften und Persönlichkeitsqualitäten (nirguṇa-brahman) verlange, da die heilskonstitutive Einsicht und Erkenntnis (jñāna) über den Weg der Abstraktion führe und durch das Loslassen aller mentalen Phänomene, Emotionen und Konzepte entstehe. 224 Dieser Ansatz führe aber de facto zu keinem Erkenntnisgewinn, da nun saguṇa- und nirguṇa-brahman in dieselbe Beziehung zu uns gesetzt würden und nicht klarer werde, welche Beziehung zwischen beiden selbst bestehe. Das Problem verlagere sich hier lediglich auf die Frage nach dem Verhältnis von Gefühl und Verstand und der grundlegenden Frage, ob das Ziel nicht vielmehr von der

224 Loy 1997a: 288. Cf. Loy 2009a: 97. Ein kurzer Blick auf die stark vom AdvaitaVedānta beeinflusste Nirguṇa-Bhakti der nord-indischen Sant-Tradition des 15. und frühen 16. Jahrhunderts und die Schriften ihrer bekanntesten Vertreter, wie Kabīr (ca. 1440–1518), Ra(v)idās (15./16. Jh.), Gurū Nānak (1469–1539), Haridās Nirañjanī (1455–1543), Dādū Dayāl (1544–1603), usw. reicht hingegen aus, um den von Loy konstruierten Gegensatz zu falsifizieren. David N. Lorenzen zufolge bezeugen »mountains of nirguṇī literature« die Vereinbarkeit zwischen einer stark emotional aufgeladenen Devotionalität und der radikalen Eigenschaftslosigkeit (nirguṇa) Gottes. Lorenzen 1996: 2. Für Frits Staal (1913–2012) ist dieser religiöse Hang zum Unsagbaren hingegen etwas zutiefst Irrationales. Von Menschen könne erwartet werden, Dinge zu wünschen, die ihnen etwas sagen, geben, versprechen oder sie zumindest an etwas erinnern. Das Unaussprechliche tue nichts dergleichen. Staal kann sich das starke Verlangen der Nirguṇa-Bhaktas nach einem formlosen Gott dann auch nur noch in Anlehnung an Freuds psychoanalytische Religionskritik als Regression bzw. nostalgischen Hang zu einem vor-sprachlichen Stadium der Menschheit (»the childhood of the race before it spoke«) erklären. Staal 1987: 44. Für Wendy O’Flaherty ist die Nirguṇa-Bhakti der Sant-Tradition lediglich ein bloßes Konglomerat aus verschiedenen, miteinander unvereinbaren Strömungen des Hinduismus oder »an Irish bull«, i. e. ein inkongruentes und inkonsistentes Gebräu (concoction), das von den NirguṇaBhaktas nicht als solches erkannt werde. O’Flaherty 1987: 47.

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Praxis bestimmt sei als umgekehrt das Ziel den spirituellen Pfad determiniere. 225 Um das Verhältnis von saguṇa- und nirguṇa-brahman näher zu bestimmen, sei hingegen eine Analyse der Kritik der nondualen Traditionen an der Vorstellung eines personalen Gottes und des Theismus insgesamt weiterführend. Ein Teil des Problems besteht für Loy demnach in der anthropomorphen Vorstellung, dass Gott eine dem Menschen irgendwie ähnliche Person sei. 226 Werde die Persönlichkeit Gottes rein metaphorisch oder als geschicktes Mittel (upāya) aufgefasst, sei diese Vorstellung bestenfalls nur hinderlich auf dem Weg zur einzig wahren Form der Erleuchtung, die sich in der meditativ realisierten Selbstlosigkeit offenbare. Mit dieser Ansicht schließt Loy an Yasutani an, der den christlichen Glauben an Gott im Gegensatz zu Yamada noch als Hindernis auf dem Zen-Weg kritisiert hatte: The ›Great Death‹ necessary in Zen practice is to let go of all attachments and ego identifications, to which we cling for security, in order to realize the security of no-security in an ›empty‹ world of radical impermanence that is groundless. I wonder, however, whether the psychological function of a personal God in theism is the opposite: God as the Great Security Blanket. God is usually understood metaphorically as a stern yet loving parent, but even an Ultimate Reality toward which one is striving can serve the same reassuring role: it gives us an ›emotional handle‹ to hold on to. Does faith in such a Reality make it easier to let go of everything else? Or does such a faith make it more difficult to let go of everything? Is a Great Security Blanket also a great attachment, which we must eventually let go of? 227 Cf. Loy 2009a: 98. Loy meint hier wohl die erst seit Boëthius (ca. 480–524 n. Chr.) bekannte Bedeutung von Subjektivität im Sinne des modernen Personenverständisses. Boëthius hatte in seinem Traktat Contra Eutychen et Nestorium Person als »individuelle Substanz geistiger Natur« bestimmt (naturae rationabilis individua substantia). Boëthius 1988: 74. 227 Loy 2009a: 105 f. In diesem Zusammenhang ist auf Shinrans (1173–1263) Interpretation Amidas als geschicktes Mittel (skt. upāya, jap. hōben) zu verweisen. Shinran zitiert in seinem monumentalen Hauptwerk – dem Kyōgyōshinshō – einen Passus aus Tʾ an-luans/Tanluans (jap. Donran, 467–542 n. Chr.), Kommentar zu Vasubandhus Sukhāvatīvyūhopadeśa, in dem dieser zwei dharmakāyas lehrt und zwischen der Apophatik eines nicht wahrnehmbaren dharmakāya als Soheit (hosshō-hosshin) und der Kataphatik eines wahrnehmbaren dharmakāya als geschicktes Mittel (hōben-hosshin) unterscheidet. Der Buddha ist für Shinran daher der ansich (paramārtha-satya) gestalt- und zweitlose dharmakāya, der sich als geschicktes Mittel in Gestalt des 225 226

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Viel problematischer ist für Loy allerdings die Tatsache, dass der Doppelaspekt des Absoluten als gleichzeitig immanent und transzendent nur einen äußerst unvollkommenen Ausdruck in der Vorstellung eines personalen Gottes finde, der wie der Mensch Pläne mache, Dinge hervorbringe, Erwartungen habe, befehlige, belohne, bestrafe, sich erfreue oder ärgerlich sei und bestimmten Völkern ein privilegiertes Schicksal gewähre, während er andere gleichzeitig diskriminiere und verdamme. Dieses Gottesbild führe zur Theodizee-Problematik eines als allgütig, allwissend und allmächtig postulierten Gottes, der inkompatibel sei mit der Realität der menschlichen Leiden. 228 Soll die sambhogakāya-tathāgata Amida für uns (saṃvṛti-satya) manifestiert und als solcher die natürliche und spontane (jinen) Heilsaktivität der letzten Wirklichkeit verkörpert. Amida muss daher primär in seiner heilspragmatischen Dimension und vor dem Hintergrund der trikāya-Doktrin verstanden werden, insofern Amida keine letztgültige Wirklichkeit ist, sondern zu Heil und letzter Wirklichkeit führt, indem er sie manifestiert: »Buddha, when appearing with form, is not called supreme nirvana. In order to make it known that supreme Buddha is formless, the name Amida Buddha is expressly used; so I have been taught.« Mattōshō. In: Hirota 1997: 530. Aber auch diese letzte Dualität von Dualität und Nondualität, Form und Formlosigkeit wird noch in einer höheren, alle Relationsbegriffe transzendierenden Weisheit (prajñā) vollendet, die das Verhältnis des dharmakāya als Soheit und geschicktes Mittel in die Absolute Synthesis des Relativen und des Absoluten vermittelt. Im Anschluss an Tʾ an-luans Kommentar beschreibt Shinran die absolute Nondualität des dharmakāya als das von aller Relation dispensierte Absolute, das weder form- noch formlos ist und somit die Dualität von Negation und Affirmation transzendiert: »[The ultimate principle] is neither an affirmation nor a negation; it is beyond description even by a hundred negations.« Kyōgyōshinshō 618c. In: Inagaki 2003: 185. Dazu schreibt Schmidt-Leukel: »›Amida‹ ist der Schnittpunkt, in dem sich die Bewegung von ›oben nach unten‹, die Manifestation des Formlosen in Form, mit der Bewegung von ›unten nach oben‹, die nur mittels der Form mögliche Erkenntnis der Formlosigkeit, kreuzen und zur Einheit werden: beide Bewegungen bedingen und qualifizieren einander. […]. Diese Einheit der beiden Aspekte des Dharmakâya, die Einheit seiner Formlosigkeit und seiner Manifestation als Erkennbarkeit durch Form, ist für Shinran das Wesen von prajñā.« Schmidt-Leukel 1992: 611. Shinrans, im buddhistischen Kontext formulierter nondualer Theismus wäre zweifelsohne noch geeigneter gewesen, um das Verhältnis von Nondualismus und Theismus zu reflektieren und mit der eigenen Philosophie der Nondualität zu vergleichen; leider findet sich in keinem der Werke Loys eine eingehende Auseinandersetzung mit der Lehre Shinrans. 228 Bekanntlich geht der Begriff der Theodizee auf Gottfried Wilhelm Leibniz (1646– 1716) zurück. In seinen 1710 veröffentlichten Essais de théodicée entwickelte er seine These, der zufolge die existierende die beste aller möglichen Welten ist und versuchte damit den christlichen Gottesbegriff angesichts des metaphysischen Übels der Unvollkommenheit (mal métaphysique), des physischen Übels des Leidens (mal physique) und des moralischen Übels der Sünde (mal moral) zu rechtfertigen. Cf. Leibniz 1985: 241. Theodizee, von altgriechisch theós (Gott) und díkē (Gerechtigkeit) bedeutet so-

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Metapher von der Personschaft Gottes hingegen die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass dem Universum eine moralische Ordnung immaniert und unser Leben eine transzendente Bedeutung hat, die es unschätzbar wertvoll macht, dann artikulieren die nondualen Systeme diese Einsicht für Loy wesentlich überzeugender. Ersteres sei in der Karma-Lehre verkörpert, die nicht das prädestinierte Schicksal der griechischen moira sei, die »mir« in einem dualistischen Sinn widerfahre, sondern vielmehr die Vorstellung zum Ausdruck bringe, dass die Welt in einer solchen Weise geordnet ist, dass Ursache-Wirkung-Beziehungen nicht nur in der physischen, sondern als Verdienst (dharma) und Schuld (adharma) auch in der intelligiblen Welt gelten. Wenn man die welthaften Phänomene nicht von ihrem eigenschaftslosen Grund trenne und damit eine weltverneinende Interpretation vermeide, finde die transzendente Bedeutung des Lebens einen wesentlich besseren Ausdruck in der von Loy projektierten Möglichkeit einer Befreiung, die mit der Erkenntnis der eigenen wahren Natur entstehe: »I am the universe.« 229 Ein potenzielles Problem sieht Loy in dieser nondualen Variante eines unpersönlichen Absoluten, insofern diese Annahme die scheinbare Gleichgültigkeit des Universums gegenüber unserem Schicksal impliziere. Die Negation eines richtenden Gottes hebe scheinbar auch die Moral auf und ersetze sie durch ein mechanisches, genuin amoralisches Vergeltungsgesetz von Ursache und Wirkung, insofern wir tun und lassen könnten, was wir wollen, solange wir nur dazu bereit seien, die Konsequenzen zu tragen. Diese Einwände beruhen für Loy allerdings auf einem Missverständnis der nondualen Vision des Kosmos: The effect of an impersonal Absolute is not indifference, for God is not really eliminated but, as it were, integrated into the universe–just as the negation of mind–body dualism implies not behaviorism but a ›spiritualized body.‹ That God is not other than the universe, as Spinoza argued, does not diminish God but rather elevates the universe. The mit Rechtfertigung Gottes und ist nach einer Definition Kants »die Vertheidigung der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage, welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt gegen jene erhebt.« AA VIII: 255. Die erstmals bei Laktanz (ca. 250–320 n. Chr.) überlieferte, klassische Formulierung der Theodizee, der sie wiederum dem Epikur (ca. 341–270 n. Chr.) zuschreibt, fragt also nach der Vereinbarkeit eines als allgütig, allwissend und allmächtig postulierten Gottes mit der Realität der physischen, moralischen und metaphysischen Übel dieser Welt. 229 Loy 1997a: 289.

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Nondualismus und Theismus

universe is spiritual because it is ordered in such a way that there is moral as well as physical order, and because those who choose to make an attempt to overcome their egoism find their efforts aided by forces outside their conscious control. 230

Moderne Advaitins wie Śrī Aurobindo hätten entsprechend behauptet, dass der Drang zur Selbsterkennits und zum Erwachen der Struktur des Universums inhärent sei und auch der »in den Strom Eingetretene« (pāḷi sotāpanna; skt. śrotrāpanna) sei ein inspiriertes Bild des Buddhismus dafür. Der Betreffende werde in einen Strom hineingezogen, der ihn zum nirvāṇa ziehe, was der Tradition zufolge innerhalb von sieben Leben erreicht werde. 231 Das Universum hat Loy zufolge also eine natürliche Anziehungskraft (»a natural ›gravitational‹ tendency«), die zur Selbsterkenntnis und Erleuchtung führt und der allein unsere moralisch-spirituellen Befleckungen (kleśas) entgegenwirken. 232 Von einem relativen Standpunkt aus betrachtet, strahle der unpersönliche dharmakāya des Mahāyāna-Buddhismus für uns, also für die im Zustand latenter Verblendung befangenen Individuen, uniLoy 1997a: 289. Folgt man Nyānatiloka Mahātheras (1878–1957) Definition, dann ist der sotāpanna der unterste der Edlen Jünger (ariya-puggala). Man unterscheidet beim sotāpanna drei verschiedene Arten: Erstens, den »Höchstens noch siebenmal Wiedererscheinenden« (sattakkhattu-parama); zweitens, den »von Geschlecht zu Geschlecht Eilenden« (kolankola), der noch zweimal oder dreimal wiedergeboren wird und drittens, den »Noch einmal Aufkeimenden« (eka-bījī), der nur noch einmal zum menschlichen Dasein gelangen wird. Die Bedingungen zum Stromeintritt sind der Umgang mit edlen Menschen, das Hören der edlen Lehre, die weise Erwägung und ein Wandel gemäß der Lehre. Die charakteristischen Eigenschaften des Stromeingetretenen (sotāpannassa angāni) sind das unerschütterliche Vertrauen zum Erleuchteten, zur Lehre, zur Jüngerschaft der Edlen und vollkommene Sittlichkeit. Cf. Nyānatiloka 1953: 213 f. Eine ausführliche Darstellung der Lehre von den vier Heiligkeitsgraden, die zwischen dem »in den Strom Eingetretenen« (pāḷi sotāpanna), dem »Einmalwiederkehrenden« (pāḷi sakadāgāmī), dem »Niewiederkehrenden« (pāḷi anāgāmī) und dem »Vollkommen-Heiligen« (pāḷi arahat) unterscheidet, findet sich bei SchmidtLeukel 1996a: 43–51. 232 Der kleśa-saṃkleśa-Abschnitt der Savitarkādibhūmi der Maulī-Bhūmi – der erste von insgesamt fünf Abschnitten der Yogācārabhūmi – nennt beispielsweise zehn kleśas, die in weitere 128 Unterarten unterteilt werden: (1) Die Ich- und Mein-Vorstellung (satkāya-dṛṣṭi), (2) die an Extremen hängende Ansicht (antagrāha-dṛṣṭi), (3) die falsche Ansicht (mithyādṛṣṭi), (4) das Anhaften an falschen Ansichten (dṛṣṭiparāmarśa), (5) das dogmatische Anhaften an Geboten und Gelübden (śīla-vrataparāmarśa), (6) das leidenschaftliche Verlangen (rāga), (7) die Abneigung, der Zorn und Ärger (pratigha), (8) der Hochmut und Stolz (māna), (9) das Nichtwissen und die Verblendung (avidyā) und (10) der Zweifel (vicikitsā). Cf. Ahn 2003. 230 231

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versale Liebe und ubiquitäres Mitgefühl aus und umfange damit ausnahmslos alle Menschen, die sich in Freiheit zur Heilsgegenwart des Absoluten hin- oder von dieser abwenden könnten. Das Konzept der Gnade sei hingegen von einem Gott abhängig, der sie gewähre oder verweigere und einzelne Begnadete zum ewigen Leben berufe, während er andere ohne Hoffnung auf Rettung zur Hölle prädestiniere. Zwar verweist Loy an anderer Stelle auf Bibelstellen, die diesem Gottesbild direkt widersprechen und die nicht-diskriminierende Liebe Gottes betonen, aber es geht ihm hier primär um den Aufweis, dass ein genuin spirituell aufgefasstes Universum auch ohne einen transzendenten und personalen Gott Ordnung und Werte realisieren und den Menschen zu Sittlichkeit, Liebe und Heil führen kann. 233 Der zentrale Gegensatz besteht für Loy also nicht zwischen der unbedingten Liebe des dharmakāya und der bedingten Gnade des personalen Gottes, sondern zwischen der Identität mit dem Absoluten in den nondualen Traditionen einerseits und der unaufhebbaren Differenz zwischen Mensch und Gott andererseits, die in den theistischen Traditionen die heilskonstitutive und daher irreduzible Realdifferenz bilde. Das Problem des Theismus sieht Loy vor allem darin, dass Gott als »das ganz Andere« gedacht werde, das dem Universum des Seienden als Transzendenz in kosmologischer Differenz entgegenstehe. Das Ziel des Zen-Weges sei es hingegen, die wahre Natur dieser Welt, einschließlich ihrer Geschöpfe, zu leben und nicht die Welt zu transzendieren, um einen Gott zu erfahren, der sie geschaffen hat. 234 Tatsächlich sei das von Rudolf Otto (1869–1937) explizierte »Heilige« kein Charakteristikum einer transzendenten Wirklichkeit, die der Phänomenalität gleichsam übergestülpt sei, sondern ein inneres Merkmal des selbstleuchtenden Geistes, das allerdings nur erkannt werde, wenn man seine wahre selbst-lose Natur realisiere: »I am that star, that mountain, that sound.« 235

233 »Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Mt 5, 44–45). »Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.« (Lk 6, 35). Cf. Loy 2009a: 101. 234 Cf. Loy 2009a: 97. 235 Loy 1996a: 80. Cf. Loy 1997a: 291.

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Für Loy ist die Vorstellung eines personalen Gottes allerdings einer buddhistischen śūnyatā vorzuziehen, die als statisch und nihilistisch missverstanden werde oder dem nirguṇa-brahman Śaṅkaras, das Loy so abstrakt und jenseitig denkt, dass es für ihn in keinerlei Beziehung mehr zu unserem Leben steht. Selbst der Theist, der aufrichtig versuche, alle Geschöpfe Gottes zu lieben, mache mehr spirituelle Fortschritte in Richtung Selbstlosigkeit als der meditierende Nondualist, der selbstsüchtig nach der Erleuchtung strebe. 236 Bevor wir zur vollständigen Selbstlosigkeit erwachen, erfahre selbst der Nondualist das Absolute von seinem begrenzt-individuellen Standpunkt aus als »Gott« (dharmakāya). »Gott« sei eben das Absolute, wenn man es vom beschränkten Standpunkt der Verblendung als Individuum gleichsam »von außen« betrachte: God is the Absolute viewed from outside, as it were: still a bit dualistically. The Impersonal Absolute is the true nature of God–nondual because completely incorporating ›my‹ consciousness as well. In other words, to experience God is to forget oneself to the extent that one becomes aware of a consciousness pervading everywhere and everything. To experience the Godhead/Absolute is to ›let go‹ completely and realize that consciousness is nothing other than me, fully becoming what I have always been. […]. God is God only in relation to me, but when there is no longer ›me‹ then the spiritual quest is over. 237

In seiner Auseinandersetzung mit der Wolke des Nichtwissens (engl. The Cloud of Unknowing) – einem anonymen Traktat, das vermutlich von einem englischen Kartäuser im 14. Jahrhundert verfasst wurde – konzediert Loy zwar, dass auch in einem theistischen Kontext die nonduale Erfahrung authentisch verwirklicht werden könne, aber diese begrifflich anders – und das heißt nach Loys Voraussetzungen nichts anderes als falsch – konzeptualisiert werde. 238 Für Loy ist der Theismus mit seinem strukturellen Dualismus daher insgesamt als Cf. Loy 1996a: 74. Loy 1997a: 291. 238 Cf. McCann 1952: 89 f.; Loy 2009a: 104. Franz Wöhrers ausführliche Analyse des kontemplativen Entleerungsgeschehens, wie es der Text beschreibt und an dessen Ende der »entleerte, ›schlafähnliche‹ Seelenzustand der Welt- und Daseinsvergessenheit steht«, lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass die Erfahrung des Cloud-Autors mit Loys nondualer Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/ sākāra) vollkommen inkommensurabel ist. Loy erliegt folglich dem Irrtum, aufgrund oberflächlicher Ähnlichkeiten vorschnell Identitäten zu postulieren, ohne die signifikanten phänomenologischen Unterschiede zu berücksichtigen. Cf. Wöhrer 2000: 747 f. 236 237

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evolutionäre Schwundstufe im kosmischen Erkenntnisprozess zu begreifen, der bestenfalls als geschicktes Mittel auf dem spirituellen Pfad dienen und nur noch sinnvoll verstanden werden kann, wenn man ihn konsequent buddhistisch interpretiert und Gott mit der Leere identifiziert. 239 In letzter Konsequenz müsse die Vorstellung eines selbstexistenten Gottes allerdings genau so aufgegeben werden, wie der Glaube an die inhärente Existenz eines Selbst (ātman), denn Gott ist für Loy nur das objektive Korrelat der subjektiven Kernillusion eines cartesianischen Ich, deren Überwindung für ihn das primäre Ziel spiritueller Praxis verkörpert. Loy sieht hier eine unmittelbare Entsprechung zwischen dem transzendenten Gott des Monotheismus – »a consciousness unifying and controlling the external world« – und unserem Ego-Selbst – »a consciousness unifying and controlling the internal« 240 – und identifiziert die Hypostase Gottes als einer transzendenten Wirklichkeit jenseits aller Phänomenalität als Urakt nihilistischer Verblendung: »Nihilism shows its disgust at life by creating a ›true world‹ having all the attributes that life does not: unity, stability, identity, goodness, happiness. This invention of another world is the nihilistic act par excellence because it devalues this world.« 241 Den theistischen Traditionen fehlt Loy zufolge also entweder die wahrhafte Erfahrung der Wirklichkeit oder sie haben sie – wie der Autor der Wolke des Nichtwissens – falsch interpretiert und expliziert. Der Buddhismus hat für ihn als primus inter pares hingegen beides, i. e. sowohl die authentische Erfahrung letzter Wirklichkeit als auch das bestmögliche Verständnis dieser Erfahrung. Loy nimmt diese Lehre zwar nicht für sich in Anspruch, aber mit dem Svātantrika-Mādhyamika Bhavya/Bhā(va)viveka (ca. 500–570 n. Chr.), der in seinen Schriften zwischen einem richtigen (tathya-saṃvṛti) und falschen (mithyā-saṃvṛti) Wissen auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya) unterscheidet, könnte man sagen, dass Loy seine Philosophie der Nondualität für tathya-saṃvṛti, i. e. die einzig (relativ) wahre hält. 242 Denn auch wenn jede Beschreibung der letzten Wirklichkeit nur ein savikalpa-Konstrukt für Loy ist, so gibt es doch zwei-

Cf. Loy 2009a: 105. Loy 1996a: 104. 241 Loy 1996a: 119. 242 Cf. Madhyamārthasaṅgraha. In: Ayyaswami Sastri 1931: 49; Madhyamakahṛdayavṛtti-Tarkajvālā 3, 7: In: Heitmann 2004: 93; Tachikawa 1997: 194. 239 240

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felsohne relativ richtige und relativ falsche für ihn, deren Wert sich nicht allein daran bemessen lässt, wie effektiv sie zur Überwindung des religiösen Sprachsystems beitragen und den Menschen zur heilskonstitutiven Erfahrung der Nondualität führen. Eine ausgeführte Theorie relativer Wahrheit, die diesen Anspruch offenlegen und kritisch reflektieren würde, findet sich in Loys Werk allerdings nicht. Auch die naheliegende Auseinandersetzung mit denjenigen christlichen Interpreten, die eine »nonduale Erfahrung« nicht als Endpunkt, sondern als bloßes Durchgangsstadium zur personalen Gotteserfahrung begreifen oder wie Loy von einer prinzipiell gleichen Erfahrungsgrundlage beider Religionen ausgehen, dabei aber nun ihrerseits dem Buddhismus eine falsche Interpretation dieser Erfahrung vorwerfen, fehlt. Es bietet sich an dieser Stelle daher an, diese theistischen Gegenpositionen anhand ihrer profiliertesten Vertreter kurz zu referieren und damit konkurrierende Interpretationen »nondualer Erfahrung« exemplarisch zu Wort kommen zu lassen.

2.5.2. Die unaufhebbare Differenz zwischen Mensch und Gott: Zur Gegenkritik des Theismus Es gehört zu den grundlegenden Überzeugungen Loys, dass Gott nur in Beziehung auf ein von ihm unterschiedenes Subjekt »Gott« ist und das spirituelle Streben an sein Ende gelangt ist, wenn es kein »Ich« mehr gibt. 243 Dieser Vorstellung hatte von theistischer Seite aber bereits der flämische Theologe und Mystiker Jan van Ruusbroec (1293– 1381) im 74. Kapitel seiner Chierheit van der gheestelijcker Brulocht (lat. de ornatu spiritalium nuptiarum) eine Absage erteilt. Die natürliche Anlage und Befähigung zu einer »bildlosen Ruhe« hatte Ruusbroec zwar ausnahmslos allen Menschen zugesprochen, aber dieses müßige »In-Sich-Versunkensein«, in dem der Mensch »sich selbst, wie auch Gott und alle Dinge« vergesse, sei als unerlaubte und falsche »Ledigkeit« von jener »übernatürlichen Ruhe« zu unterscheiden, die man in Gott besitze, weshalb »alle diejenigen betrogen« seien, »die sich selbst suchen, die in natürliche Ruhe verfallen und Gott weder mit Begierde suchen, noch ihn in genießender Liebe finden.« 244 Auch der lutherische Theologe und Mitbegründer der Dialektischen Theo243 244

Cf. Loy 1997a: 291. Ruysbroeck 1922: 171

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logie Friedrich Gogarten (1887–1967) kam zu dem Schluss, dass die radikale Negativität der mystischen Erfahrung eine »Nichterkenntnis«, ein »leeres Nichts« und »Phantom« erzeuge, in der die »Erlebnislüsternen« nicht das Wesen Gottes in seiner Herrlichkeit unmittelbar schauen, sondern allein »die leere, jedes Inhaltes, jeder Beziehung bare Seele« des Menschen erkennen. Es sei der »tiefste Irrtum der Mystik« zu glauben, dass sie Gott begriffen habe, wenn sie ihn als den »Bestimmungslosen« 245 erfasse, während sie doch in Wahrheit nur den Menschen in seiner Sünde erkenne. Wo diese Erkenntnis des Nichts für wahre Gotteserkenntnis genommen werde, da sei Mystik folglich leer und falsch; wo sie hingegen als Erkenntnis des sündigen Wesens des Menschen und der unaufhebbaren Differenz zwischen göttlicher und menschlicher Persönlichkeit begriffen werde, da sei Mystik als mittelbare Gotteserkenntnis gerechtfertigt, der ihre Erfüllung wiederum allein aus der christlichen Offenbarung zuwachse. 246 In den Worten des US-amerikanischen Trappisten ThoGogarten 1924: 66–72. Auf ganz ähnliche Weise haben auch Joseph Maréchal (1878–1944), Engelbert Krebs (1881–1950), Jacques Maritain (1882–1973), Alois Mager (1883–1946), Emil Brunner (1889–1966), Henri de Lubac (1896–1991), Anselm Stolz (1900–1942), Johannes Baptist Lotz (1903–1992), Oliver Lacombe (1904–2001), Louis Gardet (1905– 1986), Hans Urs von Balthasar (1905–1988), Josef Zapf (1926–2012), Louis Dupré sowie Jürg Wunderli und Saskia Wendel die Zuwendung zum Grund der Seele als dem eigenen Innersten zur bloßen »Basis und Voraussetzung des Ausgangs aus sich heraus in der mystischen, ekstatischen Erfahrung Gottes« gemacht. Wendel 2011: 28. Cf. Balthasar 2009: 46–67; Brunner, E. 1928: i; Dupré 2003: 22; Gardet 1956: 7–55; Gogarten 1924: 66–72; Krebs, E. 1921: 19; Lacombe 1938; Lotz 1978: 232–262; Lubac 1974: 92; Mager 1934; Mager 1946; Maréchal 2004: 303; Maritain 1944: 240–254; Maritain 1954: 303–326; Stolz 1936: 246 f.; Wunderli 1975: 157; Zapf 1998. Die Möglichkeit einer authentischen Gotteserfahrung liegt dabei in der Regel im Glauben an die christliche Offenbarung beschlossen, sodass zwischen einer »übernatürlichen« Gnadenmystik des Christentums und einer »natürlichen« Mystik außerhalb des Christentums unterschieden wird. Cf. Baier 2009b: 570–580. Diese Unterscheidung wurde spätestens mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und Karl Rahner (1904– 1984) relativiert: »Wo freilich in der außer-christlichen M. [Mystik; F. V.] der persönliche Gott erfahren wird, ist insofern nicht nur von ›natürlicher M.‹, sondern von übernatürlicher M. zu sprechen, als dabei unreflex Jesus Christus als Antlitz des Vaters erfahren wird.« Rahner 1976: 290. Dem könnte freilich entgegengehalten werden, dass es tatsächlich der Christ ist, der in seiner personalen Gotteserfahrung »unreflex« Śiva oder Amida erfährt. Rahners Ansatz ermöglicht es zumindest, die innerhalb der viṣṇuitischen Sekte der Śṛī-Vaiṣṇavas bezeugte (personale) Gotteserfahrung Viṣṇu-Nārāyaṇas als eine (anonym christliche) Form übernatürlicher und insofern auch heilsschaffender Mystik zu würdigen, während er Loys nonduale Erfahrung zweifellos unter diejenigen parapsychologischen, psychotechnisch erworbe245 246

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mas Merton (1915–1968) ist »das Innere Selbst« in der theistischen Mystik der abrahamitischen Religionen somit »nur Stufe zum Gewißwerden von Gott«, während es im Zen bedeutungslos sei, »hinter das Innere Selbst zu gelangen.« Der Mensch sei »Bild Gottes« und sein »Inneres Selbst« gleiche »einem Spiegel, in dem nicht Gott sich selbst, sondern wir Gott sehen« könnten: Wenn wir in uns einkehren, finden wir unser wahres Selbst; und wenn wir hinter das ›Innere Ich‹ gehen, befinden wir uns auf dem Weg zur unendlichen Dunkelheit, in der wir dem ›Ich-bin‹ des Allmächtigen begegnen. […]. Wir wissen von dem unendlichen, metaphysischen Abgrund zwischen Gottes Sein und dem Sein der Seele, zwischen dem ›Ich‹ des Allmächtigen und unserem inneren ›ich‹. Paradoxerweise existiert unser innerstes Sein in Gott und Gott wohnt in ihm – und zugleich muß man zwischen der Erfahrung des eigenen innersten Seins und der Erfahrung unterscheiden, in der Gott selbst sich uns in und durch unser Inneres Selbst zeugt. Wir müssen wissen, daß der Spiegel unterschieden ist vom Bild, das sich in ihm spiegelt. 247

Diese Differenz hat vor allem der Jesuit und Mystikforscher Josef Sudbrack (1925–2010) in seinen Schriften immer wieder überdeutlich markiert und systematisch als fundamentalen Gegensatz zwinen und profan gearteten Vorkommnisse subsumieren würde, »die man einerseits in irgendeinem möglichen Sinn als außerhalb der psychologischen Alltagserfahrungen stehend, als in irgendeinem Sinne als »mystisch« qualifizieren kann oder muß, und die anderseits doch nicht als Erfahrung übernatürlich-gnadenhafter Mystik angesprochen werden können.« Rahner 1978: 364. Es war allerdings Karl Barth (1886–1968) vorbehalten, den Offenbarungspositivismus auf sein unüberbietbares Extrem zu treiben und damit die ganze darin beschlossene Absurdität offenzulegen. So erklärte Barth, dass auch die »Wahre Schule des Reinen Landes« (jōdo-shinshū) eine Gnadenreligion sei, die all das lehre, lebe und als Kirche darstelle, was auch die christlichprotestantische Gnadenreligion strukturell ausmache, aber darum seien die ShinBuddhisten doch nicht weniger »Heiden, arme, gänzlich verlorene Heiden«. Ihnen fehle der Name Jesus Christus »in der ganzen formalen Simplizität dieses Namens als des Inbegriffs der göttlichen Offenbarungswirklichkeit«, der ganz allein über Wahrheit und Lüge zwischen den Religionen entscheide. Barth 1945: 376. Die im interreligiösen Dialog zentrale Frage nach der Einzigkeit von Inkarnation hat zu höchst diffizilen Debatten geführt, die hier nicht nachgezeichnet werden können. Strukturparallelen in der Ausbildung des buddhistischen und christlichen Inkarnationsglaubens sowie pluralistische Perspektiven, die die in Jesus inkarnierte Wirklichkeit und die im Buddha verkörperte Wirklichkeit miteinander identifizieren und sowohl personale als auch apersonale Erfahrungen nicht als grundverschiedene, sondern »unterschiedliche, dabei aber gleichsam heilshafte Erfahrungen mit derselben transzendenten Wirklichkeit deuten«, bietet Schmidt-Leukel 2005a: 218. 247 Merton 1989: 504 f.

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schen dem Selbstüberstieg einer dialogischen Begegnungsmystik und dem Selbstbesitz einer quasi-autistischen Unendlichkeitsmystik festgeschrieben. Unter Berufung auf Martin Bubers (1878–1965) Schriften über das dialogische Prinzip unterscheidet auch Sudbrack zwischen einer enstatischen Einheitserfahrung, in der nur die undifferenzierte Einheit und immanente Transzendenz des je eigenen Selbst und Tiefenbewusstseins kultiviert werde und einer in sich differenzierten und ekstatischen Einheitserfahrung »der Begegnung« und »Liebe«, »worin die Partner nicht aufgelöst und verschmolzen«, sondern »im Eigen-Sein vollendet werden.« 248 Während erstere als »Verhärtung im Selbst« 249 nur von außen nach innen führe (extra → intra), gehorche letztere als »Sich-Übersteigen auf ein Du hin« 250 dem augustinischen Dreischritt, der sich vom Außen über das Innen im allumfassenden »Über« Gottes vollende (extra → intra → supra). 251 Die bloße Einkehr der Selbstmystik zur unterschiedslosen Einheit finde sich vor allem im Zen-Buddhismus, der mit seiner kontemplativen Entautomatisierung aller Bewusstseinsinhalte zur totalen Ausschaltung aller Einzelphänomene führe, sodass das Bewusst248 Sudbrack 2002: 35. Cf. Sudbrack 1979: 106. Laut Buber gibt es zwei Erfahrungsweisen, »darin man keiner Zweiheit mehr gewahr wird.« Die eine ist das »Einswerden der Seele«, die sich allein im reinen Subjekt des Menschen ereignet und die Voraussetzung für die zweite nonduale Erfahrungsweise bildet, die Buber anhand zweier Menschen beschreibt, »die in der Leidenschaft des erfüllenden Eros so vom Wunder der Umschlingung verzückt werden, daß ihnen das Wissen um Ich und Du im Gefühl einer Einheit untergeht, die nicht besteht und nicht bestehen kann.« Buber 1954: 87 f. Insofern die erste Versenkungslehre fälschlicherweise Selbst- und Allwesen miteinander identifiziere und nicht zur dialogischen Erfahrung der Alleinheit fortschreite, muss sie laut Buber die gelebte Wirklichkeit zur Scheinwelt erniedrigen und in die »Vernichtung« führen, in der »kein Bewußtsein waltet, aus der kein Gedächtnis leitet«. Buber 1954: 90. 249 Sudbrack 1977: 102. 250 Sudbrack 1994: 112. 251 »Ich muß mein Ich übersteigen, transzendieren in die Freiheit des ›Du‹, um voll und ganz ›Ich‹ zu sein.« Sudbrack 1992: 30. »Von dannen aufgefordert, zu mir selbst zurückzukehren, betrat ich, von Dir geführt, mein Innerstes, und ich vermochte es, weil »Du mein Helfer geworden«. Ich trat ein und schaute mit dem Auge meiner Seele, so schwach es war, hoch über diesem selben Auge meiner Seele, hoch über meinem Geist das unwandelbare Licht«. Confessiones 7, 10, 16. In: Augustinus 1966: 335. Mystik bleibt damit auch in ihrer momenthaften und unaussprechlichen Spitze (excessus mentis/raptus/ekstasis) Identität in unüberwindlicher Differenz und Begegnung mit dem »fernnahen Gott« (Wendel 2011: 57.), der »innerlicher als mein Innerstes und höher als mein Höchstes« (interior intimo meo et superior summo meo) ist. Confessiones 3, 6. 11. In: Augustinus 1966: 114 f.

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sein im statischen Nichts seiner eigenen Gestaltlosigkeit versinke. Diese Selbsterfahrung werde aber nicht als Verweis auf die bewusstseinsüberschreitende Gegenwart Gottes im eigenen Wesensgrund und als genuines Medium dialogischer Gotteserfahrung gedeutet, sondern monistisch als letzte Wirklichkeit und ontologische Identität mit dem Absoluten jenseits individueller und kollektiver Dimensionen interpretiert, wodurch die transzendentale Einheit des Bewusstseins mit der transzendenten Einheit Gottes, das Bild des Absoluten mit dem Absoluten selbst verwechselt werde. 252 Die moderne Psychologie habe zudem gezeigt, dass diese Bewusstseinsleere psychotechnisch, biologisch-chemisch durch Drogen, mechanisch oder gar elektrisch beherrsch- und beliebig reproduzierbar sei und dieser vermeintliche Kairos des religiösen Lebens damit immer stärker in den »manipulativen Zugriff des Menschen« 253 gerate. Die übergeschichtliche Geistigkeit der Unendlichkeitsmystik ist für Sudbrack in ihrer subjekt-immanenten Verschlossenheit allerdings nicht nur eine zutiefst defizitäre Wiederholung des Irrtums des Ontologismus, sondern auch äußerst gefährlich und missbrauchsanfällig, wenn sie nicht zur gnaden- und offenbarungsgebundenen Gotteserfahrung der dialogischen Begegnungsmystik mit ihrer explizit geschichtlichen, sozial-religiösen und ethischen Dimension hin überschritten wird. 254 252 Cf. Sudbrack 1977: 162. Das satori-Erlebnis des Zen-Buddhismus hat vor allem Heinrich Dumoulin (1905–1995) zum Typus der »natürlichen Mystik« gerechnet und damit gegen die übernatürliche Gnadenmystik des Christentums abgegrenzt. Als Form natürlicher Mystik fehle dem monistischen Zen-Buddhismus die personale Dimension sowie ein objektives Wahrheitskriterium, anhand dessen die Echtheit der Erfahrung gemessen werden könne. Zur »vollkommenen Wahrheit« kann Dumoulin zufolge »keine noch so aufrichtige, opfervolle, bloß menschliche Bemühung um Erleuchtung führen, sondern einzig der ewige Logos, der « in diese Welt gekommen jeden Menschen erleuchtet ». (Jo, 1, 9)«. Dumoulin 1959: 288. 253 Sudbrack 1994: 82. Den Einbruch der Technik ins psycho-religiöse Feld diskutiert Sloterdijk 1994: 24–31. 254 Cf. Sudbrack 2002: 92, 139 f. Der auf Vincenzo Gioberti (1801–1852) zurückgehende »Ontologismus« legt dem Menschen eine unmittelbare Erkenntnis, Intuition und Anschauung des göttlichen Seins und Wesens bei. Nach Joseph Kleutgen (1811– 1883) stimmen die Ontologisten in drei Sätzen überein: »1. Gott als das vollkommene Sein ist unserem Geiste stets gegenwärtig, und wird von ihm ohne irgendeine vermittelnde Vorstellung oder Idee durch intellektuelle Anschauung erkannt. 2. Weil alle ewigen und unwandelbaren Wahrheiten mit Gott Eines und dasselbe eins sind, so erkennen wir auch, das vollkommene Sein schauend, in ihm alle diese Wahrheiten in durchaus unmittelbarer Weise. 3. Gott, als Inbegriff aller ewigen Wahrheiten, ist das Licht unsers Geistes, ohne welches wir durch die Vernunft durchaus nichts erken-

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Ihr selbstermächtigendes Denkprinzip führe unmittelbar zum »totalitären Einheitsfaschismus« 255 und das erfahrungskonstitutive »Auslöschen alles Individuellen« 256 zur Auflösung der Einzelperson in ihrer »Eigen-Würde«: »Uniformierung, Marschkollonen, Tilgung aller Unterschiede und jeder personalen Eigenschaft« 257 seien die Folge. Historisch habe sich diese Gefahr bereits im japanischen ZenBuddhismus und dessen »Zen des Kaiserlichen Wegs« (jap. kōdō-zen) bewahrheitet. Als paradigmatisches Beispiel für diejenigen, die wie Loy von einer prinzipiell gleichen Erfahrungsgrundlage beider Religionen ausgehen, dabei aber die buddhistische Interpretation für falsch erklären, sei hier der deutsche Jesuit Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990) genannt, der eine wesentliche Identität zwischen der zen-buddhistischen Erleuchtungserfahrung (satori) und den intuitiven und unmittelbaren Gotteserkenntnissen christlicher Mystiker postulierte, aber im Gegensatz zu Loy den japanischen Zen-Praktizierenden eine falsche Interpretation ihrer an sich authentischen Erfahrung vorwarf. Die Maßgeblichkeit der christlichen Interpretation war für Lassalle durch die Normativität der biblischen Offenbarung gesichert, weshalb der Buddhist, der dieser doch faktisch ermangelt, auch die personale Dimension seiner Erleuchtungserfahrung und die Gottesidee mit seiner daraus abgeleiteten monistischen Metaphysik notwendig verfehlen müsse. 258 Da Loy aber vom Primat der inneren Erfahrung ausgeht und alle religiösen Traditionen mitsamt ihrer »Ofnen.« Kleutgen 1868: 11 f. Als zentrale Vertreter einer ontologistischen Position gelten neben Gioberti vor allem Nicolas Malebranche (1638–1715) und Antonio Rosmini (1797–1855). Aus dogmatischer Sicht wird dem Ontologismus u. a. die Vergötterung der Vernunft als einziger Wahrheitsquelle, der Hang zum Pantheismus und die Verwechselung des abstrakten Seins (esse universale) mit dem göttlichen Sein (esse infinitum) vorgeworfen. Cf. Pohle 1931: 75–80. Für die grundsätzliche Unmöglichkeit einer seinshaften Einheit zwischen Mensch und Gott argumentiert Simoni-Wastila 2000. 255 Sudbrack 2002: 25. 256 Sudbrack 2002: 22. 257 Sudbrack 2002: 25. Cf. Sudbrack 1994: 136. 258 Cf. Enomiya-Lassalle 1974; Enomiya-Lassalle 1985: 83 f.; Enomiya-Lassalle 1988: 84–102; Enomiya-Lassalle 1992: 149 f. Neben Enomiya-Lassalle, Dumoulin und Merton findet sich eine kritische Durchsicht und Diskussion der diesbezüglichen Standpunkte von Winston L. King (1907–2000), Fritz Buri-Richard (1907–1995), Lynn Alton de Silva (1919–1982), William Johnston (1925–2010), Aloysius Pieris, Antony Fernando, Hans Waldenfels, Klaus Otte, Masumi Shimizu, Katsumi Takizawa und Donald K. Swearer bei Schmidt-Leukel 1992: 334–349.

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Nondualismus und Theismus

fenbarungen« als nachträgliche Konzeptualisierungen und historisch konkrete Schematisierungen einer gemeinsamen Urerfahrung durch den Menschen versteht, enthebt er sich auf diese Weise zugleich der Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Ansprüchen des Supranaturalismus und Offenbarungspositivismus. Wie sich gezeigt hat, kann das Wahrheitskriterium aber nicht in der Erfahrung und dem subjektiven Erleben des Menschen selbst liegen, denn dieses wurde bereits für die unterschiedlichsten, teilweise diametral entgegengesetzten Positionen in Anspruch genommen. Letztendlich hängt jedes Urteil über die Erfahrung also von erfahrungsunabhängigen Faktoren ab, da die Erfahrung nicht ihre eigene Interpretation determiniert. Ohne die Angabe eines objektiven Kriteriums, anhand dessen sich entscheiden ließe, ob die dialogische Erfahrung der Gottesmystik lediglich die Vorstufe zu einer nondualen Erfahrung bildet oder es sich genau umgekehrt verhält, bleibt Loys Kritik des Theismus allerdings unvollständig und von theistischer Seite in keiner Weise überzeugend, geschweige denn zwingend. 259

259 Cf. Jones, Ri. 2016: 36, 51 f. Zur Verteidigung Loys kann hier abschließend gesagt werden, dass es nicht einer gewissen Ironie entbehrt, dass gerade von theistischer Seite gegenüber den asiatischen Religionen immer wieder der Vorwurf subjektivistischer Selbstverschlossenheit erhoben wurde, wenn es doch gerade die transzendentaltheologische Variante mystischer Gotteserfahrung ist, die auf der konstitutiven Hypostase einer transzendenten Seelenmonade und damit auf einem Rückfall in die rationale Psychologie beruht. Cf. KrV B 421 f., B 404: In: AA III: 275, 265. KrV A 396. In: AA IV: 251. Als Beispiel sei hier Saskia Wendel angeführt, die einerseits die NichtObjektivierbarkeit transzendentaler Subjektivität betont, um dann sogleich im Anschluss daran von der Singularität und Individualität des Seelengrundes zu sprechen. Cf. Wendel 2002: 240 f. Der mystischen Gotteserfahrung, wie sie Sudbrack im Anschluss an Augustinus entwickelt, scheint zudem die unmögliche Vorstellung zugrunde zu liegen, das zur Seele hypostasierte transzendentale Subjekt könne sich einmal um die eigene Achse drehen und dann gleichsam in seinem Rücken Gott schauen oder »mystisch erfühlen«, was noch vor der Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung liegt. Bereits Śaṅkara hatte jedoch eine klare Kenntnis davon, dass der ātman, der seinerseits jeder objektivierenden und damit kategorialen Erkenntnis prinzipiell entzogen bleibt, als unbedingtes Prinzip der Erkenntnis selbst von nichts abhängig und daher substratlos ist, denn ein »weiteres Subjekt, das dieses Verstehen verstehen würde«, gibt es nicht. Upadeśasahasrī-Gadyabanda 109. In: Hacker 1949: 49. Ich habe dieses Problem ausführlich in meiner Kritik des Viśiṣṭādvaita-Vedānta erörtert in Völker 2018a.

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3. Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Die Rekonstruktion von Loys reduktiver Methode hat gezeigt, dass das eigentlich Reale (paramārtha-satya) in seiner Philosophie der Nondualität im stehenden und fließenden Jetzt (nunc stans et fluens) einer Vielzahl von nirvikalpa-Erlebnissen besteht, die als solche frei von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt sind. Diese atomistisch aufgefassten nirvikalpa-Momente stehen in keinem Kausalverhältnis zueinander, sondern entspringen in radikaler Singularität der unerklärlichen Kreativität eines diskursiv unfassbaren Ungrunds. 1 Da sie von keinem unabhängig subsistierenden Subjekt zu Bewusstsein gebracht werden, liegt das Prinzip ihrer Illumination in ihnen selbst, weshalb Loy die nirvikalpa-Erlebnisse als selbstleuchtende Lichtprozesse beschreibt, die aktiv persistieren und leer (śūnya) sind, weil sie weder einem Subjekt erscheinen noch auf ein zugrunde liegendes Objekt verweisen. Durch den prapañca wird dieser Strom nondualer Erlebnisphänomene zur begrifflich-idealen (nāma) und sinnlich-realen (rūpa) phänomenalen Welt der Namen und Gestalten (nāmarūpa) entfaltet und die nirvikalpa-Erlebnisse zu Objekten hypostasiert, die einem reifizierten Subjekt entgegengesetzt werden, wobei die Regel- und Gesetzmäßigkeit des prapañca bei Loy schlechterdings ungeklärt bleibt. Loy beschreibt einen komplexen, offenbar gesetzesmäßig strukturierten Verblendungsmechanismus, an dessen Ende die trügerische savikalpa-Erfahrung steht, die durch den Glauben an die Realität dualistischen Denkens, eine plural verfasste phänomenale Welt und die Dualität von Subjekt und Objekt gekennzeichnet ist (saṃvṛti-satya). Doch wie genau vollziehen sich der Prozess der Reifikation von Subjekt und Objekt nach Loy und wie genau denkt er die Projektion illusionärer Zweiheit im Einzelnen?

1

»[A]n innermost source unfathomably deep.« Loy 1997a: 150.

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Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes

3.1. Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes Im Buddhismus wird der Verblendungsmechanismus im Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitiger-Abhängigkeit (pratītya-samutpāda) entfaltet, der nach Loy »by far the most important doctrine in Buddhism« 2 ist und der im Gegensatz zur Metempsychose den palingenetischen Mechanismus einer Wiedergeburt ohne Selbst (ātman) illustrieren bzw. eine ursächliche Erklärung für den fortgesetzten Schein autonomer Subjektivität geben soll. Der Konditionalnexus dekonstruiert unsere Erfahrung in eine Reihe zwölf kausal verknüpfter Glieder (nidāna), deren dynamische Reziprozität die Illusion individuierter Existenz evoziert und aufrechterhält. Unsere savikalpa-Erfahrung und unsere Gebundenheit an den saṃsāra als einem ewigen Kreislauf des (10) Werdens (bhava), der in der endlosen Iteration von (11) Geburt (jāti), (12) Altern und Tod (jarāmaraṇa) besteht, ist demzufolge abhängig von (9) unserer Anhaftung, unserem Begehren und unserem Ergreifen (upādāna), das (8) ursprünglich vom Durst (tṛṣṇā) motiviert, angenehme Empfindungen perpetuieren und unangenehme Empfindungen abwehren will. Für Loy ist das upādānaGlied der nidāna-Kette entscheidend, da es das Grundübel der Selbstverhaftung adressiert, dessen Überwindung das maßgebliche Ziel des buddhistischen Heilspfades für Loy ist. Loy beruft sich dabei auf das Sammādiṭṭhi-Sutta der Mittleren Sammlung (majjhima-nikāya) des Pāḷi-Kanons, in dem das anhaftende Ergreifen in vier verschiedene Grundformen unterteilt wird, unter denen sich auch die Anhaftung an der Vorstellung eines substantiellen »Ich« oder »Selbst« findet: »There are these four kinds of clinging: clinging to kama [sensual pleasures], clinging to ditthi [views], clinging to sila [rules and observances], and clinging to atta [a doctrine of self].« 3 Der zum Ergreifen führende Durst ist wiederum abhängig von (7) angenehmen, unangenehmen und neutralen Empfindungen (vedanā), die aus (6) der Berührung (sparśa) der Objekte entstehen. Die Berührung wird durch (5) die jeweiligen Sinneskräfte vermittelt, derer der Buddhismus insgesamt sechs annimmt (ṣadāyatana): (α) Die visuelle (Sehen), (β) die auditive (Hören), (γ) die olfaktorische (RieLoy 1996a: 85. Majjhima-Nikāya 9. In: Bodhi 2001: 137 f. Mit den von Loy ergänzten Pāḷi-Begriffen zitiert nach: Loy 2009a: 177. 2 3

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

chen), (δ) die gustatorische (Schmecken), (ε) die taktile (Fühlen) und (ζ) die noetische Wahrnehmung. Die sechs Sinneskräfte gehören wiederum (4) zum psycho-physischen Komplex des Menschen (nāmarūpa), der sich aus den fünf Skandhas (pañca-upādāna-skandhā) – Gestalt oder Körperlichkeit (rūpa), Empfindung (vedanā), Wahrnehmung (samjñā), Geistformationen (saṃskāra) und intentionalem Bewusstsein (vijñāna) – zusammensetzt, die das menschliche Individuum (pudgala) konstituieren. Diese individuelle Manifestation ist allerdings keine leere Tafel (tabula rasa), sondern (3) durch eine spezifische Verfassung des Bewusstseins (vijñāna) gekennzeichnet, die selbst wiederum (2) durch subliminale (citta-viprayukta) karmische Neigungen (saṃskāra-karma) aus einer vorhergegangenen Existenz determiniert ist. Das saṃskāra-karma kann über die einzelnen Existenzen wirken, weil es ursächlich durch (1) das konstitutive Nichtwissen (avidyā) perpetuiert wird. Die avidyā bezeichnet allerdings nicht die einfache Abwesenheit von Wissen, sondern falsches Wissen oder Verblendung, die zum Glauben an die Illusion eines inhärent existierenden »Ich« oder »Selbst« (ātma-dṛṣṭi/satkāya-dṛṣṭi) führt. Folglich ist auch für Loy die erste Hypostase, die aus dem reinen Strom nondualer nirvikalpa-Erlebnisse ausgeschieden wird, das Subjekt, das als persistierendes Substrat und Träger des Bewusstseinsstroms diesem in intentionaler Bezogenheit entgegengesetzt wird. Diese Ur-Hypostase initiiert als Bedingung der Möglichkeit aller weiteren Verblendungsmechanismen einen iterativen Prozess, in dessen Vollzug sich alle weiteren Reifikationen akkumulieren. Somit ist sie der konstitutive Faktor, der den Zugang zum Ich-losen nirvikalpaErlebnisstrom verstellt: »To experience the world as we usually do is to perceive that reality fragmented into the ten thousand things, one of which is me, the subject who is really the first hypostatized object.« 4 Loy nennt insgesamt drei Aspekte, die er für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Ur-Hypostase des Subjektes ursächlich verantwortlich macht: (1) Die Angst des Geistes vor seiner eigenen Formlosigkeit (no-thing-ness); (2) die Reflexivität des (Selbst-)Bewusstseins und (3) die Fehlinterpretation unserer Erinnerung. Wie sich in der Analyse von Loys nondualer Psychologie noch im Einzelnen zeigen wird (siehe 10.1.6.), erzeugt das wesenhafte Nichts (nothing-ness) des Geistes Angst und weil der Geist seine eigene Form4

Loy 1997a: 123.

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Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes

losigkeit und Leere als beängstigend empfinde, versuche er sich unentwegt selbst zu reifizieren und das konditionierte Selbstbewusstsein als unkonditioniertes Selbst zu realisieren. 5 Tatsächlich sei das Ego-Selbst aber nichts anderes als der unendliche Versuch, sich ebenso beharrlich wie vergeblich selbst zu objektivieren und damit die eigene Substanz- und Selbstlosigkeit (niḥsvabhāva/anātman) zu kompensieren. Da die Vorstellung nontemporaler und mit sich selbst identischer Subjektivität aber eine Illusion sei, werde das trügerische Gefühl eines autonomen Selbst von einem unvermeidbaren Schatten eines Gefühls der inneren Leere (»sense of lack« 6) begleitet, das als Sehnsucht nach Ganzheit und Transzendenz den Verdacht zum Ausdruck bringe: »›I‹ am not real« 7: Why does the mind seek? Because it is trying to fix itself, to find a secure home. The mind tries to objectify itself because it experiences its own formlessness, its emptiness, as uncomfortable. That the egoself is a fiction is not something that we need to learn from an exotic philosophy, for we all experience it. But we experience it as a lack, a bottomless hole which, try as we may, can never be filled up. 8 Cf. Loy 1996a: 55. Loy 1996a: xiv. 7 Loy 1996a: xi. 8 Loy 1997a: 146 f. Loys Ansatz eröffnet hier die Möglichkeit einer über Loy hinausgehenden Interpretation von Schopenhauers Theorie der Langeweile, die bis in die Begrifflichkeit hinein Parallelen zu Loys Theorie der inneren Leere (lack) aufweist. So beschreibt Schopenhauer die »Basis allen Wollens« wie Loy als »Bedürftigkeit, Mangel, also Schmerz«, dem der Mensch schon »ursprünglich und durch sein Wesen« anheimfalle: »Fehlt es ihm hingegen an Objekten des Wollens, indem die zu leichte Befriedigung sie ihm sogleich wieder wegnimmt; so befällt ihn furchtbare Leere und Langeweile: d. h. sein Wesen und sein Daseyn selbst wird ihm zur unerträglichen Last. Sein Leben schwingt also, gleich dem Pendel, hin und her, zwischen dem Schmerz und der Langenweile, welche beide in der That dessen letzte Bestandtheile sind.« Die Welt als Wille und Vorstellung I. In: S I: 406 f. Die wahre Quelle der Langeweile sei die »INNERE LEERHEIT«, die »stets nach äußerer Anregung lechzt, um Geist und Gemüth durch irgend etwas in Bewegung zu bringen.« Parerga und Paralipomena I. In: S IV: 328. In den Aphorismen zur Lebensweisheit (1851) antizipiert Schopenhauer zudem den Grundgedanken von Loys buddhistischer Gesellschaftskritik: »Hauptsächlich aus dieser inneren Leerheit entspringt die Sucht nach Gesellschaft, Zerstreuung, Vergnügen und Luxus jeder Art, welche Viele zur Verschwendung und dann zum Elende führt.« In: S IV: 328. Aus der existentiellen Grundbefindlichkeit der Langeweile leitet Schopenhauer wiederum die allgemeine Nichtigkeit des Daseins ab: Die Langeweile beweise, dass »das Daseyn an sich selbst keinen Werth« habe, denn sie sei »eben nur die Empfindung der Leerheit desselben. Wenn nämlich das Leben, in dem Verlangen nach welchem unser Wesen und Daseyn besteht, einen positiven Werth 5 6

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Den modus operandi des Geistes identifiziert Loy dabei mit der Reflexivität des Bewusstseins, die als Akt des sich selbstbestimmenden Denkens die Dualität von Subjekt und Objekt, Innen und Außen schlechthin setze, ohne die ein von der Erfahrung unabhängiges Ich nicht möglich sei: »For Mahāyāna Buddhism, the act of reflexivity, consciousness doubling back upon itself, is what creates the dualism of interiority (subject) and exteriority (object) […]. Without this reflexivity there is no ›I‹-consciousness apart from the world« 9. Der Schein eines substierenden Subjektes werde wiederum durch eine Fehlinterpretation unserer Erinnerung aufrechterhalten. 10 Indem wir unsere Erinnerungen, unbewussten geistigen Eindrücke (vāsanā), karmischen Neigungen (saṃskāra-karma) und die durch sie konditionierten Absichten und Intentionen nicht als »an entirely fresh object of consciousness« 11 betrachten, sondern als Vergangenes und Zukünftiges in einem kontinuierlichen Erlebnisfluss interpretieren und synthetisieren, entsteht Loy zufolge der Schein eines autonomen Bewusstseinssubstrats und damit ineins die Anschauungsform der Zeit. 12 Der ursprünglich durch Angst erzeugten Subjektivierung des Geistes korreliert also die Objektivierung der Zeit, insofern das Selbstgefühl seine Leerheit nur kompensieren könne, wenn es sich unentwegt in die Vergangenheit entwerfe oder in die Zukunft projiziere: Dwelling (in) the present is uncomfortable because it discloses our nothingness, our groundlessness, and time is the schema we construct to escape that sense of inadequacy. […]. Time allows us to flee into the

und realen Gehalt in sich selbst hätte; so könnte es gar keine Langeweile geben: sondern das bloße Daseyn, an sich selbst, müßte uns erfüllen und befriedigen.« Parerga und Paralipomena II. In: S V: 262. Auch für Schopenhauer ist die Individualität der Grundirrtum, den es zu beseitigen gilt, ein »Fehltritt, etwas das besser nicht wäre, ja, wovon uns zurückzubringen der eigentliche Zweck des Lebens ist.« Die Lösung ist auch für Schopenhauer eine »Grundveränderung« des Menschen, die seine Individualität vernichtet, »also daß er nicht mehr wäre was er ist, und dagegen würde was er nicht ist.« Dazu müsse der Mensch »zuvörderst aufhören zu seyn was er ist« und diese Erfordernis erfülle »vorläufig der Tod, dessen moralische Nothwendigkeit sich von diesem Gesichtspunkte aus schon absehen« lasse. Die Welt als Wille und Vorstellung II. In: S II: 571. 9 Loy 1996a: 80. Cf. Loy 2003a: 183 f. 10 Cf. Loy 1997a: 181. 11 Loy 1997a: 140. 12 Cf. Loy 1996a: 44.

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Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes

future (when, we believe, our sense of lack will finally be resolved) or the past (when, as we recollect, there was little or no lack). 13 [T]he sense of self is not a thing but a lack, which can conceal its own emptiness only by keeping ahead of itself–that is, by projecting itself into the next thought, action, and so on–which process is craving. 14

Unser Begehren nach Formen (pāḷi rūpa-taṇhā), Tönen (pāḷi saddataṇhā), Düften (pāḷi gandha-taṇhā), Geschmäckern (pāḷi rasataṇhā), Körpereindrücken (pāḷi phoṭṭhabba-taṇhā) und Geistobjekten (pāḷi dhamma-taṇhā), wie es in den kanonischen Texten beschrieben wird, ist für Loy also nur Symptom eines tieferen Verlangens und ursprünglicheren Ergreifens, i. e. dem Verlangen und Greifen nach selbstseiender Existenz. 15 Das entspricht insofern der klassischen Lehre der vier edlen Wahrheiten (catvāri-āryasatyāni), als die zweite edle Wahrheit den Durst (tṛṣṇā) als primäre Ursache für den Kreislauf des bedingten Entstehens und unsere Verstrickung in den saṃsāra nennt. Den kanonischen Quellen zufolge erkannte der Buddha in der dritten Stufe seiner Erleuchtungserfahrung, der dritten der drei sogenannten Nachtwachen, die vier edlen Wahrheiten der Tatsache (duḥkha-satya), der Ursache (samudaya-satya), der Vernichtung (nirodha-satya) und des achtfachen Pfades zur Überwindung des Leidens (ārya-aṣṭaṇga-mārga): Die erste edle Wahrheit beschreibt demnach das Symptom des ubiquitären Leids und der kontinuierlichen Frustration (duḥkha) angesichts universaler Vergänglichkeit, die auch ihren Ausdruck in der buddhistischen Lehre der drei Daseinsmerkmale (trilakṣaṇa) gefunden hat, der zufolge alles vergänglich (anitya), leidvoll (duḥkha) und wesenlos (anātman) ist. 16 Loy 1996a: 39. Loy, 1997a: 209. 15 Diese Interpretation ist allerdings nicht traditionell buddhistisch. Bereits in der ersten Lehrrede des Buddhas nach seiner Erleuchtung (DhammacakkappavattanaSutta) wird zwischen dem Begehren nach sinnlicher Lust (pāḷi kāma-taṇhā), nach Dasein und Werden (pāḷi bhava-taṇhā) sowie nach Nichtsein und (Selbst-)Vernichtung (pāḷi vibhava-taṇhā) unterschieden. Cf. Saṃyutta-Nikāya 56, 11. In: Bodhi 2000b: 1843–1847. Loy spricht allerdings dem Daseinsbegehren gegenüber den anderen Formen eine herausragende Rolle zu. Ebenso wird in den kanonischen Texten zwischen dem Anhaften an Sinnlichem (kāma-upādāna), an Ansichten (diṭṭhiupādāna), an Regeln und Riten (sīlabbata-upādāna) sowie am Persönlichkeitsglauben (attavāda-upādāna) unterschieden, wobei auch hier das Anhaften am Persönlichkeitsglauben die entscheidende Form für Loy ist. Cf. Nyānatiloka 1953: 218, 227. 16 Die drei Daseinsmerkmale (trilakṣaṇa) gehen auf das Anattalakkhaṇa- bzw. Pañ13 14

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Nach buddhistischem Vorbild unterscheidet Loy insgesamt drei Grundformen von duḥkha voneinander und erklärt duḥkha-duḥkhatā als physisches und psychisches Leiden, vipariṇāma-duḥkhatā als metaphysisches und existentielles Leiden, das aus der subtilen Impermanenz und Vergänglichkeit aller Daseinsformen entsteht und vor allem unser Bewusstsein der je eigenen Endlichkeit umfasst und saṃskāra-duḥkhatā als dasjenige Leiden, das aus zusammengesetzten Zuständen entsteht, worunter Loy die Nicht-Selbst-Lehre versteht. 17 Die zweite edle Wahrheit diagnostiziert den Durst (tṛṣṇā) als Ursache unseres Daseins im saṃsāra, während die dritte edle Wahrheit die Möglichkeit der Leidensaufhebnung prognostiziert und die vierte edle Wahrheit den edlen achtfachen Pfad (ārya-aṣṭaṇgamārga) als die zur Leidensauslöschung führende Therapie rezeptiert. 18

cavaggiya-Sutta des Saṃyutta-Nikāya (66–69) zurück, das die zweite Lehrrede des Buddhas überhaupt darstellt. Cf. Bodhi 2000a: 901 ff. Sie finden sich auch im Dhammapada, der ältesten buddhistischen Spruchsammlung: »Unstet ist jede Daseinsform [sabbe saṅkhāra aniccā] […]. Leidvoll ist jede Daseinsform [sabbe saṅkhāra dukkhā] […]. Die Dinge all’ sind wesenlos [sabbe dhammā anattā]: Wenn das mit Einsicht man erkennt, dann löst man sich vom Leiden los. Dies als der Weg zur Reinheit gilt.« Dhammapada 277–279. In: Nyānatiloka 2010: 77. Pāḷi-Ergänzungen F. V. 17 Cf. Loy 2003a: 20 ff. Auch hier erscheint die Illusion eines in der Zeit beharrenden Selbst (ātman) als das Grundübel, auf dem alle anderen Leiden und Frustrationen gründen: »[F]or Buddhism the self is dukkha.« Loy 2008: 15. Loys Interpretation deckt sich wiederum nicht uneingeschränkt mit dem Verständnis der kanonischen Quellen, die duḥkha-duḥkhatā als Leidhaftigkeit der schmerzhaften Empfindung und vipariṇāma-duḥkhatā als Leidhaftigkeit der Veränderlichkeit verstehen, womit die für eine angenehme Empfindung typische »Leidhaftigkeit beim Verfall« bzw. das Umschlagen dieser in Missstimmung bezeichnet wird. Saṃskāra-duḥkhatā bezeichnet Schmithausen zufolge wiederum die Leidhaftigkeit der verursachten Daseinsformen, womit die metaphysische Leidhaftigkeit bezeichnet wird, »die allen verursachten Daseinsfaktoren als solchen aufgrund ihrer Vergänglichkeit zukommt.« Schmithausen 1975: 919. 18 Der edle achtfache Pfad (āryāṣṭaṇgamārga) besteht aus (α) rechter Anschauung (samyak-dṛṣṭi), (β) rechtem Entschluss (samyak-saṃkalpa), (γ) rechter Rede (samyak-vāc), (δ) rechtem Handeln (samyak-karmānta), (ε) rechter Lebensführung (samyak-ājīva), (ζ) rechter Anstrengung (samyak-vyāyāma), (η) rechter Achtsamkeit (samyak-smṛti) und (θ) rechter Einswerdung (samyak-samādhi). Der gesamte achtfache Pfad wird dabei nochmal dreifach gegliedert in (I) Erkenntnis, Einsicht, Weisheit und Gnosis (prajña), die die ersten beiden Glieder des achtfachen Pfades beinhaltet; (II) ethische und moralische Lebenspraxis (śila), die die Glieder drei bis fünf umfasst sowie (III) Bewusstseinsschulung (samādhi), die sich wiederum auf die letzten beiden Glieder bezieht.

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Der Verblendungsmechanismus I: Die Reifikation des Subjektes

Im Konditionalnexus (pratītya-samutpāda) erscheint allerdings die Verblendung (avidyā/moha) und nicht der Durst (tṛṣṇā) als erstes der insgesamt zwölf Glieder und somit als primäre Ursache für den Kreislauf des bedingten Entstehens. Wie verhalten sich dann aber Verblendung und Durst in ihrem reziproken Verhältnis nach Loy zueinander? Diese Frage lässt sich durch einen kurzen Blick auf die mahāyānistische Lehre der »unheilvollen Wurzel« (akuśala-mūla) und Loys Intepretation derselben beantworten. Akuśala-mūla bezeichnet im Mahāyāna-Buddhismus die sogenannten drei Gifte (triviṣa) der Verblendung (moha), der Gier (lobha/rāga) und der Aversion (dosa/dveṣa) als Ursache aller Leiden. Der Durst bzw. die Gier erscheint hier also auf einen ersten Blick mit der Verblendung gleichgestellt. Da Gier aber als eine verblendete Reaktion auf eine angenehme Empfindung und Aversion als eine verblendete Reaktion auf eine unangenehme Empfindung verstanden wird, ist nach buddhistischer Daseinsanalyse letztendlich die Verblendung (moha) der originäre leidverursachende Faktor. Das entspricht auch Loys Verständnis, der die Verblendung (moha) zum Ur-Wahn (»root delusion« 19) erklärt. Infolgedessen ist der sinnliche Durst, der Seins- und Nichtseinsdurst der zweiten edlen Wahrheit, nur Ursache unserer saṃsārischen Existenz, insofern er das Ergebnis der Verblendung und des Nichtwissens ist. Der Schein individuierter Existenz ist als erste Hypostase folglich die primordiale Wirkung der anfangslosen avidyā, auf deren Bestand wiederum der Durst gründet, der alle weiteren Reifikationsmechanismen effiziert und konsolidiert. Betrachtet man alle relevanten Aussagen Loys zu diesem Thema, dann lässt sich seine Position bzgl. der Erstursache auf den folgenden Satz bringen: Der Geist erfährt seine eigene Formlosigkeit und Leere nur aufgrund seiner anfangslosen Verblendung als beängstigend, deren Ursprung wiederum unerklärlich ist. Aber worauf soll sich unser Durst richten und wonach sollen wir greifen (upādāna), wenn es über die flüchtigen nirvikalpa-Erlebnisse hinaus keine reifizierten Objekte als mögliche Gegenstände unserer Begierde gibt? Diese Frage führt zur objektiven Seite des Verblendungsprozesses und zu Loys Erklärung der Mechanismen, die im Einzelnen greifen müssen, damit aus dem nondualen Strom selbstleuchtender nirvikalpa-Erlebnisse die Hypostasen selbstseiender Objekte ausgeschieden werden. 19

Loy 1997a: 279.

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

3.2. Der Verblendungsmechanismus II: Die Hypostasierung des Objektes Statt Vergangenheit und Zukunft als Funktionen gegenwärtiger Erinnerungen und Erwartungen zu verstehen, wird die Gegenwart durch die mechanisch in uns wirksamen Verblendungsmechanismen auf einen einzigen Augenblick in einem »Zeitstrom« reduziert, der »da draußen« vorhanden ist und gewissermaßen als Behältnis fungiert, wie der Raum, in dem Dinge existieren und Ereignisse auftreten. Dadurch entsteht neben dem Schein eines autonomen Subjektes auch die Anschauungsform der Zeit. Wenn die Zeit aber ein Behältnis sein soll, dann muss sie Loy zufolge auch etwas beinhalten, nämlich Objekte, die wiederum nur »in« der Zeit existieren können, wenn sie selbst als relativ unwandelbare und das heißt selbstseiende (svabhāva) Entitäten erscheinen. Dadurch komme es zu einer weiteren trügerischen Aufspaltung zwischen der Zeit und den reifizierten Objekten, die sie enthält. 20 Aber wie genau vollzieht sich dieser Reifikationsmechanismus nach Loy? Loy zufolge ist die Sprache das zentrale Instrument der Re-Präsentation, i. e. der Vergegenwärtigung eines bereits vergangenen nirvikalpa-Erlebnisses und der Reifikation desselben zu einem atemporalen Objekt. Allerdings vertiefe die Sprache damit auch die Kluft zwischen dem Ich und den erfassten Objekten, denn wenn das Wahrnehmungsobjekt erneut erscheine, verschwinde die Repräsentation (Loys Beispiel: urg) nicht, obwohl sie aufgrund der Gegenwärtigkeit der Wahrnehmung keine Funktion mehr erfülle: Now we know what the appearance is: it is ›urg‹ (name) or ›an urg‹ (particular instance of a universal). Now I experience the appearance through the representation, which is as it were superimposed upon it. The problem is that the more successfully a system of representation functions, the less likely we will be able to distinguish the representation from the appearance. 21

Worte extrapolieren aus der nur für einen kurzen Moment währenden Gegenwärtigkeit einzelner nirvikalpa-Erlebnisse folglich eine Idealität, die unabhängig aller phänomenalen Präsenz bestehen und damit die gegenwärtige Phänomenalität in ihrer Abwesenheit darstellen kann. Nur durch diesen linguistischen Abstraktionsprozess 20 21

Cf. Loy 1997a: 219 f. Loy 1997a: 46.

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Der Verblendungsmechanismus II: Die Hypostasierung des Objektes

werden intelligible Entitäten konstruiert, an deren ideale Identität und erstarrte Form sich unsere Begierde heften kann. Diese leeren, von aller phänomenalen Konkretion absolvierten Worthülsen verfehlen das stehende und fließende Jetzt (nunc stans et fluens) einer wechselnden Vielzahl heterogener nirvikalpa-Erlebnisse allerdings nicht nur, sondern konstituieren überhaupt erst den saṃsāra für uns. 22 Die Sprache ist für Loy also selbst von transzendentaler Qualität und konstituiert die phänomenale, durch Entgegensetzung gekennzeichnete Welt der Subjekt-Objekt-Spaltung substantiell mit. Mit einer Formulierung Gustav Landauers (1870–1919) könnte man Loys Verständnis des Begriffsdenkens treffend als »Totschlagversuch gegen die lebendige Welt« charakterisieren, die das unteilbare Leben jenseits der toten Hülsen des Begriffes »in die leeren Appartements unserer Assoziationen und Allgemeinbegriffe hineinkomplimentiert« 23. Der komplexen Fülle der Wirklichkeit kann sich das Denken demnach immer nur reduktiv in Form begrifflicher Abstraktion annähern. Auf diese Weise wird aus dem ursprünglichen Lebenszusammenhang und der Lebensfülle nondualer nirvikalpa-Erlebnisse die begrifflich-ideale (nāma) und sinnlich-reale (rūpa) Welt der Namen und Gestalten (nāmarūpa) durch das Medium der Sprache (prapañca) entfaltet, diskursiv zerteilt und damit ihrem eigentlichen Lebensgrund entfremdet: »This world is samsara for us not only because we crave physically. Prapancha means that we live in a fantasy world of our own making, constructed out of our conceptualizing as well as our cravings.« 24 Die Welt als solche liegt also nicht bereits plural präformiert vor, sodass wir die unabhängig sprachlicher Kategorialisierung existierenden Objekte lediglich nachträglich benennen müssten; die Welt wird in ihrer phänomenalen Mannigfaltigkeit vielmehr erst durch die wirklichkeitsgenerative Funktion der Sprache konstituiert. Um diesen Zusammenhang zu illustrieren, bezieht sich Loy auf die folgenden Ausführungen von Nietzsche und John R. Searle: [W]e do not only designate things with them [words and concepts; F. V.], we think originally that through them we grasp the true in things. Through words and concepts we are still continually misled into imagining things as being simpler than they are, separate from 22 23 24

Cf. Loy 2009a: 36; Loy 1997a: 228. Landauer 2010: 48. Loy 2009a: 20.

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

one another, indivisible, each existing in and for itself. A philosophical mythology lies concealed in language which breaks out again every moment, however careful one may be otherwise. 25 (Nietzsche) I am not saying that language creates reality. Far from it. Rather, I am saying that what counts as reality […] is a matter of the categories that we impose on the world; and those categories are for the most part linguistic. And furthermore; when we experience the world we experience it through linguistic categories that help to shape the experiences themselves. The world doesn’t come to us already sliced up into objects and experiences: what counts as an object is already a function of our system of representation, and how we perceive the world in our experiences is influenced by that system of representation. The mistake is to suppose that the application of language to the world consists of attaching labels to objects that are, so to speak, selfidentifying. On my view, the world divides the way we divide it, and our main way of dividing things up is in the language. Our concept of reality is a matter of our linguistic categories. 26 (Searle)

Durch den Signifikationprozess werden die phänomenalen Bezüglichkeiten also wesentlich mit hervorgebracht. Das Bezeichnete kann demnach nicht unabhängig von seinem Zeichen existieren; eine Gegebenheit, die realiter in der transdiskursiven Realität (tattva) bar aller begrifflichen Bezüglichkeiten besteht, gibt es folglich nicht, da alle Begriffe leere (śūnya) Reifikationen ohne Eigensein (niḥsvabhāva) sind, denen keine außersprachliche Entität korrespondiert: »The problem is not merely that language acts as a filter, obscuring the nature of things. Names objectify appearances into the self-existing things we perceive as books, tables, trees, you and me. In other words, the objective world of material things, which interact causally in space and time, is metaphysical through-and-through.« 27 Damit tangiert Loy ein Kernproblem der Transzendentalphilosophie, das schon die frühesten Kant-Interpreten herausgefordert hat Nietzsche 2004: 306. Cf. Loy 2009a: 32. Loy gibt keine bibliographischen Angaben. Der zitierte Passus stammt aus Menschliches, Allzumenschliches II, genauer aus der zweiten Abteilung Der Wanderer und sein Schatten und wurde Abschnitt 11 – Die Freiheit des Willens und die Isolation der Facta – entnommen. Cf. KSA 2: 547. 26 Magee 1979: 184. Cf. Loy 1997a: 46 f. 27 Loy 1996a: 94. Weil die Sprache somit maßgeblich für die leidhafte Projektion des saṃsāra verantwortlich ist, misst Loy der Dekonstruktion der Sprachmetaphysik eine zentrale, heilsrelevante Bedeutung zu: »It is this metaphysics that most needs to be deconstructed […], because this is the metaphysics, disguised as commonsense reality, which makes me suffer, especially insofar as I understand myself to be one such selfexisting being in time that will nonetheless die.« Loy 1996a: 94. 25

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und das an dieser Stelle kurz erwähnt werden muss, um diesen Aspekt von Loys Philosophie zu vertiefen, analytisch zu durchdringen und philosophiegeschichtlich besser einordnen zu können. Es geht um die grundlegende Unterscheidung und den denknotwendigen Zusammenhang von Anschauung und Begriff bzw. unseren nirvikalpaErlebnissen und dem prapañca. In seiner Vorlesung Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie Selbst (1812) erklärt Fichte, dass die transzendentale Logik mit Evidenz zeige, dass »die ganze Natur garnichts seyn« könne, als »die Darstellung unsrer Begriffe« 28, da »sogar das blosse Etwas nur durch eine Aus|sonderung [/] von ›den‹ übrigen, u. durch die Beschreibung des Gegensatzes, u. des Verhältnisses zu ›ihnen‹ möglich sey, daß es drum sey das Resultat eines Denkens, ein Begriff« 29: Denn man setze: die Vorstellung sey nur die eines Etwas, eines abgesonderten, u. einzelnen: so ist sie dies doch nur im Gegensatze mit allen übrigen, aus ihnen ausgesondert, mithin im Fluge dieses Aussonderns, u. durch den Flug ist sie. Diese Etwasheit an ihm ist drum nur dieses Aussondern u. Gegensetzen selbst; welches wieder die stehende Einheit seines Bildes sezt, drum ein Begriff, wie wir es geschildert haben. Es ist ein Produkt des Denkens. Aber das, was schlechthin jeder Vorstellung zukommen muß, ist, daß sie sey ein Etwas. Der Beweiß der tr. L. [transzendentalen Logik; F. V.] ist drum strenge geführt. 30

Es geht Loy in dieser Hinsicht also genau wie Fichte darum, in Genesis aufzulösen, was sich dem »unwissenschaftlichen Sinne« 31 als fertig und gemacht darstellt und durch das stehende Sein der faktisch vorausgesetzten Weltvorstellungen auf deren Werden zu blicken. Die transzendentale Logik zeigt dabei zwar mit Evidenz, dass die ganze Natur nichts anderes ist als die Darstellung unserer Begriffe, aber sie zeigt nicht, was uns in der unendlichen Anschauung in konkreter Bestimmtheit begegnet. Die Natur ist nicht vom Wissen erzeugt, sondern ihm in der Anschauung vorgegeben. In Loys Terminologie Vom Unterschiede II/14: 201. 29 Vom Unterschiede II/14: 207 f. 30 Vom Unterschiede II/14: 207. 31 Vom Unterschiede II/14: 211. 28

zwischen der Logik und der Philosophie Selbst (1812). In: GA zwischen der Logik und der Philosophie Selbst (1812). In: GA zwischen der Logik und der Philosophie Selbst (1812). In: GA zwischen der Logik und der Philosophie Selbst (1812). In: GA

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übertragen bedeutet dies, dass eine Analyse der transzendentallogischen Struktur des prapañca zwar mit Evidenz zeigt, dass die ganze Natur nichts anderes ist als die Darstellung unserer Begriffe (savikalpa), dadurch aber wiederum nicht gezeigt wird, was uns in der unendlichen Anschauung (nirvikalpa) begegnet. Unsere nirvikalpa-Erlebnisse sind nicht vom prapañca erzeugt, sondern ihm qua Anschauung vorgegeben. Zwar muss es Schelling zufolge einen Punkt geben, in welchem »das Objekt und sein Begriff, der Gegenstand und seine Vorstellung ursprünglich, schlechthin und ohne alle Vermittlung Eins sind« 32, denn sonst würde es schlechterdings unerklärlich, wie beide gemäß einer korrespondenztheoretischen Wahrheitstheorie (veritas est adaequatio intellectus et rei) überhaupt übereinstimmen können, zumal die Erkenntnis faktisch schon immer gelungen ist, wenn wir in genetischer Hinsicht nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit fragen. Aus diesem Identitätspunkt lässt sich aber nun nimmermehr die Empirie nach Maßgabe einer spekulativen Physik ableiten, wie Schelling dies mitunter für die Sätze der Naturphilosophie reklamiert hat. Diese in der Erfahrung gegebenen »wirklichen Gestalten« lassen sich Fichte zufolge nur im wirklichen Bewusstsein »Leben, und Erleben; keinesweges aber Erdenken« 33, sondern lediglich in ihren allgemeinen Eigenschaften, in Rücksicht welcher sie systematisch klassifiziert und nach Arten und Gattungen eingeteilt werden können, a priori ableiten. 34 Zwar unterscheidet auch Loy zwischen der sinnlichen Anschauung und den Begriffen unseres Denkens (prapañca), die nur aufgrund von nirvikalpa-Anschauungsmaterial Erkenntnis generieren, aber System des transcendentalen Idealismus (1800). In: SW III: 364. Schellings Werke werden zitiert nach den von seinem Sohn Karl Friedrich August Schelling (1815– 1863) herausgegebenen Sämmtlichen Werken (SW) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl. 33 Die Anweisung zum seeligen Leben (1806). In: GA I/9: 101. 34 Besonders deutlich hat Fichte diesen Punkt in seinen populären Vorträgen über die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806) markiert: »Alle Wissenschaft, die da rein a priori ist, kann vollendet, und die Untersuchung derselben abgeschlossen werden […]. Unendlich ist nur die Empirie: sowohl die des Stehenden, der Natur, in der Physik, als die des Fließenden, der Zeit=Erscheinungen des Menschengeschlechts, in der Geschichte. Die erstere, die Physik, wird von der Vernunftwissenschaft, die alle apriorischen Bestandtheile von ihr ausscheidet, und diese, in ihren eigenthümlichen Fächern, vollendet, und abgeschlossen aufstellt, an das Experiment verwiesen; und erhält von ihr die Kunst, den Sinn des gemachten Experiments richtig aufzufassen, und ein Regulativ, wie jedesmal die Natur weiter zu befragen sey«. In: GA I/8: 277. 32

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eine eingehende Analyse nach Art eines transzendentalen Schematismus, der erklärt, wie sich eine gegebene Anschauung überhaupt mit einem Begriff (Kategorie) vermitteln lässt, findet sich bei ihm angesichts des fehlenden Problembewusstseins nicht. Loys Verständnis des Verblendungsmechanismusses ist damit transzendental unterbestimmt, was sich allerdings aus seiner primär psychologischen Betrachtungsweise erklären lässt. Loy adressiert den Begriff in erster Linie als zentrales Mittel, dessen sich unser Durst (tṛṣṇā) bedient, um seine eigenen Fixpunkte zu projizieren, die als solche wiederum Gegenstand des eigenen Ergreifens (upādāna) werden und erst in einem nachgeordneten Sinn in seiner rein erkennntistheoretischen Funktion. 35 Zentral ist für Loy dabei die Einsicht, dass wir uns verblendet von der avidyā als illusionär-hypostatisches Subjekt vom aktiv persistierenden Strom nondualer nirvikalpa-Erlebnisse abspalten und uns verleitet vom Durst den irrealen Konkretionen des Relationsbegriffes als Ersatzrealitäten zuwenden, um die innere Leere (lack) unseres konstruierten Selbstsinns als grundlegende Empfindung der eigen Unwirklichkeit und Unsicherheit zu kompensieren. Die Struktur der Sprache ist Loy zufolge also intentional und funktional, insofern sie im Dienste der Begierde unsere nirvikalpaErlebnisse hypostasiert und die projizierten Objekte instrumentalisiert. Dabei artikuliere sich das richtige Verständnis eines Wortes (z. B. »Tür«) nicht in der Fähigkeit seinen semantischen Gehalt korrekt zu bestimmen, sondern in der Kompetenz das reifizierte Objekt (die »Tür«) korrekt zu nutzen, i. e. es richtig für unsere Zwecke zu verwenden. Bedeutung konstituiert sich für Loy also primär durch den intentionalen und funktionalen Bezug auf das bezeichnende Subjekt. Die genuine Bezugslosigkeit der nondualen Präsenz der nirvikalpa-Erlebnisse werde allerdings permanent verfehlt, weil wir unablässig damit beschäftigt seien, die savikalpa-Hypostasen in ein Netz von Intentionen, Funktionen und kausalen Beziehungen einzubinden: »Why do we tend to see objects as utensils–that is, causally? Insofar as I have desires and intentions, I will need to manipulate the world in order to get what I want. Such manipulation requires me to ask what will produce the desired effect. In fact, that

»[O]ur main way of grasping is through language. The object of thought-construction, which converts the bare nirvikalpa sensation into a determinate image associated with a name.« Loy 1997a: 115.

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tendency to manipulation may be seen as the root of the concept of causality.« 36 Ein reifiziertes Selbst, das ein hypostasiertes Ding haben will, müsse folglich eine Kausalkette von Ereignissen konstruieren, die es zu ihm hinführen. Weil in diesem konstruierten Kausalnexus jedes Ereignis nicht je für sich, sondern um des jeweils nächsten und übernächsten willen erfahren werde, übersähen wir in unserer Gier danach, das objektivierte Ziel zu erlangen, die leere Natur von beiden. 37 Eine Sprache zu erlernen ist für Loy also gleichbedeutend damit, kausale Verknüpfungen herzustellen und die Welt als Ansammlung von »innerweltlich Zuhandene[m]« 38 zu betrachten, das zur Herbeiführung bestimmter Zwecke instrumentalisiert werden kann. In derselben Weise könne man auch bezüglich des prapañca argumentieren: Die Hypostasen des prapañca seien ebenfalls Kausalitätskonstruktionen. Auf diese Weise konstituieren Begierde (craving), Begriffsbildung (naming) und Kausalität (causality) gemeinsam die dualistische Erfahrung eines autonomen Subjektes in einer objektiven Welt mannigfacher Phänomene: »We experience the world in this way due to ›names‹ (i. e., language) and intentions, mental processes that are not the activities of a self but rather that sustain the illusory sense of a self separate from the world.« 39

3.3. Die konstitutive Funktion der Intentionalität und die nonduale Natur unserer Handlungen Wenn die Subjekt-Objekt-Spaltung also primär durch unsere Verblendung und Begierde im Medium der Sprache projiziert und gleichzeitig durch ihren intentionalen Vollzug konsolidiert wird, dann zeichnet sich darin bereits negativ die Möglichkeit ihrer Aufhebung ab. Für Loy besteht der Unterschied zwischen dualer savikalpa-Erfahrung und nondualem nirvikalpa-Erleben überhaupt im Akt der zugrunde liegenden Intentionalität. Ohne die reifizierende Funktion der Sprache und die ihr inhärente Kausalstruktur und Intentionalität werde der illusionären Dualität von Subjekt und Objekt die Existenz36 37 38 39

Loy 1997a: 121. Cf. Loy 1997a: 236. Heidegger 2006: 164. Loy 2003a: 175.

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grundlage entzogen. Die Empfindung eines subjektiven Bewusstseins, das das Sehen, Denken usw. vollzieht, entsteht Loy zufolge erst durch das Benennen und Intendieren. 40 Deshalb löse sich auch jede Vorstellung eines unabhängigen und individuellen Selbst in intentionslosen Versenkungszuständen (samādhi) auf: »[I]n samādhi the sense of self evaporates, precisely because all effort and intention cease.« 41 Die Kontinuität des Bewusstseins auf Intentionalität zurückzuführen sei allerdings problematisch, insofern diese Annahme auf einer weiteren diffizilen Voraussetzung beruhe, i. e. der Annahme, dass eine Wechselwirkung zwischen Bewusstsein und Körper bzw. ein kausaler Zusammenhang zwischen unseren Intentionen und unseren Handlungen besteht. Der Zusammenhang zwischen unserem Willen und der Bewegung unserer Körperglieder sei aber schlechterdings unbegreiflich, auch wenn er aufgrund unserer alltäglichen Erfahrung unbestreitbare und allgemeine Erfahrungstatsache sei. Diese Einsicht habe bereits Hume im Zusammenhang mit seiner allgemeinen Kritik am Prinzip der Kausalität formuliert: »That their motion follows the command of the will is a matter of common experience, like other natural events: But the power or energy by which this is effected, like that in other natural events, is unknown and inconceivable.« 42 Auf der Grundlage eines strikten Dualismus zwischen einer immateriellen und denkenden Substanz und einer materiellen und ausgedehnten Substanz müsste der Parallelgang psychischer und physischer Prozesse erklärt werden. Das Problem des psychophysischen Parallelismus stellt sich für Loy allerdings nicht, da er unter Berufung auf Spinoza für eine »monistische« Variante optiert, insofern er die Differenz von Subjekt und Objekt als Prinzipiate auf die ursprüngliche Einheit des prapañca als deren Prinzip zurückführt, welcher Seele und Leib unter sich in der Sphäre ihrer Wechselwirkung miteinander verbindet. 43 Entsprechend erklärt Loy, dass dieser unerklär»Without these activities […] the self evaporates.« Loy 1997a: 121. Loy 1997a: 125. 42 Hume 1993: 44. Cf. Loy 1997a: 125 f. 43 Cf. Loy 1997a: 94. Bereits Leibniz hatte im Gegensatz zu Descartes’ interaktionistischem Dualismus die Wechselwirkung zwischen res cogitans und res extensa abgelehnt, dabei den psychophysischen Parallelismus im Gegensatz zu Loy aber auf eine durch Gott prästabilierte Harmonie zurückgeführt, in der die Parallelität von Körper und Geist der exakten Synchronizität zweier Uhren vergleichbar ist. Der flämisch40 41

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liche Zusammenhang zwischen Absicht und Handlung für den Nondualisten kein Problem darstelle, weil er das Ich-Bewusstsein letztlich als Projektion des prapañca betrachte, das ohnehin nur postuliert würde, um die Kluft zwischen Denken und Handeln zu überbrücken. Unsere Handlungen seien daher immer nondual, auch wenn sie nicht als solche erkannt würden. 44 Die grundlegende Störung unserer nirvikalpa-Erfahrung ist für Loy demnach das intendierende Selbstbewusstsein des Menschen, von dem nicht nur der visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische und noetische, sondern auch der taktile Gehalt unserer Erfahrung und somit die Einheit der geistig-kognitiven und sinnlich-affektiven Innerlichkeit des Menschen insgesamt betroffen ist. Das Selbstbewusstsein interferiert folglich nicht nur mit den nondualen Prozessen des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Fühlens und Denkens, sondern auch mit dem natürlichen Verlauf unserer Handniederländische Theologe, Logiker und Philosoph Arnold Geulincx (1624–1669) gilt neben dem französischen Philosophen Nicolas Malebranche (1638–1715) als Hauptvertreter des Okkassionalismus, der Gott als Vermittlungsinstanz zwischen körperlichen und geistigen Ereignissen postuliert. Cf. Vorländer 1966: 25–30. Auch Spinoza bestreitet jede Form des Interaktionismus zwischen der geistigen und physischen Ebene: »Der Körper kann den Geist nicht zum Denken, noch der Geist den Körper zur Bewegung oder Ruhe noch zu etwas Anderem (wenn es ein solches gibt) bestimmen.« Ethica 3, 2. In: Spinoza 2011: 263. Michael Pauen hat darauf hingewiesen, dass sich das Problem der Wirkungslosigkeit psychischer Prozesse für Spinoza aufgrund der Implikationen des Monismus nicht ergibt, insofern er nur von einer Substanz ausgeht, die »sowohl als denkend wie auch als ausgedehnt beschrieben werden« könne. Pauen 2006: 89. Darin ist ihm der Sache nach auch Gustav Theodor Fechner (1801–1887) gefolgt, der im 19. Jh. und im Anschluss an Leibniz, Geulincx und Malebranche eine monistische Variante des psychophysischen Parallelismus entwickelt hat, der nur noch eine einzige »Uhr« (Identitätsansicht) annimmt, die aus zwei verschiedenen Perspektiven, i. e. einer Innen- und Außenseite, wahrgenommen werden kann. Cf. Fechner 1860: 1–8. Eine systematische Kritik des psychophysischen Parallelismus wurde von Ludwig Klages (1872–1956) ausgearbeitet: »[Z]wei Systeme, Bewußtsein und Welt, deren Gegenseitigkeitsverhältnis erklärt werden sollte. Ein für sich selbst vorhandenes Bewußtsein wüßte jedoch auch nur von sich selbst und nicht das mindeste von einer ihm gegenüberstehenden Welt!« Klages 1988: 5 f. Ein analoges Argument hatte bereits Fichte im zweiten Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 entwickelt: »Ich sage: so gewiß nur überhaupt eine Uebereinstimmung der wirklich Lebenden über irgend ein Mannigfaltiges möglich ist, so gewiß ist die Einheit des Princips in der That und Wahrheit auch nur Eins; denn verschiedene Principien würden verschiedene Principiate, mithin durchaus verschiedene, und in sich nicht zusammenhängende Welten geben; und es wäre sodann gar keine Uebereinstimmung über irgend Etwas möglich.« Wissenschaftslehre 1804–2. In: GA II/8: 10. 44 Cf. Loy 1997a: 126.

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lungen. Wie beim nondualen Denken und der nondualen Wahrnehmung ist auch das nonduale Handeln ein Handeln, in dem keine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Handelndem und Handlung mehr erfahren wird. 45 Das taoistische »Handeln des Nichthandelns« (wei-wu-wei) interpretiert Loy folglich als Ich-lose und daher unverursachte Form der Selbstbewegung (autokinesis), in der ohne intendierendes Subjekt alle Handlungen ganz natürlich aus sich selbst heraus entstehen. 46 Intentionen versteht Loy dabei als Gedanken, die nonduale Handlungen in derselben Weise überlagern, wie Gedanken nonduale Wahrnehmungen überlagern und damit ein nivirkalpa-Erlebnis in eine savikalpa-Erfahrung transformieren. Die Empfindung der Dualität zwischen dem intendierenden Geist und dem Körper entstehe also erst, wenn eine Handlung mit einer bestimmten Intention verrichtet und der Körper instrumentalisiert werde, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Die einzige Möglichkeit, diesen Dualismus zu überwinden, besteht für Loy folglich darin, ohne Absicht zu handeln, wodurch der Handelnde selbst zur Handlung werde und sich nicht als von ihr unterschiedenes Subjekt mehr erfahre: »When one is the action, no residue of self-consciousness remains to observe that action objectively. Then there is wu-wei: a quiet center that does not change although activity constantly occurs« 47. Cf. Loy 1997a: 102. Loy bezieht sich hier vor allem auf das Tao-te-King/Daodejing 2, 37, 38 und 48 und übersetzt den Text im Anschluss an seinen Lehrer Chang Chung-Yuan folgendermaßen: »Thus, the wise man deals with things through wu-wei and teaches through no-words. The ten thousand things flourish without interruption. They grow by themselves, and no one possesses them. (Chap. 2). The Tao is constant and wu-wei, yet nothing remains undone. If rulers abide with it, all things reform themselves. (Chap. 37) The highest virtue [tê] is wu-wei and is purposeless [wei]. (Chap. 38) To learn, one accumulates day by day. To study Tao, one reduces day by day. Less and less is done until wu-wei is achieved. When wu-wei is done, nothing is left undone. (Chap. 48).« Loy 1997a: 97. Cf. Chung-yuan 2014. 47 Loy 1997a: 107. Loy bezieht sich hier u. a. auf die Bhagavadgītā, die Prajñāpāramitā-Sūtras, Candrakīrtis Madhyamakāvatāra und Seng-chaos Nieh-pʾ an wuming. Das vierte Kapitel der Bhagavadgītā beschreibt die Synthese von Nichthandeln im Handeln mit folgenden Worten: »Wer das Anhaften an den Früchten des Handelns losgelassen hat, immer genügsam und also nicht abhängig ist, der handelt in Wahrheit gar nicht, auch wenn er in Tätigkeit zu sein scheint.« Bhagavadgītā 4, 18–20. In: Brück 2007b: 36 f. In den Prajñāpāramitā-Sūtras finden sich eine Vielzahl vergleichbarer Aussagen: »Subhuti: If everything is empty of itself, how does the Bodhisattva’s coursing in perfect wisdom take place? The Lord: A non-coursing is that coursing in 45 46

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Wenn das nonduale Handeln in jeder einzelnen Handlung vollständig ist und sich wie beim nondualen Denken, in dem jeder Gedanke unabhängig und von selbst entsteht, nicht auf etwas anderes bezieht, dann ist es Loy zufolge auch bedeutungslos, i. e. es ist einfach, was es ist, nämlich »Soheit« (tathatā). In dieser paradoxen Synthese von Nichthandeln im Handeln reagieren wir spontan und unvermittelt, wie es den Gegebenheiten am besten entspricht, ohne erst nachsinnend innezuhalten. Dabei stellt sich allerdings die Frage, welchen objektiven Gegebenheiten unser nonduales Handeln eigentlich entsprechen soll, wenn die nonduale Erfahrung Loys eigenen Voraussetzungen zufolge doch gerade in der vollumfänglichen Abwesenheit aller Subjektivität und Objektivität besteht und hier weder ein Selbst noch ein Anderes erfahren wird. Gäbe es in der nondualen Erfahrung, die uns doch gerade die wahre Natur der Wirklichkeit offenbaren soll, noch welthafte Phänomene, auf die wir uns nondual handelnd beziehend könnten, würde das ja gerade die objektive Wirklichkeit der pluralen Weltstruktur beweisen, die als solche unabhängig von unserer nondualen Erfahrung existiert. Dieses Problem verschärft sich noch, wenn man Loys Beispiele betrachtet, die er zur Exemplifikation nondualen Handelns heranzieht. Das Pañcaviṃśatisāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra beschreibt die Vollkommenheit des selbstlosen Gebens (dāna-pāramitā), die ein Bodhisattva auf seinem Pfad zur perfect wisdom. Subhuti: For what reason is it a non-coursing? The Lord: Because one cannot apprehend perfect wisdom, nor a Bodhisattva, nor a coursing, nor him who has coursed, nor that by which he has coursed, nor that wherein he has coursed. The coursing in perfect wisdom is therefore a non-coursing, in which all these discoursings are not apprehended.« In: Conze 1978: 101. Candrakīrtis Madhyamakāvatāra und dem Daśabhūmika-Sūtra zufolge ist der Bodhisattva ab der achten der zehn Ebenen (bhūmi) des Bodhisattva-Pfades – der bhūmi der Unerschütterlichkeit (acalā) – ohne Anstrengung. Das Merkmal der zehnten bhūmi – der Wolke der Lehre (dharmamegha) – ist es wiederum, dass ein solcher Bodhisattva tätig und untätig zugleich ist: »Samsara is now stopped, yet thanks to the ten powers that they have gained, they show themselves in various ways to those who wander in the world.« Padmakara 2004: 101. »It is the same for those who dwell within the dharmakaya–all exertion ends. Yet through their special prayers and beings’ merit, deeds arise beyond imagining.« Padmakara 2004: 106. Kumārajīvas Schüler Seng-chao erörtert in seinem Traktat die dynamische oder »nicht-fixierte« (apratiṣṭhita) Dimension des nirvāṇas und schreibt dabei über das Nichthandeln im Handeln eines Bodhisattvas: »[T]he Sage does not act and yet all is acted by him. He does not act (wei): though moving he reposes. All is acted by him: though in repose, he moves. […]. It follows that action (wei) is identical with non-action (wu-wei), that, though motion and rest are distinguished (by language), they are (actually) the same.« Liebenthal 1968: 124.

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Die konstitutive Funktion der Intentionalität

vollkommenen Erleuchtung kultivieren und in seinem gesamten Lebenswandel manifestieren soll, als intentionslose Aktivität (anābhogacārya): The supramundane perfection of giving […] consists in the threefold purity. What is the threefold purity? Here a Bodhisattva gives a gift, and he does not apprehend a self, a recipient, a gift; also no reward of his giving. He surrenders that gift to all beings, but does not apprehend those beings, or himself either. And, although he dedicates that gift to the supreme enlightenment, he does not apprehend any enlightenment. 48

Handelte es sich hierbei wirklich um die von Loy beschriebene nonduale Erfahrung, wäre der Bodhisattva gleichsam wie ein Automat bei all seinen planvollen und zielgerichteten Handlungen ohne Selbstbewusstsein, was Loy an anderer Stelle aber als »unpleasant type of mental retardation« 49 zurückweist und wohl kaum als sinnvolle Erklärung des Sūtras gelten kann. In der von Loy beschriebenen nondualen Erfahrung gibt es weder einen Bodhisattva noch irgendein Wesen, auf die sich ein Bodhisattva handelnd beziehen könnte, sei es nun dual oder nondual. Von einem Standpunkt weltlich-verhüllter Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) und empirisch-konventioneller Lebenspraxis (vyavahāra) sieht der Bodhisattva aber unzählige Wesen, die leidend im endlosen Kreislauf der Wiedergeburten treiben und gelobt, ergriffen von uneingeschränktem Mitgefühl, unendliche Wiedergeburten zu durchlaufen und im saṃsāra zu bleiben, bis alle Wesen erlöst sind. Von einem Standpunkt absoluter Wahrheit (paramārtha-satya) und vollkommener Weisheit (prajñāpāramitā) aus weiß der Bodhisattva allerdings, dass der saṃsāra vollkommen leer (śūnya) und frei von Eigensein (niḥsvabhāva) ist und seinem wahren Wesen (yathābhūta) nach schon immer unverändert (sama), ungeboren (anutpanna) und erloschen (śānta) war. Indem der Bodhisattva seine Existenz in die Leerheit und nirvāṇische Soheit (tattva) jenseits aller Weltausbreitung (niṣprapañca) gründet, wird er überhaupt erst frei zu wahrhaft altruistischem Handeln im Bereich der verhüllten Wirklichkeit, denn erst nachdem der Bodhisattva den Körper gleichgültig aufgegeben hat, kann er ihn unbekümmert zum Heil der Welt

Pañcaviṃśatisāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra. In: Conze 1990: 199. Cf. Loy 1997a: 108; Loy 2003a: 181. 49 Loy 2008: 22. 48

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

wie ein Werkzeug benutzen. 50 Von der entsprechenden Erfahrung, die dem Bodhisattva in diesem Zustand eignet und die im Gegensatz zur nondualen Erfahrung schlechthin notwendig ein Selbstbewusstsein voraussetzt, hat Loy aber schlicht keinen Begriff, weshalb er miteinander unvereinbare Erfahrungen unter einen Begriff subsumiert. 51 Loy verwechselt hier demnach die nonduale Wirklichkeit der Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) mit der nach der Erleuchtung erlangten Erfahrung der phänomenalen Welt (laukikapṛṣṭhalabdha-jñāna), die Belehrung und Erlösung anderer Wesen überhaupt erst möglich macht. Ich werde auf die buddhistische Phänomenologie erleuchteter Erfahrung und die damit zusammenhängende Lehre des »nicht-fixierten« (apratiṣṭhita) nirvāṇas des Bodhisattvas in meiner Kritik an Loys Philosophie der Nondualität noch zurückkommen (siehe 9.1.).

Śāntideva beantwortet die Frage, wem gegenüber der Bodhisattva eigentlich Mitleid üben soll, wenn es der höchsten Wahrheit gemäß überhaupt keine Wesen gibt, auf die er sein Mitgefühl richten kann, folgendermaßen: »Die Anstrengung aber beruht auf dem Irrtum. Den Irrtum des Zieles aber lehnen wir nicht ab, weil wir das Leid beenden wollen.« Bodhicaryāvatāra 9, 77. In: Steinkellner 2005: 139. Entsprechend unterscheidet der wichtigste Kommentator Prajñākaramati (10./11. Jh. n. Chr.) in seiner Bodhicaryāvatāra-pañjikā zu diesem Vers zwei Formen der Verblendung (moha) voneinander: Die eine ist die Ursache für das Erscheinen, Wirken und Fortbestehen des Wiedergeburtenkreislaufs (saṃsārapravṛttihetu), während die andere die Ursache seines Stillstands ist (tatpraśamahetu). Letztere ist heilsdienlich, insofern sie zum Erwachen und zur absoluten Wahrheit führt (paramārtha-upayogitvāt). Die höchste Synthese der Vollkommenheit der Weisheit (prajñāpāramitā) und heilenden Hinwendung zu allen Wesen (mahākaruṇā) manifestiert sich daher auch als objektloses Mitgefühl (anālambana-karuṇā), weil der Bodhisattva die von der Verblendung befangenen Wesen in ihrem Leid ernst nimmt, obschon er weiß, dass es weder ihn noch sie letztwirklich gibt, da er den im Laṅkāvatāra-Sūtra beschriebenen zweifachen Tod von Selbst (pudgala-nairātmya) und Anderem (dharma-nairātmya) gestorben ist und die zweifache Ichlosigkeit (nairātmyasya dvayaṃ) realisiert hat. Cf. Golzio 2010: 149. Näheres zur Lehre vom objektlosen Mitgefühl (anālambana-karuṇā) des Bodhisattvas bei Jenkins 2016: 111. 51 Das macht ein Passus aus dem Aṣṭasāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra überaus deutlich: »Here the Bodhisattva, the great being, thinks [!] thus: ›countless beings should I lead to Nirvana and yet there are none who lead to Nirvana, or who should be led to it.‹ However many beings he may lead to Nirvana, yet there is not any being that has been led to Nirvana, nor that has led others to it. For such is the ture nature of dharmas, seeing that their nature is illusory.« Aṣṭasāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra 1, 4. In: Conze 2006: 90. 50

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Die Reziprozität der Verblendungsmechanismen

3.4. Die Reziprozität der Verblendungsmechanismen Fassen wir die einzelnen Instanzen des Verblendungsmechanismus in seinen Grundstrukturen zusammen, wie er von Loy expliziert wird, so ergibt sich folgendes Bild dieses Prozesses: Das Agens des gesamten Reifikationsautomatismus, in dem die nirvikalpa-Erlebnisse durch den prapañca zur savikalpa-Erfahrung restrukturiert werden, identifiziert Loy mit der anfangslosen Verblendung, deren änigmatischer Ursprung schlechterdings aporetisch bleibt. Aufgrund des nicht zu genetisierenden Urfaktes der Verblendung erfährt der Geist seine eigene Formlosigkeit und Leere als beängstigend und versucht sich qua Reflexivität des Bewusstseins als unkonditioniertes Selbst zu begründen, wodurch die erste Hypostase eines unabhängigen und individuellen Subjektes entsteht, die wiederum durch die Fehlinterpretation unserer Erinnerung aufrechterhalten wird. In einem zweiten Schritt richtet sich das begehrende Ergreifen, das nun als Akzidenz eines reifizierten Subjektes verstanden wird, auf Objekte, die durch die Sprache aus den nirvikalpa-Erlebnissen hervorgebracht werden (»Conceptualized Percept«). Das Subjekt ist jetzt nicht mehr primär auf sich und seine eigene Leere geworfen, sondern mit den vermeintlich selbstseienden Objekten einer subjektunabhängigen Außenwelt beschäftigt. Indem das reifizierte Subjekt nach einem hypostasierten Ding strebt, muss es allerdings Handlungen mit einer bestimmten Intention verrichten (»Conceptualized Action (Intention)«), wodurch die Empfindung eines Gegensatzes zwischen dem intendierenden Geist und dem Körper entsteht, der zu diesem Zweck instrumentalisiert wird. 52 Das intendierende und handelnde Subjekt ist nun unablässig damit beschäftigt, die savikalpa-Hypostasen des prapañca in ein Netz von Intentionen, Funktionen und kausalen Beziehungen einzubinden, wodurch die Polarisation zwischen einem wahrnehmenden, i. e. einem sehenden, hörenden, denkenden, usw. Subjekt und einem wahrgenommenen, i. e. einem gesehenen, gehörten, gedachten, usw. Objekt weiter vertieft wird. 53 Zur Verfestigung der Cf. Loy 1997a: 96. Der US-amerikanische Quantenphysiker und Philosoph David Bohm (1917–1992) und der britische Physiker und Schriftsteller F. David Peat haben diese drei von Loy als duale Wahrnehmung, duales Denken und duales Handeln beschriebenen Modi treffend als Illusion, Delusion und Kollusion begrifflich voneinander unterschieden: »This notion of the falseness that can creep into the play of thought is shown in the etymology of the words illusion, delusion, and collusion, all of which have as their

52 53

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Subjekt-Objekt-Spaltung trägt Loy zufolge also eine Trias aus Begierde (craving), Benennung (naming) und Kausalität (causality) bei, insofern die Sprache im Dienste der Begierde welthafte Phänomene hypostasiert, die zusammen mit den Handlungen kausal organisiert werden. Loy hat die Reziprozität dieser Verblendungsmechanismen in folgender Graphik illustriert: 54

ior av eh l B in usa Obta bject To ed O av

Ca

NAMING

Cr

R of epre Cr sen av ed tatio Ob n jec t

CRAVING

Language as Causal Organization of World

CAUSALITY

Die Erfahrung unterteilt Loy dabei in insgesamt drei Erfahrungsmodi. Die visuellen, auditiven, olfaktorischen und gustatorischen Erlebnisse konstituieren die Wahrnehmung, die noetischen Erlebnisse das Denken und die taktilen Erlebnisse das Handeln. Dualistische Wahrnehmung entsteht, wenn die entsprechenden nirvikalpa-Erlebnisse mit mentalen Konstrukten überlagert und die perzipierten Sinneseindrücke als Zeichen selbstexistenter Objekte aufgefasst werden; dualistisches Denken (= vijñāna) entsteht, wenn noetische nirvikalpa-Erlebnisse (= prajñā) miteinander in eine kausale und logische Latin root ludere, ›to play.‹ So illusion implies playing false with perception; delusion, playing false with thought; collusion, playing false together in order to support each other’s illusions and delusions.« Bohm/Peat 2000: 48. 54 Cf. Loy 1997a: 122.

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Die Reziprozität der Verblendungsmechanismen

Beziehung gesetzt und somit zum Schein eines mit sich selbst identischen Subjektes verbunden werden, während dualistisches Handeln auf der Überlagerung der Bewegungen des Körpers mit Intentionen beruht, wodurch der Handelnde als »ghost in a machine« 55 von der Handlung getrennt wird und die Unterscheidung von Leib und Seele entsteht. Korrelliert man diese drei Erfahrungsmodi mit den Zusammenhängen von Begierde (craving), Benennung (naming) und Kausalität (causality), dann lässt sich folgender Zusammenhang herstellen: Für das begehrende Ergreifen eines hypostasierten Objektes bedarf es sowohl einer dualistischen Handlung als auch einer dualistischen Wahrnehmung; die dualistische Wahrnehmung muss wiederum mit dem dualistischen Denken zusammenwirken, denn die Reifikation eines Objektes ist von der Reifikation des Subjektes abhängig und vice versa (ohne Subjekt kein Objekt – ohne Objekt kein Subjekt); das dualistische Denken bedingt wiederum das dualistische Handeln, insofern die Überlagerung der Bewegungen mit Absichten von einem intendierenden Subjekt abhängt, wodurch zugleich die Empfindung eines Gegensatzes zwischen dem intendierenden Geist und dem Körper erzeugt wird, die wiederum für das begehrende Ergreifen eines hypostasierten Objektes vorausgesetzt wird. Einerseits konsolidiert das reziproke Zusammenspiel aller drei Erfahrungsmodi auf diese Weise das Selbstgefühl (»sense of self«); andererseits stören sich die drei Erfahrungsmodi in ihrer Wechselwirkung gegenseitig und verdunkeln auf diese Weise die nonduale Natur der jeweils anderen, denn ansich betrachtet ist jeder Erfahrungsmodus Loys Interpretation zufolge in einer dreifachen Hinsicht leer. Erstens seien die Wahrnehmung, das Denken und das Handeln an sich frei von der Dualität zwischen Subjekt und Objekt; zweitens führe jeder nonduale Erfahrungsmodus zu einem Bewusstsein dessen, was man »Leerheit« nennen könne, da sie allen gemeinsam sei und jede Einzelerfahrung transzendiere und drittens habe keiner dieser drei Erfahrungsmodi irgendein Eigensein, denn jeder von ihnen sei nur die phänomenale Manifestation eines all-umfassenden und eigenschaftslosen Geistes, der phänomenologisch nur als ein »Nichts« erfahren werden könne, das schöpferisch sei, weil es der Ursprung aller Erscheinungen sei. 56 Loy hat diese Zusammenhänge in folgender Graphik veranschaulicht: 55 56

Loy, 1997a: 180. Cf. Loy 1997a: 183.

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Deduktion: Von der nondualen zur dualen Erfahrung

Action to Obtain Craved Object

Conceptualized Percept (Object)

Nondual Perception

Sense of Self Nondual Thought

Nondual Action

Conceptualized Action (Intention)

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4. Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

4.1. Die nonduale Befreiung zur Sprache In der Geschichte der nondualen Traditionen ist es Loy zufolge vielfach zu Überreaktionen gegen einzelne Erfahrungsmodi in ihrer dualistischen Form gekommen, die wiederum zu neuen problematischen Dualismen geführt hätten. So sei die Vorstellung, Erleuchtung bestehe in der Transzendierung der phänomenalen Welt und sinnlicher Erfahrung als eine Übernegation dualistischer Wahrnehmung zu begreifen, die ihre genuin nonduale Natur und die radikal immanente Transzendenz der leeren Natur dieser Welt verfehle. Dem entspreche die radikale Negation dualistischen Handelns, die sich in der Auffassung dokumentiere, der spirituelle Pfad sei quietistisch und propagiere einen Rückzug aus der Welt, während die Einsicht in die Nondualität unserer Handlungen eine solchen Dualismus zwischen Aktivität und Passivität transzendiere. Eine unverhältnismäßige Reaktion auf dualistisches Denken habe mit der exzessiven Betonung meditativer Techniken zudem einem Anti-Intellektualismus den Weg bereitet, der das Denken als heilshinderlich verwerfe, während der nonduale Intellekt tatsächlich das kreativste Vermögen des Menschen sei. »[L]iberating delusion« 1 bezeichnet Loys programmatischen Ansatz insgesamt, demzufolge der dualistische Modus unserer Wahrnehmung, unseres Denkens und Handelns nicht radikal negiert, sondern purifiziert und transformiert und in seinen nondualen Modus überführt werden soll. Dies betrifft Loy zufolge in einem eminenten Maße auch das Verhältnis der nondualen Traditionen zur Sprache. Bei Nāgārjuna finde sich zwar keine Übernegation dualistischer Wahrnehmung, da seine Identifikation von saṃsāra und nirvāṇa das nirvāṇa nicht jenseits sinnlicher Erfahrung verorte und als eine unbedingte (asaṃ1

Loy 1997a: 147.

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

skṛta) und überweltliche (lokottara) Wirklichkeit hypostasiere, die unabhängig vom saṃsāra persistiert, aber in seiner Beschreibung beider Perspektiven habe Nāgārjuna einen weiteren Dualismus eingeführt, den es zu dekonstruieren gelte, i. e. die Differenz zwischen saṃsārischer Sprache und nirvāṇischem Schweigen, zwischen einer sprachlich konstruierten Verblendung (prapañca) und einer Erleuchtung jenseits der prädikativen Sprache und begrifflichen Konstruktion der Welt (prapañca-upaśama): »The danger is that we will now ›take‹ language/thought as a filter that should be eliminated in order to experience things/the world more immediately–an approach that reconstitutes the problem of dualism in the means chosen to overcome it.« 2 In Nāgārjunas Madhyamaka erhalte die Sprache auf diese Weise die rein negative und instrumentelle Funktion, als saṃsārisches Floß zum Ufer nirvāṇischen Schweigens zu führen, um dort hinter sich gelassen zu werden. Als heilvoll (śiva) gelte hier allein die Beruhigung aller Wahrnehmung und die Beruhigung des prapañca. Das Kennzeichen der Soheit (tattva) sei daher ohne unterscheidende Vorstellung und Vielheit, weshalb nur durch die restlose Austreibung aller Ansichten (sarvadṛṣṭīnāṃ proktā niḥsaraṇaṃ) und die radikale Inhibierung aller Begriffskonstruktionen (kalpanā) die Erleuchtung jenseits des diskursiven Begreifens zu finden sei. 3 Für eine vollständige Genesung müsse sogar die Leerheit (śūnyatā) als sprachliches Therapeutikum der heilsevokativen Autodestruktion der Sprache am Ende noch mit ausgeschieden werden. 4 Daher habe Nāgārjuna auch Loy 2009a: 50. Cf. Loy 2009a: 38. 4 Loy rekurriert hier auf Candrakīrti, der in seinem Kommentar zu Nāgārjunas Mūlamadhyamakakārikā (Prasannapadā) eine Parabel aus dem Ārya-RatnakuṭaSūtra zitiert. Cf. Loy 2009a: 38. Der Passus lautet in der Übertragung von Stanislaw Schayer (1899–1941) folgendermaßen: »»Fürwahr, o Kaśyapa, besser ist es, daß man sich zum radikalsten (= dem Meru-Berg an der Größe gleichen) Personalismus (pudgala-dṛṣṭi) bekennt, als wenn man, an der Illusion des Seins haftend, die Leerheit im Sinne einer positiven Ansicht auffaßte. Und Warum? Weil die Leerheit das Hinaustreiben aller Ansichten ist. Fürwahr, wer auch die Leerheit für eine Ansicht hält, den nenne ich unheilbar. Denn damit verhält es sich so [wie in der folgenden Parabel]: Ein Mann, o Kaśyapa, ist krank und der Arzt gibt ihm ein purgatives Mittel, welches zwar alle Krankheitsstoffe hinaustreibt, selbst aber im Leibe stecken bleibt und nicht herauskommt. Wie meinst du, o Kaśyapa, wird dieser kranke Mann von seinem Leiden befreit?« – »Gewiß nicht, o Erhabener! Vielmehr wird das Leiden dieses Mannes noch heftiger werden, wenn die Arznei, nachdem sie alle Krankheitsstoffe hinausgetrieben hat, selbst im Leibe stecken bleibt und nicht herauskommt.« – Der Erhabene sprach: 2 3

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Die nonduale Befreiung zur Sprache

die Leerheit (śūnyatā) noch als Ansicht (dṛṣṭi) zurückgewiesen und die Leerheit der Leerheit selbst verkündet (śūnyatā-śūnyatā). Nur durch diese aporetische und meta-reflektorische Mit-Abfuhr der Leerheit könne ein performativer Widerspruch vermieden werden, insofern die Leerheit als Position wiederum Gegenstand der Negation und Universalkritik der Leerheit selbst würde und somit selbstwidersprüchlich wäre: Der Buddha habe daher recht verstanden nirgendwo irgendwem irgendeine Lehre verkündet, weshalb Nāgārjuna in der Vigrahavyāvartanī schreiben konnte: »If I had a position, no doubt fault could be found with it. Since I have no position, that problem does not arise.« 5 Nāgārjuna habe zwar versucht, den impliziten Dualismus von Sprache und Schweigen durch die Lehre der zwei Wahrheiten zu entschärfen und zwischen der Kataphatik der verhüllten Wahrheit (saṃvṛti-satya) und der Apophatik der absoluten Wahrheit (paramārtha-satya) unterschieden, aber die Mūlamadhyamakakārikā hätten in der buddhistischen Tradition ein dualistisches Erbe hinterlassen, das zu scharf zwischen niederer und höherer Wahrheit, zwischen Mittel und Zweck, zwischen unseren Gedanken, unserer Sprache und einer Erleuchtung jenseits aller Diskursivität unterscheide. 6 Mit dieser Dualität von Kataphatik und Apophatik assoziiert Loy fernerhin die Theorie der uranfänglichen Erleuchtung (jap. hongaku), die für ihn eng mit der Frage verknüpft ist, warum man überhaupt den Buddhismus praktizieren und die Sprache im Streben nach der Erleuchtung negieren soll, wenn jeder Mensch doch im Grunde bereits erleuchtet und befreit ist. Die hongaku-Lehre der primordialen Erleuchtung begünstige daher scheinbar einen selbstgenügsamen »In demselben Sinne, o Kaśyapa, ist die Leerheit das Hinaustreiben (= das Abführen) aller Ansichten und wer auch die Leerheit für eine Ansicht hält, den nenne ich unheilbar.« Prasannapadā 13, 8. In: Schayer 1931: 38 f. Diese Selbst-Entleerung und MitAusschließung der Leerheit (śūnyatā-śūnyatā) wurde in der Forschungsliteratur oft mit der Leiter-Analogie Wittgensteins verglichen, auf die auch Loy an dieser Stelle verweist: »Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muß diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.« Tractatus logico-philosophicus 6, 54. In: Wittgenstein 1984a: 85. 5 Vigrahavyāvartanī 29. Zitiert nach: Loy 2009a: 50. Cf. Mūlamadhyamakakārikā 25, 24b: »Nirgendwo wurde irgendeinem durch den Buddha irgendein Dharma gelehrt.« In: Weber-Brosamer/Back 2005: 100. 6 Cf. Loy 2009a: 38.

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

Quietismus, während ihr Gegenstück – die shikaku-Lehre von der noch zu verwirklichenden Erleuchtung – wiederum die Sprache und Meditation als bloßes Mittel zum Zweck der Weisheit (prajñā) instrumentalisiere und herabwürdige, um sie letztendlich hinter sich zu lassen. Loy lehnt eine solche duale, i. e. teleologische, sequenzielle, hierarchische und kausale Sichtweise der Sprache und Meditation ab. Er orientiert sich in seiner Behandlung dieser Fragen wiederum an Dōgen, der in dieser Hinsicht einen alternativen Weg beschritten und ein nonduales Verständnis von Sprache und Praxis entwickelt habe, um auch noch diese Dualismen zu dekonstruieren: »Dogen’s solution to this dilemma not only transformed the understanding of the relationship between practice and enlightenment, but also led to a radically new appreciation of how language can combat its own mystifications.« 7

4.2. Tote, lebende und heilende Worte: Die Nondualität von Sprechen und Schweigen In der nondualen Erfahrung wird die Sprache in schriftlicher Form als visuelles, in gesprochener Form als auditives und in gedachter Form als noetisches nirvikalpa-Erlebnis selbst zur letzten Realität. Die Sprache als solche muss für Loy folglich genau so wenig transzendiert werden, wie die phänomenale Erfahrung zu einer transzendenten Wirklichkeit hin überschritten werden muss. Sprache darf daher nicht negiert, sondern muss in ihrer nondualen Qualität und Phänomenalität vielmehr realisiert, aktualisiert, transformiert und als letzte Wirklichkeit sublimiert werden, um als dynamisches und variables Vehikel der Erleuchtung zu fungieren. Sprache ist nicht Vermittler, sondern manifester Träger der Wahrheit, nicht limitierend, sondern emanzipierend. Erleuchtung kann für Loy folglich nicht in der Befreiung von der Sprache, sondern ausschließlich in der nondualen Selbstrealisation der Sprache durch die Sprache selbst liegen. Diese maßgeblich von Dōgen informierte Sprachphilosophie rezipiert Loy dabei primär anhand von Hee-Jin Kims Darstellung der Philosophie Dōgens, aus dessen Schriften Kim eine Reihe analytischer Methoden

7

Loy 2009a: 39.

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Tote, lebende und heilende Worte

extrapoliert hat. 8 Die wichtigsten davon sollen im Folgenden vorgestellt und in ihrer philosophiegeschichtlichen Position innerhalb des Buddhismus verortet werden. Das bringt einerseits beispielhaft Dōgens phänomenalistische Wende innerhalb der buddhistischen Philosophiegeschichte zur Darstellung und stellt damit andererseits Loys starke Abhängigkeit von Dōgen in seiner Buddhismusinterpretation insgesamt zur Diskussion. Um Dōgens Innovationen in ihrer Radikalität kritisch würdigen zu können, müssen zuvor allerdings einige Grundbegrifflichkeiten des Mahāyāna-Buddhismus und ihre Zusammenhänge innerhalb der buddhistischen Philosophiegeschichte geklärt werden. Die Fragen neun bis zwölf der sogenannten unentfalteten und nicht begreifbaren Sachverhalte (avyākṛta-vastūni), die vom Buddha als heilshinderlich suspendiert wurden, thematisieren den ontologischen Status des tathāgata nach dem Tode: Ist der tathāgata nach dem Tod (9) seiend? (10) Nichtseiend? (11) Sowohl seiend als auch nichtseiend? (12) Weder seiend noch nichtseiend? 9 Unter den frühen buddhistischen Schulen war es eine allgemein kontrovers diskutierte Frage, ob der Buddha auch zu Lebzeiten überhaupt als saṃsārisches, i. e. als rein menschliches Wesen betrachtet werden könne und nicht Die von Hee-Jin Kim explizierten und von Loy rezipierten Techniken Dōgens sind insgesamt sieben: (1) »Transposition of Lexical Components«, (2) »Semantic Reconstruction through Syntactic Change«, (3) »Explication of Semantic Attributes«, (4) »Reflexive, Self-Causative Utterances«, (5) »Upgrading Commonplace Notions and Using Neglected Metaphors«, (6) »The Use of Homophonous Expressions« und (7) »Reinterpretation Based on the Principle of Nonduality«. Cf. Kim 1985. Der Text ist wiederveröffentlicht worden in: Kim 2007: 65–77. 9 Das berühmte Gleichnis des von einem Pfeil getroffenen Mannes aus dem Cūlamālunkya-Sutta soll die Vergeblichkeit der philosophischen Spekulation in Hinsicht auf die Erlangung des Heils verdeutlichen. Spekulative Fragen sind demnach genau so vergeblich, wie die Frage nach dem Schützen des Pfeils oder der Beschaffenheit von Pfeil und Bogen, wenn das Entfernen des Pfeils das eigentliche Ziel ist. Dazu zählen auch die avyākṛta-vastūni. Während im Cūlamālunkya-Sutta zehn und im Milindapañha zwölf Fragen vorfindlich sind, handelt es sich in der vollständigen Fassung bei Nāgārjuna um insgesamt vierzehn Fragen: (1) Ist die Welt beständig? (2) Nicht beständig? (3) Sowohl beständig als auch nicht beständig? (4) Weder beständig noch nicht beständig? Ist die Welt zeitlich (5) begrenzt? (6) Nicht begrenzt? (7) Sowohl begrenzt als auch nicht begrenzt? (8) Weder begrenzt noch nicht begrenzt? Ist der Tathāgata nach dem Tod (9) seiend? (10) Nichtseiend? (11) Sowohl seiend als auch nichtseiend? (12) Weder seiend noch nichtseiend? Sind Leben und Körper/individuelles Selbst/Persönlichkeit (13) identisch oder (14) nicht identisch? Cf. Majjhima-Nikāya 63. In: Bodhi 2001: 533; Milindapañha. In: Nyānaponika 1998: 162; Mūlamadhyamakakārikā 25, 17–23. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 99 f. 8

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

vielmehr die Unwirklichkeit seiner menschlichen Existenz gefolgert werden müsse. Während die Therāvada-Schule die menschliche Natur und Realität des Buddhas pointierte, argumentierte u. a. die Mahāsaṅghika-Schule für die Unwirklichkeit seiner menschlichen Existenz und eine doketistische Interpretation des Buddhas als reine Manifestation und Sichtbarwerdung der unbedingten (asaṃskṛta) und überweltlichen (lokottara) Wirklichkeit des nirvāṇas. Durch das Erlangen des nirvāṇas wurde der Buddha zu dessen sichtbarer Erscheinung und das nirvāṇa wiederum mit dem zeitlosen Aspekt des Buddhas selbst identifiziert. 10 Diese Entwicklung führte allerdings zur Frage, wie man angesichts der unbedingten, nirvāṇischen Natur des Buddhas überhaupt selbst zum Buddha werden konnte. Wäre das nirvāṇa als Ziel des Erlösungsweges nicht durch diesen bedingt (saṃskṛta) und somit dem Konditionalnexus (pratītya-samutpāda) zufolge, wonach alles, was bedingt entsteht, auch vergeht, unvermeidlich selbst vergänglich? Eine Antwort auf diese Frage war, dass man gar nicht zum Buddha werde, sondern dass jeder von uns bereits ein Buddha sei, sodass wir nur das würden, was wir in Wahrheit schon seien. Ein Buddha zu werden bedeutet Perry Schmidt-Leukel zufolge daher, »dass unsere eigene wahre Buddha-Natur freigelegt wird.« 11 Schmidt-Leukel beschreibt insgesamt drei Interpretationsmöglichkeiten der Lehre von der Buddha-Natur (tathāgatagarbha). Der tathāgatagarbha könne (1) als Bezeichnung des bloßen Potentials eines Individuums verstanden werden, einmal selbst zur Buddhaschaft zu gelangen. Dadurch sei allerdings noch nicht das Verhältnis zwischen der unbedingten (asaṃskṛta) Natur des nirvāṇas, welches unveränderlich ist und folglich nicht entstehen kann und der Verwandlung eines verblendeten Wesens in ein erleuchtetes Wesen erklärt. Eine solche Verwandlung sei nur vorstellbar, wenn (2) bereits eine Realpräsenz des nirvāṇas in jedem Wesen vorausgesetzt werde, die aber nur aufgrund der Verblendung unerkannt bleibe. Sobald die Verblendung beseitigt sei, scheine unsere wahre Buddha-Natur auf. Der Mensch kann folglich nicht jenseits des irdischen Lebens in die Buddha-Natur über- und eingehen, wenn sie nicht schon bereits diesseits im Grunde seines Gemütes als tiefste und innerste Wesenheit 10 Cf. Aṅguttara-Nikāya 3, 56 (»Das sichtbare Nibbāna«). In: Nyānatiloka 1993a: 145. 11 Schmidt-Leukel 2017a: 211. Cf. Schmidt-Leukel 2008: 105–114.

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Tote, lebende und heilende Worte

letztgültig verwirklicht ist. Der tathāgatagarbha könne (3) nicht nur als Bezeichnung der wahren Natur des Buddhas und aller bewusst empfindungsfähigen Wesen, sondern als Bezeichnung der wahren Natur der gesamten Weltwirklichkeit verstanden werden. Die Buddha-Natur werde entsprechend mit dem »Dharmakörper« (dharmakāya) des Buddhas und dieser wiederum mit dem wahren Wesen aller Dinge (dharmadhātu) identifiziert. 12 Die Buddha-Natur in ihrer Realpräsenz in jedem Wesen mit einem ursprünglich reinen und unbedingten Geist zu identifizieren, geht wiederum auf Lehren zurück, die bereits im Pāḷi-Kanon zu finden sind. Im Pabhassaravaggo des Aṅguttara-Nikāya und im Sāmaññaphala-Sutta des Dīgha-Nikāya finden sich Stellen, die den leuchtenden (pāḷi pabhassaram) und transluzenten (pāḷi pasanna) Grund eines von allen Verunreinigungen (pāḷi upakikilesas) befreiten Bewusstseins beschreiben. 13 Im Pāli-Buddhismus bildet dieses luminöse Bewusstsein (pabhassara-citta) aber lediglich die Basis zur Erlangung des nirvāṇas, das als subsistentes, vom Erkennen selber unabhängiges und unbedingtes Objekt der Erkenntnis gelehrt wird. 14 Im Mahāyāna-Buddhismus hingegen wird dieser leuchtende Grund des Bewusstseins nun von einigen Sūtras mit der allgemeinen BuddhaNatur und diese wiederum mit dem nirvāṇa selbst identifiziert. So beschreibt das Laṅkāvatāra-Sūtra den tathāgatagarbha als von Natur aus hell, rein und unbefleckt (prakṛti-prabhāsvara-viśuddhy-ādi-

Cf. Schmidt-Leukel 2008: 111. Sutton unterscheidet ebenfalls drei Bedeutungsdimensionen des Begriffes als »›Essence‹ of Buddhahood, as ›Germ‹ (or ›Embryo‹), and as ›Matrix‹ (or ›Womb‹) of all things in the universe« voneinander. Sutton 1991: 76. Neben seiner ontologischen Dimension als dharmakāya und dharmadhātu umfasst der Begriff der Buddha-Natur folglich psychologische, epistemologische und soteriologische Konnotationen. Cf. Sutton 1991: 51–78. Loy selbst vertritt eine phänomenalistische Variante dessen, was Schmidt-Leukel als dritte Interpretationsmöglichkeit beschreibt: Der tathāgatagarbha wird mit dem dharmakāya und dieser wiederum mit dem wahren Wesen aller Dinge (dharmadhātu) identifiziert, das für Loy allein in ihrer leeren Phänomenalität besteht: »[R]eferring to Buddha-nature is actually a way of denying that anything has any ›own nature,‹ any permanent nature of its own«. Loy 2009a: 105. 13 »Hell, rein, leuchtend (pabhassara), ihr Mönche, ist dieses Bewusstsein (idaṃ cittaṃ), doch es wird verunreinigt von hinzukommenden Befleckungen.« AṅguttaraNikāya 1, 10 (»Das lautere Bewußtsein I«). In: Nyānatiloka 1993a: 22. Gegenüber der im Text gegebenen Übersetzung von pabhassara mit »lauter«, übersetze ich mit leuchtend, hell und rein. Cf. Nyānatiloka 1993a: 51 f.; Dahlke 1920: 51–55. 14 Cf. Harvey 1995: 217–226. 12

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

viśuddha). 15 Durch diese radikale Immanentisierung und Interiorisierung des nirvāṇas wurde die Buddha-Natur Michael von Brück zufolge als »fundamentales reines Bewusstsein« zur »schlechthin unabhängige[n] Realität« 16. Der tathāgatagarbha wird somit in grundsätzlicher Analogie zum ātman des Advaita-Vedānta als unsere nirvāṇische Individualperspektive auf den eigenschaftslosen BuddhaGeist (dharmakāya) interpretierbar, der das wahre, unvergängliche und leidlose Wesen aller belebten und unbelebten Phänomene repräsentiert (dharmadhātu). Damit ist allerdings keine bloße Wesensgleichheit ausgesagt, sondern eine Existenzidentität postuliert: Der tathāgatagarbha ist der dharmakāya, genau so, wie für Śaṅkara der ātman identisch ist mit dem brahman. Die Vorstellung von Nondualität, die darin zum Ausdruck kommt, interpretiere ich in Analogie zum Advaita-Vedānta als asymmetrische Nondualität (advaitavāda) und die Erfahrung letzter Wirklichkeit als Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra), die der transzendental-immanenten Transzendenz der Buddha-Natur als Erst- bzw. Letztgrund unserer sinnlichen Erfahrung und allen Werdens entspricht. Für die Identifikation letzter Wirklichkeit mit der nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) und den Übergang von einer asymmetrischen zu einer symmetrischen Form der Nondualität (advayavāda) musste allerdings auch diese transzendentale Differenz noch eliminiert werden. Dabei nimmt Dōgens Lehre in der Geistesgeschichte des Buddhismus eine entscheidende Position ein. Im Busshō-Faszikel des Shōbōgenzō greift Dōgen den bekannten Satz des Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtras auf, demzufolge alle empfindungsfähigen Wesen eine Buddha-Natur haben: »All sentient beings without exception have Buddha-nature« 17 (issai shujō wa kotogotoku busshō o yusu). Indem Dōgen die linguistischen Elemente des Satzes zu issai shujō shitsuu busshō neu arrangiert, erhält der Satz eine vollkommen neue Bedeutung mit weitreichenden religiösen und philosophischen Konsequenzen: »[A]ll sentient beings–that is, all

Cf. Golzio 2010: 94. Sanskritergänzungen F. V. Brück 2007c: 119. 17 Loy 2009a: 40. Cf. Abe 1989: 27; Maraldo 2015: 135. »To raise the lion’s roar means to make it known that all beings have the Buddha Nature and that the Tathagata is eternal and does not change.« Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra. In: Yamamoto, K. 1974: 651. Eine ausführliche Diskussion des Busshō-Faszikels bietet Dumoulin 1961. 15 16

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Tote, lebende und heilende Worte

existence–is Buddha-nature.« 18 Potentialität wird somit in phänomenale Aktualität transformiert, insofern die Wesen keine Buddha-Natur mehr haben, sondern Buddha-Natur sind, wie auch Loy im Anschluss an Dōgen schreibt: »Buddha-nature is no longer an attribute of sentient beings, something that needs to be actualized. Sentient beings and ›their‹ Buddha-nature are nondual.« 19 Damit kommt die zuvor beschriebene Entwicklung innerhalb der buddhistischen Philosophie zu einem Abschluss, die über (1) die theravādische Vorstellung des nirvāṇas als einer unbedingten (asaṃskṛta) und überweltlichen (lokottara), i. e. vom saṃsāra ontologisch differenten und transzendenten Wirklichkeit über (2) dessen Immanentisierung und Gleichsetzung mit dem leuchtenden Grund des Bewusstseins des Pāḷi-Kanons im Mahāyāna-Buddhismus bis (3) zur endgültigen Negation und Absorption nirvāṇischer Transzendenz in der reinen Immanenzsphäre weltlicher Phänomenalität im Zen-Buddhismus Dōgens und dessen Adaption bei Loy verläuft. Die phänomenalistische Wirklichkeitsdeutung Dōgens lässt sich im Anschluss an Loy als zentrales Prinzip seiner hermeneutischen Analysemethode durch weitere Einzelbeispiele dokumentieren. Wie sich in der bisherigen Analyse von Loys Philosophie der Nondualität bereits gezeigt hat, enthalten die Prajñāpāramitā-Sūtras des Mahāyāna-Buddhismus eine Vielzahl paradoxaler Formulierungen nach dem Muster A ist nicht-A, deshalb ist es A. So existiert die Reinheit (A) nicht unabhängig von der Unreinheit (-A), weshalb sie bedingt und somit frei von inhärenter Existenz (niḥsvabhāva) ist. Die Reinheit in dieser wesenhaften Abhängigkeit zu begreifen, konstituiert dem Yogācāra zufolge ihre von-einem-Anderen-abhängige-Natur (paratantra-svabhāva) und negiert die Möglichkeit eines identiLoy 2009a: 40. Masao Abe (1915–2006) schreibt über Dōgens phänomenalistisches Verständnis der Buddha-Natur als Impermanenz und dessen Sicht der Welt sub specie vanitatis et vacui treffend: »This involves a complete, radical reversal of the relation of Buddha-nature to living beings […]. For, in this understanding of Dōgen, the Buddha-nature is not a potentiality, like a seed, which exists within all living beings. Instead, all living beings, or more exactly, all beings, living and nonliving, are originally Buddha-nature.« Abe 1989: 33. Diese Affirmation des phänomenal Seienden interpretiert Abe fernerhin als bewusste Negation von Selbst, Wesen und Sein: »Dōgen does not make an ontological difference, not because he is unaware of the essential difference between Being and beings, but simply because he deliberately denies the idea of Sein, which is apt to be considered as something substantial, as ontologically distinguished from Seiendes.« Abe 1989: 47. 19 Loy 2009a: 40. 18

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

tätslogischen und inhärenzontologischen Substantialismus (parikalpita-svabhāva). Ein fingiertes Phänomen nicht in seiner Interdependenz, sondern eigentlichen Inexistenz zu begreifen, bildet wiederum seine absolute Natur (pariniṣpanna-svabhāva). Bei diesem Prozess handelt es sich für Loy allerdings um keinen annihilationistischen Negationsakt, sondern um die Realisation der Phänomene in ihrer nondualen Eigentlichkeit, insofern durch die dialektische Vermittlung der Leerheit ein Phänomen zuerst in seiner illusionären Eigennatur negiert werde, um es anschließend in seiner authentischen Nicht-Natur re-affirmieren zu können. Im chinesischen Hua-yenBuddhismus sei diese Lehre zu einer totalisierenden Vision der wesenhaften Integralität der phänomenalen Wirklichkeit insgesamt weitergebildet worden, sodass hier jedes einzelne Phänomen zugleich Spiegel und Widerspiegelung aller anderen Phänomene sei: [E]ach dharma (here meaning any thing or event, and for Dogen this explicitly includes linguistic expressions) is both the cause of and the effect of all other dharmas in the universe. This interfusion means that the life of one dharma becomes the life of all dharmas, there being nothing but that dharma in the whole universe. Since no dharma interferes with any other dharma–because each is nothing other than an expression of all the others–dharmas transcend all dualism. In this way they are both harmonious with all other dharmas yet function as if independent of them. 20

Aussagen Dōgens wie »Leere ist Leere« (kū ze kū), »Berge sind Berge« (san ze san) und »Wasser ist Wasser« (sui ze sui) erscheinen also bloß oberflächlich betrachtet als semantisch redundante Tautologien und können Loys Verständnis zufolge nur vor dem Hintergrund dieser integralen Sicht der Phänomenalität richtig gedeutet werden. Indem man ein Phänomen zuerst in seiner illusionären Eigennatur negiere und es anschließend in seiner authentischen Nicht-Natur reaffirmiere, sei gleichsam das gesamte Universum in seiner homogenen und letztwirklichen Nicht-Natur miteingeschlossen. Dōgen habe diese spezifische Betrachtung und Durchdringung eines einzelnen Dharmas als ippō-gūjin bezeichnet, i. e. »the total exertion of a single dharma« 21. Indem man ein partikulares Phänomen auf diese Weise zur Geltung bringt, liegt in der erschöpfenden und ausschließlichen Erfahrung eines einzelnen Dharmas für Loy zugleich die Erfahrung 20 21

Loy 2009a: 55. Loy 2009a: 41.

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der absoluten Natur (pariniṣpanna-svabhāva) aller Dharmas begründet, ohne dass dabei die Einzigartigkeit des je einzelnen Dharmas negiert würde. 22 In dieser nondualen Dharma-Schau, die Loys nondualer Erfahrung des Existenz-Momentes (uji) eines einzelnen nirvikalpa-Erlebnisses entspricht, könne einem Dharma nur seine eigene Selbstreferentialität prädiziert werden, sodass Dōgen zu »Heideggerian-type expressions« wie »›the sky skys the sky‹« 23 komme: »If we apply this Hua-Yen view of dharmas to language, words and metaphors can be understood not just as instrumentally trying to grasp and convey truth (and thereby dualistically interfering with our realization of some truth that transcends words) but as being the truth–that is, as one of the many ways that Buddha-nature is.« 24 Zu Dōgens Techniken zählt Kim fernerhin die Restitution bestimmter Metaphern, die zu Lebzeiten Dōgens in buddhistischen Kreisen in Misskredit geraten waren oder eine dualistische Deutung erfahren hatten. So sprach man u. a. von Himmelsblumen (kūge) und kattō – verflochtenen Kletterpflanzen, die sich nicht alleine, sondern nur in einer parasitären Symbiose mit anderen Pflanzen entwickeln können – ausschließlich pejorativ im Zusammenhang mit realitätsleeren und daher aufzugebenden Illusionen oder weltlichen Anhaftungen, also allem, was den Geist verwirrt und umschlingt und auf dem Weg zur spirituellen Erleuchtung obstruiert. Der Ausspruch des Zen-Meisters Hsiang-yen Chih-hsien (gest. 898 n. Chr.) – »Das Bild eines Reiskuchens kann den Hunger nicht befriedigen« 25 – wurde Im Gabyō-Faszikel des Shōbōgenzō erläutert Dōgen ippō-gūjin wie folgt: »›The total experience of a single thing‹ does not deprive a thing of its own unique particularity. It places a thing neither against others nor against none. To place a thing against none is another form of dualistic obstruction. When total experience is realized unobstructedly (tsū o shite tsū no ge nakarashimuruni), the total experience of a single thing is the same as the total experience of all things. A single total experience is a single thing in its totality. The total experience of a single thing is one with that of all things.« In: Kim 2004: 66. 23 Loy 2009a: 41. Die japanische Sprache gestattet eine morphologische Konversion von Substantiven zu Verben durch Anschluss des Suffixes –su oder -suru. Auf diese Weise schafft Dōgen unzählige neue Verben aus Nomen, wie beispielsweise im UjiFaszikel des Shōbōgenzō: »›Obstruction hinders obstruction, and sees obstruction; obstruction obstructs obstruction–such is time.‹ The original reads: Ge wa ge o sae ge o miru. Ge wa ge o ge-suru nari, kore toki nari.« Kim 2007: 71. 24 Loy 2009a: 55. 25 Gabyō-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Dōgen 2013b: 294. Tatsächlich findet sich dieses Bild bereits in Ching-chüehs (ca. 683–750 n. Chr.) zwischen 708 und 716 n. Chr. kompilierten Aufzeichnungen über die Meister und Schüler der Laṅkāvatāra-Schule 22

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

dahingehend ausgelegt, dass das Studium der Sūtras genau so wenig zur transdiskursiven Erleuchtung führe, wie das bloße Bild eines Reiskuchens (gabyō) unseren realen Hunger stille. Auf diese Weise schufen die buddhistischen Lehren, die zur Dekonstruktion von Dualismen beigetragen hatten, neue Dualismen, deren Dekonstruktion Loy wiederum als eine herausragende Leistung Dōgens würdigt: »Dogen’s ›misinterpretations‹ revitalize these depreciated terms by denying the dualism implicit in each.« 26 So konstruiere eine dualistische Interpretation des Bildes des Reiskuchens (gabyō) eine Differenz zwischen Phänomenalität und Realität, Diskursivität und Transdiskursivität und erzeuge auf diese Weise eine Spannung zwischen den Sūtras und der Sprache als bloßem Mittel zum Zweck einer zukünftigen Erleuchtung. Für Dōgen existiert Loys Interpretation zufolge allerdings nichts Reales, das von den Bildern getrennt wäre. Das Bild des Reiskuchens steht für ihn dabei pars pro toto für jede einzelne Form der Existenz, die aus der Totalität der Phänomenalität herausgegriffen werden kann. Die ganze Welt besteht demnach aus bloßen Bildern ohne Subjekt, dem sie erscheinen und ohne etwas Abgebildetes, das in ihnen zur Erscheinung kommt. Das Bild eines Reiskuchens ist somit selbst das letztgültig Reale und Wahre, da sich nichts finden lasse, das durch die Beseitigung der leeren Phänomene gleichsam hinter denselben zum Vorschein kommen könnte. Lediglich der Irrtum der trennenden Dualität muss Loy zufolge »verlernt« 27 werden. 28 Wenn jedes Phänomen als Funktion letzter Wirklichkeit und absoluter Zustand in sich harmonisch und vollständig sei, dann könne auch die Erleuchtung nicht jenseits der Welt, sondern ausschließlich durch, als und für diese Welt leerer Phänomenalität gefunden werden. Wer in jeder einzelnen Form das Wesen der Leerheit erfasse, das unterschiedslos jede Form durchdringe, der könne die Nondualität der universalen Leerheit im Blühen einer einzelnen Blume ergreifen: »In place of the

(leng-chia shih-tzu chi): »Unless the mind attains what the mouth speaks of, you will never avoid taking on form according to your deeds. […]. Thus a picture of a cake is not fit for a meal: if you speak of feeding it to other people, how can it satisfy them?« In: Cleary, J. C. 1991: 40. 26 Loy 2009a: 42. 27 Cf. Loy 1993: 491. 28 Cf. Loy 2009a: 42.

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typical Buddhist duality between reality and delusion, ›all dharmas of the universe are the flowers of emptiness.‹« 29 Dōgen habe die von Kim beschriebenen Techniken genutzt, um mit der Freiheit eines Poeten die semantischen Möglichkeiten buddhistischer Texte zu erforschen und dabei häufig absichtlich eine dem Textsinn widersprechende, gleichwohl brillante Fehlinterpretationen buddhistischer Texte gegeben, um problematische Dualismen zu überwinden und unsere Konzepte, Metaphern, Symbole, Allegorien und Parabeln nondual zu restituieren. 30 Sprache ist für Loy im Anschluss an Dōgen daher kein instrumentelles Mittel, um Wahrheit zu kommunizieren, sondern manifester Ausdruck letzter Wirklichkeit selbst. Solange man nicht versuche, aus den Metaphern irgendeine Wahrheit abzuleiten, könnten sie als eine der vielen Daseinsformen der Buddha-Natur aufgefasst werden, die dem Geist zur Selbstvervollkommnung dienen; denn obschon der Geist nötig sei, um tote in lebende Worte zu verwandeln und die sprachlichen Zeichen in ihrer unmittelbaren Wirklichkeitsdimension zu realisieren, funktioniere der Geist nicht in einem Vakuum, sondern werde nur durch oder vielmehr als sprachliche Zeichen aktiviert. 31 Dieses Erwachen zur Sprache sei folglich keine Befreiung von der Sprache zu einer sprachtranszendenten Realität, sondern die Befreiung der Sprache zu einer sprachimmanenten Phänomenalität als Aktualisierung ihrer nondualen Qualität selbst. Es sei Dōgens Verdienst, den verhängnisvollen Dualismus von Sprache und Wirklichkeit explizit erkannt, negiert und damit eine fundamentale Neuorientierung buddhistischen Sprachdenkens initiiert zu haben: »What a challenge to the traditional Buddhist dualism between language and reality: the goal is not to eliminate thinking but to liberate it!« 32 Allerdings will Loy auf diese Weise keinesfalls die instrumentelle Funktion der Sprache auf der relativen Ebene weltlich-verhüllter Loy 2009a: 42. Cf. Loy 2009a: 39, 51. 31 Cf. Loy 2009a: 44. Dem vom chinesischen Ch an-Meister Tung-shan Shou-ch’u/ ʾ Dongshan Shouchu (jap. Tōzan Shusho, † 990 n. Chr.) beschriebene Unterschied zwischen toten und lebenden Worten entspricht bei Loy der Unterschied zwischen einem instrumentellen und nicht-instrumentellen Verständnis der Sprache: »If there is any rational intention manifested in words, then they are dead words; if there is no rational intention manifested in words, then they are living words.« Chung-Yuan 1971: 271. Cf. Loy 2009a: 50. 32 Loy 2009a: 55. 29 30

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Sublimation: Die Restitution der Dualität in integrum

Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) und empirisch-konventioneller Lebenspraxis (vyavahāra) negieren. Die Sprache als heilsobstruktiv zu diffamieren und schließlich zu negieren, komme der Verurteilung eines unschuldigen Opfers gleich. 33 Für diejenigen, die nicht von der strukturinhärenten Dichotomie der Begriffe verblendet und in die Irre geführt würden, sei die Sprache weniger eine erlösungshinderliche Barriere als vielmehr ein unerschöpfliches Reservoir unendlicher Möglichkeiten; keine Larve und kein Schleier, hinter dem sich eine sprachtranszendente Seinssphäre oder zu intuierende Wahrheit verberge, sondern das Medium der nondualen Realität selbst. 34 Sprachliche Zeichen sind für Loy zugleich relativ betrachtet Mittel und absolut betrachtet Selbstzweck. Die Sprache dabei nur auf ihre referentielle und instrumentelle Funktion zu reduzieren, ignoriere den ippō-gūjin-Aspekt der Worte, während eine einseitige Betonung des ippō-gūjin-Aspektes die lebenspragmatische Dimension der Sprache übergehe. 35 Loy ist sich allerdings bewusst, dass weder für Nāgārjuna noch für Dōgen die Dekonstruktion der Sprache hinreichendes Mittel ist, um uns von unserer Verblendung zu befreien. Nur durch meditative Praxis sei der Schein autonomer Existenz letztendlich zu überwinden und eine irreversible Transformation unserer Erfahrung möglich: »They knew that the most important deconstruction extends beyond language to deconstruct the delusive duality between my sense of self and the world.« 36

Cf. Loy 2008: 81. Loys Interpretation findet ihre Bestätigung bei John Spackman, der ebenfalls für ein phänomenalistisches Verständnis der Sprache bei Dōgen argumentiert: »Since every aspect of the universe represents, in his [Dōgens; F. V.] conception, the ›speech,‹ the ›sūtras,‹ of the Buddha-nature, words cannot be excluded from this. The conception of language embodied in all of these positive description–we might call it an expressive conception–differs from the representationalist view in that while representationalism pictures language as aiming to capture an independent reality, the expressive conception views language as nondually related to the reality it expresses.« Spackman 2006: 444. 35 Cf. Loy 2009a: 58. 36 Loy 2009a: 46. 33 34

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5. Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

5.1. Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung Als ein Grund für die Entstehung der Lehre von der primordialen Erleuchtung (chin. pen-chüeh/benjue, jap. hongaku) kann in der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Buddhismus der Versuch betrachtet werden, eine Erklärung dafür zu geben, wie das unbedingte (asaṃskṛta) nirvāṇa das Ziel des Erlösungsweges sein kann, ohne es auf diese Weise sogleich zu etwas Bedingtem (saṃskṛta) und dem Konditionalnexus zufolge, wonach alles, was bedingt entsteht, auch vergeht, gleichzeitig zu etwas Vergänglichem zu machen. 1 Sind wir aufgrund der inhärenten Realpräsenz unserer nirvāṇischen BuddhaNatur (tathāgatagarbha) aber bereits ursprünglich erleuchtet, dann Jacqueline Stone hat die Ursprünge dieser Lehre auf das Chin-kang san-mei ching (skt. vajrasamādhi-sūtra), das Jen-wang ching und vor allem das extrem einflussreiche Ta-sheng chʾ i-hsin lun/Dasheng Qixinlun (skt. mahāyānaśraddhotpāda-śāstra) zurückgeführt. Robert E. Buswell ist in seiner Übersetzung des Vajrasamādhi-Sūtras und seinen Textstudien zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich dabei um einen ursprünglich koreanischen Text handeln muss. Cf. Buswell 2007. Das Jen-wang ching (engl. Prajñāpāramitā Sūtra of the Benevolent Kings; jap. ninnō-kyō) liegt in den Übersetzungen von Kumārājīva und Amoghavajra (704–774 n. Chr.) vor. Laut Swanson handelt es sich dabei aber um ein Apokryphon chinesischen Ursprungs aus der Mitte des 5. Jahrhunderts. Cf. Swanson 1989: 45–50. Das MahāyānaśraddhotpādaŚāstra wird traditionell dem indischen Dichter Aśvaghoṣa zugeschrieben. Es soll dann von Paramārtha (499–569 n. Chr.) ins Chinesische übertragen worden sein. Mittlerweile geht man allerdings davon aus, dass es sich um einen apokryphen Text handelt, der im 6. Jahrhundert in China entstanden ist. William H. Grosnick vertritt die These, dass der Text von Paramārtha selbst verfasst wurde und somit wieder indischen Ursprungs wäre. Es besteht laut Paul Williams allerdings kein ernst zu nehmender Zweifel mehr daran, dass der Text in der chinesischen Sprache abgefasst wurde. Cf. Grosnick 1989; Williams 2010: 110, 115–119. »Japanese hongaku thought would be indebted not only to the specific category of ›original enlightenment‹ set forth in the Awakening of Faith and developed in its commentaries, but more broadly to the great totalistic systems of Chinese Buddhist thought, especially those of Hua-yen and T’ien-t’ai«. Stone 2003: 6. Cf. Park 2012: 151–222. 1

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

ist das derart immanentisierte nirvāṇa als ursprünglich reiner Geist auch nicht von unserer spirituellen Praxis abhängig und folglich nicht vergänglich. Damit konnte die hongaku-Lehre zwar ein Problem lösen, warf aber gleichzeitig neue schwerwiegende Fragen auf. Wenn wir bereits ursprünglich erleuchtet sind und das Ziel allen Übens bereits vollständig verwirklicht ist, wozu bedarf es dann überhaupt noch spiritueller Praxis? 2 Ein weiteres Problem stellt der allgemeine Umstand dar, dass spirituelle Praxis eine inhärent dualistische Struktur aufweist und als kausales Geschehen betrachtet wird. Im zen-buddhistischen Kontext bedeutet dies, dass ein Subjekt meditiert oder mit kōans arbeitet, um ein erwünschtes Ziel (kenshō/satori/nirvāṇa) zu verwirklichen. Wenn dieses Ziel allerdings niemals zum Objekt werden kann, da es jenseits der Dichtomie von Subjekt und Objekt liegt und auch nicht erwirkt werden kann, weil es als unbedingt und jenseits kausaler und zeitlicher Zusammenhänge gedacht wird, dann befinden wir uns in einem Dilemma: Wenn ich nicht praktiziere, wird sich an meiner existentiellen Situation nichts ändern; wenn ich praktiziere und die Übung als Mittel und die Erleuchtung als Zweck betrachte, wirke ich dem nondualen kenshō, satori und nirvāṇa gerade damit entgegen. Solange ich mich als praktizierendes Subjekt begreife, das sich eines von sich unterschiedenen Objektes willentlich bemächtigen will, kann demnach keine Praxis das eigentliche Ziel realisieren, das dieser Differenz unvordenklich vorausliegt. Für Loy ist die übliche Haltung gegenüber spirituellen Praktiken daher keine Lösung des Problems, sondern nur eine von vielen Ausprägungen des Problems selbst, da jede Methode und jede Technik, die zu einer Erleuchtungserfahrung führen soll, jenen Dualismus (Gegenwart-Zukunft/ Ursache-Wirkung) bekräftigt, dem sie entrinnen will: »It means that no religious practice–be it ritual, prayer, yoga, zazen, or anything else–can ever cause or lead to enlightenment, because enlightenment

Dieses Problem wird auch von zwei Lebensbeschreibungen Dōgens – dem Eiheijisanso-gyōgōki und dem Eihei-kōso-gyōjō-kenzeiki – als zentraler Beweggrund seiner spirituellen Suche und Reise nach China beschrieben. Cf. Heinemann 1979: 13 f. Dōgen hat diese Problematik auch in einem frühen Text, dem Fukan Zazen-gi (1227) – den allgemeinen Empfehlungen zum Zazen – adressiert: »The real way circulates everywhere; how could it require practice or enlightenment? The essential teaching is fully available; how could effort be necessary? Furthermore the entire mirror is free of dust; why take steps to polish it? Nothing is separate from this very place; why journey away?« In: Tanahashi 2000: 32 ff.

2

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Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung

is understood as that experience which cannot be characterized by such temporal or causal relations.« 3 Um dieses Paradox spiritueller Praxis zu vermeiden, unterscheidet Loy zwischen einer phänomenalen und einer essentialistischen Sicht spiritueller Praxis. Von einem phänomenalen Standpunkt aus betrachtet durchlaufen wir scheinbar einen Prozess der fortgesetzten Leerwerdung als sukzessive Entwicklung von der Verblendung hin zu einer erworbenen Erleuchtung. Von einem essentialistischen Standpunkt aus betrachtet gibt es hingegen keine Entwicklung, da wir uns ursprünglich im erleuchteten Zustand des absoluten Leerseins befinden und es eine reale Dualität zwischen Form und Leere, Verblendung und Erleuchtung tatsächlich niemals gegeben hat. Die Lösung dieses Problems übernimmt Loy von Dōgen, dessen Identifikation von Mittel und Zweck, von Praxis und Erleuchtung er als »the path of nopath« 4 bezeichnet. Als Kern von Dōgens Praxisverständnis beschreibt Loy die Lehre der »Einheit von Übung und Erleuchtung« (shushō ittō/shushō ichinyo), womit Dōgen die Sitzmeditation nicht nur zur bevorzugten Form spiritueller Praxis erhoben und sie somit gegenüber anderen Techniken, wie z. B. der Sūtra-Rezitation, Bußübungen und anderen Ritualen priorisiert, sondern die Zazen-Praxis sogar mit der Erleuchtung selbst identifiziert habe. Diese Meditationsform bezeichnet Dōgen als »nur Sitzen« (shikantaza) oder »fixiertes Sitzen« (gotsuza), womit ein vollkommen absichtsloses Sitzen gemeint sei, das ohne Streben nach einem Ziel vollzogen werde. Die Notwendigkeit der Übung beruht für Dōgen mithin nicht auf irgendeinem Mangel der »ursprünglichen Erleuchtung«, denn es gibt absolut nichts, das hervorgebracht, erworben, geändert oder gereinigt werden müsste. Diese essentialistische Perspektive spiritueller Praxis betont Dōgen im Shōbōgenzō unermüdlich: »As for the Buddha way, when one first arouses the thought [of enlightenment, which initiates one’s practice], it is enlightenment; when one first achieves perfect enlightenment, it is enlightenment. First, last and in between are all enlightenment […].« 5 Trotz dieser Ausführungen Dōgens bleibt der Zusammenhang zwischen ursprünglicher und erworbener Erleuchtung für Loy ungeklärt. Es drängt sich weiterhin die Frage auf, warum man die Zen3 4 5

Loy 1997a: 239. Loy 1997a: 239. Sesshin Sesshō. In: Cook 1983: 18. Cf. Loy 1997a: 244; Dōgen 2014: 76.

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

Praxis überhaupt braucht, wenn die Buddha-Natur nichts ist, das man erwerben, transformieren, hervorbringen oder reinigen muss, weil sie schon vollständig verwirklicht ist. Eine Antwort darauf findet Loy in Dōgens Kritik der sogenannten »Irrlehre des Śreṇika« (chin. hsien-ni wai-tao/xianni waidao; jap. senni gedō), die für Loys Theorie- und Praxisverständnis so zentral ist, dass ich sie an dieser Stelle kurz referieren werde. 6 In dem Nāgārjuna zugeschriebenen Mahāprajñāpāramitāśāstra (ta-chih-tu-lun/dazhidu lun) wird die »Irrlehre des Śreṇika« mit dem Entsager (saṃnyāsin/parivrājaka) Vatsagotra (pāḷi vacchagotta) identifiziert, der im Aggivacchagotta-Sutta der Mittleren Sammlung einen Dialog mit dem Buddha führt, in dem die avyākṛta-vastūni thematisiert werden, womit u. a. diejenige metaphysische Frage nach einem unvergänglichen Selbst (ātman) bezeichnet ist, die vom Buddha unbeantwortet blieb. 7 Während Vatsagotra die Lehre des Buddhas im Majjhima-Nikāya abschließend akzeptiert, findet sich der locus classicus der ihm zugeschriebenen Irrlehre erst im Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra. Im Gegensatz zum Pāḷi-Kanon vertritt Śreṇika-Vatsagotra hier eine eigene Position und bedient sich dabei des Gleichnisses vom brennenden Haus (skandhas) und dessen Besitzer (ātman), das der Buddha bereits im Aggivacchagotta-Sutta genutzt hatte – dort allerdings, um die entgegengesetzte Position zu illustrieren: The Self I speak of exists in what is created and is yet what is eternal. O Gautama! One happens to start out a fire in one’s house. The fire reduces it to ashes. The master of the house comes out. So we cannot say: ›As the house is reduced to ashes, the master of the house too is reduced to ashes‹. The same is the case with what goes with what I say. This created body is non-eternal. But when the non-eternal is about to start out, the self gets out. So the self I speak of is all-pervading and eternal. […]. I say that each person possesses one self. […]. [T]here are hundreds and thousands of lamps in a room. The wicks may differ, but the light differs not. 8

Diese »Irrlehre des Śreṇika« wurde ebenfalls Gegenstand einiger Kontroversen innerhalb der Chʾ an-Bewegung der Tang-Dynastie (618–907 n. Chr.). So berichten die im Jahre 1004 kompilierten Auf6 7 8

Cf. Loy 1997a: 245 f. Cf. Majjhima-Nikāya 72. In: Bodhi 2001: 590–594. Cf. Buswell/Lopez 2014: 852. Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra. In: Yamamoto, K. 1975: 962 f.

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Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung

zeichnungen von der Übertragung der Leuchte aus der Ära Ching-te (ching-te chʾ uan-teng lu/jingde chuandeng lu), dass Nan-yang Huichung/Nanyang Huizhong (jap. Nanyō Echū, 675–775 n. Chr.) die »Geist ist Buddha«-Lehre (chi-hsin shih-fo/jixin shi fo) von Ma-tsu Tao-yi/Mazu Daoyi (jap. Baso Dōitsu, 709–788 n. Chr.) als Form der Śreṇika-Häresie kritisiert hatte: The mind-nature from beginningless time has never risen or ceased. The rising and ceasing of the body is like … the snake shedding its skin or a person leaving his former home. The body is not eternal; its nature is eternal. If that is so, there is no difference between this and the heretic Śreṇika. He said, ›In this body I have a soul-nature. This nature knows pain and itching. When the body is destroyed, the soul departs. It is like a householder leaving his blazing house. The house is not eternal but the householder is‹. 9

Hui-chungs Vergleich wird verständlich, wenn man sich ein Zitat Ma-tsus ansieht, das in den Aufzeichnungen des Ahnenspiegels (tsung-ching-lu/zongjing lu) von Yung-ming Yen-shou/Yongming Yanshou (jap. Yōmyō Enju, 904–975 n. Chr.), überliefert wurde und das deutliche Parallelen zur Lehre des Vatsagotra aufweist, wie sie das Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra dokumentiert: This mind is as long-lived as space. Even though you transmigrate to multiple forms in the six destinies of transmigration, this mind never has birth and death. … The body of four elements currently has birth and death, but the nature of the numinous mind actually has no birth and death. Now you realize this nature, which is called longevity, and also called the longevity-measure of the Tathāgata and the motionless nature of fundamental emptiness. 10

Dōgen greift diese Vorstellung, derzufolge man Geburt und Tod durch die existentiell transformative Erkenntnis entgeht, dass die eiChing-te chʾ uan-teng lu (Taishō 51.437c23–25). In: Jorgensen 2005: 625. Die Aufzeichnungen von der Übertragung der Leuchte aus der Ära Ching-te bilden neben den auf das Jahr 952 n. Chr. datierten Aufzeichnungen aus der Halle der Patriarchen (tsu-tʾ ang chi/zutang ji) die zentrale hagiographische Chʾ an-Chronik der nördlichen Sung-Zeit (960–1126). Beide gehören zu den stilbildenden Chʾ an-Chroniken, die für ein Verständnis des Chʾ an-Buddhismus und dessen Selbstverständnis als einer eigenständigen buddhistischen Schule essentiell sind, da hier die Meister einer bestimmten Übertragungslinie zugeordnet werden und Albert Welter zufolge die Ursprünge des kung-an/kōan und der Textgattung des yulu/goroku, i. e. den Aufzeichnungen der Worte der Chʾ an-Meister, zu finden sind. Cf. McRae 2003: 113; Welter 2004: 137. 10 Tsung-ching-lu (Taishō 48.14.492a). In: Jia 2006: 67–82. 9

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

gene Geistnatur ewig und unwandelbar ist, während der Körper nur eine ephemere Hülle ist, in zwei Texten des Shōbōgenzō – dem Bendōwa- und Soku shin ze butsu-Faszikel – auf, um sie emphatisch zu verwerfen. 11 So lässt Dōgen den Kontrahenten in einem Abschnitt aus dem Bendōwa-Faszikel einwenden, dass es allein um die Erkenntnis der Unvergänglichkeit des Geistselbstes und dessen Verschiedenheit von allen vergänglichen Formen gehe und die Praxis des Zazen folglich nutzlos und entbehrlich sei: »Those who fail to grasp this are ever caught up in birth-and-death. Therefore, one must simply know without delay the significance of the mind-nature’s immutability. What can come of spending one’s whole life sitting quietly, doing nothing?« 12 Dōgen betont in seiner eindringlichen Antwort, dass der Buddhismus keine Dualität zwischen Körper und Geist, Substanz und Form lehre und folglich keine Rede davon sein könne, dass der Körper vergehe, während der Geist bestehen bleibe. Es sei unmöglich, auf diesem Weg Leben und Tod zu entrinnen, wenn gerade derart subEs wurde in der Forschungsliteratur darüber diskutiert, wen Dōgen an dieser Stelle eigentlich kritisiert. Es ist möglich, dass er sich damit gegen Positionen richtet, die in der von Dainichi Nōnin (um 1195) gegründeten Busshin daruma-shū (»Bodhidharmas Schule des Buddha-Geistes«) vertreten wurden. Nōnins erste unabhängige ZenGemeinde Japans wurde in der Zeit nach ihrer Gründung nicht akzeptiert und es wurde Nōnin selbst fehlende religiöse Legitimation vorgeworfen, da er sein Erwachen ohne einen Lehrer verwirklicht hatte. Aus diesem Grund schickte er im Jahre 1189 zwei seiner Schüler nach Sung-China, die dem Chʾ an-Meister Fo-chao Te-kuang/ Fozhao Deguang (1121–1203) ein Gedicht mit Nōnins Zen-Verständnis vorlegten, der seine Erleuchtung aus der Ferne (yōfu) bestätigte und seinen Schülern ein Erleuchtungszertifikat mitgab, das Nōnin als authentischen Meister in der Linie des Lin-chi-Meisters Ta-hui Tsung-kao/Dahui Zonggao (jap. Daie Sōkō, 1089–1163) auswies, dessen Schüler Te-kuang gewesen war. Trotzdem wurde die Daruma-shū bereits 1194 auf Initiative des Tendai-Klerus verboten. Viele Anhänger Nōnins wurden danach Mitglieder in Dōgens Gemeinde, deren Standpunkte in verschiedenen Passagen des Shōbōgenzō reflektiert und kritisiert werden. Bernard Faure vertritt die These, dass sich Dōgen mit der Śreṇika-Häresie daher gegen Ansichten der Daruma-shū und Shingon-Sekte richtet, »according to which, ›The mind itself is Buddha,‹ and ›This very body attains buddhahood.‹« Faure 1987: 41. Jacqueline Stone hat hingegen im Anschluss an Jikō Hazama die These vertreten, dass Dōgen an dieser Stelle auch die hongaku-Lehre der Tendai-Schule kritisiert, die er als ehemaliger Tendai-Mönch auf dem Berg Hiei (hiei-zan) gut gekannt haben muss. Cf. Stone 2003: 77–85. Näheres zur Śreṇika-Häresie bei Dumoulin 1961: 212–215. Diese Debatte hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt und wurde im »Critical Buddhism« (hihan bukkyō) von Noriaki Hakamaya und Shirō Matsumoto neu belebt. Cf. Hubbard/Swanson 1997. 12 Bendōwa-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Waddell/Abe 1971: 146. Cf. Loy 1997a: 245. 11

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Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung

stantialistische Verirrungen die ursprüngliche Ursache für Leben und Tod seien. Im Anschluss daran elaboriert Dōgen seine eigene Position, die für Loys Verständnis von Nondualität und Dōgens Lehre der »Einheit von Übung und Erleuchtung« so zentral ist, dass ich sie hier über die von Loy zitierten Zeilen hinaus ausführlich wiedergebe: You should know that the Buddha Dharma from the first preaches that body and mind are not two, that substance and form are not two. This is equally known in India and in China, and there can be no doubt about it. […] [B]irth-and-death is in and of itself nirvana. Buddhism has never spoken of nirvana apart from birth-and-death. Indeed, by understanding that the mind, separated from the body, is immutable, you mistakenly estimate that it is the Buddha-wisdom free from birthand-death. Yet the very mind that makes this discriminatory judgement is still subject to birth-and-death, and is simply not immutable. […]. Moreover, to think that birth-and-death is something to be eliminated is a sin of hating the Buddha Dharma. You must guard against such thinking. Understand this: the teaching in the Buddha Dharma that the mind-nature is the great and all-embracing characteristic of all phenomena, referring to the universe as a whole, does not make distinctions between form and nature, or speak of difference between birth and annihilation. Even enlightenment and nirvana are nothing other than this mind-nature. All dharmas–the myriad forms dense and close of the universe–are simply this one Mind, including all, excluding none. 13

Wären Geist und Form hingegen radikal voneinander unterschieden, könnte nicht erklärt werden, warum die Zazen-Praxis überhaupt notwendig sein oder sich im absichtlosen Sitzen (shikantaza) die »Einheit von Übung und Erleuchtung« realisieren soll. Wie im Advaita-Vedānta Śaṅkaras, vor dessen Negativfolie Loy das Spezifische an Dōgens Theorie-Praxis-Verständnis abheben will, könnte dann höchstens »um der vollkommenen Erkenntnis willen« auf die Meditation verwiesen werden, aber »nicht so, daß die Meditation der eigentliche Zweck« 14, geschweige denn die Erleuchtung selber wäre. Bendōwa-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Waddell/Abe 1971: 146 f. Cf. Loy 1997a: 245; Dōgen 2013a: 39. Eine ausführliche Beschreibung der Śreṇika-Häresie durch Dōgen findet sich im Soku shin ze butsu-Faszikel des Shōbōgenzō. Cf. Dōgen 2013a: 76–82. 14 Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 3, 3, 14. In: Deussen 1982: 568. Dies macht Śaṅkara auch in seinem Kommentar zu Gauḍapādīyakārikābhāṣya 3, 39–40 und 3, 48 unmissverständlich klar. Auch der von Gauḍapāda gelehrte asparśayoga sei nicht das Absolute selbst, sondern lediglich für diejenigen Yogis gedacht, deren Verständnis 13

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

Tatsächlich sanktioniert Śaṅkara nicht nur yogische und meditative Praktiken, sondern auch die rituellen (Opfer-)Werke der brahmanischen Lebensstadien (āśrama-dharma), insofern sie als probates »Mittel für das Zustandekommen des Wissens« 15 instrumentalisiert werden. Śaṅkaras Position findet sich in seinem Kommentar zu den Brahmasūtras zusammengedrängt auf den einen Satz: »[N]ämlich wenn das Wissen erst zu Stande gekommen ist, so nimmt es zur Verwirklichung seiner Frucht keine Rücksicht mehr auf irgend etwas anderes; aber zum Zwecke seines Zustandekommens nimmt es eine solche Rücksicht.« 16 Nachdem der Mensch die Irrealität aller begrenzenden Formbestimmungen (upādhis) und damit seiner eigenen Individualität durch das erlösungskonstitutive Transzendenzwissen um die Identität von brahman und ātman (brahmātmavijñāna) realisiert hat, erfährt er die Erlösung zu Lebzeiten (jīvanmukti) und kann existentiell gegründet (sthitaprajña/aparokṣajñānaniṣṭhā) in das selbstevidente und zweitlose Selbst (svataḥsiddhādvitīyātmā) fortan frei und erlöst wirken. Hat man diesen Zustand einmal erreicht, wird jede fortgesetzte spirituelle Praxis indessen sinnlos. 17 Dōgens charakteristisches Praxisverständnis, das von demjenigen Śaṅkaras radikal unterschieden ist, zeichnet sich besonders deutlich vor dem Hintergrund seiner eigenen Erleuchtungserfahrung ab, die er als »das Abwerfen von Körper und Geist« (shinjin-datsuraku) bezeichnet und von der folgende Anekdote überliefert wird: Als eines Morgens während der Zazen-Übung im berühmten Tʾ ien-tʾ ung-/ Tiantong-Kloster ein Schüler neben ihm einschlief, soll Dōgens Lehrer Tʾ ien-tʾ ung Ju-ching/Tiantong Rujing (jap. Tendō Nyōjo, 1163– 1228), den Mönch geschlagen und ihm gesagt haben: »Zazen ist das Abwerfen von Körper und Geist (shinjin-datsuraku)!« Daraufhin soll Dōgen plötzlich tief erleuchtet worden sein. Als Dōgen später zu Nyōjo ging, in der Dharma-Halle Weihrauch entzündete und sich vor ihm niederwarf, fragte dieser Dōgen: »Warum tust du das?« Dōgen unterentwickelt sei: »All such ideas–e. g. the control of the mind and so on, creation resembling the evolution of forms from earth and gold, and meditation–have been spoken of as the means leading to the realization of the supreme Reality as It is in Itself [paramārthasvarūpa]; but these have not been spoken of as supremely true in themselves [na paramārthasatyeti].« Gauḍapādīyakārikābhāṣya 3, 48. In: Gambhīrānanda 1992: 320. Sanskritergänzungen F. V. Cf. Loy 1997a: 242. 15 Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 3, 4, 26. In: Deussen 1982: 659. 16 Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 3, 4, 26. In: Deussen 1982: 659. 17 Cf. Loy 1997a: 240 ff.

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Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung

antwortete darauf »Ich bin hierher gekommen als einer, dessen Körper und Geist abgeworfen sind!«, woraufhin sein Meister entgegnete »Abwerfen von Körper und Geist. Abgeworfen sind Körper und Geist!« 18 Was Dōgen Loys Interpretation zufolge als shinjin-datsuraku erfuhr, war kein unwandelbares und aller Form enthobenes Geistselbst (ātman), sondern die leere Phänomenalität eines »abgefallenen Körpers und Geistes«: »[B]ody and mind now empty, but not further negated or dismissed as avidyā.« 19 Mit dieser speziellen Form nondualer Leiberfahrung stehe Dōgen nun in einem fundamentalen Widerspruch zu Śreṇika und Śaṅkara, die den Körper als wandelbare und endliche Form vom wahren Geistselbst unterscheiden und negieren würden. Bei Dōgen werde der Körper zwar als leer erfahren, aber zusammen mit dem Rest der Phänomenalität gleichzeitig emphatisch affirmiert. Dōgens Praxisverständnis sei nur vor diesem Hintergrund der Nondualität von Leere und Form verständlich, die den Körper und alle Erscheinungen nicht einfachhin negiere, sondern als letzte Wirklichkeit sublimiere und integriere. Das Paradox spiritueller Praxis löst sich für Loy allerdings erst in einer Geschichte endgültig auf, mit der Dōgen den Genjōkōan-Faszikel beschließt: As Zen master Pao-ch’ê of Ma-ku shan was fanning himself, a monk came up and said: ›The nature of the wind is constancy. There is no place it does not reach. Why do you still use a fan?‹ Pao-ch’ê answered: ›You only know the nature of the wind is constancy. You do not know yet the meaning of it reaching every place.‹ The monk said: »What is the meaning of ›there is no place it does not reach‹ ?« The master only fanned himself. The monk bowed deeply. 20 Cf. Shimizu 1981: 51. Hee-Jin Kim erwähnt Dōgens Erleuchtungserfahrung im Zusammenhang mit dessen Verwendung homophoner Ausdrücke: »[T]he phrase ›the body-mind cast off‹ (shinjin datsuraku) never appears in Dōgen’s master Juching’s works. Another expression ›the mind’s dust cast off‹ (shinjin datsuraku), however, does appear just once. It is possible […] that Dōgen might have mis-read JuChing’s ›the mind’s dust cast off‹ as ›the body-mind cast off.‹ When we consider the fact that these two expressions are homophonous in Japanese, and place this fact in the context of Dōgen’s frequent use of homophonous expressions, it is not too farfetched to suppose that he discovered the central idea of ›the body-mind cast off‹ by way of homophonous association, which in turn triggered his religio-philosophical imagination.« Kim 2007: 74. Cf. Foshay 1994: 553 ff.; Heine 1986. 19 Loy 1997a: 246. Cf. Rappe 2002: 165–207. 20 Genjōkōan-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Waddell/Abe 1972: 139 f. Cf. Loy 1997a: 247; Ōhashi/Elberfeld 2006: 48. Da Loys Buddhismusinterpretation stark von Dōgen beeinflusst ist, ist ein kurzer Hinweis auf Dōgens spezifisches Verständnis der kōan18

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Die Frage des Mönchs entspricht hier exakt der Frage Dōgens, die ihn ursprünglich dazu veranlasst hatte, Japan zu verlassen und eine Antwort darauf im China der Sung-Dynastie zu suchen: Wenn wir bereits ursprünglich erleuchtet sind und das Ziel allen Übens bereits vollständig verwirklicht ist, wozu bedarf es dann überhaupt noch spiritueller Praxis? In der Antwort von Ma-ku Pao-ch’e/Magu Baoche (jap. Mayoku Hōtetsu, ca. 8./9. Jh.), einem Schüler Ma-tsus, liegt Loy zufolge nun die Dōgen-spezifische Lösung für das Paradox spiritueller Praxis. 21 Die Antwort Pao-ch’es sei nun nicht so zu verstehen, dass ohne die tatsächliche Bewegung des Fächers die Beständigkeit des Windes nur eine verborgene und leere Wirklichkeit sei, denn dies wäre eine weitere dualistische Auffassung, derzufolge die BuddhaNatur aus einem Zustand der Latenz in die Aktualität überführt werden müsste: Wenn die Buddhanatur hier und jetzt tatsächlich vollständig manifestiert sei, müsse auch jede Vorstellung von Dualität zwischen dem Wind und dem Meister überwunden und erkannt werden, dass das Fächeln des Meisters die Beständigkeit des Windes ist und seine Aktivität selbst die Manifestation des Windes ist. 22 Vor diesem Hintergrund legt Loy nun die zentrale Aussage aus dem Bendōwa-Faszikel aus, in dem Dōgen schreibt:

Praxis angezeigt. Neben seinem Shōbōgenzō, das eine Vielzahl von kōan-Interpretationen enthält, hat Dōgen eine eigene Sammlung von 300 kōans (shōbōgenzō sambyakusoku) kompiliert. Cf. Loori/Tanahashi 2005. Ein häufig wiederkehrendes kōan im Werk Dōgens ist beispielsweise das hi-shiryō-kōan: »Indem man kerzengerade und gesammelt sitzt, denkt man das Nicht-Denken. Wie denkt [Shiryô] man das Nicht-Denken [Fushiryô]? Kein Denken [Hishiryô]. Dies ist die wesentliche Kunst des Zazen.« Zazengi-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Göbel 2001: 177. Göbel unterscheidet (1) das kōan als Verwirklichung der Wahrheit und im Leben realisiertes und offenbargewordenes kōan (genjō-kōan) und (2) das kōan als Mittel, um die Erleuchtung zu erlangen (kanna-zen), voneinander. Dōgen habe kōans nicht in der Weise des kanna-Zen verwendet, da er die Einheit von Übung und Erleuchtung (shushō ittō) gelehrt und eine kausale Interpretation spiritueller Praxis grundsätzlich abgelehnt habe. Göbel fasst Dōgens kōan-Verständnis daher folgendermaßen zusammen: »Dôgen geht es nicht um das Hervorbringen eines Erleuchtungserlebnisses, sondern um das Offenbarwerdenlassen dessen, was bereits da ist. […]. Die Kôans sind ihrer Funktion als Mittel zur Erleuchtung gänzlich entkleidet und sind stattdessen immer bereits Ausdruck und Realisation der Erleuchtung. Dôgen lehrt das Offenbarwerden des Kôans (jap. Genjô-Kôan). Das Kôan ist die Erleuchtung selbst. Es ist Mittel und Zweck, Praxis und Meta-Praxis, in einem.« Göbel 2001: 208. 21 Cf. Poceski 1992: 73, 119 f. 22 Cf. Loy 1997a: 247.

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Theorie: Die Nondualität von Übung und Erleuchtung

In the Buddha Dharma, practice and realization are identical. Because one’s present practice is practice in realization, one’s initial negotiation of the Way in itself is the whole of original realization. Thus, even while one is directed to practice, he is told not to anticipate realization apart from practice, because practice points directly to original realization. As it is already realization in practice, realization is endless; as it is practice in realization, practice is beginningless. 23

Vergegenwärtigt man sich, dass Loy den nondualen nirvikalpa-Erlebnisfluss aktiv persistierender und selbstleuchtender Lichtprozesse im Anschluss an Dōgen als nonduale Erfahrung der Zeit im stehenden und fließenden Jetzt (nunc stans et fluens) interpretiert, wird deutlich, warum die Praxis des shikantaza von Loy mit der Erleuchtung identifiziert wird. Für Loy sind alle einzelnen nirvikalpa-Erlebnisse absolut und vollkommen in ihrem jeweiligen Existenz-Moment (uji) und diesem Verständnis letzter Wirklichkeit entspricht allein das vollkommen absichtsfreie Gewahren der reinen Präsenz eines jeden einzelnen Momentes, wie es im »fixierten Sitzen« (gotsuza) des Zazen bereits vollständig verwirklicht ist. Der Geist verweile in der ZenPraxis gelassen in seiner Formlosigkeit und weil es eben jenes form,ziel- und absichtslose Wesen des Geistes sei, das verwirklicht werden müsse, könne man eine solche Praxis auch nicht von ihrem Ziel unterscheiden. 24 Da es keinen zeitlosen, von aller Phänomenalität getrennten Geist für Loy gibt, hat die nirvikalpa-Erfahrung kein Ende und weil die Praxis absichtslosen Sitzens die nirvikalpa-Erfahrung verwirklicht, hat auch die Praxis des absichtslosen Sitzens kein Ende: »[P]ractice is the natural way in which one’s ›original enlightenment‹ manifests itself. […]. And for Dōgen zazen is the example par excellence of the ippō-gujin manifesting human Buddha-nature.« 25 Damit werde allerdings nicht die Wirklichkeit und Bedeutung der Erleuchtung von einem relativen Standpunkt aus geleugnet, wie Loy abschließend erklärt: Done in such a fashion–not seeking or anticipating any effects–zazen in itself gradually transforms my character, and eventually I am able to realize clearly that the true nature of my mind and that of the universe are nondual. Zazen, however, cannot be said to cause this experience: enlightenment is always an accident […] but practice undeniably Bendōwa-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Abe 1992: 24. Cf. Loy 1997a: 244; Dōgen 2013a: 37. 24 Cf. Loy 1997a: 243 f. 25 Loy 1997a: 248. 23

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

makes us more accident-prone. Nonetheless, the way in which this noseeking mind thereafter cultivates and manifests itself is through practice, for this no-seeking mind can deepen itself endlessly. 26

Tatsächlich wurde der phänomenalen Sicht spiritueller Praxis und dem erworbenen Erleuchtungserlebnis (kenshō) im Sanbō-Kyōdan eine zentrale Rolle eingeräumt. Die von Harada inaugurierte Praxis stellt dabei dem sōtō-typischen Verständnis der Zazen-Praxis die rinzai-spezifische kōan-Meditationsmethode gleichberechtigt zur Seite und ist primär auf den unvermittelten Einbruch des kenshō-Erlebnisses ausgerichtet, das als eigentlicher Kern des Zen-Buddhismus betrachtet wird. Dennoch sind hinsichtlich der Klarheit dieser Erfahrung Gradunterschiede möglich, die in keinem Widerspruch zur essentialistischen Annahme ursprünglicher Erleuchtung stehen. Im praktischen Vollzug folgt der ersten authentischen »Wesensschau« (kenshō) daher die graduelle Kultivierung dieser Erfahrungsdimension bis hin zum höchsten Grad an Sublimierung und Subtilität (satori). Historisch betrachtet geht Loys spezifisches Verständnis des Erleuchtungsprozesses auf Chʾ eng-kuans/Chengguans (738–839 n. Chr.) Unterscheidung einer initialen (chieh-wu) und einer vollkommenen Erleuchtungserfahrung (cheng-wu) sowie Kuei-feng Tsung-mis/Guifeng Zongmis (780–841 n. Chr.) Lehre der »plötzlichen Erleuchtung (Subitismus) gefolgt von stufenweiser Kultivierung (Gradualismus)« zurück, die Loy als kenshō und daigo-tettei aus seiner Tradition übernimmt, sodass sich ein dreistufiger Pfad aus anfänglicher Einsicht (kenshō/chieh-wu), gradueller Kultivierung (chien-hsiu) und vollständiger Erleuchtung (daigo-tettei/cheng-wu) für ihn ergibt: »Although there has been considerable controversy in Buddhism about whether the awakening experience is sudden or gradual, most Zen teachers emphasize that genuine enlightenment, in contrast to the ardous practice preparing for it, is instantaneous. […]. Moreover, it can vary greatly in degree, from slight tip-of-the-tongue kensho to the great awakening of daigo tettei. The depth of one’s experience usually accords with the length and intensity of one’s practice, but not always.« 27

26 27

Loy 1997a: 248. Loy 2009a: 103. Ausführlich dazu Gregory 2002: 192–205.

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Praxis: Die De-Automatisierung der Erfahrung

5.2. Praxis: Die De-Automatisierung der Erfahrung Vor der im Hintergrund stets mitzudenkenden Nondualität von Übung und Erleuchtung besteht das konkrete Ziel spiritueller Praxis für Loy in der meditativen Entrealisierung der Subjekt-ObjektSpaltung, die in einer existentiellen Neugestaltung unserer Wahrnehmungsgrundlage (skt. āśraya-parivṛtti/āśraya-parāvṛtti, chin. chuan-i, tib. gnas gyur pa) kulminiert. 28 Soteriologisches Ziel sei »a return to nirvikalpa perception to reach ›the end of duḥkha‹–which is the most common Pāli description of nirvana.« 29 Loy greift an diesem Punkt Heidegger auf, der gegen die Annahme einer reinen Erfahrung in Sein und Zeit (1927) eingewendet hatte, dass man niemals Geräusche und Lautkomplexe, sondern immer schon konkrete Dinge, wie z. B. ein Motorrad vernehme. Es bedürfe einer »sehr künstlichen und komplizierten Einstellung«, um ein »reines Geräusch« zu »hören«. Dass wir hingegen unmittelbar Motorräder und Wagen hören, sei der phänomenale Beleg dafür, dass sich unser Dasein als In-der-Welt-sein schon immer beim »innerweltlich Zuhandenen« aufhalte und zunächst gar nicht bei »Empfindungen« 30. Loy plädiert gegenüber Heidegger dafür, dass wir niemals unmittelbar ein Motorrad hören, sondern immer undifferenzierte Lautkomplexe und reine nirvikalpa-Erlebnisse die Basis für spätere Assoziationen mit »innerDieses traditionelle Konzept wird von Loy entsprechend seiner eigenen Philosophie neu gedeutet: »Some Buddhists sutras talk about paravritti, a ›turning around‹ that transforms the festering hole at my core into a life-healing flow which springs up spontaneously from I-know-not-where.« Loy 2008: 22. Einen Überblick über die verschiedenen traditionellen Modelle der Lehre der »Neugestaltung der Grundlage« gibt John Makransky: »Yogācāra literature contains many different models for the basis (āśraya), some inherited from early Buddhism (skandhas, dhātus, āyatanas) and some that are Mahāyāna or specifically Yogācāra concepts (samalā-tathatā, alayavijñāna, saṃkleśa-bhāga paratantra-svabhāva). Through the practice of the Mahāyāna path, the basis is utterly transformed (parāvṛtti/parivṛtti) into one of the Mahāyāna models of enlightenment: the purified dharma realm (dharmadhātu-viśuddha), the undefiled realm (anāsrava-dhātu), purified thusness (tathatā-viśuddha), nonconceptual gnosis (nirvikalpa-jñāna), embodiment of dharma (dharmakāya), the perfect nature (pariniṣpanna). At the stage of the literature at which the three kāyas appear, all such models are considered equivalent to each other.« Makransky1997: 63. 29 Loy 1997a: 49. Dabei beruft sich Loy auf Edward Conze (1904–1979), der diesem Ansatz ebenfalls verpflichtet gewesen sei: »The task is to bring the process back to the initial point, before any ›superimpositions‹ have distorted the actual and initial datum.« Conze 2009: 65. Cf. Loy 1997a: 45. 30 Heidegger 2006: 163 f. 28

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Realisation: Spirituelle Praxis und nonduale Erleuchtung

weltlich Zuhandenem« bilden. Das wahrnehmende Subjekt müsse das akustische Material zuvor visuell mit einem Motorrad identifiziert haben, um überhaupt eine Verbindung herstellen zu können. Diese Assoziation sei im späteren Prozess auditiver Wahrnehmung allerdings kein bewusster Akt mehr, sondern automatisiert; dennoch höre man niemals direkt das Motorrad, sondern nur Tondaten, die aufgrund einer früheren Erfahrung nun unmittelbar und unbewusst mit einem Motorrad identifiziert würden. 31 Dieser Prozess der verstandesmäßigen Bestimmung unserer Sinneseindrücke kann nun Loy zufolge nicht nur radikal dekonstruiert, sondern auch tatsächlich de-automatisiert werden. Dabei beruft er sich auf Experimente, die Arthur J. Deikman (1929–2013) in den 1960er Jahren durchgeführt hat. Während der Experimente saßen die Probanden in einem Raum mit gedämpftem Licht und mussten sich in unterschiedlich langen Versuchsreihen auf eine ca. 25 cm hohe blaue Vase konzentrieren. Die Personen berichteten dabei von Veränderungen ihrer Wahrnehmung, die Deikman als Folge einer De-automatisierung interpretierte, i. e. als ein Unterbrechen des automatischen Prozesses, der Wahrnehmung und Erkennen steuert. 32 Die Ergebnisse seiner Versuchsreihen und die Implikationen seiner Experimente hat Deikman folgendermaßen zusammengefasst: The meditation procedure described in this report produces alterations in the visual perception of sensory and formal properties of the object, and alterations in ego-boundaries–all in the direction of fluidity and breakdown of the usual subject-object differentiation. The phenomena are consistent with the hypotheses that through contemplative meditation de-automatization occurs and permits a different perceptual and cognitive experience. 33 If, as evidence indicates, our passage from infancy to adulthood is accompanied by an organization of the perceptual and cognitive world that has its price the selection of some stimuli to the exclusion of others, it is quite possible that a technique could be found to reverse or undo, temporarily, the automatization that has restricted our comCf. Loy 1997a: 80. Cf. Deikman 1982: 136 f. Deikmans gesammelte Artikel zu diesem Thema wurden publiziert als Deikman 2014a. Zum Thema auch Brown, D./Engler 1988. Näheres zur Deautomatisierung von Kategorisierungsprozessen bei Biesinger/Kießlinger 2002. 33 Cf. Loy 1997a: 85. Loy gibt keine bibliographischen Angaben, sondern nennt lediglich Namen und Jahrgang des Journals. Die betreffenden Artikel wurden veröffentlicht als Deikman 1963 und Deikman 1966. Loys Zitat stammt aus: Deikman 1963: 342. 31 32

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Praxis: Die De-Automatisierung der Erfahrung

munication with reality to the active perception of only a small segment of it. Such a process of de-automatization might then be followed by an awareness of aspects of reality that were formerly unavailable to us. 34

Für Loy sind Deikmans Experimente ein entscheidendes Indiz dafür, dass der Prozess unserer Wahrnehmung durch spirituelle Praxis nicht nur de-automatisiert und in seinen nondualen nirvikalpa-Modus transformiert, sondern auch die Kernillusion eines autonomenen Subjektzentrums in intentionslosen Versenkungszuständen (samādhi) vernichtet werden kann. Die spirituelle Praxis, die Loy zu diesem Zweck instrumentalisiert, verbindet dabei das sōtō-typische Verständnis kontinuierlicher Sitzmeditation (zazen) in der Interpretation Dōgens (shikantaza) mit der rinzai-spezifischen kōan-Meditationsmethode des kanna-zen. Der phänomenalen Sicht spiritueller Praxis entspricht dabei primär die Arbeit mit den kōans, die während der Meditation gezielt zur Erlangung des unvermittelten kenshō-Erlebnisses eingesetzt werden, aber auch die drei Yogas aus der Bhagavadgītā legt Loy dahingehend aus. Diese beiden Formen spiritueller Praxis gilt es im Folgenden zu analysieren. Loys Zitat stammt aus Deikman 1966: 113. Cf. Loy 1997a: 85 f. Deikmans Experiment weist dabei deutliche Parallelen zu den klassischen kasiṇa-Übungen des Buddhismus auf. Kasiṇa (skt. kṛtsna) bedeutet so viel wie »ganz, gesamt, vollständig«. In den kanonischen Texten werden insgesamt zehn Objekte zur Erlangung der Versenkung (kasiṇāyatāni) voneinander unterschieden, i. e. ein kasiṇa der Erde (paṭhavi), des Wassers (āpo) des Feuers (tejo), des Windes (vāyo), ein blaues (nīla), ein gelbes (pīta), ein rotes (lohita) und ein weißes (odāta) kasiṇa sowie ein Licht- (āloka) und ein Raumbegrenzungskasiṇa (paricchinnākāsa). Friedrich Heiler (1892–1967) gibt folgende Beschreibung der kasiṇa-Übung: »Eines dieser Objekte fixiert er krampfhaft solange, bis das Nachbild, der ›innere Reflex‹, der beim Schließen des Auges bleibt, so deutlich ist wie das Wahrnehmungsbild. Es handelt sich hier um die pathologische Steigerung eines bekannten Wahrnehmungserlebnisses; das Nachbild, das normalerweise nur einige Sekunden anhält, wird auf autosuggestivem bzw. halluzinatorischem Wege prolongiert. Hat sich der Asket durch diese Yoga-Übung des ›inneren Reflexes‹ bemächtigt, so verläßt er das kasiṇa-Objekt und betrachtet an einem anderen Orte dieses innere Bild, bis er von diesem wiederum ein ›Nachbild‹, einen Reflex zweiten Grades erlangt hat. […]. Wenn der sich versenkende Mönch lange Zeit dieses schattenhafte sekundäre Nachbild des kasiṇa-Objektes anstarrt, so verflüchtigt es sich allmählich und an seine Stelle tritt die bildlose Vorstellung des unendlichen Raumes; die erste arûpa-Stufe ist damit erreicht.« Heiler 1922: 26 f. Cf. Aṅguttara-Nikāya 1, 455– 464; 10, 25–26; 10, 29 In: Bodhi 2012: 127 f., 1370 f., 1380; Dīgha-Nikāya 33. In: Walshe 1995: 508; Majjhima-Nikāya 77. In: Bodhi 2001: 640. Eine ausführliche Beschreibung bietet Buddhaghoṣas Visuddhimagga 113; 118–177; 327. In: Nyānatiloka 1975: 135, 141–208, 373. Cf. Takeuchi 1972: 43 ff.; Maithrimurthi 1999: 21 ff.

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5.2.1. Die drei Yogas der Bhagavadgītā als korrelative Wege zum Nicht-Selbst Im Verlauf seiner Unterweisung lehrt Kṛṣṇa in der Bhagavadgītā verschiedene Yogas oder Wege (marga) zu Gott, die als Yoga der Erkenntnis (jñāna-yoga), Yoga der Hingabe und Gottesliebe (bhaktiyoga) und Yoga des Handelns und Dienens (karma-yoga) voneinander unterschieden werden. 35 Die exegetische Frage, in welchem Verhältnis diese drei Yogas zueinander stehen und welcher von ihnen das Zentrum der Bhagavadgītā bildet, hat seit den frühesten Kommentaren, beginnend mit Śaṅkaras, ganz unterschiedliche Deutungen erfahren, ohne dass in der bisherigen Rezeptionsgeschichte eine einheitliche Antwort darauf gefunden worden wäre. Lehrt die Bhagavadgītā in ihrer heutigen Textgestalt das Ideal einer auf Kṛṣṇa gerichteten Form des bhakti-yoga als höchste Form der Yogapraxis oder liegt das letzte Ziel aller Anweisungen im jñāna- oder karmayoga? Werden die Erlösungswege des karma-, jñāna- und bhaktiyoga vielleicht sogar als gleichwertige Alternativen einer integralen Praxis dargestellt? 36 Bevor ich mich Loys Beantwortung dieser Frage im Einzelnen zuwende, werde ich mit den Auslegungen Śaṅkaras, Rāmānujas und Bāḷ Gaṅgādhar Ṭiḷaks (1856–1920) kurz drei paradigIm Gegensatz zu Loy unterscheidet Ramakrishna Puligandla insgesamt vier Yogas voneinander, i. e. jñāna- karma-, bhakti- und rāja-yoga und definiert letzteren als »path of psycho-physiological exploration«: »Patañjali’s Yoga-Sūtras is the classic text on Rāja-yoga, also called the Aṣṭāṅga-yoga, meaning the eight-limbed yoga. […]. The aim of Rāja-yoga […] is knowledge and experience of ultimate reality. Rāja-yoga realizes this aim through experimental inquiry into the psycho-physiological makeup of the human being.« Puligandla 1997: 7. Loy erwähnt das Yoga-System des Patañjali zwar, unterscheidet aber rāja-yoga nicht als eigenen Weg, sondern betrachtet meditative Techniken als integralen Bestandteil aller drei margas. Cf. Loy 1997a: 280. 36 Angelika Malinar zufolge wird von den Endredaktoren an keiner Stelle eine Synthese vorgenommen und die Gleichwertigkeit der drei Yogas, sondern deren Hierarchisierung gelehrt, wobei »bhakti in den theistischen Schichten zum idealtypischen und höchsten Erlösungsweg« werde. Malinar 1996: 319. Michael von Brück betont demgegenüber, dass bhakti eine Form von karman sei, womit das »dem dharma gemäße und pflichtgetreue Handeln in Hingabe an die Welt, d. h. an Gott« bezeichnet werde, »der in den Erscheinungen der Welt gegenwärtig« sei. Dieser Zusammenhang müsse aber gewusst werden, insofern »die Erkenntnis der Präsenz Gottes in jeder Erscheinung sowie in jedem Denk- und Handlungsakt des Menschen (jñāna)« die »Voraussetzung für das in der Gītā empfohlene Handeln ebenso wie für die bhakti« sei. Bhakti könne daher als »intellektuelle Liebe« bezeichnet werden, da sie auf »kognitiven Voraussetzungen« aufbaue. Brück 2007b: 173 f. 35

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matische Interpretationen der Bhagavadgītā vorstellen, die jeweils einen der drei Yogas zum höchsten Yoga erklären und vor deren Hintergrund die spezifischen Besonderheiten von Loys buddhistischer Interpretation Kontur gewinnen. In der Einleitung (upodghāta) zu seinem Kommentar zur Bhagavadgītā erklärt Śaṅkara, dass der alleinige Zweck des gītāśāstras in der Vernichtung (saṃkṣepa) des saṃsāra und seiner Ursache (hetu) bestehe, die nur realisiert werde, wenn man fest gegründet in der Erkenntnis des Selbst (ātmajñānaniṣṭha) stehe. 37 Unsere Erlösung ist Śaṅkara zufolge überhaupt nichts, das bewirkt werden müsste (na prasādhyam), sondern schon immer realisiert (svayaṃ prasiddhaṃ). Sie kann als solche in ihrer zeitlosen Gegebenheit nur gewusst werden, denn der Zustand der Erlösung ist laut Śaṅkara das Wesen des brahman selbst (brahma-svarūpatvān mokṣasya/brahmaiva hi muktyavasthā). 38 Es ist lediglich unsere verhängnisvolle Identifikation mit dem Nichtselbst (anātman), die aufgegeben werden muss und unser je individuelles Nichtwissen, das es zu beseitigen gilt und das in der falschen Erkenntnis (mithyā-jñāna) besteht, das höchste Selbst (paramātman), das seinem Wesen nach untätig (niṣkriya) und unbeteiligt (audāsīnya) ist, sei in den Wiedertod-Kreislauf verstrickt (saṃsāritva). 39 Die Position, dernach eine Kombination aus Handlung und Erkenntnis erlösungsnotwendig sei (jñāna-karma-samuccaya), lehnt Śaṅkara entsprechend ab, denn »überhaupt jeder Handlung Keim« sei »die Begierde durch Unwissenheit [avidyākāmabījaṃ hi sarvam eva karma].« 40 Neben den Handlungen schließt Śaṅkara auch die Realität eines personalen Schöpfergottes und die Individualität des menschlichen Wesenskerns (jīvātman) aus dem Bereich wahren Seins (pāramārthika) aus. Ein īśvara, dessen erlösender Gnade sich ein Gläubiger durch gottgefälliges Verhalten verdienen könnte, ist für Śaṅkara nur für ein im Zustand latenter Verblendung (avidyā) befangenes Individuum letztgültige Realität, weshalb er auch der bhakti keine erlösungskonstitutive Funktion beimisst. Da das Wissen um die Einheit des ātman und seine NichtTäterschaft (ātmaikatvākartṛtvajñānavatāṃ) für Śaṅkara die alleini-

Cf. Bhagavadgītāśaṅkarabhāṣya-Upodghāta. In: Gambhīrānanda 2010: 6. Cf. Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 1, 1, 4; 2, 1, 14; 3, 4, 52. In: Deussen 1982, 23 f., 282, 681. 39 Cf. Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 2, 1, 22; 2, 2, 7. In: Deussen 1982, 300, 325. 40 Bhagavadgītāśaṅkarabhāṣya 18, 66. In: Stephan 2002: 151. 37 38

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ge Ursache für das Heil ist (kevalasya niḥśrayasa-hetutvaṃ), verkörpert der Yoga der Erkenntnis (jñāna-yoga) folglich die Quintessenz der Bhagavadgītā für ihn. 41 In Rāmānujas panentheistischem Realismus, dessen personales Transzendenzkonzept mit einer synergistischen Form der Gnadenerlösung und dialogischen Spiritualität verbunden ist, die in selbstloser Hingabe und liebender Verehrung (bhakti) Gottes (īśvara) gründet, bildet die Relation zwischen Gott (viṣṇu-nārāyaṇa) und Mensch hingegen die heilskonstitutive und daher irreduzible Realdifferenz. Entsprechend unterschiedlich bewertet Rāmānuja auch das durch die Upaniṣaden (vedāntavākya) vermittelte Wissen, das für ihn im Gegensatz zu Śaṅkara kein hinreichendes Mittel, sondern lediglich die notwendige Voraussetzung zur Erlangung der Erlösung ist. Wissen (vidyā) ist für Rāmānuja ein erfahrendes Erkennen (vedanam), das Gott in vergegenwärtigender Meditation (dhyāna) und beständig festem Gedenken (dhruvānusmṛti) als höheres Selbst (paramātman) des eigenen Selbst (ātman) gewahrt. 42 Dennoch ist die erlösende und beseligende Erfahrung des brahman (brahmānubhava) nicht vom Meditierenden (upāsītā) und dessen liebender Gotteszuwendung (bhakti) allein abhängig, sondern konstitutiv auf einen Gnadenakt Gottes und dessen liebevolle Zuwendung angewiesen. 43 Das beständig feste Gedenken (dhruvānusmṛti) der unmittelbaren Heilsgegenwart des Absoluten im inwendigen Grund des Bewusstseins als »Innerer Lenker« (antaryāmin), auf den alles menschliche Dasein und die religiöse Praxis des Gläubigen final hingeordnet ist Cf. Upadeśasāhasrī-Gadyabandha 1, 2: »Das Erlösungsmittel ist das Wissen [mokṣasādhanaṃ jñānaṃ].« In: Hacker 1949: 11; Bṛhadāraṇyakopaniṣadśaṅkarabhāṣya 1, 4, 7: »Außer der Erkenntnis des Selbst und der fortdauernden Erinnerung daran [ātmavijñānatatsmṛtisaṃtāna], gibt es keinen Weg zur Unterdrückung der Bewußtseinstätigkeit. Dies verleiht der Aussage Gewißheit, daß es kein Mittel zur Erlösung [mokṣa] gibt, außer der Erkenntnis des brahman [brahmavijñāna].« In: Bauer, R. 1996: 93. Sanskritergänzungen F. V. Śaṅkara behandelt diese Frage ausführlich in seinem Kommentar zu Bhagavadgītā 18, 66. In: Stephan 2002: 140–159. Eine eingehende Auseinandersetzung mit Śaṅkaras Position findet sich bei Tiwari 1977; Olivelle 1986: 79–91; Fort 1998; Marcaurelle 2000; Leggett 2009: 119–180 und Todd 2015. 42 Cf. Oberhammer 2004: 23 f. 43 »Denn wem dieser [Ātmā] in besonderer Weise lieb ist, der kann [von Ihm] erwählt werden. Wem Er überaus lieb ist, der allein ist Ihm überaus lieb. Wie dieser in besonderer Weise Liebe den Ātmā erlangt, so gewährt sich der Erhabene eben selbst.« Śrībhāṣya. In: Oberhammer 2004: 25. 41

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und das ehrfürchtige Überdenken (upāsanam) der ontologischen Relationalität, hierarchischen Bezogenheit und unrelativierbaren NichtIdentität menschlicher und göttlicher Wirklichkeit ist es, was für Rāmānuja bhakti-yoga im eigentliche Sinne ausmacht. 44 Durch karma-yoga wird der Innere Sinn (antaḥkaraṇa) von rajas (Bewegung/ Tätigkeit) und tamas (Dunkelheit/Trägheit) gereinigt, sodass sattva (Lichtheit/Intelligenz) überwiegt (nirmalāntaḥkaraṇa), wodurch jñāna-yoga als das wahre Wissen um das eigene Selbst (ātmayāthātmyajñānam) als »Komponente« (aṃśa), »Modus« (prakāra) und »Rest« (śeṣa) Gottes entsteht, das in bhakti kulminiert: When the individual self is visualised to be of the nature of Śeṣa (subsidiary) to the Lord, and when the veil of nescience consisting in identifying the self with the body is removed by contemplation of the self generated through the performance of works without attachment to the fruits and with My propitiation as the sole objective–then supreme Bhakti to Me will originate by itself. 45

Gegenüber Śaṅkara, der den advaitisch gewendeten Yoga der Erkenntnis (jñāna-yoga) in das Zentrum seiner Gītā-Deutung rückt und Rāmānuja, der den Yoga der liebenden Gottesmeditation (bhakti-yoga) in seiner spezifisch viśiṣṭādvaitischen Auslegung als höchste Form der Yogapraxis lehrt, bestand die primäre und grundlegende Bedeutung des Textes für den indischen Nationalisten und Unabhängigkeitskämpfer Bāḷ Gaṅgādhar Ṭiḷak (1856–1920) hingegen im Yoga des Handelns und Dienens (karma-yoga). Im Zuge der wachsenden Opposition gegen die britische Kolonialmacht formierten sich im 19. Jahrhundert verschiedene orthodoxe Reformbewegungen des Hinduismus, die an »das Erwachen der Nation aus dem Alptraum der Fremdherrschaft« 46 zur demokratischen Selbstverwaltung (svarāj) glaubten und nach einem gesamtindischen Selbstbewusstsein und hinduistisches Einheitsverständnis (hindutva) strebten. Vor allem der 1828 von Ram Mohan Roy (1772–1833) begründete Brahmo Samaj oder die 1875 von Swāmī Dayānanda SarasCf. Vedārthasaṃgraha 91; 141. In: Buitenen 1992: 249, 296. Bhagavadgītārāmānujabhāṣya 12, 11. In: Ādidevānanda 2009: 404. Cf. Śrībhāṣya 4, 1, 16. In: Kimura 2004: 647; Karmarkar 1964: 993; Bhagavadgītārāmānujabhāṣya 3, 5; 6, 2. In: Ādidevānanda 2009: 122, 212 f. Eine eingehende Auseinandersetzung mit Rāmānujas Position findet sich bei Lester 1966; Raman 2004; Schmücker 2006 und Marlewicz 2010. Eine vergleichende Studie von Śaṅkaras und Rāmānujas Interpretationen der Bhagavadgītā bietet Ram-Prasad 2013: 77–115. 46 Kulke/Rothermund 1998: 350. 44 45

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watī (1824–1883) etablierte »Gemeinde der Arya« (arya samaj) verbanden ihren politischen Aktivismus mit einer Rückbesinnung auf die vedische Tradition und einer neuen Interpretationen ihrer klassischen Texte. Als geistige Grundlage musste dabei auch die Bhagavadgītā in einer Art gedeutet werden, die eine vorbehaltlose Opferbereitschaft und das aktive Engagement im indischen Freiheitskampf gegen die britische Kolonialmacht legitimierte. Als Ṭiḷak 1908 wegen öffentlicher Agitation und wiederholten Aufrufs zum Aufstand für sechs Jahre inhaftiert wurde, verfasste er während seiner Haft einen ausführlichen, von der Gītā-Interpretation Sarvepalli Radhakrishnans (1888–1975) inspirierten Kommentar zur Bhagavadgītā (Śrī Bhagavadgītā-Rahasya oder Karma-Yoga-Śāstra), der 1915 auf Mārāṭhī und 1935 auf Englisch publiziert wurde und ganz seinen politischen Ambitionen entsprach. 47 Darin vertritt Ṭiḷak die These, dass die Gītā keine gnostische und devotionale Praxis der Weltabkehr (nivṛtti), sondern das Wirken in der Welt (pravṛtti) als höchste moralische Aufgabe proklamiere. Selbst nachdem man die Erlösung mit Hilfe von jñāna oder bhakti erreicht habe, müsse man seine Pflichten (svadharma) erfüllen, um dem Wohlergehen der Welt (lokasaṁgraha) zu dienen. Dies war Ṭiḷak zufolge auch die eindeutige Aussage der Rahmenhandlung der Bhagavadgītā, denn Kṛṣṇa habe Arjuna schließlich nicht aufgefordert, ein Asketenleben zur Erlösung von der Welt durch Gnosis zu führen oder ihn mit Musik, Blumen und Tänzen zu verehren, sondern in einem gerechten Krieg mit Gleichmut gegenüber dem Ergebnis der Schlacht zu kämpfen. Śaṅkara und Rāmānuja hätten hingegen ihre eigenen Lehren in die Bhagavadgītā hineingelesen und damit entgegen der Aussageabsicht die im Text eruierbare Betonung des karma-yogas als Essenz der vedischen Religion insgesamt verdunkelt: »The conclusion I have come to is that the Gita advocates the performance of action in this world even after the actor has achieved the highest union with the Supreme Deity by Jnana (knowledge) or Bhakti (Devotion). […]. Jnana-Yoga there is, yes. Bhakti-Yoga there is, yes. Who says not? But they are both subservient to the Karma-Yoga preached in the Gita.« 48

Cf. Radhakrishnan 1911; Radhakrishnan 1921. Tilak 1935: xxv. Cf. Stevenson 1986; Robinson, C. 2013: 54–60; Rüstau 2005. Einen Vergleich von Tilaks und Śaṅkaras Interpretation der Bhagavadgītā bietet Saroja 1985. 47 48

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Diesen bei Śaṅkara, Rāmānuja und Ṭiḷak nachweisbaren Exklusivismus der offenen Einseitigkeiten versucht Loy zu überwinden, indem er ausgehend von seiner Philosophie der Nondualität die These vertritt, dass die drei Yogas eine untereinander ranggleiche Einheit bilden und letztlich zusammen praktiziert werden müssen, da sie buddhistisch betrachtet dazu dienen, die drei Geistesgifte (triviṣa) der Verblendung (moha/avidyā), der Gier (lobha/rāga) und der Aversion (dosa/dveṣa) zu transformieren, die ebenfalls in wechselseitiger Abhängigkeit stehen und wirken: We may see the three traditional yogas as types of spiritual practice that work to transform different dualistic modes of experience into their respective nondual mode. Jñāna-yoga transforms or ›purifies‹ the dualistic intellect, karma-yoga the dualistic physical body, and bhakti-yoga dualistic emotions. Jñāna changes the way I perceive the world, karma changes the way I live and act in the world, and bhakti changes the ›affective tone‹ of my being-in-the-world–all from a dualistic to a nondualistic mode. 49

Jñāna-yoga versteht Loy als Läuterung des Intellekts von aller Zweiheit und den jñānamarga damit in grundsätzlicher Analogie zu der von ihm beschriebenen Erkenntnisbewegung, die über die Negation dualistischen Denkens und die Einsicht in die Nonpluralität der Welt zu der Erkenntnis führt, dass unsere Erfahrung ihrem Wesen nach in Wirklichkeit nondual ist und damit jeder Trennung in Subjekt und Objekt vorausliegt. Erklärtes Ziel sei die Entwicklung von Gleichmut (samatva), den man nach Auskunft der Bhagavadgītā bei Erfolg und Misserfolg bewahren soll, sodass der Yogin davon unberührt bleibt, ob er etwas erlangt oder nicht erlangt. Nur wem Glück und Leid, ein Klumpen Erde und Gold, Liebes und Unliebes, Tadel und Lob, Ehre und Unehre, Freund und Feind, kurz: alle dualistischen Gegensatzpaare (dvandva) gleich seien, ruhe wahrhaft in sich. 50 Im sechsten Kapitel erklärt Kṛṣṇa folglich denjenigen zum vollkommenen jñānaYogin, der gegenüber Freunden, Gefährten und Feinden, gegenüber Neutralen, Gegnern und Verwandten sowie Guten und Bösen gleichen Sinnes sei. 51 Derart gegründet erkenne er die Einheit der Wirklichkeit in Gott und Gott in allen Dingen; er erkenne das Unzerstörbare in allem Zerstörbaren, da alles, was da ist, aus einem Bruchteil 49 50 51

Loy 1997a: 278. Cf. Loy 1997a: 280; Bhagavadgītā 14, 24–25. In: Brück 2007b: 98 f. Cf. Loy 1997a: 280; Bhagavadgītā 6, 9. In: Brück 2007b: 47.

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von Kṛṣṇas Glanz entstanden sei. 52 Entscheidend ist für Loy nun, dass der Gleichmut des Yogins nicht mit Indolenz und einer indifferenten Haltung gegenüber der Welt verwechselt, sondern als Ergebnis einer transformierten Weltwahrnehmung verstanden wird, die entsteht, »[when one draws] away the senses from the objects of sense on every side as a tortoise draws in his limbs into his shell.« 53 Vor diesem Hintergrund meditativer Praxis vertritt Loy die These, dass die Beschreibungen der Bhagavadgītā phänomenologisch auf dieselbe von ihm beschriebene nonduale Erfahrung zurückführbar sind und die unterschiedlichen Beschreibungen im Buddhismus, Vedānta und der Bhagavadgītā erst in der nachträglichen Reflexion auf diese nonduale Erfahrung entstehen. Während die Versprachlichungen natürlicherweise variierten, sei die zugrunde liegende Erfahrungsstruktur doch immer analog: One experiences an omnipresent ›something‹–not really a ›thing‹, since it has no characteristics in itself (nirguṇa)–which does not change at all although its phenomenal manifestations do, and this realization subrates phenomena so completely that all differences among them become insignificant in comparison. The most important point is that this ›something‹ is realized to be me: my own mind, birthless, deathless, and blissful. That is why ›he who knows the supreme Brahman truly becomes Brahman.‹ 54

Der Gleichmut (samatva) des jñāna-Yogins beruhe folglich auf einer solchen nondualen Erfahrung eines unwandelbaren »Grundes«, ganz gleich, ob man diesen nun nachträglich und abhängig von Sprache, Kultur und Religion als śūnyatā, nirguṇa-brahman, puruṣa oder eben Kṛṣṇa bezeichne. Wenn Kṛṣṇa sich daher als zugleich weltimmanent und welttranszendent beschreibt und von sich sagt, dass sein höheres Wesen niemals handle, während sein niederes Wesen unentwegt wirke, interpretiert Loy dies in Analogie zum Kernsatz seiner buddhistischen Interpretation der Nondualität – Form ist Leere und Leere ist Form (rūpaṃ śūnyatā śūnyataiva rūpaṃ) – und führt beide Beschreibungen auf diesselbe Erfahrung zurück. 55

Cf. Loy 1997a: 280; Bhagavadgītā 10, 9. In: Brück 2007b: 75. Bhagavadgītā 2, 58. In: Loy 1997a: 280. 54 Loy 1997a: 281. Loy zitiert hier Muṇḍaka-Upaniṣad 3, 2, 9: »Wer nämlich diesen absoluten Urgrund kennt, wird selbst zum Urgrund.« In: Slaje 2009: 364. 55 Cf. Bhagavadgītā 3, 22; 4, 13; 9, 4–5. In: Loy 1997a: 281; Brück 2007b: 22, 36, 63. 52 53

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Dem karma-yoga liegt Loy zufolge die Vorstellung zugrunde, dass die karmische Bindung an den saṃsāra nicht durch unser Handeln überhaupt, sondern primär durch die Motivation für unsere jeweiligen Handlungen verursacht wird. Entsprechend kann das Ziel spiritueller Praxis nicht darin bestehen, alle Handlungen aufzugeben und in einen kataleptischen Zustand zu verfallen, sondern die handlungsleitende Motivation von einer selbstbezogenen und eigennützigen zu einer selbstlosen und uneigennützigen zu transformieren. Durch ein solches selbstloses Handeln ohne Wünsche und Erwartungen (niṣkāma karma) werde das Handeln zum Handeln im NichtHandeln (naiṣkarmya karma), das kein karma mehr generiere und somit nicht an den saṃsāra binde. 56 Dementsprechend mahne die Bhagavadgītā auch, man solle weder an den Früchten des Handelns noch an der Vorstellung vom Nicht-Handeln anhaften. 57 Für Loy geht die Bedeutung des karma-yogas allerdings viel weiter als das Handeln des Yogins lediglich als Opfer (yajña) an īśvara zu begreifen, das fortan allein auf die Erfüllung seiner Pflichten (dharma) gerichtet ist. 58 Karma-yoga könne auch als Ausdruck nondualen Handelns und damit in Analogie zum taoistischen »Handeln des Nichthandelns« (wei-wu-wei) verstanden werden. Den Unterschied zwischen dualem und nondualem Handeln hatte Loy an das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Absichten geknüpft, die nonduale Handlungen in derselben Weise überlagern, wie Gedanken nonduale Wahrnehmungen überlagern und damit ein nirvikalpa-Erlebnis in eine savikalpaErfahrung transformieren. Die Empfindung der Dualität zwischen dem intendierenden Geist und dem Körper entstehe demnach erst, wenn eine Handlung mit einer bestimmten Intention verrichtet und der Körper instrumentalisiert werde, um ein bestimmtes Ergebnis zu Auf diese Lehre bezieht sich auch der Titel eines Werkes von Sureśvara, der von der Tradition neben Padmapāda, Toṭaka und Hastāmalaka (alle zw. ca. 680–800 n. Chr.) als einer der vier Hauptschüler Śaṅkaras identifiziert wird. Den Titel Naiṣkarmyasiddhi, i. e. »Die Vollendung der Werklosigkeit« (naiṣ: frei sein von; karman: Tat, Werk, Handlung; siddhi: Vollendung, Vollkommenheit), hat Sureśvara Śaṅkaras Bhagavadgītābhāṣya entnommen. Cf. Grimes 1992: 1; Bhagavadgītāśaṅkarabhāṣya 18, 49. In: Gambhīrānanda 2010: 717. Näheres zur kontroversen Frage, ob eine Kombination von Erkennen und Handeln (Rāmānuja) oder ausschließlich Wissen (Śaṅkara) zur Erlösung führt, findet sich bei Halbfass 2000: 266–269 (Śaṅkara) und 270–273 (Rāmānuja). Vergleiche fernerhin die Studie von Marcaurelle 2000: 21–29. 57 Cf. Bhagavadgītā 2, 47. In: Loy 1997a: 281; Brück 2007b: 23. 58 Cf. Bhagavadgītā 3, 9; 4, 23; 9, 27; 12, 2. In: Loy 1997a: 281 f. Cf. Brück 2007b: 28, 37, 67, 85. 56

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erreichen. Wenn der karma-Yogin aber seinen Geist ganz auf Kṛṣṇa ausrichte und alle Handlungen als Opfer an ihn vollziehe, ist dies Loy zufolge eine so unwandelbare Absicht, dass dies in der Praxis einer echten Absichtslosigkeit gleichkomme und dies umso mehr, wenn Kṛṣṇas welttranszendente nirguṇa-Natur der Grund aller Erscheinungen ohne eigene Absichten sei. 59 Das Handeln des karma-Yogins könnte also als Form des von Loy explizierten nondualen Handelns und somit als Selbstbewegung (autokinesis) gedeutet werden, in der ohne intendierendes Subjekt alle Handlungen ganz natürlich aus sich selbst heraus entstehen. Śaṅkara habe den karma-yoga nur abgelehnt, weil er diese genuine Möglichkeit wahrhaft nondualen Handelns nicht erkannt habe. 60 Im nondualen Handeln gleiche sich der karma-Yogin somit Kṛṣṇa an, der von sich selber sagt, dass er – obwohl er Schöpfer von allem sei – gleichwohl ein ewig Nicht-Handelnder bleibe. 61 Buddhistisch gewendet werde das Leben damit zu einem Tanz ohne Tänzer; in den Begriffen der Bhagavadgītā erkenne man hingegen, dass der eigene Körper Kṛṣṇas Körper sei: »Without the sense of duality, the same energy that moves my body activates everything else too. All the individual dances are part of His cosmic dance.« 62 Bhakti-yoga definiert Loy als liebende Gotteszuwendung und Hingabe an Kṛṣṇa. 63 Aber wie äußert sich nach Loy eine solche Verehrung phänomenologisch, wenn sich ihr Objekt nicht von weltlichen Cf. Loy 1997a: 282; Bhagavadgītā 12, 8: »[O]n me alone fix thy mind.« In: Loy 1997a: 283. 60 »He [Śaṅkara; F. V.] fails to consider whether there might also be nondual action with non-differentiation between agent and act. Because such action is empty it is also nonaction«. Loy 1997a: 282. Als Beleg für seine Interpretation zitiert Loy folgenden Passus aus der Bhagavadgītā: »Having abandoned attachment to the fruit of works, ever content, without any kind of dependence, he does nothing though he is ever engaged in work.« Bhagavadgītā 4, 20. In: Loy 1997a: 61 Cf. Loy 1997a: 282; Bhagavadgītā 4, 13b. In: Brück 2007b: 36. 62 Loy 1997a: 282 f. 63 Cf. Loy 1997a: 283. Das Bhāgavata-Purāṇa nennt insgesamt neun Praktiken der Gläubigen, die den bhakti-Pfad beschreiten: Das Hören der Lieder und Darlegungen (śravaṇa), das Singen der Gottesnamen (kīrtana), die beständige Vergegenwärtigung der Gottesnamen (smaraṇa), den Dienst an den heiligen Füßen Viṣṇus (pāda-sevana), die Lobpreisung (arcanā), die Ehrenbezeugung im Gebet (vandana), das demütige Abhängigkeitsgefühl als Diener (dāsya) und Freund Viṣṇus (sakhya) und die vollkommene Aufgabe von allem und Selbstentwerdung in Gott (ātma-nivedana). Cf. Bhāgavata-Purāṇa 7, 5, 23–24. In: Goswami/Shastri 2010: 668; Srinivasa Chari 2009: 128; Mayer-König 2006: 230. 59

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Erscheinungen unterscheiden läßt, weil alles aus einem Bruchteil von Kṛṣṇas Glanz entstanden ist? 64 Wenn alles Kṛṣṇa ist, dann ist es Loy zufolge unmöglich, Kṛṣṇa zu lieben und nicht zugleich auch Kṛṣṇa als Welt und die Welt als Kṛṣṇa zu lieben, vor allem, wenn das Geliebte der Seinsgrund alles Seienden ist. Wenn man in dieser Weise auf Gott ausgerichtet und ganz seiner Verehrung hingegeben sei, dann fehle auch jeder Raum für irgendeine Negativität gegenüber irgendeinem Seienden. Dies betone auch Kṛṣṇas Beschreibung des wahren Bhaktas, der kein einziges Wesen hasse, freundlich und voll heilender Hindwendung sowie frei von »Ich« und »mein« sei. 65 Die Verehrung Kṛṣṇas könne dann auch nicht mehr in Einzelhandlungen wie vorgeschriebenen Opfern, usw. bestehen, sondern werde zu einer das ganze Wesen des bhakti-Yogins erfassenden Geisteshaltung, aus der heraus man alle Handlungen verrichte: »Whatever thou doest, whatever thou eatest, whatever thou offerest, whatever thou givest away, whatever austerities thou dost practice–do that … as an offering to Me.« 66 In Analogie zum oṃ des jñāna-Yogins und der dharma-Pflicht des karma-Yogins, werde Gott für den bhakti-Yogin auf diese Weise zu einem »mantra for the emotions« 67, das zur emotionalen Läuterung beitrage, indem es die Empfindung der Getrenntheit von der Welt sukzessive vermindere. Wenn ich die Welt und mich selbst als dieselbe Manifestation Gottes betrachte, gestatte ich es mir auch nicht mehr negative Empfindungen wie Aversion und Hass zu äußern oder zu hegen. Dualistische Gefühlsregungen würden durch die Praxis des bhakti-yogas somit nach und nach in Empfindungen der Liebe und des Mitleids umgewandelt und – da der Weg des bhakti-Yogins von der Selbstzentriertheit zur Gottzentriertheit führe – die Empfindung eines vor Gott autonomen Selbst nachgerade gehemmt und letztlich aufgehoben. 68 Das dualistische Verständnis von Liebe, das normalerweise einen Liebenden und Geliebten voraussetze, weiche hier einer nondualen Form der Liebe, die keine flüchtige Stimmung mehr sei, die Ich habe, sondern den allumfassenden Grund allen Seins bezeichne, an dem ich teilhabe:

64 65 66 67 68

Cf. Loy 1997a: 280; Bhagavadgītā 10, 9. In: Brück 2007b: 75. Cf. Bhagavadgītā 12, 13–14. In: Loy 1997a: 282; Brück 2007b: 87. Bhagavadgītā 9, 27. In: Loy 1997a: 283. Loy 1997a: 283. Cf. Loy 1997a: 283.

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Such love would necessarily be nondiscriminatory. In moving from the sense of myself as an alienated consciousness to an awareness that all phenomena are a manifestation of the same nondual ground, love and compassion would spontaneously arise for all beings. Understanding myself as a facet of the Whole, I would naturally identify with all other facets of the Whole. […]. And, as all lovers know, love is blissful; then is this nondual love also the bliss associated with Brahman (Sacchidānanda)? If so, is romantic love, rather than being merely the epiphenomenon of sexual attraction, perhaps a glimpse of this emotional component of selflessness? 69

Alle drei Pfade – jñāna-, karma- und bhakti-marga – besitzen nun Loys Interpretation zufolge drei gemeinsame Merkmale. Sie führen (1) alle zu Gleichmut (samatva) und inhibieren damit jedwede selbstzentrierte Erwartung an die Zukunft; sie wollen (2) nichts Neues hinzugewinnen, sondern lediglich das Gegebene von einem dualistischen in einen nondualistischen Modus überführen und sie können (3) nur effektiv sein, wenn alle drei gleichzeitig praktiziert werden. (1) Der jñāna-marga führe zu Gleichmut, weil er alle Gegensatzpaare transzendierend den Yogin von allen Erwartungen befreie, sodass er wahrhaft in sich selbst und der Gegenwart ruhen könne; der karma-marga beruhe wiederum auf einem selbstlosen Handeln ohne Wünsche und Erwartungen (niṣkāma karma), sodass der Yogin gemäß seines Standesethos (varnāśramadharma) zur Stabilisierung und Erhaltung der ewigen kosmischen Ordnung und der Welt beitragen und dabei gleichzeitig Gleichmut gegenüber den Früchten seiner dharma-gemäßen Taten kultivieren könne; der bhaktimarga führe idealerweise eine so ausschließliche Hingabe an Gott herbei, dass der Yogin keine Erwiderung von ihm erbitte und er alle Widerfahrnisse des Lebens

Loy 1997a: 284. Brahman ist – wie es in der Taittirīya-Upaniṣad (2, 1, 1) approximativ beschrieben wird – Wahrheit, Erkennen und Unendlichkeit (satyaṃ jñānam anantaṃ brahma), was aber entgegen Loys Ansicht erst in der Nachfolge Śaṅkaras auf die Formel saccidānanda gebracht wurde. Eine ausführliche Diskussion von Śaṅkaras Interpretation findet sich bei Wilke 1995: 314. Śaṅkara selbst kennzeichnet den ātman als sac-cin-mātra, also unter Weglassung von ānanda. Cf. Upadeśasāhasrī-Padyabandha 17, 13. In: Mayeda 2006: 161. Bereits der vor Śaṅkara wirkende Vedānta-Lehrer Auḍulomi hatte Anstoß daran genommen, dem ātman über dessen wesenhafte Geistigkeit (caitanya-svarūpa) hinaus weitere Prädikate beizulegen. Śaṅkara referiert dessen Ansicht in seinem Kommentar zu Brahmasūtra 4, 4, 6. In: Deussen 1982: 756 f. Davon unterscheidet sich die Theorie des Advaitins MaṇḍanaMiśra (zw. ca. 660–720), der die Wonne in seiner Brahmasiddhi als wesensmäßige Bestimmung des ātman interpretiert. Cf. Sajdek 1993: 232 f. 69

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gelassen als Willen Gottes akzeptiere. Während Erwartungen für Loy zu einer bestimmten Art des dualistischen Denkens führen, das sich über die gegenwärtige Situation hinaus in die Zukunft entwirft und projiziert, erzeugen der jñāna-, karma- und bhakti-marga Loy zufolge eine Geisteshaltung, die diesem Denken entgegenwirkt. Damit heben die Yogas in letzter Konsequenz das intendierende Selbstbewusstsein des Menschen auf, das Loy als die grundlegende Störung unserer nirvikalpa-Erebnisse identifiziert: »It is the nature of the self to be restless, always ahead of itself. But in equanimity this flight from the present moments ends, and I am able to realize something about the here-and-now which does not change.« 70 (2) Bei keinem der drei Pfade der Bhagavadgītā geht es Loy zufolge darum, etwas Neues hinzuzugewinnen oder wegzunehmen. Vielmehr transformiere jeder der drei Yogas einen dualistischen in einen nondualistischen Erfahrungsmodus. Das Problem sei nicht das Denken, Handeln oder Fühlen als solches, sondern deren dualistischer Modus, der konstitutiv auf dem Wirken des prapañca beruhe, der die Leerheit des Denkens, Handelns und Fühlens verdunkle und die Täuschung eines Selbst aufrecht erhalte. Der jñāna-marga ziele demnach nicht auf die Beseitigung aller Begriffe und Gedanken, sondern auf die Verwirklichung der nondualen Natur des Denkens. Auch der karma-yoga leite nicht zum weltflüchtigen Quietismus und Rückzug aus der Gesellschaft an. Auf dem spirituellen Pfad stelle weder der varnāśramadharma noch der physische Körper ein unbedingtes Hindernis dar. Wenn man seine Bedürfnisse den Bedürfnissen der Welt opfere, könne der Körper als spirituelles Werkzeug dem Wohle aller dienen. Der bhakti-yoga diene ebenfalls nicht der Beseitigung negativer Emotionen, um durch dessen Ausschaltung Gleichmut zu erlangen. Stattdessen müssen Gier und Hass in Liebe und Mitgefühl verwandelt und das Gemüt insgesamt von einer dualen in eine nonduale Wesensart transformiert werden: »As tantra emphasizes, what needs to be changed is not the basic ›energies‹ themselves–intellectual, physical, emotional–but how they manifest.« 71 (3) Alle drei Yogas sind Loy zufolge aufeinander angewiesen und fordern sich wechselseitig. Es sei beispielsweise unmöglich, allein den Pfad der Gottesliebe zu beschreiten, ohne irgendwann auch die selbstzentrierten Verhaltensweisen gegenüber den Mitmenschen abzu70 71

Loy 1997a: 285. Loy 1997a: 286.

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legen. 72 Dies gelte auch umgekehrt: Niemand könnte ein vollendeter jñāna- oder karma-Yogin werden, solange er Hass oder Abneigung gegen andere hege. Jñāna-yoga purifiziert demnach die intellektuelle, karma-yoga die physische und bhakti-yoga die affektive Seite unseres Seins, sodass unsere Wahrnehmung der Welt, unser Handeln in der Welt und unser emotionales Verhältnis zur Welt von einem dualen in einen nondualen Modus überführt werden. Der Weg der Erkenntnis (jñāna-marga) transformiert und sublimiert die Verblendung (moha/avidyā) zu Weisheit (prajñā); der Weg der Hingabe und Gottesliebe (bhakti-marga) die Gier (lobha/rāga) zu Freigebigkeit (dāna) und der Weg des Handelns und Dienens (karma-marga) den Hass (dosa/dveṣa) zu Mitgefühl (karuṇā). 73 Um die Anschlussfähigkeit von Loys Interpretation zu illustrieren, kann an dieser Stelle noch ein vierter Aspekt hinzugefügt werden, den Ramakrishna Puligandla als gemeinsamen Sinn aller Yogas beschrieben hat: Die existentielle Erkenntnis der Leerheit des Egos. 74 Denn insofern für Loy alle yogas zu Gleichmut (samatva) im Sinne vollkommener Absichtslosigkeit führen und er den Unterschied zwischen dualer savikalpa- und nondualer nirvikalpa-Erfahrung überhaupt im Akt der Intentionalität sieht, geht auch er implizit davon aus, dass alle drei Yogas letztendlich zur Eliminierung des Egos führen. 75 Ich habe versucht, Loys Verständnis in einer Graphik abzubilden (s. S. 271). Religionsgeschichtlich reiht sich Loy mit seiner Deutung der Bhagavadgītā und der drei yogas in eine integrale Interpretationslinie des Textes ein, die mit Swāmī Vivekānanda (1863–1902) ihren prominenten Anfang fand. Für Vivekānanda bestand eine entscheidende Vorstellung des Vedānta darin, dass dasselbe Ziel existentieller Freiheit auf verschiedenen Wegen erreichbar sei, die er als Wege der Arbeit (karma-yoga), der Liebe (bhakti-yoga), der Psychologie (rājayoga) und des Wissens (jñāna-yoga) der Bhagavadgītā entlehnte, die er nicht nur zusammen mit den Upaniṣads zu den wahren Schriften (»true scriptures« 76) des Hinduismus zählte, sondern in einem Brief vom 1. Juni 1897 sogar als »Bible of Hinduism« 77 bezeichnete. Die »[H]ow can I love Krishna while trying to use them to satisfy my own desires?« Loy 1997a: 286. 73 Cf. Loy 2003a: 28. 74 Cf. Puligandla 1997: 6–9. 75 Cf. Loy 1997a: 125. 76 Letter to Pramada Das Mitra (30th May, 1897). In: CW VI: 394. 77 CW V: 130. Vivekānandas Werke werden zitiert nach der Mayavati Memorial Edi72

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Jñānayoga

Verblendung (moha/avidyā) zu Weisheit (prajñā)

Hass (dosa/dveṣa) zu Mitgefühl (karuṇā)

Ego

Gier (lobha/rāga) zu Freigebigkeit (dāna)

Karmayoga

Bhaktiyoga

Wahl des yogas war für Vivekānanda dabei lediglich von den heterogenen Dispositionen der jeweiligen Menschen abhängig, ohne damit einen qualitativen Unterschied unter den verschiedenen yogas selbst zu begründen, die für ihn alle zum selben Ziel führten und zwar unabhängig davon, ob sie primär gnostisch, devotional, werktätig oder kontemplativ ausgerichtet seien. Als »essence of philosophy, of liberality, of religion« 78 sah Vivekānanda den eigentlichen Beitrag der Bhagavadgītā daher in der Synthese vormals exklusiver Heilspfade und der integrativen Vision des Textes, die er zum paradigmatischen Beispiel für seine inklusivistische Religionsdeutung und angestrebte Versöhnung aller Religionen durch den Hinduismus erhob, die er analog den yogas als verschiedene Pfade zum selben Ziel deutete. 79 Inspiriert von Vivekānanda versuchten auch Swāmī Śivānanda (1887–1963), Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) und Śrī Aurobindo Ghose (1872–1950) in ihren Interpretationen der Bhagavadgītā die alternativen, aber komplementären Yogas in einem integralen Ansatz ganzheitlich zu vermitteln. 80 Wie Loy waren auch tion der gesammelten Werke (Complete Works = CW) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl. 78 Reply to the Adress of the Maharaja of Khetri. In: CW IV: 325. 79 Cf. Thoughts on the Gita. In: CW IV: 106 f.; Karma-Yoga. In: CW I: 108. 80 Cf. Śivānanda 1982: xx; Miller 1986; Radhakrishnan 1951: 554, 574; Radhakrishnan 1960: 50–75; Minor 1986a; Aurobindo 1999a: 609; Minor 1986b. Zu den Inter-

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Vivekānanda, Śivānanda, Radhakrishnan und Aurobindo dabei einem nondualen Ansatz verpflichtet, der theistischen Auslegungen durch Dvaitins wie Madhva (1197/99–1279 oder 1238–1317) und Viśiṣṭādvaitins wie Rāmānuja nur ein vorläufiges und defizitäres Verständnis des Textes zubilligte, das in letzter Konsequenz zugunsten des Einheitsverständnisses des Advaita-Vedānta überwunden werden musste, den diese Neo-Vedāntins zum Inbegriff des Vedānta erklärten und als Grundlage oder sogar Wesen des Hinduismus insgesamt identifizierten. 81 Was Loy als Buddhisten von diesen hinduistischen Interpreten der Bhagavadgītā letztlich unterscheidet, ist nun nicht sein integraler Ansatz oder seine Betonung der simultanen Praxis aller drei yogas, die sich so bereits in Aurobindos integralem Yoga (pūrṇa-yoga) und Śivānandas »Yoga of Synthesis« 82 findet und auf eine gleichmäßige Kultivierung der physischen, mentalen, emotionalen und spirituellen Facetten der menschlichen Persönlichkeit zielt, sodass man in vollkommener Harmonie von Verstand und Gefühl handelt, sondern seine radikal phänomenalistische Lesart des Textes. Loy liest die Bhagavadgītā als Dokument, das seine Interpretation letzter Wirklichkeit als nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) verbürgt, die – wie seine Kritik an Śaṅkara und dem Advaita-Vedānta insgesamt deutlich macht – von hinduistischen Nondualisten als Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) missverstanden wurde. Aber auch Loys Adaption und Subordination eines hinduistipretationen Vivekānandas, Radhakrishnans und Śivānandas insgesamt Robinson, C. 2013: 86–103. 81 Beispielhaft seien hier entsprechende Aussagen Śivānandas angeführt: »Dvaita (dualism), Visishtadvaita (qualified monism), Suddha Advaita (pure monism) are different rungs in the ladder of realisation. The truth is that the Jiva and Brahman are One in essence. The Dvaitin and the Visishtadvaitin eventually reach the Advaitic goal or Vedantic realisation of Oneness.« Śivānanda 1982: xxxiii. »The teaching based on them [the upaniṣads; F. V.] is called Vedanta. […]. They [the upaniṣads; F. V.] form the very foundation of Hinduism.« Śivānanda 1999: 10. »Hindu ethics is based on the sublime philosophy of Vedanta which propounds the doctrine of oneness of life and unity of consciousness.« Śivānanda 1999: 41. »The Vedanta is the most satisfactory system of philosophy.« Śivānanda 1999: 103. »Sankara’s philosophy is complete and perfect.« Śivānanda 1999: 135. Eine Sammlung von Parallelaussagen Vivekānandas findet sich bei Panicker 2006: 42–56. 82 »The Yoga of Synthesis alone will bring about integral development. The Yoga of Synthesis alone will develop the head, heart and hand and lead one to perfection. To become harmoniously balanced in all directions is the ideal of religion.« Śivānanda 1999: 83. Cf. Aurobindo 1999a: 609.

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schen Textes unter sein zen-buddhistisches Interpretationsparadigma findet ihr Korrelat in Vivekānandas ungenierter Vereinnahmung des Buddhas, den er als »rebel child« 83 des Hinduismus und idealen Karma-Yogin charakterisierte und damit seiner neo-vedāntischen Agenda und Vision eines universalistischen und sozial-engagierten Hinduismus rigoros unterordnete. 84 Religionsgeschichtlich lässt sich Loys inklusivistische Aneignung der Bhagavadgītā somit als buddhistisches Spiegelbild neo-vedāntischer Ansätze verstehen.

5.2.2. Meditation und kōan-Praxis Im Mittelpunkt der rinzai-spezifischen kōan-Praxis steht für Loy das mu-kōan aus der »torlosen Schranke« (wu-men-kuan/wumen guān; jap. mumonkan), einer klassischen, insgesamt 48 Fälle umfassenden Kōan-Sammlung aus der Zeit der südlichen Sung-Dynastie (1126– 1279), die im 13. Jh. von Wu-men Hui-kʾ ai/Wumen Huikāi (jap. Mumon Ekai, 1184–1260), einem Chʾ an-Meister aus der Yang-chʾ i Linie der Lin-chi-Schule, zusammengestellt und kommentiert wurde. Im mu-kōan fragt ein buddhistischer Mönch den Meister Chao-chou Tsʾ ung-shen/Zhaozhōu Cōngshen (jap. Jōshū Jūshin, 778–897 n. Chr.), ob ein Hund die Buddha-Natur habe, woraufhin dieser mit »Nichts« (chin. wu; jap. mu) antwortet. 85 Der Mönch hatte zuvor offenbar gehört, dass gemäß der Philosophie des Mahāyāna-Buddhismus alle Lebewesen die Buddha-Natur (tathāgatagarbha) haben, kann aber schlechterdings nicht begreifen, dass auch ein Hund dieselbe Natur haben soll wie der Buddha. Die zum Fall gehörenden Verse machen das Paradox noch manifester: »Dog–Buddha nature! The perfect manifestation, the absolute command. A little ›has‹ or ›has not,‹ and body is lost! Life is lost!« 86 Beide möglichen Antworten sind aus buddhistischer Perspektive demnach falsch. Hätte Chao-chou mit »Ja« geantwortet, hätte er der »My religion is one of which Christianity is an offshoot and Buddhism a rebel child.« Notes taken down in Madras, 1892–93. In: CW VI: 105. »Ours is the religion of which Buddhism with all its greatness is a rebel child, and of which Christianity is a very patchy imitation.« The Work before us. In: CW III: 275. Eine Zusammenfassung von Vivekānandas Verständnis des Buddhas bietet Joshi 1983: 58–73. 84 Karma-Yoga. In: CW I: 116 f. Cf. Holt 2004: 19–23. 85 Yamadas Teishō zu diesem Fall findet sich in Yamada 2004: 11–16. 86 Yamada 2004: 12. 83

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absoluten Wahrheit (paramārtha-satya) der universalen Abwesenheit inhärenter Existenz (niḥsvabhāvatā) widersprochen und »dem Hund« so etwas wie ein substantielles Eigenwesen (svabhāva) attestiert und die Buddha-Natur (tathāgatagarbha) zu dessen Eigenschaft hypostasiert. Hätte er mit »Nein« geantwortet, hätte er die empirische Wirklichkeit (saṃvṛti-satya) des Hundes negiert oder die allumfassende Realpräsenz der Buddha-Natur bestritten, indem er zwischen dem historischen Buddha mit Buddha-Natur und einem Hund ohne Buddha-Natur unterschieden hätte. 87 Die Pointe dieses kōans liegt für Loy darin, dass es dem begriffsbildenden Geist keinen Raum für Spekulationen mehr lässt, weil jede denkmögliche Antwort im Medium des prapañca notwendig falsch sei. Nach dieser Erkenntnis konzentriere man sich auf das mu wie auf ein Mantra, das man im Geiste und in Koordination mit der Atmung wiederhole, um auf diese Weise den Strom des inneren Dialogs zu schwächen, alle anderen Gedanken auszublenden und die Selbstempfindung immer mehr zu dämpfen. Was mu als Mantra dabei von einem indischen Mantra wie oṃ unterscheidet, ist Loy zufolge das Merkmal des Suchens und Ringens um eine abstrakt-thetische Lösung des kōans. 88 Insgesamt nennt Loy einen festen Glauben, eine unbeirrbare Entschlossenheit und einen alles erfassenden Zweifel als unentbehrliche Voraussetzungen für die kōan-Praxis: The great (literally, ›deep rooted‹) faith necessary is not belief in any being or doctrine that can ›save‹ anyone but rather the confidence that is necessary in order to practice: faith that the enlightenment of the Buddha (and Zen masters) is genuine, not a delusion or a hoax, and faith that we too can realize this same thing since we are of the same Buddha-nature. Great determination is the resolve that I too will become enlightened and devote all of my energy to that end. 89

Der »große Zweifel« (i-ching) werde in den klassischen Schriften des Ch’an-/Zen-Buddhismus wiederum häufig als Zustand existentieller Ratlosigkeit beschrieben, der so intensiv sein müsse, dass er sogar bis in die Körperlichkeit hinein wirke. Die charakteristische Eigenheit des Das Handeln des Bodhisattvas zum Wohle der Welt wird im vollen Bewusstsein dieser Ambivalenz vollzogen, die im Mahāyāna-Buddhismus zu keiner der beiden Seiten hin aufgelöst wird (siehe 3.3.). 88 Eine eingehende Auseinandersetzung mit der oṃ-Silbe im Kontext des SanskritHinduismus findet sich bei Wilke/Moebus 2011: 435–456. 89 Loy 2009a: 91. 87

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zen-buddhistischen Zweifels konkretisiert Loy dabei anhand eines Vergleichs mit dem methodischen Zweifel René Descartes’ (1596– 1650), der wohl das berühmteste und wirkmächtigste Element seiner Methodologie darstellt. In den Principia philosophiae (1644) hatte Descartes erklärt, dass der radikale Zweifel und der bereits in den Meditationes de prima philosophia (1641) unter der Annahme eines Täuschergottes (deus deceptor) geforderte allgemeine Umsturz aller Meinungen, der natürlichen Ansicht, mathematischer Wahrheiten und des Glaubens an die Existenz des eigenen Körpers unumgänglich sei, wolle man »jemals für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt schaffen« 90. Der buddhistische Zweifel ist für Loy hingegen nichts, das ein Selbst hat, sondern etwas, dass das Selbst ist. Während der Cartesische Zweifel das Selbstempfinden konsolidiere, sei es die ausgezeichnete Eigenschaft des zenbuddhistischen Zweifels, dieses Selbstgefühl in der kōan-Praxis zu unterminieren. 91 Nur wer von den Fragen nach Sinn und Zweck des Lebens und seinem postmortalen Schicksal zutiefst betroffen sei, aber keine befriedigende Antwort darauf finde, könne diese starke Empfindung des »großen Zweifels« entwickeln, den man sich der Weisung des chinesischen Tsʾ ao-tung-Meisters der Ming-Dynastie (1368–1644) Wu-i Yuan-lai/Wuyi Yuanlai (jap. Mui Ganrai, 1575– 1630), an die Stirn heften solle: Stick this ›doubt-mass‹ onto your forehead (and keep it there) all the time until you can neither drive it away nor put it down, even if you want to. Then suddenly you will discover that the doubt-mass has been crushed, that you have broken it to pieces. The masters of old said: The greater the doubt, the greater the awakening. The smaller the doubt, the smaller the awakening. No doubt, no awakening. 92

Den konkreten Prozess der kōan-Praxis beschreibt Loy anhand eines Zitats aus Yastuanis Kommentar zum mu-kōan: Let all of you become one mass of doubt and questioning. Concentrate on and penetrate fully into Mu. To penetrate into Mu means to achieve absolute unity with it. How can you achieve this unity? By holding to Mu tenaciously day and night! Do not separate yourself from it under any circumstances! Focus your mind on it constantly. […]. You must not, in other words, think of Mu as a problem invol90 91 92

Descartes 1992: 31. Cf. Loy 1997a: 207. Cf. Loy 1997a: 207. Chang 1970: 94. Cf. Loy 2009a: 91.

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ving the existence or non-existence of Buddha-nature. Then what do you do? You stop speculating and concentrate wholly on Mu–just Mu! […]. At first you will not be able to pour yourself wholeheartedly into Mu. It will escape you quickly because your mind will start to wander. You will have to concentrate harder–just ›Mu! Mu! Mu!‹ Again it will elude you. Once more you attempt to focus on it and again you fail. This is the usual pattern in the early stages of practice. […]. Absolute unity with Mu, unthinking absorption in Mu–this is ripeness. Upon your attainment to this stage of purity, both inside and outside naturally fuse. […]. When you fully absorb yourself in Mu, the external and internal merge into a single unity. 93

Für Loy besteht das Ergebnis dieser Technik in der nondualen Erfahrung des mu als einem noetischen nirvikalpa-Erlebnis und »unsupported thought« 94, weil die Wahrnehmung einer Dualität zwischen einem Ich, das mu denkt und dem mu als gedachtem Objekt, aufgehört habe: »There is only ›Muuuu…‹ This stage is something described by saying that now ›mu‹ is doing ›mu.‹ Without the attendent sense of an I, it is just ›mu‹ that sits, ›mu‹ that stands up and walks, ›mu‹ that eats.« 95 Von entscheidender Wichtigkeit ist für Loy die Tatsache, dass Yasutani weder zu einer radikalen Entleerung des Bewusstseins noch zur Eliminierung spezifischer Gedanken auffordert, wodurch wieder eine neue Spaltung zwischen demjenigen, der die Gedanken beseitigt und den zu beseitigenden Gedanken selbst, evoziert würde. 96 An dieser Stelle lässt sich Loys radikaler Phänomenalismus, der jede Form asymmetrischer Nondualität (advaitavāda) negiert, die eine transphänomenale Wirklichkeit bzw. ein form- und gestaltloses Bewusstsein und dessen Transzendenzerfahrung in unmittelbarer Intuition oder quasi-kataleptischen Versenkungszuständen als erlösungskonstitutiv postuliert (advaita/acittaka/nirākāra), unmittelbar mit seinem spezifischen Praxisverständnis korrelieren. Besondere Prägnanz gewinnt Loys Ansatz, wenn man ihn aus seinem religionsgeschichtlichen Kontext deutet und mit anderen Kontemplationstechniken indischer Provenienz vergleicht, von denen er sich an dieser Stelle implizit abgrenzt. Dazu möchte ich im Folgenden einige Hinweise Yasutani-Roshi’s Commentary (Teisho) on the Koan Mu. In: Kapleau 2000: 90 ff. Cf. Loy 1997a: 205 f. 94 Loy 1997a: 138. 95 Loy 1997a: 207. 96 Cf. Loy 1997a: 206. 93

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geben, bevor ich mich wieder Loys Erklärung buddhistischer Praxis selbst zuwende. Indem Loy im Anschluss an Yasutani die Praxis der Bewusstseinsentleerung kritisiert, grenzt er sich zugleich grundlegend von dem in den Yogasūtras gelehrten Unterdrückungs-Yoga (nirodhayoga) ab, dessen Sinn im zweiten Sūtra als die Inhibierung aller psycho-mentalen Zustände/Modifikationen/Tätigkeiten des Bewusstseins (yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ) definiert wird. 97 Der nirodha-yoga zielt im Gegensatz zu dem ebenfalls in den Yogasūtras gelehrten achtfachen Yogapfad (aṣṭāṅga-yoga) nicht auf die höchste Steigerung der Erkenntnisfähigkeit, sondern auf deren vollständige Inhibierung. Die Tätigkeit des Bewusstseins, die es dabei zu unterdrücken gilt, wird in den Yogasūtras als fünffach beschrieben: pramāṇa-viparyaya-vikalpa-nidrā-smṛtayaḥ: »Gültiges Wissen, Irrtum, Vorstellung, Schlafbewußtsein und Erinnerung.« 98 Durch Begierdelosigkeit (vairāgyam) und anhaltende Yoga-Übungen (abhyāsa) sollen diese Tätigkeiten des Bewusstseins immer mehr eingeschränkt und schließlich vollständig unterdrückt werden, bis das supraliminale Bewusstsein (cittavṛtti) gänzlich erloschen ist (asaṃprajñāta-samādhi/ dharmamegha-samādhi) und auch die subliminal-psychomentalen Eindrücke (saṃskāra) vollständig vernichtet sind (nirbīja-samādhi). Die hinduistische Praxis des nirodha-yoga findet ihre Entsprechung in derjenigen früh-buddhistischen Kontemplationsform, die formlose Versenkungszustände, die sogenannten arūpa-dhyānas (pāḷi arūpa-jhānas) anstrebt, derer das Anupada-Sutta des MajjhimaNikāya insgesamt fünf beschreibt. Über die Raumunendlichkeit (pāḷi ākāsanañcayatana), die Bewusstseinsunendlichkeit (pāḷi viññānañCf. Yogasūtra 1, 2. In: Bäumer 2010: 21. Mircea Eliade (1907–1986) übersetzt mit »Aufhebung der psychomentalen Zustände«. Eliade 1988: 79. Johannes Bronkhorst hat diese Kontemplationsform, in der »all bodily and mental activities are stopped«, als eigentliche »main stream meditation« jainistischer, hinduistischer und früh-buddhistischer Texte beschrieben. Bronkhorst 1986: 46 f. Es lassen sich hier zur Verdeutlichung beispielhaft zwei Textstellen aus einer jainistischen und hinduistischen Schrift anführen: »[H]e first stops the activity of his mind, then of his speech and body, then he puts a stop to breathing out and breathing in.« Uttarajjayaṇa 29, 72. In: Bronkhorst 1986: 33. »When [someone], having made his mind (manas) completely motionless, without dissolution or distraction, goes to a state without mind, that is the highest place. The mind has to remain suppressed until it is destroyed in the heart. This is knowledge, this is liberation.« Maitrāyaṇīya-Upaniṣad 6, 34. In: Bronkhorst 1986: 44. 98 Yogasūtra 1, 6. In: Bäumer 2010: 28. 97

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cāyatana), die Nichtsheit (pāḷi ākiñcaññāyatana) und einen Zustand der Weder-Wahrnehmung-noch-Nicht-Wahrnehmung (pāḷi nevasaññā-nasaññayatana), führt diese Form der Kontemplation zu einem abschließenden fünften Erlöschungszustand der vollendeten Unterdrückung aller Gefühle und Wahrnehmungen (nirodha-samāpatti), in dem zeitweilig alle Bewusstseinstätigkeiten restlos ausgeschaltet sind. 99 Dieser Zustand wird in einigen Texten, wie z. B. dem Kaśyapaparivarta-Sūtra und dem Aṅguttara-Nikāya als Endziel buddhistischer Praxis beschrieben und mit dem nirvāṇa identifiziert: Ihr Ehrwürdigen, erreicht den Zustand [, der in] der Vernichtung von Vorstellung und Gefühl [besteht] [saṃjñāvedayitanirodhasamāpatti], und kombiniert nicht, analysiert nicht [mā ca kalpayatha mā vikalpayatha]. Für einen Mönch, der den Zustand erreichte, [der in] der Vernichtung von Vorstellung und Gefühl [besteht], ist darüber hinaus nichts zu tun, sagen wir. 100 Again, friend, by completely surmounting the base of neitherperception-nor-non-perception, a bhikkhu enters and dwells in the cessation of perception and feeling, and having seen with wisdom, his taints are utterly destroyed. To this extent, friend, the Blessed One has spoken of directly visible nibbāna in a non-provisional sense. 101

Aber wie kann man von einer Wahrnehmung des nirvāṇas sprechen, wenn alle Bewusstseinstätigkeiten restlos inhibiert sind? Diese Frage wird explizit im Aṅguttara-Nikāya adressiert. Dort fragt Ānanda den Buddha, ob es einen vollkommen akosmischen Bewusstseinszustand geben könne, in dem die Wahrnehmung der Erde, des Wassers, des Feuers, des Windes, des Gebietes der Raumunendlichkeit, der Bewusstseinsunendlichkeit, der Nichtsheit, der Weder-Wahrnehmungnoch-Nichtwahrnehmung und aller möglichen Welten vergangen ist und der dennoch als Bewusstheit gekennzeichnet werden könne. Dies bejaht der Buddha und erklärt: »Here, Ānanda, a bhikkhu is percipient thus: ›This is peaceful, this is sublime, that is, the stilling of all activities, the relinquishment of all acquisitions, the destruction of craving, dispassion, cessation, nibbāna.‹« 102 An anderer Stelle fragt Mahākoṭṭhito wiederum Sāriputta, ob noch etwas übrig bleibe in diesem todesgleichen Erlöschungszustand,

Cf. Majjhima-Nikāya 111. In: Bodhi 2001: 900 f. Kaśyapaparivarta-Sūtra 144. In: Weller 1965: 148. Sanskritergänzungen F. V. 101 Aṅguttara-Nikāya 9, 47. In: Bodhi 2012: 1323. 102 Aṅguttara-Nikāya 10, 6. In: Bodhi 2012: 1343. 99

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woraufhin Sāriputta antwortet, dass man weder sagen könne, dass in diesem Erlöschungszustand etwas sei, etwas nicht sei, etwas sowohl sei als auch nicht sei noch etwas weder sei noch nicht sei. Alle diese Antworten seien Antworten nach Art des prapañca und der prapañca sei es, der hier zum Erlöschen komme. 103 Und es ist genau dieser totale Stillstand des prapañca, der im Aṅguttara-Nikāya explizit mit dem nirvāṇa identifiziert wird. 104 Im Mahāvedalla-Sutta des Majjhima-Nikāya fragt Mahākoṭṭhito, worin sich ein Mönch in diesem Zustand der Erlöschung von Wahrnehmung und Gefühl (pāḷi saññāvedayita-nirodha) noch von einem Toten unterscheide, woraufhin ihm Sāriputta antwortet: Friend, in the case of one who is dead, who has completed his time, his bodily formations have ceased and subsided, his verbal formations have ceased and subsided, his mental formations have ceased and subsided, his vitality is exhausted, his heat has been dissipated, and his faculties are fully broken up. In the case of a bhikkhu who has entered upon the cessation of perception and feeling, his bodily formations have ceased and subsided, his verbal formations have ceased and subsided, but his vitality is not exhausted, his heat has not been dissipated, and his faculties become exceptionally clear. This is the difference between one who is dead, who has completed his time, and a bhikkhu who has entered upon the cessation of perception and feeling. 105

In dieser Interpretationslinie des nibbāna, das von einigen Stellen des Pāḷi-Kanons explizit mit einem radikal transphänomenalen Zustand der vollendeten Unterdrückung aller Gefühle und Wahrnehmungen (nirodha-samāpatti) identifiziert wird, zeichnet sich ein fundamentaler Unterschied zu Loys Interpretation ab, der die Sphäre sinnlicher Wahrnehmung und Phänomenalität im Zuge seiner allgemeinen Transzendenzvermeidung und vollständigen Reduzierung aller Transzendenz auf psychologische Fakten explizit nicht überschritten wissen will. 106 Da Loy das nirvāṇa mit der nondualen Wirklichkeit Cf. Aṅguttara-Nikāya 4, 173. In: Bodhi 2012: 540. Cf. Aṅguttara-Nikāya 6, 14. In: Bodhi 2012: 870. 105 Majjhima-Nikāya 43. In: Bodhi 2001: 392 f. 106 Tilmann Vetter, Lambert Schmithausen und Perry Schmidt-Leukel haben überzeugend dargetan, dass auch die Lehre Nāgārjunas in den Mūlamadhyamakakārikā im Sinne einer Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) verstanden werden muss, d. h., dass Nāgārjunas spirituelle Praxis im Gegensatz zu Loys Interpretation möglicherweise in der kontinuierlichen Verminderung und letztlich vollständigen Inhibierung aller Modifikationen des Bewusstseins bestand, um formlose Versenkungszustände zu kultivieren. Der mahāyānistische 103 104

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der sinnlichen Erfahrung und keiner immanenten Transzendenz identifiziert, muss er konsequenterweise auch alle Techniken innerhalb und außerhalb der eigenen Tradition ablehnen, die methodisch bewusst auf eine Transzenderfahrung jenseits sinnlicher Erfahrung zielen. Das erklärt, warum Loy im Anschluss an Yasutani keine vollständige Inhibierung, sondern die höchste Steigerung der Erkenntnisfähigkeit und unbedingte Konzentration des fluktuierenden Bewusstseinsstroms auf eine einzige Sache kultivieren will. Loys zenbuddhistische Praxis entspricht damit vielmehr der in den Yogasūtras als saṃyama bezeichneten dreifachen Technik der Sammlung und Beherrschung des Bewusstseins, die die letzten drei Glieder des achtfachen Yogapfades (aṣṭāṅga-yoga) – dhāraṇa (Sammlung), dhyāna (Vertiefung/Betrachtung) und samādhi (Versenkung/Enstasis) – umfasst. 107 Dabei ist es wesentlich, auf welchen intra- oder extramentalen Gegenstand die unverwandte Richtung des Geistes gelenkt wird, dessen Erkenntnis von dhāraṇa über dhyāna bis zum samādhi vertieft und vollendet werden soll. 108 Während der Praxis des nirodhaIllusionismus Nāgārjunas ist Schmithausen zufolge daher »das ontologische Pendant der sog. ›Unterdrückungsversenkung‹, die aber nun nicht mehr bloß das vorwegnehmende Erleben eines jenseitigen Nirvāṇa ist, sondern die heilskonstitutive mystische Erfahrung der Unwirklichkeit der Erscheinungen, ihres Immer-schon-zur-Ruhe-gekommen-Seins, also des nirvāṇas als des wahren, eigentlichen Wesens der Welt.« Schmithausen 1973: 185. Cf. Schmidt-Leukel 1993: 382–387; Vetter 1982. 107 Cf. Frauwallner 2003: 432 f. 108 Der aṣṭāṅga-yoga zielt gegenüber dem nirodha-yoga ursprünglich auf die erlösende kognitive Erkenntnis metaphysischer Theoreme und wendet den saṃyama entsprechend der metaphysischen Grundlage des Yoga-Systems auf die Erkenntnis der im Sāṅkhya gelehrten Verschiedenheit von puruṣa und prakṛti. Yoga und Sāṅkhya werden in der Regel zusammengefasst (samānatantra), insofern Pātāñjali in großen Zügen die dualistische Lehre das Sāṅkhya adaptiert, die somit ebenfalls die metaphysische Grundlage des Yogasystems bildet. Grundlage des gesamten Weltgeschehens bilden dabei zwei ewige und allgegenwärtige Prinzipien: Der puruṣa als das schauende, betrachtende und rein erkennende Geistprinzip und Subjekt (dṛaṣṭṛ) und die prakṛti (pradhāna) als das hervorbringende und schaffende Materieprinzip und Objekt (dṛśyabhāvaḥ). Die prakṛti ist nur eine einzelne, ungeistige (acetanā) Materialursache (upādānakāraṇa) und Ursprung aller ephemeren und limitierten Einzeldinge. Die Urmaterie (prakṛti/pradhāna) umfasst nach Īśvarakṛṣṇas (ca. 4./ 5. Jh. n. Chr.) Sāṅkhyakārikā drei verschiedene Eigenschaften – die drei Guṇas (triguṇa) sattva, rajas und tamas –, die in verschiedenartiger Mischung in allen Dingen vorliegen. Die Seelenmonaden (puruṣabahutva) sind gegenüber der prakṛti viele, worin ein zentraler Unterschied des Sāṅkhya zum Advaita-Vedānta besteht, denn ihrem Wesen nach sind sowohl sāṅkhyistischer puruṣa als auch advaitischer ātman immerwährende Geistigkeit, vollkommene Autonomie und ewige Passivität. Die Schöpfung,

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yoga ungegenständliche Formen buddhistischer Kontemplation entsprechen, die formlose Versenkungszustände (pāḷi arūpa-jhānas) anstreben, korrelieren der saṃyama-Praxis entsprechend gegenständliche Formen buddhistischer Kontemplationspraxis, die feinkörperliche Versenkungssphären, die sogenannten rūpa-dhyānas (pāḷi rūpa-jhāna), intendieren. 109 In der feinkörperlichen Versenkung kommt es nach dem Zeugnis der Texte zu verschiedenen Stufen sukzessiver Verinnerlichung, in denen das diskursive Denken (pāḷi vitakka-vicāra, skt. vitarka-vicāra) kontinuierlich vermindert und der Geist auf die vollkommene Erkenntnis eines körperlichen oder geistigen Objektes, wie z. B. die vier edlen Wahrheiten konzentriert wird. Das Cūḷahatthipadopama-Sutta aus dem Majjhima-Nikāya beschreibt, wie es in der ersten der vier Vertiefungen (pāḷi paṭhamajhāna, skt. prathama-dhyāna) zu geistiger Verzückung (pīti) und einem Gefühl der Glückseligkeit (sukha) kommt, die aus der Abgeschiedenheit erwächst. In der zweiten der vier feinkörperlichen Vertiefungen (pāḷi dutiya-jhāna, skt. dvitīya-dhyāna) kommt es zur Bündelung der Bewusstseinsaktivitäten und der Mönch erlangt einen Zustand der sogenannten »Einspitzigkeit« (pāḷi ekaggatā, skt. ekāgratā) des Geistes. Die dritte Vertiefung (pāḷi tatiya-jhāna, skt. tṛtīya-dhyāna) ist durch einen Zustand heiterer Ruhe gekennzeichnet, in dem der Mönch bei klarer Bewusstheit gleichmütig verweilt, während in der vierten und letzten der feinkörperlichen Vertiefungen (pāḷi catuttha-jhāna, skt. caturtha-dhyāna) alle Gefühle der Freude

das Weltgeschehen und die Verwicklung des Geistsubjektes in den saṃsāra kommt dadurch zustande, dass beide Prinzipien sich miteinander verbinden und der puruṣa der prakṛti auf diesem Wege seine Geistigkeit und die prakṛti dem Puruṣa ihre Wirksamkeit leiht. Durch das Wissen (jñānam) um die genuine Differenz von puruṣa und prakṛti tritt die Erlösung (mokṣa) ein, indem sich die prakṛti vom puruṣa loslöst und der puruṣa als reiner Zeuge (sākṣin) in vollständiger Isolation (kaivalya) persistiert. Cf. Frauwallner 2003: 435. 109 Über den Zusammenhang der rūpa- und arūpa-dhyānas schreibt Schmidt-Leukel: »There is some evidence that these two different approaches are representative of a conflict or tension in the early Buddhist movement between more doctrinally and more mystically minded groups […]. Be that as it may, most of the traditional texts pursued a harmonising solution by including both formbased and formless states within one single chain of nine successive states, ending with the ›cessation of feeling and perception‹.« Schmidt-Leukel 2008: 59.

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und des Leides gewichen sind und der Mönch durch die Kultivierung des Gleichmuts einen Zustand ungehinderter Achtsamkeit erlangt. 110 Für Loy ist es die Silbe mu, in die man sich derart vollständig versenken und mit der man buchstäblich eins werden soll, sodass alle geistigen Phänomene, auf denen die Selbstempfindung beruht – Wünsche und Erwartungen, Erinnerungen und Vorstellungen über sich selbst etc. – verlöschen und es keine Wahrnehmung eines Ich mehr gibt, das von diesem mu unterschieden werden könnte. Was Loy zufolge bleibt, ist das reine nirvikalpa-Erlebnis des mu und die Empfindung, dass man an einem Faden über einem Abgrund hänge; eine Erfahrung, die bereits der große Reformer der Lin-chi-/RinzaiTradition Hakuin Ekaku (1686–1769) mit dem Tod verglichen hatte, auf dessen Ausspruch sich Loy in diesem Zusammenhang bezieht: »Except for occasional feelings of uneasiness and despair, it is like death itself.« 111 Die Lösung besteht für Loy darin, loszulassen und sich entschlossen in den Abgrund zu werfen: »Bravely let go on the edge of the cliff. Throw yourself into the Abyss with decision and courage. You only revive after death. Verily, this is the Truth!« 112 Kenshō, die erste Stufe der Zen-Erleuchtung, werde erfahren, sobald sich der Schüler in diesem höchsten Akt der kontemplativen Selbstentäußerung der Leere vollkommen schutzlos preisgebe, wodurch sein Leib und sein Geist mitsamt des kōans ausgelöscht würde, was Hakuin als »seinen Halt loslassen« bezeichnet habe. 113

5.2.3. Der »Gnadenakt« der Selbstentwerdung Wie sich gezeigt hat, besteht das Ziel spiritueller Praxis für Loy in der temporären Aufhebung des Selbstbewusstseins. Dabei kann es sich aber um keinen bewussten Willensakt handeln, denn es geht hier um die Aufhebung dessen, was man selbst gar nicht aufheben kann, i. e. sich selbst. Das Moment der Ich-Auflösung (kenshō) muss für Loy konsequenterweise ein Ereignis sein, das seinem Wesen nach von der spirituellen Praxis, die ihm vorangeht, kausal unabhängig ist.

110 Cf. Majjhima-Nikāya 27. In: Bodhi 2001: 275 f. Eine ausführliche Beschreibung gibt Heiler 1922: 14–29. 111 Suzuki, D. 1970b: 107. Cf. Loy 1997a: 207. 112 Chang 1970: 103. Cf. Loy 1997a: 207. 113 Cf. Loy 1997a: 208.

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Der Praktizierende dispositioniert sich mit der Praxis gleichsam nur für dessen kontingente Entfaltung und schafft die Möglichkeit für den unvermittelten Einbruch, der bei vollem Bewusstsein stattfinden kann: All ›I‹ can do is to open up to the spiritual influx by my ego getting out of the way–that is, letting go of myself, whereupon this influx necessarily fills me, just like the sun always shines when the clouds dissipate. Yet this letting go is not subject to my willing. Since self is itself the problem, this is not something that the self can do. In Zen, for example, I indirectly practice ›forgetting myself‹ during zazen by concentrating on and becoming one with Mu. 114

In seiner Auseinandersetzung mit den Werken Swedenborgs und der Wolke des Nichtwissens bezeichnet Loy die buddhistische Erleuchtung daher auch als »transcendental grace« 115, insofern keine Handlung des Ich zu dessen Auflösung und damit zur erlösenden nirvikalpa-Erfahrung führen könne. 116 Vom Ich könne man sich nicht selbst befreien, man müsse davon befreit werden und dafür sei etwas notwendig, was in der Wolke des Nichtwissens als Gnade bezeichnet werde: But now thou askest me how thou mayest destroy this naked knowing and feeling of thine own being. For peradventure thou thinkest that if it were destroyed, all other hindrances were destroyed: and if thou thinkest thus, thou thinkest right truly. But to this I answer thee and say, that without a full special grace full freely given by God, and also a full according ableness on thy part to receive this grace, this naked knowing and feeling of thine own being may in nowise be destroyed. 117

Nachdem das Selbstbewusstsein zusammengebrochen ist und die tief verwurzelte Kernillusion eines autonomen Selbst vernichtet wurde, gibt es nur noch den gegenwärtigen Inhalt des Bewusstseins selbst, Loy 2009a: 115. Cf. Loy 2008: 22 f. Loy 2009a: 114. 116 Für Loy handelt es sich dabei um ein perenniales Problem religiöser Traditionen sowohl theistischer als auch nondualer Provenienz, da es sowohl im Viśiṣṭādvaitaund Advaita-Vedānta als auch im Shin-Buddhismus verhandelt worden sei. Cf. Loy 2009a: 115; Loy 2018: 67. Vergleiche zu diesem Problem im Kontext des ViśiṣṭādvaitaVedānta Oberhammer 2004; Mumme 1988 und Raman 2007. Im Kontext des Advaita-Vedānta Hacker 1951: 100. Shinrans diesbezügliche Position referiert SchmidtLeukel 1992: 605–654. 117 McCann 1952: 60. Cf. Loy 2009a: 101; Die Wolke des Nichtwissens, Kapitel 44. In: Riehle 1999: 105. 114 115

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von dem kein unabhängiges Subjekt als dessen Träger mehr erfahren wird. Durch diesen »Gnadenakt« der Selbstvernichtung werden alle projizierten Grenzen eingerissen, die den Menschen zuvor scheinbar von seinen Mitmenschen isolierten und von seiner Umwelt trennten. Ihm widerfährt im Ereignis der Selbstentwerdung die simultane Befreiung zur Weltwerdung, die sich im selbstlosen Bewusstsein der Einheit der Wirklichkeit artikuliert: ›Forgetting‹ itself is how a jewel in Indra’s Net loses its sense of separation and realizes that it is the Net. Meditation is learning how to die by learning to ›forget‹ the sense-of-self, which happens by becoming absorbed into one’s meditation exercise. Since the sense-of-self is a result of consciousness attempting to reflect back upon itself in order to grasp itself, such meditation practice is an exercise in de-reflection. Consciousness unlearns trying to grasp itself, real-ize itself, objectify itself. Enlightenment occurs when the usually automatized reflexivity of consciousness ceases–experienced as a letting-go and falling into the void and being wiped out of existence. ›Men are afraid to forget their minds, fearing to fall through the Void with nothing to stay their fall. They do not know that the Void is not really void, but the realm of the real Dharma‹ (Huang-po). Then, when I no longer strive to make myself real through things, I find myself ›actualized‹ by them, says Dōgen. What we fear as nothingness is not really nothingness, for that is the perspective of a sense-of-self anxious about losing its grip on itself. Letting go of myself and merging with that nothingness leads to something else: when consciousness stops trying to catch its own tail, I become nothing, and discover that I am everything. 118

Das Ende des spirituellen Pfades kuliminiert in der Erfahrung der integralen Ganzheit allen Seins, die Loy hier anhand der ursprünglich vedischen Metapher von Indras Netz (indrajāla, chin. yin-tʾ o-lowang) illustriert. Die universale Komplementarität einer alle Einseitigkeiten aufhebenden holistischen Gesamtschau des Universums beschreibt Loy in seinen Schriften dabei primär anhand der Metaphern des Hua-yen-Buddhismus. Der Hua-yen-Holismus kulminiert in Bildern, die das wesenhafte Ineinander sämtlicher Weltprozesse vom Standpunkt des Erleuchteten beschreiben und das Universum als komplexes und dynamisches System mit einheitlichem Prozesscharakter und inhärent intelligente und kreative Matrix veranschaulichen. Im Folgenden soll daher Loys Vision letzter Wirklichkeit im Kontext des Hua-yen-Buddhismus nachgezeichnet werden. 118

Loy 1993: 503 f.

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6. Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

Neben dem Bild vom Meer und seinen Wellen 1, der Metapher vom Meer-Siegel- oder Meeresspiegel-Samādhi (skt. sāgara-mūdrasamādhi, chin. hai-chin san-mei/haiyin sanmei) 2, dem Gleichnis vom Turm des Vairocana 3 oder Fa-tsangs/Fazangs (643–712 n. Chr.) 1 Das Bild vom Meer und seinen Wellen findet sich u. a. in Tu-shuns Befriedung und Kontemplation in den Fünf Lehren nach dem Hua-yen (hua-yen wu chiao chih-kuan): »It is like the metaphor of water and waves: the shapes, which are high and low, are waves; the wetness, which is equal, is water. The waves are waves which are none other than water–the waves themselves show the water. The water is water which is no different from waves–the water makes the waves. Waves and water are one, yet that does not hinder their difference. Water and waves are different, yet that does not hinder their unity. Because of the unhindered unity, being in the water is being in the waves; because of their unhindered difference, dwelling in the waves is not dwelling in the water. Why? Because water and waves are different yet not different.« In: Cleary, T. 1994: 58. 2 Fa-tsang beschreibt den hai-chin san-mei in seinem Werk Hua-yen yu-hsin fachieh chi (»Reflections on the dharmadhātu«) mit folgenden Worten: »It is like the reflection of the four divisions [of a great army] on a vast ocean. Although the reflected images differ in kind, they appear simultaneously on [the surface of] the ocean in their proper order. Even though the appearance of the images is manifold, the water [that reflects them] remains undisturbed. The images are indistinguishable from the water, and yet [the water] is calm and clear; the water is indistinguishable from the images, and yet [the images] are multifarious. … It is also described as ›oceanic‹ (hai) because its various reflections multiply endlessly and their limit is impossible to fathom. To investigate one of them thoroughly is to pursue the infinite, for, in any one of them, all the rest vividly appear at the same time. For this reason, it is said to be ›oceanic.‹ It is called ›reflection‹ (in) because all the images appear simultaneously within it without distinction of past and present. The myriad diverse kinds [of images] penetrate each other without obstruction. The one and the many are reflected in one another opposing each other. … [It is called] ›samādhi‹ because, although [the images within it] are many and diverse, it remains one and does not change. Even though myriads of images arise in profusion, it remains empty and unperturbed.« Hua-yen yu-hsin fa-chieh chi (Taishō 45.646b-c). In: Gregory 2002: 155. 3 Das Gleichnis vom Turm des Vairocana findet sich im Maitreya-Abschnitt des Gaṇḍavyūha-Sūtras, dem letzten Kapitel des Buddhāvataṃsaka-Sūtras: »He [Sud-

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Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

Veranschaulichung der wechselseitigen Durchdringung aller Erscheinungen durch einen Spiegelsaal sind vor allem Fa-tsangs Gleichnis vom goldenen Löwen und die Metapher von Indras Netz als Leitbilder für Loys Verständnis letzter Wirklichkeit einschlägig, da auch Dōgen sie nutzt, dessen Schriften fraglos den größten Einfluss auf Loys Denken ausgeübt haben. Dōgens Ikka no myōju-Faszikel aus dem Shōbōgenzō evoziert bereits im Titel – »ein leuchtendes ManiJuwel« – das Bild von Indras Netz und in einem seiner Gedichte, das er als Antwort auf die Verse des chinesischen Laienanhängers Li-chi Ch’eng-Chung/Li ji Chengzhong verfasste, nutzt er ebenfalls die Metapher des Goldenen Löwen. 4 Für Wing-tsit Chan (1901–1994) – einen der führenden Experten für chinesische Philosophie des 20. Jahrhunderts – repräsentierte der Hua-yen-Buddhismus »the highest development of Chinese Buddhist thought« 5 und auch Daisetsu Teitarō Suzuki sah in den Lehren des Hua-yen-Buddhismus die theoretische Vollendung der buddhistischen Philosophie in China. Die Theorie des Chʾ an war für Suzuki der Hua-yen-Buddhismus, dessen Lehren sich wiederum in der Praxis des Chʾ an-Buddhismus manifestierten, woraus sich ebenfalls Loys besonderes Verhältnis zu den Lehren und Gleichnissen dieser Schule erklären lässt. 6 Loys totalistische und organismische Vision eines transparenten Universums hana; F. V.] saw the tower immensely vast and wide, hundreds of thousands of leagues wide, as measureless as the sky, as vast as all of space […]. Also, inside the great tower he saw hundreds of thousands of other towers similarly arrayed; he saw those towers as infinitely vast as space, evenly arrayed in all directions, yet these towers were not mixed up with one another, being each mutually distinct, while appearing reflected in each and every object of all the other towers. […]. In the middle of the great tower containing the adornments of Vairocana he saw one tower which was bigger than all the others and arrayed with adornments surpassing all the other towers. In that tower he saw a billion-world universe, in which he saw a hundred million sets of four continents, with a hundred million Jambudvipas and a hundred million heavens of contentment. […]. And everywhere there Sudhana perceived himself at Maitreya’s feet.« In: Cleary, T. 1993: 1489–1493. 4 »From the beginning, buddha ancestors clarify the mind ground. Right at the time of insight, steal their eyes. The golden lion tries to proceed and steps back. Iron-spiked spheres spring, and the wooden horse is startled.« In: Leighton/Okumura 2010: 612 f. Cf. Girard 2012: 311. »Probably the most well known usage of the mani-jewel in Mahayana Buddhism is in the metaphor of Indra’s Net (Indrajala).« Okumura 2015: 14. Carl Olson assoziert die Metapher der Perle unmittelbar mit Fa-tsangs Gleichnis vom goldenen Löwen: Cf. Olson 2000: 54 f. 5 Chan 1969: 406. 6 Cf. Suzuki, D. 1981: 12; Loy 1993: 483.

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Die Hua-yen-Vision letzter Wirklichkeit

der Nondualität von Form und Leere lässt sich daher am besten anhand der Lehren des Hua-Yen-Buddhismus vertiefen, deren Interpretation er einen eigenen Aufsatz – Indra’s postmodern net (1993) – gewidmet hat und auf deren Gleichnisse er in seinen Arbeiten laufend rekurriert. 7 Aufgrund dieser besonderen Bedeutung und des Umstands, dass Loy die Lehren dieses sino-buddhistischen Denksystems in keiner eigenständigen Darstellung gewürdigt hat, werde ich im Folgenden eine kurze Einführung in die zentralen Lehren geben, um diesen zentralen Aspekt der philosophiegeschichtlichen Hintergründe von Loys Buddhismusinterpretation zu erhellen und seine spezifisch zen-buddhistische Aneignung und Transformation des HuaYen-Buddhismus beurteilen zu können.

6.1. Die Hua-yen-Vision letzter Wirklichkeit Der Name der Hua-yen-Schule geht auf das Mahāvaipulya-Buddhāvataṃsaka-Sūtra (chin. hua-yen ching/huayanjing, jap. kegon-kyō) zurück, bei dem es sich wahrscheinlich um eine in Zentralasien entstandene Kompilation voneinander unabhängiger Schriften handelt und von denen zwei – das Daśabhūmika- und Gaṇḍavyūha-Sūtra – auf Sanskrit erhalten sind. 8 Die erste chinesische Übersetzung in sechzig Faszikeln erfolgte zwischen 418–420 n. Chr. durch Buddhabhadra (359–429 n. Chr.); eine zweite Übertragung ins Chinesische in 80 Faszikeln wurde auf Anregung Fa-tsangs zwischen 695–699 n. Chr. vom hotanesischen Übersetzer Śikṣānanda (652–710 n. Chr.) angefertig. Offiziell wurde die Avataṃsaka-Schule (chin. hua-yentsung/huayan-zōng, jap. kegon-shū) jedoch erst während der Lebenszeit des dritten Patriarchen Fa-tsang unter der einzigen chinesischen Kaiserin Wu Tse-tʾ ien/Wu Zetian (625–705 n. Chr.) gegründet. Fa-tsang sollen noch Tu-shun/Dushun (557–640 n. Chr.) und Chihyen/Zhiyan (602–668 n. Chr.) als erster und zweiter Patriarch vorausgegangen sein, obschon eine erste umfassende Systematisierung der Lehre erst durch Fa-tsang erfolgte, der neben dem AvataṃsakaSūtra stark vom Mahāyānaśraddhotpāda-Śāstra (ta-sheng chʾ ihsin-lun/dasheng qixinlun) beeinflusst war. In der Reihe der PatriarCf. Loy 1997a: 128, 234; Loy 1996a: 90, 92, 97–101, 107, 116, 126, 130, 158, 172; Loy 2003a: 50, 161, 183 f., 189, 192 f.; Loy 2002a: 155, 213 f.; Loy 2009a: 4, 120. 8 Cf. Hamar 2007; Ōtake 2007. 7

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Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

chen folgten ihm noch Chʾ eng-kuan/Chengguan (738–839 n. Chr.) und Kuei-feng Tsung-mi/Guifeng Zongmi (780–841 n. Chr.) als vierter und fünfter Patriarch nach, bevor die Schule in China an Bedeutung verlor und primär in Korea und Japan als Hwaŏm- und KegonSchule weiterwirkte. Es war nach Chʾ eng-kuan aber vor allem Tsungmi, der als gleichzeitiger Patriarch des Chʾ an- und Hua-yen-Buddhismus in seinen Werken eine für das theoretische und praktische Selbstverständnis des Sanbō-Kyōdan und damit auch für das Buddhismus-Verständnis Loys kaum zu unterschätzende Synthese beider Schulen vollzog und das Mahāyānaśraddhotpāda-Śāstra, dem bereits Fa-tsang eine entscheidende Rolle beigemessen hatte, zur zentralen Schrift erklärte und damit das BuddhāvataṃsakaSūtra als grundlegenden Text der Schule ersetzte. 9 Der Erleuchtungsweg des Buddhismus vollendet sich für Loy in der Rückkehr zum nondualen Erfahrungsfeld leerer Phänomenalität, in dem Form (rūpa) und Leere (śūnyatā) keine Gegensätze mehr verkörpern, sondern sich in der Erfahrung des Bodhisattvas wechselseitig durchdringen. Die ehemals entgegengesetzten Erfahrungsmodi koinzidieren in einer einzigen Einheitserfahrung, die zugleich die Einheit des Universums als einer einzigen, allumfassenden Sphäre der Realität (dharmadhātu/dharmakāya/tathāta) offenbart. Diese schwer zu fassende Vision einer vollkommenen Nondualität von Einheit und Vielheit, Identität und Differenz, Leerheit und Form, li (Prinzip/Eigentlichsein/Wirk-lichkeit) und shi (Sache/sachhaltiges Zeitlich-Sein) wird im Hua-yen-Buddhismus anhand der zwei Grundsätze des »Nichthindernisses zwischen dem Einen und dem Vielen (li-shih wu-ai fa-chieh)« und des »Nichthindernisses von den Vielen mit- und untereinander (shi shi wu-ai fa-chieh)« 10 bestimmt. In seiner Abhandlung über den Goldenen Löwen (Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh/Jin shizi zhang yunjian leijie) veranschaulicht Fa-tsang diese absolute Nondualität (dharma-dhātu pratītyasamutpāda) aus der Sicht des Erwachten anhand eines goldenen Löwen, wobei das Gold für die Leere (śūnyatā) oder li und der Löwe für die Namen (nāma) und Gestalten (rūpa) oder shi steht. Seine GrundCf. Gregory 2002: 14. Obert sieht den Wert von Tsung-mis Synthese vor allem darin, dass er »den Chan nicht als reine »Meditationspraxis«« auffasste und andererseits »die pragmatische Dimension des hermeneutischen Übungsweges im Huayan« betonte und damit die »wesenmäßige Verwandtschaft beider Richtungen« gedanklich zu durchdringen vermochte. Obert 2000: 20. 10 Verdú 1989: 135. 9

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Die Hua-yen-Vision letzter Wirklichkeit

lehre der »sechs Aspekte/Bedeutungen« (liu-hsiang) kann dabei in drei Zweierpaare unterteilt werden: (α) Ganzheit-Teilheit, (β) Identität-Diferenz, (γ) Integration-Disintegration: Demnach verkörpert (1) der Löwe den Aspekt der Ganzheit (tsung-hsiang/zongxiang), insofern er ein aus Teilen zusammengesetztes Ganzes ist; (2) seine einzelnen Körperglieder verkörpern wiederum den korrelativen Aspekt der Teilheit (pieh-hsiang/biexiang), da ein Ganzes abhängig ist von seinen Teilen (quantitative Differenz); (3) der Aspekt der Identität (tʾ ung-hsiang/tongxiang) besteht darin, dass alle Teile gleichermaßen aus Gold bestehen und (4) dabei dennoch als Augen, Ohren usw. voneinander unterschieden werden können, worin wiederum der Aspekt der qualitativen Differenz (i-hsiang/yixiang) besteht; (5) der generative Aspekt der Integration (chʾ eng-hsiang/chengxiang) erklärt, dass die harmonische Einheit des Löwen nur aus seinen koordinierten Teilen hergestellt werden kann und dieses organische Ganze (6) wieder in diese zerfallen würde, wenn der Akt der Integration ausbliebe, womit der destruktive Aspekt der Disintegration (huai-hsiang/huaixiang) bezeichnet ist. 11 Alle sechs Aspekte werden wiederum in einer Totalität zusammengefasst, die alle korrelativen Aspekte übergreift und integriert. 12 Das siebte Kapitel der Abhandlung über den Goldenen Löwen komplementiert und vertieft diese sechs Aspekte anhand der Lehre der »zehn unergründlichen Prinzipien/Tore« (shih-hsüan-men/shixuanmen, jap. jūgenmon), die von Tu-shun über Chih-yen auf Fatsang gekommen war. (1) Das erste »Prinzip/Tor der gleichzeitigen Erfüllung und gegenseitigen Entsprechung« 13 (tʾ ung-shih chü-tsu hsiang-ying-men) bezeichnet die simultane Reziprozität und Vollständigkeit aller Teile des Löwen, womit Fa-tsang das Bild einer korrelationalen Gesamtwirklichkeit zeichnet, in dem sich alle Teile zur gleichen Zeit wechselseitig beinhalten und bedingen. 14 Cf. Verdú: 1981: 160–163. »[T]he dharma-kāya establishes an absolute ›integration‹ wherein the ›whole‹ is integrated« with the ›parts,‹ ›identity‹ is integrated with ›difference,‹ and wherein – in a final paradox – ›integration‹ is integrated with ›disintegration.‹ The ever-acting and never-ceasing process of this ›integration‹ constitutes the very essence of what has been designated as ›absolute freedom.‹« Verdú 1981: 162. 13 Ich folge in der Übersetzung Elberfeld 2000: 132 ff. 14 Dieses Bild weckt Reminiszenzen an die tausend Jahre später verfasste Monadologie (1714) von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716): »Nun bewirkt diese Verbindung oder diese Anpassung aller geschaffenen Dinge untereinander und eines jeden mit allen anderen, da jede einfache Substanz Bezüge hat, welche alle anderen 11 12

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(2) Das zweite »Prinzip/Tor der vielen Speicher, die in Reinheit und Vermischtheit konkrete Wirkkraft besitzen« (chu-tsʾ ang chʾ untsa chü-te-men besagt die wechselseitige Durchdringung des Ganzen und seiner Teile. Da alle Körperglieder des Löwen Teile eines organisch-strukturierten Ganzen sind und mit jedem anderen Teil des Löwen in einem universalen Nexus wechselseitiger Abhängigkeit wesenhaft verbunden sind, ist in jedem akzentuierten Teil das koordinierte Ganze und die Totalität aller Korrelationen »gespeichert«. (3) Das dritte »Prinzip/Tor, in dem Eines und Vieles einander umfassen, ohne identisch zu sein« (i-to hsiang-jung pu-tʾ ung-men, besagt die absolute Komplementarität und Nondualität von Identität und Differenz, von Leere und Form, insofern das eine Gold (tathāta) und seine vielen Formen sich ungehindert durchdringen und beide gegenseitig ineinander enthalten sind, ohne dabei ihre Eigenheit zu verlieren: »Das Gold und der Löwe umfassen einander: so entsteht das Eine und das Viele, ohne sich zu behindern. Hierin sind [jedoch] ausdrücken, und daß sie also ein lebendiger, immerwährender Spiegel des Universums ist. […]. Folglich fühlt jeder Körper alles, was im Universum geschieht, so daß, wer alles sehen kann, in einem jeden lesen kann, was überall geschieht, und selbst was geschehen ist oder geschehen wird. Er wird im Gegenwärtigen bemerken, was entfernt ist, sowohl der Zeit nach wie dem Ort nach: σύπνοια πάντα [sympnoia panta; F. V.] wie Hippokrates sagte.« Monadologie 56, 61. In: Leibniz 2002: 133, 137. Cf. Liu 1982a; Rentmeester 2014. Verdú hat in seiner Studie auf Differenzen zwischen Leibniz und dem Hua-yen Buddhism hingewiesen und stattdessen eine größere Nähe zur Prozessphilosophie Alfred North Whiteheads (1861–1947) konstatiert: »Whitehead claims that reality is not constituted by an infinity of universe-reflecting, God-created entities (monads), but by a self-consistent, mutually interdependent co-presence and sequence of events. Thus, according to Whitehead, ›change,‹ ›endurance,‹ and ›eternality‹ are integrative aspects in the organic structure and ›prehensive unity‹ of events which, as universe, becomes manifest in the field of consciousness.« Verdú 1981: 152. Weitere Vergleiche zwischen dem Hua-yen Buddhism und Whitehead finden sich bei Odin 1982; Shen 2015 und Vorenkamp 2005. Auf die Unterschiede zu Whiteheads Prozessphilosophie hat wiederum Pan-Chiu Lai aufmerksam gemacht: Das Prinzip der Nicht-Hinderung der dharmas sei weder linear noch asymmetrisch, sondern symmetrisch und wechselseitig und unterscheide sich darin von Whiteheads Begriff der Prehension, die strikt asymmetrisch zu verstehen sei. Der Hua-yen-Buddhismus gehe fernerhin von keiner Kausalbeziehung aus, die unilateral sei oder der Zeitsequenz folge, sondern vielmehr bilateral oder wechselseitig gedacht werde und mit dieser Sichtweise von Kausalbeziehungen die Bedeutung von Zeit transzendiere. Whitehead habe eine Form kumulativer Durchdringung vertreten, in der die zeitlich folgenden aktualen Entitäten die früheren ergreifen und durchdringen und nicht umgekehrt. Im Hua-yen Buddhismus liege hingegen eine wechselseitige Durchdringung ohne früher oder später vor, die weder in einem zeitlichen noch in einem logischen Sinne zu verstehen sei. Cf. Lai, P. 2005: 57 f.

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Prinzip (li) und Sache (shi) jeweils für sich und nicht identisch. Es gibt das Eine und das Viele, beide bleiben aber an ihrer eigenen Stelle.« 15 (4) Da das Gold immer ganz und ungeteilt in jeder seiner partikularen Formen präsent ist und somit alle Formen in dieser Hinsicht identisch sind, besagt das vierte »Prinzip/Tor, in dem alle dharmas füreinander ineins und zugleich frei und selbstbestimmt sind« (chufa hsiang-chi tzu-tsai-men), dass »alle Dharma-Wirklichkeiten miteinander überein fallen« 16, denn das Gold des Auges ist identisch mit dem Gold der Ohren, usw. (5) Das fünfte »Prinzip/Tor, nach dem Löwe und Gold sich geheim verbergen und manifest entstehen« (kuang-hsia tzu-tsai wuai-men) unterscheidet das Gold und die Form des Löwen als zwei koextensionale Perspektiven voneinander. Wenn die eine »erscheint«, ist die andere »verborgen« und vice versa, i. e. wenn wir den goldenen Löwen in seiner Form als Löwen fokussieren, ist nur die ansich wesenlose Erscheinungsform des Goldes präsent und das Gold tritt als das absolut einfache und unteilbare Wesen der Form in den Hintergrund; wenn wir den goldenen Löwen hingegen in seinem Wesen als Gold fokussieren, ist nur das formlose und unteilbare Wesen des Goldes gegeben und die wesenlose Erscheinungsform als Löwe tritt in den Hintergrund. Wenn wir aber beide Perspektive miteinander verbinden und das Gold als die qualitative Einheit des Wesens und den Löwen als quantitative Differenz der Form in ihrer Nondualität als goldenen Löwen gewahren, »so ist beides verborgen und tritt [ebensowohl] beides in Erscheinung.« 17 In Ansehung des Absoluten ist die phänomenale Differenz zwischen abstrakter Wesens- und konkreter Formbetrachtung allerdings undenkbar, denn in der wahren Alleinheit findet keine bloße Synthesis von Entgegengesetzten, sondern eine vom Reflexionsstandpunkt uneinholbare Nondualität des Endlichen und Unendlichen statt, insofern beide – Wesen und Form – miteinander identisch sind. (6) Daraus folgt das sechste »Prinzip/Tor, in dem das Kleine und das Winzige einander umfassen und in sich ruhen« (pi-mi hsien chü chʾ eng-men, demzufolge der Löwe weder einfach noch komplex, sondern beides zugleich ist, sodass sich beide Seiten wechselseitig illuminieren und das eine nicht ohne das andere sein und gedacht werden 15 16 17

Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Elberfeld 2000: 133. Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Obert 2000: 57. Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Obert 2000: 57.

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Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

kann: »Der Herr und der Gefolgsmann erhellen einander. Prinzip und Sache erscheinen zusammen und alles umfaßt einander restlos. Ohne sich zu behindern, steht [der goldene Löwe] ruhig und ist bis ins Kleinste und Winzigste ausgeführt.« 18 (7) Das siebte »Prinzip/Tor zum Reich von Indras Netz« (wei-hsi hsiang-jung an-li-men) besagt, dass der goldene Löwe ganz in jedem seiner Teile anwest, sodass ein Haar des Löwen den ganzen Löwen enthält. Dieser Löwe, der in einem einzelnen Haar enthalten ist, hat wieder Haare und auch in jedem einzelnen dieser Haare ist wieder ein ganzer Löwe präsent, usw. ad infinitum. Dieses Prinzip geht auf die Spiegel-Metaphorik des Mahāyānaśraddhotpāda-Śāstra und Laṅkāvatāra-Sūtra zurück und wurde später von Fa-tsang mit seinem berühmten Spiegelsaal veranschaulicht, den er auf Bitte der Kaiserin Wu Tse-tʾ ien eingerichtet hatte, um in knapper Form die buddhistische Lehre zu veranschaulichen: He took ten (huge) mirrors and arranged them standing face-to-face in the eight directions of the compass plus one above and one below, in such a way that they were at over one chang (about ten feet) across one another. Then in the center of the mutually opposing surfaces of the mirrors he placed a Buddhist figure and illuminated it with a burning torch so its image would (endlessly) reflect from each mirror into the others. Thus his students were made to understand the transcending from (the limited world of) land and sea into the meaning inexhaustible infinity. 19

Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Elberfeld 2000: 133. Sung kao-seng chʾ uan (Taishō 50:2061.732 a, b.). In: Verdú 1981: 79. Die relevanten Passagen im Laṅkāvatāra-Sūtra und Mahāyānaśraddhotpāda-Śāstra lauten: »Wie ein Spiegel die Formen wiedergibt, so nimmt das wahrnehmende Vijñāna [die Gegenstände] wahr«. In: Golzio 2010: 59. »Wie die Wellen auf dem Ozean gleichzeitig erscheinen oder [Bilder] in einem Spiegel oder Traum, so erscheint der Geist in seinem eigenen Sinnesbereich.« Golzio 2010: 69. »So wie sich in einem Spiegel, Mahāmati, alle Formen und jeglicher Glanz ohne Unterschied und zur gleichen Zeit spiegeln, so reinigt der Tathāgata alle Wesen zur gleichen Zeit […] wie die Scheiben von Mond und Sonne zur gleichen Zeit mit ihren Strahlen alle Formen und jeglichen Glanze sichtbar machen«. Golzio 2010: 75. »It is like a mirror (having its own inner) ›causal permeation.‹ That is: (it is like a mirror considered) as truly non-empty, and as thereby manifesting (within itself) all the objects of the (true) world, which neither go out nor come in, neither are lost nor destroyed. It is (the total manifestation of) the permanently abiding one mind, namely, because all the things have their true and real nature in it.« Ta-sheng chʾ i-hsin-lun (Taishō 32:1666.576c). In: Verdú 1981: 77. Cf. Hakeda 2005: 22. 18 19

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Das im Hua-yen-Buddhismus weit verbreitete Motiv von Indras Netz, das den mythologischen Darstellungen zufolge im Himmelspalast Indras über dem Weltenberg Meru – der Weltachse im Zentrum des Universums – hängt, findet sich bereits in den Schriften des ersten Patriarchen Tu-shun, der in seinem Werk Befriedung und Kontemplation in den Fünf Lehren nach dem Hua-yen (hua-yen wu chiao chih-kuan) das Reich des dharmadhātu (chin. fajie) anhand dieses Motivs als in sich differenzierte All-Einheit kennzeichnet, in der alle Dharma-Wirklichkeiten wesenhaft miteinander verbunden sind, ohne dabei in eins zu fallen oder sich gegenseitig zu behindern: Dieses Netz des göttlichen Herrschers nun besteht ganz aus edelsten Perlen. Infolge der durchgängigen Klarheit der Juwelen tauschen sie der Reihe nach miteinander ihr Abbild und zeigen sich so, ragen [ineinander] und gehen [ineinander] ein, Schicht um Schicht. Gemeinschaftlich zu einer Zeit zeigt [es] sich schlagartig in einer einzigen Perle. Jeweils bei jeder einzelnen verhält es sich so, ein Vergangen und Zukünftig ist letzten Endes nicht gegeben. Wenn wir uns ferner jetzt zum südwestlichen Rand hin eine Perle herausgreifen und das überprüfen, so kann hier die eine Perle mit einem Schlage aller Perlen Abbild zeigen; da es sich bei dieser [einen] Perle hier so verhält, steht es mit jeder der übrigen auch so. Da [aber] schon jede einzelne Perle zur selben Zeit schlagartig alle Perlen zeigt, gilt auch für jede andere wieder das Entsprechende. Wenn es so Schicht um Schicht geht, ohne daß ein Grenzpunkt gegeben wäre, so werden diese Schicht um Schicht ins Grenzenlose laufenden Perlenbilder allesamt in einer einzigen Perle strahlend/hoch in Erscheinung treten und sich zeigen; und nichts hindert, daß es auch bei all den anderen so geht. Sitzt man in einer Perle, bedeutet das, daß man zugleich Schicht um Schicht nach allen zehn Seiten hin in allen Perlen sitzt. Aus welchem Grund? In einer einzigen Perle sind alle Perlen gegeben; daher [sitzt] man, wenn in allen Perlen die eine Perle gegeben ist, zugleich auch in allen Perlen, wenn in allen [übrigen] dann aber wiederum in der hier. Nach dieser Vorgabe bedenke es. Wenn einmal in einer Perle, gehst [du] in alle Perlen ein, und dabei verläßt [du] gar nicht die eine Perle hier; und [du] gehst, bist [du] in allen [übrigen] Perlen, in die eine Perle ein und hebst diese eine Perle gar nicht heraus. […]. Solchermaßen wunderbares Gleichnis – denke die Dharma-Wirklichkeit nach dieser Art. Mit der Dharma-Wirklichkeit aber ist es nicht genau so. Sagt die gleichnishafte Rede Gleiches, ist es nicht ein Gleichnis. In einem Stück ähnelt es sich, daher sagen wir es auf diesem Wege. Inwiefern? Bei den Perlen hier können nur die Abbilder einander aufnehmen und ineinander eingehen, in ihrer ursprünglichen Dinglichkeit ist jede [Perle] verschieden. Bei den Dharma-Wirklichkeiten ist es nicht ebenso;

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sie durchdringen sich wechselweise mit dem ganzen Körper/zur Gänze im tragenden Zusammenhang. 20

Da also jede Perle in Indras Netz alle anderen reflektiert und diese ursprüngliche Widerspiegelung sich ebenfalls wieder spiegelt, usw. ad infinitum, sind Indras Netz und Fa-tsangs Spiegelsaal Sinnbilder für die ungehinderte und wechselbezügliche Durchdringung aller Erscheinungen, sodass sich die Totalität in jeder einzelnen Erscheinung konkretisiert, so, wie sich das Licht und der Buddha in jedem einzelnen Spiegel bis ins Unendliche fortlaufend reflektieren. Der Totalismus des Hua-yen-Buddhismus evoziert damit ein Bild letzter Wirklichkeit, das mit der zweiten der berühmten vierundzwanzig Gottesdefinitionen aus dem Buch der vierundzwanzig Philosophen (liber XXIV philosophorum) als »unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist« 21 (deus est sphaera infinita cuius centrum est ubique, cicumferentia nusquam) charakterisiert werden kann: »[D]a die Perlen hell sind durch und durch, zeigen sie sich wechselweise in ihren Abbildern, und Abbild, das gezeigt wird, ist umgekehrt wieder Abbild, das sich zeigen kann; so geht es Schicht um Schicht; endlich sich erschöpfen kann es nicht.« 22 (8) Das achte »Prinzip/Tor, in dem durch die Sachverhalte das [sic!] dharma gezeigt und dadurch befreiendes Verständnis erzeugt wird« (yin-ta-la-wang ching-chieh-men), artikuliert das absolute, alles umfassende und inkludierende Prinzip der Totalität als Nondualität der Dualität und Nondualität. »Vom Löwen sprechen wir, um das verblendete Unwissen auszudrücken. Von seinem goldenen Wesen sprechen wir, um seine wahre Wesensnatur zu konkretisieren und offensichtlich werden zu lassen. Prinzip und Sache werden gemeinsam erörtert, um das wahrhafte Verständnis des Speicherbewußtseins entstehen zu lassen.« 23 Die Verblendung besteht darin, den goldenen Löwen als Löwen zu sehen, sodass das Gold »verborgen« bleibt. Erleuchtung besteht allerdings nicht darin, den goldenen Löwen als Gold zu sehen, sodass der Löwe »verborgen« wird. Die integrale Wahrheit einer holistischen Vision kosmischer Harmonie liegt allein in der Komplementarität und Zugleichheit beider Weisen und der

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Hua-yen wu chiao chih-kuan. In: Obert 2000: 110 ff. Cf. Flasch 2013: 29. Hua-yen ching chih kuei. In: Obert 2000: 127. Chin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Elberfeld 2000: 133 f.

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Einheit des goldenen Löwen, wie sie im Speicherbewusstsein (ālayavijñāna) grundgelegt ist. 24 (9) Das neunte »Prinzip/Tor des Werdens verschiedener dharmas in zehn getrennten Zeiten« (yin-ta-la-wang ching-chieh-men) bezieht sich auf die konstante Veränderung und nur für einen Augenblick währende Existenz (kṣaṇikavāda) aller Erscheinungen und betont somit die zeitliche Dimension des goldenen Löwen. Die Existenz eines Dharmas muss auch in ihrer kleinsten Zeiteinheit (kṣaṇa) immer noch in die drei Phasen des Entstehens (utpāda), Bestehens (sthiti) und Vergehens (nirodha) unterteilt werden. So hat jeder Augenblick eine Vergangenheit (kuo-chʾ ü/guoqu, Gegenwart (hsiantsai/xianzai) und Zukunft (wei-lai/weilai). Aber der vergangene Augenblick hatte auch eine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und so sind auch im zukünftigen Moment alle drei Zeiten inbegriffen, weshalb Fa-tsang von insgesamt neun Zeiten spricht. Aber nicht nur in seiner räumlichen Dimension durchdringen sich die vielen Formen des goldenen Löwen ungehindert und sind wechselseitig ineinander enthalten, sondern auch in seiner zeitlichen Dimensionen koinzidieren alle neun Zeiten im stehenden Jetzt und bilden gemeinschaftlich »einen Vorstellungsaugenblick«, den Fa-tsang als zehnte Zeit bezeichnet. (10) Das zehnte »Prinzip/Tor der besten Vollendung durch die Veränderung und Transformation im Nur-Geist« (tʾ o-shih hsien-fa sheng-chieh-men) weist die cittamātra-Lehre (chin. wei-hsin, jap. yushin) als das alles umfassende und alles integrierende Prinzip der Totalität aus. Ob Synchronizität oder Diachronizität, Aktualität oder Potentialität, Bestimmtheit oder Unbestimmheit, Einheit oder Vielheit, Identität oder Differenz – alle Gegensätze werden in der alles umfassenden Einschließlichkeit und Soheit (tathāta) des dharmakāya vermittelt. Erwachen (bodhi) bedeutet für Fa-tsang vollkomVerdú stellt hier den evidenten Zusammenhang zur Chʾ an-/Zen-Praxis her: »In this sense, each one of the factual events in everyday life is a full and thorough ›disclosure‹ of truth. Hence the reliance of Ch’an and Zen Buddhism on the trivial occurences of factual life in order to bring about the cognitive state of satori. The ›splash‹ of the frog jumping into the water, the ›cracking‹ of the bamboo cane, the ›sipping‹ of your cup of tea, the deafening ›He!‹ shouted in the disciple’s ear, the ›cypress tree in the garden,‹ all such events and facts exemplify the totality of the function which is the ›Fact‹ per se indivisibly present within any fact, the ›Fact‹ that makes all the facts co-present in any one fact.« Verdú 1981: 158. Näheres zur Aneignung der YogācāraPhilosophie im Hua-yen-Buddhismus bei Hamar 2010; Hamar 2012.

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Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

menens Gewahren der Ur-Identität mit dem All-Einen oder tao, da man hier von allem »Anhaften und Wegwerfen« befreit sei und auf diesem Weg in das sarvajña-Meer eingehe, wie ein Strom der ins Meer fließt: »Wenn wir den Löwen und das Gold sehen, so haben beide Merkmale einander erschöpft. Es entstehen keine Begierden mehr. Auch wenn Gutes und Schlechtes vor unseren Augen erscheint, der Geist ruht wie das Meer. Alle irrigen Gedanken haben sich erschöpft, und es gibt keinerlei Zwänge mehr. Man tritt heraus aus allen Verstrickungen und entfernt sich von allen Beschränkungen. Die Ursache des Leidens ist für immer vernichtet, und dies bedeutet ins Nirvana einzugehen.« 25

6.2. Zur Rezeption des Hua-yen-Buddhismus durch Loy: Analogien und Differenzen Die hua-yen-spezifische Alleinheitslehre des goldenen Löwen, in der die phänomenale Differenz zwischen konkreter Form- und abstrakter Wesensbetrachtung schwindet und die begrifflich-ideale (nāma) und sinnlich-reale (rūpa) phänomenale Welt einerseits und ihre Leere (śūnyatā) andererseits in der wahren Alleinheit nicht nur koinzidieren, sondern identisch sind, findet ihre Entsprechung in Loys Lehre der Nondualität von Dualität und Nondualität, die weder die welthaften Phänomene noch ihre wesenhafte Leere akzentuiert, sondern beide in die Identität eines ursprünglich nondualen Erfahrungsfeldes leerer Phänomenalität aufhebt. 26 Von einem theoretischen StandChin-shih-tzu chang yün-chien lei-chieh. In: Elberfeld 2000: 135. Auch Paul Williams interpretiert Fa-tsangs Lehre vom goldenen Löwen wie Loy radikal immanentistisch und damit letztlich phänomenalistisch: »The Huayan noumenon, Fazang’s gold, however, is not something above and behind phenomena. Phenomena are not emanations from the absolute noumenon. Rather, phenomena are noumenon – the lion is gold, there is no gold behind the lion, the lion is not an emanation of gold. Gold only exists as having some form or another, in this case that of a lion. There is no gold without form which then takes on, as it were, some form or another. The phenomenal is the noumenal in its phenomenal form. This approach harmonized well with the traditional Chinese this-worldly outlook. The Ultimate is not elsewhere but here and now, in even the smalles, meanest thing. In particular it was easy to blend the Huayan emphasis on phenomena as being noumenon with the very Chinese appreciation of Nature and a vision of enlightenment as living in harmony with Nature or the natural flow of things. Like Nature, or the Dao, the Huayan noumenon is, in a sense, not an aloof, unchanging Absolute but, precisely because it

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Zur Rezeption des Hua-yen-Buddhismus durch Loy: Analogien und Differenzen

punkt aus genügt es Loy also nicht, dass śūnyatā und nāma-rūpa friedlich nebeneinander bestehen, sich wechselseitig ergänzen und gleichsam durchdringen. Loy will eine identitätsphilosophische Alleinheit erreichen und das, was sich mit Alfonso Verdú (1925–2008) als »ontische Synthese« beschreiben lässt, in der »Thesis und Antithesis nicht nur neben- oder miteinander existieren, sondern ein- und dasselbe Ding sind«. Das »völlige »Ineinandersein von Absolutem und Relativem«« dürfe daher nicht nur »eine Mischung oder Überlagerung dieser beiden Elemente sein«, sondern müsse »eine wirkliche ontische Koinzidenz darstellen« 27 – wobei auch der Begriff der ontischen Koinzidenz problematisch ist, insofern er den Zusammenfall von Verschiedenem meint und damit der aller Differenz ursprünglich vorausliegenden Identität widerspricht, die Loy in den Blick nimmt. Eine weitere Gemeinsamkeit zeigt sich im Verständnis der buddhistischen Lehre als eminent praktisch ausgerichteter Weisheitslehre. Weder das Motiv von Indras Netz noch die buddhistische Lehre insgesamt werden von Loy oder im Hua-yen-Buddhismus als intellektueller Selbstzweck betrachtet, sondern immer als heilspragmatische und pädagogische Mittel (upāya, chin. fang-pian/fangbian) verstanden, deren letztes Ziel die Erfahrung und nicht die Beschreibung letzter Wirklichkeit ist: [T]he Buddhist perspective emphasizes the realization that self and world are nondual. This is an experience not to be gained from the study of texts alone, for it usually requires religious practice: that is meditation, the ›other‹ of philosophy, the repressed shadow of our rationality, dismissed and ignored because it challenges the only ground philosophy has. 28

Den Kosmos, wie er sich in dieser nondualen Erfahrung von Welt und Selbst offenbart, denkt Loy in kontinuierlichem Rückgriff auf die hua-yen-spezifische Metaphorik letzter Wirklichkeit als lebendige Matrix universaler Bezüglichkeit und absoluter Freiheit, in der sich die welthaften Phänomene wechselseitig durchdringen und in ihrer Leerheit untrennbar miteinander verbunden sind: lacks its own intrinsic existence in the Mādhyamika sense, it is dynamic. Gold, through a skilled craftsmen, can take on a wide range of different forms.« Williams 2010: 141. 27 Verdú 1965: 188. 28 Loy 1993: 485.

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Kulmination: Nonduale Visionen letzter Wirklichkeit

[I]f the universe is a whole […] and if, as Hua Yen Buddhism develops in its image of Indra’s Net, each particular is not isolated but contains and manifests that whole, then whenever ›I‹ act it is not ›I‹ but the whole universe that acts–or rather, is the action. And if we accept that the universe is self-caused, then it acts freely whenever anything is done. Thus, from the nondualist perspective, complete determinism turns out to be equivalent to absolute freedom. 29

Dem Wesen nach herrscht in dieser Alleinheitserfahrung, aus der nichts ausgeschlossen wird und in der alles harmonisch zusammenfällt, die absolute Synthesis bzw. dynamische Identität des Absoluten und Relativen, wie sie Tung-shans vierte Stufe und die neunte Tuschezeichnung der Parabel vom Ochsen und seinem Hirten illustrieren, in der die Phänomenaliät und Subjekt-Objekt-Spaltung vom Standpunkt der Erleuchtung wieder in die Erfahrung integriert wird. Aber welche phänomenologische Erfahrungsvariante Loys entspricht dieser Erfahrung schlechthinniger Nondualität, die dem Bodhisattva nach der Erleuchtung eignet und seine Praxis jenseits von saṃsāra und nirvāṇa als Synthese von Weisheit (prajñā) und Mitgefühl (karuṇā) begründet? Es ist keine savikalpa-Erfahrung, da Loy diese als verblendete Perspektive kennzeichnet und mit Tung-shans erster seiner fünf Stufen identifiziert. Es ist auch keine nirvikalpa-Erfahrung als Gegenstück zu Tung-shans dritter Stufe, in der jedes Bewusstsein eines autonomen Subjektzentrums für die Dauer der Erfahrung vollständig inhibiert ist. Loy deutet die gesuchte Erfahrung der Nondualität von Dualität und Nondualität zumindest an, wenn er von einem unerwachten Selbstsinn spricht und damit zumindest auch so etwas wie einen erwachten Selbstsinn insinuiert. 30 Dieser erwachte Selbstsinn könnte auch angesprochen sein, wenn Loy von »nonregressive satori« spricht, insofern der Kern des eigenen Wesens nach der Erleuchtung leer bleibe (»the core of one’s being remains empty« 31), der Bodhisattva dabei aber gleichzeitig in der existentiell gewandelten Werdewelt der savikalpa-Erfahrung wirke. Diese Erfahrung der Nondualität von savikalpa- und nirvikalpa-Erfahrung hat Loy allerdings nicht als eigene Form der Erfahrung terminologisch festgehalten und durch keine phänomenologische Analyse spezifiziert. Ich habe auf diese phänomenologische Leerstelle in Loys Philosophie bereits in 29 30 31

Loy 1997a: 128. »[A]n unawakened sense of self is haunted by a sense of lack.« Loy 2015a: 120. Loy 1997a: 150.

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Zur Rezeption des Hua-yen-Buddhismus durch Loy: Analogien und Differenzen

meiner trichotomen Typologie der Nondualität hingewiesen und diese Erfahrungweise im Anschluss an den Yogācāra-Buddhismus als »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) bezeichnet. Ich werde darauf in meiner Kritik von Loys Philosophie der Nondualität noch ausführlich zurückkommen (siehe 9.1.).

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7. Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis

In Nonduality hatte Loy erklärt, dass der metaphysische Grund der unvermittelt auftauchenden nirvikalpa-Erlebnisse nicht nur grundsätzlich unbegreiflich, sondern auch eine Ursache für die Existenz des saṃsāra oder dessen Telos insgesamt nicht erkennbar sei. In späteren Publikationen hat Loy der inhärenten Tendenz zur Selbstobjektivation des ursprünglich nondualen Erfahrungsfeldes und damit der kosmischen Verblendung (avidyā) als emergenten Eigenschaft des Geistes und ihrer Sublimierung in der Erleuchtung allerdings einen genuinen Mehrwert gegenüber ihrer bloßen Abwesenheit attestiert: Die dynamische Selbsterscheinung der Leere erklärt Loy nun als funktionalen Drang des Kosmos, sich in und durch den Menschen seiner selbst bewusst zu werden und sich in ideeller Selbstentfaltung zur dialektischen Entwicklung seiner selbst zu bestimmen, die graduell von der Unbestimmtheit über die begrenzte Bestimmtheit und Individuation zur vollkommenen Selbstbestimmtheit und absoluten Freiheit führt und damit in einem alles integrierenden Totalismus des Einen und Vielen kulminiert. Dieser bislang unabgeschlossene Evolutionsprozess des Kosmos, der bereits von der Kosmogenesis über die Biogenesis zur Anthropogenesis fortgeschritten ist, erreiche allerdings nur vereinzelt in der Erleuchtung einiger Menschen eine qualitativ neue und höhere Entwicklungsstufe, in der der kosmische Buddha-Geist sich selbst durch den Menschen denke und zu sich in einer Vermittlung seiner selbst mit sich komme. Der göttliche Urgrund ist also kein welten- und werdeloses Sein und der kosmische Buddha nicht von Anbeginn fertig und vollkommen; er muss sich vielmehr entwickeln, durch rastlosen Wandel werden und wachsen und einen Prozess der Katharsis durchmachen, um sein absolutes Ziel zu erreichen, das Loy zufolge darin besteht, sich zu erkennen, für sich zu sein und damit zu vollem Selbstbewusstsein zu gelangen:

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Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis

Is my desire to awaken […] the urge of the cosmos to become aware of itself, in and as me? […] Perhaps our basic problem isn’t self-love but a profound misunderstanding of what one’s Self really is: not a discrete consciousness but rather one of the ways the whole cosmos fits together and actualizes itself. Without the compassion that arises when we realize our nonduality–empathy not only with other humans but with the planet–it becomes increasingly likely that civilization as we know it will not survive the next few centuries. Nor would it deserve to. It remains to be seen whether the Homo Sapiens experiment will be a successful vehicle for the cosmic evolutionary process. 1

Diesen Ansatz zu einem buddhistischen Evolutionismus, in dem die menschliche Vernunft als Ergebnis und vorläufiger Höhepunkt einer kosmischen Evolution erscheint, die sich über eine Stufenleiter intelligibler Strukturen im historischen Prozess sukzessive entfaltet und zur Transzendenz des Selbst und damit zur Verwirklichung des Göttlichen in uns strebt, assoziiert Loy mit den metaphysischen Spekulationen über den kosmischen Weltprozess des französischen Jesuiten, Theologen und Naturwissenschaftlers Pierre Teilhard de Chardin S.J. (1881–1955). 2 Entgegen Chardin, dessen Lehre vom »Omega-Punkt« für Loy auch einen letzten Abschluss der Geschichte und ein künftiges Weltende impliziert, begreift Loy seinen Ansatz zu einem buddhistischen Evolutionismus aber dezidiert nicht so, dass irgendwann eine Zeit kommt, da alle Wesen voll und ganz erleuchtet sein werden. Statt einen zukünftigen End- und Zielpunkt des kosmischen Geschehens zu fokussieren, deute die evolutionäre Vorstellung vielmehr eine Richtung für das eigene Leben an, das die letztendliche Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens hier und jetzt beantworte, ohne sich dabei unmittelbar dem Glauben zu verschreiben, dass sich dieser Prozess jemals vollenden werde. 3 Loy 2010b: 51. »Our species is how the universe becomes self-conscious.« Loy 2018: 116. 2 Cf. Loy 2015a: 92. Loys dialogische Synthese ist allerdings nicht neu. Bereits Lama Anāgārika Govinda (1898–1985) hatte eine Zusammenführung der theologischen Kosmogonie Chardins mit dem tibetischen Buddhismus unternommen und von einer sinnvollen Evolution, kontinuierlichen »Entfaltung und Bewußtwerdung« gesprochen, an deren Ende wir »das Universum als unseren »totalen Leib« erkennen und geistig durchdringen«: »Im Menschen wird sich das Universum selbst bewußt; theologisch ausgedrückt: Es ist das Erwachen Gottes im Individuum oder das Erwachen des Individuums zu Gott, zur Ganzheit.« Govinda 1990: 235, 255, 260. 3 Cf. Loy 2015a: 92. Chardin versteht den Omega-Punkt als transzendenten Ziel- und Endpunkt des Universums und der spirituellen Evolution der menschlichen Spezies, 1

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Obschon Loy die quasi-chiliastische Vision eines irdischen Buddhalandes ablehnt, führt er mit der Vorstellung, dass dieser Evolutionsprozess vereinzelt im Erwachen des Selbstbewusstseins des kosmischen Buddhas in und durch das endliche Bewusstsein des Menschen eine qualitativ neue und höhere Entwicklungsstufe erreicht, doch zumindest ein klassisches Motiv der New-Age-Bewegung in seine Buddhismusinterpretation ein, die ihrem Namen gemäß den Übergang in ein neues Zeitalter erwartet, das Fritjof Capra als »Solarzeitalter« 4 bezeichnet hat. In diesem Zeitalter werde das mechanistische vom tiefenökologischen Paradigma abgelöst und die gesamte Menschheit in einem umfassenden Sinn spirituell umgewandelt, während die Gegenwart als »Wendezeit« oder »Geburt eines neuen Zeitalters« 5 – so die programmatischen Buchtitel der NewAge-Bewegung – interpretiert wird, in der sich diese gesamtgesellschaftliche Transformation und geistige Evolution der Menschheit bereits anbahne. 6 Indem Loy den kosmischen Prozess nicht als Verder als allumgreifende und allgegenwärtige Liebe zugleich radikal immanent ist und als innerkosmische Kraft bewirkt, dass alles Seiende auf einen finalen Konvergenzpunkt zustrebt und das individuiert-isolierte Ego nach dem Kollektiven und Universalen trachtet. Die kosmische Evolution, die aufgrund einer der Materie inhärenten geistigen Kraft zur Biogenese und zur Entstehung des Menschen und der damit verbundenen Geistwerdung (noogenese) dränge, gipfle im Omega-Punkt, der das Individuum allerdings nicht annihiliere, sondern in der Person transzendiere, sublimiere und schließlich im Hyper-Personalen integriere, das Chardin wiederum als »Seele der Seelen« beschreibt: »Wenn er nicht von Natur erhaben wäre über Zeit und Raum, die er in sich sammelt, so wäre er nicht Omega. Eigengesetzlichkeit, allgegenwärtiges Wirken, Irreversibilität und schließlich Transzendenz: das sind die vier Attribute von Omega.« Chardin 1959: 263, 265. An anderer Stelle beschreibt Chardin den OmegaPunkt als »letzten Brennpunkt des Universums« und »Schlußstein im Gewölbe der Noosphäre«, der nicht in »physischer Veräußerlichung und Ausweitung, sondern psychischer Verinnerlichung« besteht und in dem »die irdische Noosphäre, die sich durch immer weitere Zunahme ihrer Komplexität mehr und mehr konzentriert, in einigen Millionen Jahren ihr Ende und Ziel finden wird.« Chardin 1961: 123, 128. 4 Capra 1986: 438. 5 Spangler 1978. 6 Cf. Russell, P. 1984. Fundiert wird dieser Ansatz durch die astrologische Weltalterlehre. Die Kreiselbewegung der Erdachse (Präzession) führt zu einem Fortschreiten des Frühlingspunkts entlang der Ekliptik, der auf diese Weise einmal durch alle Sternbilder wandert. In Anlehnung an Platons Spekulationen im Timaios, der zufolge die gleichförmig fortschreitenden Planeten nach Vollendung eines Weltzyklus wieder in ihrer gemeinsamen Ausgangskonstellation zusammentreffen, wird ein abgeschlossener Zyklus der Präzession auch Platonisches Jahr genannt, das wiederum in zwölf platonische Weltmonate unterteilt wird, die nach den zwölf traditionellen Tierkreiszeichen benannt werden. Cf. Timaios 39 C. In: Loewenthal 2010a: 118 f. Der Welt-

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fall, sondern als Entwicklung von niederen zu höheren Formen erklärt, der von einem teleologischen Prinzip bestimmt ist, das im gesamten Universum ganzheitlich wirksam ist und dessen Höherentwicklung durchgehend leitet, widerspricht er allerdings massiv allen wesentlichen Elementen der traditionell buddhistischen Kosmologie und dysteleologischen Naturauffassung, der mit ihrer Dekadenztheorie vom akzelerierten Verfall des dharmas durch die Weltalter kein evolutiv-lineares, sondern zyklisches Zeitverständnis sukzessiven Niedergangs zugrunde liegt. 7 Eine derart grundstürzende Umdeualterlehre zufolge befinden wir uns derzeit im Fische-Monat des Platonischen Jahres, das durch den Beginn des neuen Wassermannzeitalters abgelöst werden wird, wobei den fortschreitenden Weltaltern eine progressive Entwicklung der Menschheit korreliert und jedem zodiakalen Übergang ein kultureller Evolutionssprung entspricht. Cf. Gloy 1996: 160 f. 7 Der Buddhismus übernimmt dabei in weiten Teilen die panindische Lehre von der zyklischen Zeit und den Weltaltern (mahāyuga). Ein vollständiger Zyklus setzt sich demnach aus insgesamt vier Zeitperioden (yuga) zusammen, die nach den Seiten eines vierseitigen Prismenwürfels als Kṛta (4), Tretā (3), Dvāpara (2) und Kali (1) benannt werden. Im »vollkommenen Zeitalter« (kṛta-/satya-yuga) leben die Menschen gemäß der sittlichen Ordnung des Weltalls (dharma), die über das tretā- und dvāpara-yuga zunehmend verfällt und degeneriert bis im kali-yuga nur noch ein Viertel des dharmas übrig ist. In diesem Zeitalter allgemeiner Dekadenz befolgen die Menschen laut Viṣṇupurāṇa weder die Lebensführung gemäß der Stände- und Lebensalter (varṇāśramadharma) noch diejenige, die auf Ṛg-, Sāma und Yajur-Veda zurückgeht. Die Ungläubigen unter den Menschen werden zahlenmäßig überwiegen und das Lebensalter der Menschen beträgt nicht mehr als 20 Jahre. Cf. Viṣṇupurāṇa 6, 1. In: Schreiner 2013: 532 ff. Gemäß dem »Dharma-Lehrbuch des Manu« (mānavadharmaśāstra) bzw. der »Überlieferung des Manu« (manusmṛti) umfasst ein Götterjahr 360 Menschenjahre. Das kṛta-Zeitalter währt 4000 Götterjahre (= 1 440 000 Menschenjahre), das tretā-Zeitalter 3000 Götterjahre (= 1 080 000 Menschenjahre), das dvāpara-Zeitalter 2000 Götterjahre (= 720 000 Menschenjahre) und das kali-Zeitalter 1000 Götterjahre (= 360 000 Menschenjahre). Jedes Zeitalter wird von einer vorangehenden Zwischenperiode der Morgenröte und einer nachfolgenden Zwischenperiode der Abenddämmerung umfasst, die jeweils »dieselbe Länge in Hunderten« betragen, also 400 (= 144 000 Menschenjahre), 300 (= 108 000 Menschenjahre), 200 (= 72 000 Menschenjahre) und 100 Götterjahre (= 36000 Menschenjahre). Cf. Manusmṛti 1, 61–86. In: Michaels/Mishra 2010: 14–17. Ein Weltalter (mahāyuga) umfasst demnach insgesamt 12 000 Götterjahre (= 4 320 000 Menschenjahre) und endet mit einer partiellen Auflösung, in der die Dreiwelt, i. e. die Erden-Welt (bhūr-loka) mitsamt ihren sieben unterirdischen Regionen (pātāla) und Höllen (naraka), der sich darüber bis zur Sonne erhebende Zwischenbereich (bhuvar-loka) und der Götterhimmel (svar), verbrannt werden. Tausend solcher mahāyugas bilden zusammen ein kalpa, das in einem vollständigen Kataklysmus (mahāpralaya) des Kosmos endet. Die Länge eines kalpas entspricht einem Tag im 100 Jahre andauernden Leben des Demiurgen Brahmā (= ein para), dem eine ebenso lange Nacht der Weltenruhe folgt. In

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tung, die aus der traditionellen Verfalls- und Dekadenzgeschichte einen evolutionären Mythos der spirituellen Vervollkommnung macht, gibt es zumindest auf hinduistischer Seite erst seit Aurobindo und ist von einem gesellschaftsreformatorischen Habitus und neuzeitlichen Voraussetzungen abhängig, die zumindest in dieser Form auf den Buddhismus in seiner Ursprungsgestalt nicht zutreffen. 8 Diese fundamentale Revision kosmologischer Lehren sieht Loy indes als unerlässliche Notwendigkeit, um den potentiellen Fatalismus und Defätismus eines zyklischen Weltbildes zu bannen und den Menschen mit dem Mythos eines spirituellen Evolutionismus zur verantwortlichen Partizipation am Weltgeschehen zu motivieren. 9 Diese mythologische Vorstellung einer kosmischen, biologischen, soziokulturellen und spirituellen Evolution, die auf allen Ebenen graduell zu höheren und komplexeren Entwicklungsformen führt, wird im Anschluss an Edward O. Wilsons On Human Nature (1978) als »evolutionary epic« bzw. »Epic of Evolution« bezeichnet und stellt den integralen Versuch einer gesamtwissenschaftlichen Synthese primär naturwissenschaftlicher und religiös-spiritueller Vorstellungen im Paradigma des Evolutionismus dar. 10 Bevor ich Loys buddhistische Variante dieses Evolutionsepos im Einzelnen darstelle, ist es sinnvoll, einen kurzen Überblick über zentrale Themenfelder und Inhalte des von Loy rezipierten Diskurses zu geben, um anschließend Analogien und Differenzen in Loys Adaption zu verdeutlichen und seinen Mythos des werdenden dharmakāya in seinem größeren philosophieund religionshistorischen Kontext verorten zu können. jedem kalpa folgen vierzehn Patriarchen (manus) aufeinander, die der Menschheit den dharma lehren. Jeder dieser Stammväter herrscht für 71 mahāyugas (= ein manvantara). Wenn die Zeit der vierzehn Patriarchen abgelaufen ist, vernichtet eine Sintflut alle Menschen der Erden-Welt (bhūr-loka) und es folgt eine Periode der Menschenleere. Cf. Glasenapp 1922: 226–233. Eine ausführliche Darstellung der Rezeption, Adaption und Modifikation im Buddhismus findet sich bei Deeg 1999; Kirfel 1920: 178–207; Kleine 1999; Sadakata 1997. 8 Cf. Aurobindo 1999b: 261–269; Aurobindo 2003; Aurobindo 2015: 43–75. Näheres zu Aurobindos evolutionärer Karma- und Wiedergeburtenlehre bei Minor 1986c und Wolff 1957. 9 Cf. Loy 2015a: 75 f. 10 Wilson selbst verbindet mit diesem Begriff allerdings noch ein anti-religiöses Programm: »I consider the scientific ethos superior to religion: […]. If religion, including the dogmatic secular ideologies, can be systematically analyzed and explained as a product of the brain’s evolution, its power as an external source of morality will be gone forever […]. What I am suggesting, in the end, is that the evolutionary epic is probably the best myth we will ever have.« Wilson 2004: 201.

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Das Epos der Evolution

7.1. Das Epos der Evolution Die Menschheit, so Wilson in seinem Vorwort zu Loyal D. Rues Adaption des Epos als Everybody’s Story (2000), sei eine mytho-poetische Spezies, die eine sinnstiftende Erzählung über die Schöpfung der Welt und ihre Rolle darin benötige. Eine solche Erzählung müsse gleichermaßen emotional wie rational befriedigend sein und verlange angesichts der entstehenden Weltkultur und globalen Identitätskrise nach einem universalen Narrativ, das alle Menschen in einen gemeinsamen Zusammenhang stelle, der Solidarität und Kooperation befördere. 11 Die globale Erderwärmung und die Zerstörung der Ozonschicht, das massenhafte Artensterben und die weltweiten Ausmaße der Bodenerosion, die Luft- und Wasserverschmutzung und die Verseuchung der Umwelt durch giftige Abfälle, der beispiellose Raubbau an fossilen Brennstoffen und mineralischen Rohstoffen, die weltweit steigenden Armuts- und Kriminalitätsquoten, die soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Ausbeutung sowie der internationale Terrorismus sind für Rue nur einige besonders akute Beispiele dafür, dass die Probleme der Gegenwart globale Herausforderungen darstellen und nur durch ebenso globale Initiativen, Strategien und Strukturen effektiv adressiert werden können. 12 Die globale Dimension der Verantwortung erfordere ein Einheitsbewusstsein der gesamten Menschheit und rufe nach der vergemeinschaftenden Kraft einer gemeinsamen Geschichte: »[E]verybody’s problem calls for everybody’s story.« 13 Der narrative Kern dieser Geschichten besteht nach Rue in einer kosmologischen Dimension, die uns darüber informiere, wie die Welt wirklich ist sowie einer moralischen Dimension, die uns erkläre, was für den Menschen wirklich zählt. Dieser Kern differenziere sich wieder in eine intellektuelle, institutionelle, ästhetische, erfahrungsgemäße und rituelle Komponente aus. Während die intellektuelle Dimension in Form von Philosophie und Theologie für die Kohärenz und Konsistenz der Geschichte sorge und ihre Plausibilität gegenüber interner und externer Kritik verteidige, erstrecke sich die institutionelle Dimension auf die sozialen Aspekte der Geschichte, die ihre Überlieferung durch Unterweisung und Verbreitung gewährleisten; 11 12 13

Cf. Wilson 2000: ix-x. Cf. Loy 2015a: 73. Cf. Rue 2000: 3 f. Cf. Loy 2015a: 65, 73, 76 f. Rue 2000: 28.

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die ästhetische Dimension betreffe die manifeste Form und objektive Präsenz der Geschichte in Bildern, Skulpturen, spezifischer Architektur, Musik und Dichtung, während sich die Erfahrungsdimension auf persönliche Erlebnisse spirituell-religiöser Natur beziehe, in denen sich die Gültigkeit der Geschichte individuell bestätige; die rituelle Dimension verbinde den narrativen Kern der Geschichte wiederum mit besonderen Ereignissen im persönlichen Leben der Menschen, das durch die Verbindung mit den zeitlosen Elementen des Mythos seine überzeitliche Bedeutung erhalte. 14 Da die buddhistischen, hinduistischen, jüdischen, konfuzianischen, platonischen, taoistischen, zoroastristischen, usw. Geschichten der ersten Achsenzeit (800–200 v. Chr.) und auch die späteren Geschichten des Christentums und des Islams den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr gerecht würden, in ihrer ursprünglichen Form obsolet geworden seien und – der Einheit ermangelnd – immer mehr an Zahl und an Einfluss verlören, bedürfe man nichts weniger als einer Universalgeschichte – dem Epos der Evolution – und einer zweiten Achsenzeit (»a new Axial Age« 15) im Paradigma des Evolutionismus. 16 Neben Eric Chaissons Cosmic Dawn: The Origins of Matter and Life (1981) wurde dieses mythologische Konstrukt eines evolvierenden Kosmos zuerst in The Universe Story (1992) vom Mathematiker Cf. Rue 2000: 26. Rue 2000: 34. 16 Von einer zweiten Achsenzeit (»a new axial vision«) hat auch Paul Marshall jüngst wiederholt gesprochen. Cf. Marshall, P. 2016: 153–228. Von der Notwendigkeit einer solchen Universalgeschichte ist auch die US-amerikanische Biologin und ehemalige Präsidentin des Institute on Religion in an Age of Science (IRAS) Ursula W. Goodenough zutiefst überzeugt, die in ihrem einflussreichen Buch The Sacred Depths of Nature (1998) das Evolutions-Epos zum idealen Mythos für die Gegenwart und Zukunft der Menschheit im dritten Jahrtausend erklärt hat: »Humans need stories– grand, compelling stories–that help to orient us in our lives and in the cosmos. The Epic of Evolution is such a story, beautifully suited to anchor our search for planetary consensus, telling us of our nature, our place, our context. Moreover, responses to this story–what we are calling religious naturalism–can yield deep and abiding spiritual experiences. And then, after that, we need other stories as well, human-centered stories, a mythos that embodies our ideals and our passions.« Goodenough 1998: 174. Den zentralen Gehalt dieses Epos hat die Ökologin Connie Barlow folgendermaßen definiert: »The ›Epic of Evolution‹ is the 14-billion-year narrative of cosmic, planetary, life, and cultural evolution – told in sacred ways. Not only does it bridge mainstream science and a diversity of religious traditions, if skillfully told, it makes the science story memorable and meaningful, while enriching one’s religious faith or secular outlook.« Barlow 2005: 612. Cf. Barlow 1997: 30–44. 14 15

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Das Epos der Evolution

und Kosmologen Brian Swimme und dem katholischen Theologen und Kulturhistoriker Thomas Berry (1914–2009) aufgegriffen und detailliert beschrieben. 17 Swimme und Berry vertreten darin die Ansicht, dass sich der Mensch in der Endphase der bis heute andauernden Erdneuzeit (känozoikum) befinde und in der gegenwärtigen Übergangsphase vor der erdgeschichtlich entscheidenden Verantwortung stehe, ein ökologisch nachaltiges Zeitalter (Ökozoikum) einzuleiten, sich von seiner bisherigen Rolle als autodestruktiver Saboteur des universellen Entwicklungsprozesses zu verabschieden und damit das bereits in voller Entstehung begriffene Technozoikum aufzuhalten. Das Ökozoikum zeichne sich gegenüber dem durch anthropozentrisches Denken und eine tiefgreifende Entfremdung des Menschen von der Natur gekennzeichnete Technozoikum durch die Vorstellung des Universums als einer lebendigen Beziehungseinheit aus, von der das Dasein aller Dinge seinen Sinn und sein Leben erhalte. In dieser Zukunft lebe der Mensch wieder in Übereinstimmung und Synthese mit den evolutionären Strukturen des Weltalls, sodass »die kosmische Ordnung beständig im Medium der menschlichen Gesellschaft« und umgekehrt »die Ordnung der menschlichen Gesellschaft im Vorbild der kosmischen Ordnung« 18 erlebt werde und der Mensch zu seinem »Weltenselbst« 19 erwache, wodurch »das ganze Universum mit seinen unzähligen Manifestationen beseligt zu sich selbst« 20 komme. 21 In einem Interview mit dem Tiefenökologen und Ökopsychologen Geseko von Lüpke hat Berry die Ursache für den Hang des Menschen zum Technozoikum und dessen zerstörerisches Verhalten Cf. Chaisson 1989. Chaisson hat eine vollständige Neubearbeitung des Stoffes vorgelegt in Chaisson 2006. Cf. Swimme/Berry 1992. Eine aktuelle Version findet sich bei Haught 2017. Loy bezieht sich auf die Arbeit von Swimme und Berry, deren Buch The Universe Story er als allgemeinen Einstieg in die Thematik empfiehlt, in Loy 2015a: 63, 66, 73, 78, 85 f., 90, 99 f., 125. 18 Swimme/Berry 1999: 253. 19 Swimme/Berry 1999: 274. 20 Swimme/Berry 1999: 273. 21 Indem wir uns selbst zu spirituellen Wesen weiterentwickeln, helfen wir auch dem polnischen Philosophen Henryk Skolimowski zufolge »letztlich dem Göttlichen, sich selbst zu verwirklichen« und diese existentielle Teilnahme am kreativen Elan eines sich selbst transzendierenden Kosmos impliziere einen partizipatorischen, symbiotischen, kooperativen und altruistischen Habitus, »der die Verbundenheit des Menschen mit der Schöpfung zutiefst realisiert hat und aus einer Haltung des identifizierenden Mit-Seins handelt.« Skolimowski 1999: 496, 501. Cf. Skolimowski 1994. 17

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gegenüber der Natur mit »unserem philosophisch-religiösen Fundament, den humanistischen griechischen Traditionen« identifiziert, die mit »viel Nachdruck den Menschen zu spirituellen Wesen in einem nicht-spirituellen, geistlosen Universum erklärt« 22 hätten. Das Technozoikum sei daher nur durch eine grundstürzende Revision unserer Wahrnehmung des Universums aufzuhalten, wozu wiederum die Etablierung eines »Gegenmythos« 23 zum reduktionistischen Materialismus und Atheismus der Gegenwart notwendig sei, der neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und spirituelle Erfahrungen vereine und den Menschen wieder in einen sinnhaften Zusammenhang mit dem schöpferischen Prozess des gesamten Kosmos stelle. Dieser moderne Mythos müsse die Evolution wieder als »Selbstoffenbarung des Heiligen« 24 und den Menschen als integralen Teil dieses Prozesses begreifbar werden lassen, um ein allgemeines Bewusstsein für die sakrosankte Qualität allen Daseins und die Intimität der Menschheit mit allen Erscheinungsformen des Universums zu kultivieren. Dem bekannten mennonitischen Theologen Gordon D. Kaufman (1925–2011) zufolge leistet das Epos der Evolution genau das. Das evolutionäre Paradigma ermögliche eine sowohl wissenschaftlich überzeugende als auch spirituell befriedigende Interpretation der Vergangenheit, auf deren Grundlage eine konstruktive Auslegung der Gegenwart möglich werde, aus der wiederum Zuversicht und Hoffnung für die Zukunft erwachse. In seiner all-umfassenden Vision der Wirklichkeit sei es daher ideal dazu geeignet, um die Menschheit in ihrer konstitutiv historischen Existenz effektiv auf diejenigen ökologischen, politischen, sozialen, kulturellen, psychologischen und religiösen Fragen und Probleme hin zu orientieren, die in der globalen Situation der Gegenwart unsere Aufmerksamkeit am dringendsten erfordern und dabei gleichzeitig für deren aktive Lösung zu motivieren: Acceptance of this vision can help women and men in our world–not only those who think of themselves as religious in some more or less traditional sense but also modern/postmodern women and men of other quite different persuasions–to gain some sense of identity, some sense of who we humans are and what we ought to be doing with our 22 23 24

Berry 2015: 45. Swimme/Berry 1999: 257. Swimme/Berry 1999: 258.

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lives. In the hope that our biohistorical trajectory may move creatively toward a more humane and ecologically well-ordered world, we can be motivated to give ourselves in strong commitment to its continuing growth and development. 25

Der US-amerikanische Öko-Theologe und selbsternannte »evolutionäre Evangelist« Michael Dowd hat insgesamt sechs Kernelemente dieses spirituell-evolutionären Narrativs identifiziert, das er in Thank God for Evolution (2007) als »the ›Great Story‹ of 14 billion years of divine grace and creativity« 26 beschrieben hat: Demnach sei die Evolution (1) noch nicht abgeschlossen und setze sich bis zum heutigen Tag unentwegt fort. Der Mensch trage als involvierter Protagonist eine entscheidende Verantwortung für den konstruktiven Fortgang dieser Geschichte und müsse sich als aktiver Teilnehmer dieses herausfordernden Abenteuers begreifen. Die Erzählperspektive sei (2) planetarisch und global, insofern jeder Mensch, egal welcher Ethnizität und Religion er angehöre und aus welchem Teil der Erde er stamme, seinen individuellen Beitrag zur Erforschung unserer gemeinsamen Evolutionsgeschichte leisten könne. Das evolutionäre Epos sei dabei (3) für eine Vielzahl von materialistischen, spirituellen etc. Interpretationen offen, die nicht nur toleriert, sondern in ihren spezifischen Differenzen lanciert würden, insofern alle Ansätze das menschliche Verständnis dieses Prozesses erweitern und vertiefen und unser Bild des Universums damit auf unterschiedliche Weise bereichern könnten. Bei der Erforschung der holistischen Evolutionsidee und unserer Stellung innerhalb der kosmischen Entwicklungsgeschichte gelte es alle Ressourcen des menschlichen Wissens zu nutzen. Dieser genuin multidisziplinäre und integrale Ansatz stelle (4) eine dringend benötigte Synthese naturwissenschaftlicher und religiöser Perspektiven dar, insofern er ein zeitgemäßes Verständnis der althergebrachten Kosmogonien und Schöpfungsgeschichten ermögliche und ihren religiösen Botschaften somit zu neuer Plausibilität verhelfen könne. Dabei stelle dieses Narrativ (5) keine alternativ konkurrierende Position zu den etablierten Religionen dar, sondern versuche als meta-religiöse Perspektive zu einem vertieften Verständnis aller spirituellen Traditionen weltweit beizutragen, die unter einem evolutionären Paradigma subsumiert und auf diese Weise im interreligiösen Dialog miteinander vermittelt werden sollen. Dieser neue 25 26

Kaufman, G. 1997: 187. Dowd 2007: xxvi. Cf. Loy 2015a: 101.

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Mythos sei (6) im kontinuierlichen Wandel begriffen und jede wissenschaftlich anerkannte Neuentdeckung sei potentiell dazu in der Lage, unsere gemeinsamen Verständnisformen dieses Narrativs von Grund auf in Frage zu stellen und damit unsere Sichtweise auf den kreativen Schöpfungsprozess in wesentlichen Aspekten zu revidieren. Diese Möglichkeit werde allerdings nicht mehr gefürchtet, sondern willkommen geheißen. 27 Zur Ausarbeitung einer solchen »heiligen Liturgie des Kosmos« 28 sind auch Berry und Swimme zufolge die Religionen berufen und verpflichtet. Dabei teilen sie mit Loy die Überzeugung, dass der Buddhismus vor allem in derjenigen systematischen Form einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, die er im Hua-yen-Buddhismus angenommen hat. 29

7.2. A New Buddhist Story: Loys spiritueller Evolutionismus Geschichten (stories) sind für Loy nicht einfach nur Geschichten, sondern Weisen der Selbst- und Welterfahrung, die Auskunft über das Ganze der Wirklichkeit und die Stellung des Menschen in ihr geben und somit eine narrative Einbettung in einen metaphysischen Horizont ermöglichen. Ohne Geschichte können wir uns nicht auf die Welt einlassen, weil es losgelöst von diesen Geschichten keine Welt gibt und niemanden, der sich auf sie einlassen könnte, da das SelbstKonstrukt für Loy die grundlegendste aller Geschichten ist. Unser Geist kann nicht in einem Vakuum operieren, sondern wird erst durch seine Welt- und Selbst-Konstrukte aktiviert, deren Legitimität sich für Loy allein daran bemisst, wie effektiv sie bei individuellen und institutionellen Transformationsprozessen helfen. 30 Normalerweise sind wir uns dieses Umstands nicht bewusst und erfahren unsere konditionierten Geschichten nicht als solche, sondern unmittelbar als Selbst und Welt. Ändern wir aber die Geschichte, dann ändern wir Loy zufolge zusammen mit ihr auch das Selbst und die Welt oder zumindest das, was für uns als Welt und Selbst gilt. Der Klimawandel könne beispielsweise nicht einfachhin durch eine neue Geschichte rückgängig gemacht werden, obschon Verschwörungstheoretiker 27 28 29 30

Cf. Dowd 2007: 19 f. Swimme/Berry 1999: 270. Cf. Swimme/Berry 1999: 271. Cf. Loy 2015a: 29.

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A New Buddhist Story: Loys spiritueller Evolutionismus

und Unternehmen, die ihren Umsatz aus der Nutzung fossiler Brennstoffe generieren, unentwegt bestrebt seien, dies zu tun. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum der Argumente der Klimaskeptiker lehnt Loy indessen kategorisch ab: »Despite persistent attempts by special interest groups to obfuscate the issue, the evidence provided by numerous scientific studies is conclusive and will not be debated here.« 31 Als eigentliche Ursache der zivilisatorischen und insbesondere der ökologischen Krise der Gegenwart mit ihrem unhaltbaren, auf unbeschränkten Wachstum ausgelegten Wirtschaftssystem und einer superexponentiell anwachsenden Weltbevölkerung, die ein solches offenbar nötig mache, diagnostiziert Loy eine fehlerhafte Geschichte über die Menschheit, das Universum und ihre Rolle darin. Das dominierende Weltbild sei nicht nur ungeeignet, die kritischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu meistern, sondern zu einem wesentlichen Teil für ihre Entstehung verantwortlich. Nicht zuletzt Charles Darwins (1809–1882) rein naturalistische, von göttlicher Providenz und Einwirkung unabhängige Erklärung des Evolutionsprozesses habe einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, das Universum zu entheiligen, ihm jeden transzendenten Sinn und alle gottgegebenen Werte zu nehmen und die Menschheit in ein profanes, von unpersönlichen physikalischen Gesetzen beherrschtes Universum zu verbannen, das sich dem menschlichen Schicksal gegenüber völlig gleichgültig zeige. 32 Auch Loy ist davon überzeugt, dass ein neuer Gegenmythos nicht nur sinnstiftend und handlungsorientieLoy 2010a: 6. Dann sind der anthropogene Klimawandel und die Daten, die Loy als wissenschaftlich eindeutigen Beweis für dessen Existenz wertet, offensichtlich keine bloße »Geschichte« für ihn. Genau dies würden ihm Kritiker des Klimawandels allerdings vorwerfen. Wer aber entscheidet dann, welche wissenschaftliche Beweisführung für oder gegen den Klimawandel bloße »Geschichte« ist und welche nicht? Das kann offenbar nur eine nach Objektivität strebende und entsprechend ihrer Programmatik um Neutralität und Wertfreiheit bemühte Naturwissenschaft leisten, die eben auf jenem (methodischen und nicht zwangsläufig metaphysischen) Materialismus beruht, den Loy unkritisch als bloße »Geschichte« betrachtet. Wie sich gezeigt hat (siehe 2.4.4. und 3.2.), ergibt sich diese Inkonsistenz bereits aus Loys erkenntnistheoretischen Prämissen und der fehlenden Reflexion auf die invarianten und irreduziblen Grundmomente der transzendentallogischen Struktur des prapañca. Insofern Loy keine Begründung für die Annahme objektiver Grundstrukturen der Weltwirklichkeit jenseits unserer sprach-, kultur-, geschichts- und kontextvarianten »Geschichten« liefert, bleibt auch die Behandlung des Klimwandels auf der Ebene unhintergehbarer Fakten unbegründet und unausgewiesen. 32 Cf. Loy 2015a: 68. 31

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rend, sondern auch mit den Entdeckungen der Wissenschaften über den Ursprung und die Entwicklung des Universums grundsätzlich vereinbar sein muss, um überhaupt noch überzeugen zu können. Diesen Anforderungen werde allerdings weder der Darwinismus, der die Evolution als einen zufälligen Prozess begreift, in dem der lebendige Geist durch planlose Mutation und Selektion aus der toten Materie emergiert, noch der Kreationismus gerecht, der die Schöpfungsberichte entgegen aller exegetischen Standards als naturwissenschaftliche Aussagen wörtlich auslegt und das Universum als Schöpfung Gottes mit intelligentem Design betrachtet und die Evolution entweder vollständig leugnet oder zumindest als einen von Gott installierten und gelenkten Prozess interpretiert. Für viele Menschen sei hingegen nicht die Evolutionstheorie als solche unglaubwürdig oder problematisch, sondern der fehlende Bezug des evolutionären Paradigmas zu ihrem Leben und den existentiellen Fragen über Sinn und Zweck desselben. Andererseits sieht Loy die Gefahr, dass die unentbehrlichen Geschichten der religiösen Traditionen auch weiterhin an Überzeugungskraft verlieren, wenn sie die moderne Sicht nicht akzeptieren und integrieren und sich auch künftig noch in einen impliziten oder expliziten Gegensatz zu Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft setzen. Loy übernimmt dabei Rues Kritik, der die Geschichten der religiösen Traditionen in ihren ursprünglichen Formen insgesamt für obsolet erklärt und eine grundlegende Modifikation dieser Erzählungen auf der Basis einer generellen Reformationsbereitschaft ihrer Vertreter fordert. 33 Eine der zentralen Herausforderungen für den zeitgenössischen Buddhismus sieht Loy folglich darin, zu ermitteln, inwieweit sich sein grundlegendes Weltbild mit neueren kosmologischen und evolutionsgeschichtlichen Erkenntnissen vereinbaren lässt und was der Buddhismus zum Verständnis des spirituellen Epos der Evolution im Einzelnen konkret beitragen kann. 34 In diesem Reformationsprozess müsse die Evolutionsgeschichte in den Kern der buddhistischen Geschichte eingegliedert und sowohl die Bedeutung der buddhistischen Lehre im Licht der Evolution als auch die Evolution im Licht der buddhistischen Lehre betrachtet werden. 35 Nur so könne ein gleichermaßen emotional befriedigender wie intellektuell überzeugender Gegenmythos etabliert 33 34 35

Cf. Rue 2000: 39. Cf. Loy 2015a: 76. Cf. Loy/Stanley 2016: 50.

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werden, der Religion und Naturwissenschaft als einander ergänzende Pole umfasst und die Einsichten der nondualen Traditionen mit den Erkenntnissen der Wissenschaften in Einklang bringt: The challenge is to create a new story that brings together the best of science with the best of the non-dual spiritual traditions–Buddhism, Advaita Vedanta, Taoism, Sufism and other mystical traditions. By looking deeper than the duality of a God who created the universe, deeper than the duality of a nirvana to which we can escape from earthly samsara, and deeper than the duality of scientific materialism, we recognize that the universe is a self-aware creative process. This pure creative potentiality is in us too. It can awaken and free itself from the limiting identities and games of the human condition. 36

Eine grundlegende Differenz gegenüber Vertretern eines realistischen Evolutionsepos ergibt sich für Loy aus der Radikalität der buddhistischen Metaphysik und Erkenntnistheorie, denn von einem absoluten Standpunkt (paramārtha-satya) aus betrachtet könne von einer schöpferischen Evolution überhaupt keine Rede sein, da alle Phänomene in ihrer Leerheit prinzipiell gleichwertig seien und sich die Leerheit als solche nicht wandle. Zwar sei die Leere kein formloser Ort, sondern nur in den unbeständigen Formen gegenwärtig, aber in dieser Dimension der Leerheit gebe es weder Fortschritt noch Niedergang, denn die Leere habe nichts zu gewinnen und nichts zu verlieren. In der Leere sei ein Felsen oder ein Baum nicht weniger wert als ein Gorilla oder ein Mensch und Hitler nicht schlechter als Gandhi, denn gegensätzliche Begriffe wie »gut« und »schlecht« seien in der gegensatzlosen Leere nicht anwendbar. Selbst wenn die Zivilisation kollabieren oder die gesamte Menschheit in einem gewaltigen Kataklysmus ausgelöscht würde, ginge nichts verloren. Allein als geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) könne vom Standpunkt weltlichverhüllter Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) zwischen verschiedenen Formen unterschieden und sinnvoll von einem evolutionären Fortschritt gesprochen werden und nur hier, in der Welt der Gegensätze, Zweiheit und empirisch-konventionellen Lebenspraxis (vyavahāra), seien Buddha und Gandhi besser als Hitler und ein Mensch mehr wert als ein Felsen oder ein Baum. 37 Aber auch von diesem Standpunkt aus könne das Universum nicht als selbstseiende Entität aufgefasst werden, die sich im evolutionären Prozess entwickelt, sondern 36 37

Loy/Stanley 2016: 51 f. Cf. Loy 2015a: 95.

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müsse vielmehr mit der Gesamtheit des sich unentwegt fortsetzenden und schöpferischen Evolutionsgeschehens selbst identifiziert werden. Dieses raumzeitliche Werden eines buddhistischen Prozessuniversums, das in seiner unbegrenzten Potentialität unablässig neue Formen aus sich hervortreibt, sei weder wesenhaft geistig noch substantiell materiell, sondern eine Energie und Lebenskraft, die diesem bipolaren Dualismus voraus liege und die Loy mit der Leerheit selbst identifiziert. 38 Das mechanistische Naturverständnis sei nur sinnvoll gewesen, solange man noch Gott als Schöpfer der Natur anerkannt habe. Die Vorstellung der Natur als einer hochkomplizierten Maschine, die sich ohne intelligenten Konstrukteur beständig reorganisiere und dabei zunehmend komplexere Strukturen erschaffe, sei hingegen »a severe logical flaw at the heart of Western science« 39. Das Universum könne entsprechend einem biologischen Modell wesentlich sinnvoller als selbstorganisierender Organismus verstanden werden, der genau wie andere Organismen durch zweckgerichtete bzw. adaptive Mutationen bestimmt sei und somit Formen der Intelligenz und Intentionalität zeige. 40 Die evolutive Prozessualität des Universums ist für Loy also weder zufällig noch vorherbestimmt, sondern kreativ, i. e. er versteht den Kosmos als lebendige Beziehungsganzheit und sich selbst-organisierenden und komplexitätssteigernden Organismus. 41 Cf. Loy 2015a: 88 f. Sahtouris 2000. Zitiert nach Loy 2015a: 83. 40 Loy bezieht sich hier vor allem auf die Studien des Genetikers John Cairns, der die Ergebnisse seines Experiments mit Kolibakterien 1988 im Wissenschaftsjournal Nature unter dem Titel The Origin of Mutants publiziert hatte. Cairns hatte in seinem Experiment einen Stamm des Bakteriums isoliert, der keine Laktose verdauen konnte. Wenn aber Laktose ihre einzig mögliche Nahrungsquelle war, mutierten die Bakterien sehr rasch und wurden zum entsprechenden Stoffwechsel fähig, sodass Cairns zu dem Schluss kam, dass Zellen im Inneren von Organismen über die Fähigkeit verfügen, ihre Mutationen zielgerichtet zu organisieren und sich auf diese Weise an Veränderungen in ihrer Umwelt dynamisch anzupassen und mit einem proaktiven Wandel des eigenen genetischen Codes zu antworten. Cf. Loy 2015a: 84 f. 41 Cf. Loy 2015a: 80 f. Kaufman zufolge manifestiert der kosmische Prozess eine »serendipitäre Kreativität« (»serendipitous creativity«), wobei Serendipität glückliche Entdeckungen bezeichnet, die sich wie die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus (1451–1506), der eigentlich den Seeweg nach Indien suchte, zufällig ereignen. Diese Idee substituiere zugleich die Vorstellung einer zielgerichteten und planvollen Aktivität Gottes, die allen kosmischen und historischen Prozesse zugrunde liege und diese ordne, durch die wesentlich gemäßigtere und daher plausiblere Annahme von Richtungsbewegungen (»directional movements or trajectories«), die 38 39

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In dieser dynamischen und organismischen Wirklichkeitsauffassung, so Loy unter Berufung auf den ungarischen Philosophen und Systemtheoretiker Ervin Laszlo, in der alle Dinge wie in Indras Netz miteinander verbunden sind und ein kohärentes, quasi-lebendiges und zusammenhängendes Ganzes konstituieren, sei das Universum kein bedeutungsloses Spektakel eines zur reinen Kalamität gewordenen Leidensprozesses kosmisches Ausmaßen mehr, in den der Mensch grundlos geworfen und zu erdrückender Sinnleere verdammt wurde, sondern ein verzauberter Kosmos (enchanted cosmos), in dem der Mensch als bewusster Teil desselben eine herausragende Stellung einnehme. 42 Insofern der kosmische Buddhageist sich in und durch den Menschen selbst erkenne, habe der Mensch als Erkenntnisorgan des dharmakāya eine spezifische Funktion im kosmischen Geschehen zu erfüllen, die seinem Leben eine bleibende Bedeutung verleihe und zudem neues Licht auf jahrhundertealte Fragen der buddhistischen Lehre werfe. 43 Denn wer oder was strebt eigentlich nach dem nirvāṇa und erlangt letztlich die Erleuchtung, wenn die Erleuchtung doch gerade die Erkenntnis einschließt, dass es nie ein Selbst gegeben hat, das vernichtet oder erleuchtet werden könnte? Für Loy bietet die buddhistische Adaption des evolutionären Paradigmas indes die Möglichkeit, das subjektive Erleuchtungsverlangen und die kulturelle Evolution des Menschen als Drang des Universums zu verstehen, im Menschen und als Mensch seiner selbst bewusst zu werden und mit und durch den Menschen schöpferisch tätig zu sein. 44 Spirituelle Praxis ist also keine Privatangelegenheit, die sich auf das individuelle Erwachen allein beschränkt oder die selbstlose Aktivität des Bodhisattvas, dem es um die kollektive Erleuchtung aller leidensfähigen Wesen geht, sondern für Loy der kosmische Evolutionsakzelerator schlechthin. Durch spirituelle Praxis werde der Mensch als mikrokosmische Ausgabe des makrokosmischen Evolutionsgeschens zu jenem Teil eines allumfassenden Selbstgewahrwerdungsprozesses, in dem der unendliche Geist des Buddhas durch den endlichen Geist des Menschen zu sich selber komme:

spontan im Zuge evolutionärer und historischer Entwicklungen auftauchen können. Kaufman, G. 1997: 183. 42 Cf. Laszlo 2006; Loy 2015a: 83; Loy 2018: 40. 43 Cf. Loy 2015a: 83 f. 44 Cf. Loy 2015a: 89.

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Perhaps exemplars like the Buddha and Gandhi are harbingers, or prototypes, of how our species needs to develop. If so, cultural development that is most needed today involves spiritual practices that address the fiction of a discrete self. Neurologists have discovered that contemplative practices can actually reconfigure the way the brain functions: during meditation the brain is rewiring itself. If my desire to awaken is, from a more nondual perspective, the urge of the universe itself to become self-aware, can we also say that it is the cosmic creative process that is rewiring its own brain? 45

Auf diese Weise bekommt der Bodhisattva-Pfad eine neue, kosmische und insgesamt tiefere Bedeutung mit weitreichenden gesellschaftspolitischen und ethischen Implikationen für Loy. Dass wir das Selbstbewusstsein des kosmischen Buddha-Geistes sind, mache das Universum faktisch zu unserem Körper und transformiere die buddhistische Ethik von einer pathozentrischen zu einer holistischen bzw. kosmozentrischen Ethik, die nicht nur alle bewusst empfindungsfähigen Lebewesen, sondern ausnahmslos alle Naturerscheinungen berücksichtige. Die Frage sei nur, ob ein ausreichend großer Teil der Menschheit noch rechtzeitig erwache und somit zum kollektiven Buddha der Ökosphäre werde, um die Menschheit vor sich selbst zu retten und die globale Katastrophe zu verhindern, denn einer Aussage Thích Nhât Hạnhs zufolge sei es durchaus denkbar, dass der kommende Buddha Maitreya nicht als individueller nirmāṇakāya, sondern als saṅgha oder in Form eines Kollektivs erwachter Individuuen erscheine. 46 Aus seinen metaphysischen Grundannahmen ergeben sich für Loy eine Vielzahl gesellschaftspolitisch relevanter Konzepte und normativer Theorien, die einen tiefgreifenden Wandel sowohl auf individueller als auch institutioneller Ebene implizieren. Die einzelnen Aspekte seines sozial-engagierten Buddhismus werden im späteren Verlauf der Arbeit noch Gegenstand einer eingehenden Auseinandersetzung sein.

45 46

Loy 2015a: 102. Cf. Loy 2015a: 103; Thích Nhât Hạnh 2015: 167.

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Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie

7.3. Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie Loys buddhistisch gewendeter Evolutionsepos einer zunehmenden Vergeistigung des Kosmos stellt nicht zuletzt in seiner daseinsverklärenden Absage an eine Dekadenzentwicklung eine grundlegende Neubestimmung der traditionell buddhistischen Kosmologie dar. Dennoch ist seine positive Deutung des Naturwerdens im weiteren Kontext des Hua-yen-Buddhismus durchaus anschlussfähig, der eine dreifältige Auffassung der »Substanz« (tʾ i/ti) als solche (bhūtatathatā; chin. chen-ju), in ihrer passiven Empfänglichkeit als überindividuelles Speicherbewusstsein (ālayavijñāna; chin. a-li-yeh shih) und in ihrer aktiven Wirk-lichkeit als »Schoß des Universums« (tathāgatagarbha; chin. ju-lai-tsang) lehrt, die über das taoistisch beeinflusste Mahāyānaśraddhotpāda-Śāstra Eingang in die Metaphysik der Schule fand. 47 Daran schloss sich ein Drei-Stufen-Modell (von-durch-zu) des spirituellen Pfades an, in dem ein Zustand »urgründiger Selbst-Kenntnis« (chin. pen-chüeh; jap. hongaku) durch einen Akt der Limitation, in dem das ālayavijñāna von der anfangslosen Verblendung »durchdrungen/durchduftet« (vāsanā; chin. hsün-hsi; jap. kunjū) wird, zum Zustand der »Un-kenntnis« führt (chin. pu-chüeh; jap. fukaku), der in der abschließenden dritten Stufe überwunden wird, indem die implizite Erleuchtung durch einen Realisationsprozess aus der Latenz gehoben und in der »anfanghabenden Kenntnis« (chin. shih-chüeh; jap. shikaku) der Buddha-

»Die Aspekte der ursächlichen Tätigkeit (der So-heit) bezeichnen nach der Mahāyāna-Lehre die Selbstnatur der Substanz, die Erscheinungen und die Funktion. […]. Die wahre So-heit ist mit der wunderbaren Tätigkeit sich durch die Schöpfung der begrenzten Weltnatur zu manifestieren, ausgestattet.« Ta-sheng chʾ i hsin lun (Taishō 32:1666.575 c-576a und 578b). In: Verdú 1989: 137. Verdú erklärt diesen Rezeptionsprozess folgendermaßen: »Die Synthese der immer noch indischen, universalistischen Lehren des Laṅkāvatāra-sūtras – welches den alten Begriff vom individuellen ālaya-vijñāna zu einem neuen Begriff der universalen, allumgreifenden Behälter der universalen Saaten des ›souveränen‹ (adhipati) Karmas erhob – mit dem taoistischen Begriff vom Tao als selbstbetätigend und selbstbestimmend, erwirkte die höchste Systematisierung der buddhistischen Metaphysik. Dadurch wandelte sich die veraltete Lehre des subjektiven Idealismus zur neuen Denkweise des ›objektiven Idealismus‹«. Verdú 1989: 138. Cf. Tokiwa 1974. Eine Darstellung der Hua-yen-Lehren der primären Ursächlichkeit und Anfangslosigkeit des prapañca, des karmas und der avidyā als einer »Durchduftung« der Soheit findet sich bei Yao 2010. 47

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schaft explizit gemacht wird. 48 Dabei wird die erste und zweite Stufe allerdings nicht einfach negiert, sondern mithin aufgehoben, integriert und sublimiert. Diesen kosmischen Prozess interpretiert Alfonso Verdú (1925–2008) analog zu Loy ebenfalls als »reflexive activity by which Tathāta is self-manifestive. In conclusion: through the function, Tathāta, in its ›agent-patient‹ role as tathāgata-garbhaālaya-vijñāna, ›permeates‹ itself with its own causal activity, and moves itself from the blankness of indetermination into the infinitely self-reflecting variety of its ›embodied‹ manifestations.« 49 Dieser Prozess dokumentiert Verdú zufolge nun keine »māyāKraft der trügerischen Selbst-›entwesung‹« mehr, sondern vielmehr eine »Kraft der Selbstverwirklichung und des Selbstvollzuges.« Durch ihre Funktion erhebe sich die Soheit aus »der Tiefe ihrer abgründigen Unbestimmtheit, durch die Bestimmungen des begrenzten und daher leidenden Bewußtseins, zur höchsten, vollkommenen Selbstbestimmung im allvorherrschenden Bewußtsein der Buddhaschaft.« 50 Eine analoge Deutung der māyā als Selbstsuche des komischen Buddhageistes hat auch der deutsche Tibetologe und Buddhismusforscher Herbert V. Guenther (1917–2006) im Anschluss an die Werke Padmasambhavas (der »Lotosentstandene«, ca. 8. Jh. n. Chr.) und das prozessorientierte Dzogchen-Denken vorgelegt. Aus der Perspektive der Ganzheit bedeute diese Selbstverwirklichung des Universums, dass »die Ganzheit mehr und mehr selbstreflektiv« werde und somit »auto-katalytisch« 51 sei. Die Weltwerdung des kosmischen Buddhas ist damit zugleich Selbstentfremdung in, Selbstentfaltung durch und Selbstvollendung aus der Endlichkeit und Vergänglichkeit der Welt, durch die der einfache Lichtstrahl des dharmakāya wie durch ein Prisma zerfällt, um sich in höherer Intensität wieder zusammennehmen zu können. Auf die zahllosen außerbuddhistischen Diskurse, an die Loy mit diesem quasi-theogonischen Theorem implizit anschließt und für die er den Buddhismus mit seiner Apotheose des Kosmos und Prozessbuddhologie öffnet, kann an dieser Stelle nur kursorisch hingewiesen werden. Wichtig scheint mir die Parallele zu John D’Arcy Mays »narrativer Buddhologie« zu sein, mit der May den Buddhismus als er48 49 50 51

Cf. Verdú 1989: 141 f. Verdú 1981: 53. Verdú 1989: 141. Guenther 2006: 54.

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zählerisch konstruierten Glauben anhand der trikāya-Lehre in eine produktive Verstehensbeziehung zur Geschichte und Erscheinungswelt insgesamt setzen und damit einen Anknüpfungspunkt im interreligiösen Dialog mit den theistischen Religionen, insbesondere dem Christentum und der Lehre einer trinitarisch konzipierten Schöpfung als Selbstentäußerung Gottes (kenōsis) und Offenbarung göttlicher Liebe schaffen will. 52 Insofern einige Texte des Mahāyāna-Buddhismus den »Dharmakörper« (dharmakāya) des Buddhas als letzte transzendente Wirklichkeitsebene mit dem »wahren Wesen und EleUrsprünglich wurde zwischen dem Buddha in seiner menschlichen Gestalt und dem Buddha als Sichtbarwerdung des nirvāṇas und kosmisch-unvergänglichen Lehre (dharma) bzw. dem Buddha als Verkörperung jener insgesamt achtzehn, allein vom Buddha erlangten Tugenden (āveṇika dharmā) unterschieden, die im Abhidharmakośabhāṣya als zehn übernatürliche Kräfte (daśabala), vier Formen der Furchtlosigkeit (vaiśāradya), drei Formen der Achtsamkeit (sṃrtyupasthāna) und großes Mitleid (mahākaruṇā) beschrieben werden. Im selben Kapitel beschreibt Vasubandhu den »Dharmakörper« (dharmakāya) des Buddhas auch als »Vollkommenheit der Frucht (des buddhistischen Pfades)« (phalasampad), die in der vierfachen Vollkommenheit des Wissens (jñānasampad), des Aufgebens (prahāṇasampad) der Befleckungen (kleśa), usw., der übernatürlichen Kraft (prabhāvasampad) und des physischen Körpers (rūpakāyasampad) besteht. Cf. Abhidharmakośabhāṣya 7, 5. In: Pruden 1991: 1136–1147. In den Prajñāpāramitā-Sūtras des Mahāyāna-Buddhismus wird der dharmakāya/tathāgatakāya dann mit dem Nicht-Entstehen (anutpāda), dem »wahren Wesen und Element aller Gegebenheiten« (dharmatā/dharmadhātu), der »Soheit aller dharmas« (dharmāṇāṃ tathatā), der »Grenze des ephemer Seienden« (bhūtakoṭi), der Leerheit (śūnyatā) und der »Vollkommenheit der Weisheit« (prajñāpāramitā) identifiziert, die sowohl als Ursache als auch als Wesen der Allwissenheit (sarvākārajñatā) und des höchsten und vollkommenen Erwachens (anuttarasaṃyak-saṃbodhi) beschrieben wird. Cf. Aṣṭasāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra 4, 1. In: Conze 2006: 116 f., 291 f.; Aṣṭadaśasāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra. In: Conze 1990: 530 f. Aus dem Versuch, die Beziehung zwischen dem bedingten (saṃskṛta) physischen Körper und dem unbedingten (asaṃskṛta) »Dharmakörper« des Buddhas in ein kohärentes System zu bringen, entwickelte sich die sogenannte trikāya-Lehre, die zwischen dem dharmakāya und dem feinstofflichen »Genuss-« (sāmbhogika-/ sāmbhogakāya) und grobstofflichen »Transformationskörper« (nairmāṇika-/ nirmāṇakāya) als den beiden »Formkörpern« (rūpakāya) des Buddhas unterscheidet. Andere Texte nehmen noch einen vierten, den sogenannten »Essenzkörper« (svabhāvikakāya) des Buddhas an. Die absolute Wirklichkeit (paramārtha-satya/ nirvāṇa) des Buddhas wird dabei mit dem unwandelbaren svabhāvika-/dharmakāya identifiziert, während sich die beiden wandelbaren Formkörper des Buddhas als geschickte Mittel (upāya-kauśalya) auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya/ saṃsāra) manifestieren, um aus großem Mitleid (mahākaruṇā) bestmöglich zum Wohle aller Lebewesen wirken zu können. Cf. Griffiths 1994; Makransky 1997; Schmidt-Leukel 2008:105–109. Näheres zur Entstehung der Vorstellung eines »Diamantkörpers« (vajrakāya) bei Radich 2012.

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ment aller Gegebenheiten« (dharmatā/dharmadhātu) identifizieren, wird May zufolge auch die phänomenale Wirklichkeit als Erscheinung des Absoluten oder Körper des kosmischen Buddha Vairocana begreifbar. 53 Aus einer interreligiösen Zusammenarbeit zwischen Buddhisten und Christen könne eine kollaborative Theologie und »Geschichte des Universums (universe story)« 54 hervorgehen, die als geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) begreifbar werden lasse, dass »die Entstehung bzw. Schöpfung der Weltwirklichkeit eine Geschichte hat, an der das Transzendente (Dharma, Nirvāṇa, Buddha-Natur; die trinitarisch sich entäußernde, »ökonomisch« sich offenbarende Gottheit) beteiligt ist« 55 und auf deren Grundlage die Entwicklung einer zeitgemäßen und globalen sowohl wirtschaftlichen und politischen als auch ökologischen Ethik möglich werde. 56 Die wohl auffälligste Eigenheit in Loys Mythos vom »werdenden dharmakāya«, der sich im Medium der Weltwirklichkeit seiner selbst bewusst wird, stellt aber zweifelsohne dessen unübersehbare Nähe zum Grundgedanken der Religionsphilosophie Hegels dar, der Religion mit der prokleisch-neuplatonischen Trias des Verharrens (monē), des Ausgangs (proodos) und der Rückkehr (epistrophē) des Einen zu sich selbst als das »Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des endlichen Geistes« 57 bestimmt hatte. Loys an Tung-shans Lehre der »fünf Stufen« angelehnte Denkbewegung, die über die abstrakte Einheit jenseits aller Erscheinungsformen und die negatio negationis zurückführt in die konkrete Einheit einer existentiell gewandelten Lebenswelt der Nondualität von Form und Leere, findet sich bei Hegel spekulativ gewendet wieder, insofern er den Geist als »die Rückkehr des Einen zu sich selbst« bestimmt, wodurch der »Unterschied zur Versöhnung gebracht« werde »mit dem Ersten« Cf. May, Jo. 2006: 97 f. und 100 f. Vor allem in Buddhologie und Christologie (2014) hat May einen Vergleich von trikāya und Trinität, Bodhisattva und Christus, bodhicitta und agapē, Karma und Gnade, Hoffnung und Geschichtlichkeit, Körperlichkeit und Ökologie etc. als Grundlage einer »kollaborativen Theologie« vorgelegt. Cf. May, Jo. 2014. Eine ausführliche Analyse und Kritik der vermeintlich unhintergehbaren Differenz zwischen dem christlichen Glauben an einen Schöpfergott und der buddhistischen Vorstellung einer vom Karma geregelten und anfangslosen Entstehung in gegenseitiger Abhängigkeit gibt Schmidt-Leukel 2006. 54 May, Jo. 2006: 102. 55 May, Jo. 2008: 137 f. 56 Näheres zu Mays Verständnis der Rolle der Religionen in der globalen Ziviligesellschaft in May, Jo. 2017. 57 Vorlesungen über die Philosophie der Religion. In: Hegel 1993: 222 53

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und »die Zweiheit aufgehoben« 58 sei. Dieses Beisichsein und Zusichselbstkommen des Geistes beschreibt Hegel in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie als das absolute Ziel desselben: Nur dies will er, und nichts anderes. Alles, was im Himmel und auf Erden geschieht – ewig geschieht –, das Leben Gottes und alles, was zeitlich getan wird, strebt nur danach hin, daß der Geist sich erkenne, sich sich selber gegenständlich mache, sich finde, für sich selber werde, sich mit sich zusammenschließe. Er ist Verdopplung, Entfremdung, aber um sich selbst finden zu können, um zu sich selbst kommen zu können. Nur dies ist Freiheit; frei ist, was nicht auf ein Anderes sich bezieht, nicht von ihm abhängig ist. Der Geist, indem er zu sich selbst kommt, erreicht dies, [ein] freier zu sein. 59

Die Weltgeschichte ist für Hegel somit »die Darstellung des göttlichen, absoluten Prozesses des Geistes in seinen höchsten Gestalten, dieses Stufengangs, wodurch er seine Wahrheit, das Selbstbewußtsein über sich erlangt.« 60 Auch Schelling hatte in seinen Stuttgarter Privatvorlesungen (1810) von Gott gesagt, dass er von sich selbst ausgehe, um »zuletzt wieder auch rein in sich selbst zu endigen« und der gesamte Prozess der Weltschöpfung als Lebensprozess in der Natur und Geschichte nichts anderes sei, als »der Proceß der vollendeten Bewußtwerdung, der vollendeten Personalisirung Gottes« 61: Gott macht sich selbst, und so gewiß er sich selbst macht, so gewiß ist er nicht ein gleich von Anfang an Fertiges und Vorhandenes; denn sonst brauchte er sich nicht zu machen. […]. Alles lebendige Daseyn fängt von Bewußtlosigkeit an, von einem Zustande, worin noch alles Vorlesungen über die Philosophie der Religion. In: Hegel 1986a: 351 Hegel 1986b: 42. Bereits in der Vorrede zu seiner Phänomenologie des Geistes (1806) hatte Hegel geschrieben, dass »der Weltgeist die Geduld gehabt« habe, »diese Formen in der langen Ausdehnung der Zeit zu durchgehen und die ungeheure Arbeit der Weltgeschichte zu übernehmen«, weil er »durch keine geringere das Bewußtseyn über sich erreichen konnte«. Hegel 1999: 25 f. Das brachte Hegel auf die berühmte Formel: »Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendende Wesen. Es ist von dem Absoluten zu sagen, daß es wesentlich Resultat, daß es erst am Ende das ist, was es in Wahrheit ist; und hierin eben besteht seine Natur, Wirkliches, Subject, oder sich selbst Werden, zu seyn.« Hegel 1999: 19. 60 Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. In: Hegel 1944: 52. Ein ausgeführter Vergleich des Hua-yen-Buddhismus mit dem absoluten Idealismus und der spekulativen Religionsphilosophie Hegels bleibt weiterhin ein Desiderat der Forschung. Einige Hinweise finden sich bei Verdú 1981: 36 ff. 61 Stuttgarter Privatvorlesungen (1810). In: SW VII: 433. 58 59

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ungetrennt beisammen ist, was sich hernach einzeln aus ihm evolvirt; es ist noch kein Bewußtseyn mit Scheidung und Unterscheidung da. Ebenso fängt auch das göttliche Leben an. 62

Dieser theogonische Prozess endet Schelling zufolge in »der ganz vollkommenen Verwirklichung – also der völligen Menschwerdung Gottes, wo das Unendliche ganz endlich geworden ohne Nachtheil seiner Unendlichkeit.« Dann sei »Gott wirklich Alles in Allem« und »der Pantheismus wahr.« 63 Es ließen sich an dieser Stelle neben Schelling und Hegel zweifellos noch eine Vielzahl theogonischer Denker anführen, die wie Heraklit von Ephesos (ca. 520–460 v. Chr.), Johannes Scottus Eriugena (9. Jh.), Giordano Bruno (1548–1600), Jakob Böhme (1575–1624), Franz von Baader (1765–1841) Johannes Volkelt (1848–1930), Henri Bergson (1859–1941) Alfred North Whitehead (1861–1947), Arthur Drews (1865–1935), Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955), Kurt Leese (1887–1965) und Hans Jonas (1903–1993) auf ganz unterschiedliche Weise dem Mythos vom »werdenden Gott« nachgedacht haben. 64 Ungeachtet aller Analogien und Differenzen, die ein systeStuttgarter Privatvorlesungen (1810). In: SW VII: 432. Stuttgarter Privatvorlesungen (1810). In: SW VII: 484. 64 Cf. Mansfeld/Primavesi 2011: 248–289; De divisione naturae. In: Eriugena 1994; Ästhetik des Tragischen (1897). In: Volkelt 1923; Schöpferischen Evolution (1907). In: Bergson 2013; Process and Reality (1929). In: Whitehead 2008; Die Religion als Selbst-Bewusstsein Gottes (1906). In: Drews, A. 1925; Le Phénomène humain (1955). In: Chardin 1959; Die Religionskrisis des Abendlandes (1948). In: Leese 1948: 283– 324; Unsterblichkeit und heutige Existenz (1963). In: Jonas 1963. Eine Zusammenstellung aus Baaders sämtlichen Schriften zur Speculativen Entwicklung der ewigen Selbsterzeugung Gottes (1835) findet sich bei Hoffmann 1835. Näheres zum Prozess der Theogonie in den Schriften Böhmes bei Vollhardt 2009. Auch Nietzsche überschreibt einen Aphorismus im ersten Band von Menschliches, Allzumenschliches (1878) mit dem Titel »Gerechtigkeit gegen den werdenden Gott«. KSA 2: 200. Eine erste Einführung in die »theogonische Mythopoese« und Übersicht über die verschiedenen Vertreter eines »entwicklungsgeschichtlichen Pantheismus« bieten Corti 1965 und Dilthey 1900. Dem könnte mit Thomas von Aquin (1225–1274) entgegenhalten werden, dass sich Gottes Selbsterkenntnis nicht prozessual oder durch Selbstrepräsentation im Gegensatz von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt vollzieht, sondern Gott sich unmittelbar durch sein Wesen (essentia) und Sein (esse) erkennt, insofern das Wissen in Gott keine Beschaffenheit (qualitas/habitus), sondern Substanz und reine Wirklichkeit (substantia et actus purus) ist. Cf. Summa Theologica 1, 14, 1. In: Aquin 1934: 6. Wäre das Erkennen Gottes etwas anderes als sein Wesen, dann müsste etwas vom göttlichen Wesen Verschiedenes dessen Wirklichkeit und Vollkommenheit ausmachen, zu dem sich das göttliche Wesen wie die Möglichkeit zur Wirklichkeit verhielte, was Thomas zufolge schlechthin unmöglich ist, da Erken62 63

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Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie

matischer Vergleich Loys mit diesen Theogonien der westlichen Geistesgeschichte zutage fördern würde, bleiben doch zwei Aspekte in Loys buddhistischem Evolutionsepos grundsätzlich problematisch: Erstens, das anthropozentrische Moment, das er damit in sein System einführt und zweitens, seine positive Bewertung der Welt- und Selbstbewusstwerdung des kosmischen Buddha-Geistes in und durch den Menschen. Den impliziten Anthropozentrismus versucht Loy durch eine Betonung der Lehre der zwei Wahrheiten zu entschärfen. Von einem absoluten Standpunkt aus betrachtet seien zwar alle Phänomene in ihrer Leerheit prinzipiell gleichwertig, aber von einem relativen Standpunkt aus müsse zumindest das einzigartige Potential des Menschen anerkannt werden, insofern der Mensch das bislang einzige uns bekannte Wesen sei, das selbst produktiv und damit dem Kosmos als einem genuin kreativen Prozess zutiefst verwandt sei. 65 Aufgrund seines kreativen Potentials habe der Mensch die beispiellose Möglichkeit und Verantwortung, aktiv und aus Freiheit an diesem schöpferischen Prozess zu partizipieren und dieses Vermögen entweder konstruktiv oder destruktiv zu nutzen: In either case, we seem fated to be special. If we continue to devastate the rest of the biosphere, we are arguably the worst species on earth: a cancer of the biosphere. If, however, humanity can wake up to become its collective bodhisattva – undertaking the long-term task of repairing the rupture between us and Mother Earth – perhaps we as a species will fulfill the unique potential of precious human life. 66

Loys Evangelium des »werdenden dharmakāya« ist, obschon er es als relative Wahrheit (saṃvṛti-satya) und geschicktes Mittel (upāyakauśalya) einführt, hingegen nicht so einfach mit seinen Grundüberzeugungen in Einklang zu bringen, denn warum sollte auf makrokosmischer Ebene auf einmal gut und möglich sein, was auf einer mikrokosmischen Ebene die Wurzel allen Übels und prinzipiell unmöglich ist? Nach Loy erzeugt das wesenhafte Nichts des Geistes Angst und weil der Geist seine eigene Formlosigkeit und Leere als beängstigend

nen (intelligere) eine Vollkommenheit (perfectio) und Wirklichkeit des Erkennenden (actus intelligentis) sei. Cf. Summa Theologica 1, 14, 4. In: Aquin 1934: 16. 65 »[T]he emphasis is not on some innate superiority but on our unique potential.« Loy 2017: 16. »If ›God‹ is another, more familiar term for the intrinsic creativity of our ever-transforming cosmos, is this what it means to be ›made in the image of God‹ ?« Loy 2017: 18 66 Loy 2017: 19.

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Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis

empfindet, versucht er sich ebenso unablässig wie aussichtslos selbst zu reifizieren. 67 Muss dann nicht auch die Evolution als vergeblicher Versuch des kosmischen Buddhas verstanden werden, sich unentwegt im Weltprozess selbst zu ergreifen, weil auch er seine eigene Formlosigkeit und Leere als beängstigend empfindet? Wird auch der alles fundierende dharmakāya als sinnsuchender Weltengrund und kosmomorpher Makroanthropos von unerfüllter Sehnsucht und einem unvermeidbaren Schatten eines Gefühls der inneren Leere begleitet, von dem wir ihn befreien sollen? Das würde allerdings auch die Gattung der Evolutionsgeschichte grundlegend ändern. Statt eines Evolutionsepos müsste Loy ein Evolutionsdrama erzählen, was ihn einer Formulierung Ulrich Horstmanns zufolge vielmehr in die Nähe eines »philosophischen Annihilismus als eines nunmehr intelligenten Strebens nach Auflösung« 68 sowie die unpopulären, da notorisch pessimistischen Systementwürfe eines Eduard von Hartmann (1842– 1906) und Philipp Mainländer (1841–1876) rücken würde, die das Ziel des Weltprozesses nicht in die Sublimation, sondern Annihilation desselben gesetzt und sich dabei explizit auch auf den Buddhismus berufen hatten. 69 Für Hartmann war es streng bewiesen, dass alles weltliche Dasein »mehr Unlust, als Lust mit sich bringe, folglich das Nichtsein der Welt ihrem Sein vorzuziehen« sei und zwar unabhängig davon, ob es »dem in der Illusion des Triebes befangenen Gefühlsurtheil« 70 behage oder nicht. Weil aller evolutionärer Fortschritt in der Welt auf die Steigerung der bewussten Intelligenz abziele und erfahrungsgemäß die ungebildeten Individuen der NaturCf. Loy 1994: 71. Horstmann 2004a: 111. 69 Cf. Hartmann, E. 1923: 357. Eine Diskussion von Mainländers Buddhismusrezeption, der seine Philosophie als Fortsetzung der Lehren Kants und Schopenhauers sowie als Bestätigung des Buddhismus und des »reinen Christentums« verstand, bietet Gerhard 2002. Mainländer hat seinen Ansatz folgendermaßen zusammengefasst: »1. Gott wollte das Nichtsein; 2. sein Wesen war das Hindernis für den sofortigen Eintritt in das Nichtsein; 3. das Wesen mußte zerfallen in eine Welt der Vielheit, deren Einzelwesen alle das Streben nach dem Nichtsein haben; 4. in diesem Streben hindern sie sich gegenseitig, sie kämpfen miteinander und schwächen auf diese Weise ihre Kraft; 5. das ganze Wesen Gottes ging in die Welt über in veränderter Form, als eine bestimmte Kraftsumme; 6. die ganze Welt, das Weltall, hat Ein Ziel, das Nichtsein, und erreicht es durch kontinuierliche Schwächung seiner Kraftsumme; 7. jedes Individuum wird, durch Schwächung seiner Kraft, in seinem Entwicklungsgang bis zu dem Punkte gebracht, wo sein Streben nach Vernichtung erfüllt werden kann.« Philosophie der Erlösung (1876). In: Horstmann 2004b: 43. 70 Hartmann, E. 1923: 389 f. 67 68

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Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie

völker glücklicher seien als die gebildeten Individuen der Kulturvölker, müsse die Menschheit im Laufe ihrer Bewusstseinsentwicklung in immer größeren Zahlen auf einen Standpunkt kommen, wo sich die Intelligenz von den Trieben und Affekten emanzipiere und auf diese Weise eine objektive Beurteilung des Lebens ermögliche. 71 Sobald die Menschheit zur nötigen Klarheit gelangt sei und die Nichtigkeit allen Daseins eingesehen habe, erkenne sie ihr letztes Ziel in der »Universalwillensverneinung« 72, um »das gesammte actuelle Wollen der Welt ohne Rest« zu vernichten und damit »den gesammten Kosmos durch Zurückziehung des Wollens, in welchem er allein« bestehe, »mit einem Schlage verschwinden« 73 zu lassen. Auch der Bodhisattva gelobt, so oft wiedergeboren zu werden, bis alle Wesen erlöst sind, was nach traditionell mahāyānistischer Auffassung allerdings einer unendlichen Reihe von Wiedergeburten entspricht, da entweder sogenannte icchantikas, i. e. prinzipiell erlösungsunfähige Wesen angenommen werden, oder die Zahl der Wesen als unzählbar und unerschöpflich (asaṃkhyeya) angesehen wird. 74 Allerdings wurde bisweilen auch diskutiert, ob das Bodhisattva-Gelübde nicht erfüllbar sei und der saṃsāra somit gänzlich aufgehoben werden könne, was zumindest die Möglichkeit eines buddhistischen Eschatons und eine Parallele zu Hartmanns Annihilation des Kosmos geben würde. 75 Der Buddha hatte die spekulativen Frage Vatsagotras, ob die Welt beständig, nicht beständig, sowohl beständig als auch nicht beständig oder weder beständig noch nicht beständig sei, hingegen unbeantwortet gelassen und auch Nāgārjuna hatte diese Fragen unter Veweis auf den illusorischen Charakter der Welt und die Hartmann beschreibt den historischen Ent-täuschungsprozess, in dessen Verlauf die illusorische Beschaffenheit allen Glückseligkeitsstrebens und aller Hoffnung erkannt wird, in Hartmann, E. 1923: 355–402. 72 Hartmann, E. 1923: 400. 73 Hartmann, E. 1923: 405. 74 Cf. Liu 1984; Karashima 2007. 75 Haribhadra (8. Jh. n. Chr.) referiert diese Position in seinem Kommentar zu Maitreyanāthas (3./4. Jh. n. Chr.) Abhisamayālaṅkāra: »Others say that dharmas that seem to disappear when presented with dharmas that counteract them could, possibly, totally disappear when the antidote reaches total strength, as with gold and its alloys. Hence they say there is an end to saṃsāra, because saṃsāric dharmas disappear when you realize the antidote marked by selflessness and so on.« Abhisamayālaṅkārāloka 4, 575–576. In: Sparham 2009: 203. Diese Frage und Tsongkhapas (1357–1419) Kritik an dieser Position in seiner Goldenen Kette der guten Darlegung (legs bshad gser phreng) diskutiert Lopez 1992: 170 ff. 71

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Evolution: Nondualismus und Kosmogenesis

Identität von saṃsāra und nirvāṇa als sinnlos abgewiesen. 76 Für Loy ist die Frage nach einem möglichen Ziel- und Endpunkt des Weltprozesses gleichfalls kontraproduktiv, da sie vom eigentlichen Nutzen des Evolutionsepos ablenke, den er vornehmlich darin sieht, den Menschen in einen sinnhaften Gesamtzusammenhang mit dem Kosmos zu stellen und damit zur verantwortlichen Partizipation am Weltgeschehen zu motivieren. 77 Ein wesentliches Augenmerk legt Loy dabei auch auf die Koordination der buddhistischen Lehre mit der modernen Naturwissenschaft, die dem Buddhismus in Theorie und Praxis zu mehr Plausibilität verhelfen und die Naturwissenschaft um eine spirituelle Sinndimension erweitern soll. Von Loys Akkommodation sind neben der buddhistischen Kosmologie allerdings auch andere Kernlehren des Buddhismus betroffen, wie die Karma- und Wiedergeburtenlehre mit ihrer im Kosmos wirksamen, ethischen Vergeltungskausalität der Taten. Die buddhistische Variante der karmischen Wiedergeburtenlehre mit ihrer konstitutiven Ablehnung eines mit sich selbst identisch bleibenden Selbst kann im Folgenden nicht in ihrer ganzen Fülle und Komplexität berücksichtigt und auf Loys Interpretation bezogen werden, denn im Gegensatz zum Jainismus, der in Übereinstimmung mit der brahmanischen Orthodoxie von zahllosen individuellen Seelen (ātman) im Wiedergeburtenkreislauf ausgeht, hat die buddhistische Tradition in ihren Reflexionen nie eine einheitliche, von allen Schulen gleichermaßen anerkannte Theorie ausgebildet, sondern immer eine außerordentliche Variationsbreite in der Erklärung beider Grundgedanken versammelt. 78 Der allgemeine Gehalt der Lehre vom Karma und saṃsāra lässt sich mit Wilhelm Halbfass (1940–2000) allerdings auf insgesamt drei aufeinander bezogene Funktionen und Dimensionen 76 Cf. Majjhima-Nikāya 72. In: Bodhi 2001: 590 f.; Mūlamadhyamakakārikā 25, 19– 24. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 100; Ratnāvalī 2, 7–15. In: Okada 2006: 77–81; Yuktiṣaṣṭikā 13–17. In: Lindtner 1997: 77 f. 77 Cf. Loy 2015a: 92 78 Im Jainismus berufen sich die beiden Hauptdenominationen der Śvetāmbaras (die »Weißgekleideten«) und Digambaras (die »Luftgekleideten«, i. e. Nackten) gleichermaßen auf die verbindliche Zusammenfassung in Umāsvātis (ca. 4./5. Jh. n. Chr.) Tattvārtha-Sūtra. In: Tatia 2011: 147–264. Eine exzellente Übersicht über die Karma-Lehren der Sarvāstivāda-Vaibhāṣika-, Vātsīputrīya-Saṁmitīya-, Sautrāntika-, Vijñānavāda-Yogācāra- und Madhyamaka-Schulen des Buddhismus liegt vor in Lamotte 1987: 15–34. Eine umfassende Darstellung der Karma-Lehre vom Standpunkt des Sautrāntika-Buddhismus bietet das vierte Kapitel (I-V) in Vasubandhus Abhidharmakośabhāṣya. In: Pruden 1991: 551–690.

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Zum philosophie- und religionshistorischen Kontext von Loys Kosmogonie

festlegen, die die nachfolgenden Ausführungen heuristisch leiten sollen. Demnach bietet die Karma- und Wiedergeburtenlehre (1) »einen Rahmen und Leitfaden für die sittliche und religiöse Orientierung, indem sie gegenwärtigen Handlungen und Entscheidungen eine inhärente Kraft zuschreibt, zukünftige und als Lohn oder Strafe zu verstehende Tatfolgen auszulösen«; sie dient (2) dazu, »gegenwärtige Zustände, Ereignisse und Phänomene, zumal solche im Bereich des Lebens und Erlebens, zu erklären und zugleich zu rechtfertigen, indem man sie als Tatfolgen auslegt und auf die Vergeltungskausalität vergangener Handlungen und Entscheidungen zurückführt« und sie reflektiert und artikuliert (3) ein »fundamentales Ungenügen an der Conditio humana und dem weltlichen, zeitlichen Existieren überhaupt und bildet den Hintergrund bzw. Ausgangspunkt für das Ideal der absoluten Befreiung (mokṣa nirvāṇa, usw.)« sowie für ein »radikales Erlösungsstreben.« 79

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Halbfass 2000: 210.

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8. Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

Obschon Loy den meisten Anschauungen des Buddhismus eine bemerkenswerte Modernität und Kompatibilität mit den Naturwissenschaften attestiert, sei gerade das Lehrstück einer karmischen Wiedergeburtenlehre in seiner klassisch-realistischen Interpretation für das weitestgehend atheistische, materialistische, naturalistische und säkulare Weltbild vieler westlicher Menschen der Gegenwart nicht nur ungewohnt und fremd, sondern inkompatibel geworden. Für Loy, der ein zeitgenössisches Verständnis des Dharma anstrebt, ist daher die grundsätzliche Frage nach dem metaphysischen Wahrheitsgehalt der Karma- und Wiedergeburtenlehre in ihrem traditionellen Verständnis und dem Spektrum ihrer authentischen Interpretationsmöglichkeiten entscheidend: In welchem Maß ist eine grundlegende Neubewertung und Revision beider Lehren nötig und wie weit kann man in seiner Auslegung legitimerweise gehen, ohne direkt den kanonischen Quellen zu widersprechen und die Identität und Integrität der buddhistischen Position zu gefährden? Ist der Glaube an eine anfangslose Kette karmisch gesteuerter Reinkarnationen vielleicht sogar insgesamt verzichtbar oder handelt es sich dabei um ein konstitutives und daher unverzichtbares Element der buddhistischen Lehre? 1 Mit diesen Fragen stellt sich Loy in eine lange Tradition kontrovers geführter Diskussionen um den wissenschaftlichen Status von Karma und Wiedergeburt und die prinzipielle Möglichkeit, beide Lehren in einem konsistenten und kohärenten Aussagensystem zu denken und auf diese Weise in ein modernes Weltverständnis konfliktfrei zu integrieren. 2 Bevor ich Loys Versuch der Auflösung dieser Cf. Loy 2015a: 136; Loy 2008: 53. Zu nennen wären hier vor allem die Begründer der Theosophischen Gesellschaft Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) und Henry Steel Olcott (1832–1907) sowie die spätere Präsidentin Annie Besant (1947–1933), die eine Synthesemöglichkeit von Religion und Wissenschaft im Paradigma der Karma- und Reinkarnationslehre und deren grundsätzliche Wissenschaftlichkeit behauptet hatten. Im Werk Rudolf Stein-

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Apologie und Kritik

kognitiven Dissonanz darstelle, ist es daher sinnvoll, eine kurze Übersicht über die Reflexionen zeitgenössischer Denker zur Karma- und Reinkarnationsidee zu geben, die das Selbstverständnis des Buddhismus zutiefst berühren und von grundlegender Bedeutung für dessen Zukunft sind. Im Kontext des buddhistischen Modernismus ist dabei eine eingehendere Betrachtung der kontroversen Thesen des selbsternannten buddhistischen Agnostikers Stephen Batchelor aus zweierlei Gründen sinnvoll. Einerseits lässt sich durch den Vergleich mit einem anderen buddhistischen Modernisten das Spezifische an Loys Verständnis klarer konturieren, zumal er sich selbst mit Batchelors rein rationalem und empirischem Zugang zum Buddhismus kritisch auseinander gesetzt hat; 3 andererseits bietet der Vergleich mit Batchelors rein säkularer, an der szientistischen und materialistischen Weltanschauung der Moderne orientierten Auslegung der buddhistischen Lehre die Möglichkeit, eine weitere Frage zu adressieren, die von signifikanter Bedeutung ist, um Loys Buddhismusinterpretation insgesamt angemessen beurteilen zu können: Wie weit geht Loy selbst in seinem Versuch, den Buddhismus unter dem Druck einer szientistisch-materialistischen Weltanschauung an den säkularen Kontext der Moderne zu assimilieren?

8.1. Apologie und Kritik: Die reinkarnatorische Karmalehre im Kontext des buddhistischen Modernismus Der aus Śrī-Laṅkā stammende Philosoph Kulatissa Nanda Jayatilleke (1920–1970) hielt die wörtlich verstandene Lehre von der Wiederverkörperung des Individuums in immer neuen Daseinsformen für widerspruchsfrei denkbar und aufgrund der empirischen Studien des kanadischen Psychiaters, Parapsychologen und Begründers der Reers (1861–1925), der bis 1913 als Generalsekretär der Deutschen Sektion zur Theosophischen Gesellschaft gehörte und diese nach internen Streitigkeiten mit Besant verließ, um die Anthroposophische Gesellschaft zu gründen, nimmt die Karma- und Wiedergeburtenlehre ebenfalls eine zentrale Stellung ein. Cf. Bischofberger 1996: 56–84; Neufeldt 1986. Eine Analyse der Rezeption der Karma- und Wiedergeburtenlehre in der sogenannten »New Age«-Bewegung bietet Bochinger 1996. Eine Darstellung der Karmalehre im modernen (indischen) Denken sowie eine Analyse der gegenseitigen Beeinflussung östlicher und westlicher Auslegungen findet sich bei Halbfass 2000: 279–306. Näheres dazu auch bei Müller 1996: 57 f. 3 Cf. Loy 2010c. Eine (gekürzte) deutsche Übersetzung ist erschienen als Loy 2011a.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

inkarnationsforschung Ian Stevenson (1918–2007) für eine naturwissenschaftlich verifizierte Faktizität. Sein Schüler Guṇapāla Dharmasiri (1940–2015) erklärte zudem rigoros, dass mit einer empirischen Widerlegung der Wiedergeburt zugleich auch der Buddhismus als solcher widerlegt sei, dessen soteriologisches Ziel doch gerade in der Überwindung des »Welttreibens« (saṃsāra) mit seinen potentiell endlosen Zyklen des Sterbens (punarmṛtyu) und Werdens (punarbhava) durch alle bewusst empfindungsfähigen Lebensformen hindurch bestehe. 4 Der Buddhologe Bernard Faure hat diesen von Jayatilleke und Dharmasiri reklamierten Fundamentalanspruch in einem anderen Kontext bestätigt, indem er auf die Lebensauffassung einer großen Mehrheit buddhistischer Laienanhänger in Asien hingewiesen hat, deren grundlegende moralische Orientierung durch den festen Glauben an Karma und Wiedergeburt bestimmt sei und damit einen unabkömmlichen Bestandteil im psychischen und sozialen Leben ihres gesellschaftlichen Alltags bilde. Das Streben nach einem moralischen Leben sei vor allem durch die Hoffnung auf Glück, Prestige, Reichtum und ein allgemeines Wohlbefinden in dieser oder einer zukünftigen Lebenszeit motiviert, während das Streben nach der Erleuchtung für eine Wiedergeburt in einer fernen Zukunft reserviert sei. Ohne die Vorstellungen von Karma und Wiedergeburt, die den Lebensentwurf eines buddhistischen Laienanhängers in der Regel maßgeblich leiten, wäre der alltäglichen Lebenspraxis die Grundlage entzogen. 5 Von diesen Ansätzen, in denen Karma und Wiedergeburt als reale Gegebenheiten verteidigt werden und damit einen quasi-naturgesetzlichen Status erhalten, unterscheiden sich die von John H. Hick (1922–2012) beschriebenen »entmythologisierenden Interpretationen« (demythologized interpretations), die wie diejenige James Cf. Jayatilleke 1975; Dharmasiri 1974: 211. Im Gegensatz zu Jayatilleke, der von einem wissenschaftlichen Beweis der Wiedergeburt spricht, wollte Stevenson anhand empirischer Fallstudien die Wiedergeburt lediglich plausibilisieren und die relative Überlegenheit der Reinkarnationshypothese gegenüber alternativen Hypothesen zur Erklärung der von ihm beschriebenen Phänomene behaupten. Cf. Stevenson 1974. Eine Zusammenfassung der Kritik an Jayatillekes Ansatz findet sich bei Rothermundt 1979: 56–70. Eine konzise Zusammenfassung von Stevensons Arbeit und eine Diskussion aller Erklärungshypothesen finden sich bei Bauer, E. 1996. Aktuelle Ansätze, die empirische Argumente für die Annihilation des Menschen im Tod liefern und Kritik an den Konzepten von Karma und Wiedergeburt sowie der Arbeit von Stevenson üben, finden sich in der Anthologie von Martin/Augustine 2015. 5 Cf. Faure 2009: 36 ff. 4

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Apologie und Kritik

George Jennings (1866–1941) eine Rationalisierung und Psychologisierung der Karma- und Reinkarnationslehre anstreben. 6 In seinem posthum publizierten Werk The Vedāntic Buddhism of the Buddha (1947) unternahm Jennings den Versuch, den ursprünglichen Kern der buddhistischen Lehre zu rekonstruieren und kam dabei zu dem Ergebnis, dass der Buddha allein Selbstlosigkeit und Altruismus gepredigt habe und der gesamte metaphysische Überbau samt seiner Vorstellung eines individuellen Kontinuums karmisch koordinierter Wiedergeburten bereits eine Akkommodation an die brahmanische Seelenlehre (ātmavāda) und ein Addendum der späteren Tradition sei, die den Gedanken des Nicht-Selbst (anātman) nicht mit der Betonung moralischer Verantwortlichkeit zusammendenken konnte. 7 Das in der ersten Lehrrede des Buddhas verwendete Pāḷi-Adjektiv ponobbhavikā bezeichne daher nicht die Wiedergeburt karmischer Dispositionen in einem isolierten Strom potentiell unendlicher Reinkarnationen, sondern den Durst (pāḷi taṇhā; skt. tṛṣṇa), der für das Wiedergeborenwerden des Selbstsinns in diesem Leben verantwortlich sei. Das Karma bezeichne folglich keine individuelle Vergeltungskausalität, sondern eine allgemeine und kollektive Dimension, der zufolge die Gesamtheit aller Handlungen, Worte und Gedanken einer Generation Konsequenzen hervorbringen, die von den nachfolgenden Generationen ausgetragen werden müssen. 8 Im Gegensatz zu Jennings wollte der thailändische Mönch und Theravāda-Gelehrte Bhikkhu Buddhadāsa (1906–1992) zwar keine buddhistische Ur-Lehre rekonstruieren, hielt aber gleichwohl eine vollständig mythisch-metaphorische Auslegung der Karma- und Wiedergeburtenlehre für grundsätzlich vereinbar mit dem traditionellen buddhistischen Selbst- und Weltverständnis, ohne dabei jedoch die Möglichkeit einer tatsächlichen Wiedergeburt nach dem Tod prinzipiell auszuschließen. Eine übermäßige Sorge um die eigene Wiedergeburt impliziere eine egozentrische Haltung, die wesentlich unverträglich sei mit der buddhistischen Grundüberzeugung vom Nicht-Selbst und daher überwunden werden müsse. 9 Zentral für Buddhadāsas hermeneutischen Ansatz ist dabei dessen Unterscheidung zwischen einer »Alltagssprache« (phasa khon) und einer 6 7 8 9

Cf. Hick, J. 1973: 116 f. Cf. Jennings 1947: xxxvii. Cf. Jennings 1947: xlvi. Cf. Swearer 1971: 67–73. Cf. Bucknell 1983.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

»Dhamma-Sprache« (phasa tham), in der sich sein allgemeines Bestreben zu einer Rationalisierung der buddhistischen Lehre manifestiert. 10 In der »Alltagssprache« bezeichne das Wort »Geburt« (jāti) die physische Geburt, während es in der »Dhamma-Sprache« auf die Geburt der Gedanken »Ich« und »Mein« im Geist rekurriere. 11 So komplementierten auch Roderick S. Bucknell und Martin Stuart-Fox in The Twilight Language (1986) das traditionelle Verständnis der kanonischen Passagen, die von der Erinnerung des Buddhas an seine vorangegangenen Existenzen berichten, mit einer rein psychologischen Interpretation. Die doppelte Referenz des Begriffes Wiedergeburt und die Gleichzeitigkeit einer objektiven und subjektiven Sichtweise bezeichneten sie als »macrocosm-microcosm parallelism« 12. Aus einer makrokosmischen Perspektive verweise die Vorstellung der Wiedergeburt an den karmisch bedingten Weltprozess als Gesamtheit aller physischen Reinkarnationen des Bodhisattvas, die seinem Leben als Siddhārta Gautama vorausgingen, während sich der Begriff aus einer mikrokosmischen Perspektive auf den Bewusstseinsfluss eines einzigen Lebens beschränke, der im Falle Śākyamunis in der Erleuchtung kulminierte, die er als Ende des saṃsāras und als Erlangung der Buddhaschaft deutete. Auf der mikrokosmischen Ebene stehe Wiedergeburt demnach für eine Reihe »mentaler Reinkarnationen«, in denen der Tod das Ende eines »Bildes« (nimitta) und die Geburt das Entstehen eines neuen bedeute, deren Verknüpfungsprozesse wiederum durch unsere Affekte als subjektivem Gegenstück zum objektiven Karma bestimmt seien. Die Wiedererinnerung des Buddhas an seine vorherigen Leben markiere vom mikrokosmischen Standpunkt aus betrachtet folglich das Zurückverfolgen dieser BildSequenzen bis an den Anfang seiner biologischen Lebensdauer. 13 Auch Daisetsu Teitarō Suzuki erklärte, dass die Vorstellung einer karmisch koordinierten Wiedergeburt zwar »an inspiring theory« und »full of poetic suggestions« 14, aber ihr wissenschaftlicher Wahrheitsgehalt nur von randständigem Interesse für ihn sei. Eine rein existentielle Deutung der Reinkarnationsvorstellung wurde dann vom japanischen Philosophen Keiji Nishitani (1900–1990) im Cf. Jackson 2003: 33. Cf. Swearer 1971: 67 f. 12 Bucknell/Stuart-Fox 1986: 90. 13 Cf. Bucknell/Stuart-Fox 1986: 159. Eine eingehende Diskussion dieser entmythologisierenden Ansätze findet sich bei Burley 2014: 970–974; Burley 2016: 105–128. 14 Cf. Suzuki, D. 2002: 100–112. 10 11

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Apologie und Kritik

Anschluss an seinen Lehrer Heidegger vorgelegt, bei dem er in den Jahren 1937 bis 1939 studiert hatte. Für Nishitani war die Vorstellung vom Wiedergeburtenkreislauf (saṃsāra) bloß »»mythischen« Charakters« und konnte als eine »vorwissenschaftliche Illusion« 15 abgetan werden. Eine solche Kritik sei legitim, insoweit eine wörtlich verstandene Reinkarnationslehre in Frage gestellt werde, die Wiedergeburt als ein naturwissenschaftliches Faktum mit Wahrheitsanspruch behandelt; sie gehe jedoch fehl, wenn sie die überragende existentielle Relevanz darin übersehe. Der Sinn der Wiedergeburtenvorstellung liege in »einer existenzialen Deutung des menschlichen Daseins als unendliches Endlichsein«, worin sich »im Grund des menschlichen Selbst-Gewahrwerdens ein nihilum« 16 auftue. Nur durch die existentielle Begegnung mit diesem nihilum, durch die man »noch in der Mitte seines Lebens das Wesen des Todes zugleich mit dem Wesen des Lebens leibhaft« 17 erfahre, könne ein lebendiges und unverfügbares »Verlangen nach dem Transzendieren von Geburt-und-Tod, nach Befreiung aus der unerbittlichen Kausalität des karma, nach dem Erreichen des »anderen Ufers« jenes unergründlichen Leidensmeeres, mit anderen Worten: nach dem nirvana aufkommen« und zwar »mit einem Ernst«, der bereit sei, »Leben und Tod aufs Spiel zu setzen.« 18 Gegenüber Nishitanis rein existentieller Interpretation und den entmythologisierenden Ansätzen und mythisch-metaphorischen Deutungen von Jennings, Buddhadāsa, Bucknell, Stuart-Fox und Suzuki, denen Perry Schmidt-Leukel zufolge vor allem an der »bildlichinspirierenden Kraft des Reinkarnationsgedankens, nicht aber an der Frage nach seiner tatsächlichen Wahrheit gelegen« 19 war, hat Paul J. Griffiths eine philosophische Analyse und grundsätzliche Kritik der expliziten und impliziten Propositionen der karmischen Reinkarnationslehre vorgelegt und sie auf ihre (1) Konsistenz (Widerspruchsfreiheit), (2) ihre Kohärenz mit anderen empirischen Befunden oder etablierten Theorien und ihre Erklärungskraft für (3) den zur Diskussion stehenden Sachverhalt sowie (4) diejenigen Phänomene, die innerhalb ihres Relevanzbereichs liegen, untersucht. Dabei unterschei-

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Nishitani 2001: 273 f. Nishitani 2001: 275. Nishitani 2001: 270. Nishitani 2001: 276. Schmidt-Leukel 1996b: 180.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

det Griffiths im buddhistischen Kontext drei zentrale Funktionen der Karma-Theorie. Das Karma diene (1) als kosmogonische Hypothese, insofern es als Ursache des materiellen Universums gelehrt werde; (2) als anthropologische Hypothese, insofern es eine Erklärung dafür liefere, warum man als wohlhabender, gesunder, intelligenter oder verkrüppelter Mensch und nicht als Wurm oder Buddha geboren wurde und (3) als soziologische Hypothese, insofern es erkläre, warum der buddhistische Laienanhänger ein sittliches Leben führen und die Mönche unterstützen soll und diese ihrerseits die Regeln des Vinaya befolgen, meditieren und altruistische Akte für andere Wesen vollbringen sollen. 20 Die zeitgenössische Diskussion um die Kohärenz und Konsistenz der reinkarnatorischen Karma-Lehre konzentriert sich dabei überwiegend auf die von Whitley R. P. Kaufman formulierten sechs moralischen Einwände. 21 Demnach setze (1) eine gerechte Strafe ein hinreichendes Bewusstsein der Tat und somit ein Verständnis dessen voraus, wofür man im Einzelnen eigentlich bestraft werde. Angesichts der fehlenden Erinnerung an unsere vorherigen Leben sei die Karma-Hypothese aber nicht nur gänzlich ungeeignet, um zur moralischen Vervollkommnung des Menschen beizutragen, sondern widerspreche darüber hinaus auch noch in fundamentaler Weise unserem moralischen Gerechtigkeitsempfinden (The Memory Problem). 22 (2) Die karmische Vergeltung sei nur dann gerecht, wenn Cf. Griffiths 1982. Cf. Kaufman, Wh. 2005. 22 Radhakrishnan war hingegen der Ansicht, dass der Mangel einer ununterbrochenen Erfahrung und bewussten Erinnerung an vergangene Leben kein triftiger Einwand gegen die Hypothese der Wiedergeburt darstelle und die Diskontinuität des Gedächtnisses in keiner Weise die metaphysische Kontinuität des Selbst oder die karmischen Wirkungen unserer moralischen Taten in Frage stelle. Im Gegenteil: Eine unausgesetzte Erinnerung an alle vergangenen Leben könnte aufgrund ihrer zu hohen Komplexität zu einer kognitiven Überforderung und damit zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen. Cf. Radhakrishnan 1947: 299 ff. Eine analoge Argumentation findet sich bei Swāmī Paramānada (1884–1940) und Swāmī Satprakāśānanda (1888–1979). Cf. Paramānada 1922: 147; Satprakāśānanda 1970: 306. Mit dem Einwand der fehlenden Gedächtniskontinuität hatte sich auch der englische Rechtsanwalt, Richter, Theosoph und Mitbegründer der Buddhist Society Christmas Humphreys (1901–1983) auseinandergesetzt und ihn als Apologet der Karma- und Reinkarnationsvorstellung mit dem Hinweis auf ein umfassendes »Weltgedächtnis« – die sogenannte ākāśa-Chronik – abgewiesen, i. e. eine Art feinstofflicher Raumäther, in dem alle Weltereignisse gespeichert sind. Cf. Humphreys 1948: 59 f. Jayatilleke hat die Kontinuität der Individualität über den Tod des betreffenden Menschen hinaus mit der Persistenz eines dynamischen Unbewussten begründet. Cf. Rother20 21

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Apologie und Kritik

sie in einem gebührenden Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehe, was in Anbetracht des historischen Ausmaßes der in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern realisierten Leiden wiederum fragwürdig erscheine (The Proportionality Problem). (3) Die spezifischen Umstände eines Lebens würden von der Karma-Lehre durch karmisch relevante Taten aus einem vorherigen Leben erklärt und diese wiederum auf die Willenshandlungen aus einem noch früheren Leben zurückgeführt, usw. ad infinitum. Alan Watts Frage nach der Erstursache des Karmas – »Why and how does the reincarnating individual first go wrong?« 23 – werde normalerweise mit dem Verweis auf die Anfangslosigkeit (anādi) des Weltprozesses beantwortet, womit das eigentliche Problem aber nicht gelöst, sondern vielmehr verschoben und letztendlich unbeantwortet bleibe (The Infinite Regress Problem). 24 (4) Das paradigmatische Beispiel unschuldigen Leidens sei die allgemeine Sterblichkeit des Menschen, der im Wissen um seine Endlichkeit existiere und daran existentiell leide. Dieser Umstand werde von der Karma-Lehre allerdings nicht erklärt, sondern mithin unerklärt vorausgesetzt (The Problem of Explaining Death). 25 (5) Jede Karma-Lehre, die alle positiven und negamundt 1979: 54. Francis X. Clooney hat wiederum bemängelt, dass eine solche Lehre wenig Trost für den Leidenden spende: »[L]ittle comfort is given to the suffering person who is usually thought not to remember anything of the culprit past deeds.« Clooney 1989: 535. Das Problem der Gedächtniskonstanz hat John Hick dazu veranlasst, die Reinkarnation ins »Pareschatologische« zu verschieben, also eine Reihe von Wiedergeburten in anderen Welten mit voller Erinnerung an unsere vorherigen Leben zu postulieren, die mit unserer irdischen Existenz ihren Anfang nehmen und zu einer letztendlichen eschatologischen Vollendung durch prozessuale und progressive Läuterung führen. Cf. Hick, J. 2010: 399–424. Ein ähnlicher Lösungsansatz wurde von Paul Badham und Lynn de Silva vertreten. Cf. Badham 1987; Silva 1968: 139– 163. Eine weitere Diskussion dieses Problems findet sich bei Stoeber 1990. Unter Verlängerung auf die christliche Theologie und unter Angabe weiterer Literaturhinweise bei Schmidt-Leukel 1996b: 195–204. 23 Watts 1964: 39. 24 Zu diesem Urteil ist auch Wendy Doniger in ihrer Analyse gekommen: »Karma ›solves‹ the problem of the origin of evil by saying that there is no origin […]. But this ignores rather than solves the problem.« Doniger 1976: 17. Schopenhauer hatte den Umstand, dass Brahmanismus und Buddhismus »die Reihe der einander bedingenden Erscheinungen ins Unendliche hinaufführen« in seiner Kritik der Kantischen Philosophie hingegen als faktischen Beweis dafür gewertet, dass »das Zurückgehen zu einer unbedingten Ursache, zu einem ersten Anfang, keineswegs im Wesen der Vernunft« begründet sei. S I: 616. 25 Max Weber (1864–1920) hatte versucht »die Endlichkeit alles irdischen Lebens« als Folge der »Endlichkeit der guten oder bösen Taten in dem früheren Leben der gleichen

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

tiven Erlebniszustände ausnahmslos auf karmische Ursachen zurückführe, ende unweigerlich in einem harten Determinismus, der die menschliche Willensfreiheit leugne. So könne sich ein Terrorist als Vollstrecker des Karmas verstehen und jeden seiner Morde als karmisch gerechtfertigte Strafe der Opfer rationalisieren. Der Terrorist wäre in diesem Fall nicht frei, sondern in seiner Handlung durch das Karma der Opfer determiniert. Wäre er hingegen wirklich frei zu radikalbösen Taten wie dem Mord unschuldiger Zivilisten, dann wäre der Grundgedanke der Karma-Lehre widerlegt, der besagt, dass jedes Unheil als karmische Folge vorausgegangener Taten gerechtfertigt ist. Auch die begriffliche Unterscheidung zwischen moralischen und natürlichen Ursachen des Leidens könne dieses Problem nicht lösen, da es die Existenz von Leid anerkenne, das durch die Karma-Lehre selbst nicht mehr erklärt werde, wodurch sie insgesamt ihre innere Kohärenz und systematische Erklärungskraft verlöre. Zudem sei eine Vielzahl von Fällen denkbar, in denen nicht exakt zwischen moralischen und natürlichen Ursachen unterschieden und folglich nicht akkurat entschieden werden könne, welches Unheil im Einzelnen die Folge karmischer oder natürlicher Wirkzusammenhänge sei (The Free Will Problem). 26 (6) Schließlich könne die reinkarnatorische Karma-Lehre weder wissenschaftlich falsifiziert noch verifiziert werden. Da jedes Ereignis prinzipiell als Folge karmischer Ursachen erklärt werden könne, sei die Karma-Lehre nicht falsifizierbar und da sie keine konkreten Vorhersagen ermögliche, die an der Empirie überprüft werden könnten, sei sie auch nicht verifizierbar (Karma and the Verifiability Problem). Als rational-systematische Erklärung menschlichen Leidens sei die Karma- und Wiedergeburtenlehre folglich gescheitert. 27 Ich werde die einzelnen Einwände im Folgenden Seele« zu begreifen. Weber 2002: 318. Kaufman weist zu Recht darauf hin, dass es sich hierbei um einen Zirkelschluss handelt: Weber erklärt die Endlichkeit des Lebens durch die Endlichkeit unserer Handlungen, aber unsere Handlungen sind nur endlich, weil das Leben endlich ist. Cf. Kaufman, Wh. 2005: 23. 26 Kaufman nennt mehrere Fälle, in denen eine klare Anwendung unmöglich sei: »[H]arm caused or contributed to by humans negligence (negligent driving of a car, failing to make buildings earthquake proof); harm that was not directly caused but that was anticipated and could have been prevented (starvation in Africa); harm caused in cases of insanity or diminished mental capacity; harm caused while in a state of intoxication (drunk driving); and so forth.« Kaufman, Wh. 2005: 25. Die Unterscheidung zwischen moralischen, i. e. karmischen und natürlichen Ursachen findet sich bei Reichenbach 1990: 94 f. 27 Cf. Kaufman, Wh. 2005: 28.

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor

aufgreifen, insofern Batchelors und Loys Positionen davon unmittelbar betroffen sind. 28

8.2. Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor In neuerer Zeit hat vor allem Stephen Batchelor bzw. Gelong Jampa Thabkey – so sein monastischer Name – die Debatte um die wissenschaftliche Überprüfbarkeit von Karma und Wiedergeburt aktualisiert und deren Status als konstitutive Elemente des Buddhismus wiederholt in Zweifel gezogen und damit eine neue Kontroverse um die einheits- und identitätsstiftenden Kerngehalte der buddhistischen Lehre evoziert. Als junger Mönch in der Gelug-Schule des tibetischen Buddhismus revoltierte Batchelor gegen eine blinde Konformität gegenüber der eigenen Tradition, eine unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten und die Apotheose autokratischer Gurus, die nicht als gewöhnliche Menschen, sondern als lebende Buddhas und perfekte Verkörperungen der Erleuchtung verehrt wurden sowie die fideistische Annahme spezifischer Glaubenssätze eines hermetisch geschlossenen Lehrsystems, die wie die Karma- und Wiedergeburtenlehre unhinterfragt hingenommen werden sollten. 29 Dabei stellte Eine ausführliche Auseinandersetzung mit allen sechs Kritikpunkten und eine eingehende Darstellung der Diskussion, die Kaufmans Beitrag im Einzelnen ausgelöst hat, können an dieser Stelle nicht erfolgen. Zur Debatte siehe Chadha/Tralakis 2007; Kaufman, Wh. 2007; Sharma 2008; Burley 2013; Barua 2017. 29 Ein gutes Beispiel für die von Batchelor kritisierte Apodiktizität, mit der einige tibetische Lamas die Karma-und Wiedergeburtenlehre mit all ihren zynischen Implikationen lehren, findet sich bei Thrangu Rinpoche: »All happiness and suffering is the exclusive result of our individual karmic deeds created through past lives.« Thrangu 1994: 89. Kinder werden demnach in Afrika geboren, hungern, leiden und sterben dort, weil sie in ihrem vorherigen Leben nicht ausreichend karmische Verdienste (puṇya) gesammelt haben: »The fact that people are born into such circumstances is because of lacking merit. From that standpoint, it is definitely very important to accumulate merit. Having merit, one can be born the Prince of England; lacking merit, one may be born as a starving child in Africa.« Thrangu 1994: 47. An diesem impliziten Zynismus und Fatalismus einer deterministisch interpretieren Karma- und Wiedergeburtenlehre nimmt auch Loy Anstoß. Wenn jeder Mensch mit seinem eigenen Karmastrom als etwas Individuellem und Getrenntem letztlich für alles, was ihm widerfährt, verantwortlich sei, dann müsse man sich fragen, welche selbstverursachte, karmische Schuld dazu geführt habe, dass Juden im Deutschland der Nazis wiedergeboren wurden. Cf. Loy 2015a: 136. 28

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

vor allem der obligatorische Glaube an eine karmisch gesteuerte Reinkarnation die größte Herausforderung für Batchelors skeptische Vernunft dar, die er bei vollem Bewusstsein ihrer zentralen Bedeutung für den buddhistischen Pfad nicht direkt an der eigenen Erfahrung verifizieren und die ihn daher niemals überzeugen konnte. Diese kognitive Dissonanz stürzte ihn in eine tiefe, existentiell erfahrene Krise. Wenn es keine karmisch koordinierte Wiedergeburt und Kontinuität über den Tod hinaus gibt, warum sollte er dann seine ganze physische und psychische Kraft aufbieten und große Teile seiner Lebenszeit investieren, um sich vom Kreislauf der Wiedergeburten zu befreien? Vorausgesetzt man würde nicht in diesem Leben gefasst und verurteilt, könnte man ohne Reinkarnation theoretisch ungestraft mit einem Mord davonkommen, ohne jemals irgendwelche Konsequenzen dafür tragen zu müssen. Und selbst wenn man wissenschaftlich beweisen könnte, dass dem Tod ein weiteres Leben folgt, wäre damit noch nicht bewiesen, dass dem Wiedergeburtsgeschehen ein karmisches Vergeltungsprinzip zugrunde liegt und ein Mörder in der Hölle und ein Heiliger im Himmel wiedergeboren werden. 30 Warum sollte man überhaupt das Bodhisattva-Gelübde ablegen, in dem man gelobt, so oft wiedergeboren zu werden, bis alle Wesen erlöst sind, wenn kein Wesen jemals wiedergeboren wird? Konnte er sich einer niemals endenden Heilsbedürftigkeit der Lebewesen opfern und sein ganzes Sein und Wirken in ihren Dienst stellen, ohne überhaupt an deren Wiedergeburt zu glauben? Welche Bedeutung konnte die Rede vom Dalai Lama als der vierzehnten Reinkarnation in einer Linie tibetischer Mönche beginnend mit Gendün Drub (1391–1474) unter diesen Umständen noch für ihn haben? 31 Wenn wir nicht in einer Lebensform wiedergeboren werden, die dem ethischen Status unserer Willenshandlungen (cetanā) in diesem oder einem früheren Leben entspricht, warum sollte man dann dem Buddhismus und nicht der altindischen Schultradition der Cārvākas, Lokāyatas und Bṛhaspatyas mit ihren atheistischen, materialistischen und hedonistischen Lehren folgen, die die Lehre vom Karma und der Wiedergeburt leugneten und weder sittlich-religiöse Normen (dharma) noch Befreiung (mokṣa), sondern ausschließlich

30 31

Cf. Batchelor 1998: 37. Cf. Batchelor 2010: 37 f.

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor

Sinnesfreuden (kāma), Reichtum und Macht (artha) als eigentliche Lebensziele des Menschen (puruṣārtha) gelten ließen? 32 Die scholastische Schulung als tibetisch-buddhistischer Mönch konnte Batchelors tiefen Zweifel über diese Themen nicht endgültig beseitigen und ihn zu einer Gewissheit führen, in der sich alle Fragen und existentiellen Konflikte restlos lösten. Durch seinen persönlichen Werdegang sollte dieser innere Aufruhr im Folgenden noch verschärft werden und ihn auf der kontinuierlichen Suche nach Antworten zum Bruch mit der tibetischen Tradition führen. Nach einer prägenden Einführung in die Vipassanā-Meditation durch Satya Narayan Goenka (1924–2013) und einem mehrjährigen Aufenthalt in der Schweiz mit seinem Lehrer Geshé Rabten (1920–1986), der zu einem vertieften Studium westlicher Philosophie, Psychologie und Theologie sowie einer von C. G. Jung inspirierten »Sandspieltherapie« bei der Schweizer Psychotherapeutin Dora M. Kalff (1904–1990) aus Zollikon führte, wirkte Batchelor als Übersetzer für Geshe Thubten Ngawang (1932–2003) im Tibetischen Zentrum in Hamburg und verließ Europa 1981 siebenundzwanzigjährig, um sein Training als buddhistischer Mönch im Songgwang-sa-Tempelkloster in Südkorea fortzusetzen, wo ihn Kusan Sunim (1908–1983) auf der Grundlage der Lehren Chinuls/Jinuls (1158–1210) bis zu seinem Tod in der Praxis des koreanischen Sŏn-Buddhismus (chin. chan; jap. zen) unterwies. 33 Während der Buddha im Cankī-Sutta ein ursprüngliches Vertrauen (pāḷi saddhā) zur Bedingung der Möglichkeit buddhistischer Lehrunterweisung und Praxis erhoben hatte, zog Batchelor aufgrund seiner eigenen existentiellen Identitätskrise vor allem die kritische Distanz gegenüber metaphysischen Fragen und die ursprüngliche Betonung des existentiellen Zweifels am Sŏn-Buddhismus an. 34 Die Cf. Batchelor 2010: 41; Bhattacharya 2012: 24 f. Aus seiner Zeit in Tibet ging das Buch Alone with Others (1983) hervor, während Batchelor seine Erlebnisse und Reflexionen in Korea in The Faith to Doubt (1990) festgehalten hat. Cf. Batchelor 1983; Batchelor 2015a. Batchelors Frau Martine hat Texte ihres gemeinsamen Lehrers übersetzt, die Batchelor zusammen mit einer Einleitung publiziert hat. Cf. Sunim 2013. 34 Cf. Majjhima-Nikāya 95. In: Bodhi 2001: 782. Historisch ist diese Annahme allerdings nicht ganz zutreffend, denn für Yüan-wu K’o-ch’in stand nicht das kung-an (jap. kōan) oder eine spezifische Phrase bzw. ein einzelnes Wort desselben (chin. hua-t’ou; kor. hwadu) im Zentrum spiritueller Praxis, sondern die Kultivierung des gläubigen Vertrauens (chin. hsin) an die inhärente Buddha-Natur und primordiale Erleuchtung. Gegenüber hsin konnte die kung-an-Praxis für Yüan-wu nur eine marginale und subsidiäre Rolle spielen. Cf. Yuan-wu yü-lu 15 (Taishō 47.758a6). In: 32 33

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

tiefe Skepsis gegenüber der vorherrschenden Beschäftigung mit abstrakten Spekulationen in den etablierten buddhistischen Schulen entsprachen Batchelors anti-dogmatischem Bedürfnis nach einer vitalen Dharmapraxis, die auf ein radikales Ende allen Urteilens über sämtliche Glaubenssätze, einschließlich aller buddhistischen Glaubenssätze über Karma, Wiedergeburt und nichtmenschliche Existenzbereiche zielt. Für Batchelor löste sich das metaphysische und existentielle Problem von Karma und Wiedergeburt allerdings nicht, indem er sich abschließend für den fideistischen Sprung in den als naiv empfundenen Wiedergeburtsglauben entschied oder seine kognitive Dissonanz zugunsten der Praxis verdrängte, sondern durch die folgenreiche Erkenntnis, dass er gleichermaßen Beweise für dessen Unrichtigkeit ermangelte. Weder konnte er mit Sicherheit sagen, dass dem Tod ein weiteres, karmisch determiniertes Leben folgt, noch war er mit letzter Gewissheit davon überzeugt, dass der Tod die endgültige Auslöschung bedeutet. Ihm blieben nach eigener Angabe nur eine als Tugend erkannte agnostische Haltung des Nichtwissens und des existentiellen Zweifelns sowie die befreiende Gewissheit, dass die Authentizität seiner ethischen, philosophischen und meditativen Praxis als Buddhist für ihn nicht von der Wahrheit oder Falschheit der

Hsieh 1994: 87. Damit war er ganz im ursprünglichen Geiste Lin-chis verankert, in dessen Lin-chi lu (jap. rinzai roku) sich folgende Aussage findet: »[T]he resolute man knows full well that from the beginning there is nothing to do. Only because your faith is insufficient do you ceaselessly chase about it; having thrown away your head you go on and on looking for it, unable to stop yourself.« Lin-chi lu 13. In: Kirchner 2009: 13. Insofern Yüan-wu K’o-ch’in den Glauben als Basis spiritueller Chʾ an-Praxis verstand, konnte der Zweifel (i) nur das größte Hindernis für die Erleuchtung sein. Erst Ta-hui Tsung-kao/Dahui Zonggao (jap. Daie Sōkō, 1089–1163) rückte ein einzelnes Wort – hier wu (jap. mu) – ins Zentrum seiner Hua-t’ou-Praxis und erklärte nicht die Kultivierung des Glaubens, sondern den alles erfassenden und schonungslosen Zweifel und die Maximierung desselben zur geistigen Bedingung der Erleuchtung. Cf. Ta-hui Pʾ u-chueh chʾ an-shih yü-lu 19 (Taishō 47.891a22–23). In: Hsieh 1994: 88. Dafür müssten alle existentiellen Zweifel auf das hua-t’ou des kung-an konzentriert und zu einem einzigen großen Ball des Zweifels (i-tʾ uan) gesteigert werden, den es mittels beständiger und bis zum Äußersten gesteigerter Aufmerksamkeit auf das hua-tʾ to zu brechen galt. Cf. Ta-hui yulu (Taishō 47.930a14–16). In: Schlütter 2008: 109. Ta-hui war somit der erste Ch’an-Meister, der die gesamtexistentielle Vertiefung in das hua-tʾ to eines kung-an als soteriologisch exklusive Praxis (chin. kʾ anhua-chʾ an; jap. kanna-zen) lehrte: »It is therefore fair to say that Dahui not only developed a new contemplative technique, he also invented a whole new kind of Chan in the process.« Schlütter 2008: 116. Eine ausführliche Beschreibung von Batchelors Hua-t’ou-Praxis findet sich in Batchelor 2015a: 48–53.

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor

Karma- und Wiedergeburtenlehre abhängig war: »The acknowledgment ›I don’t know‹ comes finally not as failure or disgrace but as release.« 35 Der Buddha, der in dieser Hinsicht vom metaphysischen Geist seiner Zeit befangen gewesen sei, habe einen solchen Zugang zum Buddhismus zwar im Kālāma-Sutta ausdrücklich bestätigt, indem er die Dharmapraxis auch ohne den Glauben an die Wiedergeburt für sinnvoll erklärt und im Sīvako-Sutta verkündet habe, dass nicht alles durch das Karma allein erklärbar sei, aber es sei doch insgesamt unbestreitbar, dass er die Karma- und Wiedergeburtenlehre akzeptiert und somit selbst keine agnostische Position in dieser Frage vertreten habe. 36 Diese Annahme Batchelors lässt sich auch eindeutig an den kanonischen Quellen verifizieren, die dem Buddha ein unmittelbares und persönliches Erfahrungswissen von der Wirklichkeit der Wiedergeburt und den Wirkweisen des Karmas attestieren, das als integraler Bestandteil seiner Erleuchtungserfahrung beschrieben wird und in der Folgezeit von keiner der buddhistischen Schulen ernsthaft in Frage gestellt wurde. 37 So weist der Buddha im Mahācattārīsaka-Sutta die Leugnung der positiven und negativen Auswirkungen des Karmas sowie die Leugnung von Diesseits und Jenseits explizit als falsche Ansicht (pāḷi micchā-diṭṭhi) zurück, während er die Karma- und Wiedergeburtenlehre im Brahmajāla-Sutta ausdrücklich als rechte Ansicht (pāḷi sammā-diṭṭhi) lehrt, dabei aber zugleich Batchelors mateBatchelor 2015a: 43. Cf. Batchelor 1998: 37 f. Der Ausdruck Agnostizismus (»ohne Wissen«, »ohne Erkenntnis«) wurde vom englischen Biologen und Darwinisten Thomas Henry Huxley (1825–1895) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Gegenbegriff zum Gnostizismus geprägt, worunter Huxley die religiöse Überzeugung von der Existenz Gottes verstand. Cf. Huxley, T. 1904. 36 Cf. Batchelor 2017: 162. Batchelor bezieht sich vor allem auf die beiden folgenden Abschnitte aus dem Kālāma-Sutta und Saṃyutta-Nikāya: »Gibt es aber keine andere Welt und keine Furcht, kein Ereignis guter oder schlechter Taten, so lebe ich eben hier in dieser Welt ein leidloses, glückliches Leben, frei von Haß und Übelwollen«. Aṅguttara-Nikāya 3, 66. In: Nyānatiloka 1993a: 170. »Da nun gehen die Asketen und Brahmanen, Sīvako, die da lehren und denken: ›Was immer auch eine menschliche Person empfindet an Wohl oder Wehe oder Weder-weh-noch-wohl, all das ist durch früher Getanes veranlaßt […]. Darum sage ich von diesen Asketen und Brahmanen: Das ist falsch.‹« Saṃyutta-Nikāya 36, 21. In: Geiger/Nyānaponika/Hecker 2003: 133. Cf. Batchelor 2017: 114. 37 Cf. Majjhima-Nikāya 36. In: Bodhi 2001: 332–343. Loy bekennt ebenfalls, dass ihm keine ernst zu nehmende historische Untersuchung bekannt sei, die bezweifle, dass Śākyamuni die physische Wiedergeburt und das nirvāṇa als die Erlösung daraus gelehrt habe. Cf. Loy 2010c: 95. 35

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

rialistisch-reduktionistische Weltsicht, die den Geist zum Epiphänomen der Materie degradiert, als eine der zweiundsechzig falschen Ansichten identifiziert. 38 Da sich die Frage nach der metaphysischen Wahrheit der Karmaund Reinkarnationshypothese Batchelor zufolge wissenschaftlich nicht entscheiden lässt, müsste er sich als Agnostiker eigentlich apodiktischer Urteile über diese Frage enthalten und dies auch in seinen eigenen Ausführungen reflektieren. In seiner säkularen Buddhismusinterpretation, die insgesamt ein massiv anti-religiöses Ressentiment dokumentiert, wird die Lehre einer karmisch determinierten Wiedergeburt dann allerdings ganz auf ihren psychologisch-existentiellen Kern reduziert und damit auf eine Weise ausgelegt, als ob sie de facto metaphysisch falsch sei. Von einer agnostischen Position und Urteilsenthaltung kann hier freilich keine Rede mehr sein, da sich seine Interpretation inhaltlich nicht mehr von einer rein atheistischen, materialistischen und psychologistischen Deutung unterscheidet. 39 Das scheint auch Batchelor unterdessen bemerkt zu haben, da er sich in neueren Publikationen nicht mehr als buddhistischen Agnostiker, sondern als buddhistischen Atheisten bezeichnet. 40 Karma und Wiedergeburt sind für Batchelor damit ähnlich wie bei Jennings und

Cf. Majjhima-Nikāya 117. In: Bodhi 2001: 934. Cf. Dīgha-Nikāya 1. In: Walshe 1995: 84. Batchelor kritisiert die Annahme, dass der Geist ohne Körper existieren könne an mehreren Stellen seines Werkes und spricht explizit von »the neural foundations of consciousness.« Batchelor 2010: 198. Cf. Batchelor 2015b: 191 f. Er beruft sich dabei auf die Ergebnisse der zeitgenössischen Neurowissenschaften, um das Bewusstsein und die gesamte phänomenale Wirklichkeit auf neuronale Signale im Gehirn zu reduzieren: »[T]he entire show is a representation generated in the brain.« Batchelor 2004: 97. Auch nach buddhistischer Daseinsanalyse sei das Bewusstsein kein privilegiertes Element im Erkenntnisprozess, sondern das Ergebnis eines ganzen Systems miteinander verbundener Prozesse und könne weder auf eine oder alle diese Bedingungen reduziert werden noch ohne sie in Erscheinung treten. Cf. Batchelor 2004: 98 f. 39 In einem Beitrag, der erstmals am 12. April 2006 auf der Tricycle-Internetseite erschien, bekennt Batchelor apodiktisch: »I do not believe that I existed in any meaningful sense before my birth or will exist again after my death either here on earth or in a heaven, a hell, or any other realm. […]. God, the devil, heaven, hell, rebirth, karma are human inventions that we have projected beyond ourselves and invested with a separate reality of their own.« Batchelor 2017: 155. »Incapable of being either falsified or verified, they [die Gottes- und Karmahypothese; F. V.] have as much explanatory power as a theory that claims life on earth to be under the telepathic control of invisible beings from Alpha Centauri.« Batchelor 2004: 90. 40 Cf. Batchelor 2011. 38

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor

Buddhadāsa zuvor nur noch bloße Metaphern für ein Leben, das sich nicht aus dem kognitiv-affektiven Griff des Eigeninteresses lösen kann und daher in reaktiven, von Durst determinierten Verhaltensweisen gefangen bleibt. 41 Die Karma- und Wiedergeburtenlehre als nicht verifizierbaren metaphysischen Glauben einer vergangenen Zeit einfachhin zu verwerfen, verkennt Batchelor zufolge allerdings ihren existentiellen Zweck, das menschliche Leben in einer kosmologischen Vision zu verankern, die ein Gefühl der Demut, Verbundenheit und Verantwortung vermittelt und die Menschen dazu ermutigt, die Bedeutung ihrer Existenz im Kontext der Unermesslichkeit des Lebens zu sehen und sie nicht darauf zu reduzieren, ihrer egoistischen Gier und ihrem Hass dienstbar zu sein. 42 Glücklicherweise habe die säkulare Moderne eine vollwertige und wissenschaftlich überzeugendere Alternative hervorgebracht, die den Verlust des kosmologischen Glaubens des alten Indiens mehr als aufwiege. Gegen die naturwissenschaftliche Vision des Kosmos, mit ihren detaillierten Beschreibungen der Entstehung des Lebens, der Singularität des Urknalls, der überwältigenden Ausdehnung der Galaxien und der außerordentlichen Entwicklung von Myriaden von Lebensformen aus Einzellern, erscheine die Karma- und Wiedergeburtenlehre geradezu plump und simplizistisch: This secular vision teases out the intuitions of the doctrines of karma and rebirth in vivid and compelling detail. Biology, physics, ecology, psychology, and history provide boundless illustrations of conditioned arising made flesh, from the most intimate details of our own mental states to the most devastating accounts of melting polar ice caps. This vision is likewise able to awaken and fine-tune our moral sense. It brings the dharma firmly down to earth. Before our stunned gaze, the dukkha of which Gotama spoke is rendered more immediate, palpable, and extensive than ever before. 43

Die Auffassung, dass verantwortliches Handeln in der Welt nicht von der Wahrheit der Karma- und Wiedergeburtenlehre abhängig sei, hatte Batchelor bereits in einer Debatte bekundet, die zwischen ihm und Robert Thurman im Januar 1997 in New York stattgefunden hatte und in der er sich auf zwei Verse aus dem Bodhicaryāvatāra 41 42 43

Cf. Batchelor 2015b: 306. Cf. Batchelor 2015b: 303. Batchelor 2015b: 305.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

berief. Śāntideva greift hier einen naheliegende Einwand auf und fragt, warum man sich überhaupt für die Leiden seiner kommenden Existenzform interessieren soll, wenn doch der Mensch, der stirbt und der Mensch, der geboren wird, jeweils ein anderer seien und zwischen beiden Existenzformen kein bewusstes Erinnerungskontinuum bestehe? 44 Bereits Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hatte in seinem Discours de métaphysique (1686) die Position vertreten, dass die Wiedergeburt als König von China ohne eine kontinuierliche Kette von Erinnerungen einer Vernichtung der Persönlichkeit gleichkomme und daher in keinster Weise wünschenswert sei. Auch John Locke (1632–1704) hatte in seinem einige Jahre später publizierten Essay Concerning Human Understanding (1690) vorgeschlagen, das Konzept personaler Identität nicht an den Menschen als zweckmäßig organisierten und materiellen Körper oder die Vorstellung einer immateriellen geistigen Substanz, sondern allein an die Kontinuität von Erinnerungen zu knüpfen. 45 Es sei daher völlig gleichgültig, was eine numerisch identische Substanz in früheren Verkörperungen gedacht oder getan habe; woran man sich nicht erinnern und was man durch sein eigenes Bewusstsein nicht zu seinen eigenen Gedanken und Taten machen könne, gehöre einem ebenso wenig an, wie die Taten einer beliebigen anderen Substanz. Lohn oder Strafe für vergangene Handlungen zu erfahren, von denen man kein fortgesetztes Bewusstsein mehr habe, unterscheide sich daher in keinster Weise mehr da»Wenn ich [den anderen] deshalb nicht behüte, weil sein Leid mich nicht peinigt: Auch durch das Leid des künftigen Körpers wird mir keine Pein. Warum behüte ich ihn dann? Anzunehmen, dass auch dann [im nächsten Leben] nur ich es sei, ist falsch, denn ein anderer ist gestorben, ein anderer wird geboren.« Bodhicaryāvatāra 8, 97– 98. In: Steinkellner 2005: 112. Śāntideva löst das Problem, indem er auf die Illusionshaftigkeit der zugrundeliegenden Unterscheidung in »eigenes« und »fremdes« Leiden hinweist, die aus der Perspektive vollkommener Weisheit (prajñāpāramitā) nicht mehr bestehe. In seinem universalen Mitgefühl (mahākaruṇā) will der Bodhisattva, der nicht mehr zwischen »mein« und »dein« unterscheidet, ausnahmslos jedes Leid beseitigen: »Herrenlos sind alle Leiden ohne Unterschied. Der Leidhaftigkeit alleine wegen sind sie zu beseitigen.« Bodhicaryāvatāra 8, 102. In: Steinkellner 2005: 112. 45 Cf. Discours de métaphysique § 34. In: Leibniz 2002: 98 f. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch Leibniz in den Nouveaux Essais sur L’entendement humain (1704) erklärt hatte, dass die personale Identität nicht von der Substanz allein abhängig sei: »Es gäbe hier eine Identität der Substanz; falls aber kein Erinnerungszusammenhang zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten bestünde, den dieselbe Seele herstellen würde, gäbe es nicht genügend moralische Identität um zu sagen, daß es eine und dieselbe Person wäre.« Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand 2, 27, 6. In: Engelhardt/Holz 1959: 401. 44

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Stephen Batchelor

von, glücklich oder unglücklich erschaffen worden zu sein. Das Urteil werde allein dadurch gerechtfertigt, dass es dieselbe Person sei, die bestimmte Handlungen begangen habe, ganz egal mit wie vielen Körpern oder Substanzen dieses Bewusstsein in früheren Existenzen auch verknüpft gewesen sei. Auf die Identität der Person gründe sich allein das Recht und die Gerechtigkeit von Lohn und Strafe und die Identität der Person erstrecke sich wiederum nicht weiter als die bewusste Erinnerung ihrer selbst. 46 Die buddhistische Grundannahme einer karmischen Kontinuität über den leiblichen Tod hinaus ist daher auch für Batchelor ohne die zusätzliche Annahme eines unausgesetzten Erinnerungsvermögens genauso gut oder schlecht wie der korrespondierende Hinweis des Materialisten auf sein Nachleben in der Erinnerung anderer Menschen oder die Wirkung, die seine irdischen Werke und Taten nach seinem Ableben auf die Entwicklung der Kultur und Gesellschaft ausüben. Es ließe sich an dieser Stelle noch hinzufügen, dass auch der Glaube an die Fortexistenz der saṃskāras ohne personale Identität nicht tröstlicher ist als das Wissen, dass genetische Anteile eines geliebten Menschen in den Nachkommen weiterleben oder – um Lockes Argument gegen den Advaita-Vedānta zu wenden – ein immaterieller und unsterblicher Geist (ātman) die wechselnden Inkarnationen überdauert, der nicht mit unserer Erinnerung verbunden und damit nicht mit unserer Person identisch ist. Daraus folgt für Batchelor, dass die verantwortliche Partizipation am Weltgeschehen und die emphatische Teilnahme am Schicksal zukünftiger Generationen nicht notwendig von einer Metaphysik karmischer Kontinuität abhängig sind. 47

Cf. Locke 1968: 410–438. Gegen die Erinnerung als Träger personaler Identität hat Schmidt-Leukel unter Bezug auf Derek Parfits (1942–2017) Reasons and Persons (1984) auf das Problem der »Pseudo-Erinnerungen« hingewiesen, in denen jemand subjektiv davon ausgeht, sich an etwas zu erinnern, das er in Wahrheit nie selbst erlebt hat. So sei es theoretisch vorstellbar, dass es vielleicht irgendwann machbar sei, Hirnzellen mit Gedächtnisinformationen in ein anderes Gehirn zu übertragen, sodass eine Person sich an Erfahrungen erinnert, die tatsächlich von einer anderen Person gemacht wurden. Angesichts der Möglichkeit von »Pseudo-Erinnerungen« könne man die Frage der personalen Identität nun nicht mehr von der Erinnerungen abhängig machen, ohne in einen Zirkelschluss zu geraten: »Wir würden die Echtheit der Erinnerung zum Kriterium für personale Identität erheben und die personale Identität zum Kriterium für die Echtheit der Erinnerung.« Schmidt-Leukel 1996b: 199. 47 Cf. https://tricycle.org/magazine/reincarnation-debate/ 46

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

8.3. Zur Kritik an Batchelors Buddhismusinterpretation Angesichts Batchelors rein säkularer Auslegung der buddhistischen Lehre, die sich zudem als authentische Beschreibung der ursprünglichen Lehre des Buddhas präsentiert, verwundert es nicht, dass in verschiedenen Rezensionen eindringliche Kritik an Batchelors Buddhismusinterpretation geübt wurde. 48 Der Meditationslehrer und Experte für tibetischen Buddhismus B. Alan Wallace gesteht zwar grundsätzlich zu, dass es legitim sei, eklektisch nur diejenigen Theorien und Praktiken aus den verschiedenen buddhistischen Traditionen zu übernehmen, die einem zusagen und die man nützlich finde, es aber absolut illegitim sei, den Buddha und seine Lehren nach eigenen vorgefassten Meinungen neu zu erfinden und sich damit wie Batchelor auch noch in einen eklatanten Widerspruch zu vielen Aussagen des Buddhas zu setzen, wie sie in den älteren kanonischen Schriften überliefert seien und deren Authentizität von allen Schulen des Buddhismus einvernehmlich anerkannt würde. Batchelors Entwurf sei daher nur durch einen selektiven und idiosynkratischen Umgang mit den Quellen sowie eine starke Vereinfachung und Rationalisierung der enthaltenen Lehren möglich, die auf diese Weise nicht nur ihrem ursprünglichen Kontext entfremdet, sondern auch in beträchtlicher Weise inhaltlich modifiziert würden. Mit seiner existentielltherapeutischen Karikatur der Tradition rücke er sich auf diese Weise selbst in die Ecke jener »Neuen Atheisten«, die wie der US-amerikanische Religionskritiker Samuel B. Harris nach einer buddhistischen Spiritualität ohne Religiosität suchen. 49 Aber gerade in seiner unverAuf die gesamte Kritik, die Batchelors Buddhismusinterpretation provoziert hat, kann hier inhaltlich nicht in allen Einzelheiten eingegangen werden. Neben B. Alan Wallace, Bhikkhu Bodhi und Bhikkhu Punnadhammo hat auch der in der TheravādaTradition ordinierte und von tibetischen Lamas im Vajrayāna-Buddhismus ausgebildete englische Mönch Urgyen Saṅgharakṣita (Dennis P. E. Lingwood) eine kritische Rezension der Buddhismusinterpretation Batchelors verfasst. Cf. Saṅgharakṣita, Urgyen: Buddhism Without Beliefs? (http://www.westernbuddhistreview.com/vol2/ buddhism_without_beliefs.html). Eine Darstellung und Diskussion aller Kritiken bis 2002 findet sich in der unveröffentlichten Masterarbeit von Silverman 2002. 49 Cf. Wallace, B. Alan: Distorted Visions of Buddhism: Agnostic and Atheist. (http:// fpmt.org/mandala/archives/mandala-issues-for-2010/october/distorted-visions-ofbuddhism-agnostic-and-atheist/). Eine (gekürzte) deutsche Übersetzung ist erschienen als Wallace 2011. Eine Erwiderung Batchelors auf die Kritik von Wallace findet sich unter Batchelor, Stephen: An Open Letter to B. Alan Wallace. (http://fpmt.org/ mandala/archives/mandala-issues-for-2011/january/an-open-letter-to-b-alan48

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Zur Kritik an Batchelors Buddhismusinterpretation

kürzten Form, die im festen Glauben an die Erfahrbarkeit einer letzten transzendenten Wirklichkeit gründet und in der Erkenntnis dessen kulminiert, was jenseits der leidvollen, wissenschaftlich zugänglichen Welt liegt, besteht dem US-amerikanischen Theravāda-Mönch Bhikkhu Punnadhammo (Michael Dominskyj) zufolge das Evangelium des Buddhismus für den Westen mit seinem verengten Realitätsbegriff. Es seien allerdings genau diese entscheidenden Elemente der buddhistischen Lehre, die Batchelor in seinem unmetaphysischen, die Transzendenz eliminierenden und alles verendlichenden Reduktionismus zum Opfer fielen: »The prescription of this book [Buddhism without Beliefs; F. V.] amounts to an abandonment of the traditional Dharma and the transformation of Buddhism into a psychotherapy, which like all psychotherapies, has no goal higher than ›ordinary misery.‹« 50 Das abschließende Urteil des ebenfalls aus den Staaten stammenden Theravāda-Mönchs Bhikkhu Bodhi (Jeffrey Block) fällt nicht weniger vernichtend aus. Weder könne die Vorstellung des saṃsāra als karmisch gelenktem Wiedergeburtenkreislauf noch der Glaube an das nirvāṇa als transzendentes Erlösungsziel aufgegeben werden, ohne den Buddhismus dadurch seiner konstitutiven Bestandteile zu berauben. Zwar sei es unbedingt erforderlich, den Kern der buddhistischen Lehre immer wieder im Lichte der gegenwärtigen Umstände neu zu formulieren und in verwandelter Weise zu aktualisieren, aber Batchelor sei in seiner Bereitschaft zur vollen Säkularisierung der Lehre zu weit gegangen und habe den Buddhismus im herrschenden Paradigma eines profanen Humanismus anthropozentrisch und innerweltlich verkürzt: »In my view, Batchelor is ready to cast away too much that is integral to the Buddha’s teaching in order to make it fit in with today’s secular climate of thought. I’m afraid that the wallace/). Im Gegensatz zum Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus ist der genuin rationale Buddhismus für Harris keine Religion im westlichen Sinne, sondern ein vom anti-dogmatischen Geist des Empirismus inspiriertes Werkzeug zur Selbsttransformation des menschlichen Geistes und daher allen anderen, glaubensbasierten und irrationalen Religionen als »kontemplativer Wissenschaft« vorzuziehen. Um sein volles Potential entfalten zu können, müsse der Buddhismus in seinen religiösen Erscheinungsformen allerdings überwunden werden: »The wisdom of the Buddha is currently trapped within the religion of Buddhism.« Harris, S. 2006: 73. Cf. Harris, S. 2005: 293 f. Ein vergleichbares Potential attestiert Harris neben dem Buddhismus nur noch dem Advaita-Vedānta. Cf. Harris, S. 2015: 31 f. 50 Punnadhammo, Bhikkhu: Buddhism Without Beliefs critiqued. (http://www. budsas.org/ebud/ebdha107.htm)

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

ultimate outcome of such concessions could be a psychologically oriented humanism tinged with Buddhist philosophy and a meditative mood.« 51 Eine vergleichbare Kritik wurde auch von Loy an der Buddhismusinterpretation Batchelors vorgetragen. Eine spirituelle Tradition beinhalte immer eine Geschichte (story) über das, was die Welt sei und wie man durch ihren Vollzug verwandelt werde. Damit die Praxis funktioniere, sei es allerdings unerlässlich, sich mit dieser Geschichte zu identifizieren, um von ihr motiviert zu werden: »[O]ne acts as if the story is true. That’s faith.« 52 Batchelor stehe aber immer außerhalb seiner jeweiligen Geschichte: Praktiziere er Vajrayāna, fühle er sich mehr zur Vipassanā-Meditation hingezogen, praktiziere er Zen, sei er Existentialist und wenn er sich allgemein als Buddhist betätige, identifiziere er sich dennoch ständig mit seiner westlich-säkularen Sichtweise – »He is always a step removed from what he’s actually doing.« 53 Da Batchelor in seiner Autobiographie selbst einräume, dass er keine erschütternden Einsichten oder Durchbrucherlebnisse während der Meditationsphasen im Songgwang-sa-Tempelkloster erfahren habe, wirft Loy die grundsätzliche Frage auf, inwieweit es ihm überhaupt gelungen sei, sich in die buddhistische Praxis erfolgreich zu vertiefen. 54 Loy legt in seiner Kritik nahe, dass diese mangelnde Verwirklichung auch für Batchelors Verkürzung der anatta- und śūnyatā-Lehre verantwortlich sei, die er als blasse Abbilder ihrer ursprünglichen Bedeutung bemängelt. 55 Auch Batchelors fortgesetztes Ringen um ein adäquates Verständnis der reinkarnatorischen KarmaCf. Bodhi 1998: 20. Loy 2010c: 95. Das wirft ganz allgemein die Frage auf, ob man tatsächlich im Rahmen einer Geschichte leben und praktizieren kann, wenn man sich ihres mythischmetaphorischen Charakters bewusst ist? John Hick zufolge kann man sich entweder aus einer solchen Geschichte verabschieden, weil sie nicht wörtlich wahr ist oder sich bewusst dazu entscheiden, sie als »evocative poetry« anzunehmen, die unsere Emotionen berührt, unsere Phantasie erweitert und unseren Sinn für das vertieft, was alles menschliche Denken übersteigt, i. e. »the ultimately real.« Hick, J. 2004a: 244. Für Hick ist ein Mythos »wahr«, wenn er uns zur letzten Wirklichkeit hin öffnet. 53 Loy 2010c: 95. 54 Cf. Loy 2011a: 39. »Nor, in the course of seven three-month retreats, did I have any of the shattering insights or breakthroughs for which Zen is renowned.« Batchelor 2010: 67. Dem stehen freilich andere Aussagen Batchelors entgegen, die sich beispielsweise auf seine erste Vipassanā-Erfahrung beziehen: »I gained direct experiential insights into the meaning of the Buddhist teachings unlike anything I had ever realized through the methods taught by my Tibetan teachers.« Batchelor 2015a: 6. 55 Cf. Loy 2010c: 95. 51 52

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy

lehre führt Loy auf dessen fehlende existentielle Realisierung der anatta-Lehre zurück. Hätte Batchelor das Gefühl eines autonomen Subjektzentrums tatsächlich überwunden, dann hätte er sogleich erkannt, dass es niemals ein »Ich« gegeben hat, das überhaupt geboren, sterben und wiedergeboren werden könnte. Es komme daher alles darauf an, bis zu diesem »leeren Grund« des Selbstkonstruktes zu erwachen, mit dem zugleich auch das Problem von Karma und Wiedergeburt ende. 56 Von dieser Kritik Loys ist auch Batchelors nirvāṇa-Interpretation betroffen. Loy, der bei seiner eigenen Interpretation des nirvāṇas einen Mittelweg zwischen den konkurrierenden Denk- und Erfahrungsformen der Verabsolutierung der Transzendenz mit ihrem contemptus mundi einerseits sowie der Verabsolutierung der Immanenz mit ihrer Weltverfallenheit andererseits beschreibt, identifiziert die von Batchelor beschriebene nirvāṇische Welt- und Selbsterfahrung sogleich mit der immanentistischen Fehlform, die den buddhistischen Pfad auf ein therapeutisches Programm zur psychischen Entstörung des Menschen reduziere. Es bestehe ein ganz entscheidender Unterschied zwischen der Art und Weise, wie ein verblendeter Mensch (i. e. Batchelor) und eine erwachte Person (i. e. Loy) die Welt erfahre. Während Batchelor im Paradigma seines säkularen Reduktionismus nur jene entheiligte Welt bleibe, deren materialistische Natur nun gänzlich durch Physik, Chemie und Biologie erklärt werde, ist Loy davon überzeugt, mit seinem radikalen Phänomenalismus sowohl den Absolutismus der Transzendenz als auch den Absolutismus der Immanenz vermieden zu haben. Aber entspricht diese Kritik Loys wirklich dem Selbstverständnis Batchelors? Bevor ich mich dieser Frage abschließend zuwende, muss einem kritischen Vergleich beider Denker eine Darstellung von Loys Karma- und saṃsāra-Interpretation vorausgeschickt werden.

8.4. Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy Da es für Loy kein substantielles Selbst mit inhärenter Existenz, sondern nur ein psychologisch, sozial und linguistisch konditioniertes Selbst-Konstrukt gibt, kann das Karma folglich nichts sein, das ein Selbst hat, sondern nur dasjenige, was der individuelle Selbstsinn ist. 56

Cf. Loy 2010c: 96.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

Entsprechend der bewussten Korrektur unserer mentalen und charakterlichen Dispositionen (saṃskāra) und der gezielten Rekonditionierung unserer Willensregungen (cetanā), die unsere Handlungen gewohnheitsmäßig motivieren, verändere sich folglich auch unser Selbstsinn. Diesen karmischen Wandlungsprozess vergleicht Loy mit den Veränderungen unserer Körpers, die durch die Art und Weise unserer Ernährung drastisch beeinflusst werden können. 57 Genau so, wie der Körper aus der Nahrung bestehe, die man verzehrt und sich in Abhängigkeit von unseren Ernährungsgewohnheiten in eine gesunde oder ungesunde Richtung entwickle, so konstituiere sich unser karmischer Selbstsinn in letzter Konsequenz aus der Summe unserer habituellen Formen des Denkens, Fühlens und Handelns, wie es auch ein anonymer Aphorismus besagt, den Loy in diesem Zusammenhang zitiert: »Sow a thought and reap a deed; Sow a deed and reap a habit; Sow a habit and reap a character; Sow a character and reap a destiny.« 58 Aufgrund unseres Charakters sind wir Loy zufolge zwar nicht vollständig determiniert in dem, was uns widerfährt, aber er habe doch zumindest einen enormen Einfluss darauf, wie wir in der Welt agieren und unser soziales und gesellschaftliches Umfeld im Einzelnen auf uns reagiert. 59 So gesehen würden Menschen nicht für das »bestraft« oder »belohnt«, was sie getan haben, sondern für das, was sie geworden sind, denn was wir willentlich tun, mache uns letztendlich zu dem, was wir sind. Dabei ist die Einsicht für Loy zentral, dass unsere Lebenssituation jederzeit von Grund auf verändert werden kann, wenn wir die Motive unserer bewussten Handlungen korrigieren und damit unseren karmischen Selbstsinn rekonstruieren. 60 Eine deterministische und fatalistische Interpretation pervertiere daher die eigentliche Bedeutung der revolutionären Einsicht des Buddhas in das rein ethische Prinzip des Karmas. Anstatt alle gegenwärtigen Erlebniszustände als unvermeidliche Folgen karmisch relevanter Taten der Vergangenheit zu betrachten und sie passiv hinzunehmen, sei die Cf. Loy 2003a: 7 f.; Loy 2008: 20. Loy 2008: 62. Loy beruft sich dabei auch auf die Eröffnungsverse aus dem Dhammapada: »Experiences are preceded by mind, led by mind, and produced by mind. If one speaks or acts with an impure mind, suffering follows even as the cart-wheel follows the hoof of the ox … if one speaks or acts with a pure mind, happiness follows like a shadow that never departs.« Zitiert nach Loy 2015a: 136. 59 Cf. Loy 2008: 63. 60 Cf. Loy 2008: 60. 57 58

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy

Karmalehre vielmehr als Motivation aufzufassen, proaktiv Verantwortung für die eigene Lebenssituation und persönliche Zukunft zu übernehmen. Eine spirituelle Doktrin, die noch nachdrücklicher zur radikalen Selbstermächtigung anleite, sei nur schwer vorstellbar. 61 Damit deckt sich Loys Interpretation in wesentlichen Grundzügen mit dem psychologisierten und naturalisierten Karma-Begriff, den Dale S. Wright in nahezu identischer Weise expliziert hat: A naturalistic theory of karma would treat choice and character as mutually determining – each arising dependent on the other. It would show how the choices you make, one by one, shape your character, and how the character that you have constructed, choice by choice, sets limits on the range of possibilities that you will be able to consider in each future decision. […]. From the very moment of an act on, you are that choice, which has been appropriated into your character along with countless others. In this light human freedom becomes highly visible, and awesome in its gravity, but is noticeable only to one who has realized the far-reaching and irreversible impact on oneself and others of choices made, of karma. 62

Loy vermag also keine eigenständige, aber dennoch konsistente und kohärente Interpretation der Karma-Lehre zu geben, die aufgrund ihrer psychologistisch reduzierten und daher überwiegend unproblematischen Annahmen auch grundsätzlich dazu in der Lage sein könnte, diesem konstitutiven Element der buddhistischen Lehre im Kontext der Moderne eine gewisse Plausibilität zu verleihen. Nun ist mit der Möglichkeit eines grundlegenden Wandels unseres karmischen Selbstsinns noch nichts über die Wiedergeburt an sich ausgesagt, denn Loys Interpretation behält auch unter den Bedingungen eines einzigen Lebens ihre Gültigkeit. Wie verhält es sich dann aber mit unverschuldetem Leid, schicksalhaften Todesfällen, erblichen Krankheiten, sozialer Ungleichheit und spirituellen Transformations- und Läuterungsprozessen, die in diesem Leben begonnen, aber zu keinem endgültigen Abschluss gekommen sind – also jenen prekären Herausforderungen, zu deren Lösung die reinkarnatorische Karma-Lehre urCf. Loy 2008: 63. Wright 2004: 89 f. »[H]ow you comport yourself ethically has at least three ramifications: (1) it shapes your character and helps determine who or what you become; (2) it helps shape others and the society in which you live, now and into the future; and (3) it encourages others to treat you in ways that correspond to your character – they will often do onto you as you have done onto them, although not always.« Wright 2004: 84.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

sprünglich angetreten war? 63 Leugnet Loy, dass kein Wesen ohne zureichenden karmischen Grund entstehen kann und damit zugleich die Möglichkeit, dass sich der Mensch auch über seinen leiblichen Tod hinaus spirituell vervollkommnen und das endgültige Heilsziel erlangen kann? Christopher W. Gowans hat darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der Karma-Lehre auf ein einziges Leben und eine Entkopplung von ihrem spekulativ-metaphysischen Bezugsrahmen zu einem erheblichen Plausibilitätsverlust führen würde und dass Karma nur in Verbindung mit der Reinkarnationsidee seinem ursprünglichen Erklärungsanspruch gerecht werden könne. 64 Obschon kein logisch notwendiger Zusammenhang zwischen beiden Vorstellungen besteht, waren auch indische Philosophen wie Mysore Hiriyanna (1871–1950) davon überzeugt, dass die Reinkarnationsidee als notwendiges Korrelat zur Karma-Lehre aufzufassen sei. Auch Blavatsky hatte in ihrer Geheimlehre (1888) die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass nur die »unentwirrbar verwoben[en]« Lehren von Karma und Reinkarnation dazu in der Lage seien, das »geheimnisvolle Problem von Gut und Böse erklären und den Menschen mit der schrecklichen scheinbaren Ungerechtigkeit des Lebens aussöhnen« 65 zu können. 66 Sollte Loy also wie Bertrand Russell (1872–1970) davon überzeugt sein, dass »keine Begeisterung und kein Heldentum, keine Intensität des Denkens und Fühlens das individuelle Leben über das Grab hinaus erhalten kann« 67, dann wäre es in der Tat nur eine psychologische Binsenweisheit zu behaupten, dass wir unsere eigenen, mechanisch ablaufenden Gefühls- und Verhaltensmuster in gewisser Hinsicht konditionieren können und uns Menschen vermehrt positive bzw. negative Reaktionen entgegenbringen, wenn wir uns zuvor im Umgang mit ihnen entsprechend verhalten haben. Loy beginnt seine Bemühungen um eine zeitgemäße Erneuerung der Reinkarnationslehre und der Vorstellung vom Ende der Wiedergeburten mit einer Diskussion der traditionell buddhistischen Cf. Reichenbach 1990: 13. Cf. Gowans 2015: 78. Als Beispiel für die Grenzen seiner eigenen Interpretation verweist Loy auf das Schicksal deportierter Juden im Deutschland der Nazis, für die ein guter oder schlechter Charakter wohl kaum einen Unterschied gemacht hätte. Cf. Loy 2015a: 138. 65 Blavatsky (ohne Jahr): 317. 66 Cf. Hiriyanna 2008: 47. Eine ausführliche Beschreibung der Karma-Lehre vom Standpunkt der Theosophischen Gesellschaft findet sich bei Blavatsky 1889: 201–215. 67 Russell, B. 1952: 50. 63 64

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy

Auffassung von der Wiedergeburt ohne Seele, der zufolge es keine identitätsstiftende Geistmonade gibt, die sich immer wieder neu verkörpert, den wechselnden Daseinsformen im saṃsāra unwandelbar zugrunde liegt und die karmischen Früchte (karma-phala) ihrer Werke aus vorangegangenen Existenzen erntet (Metempsychose). Stattdessen gehe der Buddhismus davon aus, dass allein die unbewussten Anlagen des Geistes und charakterlichen Dispositionen (saṃskāra) den Tod überleben und als Geist (pāḷi gandhabbā) oder Bewusstsein (pāḷi viññāṇa) des Sterbenden in einer bereits befruchteten Mutter den konditionierten Entstehungsprozess eines neuen psychophysischen Wesens initiieren (Palingenesie). 68 Unter der Voraussetzung des vorherrschenden materialistisch-reduktionistischen Paradigmas, das Geist als Epiphänomen der Materie betrachtet, sei die Auffassung allerdings kaum plausibel, dass die saṃskāras die physische Auflösung unseres Körpers im Tode überdauern. Wenn das Bewusstsein indes grundlegender sei als die Materie, dann habe die Vorstellung einer kausalen Kontinuität der saṃskāras über unseren Tod hinaus hingegen eine gewisse Plausibilität. 69 Eine solche Interpretation sei allerdings sehr spekulativ, weshalb sie Loy trotz seiner eigenen, hochspekulativen Philosophie an dieser Stelle überraschenderweise unter Verweis auf die allgemeine Warnung des Buddhas vor metaphysischen Theorien zurückweist. 70 Ganz prinzipiell erklärt Loy Fragen nach der eigenen Wiedergeburt und der postmortalen Existenzform einer erwachten Person für unbuddhistisch, insofern sie nur von einem verblendeten Standpunkt aus adressierbar seien und den Glauben an ein inhärent existentes Selbst voraussetzten, also jene Illusion, dessen Überwindung das primäre Ziel der buddhistischen Theorie 68 Cf. Loy 2015a: 135–143; Schumann 1996: 25. Im Mahātaṇhāsankhaya-Sutta weist der Buddha die Vorstellung des Mönches Sāti, der die Reinkarnationslehre des Buddhas als Wanderung eines mit sich selbst identischen Bewusstseins interpretiert, ausdrücklich als verderbliche Ansicht zurück: »Misguided man, have I not stated in many ways consciousness to be dependently arisen, since without a condition there is no origination of consciousness?« Majjhima-Nikāya 38. In: Bodhi 2001: 350. Näheres zur Begriffsgeschichte und Unterscheidung zwischen Seelenwanderung (Metempsychose) und Wiederverkörperung als kausaler Fortsetzung karmischer Potentiale (Palingenesie) bei Gerhard 2008. 69 Cf. Loy 2015a: 139. 70 Im Prinzip müsste dann auch ein Großteil seiner eigenen Philosophie diesem Verdikt zum Opfer fallen. Ich habe auf dieses Problem schon im Kontext meiner Darstellung von Loys Interpretation der Sinnesorgane als Objektivierungen des prapañca hingewiesen (siehe 2.4.6.).

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

und Praxis sei. 71 Aus der Perspektive der Form (rūpa) lasse sich zwar grundsätzlich sagen, dass meine individuelle Erscheinung zu einer gewissen Zeit geboren und zweifellos an einem anderen Zeitpunkt wieder sterben werde, aber aus der Perspektive der Leerheit (śūnyatā) könne man niemals sterben, insofern man nie geboren worden sei. 72 Damit bleibt allerdings die entscheidende Frage unbeantwortet: Setzt sich die nonduale, vom Eindruck empirischer Subjektivität bereinigte Erfahrung nach dem körperlichen Tod fort oder findet auch diese darin ihr definitives Ende? 73 Da Loy jede erfahrungstranszendente Wirklichkeit negiert und der allgemeinen Auffassung zufolge unsere Erfahrung im Tod endet, wäre ein negativer Bescheid in dieser Hinsicht kaum anders als nihilistisch zu werten. 74 Loys Antwort ist angesichts der Bedeutsamkeit und Tragweite dieser Frage auch für bestimmende Elemente seiner eigenen Philosophie überraschend. Den Bodhisattvas sei es tatsächlich gleichgültig, ob der Tod das endgültige Ende ihres individuellen Erlebens bedeute oder nicht. Dies zu wissen, sei nicht Teil ihrer »JobBeschreibung«. Ihre eigentliche Aufgabe bestehe darin, ihre Leerheit zu erkennen und sich als Manifestation von etwas Größerem zu begreifen, das in den buddhistischen Schriften manchmal als das »Ungeborene« oder »Todlose« umschrieben werde. Sollte es irgendeine Art fortgesetzten Lebens nach dem Tod geben, dann werde die Form, die es annimmt, schon recht sein, insofern wir hier und jetzt jenem »erwachten Aktivismus« der Selbst- und Welttransformation nachgehen, zu dem Loy Buddhisten weltweit animieren will. Überlebe aber nichts von dieser bestimmten Form den Tod, dann sei das ebenfalls in Ordnung. 75 Ähnlich hatte bereits Bhikkhu Buddhadāsa argumentiert und ein lebhaftes Interesse an Fragen, die das individuelle Leben nach dem Tod betreffen, als Ausdruck der Verblendung und einer egozentrischen Fehlhaltung kritisiert. Solange man den Dharma nur richtig Cf. Loy 2015a: 140. Cf. Loy 2015a: 141. 73 »When ›I‹ die, will there continue to be some kind of (nondual?) experience? Or will physical death be the end of experience, for ›me‹ anyway?« Loy 2015a: 142. 74 Loy konzediert dies auch selbst, wenn er schreibt: »The notion of rebirth is closely associated with the belief that nirvana involves achieving something transcendent, because otherwise the end of rebirth is difficult to comprehend as anything but nihilism: the end of life and consciousness, period.« Loy 2015a: 138. 75 Cf. Loy 2015a: 142 f. 71 72

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy

lebe und praktiziere, vermeide man leidvolle Zustände in diesem Leben und könne sich zugleich gewiss sein, dass man keine leidvolle Existenz ertragen müsse, von der angenommen werde, dass sie bei einem karmisch schlechten Lebenswandel in der nächsten Existenzform notwendig folge. 76 Auch Halbfass attestierte insbesondere dem Zen-Buddhismus mit seiner Betonung der konkreten Gegenwart eine Offenheit für neue und unkonventionelle Interpretationen der Reinkarnations-Lehre. Ob es die Wiedergeburt de facto gebe und sie sich in der Zukunft für uns tatsächlich ereignen werde, sei für die zenbuddhistische Sicht der Wirklichkeit eine letztlich irrelevante Frage, die nichts zur Befreiung im Hier-und-Jetzt beitrage. 77 So hat der japanische Philosoph Shizuteru Ueda, der Nachfolger Nishitanis auf dem Lehrstuhl für Philosophie und Religion in Kyōto wurde, übereinstimmend erklärt, dass es im Zen-Buddhismus nicht um die Überwindung des Todes als solchen, sondern allein der Ich-heit im Erleben gehe. Ziel sei keine transzendente Seinssphäre jenseits des saṃsāra, sondern eine Erfahrung der Vergänglichkeit ohne »Ichverhaftetheit« 78. Mit der Wiedergeburt seien folglich keine vergangenen oder zukünftigen Existenzformen im Kreislauf des Wiedertodes (punarmṛtyu) bezeichnet, sondern jeder einzelne Augenblick unserer irdischen Existenz, in dem wir im Ausatmen sterben und Einatmen wiedergeboren würden. Indem man das »Leben als das Sein aus dem Tod« her verstehe, sei man zum »wahren Leben-Sterben« 79 erwacht. Annette Wilke hat in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die Wiedergeburt im Zen-Buddhismus damit zur bloßen Metapher geworden sei, um Achtsamkeit im Hier und Jetzt auszudrücken und damit praktisch belanglos sei, da eine solche Deutung mit dem Karma-Mechanismus oder der Wiedergeburt als solcher nichts mehr zu tun habe. 80 Dennoch hat Whalen Lai genau diese metaphorische Interpretation, die Wiedergeburt auf eine Fiktion und Funktion der religiösen Phantasie reduziert, in seinem »post-modernen Fazit« zur reinkarnatorischen Karmalehre als einzig vertretbare Position postuliert, die nur noch von einer Minderheit von Gläubigen und den Protagonisten der Cf. Swearer 1971: 73 Cf. Halbfass 2000: 301. 78 Ueda, S. 2001: 253. 79 Ueda, S. 2001: 253. 80 Wilke 2001: 90. Wilke führt diese Entwicklung geistesgeschichtlich auf Nāgārjunas Identifikation von nirvāṇa und saṃsāra zurück, wodurch der Gedanke der Wiedergeburt »seine Spitze verlor und sich verflüchtigte«. Wilke 2001: 91. 76 77

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

»New Age«-Spiritualität zugunsten einer wörtlichen Auslegung abgelehnt werde. Wiedergeburt bezeichne kein post-mortales Schicksal im saṃsāra, sondern lediglich die Anerkennung unserer mannigfachen Seins-Möglichkeiten in dieser einen Lebenszeit. 81 Es passt auch allgemein kaum in Loys gesellschaftsreformatorisches Gesamtkonzept eines rein innerweltlich ausgerichteten und sozial-engagierten Buddhismus, der angesichts der ökologischen, ökonomischen, psychologischen und spirituellen Krisenerscheinungen der Gegenwart zur unmittelbaren Wandlung und Handlung aufrufen will, eine sukzessive, auf mehrere Leben angelegte spirituelle Fortschrittsvision zu propagieren. Es ist aus dieser Perspektive nur konsequent, dass Loy versucht, die ethisierte Karma-Lehre von der Reinkarnationshypothese zu trennen und deren Sätze in psychologisch-empirische zu verwandeln, die ohne Bezugnahme auf eine metaphysische Dimension auskommen und die gegenwärtige Existenz nicht spekulativ überfliegen. 82 Bereits Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) hatte die Wiedergeburt in tierischer Gestalt als sprachliche Umschreibung für ein menschliches Dasein mit tierischen Eigenschaften interpretiert, ohne dabei jedoch die reale Reinkarnation des Menschen in Frage zu stellen. 83 Bei Loy werden nicht nur alle fünf Daseinsbereiche der Höllen (naraka), der Tiere (tiryagyoni), der Hungergeister (preta), der Menschen (manuṣya) und der Götter (kāmadeva), denen in einigen Darstellungen noch ein Bereich der eifersüchtigen oder streitenden Halb- bzw. Gegengötter (asuras) als sechster entgegengestellt wird, konsequent psychologisch ausgedeutet, sondern auch auf ein einziges Leben beschränkt. Himmel und Hölle sind keine ontologischen Daseinssphären, sondern Zustände des Ichs in diesem Leben: The six realms of samsara have usually been understood as distinct worlds or planes of existence through which we transmigrate according to our karma, yet they can also describe the different ways we experience this world as our attitude toward it changes. The hell realm is not necessarily a place I will be reborn into, due to my hatred and Lai, W. 2001: 151. Einen ganz ähnlichen Ansatz hat bereits Winston L. King verfolgt, der dabei zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die karmische Reinkarnationslehre kein integraler Bestandteil einer buddhistischen Ethik und somit bei der westlichen Adaption des Buddhismus entbehrlich sei: »Indeed it is perhaps possible to say that both Buddhism and Buddhist ethics may be better off without the karmic-rebirth factor to deal with.« King, W. 1994: 43. 83 Cf. Radhakrishnan 1947: 292. 81 82

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Das Verständnis von Karma und Wiedergeburt bei Loy

evil actions. It can be the way this world is experienced when my mind is dominated by anger and hate. 84

Auch in dieser Hinsicht scheint Loy zutiefst von der »präsentischen Eschatologie« 85 des Zen-Buddhismus und insbesondere der immanentistischen Heilsvorstellung Dōgens geprägt zu sein, dessen Lehre vom »ereignishaften Verlaufen« (kyōryaku) der Sein-Zeit (uji) und Loys Adaption derselben als »stehendes und fließendes Jetzt« (nunc stans et fluens) ein soteriologisches Interesse an der Wiedergeburt systematisch auszuschließen scheint. Sowohl Dōgen als auch Loy zeichnen sich in ihren Anschauungen gerade durch die rigorose Ablehnung jeglicher Transzendenzvorstellung aus, die das Heil der menschlichen Existenz an ein zukünftiges Leben oder eine Dimension jenseits der sinnlich erfahrbaren Welt unaufhebbarer Endlichkeit und Vergänglichkeit knüpft. 86

Loy 2003a: 8. Eine rein psychologische Interpretation aller Daseinsbereiche des saṃsāra hat vor Loy bereits der Psychoanalytiker Mark Epstein vorgelegt: »Each realm becomes not so much a specific place but rather a metaphor for a different psychological state, with the entire wheel becoming a representation of neurotic suffering.« Epstein, M. 1995: 17. 85 Wilke 2001: 90. 86 In dieser Hinsicht ist das Werk Dōgens allerdings nicht einheitlich. Während er in einigen Faszikeln des Shōbōgenzō die Weiterexistenz der Person nach dem Tod unzweideutig abzulehnen scheint, finden sich in späteren Faszikeln (Sanji-gō, Jinshin inga, Shukke kudoku; Daishugyō) wiederum Stellen, die sich explizit mit der Karma-Lehre befassen und den Gedanken einer karmisch koordinierten Wiedergeburt als grundlegende Voraussetzung der buddhistischen Lehre pointieren, was viele Kommentatoren als Beleg für eine tiefgreifende Wandlung der Lehre Dōgens interpretiert und unterschiedlich bewertet haben. Raji C. Steineck spricht hingegen von einer »Akzentverschiebung in Dôgens Darstellung«, die allerdings keine grundlegende Veränderung oder gar einen Widerspruch zu seiner Ausgangsposition impliziere. Die unterschiedlichen Aussagen ließen sich vielmehr »als komplementäre Aspekte einer im wesentlichen einheitlichen Theorie auffassen.« Steineck 2001: 162. Das bedeutet allerdings, dass selbst der für Loys Denken insgesamt so maßgebliche Dōgen »die Vorstellung einer über das gegenwärtige Leben hinausgehenden Kontinuität der menschlichen Person« im Gegensatz zu Loy nicht nur für bloß möglich und recht eigentlich irrelevant erklärt, sondern affirmiert und ihr eine zentrale Rolle einräumt. Steineck 2001: 174. Kōgaku Arifuku interpretiert Dōgens Adaption der Karma- und Wiedergeburtenlehre wiederum als Postulat in Analogie zu Kants Postulat der Unsterblichkeit der Seele. Cf. Arifuku 2001: 237 f.; Arifuku 2002. 84

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

8.5. Loy und Batchelor im Vergleich und in der Kritik In Hinblick auf den Wahrheitsgehalt der karmischen Reinkarnationslehre bezieht Loy eine Position, die sich von derjenigen Batchelors nur in seiner strikten Zurückweisung des Materialismus unterscheidet. Eine fehlende Kritik gegenüber vulgär-materialistischen und szientistischen Auffassungen kann Loy im Gegensatz zu Batchelor zwar nicht angelastet werden, aber dieser Differenzpunkt gereicht Loy in diesem Fall nicht zum Vorteil, sondern geradewegs zu seinem Nachteil. Während der evolutionäre Gedanke in Batchelors Buddhismusinterpretation aufgrund seiner materialistischen Grundanschauung, dernach zumindest das materielle Universum in seiner Gesamtheit unseren individuellen Tod überdauert, seine inspirierende Überzeugungskraft behält, unterminiert und zerstört Loy die Glaubwürdigkeit seines eigenen Mythos eines spirituellen Evolutionismus, indem er nicht nur den kosmischen Entwicklungsprozess der Materie leugnet, sondern auch die Möglichkeit einer über den Tod hinausgehenden Entwicklung des Geistes qua nondualer Erfahrung grundsätzlich in Frage stellt. Auf das Scheitern seines Phänomenalismus und die radikal-nihilistischen Implikationen seiner solipsistischen Position werde ich im Folgenden noch ausführlich eingehen. Wenn Loy in diesem Zusammenhang konzediert, dass selbst die nonduale Erfahrung im Tod möglicherweise endet, dann entbehrt seine Rede vom »Ungeborenen« und »Todlosen« an dieser Stelle jeder Grundlage und treibt den Nihilismus damit auf seine äußerste Spitze. Es scheint daher mehr als fraglich, ob Max Weber (1864–1920) auch Loys Interpretation der Karma- und Wiedergeburtenlehre noch als »formal vollkommenste Lösung des Problems der Theodizee« 87 gewürdigt hätte oder Arthur L. Herman noch davon überzeugt gewesen wäre, dass hiermit allen Einwänden begegnet werden könne, an denen die Apologeten der westlichen Geisteswelt beharrlich gescheitert seien. 88 Auch auf Ananda Coomaraswamys (1877–1947) drängende Frage – »Who did sin, this man or his parents, that he was born blind?« 89 – Weber 2002: 318. Cf. Herman 2000: 287 f. 89 »The Indian theory replies without hesitation, this man.« Coomaraswamy 1916: 108 f. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus dem Johannes-Evangelium (9, 2): »Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?« 87 88

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Loy und Batchelor im Vergleich und in der Kritik

vermag Loy keine befriedigende Antwort zu geben. Loys Interpretation der Karmalehre beschränkt sich in ihrem Aussagegehalt somit auf psychologische Trivialitäten und ist mit ihrer Ausblendung des Reinkarnationsgedankens einer Formulierung Hicks zufolge »bad news for humanity as a whole« 90, denn sie kann weder das Schicksal derjenigen Millionen Männer, Frauen und Kinder erklären, die an Mangelernährung sterben mussten, von Hungersnöten oder der Pest verschlungen wurden, im Krieg oder Völkermord ermordet wurden, ihr Leben in Sklaverei verbringen mussten, in ihrer Kindheit durch Missbrauch traumatisiert wurden oder anderweitig ihrer natürlichen Entwicklungschancen beraubt wurden noch kann sie ihnen Hoffnung auf Genugtuung und Gerechtigkeit in der Zukunft schenken: »There is no possibility of this vast century-upon-century tragedy being part of a much larger process which leads ultimately to limitless good.« 91 Es soll hier gegenüber diesem von Batchelor, Loy und anderen intellektuellen Vertretern des Buddhismus im Rahmen ihrer Hermeneutik durchgeführten Entmythologisierungsprogramm mit Perry Schmidt-Leukel abschließend festgehalten werden, dass eine solche Verkürzung der buddhistischen Lehre überhaupt nicht zwingend ist und es genug Möglichkeiten für den buddhistischen Modernisten gibt, »die rationale Berechtigung der mit dem Reinkarnationsglauben verbundenen Hoffnung« 92 mit modernen Mitteln aufzuzeigen. Ich kann daher Gregor Paul in seiner kritisch-rationalen Auseinandersetzung mit affirmativen Wiedergeburtslehren nur zustimmen, wenn er es als das »bleibende Elend der Philosophie« bezeichnet, dass »große, bedeutungsträchtige Worte in ›uneigentlicher Bedeutung‹« 93 gebraucht würden. Wie Loy von Karma zu reden, aber damit banale psychologische Einsichten zu bezeichnen, die als solche nichts mehr mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes gemein haben, ist nicht nur sachlich unangemessen, sondern geradezu irreführend und artikuliert lediglich das fragwürdige Bedürfnis, die buddhistische Terminologie beizubehalten, wenn man sich von ihrem eigentlichen Gehalt schon längst verabschiedet hat. Wie verhält es sich nun mit Loys kritischer Abgrenzung gegenüber der als reduktionistisch bemängelten Buddhismusinterpretation 90 91 92 93

Hick, J. 2004a: 18. Cf. Hick, J. 2004a: 248. Hick, J. 2004a: 24. Schmidt-Leukel 2001: 283. Paul, G. 2001: 258.

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

Batchelors? Eingangs muss gegenüber aller berechtigten Kritik an Batchelors materialistischer Grundanschauung darauf hingewiesen werden, dass sich auch Batchelor gegen die repressiven Kräfte eines weltanschaulichen Materialismus ausspricht und wiederholt davor warnt, den Buddhismus auf ein rein psychologisches oder ethisches System zu verkürzen. 94 Egal wie »wahr« das moderne wissenschaftliche Weltbild auch sei, es erfülle eine mythologische Funktion in unserem Leben und spiele eine analoge Rolle wie die prä-wissenschaftlichen Weltanschauungen im Leben der Menschen prä-moderner Kulturen. 95 Allgemein steht Batchelor in seiner kritischen Distanz gegenüber der Form der buddhistischen Lehre und der konsequenten Betonung ihres allein in der Erfahrung liegenden Gehaltes gegenüber Loy in nichts nach. Jede »Wahrheit« ist für Loy in letzter Konsequenz falsch, insofern »Wahrheit« eine Frage des Ergreifens derjenigen Symbole sei, anhand derer wir glauben, die Wirklichkeit erfassen zu können. 96 Auch Batchelor will dem nach Gewissheit suchenden Geist keinerlei Ruheplatz bieten und alle potentiellen Tröstungs-Elemente, auf die man sich hin entwerfen könnte, unterminieren und zerstören und den Buddhismus auf diese Weise in eine »Kultur des Erwachens« transformieren, die keine Metaphern der existentiellen Tröstung, sondern nur noch Metaphern der existentiellen Auseinandersetzung liefert. 97 Daher warnt auch er eindringlich davor, den Kontakt mit der sinnlichen Realität der menschlichen Existenz zu verlieren und sich vom Ziel des eigentlichen Anliegens des Buddhismus zu entfremden, indem man auf die begriffliche und symbolische Form der Lehre und nicht durch sie hindurch auf ihre existentielle Erfahrungsdimension blicke. Die Vorstellung, man könne durch das Auflösen theoretischer Widersprüche und Zweideutigkeiten automatisch auch die Widersprüche und Zweideutigkeiten in der eigenen Existenz auflösen, lehnen beide Denker rigoros ab.98 Wie sich in der Auseinandersetzung mit Loys methodischem Nihilismus zeigen wird, ist das entscheidende Kriterium einer jeden religiösen Lehre ihre soteriologische Effektivität für ihn, i. e. sie muss zum Ende aller Identifikationen und damit auf den transformativen

94 95 96 97 98

Cf. Batchelor 1983: 128. Cf. Batchelor 2004: 4. Cf. Loy 1996a: 113. Cf. Batchelor 1998: 18. Cf. Batchelor 1983: 123.

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Loy und Batchelor im Vergleich und in der Kritik

Weg der spirituellen Praxis führen, deren Ziel die Selbstentwerdung und Weltwerdung ist. Insofern auch Batchelors Buddhismusinterpretation dies leistet, würde sich der Unterschied beider Denker auf die Ebene weltlich-verhüllter Wahrheit (loka-saṃvṛti-satya) beschränken und sich Loys Anspruch darauf reduzieren, die relativ bessere Buddhismusinterpretation (tathya-saṃvṛti) geliefert zu haben. Im Gegensatz zu einigen christlichen Mystikern spricht Loy Batchelor eine nonduale Erfahrungsgrundlage allerdings ab. Nun findet sich im bislang publizierten Gesamtwerk Batchelors eine Vielzahl von Aussagen, die dieses Urteil Loys erheblich in Frage stellen. Batchelor beschreibt darin eine »ontologische Metamorphose«, die mit einer radikalen Veränderung der gesamten Persönlichkeit einhergehe und das Sein in dieser Welt in seiner Ganzheit vollständig transformiere. 99 Diese kognitive und affektive Veränderung führt Batchelor auf eine mystische Erfahrung des leeren Charakters der Erfahrung zurück, in der jeder Dualismus beseitigt sei und sich die Einheit der Wirklichkeit offenbare. 100 Wie Loy ist auch Batchelor permanent darum bemüht, eine kritische Distanz gegenüber den weltverneinenden und metaphysischen Belangen des indischen Buddhismus zu wahren und davor zu warnen, die Leerheit als subtile Dimension der Realität oder als mystischen Geisteszustand jenseits sinnlicher Erfahrung zu fetischisieren. Die Leere ist für Batchelor kein transzendentes Absolutum oder ein aller Existenz vorausgehender Urgrund des Seins, der allen Manifestationen zugrunde liegt, was wiederum nahe legt, dass er das Erwachen nicht als mystische Erfahrung einer transzendenten Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra), sondern ähnlich wie Loy als nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) versteht, die sich in einer kompletten und bedingungslosen Bezogenheit auf ausnahmslos alle Lebewesen manifestiert. 101 Cf. Batchelor 1983: 35. »Repeatedly embracing the dynamic, precarious, and selfless flow of experience gradually erodes this ingrained conviction of our separate existence.« Batchelor 1998: 96. »In this way a unity is revealed […] that serves to dispel any sense of dualism.« Batchelor 1983: 95. »The aim of wisdom is to gain freedom from the bondage of ignorance by clearly discerning the suchness of ourselves and the world, concealed by distortions of ignorance.« Batchelor 1983: 107. »Thus the dharma-body is grounded in the immediate ›mystical‹ experience of oneself and the world as they are.« Batchelor 1983: 117. 101 Cf. Batchelor 1983: 95. »It becomes abundantly clear that we cannot attain awakening for ourselves: we can only participate in the awakening of life.« Batchelor 1998: 90. »For when the fiction of isolated selfhood is exposed, instead of a gaping 99

100

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Reinkarnation: Buddhistischer Modernismus und Reduktionismus

Den entsprechenden Erfahrungs- und Seinsmodus bezeichnet Batchelor explizit als »nicht-feststehendes« (apratiṣṭhita) nirvāṇa, in dem die gewonnene Einsicht in die essentielle Gleichheit von uns selbst und anderen zum unzerstörbaren Angelpunkt unserer Motivation werde. 102 Um zu illustrieren, wie dieser Erfahrung eine emphatischen Verbundenheit mit allen Wesen entspricht, nutzt Batchelor genau wie Loy eine organismische Metapher, die das ganze Leben mit einem einzigen Körper vergleicht, in dem jede Kreatur ein offensichtlich anderer, aber integraler Bestandteil des Ganzen ist und jeder Teil sich instinktiv mit den anderen Teilen des Ganzen identifiziert. 103 Im Gegensatz zu Loy möchte ich mich Spekulationen über den tatsächlichen Erfahrungsgehalt anderer Personen enthalten. Loys und Batchelors Beschreibungen scheinen allerdings auf eine analoge Erfahrung hinzuweisen, wodurch sich der Unterschied zwischen beiden Denkern auf die wenig attraktive Alternative zwischen einem solipsistischen Phänomenalismus und säkularen Materialismus reduziert. Das höchste Ziel scheint mir in beiden Fällen die von Batchelor beschriebene zivilisierte Art des Nihilismus mit der Option auf eine säkulare Erlösung zu sein. 104

mystical void we discover that our individual existence is rooted in relationship with the rest of life.« Batchelor 1994: 361. 102 Cf. Batchelor 1983: 119. 103 Cf. Batchelor 2004: 137 f. 104 Cf. Batchelor 2004: 44.

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9. Reflexion und Rezension

Bevor mit Loys nondualer Psychologie und Psychohistorie sowie seiner tiefenökologisch inspirierten Version eines sozial-engagierten Buddhismus die beiden nächsten großen Themenfelder seiner Buddhismusinterpretation analysiert werden, ist eine kritische Zwischenbetrachtung der erkenntnistheoretischen und metaphysischen Grundlagen seiner Philosophie der Nondualität angezeigt, die aus dem bisherigen Forschungsgang ein Fazit zieht. Dabei sollen vor allem die von ihm explizierte Erfahrungsdimension im größeren Kontext buddhistischer Philosophie analysiert und weiter differenziert sowie Analogien und Differenzen zwischen Nondualismus und Mystik kohärent identifiziert werden. Dadurch wird seine Lehre nondualer Erfahrung historisch als ein bestimmtes Entwicklungsstadium und systematisch als eine spezifische Form mystischer Erfahrung verständlich, die ein weitaus differenzierteres Verständnis der konstitutiven Erfahrungsgrundlage seiner Philosophie der Nondualität ermöglicht. Den Abschluss dieser Zwischenbetrachtung bilden eine transzendentalphilosophische Kritik von Loys Phänomenalismus sowie eine grundsätzliche Beurteilung seiner Philosophie der Erkenntnis.

9.1. Loys phänomenologische Leerstelle Unter »Nondualität« firmieren bei Loy nicht weniger als drei verschiedene Positionen, die als (1) Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra), als (2) nonduale Wirklichkeit der Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) und als (3) »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) voneinander unterschieden werden können. Letztere bezeichnet im Yogācāra-Buddhismus die Erfahrung des Bodhisattvas vom Standpunkt der Erleuch363 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Reflexion und Rezension

tung, in der die Phänomenalität und Subjekt-Objekt-Spaltung wieder integriert sind. Eine solche Gleichzeitigkeit der Erkenntnis der absoluten (paramārtha) und verhüllten Wahrheit (saṃvṛti) als Nondualität von savikalpa- und nirvikalpa-Erfahrung hat Loy allerdings nicht als eigene Form der Erfahrung ausgewiesen und terminologisch festgehalten. Auf diese fehlende Differenzierung hat auch J. S. R. L. Narayana Moorty in seinem Aufsatz The Viability of Non-Duality hingewiesen und Loys Klassifikation durch eine weitere Unterscheidung in kognitive, affektive und existentielle (Non)dualität komplementiert. 1 Affektive Dualität beschreibt Moorty dabei als Empfindung von Gier und Aversion im Sinne der ersten der vier edlen Wahrheiten, insofern vereint sein mit Unliebem und getrennt sein von Liebem existentielle Frustration (duḥkha) bedeute. Existentielle Dualität bestehe hingegen aus einer vertieften Erfahrung affektiver Dualität. Wenn ich realisiere, dass mich nichts in dieser Welt dauerhaft befriedigen kann, weil alles universaler Vergänglichkeit und Frustration unterworfen ist, dann leide ich nicht an einer spezifischen Situation, sondern an der allgemeinen Verfasstheit meiner selbst und den Bedingungen des Daseins als solchem. Was Loy als »nonregressive satori« 2 beschreibt, wäre Moorty zufolge die Rückkehr der kognitiven Dualität nach der Befreiungserfahrung bei einer anhaltenden affektiven und existentiellen Nondualität. 3 Im Gegensatz zu Loy und Moorty kennt der Yogācāra-Buddhismus allerdings eine solche Phänomenologie der bewussten Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung, die Bandhuprabha (6. Jh. n. Chr.) ausführlich in seinem Kommentar zum Buddhabhūmi-Sūtra (buddhabhūmyupadeśa) auseinandersetzt und im 13. Kapitel von Hsüan-Tsangs/Xuanzangs (602–664 n. Chr.) Ch’eng wei-shi lun (skt. vijñaptimātratāsiddhi) im Anschluss an die »Neugestaltung der Grundlage« (āśraya-parivṛtti) als »nach der Erleuchtung erlangte Weisheit, Erfahrung, Erkenntnis oder Wahrnehmung« (pṛṣṭhalabdha-jñāna) beschrieben wird. Aufgrund der kritischen Relevanz dieses Lehrstücks für die Leerstelle in Loys Philosophie der Nondualität und eine Phänomenologie nondualer Erfahrung insgesamt werde ich die Yogācāra-Phänomenologie erleuchteter Erfahrung und das damit eng verknüpfte Konzept des »nicht1 2 3

Cf. Narayana Moorty 2006: 13. Loy 1997a: 150. Cf. Narayana Moorty 2006: 30.

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Loys phänomenologische Leerstelle

feststehenden« (apratiṣṭhita) nirvāṇas im Folgenden anhand zentraler Quellen darstellen.

9.1.1. Die »bewusste Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) Mit der »Neugestaltung der Grundlage« (āśraya-parivṛtti) ist Dan Lusthaus zufolge derjenige psycho-kognitive Wandel bezeichnet, der in der Erleuchtung eintritt und eine radikale Transformation der subliminalen Schicht des Bewusstseins (ālayavijñāna) und der Erfahrung insgesamt bewirkt. 4 Das ālayavijñāna wird in dieser »Neugestaltung« durch die »große spiegelgleiche Erkenntnis« (skt. mahāādarśa-jñāna, chin. ta yüan ching chih) ersetzt, die frei von aller Verblendung ist und daher mit der tathatā (chin. chen-ju) identifiziert wird, die wiederum analog den bhūmis des Bodhisattva-Pfades zehn Formen aufweist, die nacheinander und parallel mit den jeweiligen Stufen des Bodhisattva-Pfades realisiert werden. 5 Im unmittelbaren Anschluss daran unterscheidet Hsüan-Tsang insgesamt sechs āśrayaparāvṛtti-Formen voneinander, von denen er die letzte (skt. vipulaparavṛtti, chin. kuang-ta chaun) folgendermaßen charakterisiert: ›Broad or extensive overturning,‹ which is the Mahāyāna stage. [Unlike the Hīnayānists, who strive only for their own enlightenment, longing for nirvāṇa while detesting saṃsāra] the great Bodhisattvas act for the benefit of others, neither detesting nor delighting in either life-and-death (i. e. saṃsāra) or nirvāṇa. They are able to fully penetrate and see through the two emptinesses (self and dharmas) [which disclose] tathatā [though the Hīnayānist only comprehends self-emptiness]. They utterly cut off the seeds of the jñeyāvaraṇa [the source of both āvaraṇas], and suddenly realize anuttara [samyak saṃ-] bodhi (unexcelled, correct complete Awakening) and nirvāṇa. They have the excellent profound abilities [to perform any upāya anywhere], and so this is called the ›broad or extensive overturning.‹ 6 Cf. Lusthaus 2006: 327; Ōsaki 1978. Dass es sich dabei um keine abenteuerliche Metaphysik handelt, sondern eine radikale Deautomatisierung und Restrukturierung der Erfahrung tatsächlich möglich ist, wurde von der Meditations- und Kontemplationsforschung bereits vor Jahrzehnten empirisch nachgewiesen (siehe 5.2.). 5 Eine Darstellung der zehnfachen tathatā nach dem Ch’eng wei-shi lun findet sich bei Lusthaus 2006: 509 f. Cf. Ch’eng wei-shi lun. In: Cook: 1999: 334; Choon 2013. 6 Ch’eng wei-shi lun (Taishō 31.1585.54c). In: Lusthaus 2006: 510. Cf. Cook 1999: 335–340. 4

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Reflexion und Rezension

Durch vipula-paravṛtti erlange man den dharmadhātu, was Lusthaus als »cognitive field cleansed of prajñaptic misconceptions« interpretiert. Diese ursprünglich reine Erfahrung jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung (grāhaka-grāhya), die mit dem ansich leeren und abhängigen Begriff (prajñapti) des nirvāṇas bezeichnet werde, sei nicht die Erfahrung einer überweltlichen (lokottara) Transzendenz, sondern diese Welt, wenn sie direkt und unmittelbar ohne die Interferenz des prapañca erfahren werde (yathābhūtam). 7 Durch diese radikale Transformation unseres Bewusstseins und die darin gründende vollkommene Erkenntnis (mahābodhi) wird aber nicht nur das subliminale, sondern auch das supraliminale Bewusstsein (pravṛtti-vijñāna) in seiner bisherigen Form eliminiert. Die acht vijñānas, die zuvor die Totalität des phänomenalen Spektrums der Yogācāra-Analyse konstituierten, werden substituiert durch die sogenannten vier jñānas: ādarśa-, samatā-, pratyavekṣaṇa- und kṛtyānuṣṭhāna-jñāna. 8 Das Speicherbewusstsein (alaya-vijñāna), das alle karmischen Bewusstseinseindrücke, Anlagen und Samen (vāsana/saṃskāra/bīja) aufbewahrt, wird dabei durch das spiegelgleiche Wissen (ādarśa-jñāna) ersetzt, das ohne Ausschluss, Vorurteil, Erwartung, Anhaftung oder Verzerrung alle Phänomene des Universums vollumfänglich reflektiert und dabei keine karmischen Bewusstseinseindrücke, Anlagen und Samen mehr speichert; das Individuations-Bewusstsein, das die Ich-Vorstellung (kliṣṭa-manas) verursacht, wird durch das ursprüngliche Wissen um die Wesensgleichheit von Selbst und Anderen (samatā-jñāna, chin. pʾ ing-teng-hsing chih) ersetzt, das dieselbe Leere in allen Erscheinungen sieht und keines der widergespiegelten Phänomene mehr bevorzugt betrachtet, sodass der Bodhisattva fähig wird, alle Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind; das Gemüt, das sowohl das Denken, Empfinden und Vorstellen als auch das Wollen umfasst (mano-vijñāna), wird durch das Wissen der prüfenden UnCf. Lusthaus 2006: 511. Eine ausführliche Darstellung und Analyse findet sich bei Wayman 1971. Diese Lehre geht auf einen Passus aus dem Buddhabhūmi-Sūtra zurück, den Asvabhāva (6. Jh. n. Chr.) in seinem Kommentar (ṭīkā) zum Bodhyadhikāra-Kapitel des Mahāyānasūtrālaṃkāra zitiert: »The stage of Buddha (buddhabhūmi) is comprised by the five dharmas, namely, the dharma-dhātu-viśuddhi (the immaculate ultimate realm), ādarśajñāna (mirror wisdom), samatājñāna (equality wisdom), pratyavekṣaṇajñāna (wondrous insight wisdom), and kṛtyānuṣṭhānajñāna (performance wisdom).« Buddhabhūmi-Sūtra 7. In: Hakamaya 2005: 28. Cf. Keenan 2002: 75; Epstein, R. 1985.

7 8

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Loys phänomenologische Leerstelle

terscheidung (pratyavekṣaṇa-jñāna, chin. miao-kuan-chʾ a chih) ersetzt, das alle Einzeldinge trotz ihrer unterschiedslosen Leere ohne Anhaftung in ihren spezifischen Merkmalen (svalakṣaṇa) und ihrem jeweiligen So-Sein erkennt und die fünf Sinnesbewusstseinsformen (cakṣur-, śrota-, ghrāṇa-, jihvā- und kaya-vijñāna) werden durch das Wissen der Tatvollendung (kṛtyānuṣṭhāna-jñāna, chin. chʾ eng so-tso chih) ersetzt, wodurch der völlig leer gewordene Bodhisattva spontan zum eigenen Wohle und zum Wohle aller Wesen intuitiv und ohne Nützlichkeitserwägungen situationsgemäß handelt. 9 Je nach Objekt des Bewusstseins werden die vier jñānas nochmal in zwei verschiedene Formen unterteilt. Wenn sich die vier jñānas in einer Phase weltabgewandter Meditation auf die transphänomenale tathatā und absolute Wahrheit (paramārtha-satya) richten, werden sie als nirvikalpa-jñāna bezeichnet und dienen der Ansammlung von Weisheit (jñāna-sambhāra); wenn sie sich in Phasen der weltzugewandten Aktivität des Bodhisattvas auf die phänomenale Welt und relative Wahrheit (saṃvṛti-satya) richten, wird von einer »bewussten Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) gesprochen, die der Belehrung und Erlösung anderer Wesen und damit der Anhäufung von Verdienst (puṇya-sambhāra) dient. 10 Dazu findet sich folgender Passus im Ch’eng wei-shi lun: When its (cognitive) condition is tathāta, it is nirvikalpa; when its (cognitive) conditions are other perceptual-objects (viṣaya), it is grouped with pṛṣṭhalabdha jñāna (post-awakening cognition); its tʾ i is one, but it is divided into two according to functions (yung). Since [even when] discerning the mundane (liao-su, vijñapti-saṃvṛti?), [this cognition does so] due to having realized tathāta, it is considered [Cognition] ›After [Complete Awakening] was Attained‹ (pṛṣṭhalabdha jñāna, i. e., post-Awakening cognition). 11

9 Eine Übersicht findet sich in Bandhuprabhas Buddhabhūmyupadeśa 7. In: Keenan 2002: 79–95. Bandhuprabha widmet den fünf dharmas darüber hinaus je ein einzelnes Kapitel. Cf. Buddhabhūmyupadeśa 8–12. In: Keenan 2002: 97–189. Dazu auch Lusthaus 2006: 511–514. Die Verbindung der vier jñānas zur trikāya-Lehre (ādarśajñāna = svabhāvikakāya/dharmakāya; pratyavekṣaṇa-jñāna und samatā-jñāna = sāmbhogikakāya; kṛtyānuṣṭhāna-jñāna = nairmāṇikakāya) diskutiert Makransky 1997: 100–103. Cf. Ch’eng wei-shi lun 13, 2. In: Cook 1999: 351 ff. 10 »It is said to be subsequently acquired because it perceives the conventional on the basis of realization of the true.« Ch’eng wei-shi lun 13, 2. In: Cook 1999: 351. 11 Ch’eng wei-shi lun (Taishō 31.1585.56c). In: Lusthaus 2006: 513.

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Reflexion und Rezension

Lambert Schmithausen hat einsichtig dargestellt, dass die Betrachtung der Nichtigkeit der Erscheinungen einen wesentlichen Bestandteil der Spiritualität des indischen Mahāyāna-Buddhismus bildet und die erlösende Einsicht hier in einer mystischen Erfahrung (= nirvikalpa-jñāna) besteht, »in der alle Erscheinungen verschwunden sind und sich ggf. das ›höchste Sein‹ unmittelbar manifestiert.« Für die Natur sei in dieser Erfahrung kein Raum und auch in der »nachträglichen, auf die Erscheinungswelt zurückgewandten Erfahrung« 12 (= laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) werde die phänomenale Wirklichkeit nicht mehr wie in der alltäglichen Erfahrung erlebt, sondern im Lichte der unmittelbar vorhergehenden mystischen Schau ihres wahren Wesens als illusorisch erfahren: On the ultimate level of the highest truth, thought and language are cut off. This is, no doubt, the level of tathatā, not as it may be conceptualized, but as it is experienced in the transconceptual insight (nirvikalpaṁ jñānam). I do not see any indication for assuming that in this insight there is any direct experience of […] any multiplicity at all. […]. The level of vijñaptimātra is, however, not only a preliminary step to be surmounted, but also a plane to which Buddhas and Bodhisattvas return or re-descend, for the sake of other sentient beings. After the first transconceptual insight of a Bodhisattva, this return is probably more like a fall back into an experience of the re-emerging world of multiplicity. But in this so-called ›subsequent insight‹ (tatpṛṣṭhalabdhaṁ jñānam) the dependent world of multiplicity is no longer misconceived, but is adequately experienced as illusory or as nothing but mind (and mind-associates). 13

Stellt man dieser Analyse Schmithausens die zentralen Annahmen Loys entgegen, dass die Sinneserfahrung als solche nicht transzendiert werden müsse und dass die letzte Wirklichkeit als nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung vereinbar sei mit phänomenaler Mannigfaltigkeit und insofern fluktuierendem Wandel, dann ergibt sich vor dem Hintergrund klassischer Yogācāra-Texte der Befund, dass Loy das nirvikalpa-jñāna der Yogācārins als Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) im Rahmen seiner programmatischen Transzendenzvermeidung eliminiert und nur das laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna beibehalten hat. 14 Schmithausen 1985: 110. Schmithausen 2015: 54. 14 Loys fehlende Rezeption dieser klassischen Yogācāra-Lehre ist umso erstaunlicher, als dass sie sich auch an prominenter Stelle im Chʾ an-/Zen-Buddhismus wiederfindet, 12 13

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Loys phänomenologische Leerstelle

9.1.2. Das »nicht-feststehende« (apratiṣṭhita) nirvāṇa Die Notwendigkeit die Komplementarität und Zugleichheit von unbedingter (asaṃskṛta) und bedingter (saṃskṛta) Wirklichkeit, von nirvāṇa und saṃsāra, Weisheit (prajñā) und Mitgefühl (karuṇā) theoretisch zu begründen, artikulierte sich im Mahāyāna-Buddhismus nicht nur in einer Phänomenologie erleuchteter Erfahrung, sondern auch im Konzept des »nicht-feststehenden/-fixierten« bzw. »dynamischen« (apratiṣṭhita) nirvāṇas des Buddhas. Hsüan-Tsang unterscheidet im Ch’eng wei-shi lun insgesamt vier verschiedene Formen des nirvāṇas. Neben dem anādikālika-prakṛti-śuddhanirvāṇa, dem sopadhiśeṣa- und nirupadhiśeṣa-nirvāṇa, nennt er dabei als vierte und letzte Form das apratiṣṭhita-nirvāṇa, das er folgendermaßen definiert: Nirvāṇa with no fixed abode (apratiṣṭhita-nirvāṇa), i. e., true suchness freed from the obstacle to that which is to be known. It is always assisted by great compassion (mahā-karuṇā) and great discernment, and as a consequence one does not dwell in saṃsāra or nirvāṇa. Benefitting and gladdening beings is eternal. One functions in the world [due to compassion] but is eternally quiescent, therefore it is called nirvāṇa. 15

Nur in diesem apratiṣṭhita-nirvāṇa liegt nach Ansicht der Texte wirklich Freiheit, insofern hier neben der Verstrickung in die saṃsārische Weltimmanenz (karma/kleṣa) auch das Streben nach und Anhaften an nirvāṇischer Welttranszendenz vergangen ist, weil zusammen mit dem Ego alle selbstbezogenen Interessen, Willensregunin dem sie im Rahmen der allgemeinen Adaption der Vijñaptimātra-Lehre (chin. weishi/weishi, jap. yuishiki) in Hui-hais/Dazhu Huihais (jap. Daishu Ekai, 8./9. Jh. n. Chr.) Erörterungen über die Hauptpforte zum Betreten des Weges zum schlagartigen Erwachen (Tun-wu ju-tao yao-men lun) und der Lehre Hakuins (1686–1769) Eingang gefunden hat, der den vier Weisen der Welterfahrung eines Erwachten sogar ein eigenes Werk (shichi ben) gewidmet hat. Cf. Blofeld 2007: 82; Low 2006: 29 f. 15 Ch’eng wei-shi lun 12, 55b. In: Cook 1999: 342. Näheres zum apratiṣṭhita-nirvāṇa als nirvāṇa der Bodhisattvas und Buddhas im Gegensatz zum nirvāṇa der Arhats oder Pratyekabuddhas findet sich bei Williams 2010: 59 f. und 185 f. Die Differenz zwischen apratiṣṭhita-nirvāṇa und nirupadhi-śeṣa-nirvāṇa diskutiert Wood 1999: 64–89. Eine eingehende Analyse des Zustands des restlosen Erlöschens (nirupadhiśeṣo nirvāṇadhātu) und des Zustands des Erlöschens-mit-Rest (sopadhiśeṣo nirvāṇadhātu) in der Yogācārabhūmi gibt Schmithausen 1969: 47–67. Erklärungen zur Genesis des apratiṣṭhita-nirvāṇa als Synthese dieser früheren Yogācāra-Vorstellungen finden sich bei Schmithausen 2000: 451–455.

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gen, Sehnsüchte und Tatabsichten ihr Ende finden. Dass der Bodhisattva aus Mitgefühl (karuṇā) zu allen Wesen im saṃsāra verbleibt und wirkt, bedeutet also dezidiert nicht, dass er damit auf die vollkommene Erleuchtung verzichten würde, denn das explizite Ziel des Bodhisattva-Pfads besteht ja gerade darin, Buddha zu werden, um auf diese Weise allen Wesen möglichst effektiv helfen zu können. 16 Das Bodhisattvakonzept führte hingegen zu einem Wandel in der Konzeption der Erleuchtung, die nun nicht mehr als vorwegnehmende Erfahrung eines akosmisch-transzendenten nirvāṇas verstanden werden konnte, das in kosmologischer Differenz zur Werdewelt persistiert und diese sozusagen hinter sich lässt, sondern realpräsent im saṃsāra gedacht wurde. 17 Die existentielle Dynamik alles ausschließender Weisheit und alles einschließenden Mitleids bildet demnach den Kern des apratiṣṭhita-nirvāṇas und vereint damit die Erfahrung der Weltimmanenz (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) mit der Intuition der Welttranszendenz (nirvikalpa-jñāna) des Bodhisattvas in einem Begriff. Während der Bodhisattva noch zwischen weltabgewandten (= nirvikalpa-jñāna) und weltzugewandten (= laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) Phasen alterniert, bezeichnet das apratiṣṭhita-nirvāṇa dem Marburger Indologen und Buddhologen Johannes Nobel (1887–1960) zufolge das wahrhafte nirvāṇa des tathāgatas. Wegen der Attributlosigkeit des dharmakāyas sei dieses nirvāṇa ewige Stille und Bewegungslosigkeit und dem tathāgata komme dementsprechend in ihm keine Aktivität zu. Um die noch im saṃsāra verstrickten Wesen zu erlösen, trete der tathāgata gewissermaßen aus diesem absoluten nirvāṇa heraus; er »verweile nicht« (na pratiṣṭhati) in diesem nirvāṇa des attribut- und zweitlosen dharmakāyas. Daher lasse sich das apratiṣṭhitanirvāṇa inhaltlich auch so auffassen, dass der tathāgata weder im saṃsāra noch im nirvāṇa verweile. Die wesentlichen Merkmale des apratiṣṭhita-nirvāṇas seien demnach das große (weltimmanente) Mitleiden (mahākaruṇā) und die große (welttranszendente) Weisheit (mahāprajñā). 18

Cf. Schmidt-Leukel 2008: 98 f. Das Bodhisattvapiṭaka macht daher unmissverständlich klar, dass es sich bei der Differenz zwischen saṃsāra und nirvāṇa um keine kosmologische Differenz handelt: »To see the sphere of saṃsāra and to realise that it is pervaded with the sphere of nirvāṇa, that is correct preparation.« Bodhisattvapiṭaka 11. In: Pagel 1995: 349. 18 Cf. Nobel 1958: 52. Fußnote 3. 16 17

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Loys phänomenologische Leerstelle

John Makransky hat das apratiṣṭhita-nirvāṇa anhand der trikāya-Lehre folglich als Synthese des »Essenzkörpers« (svabhāvikakāya) und der »Formkörper« (rūpakāya) des Buddhas beschrieben. Die permanente kognitive Identifikation mit der ungetrübten Soheit (tathātaviśuddhi) in der spiegelgleichen Erkenntnis (ādarśa-jñāna) durch das nirvikalpa-jñāna konstituiere den Essenzkörper (svabhāva) des Buddhas. 19 Der svabhāvikakāya bilde folglich den unbedingten (asaṃskṛta) Aspekt des apratiṣṭhita-nirvāṇas. Das Wirken eines Buddhas beschränke sich allerdings nicht auf die überweltliche Gnosis (mahāprajñā/-jñāna) allein, sondern bestehe in gleichem Maße in der Kultivierung geschickter Mittel (upāya-kauśalya), um aus großem Mitleid (mahākaruṇā) auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya/saṃsāra) bestmöglich zum Wohle aller Lebewesen wirken zu können. Zu diesem Zweck manifestierten sich wiederum die »Formkörper« (rūpakāya), i. e. der nairmāṇikakāya/nirmāṇakāya und sāmbhogikakāya des Budhhas, die somit auf einer makrokosmischen Ebene die bedingte (saṃskṛta) Seite des apratiṣṭhitanirvāṇas verkörpern. 20 Auch hier ergibt sich vor dem Hintergrund buddhistischer Texte erneut der Befund, dass Loy den unbedingten (asaṃskṛta) Aspekt des apratiṣṭhita-nirvāṇas (= nirvikalpa-jñāna) im Rahmen seiner programmatischen Transzendenzvermeidung ausblendet und nur dessen bedingte (saṃskṛta), i. e. phänomenale Seite (= laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) übrig lässt. Loy rekurriert zwar in einigen seiner Werke vereinzelt und eher beiläufig auf das apratiṣṭhita-nirvāṇa, aber wie die Lehre vom laukika-pṛṣṭhalabdhajñāna bleibt auch diese Lehre in seiner Philosophie der Nondualität in ihrem Potential für eine umfassende Phänomenologie nondualer Erfahrung letztlich ungenutzt. 21 Im Folgenden soll anhand einer eingehenden Verortung der von Loy beschriebenen Formen nondualer Erfahrung im Diskursfeld der Mystik ein Beitrag zu einer solchen Phänomenologie geleistet werden.

19 20 21

Cf. Makransky 1997: 86. Cf. Makransky 1997: 85–108. Cf. Loy 1992a: 252; Loy 2018: 164.

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9.2. Nondualismus und Mystik Als der anglikanische Priester, Dompropst der Londoner St. Paul’s Cathedral und Professor in Cambridge William Ralph Inge (1860– 1954) 1899 seine Bampton Lectures als Christian Mysticism publizierte, listete er im Appendix nicht weniger als 26 Definitionen der Mystik und mystischen Theologie auf. 22 Seither sind unzählige neue Wesensdefinitionen in den Diskurs eingebracht worden, ohne dabei zu einer allgemein anerkannten und eindeutigen Begriffsbestimmung dieses komplexen Phänomens zu gelangen. Bereits 1922 beklagte der katholische Theologe Joseph Bernhart (1881–1969) in seiner Darstellung der Philosophischen Mystik des Mittelalters die Verschwommenheit des Begriffes, die jeder scharfen Begriffsbestimmung entgegenstehe. »Zerfahren und grenzenlos« sei der »Gesamtinhalt der Mystik« 23, sodass wohl niemand mehr eine verbindliche Antwort auf die Frage nach ihrem Wesen erwarte. 24 Demgegenüber war die Mystik für Max Scheler (1874–1928) »eine generelle, streng definierbare Kategorie geistigen Verhaltens, nämlich ekstatischen un-

Cf. Inge 1899: 335–348. Rudolf Eisler (1873–1926) definierte Mystik als »die (vermeintliche) Erfassung des Übersinnlichen, Göttlichen, Transzendenten (nicht durch die Sinne, nicht durch Vernunft, sondern) durch eigenartige innere Erfahrung, durch unmittelbare (intellektuelle) Intuition, Kontemplation, gefühlsmäßiges Erleben, liebendes Erfassen im Zustande der Ekstase; Streben nach Versenkung in die Tiefen des eigenen Gemüts, um so der Vereinigung mit dem göttlichen Sein (›unio mystica‹) auf unbegreifliche, geheimnisvolle Weise teilhaftig zu werden«. Eisler 1910: 833. Eine erste Übersicht bietet Joachim Seyppel (1919–2012), der sich u. a. kritisch mit den Mystikdefinitionen von Johann Joseph von Görres (1776–1848), Joseph Kleutgen (1811–1883), Wilhelm Preger (1827–1896), Heinrich Denifle (1844–1905), Joseph Zahn (1862–1945), Georg Mehlis (1878–1942), Joseph Bernhart (1881–1969), Theodor Steinbüchel (1888–1949), Günther Müller (1890–1957), Alois Dempf (1891– 1982), Walter Muschg (1898–1965), Hermann Kunisch (1901–1991), Werner Milch (1903–1950) und Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert (1905–1999) auseinandersetzt. Cf. Seyppel 1974. Eine Übersicht über die Mystik-Diskussion in der katholischen und evangelischen Theologie Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg gibt Maaß 1981. Eine Studie zur Forschungs- und Begriffsgeschichte von »Mystik« in der Religionswissenschaft bietet Döbler 2013: 24–83. 23 Bernhart 1966: 7. 24 Dennoch kam Bernhart zu der Überzeugung, dass es menschliche Strebungen, Erfahrungen und Äußerungen gibt, »die fast allgemein und ohne Vorbehalt mystisch genannt« werden könnten. Das »mystische Urgefühl« und »Mystikon im Menschen« sei das »Verlangen und Langen ins Letzte und Ganze aller Wirklichkeit.« Bernhart 1953: 9 ff. 22

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mittelbaren Identifikationswissens in Anschauung und Gefühl« 25. In ihrer »überkonfessionellen, ja überreligiösen Natur« konnte sich die Mystik für Scheler sowohl mit einer bestimmten Religion und deren Dogma als auch mit philosophischer Metaphysik, sowohl mit spiritualistischem als auch naturalistischem Inhalt der Weltanschauung, sowohl mit vorwiegend theoretischem als auch praktischem Verhalten verbinden. Immer bleibe jedoch die Mystik eine »selbstständige Kategorie der Arten des Wissens oder der Teilnahme an einem vorausgesetzten, nie aus ihren Wissensquellen selbst hervorgegangenen absolut Seienden und Werthaften« 26. Schelers Definitionsoptimismus und Bestimmung der Mystik fanden allerdings keine allgemeine Anerkennung und so bemängelte auch Josef Quint (1898–1976) die Unmöglichkeit, eine »ädaquate und erschöpfende Definition der Mystik« 27 zu finden, während Louis Dupré seinen Eintrag zur Mystik in der von Mircea Eliade (1907–1986) herausgegebenen Encyclopedia of Religion mit der Feststellung begann, dass eine aussagekräftige und genügend umfassende Definition aller als »mystisch« bezeichneten Erfahrungen unrealisierbar sei. 28 Auch Joachim Seyppel (1919–2012) hielt die Situation angesichts seiner kritischen Diskussion einer Vielzahl von Mystikdefinitionen für »hoffnungslos verfahren« 29 und allgemeine Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Verwendung von Definitionen auf dem Gebiet der Mystik für angebracht. Die Probleme der Definitionsfindung nötigten den Schweizer Mystikforscher Alois Maria Haas zu dem resignativen Bekenntnis, dass sich beim Mystikbegriff »eine konstitutive Schwäche der ordnenden Kraft menschlicher Begriffsbildung« abzeichne, sodass man an einer »tauglichen und operationalisierbaren Fassung des Begriffs verzweifeln möchte.« 30 Damit stand Haas nicht allein da, denn auch für den Schweizer Theologen und Religionswissenschaftler Georg Schmid gab die klärende Durchsicht einer Vielzahl gängiger Mystikdefinitionen »Anlaß zu religionswissenschaftlicher Verzweiflung« 31. Um dem vorzubeugen hat der evangelisch-reformierte Theologe Emil Brunner (1889–1966) vorgeschlagen, »jede 25 26 27 28 29 30 31

Scheler 1926: 19. Cf. Scheler 1926: 19 f. Näheres zu Schelers Mystikverständnis bei Jain 1991: 278 ff. Quint 1953: 48. Cf. Dupré 2005: 6341. Seyppel 1974: 125. Haas 1986: 319. Schmid 1990: 24.

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Wesensbestimmung […] abzulehnen« 32, während der italienische Philosophiehistoriker Loris Sturlese auf den Terminus »Mystik« gleich ganz verzichten will und die Bochumer Eckhart-Schule um Burkhard Mojsisch (1944–2015) und Kurt Flasch als ihren prominentesten Vertretern das heuristische Konzept »Mystik« nicht nur für entbehrlich erklärt, sondern es zumindest in Bezug auf die Person Meister Eckharts (um 1260–1328) als »forschungsschädigend« 33 suspendiert hat. 34 Folgt man der Religionswissenschaftlerin Annette Wilke, dann ist auch in Zukunft keine einheitliche und von allen Fachvertretern anerkannte Definition zu erwarten, da jeder Definitionsversuch nicht nur aufgrund des breiten Spektrums der als mystisch angesehenen Phänomene, sondern auch aufgrund der historischen Wandlungen des Mystik-Begriffes notwendig defizitär sei. Mystik sei daher ein »Sammelbegriff« für eine Vielzahl grenzüberschreitender Erfahrungen sowie diejenigen Konzepte, Lehren und Literaturgattungen, die eine solche »immanente Transzendenz oder transzendente Immanenz« 35 und deren Erfahrung aus ihrem historisch, kulturell und bioBrunner, E. 1928: 366. Flasch 2010: 18. 34 Cf. Sturlese 2007: 60. In diesem Sinne schreibt auch Mojsisch, dass »die neue Metaphysik Meister Eckharts keine erlebnishafte-irrationale, ekstatische, auf eher zu verschweigenden unmittelbaren Privaterfahrungen beruhenden Mystik« sei. Mojsisch 1983: 11. 35 Wilke 1999: 509. Cf. Wilke 2006. Zu Wilkes Mystikdefinition bemerkt der evangelische Theologe und Religionswissenschaftler Gebhard Löhr kritisch, dass der Gegenstand durch diese Definition überhaupt erst erschaffen werde und die Illusion entstehe, dass es einen als Mystik bezeichneten Forschungsgegenstand tatsächlich gäbe, während in der Wirklichkeit nur ganz disparate Phänomene vorkämen, deren Zugehörigkeit zu einem Phänomen fraglich sei. Damit erliege Wilke der von Hans Penner beschriebenen »mystischen Illusion«: »The mystical illusion is the result of an abstraction which distorts the semantic or structural field of a religious system. As such it is a false category, unreal, regardless of whether it is taken as the universal essence of religion or as a particular feature of a religious system.« Penner 1983: 96. Dagegen Jones, Ri. 2016: 49. Löhr plädiert demgegenüber für eine »Wittgensteinsche Wendung« in der religionswissenschaftlichen Erforschung der Mystik, indem nur noch die »Verwendung des Mystikbegriffes als religiöse Selbst- und Fremdbezeichnung« zum Gegenstand der Forschung werde. Löhr, G. 2002: 164. Auch Friedrich Heiler hatte eine weite und umfassende Verwendung des Mystikbegriffes abgelehnt, weil ein solcher Sammelbegriff »zu verschiedenartige religiöse Phänomene« umspanne und »der Etymologie und dem gewöhnlichsten Sprachgebrauch« widerspreche. Heiler 1919: 4. Im Gegensatz zu Löhr hielt Heiler am Projekt einer Wesensbestimmung der Mystik allerdings fest. Mystik ist für Heiler »jene Form des Gottesumgangs, bei der 32 33

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Nondualismus und Mystik

graphisch geprägten Kontext heraus besingen, erzählen oder beschreiben. Auch Jens Lemanski ist der Überzeugung, dass es weder möglich ist, eine Synthese aller, teilweise kontradiktorischen Definitionen von »Mystik« zu geben, noch ratsam ist, den Begriff »Mystik« ganz fallen zu lassen oder aus der Vielzahl an Aussagen über Mystik den kleinsten gemeinsamen Nenner zu abstrahieren, der auf spezifische Texte kaum noch anwendbar wäre. 36 Während Lemanski für die interdisziplinäre Untersuchung »mystischer Aspekte« und Strukturmotive plädiert und Detlef Metz die »konkrete geschichtliche Einzelerscheinung« 37 vor jeder Wesensfrage priorisiert, zeigt ein weiterer Durchblick durch die moderne Mystikforschung, dass alternative Klassifikationen aller modernen Studien zum Wesen der Mystik für den vorliegenden Untersuchungszweck einer Konfrontation von Loys nondualer Erfahrung mit dem Phänomen der mystischen Erfahrung einen angemesseneren Zugang ermöglichen. So unterteilt Bernard McGinn in seinem allgemeinen Überblick über moderne Mystiktheorien die wichtigsten Positionen in historischer und systematischer Hinsicht trotz aller Überschneidungen anhand ihrer Disziplinen in theologische, philosophische und psychologische Hauptrichtungen. Dem niederländischen Karmeliten Otger Steggink (1925–2008) zufolge lässt sich die Geschichte der Mystikforschung in großen Zügen wiederum in theologische, phänomenologische, religionspsychologische, historische und philologisch-literarische Richtungen einteilen. Josef Sudbrack unterscheidet wiederum vier Verstehensansätze voneinander, die er als psychologischen, historisch-soziologischen, ästhetischsymbolischen und religiösen Ansatz bestimmt, während Jeffrey J. Kripal zwischen erfahrungsorientierten, essentialistischen und epistemologischen Ansätzen unterscheidet und damit eine traditionelle Disziplingrenzen überschreitende Herangehensweise an die Mystik vorlegt, der trotz Überschneidungen mit anderen Typologien angedie Welt und das Ich radikal verneint werden, bei der die menschliche Persönlichkeit sich auflöst, untergeht, versinkt in dem unendlichen Einen der Gottheit.« Heiler 1919: 6. 36 Cf. Lemanski 2011: 284. Diese Diskurslage charakterisiert Haas treffend, wenn er schreibt, dass es mittlerweile zum »topischen Inventar« der Mystikforscher gehört, »zunächst über die Ungenauigkeit, Verschwommenheit und daher Untauglichkeit des Begriffs ›Mystik‹ zu jammern«, um ihn dann nichtsdestotrotz »in unbesiegbarem Optimismus immer wieder zu gebrauchen.« Haas 2007: 38. 37 Metz, D. 2001: 10.

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sichts einer erfahrungszentrierten und idealtypisierten Verengung des Untersuchungsgegenstandes für einen Vergleich mit Loy der Vorzug gebührt. 38 Eine eingehende Verortung von Loys nondualer Erfahrung im Feld der Mystikforschung rechtfertigen dabei nicht zuletzt auch die anglo-katholische Theologin Evelyn Underhill (1875–1941), die Mystik als das grenzenlose Leben beschreibt, in dem Subjekt und Objekt eins sind; 39 Karl Jaspers, der in seiner Psychologie der Weltanschauungen (1919) die »Aufhebung des Subjekt-Objektverhältnisses« 40 als entscheidendes Merkmal der mystischen Einstellung definiert; Hans Küng, der die mystische Erfahrung als »Intuition einer großen Einheit, welche die Subjekt-Objekt-Spaltung aufhebt« 41 charakterisiert; der katholische Theologe Josef Weismayer, der unter Mystik jene religiöse Erfahrung versteht, die »auf eine Einheit zwischen Subjekt und Objekt dieser Erfahrung tendiert« 42; der Jesuit und Religionspsychologe Bernhard Grom, der von der Mystik als dem »Erleben einer Nicht-Zweiheit« 43 spricht und den »universalen phänomenologischen Kern mystischen Erlebens« als positiv empfundene »Auflösung der Individualität« und Überwindung der »Subjekt-Objekt-Differenz« 44 bestimmt; der katholische Mönch Wayne Teasdale (1945–2004), der das Herz mystischer Spiritualität als »awareness of nonduality« 45 fasst; Keith Dowman, der über den »mystisch-nondualen Kern (mystical nondual core)« 46 der buddhistischen DzogchenLehren philosophiert; Franz Wöhrer, der Mystik mit der »Totalauslöschung der Subjekt-Objekt-Differenz« 47 assoziiert sowie Bernhard Neuenschwander, der Mystik explizit als »Realisation von NichtDualität« 48 bestimmt und Hans Waldenfels, der neben der Naturmys-

Cf. McGinn 1994: 383 ff.; Steggink 1983: 19; Sudbrack 1988: 17–22; Kripal 2006: 323 ff. Eine Übersicht über die verschiedenen Phasen der Mystikforschung bieten Moore, P. 1973; Moore, P. 1990; Kourie 1992 und McGinn 1994: 381–481. 39 Cf. Underhill 2002: 72. 40 Jaspers 1954: 85. 41 Küng 1984: 254. 42 Weismayer 1988: 348. 43 Grom 1992: 88. 44 Grom 2007: 236. 45 Teasdale 2001: 23. 46 Dowman 2012: xxxi. 47 Wöhrer 2003: 143. 48 Neuenschwander 1998: 22. 38

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tik und theistischen Mystik auch eine »non-dualistische Mystik« 49 unterscheidet. Diese Liste ließe sich beliebig erweitern und würde doch nur zeigen, dass der stark klärungsbedürftige Begriff der Nondualität trotz Loys letztendlich unterbestimmten Systematisierungsversuchen im Diskurs vollkommen uneinheitlich genutzt wird und die fehlende Begriffsschärfe einen Vergleich mit dem ebenfalls hochproblematischen Begriff der Mystik nicht gerade erleichtert. Teilweise werden beide Begriffe in der einschlägigen Forschungsliteratur synonym verwendet, sodass nicht deutlich wird, worin sich eine mystische und eine nonduale Erfahrung überhaupt noch voneinander unterscheiden sollen, teilweise wird der eine oder der andere in seinem Bedeutungsgehalt und Umfang als der weitere angesehen. Legt man hingegen die Mystik-Definition des Steyler Missionars und Professors für Pastoraltheologie Hermann Kochanek (1946–2002) zugrunde, der unter Mystik die »unmittelbare, innere Erfahrung der göttlichen oder transzendenten Wirklichkeit« 50 versteht, wäre eine Zuordnung von Loys nondualer Erfahrung zur Mystik aufgrund ihres sinnlichen und radikalimmanenten Charakters sogar insgesamt problematisch. 51 Ebenso könnte man Loys Philosophie der Nondualität nur schwer als Form der Mystik charakterisieren, wenn die nichtdualistische Mystik »den Kosmos gleichsam vernichtet, akosmistisch ist« 52, wie der Religionswissenschaftler Karl Hoheisel (1937–2011) behauptet. Frederick J. Streng (1933–1993) und G. William Barnard scheinen Loys Verständnis von Nondualität als nondualer Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) noch am nächsten zu kommen, wenn Streng das mystische Bewusstsein (mystical awareness) im Mahāyāna-Buddhismus als »knowledge of nonduality« erklärt und dieses Wissen nicht als Transzendenzerfahrung, sondern als »nondualistically-oriented analytical knowledge into the Waldenfels 1992: 183. Kochanek 1998: 15. 51 Ein analoges Problem ergibt sich auch angesichts der Nondualismus-Definition des Psychologen Theo Fehr, der das Konzept in die Transpersonale Psychotherapie eingeführt hat und nonduale Erfahrung unter Berufung auf Śaṅkara als »Erfahrung des transzendentalen Selbst«, i. e. als Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) interpretiert. Fehr 2008: 49. Das ist zwar sachlich korrekt, aber mit Loys Verständnis nondualer Erfahrung unvereinbar. Eine ausführliche Darstellung seiner nondualistischen Therapiebasis findet sich in Fehr 2003: 215– 249. 52 Hoheisel 1998: 31. 49 50

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empty nature of things whether perceived, felt, or imagined« 53 interpretiert, während Barnard »mystischen Nondualismus« (mystical nondualism) als »direct and transformative mystical realization of nonduality« bestimmt und diese Nondualität inhaltlich als »primal ›suchness‹« und »originally nondual ›raw material‹ of our experience« 54 expliziert. Für integrale Theoretiker wie Ken Wilber ist die »nonduale Mystik« (nondual mysticism) wiederum nur eine spezifische Form der Mystik, die er neben »nature mysticism, deity mysticism« und »formless mysticism« 55 allerdings zur Abschluss- und Vollendungsgestalt aller Mystik-Variationen erklärt, während Theisten wie der römisch-katholische Priester Daniel A. Helminiak Wilbers »nondual neoperennialism« 56 kritisieren oder wie Michael Stoeber argumentieren, dass sich die theistisch-kataphatischen Momente nicht von einer monistisch-apophatischen Perspektive aus integrieren lassen, hingegen aber eine theo-monistische Mystik dazu in der Lage sei, nonduale Erfahrungen als ein notwendiges Durchgangsstadium zur Begegnung mit dem personalen Absoluten begreifbar werden zu lassen. 57 Die Vollendung der Mystik ist diesen theistischen Interpreten zufolge nicht »die Auflösung in einem unbenennbaren Nirvāna, das weder ist noch nicht ist« 58, sondern die gnadenhafte Erfahrung eines lebendigen Gottes, der im Herzen aller Wesen gegenwärtig ist und selbst in der mystischen Vereinigung von diesen als unaufhebbares »Du« verschieden bleibt. Kurz: »Nonduale Mystik« wäre hier im Gegensatz zu Wilber nicht das Letzte, sondern das Vorletzte und als solches niemals Selbstzweck, sondern bestenfalls Durchgangsstadium zur mystischen Unio mit dem personalen Gott (siehe 2.5.2.). Eine abschließende und allgemeingültige Definition von »Nondualität« oder eine Systematik aller als »nondual« bezeichneten »mystischen« Erfahrungen kann angesichts dieser Sachlage auch an Streng 1978: 164. Barnard 1997: 238 f. Eine weitere Differenzierung in symmetrische und asymmetrische Formen der Nondualität sowie eine klare Abgrenzung der nondualen Erfahrung gegenüber der nach der Erleuchtung erlangten Erfahrung der phänomenalen Welt fehlt bei Barnard allerdings, weshalb bei ihm alle wesentlichen Differenzen im Begriff des mystischen Nondualismus verschwinden. Cf. Barnard 1997: 237–241. 55 Wilber 2000a: 182. 56 Ferrer 2008a: 165. 57 Cf. Helminiak 1998: 213–292; Stoeber 1994: 57 f. 58 Wunderli 1975: 170. 53 54

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dieser Stelle unmöglich geleistet werden. Es muss im Folgenden daher vor allem darum gehen, Loys nonduale Erfahrung in ihrem Spezifikum im Mystikdiskurs deutlich herauszustellen und als solche zu würdigen, womit gleichzeitig auch ein Beitrag zur weiteren Klärung beider Begriffssphären geleistet wird. In einem ersten Schritt soll dabei einleitend durch einen kurzen Abriss der Begriffsgeschichte des Adjektives mystikós dem historischen Ursprung der Mystik und »mystischen Erfahrung« nachgegangen werden. In einem zweiten Schritt soll die mystische Erfahrung selbst in den Blick genommen werden. Was macht den mystischen Charakter einer Erfahrung im Einzelnen aus? Was sind die konstitutiven Charakteristika des mystischen Erlebens? Obschon die mystische Erfahrung keine empirische Erfahrung im üblichen Sinne des Wortes darstellt, ist sie dennoch Forschungsgegenstand unterschiedlichster Disziplinen geworden. Dabei sollen neben bewusstseinspsychologischen und phänomenologischen Darstellungen vor allem hermeneutische Studien zur mystischen Erfahrung berücksichtigt werden, die sich auf ihre schriftlich fixierten Verlautbarungen konzentrieren und Merkmalskataloge aufgrund derjenigen Berichte erstellen, die die Mystiker in allen Kulturen und zu allen Zeiten selbst von ihren Erfahrungen gegeben haben. Die daraus gewonnenen phänomenologischen Synopsen sollen anschließend mit Loys nondualer Erfahrung kontrastiert werden, um anhand von Analogien und Differenzen einen exakten Merkmalskatalog derselben zu erstellen. Abschließend soll anhand einer inhaltlichen Rekonstruktion der bedeutsamen Kontroverse zwischen »Konstruktivisten« und »Non-konstruktivisten« die grundsätzliche hermeneutische Frage nach dem Verhältnis von Erfahrung und Sprache bzw. der mystischen Erfahrung und dem begrifflichen System der religiösen Tradition des Mystikers exemplarisch problematisiert werden. 59

Ich spreche hier im Anschluss an Richard H. Jones nicht von »Perennialisten«, sondern »Non-konstruktivisten«, da die These einer sprach-, kultur-, geschichtsund kontext-invarianten Erfahrung sowohl mit den drei religionstheologischen Positionen des Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus als auch mit einem naturalistischen Standpunkt vereinbar ist. Cf. Jones, Ri. 2016: 58.

59

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Reflexion und Rezension

9.2.1. Zur Geschichte »mystischer Erfahrung« Ein erfahrungszentrierter Zugang zur Mystik, der das Sprechen (Mystologie) über die mystische Erfahrung sowie deren Vermittlung (Mystagogie) ausblendet und sich wie Kurt Ruh (1914–2002) in seiner vierbändigen Geschichte der abendländischen Mystik (1990– 1999) »streng und ausschließlich auf ihren Erfahrungsinhalt« 60 bezieht und dessen sprachliche Ausdrucksformen (Mystographie) fokussiert, findet indes durch einen kurzen Blick auf die Begriffsgeschichte der Wörter »mystisch« und »Mystik« weitere Bestätigung. 61 Etymologisch kommt »mystisch« bzw. »Mystik« vom griechischen Adjektiv mystikos (geheim) bzw. vom Substantiv mysterion (geheimes Fest; kultische Feier) und bezieht sich ursprünglich auf den Ritenkomplex vorchristlicher Mysterienreligionen (mysteria) der antiken Welt, insbesondere die Mysterien von Eleusis, die für die Athener als die Mysterien schlechthin galten. Die lateinische Übersetzung von myesis (Weihe) lautet initiatio, was die Mysterien fernerhin als Initiationsrituale ausweist, deren esoterischer Zentralritus im Telesterion als Arkandisziplin gegenüber den Nichteingeweihten der strengen Geheimhaltung zum Schutz vor der Profanierung unterlag, weshalb die Worte aporrheta (verborgen) und arrheta (unsagbar) in diesem Kontext wiederholt auftauchen. 62 Mystikos selbst ist abgeleitet vom Verb myein, was »(ver)schließen« oder »verdecken« meint und speziell als »den Mund schließen« ausgedeutet wurde. Diese Interpretation erklärt Walter Burkert (1931–2015) mit der bereits bei Hekataios von Abdera (4. Jh. v. Chr.) und Herodot (ca. 485– 424. v. Chr.) bezeugten Begeisterung der Griechen für die ägyptische Kultur, die Ägypten als das Ursprungsland der Mysterien überhaupt ansahen und die Statuetten der Kind-Gottheit Hor-pa-chered, die den Finger an den Mund legt und von Plutarch (um 45–125 n. Chr.) als Ruh 2001: 13. »Jene « Erfahrung », auf die sich die großen Mystiker berufen, ist eine Erfahrung in der Transzendenz, ist cognitio experimentalis Dei, die sich in der Entrückung (raptus, excessus mentis), in der Schau (visio, contemplatio Dei), im transitus, in der Ekstase der Liebe ereignet […]. Nur in diesem Proprium ist der Begriff des Mystischen anwendbar.« Ruh 2001: 25. 61 Die Unterscheidung zwischen mystischen, mystologischen und mystographischen Aspekten geht auf Irene Behn zurück. Josef Weismayer hat dieser Dreiteilung noch den Begriff der Mystagogie hinzugefügt, insofern die Hinführung zu mystischer Erfahrung die Absicht einer Vielzahl schriftliche Zeugnisse über Mystik sei. Cf. Behn 1957: 743; Weismayer 1988: 349. 62 Cf. Burkert 1990: 16. 60

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Harpokrates bezeichnet wurde, in diesem Zusammenhang als Inbegriff des mystischen Schweigens verstanden. 63 Der französische Theologe Louis Bouyer (1913–2004) hat allerdings überzeugend nachgewiesen, dass das verborgene und unsagbare »Geheimnis«, das auf der ersten Verwendungsstufe des Wortes im eigentlich Sinn als »mystisch« bezeichnet wurde, keine »geheimzuhaltende religiöse Erfahrung, sondern ein Ritus in seiner äußeren Gestalt« 64 war. Erst in der christlichen Literatur hat das Wort bei Origenes (185–254 n. Chr.), dann bei Gregor von Nyssa (um 335– 394 n. Chr.) als »mystische Kontemplation« (gr. theōria mystikē) und später vor allem in der »mystischen Theologie« (mystica theologia) bei Dionysius Pseudo-Areopagita unter dem Einfluss neuplatonischer Philosophie als mystikē henōsis den heutigen Sinn einer unmittelbaren Erfahrungserkenntnis Gottes erhalten. 65 Damit ist nicht gesagt, dass die Erfahrungskomponente in den Mysterien fehlte. Im Gegenteil: Der Myste sollte »am heiligen Geschehen nicht rationalerkennend« partizipieren, sondern »in einer tieferen Schicht des Erlebens« 66 ergriffen werden oder, wie es in einem Fragment des ArisCf. Burkert 1990: 14 ff., 44. Bouyer 1974: 59. 65 Damit verbindet sich in der christlichen Literatur eine allmähliche Bedeutungsverschiebung, die das Wort von einer bibelexegetischen über eine sakramental-liturgische bis zu einer spirituellen Sinnebene erweitert hat. Auf der biblischen Sinnebene wurde das Wort mystikos im Hinblick auf das Christusmysterium als Schlüssel zum Verständnis der Heiligen Schrift gebraucht; auf der sakramental-liturgischen Sinnebene wurde sowohl die verborgene Heilsgegenwart Christi in Brot und Wein als auch die Gesamtheit der Sakramente als mystisch bezeichnet und die Liturgie insgesamt als mystischer Kult verstanden, der die Mysterienkulte ersetzt; auf der spirituellen Ebene bezeichnet das Wort »mystisch« die Erfahrung der Christuswirklichkeit in Wort und Sakrament und verbindet sich vor allem bei Origenes mit der Schriftexegese als Form religiöser Erfahrung. Insofern Origenes ein wahrhaftes Verständnis der Bibel nur für möglich hält, wenn man die Wirklichkeit, von der sie spricht, zuvor auch zutiefst erfahren hat, gebraucht er das Wort »mystisch« im Zusammenhang mit einer erfahrungsmäßigen Meditation der Bibel. Cf. Bouyer 1974: 68–73; Steggink 1983: 15 f. Bernard McGinn hat darauf hingewiesen, dass mystikos bereits in den Makarios/ Symeon (4./5. Jh.) zugeschriebenen Werken »die Einigung oder Gemeinschaft mit Gott« bezeichnet und folglich hier der frühste Beleg »von ›mystischer Einigung‹ in der christlichen Literatur« zu finden sei. McGinn 1994: 253. Cf. Haas 2004: 52 f.; Stiefenhofer 1913. Otto Langer findet bereits in der Verchristlichung der theoria durch Origenes die Christus-, Kontemplations- und Brautmystik sowie die Lehre von der Gottesgeburt als prägende Denk- und Erfahrungsmuster der mittelalterlichen Mystik vorgebildet. Cf. Langer 2004: 81–91. 66 Krämer 1981: 1099. 63 64

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toteles (384–322 v. Chr.) heißt, nicht mehr lernen (mathein), sondern erfahren und erleiden (pathein). 67 Bereits Rudolf Otto (1869–1937) identifizierte den Grundsinn von mystes mit epoptes bzw. draṣṭār, i. e. dem »Mensch des divya-cakshus (is qui videt oculis Dei)«, dem »Schauenden«, dem »der intuitus mysticus aufgegangen« sei und der durch ihn »das ›Ganz andere‹, sei es ātman, sei es Brahman, sei es Einheit, sei es śūnyatā, sei es Seele, sei es weiselose Gottheit, sei es Einikeit, schaut und in dieser Schau lebt.« 68 Eine solche Interpretationslinie, die den Mysterienwortschatz metaphorisch gebraucht, philosophisch ausdeutet und auf eine unsagbare Erfahrung bezieht, lässt sich bis zu Platon zurückverfolgen, der das dreistufige Schema kultischer Einweihung der eleusinischen Mysterien auf seine eigene Lehre übertrug. Dem Aufstiegsweg, der von der rituellen Reinigung (katharsis) über eine erste Einweihung (myēsis) zur abschließenden Schau (epopteia) der Kultgottheit und damit zur individuellen Vollkommenheit (teleiōsis) führt, entspricht bei Platon die Lehre der exoterischen Schriften, die über den esoterischen, i. e. innerakademischen und nur mündlichen mitgeteilten Unterricht der Prinzipienlehre und die Erkenntnis der unvergänglichen Ideen zur unsagbaren noetischen Schau des Einen (theōria) und schrittweisen Angleichung des Menschen an Gott (homoiōsis theō) führt. 69 Dieses dreistufige Schema fortschreitender Verinnerlichung und sukzessiver Vereinfachung wurde in der Folge von Plotin adaptiert, in dessen Enneaden der mehrstufige Weg von einer initialen Reinigung (katharsis) über die Erleuchtung (photismos) zur abschließenden Einswerdung (henōsis/hypernoēsis) führt, in der die Seele (psychē) über den zeitfreien Geist (nous) zum absolut Einen schlechthin (hen) gelangt. 70

Cf. Burkert 2008: 264. Otto 1971: 163. Fußnote 2. 69 Christina Schefer interpretiert Platons Ideen- und ungeschriebene Prinzipienlehre in Anlehnung an die Mysterienkulte als philosophische Einweihung, die in der unsagbaren Erfahrung des Gottes Apollon (a-pollon: Nicht-/Un-Vieles) gipfelt. Demnach beginne Platon »in den Dialogen mit der Ideenlehre, die lern- und lehrbar und schriftlich mitteilbar« sei, gehe dann »zur mündlichen Prinzipienlehre über, die nur noch in der Akademie lern- und lehrbar und mitteilbar« sei und ende schließlich »bei der kultischen ›Schau‹, die nicht mehr lern-, lehr- oder mitteilbar, ja nicht einmal mehr eigentlich sagbar« sei. Schefer 2001: 224. Näheres zur homoiōsis-Lehre bei Platon in Nomoi 716C; Phaidon 82A-B; Phaidros 248A; Politeia 500C, 613A; Theaitetos 176A und Timaios 90D. Zum Thema insgesamt Roloff 1970. 70 Nach Burkert verwendete Plotin das Wort mystikos nur ein einziges Mal, wenn er 67 68

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Die strukturelle Abhängigkeit der christlichen Mystik vom (Neu-)Platonismus und damit indirekt auch vom antiken Mysterienwesen haben sowohl Walter Haug (1927–2008) als auch Otto Langer übereinstimmend betont. 71 Vor allem die Vorstellung eines dreistufigen Weges (via triplex) zur Vollkommenheit, der von der purgatio (via purgativa) über die illuminatio (via illuminativa) zur perfectio (via unitiva) führt, wurde von Dionysius Pseudo-Areopagita als katharsis, photismos und teleiosis aus den Schriften des Proklos (412– 485 n. Chr.) übernommen und ist Langer zufolge »in der abendländischen Mystik bis ins späte Mittelalter strukturbildend geblieben.« 72 Die erfahrungsmäßige Schau (epopteia) der Mysterienkulte wurde somit zur geistigen Schau (theōria) bei Platon, die Plotin in der Lehre der Einswerdung (henōsis) spekulativ fortbildete und über Proklos in den lateinischen Übersetzungen des Pseudo-Areopagiten als mystica coadunatio, mystica unitas/unitio, secreta unio, mystica conjunctio und vor allem als unio mystica durch Robert Grosseteste (1170– 1253) Eingang ins Christentum fand. 73 Indem Dionysius jene »unaussprechliche Erfahrung des Einswerdens mit Gott« 74 explizit als mystisch bezeichnete, verknüpfte er das Wort in gewandelter Weise wieder mit seinem Ursprung im Mysterienwesen. Das Corpus Dionysiacum blieb im Mittelalter die beherrschende Bezugsgröße für diese »mystische Gotteserfahrung«, die bis ins 16. Jahrhundert hinein noch überwiegend mit dem traditionellen Terminus technicus der contemplatio (gr. theōria) bezeichnet wurde. In der monastischen Theologie steht die contemplatio bei Guigo dem Kartäuser (12. Jh.) und Hugo von St. Viktor (1097–1141) für die letzte Stufe spiritueller Übungen (spirituale exercitium) und höchste Erkenntnisschau im kontinuierlichen Erkentnisaufstieg des Menschen (ascensus) und wird bei Richard von St. Viktor (12. Jh.) nur noch durch die ekstatische Entrückung des Geistes (excessus/alienatio mentis) übertroffen, in der der Mensch über seine natürlichen Erkenntnisfähigkeiten und sogar sich selbst hinausgehoben wird. 75 im Zusammenhang der Allegorie über den tieferen Sinn der phallischen Hermen philosophiert. Cf. Burkert 1990: 68; Enneade III, VI, 19. In: Harder 1962: 163. 71 Cf. Haug 2008: 46; Langer 2004: 51–70. 72 Langer 2004: 51. 73 Zur unio mystica siehe Figura 1989; Haas 2004: 48–63. 74 Langer 2004: 71. 75 Guigo II. entwickelt ein vierstufiges Schema spiritueller Praxis, das von der lectio über die meditatio und oratio zur contemplatio führt, wobei diese Elemente Karl

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Folgt man Kurt Ruh, dann haben wesentliche Elemente des modernen Mystikverständnisses ihren Ursprung bereits im 13. Jahrhundert und lassen sich geschichtlich auf die Kommentierung und Weiterbildung der mystischen Theologie des Pseudo-Areopagiten zurückführen. 76 Als maßgebliche Autorität der scholastischen Theologen wurde das Corpus Dionysiacum von Hugo von St. Viktor, Thomas Gallus (1190–1246), Robert Grosseteste, Johannes Fidanza (Bonaventura, 1221–1274), Albertus Magnus (13. Jh.) und Thomas von Aquin (1225–1274) kommentiert, wodurch es in der abendländischen Geistesgeschichte eine außerordentlich reiche Wirkung entfalten konnte, sodass von einer Dionysius-Renaissance im 13. Jahrhundert gesprochen wurde. 77 Auch Haas konstatiert für das 13. Jahrhundert insgesamt eine wachsende Konkurrenz gegenüber dem Begriff der contemplatio durch den Begriff der theologia mystica, die vom französischen Theologen und Kanzler der Pariser Sorbonne Johannes Gerson (1363–1429) mit dem auf Bonaventura und Thomas von Aquin zurückgehenden Ausdruck des »erfahrungshaften Erkennen Gottes« (cognitio dei experimentalis) definiert wurde, wobei es zu unterschiedlichen Betonungen der affektiven und kognitiven Vermögen des Menschen bei der mystischen Vereinigung mit Gott kam. 78 RückBaier zufolge bereits in der spätantiken monastischen Praxis nachweisbar sind und sich die Reihe oratio – lectio – meditatio – contemplatio bereits bei Smaragd von Saint-Mihiel (ca. 750–830 n. Chr.) findet. Diese vier Glieder werden von Guigo II. folgendermaßen definiert: »Lesung ist das emsige Einsichtnehmen in die Schriften mit aufmerksamer Seele. Meditation ist die eifrige Tätigkeit des Geistes, das geführt von der eigenen Vernunft verborgene Wahrheit erforscht. Gebet ist die Hinwendung des andächtigen Herzens zu Gott, um Böses zu entfernen und Gutes zu erlangen. Kontemplation ist gewissermaßen eine Erhebung des Gott anhangenden Geistes über sich hinaus, wobei er die Süße der ewigen Freude verschmeckt.« Scala Claustralium. Zitiert nach Baier 2009a: 38. Cf. Ruh 2001: 208–225 (Guigo I. und II), 355–406 (Hugo und Richard von St. Viktor); Wöhrer 2003: 42 ff. 76 Cf. Ruh 1996: 104 f. 77 Zur Dionysius-Rezeption in der Hochscholastik siehe Ruh 1996: 59–163; Bojažiev 2000. 78 Cf. Haas 2007: 518; Metz, D. 2001: 22 ff. So betonten Nikolaus von Kues (1401– 1464) und der flämische Franziskaner Hendrik Herp (ca. 1410–1477) die Beteiligung beider Ebenen und die ganzheitliche Integration aller Seelenkräfte bei der cognitio dei experimentalis. In seiner Theologia Mystica schreibt Herp, dass man zwei geistliche Füße brauche, um den Weg der vita contemplativa zu beschreiten und das mystische Leben zu leben, i. e. die Vernunft (intellectus) und den Liebesaffekt (amorosus affectus), die zusammengehen müssten, sodass die Vernunft der Liebe den Weg weise und die Liebe die Vernunft durch den Weg heimführe. Cf. Haas 2007: 22–26; Haas 2014: 126; Eckert 2017: 90. Bonaventura hatte in seinem Itinerarium mentis in Deum

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blickend definierte der pietistische Theologe Gottfried Arnold (1666– 1714) die mystische Theologie in seiner Historia et descriptio theologiæ mysticæ (1703) unter Rückgriff auf die Werke von Dionysios Pseudo-Areopagita, Bonaventura, Hugo de Balma (13. Jh.), Johannes Gerson, Dionysius Carthusianus (15. Jh.), Hendrik Herp (ca. 1410– 1477), Maximilian van der Sandt/Maximilian Sandaeus (1578–1656), Carolus Hersentius (17. Jh.), Constantin de Barbanson (1582–1631), Christian Hoburg (1607–1675), John Pordage (1607–1681), Pierre Poiret (1646–1719), David Heinrich Köpken (1677–1731) und Andere nicht nur als eine »erfahrungshafte Erkenntnis« (cognitio experimentalis) und »Vereinigung« (unio experimentalis) der Seelen mit Gott, sondern bestimmte die theologia mytica insgesamt als theologia experimentalis. 79 In La Fable Mystique (1982) hat der französische Jesuit und Historiker Michel de Certeau (1923–1986) wiederum gezeigt, dass sich das Substantiv »Mystik« und eine eigenständige mystische Tradition erst am Übergang vom 16. ins 17. Jahrhundert bilden. Die mystische Theologie wird zur Mystik, während der »mystische Theologe« seinerseits zum »Mystiker« wird. 80 Es erscheinen zahllose Traktate, in denen die Mystik außerhalb des Rahmens der scholastischen Theologie systematisch untersucht und eine Theologie der mystischen Erfahrung begründet wird. 81 Gleichzeitig bildet sich eine anti-mystische Strömung, die den Terminus pejorativ verwendet und wie der französische Bischof Jacques Bénigne Bossuet (1627– 1704) gegen den mystischen Quietismus einer Jeanne Marie Guyon du Chesnoy (1648–1717) oder eines Miguel de Molinos (1628–1696) zu Felde zieht.

hingegen das affektive gegenüber dem kognitiven Vermögen des Menschen betont und dies im siebten Kapitel, das den bezeichnenden Titel »Die mystische Entrückung der Seele, in der die Verstandestätigkeit zur Ruhe kommt, während das Gemüt ganz in Gott aufgeht« (De excessu mentali et mystico, in quo requies datur intellectui, affectu totaliter in Deum per excessum transeunte) trägt, auf folgende Formel gebracht: »[J]ede Geistestätigkeit [muß] aufhören und das tiefste Fühlen des Gemütes ganz in Gott aufgehen und in ihn umgewandelt werden.« Itinerarium mentis in Deum 7, 4. In: Bonaventura 1961: 151. Dem könnte man paradigmatisch die Lehre Meister Eckharts entgegenstellen, die Haas als »konsequente Vernunftmystik« bezeichnet hat. Haas 2007: 26. Zur Unterscheidung zwischen einer affektiven und einer spekulativen Richtung innerhalb der christlichen Mystik siehe Wendel 2011: 25 f. 79 Cf. Keding 2001: 54–57; Hamm 2007; Arnold 1969. 80 Cf. Certeau 2010: 175 f. 81 Cf. Steggink 1983: 17–24.

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Es ist unmöglich, an dieser Stelle allen Entwicklungswegen der Mystik ab dem 17. Jahrhundert nachzugehen oder die seit der Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert immer deutlicher werdende Opposition zwischen Rationalität und Mystik sowie deren Pathologisierung im Begriff des Mystizismus in allen Einzelheiten zu rekonstruieren. 82 Als paradigmatisches Beispiel mag hier die Geschichte und Kritik des Mysticismus aller bekannten Völker und Zeiten (1830) von Johann Christian August Heinroth (1773–1843) dienen, der 1811 auf den ersten deutschen Lehrstuhl für »Psychische Therapie« (Psychiatrie) an der Leipziger Medizinischen Fakultät berufen wurde und »im Mysticismus einen krankhaften Auswuchs des menschlichen Wesens« sah, der als »Quelle mannichfaltiger Seelenstörungen, und mannichfaltiger mit ihnen verknüpfter Leiden«, in »das Gebiet des psychischen Arztes« 83 gehöre. Die Mystik wird in dieser Zeit mit diskreditierenden Epitheta wie dunkel, unheimlich, verworren, subjektiv, antirational, geheimnisvoll, hinterwäldlerisch, versponnen, krankhaft, degeneriert und dekadent belegt und mit körperlichen Begleiterscheinungen wie Levitationen, Stigmatisationen, Telekinese und Telepathie sowie Lichtvisionen und Xenoglossie assoziiert. 84 Die mangelnde Objektivierbarkeit mystischer Erfahrungen sowie deren rational nicht einholbaren Inhalte wurden als gegenaufklärerisch und unphilosophisch kritisiert und die Mystik insgesamt als »Dekadenzsymptom des philosophischen Denkens bzw. des Denkens und Lebens überhaupt« 85 abgelehnt. Durch die materialistischen, darwinistischen und marxistischen Welterklärungen sowie die Arbeiten von Ludwig Feuerbach (1804– Näheres zur Diastase zwischen Theologie und Mystik, die sich seit dem Mittelalter über die Renaissance und Aufklärung bis in die katholische Modernismusdiskussion des 19. Jahrhunderts und in die Gegenwart hinein als eine Ausgrenzung der mystischen Theologie aus dem Rahmen der Theologie insgesamt dokumentiert, findet sich bei Haas 2007: 48–76. Eine erste Übersicht über das Mystikverständnis von Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer, James, Bergson und Wittgenstein gibt Margreiter 1997: 297–385. Zur Mystik in der Philosophie des Deutschen Idealismus siehe auch Benz 1952. 83 Heinroth 1830: v. Wertvolle Literaturhinweise zum Mystizismus-Diskurs des 19. Jahrhunderts finden sich in Wilhelm Traugott Krugs (1770–1842) Mystik-Artikel im zweiten Band seines Allgemeinen Handwörterbuchs der philosophischen Wissenschaften (1833). Cf. Krug 1833: 956 f. 84 Eine Beschreibung der körperlichen Begleiterscheinungen der Mystik gibt Thurston 1956. 85 HWPh: Mystik, mystisch. Bd. 6: 274. 82

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1872), Eugen Dühring (1833–1921), Max Nordau (1849–1923) und anderen Kritikern wird der Mystik-Begriff gegen Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend pejorativ besetzt und vornehmlich in psychopathologischen Kategorien gedeutet. 86 Trotz der damit verbundenen rationalistisch-biologistischen Engführung der Wirklichkeit hat die Tradition mystischen Denkens dem deutschen Literaturwissenschaftler Hans Dieter Zimmermann zufolge als ein »unterschwelliger Strom« aber stets das »offizielle Denken« begleitet, sodass die Grundlegung der modernen Philosophie und der modernen Künste zu Beginn des 20. Jahrhunderts sich maßgeblich auch in einem »Rückgriff auf die Mystik« 87 vollzogen habe. Auch Fritz-Dieter Maaß konstatiert ein »quälendes Krisenbewußtsein« 88 im Geistesleben Europas für diese Zeit, das vor allem nach dem ersten Weltkrieg in eine »Sehnsucht nach Mystik« 89 umschlug und sich in einer ständig anwachsenden Flut von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften zum Thema dokumentierte. Eine Konjunktur philosophischer, theologischer und religionsgeschichtlicher Forschung zur Mystik lässt sich mit dem Religionswissenschaftler Volkhard Krech allerdings bereits für die Jahrhundertwende feststellen. 90 Für die hier relevante erfahrungszentrierte Richtung der Mystik-Betrachtung sowie eine philosophiegeschichtliche Einordnung von Loys Buddhismusinterpretation und phänomenologische Analyse seiner nondualen Erfahrung ist vor allem das religionspsycholoFeuerbach bestimmt Mystizismus in Das Wesen des Christentums (1841) als Deuteroskopie und den Mystiker als denjenigen Denker, der einen eingebildeten Gegenstand für wirklich halte und damit zur Theologie erhebe, was ansich nur Pathologie sei. Cf. Feuerbach 1956: 155 f. Dühring widmet »der Verworrenheit des Mysticismus« in seiner Kritischen Geschichte der Philosophie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (1873) unter dem Abschnitt »Gänzliches Verkommen der Philosophie« ein eigenes Kapitel, in dem er den »Verfall in den Mysticismus« als ein »untrügliches Zeichen der philosophischen Auflösung« deutet. Die »Gedanken- oder vielmehr Gemüthsrichtung« der Mystik sei der »grade Gegensatz des verstandesmässigen Verhaltens.« Dühring 1873: 163. Nordau entfaltet im »Mysticismus«-Kapitel seines zweibändigen Werks Entartung (1892–1893) eine umfassende Psychologie des »Mysticismus der Degenerirten« und »Entartungs-Mysticismus«. Nordau 2013: 119, 238. Näheres zum Verhältnis der akademischen Psychologie zur Mystik bei Walach 2017: 23–27. 87 Zimmermann 1982: 9 f. 88 Maaß 1981: 17. 89 Maaß 1981: 25. 90 Cf. Krech 2002: 266 f. Näheres zum Neuaufbruch der Mystik im 20. Jahrhundert bei Schilson 1998. Eine historische Einführung in die Anfänge der Mystikforschung findet sich bei Widmer 2004: 3–14. 86

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gische Werk von William James in historischer und systematischer Hinsicht von überragender Bedeutung, denn neben seiner Vermittlungsfunktion der von Richard Avenarius grundgelegten Philosophie »reiner Erfahrung«, deren Wirkungsgeschichte von Avenarius und James über Suzuki, Nishida und Yamada bis zu Loy reicht, gilt James auch als »Begründer der materialistischen und der metaphysischen Mystikforschung« 91. Im Winter 1901/1902 hielt James an der Universität von Edinburgh seine Gifford Lectures über Natürliche Theologie (theologia rationalis), die er unter dem Titel The Varieties of Religious Experience (1902) publizierte und die den Beginn der Erforschung der Mystik als eines universalen religionsgeschichtlichen Phänomens markieren. James wendet sich dabei in seinen religionspsychologischen Betrachtungen gegen die reduktionistische Denkweise der Vertreter eines »medizinischen Materialismus« seiner Zeit, die alle religiösen und mystischen Erfahrungen auf eine Dysfunktion der Drüsen oder eine Autointoxikation der Organe reduzierten und jeden Anspruch auf einen spirituellen Wert pauschal zurückwiesen, indem sie eine umfassende Pathologisierung vornahmen und Paulus kurzerhand zum Epileptiker, Franz von Assisi (1181–1181) zum Erbgeschädigten und Theresa von Ávila (1515–1582) zur Hysterikerin erklärten. 92 Dennoch räumt auch James psychopathologischen Phänomenen im Rahmen seiner Mystiktheorie ihr relatives Recht ein, insofern er gültige und trügerische mystische Erfahrungen voneinander unterscheidet und erstere dem Bereich genuiner Mystik zurechWidmer 2004: 35. Grundlegend zu James’ Mystikverständnis bleibt Barnard 1997; Barnard 1998. 92 Cf. James, W. 2002: 13 f. Noch auf dem 7. Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung in Berlin (1922) wird der ungarische Arzt und Psychoanalytiker Franz Alexander (1891–1964) die buddhistische Versenkungspraxis als eine »libidinöse narzißtische Wendung des Erkenntnisdranges gegen die eigene Person« interpretieren. Die »katatonen Zustände der indischen Asketen in der Versenkung« würden dies nur bestätigen und bezeugen, dass es sich dabei um eine Art künstliche Schizophrenie und »narzißtisch-masochistische Angelegenheit« handle. Alexander 1923: 37 f. Der Beitrag wurde später wiederveröffentlicht als Alexander 1931. Ausführlich dazu Baier 1998: 203–209. Die Pathologisierung der Mystik wird der Gründervater der Humanistischen Psychologie Abraham H. Maslow (1908–1970) in seiner Psychologie des Seins (1962) nicht nur zurückweisen, sondern seinerseits das »normale« Alltagsbewusstsein des Menschen als »Psychopathologie des Durchschnittlichen« kritisieren: »Die existentialistische Erforschung des authentischen Menschen und des authentischen Lebens hilft uns, die allgemeine Unechtheit, das Leben mit Illusionen und Angst, in ein grellers, klares Licht zu stellen und als weitverbreitete Krankheit aufzudecken.« Maslow 1981: 34. 91

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net, während er letztere als Verfallsformen und degenerierte Spielarten unter den Begriff einer »diabolischen Mystik« (»diabolical mysticism« 93) subsumiert. James zentrale Absicht ist allerdings die grundsätzliche Rehabilitation eines Teilbereiches des breitgefächerten Spektrums des mystischen Bewusstseins, in deren Zusammenhang er auch die bekannteste und einflussreichste phänomenologische Beschreibung der allgemeinsten Charakteristika mystischer Erfahrungen in Form eines Merkmalskataloges vorlegt. Solche phänomenologischen Synopsen wurden in der Nachfolge von Mystikforschern unterschiedlichster Provenienz erarbeitet und haben zu einem erheblich differenzierteren Verständnis mystischer Erfahrung beigetragen. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese primär texthermeneutisch orientierten Studien zudem durch alternative Ansätze komplementiert, die ihre Merkmalskataloge anhand qualitativ und quantitativ ausgerichteter empirischer Forschung gewonnen haben. Als materiale Grundlage für die im Folgenden zu entwickelnde Phänomenologie nondualer Erfahrung können dabei aus dem breiten Spektrum der Versuche, die Elemente mystischer Erfahrung umfassend zu klassifizieren, exemplarisch nur die profiliertesten Forschungsansätze berücksichtigt werden.

9.2.2. Typologien der Mystik und mystischen Erfahrung Der Versuch, Loys nonduale Erfahrung im Mystikdiskurs zu verorten und eine Phänomenologie nondualer Erfahrung zu entwickeln, wird wesentlich durch den Umstand erschwert, dass es nicht die mystische Erfahrung gibt, sondern seit James eine Vielzahl verschiedener Typen voneinander unterschieden wurde. Während Friedrich von Hügel (1852–1925) in The Mystical Element of Religion (1909) zwischen einer weltabgewandten »exklusiven Mystik« und einer weltzugewandten »inklusiven Mystik« unterschied und der schwedische Lutheraner, Religionswissenschaftler und spätere Erzbischof von Uppsala Nathan Söderblom (1866–1931) die Mystik in Persönlichkeits- und Unendlichkeitsmystik unterteilte, findet sich in Rudolf Ottos (1869–1937) Typologie bereits eine dreifache Unterscheidung in Erkenntnis-, Illuminaten- und voluntaristische Empfindungsmys93

James, W. 2002: 426.

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Reflexion und Rezension

tik. 94 Gegenüber der Illuminatenmystik, die es Otto zufolge mit visionärer Phantastik, okkulten Gesichten und Schauungen, Magie, Wundersucht, physikalischen Ekstasen und Anfällen sowie nervösen Reizungs- und Überreizungszuständen zu tun hat, will die voluntaristische Empfindungsmystik in »schmelzenden Gefühlen« die »Einheit mit dem Real-Göttlichen« 95 erfassen, während die Erkenntnismystik einen rationalen Zugang bemüht. 96 Robert Charles Zaehner (1913–1974) unterschied in Mysticism, Sacred and Profane (1957) mit einer panenhenischen – von Pan-en-hen-ismus: »Allesin-einem-ismus« 97 – bzw. naturmystischen, monistischen und theistischen ebenfalls drei Grundformen mystischen Erlebens voneinander, die er in seinen als Concordant Discord. The Interdependence of Faiths (1970) publizierten Gifford Lectures aus den Jahren 1967–69 modifizierte und erweiterte. Allein in der indischen Mystik seien vier Arten klassifizierbar, die er als mystische Erfahrung eines kosmischen Bewusstseins, der Transzendenz der Zeit, des absoluten Einsseins und der unendlichen Liebe zu Gott charakterisierte. 98 Im Anschluss an Cf. Hügel 1923: 264, 290 f., 297, 309, 319, 348, 351, 391; Söderblom 2011: 99; Otto 1972: 34, 82–86. 95 Otto 1972: 85. 96 Hinsichtlich ihres Gegenstandes teilt Otto die Mystik weiterhin in Geistes- und Naturmystik und unterscheidet innerhalb der Geistesmystik eine Seelen-/Ātmanund Gottes-/Brahman-Mystik voneinander. So ist die Seelenmystik nach Otto ganz Selbstvernehmung; sie will als Form der Geistesmystik die eigene Seele in ihrem wahren Wesen realisieren, das frei von Subjekt und Objekt und der Dreiheit von Erkenner, Erkennen und Erkanntem ist. Als solche kann sich die Seelenmystik wiederum zur Gottesmystik ausweiten, wenn der mystische Zustand nicht mit der Seele identifiziert, sondern als »weiselose, überbewußte, überpersönliche, objekt- und subjektlose ›Gottheit‹« interpretiert wird. Otto 1972: 94. Demgegenüber ist die Naturmystik mit ihrem Expansions- und Erweiterungsgefühl für Otto »das Weben des Gefühles im All-Einen der Natur, so, daß man alle Eigenart, alles Besondere der Naturdinge zugleich in sich selber fühlt« und man »alles Sein, alle Kraft, alle Wonne, alle Lust, alle Pein in allen Dingen selber lebt und ist, in Ungeschiedenheit.« Otto 1972: 88. Darüber hinaus finden sich in Ottos Typenunterscheidung Begriffe wie Kultmystik, Unendlichkeitsmystik, Majestätsmystik, Gnadenmystik, Seinsmystik und Willensmystik. Otto unterscheidet fernerhin zwischen einer statischen und einer dynamischen Mystik sowie zwischen einer Mystik der Selbstversenkung und einer Mystik der Einheitsschau. 97 Zaehner 1960: 52. 98 Zaehner 1980: 240–244. Zaehners Unterteilung in (panenhenische) Naturmystik, monistische und theistische Mystik wurde vom britischen Religionswissenschaftler und Religionshistoriker Ninian Smart (1927–2001) kritisiert, der stattdessen dafür argumentiert hat, dass die monistischen und theistischen kontemplativen Erfahrun94

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Nondualismus und Mystik

Zaehner hat Josef Sudbrack mit einer Selbst-, Kosmos- bzw. Naturund Gottesmystik wiederum drei innerlich zusammenhängende Grunderfahrungen der Mystik voneinander unterschieden. 99 Erstere sieht er paradigmatisch in Plotin, dem japanischen Zen-Buddhismus und der hesychastischen Tradition der Mönche vom Berg Athos verwirklicht. Hier werde die gegenstandlose Einheitserfahrung eines überindividuellen Selbst zum metaphysischen Maßstab und der Mensch realisiere seine Identität mit einem letzten unpersönlichen Welt- und Seinsgrund. Die kosmische Naturmystik beschreibt Sudbrack anhand der Analysen des katholischen Theologen und Philosophen August Brunner (1894–1985) als »All-Erfahrung« und »Strom des Vitalen« 100, während die letzte und von Sudbrack als Vollendungsgestalt bestimmte Gottes-, Persönlichkeits- oder Begegnungsmystik sowohl die bloße Innerlichkeit der Selbstmystik als auch die kosmische Einheitserfahrung der Naturmystik in der Begegnung mit der beiden zugrundeliegenden Einheit Gottes übersteige, wobei diese ekstatische Grunderfahrung der Gottesmystik nicht auf eine letzte Seinseinheit ziele, sondern in der personal-dialogischen Einheitserfahrung der Liebe und radikalen Offenheit auf das transzendente Du Gottes als dem letzten, unbegrenzten Horizont gründe. 101 Anhaltenden Einfluss hat der britische Philosoph Walter Terence Stace (1886–1967) mit seiner in Mysticism and Philosophy (1960) elaborierten Unterscheidung zwischen einer extrovertierten und introvertierten Form der mystischen Erfahrung auf den Diskurs ausgeübt, die systematisch an Ottos Unterscheidung zwischen einer Mystik der Einheits- und Innenschau anschließt und an die von Augustinus (354–430 n. Chr.) eingeführte Unterscheidung in cognitio vespertina und cognitio matutina erinnert, wie sie Ernst Bergmann (1981–1945) in seiner Entsinkung ins Weiselose (1932) interpretiert hat. 102 Dabei wendet sich die extrovertierte Erfahrung der sinnlichen gen im Wesentlichen identisch seien. Smart stellt Zaehners Analyse der Mystik die folgenden drei Thesen entgegen: »(1) Phenomenologically, mysticism is everywhere the same. (2) Different flavours, however, accrue to the experiences of mystics because of their ways of life and modes of auto-interpretation. (3) The truth of interpretation depends in large measure on factors extrinsic to the mystical experience itself.« Smart 1965: 87. 99 Cf. Sudbrack 1988: 90. 100 Sudbrack 1988: 96. Cf. Brunner, A. 1972: 13–46. 101 Cf. Sudbrack 1988: 97–112; Sudbrack 1990: 59–62. 102 Cf. Otto 1971: 44. Die introvertierte Form der Mystik beschreibt Otto als »Abkehr von allem Außen, Rückzug in die eigene Seele, in ihre Tiefe, Wissen um eine geheim-

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Außenwelt zu, während die introvertierte Erfahrung eine Abkehr von der Sinnenwelt und Einkehr in die Innerlichkeit des Geistes vollzieht. 103 Während Delmas Lewis und Paul J. Griffiths diese Unterscheidung als defizitär abgelehnt haben, haben Jerome Gellman und Daniel Kurstak sowie der amerikanische Psychiater und Theologe Walter Norman Pahnke (1931–1971), der Religionspsychologe Ralph W. Hood und der Religionsphilosoph William J. Wainwright in ihren Studien wiederum explizit daran angeschlossen. 104 So untergliedert Wainwright die extrovertierte Mystik in vier Typen, wobei neben der buddhistische Leerheitserfahrung der phänomenalen Welt die restlichen drei als Erfahrung der Einheit oder Identität mit der Natur, als Erfahrung des Universums als lebendiger Präsenz und als Erfahrung der Existenz in einem zeitlosen Jetzt Variationen dessen sind, was gemeinhin unter Naturmystik firmiert. 105 Diesen vier Fornisvolle Tiefe und um die Möglichkeit, in sie sich zurück- sich einzuziehen, Mystik als Selbstversenkung […], nämlich als Versenkung in sich, um nun im Inneren selbst zum intuitus zu gelangen und hier das Unendliche oder Gott oder Brahman zu finden […]. Hier blickt man nicht auf die Welt. Hier blickt man nur in sich. Und zur endlichen Schau braucht man keine Welt.« Otto 1971: 45 f. Die extrovertierte Form der Mystik blickt hingegen »auf die Welt der Dinge in ihrer Mannigfaltigkeit.« Otto 1971: 47. Diese »Einheitsschau« ist gemäß ihrer Intensität für Otto noch einmal dreifach gestaffelt. Cf. Otto 1971: 50–60. Die cognitio matutina erkennt Bergmann zufolge »Gott ohne Mittel in seiner klaren Bloßheit«, während die cognitio vespertina Gott »in seinem farbigen Bilde und Kleide, im Symbol der organischen Gestalt, der Blume, dem Tier, dem Windesrauschen, dem Wellengemurmel« findet. Während die cognitio vespertina nach außen »in unsere sechs Sinne flüchtet«, sucht die cognitio matutina den transmentalen und transphänomenalen weiselosen Gott innen »in der transzendentalen Apperzeption.« Bergmann 1932: 78 f. 103 Cf. Stace 1961: 61 f. 104 Cf. Wainwright 1981; Gellman 2001; Kurstak 2008: 16 f. Als Doktorand von Timothy Leary (1920–1996) erlangte Walter N. Pahnke vor allem durch sein »GoodFriday-/Marsh-Chapel-Experiment« von 1962 Berühmtheit, als er zwanzig Theologie-Studenten während einer Karfreitagsmesse entweder Psilocybin oder ein aktives Placebo verabreichte, um die entheogenen Eigenschaften der Halluzinogene zu testen. Cf. Pahnke/Richards 1966. Hood hat im Anschluss an Stace einen MystikFragebogen (Mysticism Scale) zur empirischen Erfoschung mystischer Erfahrungen entwickelt. Cf. Hood 2001: 20–31. 105 Griffiths und Lewis schlagen eine alternative, dreifach untergliederte Typenunterscheidung der Mystik vor. Sie unterscheiden dabei (1) eine Reihe von Erfahrungen, deren intentionales Objekt das materielle Universum als Ganzes sei und dessen Hauptmerkmal in der Erkenntnis zuvor unbekannter Informationen über die Objekte darin bestehe, wie z. B. die enge Verbindung zwischen dem Erfahrenden und dem Erfahrenen oder der Leerheit aller Phänomene etc.; davon seien (2) diejenigen Erfahrungen innerhalb des Spektrums der Mystik unterschieden, die sich auf eine kosmo-

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men der extrovertierten Mystik stellt Wainwright zwei Formen der introvertierten Mystik entgegen, die er als monistische und theistische Erfahrung voneinander unterscheidet, wobei er die monistische Form als enstatische Erfahrung eines reinen Bewusstseins beschreibt, dessen Einheit in der theistischen Form auf die allumfassende Transzendenz Gottes hin überstiegen wird. 106 Der extrovertierten Form der mystischen Erfahrung – »in which the world is seen anew, transformed by unity, knowledge, light, love, eternity« 107 – hat Paul Marshall mit Mystical Encounters with the Natural World (2005) die bislang umfassendste Studie gewidmet, in der er gegenüber Wainwright nicht verschiedene Typen, sondern Stufen der extrovertierten mystischen Erfahrung voneinander unterscheidet. Insgesamt nennt Marshall siebzehn Merkmale, wobei die folgenden acht entscheidend für ihn sind, um eine mystische Erfahrung als extrovertiert qualifizieren zu können: Die Einheit (unity) mit der Welt oder einem Teil von ihr; die Inkorporation der Welt in das Selbst(-gefühl) (self); ein intuitives Verständnis (comprehension) der Welt; eine Liebe (love), die alle Dinge umfasst; eine umfassende Sicht (vision) der Welt und ihrer außergewöhnlichen Schönheit (beauty); die leuchtende (luminous) Verklärung der Umwelt sowie ein verändertes Zeitempfinden (temporality), das alle Zeiten und Orte umfasst. 108 Von besonderem Interesse ist Marshalls Studie, weil er die von Loy genutzte Hua-yen-Metapher des Meeresspiegel-Samādhis (sāgara-mūdra-samādhi) als »oceanic vision of totality« 109 explizit zu den extrovertierten Formen mystischer Erfahrung zählt und sich logisch differente und transzendente Wirklichkeit richten, die normalerweise als personal erfahren werde und weder mit dem Bewusstsein des Mystikers noch mit dem Universum identifiziert werde; als letzte Art der mystischen Erfahrung nennen Griffiths und Lewis (3) eine wahrhaft introvertierte Erfahrung, die nur sich selbst zum Objekt habe und daher vermutlich ohne kognitiven Wert sei. Cf. Lewis/Griffiths 1985: 298 f. 106 Cf. Wainwright 1981: 33–41. 107 Marshall, P. 2005: 25. 108 Cf. Marshall, P. 2005: 28. Die siebzehn Merkmale sind: Unity, Self, Knowledge, Love, Beauty, Miscellaneous feelings, Time, Reality, Realness, Life, Presence, Attention, Vision, Sound, Body, Fusion, Paranormal. Eine ausführliche Beschreibung findet sich in Marshall, P. 2005: 27, 59–81. »Mystisch« ist eine Erfahrung Marshall zufolge, wenn sie mindestens eines der folgenden drei Merkmale aufweist: »[P]rofound sense of unity, profound sense of knowledge, profound sense of contact with reality.« Marshall, P. 2005: 2. 109 Marshall, P. 2005: 46.

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in seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen nondualer Bewusstheit (nondual awareness) wiederholt auf Loy bezieht. 110 Als Vertreter eines »nondualen Bewusstseins der Welt« (»nondual awareness of the world« 111) zählt er Loy neben Edward Carpenter (1844– 1929), Henry Nelson Wieman (1884–1975), Arthur J. Deikman (1929–2013) und Richard H. Jones zu denjenigen Theoretikern innerhalb des Mystik-Diskurses, die Zustände nondualer Bewusstheit als Ergebnis einer umfassenden De-Konditionierung und De-Automatisierung der Erfahrung beschreiben. Dabei unterscheidet Marshall zwei Formen nondualer Erfahrung voneinander: Erstere expliziert er im Anschluss an Śaṅkaras Advaita-Vedānta als inhaltsleere Erfahrung eines reinen Bewusstseins und subsumiert sie unter die introvertierten Formen mystischer Erfahrung. Als solche entspricht sie in der hier elaborierten trichotomen Typologie der Nondualität der Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra). Davon unterscheidet Marshall die extrovertierte Form der nondualen Erfahrung als »content-rich«, »nondual awareness of multiplicity« 112 und »purified phenomenal stream« 113, wobei er die zentrale Differenz zwischen der nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) und der nach der Erleuchtung erlangten Erfahrung der phänomenalen Welt (laukikapṛṣṭhalabdha-jñāna) nicht hinreichend berücksichtigt. Dies führt dazu, dass ihm die exakte Einordnung dieser nondualen Erfahrungsform im Spektrum der extrovertiert-mystischen Erfahrungen Probleme bereitet: It is not at all obvious why reduction of self-other discriminations or a ›Gestalt-like‹ switch of awareness in the phenomenal stream should bring a sense of all-inclusive knowledge, a deep sense of meaning, specific insights, world-encompassing love, temporal inclusivity, special luminosities, vastly expanded vision, the auditory ›hush‹, a sense of presence, somatic phenomena, and some deeper aspects of unity (communal, interconnective, source unities). 114

Marshall versucht dieses Problem zu lösen, indem er zwischen einer gewöhnlichen und einer noumenalen Form der Weltwahrnehmung 110 111 112 113 114

Cf. Marshall, P. 2005: 46, 197–203, 248 ff. Marshall, P. 2005: 199. Marshall, P. 2005: 200. Marshall, P. 2005: 203. Marshall, P. 2005: 203.

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differenziert und ein Spektrum verschiedener Intensitätsgrade nondualer Bewusstheit voneinander unterscheidet. In ihrer oberflächlichsten Form werde der Strom phänomenaler Erfahrung durch eine Reduktion der Subjekt-Objekt-Spaltung nondual, wodurch Gefühle der Einheit, der Klarheit der Wahrnehmung, des Lebens im Jetzt, des Friedens und der Freude entstünden, aber keine dramatischen Veränderungen einträten. In intensiveren Formen trete der noumenale Hintergrund der Erfahrung immer mehr in den Vordergrund, den er als »perfectly clear, luminous, highly noetic, fully detailed, and temporally inclusive« 115 charakterisiert. Luminöse Verklärungen des phänomenalen Gehalts der Erfahrung, fortgeschrittene Gefühle der Einheit, ein wachsendes Gefühl von Bedeutung und Wissen sowie eine signifikant alterierte Zeitempfindung seien das Ergebnis dieser fortgeschrittenen Integration. In ihrer vollendeten Form werde die Welterfahrung von ihrem noumenalen Gehalt ganz beherrscht, sodass der Mystiker eine all-umfassende Einheit, letztgültiges Wissen, eine kosmische Schau, Ewigkeit und Liebe erfahre. 116 Marshalls Studie ist für eine umfassende Typologie und exakte Phänomenologie nondualer Erfahrung im Allgemeinen und einen Vergleich mit Loy im Besonderen allerdings nur bedingt geeignet, denn sie identifiziert das kenshō-Erlebnis, das als nonduale Erfahrung eines nirvikalpa-Erlebnisses für Loy den eigentlichen Erfahrungskern des Zen-Buddhismus darstellt, mit der oberflächlichsten Form nondualer Bewusstheit. 117 Zwar geht auch Loy davon aus, dass einer ersten »Wesensschau« (kenshō) die graduelle Kultivierung bis zur vollständigen Erleuchtung (satori) folgt, aber im kenshō-Erlebnis wird die letzte Wirklichkeit als nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) nicht nur oberflächlich berührt, sondern letztgültig realisiert, sodass die Kultivierung lediglich die sukzessive Integration dieser Erfahrungswirklichkeit im alltäglichen Leben und ein immer intensiveres Erleben des Kosmos sub specie vanitatis et vacui betrifft. Darüber hinaus bleibt fragwürdig, ob Loys nonduale Erfahrung als extrovertierte Form mystischer Erfahrung treffend charakterisiert ist, denn trotz ihrer sinnlichen Qualität kann in der nondualen Erfahrung eines einzelnen nirvikalpa-Erlebnisses Marshall, P. 2005: 267. Cf. Marshall, P. 2005: 267. 117 Eine eingehende Kritik von Marshalls Studie kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Ich verweise auf die kritische Diskussion der Arbeit durch Perovich 2011. 115 116

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wohl kaum von einer äußeren »Welt« die Rede sein, deren Erfahrung vielmehr der post-kenshō Erfahrung (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) vorbehalten bleibt. Der systematische Zugriff lässt sich mit Blick auf Richard H. Jones’ umfassende Studie Philosophy of Mysticism (2016) weiter differenzieren und abschließend qualifizieren. Im Anschluss an Stace, Wainwright und Marshall hat Jones eine Typologie vorgeschlagen, die insgesamt vier Formen extrovertierter und drei Formen introvertierter Mystik voneinander unterscheidet. Die Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) kann als introvertierte Form der mystischen Erfahrung mit Jones nun dreifach ausdifferenziert werden in (1) personal-theistische (theistic experiences of connectedness or identiy with God in mutual love) und (2) apersonal-nontheistische Erfahrungen einer transzendenten Wirklichkeit (nonpersonal differentiated experiences) sowie (3) mystische Tiefenerfahrungen ohne jeden differenzierbaren Gehalt (depthmystical experience empty of all differentiable content). Dabei ist auch für Jones die sinnliche Qualität der Erfahrung das entscheidende Kriterium, anhand dessen zwischen introvertierten und extrovertierten Formen mystischer Erfahrung unterschieden werden muss. 118 Beide Formen nondualer Erfahrung, die Loy nicht begrifflich, aber inhaltlich voneinander unterscheidet, müssten demnach als extrovertierte Formen mystischer Erfahrung interpretiert werden, derer Jones insgesamt vier nennt: (1) Das Gefühl der Verbundenheit (»Einheit«) mit der Natur, das mit einem Verlust des Gefühls starrer Grenzen innerhalb der Natur einhergeht; (2) das leuchtende Glühen der Natur, das für die Naturmystik charakteristisch ist; (3) die naturimmanente Gegenwart Gottes, der außerhalb der Zeit durch die Natur des »kosmischen Bewusstseins« (cosmic consciousness) durchscheint sowie (4) das Fehlen separater, selbst-existierender Entitäten in mystischen Achtsamkeitszuständen. 119 Die dritte Form der extrovertiert-mystischen Erfahrung scheidet aufgrund ihrer transzendenten Dimension für einen Vergleich mit Loys nondualen Erfahrungen aus. Loys nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) lässt sich hingegen begründet als Extremform der vierten Variante zuordnen, die Jones auch als »mystische Achtsamkeit« (mystical mindfulness) kennzeich118 119

Cf. Jones, Ri. 2016: 6. Cf. Jones, Ri. 2016: 33.

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net und in ihrer radikalen Befreiung der Wahrnehmung von allen konzeptionellen, dispositionellen und emotionellen Überlagerungen scharf gegen konventionelle Formen der Achtsamkeit (conventional mindfulness) abgrenzt. 120 Trotz unterschiedlicher Terminologie kommen Loy und Jones dabei zu weitgehend analogen Ergebnissen, da beide eine Rückkehr zur elementarsten Form der sinnlichen Anschauung ohne Bezug auf die formgebende Tätigkeit des Verstandes beschreiben, was Jones folgendermaßen formuliert: »We normally see rugs and hear trucks–with pure mindfulness all structuring would be removed and we would see patches of color and texture free of rugness and hear sourceless noises. This is a ›bare attention‹ to what is presented to our senses, without attention to anything in particular and with no accompanying intellectual expectations or emotional reactions.« 121

120 »Both involve attention, but mystical mindfulness involves an ›unknowing‹–emptying one’s mind of all conceptual, dispositional, and emotional content. Everyday mindfulness involved keeping some idea in mind–e. g., being mindful of our rights or of out status in society. It is a matter of actively drawing distinctions, not passive perceptual receptivity.« Jones, Ri. 2016: 349 f. Als Form »konventioneller Achtsamkeit« umfasst die buddhistische Achtsamkeitsmeditation entsprechend ihrer Darstellung im Satipaṭṭhāna-Sutta die vier Grundlagen der Achtsamkeit (skt. smṛtiupasthana; pāḷi sati-paṭṭhāna), die als direkter Weg zum nirvāṇa beschrieben werden und in der Betrachtung des Körperlichen (pāḷi kāyānupassanā), der Gefühle (pāḷi vedanānupassanā), des Bewusstseins (pāḷi cittānupassanā) und der »Geistobjekte« (pāḷi dhammānupassanā) bestehen. Eine ausführliche Darstellung und eingehende Analyse der Achtsamkeitsmeditation sowie Studien damit zusammenhängender Gegenstände finden sich bei Anālayo 2010; Anālayo 2013 und Anālayo 2017. Gegenüber der Satipaṭṭhāna-Variante zielt die geistige Entwicklung (bhāvanā) von Einsicht (skt. vipaśyana; pāḷi vipassanā: Einsicht, Hellblick, Klarsicht) auf die intuitive Erkenntnis der drei Daseinsmerkmale der Vergänglichkeit (skt. anitya; pāḷi anicca), der existentiellen Frustration und Leidhaftigkeit (skt. duḥkha; pāḷi dukkha) sowie der Wesenlosigkeit (skt. anātman; pāḷi anatta) aller körperlichen und geistigen Daseinserscheinungen. Cf. Visuddhimagga 628–630, 698–710; Nyānatiloka 1975: 750–755, 839– 855. Eine allgemeine Übersicht über die Meditations- und Kontemplationspraktiken des Pāḷi-Buddhismus bieten Freiberger/Kleine 2015: 233–238. 121 Cf. Jones, Ri. 2016: 15, 349. Loys nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) weist damit einige Parallelen zur indischen und tibetischen Mahāmudrā-Theorie und -Praxis auf, in deren Zentrum nicht die vollständige Unterdrückung der sinnlichen Erfahrung, sondern die Überwindung der erfahrungsinhärenten Dualität von wissendem Subjekt und gewusstem Objekt (grāhya-grāhakadvaya) steht und deren »mindfulness of mere non-distraction« (ma yengs tsam gyi dran pa) John D. Dunne als »nonduale Achtsamkeit« (nondual mindfulness) expliziert. Cf. Dunne 2011; Gethin 2015: 27 f.

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Die ersten beiden Formen der extrovertiert-mystischen Erfahrung könnten theoretisch unter den Begriff der nach der Erleuchtung erlangten Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdhajñāna) subsumiert werden. Allerdings unterscheidet auch Jones zwischen der mystischen Erfahrung und einem daran anschließenden Zustand der Erleuchtung, in dem die Erfahrung internalisiert und eine dauerhafte Transformation der Weltwahrnehmung und Psyche des Mystikers vollzogen wurde. Dieser Zustand könne variieren, je nachdem ob die mystische Erfahrung introvertiert oder extrovertiert gewesen sei, wobei Jones die existentielle Erkenntnis des Fehlens eines separaten und unabhängigen Egos als gemeinsames Charakteristikum nennt. 122 So würde der Advaitin die phänomenale Welt nach der introvertierten Transzendenzerfahrung als transparente Erscheinung des akosmisch Absoluten (nirguṇa-brahman) erfahren, während die wesenhafte Integralität der phänomenalen Welt für Loys extrovertierte Totalitätsschau entscheidend ist. 123 Zwar kehren sowohl der introvertierte als auch der extrovertierte Mystiker nach ihrem Erleuchtungserlebnis zur Erfahrung einer begrifflich konstruierten Welt der Subjekt-Objekt-Spaltung zurück, aber der Kosmos wird fortan wahrheitsgemäß erkannt (yathābhūtadarśana), was für den extrovertierten Mystiker »free of distinct objects, interconnected, and in constant flux« 124 bedeutet. Das Leben in der Welt wird an diesem transformativen Erlebnis letzter Wirklichkeit neu ausgerichtet, das einen Zustand der Offenheit und Freiheit von allen Anhaftungen und Sorgen ermöglicht, die normalerweise durch das trügerische Gefühl eines individuellen Selbst verursacht werden: The enlightened live with all attention focused on the present, free of the background noise produced by the dichotomizing mind. They act toward what is presented spontaneously and effortlessly without reflection as their way of life and values dictate, indifferent to success or failure. All the actions of the enlightened are non-self-assertive actions (wuwei) automatically following the Way and not assertions of personal interests. […]. In Zen, the action is called ›nondual‹ because there is no sense of a duality of independently real actor and action. 125

122 123 124 125

Cf. Jones, Ri. 2016: 26 f. Cf. Jones, Ri. 2016: 29 f. Jones, Ri. 2016: 27. Jones, Ri. 2016: 31.

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Darüber hinaus findet auch die konstitutive Differenz zwischen einer asymmetrischen (advaitavāda) und symmetrischen (advayavāda) Nondualität ihr Gegenstück in Jones’ Typologie der Mystik, der analog zwischen einer vertikalen und horizontalen Form der Nondualität unterscheidet. 126 Der vertikalen Nondualität entspricht dabei die introvertiert-mystische Transzendenzerfahrung einer absolut einfachen und schlechthin vielheitslosen Einheit jenseits weltlicher Phänomenalität, während der horizontalen Nondualität die extrovertiert-mystische Achtsamkeitserfahrung der nondualen Wirklichkeit unserer sinnlichen Erfahrung korrespondiert: »Introvertive mysticism thus involves a timeless, immutable, and changeless ›vertical‹ dimension to reality, while mindfulness metaphysics involves the constantly changing ›horizontal‹ world of becoming.« 127 Damit ist es abschließend möglich, die trichotome Typologie der Nondualität im Mystikdiskurs zu verorten und damit näher zu spezifizieren: Introvertiert-mystische Erfahrungen (kognitive Nondualität)

Asymmetrisch-vertikale Nondualität (advaitavāda) (I) Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra)

Symmetrisch-horizontale Nondualität (advayavāda) (II) Nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra)

126 127

(1) Personal-theistische Erfahrung transzendenter Wirklichkeit (2) Apersonal-nontheistische Erfahrung transzendenter Wirklichkeit (3) Mystische Tiefenerfahrung ohne jeden differenzierbaren Gehalt

Extrovertiert-mystische Erfahrung (kognitive Nondualität)

Mystische Achtsamkeit

Affektiv-existenzielle Nondualität (III/1) Nach der Erleuchtung (I) erlangte Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna)

Affektiv-existenzielle Nondualität (III/2) Nach der Erleuchtung (II) erlangte Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna)

Cf. Jones, Ri. 2016: 34. Jones, Ri. 2016: 33 f.

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Reflexion und Rezension

9.2.3. Phänomenologie der nondualen Erfahrungen Indem sowohl Loys nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) als radikale Form »mystischer Achtsamkeit« als auch seine post-kenshō Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) innerhalb des Spektrums der extrovertierten Mystik verortet werden konnten, erweisen sich für eine phänomenologische Beschreibung des Eigenwesens dieser nondualen Erfahrungen bereits die meisten Phänomenologien mystischer Erfahrung als weitestgehend ungeeignet, da ihre Merkmalskataloge primär an introvertierten Formen gewonnen wurden. So sind die Ziele der Mystik Underhill zufolge transzendent und spirituell, insofern der Mystiker im übergeordneten Streben nach dem wandellosen Einen die sichtbare Welt beiseiteschiebe, während die Husserl-Schülerin und Parapsychologin Gerda Walther (1897–1977) in ihrer Phänomenologie der Mystik (1923) nur diejenigen Transzendenzerfahrungen zum mystischen Erleben rechnet, die beanspruchen, »ein direktes, leibhaftiges, wenn auch unvollkommenes und wohl auch stets einseitiges Erleben der Gottheit selbst zu sein.« 128 Ihr Ziel ist es, das menschliche »Grundwesen« im mystischen Erleben zu erfassen und damit auch etwas über Gott als »Wesensgrund« dieses Grundwesens in Erfahrung zu bringen. Mystik ist für Walther wesentlich introvertiert, insofern sich der Mensch »als Besitzer einer geistigen Lichtsphäre in seinem Inneren« erlebt, die »in sich über sich selbst hinausweist auf eine geistige Urquelle« 129, i. e. Gott. 130 Aus analogen Gründen kann auch die psychologische Phänomenologie mystischer Phänomene des Bremer Internisten Carl Eduard Albrecht (1902– 1965) in all ihren subtilen Unterscheidungen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, da sie sich wesentlich auf introvertierte Formen mystischen Erlebens beschränkt und Albrecht wie Jordan Paper in seiner Phänomenologie der Mystik davon ausgeht, dass auf dem Höhepunkt der mystischen Erfahrung »eine Bewußtseinslücke anzunehmen« sei, weshalb die »vorher und nachher ablaufenden Erlebnisreihen« 131 nicht erhellbar seien. 132 Auch Reinhard Margreiters Walther 1976: 22. Cf. Underhill 2002: 81–94. Walther 1976: 122. 130 Eine Darstellung der Phänomenologie Walthers nebst Heideggers vernichtender Kritik derselben gibt Fischer, M. 2013: 111–122. 131 Albrecht 1976: 196, 251. 132 Albrecht hat mit seiner Trilogie Psychologie des mystischen Bewußtseins (1951), 128 129

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Nondualismus und Mystik

systematischer Versuch, die grundlegenden Charakteristika der transkulturell verallgemeinerbaren Erfahrungsseite der Mystik primär anhand der Schriften Meister Eckharts phänomenologisch zu fassen sowie die phänomenologischen Reflexionen des Philosophen Karl Albert (1921–2008), der vor allem in seiner Frühschrift über Die ontologische Erfahrung (1974), der Publikation Mystik und Philosophie (1986) sowie seiner Philosophie der Kunst (1989) und der späteren Einführung in die philosophische Mystik (1996) versucht hat, die Grundlinien einer Phänomenologie der mystischen als ontologischen Erfahrung zu zeichnen, sind für eine Phänomenologie nondualer Erfahrungen, wie sie sich im Werk Loys finden, nur von bedingter Relevanz. 133 Ein weiteres Problem stellt die fehlende Trennschärfe zwischen der (introvertierten/extrovertierten) mystischen Erfahrung und der nachfolgenden Erfahrung der phänomenalen Welt dar, die vielen Merkmalskatalogen zugrunde liegt. So listet Ben-Ami Scharfstein in seinem Buch Mystical Experience (1973) insgesamt elf »Quintessenzen« als ineinandergreifende Charakteristika des mystischen Zustands auf, unter denen sich wechselseitig unvereinbare Kennzeichen wie Trennung (separation) von aller Differenz und Einschluss (inclusion) der gesamten Wirklichkeit finden. 134 Der jüdisch-niederlänDas mystische Erkennen (1958) und dem posthum veröffentlichten Das mystische Wort (1974) einen der bedeutendsten Beiträge zur Psychologie der introvertierten Mystik insgesamt geleistet. Cf. Peng-Keller 2003 sowie Hans A. Fischer-Barnicols Einführung in Albrecht 2017: 17–158. Mystische Erfahrung geht Jordan Paper zufolge »beyond unitive experiences and consciousness-itself in that the experiencer is utterly unaware of the experience at its height. […]. Thus, the mystic experience differs from all other ecstatic experiences variously included under the rubric of mysticism, because it, and it alone, is utterly ineffable. As there is no experience, from the standpoint of the memory of the experiencer, the crucial part cannot be described whatsoever.« Paper 2004: 50. 133 Cf. Albert 1974; Albert 1986; Albert 1989; Albert 1996. Margreiter zufolge zeichnen sich mystische Erfahrungen durch die folgenden zwölf Merkmale aus: (1) »AllEinheit und Ich-Entgrenzung«, (2) »Transkategorialität: Die Negation von Zahl, Vielheit, Gegenständlichkeit, Raum, Zeit und Kausalität«, (3) »Gesteigerte Emotionalität: Liebe, Ekstase«, (4) »Metanoia: Authentizität, Harmonie, Seligkeit«, (5) »Gelassenheit, Freiheit, Willenlosigkeit«, (6) »Augenblicklichkeit, Unverfügbarkeit, Passivität«, (7) »Leiden, Einsamkeit, Todesnähe«, (8) »Der mystische ›Weg‹ als Stufenprozeß und die Praxis, mit ihm umzugehen (Vorbereitung und Methode)«, (9) »Schweigen, apophatisches und paradoxes Sprechen«, (10) »Negation von ›Bild‹ und ›Weise‹«, (11) »Esoterik und Innerlichkeit«, (12) »Parapsychologische Phänomene (Para-Mystik)«. Cf. Margreiter 1997: 61–110. 134 Die elf Quintessenzen sind Gleichheit (sameness), Trennung (separation), Einzig-

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dische Pädagoge, Philosoph und Theologe Henri van Praag (1916– 1988) beschreibt in De acht Wegen der Mystiek (1986) mit Schweigen, Nicht-Erzwingen, Einheit, Liebe, Freude, Einsicht, Tiefe und Raum wiederum »acht Tore, die den Zugang zum mystischen Leben verschaffen« 135, wobei van Praag unter »Raum« die erweiterte Erfahrungswelt des Mystikers versteht, die durch ein »Wegfallen des Gegensatzes« 136 gekennzeichnet ist und als konstitutives Merkmal wohl weniger der mystischen Erfahrung selbst als der nachfolgenden Erfahrung der phänomenalen Welt eignen dürfte. Auch der Merkmalskatalog nondualer Versenkungszustände, den Ronald S. Valle anhand von empirisch-phänomenologischen Studien zur transpersonalen/ transzendenten Bewusstheit (transpersonal/transcendent awareness) formuliert hat, scheint beide Ebenen der Erfahrung zu vermengen. 137 Einerseits beschreibt Valle die direkte Wahrnehmung einer tiefen Stille und eines profunden Friedens, der sowohl unabhängig von als auch »hinter« allen möglichen Gedanken, Emotionen oder Sinneswahrnehmungen existiert, spricht aber zugleich vom Empfinden einer universalen und unterschiedslosen Liebe gegenüber allen weltlichen Erscheinungsformen. 138 Der Entwurf einer an Loy orientierten Phänomenologie nondualer Erfahrungen sollte zudem bereits vorliegende Beschreibungen der Wesensmerkmale der kenshō-/satori-Erfahrung berücksichtigen, von denen hier beispielhaft diejenige Suzukis angeführt werden kann. So hat Suzuki im zweiten Band seiner Essays in Zen Buddhism (1953) und in Anlehnung an die vier Strukturmerkmale der mystischen Erfahrung, die James in seiner religionspsychologischen Darartigkeit (uniqueness), Einschluss (inclusion), vertraute Fremdheit (familiar strangeness), Leerwerdung (depletion), Aggression (aggression), Gewissen (conscience), spiegelverkehrtes Gegenstück (mirror-reversal), Humor (humour) und Realität (reality). Cf. Scharfstein 1973: 141–175. 135 Praag 1990: 16. 136 Praag 1990: 229. 137 Unter transpersonal fasst Valle dabei all jene Erfahrungen, die »transegoic« sind, »including the archetypal realities of Jung’s collective unconscious as well as radical transcendent awareness.« Unter transzendenter Bewusstheit versteht Valle wiederum »a completely sovereign or soul awareness without the slightest inclination to define itself as anything outside itself including contents of the mind, either conscious or unconscious, personal or collective (i. e., awareness that is not only transegoic but transmind).« Valle/Mohs 1998: 99. 138 Cf. Valle 1997; Valle/Mohs 1998: 99 ff. Im Kontext des Advaita-Vedānta und ZenBuddhismus werden Valles Ergebnisse diskutiert von Davis, L. 2011: xvii.

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stellung hervorgehoben hat, eine phänomenologische Analyse der satori-Erfahrung vorgelegt und dabei insgesamt acht Merkmale voneinander unterschieden. 139 Satori zeichnet sich Suzuki zufolge durch (1) Irrationalität (irrationality) aus, insofern sich das Erlebnis jeder Konzeptualisierung entzieht und als solches weder erklärt noch kommuniziert werden kann; die satori-Erfahrung ist (2) eine intuitive Einsicht (intuitive insight), wobei Suzuki unter Berufung auf James deren noetische Qualität betont, der (3) ein autoritativer Charakter (authoritativeness) schlechthinniger Evidenz eignet; trotz aller Rhetorik negativer Beschreibungen und radikalen Apophatik ist die satori-Erfahrung in einem eminenten Sinne (4) Affirmation (affirmation) und verbindet sich (5) mit einem Gefühl des Jenseits (sense of the beyond), womit Suzuki keine Transzendenz (das Absolute, Gott, Person), sondern ein transsubjektives Moment des Erlebens jenseits individuierter Beschränktheit meint, die noch am ehesten als »Unbewusstes« (unconscious) bezeichnet werde könne; im Gegensatz zur personalen Erfahrung christlicher Mystiker hat das prosaische satori-Erlebnis (6) eine unpersönliche Färbung (impersonal tone) und wird aufgrund seiner transpersonalen Qualität unweigerlich von (7) einem Gefühl der Exaltation (feeling of exaltation) begleitet; das letzte Merkmal besteht (8) in der Augenblicklichkeit (momentari-

139 Nach James zeichnet sich ein genuin mystisches Erlebnis durch (1) Unaussprechlichkeit (ineffability), seine (2) noetische Qualität (noetic quality), (3) Flüchtigkeit (transiency) und (4) Passivität (passivity) aus. Die mystische Erfahrung sei unaussprechlich, insofern dem Betroffenen der adäquate Ausdruck fehle und er den Inhalt seiner Erfahrung verbal nicht angemessen artikulieren könne. In der Eigenheit der prinzipiellen Nichtmitteilbarkeit (incommunicableness) sei die mystische Erfahrung eher sinnlich-emotionellen als begrifflich-intellektuellen Zuständen zu vergleichen, obschon sie von Betroffenen als autoritativer Erkenntniszustand identifiziert und mit einer diskursiv uneinholbaren und lebendigen Empfindung der Wahrheit verbunden würde, was ihre noetische Offenbarungs- und Erleuchtungsqualität ausmache. Diese mystischen Geisteszustände seien in der Regel nur von kurzer Dauer und in ihrer Wirkung nicht endgültig, sodass ein Wiederauftreten und das Gefühl einer kontinuierlichen Entwicklung und Vertiefung möglich sei. Ihr Auftreten könne durch vorhergehende Willensleistungen, das Fixieren der Aufmerksamkeit, bestimmte körperliche Übungen oder andere, in mystischen Handbüchern vorgeschriebene Weisen zwar methodisch kultiviert und erleichtert, aber nicht unmittelbar erzeugt werden. Das Gefühl, der eigene Wille sei beim Eintreten des mystischen Bewusstseinszustandes außer Kraft gesetzt, verbinde mystische Erfahrung in ihrer Passivität wiederum mit bestimmten Phänomenen, wie dem prophetischen Sprechen, automatischen Schreiben oder der medialen Trance. Cf. James, W. 2002: 380 ff.

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ness), nachdem die Erleuchtung gleichsam unvermittelt erlebt wird. 140 Wir brauchen uns hier mit weiteren Erklärungen zum kenshō/ satori, wie sie Carl Gustav Jung (1875–1961), Eugen Herrigel (1884– 1955), Shinʾ ichi Hisamatsu (1889–1990), Katsuki Sekida (1893– 1987), Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990), Erich Fromm (1900–1980), Gerta Ital (1904–1988), Hubert Benoit (1904–1992), Heinrich Dumoulin (1905–1995), Robert Linssen (1911–2004), Toshihiko Izutsu (1914–1993), William Johnston (1925–2010), Surekha V. Limaye, James H. Austin, Arul Maria Arokiasamy (Ama Samy), Peter Fuchs, Byung-Chul Han und andere Interpreten in ihren Schriften vorgelegt haben, nicht weiter aufzuhalten. 141 Eine kritische Durchsicht einer Vielzahl unterschiedlicher Beschreibungen der kenshō-/satori-Erfahrung zeigt, dass die Erleuchtung des ZenBuddhismus schon mit fast allen Formen mystischer Erfahrung assoziiert wurde, was Arthur Koestlers (1905–1983) Urteil aus The Lotus and the Robot (1960) bestätigt, dass satori »ein herrlich dehnbarer Begriff« sei, der »wahllos auf eine ganze Reihe von geistigen Erlebnissen angewandt« 142 werde. Loys nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) und post-kenshō Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) lassen sich abschließend anhand der folgenden Merkmale charakterisieren (cf. S. 405). Die Merkmale von (II) lassen sich anhand einer transzendentalen Rekonstruktion besonders deutlich explizieren: Durch die Affektion unserer rezeptiven Sinnlichkeit wird uns das prä-kategoriale und prä-synthetische Faktum der Empfindung als epistemisches Grundphänomen, als Materie der Wahrnehmung und als das eigentlich Reale in der Anschauung gegeben. Ohne die sukzessive Synthesis der Apprehension, in der die Einbildungskraft die Mannigfaltigkeit der Empfindung zur Wahrnehmung und Einheit des empirischen BeCf. Suzuki, D. 1970b: 31–39; Suzuki, D. 1970a: 260–266. Cf. Jung in: Suzuki, D. 1999: 9–39; Herrigel 1990: 28–36; Hisamatsu 1990: 25–41; Sekida 2000: 206–230; Enomiya-Lassalle 1992: 68–88; Fromm 1971: 155–179; Ital 2005: 260–322; Benoit 1990: 56–75, 171–176; Dumoulin 1976: 171 f.; Linssen 1958: 138–173; Izutsu 1986: 46–57; Johnston 1974:11–37; Limaye 1992: 87–96; Austin, J. 1999: 542 ff.; Samy 2010: 69–138; Luhmann/Fuchs 1989: 51–57; Han 2002: 32, 41, 67 f. 142 Koestler 1961: 309, 311. Satori bedeutet für Koestler daher nicht mehr als Intuition, während der Rest sich auf »pseudomystisches Jonglieren mit Wörtern« beschränke. Koestler 1961: 311 140 141

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Nondualismus und Mystik (II) Nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra)

(III/2) Post-kenshō Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna)

(1) Absolute Einheit

(1) Kosmovitale Einsfühlung und All-Einheit

(2) Nulldimensionalität

(2) Dreidimensionalität

(3) Ohne Selbstbewusstsein (kognitive Nondualität)

(3) Mit Selbstbewusstsein (affektiv-existenzielle Nondualität)

(4) Präkategorialität und Präsynthetizität (niṣprapañca)

(4) Kategorialität und Synthetizität (saprapañca)

(5) Zeitlosigkeit, Unverfügbarkeit, Passivität

(5) Zeitgebundenheit, Verfügbarkeit, Aktivität

(6) Gipfelerlebnis (peak experience)

(6) Plateau-Erfahrung (plateau experience)

wusstseins erhebt, erfüllt die einzelne Empfindung allerdings nur einen einzigen Augenblick und bildet für sich genommen eine »absolute Einheit« 143. Eine solche einzelne Empfindung ist Martin Bunte zufolge »nulldimensional«, i. e. sie weist »die Eigenschaft eines Punktes auf.« Aufgrund der »Nulldimensionalität der präperzeptiven Empfindung« 144 seien die einzelnen Empfindungen nun weder protentional noch retentional miteinander verbunden. Die bloße Empfindung sei daher auch an sich selbst keines Grades fähig, da ihr in der Augenblicklichkeit ihres rezeptiven Seins keine innere Zeitlichkeit zukomme. Um Intensität, i. e. graduelle Bestimmbarkeit aufweisen zu können, müssten die Empfindungen in Bezug aufeinander verglichen werden können. Dies sei jedoch nur möglich, wenn die Empfindungen in ein Kontinuum gesetzt und damit miteinander zeitlich verbunden seien. Dies finde jedoch nicht auf der Ebene bloßer Empfindungen, sondern erst auf der Ebene der Wahrnehmung statt. 145 Dabei ist zu beachten, dass Loy diese Analyse nicht nur auf die Sinnlichkeit, sondern auch auf den Verstand und somit auf beide Erkenntnisvermögen des Menschen bezieht. Die kantische Fundamentaldifferenz von Denken (Spontaneität) und Anschauen (Rezeptivität) wäre Loy zufolge also bereits eine Wirkung des prapañca, der die nirvikalpa-Erlebnisse voneinander unterscheidet und verschiedenen Quellen zuordnet. Das Ziel spiritueller Praxis bestünde transzendentalphilosophisch betrachtet demnach in der Apperzeption eines Gedankens bzw. der Apprehension einer Empfindung ohne suk143 144 145

KrV A 99. In: AA IV: 77. Cf. KrV A 162, 167. In: AA III: 149, 153. Bunte 2016: 238. Cf. Bunte 2016: 234–242.

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zessive Synthesis bzw. dem Abbruch der Synthesis der Apperzeption und Apprehension. Uji könnte als »ereignishaftes Verlaufen« (kyōryaku) dann mit Loy als absolutes Erleben einer Reihe nulldimensionaler und untereinander unverbundener Empfindungen und Gedanken verstanden werden. 146 Loys post-kenshō Erfahrung (III/2) ist wiederum maßgeblich durch eine religiös-kosmische Dimension des Sympathiebegriffes gekennzechnet, die Scheler unter Rückgriff auf Ravīndranātha Ṭhākuras (1861–1941) Sādhanā (1913) als kosmovitales Einsgefühl bzw. kosmovitale Einsfühlung und »Einsleidung« 147 mit dem Sein und ihrem als universal angeschauten All-Leben bezeichnete und Lou Andreas-Salomé (1861–1937) in ihrem Lebensrückblick als eine »durchschlagende Grundempfindung unermeßlicher Schicksalsgenossenschaft mit allem, was ist« 148 beschrieben hat. 149 Dabei ist der Bezug zur Alltagswirklichkeit wieder hergestellt und das Selbstbewusstsein gegenüber der kenshō-Erfahrung wieder integriert, sodass der unauslöschliche Eindruck kognitiver Nondualität durch das tragende Hintergrundgefühl einer affektiv-existentiellen Nondualität substituiert wird, die in ihrem enormen Transformationspotential zu wahrhaft selbstlosem Mitgefühl (karuṇā) und altruistischem Handeln in der phänomenalen Welt relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya) befähigt. 150 Das existentielle Zentrum verlagert sich auf diese Weise vom Selbst- zum Weltbewusstsein, in dem trotz der Individualität der Perspektive alle Gefühle der Isolation und Entfremdung erloschen sind. Die vitale Basis allen Lebens bildet fortan das kosmovitale Einsgefühl, dessen integrale Präsenz und Selbsttransparenz die daseinsmäßige Grundlage für Loys tätige Weltverantwortung und sozial-po146 Dabei muss streng zwischen Loys erkenntnispsychologischer und Kants prinzipientheoretischer Betrachtung unterschieden werden: Bei Loys nirvikalpa-Erlebnis handelt es sich um ein erkenntnispsychologisches Faktum, während die Transzendentalphilosophie die Empfindung als eine prinzipientheoretische Notwendigkeit und konstitutive Voraussetzung für die Möglichkeit von Erfahrung thematisiert: Empfindung (sensatio) → Wahrnehmung (perceptio) → Erfahrung (cognitio). 147 Scheler 1923: 94. 148 Andreas-Salomé 2013: 27. 149 Cf. Scheler 1923: 103, 121. 150 Loy geht davon aus, dass (1) das Selbstbewusstsein nach dem kenshō-Erlebnis wiederkehrt und dieses Erlebnis (2) tiefgreifende und anhaltende Transformationsprozesse auf der affektiv-existenziellen Ebene bewirkt, zu deren natürlichen Folgen wiederum (3) soziales, gesellschaftspolitisches und ökologischem Engagement zählen. Cf. Loy 1997a: 150; Loy 2008: 22; Loy 2009b: 9.

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litisches Engagement bildet. 151 Während die kenshō-Erfahrung als Gipfelerlebnis (peak experience) nur einen Augenblick währt, kennzeichnet die post-kenshō Erfahrung ein spirituelles Erwachen, das die gesamte Persönlichkeit dauerhaft transformiert, die Weltwahrnehmung bleibend neu strukturiert und in seiner Konstanz stark der von Abraham H. Maslow (1908–1970) beschriebenen Plateau-Erfahrung (plateau experience) ähnelt. 152 In dieser psycho-spirituellen Entwicklungssequenz und Bewusstseinsevolution wird mit der treffenden Formulierung Huston Cummings Smiths (1919–2016) das Aufblitzen der kenshō-Erfahrung sukzessive in das bleibende Licht des satori verwandelt. 153 Dabei wird Loys post-kenshō Erfahrung (III/2) zumindest außerhalb der akademischen Psychologie in ihrer derzeitigen Form durch die empirisch-klinischen Forschungsergebnisse des transpersonalen Psychotherapeuten und Psychiaters Stanislav Grof und deren revolutionäre Implikationen auf breiter Basis bestätigt. Nach über vierzig Jahren Bewusstseinsforschung ist Grof zu der Überzeugung gelangt, dass das menschliche Individualbewusstsein Teil eines universal-kosmischen Bewusstseinsfeldes ist, welches die gesamte Existenz nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich ontologisch durchdringt. Zu dem breiten und variantenreichen Spektrum transpersonaler Erfahrungen zählt Grof dabei u. a. die authentische Erinnerung an vergangene Inkarnationen, die Erfahrung archetypischer Figuren des kollektiven Unbewussten, die Identifikation und Einswerdung mit anorganischen Prozessen, Pflanzen, Tieren, Menschen oder der Natur als der Einheit und Gesamtheit des Lebens und 151 Das »schwachsinnige Klischee einer schroffen Entgegensetzung von sogenanter Innerlichkeit und sogenanntem Engagement« diskutiert Lenz 1976: 21 ff. 152 Die post-kenshō Erfahrung lässt sich dann auch anhand der meisten von Maslow beschriebenen inneren Werte des Seins (B-Values) charakterisieren, i. e. sie ist eine Erfahrung der Ganzheit (wholeness), Vollkommenheit (perfection), Vollendung (completion), Gerechtigkeit (justice), Lebendigkeit (aliveness), Reichhaltigkeit (richness), Einfachheit (simplicity), Schönheit (beauty), Güte (goodness), Einzigartigkeit (uniqueness), Mühelosigkeit (effortlessness), Verspieltheit (playfulness), Wahrheit (truth) und Selbstgenügsamkeit (self-sufficiency). Cf. Maslow 1981: 94 f. Darüber hinaus lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bewusstseinszustand einer selbstverwirklichten Persönlichkeit konstatieren, den der Begründer der Psychosynthese Roberto Assagioli (1888–1974) als »durch Freude, Heiterkeit, innere Sicherheit, ein Gefühl ruhiger Kraft, klaren Verstehens und strahlender Liebe« gekennzeichnet hat und der in seinen höchsten Ausformungen der »Realisierung des eigentlich Seins, der Vereinigung und Identifizierung mit dem universellen Leben« entspreche. Assagioli 1988: 68. 153 Cf. Smith, H. 1992: 113.

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der Schöpfung sowie das Erleben einer »Suprakosmischen und Metakosmischen LEERE« 154 und die Identifikation mit dem evolutiv-kreativen Weltprozess und universellen Geist als extremste Erweiterungsformen des transpersonalen Erfahrungsspektrums. 155 Der Mensch sei »das gesamte kosmische Netzwerk ebenso wie ein unendlich kleiner Teil dasselben« 156, was Loys holistischer Gesamtschau des Universums und Verständnis der menschlichen Psyche als Perle in Indras Netz zu entsprechen scheint und deren individuelle und kosmische Dimension in der post-kenshō Erfahrung zur simultan erlebten Wirklichkeit wird. Im folgenden Abschnitt soll der von Loy als notwendig postulierte Zusammenhang von Mystik und Moral bzw. dessen konstitutive Grundüberzeugung, dass selbstloses Mitgefühl und altruistisches Handeln unmittelbare Begleiterscheinungen einer authentischen kenshō-Erfahrung sind, kritisch diskutiert und mit Yasutanis KriegsZen (sensō-zen) konfrontiert werden, der dieses Axiom seiner Buddhismusinterpretation prima facie zu falsifizieren scheint. 157

Grof 1994: 181. Cf. Grof 2002: 72 f. Zur kontroversen Diskussion um einen »spiritual turn« in der deutschsprachigen Psychotherapie siehe Utsch 2014; Utsch 2018: 21 f. 156 Grof 1994: 185. 157 »Buddhist awakening occurs when I realize that I am not other than the world […]. According to Buddhism, such awakening is spontaneously accompanied by compassion for all beings, now perceived as part of myself.« Loy 2002a: 214. Cf. Loy 2009b: 9; Loy 2018: 71. Als klassischer Vertreter dieser Position gilt Walter Terence Stace: »It may be taken as a fact that love and compassion are feelings which are parts of, or necessary and immediate accompaniments of, mystical experience.« Stace 1961: 327. Die paradigmatische Gegenposition wurde von Swāmī Agehānanda Bhāratī vertreten: »[T]he mystical experience has no merit beyond itsef; assigning moral or other value to it is both logically wrong and dangerous. […]. And I must go further than that: the mystic who was a stinker before he had the zero-experience remains a stinker, socially speaking, after the experience. This, of course, does not mean that he cannot stop being a stinker; but for such change, he must make efforts of an ethical order, which have nothing at all to do with his mystical practice.« Agehānanda 1976: 74, 53. Arthur Coleman Danto (1924–2013) hat wiederum die logische Unvereinbarkeit von Mystik und Moral behauptet. Cf. Danto 1976. Richard H. Jones kommt hingegen zu einem wesentlich differenzierten, gleichwohl negativen Ergebnis für Loy: »In sum, it is hard to argue, in light of the evidence from mystics around the world, that love is necessarily given in mystical experiences or that moral action is compelled and thus that these experiences justify morality. […] the generalizations that ›Mystics are necessarily moral‹ and ›Mysticism and morality are incompatible‹ are both wrong.« Jones, Ri. 2016: 300, 327. Ausfürhlich dazu Jones, Ri. 2004 sowie die Antho154 155

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9.2.4. Mystik und Moral: Loys Reaktion auf Yasutanis Kriegs-Zen 1999 erschien in der Frühlingsausgabe des buddhistischen TricycleMagazins ein kooperativer Beitrag von Robert Aitken, Bernard Glassman, Bodhin Kjolhede, Lawrence Shainberg und Brian Victoria. Gegenstand des Artikels waren die von Victoria übersetzten Passagen aus Yasutanis 1943 publizierten Buch Zen Master Dōgen and the Treatise of Practice and Enlightenment (dōgen zenji to shūshōgi), die ihn als Anti-Semiten, kaisertreuen Nationalisten und Imperalisten zeigen. Auf diese Äußerungen Yasutanis sollten die SanbōKyōdan-Assoziierten Aitken, Glassman, Kjolhede und Shainberg als direkte oder indirekte Schüler Yasutanis reagieren. Robert Aitken versucht dabei in seinem Beitrag primär die Chancen dieser Enthüllungen zu sehen und Victorias rigorose Verurteilung mit kritischeren Aussagen Yasutanis zu supplementieren, um zu einem differenzierteren und insgesamt ausgewogeneren Urteil zu kommen, das auch für persönliche Entwicklungen Yasutanis nach 1943 Raum lässt. Trotz seiner Kritik an Victorias teils polemischer Vorgehensweise seien dessen Publikationen ein dringend benötiger Beitrag, um sich von naiv-romantischen Verherrlichungen der Zen-Meister als lebender Buddhas zu verabschieden und ihre allzu menschliche Wirklichkeit anzuerkennen, die wie bei jedem anderen Menschen anfällig sei für die sozialen und politischen Zwänge ihrer Zeit. Daher sei Victorias Kritik auch aus dem Kontext gerissen und in seiner Bewertung anachronistisch, insofern er heutige moralische Maßstäbe an Yasutani anlege und dabei die kulturell und zeitlich bedingten Umstände fast vollständig ausblende. 158 In den 1960er Jahren habe Yasutani fernerhin wissentlich jüdische Schüler akzeptiert und obschon er auch in seinen letzten Lebensjahren rechts-ideologische Ansichten in publizierter Form vertreten habe, seien die von Victoria inkriminierten Verfehlungen nie Teil seiner Dharma-Unterweisungen gewesen. Victorias Einseitigkeit dokumentiere sich außerdem in seiner Unfähigkeit, persönliche Weiterentwicklungen Yasutanis wahrzunehmen, zu reflektieren und seine unerbittliche Verurteilung in ihrer Strenge zugunsten einer objektiveren Bewertung Yasutanis zu revilogie von Barnard/Kripal 2002, die mit The Lack of Ethics and the Ethics of Lack in Buddhism auch einen Beitrag Loys enthält. 158 Cf. Aitken 1999: 67.

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dieren. 159 In seinem Beitrag äußert Victoria hingegen den Verdacht, dass es sich dabei nicht um Indizien für die persönliche Weiterentwicklung Yasutanis, sondern dessen perfiden Opportunismus handle und er seinen westlichen Schülerinnen und Schülern lediglich erzählt habe, was diese hören wollten. 160 Die entscheidende Frage, die sich hingegen durch alle Beiträge zieht, hat Kholhede als Kōan formuliert, das Yasutanis bleibendes Erbe an die Zen-Gemeinschaft sei: »How could an enlightened Zen master have spouted such hatred and prejudice?« 161 Dieser Aporie hat sich auch Loy in seinen Rezensionen von Victorias Büchern gestellt: [I]f Buddhist awakening truly over-comes our delusions, why did it not do a better job of inculcating against ultra-nationalist propaganda? 162 We have learned to look upon our Japanese teachers as superior spiritual beings, so we are shocked by the stories Victoria tells. Buddhist enlightenment involves a wisdom that overcomes delusion and ego, but Victoria rubs our noses in the collective delusions and group »wego« that Japanese Buddhism supported; living as an enlightened being involves manifesting compassion to all sentient beings, but Japanese Buddhism rationalized nationalistic aggression and the killing of many innocent people. Does this mean that our Japanese spiritual models were not really enlightened, after all? 163

Angesichts der grundstürzenden Konsequenzen, die diese Fragen für seine eigene Buddhismusinterpretation haben, überrascht es, dass Loy weder in seinen Rezensionen noch in irgendeinem seiner publizierten Werke eine eingehende Auseinandersetzung vorgelegt hat. Auch in seiner Diskussion von Daisetsu Teitarō Suzukis notorischen 159 So habe Yasutani 1967 auch folgende kritische Äußerung zum Nationalismus publiziert: »Unenlightened people have the karmic illness of considering whatever they attach themselves to to have a self. […]. If they attach themselves to the nation, they consider the nation to have a self.« Yasutani 1996: 49. Cf. Aitken 1999: 68. 160 Cf. Aitken 1999: 66. 161 Kholhede in Aitken 1999: 69. Victoria fragt: »[D]oes Yasutani’s hate mongering mock our respect for his enlightenment? Can words of genuine compassion and words of prejudice utter forth from one and the same person? Does one obliterate the other? To what extent can the embodied human–or the container for enlightenment–be expected to transcend parochial cultural values or aggressive nationalism? If we accept Yasutani’s subordination of the Buddha-dharma to the state, how does this change our experience of him as a teacher?« In: Aitken 1999: 62 f. 162 Loy 1999: 716. 163 Loy 2004d: 73.

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Ausführungen zum geistigen Zusammenhang von zen und ken (»Schwert«) in Zen and Japanese Culture (1938) und Winston L. Kings provokanter Studie Zen and the Way of the Sword: Arming the Samurai Psyche (1993) reflektiert Loy die schwerwiegenden philosophischen Konsequenzen, die sich für ihn aus dieser kritischen Problemkonstellation ergeben, nicht. 164 Wenn Harada und Yasutani tatsächlich im Sinne Loys erleuchtet waren, dann ist seine Grundüberzeugung, die nonduale Erfahrung der Wirklichkeit mache den Erwachten frei von den Wurzeln unsittlichen Verhaltens und zugleich sittlich vollkommen, falsifiziert und seinem Projekt eines sozial-engagierten Öko-Buddhismus die Lebenswurzel abgeschnitten; 165 dann behält auch Suzuki Recht, der Zen mit nahezu jeder Form des politischen oder ökonomischen Dogmatismus vereinbar hielt und der Zen-Erfahrung somit jede Relevanz bei Fragen der Ethik und politischen Willensbildung abgesprochen hatte. 166 Wenn die von Loy propagierte kenshō-Erfahrung aber weder soziale Kompetenz noch ökologisches Engagement oder eine gesellschaftspolitische Qualifikation und tugendsame Charaktertransformation impliziert, dann muss sie konsequenterweise aus ihrer konstitutiven Begründungsfunktion gestrichen oder zumindest in ihrer systeminhärenten Bedeutsamkeit drastisch eingeschränkt werden. Spricht Loy Harada und Yasutani die Erleuchtung hingegen ab, würde der gesamte Anspruch seiner buddhistischen Gesellschaftstheorie und sozialreformatorischen Agenda fragwürdig: Wenn nicht einmal anerkannte ZenMeister erleuchtet sind, wie soll dann der von Loy geforderte und von Rudolf Bahro beschriebene »vielmillionenfache Sprung in eine

Cf. Loy 2003a: 143–156. Diese Überzeugung Loys gehört zur allgemein herrschenden Auffassung im Bereich sozial-engagierter Spiritualität. Als paradigmatisches Beispiel sei hier eine Aussage von Roger Walsh angeführt: »Wenn wir diese Erfahrung der Interdependenz und der Einheit gemacht haben, so sind Engagement für ökologische Belange und mitfühlendes Handeln natürliche Folgen, Verhaltensweisen, die sich spontan entwickeln.« Walsh 1995: 17. 166 »Zen has no special doctrine or philosophy, no set of concepts or intellectual formulas, except that it tries to release one from the bondage of birth and death, by means of certain intuitive modes of understanding peculiar to itself. It is, therefore, extremely flexible in adapting itself to almost any philosophy and moral doctrine as long as its intuitive teaching is not interfered with. It may be found wedded to anarchism or fascism, communism or democracy, atheism or idealism, or any political or economic dogmatism.« Suzuki, D. 1973: 63. 164 165

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neue Bewußtseinsverfassung« 167 als einzig verbleibende Chance der Menschheit auf Rettung angesichts der drohenden ökologischen Totalkatastrophe jemals möglich sein? 168 Da Loy eine überzeugende Antwort auf diese Aporie schuldig bleibt, muss dieses Axiom seiner Buddhismusinterpretation als falsifiziert und damit seine Ethikbegründung insgesamt als gescheitert betrachtet werden. Sowohl Loy als auch die Bewegung des Engagierten Buddhismus insgesamt sollten auch in Zukunft mit der bleibenden Realität der Verblendung rechnen und sich von der romantisch-naiven Rhetorik einer kollektiven Erleuchtung sowie dem Topos vom »Neuen Menschen« als Grundlage einer buddhistischen Gesellschaftstheorie verabschieden. Wie sich in der Diskussion von Loys holistischem Ansatz innerhalb der buddhistischen Ethik noch zeigen wird, müssen stattdessen nichtholistische Ansätze, wie beispielsweise Simon P. James’ anthropozentrische und tugendethische Begründung, stärker berücksichtigt werden, denn gerade für die Zeit vor der Erleuchtung scheint mir eine Akkommodation an den relativen Standpunkt der Verblendung in Form einer anthropozentrisch bzw. pathozentrisch verankerten Ethik unbedingt nötig zu sein, ohne damit die Möglichkeit einer vom Standpunkt der Erleuchtung aus formulierten holistischen Variante grundsätzlich in Frage stellen zu müssen. 169 Beide Ansätze sind komplementär und ihr Zusammenhang müsste im historischen und systematischen Kontext der buddhistischen Debatte um eine adäquate Grundlage der Ethik weiter ausgearbeitet werden. An einer Stelle scheint auch Loy diese Notwendigkeit einzusehen, wenn er die blei-

Bahro 1987: 300 f. Mit seiner über 40-jährigen Meditationserfahrung, die ihn nicht davon abhielt, Mitglied des Vorstandes von Goldman Sachs und des Aufsichtsrates von ExxonMobil zu werden, stellt der US-amerikanische Professor für Managementpraktik an der Harvard Business School (HBS) William W. George Loy vor ein strukturanaloges Problem: Wie ist das Engagement in einem hochgradig kontroversen Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen sowie einem Mineralölkonzern, der mit der Finanzierung von Bürgerkriegen und Waffenhandel sowie dem Missbrauch seiner wirtschaftlichen Macht gegen den Klimaschutz und Menschenrechte in Verbindung gebracht wird, angesichts jahrzehntelanger Meditationspraxis möglich? Loy hat diese Frage in einem persönlichen Brief an George adressiert, der allerdings unbeantwortet blieb und dessen Inhalt Loys anhaltende Ratlosigkeit gegenüber den zahllosen Fällen dokumentiert, die – wie Harada und Yasutani – das Herzstück seiner buddhistischen Gesellschaftstheorie falsifizieren. Cf. Loy 2016b: 23–26. 169 Cf. James, S. 2004; James, S. 2014. 167 168

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bende Missbrauchsgefahr einer allein auf (nondualer) Erfahrung gegründeten Bodhisattvaethik einräumt: [T]he danger of abuse remains, if my nondual experience is not deep enough to root out those dualistic tendencies that incline me to manipulate others. As long as there is sense of self, therefore, there will be a need to inculcate morality, just as infants need training wheels on their bicycles. In Buddhism, however, ethical principles approximate the way of relating to others that nondual experience reveals. 170

Darüber hinaus scheinen mehrere Reaktionen denkbar, mit denen Loy dieser aporetischen Situation hätte begegnen können. So hätte er sich beispielsweise auf den sogenannten Mahāṛṣi-Effekt berufen können, der den gesellschaftlichen und politischen Einfluss von Gruppenmeditation beschreibt und der als solcher zudem unabhängig von der jeweiligen Ideologie oder religiösen Überzeugung der Beteiligten sein soll. 171 Der Name geht auf den Begründer der Transzendentalen Meditation (TM) Mahāṛṣi Maheś Yogi (1918–2008) zurück, dem zufolge die Erfahrung »reinen Bewusstseins« nicht nur Stresseinwirkungen im Körper beseitigt, die Intelligenz, Kreativität und Langlebigkeit fördert und die Leistungsfähigkeit des Menschen insgesamt verbessert, sondern auch auf die unmittelbare soziale Umgebung der Praktizierenden einwirkt, weil Bewusstsein nicht als subjektiv beschränktes, sondern als universales Feld und einheitlicher Grund der Wirklichkeit gedacht wird. Die individuelle Erfahrung reinen Bewusstseins soll dabei »energetische Feldeffekte« im kollektiven Bewusstsein verursachen, die als unmittelbare Ursache für den Rückgang der Kriminalitäts-, Scheidungs-, Unfall- und Selbstmordrate, sinkende Inflation und Arbeitslosigkeit, das allgemeine Wachstum der Wirtschaft sowie andere positive Effekte innerhalb der umgeben170 Loy 2003a: 184 f. Ein solcher Ansatz könnte auch historische Vorbilder innerhalb der buddhistischen Tradition namhaft machen, die wie Chinul/Jinul (1158–1210) die bleibende Notwendigkeit einer Ethik betont haben: »Nowadays Sŏn adepts often say, ›We need only see the Buddha-nature clearly, and afterwards the practices and vows which benefit others will automatically be brought to perfection.‹ I, Moguja, do not agree with this. If the Buddha-nature is clearly seen, this only means that sentient beings and Buddhas are equal and there is no distinction between oneself and others. I fear that those who do not then make the vow of compassion will stagnate in this state of calm stillness. As the Exposition of the Avataṃsaka Sūtra says: ›The wisdomnature is calm and still; but that wisdom is guarded by the vow.‹« Pŏpchip pyŏrhaeng nok chŏryo pyŏngip sagi. In: Buswell 1983: 307 f. 171 »Wenn Skeptiker mitmachen, ist die Wirkung genauso gegeben.« Aron 1991: 12.

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den Gesellschaft behauptet werden. Dabei soll 1 % der entsprechenden Bevölkerung bereits ausreichen, um den als Naturgesetz postulierten und angeblich durch empirisches Datenmaterial verifizierten Mahāṛṣi-Effekt zu erzielen. Angesichts der mehr als 7,6 Milliarden Menschen, die derzeit (2019) die Erde bevölkern, bräuchte man folglich 76 Millionen TM-Praktizierende, um globale Umweltprobleme zu beseitigen, komplexe internationale Konflike zu lösen, internationalen Wohlstand zu gewährleisten und den Weltfrieden zu verwirklichen. 172 Eine theoretische Auflösung der Yasutani-Aporie bietet hingegen die von Ken Wilber getroffene Unterscheidung zwischen vorübergehenden Bewusstseinszuständen und permanenten Bewusstseinsstufen, wobei auf jeder Entwicklungsstufe prinzipiell jeder Zustand erfahrungsmäßig zugänglich ist. Wilber geht dabei im Allgemeinen von insgesamt fünf natürlichen Hauptzuständen des Bewusstseins aus, die er im Anschluss an den Vedānta als »waking, dreaming, deep sleep, Witnessing (turiya), and Nondual (turiyata)« 173 bezeichnet, während er insgesamt sieben Wachstumsstufen unterscheidet, die sich in der bisherigen Entwicklung der Menschheit herausgebildet haben und die er als archaisch, magisch, mythisch, rational, pluralistisch, integral und superintegral bezeichnet. 174 Die entscheidende Idee Wilbers ist nun, dass Menschen ihre jeweilige Erfahrung eines spezifischen Zustandes immer entsprechend der Stufe interpretieren, auf der sie sich gerade befinden. Dabei sind neben den kulturellen Hintergründen (Wir: innen – kollektiv), neurophysiologischen Parametern etc. (Es: außen – individuell) und sozialen Systemen (Sie: außen – kollektiv) vor allem auch das »integrale Psychogramm« eines Menschen (Ich: innen – individuell) entscheidend, worunter Wilber die multiplen Intelligenzen (kognitive, interpersonelle, emotional-affektive, moralische, ästhetische, psychosexuelle etc.) eines Menschen subsumiert, die quasi-unabhängig voneinander sind und daher auch unterschiedliche Grade der Entwicklung aufweisen können. Keiner dieser vier sogenannten »Quadranten« dürfe übersehen werden, da ausnahmslos jede Begebenheit diese vier grundlegenden, sich gegenseitig durchdringenden und untrennbaren

172 173 174

Cf. Aron 1991. Wilber 2007: 73. Cf. Wilber 2007: 90.

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Dimensionen aufweise, in ihnen entstehe und sich entfalte und diese wechselseitig irreduziblen, gleichwohl korrelativ aufeinander bezogenen Realitäten konsequenterweise alle beteiligt seien, wenn es um die Frage gehe, wie ein Individuum einen beliebigen Moment seiner Erfahrung interpretiere. 175 Zwar könne die Kultivierung höherer Bewusstseinszustände eine positive Wirkung auf die Entwicklung höherer Bewusstseinsstufen haben, beide stünden aber nicht in einem notwendigen Korrelationsverhältnis zueinander, sodass die Verwirklichung eines höheren Zustandes sogleich das Erreichen einer höheren Stufe impliziere. 176 Auf der Basis eines solchen integralen Ansatzes erschiene es prinzipiell möglich, Yasutani als Zen-Meister zu würdigen, der in der Kultivierung spezifischer Bewusstseinszustände weit fortgeschrittenen ist, dabei aber auf einer relativ niedrigen Bewusstseinsstufe steht, was wiederum seine chauvinistischen, sexistischen, ultra-nationalistischen, militaristischen, anti-semitischen und anti-demokratischen Anschauungen erklären würde. 177 An Yasutanis Person zeigt sich dabei auch mit aller Deutlichkeit die verheerende Wirkung des zen-buddhistischen Anti-Intellektualismus, der sich allein auf Bewusstseinszustände fokussiert und dabei die Entwicklung von Bewusstseinsstufen als Ringen um das richtige (tathya-saṃvṛti) Wissen auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya) vernachlässigt. Eine integrale Lebenspraxis umfasst hingegen beide Aspekte. Wir müssen Wilber zufolge nicht nur aufwachen (wake up), indem wir nach immer höheren Bewusstseinszuständen streben, sondern auch aufwachsen (grow up), indem wir kontinuierlich immer höhere Bewusstseinsstufen erklimmen. 178

Cf. Wilber 2007: 94. Cf. Wilber 1997: 245–250; Wilber 2007: 196 f. 177 Cf. Wilber 2018: 84 f. 178 Cf. Wilber 2018: 76. Weder ist hier der Ort für eine umfassende Darstellung und Würdigung der integralen Theorie Wilbers noch für eine Kritik derselben. Eine Zusammenschau Wilbers bis 2001 bietet Visser 2002. Für eine Kritik an Wilber siehe vor allem Heinrichs 2003; Heinrichs 2014: 263–267; Meyerhoff 2010 und die weiterführende Übersicht über Wilbers Kritiker auf http://www.integralworld.net/visser11. html. 175 176

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9.2.5. Einheit oder Vielheit mystischer Erfahrung Ein zentrales und bis heute kontrovers debattiertes Problem, das die Diskussion um religiöse und insbesondere mystische Erfahrung zuinnerst bestimmt, ist das Verhältnis von menschlicher Erfahrung und deren Interpretation im Medium des Begriffes. Eine Frage ist in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, die sich in der deutschsprachigen Mystikforschung exemplarisch mit den Namen Josef Quint (1898–1976) und Walter Haug (1927–2008) verbindet: Ist die Sprache primär als Instrument gegenüber einer nichtsprachlichen Erfahrung anzusehen oder ist die Sprache selbst das bestimmende Medium dieser Erfahrung selbst? Anders formuliert: Lassen sich Erfahrung und begriffliche Interpretation strikt voneinander trennen oder besteht ein unauflösliches und wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen beiden? Während Quint in Anlehnung an Leo Weisgerber (1899–1985) und Max Scheler davon ausging, dass die begreifende Sprache im Medium des Relationsbegriffes notwendig an der unbegreiflichen Einheitserfahrung des nicht-relationalen Absoluten scheitern müsse und somit zwischen der sprachlosen Erfahrung und ihrer sprachlichen Ausdrucksform unterschied, ging Haug hingegen davon aus, dass die mystische Sprache nicht auf ihre bloß instrumentell-phänomenologische Funktion reduziert werden könne, sondern die Erfahrung selbst wesentlich bestimme. 179 Diese grundlegende Differenz zwischen einer wesenhaft nichtsprachlichen Erfahrung und einer konstitutiv sprachlich verfassten Erfahrung hat nicht nur weitreichende metaphysische Konsequenzen, sondern ermöglicht zudem auch eine idealtypische Einteilung des Mystikdiskurses in zwei unterschiedliche Positionen: (1) Das non-konstruktivistische Paradigma beruht dabei auf der grundlegenden Distinktion zwischen einer sprach-, kultur-, geschichts- und kontext-invarianten Erfahrung des Mystikers und der nachfolgenden Interpretation dieser Erfahrung, wobei die interpretativen Elemente von der eigentlichen Erfahrung als »Superstrukturen« 180 unterschieden werden, die aus der sprach-, kultur-, geschichts- und kontext-varianten Tradition des

Haug 1986: 495. Cf. Quint 1953. Der Begriff der »Superstrukturen« (superstructures) wurde vom niederländischen Philosophen, Sprachwissenschaftler und Indologen Frits Staal (1930–2012) geprägt. Cf. Staal 1975: 173.

179 180

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jeweiligen Mystikers stammen. Mystische Erfahrungen wären demnach mit einem Bild Maslows Rohstoffen vergleichbar, die zu verschiedenen Strukturformen werden können, so wie die gleichen Ziegel, der gleiche Mörtel und das gleiche Holz von einem Franzosen, einem Japaner oder einem Tahitianer zu verschiedenen Häusern verbaut werden können. 181 Das (2) konstruktivistische Paradigma geht hingegen davon aus, dass eine vollkommen unbedingte Erfahrung unmöglich ist und ausnahmslos alle Erfahrungen begrifflich vermittelt, mithin vom religiösen Symbolsystem sowie dem sprachlichen, sozio-kulturellen und historischen Kontext des jeweiligen Erfahrungssubjektes abhängig sind und es folglich keinen universellen Kern der Mystik und keine transkulturell verallgemeinerbare Formen mystischen Erlebens gibt. In den Worten Robert M. Gimellos: »[T]he varieties of mysticism cannot be reduced to a single common core of pure, undifferentiable experience, nor even to only two or three basic types of such experience.« 182 Dabei ist die metaphysische Interpretation mystischer Erfahrungen sowohl im non-konstruktivistischen als auch im konstruktivistischen Paradigma noch grundsätzlich offen. 183 Welche der mystischen Erfahrungen in einem echten erfahrungsmäßigen Kontakt zur transzendenten Bezugswirklichkeit steht oder ob es sich nach Maßgabe eines ontologischen Atheismus bei allen Erfahrungen lediglich um menschliche Projektionen handelt, ist von Voraussetzungen abhängig, die von der mystischen Erfahrung selbst unabhängig sind. So geht beispielsweise der perspektivenrelative Realismus der pluralistischen Religionstheologie davon aus, dass es sich um unterschiedliche Erfahrungen mit derselben transzendenten Wirklichkeit handelt. John H. Hick (1922–2012) und Perry Schmidt-Leukel teilen als prominenteste Vertreter dieser Position folglich die epistemologische Annahme des Konstruktivisten, für den religiöse und mystische Erfahrungen immer begrifflich vermittelt und in ihrer konstitutiven Gebundenheit an die Perspektivität des Erfahrungssubjektes prinzipiell relativ sind, komplementieren diese Auffassung aber mit der zusätzlichen metaphysischen Annahme einer transzendenten Wirklichkeit als Objekt dieser gleichermaßen authentischen Erfahrungen, die

181 182 183

Cf. Maslow 2014: 128. Gimello 1983: 62. Ausführlich dazu Jones, Ri. 2016: 37–70.

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in ihrer »Infinitheit alle menschliche Begreif- und Beschreibbarkeit transzendiert.« 184 Der epistemologische Konstruktivismus ist also nicht unmittelbar identisch mit der Position des metaphyischen Reduktionismus bzw. ontologischen Atheismus. Aufgrund seiner konstitutiven Annahme einer transzendenten Wirklichkeit ist der perspektivenrelative Realismus mit Loys radikal anti-transzendentem Phänomenalismus indes nicht in Einklang zu bringen. Mehr noch, die metaphysische Annahme einer transzendenten Bezugswirklichkeit ist für Loy das untrügliche Indiz für eine Fehlinterpretation der Erfahrung. Loy teilt hingegen die epistemologische Annahme des Non-Konstruktivisten, insofern er von einer homogenen Erfahrungsdimension ausgeht, die in ihrer höchsten Form der von ihm explizierten nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) entspricht und auf die alle nondualen Systeme prinzipiell zurückgeführt werden können. Demgegenüber beruhen theistische Formen der Mystik für Loy entweder auf einer dualistischen und insofern unvollkommenen Form des mystischen Erlebens oder auf einer defizitären Interpretation derjenigen Erfahrung, die auch den nondualen Systemen zugrunde liegt: If one had been raised in a culture which interpreted the nondual experience in this [theistic; F. V.] way, one would probably expect a temporary, blissful union without any such philosophical implications and 184 Schmidt-Leukel 1997a: 360. Schmidt-Leukel zufolge vermag niemand aufgrund der Endlichkeit und Begrenztheit menschlicher Erkenntnismöglichkeiten sowie der Unendlichkeit beziehungsweise Unbegrenztheit der transzendenten Wirklichkeit diese Wirklichkeit in ihrer unendlichen Fülle zu erfassen. Aber dennoch gäbe es in den verschiedenen Religionen und Kulturen dieser Welt gleichermaßen authentische Erfahrungen dieser Wirklichkeit, die sich als endliche Erfahrungseindrücke einer an sich unendlichen Realität deuten ließen: »I do not want to say that ›nirvāṇa‹, ›dharmakāya‹ and ›god‹ are all the same. They are not. They are different concepts whose meaning derives from their respective contexts, which are themselves no less different. But their differences inhere in their different ways of indicating, and their different forms of experiencing, the same ultimate reality. While this ultimate reality is in itself ineffable – and is affirmed as such in both Buddhism and Christianity – the different ›names‹ and ›descriptions‹ are to be taken as metaphors or analogies reflecting the different forms under which the ultimate is experienced.« Schmidt-Leukel 2006: 121 f. Cf. Schmidt-Leukel 2005b: 224. Eine ausführliche Darstellung des perspektivenrelativen Realismus gibt Schmidt-Leukel 1999: 161–179; Schmidt-Leukel 2005b: 212–249. Eine Darstellung von Hicks Ansatz und eine Diskussion und Erwiderung einiger Einwände findet sich bei Schmidt-Leukel 1997a: 339–492. Cf. Hick, J. 1980; Hick, J. 2004b.

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might well draw no ontological conclusions afterward, except to confirm one’s belief in a God who is yet understood to exist (normally) apart from the phenomenal world, His creation. […]. We must also be careful not to assume from this alone that the theist is wrong or misses something that the nondualist does not, for both interpretations are culturally conditioned: the nondualist too is conditioned to expect an ontologically revelatory experience–although the rest of this work can be seen as an attempt to support the nondualist’s conclusions by developing and systematizing his claims. 185 Many modern theists […] have argued that the nondual experience of undifferentiated union is distinct from and inferior to the dualistic awareness of a loving God. Others […] believe that mystical experiences are basically the same, and in their complete and highest form nondual. The proponents of this view acknowledge the difference in mystical claims, particularly between theist and nondualist, but explain these differences by distinguishing between the immediate experience and its interpretation […]. Needless to say, this study falls into the latter camp. In particular, the conclusion […] suggests that the theistic mystical experience might be understood as an ›incomplete‹ nondual one. 186

Obschon es sich bei der Annahme einer religionsübergreifenden und kulturunabhängigen Erfahrungsdimension zweifellos um die neo-perennialistische Kernthese seiner gesamten non-konstruktivistischen Philosophie der Nondualität handelt, hat sich Loy in keiner seiner Schriften mit den fundamentalen Einwänden des Konstruktivismus kritisch auseinandergesetzt. Um Loys Position im Diskurs verorten und die Tragfähigkeit seines Ansatzes diskutieren zu können, sollen im Folgenden die konstruktivistische und non-konstruktivistische Position kurz vorgestellt werden, ohne dabei die weiterführende Frage nach den metaphysischen Annahmen zu thematisieren, die ihren Theorien jeweils zuvor- und zugrundeliegen. Es wird im Folgenden also allein um die Frage gehen, ob Mystiker verschiedene oder wesengleiche Erfahrungen machen und nicht, ob sie verschiedene oder wesensgleiche Erfahrungen mit derselben transzendenten Wirklichkeit machen.

185 186

Loy 1997a: 273. Loy 1997a: 294 f.

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9.2.5.1. Das konstruktivistische Paradigma Der römisch-katholische Theologe Friedrich von Hügel (1852–1925) und der US-amerikanische Quäker Rufus Jones (1863–1948) gehören zu den frühsten Vertretern eines erkenntnistheoretischen Konstruktivismus innerhalb der Mystikforschung, die sich gegen die These eines universalen Kerns mystischer Erfahrung aussprachen. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts betonten von Hügel in The Mystical Element of Religion (1908) und Jones in Studies in Mystical Religion (1909) die konstitutive Funktion der Sprache und Geschichte sowie die fundamentale Bedeutung des sozio-kulturellen Hintergrundes des Mystikers für dessen Erfahrung. 187 Auf diese vermeintlich unhintergehbare Eingebundenheit mystischer Erfahrungen in ihren jeweiligen religiösen, kulturellen, historischen und sprachlichen Kontext haben in der Nachfolge auch andere prominente Mystikforscher nachdrücklich hingewiesen und wie Gershom Scholem (1897–1982) konstatiert, dass es »Mystik als solche, als ein Phänomen oder eine Anschauung, die unabhängig von anderem in sich selber besteht, in der Religionsgeschichte im Grund gar nicht gibt.« Scholem zufolge gibt es keine »Mystik an sich«, sondern ausschließlich »Mystik von etwas, Mystik einer bestimmten religiösen Form: Mystik des Christentums, Mystik des Islams, Mystik des Judentums und dergleichen.« 188 So hat auch Alois Maria Haas wiederholt davor gewarnt, die Erfahrungsweisen der von verschiedenen Religionen geprägten »Mystiker« einfachhin miteinander zu identifizieren und die inhaltlich-dogmatischen Momente des religiösen Lebens auf methodisch ablösbare »Begleitphänomene der mystischen Erfahrungen« zu reduzieren, anstatt sie als »bedingende und begründende Interpretamente der Erfahrung« 189 selber zu verstehen. Die Vorstellung einer sprachlosen Erfahrung, die erst nachträglich in das Regelsystem menschlichen Sprechens eingehe, müsse daher zugunsten der Erkenntnis aufgegeben werden, dass Erfahrung schon immer durch die Sprache mitbestimmt sei. Sprache sei demnach keine »interpretatorische Doublette der Erfahrung« 190 und fungiere folglich nicht bloß als Vehikel,

187 188 189 190

Cf. Hügel 1923 (II): 283 f.; Jones, Ru. 1909: xxxiv. Scholem 1967: 6. Haas 1979: 21. Fußnote 5. Haas 1979: 32. Cf. Haas 1978: 177. Fußnote 10.

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sondern in einem eminenten Sinn als Medium der mystischen Erfahrungsweise selbst. 191 In diesem Sinn hat sich auch Josef Sudbrack gegen die »Gleichmacherei« des non-konstruktivistischen Perennialismus ausgesprochen und in seinem energischen Plädoyer für einen kontextrelativistischen Pluralismus mystischer Erfahrungen nicht nur die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass sich alle Erfahrungen, die sich »losgelöst von intellektuellen Systemen und sprachlichen Vorgaben dünken«, bei »näherem Hinsehen als durch-und-durch abhängig« 192 erweisen, sondern auch apodiktisch verkündet, dass nur derjenige, der seine gnoseologischen Überzeugungen teile und realisiert habe, dass die mystische Erfahrung – »mag sie sich noch so absolut und weltenthoben geben« – bis in die Wurzeln hinein von den kulturellen und religiösen Voraussetzungen des Mystikers geprägt sei, »den verantwortlichen Vergleich der verschiedenen Erfahrungen« 193 überhaupt unternehmen dürfe. Den »allgemeinen Menschen« 194 gebe es eben nicht, weshalb die untrennbar miteinander verwobenen Sprach-, Denk- und Erfahrungsstrukturen niemals isoliert voneinander betrachtet werden könnten und dürften. Der Mensch sei durch »ererbte und erworbene sinnhaft-geistige Schemata, durch festlegendes Wort und Grammatik und darin durch vererbte und gesellschaftlich anerzogene Ordnungsgefüge in eine vorgeprägte Welterfahrung hineingestellt« und sein kognitiver und affektiver »Apparat« sondiere und präge jede Erfahrung und jede Stimmung mittels dieser »vorgegebenen Schemata« 195. Die perennialistische Sicht der Mystik als des »im bunten Fensterglas der Religionen gebrochenen einen Lichts« 196 lehnt Sudbrack folglich ab. Jorge N. Ferrer und Jacob H. Sherman haben diese »linguistische Wende« (linguistic turn), in deren Nachfolge auch innerhalb der Mystikforschung der Fokus von gnoseologischen, ontologischen, phänomenologischen und metaphysischen Fragen sowie deren exis-

Diese Ansicht teilt auch Wayne Lee Proudfoot, der sich in seiner einflussreichen Studie zur religiösen Erfahrung ebenfalls zum Konstruktivismus innerhalb der Mystikforschung bekannt hat. Cf. Proudfoot 1985: 121. 192 Sudbrack 1988: 25. 193 Sudbrack 1988: 27. 194 Sudbrack 1988: 26. 195 Sudbrack 1994: 65. 196 Sudbrack 2002: 17. 191

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tentiellen Implikationen primär auf den sprachlichen Ausdruck gelegt wurde, pointiert zusammengefasst: After the linguistic turn, the object of Religious Studies is no longer the elucidation of the origin, nature, or ontological implications of religious experience, but the analysis, interpretation, or critical deconstruction and reconstruction of the textual, the linguistic, and the symbolic. […]. In the disenchanted world of post/modernity, the sacred has been detranscendentalized, relativized, contextualized, and diversified but, most fundamentally, assimilated to linguistic expression. 197

Das konstruktivistische Paradigma verbindet sich dabei vornehmlich mit den Arbeiten des jüdischen Philosophen und Historikers Steven T. Katz, der mit Mysticism and Philosophical Analysis (1978), Mysticism and Religious Traditions (1983), Mysticism and Language (1992) und Mysticism and Sacred Scripture (2000) die zentralen Anthologien dieser Richtung innerhalb der Mystikforschung publiziert hat. Die metaphysische Naivität des non-konstruktivistischen Perennialisten, der nach der Wahrheit eines meta-ontologischen Schemas suche oder ein solches sogar behaupte und glaube, der Mystiker habe darin ein phänomenologisch »reines Land« erreicht, in dem er die transzendente Wirklichkeit in ihrem ursprünglich präprädikativen Zustand ergreifen könne, ist Katz zufolge unbedingt zu vermeiden. 198 Die unterschiedlichen Varianten des Non-Konstruktivismus, denen zufolge entweder (1) alle mystischen Erfahrungen 197 Ferrer/Sherman 2008: 6. Peter G. Moore und Steven T. Katz legten den Fokus entsprechend auf die mystische Sprache (mystical language), Carl-Albert Keller (1920– 2008) auf mystische Literatur und Schriften (mystical literature/writings), Michael A. Sells auf »meaning events«, Moshe Idel auf »mystical expressions«, während Denys Turner mystische Texte vor ihrer »erfahrungsmäßigen Fehlinterpretation« (experientialist misreading) schützen wollte und Don Cupitt sich zu der extremen Behauptung verstieg, Mystik sei insgesamt nur eine spezifische Form des Schreibens. Cf. Katz 1992: 4; Moore, P. 1973: 152; Keller 1978: 77; Sells 1994: 9; Arzy/Idel 2015: 10; Turner 1999: 5; Cupitt 1998: 10 f. 198 Katz 1983: 41. Ein ontologisches Schema sagt uns Katz zufolge, (a) was Welt und Mensch sind, z. B. Schöpfungen eines liebenden Schöpfergottes und (b) was sie nicht sind, z. B. zufällig, bedeutungslos, illusionär etc. Ein solches Schema erschafft und formt unsere Erwartungen von Anfang an, begrenzt gleichzeitig das Spektrum möglicher Erfahrungen und macht »reine Erfahrungen« unmöglich: »[T]he experience of mystics comes into being as the kind of experience it is as a necessary consequence of the linguistic-theological and social-historic circumstances which govern the mystical ascent. And these circumstances are grounded in specific ontological schemata which shape the configuration of the quest and its goal.« Katz 1983: 43.

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gleich sind und diese kultur- und religionstranszendierende Qualität sich auch in deren Beschreibungen niederschlägt; (2) alle mystischen Erfahrungen gleich sind und nur die nachträglichen Berichte davon aufgrund sozio-religiöser Deutungsmuster Unterschiede aufweisen bzw. (3) alle mystischen Erfahrungen in eine kleine Gruppe von Typen unterteilt werden können, die wiederum kultur- und religionsübergreifend gleich sind, lehnt Katz als Formen eines essentialistischen Reduktionismus ab und stellt ihnen die epistemische Grundannahme und zentrale These seines konstruktivistischen Ansatzes entgegen: There are NO pure (i. e. unmediated) experiences. Nether [sic!] mystical experience nor more ordinary forms of experience give any indication, or any grounds for believing, that they are unmediated. That is to say, all experience is processed through, organized by, and makes itself available to us in extremely complex epistemological ways. 199

Der jüdische, christliche, islamische, hinduistische, buddhistische etc. Mystiker hat Katz zufolge also keine reine und unvermittelte Erfahrung von X, die er erst danach in der ihm vertrauten Sprache seiner Religion beschreibt, sondern eine spezifisch jüdische, christliche, islamische, hinduistische, buddhistische etc. Erfahrung dessen, was ihm aufgrund seiner religiösen Sozialisation als letzte Wirklichkeit gilt. Das kontextspezifische Bewusstsein des Mystikers ist also durch konzeptuelle Muster sowie religions- und kulturspezifische Deutungsraster auf eine Weise präformiert und strukturiert, die vor, während und nach der Erfahrung festlegt, wie die Erfahrung im Einzelnen verfasst sein wird. Das bedeutet, dass nicht nur die nachträgliche Konzeptualisierung der Erfahrung vom sprachlichen, sozio-kulturellen und historischen Kontext des Mystikers und den Begriffen seiner je199 Katz 1978: 26. Cf. Katz 1978: 23 f.; Katz 1983: 4. Neben den drei von Katz genannten Varianten hat Philip C. Almond noch zwei weitere Modelle beschrieben. Dem vierten Modell zufolge gibt es so viele Formen mystischer Erfahrung wie es paradigmatische Beschreibungen derselben gibt, während das fünfte Modell davon ausgeht, dass die konzeptuellen Deutungsraster des Mystikers bereits in die Erfahrung selbst inkorporiert werden und deren Form und Inhalt von vornherein festlegen. Almond 1982: 128. Als Vertreter dieses Modells nennt Almond neben Katz noch Bruce Garside, der schreibt: »If experience is the product of stimuli and conceptual framework as suggested above, then people of different cultures and religious traditions would necessarily have different religious experiences. It makes no sense to look for an ›authentic‹ description of a mystical experience ›undistorted‹ by any interpretative framework.« Garside 1972: 99.

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weiligen Tradition abhängig ist, sondern auch die begrifflich vermittelte Erfahrung selbst maßgeblich davon bestimmt wird. 200 Die nonkonstruktivistische Annahme einer unbedingten Erfahrungsdimension führe daher zu einem defizitären und reduktionistischen Zerrbild, das die genuine Komplexität mystischer Erfahrungen mit ihrer irreduziblen und mannigfachen Kontextualität ausblende und stattdessen eine unilaterale Abhängigkeit (Erfahrung → Glaube) konstruiere, die die Reziprozität von Glauben und Erfahrung (Erfahrung ←→ Glaube) unrechtmäßig übergehe. Für Katz ist es hingegen von zweifelloser Evidenz, dass eine kausale Beziehung zwischen den sozio-religiösen Strukturen, die der Mystiker in Form religiöser Konzepte, Bilder, Symbole und Werte gestaltend an seine über-determinierte Erfahrung heranträgt und der tatsächlichen Erfahrung selbst besteht: Der Glaube forme die Erfahrung, genau so, wie die Erfahrung den Glauben forme. 201 Die für Loy so zentrale Möglichkeit einer umfassenden De-Konditionierung und yogischen Rückführung der Erfahrung in einen allgemein menschlichen und unkonditionierten Grund derselben lehnt Katz entsprechend als Selbsttäuschung ab und spricht stattdessen von einer traditionspezifischen Re-Konditionierung des Bewusstseins durch eine mystische Exegese der heiligen Schriften und die theurgisch-transformative Kraft der Sprache, die als psychospirituelle Mittel der radikalen Neuorientierung und Reinigung eine Form konditioniert-kontextuellen Bewusstseins (ordinary awareness) durch eine andere (mystical awareness) ersetze. 202 Cf. Katz 1978: 26 f. Cf. Katz 1978: 30, 46; Katz 1983: 6; Katz 1992: 5. Peter G. Moore hat insgesamt vier Möglichkeiten beschrieben, wie das Verhältnis zwischen Erfahrung und Interpretation gefasst werden kann: Demnach handelt es sich entweder um (1) nachträgliche Interpretationen der Erfahrung, die auf traditionsspezifischen Lehren beruhen (retrospective interpretation) oder um (2) spontane Interpretationen der Erfahrung, die entweder während oder unmittelbar nach der Erfahrung formuliert werden (reflexive interpretation) oder um (3) Überzeugungen, Erwartungen und Absichten, die Aspekte der Erfahrung verursachen (incorporated interpretation), wobei Moore hier zwischen (3a) religiösen Vorstellungen und Bildern, die als traditionsspezifische Visionen und Auditionen in die Erfahrung eingehen (reflected interpretation) und (3b) Glaubensanschauungen unterscheidet, deren phänomenologische Entsprechungen Teil der Erfahrung werden (assimilated interpretation) oder um (4) »reine Erfahrung« (raw experience), die von den Überzeugungen, Erwartungen und Absichten des Mystikers unabhängig ist. Cf. Moore, P. 1978: 108 f. 202 Cf. Katz 1978: 57 ff.; Katz 1992: 8, 15, 20 f.; Katz 2000: 56 f. Es darf hier allerdings mit Donald Evans gefragt werden, woher Katz eigentlich wissen will, dass eine umfassende Dekonditionierung der Erfahrung unmöglich ist. Cf. Evans 1989. Dem200 201

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Neben der falschen Annahme des privilegierten Zugangs zu einer reinen Erfahrung beruht die non-konstruktivistische Position nach Katz aber noch auf einer zweiten irrtümlichen Vorstellung, die davon ausgeht, dass ähnliche Beschreibungen notwendig auf dieselbe Sache verweisen. Da Sprache selbst kontextuell gebunden sei und Wörtern nur in ihrem Kontext Bedeutung zukäme, könne man analoge Begriffe nicht auf eine kontextunabhängige und identische Erfahrung zurückführen. Wenn Beschreibungen mystischer Erfahrung aus ihrem Gesamtkontext gerissen werden, bieten sie laut Katz keine operationale Vergleichsgrundlage mehr, da die herangezogenen Begrifflichkeiten damit ihrer eigentlichen Bedeutung entleert würden. Dieses logisch-semantische Problem sprachlicher Ambiguität sei von den bisherigen Interpreten nicht ausreichend berücksichtigt worden. Katz versucht dies am folgenden Beispielsatz zu verdeutlichen: »[X] transcends all empirical content, is beyond space and time, is ultimate reality, gives a sense of joy, is holy, can only be expressed in paradoxes and is actually ineffable.« 203 Dieses X könne nun durch verschiedene, dabei radikal unterschiedene und sich gegenseitig ausschließende Begriffe, wie Gott, brahman, nirvāṇa oder Natur ersetzt werden. Wenn beispielsweise verschiedene Mystiker ihre Erfahrung als paradox und unsagbar (ineffable) charakterisieren, könne daraus weder auf die Identität der zugrundliegenden Erfahrung noch auf die Identität des erfahrenen Objektes geschlossen werden. Denn beide Begriffe könnten logisch eine Vielzahl an sich disjunktiver und inkompatibler Erfahrungen und divergierender Wirklichkeiten charakterisieren. 204 Die These einer letztlich unsagbaren Erfahrung einer transzendenten Wirklichkeit könne sich somit auf zwei ontologisch vollkommen distinkte »Objekte« beziehen. Der Advaitin beziehe sich damit auf die immanente Realpräsenz von Transzendenz als Existenzidentität des eigegegenüber wurde die Möglichkeit einer solchen in jüngster Zeit sogar von Seiten der empirischen, neuropsychologischen und neurophänomenologischen Religions- und Mystikforschung bestätigt. Cf. D’Aquili/Newberg 1999: 200 ff. Cf. Hood 2006; Peters 1998; Peters 2000; Shear/Jevning 1999. Ausführlich dazu Jones, Ri. 2016: 121–170. Die physiologischen Korrelate nondualer, non-konzeptueller und offener Bewusstheit (nondual/non-conceptual/open awareness) und Präsenz (presence) untersuchen und diskutieren Berman/Stevens 2015; Blackstone/Josipovic 2015; Josipovic 2010; Josipovic 2013. Das spannungsvolle Verhältnis von Mystik, Schriftauslegung und kontemplativer Praxis beleuchten die Beiträge in Baier 2013. 203 Katz 1978: 46 f. 204 Cf. Katz 1978: 48.

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nen Selbst (ātman) mit dem Absoluten (brahman), während die kabbalistische Debekuth-Erfahrung im Anhangen an Gott und somit auf einer ontologischen Differenz zwischen Gott und Mensch basiere. 205 Der obskurantistische Charakter dieser Begriffe verleite dazu, vorschnell Identitäten zu postulieren, damit faktische Differenzen zu verdecken und somit eine Vielzahl sich gegenseitig ausschließender Ontologien fälschlicherweise zusammenzufassen. Katz kontextrelativistischer Pluralismus schließt also nicht nur die non-konstruktivistisch-perennialistische Annahme einer umfassenden Dekonditionierung der Erfahrung und eines universalen Erfahrungskerns der Mystik, sondern auch die metaphysische These des perspektivenrelativen Realismus aus, der von traditionsspezifischen und konzeptionell unterschiedenen Erfahrungen mit derselben transzendenten Wirklichkeit ausgeht: »There is no philosophia perennis« 206. 9.2.5.2. Das non-konstruktivistische Paradigma Als Reaktion auf die Arbeiten von Katz, Gimello und anderen Konstruktivisten hat sich in der Folge eine breite Front gegen die relativistischen Konsequenzen des konstruktivistischen Paradigmas formiert, die vor allem in der 1990 publizierten Anthologie The Problem of Pure Consciousness. Mysticism and Philosophy erstmals hervorgetreten ist und ihre Gegenargumente vorgetragen hat. Von dem radikalen Pluralismus mystischer Erfahrungen muss dabei nach allgemeiner Ansicht dieser Non-Konstruktivisten zumindest eine spezifische Form mystischen Erlebens ausgenommen werden, die Franklin Merrell-Wolff (1887–1985) als »Consciousness Without an Object« 207, Leopold Fischer bzw. Swāmī Agehānanda Bhāratī (1923– 1991) als »zero-experience« 208, Walter T. Stace als nicht-sinnliche Leere und reines Bewusstsein (pure consciousness) 209, Philip C. Almond als »contentless experience« 210, Ninian Smart als »consciousness-purity« 211, Eugene G. D’Aquili und Andrew B. Newberg als Cf. Katz 1978: 51 f., 55. Katz 1978: 24. 207 Merrell-Wolff 1994: 309–314. Cf. Merrell-Wolff 1995: 215–298. 208 Agehānanda 1976: 66. 209 »[A] consciousness wholly devoid of all sensations, images, and thoughts, a ›pure‹ consciousness, which is not consciousness of anything«. Stace 1961: 129. 210 Almond 1982: 174. 211 Smart 1983: 119. 205 206

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»states of absolute unitary being (AUB)« 212, Richard H. Jones als »depth-mystical experience« 213, Martin T. Adam als »nondual event« 214 sowie Robert K. C. Forman und Stephen Bernhardt († 1986) als »Pure Consciousness Event (PCE)« bezeichnet haben und das von Forman als »a wakeful though contentless (nonintentional) consciousness« 215 definiert wurde: »PCEs being contentless, must be the same across any culture, whether within or outside some appropriate mystical tradition. That point remains, no matter how much of mystical experience is mediated by tradition.« 216 Die non-konstruktivistische Kritik am konstruktivistischen Paradigma kann dabei im Wesentlichen anhand der folgenden sechs Punkte zusammengefasst werden. 217 (1) Es liegt eine petitio principii vor: Katz setzt axiomatisch voraus, dass alle Erfahrungen begrifflich bedingt und entsprechend perspektivenrelativ sind und dies ebenfalls für mystische Erfahrungen als vielleicht außergewöhnliche, aber nichtsdestoweniger analoge Formen der Erfahrung gilt. Das ist allerdings kein Beweis, sondern eine notwendige Konsequenz seiner unbewiesenen Voraussetzung und als solche bereits stillschweigend in seiner ersten Prämisse enthalten. 218 Dabei ist es weniger entscheidend, ob Katz diese Behauptung vielleicht nur als heuristische ArD’Aquili/Newberg 1999: 95. Jones, Ri. 2016: 46. 214 Adam 2002: 815. Fußnote 13. 215 Forman 1990: 8. Cf. Bernhardt 1990: 220. 216 Franklin 1998: 235 f. Im Anschluss an Smart und den Psychiater und Psychopharmakologen Roland L. Fischer (1915–1997), der zwischen hypererregt-ergotropischen (Ekstasen) und hypoerregt-trophotropischen Zuständen (Enstasen) unterscheidet, definiert Forman diese Form mystischen Erlebens als bewusstes Ereignis, das nicht unter Bezugnahme auf sinnliche Erfahrung und mentale Bilder beschrieben wird und durch eine geringe kognitive und physiologische Aktivität (Vagotonie) gekennzeichnet ist. Von diesen Pure Consciousness Events (PCE) unterscheidet Forman einen Dualistic Mystical State (DMS), der III/1, i. e. der Erfahrung der phänomenalen Welt nach der Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra), zu entsprechen scheint (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna). Cf. Forman 1999: 5 ff.; Smart 1965: 75; Fischer, R. 1980: 286 ff. 217 Die von Katz inaugurierte Position hat innerhalb der Mystikforschung zu höchst diffizilen Debatten geführt, die an dieser Stelle nicht umfassend in allen Einzelheiten rekonstruiert werden können. Cf. Almond 1982: 164 ff.; Forman 1990; Forman 1999: 33 ff.; Gimello 1983: 61 ff.; Hollenback 2000: 12–23, 75–93.; Kimmel 2008: 170 f.; King, S. 1988: 259–269; Pike 1992: 194 ff.; Rose 2013: 154 ff.; Rose 2018: 22–37; Schmidt 2006; Stoeber 1992. 218 Cf. Bernhardt 1990: 227; Evans 1989; Forman 1990: 15; Nagatomo 2006: 128; Paper 2004: 56; Rothberg 1990: 166 f. Ausführlich dazu Forman 1999: 63–79. 212 213

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beitshypothese aufstellt und sie dann tatsächlich anhand einiger konkreter Beispiele plausibilisiert, wie Korbinian Schmidt gegen die Kritiker von Katz eingewendet hat, sondern ob Katz damit die offensichtliche Ambiguität des Wortes Erfahrung ausnutzt, um (2) alle mystischen Erfahrungsweisen in grundsätzlicher Analogie zur sinnlichen Erfahrung zu denken. Mit diesem Vorgehen widerspricht er aber explizit den von ihm kritisierten Vertretern des non-konstruktivistischen Paradigmas, die laufend davor warnen, die introvertiertmystische Erfahrung mit einer Form sinnlicher Erfahrung zu verwechseln und damit die Mystik ihres eigentlichen Gehalts zu berauben. Bereits Karl Rahner (1904–1984) hatte überzeugend dafür argumentiert, dass die transzendente Wirklichkeit dem erkennenden Subjekt niemals in der Weise eines Objektes vorgegeben sein könne. Eine dualistische Erkenntnistheorie religiöser und mystischer Erfahrung, die Gott strukturell wie andere Gegenstände unserer empirischen und innerweltlichen Erfahrung denke, sei »vulgär und primitiv« 219. Von Gott habe man eben keine intentionale Erfahrung »wie von einem Baum, einem anderen Menschen und anderen äußeren Wirklichkeiten« 220. Konsequenterweise beginnt auch für Stace wahre Mystik erst dort, wo unsere sinnliche Erfahrung endet und ein inhaltsloser, unvermittelter und irreduzibler Zustand eines objekt- und subjektlosen Bewusstseins eintritt, der vollkommen inkommensurabel ist mit jeder Form sinnlicher Erfahrung und sich als phänomenales Nichts notwendig jeder kontextrelativistischen Verkürzung verschließt: »The Unitary Consciousness, from which all the multiplicity of sensuous or conceptual or other empirical content has been excluded, so that there remains only a void and empty unity. This is the one basic, essential, nuclear characteristic, from which most of the others inevitably follow.« 221 (3) Wenn mystische Erfahrungen nur das bestätigen können, was die Mystiker aufgrund ihrer religiösen Sozialisation ohnehin schon wissen, dann bleibt Philip C. Almond und Armin Kreiner zufolge ungeklärt, warum mystische Erfahrungen auch neue und teilweise häretische Informationen erschließen können. So erlebte die ehemalige karmelitische Nonne und kontemplative Katholikin Bernadette Roberts (1931–2017) eine mystische Erfahrung, die alle kon219 220 221

Rahner 1977: 72. Rahner 1977: 55. Stace 1961: 110. Cf. Penelhum 1977: 80; Stace 1961: 265.

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zeptionellen Bezugsrahmen sprengte und sie auch nach einer umfassenden Lektüre mystisch-kontemplativer Texte aus allen religiösen Traditionen nicht angemessen beschreiben konnte. 222 Es ist Kreiner zufolge zwar plausibel, dass ein bestimmter religiöser bzw. konzeptioneller Kontext unerlässlich ist, um jemanden überhaupt auf den spirituellen Weg zu bringen, weit weniger plausibel sei jedoch die apodiktische Leugnung dessen, was nach dem Selbstverständnis vieler Traditionen das selbstgesetzte Ziel dieses Weges sei: Ein nicht-intentionaler Bewusstseinszustand jenseits aller Begriffe und Inhalte, den Forman auch als »knowledge by identity« 223 beschreibt. 224 Damit widerspricht Katz wiederum (4) explizit dem Selbstverständnis etlicher Zeugnisse aus allen großen religiösen Traditionen, die dezidiert von einer fortschreitenden Bewusstseinsentleerung (vacatio mentis), vollumfänglichen Dekonditionierung und Inhibierung aller Wandlungen des Bewusstseins (yogaś-citta-vṛtti-nirodhaḥ) und einem Erlöschungszustand der vollendeten Unterdrückung aller Gefühle und Wahrnehmungen (nirodha-samāpatti) sprechen, in dem zeitweilig alle Bewusstseinstätigkeiten restlos ausgeschaltet sind. 225 (5) Wenn die Vielfalt mystischer Erfahrungen auf keine »identische transzendente Quelle« 226 zurückzuführen ist und somit ein einheitlicher Bezugspunkt fehlt, dann muss Katz entweder eine theologisch-exklusivistische oder atheistisch-reduktionistische Position einnehmen, insofern unter diesen Voraussetzungen entweder nur eine bzw. keine der mystischen Erfahrungen wahr sein kann. Dann geht es Perry Schmidt-Leukel zufolge aber nicht mehr einfachhin um die nachvollziehbare Forderung, Unterschiede zwischen den Religionen nicht zugunsten eines oberflächlichen Non-Konstruktivismus und Perennialismus zu verwischen, sondern »präzise darum, wie diese Unterschiede zu deuten und zu bewerten sind.« 227 Dieses Problem beruht wiederum maßgeblich auf (6) der fehlenden Unterscheidung

Cf. Roberts 1993: 9. Forman 1999: 109. 224 Cf. Almond 1983: 215; Kreiner 2006: 59. 225 Cf. Wöhrer 2000: 747; Wöhrer 2003: 141–157; Yogasūtra 1, 2. In: Bäumer 2010: 21; Majjhima-Nikāya 111. In: Bodhi 2001: 900 f. Weitere Beispiele und eine ausführliche Analyse der Stadien der Meditation in kulturübergreifender Perspektive bietet Brown, D. 1988. 226 Schmidt-Leukel 1997a: 268 227 Schmidt-Leukel 1997a: 269. 222 223

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zwischen (α) Anschauung und (β) Begriff. 228 Wäre nicht nur die Interpretation, sondern auch das die sinnliche Anschauung evozierende Material unserer kategorial organisierten Erfahrung allein von den traditionsspezifischen Interpretamenten des Mystikers erzeugt, dann handelte es sich bei der mystischen Erfahrung nicht mehr im eigentlichen Sinn um Erfahrung, sondern um Träume, Halluzinationen, Phantasien und Projektionen, die nur für den erfahrenden Mystiker allein gelten. Wenn Katz diese reduktionistische Konsequenz vermeiden will – was einige seiner Äußerungen zumindest nahezulegen scheinen – dann muss er analog zu Kants prä-kategorialer Empfindung als Materie der Wahrnehmung eine transzendente Wirklichkeit als nicht relativierbare Bezugsgröße mystischer Erfahrung annehmen, die als solche allerdings unabhängig wäre von den Kategorien und Interpretamenten und Katz dem perspektivenrelativen Realismus des religionstheologischen Pluralismus annähern würde. 229 So haben Claudius Ptolemäus (ca. 100–160 n. Chr.) und Nikolaus Kopernikus (1473–1543) den Sonnenaufgang gemäß ihres geozentrischen und heliozentrischen Weltbildes sicherlich anders interpretiert und 228 Die in konstruktivistischen Kreisen ebenfalls häufig fehlende Unterscheidung zwischen sprach-, kultur-, geschichts- und kontext-invarianten Kategorien und sprach-, kultur-, geschichts- und kontext-varianten Interpretamenten, die im Gegensatz zu den Kategorien keine gegenstandskonstitutive Funktion haben und nicht als apriorische Bedingungen unserer Erfahrung für jede mögliche Erfahrung notwendig gelten, hat J. William Forgie als »Hyper-Kantianism« bezeichnet und nachdrücklich kritisert. Cf. Forgie 1985: 208. Die Möglichkeit von PCEs im Kontext der kantischen Philosophie diskutiert Forman 1999: 57–63. 229 Das ist auch die Konsequenz, die Martin T. Adam zieht: »Katz’s point that their experiences would necessarily be different owing to their culturally dependent conceptualizations is well taken; but this does not rule out the possibility that what they conceptualize could be the same.« Adam 2002: 809. Katz selbst lehnt die im Begriff »Konstruktivismus« angelegte naturalistische Deutung, die alle mystischen Bewusstseinszustände als Konstrukte des menschlichen Geistes erklärt, indes ab und bezeichnet seine Position als »Kontextualismus«, insofern zwar die mystische Erfahrung, nicht aber das Ereignis selbst von den konzeptuellen Schemata bedingt sei. Matthew C. Baggers Interpretation zufolge enthält sich Katz sogar jeder Aussage zur »transzendenten Quelle« dieser Ereignisse und Spekulationen über ihren ontologischen Status: »Katz does not claim that because the causes of the experiences vary cross-culturally, the causes of the events must cross-culturally have different referents as well. He leaves that question for theology or physiology and only insists that philosophically the mystical data can reveal no answer. Fundamentally, his contention centres on the difference between experiences.« Bagger 1991: 414. Dazu die direkte Erwiderung von Forman 1991. Katz wäre dieser Interpretation zufolge Vertreter eines »methodologischen Agnostizismus«.

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entsprechend anders erfahren, was allerdings nicht bedeutet, dass sich auch ihr jeweiliger Anschauungsgehalt voneinander unterschieden hätte. 230 Aufgrund dieser Sachverhalte wird das pluralistische und konstruktivistische Paradigma der Mystiktheorie von non-konstruktivistischer Seite zumindest in derjenigen Form als unhaltbar abgewiesen, die Katz ihm gegeben hat. Gegen die Annahme eines absoluten Erlebens reiner Bewusstheit als einer transkulturell identischen Form innerhalb des mystischen Erlebnisspektrums hatte allerdings bereits Rudolf Otto eingewendet, dass Mystik enden möge »im ›allgemeinen, weiselosen Sein‹, im ›Übersein‹, im ›Nichts‹ und in der ›Leere‹«, diese Überseine, Nichtse und Leeren dabei dennoch verschieden schmecken würden, solange sie noch Mystik bleibe und nicht »Verrücktheit mit Methode« 231 sei. Die bis dato umfassendste Verteidigung des kontextrelativistischen Ansatzes, die an diese Intuition Ottos anschließt, wurde von Franz Wöhrer vorgelegt, der gegen Forman die These vertritt, dass »die mystische Erfahrung der Leere oder der Ruhe zwar in den mystischen Traditionen des Ostens und des Westens« belegt seien, dass »jedoch die monistische Ruheerfahrung dennoch andere phänomenologische Wesensmerkmale« habe »als die theistische.« 232 Folglich sei auch die christliche Erfahrung Gottes als »Nichts« nicht identisch mit der buddhistischen Erfahrung des nirvāṇas als »Nichts«. Es könne daher im strengen Sinne keine mystische Erfahrung geben, die kulturübergreifend identisch sei. Im Gegensatz zu Wöhrer halte ich das non-konstruktivistische Paradigma nicht für gescheitert und seine These, die psychologischphänomenologischen Erkenntnisse Albrechts seien »geeignet, die sogenannte ›konstruktivistische Mystiktheorie‹ von Katz überzeugend zu stützen« 233, für unhaltbar. Mehr noch, sowohl Wöhrer als auch Albrecht scheinen das non-kontruktivistische Paradigma vollauf zu bestätigen. Als Versunkenheitsbewusstsein beschreibt Albrecht ein überklares Bewusstsein, in dem sich das erlebende Ich als Träger der Innenschau und der entleerte Bewusstseinsraum gegenüberstehen. Wenn auch noch diese Differenz verloren geht, spricht Albrecht von einem ekstatischen Bewusstsein, dessen Erlebnisschema das der 230 231 232 233

Cf. Jones, Ri. 2016: 67. Otto 1972: 195. Wöhrer 2003: 317. Wöhrer 2003: 38.

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Einigung ist und dessen »zuschauendes Rest-Ich« durch einen »Totalverlust des Ichbewußtseins« 234 noch auf den Endzustand der Bewusstlosigkeit hin überstiegen werden kann, in dem keine phänomenologischen Wesensmerkmale mehr unterscheidbar sind. Dieser Zustand ist Wöhrers eigener Aussage zufolge nun ein »psychologisches Phänomen, das grundsätzlich jeden Menschen jedes Kulturkreises und jeder Religion betreffen kann.« 235 In den Traditionen der theistischen Mystik sei die »Totalauslöschung des Ichs« zwar »selten, aber doch auch vorzufinden.« 236 Diese absolute Transphänomenalität kann von der psychologischen Phänomenologie, die in ihrer deskriptiven Methode notwendig auf konkrete Bewusstseinsinhalte in der Grundform der Subjekt-Objekt-Spaltung beschränkt bleiben muss, nur als Bewusstseinslücke beschrieben werden. 237 Da hier keine kultur-, traditions- und persönlichkeitsspezifischen Variablen oder mitgebrachtes Glaubenswissen relevant sind und unmöglich psychologisch-phänomenologische Differenzen namhaft gemacht werden können, muss dieser Zustand notwendig transkulturell identisch sein. Genau das ist aber die eigentliche These der Non-konstruktivisten. Erst post festum, wenn sich das Subjekt diesen differenz- und diversitätsresistenten Zustand in der Erinnerung vindiziert, wird er zur lebendigen Erfahrung erhoben und einer retrospektiven Reflexion und Konkretion zugänglich, die ihn anhand der kognitiven Überzeugungen, Motive und Bilder der jeweiligen religiösen Tradition inhaltlich interpretiert, strukturiert, analysiert und begrifflich repräsentiert. 238 Zwei Beispiele mögen diesen entscheidenden Punkt exemplarisch verdeutlichen. Die spanische Karmelitin Teresa von Ávila (1515–1582) berichtet in Las Moradas del Castillo Interior (1577) von ihrer mystischen Tiefenerfahrung, in der sie ohne Erinnerung und ohne Verstand den Dingen der Welt und sich selbst gänzlich entrückt worden sei und erst nach diesem todesgleichen Zustand die Gewissheit empfunden habe, es habe sich dabei um die unio mystica Gottes mit dem Inneren ihrer Seele gehandelt. 239 Auch die NotizbüAlbrecht 1976: 196. Wöhrer 2003: 39. 236 Wöhrer 2003: 38. 237 Cf. Albrecht 1976: 250 f. 238 Cf. Jones, Ri. 2016: 40, 52. 239 »Sie [die Seele; F. V.] sieht nichts, sie hört nichts, und versteht nichts, solange dieser Zustand anhält, der immer nur von kurzer Dauer ist […]. Ich behaupte nicht, 234 235

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cher Jiddu Krishnamurtis (1895–1986) bezeugen durchlebte Phasen stundenlanger Bewusstseinsleere, deren Sinn sich erst nach der Rückkehr zum Alltagsbewusstsein und in der nachträglichen Reflexion auf sie einstellte. 240 Ob man diesen vollkommen inhaltsleeren Zustand nun als bloße Vorstufe zur gnadenhaft-dialogischen Erfahrung der Gottesmystik (cognitio dei experimentalis) interpretiert oder ihn zum Kernphänomen und abschließenden Kulminationspunkt aller Mystik erklärt; ob man ihn auf der Grundlage eines metaphysischen Reduktionismus rein naturalistisch deutet und beispielsweise auf die neuronalen Korrelate im Gehirn reduziert oder als unhintergehbare Evidenz für eine transzendente Bezugswirklichkeit wertet, hängt – wie ich bereits ausgeführt habe – von erfahrungsunabhängigen Faktoren ab, da weder die mystische Erfahrung noch das absolute Identitätserlebnis ihre eigenen Interpretationen determinieren oder aus ihnen abgeleitete Wahrheitsansprüche legitimieren. 241 Vor diesem daß sie es im betreffenden Augenblick sieht, sondern daß sie es hinterher klar erkennt; und zwar nicht, weil sie es als Vision erschaut, sondern als eine Gewißheit empfängt, die in der Seele verbleibt als eine Sicherheit, die nur Gott ihr eingeben kann.« Avila 1979: 86. 240 »Das Gehirn war vollkommen leer, jede Reaktion hatte aufgehört; während all dieser Stunden war man sich dieser Leere nicht bewußt, erst beim Niederschreiben wird die Sache erkannt, aber dieses Erkennen ist nur beschreibend und nicht wirklich.« Krishnamurti 2002: 21. 241 Fragwürdig wird dann auch Wöhrers Unterscheidung zwischen einer psychologisch trivialisierten »Bewusstlosigkeit« und der gnadenhaften »Bewusstlosigkeit« der Gottesmystik (excessus mentis), die er zum Gipfelpunkt mystischer Präsenzerfahrung der personalen Gottheit erklärt: »Auf dem höchsten Punkt der unio mystica erlöscht kurfristig jegliches Ichbewußtsein. Das ›erlebende Ich‹ wird für einige Zeit in einem ›state of no-consciousness‹ entrückt und ruht in wonnevoller Geborgenheit in der unsichtbar anwesenden, allumfassenden Gottheit.« Wöhrer 2003: 325. Mir erscheint es indes zutreffender zu sein, zwischen personal-theistischen und apersonalnontheistischen Erfahrungen einer transzendenten Wirklichkeit zu unterscheiden, die beide perspektivenrelativ, aber an sich gleichermaßen authentisch sind und in einer letzten Einswerdung mit dieser transzendenten Wirklichkeit noch überstiegen werden können sowie diesen Zustand der »Überbewusstheit« mit der mystischen Tiefenerfahrung der Non-Konstruktivisten zu identifizieren. Damit wäre auch der theistisch-apologetische Gegensatz zwischen einer bloß psychologisch-natürlichen Mystik und einer gnadenhaft-übernatürlichen Mystik überwunden, den Wöhrer fort- und festschreiben willl. Diesen Zustand auf der Grundlage einer ontologischen Differenz zwischen Seele und Gott als bloße Wesensgleichheit und nicht als Existenzidentität aufzufassen, muss dann allerdings gegen Wöhrer als nachträgliche Interpretation relativiert werden, deren Evidenz sich keinesfalls aus dem Identitätserlebnis mystischer Überbewusstheit selbst ergeben kann, das als solches jeder phänomenologischen Bestimmung grundsätzlich verschlossen bleibt. Cf. Wöhrer 2003: 334 ff.

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Reflexion und Rezension

Hintergrund ist im folgenden Gliederungsabschnitt nun abschließend einzusehen, ob Loys non-konstruktivistischer Anspruch haltbar ist und wie seine neo-perennialistische Philosophie nondualer Erfahrung im Kontext der Mystikforschung insgesamt zu bewerten ist.

9.2.6. Loys nonduale Erfahrung im Kontext der Mystikforschung Während Loys post-kenshō-Erfahrung der phänomenalen Welt (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) unbestreibar von seinem konkreten Standpunkt innerhalb der buddhistischen Tradition sowie seinem sprachlichen, sozio-kulturellen und historischen Kontext determiniert ist, lautet die entscheidende Frage, ob Loys nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) neben der mystischen Tiefenerfahrung ohne jeden differenzierbaren Gehalt begründet als eine sprach-, kultur-, geschichts- und kontext-invariante Erfahrungsform und damit als weitere Bestätigung des non-konstruktivistischen Paradigmas gewertet werden kann. Wenn man die umfassende Dekonditionierung der Erfahrung und damit prinzipiell auch die Möglichkeit eines absoluten Erlebens einer nulldimensionalen, präkategorialen und präsynthetischen nirvikalpa-Empfindung als möglich anerkennt – und eine solche Möglichkeit wurde in jüngster Zeit von Seiten der empirischen, neuropsychologischen und neurophänomenologischen Religions- und Mystikforschung nahegelegt – dann muss es sich bei der von Loy beschriebenen nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) konsequenterweise um eine zweite Form universalen Erlebens handeln, wodurch auch Loys neo-perennialistischer Anspruch gerechtfertigt wäre, den er mit seiner Philosophie der Nondualität und nondualen Erfahrung verbindet. 242 Die Probleme beginnen hingegen dort, wo Loy diese hochspezifische Form des mystischen Erlebens anderen nondualen Traditionen unterstellt. Mit Perry Schmidt-Leukel lassen sich in diesem Kontext drei hermeneutische Problemkreise voneinander unterscheiden, die für

242 Diese Einschätzung teile ich ebenfalls mit Jones: »Mindfulness too seems amenable to constructivism: mystics can admit that the mind in mindful states, including enlightened ones, contains differentiated phenomena and thus may be structured by prior beliefs. The only exception would be the extreme case of ›pure‹ mindfulness: there would be differentiable content but no structuring.« Jones, Ri. 2016: 58.

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Nondualismus und Mystik

eine abschließende Bewertung und Kritik von signifikanter Bedeutung sind: (1) Wenn die religiösen Lehren von der Erfahrungsdimension her perspektiviert werden, stellt sich die hermeneutische Frage, wie diese Erfahrung unabhängig von ihrer Artikulation im religiösen Bezugssystem des Mystikers erschlossen und analysiert werden soll. Wenn es keine Möglichkeit eines direkten Verstehenszugangs zu diesen Erfahrungen gibt, mündet eine hermeneutische Orientierung am Erfahrungsbegriff allerdings in einem Zirkel: Der Versuch, die mystische Erfahrung einer fremden Religion zu verstehen, setzt bereits das Verstandensein dieser Erfahrung voraus, da nur aus dem Vergleich verstandener Erfahrungen eine Hypothese über deren gemeinsames Wesen geprüft werden kann. Der Religionsvergleich würde aber somit nur jene Hypothese über das Wesen der Erfahrung bestätigen, die bereits das Verständnis der verglichenen Erfahrungen bestimmt. 243 Bei Loy ist dieser Mechanismus evident, insofern er in seinem Religionsvergleich ein spezifisches Verständnis der nondualen Erfahrung voraussetzt, das seinem eigenen zen-buddhistischen Hintergrund entlehnt ist und sein Verständnis anderer Religionen ursprünglich leitet, sodass er immer nur das Eigene im Fremden findet und auf diese Weise alle andersgearteten Erfahrungen vereinnahmt und verfälscht. (2) Daran schließt sich die Frage nach dem Verhältnis der mystischen Erfahrungen in den verschiedenen Religionen an. Handelt es sich bei der mystischen Erfahrung des Christen und der nondualen Erfahrung des Buddhisten um identische oder verschiedene Er243 Cf. Schmidt-Leukel 1992: 109; Jones, Ri. 2016: 90. Schmidt-Leukel zufolge lässt sich die »Zirkularität, daß von den Lehren her die jeweilige Heilserfahrung identifiziert wird und dann von dieser her die entsprechenden Lehren« nur aufbrechen, »wenn ein von den jeweiligen Lehren unabhängiger Erfahrungszugang angenommen wird.« Schmidt-Leukel 1992: 346. Bereits Rudolf Otto hatte in diesem Sinn eine transzendentalanthropologische Religionshermeneutik entwickelt, die alle formalen Übereinstimmungen in den wiederkehrenden Grundschemata und Urmotiven mystischen Denkens in Ost und West auf die »innerliche Verwandtschaft der menschlichen Geistes- und Erlebensart« zurückführt. Otto 1972: 2. Bereits im Schlusswort seines Buches Vischnu-Nārāyana (1917) hatte Otto die Parallelen und Konvergenzen in der Religionsgeschichte auf »die zugrundeliegende einheitliche, gemeinsame Anlage der Menschheit« zurückgeführt. Otto 1923: 217. Daran anschließend habe ich versucht, die Transzendentalphilosophie als geltungsreflexive Grundlage einer transkulturellen Religionsphilosophie fruchtbar zu machen, die auf der Basis einer sprach-, kultur-, geschichts- und kontextinvarianten Vernunft, universal gültiger Grundprinzipien der Logik und einer damit verbundenen wahrheitsmonistischen Position die verbindliche Basis für den Religionsvergleich bietet. Cf. Völker 2016.

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Reflexion und Rezension

fahrungen? Geht man von völlig verschiedenen und wechselseitig unableitbaren Erfahrungen aus, würde dies die sachlichen Unterschiede der Lehren erklären, die jeweils ihrem spezifischen Charakter gemäß beschrieben wurden. Handelt es sich allerdings um identische Erfahrungen, dann stellt sich die weiterführende Frage nach dem Verhältnis der jeweiligen Lehre zu dieser homogenen Erfahrungsdimension. Wenn es sich dabei nicht nur um unterschiedliche Beschreibungen, sondern teilweise unvereinbare oder sogar wechselseitig ausschließende Interpretationen der gleichen Erfahrung handelt, müsste hier folglich zwischen richtigen und falschen Interpretationen unterschieden werden. Wie die Analyse von Loys Theismus-Interpretation gezeigt hat, geht Loy davon aus, dass auch in einem theistischen Kontext die nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) verwirklicht werden kann, aber die christliche gegenüber der buddhistischen Interpretation defizitär ist. Auf der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya) bietet für Loy allein seine Buddhismusinterpretation das einzig (relativ) wahre Verständnis (tathya-saṃvṛti) dieser nondualen Ur-Erfahrung. (3) Der dritte hermeneutische Problemkreis berührt die Vermittlungsdynamik zwischen Lehre und Erfahrung: Sind die religiösen Traditionen die reflektierte Wiedergabe und interpretierende Artikulation einer ansich sprach-, kultur-, geschichts- und kontextinvarianten Erfahrungswirklichkeit oder sind die religiösen Erfahrungen ihrerseits Derivat dieser Lehren, die ihre Autorität von anderswo herleiten? Loy geht in dieser Hinsicht vom grundlegenden Primat der Erfahrung aus und interpretiert alle Religionen als nachträgliche Interpretationen, die er aus einer rückführenden Anbindung an diese gemeinsame und alle Konzeptualisierungsversuche transzendierende Erfahrungsgrundlage vermitteln will. 244 Dabei ergibt sich aus seiner Position bezüglich der ersten beiden hermeneutischen Problemkreise notwendig eine Art »primus-inter-pares-Inklusivismus«, der den vermeintlich einheitlichen Erfahrungskern als absoluten Ermöglichungsgrund aller Religionen zudem phänomenalistisch verkürzt. 245

Cf. Loy 1997a: 274. Es sei an dieser Stelle nochmal an Loys Interpretation der Wolke des Nichtwissens erinnert, an der sich alle drei Punkte überdeutlich ablesen lassen. Loy setzt sein phänomenalistisches Verständnis nondualer Erfahrung voraus, die er gegen jede Textevidenz mit der mystischen Erfahrung des Autors identifiziert, woraus dann notwendig folgt, dass die christliche Konzeptualisierung dieser Erfahrung falsch ist und der 244 245

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Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus

9.3. Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus Loys mit eherner Konsequenz vertretene Immanenzphilosophie und antimetaphysische Grundtendenz ist wohl die markanteste Eigentümlichkeit seines Denkens. Das menschliche Welt- und Selbsterkennen hat es weder mit »Dingen« noch mit einem einfachen, unteilbaren und subjektiven Träger der psychischen und physischen Phänomene oder metaphysischen Agens, sondern ausschließlich mit einem in der reinen Erfahrung vorgefundenen Komplex gleichartiger nirvikalpa-Erlebnisse zu tun, die unvermittelt aus dem Nichts auftauchen und in das Nichts zurücksinken. Selbsterklärtes Ziel ist dabei keine wissenschaftliche Beschreibung der Welt, Klassifikation der Phänomene in ihrem Entstehen, Bestehen und Vergehen oder die Erforschung des gesetzmäßigen Zusammenhangs unserer Erfahrungselemente untereinander, denn diese sind als gewaltsame Abstraktionen und illegitime Erweiterungen bereits durch das unbewusste Wirken des prapañca metaphysisch durchformt, sondern die heilsgeleitete Transformation der natürlichen Welterfahrung, sodass Körper und Geist, Subjekt und Objekt nicht mehr gegeneinander isoliert erfahren werden und die Verdopplung in innere und äußere Erfahrung, psychischen Innen- und physischen Außenraum, wieder als das realisiert wird, was sie ursprünglich schon immer war: Ein ungegliederter Empfindungskomplex. Unsere Erfahrung ist also nichts, was den Inhalt aller Realität begrenzt, sondern als Summe aller unmittelbaren Erlebnisse vollendet. Der Inbegriff aller Wirklichkeit und das eigentliche Urphänomen ist für Loy eine Vielzahl von nirvikalpa-Erlebnissen, die von allen metaphysischen Hypostasen dispensiert die Realität zur Gänze erschöpft. Aus der radikalen Anwendung seines monistisch-phänomenalistischen Grundgedankens ergeben sich allerdings zwei schwerwiegende Probleme, die ich im Folgenden auseinandersetzen möchte: (1) Die von Loy behauptete Unmöglichkeit, jemals den Umfang der sich wandelnden nirvikalpa-Empfindungskomplexe überschreiten zu können, führt unweigerlich zum Solipsismus; (2) Loys solipsistischer Erfahrungsmonismus, der keine Realität außerhalb des unmittelbar Erlebten anerkennt und der Transzendenz keinen Platz einräumt, zeigt die buddhistische Philosophie in einer nihilistischen Erscheinungsform. Buddhismus die relativ bessere Interpretation derselben Erfahrung vorzuweisen hat (siehe 2.5.1.).

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Reflexion und Rezension

9.3.1. Das Problem des transzendental-egologischen Solipsismus Indem Loy von Berkeley und Hume allein die negativen Aspekte ihres Denkens rezipiert und kombiniert, um sowohl den Begriff des Dinges an sich als auch den Seelenbegriff zu destruieren, endet er in einer Extremform des Phänomenalismus, der alles zur Fiktion degradiert und dauerhaft eliminiert, was eine Erweiterung über das Gebiet der nirvikalpa-Erlebnisse hinaus impliziert und das unmittelbar Gegebene transzendiert. Die Empfindungen, die sich zum Subjekt verdichtet haben und diejenigen Empfindungen, die das Objekt konstituieren, sind prinzipiell gleichwertig, da sie zu ein und demselben nirvikalpa-Empfindungskomplex gehören. Dabei ist Loys ursprüngliche Unterscheidung zwischen visuellen, auditiven, olfaktorischen, gustatorischen, noetischen und taktilen nirvikalpa-Erlebnissen bereits problematisch, insofern es sich hierbei schon um ein Werk der Reflexion handelt, wenn ein einzelnes nirvikalpa-Erlebnis als Erlebnis eines spezifischen Sinnes identifiziert und damit aus dem »unklaren Totaleindruck« 246 ausgeschieden wird, der dieser Differenz in seinem primordialen Charakter noch vorausliegt. Dennoch haben allein die radikalsten Repräsentanten des Empiriokritizismus um Richard Avenarius (1843–1896) und Ernst Mach (1838–1916) sowie der Immanenzphilosophie um Wilhelm Schuppe (1836–1913) und Richard von Schubert-Soldern (1852–1924) in den letzten beiden Jahrhunderten überhaupt einen annähernd extremen Standpunkt bezogen. Bekannt ist Machs prägendes Erlebnis, dem an einem »heitern Sommertage im Freien« einmal die Welt samt seines Ichs »als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen« 247 erschienen war – jenem »feenhaften Sommermorgen«, an dem Rudolf Willy (1855– 1918) zufolge der »steife kantische transzendental-idealistische Klapper-Apparat« 248 für Mach verbrannt und verglüht sei. Aufgrund ihrer Leugnung der Existenz einer vom menschlichen Bewusstsein unabhängigen Außenwelt und objektiven Quelle unserer Empfindungen hatte Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924) Avenarius, Mach und den »russischen »Machisten«« 249 in seiner als Materialismus und Empiriokritizismus (1909) publizierten Polemik daher einen Rückfall 246 247 248 249

Schuppe 1894: 78. Mach 1987: 24. Willy 1899: 156. Lenin 1989: 36.

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Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus

in den subjektiven Idealismus Berkeleys vorgeworfen. Wenn es nach Machs eigener Aussage »keine Empfindung« gäbe, »der ein äußeres von ihr verschiedenes Ding entspräche« 250, dann sei dies eben nichts anderes als die von Mach vergeblich bestrittene »Monstrosität des Solipsismus« 251, die alle anderen Menschen auf die je eigenen Empfindungskomplexe reduziere und diese nicht als Abbilder einer den Empfindungen entsprechenden äußeren Erscheinung anerkenne. 252 Dieses Problem hatte bereits der österreichisch-ungarische Philosoph Oskar Ewald Friedländer (1881–1940) in seiner Kritik an Avenarius’ Philosophie der reinen Erfahrung scharf erkannt und kritisiert. Der logische Fehler einer metabasis eis allo genos liege auf der Hand. Es würden nämlich der logische Sinn des Urteils »Der Mitmensch hat Bewusstseinsinhalte« und dieses Urteil als psychischer Vorgang im Urteilenden selbst kritiklos miteinander vermengt: Indem man dem Mitmenschen ein Bewußtsein zuschreibt, stellt man sich aber bereits auf einen Standpunkt außerhalb seiner selbst. In dem Moment, in dem man den theoretischen Solipsismus preisgibt, erkennt man im mitmenschlichen Bewußtsein bereits eine von der eigenen unabhängige Existenz an. Es hieße jene Preisgabe rückgängig machen, wollte man die fremde Psyche in ein selbsterlebtes psychisches Element verwandeln. Das wäre völlig sinnlos: behaupte ich einmal, daß in meinem Mitmenschen sich irdische Phänomene abspielen, so ist damit bereits gesagt, daß er eine selbständige psychische Existenz besitzt. 253

Mach hatte sich Lenin zufolge dieser Konsequenz seines Denkens entzogen, indem er einfach unberechtigterweise das Wort »meine« durch das Wort »unsere« ersetzt habe und damit »über alle Ungereimtheiten des Berkeleyanismus hinweg« 254 gehüpft sei, während Avenarius die Blöße seines Solipsismus »durch eine mehr »objektive« Terminologie zu verdecken« 255 gesucht habe. Bereits Eduard von

Mach 1987: 253. Mach 1987: 28. 252 So hatte der von Lenin kritisierte Empiriomonist Alexander Alexandrowitsch Bogdanow (1873–1928) in seinen Grundelementen der historischen Naturauffassung (1899) noch unzweideutig formuliert: »Das Bild eines vor mir stehenden Menschen, das mir unmittelbar durch das Sehen gegeben ist, ist eine Empfindung.« Zitiert nach: Lenin 1989: 80. 253 Ewald 1905: 62. 254 Lenin 1989: 65. 255 Lenin 1989: 77. 250 251

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Hartmann (1842–1906) hatte in seiner Weltanschauung der modernen Physik (1902) kritisiert, dass Machs Standpunkt auf einer »Nichtunterscheidung des naiven Realismus und absoluten Illusionismus und der daraus hervorgehenden Identifikation beider« 256 beruhe und er infolgedessen zwischen illusionistischen und naiv-realistischen Positionen unerkannt oszilliere. Trotz offenkundiger und weitreichender Differenzen, die sich zwischen Loys buddhistischer Immanenzphilosophie und den verschiedenen Vertretern des Empiriokritizismus im Einzelnen benennen ließen, sehe ich nicht, wie Loy diesem Grundproblem radikalphänomenalistischen Denkens entgehen könnte. Im Gegenteil, alle Argumente Berkeleys und Humes wiederholend und diese mit Nāgārjuna und Dōgen radikalisierend, scheint auch Loy innerhalb der Grenzen seiner eigenen Erfahrung zu verbleiben und damit dem österreichischen Philosophen und Kantianer Wilhelm Jerusalem (1854–1923) Recht zu geben, der kategorisch erklärt hatte, dass der ganz zu Ende gedachte Phänomenalismus unvermeidlich zum Solipsismus führe. 257 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Mach in grundlegender Übereinstimmung mit dem Buddhismus erklärt hatte, dass das Ich bereits während des individuellen Lebens vielfach variiere, im Schlaf, bei der Versunkenheit in eine Anschauung oder Gedanken sowie den glücklichsten Augenblicken teilweise oder sogar ganz fehlen könne und als »vorübergehende Verbindung von wechselnden Elementen« 258 daher »unrettbar« 259 sei. 260 Ein folgenschwerer Grundirrtum der Buddhismusinterpretation und erkenntnistheoretischer Kurzschluss Loys besteht daher in der völlig unerwiesenen Behauptung, dass mit dem Zauberwort »Nicht-Selbst« (anātman) bereits jeder Solipsismus gebannt sei: Like subjective idealism, phenomenalism seems to imply solipsism because it isolates the observer by deconstructing other sentient beings into his own sense-data. But such a reduction is not objectionable to the nondualist since the subject is also deconstructed into ›sense-data.‹ This avoids the problem of all the data of consciousness becoming Hartmann, E. 1902: 219. Cf. Jerusalem 1905: 26. 258 Mach 1987: 291. 259 Mach 1987: 20. 260 »Der Buddhismus«, so Mach im Anschluss an die Arbeiten des deutsch-amerikanischen Philosophen Paul Carus (1852–1919), komme dieser Einsicht »seit Jahrtausenden vorzugsweise von der praktischen Seite entgegen.« Mach 1987: 291. 256 257

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Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus

private: I may be the only one in the universe, but only because I am the universe. 261

Wie Mach glaubt auch Loy irrtümlich, von sich selbst absehen zu können. Allein bei genauerem Hinsehen findet man alle nirvikalpaErlebnisse in einer individuellen Erlebnissphäre befangen, aus der lediglich die Hypostase des psychologischen Individualbewusstseins meditativ ausgeschieden wurde. Mit seiner erkenntnistheoretischen Position verurteilt sich Loy somit nolens volens zum Solipsismus. Infolgedessen kann auch von einer Erfahrungswelt oder einer holistischen Gesamtschau des Universums als Netz des Indra keine Rede sein, da Loy die individuelle Sphäre subjekt- und objektloser nirvikalpa-Erlebnisse in keiner seiner Schriften begründet transzendiert. Der Sprung von der Jemeinigkeit der nondualen Erfahrung in ein objektiv gegebenes Universum, in dem meine nonduale Erfahrung nur eine Perle in Indras Netz konstituiert, ist nicht nur argumentativ unausgewiesen, sondern überspringt unberechtigterweise auch die von Loy selbstgesetzte Grenze der Erfahrungsimmanenz und widerspricht damit dem basalsten Grundsatz seiner eigenen Philosophie der Erkenntnis. Das Fehlen eines objektiven Moments erzeugt auf diese Weise eine offenkundige und unüberbrückbare Kluft zwischen Loys erkenntnistheoretischer Position und seinen kosmologischen Überzeugungen, die in seiner Philosophie der Nondualität unvermittelt nebeneinander bestehen. Das überrascht umso mehr, da Loy den Yogācāra-Buddhismus wiederholt als philosophische Vollendungsgestalt des Buddhismus bezeichnet und daher mit der Solipsismus-Debatte innerhalb der Schule vertraut sein müsste, wie sie sich u. a. in Dharmakīrtis Nachweis anderer Bewusstseinsströme (saṃtānāntarasiddhi) und Ratnakīrtis (11. Jh.) Widerlegung anderer Bewusstseinsströme (saṃtānāntaradūṣaṇa) niedergeschlagen hat. 262 Der Kern des Problems lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Wenn es sich beim Yogācāra-Buddhismus um keinen Solipsismus handeln soll, der den Bodhisattvapfad zerstört, weil er alle bewusst empfindungsfähigen Lebewesen auf Halluzinationen des einen Erfahrungsflusses (ālayavijñāna) reduziert, muss es konsequenterweise so viele ālayavijñānas wie Wesen geben, Loy 1997a: 88. Cf. Loy 1997a: 30. Eine Übersetzung von Dharmakīrtis Saṃtānāntarasiddhi wurde vorgelegt von Stcherbatsky 1969 und Kitagawa, H. 1955. Ratnakīrtis Saṃtānāntaradūṣaṇa wurde übersetzt von Kajiyama 1965b.

261 262

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Reflexion und Rezension

was Lambert Schmithausen zufolge auch die orthodoxe Sicht des indischen Yogācāra-Buddhismus darstellt. 263 Daraus folgt allerdings die weiterführende Frage nach deren übergeordneter Einheit und dem interpersonalen Medium, in dem diese Vielzahl verschiedener ālayavijñānas interagieren und wechselseitig Karma akkumulieren können. Asaṅga differenziert analog der Unterscheidung zwischen individuellem (asādhāraṇa) und kollektivem (sādhāraṇa) karma im Mahāyānasaṃgraha daher entsprechend zwischen einem kollektiven (sādhāraṇa-lakṣaṇa) Wesensmerkmal des ālayavijñāna als Grundlage der anorganischen »Behälter-Welt« (bhājana-loka) und einem individuellen (asādhāraṇa-lakṣaṇa) Wesensmerkmal des ālayavijñāna als Grundlage einer jeden individuellen Sinnessphäre (prātyātmikāyatana), deren Totalität die Welt der empfindungsfähigen Wesen (sattva-loka) konstituiert. 264 Die intersubjektive Gemeinwelt (bhājana-loka) konstituiert sich Hsüan-Tsang zufolge nur aufgrund von kollektivem, i. e. analogem (sādhāraṇa) karma, so wie verschiedene Lampen einen Raum erhellen und ihr gleichartiges Licht dabei wie eins erscheint. Die phänomenale Welt ist demnach eine kollektive Halluzination, die von einer Vielzahl telepathisch (adhipatipratyaya) miteinander verbundener ālayavijñānas erzeugt wird und aus ihren karmisch konditionierten Bewusstseinsprojektionen besteht. Nun lehrt Hsüan-Tsangs im Ch’eng wei-shi lun allerdings, dass das Wahrnehmungskorrelat keine bewusstseinsunabhängige Materie (rūpa), sondern das als extramentale Materie erscheinende ālayavijñāna selbst ist und es folglich nur das je eigene ālayavijñāna ist, das zugleich als Sinnesorgan und externes Objekt transformiert (vijñāna-pariṇāma) erscheint und sich somit selbst zur objektiven Grundlage (ālambana) der Wahrnehmung wird. Wie kann dann aber einer Vielzahl von Bewusstseinskontinua (vijñāna-saṁtāna) außerhalb des eigenen Bewusstseins Realität zugesprochen werden, wenn man den Voraussetzungen der Schule zufolge von der Erfahrung nicht auf die Existenz externer Objekte schließen (anumāṇa) darf? Für Berkeley forderte der idealistische Standpunkt notwendig die Annahme eines unendlichen Geistes (Gott), der die Existenz der Dinge außerhalb des menschlichen Geistes sichert, indem er sie auch dann erkennt, wenn sie von keinem Menschen perzipiert werden. 265 Thomas E. 263 264 265

Cf. Schmithausen 1987a: 1. Cf. Mahāyānasaṃgraha 1, 59–60. In: Keenan 2003: 33. »[S]ensible things do really exist: and if they really exist, they are necessarily

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Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus

Wood ist in seiner eindringlichen Studie daher zu dem Ergebnis gekommen, dass die buddhistische Position (The Many Finite Minds Principle) nur zu verteidigen sei, wenn ein alles umgreifender und absoluter Geist (infinite mind) in die Lehre eingeführt werde, was den Yogācāra-Vijñānavādins als Form der brahmanischen Häresie (tīrthika-dṛṣṭi/aupaniṣada-vāda) allerdings unmöglich gewesen sei. Dennoch ziele die systemimmanente Logik der Schule in letzter Konsequenz auf eine absolute Geistmetaphysik. 266 Loys Erkenntnistheorie erweist sich folglich nicht nur als solipsistisch, sondern fällt letztlich auch hinter das Niveau der philosophischen Diskussion innerhalb der eigenen Tradition zurück. Das zentrale Problem des Solipsismus lässt sich dabei durch einen Vergleich von Loys dekonstruktiver Methode, die zusammen mit jeder metaphysischen Spekulation auch transzendentale Ansätze als Illusion desavouiert, mit Husserls phänomenologischer Reduktion weiter verdeutlichen und ausdifferenzieren. Husserl beschreibt die phänomenologische Reduktion selbst als »Ausschluß aller transzendenten Setzungen« 267, in der »alles Transzendente (mir nicht immanent Gegebene) […] mit dem Index der Nullität« versehen werden müsse, insofern »seine Existenz, seine Geltung« nicht als solche, »sondern höchstens als Geltungsphänomen« 268 anzusetzen sei. Bei jeder erkenntnistheoretischen Untersuchung müsse diese Reduktion vollzogen werden, um »alle dabei mitspielende Transzendenz mit dem Index der Ausschaltung zu behaften, oder mit dem Index der Gleichgiltigkeit, der erkenntnistheoretischen Nullität, mit dem Index, der da sagt: die Existenz aller dieser Transzendenzen, ob ich sie glauben mag oder nicht, geht mich hier nichts an, hier ist nicht der Ort, darüber zu urteilen, das bleibt ganz außer Spiel.« 269 Durch diese radikale »Änderung der natürlichen Thesis« qua »Ausschaltung« und

perceived by an infinite mind: therefore there is an infinite mind, or God.« Berkeley 2009: 153. 266 Cf. Wood 1999: 130, 171–190. Diese Tendenz sieht Paul Williams wiederum im Absolutismus der tathāgatagarbha-Richtung des Buddhismus verwirklicht: »Hence the ālayavijñāna pluralism of minds would collapse into a form of mentalistic monism. But this is a position that might not be unwelcome in some other and later Buddhist traditions, particularly those associated with Buddha-nature Absolutism.« Williams 2010: 310. 267 Husserl 1950: 5. 268 Husserl 1950: 6. 269 Husserl 1950: 39.

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»Einklammerung« 270 aller Transzendenzbezüge komme die absolute Gegebenheit des phänomenologischen Bestandes zum Vorschein. In seinen Vorlesungen zur Theorie der phänomenologischen Reduktion (1923/24) schreibt Husserl, dass die phänomenologische Reduktion einen »universellen Umsturz aller vorangegangenen und wie immer gewonnen Überzeugungen« 271 darstelle; sie sei das »Als-nichtigAnsetzen, das Zunichtemachen dieses Weltalls« 272 und das »Außergeltungsetzen der Welt« 273. Nur durch diese »freie Tat der Urteilsenthaltung, des Willentlich-sich-loslösens vom ursprünglichen Mitinteresse,« könne hierbei »jene Einstellung des unbeteiligten Betrachtens zustandekommen« 274. In den Cartesianischen Meditationen (1929) beschreibt Husserl die phänomenologische Reduktion fernerhin als das »universale Außergeltungsetzen (›Inhibieren‹, ›Außerspielsetzen‹) aller Stellungsnahmen zur vorgegebenen objektiven Welt, und so zunächst der Seinsstellungnahmen (betreffend Sein, Schein, Möglicherweise-Sein, Vermutlich-, Wahrscheinlich-Sein u. dgl.) – oder wie es auch gesagt zu werden pflegt, diese ›phänomenologische ἐποχή‹ oder dieses ›Einklammern‹ der objektiven Welt« 275. Was nach Vollzug der phänomenologischen Reduktion übrig bleibe, sei »das offen endlose reine Bewußtseinsleben« 276 eines unendlichen Bewusstseinsstroms mannigfaltiger Phänomene, den Erlebnissen der Wahrnehmung, der Erinnerung, der Phantasie, des Aussagens, des Urteilens, des Fühlens und des Wertens. 277 In dieser Beschreibung der Bewusstseinsphänomene »vor aller ›Theorie‹« 278 und ihrer phänomenologischen Betrachtungsweise kämen zum ersten Male die »cogitata qua cogitata als Wesensmomente jedes Bewußtseinserlebnisses, so wie es in echter innerer Erfahrung gegeben« sei, »zu ihrem Rechte« 279. Im Gegensatz zu Loys phänomenalistischer Reduktion vollzieht die phänomenologische Reduktion Husserls qua Ausschaltung der 270 271 272 273 274 275 276 277 278 279

Husserl 1992a: 61. Husserl 1992b: 23. Husserl 1992b: 74. Husserl 1992b: 78. Husserl 1992b: 98. Husserl 1992c: 22. Husserl 1992c: 39. Cf. Möckel 1998: 70. Husserl 1992a: 60. Husserl 1992d: 237.

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Zur Kritik des radikalen Phänomenalismus

natürlichen Einstellung (Naturalismus, naiver Realismus und Abbildtheorie) unseres empirischen Ichbewusstseins allerdings den Aufstieg aus den »empirischen Setzungen der immanenten Bewußtseinssphäre zum transzendentalen Standpunkt eines absoluten Subjektes« 280, denn ohne diesen transzendentalen Einheitsgrund kann weder die Mannigfaltigkeit von Husserls cogitata noch die Pluralität von Loys nirvikalpa-Erlebnissen konsistent gedacht werden. 281 Husserls phänomenologische Reduktion eröffnet somit nicht nur das Feld reiner Bewusstseinserlebnisse, sondern mündet darüber hinaus konsequent in die Dimension transzendentaler Subjektivität ein. Dieses transzendentale Subjekt, das als »Subjekt der gesamten Welterkenntnis nicht zur erkannten Welt« 282 selbst gehört, ist für Husserl nicht nur von der radikalen Reduktion selbst ausgenommen, sondern zeigt sich fernerhin als »apodiktisch gewisser und letzter Urteils- bzw. Seinsboden« 283. Aus Husserls Perspektive betrachtet sind Loys nirvikalpa-Erlebnisse demnach das, was im »apperzipierenden Erleben« 284, also als Phänomen in der egologischen Erlebnissphäre transzendentaler Subjektivität verortet werden muss, während Loy den Bestand mannigfaltiger Phänomenalität niemals auf einen transzendentalen Einheitsgrund bezieht und damit auch den transzendental-egologi-

Möckel 1998: 48 f. Indem nämlich, so der transzendentale Neuthomist und ungarische Jesuit Béla Weissmahr (1929–2005), »eine Pluralität der Objekte« – bzw. Loys Pluralität der nirvikalpa-Erlebnisse – »gedacht, d. h. aufgrund des Denkens behauptet« werde, sei »bereits ein Zusammenhang, eine Einheit dieser Dinge, dieser Objekte angenommen.« Weissmahr 2006: 113. Vielheit könne ohne zugrunde liegende (transzendentale) Einheit schlechterdings nicht gedacht werden: »Indem man nämlich von Vielheit redet, hat man die Vielen schon mit einem Wort bezeichnet, d. h. in eine Einheit zusammengefasst. Die Dinge, die Objekte bilden also eine Einheit, zumindest in dem Sinn, dass sie nicht als vollkommen voneinander isolierte, also als solche, die miteinander überhaupt nichts zu tun haben, aufgefasst werden können. […]. Die Behauptung also, es gibt oder es könnte nur objekthaftes Sein geben, ohne dass es Subjekthaftigkeit bzw. subjekthaftes Sein gibt, verwickelt sich notwendig in Widersprüche (widerspricht sich im Vollzug dieser Behauptung) und kann deshalb nur falsch sein.« Weissmahr 2006: 113. Von Loy selber erwartet man vergeblich Aufklärung über diesen zentralen Punkt, denn zur Vorstellung einer transzendentalen Einheit der Apperzeption hat er nur wenig zu sagen, da er empirische und transzendentale Subjektivität miteinander verwechselt: »[T]he nondualist claims that this thought-constructed ›unity of apperception‹ can be undone.« Loy 1997a: 75. 282 Husserl 1992b: 75. 283 Möckel 1998: 163. 284 Husserl 1992b: 77. 280 281

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Reflexion und Rezension

schen Solipsismus in seiner Philosophie der Nondualität nicht erkennt. Damit reduzieren sich Loys nirvikalpa-Erlebnisse auf einen – mit Husserl gesprochen – »in wesenloser Leere schwebenden Haufen von Daten« 285. Damit trifft ihn auch der von Max Adler (1873–1937) formulierte Vorwurf, mit seinem radikalen Phänomenalismus nicht bis zu den »immanenten (transzendentalen) Bedingungen der Möglichkeit der phänomenologischen Bestände« 286 vorgedrungen zu sein. Eine entscheidende und endgültige Kritik radikal-phänomenalistischer Positionen hat aus transzendentaler Sicht der Neukantianer Richard Hönigswald (1875–1947) in seiner Kritik der Machschen Philosophie (1903) vorgelegt. Darin zeigt Hönigswald überzeugend, dass antimetaphysische Anschauungen wie diejenigen Machs, die in fundamentalen Aspekten mit Loys erkenntnistheoretischem Standpunkt positivistischer Selbstbeschränkung konvergieren, einer transzendentalkritischen Prüfung nicht standhalten können. Sowohl Loy als auch der ihm geistesverwandte Mach halten den Standpunkt eines einheitlichen, in allem zeitlichen Wechsel mit sich selbst identisch bleibenden Subjektes angesichts ihrer vermeintlich radikalen Revision der Voraussetzungen transzendentaler Erkenntnistheorie für einen beschränkten und überwundenen Standpunkt, dem ohne jeglichen Erkenntniswert nur noch in praktischer Hinsicht Bedeutung beigemessen werden kann. Damit verfällt Loy in seiner nondualen Philosophie der Erkenntnis, die analog zu derjenigen Machs »weder Dinge, noch ein diesen gegenüberstehendes bewußtes Ich, weder Subjekte, noch Objekte, weder Physisches, noch Psychisches« 287 in der Welt findet, »einem alten, längst aufgeklärten und oft widerlegten Irrtum« 288, insofern er den schlechthin gegebenen und einander völlig gleichwertigen nirvikalpa-Erlebniselementen überall sein transzendentales Subjekt »subintelligiert« 289. Loy hat diesen transzendentalen Standpunkt freilich unbewusst und gegen seine eigentliche Absicht im Grunde genommen niemals verlassen. Eine kritische Erörterung der erkenntnistheoretischen Position beider Denker zeigt hingegen mit Evidenz, dass sowohl Machs »buddhistische Überzeugung von der Nichtigkeit der Person und des ganzen individuellen

285 286 287 288 289

Husserl 1981: 227. Adler 1975: 229. Hönigswald 1903: 10. Hönigswald 1903: 23. Hönigswald 1903: 24.

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Daseins« 290 als auch Loys energische Bestrebungen, das Ich in all seinen Dimensionen auszuschalten, an der transzendentalen Einheit des Bewusstseins scheitern: »An die Stelle des beharrenden Ich-Komplexes tritt wieder das alte, beharrende, einfache, d. h. nicht substantiale, weil unteilbare, Ich der Transzendentalphilosophie.« 291 Den für sein praktisches Heil meditierenden Mönch können diese theoretischen Mängel und formalen Widersprüche zweifellos unbeeindruckt lassen, den um Kohärenz und Konsistenz bemühten Philosophen Loy sicherlich nicht. Seine gesamte Philosophie der Nondualität wird überhaupt nur möglich unter der unentbehrlichen Voraussetzung eines absoluten Wissens, das »nicht nur unabhängig von aller Veränderlichkeit des Objektiven, sondern auch des Subjektiven« 292 ist und das Fichte im zweiten Berliner Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 als schlechthin unveränderliches und sich selbst gleiches, reines Wissen expliziert hatte. Die Kritik der Loyschen Erkenntnistheorie führt somit konsequent zum Standpunkt der Transzendentalphilosophie. 293

9.3.2. The Lack of Transcendence: Loys radikaler Phänomenalismus als Nihilismus In polemischer Absicht wurden die Mādhyamikas bereits von Śaṅkara und späteren Advaitins als Apologeten einer hypertrophen und exzessiven Leerheit (atyanta-śūnyatā) stigmatisiert und der Śūnyavāda als absoluter Nihilismus diffamiert. 294 Der substantielle Seinsgehalt war für Śaṅkara im selbstwidersprüchlichen Nichts der Mādhyamikas verschwunden und die phänomenale Welt zu einem widersinnigen Schein herabgesunken. 295 Der Nihilismus-Vorwurf wurde allerdings nicht nur interreligiös von Seiten des orthodoxen Brahmanismus an Nāgārjuna und dessen Philosophie der Leere angetragen, sondern auch intrareligiös innerhalb des buddhistischen Saṅgha laut. Die Lehre der Mādhyamikas, die phänomenale Welt sei eine Illusion, die nur in Form konzeptueller Konstrukte existiere Hönigswald 1903: 19. Hönigswald 1903: 22. 292 Wissenschaftslehre 1804–2. In: GA II/8: 38. 293 Für eine transzendentalphilosophische Interpretation der Lehre Nāgārjunas siehe Völker 2018b 294 Cf. Gauḍapādīyakārikāśaṅkarabhāṣya 3, 48. In: Gambhīrānanda 1992: 387 f. 295 Cf. Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 3, 2, 22. In: Deussen 1982: 532–536. 290 291

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(prajñaptisat), setzte auch der Ansicht einiger Denker des Abhidharma und des Yogācāra zufolge notwendig die Affirmation einer realen Substanz (dravyasat) als irreduzible und unhintergehbare Negationsbasis voraus. So konnte auch Vasubandhu in der Lehre der Mādhyamikas nichts als seinsvergessenen Nihilismus erkennen: »Some [the Pudgalavādins] cling to the person, Others [the Mādhyamikas] cling to the non-existence of everything [ekeṣāṃ sarvanāstigrāha iti madhyamakacittānām].« 296 Asaṅga (ca. 4. Jh. n. Chr.) ging in seiner Kritik sogar so weit, die Mādhyamikas als Erz-Nihilisten (pradhāna nāstika) zu verurteilen: There are some who say: ›Everything is designations only; this is reality [prajñaptimātram eva sarvam etat tattvaṃ]. If one sees in this way, he sees correctly‹. Since for them the mere thing that is the basis of designation is not there, the designation itself cannot by all means be there! How could then reality be there as designations-only? Therefore, in this way, they have over-negated both reality and designation. And since he over-negates designation and reality, such person Ātmavādapratiṣedha 3, 10. In: Duerlinger 2006: 95. Unter Auslassung einiger Einschübe des Übersetzers. Sanskritergänzungen F. V. Für Paul Williams basiert die ontologische Opposition zwischen Cittamātra und Madhyamaka »on the (intuitively quite convincing) Abhidharma claim that there must be a real substance (dravya) in order for there to be conceptual constructs (prajñapti). To claim, as Madhyamaka clearly does, that literally everything is simply a conceptual construct (prajñaptimātra, i. e. all dharmas are lacking in inherent existence (niḥsvabhāva)) is in Vaibhāṣika Abhidharma terms and, I suggest, Cittamātra terms also, quite incoherent. No matter how clever the Madhyamaka arguments are, they must involve misusing the concept ›prajñapti‹, and if taken literally would amount to nihilism in spite of the Madhyamaka claim to deny nihilism in favor of an equation of emptiness and dependent origination. To say that all things are conceptual constructs is to say that all things are constructed but patently are not constructed out of anything. Ontologically in opposing a nihilism which it was sure resulted from complete niḥsvabhāvatā Cittamātra had to involve a dravya, and this meant the inherent existence of something. Given the Abhidharma framework, not to mention the requirements of rationality, this was thought to be coherent and sensible.« Williams 2000: 11 f. »[F]or an Ābhidharmika–and, I suggest, a follower of Yogācāra–the conclusion that Madhyamaka amounted to nihilism did not rest on a misunderstanding of Madhyamaka (a failure to understand that emptiness does not equal nothing at all, but is an equivalent of dependent origination). It rested rather on an understanding that there is something very strange in maintaining that all is a conceptual construct (i. e., niḥsvabhāva). Even if the Mādhyamika says he or she is […] not a nihilist, in fact, if the Mādhyamika does not accept any dravya at all, then he or she is playing with words and must be a nihilist nevertheless.« Williams 2000: 14. Auf dieser argumentativen Basis hat David Burton die nihilistische Form der Nāgārjuna-Interpretation erneuert: Cf. Burton, D. 2001: 4 f.

296

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should be understood to be the foremost nihilist [prajñaptitattvāpavādāc ca pradhāno nāstiko veditavyaḥ]. 297

Loy weist diese aus Sicht der Advaitins, Ābhidharmikas und Yogācārins nihilistische Position nun nicht zurück, sondern reklamiert sie offen für sich, indem er sich expressis verbis zur Negation eines jeden substantiellen Seinsgehaltes bekennt: Die phänomenale Welt ist seiner Interpretation zufolge eine substratlose Illusion, in der ontologisch nichts zur Erscheinung kommt, i. e. die Welt ist »the phenomenal manifestation […] of nothing.« 298 In Loys radikalem Phänomenalismus findet sich kein ganzes und wahres Sein und kein Gott als unwandelbarer, zeitloser, sich selbst gleicher Daseins- und Gewissheitsgrund mehr und auch das transzendentale Subjekt ist in seinem Anspruch zerstört, das zweifelsresistente Fundament und der Anfangsgrund von Sein und Erkenntnis zu sein. Jede Form von Transzendenz, sei es die radikale Transzendenz eines Gottes in kosmologischer Differenz oder die immanente Transzendenz des alles umfassenden und begründenden Seins des Seienden der Ontotheologie, ist hier aufgelöst in die schlechte Unendlichkeit ephemerer Phänomenalität, sodass Loy nur die Bilder seiner transzendental-egologischen Erlebnissphäre bleiben, die niemandem vorüberschweben und in denen nichts zur Erscheinung kommt. Es wird sich zeigen, dass Loy diesen theoretischen Nihilismus durch methodische Einbeziehung bewusst als Hinführung zur buddhistischen Praxis instrumentalisiert und damit in letzter Konsequenz auch seiner eigenen Philosophie lediglich einen heuristischen Wert auf dem buddhistischen Heilspfad zugesteht. Wenn auch die Suche nach letztgültiger Wahrheit nur ein weiterer Versuch des Individualbewusstseins ist, sich real zu machen, indem es sich auf bestimmte Lehren fixiert, von denen es glaubt, das wahre Sein in ihnen ergreifen und auf diese Weise die innere Leere (lack) kompensieren zu können, dann wird es konsequenterweise zur vordringlichsten Aufgabe der Philosophie, alles Gottes- und Seinsdenken zu destruieren und die Aufhebung aller Lehren, einschließlich der eigenen, anzubahnen. In diesem Sinne stellt auch die von Wolfgang Janke prognostizierte nihilistische Gottes- und Religionskrise unseres gegenwärtigen Zeitalters für Loy keine Krise, sondern eine unver297 Bodhisattvabhūmi-Tattvārthapaṭala. In: Salvini 2015: 29. Sanskritergänzungen F. V. 298 Loy 1997a: 179.

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gleichliche Chance dar, um sich endgültig von kompensatorischen Transzendenzsurrogaten und leerheitsverdrängenden Seinslehren zu befreien und damit den Weg zu einer echten Befreiung im meditativ transformierten Hier-und-Jetzt zu bahnen. 299 Dem ist mit Karl Jaspers freilich entgegenzuhalten, dass das Unheil menschlicher Existenz beginnt, wenn allein das empirisch Erfahrbare und wissenschaftlich Wissbare für das Sein selbst gehalten wird und wenn alles, was nicht erfahrbar und wissenschaftlich wissbar ist, als nicht existent gilt. 300 Daran schließt sich die im folgenden zu klärende Frage an, ob eine Philosophie der Nondualität, die keinen nihilistischen Standpunkt bezieht, mit Loys praktischem Ziel der Vernichtung des Egos prinzipiell unvereinbar ist oder eine solche Lehre nur von einem heilspragmatischen Standpunkt aus betrachtet potentiell gefährlich ist, weil hier der Geist im Seinsdenken möglicherweise seine trügerische Ruhe findet und damit vom praktischen Pfad der Selbstvernichtung als der conditio sine qua non der Befreiung abgelenkt wird.

299 300

Janke 2011: 213. Cf. Jaspers 1974: 28 f.

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10. Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

10.1. Nonduale Psychologie Seit den Anfängen authentischer Verständnisbemühungen der westlichen Geisteswelt wird der Buddhismus primär als Objekt religiöser Interessen betrachtet und vor allem als Dialogpartner des Christentums, des Judentums und des Islams gesehen. 1 Für Loy besteht der elementare Gehalt der Lehre Śākyamuni Buddhas aber weniger in metaphysischen Sätzen oder endlosen scholastischen Erörterungen, sondern in ihrem rein therapeutischen, transformativen und evolutionären Potential. Das Ziel des Buddhismus liege allein darin, unsere existentielle Frustration (duḥkha) in diesem Leben zu einem endgültigen Ende zu bringen und nicht den Glauben an eine Transzendenz und die Erlösung im Jenseits zu kultivieren. 2 An Loys buddhistischem Selbstverständnis wird somit verständlich, warum er dem Dialog des Buddhismus mit der westlichen Psychologie und Psychotherapie eine höhere Relevanz zubilligt als dem Dialog mit den abrahamitischen Religionen. Gerade von der Synthese buddhistischer Daseinsanalyse und westlicher Psychologie erhofft sich Loy ein vertieftes Verständnis der conditio humana, das möglicherweise einen wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, unsere existentiellen Grundkonflikte und ihre dynamischen Wirkweisen zu begreifen und konkrete Wege zu deren Auflösung zu generieren: »While contemporary psychology brings to this encounter a more sophisticated understanding of the ways we make ourselves unhappy, it seems to me that

Näheres zur interreligiösen Begegnung zwischen den abrahamitischen Religionen und dem Buddhismus bei Brück/Lai 1997; Schmidt-Leukel 2005b: 433–477; SchmidtLeukel 2013b; Schmidt-Leukel 2017b: 71–89, 164–203. Den historischen Hintergrund des Dialogs zwischen Buddhismus und Naturwissenschaft beleuchtet Payne 2006. 2 »[T]he Buddha said that he taught only one thing: how to end dukkha.« Loy 2002a: 3. 1

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Buddhist teachings provide a deeper insight into the source of the problem.« 3 Der Buddhismus ist dabei vor allem zum Forschungsobjekt und Dialogpartner der Transpersonalen Psychologie und Psychotherapie geworden, die sich in Theorie und Praxis als Bindeglied zwischen der wissenschaftlichen Psychologie und den philosophischen, religiösen und spirituellen Einsichten der Weisheitslehren weltweit begreift. Untersucht werden vor allem die Ursachen, Auswirkungen und Korrelate derjenigen Erfahrungen, in der die empirische Persönlichkeit des Menschen transzendiert wird, wie dies auch in Loys nondualer kenshō-Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) der Fall ist. Um zu diesem Themenkomplex überzuleiten, werde ich der detaillierten Darstellung von Loys nondualer Psychologie einen kurzen Überblick über die Geschichte und Quellen der transpersonalen Psychologie und Psychotherapie sowie ihrer wichtigsten Vertreter vorausschicken und damit in die thematischen Konstanten und wesentlichen Fragestellungen der Disziplin einführen.

10.1.1. Transpersonale Psychologie und Psychotherapie: Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund von Loys nondualer Psychologie Der Begriff transpersonal wurde vom US-amerikanischen Gründervater der Humanistischen Psychologie Abraham H. Maslow (1908– 1970) eingeführt, der in einer 1967 gehaltenen Vorlesung in San Francisco zunächst von transhumanistisch gesprochen hatte, um denjenigen Bereich zu adressieren, der den »glücklichen, entwickelten, sich selbst verwirklichenden Menschen motiviert, belohnt und aktiviert« 4 und damit übersteigt. 5 Neben dem objektivistischen Ansatz des positivistischen Behaviorismus, der mit seiner systematischen Forderung nach durchgehender Überprüfbarkeit die kognitiv-affektive Dimension des Menschen und das Konzept der Transzendenz ausblendet und sich stattdessen ganz auf das äußere und beobachtbare

Loy 2002a: 2. Vorlesung von Maslow in San Francisco (1967). Zitiert nach Waldmann 1996: 7. 5 Der Begriff »Transhumanismus« selbst wurde bereits 1957 von Julian Huxley (1887–1975), dem Bruder von Aldous L. Huxley (1894–1963), geprägt. Cf. Huxley, J. 1957: 13–17. 3 4

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Verhalten beschränkt sowie dem subjektivistischen Ansatz der psychoanalytischen Gegenströmung, deren exklusivistische Ausrichtung sich primär den intrapsychischen Vorgängen und unbewussten Determinanten sowie verdrängten Prozessen des Menschen widmet und dabei Spiritualität und Mystik als eskapistische Illusion und pathologische Regression ablehnt, akzentuiert die humanistische Psychologie mit dem Streben nach Autonomie, Ganzheit, existentiellem Sinn und kreativer Selbstverwirklichung (self-actualization) ein erweitertes und umfassenderes Modell der menschlichen Psyche. Maslow legte dabei mit Toward a Psychology of Being (1962) die theoretischen Grundlagen der Disziplin, deren Gegenstand er bereits wenige Jahre später erweitern sollte. Im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Psychologie des Seins (1968) stellte er bereits die Entstehung einer vierten Kraft der Psychologie in Aussicht, die überpersönlich und transhuman sei, ihren Mittelpunkt im All und nicht in menschlichen Bedürfnissen und Interessen habe und über Menschlichkeit, Identität und Selbstverwirklichung hinausgehe. Auf diese Weise sollte es möglich werden, die gesamte Reichweite der menschlichen Natur umfassend zu verstehen, zu der Maslow auch das Bedürfnis nach Selbsttranszendenz und sogenannte »Gipfelerlebnisse« (peak experiences) als den höchsten Entwicklungsmöglichkeiten des menschlichen Bewusstseins zählte. 6 Der Begriff »transhumanistisch« wurde kurz darauf auf Vorschlag von Stanislav Grof durch den Begriff »transpersonal« ersetzt und 1969 mit der ersten Ausgabe des Journal of Transpersonal Psychology (JTP) festgeschrieben, das Maslow zusammen mit Grof und Anthony J. Sutich (1907–1976) publizierte und dem im Oktober desselben Jahres die Begründung der American Transpersonal Association folgte. 7 Roger N. Walsh und Frances Vaughan, die als Mitbegründer und wesentliche Theoretiker der Transpersonalen PsychoCf. Maslow 1981: 11 f.; Maslow 2014: 13–36. Cf. Grof 2005: 5 ff.; Sutich 1988. Die wichtigsten Aufsätze aus dem Zeitraum der Begründung der Transpersonalen Psychologie (ca. 1965–1975) versammelt in deutscher Übersetzung die Anthologie von Ruschmann 1983. Einen kurzen Abriss der Geschichte der Transpersonalen Psychologie samt ihrer wichtigsten Vorläufer, Begründer und Vertreter geben Hundt 2007: 42–85; Quekelberghe 2005: 275–358; Rowan 2005:27–52 und Schmitz 2010: 8–44. Loy sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Journals of Transpersonal Psychology, in dem er mit Avoiding the Void: The Lack of Self in Psychotherapy and Buddhism (1992) und Terror in the God-Shaped Hole: A Buddhist Perspective on Modernity’s Identity Crisis (2004) bereits eigene Beiträge publiziert hat. 6 7

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

logie gelten und mit Beyond Ego: Transpersonal Dimensions in Psychology (1980) und Paths Beyond Ego: The Transpersonal Vision (1993) zentrale Anthologien der Disziplin publiziert haben, definieren transpersonale Erfahrungen ihrem Namen entsprechend als »experiences in which the sense of identity or self extends beyond (trans) the individual or personal to encompass wider aspects of humankind, life, psyche or cosmos.« 8 Gegenüber der Psychotherapie, die mit ihrem als reduktionistisch bemängelten Menschen- und zu eng gefassten Weltbild primär auf Pathologisches und letztlich auf eine erfolgreiche Anpassung an die vorherrschende Kultur zielt und der humanistischen Psychotherapie, die das Konzept der Selbstaktualisierung und optimalen psychischen Gesundheit betont und auf ein ständiges Wachstum zu je »größerer Synergie, Integration und innerer Konsistenz« 9 hin ausgelegt ist, integriert die transpersonale Psychotherapie folglich Entwicklungsstadien jenseits der Ich-Grenzen in die therapeutische Praxis, deren Endziel nun in der Kultivierung und direkten Erfahrung derjenigen nicht-dualistischen Bewusstseinszustände verortet wird, die entsprechend den verschiedenen Traditionen als Befreiung, geistiges Erwachen, Erweckung oder Erleuchtung bezeichnet werden. 10 So definiert der deutsche Psychiater, Psychotherapeut und Meditationslehrer Joachim Galuska ein transpersonales Bewusstsein ganz im Sinne Loys als »Erfahrung der Nondualität, also der Auflösung der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Ich und Welt, Wahrnehmenden und Wahrnehmung, Täter und Handlung, Denker und Gedanken.« 11 Eine der ersten und einflussreichsten ForWalsh/Vaughan 1993a: 203. Cf. Walsh/Vaughan 1987; Walsh/Vaughan 1993b; Walsh 1995. 9 Maslow 1981: 53. 10 Cf. Boorstein 1988: 9; Walsh/Vaughan 1988: 29. Diesen Entwicklungsprozess hat der niederländische Kulturhistoriker und Religionswissenschaftler Wouter Jacobus Hanegraaff treffend als »Psychologization of Religion and Sacralization of Psychology« gekennzeichnet. Hanegraaff 1998: 224. Bereits Maslow hatte die Transpersonale Psychologie als »Religionssurrogat« verstanden und Charles T. Tart fragte direkt, welchen Beitrag die Psychologie dazu leisten könne, »dass wir erleuchtet werden?« Maslow 1981: 12; Tart 2003: 186. Paradigmatisch sei hier folgende Aussage von Maslow referiert: »Und wenn […] Paul Tillich Religion definiert als ein »Ergriffensein von dem, was uns unmittelbar angeht« und ich dann die humanistische Psychologie in gleicherweise definiere, was dann ist der Unterschied zwischen Übernatürlichkeit und Humanismus?« Maslow 2014: 97. 11 Galuska 2003a: 10. Näheres zum Anwendungsfeld transpersonal orientierter Therapie bei Galuska 2003b. Über das breite Spektrum spirituell orientierter Psychotherapie kann hier kein Überblick gegeben werden. Eine erste Orientierung bietet Que8

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Nonduale Psychologie

men transpersonaler Psychotherapie wurde vom italienischen FreudSchüler Roberto Assagioli (1888–1974) entwickelt, der bereits 1909/ 1910 mit der Ausarbeitung der zunächst als »Psycho-agogik« bezeichneten Psychosynthese begann, um spirituelle Aspekte in der herkömmlichen Psychotherapie zu integrieren. Dabei unterscheidet Assagioli zwischen der Selbstaktualisierung eines kleinen Selbst in der personalen Psychosynthese und der Verwirklichung eines größeren Selbst in der transpersonalen Psychosynthese, die den Patienten mittels psycho-spiritueller Techniken »durch die verschiedenen Phasen der Neubildung seiner Persönlichkeit um ein höheres inneres Zentrum« 12 begleiten soll. Diese Selbst-Identifikation soll dabei u. a. über einen Prozess der Disidentifikation erreicht werden, in der ein inhaltsleeres Überbewusstsein als spiritueller Kern des Menschen jenseits von Körper, Empfindungen, Gefühlen und mentalen Inhalten integriert und dieses transpersonale Selbst als vereinigendes Zentrum der gesamten Persönlichkeit im urteilsfreien Gewahrsein bewusst erlebt wird: Ich habe einen Körper, aber ich bin nicht mein Körper. […]. Ich habe Gefühle, aber ich bin nicht meine Gefühle. […]. Ich habe Verlangen, aber ich bin nicht mein Verlangen […]. Ich habe Verstand, aber ich bin nicht mein Verstand. […]. Nach dieser Disidentifikation des Ich von den Inhalten des Bewusstseins (den Körperempfindungen, Gefühlen, Begierden und Gedanken) erkenne und bekräftige ich, dass ich ein Zentrum reiner Selbst-Bewusstheit bin. 13

Bruce W. Scotton zufolge bezieht sich der Begriff »transpersonal« entsprechend auf diejenigen Entwicklungen und Erfahrungen des Menschen, die das Konventionale, Personale und Individuale überschreiten und damit die Lebenspraxis nachhaltig verändern. Das kelberghe 2007: 147–326. Für Entwürfe einer explizit (zen-)buddhistischen Psychotherapie siehe Bazzano 2017; Bobrow 2010; Borghardt/Erhardt 2016; Brazier 2001a; Ennenbach 2010; Epstein, M. 1995; LeVine 2018; Magid 2005; Mruk/Hartzell 2003; Rosenbaum 1999; Rubin 1996; Simpkins 2012; Tift 2015; Watson 2002; Watson 2018; Wellings/McCormick 2005; Welwood 2002; Zhang 2004. Darüber hinaus wurden einschlägige Anthologien vorgelegt von Mathers/Miller/Ando 2009; Kaklauskas 2008; Kwee/Gergen/Koshikawa 2006; Safran 2003; Unno 2006 und Young-Eisendrath/Muramoto 2002. 12 Assagioli 1988: 72. 13 Assagioli 1988: 138 f. Cf. Scagnetti-Feurer 2009: 185–218. Loys post-kenshō Erfahrung ähnelt dabei Assagiolis »interindividueller und kosmischer Synthese«, in der das isolierte Individuum endet und sich der Mensch als integrierter Teil einer »geistigen überindividuellen Wirklichkeit« erlebt. Assagioli 1988: 46.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Transpersonale wird dabei im Kontinuum des menschlichen Bewusstseins verortet, das von präpersonalen über personale zu transpersonalen Formen reicht, in denen das Ego zwar erhalten bleibt, aber sublimiert und in eine umfassendere Erfahrungsdimension integriert wird. 14 Denise H. Lajoie und Stuart L. Shapiro registrierten bereits 1992 in einer systematischen Übersicht 40 Definitionen der Transpersonalen Psychologie, die seit den Anfängen der Bewegung in den späten 1960er Jahren zur Diskussion gestellt wurden. 15 Die am häufigsten wiederkehrenden Themen waren dabei »Bewusstseinszustände«, »das höchste oder äußerste Potential des Menschen«, »die Überschreitung des Ego oder individuellen Selbst« und »Transzendenz«. Weniger häufig wurde der Aspekt der »Interkulturalität (Ost-West)«, des »Holismus«, der »Transformation«, der »Mystik« und des »Alleinheitsbewusstseins« in die Definition eingebunden. Weitere Gesichtspunkte, die Erwähnung fanden, waren »Religion«, »neues Menschenbild«, »Interdisziplinarität«, »Parapsychologie«, »Energie«, »Kraft«, »Tiefenselbst«, »erweitertes Bewusstsein« und »universale Bewusstheit«, »Ekstasis«, »Mitgefühl«, »Offenheit«, »Intuition«, »Seinsgrund«, »perenniale Philosophie« oder »Psychologie« sowie »Göttlichkeit« und »Gott«, »Metaphysik«, »Meditation« und »Erweiterung der menschlichen Natur«. 16 Im Anschluss an ihre Studien kamen Lajoie und Shapiro zu folgender vorläufigen Definition der psychologischen Disziplin: »Transpersonal psychology is concerned with the study of humanity’s highest potential, and with the recognition, understanding, and realization of unitive, spiritual, and transcendent states of consciousness.« 17 15 Jahre später haben Glenn Hartelius, Mariana Caplan und Mary Anne Rardin diesen Ansatz mit insgesamt 160 Definitionen der Transpersonalen Psychologie wiederholt und das Forschungsfeld dabei auf drei dominante Themenfelder festgelegt. Demnach überschreite die Disziplin das individuelle Ich (beyond-ego psychology/content), durchdringe und integriere damit ganzheitlich alle Aspekte einer Person (integrative/holistic psychology/context) und transformiere auf diese Weise direkt den Men-

14 15 16 17

Cf. Scotton 1996a: 3 f. Cf. Lajoie/Shapiro 1992: 80–89. Cf. Lajoie/Shapiro 1992: 90. Lajoie/Shapiro 1992: 91.

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Nonduale Psychologie

schen und indirekt die Gesellschaft (psychology of transformation/ catalyst). 18 Ein zentraler Aspekt, der die transpersonale Psychologie und Psychotherapie mit Loys Ansatz verbindet, ist ihr partizipatorischer Habitus. Im Jahr 1976 publizierte die Gruppe für den Fortschritt der Psychiatrie (Group for the Advancement of Psychiatry, GAP) den Bericht Mysticism: Spiritual Quest or Psychic Disorder?, um Psychiater angesichts der vom Komitee diagnostizierten zunehmenden Signifikanz der Mystik mit basalen Informationen über dieses Phänomen zu versorgen. 19 Das Gefühl der Verbundenheit mit dem All in der ozeanischen Ekstase, das sich in den Zeugnissen der Mystiker weltweit nachweisen lässt, wird im Bericht in der Tradition Freuds als Regression zu einer infantilen Phase des Ich-Gefühls gedeutet, in der noch eine innige Verbundenheit des Ichs mit der Umwelt vorherrscht und es sich noch nicht von der Außenwelt abgelöst hat. 20 Damit hatte das Gremium an die neuere Psychoanalyse, insbesondere an die Interpretation des ungarischen Psychoanalytikers Michael Balint (1896–1970) angeschlossen, der das ozeanische Gefühl in Thrills and Regressions (1959) als Wiederholung »der frühesten MutterKind-Beziehung oder der noch früheren intrauterinen Existenz« gedeutet hatte, während der wir »eins mit unserem Universum« seien und »in der Amnion-Flüssigkeit wirklich, ohne daß wir praktisch ein Gewicht zu tragen« 21 hätten, schwebten. Für Arthur J. Deikman (1929–2013), der vehement gegen diese extreme Engstirnigkeit, fehlende Sachkenntnis, naive Arroganz und unhaltbare Gleichsetzung von Mystik und Infantilismus protestierte, dokumentierte die reduktionistische und provinzielle Verlautbarung der Kommission ein allgemeines Deutungsmuster der Mystik und östlicher Meditationspra-

Cf. Hartelius/Caplan/Rardin 2007: 8. In ihrer Entwicklung habe sich das Fach auf diese Weise immer mehr der Integralen Psychologie Ken Wilbers und Ansätzen in der Tradition von Aurobindos Integralem (von skt. purna) Yoga angenähert, wie sie von Indra Sen (1903–1994), Haridas Chaudhuri (1913–1975) und V. Madhusudan Reddy (1925–1996) ausgearbeitet wurden. Cf. Hartelius/Caplan/Rardin 2007: 16 f. Zur aktuellen Debatte siehe Hartelius/Rothe/Roy 2015. 19 Cf. Committee 1976. 20 Freuds Werke werden zitiert nach der von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey und Ilse Grubrich-Simitis herausgegebenen Studienausgabe (SA = Studienausgabe) unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl. Das Unbehagen in der Kultur (1930 [1929]). In: SA IX: 201, 204 f. 21 Balint 2013: 63. 18

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

xis durch die Psychoanalyse seit Freud. 22 Um pathologisierende Deutungen mystischer Erfahrungen wie diejenigen Freuds und Balints zu vermeiden, hielt Deikman die praktische Partizipation des Psychiaters und eine nicht bloß theoretische, sondern auf persönlicher Erfahrung basierende Kenntnis des Gegenstandes für unverzichtbar, weshalb er sich selbst in die Theorie und Praxis des Sōtō-Zen vertiefte. 23 Walsh und Vaughan waren wie Deikman davon überzeugt, dass ein Therapeut ohne eigenes, unmittelbares Erfahrungswissen die transpersonalen Erfahrungen des Klienten übersehen, missdeuten oder entwerten und ihn dadurch sogar schädigen könnte. 24 Als theoretische und praktische Synthese östlicher Weisheit und westlicher Wissenschaft sei die Transpersonale Psychologie und Psychotherapie daher auf eine adäquate empirische Grundlage angewiesen. Sowohl Therapeuten als auch Forscher müssten sich dieser zwingenden Notwendigkeit bewusst werden und durch erfahrungsmäßige Arbeit die experimentelle Untersuchung transpersonaler Phänomene vorantreiben, ohne die ein intellektuelles Begreifen derselben unmöglich oder zumindest stark eingeschränkt sei. 25 Diesem Anliegen ist vor allem Grof nachgekommen, der sich bereits frühzeitig für die Legalisierung psychedelischer Substanzen ausgesprochen und nach dem Verbot von LSD im Jahre 1966 (USA) und 1971 (Deutschland) zusammen mit seiner Frau Christina (1941– 2014) die Technik des holotropen Atmens als Alternative zur LSDTherapie von psychischen, psycho-somatischen und psychiatrischen Störungen entwickelt hat. Gerade die eigene systematische Erforschung holotroper, i. e. auf Ganzheit gehender Erfahrungen (von holos »ganz« und trepein »sich richten auf«) sei sowohl für das psychotherapeutische Verständnis emotionaler und psychosomatischer Störungen als auch für eine wissenschaftliche und empirische Rechtfertigung des theoretischen Systems der Transpersonalen Psychologie und des klinischen Ansatzes der Transpersonalen Psychotherapie von unersetzbarem Wert. 26 Der Psychologe Wilfried Belschner ist Cf. Deikman 2014b. Cf. Deikman 2014b: 258. 24 Cf. Walsh/Vaughan 1988: 41. 25 Cf. Walsh/Vaughan 1988: 43. 26 In seiner beruflichen Laufbahn hat Grof mehrere tausend psychedelische Sitzungen geleitet und die experimentelle Induktion holotroper Erfahrungsprozesse mit Substanzen wie LSD, Psilocybin, Meskalin, Dipropyltryptamin (DPT) und Methylendioxyamphetamin (MDA) begleitet. Die holotrope Atemarbeit basiert dabei auf einer 22 23

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Nonduale Psychologie

daher davon überzeugt, dass der Psychotherapeut der Zukunft »höhere Bewußtseinszustände selbst erfahren« hat und er »aus eigener intensiver Kenntnis Modulationen der Bewußtseinszustände bei anderen Personen einschätzen« 27 kann. Ein kurzer Blick auf die Quellen der Transpersonalen Psychologie zeigt einerseits ihre »völlig heterogene Herkunft« 28, andererseits viele Überschneidungen mit Loys Philosophie der Nondualität und deren historischen Inspirationsquellen. So wird neben William James und Evelyn Underhill vor allem der kanadische Psychiater Richard Maurice Bucke (1837–1902) zu den Wegbereiter der Disziplin gezählt, der in Cosmic Consciousness: A Study in the Evolution of the Human Mind (1901) sowohl seine eigenen transpersonalen Erfahrungen als auch die seiner Zeitgenossen – u. a. die des US-amerikanischen Dichters Walter Whitman (1819–1892) – beschreibt. 29 Darüber hinaus kamen zentrale Impulse vom Anthroposophen Rudolf Steiner (1861–1925), dem griechisch-armenischen Mystiker und Lehrer des sogenannten Vierten Weges Georges I. Gurdjieff (1866– 1949) und seinem Schüler Peter D. Ouspensky (1878–1947), dem Begründer der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jung (1875– 1961), der primär an Heideggers Daseinsanalytik orientierten Daseinsanalyse von Ludwig Binswanger (1881–1966) und Medard Boss Kombination aus bewusst intensiviertem Atmen, evokativer Musik und gezielt eingesetzter Körperarbeit. Nach Jahren sorgfältiger Beobachtung und Analyse psychiatrischer Patienten sowie seiner eigenen meditativ-introspektiven Erfahrungen hat Grof insgesamt vier Hauptarten bzw. -ebenen voneinander unterschieden: (1) Ästhetische und (2) psychodynamische Erfahrungen seien häufig in einer frühen Phase der Therapie oder in niedrig dosierten Sitzungen zu beobachten, während (3) perinatale und (4) transpersonale Erfahrungen das Ergebnis einer fortgeschrittenen Therapie oder hoch dosierter Sitzungen seien, wobei sich bei den Letzteren eine ganze Skala unterscheiden lasse. Cf. Grof 1988; Grof 2002. 27 Belschner 2002: 86. Cf. Scotton 1985. Der transpersonale Psychotherapeut erhält in Belschners Beschreibung dabei fast Guru-analoge Züge, wenn er die Zielsetzung der Therapie darin sieht, »die Person bei ihrem Bemühen zu fördern, die Differenz zur Wesens-Erfahrung zu vermindern.« Belschner 2002: 89. Auf die potentiellen Gefahren einer solchen Grenzüberschreitung weist Utsch 2001: 205 f. hin. Analogien und Differenzen zwischen Guru/Lama/Roshi and transpersonalem Psychotherapeuten diskutiert Helg 2000: 213–247. 28 Walach/Kohls/Belschner 2005: 406. Cf. Walach 2003. 29 Die erste Nutzung des Begriffs »transpersonal« wird James zugesprochen. Cf. Vich 1988. Die erste systematische Verwendung des Begriffes hingegen Jung, der seine Psychologie des kollektiven Unbewussten als transpersonal bezeichnete. Cf. Walach/ Kohls/Belschner 2005: 406.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

(1903–1990) sowie dem Psychiater und Psychotherapeuten deutschjüdischer Herkunft und Begründer der Gestalttherapie Frederick Salomon Perls (1893–1970). 30 Während Medard Boss sich noch geweigert hatte, über das »stille Bedenken« seiner »indischen Erlebnisse« hinaus die indischen Methoden der Bewusstseinstransformation in seiner Arbeit zur praktischen Anwendung zu bringen und daraus eine »neue psychotherapeutische Technik« 31 zu machen, ist der spirituelle Kern der Gestalttherapie für den aus Chile stammenden US-amerikanischen Mediziner und Psychiater Claudio Naranjo hingegen vollkommen evident, der die gestalttherapeutische Praxis als ein »zeitgenössisches Äquivalent der buddhistischen Praxis« 32 versteht. Der von Naranjo geleiteten Gruppe an der University of California in Berkeley schloss sich 1971 wiederum der in Kuwait geborene A. H. Almaas an, der einer seiner ersten Schüler wurde. Almaas begründete 1975 die Ridhwan School und entwickelte in seinen psycho-spirituellen Arbeiten auf der Grundlage von östlichem und westlichem Denken den Diamond Approach, der zur stufenweisen Desidentifizierung mit der Persönlichkeit und inneren Verwirklichung der Essenz als dem grundlegendsten Wesen des Menschen führen sollte, das er u. a.

Gerade die Gestalttherapie mit ihrer Betonung der Prozessualität und erfüllten Präsenz in der unmittelbaren Gegenwart weist eine beachtliche Nähe zur kreativen Spontaneität von Loys nondualer Erfahrung auf, die sich in der Gestalttherapie als absichtsloses Gewahrsein des weder aktiven noch passiven, sondern spontanen Selbst im sogenannten »mittleren Modus« und als »fruchtbare Leere« wiederfindet, deren Erfahrung »weder objektiv noch subjektiv« ist: »Sie ist auch nicht Introspektion. Sie ist einfach. Sie ist Bewußtheit ohne Spekulation über das, was einem bewußt wird.« Perls 1992: 120. Cf. Perls/Hefferline/Goodman 2006: 215 ff. Für eine umfassende Diskussion der Gestalttherapie unter Einbeziehung des Zen-Buddhismus sei hier auf Frambach 1994: 83–105, 145–172 verwiesen. Frambach paralellisiert dort das FünfSchichten-Modell der Neurose nach Perls mit dem spirituellen Befreiungsprozess im Zen-Buddhismus, wonach (1) der »aufgesetzten Schicht« und Identitäts-Fixierung die »Kleider und Hüllen«, (2) der »phobischen Schicht« und Identitäts-Differenzierung das »Abwerfen aller Bindungen«, (3) dem »Impasse« und der Identitäts-Diffusion der »Große Zweifel«, (4) der »Implosion« und dem Identitäts-Vakuum der »Große Tod« und (5) der »Explosion« und Identitäts-Integration der »Wahre Mensch ohne Rang« entspricht. Die fruchtbare Leere wird hier in der vierten Schicht, der Schicht der »Implosion« erfahren. Näheres zu Perls nondualer Philosophie der Nicht-etwas-heit (no-thing-ness), die er im Anschluss an Salomo Friedlaenders (1871–1946) Prinzip der »schöpferischen Indifferenz« entwickelt, findet sich bei Frambach 1994: 41–49; Helg 2000: 197–201 sowie der Anthologie von Frambach/Thiel 2015. 31 Boss 1987: 255, 257. 32 Naranjo 1993: 197. 30

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mit der selbstleuchtenden Buddha-Natur identifizierte. 33 Neben den parapsychologischen Studien über die Reichweite des menschlichen Bewusstseins durch Joseph Banks Rhine (1895–1980), der genetischen Epistemologie von Jean Piaget (1896–1980) und der Logotherapie und Existenzanalyse des österreichischen Neurologen und Psychiater Viktor E. Frankl (1905–1997) war aber vor allem Albert Hofmanns (1906–2008) Entdeckung von Lysergsäurediethylamid (LSD) im pharmazeutisch-chemischen Forschungslaboratorium der Firma Sandoz in Basel von herausragender Bedeutung, das Aldous L. Huxley (1894–1963), Timothy Leary (1920–1996) und Ram Dass (Richard Alpert) zusammen mit Meskalin und Psilocybin in den 1960er Jahren bei der Induktion höherer Bewusstseinszustände erforschten. Zum weiteren Kreis derer, die die Relevanz transpersonaler Erfahrungen und die Einheit mit dem überweltlichen Wesenskern für die psycho-physische Gesundheit des Menschen betont haben, können fernerhin die Begründer der Initiatischen Therapie Karlfried Graf Dürckheim (1896–1988) und dessen Frau Maria Theresia Hippius (1909–2003) gezählt werden, für die das »natürliche Welt-Ich« 34 der entscheidende Gegner war, den es in der Entwicklung zum vollen Menschsein zu überwinden galt. 35 Darüber hinaus hat das Strukturmodell der Bewusstseinsgeschichte, das der deutsch-schweizerische Kulturanthropologe Jean Gebser (1905–1973) in Ursprung und Gegenwart (1949–1953) vorgelegt hat, maßgeblichen Einfluss auf zentrale Vertreter der Disziplin sowie die integrale Psychologie Ken Wilbers ausgeübt, der 1998 in Boulder (Colorado) das Integral Institute begründete, das sich auf der Grundlage von Wilbers integralem Ansatz der Synthese unterschiedlichster Disziplinen widmet und die Integration ihrer jeweiligen Teilerkenntnisse zu einem umfassenden Bild der Wirklichkeit anstrebt. Wie Wilber verfolgt auch Loy das für die Transpersonale/Integrale Psychologie ingesamt so maßgebliche Entwicklungsziel einer evolutionären Transformation des Bewusstseins der Menschheit, das sich Gebsers Modell zufolge auf dem individuellen und kollektiven Weg zu einer integralen Phase der Bewusstseinsentwicklung befindet, die alle vorherigen Formen (archaisch,

33 34 35

Cf. Almaas 1998: 52. Dürckheim 1984a: 208. Cf. Dürckheim 1984a: 208; Dürckheim 1984b.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

mythisch, magisch, mental/rational) transzendiert und in einem Erleuchtungsbewusstsein umfassend integriert. 36 Weitere Beiträge zur Weiterentwicklung und Institutionalisierung der Transpersonalen Psychologie kamen vom US-amerikanischen Psychologen Charles T. Tart, der bereits 1969 eine Pionierarbeit zu veränderten Bewusstseinszuständen (altered states of consciousness) vorgelegt hatte, dem 1975 eine Publikation über Transpersonal Psychologies folgte und der zum ersten Inhaber des Bigelow Chair of Consciousness Studies an der University of Nevada in Las Vegas wurde sowie dem US-amerikanischen Sufi-Meister des Halveti-Jerrahi Order of Dervishes und Sozialpsychologen Sheikh Ragip al-Jerrahi (Robert Frager), der zahlreiche Arbeiten im Schnittbereich der islamischen Mystik und transpersonalen Psychologie publizierte und 1975 das Institute of Transpersonal Psychology (ITP) in Kalifornien gründete, aus dem 2012 die Sofia University hervorging. 37 Cf. Wilber 1989; Wilber 1994: 301–317; Wilber 2000b: 148; Wilber 2007: 55 f., 90, 92, 127. Neben Gebser muss hier auch auf das enorm einflussreiche Werk The Transformations of Man (1956) des US-amerikanischen Wissenschaftlers Lewis Mumford (1895–1990) hingewiesen werden, der die innere Entwicklung des Menschen in vier Hauptstadien nachvollzieht, die vom archaischen, über den zivilisierten und axialen zum technischen Menschen verläuft und von einem auf Vollkommenheit drängenden Menschen der Einheit und kommenden Weltkultur weitergeführt werden soll. Cf. Mumford 1960. 37 Cf. Frager 1989; Welwood 1980. Ohne den Anspruch eines repräsentativen Überblicks zu erheben, müssen hier noch Jorge N. Ferrer, Daniel Goleman, Robert Evan Ornstein, Michael Washburn und John Welwood genannt werden, die ebenfalls essentielle Beiträge zur Entwicklung der Transpersonalen Psychologie geleistet haben, aber an dieser Stelle nicht gebührend gewürdigt werden können. Cf. Almaas 1986; Ferrer 2002; Goleman 1988; Naranjo/Ornstein 1980; Washburn 1994; Washburn 1995; Washburn 2003; Welwood 1979. In Deutschland wird die Fachrichtung vor allem durch die 1985 in Berlin gegründete Deutsche Transpersonale Gesellschaft (DTG) und das 1999 gegründete Deutsche Kollegium für Transpersonale Psychologie (DKTP) vertreten (seit 2013 GBB, i. e. Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur), das die Belange der Transpersonalen Psychologie und Psychotherapie in Lehre, Forschung und Weiterbildung an Hochschulen und vergleichbaren wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland vertreten und fördern will. Zum Vorstand des DKTPs gehörten der Herausgeber der erstmals 1995 publizierten Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (mittlerweile umbenannt in Bewusstseinswissenschaften) Joachim Galuska, der Psychologieprofessor und Herausgeber der Publikations-Reihe Transpersonale Studien Wilfried Belschner, der klinische Psychologe Harald Walach, der seit 2010 das Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) leitet, der Ethnopsychologe Renaud van Quekelberghe, der u. a. mit Transper36

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Ein konkretes Ergebnis der unmittelbaren Rezeption von Loys Philosophie der Nondualität innerhalb der Psychologie und Psychotherapie sind die beiden Bände Nondual Wisdom & Psychotherapy, die 2003 als The Sacred Mirror und 2007 als Listening from the Heart of Silence erschienen sind. 38 Letzterer enthält mit Experiencing the Universe as Yourself: The Nonduality of Self and Society auch einen Beitrag Loys. Von den Herausgebern gehören vor allem John J. Prendergast und Peter G. Fenner zu den Pionieren einer Nondualen Psychologie und Psychotherapie. Prendergast ist ehemaliger Lehrer für Transzendentale Meditation und war Professor am California Institute for Integral Studies (CIIS), an dem sich auch Loy nach seiner Emeritierung um einen Lehrstuhl beworben hatte. Er ist Schüler des zeitgenössischen Meditationslehrers Adyashanti (Steven Grey) und des deutsch-französischen Advaita-Lehrers Jean Klein (1912–1998), der maßgeblich durch die Lehren von Rāmāna Mahāṛṣi (1879–1950) und Śrī Nisargadatta Mahāraj (1897–1981) beeinflusst wurde. Fenner ist ehemaliger buddhistischer Mönch in der Gelug-Tradition und Schüler des tibetischen Lamas Thubten Yeshe (1935–1984). Nach seiner Promotion über die Madhyamaka-Philosophie Candrakīrtis (The Ontology of the Middle Way, 1990) widmete sich Fenner auf der Grundlage der Lehren des Madhyamaka, Dzogchen, Mahāmudrā, Zen und Advaita-Vedānta einer Synthese der psychotherapeutischen Tradition des Westens und den nondualen Weisheitslehren des Ostens und entwickelte ein Training zum nondualen Erwachen, das er in sonale Psychologie und Psychotherapie (2005) und seiner Arbeit zu den Grundzügen einer spirituellen Psychotherapie (2007) grundlegende Arbeiten der Disziplin vorgelegt hat, Liane Hofmann, die zur Spiritualität und Religiosität in der psychotherapeutischen Praxis arbeitet und die klinische Psychologin und Psychotherapeutin Edith Zundel, die mit Spirituelle Wege und transpersonale Psychotherapie (1989) sowie Psychotherapie und religiöse Erfahrung (1994) ebenfalls grundlegende Beiträge zur Transpersonalen Psychologie in Deutschland geleistet hat. Die Bezeichnung »Transpersonale Psychologie« wurde mittlerweile durch »Psychologie des Bewusstseins« bzw. »Bewusstseinswissenschaften« substituiert, um einerseits die programmatische Beschränkung des Bewusstseinskontinuums auf die begrenzte Teilmenge transpersonaler Phänomene aufzuheben und andererseits alle Assoziationen mit Esoterikund New-Age-Kreisen zu vermeiden, die zur Stigmatisierung und Ausgrenzung der Disziplin innerhalb der »scientific community« geführt hatten. Cf. Belschner 2005. Neben dem ehemaligen Vorstand des DKTP sind noch die Arbeiten des Transpersonalen Psychotherapeuten und integrativen Gestalttherapeuten Sylvester Walch zu nennen, der von Grof im holotropen Atmen ausgebildet wurde und sich um eine Integration von Psychotherapie und Spiritualität bemüht. 38 Cf. Prendergast/Fenner/Krystal 2003; Prendergast/Bradford 2007.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Natural Awakening: An Advance Guide for Sharing Nondual Awareness (2015) ausgearbeitet hat. Er ist Gründer und Direktor des Zentrums für zeitlose Weisheit (Center for Timeless Wisdom), das seit 1998 die jährliche Konferenz Nondual Wisdom and Psychology sponsort und für das Loy als Berater fungiert. Für Fenners The Egde of Certainty: Dilemmas on the Buddhist Path (2002) verfasste Loy zudem das Vorwort. 39 In dieser Tradition transpersonaler und nondualer Psychologie, die gegen das wissenschaftliche Establishment die Anerkennung einer spirituellen Dimension des Menschen sowie deren konstitutiven Einbezug in die psychotherapeutische Arbeit fordert, ist auch Loys eigener Beitrag zu einer buddhistischen Psychologie zu verorten, der im Folgenden anhand seiner Schriften dargestellt werden soll. Die Publikationen, die sich explizit mit buddhistischer Psychologie beschäftigen, sind seit Caroline Augusta Rhys Davids’ (1857– 1942) Buddhist Manual of Psychological Ethics (1900) und Buddhist Psychology: An Inquiry into the Analysis and Theory of Mind in Pali Literature (1914) mittlerweile Legion und auch interdisziplinäre Studien, die sich einem konstruktiven Dialog zwischen der buddhistischen Lehre und Praxis und der westlichen Psychologie widmen, sind kaum noch zu überschauen und dabei von so unterschiedlicher Qualität und thematischer Schwerpunktsetzung, dass im Folgenden nur auf einzelne Studien Bezug genommen werden kann, insofern ein direkter Zusammenhang zu Loys nondualer Psychologie besteht.

10.1.2. Der Nexus im philosophischen und psychologischen Denken Loys Der Zusammenhang zwischen Loys nondualer Philosophie und nondualer Psychologie ist bereits in Nonduality grundgelegt. Als eine der drei Ursachen, die Loy für die Ersthypostase des Subjektes verantwortlich macht, beschreibt er dort das wesenhafte Nichts (no-thingness) des Geistes, das Angst erzeugt und den Geist ursprünglich dazu veranlasst, sich qua Reflexivität und Erinnerungsvermögen selbst zu reifizieren und das konditionierte Selbstbewusstsein als unkonditioniertes Selbst zu realisieren. 40 Das Gefühl eines autonomen Selbst 39 40

Cf. Loy 2002b. Cf. Loy 1996a: 55.

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Nonduale Psychologie

und die Vorstellung non-temporaler und mit sich selbst identischer Subjektivität, die aus diesen Autohypostasierungsversuchen des Geistes entstehen, sind nach Loys buddhistischer Daseinsanalyse allerdings eine Illusion, weshalb das Selbstbewusstsein von einem unvermeidbaren Schatten eines Gefühls der inneren Leere (»sense of lack« 41) begleitet werde. Für Loy ist weder die von Freud angenommene Triebnatur des Menschen noch die von Irvin David Yalom und anderen existentiellen Psychotherapeuten beschriebene Todesangst die ursprüngliche Quelle der Angst und das Urverdrängte des Menschen, sondern das von Viktor E. Frankl (1905–1997) beschriebene existentielle Vakuum und Leiden an einem »abgründigen Sinnlosigkeitsgefühl, das mit einem Leeregefühl vergesellschaftet ist« 42, das Loy als Ahnung unserer Selbst-losigkeit interpretiert, die sich in dem unmittelbaren und beängstigenden Verdacht artikuliert »›I‹ am not real right now« 43: [C]ontrary to existential psychology, death is not our deepest fear and (a hope inside every fear) immortality is not our deepest wish. They too are symptoms that represent something else: the desire of the sense-of-self to become a real self, to transform its anguished lack of being into genuine being. Even the terror of death represses something, for that terror is preferable to facing one’s lack of being now: death-fear at least allows us to project the problem into the future. In that way we avoid facing what we are (or are not) right now. 44

Normalerweise äußere sich diese innere Leere (lack) als ein unbestimmtes Gefühl der existentiellen Unvollständigkeit, Unzulänglichkeit und Beklemmung, während sie sich in ihren »reineren« Formen als umfassendes Gefühl der Schuld oder Angst manifestiere, das dazu tendiere, sich als Schuld für Etwas oder Furcht vor Etwas zu objektivieren, damit wir wissen, wie wir für die empfundene Schuld sühnen können und wovor wir uns schützen müssen. Wenn die Autonomie des Selbst-Bewusstseins aber eine Maske ist, die unsere wesenhafte Leere verdeckt, dann kann auch das Gefühl der inneren Leere (lack) durch diese Mechanismen niemals ganz aufgehoben werden und muss folglich auf andere Weise rationalisiert werden. Die Lehre von der Wiederkehr des Verdrängten in der verzerrten Form eines Symp41 42 43 44

Loy 1996a: xiv. Frankl 2001: 11. Loy 1992b: 151. Cf. Loy 2008: 19. Loy 1996a: 27.

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toms ermöglicht es Loy dabei, über die Symptome der Angst und der Schuld hinaus auch die basalen, gleichwohl stets vergeblichen Reifikationsmechanismen des Geistes mit den symbolischen Ausdrucksweisen und Projektionen zu verknüpfen, derer wir uns tagtäglich bedienen, um uns in dieser oder einer anderen Welt real zu machen. 45 Doch wenn unsere Sehnsucht nach Transzendenz, unser Streben nach Freiheit, Macht, Ruhm, Liebe oder Geld sowie unser unaufgebbarer Glaube an den Fortschritt und eine bessere Zukunft nur unverstandene Symptome für unser eigentliches Verlangen sind, real zu sein, dann können sie niemals zur Lösung des menschlichen Grundkonfliktes beitragen, den Loy anhand der Trias von Tod, Bedeutungsund Grund-losigkeit bestimmt. 46 Gegenüber dem thanato-psychologischen Ansatz der existentiellen Psychotherapie verlagert Loys buddhistische Daseinsanalyse den Fokus folglich von der Angst vor der zukünftigen Vernichtung auf die Angst vor dem unmittelbar erfahrenen Nichts im Herzen des Bewusstseins. In dieser Hinsicht symbolisieren sogar die abgeleitete Angst vor dem Tode und der Wunsch nach Unsterblichkeit für Loy ein ursprünglicheres Problem, indem sie zu Symptomen des unterdrückten Gefühls innerer Leere (lack) werden, das dem Selbstsinn immaniert: »[T]hey become symptomatic of our vague intuition that the ego-self is not a hard-core of consciousness but a mental construction, the axis of a web spun to hide the void.« 47 Loys buddhistisches Ätiologiemodell basiert demnach konstitutiv auf der buddhistischen Anthropologie, in deren Zentrum die anātman-Lehre steht, auf die Loy wiederum die Konzepte der Verdrängung und die Vorstellung einer Rückkehr des Verdrängten in symbolischer Form anwendet, die ihrerseits auf dem Medium des Unbewussten beruhen. Seine Analyse der conditio humana orientiert sich dabei an den drei in der Psyche wirkenden Grundmechanismen der Projektion, der Schuld und der Angst, die er vor dem Hintergrund seiner Philosophie der Nondualität umfassend interpretiert. Bevor ich mich Loys voraussetzungsreicher Analyse dieser drei anthropologischen Konstanten zuwende, sollen einleitend die beiden zentralen theoretischen Konstrukte des Unbewussten und der Verdrängung überblickshaft geklärt werden, die Loy als Grundmechanismen des 45 46 47

Cf. Loy 2002a: 6. Cf. Loy 1992b: 153; Loy 2002a: 6. Loy 1992b: 153.

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menschlichen Geistes der Metapsychologie Freuds entlehnt, deren unterschiedliche Bereiche mit ihren jeweils spezifischen Merkmalen, Gesetzmäßigkeiten und Funktionen er aber trotz ihrer grundlegenden Bedeutung für seine nonduale Psychologie und die Gesamtheit der von ihm analysierten Phänomene nicht systematisch einführt. 48

10.1.3. Das Unbewusste, die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten in der verzerrten Form des Symptoms Mit Das Unbewußte hatte Freud die wichtigste seiner metapsychologischen Schriften aus dem Jahre 1915 vorgelegt. Die darin elaborierte Annahme unbewusster Prozesse ist für Freuds mechanistisches Modell der Psyche und seine psychoanalytische Theorie insgesamt grundlegend, insofern sie es ihm gestattete, eine Vielfalt von Erscheinungen auf einen neuen Erkenntnisbereich des seelischen Apparates zu beziehen und damit diejenigen Lücken im supraliminalen Bewusstsein zu erklären, in denen die psychische Kontinuität scheinbar unterbrochen war. Viele Akte des Bewusstseins und der unmittelbaren Erfahrung blieben Freud zufolge zusammenhanglos und unverständlich, wenn man nicht unbewusste Akte zu ihrer Erklärung interpolierte. Die damals konventionelle Identifikation des Psychischen mit dem Bewussten betrachtete Freud hingegen nicht nur als unzweckmäßig, sondern als eine »unhaltbare Anmaßung.« 49 Loys verstreute Anmerkungen zur Metapsychologie Freuds finden sich in Loy 1992b; Loy 1996a: xi–xx, 1–6, 19, 28, 53–59, 66, 128, 146; Loy 2002a: 4, 19 f.; Loy 2003a: 22; Loy 2008: 19, 34, 56 f.; Loy 2009a: 137 f. 49 Das Unbewußte (1915). In: SA III: 126. Ähnliche Motive waren auch im Buddhismus für die Entdeckung des Unbewussten (ālayavijñāna) verantwortlich. Ein zentrales Problem der Abhidharma-Scholastik bestand in der Frage, wie die Akkumulation von Karma im Bewusstseinskontinuum gedacht werden konnte, ohne dabei unmittelbar auf die supraliminalen Prozesse des gegenwärtigen Bewusstseins (citta) einzuwirken. Cf. Kathā-Vatthu 9, 4; 11, 1 und 15, 11. In: Aung/Rhys Davids 1915: 234 ff.; 253 ff. und 300 ff. Die synchrone Betrachtungsweise der Abhidharmikas, deren Analyse nur den augenblicklich existierenden dharmas der Gegenwart Realität attestierte, konnte die karmischen Auswirkungen längst vergangener Taten offenbar nicht überzeugend erklären. Eine zweite Herausforderung stellte die Frage nach der Persistenz unseres Bewusstseins in der Zeit dar: Der ungebrochene Bewusstseinsstrom konstituierte sich den Abhidharmikas zufolge ausschließlich aufgrund der kontinuierlichen Synthesis momentaner dharmas, die in einem Kausalverhältnis von Bedingung (hetu), Ursache (pratyaya) und Wirkung (phala) analysiert wurden. Ihre Dharma-Theorie musste also nicht nur erklären, wie latente Prozesse in synchroner Betrachtungs48

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Dem stellte Freud eine dreifache Unterscheidung und Klassifizierung des menschlichen Seelenlebens in einen unbewussten, vorbewussten und bewussten Teil entgegen. Alle psychischen Akte durchlaufen diesem topographischen Modell der Psyche (erste Topik) weise kontinuierlich präsent sein konnten, sondern auch deren Kontinuität in diachroner Perspektive einsichtig machen. Angesichts der Forderung eines homogenen Antezedens im Dharmastrom (samanantara-pratyaya) stellte vor allem das Nacheinander heterogener dharmas ein Problem dar. Wie konnte auf einen karmisch heilsfördernden (kuśala) Faktor (dharma) unmittelbar ein karmisch unheilsamer (akuśala) oder karmisch neutraler (avyākṛta) Faktor folgen? Wenn das vorangehende dharma der hinreichende Grund für das Entstehen des nachfolgenden dharmas ist, scheint aus einem dharma unabhängig seines unverkennbaren Merkmals (svalakṣana) offenbar alles folgen zu können. Durch eine ausschließlich synchrone Analyse unmittelbar aufeinanderfolgender (homogener) dharmas konnte die Heterogenität und temporale Diskrepanz zwischen der Ursache für das Reifwerden des Karmas (vipāka-hetu) und dem Resultat (vipāka-phala) folglich nicht befriedigend erklärt werden. Um diese Aporie zu lösen, führten die Sautrāntikas die Idee von Samen (bīja) und karmischen Eindrücken und Anlagen (vāsana/saṃskāra) im Medium eines feinstofflichen Bewusstseins ein, das allerdings nicht als Substanz, sondern als Bewusstseins-Kontinuum (santāna) vorgestellt wurde. Cf. Abhidharmakośabhāṣya 2, 36d. In: Pruden 1991: 211. Bereits Vasumitra hatte in einer Diskussion um objektlose Versenkungszustände (saṃjñā-vedayita-nirodha-samāpatti), in der die supraliminalen Prozesse des Bewusstseins temporär suspendiert sind, für die Subsistenz und Persistenz eines subtilen Bewusstseins (sūkṣma-citta) argumentiert, um die Kontinuität des Bewusstseinsstromes vor und nach der Versenkung erklären zu können. Cf. Abhidharmakośabhāṣya 2, 44d. In: Pruden 1991: 231. Als funktionales Äquivalent zu Vasumitras sūkṣma-citta postulierten die Theravādins das bhavaṅga-citta, welches die Kontinuität des individuellen Lebensablaufes verbürgen sollte. Cf. Visuddhimagga 458. In: Nyānatiloka 1975: 524 f.; Abhidhammattha-Saṅgaha 3, 8. In: Bodhi 2010: 122 f. Aus den Texten geht allerdings klar hervor, dass es sich beim bhavaṅga-citta um keinen kontinuierlichen Bewusstseinsstrom handelt, sondern das bhavaṅga-citta permanent von supraliminalen Prozessen aufgehoben wird und wieder entsteht, sobald es – wie beispielsweise im traumlosen Tiefschlaf – zu Lücken im Oberflächenbewusstsein kommt. Als solches konnte aber auch das bhavaṅga-citta die Aporien der Abhidharmikas nicht lösen. Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der YogācāraLehre vom ālayavijñāna zu sehen, die als Antwort auf philosophische Probleme des Abhidharma formuliert wurde. Die Lehre der Sautrāntikas, der zufolge sich karmische Samen im Medium eines feinstofflichen Bewusstseins ablagern und die Lehre Vasumitras, der zufolge ein subtiles Bewusstsein den supraliminalen Bewusstseinsprozessen unterliegt, erscheinen dabei als Proto-Theorien der Lehre vom ālayavijñāna. Daran anschließend unterscheidet ein Passus aus der Yogācārabhūmī entsprechend zwischen dem ālayavijñāna als einem subliminalen Speicherbewusstsein, das zusammen mit der Lebenskraft (āyus) und der Körperwärme (uṣman) auch in objektlosen Versenkungszuständen persistiert und dem pravṛtti-vijñāna, das alle supraliminalen Bewusstseinsformen umfasst. Cf. Schmithausen 1987a: 18. Zur Genesis des ālayavijñāna insgesamt Schmithausen 2014; Waldron 2003.

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zufolge drei Zustandsphasen, in denen sie aus der Latenz als einem Zustand psychischer Unbewusstheit sukzessive über das Vorbewusstsein in das Bewusstsein aufgenommen werden. Dieses am Bewusstseinsbegriff orientierte topographische Modell der Psyche, das den verdrängten Teil der Psyche mit dem Unbewussten und den verdrängenden Teil mit dem Bewusstsein identifiziert, hat Freud erst in seinem letzten großen theoretischen Werk – Das Ich und das Es (1923) – einer Revision unterzogen und durch ein neues Strukturmodell der Psyche (zweite Topik) ersetzt, das sich von der Eigenschaft »Bewusstsein« als Leitbegriff emanzipiert. Bereits in Jenseits des Lustprinzips (1920) hatte Freud erkannt, dass auch Teile des Ichs als unbewusst charakterisiert werden mussten und seine bisherige Abgrenzung des Ichs vom System des Unbewussten somit hinfällig war. 50 Freud führte daher eine neue Terminologie ein und nahm fortan eine Sonderung der psychischen Persönlichkeit in Es, Ich und Über-Ich vor. Diese drei Gebiete, die nun zusätzlich zu den drei Qualitäten des Bewusstseins (unbewusst/vorbewusst/bewusst) hinzutraten, sollten ein differenzierteres und insgesamt angemesseneres Verständnis des menschlichen Seelenapparates ermöglichen. 51 Das Es charakterisiert Freud in der Neuen Folge (1933) als ichfremde Seelenprovinz mit primitivem und irrationalem Charakter sowie als dunklen und unzugänglichen Teil der Persönlichkeit, der dem Chaos und einem Kessel voll brodelnder Erregungen gleicht. Das Es ist demnach unorganisierte Triebenergie und sein Bestreben ist allein darauf ausgerichtet, den Triebbedürfnissen, die nach Abfuhr verlangen, unter Einhaltung des Lustprinzips fortwährende Befriedigung zu verschaffen. Das Es kennt daher keine Wertungen, ist nach Freud jenseits von Gut und Böse und völlig amoralisch. Die Vorgänge im Es unterliegen weder Zeit und Raum noch den logischen Denkgesetzen, da gegensätzliche Regungen nebeneinander bestehen können, ohne einander aufzuheben. Wunschregungen oder Eindrücke,

Cf. Jenseits des Lustprinzips (1920). In SA III: 229; Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 287. 51 Cf. Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 292–306. Ich orientiere mich im Folgenden primär an Freuds Ausführungen und Formulierungen aus der Vorlesung über die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit. Cf. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 496–516. 50

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die durch Verdrängung im Es abgelagert wurden, seien daher virtuell unsterblich. 52 Die mit dem Namen Über-Ich verbundene Instanz der Psyche liegt bereits präfiguriert in einer früheren Studie Freuds vor. Schon in seiner Arbeit zur Einführung des Narzißmus (1914) hatte Freud »eine besondere psychische Instanz« erwähnt, welche die Aufgabe erfülle, »über die Sicherung der narzißtischen Befriedigung aus dem Ichideal zu wachen« und in dieser Absicht »das aktuelle Ich unausgesetzt« beobachte und »am Ideal« 53 messe. Dieses vom übrigen Ich abgetrennte Über-Ich assoziierte Freud mit paranoiden Erkrankungen, pathologischen Formen der Trauer (Depression) und einer Reihe von seelischen Leistungen, die er unter die Begriffe des Gewissens, der Selbstbeobachtung und der Idealfunktion fasste. 54 Die Entstehung des Über-Ichs sei wiederum »aufs innigste mit dem Schicksal des Ödipuskomplexes« 55, konkret dem im Ödipuskomplex enthaltenen Moment der Identifizierung mit der Elterninstanz, verknüpft. 56 Im Laufe der Entwicklung des Kindes nimmt das Über-Ich weiterhin Einflüsse all jener Personen auf, die an die Stelle der Eltern getreten sind, worunter Freud Erzieher, Lehrer oder spätere Vorbilder zählt, sodass das Über-Ich einerseits die internalisierte elterliche und gesellschaftliche Kritik (Gewissen) und andererseits ein selbstaufgerichtetes Ideal-Ich (Idealfunktion) verkörpert, an dem das Ich gemessen wird (Selbstbeobachtung): »Das Über-Ich ist für uns die Vertretung aller moralischen Beschränkungen, der Anwalt des Strebens nach Vervoll52 Cf. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 510 ff. 53 Zur Einführung des Narzißmus (1914). In: SA III: 62. 54 Cf. Zur Einführung des Narzißmus (1914). In: SA III: 62 f.; Trauer und Melancholie (1917 [1915]). In: SA III: 201; Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 503. 55 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 502. Dem Ödipuskomplex zufolge entwickelt das männliche Kind im Rahmen seiner psychosexuellen Entwicklung frühzeitig eine Objektbesetzung für die Mutter und identifiziert sich mit dem Vater. Diese beiden Beziehungen konfligieren so lange nicht, bis der Junge durch die Verstärkung der sexuellen Wünsche nach der Mutter den Vater als Rivalen betrachtet, der als Hindernis dieser Wünsche wahrgenommen wird. Die Vateridentifizierung nehme nun eine feindselige Tönung an und wende sich zum Wunsch, den Vater zu beseitigen, um ihn bei der Mutter zu ersetzen. Cf. Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 299. 56 Darin dokumentiert sich ebenfalls Freuds Vererbungsgedanke, denn auch die Eltern haben sich ihrerseits mit den Eltern identifiziert, usw. Cf. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 505.

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kommnung, kurz das, was uns von dem sogenannten Höheren im Menschenleben psychologisch greifbar geworden ist.« 57 Dem Ich übertrug Freud die prekäre Aufgabe zwischen dem Es und Über-Ich einerseits und als »Vertreter der realen Außenwelt im Seelischen« 58 zwischen Innen (Lustprinzip) und Außen (Realitätsprinzip) andererseits zu vermitteln. Das »arme Ich« 59 werde gleichsam von drei Seiten bedrängt und bedroht und sei bemüht, alle Ansprüche und Forderungen in Einklang zu bringen: »Die drei Zwingherren sind die Außenwelt, das Über-Ich und das Es.« 60 Das Ich ist nach Freud derjenige Teil des Es, der durch den direkten Einfluss der Außenwelt unter Vermittlung des Wahrnehmungsbewusstseins (W-Bw) entstanden ist, sodass im Ich die inneren Erregungen des Es mit den äußeren Einflüssen der Welt kollidieren. Dabei kommt dem Ich die Rolle zu, das Lustprinzip durch das Realitätsprinzip zu ersetzen, um das Es zu schützen, »das ohne Rücksicht auf diese übergewaltige Außenmacht im blinden Streben nach Triebbefriedigung der Vernichtung nicht entgehen würde.« 61 Indem das Ich als Herr des Bewegungsvermögens (Motilität) die unmittelbare Umsetzung der Bedürfnisse in Handlungen durch die eingeschobene Denkleistung und Realitätsprüfung unterbindet, erfüllt es seine zentrale Funktion der Triebbeherrschung, die das Es nicht nur schützen, sondern gleichzeitig der Befriedigung seiner Bedürfnisse größere Erfolgschancen ermöglichen soll. Während das Es also die »ungezähmten Leidenschaften« vertritt, identifiziert Freud das Ich mit »Vernunft und Besonnenheit« 62. Die Aktivitäten des Ich werden dabei permanent vom Über-Ich beobachtet, das dem Ich ungeachtet des Einflusses von Seiten des Es seine Verhaltensnormen oktroyiert und es bei Zuwiderhandlungen mit Minderwertigkeitsgefühlen und Schuldbewusstsein straft. 63 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 505. 58 Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 296. 59 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 514. 60 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 514. 61 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 512 f. 62 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 513. 63 »Wenn das Ich seine Schwäche einbekennen muß, bricht es in Angst aus, Realangst 57

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Für Loys buddhistische Adaption der Metapsychologie Freuds ist dabei vor allem das Unbewusste als Medium der Verdrängung von zentraler Bedeutung. Das spezifische Wesen des psychodynamischen Verdrängungsprozesses besteht Freud zufolge »in der Abweisung und Fernhaltung« unangenehmer oder angstbesetzter Erinnerungen oder unerlaubter Triebe »vom Bewußtsein« 64 zur »Vermeidung von Unlust.« 65 In seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1915–1917) hatte Freud diese psychische Funktion näherhin anhand des Entwicklungsprozesses eines photographischen Bildes versinnlicht. Normalerweise existiere jeder seelische Vorgang anfangs in einem unbewussten Stadium, aus dem er dann in die (vor-)bewusste Phase übergehe, so, wie ein Bild zuerst ein Negativ sei und dann durch den Positivprozess zum Bild werde. Nun müsse aber nicht aus jedem Negativ ein Positiv werden, genau so wenig, wie jeder Vorgang aus dem System des Unbewussten in das System des (Vor-)Bewussten übertreten müsse. 66 Den Wächter, der dabei »die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuiert und sie nicht in den Salon [des Bewusstseins; F. V.] einläßt, wenn sie Mißfallen erregen«, nennt Freud Zensur; die zensierte und somit bewusstseinsunfähige Regung vervor der Außenwelt, Gewissensangst vor dem Über-Ich, neurotische Angst vor der Stärke der Leidenschaften im Es.« Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 515. 64 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 108. 65 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 114. Das Lustprinzip oder Lust-Unlust-Prinzip beschreibt Freud als die oberste Tendenz, der die unbewussten seelischen Vorgänge gehorchen: »Diese Vorgänge streben danach, Lust zu gewinnen; von solchen Akten, welche Unlust erregen können, zieht sich die psychische Tätigkeit zurück (Verdrängung).« Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911). In: SA III: 18. Ausgehend von einer Analyse des Wiederholungszwanges im Verhalten von Kindern sah sich Freud später allerdings dazu genötigt, eine Zweiteilung der Triebe in Eros und Thanatos, i. e. erotisch-libidinöse Lebenstriebe und Todestriebe einzuführen, womit die alleinige Herrschaft des Lustprinzips über die Triebe hinfällig wurde. In Das ökonomische Problem des Masochismus (1924) hat Freud den Grund dafür prägnant formuliert: »Wenn Schmerz und Unlust nicht mehr Warnungen, sondern selbst Ziele sein können, ist das Lustprinzip lahmgelegt, der Wächter unseres Seelenlebens gleichsam narkotisiert.« SA III: 343. Im Gegensatz zum Lebenstrieb zielt der Todestrieb – den Freud auch mit dem von Barbara Low (1874–1955) geprägten Begriff Nirwanaprinzip bezeichnet – auf »die Überführung des unsteten Lebens in die Stabilität des anorganischen Zustandes«. SA III: 344. Der Eros verfolgt hingegen das Ziel, »das Leben durch immer weitergreifende Zusammenfassung der in Partikel zersprengten lebenden Substanz zu komplizieren, natürlich es dabei zu erhalten.« Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 307. 66 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1915–17). In: SA I: 292.

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drängt. Vorbewusst seien jene grundsätzlich bewusstseinsfähigen Regungen, die zwar die Zensur passierten, aber denen es nicht gelinge »die Blicke des Bewußtseins auf sich zu ziehen.« 67 Den hochgradig individuellen und mobilen Abwehrmechanismus der Verdrängung unterteilt Freud wiederum in insgesamt drei Phasen. Die erste Phase der Urverdrängung oder primären Verdrängung besteht darin, dass »der psychischen (Vorstellungs-)Repräsentanz des Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt wird.« 68 Die zweite Phase beschreibt die eigentliche Verdrängung oder sekundäre Verdrängung, die jene »psychische Abkömmlinge der verdrängten Repräsentanz oder solche Gedankenzüge« betrifft, welche, »anderswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr geraten sind.« 69 Wegen dieser Beziehung erfahre eine solche Vorstellung dann auch dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte und werde dadurch unserem bewussten Einfluss entzogen. Um den Erfolg der (Ur-)Verdrängung zu gewährleisten, sei wiederum ein anhaltender Kraftaufwand nötig, insofern das Verdrängte einen kontinuierlichen Druck in der Richtung zum Bewusstsein ausübe, dem durch einen unausgesetzten Gegendruck das Gleichgewicht gehalten werden müsse. 70 Die dritte und letzte Phase beschreibt mit der Wiederkehr des Verdrängten eigentlich ein Scheitern des Abwehrmechanismusses und tritt ein, wenn die »Abkömmlinge des Urverdrängten« 71 sich in veränderter Form oder durch eingeschobene Zwischenglieder weit genug von der verdrängten Repräsentanz entfernt haben und nun »infolge ihrer Entfernung oder Entstellung die Zensur des Bewußten passieren können.« 72 Der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1915–17). In: SA I: 293. Den Unterschied zwischen unbewussten Regungen, die als Teil des Vorbewussten prinzipiell bewusstseinsfähig sind und denjenigen unbewussten Regungen, die als Teil des Unbewussten verdrängt wurden, hat Freud anhand der Unterscheidung eines deskriptiven und dynamischen Sinnes markiert. Im deskriptiven Sinn gibt es für Freud daher zweierlei Unbewusstes, i. e. das Unbewusste und das Vorbewusste; im dynamischen Sinn aber nur eines, i. e. das Unbewusste. Cf. Das Ich und das Es (1923). In: SA III: 284 f. 68 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 109. Unter Triebrepräsentanz versteht Freud »eine Vorstellung oder Vorstellungsgruppe, welche vom Trieb her mit einem bestimmten Betrag von psychischer Energie (Libido, Interesse) besetzt ist.« Die Verdrängung (1915). In: SA III: 113. 69 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 109 70 Cf. Die Verdrängung (1915). In: SA III: 112. 71 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 110. 72 Die Verdrängung (1915). In: SA III: 110. 67

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Trieb kann sich allerdings auch von der ihn repräsentierenden Vorstellung ablösen und seinen Ausdruck in Vorgängen finden, die »als Effekte der Empfindungen bemerkbar werden.« 73 Für dieses Element der psychischen Repräsentanz verwendet Freud den Begriff des Affektbetrages. Auch hier kann der Trieb vollständig unterdrückt werden. Wenn dieser Prozess scheitert, können die psychischen Energien der Triebe in Affekte oder Angst umgesetzt werden. 74 So kann zwar die Vorstellung des Triebes erfolgreich unterdrückt werden, der Akt der Verdrängung aber dennoch scheitern, insofern es dem Abwehrmechanismus nicht gelingt, den Affektbetrag zu verdrängen und somit die Entstehung von Unlustempfindungen oder Angst zu verhindern. Anzeichen einer solchen Wiederkehr des Verdrängten bezeichnet Freud als Symptom, die er in der allgemeinen Neurosenlehre der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1917) als »Ersatz für das, was da unterblieben ist« 75 beschreibt. Als pathogener Vorgang ist die Verdrängung somit die Vorbedingung der Ersatzbildung.

10.1.4. Projektion und prapañca: Die Verdrängung des Konstruktcharakters von Welt und Selbst Für Loy sind sowohl Freuds erste als auch zweite Topik hochproblematisch, insofern beide Modelle die Trennung zwischen Subjekt und Objekt unhinterfragt voraussetzen. Freud denke nicht nur den Ort des Unbewussten als einen Platz innerhalb des Menschen, sondern setze auch die Objektivität der Welt als etwas vom Menschen Getrenntes fraglos voraus. Loys Analyse hatte demgegenüber zu einer Vision des Kosmos als kreativer Matrix geführt, in der die Illusion der Trennung zwischen Subjekt und Objekt auf dem projektiven Charakter des Bewusstseins beruht. 76 Aus psychologischer Sicht sei daher zu Die Verdrängung (1915). In: SA III: 113. Cf. Die Verdrängung (1915). In: SA III: 114. 75 Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1915–17). In: SA I: 291. 76 Auch Tao Jiang hat in seinem Vergleich von Freud und Hsüan-Tsang auf weitreichende Divergenzen in der jeweiligen Lehre (vom Unbewussten) hingewiesen. Für Hsüan-Tsang seien alle Prozesse im Kontinuum des ālayavijñānas, wie er es im Ch’eng wei-shi lun entfaltet, durch den Konditionalnexus geregelt, während Freud das Unbewusste als Land der Triebe und des Chaos bestimme und jede Ordnung in die externe Welt verlagere; Hsüan-Tsang beschreibe einen meditierenden Anachore73 74

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fragen, warum »wir« die Welt auf eine Weise konstituieren, welche die Tatsache verbirgt, dass »wir« sie konstituiert haben. Dabei beruft sich Loy auf eine Erklärung des existentiellen Psychotherapeuten Irvin D. Yalom, der die Verdrängung der transzendentalen Idealität der Welt durch das transzendentale Subjekt als mächtigste Abwehr gegen die Todesangst beschrieben hatte. Wir konstituieren die Erscheinungsweise der Welt demnach auf eine Weise, dass sie unabhängig von unserer Schöpfung erscheint, um vor unserer bodenlosen und beängstigenden Freiheit zu fliehen. 77 Auf diesem Weg versucht Loy die von ihm beschriebenen Verblendungsmechanismen nun auch psychologisch einsichtig zu machen. Zu verdrängen, dass die Welt in ihrer plural verfassten Phänomenalität eine Simulation des prapañca ist, ist für Loy ein sekundärer Abwehrmechanismus, der uns davon abhält zu erkennen, dass auch unser Gefühl eines einheitlichen, beständigen und unwandelbaren Selbst in letzter Konsequenz trügerisch und grundlos ist: We need a world of dependable, self-existing things, fixable in objective time and space and interacting in ways we can learn to manipulate. Once a predictable world has been automatized, we can concentrate on achieving our ends within that world. However, there is another reason for ›forgetting‹ if the sense-of-self which is in that world is itself constituted at the same time: in that case these acts of constitution cannot be accessible to self-consciousness because they are also the foundations of self-consciousness. Then to repress the fact that my

ten, der nach der Erleuchtung im Sinne des Yogācāra-Buddhismus strebe, während Freuds Lehre von »rasenden Kämpfern« handle, die, eingeklemmt zwischen inneren und äußeren Kräften, versuchten in einer feindseligen sozialen Umwelt zu überleben; für Hsüan-Tsang sei der Mensch ein verblendetes Wesen, dessen einzige Hoffnung er in der meditativen Praxis sieht, während das Wesen des Menschen für Freud in dessen triebbestimmter Kreatürlichkeit bestehe, die alle spirituellen Bemühungen auf Lebensinstinkte reduziere; Hsüan-Tsangs Zielgruppe seien Buddhisten, denen er die Ursache der Verblendung auseinandersetze, um sie zum Erwachen zu führen, während Freud primär neurotische Patienten behandelt habe, die zwischen der inneren und äußeren Welt gefangen waren; Hsüan-Tsang lehre einen direkten Zugang zum Unbewussten, während Freud nur einen indirekten kenne; Hsüan-Tsangs Lehre vom ālayavijñāna sei an der Immanenz orientiert, während das Unbewusste in Freuds erster Topik als asymmetrische Immanenz charakterisiert werden müsse und das Es und Über-Ich der zweiten Topik eine Form asymmetrischer Transzendenz sei. Cf. Jiang 2006: 145–148. Auf Gemeinsamkeiten weist Fromm 1971: 155–179 hin. 77 Cf. Loy 1996a: 66.

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objective world is constituted is also to repress the fact that I am constituted. 78

Insofern der prapañca eine welt- und selbstkonstitutive Funktion erfülle, könne man unbewusste Phänomene auch nicht mehr an irgendeinem unbestimmten mentalen Ort innerhalb seiner selbst verorten, sondern nur noch in den Manifestationen der gesamten Erscheinungswelt finden. Wer sein Unbewusstes finden wolle, müsse folglich die Strukturen seiner Welt betrachten und wer das kollektive Unbewusste lokalisieren wolle, müsse die miteinander geteilten Strukturen der sozialen Welt untersuchen. 79 Die Projektion führt für Loy also zu einer traumgleichen Erfahrung, in der wir die sekunLoy 1992b: 164. Das kollektive Unbewusste ist Jung zufolge »in allen Menschen sich selbst identisch und bildet damit eine in jedermann vorhandene, allgemeine seelische Grundlage überpersönlicher Natur.« Jung 1976: 14. Mit dem kollektiven Unbewussten verband Jung die Vorstellung von kollektiv-unbewussten Inhalten und allgemeinen Bildern, die er als Archetypen bezeichnete. Er berief sich dabei u. a. auf den französischen Philosophen und Ethnologen Lucien Lévy-Bruhl (1857–1939), der in Les fonctions mentales dans les sociétés inférieures (1910) die Kollektivvorstellungen (représentations collectives) in primitiven Gesellschaften analysiert hatte, die Jung als bewusste Formen seiner unbewussten Archetypen deutete, also jener psychischen Inhalte, »welche noch keiner bewußten Bearbeitung unterworfen« und daher auch noch nicht »im Sinne des jeweiligen individuellen Bewusstseins«, in welchem sie auftauchen, verändert worden waren. Jung 1976: 15. Cf. Lévy-Bruhl 1926. Das Verhältnis von Jungs kollektivem Unbewussten zum buddhistischen ālayavijñāna ist in der Forschungsliteratur ganz unterschiedlich beurteilt worden und reicht von affirmativen Kongruenzbehauptungen, über differenzierte Anzeigen verschiedener Analogien und Differenzen bis hin zu Thesen absoluter Inkommensurabilität. Einen affirmativen Standpunkt vertreten u. a. Moacanin 1986: 75; Stacks 1996 und Yamamoto, S. 2003: 249 f. Eine Auflistung verschiedener Differenzen und Analogien findet sich bereits in einem frühen Vergleich bei Ōsaki 1986. Auf weitreichende Divergenzen zwischen der Lehre vom ālayavijñāna und Jungs Lehre vom kollektiven Unbewussten weisen Ananda/Prasad 2014: 155 und Kalupahana 2001: 30 hin. Tao Jiang zufolge betrachtet Hsüan-Tsang das Unbewusste (ālayavijñāna) als individuelles Bewusstseinskontinuum, zu dem es einen direkten Zugang gibt, der wiederum zum soteriologischen Ziel der Erleuchtung führt, während Jung eine kollektive Dimension postuliert, die nur indirekt erschlossen werden kann und lediglich therapeutischen Zwecken dient. Jiang interpretiert die Lehre vom ālayavijñāna fernerhin als eine Lehre der Immanenz, während er Jungs Lehre vom persönlichen Unbewussten als eine Lehre asymmetrischer Transzendenz beschreibt, die mit dem kollektiven Unbewussten zudem in eine Form radikaler Transzendenz einmünde. Cf. Jiang 2006: 147 f. Zentral scheint mir in der Diskussion der Umstand zu sein, dass es sich beim ālayavijñāna als einem individuellen Bewusstseinsstrom um keine kosmische, sondern eine rein intrapsychische Instanz handelt, worauf auch Allan B. Wallace nachdrücklich hinweist. Cf. Wallace 78 79

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däre Einsicht in den Konstruktcharakter der Welt verdrängen, um uns vor der primären Erkenntnis des je eigenen Konstruktcharakters zu schützen. In einem gleichwohl weniger radikalen Sinn habe bereits Jung den Erfolg der Projektion als Isolierung des Subjektes gegenüber der Umwelt beschrieben, indem statt einer wirklichen Beziehung zu derselben nur noch eine illusionäre vorhanden sei. Die Projektionen verwandelten die Umwelt in das eigene, aber unbenannte und unbekannte Gesicht. Sie führten für Jung daher in letzter Linie zu einem auto-erotischen oder autistischen Zustand, in dem man eine Welt träume, deren Wirklichkeit unerreichbar bleibe. 80

10.1.5. Ontologische Daseinsschuld und Ödipusprojekt Nach Freuds Hypothese in Totem und Tabu (1912/13) wurde das menschliche Gewissen und Schuldgefühl phylogenetisch am Vaterkomplex erworben. Der Ursprung der Kultur und Religion fällt hier mit der Entstehung der Urschuld zusammen, die auf die Ermordung des gewalttätigen, eifersüchtigen und autokratischen Urvaters der Urhorde zurückgeht, der »alle Weibchen für sich behält und die heranwachsenden Söhne vertreibt« 81, die ihn daraufhin erschlagen und verzehren, um sich auf diese Weise mit dem beneideten und gefürchteten Vorbild zu identifizieren. Die Söhne empfinden nach ihrem mörderischen und kannibalistischen Akt tiefe Reue, verhängen ein Mordverbot und entwickeln mit nachlassender Erbitterung eine Sehnsucht nach dem ermordeten Vater, womit sie das menschliche Gewissen, die soziale Gesellschaftorganisation und die Religion begründen. 82 Die Erinnerung an den prähistorischen Mord des Urvaters wird mittels biologischer Evolution vererbt und mit jeder Generation im Ödipuskomplex neu verinnerlicht. Dabei wiederholen sich die durch den Urvatermord vererbten Instinkte und das Kind entwickelt Todeswünsche gegenüber den geliebten Eltern, was Freuds Analyse zufolge zur ursprünglichen Entstehung von Schuld führt. 83 2006: 113 f. Die daran anschließende Solipsismus-/Intersubjektivitäts-Problematik habe ich bereits weiter oben diskutiert (siehe 9.3.1.). 80 Cf. Loy 1992b: 164; Jung 1951: 24. 81 Totem und Tabu. (1912–13). In: SA IX: 425. 82 Cf. Totem und Tabu. (1912–13). In: SA IX: 432, 441 f. 83 Vor diesem Hintergrund konnte Freud sagen: »Wir lassen vor allem das Schuldbewußtsein wegen einer Tat über viele Jahrtausende fortleben und in Generationen

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Für Loy ist jede Möglichkeit der Sühne allerdings eliminiert, solange wir die tatsächliche Herkunft dieser Schuldgefühle nicht richtig erklären können. Der eigentliche Ursprung der menschlichen Schuldgefühle sei nicht das im Ödipuskomplex vererbte und im Über-Ich sedimentierte Urverbrechen der Urhorde, wie Freud behauptet hatte, sondern das verdrängte und im Ödipusprojekt bekämpfte Gefühl innerer Leere (lack). 84 Diese existentiell-psychologische Reinterpretation des Ödipuskomplexes übernimmt Loy dabei vom US-amerikanischen Psychologen und Sozialphilosophen Norman O. Brown (1913–2002), für den das Ödipusproblem nicht die natürliche Liebe zur Mutter, sondern ein Symptom der Todesverdrängung ist und den Versuch zum Ausdruck bringt, den Tod durch narzisstischen Größenwahn zu kompensieren, indem man sein eigener Vater und damit zur Ursache seiner selbst (causa sui) wird. 85 Für Loy ist es zwar grundsätzlich richtig, dass der Mensch danach strebe, seine eigene Ursache zu werden, aber er versuche damit entgegen Browns Interpretation nicht seinen zukünftigen Tod zu besiegen und Unsterblichkeit zu erlangen, sondern die eigene Selbst- und Grundlosigkeit im Hier-undJetzt zu kompensieren und sich als unabhängige Individualität real zu fühlen: From the Buddhist viewpoint, the Oedipal project is the attempt of the developing ego-self to attain cloture on itself, to foreclose its dependence on others by becoming a self-sufficient Cartesian-like ego. It is the wish to become what the Mahāyāna philosopher Nāgārjuna described as svabhāva, ›self-existing‹–something that is not possible. Yet that does not stop us from trying, for this is the way the burgeoning sense-of-self strives to compensate for its burgeoning sense of unreality. Rather than just a way to conquer death, however, this is more immediately the quest to deny one’s groundlessness by becoming wirksam bleiben, welche von dieser Tat nichts wissen konnten.« Totem und Tabu. (1912–13). In: SA IX: 440. 84 Cf. Loy 2002a: 4. 85 »The essence of the Oedipal complex is the project of becoming God–in Spinoza’s formula, causa sui; in Sartre’s, être-en-soi-pour-soi.« Brown, N. 1985: 118. Als Revolte gegen die Todesangst des Menschen bringt Brown dieses ödipale Projekt vor allem mit dem Unsterblichkeitsversprechen der Religionen und der virtuellen Unvergänglichkeit kultureller Errungenschaften in Verbindung: »The adult flight from death–the immortality promised in all religions, the immortality of familial corporations, the immortality of cultural achievements–perpetuates the Oedipal project of becoming father of oneself: adult sublimation continues the Oedipal project.« Brown, N. 1985: 127.

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one’s own ground: the socially conditioned (but nonetheless illusory) ground that we know as being an individual, autonomous person. 86

Wenn die Urverdrängung also unsere Substanzlosigkeit (anātman) betrifft, dann kann auch die Schuld nicht ursprünglich neurotisch sein und moralische Gründe haben, wie Freud dies anhand seiner Theorie einer biologisch vererbten Erinnerung an das Urverbrechen des zu Urzeiten verübten Vatermordes zu belegen versucht hatte. Für Loy ist unsere Schuld daher nicht neurotisch, sondern ontologisch, i. e. eine reine Daseinsschuld, die bereits der US-amerikanische Sozialanthropologe Ernest Becker (1924–1974) an die Individuation geknüpft und als natürliche Schuld bezeichnet hatte. Indem sich die Kreatur der ganzen Welt entgegensetze, entstehe jene Vereinzelung und Isolierung, die der Mensch nicht ertragen könne und die sich als Gefühl kosmischer Abhängigkeit und hoffnungsloser Unzulänglichkeit manifestiere. 87 Diese ontologische Schuld hat für Loy ihren Ursprung in unserem Gefühl innerer Leere (lack), welches aus der verdrängten Intuition des Selbstbewusstseins erwächst, dass es kein Eigensein (svabhāva) besitzt: Such basic ›guilt‹ is not […] a consequence of something I have done, but of the fact that I am–yet only ›sort of.‹ Ontological guilt arises from the contradiction between this socially-conditioned sense that I am and the suspicion that I am not. Their clash is the sense-of-lack, which generated the I should be. … The tragedy is that I ›awaken‹ into being only to be confronted by my lack of being. 88

Die »Ursünde« besteht für Loy demnach in der Entstehung eines illusionären Selbst-Gefühls, wobei er sich bei dieser Interpretation auf Erich Neumann (1905–1960) beruft, der das Entstehen des Ich mit dem Vergehen der ursprünglichen paradiesischen Situation des adamitischen Menschen im Garten Eden und die Selbstbewusstwerdung des Menschen mit der Geburt von Verantwortung und Freiheit identifiziert hatte. 89 Wir benötigen das ontologische Schuldgefühl und Loy 1996a: 11. Cf. Becker 1975a: 158; Becker 1975b: 153 f.; Loy 1996a: 11. 88 Loy 1992b: 155. 89 Cf. Neumann, E. 2004: 111–138. Auch Erich Fromm hat die Geschichte vom Sündenfall als Entstehen des Selbstbewusstseins und gleichzeitiges Ende »ursprünglicher und vor-individueller Harmonie« interpretiert. Cf. Fromm 1971: 164. Ebenso identifizierte Ludwig Klages in seinen Grundlagen der Charakterkunde (1926) die »Austreibung aus dem Paradiese« mit »der Entstehung des Ichs«, denn »nur ein Ichwesen« sei »als Ichwesen seiendes Wesen, folglich ein Wesen mit dem Bewußtsein der Zeitlich86 87

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akzeptieren unsere Leiden, Krankheiten und den Tod als eine angemessene Bestrafung, weil wir Loy zufolge auf diese Weise ein Gefühl der Kontrolle über unser eigenes Schicksal erlangen und es eine Erklärung für unser aufzehrendes Gefühl innerer Leere (lack) gibt. Die Mythologie der Ursünde liefere auf diese Weise einen Sinn für unsere missliche Lage, denn Schuld sei immer noch einfacher zu ertragen als vollkommene Sinnlosigkeit und Leere: »Since nothing is more painful to endure than pure lack, we need to project it onto something, because only thus we get a handle on it. If that object is found outside, we react with anger; if directed inside, it becomes guilt (introjected anger, according to psychoanalysis).« 90 Aus Loys buddhistischer Sicht hat der christliche Glaube an die Ur- und Erbsündenlehre allerdings verheerende Folgen, insofern er keit und dem Wissen um sein Begonnenhaben und Endenmüssen.« Klages 1951: 142. Aus der Erkenntnis des Ich als »Urbild alles Existierens« und untersten »Grund aller Todesfurcht« (144) entstehe wiederum der Wunsch nach Rückkehr zum überindividuellen Leben durch »Selbstverneinung des Ichs«. Klages 1951: 147. Ken Wilber hat die weit verbreitete Vorstellung, der Mensch beginne als Säugling in einer unbewussten Einheit mit dem Göttlichen (unconscious heaven), den er in der Selbstbewusstwerdung als einem Prozess der Entfremdung und Dissoziation verlasse (conscious hell), um abschließend in einer bewussten Vereinigung selbstverwirklicht zum geistigen Urgrund des Seins zurückzukehren (conscious heaven), als »romantische Sichtweise« abgelehnt und sich damit auch gegen sein eigenes Modell gewendet, das er in seinen ersten beiden Publikationen noch selbst vertreten hatte. Die Menschwerdung als solche ist für Wilber fortan der Eintritt in den saṃsāra und das Kindesalter folglich kein unbewusst-transpersonaler und -transrationaler Himmel, sondern eine Existenz in der unbewusst-präpersonalen und -prärationalen Hölle (Prä-/Trans-Verwechslung). Diese wichtige Korrektur erlaubte Wilber eine wesentlich positivere und insgesamt angemessenere Sicht des Selbstbewusstseins, dessen phylogenetische und ontogenetische Entwicklung er seither als etwas genuin Gutes im Evolutionsprozess der Menschheit würdigt. Die psychospirituelle Entwicklung des Menschen verläuft demnach vom adual Unbewussten über das dual Selbstbewusste zum nondual Überbewussten, ohne dabei jemals die Einheit mit dem wahrhaft form-, zeit-, raum- und wandellosen, dabei aber alle Form, jede Zeit, jeden Raum und allen Wandel umfassenden Seinsgrund zu verlieren, ohne den zu keinem Zeitpunkt irgendetwas existieren könnte. Zwar wird aus einigen Äußerungen Loys deutlich, dass auch er das Selbstbewusstsein als funktionelle Kompetenz begreift, die zu den dauerhaften Strukturen der Psyche gehört und erhalten bleibt, während das Selbst als Identitätsempfindung durch immer höhere und umfassende Identitäten ersetzt wird, aber dieser Aspekt wird von Loy im Gegensatz zu Wilber nicht systematisch reflektiert, weil er einer elaborierten Theorie der post-kenshō Erfahrung ermangelt, in der das Selbstbewusstsein gegenüber der nondualen Erfahrung wieder integriert ist. Cf. Wilber 1997: 51– 57, 139–164. 90 Loy 1992b: 156.

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nicht zur Konfrontation und Auflösung der inneren Leere (lack) beitrage, sondern diese natürliche Weise der Welterfahrung mythologisiere und geschichtlich-moralisch erkläre und damit das eigentliche Problem mit einer Erzählung überlagere, verdecke, verzerre und letztendlich verfestige. Auch hier dokumentiert sich für Loy ein weiterer Vorzug der nondualen Traditionen gegenüber ihren theistischen Kontrahenten, insofern der Buddhismus in seinen nondualen Erscheinungsformen keine mythologische Erklärung der inneren Leere (lack) biete und auch keinen Gott kenne, dem gegenüber man eine Urtat des Ungehorsams postulieren müsse, um das Leiden und Schuldgefühl psychologisch zu rechtfertigen, sondern lediglich eine direkte Therapie zu deren Aufhebung formuliere: »Buddhism does not reify the sense of lack into an original sin, even though our particular problems with attachment and ignorance are historically conditioned. This is an important way nondualisms like Buddhism differ from theism. If you believe in an all-loving, all-powerful God, our suffering can be justified only by postulating a primal act of disobedience against Him. Śākyamuni Buddha declared that he was not interested in the metaphysical issue of origins, and emphasized that he had one thing only to teach: duḥkha and the end of duḥkha, the fact of our suffering now and the path to end that suffering. This means the Buddhist path is nothing other than a way to resolve our sense of lack. Since there was no primeval offense and no expulsion from the Garden, there is nothing that needs to be gained.« 91

10.1.6. Si vis vitam, para vacuum: Die Urangst vor der eigenen Leere Für Loy muss jede ernsthafte Diskussion der conditio humana die Psychoanalyse Freuds sowie deren Kritik, Revision und Weiterbildung durch seine Epigonen und Renegaten berücksichtigen. Das betrifft in einem eminenten Sinn auch das komplexe Phänomen der Angst, das Loy anhand eines historischen Abrisses der psychoanalytischen Interpretation und Kritik derselben einführt. 92 Dabei setzt Loy 1996a: 56 f. Die folgende Darstellung folgt Loy 1992b: 157–162; Loy 1996a: 1–7. Eine ausführliche Darstellung der Konzepte der Angst in der Psychoanalyse bei Freud, Karl Abraham (1877–1925), Sàndor Ferenczi (1873–1933), Otto Rank (1884–1939), Ernest Jones (1879–1958), Paul Federn (1871–1950), Wilhelm Reich (1897–1957) und Melanie Klein (1882–1960) bietet der erste Band der Trilogie von Meyer, G. 2005.

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Loy historisch bei Freud an, der allerdings nie einen Zweifel daran gelassen hatte, dass die Sexual- und nicht die Angsttheorie den wichtigsten Teil seiner Lehre für ihn verkörperte. In einem Gespräch mit Jung, das 1910 in Wien stattfand, hatte er seinen damaligen Schüler instruiert, er solle niemals die Sexualtheorie aufgeben und stattdessen daraus ein »Dogma« und »unerschütterliches Bollwerk« gegen das machen, was er als »die schwarze Schlammflut« des Okkultismus bezeichnete und womit er Jungs Ansicht zufolge alles meinte, »was Philosophie und Religion, einschließlich der in jenen Tagen aufgekommenen Parapsychologie über die Seele auszusagen wußten.« 93 Alles »Okkulte« musste Freud als konsequenten Angriff auf seine eigene Theorie perhorreszieren, da es die im Zentrum seiner Lehre stehende Kreatürlichkeit des Menschen zugunsten einer Anthropologie relativierte, die den Menschen zu einem von der Tierwelt qualitativ verschiedenen Geschöpf erhöhte. Freuds notorische Einstellung, in jedem Ausdruck der Geistigkeit verdrängte Sexualität zu sehen und diese Hypothese seinen Schülern als Dogma zu oktroyieren, hatte aber nicht nur zwischen Freud und Jung zum Bruch geführt. Auch Otto Rank (1884–1939) und Alfred Adler (1870–1937) hatten sich zunehmend von Freud und dessen als einseitig empfundener Sexualund Triebtheorie entfremdet und schließlich mit ihm gebrochen. Es war aber vor allem Rank, der sich im dritten und letzten Band seiner Technik der Psychoanalyse (1931) kritisch mit Freuds Theorie des Todestriebes auseinander gesetzt hatte. Für Rank war Freuds Ansatz und dessen Betonung des Triebhaften grundlegend verfehlt und selbst nachdem Freud auf das nicht wegzuleugnende Todesproblem gestoßen war, hätte er die eigentliche Todesangst zum Todestrieb umgedeutet, um seine konstitutive Triebtheorie unangetastet lassen zu können. In Freuds Interpretation der Angst selbst sah Rank nur dessen »therapeutische Ideologie«, die auf Tröstung und nicht auf Erkenntnis ausgerichtet gewesen sei, sodass er die Angst erst zu einer speziellen Sexualangst (Kastrationsangst) gemacht habe, um sie anschließend durch die Befreiung oder Befriedigung der Sexualität heilen zu können. 94 Die innere Angst sei aber tatsächlich nichts, was dem Menschen gleichsam von außen angetragen werde, sondern etwas, Jung 2003: 155. Cf. Rank 1931: 38. »[H]ow could psychoanalytic therapy scientifically cure the terror of life and death? But it could cure the problems of sex, which it itself posited.« Becker 1975b: 100.

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das von Geburt an und unabhängig äußerer Drohungen existiere. Diese »ursprüngliche Leidensnatur des Menschen« 95 und »Urangst im Individuum« 96 könne sich sowohl als Angst vor dem »Lebenmüssen als isoliertes Individuum« (Lebensangst) als auch als Angst vor dem »Verlust der Individualität« 97 (Todesangst) manifestieren und artikuliere in beiden Fällen ein »allgemeines Unsicherheitsgefühl des Individuums« 98. Die Angst erhält in Ranks Interpretation auf diese Weise eine universale, gleichsam kosmische Dimension: »Diese ambivalente Urangst, die sich als Konflikt zwischen Individuation und Generation manifestiert, entstammt einerseits der Angst als Teil des Ganzen, losgetrennt allein leben zu müssen (Geburt), andererseits der polaren Angst, die schwer erworbene Ganzheit (als Individuum) wieder durch Totalverlust derselben (im Tode) aufgeben zu müssen.« 99 In der Betonung der fundamentalen Rolle der Todesangst sind Rank vor allem Ernest Becker, Norman O. Brown, Robert Jay Lifton und Irvin D. Yalom gefolgt, von denen vor allem Becker und Yalom zu einer zentralen Inspiration Loys wurden. 100 Auf der Grundlage der Werke Freuds und denen seiner Interpreten und geistigen Erben wollte Becker die Quintessenz moderner Psychologie destillieren und die Psychologie auf grundlegende Einsichten Søren Kierkegaards (1813–1855) zurückführen. 101 Der Gedanke an den Tod – so Beckers Rank 1931: 39. Rank 1931: 40. 97 Rank 1931: 41. 98 Rank 1931: 40. 99 Rank 1931: 54. Cf. Loy 1996a: 17, 62; Loy 2002a: 22; Loy 2003a: 160. 100 Cf. Lifton 1979. Ein früher Beitrag zur Thanatopsychologie, der von Becker und Yalom zitiert wird, ist der Vortrag Fear of Death (1943) des russischen Psychoanalytikers Gregory Zilboorg (1890–1959), den er während des zweiten Weltkrieges vor der American Psychiatric Association gehalten hat. In seinem Vortrag spricht Zilboorg expressis verbis von einer Psychologie der Todesangst. Cf. Zilboorg 1943: 466. Obschon sich die Todesangst nur selten unverstellt zeige, war Zilboorg davon überzeugt, dass sie immer präsent sei: »For behind the sense of insecurity in the face of danger, behind the sense of discouragement and depression, there always lurks the basic fear of death, a fear which undergoes most complex elaborations and manifests itself in many indirect ways.« Zilboorg 1943: 465. 101 Man nehme nur den letzten Absatz aus Freuds Abhandlung Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915): »Wäre es nicht besser, dem Tode den Platz in der Wirklichkeit und in unseren Gedanken einzuräumen, der ihm gebührt, und unsere unbewußte Einstellung zum Tode, die wir bisher so sorgfältig unterdrückt haben, ein wenig mehr hervorzukehren? […]. Wir erinnern uns des alten Spruches: Si vis pacem, para bel95 96

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These in The Denial of Death – verfolge das Tier Mensch wie nichts sonst; er sei eine der Triebfedern menschlichen Handelns, eines Handelns, das hauptsächlich darauf ausgerichtet sei, dem Schicksal des Todes zu entgehen oder es zu besiegen, indem wir leugneten, dass es unser aller endgültiges Schicksal sei. 102 Unter kritischer Abgrenzung zu Freud und unter Berufung auf die Arbeiten von Rank und Brown hat Becker diese Grundeinsicht als das alles entscheidende Konzept der Psychoanalyse markiert: Man’s body was ›a curse of fate,‹ and culture was built upon repression–not because man was a seeker only of sexuality, of pleasure, of life and expansiveness, as Freud thought, but because man was also primarily an avoider of death. Consciousness of death is the primary repression not sexuality. As Rank unfolded in book after book, and as Brown has recently again argued, the new perspective on psychoanalysis is that its crucial concept is the repression of death. This is what is creaturely about man, this is the repression on which culture is built, a repression unique to the self-conscious animal. 103

Die existentielle Position thematisiert Yalom zufolge aber nicht ausschließlich den Tod, sondern den gesamten Grundkonflikt, der aus der Konfrontation des Individuums mit den Gegebenheiten der Existenz hervorgeht. 104 Darunter versteht Yalom vor allem diejenigen Tiefenstrukturen, die uns unbedingt angehen (ultimate concerns) und derer er insgesamt vier unterscheidet: »[D]eath, freedom, isolation, and meaninglessness.« 105 Der existentiell-dynamische Konflikt bestehe in der Begegnung des Individuums mit diesen vier ultimate lum. Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege. Es wäre zeitgemäß, ihn abzuändern: Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.« In: SA IX: 59 f. 102 Cf. Becker 1975b: ix-xi; Loy 1996a: 7–11, 19 ff., 34, 50; Loy 2003a: 20 ff. 103 Becker 1975b: 96. Gegen Becker und mit Philippe Ariès (1914–1984) argumentiert Loy hingegen für die Historizität dieser besonders stark ausgeprägten Form der Thanatophobie. Cf. Loy 1996a: 18; Ariès 1980: 778. Auch Paul Tillich (1886–1965) spricht von »Epochen der Angst« und weist der antiken Kultur die »ontische Angst«, dem Ende des Mittelalters die »moralische Angst« und dem Ende des modernen Zeitalters die »geistige Angst« zu: »Das Nichtsein bedroht die ontische Selbstbejahung des Menschen relativ als Schicksal, absolut als Tod. Das Nichtsein bedroht die geistige Selbstbejahung des Menschen relativ als Leere, absolut als Sinnlosigkeit. Das Nichtsein bedroht die sittliche Selbstbejahung des Menschen relativ als Schuld, absolut als Verdammung.« Tillich 1953: 34. 104 Cf. Yalom 1980: 8; Loy 1996a: 7, 61 f., 127. 105 Yalom 1980: 8.

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concerns und die existentielle Psychodynamik beziehe sich auf die bewussten und unbewussten Ängste und Motive, die von ihnen erzeugt würden (awareness of ultimate concern → anxiety → defense mechanism). Den existentiellen Kernkonflikt sieht Yalom allerdings wie Becker in der Spannung zwischen dem Bewusstsein der Unausweichlichkeit des eigenen Todes und dem Wunsch, weiter zu existieren. Mit Rank und gegen den als reduktionistisch, materialistisch und deterministisch kritisierten Ansatz Freuds setzt auch Yalom nicht beim Trieb, sondern bei der Bewusstheit (awareness) und Angst (fear) des Menschen und einer Analyse der todesverleugnenden Abwehrmechanismen an. Daran anschließend führt auch Loys Analyse der menschlichen Psyche konsequent über die Analyse der Schuld zur Analyse der Angst, die er im Gegensatz zur existentiellen Position nicht als Angst vor dem Tode als einer Desintegration des Egos und irreversiblen Auslöschung des Individuums, sondern als horror vacui, i. e. als Angst des Menschen vor der eigenen Leere interpretiert: »Perhaps even the ›purest‹ guilt is a device whereby ontological anxiety escapes from its dread-of-nothingness by finding an object to worry about–in this instance, one’s own objectified sense-of-self. If so, even ontological guilt can be deconstructed back into something more primordial–anxiety.« 106 Während die Schuld noch auf dem Selbst-Gefühl gründe und das Selbst zum Objekt habe, sei die Angst im Gegensatz zur Schuld objektlos und daher vollkommen unbestimmt und unbegrenzt. 107 Erst in der Angst erlange das Gefühl innerer Leere (lack) daher seine ur106 Loy 1996a: 55. Dieser buddhistischen Interpretation der Angst kommt Yalom an einigen Stellen sehr nahe, wenn er im Anschluss an Sartre die Angst vor der Grundund Bodenlosigkeit (groundlessness) des Menschen als Urangst bezeichnet und einräumt, dass diese sogar tiefer reiche als die Angst, die mit dem Tode verknüpft sei. Die Todesangst könne daher als ein Symbol für die eigentliche Angst vor dieser fundamentalen Grund-losigkeit des Menschen gedeutet werden. Im Gegensatz zu Loy geht Yalom allerdings davon aus, dass diese Urangst, anders als die volle Bewusstheit vom eigenen Tode, in der täglichen Erfahrung des Menschen nicht nachweisbar sei. Für Yalom bleibt daher der je eigene Tod als die totale Auflösung meiner Welt, mit der Ich zugleich als ihr Sinngeber und Betrachter dem Nichts ausgesetzt werde, das eigentliche, i. e. klinisch relevante Problem. Cf. Yalom 1980: 222; Loy 1996a: 61. 107 Die Unterscheidung zwischen intentionsloser Angst und intentionaler Furcht (Realangst) findet sich bereits bei Freud: »Die Angst hat eine unverkennbare Beziehung zur Erwartung; sie ist Angst vor etwas. Es haftet ihr ein Charakter von Unbestimmtheit und Objektlosigkeit an; der korrekte Sprachgebrauch ändert selbst ihren Namen, wenn sie ein Objekt gefunden hat, und ersetzt ihn dann durch Furcht.« Hemmung, Symptom und Angst (1926 [1925]). In: SA VI: 302.

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sprüngliche und unverzerrte Form der Formlosigkeit (no-thingness). Für Loy schließt sich daran unmittelbar die Frage nach dem Verhältnis von Ursache und Wirkung an. Was war zuerst da? Unser Selbstbewusstsein oder die Angst? 108 Gegen Freud, der das Ich noch als »alleinige Angststätte« 109 bezeichnet hatte, ist die Angst bei Loy nun kein Zustand mehr, den ein Ich hat oder in dem sich einem autonomen Subjekt der Vernichtungsterror des Nichts offenbart, sondern eine Funktion, die das Selbst erzeugt. 110 Die Theorie einer Selbst-konstitutiven Funktion der Angst rezipiert Loy dabei primär anhand der existentialanalytischen Studien der US-amerikanischen Psychiater Harry Stack Sullivan (1892–1949) und Rollo May (1909–1994), denen zufolge Angst ursprünglich aus der Befürchtung des Kindes vor der Missbilligung durch wichtige Personen in seiner Umwelt entspringt. Das Selbstbewusstsein bilde sich in der Folge aus, um solche Angst erzeugenden Erfahrungen zu bewältigen, sich gegen die Angst zu verteidigen und das Gefühl der Sicherheit aufrechtzuerhalten, indem es Aspekte der Umwelt ausblende und auf diese Weise das Zentrum der eigenen Existenz schütze. 111 Für Sullivan und May gibt es also ursprünglich gar kein Selbst, das Angst empfindet, sondern nur die Angst, die das Selbstgefühl konstituiert. Damit verliert das Selbstbewusstsein für Loy jede systembegründende Funktion und wird auf ein bloßes Verhaltensmuster reduziert. Es nimmt für ihn daher kein Wunder, dass das Gefühl eines autonomen Subjektzentrums aufs innigste mit einem Gefühl der Unbehaglichkeit verbunden ist, wenn die primäre Funktion und Existenzgrundlage des Selbstgefühls in der Bewältigung von Angst bestehe. Deshalb sei es auch so schwer zu erkennen, wer oder was wir sind, da das Selbst-Bewusstsein kein Sein, sondern lediglich eine Funktion sei. 112 108 »Do we panic because we discover ourselves to be consciousnesses with bodies, or is our panic what motivates us to dualize ego-consciousness from body?« Loy 1996a: 9. 109 Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 520. 110 »Anxiety is not adventituos but essential to the self, not something we have but something we are.« Loy 1996a: 16. »Then death/nonbeing-terror is not something the ego has, it is what the ego is.« Loy 1996a: 21. 111 Cf. Sulllivan, Harry Stack. 1947. Conceptions of modern psychiatry. Washington, D.C.: William Alanson White Psychiatric Foundation, pp. 21–22. Zitiert nach: May, Ro. 1950: 149. Zitiert nach Loy 1992b: 158. Für May is die Neurose überhaupt die Methode, die das Individuum benutzt, um das Zentrum der eigenen Existenz zu bewahren. Cf. May, Ro. 1983: 26. 112 Cf. Loy 1992b: 158.

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Loy rekonstruiert diesen komplexen Mechanismus vor dem Hintergrund seiner eigenen Philosophie der Nondualität folgendermaßen: Der Geist erfährt seine primordiale Formlosigkeit und Leerheit als beängstigend bzw. das ursprüngliche Nichts (no-thing-ness) des Geistes erzeugt Angst und diese Angst ruft wiederum das Selbst als Kompensationsmechanismus ins Leben. 113 Sobald das Selbst-Gefühl einmal entstanden ist, identifiziert es sich unmittelbar mit dem Lebensprinzip und dem Geist selbst und fürchtet in der Angst nun nicht mehr nur seine eigene, sondern zugleich mit sich auch die Vernichtung des Lebens und des Geistes als solchen. 114 Da die reine Angst also von einer unmittelbaren Intuition der Unwirklichkeit des eigenen Selbst begleitet ist, tendiert der Geist in einer zweiten Phase dazu, die reine Angst als Furcht zu objektivieren und nach außen zu projizieren, um somit die Angst vor der Leere durch die Furcht vor einem externen Objekt zu kompensieren. 115 Auf diese Weise stabilisiert die Furcht allerdings auch die Subjekt-Objekt-Spaltung, indem sie das Selbst-Gefühl in dasjenige subjektiviert, das mit dem Objekt der Furcht umgeht und vor der nun rein äußeren Bedrohung beschützt werden muss. Wenn das Selbst aber ursprünglich durch die Angst erzeugt wird, dann impliziert ein mögliches Ende der Angst für Loy konsequenterweise auch das Ende des Selbst-Gefühles als etwas Autonomes und Selbstbegründetes; in Ermangelung eines Subjektes könne es aber auch kein Objekt mehr geben, sodass die savikalpaErfahrung in ihren nondualen nirvikalpa-Grund kollabieren müsse, 113 Cf. Loy 1997a: 146. Dieses von Loy beschriebene Moment lässt sich wohl kaum besser fassen als in den Worten Kierkegaards: »In diesem Zustand ist Friede und Ruhe; aber es ist zu gleicher Zeit etwas anderes da, das Nicht Unfriede und Streit ist; denn es ist ja nichts da, womit sich streiten ließe. Was ist es denn? Nichts. Welche Wirkung aber hat Nichts? Es gebiert Angst. Das ist das tiefe Geheimnis der Unschuld, daß sie zu gleicher Zeit Angst ist. Träumend projektiert der Geist seine eigene Wirklichkeit, diese Wirklichkeit aber ist Nichts, dieses Nichts aber sieht die Unschuld ständig außerhalb ihrer.« Der Begriff Angst I, § 5. In: Kierkegaard 2005: 41 f. 114 Cf. Loy 1996a: 57. In dieser irrtümlichen Annahme besteht für Loy die ganze Paradoxie menschlichen Seins: »[O]ur worst problem is the deeply repressed fear that our groundlessness/no-thing-ness is a problem.« Loy 2002a: 6. 115 Bereits Freud hatte in der Neuen Folge (1933) darauf hingewiesen, dass man sich vor der äußeren Gefahr durch Flucht retten könne, der Fluchtversuch vor einer inneren Gefahr hingegen ein wesentlich schwierigeres Unterfangen sei. Cf. Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933 [1932]). In: SA I: 520. Die Angst strebt Tillich zufolge danach, Furcht zu werden, denn der Furcht könne durch Mut begegnet werden, der objektlosen Angst in ihrer Nacktheit hingegen nicht. Cf. Tillich 1953: 32 f.

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denn mit dem Ende der Angst schwinde das Selbst-Gefühl und gemeinsam mit dem Selbst-Gefühl breche zugleich die Subjekt-ObjektSpaltung zusammen. Diese Erkenntnis hatte bereits May im psychoanalytischen Kontext schlagend formuliert: »In fine, the objectless nature of anxiety arises from the fact that the security base itself of the individual is threatened, and since it is in terms of this security base that the individual has been able to experience himself as a self in relation to objects, the distinction between subject and object also breaks down.« 116 Das Paradox der menschlichen Situation sei es, dass wir danach hungerten, frei zu sein von der Angst vor dem Tode und dem Nichts. Aber es sei das Leben selbst, das diese Angst in uns wecke und darum müssten wir vor einem ganz wachen Leben zurückschrecken: »The irony is that this death/nonbeing-terror that is ego defends only itself. Fear becomes the only thing inside, which makes everything else the outside: that which one is afraid of. The tragicomic aspect is that the self-protection this generates is self-defeating, for the barriers the ego erects reinforce the suspicion that there is indeed something lacking in the innermost sanctum which needs protection. And if what is innermost is so weak because it is nothing, then no amount of protection will ever seem enough.« 117

10.1.7. Die Angst, der Tod und die Schuldigkeit des nichtigen Daseins: Loys Heidegger-Interpretation Loy hat seine buddhistische Interpretation der Angst und des Todes vor allem in Auseinandersetzung mit dem Werk Heideggers entwickelt. 118 Dieser hatte bereits in Sein und Zeit (1927) die Grundbefindlichkeit der Angst herausgehoben und in den Fokus seiner fundamentalontologischen Analytik des Daseins gerückt. Unter Dasein versteht Heidegger ein Seiendes, zu dessen Seinsverfassung es wesentlich gehört, dass es »in seinem Sein zu diesem Sein ein SeinsverMay, Ro. 1950: 193. Cf. Loy 1992b: 159. Loy 1996a: 22. 118 Cf. Loy 1992c; Loy 1996a: 30–50. Vor allem zu der Kyōto-Schule der Japanischen Philosophie gehören mit Hajime Tanabe (1885–1962), Tetsurō Watsuji (1889–1960), Keiji Nishitani (1900–1990) und Kōichi Tsujimura (1922–2010) eine Reihe buddhistischer Denker, die sich wie Loy intensiv mit dem Denken Heideggers auseinandergesetzt haben. Cf. Elberfeld 2013. 116 117

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hältnis« hat, was wiederum besagt, dass sich Dasein »in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein« 119 versteht. Das Wesen des menschlichen Daseins liegt in der Existenz, insofern es verschieden ist von anderen Seienden, denen in ihrer bloßen »Vorhandenheit« als »umweltlich zuhandenem Zeug« kein reflexives Seinsverhältnis eignet. 120 Loys Heidegger-Interpretation und -Kritik arbeitet sich allerdings primär an den Begriffen der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit ab, mit denen Heidegger zwei mögliche Seinsweisen des In-der-Welt-seins des Menschen voneinander unterscheidet und die in vielerlei Hinsicht der Distinktion von intentio recta und intentio obliqua entsprechen. Der intentio recta zufolge richtet sich die Aufmerksamkeit auf »innerweltlich Zuhandenes« und ist beim Erlebten, sei es ein Stein, ein Sūtra, ein Tempel oder ein Tier. Die intentio recta bezeichnet folglich die »durchschnittliche Alltäglichkeit« und den »Modus der Uneigentlichkeit« 121 als natürliche Verfallenheit (Intentionalität) des Bewusstseins, das seinsvergessen bei den Dingen verweilt. 122 Diese Verfallenheit kennzeichnet Heidegger zufolge eine Seinsweise der Uneigentlichkeit, in der wir uns vom Dasein und der autonomen »Eigentlichkeit des Selbstseins« 123 abkehren und uns nach dem Vorbild der Dinge gleichsam fremdbestimmt entwerfen. 124 Mit den existenzialen Grundmöglichkeiten der Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit ist der systematische Aspekt der Sorge (care) eng verknüpft, mit dem Heidegger die Flucht des Daseins vor sich selbst kennzeichnet und dessen Struktur Loy expliziert, um die Seinsweise der Uneigentlichkeit zu charakterisieren: Heidegger 2006: 12. Cf. Heidegger 2007: 16 f. Im scholastischen Verständnis bezeichnet der Begriff der Existenz ursprünglich das bloße Dass-Sein (existentia) im Gegensatz zum Was-Sein (essentia) einer Sache. In seinem spezifischen Verständnis und der Verengung des Existenzbegriffes hatte sich Heidegger explizit an die begriffsgeschichtlichen Entwicklungen bei Schelling und Kierkegaard angeschlossen. Cf. Heidegger 1961: 340 f. 121 Heidegger 2006: 44. 122 Das Wesen des Bewusstseins – »sei es erkennend, wollend, planend, fühlend oder handelnd« – ist einer Formulierung Hans Wagner (1917–2000) zufolge »in die Welt hinausgerichtet.« Dies sei seine »natürliche, seine angestammte Richtung« und diese »Selbstvergessenheit und Weltverfallenheit sozusagen sein alltägliches Los.« Wagner, H. 1980: 48. 123 Heidegger 2006: 184. 124 Cf. Loy 1992c: 246. Dabei handelt es sich Erich Fromm zufolge um einen Zustand, in dem die Menschen »symbiotisch mit Mutter, Vater, Familie, Rasse, Staat, Stand, Geld, Göttern, usw. verknüpft« bleiben und niemals ganz sie selbst sind. Fromm 1971: 114. 119 120

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

[W]e can see that we are always concerned about deciding who and what we are becoming. In that sense we are forever ahead of ourselves, never complete but always in the process of planning and projecting future possibilities. Then how can we ever be whole? The emphasis on care seems to imply we are forever scattered by our daily concerns, dispersed into many unfinished affairs. It also seems to frustrate the philosophical and psychoanalytic quests for self-knowledge, for, if we are always ahead of ourselves how can any attempt at self-understanding ever be complete–and if not complete, how can any such self-understanding be accepted as certain, as irrevocably genuine? 125

Die Angst bricht nun mit dieser uneigentlichen Seinsweise der Sorge und initiiert eine Besinnung und Umkehr aus der Äußerlichkeit und Rückwendung auf das eigene Wesen und Selbstsein (intentio obliqua). In der intentionslosen Grundstimmung der Angst, die im Gegensatz zur Furcht auf nichts innerweltlich Seiendes geht und sich gerade in ihrer Unbestimmtheit von ihr abhebt, wird der Mensch laut Heidegger vor das Nichts selber gebracht. Die Angst offenbart als ein »Wegrücken des Seienden im Ganzen« 126 dem Menschen das Nichts als »die vollständige Verneinung der Allheit des Seienden« 127. Die Angst ängstigt sich also vor nichts Bestimmtem, sondern nichtet das »Seiende im Ganzen« 128 und erschüttert damit das Verhältnis des Menschen zur Welt insgesamt: »Das Wovor der Angst ist das Inder-Welt-sein als solches.« 129 Das war keineswegs neu. Tatsächlich aktualisierte Heidegger damit lediglich diejenige Bestimmung der Angst, die Kierkegaard bereits 1844 folgendermaßen formuliert hatte: »Fragen wir nun näher, worin der Gegenstand der Angst besteht, so ist die Antwort hier wie überall: Er ist Nichts. Die Angst und das Nichts entsprechen einander stets.« 130 »Welche Wirkung hat das Nichts? Es gebiert Angst.« 131 Loy 1996a: 32. Loy 1992c: 245. Heidegger 2007: 35. 127 Heidegger 2007: 32. 128 Heidegger 2007: 37. 129 Heidegger 2006: 186. 130 Der Begriff Angst III, § 2. In: Kierkegaard 2005: 105 131 Der Begriff Angst I, § 5. In: Kierkegaard 2005: 42. Die Originalität von Heideggers Nichts- und Angstbegriff wurde unterschiedlich bewertet. Der deutsch-amerikanische Philosoph Walter A. Kaufmann (1921–1980) hat in einem Beitrag, der den offenkundigen Ingrimm des Autors gegenüber dem Jargon Heideggers dokumentiert, Heideggers Nichts- und Todesanalyse als eine Paraphrase Kierkegaards und Freuds bezeichnet und als einen uneingestandenen Kommentar zu Lew Nikolajewitsch Tols125 126

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Mit der »hellen Nacht des Nichts der Angst« 132 ist bei Heidegger thematisch untrennbar dessen existenziale Analyse des Todes verbunden. Die Grundverfassung des menschlichen Daseins liegt in der Existenz, die Heidegger in diesem Zusammenhang näherhin als wesensmäßige »Unganzheit« 133 spezifiziert, i. e. Dasein versteht sich für Heidegger immer aus seinen Möglichkeiten; es muss »seinkönnend je etwas noch nicht sein« 134 und daher »ständige Unabgeschlossenheit« 135 und »der ständige Ausstand« 136 sein. 137 Das Dasein kann folglich nur als abgeschlossenes Ganzes in den Blick kommen, wenn seine Seinsmöglichkeiten im Tode endgültig erlöschen, denn der Tod ist für Heidegger »die Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit.« 138 Dieser Umstand birgt allerdings das Problem in sich, dass der Mensch, solange er existiert, seine Ganzheit nie erreicht und wenn er sie erreicht, sie nicht mehr erfährt. 139 Aber auch aus der objektiv zugänglichen Erfahrbarkeit des Todes der Anderen kann kein Ersatz für tois (1828–1910) Der Tod des Iwan Iljitsch (1886) ausgewiesen. Da Heidegger nichts Neues sage und das Alte in einer prätentiösen und obskurantistischen Art und Weise verdunkle, müsse der kritische Leser zu dem Schluss kommen, dass Heideggers Werk insgesamt zu vernachlässigen sei. Cf. Kaufman, Wa. 1959: 51. Loy beurteilt den Sachverhalt verhaltener: Heideggers »approach has unacknowledged predecessors […] but Heidegger’s formulation is nonetheless impressive […]. I too have been moved by these words«. Loy 1996a: 33. Zum christlichen-soteriologischen Telos bei Kierkegaard und Heideggers abweichender Angstauffassung, die aber auf vielfache Weise von Kierkegaard abhängig bleibe, schreibt Edith Düsing: »Das In-die-Angst-Geworfensein hat für Kierkegaard einen über die Angst hinausweisenden Sinn [den ewigen Gott; F. V.], der das bloße In-der-Welt-Sein transzendiert; für Heidegger gibt es diesen Sinn nicht.« Düsing 2003: 54. Diese Unterscheidung scheint zumindest das SpiegelInterview, das Heidegger am 23. September 1966 Rudolf Augstein und Georg Wolff gegeben hat, in gewisser Weise zu relativieren. In dem Interview, das gemäß dem Wunsch Heideggers erst nach dessen Tod publiziert wurde, findet sich folgende Aussage Heideggers: »Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige Möglichkeit, im Denken und im Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten für die Erscheinung des Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang; daß wir im Angesicht des abwesenden Gottes untergehen.« Heidegger 1976: 209. 132 Heidegger 2007: 37. 133 Heidegger 2006: 236. 134 Heidegger 2006: 233. 135 Heidegger 2006: 236. 136 Heidegger 2006: 242. 137 Cf. Loy 1996a: 32. 138 Heidegger 2006: 250. 139 »Das Erreichen der Gänze des Daseins im Tode ist zugleich Verlust des Seins des Da. Der Übergang zum Nichtmehrdasein hebt das Dasein gerade aus der Möglichkeit, diesen Übergang zu erfahren und als erfahrenen zu verstehen.« Heidegger 2006: 237.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

die Analyse der Ganzheit des Daseins gewonnen werden, da der Tod der Daseinsmonade in Heideggers thanatologischem Solipsismus wesentlich unvertretbar und »je der meine« 140 ist. 141 Keiner könne dem Anderen sein Sterben abnehmen. Jemand könne wohl »für einen Anderen in den Tod gehen«, aber dies könne niemals bedeuten, dass dem Anderen damit sein je eigener Tod im Geringsten abgenommen sei. Am Sterben zeigt sich für Heidegger daher, dass »der Tod ontologisch durch Jemeinigkeit und Existenz konstituiert« 142 und daseinsmäßig »nur in einem existenziellen Sein zum Tode« 143 zugänglich wird: »Das mit dem Tod gemeinte Enden bedeutet kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden. Der Tod ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist.« 144 Der Tod als solcher kann demnach keinerlei Bedeutung für den Menschen haben, da er ihn nicht erlebt, weshalb Heidegger den physiologischen Tod als Ableben bezeichnet und vom Sterben als einer diesseitigen Seinsweise unterscheidet, »in der das Dasein zu seinem Tode ist.« 145 Denn auch, wenn der Tod weder sag- noch erlebbar ist und es mit dem Tode einer Aussage Epikurs zufolge daher »für uns nichts auf sich hat« 146 – eine Aussage, die noch im 20. Jahrhundert in Wittgensteins »Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht« 147 ihren Nachhall fand – so sind doch die profunden AusHeidegger 2006: 240. Näheres zur unmittelbaren Kritik an Heideggers Jemeinigkeit des Todes und dem Abblenden des Anderen durch Karl Jaspers (1883–1969), Karl Löwith (1897–1973), Dolf Sternberger (1907–1989), Paul Ludwig-Landsberg (1901–1944), Albert Camus (1913–1969) und Jean-Paul Sartre (1905–1980) bei Ebeling 1979: 19–26. Sartres ausführliche Kritik an Heideggers Analyse des Todes findet sich in L’être et le néant (1943): Cf. Sartre 2003: 914–950. Zu Heideggers und Sartres Todesanalyse insgesamt Janke 1982: 115 ff. 142 Heidegger 2006: 240. 143 Heidegger 2006: 234. 144 Heidegger 2006: 245. Cf. Loy 1992c: 245 f. 145 Heidegger 2006: 247. Darin ist der Mensch grundsätzlich vom Tier unterschieden, das nicht sterben kann, weil es um seine eigene Sterblichkeit nicht weiß. Sterben kann nur der Mensch, während Heidegger den Tod von Tieren als Verenden bezeichnet. Cf. Heidegger 2006: 247. 146 Der entsprechende Passus stammt aus einem Brief Epikurs an seinen Schüler Menoikeus, der durch Diogenes Laertius überliefert wurde: »Gewöhne dich auch an den Gedanken, daß es mit dem Tode für uns nichts auf sich hat. Denn alles Gute und Schlimme beruht auf Empfindung; der Tod aber ist die Aufhebung der Empfindung.« X 124. In: Apelt/Zekl 1998: 281. 147 Tractatus logico-philosophicus 6, 4311. In: Wittgenstein 1984a: 84. 140 141

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wirkungen der unausweichlichen Gewissheit der eigenen Endlichkeit auf unser Leben für Heidegger entscheidend. Mag auch beim Tod die Welt sich nicht ändern, sondern Wittgensteins Auskunft zufolge aufhören, die bewusste Aussicht unseres Todes verändert unseren Seinsmodus in der Welt grundlegend. 148 Daran anschließend erklärt Loy die Meditation der existentiellen Tatsache des eigenen Todes zu einem notwendigen Schritt, um zu einem authentischen Leben zu gelangen: More authentic openness to death reveals my uttermost possibility, which individuates me: Knowing that I must be my own death, that even the longest life is brief, can have the effect of pulling me together out of my dispersal in the idle talk and chance possibilities promoted by the anonymous ›they.‹ Such resolute anticipation of my death frees me to be myself. 149

Der existenziale Begriff des Todes bestimmt den Tod demnach als »Sein zum Ende«, insofern der Tod als Sterblichkeit in das Dasein »hereinsteht.« 150 Davon habe der jeweilige Mensch zwar ursprünglich kein »ausdrückliches oder theoretisches Wissen«, aber die »Geworfenheit in den Tod« enthülle sich dem Menschen »ursprünglicher und eindringlicher in der Befindlichkeit der Angst.« 151 Aber endet die Angst, sobald die Daseinsanalytik das Dasein in seiner wesenhaften Nichtigkeit erschlossen und ein ausdrückliches und theoretisches Wissen von unserer Todesverfallenheit evoziert hat? Heidegger zufolge nicht, denn »das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst« 152 und im Sein zum Tode müsse sich der Mensch als seiner äußersten Möglichkeit halten. Was ist dann aber der tiefere Sinn und Zweck, in dieser Angst auszudauern und das permanente Denken an den Tod und das 148 Der Tragik menschlicher Existenz entschlossen ins Auge zu blicken, war auch für May »a highly cathartic experience psychically« und Yalom war aufgrund klinischer Studien ebenfalls zu der Überzeugung gelangt, dass die volle Bewusstheit des Todes und das Hineinnehmen des Todes in das Leben einen radikalen persönlichen Wandel initiiere, der zu persönlicher Ganzheit und Teilhabe am Lebendigen führe. May, Ro. 1983: 34. Cf. Yalom 1980: 54, 151. Für Sartre kam es erst auf der »grundlegenden Absurdität eines « toten » Lebens« zu einem »tausendfachen Schillern und Irisieren relativen Sinns« und Tillich forderte den Mut, »in den Abgrund des Nichtseins zu blicken, in der vollkommenen Einsamkeit dessen, der die Botschaft empfängt, daß ›Gott tot‹ ist«, weil »die Verwirklichung des Seins die Annahme des Nichtseins und der Angst« voraussetze. Sartre 2003: 929 f.; Tillich 1953: 27, 52. 149 Loy 1996a: 32. Cf. Loy 1992c: 246. 150 Heidegger 2006: 248. 151 Heidegger 2006: 251. 152 Heidegger 2006: 266.

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Nichts zu kultivieren? Die Stimmung der Angst führt für Heidegger aus der Flucht des Daseins vor sich selbst zur existenzialen Freiheit des Einzelnen, indem es das Dasein aus allen innerweltlichen Bezügen löst und auf das Nichts zurückwirft, in dem dessen Freiheit ursprünglich gründet. 153 Aber insofern sich das Dasein in dieser Angst laut Heidegger »vor dem Nichts der möglichen Unmöglichkeit seiner Existenz« 154 befindet, ist dem Nichts als bloßer Möglichkeit Loy zufolge die existentielle Spitze genommen, denn es wird aus dem Jetzt in die Zukunft verlagert und auf diese Weise in seiner Unmittelbarkeit und Radikalität verfehlt. Aus buddhistischer Sicht ist demnach auch Heideggers Seinsweise der Eigentlichkeit nicht eigentlich genug: The problem with both of Heidegger’s alternatives, authentic and inauthentic, is that they are preoccupied with the future because in different ways they are both reactions to the ever-threatening possibility of death; thus they are two different ways of running away from the present. Inauthentic existence scattered into a series of disconnected nows is a fleeing in the face of death; authentic life pulled out of this dispersal by the inevitable possibility of death is more aware of its impending death yet still driven by it. Neither experiences the present for what it is in itself, but only through a shadow that the inescapable future casts over it. 155

In Heideggers daseinsanalytischer Interpretation des Gewissens und der Schuld findet Loy indes eine genaue Entsprechung zu der von ihm explizierten ontologischen Schuld und Angst als den beiden unmittelbaren Manifestationen unserer inneren Leere (lack) und Substanz153 »Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und – ergreifens.« Heidegger 2006: 188. Auch für Otto Friedrich Bollnow (1903–1991) war die Angst notwendig, um den Menschen aus dem Gleichmaß seines alltäglichen gedankenlosen Dahinlebens aufzuscheuchen. Sie habe eine starke, ja einzigartige aufrüttelnde Kraft, durch die der Mensch aus seiner Verfallenheit an die Welt herausgerissen und damit für seine eigentlichen existentiellen Aufgaben erst freigemacht werde. Nur im Durchgang durch die Angst sei eine authentische Existenz des Menschen erreichbar: »Aus eignem Willen kann der Mensch die Erhebung zur Existenz nicht vollziehen, sondern sie ist erst das Werk der Angst, die ihn überfällt. Sie ist wie ein Feuer, das alles Unwesentliche in ihm verzehrt, alles Endliche von ihm abfallen läßt, um im Durchgang durch diesen schmerzhaften Vorgang alle Versteifungen, alle Gehäuse und Sicherungen zu vernichten und ihn ganz der Ungeborgenheit zu überantworten, in der allein echte Existenz entspringt.« Bollnow 2009: 192. 154 Heidegger 2006: 266. 155 Loy 1996a: 38.

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losigkeit (anātman/niḥsvabhāva). 156 Das Gewissen ruft Heidegger zufolge »das Selbst des Daseins auf aus der Verlorenheit in das Man« 157 und erfüllt damit jene Funktion, die er auch der Angst zugesprochen hatte: Das Gewissen und die Angst sollen den Menschen aus der Seinsweise der Uneigentlichkeit lösen, die Heidegger als Flucht vor der »Unheimlichkeit der geworfenen Vereinzelung« 158 bestimmt hatte. Doch wer ruft uns im Gewissen aus der selbstvergessenen Verlorenheit der Uneigentlichkeit zurück in die Seinsweise der Eigentlichkeit? Der Ruf kommt »aus mir und doch über mich« 159, i. e. der Ruf kommt Heidegger zufolge aus dem Sein selbst – der Rufer, das sei »das Dasein in seiner Unheimlichkeit, das ursprüngliche geworfene In-der-Welt-sein als Un-zuhause, das nackte »Daß« im Nichts der Welt.« 160 Mit dem Gewissen ist in Heideggers Analyse wiederum unmittelbar der existenziale Begriff des Schuldigseins verbunden. Wir sind Heideggers Analyse zufolge nicht schuldig, weil wir uns schuldig gemacht haben, so, wie jemand Schulden bei einem anderen Menschen hat oder an etwas Schuld hat; Schuldigsein ist eine Seinsart des Daseins selbst, die Heidegger als »Grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein – das heißt Grundsein einer Nichtigkeit« 161 bestimmt. Das Dasein ist nicht selbst »Grund seines Seins« 162, i. e. der Mensch erfährt sich in der Kontingenz und Unverfügbarkeit seiner endlichen Existenz als seinsohnmächtig und geworfen und fühlt sich daher »im Grunde seines Seins schuldig« 163. Dieses Gefühl ontologischer Schuld ist es, das Loy wiederum explizit mit dem von ihm beschriebenen Gefühl innerer Leere (lack) identifiziert (»schuldig also means ›lack‹« 164). Indem die Gefühle der Schuld und Leere verdrängt werden, evozieren sie allerdings unendliche Selbstbegründungsprojekte und initialisieren die uneigentliche Seinsweise des Menschen, Cf. Loy 1996a: 35 ff. Heidegger 2006: 274. 158 Heidegger 2006: 280. 159 Heidegger 2006: 275. 160 Heidegger 2006: 277. Cf. Loy 1996a: 36. 161 Heidegger 2006: 283. 162 Heidegger 2006: 285. »Das Selbst, das als solches den Grund seiner selbst zu legen hat, kann dessen nie mächtig werden und hat doch existierend das Grundsein zu übernehmen. Der eigene geworfene Grund zu sein, ist das Seinkönnen, darum es der Sorge geht.« Heidegger 2006: 284. 163 Heidegger 2006: 286. 164 Loy 1996a: 36. 156 157

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die Heidegger als Sorge bezeichnet hatte: »For Heidegger too, each of us is a nullity whose never-ending project is trying to become our own ground. […]. This project of becoming-one’s-own-ground is the origin of care.« 165 Aber was steht nach Loy am Ende aller philosophischen Thanatologie und existentiellen Psychotherapie? Wenn es sich bei unserer gegenwärtigen Epoche um das von Nietzsche prophezeite Zeitalter des Nihilismus handelt, das Heidegger als seinsvergessenes Zeitalter der vollendeten Sinnlosigkeit spezifiziert, ist dann der »heroische Nihilismus« 166 Heideggers oder Tillichs ontologischer Mut zum Sein trotz der »radikalen Drohung des Nichtseins« 167 im existentiellen Lebensvollzug die ultima ratio des »psychisch gesunden« Menschen? 168 Oder gibt es eine Alternative, die es uns erspart, den letztmöglichen Weg in der Einübung in das Sterben zu sehen und das Leben in Heideggers »leidenschaftlichen, von den Illusionen des Man gelösten, faktischen, ihrer selbst gewissen und sich ängstenden Freiheit zum Tode« 169 durchleiden zu müssen? Sind Illusionen und ein gewisses Maß an Uneigentlichkeit vielleicht doch unvermeidlich, wenn der Mensch Leben will? Ernest Becker geht davon aus, dass der Mensch diese »zweite Welt« braucht, die er selber erschaffen hat und die eine von Bedeutungen erfüllte Realität repräsentiert, in der er leben, sich darstellen und sich entfalten kann. Illusion ist für Becker kreatives Spiel auf höchster Ebene, die für das symbolische Menschtier das Leben selbst bedeute. 170 Das Ziel könne daher auch nicht das Ende Loy 1996a: 36. Ebeling 1979: 24. 167 Tillich 1953: 103. 168 Neben Heidegger und Tillich, auf die Loy sich beruft, kann an dieser Stelle noch die von Wilhelm Weischedel (1905–1975) beschriebene »Grundhaltung der Abschiedlichkeit« angeführt werden. Weischedel 1980: 194. Abschiedlichkeit bedeutet in ihrem doppelten Aspekt für Weischedel den Abschied von der Welt und den Abschied von sich selbst, da dem Skeptiker in dieser Welt alles fraglich geworden sei und er sich nur in diesem existentiellen Modus durchgängiger Welt- und Selbstdistanz in seine innerste Freiheit bringen könne: »Der Skeptiker, dessen Grundhaltung die Abschiedlichkeit ist, wird die Vergänglichkeit auf sich nehmen, wenn auch unter Schmerzen. Er wird daher nicht der Illusion verfallen, es gebe etwas wahrhaft Beständiges; er wird keine Träume von Ewigkeit und Unsterblichkeit träumen. Er ist der Mensch, der in seiner ganzen Existenz der Vergänglichkeit Rechnung trägt« und das Leben in der »Grundstimmung einer leise schwebenden Trauer […] in der Form einer stillen Melancholie« auf sich nimmt. Weischedel 1980: 194 f., 197. 169 Heidegger 2006: 266. 170 Cf. Becker 1975b: 189. 165 166

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aller Illusionen, sondern nur die Suche nach den richtigen, i. e. lebenssteigernden Illusionen sein. 171 Für Loy sind beide Wege aus buddhistischer Sicht zutiefst unbefriedigend. Heideggers Seinsweisen der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit reduzieren sich für ihn auf den Unterschied zwischen einer bewussten und unbewussten Auseinandersetzung mit dem Nichts und dem Tode, die beide keinen Ausweg aus dem Dualismus von Leben-und-Tod bieten und dabei noch die psychoanalytische Einsicht in die Wiederkehr des Verdrängten in symbolischer Form übergehen, die auch noch Heideggers Seinsweise der Eigentlichkeit unterlaufe. 172 Die existentielle Psychotherapie habe diesen Abwehrmechanismus im Gegensatz zu Heidegger zwar als konstitutiven Bestandteil ihrer Theorie integriert, biete aber auch keine endgültige Auflösung der Trias von Tod, Bedeutungs- und Grundlosigkeit: Both approaches see the need to become more conscious of death, to accept and integrate the anxiety that fear of death arouses, in order to liberate life. Becker perceives limits on how much death anxiety we can cope with, so our choices are stark: either the psychosis of those unable to forget their fate, or the repression that translates our deathanxiety into transferences and other more socially acceptable symptoms. 173

Gegenüber der Existenzphilosophie und existentiellen Psychologie biete die praktisch orientierte Weisheitslehre des Buddhismus hingegen einen möglichen Weg zur endgültigen Auflösung dieses Problems, den Loy in der Meditationspraxis des Buddhismus sieht, die zusammen mit dem Ego zugleich auch dessen Leere in der nondualen Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/sākāra) vernichte. 174 Ohne diese radikale Wendung zur Praxis bleibe der 171 »If transference is a natural function of heroism, a necessary projection in order to stand life, death, and oneself, the question becomes: What is creative projection? What is life-enhancing illusion?« Becker 1975b: 158. Cf. Loy 1996a: 111. 172 Cf. Loy 1996a: 34, 52. 173 Loy 1996a: 34. 174 Eine mit Loy vergleichbare Interpretation des Todes hat auch der zen-buddhistisch informierte Byung-Chul Han im Anschluss an Heidegger, Levinas und deren Jargon und Pathos vorgelegt: »Das sich anschmiegende Sein zum Tod hält dagegen eine andere Trauer wach, in der man von der Klammer des Selbst befreit zu einem Niemand als Träger eines durch den Tod gegangenen Namens erwacht. Der Niemand ist keine einfache Negation des Ich, sondern dessen bestimmte Negation, die eine Versöhnung zwischen dem Ich und dem Tod erreicht. Von der Erfahrung einer Niemandigkeit kann ein ethischer Impuls ausgehen, der ohne jegliche ›Imperativität, ohne jegliches

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Mensch seiner ontologischen Daseinsschuld und Urangst vor der innerer Leere (lack) allerdings gnadenlos ausgeliefert. Die individuellen und kollektiven Wirkweisen, die diese Verdrängung zeitigt, hat Loy im Anschluss an Rank und Yalom analysiert und in verschiedenen Studien entwickelt.

10.2. Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack) Die von Rank vorgenommene Differenzierung der Urangst des Menschen in eine Angst vor dem »Lebenmüssen als isoliertes Individuum« (Lebensangst) und eine Angst vor dem »Verlust der Individualität« 175 (Todesangst), wurde von Yalom aufgegriffen und zu einem dualen Paradigma der Todesverleugnung durch progressive Individuation und regressive Vereinigung weiterentwickelt. In der vorwärts gerichteten Verteidigungshaltung der Besonderheit (specialness), die der Todesangst entgegentritt, versuche der Mensch sich von der Natur zu trennen, zum Individuum zu werden, seine Autonomie zu bestätigen und seine Möglichkeiten auszuschöpfen; in der rückwärts gerichteten Verteidigungshaltung der Verschmelzung (fusion), die sich der Lebensangst widersetzt, versuche der Mensch hingegen, sich selbst aufzulösen und seine Autonomie preiszugeben. Die progressive Individuation funktioniere nur so lange, bis eine Furcht vor dem Leben entstehe, denn diese psychologische Haltung evoziere auf Dauer ein ängstliches und einsames Empfinden des Unbeschütztseins; die regressive Vereinigung kultiviere wiederum die Todesfurcht, denn diese psychologische Haltung laufe in letzter Konsequenz auf einen todesgleichen Selbstverlust hinaus. Der Mensch oszilliere sein ganzes Leben lang zwischen den Polen der Lebens- und Todesangst und den Verteidigungshaltungen der Besonderheit (specialness) und Verschmelzung (fusion) und wechsle die Richtung, sobald die Angst größer sei als die Entlastung durch die jeweilige Abwehrstrategie. 176 Diese beiden Haltungen sind für Loy allerdings noch plausibler, wenn

›Gebot‹ ›gegen-meinen-Willen‹ einen zum Anderen stimmt. Dieser Niemand kann gütig sein aus freien Stücken‹.« Han 1998: 73. Cf. Hügli/Han 2001. 175 Rank 1931: 41. 176 Cf. Loy 1992b: 160; Yalom 1980: 141 f.

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

man sie konsequent mit dem Gefühl innerer Leere (lack) konfrontiert und somit auf die eigentliche Urangst des Menschen bezieht: If I am driven by an unacknowledged intuition of my groundlessness, I can try to compensate for that by becoming someone special who stands out from the crowd and thereby hope to become real by being acknowledged by the crowd. Conversely, I may try to resolve my sense of lack by fusing with others, in order to be no different from them: ›there’s nothing wrong with me; I’m just like everyone else.‹ In the first case I compensate by striving to become more real than others; in the second I reassure myself by becoming no less real than others seem to be. 177

Die Verteidigungshaltung der Besonderheit (specialness) beschreibt Loy anhand einer Reihe individueller Selbstrealisierungssprojekte, vornehmlich unserer Sehnsucht nach Ruhm, unserem Verlangen nach romantischer Liebe, unserer Gier nach Geld und dem Ödipusprojekt des technologischen Fortschritts. Die Verteidigungshaltung der Verschmelzung (fusion) manifestiert sich aufgrund der ihr inhärenten Tendenz zur regressiven Vereinigung hingegen in Gemeinschaftsstrukturen und kollektiven Dynamiken, die Loy anhand einer buddhistischen Psychohistorie des Westens analysiert. 178 Das indivi-

Loy 1992b: 160. Die Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) definiert Psychohistorie als die »Untersuchung der unbewussten Wurzeln und Hintergründe von geschichtlichen Entwicklungen, gesellschaftlichen Institutionen, kulturellen Normen und politischen Entscheidungen.« Im Vergleich zu anderen Richtungen, die ebenfalls einen psychoanalytischen Blickwinkel auf Geschichte, Kultur und Politik richten, sei die Psychohistorie dabei »in höherem Maße darauf ausgerichtet, die Fassade von rationaler Zweckmäßigkeit in Frage zu stellen, die das geschichtliche Handeln, politische Ziele oder wirtschaftliche Interessen dem oberflächlichen Betrachter meist darbieten.« Die Bemühungen der Psychohistorie zielten fernerhin darauf, »neue Chancen des tiefenpsychologisch reflektierenden Mitwirkens an der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung zu eröffnen«, um damit »der mächtigen Sogwirkung von Feindbildern, Zerstörung und Gewalt vorzubeugen, den Werten der Solidarität und Kooperation mehr Geltung zu verschaffen und damit unseren Fähigkeiten, kreative Lösungen für unsere Probleme und Konflikte zu finden, zur Entfaltung zu verhelfen.« http://www.psychohistorie.de/ Das Standardwerk der Psychohistorie und psychogenen Geschichtstheorie ist das 1982 publizierte Foundations of Psychohistory des US-amerikanischen Sozialwissenschaftlers Lloyd DeMause, der seit 1973 auch das Journal of Psychohistory herausgibt. Cf. DeMause 2000. In Deutschland wird seit dem Jahr 2000 das Jahrbuch für psychohistorische Forschung von der Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) herausgegeben. 177 178

499 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

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duelle Gefühl innerer Leere (lack) tendiere in kollektiver Form dazu, sich in sozialen Strukturen zu objektivieren, die dann ein Eigenleben entwickeln und auf die Individuen rückwirken, sodass es nötig sei, unser Sozialverhalten und unsere gesellschaftlichen Institutionen als akkumulierte Objektivationen kollektiver Leere zu begreifen. Der Dialektik individueller und kollektiver Objektivationen korrespondiere dabei wiederum die Dialektik von Lebens- und Todesangst. Solange kollektive Mechanismen greifen, seien individuelle Kompensationsversuche überflüssig. Sobald unsere kollektiven Lösungen versagen, generiere der Mensch individuelle Strategien, um das Gefühl innerer Leere (lack) zu bewältigen und das Versagen individueller Methoden wecke wiederum das Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Antworten. Nur durch eine vertiefte Kenntnis dieser subtilen Dialektik und der Wirkweisen unserer individuellen und kollektiven Verdrängung der Leere in der Vergangenheit sind wir Loy zufolge imstande, die individuelle und gesellschaftliche Psychodynamik der Gegenwart angemessen zu begreifen und den Herausforderungen der Zukunft im Angesicht der Leere gebührend zu begegnen. Der Rekonstruktion dieser von Loy diagnostizierten Dialektik individueller und kollektiver Psychodynamik in Vergangenheit und Gegenwart widmet sich der folgende Abschnitt.

10.2.1. Eine buddhistische Psychohistorie des Westens Das Zusammentreffen der abendländischen Moderne mit dem Buddhismus und die Herausbildung eines »westlichen Buddhismus« im 20. Jahrhundert ist von verschiedenen Autoren sehr unterschiedlich beurteilt worden. Carl Friedrich von Weizsäcker und Arnold J. Toynbee hielten die Begegnung des Buddhismus mit dem Westen für ein Ereignis von weltgeschichtlichem Rang und Mitte der 1980er Jahre erklärte auch der deutsche Religionswissenschaftler Michael von Brück, dass die Begegnung zwischen Europa und Asien, insbesondere der interreligiöse Dialog zwischen Christen, Hindus und Buddhisten und die Rezeption östlicher Mediationswege, »ein wichtiger Faktor bei der Herausbildung eines neuen Paradigmas der Wahrnehmung, des Verhaltens, der politischen Ordnung und auch des religiösen Denkens« 179 sei, das sich aufs engste mit einem gesamtkulturellen 179

Brück 1986: 14. Cf. Weizsäcker 1977: 434; Loy 2010d: 241.

500 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

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Bewusstsein von der lebendigen Einheit der Wirklichkeit verbinde. Für den österreichisch-ungarischen Schriftsteller Arthur Koestler (1905–1983) beruhte die übliche Gegenüberstellung des »kontemplativen und durchgeistigten Ostens und des kraß materialistischen Westens« 180 hingegen auf einem Aberglauben, weshalb der Osten auch kein Heilmittel für den Westen biete, der sich stattdessen auf seine »innere Heilkraft« 181 verlassen müsse. In Asien nach mystischer Erleuchtung und geistigem Rat zu suchen, war für Koestler genauso anachronistisch wie die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten ein Land der lassoschwingenden Cowboys seien. 182 Folgt man dem slowenischen Philosophen und Kulturkritiker Slavoj Žižek, dann wurden Weizsäckers, Toynbees und von Brücks Thesen durch den weiteren Verlauf der Geschichte bereits falsifiziert. Der Buddhismus ist Žižek zufolge als Überbleibsel traditioneller Ideologie bereits transfunktionalisiert und in ein ideologisches Werkzeug verwandelt worden, das genau denjenigen Tendenzen der Moderne Vorschub leiste, von denen Loy überzeugt ist, dass gerade die transformatorischen Kräfte des Buddhismus ihnen in zeitgenössisch verwandelter Weise wirkungsvoll entgegenwirken können. Žižek hat seine kritische Buddhismus-These in verschiedenen Publikationen vorgetragen. Die folgenden Zitate können dabei als paradigmatische Beispiele dienen: It is not only that Western Buddhism, this pop-cultural phenomenon preaching inner distance and indifference in the face of the frantic pace of market competition, is arguably the most efficient way, for us, to fully participate in capitalist dynamics while retaining the appearance of mental sanity – in short, the paradigmatic ideology of late capitalism. 183 [W]here is the fetish which enables you to (pretend to) accpet reality ›the way it is‹ ? ›Western Buddhism‹ is such a fetish: it enables you to fully participate in the frantic pace of the capitalist game while sustaining the perception that you are not really in it, that you are well aware how worthless this spectacle is – what really matters to you is the peace of the inner Self to which you know you can always withdraw. 184

180 181 182 183 184

Koestler 1961: 356. Koestler 1961: 360. Cf. Koestler 1961: 349. Žižek 2015: 12 f. Žižek 2001: 15. Cf. Loy 2015a: 37 f.

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Ist der »westliche Buddhismus« in unserer zeitgenössischen Kultur also bereits zur hegemonialen Ideologie des weltweiten Kapitalismus geworden, der uns lediglich einen eskapistischen Vorwand liefert, um uns den realen Anforderungen des Lebens als einem wertlosen Weltspektakel nicht stellen zu müssen, während wir auf diese Weise tatsächlich nur den Status quo konsolidieren? 185 Eine Klärung dieser Frage setzt allerdings ein hinreichend klares Bewusstsein derjenigen Merkmale voraus, die eine idealtypische Konstruktion wie »den Westen« konstituieren sollen und vor deren Hintergrund die potentiellen Chancen und Risiken einer Interaktion des Buddhismus mit der westlichen Moderne überhaupt erst sinnvoll reflektiert werden können, denn sowohl Toynbees teleologisch inspirierte Geschichtsinterpretation als auch Žižeks Kritik des »westlichen Buddhismus« präsupponieren ein Verständnis dessen, was »der Westen« überhaupt ist. Loys buddhistische Rekonstruktion der kulturellen Genese des Westens kann demnach als Versuch verstanden werden, die soziohistorische Entwicklung der abendländischen Kultur aus anthropologischen Ursachen zu erklären und sich eine klarere Vorstellung von »dem Westen« zu machen, um vor diesem psychohistorisch informierten Hintergrund sein Projekt eines sozial-engagierten Buddhismus im Kontext der globalen Moderne und ihrer zivilisatorischen Krise zu reflektieren. Nur auf dieser erweiterten Wissensgrundlage scheint für Loy eine verantwortbare Vision eines zeitgenössischen Buddhismus legitim zu sein, dessen vordringlichstes Ziel es ist, das individuelle, kollektive und strukturelle Leid im Hier-und-Jetzt einsichtig zu überwinden und damit zu einem lebenden Beweis für die Richtigkeit der These zu werden, dass die Ankunft des Buddhismus im Westen ein zentrales Ereignis des 20. Jahrhunderts war.

185 Diese Kritik ist auch von Peter Schenkel angebracht worden. Demnach bestehe besonders im Westen die Gefahr, dass der moderne Mensch »den Buddhismus auf eine Meditationspraxis, ohne tiefere Konsequenzen für sein tägliches Leben« reduziere und sich dabei diejenigen »Teile der Lehre« aussuche, die »in einen konventionellen Lebensentwurf passen« oder sich »in vermeintlich authentisch-historische Interpretationen der Lehre, die ihn von der konkreten Auseinandersetzung mit der Situation der Welt entlasten«, flüchte. Schenkel 1993: 140. Auch Loy sieht die Probleme einer therapeutischen Verkürzung, kapitalistischen Vereinnahmung und allgemeinen Aushöhlung der buddhistischen Praxis, durch die letztendlich der mit buddhistischen Prinzipien unvereinbare Status quo gerechtfertigt, stabilisiert und gefördert und nicht problematisiert, destabilisiert und unterminiert werde. Cf. Loy 2015a: 33–38.

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10.2.1.1. Die innere Leere (lack) als Grundkategorie der psychohistorischen Analyse und das Wego als Träger historischer Prozesse Wie der Psychohistoriker Lloyd deMause ist auch Loy davon überzeugt, dass der Weg zum Verständnis historischer Ereignisse nicht über die narrative Anhäufung von Daten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, sondern über die methodische Ergründung bewusster und insbesondere unbewusster Motive der geschichtlich Handelnden führt. Loys Verwendung der inneren Leere (lack) als Grundkategorie der psychohistorischen Analyse zeitigt daher auch keinen Ansatz, der eine rein deskriptive Beschreibung historischer Wirklichkeit liefern will, sondern primär nach der psychologischen Motivation des geschichtlichen Prozesses fragt. Auch geht es ihm dabei nicht darum, eine umfassende Geschichte der westlichen Zivilisation vorzulegen oder den analysierten Ereignissen neues Faktenwissen hinzuzufügen. Loys Ziel ist es vielmehr – wie der französische Philosoph Philippe Nemo dies in seiner Beschreibung der Genese der abendländischen Zivilisation treffend beschreibt – »gewisse – diskretionär bestimmte und absichtlich vereinfachte – abstrakte Züge dieser Ereignisse hervorzuheben und zu zeigen, wie sie zusammengewirkt haben, um den besonderen Geist der heutigen Menschen des Westens zu ergeben.« 186 Als anthropologische Konstante drückt sich die im Ur- und Grundbestand des menschlichen Bewusstseins verankerte Leere dabei unweigerlich in jeder inneren Erfahrung aus und ist somit notwendig in jeder historischen Epoche als psychodynamische Wirkkraft vorhanden. Die Mittel, derer sich der Mensch im Laufe der westlichen Geistesgeschichte bediente, um sein defizientes Selbstgefühl zu kompensieren, divergierten Loy zufolge in den jeweiligen historischen Perioden allerdings stark voneinander. Das Verständnis, woran es uns im Einzelnen mangelt und wie dieser Mangel genau zu beheben ist, änderte sich nicht nur in Zeiten eines kulturellen Umbruchs, son186 Nemo 2005: 4. Loy selbst bezieht sich nicht auf Nemos 2004 publiziertes Werk Qu’est-ce que l’Occident?, das 2005 als Was ist der Westen? auch auf Deutsch erschienen ist. Da sowohl ihre Ansätze als auch die von ihnen untersuchten historischen Ereignisse, Epochen und Zäsuren im Wesentlichen übereinstimmen, werde ich im Folgenden wiederholt auf Analogien und Differenzen in ihren Analysen hinweisen, um die charakteristischen Merkmale von Loys Darstellung durch den vergleichenden Bezug auf Nemo stärker herausstellen zu können.

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dern diese entscheidenden historischen Zäsuren und evolutionären Sprünge der westlichen Geschichte wurden Loy zufolge ursprünglich von jenen neuen Deutungen unserer inneren Leere (lack) motiviert und initiiert. Traditionell war es die Aufgabe der Mythologie oder der Religion, das Fundament für unser grund-loses Selbst zu legen, indem sie dem Menschen Unsterblichkeitsnarrative und Seinssymbole zur Verfügung stellte (z. B. unsterbliche Seele) und seine Lebens- und Todesangst rationalisierte (z. B. Sünde). Betrachtet man die Geschichte des Westens allerdings mit buddhistischen Augen, dann kann die westliche Geistesgeschichte Loy zufolge nicht als eine Geschichte sukzessiver Säkularisierung verstanden werden, denn die Last der inneren Leere (lack) und unser Bedürfnis sie zu transzendieren schwinden nicht simultan mit dem Einfluss, den die Religionen verlieren. Unsere Geschichte sei daher viel mehr als ein Prozess zunehmend diesseitiger Kompensationsversuche zu begreifen, deren spiritueller Grundkonflikt auf diese Weise immer mehr verdunkelt worden sei. Denn wenn unsere Grund-losigkeit ein genuin spirituelles Problem ist, dann sind alle rein säkularen Versuche, unsere innere Leere (lack) zu verwinden, ab ovo zum Scheitern verurteilt: »[I]nsofar as we think we have escaped such a spiritual drive we are deceiving ourselves, for that drive (to escape our lack and become real) still lives on in uncanny secular forms that obsess us because we do not understand what motivates them.« 187 Wenn sich unsere bewusste oder unbewusste Suche nach inhärenter Existenz sowohl in religiösen als auch säkularen Handlungen manifestiert und diese Suche einen ursprünglich existentiellen Konflikt menschlichen Daseins dokumentiert, dann lassen sich mithin viele spirituell motivierte Verhaltensweisen nicht einfachhin auf Projektionen neurotischer oder subjektiver Einbildung zurückführen, sondern eine Reihe säkularer Verhaltensweisen vielmehr aus ihren unverstandenen existentiell-spirituellen Beweggründen erklären. 188 Die Psychodynamik der westlichen Geistesgeschichte, Kultur und Zivilisation erweist sich aus Loys buddhistischer Sicht somit als Gruppendynamik innerer Leere (lack), die unsere übliche Unterscheidung zwischen heilig/profan und religiös/säkular unterläuft. Während die Sehnsucht des Menschen nach Ruhm und sein Wunsch nach Geld für 187 188

Loy 2002a: 5. Cf. Loy 2002a: 8.

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Loy Beispiele dafür sind, wie ein individuelles Selbst (ego) versucht, durch Symbole real zu werden, sind Rasse, Klasse, Geschlecht, Sprache, Nation, Religion, usw. Symbole, anhand derer unser kollektives Selbst (wego) versucht, real zu werden. Menschen haben nicht nur einen individuellen Selbstsinn, sondern auch kollektive Identitäten, insofern sie sich als Mann oder Frau, als Amerikaner oder Chinese begreifen. 189 Für dieses Identitäts- und Einheitsbewusstsein eines kollektiven Selbstsinns hat Loy den Begriff des Wego geprägt: [M]any of our social problems can be traced back to this deluded sense of collective self, this ›wego,‹ or group ego. It can be defined as one’s own race, class, gender, nation (the primary secular god of the modern world), religion, or some combination thereof. In each case, a collective identity is created by discriminating one’s own group from another. As in the personal ego, the ›inside‹ is opposed to the other ›outside,‹ and this makes conflict inevitable, not just because of competition with other groups, but because the socially constructed nature of group identity means that one’s own group can never feel secure enough. 190

Loys Lehre vom Wego lässt sich folglich konsequent und in grundsätzlicher Analogie zur anātman-Lehre schematisieren. Demnach besitzt das Wego kein für sich bestehendes, unabhängiges und unvergängliches Selbst (ātman), sondern besteht aus einer Ansammlung verschiedener Individuen, die unter dem Aspekt der Einheit ein virtuelles Gruppenselbst generieren. Das Wego konstituiert sich dabei anhand einer einzigen oder einer Kombination unterschiedlicher »Daseinsgruppen«, die Loy als Rasse, Klasse, Geschlecht, Sprache, Nation, Religion, usw. bestimmt und die Freud als »Bindemittel« 191 bezeichnet hatte, die charakteristisch seien für eine psychologische Masse. Diese sozialen skandhas sind nun nichts, das ein Wir ist oder hat, sondern das Wir ist ein Vergemeinschaftungseffekt einer einzelnen oder der Interaktion und reziproken Wirkweise mehrerer solcher Seinssymbole. Da nicht nur die einzelnen Individuen selbst, sondern auch die sozialen skandhas konstanter Veränderung und daher dem buddhistischen Grundsatz, dem zufolge jegliche Vergänglichkeit mit Frustration und Leid verbunden ist, nicht als unvergängliches und leidfreies Gruppenselbst begriffen werden können, folgert Loy daraus Cf. Loy 2015a: 121. Loy 2006a: 46. Eine gekürzte Fassung des Artikel wurde veröffentlicht als Loy 2006b. Cf. Loy 2018: 107. 191 Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: SA IX: 68. 189 190

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den illusionären Charakter des Wego. Die Wechselwirkung der Individuen und sozialen skandhas erzeugt die Illusion, dass das Wego ein selbstidentisches Selbst mit inhärenter Existenz bezeichnet. Tatsächlich kann das Wego aber nur als ein unpersönlicher Gesellschaftsprozess verstanden werden, der auf kein zugrunde liegendes Substrat oder inhärent existentes Selbst als Träger dieses Kollektivbewusstseins verweist. Versucht man Loys Analysekategorie des Wego ideengeschichtlich einzuordnen und diesen grundlegenden Begriff seiner buddhistischen Psychohistorie näher zu bestimmen, lassen sich gewisse Analogien zum kollektiven Gedächtnis herstellen, wie es der französische Philosoph und Soziologe Maurice Halbwachs (1877–1945) in La mémoire collective (1939) beschrieben hat. 192 Das Wego ist daher auch an die von Jan und Aleida Assmann beschriebenen Formen kollektiver Erinnerung gebunden, i. e. es ist wie das kommunikative Gedächtnis von mündlich tradierten Erfahrungen und wie das kulturelle Gedächtnis von niedergeschriebenen und in Texten, Bildern, Dingen, Symbolen und Riten konservierten Erinnerungen abhängig. 193 Als Kollektivbewusstsein wird das Wego von diesen Mechanismen erzeugt und erscheint erst nachträglich als reifiziertes Substrat dieser identitätsstiftenden Prozesse. Den Begriff des Kollektivbewusstseins (conscience collective) prägte bereits der französische Soziologe Émile Durkheim (1858–1917), um damit einen gesellschaftskonstitutiven soziologischen Tatbestand zu beschreiben, dem er den psychologischen Begriff des Einzelbewusstseins entgegenstellte. Während Durkheim auf der Grundlage dieser Distinktion jedoch jede psychologische Erklärung des Kollektivbewusstseins ablehnte und es zum exklusiven Gegenstand soziologischer Betrachtungen machte, liegt Loys Psychohistorie des Westens keine vergleichbare WesensunterCf. Halbwachs 1967. »Die Theorie des kulturellen Gedächtnisses beruht auf der Annahme, daß es noch eine dritte Dimension des Gedächtnisses gibt. Das verkörperte Gedächtnis existiert in uns und nirgendwo sonst. Das interaktive oder kommunikative Gedächtnis existiert sowohl in uns als auch außerhalb von uns, aber nicht außerhalb verkörperter Gedächtnisse oder sich erinnernder Menschen. Das kulturelle Gedächtnis dagegen existiert nicht nur in uns und in anderen sich erinnernden Personen, sondern auch in Dingen wie Texten, Bildern und Handlungen. Unsere Erinnerungen sind nicht nur sozial, sondern auch kulturell « eingebettet », wir gehen nicht nur mit anderen Personen, sondern auch mit Texten, Bildern, Dingen, Symbolen und Riten um. Für diese Gedächtnisdimension war Halbwachs eigentümlicherweise blind.« Assmann 2006: 69 f. 192 193

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scheidung beider Dimensionen des Bewusstseins zugrunde, das somit auch in seiner kollektiven Dimension legitimer Gegenstand psychologischer Analyse für ihn bleibt. 194 Der deutsche Sozialpsychologe und Geschichtsphilosoph Alfred Vierkandt (1867–1953) hatte wie Loy von einem Gruppenbewusstsein gesprochen und damit jene Bewusstseinsinhalte der Mitglieder einer spezifischen Gruppe bezeichnet, die von diesen als »Gruppenangelegenheiten« erlebt werden. Als Substrat und Träger dieses Gruppenbewusstseins identifizierte Vierkandt dabei nicht das jeweilige Ich, sondern das kollektive Wir oder »Wirbewußtsein« 195. Loys Wego ist dieses gruppenspezifische Identitätsbewusstsein, dem allerdings kein selbstseiendes Wir zugrunde liegt. Die innere Leere (lack) wird dabei in ihrer kollektiven Form ebenfalls Gegenstand der Verdrängung, die somit als tiefster Grund derjenigen unbewussten psychischen Grundstruktur des Menschen verstanden werden kann, für die Jung den Begriff des kollektiven Unbewussten prägte. Jung markierte damit eine tiefere Schicht des Unbewussten, die im Gegensatz zu den Oberflächenschichten des persönlichen Unbewussten nicht mehr auf ein Individuum und dessen individuellen Erfahrungen allein beschränkt, sondern von all194 In De la division du travail social (1893) beschreibt Durkheim das Kollektivbewusstsein folgendermaßen: »Die Gesamtheit der gemeinsamen religiösen Überzeugungen und Gefühle im Durchschnitt der Mitglieder einer gleichen Gesellschaft bildet ein bestimmtes System, das sein eigenes Leben hat; man könnte es das gemeinsame oder Kollektivbewußtsein nennen.« Durkheim 1977: 121. Die Inkommensurabilität des Einzel- und Kollektivbewusstseins und die daraus resultierende Unterscheidung zwischen einem individuell-psychologischen und gesellschaftlich-soziologischen Zuständigkeitsbereich unterstreicht Durkheim in einem Passus aus Les Règles de la méthode sociologique (1895): »Die Gruppe denkt, fühlt und handelt ganz anders, als es ihre Glieder tun würden, wären sie isoliert. Wenn man also von den letzteren ausgeht, so wird man die Vorgänge in der Gruppe niemals verstehen können. Kurz, die Soziologie ist von der Psychologie in derselben Weise getrennt wie die Biologie von den physikalisch-chemischen Wissenschaften. Jedesmal, wenn ein soziologischer Tatbestand unmittelbar durch einen psychologischen erklärt wird, kann man daher dessen gewiß sein, daß die Erklärung falsch ist.« Durkheim 1965: 188. Die Durkheim-Schule fasst das Kollektivbewusstsein allerdings nicht als substantiell unterschiedene Wesenheit auf, die unabhängig von der Summe individueller Bewusstseinsinhalte persistiert. Es handelt sich dabei vielmehr um »diejenigen Einstellungen, Denkweisen, Vorstellungen usw. im Bewußtsein der Individuen, die durch ein Aufeinanderwirken und durch eine Fusion individueller Bewußtseinsinhalte, also durch das Leben der Individuen in der Gesellschaft, zustandegekommen sind und die daher auch nur unter Bezugnahme auf die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Individuen leben, erklärt werden können.« Fuchs-Heinritz 1994: 344. 195 Cf. Vierkandt 1928: 144, 210.

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gemeiner Natur ist. Aus buddhistischer Perspektive lässt sich für Loy demnach erhellen, wie der psychische Kernkonflikt der inneren Leere (lack) sich in seiner kollektiven Manifestation auf bestimmte Anschauungen und Verhaltensmuster ausgewirkt hat, die wiederum die verschiedenen Stadien unserer ökonomischen, ökologischen, soziokulturellen, politisch-rechtlichen und technologischen Entwicklung bis in die Gegenwart hinein maßgeblich geprägt und konditioniert haben. Wenn Geschichte für Norman O. Brown dasjenige ist, was der Mensch durch die Verdrängung des Todes generiert, dann ist Geschichte für Loy dasjenige, was der Mensch durch die Verdrängung der Leere erzeugt, denn Geschichte ist einem Ausspruch Rudolf Bahros zufolge »in ihrem Kern Psychodynamik.« 196 Loys Rekonstruktion der abendländischen Geistesgeschichte und idealtypische Konstruktion des »Westens« kann dabei trotz ihrer großen Komplexität anhand von fünf historisch aufeinanderfolgenden Abschnitten strukturiert werden, die sich mit Schlüsselmomenten verbinden, die für Loy zentralen Zäsurcharakter haben und die westliche Kultur der Moderne maßgeblich prägen: (1) Die Erfindung der attischen Polis als Wiege der Demokratie, die Geburt des Ideals idealer und realer Freiheit und die Herausbildung des Individuums im antiken Griechenland und Rom sowie die sophistische Unterscheidung von nomos und physis und die ethische Revolution der Bibel; (2) die päpstliche Revolution des 11. und 12. Jahrhunderts, die ein zukunftsorientiertes und diesseitiges Ethos der Weltgestaltung zeitigte, das Loy ursächlich mit der anselmischen Doktrin der Sünde und Buße, der Einfügung des Filioque in den lateinischen Text des Glaubensbekenntnisses sowie dem chiliastischen Glauben an eine Wiederkehr Jesu Christi und dem Aufrichten seines tausend Jahre währenden Reiches auf Erden assoziiert; (3) der sukzessive Kontinuitätsbruch zwischen Immanenz und Transzendenz im 16. Jahrhundert, den Loy auf einen Paradigmenwechsel vom organischen zum mechanistischen Naturverständnis und die Reformation mit Johannes Calvins (1509–1564) Prädestinationslehre zurückführt; (4) die vollständigen Bibelübersetzungen in europäische Sprachen und die weitreichenden Konsequenzen der freien Dikussion ihrer Inhalte im 17. Jahrhundert sowie die Ausbildung einer rein instrumentellen Auffassung der Vernunft als Zweck-Mittel-Rationalität durch Hume im 18. Jahrhundert und (5) der Umschlag des Geldes und der Technik 196

Bahro 2007: 495. Cf. Brown, N. 1985: 102 ff.

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von einem Mittel in einen Endzweck, die von Weber beschriebene Entzauberung der Welt als Kulturprozess der Rationalisierung und Intellektualisierung sowie die korrespondierende Fragmentierung der menschlichen Lebenswelt in innere und äußere Sphären im 19. und 20. Jahrhundert. 10.2.1.2. Die westliche Geistesgeschichte als Geschichte der Freiheit für ein Selbst und die ethische Revolution der Bibel Loys buddhistische Analyse der westlichen Geistesgeschichte hebt mit einer Betrachtung der Freiheit an, die das Selbstverständnis der westlichen Kultur seit ihren Anfängen in Griechenland so grundlegend bestimmt habe, dass man von der Geschichte des Westens als einer Geschichte der Entwicklung idealer und realer Freiheit sprechen könne. Seit der Renaissance habe es eine fortgesetzte Vertiefung des Freiheitsgedankens gegeben, der sich in der Reformation als religiöse Freiheit; in der Englischen (1668/89), der Amerikanischen (1763– 1783/89) und der Französischen Revolution (1789–1799) als politische Freiheit; im Klassenkampf als ökonomische Freiheit; in den Kämpfen der Freiheitsbewegungen als Freiheit vom Kolonialismus; im Bürgerrecht als Freiheit vom Rassismus; in der Psychotherapie als Freiheit von Neurosen; im Feminismus, der Lesben- und Schwulenbewegung bis hin zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter als Freiheit von Diskriminierung und der Dekonstruktion als Freiheit vom Autor und einer Befreiung des Texts von der Autorintention manifestiert habe. 197 Dennoch sei die Geschichte der Freiheit keine makellose Erfolgsgeschichte einer sukzessiven Emanzipation des Menschen von inneren und äußeren Beschränkungen, sondern ein zutiefst ambivalentes Phänomen. Die Genese der Freiheit gehe einher mit der Ausprägung eines pathologischen Individualismus, der zu einigen der schwerwiegendsten Problemen der heutigen Gesellschaft beigetragen habe, indem er zur Entfesselung von Gier als Motor der ökonomischen Entwicklung zusammen mit all ihren Auswüchsen und Exzessen sowie der Erosion von gesellschaftlichem Zusammenhalt geführt habe. Die Französische Revolution, die Russische Oktoberrevolution (1917) und die Chinesische Kulturrevolution (1966–1976) endeten zudem in der Herrschaft Napoleon Bonapartes (1769–1821), Josef W. Stalins 197

Cf. Loy 2002a: 17.

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(1878–1953) und Mao Tse-tungs/Mao Zedōngs (1893–1976), während dem technologischen Fortschritt eine Plünderung und Gefährdung der Natur korrespondiere, die uns an den Rande der Vernichtung gebracht habe. Wenn Freiheit also der höchste Wert der westlichen Gesellschaft ist, dann sei dieser Wert aus buddhistischer Perspektive höchst problematisch: »[M]aking freedom into our paramount value is dangerous, for freedom conceived solely in secular, humanistic terms is fatally flawed. It cannot give us what we seek from it.« 198 Die Genealogie des Freiheitsgedankens offen zu legen und ihn in einem kontrastierenden Vergleich mit nicht-westlichen Wertvorstellungen schärfer zu umreißen, könnte hingegen erklären, warum sich ein spezifisches Ideal der Freiheit gerade im Westen ausgeprägt habe und worin dessen Vor- und Nachteile im Einzelnen bestehen. Loy bezieht sich dabei primär auf Orlando Pattersons Studie Freedom in the Making of Western Culture (1991), der trotz der notorischen Schwierigkeit einer Definition des Freiheitsbegriffes insgesamt drei elementare Formen voneinander unterscheidet: Erstens, eine persönliche Freiheit (personal freedom) zu tun, was man will, unter Anerkennung der Freiheitsrechte anderer Individuen; zweitens, eine uneingeschränkte Freiheit (sovereignal freedom) zu tun, was man will, unter Abblendung der Freiheitsrechte anderer Individuen und drittens, eine zivile Freiheit (civic freedom) einzelner Mitglieder einer Gesellschaft, am Leben dieser Gesellschaft und ihrer Regierung zu partizipieren. 199 Was Patterson in seiner Bestimmung der Freiheit allerdings völlig übergehe, sei das indische Freiheitsideal, wie es in der indischen Geistesgeschichte von der vermutlich ab dem 7. oder 6. Jh. v. Chr. auftretenden śramaṇa-Bewegung begründet und dann vor allem im Buddhismus, Jainismus, Yoga und Vedānta tradiert wurde. Demnach besteht das höchste Ziel des Menschen (parama-puruṣārtha) in der Befreiung (mokṣa) vom saṃsāra und dem Ende von Verblendung, Unwissenheit (avidyā) und Leid (duḥkha). 200 Der Buddhismus verweise mit seiner konstitutiven Lehre vom Nicht-Selbst (anātman) gegenüber Pattersons reduktionistischer Beschreibung des Freiheitsbegriffes zudem auf eine noch viel fundamentalere Dimension, indem er das im Westen mehrheitlich unhinterfragte Ver198 199 200

Loy 2002a: 18. Cf. Patterson 1991: 3. Cf. Chatterjea 2003.

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hältnis von Freiheit und Subjektivität problematisiere: Dem Ideal der Freiheit für ein Selbst stelle der Buddhismus entschieden das Heilsziel der Freiheit von einem Selbst entgegen. 201 Daraus ergeben sich für Loy zwei wichtige Implikationen für die Geschichte des Westens: Erstens müsse jede Kultur, die den Wert des Individuums betone, konsequenterweise irgendwann der Freiheit dieses Individuums überragende Bedeutung beimessen. Eine solche Freiheit des Individuums werde normalerweise als Selbstbestimmung und Freiheit von äußeren Einflüssen verstanden, wodurch die Trennung zwischen Selbst und Nicht-Selbst, innen und außen betont und das basale Problem der Subjekt-Objekt-Spaltung zunehmend verschärft werde. Zweitens sei die Suche nach der Freiheit für ein Selbst unter buddhistischen Voraussetzungen vergeblich. Das Selbst sei permanent bestrebt, die Sphäre seiner Freiheit zu erweitern, aber da die Vorstellung eines selbstseienden und autonomen Subjektes eine Illusion sei, könne sich das Selbst niemals frei genug fühlen, um sich des Gefühls innerer Leere (lack) abschließend zu entledigen. Damit werde die Geschichte des Westens zu einer gleichermaßen obsessiv-kompulsiven wie aussichtslosen Suche nach absoluter Freiheit für ein Selbst, das es buddhistischer Daseinsanalyse zufolge überhaupt nicht gibt: »This dynamic helped to generate what we know as the history of the West: a never-ending quest for ›genuine,‹ i. e., complete personal freedom. But can there be such a thing, if there is no ›genuine‹ self to have it?« 202 Die Ursprünge des westlichen Freiheitsbegriffes verfolgt Loy dabei vor die Zeit des antiken Griechenlands zurück. In den präantiken Hochkulturen konnte Loy zufolge noch keine Wertschätzung der persönlichen Freiheit (personal freedom) eines Individuums entstehen, da innerhalb der Gemeinschaft überhaupt keine soziale Funktion für ein Individuum qua Individuum vorgesehen war. So war beispielsweise die Gesellschaft der dynastischen Zeit Ägyptens als göttlich sanktioniertes, hierarchisches Klientelwesen strukturiert, in dem jedes Individuum über seine Rolle im Sozialsystem definiert und somit prinzipiell unfrei war. Dies galt grundsätzlich auch für den Gottkönig oder Pharao, der die sozio-kosmische Ordnung aufrechterhalten musste und vom Einfluss der Priester abhängig blieb. 203 Erst 201 202 203

Loy 2002a: 19 f. Loy 2002a: 20. Cf. Loy 2002a: 21.

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durch die allmähliche Schwächung dieses hierarchischen Klientelwesens und anderen, an der Sippe und Abstammungslinie orientierten Organisationsformen innerhalb von Stammesgesellschaften, konnten sich autonomere Individuen mit einer größeren persönlichen Freiheit entwickeln. Das Ende dieser Strukturen führte allerdings gleichzeitig zu einem Autoritäts-Vakuum, das nun ebenfalls von einzelnen Individuen besetzt werden konnte, sodass dieselben historischen Bedingungen, die zur Entstehung persönlicher Freiheit führten, auch die Entstehung der uneingeschränkten Freiheit (sovereignal freedom) und absoluten politischen Macht einzelner Individuen ermöglichten: »This points to one of the tragic paradoxes that have dogged the history of the West: personal freedom and totalitarianism are not opposites but brothers, for the historical conditions that made democracy possible also made totalitarianism possible.« 204 Hier zeigt sich Loy zufolge auch erstmals die Effizienz eines an Rank orientierten Erklärungsmodelles historischer Entwicklungen, das eine permanente Dialektik von Lebens- und Todesangst als psychodynamischen Motor der Geschichte postuliert. Freiheit generiere Lebensangst, gegen die man sich durch unterschiedliche Abwehrmechanismen und Verhaltensmuster zu schützen versuche: Durch (1) die Aufgabe der Freiheit, durch (2) die sukzessive Anhäufung von Macht zur Ausübung von Kontrolle, wodurch das Gefühl von Sicherheit gewährleistet werden soll oder durch (3) die Überzeugung, dass man noch nicht frei genug sei. Der Aufgabe der Freiheit (1) korrespondiere dabei die von Yalom beschriebene Verteidigungshaltung der Verschmelzung (fusion). Da die Anonymität der Masse in unpersönlichen Gesellschaften den sozialen Zusammenhang nicht gewährleisten könne, wie dies im hierarchischen Klientelwesen und in den Stammesgesellschaften noch möglich gewesen war, äußerte sich die akkumulierte Angst historisch in der Bereitschaft der Masse, die persönliche Freiheit einem autokratischen Herrscher zu opfern, um zusammen mit der Freiheit zugleich auch die Angst und Eigenverantwortlichkeit zu verlieren. Dies erklärt Loy zufolge auch die Versuchung des Totalitarismus, der der Mensch in der Geschichte so oft erlegen sei. 205 Der Autokrat beschreite hingegen den entgegengesetzte Pfad und versuche seine innere Leere (lack) durch (2) die Ausweitung seines Einflussbereiches zu kompensieren, um das Ge204 205

Loy 2002a: 21. Cf. Loy 2002a: 22.

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fühl absoluter Unabhängigkeit und vollständiger Kontrolle zu verstärken. Da man allerdings nie genug Freiheit oder Kontrolle und Macht besitzen könne, um das Nichts im Grunde des Bewusstseins zu füllen, sei das Kompensationsprojekt des Autokraten zum Scheitern verurteilt, was Loy unter Verweis auf Stalins Verfolgungswahn und andere pathologische Erscheinungen in seinen letzten Lebensjahren verdeutlicht. 206 Die neu gewonnene Freiheit müsse aber nicht zwangsläufig zur vollständigen Unterwerfung unter eine Autorität oder zum Versuch der eigenen Machtsteigerung führen, sondern könne sich (3) innerhalb der Gesellschaft auch als Überzeugung manifestieren, noch nicht frei genug zu sein. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung Loy zufolge in der »Herrschaft des Volkes« der attischen Demokratie, die ein Teil innerhalb der heterogenen Bevölkerung Athens im 5. Jh. v. Chr. gegen die traditionelle oligarchische Oberschicht durchgesetzt hatte und die trotz schwerer innen- und außenpolitischer Konflikte mit relativer Stabilität bis zum Jahre 322 v. Chr. Bestand hatte, als sie von Antipatros (398–319), dem makedonischen Nachfolger Alexander des Großen (356–323), durch eine zensusgebundene Oligarchie ersetzt wurde. 207 Das griechische Gesellschaftsmodell ist mit seinen proto-humanistischen und protorationalistischen Idealen Loy zufolge aus einer spirituellen Perspektive letztendlich gescheitert, weil es den Menschen keine wirksamen Mittel und zielführenden Wege aufzeigen konnte, um das Gefühl innerer Leere (lack) zu überwinden. Die Konfrontation mit den Göttern indo-europäischer Einwanderer und die ausgedehnten Reisen von Thales, Pythagoras, Demokrit, Herodot und Platon zu den kulturellen Zentren der damaligen Welt außerhalb Griechenlands hatten eine geistige Atmosphäre der kulturellen und religiösen Pluralität und ein Bewusstsein für die teilweise gegensätzlichen, sich in ihrem Anspruch gegenseitig relativierenden Bräuche und Gesetze anderer Völker, Kulturen und Religionen geschaffen. Dieser Umstand war für Loy ursächlich für die sophistische Unterscheidung zwischen physis (universal gültige Natur, Vernunftgesetz) und nomos (partikular gültige Konvention, Brauch, Sitte, Gesetz) verantwortlich, die im 5. Jh. v. Chr. in Griechenland entwickelt wurde, um methodisch zu untersuchen, welche Cf. Loy 2002a: 23. Näheres zur Entstehung der griechischen Polis aus der Zerstörung der zentralistischen und heiligen Monarchien mykenischen Typs bei Nemo 2005: 9–14. 206 207

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moralischen und rechtlichen Gesellschaftsnormen von Natur (physis) aus bestehen und somit universale Geltung besitzen oder auf Konventionen (nomos) beruhen und somit nur einen partikularen Geltungsanspruch für sich reklamieren können. Letztere waren als menschliche Setzungen prinzipiell revidierbar. 208 Darüber hinaus beförderte das Bewusstsein der kulturellen und religiösen Pluralität einen natürlichen Skeptizismus gegenüber den eigenen Gesetzen, Mythen und Bräuchen, weshalb es in diesem intellektuellen Milieu der weltanschaulichen Koexistenz zu keiner Ausprägung eines Absolutismus gekommen sei. Daher sei auch das von Homer und Hesiod entscheidend geprägte Modell der griechischen Religion mit seiner Vielzahl an anthropomorphen Göttern und Kulten gescheitert, weil es die zentrale psychologische Funktion der Mythologie und Religion nicht mehr erfüllen konnte, i. e. die Reduktion und Kompensation des Gefühls innerer Leere (lack): We ground ourselves in a mythological worldview because it organizes the cosmos for us: it explains who we are, why we are here, and what we should be doing with our lives. In the process, mythologies usually explain what our lack really is and how it can be resolved. Even if that vision becomes too fanciful or constrictive, its disappearance is likely to be worse, because that not only liberates the self, it also liberates its lack. And that points to the problem with the Greek alternative of humanism and rationalism: it did not work and could not work insofar as it did not show the sense-of-self how to resolve its sense of lack. Instead, the increased individuality of the Greeks aggravated their lack. 209

Loy zeichnet das Bild einer fortschreitenden Individualisierung des Menschen und der Emanzipation der Vernunft, der ein Verfall der sinnstiftenden Mythologie korreliert, wodurch das eigentliche Problem der inneren Leere (lack) in einem doppelten Sinn verschärft wurde: Einerseits wurde durch humanistische und rationalistische Tendenzen der Sinn für das Individuum kultiviert und somit das Gefühl der inneren Leere (lack) vehement potenziert (»stronger senseof-self means stronger sense of lack« 210). Andererseits ging mit der wachsenden existentiellen Beunruhigung des Einzelnen fatalerweise auch der Verlust der Authentizität der mythologischen Weltsicht ein208 209 210

Cf. Loy 2003a: 158 f. Loy 2002a: 27. Loy 2002a: 28.

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her und somit der zur Kompensation innerer Leere (lack) unerlässliche Sinnhorizont verloren. 211 Diesen Tendenzen konnte die Verbreitung des Dionysos-Kultes nur bedingt entgegenwirken, da er lediglich die Möglichkeit einer Aufhebung des appolinischen Individuationsprinzipes in temporärer Selbsttranszendenz und damit nur die zeitweilige Aufhebung der Last der inneren Leere (lack) im Rausch versprach – jenem dionysischen Rausch, von dem Nietzsche in Die Geburt der Tragödie (1878/1886) schrieb, dass sich unter seinem Zauber nicht nur »der Bund zwischen Mensch und Mensch« wieder zusammenschließe, sondern »auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur« wieder »ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen« feiere. Bei diesem »Evangelium der Weltharmonie« seien alle »starren, feindseligen Abgrenzungen« zwischen den Menschen zerbrochen und jeder fühle sich mit seinem Nächsten »nicht nur vereinigt, versöhnt, verschmolzen, sondern eins.« 212 Auf diese Situation der attischen Gesellschaft reagierten Platon und Aristoteles (384–322 v. Chr.) mit einer grundsätzlichen Kritik. Das Wesen der Demokratie bestand für Aristoteles in der Herrschaft der Majorität und der Freiheit. Dass in den Demokratien nun das Gegenteil von dem zu finden war, was Nutzen stiftet, führte Aristoteles auf einen verkehrten Begriff der Freiheit zurück. Freiheit bedeute hier, dass jeder grundsätzlich tun könne, was er wolle, weshalb in den Demokratien jeder so lebe, wie es ihm gefalle. 213 Eine Demokratie, in der allein das Volk und nicht das Gesetz regiert, war für Aristoteles aber keine Herrschaft der Freiheit, sondern eine Herrschaft des Volkes, das »als kollektive Einheit Monarch« 214 ist; ein solches Volk handelt dementsprechend despotisch und spielt eine analoge Rolle wie die Tyrannis unter den Monarchien. 215 Freiheit beruht für Aristoteles hingegen auf strikter Rechtsstaatlichkeit. 216 Platon kennzeichnete die Demokratie in der Politeia wiederum als anarchische Cf. Loy 2002a: 29. Die Geburt der Tragödie. In: KSA 1: 29. Loy beruft sich in diesem Zusammenhang auf die klassische Studie The Greeks and the Irrational (1951), in der Eric Robertson Dodds (1893–1979) diese psychologische Funktion des Kultes überzeugend beschrieben hat. Cf. Dodds 1997: 76 f.; Loy 2002a: 29. 213 Cf. Politik (Politika) 1310 A. In: Rolfes 1995: 194 f. 214 Politik (Politika) 1292 A. In: Rolfes 1995: 134. 215 Cf. Politik (Politika) 1292 A. In: Rolfes 1995: 133 f. 216 Cf. Politik (Politika) 1287 A. In: Rolfes 1995: 116. 211 212

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Staatsverfassung, die »eine Sorte von Gleichheit gleicherweise unter Gleiche wie Ungleiche« 217 verteile, weshalb keine »Aristokratie der Bildung«, sondern – so Platon in den Nomoi – eine »zügellose Freiheit« 218 der Masse die Folge sei, die ein »elendes Leben« in »unaufhörlichem Unglück« zeitige. Platon forderte hingegen, dass niemand jemals die Subordination vergessen dürfe. Keine Seele dürfe sich erlauben, etwas von sich aus und unabhängig zu tun und man müsse die Seele dahin unterrichten, dass sie schlechterdings nicht wisse und keinen Begriff davon habe, wie man irgendetwas tun kann ohne die anderen. Das Leben müsse stets ein gemeinschaftliches Gesamtleben sein und dies sei und bleibe für immer das vortrefflichste und tauglichste Mittel in Krieg und Frieden. 219 Platons Ausführungen sind für Loy nun keine Anleitung zum Totalitarismus im modernen Sinne, sondern »the jaundiced view of an old man who has observed the development and the failures of personal liberty, for without self-control freedom becomes libertinism.« 220 Der philosophische Diskurs reagierte auf dieses Verständnis der Freiheit und die ausartende Genusssucht des dionysischen Individuums, das zunehmend mehr an seinen persönlichen Vorteilen als der Integrität der Polis interessiert war, mit einer Unterscheidung in äußere und innere Freiheit. In der Politeia spricht Platon vom »Herrsein seiner selbst«, i. e. der Beherrschung eigener Lüste und Begierden durch die Vernunft und vergleicht diese mikrokosmische Dimension mit dem Staat. Auch im Staat sollen die mit »vielerlei Begierden« geschlagenen Kinder, Frauen, Dienstboten und »sogenannten Freien bei der Großen Menge und den unteren Ständen« beherrscht werden von denen, die »mit Verstand und richtiger Ansicht durch Überlegung geleitet werden« 221 und denen »die besten Naturanlagen und die beste Erziehung zuteil geworden sind.« 222 Analog zum Staat, deren heterogenen Elemente durch die übergeordnete Herrschaft der Vernunftbegabten koordiniert werden sollte, sollte die innere Freiheit des Menschen durch die Herrschaft der Vernunft über die Lüste und Begierden gewährleistet werden. Dies führte Loy zufolge dazu, dass die Tugend der Freiheit in ihrer neu gefassten Form 217 218 219 220 221 222

Der Staat (Politeia) 558 B. In: Loewenthal 2010b: 312. Die Gesetze (Nomoi) 701 B. In: Loewenthal 2010a: 319 f. Cf. Die Gesetze (Nomoi) 932 A-C. In: Loewenthal 2010a: 625. Loy 2002a: 30. Der Staat (Politeia) 431 B. In: Loewenthal 2010b: 140. Der Staat (Politeia) 431 B. In: Loewenthal 2010b: 140.

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als Selbstmächtigkeit der Vernunft und Selbstdisziplin des Selbst-Bewusstseins beibehalten wurde. Doch dies führte nicht zu einer Lösung der wachsenden Probleme der griechischen Zivilgesellschaft, sondern zu ihrer Verschärfung: Like the merchants and politicians who retreated into the more private world of their own self-advancement, those who succeeded Plato retreated from committment [sic!] to the polis into the more private world of abstract thought, which for them became the only method by which true freedom might be gained. […]. Restated in terms of lack: the democratic experiment in self-government had not worked to resolve the increased anxiety that the increased individualism of the ›democratic personality‹ generated, for the self-governance of the demos clearly did not entail the self-governance of the self. Just as the sophists had realized that the state is a construction that can be reconstructed, so those after Socrates realized that the psyche is a construction that can be reconstructed, with reason as the master. And the aggravated sense of lack that shadowed increased individualism required such psychic reconstruction. 223

Anstelle einer psychischen Rekonstruktion suchte die griechische Gesellschaft allerdings mehrheitlich nach neuen Göttern, um ihre innere Leere (lack) zu meistern und wendete sich in der letzten Phase des Säkularisierungsprozesses dem Kult der Tyche – der Göttin des Glücks und des Schicksals zu. In Ermangelung eines positiven Objektes wurde somit das Gefühl der Abhängigkeit auf die rein negative Vorstellung des Unerklärlichen und Unvorhersehbaren projiziert. Hinzu kam ein rasch ansteigendes Interesse an Okkultismus und Astrologie, die im 2. Jh. v. Chr. zu bisher ungekannter Popularität aufstiegen. Loy interpretiert diese Entwicklungen als Antwort des Individuums auf seine intellektuelle Freiheit und die beängstigende Last der täglichen Eigenverantwortlichkeit. Analog dem Zusammenhang personaler Freiheit und totalitärer Strukturen wurde hier die eigene Freiheit und Selbstbestimmung gegen die Fremdbestimmung durch einen astrologischen Determinismus eingetauscht, der von der Last übergroßer Eigenverantwortlichkeit dispensieren sollte: »The great experiment of Greek rationalism, as a humanistic alternative to religion and superstition had failed.« 224

223 224

Loy 2002a: 31 f. Loy 2002a: 32.

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Die unmittelbaren Erben dieser philosophischen Entwicklung waren der Kynismus, der Epikureismus und der Stoizismus, die mit ihren mythologischen und religiösen Vorläufern das Anliegen teilten, den Menschen vom Gefühl innerer Leere (lack) befreien zu wollen. Anstelle der Selbstvergessenheit in der temporären Ekstase der dionysischen Kulte, suchten diese »Religionen des Selbst« dieses Ziel hingegen durch die Bezähmung der Begierden und Leidenschaften und eine rationale Form der Selbst-Kultivierung zu erreichen. Das höchste Gut und Ziel des Handelns sollte im Zustand der Selbstgenügsamkeit (autarkeia), der Unempfindlichkeit und Affektlosigkeit (apatheia) und der Unerschütterlichkeit des Gemütes sowie der völligen Seelenruhe (ataraxia) verwirklicht werden. Durch ein tugendgemäßes Leben sollte die Seele für Antisthenes (445–365 v. Chr.) zu einer uneinnehmbaren und unzerstörbaren Festung werden, die sich allen Widrigkeiten des Lebens widersetzen konnte – eine IchFestung, die Loy zufolge allerdings nicht vor dem inneren Feind der Leere schützen konnte: »The irony of their goal is that as they worked to develop and preserve the self’s freedom from emotional bonds to the external world, they also contributed to the further bifurcation of self from other, of subject from object, that aggravated the sense of lack.« 225 Die Entwicklung der Stoa ist für Loy ein Beispiel für die fortgesetzte Introversion, die aus buddhistischer Perspektive letztendlich scheitern musste, da sie die zugrunde liegende Kernillusion eines autonomen Subjektes nicht durchschaute. Während die ältere Stoa die Harmonie zwischen Selbst und Kosmos betonte und die mittlere Stoa die Kontrolle der Psyche über den Körper herausstellte, ging es der jüngeren Stoa mit Denkern wie Epiktet (ca. 50–138 n. Chr.) und Mark Aurel (121–180 n. Chr.) viel mehr um die persönliche Freiheit des selbstbestimmten Individuums: By both the philosophical and the social standards of his time, Marcus the Roman emperor should have been one of the freest men who ever lived; what his Meditations unwittingly reveal, then, is how little such freedom meant, both his sovereignal dominion and the reason-able freedom developed by his self-control. With him the Stoic tradition culminates in the realization that such freedoms do not by themselves bring personal fulfillment or peace of mind. In my Buddhist terms, they cannot resolve one’s sense of lack. The increased introversion 225

Loy 2002a: 33. Cf. Apelt/Zekl 1998: 295–304.

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entailed by psychic reconstruction enlarged the sphere of one’s subjectivity, but identifying that freedom with reason provided no way to cope with the increased sense of lack shadowing it. Freedom understood in such secular terms proved to be unsatisfactory. 226

Das Kompensationsprojekt der säkularen Freiheit war gescheitert und bereitete damit erneut explizit religiösen Perspektiven den Boden. Das entstandene Vakuum sollte vor allem Augustinus mit der von ihm formulierten Erbsündenlehre füllen. Das Konzept der Sünde lieferte das, was die klassisch römisch-griechische Tradition ermangelte, i. e. eine Erklärung des Gefühls innerer Leere (lack) und Strategien zu dessen Bewältigung: Now I know what is wrong with me: I have sinned. And now I know what must be done: atone for my sins (including that of our father, Adam) and strive to sin no more in the future. The classical emphasis on reason is replaced by the primacy of will, a faculty unknown to the Greeks; the problem of reason, which is error, is superceded by the problem of will, which is sin. 227

Neben den Errungenschaften der griechischen Geisteswelt zählen für Loy die biblische Ethik als einer Moral des Mitgefühls und das prophetische Ethos sozial-politischen Engagements zur zweiten revolutionären Errungenschaft des ersten vorchristlichen Milleniums. Die Zeugnisse der hebräischen Propheten, die unmissverständlich gegen despotische Könige protestierten, die ihre Macht missbrauchten und die Armen unterdrückten, sind für Loy der Ursprung unserer moralischen Anschauungen und die wichtigsten Quellen westlicher Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. So geißelte der Prophet Amos, der im 8. Jahrhundert v. Chr. durch göttliche Berufung ins Nordreich Israel entsandt wurde, die Damaszener, weil sie das Gebiet östlich des Jordan mit eisernen Dreschschlitten zermalmt hatten; das Volk von Gaza, weil es ganze Gebiete entvölkert und Menschen verschleppt hatte; das Volk von Tyros, weil es Menschenhandel getrieben hatte; Edom, weil er seinen Bruder ohne Mitleid mit dem Schwert verfolgt hatte; die Ammoniter, weil sie schwangere Frauen getötet hatten; Moab, weil er die Gebeine des Königs von Edom geschändet hatte; das Südreich Juda, weil es die Weisungen und Gesetze des Herrn missachtet hatte und das Volk Israel, weil es den Unschuldigen für

226 227

Loy 2002a: 34. Loy 2002a: 35.

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Geld verkauft, die Kleinen in den Staub getreten und das Recht der Schwachen gebeugt hatte. Der Prophet Jesaja klagte wiederum über jene, die unheilvolle Gesetze erließen, die Schwachen vom Gericht fernhielten, den Armen ihr Recht raubten, die Witwen ausbeuteten und die Waisen ausplünderten. Diese Propheten widersetzten sich der Gewalt des Königs und zögerten nicht diese im Namen Gottes herauszufordern und soziale Gerechtigkeit für die Unterdrückten einzufordern, die an dem litten, was Loy als gesellschaftliches Leid (social duḥkha) bezeichnet: [T]he Hebrew prophets, and later Jesus, were not very concerned about individual freedom. Instead, they emphasized obedience to God. The moral earnestness of Amos, Isaiah etc., generated an ethical interpretation of history that traced evil back to humanity and made it our business to overcome it. This introduced a concern for social justice rather than the valuation of personal freedom. 228

Dieser altruistischen Wertungsweise war Nietzsche zufolge allerdings jene »ursprünglichere Art der Moral« 229 voraufgegangen, in der »das Wort ›gut‹ sich von vornherein durchaus nicht nothwendig an ›unegoistische‹ Handlungen« 230 angeknüpft hatte und der allgemeine »Unwerth des Mitleidens« 231 communis opinio unter den Philosophen gewesen sei. In seiner Genealogie der Moral (1887) hatte Nietzsche »gut« in etymologischer Hinsicht auf »seelisch-vornehm«, »seelisch-hochgeartet« oder »seelisch-privilegiert« zurückgeführt und es dem »Gemeinen«, »Pöbelhaften« und »Niedrigen« als dem »Schlechten« entgegengesetzt. Für die Umwertung dieser Werte machte er jenen Sklavenaufstand der Moral verantwortlich, in dem sich die Niedrigen, Traurigen, Kranken, Schwachen, Machtlosen, Verlierer, Herdenmenschen und passiven Sklaven gegen die Höheren, Glücklichen, Gesunden, Starken, Mächtigen, Siegreichen, Individualisten und aktiven Herrenmenschen verschworen hatten, indem sie das ursprünglich Gute als das Böse fassten und die Ohnmacht zur Güte, die ängstliche Niedrigkeit zur Demut, die Unterwerfung vor Gott zum Gehorsam, die Feigheit zur Geduld, das Sich228 Loy 2002a: 34. Cf. Loy 2015a: 105 ff.; Loy 2015c. Ein ausgeführter Vergleich zwischen der jüdischen und buddhistischen Gerechtigkeits- und Friedensethik anhand der Idealtypen des Propheten und des Bodhisattvas findet sich bei Strain 2014. 229 Zur Genealogie der Moral. In: KSA 5: 251. 230 Zur Genealogie der Moral. In: KSA 5: 260. 231 Zur Genealogie der Moral. In: KSA 5: 252.

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nicht-rächen-Können zur Verzeihung verklärten und damit eine »Tyrannei über die Gesunden« 232 initiierten. 233 Dieser Sklaven-Moral stellte Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse (1886) jene HerrenMoral entgegen, die sich auf das Leben selbst gründet, das »wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung« oder »Wille zur Macht« 234 sei. Dabei ging es Nietzsche nicht um die bloße Überwindung der Moral und Affirmation der naturgegebenen Dispositonen, sondern primär um die »Selbst-Überwindung des Menschen« 235, die das zentrale Kriterium gelungenen Lebens und Handelns für ihn verkörperte. Vollkommen wird der Mensch nach Nietzsche nur, wenn er Herrschaft über sich gewinnt und alles in sich selbst überwindet, was der graduellen Selbststeigerung und Realisierung des Ideals eines autonomen und selbstbestimmten Lebens entgegensteht. 236 Doch wie bei Antisthenes ist auch Nietzsches Ich-Festung Loy zufolge nicht vor dem inneren Feind der Leere geschützt: »[W]ho is master of whom? If the ego-self is that which vainly tries to grasp itself, the project of self-mastery is not only questionable but impossible. That for the sake of which it is worthwile to live on Earth: does that happen when I master myself or when I let go of myself?« 237 Der Buddhist kommt Loy zufolge nicht in das Reich jenseits von Gut und Böse, indem er wie Nietzsche seine schlechten Eigenschaften zu guten verklärt, sondern durch die Aufgabe seines atomisierten Selbst-Gefühls und die Überwindung seiner affektiven Weltentfremdung. Durch die existentielle Verwirklichung der wesenhaften Einheit des eigenen Daseins mit allen Phänomenen, transformiere sich auch das ethische Problem grundlegend, denn die Gesellschaft höre nun auf ein Konkurrenzfeld isolierter Individuen und antagonistiZur Genealogie der Moral. In: KSA 5: 370. »Die Juden sind es gewesen, die gegen die aristokratische Werthgleichung (gut = vornehm = mächtig = schön = glücklich = gottgeliebt) mit einer furchteinflössenden Folgerichtigkeit die Umkehrung gewagt und mit den Zähnen des abgründlichsten Hasses (des Hasses der Ohnmacht) festgehalten haben«. Zur Genealogie der Moral. In: KSA 5: 267. 234 Jenseits von Gut und Böse. In: KSA 5: 207 f. Cf. Loy 1996c: 42. 235 Jenseits von Gut und Böse. In: KSA 5: 205. 236 »Du solltest Herr über dich werden, Herr auch über die eigenen Tugenden. Früher waren sie deine Herren; aber sie dürfen nur deine Werkzeuge neben andren Werkzeugen sein.« Menschliches, Allzumenschliches I. In: KSA 2: 20. 237 Loy 1996c: 42. 232 233

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scher Interessenlagen zu sein, wodurch auch das ursprüngliche Motiv für eine theonome, autonome oder heteronome Grundlegung der Ethik verloren gehe. Stattdessen würden altruistische Affekte wie Mitgefühl zur natürlichen Grundlage des Handelns, weil die gesamte Welt nicht nur kognitiv als eigenes Selbst vorgestellt, sondern affektiv als solches erlebt werde. 238 Diese nonduale Erfahrung ist es, die für Loy die eigentliche Grundlage der buddhistischen Moral konstituiert, deren ethische Leitlinien und Prinzipien nur das natürliche Verhalten des Erwachten kodifizieren, der spontan aus der nondualen Einheit der Wirklichkeit handelt und für den das Verlangen nach fremdem Wohl buchstäblich zum Verlangen nach eigenem Wohl geworden ist: »Buddhist ethical principles approximate the way of relating to others that nondual experience reveals. As in Christianity, I should love my neighbour as myself–in this case because my neighbour is myself. In contrast to the ›Thou shalt not–or else!‹ implied in Mosaic law, the Buddhist precepts are vows one makes not to some other being but to one’s to-be-realised-as-empty self […]. If we have not developed to the degree that we spontaneously experience ourselves as one with others, by following the precepts we endeavour to act as if we did feel that way. Yet even these precepts are eventually realised not to rest on any transcendental, objectively-binding moral principle. There are, finally, no moral limitations on our freedom–except the dualistic delusions which incline us to abuse that freedom in the first place.« 239 10.2.1.3. Die Geburt des säkularen Fortschrittsglaubens aus dem Geist des Chiliasmus Für ein vertieftes Verständnis der westlichen Moderne der Gegenwart und deren profanierte Erlösungsdesiderate – insbesondere das unstillbare Verlangen nach mehr Geld und Besitz, den Glauben an den technischen Fortschritt und ein unendliches ökonomisches Wachstum als Hoffnung auf eine Zukunft ohne innere Leere (lack) – sind Loy zufolge sozialgeschichtliche und theologische Ereignisse des europäischen Mittelalters entscheidend, die sich während des 11. und 12. Jahrhunderts zugetragen haben und dieses zukunftsorientierte und vermeintlich säkulare, tatsächlich aber radikal diesseitige ErCf. Loy 2002a: 214; Loy 2009b: 9; Loy 2018: 71. Loy 1996c: 43 f. Wie ich bereits gezeigt habe, muss Loys Ethikbegründung als gescheitert betrachtet werden (siehe 9.2.4.). 238 239

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lösungsdenken überhaupt erst möglich gemacht haben. Die neue Weltsicht führt Loy zurück auf (1) ein neues (legalistisches) Verständnis der Sünde, das der Benediktinerabt Anselm von Canterbury (1033–1109) in seiner Satisfaktionslehre niedergelegt hatte; (2) die Aufwertung der Immanenz durch die Einfügung des Filioque in den lateinischen Text des Glaubensbekenntnisses und (3) den millenaristischen/chiliastischen Glauben an eine zukünftige Wiederkehr Jesu Christi und das Aufrichten seines tausend Jahre währenden Reiches auf Erden, womit die Paradies-Vorstellung aus dem Jenseits in das Diesseits transponiert wurde. Loys Analyse hebt dabei mit den sozio-kulturellen Ereignissen im Umkreis der päpstlichen Revolution und des Investiturstreites (1076–1122) an, die allgemein als eine entscheidende Zäsur der westlichen Geistesgeschichte und als Höhepunkt des Konfliktes zwischen geistlicher und weltlicher Macht im mittelalterlichen Europa betrachtet werden. Diese herausragenden geistesgeschichtlichen Ereignisse initiierten nicht nur eine Dynamik, die zur Trennung von Kirche/ Religion und Staat/Politik führte und damit dem Abendland den Weg in eine säkulare Moderne ebneten, sondern leiteten vor allem auch eine spirituelle Revolution ein, die grundlegend die Vorstellung veränderte, die man sich bis zu diesem Zeitpunkt von der conditio humana gemacht hatte. 240 Loy bezieht sich dabei vor allem auf die einflussreiche Studie Law and Revolution: The Formation of the 240 »The Papal Reformation […] was the origin of our distinction between sacred and secular.« Loy 2002a: 46. Das von Loy adaptierte »triumphale Narrativ europäischer Säkularisierung« ist in seiner anachronistischen Rückprojektion moderner Begrifflichkeiten und einfachen Erklärung des Investiturstreites und seiner historischen Implikationen und Folgen mittlerweile Gegenstand der Kritik geworden. So habe Kaiser Heinrich IV. zwar von einer Dualität von sacerdotium und regnum gesprochen, Letzteres aber bekanntlich nicht als ›säkular‹, sondern als von Gott verliehen angesehen: »Der Investiturstreit verschob insgesamt die Parameter, so dass die späteren Kaiser andere Formen der Sakralisierung als ihre Vorgänger wählten, aber auch diese politische Herrschaft war nicht ›weltlich‹ oder ›profan‹. Umgekehrt war die Kirche ihrerseits in die Praxen und Register weltlicher Herrschaft eingebunden. Eine Gleichsetzung vormoderner Begriffspaare mit den modernen Dichotomien ›sakral-profan‹/ ›religiös-säkular‹ wird den damaligen Entwürfen von Weltordnungen unter Gottes Führung nicht gerecht.« Drews, W. 2015: 178. Darauf hatte bereits Berman aufmerksam gemacht: »Die Aussage, die Kirche sei der erste moderne westliche Staat gewesen, muß also eingeschränkt werden. Zwar legte die päpstliche Revolution den Grund für die spätere Entstehung des modernen säkularen Staates, indem sie den Kaisern und Königen ihre frühere geistliche Zuständigkeit entzog. Und als dann der säkulare Staat entstand, hatte er eine ähnliche Verfassung wie die päpstliche Kirche – nur ohne die

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Western Legal Tradition (1983) des US-amerikanischen Rechtshistorikers und Rechtsphilosophen Harold J. Berman (1918–2007), der darin die These vertritt, dass die Schaffung moderner Rechtssysteme in erster Linie eine Reaktion auf einen revolutionären Wandel innerhalb der Kirche und in ihrem Verhältnis zu den weltlichen Mächten gewesen war. 241 Im Jahre 1075 hatte Gregor VII. in einem 27 knappe Aussagen umfassenden Dokument (dictatus papae) nicht nur die politische und juristische Oberhoheit des Papsttums über die gesamte Kirche sowie die Unabhängigkeit des Klerus von weltlicher Kontrolle, sondern auch die Oberhoheit des Papstes in weltlichen Angelegenheiten einschließlich der Befugnis, Kaiser und Könige abzusetzen, erklärt. Gregor ging in der Folge gegen den Handel mit geistlichen Ämtern (Simonie), das Eheleben der Priester (Nicolaismus) und die weltliche Investitur vor. Zuvor hatten die germanischen Kaiser das Papsttum kontrolliert, die Lehnsherren und Könige die höchsten Kirchenämter besetzt und die Vasallen sich der Pfarreien bemächtigt. Bei der Vergabe der Ämter waren Vetternwirtschaft und Bestechlichkeit eine gängige Methode. Der daraufhin entbrannte Konflikt mit Heinrich IV. von Sachsen, der den Rücktritt des Papstes forderte, endete damit, dass Papst Gregor den König am 22. Februar 1076 auf der Fastensynode in Rom absetzte und exkommunizierte. Dies führte ein Jahr später zum berühmten Gang zur Burg Canossa, in deren Vorhof Heinrich in Büßergewand, barfuß und ohne Herrschaftsinsignien drei Tage ausharren und seine Sünden bekennen musste, ehe er Einlass erhielt, der Papst ihm die Absolution erteilte und die Exkommunikation aufhob. Trotz ihrer Einigung dauerte der Krieg zwischen der kaiserlichen und päpstlichen Partei mit Unterbrechungen bis 1122 an, als mit dem Wormser Konkordat ein endgültiger Kompromiss zwischen beiden Parteien erzielt werden konnte. Das Mittel, derer sich das Papsttum bediente, um seine Interessen und Forderungen durchzusetzen, ohne dabei auf ein eigenes Heer zurückgreifen zu können, war das Recht als Quelle der Autorität und Mittel der Kontrolle. Nur vor diesem Hintergrund ist Berman zufolge die Entstehung des klassischen kanonischen Rechts zu verstehen. Die kanonische Autorität des Papstes und das natürliche Gesetz, das Gott geistliche Funktion der Kirche als einer Gemeinschaft von Seelen, denen es um das ewige Leben geht.« Berman 1991: 192 f. 241 Cf. Berman 1991: 144–198.

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geschaffen hatte, wurden miteinander identifiziert, sodass derjenige, der sich dem Papst widersetzte, sich gleichzeitig Gott selbst widersetzte. War die Einheit der Kirche zuvor noch vornehmlich durch ihr geistliches Erbe begründet, führte die Entstehung eines neuen Systems des kanonischen Rechts im Gefolge der päpstlichen Revolution auch zur politischen und juristischen Einheit der Kirche und der Vorstellung vom Recht als einem »selbständigen, einheitlichen, sich entwickelnden System von Grundsätzen und Verfahrensweisen.« 242 Das revolutionäre Verhalten der Kirche dieser Zeit war motiviert von neuen Einstellungen gegenüber Tod, Sünde, Strafe, Vergebung und Erlösung. 243 Nach Augustinus, dessen Theologie das Hochmittelalter dominierte, war die Natur des Menschen durch die Erbsünde völlig zerstört. Aufgrund seiner Abstammung von Adam und der von ihm aufgebürdeten Erbschuld gebührte dem Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts die Strafe der ewigen Verdammnis. Diese Schuld konnte durch kein menschliches Tun abgetragen werden und der Mensch war für sein Heil somit vollständig auf die unbegreifliche Gnade Gottes angewiesen. Während Gott einige Menschen unabhängig ihrer guten und schlechten Taten zur Gnade bestimmte, wurden die anderen kraft ihrer Zugehörigkeit zur massa peccati/damnata als Sünder der Verdammung und dem ewigen Tod überlassen. Dabei verzweifelte Augustinus nicht an der allgemeinen Verwerfung der Menschheit, die er als verdiente Strafe rationalisierte, sondern erfreute sich vielmehr der unverdienten Errettung der wenigen Auserwählten. Diese pessimistische Doktrin entsprach dem weltflüchtigen Leben der Mönche und ihrer kontemplativen Haltung, aber

Berman 1991: 195. Nemo zufolge war der Geist, der die Männer der päpstlichen Revolution antrieb, von der Auffassung bestimmt, dass »es die Welt dringend zu christianisieren galt, auf daß sie fähig werde, ihre ethischen und eschatologischen Ziele zu erreichen.« Nemo 2005: 49. Nach tausend Jahren war die Wiederkunft Christi immer noch ausgeblieben. Für diese Parusieverzögerung hätten die Träger der päpstlichen Revolution den Zustand der Welt verantwortlich gemacht, der so schlecht sei, dass Christus die Welt nicht zu seiner Bleibe machen wolle. Da die Menschen aber allein für die Verfassung der Welt verantwortlich seien, läge es an ihnen, die Welt zu verändern und für die Wiederkehr Christi zu bereiten. Dafür musste wiederum die kontemplativ-quietistische Haltung des Hochmittelalters aufgegeben und durch ein Ethos aktiver Weltgestaltung ersetzte werden. Dies ist Nemo zufolge »die tiefere Bedeutung des Dictatus papae und der anderen Maßnahmen der ›päpstlichen Revolution‹.« Nemo 2005: 50. 242 243

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keinem Engagement in der weltlichen Gemeinschaft, das andere moraltheologische Überzeugungen erforderlich machte. Den notwendigen Wandel in der traditionallen Sündenlehre vollzog die theologische Innovation der Satisfaktionslehre, der zufolge der Tod Jesu nötig war, um die im Sündenfall erfolgte Ehrverletzung Gottes zu sühnen und deren wirkungsgeschichtlich bedeutendste Formulierung in der Theologiegeschichte Anselm von Canterbury in seinem Werk Cur deus homo (ca. 1094–98) vorgelegt hat. Anselm argumentiert in seiner Schrift, dass Gott den Menschen zur Seligkeit geschaffen habe, der Mensch dazu aber seinen Willen aus freiem Entschluss Gott hätte unterwerfen müssen. Der Mensch entschied sich allerdings zur Auflehnung gegen Gott und vererbte diese Sünde an alle kommenden Generationen. Aber warum konnte Gott in seinem Erbarmen dem Menschen nicht einfachhin gnädig seine Sünde vergeben? Dies war Anselm zufolge nicht möglich, weil Gott nicht willkürlich handle und durch seine eigene Gerechtigkeit gebunden sei und daher auch die Gnade seiner Gerechtigkeit (iustitia) untergeordnet bleiben müsse, weshalb die Erbsünde nur unter der Voraussetzung der Genugtuung vergeben werden konnte. 244 Die vernünftige und gerechte Weltordnung verlangte es also, dass der Mensch entweder für seine Sünde bestraft werde oder für seinen Abfall von Gott Genugtuung leiste. Für seine Abkehr von Gott wäre aber keine Strafe groß genug und der Mensch hätte Gott nichts bieten können, was gut genug gewesen wäre, um die Ehre Gottes wiederherzustellen; angesichts der Schwere der Sünde hätte Gott dem Menschen seine Seligkeit nehmen oder ihn vollständig vernichten müssen und damit seinen ursprünglichen Plan, dem zufolge er den Menschen zur ewigen Seligkeit bestimmt hatte, selbst vereitelt. Die einzige Möglichkeit der Sühne und der Versöhnung des Menschen mit Gott war daher das Selbstopfer eines Gott-Menschen, i. e. die Inkarnation Gottes in Jesus Christus und dessen Kreuzigung, die es Gott ermöglichte, dem Menschen zu vergeben. Nachdem die Erbsünde auf diese Weise abgetragen war, blieb dem Menschen nur noch die Buße seiner aktuellen Sünden übrig, die er in diesem Leben und eigenverantwortlich verschuldet hatte und die er in diesem Leben oder im Fegefeuer durch zeitliche Strafen auch tatsächlich abbüßen konnte. Dadurch wurde das menschliche 244 Cf. Cur deus homo 1, 12. In: Canterbury 1834: 26 f. und 59 f. Cf. Proslogion 9–11. In: Allers 1966: 213–220.

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Handeln gegenüber der augustinischen Lehre rehabilitiert und heilsrelevant. 245 Obschon Anselms Satisfaktionslehre nie zur offiziellen Kirchendoktrin erhoben wurde, wurde sie Berman zufolge zur herrschenden Auffassung im Westen und verlieh der westlichen Theologie als einer »Theologie des Rechts« 246 ihre ausgeprägte Verbindung zur Jurisprudenz, die Loy folgendermaßen interpretiert: The development of canon law led to a new understanding of sin, now defined in legalistic terms as specific wrongful acts, desires, or thoughts, for which painful penalties must be paid either in this life or in the next. This tended to reduce the importance of the Last Judgement and led to the ›legalization,‹ so to speak, of life after death in Purgatory, an intermediate realm where all one’s remaining debts must be repaid. This was an important shift from the earlier meaning of penance–acts of contrition symbolizing a turning away from sin back to God and neighbor–into a more objectified sense of sin as an entity, which, as the church soon discovered, could be commodified. From my Buddhist perspective, this was a novel way to understand what our lack consists of and how it is to be resolved: The elaborate system of penances for debts enabled a new type of grip on one’s ultimate destiny. 247

Nach der päpstlichen Revolution kam es zu weiteren bedeutenden Entwicklungen innerhalb der westlichen Theologie, die eine bewusste und vernunftgeleitete Gestaltung des irdischen Lebens weiter forcierten und damit gleichzeitig zum Schisma zwischen den orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche führen sollten, die diese Zuwendung zur Diesseitigkeit als gottvergessene Abkehr von der übernatürlichen Dimension des Lebens interpretierten. Während die abendländische Theologie das neugewonnene Ethos der Weltgestal245 Hier deckt sich die Analyse Loys mit derjenigen Nemos. Durch Anselms Lehre habe das menschliche Handeln wieder einen Sinn erhalten, denn »von nun an zählt jede menschliche Tat, wie endlich sie auch sein mag, in der Bilanz. Was auch immer jeder einzelne tut, gut oder böse, es ist wirklich von Belang. Auch noch die kleinste gute Tat kann geeignet sein, den Saldo der Bilanz am Ende zu kippen, so daß aus einem Fehlbetrag ein Überschuß wird. Der ganze Aberglaube des Mittelalters ist mit diesem Perspektivwechsel praktisch hinfällig. […]. Vermittels der Doktrinen der Buße und des Fegefeuers war es nun im Verständnis der Menschen zu der Zeit der päpstlichen Revolution geklärt, daß das menschliche Tun auf dieser Welt keineswegs das Nichts ist, das der heilige Augustinus darin hatte sehen wollen, sondern daß es vielmehr in den Augen Gottes stets einen Wert hat, so begrenzt, so marginal dieser auch sein mag.« Nemo 2005: 53 f. 246 Berman 1991: 299. 247 Loy 2002a: 49.

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tung als Form des Gottesdienstes mit transzendentem Wert auflud, blieb dieser Wandel in der Ostkirche aus. Anlass der Kontroverse, die das Christentum bis heute trennt, war neben dem Primatanspruch des Reformpapsttums aber vor allem die Einfügung des Filioque in den lateinischen Text des Glaubensbekenntnisses, das in der ursprünglichen Fassung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses noch nicht enthalten war. In Abgrenzung zum Arianismus und vor allem zur Lehre des Paulus von Samosata (3. Jh. n. Chr.), wonach Jesus ein in besonderer Weise von Gott inspirierter Mensch war, erklärten die Anhänger der Trinität mit dem Filioque-Zusatz den Glauben an den Heiligen Geist, der nicht nur vom Vater, sondern auch vom Sohn ausgehe (qui ex Patre Filioque procedit). Das Theologumenon Filioque wurde 1013 von Papst Benedikt VIII. als fester Bestandteil dem römischen Glaubensbekenntnis eingefügt, wodurch diese neue trinitätstheologische Formulierung den Schwerpunkt zur zweiten Person der Dreieinigkeit verschob und gegenüber der Transzendenz Gottes auch dessen Immanenz betonte. Berman zufolge wurde die Kirche damit weniger zu einer Gemeinschaft der Heiligen im Himmel und mehr zu einer Gemeinschaft der Sünder auf Erden. Anselms Satisfaktionslehre und die westliche Betonung der Inkarnation als der zentralen Wirklichkeit des Kosmos erzeugten eine ungeheure Energie zur Erlösung der Welt, die Berman zufolge der menschlichen Gerechtigkeit eine umfassende Bedeutung verlieh, indem sie »die von einem Gericht wegen Verletzung des Gesetzes verhängte Strafe mit der Natur und Bestimmung des Menschen in Zusammenhang brachte, mit seinem Streben nach Erlösung, seiner moralischen Freiheit und seinem Auftrag, auf Erden eine neue Gesellschaft zu schaffen, die den göttlichen Willen widerspiegelte.« 248 Obschon die Erbsünde durch das Selbstopfer Christi ausgelöscht war, entschieden sich die Menschen auch weiterhin aus freiem Willen zum Bösen, was das menschliche, an den zehn Geboten orientierte Recht nötig machte, das zwar menschlichen und nicht göttlichen Ursprungs war, aber »auf die Widerspiegelung des göttlichen Willens und somit auf eine nicht zu erschütternde Gültigkeit« 249 abzielte. Die wichtigste Folge der päpstlichen Revolution ist für Loy diese von Berman beschriebene Ausprägung der Vorstellung vom Fortschritt in der Zeit und der Glaube an die Reformation der Welt: »In my Buddhist terms, 248 249

Berman 1991: 305 f. Berman 1991: 306.

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this understanding of our lack gave us a different handle on it, one that plugged nicely into the reform of this world. ›Progress‹ was born.« 250 Diese Entwicklung verband sich zwischen 1050–1150 mit einem graduellen Wandel von außerweltlichen zu innerweltlichen Kompensationsversuchen, die ein Ende der inneren Leere (lack) nicht mehr primär von einem Leben nach dem Tod, sondern von der Zukunft in diesem Leben durch eine Neugestaltung der Lebenswelt erwarteten. Dieser Wandel war Loy zufolge ursprünglich durch den millenaristischen/chiliastischen Glauben an eine Wiederkehr Jesu Christi und das Aufrichten seines tausend Jahre währenden, irdischen Zwischenreiches auf Erden motiviert, das dem Letzten Gericht vorausgehen würde. Der kalabrische Abt und Einsiedler Joachim von Fiore (ca. 1130–1202) war zu der Überzeugung gelangt, dass die Heilige Schrift einen verborgenen allegorischen Sinn und versteckt prophetischen Gehalt besitzt, der nicht nur für moralische und dogmatische Zwecke, sondern auch für ein Verständnis der Weltgeschichte und Prognosen über ihren kommenden Verlauf verwendbar sei. Als Ergebnis seiner Schriftauslegung und der ihm zuteil gewordenen Offenbarungen unterteilte er die Weltgeschichte in drei aufeinanderfolgende, jeweils im Zeichen einer der drei göttlichen Personen der Trinität stehende Zeitalter. Dem ersten Zeitalter als dem Zeitalter des Gottvaters oder des Alten Testaments war das Zeitalter des Sohnes oder des Neuen Testaments gefolgt, dem ab 1260 das dritte Zeitalter des Heiligen Geistes als einem bis zum Jüngsten Gericht andauernden, christlichen Idealzustand der Gesellschaft folgen sollte, das alle Freuden des Himmlischen Jerusalem bieten würde. Aus dem Geist des Chiliasmus entwickelte sich die Idee des Fortschritts und diesen Geist sieht Loy auch noch in den säkularisierten Fortschritts-Doktrinen der Moderne am Werk: »The main argument […] is that the West we know was created when our lack became channeled into creating the future, but the persistence of apocalyptic movements after the eleventh century, and the chiliastic influence of Joachim and others, show that progress did not simply replace apocalypse as our social solution to lack. The idea of progress grew out of millenarianism, and retains the traces of its origins. The relationship between them remains uncomfortably close.« 251 250 251

Loy 2002a: 50. Loy 2002a: 61.

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10.2.1.4. Der Bruch der Immanenz mit der Transzendenz und die sukzessive Despiritualisierung der Welt Mit dem legalistischen Verständnis der Sünde, der Einfügung des Filioque in den lateinischen Text des Glaubensbekenntnisses und dem Millenarismus hatte zwar der Prozess der Immanentisierung der Transzendenz begonnen und ein gradueller Wandel von außerweltlichen zu innerweltlichen Kompensationsversuchen eingesetzt, aber für die Entstehung der säkularen Dimension der westlichen Moderne der Gegenwart und deren unbewusste Erlösungsprojekte waren Loy zufolge weitere geistesgeschichtliche Zäsuren notwendig: »What transformed the religiously saturated medieval world into the secular one we experience today was less the disappearance of God than the disappearance of this continuity between sacred and temporal.« 252 Diesen Kontinuitätsbruch zwischen Immanenz und Transzendenz zeichnet Loy anhand der historischen Ursprünge des Nationalstaates, des Konzernkapitalismus und des mechanistischen Weltbildes nach, die für ihn gleichzeitig die historischen Ursprünge dessen markieren, was in der Gegenwart als institutionalisierte Formen von Gier (lobha/rāga), Hass (dosa/dveṣa) und Verblendung (moha/avidyā) interpretiert werden können, i. e. die globale Wirtschaft, der militärisch-industrielle Komplex und die Massenmedien. Die Entwicklung dieser drei institutionalisierten Geistesgifte ist für Loy undenkbar ohne die Entstehung der modernen Wissenschaften und Technik, die er wiederum konstitutiv mit dem Paradigmenwechsel vom organischen zum mechanistischen Naturverständnis verbunden sieht. Das organische Paradigma der Natur expliziert Loy als einen in sich abgeschlossenen Kosmos und eine Harmonie der Sphären, die eine ungebrochene Kontinuität zwischen der Transzendenz Gottes und der Immanenz seiner Schöpfung verbürgt. So sah das Ptolemäische Weltbild des Mittelalters mit seinem geozentrischen Grundaufbau die Erdkugel unbeweglich im Mittelpunkt des Kosmos; ihr folgten drei weitere sublunare Elementsphären des Wassers, der Luft und des Feuers um die wiederum die translunare Welt und die Himmelssphären als Träger der Planeten angeordnet waren. Den Abschluss dieses klar strukturierten und hierarchischen Systems bildeten die kristalline Sphäre und das Empyreum an der äußersten Peripherie des Kosmos, in dem Gott lokalisiert wurde. Bevor Kopernikus mit 252

Loy 2002a: 93.

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seiner heliozentrischen Hypothese dieses Weltbild in seinen Grundfesten erschüttern konnte, sah der Mensch sich und die Erde folglich im Zentrum dieses anthropo- und geozentrischen Systems, in dessen Aufbau eine abgestuften Kette der Wesen kontinuierlich von den Tieren und Menschen über Hierarchien von Engelswesen mit Gott verbunden war. 253 Dieses organische Paradigma, dem zufolge alles, einschließlich der menschlichen Gesellschaft, seinen gottgewollten Platz innerhalb eines von Gott geschaffenen und erhaltenen Kosmos hatte, wurde in der frühen Neuzeit durch ein mechanistisches Paradigma der Natur ersetzt, dem die Vorstellung von der unbelebten, toten Weltmaschine (machina mundi) zugrunde lag, die erstmals bei Lukrez (ca. 97–55 v. Chr.) in dessen Schrift De rerum natura nachweisbar ist. In seinem strengen Determinismus glich das mechanistische Modell der Welt damit einer Uhr, die einmal aufgezogen nur eine Ablaufmöglichkeit hat und deren Logik Gott als Ingenieur forderte. Bereits Nikolaus von Oresme (ca. 1322–1382) verglich 1377 den Kosmos mit der Mechanik einer Uhr, deren Schöpfer bei Cusanus als göttlicher Uhrmacher erscheint; auch der deutsche Naturphilosoph, Mathematiker, Astronom, Astrologe, Optiker und Theologe Johannes Kepler (1571–1630) hatte es sich zum Ziel gemacht zu zeigen, dass »die Himmelsmaschine weniger einem göttlichen Lebewesen als einer Uhr gleicht« und Christian Wolff (1679–1754) hatte in seiner Cosmologia generalis (1731) erklärt, dass die Welt sich »wie eine sich selbst treibende Stundenuhr« benehme (mundus propemodum se habet ut horologium automaton) – ein horologium, das der italienische Philosoph, Dichter, Politiker und Dominikaner Tommaso Campanella (1568–1639) fest in der Hand Gottes sah. 254 Voltaire (1694–1778) beschrieb in seinen Éléments de la philosophie de Newton (1738) die revolutionären Theorien des Physikers und Astronomen Isaac Newton (1642–1727), der gleichzeitig »zutiefst von der Existenz eines GOTTes überzeugt« 255 gewesen sei, der den Weltplan entwirft, die Anfangsbedingungen des Universums setzt, immer wieder korrigierend in den Lauf der Welt eingreift und die Weltuhr von Zeit zu Zeit wieder aufziehen muss, um vorhandene Mängel der physikalischen Theorie auszugleiCf. Loy 2002a: 113. Cf. Demandt 2002: 149. Die Uhr-Metapher findet sich bei Cusanus im elften Kapitel von De visione dei (1453). Cf. Cusanus 1987: 51 ff. 255 Cf. Wahsner/Borzeszkowski 1997: 91. 253 254

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chen. 256 Diese Lehren bilden für Loy aufgrund ihrer Rückgebundenheit an Gott daher nur die Zwischenstufe eines Prozesses, der sukzessive zur gänzlichen Entspiritualisierung der Welt führte: The Absolute Deity rules the universe not through a hierarchy of spiritual subordinates serving him but with a rational system of ›hidden laws.‹ As long as these laws constituted God’s ›signature‹ this was not quite a mechanistic view of the universe, but it was an intermediate step necessary for a fully mechanistic paradigm to develop. Again we encounter the consequences of depopulating the middle ground between God and us of all spiritual intermediaries. Where the medieval worldview saw the influence of God filtering through a hierarchy of agents, of varying degrees of blessedness and power according to their station and role in that hierarchy, the great Geometer was not to be identified with the fallen world he ruled impersonally from afar. Since God was the ultimate source of all value, this was also the beginning of our bifurcation between fact and value. As the originator and guarantor of value gradually disappeared into the heavens, the world he left behind slowly but surely became de-valued. 257

Für Loy initiierte dieser Paradigmenwechsel allerdings auch einen Wechsel in der Art und Weise, wie die Menschen versuchten, ihrem Gefühl innerer Leere (lack) Herr zu werden, denn mit dem Zusammenbruch des organischen Paradigmas endete auch das tradierte Verständnis des defizitären Selbstgefühls und die Mittel, derer man sich bisher bedient hatte, um es zu bemeistern. Während das christliche Universum mit seiner hierarchischen Struktur noch eine genuin moralische Qualität besaß und das Gefühl innerer Leere (lack) in Form der Erbsündenlehre ausdrücklich anerkannt und adressiert wurde, implizierte ein Universum, das wie eine Maschine nach objektiven und moralisch indifferenten Gesetzen funktioniert, Loy zufolge ein vollkommen anderes Verständnis unserer inneren Leere (lack) und machte neue Kompensationsformen nötig. 258 Die spirituelle Suche des Menschen zielte in ihrer intellektuellen Variante nun darauf, das Wirken Gottes in der Welt zu verstehen und zu erkennen, auf welche Weise die Gesetze und Strukturen der Natur Gottes Geist und Willen manifestieren, um aus diesem Wissen die Rolle des Menschen in der Welt und den Sinn seines Lebens abzuleiten. Insofern das mechanistische Paradigma Gott aber immer mehr von der gefallenen Welt ent256 257 258

Cf. Wahsner/Borzeszkowski 1997: 62; Loy 2018: 37 f. Loy 2002a: 113. Cf. Loy 2002a: 90.

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fernt und diese damit entwertet hatte, konnte unser Wissen der Natur niemals das leisten, was wir insgeheim von ihm erhofften: [A]n understanding of the world that also explains the meaning of our own lives by describing our role in the universe. Such value questions cannot be answered by an experimental discipline whose technique for pursuing knowledge involves determining the relationships among de-valued facts. […] the scientific/technological project represses this failure into its future orientation: We do not yet know enough. 259

Auch das von Descartes initiierte Projekt einer philosophischen Letztbegründung stellt für Loy lediglich eine weitere Variante dieses intellektuellen und unbewussten Kompensationsprojektes dar. Demnach manifestierte auch der in den Meditationes de prima philosophia (1641) von Descartes formulierte Wunsch, »etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften« 260 zu schaffen nichts weiter als das Bedürfnis etwas Unerschütterliches und Bleibendes gegen die innere Leere (lack) aufzurichten, um sich damit identifizieren zu können. 261 Dieses rationalistische Letztbegründungsprojekt, das für Loy nur eins von unzähligen Selbstbegründungsprojekten ist, sei durch postmoderne Angriffe nicht nur erodiert und schließlich verabschiedet worden, sondern aus buddhistischer Perspektive schon immer zum Scheitern verurteilt gewesen: Religious certainty had been wounded, but lack continued seeking to secure itself, and intellectually this meant a compulsive need for propositional certainty. If philosophical certainty is not to be found outside us, it must be located inside, in our mental processes. Cartesian dualism juxtaposed the mechanical causality of natural phenomena with the logical rationality of human thought and intentionality. The foundationalist trajectory of modern philosophy was set […], this selfgrounding rationalist dream was always illusory. 262

Loy 2002a: 117 f. Descartes 1992: 31. 261 Wahrheit – so auch Nietzsche im fünften Buch seiner fröhlichen Wissenschaft (1887) – sei jener metaphysische Glaube daran, dass Gott die Wahrheit und die Wahrheit göttlich sei. Dem Glauben an Gott als einer tranzendenten Wirklichkeit, den Loy als Entwertung der Welt und Urakt nihilistischer Verblendung interpretiert, entspricht somit auch noch der Glaube an die Wissenschaft jener vermeintlich »Gottlosen und Antimetaphysiker«, von denen Nietzsche schreibt, dass sie eine »andere Welt als die des Lebens, der Natur und der Geschichte« bejahen und damit »diese Welt, unsere Welt« verneinen. KSA 3: 577. 262 Loy 2002a: 120. 259 260

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Eine prominente Rolle beim Niedergang des alten Paradigmas der Leerheitskompensation spielte für Loy ebenfalls die Reformation, die am 31. Oktober 1517 begann, als Martin Luther (1483–1546) der Legende nach seine 95 Thesen an das Portal der Schlosskirche zu Wittenberg schlug und die für Loy ihren Höhepunkt erreicht hatte, nachdem Calvin 1564 in Genf gestorben war. Entscheidend ist für Loy dabei Luthers Rechtfertigungslehre, die mit ihrer fundamentalen Priorität des Glaubens vor der Werkgerechtigkeit das genaue Gegenteil zur Häresie des Pelagianismus verkündete, der zufolge sich die Menschen den Himmel verdienen und somit selbst erlösen konnten. Die Lehren Luthers hatten folgenschwere Implikationen, insofern sie mit der Betonung der Irrelevanz einer jeden institutionellen Vermittlung des Heils und der Akzentuierung der Nichtigkeit menschlicher Werke die nunmehr gefallene Welt ihrer spirituellen und moralischen Dimensionen gänzlich entleerten; auf diese Weise leistete auch Luther für Loy einen wesentlichen Beitrag zur Zerstörung des verschlungenen Netzwerkes von Vermittlungen, das zuvor die sakrale Dimension der Welt konstituiert hatte: The medieval continuity between the natural and the supernatural had meant that true reality manifested sacramentally in the spiritual potentialities of this temporal world, potentialities that could be developed. The new broom of the Reformers swept this away–not out the door but, as we shall see, under the carpet. What transformed the religiously saturated medieval world into the secular one we experience today was less the disappearance of God than the disappearance of this continuity between sacred and temporal. 263

Luthers Rechtfertigungslehre fand für Loy ihren Abschluss in Calvins Prädestinationslehre. Während Luther noch gelehrt hatte, dass man die Gnade verlieren, ihr aber durch Buße wieder teilhaftig werden konnte, leugnete Calvin nicht nur jede Form der Werkgerechtigkeit, sondern betonte darüber hinaus auch, dass nur einzelne Seelen der Gnade Gottes teilhaftig würden und somit nur wenige Menschen zum ewigen Leben erwählt seien, während Gott in einem absoluten Ratschluss (absolutum decretum) die meisten zu ewigem Tod und Verdammnis vorherbestimmt habe. 264 Die Lehre der doppelten Prädestination inspirierte Max Weber (1864–1920) bekanntermaßen zur Formulierung seiner Protestantismusthese, die er 1904 in Die protes263 264

Loy 2002a: 93. Cf. Loy 2002a: 93.

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tantische Ethik und der Geist des Kapitalismus vorgelegt hatte. 265 Calvins Lehre hatte demnach dazu geführt, dass wirtschaftlicher Erfolg in calvinistischen Kreisen als Ausdruck von Gottes Gnade interpretiert wurde und man anhand des Erfolges auf Erden erkennen zu können glaubte, wer durch Gott zum ewigen Heil vorherbestimmt war und wer nicht. Der daraus resultierenden »Berufsethik des asketischen Protestantismus« hatte Weber eine herausragende Rolle bei der Entstehung des modernen Kapitalismus attestiert. 266 Nachdem Calvin jedes erdenkliche Hilfsmittel zur Sicherung der eigenen Erlösung diskreditiert hatte und den Menschen in völliger Ohnmacht seiner inneren Leere (lack) überantwortet hatte, musste der Mensch zwangsläufig alternative (diesseitige) Strategien zur Bewältigung der Leere ersinnen. Insofern diese spirituell motivierte Dynamik ins Unbewusste absank, tendierte sie dazu, ein Eigenleben zu entwickeln und sich von ihren ursprünglichen Motiven gänzlich abzulösen. Der Markt- und Konzernkapitalismus begann demnach als – und ist Loy zufolge immer noch – eine Form der Erlösungsreligion und perpetuiert deren psychologische Struktur: [D]issatisfied with the world as it is and compelled to inject a new promise into it, motivated (and justifying itself) by faith in the grace of profit and concerned to perpetuate that grace, with a missionary zeal to expand and reorder (rationalize) the economic system. Then our secular economic values are not only derived from religious ones (salvation from injecting a revolutionary new promise into daily life), they are much the same future-oriented values, although largely unconscious owing to the loss of reference to any otherworldly dimension. 267

Die Reformation hatte aber nicht nur theologischen, sondern auch politischen Zäsurcharakter, insofern die wirkungsmächtigen Ereignisse der Reformation von einigen Historiographen als »Initialzündung einer deutschen Nationsbildung« 268 interpretiert und Luther als Held im nationalen Befreiungskampf von der päpstlichen Zentralmacht gefeiert wurde. Auch Loy betont die Bedeutung der Reformation für die Entwicklung des Nationalstaates, konzentriert sich bei seiner Rekonstruktion der Ereignisse aber primär auf die Bedeutung, 265 266 267 268

Cf. Loy 2002a: 105. Cf. Weber 1988a: 1–206; Loy 2002a: 105. Loy 2002a: 108. Mörke 2011: 109.

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die diese Entwicklung von der mittelalterlichen Einheit von Reich und Kirche über die fürstlichen Territorialstaaten und das Entstehen absolutistischer Herrschaftsformen bis hin zum Nationalstaat für den Umgang der Menschen mit der inneren Leere (lack) hatte. Das spirituelle Vakuum, das die Reformation hinterlassen hatte, ermöglichte es einigen Herrschern, sich das religiöse Charisma der Kirche anzueignen und zu absoluten Herrschern und säkularen Göttern aufzusteigen, deren Aura geistiger und moralischer Autorität das Versprechen einer weltlichen Lösung für die innere Leere (lack) ausstrahlte und deren göttliches Sein die Untertanen zur kollektiven Bewältigung ihres eigenen Seinsmangels in Anspruch nehmen konnten. Mit dem Ende der absolutistischen Epoche kam allerdings nicht das Ende dieser religiösen Funktion, sondern ihre Übertragung vom absolutistischen Herrscher auf den Nationalstaat, der seither zum erfolgreichsten Religionsersatz avanciert sei: »In the last few centuries the most successful god–that is, the god that people have been the most willing to die for–has been one’s own nation. By far the most popular religion today is nationalism.« 269 Insofern das Gefühl innerer Leere (lack) das Bedürfnis erzeugt, sich mit etwas zu identifizieren, das größer ist als man selbst, leitet sich die Macht des Nationalstaates für Loy auch heute noch von diesem spirituellen Bedürfnis des Menschen ab. In einer Welt, die nicht mehr von einem gemeinschaftlichen Glauben zusammen gehalten wird, ersinnen sich die Menschen andere Quellen transzendenter Kraft, denen sie sich anheimgeben können und von denen sie unbewusst eine Kompensation ihrer inneren Leere (lack) erhoffen. 270 Der Staat wurde auf diese Weise zum irdischen Gott, der dem Leben und Sterben seiner Angehörigen einen Sinn verleihen konnte. Das basale Problem dieser Staatsvergottung besteht für Loy nicht nur darin, dass die geteilte Staatsbürgerschaft ein schwacher Ersatz für wahren gemeinschaftlichen Zusammenhalt ist und der Patriotismus eine noch schwächere Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens bietet, sondern der Nationalstaat dem nationalistisch gesinn-

Loy 2002a: 94. Die Idee eines »absoluten« Staates oder des Staates als »irdischer Gott« hat in der politischen Philosophie der Neuzeit eine lange Geschichte. Cf. Siep 2015. Jeder »erbärmliche Tropf«, so bereits Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit (1851), »der nichts in der Welt hat, darauf er stolz seyn könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu seyn.« In: S IV: 358. 269 270

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ten Wego nie das geben kann, was es unbewusst von ihm erhofft – eine kollektive Erlösung vom Gefühl der inneren Leere (lack). Ohne die religiösen Ursprunge und spirituellen Motive zu durchschauen, aus denen der Nationalstaat entstanden ist und aus denen sich auch heute noch seine Autorität speist, werden die Menschen Loy zufolge auch weiterhin danach streben, den Staat in einen effektiveren Religionsersatz zu transformieren. 271 Diese Gefahr bleibt für Loy auch weiterhin bestehen, solange der Mensch nicht die unbewusst spirituelle und religiöse Funktion des Nationalstaates durchschaue. 272 Der Nationalstaat kann als menschliches Konstrukt folglich nie sicher oder real genug sein, so, wie der Kapitalismus mich niemals reich genug machen kann oder Konzerne profitabel genug sein können und unser Wissen niemals sicher oder ausreichend genug sein kann, um die innere Leere (lack) des individuellen (Ego) oder kollektiven Selbst (Wego) zu kompensieren. Transnationaler Raubtierkapitalismus, der militärisch-industrielle Komplex und die Massenmedien können als institutionalisierte Erscheinungsformen innere Leere (lack) nur fortbestehen, weil sie nicht als das erkannt werden, was sie Loys buddhistischer Analyse zufolge allein sind: Profanierte Erlösungsdesiderate, die wir selbst am Leben erhalten und mit Energie versorgen, weil wir unbewusst immer noch spirituelle Hoffnungen in sie setzen, die sie notwendig enttäuschen müssen und deren permanentes Versagen wir mit einem unaufhörlichen »not yet enough« 273 rationalisieren: This points to the basic nihilism of ›secular‹ modernity: the lack of an overtly spiritual grounding to our lives means that this preoccupation has become religiously compulsive. Because this compulsion is not understood by us, these institutions have taken on lives of their own which subordinate us to them whole accepting no subordination to anything else. 274

Die Idolatrie der westlichen Moderne besteht für Loy in der Identifizierung mit jenen Götzen und Ersatzobjekten, die unsere existentielle

271 »Immerhin«, so bereits Friedrich Hölderlin (1770–1843) in seinem Briefroman Hyperion (1797/1799), habe »das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.« Hölderlin 2001: 507. 272 Cf. Loy 2002a: 104. 273 Loy 2002a: 122. 274 Loy 2002a: 122.

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Blöße zudecken und uns real machen sollen, dabei aber ausnahmslos im Dienste der Verdrängung unserer inneren Leere (lack) stehen: »Whatever idols man remains rooted to are idols designed precisely to hide the reality of the despair of his condition; all the frantic and obsessive activity of daily life, in whatever country, under whatever ideology, is a defense against full human self-consciousness.« 275 10.2.1.5. Der historische Ursprung der kapitalistischen und neoliberalistischen Konkurrenzgesellschaft und die Krise der Zivilgesellschaft Für ein Verständnis der neueren Geistesgeschichte des Westens ist nach Loy eine Analyse der Wirkungsgeschichte desjenigen Buches unerlässlich, das wie kein anderes das geistige Leben in Europa nachhaltig geprägt hat: die Bibel. Bereits lange vor Luther findet sich eine breite Tradition volkssprachlicher Bibelübersetzungen, aber erst die Erfindung des modernen Buchdrucks durch den Mainzer Goldschmied Johannes Gutenberg (um 1400–1468) in der Mitte des 15. Jahrhunderts sowie die ersten vollständigen Bibelübersetzungen in europäische Sprachen verhalfen der Bibel zum gesamtgesellschaftlichen Durchbruch im 16. und 17. Jahrhundert: »For a civilization whose lack was now rampant, the Bible became essential as the only secure source of wisdom. It was almost universally acknowledged as the Word of God, hence of supreme and incomparable importance: not just a book, then, but our sole remaining certain access to the Ground of being.« 276 Die kirchlichen Autoritäten waren sich der schwerwiegenden Konsequenzen dieser Entwicklung sehr wohl bewusst und versuchten, Übersetzungen der Bibel in die jeweilige Volkssprache und ihre Lektüre durch theologisch nicht gebildete Laien vehement zu unterBecker, Ernest. 1971. The Birth and Death of Meaning. Second ed. New York: The Free Press, 194. Zitiert nach: Loy 2002a: 123. 276 Loy 2002a: 132. Die Bibel wurde 1471 durch den Kamaldulenser Niccolò Malermi (ca. 1422–1481) in die italienische Sprache übersetzt; 1523 ins Französische durch den Theologen und Humanisten Jacques Lefèvre d’Étaples (um 1450–1536); 1534 in die deutsche Sprache durch Luther und 1569 ins Spanische durch Casiodoro de Reina (1520–1594). Eine englische Bibelübersetzung entstand durch das Wirken des Oxforder Theologieprofessors John Wycliffe (ca. 1320–1384). Verbreitung fand dann schließlich die King-James-Bibel (1611), die von König Jakob I. von England (1566– 1625) für die Anglikanische Kirche erstellt wurde. 275

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binden. In England wurde nicht nur die 1526 veröffentlichte Übersetzung des Neuen Testaments durch William Tyndale (1484–1536), sondern 1536 auch Tyndale selbst als lutherischer Häretiker verbrannt, weil er im Exil in Antwerpen weiterhin an einer englischen Gesamtübertragung der Bibel gearbeitet hatte. Ihm folgte 1555 mit John Rogers (um 1500–1555) ein zweiter englischer Bibelübersetzer auf dem Scheiterhaufen nach und auch Thomas Cranmer (1489– 1556), der sich für eine Übersetzung der Bibel eingesetzt hatte, wurde ein Jahr später verbrannt. Auf römisch-katholischer Seite erklärte die Kirche die Vulgata zur verbindlichen Bibelausgabe für alle Katholiken und verbot den Druck von volkssprachlichen Bibelübersetzungen auf dem Konzil von Trient (1545–1563) gleich ganz, weshalb die Bibel in Italien niemals vergleichbare Verbreitung fand und die Allgemeinsprache beeinflussen konnte, wie dies im protestantischen Deutschland der Fall gewesen war. Die allgemeine Zugänglichkeit und kontroverse Diskussion der Inhalte der Bibel durch die Laien führte trotz rigoroser Gegenmaßnahmen der Kirche zur unvermeidlichen Aushöhlung der regula proxima fidei, der zufolge dem kirchlichen Lehramt allein die richtige und für alle Gläubigen verbindliche Auslegung der Bibel obliegt. Man erkannte, dass es kaum eine Position gab, die man nicht anhand der Bibel rechtfertigen konnte und man vieles zwischen den Zeilen oder in die Texte hinein lesen konnte. Dies führte Loy zufolge einerseits dazu, dass die Laien in ihrem Selbstdenken gefordert wurden und das Vertrauen in ihre eigene Urteilskraft gestärkt wurde, insofern sie ihre vermeintlich in der Bibel »gefundenen« Ideen anhand des Textes rationalisieren mussten; anderseits führte die zunehmende Pluralisierung auch zur intellektuellen und kongregationalistischen Fragmentierung der Gesellschaft. Für den Umgang des individuellen Selbst (ego) mit der inneren Leere (lack) kam diese Entwicklung einem sukzessiven Scheitern aller biblischen Lösungsversuche gleich; aber auch das kollektiven Selbst (wego) war ob der Möglichkeit einer biblisch inspirierten und religiös motivierten Revolution als Versuch der politischen Kompensation der inneren Leere (lack) desillusioniert, nachdem die kurze Herrschaft des chiliastisch und puritanisch gesinnten Oliver Cromwell (1599–1658) gescheitert und die Stuart-Monarchie restauriert worden war: The Biblical solution to our lack–the infallible Word of God as our mode of access to His Being, and the attempt to help establish its Kingdom of Heaven on earth–had failed. People began to look for answers

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elsewhere. Religious toleration became acceptable because for the first time religious commitment became a private matter. It became a private matter because it was no longer the ultimate issue. 277

Das Autoritätsvakuum der Bibel, deren Botschaft nach Loy aufgrund der Ambiguität ihrer Texte keine infallible und allgemeinverbindliche Grundlage mehr bot, ersetzten die englischen Baptisten durch eine weitreichende, mitunter uneingeschränkte religiöse Toleranz, während die Strategemata Satanae – die Kriegslisten des Teufels (1565) – des italienischen Humanisten, Philosophen, Theologen, Juristen, Festungsingenieurs und Bibelkritikers Jacobus Acontius (1492–1567) das Gewissen als inwendige Stimme Gottes zur höchsten Autorität erklärten, die nur noch Gott selbst unterstand. 278 Eine alternative Lösung bot die vom englischen Schuster George Fox (1624–1691) gegründete Religionsgemeinschaft der Quäker (Religious Society of Friends) mit ihrer Lehre vom »inneren Licht Christi« und der Erleuchtung des menschlichen Gemütes durch den Heiligen Geist, die Loy historisch als wichtige Stufe eines allgemeinen Internalisierungsprozesses der Transzendenz und damit gleichzeitig einer fortschreitenden Privatisierung der inneren Leere (lack) ausdeutet: »The dualism between this ›lower‹ world and a transcendent one (to which we aspire) became reproduced within us, between the ›higher‹ part of ourselves (the soul, rationality) that yearns to free itself from the ›lower‹ part that is of the earth (our physical bodies, with their desires and emotions).« 279 Diese Lehre hatte der Quäker Robert Barclay (1648–1690) in seinem 1676 erschienenen Werk Theologiae vere christianae Apolo277 Loy 2002a: 142. Die Englische Revolution und Cromwells weltanschauliche Nähe zum revolutionären Millenarismus, der sich selbst als einen von Gott begnadeten Kämpfer für die Errichtung einer puritanisch geprägten Republik der Endzeit verstand, sieht Loy im Gegensatz zur Französischen Revolution als gegenläufigen Versuch, nicht durch mehr Freiheit, sondern durch die Errichtung einer religiösen Gesellschaft die innere Leere (lack) des kollektiven Selbst (wego) zu kompensieren: »Not just a better society: a more spiritual society, because it would (or could) bring about the end of lack. From a lack perspective, our distinction between religious and political aspiration is not obvious or inevitable, but a contingent result of our own social history, which very much includes the failure of the English Commonwealth. What most dreamt of at the time was not just the recovers of social stability–which offered little except to the elite–but a new social order that would bring an end to the inchoate sense of lack more immediately in those chaotic times.« Loy 2002a: 136. 278 Cf. Loy 2002a: 140. 279 Loy 2015d: xii-xiv. Cf. Loy 2002a: 165.

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gia ausgeführt und darin jedem Menschen einen Anteil an der inneren Offenbarung Gottes durch den Heiligen Geist zugesprochen, der als Quelle der Bibel dieser überlegen war. Trotz der Gnade des gottgewirkten Lichtes im inneren des Menschen, das zum wahren Verständnis der biblischen Offenbarungen Gottes befähigen sollte, konnte keine Einigkeit über deren Botschaft erzielt werden. Das natürliche Licht (lumen naturale) der menschlichen Vernunft musste auch weiterhin ein Urteil über richtig und falsch fällen, sodass das natürliche das gottgewirkte Licht auf Dauer überstrahlen und eine rein kalkulierende und instrumentelle Vernunft die spirituelle Dimension des Geistes letztendlich verdrängen konnte. Bereits der protestantische Reformer und politische Aktivist Gerrard Winstanley (1609–1676) war nach eigener Auskunft ausgezogen, um den Namen »Gott« durch »Vernunft« (reason) zu ersetzen, »because I have been held in darkness by that word, as I see many people are.« 280 Für Loy haben bei dieser fortschreitenden Säkularisierung der Vernunft und der Reduktion unseres Erkenntnisapparates auf einseitig abstraktes Denken vor allem Humes wirkmächtige Analysen zentralen Zäsurcharakter, wie er sie in A Treatise of Human Nature (1739/40) entfaltet. Demnach kann die vollkommen passiv konzipierte Vernunft unsere Affekte und Handlungen weder verhindern noch hervorrufen, weshalb Hume auch die Behauptung, die Sittlichkeit könne aus der Vernunft hergeleitet werden, für nichtig erklärt. Der Vernunft obliegt hingegen allein die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum, die für Hume wiederum in der Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung entweder mit den wirklichen Beziehungen der Vorstellungen oder mit dem wirklichen Dasein und den Tatsachen besteht. Alle menschlichen Affekte und Handlungen seien aber einer solchen Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung gar nicht fähig, weshalb sie weder wahr noch falsch und demnach niemals Gegenstand unserer Vernunft sein können; sie sind für Hume ursprüngliche Tatsachen und in sich selbst vollendete Wirklichkeiten, bei denen überhaupt nicht danach gefragt werden kann, ob sie mit Originalen übereinstimmen oder nicht. 281 Die Moral liegt für Hume also durchaus nicht in der abstrakten Natur der Dinge, sondern ist gänzlich abhängig von den Gefühlen und Idiosynkrasien eines jeden EinWinstanley, Gerrard: Truth lifting up its head above scandals. Zitiert nach: Loy 2002a: 147. 281 Cf. A Treatise of Human Nature 3, 1, 1. In: Hume 1978: 197 f.; Loy 2002a: 156. 280

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zelnen und diese emotiven Kräfte haben weder Kenntnis einer universalen Wahrheit noch wissen sie um die Differenz von Sein und Sollen. 282 Die Vernunft – so Hume unzweideutig im Traktat – sei nur der Sklave der Affekte und solle es auch sein; sie dürfe niemals eine andere Funktion beanspruchen als den Affekten zu dienen und zu gehorchen. 283 Dieses verengte und reduzierte Verständnis einer instrumentellen Vernunft, die sich allein auf die Mittel zum moralisch erfassten Zweck bezieht, ist Loy zufolge bis in unsere Gegenwart hinein maßgeblich geblieben: It [reason; F. V.] is something we use to get what we want. The global success of capitalist economic relations would hardly have been possible without this reductive understanding of our mental faculties and their proper function. By devoting ourselves to making and consuming money, then, we are simply doing what it is our nature to do, for that is what our reasoning abilities are for. There is no place here for a different role–Socratic dialogue, for example, or a late Heideggerian meditative understanding of thinking. We think that our hardheaded this-worldliness has escaped the futile speculations of metaphysics, but in this way too we unconsciously live according to a diminished philosophical understanding of ourselves, which we now view as natural. 284

Für Loy handelt es sich dabei aber nicht nur um eine reduktionistische Konzeption der Vernunft als Zweck-Mittel-Rationalität, sondern auch um eine rückwirkende Legitimation der politischen Theo282 Dies hat Hume noch einmal Jahre nach dem Traktat (1739/40) in der A- (1748) und B-Auflage (1751) der Philosophical Essays Concerning Human Understanding (1748), die erst ab 1758 unter dem Namen An Enquiry concerning Human Understanding erschienen, bekräftigt: »That faculty, by which we discern truth and falsehood, and that by which we perceive vice and virtue had long been confounded with each other, and all morality was supposed to be built on eternal and immutable relations, which to every intelligent mind were equally invariable as any proposition concerning quantity and number. But a late philosopher [Francis Hutcheson (1694– 1746), in his Inquiry (1725) and Essay (1728)] has taught us, by the most convincing arguments, that morality is nothing in the abstract nature of things, but is entirely relative to the sentiment or mental taste of each particular being; in the same manner as the distinctions of sweet and bitter, hot and cold, arise from the particular feeling of each sense or organ. Moral perceptions therefore, ought not to be classed with the operations of the understanding, but with the tastes or sentiments.« Buckle 2010: 11. Cf. Hume 2005: 13. 283 Cf. A Treatise of Human Nature 2, 3, 3. In: Hume 1978: 153. 284 Loy 2002a: 156 f.

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rien, die Thomas Hobbes (1588–1679) im Leviathan (1651) und John Locke (1632–1704) in seinen Zwei Abhandlungen über die Regierung (1689) entworfen hatten und deren gemeinsame Vision er darin sieht, die Zivilgesellschaft als konventionelles Arrangement unter sich selbst verwirklichenden Individuen zu konzipieren, deren primäres Ziel die Verfolgung egoistischer Interessen ist. Der Zusammenschluss zur Gesellschaft ist vor diesem Hintergrund folglich niemals Ziel, sondern immer nur Mittel. 285 Für Hobbes, der mit seiner Lehre vom Naturzustand eine säkularisierte Beschreibung der menschlichen Natur nach dem Sündenfall bot, bestand die einzige Möglichkeit den natürlichen Zustand des Krieges aller mit allen (bellum omnium contra omnes) und die Verletzung individueller Eigentumsrechte durch den Zusammenschluss der radikal autonomen und antagonistischen Individuen zu einer politischen Einheit zu vermeiden; durch einen rein interessengeleiteten Gesellschaftsvertrag und nicht aufgrund vernünftiger oder natürlicher Rechte sollten alle künftigen Bürger auf ihre unbeschränkte Autonomie, die dem unverbundenen Einzelnen im Naturzustand zukommt, verzichten und stattdessen eine übergeordnete Instanz einsetzen, die das staatliche Gewaltmonopol hält und mit uneingeschränkter Macht die unbedingte Einhaltung allgemeiner Gesetze garantiert, indem sie die Zuwiderhandlung unter Strafe stellt. Loys Beschreibung des Leviathans ist interessant, insofern dessen Gesellschaft für ihn bereits eng der radikalkapitalistischen und neoliberalistischen Konkurrenzgesellschaft der Gegenwart verwandt ist und deren weltanschauliche Prämissen antizipiert: The atomized individuals that comprise such a civil society are linked together only by agreements that they enter into as rational and selfinterested beings. These individuals are ›owners‹ of themselves rather than members of larger communities. The ›common good‹ can mean nothing except the sum of individual interests. Constituted only by state coercion and protection, society is an artificial network existing only to protect property and maintain an orderly economy. 286 Cf. Loy 2002a: 156. Loy 2002a: 149. Obschon Locke im Gegensatz zu Hobbes seine Beschreibung des Naturzustandes theologisch fundiert, indem er den Menschen als Eigentum Gottes beschreibt, sieht er doch genau wie Hobbes die primäre Aufgabe des Staates darin, den rechtlichen Rahmen für die Sicherung des Privateigentums zu schaffen und unterminiert damit Loy zufolge ebenfalls die Idee eines zivilgesellschaftlich geteilten Gemeinwohls. Cf. Loy 2002a: 152. In diesem Zusammenhang diskutiert Loy ebenfalls den gesellschaftlichen Entwurf, den Adam Smith (1723–1790) in An Inquiry into the 285 286

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Hobbes hatte im Leviathan versucht, zwei divergierende soziale Tendenzen miteinander zu vereinen und den Gegensatz von gesellschaftskonstitutiver Gemeinschaftsbande und den subversiven Kräften eines zunehmenden Individualismus in einer umfassenden politischen Theorie miteinander zu vermitteln. Diese Distinktion zwischen einem privaten und individuellen sowie einem öffentlichen und gesellschaftlichen Bereich des menschlichen Lebens ist für Loy die basale Grundspannung und zentrale Herausforderung, der sich jede Zivilgesellschaft in Theorie und Praxis stellen muss. Die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts sieht Loy als eine Geschichte des Scheiterns solcher neuzeitlicher Organisationsprozesse und dem Versuch, die gesellschaftlichen Zentrifugal- und Zentripetalkräften in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen: »This is still our problem with civil society, because the tension between individual freedom and the common good has never been resolved.« 287 Während Marktbeziehungen die eigennützige Freiheit betonen und dazu neigen, auf Kosten der bürgerlichen Gemeinschaft einer Gesellschaft deren verbindenden Werte zu korrodieren, seien die faschistisch-nazistischen Diktaturen und staatssozialistisch-kommunistischen Regimes als totalitaristische Reaktion auf solche fragmentierenden Kräfte zu begreifen, deren Betonung der vorzivilisatorischen Form der kollektivisitischen Gemeinschaft einer Gesellschaft wiederum oft die individuelle Freiheit und Persönlichkeitsrechte zum Opfer fielen. Auch heute seien wir noch auf der Suche nach jenem »sozialen Klebstoff« (social glue), den uns vormals ein geteiltes Gottesbild zur Verfügung stellen konnte und einer philosophischen Anthropologie, die ohne transzendente Rückversicherung auskommt: Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776) vorgelegt hatte: »In The Wealth of Nations (1776) we find for the first time our modern conception of civil society as a sphere of self-interested and self-regulating economic activity, apart from the state but sympathetically supported by it. Rational self-interest replaces any shared vision of a cosmic order. Smith’s world is a fully commodified one.« Loy 2002a: 157 f. Dennoch habe Smith in seinem weniger bekannten Werk The Theory of Moral Sentiments (1759) auch kritische, beinahe buddhistische Einsichten artikuliert: »He [Smith] sees the dissatisfaction as natural to human beings, a permanent feature of our lives experienced even in the womb. It is crucial for economic development and, insofar as it motivates the growth of our character, for moral development as well. […]. [F]or Adam Smith the economic and civilizing glue of society is ultimately based upon a collective lie, or something we all agree to repress: that our self-interested economic activity can never give us what we seek from it.« Loy 2002a: 158 f. 287 Loy 2002a: 154.

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The loss of a transcendent religious dimension means there is nothing left that binds us together. Our individuality means that we now view civil society as largely irrelevant to our lack, also understood solely in individual terms. Hence the overweening importance of my personal success in an increasingly competitive social environment. If my lack is now only my own problem, there is no reason for me to cooperate with others, except insofar as that helps me get things I want. Morality, reason, and value reside within me. This voids all shared public spaces and events of any value in themselves. 288

Wenn unsere zivilgesellschaftliche Partizipation wichtig ist, um unsere innere Leere (lack) zu kompensieren – und diese Tatsache stellt auch Loy nicht in Frage –, dann wird die politikwissenschaftliche Herausforderung einer theoretischen Konzeption und praktischen Organisation der Zivilgesellschaft auch zu einer vordringlichen Aufgabe eines sozial-engagierten Buddhismus. Wie formt man eine Zivilgesellschaft aus einer Ansammlung unabhängiger und selbstzentrierter Individuen? Welche gesellschaftlichen Kräfte und Institutionen stehen uns heute noch zur Verfügung, um unserer allgemeinen Tendenz zu widerstehen, alles zu einer Handelsware zu machen, inklusive unserer zwischenmenschlichen Beziehungen? Eine Zivilgesellschaft kann nur funktionieren, wenn sie von einem gemeinschaftlichen Ideal getragen wird; wenn das christliche Verständnis der Welt in der Gegenwart allerdings seine allgemeingültige Verbindlichkeit und unmittelbare Kraft zur Vergemeinschaftung in sich heterogener Gesellschaften eingebüßt hat, woran wenden wir uns dann? In Zeiten der Individualisierung, Pluralisierung und Säkularisierung werden religiöse Perspektiven zunehmend als kognitiv dissonant erfahren. Für Loy ist eine explizit religiöse Perspektive aber notwendig, um unsere innere Leere (lack) zu adressieren, die uns unbewusst motiviert. Wie gehen wir dann mit diesem Kernkonflikt des individuellen und kollektiven Selbst zukünftig um und inwiefern müssen die religiösen Ursprünge unserer heutigen Gesellschaft in verwandelter Weise wiederbelebt werden, um die Zivilgesellschaft zu erneuern? 289

288 289

Loy 2002a: 165 f. Cf. Loy 2002a: 166–170.

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10.2.1.6. Die Genese der subjektivistischen Innerlichkeitskultur des Westens Der extreme Individualismus der westlichen Moderne, der den Zusammenhalt der Zivilgesellschaft bedroht, ist für Loy das Ergebnis eines Rationalisierungsprozesses, in dessen gesellschaftlichen Verlauf sich eine allgemeine Mittel-Zweck-Verkehrung (»means-ends reversal« 290) vollzogen habe, die wiederum entscheidend zur Herausbildung einer subjektivistischen Kultur der Innerlichkeit beigetragen habe. Bei der Frage, welche unterschiedlichen Faktoren für diesen Kulturprozess ursächlich verantwortlich waren und welche Entwicklungsdynamik dazu geführt hat, dass unsere ursprünglichen Mittel zu unseren heutigen Zwecken geworden sind, rezipiert Loy primär Webers Analyse der gesellschaftsgeschichtlichen Tendenzen zur Ausprägung formaler Rationalität. 291 Weber hatte in dem postum von seiner Frau publizierten Werk Wirtschaft und Gesellschaft (1921/ 22) die Begriffe einer formalen und materialen Rationalität als soziologische Grundkategorien des Wirtschaftens eingeführt und beide voneinander unterschieden. 292 Formal rational ist für Weber dabei ein Wirtschaften je nach dem Maß, in welchem »die jeder rationalen Wirtschaft wesentliche ›Vorsorge‹ sich in zahlenmäßigen, ›rechenhaften‹, Ueberlegungen ausdrücken kann und ausdrückt« 293. Formale Rationalität ist für Weber vor allem durch diese »Rechenhaftigkeit« 294 charakterisiert. Wenn die Verwendungszwecke allerdings an bestimmten Wertmaßstäben ausgerichtet werden und an die Ergebnisse »ethische, politische, utilitaristische, hedonische, ständische, egalitäre oder irgendwelche andern Forderungen« 295 gestellt werden, spricht Weber von materialer Rationalität. 296 Beide RationalitätsforLoy 2002a: 172. Cf. Loy 2002a: 173. Franz-Xaver Kaufmann fasst Webers Entwicklungsanalyse folgendermaßen zusammen: »Rationalisierung ist somit bei Weber ein vielschichtiger, gerichteter Prozess zunehmender Intellektualisierung der Weltwahrnehmung und wachsender zweckgerichteter Weltbeherrschung, ein zivilisatorischen Prozess von langer Dauer und umfassender Art, der nirgends zu solch expliziter Form herangereift ist wie im europäisch-nordamerikanischen Okzident.« Kaufmann 2005: 98. 292 Im Folgenden beziehe ich mich auf Loy 2002a: 173–182. 293 Weber 2002: 45. 294 Weber 2002: 45. 295 Weber 2002: 45. 296 Cf. Loy 2002a: 174. Loy verweist in diesem Zusammenhang auf die Aussage Rogers Brubaker: »Formal rationality is a matter of fact, substantive rationality a matter of value. Formal rationality refers primarily to the calculability of means and pro290 291

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men fallen für Weber nun »unvermeidlich weitgehend auseinander« und diese »grundlegende und letztlich unentrinnbare Irrationalität der Wirtschaft« sei einer der Hauptquellen aller »›sozialen‹ Problematik« 297. Webers prominentestes Beispiel für den gesellschaftlich vermittelten Ordnungsprozess der Rationalisierung und die von Loy beschriebene Verkehrung von Mittel und Ziel ist der Kapitalismus, dessen Geist er in der Idee des Berufsmenschentums einerseits und in der Idee, Gewinn als Kapital zu reinvestieren, andererseits verortet. 298 Beide führt Weber auf die protestantische Ethik, speziell des Calvinismus, zurück, dessen Prädestinationslehre die Menschen dazu geführt habe, sich durch rastlose Berufsarbeit und »innerweltliche Askese« in der Welt zu bewähren und als erfolgreiche Berufsmenschen die Gewissheit der eigenen Erwähltheit zu erlangen. Die Reinvestition des Kapitals war ebenfalls ursächlich durch die asketische Moral des Protestantismus motiviert, die Weber zufolge jede »Luxuskonsumtion« 299 untersagte. Das entfesselte Erwerbsstreben des Berufsmenschen und der asketische Verzicht auf den Verbrauch von Wirtschaftsgütern erzeugten den Geist des Kapitalismus, dessen Genese Weber in seiner berühmten Protestantismus-These zusammenfasste: Konstitutiver Bestandteil des modernen Kapitalismus sei demnach »die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee«, die »aus dem Geist der christlichen Askese« 300 geboren sei. Das summum bonum des Kapitalismus konstituiert für Weber demnach der Gelderwerb als Selbstzweck, sodass der Mensch »auf das Erwerben als Zweck seines Lebens, nicht mehr das Erwerben auf den Menschen als Mittel zum Zweck der Befriedigung seiner materiellen Lebensbedürfnisse« 301 bezogen sei. Diese »schlechthin sinnlose Umkehrung« des »»natürlichen« Sachverhalts« 302 ist es, was Loy nicht nur als Leitmotiv des Kapitalismus, sondern als allgemeine Erscheinung der westlichen Kultur der Moderne betrachtet. 303 cedures, substantive rationality primarily to the value (from some explicitly defined standpoint) of ends or results.« Brubaker 1984: 36. 297 Weber 2002: 60. 298 Cf. Loy 2002a: 176 ff. 299 Weber 1988a: 190. 300 Weber 1988a: 190 301 Weber 1988a: 36. 302 Weber 1988a: 36. 303 Cf. Loy 2002a: 176 ff.

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Ein weiteres paradigmatisches Beispiel für diese allgemeine Verkehrung von Mittel und Zweck ist für Loy die moderne Technik in der Interpretation Heideggers. 304 Die neuzeitliche Technik ist Heidegger zufolge kein neutrales, von Menschen gefertigtes Mittel mehr, das der Mensch beschafft, um die von ihm gesetzten Zwecke zu verwirklichen, sondern von genuin metaphysischer Qualität. Die »instrumentale und anthropologische Bestimmung« 305 der modernen Technik sei zwar ansich richtig, offenbare aber noch nicht ihr wahres Wesen, das Heidegger als eine bestimmte Weise des Entbergens des Seins bestimmt. Diese Weise, wie alles anwest und die Unverborgenheit, in der sich die Wirklichkeit im Zeitalter der Technik zeigt, bezeichnet Heidegger wiederum als Bestand: »Überall ist es bestellt, auf der Stelle zur Stelle zu stehen, und zwar zu stehen, um selbst bestellbar zu sein für ein weiteres Bestellen. Das so Bestellte hat seinen eigenen Stand. Wir nennen ihn den Bestand.« 306 Demnach sei im »Weltalter der Technik« die Natur keine Grenze der Technik mehr, sondern vielmehr »das Grundbestandstück des technisches Bestandes – und nichts außerdem.« 307 Aber nicht nur die Natur ist aus Heideggers Sicht zu verfügbarem Rohmaterial – zum »Hauptspeicher des Energiebestandes« 308 – geworden, auf das als Bereitstehendes ständig zugegriffen werden kann und in der jeder »Gegenstand in das Gegenstandslose des Bestandes verschwindet« 309, sondern auch der deformierte Mensch des technischen Zeitalters findet sich reduziert darauf, »der Besteller des Bestandes« 310 zu sein und befindet sich im »Übergang zum technisierten Tier, das die bereits schwächer und gröber werdenden Instinkte durch das Riesenhafte der Technik zu ersetzen beginnt.« 311 Die große Gefahr sieht Heidegger darin, dass auf diese Weise nicht nur das Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zu allem, was ist, gefährdet wird, indem Mensch und Natur im technischen Weltbezug nur noch als manipulierbare Ressource unter dem Aspekt der Verwertbarkeit taxiert und als BeZum Folgenden: Loy 2002a: 172 f. Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 8. Cf. Heidegger 1997; Heidegger 2009. 306 Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 17. 307 Einblick in das was ist. Bremer Vorträge (1949). In: Heidegger 1994: 43. 308 Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 22. 309 Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 19. 310 Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 27 f. 311 Die Entscheidung. In: Heidegger 1989: 98. 304 305

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stand genommen werden, sondern damit zugleich auch jene Weise des Entbergens verborgen wird, »worin sich Unverborgenheit, d. h. Wahrheit ereignet.« 312 Für Loy ist dabei zentral, dass die moderne Technik einen Willen manifestiere, der kein Ziel mehr kenne und wolle und die Technik somit zum Selbstzweck geworden sei, die nur noch ihre eigene Ziellosigkeit zum Ziel habe: Technik discloses all beings as raw material to be exploited by the human subject; the subject also becomes raw material for exploitation, as we too become objectified by our own objectifications. […] we desire limitless convertible means that may be directed to any ends, even as– or all the more because–we no longer know what goals to seek, what values to value. In this way Bestand too loses ends, for Technik, being unable to provide an answer to our ultimate questions about what is valuable and meaningful, has itself become our answer. 313

Heideggers Analyse der modernen Technik sieht Loy in unmittelbarem Zusammenhang mit Webers These von der Entzauberung der Welt, mit der Weber die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung der Welt als einen Glauben daran gekennzeichnet hatte, dass es »prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe« und man vielmehr alle Dinge »durch Berechnen beherrschen 312 Die Frage nach der Technik (1953). In: Heidegger 2000a: 28. Obschon Loy eine Vielzahl seiner Ansichten dem Denken Heideggers verdankt und dessen Interpretation der Technik produktiv in seinem buddhistischen Verstehensansatz integriert, unterscheiden sich ihre Lösungsansätze doch diametral voneinander. Die wechselseitige Abhängigkeit und Verwiesenheit von Ost und West bei der Lösung globaler Probleme ist für Loy eine konstitutive Grundüberzeugung und für seinen Ansatz eines sozialengagierten Buddhismus von programmatischer Bedeutung: »Today, in our globalizing world, the traditional Western focus on social transformation encounters the traditional Buddhist focus on individual awakening. This essay addresses why they need each other in order to actualize their own ideals and uses the example of our present economic situation to explore some of the implications of this interdependence.« Loy 2014c: 40. Heidegger war hingegen davon überzeugt, dass die Probleme der technischen Welt im Hegelschen Sinne nur dort aufgehoben werden können, wo sie entstanden sind und dies nur aus einer traditionsimmanenten Denkanstrengung geschehen könne: »Meine Überzeugung ist, daß nur von demselben Weltort aus, an dem die moderne technische Welt entstanden ist, auch eine Umkehr sich vorbereiten kann, daß sie nicht durch Übernahme von Zen-Buddhismus oder anderen östlichen Welterfahrungen geschehen kann. Es bedarf zum Umdenken der Hilfe der europäischen Überlieferung und ihrer Neuaneignung. Denken wird nur durch Denken verwandelt, das dieselbe Herkunft und Bestimmung hat.« Heidegger 2000b: 679. 313 Loy 2002a: 172 f. Eine eingehende Analyse von Heideggers Technikverständnis unter Verlängerung auf den Buddhismus liegt vor in Meyer, E. 2013: 105–228.

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könne.« 314 Die Natur erscheint hier wie bei Heidegger gleichsam als ein kalkulierbarer Zusammenhang von Kräften und ein System von zu verarbeitenden Informationen, deren Beherrschung »technische Mittel und Berechnung« 315 leisten. Als Konsequenz dieses Entzauberungsprozesses der Welt seien »die sublimsten Werte« zurückgetreten aus der Öffentlichkeit und in »das hinterweltliche Reich mystischen Lebens oder in die Brüderlichkeit unmittelbarer Beziehungen der einzelnen zueinander« 316 transferiert worden. Es sei daher kein Zufall, dass »heute nur innerhalb der kleinsten Gemeinschaftskreise, von Mensch zu Mensch, im pianissimo, jenes Etwas pulsiert, das dem entspricht, was früher als prophetisches Pneuma in stürmischem Feuer durch die großen Gemeinden ging und sie zusammenschweißte.« 317 Diesen irreduziblen Antagonismus zwischen den »verschiedenen Sphären äußeren und inneren, religiösen und weltlichen, Güterbesitzes« 318 hatte Weber in der »Zwischenbetrachtung« seiner Wirtschaftsethik der Weltreligionen (1915–1919) als Ergebnis eines Rationalisierungs- und Sublimierungsprozesses der Beziehungen des Menschen zu den einzelnen Sphären erklärt. Demnach sei die kapitalistische Wirtschaft im Prozess fortschreitender Rationalisierung und in Folge ihrer immanenten Eigengesetzlichkeiten für jede denkbare Beziehung zu einer religiösen Brüderlichkeitsethik immer unzugänglicher geworden, weil sie mit zunehmender Rationalität zugleich auch unpersönlicher wurde. 319 Der ungelöste Konflikt zwischen der formalen Rationalität der modernen sozio-ökonomischen und politischen Sphäre und der an Werten orientierten materialen Rationalität der inneren Sphäre ist für Loy angesichts der sozialen Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise oder der Occupy-Wall-Street-Protestbewegung auch heute noch allgegenwärtig. 320 So sei der Glaube an die Wirtschaft als ein selbstorganisiertes System und die rein formale Rationalität nicht-regulierter Märkte, die Adam Smith (1723– 1790) mit der ausdrucksstarken Metapher der »unsichtbaren Hand« illustrierte, ein ideales Beispiel dafür, wie materiale durch formal-instrumentale Rationalität ersetzt wurde und zugleich ein folgenschwe314 315 316 317 318 319 320

Weber 1994: 9. Weber 1994: 9. Weber 1994: 22. Weber 1994: 23. Weber 1988b: 541. Cf. Weber 1988b: 544. Cf. Loy 2012.

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rer Irrglaube, da die Wirtschaft eine irreduzibel moralische Dimension besitze und die These der Selbstheilungskräfte der globalen Märkte oft nur der Abschiebung der eigenen Verantwortlichkeit diene: Economics is a moral science because the problem of who gets what is inevitably a moral issue, yet economists and their clients strive to quantify economic processes into mathematical formulae that can be calculated and manipulated as if they were as impersonally valid as Euclidean geometry. […] the never-ending controversy this belief generates demonstrates Weber’s point about the irresolvable antagonism between such rationality and the more substantive rationality for which such a belief is deeply irrational. 321

Mit dem Kulturprozess der Rationalisierung und der korrespondierenden Fragmentierung der menschlichen Lebenswelt in innere und äußere Sphären ging in einer auf das Rationale begrenzten Welterfahrung allerdings auch ein allgemeiner Sinnverlust einher, denn »die empirische und vollends die mathematisch orientierte Weltbetrachtung« entwickelte Weber zufolge »prinzipiell die Ablehnung jeder Betrachtungsweise, welche überhaupt nach einem »Sinn« des innerweltlichen Geschehens« 322 fragte. Dem zunehmenden Druck dieses theoretischen und praktischen Rationalismus habe der Mensch aufgrund des Verlustes eines allgemein gesellschaftlich geteilten Jenseitsglaubens eine hypertroph-subjektivistische Kultur der Innerlichkeit und die außeralltäglichen Sphären der Ästhetik und Erotik entgegengesetzt. Beide Sphären seien von Grund aus arational oder antirational und hätten die Funktion einer »innerweltlichen Erlösung vom Rationalen« 323 übernommen. Bei den von Weber beschriebenen Versuchen der Wiederverzauberung der Welt (Brüderlichkeitsethik, Ästhetik, Erotik) handelt es sich für Loy um eine dialektische Reaktion auf die Rationalisierung der objektiven Welt und eine zukunftsorientierte Kultur, die kein Ziel mehr habe und somit keine Kompensation der inneren Leere (lack) mehr biete. Der Rückzug in die Innerlichkeit sei aber nur eine trügerische Lösung und verschärfe das eigentliche Problem nur: »Rather than providing an innerworldly salvation, however, each seems to aggravate the problem it flees. An absolute ethic of brotherliness can maintain its purity only by becoming irresponsible (in the literal sense: unable to respond) and 321 322 323

Loy 2002a: 175 f. Weber 1988b: 564. Weber 1988b: 560.

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therefore more alienated from increasingly rationalized social forces. By developing an acute sensitivity to art, music, literature etc., we may have acceded to the de-aestheticization–part of the disenchantment–of everyday life. And by becoming preoccupied with the erotic as the ›most kernel of life,‹ we seem to have become desensitized to the routinization of the ›less real.‹ If so, what we have pursued as the solutions to our lack are actually parts of the problem. In this way modern culture has ended up deeply divided against itself, with the impersonal objectivist tendency toward rationalization at war with subjectivist value spheres that develop in hostility to it–yet each dialectically reinforcing the other. The deceptive possibility of a private escape encourages us to yield to the degradation of the public realm, which in turn encourages us the hypertrophy of subjectivist culture. […] any salvation from modern Zweckrationalitat [sic!] that involves a subjectivist withdrawal from it, thus granting instrumental rationality free reign within the objectified world, will only increase the anxiety and instability–the sense of lack–of such a groundless senseof-self.« 324 10.2.1.7. Der kapitalistische Konsumerismus als globale Religion der Gegenwart Die Psychodynamik der westlichen Geistesgeschichte hat Loys Rekonstruktion zufolge eine ökonomische, ökologische, sozio-kulturelle, politisch-rechtliche und technologische Gegenwart hervorgebracht, in der die wahre Bestimmung der conditio humana mehr denn je verdunkelt ist. Das Bedürfnis unseres individuellen (ego) und kollektiven Selbst (wego), seine eigene Grund-losigkeit zu transzendieren, setze sich ungehindert und unvermindert fort und habe sich dabei im Fortgang der Geschichte in radikal diesseitige Kompensationsprojekte verstrickt, die aufgrund ihrer unverstandenen, spirituellen Beweggründe notwendig zum Scheitern verurteilt seien. Infolge der gegenwärtigen Grundstruktur der kollektiven Psyche ist Loy davon überzeugt, dass die innere Leere (lack) auch weiterhin den Verlauf der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte prägen wird. So setze sich unsere obsessiv-kompulsive Suche nach absoluter Freiheit für ein Selbst ungehindert fort und iteriere damit die Dialektik von Lebens- und Todesangst zwischen deren beiden Abwehrmecha324

Loy 2002a: 180 f.

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nismen das Ego und Wego und damit zugleich auch die Gesellschaften westlicher Industrienationen zukünftig oszillieren würden. Aufgrund unserer subjektivistischen Kultur der Innerlichkeit seien wir zudem mehr denn je der Gefahr ausgesetzt, der intensivierten Lebensangst durch die Aufgabe unserer Freiheit zu erliegen, populistische und totalitaristische Lösungsangebote zu favorisieren, autokratische Herrschaftsformen begünstigenden rechten oder linken Ideologien anheimzufallen, faschistisch-nazistische Diktaturen oder staatssozialistisch-kommunistische Regimes einzusetzen und den Nationalstaat somit wieder zum primären Religionsersatz zu machen. Ein vermehrtes Interesse an Okkultismus und Astrologie, das Loy im Kontext der griechischen Gesellschaft des 2. Jahrhunderts v. Chr. als Antwort des Individuums auf seine ideale und reale Freiheit und die beängstigende Last der täglichen Eigenverantwortlichkeit interpretiert, ist für die europäische Gegenwart zwar nicht zu verzeichnen, aber die dionysische Verlockung, der Last der inneren Leere (lack) durch zeitweilige Selbsttranszendenz im Rausch zu entkommen, hat sich unterdessen zu einem globalen Problem ausgewachsen. 325 Waren es im Jahre 1999 noch 141 Millionen Menschen, die weltweit illegale Drogen konsumierten, so waren es nach dem World Drug Report der Vereinten Nationen im Jahre 2016 bereits 250 Millionen. Selbst wenn man das Bevölkerungswachstum von 6 Milliarden (1999) auf rund 7,39 Milliarden Menschen (2015/16) mit in Rechnung stellt, wird deutlich, dass die Zahl der Konsumenten illegaler Drogen weltweit kontinuierlich steigt. Drogen, so Loy unter Berufung auf den belgischen Kritiker Luc Sante, die Menschen aus nicht-medizinischen Gründen einnehmen, dienen nicht primär dem Betäuben von Schmerzen, der Steigerung unseres Vergnügens oder der Erzeugung außergewöhnlicher Wahrnehmungserlebnisse: »They are a weapon against the void.« 326 Auch die Zivilgesellschaft, die Loy als Zusammenschluss radikal autonomer und antagonistischer Individuen beschreibt, reduziert sich für ihn nur noch auf eine anonyme und in sich heterogene Masse, die kein gemeinschaftliches Gottesbild oder Ideal mehr eint und deren 325 Detlef Pollack hat anhand empirischer Studien nachgewiesen, »dass dort, wo der Kirchgang oder der Glaube an Gott zurückgehen, Okkultismus oder Astrologie nicht an Bedeutung gewinnen, sondern von diesem Bedeutungsverlust partiell auch betroffen sind.« Pollack 2007: 96. 326 Luc Sante in The New York Review of Books, 16 July 1992. Zitiert nach: Loy 1992b: 151.

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Gemeinschaftsgefühl durch Prozesse der Pluralisierung, Rationalisierung und Individualisierung zunehmend unterminiert und zersetzt wurde. Das mechanistische Naturverständnis, die modernen Wissenschaften und die Technik hätten die Welt darüber hinaus ihres spirituellen Wertes beraubt und zur toten Weltmaschine (machina mundi) degradiert, deren transzendenter Ingenieur im Prozess immer radikalerer Rationalisierungs- und Entzauberungsprozesse ebenfalls für tot erklärt worden sei. 327 Aber auch der forcierte Rückzug in die außeralltäglichen Sphären der Ästhetik und Erotik könne keine Wiederverzauberung der Welt ermöglichen, sondern unsere Entfremdung von der Natur und Zivilgemeinschaft nur weiter verschärfen. Stattdessen stünden uns mit der globalen Wirtschaft, dem militärisch-industriellen Komplex und den Massenmedien bereits institutionalisierte Formen von Gier, Hass und Verblendung gegenüber, denen wir als Individuen allein nicht mehr angemessen begegnen könnten und die von unserem säkularen, quasi-chiliastischen Fortschrittsglauben an eine 327 Peter L. Berger hat in seinem Buch The Heretical Imperative: Contemporary Possibilities of Religious Affirmation (1979) drei idealtypischen Optionen für das religiöse Denken beschrieben, mit denen das Individuum auf den Plausibilitätsverlust der Religion im Zuge der Moderne und den damit einhergehenden Prozessen der Säkularisierung, Individualisierung und Pluralisierung reagieren kann: Erstens, die deduktive Optionsmöglichkeit, die darin besteht, die traditionelle Autorität der Religionstradition entgegen aller Relativierungen und Anfechtungen gewaltsam zu restituieren, die moderne Perspektive zugunsten eines Fundamentalismus zu verwerfen und zur Unantastbarkeit alter Dogmen zurückzukehren; zweitens, die reduktive Optionsmöglichkeit, die darin besteht, die Autorität der Tradition durch die Autorität des modernen Denkens restlos zu ersetzen und die Religionstradition im Sinne der modernen Säkularität umzudeuten und drittens, die induktive Optionsmöglichkeit, die in der Annahme der modernen Perspektive und ihrer wissenschaftlichen Methoden besteht und versucht der Religion in der Moderne zu neuer Plausibilität zu verhelfen, indem Umdeutungen vorgenommen werden, wie beispielsweise eine Interpretation der Auferstehung Christi von einer körperlichen zu einer rein geistigen. Cf. Berger 1992: 46– 79. Loy optiert in allen seinen Werken klar für den induktiven Weg und versucht zu analysieren, was buddhistische Lehren wie die reinkarnatorische Karma-Lehre für den Menschen der Gegenwart noch bedeuten können: »I do not mean to imply that these concepts should now be rejected outright as untenable, but they certainly need to be reevaluated.« Loy 2003a: 7. Die reduktive Optionsmöglichkeit führt für Loy geradewegs in den postmodernen Nihilismus oder in verdrängter Form in unzählige individuelle und kollektive Realisierungsprojekte. Die deduktive Optionsmöglichkeit ist für Loy hingegen notwendig zum Scheitern verurteilt: »[N]eotraditionalism is a defensive response that, however reassuring in the short term, must eventually fail. There is no escaping the corrosive effects of the (post)modern world on premodern worldviews.« Loy 2003a: 15.

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Zukunft ohne innere Leere (lack) weiter am Leben erhalten würden. Aber auch der Glaube, den wir als zukunftsbesessene »growth-junkies« 328 teilen, dass unsere innere Leere (lack) durch unaufhörlichen technischen und ökonomischen Fortschritt aufgehoben werden kann, sei angesichts der globalen Bedrohung durch nukleare Katastrophen, einer superexponentiellen Bevölkerungsentwicklung und dem sozialen und ökologischen Verfall der Gesellschaften zunehmend in die Krise geraten. An die Stelle der Religionen sei der globale Kapitalismus als die wesenhaft religiöse Erscheinung der diesseitigen Moderne getreten, der als eine Form der Erlösungsreligion begonnen habe und deren psychologische Struktur bis heute perpetuiere. Legt man aus heuristischen Gründen ein rein funktionalistisches Verständnis an und interpretiert Religion als dasjenige, was den Menschen in der Lebenswelt verankert, indem es ihn lehrt, was die Welt ist und welche Rolle der Mensch darin spielt, dann wird es Loy zufolge unmittelbar evident, dass die traditionellen Religionen dieser Anforderung immer weniger gerecht geworden seien und daher von anderen Glaubens- und Wertesystemen abgelöst wurden. Gegenwärtig sei die Naturwissenschaft das dominante Welterklärungsmodell und der kapitalistische Konsumerismus das bestimmende Wertesystem der westlichen Moderne. Das ökonomische System westlicher Industriegesellschaften müsse daher als eine Form der Religion verstanden werden, da es mittlerweile alle religiösen Funktionen für uns übernommen habe: The discipline of economics is less a science than the theology of this new religion, and its god, the Market, has become a vicious circle of ever-increasing production and consumption by pretending to offer a secular salvation. The eclipse of Communism makes it more apparent that the market is the first truly world religion, binding all corners of

328 Loy 2002a: 60. Bereits der jüdische Philosoph Walter Benjamin (1892–1940) hatte in seinem als Kapitalismus als Religion betitelten Fragment aus dem Jahre 1921 die Banknoten der Staaten mit den Heiligenbildern der Religionen verglichen und eine einsichtige Analyse der religiösen Struktur des Kapitalismus vorgelegt, der »essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen« diene, »auf die ehemals die so genannten Religionen Antwort gaben.« Benjamin 1991: 100. Benjamin baute bei seiner Analyse vor allem auf den Erkenntnissen von Karl Marx (1818–1883) und Georg Simmel (1858–1918) auf, um über Weber hinweg die These zu vertreten, dass das Christentum zur Reformationszeit nicht nur das Aufkommen des Kapitalismus begünstigt, sondern sich de facto in den Kapitalismus umgewandelt habe. Cf. Benjamin 1991: 102.

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the globe into a worldview and set of values whose religious role we overlook only because we insist on seeing them as secular. 329

Loy beschreibt das psychologische Auswachsen der Mittel zu Zwecken als ein wesentliches Kennzeichen der westlichen Moderne und den kapitalistischen Umschlag des Geldes von einem Mittel in einen Endzweck neben der Technik als das extremste Beispiel für diese Entwicklung. In seinem Aufsatz zur Psychologie des Geldes (1889) hatte Georg Simmel (1858–1918) bereits das gängige Sprichwort bekräftigt, dass »das Geld der Gott unserer Zeit« 330 sei und diese Ansicht in seiner Philosophie des Geldes (1900) eingehend analysiert. 331 Es seien in der Tat bedeutsame psychologische Beziehungen zwischen dem Geld als dem absoluten Mittel und »Einheitspunkt unzähliger Zweckreihen« 332 und der Gottesvorstellung aufzufinden. Der Gottesgedanke habe sein tieferes Wesen darin, dass alle Mannigfaltigkeiten der Welt in ihm zur Einheit gelangten. Aus der cusanischen Idee der coincidentia oppositorum, dass alle Gegensätze der Welt in Gott ihren Ausgleich erfahren, stamme der Frieden und die Sicherheit, die wir in der Vorstellung Gottes finden. Die psychologische Ähnlichkeit der Vorstellung Gottes mit der des Geldes sei daher offenkundig. Das tertium comparationis sei das Gefühl von Ruhe und Sicherheit, das der Besitz von Geld im Gegensatz zu allem sonstigen Besitz gewähre und das psychologisch demjenigen entspreche, welches der Fromme in seinem Gott finde. In beiden Fällen sei es die Erhebung über das Einzelne, die wir gleichermaßen in Gott und im Geld fänden und das Zutrauen in ihre jeweilige Allmacht als höchstes Prinzip. Gerade wie Gott in der Form des Glaubens, so sei das Geld in der Form des Konkreten die höchste Abstraktion, zu der die praktische Vernunft aufgestiegen sei: Indem das Geld immer mehr zum absolut zureichenden Ausdruck und Äquivalent aller Werte wird, erhebt es sich in abstrakter Höhe über die ganze weite Mannigfaltigkeit der Objekte, es wird zu dem Zentrum, in dem die entgegengesetztesten, fremdesten, fernsten Dinge ihr Gemeinsames finden und sich berühren; damit gewährt thatsächlich auch

329 Loy 2002a: 197. Die folgende Darstellung folgt Loy 1991; Loy 1996a: 143–148; Loy 1997c; Loy/Watts 1998; Loy 2001; Loy 2002a: 182–189; Loy 2003b; Loy 2007a; Loy 2008: 25–30; Loy 2009c; Loy 2011b. 330 Simmel 1889: 1264. 331 Cf. Simmel 1900: 212. Cf. Loy 2002a: 182–189. 332 Simmel 1900: 223.

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

das Geld jene Erhebung über das Einzelne, jenes Zutrauen in seine Allmacht wie in die eines höchsten Prinzips, uns dieses Einzelne und Niedrigere in jedem Augenblick gewähren, sich gleichsam wieder in dieses umsetzen zu können. 333

Otto Rank hatte erklärt, dass der heutige Mensch in besonderem Maße neurotisch sei, weil er genau wie der prämoderne Mensch an einem Bewusstsein der Sünde leide, ohne dabei an das religiöse Konzept der Sünde zu glauben und somit ohne die Möglichkeit einer Sühne bleibe. 334 Diese individuelle Schuld werde durch Teilung gemildert, weshalb Norman O. Brown den Eintritt des Menschen in die gesellschaftliche Organisation insgesamt als den Versuch deutete, diese unbewusste Schuld kollektiv zu sühnen. Freuds Lehre von der Wiederkehr des Verdrängten in der verzerrten Form eines Symptoms ermöglichte es Brown zudem, die menschliche Gesellschaft als Struktur der geteilten Schuld zu verstehen, die ein symbolisches und gemeinsames Schuldbekenntnis für ihn bildete. 335 Für Loy, der in seiner sozialpsychologischen Gesellschaftsanalyse eng an die Arbeiten von Rank und Brown anschließt, bildet die Gesellschaft hingegen eine Struktur der kollektiven Daseinsschuld und der geteilten inneren Leere (lack). 336 Die älteste Methode des archaischen Menschen, diese Schuldenlast abzubauen, sah Brown im Schenken. Entsprechend sei das psychologische Motiv des Wirtschaftslebens kein utilitaristischer Egoismus, sondern Selbstopfer. Hierin lag für Brown auch der Zusammenhang zwischen profaner und sakraler Ordnung, denn so, wie es die Funktion der Götter gewesen sei, Opfer zu empfangen und damit den Menschen von seiner Schuld zu dispensieren, so übernehme der Mitmensch Schuld, wenn man ihm ein Opfer (Geschenk) darbringe. Der Handel und die gesamte Wirtschaft mussten Brown zufolge von diesem kollektiven Schuldgefühl hergeleitet werden, das durch die Wiederkehr des Verdrängten ins Bewusstsein zudem untrennbar mit Symbolen und insbesondere mit Geld als dem schlechthinnigen Wertsymbol verbunden sei. Geld sei menschliche Schuld, deren Schlacke hinweggeläutert wurde, bis es zu einem reinen KrisSimmel 1900: 223. Cf. Simmel 1889: 1264; Loy 2002a: 185. Cf. Rank 1958: 193; Loy 2002a: 39. 335 »Social organization is a symbolic mutual confession of guilt.« Brown, N. 1985: 269. Cf. Loy 2002a: 82. 336 Cf. Loy 2002a: 83. 333 334

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tall der Selbstbestrafung geworden sei (»a pure crystal of self-punishment« 337). Da die Urverdrängung bestehenbleibe, dauere auch die Neurose an. Die moderne Wirtschaft sei durch eine Verschlimmerung der Neurose gekennzeichnet, woraus sich für Brown gleichzeitig eine vollkommenere Darstellung der Natur der Neurose und eine vollere Wiederkehr des Verdrängten ins Bewusstsein ergaben. Wie Rank und Brown ist auch Loy davon überzeugt, dass gegenüber dem archaischen Bewusstsein, das zugleich mit dem Gefühl des Verschuldetseins noch die potentielle Möglichkeit der Buße kannte, weil es in ein religiöses Symbolsystem eingebunden war, dem modernen Bewusstsein diese Möglichkeit einer Sühne hingegen fehlt. 338 Das Ergebnis sei eine unbewusst als Erlösungsreligion betriebene Wirtschaft, die durch das reine Schuldgefühl und ungemildert durch irgendeine Erlösungshoffnung angetrieben werde und dabei Natur und Gesellschaft der Tyrannei ihrer reinen Marktlogik unterwerfe. Als religiöser Mythos der Gegenwart sei der Kapitalismus allerdings vollkommen defektiv, da wir uns auf diese Weise niemals unserer existentiellen und äußersten Anliegen entledigen könnten und der Kapitalismus als kompulsiver Konsumerismus keine Entsühnung gewähre und somit niemals von unserer ontologischen Daseinsschuld und inneren Leere (lack) befreien könne: Our new sanctum sanctorum, the true temple of modern man is the stock market, and our rite of worship communing with the Dow Jones average. In return we receive the kiss of profits and the promise of more to come, yet there is no real atonement in this. Of course, insofar as we have lost belief in sin we no longer see anything to atone for, which means we end up unconsciously atoning in the only way we know, working hard to acquire all those things that society tells us are important because they will make us happy; and then not understanding why they do not make us happy, why they do not resolve our sense that something is lacking. The reason must be that we don’t yet have enough … 339 Brown, N. 1985: 266. Cf. Brown, N. 1985: 271; Rank 1958: 193; Loy 2002a: 82. 339 Loy 2002a: 83. Auch Brown konstatiert, dass eine Psychoanalyse des Geldes von der Hypothese ausgehen müsse, dass der Geldkomplex die Struktur der Religion, bzw. als Verneinung der Religion, die Struktur des Dämonischen teilt. Die psychoanalytische Geldtheorie gehe mit Shakespeare daher von der Voraussetzung aus, dass Geld der »sichtbare Gott« oder nach Luther »der Gott dieser Welt« sei: »The money complex is the demonic, and the demonic is God’s ape; the money complex is therefore the heir to and substitute for the religious complex, an attempt to find God in things.« 337 338

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

Den vorläufigen Höhepunkt hat dieser Prozess für Loy in der zeitgenössischen Erscheinungsform eines weltweit entfesselten Kapitalismus gefunden, dessen forcierte Privatisierung öffentlicher Güter, Liberalisierung der Weltwirtschaft und Deregulierung der globalen Finanzmärkte er als primäre Quelle der hemmungslosen Ausbeutung und Enteignung der Arbeiterklasse, der sukzessiven Vernichtung von Arbeitsplätzen und der Prekarisierung der globalisierten Arbeitswelt, der skrupellosen Zerstörung der Natur, der intensivierten Ungleichheit und Ungerechtigkeit im Dienste des Profits sowie der rücksichtslosen Bereicherung Einzelner oder privilegierter Oberschichten sieht. 340 Der weltumspannende Konzernkapitalismus habe dabei gelernt, wie man souveräne Staaten und Gesellschaften gegeneinander ausspiele, um die profitabelsten Produktionsbedingungen, i. e. die größten Steuererleichterungen und Subventionen, die geringsten Umweltschutzbestimmungen und Menschenrechte, die liberalsten Rechtsbedingungen usw. zu generieren. 341 Eine radikale Entterritorialisierung habe transnationale Großkonzerne mittlerweile freier als Nationalstaaten gemacht, die sich zumindest noch in einer politischen Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung sähen. Ohne legitimatorische Basis kenne der prinzipiell asoziale Konzernkapitalismus hingegen nur die Verantwortung gegenüber den anonymen Aktionären und eigenen Interessen, deren primäres Ziel Wachstum und die endlose Steigerung des Profites sei. 342 Die Wünsche und Erwartungen jener Millionen Investoren würden dabei in einen unpersönlichen und steten Druck in Richtung Wachstum und gesteigerte Rentabilität umgewandelt, auf den alle Unternehmensleiter reagieBrown, N. 1985: 240. Für Benjamin war der Kapitalismus daher nicht entsühnend, sondern verschuldend. Dieses ungeheure Schuldbewusstsein, das Rank, Brown und Loy beschreiben und das sich nicht zu entsühnen weiß, greift Benjamin zufolge zum Kultus des Kapitalismus, »um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen, dem Bewußtsein sie einzuhämmern und endlich und vor allem den Gott selbst in diese Schuld einzubegreifen›,‹ um endlich ihn selbst an der Entsühnung zu interessieren.« Das »Aushalten bis ans Ende, bis an die endliche völlige Verschuldung Gottes, den erreichten Weltzustand der Verzweiflung auf die gerade noch gehofft« werde, läge im Wesen dieser religiösen Bewegung des Kapitalismus: »Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, daß Religion nicht mehr Reform des Seins sondern dessen Zertrümmerung ist.« Benjamin 1991: 100 f. 340 Siehe hier und zum Folgenden Loy 2002a: 87, 197 f.; Loy 2003a: 66 f., 90–101; Loy 2008: 89 f.; Loy 2009a: 29, 173 f.; Loy 2015a: 121 f., 125. 341 Cf. Loy 2003a: 97. 342 Cf. Loy 2003a: 95.

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ren müssten mit der Konsequenz, dass derjenige, der sich ökologischen Herausforderungen verpflichtet fühle und mit ensprechenden Maßnahmen die Unternehmensgewinne zu schmälern drohe, seinen Job verliere. 343 Dieser Mechanismus führe zwar in der Regel dazu, dass ein höherer Umsatz als das Bruttosozialprodukt vieler Länder realisiert, aber zugleich immer weiter die Kosten durch billigere Arbeitskräfte, Einsparungen im Umweltbereich, die Reduzierung von Sozialabgaben und Steuern gesenkt und somit insgesamt der Sozialabbau forciert würde. Transnationale Unternehmen, die geographisch nicht mehr konkret verortet werden können, seien im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wachstum des weltweiten Wettbewerbs zu sich selbst rechtfertigenden und sich selbst ermächtigenden Prozessen entartet. Diese Verselbstständigung der Konzerne als Trägern der ökonomischen Globalisierung und deren repressiver Gewalt gegen die Gesellschaft beschreibt Loy als technologisches Paradox: »We create complex systems to make our lives more comfortable, only to find ourselves trapped within the inexorable logic of their own development. The monster in Mary Wollstonecraft Shelley’s Frankenstein expresses it more brutally: ›You are my creator, but I am your master.‹« 344 Die industriell-kapitalistische Wirtschaftsordnung bleibe in ihrem Kern allerdings eine kollektive Objektivation unseres Wunsches nach einer ökonomischen Lösung unseres Problems innerer Leere (lack) und nicht nach einem höheren Lebensstandard. Da es aber keine ökonomische Lösung für dieses genuin spirituelle Verlangen gebe, sei der Profit zum Selbstzweck geworden, sodass das schrankenlose Streben nach immer größeren Renditen eine dämonische Form annehmen konnte: Just as I can never be wealthy enough to feel real, so the economy can never be big enough, corporations can never be profitable enough, and consumers can never consume enough. All of this manifests a demonic preoccupation with growth as an end in itself. The tomorrow-thatnever-actually-comes gives us hope of resolving the lack that gnaws on us today; the reality is that our future orientation has become a way of evading the present we are less and less able to cope with. 345

343 344 345

Cf. Loy 2015a: 122. Loy 2002a: 201. Loy 2002a: 111.

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Diese Herausforderung des religiösen Kapitalismus ist für Loy von den Religionen und ihren Institutionen bislang nicht in gebührender Weise gewürdigt worden. Stattdessen seien die Theologien immer noch mit ethisch und sozial irrelevanten, scholastischen Spitzfindigkeiten beschäftigt und die Kirchen Repräsentanten unzeitgemäßer Ansichten (Pronatalismus, Zölibat, Sexualmoral etc.) und antiquierter Strukturen (Hierarchie). Daher seien die Religionen und ihre Institutionen auch nicht dazu in der Lage, ihre Verantwortung wahrzunehmen und das zu leisten, was Loy als ihre vordringlichste Aufgabe der Gegenwart und Zukunft sieht: »[T]hey have been unable to offer what is most needed, a meaningful challenge to the aggressive proselytizing of market capitalism, which has already become the most successful religion of all time, winning more converts more quickly than any previous belief system or value system in human history.« 346

10.2.2. Individuelle Selbstrealisierungsprojekte und profanierte Erlösungssurrogate Der klinische Psychologe, Psychotherapeut und ehemalige Direktor des California Institute of Integral Studies (CIIS) John Welwood hat die Einwirkungen der modernen Kultur dafür verantwortlich gemacht, dass viele Menschen Symptome von Bindungsunsicherheit wie Selbsthass, Körperferne, mangelnde Erdung, fortwährende Unsicherheit und Beklemmung, unkontrollierte Gedankenflut, Vertrauensdefizite sowie ein tief sitzendes Gefühl innerer Unzulänglichkeit zeigen. Die meisten Menschen würden an einem extremen Grad der Entfremdung und Unverbundenheit leiden, der früher ganz unbekannt gewesen sei, i. e. einer Entfremdung von der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Familie, den älteren Generationen, der Natur, der Religion, der Tradition, unserem Körper, unseren Gefühlen und selbst unserer Menschlichkeit. 347 Diese Formen moderner Entfremdung führt Loy auf die innere Leere (lack) als ihren tiefsten und innersten Ursachenzusammenhang zurück und interpretiert die Sehnsucht des Individuums (ego) nach Ruhm und seinen Wunsch nach Geld als kompensatorische Bewältigungsmechanismen und Versuche, 346 347

Loy 2002a: 198. Cf. Welwood 2011.

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durch Symbole real zu werden. Das Verlangen nach romantischer Liebe sei der Versuch, die innere Leere (lack) mit der geliebten Person zu füllen, während der Glaube an den technischen und ökonomischen Fortschritt die Hoffnung auf eine Zukunft manifestiere, in der jeder Mangel aufgehoben sein wird. Aber auch diese individuellen Kompensationsformen innerer Leere (lack), die uns heute so natürlich erscheinen, sind Loys Analyse zufolge historisch konditioniert und können auf Entwicklungen zurückgeführt werden, die mit der Frührenaissance (1420–1500 in Italien; 1520–1555 im deutschsprachigen Raum) ihren Anfang nahmen, als kollektive und religiöse Kompensationsmechanismen zunehmend an Überzeugungskraft verloren. Der Schweizer Kulturhistoriker Jacob C. Burckhardt (1818–1897), der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872–1945) und der französische Mediävist und Historiker Philippe Ariès (1914– 1984) haben in ihren Studien übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die Menschen sich gegen Ende des Mittelalters verstärkt mit dem Tod auseinandersetzten. Mit dem relativen Ende kollektiver und religiöser Kompensationsmechanismen musste dieses intensivierte Todesbewusstsein aber auf andere Weise bewältigt werden, um die psychische Gesundheit der Menschen weiterhin gewährleisten zu können. Die Renaissance dokumentiert Loy zufolge den Versuch der Todesangst mit der Verteidigungshaltung der Besonderheit (specialness) zu begegnen. 10.2.2.1. The Living Death of Being Unknown: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Ruhmes Der bewusste oder unbewusste Drang, unser defizitäres SelbstGefühl aufzulösen, äußerte sich Loy zufolge in der Renaissance vor allem im Streben nach Ruhm, der ein Seinsgefühl ohne innere Leere (lack) evozieren sollte. Burckhardt beschreibt in seinem Buch Die Kultur der Renaissance in Italien (1860), wie der RenaissanceMensch eine Ruhmbegier entwickelte, die dem Abendland in dieser Form zuvor unbekannt war. 348 Aber woher kommt unser Drang be348 Loy gibt ein Zitat an, das er als direktes Zitat aus Burckhardts Die Kultur der Renaissance in Italien (1860) kennzeichnet; dabei handelt es sich aber tatsächlich um ein Zitat aus Erich Fromms Die Furcht vor der Freiheit (1941), in dem Fromm eine Passage aus Burckhardts Buch paraphrasiert: »[F]rom the Renaissance up until our day men have been filled with a burning ambition for fame, while this striving which today seems so natural was little present in man of the medieval society.« Fromm

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

rühmt zu sein? Loy zufolge ist die Begierde nach Ruhm und Anerkennung durch die Nachwelt in den westlichen Säkulargesellschaften ein Substitut für den religiösen Glauben an ein Leben nach dem Tod. Der physische Tod ereile uns zwar alle, aber das im Ruhm erworbene symbolische Leben sei unvergänglich. 349 Bereits Alan Harrington (1918–1997) hatte in The Immortalist (1977) die These vertreten, dass der Drang nach Ruhm nur einem einzigen Zweck diene: »[T]o achieve an imitation of divinity before witnesses.« 350 Wenn berühmte Menschen in unseren Augen ein symbolisches Leben über ihren physischen Tod hinaus erworben haben, entsteht in den Menschen häufig der Wunsch, das Vorbild zu imitieren, um genau so real zu werden wie sie. Aber wenn Napoleon von Gaius Iulius Caesar (100–44 v. Chr.) inspiriert war und Caesar wiederum Alexander dem Großen nacheiferte, der wiederum seinerseits so sein wollte wie Achilles, dann gerät die Idee des Ruhmes für Loy in einen infiniten Regress, die über dem Ideal der Vergangenheit auf der Suche nach einer symbolische Realität in der Zukunft die Gegenwart verliert. Und welchen Sinn hat es, ein symbolisches Leben im Gedächtnis anderer zu führen, wenn deren einziger Zweck wiederum darin besteht, ihren eigenen Namen ihrerseits in die Geschichtsbücher einzuschreiben, usw. ad infinitum? So, wie der buddhistische Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitigerAbhängigkeit (pratītya-samutpāda) die Idee inhärenter Existenz (svabhāva) zersetzt, so hebt sich auch die Idee des Ruhmes aufgrund der von Harrington beschriebenen Bedingtheit desselben vom Zeugnis anderer selbst auf: »Yet we strive to become real through (in) the eyes of others who strive to become real through the eyes of others who will strive …« 351 In The Frenzy of Renown: Fame and Its History (1986) beschreibt Leo Braudy die Geschichte des Ruhmes von der Heiligenverehrung eines Franziskus von Assisi oder einer Jeanne d’Arc (ca. 1412– 1431) über die Verehrung berühmter Künstler der Renaissance, wie den Maler, Bildhauer, Architekten und Dichter Michelangelo Buona1941: 13. Cf. Burckhardt 2004: 172 ff. Darüber hinaus zitiert Loy sinnentstellend und falsch. Aus »this striving which today seems so natural was little present in man of the medieval society« wird bei Loy »this striving that seems so natural today was unknown to medieval man.« Loy 1996a: 136. Hervorhebung F. V. 349 Cf. Loy 2002a: 69. 350 Harrington, Alan. 1977. The Immortalist. Millbrae, California: Celestial Arts, 112. Zitiert nach: Loy 2002a: 67. 351 Loy 2002a: 67.

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rotti (1475–1564) oder den Universalgelehrten Leonardo da Vinci (1452–1519) und die Adoration bedeutender Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, wie Lord Byron (1788–1824), Charles J. H. Dickens (1812–1870) oder Victor-Marie Hugo (1802–1885), bis zu den Stars der Gegenwart. 352 Für Loy ist die Geschichte des Ruhmes, wie Braudy sie beschreibt, die Geschichte einer graduellen Abkehr vom Sakralen und Religiösen hin zum Profanen und Säkularen, an deren Ende der Selbstzweck des Ruhmes und die Profanierung der Erlösung stehe, die von Prominenten verkörpert werde, deren alleiniger Anspruch auf Ruhm nur noch darin bestehe, berühmt zu sein. 353 Bei dem manischen Versuch, dem lebendigen Tod der Anonymität (»the living death of being unknown« 354) zu entkommen, seien die Grenzen zwischen gut und böse immer mehr erodiert und letztendlich vollständig eingerissen worden. Ein erschütternder Beleg für diese These seien die Briefe, die der als BTK-Killer (Bind, Torture, Kill) bekannt gewordene US-amerikanische Serienmörder Dennis Lynn Rader der Polizei von Wichita übersandte. 1978 fragte er in einem seiner Briefe, wie viele Morde er noch begehen müsse, bis er einen Namen in den Zeitschriften lesen könne oder nationale Aufmerksamkeit erhalte. Wenn wir unseren Seinsmangel und unser Gefühl innerer Leere (lack) mit dem lebendigen Tod der Anonymität identifizieren, dann wird die Anerkennung durch die Medien und andere Menschen zum säkularen Erlösungssubstitut: In a culture so permeated by print and electronic images, where the media now determine what is real and what is not, being anonymous amounts to being no one at all. To be unknown is to feel like we are nothing, for our lack of being is constantly contrasted with all those real people whose images dominate the screen, and whose names keep appearing in the newspapers and magazines. 355 Since my sense-of-self is internalized through social conditioning–since others teach me that I am real–the natural tendency is to cope with my shadow sense of unreality by continually reassuring myself with the attention of other people. However, if my sense of reality is dependent on others’ perceptions of me, then, no matter

Cf. Loy 2002a: 68. Cf. Loy 2002a: 68. 354 Braudy, Leo. 1986. The Frenzy of Renown: Fame and its History. New York: Oxford University Press, 562. Zitiert nach: Loy 2002a: 69. 355 Loy 2008: 33. 352 353

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

how appreciative that attention may be, I am constrained by those perceptions. 356

Wenn es eigentlich nicht der Ruhm ist, den die Menschen suchen, dann kann kein Ruhm der Welt das Gefühl innerer Leere (lack) verwinden, was wiederum eine mögliche Erklärung dafür wäre, warum so viele prominente Menschen, die von Millionen verehrt und beneidet werden, an Depressionen leiden: »If what I have sought for so long does not make me real, what can? […]. When fame symbolizes my need to end my lack and become real, such a disappointment is inevitable: No amount of fame can satisfy me if there is really something else I seek from it.« 357 10.2.2.2. Der Midaskomplex: Zur buddhistischen Psychoanalyse des Geldes In den Aphorismen zur Lebensweisheit (1851) schreibt Schopenhauer, dass es natürlich und unvermeidlich sei, dass die Menschen ihre Wünsche hauptsächlich auf Geld richten, da Geld dasjenige sei, was »als unermüdlicher Proteus, jeden Augenblick bereit« sei, »sich in den jedesmaligen Gegenstand unsrer so wandelbaren Wünsche und mannigfaltigen Bedürfnisse zu verwandeln.« 358 Speisen seien bloß gut für den Hungernden, Wein nur für den Gesunden, Arzneimittel allein für den Kranken, ein Pelz für den Frierenden im Winter und Weiber für die triebhafte Jugend etc. Im Gegensatz zum Geld sei daher alles nur relativ gut; Geld allein sei das absolut Gute, weil »es nicht bloß einem Bedürfniß in concreto« begegne, sondern »dem Bedürfniß überhaupt, in abstracto« 359: »Money transforms into a ›pure‹ means that swallows all ends: ›abstract happiness‹ (as Schopenhauer put it)« 360. Für die pathologische Gier nach Geld entwickelte der deutsche Psychoanalytiker Ernst Bornemann (1915–1995) in Anlehnung an Freuds Ödipuskomplex das psychoanalytische Konzept des Midaskomplexes. Midas, der sagenumwobene König der Phrygier, steht als Gestalt innerhalb der griechischen Mythologie paradigmatisch für die 356 357 358 359 360

Cf. Loy 2002a: 69. Loy 2002a: 71 f. Aphorismen zur Lebensweisheit (1851). In: S IV: 344. Cf. Loy 2002a: 77. Aphorismen zur Lebensweisheit (1851). In: S IV: 344 f. Cf. Loy 2008: 26. Loy 2018: 33.

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maßlose Gier nach Gold. Ovid berichtet in seinen Metamorphosen, dass Silenos, der weise Lehrer und Erzieher des Dionysos, auf einer Reise mit dem Gott und dessen Schar Bacchinnen und Satyre in den Rosengärten des Midas betrunken zurückgeblieben war, wo er von lydischen Bauern entdeckt, mit Blumenketten in Fesseln gelegt und vor König Midas gebracht wurde. Midas erkannte Silenos sofort, befreite ihn, nahm ihn zehn Tage lang gastfreundlich auf und ließ sich von ihm belehren, um ihn anschließend am elften Tag zu Dionysos zurückzubringen. Der Gott stellt dem König daraufhin aus lauter Dankbarkeit einen Wunsch frei und Midas erbat sich, dass alles, was er berührte, zu Gold verwandelt werde. Nachdem sich aber auch seine Speisen und Getränke, sobald er sie berührte, in Gold verwandelt hatten, bereute er seine unüberlegte und lebensbedrohliche Wahl und flehte den Gott reumütig um die Rücknahme des goldbringenden Unheils an. Dionysos gewährte ihm auch diesen Wunsch und wies Midas an, sich in der Quelle des Flusses Paktalos zu waschen, wodurch die Eigenschaft von ihm auf den Fluss überging, der seither reich an Goldstaub sein soll. 361 Die Botschaft der Sage von König Midas ist für Loy in unserer vollkommen durchökonomisierten und monetarisierten Welt, in der wir beherrscht von betriebswirtschaftlicher Logik den Preis von allem, aber den Wert von nichts mehr kennen, aktueller als jemals zuvor. 362 Das soziale Konstrukt »Geld« 363, dessen imaginierter Wert unendlich und dessen eigentlicher Materialwert Null ist, erfülle in unserer heutigen Gesellschaft eine vierfache Funktion: Geld ist Loy zufolge (1) als Tauschmedium unabkömmlich und symbolisiert reinen Wert, da es, wie Schopenhauer schreibt, in jeden Gegenstand unserer mannigfachen Wünsche und Bedürfnisse verwandelt werden kann. Geld ist allerdings nicht nur Tauschmittel und Wertmaßstab, sondern (2) zugleich auch unser Wertspeicher, der als bloße Zahl auf unserem Konto im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen unser Cf. Stoll 1867: 276. Cf. Loy 2008: 26 f. 363 Im Anschluss an Brown und Simmel betont auch Loy den sakralen Ursprung des Geldes: »The English word derives from the first Roman mint, in 269 B.C., in the temple of Juno Moneta, whose coins carried her effigy. The first coins were minted and distributed by temples because they were medallions inscribed with the god’s image and embodying the god’s protective power. Containing such mana, they were naturally in demand, not because you could buy things with them but vice versa: since they were popular you could exchange them for other things. Loy 2002a: 78. 361 362

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Auf der Suche nach dem Sein: Die Verdrängung der inneren Leere (lack)

Reichtum in vergänglichen Gütern wie Kühen, vollen Getreidespeichern, Dienern, Kindern, usw. bemessen wurde, prinzipiell unvergänglich ist. Geld dient fernerhin (3) als Kapital, i. e. als Geld, das investiert wird, um noch mehr Geld zu akkumulieren. Die Dynamik der Profitsucht generiert dabei einen kontinuierlichen Wachstumszwang für die kapitalistische Produktionsweise und somit eine permanente Flucht in die Zukunft, denn jede getätigte Investition soll eine gewünschte Rendite erbringen, die nur aus Zuwächsen in der realen Ökonomie erwirtschaftet werden kann, während dabei gleichzeitig die natürlichen Ressourcen und fossilen Energieträger kontinuierlich knapper werden. Das Streben nach und Horten von Besitz sowie die tief im Bewusstsein der Menschen verankerte Geldverfallenheit, die diesen verhängnisvollen Prozess perpetuiert, lässt sich für Loy wiederum aus der Differenz zwischen dem ökonomischen und psychologischen Geldwert erklären: Geld ist (4) psychoanalytisch betrachtet ein Fetisch und zentrales Realitätssymbol, mittels dessen das Ego/Wego, versucht die innere Leere (lack) zu transzendieren. Das wahre Wesen des Geldes besteht für Loy daher nicht in seiner Funktion als Tauschmedium, Wertspeicher oder Kapital, sondern in seiner Funktion als seinsakkumulierendes Schema, insofern es zum weitverbreitetsten und populärsten, zugleich aber auch unbewussten Realitätssymbol und Mittel zur Kompensation unseres inhärenten Seinsmangels geworden sei. 364 Als solches ist es Loy zufolge am ehesten 364 Loys Theorie wird erhärtet durch die Arbeiten des Konsumentenforschers Russell W. Belk, der sich als Professor für Marketing an der York University in Toronto mit der identitätsstiftenden Bedeutung von Eigentum auseinander setzt und als Ausgangspunkt für seinen psychologischen Ansatz einen Passus aus William James The Principles of Psychology (1890) anführt: »[A] man’s Self is the sum total of all that he CAN call his, not only his body and his psychic powers, but his clothes and his house, his wife and children, his ancestors and friends, his reputation and works, his lands and horses, and yacht and bank-account.« James, W. 1950: 291. Daran anschließend nennt Belk in The Inelectuable Mysteries of Possessions (1991) insgesamt vier theoretische Konzepte, um die psychologische Bedeutung von Eigentum zu erfassen: (1) Fetishism: Belk schließt sich hier Roy Ellen an, der aus der ethnologischen Lehre vom religiösen Fetisch, der marxistischen Wirtschaftstheorie vom Warenfetisch und der psychoanalytischen Lehre vom sexuellen Fetisch vier allgemeine kognitive Prozesse herausgearbeitet hat, die allen drei Theorien zugrunde liegen: (α) »a concrete existence or the concretisation of abstractions«, i. e. Geld, das soziales Prestige oder Macht repräsentieren kann; (β) »the attribution of qualities of living organisms, often (though not exclusively) human«, z. B. Jung, der jeden Morgen in seine Küche hinunterkam und alle Utensilien persönlich begrüßte; (γ) »conflation of signifier and signified«, i. e. Papiergeld, das behandelt wird, als ob es inhärenten Wert hätte und

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

mit der Leerheit (śūnyatā) selbst zu vergleichen. Die Leerheit existiere nicht unabhängig der Phänomene, weshalb Nāgārjuna eindringlich davor warne, dass die falsch aufgefasste Leerheit denjenigen, der von schwacher Einsicht sei, zugrunde richte wie eine schlecht ergriffene Schlange oder falsch angewandte Magie. 365 Genau so wenig habe Geld als Abstraktum irgendeinen inhärenten Wert und richte denjenigen zugrunde, der es losgelöst von den Dingen betrachte, die man davon kaufen könne: Those who understand that it is an empty, socially-constructed symbol can use it wisely and compassionately to reduce the world’s suffering. Those who use it to become more real end up being used by it, their alienated sense of self clutching a blank check–a promissory note that can never be cashed. 366

Analoges gilt für andere Realitätssymbole und profanierte Erlösungssurrogate, wie unseren Glauben an den technischen Fortschritt, die Mär vom unendlichen ökonomischen Wachstum, der in der Zukunft zu einem Leben ohne Seinsmangel führen soll oder Sex und romantische Liebe. 367 Loy betont den spirituellen Charakter all dieser Kompensationsprojekte, der uns selbst verborgen bleibe, aber erkennbar werde, sobald man nicht mehr künstlich zwischen einer sakralen und profanen Dimension unterscheide, sondern beide als analoge Ausdrucksformen des Menschen begreife. Bereits Brown hatte davor ge(δ) »an ambiguous relationship between control of object by people and of people by object«, insofern Geld Macht über uns erlangen kann. Roy 1988: 219. (2) The Singular and the Sacred: Ein zentrales Merkmal ist die Einzigartigkeit eines Fetisches, aus der seine Unverkäuflichkeit folgt. In gesteigerter Form kann einem Fetisch auch das Merkmal der Heiligkeit eignen, insofern er als Erscheinung des Heiligen (Hierophanie) oder als Erscheinung einer übernatürlichen Kraft (Kratophanie) betrachtet wird; (3) Self Extension: Belk bezieht sich hier auf die Einsicht James’, dernach wir die Summe unserer Besitztümer sind. Ein Instrument, das wir beherrschen; ein Gegenstand, den wir käuflich erwerben; ein Buch, das wir gelesen haben; Dinge, mit denen wir über eine längere Zeit zusammen sind oder ein Kunstwerk, das wir erschaffen, können auf diese Weise zu einem Teil meines erweiterten Selbst werden. Eine detaillierte Ausführung der Extended-Self-Theorie findet sich bei Belk 1988. (4) Meaning Displacement: Hierunter versteht Belk die Projektion unserer Ideale, Hoffnungen und Wünsche auf Besitztümer oder Orte in der Vergangenheit oder Zukunft. Als Beispiele nennt er die Nostalgie, den religiösen Glauben an ein Leben im Jenseits oder die Vorstellung, dass unser Leben in Zukunft besser sein wird, wenn wir erst einmal ein bestimmtes Auto oder Haus besitzen. Cf. Belk 1991. 365 Cf. Mūlamadhyamakakārikā 24, 11. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 91. 366 Loy 2008: 30. 367 Cf. Loy 2008: 77.

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Loys methodischer Nihilismus

warnt, dass man durch die platte Entgegensetzung von sakral und profan irregeführt werden könne und infolgedessen für Säkularisierung halte, was tatsächlich nur eine Metamorphose des Sakralen sei. 368 Tatsächlich nutzen wir Loy zufolge sowohl religiöse als auch säkulare Symbole, um Sein zu akkumulieren und uns real zu fühlen. Wir projizieren unser Gefühl innerer Leere (lack) dabei auf Objekte, derer wir angeblich ermangeln und entwerfen uns damit in eine Zukunft, in der wir hoffen, unser defizitäres Selbst-Gefühl überwunden zu haben. Sobald wir aber am Ziel unserer vermeintlichen Wünsche angelangt seien, könne die Illusion nicht länger aufrecht erhalten werden, dass Ruhm, Geld, Liebe, Sex, mehr Technik oder mehr ökonomisches Wachstum die innere Leere (lack) im Grunde unseres Gemütes heilen werde. 369 Tatsächlich gehen wir Loy zufolge nirgendwo hin, wir laufen nur unentwegt vor der unerträglichen Gegenwart unserer inneren Leere (lack) davon. Was uns motiviert und antreibt sind nicht Bedürfnisse, sondern Ängste und was wir für Symbole der Erlösung halten, sind tatsächlich Symptome unseres tiefsten Problems. 370

10.3. Loys methodischer Nihilismus 10.3.1. Die Schule der Angst und der Mut zum Nichts-Sein Der Buddhismus lehrt uns Loys Interpretation zufolge, dass unser Glaube daran, dass der Mensch grundsätzlich dazu imstande sei, in individueller oder kollektiver Form die alles aushöhlende innere Leere (lack) menschlicher Existenz zu transzendieren, prinzipiell vergeblich ist. 371 Der Mensch kann in dieser existentiellen Situation alles durchdringender Schuld, Angst und Sinnlosigkeit die Leere nur zur Fülle übersteigen, indem er – negativ – sein Ego vernichtet oder er – positiv – neu geboren wird und zu seinem universalen Selbst als Perle in Indras Netz erwacht. 372 Für Loy kann nur der Selbstverlust zum Cf. Brown, N. 1985: 252. Cf. Loy 2002a: 79. 370 Cf. Loy 2002a: 83. 371 Cf. Loy 2008: 21. 372 Tillich ist also uneingeschränkt recht zu geben, wenn er schreibt, dass der Versuch des Selbst, die Struktur des Seins und endlicher Freiheit zu überschreiten, im Selbstverlust endet. Cf. Tillich 1953: 111. »Es bleibt genug Sein übrig, um die unwiderstehliche Macht des Nichtseins zu empfinden, und gerade dies ist die Verzweiflung in der 368 369

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

Weltgewinn führen und das leere Ego sich seiner erdrückenden Leere nur entäußern, wenn es seiner selbst ledig wird. Die buddhistische Lösung sei demnach einfach, aber keineswegs leicht. Wenn es das Nichts ist, das uns ängstigt, dann sollten wir zu Nichts (no-thingness) werden; wenn es der Tod ist, den wir fürchten, dann sollten wir jetzt sterben; wenn es die Selbst- und Grundlosigkeit ist, die wir beständig kompensieren und für die wir uns schuldig fühlen, dann sollten wir eben jene realisieren: »Our English word person comes from the Latin persona, ›mask.‹ The sense of self is a mask. Who is wearing the mask? Behind the mask (form) is nothing (emptiness). That there is nothing behind the mask is not actually a problem–but unfortunately the persona does not usually know this.« 373 Allerdings kann sich das Ego nicht selbst von seiner ontologischen Schuld, Angst und inneren Leere (lack) befreien, weil es die andere Seite dieser Empfindungen ist. Loy sieht die einzige Möglichkeit darin, das Nichts im Herzen unseres Bewusstseins zu überwinden, indem wir die mit ihm verknüpften Gefühle der Schuld, Angst und Leere ohne Ausflucht ertragen und solange achtsam fokussieren, bis sie und ineins damit das Selbst-Gefühl ausgebrannt sind wie ein Feuer, dem der Brennstoff entzogen wurde. 374 Wir sollen uns diesen Gefühlen mit unserem ganzen Selbstsein existentiell entschlossen zuwenden und dadurch vollkommen zu Schuld, Angst und Nichts werden. 375 Nur im Durchgang durch den radikalen Negativismus absoluter Leere, der alles Endliche im Menschen entwurzle und alle begrenzten und begrenzenden Ziele auflöse, mit denen man normalerweise versuche real zu werden, könne eine echte Auflösung der Trias von Tod, Bedeutungs- und Grundlosigkeit erreicht werden. Die von Verzweiflung. Der Schmerz der Verzweiflung besteht darin, daß ein Sein seiner selbst gewahr ist als unfähig, sich zu bejahen wegen der Macht des Nichtseins. Folglich will es dies Gewahrsein und dessen Voraussetzung, das Sein, das gewahr ist, aufgeben. Es will sich selbst loswerden und kann es nicht. Die Verzweiflung erscheint in der Form der Verdoppelung, als der verzweifelte Versuch, der Verzweiflung zu entfliehen. Wäre die Angst nur die Angst des Schicksals und des Todes, so wäre der freiwillige Tod der Ausweg aus der Verzweiflung. Der geforderte Mut wäre der Mut, nicht zu sein. Die endgültige Form der ontischen Selbstbejahung wäre der Akt der ontischen Selbstverneinung.« Tillich 1953: 44. 373 Loy 2008: 18. Cf. Loy 1996a: 64, 124. 374 Cf. Loy 1992b: 157. 375 Der »vollkommen klarsichtige Mensch« – das wusste bereits der rumänische Antiprophet und selbsternannte »Daseinshäretiker« Cioran – dürfe »außerhalb des Nichts in seinem Innern nirgends eine Zuflucht suchen.« Cioran 1978: 11, 44.

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Kierkegaard beschriebene »Schule der Angst« ist Loy zufolge ein solcher Weg zu Authentizität und Freiheit – jener wahren Freiheit, die uns verbleibt, nachdem die Angst »alle Endlichkeiten verzehrt, alle Täuschungen an ihnen entdeckt« 376 hat und wir somit aller tröstlichen Verstecke ledig geworden sind, in die wir uns normalerweise zurückziehen, sobald wir uns unsicher fühlen. 377 Die Angst beraubt uns jeder lebensdienlichen Illusion, entlarvt alle weltverhafteten Überzeugungen als Fiktionen und nimmt uns jeden inneren und äußeren Halt im Endlichen. Durch die alles desillusionierende Angst wird es unmöglich, sich auf eigene Projektionen hin zu entwerfen; die Angst stabilisiert nicht, sie destabilisiert das Selbst-Gefühl, indem sie uns auf die Ursprünglichkeit und Grundlosigkeit jener Freiheit und Kreativität zurückwirft, die schlechthin aus Nichts entspringt. Loy spricht im Anschluss an Kierkegaard von einer speziellen Übung der Achtsamkeit, die darin besteht, unnachgiebig alle psychischen Sicherheiten aufzudecken, mit denen wir unser Selbst-Gefühl konsolidieren, um der inneren Leere (lack) standzuhalten. Es gelte hingegen rücksichtslos und gegen alle Geborgenheit der Imperativ des memento vanitatis et vacui als eines unausgesetzten Bewusstseins der eigenen Leerheit, um die von Becker beschriebenen unbewussten Kräftezufuhren und Stützen des Egos zunichte zu machen. 378 Die Angst ist für Loy das Ende aller Anschauungen; sie zerstört jede ideologische und weltanschauliche Grundlage des Menschen und führt konsequent zum Nihilismus, indem sie kontinuierlich alle bewussten und unbewussten Gewissheiten angreift und zersetzt, bis jede Lehre in ihrem Wahrheitsanspruch unterminiert und zerstört ist. Die Katastrophe des Nihilismus sei aber nicht diese ubiquitäre Sinnlosigkeit selbst, sondern unsere Furcht vor ihr und unsere Versuche, dem Nichts und der Sinnlosigkeit zu entkommen: »The Problem is ›thirst‹–not the emptiness at the core of our being but our incessant efforts to fill that hole up, because we experience it as a sense of lack that must be filled up. The problem is not that I am unreal but that I keep trying to make myself real in ways that never work.« 379 Für Loy kann das Ziel daher weder in der Widerlegung von Irrtümern noch im Ergreifen einer universell gültigen Wahrheit, sonKierkegaard 2005: 171. Cf. Loy 1992b: 161 f. 378 Cf. Becker 1975b: 89; Loy 1992b: 162. 379 Loy 2003a: 27. »Our problem is not nothingness but the ways we try to evade it.« Loy 1996a: 119. 376 377

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dern allein in der Aufgabe aller vorgefassten Überzeugungen, Meinungen und Ansichten bestehen, wie es bereits der dritte Patriarch des Ch’an-Buddhismus Chien-chih Seng-tsʾ an/Sēngcan (jap. Kanchi Sōsan, † 606) in seiner Meißelschrift vom Glauben an den Geist (hsin-hsin-ming/xinxinming, jap. shinjinmei) gelehrt hatte: »Lass alle deine Meinungen fahren!« 380 Entscheidend sei daher letztendlich die Frage, ob unsere intellektuelle Suche nach Wahrheit nur ein weiterer Versuch sei, uns real zu machen, indem wir uns auf bestimmte Lehren fixieren, von denen wir glauben, dass wir mittels ihrer die Welt und unsere innere Leere (lack) bewältigen können. Aus Loys maßgeblich durch die Lehren Nāgārjunas und Nietzsches informierten Sicht ist freilich jede Überzeugung eine Illusion, sodass die Überzeugung, dass alle Überzeugungen Illusionen sind, zur letzten Wahrheit wird: »If truth is a matter of grasping the symbols that grasp reality, all truth is error on the Buddhist path.« 381 In Loys methodischem Nihilismus kommt der Philosophie folglich die alleinige Aufgabe zu, ihre Selbstaufhebung anzubahnen und damit den Übergang von der Theorie zur Praxis einzuleiten. Damit wird jede Theorie in letzter Konsequenz zur Ideologie, ganz gleich, ob es sich dabei um die religiöse Weisheitslehre des Buddhismus, ein metaphysisches System, Nationalismus, Rassismus, Marxismus oder die Psychoanalyse handelt, insofern sie für Loy alle dieselbe psychologische Funktion der Leerheitsbewältigung erfüllen, wenn wir uns mit ihnen identifizieren. 382 Loys letzte Wahrheit ist also, dass es keine letzte Wahrheit gibt und wir von der Theorie zur Praxis fortschreiten müssen, wenn wir nicht am nihilistischen Nullpunkt der Erkenntnis und existenziellen Verzweiflung Schiffbruch erleiden wollen. 383 Die buddhistische Lehre sei daher als Meta-Ideologie zu begreifen, insofern sie darauf ausgelegt sei, alle Ideologien und in letzter Kon380 »Du brauchst nicht nach der Wahrheit zu suchen. Lass alle deine Meinungen fahren!« Hübner 2005: 39. 381 Loy 1996a: 113. 382 »[T]rying to resolve the sense-of-self’s intellectually experienced sense-of-lack by identifying with a belief-system.« Loy 1996a: 115. 383 Bereits Shunryū Suzuki (1905–1971), der mit dem Tassajara Zen Mountain Center das älteste Sōtō-Kloster außerhalb Japans begründete und 1962 den San Francisco Zen Center etablierte, hatte in seinem Klassiker Zen Mind, Beginner’s Mind (1970) erklärt, dass es absolut notwendig sei, an absolut gar nichts zu glauben: »I discovered that it is necessary, absolutely necessary, to believe in nothing. […]. No matter what god or doctrine you believe in, if you become attached to it, your belief will be based more or less on a self-centered idea.« Suzuki, S. 1995: 115.

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sequenz auch sich selbst zu negieren. Eine solche Meta-Ideologie müsse dabei aber nicht zwangsläufig buddhistisch sein. Jede Lehre, die zusammen mit allen Standpunkten auch sich selbst destruiere, könne theoretisch als geschicktes Mittel dienen, um den Menschen von der Theorie zur Praxis und von der Praxis zum Erwachen von der Illusion des Egos zu führen. Religionen sind als meta-ideologische Lehren für Loy demnach vornehmlich Mittel zur radikalen Selbst-Transformation und als solche notwendig, da seiner Auffassung zufolge keine rein säkulare Lebensanschauung und Praxis die erforderlichen Einsichten und Techniken zur Verfügung stellt, die nötig sind, um das existenzielle Kernproblem unserer inneren Leere (lack) wahrheitsgemäß zu erkennen und effektiv zu beseitigen. 384 Das entscheidende Kriterium ist für Loy folglich die soteriologische Effektivität einer jeden religiösen Lehre, i. e. sie muss zum Ende aller Identifikationen und damit auf den transformativen Weg der meditativen und kontemplativen Praxis führen, die allein dazu in der Lage ist, unsere fundamentale Selbstsucht auszurotten und unsere leere Egohülle zu durchbrechen, die uns vom nondualen Lebensfluss trennt. 385 Von dieser radikalen Kritik dürfe auch der Buddhismus in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen nicht ausgenommen werden, obschon er für Loy als primus inter pares gleichsam die relativ beste und damit heilseffektivste Meta-Ideologie verkörpert: The same thought that is liberating in one situation may be binding in another. Even the most valuable insights can lose their freshness and become ›sticky‹ because they are now understood as something to cling to rather than a pointer to freedom; or rather, clinging to them is now misunderstood as the path to freedom. This suggests that we should distinguish between Buddhism as a path of liberation–a difficult path of dying to ourselves–and Buddhism as an institution providing cultural and psychological security, reassuring us of the meaningfulness of the Buddhist world-view and our place within it. 386 Buddhism is presented as another belief system, another sacred canopy under which we can find shelter. More often than not, its destabilizing path of self-deconstruction has been objectified into a fixed worldview that paradoxically ends up serving to stabilize and reassure the sense of self. As this suggests, the tension between the two roles of

384 385 386

Cf. Loy 2003a: 3. Cf. Loy 2003a: 40. Loy 1996a: 117.

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religion–sacred canopy and self-transformation–is strong within the Buddhist tradition. 387

Auf diese Weise könne auch das buddhistische Streben nach Erleuchtung unter der Hand zu einem äußerst sublimen Realisierungsprojekt degenerieren, insofern wir bewusst oder unbewusst davon ausgehen, im Moment des Erwachens auf festen Grund zu stoßen, wodurch unser unerleuchtetes in ein erleuchtetes Ego transformiert werde. Diejenigen Buddhisten, so Loy unter Berufung auf Nāgārjuna, die den Gedanken pflegen »Erlöschen werde ich ohne Ergreifen; mir wird Nirvāṇa sein!«, seien daher besonders vom Ergreifen befangen. 388 Ein wesentlicher Bestandteil der Erleuchtung besteht für Loy hingegen in der Einsicht, dass auch die Differenz zwischen Erleuchtung und Verblendung eine Illusion ist. Die Aufgabe buddhistischer Theorie und Praxis sei folglich die fortgesetzte Dekonstruktion aller Ansichten und die unablässige Destruktion aller vermeintlichen Sicherheiten: »We seek some thing to fixate on, but the Buddhist solution is to take away: to keep pulling the rug out from beneath us until we let go of that need for solid ground and discover that groundlessness is not so bad, after all.« 389 Das Leben werde auf diese Weise nicht allen Sinns beraubt und als sinnleeres Nichts erfahren, sondern die Differenz zwischen sinnhaft und sinnlos werde selbst als Illusion des Egos und des dualistischen Denkens durchschaut und gebrochen. Das Leben ist für Loy in letzter Konsequenz weder sinnvoll noch sinnlos, sondern sinnfrei (»meaning-free-ness« 390) und erst durch diese Freiheit von allem Sinn werde man wahrhaft frei für jeden einzelnen Existenzmoment

Loy 2003a: 6. Cf. Mūlamadhyamakakārikā 16, 9. In: Weber-Brosamer/Back 2005: 57; Loy 1996a: 117. Zwar unterscheidet der Buddha im Ariyapariyesanā-Sutta des Majjhima-Nikāya ein unedles Streben nach den Dingen im saṃsāra, die ausnahmslos Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Leid und Verunreinigung unterworfen sind, von einem edlen Streben nach dem ungeborenen, alterlosen, krankheitslosen, todlosen, leidlosen und reinen nirvāṇa, aber der mahāyānistische Vimalakīrtinirdeśa warnt auch noch vor der Gefahr selbst am Ziel der Anhaftungslosigkeit anzuhaften und damit die edle Suche nach dem nirvāṇa zu pervertieren und die Intention des Buddhas geradezu in ihr Gegenteil zu verkehren: »He who is attached to anything, even to liberation, is not interested in the Dharma but is interested in the taint of desire.« Vimalakīrtinirdeśa 6. In: Thurman 2006: 50. Cf. Majjhima-Nikāya 26. In: Bodhi 2001: 254 ff. 389 Loy 1996a: 113. 390 Loy 1996a: 103. 387 388

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in seiner konkreten Einmaligkeit. Dies sei auch der einzige Weg, den postmodernen Nihilismus tatsächlich zu bannen und zu einer Wiederverzauberung der Welt und heiteren Gelassenheit zu gelangen. Die nonduale Selbst- und Weltverzauberung transformiere das Leben auf diese Weise in ein sinnfreies Spiel. 391 Loy bezieht sich dabei auf Finite and Infinite Games (1987) von James P. Carse, dessen Beschreibung eines unendlichen Spiels Loy als Beschreibung der nondualen Welterfahrung des Bodhisattvas adaptiert: There are at least two kinds of games. One could be called finite, the other infinite. A finite game is played for the purpose of winning, an infinite game for the purpose of continuing the play. The rules of a finite game may not change; the rules of an infinite game must change. Finite players play within boundaries; infinite players play with boundaries. Finite players are serious; infinite players are playful. Finite players win titles; infinite players have nothing but their names. A finite player plays to be powerful; an infinite player plays with strength. A finite player consumes time; an infinite player generates times. The finite player aims to win eternal life; the infinite player aims for eternal birth. 392

Übertragen auf die Metapher von Indras Netz laufe die Differenz zwischen endlichem und unendlichem Spiel auf die Differenz zwischen einem Spieler, der versuche sich im Netz zu fixieren und einem Spieler, der mit dem Netz spiele, weil er erfahren habe, dass er das

391 Damit greift Loy das vedāntische līlā-Motiv der Schöpfung als kosmisches Spiel Gottes auf, das sich ebenfalls in buddhistischen Quellen wie dem Lalitavistara (»Die Entfaltung des Spiels«) findet und in dem das Leben und Wirken des zur Buddhaschaft strebenden Bodhisattvas Siddhārtha Gautama als Entfaltung eines übernatürlichen Spiels beschrieben wird. Cf. Waldschmidt 1991. 10. Solche Überlegungen sind nicht ohne signifikante Parallelen in der westlichen Philosophie der Neuzeit. Vor allem Landauer in Skepsis und Mystik (1903) und Eugen Fink (1905–1975) in Spiel als Weltsymbol (1960) haben vergleichbare Gedanken formuliert. Was wäre die große Tat wert, fragt Landauer, »die alles Absolute getötet hat und jede Wahrheit vernichtet – wenn dieser Nihilismus und diese Ironie nicht der Weg wäre zum Spiel des Lebens, zur Heiterkeit und zur ungeglaubten Illusion?« Landauer 2010: 42. Cf. Fink 2010. Ursula Baatz schreibt zum līlā-Motiv: »Lila, das kosmische Spiel, setzt eine Auflösung der Grenzziehungen des Erkennens voraus, besser gesagt, die Einsicht, daß Grenzen nur innerhalb von endlichen Spielen gelten. […]. Im kosmischen Spiel gibt es nichts zu gewinnen und daher gibt es auch keine Gewinnstrategien; doch es gibt auch keine Macht und keine Kontrolle und auch keine Täuschung.« Baatz 1993: 18. 392 Selected passages from Carse, Finite and Infinite Games, part one. Zitiert nach: Loy 1996a: 130.

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Netz selbst sei, hinaus. 393 Das unendliche Spiel transformiert damit das Leben in jenen spielerischen Ernst, von dem Platon in den Nomoi schreibt, dass der Mensch damit seiner Eigenschaft als »kunstvoll eingerichtetes Spielwerk« 394 Gottes gemäß lebe. Bereits Jakob Böhme (1575–1624) hatte in seinem Mysterium magnum (1623) geschrieben, dass Adam im Paradies alles »zu seinem Spiel gegeben« 395 war und auch das äußere Leben des Menschen ein Spiel vor dem inneren und heiligen Leben des Menschen sei, während Kant das Spiel in der Kritik der Urteilskraft (1790) als »Beschäftigung, die für sich selbst angenehm ist« 396 und »weiter kein Interesse bei sich« 397 führt, bestimmt hatte. Diese Definitionen des Spiels als einer Tätigkeit um des Tätigseins willen, die zwar wesentlich zweckfrei, aber grundsätzlich sinnvoll ist, übernimmt Loy über Huizinga, der zur Kennzeichnung des Spiels als Grundkategorie menschlichen Verhaltens den Begriff des homo ludens eingeführt hatte: »[I]ts meaning is selfcontained; something is playful insofar as nothing needs to be gained from it. This distinguishes true play from conscious or unconscious compulsions which make the game a symbol (and often a symptom) of something else.« 398 In der post-kenshō Erfahrung erlebt der Bodhisattva die Welt aber nicht nur von einem theoretischen Standpunkt aus als zweckfreies Spiel, sondern von einem existentiell-affektiven Standpunkt aus auch als eigenes Selbst, was sich Loys axiomatischer Grundüberzeugung zufolge im konkreten Lebensvollzug automatisch als selbstlose Liebe und allumfassendes Mitgefühl äußert, das auf ein emphatisches Engagement in der saṃsārischen Werdewelt und eine nach-

Cf. Loy 1996a: 130; Loy 2002a: 189–195. Die Gesetze (Nomoi) 803 B. In: Loewenthal 2010a: 446. 395 Mysterium magnum 16, 11. In: Böhme 1843: 83. Cf. Mysterium magnum 16, 8. In: Böhme 1843: 82. 396 Kritik der Urtheilskraft § 43. In: AA V: 304. 397 Kritik der Urtheilskraft § 44. In: AA V: 306. 398 Loy 1993: 499. Erweitere man die räumliche Metapher von Indras Netz um eine temporale Dimension, dann sei das Spiel des erwachten Bodhisattvas gleichsam wie ein Orchester und dessen Symphoniekonzert: »The extended musical metaphor is so appropriate because music has no ulterior motives and no goal. It is tathatā. When it goes somewhere (e. g., in sonata-form-development) it is not for the sake of getting there but for the sake of the going there. I can think of no bettter temporal analogy to complement the spatial metaphor of Indra’s Net: the mutual interpenetration of musical instruments in the harmonic play of a symphonic concert.« Loy 1996a: 131. 393 394

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haltige Bewältigung ihrer gegenwärtigen Probleme drängt. 399 Diese integrierende Selbst- und Welterfahrung, durch die man sich in allem wiederfindet, muss Loy zufolge eminente Auswirkungen auf unser soziales, kulturelles, politisches und wirtschaftliches Leben mit revolutionärem Potential haben; sie bildet den existentiellen Erfahrungskern der gesellschaftspolitischen Dimension seiner Philosophie der Nondualität und die konkrete daseinsmäßige Grundlage für seine tiefenökologisch inspirierte Version eines sozial-engagierten Buddhismus. 400 Bevor ich mich diesem nächsten großen Themenfeld von Loys Buddhismusinterpretation zuwende, soll auch hier wieder eine kritische Zwischenbetrachtung den Abschluss bilden.

10.3.2. Loys ātmanloses Ātman-Projekt Für diejenigen, die mit Ken Wilbers Werk vertraut sind, ist es unschwer zu erkennen, dass Loys nonduale Psychologie frappante Analogien zu dem von Wilber beschriebenen Ātman-Projekt aufweist, womit Wilber bereits in den 1970er Jahren – also Jahre vor den Erstveröffentlichungen von Nonduality (1988) und Lack and Transcendence (1996) – in The Spectrum of Consciousness (1977), No Boundary (1979) und The Atman Project (1980) alle wesentlichen Grundgedanken Loys vorweggenommen hat. 401 Für Wilber ist das von Loy beschriebene Gefühl innerer Leere (lack) und existentieller Angst, das jedem separaten Selbstempfinden inhärent ist, im Gegensatz zu Loy allerdings keine beklemmende Ahnung unserer Selbstlosigkeit (anātman), sondern die Intuition unserer eigentlichen Selbst-Natur (ātman), deren ursprüngliche Unendlichkeit und Ganzheit mit einem permanenten Energieaufwand verdrängt werde, um eine illusionäre Ich-Grenze zu errichten und aufrechtzuerhalten. Ist dieses trügerische Selbstempfinden und mit ihm zugleich die Subjekt-Objekt-Spaltung einmal entstanden, sieht es sich nach Wilber

399 Dieses Dogma seiner Buddhisminterpretation hat Loy über die Jahre immer wieder bekräftigt. Cf. Loy 2002a: 214; Loy 2009b: 9; Loy 2018: 71. 400 Cf. Loy 1996a: 126; Loy 2003a: 108. 401 Loy beruft sich zwar an keiner Stelle auf Wilber als Inspirationsquelle, aber der Grundgedanke des Ātman-Projektes war ihm nachweislich bekannt, was ein Verweis auf Wilbers The Spectrum of Consciousness (1977) und ein direktes Zitat aus Up from Eden (1981) belegen. Cf. Loy 1996a: 38, 178.

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mit zwei Hauptantrieben konfrontiert. Einerseits will es bei der Suche nach der anfänglichen Ganzheit seine eigene Existenz perpetuieren (Eros) und andererseits alles vermeiden, was zu seiner Auflösung führen könnte (Thanatos). Als Kompromiss zwischen Eros und Thanatos wird die absolute Einheit und zeitlose Ganzheit des Selbst auf den verschiedenen Stufen des Entwicklungsprozesses dann auf Weisen gesucht (atman trend), die dies zwangsläufig verhindern (atman constraint) und nur symbolischen Ersatz in Form von Ātman-Symbolen wie Sex, Essen, Geld, Ruhm, Wissen, Macht etc. zulassen (atman project), bis das Bewusstsein den Tod auf der niederen Ebene akzeptiert, diese integriert und sich mit der nächsthöheren Einheitsform identifiziert, solange, bis nur noch Einheit bleibt: Essentially, this means that consciousness abandons its exclusive identity with the lower structure–it ›dies‹ to it; it accepts the Thanatos of the lower level, dies to that level, and thus disidentifies with that lower structure. By accepting the death of the lower level, it transcends that level. As the higher-order level then emerges, the self, as we saw, identifies with that higher structure. It thus creates a new mode of self– with new forms of Eros-seeking. And this new mode of self faces a new type of death terror or death seizure. […]. This type of process is […] repeated at every stage of development. And when all structures have been disidentified with and transcended, there is only the Boundless; when all deaths have been died, there is only God. 402

Während bei Wilber dieser fortschreitende Prozess sukzessiver Selbsttranszendenz durch das Spektrum des Bewusstseins hindurch der Aktualisierung des zeitlos gegebenen ātman also immer näher kommt, ist dieser Prozess bei Loy hingegen absolut vergeblich, denn es gibt in seiner Philosophie der Nondualität nichts ātman-analoges, das von der schlechten Unendlichkeit der ephemeren Phänomenalität und ihrer Leere getrennt wäre. Auf Loy trifft demnach exakt Wilbers Kritik an Ernest Becker zu: Becker thinks that men and women want to be God because they are spineless liars, whereas I maintain they want to be God because their ultimate potential is God. For Becker […] the Atman project is a fundamental lie about Atman. The individual heroically wants eternity and infinity, but since (according to Becker) there is no eternity and infinity, the heroic urge–the Atman project–is just a lie, plain and simple. […]. For myself, the Atman project is not a lie about Atman, 402

Wilber 1996a: 128 f.

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but a substitute for Atman. The Atman project is only partly a lie–and partly the truth as well. Men and women are ultimately Atman, and they are driven to heroics as a substitute for that Atman. 403

Dabei will auch Wilber nicht bei der gestalt- und wandellosen Ebene des weltlosen Bewusstseins stehenbleiben, das als subtile Form des primären Dualismus zwischen Ich und Nicht-Ich noch von den Phänomenen unterschieden wäre, sondern alle Dualismen transzendieren, alle Differenzen integrieren und wie Loy eine Nondualität von Nondualität und Dualität verwirklichen; 404 im Gegensatz zu Loy eliminiert er dabei aber diese unwandelbare Dimension immanenter Transzendenz nicht, sondern integriert sie in einer letztlich asymmetrischen Nondualität, die auf diese Weise Loys nihilistische Fehlform einer symmetrischen Nondualität vermeidet: The fall into the Unmanifest, the Love of Release in Emptiness, is causal incest; and around that causal incest develops the subtle feeling that the Manifest realm detracts from Release–that the Manifest castrates Formless Radiance. This subtle tension is the last knot to uncoil from around the Heart. […]. As unknowable, unobstructed, unqualified Consciousness, it shines forth in completion from moment to moment, like an infinite series of ever newly perfected states, forever changing in its play, forever the same in its fullness. 405

Die bereits im Zusammenhang mit Loys radikalem Phänomenalismus gestellte Frage, ob eine Philosophie asymmetrischer Nondualität, die keinen nihilistischen Standpunkt bezieht, mit Loys praktischem Ziel der Selbstvernichtung prinzipiell unvereinbar ist oder eine solche Lehre nur von einem heilspragmatischen Standpunkt aus betrachtet potentiell gefährlich ist, weil hier der Geist im Seinsdenken möglicherweise seine trügerische Ruhe findet, kann mit diesem kursorischen Verweis auf das Werk Wilbers beantwortet werden. Weder ist Loys methodischer Nihilismus notwendige Voraussetzung

Wilber 1996a: 142. »Wenn man aus der kausalen Versunkenheit zum reinen, unmanifestierten und ungeborenen Geist durchbricht, ersteht die gesamte manifeste Welt neu, diesmal jedoch als vollkommener Ausdruck des Geistes ja, als Geist. Das Formlose und die gesamte Welt der manifesten Form […] werden hier als nicht-zwei gesehen und der Zeuge als alles Betrachtete […]. Aber dieses nicht-duale Bewußtsein steht nicht in Opposition zur Welt, denn »Brahman ist die Welt«.« Wilber 1996b: 378. Cf. Baier 2016: 224–231. 405 Wilber 1996a: 173. Cf. Wilber 1993: 262. 403 404

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Introspektion und Retrospektion: Loys nonduale Psychologie und Psychohistorie

für die Verwirklichung des praktischen Ziels der Transzendierung des Egos noch lenkt eine Weisheitslehre, die wie diejenige Wilbers echte Transzendenz und Unendlichkeit inkorporiert, notwendig vom praktischen Pfad der Selbstüberschreitung ab.

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11. Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus

Aus der westlichen Kultur adaptiert Loy primär zwei Einsichten, die er als konstitutive Elemente in seine alternative Version eines sozialengagierten Buddhismus integriert. Erstens, die Vorstellung sozialer Gerechtigkeit, die er den abrahamitischen Überlieferungen entlehnt und zweitens, die sophistische Unterscheidung von physis und nomos. Die Erkenntnis der Griechen, dass alles, was gesellschaftlich konstruiert worden ist, auch rekonstruiert werden kann, ist für Loy eine grundstürzende Einsicht der Achsenzeit, die in Verbindung mit der biblischen Ethik der Propheten das höchste Ideal des modernen Westens hervorgebracht habe: Das Ideal des sozialen Fortschritts. 1 Aber selbst vom bestmöglichen wirtschaftlichen und politischen System dürfe man nicht erwarten, dass es gut funktioniere, wenn die Menschen in ihm nach wie vor von Gier, Aversion und Verblendung motiviert seien. Tatsächlich ist es für Loy prinzipiell unmöglich, eine so vollkommene Sozialordnung zu schaffen, dass sie ungeachtet der persönlichen Motivation der in ihr lebenden Menschen gut funktionieren würde. 2 Die attische Demokratie sei daher aus denselben Gründen gescheitert, aus denen auch heute noch jede demokratische Gesellschaftsordnung gefährdet sei und das Ideal einer sozial gerechten Gesellschaft und deren Realität noch immer in derart eklatanter Weise auseinander fielen. Der Vorstellung einer Rekonstruktion der politischen und sozialen Wirklichkeit fehlte damals wie heute das unentbehrliche Komplement einer Rekonstruktion der spirituellen und persönlichen Wirklichkeit bzw. einer bis in den Kern unserer leerheitsbestimmten Prägung der conditio humana hineinreichenden Metanoia oder anthropologischen Revolution, die unser bisheriges

1 2

Cf. Loy 2015a: 111. Cf. Loy 2015a: 106 und 112.

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Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus

Weltverhältnis von Grund auf transformiert. 3 In ihrem revolutionären Gehalt sei die Einsicht der Griechen daher nur noch mit der Einsicht des Buddhas vergleichbar, dass unser Selbst ein psychologisches, soziales und linguistisches Konstrukt ist, das theoretisch dekonstruiert, praktisch entrealisiert und weisheitsgemäß rekonstruiert werden kann und das höchste Ideal des Buddhismus repräsentiere, das sich in persönlichem Fortschritt manifestiere. 4 Für Loy sind beide Konzepte konstitutiv und wechselseitig aufeinander bezogen, sodass individuelles Erwachen ohne kollektives Engagement unvollkommen bleibt und kollektives Engagement ohne individuelles Erwachen fehlgeleitet und potentiell gefährlich ist: [U]nless social reconstruction is accompanied by personal reconstruction, democracy merely empowers the ego-self. Insofar as I am still motivated by greed, ill will, and delusion, my freedom is likely to make things worse. So long as the illusion of a discrete self, separate from others, prevails, democracy simply provides different types of opportunities for individuals to take advantage of other individuals. 5

Es sei aber nicht nur der Westen, der vom Buddhismus lernen könne, sondern auch der asiatische Buddhismus seinerseits sei dringend auf die Errungenschaften der westlichen Moderne angewiesen, um eine notwendige Reformation und Transformation der eigenen Lehren und Institutionen zu initiieren. Mit der Karma-Lehre von einem unpersönlichen, in der Struktur des Kosmos integrierten Moralgesetz biete der Buddhismus zwar eine immanente Lehre ausgleichender Gerechtigkeit, aber diese habe sich historisch anders ausgewirkt als die abrahamitische Vorstellung sozialer Gerechtigkeit. Anstatt zu einem entschiedenen Einsatz für soziale Gerechtigkeit zu motivieren, habe die Karma-Lehre in Verbindung mit der Wiedergeburtslehre in der Praxis häufig eine passive Hinnahme der persönlichen und gesellschaftlichen Situation begünstigt. 6 Die Strukturen des südostasiatischen Buddhismus seien seit ihren Anfängen in Indien zudem hierarchisch, patriarchalisch und eng mit der Staatsmacht verbunden gewesen. Obschon buddhistische Lehren historisch ebenfalls geltend gemacht wurden, um die politischen Autoritäten herauszufordern, Der Begriff der »anthropologischen Revolution« wurde vom katholischen Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz geprägt. Cf. Metz, J. 1979. 4 Cf. Loy 2010d: 244. 5 Loy 2015a: 112. 6 Cf. Loy 2015a: 106. 3

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sieht Loy doch ein allgemeines und strukturelles Defizit buddhistischer Institutionen, die bis heute mehrheitlich dazu beitrügen, unterdrückende Machtverhältnisse zu rechtfertigten und ungerechte Sozialverhältnisse zu konsolidieren, anstatt sie zu kritisieren. Historisch gesehen habe sich der asiatische Buddhismus überwiegend auf individuelles und nicht soziales duḥkha und karma konzentriert. 7 Der Buddhismus könne durch die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Westen folglich stark profitieren, wenn er dazu bereit sei, essentielle Beiträge des Westens, wie Redefreiheit, Menschenrechte, die Souveränität des Volkes, die repräsentative Demokratie, die Trennung von Kirche und Staat sowie den Feminismus nutzbringend in seine eigene Lehre zu integrieren und durch seine Institutionen zu repräsentieren. 8 Das Verhältnis zwischen Buddhismus und dem modernen Westen ist für Loy also kein unilaterales; beide sind für ihn wechselseitig aufeinander angewiesen. 9 Ein Ergebnis dieser Interaktion ist für Loy die heute weltweit verbreitete Bewegung des Engagierten Buddhismus, die sowohl das individuelle Erwachen und das Ideal psycho-spiritueller Freiheit durch die Transformation der drei Geistesgifte der Gier, Aversion und Verblendung in ihre positiven Gegenstücke der Freigebigkeit, liebevollen Freundlichkeit und Weisheit forciere als auch die kollektive Befreiung und das Ideal persönlicher Freiheit von unterdrückenden Institutitonen, einem ausbeuterischen Wirtschaftssystem und einer repressiven Regierung durch die Transformation ihrer gesellschaftlichen und strukturellen Formen

Ganz ähnlich hat bereits Gananath Obeyesekere das soziopolitische und revolutionäre Potential von Ost (Buddhismus) und West (Judentum, Christentum, Islam) eingeschätzt und zwischen der ethischen Askese der religiösen Traditionen Südasiens und der ethischen Prophetie der abrahamitischen Religionen unterschieden. Weil der ethische Prophet eine vorgefundene Religion »ethisiere« bringe ihn seine kompromisslose Haltung häufig in Konflikt mit der herrschenden Priesterschaft und den weltlichen Autoritäten, die durch die Priesterschaft und die Religion legitimiert würden. Die ethische Askese hingegen bedrohe die weltliche Ordnung nicht, weil ihr diese kompromisslose Einstellung fehle. Sie verhalte sich in Bezug auf die weltliche Ordnung neutral: »Die mit der ethischen Askese verbundenen Orientierungen haben die religiösen Traditionen geprägt, die sich in den buddhistischen Gesellschaften Indiens und Südasiens entwickelten, im Unterschied zu den Traditionen, die unter dem Einfluß Zarathustras, Muhammads und der biblischen Prophetie standen.« Obeyesekere 1984: 265. 8 Zum buddhistischen Feminismus siehe Findly 2000; Gross 1993; Hu 2011; Klein 2008; Paul, D. 1985; Shaw 1994 und Wetzel 2010. 9 Cf. Loy 2010d: 248; Loy 2003a: 8 f.; Loy 2008: 7. 7

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anstrebe. Beide Ideale müssten verwirklicht werden, um wahrhaft frei zu sein: The lack that makes us unhappy is found both inside and outside. Then any solution must address both, something that a socially engaged Buddhism is well equipped to do. Buddhism begins as a personal path that works to transform our own greed, ill will, and delusion into generosity, loving-kindness, and wisdom. But to overcome one’s own dukkha is to become more aware of the dukkha maintained by unjust and unnecessary social arrangements. To overcome that institutionalized dukkha, we need to work collectively. So we need to avoid two extremes. One is a Buddhism that remains preoccupied only with one’s own awakening and personal liberation. The other is a socially preoccupied Buddhism that loses its roots in personal transformation, because it identifies too much with a ›progressive‹ understanding of our lack as caused mainly by social oppression. The challenge today is integrating these two concerns. 10

Bevor ich Loys Beitrag im Einzelnen analysiere und würdige, soll die Bewegung des Engagierten Buddhismus in der buddhistischen Tradition verortet und der aktuelle Forschungsdiskurs dargestellt werden. Dieses Prolegomenon soll einerseits als allgemeine Einführung in das weite Forschungsfeld des politisch- und sozial-engagierten Buddhismus dienen und andererseits Loy im Kontext des buddhistischen Modernismus verorten und sein Profil durch den kontrastierenden Vergleich mit anderen Vertretern dieser buddhistischen Selbsterneuerungsbewegung aus West und Ost schärfen.

Loy 2002a: 151 f. Der walisische Zen-Buddhist, Begründer des UK Network of Socially Engaged Buddhists und persönliche Freund Loys Ken Jones (1930–2015) spricht in diesem Zusammenhang von einer radikalen Kultur des Erwachens (radical culture of awakening), die von militanten Mystikern und spirituell geschulten Aktivisten getragen werden soll, um den Weg in eine dharmische Moderne (dharmic modernity) zu ebnen. Jones ist wie Loy zutiefst davon überzeugt, dass die gesamten geistigen Ressourcen aller nondualen Traditionen mobilisiert werden müssen, um ein weltweites, nonduales Umdenken zu lancieren, das wiederum mittelfristig zur Konstitution dharmischer Gesellschaften führen soll, die auf Weisheit und Mitgefühl gegründet sind. Im Gegensatz zu Loy geht Jones in seinem Anspruch allerdings soweit, diesen Weg als einzigen Weg zu beschreiben, der effektiv dazu imstande sei, den globalen Kollaps und Kataklysmus zu vermeiden: »The embodiment of such a nondualistic consciousness is ultimately the only way to change the course of history–and in the context of modernity it implies the ultimate political and economic radicalism.« Jones, K. 2003: 90.

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Die Bewegung des Engagierten Buddhismus

11.1. Die Bewegung des Engagierten Buddhismus Die historischen Anfänge der Bewegung des Engagierten Buddhismus werden häufig mit dem Wirken der Deutschrussin Helena Hahn von Rottenstern, besser bekannt als Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891), assoziiert, die 1875 zusammen mit Henry Steel Olcott (1832–1907) die Theosophische Gesellschaft in New York gegründet hatte. 1880 besuchten Blavatsky und Olcott Ceylon und ihre Ankunft am 15. Mai in Galle im Süd-Westen der Insel wird heute noch in vielen Darstellungen als Beginn der modernene buddhistischen Erneuerungsbewegungen beschrieben. 11 Ernst Benz hat hingegen schon in einer frühen Arbeit über Buddhas Wiederkehr und die Zukunft Asiens (1963) darauf hingewiesen, dass die Anfänge des buddhistischen Modernismus zwar in allen buddhistischen Ländern aufs engste mit der Tätigkeit europäischer Gelehrter und Erzieher verknüpft sind, aber dessen Ursprünge früher, i. e. im Zusammenhang mit den westlichen Kolonialregierungen und der christlichen Mission zu suchen seien und die nachfolgende Renaissance und selbstbewusste Erneuerung des Buddhismus vor allem im Kontext der Wiedererlangung der politischen Selbständigkeit der buddhistischen Völker in Myanmar, Śrī-Laṅkā, Vietnam und Laos gesehen werden müsse. 12 Blavatsky und Olcott waren schließlich nicht ohne Grund nach Ceylon gekommen. Olcott hatte zuvor den Bericht über ein öffentliches Streitgespräch in der Ceylon Times gelesen, das 1873 über zwei Tage zwischen dem singhalesischen Buddhisten Mohoṭṭivattē Guṇānanda Thera und dem singhalesisch-methodistischen Missionar David Wickrametilleke de Silva sowie dem singhalesischen Katecheten F. S. Sirimanne in Pānadurā vor rund 10.000, überwiegend buddhistischen Zuhörern stattgefunden hatte und noch im selben Jahr vom USAmerikaner James Martin Peebles (1822–1922) in englischer Übersetzung als Buddhism and Christianity Face to Face publiziert worden war. 13 Die im Bericht dokumentierte Unterdrückung des ceylonesischen Buddhismus sowie die in der Pānadurā-Debatte bezeugte Kritik des Buddhismus am christlich-anthropomorphen Gottesbild hatten Olcott von der geistigen Überlegenheit des Buddhismus überCf. Bechert 2002: 335. Cf. Benz 1963: 10 ff. 13 Näheres zu den systematischen Streitpunkten der Pānadurā-Dispuation bei Brück/ Lai 1997: 82 ff. 11 12

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zeugt und ihn ursprünglich zu seiner Reise veranlasst, in deren Verlauf er die Buddhist Theosophical Society of Ceylon gründete, das buddhistische Schul- und Erziehungswesen nach modernen Prinzipien reformierte und innerhalb weniger Jahre drei Colleges und 200 Schulen eröffnete. 14 Olcotts Protegé David Hewavitarne (1864– 1933), der einer buddhistisch-singhalesischen Familie wohlhabender Händler entstammte, trat nun unter seinem geistlichen Namen als »der das heimatlose Leben führende Beschützer des Dharmas« (anagārika dharmapāla) auf und wurde zu einem der führenden Vertreter der Bewegung. 15 Nachdem Dharmapāla die Aufsätze Edwin Arnolds (1832–1904) über den beklagenswerten Zustand des ältesten Heiligtums des Buddhismus auf indischem Boden, i. e. des Mahābodhi-Tempels am »Ort der Erleuchtung« (bodhgayā) des Buddhas, gelesen hatte, reiste er Ende 1890 nach Indien und gründete am 13. Mai 1891 mit der (Bodhgayā-)Mahābodhi-Society in Colombo die erste internationale buddhistische Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die verwahrlosten Tempelanlagen von Bodhgayā für den Buddhismus zurückzugewinnen, zu restaurieren und dort eine internationale buddhistische Mönchsgemeinde zu gründen, in der alle buddhistischen Länder Asiens vertreten sein und buddhistische Literatur auch in europäische Sprachen übersetzt werden sollten. Die Mahābodhi-Society ist Benz zufolge »die eigentliche Trägerin der buddhistischen Erneuerungsbewegungen nicht nur in Ceylon, sondern vor allem auch in Indien geworden.« 16

Cf. Bechert 2002: 337 ff.; Bechert 2013: 234 f.; Benz 1963: 71 f. Hewavitarne erhielt seine Schulbildung mangels buddhistischer Alternative in christlichen Bildungseinrichtungen, deren Proselytenmachererei und verständnislose Haltung gegenüber den Werten seiner buddhistischen Tradition ihn nachhaltig prägen sollten. Er erlebte 1873 den Triumph der Buddhisten in der Pānadurā-Debatte und lernte 1878 Guṇānanda persönlich kennen. Über Guṇānanda, der bereits in Kontakt mit Olcott stand und von ihm Blavatskys Isis Unveiled (1877) und andere theosophische Schriften erhalten hatte, wurde Hewavitarne auf die Theosophische Gesellschaft und deren Publikationen (The Theosophist) aufmerksam gemacht. 1880 traf er Olcott während seines Aufenthaltes in Colombo. Cf. Kemper 2015: 89, 447 f. 16 Benz 1963: 22. Cf. Queen 1996a: 20 f. Dharmapāla nahm zudem am Weltparlament der Religionen teil, das 1983 anlässlich der Weltausstellung in Chicago einberufen worden war, auf dem auch Swāmī Vivekānanda (1863–1902) seine historische Rede hielt. Seine unermüdliche Missionsarbeit für den Buddhismus führte dort zur Gründung des amerikanischen Zweiges der Mahābodhi-Society. 14 15

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Folgt man Stephen Batchelor, dann entstand der Begriff des Engagierten Buddhismus (nhap gian phat giao) bereits im Vietnam der 1930er Jahre und wurde durch eine buddhistische Erneuerungsbewegung vietnamesischer Mönche geprägt, die von den Reforminitiativen des buddhistischen Modernisten Tʾ ai-Hsü/Taixu (1890–1947) inspiriert waren, der selbst wiederum zentrale Anregungen für seine Erneuerung des chinesischen Buddhismus von dem Besuch christlich-karitativer Wohlfahrtseinrichtungen auf seinen Reisen durch Europa erhalten hatte. 17 Innerhalb der Forschung gilt als allgemeiner Konsens hingegen die Auffassung, dass der Begriff von dem 1926 in Zentralvietnam geborenen Zen-Meister und Friedensaktivisten Thích Nhât Hạnh (bürgerlich Nguyen Xuan Bao) geprägt wurde, der zu den Begründern der Bewegung und zugleich zu ihren international profiliertesten Akteuren zählt. Nach seinem Studium der Religionswissenschaften an der Universität in Columbia und Princeton und seiner Arbeit als Dozent für zeitgenössischen Buddhismus verließ er am 16. Dezember 1963 die Vereinigten Staaten und kehrte nach dem Sturz des Đình-Diêm-Regimes wieder nach Vietnam zurück, wo er die buddhistische Vạn-Hạnh-Universität und den Lá-BôiVerlag gründete, in dem er 1964 eine Sammlung seiner Artikel unter dem Titel Engaged Buddhism (vietn. dao phat di vao cuoc doi) publizierte, die Kenneth Kraft zufolge die erste Verwendung dieses Begriffes dokumentiert. 18 Über die Entstehung des Begriffes zur Zeit des Vietnam-Krieges (1955–1975) legte Thích Nhât Hạnh in einem seiner autobiographischen Berichte Zeugnis ab: Cf. Batchelor 1994: 355. Näheres zu Tʾ ai-Hsü in Pittman 2001. Kraft nennt entgegen der meisten Quellen allerdings 1963 als Jahr der Erstpublikation: »His 1963 book Engaged Buddhism marked the first use of that term.« Kraft 1992a: 18. Thích Nhât Hạnh war darüber hinaus maßgeblich an der Zusammenführung von elf der insgesamt vierzehn zersplitterten buddhistischen Gruppen und Erneuerungsbewegungen des Landes beteiligt, die sich 1964 zur Unified Buddhist Church of Vietnam (UBCV) zusammenschlossen. 1965 initiierte er nach europäischem und amerikanischem Vorbild die mit der Vạn-Hạnh-Universität affilierte School of Youth for Social Service, die von der amerikanischen Presse aufgrund ihres sozialen Engagements »little Peace Corps« genannt wurde. Thích Nhât Hạnh 1991: x. Während einer Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten und Europa lernte er u. a. Papst Paul VI. sowie den US-amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King (1929–1968) kennen, der ihn 1966 für den Friedensnobelpreis vorschlug. Nachdem er 1968 im Namen der UBCV ein Büro in Paris eröffnet hatte, wurde ihm die Wiedereinreise in sein Heimatland verweigert. Sowohl die Vạn-Hạnh-Universität als auch die School of Youth for Social Service wurden in den Folgejahren geschlossen und die UBCV nach Ende des Krieges 1975 verboten. Cf. King, S. 1996; Triplett 2008.

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When I was in Vietnam, so many of our villages were being bombed. Along with my monastic brothers and sisters, I had to decide what to do. Should we continue to practice in our monasteries, or should we leave the meditation halls in order to help the people who were suffering under the bombs? After careful reflection, we decided to do both– to go out and help people and to do so in mindfulness. We called it engaged Buddhism. Mindfulness must be engaged. Once there is seeing, there must be acting. Otherwise, what is the use of seeing? 19

Heinz Bechert (1932–2005) prägte zwei Jahre später in seiner wegweisenden Arbeit zu Buddhismus, Staat und Gesellschaft in den Ländern des Theravāda-Buddhismus (1966) den alternativen Begriff Buddhistischer Modernismus, während Richard Gombrich und Gananath Obeyesekere den Begriff Protestant Buddhism in den Diskurs einbrachten. 20 Der Begriff Socially Engaged Buddhism erschien erstmals 1988, als der 1933 in Thailand geborene Laien-Buddhist und Sozialreformer Sulak Sivaraksa A Socially Engaged Buddhism publizierte und der buddhistische Psychotherapeut und Lehrer der Florida Community of Mindfulness Fred Eppsteiner im selben Jahr mit The Path of Compassion. Writings on Socially Engaged Buddhism eine der zentralen Anthologien der Bewegung mit Texten ihrer namhaftesten Vertreter herausgab. 21 Thích Nhât Hạnhs internationales Renomee und weltweites Engagement hatten zudem starken Einfluss auf die Etablierung und praktische Ausrichtung des 1978 in Maui gegründeten Buddhist Peace Fellowship (BPF), in dessen Publikationsorgan Turning Wheel: The Journal of Socially Engaged Buddhism Loy bereits mehrfach verThích Nhât Hạnh 1991: 91. Cf. Bechert 1966: 37–108; Gombrich/Obeysekere 1990: 202–240. 21 Cf. Eppsteiner 1988; Sivaraksa 1988. Sowohl Sivaraksa als auch Eppsteiner stehen dabei in enger persönlicher Beziehung zu Thích Nhât Hạnh. Sivaraksa besuchte die von Thích Nhât Hạnh begründete Vạn-Hạnh-Universität und traf ihn 1974 persönlich in Śrī-Laṅkā auf einer internationalen und multi-religiösen Dialogveranstaltung des World Council of Churches in Colombo. Die Dokumente der Konferenz wurden publiziert als Samartha 1975. Eppsteiner setzte seine unter Philip Kapleau begonnene Zen-Ausbildung in den 1970er Jahren unter Thích Nhât Hạnh fort, trat 1983 dessen 1964 begründeten Tiêp-Hiên-Orden (Order of Interbeing) bei und erhielt 1994 von seinem Meister die Dharma-Übertragung. Das offizielle Ziel des Ordens wird wie folgt bestimmt: »The aim of the Order is to actualize Buddhism by studying, experimenting with, and applying Buddhism in modern life with a special emphasis on the bodhisattva ideal.« Edelglass 2009: 421. Thích Nhât Hạnh hat seinen Ansatz eines sozial-engagierten Buddhismus in »vierzehn Richtlinien« pointiert zusammengefasst. Cf. Thích Nhât Hạnh 1993. 19 20

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treten war und zu dessen Mitbegründern u. a. sein Lehrer Robert B. Aitken, dessen Frau Anne sowie Nelson Foster gehören. Zu den weiteren Mitgliedern des BPF zählen US-amerikanische Buddhisten wie der Umwelt- und Friedensaktivist Gary Snyder, der Jōdo-Shinshūund Shinran-Experte Alfred Bloom, die Tiefenökologin Joanna Rogers Macy und der Vipassanā-Lehrer Jack Kornfield. 22 Aus einer offiziellen Stellungnahme zu den erklärten Zielen der Gemeinschaft wird Loys weltanschauliche Nähe zur BPF besonders deutlich, deren Mitglieder sich ebenfalls zu einem politisch- und sozial-engagierten Buddhismus auf der philosophischen Grundlage des Nondualismus bekennen: 1. To make clear public witness to Buddhist practice and interdependence as a way of peace and protection of all beings; 2. To raise peace, environmental, feminist, and social justice concerns among North American Buddhists; 3. To bring a Buddhist perspective of nonduality to contemporary social action and environmental movements; 4. To encourage the practice of nonviolence based upon the rich resources of traditional Buddhist and Western spiritual teachings; 5. To offer avenues for dialogue and exchange among the diverse North American and world sanghas. 23

Aus dem BPF ging 1995 auf Initiative von Aitken und durch die Arbeit von Diana Winston die Buddhist Alliance for Social Engagement (BASE) hervor, die Richard Hughes Seagers zufolge eines der innovativsten Programme des BPF ist und sich explizit an den 1964 von Thích Nhât Hạnh begründeten Tiêp-Hiên-Orden (Order of Interbeing) anschließt. 24 Nach dem Vorbild des Jesuit Volunteer Corps und anderen christlichen Sozialorganisationen verfasste Winston in Zusammenarbeit mit Donald Rothberg A Handbook for the Creation of the Buddhist Alliance for Social Engagement (BASE), in dem sie soziales Engagement (service/social action: seva), die gemeinsame Reflexion politischer, sozialer und ökologischer Fragen vor dem Hintergrund buddhistischer Theorie und Praxis (wisdom/training: paññā), die Reziprozität sozialer und spiritueller Arbeit und Entwicklung (dharma practice: samādhi), deren Einbettung in eine buddhistische Gemeinschaft (community: saṅgha) sowie eine Verpflichtung für den Zeitraum von mindestens sechs Monaten (commitment: 22 23 24

Näheres zum BPF bei Simmer-Brown 2000. Jones, K. 2003: 202. Cf. Seager 1999: 207 f.

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adhiṭṭhāna) zu den grundlegenden Prinzipien der Organisation erklärten. 25 Im Jahre 1989 wurde zudem auf Initiative von Sivaraksa und in Zusammenarbeit mit Thích Nhât Hạnh, dem XIV. Dalai Lama Tenzin Gyatso sowie dem einflussreichen thailändischen TheravādaGelehrten Bhikkhu Buddhadāsa (1906–1992), dessen Schirmherrschaft nach seinem Tod an seinen kambodschanischen Schüler Samdech Preah Mahā Ghosānanda (1929–2007) 26 überging, das überdenominationelle und ökumenisch orientierte International Network of Engaged Buddhists (INEB) gegründet, das damit alle buddhistischen Traditionen (Theravāda, Mahāyāna und Vajrayāna) durch einen zentralen Repräsentanten in sich vereint und mit dem Loy ebenfalls als Gründungsmitglied der Online-Diskussionsgruppe Think Sangha eng verbunden ist. 27 Über die eigentlichen Ursprünge der gesellschaftspolitischen Dimension des Engagierten Buddhismus ist man innerhalb der Forschung allerdings geteilter Meinung. Es lassen sich dabei mit Thomas Freeman Yarnell idealtypisch die modernistische DiskontinuitätsCf. Winston/Rothberg 2001: 6. Cf. Ghosānanda 1992. 27 Weitere Gruppen engagierter Buddhisten westlicher Provenienz, zu denen Loy allerdings kein vergleichbares Verhältnis pflegt, wären (1) der Amida Trust for Culturally Engaged Buddhism von David Brazier, (2) die von Dennis P. E. Lingwood (Saṅgharakṣita) gegründete Vereinigung der Friends of the Western Buddhist Order (FWBO) oder (3) der Zen Peacemaker Order (ZPO), dessen Begründer der US-amerikanische Zen-Buddhist Bernard Tetsugen Glassman ist. Die beiden Schweizer Yamada-Schüler Pia Gyger (1940–2014) und Niklaus Brantschen, die Glassman als ZenMeister autorisierte, gründeten 1995 im Lassalle-Haus in Bad Schönbrunn das Lassalleinstitut für spirituelle Bewusstseinsbildung in Politik und Wirtschaft (ISPW) und einen deutschen Ableger des ZPO. Näheres zum Amida Trust bei Brazier 2001b und Henry 2015: 57–90. Näheres zu den FWBO bei Bluck 2006: 152–178 und Saṅgharakṣita 1990. Näheres zum ZPO bei Brantschen 1997: 129–143; Glassman 1998: 177–213 und Queen 2000a. Für die weltweite Bewegung des Engagierten Buddhismus müssen fernerhin (4) die F.A.S.-Society (Formless Self – All Humankind – Suprahistorical History) des japanischen Philosophen und Zen-Buddhisten Shinʾ ichi Hisamatsu (1889–1990), (5) die ursprünglich 1930 von Makiguchi Tsunesaburō (1871–1944) gegründete und auf dem Nichiren-Buddhismus basierende Laienbewegung Sōka Gakkai (»Werteschaffende Gesellschaft«) sowie (6) die 1938 von Nikkyō Niwano (1906–1999) und Myōkō Naganuma (1898–1957) gegründete und ebenfalls auf dem Nichiren-Buddhismus basierende Risshō Kōseikai (»Gesellschaft für Aufrichtung von Recht und mitmenschlichen Beziehungen«) genannt werden. Eine Darstellung von Hisamatsus F.A.S.-Society bietet Mitchell 1991: 142 ff. Ein umfassendes Portrait der Sōka Gakkai wurde vorgelegt von Seager 2006. Eine Darstellung der Risshō Kōseikai findet sich bei Nehring 1992 und Schulze 2008. 25 26

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these und die traditionalistische Kontinuitätsthese als zwei entgegengesetzte Positionen voneinander unterscheiden, die eine umstrittene Frage der Buddhismusinterpretation aktualisieren, die seit den Anfängen der Buddhismusforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute kontrovers diskutiert wird: »Besitzt der Buddhismus eine genuin gesellschaftspolitische Dimension?« 28 Alternativ in den Worten Ken Jones’: »To what extent has the Buddhism we have received in the West brought with it a social theory and tradition of social engagement that is valid and serviceable for us today?« 29 Christopher S. Queen hat in einer seiner zahlreichen Arbeiten zum Engagierten Buddhismus einen Überblick über die verschiedenen Positionen gegeben, die Vertreter beider Thesen hinsichtlich der Ursprünge der sozio-politischen Dimension des Buddhismus vertreten haben: Did it [Engaged Buddhism; F. V.] spring directly from Gautama Buddha’s teachings of compassion, interdependence, and morality, or his acceptance of society’s marginalized members–particularly untouchables and women–to the Sangha, his religious order? Or did it emerge later, during the reign of Aśoka Maurya in the third century B.C.E., or during a thousand years of cultural assimilation in China, Korea, and Japan, as Buddhist personal ethics encountered the institutional formalities of Confucian civil society? Did it come into being in the nineteenth century, when Buddhist reformers, Western colonialists, and Christian missionaries began to debate the merits of their respective cultures, to compete for the hearts and minds of citizens, and to maneuver for strategic control of Buddhist Asia? Or did engaged Buddhism appear full-blown only in recent times, as the world began to restructure economically, politically, and culturally at the global level– since the middle of the twentieth century? 30

Die Übergänge zwischen den jeweiligen Positionen sind dabei vor allem zwischen Vertretern einer gemäßigten Variante der modernistischen Diskontinuitätsthese und Vertretern der traditionalistische Kontinuitätsthese fließend und oft lassen sich einzelne Forscher nicht exakt einem der beiden Standpunkte zuordnen. Dennoch halte ich die von Yarnell vorgenommene Unterscheidung für heuristisch sinnvoll, um einen ersten Überblick über den zeitgenössischen Forschungsdiskurs und Loys Position darin zu gewinnen. 31 28 29 30 31

Schmidt-Leukel 1997b: 289. Cf. Yarnell 2003: 286 f. Jones, K. 2003: 43. Queen 2002: 324 f. Peggy Morgan hat die zwei Thesen Yarnells auf insgesamt fünf erweitert: (1) The

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11.1.1. Die modernistische Diskontinuitätsthese Die modernistische Diskontinuitätsthese besagt in ihrer radikalsten Form, dass der Buddhismus ursprünglich überhaupt keine gesellschaftspolitische Dimension besaß und die Bewegung des Engagierten Buddhismus folglich als kreative Neuschöpfung verstanden werden müsse, die auf einen Bruch mit der authentischen und weltflüchtigen Erlösungsvision des frühen Buddhismus zurückzuführen sei. Diese Position wurde wirkungsgeschichtlich am einflussreichsten von Max Weber (1864–1920) vorgetragen, der den »alten Buddhismus« als »spezifisch unpolitische und antipolitische Standesreligion« und »religiöse »Kunstlehre« eines wandernden, intellektuell geschulten Bettelmönchtums« 32 charakterisiert hatte. Der »spezifisch asoziale Charakter aller eigentlichen Mystik« sei im Buddhismus »auf das Maximum gesteigert«, sodass es Weber schon als ein Widerspruch erschien, dass der Buddha – »dem die Stiftung einer »Kirche« oder auch nur einer »Gemeinde«« angeblich »ganz fern lag« – mit der Stiftung eines Ordens in Verbindung gebracht wurde. Den kanonischen Quellen zufolge habe der Buddha die Verkündigung der Erlösungslehre nicht einmal aus persönlichem Antrieb, sondern nur »auf besondere Bitte eines Gottes auf sich genommen.« Es sei daher vielmehr anzunehmen, dass auch der Orden »lediglich eine Schöpfung seiner Schüler war.« 33

Buddha taught a soteriology not social activism; (2) Engaged Buddhism is a Western colonising of Buddhism; (3) All Buddhism is engaged; (4) Some social activists just happen to be Buddhists und (5) Engaged Buddhism is a new Buddhist vehicle for the West. Cf. Morgan 2004: 364–367. 32 Weber 1923: 220. 33 Weber 1923: 230. Weber spielt hier auf das Ariyapariyasanā-Sutta aus dem Majjhima-Nikāya an, in dem der ursprüngliche Entschluss des Buddhas dokumentiert ist, den profunden, äußerst subtilen, verstandesmäßig nicht erfassbaren, sondern lediglich erfahrbaren und daher nur schwer kommunizierbaren dharma nicht zu lehren. Erst nachdem die Gottheit Brahmā Sahampati den Buddha auffordert den dharma zum Heil der Welt zu lehren, revidierte der Buddha aus Mitleid zu allen Wesen seinen Entschluss. Cf. Majjhima-Nikāya 26. In: Bodhi 2001: 260 f. SchmidtLeukel zufolge erwecke Webers Studie insgesamt den Eindruck, »dass hier nicht eigentlich deskriptiv und analytisch vorgegangen« werde, sondern »dass gegen zahlreiche sperrige Befunde ein vorgefasstes Urteil einfach durchgesetzt« werde. Der wahre Buddhismus müsse eben asozial und apolitisch sein, weil dies nach Weber eben der Charakter aller Mystik sei. Schmidt-Leukel 1997b: 290. Fußnote 6.

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Dem indischen Volk attestierte Albert Schweitzer (1875–1965) zwar eine allgemeine »Kultur- und Humanitätsethik« 34, diese ginge aber verloren, sobald sie auf die eigentliche Lehre des orthodoxen Brahmanismus treffe, der Schweitzer eine ähnliche asoziale und apolitische Dimension zusprach wie Weber der buddhistischen Lehre. Die hinduistische Weltanschauung der Welt- und Lebensverneinung habe im Gegensatz zum natürlichen Empfinden des Volkes »kein Interesse an der Entwicklung der Menschheit zu einer ethisch-organisierten Größe.« 35 Im Grunde sei »alles tätige Mitleid durch die Grundanschauung des Brahmanismus und des Buddhismus von vorneherein entwertet« 36 und was in der weiteren Geschichte der indischen Ethik vor sich gehe, sei nur eine Bestätigung dieser Wahrheit. Auch für Bechert galt es noch als ausgemacht, dass es eine selbstverständliche Konsequenz der Lehren des Buddhas von der Wertlosigkeit der Welt und von der Bedingtheit des menschlichen Schicksals durch die früheren Taten (karma) sei, dass dem Buddha eine politische Wirksamkeit fernlag und er sie auch bei seinen Mönchen und Nonnen nicht wünschte. Der Buddha hätte in jeder Form gesellschaftspolitischen Engagements daher auch nur eine weitere Ursache der Verstrickung in weltliches Streben und ein Hindernis auf dem Weg zur Erlösung gesehen. 37 Unter zeitgenössischen Buddhologen hat vor allem Richard Gombrich sowohl die Annahme einer expliziten als auch einer impliziten Dimension des sozial-politischen Engagements für den Pāḷi-Buddhismus insgesamt als groben Anachronismus moniert: [M]y interpretation puts me at odds with those who see the Buddha as a social reformer. […] his concern was to reform individuals and help them to leave society forever, not to reform the world. Life in the world he regarded as suffering, and the problem to which he offered a solution was the otherwise inevitable rebirth into the world. Though it could well be argued that the Buddha made life in the world more worth living, that surely was an unintended consequence of his teaching. To present him as a sort of socialist is a serious anachronism. He never preached against social inequality, only declared its irrelevance to salvation. He neither tried to abolish the caste system nor to do away with slavery. 38 34 35 36 37 38

Schweitzer 2001: 89. Schweitzer 2001: 84. Schweitzer 2001: 92. Cf. Bechert 1966: 5. Gombrich 2006b: 30.

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Bereits 1973 hatte Bardwell L. Smith in einem Aufsatz den gesellschaftspolitischen Einsatz des buddhistischen Sozialismus ab dem späten 19. Jh. und des Engagierten Buddhismus ab dem 20. Jh. als genuine Neuerung interpretiert und die Interpretation des Bodhisattvas als eines politisch-engagierten Sozialreformers und Friedensaktivisten als eine anachronistische Projektion und ahistorische Idealisierung vehement abgelehnt, da sie illegitimerweise moderne Theorien und Begrifflichkeiten auf den frühen Buddhismus übertrage. 39 Diese radikale Variante der modernistischen Diskontinuitätsthese wurde und wird neben Bechert, Gombrich, Schweitzer, Smith und Weber u. a. auch von Edward Conze (1904–1979), James E. Deitrick, Winston L. King (1907–2000), Joseph Mitsuo Kitagawa (1915–1992) und Gary Snyder vertreten. 40 Gemäßigtere Vertreter der modernistischen Diskontinuitätsthese wie Loys Lehrer Robert B. Aitken gehen hingegen von keinem radikalen Bruch, aber dennoch von einem qualitativen Sprung innerhalb der Entwicklung des Buddhismus aus, der sich maßgeblich durch den Kontakt mit der westlichen Moderne im 19. und 20. Jahrhundert ereignet und vor allem die sozial-politischen Implikationen der buddhistischen Lehre aus der Latenz gehoben und zum Tragen gebracht habe. 41 So sieht auch Barbara Lukoschek das prägnanteste Charakteristikum der Bewegung in der Betonung der Notwendigkeit, die Ethik (śīla) als den dritten Grundpfeiler des achtfachen Pfades neben der Weisheit (prajñā) und der meditativen Versenkung (samādhi) »durch Umsetzung im tatkräftigen Engagement wieder stärker in das buddhistische Selbstverständnis zu integrieren.« 42 Das auf zentralen Bestandteilen und systematischen Kernelementen der buddhistischen Lehre beruhende sozial-politische Engagement stehe daher einerseits in Kontinuität mit der eigenen Tradition, sei aber andererseits zugleich dasjenige Merkmal, das den Engagierten Buddhismus aus der bisherigen Geschichte des Buddhismus herausstechen lasse. Diese gemäßigte Variante der modernistischen Diskontinuitätsthese wird neben Aitken und Lukoschek u. a. auch von Loy, Michael von Brück, Cynthia Eller, Ian C. Harris (1952–2014), Peter Harvey, Kenneth Kraft, David L. McMahan, Barbara E. Reed, Judith Simmer-Brown, 39 40 41 42

Cf. Smith, B. 1973: 25. Cf. Deitrick 2003: 263; King, W. 1964: 177; Kitagawa, J. 1980: 89; Snyder 1969: 92. Cf. Aitken 2000: 164. Lukoschek 2013: 107.

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der aus Taiwan stammenden buddhistischen Nonne und Begründerin der Tzu-Chi-Foundation Cheng Yen sowie Christopher S. Queen vertreten. 43 Queen hat den sozial-engagierten Buddhismus im Anschluss an Bhimrao Ramji Ambedkar (1891–1956) und den Gründungspräsidenten der Buddhist Lodge of the Theosophical Society und späteren Buddhist Society in England Christmas Humphreys (1901–1983) als »neues Fahrzeug« (navayāna) 44, unter Berufung auf Kenneth Kraft als »Erd-Fahrzeug« (terrayāna) 45 oder selbst als »weltliches Fahrzeug« (lokayāna) 46 bezeichnet, dessen signifikanten Neuerungen man gegenüber allen bisherigen Formen des Buddhismus nur angemessen gerecht werde, wenn man ihn nach dem Theravāda-, Mahāyāna- und Vajrayāna-Buddhismus als vierte Drehung des Dharma-Rades begreife. 47 Das vierte Fahrzeug (»fourth yāna« 48) bewahre und integriere in ökumenischer Hinsicht zwar charakteristische Eigenschaften und Positionen aller drei vorausgegangener Fahrzeuge, sei aber dennoch aufgrund seines politischen Engagements als eine wesentlich neue Variante innerhalb der knapp 2500-jährigen Geschichte des Buddhismus anzusehen, die als Erscheinung des 19. und primär 20. Jahrhunderts zudem nicht ohne den gravierenden Einfluss der westlichen Moderne denkbar sei. 49 Einen vergleichbaren StandCf. Brück 1996: 661 und 683; Eller 1992: 102; Harris, I. 1999: 19; Harvey 2004: 112; Kraft 1996: 65; McMahan 2008: 251 f.; Reed 2004: 263; Simmer-Brown 2006: 1093. 44 Cf. Humphreys 1968: 80. Ambedkar, der 1947 zum Justizminister der ersten Regierung des unabhängigen Indiens gewählt wurde und maßgeblich an der Ausarbeitung der indischen Verfassung beteiligt war, bezeichnete den von ihn begründeten Buddhismus auf einer Pressekonferenz vom 13. Oktober 1956 als navayāna – neues Fahrzeug: Ambedkar »told newsmen that his Buddhism would cling to the tenets of the faith as preached by Lord Buddha himself, without involving his people in differences which had arisen on account of Hinayana and Mahayan [sic!]. His Buddhism would be a sort of neo-Buddhism or Navayana.« Keer 2005: 498. Näheres zu Ambedkars engagiertem Buddhismus bei Queen 1996b. 45 Cf. Kraft 2000a: 501. 46 Cf. Queen 2000b: 23. 47 Darin sind ihm auch Franz-Johannes Litsch und Joanna Rogers Macy gefolgt, die von der Bewegung des engagierten Buddhismus als »great turning« spricht. Cf. Macy 2007: 139–147; Litsch 2000: 423. 48 Queen 2003a: 327. Cf. Queen 2000b: 1 f. Den sozial-engagierten Buddhismus als viertes yāna zu bezeichnen lehnt Ken Jones dezidiert ab und spricht anstelle von sozial-engagiertem Buddhismus nur von sozial-engagierten Buddhisten. Cf. Jones, K. 2003: 230. 49 Cf. Queen 2003b: 22, 27; Queen 2000b: 25. 43

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punkt hatte bereits Gary Snyder in seinem 1957 publizierten Buch Earth House Hold vertreten. Die buddhistische Lehre sei bislang daran gescheitert, die strukturellen und gesellschaftlich verursachten Formen von Verblendung und Leid systematisch zu thematisieren und habe sich in ihrer philosophischen Analyse allein auf deren psychologische und epistemologische Dimension restringiert. Dadurch habe der Buddhismus historisch überwiegend dazu beigetragen, den Status quo zu konsolidieren, wie dies auch Slavoj Žižek knapp fünfzig Jahre später in seinen kontroversen Thesen zum westlichen Buddhismus wieder behauptet hat. Der sozial-engagierte Buddhismus stellt folglich auch für Snyder eine originäre Errungenschaft des 20. Jahrhunderts dar, die erst aus der Synthese der sozial-revolutionären Ideale des Westens und des existentiell-weisheitlichen Telos des Buddhismus hervorgehen konnte: »The mercy of the West has been social revolution; the mercy of the East has been individual insight into the basic self/void. We need both.« 50 Loy hat dieses Zitat, in dem sich geradezu paradigmatisch auch sein eigenes Verständnis abbildet, dem Entwurf seiner buddhistischen Sozialtheorie in The Great Awakening als Leitsatz vorangestellt und auch in seinen weiteren Publikationen beruft er sich wiederholt auf Snyders diesbezügliche Ausführungen. 51 Zwar sei die genuin gesellschaftspolitische und sozial-ethische Dimension der buddhistischen Heilslehre angesichts einer Vielzahl kanonischer Belegstellen nicht zu leugnen, aber es sei ebenfalls evident, dass dieses enorme Potential in der bisherigen Geschichte des Buddhismus nicht ausreichend abgerufen und verwirklicht worden sei, weshalb der Buddhismus für seinen Weg in eine globale Moderne auf die sozial-politischen Errungenschaften des Westens angewiesen und der engagierte Buddhismus als echte Innovation zu verstehen sei: We know that the historical Buddha applied his teachings to the social world with an insight and vigor unique for a religious figure of his time and place. In the earliest scriptures there are many instances in which the Buddha challenges prevailing social attitudes and advocates reform. Still, social analysis and criticism had a marginal role in the corpus of his teachings. The main thrust of the Buddha’s teachings addressed the problem of individual suffering, and his thoughts about society were never elaborated in a similarly sophisticated or systema-

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Snyder 1969: 92. Cf. Loy 2015a: 105; Loy 2003a: v; Loy 2010d: 242; Loy 2010e: 59.

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tic way. As a result, after the Buddha passed away, the sangha (monastic community) for the most part adapted himself to the social forms and norms of Asian cultures. Buddhism has historically tended to passively accept, and sometimes actively support, social arrangements that now seem unjust. 52

Neben Loy hat auch die buddhistische Nonne Cheng Yen den Buddhismus trotz seines genuin gesellschaftspolitischen Potentials in seiner konkreten Geschichte als weitestgehend politisch indifferent beurteilt. Auf die kritische Bemerkung dreier katholischer Nonnen, es gäbe unzählige christliche Hospitäler und Schulen, aber keine vergleichbare buddhistische Einrichtung, weshalb sie Buddhisten als passiv und indifferent gegenüber sozialen Missständen betrachteten, die nichts zur Gesellschaft beisteuerten, gründete Cheng Yen das Buddhist Compassion Relief General Hospital. Rückblickend beschreibt sie ihr Motiv als Ergebnis einer kritischen Auseinandersetzung mit der von ihr als beschämend empfundenen Vergangenheit ihrer eigenen Tradition, die Cheng Yens Einschätzung zufolge über zweitausend Jahre einer sozialpolitisch-engagierten Dimension ermangelt habe. In diesem Zusammenhang wird von ihr der folgende Ausspruch überliefert: »We will become Kwan-yin’s watchful eyes and hands, and the world can never call us Buddhists a passive group again!« 53 Legt man die maßgeblich von Bechert vorangetriebenen Untersuchungen zur Lebenszeit des historischen Buddhas und dessen neue Datierung (ca. 450–370 v. Chr.) zugrunde, kam es aber bereits unter der Herrschaft Aśokas (ca. 272/268–235 v. Chr.), also knapp hundert Jahre nach dem Tod des Buddhas, zur Synthese des Buddhismus mit der weltlichen Macht und einer buddhistisch inspirierten Politik der öffentlichen Wohlfahrt. 54 Aśokas Großvater Candragupta, der den Griechen als Sandrokottos bekannt war und dessen Berater der als Kauṭilya, Cāṇakya oder Viṣṇugupta bekannte Verfasser des ArthaLoy 2010d: 243. Cf. Loy 2003a: 17. Ching 1995: 66. Cf. Cheng Yen: Performing Good Deeds Is More Important Than Shunning Evil Ones. In: King, S. 2005: 2. 54 Axel Michaels rekonstruiert die Datierung der Lebenszeit des Buddhas folgendermaßen: »Nach nordindischer Tradition wurde König Ashoka 100, 118 oder 160 Jahre (nur eine Quelle) nach Buddha gekrönt. Ashoka, der von ca. 268 bis 236 oder 232 v. Chr. regierte, soll sich, wie Bechert sagt, bewusst 100 Jahre nach dem Tod Buddhas gekrönt haben, aber diese Ansicht wird nicht von allen Forschern geteilt. Weitgehend einig ist man sich aber, dass Buddhas Ableben 85 bis 105 Jahre vor Ashokas Krönung und 30 bis 50 Jahre vor Alexanders Indienfeldzug (327–325 v. Chr.) anzusetzen ist.« Michaels 2011: 22. 52 53

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śāstra gewesen sein soll, stand noch den Jainas nahe, während sein Sohn und Nachfolger Bindusāra die vedische Religion bevorzugte. 55 Erst unter Aśoka wurde das Maurya-Reich (ca. 320–185 v. Chr.) zum ersten buddhistischen Königreich Indiens. Aśoka verbreitete die buddhistische Lehre im ganzen Land und entsandte seine Missionare an die Höfe der griechischen Fürsten seiner Zeit, wie Antiochius II. von Syrien (286–246 v. Chr.), Ptolemäus II. Philadelphus von Ägypten (308–246 v. Chr.) und Antigonos II. Gonatas von Makedonien (319– 239 v. Chr.). Aus seinen Edikten geht hervor, dass er das Ideal eines karitativen Wohlfahrtsstaates propagierte, zu sittlichem und moralischem Verhalten anhielt, den Vegetarismus förderte, Hospitäler und Apotheken für Menschen und Tiere errichtete, die Infrastruktur des Reiches verbesserte, Parkanlagen und Rasthäuser anlegte und die Folter aussetzte. 56 Widerspricht Aśokas buddhistische Regentschaft aber nicht bereits Cheng Yens Bild ihrer Tradition? Aśoka blieb zudem kein Einzelfall. Es ist bekannt, dass es in Indien zu verschiedenen Zeiten eine ganze Reihe buddhistischer Dynastien gegeben hat. Nach Aśoka wurden die Buddhisten von Kaniṣka (2. Jh. n. Chr.), dem bedeutendsten Herrscher der Kuṣāṇa-Dynastie patronisiert und später Cf. Olivelle 2013: 1–38. Ulrich Schneider (1922–1992) hat gezeigt, dass es sich bei der immer noch verbreiteten Vorstellung, Aśoka sei auch für eine allgemeine religiöse Toleranz eingetreten, um einen gravierenden Irrtum handelt. Dabei beruft er sich vor allem auf das im Anfang des 1. Felsenediktes ausgesprochene Tötungsverbot (»Hier darf kein Lebewesen zu Opferzwecken getötet werden«): »Schwer getroffen, bis zur Vernichtung ihrer materiellen Existenz, waren durch dieses Verbot natürlich in erster Linie diejenigen, welche solche Tieropfer praktizierten, d. h. die in spätvedischer Tradition stehenden Opferpriester, niedrigere und höhere, die mit ihrem jeweiligen Kult in der Region verwurzelt blieben […]. Sie waren […] nicht interessiert am Abbau von Standesund, soweit damals schon vorhanden, Kastenschranken. Und folglich waren sie auch nicht interessiert an einer starken Zentralgewalt: Die Kräfte des […] Brahmanentums waren in ihrer Wirkung jedenfalls zentrifugal. Gegen diese Kräfte mußte Aśoka, wenn er seinen Herrschaftsbereich zusammenhalten wollte, Front machen. […]. Aśoka nimmt das Tötungsverbot […] als politische Waffe, um einem großen und bedeutenden Teil der lokalen brahmanischen Kulte nach Möglichkeit den Garaus zu machen.« Schneider 1987: 153 f. Eine Übersetzung der Felsenedikte liegt vor in Schneider 1978. Für die von Schneider widerlegete Interpretation Aśokas kann hier beispielhaft Robert Thurman genannt werden, der Aśokas »politics of enlightenment« auf Grundlage der Felsenedikte in insgesamt fünf Momente unterteilt und dabei auch dessen »religiösen Pluralismus« betont: »1) transcendentalism, 2) non-violence, 3) religious pluralism with educational emphasis, 4) compassionate welfare policy, and 5) intriguing combination of powerful central authority implementing decentralist moves.« Thurman 2011: 163.

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von Harṣavardhana (590–647) gefördert, unter dessen Herrschaft der Buddhismus prosperierte und die buddhistische Klosteruniversität in Nālandā eine Blütezeit erlebte. Diese staatliche Protektion setzte sich auch während der von Gopāla begründeten Pāla-Dynastie (750 bis 12. Jh.) fort, deren Herrscher dem Buddhismus Schutz und Förderung angedeihen ließen. Den tieferen Grund für diese historische Verbindung von Buddhismus und weltlicher Macht sehen Vertreter einer radikalen Interpretation der modernistische Diskontinuitätsthese wie Edward Conze nun allerdings nicht in der religiösen Überzeugungskraft der buddhistischen Heilslehre und Aśoka, Kaniṣka, Harṣavardhana und die Herrscher der Pāla-Dynastie auch nicht als überzeugte Buddhisten, deren Regentschaft als Beleg einer genuin sozial-politischen Dimension des Buddhismus geltend gemacht werden könnte; bereits aus Webers Sicht wurden die buddhistischen Mönche und Nonnen von der weltlichen Macht allein als »Domestikationsmittel der Massen« 57 instrumentalisiert und auch Conze interpretiert diesen Zusammenhang vielmehr als Bestätigung des wesenhaft anarchischen und weltabgewandten Charakters des Buddhismus, den sich opportune Herrscher allein aus machtpolitischem Pragmatismus zu Nutze gemacht hätten: In what manner, then, could the seemingly other worldly and anarchic doctrine of Buddhism increase the security of a ruler’s power over his people? It does not only bring peace of mind to the other-worldly, but it also hands over the world to those who wish to grab it. In addition, the belief that this world is ineradicably bad and that no true happiness can be found in it, would tend to stifle criticism of the government. Oppression by government officials would appear partly as a necessary concomitant of this world of birth-and-death, and partly as a punishment for one’s own past sins. The stress which Buddhism lays on non-violence would tend to pacify a country and to make the position of its rulers more secure. […]. If we consider that the encouragement of a desire for material possessions and for a higher ›standard of living‹ among the European masses has not only destroyed all despotic forms of government, but has undermined all steady and permanent governmental authority in Europe, we can understand why Buddhism should appear as a blessing to the habitually despotic rulers of Asia. 58

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Weber 1923: 265. Conze 2003: 73 f.

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Yarnell hat versucht, den zentralen Gehalt dieser sehr unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Vertreter der modernistischen Diskontinuitätsthese auf insgesamt fünf Kernthesen festzulegen. Demnach sei (1) der traditionelle Buddhismus nicht sozial-politisch engagiert gewesen oder habe zumindest immer das gesellschaftliche Allgemeinwohl dem individuellen Heil untergeordnet. Dezidiert soziale Lehren seien allgemein erst in den Schriften des MahāyānaBuddhismus nachweisbar und auch hier überwiegend nicht aktualisiert worden; (2) die moderne Welt habe soziale, politische, ökonomische, ökologische, militärische und medizinische Probleme generiert, die in der bisherigen Geschichte der Menschheit beispiellos seien und daher auch dem frühen Buddhismus in dieser Komplexität unbekannt waren, sodass der politisch- und sozial-engagierte Buddhismus neu sei, insofern auch die Probleme der globalisierten Moderne neu seien; (3) jede Anwendung sozio-politischer Theorien und Kategorien der westlichen Moderne auf die buddhistischen Traditionen der Vormoderne müsse als Anachronismus vermieden werden; (4) angesichts der Herausforderungen der globalisierten Gegenwart seien die buddhistischen Lehren allerdings durchaus als Inspirationsquelle für den authentischen Entwurf eines modernistischen Buddhismus geeignet; (5) zur Aktivierung des latent sozial-politischen Potentials der buddhistischen Heilslehre sei die Auseinandersetzung und Synthese mit den politischen und sozialen Theorien und Praktiken des Westens wesentlich; gleichzeitig könne der Westen von dem Kontakt mit den Weisheitslehren der buddhistischen Traditionen erheblich profitieren. Diese Ost-West-Synthese sei nicht nur geeignet, sondern auch nötig, um ein tragfähiges Fundament für einen gewandelten Buddhismus hervorzubringen, der den globalen Aufgaben des 21. Jahrhunderts gewachsen sei. 59

11.1.2. Die traditionalistische Kontinuitätsthese Die traditionalistische Kontinuitätsthese besteht in der Auffassung, dass der Buddhismus schon immer und unabhängig westlicher Einflüsse sozial-engagiert gewesen sei, da Buddhisten niemals von einer abstrakten Unterscheidung in soziopolitische und spirituelle Lebenssphären ausgegangen seien und der Buddhadharma somit schon 59

Yarnell 2003: 302 f.

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immer eine mehr oder weniger stark ausgeprägte, aber dennoch traditionsinhärente und genuin sozial-politische Dimension besessen habe. So hat auch der aus Śrī-Laṅkā stammende buddhistische Mönch und spätere Professor an der Northwestern University in Evanston (Illinois) Walpola Rahula (1907–1997) dem von Albert Schweitzer, Max Weber und anderen westlichen Interpreten kolportierten Zerrbild des wesenhaft asozialen und apolitischen Charakters des Buddhismus energisch widersprochen. Der Buddha habe das Leben nie in abstrakter Form aus seinem sozial-politischen und ökonomischen Kontext gelöst, sondern immer als untrennbares Ganzes in seinem holistischen Gesamtzusammenhang betrachtet und sowohl soziale, ökonomische als auch politische Aspekte immer ganzheitlich berücksichtigt. Während seine ethischen, spirituellen und philosophischen Lehren im Westen relativ gut bekannt seien, wisse man von der sozialen, ökonomischen und politischen Dimension seiner Lehre hingegen vergleichsweise wenig. 60 Diese Position hat ebenfalls Sulak Sivaraksa emphatisch vertreten, der für sein humanitäres, soziales, ökologisches und ökonomisches Engagement 1995 mit dem Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award), 1998 mit dem Preis der Organisation der nicht in der UNO repräsentierten Völker (UNPO), 2001 mit dem indischen Millennium Gandhi Award und 2011 mit dem Niwano-Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Die Vorstellung eines asozialen und apolitischen Buddhismus ist Sivaraksa zufolge als Ausdruck westlicher Ignoranz und als eine eklatante Fehldeutung vehement abzulehnen. 61 Cf. Rahula 1974: 81. Sivaraksa hat wie Thích Nhât Hạnh im westlichen Ausland studiert. Nach seinem Studium der Philosophie, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in England erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt in London und arbeitete als Dozent für Sozialwissenschaften an verschiedenen Universitäten in Thailand, den Vereinigten Staaten und Kanada, wo er u. a. Gastprofessuren an der University of California, der Cornell University und der University of Toronto innehatte. Cf. Swearer 1996: 203. Inspiriert von Thomas Merton und auf der Grundlage der gewaltlosen Lehren der Quäker sowie der Friedens- und Lebensphilosophie Gandhis fordert Sivaraksa als führender Gesellschaftskritiker und Sozialreformer Thailands eine fundamentale und nachhaltige Kernreform der modernen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen des Landes im Geist des Buddhismus. Er beruft sich dabei auf den in Wien geborenen Philosophen, Theologen und katholischen Priester Ivan Illich (1926–2002), den brasilianischen Pädagogen Paulo Freire (1921–1997), A. T. Ariyaratne und wiederholt auch auf Thích Nhât Hạnhs Lehre vom »Intersein« (interbeing). Der später zum Buddhismus konvertierte Norweger Johan Galtung, der als ehemaliger Assistent von Arne Næss (1912–2009) weltweit die erste Professur für Friedens- und Konfliktforschung bekam,

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Tatsächlich seien es vornehmlich westliche Buddhisten, die auf eskapistischen Pfaden zum Buddhismus gefunden und das monastische Dasein als Form der quietistisch-meditativen Weltflucht gewählt hätten. Das sozial-politische Engagement lasse sich hingegen unmittelbar aus der buddhistischen Heilslehre ableiten und sei nicht durch eine Transformation der frühbuddhistischen Lehre oder durch äußere Einflüsse erstmals unter der Regierungszeit Aśokas im dritten vorchristlichen Jahrhundert mit dem Buddhismus assoziiert worden. Die buddhistische Heilslehre sei tatsächlich nie auf die Meditationspraxis und Transformation des Individuums allein beschränkt gewesen, sondern habe gerade in Süd- und Südost-Asien seit Jahrhunderten eine breite sozial-politische Wirkung zum allgemeinen Wohle der Gesellschaft entfaltet. 62 Auch für Thích Nhât Hạnh ist das praktische Ethos ein natürlicher Effekt des buddhistischen Heilspfades und kann insofern unmöglich eine Neuerung der Moderne sein, die erst durch westlichen Einfluss entstand oder auch nur aus der Latenz gehoben wurde: »The Essence of Nonviolence is love. Out of love and the willingness to act selflessly, strategies, tactics, and techniques for a nonviolent struggle arise naturally.« 63 Patricia Hunt-Perry und Lyn Fine haben Thích Nhât Hạnhs Verständnis des Buddhismus als einer genuin sozial-engagierten Praxis in ihrem programmatischen Aufsatz All Buddhism is Engaged (2000) als zentralen Grundsatz bestimmt: »Buddhism is already engaged. If it is not, it is not Buddhism.« 64 Dabei handelt sich um ein Zitat aus einem 1983 publizierten Newsletter des Buddhist Peace Fellowships, in dem Thích Nhât Hạnh ein starkes sozial-reformatorisches Engagement und einen uneingeschränkten Altruismus als zwingende Konsequenzen buddhistischer Praxis und Erleuchtung beschrieben hatte: »If you are awake you cannot do otherwise than act compassionately to help relieve suffering you see around you. So lenkte den Blick Sivaraksas zudem von den individuellen auf die institutionellen Formen der Verblendung und brachte ihn zu der Überzeugung, dass der Buddhismus sich vermehrt mit den strukturellen Formen von Gewalt auseinandersetzen müsse. Die aktive Umsetzung seiner gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Reformen brachte ihn dabei in wiederholten Konflikt mit den repressiven Militärdiktaturen Thailands, die ihn für seinen aktiven Widerstand gegen die strukturelle Gewalt des Staates und deren Repräsentanten sowie unterstellter Majestätsbeleidigung (lèse majesté) mehrfach inhaftierten und ihn mehrere Jahre ins Exil zwangen. Cf. Bosch 2008. 62 Cf. Sivaraksa 1996: 73. 63 Thích Nhât Hạnh 1996a: 57. 64 Hunt-Perry/Fine 2000: 36.

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Buddhism must be engaged in the world. If it is not engaged, it is not Buddhism.« 65 Die ehemalige Oppositionsführerin von Myanmar Aung San Suu Kyi, die sich jahrzehntelang für eine gewaltlose Demokratisierung ihres Heimatlandes eingesetzt hat und für ihr Engagement gegen die burmesische Militärregierung 1991 den Friedensnobelpreis erhielt, charakterisierte den Engagierten Buddhismus in einem Interview ebenfalls als »tätiges Mitleid oder tätiges metta.« 66 Auch Aung San Suu Kyi interpretiert ihr politisches Engagement als Buddhistin nicht als Produkt der Moderne, sondern als Ausdruck einer zentralen Dimension der ursprünglichen Lehre des Buddhas. Dabei beruft sie sich u. a. auf das Kuṇāla-Jātaka, das davon berichtet, wie die Sākiyas und die Koliyas zur Zeit des Buddhas zwischen der Stadt Kapilavastu (pāḷi kapilavatthu) und der Stadt Koliya den Rohiṇī-Fluss mit einem Damm gesichert hatten und auf diese Weise Getreide anbauten. Nachdem das Wasser nicht für den beiderseitigen Getreideanbau ausreichte, entbrannte ein Streit zwischen beiden Parteien. Bevor es allerdings zum Krieg und Blutvergießen kommen konnte, intervenierte der Buddha und schlichtete den Streit durch die Erzählung dreier Jātakas, stabilisierte die Eintracht durch zwei weitere Jātakas und verkündete das Attadaṇḍa-Sutta, woraufhin die Bewohner der beiden Städte ihm junge Männer für seinen Orden brachten. 67 Der Buddha selbst intervenierte den Quellen zufolge also bereits aktiv in politischen Konfliktsituationen und in dieser buddhistischen Tradition gesellschaftspolitischen Engagements sieht sich auch Aung San Suu Kyi selbst. Als Gründer der Sarvodaya-Śramadāna – einer der ältesten buddhistischen Friedens- und Befreiungsbewegungen – und Vertreter der traditionalistischen Kontinuitätsthese wies auch der aus ŚrīLaṅkā stammende Ahangamage Tudor Ariyaratne die Kritik an seiner Buddhismusinterpretation von Seiten einiger Vertreter der modernistischen Diskontinuitätsthese mit dem Hinweis auf die Kolonialzeit des Landes zurück. Nachdem im Jahre 1518 die Küstenregionen des damaligen Ceylon erstmals durch die Portugiesen erobert und Teile der Bevölkerung zum katholischen Christentum zwangskonvertiert Zitiert nach: Jones, K. 2003: 179. Suu Kyi 2012: 39. 67 Cf. Jātaka 536. In: Dutoit 1914: 440–444. Näheres zum Buddhismus- und Politikverständnis ihres Vaters und dessen Einfluss auf ihr Denken bei Zöllner 2008: 63. 65 66

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Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus

worden waren, wurde das Land im Verlauf seiner weiteren Geschichte mehrfach von europäischen Kolonialmächten in Besitz genommen. Auf die portugiesische folgte die niederländische Besatzung, die mit der Benachteiligung von Hindus, Buddhisten und Katholiken einherging. 1818 folgte die britische Kolonialherrschaft. Erst 1972 erhielt das Land in Folge seiner Unabhängigkeit den heutigen Namen ŚrīLaṅkā. Ariyaratne macht vor allem die britischen Besatzer und die mit ihnen kollaborierenden buddhistischen Wissenschaftler für den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der Theravāda-Tradition in seinem Land verantwortlich und führt dies auf eine Politik der bewussten Marginalisierung des saṅgha zurück, in deren Verlauf die Mönche ihrer traditionellen Funktion innerhalb der Gesellschaft systematisch enthoben wurden: In the Buddha’s teachings as much emphasis is given to community awakening and community organizational factors as to the awakening of the individual. This fact was unfortunately lost from view during the long colonial period when Western powers attempted to weaken the influence of the Sangha (the Order of Monks) and to separate the subjugated people from the inspiration to dignity, power, and freedom which they could find in their tradition. 68

Für die von einigen Vertretern der modernistischen Diskontinuitätsthese kritisierte anachronistische Interpretation des Bodhisattvas als eines politisch-engagierten Sozialreformers und revolutionären Friedensaktivisten kann paradigmatisch die Position Robert Thurmans als einem der renommiertesten Vertreter der traditionalistischen Kontinuitätsthese angeführt werden. In seiner Rekonstruktion buddhistischer Leitlinien zum gesellschaftlichen Engagement kommt Thurman anhand von Nāgārjunas Explikation der liebenden Güte (mahāmaitrī) und heilenden Hinwendung zu allen Wesen (mahākaruṇā) in der Ratnāvalī zu dem Ergebnis, dass sozial-politische Konsequenzen schon immer implizit (Theravāda) und explizit (Mahāyāna) im Zentrum der buddhistischen Lehre gestanden haben: The primary Buddhist position on social action is one of total activism, an unswerving commitment to complete self-transformation and complete world-transformation. This activism becomes fully explicit in the Universal Vehicle (Mahayana), with its magnificent literature on the Bodhisattva career. But it is also compellingly implicit in the Individual Vehicle (Hinayana) in both the Buddha’s actions and his 68

Ariyaratne 1991: 15.

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teachings: granted, his attention in the latter was on self-transformation, the prerequisite of social transformation. Thus, it is squarely in the center of all Buddhist traditions to bring basic principles to bear on actual contemporary problems to develop ethical, even political, guidelines for action. 69

Sallie B. King räumt demgegenüber zwar ein, dass der Westen eine weitaus längere Geschichte sozial-politischen Engagements aufweise, diese Dimension der buddhistischen Lehre aber ebenfalls ursprünglich eigne und der Engagierte Buddhismus daher als genuin buddhistisches Phänomen aufzufassen sei. Als moderne Erscheinung des 19. und insbesondere des 20. Jahrhunderts sei zwar der Einfluss sozialer, ökonomischer, psychologischer und politischer Formen westlicher Gesellschaftsanalyse auf die Bewegung unabweisbar, zumal viele asiatische Vertreter dieser Bewegung selbst an einer europäischen oder US-amerikanischen Universität studiert hätten, aber der Engagierte Buddhismus könne deswegen nicht darauf reduziert werden, ein bloßes Produkt des Westen zu sein. Vielmehr müsse der orthodoxe Charakter dieser Bewegung und deren Kontinuität innerhalb der eigenen Tradition herausgestellt werden. 70 Neben Ariyaratne, King, Rahula, Sivaraksa, Aung San Suu Kyi, Thurman und Thích Nhât Hạnh wird diese Position u. a. auch von Stephen Batchelor, José Ignacio Cabezón, Nelson Foster, Bernard Tetsugen Glassman, Paula Green, Tenzin Gyatso (XIV. Dalai Lama), Elizabeth J. Harris, Joanna Rogers Macy, Mareke Neumann, Donald Rothberg, Alan Senauke und Alexander Wynne vertreten. 71

11.1.3. Projektion und Konstruktion: Modernismus und Traditionalismus als Spielformen des Orientalismus? Als einer der zentralen Ideengeber und intellektuellen Wegbereiter des Engagierten Buddhismus nimmt Ken Jones in dieser Debatte eine gesonderte Position ein. Aufgrund seiner Ausführungen in The Social Face of Buddhism. An Approach to Political and Social Acti-

Thurman 1996: 79 f. Cf. King, S. 2005: 12; King, S. 2009a: 12. 71 Cf. Batchelor 2015b: 305 f.; Cabezón 1996: 311; Foster 1988: 49. Zu Glassman siehe Queen 2000a: 107. Cf. Green 2004: 76; Dalai Lama 2009: 15; Harris, E. 2001: 99; Macy 1988: 173; Neumann, M. 2005: 19; Rothberg/Senauke 2010: 21; Wynne 2015: 269. 69 70

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vism (1989) hat ihn Thomas Freeman Yarnell unter die Vertreter der modernistischen Diskontinuitätsthese eingeordnet. 72 Wie Gombrich und Smith lehnt Jones hier den Ansatz der Vertreter der traditionalistischen Kontinuitätsthese als methodologisch naiven, tendenziösen und insgesamt reduktionistischen Modernismus ab. 73 In ihrem Bestreben, die Relevanz des Buddhismus für die gesellschaftlichen Anforderungen der postkolonialen Moderne zu akzentuieren, neigten Verfechter dieser These allgemein dazu, bewusst oder unbewusst den geschichts- und kulturgebundenen Kontext zu ignorieren und kontemporäre und säkulare Ideen und Ideologien in die autoritativen Belege der kanonischen und historischen Quellen hineinzulesen, als ob diese ursprünglich als Programm für sozial-politische Reformen gedacht gewesen wären. 74 Auf diese Weise gehe allerdings deren primär geistige und existentielle Bedeutung verloren: We believe that it is unscholarly to transfer the scriptural social teaching uncritically and without careful qualification to modern societies, or to proclaim that the Buddha was a democrat and an internationalist. The modern terms ›democracy‹ and ›internationalism‹ did not exist in the sense in which we understand them in the emergent feudal society in which the Buddha lived. Buddhism is ill-served in the long run by such special pleading. On the other hand, it is arguable that there are democratic and internationalist implications in the basic Buddhist teachings. 75

Yarnell hat dieses Argument umgekehrt und gegen Jones und die Vertreter der modernistischen Diskontinuitätsthese insgesamt gewendet, deren Position bereits die unbewusste Konstruktion eines ursprünglich asozialen Buddhismus voraussetze und damit als eine moderne Spielform des Orientalismus zu identifizieren sei. 76 Eine solche Grundannahme präsupponiere bereits ihrerseits die moderne Unterscheidung zwischen heilig/profan und religiös/säkular und lese damit unkritisch eine bewusste Trennung zwischen einer sozialen und spirituellen Lebenssphäre in die Quellentexte hinein. Vor allem Jones sei bei seiner Darstellung der frühbuddhistischen Gemeinde von einer solchen problematischen Differenzierung der Lebenswelt in eine eso-

72 73 74 75 76

Cf. Jones, K. 1989: 207; Yarnell 2003: 295 ff. Cf. Jones, K. 1989: 198. Cf. Jones, K. 1989: 197 f., 237. Jones, K. 2012: 96 f. Zur Kontroverse zwischen Yarnell und Jones auch Lukoschek 2013: 118–124.

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terisch-religiöse Sphäre mit soteriologischem Telos und eine exoterisch-soziopolitische Sphäre ohne diese Dimension ausgegangen. 77 So konstatiert Yarnell im Hinblick auf Jones Position: »Jones here confidently criticizes these Buddhists for reading their own scriptures ›as if they were originally a programme for social reform,‹ as if he, Jones, can authoritatively say that they were not. […]. It seems that, in the heady post-modern period (obsessed with revealing ever more context and eschewing dubious comparisons), Orientalism is alive and well.« 78 Folgt man dieser skandalisierenden Logik Yarnells, den Mareke Neumann als einen »der ersten Kritiker und Meta-Denker der Bewegung« würdigt, weil er »verborgene kolonialistische Implikationen« 79 herausarbeite, dann ist jedes qualifizierte Urteil eines westlichen Forschers fortan als eine Form des Krypto-Orientalismus zu begreifen und damit jede echte Verstehensanstrengung und wissenschaftlich fundierte Urteilsbildung, die über das bloße Sammeln empirischer Daten und deren endlose Kontextualisierung hinausgehen will, grundsätzlich diskreditiert. Angesichts der Tatsache, dass Loy und die taiwanesische Nonne Cheng Yen die Historie ihrer eigenen Tradition ebenfalls als weitestgehend politisch indifferent beurteilen und somit authentische Vertreter der buddhistischen Tradition aus West und Ost zu analogen Einsichten gekommen sind, wird die Absurdität eines solchen Vorwurfs deutlich und evident, dass die von Yarnell dargebotene Argumentations- und Verdächtigungskultur keinen Erkenntnisfortschritt generiert, sondern eine weitere Spielform postmoderner und postkolonialistischer Wissenschaftszersetzung ist, die Ibn Warraq zurecht als »intellektuellen Terrorismus« bezeichnet hat. 80 Ähnlich hat auch Jones selbst in The New Social Face of Buddhism: An Alternative Sociopolitical Perspective (2003) auf Yarnells Kritik an seiner Position reagiert: Yarnell contends that the discontinuity thinkers’ assertion ›that the modern (and future) context is something historically unique and unCf. Yarnell 2003: 305. Yarnell 2003: 317. 79 Neumann, M. 2005: 22 80 Hinter dem Pseudonym Ibn Warraq verbirgt sich ein Apostat, der sich vom Islam abgewandt hat und diese postmoderne Polemik als »intellektuellen Terrorismus« bezeichnet, »since it seeks to convince not by arguments or historical analysis, but by spraying charges of racism, imperialism, and Eurocentrism from a moral high ground«. Warraq 2007: 18. 77 78

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precedented‹ is a thoroughly mistaken ›modernist strategy.‹ His position is perhaps more readily understandable in light of the fact that he argues from a postmodern ideological standpoint. This perspective questions any claims for authentic social and cultural evolution with the above kinds of radical disjunction as mere ›metanarratives.‹ Similarly, any value judgement of a phenomenon in one culture from the viewpoint of another (typically Western modernity) brings a charge of political incorrectness. For example, my claim that early Indian Buddhist social theory was ›rudimentary‹–a view with which no sociologist could disagree–exposes me to being identified as an ›Orientalist.‹ 81

Angesichts der Einordnung Yarnells bekennt sich Jones nun nachdrücklich zur traditionalistischen Kontinuitätsthese und weist die Ansicht zurück, der zufolge die sozio-politische Dimension den Lehren des frühen Buddhismus nur in latenter und rudimentärer Form immaniere. Die orthodoxe Bewegung des Engagierten Buddhismus setze eindeutig traditionelle Formen des gesellschaftspolitischen Engagements fort und müsse daher in grundsätzlicher Kontinuität mit der buddhistischen Tradition gesehen werden. Die Diskontinuität bestehe vielmehr in der radikalen Differenz zwischen der vormodernen Kultur des Buddhas und der globalen Kultur der Hochmoderne. Das Neuartige sei also nicht das sozial-politische Engagement des Buddhismus selbst, sondern die soziale, politische, ökonomische und ökologische Wirklichkeit der globalisierten Gegenwart, der sich der Buddhismus auf seinem Weg in das 21. Jahrhundert zwangsläufig anpassen musste und muss: »Engaged Buddhism is not presented here as some new kind of Buddhism, but simply as the logical extension of the traditional teachings of morality and compassion to twentyfirst-century conditions.« 82

11.1.4. Der engagierte Buddhismus als Aufgabe, Fortführung und Transformation der eigenen Tradition Sallie B. King hat die Rede von dem engagierten oder dem nicht-engagierten Buddhismus in ihren Publikationen zu Recht als inadäquate Essentialisierung und historisch inakkurate Verkürzung abgewiesen, die an der Komplexität der historischen Realität der buddhistischen

81 82

Jones, K. 2003: 219. Jones, K. 2003: xvii. Cf. Jones, K. 2003: 218 f.

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Tradition und der heterogenen Lebenswirklichkeit ihrer Vertreter vorbei laufe. 83 In den Worten Steven Collins und mit Hinblick auf die Frage nach einer potentiellen Gesellschaftstheorie des Buddhismus bedeutet dies: »There is no single and simple ›Buddhist‹ view of society, ideal or actual.« 84 In diesem Sinne kann überzeugend dafür argumentiert werden, dass sowohl der radikalen und gemäßigten Fassung der modernistischen Diskontinuitätsthese als auch der traditionalistischen Kontinuitätsthese in begrenztem Umfang recht zu geben ist und mithin keine der Thesen allein die historische Vielschichtigkeit und Dynamik des Buddhismus ausreichend differenziert würdigt, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll. Insofern der Buddhismus zusammen mit dem Jainismus und den nicht mehr existenten Ājīvikas ursprünglich den asketischen Reformbewegungen der indischen Śramaṇas entstammt, unterschied sich die anachoretische und zölibatäre Lebensform der ersten Buddhisten folglich radikal von der damaligen Norm des Brāhmaṇas, i. e. des vedischen Haushalters (gṛhastha). Dem weltzugewandten Ritualismus der vedischen Religion, die das Ideal eines Lebens gemäß der sozialen und kosmischen Ordnung (dharma) lehrte, wodurch mit Hilfe der Götter sinnliche und erotische Freuden (kāma) sowie Besitz, Reichtum und Macht (artha) als die höchsten Zielen des Menschen (puruṣārtha) erlangt werden konnten, stellten die Śramaṇas ein weltabgewandtes Erlösungsideal entgegen. Das ersehnte Ziel des Asketen bestand nicht mehr in einer dharma-gemäßen Lebensweise und dem potentiell immer wiederkehrenden Genuss vergänglicher Freuden (kāma/artha), sondern im Streben nach einem vollkommen unbedingten und daher todlosen Sein jenseits der saṃsārischen Welt, das als Befreiung (mokṣa) vom Kreislauf des Wiedertods (punarmṛtyu) gedacht wurde. 85 Angesichts des konsequenten Rückzugs der Śramaṇas aus dem sozialen, politischen und sexuellen Leben und ihrem rigorosen Bruch mit der Gesellschaft, ist der radikalen Fassung der modernistischen Diskontinuitätsthese also durchaus in begrenztem Umfang recht zu geben. Zudem wurde – wie King und auch von Brück übereinstimmend betonen – dieses ursprüngliche Śramaṇa-Ideal eines Lebens als zeitweiliger oder lebenslänglicher Eremit und Anachoret in Cf. King, S. 2009a: 10. Auch Loy spricht von »Buddhist traditions« und »Buddhisms«. Loy 2018: 45. 84 Collins 2006: 496. Cf. Loy 2000b. 85 Cf. Schmidt-Leukel 2008: 13–18. 83

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der buddhistischen Tradition bewahrt und niemals vollständig verdrängt. Bis heute verlassen Bettel- und Waldmönche die Städte, Dörfer und Klöster und ziehen sich in unzugängliche Gegenden zurück, um dort fernab der Gesellschaft in Isolation und strikter Meditation nach der Erleuchtung zu streben. 86 Diese Variante des buddhistischen Heilsweges dokumentiert zweifelsohne eine grundsätzlich apolitische und asoziale Dimension des Buddhismus, die etwa von Bechert, Conze oder Gombrich für den älteren Buddhismus insgesamt reklamiert wurde und dem Weg des gesellschaftspolitischen Engagements »in einem wechselseitig ausschließenden Entweder-Oder« 87 entgegensteht. Diese weltverneinende und weltflüchtige Dimension kommt in Loys Buddhismusinterpretation allerdings nicht zum Tragen – nicht etwa, weil er sich des Tatbestandes nicht bewusst wäre, sondern weil er das ursprüngliche Śramaṇa-Ideal aufgrund des von ihm gelebten und propagierten Ethos der Weltgestaltung und des sozial-ökologischen Engagements dezidiert ablehnt und vehement dagegen polemisiert: To be quite blunt, if you are not at least dimly aware of these urgent problems, then you are living in some very strange bubble devoid of news (perhaps in the late stages of a twenty-year retreat in some Himalayan cave?), or there is a serious deficiency in your spiritual practice. Either you are not paying attention or something is wrong with your ability to see. I suspect there is a special place in hell (the Buddhist hells as well as the Christian one) reserved for those who refuse to give up the self-centered indifference that allows them to sit indefinitely on their cushions while the rest of the world goes to hell. 88

Dennoch kam es innerhalb der dharmischen Gemeinschaft der Buddhisten schon sehr früh, i. e. wahrscheinlich bereits zu Lebzeiten des historischen Buddhas, zur Gründung des buddhistischen Mönchsund Nonnenordens (saṅgha), der Ausbildung sozial-ethischer Lehren und der Formulierung einer Laienethik, wie es in den überkommenen Texten des Pāḷi-Kanons belegt ist und dem Bild eines wesenhaft akosmischen, asozialen und apolitischen Buddhismus unverkennbar widerspricht. Aus diesem Grund ist auch der traditionalistischen

86 87 88

Cf. King, S. 2009a: 10; Brück/Lai 1997: 615 ff. Schmidt-Leukel 1997b: 294. Loy 2008: 80 f.

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Kontinuitätsthese in begrenztem Umfang recht zu geben. 89 Die buddhistische Synthese welttranszendenter und weltimmanenter Ziele konnte Max Weber aufgrund seiner einseitigen und verzerrten Interpretation des Buddhismus als einer rein weltflüchtigen Religion nicht einsichtig werden, weshalb er das missionarische Interesse des Buddhismus an den Laien, die sozial-ethische Dimension der Lehre und die Stiftung eines Mönchsordens durch den Buddha kurzerhand zum handgreiflichen Widerspruch erklärte und auf eine Transformation der frühbuddhistischen Lehre zur Zeit Aśokas zurückführte, deren treibendes Moment das Interesse der Laien gewesen sei. 90 Im GegenIm Gegensatz zur exoterischen Tradition des frühen Buddhismus, der an Proselytismus und damit grundsätzlich auch an einer Laiengemeinde interessiert war – zumal er materiell von dieser abhängig war – ging es in der esoterischen Tradition der Upaniṣads primär um das individuelle Erlösungsstreben Einzelner. Diese gravierende Differenz wird bereits am Begriff upaniṣad deutlich. Wörtlich bedeutet upaniṣad so viel wie »(sich) niedersetzen«, »sich (zu einem Lehrer) setzen«, aber auch »ZusammenSetzen« oder »(etwas) in Beziehung setzen«, insofern die Upaniṣads das hermetische Prinzip der Analogie und somit den »(verborgenen) Zusammenhang« zwischen menschlichem Mikrokosmos (adhyātman) und göttlichem Makrokosmos (adhidaivatam) lehren. Diese Lehren galten allerdings im Gegensatz zur buddhistischen Heilslehre als geheim, weshalb die Upaniṣads auch als Arkanum (rahasya) bezeichnet wurden, das nur bei einem in der Schriftlehre (śruti/upaniṣads) versierten (śrotriya) und in Brahman gegründeten (brahmaniṣṭa) Meister (guru) in Erfahrung gebracht werden konnte. Cf. Slaje 2009: 383 ff. Obeyesekere grenzt daher ganz grundsätzlich die Predigten des Buddhas, die unabhängig der Kaste jedermann offenstanden, von der »geschlossenen, esoterischen Welt des upaniṣadischen guru und seines Schülers« ab. Obeyesekere 1984: 262. 90 Cf. Weber 1923: 252. Den kanonischen Quellen zufolge wurde der buddhistische Mönchsorden (saṅgha) vom Buddha nach der ersten Lehrpredigt von Benares (Dhammacakkappavattana-Sutta) durch die Aufnahme seiner ersten fünf Schüler gegründet. Cf. Saṃyutta-Nikāya 56, 11. In: Bodhi 2000b: 1843–1847. Die Gründung des buddhistischen Nonnenordens wird hingegen auf das Wirken der Tante und Pflegemutter des Buddhas Mahāpajāpatī Gotamī (skt. Mahāprajāpatī Gautamī) zurückgeführt, die ihn nach dem Tod ihres Mannes darum bat, in den Orden eintreten zu dürfen. Der Cullavagga des Vinayapiṭaka berichtet, wie der Buddha ihre Bitte nach Ordination anfänglich zurückweist und nur auf das wiederholte Drängen Ānandas und unter Hinzunahme der sogenannten »Acht schwerwiegenden Vorschriften« (pāḷi aṭṭhagarudhammā) einlenkt, die von einer Nonne u. a. verlangen, dass sie ungeachtet ihres Alters und Zeit im Orden, einen männlichen Mönch, auch wenn er gerade erst ordiniert wurde, höflich begrüßen, sich vor ihm erheben, ihn mit ehrfürchtig zusammengelegten Händen verehren und ihm Respekt erweisen muss. Nach der Ordination seiner Tante informiert der Buddha Ānanda schließlich noch darüber, dass der dhamma aufgrund seines Wirkens und der Begründung des Nonnenordens nun nicht mehr tausend, sondern nur noch fünfhundert Jahre bestehen werde. Cf. Cullavagga 10, 1. In: Horner 1963: 352–356. Aufgrund der unmittelbaren Nähe des saṅgha zu den 89

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satz zu Weber sieht Tambiah den missionarischen Impuls und das politische Bündnis in der Aśoka-Periode nicht als Abweichung von der ursprünglichen Lehre des Buddhismus, sondern als »Kulmination bereits vorhandener Tendenzen« 91, die den Buddhismus von Beginn an bestimmten. Neben der rein materiellen Abhängigkeit der buddhistischen Gemeinde von den Laien haben dabei Schmidt-Leukel zufolge zwei Aspekte eine entscheidende Rolle gespielt. Erstens, der im Pāḷi-Kanon dokumentierte Anspruch der frühen Buddhisten, die »wahren Brahmanen« zu sein und das damit einhergehende religiösgesellschaftliche Vorrecht, die ethischen Leitlinien der Politik festlegen zu können und zweitens, die soteriologische Stellung des buddhistischen Laien. 92 lokalen Dorfgemeinschaften kam es daher bereits zu Lebzeiten des Buddhas zum unvermeidlichen Kontakt mit der weltlichen Gesellschaft. Cf. Brück/Lai 1997: 586 f. In der buddhistischen Literatur lassen insgesamt drei verschiedenen Bedeutungen für den Begriff saṅgha unterscheiden. In einem weiten Sinn meint saṅgha die vierfache Gemeinschaft (catuṣ pariṣad), die sich aus den Mönchen (bhikṣus), Nonnen (bhikṣunīs), männlichen (upāsaka) und weiblichen Laienanhängern (upāsikā) zusammensetzt. In einem engeren Sinn bezieht sich saṅgha nur auf ordinierte Mitglieder einer lokalen monastischen Gemeinde oder auf den buddhistischen Orden insgesamt. Eine dritte Bedeutung ist noch enger und bezieht sich lediglich auf die edle Gemeinschaft (ārya-saṅgha), womit diejenigen vier Stufen Edler Jünger (ariya-puggala) des Ordens bezeichnet werden, die vom »in den Strom Eingetretenen« (pāḷi sotāpanna; skt. śrotrāpanna) bis zum erleuchteten arhat reichen. Cf. Schmidt-Leukel 2008: 73 f. 91 Tambiah 1994: 211. 92 Das 26. Kapitel (brāhmaṇa-vagga) des Dhammapada und das Vāseṭṭha-Sutta des Sutta-Nipāta bekunden nachdrücklich die Kritik am Supremat der Brahmanenkaste und den entsprechenden Anspruch der frühen Buddhisten, die einzig wahren Brahmanen zu sein. Cf. Dhammapada 383–423. In: Carter 2000: 66–71; Sutta-Nipāta 3, 9. In: Nyānaponika 2003: 139–148. Das Vāseṭṭha-Sutta lehnt darüber hinaus den Anspruch ab, man werde anders als durch seine Taten und sittliches Betragen allein durch die Geburt Brahmane und im Aggañña-Sutta des Dīgha-Nikāya spottet der Buddha dem Anspruch der Brahmanen, aus dem Munde Brahmās geboren, in Brahmā gezeugt und gebildet und Erbe Brahmās zu sein, da sie doch wie jeder andere Mensch auch von einer fruchtbaren, schwangeren, gebärenden und aufsäugenden Frau geboren worden seien. Nur die Buddhisten dürften auf die Frage hin »Wer seid ihr?« aufrichtig bekennen »›Vom Erhabenen bin ich der Sohn, von echter Abstammung, aus dem Munde geboren, in der Lehre gezeugt, in der Lehre gebildet, Erbe der Lehre‹«, weil der Buddha die leibhaftige Lehre und die Verkörperung des dharma sei. DīghaNikāya 27. In: Neumann, K. 2004: 478 f. In der nachfolgenden Kosmogonie des Aggañña-Suttas, die von der mythischen Entstehung der menschlichen Gesellschaft berichtet, werden die Brahmanen als Renommisten diffamiert, die bei der Meditation in ihren Waldhütten kläglich gescheitert seien, weshalb sie sich in der Nähe von Dörfern und Städten ansiedelten und die inhaltsleeren Veden verfassten, um dem Volk zu

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Da der Vinaya-Piṭaka den buddhistischen Ordensmitgliedern die Bekleidung politischer Ämter untersagt, kam für diese Position nur der buddhistische Laienanhänger (upāsaka/upāsikā) in Frage. Im Gegensatz zu den umfangreichen Ordensregeln für vollordinierte Mönche (bhikṣu) und Nonnen (bhikṣuṇī), die im Bhikṣu-Prātimokṣa- und Bhikṣuṇī-Prātimokṣa-Sūtra des Vinaya-Piṭaka festgehalten sind und im Theravāda insgesamt 227 Ordensvergehen (āpatti) gegen die Mönchszucht und 311 Vergehen gegen die Nonnenzucht registrieren, sind für den Laien lediglich fünf Übungsregeln (pañca-śikṣāpada) als ethische Grundsätze (pañca-śīlāni) bindend. Diese im Sikkhādubbalya-Satipaṭṭhāna-Sutta des Aṅguttara-Nikāya festgehaltenen moralischen Minimalanforderungen verbieten das Verletzen oder Töten lebender Wesen (pāṇātipāta), das Nehmen von Nichtgegebenem (adinnādāna), sexuelles Fehlverhalten (kāmesumicchācāra), Lügen (musāvāda) und den Genuss von Rauschmitteln (surāmeraya). 93 Bis auf den Handel mit Waffen, Lebewesen, Fleisch, Drogen und Giften, die für den Lebenserwerb explizit untersagt sind, imponieren. Cf. Dīgha-Nikāya 27. In: Neumann, K. 2004: 485. Im Tevijja-Sutta des Dīgha-Nikāya und im Cankī-Sutta des Majjhima-Nikāya werden die Anhänger der Veden überdies als Blinde, die Blinden folgen verhöhnt und mit einem einfältigen Mann verglichen, der die Treppe zu einem Palast errichtet, ohne die geringste Kenntnis von der Beschaffenheit des Palastes selber zu besitzen. Cf. Dīgha-Nikāya 13. In: Neumann, K. 2004: 169 f.; Majjhima-Nikāya 95. In: Bodhi 2001: 779 f. Im KūṭadantaSutta des Dīgha-Nikāya und Brāhmaṇadhammika-Sutta des Sutta-Nipāta wird das Tieropfer der vedischen »Schein-Brahmanen« als barbarische Hinschlachtung unschuldiger Lebewesen dämonisiert und im Vatthūpama-Sutta des Majjhima-Nikāya und Tevijja-Sutta werden die brahmanischen Reinigungsriten, wie das rituelle Bad und die Anrufung der Götter (Indra, Soma, Varuṇa, Isāna, Pajāpati, Brahmā, Mahiddhi und Yama) als vollkommen nutzlose Superstition verworfen. Cf. DīghaNikāya 5, 13. In: Neumann, K. 2004: 97, 172; Majjhima-Nikāya 7. In: Bodhi 2001: 120 f.; Sutta-Nipāta 2, 7. In: Nyānaponika 2003: 86. Belegstellen nach Schmidt-Leukel 1997b. Es ist unschwer zu erkennen, dass angesichts dieser grundsätzlichen Kritik, die sich in prinzipielle Opposition zur herrschenden Brahmanenkaste setzte, der König idealerweise kein Brahmane, sondern Buddhist sein oder sich zumindest in grundlegender Übereinstimmung mit den sozialethischen Maximen der buddhistischen Lebenspraxis (śila) befinden sollte. 93 Cf. Aṅguttara-Nikāya 9, 63. In: Bodhi 2012: 1326 f. Während diese Stelle ausschließlich Prohibitive kompiliert und vor allem die Enthaltung von negativen Gedanken, Worten und Taten beschreibt, finden sich an anderen Stellen des Pāḷi-Kanons Injunktive, die belegen, dass es sich bei der buddhistischen Ethik um keine passive Vermeidungshaltung handelt, sondern vor allem die aktive Kultivierung karmisch heilsamer Gedanken, Worte und Taten im Mittelpunkt steht. Cf. Aṅguttara-Nikāya 6, 107–116. In: Bodhi 2012: 985–988.

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war es dem buddhistischen Laien also durchaus möglich, auf Grundlage der fünf Übungsregeln und der vier im Sigālovāda- oder Sigālaka-Sutta des Dīgha-Nikāya beschriebenen »gemeinschaftsstiftenden Mittel« (saṃgraha-vastūni) des selbstlosen Gebens (dāna), der gütigen Rede (priyavākya), des hilfreichen Wirkens (tathārthacaryā), der Sympathie und Empathie (samānārthatā) bzw. des Gleichmuts gegenüber Freud und Leid (samāna-sukha-duḥkhatā) in der Politik zu reüssieren. 94 Zwar geht das frühbuddhistische Schrifttum im Allgemeinen davon aus, dass der Heilsweg über das monastische Dasein führt und vollordinierte Mönche und Nonnen auf einem über mehrere Wiedergeburten reichenden Weg zur Erleuchtung fortgeschrittener sind als Laienanhänger, aber eine im Geist buddhistischer Sittlichkeit ausgeübte soziale Tätigkeit wird für den spirituellen Fortschritt des Laien nicht als heilsobstruktives Hindernis, sondern heilsdienlicher Lebenswandel auf dem allmählichen Weg zur endgültigen Erlösung qualifiziert. 95 Schmidt-Leukel kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Buddhismus eine genuin gesellschaftspolitische Dimension besitzt, »weil konstruktive sozialethische Betätigung ein Teil jener Sittlichkeit« sei, die den »buddhistischen Laienanhänger auf seinem Weg zur endgültigen Erlösung« 96 voranbringe. Nun könnte allerdings eingewendet werden, dass gerade die Beschränkung gesellschaftspolitischer Arbeit auf den Laienstand den letztlich apolitischen Charakter des Buddhismus belegt, wenn die endgültige Erleuchtung allein dem Lebenswandel eines vollordinierten Ordensmitgliedes vorbehalten bleibt. Die weiterführende Frage muss demnach lauten: »Kann ein buddhistischer Laie als Laie die Erlösung erreichen?« 97 Die kanonischen Quellen bejahen diese Frage eindeutig, worauf auch Loy wiederholt aufmerksam macht. 98 Spätere Cf. Aṅguttara-Nikāya 5, 177. In: Bodhi 2012: 790; Dīgha-Nikāya 31. In: Walshe 1995: 468 f. 95 »Die da Parke pflanzen, die Haine pflanzen, die Leute, die Brücken anlegen, Zisternen und Brunnen, die eine Heimstätte bereiten: Bei diesen Leuten wächst Tag und Nacht stets das Verdienst, diese Leute gehen, auf der Wahrheit fußend, mit sittlicher Zucht begabt, in den Himmel ein.« Saṃyutta-Nikāya 1, 1, 47. In: Geiger/ Nyānaponika/Hecker 2003: 51 f. 96 Schmidt-Leukel 1997b: 298. 97 Schmidt-Leukel 1997b: 298. 98 Cf. Loy 2008: 5. Im Sāmañña-Vagga des Aṅguttara-Nikāya werden allein zwanzig Laienanhänger aufgeführt, die als Laien aufgrund ihres unerschütterlichen Vertrauens zum Buddha, zur Lehre, zur Mönchsgemeinde, zur Sittlichkeit, zur Erkenntnis 94

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Schriften wie die semi-kanonischen Milindapañhā erklären diese Aussagen hingegen damit, dass diese Laien bereits in einer vorangegangenen Existenz ein monastisches Dasein geführt haben müssen, während es im mahāyānistischen Vimalakīrtinirdeśa als herausragende Eigenschaft des Bodhisattvas beschrieben wird, sich im weltimmanenten Zustand der Erlösung (apratiṣṭhita-nirvāṇa) als geschicktes Mittel zum Wohle aller Wesen u. a. als Mönch aller religiösen Traditionen, als Prostituierte, als Dorfoberhaupt, als Kaufmann, als hoher Staatsbeamter, als Bräutigam oder Dienstbote zu manifestieren, um die Wesen zu unterstützen und auf den Pfad der Erleuchtung zu führen. 99 Während also nach älterer buddhistischer Auffassung »eine konkrete gesellschaftspolitische Betätigung als Entfaltung sittlicher Gesinnung den Laien auf seinem Weg zur Erlösung voranbringen« konnte, jedoch »nicht mit dem erleuchteten Leben selbst vereinbar« war, so galt nach späterer buddhistischer Auffassung, »dass ein Erleuchteter auch das Leben eines Laien führen kann und zwar unter Einschluss der Wahrnehmung politischer Aufgaben – vorausgesetzt natürlich, dass diese Tätigkeit im Dienst der Entfaltung des buddhistischen Mitleids, bzw. der allumfassenden Güte steht.« 100 Die Deutung des Buddhismus als einer wesenhaft weltflüchtigen Religion, von der keinerlei sozio-politische oder gar revolutionäre Kraft ausgeht und deren Heilsweg die obligatorische Abkehr von jeder aktiven Beteiligung am gesellschaftlichen Leben voraussetzt, muss Schmidt-Leukel zufolge daher als westliches Konstrukt abgewiesen werden, das heutzutage von keinem ausreichend informierten Buddhologen mehr vertreten würde. Neben Walpola Rahula bezieht sich Schmidt-Leukel hier auch auf östliche Religionswissenschaftler und zeitgenössische buddhistische Philosophen, wie Gunapala Dharmasiri, Pramaha Chanya Khongchinda, Hajime Nakamura, Pahalwattage Don Premasiri, Stanley Jeyaraja Tambiah und Oliver Hector de Alwis Wijesekera, die allesamt »nicht nur die innige Verbindung zwischen buddhistischer Soteriologie und Ethik betont, sondern auch die Auffassung bekräftigt« hätten, dass »die buddhistische Heilslehre klare sozial-ethische Implikationen besitze,

und zur Befreiung die Verwirklichung des Todlosen (nirvāṇa) erlangt hätten. Cf. Aṅguttara-Nikāya 6, 119–139. In: Bodhi 2012: 989 f. 99 Cf. Milindapañha 6. In: Nyānaponika 1998: 316–328; Vimalakīrtinirdeśa 8. In: Burton, W. 2008: 102 f. 100 Schmidt-Leukel 1997b: 299.

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aus denen sich konsequent gesellschaftspolitische Grundprinzipien ergeben« 101 würden. 102 Dennoch ist auch der gemäßigten Fassung der modernistischen Diskontinuitätsthese in begrenztem Umfang rechtzugeben, insofern einige buddhistische Modernisten wie Loy das bisherige Verhältnis des Buddhismus zur Politik, wie es bereits in den kanonischen Quellentexten anhand der zwei Räder der (weltlich-profanen) Herrschaft (ājñācakra) und der (religiös-spirituellen) Herrschaft (dharmacakra) kohärent konzipiert wird, in nicht unerheblichen Ausmaß alteriert und damit einen Bruch mit der bisherigen Tradition vollzogen haben. Die politische Vision des Buddhismus ist bereits im Pāḷi-Kanon aufs engste mit dem Ideal des Weltenherrschers bzw. »Raddrehers« (cakravartin) verbunden, das der Buddhismus mit dem orthodoxen Brahmanismus und heterodoxen Jainismus teilt. Im Hinblick auf die Quellen urteilt Tambiah daher, dass das Erlösungsstreben der bhikkhus und die königliche Moral, die das weltliche Handeln ordnet, »im frühen Buddhismus zu einer Totalität verbunden« sind und diese Verbindung »historisch Wechselwirkungen und Ergänzungen, aber auch Spannung und Konflikte« 103 erzeugt hat, zu deren wechselvoller Geschichte auch die Bewegung des Engagierten Buddhismus gezählt werden kann. Ken Jones hat die buddhistische Vision der zwei Räder folgendermaßen charakterisiert: The Buddha envisaged spiritually informed monarchs […]. Such a dhammaraja would work in tandem with the monastic community responsible for the higher work of spiritual liberation. The chariot of state would thus run upon two wheels, power and righteousness, with the authority of the ruler legitimized by the monastic sangha (the Buddhist community). The latter were the king’s influential advisers and thus, in a sense, were power-sharers. Just as rulers sometimes intervened to purge the sangha of malpractices and even of heresies, so also was the sangha sometimes instrumental in the deposition of unrighteous monarchs. On this pattern great Buddhist civilizations were established in Sri Lanka, Burma, Cambodia, and Indonesia. 104 Schmidt-Leukel 1997b: 291. Cf. Dharmasiri 1989: 53–87; Khongchinda 1993; Nakamura 1975: 93 ff.; Premasiri 2001: 45–56; Tambiah 1976; Rahula 1982: 130–153; Wijesekera 1994. 103 Tambiah 1994: 240. 104 Jones, K. 2003: 45. Das Ideal des buddhistischen Monarchen findet seine mythologische Rechtfertigung im kosmogonischen Bericht des Aggañña-Suttas, in dem die Wesen aufgrund von aufkeimender Gier, dem ersten Diebstahl, der ersten Lüge und dem darauf einsetzenden Wunsch nach Vergeltung und Gewalt gemeinsam beschlie101 102

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Inwiefern hat die Bewegung des Engagierten Buddhismus dieses traditionelle Leitbild eines buddhistischen Herrschers nun transformiert oder sogar explizit mit ihm gebrochen? Matthew J. Moore zufolge wandelte sich die traditionelle Regierungslehre in überwiegend buddhistischen Ländern zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter dem Eindruck der Kolonialisierung rapide und radikal, indem die alten Monarchien durch republikanische Staatsformen oder konstitutionelle Monarchien ersetzt wurden. 105 Emanuel Sarkisyanz (1923–2015), Donald Eugene Smith (1926–2017) und Heinz Bechert (1932–2005) haben diese Entwicklung im Sinn der modernistischen Diskontinuitätsthese als ideologischen Synkretismus oder vollständigen Bruch mit den tradierten Herrschaftsidealen der frühbuddhistischen Lehre interpretiert, während Kulatissa Nanda Jayatilleke (1920– 1970), Trevor Oswald Ling (1920–1995), Anthony Kennedy Warder (1924–2013), Laksiri Dharmasoka Jayasuriya (1931–2018), Joanna Macy und Nandasena Ratnapala im Sinn der traditionalistischen Kontinuitätsthese dafür argumentiert haben, dass der Buddhismus schon immer republikanische und demokratische Elemente enthalten ßen, eines der Wesen zu ihrem ersten mythischen Herrscher Mahāsammata (wörtl. der »große, einstimmig Gewählte«) zu ernennen und ihm das Gewaltmonopol zu übertragen, um das drohende Chaos zu vermeiden. Cf. Dīgha-Nikāya 27. In: Walshe 1995: 409–413. Der Inhalt des Aggañña-Mythos wurde von Arthur Llewellyn Basham, Steven Collins, Peter Harvey, Ken Jones und John Willard Spellman als Ausdruck eines buddhistischen Kontraktualismus gedeutet, in dem die Sozial- und Herrschaftsordnung sowie die legitime Autorität des cakravartins in freiwilliger Übereinkunft der Menschen in einer Art Gesellschaftsvertrag besiegelt wird. Cf. Basham 1986: 83; Collins 1993: 387 ff.; Harvey 2004: 114; Jones, K. 1989: 236 f.; Spellman 1964: 22. Andrew Huxley hat diesen Vergleich als Anachronismus moniert, der die Sicht auf die eigentliche politische Theorie des frühen Buddhismus verstelle, während Matthew J. Moore diese Interpretationslinie jüngst fortgesetzt hat. Cf. Huxley, A. 1996: 409 f.; Moore, M. 2016: 23 f. Huxleys Kritik wurde eingehend erwidert von Collins 1996. Das mythologische Ideal des buddhistischen Herrschers konkretisiert sich in einer Reihe weiterer Texte, die hier nicht ausführlich dargestellt werden können: Cf. Abhidharmakośabhāṣya 3, 17 und 3, 95 f. In: Pruden 1991: 398, 484; Aṅguttara-Nikāya 2, 52 und 55; 3, 14; 7, 62 und 55. In: Bodhi 2012: 167, 208 ff., 1062; Dīgha-Nikāya 16, 26, 30. In: Walshe 1995: 279–283, 396 f., 441–460; Jātaka 385. In: Dutoit 1911: 297; Mahāvastu. In: Jones, J. 1949: 293 f. und 298; Majjhima-Nikāya 115, 129. In: Bodhi 2001: 929, 1022 f.; Saṃyutta-Nikāya 63. In: Bodhi 2000b: 1567; Visuddhimagga 13, 54. In: Ñāṇamoli 2010: 412. [Dieser Passus wird in der deutschen Übersetzung mit dem Hinweis »Hier folgt eine in allerhand Einzelheiten sich ergehende Beschreibung dieser vier Weltperioden« ausgelassen. Nyānatiloka 1975: 473.]. 105 Cf. Moore, M. 2016: 43.

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haben und das historische Arrangement mit der Monarchie vielmehr durch realpolitischen Pragmatismus motiviert gewesen sei. 106 Brian Daizen Victoria hat in einer Diskussion der bereits 1931 gegründeten japanischen Youth League for Revitalizing Buddhism (shinkō bukkyō seinen dōmei) das genuin Neue des Engagierten Buddhismus hingegen in der Aneignung sozialistischen und kommunistischen Gedankenguts eruiert. Mit der Liga, die Victoria als einen japanischen Vorläufer des Engagierten Buddhismus betrachtet, sei erstmals eine buddhistische Gruppierung in Japan aufgetreten, die sich bewusst einer linkssozialistischen Ideologie verschrieben habe. Neben der koreanischen Buddhist Reformation Association (Pulgyo Yushin hoe) – Korea wurde 1905 zu einem japanischen Protektorat und war von 1910–1945 annektierte Kolonie mit dem Namen Chōsen – war die Liga die einzige Organisation im Japanischen Kaiserreich, die links-revolutionäre Kritik am institutionalisierten Buddhismus und dessen aktiver Unterstützung des japanischen Militarismus und Imperialismus übte. 107 Eine direkte Synthese des buddhistischen Herrschaftsideals des cakravartins mit dem Sozialismus findet sich in den politischen Traktaten Bhikkhu Buddhadāsas, der als einer der Pioniere des politischund sozial-engagierten Buddhismus gilt. 108 Buddhadāsas politische Vision einer buddhistisch-sozialistischen und absoluten Monarchie, die er als Dhammocracy oder Dictatorial Dhammic Socialism charakterisiert, beinhaltet die Einsetzung eines laienbuddhistischen Herrschers oder »dharmischen Diktators« nach dem autokratischen Vorbild Aśokas. 109 Sein radikaler Konservativismus und dharmischsozialistischer Utopismus hat dabei Einfluss auf seine Schüler Santikaro Bhikkhu und Sulak Sivaraksa ausgeübt, die Buddhadāsas 106 Cf. Bechert 1973: 91; Bechert 1989: 25; Jayasuriya 2008; Jayatilleke 1967; Ling 1983; Macy 1979; Ratnapala 1997; Sarkisyanz 1965: 192; Smith, D. 1970: 11; Warder 1980. 107 Cf. Victoria 2011: 158. 108 Neben Buddhadāsa und Sivaraksa zählt Prayudh Aryankura Payutto zu den wichtigsten Vertretern des Buddhismus in Thailand: Als Hauptwerk Payuttos gilt allgemein Buddhadhamma. Natural Laws and Values for Life, das 1995 in englischer Übersetzung erschien und das aufgrund seiner umfassenden und systematischen Darstellung der gesamten Lehre des Buddhas als zeitgenössisches Visuddhimagga des Theravāda-Buddhismus gewürdigt wurde. Cf. Bosch 2008: 27. Zu Payuttos buddhistischer Wirtschaftslehre siehe 11.3.1. 109 »When there is dhammocracy it could be a dictatorship, a democracy or whatever.« Buddhadāsa, Barom tham, 53. Zitiert nach: Jackson 2003: 236. Cf. Buddhadāsa 1991.

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Programm einer grundlegenden Reform der sozialen, ökonomischen und politischen Gesellschaftsstrukturen Thailands im Geiste des dharmischen Sozialismus kritisch fortsetzen. 110 Ihre Feindbilder decken sich dabei weithin mit denen Loys: Der »Fundamentalismus des freien Marktes« 111, der dem Rest der Welt als neue Form des Kolonialismus oktroyiert werde; transnationale Konzerne und Institutionen, wie die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die Welthandelsorganisation, kurz alle Vertreter der »dämonische[n] Religion des Konsumerismus« 112, die für die weltweite Förderung von Gier verantwortlich gemacht werden sowie die von transnationalen Unternehmen kontrollierten Regierungen, die selbst wiederum die Massenmedien kontrollierten, die schließlich die neue Weltreligion des Konsumerismus und Kapitalismus propagierten, die Menschen mit ihrer Weltsicht einer global-kapitalistischen Monokultur indoktrinierten und damit aktiv zur intellektuellen Kolonisation und Verblendung der Bevölkerung beitrügen. Im Gegensatz zu Loy findet sich bei Bhikkhu Santikaro allerdings eine konkrete Vision einer nach den Prinzipien des Buddhismus regulierten nibbānischen Gesellschaft, die auch nicht ihre totalitären Implikationen unterschlägt: Um eine Gesellschaft in Einklang mit dem dhamma zu bringen und die »selbstsüchtigen ›Befleckungs‹Strukturen in aufgeklärte ›Erleuchtungs‹ (bodhi)-Strukturen« 113 zu verwandeln, müssen Santikaro zufolge das Fernsehen, die Zeitungen und das Internet kontrolliert und zensiert, die Werbe- und Pressefreiheit insgesamt aufgehoben, die öffentlichen und privaten Schulen und Universitäten als Komplizen der Verblendung größtenteils geschlossen und durch eine flächendeckende buddhistische Indoktrination und Propaganda ersetzt werden. Darüber hinaus soll die freie Marktwirtschaft durch eine buddhistische Planwirtschaft subsituiert, die freiheitlich demokratische Grundordnung und das Parteiensystem abgeschafft und die Gesellschaft insgesamt zu einem riesigen saṅgha umfunktioniert werden, in dem das private Eigentum auf das Nötigste reduziert und der Vegetarismus zum allgemeinen Gebot wird und ein »Aufsichtssystem« die gegenseitige Überwachung aller Mitglieder gewährleistet. Damit würde eine buddhistische Politik im 110 111 112 113

Cf. Santikaro 1996a; Santikaro 1996b. »[F]ree-market fundamentalism«. Sivaraksa 2011: 10. »The demonic religion of consumerism.« Sivaraksa 2005a: 8. Santikaro 1996a: 107.

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Geiste Santikaros alle juristischen Kriterien erfüllen, um als verfassungswidrig eingestuft und in organisierter Form als Partei verboten zu werden. 114 Angesichts dieser totalitären Konsequenzen buddhistischen Denkens, das die Unterwerfung des gesamten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens sowie dessen umfassende Reglementierung impliziert, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich sozial-engagierte Buddhisten, die sich wie Loy gerne als liberal und repressionsfrei gerieren, über nahezu alle Fragen der konkreten politischen Umsetzung ihrer Lehre mehrheitlich ausschweigen. Die genuine Neuerung des politisch- und sozial-engagierten Buddhismus besteht allerdings nicht allein in der Aneignung sozialistischen Gedankenguts und deren Applikation auf das buddhistische Herrschaftsideal, sondern vor allem in einem radikalen Bruch einiger Protagonisten mit der zentralistischen Vision des cakravartins und seinen alternativen politischen Erscheinungsformen wie der kommunistischen Partei, die der marxistische Philosoph und Mitbegründer der Kommunistischen Partei Italiens Antonio Gramsci (1891– 1937) in der Tradition Niccolò Machiavellis (1469–1527) als »modernen Fürsten« bezeichnet hat. 115 Loy hat die konkreten politischen Implikationen seiner buddhistischen Gesellschaftstheorie zwar nicht elaboriert, weshalb ein entsprechendes Kapitel in dieser Arbeit fehlt, aber an den wenigen Stellen, an denen er sich politisch äußert, räumt er eine weltanschauliche Nähe zu öko-anarchistischen Ideen ein, die eine grundsätzliche Absage an die traditionelle Lehre der zwei Räder der königlichen und spirituellen Herrschaft (ājñācakra/dharmacakra) sowie eine prinzipielle Kritik an jeder Form des politischen Zentralismus zugunsten einer quasi-anarchischen Dezentralisierung und Stärkung kommunaler Selbstverwaltung zur Förderung basisdemokratischer Partizipationschancen bedeuten. 116 Dem entspricht grundsätzlich die Einschätzung Adrian Koniks, der Loys gesellschaftspolitisches Denken als anarcho-syndikalistisch charakterisiert hat. Loy kombiniere in seinem sozial-revolutionären Denken seine subversive Grundeinstellung mit buddhistischer Theorie und Praxis, 114 Cf. Santikaro 1996a: 110–128. Wie sich Santikaro angesichts dieser politischen Vision die gewaltlose Etablierung eines dezentral organisierten politisch-administrativen Systems denkt, das »von unten nach oben organisiert, transparent, nicht hierarchisch« und auf dem »Subsidiaritätsprinzip aufgebaut« sein soll, wird an keiner Stelle nachvollziehbar. Santikaro 1996a: 112. 115 Cf. Gramsci 1986. 116 Cf. Loy 2003a: 34.

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um eine Form des Engagierten Buddhismus zu kreieren, die in vielerlei Hinsicht mit dem libertären Sozialismus und Anarchosyndikalismus Noam Chomskys konvergiere. 117 Die Nähe des Buddhismus zu anarchistischen Theorien wurde auch von Moore in seiner Analyse der politischen Theorie der frühbuddhistischen Lehre bestätigt. Denke man die gesellschaftspolitische Vision des Buddhismus konsequent zu Ende, laufe in letzter Konsequenz alles auf die Utopie eines pazifistischen Anarchismus hinaus. 118 Angesichts der gegenwärtigen Debatte lassen sich paradigmatisch zwei politische Entwicklungslinien prognostizieren, entlang derer sich der Engagierte Buddhismus in Zukunft entwickeln wird: Entweder wird man sich unter dem demoralisierenden Eindruck der globalen Unwirksamkeit lokal beschränkter Graswurzelaktionen und dem gleichzeitig superexponentiell wachsenden Bedarf an ökologischen Maßnahmen mit globaler Wirkung in Richtung eines buddhistischen Öko-Faschismus entwickeln, der die traditionelle Lehre der zwei Räder fortschreibt und dessen weltlicher Herrscher (cakravartin) als eine Art »Öko-Aśoka« in vielerlei Hinsicht mit dem von Bhikkhu Buddhadāsa postulierten »dharmischen Diktator« oder dem von Rudolf Bahro beschriebenen »Fürst der ökologischen Wende« und »grünen Adolf« 119 gleichen wird oder das pazifistisch-anarchistische Element wird alternativ dominieren und eine buddhistische Variante des kommunistischen Anarchismus oder libertären Kommunalismus (libertarian municipalism) hervorbringen, wie er von Pjotr Alekseevič Kropotkin (1842–1921), Johann Most (1846–1906), Errico Malatesta (1853–1932), Gustav Landauer (1870–1919), Erich Mühsam (1878–1934), Alexander Berkman (1870–1936), Murray Bookchin (1921–2006), Janet Biehl und anderen kommunalistischkommunistischen Anarchisten entwickelt wurde. 120

Cf. Konik 2009: 125. Cf. Konik 2009: 158–162. Cf. Moore, M. 2016: 29. 119 Bahro 1987: 355, 358. 120 Wie nah die beiden Alternativen des föderalistisch orientierten Anarchismus und zentralistisch ausgerichteten Totalitarismus dabei beinander liegen, zeigt eine Äußerung von Arne Næss zu den politischen Implikationen der Tiefenökologie. Zwar könne man ganz pauschal sagen, dass Anhänger der tiefenökologischen Bewegung mit einem prinzipiell gewaltlosen Anarchismus sympathisierten, aber angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums und der Kriege und kriegsähnlichen Zustände in vielen Regionen der Welt sei man zwangsläufig auf effiziente und zentralistisch organisierte Regierungssysteme mit einer starken Zentralgewalt angewiesen, um in Zu117 118

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11.2. The Great Awakening: Loys buddhistische Sozialtheorie Seit Dekaden nutzen A. T. Ariyaratne und die Sarvodaya-ŚramadānaBewegung die vier edlen Wahrheiten, die Ken Jones als »perennial and transcultural core Dharma« 121 des Buddhismus charakterisiert hat, um die gesellschaftspolitische Lage Śrī-Laṅkās zu analysieren, Maximen für den friedlichen Wandel zu eruieren und daraus konkrete Richtlinien für ihr sozio-politisches Engagement abzuleiten. Die erste edle Wahrheit von der Tatsache des Leidens (duḥkha-satya) wurde während der Zeit des Bürgerkrieges in Śrī-Laṅkā (1983–2009) mit der vorherrschenden Gewalt identifiziert, die innerhalb der Gesellschaft zwischen den tamilischen Separatisten, insbesondere den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) und den vorwiegend buddhistischen Singhalesen herrschte; die zweite edle Wahrheit beschreibt die Ursache (samudaya-satya) dieser kollektiven Gewalt, die auf die allgemeine Armut und die ethnischen Konflikte innerhalb der Bevölkerung zurückgeführt wurde; die dritte edle Wahrheit stellt eine mögliche Aufhebung (nirodha-satya) der Gewalt und ein Ziel in Aussicht, das der Buddhismus normalerweise mit dem nirvāṇa identifiziert und im gesellschaftspolitischen Kontext zur utopistischen Vision eines zukunftsfähigen Landes in dauerhaftem Frieden transformiert wurde, während die vierte edle Wahrheit, die den edlen achtfachen Pfad als die zur Leidensauslöschung notwendige Therapie beschreibt (mārga-satya), sich wiederum sozio-politisch gewendet in den friedensstiftenden Programmen der Bewegung manifestierte, die Armut und ethnische Konflikte durch konkrete Entwicklungshilfe auch noch über den Bürgerkrieg hinaus bekämpfen. 122 Diesem gesellschaftlichen Analysemuster sind innerhalb der Bewegung des Engagierten Buddhismus u. a. auch Aitken, Santikaro Bhikkhu, Darrin Drda, Ken Jones, Sulak Sivaraksa und Thích Nhât Hạnh gefolgt. 123 Auch Loy richtet seine buddhistische Sozialtheorie

kunft Verstöße gegen elementare Prinzipien grüner Politik unterbinden zu können. Cf. Næss 2001: 156 f. 121 Jones, K. 2003: 118. 122 Cf. King, S. 2013: 644 f. 123 Cf. Aitken 1996: 27 f.; Santikaro 1998; Drda 2011; Jones, K. 2006; »The Four Noble Truths […] can be skillfully applied to social activism.« Sivaraksa 2005a: 60. Cf. Sivaraksa 2007; Sivaraksa 2011: 22 ff.; Thích Nhât Hạnh 2012. King zählt die Analyse anhand der vier edlen Wahrheiten daher auch zu den »shared principles« des Enga-

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The Great Awakening: Loys buddhistische Sozialtheorie

konsequent an der Analyse der vier edlen Wahrheiten von der Tatsache, der Ursache, der Vernichtung und des Weges zur Überwindung der Leiden aus. Das große Erwachen (the great awakening), das Loy dabei verfolgt, ist das Erwachen vom personalen zum sozialen duḥkha, das sich als ein Perspektivenwechsel vom individuellen ego zum kollektiven wego vollzieht und nicht mehr unser je eigenes Erwachen, sondern das kollektive Erwachen der ganzen Gesellschaft anstrebt und nach den geeigneten gesellschaftspolitischen Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels fragt. 124

11.2.1. Die vier edlen Wahrheiten von der Tatsache, der Ursache, der Vernichtung und des achtfachen Pfades zur Überwindung des sozialen duḥkhas Die Tatsache des Leidens (duḥkha-satya), von dem Loy auch in psychologischer Hinsicht drei Grundformen voneinander unterscheidet, findet im Kontext seines Engagierten Buddhismus ihr soziales Korrelat: Den physischen und psychischen Leiden (duḥkha-duḥkhatā) entsprechen auf gesellschaftlicher Ebene Krieg, Armut, Umweltschädigung, usw.; den metaphysischen und existentiellen Leiden, die aus der Vergänglichkeit aller Daseinsformen entstehen und vor allem das Bewusstsein der je eigenen Sterblichkeit umfassen (vipariṇāmaduḥkhatā), entsprechen auf gesellschaftlicher Ebene die Konsequenzen einer kollektiven Verdrängung des Todes und des Versagens unserer geteilten Unsterblichkeitsprojekte, während der dritten und letzten Form des Leidens (saṃskāra-duḥkhatā), die Loy mit der anātman-Lehre identifiziert und auf der individuell-psychologischen Ebene mit unseren symbolischen Selbstrealisierungsprojekten (Transzendenz, Freiheit, Macht, Ruhm, Liebe, Geld, Fortschrittsglaugierten Buddhismus. King, S. 2012: 208. Eine Analyse einer allgemeinen Ethik des Engagierten Buddhismus bietet ebenfalls King, S. 2009b. 124 Ken Jones hat dieses initiale Moment auf dem Weg zu einer demokratischen Weltgemeinschaft als Öffnen des vierten Auges beschrieben. Während das spirituelle Erwachen des Individuums traditionellerweise als Öffnen des dritten Auges beschrieben werde, komme das spirituelle Erwachen zu den institutionalisierten und strukturellen Formen von Gier, Hass und Verblendung und der sozialen Verantwortung eines jeden Einzelnen dem Öffnen eines vierten Auges gleich. Die intellektuelle Herausforderung des Engagierten Buddhismus sei es nun, dieses große Erwachen mit einer dharmischen Sozialtheorie und Sozialethik zu komplementieren. Cf. Jones, K. 2003: 118, 240.

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be etc.) in Verbindung bringt, innerhalb der Gesellschaft die Unsterblichkeitssymbole der Rasse, Klasse, Nation und anderer, vornehmlich politischer Ideologien entsprechen, mittels derer das kollektive Selbst (wego) versucht, real zu werden. 125 Die zweite edle Wahrheit beschreibt die Ursache (samudaya-satya) des sozialen duḥkhas, die Loy mit unserem individuellen und kollektiven Durst nach einem unabhängigen, unvergänglichen und leidlosen Selbst identifiziert, der in den unzähligen Selbstrealisierungsprojekten und kollektiven Unsterblichkeitsideologien allerdings niemals zur endgültigen Befriedigung gelangen kann und daher dazu verurteilt ist, kontinuierlich zu eskalieren und die auf ihn gründenden drei Geistesgifte sowohl in ihrer individuellen als auch in ihrer institutionalisierten und strukturellen Form zu verschärfen. Die dritte edle Wahrheit (nirodha-satya), die ein Ende des sozialen duḥkhas in Aussicht stellt, will Loy allerdings dezidiert nicht als quasi-chiliastische Utopie verstanden wissen, in der die Welt zum Reinen Land im Hier-und-Jetzt geworden ist, sondern lediglich mit konkreten Anregungen für einen buddhistisch inspirierten Gesellschaftswandel illustrieren. Loys Buddhismusinterpretation bietet daher keine spirituelle, aber auch keine politische, ökonomische oder wissenschaftliche Utopie, die auf unseren Begehrlichkeiten, Sehnsüchten, Wünschen und Begierden basiert und deren Befriedigung verspricht, sondern allein einen Weg zur Transformation des menschlichen Verlangens selbst, insofern der buddhistische Heilsweg unsere Verblendung zu Weisheit, unsere Gier zu Freigebigkeit und unseren Hass zu Mitgefühl transformiert. Zwar sei es ein erklärtes Ziel des Engagierten Buddhismus, dass weltweit alle Grundbedürfnisse der Menschen nach Nahrung, Unterkunft und medizinischer Versorgung dauerhaft gewährleistet sein sollen, aber ein buddhistisch geprägtes Sozialsystem fördere darüber hinaus weder den verschwenderischen Konsumerismus noch die Akkumulation von Reichtum oder das intensivierte Verlangen nach Sinnesbefriedigung, sondern allein die von Stephen Batchelor propagierte »culture of awakening« 126 als einer Kultur der kontemplativen Selbsttransformation. 127 Eine solche Kul-

Cf. Liechty 2006: 43 f.; Loy 2003a: 11. Batchelor 1998: 20, 51, 94, 104, 109, 111, 112. Cf. Loy 2003a: 33. 127 Ken Jones spricht in diesem Zusammenhang von »a radical culture of awakening«, Stephanie Kaza von »ecological awakening«, Kenneth Kraft von »eco-karma«, Robert Thurman von »politics of enlightenment« und Chögyam Trungpa von »an enlighten125 126

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The Great Awakening: Loys buddhistische Sozialtheorie

tur sei nicht zwangsläufig auf den Buddhismus allein beschränkt, sondern orientiere sich in religionspolitischen Fragen am historischen Vorbild Aśokas, in dessen Regentschaft sich für Loy paradigmatisch das Ideal der genuinen Wertschätzung religiöser Vielfalt verwirklicht hat, insofern Aśoka der Versuchung widerstanden habe, die eigene Religion zur Staatsreligion zu erheben. 128 Eine buddhistische inspirierte Kultur des Erwachens und Bewusstseinspolitik befördere daher ganz allgemein die ethische, psychologische und spirituelle Entwicklung aller Mitglieder einer Gesellschaft: »In other words, the primary concern of a culture of awakening would be education.« 129 Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich für Loy daher nicht an ihrem Bruttonationaleinkommen, sondern an dem allgemeinen Bildungsstand und der spirituellen Reife ihrer Mitglieder, wobei er auf das Bruttonationalglück (GNH: Gross National Happiness) als Beispiel für ein entwicklungsphilosophisches Gegenkonzept zum Bruttonationaleinkommen als dem herausragenden Kriterium für die Entwicklung eines Landes verweist, das der damalige König von Bhutan, Jigme Singye Wangchuk, bereits 1972 formuliert und mit der ed society«. Jones, K. 2003: 72; Kaza 2000: 2; Kraft 2000b: 398; Thurman 1998: 295; Trungpa 2007: 5. 128 Cf. Loy 2003a: 31. Dass Loy mit diesem romantisch-verklärten Bild Aśokas nur ein historisches Klischee fortschreibt, habe ich bereits weiter oben unter Verweis auf die Arbeiten Ulrich Schneiders ausgeführt (siehe 11.1.1.). 129 Loy 2003a: 33. Ganz analog hatte bereits Robert Thurman im Anschluss an Nāgārjuna die Vorstellung zurückgewiesen, der Sinn des Bildungssystems bestehe im Nutzen für die Gesellschaft und der Ausbildung professioneller Arbeiter-Dronen. Das Bildungssystem erfülle hingegen den alleinigen Zweck, das Individuum auf seinem Weg zur Befreiung voranzubringen und die Bestimmung einer Gesellschaft erschöpfe sich entsprechend zur Gänze darin, diesem Ziel zu dienen. Cf. Thurman 1996: 82. Während es dem Materialisten in erster Linie um Güter und eine Vervielfachung von Bedürfnissen gehe – so bereits Ernst Friedrich Schumacher (1911–1977) in seinem Entwurf einer buddhistischen Ökonomie – gehe es dem Buddhisten hauptsächlich um die Läuterung des menschlichen Wesens und die Befreiung. Cf. Schumacher, E. 1977: 50 f. Auch Sulak Sivaraksa, der sich explizit auf Schumachers Studie beruft, spricht von einer spezifisch buddhistischen Pädagogik, deren Ziel die Reduktion von Begierden, die Vermeidung von (struktureller) Gewalt, die moralische und spirituelle Kultivierung des Geistes und letztlich die Befreiung von der Verblendung sei. Das buddhistisch bestimmte Ideal der Bildung vereine dabei Kontemplation und Aktivismus, Spiritualität und Politik sowie Heiterkeit und Seriosität. Cf. Sivaraksa 2005b: 41–72; Sivaraksa 2011: 41–55. Zum Thema Buddhismus und Erziehungswissenschaft sind bisher nur wenige Arbeiten publiziert worden. Pioniercharakter haben dabei die Studien von Claudia Braun und Josef Keuffer. Cf. Braun 1985; Keuffer 1991. Fernerhin die Dissertation von Björn-Peter Paetow: Cf. Paetow 2004.

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Kommission für das Bruttonationalglück eine dazugehörige Staatskommission eingesetzt hatte. 130 Eine Orientierung der Erziehung und Bildung an den Anforderungen und Bedürfnissen der Wirtschaft lehnt Loy entsprechend ab. Stattdessen richtet er die vierte edle Wahrheit (mārga-satya), die den Weg zur Überwindung des sozialen duḥkhas beschreibt, am edlen achtfachen Pfad aus, der auf der gleichzeitigen Kultivierung von Weisheit (prajña), einer ethischen und moralischen Lebenspraxis (śila) sowie der Bewusstseinsschulung (samādhi) basiert und stellt ihm die Vollkommenheiten (pāramitā) des Mahāyāna-Buddhismus zur Seite. Ursprünglich handelte es sich dabei um insgesamt sechs Vollkommenheiten, die ein Bodhisattva über den Zeitraum zahlloser Wiedergeburten gleichermaßen kultivieren und zur Perfektion bringen soll. Die sechs pāramitās umfassen dabei im Einzelnen selbstloses Geben (dāna), tugendhaftes Verhalten (śīla), Geduld (kṣānti), Tat- und Willenskraft (vīrya), Meditation (dhyāna) und Weisheit (prajñā). 131 Da eine gesellschaftspolitische Rekonstruktion unserer kollektiven Wirklichkeit und eine dauerhafte Überwindung des sozialen duḥkhas Loys programmatischem Grundsatz zufolge aber nicht ohne Cf. Loy 2008: 150; Pinzler 2011; Tho: 2014. Cf. Loy 2018: 166 f. Die vielleicht älteste Beschreibung der sechs pāramitās findet sich im Aṣṭasāhasrikā-Prajñāpāramitā-Sūtra 15, 1–2. Cf. Conze 2006: 188. Im Saddharma-Puṇḍarīka-Sūtra findet sich neben der klassischen Sechserliste bereits eine siebte Vollkommenheit des geschickten Mittels (upāya-pāramitā), während das Daśabhūmika-Sūtra der Sechser-Liste insgesamt vier weitere pāramitās hinzufügt, wohl um die Vollkommenheiten auf diese Weise den zehn Stufen/Ebenen (bhūmi) des Bodhisattva-Pfades anzugleichen: Dabei entspricht (1) der Ebene der Freude (pramuditā) die Vollkommenheit des selbstlosen Gebens (dāna-pāramitā), (2) der Ebene der makellosen Reinheit (vimalā) die Vollkommenheit des tugendhaften Verhaltens (śīla-pāramitā), (3) der Ebene des Leuchtens (prabhākarī) die Vollkommenheit der Geduld (kṣānti-pāramitā), (4) der Ebene des flammenden Strahlens (arciṣmatī) die Vollkommenheit der Tat- und Willenskraft (vīrya-pāramitā), (5) der Ebene der Schwer-Erringbarkeit (sudurjayā) die Vollkommenheit der Meditation (dhyāna-pāramitā), (6) der Ebene im Angesicht der Weisheit (abhimukhī) die Vollkommenheit der Weisheit (prajñā-pāramitā), (7) der Ebene des Weitreichens (dūraṅgamā) die Vollkommenheit des geschickten Mittels und der richtigen Methode (upāya-pāramitā), (8) der Ebene der Unerschütterlichkeit (acalā) die Vollkommenheit des Vorsatzes, des Bemühens oder des Gelübdes (praṇidhāna-pāramitā), (9) der Ebene des frommen und heilsamen Denkens (sādhumatī) die Vollkommenheit der Stärke und der Kraft (bala-pāramitā) und (10) der Ebene der Wolke der Lehre (dharmamegha) die Vollkommenheit des Wissens (jñāna-pāramitā). Cf. SaddharmaPuṇḍarīka-Sūtra 27. In: Borsig 2009: 373; Daśabhūmika-Sūtra. In: Cleary, T. 1993: 804–809; Pāramitāsamāsa. In: Meadows, C. 1986: 151–261. 130 131

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das unerlässliche Korrelat einer anthropologischen Revolution möglich ist, bezieht er diese eigentlich auf die Perfektionierung des Individuums ausgerichteten Vollkommenheiten und einzelnen Bestandteile des achtfachen Pfades konsequent in sein Programm eines sozial-engagierten Buddhismus mit ein und betont damit nachdrücklich die wechselseitige Verwiesenheit individueller und sozialer Transformation. Damit greift Loy erneut ein alle buddhistischen Denominationen übergreifendes Grundmotiv des Engagierten Buddhismus auf, das innerhalb der Bewegung zur communis opinio gehört und u. a. auch der Dalai Lama, Katrien Hertog, Ken Jones, Sallie B. King, Kenneth Kraft, Joanna Macy, Donald Rothberg, Judith Simmer-Brown, Sulak Sivaraksa, Linda Mary Peacock (Thanissara), Thích Nhât Hạnh, Christopher Titimus und Christopher S. Queen in ihren Schriften einhellig betonen. 132 Für diejenigen, die die Notwendigkeit eines radikalen Wandels sehen, sei die erste Implikation der buddhistischen Sozialpraxis die Notwendigkeit, an sich selbst zu arbeiten. Wer nicht begonnen habe, seine individuellen Geistesgifte der Gier, des Hasses und der Verblendung zu transformieren, dessen Bemühungen, ihre institutionalisierten Formen anzugehen, seien aller Voraussicht nach nutzlos oder sogar kontraproduktiv: »We may have some success in challenging the sociopolitical order, but that will not lead to an awakened society. Recent history provides us with many examples of revolutionary leaders, often well intentioned, who eventually reproduced the evils they fought against. In the end, one gang of thugs has been replaced by another.« 133 Andererseits sei eine sozialreformatporische Praxis nötig, um der Gefahr der affektiven Teilnahmslosigkeit und spirituellen Selbstbezogenheit derjenigen entgegenzuwirken, die sich nur auf den je eigenen Fortschritt konzentrieren und damit das Gefühl eines autonomen Subjektzentrums konsolidieren und nicht dekonstruieren. Die Auseinandersetzung mit den Problemen der Welt ist daher keine Ablenkung von unserer persönlichen Praxis für Loy, sondern integraler Teil und authentischer Ausdruck derselben:

132 Cf. The Dalai Lama, Address in San Jose, Costa Rica, June 1989, Buddhist Peace Fellowship Newsletter (Fall 1989), 4. In: Kraft 1992b: 2; Hertog 2010: 93; Jones, K. 2003: xvi; King, S. 2009a: 48; Kraft 1999: 10; Kraft 1992a: 12; Kraft 2000a: 494; Macy 2004: 165; Rothberg 2006; Simmer-Brown 2005: 91; Sivaraksa 1992a: 129; Thanissara 2015: 130; Thích Nhât Hạnh 1988: 127 f.; Titimus 1988: 184; Queen 1996a: 13. 133 Loy 2003a: 35.

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Social engagement remains a challenge for many Buddhists, for the traditional teachings have focused on one’s own peace of mind. On the other side, those committed to social action often experience fatigue, anger, depression, and burnout. The engaged bodhisattva/ecosattva path provides what each side needs, because it involves a double practice, inner (e. g., meditation) and outer (activism). Combining the two enables intense engagement with less frustration. 134

Insofern engagierte Buddhisten als Teil ihrer spirituellen Praxis aktiv in bestehende gesellschaftlich-politische Verhältnisse eingreifen sollen, muss die kompromisslose Verpflichtung auf die positive Kraft der Gewaltlosigkeit für Loy zum zentralen Grundprinzip der Bewegung erhoben werden, um jede dualistische Mentalität zu bannen, die noch zwischen Mittel und Zweck unterscheidet und glaubt, man könne mit gewalttätigen Aktionen einen gewaltfreien Zustand erreichen. 135 Frieden sei nicht nur das Ziel, es müsse einer Formulierung Thích Nhât Hạnhs und Mahā Ghosānandas zufolge auch der Weg sein. Wir selbst müssten der Frieden sein, den wir schaffen wollen, wobei Gandhis gewaltfreier Widerstand Modellcharakter für Loys Programm eines Engagierten Buddhismus hat, das er anhand der fünf ethischen Grundsätze (pañca-śīlāni) und vier »himmlischen Verweilzustände« (brahmavihāra) bzw. »Grenzenlosen« (apramāṇa) konkretisiert. 136

11.2.2. Die sozio-politischen Verbote und Gebote des Engagierten Buddhismus Die innere Arbeit spiritueller Vervollkommnung und die äußere Arbeit sozialer Gerechtigkeit und Harmonie sind in Loys Engagiertem Buddhismus nicht alternativ konkurrierende, sondern komplementäre Positionen. Geht man wie Loy fernerhin davon aus, dass die Differenz zwischen subjektiver Innerlichkeit und objektiver Äußerlichkeit lediglich auf den Hypostasen des prapañca beruht und somit nur von einem Standpunkt weltlich-verhüllter Wahrheit (lokasaṃvṛti-satya) und empirisch-konventioneller Praxis (vyavahāra) Gültigkeit für sich beanspruchen kann, dann sind beide Wege von einem StandLoy 2018: 12. »Our ends, no matter how noble, do not justify any means, because Buddhism challenges the distinction between them.« Loy 2018: 154. 136 Cf. Loy 2003a: 35 f.; Loy 2018: 159 ff. 134 135

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punkt absoluter Wahrheit (paramārtha-satya) und Nondualität aus betrachtet sogar identisch. 137 Neben den sechs pāramitās orientiert sich Loy in seinem Ethos der Selbst- und Weltgestaltung dabei konkret an den allumfassenden Gefühlen des Wohlwollens (mettā/ maitrī), des Mitleids (karuṇā), der (Mit-)Freude (muditā) und des Gleichmuts (upekkhā/upekṣā), i. e. den sogenannten vier »himmlischen Verweilzustände« (brahmavihāra) bzw. »Grenzenlosen« (apramāṇa) sowie den fünf ethischen Grundsätze (pañca-śīla) des Buddhismus, die er in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension als »five social precepts« 138 expliziert und konsequent ins Politische wendet: While the precepts are negative actions to avoid, the divine abodes are positive character traits to be developed. Once again, although the traditional focus is on individual transformation, they also have major consequences for social and ecological engagement. Taken together, all of these »dos« and don’ts« provide a stable and powerful foundation for the kinds of spiritual activism needed today. 139

Mettā bedeutet für Loy jenes performative Grundelement grundsätzlicher Freundlichkeit und vorurteilsfreier Offenheit, das bei jeder Begegnung mit anderen Menschen prinzipiell leitend sein soll, um sie nicht mit vorgefertigten Begriffen zu stigmatisieren und auf diese Weise die konkrete Zusammenkunft in ihrem positiven Potential zu sabotieren; das selbstlose Mitgefühl (karuṇā), das sich normalerweise auf das Leid (duḥkha) anderer Lebewesen bezieht und auf dessen aktive Beseitigung zielt, impliziert für Loy in seiner sozio-politischen Dimension die Anerkennung struktureller Ursachen sozialen und ökologischen duḥkhas sowie deren aktive Bekämpfung; die permanente Konfrontation mit den negativen Aspekten der gesellschaftlichen und ökologischen Wirklichkeit kann mittelfristig demoralisierend und demotivierend wirken, was wiederum eine Hinwendung zu deren freudvollen Aspekten (muditā) und die Kultivierung von Gleichmut (upekkhā) zwingend notwendig macht, um ein emotional

137 Diese Einsicht Loys hatte bereits Dōgen im Bendōwa-Faszikel formuliert: »Wer meint, dass weltliche Pflichten den Buddha-Dharma hindern, denkt nur, der Buddha-Dharma existiere in dieser Welt nicht, er weiß aber noch nicht, dass es für einen Buddha keine weltlichen Dinge gibt.« Bendōwa-Faszikel des Shōbōgenzō. In: Dōgen 2013a: 41. 138 Loy 2003a: 38. 139 Loy 2018: 159.

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ausgegliches Leben zu gewährleisten, das zu einem langfristigen Engagement befähigt. Den vier klassischen brahmavihāras fügt Loy noch Dankbarkeit (gratitude) hinzu, deren bewusste Kultivierung positive Emotionen verstärke, negative Emotionen dezimiere, den auf Mangel basierenden Konsumerismus und Materialismus unterminiere, prosoziales Verhalten und reziproken Altruismus inspiriere und auf diese Weise den gesamten Charakter in einen offeneren, wohlwollenderen und insgesamt kooperativeren transformiere. 140 Eine sozio-politische Interpretation der fünf Laiengebote (pañcaśīlāni) als Handlungsmaximen für das gesellschaftspolitische Engagement des buddhistischen Aktivisten gehört ebenfalls zu den Grundmotiven des Engagierten Buddhismus, die Loy mit zentralen Vertretern der Bewegung teilt. Neben Loy findet sich eine solche Auslegung u. a. auch bei Robert Aitken, Karl-Heinz Brodbeck, Ken Jones, Damien Keown, Kenneth Kraft, Patricia Marx Ellsberg, Donald Rothberg, Sulak Sivaraksa und Thích Nhât Hạnh, der sie später zu den vierzehn Richtlinien des Tiêp-Hiên-Ordens (Order of Interbeing) ausgearbeitet hat, weshalb Sallie B. King zurecht von einem konstitutiven Element des Engagierten Buddhismus insgesamt gesprochen hat. 141 Den ersten Grundsatz, der das Verletzen oder Töten lebender Wesen (pāṇātipāta) untersagt, interpretiert Loy konsequent im Sinne einer allgemeinen Kritik am globalen Militarismus und der Militärpolitik der Vereinigten Staaten, deren Militärausgaben sich allein im Jahr 2015 auf 596 Milliarden US-Dollar beliefen. Der Grundsatz dürfe aber nicht allein auf das Verletzen oder Töten von Menschen beschränkt werden, sondern müsse holistisch interpretiert auf die gesamte Biosphäre übertragen werden. Auf diese Weise impliziert der erste Grundsatz positiv gewendet nicht nur ein anti-militaristisches und friedenspolitisches, sondern auch ein ökologisches Engagement, das sich aktiv für den Tier- und Umweltschutz einsetzt. 142 Cf. Loy 2018: 159–163. Aitken entwickelt seine gesamte zen-buddhistische Sozialethik anhand der erweiterten zehn ethischen Grundsätze (daśa-śīlāni) des Buddhismus. Cf. Aitken 2000; Brodbeck 2011: 167–175; Jones, K. 2003: 130–138; Keown 1998a: 31 f.; Kraft 1999: 34, 47; Ellsberg 1996; Rothberg 1998: 274–280; Sivaraksa 1992a: 129–133; Sivaraksa 1992b: 73–79; Sivaraksa 2005a: 14–19; Thích Nhât Hạnh 1993: 17–20; Thích Nhât Hạnh 1996b; King, S. 2005: 52 ff. 142 Cf. Loy 2018: 155. Entsprechend formuliert auch Thích Nhât Hạnh den ersten Grundsatz: »Aware of the suffering caused by the destruction of life, I vow to cultivate compassion and learn ways to protect the lives of people, animals, plants, and minerals. I am determined not to kill, not to let others kill, and not to condone any act of 140 141

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Der zweite Grundsatz, der das Nehmen von Nichtgegebenem (adinnādāna) untersagt, wird bei Loy zu einer grundsätzlichen Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft umgedeutet. Das ökonomische System des globalen Kapitalismus basiere konstitutiv auf dem Prinzip des Diebstahls, womit Loy Reminiszenzen an Pierre-Joseph Proudhons (1809–1865) vielzitierten Satz »Eigentum ist Diebstahl« (La propiété, c’est le vol) aus Qu’est-ce que la propriété? (1840) evoziert. 143 Für seine These einer asymmetrischen Weltordnung führt Loy nicht nur die enorme Schuldenlast der ärmsten Länder der Welt an, die keine realistische Möglichkeit hätten, sich aus der Abhängigkeit der reichen Länder zu befreien, wodurch die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden, sondern verweist auch nachdrücklich auf den monopolkapitalistischen Raubbau an den weltweiten Naturressourcen durch transnationale Unternehmen, der ebenfalls einem Diebstahl in planetarem Ausmaß gleichkomme. 144 Dem sozialen Gebot der Diebstahlprävention zu folgen impliziert für Loy daher eine pazifistische Form des Engagements im politischen Widerstand gegen das kapitalistische Herrschaftssystem, das auf der individuellen Ebene durch einen prinzipiellen Lebenswandel komplementiert werden müsse, der vor allem auf Konsumverzicht, der allgemeinen Einschränkung der Bedürfnisse und dem von Richard Bartlett Gregg (1885–1974) in den 1930er Jahren geprägten Lebensstil der freiwilligen Einfachheit (voluntary simplicity) basiert. 145 Denn wahrer Reichtum – so bereits der britische Nationalökonom Alfred Marshall (1842–1924) unter Berufung auf den Budkilling in the world, in my thinking and in my way of life.« Thích Nhât Hạnh 1996b: 223. 143 Cf. Proudhon 2014: 7. 144 Thích Nhât Hạnh formuliert den zweiten Grundsatz folgendermaßen: »Aware of the suffering caused by exploitation, social injustice, stealing, and oppression, I vow to cultivate loving kindness and learn the ways of working for the well-being of people, animals, plants, and minerals. I vow to practice generosity by sharing my time, energy, and material resources with those who are in real need. I am determined not to steal and not to possess anything that should belong to others. I will respect the property of others, but I will prevent others from profiting from human suffering or the suffering of other species on Earth.« Thích Nhât Hạnh 1996b: 224. 145 Cf. Loy 2003a: 38 f.; Loy 2018: 156; Gregg 1930; Gregg 1934. Greggs Beitrag zu einem einfachen und nachhaltigen Leben wurde vor allem von Duane Elgin in Voluntary Simplicity (1981) aufgegriffen und weiterentwickelt. Cf. Elgin 2010. Näheres zum Lebensstil der freiwilligen Einfachheit und den sogenannten LOHAS (= Lifestyles of Health and Sustainability) bei Bierhoff 2016: 33–36.

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dhismus – bestehe nicht in der Fülle von Gütern, sondern im Mangel an Bedürfnissen. 146 Der dritte Grundsatz richtet sich gegen das Sprechen der Unwahrheit (musāvāda), das Loy in institutionalisierter Form in den globalen Massenmedien (»fake news« 147) verwirklicht sieht. 148 Ziel der konzerngesteuerten Medienunternehmen sei nicht die kritische Berichterstattung, Aufklärung und Information, sondern die bewusste Manipulation der politischen Willensbildung und strategische Desinformation und Täuschung der Öffentlichkeit im Dienste der Minderheit der Globalisierungsgewinner, deren eigentliches Interesse nicht der Wahrheit, sondern der ideologischen Dominanz und Steigerung des eigenen Profits gelte: »We follow the social precept of not lying by, first of all, refusing to allow our nervous systems to become addicted to the channels of communication that maintain the collective trance generally accepted as ›social reality.‹ In other words, we accept responsibility for liberating our own attention and clarifying our own awareness.« 149 Der vierte Grundsatz, der sich gegen sexuelles Fehlverhalten (kāmesu-micchācāra) richtet, betrifft sexualpathologisches Verhalten, das einem selbst oder anderen Wesen schadet und damit die meisten der bekanntesten Paraphilien, wie Sadomasochismus, Pädophilie, Zoophilie, Nekrophilie, sexuelle Belästigung und Nötigung, Vergewaltigung, Inzest, aber auch Voyeurismus, Exhibitionismus, Prostitution und Ehebruch. 150 In seinen kollektiven und institutionalisierten Formen manifestiert sich sexuelles Fehlverhalten für Loy primär in patriarchalen Strukturen, dem international organisierten Cf. Marshall, A. 2009: 136. Loy 2018: 141. 148 Der Klassiker der systematischen Beeinflussung und Steuerung des öffentlichen Bewusstseins ist Propaganda (1928) von Edward Louis Bernays (1891–1995), der den Begriff »Propaganda« aufgrund seiner negativen Konnotationen später durch »Public Relations« ersetzte und sich selbst als Public Relations Counselor bezeichnete. Die in Crystallizing Public Opinion (1923) beschriebenen Mechanismen eignete sich u. a. auch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897–1945) an, um seine antijüdische Propaganda im nationalsozialistischen Deutschland möglichst effektiv gestalten zu können. Cf. Barney 1928: 9 f. 149 Loy 2003a: 39. Cf. Loy 2018: 156; Thích Nhât Hạnh 1996b: 226. 150 Thích Nhât Hạnhs Formulierung dieser ethischen Maxime bleibt dabei auf diese individuelle Dimension beschränkt. Cf. Thích Nhât Hạnh 1996b: 225. Näheres zum Thema Sex und Buddhismus bei Cabezón 1985; Cabezón 2017; Faure 1998; Stevens 1990 und Young 2004. 146 147

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Frauenhandel sowie einer zunehmenden Sexualisierung der Medien, der Werbung und der durchrationalisierten Massengesellschaft, in der schneller, oberflächlicher und beliebiger Sex zum allgemeinen Konsumgut und Sedativ gegen die innere Leere (lack) geworden sei. Gegen diesen Sexismus, der in den meisten Gesellschaften immer noch eine wesentliche Rolle spielt, setzt Loy die radikal-egalitäre Lehre der universalen Buddha-Natur, um jede Form sexueller Diskriminierung – Misandrie ebenso wie Misogynie – und die Pathologisierung von Homosexualität und Transsexualität zu kritisieren: »That all of us have the same Buddha-nature implies not only the liberation and empowerment of women but opposition to all gender-based discrimination, including gay, lesbian, and transsexual rights. The widespread use of sexual imagery in advertising today, and more obviously the burgeoning international sex trades, can be considered violations of this precept.« 151 Den fünften und letzten Grundsatz, der den Genuss von Rauschmitteln (surāmeraya) untersagt, betrifft traditionellerweise den Konsum von Alkohol und die Einnahme sowohl illegaler als auch legaler Drogen. Im Sigālovāda-Sutta beschreibt der Buddha die sechs Gefahren, die das Brechen dieses Gebotes zur Folge haben als Geldverschwendung, vermehrte Zwietracht, Anfälligkeit für Krankheiten, Verfall der Moral und Verlust des guten Leumunds, Kompromittierung der eigenen Person und Schwächung des Verstandes. 152 Für Loy gründet hingegen die gesamte Kultur des modernen Konsumerismus mit seinem Mantra des »never-enough« auf dem Prinzip des Mehr und der Konsumsucht als einer allgemein anerkannten Form der Lebensführung. Dabei werde das Dogma unhinterfragt vorausgesetzt, dass es demjenigen, der mehr verbraucht, auch automatisch besser gehe, der Wert einer Sache sich an ihrem Preis bemesse und der Lebensstandard an der Menge der verbrauchten Konsumgüter pro Jahr abgelesen werden könne. Diese Ideologie eines narkotisch-narzisstischen Konsumerismus sei als unausgesetzter Massenkonsum keine anerkannte und therapiebedürftige Krankheit mehr, sondern erklärtes Ziel einer ganzen Industrie, die danach strebe, ihre totalitäre Ideo-

Loy 2003a: 38. Cf. Loy 2018: 156; Thích Nhât Hạnh 1996b: 226 f. Cf. Dīgha-Nikāya 31. In: Walshe 1995: 462; Harvey 2004: 77 ff. Eine Diskussion des fünften ethischen Grundsatzes im Kontext der psychedelischen Bewegung und dem Konsum halluzinogen wirksamer psychotroper Substanzen findet sich bei Osto 2016: 121–138. 151 152

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logie über die ganze Welt zu verbreiten. Mit seiner grundsätzlichen Kritik an der kulturellen Pathologie der konsumkapitalistischen Lebensform westlicher Industriegesellschaften greift Loy dabei erneut ein zentrales Anliegen sozial-engagierter Buddhisten wie Peter Daniels, Rita M. Gross, Christopher Ives, Stephanie Kaza, Rachelle M. Scott, Judith Simmer-Brown und Sulak Sivaraksa auf. 153 Es besteht weitgehendes Einverständnis darüber, dass nicht die erschöpfende Befriedigung, sondern die Manipulation des Konsumenten und die Schaffung immer neuer und fremdbestimmter Bedürfnisse das Ziel der propagierten Konsumkultur sei, die aus reinem Profitkalkül von einer kapitalistischen Ökonomie und ihrer zum Massenkonsum disziplinierenden Propagandamaschinerie aufrecht erhalten werde und damit bewusst und absichtsvoll die weitreichende und lebensbeherrschende Illusion perpetuiere, man könne Glück und Identität im pathologischen Überkonsum erfahren. Loy schließt sich daher Thích Nhât Hạnhs Formulierung des fünften Grundsatzes an, der auch spezifische Fernsehprogramme, Zeitschriften, Bücher, Filme und Konversationen als propagandistisches Mittel einer kapitalistischen Konsumkultur ablehnt und stattdessen eine physische und mentale Diät empfiehlt, um der perfiden Indoktrination und vorsätzlichen Konditionierung durch Marketing und Medien zu entgehen. 154 In seinem tief in der westlichen Lebenswelt verwurzelten Kern ist der Konsumerismus für Loy allerdings nur ein weiteres Symptom unseres verdrängten Seinsmangels, sodass sich das kompulsive und kompensatorische Kauf- und Konsumverhalten nach dem Motto consumo, ergo sum für ihn nahtlos einreiht in jenes Arsenal untauglicher Kriegswerkzeuge, die wir vergeblich angehäuft haben, um unsere innere Leere (lack) zu bekämpfen. 155 Der aggressive Proselytismus 153 Cf. Daniels 2011; Gross 1995; Ives 2011; Kaza 2010. Einschlägig ist in diesem Zusammenhang ihre Anthologie Hooked! Buddhist Writings on Greed, Desire, and the Urge to Consume (2005), die neben einem Aufsatz von Loy (Consuming Time) u. a. auch Beiträge von Joseph Goldstein, Ruben Habito, Diana Winston und Rita M. Gross enthält. Cf. Kaza 2005; Scott 2009: 157–180; Simmer-Brown 2002; Sivaraksa 2000; Sivaraksa 2002 154 Cf. Thích Nhât Hạnh 1996b: 228–232; Loy 2003a: 38; Loy 2018: 157. 155 Cf. Loy/Watts 2002: 94. Bereits Fromm hatte erkannt, dass zwanghafter Konsum der Kompensation einer »inneren Leere« und Angst dient: »Diese innere Leere, diese innere Angst wird also symbolisch durch zwanghaftes Konsumieren geheilt. […]. Der Mensch fühlt sich leer, und um diese Leere gleichsam symbolisch auszufüllen, füllt er sich an mit anderen Dingen, mit Dingen, die von außen kommen, um so das Gefühl der inneren Leere und der inneren Schwäche zu überwinden.« Fromm 1981: 319.

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Buddhismus und Ökonomie

des Konsumerismus steht für Loy dabei in einem engem Zusammenhang mit der kapitalistischen Grundstruktur der westlichen Industrienationen und einer Weltwirtschaft, die darauf beruht, dass auch weiterhin in steigendem Maße produziert und konsumiert wird. Bei Loy und in der Bewegung des Engagierten Buddhismus insgesamt verbindet sich diese grundlegende Kritik des Konsumerismus und Kapitalismus daher mit dem allgemeinen Versuch, eine buddhistisch inspirierte Ökonomie als alternatives Gegenmodell zu lancieren. 156 Bevor ich mich Loys Entwurf im Einzelnen zuwende, ist es sinnvoll, einen kurzen Überblick über die Ursprünge und Geschichte der Bemühungen um eine »Buddhistische Ökonomie« sowie eine Übersicht über die programmatischen Ziele ihrer renommiertesten Vertreter zu geben.

11.3. Buddhismus und Ökonomie 11.3.1. Einführung in den buddhistischen Ökonomiediskurs Der Begriff »Buddhistische Ökonomie« wurde vom britischen Ökonom und Katholiken deutscher Herkunft Ernst Friedrich Schumacher (1911–1977) geprägt, der in den 1950er Jahren basierend auf seinen Erfahrungen als ökonomischer Berater in Myanmar (Birma) die Grundidee zu einer buddhistischen Wirtschaftslehre entwickelte, die 1966 erstmals publiziert und 1973 in seinem enorm einflussreichen Buch Small is Beautiful: A Study of Economics as if People Mattered

»Der deprimierte Mensch fühlt in sich so etwas wie eine Leere, als ob er gelähmt sei, als ob ihm etwas fehle zur Aktivität, als ob er sich nicht recht bewegen könne in Ermangelung von etwas, das ihn bewegen würde. Wenn er dann etwas in sich aufnimmt, so mag das Gefühl der Leere, der Lähmung, der Schwächung für eine Weile von ihm weichen, und er spürt: Ich bin doch wer, ich habe ja etwas, ich bin nicht nichts. Man füllt sich mit Dingen, um innere Leere zu verdrängen. Das ist der passive Mensch, der ahnt, dass er wenig ist und der diese Ahnung vergessen macht, indem er konsumiert und zum homo consumens wird.« Fromm 1999: 310 f. Einflussreiche Kritik an der konsumeristischen Gesellschaftsstruktur kam auch vom italienischen Filmregisseur, Dichter und Publizisten Pier Paolo Pasolini (1922–1975), der in seinen Scritti corsari (1975) von einem Zwang und einem unausgesprochenen Befehl zum Konsum gesprochen und den Konsumerismus als totalitäre Herrschaftsform verworfen hat. Cf. Pasolini 2011. 156 Cf. King, S. 2009a: 102–105.

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wiederveröffentlicht wurde. 157 Schumacher ist bei seiner Kritik an der herrschenden Ökonomie der westlichen Moderne mit ihrer konsumorientierten und materialistischen Wachstumsideologie und seinem Plädoyer für eine buddhistisch inspirierte Alternative allerdings genau so wenig an Wertneutralität interessiert wie Loy in seiner buddhistischen Sozialtheorie. Im Mittelpunkt der Analyse steht der normative Begriff der rechten Lebensführung bzw. des rechten Lebenserwerbs (samyak-ājīva), der für Schumacher fraglos auch so etwas wie eine buddhistische Wirtschaftslehre implizieren muss. Dabei kritisiert Schumacher genau wie Loy die Vorstellung, die moderne Wirtschaftswissenschaft verwalte absolute und unwandelbare Wahrheiten ohne historische Genese und die Ordnungsprinzipien des Marktes seien ebenso wertfrei und verbindlich wie die Gesetze der Schwerkraft. 158 Eine Modernisierung, die ohne Rücksicht auf die jeweilige Kultur und Religion eines Landes stattfände, sei nicht erstrebenswert. Im Hinblick auf die Massen seien die Ergebnisse einer solchen skrupellosen Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse vielmehr verhängnisvoll und führten dazu, dass das ländliche Wirtschaftssystem zusammenbreche, die Zahl der Arbeitslosen in Stadt und Land zunähme und ein Stadtproletariat ohne Nahrung und Perspektiven entstehe. Die Frage nach einer buddhistischen Ökonomie stelle hingegen nicht vor die Alternative zwischen »modernem Wachstum« und »herkömmlichem Stillstand«, sondern suche den Mittelweg rechter Lebensführung »zwischen materialistischer Rücksichtslosigkeit und herkömmlicher Unbeweglichkeit.« 159 157 Gavin Kitching zufolge war Schumachers Buch eines der meistgelesenen und einflussreichsten Bücher der 1970er Jahre. Cf. Kitching 2011: 92. 158 Cf. Schumacher, E. 1977: 48. 159 Schumacher, E. 1977: 56. Die Politikwissenschaftlerin Bianca Többe Gonçalves hat Schumachers buddhistische Ökonomie als neo-populistischen Entwicklungsansatz charakterisiert, dem ein sehr oberflächliches Verständnis des Kapitalismus zugrunde liege. In seinen Ausführungen komme Schumacher nicht darüber hinaus, bestimmte Erscheinungsformen des Kapitalismus ethisch zu verdammen und punktuelle Gegenentwürfe zu umreißen. Ihr abschließendes Urteil fällt entsprechend kritisch aus: »Indem Schumacher das Hauptproblem von (Unter)Entwicklungsprozessen als ein kulturell-spirituelles beschreibt, projiziert er die von ihm als negativ beschriebenen Eigenschaften westlicher Gesellschaften in ihrer positiven Umkehrung in eine buddhistische Ökonomie hinein. Da die von ihm angepriesene buddhistische Ökonomie jedoch keinen empirischen oder materialistischen Bezugspunkt darstellt, handelt es sich bei seinen Überlegungen lediglich um romantisch-verklärende Fiktionen. […]. Mit seiner Ablehnung weiterer Produktivitätssteigerungen und seinem Ruf nach einem Rückgängimachen bereits erfolgter, bleibt Schumacher unfähig zu erklären,

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Schumachers Ansatz wurde von dem aus Śrī-Laṅkā stammenden Professor für Philosophie und Psychologie Padmasiri De Silva in The Search for Buddhist Economics (1975) und Value Orientations and Nation Building (1976) aufgegriffen und fortgeführt und auch der Ökonom und ehemalige Direktor der Zentralbank von Śrī-Laṅkā Halwalage Neville Sepala Karunatilaka (1930–2010) legte in This Confused Society (1976) Überlegungen für ein buddhistisch inspiriertes Wirtschaftmodell vor. 160 Ariyaratne setzte Schumachers alternativen Ansatz in der Sarvodaya-Śramadāna-Bewegung in die Praxis um und hielt im Januar 1998 Vorlesungen zur buddhistischen Ökonomie am Schumacher-College für ökologische Studien und ganzheitliche Bildungsangebote in Totnes (England), die ein Jahr später als Schumacher Lectures on Buddhist Economics (1999) und in überarbeiteter Fassung als Buddhist Economics in Practice (1999) erschienen. 161 Neben Śrī-Laṅkā wurde Schumachers Entwurf einer buddhistischen Wirtschaftslehre aber vor allem in Thailand rezipiert und kommentiert. Bhikkhu Buddhadāsa publizierte 1982 mit Setthasat choeng phut (Buddhist Economics) eine Teilübersetzung von Small is Beautiful nebst eigenem Kommentar, zu dem Wisit Wangwinyu mit Than Phutthathat leap setthasat chao phut (Buddhadāsa and Buddhist Economics) 1983 wiederum einen Subkommentar verfasste. 162 Wirkungsgeschichtlich einflussreicher war allerdings die Studie des thailändischen Mönches Prayudh Aryankura Payutto, die 1988 erstmals auf thailändisch, später auch in englischer Übersetzung als Buddhist Economics: A Middle Way for the Market Place (1994) und in deutscher Sprache als Buddhistische Ökonomie: Mit der rechten Absicht zu Wohlstand und Glück (1999) erschien und den bis zu diesem Zeitpunkt profundesten Ansatz einer alternativen Wirtwie die Entwicklungsländer mittels dieser Maßnahmen zu einem verbesserten Lebensstandard kommen können. Seine Vorstellungen vom einfachen Lebensstil muten vor dem Hintergrund der Lebensrealität der Bevölkerungsmehrheit des Trikonts eher zynisch an. Insgesamt gesehen erscheinen Schumachers Ausführungen als das Produkt eines zivilisationsmüden Ökonomen, der im nicht-westlichen, in diesem Fall im Buddhismus, die Alternative zu dem von ihm kritisierten westlichen Entwicklungsmodell sieht. Schumacher betrachtet die buddhistische Philosophie dabei völlig losgelöst von ihrem historischen Kontext und bedient sich lediglich jener Elemente des Buddhismus, die seiner oberflächlichen Kritik an der kapitalistischen Entwicklung dienlich sind.« Többe 2005: 108. 160 Cf. De Silva 1976; De Silva 1998: 161–178; De Silva 2011; Karunatilaka 1976. 161 Cf. Ariyaratne 1999a; Ariyaratne 1999b. 162 Cf. Jackson 2003: 50.

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schaftsethik als Entwurf einer buddhistischen Ökonomie darstellte. 163 Auch Sulak Sivaraksa hat im Anschluss an die Arbeiten Schumachers, Buddhadāsas und Payuttos mehrere Aufsätze verfasst, die die Möglichkeit einer auf den Prinzipien des Buddhismus basierenden Weltwirtschaft erörtern, die weder auf kapitalistisch-konsumeristischen noch kommunistischen oder sozialistischen Anschauungen beruht. 164 Solche Ansätze blieben allerdings nicht auf Śrī-Laṅkā und Thailand beschränkt. Der ehemaliger Professor für Wirtschaftswissenschaften an der katholischen Villanova-University in der Nähe von Philadelphia (Pennsylvania) und Dozent für buddhistische Ökonomie am American Institute of Buddhist Studies Glen G. Alexandrin hielt bereits 1971 einen Vortrag mit dem Titel »Ethics in Buddhist Economics« vor der Pennsylvania Economic Association, dem 1978 ein Vortrag mit dem Titel »Creating Buddhist Economics« vor der Atlantic Economic Society in Washington folgte. Seine intensive Auseinandersetzung mit den Prinzipien einer buddhistischen Ökonomie kulminierte im darauffolgenden Jahr in dem Artikel Toward a Buddhist Economics (1979), den er zusammen mit seiner Frau Barbara verfasste. 165 Zu Beginn der 1990er Jahre erschienen darüber hinaus zwei Prolegomena zu einem ökonomischen System, das der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Frederic L. Pryor aus den kanonischen Quellen des Pāḷi-Kanons extrapolieren wollte. 166 Simon Zadek, der Mitglied der New Economics Foundation in London ist, die mit dem an Schumacher angelehnten Slogan »Economics as if People and the Planet Mattered« für eine Regulation der Finanzmärkte und ein nachhaltiges Wirtschaften eintritt, setzte sich zu Beginn seiner Karriere ebenfalls intensiv mit der Möglichkeit einer vom Buddhismus inspirierten Ökonomie auseinander und veröffentlichte seine Überlegungen in An Economics of Utopia (1993) und dem Aufsatz The Practice of Buddhist Economics (1993). 167 Letzterer ging aus zwei Veranstaltungen zur Rolle der Ökonomie in den Weltreligionen hervor, die von der New Economics Foundation in Kollaboration mit der 163 Näheres zu Payuttos buddhistischer Wirtschaftslehre bei Swearer 2011. Eine Gesamtdarstellung der Lehre Payuttos bietet Lukoschek 2013: 171–245. Cf. Payutto 1994; Payutto 1999. 164 Cf. Sivaraksa 2011. 165 Cf. Alexandrin 1979; Alexandrin 1993; Alexandrin 2015. 166 Cf. Pryor 1990; Pryor 1991. 167 Cf. Zadek 1993a; Zadek 1993b; Zadek 1998.

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von Martin G. Palmer gegründeten International Consultancy of Religion, Education and Culture (ICOREC) ausgerichtet worden waren, an denen u. a. auch Stephen Batchelor teilgenommen hatte. Batchelors Beitrag wurde 1993 als The Practice of Generosity: First Steps Towards a Buddhist Economics (1993) publiziert und 2002 in dem Sammelband Mindfulness in the Market Place: Compassionate Responses to Consumerism wiederveröffentlicht, der weitere Beiträge zur Buddhistischen Ökonomie von Shinichi Inoue, Joanna Macy, Helena Norberg-Hodge, P. A. Payutto, Frederic L. Pryor, Judith Simmer-Brown, Sulak Sivaraksa, Thích Nhât Hạnh, Duncan Williams, dem Dalai Lama und mit The Religion of Consumption: A Buddhist Perspective sowie Buddhism and Poverty auch zwei Beiträge Loys enthält. 168 Seit dem Ende der 1990er Jahre untersucht auch Peter L. Daniels die Verkettung ökonomischer und ökologischer Entwicklungen und den sozio-kulturellen Einfluss, den der Buddhismus auf Gesellschaften ausübt. Dabei geht Daniels in seinen transdisziplinären Arbeiten u. a. der Frage nach, inwiefern der Buddhismus bei denjenigen Transformationen des Wirtschaftssystems förderlich oder hemmend wirken kann, die zu einer ökologisch-nachhaltigen Entwicklung und zur Lösung von akuten Umweltproblemen führen. 169 Im weiteren Verlauf haben aber vor allem die Studien des aus Ungarn stammenden Laszlo Zsolnai maßgeblich zur Ausarbeitung einer buddhistischen Ökonomie beigetragen. Zsolnai ist seit 2004 Professor und Direktor des Business Ethics Center an der Corvinus University of Budapest, von dem auch die Zeitschrift Ethical Prospects herausgegeben wird. Seit 2003 beschäftigt er sich mit Fragen der Spiritualität, Ökonomie und Tiefenökologie unter besonderer Berücksichtigung des Buddhismus und publizierte mit Business within Limits: Deep Ecology and Buddhist Economics (2005) ein erstes Ergebnis seiner Arbeit. 170 Darüber hinaus ist er der gegenwärtige Präsident des European SPES (Spirituality in Economics and Society) Institute und war 2006 an der Gründung der Buddhist Economics Research Platform beteiligt, die als international operierendes Netzwerk Forscher zu einer Kooperations- und Interessengemeinschaft vereinen will, die an der EntCf. Batchelor 1993. Badiner 2002. Ein weiterer Beitrag Batchelors (Buddhist Economics Reconsidered) wurde publiziert als Batchelor 1990. 169 Cf. Daniels 1998; Daniels 2003; Daniels 2005; Daniels 2010a; Daniels 2010b. 170 Cf. Zsolnai/Ims 2006. 168

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wicklung einer buddhistischen Ökonomie in Theorie und Praxis mitwirken wollen. Die erste Konferenz der Vereinigung fand zum Thema »Economics with a Buddhist Face« im August 2007 in Budapest statt. 171 Der aus Śrī-Laṅkā stammende Diplomat, Buddhologe, Vizepräsident des World Fellowship of Buddhists (WFB), Schirmherr der European Buddhist Union und Professor für Religionswissenschaft Ananda Wahihana Palliya Guruge (1928–2014) hat in Buddhism, Economics and Science: Further Studies in Socially Engaged Humanistic Buddhism (2008) verschiedene Beiträge zur buddhistischen Ökonomie kritisch gewürdigt und somit eine erste metakritische Diskussion der Disziplin vorgelegt. Guruge diskutiert dabei nicht nur Wangchucks Konzept des Bruttonationalglücks, die Pionierarbeiten von Glen und Barbara Alexandrin und Payutto sowie die neueren Studien von Luang Por Dattajivo, Tavivat Puntarigvivat und Justin Wimalasiri Wickramasinghe, sondern auch den Beitrag des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers, Pädagogen und Sinologen Hans-Günter Wagner. 172 Neben Wagner, der im Rahmen der Entwicklungskooperation in der Volksrepublik China tätig war und viele Jahre im International Network of Engaged Buddhists mitgewirkt hat, ist vor allem der Ökonom, Wirtschaftsethiker und Professor für Volkswirtschaftslehre Karl-Heinz Brodbeck Experte für Buddhistische Ökonomie im 171 Die Beiträge von Colin Ash, Suntharee Chaisumritchoke, Peter L. Daniels, Kanoksak Kaewthep, Joel Magnuson, Apichai Puntasen und Laszlo Zsolnai wurden in Society and Economy (29/2) unter dem Titel Sustainability and Sufficiency: Economic Development in a Buddhist Perspective veröffentlicht. Seither folgten zahlreiche Veröffentlichungen Zsolnais zu Fragen der Spiritualität und (buddhistischen) Ökonomie. Auf Zsolnais Arbeiten berufen sich ebenfalls Ronnie Lessem und Alexander Schieffer, die 2006 in Genf (Schweiz) Trans4m gegründet haben, das sich als Katalysator einer integralen Transformation und weltweiten Erneuerung von Mensch und Umwelt begreift. Lessem und Schieffer vertreten einen Ansatz, den sie Integral Development und Integral-Worlds nennen und der gleichzeitig transkulturell, transdisziplinär, transpersonal und transformativ ausgerichtet ist. In ihrer Transformation and Innovation Series erschien 2010 ein Entwurf zu einer Integralen Ökonomie, der neben hinduistischen und konfuzianistischen Elementen auch Schumachers Buddhistische Ökonomie und Überlegungen aus Ariyaratnes Sarvodaya-Śramadāna-Bewegung aufgreift. Cf. Lessem/Schieffer 2010: 53–59, 163–172, 359–374; Lessem/Schieffer 2014: 87–136. 172 Luang Por Dattajivo ist auch bekannt als Phadet Dattajeevo oder unter seinen Ehrentiteln Phra Bhavanaviriyakhun oder Phra Rajbhavanajahn. Cf. Phrabhavanaviriyakhun 2010; Puntarigvivat 2010; Wickramasinghe 2002; Wickramasinghe 2008; Wickramasinghe 2010; Wagner, H.-G. 2007; Wagner, H.-G. 2012.

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deutschsprachigen Raum, der in Guruges Zusammenschau allerdings nicht berücksichtigt wird. 173 Dafür rezipiert Guruge mit John B. Cobb einen Vertreter der christlichen Prozesstheologie und greift Kritik an Schumacher von kapitalistischer Seite auf. 174 Vor allem die Kritik des US-amerikanischen Professors für Wirtschafts- und Finanzwesen Mark Andrew Skousen findet bei Guruge Berücksichtigung. 175 Skousen monierte in The Anti-Capitalistic Mentality, Updated (2000), dass Schumachers »glorification of Buddhist economics« 176 in ihrem totalitären Anspruch dem Menschen die freie Wahl zu einer kapitalistischen Produktionsweise verwehre und stattdessen zu einer nicht-materialistischen Lebensweise und primitiven Wirtschaftsform nötige. In seinem Plädoyer für Freiheit beruft sich Skousen auf The Anti-Capitalistic Mentality (1956) des austro-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Ludwig von Mises (1881–1973), der zuvor ähnliche Argumente vorgetragen hatte: »Es mag wahr sein, daß es unter buddhistischen Bettelmönchen, die von Almosen und in Schmutz und Armut leben, manche gibt, die vollkommen glücklich sind und keinen Nabob in der Welt beneiden. Jedoch ist es Tatsache, daß für die unermeßliche Mehrheit der Menschen solch ein Leben unerträglich erscheinen würde.« 177 Mittlerweile profiliert sich auch die 1998 gegründete World Buddhist University in diesem Bereich und veranstaltete am 22. Mai 2016 eine internationale Konferenz zum Thema »Buddhist Economics and World Crises«. Das Anschreiben zur thematischen Ausrichtung der Konferenz bietet eine konzise Zusammenfassung der Ideen, Absichten und Ziele, die mit dem Themenkomplex einer buddhistischen Ökonomie verbunden sind: Capitalism, with its logic of minimizing cost and maximizing profit for the accumulation of private property, has caused economic, social, cultural and ecological crises not only in the Third World, but also in the First World. There is an attempt among Buddhists both in the East and the West to establish a Buddhist economic model in response to the exploitative and destructive nature of capitalist economic structures. While modern economics confines its regard to events within its specialized sphere, Buddhist economics would investigate how a given 173 174 175 176 177

Cf. Brodbeck 2011. Cf. Guruge 2008: 33–36; Cobb 2002. Cf. Guruge 2008: 36 ff. Skousen 2000: 53. Mises 1979: 85 f.

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economic activity affects the three interconnected spheres of human existence: the individual, society, and nature or the environment. In modern economics, well-being is usually measured in terms of per capita income and consumption, such as the amount of money expended on medical care and education. A growing number of people are dissatisfied with material growth models and have been searching for alternative measures of well-bring with less materialistic and more qualitative goals. Buddhist economics arises out of this demand for new economic objectives. 178

Es lässt sich allgemein sagen, dass allen unter dem Begriff »Buddhistische Ökonomie« firmierenden Bestrebungen die Tendenz gemeinsam ist, sich gegen die politischen und ökonomischen Prinzipien des Neoliberalismus zu richten und damit gegen einen völlig deregulierten und entfesselten Markt und einen rücksichtslosen, unverhüllt ausschließlich auf Profitmaximierung ausgerichteten »Turbokapitalismus« 179. Unter Ausschluss sozialer und ökologischer Aspekte werde im Zuge der Globalisierung der gesamten Welt als einer neoimperialistischen Form intellektueller Kolonialisierung die unbarmherzige Logik des freien Marktes aufgezwungen, an dessen Selbstregulierungskräfte man nach den jüngsten Banken- und Wirtschaftskrisen nicht nur in den Kreisen engagierter Buddhisten den Glauben verloren hat. 180 Als das derzeit vorherrschende Paradigma der politischen Ökonomie erscheint der Neoliberalismus dabei im Diskurs nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung als anti-kommunistischer und anti-kapitalistischer dritter Weg, sondern als Bezeichnung für eine spezifische Denkrichtung der Österreichischen und Chicagoer Schule innerhalb der gegenwärtigen Wirtschaftswissenschaft, die als aggressiver und antagonistischer Widerpart zu den Idealen einer buddhistischen Ökonomie und deren solidarischen, pluralistischen und partizipatorischen Motiven konstruiert wird. Das ökonomische Programm des Neoliberalismus, das die Vorteile eines freien Marktes und die Nachteile staatlicher Eingriffe betont, wird dabei in unmittelhttps://dlibrary.worldbuddhistuniversity.com/handle/6622580369/429 So definiert der Duden den Ende der 1990er Jahre von Edward Luttwak geprägten Neologismus »Turbokapitalismus«. Cf. Luttwak 1998. Für weitere Arbeiten zur Buddhistischen Ökonomie siehe Anielski 2007; Bubna-Litic 2009; Dunne 2015; Essen 2009; Gernet 1995 (Das französische Original erschien bereits 1956 als Les Aspects économiques du bouddhisme dans la société chinoise du Ve au Xe siècle); Inoue 1997; Kampmann 2014; Keyes 1993; Marques 2015; Prayukvong 2005; Spiro 1966 und Tideman 2016. 180 Cf. Vogl 2011: 174. 178 179

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barer Verantwortung für die mutwillige Zerstörung kultureller Vielfalt, die Minimierung der politischen und bürgerlichen Rechte der Bevölkerung, die dauerhafte Unterminierung der Demokratie durch den Einfluss totalitär strukturierter Großkonzerne und transnationaler Kartelle auf die Politik und die Verschärfung sozialer und ökologischer Probleme gesehen, wie die weltweite Klimakatastrophe oder der profitgeleitete Raubbau an der Biosphäre und deren zunehmende Kontamination. Dabei kommt es auf der Grundlage einer buddhistischen Anthropologie und Psychologie in der Regel zu einer Pathologisierung des neoliberalistischen Wirtschaftsmodells, das weniger etwas über die Realität als über die narzisstischen, in ihrer Entwicklung gestörten Menschen aussage, die es hervorgebracht haben. 181 Vor diesem Hintergrund ist im folgenden Gliederungsabschnitt einzusehen, inwiefern Loy in seinem Entwurf einer buddhistischen Wirtschaftsethik eigene Akzente zu setzen vermag.

11.3.2. Die innere Leere (lack) des Kapitalismus: Loys buddhistische Wirtschaftsethik Der Buddhismus erfüllt für Loy auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine primär meta-ideologische Funktion, insofern er dem vorhandenen Spektrum kein alternativ konkurrierendes Wirtschaftsmodell hinzufügen, sondern primär auf die inhärenten Defizite bereits vorhandener hinweisen soll. 182 Darin besteht für Loy das aufklärerische Ethos des engagierten Buddhisten in Bezug auf kritische Fragen der globalen Ökonomie, Ökologie, Politik und Medien. Ziel sei nicht die Konstruktion eines eigenen Alternativmodells, sondern die Auf181 Vergleiche dazu auch die Aussage des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Gerhard Scherhorn: Das »Theorem der Unersättlichkeit« sage »wenig über die Realität aus, dafür aber umso mehr über die Wissenschaft, die es hervorgebracht hat, und über das merkwürdige Bild vom Menschen, auf das sie sich stützt. Es ist das Bild eines in seiner Entwicklung gestörten Menschen. Die Abhängigkeit des Selbstwertes vom Vorrang vor anderen, die Tendenz zur Selbsterhöhung und zur Überhöhung der Realität, die Verselbständigung der Gütersymbolik, die Lösung des Kaufens vom Brauchen, der Ersatz immaterieller durch materielle Befriedigungen, die Verdrängung der Kosten des Wohlstands aus dem Bewußtsein – all das entstammt eher einer Neurosenlehre als einer Beschreibung gesunden Verhaltens.« Scherhorn 1994: 238. 182 Auch Karl-Heinz Brodbeck, für den die Aufgabe der buddhistischen Ökonomie in der »Ent-Täuschung der Täuschungen durch Erkenntnis« besteht, die wiederum identisch sei mit der buddhistischen Wirtschaftsethik. Brodbeck 2011: 98.

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deckung unbewusster Irrtümer, allen voran der Anthropologie, die verdeckt in den gesellschaftlichen Strukturen wirken. Für Loy beruht die neoliberale Wirtschaftsordnung und ihre vorgebliche Wertneutralität dabei auf einem grundlegenden und verhängnisvollen Irrtum, den er im wirtschaftsanthropologischen Zerrbild des stets zweckrationalen und allein auf die utilitaristische Maximierung seines individuellen Nutzens bedachten homo oeconomicus verortet. Das kapitalistische Menschenbild gehe von einer unveränderlichen Natur des Menschen und dessen notwendig egoistisch motiviertem Verhalten aus und gründe somit in der Kernillusion schlechthin, die der Buddhismus mit der Vorstellung eines wesentlich von Durst getriebenen und autonomen Egos identifiziert. 183 Ein beeindruckendes Beispiel für die perverse Mentalität des homo oeconomicus und damit zugleich ein Beleg für die eigentliche Ursache der Krise ist für Loy ein Passus aus dem Bericht über die menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen (UNDP) aus dem Jahre 1998. Dort finden sich konkrete Angaben darüber, was de facto nötig wäre, um die Grundversorgung aller Menschen weltweit zu gewährleisten: New estimates show that the world’s 225 richest people have a combined wealth of over $ 1 trillion, equal to the annual income of the poorest 47 % of the world’s people (2.5 billion). […]. Another striking contrast is the wealth of the 225 richest people compared with what is needed to achieve universal access to basic social services for all. It is estimated that the additional cost of achieving and maintaining universal access to basic education for all, basic health care for all, reproductive health care for all women, adequate food for all is roughly $ 40 billion a year. This is less than 4 % of the combined wealth of the 225 richest people in the world. 184

Das Problem sei also kein Mangel an Ressourcen, sondern die Finanzoligarchie im staatsmonopolistischen Kapitalismus, der allgemeine Mangel an Verantwortungsbewusstsein sozial indifferenter Plutokraten und die Indolenz der Massen, sich dieser strukturellen Gewalt effektiv zu widersetzen. Als weiteres Kernelement des Problems diagnostiziert Loy die Werte, Maßstäbe und Kriterien, die sowohl endogenen als auch exogenen Entwicklungstheorien zugrunde liegen und auf deren Basis Gesellschaften ein vermeintlich niedriger Entwicklungsstand attes183 184

Cf. Loy 2003a: 53. U.N. Development Programme 1998: 30.

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tiert wird. 185 Hier sei vor allem eine buddhistische Diagnose und Kritik dessen erforderlich, was unter westlich-kapitalistischen Vorzeichen überhaupt als entwicklungsbedürftig gelte und im Einzelnen als das Ziel der Entwicklungshilfe bestimmt werde. Was bedeutet demnach Armut und was ist der angestrebte Idealzustand einer Gesellschaft aus buddhistischer und westlich-kapitalistischer Sicht? Der Buddhismus befördere zwar die Einschränkung unserer Bedürfnisse, dies sei aber nicht gleichzusetzen mit der Glorifizierung von Armut. 186 Armut besteht für Loy, wenn die lebensnotwendigen Elementarbedürfnisse eines Menschen nicht befriedigt werden können und es den Menschen an Kleidung, einer Unterkunft, sauberem Trinkwasser, einer gesunden Ernährung und dem Zugang zu medizinischer Versorgung mangelt. 187 Insofern auch die Weltbank den weltweiten Konsum von Nahrungsmitteln sicherstellen will und eine ausreichende Gesundheitsversorgung, menschenwürdige Arbeit, den Zugang zu freier Bildung und die Ausübung von Rechten zu den Grundbedürfnissen und damit zu den erklärten Zielen ihrer Entwick185 So setzte beispielsweise der US-amerikanische Ökonom und Wirtschaftstheoretiker Walt Whitman Rostow (1916–2003) in The Stages of Economic Growth: A NonCommunist Manifesto (1960) das Zeitalter des Massenkonsums (»the age of high mass-consumption«) als höchste von fünf Wachstumsstadien des Entwicklungsprozesses an. Rostow 1991: 10. 186 Cf. Loy 2003a: 74. Dass der rechte Lebenserwerb nach buddhistischem Verständnis sogar die Erwirtschaftung von Eigentum und weitere Besitztümer billigt, geht aus folgendem Passus hervor: »Derjenige aber unter diesen zehn weltlich Genießenden, o Hausvater, der auf gesetzliche und gewaltlose Weise nach Vermögen sucht und, nachdem er sich auf gesetzliche, gewaltlose Weise Vermögen verschafft hat, sowohl sich selber glücklich und froh macht, als auch Geschenke gibt und gute Werke tut und, sein Vermögen genießend, nicht daran hängt, nicht dadurch betört wird, nicht davon eingenommen ist, da er das Elend merkt und den Ausweg kennt – dieser gilt unter den zehn weltlich Genießenden als der Erste, der Beste, der Edelste, der Höchste und der Vorzüglichste.« Aṅguttara-Nikāya 10, 91: In: Nyānatiloka 1993b: 85. 187 Cf. Loy 2018: 92. Konkret orientiert sich Loy dabei am Vorbild eines vollordinierten Mönches, dessen Besitz den kanonischen Texten zufolge nur aus drei Gewändern, einer Almosenschale, einem Gürtel, einem Rasiermesser, einer Nadel, einem Sieb, einem Stab und einem Zahnstocher bestehen soll, die zusammen die acht Bedarfsgegenstände (aṣṭa pariṣkāra) bilden. Cf. Lamotte 2002: 63. Die Sarvodaya-ŚramadānaBewegung spricht in diesem Zusammenhang von insgesamt zehn Grundbedürfnissen: »Sarvodaya defines these basic human needs as 1) a clean and beautiful environment; 2) an adequate supply of safe water; 3) minimum requirements of clothing; 4) a balanced diet; 5) simple housing; 6) basic health care; 7) communication facilities; 8) energy; 9) total education related to life and living; 10) cultural and spiritual needs.« Bond 1992: 267.

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lungshilfe zählt, scheint hier ein grundlegender Konsens zu bestehen. Das Problem westlicher Entwicklungshilfe besteht für Loy daher nicht in der erklärten Bekämpfung materieller Armut, sondern in der gleichzeitigen Förderung ideeller Armut, die mit dem weltweiten Export der westlichen Konsumkultur industrialisierter Länder automatisch einhergehe. Das zeigt sich für Loy bereits am monetären, letztlich konsumorientierten Armutsindikator der Weltbank. 188 Mit der fortschreitenden Globalisierung und der damit einhergehenden Verbreitung westlicher Ideale und Lebensziele werde gleichzeitig ein konsumeristischer Kapitalismus in der Welt gefördert, dem eine ideelle Armut unweigerlich inhärent sei: »Poverty can never be overcome by generating more and more desires to be satisfied by consuming more and more goods and services. Even when consumerism eliminates or reduces material poverty, it does so at the cost of promoting an even more harmful poverty. In short, there is a fundamental and inescapable poverty built into a consumer society.« 189 Jede über die Sicherung der Befriedigung der Grundbedürfnisse hinausgehende Einflussnahme ist für Loy daher eine Form des kulturellen und intellektuellen Imperialismus, der unhinterfragt davon ausgeht, dass die westliche Lebensform allen anderen überlegen ist. Hinter der wirtschaftskolonialistischen Entwicklungshilfe steht für Loy daher bereits ein Werturteil, wie sich ein Land idealerweise entwickeln soll. Der missionarische Kapitalismus, der das vorgeblich alternativlose Evangelium des Konsumerismus in die Welt trage und dabei Reichtum mit Zufriedenheit und Armut mit Unzufriedenheit 188 Bei der sogenannten Kaufkraftparität wird Armut nicht am Einkommen bemessen, indem man das Einkommen eines Inders über den aktuellen Wechselkurs in USDollar umrechnet und dann mit dem Einkommen eines Amerikaners vergleicht, sondern durch die Berechnung der lokalen Kaufkraft. Die Kaufkraft wird ermittelt, indem man berechnet, wie viele Einheiten der jeweiligen Währung (hier: Rupien) notwendig sind, um die gleichen Güter zu erwerben, die man für einen US-Dollar in den Vereinigten Staaten kaufen könnte. Ein populäres Beispiel für Kaufkraftparitäten ist der von der britischen Zeitschrift The Economist regelmäßig veröffentlichte Big-MacIndex, der die Kaufkraft verschiedener Währungen durch den Vergleich der jeweiligen Preise eines Big-Macs ermittelt, den McDonalds mittlerweile weltweit in 119 Ländern in standardisierter Form verkauft. Gemessen an der realen Kaufkraft leben der Weltbank zufolge nun all diejenigen Personen in absoluter Armut, die weniger als 1,90 US-Dollar Tageseinkommen zur freien Verfügung haben und folglich nicht in der Lage sind, täglich die Menge an Gütern zu konsumieren, die in den Vereinigten Staaten 1,90 US-Dollar kosten würde. Cf. Loy 2003a: 58. 189 Loy 2003a: 58.

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gleichsetze, sei in seiner spirituell unterbelichteten Weltsicht allerdings in vielen Fällen vollkommen inkommensurabel mit der Denkart und Weltanschauung dieser »Entwicklungsländer«. Loy beruft sich dabei auf einen Passus aus einer Studie des britischen Entwicklungswissenschaftlers Robert Chambers, der in traditionell rural geprägten Gesellschaften das lokale Kriterium für Wohlergehen analysiert hatte: One of the things we found in the village which surprised us was people’s idea of well-being and how that related to having money. We talked to a family, asking them to rank everybody in the village from the richest to the poorest and asking them why they would rank somebody as being less well off, and someone as poor. And we found that in the analysis money meant very little to the people. The person who was ranked as poorest in the village was a man who was probably the only person who was receiving a salary. 190

Carol Graham zufolge sind es steigende Ansprüche, relative Einkommensdifferenzen und die Vervielfältigung unserer Bedürfnisse, die zu einem abnormen Konsumverhalten (»excessive consumption and other perverse economic behaviors« 191) und damit subjektiver Lebensunzufriedenheit führen. 192 Diese Faktoren sind Loys Analyse zufolge allerdings nur unverstandene Symptome für unser eigentlich spirituelles Verlangen, für das es prinzipiell keine pekuniäre oder konsumeristische Lösung geben könne. Da Loy dem Kapitalismus die psychologische Struktur einer Erlösungsreligion attestiert, manifestiert sich in unserem dualistischen Arm-Reich-Denken (»wealth/poverty dualism« 193) und unserer Entwicklungshilfe für vermeintlich arme und unterentwickelte Länder folglich noch eine psychologische Dimension: 190 Chambers, Robert. Whose Reality Counts? London: Intermediate Technology, 1997, 179. Zitiert nach: Loy 2003a: 58 f. In diesem Zusammenhang ist auch das sogenannte Easterlin-Paradox von Interesse, womit das Ergebnis einer Studie über den Zusammenhang von Einkommen und Glück bezeichnet wird, das der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Richard Ainley Easterlin 1974 in seinem Aufsatz Does Economic Growth Improve the Human Lot? beschrieben hat. Demnach führt mehr Reichtum nicht zu mehr Glück, wenn grundlegende Bedürfnisse des Menschen erst einmal gestillt sind. »If the view suggested here has merit, economic growth does not raise a society to some ultimate state of plenty. Rather, the growth process itself engenders ever-growing wants that lead it ever onward.« Easterlin 1974: 121. 191 Graham 2012: 18. Cf. Loy 2015a: 120. 192 Cf. Loy 2003a: 81. 193 Loy 2003a: 62.

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›Undeveloped‹ poor people must be miserable, because that is how we would experience their circumstances of life. Mesmerized as we are by economic growth, we assume that everyone else must be too–or should be, especially if we are to have access to their resources and their demand for our manufactured products. […]. Unless there are losers, we cannot feel like winners. Unless the undeveloped are unhappy about their lot, we may come to doubt our own happiness with what we have, unable to rationalize the things we have had to put up with in order to get where we are, or to excuse the negative consequences of our economic development. 194

Das Glück »armer Menschen« könne daher wie ein Mahnmal wirken, das uns über die innere Leere (lack) unseres an Konsumgütern orientierten Lebensstils informiert. Wenn den Entwicklungsprogrammen tatsächlich ein genuin altruistisches Motiv zugrunde liegt, dann sind wir offenbar immer noch derart überzeugt von der eigenen Überlegenheit und absoluten Bedürftigkeit anderer Länder, dass wir weitreichende Maßnahmen unterstützen und eine umfassende Restrukturierung ihrer Gesellschaften nach neoliberalistischem Vorbild akzelerieren, die von den einheimischen Bevölkerungen selbst als tiefgreifende Desorganisation empfunden wird. 195 Trotz dieser kulturimperialistischen Tendenzen der Weltbank, die einen global expandierenden und dominierenden Kapitalismus und Konsumerismus auf dem Weg zur homogenen Weltordnung lanciere, wiegt für Loy die einfache Tatsache schwerer, dass die Maßnahmen der Weltbank zur Reduktion entwürdigender Armut weltweit in ihrer praktischen Auswirkung nicht nur katastrophal gescheitert seien, sondern das Problem statistisch gesehen sogar verschärft hätten: »If we accept the World Bank’s profession that its primary concern is to eliminate poverty, we are forced into the paradoxical conclusion that one of the causes of poverty is the Bank’s own efforts to reduce it.« 196 Loy 2003a: 62 f. Die ökonomischen Folgen einer solchen Entwicklungspolitik auf neoliberaler Basis beschreibt Robert Waterman McChesney folgendermaßen: »[A] massive increase in social and economic inequality, a marked increase in severe deprivation for the poorest nations and peoples of the world, a disastrous global environment, an unstable global economy and an unprecedented bonanza for the wealthy.« McChesney 1999: 8. 196 Loy 2003a: 62. Loy beruft sich hier vor allem auf die Daten, die Susan George und Fabrizio Sabelli in Faith and Credit: The World Bank’s Secular Empire (1994) vorgelegt haben. Das Buch ist in deutscher Übersetzung erschienen als George/Sabelli 1995. Cf. Loy 2003a: 61. Folgt man hingegen neueren Statistiken der Weltbank, dann lebten 10,7 % der Weltbevölkerung im Jahre 2013 (767 Millionen Menschen) von 194 195

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Aber ist globale Prosperität bei einer stetig wachsenden Weltbevölkerung überhaupt wünschenswert? Tatsächlich handelt es sich bei der Vision einer Welt in wirtschaftlichem Wohlstand für Loy um keine Utopie, sondern um eine alarmierende Dystopie, die den Zusammenbruch der gesamten Zivilisation impliziert. Würden alle Menschen tatsächlich auf dem verbrauchsintensiven Konsumniveau eines US-Amerikaners leben, wären bereits jetzt 4½ Erden nötig, um den globalen Bedarf zu decken. Eine Kalkulation des Global Footprint Network habe zudem überzeugend gezeigt, dass die Erde nur für zwei der fast acht Milliarden Menschen der gegenwärtigen Weltbevölkerung nachhaltig einen europäischen Lebensstandard ermöglichen

weniger als 1,90 US-Dollar am Tag. Verglichen mit 12,4 % der Weltbevölkerung im Jahre 2012 (881 Millionen) und 35 % im Jahre 1990 (1,85 Milliarden). http://www. worldbank.org/en/topic/poverty/overview. Allem Anschein nach ist der Anteil von Menschen in extremer Armut an der Weltbevölkerung in den letzten Jahrzehnten also insgesamt stark zurückgegangen. In einem Interview hat der deutsche Professor für politische Philosophie und Ethik Thomas Pogge hingegen die These vertreten, dass die globale Armutsstatistik der Weltbank nur aufgrund einer wiederholten Änderung der Maßstäbe und Definitionen möglich war. Pogge zufolge wurde die Statistik geschönt, um einige der insgesamt acht im Jahre 2000 gesetzten MillenniumsEntwicklungsziele (Millenium Development Goals) der Vereinten Nationen zu verwirklichen, die u. a. vorsahen, die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Hatten die Regierungen auf dem Welternährungsgipfel 1996 allerdings noch erklärt, dass man die Anzahl der hungrigen Menschen halbieren wolle, so sollte auf dem Millenniumsgipfel 2000 nur noch ihr Anteil an der Weltbevölkerung halbiert werden. Darüber hinaus wurde das Basisjahr von 2000 auf 1990 vorverlegt und 2012 von der Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen die Methode geändert, wie die Zahl der Hungrigen berechnet wird. Auf diese Weise hätte man einen stetig anwachsenden Trend in einen stetig abfallenden verwandeln können. http:// www.zeit.de/wirtschaft/2015–06/thomas-pogge-armut-bekaempfung-nachhaltigeentwicklung. Valentin Beck hat insgesamt vier Kritikpunkte angeführt, die sowohl bei der globalen Armutsstatistik der Weltbank als auch bei deren regelmäßig aktualisierten internationalen Weltarmutsgrenze berücksichtigt werden müssen: (1) Aufgrund der dünnen empirischen Datenlage sowie einer angreifbaren Methodologie gebe die Statistik allenfalls einen vagen Trend wieder; (2) der Ermittlung der Zahl der Menschen in Armut anhand einer monetären Metrik hafte etwas Willkürliches an, insofern bereits kleine Veränderungen von einzelnen monetären Parametern eine Fortschrittsillusion erzeugen könnten; (3) es sei stets im Auge zu behalten, dass es sich bei den involvierten Organisationen wie der Weltbank um im weiteren Sinn politische Akteure handle, die eine eigene Agenda verfolgten und unter Zwängen stünden, die dem Anliegen einer möglichst objektiven Einschätzung der Weltlage entgegenstehen könnten und (4) ließen selbst die zuverlässigsten Informationen über das Einkommen von Individuen nur bedingt Rückschlüsse über ihre jeweilige Lebensqualität zu. Cf. Beck 2016: 178.

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könne. 197 Wird die demographische Entwicklung der Weltbevölkerung nicht durch weitreichende anti-natalistische Maßnahmen gestoppt oder mittelfristig sogar umgekehrt und bleibt das ökonomische Wachstum in den großen Schwellenländern, wie Indien und China, weiterhin konstant, dann ist es für Loy unvermeidlich, dass es zu einer human-ökologischen Katastrophe von globalem Ausmaß kommen wird. 198 Auch in dieser Hinsicht zeichnet sich der Buddhismus gegenüber anderen, insbesondere den abrahamitischen Religionen für Loy aus, insofern seine »anti-natalistische« Grundhaltung trotz eines rigorosen Abtreibungsverbotes in Zeiten lebensbedrohlicher Überbevölkerung ein dringend benötigtes Antidot gegenüber den weltanschaulich oder religiös motivierten Ideologien eines rigiden Pronatalismus und einer entsprechenden Bevölkerungspolitik sei: »Buddhism is unique among the major religions in not being pronatalist. There is no doctrinal encouragement that we should have lots of children, which is another aspect of the Dharma to appreciate, given our overpopulation of the earth. The emphasis on monasticism works the other way, encouraging an alternative to procreation. The Buddha, like Jesus, was not a big proponent of ›family values‹.« 199 Um geeignete Strategien zum Erhalt des ökologischen und sozialen Gleichgewichts und eine makro-ökonomische Alternative für eine buddhistisch inspirierte Weltwirtschaft und Gesellschaft zu generieren, ist für Loy die Erkenntnis unbedingt notwendig, dass es sich beim globalen Kapitalismus um keine Naturnotwendigkeit, sondern um eine historisch-kontingente und damit grundsätzlich korrigierund revidierbare Erscheinungsform handelt. Diese Einsicht dient Loy zugleich als Kritik an dem immer noch kolportierten Mythos einer wertneutralen Wirtschaft und der Illusion objektiver Marktgesetze und wirtschaftlicher Prozesse, die in ihrer Sachlogik genau

Cf. Loy 2003a: 65; Loy 2018: 26; Schumacher, T. 2011: 248–251. »It is difficult to imagine how ecological sustainability could be achieved without a massive reduction, intentional or not, in our numbers. It is almost as difficult to imagine how that reduction can be achieved in a democratic and equitable manner.« Loy 2018: 26. »Tatsächlich ist der Zusammenbruch der globalen Industriegesellschaft für das zukünftige und langfristige Überleben der Menschheit notwendig.« Lewis 2003: 72. 199 Loy 2008: 66. »Abortion is killing […] the textual prohibition is unambiguous.« Loy 2008: 67. Näheres zur buddhistischen Haltung gegenüber Abtreibung und Empfängnisverhütung bei Florida 2000; Keown 1998b. 197 198

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so unabhängig von ethischen Urteilen seien wie physikalische Abläufe. Der freie Markt – und das heißt nach Max Weber der »durch ethische Normen nicht gebundene Markt« 200 – ist nach Loys Auffassung eine gefährliche Illusion. Wie aus der Erzählung des CakkavattiSīhanāda-Sutta hervorgeht, in der König Daḷhanemi vergisst, die Armen mit Almosen zu bedenken, woraufhin es zum sukzessiven Verfall des Reiches und der Ordnung kommt, trennt der Buddhismus nicht zwischen individuell-ethischer und kollektiv-ökonomischer Sphäre. Loy schließt sich in seinem Urteil daher Payutto an, der die Vorstellung einer wert- und voraussetzungsfreien Ökonomie nicht nur für einen fundamentalen Irrtum, sondern auch eine darauf basierende Wirtschaft in ihren Auswirkungen für desaströs hält: It may be asked how it is possible for economics to be free of values when, in fact, it is rooted in the human mind. The economic process begins with want, continues with choice, and ends with satisfaction, all of which are functions of the mind. Abstract values are thus the beginning, the middle and the end of economics, and so it is impossible for economics to be value-free. Yet as it stands, many economists avoid any consideration of values, ethics, or mental qualities, despite the fact that these will always have a bearing on economic concerns. 201

Für Loys weitere Argumentation ist dabei vor allem die wirtschaftshistorische Arbeit des ungarisch-österreichischen Ökonomen und Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi (1886–1964) von grundsätzlicher Bedeutung. 202 In The Great Transformation (1944) hatte Polanyi anhand umfangreicher wirtschaftshistorischer und kulturanthropologischer Analysen revolutionäre Prozesse im England des 19. Jahrhunderts beschrieben, in deren Verlauf sich das traditionelle Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft umkehren und sich die Ideen eines selbstregulierenden Marktes und einer freien Marktwirtschaft herausbilden konnten. Die Vorstellung einer prinzipiell amoralischen Wirtschaftstätigkeit war dem mittelalterlichen Denker hingegen noch vollkommen fremd. So konstatiert der britische Wirtschaftshistoriker Richard Henry Tawney (1880–1962) in Religion and the Rise of Capitalism (1926), dass ökonomische Interessen und wirtschaftliches Handeln für den mittelalterlichen Schriftsteller Weber 2002: 383. Payutto 1994: 27. Cf. Loy 2003a: 78; Payutto 1999: 51. 202 Cf. Loy 2003a: 84 ff. Polanyis Werk erschien in deutscher Übersetzung als Polanyi 1978. 200 201

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immer dem Streben nach Erlösung untergeordnet und an moralische Regeln rückgebunden waren. 203 War die vormoderne Wirtschaftsordnung folglich noch in die Gesellschaftsordnung eingebettet, politisch kontrolliert und religiös domestiziert, so wurde der dominierende Markt im 19. Jahrhundert nun aus der Gesellschaft herausgelöst und die Gesellschaftsordnung ihrerseits zur bloßen Funktion der kapitalistischen Wirtschaftsordnung herabgesetzt. Diese Subsumtion der Gesellschaft und des Sozialsystems unter ein unreguliertes und marktwirtschaftlich organisiertes Wirtschaftssystem und eine allein nach utilitaristischem Denkmuster verfahrende ökonomische Rationalität hatte für Polanyi allerdings katastrophale Folgen, insofern der Mensch nun nicht mehr über die Wirtschaft herrschte, sondern der Marktlogik und den Erfordernissen der Ökonomie bedingungslos untergeordnet wurde. Diese sozio-kulturellen Umbrüche machte er verantwortlich für sinkende Löhne und vermehrte Arbeitslosigkeit, die Ausbeutung der Arbeiterklassen und die Zerstörung des Familienlebens, die Polarisierung der Gesellschaft in Reich und Arm, die irreversible Zerstörung natürlicher Ressourcen sowie die sukzessive Unterminierung demokratischer Verfahren und Institutionen, die letztlich zu wirtschaftlich-tiefgreifenden und gesellschaftlich-desaströsen Krisen führen sollten. 204 Im Anschluss an Polanyis Analyse benennt auch Loy die allmähliche Entfesselung des Kapitalismus und die weitgehende Aufhebung äußerer Restriktionen für die Märkte als zentralen ursächlichen Faktor für die umfassende Kommodifizierung menschlicher Beziehungen und die Herausbildung einer Gesellschaft, in der alles zur Ware geworden sei: Where there are no restrictions to protect social relations, commodification tends to occur with every potential resource that can be utilized for economic gain. This includes the very moral fabric of society, woven of innumerable personal relationships, now commodified into ›social capital‹ or ›moral capital‹–ugly economist terms that describe how market forces rely upon but damage that fabric of interpersonal responsibility. […]. From a religious perspective, an alternative way to

Cf. Tawney 2008: 31 f.; Loy 2002a: 80 f. Cf. Reißig 2009: 93–96. Max Weber formulierte die inhumanen Folgen eines ungehemmten Marktes folgendermaßen: »Wo der Markt seiner Eigengesetzlichkeit überlassen ist, kennt er nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person, keine Brüderlichkeits- oder Pietätspflichten, keine der urwüchsigen, von den persönlichen Gemeinschaften getragenen menschlichen Beziehungen.« Weber 2002: 383. 203 204

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describe this process of commodification is that the world and its many beings (including humans) have become de-sacralized. 205

Erklärtes Ziel müsse daher die Umkehrung des von Polanyi beschriebenen Prozesses und ein effizienter Schutz der Natur und der Gesellschaft vor den destruktiven Auswirkungen der ruinösen Marktmechanismen sein. Ein buddhistischer Interventionismus trete daher für eine radikale Einschränkung der Marktfreiheit und die Unterminierung neoliberalistischer Machtstrukturen innerhalb einer Gesellschaft ein. Das dafür erforderliche moralische Kapital könne angesichts eines konsumeristisch durchsetzten Gesellschaftsbewusstseins vor allem aus den sozial-reformerischen und gesellschaftsformativen Kräften der Religionen geschöpft werden. Religionen seien für die harmonische Umformung des geistigen Lebens einer Gesellschaft und die systematische Förderung einer gesamtgesellschaftlich verankerten zwischenmenschlichen Verantwortung potentiell geeignet, da sie im Verlauf der Geschichte schon immer eine zentrale Quelle für das Wertegefüge und Selbstverständnis einer Gesellschaft gewesen seien und die Menschen Motivation und Orientierung aus ihrem jeweiligen Glauben schöpfen konnten: »Rather than dismiss religion as a narcotic for the politically naive, we need to become more aware of the potentials for personal (and in turn social transformation) that reside in its teachings and institutions. Religious engagement remains an enormously powerful social force that should not be surrendered to fundamentalists.« 206 Um die unmittelbar von Gier, Hass und Verblendung infizierten Strukturen der morbiden Gesellschaft erfolgreich zu therapieren und die deletäre Ordnung langfristig durch ein spirituell informiertes und ökologisch nachhaltiges Alternativmodell zu substituieren, schlägt Loy radikale Formen politischer Partizipation und sozialer Organisation vor, die eine wirksame Veränderung sowohl von oben nach unten (Meso- und Makroebene) als auch von unten nach oben (Mikroebene) initialisieren sollen. Auf der Meso- und Makroebene sei dabei die Intensivierung der staatlichen Aufsicht über private, insbesondere transnationale Wirtschaftsunternehmen und die Minimierung der politischen Einflussnahme erfolgreicher Wirtschaftsakteure auf Fragen von gesamtgesellschaftlichem und globalem Interesse eine vordringliche Aufgabe. Darunter versteht Loy zwar kein 205 206

Loy 2003a: 67, 84. Loy/Watts 1998: 93.

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generelles Lobbyismus-Verbot, aber dennoch eine weitreichende Beschränkung der Möglichkeiten, wirtschaftliche Interessen wirkungsvoll in den national- und global-politischen Diskurs einzubringen, ohne dabei Rücksicht auf menschliche und gesellschaftliche Konsequenzen zu nehmen. Darüber hinaus sei es unerlässlich, den rückhaltlosen Monopolkapitalismus zu bekämpfen und ihn wieder lückenlos gesellschaftlichen Interessen unterzuordnen, indem man alle größeren Wirtschaftsunternehmen dazu verpflichte, Arbeitnehmervertreter und Umweltbeauftrage in ihre Führungsgremien zu integrieren und damit sicherzustellen, dass die Gewinnmaximierung nicht das einzige Kriterium bei der Entscheidungsfindung bleibt. In letzter Konsequenz müsse sogar in der Unternehmensverfassung festgeschrieben werden, dass ausnahmslos jedes wirtschaftliche Unternehmen zuallererst dem öffentlichen Wohl und nicht dem Profit und der jährlichen Rendite anonymer Investoren verpflichtet sei: My Buddhist conclusion is that transnational corporations are defective economic institutions due to the basic way they are structured. We cannot solve the problems they keep creating by addressing the conduct of this or that particular corporation, because the institution itself is the problem. […]. The general concern is to find ways to legally codify, as well as to emphasize in the public consciousness, that corporations are allowed to exist only insofar as they promote the common good. The alternative is to promote the public good with smaller, more localized economic institutions that are more easily regulated. As long as corporations in their present form are allowed to remain the primary instruments of economic globalization, they will endanger the future of our children and the world they will live in. 207

Durch diese Maßnahmen könnten allerdings nur Symptome der zivilisatorischen Krise gelindert werden, wenn der äußeren Revolution keine innere Transformation korrespondiere. Die auf selbstsüchtiger Geldgier und aggressivem Konkurrenzdenken basierenden Marktprozesse der interdependenten Weltwirtschaft würden immer einen Weg finden, die staatlich inaugurierte Wirtschaftsordnung zu unterlaufen, es sei denn die Geldgier selbst werde durch die Rekonditionierung unserer handlungsleitenden Motive und tief verinnerlichten Denkweisen dauerhaft transformiert. 208 Auf der Mikroebene zielt Cf. Loy 2003a: 101. Ganz analog dem bekannten Sprichwort »Sow a thought and reap a deed. Sow a deed and reap a habit. Sow a habit and reap a character. Sow a character and reap a 207 208

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Loy daher auf die evolutionäre Transformation der Gesellschaft sowie die Etablierung einer spirituellen Gegenkultur und weltweiten Graswurzelbewegung, die sich den gemeinschaftszersetzenden Effekten einer neoliberalen und marktgläubigen Ökonomie widersetzt, indem sie sich dem Lebensstil freiwilliger Einfachheit (voluntary simplicity) und der vom irischen Wirtschafts- und Sozialphilosophen Charles B. Handy beschriebenen Idee des downshiftings verschreibt, womit Handy die freiwillige Verringerung der Arbeitszeit zugunsten einer höheren Lebensqualität mit mehr Selbstbestimmung bezeichnet. 209 Nur eine tiefgreifende Respiritualisierung des kollektiven Bewusstseins könne als effektives Antidot gegen das religiöse Surrogat des kapitalistischen Konsumerismus wirken und sich in konstruktiven Initiativen manifestieren. Loy denkt hier vor allem an sozial- und umweltpolitisch engagierte Nichtregierungsorganisationen, Aktionsgruppen, Wohltätigkeitsorganisationen und konkret an eine Bürgerbewegung zur umfassenden Restriktion der manipulativen Werbung. 210 Der buddhistische Beitrag zur Unterwerfung der nationalen und transnationalen Konzerne soll dabei offensichtlich ohne politische Basis allein durch ideelle Aufklärung und moralische Appelle erfolgen. Konkret zielt Loy dabei auf der Grundlage einer pluralistischen destiny« gelte für die Wirtschaft »Sow a thought and reap a disposition. Sow a disposition and reap consumer behaviour. Sow consumer behaviour and reap an economic order. Sow an economic order and reap a world order.« Cf. Loy/Goodhew 2004a: 37. Auch Karl-Heinz Brodbeck kommt in seiner buddhistischen Wirtschaftsethik zu dem »betrüblichen Resultat«, dass man diesen auf Geldgier und Konkurrenz gründenden Prozess nicht von außen durch Verstaatlichung oder strengere Gesetze kontrollieren und reglementieren könne. Jede Art externer Beschränkung entzünde nur die von Geldgier geleitete Phantasie des Menschen, um Wege zu ihrer Umgehung oder profitablen Ausnützung zu finden: »Globale Märkte werden nicht durch einen nationalen oder internationalen moralischen »Rahmen« gezügelt. Die Geldgier hat längst die Normen der Nationalstaaten ihrerseits instrumentalisiert.« Brodbeck 2011: 95. Ein dauerhafter Wandel der wirtschaftlichen Wirklichkeit sei hingegen allein durch eine »Veränderung des Wissens und der Wahrnehmung«, also eine substantielle Umschaffung des Menschen selbst als ultima ratio zu erwarten, weil Marktprozesse auf menschlichen Handlungen basierten, die wiederum durch Motive gelenkt würden, die in kognitive Prozesse (Wissen und Wahrnehmung) eingebettet seien. Brodbeck 2011: 121. 209 Cf. Fritz 2011: 204 f. 210 Loy hat seine buddhistische Analyse der konsumeristische Werthaltungen begünstigenden Werbung und moderner Informations- und Kommunikationstechnologien entfaltet in Loy 2007b und Loy 2008: 95–102.

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Gesellschaftsordnung auf die spirituelle Neukonditionierung des gesellschaftlichen Bewusstseins, die vielfältige Widerstandsformen, weitreichende Protestaktionen und grundlegende Reformen initiieren oder nötigenfalls sogar eine friedliche und demokratische Revolution gegen das Kapital lancieren soll. 211 Ein besonderes Interesse Loys gilt dabei der Umwelt und ihrer allseitig fortschreitenden Ruinierung, deren Ursachen er im expansiv-deregulierten Kapitalismus und seinen struktur-inhärenten Destruktivkräften verortet. Dabei sieht er seinen ganz persönlichen Beitrag zur Förderung einer ökologisch nachhaltigen Lebensweise in der Ausarbeitung einer buddhistisch inspirierten Ökologie, der er sein bislang letztes Buch Ecodharma. Buddhist Teachings for the Ecological Crisis (2018) gewidmet hat.

11.4. Buddhistische Ökologie Was die transpersonale Psychologie für den Seelenbegriff leistet, das leistet dem Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad zufolge die Tiefenökologie (deep ecology) für den esoterischen Naturbegriff. 212 Insofern scheint es eine natürliche Konsequenz zu sein, dass Loy seine nonduale Philosophie, die er auf subjektiver Seite in Auseinandersetzung mit der transpersonalen Psychologie vertieft, in ihrer objektiven Dimension im Diskursfeld der Tiefenökologie verortet, in dem es um »[g]anzheitliche Konzeptionen von Natur und die Transfers naturwissenschaftlicher Ansätze in spirituelle Praxis« 213 geht: »Given Buddhism’s emphasis on the nonduality of self and world, we can expect its ecological implications to resonate especially with deep ecology, which most directly questions the duality between Homo sapiens and the earth’s other species.« 214 Indem die Tiefenökologie den unveräußerlichen Eigenwert der belebten und unbelebten Natur pointiert, eine umfassende Revolution des menschlichen Selbsverständnisses als Teil eines radikal physiozentrischen (griech. physis: die Natur) Weltbildes propagiert und damit einen fundamentalen Paradigmenwechsel im Verhältnis des 211 212 213 214

Cf. Loy 2003a: 89. Cf. Stuckrad 2005: 231 f. Stuckrad 2005: 231. Loy 2003a: 171.

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Menschen zur Natur lanciert, wird sie zum Spektrum der Naturethik gezählt, in der die Problematik des ethisch richtigen Umgangs des Menschen mit der Natur verhandelt wird. 215 Als Teildisziplin der Philosophie kann die Ethik dabei mit Reinhard Lauth (1919–2007) allgemein als »wissenschaftliche Lehre von der Sittlichkeit (als dem Wollen des Guten)« 216 bestimmt werden. Die Ethik befasst sich demnach mit der Frage, wie wir leben und an welchen letzten Zwecken, Zielen und Werten wir unser Handeln orientieren sollen. Je nachdem, ob wir uns dabei allein am höchsten Gut des eigenen Lebens oder auch am Glück anderer Menschen orientieren, wird dabei zwischen der Subdisziplin der eudämonistischen Ethik (gr. eudaimonia: Glück, Glückseligkeit) und der Moralphilosophie unterschieden. Erstere beschäftigt sich mit der elementaren Frage, was Glück überhaupt ist und wie wir leben müssen, um dieses Glück zu verwirklichen. Dabei handelt es sich um sogenannte prudentielle Fragen (lat. prudentia; gr. phronesis: Klugheit), die unsere Lebensklugkeit betreffen. Die Moralphilosophie will hingegen begründet einsehen, wem gegenüber der Mensch einen moralischen Standpunkt einnehmen soll und welche Aspekte er dabei im Einzelnen zu berücksichtigen hat. Beschränkt sich unser moralisches Handeln auf unsere Mitmenschen oder müssen wir auch gegenüber Tieren und Lebewesen oder sogar der außermenschlichen Natur gegenüber moralisch handeln? Kann man unbelebten Einzeldingen (individualistische Variante) oder sogar dem gesamten Kosmos (holistische Variante) einen intrinsischen Wert zuschreiben und wäre dieser Wert identisch (egalitäre Variante) mit dem moralischen Wert des Menschen oder geringer oder möglicherweise höher (hierarchische Variante) einzuschätzen als dieser? 217 Innerhalb der Naturethik werden diesbezüglich vier verschiedene Begründungsansätze vertreten, die sich im Anschluss an William K. Frankena (1908–1994) als (I) anthropozentrischer, (II) pathozentrischer, (III) biozentrischer und (IV) holistischer Ansatz voneinander unterschieden lassen. 218 Da der Anthropozentrismus im erkenntnistheoretischen Sinn auch bei der Formulierung holistischer Ansätze prinzipiell unvermeidlich ist und ein epistemischer Anthropozentrismus moralisch nicht zu kritisieren ist, werden die natur215 216 217 218

Cf. Krebs, A. 1997: 339. Lauth 1969: 8. Cf. Brandt 2014: 158; Krebs, A. 1997: 342. Cf. Frankena 1997.

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ethischen Begründungsansätze des Pathozentrismus, Biozentrismus und Holismus von Angelika Krebs als physiozentrische Gegenpositionen zum alles Leben instrumentalisierenden (I) moralischen Anthropozentrismus zusammengefasst, in dem die Natur keinen moralischen Eigenwert besitzt, der als solcher absolut, i. e. nicht relational und damit unabhängig von der Existenz wertender Menschen wäre (epistemischer Wertanthropozentrismus). 219 Im moralischen Anthropozentrismus kommt der Natur daher lediglich ein eudämonistischer Wert zu, insofern sie zum menschlichen Glück und guten Leben beiträgt. Diese philosophische Position legt Ludwig Siep zufolge »dem Menschen Pflichten nur gegenüber Menschen« auf und beurteilt die »Behandlung des nicht-menschlichen Lebens« nach den »Kriterien der Förderung oder Beeinträchtigung menschlicher Interessen« 220. Demgegenüber besagt die ethikrelevante Position des (II) Pathozentrismus (gr. pathos: Leiden, Leidenschaft) oder Sentientismus (lat. sentire: fühlen, empfinden), dass der Mensch unmittelbare Pflichten gegenüber allen bewusst empfindungsfähigen Lebewesen trägt, während der (III) biozentrische den pathozentrischen Ansatz auf alle belebten Naturwesen ausdehnt und ihnen einen moralischen Eigenwert attestiert, der nicht nur für uns gilt und somit die menschliche Wertperspektive transzendiert (epistemischer Wertphysiozentrismus). 221 Diese Positionen setzen allerdings bestimmte ethische Grundannahmen voraus, die davon ausgehen, dass Personalität, Leidensfähigkeit, Lebendigkeit, Komplexität oder das Verfolgen von Zwecken einen moralischen Eigenwert verleiht, wie die populäre These von der umfassenden Heiligkeit alles Lebendigen in der Natur, die Albert Schweitzer seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben zugrunde gelegt hat oder Paul W. Taylors (1923–2015) Leitgedanke, dem zufolge jeder individuelle Organismus als teleologisches Zentrum von Leben und damit als Selbstzweck aufgefasst werden muss. 222 Wenn man Cf. Krebs, A. 1997: 345. Siep 1998: 17 f. 221 Die klassische Formulierung des Pathozentrismus findet sich bereits beim englischen Juristen, Philosophen und Sozialreformer Jeremy Bentham (1748–1832) in dessen Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1780/1789): »[T]he question is not, Can they reason? nor, Can they talk? but, Can they suffer?« Bentham 1838: 143. An Benthams Formulierung hat der australische Philosoph und Ethiker Peter Singer in Practical Ethics (1979) unmittelbar angeschlossen: »If a being is not capable of suffering, or of experiencing enjoyment or happiness, there is nothing to be taken into account.« Singer 2011: 49 f. 222 Cf. Schweitzer 2008; Taylor, P. 1981. Dabei stellt es eine zentrale Herausforderung 219 220

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über die lebendige Natur hinaus auch die Erhaltung oder den schonenden Umgang mit der Vielfalt der Landschaften zur ethischen Forderung machen und die unmittelbare Verpflichtung des Menschen auf die gesamte belebte und unbelebte Natur ausdehnen will, dann muss man entweder physiozentrisch (griech. physis: die Natur), kosmozentrisch (griech. kosmos: das wohlgeordnete Weltall) oder holistisch (griech. holos: das Ganze) argumentieren und von einem umfassenden »Selbstwert aller Naturerscheinungen« 223 ausgehen. 224 Der Umweltethiker und Naturschützer Martin Gorke hat den Kategorischen Imperativ unter holistischer Perspektive daher folgendermaßen reformuliert: »Handle so, dass du alles Seiende niemals nur als Mittel, sondern immer zugleich als Selbstzweck gebrauchst.« 225 Ein solcher Ansatz liegt auch der ganzheitlichen Ökosophie 226 oder radikal-physiozentrischen Tiefenökologie (Deep Ecology) zugrunde und auch Loy bekennt sich zu einem ethischen Holismus: Today the issue of ethical responsibility has broadened to encompass the whole eco-sphere. The crucial question has become how to relate to all beings, not only animals and plants but even apparently nonsentient beings such as tropical rain forest systems and the ozone layer. […]. It is becoming obvious that what is required is nothing less than a fundamental transformation in the way we have understood the relation between ourselves and the earth. 227

Für diesen grundstürzenden Bewusstseinswandel, der ein von menschlichen Superioritätsansprüchen und Nutzenerwägungen unabhängiges Verhältnis zur Natur kultivieren und den moralischen Anthropozentrismus zugunsten einer holistischen Umweltethik und umfassenden Berücksichtigung der gesamten Ökosphäre überwinden dar, keinem naturalistischen Fehlschluss zu erliegen und gemäß der Maxime naturam sequi vom Sein der faktischen Weltwirklichkeit aufs Sollen zu schließen. Denn wenn beispielsweise Komplexität einen moralischen Wert verleiht, dann besitzt auch das HI-Virus aufgrund der hohen Komplexität seines viralen Genoms einen moralischen Status. Cf. Krebs, A. 1997: 360. 223 Piechocki 2010: 222. 224 Cf. Siep 1998: 18. 225 Gorke 2007: 134. 226 Der Neologismus Ökosophie wird von Pierre-Félix Guattari (1930–1992), Raimon Panikkar (1918–2010) und Arne Næss (1912–2009) mit je unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Im Folgenden bezieht sich der Begriff Ökosophie auf die Bedeutung, die ihm Næss im Kontext der Tiefenökologie zugewiesen hat. Cf. Guattari 2008; Næss 2001; Panikkar 1996. 227 Loy 2003a: 171 f.

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soll, setzt Loy den Buddhismus vor allem in Beziehung zu den Ansätzen der Tiefenökologie. Es bietet sich daher an, einer umfassenden Rekonstruktion von Loys Öko-Dharma (ecodharma) und buddhistischer Ökosophie eine kurze Einführung in die Ursprünge der tiefenökologischen Bewegung vorauszuschicken, ihre zentralen Leitgedanken zusammenzufassen und das bisherige Verhältnis des Buddhismus zur Tiefenökologie sowie den innerbuddhistischen Ökologiediskurs insgesamt zu vergegenwärtigen.

11.4.1. Arne Næss’ Ecosophy T und die tiefenökologische Bewegung Der Begriff Ökologie (gr. oikos: Haus, Haushalt; gr. logos: Lehre) wurde vom deutschen Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel (1834–1919) geprägt und als »Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt« 228 definiert. Gegenüber dem Selbstverständnis der Ökologie als einer rein naturwissenschaftlichen und prinzipiell wertfrei konzipierten Disziplin, die natürliche, anthropogene und sozio-ökonomische Ursachen für Veränderungen in der Natur beschreibt und dabei rein deskriptiv-analytisch verfährt, ist die Tiefenökologie, die in einer Zeit intensivierter Wahrnehmung weitreichender Umweltprobleme und der aufkommenden Naturschutzbewegung und Umweltethik der 1960er und 1970er entstanden ist, grundsätzlich praktisch-normativ ausgerichtet und an Orientierungs- und Handlungswissen interessiert, um gezielt Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu entwickeln. 229 Die Tiefenökologie wird von ihrem Begründer Arne Næss (1912–2009) daher auch als Ökosophie etikettiert und damit eindeutig von den szientistischen Ansätzen der naturwissenschaftlichen Ökologie unterschieden: »A philosophy as a kind of sofia [or] wisdom, is openly normative, it contains both norms, rules, postulates, value priority announcements and hypotheses concerning the state of affairs in our universe. Wisdom is policy wisdom, prescription, not only scientific description and prediction.« 230

228 229 230

Haeckel 1866: 286. Cf. Hirsch 2003; Jax 2016: 38. Næss 1995a: 8.

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Zu den weiteren Mitbegründern der Tiefenökologie zählen neben Næss auch der ehemalige Professor für Soziologie an der Humboldt State University in Arcata (Kalifornien) Bill Devall (1938– 2009), der 1985 zusammen mit George Sessions (1938–2016) die Pionierarbeit Deep Ecology: Living as if Nature mattered publizierte. 231 Devall unterscheidet dabei die revolutionäre und subversiv wirkende Theorie der Tiefenökologie von anderen bloß reformatorischen Strömungen innerhalb der Umweltschutzbewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da sie »nach einer neuen Metaphysik, Erkenntnistheorie, Kosmologie und Umweltethik für das System Mensch/Erde« suche und sich damit radikal »von der Sichtweise des herrschenden sozialen Paradigmas« 232 und dessen axiomatischen Voraussetzungen unterscheide. Der Begriff Tiefenökologie (Deep Ecology) geht ursprünglich auf die von Næss in seinem paradigmatischen Aufsatz The Shallow and the Deep, Long-Range Ecology Movement: A Summary (1973) inaugurierte Distinktion und begriffliche Dichotomie zwischen einer »seichten« oder »flachen« und einer »tiefen« Ökologie zurück. 233 Während die seichte Ökologie auf dem am jüdisch-christlichen Weltbild orientierten Antagonismus von Mensch und Natur basiere und prinzipiell anthropozentrisch ausgerichtet sei, zeichne sich eine tiefe Ökologie durch ein egalitäres und holistisches Weltbild aus, das den Menschen nicht vom interdependenten Netz des natürlichen Zusammenhangs der gesamten Biound Geosphäre trenne. 234 In einem Interview mit dem Psychotherapeuten und Zen-Buddhisten Stephan Bodian hat Næss die Differenz dahingehend ausgelegt, dass eine oberflächliche Ökologiebewegung nur einige der schlimmsten Folgen unseres westlich-industriellen Lebensstils repariere und daran glaube, die ökologischen Probleme innerhalb der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sukzessive lösen zu können, während die Tiefenökologie diesen anthropozentrisch ausgerichteten Lebensstil selbst radikal in Frage stelle. 235 Es reiche nicht mehr aus, den respektlosen Umgang mit nichtmenschlichem Leben und umweltschädliches Verhalten moralisch Ich folge hier Loys Rekonstruktion der »Ökosophie T« in Loy 2003a: 189 f. Devall 1997: 17. 233 Cf. Næss 1995a. 234 Die These, dass die ökologische Krise eine Folge des Christentums sei, wurde bereits 1967 von Lynn Townsend White Jr. (1907–1987) vertreten und löste eine breite Debatte um den Einfluss des jüdisch-christlichen Weltbildes aus. Cf. White 1967. 235 Cf. Bodian 1995. 231 232

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anzuprangern, Umweltverbrecher juristisch zu verfolgen und wirtschaftliche Sanktionen zu verhängen; entscheidend sei vielmehr, dass kommende Generationen von vornherein lernten, sich mit der gesamten Umwelt zu identifizieren und die Grenzen ihres persönlichen Selbst auf die gesamte Ökosphäre in ihrer ganzen Vielfalt und Komplexität auszuweiten. 236 Der US-amerikanische Psychologe deutscher Herkunft, Mitbegründer der Green Earth Foundation, ehemalige Professor am California Institute of Integral Studies (CIIS) und Tiefenökologe Ralph Metzner hat diesen von Næss lancierten Bewusstseinswandel anhand einer Reihe von Antonymen gekennzeichnet, die den Gegensatz zwischen dem industriell-kapitalistischen und tiefenökologischen Weltbild illustrieren sollen. Im Prozess dieses Paradigmenwechsels werde nicht nur das derzeit vorherrschende mechanistische Weltbild durch ein organismisches ersetzt, sondern auch der Militarismus durch Gewaltlosigkeit, Wettbewerb durch Kooperation, Globalisierung durch Bio-Regionalisierung, Transzendenz durch Immanenz, Klassen- und Kastendenken durch Egalitarismus, Anthropozentrismus durch Bio-Ökozentrismus, die Beherrschung der Natur durch Ko-Evolution und Symbiose, Monokulturen durch Poly- und Permakulturen sowie Atomismus durch Holismus substituiert. 237 Der bisherige Verlauf der tiefenökologischen Bewegung kann dem australischen Philosophen Warwick Fox zufolge in insgesamt drei Phasen unterteilt werden, die er in seiner Pionierarbeit Toward a Transpersonal Ecology: Developing New Foundations for Environmentalism (1990) als latency, honeymoon und mature period voneinander unterschieden hat. Die »Latenzperiode«, die von 1973 bis 1980 reicht, besteht Fox zufolge aus den Arbeiten, die Arne Næss, Bill Devall und George Sessions in diesem Zeitraum publiziert haben; die »Flitterwochen-Periode«, die Fox auf den Zeitraum von 1980 bis 1983/84 datiert, ist durch eine weitreichende Rezeption und überwiegend positive Aufnahme gekennzeichnet, während die danach einsetzende »reife Periode« durch konstruktive Kritik und die daraus resultierende Fortbildung des tiefenökologischen Ansatzes bestimmt sei. 238 Zu den maßgeblichen Publikationsorganen der Ökosophie und Cf. Næss 2001: 176. Cf. Metzner 1995: 28 ff. Metzner ist fernerhin dafür bekannt, dass er Anfang der 1960er Jahre in die Psilocybin- und LSD-Experimente von Timothy Leary und Richard Alpert (Ram Dass) involviert war, mit denen er 1964 gemeinsam The Psychedelic Experience: A Manual Based on the Tibetan Book of the Dead publizierte. 238 Cf. Fox, W. 1995: 69. 236 237

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Tiefenökologie zählen dabei u. a. The Trumpeter: Journal of Ecosophy, das erstmals 1983 erschien; Environmental Ethics, das seit 1979 herausgegeben wird sowie die 1970 von Edward Goldsmith (1928–2009) gegründete Zeitschrift The Ecologist. In Letzterer publizierte Næss erstmals das sogenannte »Schürzen-Diagramm« (»The Apron Diagram« 239), das er entwickelt hatte, um die vierfache Struktur der tiefenökologischen Bewegung zu illustrieren: Ebene I

Christentum

Philosophie

Buddhismus

Letzte Voraussetzungen und Ökosophien

Ebene II

Tiefenökologische Plattform

Ebene III

Allgemeine Ansichten und Politiken

Ebene IV

Einzelne Regeln oder Entscheidungen, die an spezifische Situationen angepasst werden

Die Träger bzw. letzten Voraussetzungen konstituieren demnach die primäre Ebene und damit die weltanschauliche Grundlage der Tiefenökologie, die Næss zufolge allerdings keiner einheitlichen Rechtfertigung bedarf und daher aus verschiedenen, teilweise heterogenen und gegenseitig unvereinbaren religiösen (Buddhismus, Christentum etc.) oder philosophischen Positionen (Spinoza, Whitehead etc.) und Intuitionen bestehen kann (I: ultimate premises and ecosophies). 240 Erst auf einer sekundären Ebene findet sich ein allgemeinverbindlicher Minimalkonsens aller Religionen und Philosophien in Form genereller Ansichten und Kernüberzeugungen, die alle Unterstützer der Bewegung miteinander teilen (II: platform principles), aus denen Cf. Næss 1995b. Näheres zu den Quellen der primären Ebene der tiefenökologischen Bewegung bei Devall/Sessions 1985: 79–108. Eine Liste der Klassiker (tiefen-)ökologischen Denkens findet sich bei Drengson/Inoue 1995: 281–286. 239 240

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auf der tertiären wiederum normative Konsequenzen für den Lebensstil und die Politik (III: general views) sowie auf der abschließenden quartären Ebene konkrete Handlungsmaximen für den Einzelfall (IV: practical/concrete decisions) abgeleitet werden können. 241 Næss hat seine eigene basisphilosophische Konzeption der primären Ebene (I) nach einem Berg in Norwegen (Tvergastein) benannt und als Ecosophy T bezeichnet. 242 Dieser Ökosophie Tvergastein hat Næss nur eine höchste Norm zugewiesen: »›Self-realization!‹« 243 Historisch führt er dieses Konzept auf Spinozas Lehrsatz Unaquaeque res, quantum in se est, in suo esse perseverare conatur (»Jedes Ding strebt gemäß der ihm eigenen Natur in seinem Sein zu verharren.« 244) zurück, womit Spinoza das Streben nach Selbsterhaltung und Selbststeigerung bezeichnet, das jedem Seienden zukomme. 245 Das Selbst charakterisiert Næss näherhin als ökologisches Selbst (ecological self), das er anhand von sechs Aspekten konkretisiert. Er betont, dass wir (1) dazu neigen, unser Selbst mit unserem begrenzten Ego zu identifizieren und uns auf diese Weise selbst unterschätzen und beschränken. Die umfassende Natur des Menschen sei vielmehr derart, dass wir (2) bei ausreichender allseitiger Reife nicht umhin kämen, uns mit allen Lebensformen auf diesem Planeten – schön oder hässlich, klein oder groß, fühlend oder nicht – zu »identifizieren« und auf diese Weise intensive Empathie und ein umfassendes Einfühlungsvermögen mit der Totalität der Ökosphäre zu kultivieren. (3) Traditionell werde die Entwicklung der Reife des Selbst (maturity of self) anhand drei aufeinanderfolgender Phasen beschrieben, die Næss als Ego, soziales und metaphysisches Selbst identifiziert. Dieses Konzept der Persönlichkeitsgenese vernachlässige allerdings die Natur, weshalb Næss die Reihe um ein viertes Selbst – das ökologische Selbst – ergänzt. Tatsächlich würden wir den größeren Naturzusammenhang niemals verlassen und seien von Anfang an in, von und für die Natur geschaffen. Die Gesellschaft und menschliche Beziehungen seien Cf. Næss 1995c: 76–79 Für ein umfassendes Verständnis der Ecosophy T ist Næss’ Gestaltontologie zentral, die an dieser Stelle allerdings nicht rekonstruiert werden kann. Cf. Næss 2005. 243 Næss 1995c: 80. Eine ausführliche Darstellung der Ecosophy T findet sich in Næss 2001: 163–213. Die Erstausgabe erschien 1971 als Økologi og filosofi, seit der vierten Ausgabe (1974) als Økologi, samfunn og livsstil. Eine deutsche Übersetzung erschien erst 2013 als Die Zukunft in unseren Händen. Eine tiefenökologische Philosophie. 244 Spinoza 2010: 239. 245 Cf. Næss 2001: 166. 241 242

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zwar als konstitutive Aspekte unseres Selbst zu verstehen, aber unser eigentliches Selbst sei in wesentlichen Beziehungen noch reicher, insofern es als Ökoselbst auch mit der größeren Gemeinschaft aller lebendigen Wesen und der Ökosphäre insgesamt auf grundlegende Weise verbunden sei. (4) In dem Maße, in dem wir dieses umfassende Potential realisieren und unser Selbst tiefer und weiter werde, gewinne unser Leben zunehmend an Freude und Bedeutung. (5) Dieser Prozess werde obstruiert, wenn der Versuch der Selbst-Verwirklichung bei anderen, mit denen wir uns identifizieren, beeinträchtigt und gehemmt wird. Die Liebe zu unserem umfassenden Selbst werde entsprechend daran arbeiten, dieses Hindernis dadurch zu überwinden, dass wir die Entfaltung anderer gemäß der Formel »Leben und leben lassen« unterstützen. Daher könne all das, was durch Altruismus erreicht werden könne – die pflichtgetreue und moralische Berücksichtigung anderer – auch dadurch erreicht werden, dass wir unser Selbst zum Ökoselbst ausdehnen und vertiefen. (6) Die drängende Herausforderung der Gegenwart sei die Rettung unseres Planeten vor der weiteren Zerstörung, die sowohl das Selbst-Interesse von Menschen und Nicht-Menschen verletze als auch die Möglichkeiten des freudvollen Seins für alle verringere. Vom ökophilosophischen Standpunkt sei die zur Rettung des Planeten benötigte Umweltethik wahrscheinlich langfristig unmöglich, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass sie selbstlos ihre Interessen aufgeben oder sogar opfern müssen, um Liebe für die Natur zu zeigen. Erst durch die Identifikation mit dem wahren Ökoselbst könne globaler Umweltschutz als allumfassende Selbstliebe verstanden werden und der Weg bereitet werden für eine Demokratie aller Lebensformen (democracy of life forms), in der gemäß dem Prinzip der biosphärischen Gleichheit (biospherical egalitarianism) nicht nur dem Menschen, sondern auch den Tieren, Pflanzen, Landschaften und Regionen unberührter Natur Gerechtigkeit widerfahre. 246 Das Ökoselbst umfasst somit die ganze Ökosphäre und diese neue Wahrnehmung der Beziehung des Menschen zur Welt wird zur neuen Motivation für seine fundamentalökologische Lebenspraxis, weshalb der Dienst an der Welt fortan als eine Form der Selbstverwirklichung erfahren

246 Cf. Næss 2001: 175; Næss 1995d: 13 ff. Näheres zum ökologischen Selbst bei Devall 1995; Macy 2007; Mathews 1991; Neisser 1993: 25–120.

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wird: »Die Fürsorge für die Welt ist gleichbedeutend mit der Fürsorge für uns selbst.« 247 Mehr als ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung seines ersten Aufsatzes zur Tiefenökologie im Jahre 1973 hat Næss zusammen mit George Sessions bei einem gemeinsamen Campingausflug im Death Valley (Kalifornien) im April des Jahres 1984 acht platform principles der sekundären Ebene (II) formuliert, von denen sie überzeugt waren, dass sie aufgrund ihrer eher vagen Formulierung und allgemeinen Anschlussfähigkeit von allen Unterstützern der tiefenökologischen Bewegung trotz bleibender Differenzen auf der primären Ebene als weltanschauliche Grundlage geteilt werden können. Demnach habe (1) das Wohlergehen und Gedeihen des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens auf der Erde einen intrinsischen Wert und dieser Eigenwert sei unabhängig von der Nützlichkeit der Natur für menschliche Zwecke; (2) der Reichtum und die Vielfalt der Lebensformen tragen zur Verwirklichung dieser Werte bei und seien daher ebenfalls als intrinsische Werte anzusehen; (3) der Mensch habe kein Recht, diesen Reichtum und diese Vielfalt zu dezimieren, außer um überlebensnotwenige Bedürfnisse zu befriedigen; (4) ein deutlicher Rückgang der Weltbevölkerung sei nicht nur mit der Entfaltung des Menschen und seiner Kulturen vereinbar, sondern zwingend erforderlich, wenn nicht-menschliche Daseinsformen weiterhin prosperieren sollen; (5) die gegenwärtigen Eingriffe des Menschen in die Natur seien zu hoch und die Situation verschlechtere sich rapide, weshalb (6) ein tiefgreifender Wandel der gegenwärtigen Politik zwingend nötig sei, um die grundlegenden ökonomischen, technologischen und ideologischen Gesellschaftsstrukturen zu transformieren. Die daraus resultierende Gesellschaftsform werde sich fundamental von der gegenwärtigen unterscheiden; (7) der geistige Wandel substituiere das Streben nach einem immer höheren Lebensstandard durch die Wertschätzung von Lebensqualität (»dwelling in situations of inherent value« 248), wodurch sich ein profundes Bewusstsein der Differenz von Menge (Quantität) und Güte (Qualität) einstellen werde; (8) diejenigen, die alle vorgenannten Punkte befürworten, gingen damit eine direkte oder indirekte Verpflichtung ein, den Versuch zu unternehmen, die notwendigen Veränderungen einzuleiten. 249 247 248 249

Schenkel 1993: 139. Næss/Sessions 1995: 50. Næss/Sessions 1995: 49 f. Franz-Theo Gottwald hat einen Wertekanon der Tiefen-

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Obschon Næss die letzten Voraussetzungen der tiefenökologischen Plattform mit ihrem Praxisfokus bewusst offen gelassen hat, um möglichst viele Akteure mit einer Vielzahl religiöser Überzeugungen und Ökosophien darauf versammeln zu können, haben Eric Katz, Andrew Light and David Rothenberg dennoch versucht, den wesentlichen Gehalt der tiefenökologischen Weltsicht und die Gemeinsamkeiten aller Positionen der primären Ebene auf insgesamt sechs Punkte festzulegen. Als tiefenökologische Philosophie kann sich demnach nur diejenige Position begreifen, die (1) einen starken Anthropozentrismus zurückweist bzw. (2) eine Substitution des Anthropozentrismus durch Ökozentrismus für bedenkenswert hält, (3) eine Identifikation mit allen Lebensformen anstrebt, (4) Umweltschutz als Selbstschutz und Teil des Selbstrealisierungsprozesses begreift, (5) eine Kritik des Primats der instrumentellen Vernunft impliziert und (6) die Entwicklung einer umfassenden Weltsicht intendiert, die sich im persönlichen Lebenswandel niederschlägt und zum Engagement motiviert. 250

11.4.2. Das Verhältnis des Buddhismus zur Tiefenökologie Neben der Prozessphilosophie Whiteheads, dem in ökologischen Kreisen enorm einflussreichen Denken Heideggers, dem systemischkybernetischen Denken, wie es u. a. von Gregory Bateson (1904– 1980) mitbegründet wurde, den panpsychistischen Einheitslehren eines Gustav Theodor Fechner (1801–1887) oder Timothy Sprigge (1932–2007) sowie der Philosophie Spinozas haben seit den Anfängen der tiefenökologischen Bewegung auch die Religionen Asiens im Allgemeinen und die buddhistischen Lehren im Besonderen eine zentrale Rolle bei der Formulierung des tiefenökologischen Ansatzes gespielt und als Inspirationsquelle für eine Kritik am anthropozentrischen Denken und die Heiligung des Universums in der unermesslichen Vielfalt seiner organischen und anorganischen Realitäten ge-

ökologie erstellt und insgesamt zehn Werte benannt: 1. Achtung der Lebensprozesse, 2. Basisdemokratie, 3. Persönliche und soziale Verantwortung, 4. Gewaltlosigkeit, 5. Dezentralisierung, 6. Lokale, gemeinschaftstragende Ökonomie, 7. Transpatriarchale Beziehungen, 8. Respekt der Vielfalt, 9. Globale Verantwortung und 10. Generationsbewusstsein. Cf. Gottwald 1995: 22 f. 250 Cf. Katz/Rothenberg 2000: xiii.

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dient. 251 Der US-amerikanische Ökologe Frank Edwin Egler (1911– 1996) leistete hier Pionierarbeit, indem er sein ökologisches Denken (human ecosystem science) in The Way of Science: A Philosophy of Ecology for the Layman (1970) unter direktem Rückgriff auf die Lehren des Hinduismus, Buddhismus und Taoismus entwickelte und die Ökologiebewegung damit für den unmittelbaren Einfluss der östlichen Weisheitslehren öffnete. Der nicht anthropozentrisch orientierte Grundgedanke des Buddhismus und insbesondere die Lehren Dōgens wurden bereits früh (1980) von Loys Lehrer Aitken im Kontext tiefenökologischer Überlegungen reflektiert und auch Næss hatte bereits in seinen ersten Arbeiten zu ökologischen Themen auf die tiefgreifende Kompatibilität der buddhistischen Daseinsanalyse mit der tiefenökologischen Weltsicht hingewiesen. 252 Der norwegische Philosoph, Schriftsteller, Bergsteiger und Landwirt Sigmund Kvaløy Sætereng (1934–2014), der zusammen mit Næss als Vater der norwegischen Öko-Philosophie gilt und auf einer gemeinsamen Reise durch Nepal sein Interesse für den Buddhismus entdeckte, hat neben Gandhis politischer Strategie des gewaltfreien Widerstands (satyagraha: »Festhalten an der Wahrheit«) und dem Ideal des selbstlosen und uneigennützigen Handelns ohne Wünsche und Erwartungen (niṣkāma karma) aus der Bhagavadgītā rückblickend vor allem den zentralen Einfluss des Buddhismus auf die Anfänge der norwegischen Tiefenökologie pointiert und einerseits an der Nichtselbst-Lehre und andererseits am Prozesscharakter der buddhistischen Philosophie (»the most radical process philosophy the world has seen« 253) festgemacht: At the deepest level, Buddhism teaches us that even our own toiling selves are illusory. Accepting this means a complete turn-about of lifestyle compared to the normal ›means-to-end‹ practices of the West. 251 Eine gute Übersicht über die verschiedenen Einflüsse der Tiefenökologie und eine konzise Einführung in das systemische Weltbild, die Prozessphilosophie, den Panpsychismus und die Philosophie Spinozas im Kontext der Tiefenökologie mit jeweils weiterführenden Literaturhinweisen zur aktuellen Debatte bietet Kreuder 2013: 196– 222, 273–291. Einen wichtigen Beitrag zum Diskurs, der hier ebenfalls Erwähnung finden muss, stellen die zahlreichen Konferenzen des Forum on Religion and Ecology dar, die in einer insgesamt dreijährigen Periode (1996–1998) am Center for the Study of World Religions (CSWR) an der Harvard Divinity School in Boston (Massachusetts) abgehalten wurden und aus denen die von Mary Evelyn Tucker und John Grim herausgegebene Religions of the World and Ecology-Serie hervorging. 252 Cf. Aitken 1985; Cavazza 2014; Næss 2008a; Næss 2008b. Näheres zur Rezeption des Buddhismus in der Tiefenökologie bei Curtin 2000. 253 Kvaløy 1987: 59 f.

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[…]. Through this, we have been able to at least begin to show the strength of Buddhism, that the individual’s ›reaping of fruit‹ is an expression of egotistical desire (taṇhā), which is not only something morally negative, but represents a misconception of reality. Reality is process, and that turns out to be the full logical consequence of the ecological perspective. A lifestyle based on this is invulnerable – because your antagonist finds nothing to hit! 254

Es überrascht folglich nicht, dass Sallie B. King zwei tiefenökologische Grundgedanken identifiziert hat, die virtuell identisch seien mit Grundprinzipien der buddhistischen Lehre. Erstens, die Vorstellung der lebendigen (prozesshaften) Einheit der Wirklichkeit, die innerhalb der tiefenökologischen Bewegung u. a. anhand der Gaia-Hypothese 255 kommuniziert werde und zweitens, die von Næss eingebrachte Lehre vom Ökoselbst und dessen Aktualisierung im persönlichen Entwicklungsprozess des einzelnen Menschen. Dem Gedanken der Einheit der Wirklichkeit korreliere im Kontext des Mahāyāna-Buddhismus die Lehre der Nondualität und universalen Leere, die sich aus dem frühbuddhistischen Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitiger-Abhängigkeit entwickelt habe, während die Verwirklichung des Ökoselbst für King einen Prozess veranschaulicht, der in grundlegender Analogie zur existentiellen Realisierung der anātman-Doktrin die Entwerdung vom limitierten Ego beschreibe, in dessen Verlauf das Individuum die tiefe Verbundenheit allen Lebens realisiere und sich mit der gesamten Biosphäre und der Welt als seinem allumfasKvaløy 1987: 57 f. Die Gaia-Hypothese wurde von James Ephraim Lovelock erstmals 1968 auf einer Konferenz in Princeton (New Jersey) vorgestellt und später in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Biologin Lynn Margulis (1938–2011) elaboriert. Der GaiaHypothese zufolge ist die Erde keine Anhäufung toter Materie, sondern ein dynamisches und selbstregulierendes System, das als ein einziger lebender Organismus höherer Ordnung betrachtet werden muss und dessen Wissenschaft Lovelock als Geophysiologie bezeichnet. Cf. Toepfer 2011: 300–304. Auf Vorschlag des Dichters Sir William Gerald Golding (1911–1993) wählte er für seine Hypothese den Namen der griechischen Erdgöttin Gaia, die Hesiod im 8. Jh. v. Chr. in seiner Theogonie als das erste Wesen beschreibt, das aus dem Urgrund allen Seins und der Leere des primordialen Chaos entsteht und als Ahnherrin und Allmutter alle späteren Götter und Lebewesen gebiert. Cf. Lovelock 1995: 3. Lovelocks Hypothese zufolge ist Gaia »a complex entity involving the Earth’s biosphere, atmosphere, oceans, and soil; the totality constituting a feedback or cybernetic system which seeks an optimal physical and chemical environment for life on this planet. The maintenance of relatively constant conditions by active control may be conveniently described by the term ›homoeostasis‹.« Lovelock 2000: 10. 254 255

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senden Selbst identifiziere. In beiden Fällen handele es sich um eine Form der nondualen Erfahrung, die das Gefühl des Gegensatzes zwischen Welt und Selbst nivelliere oder sogar vollständig inhibiere. 256 Dem kann hinzugefügt werden, dass dieser Prozess sowohl in der Bewegung des sozial-engagierten Buddhismus als auch in der tiefenökologischen Bewegung von eminent praktischer Bedeutung ist, insofern die Ausdehnung des Selbstgefühls auf die gesamte Natur und die umfassende Identifikation mit der Welt die Grundlage für ein existentiell motiviertes, ökologisches Umdenken und Engagement bildet, in dem der Schutz der natürlichen Umwelt als Schutz des eigenen Selbst erfahren wird. King nennt insgesamt vier Tiefenökologen, die entweder selbst sozial-engagierte Buddhisten oder zumindest stark von buddhistischen Lehren beeinflusst seien und in deren Lehren sich eine Synthese buddhistischen und tiefenökologischen Denkens paradigmatisch vollzogen habe. 257 Neben Joanna Macy, dem australischen Tiefenökologen John Seed, der sich als Mitbegründer des Rainforest Action Network (RAN) dem Schutz des Regenwaldes in New South Wales (Australien) verschrieben hat und dem Dichter Gary Snyder, der für sein Buch Turtle Island (1974) den Pulitzer-Preis gewann, zählt King auch Thích Nhât Hạnh zu den Pionieren einer dezidiert buddhistischen Tiefenökologie, dessen Lehren sich problemlos dem ökosophischen Paradigma zuordnen ließen. 258 So verdeutlicht Thích Nhât Hạnh das buddhistische Prinzip universaler Interdependenz und dessen ökologische Implikationen, indem er seinen Schülerinnen und Schülern ein Blatt Papier zeigt und auf die Kombination derjenigen Elemente hinweist, deren Existenz mit derjenigen des Papieres untrennbar verbunden sind – ein didaktisches Beispiel, das auch Loy in seinen Schriften wiederholt zitiert. 259 Der Lehre des AvataṃsakaCf. King, S. 2009a: 123. Eine Einführung in die bisherige Geschichte des Öko-Buddhismus gibt Kaza 2006: 185 ff. 258 Eine ausführliche Darstellung und Diskussion der Ansätze von Joanna Macy und Gary Snyder findet sich in der von Lambert Schmithausen betreuten Dissertation von Löhr, S. 2004: 24–149. Dezidiert ökologische Themen adressiert Thích Nhât Hạnh 2008. Das bekannteste Werk von Snyder ist der moderne Klassiker The Practice of the Wild (1990), das als Lektionen der Wildnis ins Deutsche übertragen wurde. Cf. Snyder 2011. »Snyder’s vision is equally an expression of Zen Buddhism and deep ecology, both of which are fundamentally based in nondualism.« King, S. 2009a: 126. 259 Cf. Loy 1993: 482; Loy 1996a: 91; Loy 2003a: 85; Loy/Goodhew 2004a: 117 f.; Loy 2008: 122; Loy 2010a: 11; Loy 2015a: 77. 256 257

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Sūtras gemäß könne man in jedem Blatt Papier eine Wolke erkennen, da es ohne Wolke kein Wasser gäbe, ohne Wasser die Bäume nicht wachsen könnten und ohne die Bäume kein Papier hergestellt werden könne. Deshalb sei die Wolke im Papier enthalten und die Existenz einer Buchseite von der Existenz einer Wolke abhängig. Sowohl Bäume als auch Baumfäller seien in ihrer Existenz wiederum von der Wärme der Sonne abhängig, sodass in jedem Blatt Papier nicht nur eine Wolke, sondern zugleich auch die Sonne mit ihrer lebensspendenden Wärme anwese. Mit dem Blick eines Bodhisattvas könne man in einem einzigen Blatt Papier sogar das ganze Universum gewahren, denn in letzter Konsequenz sei alles mit allem verbunden: »Empty of separate self. It has been made by all the non-self elements, non-paper elements, […]. Empty, in this sense, means that the paper is full of everything, the entire cosmos. The presence of this tiny sheet of paper proves the presence of the whole cosmos.« 260 Joanna Macy und John Seed publizierten bereits 1988 in Zusammenarbeit mit Pat Flemming und Arne Næss Thinking like a Mountain: Towards a Council of all Beings (1988), das ein paradigmatisches Beispiel für die Synthese von Theorie und Praxis innerhalb der tiefenökologischen Bewegung darstellt, insofern es neben Gedichten, Zeichnungen und theoretischen Essays auch eine Sammlung von Invokationen, Meditationen und spirituellen Übungen enthält, die Inspiration und konkrete Anweisungen für die tiefenökologische Arbeit bieten sollen. 261 Um den Standpunkt des Anthropozentrismus zu überwinden und eine adäquate Vorstellung der Stellung und Verantwortung des Menschen im gesamten Ökosystem zu gewinnen, gelte es »zu denken wie ein Berg«, wie es der US-amerikanische Forstingenieur, Wildbiologe und Ideengeber der holistischen Ökosophie Aldo Leopold (1887–1948) in dem posthum veröffentlichten A Sand County Almanac (1949) formuliert hatte. Der Anblick eines sterbenden Wolfes, den Leopold in jungen Jahren geschossen hatte, hatte in ihm die unerschütterliche Überzeugung wachgerufen, dass der Mensch für sein Überleben lerne müsse, in größeren ökologischen Zusammenhängen und längeren Zeitspannen zu denken. Denn so, wie eine Wildherde in tödlicher Angst vor den Wölfen lebe, so lebe der Berg in tödlicher Angst vor dem Wild. Während eine gerissene HirschCf. Thích Nhât Hạnh 2005: 52. Cf. Seed 1988. In deutscher Übersetzung erschienen als Denken wie ein Berg. Cf. Seed 1989. 260 261

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kuh in wenigen Jahren ersetzt werde, erhole sich eine übernutzte Bergweide erst nach mehreren Dekaden, was zur Bodenerosion führe. Ohne ökologisches Gleichgewicht blieben am Ende nur noch die Knochen der verhungerten Wildherde auf nacktem Felsen zurück, die an ihrem eigenen Zu-viel zugrunde gegangen sei: »Only the mountain has lived long enough to listen objectively to the howl of a wolf.« 262 Auf Loys nonduale Tiefenökologie übte aber zweifellos der USamerikanische Schriftsteller und Umweltaktivist Gary Snyder den größeren Einfluss aus, der neben Jack Kerouac (1922–1969), Allen Ginsberg (1926–1997) und William S. Burroughs (1914–1997) zu den Gründervätern der Beat-Generation zählt und wie Loy mehr als zehn Jahre seines Lebens in Japan verbrachte. 263 Snyder hat nicht nur sein spezifisch zen-buddhistisches Verständnis letzter Wirklichkeit eng an ökologische Naturauffassungen angelehnt, sondern auch seine Buddhismusinterpretation im Kontext ökologischer Probleme und Fragestellungen entfaltet, sodass der Buddhist und Tiefenökologe David Landis Barnhill bei Snyders Ansatz insgesamt von einem »ökologisierten« (ecologized) Buddhismus und einem »buddhaisierten« (buddhacized) Begriff des Ökosystems gesprochen hat. 264 Zentral ist dabei der Begriff der Nahrungskette bzw. des Nahrungsnetzes für Snyder. Das Nahrungsnetz der Natur ist für Snyder nicht die Erscheinung (natura naturata) eines hungrigen und an sich selbst zehrenden Willens (natura naturans), der sich hervorbringt, nur um sich selbst zu verschlingen und damit zum »Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen« wird, »welche nur dadurch bestehen, daß eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Thier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist« 265, wie Schopenhauer es noch in seinem Nachtrag über die Nichtigkeit und das Leiden des Lebens im Ergänzungsband seiner Welt als Wille und Vorstellung (1844) charakterisiert hatte. Für Snyder ist das Nahrungsnetz ein einziges Potlatch-Fest, bei dem die amerikanischen Indianer in ritueller Weise Geschenke miteinander austauschen; eine kosmische Kommunion und Evolution des Lebens Leopold 1989: 129. Kerouac porträtierte Snyder in seinem berühmten Roman The Dharma Bums (1958), das 1963 als Gammler, Zen und hohe Berge auch in deutscher Übersetzung erschien, in der Rolle des Japhy Ryder, der Kerouacs Alter Ego Ray Smith in die Welt des (Zen-)Buddhismus einführt. Cf. Kerouac 1976. 264 Cf. Barnhill 1997: 189. 265 Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens. In: S II: 675. 262 263

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– »the sacramental energy-exchange, evolutionary mutual-sharing aspect of life.« 266 Anzuerkennen, dass jeder von uns an einem Gastmahl teilnehme und schlussendlich selbst zur Nahrung werde, offenbare eine sakramentale Dimension in der Endlichkeit des zerbrechlichen Daseins und eine umfassende Liebe zur belebten und unbelebten Natur. 267 Diese sakrale Gemeinschaft des Nahrungsnetzes und dieses in sich differenzierte und reziproke Feld evolutionären Seins beschreibt Snyder in seinen Gedichten und Essays als maṇḍala sowie anhand der für Loy zentralen Metapher von Indras Netz: »Everything that breathes is hungry. But not to flee such a world! Join in Indra’s net!« 268 »The Avatamsaka (›Flower Wreath‹) jewelednet-interpenetration-ecological-systems-emptiness-consciousness tells us, no self-realization without the Whole Self, and the whole self is the whole thing.« 269 Zu den Pionieren des Öko-Buddhismus zählt neben Gary Snyder, dem Dalai Lama, Thích Nhât Hạnh, Loys Lehrer Aitken und Joanna Macy auch der US-amerikanische Zen-Buddhist John Daido Loori (1931–2009), der 1980 das Zen Mountain Monastery in den Catskill Mountains (New York) und den auf Dōgens Lehren basierenden Mountains and Rivers Order gründete. 270 Zum Orden gehört neben dem Dharma-Communications-Versandhandel, der Society of Mountains and Rivers, den National Buddhist Archives, dem National Buddhist Prison Saṅgha und dem Fire Lotus Temple seit 2001 auch das Zen Environmental Studies Institute (ZESI). Loori war Schüler von Sōen Nakagawa (1907–1984) und Hakuyū Taizan Maezumi (1931–1995) und autorisierter Zen-Meister in der Rinzai- und Sōtō-Tradition. 1997 erhielt er zudem die Dharma-Übertragung in der Harada-Yasutani-Linie sowie in der vom japanischen RinzaiMönch Inzan Ien (1751–1814) begründeten Inzan-Linie. 271 Auch in Looris dezidiert ökologischen Schriften finden sich eine Vielzahl der gängigen Motive des Öko-Buddhismus wieder: Die Nondualität von Welt und Selbst, der Avataṃsaka-Holismus von Indras Netz und eine an Dōgens Lehren angelehnte radikale Affirmation der PhänomenaSnyder 1980: 89. Cf. Snyder 1990: 20; Snyder 1980: 4. 268 Snyder 1995: 70. 269 Snyder 1977: 64. Cf. Tovey 2013. 270 Der Name geht auf Dōgens Sansui-kyō-Faszikel oder »Sūtra der Berge und Flüsse« zurück. Cf. Seggelke 2011: 216–297. 271 Cf. Seager 1999: 257 f. 266 267

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lität kulminieren bei Loori in einer organismischen Alleinheitsschau des Kosmos, wie sie auch für Loys nonduale Philosophie charakteristisch ist: Imagine, if you will, a universe in which all things have a mutual identity. They all have an interdependent origination: when one thing arises, all things arise simultaneously. And everything has a mutual causality: what happens to one thing happens to the entire universe. Imagine a universe that is a self-creating, self-maintining, and selfdefining organism–a universe in which all the parts and the totality are a single entity; all of the pieces and the whole thing are, at once, one thing. 272

Seit den Anfängen des Öko-Buddhismus hat sich der innerbuddhistische Dialog allerdings in eine Vielzahl unterschiedlicher, teilweise disparater Positionen ausdifferenziert, sodass es sinnvoll erscheint, zwei Typologisierungsversuche zu referieren, um Loys Position darin anschließend verorten zu können.

11.4.3. Typologien des öko-buddhistischen Diskurses Analog der Debatte um die Authentizität des sozial-engagierten Buddhismus wird im öko-buddhistischen Diskursfeld die Frage diskutiert, ob und inwiefern sich ein holistisch argumentierender »Grüner Buddhismus« in grundsätzlicher Kontinuität oder Diskontinuität mit der eigenen Tradition befindet und eine unversehrte Natur und biologische Vielfalt aus buddhistischer Sicht als intrinsische Werte anzusehen sind. Die Frage, ob der Buddhismus in seiner traditionellen, mahāyānistischen oder tantrischen Form in Indien, Tibet, China oder Japan eine genuin ökologische Dimension dokumentiert oder der fortschreitenden Zerstörung des gesamten irdischen Ökosystems indifferent gegenübersteht oder eine solche Fehlentwicklung sogar begünstigt, hat in den vergangenen Jahrzehnten eine kontroverse Diskussion innerhalb der Forschungsliteratur initiiert, in der ebenfalls modernistische Diskontinuitätsthesen und traditionalistische Kontinuitätsthesen in sowohl kritischer als auch apologetischer Absicht miteinander konkurrieren und das ökologische Potential des Buddhismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen sehr unterschiedlich beurteilt wird. 272

Loori 2007: xi.

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Ian C. Harris (1952–2014) hat den innerbuddhistischen Diskurs auf insgesamt fünf verschiedene Positionen festgelegt und dabei unterschieden zwischen (1) traditionellen Vertretern des Buddhismus, die wie der Dalai Lama vorwiegend im Kontext des interreligiösen Dialogs und aus propagandistischen Motiven heraus eine buddhistische Umweltethik direkt anerkennen und lancieren; 273 (2) primär japanischen und nordamerikanischen Buddhologen und buddhistischen Aktivisten, die mit wohlwollender Indifferenz gegenüber der historischen, doktrinellen und kulturellen Diversität und Komplexität der eigenen Traditionen und einer selektiven Lesart der Texte unter Abblendung gegenteiliger Zeugnisse ebenfalls eine stark affirmative Haltung bekunden und wie Noritoshi Aramaki, Brian Edward Brown und Joanna Macy davon ausgehen, dass der Buddhismus alle intellektuellen und praktischen Ressourcen besitzt, um einen konstruktiven Beitrag zu den ökologischen Herausforderungen der Gegenwart zu leisten; 274 (3) thailändischen »Entwicklungs-« (phra nak phatthana) bzw. »Umweltmönchen« (phra nak anuraksa thamachat), -nonnen und -laien, deren umweltbezogene Aktivitäten, wie die Ordination von Bäumen, allein aufgrund der Tatsache als authentisch gelten, weil es sich dabei um renommierte Buddhisten aus reformatorischen Kreisen wie Bhikkhu Buddhadāsa, Sulak Sivaraksa oder Phra Dhammapiṭaka (P. A. Payutto) und ihre Anhänger handelt; 275 (4) kritischen Forschern wie Lambert Schmithausen, die auf die mannigfachen Probleme hinweisen, die auftreten, wenn traditionell asiatische Denkweisen mit der wissenschaftlichen Ökologie vermittelt werden sollen, dabei aber gleichzeitig von der akuten Notwendigkeit einer buddhistischen Ökologie und der prinzipiellen Möglichkeit einer authentischen Position des Buddhismus in ökologischen Fragen überzeugt sind 276 und (5) denjenigen Buddhologen, die die Möglichkeit einer buddhistischen Umweltethik unumwunden ablehnen und zur Begründung ihrer modernistische Diskontinuitätsthese wie Noriaki Hakamaya auf die naturnegierenden Tendenzen des frühen Buddhismus und dessen welttranszendentes Erlösungsideal verweisen. 277 Cf. Dalai Lama 1992. Cf. Aramaki 1992; Brown, B. 1993; Macy 1990. 275 Cf. Darlington 2012; Swearer 1997: 37–40. 276 Cf. Schmithausen 1997; Schmithausen 2003b; Schmithausen 2010. 277 Cf. Hakamaya 1990; Harris, I. 1995. Ursprünglich hat Harris nur vier Positionen (1, 2, 4 und 5) voneinander unterschieden. Cf. Harris, I. 1994. Wiederveröffentlicht als Harris, I. 2014. 273 274

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Harris hat im Anschluss an Laurel Kearns’ dreiteilige Typologie christlichen Umweltschutzes, die zwischen Schöpfungsspiritualität (creation spirituality), ökologischer Gerechtigkeit (eco-justice) und der Verwaltung der Natur als Schöpfung Gottes durch den Menschen (stewardship) unterscheidet, eine Einteilung der verschiedenen buddhistischen Ansätze in drei Grundtypen vorgenommen: 278 (1) Der öko-spirituelle Typus (eco-spiritualist type) basiert Harris zufolge auf einer radikal-holistischen Grundintuition und dem Leitgedanken der interdependenten Einheit der Wirklichkeit, der ebenfalls zentral für die christliche Schöpfungsspiritualität sei, wie sie vom US-amerikanischen Theologen und Ordensmitglied der Passionisten Thomas Berry (1914–2009) und dem US-amerikanischen Theologen Matthew Fox vertreten wird. 279 (2) Der Öko-Gerechtigkeits-Typus (eco-justice type) verbindet den ökologischen Ansatz wiederum mit gesellschaftspolitischem Engagement und einer sozialreformatorisch geprägten Agenda, die auf den reziproken Zusammenhang sozialer und ökologischer Probleme zielt. Die Thailänder Bhikkhu Buddhadāsa und Sulak Sivaraksa sowie der aus Śrī-Laṅkā stammende Ahangamage Tudor Ariyaratne sind für Harris exemplarische Beispiele für diesen Typus, dessen christliches Korrelat er in bestimmten Vertretern der katholischen Befreiungstheologie sieht, die sich durch eine verstärkte Rezeption ökologischer Themen auszeichnen und für einen nachhaltigen Umwelt- und Klimaschutz engagieren. 280 (3) Der öko-traditionalistische Typus (eco-traditionalist type) zerfällt wiederum in zwei Subkategorien: Auf der einen Seite stehen kritisch argumentierende Öko-Traditionalisten, die wie Schmithausen in seiner textkritischen Cf. Kearns 1990; Kearns 1991. Zitiert in: Beyer 2000: 217. Cf. Berry 1999; Fox, M. 1988. 280 So erhielt beispielsweise der international renommierte Theologe brasilianischer Herkunft Leonardo Boff für sein eindringliches Plädoyer für eine planetarische Kultur, seine Idee einer ökologisch-sozialen Demokratie und einer dezidiert ökologischen Befreiungstheologie und Spiritualität im Jahre 2001 den Alternativen Nobelpreises (right livelihood award): »Die Befreiungstheologie, zu deren Vertretern ich gehöre, ist in den Sechzigerjahren mit dem Ziel entstanden, den Schreien der Ärmsten, der unterdrückten Frauen, der indigenen Bevölkerungen, der Nachkommen der Afrikaner und anderer gesellschaftlicher Randgruppen Gehör zu verschaffen. Seit den Achtzigerjahren ist uns bewusst geworden, dass auch die Wälder, die Tiere und die gesamte Erde schreien, weil sie unter der ganzen Zerstörungsgewalt der Industriekultur zu leiden haben. Folglich muss die Option für die Armen und gegen die Armut – das »Markenzeichen« der Befreiungstheologie – auch die Ärmste überhaupt miteinschließen: die Erde.« Boff 2015: 30 f. 278 279

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Herangehensweise den für Harris einzig wissenschaftlich legitimen Weg beschreiten, insofern sie den Versuch unternehmen, alle Projektionen auf ein Minimum zu reduzieren, um auf diese Weise der Tradition und den kanonischen Texten in ihrem jeweiligen didaktischen und historischen Kontext gerecht zu werden. Erst in einem zweiten Schritt werden mögliche Passagen aus den Quellen auf ihre authentische Adaptionsfähigkeit an moderne Kontexte diskutiert. Auf der anderen Seite stehen anachronistisch argumentierende Öko-Traditionalisten, die ihre romantisierten, idealisierten, purifizierten und vor allem modernen und postmodernen Naturvorstellungen in die prämodernen Texte eintragen und der buddhistischen Tradition bereits in ihren frühsten Zeugnissen ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein attestieren und damit das historische und ethnographische Material verzerren. Harris zufolge haben drei Faktoren zur Genese dieser unkritischen Sichtweise beigetragen: Erstens, Whites einflussreicher Aufsatz The Historical Roots of our Ecologic Crisis (1967), in dem er den ökologisch sensiblen Religionen des Ostens, insbesondere dem Buddhismus, gegenüber der jüdisch-christlichen Tradition die geistigen Ressourcen für ein alternatives Umweltbewusstsein zugesprochen hatte. 281 Dieses unausgewiesene Konstrukt eines genuin ökologischen Buddhismus widerspricht Harris zufolge aber nicht nur in eklatanter Weise den historischen Fakten, sondern sei zudem prägend gewesen für ein allgemein verklärtes Bild östlicher Religiosität. 282 Als zweiten Faktor nennt Harris den interreligiösen Dialog, dessen 281 Im Gegensatz zu Loy stand White dem potentiellen Einfluss des Zen-Buddhismus allerdings skeptisch gegenüber: »What we do about ecology depends on our ideas of the man-nature relationship. More science and more technology are not going to get us out of the present ecologic crisis until we find a new religion, or rethink our old one. The beatniks, who are the basic revolutionaries of our time, show a sound instinct in their affinity for Zen Buddhism, which conceives of the man-nature relationship as very nearly the mirror image of the Christian view. Zen, however, is as deeply conditioned by Asian history as Christianity is by the experience of the West, and I am dubious of its viability among us.« White 1967: 1206. Näheres dazu bei Sponsel 2012: 75–82. 282 »True, Asia has in modern times sustained a far lower level of economic activity than the West, but should we conclude that this is the natural consequence of ancient religious ideologies? There are clearly other factors in the equation, and it may be worth noting that the reports of early European travellers, even the most romantic admirers of Asia, often dwell on the very obvious levels of pollution and dirt in the Asian cities to which they otherwise were devoted. Hardly ideal credentials from the ecological perspective!« Harris, I. 1995: 181.

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Avantgarde sich in den 1960er Jahren aus derselben Schicht christlich-liberaler Eliten rekrutiert habe, aus denen auch die ökologische Bewegung hervorgegangen sei, sodass ökologische Themen im interreligiösen Dialog bereits früh kommuniziert wurden. Als dritten Faktor nennt Harris wiederum realpolitische Gründe. Unterschiedliche Vertreter der buddhistischen Traditionen sind Harris zufolge dazu gezwungen, sich auf der Suche nach finanzieller Unterstützung der von ihnen repräsentierten Gruppen an ausländische Investoren und Spender zu wenden. Die durch Spenden finanzierten ökologischen Entwicklungsprojekte des Dalai Lama seien beispielweise weniger ein direktes Resultat buddhistischer Spiritualität, sondern viel mehr Konsequenz realpolitischen Kalküls, dessen Ziel die Sicherung der wirtschaftlichen und kulturellen Belange der Tibeter sei. Dabei entstehe ganz beiläufig der Eindruck eines ökologisch-engagierten Buddhismus, was zwar in keinem fundamentalen Widerspruch zu buddhistischen Grundsätzen stehe, aber dennoch in seiner eigentlichen Motivation gesehen werden müsse. 283 Im kritischen Anschluss an Harris hat Donald K. Swearer eine alternativ-tentative Typologie vorgeschlagen und zwischen insgesamt fünf Positionen unterschieden. 284 Swearers Typologie umfasst buddhistische (1) Öko-Apologeten, (2) Öko-Kritiker, (3) Öko-Konstruktivisten, (4) Öko-Ethiker und (5) Öko-Kontextualisten. Der Typus des buddhistischen Öko-Apologeten (1) deckt sich weithin mit Harris’ Beschreibung des öko-spirituellen Typus. Die Lehre des Buddhas wird hier als genuin ökologische Religion bzw. als religiöse Ökologie dargestellt, auf deren Grundlage wir zur Einsicht in die Einheit der Wirklichkeit gelangen können, die sich wiederum in einem liebevollen und nachhaltigen Umgang mit der gesamten Ökosphäre niederschlägt. Swearer nennt hier drei zentrale Anthologien, in denen das Bild eines inhärent ökologischen Buddhismus propagiert werde, i. e. Dharma Gaia: A Harvest of Essays in Buddhism and Ecology (1990) von Allan Hunt Badiner, Buddhism and Ecology (1992) von Martine Batchelor und Kerry Brown sowie die von Stephanie Kaza und Kenneth Kraft publizierte Anthologie Dharma Rain: Sources of Buddhist Environmentalism (2000). Neben den Herausgebern dieser Anthologien zählt Swearer vor allem Thích Nhât Hạnh, den Dalai Lama, Francis Cook, Lily de Silva, Bhikkhu 283 284

Cf. Harris, I. 1995: 183. Cf. Swearer 2006.

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Buddhadāsa und Joanna Macy zur weiteren Gruppe buddhistischer Öko-Apologeten, zu deren Grundintuitionen er die existentielle, moralische, kosmologische und ontologische Interdependenz allen belebten und unbelebten Seins rechnet: Existentially entities are conjoined through the doctrine of shared suffering (dukkha) which eco-apologists extend to nature; […]. Morally and cosmologically the doctrines of karma and rebirth conjoin all sentient beings in a karmic continuum traditionally divided into three worlds and five or six rebirth realms. Ontologically the concepts of tathāgatagarbha (womb of suchness) and universal Buddha nature (buddhakāya) point to a common ground of inter-being or interbecoming. 285

Als buddhistische Öko-Kritiker (2) firmieren in Swearers Typologie Noriaki Hakamaya und Ian Harris, dem zufolge die kanonischen, klassischen und modernen Zeugnisse des Buddhismus keine explizite ökologische Ethik enthalten, weil es sich bei ökologischen Problemen und Fragestellungen um Phänomene der dezidiert jüngeren Geschichte und Gegenwart handle. Die Frage, ob ein ökologischen Bewusstsein zumindest implizit in den Zeugnissen des Buddhismus nachweisbar ist – ohne sich bei der Interpretation der Texte eines Anachronismus schuldig zu machen, wie Joanna Macy in ihrer ökobuddhistischen Interpretation des Lehrsatzes vom Entstehen-in-Abhängigkeit (pratītya-samutpāda) – und eine authentische ökologische Ethik somit zumindest indirekt aus den kanonischen und postkanonischen Quellen erschlossen werden kann, könne angesichts des Textbefundes wiederum unterschiedlich beurteilt werden. 286 Sowohl Swearer 2006: 127. Für Harris und Schmithausen ist Joanna Macys pratītya-samutpāda-Interpretation ein paradigmatisches Beispiel für eine anchronistische Lesart der früh-buddhistischen Texte: »I for one fail to see how this analysis of the presupposition of individual bondage and liberation could, without a radical reinterpretation, provide a basis for ecological ethics based on an intrinsic value of natural diversity and beauty. […] it is, as far as I can see, only later on (especially in Chinese Huayan Buddhism) that origination in dependence was even developed into a principle of universal interdependence and interrelatedness.« Schmithausen 1997: 179 f. Cf. Harris, I. 2009: 124 f. Beide beziehen sich in ihrer Kritik primär auf Macy 1995. Eine Verteidigung Macys und der von Swearer kritisierten Öko-Apologeten hat Charles Strain formuliert: »Their aim is to gear the tradition toward praxis in a situation of crisis. They do so, in the main, as what Sulak Sivaraksa calls ›small »b« buddhists‹ more concerned to alleviate suffering caused by ecological damage than wanting to defend Buddhism’s ›green‹ credentials.« Strain 2016: 192. Die öko-apologetische/öko-konstruktivistische 285 286

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für als auch gegen die These einer genuin ökologischen Dimension des Buddhismus könnten verschiedene Belege aus den einzelnen Teilen des inhaltlich heterogenen Korpus des Pāḷi-Kanons geltend gemacht werden. 287 Neben den allgemeinen Schwierigkeiten, im buddhistischen Kontext ein genaues Sanskrit-Äquivalent für den in tiefenökologischen Kreisen zumeist an Spinoza orientierten Naturbegriff (natura naturans) zu finden sowie dem in letzter Konsequenz welttranszendenten und anthropozentrischen Standpunkt der urbuddhistischen Soteriologie, besteht für Harris das größte Problem in der Formulierung eines Öko-Buddhismus allerdings in der zutiefst dysteleologischen Naturauffassung des frühen Buddhismus und dessen Abneigung gegenüber jeder zweckmäßigen Naturbetrachtung. 288 Den öko-konstruktivistischen Ansatz (3) sieht Swearer primär in den Arbeiten von Lambert Schmithausen und Phra Dhammapiṭaka (P. A. Payutto) repräsentiert, der mit der kritisch argumentierenden Variante des öko-traditionalistischen Typus aus Harris’ Typologie koinzidiert. 289 Der buddhistische Öko-Ethiker (4) erklärt die Umweltethik wiederum als natürliche Verlängerung der buddhistischen Ethik, die James Whitehill (1994) im Anschluss an die Arbeiten von Robert N. Bellah (1985) und Damien Keown (1992) in Analogie zur aristotelischen Tugendethik entwickelt hat. 290 Wenn es für die verschiedenen Formen des Handelns ein Endziel gibt, das um seiner selbst willen erstrebt wird, während alles andere nur in Richtung auf dieses Endziel gewollt wird und wir nicht jede Wahl im Hinblick auf ein weiteres Ziel treffen, was Aristoteles zufolge »ein Schreiten ins Endlose, somit ein leeres und sinnloses Streben« geben würde, »dann

Interpretation der buddhistischen Texte sei daher mit dem Midrasch des rabbinischen Judentums vergleichbar, womit der Vorgang des exegetischen, auf die Gegenwart bezogenen Auslegens der heiligen Schrift gemeint ist, um eine Antwort Gottes auf ein aktuelles Problem zu finden. Cf. Strain 2016: 206. 287 Cf. Harris, I. 2009: 124 f. 288 Schmithausen diskutiert die Begriffe bhājana- und sattva-loka als potentielle Äquivalente, die allerdings ein pathozentrisches und kein anthropozentrisches oder holistisches Umweltverständnis dokumentieren, insofern sattva sich auf alle empfindungsfähigen Wesen bezieht und die unbelebte Natur davon als bloßer Behälter (bhājana) unterschieden wird. Cf. Schmithausen 1994: 181. 289 Cf. Swearer 2006: 130 ff. 290 Cf. Whitehill 1994; Whitehill 2009: 19. »So a cultural symbiosis between the radicalism of Zen and some kind of modern Aristotelianism might even be thinkable.« Bellah 1985: 157.

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ist offenbar dieses Endziel ›das Gut‹ und zwar das oberste Gut.« 291 Dieses um seiner selbst willen angestrebte höchste Ziel und Gut des Menschen besteht für Aristoteles in der Glückseligkeit (eudaimonia) eines vernunftbestimmten und sittlich vollkommenen Lebens, während sich das Verständnis des ethisch richtigen und tugendhaften Handelns im Buddhismus an dem für die Lebensführung maßgeblichen Ziel des Erwachens (bodhi) zum nirvāṇa und einem soteriozentrischen Leben orientiert. Die buddhistische Ethik kann Keown zufolge daher in Analogie zur Nikomachischen Ethik als spezifische Form der Tugendethik (virtue ethics) interpretiert werden. 292 Das Kernstück buddhistischer Ethik sieht Whitehill in der moralischen Selbstvervollkommnung, die wiederum in der Kultivierung der sechs »buddhistischen Tugenden« (pāramitā) sowie der Kultivierung der vier »himmlischen Verweilzustände« (brahmavihāra) bzw. »Grenzenlosen« (apramāṇa) besteht. Im Gegensatz zur primär anthropozentrisch orientierten Tugendethik des Aristoteles sei die Perspektive der sechs Vollkommenheiten (pāramitā) allerdings »biocentric and ecological« 293. Die Begründung einer buddhistischen Umweltethik könne sich daher nicht auf deontologische, i. e. auf Pflicht basierende oder konsequentialistische, i. e. auf hedonistischen oder utilitaristischen Bewertungsmaßstäben beruhende Argumente stützen, sondern nur als Verlängerung buddhistischer Tugenden auf die Frage nach einem tugendgemäßen Umgang mit der Natur und Umwelt geleistet werden. Diese von Whitehill nicht näher ausgearbeiteten ökoNikomachische Ethik 1 (1094 a). In: Aristoteles 1964: 5. Cf. Keown 2001; Keown 2005: 25–38. Dagegen hat Paul Williams darauf aufmerksam gemacht, dass Śāntideva den Buddha im Bodhicaryāvatāra als acittaka (tib. sems med pa) beschreibt, i. e. der Buddha hat keine phänomenale Erfahrung der alltäglichen Welt mehr, wie sie noch dem Bodhisattva nach der Erleuchtung eignet, sondern gar keine Erfahrung mit phänomenologisch bestimmtem Gehalt mehr: »In this state there are simply no mental events taking place at all.« Williams 2009: 123. Da das Handeln eines Buddhas daher vielmehr dem Handeln eines bewusstlosen Automaten oder mechanisch agierenden Roboters gleiche, könne man konsequenterweise auch nicht mehr von tugendhaften Handlungen sprechen, die einen bewussten Akteur voraussetzen. Cf. Williams 2009: 128. Barbara R. Clayton und Charles Goodman haben sich gegen Keowns Ablehnung einer Interpretation der buddhistischen Ethik als Form des Konsequentialismus ausgesprochen und für eine Hybridform aus Tugendethik und Konsequentialismus argumentiert (virtue/perfectionist consequentialism). Cf. Clayton 2006: 112–118; Goodman 2008; Keown 1996. Goodman entwickelt seinen konsequentialistischen Ansatz in Abgrenzung zu Kants deontologischer Ethik in Goodman 2009: 197–214. 293 Whitehill 1994: 10. 291 292

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logischen Implikationen der pāramitās und brahmavihāras wurden von David E. Cooper und Simon P. James in Buddhism, Virtue and Environment (2005) sowie von Pragati Sahni in Environmental Ethics in Buddhism: A Virtues Approach (2008) elaboriert. 294 Cooper und James setzen dabei mit einer Kritik der Unterscheidung zwischen intrinsischem und instrumentellem Wert an und lehnen die Vorstellung ab, der zufolge eine buddhistische Ökologie allein von der Anerkennung des intrinsischen Wertes der Natur ihren Ausgang nehmen könne. Umweltethik sei eine philosophische Reflexion darüber, »how human beings should relate to and act towards non-human life in (more or less) ›natural‹ environments.« 295 Für Swearer dokumentiert sich darin einerseits die allgemeine Skepsis gegenüber ökoholistischen Ansätzen, die der buddhistische Öko-Ethiker mit dem Öko-Kritiker und Öko-Konstruktivisten teile und andererseits das allgemeine Interesse an der Integrität der buddhistischen Tradition und einer den historischen und kulturellen Umständen entsprechenden Interpretation der Quellen, was den buddhistischen Öko-Ethiker wiederum mit dem kritisch argumentierenden Öko-Traditionalisten aus Harris’ Typologie verbindet. 296 Das räumlich beschränkte Engagement des buddhistischen ÖkoKontextualisten (5) basiert wiederum auf mythischen Erzählungen, religiösen Narrativen und kulturellen Traditionen spezifischer Orte und Landschaften, deren Schutz aufgrund der konstitutiven Funktion für die persönliche, soziale und kulturelle Identität der umgebenden Bevölkerung daher als besonders wichtig empfunden wird. Swearers Beispiel ist der 1676 Meter hohe Berg Doi Suthep, der als Teil des Doi Suthep-Doi Pui-Nationalparkes in der Provinz Chiang Mai im nördlichen Thailand liegt. An den östlichen Hängen des Berges liegt die buddhistische Tempelanlage Wat Phra That Doi Suthep, deren vergoldete Chedi (stūpa) eine Reliquie des Buddhas enthalten soll. Die Regierungsinitiative, die einem privaten Unternehmen die Errichtung einer Seilbahn erlauben wollte, wurde als Entweihung des heiligen Ortes und als Gefahr für die kulturelle Identität Nordthailands empfunden und führte zur Bildung einer Protestbewegung, der sich auch die lokalen Buddhisten anschlossen.

294 295 296

Cf. Sahni 2008. Cooper/James 2005: 3. Cf. Swearer 2006: 134 f.

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Um Loys Ansatz einem dieser von Harris und Swearer explizierten Typen zuordnen und entscheiden zu können, ob es sich bei Loys tiefenökologischer Buddhismusinterpretation um einen propagandistischen Anachronismus oder eine authentische Adaption buddhistischer Lehren an den Kontext der Postmoderne handelt, muss das buddhistische Naturverständnis kurz in seiner entwicklungsgeschichtlichen Genesis nachgezeichnet werden, um die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen Loys in ihrer Tragfähigkeit für eine nonduale Tiefenökologie beurteilen zu können. Um der religiösen und philosophischen Überprüfung standzuhalten, muss abschließend geklärt werden, ob Loys öko-buddhistischer Ansatz den von Marek Sullivan vorgeschriebenen Minimalanforderungen genüge leistet, i. e. »(1) prove itself as at least partly identifiable with the Buddhist tradition to merit the name; and (2) account for the particularity of things against their dissolution into undifferentiated ›emptiness‹.« 297

11.4.4. Die holistische Wende innerhalb des Buddhismus Alles weltliche Dasein, einschließlich der belebten und unbelebten Natur, ist nach Darstellung der frühbuddhistischen und indischmahāyānistischen Daseinsanalyse aufgrund universaler Veränderlichkeit und Vergänglichkeit (pāḷi vipariṇāma-dhamma) in einem ontologischen Sinn in letzter Konsequenz unbefriedigend und leidhaft (pāḷi dukkha). Als wesenhaft leidhaft wird auch die erfahrbare Natur als Totalität ontischen Einzelseins im angestrebten Erlösungszustand (nirvāṇa) des indischen Buddhismus somit radikal transzendiert. Dafür sprechen Lambert Schmithausen zufolge vor allem auch die Beschreibungen derjenigen inner-saṃsārischen Idealzustände, die als Buddhafelder (buddhakṣetra) im Rahmen der mahāyānistischen Buddha-Verehrung überragende Bedeutung erlangten. Das kürzere und längere Sukhāvatīvyūha-Sūtra beschreiben das »Glückliche Land« (sukhāvatī) des Buddhas Amitābha/Amitāyus (chin. o-mi-tʾ o; jap. amida) dabei als artifizielles und vollkommen steriles Gefilde, aus dem die organische Natur »als Ort der Plage und des Daseinskampfes, des ständigen Sterbens und Geborenwerdens« 298 restlos verbannt wurde. Natürliches Leben und Wachstum konnten sich die indischen 297 298

Sullivan 2015: 293. Schmithausen 1985: 106.

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Buddhisten offenbar nicht ohne Verfall und Tod vorstellen, weshalb sie es aus ihrer Vision »einer Welt der Schönheit ohne Düsternis und Leid ausklammern« 299 mussten. Folglich könne auch die beschleunigte Extinktion ganzer Tier- und Pflanzenarten (3 bis 130 Arten pro Tag) und die rasante Verminderung der Biodiversität als wesentliches Merkmal des Anthropozän aus der Sicht buddhistischer Daseinsanalyse nicht beklagt, sondern lediglich »als eine besonders krasse Bestätigung der buddhistischen Einsicht in die universale Vergänglichkeit gleichmütig hingenommen werden.« 300 Schmithausen kommt daher zu dem Schluss, dass die negative Naturauffassung des indischen Buddhismus für »eine Rettung der Natur und der natürlichen Vielfalt vor der drohenden Zerstörung durch den Menschen kein Motiv« liefere und die Natur als »Teil der vergänglichen Welt und in Anbetracht ihrer dunklen Seiten, leidvoll und somit kein Wert an sich« 301 sei. 302 Um ein positives Verhältnis zur Natur zu etablieren und eine buddhistischen Ökologie zu begründen, deren Ziel nicht die passive Hinnahme, sondern die aktive Verhinderung der zunehmenden Umweltzerstörung und irreversiblen Interferenz des Menschen mit der Biosphäre ist, müssen folglich andere Prinzipien der urbuddhistischen Spiritualität und Ethik geltend gemacht werden. Schmithausen nennt hier einerseits die ethische Haltung des Mitgefühls mit allen Lebewesen, die sich in der Kultivierung der vier »Grenzenlosen« (apramāṇa) manifestiert und darauf zielt, dauerhaft das egoistische Ich zu eliminieren und stattdessen alle Lebewesen als Selbst anzunehmen (sabbattatāya) sowie andererseits das kompromisslose Gebot des generellen Nichtverletzens (ahiṃsa), das die Tötung und Schädigung lebender Wesen (pāḷi pāṇātipāta) in jeglicher Form apodiktisch untersagt. 303 Vor allem Letzteres sei in besonderem Maße als Schmithausen 1985: 107. Schmithausen 1985: 108. 301 Schmithausen 1985: 113. 302 Diese urbuddhistische Grundvorstellung, die der Natur jede heilskonstitutive Funktion abspricht, wird letztlich auch nicht durch diejenigen Passagen der kanonischen Texte in Frage gestellt oder in ihrer Radikalität relativiert, in denen zumindest Aspekte oder Teile der Natur als heilsförderlich gewürdigt werden. Eine Zusammenstellung und Diskussion relevanter Stellen, in denen die Natur als Vorbild oder Lehrmeister, als geeignete Umgebung für die spirituelle Praxis und Selbstvervollkommnung oder in der Betrachtung des Unreinen und Ekelhaften (aśubha-bhāvanā) bzw. der Leichenbetrachtung als dienlicher Gegenstand der Meditation beschrieben wird, findet sich bei Schmithausen 1999. 303 Cf. Schmithausen 1985: 111–115; Schmithausen/Maithrimurthi 1998. 299 300

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ökologisches Argument geeignet, um die Verschmutzung und Zerstörung von Pflanzen, der Erde, des Wassers und der Luft als Wohnstätte und potentiellen Lebensraum von Tieren zu kritisieren, da sie direkt oder indirekt zum Tode leidensfähiger Wesen führe. Darüber hinaus biete vor allem der ostasiatische Buddhismus besonderes Potential zur Etablierung einer buddhistischen Ökologie, da sich der Buddhismus im Zuge seiner Ausbreitung im chinesischen Kulturraum unter taoistischem Einfluss und im japanischen Kulturraum unter shintōistischem Einfluss erheblich veränderte und eine grundlegende Neubestimmung der Natur gegenüber den indischen Quellen vollzog, sodass die Natur als integraler Bestandteil letzter Wirklichkeit verstanden und folglich auch im Erlösungszustand erhalten bleiben konnte. 304 Gegenüber dem indischen Buddhismus treten im Zusammenhang mit der Natur als Kosmos im chinesischen Kontext die Begriffe tzu-jan/ziran (das von-selbst-so-Seiende) und tao/dao (Weltengrund) auf, aber auch tʾ ien-ti/tiandi (Himmel und Erde), tʾ ien/tian (Himmel/Natur), chʾ i-chih-hua/qizhihua (die Wandlungen des chʾ i/ qi), wan-wu/wanwu (Zehntausend Wesen und Dinge) sowie wuhsing/wuxing (Fünf Wandlungsphasen) finden sich als Ausdrücke für die unterschiedlichen Aspekte, Potenzen und Wirkkräfte des Kosmos. 305 Barnhill hat das traditionell chinesische Naturverständnis, das bei der taoistisch informierten Rezeption und Transformation des Buddhismus in China maßgeblich war, folgendermaßen resümiert: »The basic assumption is that the world of phenomena manifests the 304 Näheres zur Sinisierung des Buddhismus und den ersten Übersetzungen buddhistischer Texte, die von neo-taoistisch beeinflussten Übersetzern angefertigt wurden und die zur Wiedergabe buddhistischer Fachterminologie auf taoistische Termini zurückgriffen, findet sich bei Leibold/Elberfeld 2000. Zum shintōistischen Einfluss auf den japanischen Buddhismus und die damit einhergehende Aufwertung der phänomenalen Welt hat La Fleur folgende Einschätzung gegeben: »Buddhism in Japan especially was forced to accommodate itself to the long-standing and pre-Buddhist high attribution of religious value to the natural world. Thus, the discussions […] were not carried out in a cultural and religious vacuum; they were, in fact, either consciously or unconsciously responding to pressures exerted upon them by ancient and deeply ingrained experiences of the Japanese people–experiences especially of nature as locus of soteriological value.« La Fleur 1973: 111. Dazu auch Sueki 2006. Näheres zum japanischen Naturverständnis bei Eisenstadt 2004; Tucker 2003. Das buddhistische Naturund Menschenbild sowie die Begriffe der Natur (shizen) und Natürlichkeit (jinen) im japanischen bzw. sino-japanischen Wortgebrauch diskutiert Arifuku 1999. 305 Cf. Linck 1999: 74.

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Dao, the way of nature. The Dao is not a separate reality but rather the patterned processes of the natural world, or perhaps the disposition of the universe to act in a patterned, harmoniously interactive way. The human ideal is to understand the Dao and act in harmony with it.« 306 Die darin zum Ausdruck kommende Auffassung der Natur bezeichnet Barnhill als organismisch, weil (1) darin die gesamte Wirklichkeit in ihrer Fülle enthalten sei und nicht zwischen der saṃsārischen Natur und einem welttranszendenten nirvāṇa unterschieden werde, sodass Himmel, Erde und Menschen hier gleichermaßen als konstitutiver Teil der Natur betrachtet würden; weil (2) die Natur als eine selbst-schöpferische und bildende Kraft aufgefasst werde (chao-hua/zaohua), die durch sich selbst bestehe und nicht das Werk eines separaten Schöpfergottes sei, von dem sie ontologisch abhängig bleibe; weil (3) alle Dinge, einschließlich der Felsen und des Wassers, aus dem ursubstantiellen Lebensprinzip (chʾ i/qi) hervorgingen; 307 weil (4) jedes Phänomen eine Eigennatur besitze, die aus einer spirituellen (shen) und individuellen Wirkkraft (te/de) bestehe; 308 und weil (5) alle Phänomene organisch miteinander verknüpft seien und die Welt als ein einheitliches Feld des Chʾ i vorBarnhill 2005: 16 f. Wolfgang Ommerborn zufolge ist chʾ i/qi »der universale, qualitativ einheitliche « Grundbaustein » der Welt, die Grundsubstanz aller Dinge. Aus ihm sind das Universum und alle Dinge darin konstituiert. Es ist aber nicht einfach eine rein materielle Substanz, vielmehr bezieht es sich auch auf nichtmaterielle Bereiche, wenn es z. B. in einer ethischen Bedeutung als gut oder schlecht charakterisiert wird oder im Zusammenhang mit der Erkenntnisentwicklung des menschlichen Geistes eine besondere Bewußtseinsstufe bezeichnet. […] Entstehen und Vergehen der Dinge im Universum [sind] ebenso wie das Universum selbst nichts anderes als der ewige Prozeß des sich – im Yin und Yang genannten Rhythmus – verdichtenden und zerstreuenden Qi, das – selbst unzerstörbar und unvergänglich – von der Ebene des Unsichtbaren zur Ebene des Sichtbaren und vice versa wechselt, ebenso wie Wasser, ohne sich in seinem Wesen zu ändern, vom flüssigen zum festen und vom festen zum flüssigen Zustand übergeht.« Ommerborn 1996: 63 f. 308 Mark Csikszentmihaly zufolge bezeichnet te/de die Projektion des formlosen Dao, die individuellen Eigenschaften von Objekten, die sich aus dem tao/dao gebildet haben und die Manifestation des tao/dao in der materiellen Welt. Cf. Csikszentmihalyi 2008: 354. Der Begriff shen entstand Catherine Despeux zufolge aus dem ursprünglichen Sinn von »Göttlichkeit« und äußerem und innerem »Geist« und bezeichnete eine Kraft, deren Konnotationen die der psychischen Essenz und sogar der »Seele« einschließen: »To some extent, shen applies to anything that exists within the cosmos but has no material aspect, such as deities and human thought.« Despeux 2008: 562 f. Zum Zusammenhang von Qi und De siehe Ommerborn 1996: 117. 306 307

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gestellt werde. 309 Dabei wurden unter den Voraussetzungen der chinesischen Naturauffassung Entwicklungen innerhalb der buddhistischen Lehre initialisiert, die nicht nur den Tieren und Menschen, sondern in gleicher Weise auch der Gesamtheit der belebten und unbelebten Natur die immanente Realpräsenz letzter Wirklichkeit attestierten. Einen ersten Schritt auf dem Weg zu dieser holistischen Wende des Buddhismus vollzog dabei der Mönch Tao-Sheng/Daosheng (ca. 360–434 n. Chr.), der die Ansicht vertrat, dass ausnahmslos alle empfindungsfähigen Wesen – inklusive der icchantikas – tatsächlich die Buddha-Natur besäßen. 310 In der Folgezeit differenzierte der Mönch Ching-ying Hui-yüan/Jingying Huiyuan (523–592) diese Position weiter aus, indem er zwischen einer latenten Buddha-Natur und einer durch spirituelle Praxis bewusst aktualisierten Buddha-Natur unterschied. Während Erstere als metaphysischer Grund der gesamten belebten und unbelebten Natur immaniere, die somit in einem gewissen Sinn implizit an der Buddhaschaft partizipiere, war Letztere den empfindungs- und erfahrungsfähigen Wesen vorbehalten. 311 Zuvor hatte bereits Seng-chao/Sēngzhao (374–414 n. Chr.) in seinem Pu-chen kʾ ung lun/Bu zhen kong lun einen solchen metaphysischen Grund als Basis des Erkennens und der gesamten Erscheinungswelt postuliert, indem er die Leerheit des Selbst mit der Leerheit der Dinge identifiziert hatte: [T]he Perfect Man […] identifies with the self-voidness of the myriad things. Thus things cannot hinder his spirit-intelligence. Therefore, when the Holy Man, mounted on Absolute Mind, conforms to the principles, there is no obstacle that he does not pass through. Because he discerns the One Energy and so views the transformations, he accords with what he meets. Because there is no obstacle that he does not pass through, he can merge into the multiplicity and reach simplicity.

Cf. Barnhill 2005: 16 f. Cf. Lai, W. 1982; Liebenthal 1956; Liu 1989. 311 »Jingying Huiyuan stressed a common ›ground‹ (Ch. tudi, Jp. tochi) encompassing all things, sentient and insentient, but he also focused on the difference between having Buddha-nature as a possession, which is relevant for all kinds of beings, and knowing one has it, which is primarily available to humans, although this quality can also be applied to other sentient but not insentient beings.« Heine 2014: 122. Cf. Sharf 2014: 160. Näheres zu Jingying Huiyuan bei Repp 2005: 64–69. Cf. Liu 1982b; Liu 1984. 309 310

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[…]. So things and myself have the same root; affirming and denying are the One Energy. 312

Diese Tendenzen kulminierten in den Lehren des Hauptexponenten der chinesischen Madhyamaka-Schule (san-lun-tsung/san-lun-zong) Chi-tsang/Jizang (549–623), des dritten Patriarchen der Hua-yenSchule Fa-tsang und des sechsten Patriarchen der chinesischen Tʾ ien-tʾ ai-Schule Chan-jan/Zhanran (711–782), die ausdrücklich auch den Pflanzen und der anorganischen Natur die Buddha-Natur beilegten. 313 Chi-tsang, der sich zur Stützung seiner These auf indische Quellen, wie die Vision von Maitreyas Palast (kūṭāgāra) aus dem Gaṇḍavyūha-Sūtra, einen Passus aus dem SāgaramatiParipṛcchā aus dem Mahāsaṁnipāta, das Āyuṣparivarta-Kapitel aus dem Mahāyāna-Mahāparinirvāṇa-Sūtra sowie den Vimalakīrtinirdeśa beruft, legt auch einen Vers aus Vasubandhus ViṁśatikāVijñaptimātratāsiddhi (vijñaptimātram evedam: Alles dies ist reines Wissen/Bewusstsein) dahingehend aus. Der tiefere Sinn dieser aus Sūtras und Śāstras kompilierten Stellen besteht Chi-tsangs Interpretation zufolge in der Lehre der Nondualität von Subjekt und Objekt, bzw. der Nondualität der bewussten Wesen und der »Gräser und Bäume«, die hier pars pro toto für die gesamte unbewusste und unbelebte Natur stehen. Alles partizipiert an der zweiheitlosen tathatā, die wie der leere Raum vorgestellt wird und darüber hinaus mit der universalen Buddha-Natur identifiziert wird: »These passages explain that, within principle, all the dharmas are non-dual in terms of subject and object. Because of the non-duality of subject and object, if sentient beings have the Buddha-nature, then grasses and trees also have Buddha-nature.« 314 Pu-chen kʾ ung lun (Taishō 45:152a). In: Robinson, R. 1976: 222. Cf. Chen 2011; LaFleur 2000; Liu 1997: 160–187; Poceski 2005. Zahlreiche Belegstellen aus der Chʾ an-Tradition finden sich bei Schmithausen 2009: 264–275 und Sharf 2014: 161–167. 314 Ta-sheng hsüan lun (Taishō 46: 1853. 12–15). In: Koseki 1980: 24. Eine ausführliche Diskussion dieser und weiterer Stellen findet sich bei Schmithausen, der Chitsangs Interpretation und die Annahme, dass sich die Theorie der universalen Buddha-Natur bereits im indischen Buddhismus nachweisen lasse, folgendermaßen bewertet: »[T]he passages adduced from Indian sources in support of an Indian origin of the idea of the ›Buddha-nature of grasses and trees‹ are either inconclusive or, at best, based on presuppositions alien to early Buddhism, and hence cannot serve as evidence for an undercurrent connecting the Far Eastern developments with the early period. […] such a comparison is also improbable from the perspective of a structural comparison.« Schmithausen 2009: 327. 312 313

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Während Fa-tsang auf der Ebene relativer Wahrheit bei der Soheit zwischen der Buddha-Natur bewusst empfindungsfähiger Wesen und dem wahren Wesen der (unbewussten) Gegebenheiten (dharmatā) unterscheidet, schließt er eine solche Distinktion zwischen »bewusst« und »unbewusst« für die Ebene der Buddhaschaft jedoch aus, wodurch er in letzter Konsequenz die Soheit mit der Buddha-Natur identifiziert. 315 Das organische und anorganische Universum sei in seiner Totalität als kosmischer Feldkörper des Buddhas (kṣetrakāya) zu begreifen und verehrungswürdig, weil es seinem Wesen nach die letzte Wirklichkeit selbst sei. 316 Analoge Argumente finden sich unter Berufung auf das Avataṃsaka-Sūtra auch bei Chan-jan: The ten thousand things are Suchness because [in essence] they are immutable. Suchness is the ten thousand things because it responds to conditions. If you believe that insentient things lack Buddha-nature, wouldn’t that amount to saying that the ten thousand things do not partake in Suchness? 317 The individual of the perfect [teaching] knows, from beginning to end, that the absolute principle is non-dual, and that there are no objects apart from mind. Who then is sentient? What then is insentient? Within the Assembly of the Lotus there are no differences. 318

Auch Shuichi Yamamoto beruft sich in seiner Grundlegung einer buddhistischen Ökologie explizit auf Chan-jan, der in seinem »Tor der zehn Nicht-Zweiheiten« (shih-pu-erh-men/shi-bu-er-men) insgesamt zehn verschiedene Formen der Nondualität voneinander unterscheidet (chin. ju-shih; jap. nyoze), darunter die Nondualität von Welt und Lebewesen (chin. i-cheng pu-erh-men; jap. eshō-funimon). 319 Yamamoto bezieht sich in seiner weiteren Argumentation Cf. Schmithausen 2009: 257 Cf. Schmithausen 2009: 236. 317 Chin-kang-pei-lun (Taishō 46: 1932. 782c19–21). In: Schmithausen 2009: 260. 318 Chin-kang-pei-lun (Taishō 46: 1932. 785b8–9). In: Sharf 2014: 161. 319 Die zehn Formen sind im Einzelnen (1) die Nondualität von Materie und Geist (chin. sh-hsin pu-erh-men; jap. shikishin-funimon); (2) die Nondualität des Inneren (Objektes) und des Äußeren (Objektes) (chin. nei-wai pu-erh-men; jap. naige-funimon); (3) die Nondualität von Aposteriori und Apriori (chin. hsiu-hsing pu-erh-men; jap. shusho-funimon); (4) die Nondualität von Ursache und Wirkung (chin. yin-kuo pu-erh-men; jap. inga-funimon); (5) die Nondualität von Farbe (Laster) und Reinheit (Tugend) (chin. jan-ching pu-erh-men; jap. senjō-funimon); (6) die Nondualität von Welt und Lebewesen (chin. i-cheng pu-erh-men; jap. eshō-funimon); (7) die Nondualität von Selbst und Anderen (chin. tzu-tʾ a pu-erh-men; jap. jita-funimon); (8) die 315 316

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auf eine spezifische Variante der Yogācāra-Lehre, die davon ausgeht, dass es nur das je eigene ālayavijñāna ist, das zugleich als Sinnesorgan und externes Objekt transformiert (vijñāna-pariṇāma) erscheint und sich somit selbst zur objektiven Grundlage (ālambana) der Wahrnehmung wird, was wiederum bedeutet, dass sich die intersubjektive Gemeinwelt (bhājana-loka) nur aufgrund von kollektivem und gleichgestaltigem karma (sādhāraṇa) konstituiert und ökologischen Problemen unter den Voraussetzungen der Yogācārins durch den Einfluss der Umweltbewegung (Reform from the Social Dimension) auf das Speicherbewusstsein und Formen der Selbstkultivierung (Reform from the Religious Dimension) begegnet werden könne. 320 Diese Vorstellung findet sich bereits explizit im Dharmator des Ruhens und der Kontemplation im großen Fahrzeug (ta-sheng chih-kuan fa-men/dasheng zhiguan famen) des Ch’an-Meisters und dritten Tʾ ien-tʾ ai-Patriarchen Nan-yüeh Hui-ssu/Nanyue Huisi (515–577 n. Chr.) und lässt sich über die Yogācārabhūmi und einen Passus aus dem Aṅguttara-Nikāya (I 159–160) bis auf den kosmogonischen Bericht aus dem Aggañña-Sutta des Dīgha-Nikāya zurückführen: »When the common karma of all sentient beings becomes more and more excellent, the earth (= the environment) changes [for the better]; when it becomes worse and worse, the earth also changes [for the worse].« 321 Auf diese Weise wäre die Natur allerdings auf ein bloßes Epiphänomen bewusster Wesen reduziert, weshalb Yamamoto den Kern Nondualität der drei Tätigkeiten des Körpers, der Rede und des Geistes (chin. san-yeh pu-erh-men; jap. sangō-funimon); (9) die Nondualität des Zeitlichen und des Wahren (chin. chʾ üan-shih pu-erh-men; jap. gonjitsu-funimon) und (10) die Nondualität des Empfängers (des Heilsbedrüftigen) und des Regens (der Heilsbotschaft) (chin. shoujun pu-erh-men; jap. junin-funimon). Cf. Petzold 1982: 291 f. Eine ausführliche Studie der Philosophie der Nondualität im Tʾ ien-tʾ ai-Buddhismus wurde vorgelegt von Ra 1988. 320 »Because the objective world and the subjective world are nondual, one’s improvement enables the improvement of its environment. Here, a principle of environmental improvement in Buddhism is recognized.« Yamamoto, S. 2003: 244 f. Reform from the Social Dimension: »[E]everything one has learned in the environmental movement is imprinted as the name and word seed in the alaya-consciousness.« Yamamoto, S. 2003: 254. Reform from the Religious Dimension: »Buddhism seeks solutions to the environmental problem through religious practices aimed at direct reforms of evil passions and common karma themselves. […] the way of reforming the alaya-consciousness itself is the way of bodhisattva (bosatsu-do).« Yamamoto, S. 2003: 254. 321 Ta-sheng chih-kuan fa-men (Taishō 46: 1932. 652c22–23). In: Schmithausen 2009: 276. Fußnote 836.

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der buddhistische Umweltethik auf insgesamt sechs grundlegende Aspekte festlegt, von denen der fünfte den intrinsischen Wert der Natur pointiert, insofern Yamamoto nicht nur den bewusst empfindungsfähigen Wesen, sondern – ähnlich wie Chan-jan – auch allen belebten und unbelebten Dingen die Buddha-Natur beilegt. 322 Shirō Matsumoto, einer der wichtigsten Repräsentanten des in der Mitte der 1980er Jahre von Noriaki Hakamaya formulierten »Kritischen Buddhismus« (hihan bukkyō), hat diese chinesische Neuerung, die davon ausgeht, dass sich die Buddha-Natur unterschiedslos in der gesamten phänomenalen Wirklichkeit manifestiert, als »Buddha-Nature Manifestation Theory« beschrieben und sie von der ursprünglichen »Buddha-Nature Immanence Theory« indischer Provenienz unterschieden, der zufolge die Buddha-Natur auf bewusst empfindungsfähige Wesen beschränkt bleibt. 323 Erstere sei eine genuin chinesische Innovation, die von Seng-chao unter taoistischem Einfluss in den Buddhismus eingetragen worden sei. So finde sich in seinen Schriften eine fast identische Passage aus dem Chuang-tzu/Zhuangzi des gleichnamigen taoistischen Meisters (4./3. Jh. v. Chr.), die ein holistisches Verständnis der tathāgatagarbha-Lehre suggeriere. 324 322 Die sechs Aspekte sind (1) das Prinzip der Symbiose (principle of symbiosis), worunter Yamamoto den Lehrsatz vom Entstehen-in-gegenseitiger-Abhängigkeit (pratītya-samutpāda) versteht, den er ähnlich anachronistisch auslegt wie Macy: »Everything is somehow connected.«; (2) das Prinzip des Kreislaufs (principle of circulation) repräsentiert die dysteleologische Natur- und Gesellschaftsauffassung des Buddhismus, die Yamamoto zufolge das Verantwortungsgefühl für das eigene Selbst in der Zukunft und für kommende Generationen stärkt; (3) mit der Anerkennung der Welt (perspective of recognition of the world) betont Yamamoto nochmal die buddhistische Lehre der Interdependenz allen Seins, bzw. die Nondualität von Geist und Körper, Selbst und Anderen, Menschheit und Ökosystem; (4) das Verhältnis von Subjekt und Umwelt (relationship of subject and the environment) ist nondual, i. e. es bestimmt sich einer buddhistischen Ökologie zufolge als »life-centric«, ist dabei aber gleichzeitig nicht anthropozentrisch (anthropo-independent); (5) der intrinsische Wert der Natur (intrinsic value of nature) besteht in ihrer Buddha-Natur, womit die buddhistische Umweltethik auch auf alle unbelebten Dinge ausgeweitet wird; (6) die Rechte der Natur (the rights of nature) werden hervorgehoben: »[H]uman rights are based upon the rights of nature.« Yamamoto, S. 2001: 168 f. 323 Cf. Matsumoto 2002: 364–362 (Die Seitenzählung verläuft rückwärts). In einem weiteren Beitrag hat Matsumoto die gesamte tathāgatagarbha-Lehre als buddhistische Variante der brahmanischen ātman-Lehre zurückgewiesen, die einen oberflächlichen Egalitarismus lehre, dabei aber nur den Status-quo konsolidiere und damit letztlich zur Legitimation und Verfestigung sozialer Ungerechtigkeit beitrage. Cf. Matsumoto 1997. 324 Cf. Ess 2011: 30 ff. Schmithausen übersetzt beide Passagen folgendermaßen: »[H]

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Schmithausen hat im kritischen Anschluss an Matsumoto dafür plädiert, diese heuristische Unterscheidung weiter zu differenzieren, um die Heterogenität und die subtilen Unterschiede innerhalb der verschiedenen Ansichten hervorzuheben, die Matsumoto unter dem Einheitlichkeit insinuierenden Namen »Buddha-Nature Manifestation Theory« subsumiert. 325 So müsse ausreichend differenziert werden zwischen der Vorstellung, dass (1) unbewusst und empfindungslos Seiendes nur im Kontext der Erleuchtung bewusster Wesen und gemäß der Vorstellung radikaler Nondualität letzter Wirklichkeit (tathatā) sozusagen mit erleuchtet werde und (2) der späteren, japanischen Innovation des Tendai-Meisters Godaiʾ in Annen (841–889/ 915), dem zufolge auch Pflanzen je individuell bodhicitta kultivieren und aufgrund spiritueller Praxis die Erleuchtung verwirklichen können, wie es auch ein nachträglich Ryōgen (912–985) zugeschriebener Text der Tendai-Schule unmissverständlich zum Ausdruck bringt: »Grasses and trees already have the four aspects of emergence, abiding, change, and extinction. These are [respectively] the awakening of aspiration, the cultivation of practice, the [realization of] enlightened wisdom (bodai), and the nirvāṇa of grasses and trees. How could they not belong to the category of sentient beings?« 326 eaven and earth have the same root as myself, all things have the same essence as myself« (Seng-chao); »Heaven and earth are born together with me, and all things are one with me.« (Chuang-tzu). Schmithausen 2009: 246. 325 Cf. Schmithausen 2009: 245–249. 326 Sōmoku hosshin shugyō jōbutsu ki. In: Dai Nihon Bukkyō zensho 24:345a. In: Stone 2003: 30. Näheres zur Buddhismusinterpretation Annens bei Dolce 2011; Dolce/Mano 2011; Sueki 1994. Der italienische Japanologe Fabio Rambelli hat den japanischen Diskurs dabei in drei unterschiedliche Positionen unterteilt und zwischen Ökosophie (ecosophia), Ökognosis (ecognosis) und Ökopietas (ecopietas) unterschieden. Die Ökosophie entspricht der Position Hui-yüans und differenziert zwischen der latenten Buddha-Natur, die als metaphysischer Grund prinzipiell auch der unbelebten Natur immaniert (ri busshō) und der Buddha-Natur, die allein durch bewusste Wesen in der Praxis aktualisiert werden kann (gyō busshō): »Only in this sense can plants ›become buddhas.‹ In addition, they play no direct role in the salvation of sentient beings.« Rambelli 2001: 11. Die Ökognosis beruht auf der Annahme, dass auch nicht empfindungsfähige Wesen wie Gräser, Pflanzen und Bäume mit der Buddha-Natur ausgestattet und zu spiritueller Praxis fähig sind, sodass sie je individuell die Erleuchtung erlangen und die Buddhaschaft verwirklichen können. Das von Annen gelehrte Buddhawerden der Pflanzen besteht Schmithausen zufolge »ganz einfach darin, daß sie ihren natürlichen Lebenszyklus durchlaufen und sich auf diese Weise gewissermaßen ohne aufzubegehren in die Natur des Daseins, die dharmatā, einfügen.« Die Vorstellung der Jainas, »Pflanzen seien von Natur aus aktuell empfindungsfähig, besäßen also je ihre eignen (wenn auch rudimentären) geistigen Regungen«, habe An-

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Die Ursprünge der »Buddha-Nature Manifestation Theory« können allerdings nicht nur auf taoistischen Einfluss und die Lehre der Nondualität allein zurückgeführt werden, sondern müssen auch im Kontext einer gnoseologischen Kontroverse indischen Ursprungs betrachtet werden, wie sie in ihren historischen und systematischen Grundzügen von Paul Demiéville (1894–1979), Erich Frauwallner (1898–1974), Whalen Lai, Michael Radich und Yoshifumi Ueda nachgezeichnet wurde. 327 Dabei handelt es sich um eine der grundlegendsten Fragen der buddhistischen Erkenntnislehre überhaupt, die allerdings erst im China des 6. und 7. Jahrhunderts zu einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen der von Paramārtha (ch. Chênti/Zhendi; jap. Shindai, 499–569) begründeten Shelun-Schule und der mit den Lehren Hsüan-tsangs assoziierten Fa-hsiang-/FaxiangSchule des Yogācāra-Buddhismus geführt hat und von den buddhistischen Mönchen Wŏn’gwang (542–640 n. Chr.) und Woncheuk (613–696 n. Chr.) nach Korea übertragen wurde. Es handelt sich Frauwallner zufolge dabei um die Frage, »ob als Grundlage des Erkennens und der gesamten Erscheinungswelt das fleckenlose Erkennen (amalavijnānam) oder das Grunderkennen (ālayavijnānam) anzusehen ist.« 328 Die Lehre vom amalavijñāna (ch. amoluoshi) wird in der Regel mit dem indischen Pilgermönch und China-Missionar Paramārtha identifiziert, der neben Kumārajīva und Hsüan-tsang zu den berühmtesten Übersetzern indischer Sūtras ins Chinesische zählt. Die Ursprünge der Auseinandersetzung gehen allerdings auf die buddhistischen Missionare und Yogācārins Bodhiruci und Ratnamati zurück, die bereits im Jahre 508 n. Chr. von Indien nach China gekommen waren. Anhand ihrer Übersetzungen von Vasubandhus Daśabhūmikaśāstra lässt sich nachweisen, dass Bodhiruci die Ansicht vertrat, das nen hingegen ausdrücklich abgelehnt. Schmithausen 2004: 12. Dazu auch Findly 2002. Die Ökopietas liegt hingegen außerhalb des philosophischen Diskurses und bezieht sich auf den animistischen Glauben, den Rambelli mit dem traditionell japanischen Nō-Theater und den shintōistischen kami – geistigen Kräften, die der belebten und unbelebten Natur immanieren und gewissen Gegenständen und Orten innewohnen können – identifiziert: »[E]copietas has to do with popular, widespread beliefs and attitudes about the sacredness of the natural world and material objects in general.« Rambelli 2001: 3. 327 Cf. Demiéville 1929; Frauwallner 1951; Lai, W. 1977; Radich 2008; Radich 2016; Ueda, Y. 1967; Williams 2010: 99 f. und 310 f. 328 Frauwallner 1951: 148. Näheres zur Yogācāra-Rezeption in Korea bei Hyung-keun 1991.

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(individuelle) ālayavijñāna sei die Grundlage des Erkennens, während Ratnamati für die (überindividuelle) tathatā plädierte. Paramārtha, der 546 n. Chr. als buddhistischer Missionar nach China kam und aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sāṃmitīya-Schule gehörte, die eine Form des buddhistischen Personalismus (pudgalavāda) lehrte, vertrat in dieser Frage die Position Ratnamatis und lehrte, dass nicht das ālayavijñāna, sondern das amalavijñāna das Substrat des Erkennens und der phänomenalen Welt sei. 329 Der Streit wurde im chinesischen Buddhismus schließlich im 7. Jahrhundert durch Hsüantsang und die Fa-hsiang-/Faxiang-Schule zugunsten des ālayavijñāna entschieden, die Wahlen Lai zufolge in dieser Kontroverse die authentische, i. e. indische Position vertraten. 330 Hsüan-tsang hatte als buddhistischer Pilgermönch aus China auf seinen Reisen entlang der Seidenstraße auch die indische Klosteruniversität Nālanda besucht, wo er die Yogācāra-Lehre Dharmapālas, einem Schüler Dignāgas (480–540 n. Chr.), kennen gelernt hatte, auf den Frauwallner die Lehre vom ālayavijñāna zurückführt. Die Lehre vom amalavijñāna sei hingegen auf Guṇamati zurückzuführen, der aus Nālanda nach Valābhi in Kāṭhiāvār gezogen war, um dort seine eigene Schule zu gründen, deren berühmtester Vertreter sein Schüler Sthiramati wurde. Frauwallner berichtet von einem Gegensatz der beiden Schulen, auf den er die disparaten Ansichten über das amalaund ālayavijñāna zurückführt. Während Sthiramati, der in Valābhi lehrte, nachgesagt wurde, den alten Meistern (pūrvācāryā) zu folgen, wurde Dharmapāla, der in Nālanda lehrte, eine fortschrittlichere Lehre attestiert. Die Lehre des amalavijñāna stammt Frauwallner zufolge aus der Schule von Valābhi: »Und tatsächlich ist ihr Hauptvertreter, Paramārtha, im benachbarten Mālava zu Hause.« 331 329 Da die Buddhisten den ātman als Träger der Wiedergeburten leugneten, mussten sie erklären, wer oder was im saṃsāra eigentlich wandert. Die Vatsīputrīyas/ Sāṃmitīyas behaupteten das Vorhandensein einer »Person« (pāḷi puggala; skt. pudgala), die im Kreislauf des Wiedertods (punarmṛtyu) wandert. Näheres zum Pudgalavāda-Hintergrund Paramārthas bei Radich 2016: 262–266. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls bemerkenswert, dass Paramārtha nur ein nicht-buddhistisches Werk übersetzt hat, i. e. die Sāṅkhyakārikā und seine Lehre vom amalavijñāna somit möglicherweise auch vom Sāṅkhya-Konzept des puruṣa als dem rein erkennenden Geistprinzip und Subjekt (dṛaṣṭṛ) beeinflusst war. Cf. Radich 2016: 267 f. 330 Cf. Lai, W. 1977: 79. 331 Frauwallner 1951: 149. Diana Y. Paul hat Frauwallners Theorie in einem späteren Artikel bestätitgt: »The Chinese Buddhist schools of Yogācāra tended to fall into two categories: (1) those who claimed that Suchness (Tathatā) or reality is the basis for

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Paramārtha selbst diskutiert die Lehre vom amalavijñāna (chin. amoluoshi), deren Grundzüge gemäß der von Frauwallner rekonstruierten Übertragungslinie über Sāramati, Maitreyanātha, Guṇamati, Sthiramati und Ratnamati auf Paramārtha gekommen war, in vier seiner Texte, die noch erhalten sind, i. e. Chüeh-ting tsang lun/Jueding zang lun, Shih pa kʾ ung lun/Shiba kong lun, Chuan-shih lun/ Zhuanshi lun und San wu-hsing lun/San wuxing lun. 332 Im Shih pa kʾ ung lun identifiziert Paramārtha das amalavijñāna mit prakṛtiprabhāsvaracitta – dem von Natur aus (prakṛti) leuchtenden (prabhāsvara) Bewusstsein (citta) aus dem Pāḷi-Kanon – und dharmadhātu – dem höchsten Sein und Element aller Gegebenheiten. 333 Diese Identifikation lässt sich bereits im Ratnagotravibhāga nachweisen, in dem das prabhāsvaracitta fernerhin mit der Buddha-Natur (tathāgatagarbha) und dem dharmakāya gleichgesetzt wird. 334 Im Verlauf des Textes identifiziert Paramārtha das amalavijñāna fernerhin mit der Leerheit (śūnyatādhātu) und der Soheit (tathatā), sodass sich eine Gleichungsreihe des amalavijñāna mit den Äquivalenten prakṛtiprabhāsvaracitta, dharmadhātu, tathāgatagarbha, dharmakāya, śūnyatādhātu und tathatā ergibt. 335 Michael Radich interpretiert den Inhalt der Lehre des amalavijñāna auf Grundlage der Texte daher als »an identification of the truest pure substance of mind with the truest substance of all things.« 336 changes in the world and (2) those who claimed that it is the mind which, in its eighth mode or function as the ālayavijñāna, serves as the basis for changes in the world. Paramārtha belongs to the first category whereas Hsüan-tsang and K’uei-chi belong to the second. Their indian counterparts would be the Nālandā school represented by Dharmapāla and the Valabhī school represented by Sthiramati.« Paul, D. 1981: 314. 332 Radich weißt darauf hin, dass sich in den Paramārtha zugeschriebenen Schriften tatsächlich zwei unterschiedliche Lehren vom amalavijñāna finden. Ich beschränke mich im Folgenden auf diejenige Version, die Radich aus dem Shiba kong lun, Zhuanshi lun und San wuxing lun rekonstruiert. Cf. Radich 2016: 251 f. 333 Umfangreiche Textbelege für prakṛtiprabhāsvaracitta finden sich bei Radich 2016: 256–262, 268–279. 334 »Question: How can it be ascertained that the dharma-realm (dharmadhātu) is neither pure nor impuire? Answer: Amalavijñāna is the aboriginally pure [Skt. ›luminous‹] mind (prakṛtiprabhāsvaracitta). It is only because it is tainted by adventitious dirt that we speak of it as ›impure‹ ; because of adventitious dirt, [that is] we establish that it is [also] impure.« Shiba kong lun (Taishō 1616:31. 863b06–21). In: Radich 2008: 74 f. 335 Cf. Radich 2008: 76. 336 Radich 2008: 76. Eine ausführliche Darstellung der Lehre Paramārthas wurde vorgelegt von Paul, D. 1984. Cf. Radich 2014. Eine Analyse des amalavijñāna, wie es im

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Als Ursachen für die holistische Wende innerhalb des Buddhismus und die Ursprünge der »Buddha-Nature Manifestation Theory« können also mindestens drei Faktoren genannt werden: (1) Taoistische Einflüsse und das chinesische Naturverständnis, (2) die systemimmanente Logik spezifischer Yogācāra-Lehren, wie die Lehre der Nondualität letzter Wirklichkeit sowie (3) die damit zusammenhängende Frage, ob das individuelle ālayavijñāna oder die überindividuelle tathatā als Grundlage des Erkennens und der gesamten Erscheinungswelt anzusehen ist. Jacqueline I. Stone hat den unter ökologischen Gesichtspunkten zentralen Aspekt der Sinisierung des Buddhismus und der holistischen Wende insgesamt treffend als Prozess der Aufwertung der phänomenalen Welt beschrieben: »[S]ince principle and phenomena are seen as nondual, and this nonduality is expressed in every particular form, the Hua-yen and T’ien-t’ai totalistic visions also entailed a reconception of the empirical world. No longer was it the product of delusion or a place of suffering to be escaped, but the very realm where truth is to be realized and liberation achieved.« 337 Diese Entwicklung hatte bereits Hajime Nakamura (1912–1999) in seiner einflussreichen Arbeit Ways of Thinking of Eastern Peoples. India, China, Tibet, Japan (1964) detailliert rekonstruiert. Demnach zeichne sich das Denken indischer Philosophen durch die Betonung des Allgemeinen, eine in der Sprache sedimentierte Präferenz für das Negative, das Denken der Einheit und des Einen, die damit einhergehende Minimierung des Individuellen und Partikularen sowie eine Entfremdung von der Natur und eine allgemeine Tendenz zur Transzendierung der phänomenalen Wirklichkeit aus, während chinesisches Denken die Wahrnehmung des Konkreten und Partikularen betone, sich durch eine Vorliebe für komplexe Mannigfaltigkeit und eine allgemeine Wertschätzung der Natur und die Betonung ihrer Harmonie auszeichne. In Japan seien diese Tendenzen dann in einer streng immanentistischen Denkweise kulminiert, deren radikaler Phänomenalismus die Natur als das Absolute verehre. 338 Innerhalb Japans und als Kulminationspunkt einer Entwicklung des buddhis-

Vajrasamādhi-Sūtra beschrieben wird, findet sich bei Buswell 1989. Zur Kritik am amalavijñāna durch Chih-i/Zhiyi (538–597 n. Chr.) – den Begründer der Tʾ ien-tʾ aiSchule – siehe Kantor 1999: 192. 337 Stone 2003: 10. 338 Cf. Nakamura 1968.

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tischen Prozessdenkens hin zu einer radikalen Form des Phänomenalismus sei vor allem Dōgen ein paradigmatisches Beispiel: This way of thinking with emphasis upon the fluid, arresting character of observed events regards the phenomenal world itself as Absolute and rejects the recognition of anything existing over and above the phenomenal world. […]. Dōgen meant to say that the truth which people search for is, in reality, nothing but the world of our daily experience. […]. For Dōgen, therefore, the fluid aspect of impermanence is in itself the absolute state. The changeable character of the phenomenal world is of absolute significance for Dōgen. 339

Loys Natur- und Buddhismusverständnis ist nur vor dem Hintergrund dieser historischen Genese verständlich und religionsgeschichtlich einzuordnern, in deren Verlauf die phänomenale Wirklichkeit (saṃsāra) als solche mit der letzten Wirklichkeit des nirvāṇas und nicht nur ihrem Wesen nach identifiziert wurde, wie dies im indischen Mahāyāna-Buddhismus der Fall war. Dort waren »die Phänomene als Phänomene, die Welt als Welt« Schmithausen zufolge »nicht die wahre Wirklichkeit, sondern, wenngleich letztlich eine Illusion, unheilhaft.« 340 Es ist genau diese in letzter Konsequenz welttranszendierende und negative Naturauffassung der kanonischen Texte des indischen (Mahāyāna-)Buddhismus, die Loy im Geiste einer für den ostasiatischen Buddhismus insgesamt charakteristischen Affirmation der Natur und phänomenalen Wirklichkeit als essentielle Grundlage eines zukunftsfähigen und ökologisch verantwortlichen Buddhismus explizit und dezidiert ablehnt. Auf diese im chinesischen und japanischen Kulturraum vollzogenen Neubestimmung der Naturauffassung des Buddhismus beruft sich Loy auch ausdrücklich selbst, für den der Buddhismus in dieser Hinsicht zudem von der Spezifik klimatischer Kontexte abhängig ist, was als ein vierter Grund für die holistische Wende angeführt werden kann: »The Indian preference for abstract, negative universals and transtemporal otherworldliness is at the opposite end of the spectrum from Chinese (and Japanese) pragmatism, which favors particular phenomena and the pattern of their transformation. For example, the Chinese love of nature and their desire to unite with it (as expressed in poetry and painting) must be contrasted with Indian alie-

339 340

Nakamura 1968: 350 ff. Schmithausen 1999: 258.

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nation from nature, which, given Indian geography and climate, was perhaps inevitable.« 341

11.4.5. Loving the World as our own Body: Loys Öko-Dharma Für Loy zählt Aldo Leopolds A Sand County Almanac (1949) zu den maßgeblichen Klassikern der Umweltschutzbewegung, die einen grundstürzenden Wertewandel zugunsten eines stärkeren Umweltbewusstseins eingeleitet haben. Die Ausweitung ethischer Werte auf andere Bereiche, die bisher ihrer Zweckmäßigkeit nach beurteilt wurden, war für Leopold ein natürliches Ergebnis der ökologischen Evolution. Als er die »Land-Ethik« verfasste, gab es noch keine Ethik, die sich mit der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt und den darin lebenden Tieren und Pflanzen auseinandersetzte. Das Land galt damals – so wie auch heute noch – fast uneingeschränkt als Besitz, der mit Vorrechten, aber nicht mit Verpflichtungen einhergeht. Diese rein ökonomische Beziehung des Menschen zum Land auf eine ethische auszuweiten, sah Leopold als entwicklungsgeschichtliche Möglichkeit und ökologische Notwendigkeit, deren Realisierung er in der Naturschutzbewegung seiner Zeit keimhaft verwirklicht sah. Gab es einmal eine Zeit, in der die Sklaven noch als Besitz betrachtet wurden und die Erkenntnis der Unrechtmäßigkeit der Sklaverei über die Zeit für die meisten Menschen zu einer gefühlten Selbstverständlichkeit wurde, sollte auch die Land-Ethik und Umweltgerechtigkeit idealerweise zu einem menschlichen Gemeinschaftsinstinkt heranwachsen. Die Basis einer jeden Ethik sah Leopold in der zugrunde liegenden Idee der Gesellschaft gegeben, als deren Mitglied sich ein Einzelwesen versteht. Mit der Land-Ethik wollte Leopold die Grenzen des Gemeinwesens erweitern und Böden, Gewässer, Pflanzen und Tiere, also das ganze »Land« mit einschließen und damit die Rolle des Menschen vom Eroberer der Landgemeinschaft zu einem einfachen Mitglied und Bürger in ihr wandeln. 342 Für Loy hat Leopold auf diese Weise grundlegende Vorurteile der anthropozentrischen Weltsicht kritisiert, die tief im Bewusstsein des Menschen verankert seien, weshalb seine revolutionäre Arbeit aufgrund ihrer Radikalität eine Generation lang nicht angemessen 341 342

Loy 1997a: 271. Cf. Leopold 1989: 203 f.

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beachtet und gebührend rezipiert worden sei. Loy legt diese Annahmen über die natürliche Welt, den Menschen und das Verhältnis zwischen beiden auf insgesamt vier Propositionen fest, denen zufolge (1) der Mensch sich qualitativ von allen anderen Lebensformen auf der Erde unterscheidet, denen er grundsätzlich überlegen ist und über die er eigennützig herrscht; (2) der Mensch Herr seiner selbst ist, insofern er beliebig Ziele wählen und lernen kann, alles zu tun, was notwendig ist, um sie zu erreichen; (3) die entfremdete Welt eine frei verfügbare Ansammlung natürlicher Ressourcen ist, die vom Menschen beliebig ausgebeutet, vernutzt und ggf. durch technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt substituiert werden können und (4) die Geschichte der Menschheit eine Geschichte des Fortschritts ist, insofern es für jedes Problem eine Lösung gibt und der Fortschritt daher niemals enden muss. 343 Diese Position des moralischen Anthropozentrismus sei nicht mehr nur allein bestimmend für die Mentalität des Westens, sondern habe sich zu einer globalen Weltanschauung ausgewachsen. Innerhalb der westlichen Geistesgeschichte seien zudem nur wenige Alternativen formuliert worden. Zu den oppositionellen Stimmen zählt Loy neben Spinoza und Heidegger im Anschluss an Devall und Sessions die Literaturgattung der Pastorale, in der das Land in einem expliziten oder impliziten Gegensatz zum Städtischen beschrieben wird und andere Strömungen innerhalb der europäischen und amerikanischen Literaturgeschichte, die eine explizite Naturverbundenheit angesichts zunehmender Industrialisierung und Urbanisierung thematisieren. Devall und Sessions beziehen sich hier vor allem auf Dichter wie James Fenimore Cooper (1789–1851), Walter Whitman (1819–1892) oder die US-amerikanischen Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson (1803–1882) und Henry David Thoreau (1817– 1862), die mit ihren öko-zentrischen Ideen zu einer anhaltenden Inspirationsquelle für tiefenökologische Denker geworden seien. 344 Zu den unmittelbaren Vorläufern der Tiefenökologie zählt Loy fernerhin ausgewählte Pioniere und Klassikern der Naturschutzbewegung, wie Cf. Loy 2003a: 187. Cf. Devall/Sessions 1985: 82 ff. Als Beispiel für das Naturverständnis der Transzendentalisten sei hier ein Passus aus Emersons Nature (1836) angeführt: »Standing on the bare ground, – my head bathed by the blithe air, and uplifted into infinite space, – all mean egotism vanishes. I become a transparent eye-ball. I am nothing. I see all. The currents of the Universal Being circulate through me; I am part or particle of God.« Emerson 1836: 13. 343 344

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Silent Spring (1962) von Rachel Carson (1907–1964), das für ihn als historische Zäsur und Initialzündung der weltweiten Umweltbewegung gilt. 345 Ihre Thesen über die fatale Wirkung von Pestiziden und Herbiziden auf die Tier- und Pflanzenwelt und die Auswirkungen chemischer Mittel auf den Menschen lösten weltweit eine massenmediale Debatte über den Naturschutz aus, die überkommene Ansichten über die Umwelt grundlegend erschüttern, entscheidend für ökologische Fragestellungen sensibilisieren und damit das Umweltbewusstsein einer ganzen Generation nachhaltig prägen konnte, weshalb es zu den einflussreichsten und wichtigsten Büchern das 20. Jahrhunderts gezählt wird. 346 Neben den Lehren der Eingeborenen und indianischen Ureinwohner Amerikas ist für Loy nicht zuletzt die Sicht der Schöpfung bei Franz von Assisi (1181/1182–1226) prädestiniert für einen Rückgriff innerhalb der Tradition des Christentums, um eine weniger anthropozentrische Umweltethik und Schöpfungsspiritualität zu begründen. 347 In der Tiefenökologie sieht Loy all diese holistischen Ansätze gebündelt und zu einer zentralen Intuition verdichtet, die er von Warwick Fox übernimmt, der diese bereits 1984 formuliert hatte: This is the idea that there is no firm ontological divide in the field of existence. In other words, the world simply is not divided up into independently existing subjects and objects, nor is there any bifurcation in reality between the human and non-human realms. Rather all entities are constituted by their relationships. To the extent that we perceive boundaries, we fall short of a deep ecological consciousness. 348

Für Loy befinden sich der Buddhismus und die Tiefenökologie damit unverkennbar auf demselben Pfad, der den Anthropozentrismus überschreitet und konsequent zu einem kosmozentrischen Weltbild Cf. Loy 2018: 46. Cf. Taylor, A. 2008: 192–195. 347 Cf. Loy 2008: 104. So bereits Fox, W. 1995: 6 f. Darüber hinaus können Loys Liste noch ökofeministische Arbeiten, wie Land of Little Rain (1902) von Mary Hunter Austin (1868–1934), The Death of Nature: Women, Ecology, and the Scientific Revolution (1980) von Carolyn Merchant sowie Earth Wisdom (1978) von Dolores LaChapelle (1926–2007) hinzugefügt werden. Cf. Austin, M. 2003; LaChapelle 1978 (deutsch: LaChapelle 1990); Merchant 1980 (deutsch: Merchant 1987). 348 Fox, W. 1984: 196. Cf. Loy 2003a: 188. Diese Intuition ontologischer Ganzheit hatte bereits der aus Schottland stammende Naturwissenschaftler und Pionier der Tiefenökologie John Muir (1838–1914) in einem berühmten Passus aus My First Summer in the Sierra (1911) zum Ausdruck gebracht: »When we try to pick out anything by itself, we find it hitched to everything else in the universe.« Muir 1997: 91. 345 346

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führt, in dem die evolutionären und ökologischen Zusammenhänge allen Seins wieder sicht- und lebbar werden. Dennoch sei das systemische Weltbild und die integrale Vision der Ökologie von der universalen Interrelationalität allen Seins aus buddhistischer Perspektive letztlich defektiv, denn es fehle ihr die Radikalität, mit der Nāgārjuna die inhärente Logik des Lehrsatzes vom Entstehen-in-gegenseitigerAbhängigkeit bis zu ihrem konsequenten Ende gedacht habe. Während die Ökologie bei der Einsicht in die universale Interdependenz ontischen Einzelseins stehen bleibe und die Systemtheorie eine komplexe Ganzheit wesenhaft vernetzter, dabei aber in ihrem Einzelsein realer Teile postuliere, gehe Nāgārjuna noch darüber hinaus und zeige, dass die Erkenntnis wechselseitiger Abhängigkeit die Annahme aus-sich-selbst-bestehender Entitäten gerade widerlege und ohne die Realität inhärent existierenden Einzelseins auch keine Relation und somit letztlich auch kein interaktionales Netzwerk mehr denkbar sei. 349 Die realen Entitäten werden zwar nicht mehr isoliert voneinander betrachtet, sondern in ihrem integrativen Gesamtzusammenhang gesehen und die Wirklichkeit nicht mehr als Summe aller Einzelteile, sondern als komplexe Alleinheit wahrgenommen, aber ohne identifizierbare Teile kann auch das systemische Bild hierarchisch geschachtelter Holons, i. e. integrierter Ganzheiten, die wiederum Subsysteme einschließen und von größeren Systemen umschlossenen werden können, nicht mehr konsistent gedacht werden und muss somit der Ebene relativer Wahrheit (saṃvṛti-satya) zugewiesen werden. 350 Für Loy führen die in ihren Ansätzen richtigen Überlegungen der Systemtheorie und Tiefenökologie damit auf seinen eigenen Denkweg zurück: »Again, we end up with Indra’s infinite and interpenetrating net, where each particular jewel is nothing other than a reflection of all the others, and where each particular ›thing‹ is what the whole universe is doing at this place and time.« 351 349 Cf. Loy 2003a: 189. Eine Ausnahme bildet für Loy hier der Tiefenökologe Neil Evernden, der bereits 1978 in einem Aufsatz auf das verkürzte Verständnis der damaligen Ökologie kritisch hingewiesen hat und damit Nāgārjunas Verständnis universaler Interrelationalität zu iterieren scheint: »To the western mind, inter-related implies a causal connectedness. Things are inter-related if a change in one affects the other. […]. But what is actually involved is a genuine intermingling of parts of the ecosystem. There are no discrete entities.« Evernden 1978: 16. 350 Cf. Loy 2003a: 189; Capra 1992. 351 Loy 2003a: 189. Es ist allerdings fragwürdig, ob der von Loy konstruierte Gegensatz wirklich zutrifft, wenn man die Beschreibung des holistischen Quanten-Weltbildes von Hans-Peter Dürr zur Kenntnis nimmt: »Es gibt gar nichts Seiendes, nichts,

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Neben der Vorstellung der prozessualen Einheit der Wirklichkeit hat sich Loy auch mit der Lehre vom Ökoselbst und dessen Aktualisierung im persönlichen Entwicklungsprozess als dem zweiten von King identifizierten Grundgedanken der Tiefenökologie kritisch auseinandergesetzt und die ökofeministische Kritik an der von Næss und anderen Tiefenökologen postulierten Identifikation des Menschen mit der belebten und unbelebten Natur diskutiert. 352 Die australische Ökofeministin Val Plumwood (1939–2008) hat in ihrer Kritik der Tiefenökologie insgesamt drei mögliche Bedeutungen dessen herausgearbeitet, was in der tiefenökologischen Bewegung allgemein unter dem diffusen Begriff »Selbst« firmiere. Demnach könne zwischen den Positionen der Ununterscheidbarkeit (indistinguishability), der Ausweitung (expansion of self) und der Transzendenz (transcendence of self) des Selbst unterschieden werden, die Barnhill als Monismus (monism), ausufernd-hypertrophen Egoismus (magnified egoism) und transzendentalen Holismus (transcendental holism) von Plumwood übernimmt. 353 Die tiefenökologische Lösung für das diskontinuierliche Verhältnis des Menschen zur Ökosphäre besteht Plumwood zufolge in der fatalen Tilgung aller Differenz (»obliterating all division« 354) zugunsten einer differenzlosen Einheit, die jede Umweltethik unmöglich mache, indem sie die für jede Ethik konstitutive Differenz eliminiere. 355 Dem hat Plumwood ein relationales Selbst (self-in-relationship) entgegengestellt, das jede Form des Atomismus vermeide und gleichzeitig die Anerkennung der Interdependenz und Bezüglichkeit des Selbst ermögliche, ohne sich dabei in die Ununterscheidbarkeit der tiefenökologischen Einheit aufzulösen; sowohl Kontinuität als auch Differenz blieben hier gewahrt, während die über Jahrhunderte kulturell geprägte Dichotomie von Altruismus und Egoismus einerseits und die Unterscheidung zwischen maskuliner Trennung und weiblicher Verschmelzung überwunden werde.

was existiert. Die Welt besitzt keine ontische Struktur. Im Grunde existiert nichts, keine Objekte, keine kleinsten, unvergänglichen materiellen ›Teilchen‹. Es gibt nur Verbundenheit, Wandel, Veränderlichkeit, Operationen, Prozesse.« Dürr 2003: 26. 352 Cf. Næss 2017: 225. 353 Cf. Plumwood 1998: 299 f.; Barnhill 2001: 80; Loy 2003a 190. 354 Plumwood 1998: 301. 355 Eine vergleichbare Kritik wurde von Jim Cheney, Freya Mathews, Deborah Slicer und Karen J. Warren angebracht. Cf. Cheney 1987; Mathews 1994; Slicer 1995; Warren 1998.

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Das relationale Selbst biete zudem eine angemessene Grundlage für eine Ethik der Verbundenheit mit und Sorge für andere. 356 Entgegen dem von öko-feministischer Seite wiederholt erhobenen Einwand, Denker der tiefenökologischen Bewegung propagierten einen androzentrischen Begriff differenzloser Einheit, der nicht nur alle Vielheit und Differenz zugunsten eines eigenschaftlosen Monismus depotenziere oder sogar vollständig transzendiere, sondern auch die rationale gegenüber der emotionalen, die rein geistige gegenüber der körperlich-natürlichen, die universale gegenüber der partikularen sowie die maskuline gegenüber der femininen Seite des Menschen bewusst oder unbewusst priorisiere, denkt Loy die Einheit der ökologischen Gemeinschaft von Indras Netz allerdings als nonduale AllEinheit der Gegensätze. 357 Darüber hinaus kritisiert Loy die ökofeministische Polemik, die dem tiefenökologischen Denken der Einheit in keinster Weise gerecht werde. Bereits bei Næss ließen sich zahllose Stellen nachweisen, in denen er die inhärente Relationalität der Einheit betont und damit die ökofeministische Kritik von vornherein gegenstandslos gemacht habe. 358 Die ökofeministische Kritik erweist 356 Cf. Plumwood 1998: 307. Ich bezweifel allerdings, dass Plumwood damit exakt das Verständnis Dōgens iteriert, wie dies Deane Curtin behauptet hat. Cf. Curtin 1994: 210. 357 Cf. Loy 2003a: 190 ff.; Curtin 1994: 211; Barnhill 2001: 80 f. 358 Cf. Loy 2003a: 190 f. So auch Barnhill 2001: 82. Bereits in seinem wegweisenden Aufsatz von 1973 findet sich folgende programmatische Aussage: »Rejection of the human-in-environment image in favor of the relational, total-field image. Organisms as knots in the biospherical net or field of instrinsic relations.« Næss 1995a: 3. In seinem Hauptwerk Ecology, Community and Lifestyle hat Næss zudem im vollen Bewusstseins des Problems betont, dass man es hier mit einer Gratwanderung zu tun habe: Zur linken Seite befinde sich der Ozean mit seinen Bildern organischen Lebens und mystischen Seins, zur rechten Seite der Abgrund des atomistischen Individualismus. Cf. Næss 2001: 165. Es ist daher wenig überzeugend, wenn Deane Curtin Næss’ Lehre vom Ökoselbst im Anschluss an die Lehren Dōgens als Form der ŚreṇikaHäresie kritisiert. Cf. Curtin 1994: 204. Für Curtin gibt es innerhalb des buddhistisch-tiefenökologischen Diskurses nur drei Typen des Selbst: (1) Das atomistischcartesianische Selbst, (2) das holistische Selbst als Form der Śreṇika-Häresie und Ausdruck einer monistischen Metaphysik und (3) das von Plumwood explizierte relationale Selbst, das Curtin mit der Lehre Dōgens assoziiert. Cf. Curtin 1994: 206. Das Selbst, wie es Loy versteht, bildet demnach eine weitere Option: (4) Das relationalholistische Öko-Selbst. Curtin hat ihre Kritik an Næss in einem späteren Artikel korrigiert. Ihre Kritik reduziert sich nun darauf, dass Næss nicht radikal genug sei, i. e. er vertrete im Gegensatz zu Gary Snyder einen Pathozentrismus und keinen genuinen Holismus. Cf. Curtin 2000: 260. Nicht nur die Arbeiten von Næss, sondern auch diejenigen von Gary Snyder, Warwick Fox oder John Baird Callicott dokumentieren

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sich für Loy also als Strohmann-Argument, womit sich der gesamte Diskurs praktisch selbst unter Ideologieverdacht stellt. 359 Für Loy ist die ökofeministische Kritik in Bezug auf seinen relational-holistischen Einheitsbegriff zumindest gegenstandslos: »Such a self is not indistinguishable from the world in the way that each spoonful of porridge is indistinguishable from the next, nor is it a result of the ego-self expanding to incorporate the world. Instead of transcending personal relationships, such a loss of self-preoccupation can only deepen them, as part of one’s involvement in the world generally.« 360 Für Loys buddhistische Tiefenökolgie ist erneut Dōgen entscheidend, dessen Lehren auch von Robert Aitken, Martine Batchelor, Doug Codiga, Deane Curtin, Ruben L. F. Habito, Simon P. James, John Daido Loori, Arne Næss, Steve Odin, Graham Parkes, David Edward Shaner, Gary Snyder und Jason M. Wirth mit der Tiefenökologie in Beziehung gesetzt und diskutiert wurden. 361 Die relationalholistischen Lehren des Hua-yen-Buddhismus, die Loy seinem Ansatz zugrunde legt, wurden in neueren Entwürfen wiederum von David Landis Barnhill, Steve Odin und Marek Sullivan rezipiert. 362 Zur weiteren Klärung von Loys buddhistischer Tiefenökologie kann hier beispielhaft auf Barnhills Arbeiten verwiesen werden, der ebenfalls einen relationalen Einheitsbegriff, der in einem krassen Gegensatz zu den verzerrten Darstellungen ökofeministischer Kritik steht. Cf. Callicott 1989: 61; Fox, W. 1995: 257 f. Bereits Snyder hatte für diese holistische Naturauffassung die Unterscheidung zwischen einem instrumentellen »Anderssein« (otherness) und einem partizipatorischen »Miteinanderssein« (anotherness) inauguriert, wodurch die interne Differenz der Ökosphäre nicht nivelliert, sondern in der integralen Ganzheit ihres gesamtexistentiellen Kontextes als alles umfassender saṅgha pointiert werde. Cf. Snyder 1969: 92. 359 Selbst auf ökofeministischer Seite wurde der ideologische Charakter des Diskurses durchschaut und von Charlene Spretnak kritisiert: »Perceptions of difference are accepted as obvious truth, while perceptions of an inherent continuity are dismissed as ›a fictive unity.‹ Investing perceptions of difference and particularity with the conceptual weight of being the fundamental reality is most certainly not a neutral position; it is an ideological choice.« Spretnak 1997: 427. Eine ausführliche Kritik des Ökofeminismus findet sich bei Fox, W. 1998 und Zimmerman 1987. 360 Loy 2003a: 191. 361 Cf. Aitken 1985; Batchelor 1992; Codiga 1990; Curtin 1994; Curtin 2000; Habito 1997; James, S. 2004; Loori 2000; Næss 2008b; Odin 1997; Parkes 1997; Shaner 1993; Snyder 1990; Wirth 2017. 362 Cf. Barnhill 2001; Odin 1997; Sullivan 2015. Qingzhi Zhu hat in einer Übersichtsdarstellung darauf hingewiesen, dass auch im gegenwärtigen China eine breite Diskussion der ökologischen Implikationen der holistischen Lehren des Hua-yen-Buddhismus stattfindet. Cf. Zhu 2007: 60.

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einen Mittelweg zwischen einem monistischen Holismus und einem anti-holistischen Relationalismus sucht. Wie Loy sieht Barnhill diesen relationalen Holismus im Hua-yen-Buddhismus verwirklicht, den er anhand fünf zusammenhängender Merkmale charakterisiert, die auch Loys Verständnis exakt markieren: Der relationale Holismus betone (1) die Erfahrung der Einheit der Wirklichkeit und nicht allein der Totalität als einer Ansammlung interrelationaler Teile; (2) das Absolute werde nicht als transzendente Wirklichkeit aufgefasst, sondern mit der konkreten Phänomenalität identifiziert, die sich ständig wandle; (3) das Ganze bestehe nicht unabhängig von und sei nicht wichtiger als seine Teile, denen es weder räumlich noch zeitlich vorgelagert sei: Jeder Teil sei das Ganze selbst; (4) dennoch bleibe jedes Teil in seiner je eigenen und unverkennbaren Individualität und Einzigartigkeit gewahrt, sodass (5) innerhalb der holistischen Position dennoch die Beziehungen der Teile untereinander akzentuiert werden könnten. Das Selbst des relationalen Holismus könne demnach als »self with other selves within a Self that is the field of selves« 363 beschrieben werden und der buddhistische Identifikationsprozess mit diesem nondualen Feld des Inter-Seins, das Barnhill als »[a] single field of differentiated integration« 364 charakterisiert, wiederum in zwei verschieden Typen unterschieden werden: At the level of individual phenomena, identification is with individuals, each of which are a distinctive sets of relationships in unique positions. The individuality of each phenomenon is found not in a discrete substance but in its particular set of relationships with the rest of the world, like the uniqueness of a jewel in Indra’s net. […]. Put differently, identification is not with the being of another phenomenon but with its interbeing. […]. The second type of Buddhist identification concerns the whole. The Huayan ideal involves an identification with the entire field of interbeing, a whole that includes an infinite number of unique interbeings. Indeed, ultimately the interbeing of one phenomenon is the entire field of relationships–and that field is the interbeing of each phenomenon. There is one, boundless field made of distinctive sets of interrelationships. Such a way of experiencing reality is both holistic and relational. 365

Dieser von Snyder, Loy, Barnhill und anderen mit unterschiedlicher philosophischer Stringenz inaugurierte Ansatz eines relational-holis363 364 365

Barnhill 2001: 98 f. Barnhill 2001: 92. Barnhill 2001: 93 f.

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tischen Öko-Buddhismus stellt Barnhill zufolge nicht nur eine authentische Adaption buddhistischer Lehren an den Kontext der Postmoderne dar, sondern sei zudem »fully in line with deep ecology, and that term [relational holism; F. V.] seems to me to be a more accurate way to interpret the views of Naess, Fox, and several other deep ecologists.« 366 Das betont auch Odin, dem zufolge der Hua-yen-Buddhismus eine explizite, umfassende und zu einem kohärenten System ausgearbeitete relationale Kosmologie bereitstellt, »which fully supports the fundamental principles of ecological ethics« 367. Diesem Urteil hat sich auch Sullivan angeschlossen, der aufgrund einer Analyse der Schriften Seng-chaos, Tu-shuns und Fa-tsangs zu dem Ergebnis kommt, »that there are strong scriptural antecedents for the kind of naturalistic deductions holistic eco-Buddhists are prone to make.« 368 Bevor ich Loys Ökodharma im Diskurs abschließend verorte und in seiner Tragfähigkeit bewerte, soll der folgende Gliederungsabschnitt einige kritische Argumente versammeln, die gegen die relational-holistische Variante des Öko-Buddhismus und damit auch gegen Loys Ansatz vorgebracht wurden.

11.4.6. Zur Kritik des relational-holistischen Öko-Buddhismus Seitdem Gary Snyder die Lehren des Hua-yen-Buddhismus zur Grundlage seines Öko-Buddhismus gemacht und Francis H. Cook die Hua-yen-Sicht eines wesenhaft zweckfreien, organismischen, dynamischen, sich selbst erschaffenden, erhaltenden und bestimmenden Universums als »cosmic ecology« 369 beschrieben hat, sind zahlreiche kritische Stimmen laut geworden, die sich entweder grundsätzlich gegen eine holistische Begründung einer buddhistischen Umweltethik richten oder auf einzelne problematische Implikationen eines solchen Ansatzes hingewiesen haben. Simon P. James gehört zu jener Gruppe Kritiker, die einen holistischen Ansatz innerhalb der buddhistischen Umweltethik grundlegend ablehnen. Die von holistisch argumentierenden Öko-Buddhisten vorgetragene »Unity Thesis« lasse sich dabei folgendermaßen rekonstruieren: 366 367 368 369

Barnhill 2001: 100. Odin 1997: 98. Sullivan 2015: 309. Cook 1989: 214.

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Prämisse 1: Eine holistische Sicht der Welt, der zufolge Mensch und Natur »eins« sind, führt automatisch zu einem Engagement für die Umwelt. Prämisse 2: Die buddhistische Lehre der universalen Leerheit ist eine holistische Lehre, die aufgrund ihrer ökologischen Implikationen mit holistischen Ansätzen innerhalb der (Tiefen-)Ökologie vergleichbar ist. Konklusion: Der Buddhismus ist eine umweltfreundliche Religion. 370

Beide Prämissen sind nun James zufolge falsch. Die erste Prämisse sei falsch, weil auch ein Materialist, der davon überzeugt sei, dass alles – inklusive seiner selbst – aus Materie bestehe, nicht notwendigerweise ein umweltfreundliches Verhalten an den Tag legen müsse. Dagegen ist einzuwenden, dass James’ Formulierung der ersten Prämisse vollkommen unterbestimmt ist und zumindest gegenüber Loys nondualer Tiefenökologie eine wesentliche Implikation unterschlägt, denn Loy geht davon aus, dass die Einheit der Wirklichkeit durch spirituelle Praxis existentiell verifiziert werden muss. Dabei beschreibt er die Natur vom Standpunkt des Erwachten, der sich mit der Totalität der Erscheinungswelt identifiziert, weil er sich des Einzelseins entbunden und sein Ego transzendiert hat, während sich der Materialist auf dem Standpunkt der Verblendung noch mit diesem identifiziert. Loys Variante eines relational-holistischen Öko-Buddhismus kann daher auch nicht als bloße Theorie und Ansicht (dṛṣṭi) kritisiert werden, um sie dann wie James als selbstwidersprüchlich abzulehnen, weil der Madhyamaka-Buddhismus doch gerade die Austreibung aller Ansichten lehre. 371 Prämisse zwei ist James zufolge ebenfalls falsch, weil der Holismus der Tiefenökologie und der Holismus der Leere in grundlegender Weise voneinander unterschieden seien. 372 Zu sagen, dass alle Dinge leer des Eigenseins (svabhāva-śūnya) sind, sei nicht identisch mit der Cf. James, S. 2014: 103. Cf. James, S. 2014: 106 f. 372 Diese Kritik hatte zurvor bereits Baird J. Callicott vorgetragen. Das Bild von Indras Netz erwecke prima facie den Anschein, dass die zugrunde liegende Vorstellung der Einheit der Natur identisch sei mit dem Verständnis der Ökologie: »[A]s Cook represents the Hua-yen notion, the whole is somehow present in each of its parts, and the annihilation of any of the parts would result in the annihilation of the whole. […]. But even if we represent an ecosystem by analogy with an organism, it is still unpersuasive to suggest, as Cook does, that with the destruction of any part the whole would be destroyed. If the heart is removed from a human body, the body will die, to be sure; 370 371

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tiefenökologischen Aussage, dass alle Dinge kausal miteinander verbunden sind. 373 Diesen Unterschied hat Loy allerdings selbst thematisiert und den tiefenökologischen Holismus universaler Interdependenz ontischen Einzelseins von seinem radikal phänomenalistischen Holismus klar unterschieden. Im Gegensatz zu Loy spricht James der buddhistischen Variante des Holismus aufgrund ihrer anti-realistischen Stoßrichtung gegenüber dem tiefenökologischen Holismus aber die Möglichkeit umweltethischer Konsequenzen rigoros ab. Die Erfahrung der Welt der Leere sei nach Angabe der Quellen unbeschreiblich (ineffable), während die Welt der wissenschaftlichen Ökologie dies nicht sei, die damit ein gewisses Maß an Verblendung (avidyā) voraussetze und somit als Teil des saṃsāra gerade jene Dimension verkörpere, von der sich ein Buddhist befreien wolle. 374 Auch diese Kritik am holistischen Begründungsansatz kann nicht überzeugen, da sie weder das Konzept des »nicht-fixierten« (apratiṣṭhita) nirvāṇas noch die Lehre von der »bewussten Wahrnehmung der natürlichen Welt vom Standpunkt der Erleuchtung« (laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna) berücksichtigt, wie sie dem Bodhisattva nach dem initialen Erwachen eignet und die die theoretische und praktische Grundlage dafür bildet, dass er sich von universalem Mitgefühl (mahākaruṇā) ergriffen mit geschickten Mitteln (upāya) wieder den Belangen und Bedürfnissen der Werdewelt zuwendet. Neben der von James vorgetragenen Grundsatzkritik finden sich auch Einwände, die eine oder mehrere Implikationen eines relationalholistischen Ansatzes innerhalb des Öko-Buddhismus kritisieren. In ihrer Kritik von Loys Aufsatz Healing Ecology (2008) hat Grace Y. Kao darauf hingewiesen, dass es höchst problematisch sei, sozialpolitisches und ökologisches Engagement von irgendeiner Form der Erleuchtung abhängig zu machen. Angesichts der drängenden globalen Probleme, die unmittelbares Handeln unbedingt erforderlich machten, könne man nicht auf die kollektive Erleuchtung der Menschen oder auch nur Einzelner warten. 375 Loy hat dieses Problem allerdings selbst gesehen und es bereits in Money, Sex, War, Karma (2008) diskutiert. Demnach dürfen wir auch Loy zufolge nicht war-

but one can imagine the loss of any number of other parts […] which will not result in the death of the body.« Callicott 1997: 89. 373 Cf. James, S. 2014: 104. 374 Cf. James, S. 2014: 105 f. 375 Cf. Kao 2010: 274.

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ten, bis wir unsere Leiden restlos überwunden haben, bevor wir uns dem Leiden anderer zuwenden, weil sich die Welt beschleunige und die Ereignisse nicht auf unsere vollständige Erleuchtung warten würden. Da es unzählige Grade der Erleuchtung gebe und sogar der Buddha einem Zen-Ausspruch zufolge erst auf halbem Wege sei, müssten wir hier und jetzt entsprechend dem Stand unserer Praxis unser Möglichstes beitragen. Dem Einwand liege zudem ein fundamentales Missverständnis spiritueller Praxis zugrunde, insofern man nicht warte, bis man seine Ich-Bezogenheit überwunden habe, bevor man sich aktiv in der Welt engagiere, sondern sich dem Leid der Welt widme, gerade weil dies der effektivste Weg zur Überwindung der tief verinnerlichten Ich-Bezogenheit selbst sei. Entgegen der geläufigen Vorstellung des Bodhisattva-Pfades schieben auch die Bodhisattvas ihre Erleuchung nicht auf, um anderen Wesen zu helfen, sondern perfektionieren ihre Erleuchtung gerade auf diese Weise, weil sie wissen, dass es letztendlich keine individuelle Erlösung gibt, die von anderen unterschieden werden könnte: »We awaken from our own self-suffering to discover a world full of suffering. To awaken is to realize that I am not other than that world.« 376 Ian C. Harris hat wiederum die These vertreten, dass ein Rückgriff auf die Lehren des Hua-yen-Buddhismus allgemein nicht zur Grundlegung einer buddhistischen Umweltethik geeignet sei, denn zu sagen, dass das Universum ein integrales Ganzes und eine lebendige Präsenz sei, die zur Kommunion einlade und man daher gegenüber »allen Dinge« eine egalitäre Haltung kultivieren müsse, sei aus umweltethischer Perspektive nicht nut absolut nichtssagend, sondern unterminiere in letzter Konsequenz sogar jede Möglichkeit einer sozialreformatorischen und öko-aktivistischen Agenda. Denn wenn im Hua-yen-Universum alles von einer vom Aussterben bedrohten Pflanzenart abhänge, dann gelte dies auch in gleicher Weise von radioaktivem Müll, denn ohne Atomabfall gäbe es keine Totalität interdependenter Entitäten. Wenn zudem in einem einzelnen dharma das ganze Universum gewahrt werden könne, dann sei die Gesamtheit aller Dinge auch im radioaktiven Abfall enthalten und von diesem abhängig: »Here, then, is the fundamental objection to the invocation of extreme holism in the field of environmental ethics – it leads to absurd conclusions!« 377 376 377

Loy 2008: 82. Harris, I. 2009: 125.

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Vom Standpunkt der Leere (śūnyatā) sind auch für Christopher Ives alle Dinge relational und leer und folglich von gleichem Wert: Ein Mensch sei in seiner Leerheit nicht wesenhaft unterschieden oder wertvoller als ein Hühnchen, ein Protozoon oder eine Karotte. 378 Wenn aufgrund universaler Vergänglichkeit und Leere im Zen-Buddhismus Dōgens ausnahmslos alles zur Buddha-Natur erklärt werde, dann sind auch Yuriko Saito zufolge vom Tagebau zerstörte Berge und industriell verseuchte Flüsse eine gleichwertige Manifestation der Buddha-Natur und in ihrem Eigenwert nicht von unberührter Wildnis und klaren Flüssen zu unterscheiden. 379 Wie verhält es sich dann mit der von Tiefenökologen wie Næss, Devall und Sessions propagierten Demokratie aller Lebensformen, in der gemäß dem Prinzip der biosphärischen Gleichheit nicht nur dem Menschen, sondern auch den Tieren, Pflanzen, Landschaften und Regionen unberührter Natur Gerechtigkeit widerfahren soll? Müssen wir unter den Voraussetzungen der Tiefenökologie oder des holistischen Öko-Buddhismus die Existenz todbringender Mikroorganismen, wie die des Milzbrandbazillus (bacillus anthracis) oder des Tuberkulosebazillus (mycobacterium tuberculosis) tolerieren oder den »biozentrisch »gleichwertigen« Kumpel Pockenvire« 380 sogar proaktiv schützen? Wenn es unter holistischer Perspektive moralisch verwerflich ist, nicht nur Tiere, sondern auch Pflanzen zu essen, muss man sich dann nicht konsequenterweise wie die Heiligen der Jainas zu Tode hungern (sallekhanā/saṃthara)? Dieser Kritik wurde von verschiedener Seite aus begegnet. Graham Parkes hat in seiner Diskussion des tiefenökologischen Potentials der Lehren Dōgens und Kūkais (774–835 n. Chr.) darauf reagiert. 381 Die von seinem chinesischen Meister Hui-kuo/Huiguo (746– Cf. Ives 1994b: 137. Cf. Saito 1992: 8. 380 Ditfurth 1996: 126. 381 Kūkai, der posthum den Namen »Großmeister der Verbreitung des Dharmas« (kōbō daishi) erhielt, gilt den Genealogien zufolge als achter Patriarch und Begründer des esoterischen, i. e. des auf Initiation und ritueller Rezitation von Mantras sowie der Visualisierung von Maṇḍalas gründenden Buddhismus (chin. mi-tsung/mizong; jap. mikkyō) in Japan, den er als »Schule des wahren Wortes« (shingon-shū) etablierte und zu einem kohärenten System weiterbildete. Bei seiner Rückkehr aus China im Jahre 806 n. Chr. brachte er zehn quadratische Maṇḍalas und Bilder, neun Ritualgeräte, Reliqiuien verschiedener Mi-tsung-Meister, 42 Bücher mit Anrufungsformeln in Sanskrit, 32 Kommentare sowie 142 Sūtras in chinesischer Übersetzung mit nach Japan, unten denen sich die beiden im 7. Jahrhundert in Indien entstandenen und für 378 379

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805 n. Chr.) empfangene Lehre besage in Kūkais Adaption zwar, dass die gesamte Erscheinungswelt, einschließlich der organischen und anorganischen Natur die Entfaltung des dharmakāyas sei und als solche den kosmischen Körper (samayakāya) des Tathāgatas Mahāvairocana (jap. dainichi nyorai) manifestiere, aber insofern die Ausbreitung tödlicher Viren oder die Ansammlung großer Mengen radioaktiven Abfalls den buddhistischen saṅgha nachhaltig gefährde, würde auch Kūkai die Entfernung dieses malignen Tumors aus dem kosmischen Körper des Buddhas befürworten. 382 Für Simon P. James impliziert der Vorwurf wiederum eine Haltung der Anhaftung an der »Heiligkeit allen Seins«, die dem Zen-Buddhismus uneigentlich sei: One attached to the holiness of things looks at the violence of the strip-mining and says ›Let it be!‹ But one who has eradicated all traces of the ›I am‹ conceit sees only violence, period, and takes measures to prevent it. He does not distinguish between his violence and the violence of another, and he therefore does not sit serenely apart from the scene of destruction, contemplating it as a panorama for his spiritual edification, safe in the knowledge that the violence being committed is not being committed by him. He sees only violence-to-be-stopped. 383

Amos Yong hat die Kritik wiederum auf eine unzureichend klare Unterscheidung zwischen relativer, i. e. der ethisch relevanten Wahrheit der alltagspraktischen Differenz einerseits und absoluter, i. e. der ethisch irrelevanten Wahrheit existentieller Einheit und Freiheit andererseits zurückgeführt. 384 Auch Gary Snyder hat in diesem Kontext bereits 1961 in einem ursprünglich als Buddhist Anarchism publizierten Aufsatz auf die Lehre der zwei Wahrheiten verwiesen: »From one standpoint, governments, wars, or all that we consider ›evil‹ are uncompromisingly contained in this illuminated realm. The hawk, the swoop, and the hare are one. From the ›human‹ standpoint, we cannot die Shingon-Lehren insgesamt zentralen Mahāvairocana- (jap. dainichikyō) und Vajraśekhara-Sūtras (jap. kongōchokyō) befanden. Cf. Yamasaki 1990: 28. Shaner zufolge ist das japanische Naturverständnis, wie es in den Lehren Kūkais und Dōgens paradigmatisch zum Ausdruck komme, in besonderem Maße für den Dialog mit der westlichen (Tiefen-)Ökologie geeignet: »Once one’s intimacy with and dependence upon nature are understood and internalized, such cultivating seems to engage a holistic ecocentric view characterized by a feeling of an aesthetic and material oneness with all things.« Shaner 1993: 179. 382 Cf. Parkes 1997: 122. 383 James, S. 2004: 111. 384 Cf. Yong 2012: 233.

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live in those terms unless all beings see with the same enlightened eye. The Bodhisattva lives by the sufferer’s standard, and he must be effective in aiding those who suffer.« 385 Loy selbst hat sich zu dieser Frage vor allem in einer publizierten Kontroverse mit dem Tʾ ien-tʾ ai-Experten Brook A. Ziporyn geäußert. Den Gegenstand der Kontroverse bildeten die Tʾ ien-tʾ ai-spezifische Lehre von der »bösen Buddha-Natur« und die darin angelegte Kritik nondualen Denkens. 386 Die Nondualität von X und Y sei demnach nur denkbar, wenn man zuvor X und Y fälschlicherweise hypostasiert habe, denn was soll beispielsweise das Böse oder das Gute sein, das sich in einem nondualen Verhältnis zu dem jeweils anderen befinden soll? Die Konsequenz, die im Tʾ ien-tʾ ai-Buddhismus daraus gezogen wurde, ist Ziporyn zufolge die unmittelbare Identifizierung aller Gegensatzrelationen, wie »Wahres-Schein (zhen wang), Dharmanatur-Unwissenheit (faxin wuming), Nirvana-Samsara, Leiden-Leidensaufhebung (ku kumie), Einheit-Vielheit (yi duo), Universalität-Differenz (ru yi), Nicht-Sein Existenz (wu you), Unsagbarkeit-Sagbarkeit (bukeshuo keshuo), Gut-Böse (shan e) und Leerheit-Provisorisches (kong jia).« 387 In seiner Rezension des Buches Evil and/or/as The Good: Omnicentrism, Intersubjectivity, and Value Paradox in Tiantai Buddhist Thought (2000), in dem Ziporyn dieses Problem anhand der Tʾ ien-tʾ ai-Lehre des Ssu-ming Chih-li/ Siming Zhili (960–1028) rekonstruiert und mit der paradigmatischen Aussage »Other than the devil there is no Buddha; other than the Buddha there is no devil (mo wai wu Fo; Fo wai wu mo)« 388 identifiziert, hat Loy auf die seiner Meinung nach verheerenden Konsequenzen dieser Lehre für die buddhistische Ethik hingewiesen, die auch noch die Nondualität der relativen und absoluten Wahrheit zur Identität kollabieren lasse und damit die letzte Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Gut und Böse unmöglich mache: Then how are we to distinguish good from evil deeds, if from the highest point of view they are equally śūnya? […]. Indra’s net gives us no criterion to discriminate between them, inasmuch as every node manifests the whole as well as every other node, whether or not it knows it Snyder 1961: 11 f. Cf. Snyder 1996: 124 f. Näheres zur »bösen Buddha-Natur« bei Kantor 1997, Kantor 1999: 233 ff. und Shi 1990. 387 Kantor 1999: 132 f. 388 Ziporyn 2000: 1. Zu Ziporyns Unterscheidung zwischen einem unizentrischen, oligozentrischen und omnizentrischen Holismus siehe Ziporyn 2000: 36 f., 56 f. 385 386

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Buddhistische Ökologie

or intends it. […]. Are we really willing to accept that from the highest point of view crashing a hijacked airliner into a skyscraper is no better or worse than compassionate acts of a Buddha? 389

Um die Tʾ ien-tʾ ai-Lehre in ihrer Radikalität zu entschärfen und ihr die antinomische Spitze zu nehmen, fasst Loy die Identität von relativer und absoluter Wahrheit als absolute Wahrheit, von der wiederum eine relative Wahrheit zweiter Ordnung unterschieden werden müsse. Dies sei der einzige Weg, um das ureigentliche Anliegen des Buddhismus – das Ende von Frustration und Leid (duḥkha) – zu retten; andernfalls setze man sich der absurden Konsequenz aus, die Taten Hitlers und Buddhas, den Holocaust und das Gründen des saṅgha als prinzipiell gleichwertig beurteilen zu müssen: [T]he highest point of view is not really the highest point of view–at least, not by itself. It does not ›work‹ for us without a ›lower truth‹ according to which we can distinguish between evil and good acts, between delusion (perceiving Indra’s net as a collection of separate things) and wisdom (realizing nonself and the interdependence of all the net’s nodes). One needs the provisional positing of a distinction between good and evil in order to work for the reduction of the world’s suffering–a dukkha that from the ›highest‹ point of view is already complete and perfect, lacking nothing. But that point of view is insufficient by itself. 390

Das Problem besteht für Loy vielmehr in der Frage, was wir als »gut« und was wir als »böse« bestimmen, denn ihre Interdependenz bedeute, dass wir nicht wissen, was »gut« ist, bis wir bestimmen, was »böse« ist. 391 Aber in genau dieser Frage besteht das bleibende und Loy 2004c: 99. Loy 2004c: 102 f. Ziporyn hat auf Loys Rezension nochmal in einer weitschweifigen Replik geantwortet in Ziporyn 2005, woraufhin Loy erneut reagiert hat in Loy 2005. Als zweite Replik auf Loy bzw. als Zusammenfassung der Kontroverse kann das Kapitel »Tiantai Ethics and the Worst-Case Scenario« aus Ziporyns Emptiness and Omnipresence gelesen werden, das nach Angabe des Autors aus der Diskussion mit Loy entstand. Cf. Ziporyn 2016: 297. 391 Sowohl Osama bin Laden als auch George W. Bush seien davon überzeugt gewesen, denselben heiligen Krieg des Guten gegen das Böse zu führen und dabei jeweils auf der Seite des Guten zu stehen. Das tragische Paradox bestehe darin, dass unsere Versuche, das Böse – oder vielmehr das, was wir dafür halten – zu vernichten, selbst eine der Hauptursachen des Bösen seien. Hitler wollte mit den Juden, Zigeunern und anderen als »lebensunwert« erachteten Menschen das vom Nationalsozialismus propagierten Böse beseitigen, Stalin versuchte dasselbe mit den von den Bolschewiki zu Klassenfeinden stigmatisierten Bauern und Vertretern des Bürgertums, 389 390

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Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus

ungelöste Begründungsproblem seiner holistischen Ethikkonzeption, denn die gegensatzlose Einheitserfahrung der Leere lehrt uns nicht, was »gut« und was »schlecht« ist, warum Gandhi ein besserer Mensch war als Hitler und ein Baum weniger wert ist als ein Gorilla oder ein Mensch, denn in der erlösungskonstitutiven Leerheit verlieren alle ethisch relevanten Differenzen ihre Gültigkeit. Dieses Problem kann auch nicht mit dem bloßen Hinweis auf die Lehre der zwei Wahrheiten oder mit der Einführung einer relativen Wahrheit zweiter Ordnung gelöst werden. Die Leitlinien und Prinzipien der buddhistischen Ethik kodifizieren Loy zufolge das natürliche Verhalten des Erwachten auf der Ebene weltlich-verhüllter Wahrheit und empirisch-konventioneller Lebenspraxis, deren Grundlage wiederum die absolute Wahrheit nondualer Erfahrung konstituiert. Bei Loy findet sich allerdings nirgendwo eine systematische Erklärung darüber, wie die Bodhisattva-Ethik mit all ihren subtilen Unterscheidungen aus der unterschiedslosen Einheitserfahrung der Leerheit folgt oder eine überzeugende Begründung, warum diese Erfahrung nicht auch ihren legitimen Ausdruck in der Durchbrechung aller Moral finden sollte. 392 Die Diskussion von Yasutanis Kriegs-Zen hat indessen exemplarisch gezeigt, dass die von Loy propagierte kenshōErfahrung den Erwachten weder frei von den Wurzeln unsittlichen Verhaltens macht noch notwendig soziale Kompetenz, ökologisches Engagement oder eine gesellschaftspolitische Qualifikation impliziert (siehe 9.2.4.). Damit hatte sich bereits eine axiomatische Grundüberzeugung Loys, der zufolge ein notwendiges Bedingungsverhältnis zwischen nondualer Erfahrung und moralischer Metanoia besteht, als unhaltbar erwiesen. Nun zeigt sich, dass auch Loys theoretischer Begründungversuch einer holistischen Variante der buddhistischen Ethik den mit ihm verbundenen Anspruch nicht erfüllen kann und folglich als gescheitert betrachtet werden muss.

11.4.7. Loy im Kontext des öko-buddhistischen Diskurses Wie lässt sich Loys Position im innerbuddhistischen Diskurs nun abschließend verorten und welcher der von Harris und Swearer expliwährend Mao Tse-tung/Mao Zedong (1893–1976) massenhaft chinesische Grundbesitzer liquidieren ließ. Cf. Loy 2015a: 109. 392 Cf. Loy 1996c: 43 f.; Loy 2002a: 214; Loy 2009b: 9; Loy 2015a: 95; Loy 2018: 71.

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Buddhistische Ökologie

zierten Typen lässt sich seine Variante eines relational-holistischen Öko-Buddhismus begründet zuordnen? Es lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass Loys öko-buddhistischer Ansatz problemlos den von Sullivan formulierten Minimalanforderungen genüge leistet, insofern er sich mit den Lehren des Hua-yen-Buddhismus und Dōgens identifizieren lässt und seine Philosophie der Nondualität die phänomenale Mannigfaltigkeit an keiner Stelle zugunsten eines eigenschaftlosen Monismus depotenziert oder transzendiert. Loys buddhistische Tiefenökologie lässt sich daher mit dem öko-spirituellen Typus aus Harris’ Typologie identifizieren, insofern für Loy ebenfalls eine radikal-holistische Grundintuition und der Gedanke der interdependenten Einheit der relationalen Gesamtwirklichkeit leitend sind. Da Loy seinen ökologischen Ansatz aber fernerhin mit gesellschaftspolitischem Engagement und einer sozial-reformatorisch geprägten Agenda verbindet, muss er darüber hinaus dem von Harris beschriebenen Öko-Gerechtigkeits-Typus zugeordnet werden. Folgt man hingegen Henrik H. Sørensen, dann ist jede ökologische Interpretation der holistischen Lehren des chinesischen und japanischen Hua-yen-/ Kegon-, Tʾ ien-tʾ ai-/Tendai- und Ch’an-/Zen-Buddhismus aus dem einfachen Grund als Anachronismus zu verstehen, weil den kanonischen und klassischen Zeugnissen des Buddhismus die modernen Probleme und Fragestellungen der jüngeren Geschichte und Gegenwart, auf die sich jede zeitgenössische Adaption der buddhistischen Lehre unweigerlich beziehen muss, unbekannt waren. 393 Um als lebendige Tradition weiterhin relevant zu bleiben, ist es allerdings zwingend notwendig, dass der Buddhismus seine Lehren an den Kontext der Gegenwart anpasst und dieser Prozess kann nicht kategorisch als Anachronismus oder apologetischer Propagandismus diskreditiert werden. Das Verhältnis zur Natur und das Verhalten ihr gegenüber im Sinne der im Einzelnen der Situation der Gegenwart anzupassenden Prinzipien der buddhistischen Ethik zu gestalten, ist somit als legitimes Projekt sozial- und ökologisch-engagierter Buddhisten zu betrachten. Obschon Loy dabei aufgrund fehlender Sprachkenntnisse keine textkritische Herangehensweise an das Quellenmaterial möglich ist, halte ich eine uneingeschränkte Identifikation Loys mit dem öko-apologetischen Typus aus Harris’ Typologie sowie dem ÖkoApologeten aus Swearers Typologie, der ungedeckt von textlichen, historischen oder kulturellen Befunden eine Variante des Öko-Bud393

Cf. Sørensen 2013: 98.

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Aktion: Nondualismus und Engagierter Buddhismus

dhismus propagiert, für unangemessen. Zwar geht es Loy als Buddhist um fraglos mehr als eine wissenschaftlich verantwortbare Konstruktion eines ökologisch gewendeten Buddhismus, aber seine umfangreiche Kenntnis der buddhistischen Tradition schließen eine solche vorbehaltlose Zuschreibung aus, ohne ihn deshalb gleich mit dem kritisch argumentierenden Öko-Traditionalisten und Öko-Konstruktivisten identifizieren zu müssen. Mag man Loy abschließend einerseits zugute halten, dass es sich bei seiner buddhistischen Tiefenökologie im Allgemeinen um ein legitimes Projekt und im Konkreten um eine authentische Adaption des Buddhismus an den Kontext der Gegenwart handelt, so kann dies andererseits jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die von Loy intendierte Begründung einer holistischen Ethik im Kontext des Buddhismus insgesamt als gescheitert betrachtet werden muss (siehe 11.4.6.).

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12. Komprehension

David R. Loy zählt zweifelsohne zu den herausragenden buddhistischen Denkern der Gegenwart, dessen Fähigkeit zur Synthese und philosophisches Reflexionsniveau ihn innerhalb der buddhistischen Weltgemeinschaft auszeichnen. Didaktisch klug aufgebaut, überzeugt sein Werk zumindest auf den ersten Blick durch die immanente Stringenz und Klarheit seiner Sprache. Mit seiner übergreifenden Analyse und gedanklichen Zusammenführung unterschiedlicher Diskurse sowie der Einbindung philosophischer, psychologischer, historischer, gesellschaftspolitischer, ökonomischer und ökologischer Erkenntnisse gelingt ihm ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Diskussionen um die Vereinbarkeit von Religion und Moderne sowie die Möglichkeit einer authentischen Adaption buddhistischer Lehren an den Kontext der Gegenwart, die kognitive Dissonanzen zu bewältigen versucht, denen jeder Buddhist im modernen Erfahrungshorizont unweigerlich ausgesetzt ist. Als Buddhist, Philosoph und engagierter Umwelt- und Sozialaktivist ist Loy durchgängig daran interessiert, wissenschaftliches Ethos und religiöses Engagement in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen sowie die Ergebnisse seines Denkprozesses ebenso wie die spirituellen Einsichten, die dessen Kern und Telos bilden, in seine Buddhismusinterpretation gleichberechtigt einfließen zu lassen. Es ist als grundlegender Verdienst Loys anzusehen, den Versuch einer rational verantwortbaren Vision des Buddhismus vorgelegt zu haben, die an die zeitgenössischen Diskurse unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen prinzipiell anschlussfähig ist, um so dem Buddhismus zu neuer Relevanz und Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Loys nonduale Vision ist beeindruckend und faszinierend zugleich, wenngleich sich jedoch auch gewichtige Einwände ergeben. Der Eindruck bleibt ambivalent. Ohne die vielen richtigen Einsichten Loys in den Hintergrund rücken zu wollen, lassen sich als Ergebnis der kritischen Auseinandersetzung mit seiner Philosophie der Non-

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Komprehension

dualität und Buddhismusinterpretation die Vorbehalte zusammenfassend wie folgt präzisieren. Der erste und vielleicht auffälligste Kritikpunkt betrifft den für Loy insgesamt so maßgeblichen Begriff der Nondualität selbst, der auf allen Ebenen seines philosophischen Denkens eine konstitutive Funktion erfüllt. Trotz dieses zentralen systematischen Stellenwertes gelingt es Loy nicht, den Leitbegriff der Nondualität inhaltlich angemessen zu präzisieren, damit gegen Missverständnisse abzusichern und ihm eine religionsgeschichtlich tragfähige Basis sowie religionsphilosophisch konsensfähige Bedeutung zu geben. Es muss sich indes zeigen, ob sich die hier gegenüber Loy vorgeschlagene trichotome Typologie der Nondualität (siehe 1.2.) sowie deren im Kontext mystischer Erfahrung entworfene Phänomenologie (siehe 9.2.3.) künftig als tragfähiger erweisen wird. Auch Loys konsequent durchgehaltener Ausgangspunkt bei der Erfahrung, aus der sich alle sekundärtheoretischen Manifestationsgestalten der religiösen Traditionen ableiten und nachträglich vermitteln lassen sollen, kann nicht abschließend überzeugen. Wie sich vor allem anhand der Konfrontation nondualer und theistischer Interpretationen mystischer Erfahrung gezeigt hat, hängt jedes Urteil über die Erfahrung von erfahrungsunabhängigen Faktoren ab, da die Erfahrung nicht ihre eigene Interpretation determiniert und das Wahrheitskriterium somit nicht in das subjektive Erleben des Menschen selbst gelegt werden kann (siehe 2.5.). Loy setzt in seinen erfahrungsorientierten Religionsvergleichen allerdings eine hochspezifische und maßgeblich von Dōgen informierte Interpretation voraus, die sein Verständnis der verglichenen Erfahrungen ursprünglich leitet, sodass er durch diese beschränkte und beschränkende Perspektive immer nur das Eigene im Fremden zu finden vermag und alle andersgearteten Erfahrungen notwendig als Fehlinterpretationen kritisieren oder kurzerhand phänomenalistisch umdeuten muss (siehe 9.2.5.). Das macht es Loy nicht nur unmöglich, eine umfassende Typologie nondualer Erfahrung systematisch zu entwickeln und deren Komplexität sowie genuine Heterogenität im religionshistorischen Kontext angemessen zu würdigen, sondern auch einen authentischen Beitrag zum interreligiösen Dialog zu leisten. Wie Loy im Vorwort zur zweiten Auflage von Nonduality schreibt, wurde er unmittelbar nach dem Erscheinen der Erstauflage von Seiten einiger Vedānta-Gelehrter darüber unterrichtet, dass der Advaita-Vedānta keine nonduale Erfahrung im Sinne Loys kenne und sich folglich kein Advaitin in Loys Charakterisierung der Lehren 718 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Komprehension

Śaṅkaras wiedererkennen würde. 1 Geht man von Loys zentraler These in Nonduality aus, dass die religiösen Denksysteme des Taoismus, Advaita-Vedānta und (Mahāyāna-)Buddhismus auf derselben nondualen Erfahrung basieren, sich ihre Unterschiede erst aus der reflektierenden und interpretierenden Wiedergabe derselben ergeben und Loy die im Vergleich zu allen anderen adäquateste Interpretation auf der Ebene relativer Wahrheit vorgelegt hat, dann muss man seine Position sachgemäß als »primus-inter-pares-Inklusivismus« charakterisieren. Da sich seine These eines einheitlichen Erfahrungskerns allerdings als falsch erwiesen hat (siehe 9.2.2.), kann Loys religionstheologische Position nur dem Exklusivismus zugeordnet werden: Allein der Buddhismus bezeugt und vermittelt in der Form, die Loy ihm gegeben hat, eine heilshafte Erfahrung und angemessene Beschreibung letzter Wirklichkeit. 2 Damit wird er allerdings weder den von ihm diskutierten Traditionen in ihrem religiösen Selbstverständnis noch seinem eigenen Anspruch gerecht, der darin besteht, eine Kerntheorie der Nondualität entworfen zu haben, die nicht nur wesentliche Gemeinsamkeiten pointiert, sondern auch verschiedene, scheinbar disparate Lehren der nondualen Systeme zusammenzuführen und in einer umfassenden Metaphilosophie konsistent zu vermitteln vermag (siehe 1). Ein Grundproblem seiner gesamten Philosophie liegt dabei in der Verwechslung empirischer und transzendentaler Subjektivität, die sich auf allen Ebenen seines Denkens reproduziert und auf dem erkenntnistheoretischen Irrglauben beruht, mit der vollzogenen Dekonstruktion empirischer Subjektivität sei auch das allen konkreten Vollzügen vorausgehende transzendentale Subjekt dekonstruiert. Loy kommt in seinen subjektphilosophischen Reflexionen daher auch nicht über die völlig unzureichende Bündeltheorie Humes hinaus, weshalb die transzendentallogischen Strukturen des prapañca für ihn unsichtbar bleiben, was einen erheblichen Schwachpunkt in seinem transzendental unausgewiesenen und insgesamt begründungsdefizitären System darstellt (siehe 9.3.1.). Sein philosophisches Fundament ist auf den methodologischen Sand des erkenntnistheoretischen Phänomenalismus gebaut, der neben dem von ihm unerkannten und ungelösten Problem eines transzendental-egologischen Solipsismus sowie dem daraus unvermeidlich folgenden 1 2

Cf. Loy 1997a: xi. Cf. Schmidt-Leukel 2005b: 67.

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Komprehension

Totalausfall einer Intersubjektivitätstheorie mit weiteren, schwerwiegenden Mängeln behaftet ist. Die einzelnen Kapitel haben dabei vor allem die reduktionistischen Implikationen deutlich werden lassen. Am klarsten treten sie dort zutage, wo Loy transzendente Elemente im religiösen Quellenmaterial als unwesentlich ignoriert oder phänomenalistisch umdeutet und als eigentliche Belege seiner radikal diesseitigen Lesart deklariert. Dabei geht er mit seiner Ablehnung einer transzendenten Wirklichkeit nicht nur weit über das sachlich motivierte Maß hinaus, sondern gerät auch häufig in Konflikt mit den Originalquellen des Pāḷi-Buddhismus, was wiederum aus seiner intensiven Rezeption Dōgens erklärt werden kann, der häufig dem ursprünglichen Textsinn unmittelbar widersprechende Interpretationen buddhistischer Lehren gegeben hat und dessen überragender Einfluss in Loys Werk allgegenwärtig ist (siehe 5.1.). Aus einer systematischen Perspektive kann sein radikaler Phänomenalismus zwar nicht überzeugen, aber vor dem Hintergrund späterer Entwicklungen des Dharma in China und Japan zumindest eine gewisse Authentizität für sich beanspruchen, was insbesondere die religionshistorische Tragfähigkeit seiner buddhistischen Tiefenökologie (ecodharma) betrifft (siehe 11.4.4.). Dabei versperrt ihm die verhängnisvolle Gleichsetzung von Transzendenz und Illusion allerdings unweigerlich den Weg zu einer transzendental geläuterten Transzendenz und damit die Möglichkeit, die schlechte Unendlichkeit leerer Phänomenalität in einer asymmetrischen Nondualität (advaitavāda) transzendieren und abschließend integrieren zu können. Die kopernikanische Wende Kants zum erkennenden Subjekt ist m. E. irreversibel und so ist Loys Kosmozentrismus in seiner gescheiterten Abkehr vom transzendentalen Subjekt als Rückfall in eine letztlich vorkritische Epistemologie zu werten. Es sollen die Verdienste in Bezug auf die philosophische Durchdringung buddhistischer Lehren nicht geleugnet werden, doch eine ernsthafte Synthese westlicher Philosophie und östlicher Weisheitslehren kann nicht unter Abblendung des transzendentalen Begründungsansatzes gelingen, sondern muss die Reflexionsstruktur des Transzendentalen konstitutiv mit einbeziehen (siehe 3.2. und 9.3.1.). Insofern Loy es als abschließende Aufgabe einer zur Weisheitslehre gewendeten Philosophie begreift, ihre heilsevokative Selbstaufhebung anzubahnen und damit den Übergang von der Theorie zur Praxis einzuleiten, kann er seine im Kern nihilistische Philosophie zwar in eindringlicher Weise als geschicktes Mittel (upāya-kauśalya) 720 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Komprehension

rationalisieren (siehe 10.3.1.), aber angesichts des von ihm in Aussicht gestellten Endes der nondualen Erfahrung im Tod kann sich hier wohl kaum das von Loy in Anspruch genommene »Ungeborene« und »Todlose« als Grundlage irreversiblen Heils entbergen (siehe 8.5.). Damit kann auch Loys nihilistische Pointe eines gegenüber Wilber ātmanlosen Ātman-Projektes, das die existentielle Leugnung aller Transzendenz und Anerkennung einer immanenten Sinnleere als notwendiges Durchgangsstadium zur Befreiung von allen kompensatorischen Transzendenzsurrogaten und leerheitsverdrängenden Seinslehren verordnet, nicht überzeugen (siehe 10.3.2.). Er begibt sich damit vielmehr in einen eklatanten Widerspruch zu seinem eigenen Evolutionsepos, dessen positive Bewertung der Welt- und Selbstbewusstwerdung des kosmischen Buddha-Geistes in und durch den Menschen in keiner Weise von seinen gnoseologischen und metaphysischen Grundannahmen gedeckt wird und folglich kaum zu einer verantwortlichen Partizipation am Weltgeschehen motivieren kann (siehe 7.3.). Darüber hinaus darf die Innovativität und Eigenständigkeit von Loys Psychologie und Psychohistorie mit Blick auf Wilbers frühere Ausführungen zum Ātman-Projekt und dessen Erscheinungsformen im historischen Prozess durchaus bezweifelt werden. Loys Psychologie und Psychohistorie sind nicht so neu und revolutionär, wie er selbst insinuiert, wobei es sein Verdienst bleibt, viele existentiellüberzeugende Einsichten in einem buddhistischen Kontext elaboriert, plausibilisiert und popularisiert zu haben. Die negativen Konsequenzen von Loys rigoroser Transzendenzvernichtung und restloser Nullifizierung aller wesentlichen Gehalte der buddhistischen Metaphysik wurden wiederum an seiner Interpretation der reinkarnatorischen Karmalehre exemplarisch deutlich, die sich in letzter Konsequenz auf psychologische Trivialitäten reduziert und damit nicht nur ihren ursprünglichen Erklärungsgehalt, sondern auch jede Heilsrelevanz einbüßt. Trotz seiner nachdrücklichen Kritik am materialistisch-mechanistischen Weltbild des Westens fallen Loys Phänomenalismus damit entscheidende Elemente der buddhistischen Lehre zum Opfer, sodass man kaum von einer gelungenen Alternative gegenüber Batchelors »säkularem Buddhismus«, sondern lediglich von einer weiteren Spielart des Reduktionismus sprechen muss (siehe 8.6.). Was dem Westen fehlt, ist eine kritisch geläuterte Transzendenz und kein buddhistisch bemäntelter Nihilismus, der das spirituelle Vakuum als unhintergehbare Tatsache festschreibt. Es ist daher mehr als fraglich, 721 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Komprehension

ob Loys metaphyisch entkernte Buddhismusinterpretation ein gelungener Beitrag zum Kampf gegen die ubiquitären Sinnerosionen des materialistisch-naturalistischen Reduktionismus, Säkularismus und Atheismus darstellt oder er den Buddhismus in seiner Bereitschaft zur Modernisierung nicht vielmehr innerweltlich verkürzt (siehe 9.3.2.). Loy hat die spannungsvolle Einheit von seriöser Wissenschaft und religiöser Lehre, deren gleichgewichtige Synthese er in Personalunion verkörpert, in den letzten Publikationen zudem immer mehr zur letzteren verschoben und vermehrt populärwissenschaftliche Erbauungsliteratur mit sozial-ökologisch engagierter Programmatik publiziert, die überwiegend altes Material für einen buddhistischen Leserkreis aufbereitet. Seine gesellschaftspolitischen Ansätze bleiben dabei meist vage und abstrakt, was ein allgemeines Problem des Engagierten Buddhismus darstellt, in dessen nahezu hermetisch geschlossenen Diskursen und Publikationen zur gegenseitigen Bestätigung seiner monologisierenden Protagonisten er gewöhnlich die communis opinio vertritt und somit keine spezifischen Akzente setzen kann (siehe 11). Indem sich Loy gegenüber den konkreten politischen Implikationen seiner Buddhismusinterpretation ausschweigt und die gesellschaftlichen Voraussetzungen seiner tiefenökologischen Bestrebungen nicht gründlich genug in einer umfassenden Sozialökologie reflektiert, kommt er über das bloße Postulieren individueller Verhaltensänderungen allerdings nicht hinaus. Zusammen mit seiner völlig unhaltbaren Erleuchtungsrhetorik, die keinen Anspruch auf Realitätsnähe erheben kann (siehe 9.2.4.), fallen damit Anspruch (Ethos der Weltrettung) und Wirklichkeit (abstrakte und praktischpolitisch folgenlose Erbauungsliteratur) in seiner buddhistischen Gesellschaftstheorie auseinander.

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15. Personenregister

Abe, Masao 236 f. Abraham, Karl 481 Acontius, Jacobus 540 Adam 479, 519, 525, 576 Adam, Martin T. 427, 430 Adler, Alfred 482 Adler, Max 446 Adyashanti (Steven Grey) 463 Agehānanda Bhāratī, Swāmī 408, 426 Ahn, Sung-Doo 193 Aitken Hopkens, Anne Arundel 31 Aitken, Robert Baker 31, 34 f., 39, 47, 50, 62, 74, 105, 409 f., 589, 594, 622, 630, 668, 673, 704 Albert, Karl 401 Albertus Magnus 384 Albrecht, Carl Eduard 400, 431 f. Alexander III. von Makedonien, Alexander der Große 513, 563, 597 Alexander, Franz 388 Alexandrin 638, 640 Almaas, A. H. 460 ff. Almond, Philip C. 423, 426–429 Amano, Taro 47 Ambedkar, Bhimrao Ramji 595 Améry, Carl 19 Amoghavajra 243 Amos 519 f. Anālayo, Bhikkhu 397 Ānanda 278, 611 Ananda, Priya 476 Ando, Osamu 455 Andreas-Salomé, Lou 406 Anielski, Mark 642

Annen 692 Antigonos II. Gonatas von Makedonien 598 Antiochius II. von Syrien 598 Antisthenes 518, 521 Apollon 382 Aquin, Thomas von 184, 322 f., 384 Aramaki, Noritoshi 675 Ariès, Philippe 52, 484, 562 Arifuku, Kōgaku 357, 685 Arjuna 186, 262 Aristoteles 381 f., 515, 680 f. Arokiasamy, Arul Maria (Ama Samy) 404 Ariyaratne, Ahangamage Tudor 601, 603 ff., 622, 637, 676 Arnold, Edwin 586 Arnold, Gottfried 385 Aron, Elain und Arthur 413 f. Āryadeva 142 Arzy, Shahar 422 Asaṅga 82, 112, 442, 448 Ash, Colin 640 Aśoka 591, 597 ff., 602, 611 f., 618, 621, 625 Assagioli, Roberto 407, 455 Assisi, Franz von 388, 563, 700 Assmann, Jan und Aleida 506 Asvabhāva 366 Aśvaghoṣa 243 Auḍulomi 268 Auerback, Micah 76 Augstein, Rudolf 491 Augustine, Keith 330 Augustinus 184, 200, 203, 391, 519, 525, 527

825 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Aung, Shwe Zan 467 Aurel, Mark 518 Aurobindo (Ghose), Śrī 64, 193, 271 f., 304, 457 Austin, James H. 404 Austin, John L. 23 Austin, Mary Huner 700 Avenarius, Richard 89, 388, 438 f. Ávila, Teresa von 388, 432 f. Ayyaswami Sastri, N. 196 Baader, Franz von 322 Baatz, Ursula 575 Back, Dieter M. 108 Bādarāyaṇa 187 Badham, Paul 335 Badiner, Allan Hunt 639, 678 Bagger, Matthew C. 430 Bahro, Rudolf 20, 411 f., 508, 621 Baier, Karl 198, 384, 388, 425, 579 Balint, Michael 457 f. Balma, Hugo de 385 Balthasar, Hans Urs von 198 Bandhuprabha 364 Barbanson, Constantin de 385 Barclay, Robert 540 Barlow, Connie 306 Barnard, G. William 377 f., 388, 409 Barney, Edward L. 632 Barnhill, David Landis 672, 685 ff., 702–706 Baroni, Helen Josephine 31 Barrett, William 28 f. Barth, Karl 199 Barua, Ankur 337 Basham, Arthur Llewellyn 617 Batchelor, Martine 339, 678, 704 Batchelor, Stephen 329, 337–343, 345–349, 358–362, 587, 605, 624, 639, 721 Bateson, Gregory 667 Bauer, Eberhard 330 Bauer, Rainer 260 Bazzano, Manu 455 Bechert, Heinz 585 f., 588, 593 f., 597, 610, 617 f.

Becker, Ernest 51–53, 479, 482–485, 496 f., 538, 571, 578 Becker, Valentin 649 Behn, Irene 380 Belk, Russell W. 567 f. Bellah, Robert N. 680 Belschner, Wilfried 145, 458 f., 462 f. Bendall, Cecil 81 Benedikt VIII. 528 Benická, Jana 103 f. Benjamin, Walter 555, 559 Benoit, Hubert 404 Bentham, Jeremy 658 Benz, Ernst 17, 66, 91, 386, 585 f. Berger, Peter L. 554 Bergler, Manfred 92 Bergmann, Ernst 391 f. Bergson, Henri 95, 322, 386 Berkeley, George 161–163, 438, 442 f. Berkman, Alexander 621 Berman, Harold J. 523 ff., 527 f. Berman, Amanda E. 425 Bernays, Edward Louis 632 Bernhardt, Stephen 427 Bernhart, Joseph 372 Bernstein, Andrew 36 Berry, Thomas 307 f., 310, 676 Besant, Annie 328 f. Bhattacharya, Ramkrishna 339 Bhavya/Bhāviveka/Bhāvaviveka 144, 196 Biehl, Janet 621 Bierhoff, Burkhard 631 Biesinger, Albert 256 Bindusāra 598 Binswanger, Ludwig 459 Bischofberger, Norbert 329 Blackstone, Judith 425 Blake, William 95 Blavatsky, Helena Petrovna 328, 352, 585 f. Blofeld, John 118, 137, 369 Bloom, Alfred 589 Bluck, Robert 590 Blyth, Reginald Horace 31, 105 Bobrow, Joseph 455

826 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Bochinger, Christoph 329 Bodhi, Bhikkhu (Jeffrey Block) 62, 346–348 Bodhiruci 693 Bodian, Stephan 661 Boëthius 184, 190 Boff, Leonardo 676 Bogdanow, Alexander Alexandrowitsch 439 Bohm, David 225 f. Böhme, Jakob 95, 322, 576 Bojažiev, Cočo C. 384 Bollnow, Otto Friedrich 494 Bonaventura (Johannes Fidanza) 384 f. Bond, George D. 645 Bookchin, Murray 621 Boorstein, Seymour 454 Borghardt, Tilmann 455 Bornemann, Ernst 565 Borup, Jørn 74, 90 Borzeszkowski, Horst-Heino von 531 f. Bosch, Lourens P. van den 602, 618 Boss, Medard 459 f. Bossuet, Jacques Bénigne 385 Bouyer, Louis 381 Bradford, G. Kenneth 463 Brahmā 612 f. Brahmā Sahampati 592 Brantschen, Niklaus 46, 590 Braudy, Leo 563 f. Braun, Claudia 625 Brazier, David 455, 590 Bredeson, Garrett Zantow 130 Brodbeck, Karl-Heinz 630, 640 f., 643, 655 Bronkhorst, Johannes 277 Brown, Brian Edward 675 Brown, Daniel P. 256, 429 Brown, Kerry 678 Brown, Norman O. 52, 478, 483 f., 508, 557–559, 566, 568 f. Brubaker, Rogers 546 f. Brück, Michael von 68, 186, 221, 236, 258, 263–267, 451, 500 f., 585, 594 f., 609 f., 612

Brunner, August 391 Brunner, Emil 198, 373 f. Bruno, Giordano 322 Buber, Martin 28, 200 Bubna-Litic, David 642 Buchstein, Hubertus 27 Bucke, Maurice 459 Bucknell, Roderick S. 331 ff. Buddhabhadra 287 Buddhadāsa, Bhikkhu 39, 331, 333, 343, 354, 590, 618, 621, 637 f., 675 f., 678 Buddhaghoṣa 257 Buddhaguhya 113 Buescher, Hartmut 176 Buksbazen, John 68, 73 f., 79 Bunte, Martin 172, 405 Burckhardt, Jacob C. 562 f. Buri-Richard, Fritz 202 Burley, Mikel 332, 337 Burkert, Walter 380–383 Burnouf, Eugène 120 Burton, David 448 Burroughs, William S. 672 Bush, George W. 713 Buswell, Robert E. 104, 243, 246, 696 Butler, Samuel 36 Byron, Lord 564 Cabezón, José Ignacio 605, 632 Caesar, Gaius, Iulius 563 Cairns, John 314 Callicott, Baird J. 703 f., 707 f. Calvin, Johannes 508, 534 f., 547 Campanella, Tommaso 531 Camus, Albert 29, 492 Candragupta (gr. Sandrokottos) 597 Candrakīrti 116, 221 f., 230, 463 Canterbury, Anselm von 523, 526 Caplan, Mariana 456 f. Capra, Fritjof 302, 701 Carpenter, Edward 394 Carse, James P. 575 Carson, Rachel 700 Carthusianus, Dionysius 385 Carus, Paul 36, 440

827 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Cavazza, Elisa 668 Certeau, Michel de 385 Chadha, Monima 337 Chaisson, Eric 306 f. Chaisumritchoke, Suntharee T. 640 Chambers, Robert 647 Chan, Wing-Tsit 286 Chan-jan/Zhanran 688 f., 691 Chao-chou Tsʾ ung-shen/Zhaozhōu Cōngshen (jap. Jōshū Jūshin) 47, 273 Chardin, Pierre Teilhard de 301 f., 322 Chatterjea, Tara 510 Chaudhuri, Bin 64 Chaudhuri, Haridas 64, 457 Chemparathy, George 178 Chen, Shuman 688 Cheney, Jim 702 Cheng, Chung-ying 37 Chʾ eng-kuan/Chengguan 103, 254, 288 Chi-tsang/Jizang 688 Chien-chih Seng-tsʾ an/Sēngcan (jap. Kanchi Sōsan) 28, 572 Chih-yen/Zhiyan 287, 289 Ching, Yu-ing 597 Ching-chüeh/Jingjue 239 Ching-ying Hui-yüan/Jingying Huiyuan 687 Chʾ ing-yüan Wei-hsin/Qingyuan Weixin (jap. Seigen Ishin) 106 Chinul/Jinul 339, 413 Chomsky, Noam 612 Choon, Yoke Meei 365 Chung-feng Ming-pen/Zhongfeng Mingben (jap. Chūhō Myōhon) 35 Chung-Yuan, Chang 37–39, 221, 241 Cioran, Emil M. 20, 570 Clayton, Barbara R. 681 Clooney, Francis X. 335 Cobb, John B. 641 Codiga, Doug 704 Cohen, Leonard 49 Collins, Steven 609, 617

Commoner, Barry 19 Conze, Edward 255, 594, 599, 610 Cook, Francis H. 678, 706 f. Coomaraswamy, Ananda Kentish 358 Cooper, David E. 682 Cooper, James Fenimore 699 Corti, Walter Robert 322 Coward, Harold 128 Cranmer, Thomas 539 Cromwell, Oliver 539 f. Csikszentmihalyi, Mark 686 Cupitt, Don 422 Curtin, Deane 668, 703 f. Cusanus (Nikolaus von Kues) 184, 384, 531 Dādū Dayāl 189 Dahlke, Paul 235 Dainichi Nōnin 248 Dalai Lama (Tenzin Gyatso) 62, 338, 590, 605, 627, 639, 673, 675, 678 Daḷhanemi 651 Dancis, Bruce 27 Daniels, Peter L. 634, 639 f. Danto, Arthur Coleman 408 D’Aquili, Eugene G. 425 ff. D’Arc, Jeanne 563 Darlington, Susan M. 675 Darwin, Charles 311 Datta, D. M. 159 Dattajivo, Luang Por 640 Davids, Caroline Augusta Rhys 464 Davis, Leesa S. 402 Davis, Richard H. 186 Dayānanda Saraswatī, Swāmī 261 f. Deeg, Max 304 Deikman, Arthur J. 256 f., 394, 457 f. Deitrick, James E. 594 Della Santina, Peter 40 Demandt, Alexander 531 DeMause, Lloyd 499, 503 Demiéville, Paul 693 Demmel, Maximiliane 90

828 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Demokrit 513 Dempf, Alois 372 Denifle, Heinrich 372 Derrida, Jacques 41 f., 63, 119, 121– 132, 134, 155 f. Descartes, René 219, 275, 533 Desideri, Ippolito 119 f. De Silva, David Wickrametilleke 585 De Silva, Lily 678 De Silva, Lynn Alton 202, 335 De Silva, Padmasiri 637 Despeux, Catherine 686 Deussen, Paul 38, 110 f. Devall, Bill 661 ff., 665, 699, 710 Dharmakīrti 116, 441 Dharmapāla 694 f. Dharmapāla, Anagārika (David Hewavitarne) 586 Dharmasiri, Gunapala 330, 615 f. Dickens, Charles J. H. 564 Dignāga 694 Dilthey, Wilhelm 322 Dilworth, David 90 Diogenes Laertius 492 Dionysius (Pseudo-)Areopagita 29, 381, 383 ff. Dionysos 515, 566 Ditfurth, Jutta 710 Döbler, Marvin 372 Eric Robertson Dodds 515 Dōgen 63, 69–72, 75, 79 ff., 84, 106, 130, 153 f., 181–184, 232 f., 236– 242, 244–253, 257, 284, 286, 357, 409, 440, 629, 668, 673, 697, 703 f., 710 f., 715, 718, 720 Dolce, Lucia 692 Doniger O’Flaherty, Wendy 189, 335 Dorje, Gyurme 62 D’Ortschy, Brigitte 46–49, 52 f., 74 Dostojewski, Fjodor M. 24 Dowd, Michael 309 f. Dowman, Keith 376 Drda, Darrin 622 Drengson, Alan 663

Drews, Arthur 322 Drews, Wolfram 523 Dühring, Eugen 387 Dumoulin, Heinrich 69, 92, 103, 201 f., 236, 248, 404 Dunne, John 397, 642 Dupré, Louis 198, 373 Durant, William James 23 Dürckheim, Karlfried Graf 76, 92, 461 Dürckheim, Maria Theresia Hippius 461 Durkheim, Émile 506 f. Dürr, Hans-Peter 701 f. Dusen, Wilson van 35 Düsing, Edith 491 Easterlin, Richard A. 647 Ebeling, Hans 492, 496 Eckert, Michael 384 Eckhart, Meister 29, 95, 374, 385, 401 Edom 519 Egler, Frank Edwin 668 Ehrlich, Paul R. 18 Eisenstadt, Shmuel Noah 685 Eisler, Rudolf 372 Elberfeld, Rolf 90, 182–185, 251, 289, 291 f., 294, 296, 488, 685 Elgin, Duane 631 Eliade, Mircea 277, 373 Eller, Cynthia 595 Ellsberg, Patricia Marx 630 Emerson, Ralph Waldo 699 Ende, Michael 59 Enders, Markus 155 Engler, Jack 144 f., 256 Ennenbach, Matthias 455 Enomiya-Lassalle, Hugo Makibi 46, 91 f., 202, 404 Epiktet 518 Epikur 192, 492 Epstein, Mark 357, 366, 455 Eppsteiner, Fred 588 Erhardt, Wolfgang 455 Eriugena, Johannes Scottus 322 Ess, Hans van 691

829 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Essen, Juliana 642 Evans, Donald 424, 427 Evernden, Neil 701 Ewald (Friedländer), Oskar 439 Falk, Maryla 109 Fa-tsang/Fazang 103, 285–289, 292, 294–296, 688 f., 706 Faure, Bernard 90, 248, 330, 632 Faust, August 28, 92 Fechner, Gustav Theodor 220, 667 Federn, Paul 481 Fehr, Theo 377 Fenner, Peter 463 f. Ferenczi, Sàndor 481 Fernando, Antony 202 Ferrer, Jorge N. 378, 421, 422, 462 Feuerbach, Ludwig 386 f. Fichte, Johann Gottlieb 179, 215 f., 220, 386, 447 Figura, Michael 383 Findly, Ellison Banks 583, 693 Fine, Lyn 602 Fink, Eugen 575 Fiore, Joachim von 529 Fischer, Mario 400 Fischer, Roland L. 427 Fischer-Barnicol, Hans A. 401 Flasch, Kurt 294, 374 Flemming, Pat 671 Florida, Robert 650 Fo-ch’ao Te-k’uang/Fozhao Deguang (jap. Settan Busshō Tokkō) 248 Forgie, J. William 430 Forman, Robert K. C. 427, 429 ff. Fort, Andrew O. 260 Foshay, Toby Avard 251 Foster, Nelson 589, 605 Foulk, T. Griffith 35, 69 Fox, George 540 Fox, Matthew 676 Fox, Warwick 662, 700, 703 f., 706 Frager, Robert (Sheikh Ragip alJerrahi) 462 Frambach, Ludwig 460 Frankena, William K. 657

Frankl. Viktor E. 461, 465 Franklin, Richard Langdon 427 Frauwallner, Erich 113, 142, 280 f., 693–695 Freiberger, Oliver 397 Freire, Paulo 601 Freud, Sigmund 52 f., 189, 457 f., 465, 467–475, 477–479, 481–487, 490, 505, 557, 565 Friedlaender, Salomo 460 Fritz, Hannelore 655 Fromm, Erich 404, 475, 479, 489, 562, 634 f. Fuchs, Peter 404 Fuchs-Heinritz, Werner 507 Gallus, Thomas 384 Galtung, Johan 601 Galuska, Joachim 454, 462 Gardet, Louis 198 Garside, Bruce 423 Gauḍapāda 249 Gebser, Jean 461 f. Gellman, Jerome 392 Gendün Drub 338 George, Susan 648 George, William W. 412 Gergen, Kenneth J. 455 Gerhard, Michael 324, 353 Gernet, Jacques 642 Gerson, Johannes 384 f. Gethin, Rupert 82, 397 Geulincx, Arnold 220 Ghosānanda, Samdech Preah Mahā 590, 628 Gimello, Robert M. 104, 417, 426 f. Ginsberg, Allen 672 Gioberti, Vincenzo 201 f. Girard, Frédéric 286 Glasenapp, Helmuth von 304 Glassman, Bernard 409, 590, 605 Gliwitzky, Hans 179 Gloy, Karen 303 Göbel, Oliver 252 Goebbels, Joseph 632 Goenka, Satya Narayan 339 Gogarten, Friedrich 198

830 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Golding, William Gerald 669 Goldsmith, Edward 663 Goldstein, Joseph 634 Goleman, Daniel 462 Göller, Thomas 24 Gombrich, Richard 588, 593 f., 606, 610 Goodenough, Ursula 306 Goodhew, Linda 42, 45, 47, 51, 59, 182 f., 655, 670 Goodman, Charles 681 Goodman, Paul 460 Gorke, Martin 659 Görres, Johann Joseph von 372 Gottwald, Franz-Theo 666 f. Govinda, Lama Anāgārika 301 Gowans, Christopher W. 352 Graham, Carol 647 Gramsci, Antonio 620 Green, Paula 605 Greenberg, Jeff 52 Gregg, Richard Bartlett 631 Gregor VII. 524 Gregory, Peter N. 254, 285, 288 Griffiths, Paul J. 112 f., 319, 333 f., 392 f. Grimes, John 265 Grof, Stanislav 407 f., 453, 458 f., 463 Grof, Christina 458 Grom, Bernhard 376 Grosnick, William H. 243 Gross, Rita M. 583, 634 Grosseteste, Robert 383 f. Gruhl, Herbert 19 Guattari, Félix 659 Guenther, Herbert V. 318 Guigo II. 383 f. Guṇamati 694 f. Guṇānanda Thera, Mohoṭṭivattē 585 f. Gundert, Wilhelm 92 Gurdjieff, Georges I. 459 Gurū Nānak 189 Guruge, Ananda Wahihana Palliya 640 f. Gutenberg, Johannes 538

Guyon du Chesnoy, Jeanne Marie 385 Gyger, Pia 590 Haas, Alois Maria 186, 373, 375, 381, 383–386, 420 Haas, Hans 92 Habito, Maria Reis 47 Habito, Ruben L. F. 46 f., 75, 86–88, 91, 93, 634, 704 Hachirō, Arita 79 Hacker, Paul 107, 188, 203, 260, 283 Haeckel, Ernst 660 Hakamaya, Noriaki 248, 366, 675, 679, 691 Hakuin Ekaku 282, 369 Halbfass, Wilhelm 265, 326 f., 329, 355 Halbwachs, Maurice 506 Hamacher, Christopher 49 Hamar, Imre 287, 295 Hamm, Berndt 385 Han, Byung-Chul 404, 497 f. Hand, Thomas G. 46 Handy, Charles B. 655 Hanegraaff, Wouter J. 454 Harada Sogaku Daiʾ un 46, 50, 68– 70, 72 f., 75–78, 85 f., 254, 411 f., 673 Haribhadra 325 Harich, Wolfgang 19 Harpokrates 381 Harrington, Alan 563 Harris, Elizabeth J. 605 Harris, Ian C. 110, 594 f., 675–680, 682 f., 709, 714 f. Harris, Samuel B. 346 f. Harṣavardhana 599 Hartmann, Eduard von 324 f., 440 Hartelius, Glenn 456 f. Hartzell, Joan 455 Harvey, Peter 235, 594 f., 617, 633 Hastāmalaka 265 Haug, Walter 383, 416 Haught, John F. 307 Havel, Václav 19 f. Hazama, Jikō 248

831 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Hefferline, Ralph F. 460 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 95, 120, 127, 320–322, 386, 549 Heidegger, Martin 24 f., 28, 37 f., 63, 95, 106, 146 f., 218, 239, 255, 333, 400, 459, 488–497, 542, 548–550, 667, 699 Heidemann, Astrid 90 Heiler, Friedrich 257, 282, 374 f. Heim, Karl 92 Heine, Steven 85, 251, 687 Heinemann, Robert Klaus 244 Heinrichs, Johannes 20, 415 Heinroth, Johann Christian August 386 Hekataios von Abdera 380 Helg, Felix 459 f. Helminiak, Daniel A. 378 Henderson, Harold 26 Henry, Phil 590 Heraklit 322 Herman, Arthur 20 Herman, Arthur L. 358 Herodot 380, 513 Herp, Hendrik 384 f. Herrigel, Eugen 76, 92, 404 Hersentius, Carolus 385 Hertog, Katrien 627 Hesiod 669 Hick, John Harwood 330 f., 335, 348, 359, 417 f. Hiriyanna, Mysore 352 Hirsch Hadorn, Gertrude 660 Hisamatsu, Shinʾ ichi 101, 404, 590 Hitler, Adolf 76, 313, 713 f. Hobbes, Thomas 543 f. Hoburg, Christian 385 Hofman, Liane 463 Hofmann, Albert 461 Hoffmann, Franz 322 Hoheisel, Karl 377 Holbrook, Dwight 184 Hölderlin, Friedrich 537 Hollenback, Jess Byron 427 Holt, John Clifford 273 Hönigswald, Richard 446 f. Hood, Ralph Wilbur 392, 425

Hopkins, Jeffrey 133 Hor-pa-chered 380 Horstmann, Ulrich 20, 324 Hsiang-yen Chih-hsien/Xiāngyan Zhixian (jap. Kyōgen Chikan) 239 Hsieh, Ding-hwa Evelyn 340 Hsüan-Tsang/Xuanzang 364 f., 369, 442, 474 ff., 693 ff. Hsüeh-tou Chʾ ung-hsien/Xuedou Zhongxian (jap. Setchō Jūken) 34 Huang-Po Hsi-yün/Huangbo Xīyun (jap. Ōbaku Kiun) 118, 137, 284 Hubbard, Jamie 248 Hübner, Sabine 572 Hügel, Friedrich von 389 f., 420 Hügli, Anton 498 Hugo, Victor-Marie 564 Hui-hai/Dazhu Huihai (jap. Daishu Ekai) 369 Hui-kuo/Huiguo 710 Hui-neng/Huineng 103 Huizinga, Johan 562, 576 Hume, David 164 f., 167 f., 219, 438, 440, 508, 541 f., 719 Humphreys, Christmas 334, 595 Hundt, Ulrike 453 Hunt-Perry, Patricia 602 Huntington, C. W. 120 Husserl, Edmund 96, 166, 400, 443– 446 Hutcheson, Francis 542 Huxley, Aldous Leonard 452, 461 Huxley, Andrew 617 Huxley, Julian 452 Huxley, Thomas Henry 341 Hylas 161 f. Hyung-keun, Oh 693 f. Ibn ʿ Arabī 61 Ichikawa Hakugen 50, 76 Idel, Moshe 422 Ien, Inzan 673 Illich, Ivan 601 Ims, Knut Johannessen 639 Inagaki, Hisao 191 Indra 613 Inge, William Ralph 372

832 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Inoue, Shinichi 639, 642 Inoue, Yuichi 663 Irie, Yukio 18 Isāna 613 Īśvarakṛṣṇa 280 Ital, Gerta 404 Ives, Christopher 76, 634, 710 Izutsu, Toshihiko 61, 106, 404 Jackson, Peter A. 332, 618, 637 Jakob I. 538 Jäger, Willigis 46, 91 f. Jain, Elenor 373 James, Simon P. 89, 412, 682, 704, 707 f., 711 James, William 52, 89 f., 330, 386, 388 f., 402 f., 459, 567 f. Janke, Wolfgang 106, 449 f., 492 Jaspers, Karl 178, 376, 450, 492 Jax, Kurt 660 Jayasuriya, Laksiri Dharmasoka 617 f. Jayatilleke, Kulatissa Nanda 329 f., 334, 617 f. Jenkins, Stephen 82, 224 Jennings, James George 331, 333, 342 Jerusalem, Wilhelm 440 Jesaja 520 Jesus Christus 46, 189, 198 f., 320, 358, 381, 508, 520, 523, 525 f., 528 f., 540, 554, 650 Jevning, Ron 425 Jia, Jinhua 247 Jinaputra 112 Jñānagarbha 144 Johnston, William 202, 404 Jonas, Hans 322 Jones, Ernest 481 Jones, Ken 106, 584, 589, 591, 595, 603, 605–608, 616 f., 622–625, 627, 630 Jones, Richard H. 203, 374, 379, 394, 396–399, 408, 417, 425, 427, 431 f., 434 f. Jones, Rufus 420 Jorgensen, John 247

Josipovic, Zoran 425 Jung, Carl Gustav 52, 92, 339, 402, 404, 459, 476 f., 482, 507, 567 Kabīr 189 Kaewthep, Kanoksak 640 Kajiyama, Yuichi 113, 441 Kaklauskas, Francis J. 455 Kalff, Dora M. 339 Kalupahana, David J. 37, 476 Kamphausen, Klaus 20 Kampmann, Helga 642 Kaniṣka 598 f. Kant, Immanuel 36–38, 120, 148 f., 163, 192, 214, 324, 335, 357, 386, 405 f., 430, 438, 576, 681, 720 Kantor, Hans-Rudolf 696, 712 Kanzui, Hanamoto 74 Kao, Grace Y. 708 Kapleau, Philip 33, 47, 50, 70, 74 f., 106, 276, 588 Karashima, Seishi 325 Karpik, Stefan 51 Karunatilaka, Halwalage Neville Sepala 637 Kaśyapa 230 f. Katz, Eric 667 Katz, Steven T. 422–431 Kaufman, Gordon D. 308 f., 314 f. Kaufman, Whitley R. P. 334–337 Kaufmann, Franz-Xaver 546 Kaufmann, Walter A. 490 f. Kauṭilya (Cāṇakya, Viṣṇugupta) 597 Kaza, Stephanie 625, 634, 670, 678 Kearns, Laurel 676 Keding, Volker 385 Keer, Dhananjay 595 Keith, Arthur Berriedale 120 Keller, Carl-Albert 422 Kemper, Steven 586 Keown, Damien 630, 650, 680 f. Kepler, Johannes 531 Kern, Johan Hendrick Caspar 120 Kerouac, Jack 672 Keuffer, Josef 625 Keyes, Charles F. 642 Khongchinda, Pramaha Chanya 615

833 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Kierkegaard, Søren 24, 483, 487, 489–491, 571 Kießling, Klaus 256 Kim, Hee-Jin 181, 232 f., 239, 241, 251 Kimmel, Monica 427 Kimura, Bunki 261 King, Martin Luther 587 King, Sallie B. 74, 112, 427, 587, 597, 605, 608–610, 622 f., 627, 630, 635, 669 f., 702 King, Winston L. 202, 356, 411, 594 Kirchhoff, Jochen 20 Kirfel, Willibald 304 Kitagawa, Hidenori 441 Kitagawa, Joseph Mitsuo 594 Kitching, Gavin 636 Kjolhede, Bodhin 409 Klages, Ludwig 220, 479 f. Klein, Anne Carolyn 583 Klein, Jean 463 Klein, Melanie 481 Kleine, Christoph 304, 397 Kleutgen, Joseph 201 f., 372 Kloppenborg, Ria 44 Knitter, Paul F. 59 f. Kochanek, Hermann 377 Koestler, Arthur 404, 501 Kohls, Niko 145, 459 Kolumbus, Christoph 314 Konik, Adrian 620 f. Kopernikus, Nikolaus 430, 530 Kopf, Gereon 106 Köpken, David Heinrich 385 Kopp, Johannes 46 Kornfield, Jack 589 Koseki, Aaron K. 688 Koshikawa, Fusako 455 Kourie, Celia 376 Kraft, Kenneth 587, 594 f., 624 f., 627, 630, 678 Krämer, Helmut 381 Krebs, Angelika 657 ff. Krebs, Engelbert 198 Krech, Volkhard 387 Kreiner, Armin 428 f. Kreuder, Pascal 668

Kripal, Jeffrey J. 375 f., 409 Krishnamurti, Jiddu 433 Kropotkin, Pjotr Alekseevič 621 Kṛṣṇa 186 f., 189, 258, 262 ff., 266 f. Krueger, Joel 90 Krug, Wilhelm Traugott 386 Krystal, Sheila 463 Kubota, Akira 54, 74, 84, 92 Kuei-shan Ling-yu/Guishan Lingyou (jap. Isan Reiyū) 169 Kues, Nikolaus von (Cusanus) 184, 384, 531 Kühn, Rolf 155 Kūkai 710 f. Kulke, Hermann 261 Kumārajīva 222, 243, 693 Küng, Hans 376 Kunisch, Hermann 372 Kuo-an Shih-yüan/Kuoān Shīyuan (jap. Kakuan Shien) 105 Kurstak, Daniel 392 Kvaløy Sætereng, Sigmund 668 f. Kwan-yin (chin. Kuan-yin/Guānyīn, jap. Kannon) 597 Kwee, Maurits G. T. 455 La Barre, Weston 65 LaChapelle, Dolores 700 Lacombe, Oliver 198 La Fleur, William R. 685, 688 Lai, Pan-Chiu 290 Lai, Whalen 355 f., 451, 585, 610, 612, 687, 693 f. Lajoie, Denise H. 456 Laktanz (Lactantius) 192 Lamberth, David C. 89 Lamotte, Étienne 326, 645 Landauer, Gustav 213, 575, 621 Landsberg, Paul Ludwig 492 Langer, Otto 381, 383 Lao-tze/Laozi 139 Laszlo, Ervin 315 Lauth, Reinhard 179, 657 La Vallée Poussin, Louis de 120 Leary, Timothy 392, 461, 662 Leese, Kurt 322 Lefèvre d’Étaples, Jacques 538

834 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Leggett, Trevor 260 Le Guin, Ursula Kroeber 59 Leibniz, Gottfried Wilhelm 191, 219 f., 289 f., 344 Leibold, Michael 685 Lemanski, Jens 375 Lengsfeld, Peter 46 Lenin, Wladimir Iljitsch 438 f. Lenz, Frederick P. 64 Lenz, Reimar 407 Leopold, Aldo 671 f., 698 Lesch, Harald 20 Lessem, Ronnie 640 Lester, Robert C. 261 Levinas, Emmanuel 497 LeVine, Peg 455 Levy, John 164–168 Lévy-Bruhl, Lucien 476 Lewis, Chris H. 650 Lewis, Delmas 392 f. Li-chi Ch’eng-Chung/Li ji Chengzhong 286 Liebenthal, Walter 222, 687 Lifton, Robert Jay 483 Light, Andrew 667 Limaye, Surekha V. 404 Lin-chi I-hsüan/Linji Yixuan (jap. Rinzai Gigen) 68, 340 Lindtner, Christian 108, 116, 326 Ling, Trevor Oswald 618 Lingwood, Dennis P. E. (Saṅgharakṣita) 346, 590 Linssen, Robert 404 Litsch, Franz-Johannes 595 Liu, Ming-Wood 290, 325, 687 f. Locke, John 344 f., 543 Löhr, Gebhard 374 Löhr, Sabine 670 Loori, John Daido 252, 673 f., 704 Lopez, Donald S. 246, 325 Lorenzen, David N. 189 Lotz, Johannes Baptist 147, 198 Loy Goodhew, Mark 55 Loy, Irene 22 Loy, Robert 22 Lovelock, James Ephraim 669 Low, Albert 369

Low, Barbara 472 Löwith, Karl 492 Lu, K’uan Yü (Charles Luk) 117 Lubac, Henri de 198 Luhmann, Niklas 404 Lukoschek, Barbara 594, 606, 638 Lukrez 531 Lüpke, Geseko von 307 Lusthaus, Dan 108, 113, 133, 160, 365–367 Luther, Martin 534 f., 538, 558 Luttwak, Edward 642 Ma, Lin 37 Maaß, Fritz-Dieter 372, 387 Mach, Ernst 144, 438–441, 446 Machiavelli, Niccolò 620 Macy, Joanna Rogers 589, 595, 605, 617 f., 627, 639, 665, 670 f., 673, 675, 679, 691 Madhva 272 Maezumi, Hakuyū Taizan 49, 74, 673 Magee, Bryan 214 Mager, Alois 198 Magid, Barry 455 Magliola, Robert 41, 121 f., 126, 128 Magnuson, Joel 640 Mahāpajāpatī Gotamī (skt. Mahāprajāpatī Gautamī) 611 Mahāṛṣi Maheś Yogi 413 Mahāsammata 617 Mahidddhi 613 Mainländer, Philipp 324 Maithrimurthi, Mudagamuwe 257, 684 Maitreya 285 f., 316, 688 Maitreyanātha 325, 695 Makarios 381 Makransky, John J. 255, 319, 367, 371 Ma-ku Pao-ch’e/Magu Baoche 251 f. Malatesta, Errico 621 Malebranche, Nicolas 202, 220 Malermi, Niccolò 538 Malinar, Angelika 186

835 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Malkovsky, Bradley M. 188 Maṇḍana-Miśra 268 Mano, Shinya 692 Mansfeld, Jaap 322 Mao Tse-tungs/Mao Zedōngs 510, 714 Maraldo, John C. 236 Marcaurelle, Roger 260, 265 Maréchal, Joseph 198 Margreiter, Reinhard 155, 386, 400 f. Margulis, Lynn 669 Maritain, Jacques 198 Marlewicz, Halina 261 Marques, Joan 642 Marshall, Alfred 631 f. Marshall, Paul 306, 393–396 Martin, Michael 330 Marx, Karl 555 Maslow, Abraham H. 388, 407, 417, 452–454 Ma-tsu Tao-yi/Mazu Daoyi (jap. Baso Dōitsu) 247 Mathers, Dale 455 Mathews, Freya 665, 702 Ma-tsu Tao-yi/Mazu Daoyi 247, 253 Matsumoto, Shirō 248, 691 f. May, Jacques 108, 133 May, John D’Arcy 318, 320 May, Reinhard 28 f. May, Rollo 52, 486, 488, 493 Mayer-König, Birgit 266 McCann, Justin 195, 283 McChesney, Robert W. 648 McCormick, Elizabeth Wilde 455 McGinn, Bernard 375 f., 381 McMahan, David L. 594 f. McRae, John R. 247 Meadows, Dennis L. 19 Mehlis, Georg 372 Mehta, Jarava Lal 37 f. Menander / Menandros 141 Menoikeus 492 Merchant, Carolyn 700 Merrell-Wolff, Franklin 426 Merton, Thomas 199, 202, 601

Metz, Detlef 375, 384 Metz, Johann Baptist 582 Metzner, Ralph 662 Meyer, Eric D. 549 Meyer, Guido 481 Meyer, Gundula 46, 92 Meyerhoff, Jeff 415 Michaels, Axel 597 Michelangelo Buonarotti 563 f. Mickunas, Algis 185 Midas 565 f. Milch, Werner 372 Mill, John Stuart 176 Miller, David M. 271 Miller, Melvin E. 455 Minor, Robert N. 271, 304 Mises, Ludwig von 641 Mishra, Kameshwar Nath 111 f. Mitchell, Donald W. 590 Miyazaki, Hayao 59 Mizuno, Kōgen 181 Moab 519 Moacanin, Radmila 476 Möckel, Christian 444 f. Moebus, Oliver 274 Mohanty, Jitendra Nath 114 Mohs, Mary 402 Mojsisch, Burkhard 374 Molinos, Miguel de 385 Mokṣākaragupta 112 Monier-Williams, Monier 159 Mookerjee, Satkari 113 Moore, Matthew J. 617, 621 Moore, Peter G. 376, 422, 424 Morgan, Peggy 591 f. Mörke, Olaf 535 Most, Johann 621 Mruk, Christopher J. 455 Mühsam, Erich 621 Muir, John 700 Müller, Günther 372 Müller, Hans-Peter 329 Müller, Max 120 Mumford, Lewis 20, 462 Mumme, Patricia J. 283 Münnix, Gabriele 155 Muramoto, Shoji 455

836 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Murti, Tiruppattur Rameseshayyar Venkatachala 35, 111 f., 120 Muschg, Walter 372 Mylius, Klaus 107 Myōdō, Satomi 74 Næss, Arne 601, 621 f., 659, 660– 669, 671, 702–704, 706, 710 Naganuma, Myōkō 590 Nāgārjuna 40 f., 48, 63, 82, 108, 110 f., 115–124, 126–129, 131, 133– 137, 142, 155, 157–160, 173, 178– 180, 229–231, 233, 242, 246, 279 f., 325, 355, 440, 447 f., 478, 568, 572, 574, 604, 625, 701 Nāgasena 141 Nagatomo, Shigenori 427 Nakamura, Hajime 615 f., 696 f. Nambara, Minoru 101 Ñāṇamoli, Bhikkhu 617 Ñānanada, Bhikkhu 108 Nan-yang Huichung/Nanyang Huizhong (jap. Nanyō Echū) 247 Nan-yüeh Hui-ssu/Nanyue Huisi 690 Napoleon Bonaparte 509, 563 Naranjo, Claudio 460, 462 Narayana Moorty, J. S. R. L. 364 Nehring, Andreas 590 Neisser, Ulric 664 Nemo, Phillipe 503, 513, 525, 527 Neuenschwander, Bernhard 376 Neufeldt, Ronald W. 329 Neumann, Erich 479 Neumann, Mareke 605, 607 Newberg, Andrew B. 425 ff. Newton, Isaac 531 Nietzsche, Friedrich 24, 28, 54, 95, 130, 164, 167 f., 213 f., 322, 496, 515, 520 f., 533, 572 Nirañjanī, Haridās 189 Nisargadatta Mahāraj 463 Nishiari, Bokusan 72 Nishida, Kitarō 89 f., 388 Nishio, Minoru 181 Nishitani, Keiji 155, 332 f., 355, 488 Niwano, Nikkyō 590

Nixon, Richard M. 27 Nobel, Johannes 370 Norberg-Hodge, Helena 639 Nordau, Max 387 Nōnin, Dainichi 248 Numata, Yehan 65 Nyānatiloka Mahāthera 193, 209 Nyssa, Gregor von 381 Oberhammer, Gerhard 260, 283 Obert, Mathias 103, 288, 291, 294 Obeyesekere, Gananath 583, 588, 611 Odin, Steve 90, 290, 704, 706 Ōhashi, Ryōsuke 184, 251 Okada, Yukihiro 82, 326 Okumura, Shōhaku 286 Olivelle, Patrick 260, 598 Olson, Carl 286 Ommerborn, Wolfgang 686 Oppenheimer, Mark 50 Oresme, Nikolaus von 531 Origenes 381 Ornstein, Robert Evan 462 Ōsaki, Akiko 365, 476 Osama bin Laden 713 Osto, Douglas 633 Ōtake, Susumu 287 Ott, Ulrich 144 Otte, Klaus 202 Otto, Rudolf 28, 92, 194, 382, 389– 392, 431, 435 Ouspensky, Peter D. 459 Ovid 566 Padmapāda 265 Padmasambhava 318 Paetow, Björn-Peter 625 Pahnke, Walter Norman 392 Panicker, John 272 Panikkar, Raimon 659 Paper, Jordan 400 f., 427 Paramānanda, Swāmī 334 Paramārtha (ch. Chenti/Zhendi; jap. Shindai) 243, 693–695 Parfits, Derek 345 Park, Jungnok 243

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Personenregister Parkes, Graham 704, 710 f. Parmenides 148 Pasolini, Pier Paolo 635 Patañjali 258, 280 Patterson, Orlando 510 Pauen, Michael 220 Paul VI. 587 Paul, Diana Y. 583, 694 f. Paul, Gregor 135, 359 Paulus 388 Payne, Richard K. 451 Payutto, Prayudh Aryankura 618, 637–640, 651, 675, 680 Peacock, Linda Mary (Thanissara) 627 Peat, F. David 225 f., Peebles, James Martin 585 Penelhum, Terence 428 Peng-Keller, Simon 401 Penner, Hans 374 Perovich, Anthony 395 Perls, Frederick Salomon 460 Peters, Frederic H. 425 Petzold, Bruno 690 Philonous 161 f. Phrabhavanaviriyakhun (Phra Phadet Dattajeevo) 640 Piaget, Jean 461 Piechocki, Reinhard 659 Pieris, Aloysius 202 Pike, Nelson 427 Pinzler, Petra 626 Pittman, Don A. 587 Platon 38, 148, 185, 302 f., 306, 382 f., 513, 515 f., 576 Plotin 95, 382 f., 391 Plumwood, Val 702 f. Plutarch 380 Poceski, Mario 252, 688 Pogge, Thomas 649 Pohle, Joseph 202 Poiret, Pierre 385 Polanyi, Karl 651–653 Pollack, Detlef 553 Poole, Cecil F. 26 Poraj, Alexander 92 Pordage, John 385

Poussin, Louis de La Vallée 120 Prebish, Charles S. 31 Praag, Henri van 402 Pajāpati 613 Prajñākaramati 224 Prasad, Ajith 476 Prayukvong, Wanna 642 Prebish, Charles S. 31 Preger, Wilhelm 372 Premasiri, Pahalwattage Don 615 f. Prendergast, John J. 463 Primavesi, Oliver 322 Proklos 383 Proudfoot, Wayne Lee 89, 421 Proudhon, Pierre-Joseph 631 Pryor, Frederic L. 638 f. Ptolemäus, Claudius 430 Ptolemäus II. Philadelphus von Ägypten 598 Puligandla, Ramakrishna 258, 270 Pullman, Philip 59 Punnadhammo, Bhikkhu (Michael Dominskyj) 346 f. Puntarigvivat, Tavivat 640 Puntasen, Apichai 640 Putnam, Hilary 27 Pyszcynski, Thomas A. 52 Pythagoras 513 Queen, Christopher S. 586, 590 f., 595, 605, 627 Quekelberghe, Ranaud van 453 Quint, Josef 373, 416 Ra, Lang Eun 690 Rabten, Geshé 339 Ra(v)idās 189 Rader, Dennis Lynn 564 Radhakrishnan, Sarvepalli 262, 271 f., 334, 356 Radich, Whalen 319, 693–695 Rardin, Mary Anne 456 f. Rahner, Karl 198 f., 428 Rahula, Walpola 601, 605, 615 f. Ram Dass (Richard Alpert) 461, 662 Raman, Srilata 261, 283 Rāmāna Mahāṛṣi 463

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Personenregister Rāmānuja 187 f., 258, 260–263, 265, 272 Rambelli, Fabio 692 f. Ram-Prasad, Chakravarthi 261 Rank, Otto 52, 481–485, 498, 512, 557–559 Rappe, Guido 251 Ratnākaraśānti (Śāntipa) 112 Ratnakīrti 441 Ratnamati 693 ff. Ratnapala, Nandasena 617 f. Raud, Rein 181 f. Rawls, John 27 Reddy, V. Madhisidan 457 Reed, Barbara E. 594 f. Reich, Wilhelm 481 Reichenbach, Bruce R. 336, 352 Reina, Casiodoro de 538 Reißig, Rolf 652 Rentmeester, Casey 290 Repp, Martin 687 Rhine, Joseph Banks 461 Richards, Angela 457, 723 Richards, William A. 392 Riehle, Wolfgang 283 Roberts, Bernadette 428 f. Robinson, Catherine A. 262, 272 Robinson, Richard Hugh 120 f., 688 Rogers, John 539 Roloff, Dietrich 35, 382 Rose, Kenneth 427 Rosenbaum, Robert 455 Rosenberg, Otto 136 Rosmini, Antonio 202 Rostow, Walt Whitman 633 Rothberg, Donald 427, 589 f., 605, 627, 630 Rothe, Geffen 457 Rothenberg, David 667 Rothermund, Dietmar 261 Rothermundt, Gottfried 330 Rouse, W. H. D. 81 Rowan, John 453 Roy, Ellen 567 f. Roy, Paul 457 Roy, Ram Mohan 261 Rubin, Jeffrey B. 455

Rudin, Richard 50 Rue, Loyal 305 f., 312 Ruegg, David Seyfort 120 Ruh, Kurt 380, 384 Ruschmann, Eckart 453 Russell, Bertrand 23, 176, 352 Rüstau, Hiltrud 262 Ruysbroeck (Ruusbroec), Jan van 197 Ryōgen 692 Ryōgi Yasutani Oshō 72 Sabelli, Fabrizio 648 Sadakata, Akira 304 Safran, Jeremy D. 455 Sahni, Pragati 682 Sahtouris, Elisabet 314 Saint-Hilaire, Jules Barthelemy 120 Saint-Mihiel, Smaragd von 384 Saito, Yuriko 710 Sajdek, Pawel 268 Samartha, Stanley Jedidiah 588 Samosata, Paulus von 528 Samy, Ama 404 Sandaeus, Maximilian (Maximilian van der Sandt) 385 Saṅgharakṣita (Dennis P. E. Lingwood) 346, 590 Śaṅkara 41, 107, 110 f., 187 f., 195, 203, 236, 249–251, 258–263, 265 f., 268, 272, 377, 394, 447, 719 Śāntarakṣita 144 Sante, Luc 553 Śāntideva 81, 141, 224, 344, 681 Santikaro, Bhikkhu 618–620, 622 Śāntipa 112 Sarkisyanz, Emanuel 617 f. Saroja, G. V. 262 Sartre, Jean-Paul 164, 166–168, 478, 485, 492 f. Sasaki, Kyōzan Jōshū 49 Satprakāśānanda, Swāmī 334 Scagnetti-Feurer, Tanka 455 Scharfstein, Ben-Ami 401 f. Schayer, Stanislaw 230 f. Schefer, Christina 382 Scheler, Max 372 f., 406, 416

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Personenregister Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 95, 216, 321 f., 386, 489 Schelling, Thomas 27 Schenkel, Peter 502, 666 Scherhorn, Gerhard 643 Schieffer, Alexander 640 Schilson, Arno 387 Schleiermacher, Friedrich 89 Schlieter, Jens 128 f. Schlütter, Morten 35, 340 Schmid, Georg 373 Schmidt, Korbinian 427 f. Schmidt-Leukel, Perry 17–19, 44, 108, 151, 191, 193, 199, 202, 234 f., 279–281, 283, 319 f., 333, 335, 345, 359, 370, 417 f., 429, 434 f., 451, 591 f., 609 f., 612–616, 719 Schmithausen, Lambert 44, 82 f., 108–110, 138, 160, 210, 279 f., 368 f., 442, 468, 670, 675 f., 679 f., 683 f., 688–693, 697 Schmitz, Stefan 453 Schmücker, Marcus 261 Schneider, Ulrich 598, 625 Scholem, Gershom 420 Schopenhauer, Arthur 38, 77, 95, 207 f., 324, 335, 386, 536, 565 f., 672 Schreiner, Peter 303 Schubert-Soldern, Richard von 438 Schūej, Ōhazama 28 Schulze, Christiane 590 Schumacher, Ernst Friedrich 625, 635–638, 640 f. Schumacher, Thomas 650 Schumann, Hans Wolfgang 353 Schuppe, Wilhelm 438 Schwalm, Helga 123 Schweitzer, Albert 593 f., 601, 658 Scott, Rachelle M. 634 Scotton, Bruce W. 455 f., 459 Seager, Richard Hughes 589 f., 673 Searle, John R. 213 f. Seed, John 670 f. Seggelke, Yudo J. 673 Seidenstücker, Karl 151 Sekida, Katsuki 404

Sells, Michael A. 422 Sen, Indra 457 Senauke, Alan 605 Seng-chao/Sengzhao (jap. Sōjō) 222, 687, 691 f. Senzaki, Nyōgen 31 Sessions, George 661 ff., 666, 699, 710 Seyppel, Joachim 372 f. Shainberg, Lawrence 409 Shaner, David Edward 704, 711 Shapiro, Stuart L. 456 Sharf, Robert H. 68 ff., 72, 88–91, 687–689 Sharma, Arvind 337 Shaw, Miranda 583 Shear, Jonathan 425 Shen, Vincent 290 Sherman, Jacob H. 421 f. Shi, Hengjing 712 Shimizu, Masumi 202, 251 Shibayama, Zenkei 90 Shimano, Eido Tai 49 f. Shinran 190 f., 283 Shklar, Judith 27 Shūdō, Ishii 35 Siddhārtha Gautama, Śākyamuni 77, 97, 153, 332, 341, 451, 481, 575 Siep, Ludwig 536, 658 f. Śikṣānanda 287 Silenos 566 Silverman, Marjorie L. 346 Simmel, Georg 555–557, 566 Simmer-Brown, Judith 31, 589, 594 f., 627, 634, 639 Simoni-Wastila, Henry 202 Simpkins, C. Alexander und Annellen M. 455 Singer, Peter 658 Śiva 198 Śivānanda, Swāmī 271 f. Sivaraksa, Sulak 588, 590, 601 f., 605, 618 f., 622, 625, 627, 630, 634, 638 f., 675 f., 679 Skolimowski, Henryk 307 Skousen, Mark Andrew 641

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Personenregister Slaje, Walter 611 Slicer, Deborah 703 Sloterdijk, Peter 201 Smart, Ninian 390 f., 426 f. Smith, Adam 543 f., 550 Smith, Bardwell L. 594, 606 Smith, Donald Eugene 617 f. Smith, Huston Cummings 407 Smith, Paul 26 Snyder, Gary 589, 594, 596, 670, 672 f., 703–706, 712 Söderblom, Nathan 389 f. Sōen, Nakagawa 31, 50, 74, 673 Sogaku, Harada 50, 77 Sōgen, Asahina 74 Sōkan, Kōno 74 Sokrates 517 Solomon, Sheldon 52 Soma 613 Sørensen, Henrik H. 715 Sōsan, Dokutan 68 Spackman, John 242 Spangler, David 302 Sparham, Gareth 325 Spellman, John Willard 617 Spinoza, Baruch de 95, 192, 219 f., 478, 663 f., 667 f., 680, 699 Spiro, Melford E. 642 Sponsel, Leslie E. 677 Spretnak, Charlene 704 Sprigge, Timothy 667 Sprung , Mervyn 115 f., 135, 137 Srinivasa Chari, S. M. 226 Ssu-ming Chih-li/Siming Zhili 712 St. Viktor, Hugo von 383 f. St. Viktor, Richard von 383 f. Staal, Frits 189, 416 Stace, Walter Terence 391 f., 396, 408, 426, 428 Stacks, Thistle N. 476 Stalin, Josef W. 509, 513, 713 Stanley, John 62, 312 f. Stcherbatsky, Fyodor Ippolitovich 120, 441 Steere, Douglas van 17 f. Steggink, Otger 375 f., 382 Stegmüller, Klaus 163

Steinbüchel, Theodor 372 Steineck, Christian 357 Steiner, Rudolf 459 Stephan, Peter 188, 259 Sternberger, Dolf 492 Stevens, John 425, 632 Stevens, Larry 425 Stevenson, Ian 330 Stevenson, Robert W. 262 Sthiramati 112, 175, 694 f. Stiefenhofer, Dionys 381 Stoeber, Michael 335, 378, 427, 809 Stoll, Heinrich Wilhelm 566 Stolz, Anselm 198 Stone, Jacqueline I. 243, 248, 692, 696 Strain, Charles R. 520, 679 f. Strauß, Victor von 28 Strawson, Peter 23 Streng, Frederick J. 53, 121, 377 f. Stuart-Fox, Martin 331 ff. Stuckrad, Kocku von 656 Sturlese, Loris 374 Sturm, Hans Peter 109, 111, 129, 133 Sudbrack, Josef 199–203, 375 f., 391, 421 Sueki, Fumihiko 685, 692 Sullivan, Harry Stack 486 Sullivan, Marek 683, 704, 706, 715 Sunim, Kusan 339 Sureśvara 265 Sutich, Anthony J. 453 Sutton, Florin Giripescu 235 Suu Kyi, Aung San 603, 605 Suzuki, Daisetsu Teitarō 28 f., 36, 38, 76, 89–92, 282, 286, 332 f., 388, 402–404, 410 f. Suzuki, Shunryū 572 Swanson, Paul L. 243, 248 Swearer, Donald K. 202, 331–332, 355, 601, 638, 675, 678–680, 682 f., 714 Swedenborg, Emanuel 35 f., 66, 283 Swee Tiang, Goh 42 Swimme, Brian 307 f., 310 Symeon 381

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Personenregister Tachikawa, Musashi 196 Taehyeon 82 Ta-hui Tsung-kao/Dahui Zonggao (jap. Daie Sōkō) 248, 340 Tʾ ai-Hsü/Taixu 587 Takeuchi, Yoshinori 257 Takizawa, Katsumi 202 Tambiah, Stanley Jeyaraja 612, 615 f. Tanabe, Hajime 488 Tanahashi, Kazuaki 181, 252 Tʾ an-luan/Tanluan (jap. Donran) 190 f. Tao-Sheng/Daosheng 687 Tart, Charles T. 454, 462 Tatia, Nathmal 326 Tawney, Richard Henry 651 f. Taylor, Andrew 700 Taylor, Paul W. 658 Teasdale, Wayne 376 Tenzin Gyatso (Dalal Lama) 62, 338, 590, 605, 627, 639, 673, 675, 678 Thales 513 Ṭhākura, Ravīndranātha 406 Thanissara (Linda Mary Peacock) 627 Thích Nhât Hạnh 58, 62, 316, 587– 590, 601 f., 605, 622, 627 f., 630– 634, 639, 670 f., 673, 678 Thiel, Detlef 460 Tho, Ha Vinh 626 Thompson, Edward P. 20 Thrangu, Rinpoche 337 Thoreau, Henry David 699 Thubten Ngawang, Geshe 339 Thubten Yeshe 463 Thurman, Robert A. F. 86, 343, 574, 598, 604 f., 624 f. Thurston, Herbert 386 Tideman, Sander G. 642 Tʾ ien-tʾ ung Ju-ching/Tiantong Rujing (jap. Tendō Nyōjo) 250 Tift, Bruce 455 Ṭiḷak, Bāḷ Gaṅgādhar 258, 261–263 Tillich, Paul 454, 484, 487, 493, 496, 569 f. Titimus, Christopher 627

Tiwari, Kapil Nath 260 Többe Gonçalves, Bianca 636 f. Todd, Warren Lee 260 Toepfer, Georg 669 Tokiwa, Gishin 317 Tolkien, John Ronald Reuel 59 Tolstoi, Lew N. 24, 490 f. Toṭaka 265 Tovey, Paige 673 Toynbee, Arnold J. 17 f., 500–502 Trakakis, Nick 337 Tremmel, Michael 144 Triplett, Katja 587 Trungpa, Chögyam 39, 624 f. Tsʾ ao-hsi Hui-neng/Huineng (jap. Daikan Enō) 103 Tsʾ ao-shan Pēn-chi/Caoshan Benji (jap. Sōzan Honjaku) 103 Tsongkhapa 325 Tsujimura, Kōichi 488 Tsunesaburō, Makiguchi 590 Tsung-mi/Zongmi 254, 288 Tsuyama Oshō, Genpō 72 Tuck, Andrew P. 120 f. Tucker, John A. 685 Tucker, Mary Evelyn 668 Tung-shan Liang-chieh/Dongshan Liangjie (jap. Tōzan Ryōkai) 103, 104 f., 298, 320 Tung-shan Shou-ch’u/Dongshan Shouchu (jap. Tōzan Shusho) 241 Turner, Denys 422 Tu-shun/Dushun 285, 287, 289, 293, 706 Tworkov, Helen 31 Tyndale, William 539 Ueda, Shizuteru 355 Ueda, Yoshifumi 693 Underhill, Evelyn 376, 400, 459 Unno, Mark 455 Upadhyaya, Kashi Nath 37 Utsch, Michael 408, 459 Vairocana 285 f., 320, 711 Valle, Ronald S. 402 Varuṇa 613

842 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Personenregister Vasubandhu 175, 190, 319, 326, 448, 688, 693 Vatsagotra/Vacchagotta 246 f. Vaughan, Frances 453 f., 458 Verdú, Alfonso 104, 288–290, 292, 295, 297, 317 f., 321 Vesey, Godfrey Norman Agmondisham 23, 40 Vetter, Tilmann 107, 133, 279 f. Vich, Miles A. 459 Victoria, Brian 50, 76–81, 84, 409 f., 618 Vierkandt, Alfred 507 Vimalakīrti 86 Viṣṇu-Nārāyaṇa 186, 198, 260, 266 Visser, Frank 415 Vivekānanda, Swāmī 270–273, 586 Vogl, Joseph 642 Vollhardt, Friedrich 322 Völker, Fabian 129, 170, 203 435, 447 Volkelt, Johannes 322 Voltaire (François-Marie Arouet) 531 Vorenkamp, Dirck 290 Vorländer, Karl 220 Wagner, Hans 489 Wagner, Hans-Günter 640 Wagner-Egelhaaf, Martina 125, 156 Wahsner, Renate 531 f. Wainwright, William J. 392 f., 396 Walach, Harald 145, 387, 459, 462 Waldenfels, Hans 202, 376 f. Waldmann, Mark 452 Waldron, William S. 468 Waldschmidt, Ernst 77, 575 Wallace, B. Allan 346 f., 476 Walsh, Roger N. 411, 453 f., 458 Walzer, Michael 27 Walther, Gerda 400 Wangchuk, Jigme Singye 625 Wangwinyu, Wisit 637 Warder, Anthony Kennedy 617 Warraq, Ibn 607 Warren, Karen J. 702 Washburn, Michael 462

Watson, Gay 455 Watsuji, Tetsurō 488 Watts, Alan 28–30, 335 Watts, Jonathan 556, 634, 653 Wayman, Alex 366 Webb, Hillary S. 114 Weber, Max 335 f., 358, 509, 534 f., 546 f., 549–551, 555, 592–594, 599, 601, 611 f., 651 f. Weber-Brosamer, Bernhard 108 Weischedel, Wilhelm 496 Weisgerber, Leo 416 Weismayer, Josef 376, 380 Weissmahr, Béla 445 Weizsäcker, Carl Friedrich von 17, 500 f. Wellings, Nigel 455 Welter, Albert 247 Welwood, John 455, 462, 561 Wendel, Saskia 198, 200, 203, 385 Westerhoff, Jan 116 Wentzlaff-Eggebert, FriedrichWilhelm 372 Wetzel, Sylvia 583 White Jr., Lynn Townsend 661, 677 Whitehead, Alfred North 95, 290, 322, 663, 667 Whitehill, James 680 f. Whitman, Walter 459, 699 Wickramasinghe, Justin Wimalasiri 640 Wickrametilleke de Silva, David 585 Widmer, Peter 387 f. Wieman, Henry Nelson 394 Wijesekera, Oliver Hector de Alwis 615 f. Wilber, Ken 20, 144, 149, 378, 414 f., 457, 461 f., 480, 577–580, 721 Wilhelm, Richard 28 Wilke, Annette 268, 275, 355, 357, 374 Williams, Duncan Ryüken 639 Williams, Paul 113, 175, 243, 296 f., 369, 443, 448, 681, 693 Willy, Rudolf 438 Wilson, Edward O. 304 f. Winch, Peter Guy 23 f., 40

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Personenregister Winstanley, Gerrard 541 Winston, Diana 589 f., 634 Wirth, Jason M. 704 Wittgenstein, Ludwig 23 f., 63, 95, 121, 184, 231, 374, 386, 492 f. Wohlfart, Günter 106 Wöhrer, Franz 195, 376, 384, 429, 431–433 Wolff, Christian 531 Wolff, Georg 491 Wolff, Otto 304 Woncheuk 693 Wŏn’gwang 693 Wood, Thomas E. 443 Wright, Dale S. 49, 351 Wu-i Yuan-lai/Wuyi Yuanlai (jap. Mui Ganrai) 275 Wu-men Hui-kʾ ai/Wumen Huikai (jap. Mumon Ekai) 34, 273 Wunderli, Jürg 198, 378 Wüstenberg, Klaus 163 Wu Tse-tʾ ien/Wu Zetian 287, 292 Wycliffe, John 538 Wynne, Alexander 605 Yalom, Irvin D. 52, 465, 475, 483– 485, 493, 498, 512 Yama 613 Yamada Kazue Myo-en Daishi 45, 75 Yamada, Kōʾ un 31–34, 37, 39, 43– 51, 54 f., 71–75, 86–88, 91–93, 190, 273, 388, 590 Yamada Ryōʾ un Masamichi 55, 92 Yamamoto, Genpō 74 Yamamoto, Kosho 83, 236, 246 Yamamoto, Shuichi 476, 689–691 Yamasaki, Taikō 711

Yao, Zhihua 317 Yarnell, Thomas Freeman 590 f., 600, 606 f. Yasutani, Hakuʾ un Ryōkō 31, 33, 46 f., 49 f., 68, 70–76, 78–81, 83–87, 190, 276 f., 280, 408–412, 414 f., 673, 714 Yen, Cheng 595, 597 f., 607 Yiannopoulos, Alexander 113 Yong, Amos 711 Young, Serenity 632 Young-Eisendrath, Polly 455 Yüan-wu K’o-ch’in/Yuanwu Keqin (jap. Engo Kokugon) 34, 339 f. Yung Chia Hsuan Chue/Yongjiā Xuānjue (jap. Yōka Genkaku) 28 Yung-ming Yen-shou/Yongming Yanshou (jap. Yōmyō Enju) 247 Yün-yen Tʾ an-sheng/Yunyan Tansheng 104 Zadek, Simon 638 Zaehner, Robert Charles 390 f. Zahn, Joseph 372 Zapf, Josef 198 Zernickow, Klaus (Sōtetsu Yūzen) 49 Zhang, Yuanxia 455 Zhu, Qingzhi 704 Zilboorg, Gregory 483 Zimmerman, Michael E. 704 Zimmermann, Hans Dieter 387 Ziporyn, Brook A. 712 f. Žižek, Slavoj 501, 596 Zöllner, Hans-Bernd 603 Zölls, Doris 92 Zong-qi, Cai 128 Zsolnai, Laszlo 639 f.

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Sachregister

Abhidharma 136, 141, 448 f., 467 f. Abhidharma-Buddhismus, s. Theravāda-Buddhismus abhimukhī-bhūmi, s. bhūmi Absicht 159, 208, 220 f., 227, 245, 249, 253, 265 f., 270, 370, 424, 460 Absolute 90, 96, 104 ff., 110, 112, 120, 139, 146 f. 183, 185 ff., 189, 191 f., 194 f., 201, 249, 253, 260, 264, 291, 296 f., 298, 320 f., 349, 361, 370, 378, 398, 403, 416, 426, 443, 532, 575, 687, 689, 696 f., 705 Absolute Natur, s. pariniṣpannasvabhāva Absoluter Standpunkt, s. paramārtha-satya Absolute Wahrheit, s. paramārthasatya Absolute Wirklichkeit, s. paramārtha-tattva 136, 160 Absolutismus 514, 536 Abwehrmechanismus 473 ff., 485, 497, 512, 552 f. Academy of the New Church 36 acalā-bhūmi, s. bhūmi Achsenzeit 152, 306, 581 Acht Himmelsrichtungen unter einem Dach, s. hakkō ichi-u Achtsamkeit 150 f., 210, 282, 319, 355, 396 f., 399 f., 570 f. acitta 176, 681 ādarśajñāna 365 ff., 371 Adbusters 60 adharma 177, 192

adhidaivatam, s. Makrokosmos adhiṣṭhāna 157 adhyātman, s. Mikrokosmos adinnādāna, s. pañca-śīlāni advaita 107, 111 f. Advaita-Vedānta 38, 41, 95, 98, 101 f., 107, 111 f., 138 f., 149, 164, 187 ff., 236, 249, 268, 270, 272, 280, 283, 313, 345, 347, 394, 402, 463, 718 advaya 107, 111 f. Affekt 109, 220, 270, 325, 332, 343, 361, 364, 384 f., 399, 404 ff., 414, 421, 452, 474, 518, 521, 522, 541 f., 576, 627 Affektbetrag 474 Affirmation 115, 130, 138 f., 143, 154 ff., 191, 237, 359, 403, 448, 476, 521, 554, 673, 675, 697 Afrika 336 f., 676 Agnostizismus 119, 329, 340 ff., 346, 430 Ägypten 380, 511, 598 ahaṃkāra 110 ahiṃsa 684 aikātmyavāda 107 ājñācakra 616, 620 Ājīvika 609 ākāśa-Chronik 334 Akosmismus 120, 187, 278, 370, 377, 398, 408, 610 Aktivismus 20, 31, 58, 65, 262, 354, 541, 584, 587, 589, 594, 604, 625, 630, 672, 675, 709, 717 akuśala-citta, s. citta akuśala-mūla, s. triviṣa

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Sachregister ālayavijñāna 174, 206, 255, 277, 294 f., 317 f., 365 f., 441 ff., 467 f., 474 ff., 690, 693–696 alienatio mentis 383 Alleinheit 200, 291, 296 ff., 456, 674, 701 Alterität 123, 128, 132, 134 Altruismus 44, 87, 105, 223, 307, 331, 334, 406, 408, 520, 522, 602, 630, 648, 665, 702 amala-vijñāna 693–696 American Academy of Religion 36 American Institute of Buddhist Studies 638 American Transpersonal Association 453 Amida Trust for Culturally Engaged Buddhism 590 Amitābha/Amitāyus (chin. o-mi-tʾ o/ emituo; jap. amida) 189 ff., 198, 590, 683 Ammoniter 519 anābhogacārya 223 anādikālika-prakṛti-śuddhanirvāṇa 369 anāgāmī, s. ariya-puggala anālambana-karuṇā 224 Anarchie, Anarchismus 411, 515, 599, 620 f., 711 anātman 53, 79 f., 138, 140 ff., 164, 181, 207, 209, 259, 331, 397, 440, 466, 479, 495, 505, 510, 577, 623, 669, 721 Angst 52 f., 166, 206 ff., 211, 225, 284, 319, 323 f., 341, 388, 413, 464 ff., 471 f., 474 f., 477 f., 480–488, 490 f., 493–500, 504, 512, 517, 520 f., 552 f., 562, 569 ff., 577, 634, 671 f. anitya (pāḷi anicca) 116, 141, 209, 397 Annihilation 20, 79, 143, 238, 249, 302, 324 f., 330, 707 Anschauung (intellektuelle) 165, 201 Anschauung (sinnliche) 149, 201, 208, 212, 215 ff., 373, 397, 404 f., 430 f., 440

Anthropologie 56, 65, 334, 435, 461, 466, 479, 482, 502 f., 544, 548, 581 f., 627, 643 f., 651 Anthropologische Revolution 581 f., 627 Anthropozän 20, 684 Anthropozentrismus 19, 33, 105, 307, 323, 347, 412, 657 ff., 661 f., 667 f., 671, 680 f., 691, 698 f., 700 anyatva, s. Differenz apatheia 518 apersonal 199, 396, 399, 433 Apophatik 100, 154 ff., 178, 190, 231, 378, 401, 403 Aporie, Aporetik 118, 135 f., 164, 170, 225, 231, 380, 410, 412 f., 414, 468 Apotheose 318, 337 Apperzeption 163, 392, 405 f., 445 apramāṇa, s. brahmavihāra apratiṣṭhita-nirvāṇa 222, 224, 362, 365, 369 ff., 615, 708 Archetypus 402, 407, 476 arciṣmatī-bhūmi, s. bhūmi Arhat 43, 83, 369, 612 ariya-puggala 193, 612 Armut 58, 87, 305, 622 f., 641, 644– 649, 676 artha 339, 597, 609 arūpa-dhyāna, s. dhyāna Arya Samaj 262 asādhāraṇa-karma 442 asaṃprajñāta-samādhi, s. samādhi asaṃskṛta (pāḷi asankhata) 141, 150 f., 234, 243, 319, 369, 371 asatkāryavāda 135 f. Aseität 116, 123, 161 f. Asia Pacific Journal 76 Asien 17, 25, 28, 35, 39, 76, 79 f., 95, 99 ff., 203, 287, 330, 500 f., 582 f., 585 f., 591, 597, 599, 602, 605, 667, 675, 677, 685, 697 Askese, Asket 257, 262, 341, 388, 535, 547, 583, 609 asparśa-yoga 249 āśrama-dharma 250 āśraya-parivṛtti 255, 364 ff.

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Sachregister aṣṭaṇga-mārga 209 f., 594, 622 f., 626 f., 636 aṣṭāṅga-yoga 258, 277, 280 aṣṭa-pariṣkāra 645 Ästhetik 66, 305 f., 322, 375, 414, 459, 551 f., 554, 711 Astrologie 302, 517, 531, 553 aśubha-bhāvanā 684 asuras, s. Daseinsbereiche ataraxia 518 Atheismus 100, 119 f., 308, 328, 338, 342, 346, 411, 417 f., 429, 722 Atlantic Economic Society 638 ātman 53, 107, 138, 140 f., 143, 170, 183, 188 f., 196, 203, 205, 210, 236, 246, 250 f., 259 f., 268, 280, 326, 345, 382, 390, 426, 505, 577 ff., 611, 691, 694, 721 Ātman-Projekt 577, 721 Atomismus 98, 135, 141 f., 144, 167 ff., 204, 521, 543, 662, 702 f. attavāda-upādāna, s. upādāna Australien 658, 662, 670, 702 autarkeia 518 Autokinesis 221, 266 Autonomie 19, 33, 48, 54, 142 ff., 165, 180 f., 205, 207 f., 212, 218, 242, 257, 267, 280, 283, 298, 349, 453, 464 f., 479, 486 f., 489, 498, 511 f., 518, 521 f., 543, 553, 627, 644 Autor 181, 186, 195 f., 436, 490, 500, 509, 713 avīci 81 ff. avidyā 147 f., 170, 187 f., 193, 206, 211, 217, 251, 259, 263, 270 f., 300, 317, 510, 530, 708 avyākṛta-citta, s. citta avyākṛta-vastūni 233, 246 bala-pāramitā, s. pāramitā bandha 116, 118, 146 ff. bar-do thos-grol, s. Tibetisches Totenbuch Beat-Generation 672, 677 Befreiung 29, 41, 63, 71, 110, 116, 128, 130, 144, 146 ff., 166, 170, 179, 192, 229, 232, 241, 284, 327, 333,

338, 355, 364, 397, 450, 454, 460, 482, 509 f., 535, 583, 603, 609, 615, 625, 676, 721 Befreiungstheologie 676 Begierde 50, 197, 211, 213, 217 f., 226 f., 259, 277, 296, 455, 516, 518, 563, 624 f. Begriff 30, 96 f., 102, 108–111, 115 ff., 119, 124 ff., 130–133, 139, 145, 147, 160, 171, 173, 179, 191, 204, 213–218, 230, 242, 269, 274, 296, 373, 398, 403, 416 f., 424, 427, 429 f., 432 Behälterwelt, s. bhājana-loka Behaviorismus 192, 452 bellum omnium contra omnes, s. Naturzustand Berge und Flüsse (Gleichnis) 106 Besonderheit (specialness) 498 f., 562 Bewusstsein 17, 19 f., 23, 26, 29, 33, 48, 51–54, 57, 61 f., 64, 85, 96, 101, 103 ff., 109–113, 122 f., 126, 128 f., 133, 140 ff., 144, 148, 151, 160, 163–168, 172–176, 179, 180, 184 f., 193, 195 f., 200 f., 204, 206 ff., 210, 216 f., 219 f., 223 ff., 227, 235 ff., 242, 256, 260 f., 268 f., 272, 274, 276–284, 290, 295, 298–302, 305, 308, 310, 315 ff., 320, 322 f., 324 f., 330, 332, 334, 338, 342, 344 f., 348, 350, 353 f., 363–367, 377, 379, 388 ff., 393–397, 401 ff., 405 ff., 413 ff., 423–433, 438 f., 440 ff., 444 f., 447, 449, 453–456, 458–469, 471–476, 479 f., 484 ff., 489, 493, 497, 501–507, 513 f., 517, 527, 538, 557 ff., 562, 567, 570 f., 574, 576– 579, 584 f., 590, 597, 604, 606, 610, 618, 623, 625 f., 630, 632, 634, 644, 653–656, 658 f., 662, 666 f., 673, 676 f., 679, 681, 685, 687, 688–692, 695, 698, 700, 703, 708, 721 bhājana-loka 442, 680, 690 Bhakti 187, 189, 258 f., 260–263, 266–271 Bhakti-Yoga, s. Yogas

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Sachregister bhavaṅga-citta 468 bhava-taṇhā, s. tṛṣṇa bhikkhu/bhikkhuni (skt. bhikṣu/ bhikṣuṇī), s. saṅgha bhūmi 222, 365 f., 626 bhūtakoṭi 138, 147, 159, 319 Bhutan 625 Bibel 194, 381, 508 f., 538–541 Bigelow Chair of Consciousness Studies 462 Big-Mac-Index 646 bīja 174, 259, 277, 366, 468 Bild 185, 191, 193 f., 197, 199, 201, 215, 225, 239 f., 257, 273, 284 ff., 289, 292 ff., 302, 304, 306 f., 309, 311 f., 328, 332 f., 348, 360, 392, 401, 413, 417, 424, 427, 430, 432, 439, 445, 449, 454, 456, 461, 470, 472, 476 f., 480, 489, 499, 506, 514, 530, 544, 553, 555, 563, 585, 587, 589, 598, 601, 610, 617, 618 f., 625, 643, 644 f., 648, 656, 661 f., 668, 677 f., 684 f., 700 f., 703, 707, 710, 721 Bioregionalisierung 662 Biozentrismus 657 f., 710 Black Panther Party 28 bodhgayā 586 bodhi 43, 77, 150, 160, 169, 295, 319, 365 f., 619, 681 bodhicitta 320, 692 Bodhisattva 43 f., 77, 81–84, 86, 97, 105 f., 113, 147 f., 158, 221–224, 274, 288, 298, 315 f., 320, 323, 325, 332, 338, 344, 354, 363, 365–370, 413, 441, 449, 520, 575 f., 588, 594, 604, 615, 626, 628, 671, 681, 690, 708 f., 712, 714 bodhisattvayāna, s. Mahāyāna-Buddhismus Böse 29, 153, 194, 263, 335 f., 352, 384, 469, 520 f., 527 f., 564, 712 f. brahman 110 ff., 138, 155, 187–190, 195, 236, 250, 259, 260, 264, 268, 272, 382, 390, 392, 398, 425 f., 579, 611

Brahmane, Brahmanismus, s. Hinduismus brahmavihāra 44, 81, 105 f., 224, 270 f., 298, 319, 344, 369 ff., 406, 603 f., 628 ff., 681 f., 684, 708 Brahmo Samaj 261 Bṛhaspatya 338 Bruttonationalglück (GNH: Gross National Happiness) 625 f., 640 BTK-Killer (Bind, Torture, Kill) 564 Buddha 17, 33, 36, 43 f., 57, 60, 71, 77, 80, 82 f., 90, 97, 109, 112, 117 f., 136 f., 143, 153, 159, 169, 190 f., 199, 209 f., 231, 233 ff., 245–249, 273 f., 278, 286, 294, 300, 302, 313, 315 f., 318 ff., 323 ff., 331 f., 334, 337, 339, 341, 346 f., 350, 353, 366, 368–371, 409, 413, 451, 481, 574 f., 582, 585 f., 591 ff., 595 ff., 601, 603 f., 606, 608, 610 ff., 614, 616, 629, 633, 650, 672, 678, 681 ff., 687, 689, 692, 709, 711 ff., 721 Buddhadharma: The Practitioner’s Quarterly 60 buddhakāya, s. trikāya buddhakṣetra 683 Buddha-Natur, s. tathāgatagarbha buddhayāna, s. Mahāyāna-Buddhismus Buddhismus 18 f., 21, 23, 36 f., 40 f., 53, 55, 57–60, 62 ff., 67 f., 75 f., 78– 81, 83, 86, 90, 99 f., 109, 112, 119 f., 129, 133 f., 139 ff., 150 ff., 156, 175, 193, 196 f., 205, 210, 231, 233, 236, 243, 248 f., 254, 264, 273, 288, 303 f., 310, 312 f., 318, 324, 326, 328–331, 335, 337 f., 341, 346 f., 353, 356, 359 ff., 408 f., 413, 418, 437, 440 f., 443, 451 ff., 467, 481, 497, 500 ff., 510 f., 549, 569, 572 f., 582–588, 591–592, 594–597, 599– 603, 606, 608–611, 614–619, 621 f., 625, 628 ff., 632, 637 ff., 643 ff., 650 f., 656, 660, 663, 667 ff., 674 f., 677, 679–682–685, 687 f., 690 f., 696 f., 700, 707, 713, 715, 717, 719

848 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Buddhismus des kaiserlichen Weges, s. kōdō-bukkyō Buddhist Alliance for Social Engagement (BASE) 589 Buddhist Compassion Relief General Hospital 597 Buddhist Economics Research Platform 639 Buddhist Peace Fellowship (BPF) 31, 60, 588, 602, 627 Buddhist Reformation Association (Pulgyo Yushin hoe) 618 Buddhist Society 334, 595 Buddhologie 318, 320, 330, 370, 593, 615, 640, 675 Bündeltheorie 164, 719 Burma, s. Myanmar 585, 603, 616, 635 Business Ethics Center 639 Busshin daruma-shū 248 B-Values 407 California Institute of Integral Studies (CIIS) 64, 463, 561, 662 cakravartin 616 ff., 620 f. cakṣur-vijñāna, s. pravṛtti-vijñāna Cārvāka 338 catuṣkoṭi 135 f. catvāri-āryasatyāni 209, 281, 364, 622 ff., 626 Center for the Study of World Religions (CSWR) 668 Center for Timeless Wisdom 464 cetanā 280, 338, 350 Ceylon, s. Śrī-Laṅkā 329, 585 f., 588, 601, 603 f., 622, 637 f., 640, 676 Ceylon Times 585 Ch’an-/Chan-Buddhismus, s. ZenBuddhismus chao-hua/zaohua 686 cheng (jap. shō) 28, 104, 689 chʾ i/qi 685 f. Chiliasmus 302, 508, 522 f., 529 f., 539 f., 554, 624 China 17, 34, 37, 40, 80, 84 f., 103, 105 f., 118, 139, 238, 241, 243 f., 248 f., 252, 275, 286 ff., 296, 344,

505, 509, 587, 591, 640, 650, 674, 679, 685, 687 f., 691, 693 f., 696 f., 704, 710, 714 f., 720 Christ(us), Christentum 18, 22 f., 29, 46 f., 49, 55, 60, 86 ff., 90–93, 184, 188–191, 197 ff., 201 f., 273, 306, 319 f., 324, 335, 347, 361, 372, 380–383, 385 ff., 403, 418, 420, 423, 431, 435 f., 451, 480, 491, 500, 508, 519, 522 f., 525 f., 528 f., 532, 540, 545, 547, 554 f., 583, 585 ff., 589, 591, 597, 602 f., 610, 641, 661, 663, 676 ff., 700 citta 81 f., 173, 176, 206, 235, 277, 320, 397, 429, 448, 467 f., 681, 692, 695 cittamātra 139, 295, 448 Clôture 119, 122, 127 ff., 131 f., 134, 478 cogitata 444 f. cogito 96, 123 cognitio dei experimentalis 380, 384 f., 433 cognitio matutina 391 f. cognitio vespertina 391 f. coincidentia oppositorum 556 conditio humana 20, 62, 327, 451, 466, 481, 523, 552, 581 contemplatio 380, 383 f. contemptus mundi 349 contradictio in adjecto 119 Corpus Dionysiacum 383 f. daigo-tettei 254 Daijozen 72 Damaszener 519 dāna, s. saṃgraha-vastūni dāna-pāramitā, s. pāramitā Dankbarkeit 630 darśana 106, 111, 119, 160, 398 Darwinismus 311 f., 341, 386 daśa-śīlāni 630 Dasein 18, 37, 55, 110, 116, 134, 136, 140 f., 162, 181, 193, 195, 207, 209 f., 241, 255, 260, 307 f., 317, 324 f., 329, 333, 353, 356 f., 364, 397, 406, 447, 449, 488 f., 491–495,

849 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 504 f., 521, 541, 570, 577, 602, 614 f., 623, 666, 673, 683, 692 Daseinsanalyse 141, 684, 211, 342, 451, 459, 465 f., 493 f., 511, 668, 683 f. Daseinsbereich 37, 303, 356 f. Daseinsschuld 477, 479, 498, 557 f. Dawn Bell/Awakening Gong (Kyōshō) 73, 84, 87 Deautomatisierung 149, 200, 255 ff., 365, 394 Deep Ecology, s. Tiefenökologie Definition 107, 123, 192 f., 294, 372– 375, 377 f., 456, 510, 576, 649 Dekonstruktion 42, 55 f., 61, 117, 119, 121–124, 126–134, 141 f., 149, 154 f., 164, 171, 180 f., 184, 205, 214, 230, 232, 240, 242, 256, 422, 440, 443, 485, 509, 573 f., 582, 627, 719 Demokratie 18 f., 58, 75, 261, 411, 415, 508, 512 f., 515, 517, 581 ff., 603, 606, 617–620, 623, 643, 650, 652, 656, 665, 667, 676, 710 Deontologie, s. Ethik Despotismus 515, 519, 599 Determinismus 298, 336 f., 340, 342 f., 350 f., 433, 434, 453, 485, 517, 531, 718 Deutsche Kollegium für Transpersonale Psychologie (DKTP) Deutsche Transpersonale Gesellschaft (DTG) 462 Deutscher Idealismus 386 deus deceptor 275 Dhammocracy 618, dhamma-taṇhā, s. tṛṣṇa dhāraṇa 280 dharma 21, 33, 34, 36, 43, 46, 49 ff., 59 f., 65, 70–74, 80 f., 83, 92, 106, 117 f., 134 ff., 141, 153, 158, 171, 177, 180, 182, 192, 222, 224, 231, 238 f., 241, 249 f., 253, 258, 262, 265, 267 ff., 277, 284, 290 f., 293 ff., 303 f., 319 f., 324, 328, 338, 340 f., 343, 347, 354, 365 ff., 409 f., 448, 467 f., 574, 586, 588 f., 592, 595,

600, 609, 612, 616, 620, 622, 626, 629, 650, 656, 660, 672 f., 678, 688, 690, 698, 706, 709, 710, 712, 720 dharmacakra 616, 620 dharmadhātu 138, 235 f., 255, 285, 288, 293, 319 f., 366, 695 dharmakaya 138, 190 f., 193 ff., 222, 235 f., 255, 288, 295, 304, 315, 318 ff., 323 f., 367, 370, 418, 695, 711 dharmamegha-bhūmi, s. bhūmi dharmamegha-samādhi 277 dharmanairātmya 171, 180, 224 dharmatā 319 f., 689, 692 Dharma World 60 dhyāna 257, 260, 277, 280 f., 626 dhyāna-pāramitā, s. pāramitā Dialektik 90, 101, 119, 133, 155, 182, 197, 238, 300, 500, 521, 551 f. Dialog 21, 34, 46 f., 55, 60, 100, 141, 161, 199 ff., 203, 246, 260, 274, 301, 309, 319, 382, 391, 433, 451 f., 464, 500, 542, 588 f., 674 f., 677 f., 711, 718 Diamond Approach 460 Diamond Saṅgha 31, 35, 50 Dictatorial Dhammic Socialism 618 Diebstahl 616, 631 Différance 119, 123–134, 155 f. Differenz 41, 72, 100, 102, 116, 123 ff., 127–132, 134, 143, 145–148, 150, 153, 155, 157 f., 160, 183, 189, 194, 197–200, 219, 230, 236 f., 240, 244, 247, 249, 256, 260, 263 f., 279, 281, 285, 288–291, 293, 295 ff., 304, 309, 313, 320, 322, 358, 363 f., 369 f., 376, 378 f., 391, 393 f., 399, 401, 405, 416, 418 f., 426, 430–433, 438, 440, 449, 459, 476, 503, 542, 567, 574 f., 579, 595, 608, 611, 628, 647, 661, 666, 687, 689, 702 ff., 711 f., 714 Digambara 326 Diktator 618, 621 Đình-Diêm-Regime 587 Diskursivität, diskursives-thetisches Denken 96, 98, 108 f., 115, 118 f.,

850 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 132, 135, 146, 169, 204, 213, 230 f., 240, 281, 403 Dissémination 125, 129 diṭṭhi-upādāna, s. upādāna Dogma, Dogmatismus 41, 63, 91, 100, 193, 202, 304, 340, 347, 373, 411, 420, 482, 529, 577, 633 dōjō 32, 45 dokusan 33, 45, 75 dosa (skt. dveṣa) 211, 263, 270 f., 530 Downshifting 655 DPT (Dipropyltryptamin), s. Drogen Draft-card burning 26 Draft Lotteries 27 dravya, dravyasat 116, 141, 159, 448 Drogen 30, 48, 201, 392, 458, 461, 553, 613, 633, 662 dṛṣṭi (pāḷi diṭṭhi) 117 f., 707 Dualität, Dualismus 96, 102–105, 107, 112, 115, 117, 119, 122, 128, 130–133, 139 f., 143, 145 f., 148, 150, 152, 154, 156 f., 159, 168, 172, 174, 176 f., 180, 185, 191 f., 195, 204, 208, 218 f., 221, 226 f., 229– 232, 238–242, 244 f., 248, 252, 263, 265–269, 272, 276, 280, 294, 296, 298, 313 f., 361, 364, 397 f., 413, 418, 427 f., 486, 497, 522 f., 533, 540, 574, 579, 628, 647, 656 duḥkha/dukkha 53, 131, 140 f., 143, 177, 209 f., 255, 364, 397, 451, 481, 510, 520, 583, 614, 622 ff., 626, 629, 713 duḥkha-duḥkhatā, s. duḥkha duḥkha-satya, s. catvāri-āryasatyāni dūraṅgamā-bhūmi, s. bhūmi Durchstreichung, s. sous rature 126 Dvaita-Vedānta 272 dvayasatya, s. satya dveṣa 211, 263, 270 f., 530 Dzogchen 318, 376, 463 Easterlin-Paradox 647 eidos 123 Eigentlichkeit 105, 238, 489, 494 f., 496 f.

Eigentum 543, 567, 619, 631, 645 ekatva, s. Identität Eigensein, s. svabhāva Einheit 48, 63, 72, 85, 87, 91 f., 110, 116, 127, 133, 136, 138, 140 f., 146, 163, 172, 191, 200 ff., 215, 219 f., 245, 249, 252, 259, 261, 263, 272, 284, 288 f., 291, 293, 295 ff., 298, 305 ff., 320, 337, 361, 376, 382, 390–393, 395 f., 399, 401 f., 404 f., 407, 411, 416, 442, 445, 447, 456, 461 f., 480, 501, 505, 515, 521 f., 525, 536, 543, 556, 578, 646, 667, 669, 674, 676, 678, 696, 701–705, 707, 711 f., 714 f., 722 eka-bījī, s. sotāpanna ekārtha, s. Einheit Ekstase, Ekstasis 33, 200, 372, 380, 390, 401, 427, 456 f., 518 Empfindung 44, 81 f., 87, 110, 141, 144, 168, 171 f., 174, 177, 205 ff., 210 f., 217, 219, 221, 225, 227, 235, 236, 255, 265, 267, 274 f., 282, 316, 324, 330, 334, 341, 364, 366, 389 f., 393, 395, 402–406, 430, 434, 437 ff., 441 f., 455, 474, 477, 480, 486, 492, 498, 518, 569 f., 577, 593, 658, 680, 687, 689, 691, 692 Empirie, Empirismus 89 f., 102, 105, 109, 120, 179, 216, 223, 242, 274, 313, 329 f., 333, 336, 347, 354, 356, 365, 379, 389, 392, 402, 404, 407, 414, 425, 428, 434, 438 ff., 445, 450, 452, 458, 551, 553, 607, 628, 636, 649, 696, 714, 719 Empiriokritizismus 438, 440 Engaku-ji Tempel 31 England 23 f., 31 f., 42, 45, 51, 60, 95, 116, 195, 334, 337, 341, 346, 509, 538 ff., 595, 601, 637, 651, 658 Enstase, Enstasis 200, 280, 393, 427 Entheogen 30, 392 Entmythologisierung 330, 332 f., 359 Entwicklung 234, 237, 243, 245, 263, 300, 302 ff., 307, 309, 312, 315, 317,

851 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 320 ff., 324 f., 343, 345, 355, 358 f., 363, 386, 397, 403, 407, 409 f., 414 f., 453 ff., 457, 461 f., 468, 470, 472, 480, 489, 499, 502, 508 f., 512 f., 517 f., 527, 529 f., 535 f., 538 f., 546, 555 f., 560, 562, 578, 589, 593, 594, 617, 612, 622, 625, 636 f., 639 f., 643–650, 664, 667, 669, 674 f., 678, 683, 686 f., 696, 698, 702, 720 Entzauberung 509, 549 f., 554 Environmental Ethics 663 Epic of Evolution 304 ff., 308 f., 312 f., 317, 323 f., 326, 721 Epikureismus 518 Epistemischer Wertanthropozentrismus 658 Epistemischer Wertphysiozentrismus 658 Epistemologie 65, 111 f., 126, 145, 154, 167, 171, 235, 375, 417 f., 423, 461, 596, 720 Epoche 127, 484, 496, 503, 536 epoché 342, 443 ff. Epoptie 382 f. Erinnerung 165–169, 206, 208, 212, 225, 260, 277, 282, 332, 334 f., 344 f., 407, 432, 444, 464, 472, 477, 479, 506 Erleben, Erlebnis 117, 153, 171, 183, 189, 203, 216, 218, 280, 327, 354 f., 372, 376, 379, 381, 390, 395, 400, 403, 406, 408, 417 f., 426 f., 431, 433 ff., 445, 718 Erleuchtung 30, 34, 41, 43, 46, 48 ff., 64, 68 ff., 77–80, 85, 90 f., 96 f., 105 f., 113 f., 119, 144, 150 f., 154, 160, 169, 175, 190, 193, 195, 201 f., 209, 223, 224, 229–232, 234, 239 f., 243 ff., 248–255, 274, 282 ff., 288, 294, 296, 298 f., 300 f., 315, 317, 330, 332, 337, 339 ff., 363, 364 f., 367, 369 f., 378, 382, 394 f., 398 f., 403 f., 409–412., 454, 462, 475 f., 501, 540, 574, 586, 598, 602, 610, 612, 614 f., 619, 624, 681, 692, 708 f., 277

Erlösung 43, 77, 82, 99, 102, 106, 113, 138, 143, 146 ff., 150–153, 170, 187 f., 223 f., 234, 242 f., 250, 258 ff., 262, 265, 276, 280 f., 283, 324 f., 327, 338, 341, 347, 362, 367 f., 370, 451, 522, 525, 528, 530, 534 f., 537, 551, 555, 558, 561, 564, 568 f., 592 f., 609, 611, 614 ff., 647, 652, 675, 683, 685, 709, 714 Eros 200, 472, 578 Erotik 472, 477, 551 f., 554, 609 Erwachen 33, 43 f., 84, 87, 113, 119, 138, 151, 153, 157, 160, 193, 195, 224, 241, 248, 261, 288, 295, 298, 301 f., 307, 315 f., 319, 349, 353 ff., 360 f., 369, 407, 411, 454, 463, 475, 497, 522, 569, 573 f., 576, 582 ff., 623, 625, 681, 707 f., 714 Es 469–473, 475 esse infinitum 202 esse universale 202 essentia 489 Essentialismus 91, 123, 125, 154 ff., 181, 245, 254, 375, 423, 608 Ethical Prospects 639 Ethik 21, 26, 38, 43, 50, 55, 57 ff., 62, 64 ff., 75, 81, 84 f., 100, 152, 177, 191–194, 201, 208, 210, 262, 272, 303 ff., 316, 320, 326 f., 330 f., 334, 336, 338, 340, 343 f., 350 f., 356, 360, 408 f., 411–414, 464, 469 f., 479, 481, 484, 497, 508 f., 514, 519– 522, 525 f., 528 f., 532, 534 ff., 541 f., 544–547, 550 f., 561, 581 ff., 591, 593 f., 596, 598, 601, 605, 607 f., 610 f., 612–616, 621, 623, 625 f., 628 ff., 632 f., 636, 638 ff., 643, 649, 651 ff., 655–661, 663, 665, 669, 675, 678–682, 684, 686, 691, 698 ff., 702 f., 706, 708–716 eudaimonia 657, 681 Europa 61, 92, 339, 387, 462, 500, 508, 513, 522 f., 538, 546, 549, 553, 585 ff., 599, 604 f., 639, 640, 649, 677, 699 European Buddhist Union 640

852 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister European SPES (Spirituality in Economics and Society) 639 Evangelium 323, 347, 358, 515, 646 Evolution, Evolutionismus 57, 62, 64, 107, 196, 250, 300–315, 317, 322 ff., 326, 358, 407, 451, 459, 461, 477, 480, 504, 608, 655, 662, 672 f., 698, 701, 721 Ewigkeit 180 f., 184 f., 393, 395, 496, 578 excessus mentis 200, 380, 383, 433 existentia 489 Existentiell 23 f., 28, 37 f., 41, 48 f., 51, 53 ff., 58, 63, 66, 69, 87, 99, 103, 105, 121 f., 143 f., 153 f., 157, 186, 207, 210, 244, 247, 250, 255, 270, 274, 298, 307, 312, 320, 332 f., 335, 338 ff., 342 f., 346, 348 f., 360, 364, 370, 388, 397 ff., 405 f., 451, 453, 465 f., 475, 478, 484 ff., 493 f., 496 f., 504, 514, 521, 537, 558, 569 f., 573, 576 f., 596, 606, 623, 669 f., 679, 704, 707, 711, 721 Existenz 21, 30, 52, 86 f., 89, 93, 110, 116 f., 123, 126, 134 ff., 141 f., 160 f., 163, 166 f., 168, 180–183, 185, 196, 205 f., 209, 211, 218, 223, 234, 237, 239 f., 242, 253, 274 f., 295, 300, 308, 311, 322, 335 f., 341, 343, 349, 355 ff., 360 f., 392, 407, 438 f., 442 f., 450, 457, 480, 484, 486, 489, 491– 496, 504, 506, 531, 563, 569, 578, 598, 615, 658, 670 f., 710, 712 Existenzidentität 236, 425, 433 Existenz-Moment, s. uji Existenzphilosophie 52 f., 497 Exklusivismus 19, 57, 263, 379, 429, 453, 719 Extended-Self-Theorie 567 f. Exterminismus 20 Extrovertiert 391–396, 398–401 ExxonMobil 412 Fa-hsiang/Faxiang 693 f. Fake news 632 Falsifikation 84, 157, 189, 336, 342, 408, 411 f., 501

Familienähnlichkeit 121 F.A.S.-Society (Formless Self – All Humankind – Suprahistorical History) 590 Faschismus 76 f., 84, 202, 544, 553, 621 Fatalismus 304, 337, 350 Feminismus 19, 58, 411, 509, 583, 589, 700, 702 ff. filioque 508, 523, 528, 530 Fire Lotus Temple 673 Food and Agriculture Organization (FAO) 649 Form, s. rūpa Fortschritt 18, 21, 49, 56, 195, 313, 324, 356, 457, 466, 499, 510, 517, 522, 528 f., 554 f., 562, 568, 581 f., 607, 614, 623 f., 627, 649, 699 Forum on Religion and Ecology 668 Frankreich 47, 60, 220, 301, 381, 384 f., 417, 463, 476, 503, 506, 509, 538, 540, 562 Freier Wille 214, 336, 444, 526, 528, 641 Freiheit 19, 39, 44, 90, 105, 178, 194, 200, 214, 241, 262, 270, 297, 300, 321, 323, 369, 398, 401, 466, 475, 479, 494, 496, 508–513, 515–519, 528, 540, 544, 552 f., 559, 562, 569, 571, 574, 583 f., 619, 623, 641, 653, 711 Frieden 17, 20, 31, 60, 79, 184, 395, 402, 414, 484, 501, 516, 518, 520, 556, 587–590, 589, 594, 599, 601– 604., 622, 627 f., 630 Friedensnobelpreis 587, 603 Friends of the Western Buddhist Order (FWBO) 590 Furcht, s. Angst Fukuju-in Tempel 72 Fundamentalismus 554, 619, 653 Fünf Stufen, s. wu wei pʾ ien-cheng/ wuwei pianzheng Gaia-Hypothese 669 gandha-taṇhā, s. tṛṣṇa Gangā 186

853 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Gaza 519 Gedanke 112, 133, 139, 148, 150, 158 f., 167–170, 175, 177, 209, 217, 221, 225 f., 228, 230 f., 265, 269, 274, 276, 332, 350, 368, 402, 406, 440, 445, 454 f., 533, 573, 654 f., 686 Gefühl 30, 54, 89, 97, 105, 112, 138, 142, 144 f., 157, 167, 189, 200, 207, 208, 227, 266, 267, 272, 275, 278 f., 281 ff., 324, 343, 349, 352, 372 f., 390, 393, 395–398, 403, 406 ff., 429, 455, 457, 464 ff., 471, 475, 477, 478– 481, 483, 485–488, 495, 499 f., 503, 507, 511–514, 517 ff., 521, 532, 536 f., 541 f., 554, 556 ff., 561 f., 564 f., 569 ff., 577, 579, 627, 629, 634 f., 665, 670, 691, 711 Gegenwart 18 f., 21, 56 f., 61 ff., 99, 115, 152, 184, 244, 248, 295, 302, 305 f., 308, 311, 328, 356, 386, 449, 496, 500, 508, 522, 530, 542 f., 545, 552–555, 558, 561, 563 f., 577, 600, 608, 621, 639, 642, 649, 665 f., 675, 679 f., 704, 715 ff. Geist 32, 54, 75, 79, 81 f., 101 ff., 106, 108 ff., 113, 117, 137, 139, 141, 143, 145 f., 149, 151, 160 f., 163 f., 167, 169 f., 172, 174, 176 ff., 183, 190, 192, 194, 200 f., 206–209, 211, 219 ff., 225, 227, 235 f., 239 ff., 244, 247–251, 253 f., 262–266., 268, 274–277, 280 ff., 286, 292, 295 f., 300, 302, 308, 310, 312, 314–318, 320 f., 323, 332, 340 ff., 344 f., 347, 350, 353, 357 f., 360 f., 368, 372, 382–385, 390, 392, 397 f., 400, 402 ff., 408, 421, 430, 434., 437, 442 f., 450, 454 f., 459, 464 ff., 480, 482, 484, 487, 518, 530, 532, 541 f., 554, 572, 579, 583, 599, 624 f., 627 f., 651, 686 f., 689–692, 694 f., 701, 703, 721 Geist-Raum-Analogie 101 f., Geld 30, 35, 466, 489, 499, 504, 508, 520, 522, 542, 547, 556 ff., 561, 565– 569, 578, 623, 633, 642, 647, 654 f.

Gemüt 112, 148, 174, 207, 234, 269, 366, 372, 385, 387, 518, 540, 569 Geozentrisches Weltbild 430, 530 f. Gerechtigkeit 28, 191, 322, 345, 359, 407, 519 f., 526, 528, 581 f., 589, 628, 631, 665, 676, 710 Geschichte (story) 63, 171, 305 ff., 309 f., 313, 320, 348 Geschicktes Mittel, s. upāya-kauśalya Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur (GBB) 462 Gesellschaft für Psychohistorie und Politische Psychologie (GPPP) 499 Gesellschaftsvertrag 543, 617 Gesetz 27, 311, 513 ff., 519 f., 522 ff., 527, 532, 543, 636, 655 Gestalttherapie 460, 463 Gewalt 18, 28, 61, 82 f., 123, 437, 477, 499, 520, 543, 554, 560, 589, 598 f., 601 ff., 616 f., 620 ff., 625, 628, 644 f., 662, 667 f., 676, 711 Gewissen 26, 402, 470, 472, 477, 494 f., 540 ghrāṇa-vijñāna, s. pravṛtti-vijñāna Gleichmut 158, 262 ff., 268 ff., 281 f., 614, 629, 684 Global Footprint Network 649 Globalisierung, Globalismus 21, 57 f., 152, 549, 559 f., 600, 608, 632, 642, 646, 654, 662 Glück 263, 281, 325, 330, 341, 345, 440, 452, 516 f., 520 f., 625 f., 634, 637, 640 f., 645, 647 f., 657 f., 681, 683 Gnade 46, 187 f., 194, 198 f., 201, 259 f., 282 ff., 309, 320, 378, 390, 433, 525 f., 534 f., 541 Gnosis 111, 210, 255, 262, 371 Gnostizismus 341 Goldene Löwe 286, 288 f., 291 f., 294 ff. Goldman Sachs 412 Good-Friday-/Marsh-Chapel-Experiment 392 gotsuza, s. Zen-Praxis

854 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Gott, Gottheit 29, 36, 77 f., 87, 101, 148, 153, 155, 184–192, 194–203, 219 f., 258–261, 263, 266–270, 275, 283, 290, 294, 301, 303, 307, 309, 312 ff., 319–324, 341 f., 356, 372, 374 f., 377 f., 380–385, 390–393, 396, 400, 403, 418 f., 422, 425 f., 428, 431 ff., 442 f., 449, 453, 456, 478, 480 f., 489, 491, 493, 505, 513 f., 517, 520, 527, 523–536, 538– 541, 543 f., 553, 555–559, 566, 572, 575 f., 578, 585, 592, 609, 613, 669, 676, 680, 686, 699 Gradualismus 254 grāhaka-grāhya, s. Subjekt-ObjektSpaltung Grammatik 23, 63, 125, 421 Green Earth Foundation 662 gṛhastha 247, 609 Griechenland 380, 508 f., 511, 513 ff., 517, 519, 581 f., 597 Großostasiatischen Wohlstandssphäre 79 f. Grundlosigkeit 122, 190, 208, 466, 478, 485, 487, 497, 499, 504, 552, 570 f., 574 Grüner Adolf 621 Grüner Buddhismus 674 Gruppenbewusstsein, s. Wego guṇa 178, 280 Gupta 186, 597 Guru 30, 37, 97, 188, 337, 459, 611 gyō busshō 692 hakkō ichi-u 79 f. Hakuʾ un-kai 73 Halluzinogen 392, 633 Halveti-Jerrahi Order of Dervishes 462 Handeln, Handlung 33, 42, 52, 83, 87, 105, 108 f., 140, 153, 209 f., 218– 223, 225–229, 258 f., 262, 265–270, 274, 283, 298, 327, 331, 335 f., 338, 343 ff., 350, 356 f., 398, 406, 408, 411, 454, 471, 499, 504, 506, 520, 527, 541, 543, 589, 604 f., 616, 628 f., 651, 655, 657, 660, 664, 681, 708

Harvard Study Group 27 hassu 49, 51, 70, 73, Hebräer (hebrew) 61, 155, 519 f. Hedonismus 338, 546, 681 Heil 43 f., 63, 81 ff., 108, 117, 131, 153, 178 f., 189, 191, 194, 197 ff., 205, 211, 214, 223 f., 229–233, 242, 260, 271, 280, 297, 336, 338, 352, 357, 381, 435, 437, 447, 449 f., 468, 511, 525, 527, 534 f., 566, 573, 579, 592, 596, 599 f., 602, 610 f., 614 f., 624, 684, 690, 697, 719 ff. Heilige 37, 58, 78, 80, 97, 193 f., 266, 308, 310 f., 338, 349, 381, 424, 504, 513, 527 ff., 540 f., 555, 563, 568, 576, 586, 606, 658, 667, 680, 682, 710 f., 713 Heliozentrisches Weltbild 430, 531 hen 382, 390 henōsis 381 ff. Hermeneutik 98, 122, 185, 237, 288, 331, 359, 379, 389, 434 ff. Heterogenität 187, 213, 271, 459, 468, 513, 516, 545, 553, 609, 663, 680, 692, 718 hetu 115, 224, 259 f., 467 f. Hierarchie 59, 123, 128, 232, 258, 261, 511 f., 530 ff., 561, 582, 620, 657, 701 Hierophanie 568 hihan bukkyō, s. Buddhismus (kritischer) Hinduismus 37, 40 ff., 64, 82, 141, 186, 189, 250, 261, 270–274, 277, 304, 306, 326, 331, 335, 341, 347, 423, 443, 447, 500, 593, 598, 604, 609, 612 f., 616, 640, 668, 691 Historical and Cultural Criticism (HCC) 85 HI-Virus 659 Holismus 62, 87, 133, 284, 294, 309, 316, 408, 412, 441, 456, 601, 630, 657 ff., 661 f., 671, 673 f., 676, 680, 682 f., 687, 691, 696 f., 700–712, 714 ff. Hölle 81 ff., 194, 303, 338, 342, 356, 480, 537, 610

855 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Holocaust 713 Holon 701 holotrop 458, 463 Homogenität 123 f., 175, 238, 418, 436, 468, 648 homo oeconomicus 644 homoiōsis theō 382 hongaku 231, 243 f., 248, 317 horror mortis/vacui 52, 485 hossen 34 hua-t’ou/huatou (jap. watō) 47, 69, 339 f. Hua-yen-/Huayan-Buddhismus 103, 139, 238 f., 243, 284–288, 290, 293–298, 310, 317, 321, 393, 679, 688, 696, 704–707, 709, 715 Hyperessentialismus (hyperousia) 125, 154 ff. hypernoēsis 382 Hypostase, Hypostasierung 103, 105, 109, 133 f., 137 f., 140 ff., 156 f., 161, 163, 169 ff., 174 f., 177 f., 180 f., 196, 203 f., 206, 211 f., 217 f., 225 ff., 230, 274, 437, 441, 464 f., 628, 712 icchantika 82 f., 325, 687 Idealismus 120, 163, 216, 317, 321, 439 Identität 46, 52, 61, 116, 118, 123, 125–129, 131 f., 134, 136, 144, 148, 164, 168, 183, 194 ff., 200 ff., 213, 216, 220, 236, 250, 261, 288 ff., 295– 298, 305, 308, 326, 328, 337, 339, 344 f., 353, 391 f., 425 f., 429, 433, 453 f., 460, 480, 505 ff., 567, 578, 634, 674, 682, 712 f. Ideologie, ideologisch 21, 50, 75, 78– 81, 83, 85, 304, 409, 413, 482, 501 f., 538, 553, 571 ff., 606, 608, 617 f., 624, 632 f., 636, 643, 650, 666, 677, 704 Ikonoklasmus 85, 90 illuminatio, s. via triplex Illusion 30, 48, 54, 62, 102, 124, 130, 137, 140, 142–146, 157, 161, 163, 167, 170, 181, 188, 196, 204 f., 206 f., 210, 217 f., 225 f., 230, 238 f.,

257, 280, 283, 324, 333, 344, 353, 374, 388, 422, 440, 443, 447, 449, 453, 465, 474, 477, 479, 496 f., 506, 511, 518, 539, 569, 571–575, 577, 582, 634, 644, 649 ff., 697, 720 Immanenz 55, 66, 96, 130, 146 ff., 150–154, 191 f., 200 f., 229, 236 f., 241, 244, 264, 280, 296, 302, 349, 357, 369 f., 374, 377, 396, 425, 437 f., 440 f., 443, 445 f., 449, 466, 475 f., 508, 523, 528, 530, 549 f., 579, 582, 608, 611, 615, 662, 687, 691 ff., 696, 717, 721 Immaterialismus 161 Imperialismus 50, 76, 79 ff., 83 f., 607, 618, 642, 646, 648 Imperial-way zen, s. kōdō-zen In-der-Welt-sein 255, 489 ff., 495 Indien 18, 30, 37 f., 40, 111 f., 114, 120, 186 f., 189, 243, 249, 261 f., 274, 276, 303, 314, 317, 329, 338, 343, 352, 358, 361, 368, 388, 390, 397, 442, 460, 510, 582 f., 586, 593, 595, 597 f., 601, 608 f., 650, 672, 674, 683 ff., 688, 691, 693–698, 700, 710 Individuum 19, 30, 33, 39, 55 ff., 62, 75, 79, 81, 83, 99, 105, 109, 118, 140 f., 151 f., 154, 164, 166, 168, 170, 174, 187, 190, 193, 195, 201 ff., 205 f., 208, 211, 219, 225, 233 f., 236, 250, 259, 261, 266, 300 ff., 306, 309 f., 315 ff., 324 ff., 329, 331, 334 f., 337, 349, 352, 354, 358, 362, 366, 376, 382, 391, 398, 403, 406 ff., 413 ff., 440 ff., 446, 449, 454 ff., 461, 468, 473, 476, 478 ff., 483–486, 488, 493, 498 ff., 502, 505–512, 514–518, 520 f., 537, 539, 543–546, 549, 552 ff., 557, 561 f., 569, 578, 582 f., 593, 596, 600, 602, 604, 611, 623 ff., 627, 629, 631 f., 642, 644, 649, 651, 657 f., 669, 679, 686, 689, 692, 694, 696, 703, 705, 709, 722 Individuation 174, 300, 366, 479, 483, 498, 515 Indonesien 43, 616

856 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Indras Netz (indrajāla) 284, 286 f., 292 ff., 297 f., 315, 408, 441, 569, 575 f., 673, 701, 703, 705, 707, 712 f. Industrie, Industrialisierung 17 f., 20, 25, 39, 98, 530, 537, 553 ff., 560, 633 ff., 646, 650, 661 f., 676, 699, 710 Infiniter Regress 335, 563 Initiation 68, 380, 710 Inkarnation 199, 345, 407, 526, 528 inka shomei 51 Inklusivismus 271, 273, 379, 436, 719 Inkommensurabilität 24, 156, 195, 428, 476, 507, 647 Innere Leere (lack) 53–56, 58, 60 ff., 65 ff., 207, 209, 217, 298, 409, 447, 449, 453, 465 f., 478–481, 485, 494 f., 498 ff., 503 f., 507 f., 511–515, 517 ff., 522, 527, 529, 532 f., 535– 540, 545, 551 ff., 555, 557 f., 560 ff., 564 f., 567, 569–573, 577, 584, 633 f., 643, 648 Innerlichkeit 88, 200, 220, 391 f., 401, 407, 435, 546, 551, 553, 628 Inquiring Mind 60 Insight Journal 60 Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) 462 Institute for Advanced Study 61 Institute of Transpersonal Psychology (ITP) 462 Institution, Institutionalisierung 55, 69, 305, 310, 316, 462, 499, 500, 530, 534, 537, 545, 554, 561, 573, 582 ff., 590 f., 602, 618 f., 623 f., 627, 632, 652 ff. Integral 20, 62 f., 67, 85, 96, 132 ff., 143, 146, 238, 258, 270 f., 272, 284, 294, 304, 308 f., 341, 347, 356, 362, 378, 398, 406, 414 f., 457, 461, 627, 640, 685, 701, 704, 709 Intellekt 69, 216, 229, 263, 384 intentio obliqua 489 f., intentio recta 489 Intention, Intentionalität 96, 123, 141, 156, 165, 167, 180, 206, 208,

217 ff., 221, 223, 225, 227 f., 241, 257, 265, 270, 314, 392, 427 ff., 485, 489, 490, 509, 533, 574, 627, 650 Interdependenz 62, 87, 115, 117, 128, 133 f., 142, 173 f., 180, 238, 290, 390, 411, 549, 589, 591, 654, 661, 670, 674, 676, 679, 691, 701 f., 708 f., 713, 715 Interkulturalität 40 f., 46, 64, 66, 456 International Consultancy of Religion, Education and Culture (ICOREC) 639 International Network of Engaged Buddhists (INEB) 590, 640 International Philosophical Quarterly 41 Internationaler Währungsfonds 619 Interreligiosität 21, 46, 60, 67, 88, 100, 199, 309, 319 f., 447, 451, 500, 675, 677 f. 718 Intersein (interbeing) 588 f., 601, 630, 705 Intersubjektivität 121, 442, 477, 690, 712, 720 Introvertiert 391–394, 396, 398– 401, 428 Intuition 113, 148, 201 f., 276, 370, 372, 376, 393, 397, 403 f., 411, 456, 487 Invertierter Orientalismus (reverse orientalism), s. Orientalismus Investiturstreit 523 ippō-gūjin 238 f., 242, 253 Irrationalität, Irrationalismus 119, 189, 347, 374, 403, 469, 515, 547, 551 Islam 61, 306, 347, 420, 423, 451, 462, 583, 607 Isolation, s. kaivalya īśvara 187 f., 259 f., 265 Jahrbuch für psychohistorische Forschung 499 Jainismus 186, 277, 326, 510, 598, 609, 616, 692, 710 Japan 17, 28, 31, 35 f., 39 f., 45 f., 51, 54, 59 f., 64, 68–71, 73 f., 76–86,

857 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 101, 105, 139, 202, 239, 243, 248, 251 f., 288, 332, 355, 391, 410 f., 417, 488, 572, 590 f., 618, 672 f., 674 f., 685, 692 f., 696 f., 710 f., 715, 720 Jesuit Volunteer Corps 589 jihvā-vijñāna, s. pravṛtti-vijñāna jinen 191, 685 jīvanmukti 147 f., 250 Journal of Psychohistory 499 Journal of Transpersonal Psychology 453 jñāna 108, 111–114, 160, 176, 189, 224, 250, 255, 258–264, 267–271, 281, 299, 319, 363–368, 370 f., 394, 396, 398 ff., 404 f., 427, 434, 626, 708 jñāna-karma-samuccaya 259 jñāna-pāramitā, s. pāramitā Jñāna-Yoga, s. Yogas Juda 519 Juden, Judentum 337, 347, 352, 420, 451, 521, 583, 680, 713 junsui keiken, s. reine Erfahrung Kaiser 79 ff., 86, 287, 292, 409, 523 f. kaivalya 281 Kamakura 31, 39, 45, 47 f., 55 f., 59, 73 ff., 80, 86, 88 Kambodscha 590, 616 kami 693 kāma 110, 205, 209, 339, 609 kāmadeva, s. Daseinsbereiche kāma-taṇhā, s. tṛṣṇa kāma-upādāna, s. upādāna kāmesu-micchācāra, s. pañca-śīlāni kʾ an-hua-chʾ an/kanhua chan (jap. kanna-zen), s. Zen-Praxis kanchō 55, 74 f., 92 kanna-zen, s. Zen-Praxis Kapilavastu (pāḷi kapilavatthu) 603 Kapitalismus 19, 56, 58, 501 f., 530, 535, 537 f., 542 f., 547, 550, 552, 555 f., 558–561, 567, 619, 631, 634– 638, 641–648, 650–656, 662 karma 56, 60, 82 f., 174, 177 f., 192, 206, 208, 258 f., 261 ff., 265–271,

273, 304, 317, 320, 326–338, 340– 343, 345, 347–353, 355–359, 366, 369, 410, 442, 467 f., 554, 582 f., 593, 613, 624, 668, 679, 690, 708, 721 Karma-Yoga, s. Yogas karuṇā 44, 50, 62, 81, 105 f., 194, 223 f., 269 ff., 298, 319, 344, 369 ff., 406, 408, 456, 519, 522, 576, 584, 604, 624, 629, 684, 708 kasiṇa 257, Kataphatik 178, 190, 231, 378 Kategorie 21, 98 f., 108, 110, 115– 119, 126, 130, 132, 137 f., 157, 160, 174, 214, 217, 243, 372 ff., 387, 430, 503, 506, 546, 576, 600, 676, 692, 694 f. Katharsis 300, 382 f. Kaufkraftparität 646 Kausalität 97, 124, 133–137, 164, 167 ff., 171, 174, 176, 180, 192, 204 f., 214, 217 ff., 225 ff., 232, 244 f., 252, 282, 290, 282, 292, 318, 326 f., 331, 333, 353, 401, 424, 467, 533, 579, 674, 701, 708 kaya-vijñāna, s. pravṛtti-vijñāna Kegon-Buddhismus, s. Hua-yen-/ Huayan-Buddhismus ken 411 kenōsis 319 kenshō 34, 47 f., 69–75, 84, 87, 244, 254, 257, 282, 395 f., 400, 402, 404– 408, 411, 434, 452, 455, 480, 576, 714 kenshōkai 55 kenshōki 33, 74 Kirche 17, 36, 58, 199, 523 ff., 527 f., 534, 536, 538 f., 561, 583, 587 f., 592 kleśa 193, 255, 319, 369 Klima 44, 56, 62, 65, 152, 171, 310 f., 347, 412, 643, 676, 697 f. Klimakatastrophe, s. Klima Klimaschutz, s. Klima Klimawandel, s. Klima kliṣṭa-manas 366 kōan (chin. kung-an/gōng’an) 34, 47, 49 f., 55, 69–73, 75, 106, 184,

858 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 244, 247, 251 f., 254, 257, 273–276, 282, 339, 410 kōdō-bukkyō 76 kōdō-zen 50 f., 76, 86, 202 Kognitiv 108 ff., 116, 160, 220, 256, 258, 280, 295, 334, 338, 340, 343, 361, 364–367, 371, 380, 384 f., 393, 399, 405 f., 414, 421, 427, 432, 452, 522, 545, 567, 655, 717 kolankola, s. sotāpanna Kollektivbewusstsein, s. Wego Kolonialismus 81, 261 f., 509, 585, 591, 603 f., 607, 617, 619, 642, 646 Kommunalismus 621 Kommunismus 18 f., 76, 411, 544, 555, 618, 620 f., 638, 645 Kompensation 52, 54, 56, 181, 207 f., 217, 449 f., 478, 487, 499 f., 503 f., 512–515, 519, 529 f., 532 ff., 536 f., 539 f., 545, 551 f., 561 f., 567 f., 570, 634, 721 Konfuzianismus 37, 59, 306, 591, 640 Konsequentialismus, s. Ethik Konstruktivismus 379, 417–423, 426 f., 430 f. Konsum, Konsumerismus 30, 56, 542, 547, 552 f., 555, 558, 560, 567, 575, 619, 624, 630 f., 633–636, 638 f., 642, 645–649, 653, 655 Kontemplation 29, 91, 98, 144, 195, 200, 256, 261, 271, 276 ff., 281 f., 285, 293, 316, 340, 347, 365, 372, 380 f., 383 f., 390, 397, 425, 428 f., 501, 525, 573, 624 f., 690, 711 Kontextrelativistischer Pluralismus 421, 426, 428, 431 Kontiguität 164 Konzern 412, 530, 535, 537, 559 f., 619, 632, 643, 655 Konzil von Trient 539 Korea 60, 81 f., 84, 243, 288, 339, 591, 618, 693 Körper 33, 83, 87, 106, 141, 143, 154, 171, 177, 192, 219 ff., 223, 225, 227, 233, 246–251, 261, 263, 265 f., 269, 273, 277, 290, 294, 316, 319 f.,

342, 344, 350, 361 f., 393, 413, 437, 455, 484, 486, 518, 561, 567, 691, 699, 707 f., 711 Kosmogenesis, s. Evolution Kosmologie 20, 146 f., 152, 303 ff., 312, 317, 326, 343, 441, 661, 679, 706 Kosmologische Differenz 147–150, 152 ff., 157, 194, 370, 449 Kosmos 20, 140, 142, 148, 192, 297, 300 f., 303, 306 ff., 310, 314 f., 317 f., 323, 325 f., 343, 377, 391, 395, 398, 454, 474, 514, 518, 528, 530 f., 582, 611, 657, 659, 671, 674, 685 f. kosmos aisthetos 148 kosmos noetos 148 kosmovitales Einsgefühl 405 f. Kratophanie 568 Kreativität 52, 169 f., 204, 309, 314, 323, 413, 571 Krieg 22, 25–28, 31, 50, 57 f., 61, 75– 78, 81, 54 f., 186, 262, 359, 372, 387, 408 f., 412, 483 f., 516, 524, 540, 543, 587, 603, 621 ff., 634, 713 f. Kriegs-Zen, s. sensō-zen Krise 18 ff., 51, 56, 58, 65, 83, 98 f., 305, 311, 338 f., 356, 387, 449, 453, 502, 538, 550, 555, 642, 644, 652, 654, 656, 661, 677, 679 Kritik 28, 57, 62, 68 f., 71, 85 f., 89, 106 f., 114 f., 119, 127 ff., 149, 151, 156, 161, 163, 181, 189 f., 197, 203, 219 f., 224, 231, 246, 272, 299, 305, 311 f., 320, 325, 329 f., 333, 335, 337, 346, 348, 358, 360, 363, 386, 395, 400, 409, 415, 427 f., 435, 437, 439, 446 ff., 481, 489, 492, 501 f., 515, 523, 540, 553, 573, 576, 578, 585, 596, 599, 603, 607, 612 f., 617 f., 620, 630 f., 634 f., 636 f., 641, 645, 649, 650, 662, 667, 679, 682, 696, 702 ff., 706 ff., 710 ff., 718, 721 Kritischer Buddhismus (hihan bukkyō) 248, 691 Kritizismus 119 kṛtyānuṣṭhāna-jñāna 366 f. kṣaṇikavāda 141, 295

859 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister kṣānti-pāramitā, s. pāramitā kṣetrakāya, s. trikāya Kultur 17 ff., 21, 24, 52, 55 ff., 64, 79, 88, 91 f., 99, 264, 311, 345, 360, 379, 380, 411, 416, 418, 423, 427, 430, 432, 434 ff., 454, 457, 477, 484, 499, 502, 504, 508 f., 510 f., 513, 546 f., 551 ff., 561 f., 564, 577, 581, 584, 591, 593, 597, 608, 624 f., 633, 636, 639, 666, 676 Kulturelles Gedächtnis 506 kuśala-citta, s. citta Kuṣāṇa-Dynastie 598 Kynismus 518 kyōryaku 183, 357, 406 Lá-Bôi-Verlag 587 lack, s. innere Leere (lack) Laie 69, 71, 73, 75, 86 f., 153, 588, 610–615, 618, 630, 675 Laienbuddhismus, s. zaike bukkyō Land-Ethik 698 Langeweile 207 f. lakṣaṇa 116, 141, 209, 367, 442, 468 Laos 585 Lassalleinstitut für spirituelle Bewusstseinsbildung in Politik und Wirtschaft (ISPW) 590 laukika-pṛṣṭhalabdha-jñāna 113 f., 160, 224, 299, 363 ff., 367 f., 370 f., 394, 396, 398 ff., 404 f., 427, 434, 708 Leben 29, 32 f., 49, 52, 71, 77, 79, 83 f., 86, 88, 91, 99, 147 f., 153, 161, 166, 173, 184, 192, 194 ff., 207 f., 213, 233, 238, 248 f., 252, 255, 266, 272 f., 295, 306 ff., 315, 321 ff., 330 f., 332–338, 340 ff., 343 f., 351 f., 354–357, 359–362, 365, 376, 384, 388, 391, 393, 395, 398, 402, 406 f., 451, 454, 472, 480, 482 ff., 487 f., 493 f., 496 ff., 502, 507, 510, 512, 516, 518, 521, 524–527, 529, 534– 538, 552 f., 555, 563, 568, 574–577, 588, 593, 601, 609, 615, 630 f., 641, 645, 648, 658, 661, 665, 669, 673, 681 ff., 691

Lebensangst 483, 498, 512, 553 lectio 383 f. Leere, Leerheit 24, 40, 48 f., 52, 54, 87 f., 101–106, 111, 113, 115, 117 ff., 121–124, 126 f., 131 ff., 135, 145, 154–158, 171 ff., 175, 177, 181 f., 185, 190, 195 f., 198, 204, 207 ff., 211, 213 f., 218, 221, 223, 225, 227, 229 ff., 235, 238–241, 245, 247, 251 f., 264, 266, 269 f., 282, 285, 287 f., 290, 292, 296 ff., 300, 313 f., 319 f., 323 f., 348 f., 354, 361, 365 f., 378, 382, 392, 408, 431, 447 f., 465, 480 f., 485, 487, 497, 500, 503, 508, 518, 521 f., 535, 568–573, 578 f., 581, 634 f., 669, 671, 673, 683, 687, 695, 707 f., 710, 712 ff., 720 f. Leid 32, 48, 52 f., 56, 87, 97, 131, 140 f., 143, 146, 151 f., 171, 177, 191, 209 ff., 214, 223 f., 230, 236, 247, 263, 282, 296, 315, 318, 333, 335 ff., 341, 344, 347, 350 f., 355, 357, 364, 382, 386, 397, 401, 406, 465, 480 f., 483, 496, 502, 505, 510, 520, 527, 557, 561, 565, 568, 572, 574, 588, 593, 596, 602, 614, 622 ff., 629 ff., 658, 672, 676, 679, 683 ff., 696, 709, 712 f. Levitation 386, li 103, 288, 291 Liberalismus 19, 271, 538, 542, 559, 620, 642 ff., 648, 653, 655, 678 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 622 Libido 388, 472 f. Licht 37, 46, 162, 171 ff., 175 ff., 180, 183 ff., 194, 201, 204, 211, 235, 237, 246, 253, 256 f., 261, 286, 291 f., 294, 312, 318, 368, 383, 386, 389 f., 393–396, 400, 407, 421, 442, 461, 540 f., 695, 711 Lichtung 37 Liebe 46, 54, 187, 190, 194 f., 197, 200, 258, 260 f., 266–270, 301 f., 319, 372, 380, 384, 390 f., 393–396, 401 f., 407 f., 419, 422, 466, 478,

860 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 481, 499, 522, 562, 568 f., 576, 584, 602, 604, 623, 631, 665, 673, 697 f. Lifestyles of Health and Sustainability (LOHAS) 631 līlā 575 Linguistic turn 421 Linguistizismus 23 Literatur 24, 43, 59, 189, 231, 248, 255, 335, 374, 377, 381, 386 f., 422, 464, 476, 552, 586, 604, 612, 668, 674, 699, 722 Lobbyismus 18, 654 lobha 211, 263, 270 f., 530 Logik 20, 81, 97, 115, 120 f., 123, 142, 169, 171, 215, 226, 352, 393, 408, 425, 435, 439, 443, 531, 560, 566, 607 f., 641 f., 669, 696, 701 Logos 201, 660 Logozentrismus 123, 125 f., 131 lokayāna 595 Lokāyata 338 lokottara (pāḷi lokuttara) 113, 150 f., 153, 176, 230, 234, 237, 366 LSD (Lysergsäurediethylamid), s. Drogen lumen naturale 541 Lustprinzip 469, 471 f. machina mundi 531, 554 Macht 77, 79, 81, 168, 339, 412, 466, 481, 512 f., 519, 521, 523, 532, 536, 543, 567–570, 575, 578, 597 ff., 604, 609, 616, 623 Madhyamaka, Mādhyamika 35, 40, 102, 111, 116, 119 ff., 126, 129, 133, 135, 137 ff., 141, 144, 157 ff., 161, 196, 221 f., 230 f., 233, 279, 297, 326, 447 f., 463, 568, 574, 688, 707 madhyamā-pratipad 143 Magie 24, 85, 390, 414, 462, 568 Mahābodhi-Society 586 mahākaruṇā, s. brahmavihāra Mahāmudrā 397, 463 Mahāṛṣi-Effekt 413 f. Mahāsaṅghika 234 Mahāyāna-Buddhismus 17, 41, 43 f., 77 f., 81 f., 84, 95, 98, 101, 106, 109,

117, 136, 138, 149, 153 f., 157, 166, 173, 193, 208, 211, 233, 235, 237, 255, 273 f., 279, 286, 317, 319, 325, 365, 368 f., 377, 478, 574, 590, 595, 600, 604, 615, 626, 669, 674, 683, 697, 719 Makroebene 653 Makrokosmos 332, 611 Mal métaphysique, s. Theodizee Mal moral, s. Theodizee Mal physique, s. Theodizee manas 159, 277, 366 Manchuria Mining Company 74 Maṇḍala 673, 710 mano-vijñāna 174, 366 Mantra 267, 274, 633, 710 manuṣya, s. Daseinsbereiche mappō 70 maraṇa, s. Tod mārga 44, 160, 209, 258, 268 ff., 622, 626 mārga-satya, s. catvāri-āryasatyāni Maria Kannon Zen Center 47 Marihuana, s. Drogen Markt 501, 535, 544, 550, 551, 555, 558, 559, 561, 619, 636–639, 642, 650–655 massa peccati/damnata 525 Materialismus 19, 39, 100, 152, 161, 308 f., 311, 313, 328 f., 338, 342, 345, 349, 353, 358, 360, 362, 386, 388, 438, 485, 501, 625, 630, 636, 641 f., 707, 721 f. Maurya-Dynastie 591, 598 māyā 145, 318 MDA (Methylendioxyamphetamin), s. Drogen Mechanismus 19, 52, 125, 204 ff., 211 f., 217, 225 f., 355, 435, 465 f., 473 ff., 485, 487, 497, 500, 506, 512, 560 ff., 632, 653 Medien 530, 537, 554, 564, 619, 632 ff., 643 Meditation 17, 31, 32, 38 f., 43, 45, 48 f., 64 f., 69 f., 75, 78, 88, 91 ff., 96 f., 130, 138, 142 ff., 150, 175, 190, 229, 232, 242, 245, 249 f., 254–258,

861 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 260 f., 264, 273, 275, 277, 284, 288, 297, 316, 339 f., 346, 348, 365, 367, 381, 383 f., 397, 412 f., 429, 441, 444, 450, 454, 456 f., 459, 463, 475, 493, 497, 502, 518, 533, 542, 573, 588, 594, 602, 610, 612, 626, 628, 671, 684 Meeresspiegel-Samādhi, s. sāgaramūdra-samādhi Megamaschine 20 Meiji-Restauration 80 Mensch, Menschheit 20, 45, 52 f., 62, 73, 87, 101, 141, 191, 194, 197, 199, 202, 207 f., 231, 234, 250, 253, 258, 260, 301, 306–309, 313, 315, 323, 334, 336 f., 342, 344, 348 f., 351 f., 359, 382 f., 391, 400, 408, 410, 421 f., 426, 454 ff., 460, 475, 478 ff., 484, 490–496, 498, 500, 502 f., 508, 510, 512, 515, 520 f., 525 f., 528, 531, 533, 535, 537 f., 544, 547–551, 555, 557, 561 f., 567, 569 f., 576, 590, 612, 631, 634, 635, 640, 642, 645, 647, 651 ff., 657 f., 661, 666, 668, 671, 682, 686 f., 699 f., 703, 707, 710 f., 714 Menschenrechte 19, 412, 559, 583 Meskalin, s. Drogen Mesoebene 653 metabasis eis allo genos 439 Meta-Ideologie 572 f. Metapher 77, 82, 185, 190, 192, 233, 239, 241, 284 ff., 292, 297, 331, 333, 343, 348, 355, 357, 360, 362, 382, 393, 418, 531, 550, 576, 673 Metaphysik 24, 36, 52, 65 f., 90 f., 98, 111, 118, 120 f., 123–129, 131, 138, 147 f., 150, 156, 170, 176, 191 f., 199, 202, 210, 214, 246, 280, 300 f., 310 f., 313, 316 f., 328, 331, 334, 339–345, 347, 352 f., 356, 361, 363, 365, 373 f., 388, 391, 399, 416– 419, 421 f., 426, 433, 437, 443, 446, 451, 456, 481, 533, 542, 548, 572, 575, 623, 661, 664, 687, 692, 703, 721 f. Metempsychose, s. Reinkarnation

Mettā/maitrī, s. brahmavihāra Midaskomplex 565 Mikroebene 653 f. Mikrokosmos 332, 611 Militär, Militarismus 28, 61, 75 f., 78–81, 84, 87, 415, 530, 537, 554, 584, 600, 602 f., 618, 630, 662 Milleniarismus, s. Chiliasmus Millenniums-Entwicklungsziele (Millenium Development Goals) 649 Misologie 119 Mitchell Performing Arts Center 36 Mitgefühl, s. karuṇā mithyā-saṃvṛti 196 Mittel/Zweck 231 f., 240, 244 f., 252, 508 f., 542, 546–549, 556, 628 Mittelalter 34, 372, 381, 383, 386, 484, 522 f., 525, 527, 530, 532, 534, 536, 562 f., 651 mo-chao-chʾ an/mozhao chan (jap. mokushō-zen), s. Zen-Praxis Moderne 18, 20 f., 25, 56 ff., 62, 64, 67, 69 f., 76, 90, 92, 99 f., 128 f., 150, 152, 190, 193, 201, 308, 312, 326, 328 f., 343, 351, 359 f., 375, 384, 386 f., 419, 422, 440, 453, 483, 484, 486, 500 ff., 505, 508, 516, 522 f., 524, 529 f., 533, 535, 537 f., 544, 546–550, 552, 554–558, 561, 581– 588, 590 ff., 594 ff., 599–609, 616 f., 620, 633, 636, 641 f., 652, 655, 670, 674 f., 677, 679 f., 715, 717, 722 modernistische Diskontinuitätsthese 590 ff., 594, 599 f., 603 f., 606, 609, 616 f., 674 f. modus operandi 108 f., 208 moha 211, 224, 263, 270 f., 530 mokṣa 41, 116, 146 ff., 259 f., 281, 327, 338, 510, 609 mokushō-zen, s. Zen-Praxis Monarchie 513, 515, 539, 616 ff. mondō 34 Monismus 102, 107, 112, 119, 146, 187 f., 201, 202, 219, 220, 272, 378, 390, 393, 431, 435, 437, 439, 443, 702 f., 705, 715

862 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Moral, s. Ethik Moralphilosophie, s. Ethik Mortalitätssalienz 52 Mount Baldy Zen Center 49 Mountains and Rivers Order 673 mu 47, 273–276., 282 f., 340 muditā, s. brahmavihāra mundus intelligibilis 148 mundus sensibilis 148 musāvāda, s. pañca-śīlāni Myanmar 585, 603, 635 myēsis 380, 382 Myōshin-ji Tempel 74 Mystagogie 380 Mysterien 380–383 mystica coadunatio 383 mystica conjunctio 383 mystica unitas/unitio 383 Mystik 24, 29, 42, 46 f., 61, 66, 91, 95, 101, 120, 152, 155 f., 185 f., 197– 203, 232, 280 f., 313, 361 ff., 368, 371–404, 408 f., 416–436, 453, 456– 459, 462, 501, 550, 575, 584, 592, 703, 718 mystikē henōsis 381 mystikos 379–382 Mystizismus 120, 386 f. Mystologie 380 Mystographie 380 Mythos, Mythologie 152, 214, 293, 304 ff., 308, 310 ff., 320, 322, 330, 332 f., 348, 358 ff., 480 f., 504, 514, 518, 558, 565, 616 f., 650 Nachtwache 169, 209 nairmāṇikakāya/nirmāṇakāya, s. trikāya naiṣkarmya-karma 265 Nālandā 599, 694 f. nāma-rūpa 109 f., 297 nānārtha, s. Vielheit Nanzen-ji Tempel 90 naraka, s. Daseinsbereiche Narzissmus 152, 478, 633, 643 Natalismus 561, 650 National Buddhist Archives 673

National Buddhist Prison Saṅgha 673 Nationalismus 75, 78, 80 f., 83 f., 261, 409 f., 415, 536, 572 Nationalsozialismus, Nazis 76, 337, 352, 544, 553, 632, 713 Natur 18 ff., 25, 29, 35, 52, 62, 65, 77, 100, 113, 152, 171, 215 f., 219, 284, 296, 299, 301, 303–309, 311– 314, 316 f., 321, 324 ff., 328, 330, 333, 336, 343, 349, 351, 363 ff., 367 f., 373, 376–379, 388, 390–393, 396, 407, 414, 425, 430, 433, 437, 439, 445, 451, 457, 477, 489, 498, 508, 510, 514 f., 530 f., 533 f., 545, 548, 550, 554 f., 558–561, 567, 589, 623, 630 f., 639 f., 642, 645, 648, 652–667, 669 f., 672–688, 690–693, 696–700, 702 ff., 706–709, 710 f., 715, 717, 722 Naturalistischer Fehlschluss (naturam sequi) 659 natura naturata/natura naturans 672, 680 Naturschutz 659 f., 698 ff. Naturzustand 543 navayāna 595 Negation 101, 103 f., 107, 115, 117, 119, 122, 125, 127, 130–133, 136, 138 ff., 143 f., 154 ff., 159 f., 170, 175 f., 180, 185, 191 f., 229, 231, 237 f., 263, 320, 401, 448 f., 497 negatio negationis 103, 320 Negative Theologie 154 ff. Neurose 152, 460, 474, 486, 509, 558, 643 Neurowissenschaft 342 New Age 302, 329, 356, 463 New Economics Foundation 638 Nexus 97, 133 f., 141, 151, 168, 205, 211, 218, 234, 243, 290, 464, 474 Nichtregierungsorganisation (NGO) 655 Nichts 47, 101 f., 104, 127, 157, 185, 198, 201, 206, 227, 273, 323, 428, 431, 437, 447, 449, 464, 466, 485–

863 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 488, 490 f., 493 ff., 469 f., 505, 513, 527, 569–572, 574 f., 635, 701 f. Nichiren-Buddhismus 590 Nicolaismus 524 Nihilismus 99 f., 118 ff., 130, 143, 195 f., 354, 358, 360, 362, 437, 447– 450, 496, 533, 537, 554, 569, 571 f., 575, 579, 720 f. niḥsvabhāva 117, 157, 170, 181, 207, 214, 223, 237, 274, 448, 495 Nippon-ji Tempel 72 f. Nirākāravāda 113 nirbīja-samādhi, s. samādhi nirguṇa 110, 187, 189 f., 195, 264, 266, 398 Nirguṇa-Bhakti, s. Bhakti nirodha-samāpatti 112, 138, 157, 260, 277–280, 397, 429, 468 nirodha-satya, s. catvāri-āryasatyāni nirodha-yoga 260, 277–280, 397, 429 nirupadhiśeṣa-nirvāṇa 369 nirvāṇa 41, 43, 70, 97, 110, 116, 120, 137 f., 146 ff., 150–153, 157 ff., 175, 185, 191, 193, 222, 224, 229, 234– 237, 243 f., 249, 255, 278 ff., 296, 298, 313, 315, 319 f., 326 f., 333, 341, 347, 349, 354 f. 362, 365 f., 369 ff., 378, 397, 418, 425, 431, 574, 615, 622, 681, 683, 686, 692, 697, 708, 712 nirvikalpa 139, 149, 158–162, 164, 168–173, 175 ff., 180, 184, 204, 206, 211 ff., 215–218, 220, 225 f., 232, 239, 253, 255, 257, 265, 269 f., 276, 282 f., 298, 300, 364, 395, 405 f., 434, 437 f., 441, 445 f., 487 nirvikalpa-jñāna 113, 255, 367 f., 370 f. nirviśeṣa 187 Nirwanaprinzip 472 niṣkāma-karma 265, 268, 668 niṣprapañca 107, 111, 160, 223, 405 nivṛtti 262 Niwano-Friedenspreis 601 Noematik, Noema 108 ff. Noetik, Noesis 108 ff., 169, 172, 206,

220, 226, 232, 276, 382, 395, 403, 438 Nominalismus 120 nomos 508, 513 f., 581 Nonduale Wirklichkeit der sinnlichen Erfahrung (advaya/sacittaka/ sākāra) 111 ff., 138 f., 148, 159 f., 175, 195, 224, 236, 272, 361, 363, 368, 377, 394–397, 399 f., 404 f., 418, 434, 436, 452, 497 Nondualität 20, 29, 33, 36, 38, 41 f., 47, 51–56, 58, 60 ff., 65–68, 76, 84 f., 87, 91 ff., 95–107, 110–115, 117, 119, 130–133, 138 ff., 143, 145–152, 154, 156–161, 163 ff., 167–173, 175–192, 194–198, 200, 203 f., 206, 211, 213, 217 f., 220– 224, 227 ff., 232 f., 236–244, 249, 251, 253, 255, 257, 263–270, 272, 276, 279, 283, 285, 287 f., 290 f., 294, 296–301, 313, 316 320, 354, 358, 361, 363 f., 368, 371 f., 375– 379, 387, 389, 394–402, 404 ff., 411, 413 f., 418 f., 425, 427, 434 ff., 440 f., 445 ff., 450 ff., 454, 459 f., 463 f., 466 f., 480 f., 487, 497, 522, 573, 575, 577 ff., 581, 584, 589, 629, 656, 669 f., 672 ff., 683, 688–693, 696, 703, 705, 707, 712, 714 f., 717–721 Nondualität (asymmetrische: advaitavāda) 111, 113, 236, 276, 378, 399, 579, 720 Nondualität (symmetrische: advayavāda) 111, 113, 236, 378, 399, 579 Nonkonstruktivismus 379, 416– 419, 421 f., 424–429, 431–434 Nonpluralität 101, 132, 137, 140, 145 f., 180, 185, 263 Nō-Theater 693 Notional dependence 116 noumenon 148 f., 163, 296, 394 f. nous 161, 382 Nulldimensionalität 172, 405 f., 434 nunc fluens/currens 184 nunc permanens 184

864 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister nunc stans 181, 184 nunc stans et fluens 179, 184 f., 204, 213, 253, 357 Objekt 29, 33, 54, 87, 89 f., 92, 95 f., 99, 101, 104 f., 108–113, 116, 131, 133 f., 138, 140, 143 ff., 148 ff., 157– 168, 170–185, 196, 203–209, 211– 214, 216–219, 221 f., 224–228, 235, 244, 255 ff., 261, 263 f., 266, 276, 280 f., 284, 286, 292, 298, 300, 322, 353, 364, 366 f., 376, 386, 390, 392 f., 395, 397 f., 417, 422, 425 f., 428, 432, 437 ff., 441 f., 444–447, 451 f., 454, 460, 465, 468, 470, 474 ff., 480, 485, 487 f., 491, 500, 511, 517 f., 522, 527, 532, 537, 549, 551 f., 556, 560, 568 f., 573, 577, 628, 642, 686, 688 ff., 693, 700, 702 Ochse und sein Hirt, s. shih niu tʾ u Ödipuskomplex 470, 477 f., 565 Ödipusprojekt 477 f., 499 Offenbarung 100, 198 f., 201 ff., 308, 319, 403, 529, 541 Okkultismus 390, 482, 517, 553 Öko-Apologeten 678 f., 715 Öko-Aśoka 621 Öko-Dharma (ecodharma) 65, 656, 660, 698, 720 Öko-Ethiker 678, 680, 682 Öko-Faschismus 621 Öko-Feminismus 700, 702 ff. Öko-Gerechtigkeits-Typus 676, 715 Öko-Gnosis 692 Öko-Konstruktivismus 678 ff., 682, 716 Öko-Kontextualisten 678, 682 Öko-Kritiker 678 f., 682 Ökologie 18–21, 47, 55–58, 60, 62, 65 f., 84 f., 87, 98, 100, 152, 302, 306–309, 311, 320, 343, 356, 363, 406, 411 f., 508, 552, 555, 560, 577, 589, 600 f., 608, 610, 621, 624, 629 f., 637, 639, 641 ff., 650, 653, 656, 659–685, 689 ff., 696–704, 706 ff., 710 f., 714–717, 720, 722

Ökologische Krise 19 f. Ökologischer Buddhismus, s. Sozialengagierter Buddhismus Ökonomie, s. Wirtschaft Öko-Pessimismus 20 Öko-Pietas 692 f. Öko-Primitivismus 21 Öko-Selbst (ecological self) 664, 703 Öko-Sophie 659–664, 667, 670 f., 692 Öko-Sphäre 87, 316, 659, 662, 664 f., 678, 702, 704 Öko-spiritueller Typus 676, 678, 715 Ökosystem 56, 671 f., 674, 691 Öko-Theologie 309 Öko-traditionalistischer Typus 676 f., 680, 682, 716 Oligarchie 513, 644 oṃ 267, 274 Omega-Punkt 301 f. Ontogenese 480 Ontologie 98, 102, 108 f., 111 f., 116, 141, 146 ff., 150 f., 153 f., 157, 172, 201 f., 233, 235, 237 f., 261, 280, 356, 361, 401, 407, 417 ff., 421 f., 425 f., 430, 433, 448 f., 477, 479, 485, 488, 492, 494 ff., 498, 558, 570, 664, 679, 681, 683, 686, 700 Ontologismus 201 f. Ontisch-Ontologische Differenz 146 ff., 150 f., 153, 237, 426, 433 Ontologische Schuld 477, 479, 494 f., 570 Ontotheologie 122, 125, 156, 449 Opfer 83, 250, 265 ff., 336, 338, 347, 353, 512, 544, 557, 665, 721 oratio 383 f. Organismus 286, 314 f., 362, 567, 658, 660, 662, 669, 674, 686, 703, 706 f., 710 Orientalismus 85, 90, 605–608 Osten 99 f., 431, 463, 501, 596, 641, 677 Otherworldly Buddhism 151 ousia 123, 155 Ozeanisches Gefühl 97, 393, 457

865 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Pädagogik 297, 402, 601, 625, 640 Pāla-Dynastie 599 Pāḷi-Buddhismus, s. TheravādaBuddhismus Pāḷi-Kanon 279, 610, 612 f., 616, 638, 680, 695 Palingenesie, s. Reinkarnation Pānadurā-Dispuation 585 f. pāṇātipāta, s. pañca-śīlāni pañca-śikṣāpada, s. pañca-śīlāni pañca-śīlāni 81, 613, 628, 630–633, 684 pañca-upādāna-skandhā, s. skandhā Panenhenismus 390 Panentheismus 187, 260 Panpsychismus 667 f. Papier 27, 52, 412, 567, 670 f. Papst, Papsttum 508, 523 ff., 527 f., 535, 587 Paradies 479, 523, 576 Paradox 85, 117 f., 139, 178, 199, 222, 237, 245, 251 f., 273, 289, 401, 425, 487 f., 512, 560, 573, 647 f., 712 f. pārājika 82 paramārtha-satya, s. satya paramārtha-tattva 110, 159 f. pāramitā 48, 103, 106, 117, 157, 221–224, 237, 243, 246, 319, 344, 626, 629, 681 f. Paraphilien 632 Parapsychologie 198, 329, 400 f., 456, 461, 482 paratantra-svabhāva, s. trisvabhāva Pareschatologie 335 parikalpita-svabhāva, s. trisvabhāva pariniṣpanna-svabhāva, s. trisvabhāva Pastorale 699 pathologisch 144, 257, 386 ff., 453 f., 458, 470, 509, 513, 565, 632 ff., 643 Pathozentrismus, s. Ethik Patriarch 71, 103, 247, 287 f., 293, 304, 572, 582, 632, 667, 688, 690, 710 Pazifismus 83, 621, 631 peak experience 405, 407, 453

Pennsylvania Economic Association 638 Perennialismus 283, 378 f., 419, 421 f., 426, 429, 434, 456, 622 perfectio, s. via triplex Persistenz 161 f., 173, 334, 467 f., 529 Person 80, 83, 91, 151, 190, 246 f., 256, 302, 335, 341, 344 f., 349, 353, 357, 362, 374, 388, 403, 410, 415, 446, 448, 456, 459, 470, 479, 486, 506, 528 f., 562, 570, 633, 646 f., 652, 694 perspektivenrelativer Realismus 417 f., 426 f., 430, 433 Pessimismus 20, 324, 525 petitio principii 427 phaenomenon 148 f., 163 phala 115, 353, 467 f. Phänomenale Differenz 291, 296 Phänomenalität, Phänomene 54, 77, 87, 96 f., 102–105, 108 f., 110 f., 113 f., 127, 132 f., 135 f., 139, 145– 148, 150, 154, 156–160, 163, 168 ff., 173–176, 180–183, 185, 189, 192, 194, 196, 200, 204, 212 ff., 218, 222, 224, 226 f., 229, 232, 235–238, 240 f., 245, 249, 251, 253 ff., 256 f., 264, 268, 279, 282, 288, 291, 296 ff., 313, 320, 322 f., 327, 330, 333, 342, 353, 364, 366 ff., 371, 374 f., 378, 388, 392, 394 f., 398–406, 419 f., 427 f., 432 ff., 437, 439, 442–445, 447, 449, 457 f., 463, 467, 475 f., 481, 501, 509, 521, 533, 568, 578 f., 605, 608, 673 f., 679, 681, 685 f., 690 f., 694, 696 f., 705, 715, 720 Phänomenalismus 111, 113, 145, 153 f., 157–161, 163 f., 167, 175 f., 233, 235, 237, 242, 272, 276, 296, 349, 358, 362 f., 418, 436 ff., 440, 444, 446 f., 449, 579, 696 f., 708, 718–721 Phänomenologie 41, 66, 91, 98, 106, 127, 138, 146 ff., 153, 158, 160, 170, 174, 179 ff., 185, 195, 224, 227, 264,

866 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 266, 298, 321, 363 f., 369, 371, 375, 376, 379, 387, 389, 391, 395, 400– 403, 416, 421 f., 424 f., 431–434, 443–446, 681, 718 Phänomenologische Differenz 146 ff., 153, 158, 370 Phänomenologische Reduktion, s. epoché Pharao 511 Phase 38, 45, 51 ff., 58, 66, 92, 106, 120 f., 136, 295, 307, 348, 367, 370, 376, 433, 455, 457, 459, 461, 469, 472 f., 487, 517, 662, 664, 685 Philosophy East and West 37, 42 photismos 382 f. phoṭṭhabba-taṇhā, s. tṛṣṇa Phrygier 565 Phylogenese 477, 480 Physiozentrismus, s. Ethik Physik 17, 140, 150, 172, 193, 213, 216, 225, 263, 269, 311, 343, 349, 354, 540, 390, 440, 507, 531, 540, 651, 669 physis 508, 513 f., 581, 656, 659 pʾ ien/pian (jap. hen) 104 Plateau experience 405, 407 Platform principles 663, 666 Platonismus 106, 302 f., 306, 320, 381, 383 Pluralismus, Pluralität 23, 57, 60, 100, 102, 108 ff., 132 f., 137, 143, 145, 146 ff., 159, 199, 379, 414, 417, 421, 426, 430 f., 443, 445, 513 f., 539, 545, 554, 598, 642, 655 Polis 508, 513, 516 f. Politik 17, 19 f., 26, 28 f., 42, 47, 55– 58, 61 f., 64, 77, 81, 83–87, 152, 262, 308, 316, 320, 406, 409, 411, 413, 499 f., 503, 508 f., 512 f., 515, 517, 519, 523 ff., 531, 535 f., 539–546, 550, 552, 559, 577, 581–585, 589– 610, 612–633, 636, 642 f., 648 ff., 652–655, 663 f., 666, 668, 676, 678, 708, 714 f., 717, 722 Portugal 603 f. Postkolonialismus 606 f. Postmoderne, postmodern 55, 122,

129, 154, 171, 287, 308, 355, 422, 533, 554, 575, 607 f., 677, 683, 706 Poststrukturalismus 121 f., 127, 130, 155 Potlatch-Fest 672 Prä-/Trans-Verwechslung 480 prabhākarī-bhūmi, s. bhūmi Prädestinationslehre 508, 534, 547 prajñā 44, 105 f., 169 f., 191, 210, 226, 232, 250, 270 f., 298, 369 ff., 594, 626 prajñā-pāramitā 48, 103, 106, 117, 157, 221–224, 237, 243, 319, 344, 626 prajñapti, prajñaptir-upādāya, prajñaptisat 133, 141, 366, 448 f. prakṛti 102, 235, 280 f., 369, 695 prakṛtiprabhāsvaracitta 235, 695 pramuditā-bhūmi, s. bhūmi praṇidhāna-pāramitā, s. pāramitā prapañca 107–111, 138, 147, 159– 162, 174, 177, 179, 183, 204, 213, 215 f., 218 ff., 223, 225, 230, 269, 274, 279, 311, 317, 353, 366, 405, 437, 474 ff., 628, 719 prārabdha-karma 178 Präreflexivität 166 pratidvandvin 115 pratiṣedha 144, 448 pratītya-samutpāda (pāḷi paṭiccasamuppāda) 97, 116, 133, 135, 138, 141, 151, 171, 174, 179, 205, 211, 234, 288, 563, 679, 691 pratyavekṣaṇa-jñāna 366 f. pratyaya 115, 467 f., Pratyekabuddha 43 f., 83, 369 pravṛtti-vijñāna 173 f., 277, 366 f., 467 f. Präsenz 123, 125–128, 131 f., 134, 184, 212, 217, 234 f., 243, 253, 258, 274, 306, 392, 406, 425, 433, 460, 687, 709 Prästabilierte Harmonie 219 pratyakṣa 159 présence, s. Präsenz preta, s. Daseinsbereiche

867 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Priester 46, 69, 72, 86, 372, 378, 511, 524, 583, 598, 601 primus-inter-pares 196, 436, 573, 719 Prinzip 38, 77, 88, 96, 104, 134, 164, 169 f., 172, 176, 180, 187, 191, 200, 203 f., 219, 233, 237, 288–292, 294 f., 303, 350, 353, 413, 443, 460, 472, 522, 556, 567, 605, 611, 622, 631, 633, 658, 663, 665 f., 670, 679, 687–691, 696, 706, 710 priyavākya, s. saṃgraha-vastūni profan 199, 311, 347, 380, 390, 504, 522 f., 537, 557, 561, 564, 568, 606, 616 Projektion 54, 174, 204, 214, 220, 417, 430, 442, 466, 474, 476 f., 504, 523, 568, 571, 594, 605, 677, 686 Propaganda 80, 85 f., 90, 410, 619, 632, 634, 675, 683, 715 Prophet, Prophetie 403, 519 f., 529, 550, 570, 581, 583 Proselytismus 561, 611, 634 Protention 125, 183, 405 Protestantischer Buddhismus, s. Sozial-engagierter Buddhismus Prozess 21, 53, 57, 62, 73, 88, 97, 99, 101, 106, 125, 129, 136, 140, 142, 144, 149, 153, 170 f., 173, 175 ff., 179, 181 f., 184 f., 196, 204, 206, 211 f., 214, 219 f., 225, 238, 245, 253 f., 256 f., 275, 284, 290, 300 ff., 307–315, 317 f., 321–326, 332, 335, 342, 350 f., 353, 358, 406 ff., 453 ff., 458, 460, 467 f., 472, 474, 480, 503 f., 506, 509, 517, 530, 532, 540, 544, 546 f., 550 f., 554, 559 f., 567, 578, 636, 641, 645, 650 f., 653 ff., 662, 665, 667–670, 696 f., 702, 705, 715, 717, 721 Prozessphilosophie 290, 667 f. prudentia (gr. phronesis) 657 Psilocybin, s. Drogen Psyche 144, 382, 398, 408, 411, 439, 453 f., 466–470, 480, 485, 517 f., 552 Psychologie 19, 21, 35, 38, 51 ff., 55 f., 58, 66, 90 f., 100, 106, 114,

142, 144, 152 ff., 167, 190, 198 f., 201, 203, 206, 217, 235, 270, 279, 307 f., 329, 331 f., 339, 342 f., 349, 351 f., 356 f., 359 f., 363, 375 ff., 379, 387 f., 392, 400 ff., 406 f., 425, 431– 434, 441, 451–454, 456–459, 461– 467, 471 f., 474 f., 478, 481 ff., 497 ff., 503, 505 ff., 514 f., 535, 555 ff., 561, 567, 572 f., 577, 582, 596, 605, 623, 625, 637, 643, 647, 656, 662, 717, 721 Psychoanalyse 53, 189, 357, 388, 453, 457 f., 467, 469–474, 480–484, 486 ff., 490, 497, 499, 558, 562, 565, 567, 572 Psychohistorie 21, 56, 363, 451, 499 f., 502 f., 506, 721 Psychophysischer Parallelismus 219 f. Psychosynthese 407, 455 Psychotherapie 29, 51, 53, 150, 339, 347, 377, 407 f., 451–455, 457–460, 462–466, 475, 496 f., 509, 561, 588, 661 Psychiatrie 144, 386, 457 ff., 483, 486 pudgala 118, 171, 180, 206, 224, 230, 448, 694 pudgalanairātmya 171, 180, 224 Pudgalavāda 448, 694 punarmṛtyu (Wiedertod) 330, 355, 609, 694 Punkt 38, 123, 216, 301 f. Pure Consciousness Event (PCE) 427 purgatio, s. via triplex puruṣa 102, 264, 280 f., 694 puruṣārtha 339, 510, 609 Quäker (Religious Society of Friends) 17, 420, 540, 601 Quietismus 71, 152, 170, 229, 232, 269, 385, 525, 602 raga 193, 211, 263, 270 f., 530 Rainforest Action Network (RAN) 670

868 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister rajas, s. triguṇa Rāja-Yoga, s. Yogas raptus 200, 380 rasa-taṇhā, s. tṛṣṇa Rasse 189, 489, 505, 509, 572, 607, 624 Rationalität, Rationalismus 24, 33, 57, 65, 85, 92, 97, 119, 189, 203, 241, 297, 305, 329, 331 f., 336, 346 f., 359, 374, 381, 386 ff., 390, 403, 410, 414, 448, 462, 465, 469, 480, 499, 504, 508 f., 513 ff., 517 f., 525, 532 f., 535, 537, 539 f., 542 ff., 546 f., 549–552, 554, 633, 644, 648, 652, 703, 717, 721 Rationalisierung 331 f., 336, 346, 465, 504, 509, 525, 537, 539, 546 f., 549 ff., 554, 633, 721 Raum 19, 60, 73, 96, 101 ff., 124 f., 130, 136 f., 164, 172, 174, 180, 212, 214, 247, 256 f., 277 f., 286, 295, 302, 314, 334, 401 f., 425, 431, 437, 442, 469, 475, 480, 545, 576, 685, 688, 697, 699, 705 Realität 21, 24, 96, 102, 108, 118, 132 ff., 137, 141, 144 ff., 148 ff., 155, 159 f., 171, 187 f., 190 ff., 204, 206, 214, 217, 232, 234, 236, 239–242, 250, 257 ff., 288, 290, 322, 342, 347, 360 f., 393, 399, 402, 412, 415, 418, 425, 437, 442, 448, 467, 471, 478, 496, 501, 534, 538, 560, 563 f., 567 f., 572, 581, 608, 632, 637, 643, 647, 667, 669, 686, 694, 697, 700 f., 704 f., 722 Realitätsprinzip 471 Reduktion, Reduktionismus 100 f., 104, 106, 115, 141, 152, 308, 328, 342, 347, 349, 353, 359, 388, 395, 418, 423 f., 429, 430, 433, 443 ff., 454, 457, 485, 510, 514, 541 f., 606, 625, 648, 720 ff. Reflexion 17, 35, 41 f., 66, 96, 98, 100 ff., 106, 108 f., 122, 140, 160, 165 f., 171, 178, 180, 183, 206, 208, 225, 233, 264, 284, 291, 311, 318, 326, 329, 339, 363, 401, 424, 432 f.,

435, 438, 464, 489, 589, 682, 717, 719 f. Reformation 312, 508 f., 523, 528, 535 f., 555, 582, 618 regula proxima fidei 539 Reifikation 109, 142, 156, 170 ff., 180, 183, 204–207, 211 f., 214, 217 f., 225, 227, 324, 464, 466, 506 Reine Erfahrung (pure experience, jap. junsui keiken) 89 ff., 149, 255, 366, 424 f., 437, 439 Reines Land, s. sukhāvatī Reines-Land-Buddhismus, s. ShinBuddhismus Reinkarnation 107, 205, 247, 328– 336, 338, 342, 348, 351 ff., 355 f., 358 f., 554, 721 Relativismus 24, 57, 63, 100, 120, 137, 171, 417 f., 421 f., 426 ff., 430 f., 433, 482, 513, 542, 554, 684 Religion 29, 36, 52, 54, 58 f., 65, 76, 83, 89, 91, 114, 262, 264, 271 ff., 304, 306, 309, 313, 320 ff., 328, 347, 355, 373 f., 389, 420, 423, 432, 435, 454, 456, 477, 482, 504 f., 514, 517, 523, 536, 552, 554 f., 558 f., 561, 574, 583, 598, 609, 611, 615, 619, 625, 636, 639, 651, 653, 668, 677 f., 707, 717 Religionskritik 189, 346 Religionsphilosophie 38, 320 f., 392, 435, 718 Religionspsychologie 375 f., 387 f., 392, 402 Religionswissenschaft 54, 92, 372 ff., 377, 387, 389 f., 422, 454, 500, 587, 615, 640, 656 Religiöse Vielfalt 19, 625 Renaissance 384, 386, 509, 562 f., 585 res cogitans 219 res extensa 219 Reszendenz 106 Retention 125, 166, 183, 405 Revolution 19 f., 26, 28, 56, 60, 65, 134, 350, 407, 508 f., 519, 523 ff., 527 f., 531, 535, 539 f., 577, 581 ff.,

869 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 596, 604, 615, 618, 620, 627, 651, 654, 656, 661, 677, 698, 700, 721 Rezeption 23 f., 68, 87, 89 f., 92, 119 f., 122, 155, 258, 296, 304, 317, 324, 329, 368, 384, 463, 500, 662, 668, 676, 685, 693, 720 ri busshō 692 Right Livelihood Award 601, 676 Rightview Quarterly 60 rinzai-shū s. Zen-Buddhismus Risshō Kōseikai 590 Ritual 70, 85, 90, 244 f., 380, 609, 710 Rocky Mountain Ecodharma Retreat Center (RMERC) 65 Rom 19, 508, 524 Rōshi 31 f., 45 f., 70, 88 Ruhe 110, 159, 197, 220, 280 f., 385, 431, 450, 487, 556, 579 Ruhm 54, 466, 499, 504, 561–565, 569, 578, 623 rūpa 103, 109 ff., 141, 145, 159 f., 188, 204, 206, 209, 213, 264, 281, 288, 296 f., 354, 442 rūpa-dhyāna, s. dhyāna rūpakāya, s. trikāya rūpa-taṇhā, s. tṛṣṇa Russland 24, 438, 483, 509 Ryūtaku-ji Tempel 31 S & P (Spirituality & Practice) Award 63 sacchidānanda 268 sadda-taṇhā, s. tṛṣṇa sādhāraṇa-karma 442, 690 sādhumatī-bhūmi, s. bhūmi ṣadāyatana, s. Sinne sāgara-mūdra-samādhi 285, 393 saguṇa 187, 189 f. sakadāgāmī, s. ariya-puggala Sakralität 454, 523, 534, 557, 564, 566, 568 f., 653, 673 sākṣin/sākṣi-caitanya 281, 579 Säkularer Buddhismus, s. Sozialengagierter Buddhismus Säkularismus 53, 57, 86, 92, 99 f., 152, 304, 306, 328 f., 342 f., 346–

349, 362, 504 f., 510, 517, 519, 522 f., 529 f., 534 ff., 537, 541, 543, 545, 554 ff., 563 f., 569, 573, 606, 648, 721 f. sallekhanā 710 samādhi 112 f., 117 f., 200, 210, 219, 257, 277, 280, 285, 393, 589, 594, 626 samāna-sukha-duḥkhatā, s. saṃgraha-vastūni samānārthatā, s. saṃgraha-vastūni samatājñāna 366 f. samatva 263 f., 268, 270 samayakāya, s. trikāya sāmbhogikakāya, s. trikaya saṃcita-karma, s. Karma saṃgraha-vastūni 270 f., 614, 626 samjñā 141, 159, 206, 278, 468 saṁkalpa 159 Sāṃmitīya 694 saṃsāra 43, 63, 97, 110, 116, 125, 137, 143, 145–148, 158 f., 175, 185, 205, 209 ff., 213 f., 222 ff., 229 f., 233, 237, 259, 265, 281, 298, 300, 313, 319, 325 f., 330, 332 f., 347, 349, 353, 355 ff., 365, 369 ff., 480, 510, 574, 576, 609, 683, 686, 694, 697, 708, 712 saṃsāra-pravṛtti-hetu 224 saṃskāra 141, 174, 177, 206, 208, 210, 277, 350, 353, 366, 468, 623 saṃskāra-duḥkhatā, s. duḥkha saṃskāra-karma, s. Karma saṃskṛta 234, 243, 319, 369, 371 samudaya-satya, s. catvāriāryasatyāni saṃvṛti-satya, s. satya samyak-ājīva, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-dṛṣṭi, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-karmānta, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-samādhi, s. aṣṭaṇga-mārga samyaksaṃbuddha 43 samyak-saṃkalpa, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-smṛti, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-vāc, s. aṣṭaṇga-mārga samyak-vyāyāma, s. aṣṭaṇga-mārga

870 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister saṃyama 280 f. Sanbō-Kyōdan 33, 45 ff., 50, 54 f., 68 f., 73 ff., 84, 86 f., 89, 92, 254, 288, 409 San Francisco Zen Center 572 saṅgha 31, 33, 35, 43, 50, 109, 153, 278 f., 316, 447, 589 ff., 597, 604, 610–613, 616, 619, 673, 704, 711, 713 Sāṅkhya 102, 186, 280, 694 Sant 189 Sarvāstivāda 326 Sarvodaya-Śramadāna 603, 622, 637, 640, 645 śāśvatavāda 143 satipaṭṭhāna (skt. smṛti-upasthana) 397, 613 Satisfaktionslehre 523, 526 ff. satkāryavāda 135 f. satori 70 f., 84, 91, 201 f., 244, 254, 295, 298, 364, 395, 402 ff., 407 sattakkhattu-parama, s. sotāpanna sattva, s. triguṇa sattva-loka 442, 680 satya 63, 85, 102, 105, 137, 144, 158, 169, 179, 181, 190 f., 196, 204, 223, 231, 242, 268, 274, 313, 319, 323, 361, 367, 371, 406, 415, 436, 628 f., 701 satyagraha 668 savikalpa 139, 149, 158 ff., 162, 171– 174, 177 ff., 196, 204 f., 216 ff., 221, 225, 265, 270, 298, 364, 487 saviśeṣa 187 Sautrāntika 326, 468 Schicksal 82, 191, 192, 275, 311, 345, 352, 356, 359, 406, 470, 473, 480, 484, 497, 517, 570, 593 Schöpferische Indifferenz 460 Schöpfung 104, 166, 185, 250, 281, 305, 307, 309 f., 312, 317, 319 ff., 408, 419, 422, 475, 530, 575, 676, 700 Schuld 80, 177, 192, 242, 335 ff., 351, 465 f., 471, 477–481, 484 f., 487, 494 f., 498, 519, 525, 557 ff., 569 f., 613

Schweigen (Sigetik) 50, 68, 153 f., 230 ff., 381, 401 f., 427, 620 Schwert (ken) 411 Scholastik 69, 71, 90, 136, 141, 184, 339, 384 f., 451, 467, 489, 561 School of Youth for Social Service 587 Schumacher Lectures on Buddhist Economics 637 Schürzen-Diagramm (Apron Diagram) 663 secreta unio 383 Seele 142, 163, 181, 183 f., 195, 198 f., 200, 203, 219, 227, 247, 280, 302, 326, 331, 336, 344, 353, 357, 382, 384 ff., 390 f., 402, 432 f., 438, 468 f., 472, 482, 504, 516, 518, 524, 534, 540, 656, 686 Sehen 69, 106, 142, 162, 171, 176, 199, 205, 219, 290, 294, 296, 439 Sein-Zeit, s. uji Selbstbewusstsein 33, 48, 105, 109 f., 128, 142, 166, 207, 220 f., 223 f., 261, 269, 282 f., 300, 302, 316, 321 f., 405 f., 455, 464 f., 479 f., 484, 486, 517, 538 Selbstentwerdung, s. Vernichtung Selbstvernichtung, s. Vernichtung Semantik 23, 116, 121, 125 f., 179, 217, 233, 238, 241, 374, 425 sensō-zen 75, 77, 84 f.., 408 f., 714 Serendipitäre Kreativität 314 sesshin 31–34, 43 f., 46, 72 f., 88 Sexualtheorie 482 Sexualangst (Kastrationsangst) 482 Shambhala 39 Shambhala Sun 60 Shelun-Schule 693 shen 686 shi 103, 288, 291 shih niu tʾ u/shiniutu (jap. jyūgyūzu) 105 shikaku 232, 317 shikantaza, s. Zen-Praxis Shin-Buddhismus 90, 139, 190 f., 199, 283, 589, 683 Shingon-Buddhismus 248, 710 f.

871 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister shinjin-datsuraku 250 f. Shintō 685 shōshike 46, 75, 92 shushō ittō 245, 252 Signifikant 121, 123, 125, 133 Signifikat 121, 123, 125 f., 129 śīla 43, 193, 205, 210, 594, 613, 626, 629 sīlabbata-upādāna, s. upādāna śīla-pāramitā, s. pāramitā Simonie 524 Sinn 71, 89, 109, 130, 153, 159, 179, 184, 192, 199, 216 f., 270, 275, 277, 301 f., 307, 311 f., 333, 348, 381, 383, 421, 430, 433, 435, 439, 445, 453, 473, 477, 480 f., 491, 493, 514, 527, 529, 532, 536, 551, 563, 574, 612, 617, 625, 649, 657, 683, 686 ff. Sinne 149, 161 ff., 173, 176–179, 181, 205 f., 226, 256, 264, 339, 353, 367 f., 372, 392, 397, 402, 442, 624, 690 Sittlichkeit, s. Ethik skandhā 110, 140, 206, 246, 255, 505 f. Skepsis 19, 97, 119, 164, 311, 338, 340, 413, 496, 514, 575, 677, 682 Society and Economy 640 sōdō 70 Sōka Gakkai 590 Solipsismus 162, 164, 358, 362, 437– 441, 443, 446, 477, 492, 719 Sŏn-Buddhismus, s. Zen-Buddhismus sopadhiśeṣa-nirvāṇa 369 Sorge (care) 489 f., 495 f. sotāpanna (skt. śrotrāpanna) 193, 612 Soteriologie 24, 71, 117, 121, 131 ff., 178, 188, 235, 255, 330, 340, 357, 360, 476, 491, 573, 592, 607, 612, 615, 680 f., 685 Sōtō, s. Zen-Buddhismus Sous rature 126 Sozial-engagierter Buddhismus 31, 56, 58, 65, 85, 93, 153, 316, 356, 363, 411 f., 502, 545, 549, 577, 581, 583–596, 599 f., 602 f., 605, 607 f.,

616 ff., 620–624, 627 f., 630, 635, 640, 670, 672–675, 677–680, 697, 706 ff., 710, 715, 716, 721 f. Sozialismus 28, 544, 553, 593 f., 618–621, 632, 638, 713 Sozialkritik 28, 57, 207, 470, 601 Sozialökologie 20, 47, 610, 722 Sozialtheorie 21, 55 f., 58, 66, 591, 596, 608, 622 f., 636 Speicherbewusstsein, s. ālayavijñāna Spekulation 24, 121, 179, 216, 233, 274, 276, 301 f., 320 ff., 325, 340, 352, 353, 356, 362, 383, 385, 430, 443, 460, 542 Spiegel 124, 162, 199, 238, 244, 247, 273, 285, 286, 290, 292, 294, 365 f., 371, 393, 402, 463, 491, 528, 677 Spiel 125, 129 ff., 313, 496, 501, 575 f. spirituelle Praxis, s. Meditation, s. Kontemplation, s. Zen-Praxis Sprache 23 f., 34, 45, 49, 63, 65, 108, 119, 121, 124, 126, 128 f., 130 ff., 138, 154, 182, 210, 212 ff., 217 f., 222, 225 f., 229–232, 239–243, 264, 331 f., 368, 379, 416, 420, 422–425, 439, 505, 508, 538 f., 586, 637, 696, 717 Sprachkritik 24, 121 ff. Sprachspiel 23 f., 121 Spur 125 f., 129 śramaṇa-Bewegung 510, 609 f. śrāvaka 43 śrāvakayāna, s. Theravāda-Buddhismus Śreṇika-Häresie 246–249, 251, 703 Śrī-Laṅkā 329, 585, 588, 601, 603 f., 622, 637 f., 640, 676 Śṛī-Vaiṣṇava 198 śrotra-vijñāna, s. pravṛtti-vijñāna Staat 19, 23, 36, 46, 49, 58 f., 61, 76, 78 f., 81, 186, 347, 410, 489, 501, 515 ff., 523, 530, 535 ff., 543 f., 553, 555, 559, 582 f., 587 f., 598 f., 601 f., 615 ff., 625 f., 630, 642, 644, 646, 653 ff., 661

872 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Stigmatisation 386 stigme 123 Stoa, Stoizismus 518 sub specie vanitatis et vacui 105, 147, 175, 237, 395 Subitismus 254 Subjekt 19, 29, 33, 78, 89 f., 92, 95 f., 99, 101, 104 f., 108–113, 116, 119, 121 ff., 128, 131, 133, 138, 140, 142– 145, 147–150, 157–161, 163–172, 174–178, 180–183, 185, 190, 196 f., 200 f., 203–208, 212 f., 217 ff., 221 f., 225 ff., 240, 244, 249, 255 ff., 263, 266, 280 f., 283 f., 298, 315, 317, 321 f., 332, 345, 349, 354, 364, 366, 376, 386, 390, 395, 397 f., 403, 413, 417, 428, 432, 437–442, 445 ff., 449, 453 f., 460, 464 f., 474 f., 477, 486 ff., 504, 511, 518 f., 546, 549, 551 ff., 577, 627 f., 647, 656, 688, 690 f., 694, 700, 712, 718 ff. Subjekt-Objekt-Spaltung 33, 99, 104, 113, 138, 148, 168, 174, 213, 218, 226, 255 f., 298, 364, 366, 376, 395, 397 f., 432, 487 f., 511, 577 Sublimation, sublimieren 107, 144, 170, 229, 232, 251, 254, 270, 300, 302, 318, 324, 456, 478, 550 Subliminale Bewusstseinsprozesse, s. ālayavijñāna Substanz 25, 30, 54, 71, 77, 104, 116, 123, 141, 157, 161, 163, 170, 176, 190, 205, 207, 213, 219 f., 237 ff., 248 f., 274, 289, 314, 317, 322, 344 f., 349, 447 ff., 458, 468, 472, 479, 494 f., 507, 546 f., 551, 633, 655, 686, 695, 705 sudurjayā-bhūmi, s. bhūmi Sufismus 61, 313, 462 sukhāvatī 190, 422, 683 sūkṣma-citta 468 sūkṣma-śarīra 177 Sünde 191, 198, 249, 358, 479 ff., 504, 508, 519, 523–528, 530, 532, 543, 557 f. Sundstrand Corporation 39

Sung-Dynastie 34 f., 247 f., 252, 273 śūnya, śūnyatā, śūnyavāda s. Leerheit Superstrukturen (superstructures) 416 supra 200 Supraliminale Bewusstseinsprozesse, s. pravṛtti-vijñāna Supranaturalismus 203 surāmeraya, s. pañca-śīlāni svabhāva 111, 116 f., 122 ff., 137, 139, 142, 157, 161, 170, 173 ff., 181, 207, 212, 214, 223, 237 ff., 255, 274, 371, 448, 478 f., 495, 563, 707 svabhāvikakāya, s. trikaya Śvetāmbara 326 Swedenborgian Church 36 Symbol 41, 52 f., 105, 171, 241, 360, 375, 392, 417, 422, 424, 466, 485, 496 f., 504 ff., 527, 557 f., 562 f., 565–569, 572, 575 f., 578, 623 f., 634, 643 Symptom 19, 54, 170, 209, 386, 465 ff., 474, 478, 485, 497, 557, 561, 569, 576, 634, 647, 654 Synthese, Synthesis 21, 37, 44, 48, 59, 68 ff., 104, 139, 164, 168 ff., 185, 188,191, 221 f., 224, 258, 271 f., 288, 291, 297 f., 301, 304, 307, 309, 317, 328, 369, 371, 375, 404, 406 f., 451, 455, 458, 461, 463, 467, 596 f., 600, 611, 618, 670 f., 717, 720, 722 System 20, 27 f., 35, 41, 55 ff., 59, 62 f., 95 f., 98 f., 102, 112, 117, 125, 131, 133, 140, 171, 178, 186 ff., 192, 197, 212, 214, 216, 220, 243, 258, 272, 280, 284, 287, 311, 315, 319, 323 f., 328, 337, 342, 360, 374, 378 f., 414, 417 f., 420 f., 435, 458, 469, 472, 507, 511, 524 f., 527, 530 ff., 535, 550, 555, 558, 560 f., 572 f., 581, 583, 585, 593, 619 ff., 624 f., 631 f., 636, 638 f., 652, 659, 661, 668 f., 671–674, 691, 701, 706 f., 710, 719 Systemtheorie 315, 701

873 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister tabula rasa 206 Taiwan 81, 84, 595, 607 tamas, s. triguṇa taṇhā, s. tṛṣṇa Tʾ ang-Dynastie 47, 103 Tantra 139, 269, 674 Tantrischer Buddhismus, s. Tibetischer Buddhismus Tao/Dao 38, 138 f., 221, 296, 317, 685 f. Taoismus/Daoismus 28 f., 37 f., 40 ff., 46, 61, 95, 98, 101 f., 138 f., 221, 265, 306, 313, 317, 668, 685, 691, 693, 696, 719 Tassajara Zen Mountain Center 572 tathāgata 117, 159, 191, 233, 236, 247, 292, 370, 711 tathāgatagarbha 154, 189, 234 ff., 243, 273 f., 317 f., 443, 679, 691, 695 tathāgatakāya, s. trikāya tathārthacaryā, s. saṃgraha-vastūni tathatā 138 f., 158 f., 178, 222, 255, 288, 290, 295, 317 ff., 365, 367 f., 371, 576, 688, 692, 694 ff. tathya-saṃvṛti 196, 361, 415, 436 tat-praśama-hetu 224 tattva 110 f., 138 f., 144, 159 f., 178, 214, 223, 230, 448 f. Täuschergott, s. deus deceptor te/de 686 Technik, Technologie 17 f., 20 f., 25, 85, 98 f., 198, 201, 307, 462, 499, 508, 510, 522, 530, 533, 548 ff., 552, 554 ff., 560, 562, 568 f., 655, 666, 677, 699 Technozoikum 307 f. Teishin-ji Tempel 72 teishō 52, 73, 75, 88, 273, 276 teleiōsis 382 f. Telekinese 386 Teleologie, teleologisch 232, 303, 502, 658, 680, 691 Telepathie 342, 386, 442 Temporisation 125 Tendai-Buddhismus, s. Tʾ ien-Tʾ aiBuddhismus terrayāna 595

Terror 52, 58, 305, 336, 453, 465, 482, 486, 488, 578, 607 Terror-Management-Theorie (TMT) 52 tertium comparationis 556 Tetralemma, s. catuṣkoṭi Thailand 40, 60, 331, 588, 590, 601 f., 618 f., 637 f., 675 f., 682 Thanatopsychologie 51 f., 483 Thanatos 51, 60, 466, 472, 483 f., 492, 496, 578 The Buddhist Review 60 The Ecologist 663 The Economist 646 Theismus 36, 185–191, 194–197, 199, 203, 258, 272, 283, 319, 377 f., 390, 393, 396, 399, 418 f., 431 ff., 436, 481, 718 The Lion’s Roar 60 Theodizee 191 f., 358 Theogonie 318, 322 f., 669 theologia mystica 381, 384 theologia rationalis 388 Theologie 46, 92, 100, 122, 125, 154–157, 184, 187, 197, 203, 220, 301, 305, 307 ff., 320, 322 f., 335, 339, 372–377, 379, 381, 383–388, 391 f., 402, 417, 420, 422, 429 f., 449, 522, 525–528, 531, 535, 538, 540, 543, 555, 561, 582, 601, 641, 676, 719 theōria 381, 383 Theorie 20 f., 33, 37, 42, 48, 52, 60, 65 f., 68, 88, 93, 98, 103, 123, 132, 135 f., 145 f., 161 f., 165, 167, 197, 207, 216, 231, 243, 246, 249, 268, 286, 303, 312 f., 316, 326, 333 f., 346, 353, 357, 375, 388, 397, 411 f., 415, 419, 428, 431, 443 ff., 447, 452, 458, 467 f., 479 f., 482, 486, 497, 499, 506, 531, 544, 558, 567 f., 572 ff., 589, 594, 596, 600, 609, 617, 620–623, 636, 640, 644, 661, 671, 688, 694, 701, 707, 719 f., 722 Theosophie 334 Theosophische Gesellschaft 328 f., 352, 585 f., 595

874 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Therapie 24, 29, 51, 53, 120 f., 150, 152, 210, 230, 339, 346 f., 349, 377, 386, 407 f., 451–455, 457–466, 475 f., 481 f., 496 f., 502, 509, 561, 588, 622, 633, 653, 661 Theravāda-Buddhismus 17, 39, 43 f., 82, 102, 138, 141, 234 f., 237, 255, 257, 331, 346 f., 397, 468, 588, 590, 592–595, 600, 604, 608, 610–613, 616 ff., 675, 680, 683 f., 688, 720 The Theosophist 586 The Trumpeter: Journal of Ecosophy 663 Think Sangha 590 This-worldly Buddhism 151 Tibet 35, 62, 119, 144, 177, 301, 318, 337 ff., 346, 348, 397, 463, 662, 674, 678, 696 Tibetischer Buddhismus 139, 177, 301, 318, 337 ff., 346, 348, 397, 463, 590, 595 Tibetisches Totenbuch (bar-do thosgrol) 35, 662 Tiefenökologie 20 f., 58, 62, 302, 307, 363, 577, 589, 621, 639, 656, 659–664, 666–672, 680, 683, 699– 704, 706 f., 710, 715 f., 720, 722 tʾ ien/tian 685 Tʾ ien-Tʾ ai-/Tiantai-Buddhismus 139, 248, 688, 690, 692, 696, 712 f., 715 tʾ ien-ti/tiandi 685 Tiêp-Hiên-Orden (Order of Interbeing) 588 f., 630 Tier 77, 83, 87, 144, 356, 392, 407, 484, 489, 492, 531, 548, 598, 613, 630, 657, 665, 676, 684 f., 687, 698, 700, 710 Tikkun 60 tiryagyoni, s. Daseinsbereiche Tod 29, 32, 44–47, 51–54, 62, 74, 76, 82, 116, 127, 138, 143, 146, 151, 181, 183 f., 190, 205, 208, 224, 233, 247 ff., 259, 264, 278, 282, 330–335, 338 ff., 342, 345, 351–355, 357 f., 365, 401, 411, 432, 460, 465 f., 472, 475, 477 f., 480, 482–486, 488, 490–

494, 496 ff., 500, 504, 508, 512, 525 ff., 529, 534, 538, 552, 562 ff., 570, 574, 578, 590, 597, 599, 609, 611, 615, 623, 666, 671 f., 684 f., 694, 700, 708, 710 f., 721 Todesangst 465, 475, 478, 482 f., 485, 498, 500, 504, 512, 552, 562 Todestrieb 472, 482 Topik 468 f., 474 f. Totalitarismus 84, 202, 512, 516 f., 544, 553, 619 ff., 633, 635, 641, 643 Traditional Zen Narrative (TZN) 85 Traditionalistische Kontinuitätsthese 591, 600, 603 f., 606, 608– 611, 617, 674 Trans4m 640 trans-diskursiv/-logisch/-rational 85, 98, 119, 132, 138, 146, 156, 169, 214, 240, 368, 401, 402, 480 Transformation 18, 37, 49 f., 57 f., 71, 83, 88, 105 f., 128 f., 144, 146, 151, 154 f., 170, 173, 183, 186, 221, 229, 232, 237, 242, 246 f., 253, 255, 257, 263 ff., 269 f., 287, 295, 302, 310, 316, 319, 323, 347, 351, 354, 360 f., 365 f., 378, 393, 398, 406 f., 411, 424, 437, 442, 450 f., 456 f., 460 ff., 465, 501, 521, 530, 534, 537, 549, 565, 573, 574 ff., 582 ff., 602, 604 f., 608, 611, 617, 622, 624, 627, 629, 630, 639 f., 651, 653 ff., 659, 666, 685, 687, 690, 697 Transhumanismus 452 f. Transkulturell 401, 417, 431 f., 435, 462, 622, 640 Transmigration, s. Reinkarnation Transnational 58, 527, 559 f., 619, 631, 643, 653 ff. Transpersonalität 51, 53, 58, 66, 144, 170, 377, 402 f. 406 ff., 452–459, 461–464, 480, 640, 656, 662 Transphänomenalität 111, 113, 138, 157, 160, 174 f., 276, 279, 367, 392, 432 Transzendentale Meditation 413 Transzendentalität 111, 120, 122 f., 125 f., 129, 132 f., 142, 151, 156,

875 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 160, 163, 201, 203, 213, 214–217, 236, 283, 311, 363, 377, 404 ff., 413, 422, 435, 438, 443–447, 449, 463, 475, 522, 598, 699, 702, 719 f. Transzendenz 52–55, 58, 60 f., 65 f., 96, 103 f., 106, 111, 113, 130 ff., 137 ff., 143 ff., 146–160, 164, 166, 174, 176, 187, 191 f., 194, 196, 199 ff., 203, 207, 227, 229, 232, 236– 239, 241 f., 250, 260, 264, 266, 268, 272, 276, 279 f., 290, 292, 301 f., 307, 311, 319 f., 333, 347, 349, 354 f., 357, 361, 363, 366, 368–372, 374, 377, 380, 385, 390 f., 393 f., 396, 398 ff., 402 f., 410, 417 ff., 422 f., 425–430, 433, 436 ff., 441, 443 f., 447, 449 ff., 452 f., 456, 462, 466, 475 f., 491, 504, 508, 515, 528, 530, 536, 540, 544 f., 552 f., 554, 567, 577–580, 611, 623, 658, 662, 675, 680, 683, 686, 696 f., 702–705, 707, 715, 720 f. Transzendenzerfahrung einer nondualen Wirklichkeit (advaita/acittaka/nirākāra) 111 ff., 139, 147 f., 151, 159 f., 174 ff., 236, 272, 276, 279, 361, 363, 368, 377, 394, 396, 398 f., 400, 427 Tricycle 60, 342, 345, 409 Trieb 324 f., 465, 469, 471–475, 482, 484 f., 565, 578 triguṇa (sattva, rajas, tamas) 261, 280 trikāya 138, 190 f., 193 ff., 222, 235 f., 255, 288 f., 295, 304, 315 f., 318 ff., 323 f., 361, 367, 370 f., 418, 679, 689, 695, 711 trilakṣaṇa (anatman, anitya, duḥkha) 209 Trinität 145, 160, 184, 319 f., 528 f. trisvabhāva 116, 139, 173 ff., 237 ff., 255 triviṣa 211, 263 tṛṣṇa 205, 209 ff., 217, 331, 669 Tsʾ ao-tung/Cao-dong, s. ZenBuddhismus Tugendethik, s. Ethik

turīya 414 Turning Wheel: The Journal of Socially Engaged Buddhism 60, 588 Tyche 190 Typologie 107, 114, 299, 375, 389, 394 ff., 399, 674, 676, 678 ff., 682, 715, 718 Tyrannis, Tyrann 80, 515, 521, 558 Tyros 519 Tzu-Chi-Foundation 595 tzu-jan/ziran 685 Über-Ich 469–472, 475, 478 ucchedavāda 143 uji 179, 182–185, 239, 253, 357, 406 UK Network of Socially Engaged Buddhists 584 Umweltbewusstsein 62, 677, 698, 700 Umweltmönche (phra nak anuraksa thamachat) 675 Unbewusste 29, 54, 100 f., 112, 119, 170, 177, 208, 256, 334, 353, 402 f., 407, 432 f., 437, 446, 453, 459, 466– 469, 472–476, 480, 485, 497, 499, 503 f., 507, 530, 533, 535 ff., 542, 545, 557 f., 562, 567, 571, 574, 576, 606, 644, 681, 685, 688 f., 692, 703 Uneigentlichkeit 489 f., 495 ff. Ungarn 639 Unified Buddhist Church of Vietnam (UBCV) 587 unio mystica 101, 185 f., 372, 383, 432 f. Universum 30, 77, 132, 164, 172, 192 ff., 235, 238, 241 f., 249, 253, 284, 286, 288, 290, 293, 298, 301 ff., 306–309., 311–318, 320, 334, 358, 366, 392 f., 407 f., 441, 457, 463, 531 ff., 571, 660, 667, 671, 674, 686, 689, 700 f., 706, 709 Unsterblichkeit 52, 142, 148, 183, 345, 357, 465 f., 470, 478, 496, 504, 563, 623 f. Unterdrückung, s. nirodhasamāpatti, nirodha-yoga

876 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister upādāna 140, 205 f., 209, 211, 217, 280 upaniṣad 186 f., 260, 264, 268, 270, 272, 277, 443, 611 upāsaka/upāsikā, s. Laie upaśama 110, 159 f., 230 upāya-kauśalya 63, 81, 85, 179, 190, 297, 313, 319 f., 323, 365, 371, 708, 720 upāya-pāramitā, s. pāramitā upekkhā/upekṣā, s. brahmavihāra Ursache-Wirkung, s. Kausalität Urteilsenthaltung 342, 444 Utilitarismus 546, 557, 644, 652, 681 vāc, s. Sprache vacatio mentis 429 Vaibhāṣika 326, 448 vajrakāya, s. trikāya Vajrayāna-Buddhismus, s. Tibetischer Buddhismus Valābhi 694 f. Vạn-Hạnh-Universität 587 f. varnāśramadharma 268 f., 303 vāsanā 174, 208, 317, 366, 468 Vatikanisches Konzil 198 Vatsīputrīya 326, 694 Veda 303, 612 f. vedanā 141, 205 f., 260, 266, 397 Vedānta 38, 264, 272 f., 331, 414, 510, 575 Verblendung 53, 63, 97, 113, 137, 140, 143, 157, 170, 174, 181, 187 f., 193, 195 f., 204 ff., 211 f., 217 f., 224 ff., 230, 234, 242, 245, 259, 263, 270 f., 294, 298, 300, 317, 349, 353 f., 365, 412, 475, 510, 530, 533, 554, 574, 581, 583, 596, 602, 619, 623 ff., 627, 653, 707 f. Verdrängung 53, 77, 340, 450, 453, 465 ff., 469 f., 472–475, 477 ff., 482, 495, 497 f., 500, 507 f., 538, 541, 554, 557 f., 577, 610, 623, 634 f., 643, 721 Vereinte Nationen (UN) 553 Vergangenheit 56, 78, 115, 184,

208 f., 212, 285, 295, 308, 335, 337, 350, 500, 559, 563, 568, 597 Vergänglichkeit 53, 103, 116, 140 f., 143, 151, 182, 209 f., 234, 236, 243 f., 246, 248, 318 f., 355, 357, 364, 382, 397, 478, 496, 505, 563, 567, 609, 623 f., 683 f., 686, 702, 710 Verifikation 49, 97, 330, 336, 338, 341 ff., 414, 707 veritas est adaequatio intellectus et rei 216 Vernichtung 18, 48, 77, 79, 83, 111, 127, 143, 153 f., 178, 186, 200, 208 f., 257, 259, 266, 277 f., 282 ff., 296, 304, 315, 324 f., 344, 347, 361, 377, 400, 450, 466, 471, 486 f., 494, 497, 510, 526, 559, 569, 575, 579, 598, 623, 669, 713, 721 Vernunft 144, 192, 201 f., 216, 301, 335, 338, 372, 384 f., 435, 471, 508, 513 f., 516–519, 527, 541 f., 545, 556, 667, 681 Verschmelzung (fusion) 498 f., 512 Versenkung 112 f., 200, 219, 257, 276 f., 279 ff., 372, 388, 390, 392, 402, 468, 594 Verstand 24, 115, 121, 149, 159, 162, 174, 189, 256, 272, 277, 344, 385, 387, 397, 405, 432, 455, 516, 592, 633 via illuminativa, s. via triplex via purgativa, s. via triplex via triplex 323, 383 via unitiva, s. via triplex vibhava-taṇhā, s. tṛṣṇa vicāra 108 f., 115, 281 Vier Edle Wahrheiten, s. catvāriāryasatyāni Vierkant, s. catuṣkoṭi videhamukti 146 Vielheit 102, 104, 107 ff., 116, 135, 142, 145, 147, 160, 230, 288, 295, 324, 399, 401, 416, 445, 703, 712 Vietnam 25 f., 58, 585, 587 f. vijñāna pāḷi viññāṇa 112, 141, 160, 169 f., 173 f., 206, 226, 250, 255, 260, 277, 292, 295, 317 f., 326, 353,

877 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 365 ff., 441 ff., 467 f., 474 ff., 690, 693–696 Vijñānavāda 112, 326, 443 vijñāpti, vijñāptimātratā 112, 138, 175, 364, 367 ff., 688 vikalpa 108 f., 115, 147, 159, 277 vimalā-bhūmi, s. bhūmi Vinayapiṭaka 334, 611, 613 vipariṇāma-duḥkhatā, s. duḥkha vipassanā (skt. vipaśyana) 339, 348, 397, 589 vipula-paravṛtti, s. āśraya-parivṛtti vīrya-pāramitā, s. pāramitā viṣaya, s. Objekt viṣayin, s. Subjekt Vision 36, 58, 66 f., 77, 85, 95, 152, 162, 192, 238, 271, 273, 284–288, 294, 296, 302, 306, 308, 343, 356, 380, 386, 390, 393 f., 424, 433, 454, 474, 502, 514, 543 f., 592, 616, 618– 622, 649, 670, 684, 688, 696, 701, 717 Viśiṣṭādvaita-Vedānta 187, 203, 261, 272, 283 vita contemplativa 384 vitarka 108 f., 115, 281 Voluntary simplicity 631 Vorbewusste 468 f., 473 Vulgata, s. Bibel vyavahāra 102, 179, 188, 223, 242, 313, 628 Wachstum 19, 57, 309, 311, 413 f., 454, 522, 544, 553, 555, 559 f., 567 ff., 621, 636, 642, 645, 647 f., 650, 683 Wahrheit 20, 30, 41, 63, 77, 82, 84 f., 90, 96 f., 102, 105, 122, 127, 129 ff., 137 f., 147, 153, 155–159, 179, 188, 196–199, 201, 209 ff., 220 f., 223 f., 231 f., 234, 239, 241 f., 252, 268, 272, 274 f., 281 f., 294 f., 313, 319, 321, 323 f., 340, 342 f., 345, 360 f., 364, 367 f., 371, 384, 391, 403, 406 f., 415, 422, 436, 449, 533, 541 f., 549, 571 f., 575, 579, 593, 614, 622 ff., 626, 628 f., 632, 636,

668, 689, 696 f., 701, 704, 711–714, 719 Wahrnehmung 62, 88, 90, 108, 110, 112 f., 131, 138, 141, 149 f., 157, 158–167, 170 ff., 175–179, 206, 212, 214, 221, 225–230, 255 ff., 263 ff., 270, 276, 278 f., 281 f., 286, 299, 308, 363 ff., 367, 378, 394 f., 397 f., 402, 404–408, 429 f., 442–445., 454, 471, 497, 500 f., 542, 546, 553, 564 f., 615, 655, 660, 665, 690, 696, 700, 704, 708, 713 Wahrnehmungsbewusstsein 471 Wandel 148, 180 f., 183, 193, 300, 310, 314, 316, 351, 365, 368, 370, 480, 493, 524, 526, 528 ff., 622, 627, 655, 666, 702 wan-wu/wanwu 685 Weathermen 28 Wego 410, 503, 505 ff., 537, 539 f., 552 f., 567, 623 f. Weisheit 44, 46, 50, 62 f., 78, 86, 105 f., 117, 169, 191 f., 210, 221– 224, 232, 249, 270 f., 278, 298, 319, 344, 347, 361, 364, 366 f., 369, 370, 410, 413, 458, 463 f., 538, 583 f., 589, 594, 624, 626, 660, 692, 713 Weisheitslehre 21, 37, 121, 178, 297, 497, 572, 580, 720 wei-wu-wie 42, 221, 265 Weltbank 619, 645, 646, 648 f. Weltbevölkerung 56, 311, 648 ff., 666 Welthandelsorganisation (WTO) 619 Weltparlament der Religionen 586 Wesen (Essenz) 25, 90, 97, 101, 104, 109, 111, 118, 123, 126, 138, 173, 191, 198, 207, 223, 235, 236 f., 240, 253, 259, 263, 264, 267, 272, 280, 282, 291, 294, 298, 319, 321 f., 324, 333, 335, 372, 375, 386 f., 390, 395, 397 f., 400, 402, 435, 460, 472, 475, 489, 490, 515, 548, 556, 559, 567, 686, 689, 697 Westen, westlich 17 f., 20 f., 24, 29, 55–59, 62, 76, 79, 88, 90 ff., 95, 98 f.,

878 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister 100, 119, 148 ff., 161, 182, 314, 323, 328 f., 339, 347 f., 356, 358, 410, 431, 435, 451, 456, 458, 460, 463 f., 499, 500–504, 506, 508–512, 519, 522 ff., 527–530, 537 f., 546 f., 549, 552 f., 555 f., 563, 575, 581–585, 589–592, 594 ff., 600 ff., 604 f., 607 f., 615, 634–637, 641, 645 f., 661, 668, 677, 699, 701, 711, 720 f. Westlicher Buddhismus 500 ff., 596 Wiedergeburt, s. Reinkarnation Wille 77, 112, 148, 159, 168, 207 f., 214, 219, 244, 269, 282, 325, 335, 338, 350, 369 f., 390, 401, 403, 411, 444, 494, 498 f., 521, 526, 528, 532, 549, 626, 632, 672 Wirklichkeit 24, 54, 62 f., 78, 85, 87, 89, 97, 99 ff., 108–111, 113, 130, 133 f., 136, 138 f., 141, 143 f., 147– 151, 155, 158 ff., 164, 171, 175 f., 178, 186, 189 ff., 194 ff., 199 ff., 206, 213 f., 217, 222 ff., 230, 232, 234– 238, 240 ff., 250–253, 257 f., 261, 263, 272, 274, 276, 280, 284–287, 289 ff., 293 f., 297, 308, 310 f., 315, 319 f., 322 f., 341 f., 347 f., 354 f., 360 f., 363, 368 f., 372, 374, 377, 381, 387, 393–402, 404, 406, 408 f., 411, 413, 417 ff., 422 f., 425–428, 430, 433 f., 436 f., 448, 455, 461, 477 f., 483, 487, 497, 501, 503, 522, 528, 533 f., 538, 541, 548, 560, 564, 572, 581, 608 f., 626, 629, 632, 655, 659, 669, 672, 676, 678, 685 ff., 689, 691 f., 694, 696 f., 700 ff., 704 f., 707, 715, 719 f., 722 Wirtschaft 18, 21, 56, 81, 98, 311, 320, 412 f., 499, 503, 524, 530, 535, 542 ff., 546 f., 549 ff., 554 f., 557 ff., 560, 566 f., 577, 581, 583 f., 590 f., 601 f., 618 f., 626, 635–655, 661 f., 677 f. Wirtschaftsethik 21, 550, 640, 643, 655 Wissen 57, 96, 108 f., 112, 128, 145, 160, 163, 175 f., 188, 196, 200, 206, 215, 250, 258–262, 265, 277, 281,

320, 322, 341, 366 f., 377, 393 ff., 415, 429, 447, 480, 490, 493, 532 f., 537, 578, 655, 688 World Council of Churches 588 World Drug Report 533 World Fellowship of Buddhists (WFB) 640 wu-hsing/wuxing 685, 695 wu wei pʾ ien-cheng/wuwei pianzheng 103–106, 298, 320 Xenoglossie 386 Yamunā 186 yathābhūta 106, 160, 223, 366, 398 Yoga 64, 102, 173, 186, 244, 249, 257, 277, 280 f., 429, 457, 510 Yogācāra 82, 110, 112 f., 116, 133, 138 f., 160, 173 ff., 193, 237, 255, 295, 299, 326, 363 f., 366, 368 f., 441 ff., 448 f., 468, 475, 674, 690, 693 f., 696 Yogas (Bhakti, Jñāna, Karma, Rāja) 187, 257–263, 265 ff., 269–273 Youth League for Revitalizing Buddhism (shinkō bukkyō seinen dōmei) 618 Yuan-Dynastie 35 yuga 303 f. Zafu 32 Zahl 185, 401, 566 zaike, s. Laie zaike bukkyō 73, 618 zazen, s. Zen-Praxis zazenkai 73 Zeichen (sprachliches) 103, 121– 126, 129 ff., 133, 214, 226, 241 f. Zeit 21, 96, 103, 123 ff., 131, 137, 146 f., 161, 164, 167, 174, 179–185, 208, 210, 212, 214, 216, 233 f., 239, 244, 247, 253, 255, 259, 285, 288 ff., 292 f., 295, 298, 302 ff., 306, 314, 321, 327, 332, 357, 364, 382, 390, 392 f., 395 f., 399, 401, 405, 425, 446, 449, 467, 469, 475, 479 f., 488, 575, 578, 634, 690, 701, 705

879 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Sachregister Zeitalter 25, 70, 216, 302 f., 307, 449, 484, 496, 529, 548, 645 Zeitschrift für Transpersonale Psychologie und Psychotherapie (Bewusstseinswissenschaften) 462 Zen-Buddhismus 18, 28–35, 38 ff., 43–52, 55, 58, 60, 65 f., 68–81, 84– 93, 101, 103, 105 f., 118 f., 139, 153, 169, 172, 190, 194, 199–202, 237, 239, 244 f., 248–254, 257, 273 ff., 280, 282 f., 287, 295, 339 f., 348, 355, 357, 368, 391, 395, 398, 402, 404, 408–411, 415, 435, 455, 458, 460, 463, 497, 549, 572, 584, 587 f., 590, 630, 661, 670, 672 f., 677, 680, 690, 709 ff., 714 f. Zen Center of Los Angeles (ZCLA) 49, 74, 79 Zen des Kaiserlichen Weges, s. kōdōzen zen-dō 31, 45, 47, 55, 75, 86, 88 Zen Environmental Studies Institute (ZESI) 673 Zen Mountain Monastery 673

Zen-Orientalismus 90 Zen Peacemaker Order (ZPO) 590 Zen-Praxis 31, 48 f., 68 f., 71 ff., 75, 78, 80 f., 244 f., 248 ff., 252 ff., 257, 283, 340 Zen-Snobismus 91 Zen Studies Society 50 Zeuge/Zeugenbewusstsein, s. sākṣin/ sākṣi-caitanya Zivilgesellschaft 517, 538, 543–546, 553, 591 Zivilisation 17 f., 20 f., 56, 98 f., 301, 311, 313, 502 ff., 538, 543–546, 591, 616, 637, 649, 654 Zukunft 43, 77, 100, 115, 184, 208 f., 212, 240, 244, 268 f., 293, 295, 301, 306 ff., 311, 327, 329 f., 345, 351, 355, 357, 359, 374, 412, 459, 465 f., 478, 490, 494, 500, 508, 519, 522 f., 529, 533, 535, 545, 551, 553, 555, 560–563, 567 ff., 585, 607, 621 f., 650, 654, 691, 697 Zweifel 193, 195, 243, 274 f., 337, 339 f., 373, 460, 482, 648

880 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Zitierte Schriften

Abhidhammatthasaṅgaha 136, 468 Abhidharmakośabhāṣya 319, 326, 468, 617 Abhidharmasamuccaya 112 Abhidharmasamuccayabhāṣya 112 Abhisamayālaṅkāra 325 Abhisamayālaṅkārāloka 325 Acintyastava 135, 159 Akṣayamatinirdeśasūtra 81 Aṅgulimālīyasūtra 82 f. Aṅguttaranikāya 157, 234 f., 257, 278 f., 341, 613 ff., 617, 645, 690 Aṣṭadaśasāhasrikāprajñāpāramitāsūtra 319 Aṣṭasāhasrikāprajñāpāramitāsūtra 224, 626 Avataṃsakasūtra (chin. hua-yen ching/huayanjing, jap. kegonkyō) 103, 285, 287 f., 413, 670, 673, 689 Bhagavadgītā 186 ff., 211, 257–267, 269–273, 668 Bhagavadgītārahasya/Karmayogaśāstra 262 Bhagavadgītārāmānujabhāṣya 261 Bhagavadgītāśaṅkarabhāṣya 188, 259, 265 Bhāgavatapurāṇa 266 Bodhicaryāvatāra 81, 142, 224, 343, 344, 681 Bodhicaryāvatārapañjikā 224 Bodhisattvabhūmi 82, 449 Bodhisattvapiṭaka 370 Beommanggyeonggojeokgi 82 Brahmasiddhi 268

Brahmasūtraśaṅkarabhāṣya 110 f., 188, 249 f., 259, 447 Bṛhadāraṇyakopaniṣadśaṅkarabhāṣya 260 Buddhabhūmisūtra 364, 366 f. Buddhabhūmyupadeśa 364, 367 Catuḥśataka 142 Cheng-dao ke/Zhengdao ge (jap. Shōdōka) 28 Ch’eng wei-shi lun/Cheng Weishi Lun (skt. vijñaptimātratāsiddhi) 160, 364 f., 367, 369, 442, 474 Chin-kang-pei/Jingang bei 689 Ching-te chʾ uan-teng lu/Jingde chuandeng lu 247 Chin-shih-tzu chang yün-chien leichieh/Jin shizi zhang yunjian leijie 288, 291 f., 294, 296 Chuang-tzu/Zhuangzi 28, 691 f. Chuan-shih lun/Zhuanshi lun 695 Chüeh-ting tsang lun/Juedingzang lun 695 Cullavagga 611 Dhammapada 210, 350, 612 Daśabhūmikasūtra 222, 287, 626, 693 Denkōroku 47 Dīghanikāya 153, 160, 235, 257, 342, 612 ff., 617, 633, 690 Fukanzazengi 244 Gaṇḍavyūhasūtra 285, 287, 688

881 https://doi.org/10.5771/9783495824146 .

Zitierte Schriften Gauḍapādīyakārikābhāṣya 447

249 f.,

Hsin-hsin-ming/Xinxinming (jap. Shinjinmei) 28, 572 Hua-yen wu chiao chih-kuan/ Huayan wujiao zhiguan 285, 293 f. Hua-yen yu-hsin fa-chieh chi/ Huayan youxin fajie ji 285 Itivuttaka

151

Jātaka 603, 617 Jen-wang ching/Ren-wang jing 243 Kaśyapaparivartasūtra 278 Kenzeiki 244 Kyōgyōshinshō 190 f. Lalitavistarasūtra 77, 575 Laṅkāvatārasūtra 224, 235, 239, 292, 317 Legs bshad gser phreng 325 Leng-chia (ch’ieh) shih-tzu chi/Leng qie shi ziji 240 Lin-chi lü/Linchi lu (jap. Rinzairoku) 340 Madhyamakahṛdayakārika 82 Madhyamakahṛdayavṛtti-Tarkajvālā 196 Madhyamakāvatāra 221 f. Madhyamārthasaṅgraha 196 Mahābhārata 186 f. Mahāprajñāpāramitāśāstra 246 Mahāsaṁnipāta 688 Mahāvairocanābhisaṃbodhivṛtti 113 Mahāvairocanasūtra (jap. Dainichikyō) 711 Mahāvastu 617 Mahāyānabrahmajālasūtra 82 Mahāyānamahāparinirvāṇasūtra 82 f., 236, 246 f., 688 Mahāyānasaṅgraha 82, 442

Mahāyānaśraddhotpādaśāstra (chin. Ta-sheng chʾ i-hsin-lun/Dasheng Qixinlun) 243, 287 f., 292, 317 Mahāyānasūtrālaṅkāra 112, 366 Mahāyānasūtralaṅkārabhāṣya 112 Mahāyānasūtralaṅkāravṛttibhāṣya 112 Maitrāyaṇīyopaniṣad 277 Majjhimanikāya 118, 153, 169, 205, 233, 246, 257, 277 ff., 281 f., 326, 339, 341 f., 353, 429, 574, 592, 613, 617 Manusmṛti (Mānavadharmaśāstra) 303 Mattōshō 191 Milindapañhā 141, 151, 233, 615 Mūlamadhyamakakārikā 40, 110, 115 f., 118, 120, 135, 137, 158 f., 230 f., 233, 279, 326, 568, 574 Muṇḍakopaniṣad 264 Naiṣkarmyasiddhi 265 Nieh-pʾ an wuming

221

Pañcaviṃśatisāhasrikāprajñāpāramitāsūtra 222 f. Pāramitāsamāsa 626 Pi-yen lu/Biyan lu (jap. Hekiganroku) 34 f., 47 Pŏpchip pyŏrhaeng nok chŏryo pyŏngip sagi 413 Prajñāpāramitāhṛdayasūtra 103, 111, 157 Prasannapadā 116, 230 f. Pratyekabuddhabhūmi 44 Pu-chen kʾ ung lun/Bu zhen kong lun 687 f. Ratnagotravibhāga 695 Ratnakuṭasūtra 230 Ratnāvalī 82, 142, 160, 326, 604 Saddharmapuṇḍarīkasūtra 81, 626 Saṃtānāntaradūṣaṇa 441 Saṃtānāntarasiddhi 441 Saṃyuttanikāya 82, 109, 141, 209 f., 341, 611, 614, 617

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Zitierte Schriften Sāṅkhyakārikā 280, 694 Sansogyōgōki 244 San wu-hsing lun/San wuxing lun 695 Satyadvayavibhaṅgakārikā 144 Satyadvayavibhaṅgakārikāvṛtti 144 Shan-fang yeh-hua/Shan-fang yehua 35 Shih pa kʾ ung lun/Shiba kong lun 695 Shōbōgenzō 72, 182, 236, 239, 245, 248 f., 251 ff., 286, 357, 629, 673 Shōyōroku (chin. Ts’ung-jung lu/ Congrong lu) 47 Śikṣāsamuccaya 81 Sōmoku hosshin shugyō jōbutsu ki 692 Śrībhāṣya (Brahmasūtrarāmānujabhāṣya) 260 f. Sukhāvatīvyūhasūtra 683 Sukhāvatīvyūhopadeśa 190 Sung kao-seng chʾ uan/Song gaoseng zhuan 292 Śūnyatāsaptati 116, 142 Śūraṅgamasamādhisūtra 117 f. Suttanipāta 151, 612 f. Śvetāśvataropaniṣad 187 Ta-hui Pʾ u-chueh chʾ an-shih yü-lu/ Dahui pujue chanshi yulu 340 Taittirīyopaniṣad 268 Tao Te King/Daodejīng 28, 38, 221 Ta-sheng chih-kuan fa-men/Dasheng zhiguan famen 690 Ta-sheng hsüan lun/Dasheng xuan lun 690 Tattvārthasūtra 326

Triṃśikāvijñaptimātratāsiddhi 175 Triṃśikāvijñaptimātratāsiddhibhāṣya 175 f. Tsung-ching-lu/Zongjing lu 247 Tsu-tʾ ang chi/Zutang ji 247 Tun-wu ju-tao yao-men lun/Dunwu rudao yaomen lun 369 Udāna 151 Upadeśasāhasrī 203, 260, 268 Upāsakaśīlasūtra 82 Upāyakauśalyasūtra 44, 82 Uttarajjayaṇa 277 Vajracchedikāprajñāpāramitāsūtra 117 Vajrasamādhisūtra 243, 696 Vajraśekharasūtra (jap. Kongōchokyō) 711 Vedārthasaṃgraha 261 Vigrahavyāvartanī 231 Vimalakīrtinirdeśa 81, 86, 574, 615, 688 Viṁśatikāvijñaptimātratāsiddhi 688 Viṣṇupurāṇa 303 Visuddhimagga 151, 257, 397, 468, 617 f. Wu-men kuan/Wumen guān (jap. Mumonkan) 34 f., 47, 273 Yogācārabhūmi 82, 160, 193, 369, 468, 690 Yogasūtra (Pātañjalayogaśāstra) 277, 280, 429 Yüan-wu yü-lu/Yuanwu yulu 339 Yuktiṣaṣṭikā 326

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