Persuasion: Zur textlinguistischen Beschreibung eines dialogischen Strategiemusters [Reprint 2017 ed.] 9783110933246, 9783484750265

Hardly any other phenomenon has left such a mark on the cultural history of the West as the art of persuasion. From Plat

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German Pages 295 [296] Year 2004

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitende Bemerkungen
2. Das Verhältnis von Persuasion und Rhetorik als Problemfall der Rhetorikgeschichte
3. Pragmalinguistische Aspekte persuasiven sprachlichen Handelns
4. Das Struktur-/Funktions-Problem in der Textlinguistik
5. Persuasion als dialogisches Textstrategiemuster
6. Diskussion ausgewählter illustrativer Textbeispiele
7. Die ethische Ambivalenz der Persuasion
8. Abschließende Betrachtung
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
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Persuasion: Zur textlinguistischen Beschreibung eines dialogischen Strategiemusters [Reprint 2017 ed.]
 9783110933246, 9783484750265

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Beiträge zur Dialogforschung

Band 26

Herausgegeben von Franz Hundsnurscher und Edda Weigand

Nuri Ortak

Persuasion Zur textlinguistischen Beschreibung eines dialogischen Strategiemusters

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-75026-X

ISSN 0940-5992

D6 © Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2004 http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: A Z Druck und Datentechnik G m b H , Kempten

Vorwort

Wie jeder Text besteht auch eine wissenschaftliche Arbeit aus einer Oberflächen- und einer Tiefenstruktur. Letztere weist über den Verfasser hinaus auf die Unterstützung seines Umfeldes, das vielfältige Formen der Anregung, seien sie nun motivationaler, intellektueller oder auch finanzieller Natur bereitstellt. Die Textsorte VORWORT hat dabei die Anforderung zu erfüllen, insbesondere diese .Tiefenstruktur' angemessen zu thematisieren. Der Verfasser dieser Verpflichtung mit Vergnügen nachkommen. Zu Dank verpflichtet bin ich meiner Familie: Ingeborg, Mehmet und Timur Ortak, Renate und Luise Ameler (ihrem Andenken ist die Arbeit verpflichtet). Ohne ihre vorbehaltlose ideelle und materielle Unterstützung hätte die Arbeit nicht fertiggestellt, geschweige denn begonnen werden können. Was meinen Freundeskreis angeht, darf ich Markus Hardenbicker, Bodo Kay und Tobias Müller nennen, von deren fachbezogener und -übergreifender Diskussionsbereitschaft ich beträchtlich profitiert habe. Ebenfalls erwähnen möchte ich Herrn PD Dr. Klaus Siewert, der mir die so wesentlichen linguistischen Initiationserlebnisse verschafft hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Franz Hundsnurscher, der die Arbeit mit großer Aufgeschlossenheit betreut und sie zusammen mit Frau Prof. Dr. Edda Weigand in die vorliegende Reihe aufgenommen hat. Wertvolle Unterstützung hat mir zudem Herr Prof. Dr. Jochen Splett zukommen lassen, der die Ergebnisse der Studie kritisch begutachtet hat. Für die gute Zusammenarbeit bei den Vorbereitungen zur Publikation danke ich Frau Birgitta Zeller vom Niemeyer-Verlag.

Inhaltsverzeichnis

1.

Einleitende Bemerkungen

1

2.

Das Verhältnis von Persuasion und Rhetorik als Problemfall der Rhetorikgeschichte

4

2.1 2.1.1 2.1.2

Der Stellenwert der Persuasion in der antiken Rhetoriktheorie Der Redeanlaß Die Überzeugungsmittel und Rednerstrategien

6 8 12

2.1.2.1

Zur unterschiedlichen Perspektivierung sach- und kommunikationsbezogener persuasiver Wirkungsfaktoren

14

Überlegungen zu einer kommunikationsanalytischen Neudefinition des lögos-Aspekts Der ethos -Aspekt Derpäthos-Aspekt Die sprachliche Gestaltung Persuasion als Problem ethischer und stilistischer Fragestellungen Die ethische Ambivalenz der Persuasion Das sophistische und das sokratisch-platonische Sprachverständnis Kommunikationstheoretische Kritik Das Problem der persuasiven Zirkularität Das Scheitern ethischer Lösungsversuche Die stilistische Reduktion Die Emanzipation der Elocutio Das Angemessenheitspostulat als pragmatische Restkategorie Zusammenfassung

14 17 21 22 25 25 26 31 33 35 37 38 40 44

Pragmalinguistische Aspekte persuasiven sprachlichen Handelns

47

Zur Problematik der Dichotomie von Überzeugen und Überreden Überblick über die Wortgeschichte Dichtomisierungsstrategien der beiden Lexeme Dichotomie (1): Das Rationalitätskriterium Die Leitunterscheidung ,Rational - Nicht-rational' Die Leitunterscheidung .Rational - Emotional' Dichotomie (2): Das Zeitkriterium Dichotomie (3): Das Ergebnis-/Folgekriterium Aktuellere linguistische Persuasionskonzepte Der persuasive Sprachspielcharakter Der persuasive Handlungscharakter

47 49 51 51 51 55 59 62 66 66 68

2.1.2.1.1 2.1.2.1.2 2.1.2.1.3 2.1.2.2 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2 2.3

3. 3.1 3 .1.1 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.1.1 3.1.2.1.2 3.1.2.2 3.1.2.3 3.2 3.2.1 3.2.2

VIII 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3

Der persuasive Strategiecharakter Der persuasive Wertcharakter Der persuasive Sequenzcharakter Zusammenfassung

72 80 85 88

4.

Das Struktur-/Funktions-Problem in der Textlinguistik

90

4.1

Das monologische Textmodell: Die Handlungsstrukturanalyse von Illokutionshierachien

4.1.1 4.1.2 4.1.2.1 4.1.2.2 4.1.2.2.1 4.1.2.2.1.1 4.1.2.2.1.2 4.1.2.2.2 4.1.2.2.3

4.4

Grundzüge Problematisierung Defizite der isolierten Illokutionsbestimmung Weitergehende Kritikpunkte Probleme bei der Einheitenbildung Die Binnendifferenzierung der Handlungsstruktur Die Informationsstruktur Probleme bei der Präzisierung des hierarchischen Stützungsverhältnisses... Probleme bei der Bestimmung des Verhältnisses von Satzmodus und Illokution Die Einordnung von ERLÄUTERUNGEN Zusammenfassung Ansätze zu einer dialogorientierten Betrachtungsweise Kommunikative Prinzipien und Parameter Zur Fundierung eines dialogischen Textbegriffs Dialoggrammatische Grundannahmen Antizipation und Kohärenz Dialogizität und Textkonstitution Kommunikation mittels Texten - ein Modellvorschlag Konsequenzen für die musterorientierte Beschreibung von persuasiven Texten Zusammenfassung

5.

Persuasion als dialogisches Textstrategiemuster

134

5.1

Der Strategiezweck

136

5.1.1

D e r ÜBERREDUNGSVERSUCH

142

5.1.1.1 5.1.1.2

Die Interessenkonstellation DasZuREDEN

143 146

5.1.1.2.1

D e r KOMPETENZNACHWEIS

146

5.1.1.2.2

Der RELEVANZNACHWEIS

147

4.1.2.2.4 4.1.2.2.5 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.2.2.4 4.3

92 92 94 95 101 101 101 101 102 103 104 104 105 107 111 112 114 118 121 128 133

5.1.1.3

D a s FLEHEN

148

5.1.2

D e r ÜBERZEUGUNGSVERSUCH

148

5.2 5.2.1

Die Strategiebedingungen Interne Bedingungen

150 151

5.2.1.1

D a s POLARISIEREN

152

IX 5.2.1.1.1

Allgemeine Charakteristika der persuasiven Wertattribution

152

Exkurs:

Zur Funktionalität des konnotativen Wortgebrauchs

155

5.2.1.1.2

S p e z i f i k a d e s ZUREDENS

159

5.2.1.1.2.1

D a s OBLIGIEREN

160

5.2.1.1.2.2

D a s MOTIVIEREN

161

5.2.1.2

D a s PROFILIEREN

164

5.2.1.2.1

D a s BEKRÄFTIGEN

167

5.2.1.2.2

D a s BETEUERN

167

5.2.1.3

D a s PLAUSIBILISIEREN

168

5.2.1.3.1

Plausibles Argumentieren

168

5.2.1.3.2

D i e S e q u e n z s t r u k t u r d e s PLAUSIBILISIERENS

171

5.2.1.3.2.1

Plausibles POLARISIEREN

172

5.2.1.3.2.1.1

D a s ZUREDEN

173

5.2.1.3.2.1.1.1 Der plausible Relevanznachweis

173

5.2.1.3.2.1.1.2 Der plausible Kompetenznachweis

174

5.2.1.3.2.1.2

D a s EVALUIEREN

175

5.2.1.3.2.2

Plausibles PROFILIEREN

176

5.2.1.4

Wirkungsfaktoren

180

5.2.2

Externe Bedingungen

184 187

5.3

Die Konventionalität der Strategiemittel

5.3.1

Bedeutung, Sinn und Gebrauch

187

5.3.2

Konventionalität vs. Intentionalität

191

5.3.3

Ein integratives Konzept

196

5.3.3.1

Zur,Entstandardisierung' des Konventionsbegriffs

196

5.3.3.2

Zur .Entpsychologisierung' des Intentionsbegriffs

200

5.4

Zusammenfassung

203

6.

Diskussion ausgewählter illustrativer Textbeispiele

205

6.1

Vorbemerkung

205

6.2

Text 1 : ZEITUNGSKOMMENTAR

210

6.3

Text 2: POLEMIK

219

6.4

Text 3 : AUFRUF (1916)

226

6.5

Text 4: AUFRUF (2000)

232

6.6

T e x t 5: WERBEANZEIGE

236

6.7

T e x t 6: SUPPLIK

240

7.

Die ethische Ambivalenz der Persuasion

243

7.1

Das Problem der Manipulation

243

7.2

Das Problem der Strategie

246

7.3

Das Problem des Dogmas

7.4

Das Problem der self-fulfilling

7.5

Überlegungen zu einer alternativen Betrachtungsweise

251 prophecy

254 257

X 8.

Abschließende Betrachtung

260

Abbildungsverzeichnis

262

Literaturverzeichnis

263

1.

Konkordanzverzeichnis

263

2.

Verwendete Literatur

263

1.

Einleitende Bemerkungen

Die wechselvolle Geschichte der abendländischen Sprachreflexion scheint ein Grundkonsens zu prägen: Prinzipiell wird die menschliche Sprache als ein Mittel gesehen, die unterschiedlichsten Ziele zu erreichen. An der grundsätzlichen Erkenntnis, daß die Sprache das wichtigste menschliche Kommunikationsmedium darstellt, kommt kein Sprachmodell vorbei. Auch und gerade Konzeptionen, die dezidiert von der kommunikativen Qualität der Sprache abstrahieren, betonen letztlich nur diese Eigenschaft. Sie wirkt sich in der Fähigkeit aus, ihren Benutzern zu ermöglichen, auf kooperative Weise Weltzustände zu verändern. Diese Zustände zerfallen in unterschiedliche Bereichstypen und können kognitive, praktische und emotive Aspekte betreffen. Ihr ständiger Wandel resultiert aus der bewußten und gemeinsamen Sprachverwendung mindestens zweier Sprachteilhaber. Diese Eigenschaft, besser: Funktion der Sprache ist im wesentlichen bereits in der Antike thematisiert worden, und zwar unter dem Oberbegriff der Redekunst.1 Das ausschlaggebende Motiv jeder Sprachreflexion beruht auf dem Umstand, daß eine Person gewöhnlich Weltzustände nicht als einzelne ändern kann - auch alleiniges Handeln ist meist in umfassende Kooperationsprozesse eingebunden - , sondern auf die Mithilfe anderer Personen angewiesen ist. Darauf basiert nicht zuletzt das in der Antike bemerkenswert umfassend errichtete Gedankengebäude der Rhetorik: Verständigung zu erzielen, um Weltzustände zu modifizieren. Nun darf diese kommunikative, d. h. verständigungsorientierte Komponente nicht kurzschlüssig mit einträchtigem Handeln verwechselt werden. Kommunikation wird immer dann relevant - und zwangsläufig problematisch

wenn die Voraussetzungen der Spre-

cher, z. B. ihre Erfahrung mit dem bzw. ihr Einblick in den zu koordinierenden Sachverhalt, ihre Bereitschaft, sich auf ihn einzulassen u. v. m., divergieren; wäre dies nicht der Fall, brauchte überhaupt nicht kommuniziert zu werden, weil stillschweigendes ständnis

bestünde.

2

Einver-

Erst dann, wenn es nicht mehr zweifelsfrei gegeben ist, ist

Kommunikation durch Sprache erforderlich. Anders gesagt: Kommunikation sui generis ist von vornherein mit der Möglichkeit bestehender Divergenzen, die kooperativem Handeln entgegenstehen, konfrontiert. Diese Möglichkeit gefährdet im Grunde genommen nicht die Kommunikation, sondern erfordert sie vielmehr.

2

Der altgriechische Begriff techne markiert in seiner Doppeldeutigkeit genau zwei wesentliche Entwicklungslinien der traditionellen Betrachtungsweise der Rhetorik und, zwangsläufig, der Persuasion, vgl. Kapitel 2.1.1. Die Bevorzugung des grammatischen Genus Maskulinum erfolgt in dieser Studie ausschließlich aus Gründen der Übersichtlichkeit.

2 Die vorhandenen - oder aber als vorhanden präsupponierten - Divergenzen stehen gemeinsamer Weltänderung im Weg; sie müssen kommunikativ abgebaut werden, und zwar um so dringlicher, je geringer die Beziehungsunterschiede beider Sprecher ausfallen. Genau hierin liegt die Bedeutung des persuasiven Sprachgebrauchs; diese Einsicht hat nachhaltig zur Ausbildung der Antiken Rhetorik beigetragen. Daß diese Erkenntnis selbst wiederum zu unterschiedlichen Problematisierungen Anlaß bietet, ist dagegen erst die Grundbedingung geistesgeschichtlicher Tradition. Wie zu zeigen sein wird, steht die Persuasion dabei genau im Brennpunkt von Problematisierungsstrategien bei der Beschäftigung mit menschlicher Kommunikation. Die Auseinandersetzung mit der Persuasion beruht automatisch auf einem bestimmten fundamentalen Kommunikationsverständnis. Genau aus diesem Grund ist sie noch immer ein aktuelles Thema und wird es mit dem Fortgang der Tradition auch bleiben. Folgende Vorgehensweise bestimmt den Aufbau der Studie: Zunächst soll eine tragfähige Konzeption des Gegenstandes ,Persuasion' entwickelt werden. Sie ist m. E. nur dann möglich, wenn man die Kernaussagen der Rhetorik-Tradition unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten aufgreift, um auf ihrer Grundlage aktuelle linguistische Ansätze besser einschätzen zu können. Daher befaßt sich Kapitel 2 mit den Implikationen der antiken Rhetorik-Theorie. Das erkenntnisleitende Interesse ist dabei stets pragmalinguistisch motiviert und versteht sich somit auch nicht als geistesgeschichtliche Pflichtübung, die einfach den einschlägigen Bildungskanon perpetuieren will. Wie noch im einzelnen darzulegen sein wird, sind die Ausführungen der antiken Theoretiker noch immer von beispielhafter Qualität und eine unverzichtbare Basis für eine sachlich adäquate Auseinandersetzung mit persuasiver Kommunikation. Davon ausgehend bezweckt das dritte Kapitel, die punktuell eruierten Charakteristika der Persuasion für eine umfassende linguistische Perspektivierung zu nutzen. Persuasive Kommunikation läßt sich schon deswegen relativ problemlos mittels schriftlicher Texte beschreiben, weil der Linguist hier, im Gegensatz zur .flüchtigen' face to faceInteraktion, auf keine nennenswerten Schwierigkeiten stößt, Anschauungsmaterial zu beschaffen. Dabei läuft er allerdings leicht Gefahr, den kommunikativ-dialogischen Status .monologischer' schriftlicher Texte zu übersehen. Kapitel 4 verfolgt deshalb die Zielsetzung, Vorschläge zu unterbreiten, wie sporadische Ansätze zu einem dialogischen Textbegriff weiterentwickelt werden könnten, um dann im fünften Kapitel die spezifische Funktion des persuasiven dialogischen Textstrategiemusters detailliert darzulegen. Die gewonnenen Erkenntnisse fungieren als Orientierungsmuster, als Interpretationsrahmen bei der Beschäftigung mit konkreten Textrealisaten, wie an ausgewählten Textbeispielen illustrativ darzulegen sein wird (Kapitel 6). Das siebte Kapitel widmet sich schließlich derjenigen Fragestellung, die man ohne weiteres als das auslösende Moment der Reflexion über per-

3 suasives sprachliches Handeln verstehen kann: der ethischen Ambivalenz der Persuasion sowie möglichen kommunikationstheoretischen Bewältigungsstrategien. Es gehört mittlerweile zum guten Ton, in dem Vorwort einer wissenschaftlichen Abhandlung darauf hinzuweisen, daß die Literaturnachweise .keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben' können. Dies gilt selbstverständlich gerade in Anbetracht des vorliegenden Themas auch für diese Studie, deren Literaturrezeption zwangsläufig stark von eklektizistischen Erwägungen geprägt ist.3

3

Hier sei nur auf die von H.-D. Fischer ( 1 9 9 5 ) erstellte Arbeitsbibliographie „Manipulation Persuasion - Sprache" verwiesen, deren 3 6 3 0 Titelnachweise natürlich ebenfalls nicht dem illusionären Anspruch auf Exhaustivität genügen können.

2.

Das Verhältnis von Persuasion und Rhetorik als Problemfall der Rhetorikgeschichte

Seit über 2000 Jahren beschäftigen sich Menschen mittelbar oder direkt mit der Sprache. Als eine gewissermaßen implizite Leitdisziplin hat sich dabei die Rhetorik herausgebildet, die aus der geistesgeschichtlichen Traditionsbildung des Abendlandes nicht wegzudenken ist. Welchen Wert kann vor diesem Hintergrund eine pragmalinguistische Untersuchung beanspruchen, die in ihrer Beschäftigung mit der Persuasion zwangsläufig mit vielfaltigen Fragestellungen der Rhetorik konfrontiert wird? Kann eine derartige Untersuchung überhaupt noch einen Erkenntnisgewinn beanspruchen?1 Sie kann es, und zwar genau dann, wenn sie nicht den Anspruch erhebt, die Geschichte ,der' Rhetorik umfassend nachzuzeichnen bzw. die wesentlichen Konzepte der Antike in ihrer Kontinuität bis in die Gegenwart zu erörtern. Ein solcher Zugriff wäre angesichts der einschlägigen Arbeiten von Lausberg ( 4 1971), Jens ( 2 1977), L. Fischer ( 2 1974), Rehbock ( 2 1980), Fuhrmann (1984), Ueding (ed.)(1992 ff.), Göttert ( 2 1994), Ueding/Steinbrink ( 3 1994) und Ottmers (1996) in der Tat überflüssig. Das Wissen um die Rhetorizität der Sprache ist ein fester Bestandteil des schulischen Literatur- und Sprachunterrichts; populärwissenschaftliche rhetorische Ratgeber erzielen hohe Auflagen. Gleichgültig, ob erkenntnisphilosophische, hermeneutische, kommunikationsethisch-sprachkritische, stilistische oder politisch-ökonomische Themengebiete diskutiert werden - sie alle stehen in einem engen Bezug zur Rhetorik. Im Zuge der pragmatischen Wende' hat sich auch und gerade die Linguistik zumindest in programmatischer Hinsicht verstärkt den bereits in der Antike entwickelten Gedankengängen zur Rhetorik zugewandt (vgl. Spillner 1977). Wenn aber der Rekurs auf antike Theoretiker mehr als nur den Anspruch einer bildungsgeschichtlichen Pflichtübung erheben soll, dann müßte präziser begründet werden, welche Parameter der Rhetorik eigentlich für das jeweilige Erkenntnisinteresse von Belang sind. Eine linguistische Studie, die sich vorrangig um den Handlungsaspekt von Sprache kümmert, muß hier die in ihrem genuinen „[...] [Theoretische Differenziertheit, Problembewußtsein, methodischer und technischer Rang [der Antiken Rhetorik, N.O.] übertreffen den Standard der Kommunikationswissenschaft bis heute bei weitem." Dieses Verdikt von Ueding/Steinbrink ( 3 1994: 163) trifft eben nicht allein auf die empirische Kommunikationsforschung zu. Aktuelle Untersuchungen zur Rhetorik dienen generell in erster Linie dazu, aus der Antike bekannte Gedankengänge zu vermitteln. Die Entwicklung weiterführender Überlegungen ist vergleichsweise untergeordnet. Die lange Rhetorik-Tradition macht ein besonders hohes Maß an Intertextualität erforderlich, und jede Beschäftigung mit der Sprache als Kommunikationsmittel, sei sie auch noch so differenziert, setzt letztlich nur die Reihe der Adaptionen der Antiken Rhetorik fort.

5 Forschungsinteresse liegenden Fragestellungen akzentuieren. Dafür eignet sich ganz besonders die Einsicht in den intendierten Wirkungscharakter rhetorischen Sprechens, die Persuasion. Ein Rhetoriker bezweckt, bei dem Rezipienten gewisse Einstellungen, Haltungen o. ä. zu einem bestimmten Sachverhalt hervorzurufen, um sein Ziel der kooperativen Änderung von Weltzuständen zu realisieren. Hierin besteht das Kemelement der Redekunst. Gleichzeitig erlaubt sie eine erste terminologische Annäherung an den Begriff .Persuasion'. Die sicherlich zutreffend postulierte „Ubiquität der Rhetorik" (Gadamer 1971: 63), die v. a. in der metatheoretischen Perspektive in den Blick gerät, birgt allerdings die Gefahr, daß die konkrete Redehandlung von ihren planmäßigen kommunikativen Zusammenhängen abstrahiert wird. Daß die Wirkungsintentionalität ein wichtiges Moment in dem Erkenntnissystem .Rhetorik' darstellt, wird zwar häufig erwähnt (vgl. z. B. L. Fischer 2 1974, Jens 21977, Vollers-Sauer 22000). Die Persuasion als begrifflicher Ausdruck der fundamentalen Charakteristik der Rhetorik, der intentionale und womöglich bewußte Einsatz sprachlicher Mittel zur Erreichung von individuell nicht realisierbaren Zielen, scheint aber erst allmählich ins Zentrum der aktuellen theoretischen Reflexion zu rücken.2 Zumindest zeigt der derzeit neueste Überblick von Ottmers (1996) erste Ansätze zu einer konsequenteren Berücksichtigung der Persuasion für die innere Logik der Rhetorik. Das ändert aber nichts an dem übergreifenden Eindruck, der persuasive Zweck werde in den Abhandlungen zur Rhetorik zwar gedanklich vorausgesetzt, gerate bei der Systematisierung aber relativ rasch aus dem Blick. Ueding/Steinbrink (31994: 157) fuhren den Begriff explizit nur einmal, und zwar in einem Zitat, auf - sinnfälliges Indiz für das Bemühen, die Bedeutung ,der* Rhetorik für den geisteswissenschaftlichen Entwicklungsgang wieder ins Gedächtnis zu rufen. Daran orientiert sich auch gerade ihr in der Darstellung überzeugender, in der Stellungnahme aber unentschiedener historischer Überblick. Bei Göttert (21994) fehlt der Ausdruck völlig. Über die Gründe für den Verzicht, die Persuasion entschieden als bestimmenden Ausgangspunkt der Rhetorik herauszustellen, läßt sich hier zwar nur spekulieren; allerdings spricht einiges dafür, die unter ethischem Aspekt problematische Ambivalenz der Persuasion als mögliche Erklärung anzuführen. Arbeiten zur Rhetorik sehen sich rasch dem Verdachtsrisiko ausgesetzt, technologischen' Interessen zu dienen, wenn sie rhetorisches Handeln als persuasives, wirkungsbezogenes, erfolgsorientiertes Kommunizieren beschreiben. Die vorliegende Studie vertritt demgegenüber einen anderen Ansatz. Sie versteht Persuasion prinzipiell als das auslösende Moment der Rhetorik-Tradition. Daran läßt sich ersehen, daß das Konzept selten unumstritten war, die Konzeptionenvielfalt auf der anderen Seite aber gerade die Kontinuität der Rhetorik-Tradition ermöglicht hat. Die Einschät2

Daß die Rede vom intentionalen und bewußten Handeln nicht unbedingt tautologisch zu verstehen ist, zeigt Searle (1983: 84-85), der zwischen der prior intention und der intention in action unterscheidet.

6 zung einer Äußerung als persuasiv spiegelt die Hauptmotivation der Sprachverwendung wider: gewünschte Wirkungen in kooperativer Übereinstimmung/Auseinandersetzung mit dem Gesprächspartner herbeiführen zu wollen.

2.1

Der Stellenwert der Persuasion in der antiken Rhetoriktheorie

Es besteht kein Zweifel, daß der Handlungscharakter der Sprache besonders deutlich in ihrer auf Wirksamkeit abzielenden Verwendungsweise zutage tritt. Dieses Ziel wirksamen Sprechens bildet den Ausgangspunkt der Antiken Rhetorik. So erklärt es sich auch, weswegen gerade die Gerichtsrede eine wichtige Rolle in der Entwicklung eines rhetorischen Bewußtseins spielt; die angestrebte Wirksamkeit des Sprechens wird besonders dann virulent, wenn die betreffende Wirkung einen Unterschied macht. Dieser Unterschied wird speziell in konkreten Entscheidungssituationen bewußt, und zwar um so nachdrücklicher, je schärfer sich die Entscheidungsanforderung stellt. Das ist bei zwei relevanten Alternativpositionen, die sich hinreichend voneinander abheben, der Fall. Die Gerichtsrede ist hierfür das Musterbeispiel, und die intendierte Wirksamkeit sprachlichen Handelns, das somit als persuasiv charakterisierbar ist, entspricht dieser Entscheidungssituation in vollem Maß. Daß alsbald Experten auftreten, die als Logographen (,Redenschreiber') garantieren sollen, daß die eingesetzte Sprache effektiv ist (vgl. Ueding/Steinbrink 3 1994: 12), markiert den Beginn der Rhetorik-Tradition. Aus ihnen entwickelt sich der Berufsstand der professionellen Kommunikatoren. Diese Ausdifferenzierung einer Personenschicht, die einen Expertenstatus in kommunikativen Angelegenheiten beanspruchen konnte, hat fraglos zu ihrem selbstbewußten Auftreten beigetragen, das man v. a. im Anschluß an die platonischen Dialoge „Gorgias" und „Phaidros" mit den Sophisten als Prototypen der spezialisierten Redelehrer verbindet. Im „Gorgias" einigen sich Sokrates und Gorgias darauf, die Rhetorik als „peithöus demiourgos (Gorg. 453a2) zu verstehen — was der herkömmlichen, aber nicht unproblematischen Praxis zufolge als „Meisterin der Überredung" übersetzt wird —.3 Diese terminologische Eingrenzung verbalisiert den engen Zusammenhang zwischen der antiken Rhetorikkonzeption und der intendierten Wirkung auf den Rezipienten, der Persuasion. Gleichgültig, ob es sich dabei „wohl um die bekannteste Definition der Rhetorik" (Baumhauer 1986:

3

Laut Baumhauer (1986: 27-32) ist diese Definition eine platonische Verkürzung sophistischer Positionen; vgl. kritisch dazu Fey (1990: 115 Fn. 44). Zur Problematik der Unterscheidung von überreden und überzeugen vgl. Kap. 3.2.

7 27) handelt - in der Tat hat gerade diese Formulierung folgenschwere philosophiegeschichtliche Implikationen - oder nicht — unter pragmalinguistischem Aspekt ist ihr der Defmitionsvorschlag des Aristoteles (Rhet. I, II, 1) vorzuziehen. Rhetorik ist für ihn das Vermögen [...], bei jedem Gegenstand das möglicherweise G l a u b e n e r w e c k e n d e zu erkennen (Hervorhebung in der deutschen Übersetzung, Aristoteles 1993).

Die Wortwahl zeigt dabei, daß der Vollzug konkreter rhetorischer Äußerungstokens, die auf die Persuasion abzielen, in den Hintergrund der Überlegungen tritt. Das ,schauende Feststellen' geeigneter Überredungs-/Überzeugungsmittel wird gewöhnlich auf das Bemühen des Aristoteles bezogen, die Redekunst in ihrem Charakter als techne auf der Grundlage eines gedanklich-inventorischen Systems argumentativer Schemata (Topik) zu fundieren. Daraus erklärt sich auch der beträchtliche Einfluß, den Aristoteles auf die moderne Argumentationstheorie und ihre linguistischen Adaptionen ausübt.4 Für die Zwecke dieser Studie bedeutsamer erweist sich allerdings eine modifizierte Lesart, die die sich in der Formulierung abzeichnende Perspektivierung auf die ,Regelhaftigkeit' persuasiven Sprechens stärker herausstellt. Aristoteles deutet hier an, daß das rhetorische Handeln auf konventionellen Mustern beruht; darüber hinaus vermeidet er in seiner Begriffseingrenzung kurzschlüssige Annahmen über die Wirksamkeit persuasiven Kommunizierens per se. Seine Definition regt somit dazu an, den planmäßigen

Versuch, jemanden zu etwas zu veran-

lassen, genauer zu betrachten. Sprechakttheoretisch ausgedrückt: im Gegensatz zu der platonischen Definition, die das tatsächliche Eintreten eines bestimmten

perlokutionären

Effekts betonen, konzentriert sich die aristotelische Begriffsbestimmung deutlicher an der illokutionären, auf den perlokutionären Effekt abzielenden Handlungscharakteristik. D. h., daß man persuasives Handeln eines Spl auch dann konstatieren kann, wenn es bei einem Sp2 erfolglos bleibt - vorausgesetzt, es ist durch seine Orientierung an einem bestimmten Muster überhaupt identifizierbar. Darauf läuft i. ü. auch der Vergleich mit der Heilkunst (Rhet. I, I, 14) hinaus, die eine angemessene Behandlung des Patienten bezwecke, um die Genesung herbeizufuhren; auch wenn sich der Erfolg nicht einstellen sollte, so ist der Patient doch medizinisch betreut worden. Die Rede- und die Heilkunst haben demzufolge gemeinsam, daß auch ein eventueller Mißerfolg ihrer Handlungsweisen nichts an deren Klassifikation als ,rhetorisch' bzw. .medizinisch' ändert, sobald die Prinzipien dieser Künste,

4

Nur stellvertretend seien hier genannt: Toulmin (1974), Perelman/Olbrechts-Tyteca ( 4 1983), Kopperschmidt ( 2 1976 ff.), J. Klein (1987; 1989), Kienpointner (1992). Daß eine Konzentration auf die inhaltlich-argumentative Komponente aber der Komplexität des Persuasionsprozesses nicht gerecht wird, hat bereits Quintilian (inst. orat. II, XV, 13) mit bemerkenswerter Weitsicht moniert. Die Kritik betrifft aber m. E. weniger Aristoteles als vielmehr die traditionell einseitige Rezeption seiner Schrift.

8 die das planmäßige Vorgehen konstituieren, offengelegt sind. 5 Damit tritt der pragmatische Aspekt in Aristoteles' Überlegungen viel deutlicher hervor, als dies in der metaphorisierenden, vom menschlichen Handeln gerade abstrahierenden Formel von der „Meisterin der Überredung/Überzeugung" der Fall ist. Die Rede ist nach antiker Auffassung das Produkt eines komplexen Konglomerats der Systematisierungsgrößen ,Rednerrolle', ,Redegegenstand' sowie .(erwünschte) Wahrnehmung durch die Rezipientenrolle'. Die theoretische Auseinandersetzung modelliert folgerichtig das rhetorische Bemühen des Redners als einen Konzeptionsprozeß, dessen zielgerichtete Ausarbeitung der erwünschten Wahrnehmung eines Sachverhalts durch den Rezipienten verpflichtet ist. Die klassische Trias Kommunikator - Situation - Rezipient wird hier etabliert. Ohne sie ist eine adäquate Zielerreichung nicht möglich. D. h., persuasive Texte zeichnen sich besonders nachhaltig durch ein System reflexiver Erwartungshaltungen aus; der Kommunikator hat bei seiner Redevorbereitung zweierlei zu berücksichtigen: zum einen muß er den situativen Hintergrund, d. h. den jeweiligen Sachverhalt erfassen, zum anderen hat er auch noch Vermutungen darüber anzustellen, wie der typisierte Rezipient diesen Sachverhalt wohl wahrnehmen dürfte; umgekehrt bildet aber auch der Rezipient Erwartungshaltungen gegenüber den Aufgaben des Kommunikators heraus. 6 Antike Systematisierungsvorschläge akzentuieren deutlicher als die modernen Adaptionen den Handlungscharakter der Redekunst. Der ausschlaggebende Faktor ist dabei die Frage, welche Situationen und, eng damit verbunden, inhaltlichen Bedingungen unterschieden werden können, unter denen der persuasive Globalzweck angestrebt wird. Als theoretisch isolierbare Einflußgrößen lassen sich hier (a) der Redeanlaß, (b) die persuasiven Taktiken sowie (c) die spezifische Ausformung des Redetextes als Produkt nennen. In der Redepraxis sind diese drei Determinanten faktisch nicht zu trennen, denn sie stehen in einem sehr komplexen Bedingungsverhältnis.

2.1.1 Der Redeanlaß Aristoteles unterscheidet in seiner „Rhetorik" (I, III) drei Redekonstellations-Typen, die schließlich als „genera causarum" zum festen Bestandteil des antiken Lehrgebäudes avan5

6

Eine analoge Perspektivierung nimmt Aristoteles auch in seiner „Poetik" (14. Kap.) vor; darin fuhrt er aus, daß die Tragödie ganz bestimmte Wirkungen, nämlich Mitleid und Furcht, erzielen soll. Auch hier findet sich wieder der Aspekt der Planmäßigkeit, den beispielsweise die platonische Auffassung völlig unberücksichtigt läßt, vgl. Ueding/Steinbrink ( 3 1994: 21). Wahrscheinlich liegen die Schwierigkeiten bei der ethischen Bewertung persuasiven Handelns genau in dem Umstand begründet, daß sich der Kommunikator prinzipiell mit diesem Wahrnehmungsgeflecht auseinanderzusetzen hat, während sich der - jeweilige - Rezipient dessen nicht unbedingt gleichermaßen bewußt sein muß.

9 eierten. Bezeichnenderweise geht er dabei von drei Zuhörergruppen aus, die konventionelle Erwartungen an einen bestimmten Redeinhalt richten. Der Rekurs auf den Rezipienten unterstreicht noch einmal die grundsätzliche Wirkungsintentionalität der rhetorischen Kommunikation. Die drei Gattungen sind das genos symbouleutikön, das genos diakanikön sowie das genos epideiktikon. Aristoteles modelliert das genos symbouleutikön (genus deliberativum) als Beratungsrede in politischen Entscheidungsfindungsprozessen; demzufolge sind die Zuhörer funktional bestimmbar als Mitglieder der Volksversammlung. Der zur Debatte stehende Sachverhalt, der Redegegenstand, betrifft das zukünftige Handeln. Vorrangiges Entscheidungskriterium ist der Nutzen bzw. der Schaden einer Handlung. Der politische Redner ist also ein Kommunikator, der in seiner Rede zu- oder ABRÄT. Funktionale Ähnlichkeiten weist die zweite Redegattung, das genos diakanikön (genus iudiciale) auf; allerdings geht es hier nicht um Entscheidungen, die im politischen Bezugsrahmen zukünftiges Handeln betreffen, sondern um die eingangs skizzierte Verhandlungssituation vor Gericht, in der die Schuld oder Unschuld eines Angeklagten zur Disposition steht. Der Redner KLAGT AN oder VERTEIDIGT. Die Strittigkeit der Handlung ist nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit bezogen. Diese situativen Hintergrundbedingungen, das Bedingungsgefuge zwischen der Funktionsrolle des Rezipienten als Entscheidungsträger, dem strittigen Sachverhalt (Redegegenstand) und dem politischen bzw. juristischen Bezugssystem, hat der Redner bei der Konzeption des Redetextes in Rechnung zu stellen. Das persuasive Grundpotential wird somit dadurch erzeugt, daß zwei Handlungsalternativen des Rezipienten einander gegenübergestellt werden. Die Entscheidung als Unterscheidung von Nutzen oder Schaden, Schuld oder Unschuld ist das Ergebnis vorbereitender sprachlicher Handlungen. Anders formuliert: persuasives Handeln bezweckt die Herbeiführung einer Entscheidung hinsichtlich strittiger Sachverhalte, die diesen Entscheidungszwang durch hinreichend unterschiedliche Einschätzungsalternativen konstituieren. Diese Einschätzungen sind automatisch wertbasiert. Liegt prinzipiell überhaupt keine wertverpflichtete Unterscheidungssituation mindestens zweier Alternativen vor, wird die persuasive Kommunikation überflüssig. Insofern ist die mehrfach thematisierte Affinität persuasiven Handelns zu demokratischen', besser: auf Abstimmung beruhenden Meinungs- und Willensbildungsprozessen, zutreffend beobachtet (vgl. Jens 21977: 38-39). Persuasives Agieren soll die Entscheidungsfindung erleichtern, die Komplexität der denkbaren Alternativen reduzieren, indem es eine bestimmte Entscheidungsoption nachdrücklich empfiehlt, indem sie diese wertkriterial gegenüber konkurrierenden Optionen als geeignet abhebt. Somit ist das persuasive Handeln stets parteilich. Der implizite Wettbewerbscharakter wird in der Antike noch dadurch akzentuiert, daß nicht nur ein einzelner Redner seinen Standpunkt darlegt, sondern stets eine Gegenmeinung präsentiert wird, was die Entscheidungskomplexität einerseits durch die Konstruktion prägnanter

10 Gegenpositionen verringert, den Entscheidungsdruck hingegen nachhaltig verschärft. Persuasion basiert notwendigerweise auf einer polarisierten Ausgangslage; ist diese Situation nicht von Anfang an vorgegeben, wie das in den ersten beiden prototypischen Redegattungen der Fall ist, so ist es die Aufgabe des Redners, beim Rezipienten des Eindruck dieser polarisierten Entscheidungslage hervorzurufen. Das dritte genus dicendi unterscheidet sich von den ersten beiden dadurch, daß der persuasive Globalzweck hier nicht schon durch die situativen Bedingungen, die dem Rezipienten die Funktion eines Entscheidungsträgers zuweisen, transparent ist. Das genos tikön (genus demonstrativum)

epideik-

gilt vielmehr, wie die Bezeichnung bereits andeutet, als

stilistische Fingerübung, mit der ein Redner über einen außerhalb einer Entscheidungssituation liegenden und damit unstrittigen Sachverhalt referiert. Als „Art fragloser Rede" (Matuschek 1994: 1258) scheint diese Redegattung gewissermaßen reflexiv-metakommunikativ auf sich selbst zu verweisen: Das Thema der Rede ist unstrittig, und der Redner hat sich darauf zu konzentrieren, einem bestehenden allgemeinen Konsens auf stilistisch ansprechende Weise Ausdruck zu verleihen, nicht aber einen solchen erst herzustellen. D. h., wenn nicht über einen konkreten Sachverhalt befunden werden muß, hat der Zuhörer, von seinen funktionalen Verpflichtungen entbunden, Gelegenheit, eine eher ästhetisch orientierte Rezeptionshaltung einzunehmen. Zwar operiert Aristoteles auch hier wieder mit einem quasi-antonymischen Begriffspaar, indem er die epideiktische Rede durch das Aussprechen von Lob oder Tadel realisiert sieht; konkrete Anschlußhandlungen, auf die das Zu-/ABRATEN bzw. ANKLAGEN/VERTEIDIGEN abzielen, fehlen hier jedoch. In expliziter Anlehnung an Aristoteles charakterisiert Rehbock ( 2 1980: 296) das epideiktische Reden als „nichtpersuasiv". Doch ganz so einfach liegen die Verhältnisse wohl nicht; im Gegensatz zu den ersten beiden Gattungen handelt es sich beim genos epideiktikön eher um eine rhetorische Restkategorie, die primär durch das Fehlen bestimmter situativer Handlungsbedingungen von den übrigen genera geschieden ist. Aristoteles unterminiert selbst die Stringenz seines eigenen Gliederungsvorschlags, indem er eher beiläufig auf strukturelle Ähnlichkeiten (Rhet. I, IX, 35) mit der symbouleutischen Redekunst verweist; die empfehlende Komponente beim Beraten hängt seiner Auffassung nach eng mit der lobenden Charakteristik der epideiktischen Beredsamkeit zusammen. Ottmers (1996: 22-23) greift diese Analogien auf und erweitert sie noch. Lob und Tadel können beide auch Bestandteil der anderen Redegattungen sein. In der Gerichtsrede beispielsweise ist das Personenlob für die effektvolle Präsentation entweder des bedauernswerten Opfers oder des unschuldig Angeklagten unverzichtbar. Umgekehrt gehört auch der Tadel zum Repertoire der juristischen und der politischen Rede, sei es in der Abwertung des politischen Gegners oder in der Bloßstellung eines für die gerichtliche Beweisführung untauglichen Zeugen, (ebd.: 23)

11 Seiner Schlußfolgerung nach „sind die Grenzen zwischen den Gattungen weniger undurchlässig, als es die starre Dreiteilung der genera suggeriert [...]." (Ebd.:23) Die zutreffend konstatierten Schwachpunkte der rhetorischen Gattungstheorie lassen sich folgendermaßen erklären: die epideiktische Rede wird schon bei Aristoteles tendenziell zweifach bestimmt. Zum einen ist die Gattung negativ durch das Fehlen eines institutionell-situativen Entscheidungszusammenhangs (Gericht, Volksversammlung) charakterisiert, der das wesentliche Kriterium für die Kategorisierung der anderen genera vorgibt. Lob und Tadel sind dabei als prototypische Sprechhandlungen der persuasiven Kommunikation konzipiert, die den Wertbezug herstellen. Unter spezifischeren Handlungsbedingungen, eben vor Gericht bzw. auf einer Volksversammlung, fungiert das allgemeine LoBEN/TADELN als Zu-/ABRATEN b z w . ANKLAGEN/VERTEIDIGEN. S o g e s e h e n h a n d e l t e s s i c h

bei der epideiktischen Beredsamkeit um eine negativ bestimmte rhetorische Restkategorie, die situativ-institutionell unmarkiert ist und eher das allgemeine persuasive Prinzip per se widerspiegelt. Allerdings konzentriert sich bereits die antike Rhetorik-Tradition dann doch eher auf eine .positive' Bestimmung der Epideixis. Das Fehlen des Entscheidungszusammenhanges wird als konstitutives Merkmal eines konkreten Redetyps, der Prunkrede, modelliert. Diese Redeart konzentriert sich auf die Präsentation beispielhafter historischer Persönlichkeiten, deren Ruhm über nachfolgende Generationen hinweg tradiert wird.7 Das LOBEN und TADELN ist dann nicht als basale persuasive Sprechhandlung, sondern, wie in den anderen genera causarum, als eigenständige Handlungsoperation zu verstehen. M. a. W.: die negative' Definition des epideiktischen Redens konzipiert LOBEN/TADELN als persuasive, wertbezogene, situativ unbestimmte Basishandlung, die vor Gericht als ANKLAGEN/VERTEIDIGEN, in politischen Versammlungen als ZU-/ABRATEN spezifiziert ist. Die .positive' Definition engt das Sprechhandlungs-Verständnis des LOBENS/TADELNS faktisch auf den Redetyp PRUNKREDE ein; LOBEN/TADELN ist hier f u n k t i o n a l ä q u i v a l e n t m i t d e m ZU-/ABRATEN u n d ANKLAGEN/VERTEIDIGEN.

In jedem Fall erweist sich die aristotelische Auffassung, das genos epideiktikön sei v. a. ästhetisch bestimmt, als zu eng. Zwar dient diese Rede nicht dazu, konkrete Anschlußhandlungen zu initiieren und lenkt den Blick viel unmittelbarer auf die eigene Gestaltungsform. Doch gerade diese Perspektivierung rückt auch die Rolle des Redners in den Vordergrund. Die Art und Weise, in der er über einen an sich unstrittigen Sachverhalt spricht, wird selbst wiederum zum Beurteilungsgegenstand: In der Prunkrede weist das System reflexiver Erwartungshaltungen sogar eine gesteigerte Komplexität auf. Der Kommunikator urteilt über einen Sachverhalt, und der Vorgang der Urteilsgestaltung (nicht der der -findung) wird

7

Zu den geistesgeschichtlichen Implikationen dieser antiken Legendenbildung vgl. (1988: 33).

IJsseling

12 selbst wiederum zu einem beurteilbaren Sachverhalt. Die rhetorische Leistung rückt ins Zentrum des Publikumsinteresses. Da ihm dieser Umstand bewußt ist - schließlich geht er planmäßig vor - , muß man davon ausgehen, daß, ähnlich wie in den beiden anderen Redegattungen, auch hier ein persuasives Moment erkennbar ist: der Redner versucht, das Publikum zu einer positiven Meinung über seine Redefähigkeit zu bringen; er beabsichtigt nicht so sehr, das Publikum vom Wert/Unwert des Redegegenstandes, sondern seiner Darbietung zu überzeugen. Wenn die Kommunikationssituation hier auch komplexer und undurchsichtiger ist, bleibt doch die wertende, persuasive Komponente bestimmend. Die herkömmliche rhetorische Gattungstheorie verkennt diese handlungstheoretischen Zusammenhänge jedoch und ist sich speziell im genos epideiktikön der persuasiven „Zweck Mittel-Relation" (Rehbock 2 1980: 298) nicht bewußt. Damit bleibt die binäre Einteilung in ,persuasive' und ,nicht-persuasive' Redegattungen zu oberflächlich. Die - einseitige Assoziierung der epideiktischen Beredsamkeit als von persuasiven Strategien unbeeinflußte Kunst der guten, d. h. schönen Rede hat gleichwohl dazu beigetragen, daß eine relativ selbständige Rhetorik-Tradition entstehen konnte, die nicht automatisch rechts- oder staatstheoretischen Problemen untergeordnet wurde. Darüber hinaus galt das genos epideiktikön angesichts der deutlicheren Wahrnehmung stilistischer Formulierungsprinzipien als das paradigmatische Anschauungsobjekt zum Zweck der Unterweisung in der Kunst der Beredsamkeit (vgl. Ottmers 1996: 20) und hat zudem wesentliche Impulse für die neuhochdeutsche Literaturgeschichte geliefert. fZ

, ~ \ Persuasive Rede WERTBEZUG

^ positiv/negativ

Symbouleutische Rede ZURATEN/ABRATEN

y

Dikanische Rede ANKLAGEN/VERTEIDIGEN

Epideiktische Rede LOBEN/TADELN

Abb. 1: Die klassische Trias persuasiver Redeformen

2.1.2 Die Überzeugungsmittel und Rednerstrategien Eine Beschäftigung mit der Rhetorik unter handlungstheoretischem Gesichtspunkt erfordert es, die Rede als das Ergebnis bewußter Planungsprozesse des Kommunikators aufzufassen. Dadurch ist die konkrete Redehandlung unlösbar mit dem Strategiebegriff verbunden. Eine

13 Handlung umfassend zu verstehen, heißt, dem Ausfuhrenden bestimmte Intentionen zuzuschreiben, die das beobachtete Verhalten als das Ergebnis von Erfolgserwägungen erschließbar machen. In der Regel verspricht sich ein Handelnder etwas von seinem Tun; diese projizierte Erfolgserwartung charakterisiert das Agieren als strategisch bestimmt: als Handlung. In der vorliegenden Abhandlung wird der in der Forschung alles andere als einhellig verwendete Strategiebegriff in einen engen Zusammenhang mit den in von Wright (1971: 96) dargelegten Überlegungen zum Praktischen Syllogismus gesetzt. Auf rhetorisches, persuasives Handeln bezogen, läßt sich der strategische Aspekt folgendermaßen darstellen: — Der Kommunikator will, daß der Rezipient eine bestimmte Einstellung zu einem Sachverhalt vertritt bzw. eine bestimmte Handlung ausübt; er intendiert die Erzeugung von Konvergenz (Zustimmung). — Der Kommunikator weiß/glaubt, daß der Rezipient nur durch seine kommunikativen Bemühungen zu der Einstellung bzw. zu dem Handlungsentschluß, zur Konvergenz also, gelangt. — Folglich nimmt der Kommunikator die ihm angemessen erscheinenden kommunikativen Bemühungen in Angriff. Wesentliche Hinweise, wie der Kommunikator seine Bemühungen um Zustimmung ausarbeitet, und wie man diese strategischen Operationen wiederum im Rahmen einer Kommunikationsanalyse erfassen kann, sind abermals in der aristotelischen Rhetorik angelegt. Dadurch kommt seiner Schrift durchaus der Status eines Primärtextes bei der theoretischen Beschäftigung mit der Rhetorik/Persuasion zu. Bedauerlicherweise sind die entscheidenden Ausfuhrungen in der Rhetorikgeschichte zeitweise völlig unbeachtet geblieben oder auf sehr einseitige Weise rezipiert worden; die Rede ist von der Lehre der strategischen Operationen, die ein Redner anwendet, um die gewünschte Zustimmung/Konvergenz zu erzielen. Aristoteles, dem es primär um eine möglichst umfassende analytische Erfassung aller Faktoren des komplexen Kommunikationsprozesses geht, behandelt sie als pisteis, „Überzeugungsmittel" (I, II, 2), als ,der Rede' innewohnende Charakteristika. Dennoch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diese Überzeugungsmittel auf dem strategischen Vorgehen des kommunikativ Handelnden, des Redners, beruhen, eine Reformulierung, die die pragmatische Komponente akzentuiert, ohne weiteres möglich ist. Aristoteles stellt diese Überzeugungsmittel dar, indem er eine triadische Kategorisierung vornimmt. Auch diese Vorgehensweise ist, was eine sinnvolle Analyse der Persuasion angeht, recht problematisch und hat Mißverständnisse in der Rhetorik-Tradition geradezu herausgefordert.

14 2.1.2.1 Zur unterschiedlichen Perspektivierung sach- und kommunikationsbezogener persuasiver Wirkungsfaktoren Den Redebeitrag überzeugend zu gestalten, d. h. die Erfolgsaussichten der Persuasión zu wahren, ist nach Aristoteles das Ergebnis dreier strategischer Operationen; diese betreffen zum einen die in der Rede vorgebrachten, gegenstandsbezogenen Argumente (logos; prägma), zum zweiten das vom Redner bewußt modellierte Selbstbild, die Imagearbeit, die in der Rede zum Ausdruck kommt (ethos) sowie drittens die subjektive psychisch-emotive Lage des Rezipienten in Auseinandersetzimg mit der jeweiligen Rede (pàthos). Diese Aspekte machen die persuasive Kraft rhetorischer Anstrengungen aus. In der Rezeptionsgeschichte der aristotelischen Lehre ist, wahrscheinlich nicht zuletzt angesichts der engen Affinität zur Topiklehre, vor allem die Beschäftigung mit dem logos/prägma im Zeichen argumentationstheoretischer Fragestellungen vorangetrieben worden (vgl. Kopperschmidt 21976; 1989). Der von Aristoteles explizit hergestellte perspektivische Berührungspunkt der Rhetorik mit der Dialektik (I, II, 7,8) erfolgt gerade unter der strengen Konzentration auf den argumentativen, sachbezogenen Aspekt eines prinzipiell strittigen Sachverhalts. Im Mittelpunkt stehen dabei die formale Stringenz, die Berechtigung argumentativer Geltungsansprüche, kurz: die rationale Qualität von Aussagen. Fortan avancierte die Klärung des mit allerlei komplizierten Implikationen behafteten Verhältnisses von Rhetorik und Dialektik zu einem Schlüsselproblem in der Wissenschaftsgeschichte. 2.1.2.1.1 Überlegungen zu einer kommunikationsanalytischen Neudefinition des lógosAspekts Aristoteles selbst nimmt bei der Diskussion der Überzeugungsmittel eine merkwürdig ambivalente Haltung an; auf der einen Seite läßt er keinen Zweifel daran, daß die sachbezogene Überzeugungsarbeit (logos/prägma), das rhetorische Schlußverfahren mittels Enthymemen und Topoi, die entscheidenden persuasiven Mittel stellt (I, III); andererseits deutet er wiederholt an, daß bei den Rezipienten offenkundig nicht diese sachliche Einsicht in die logischen Geltungsbereiche vorausgesetzt werden kann (vgl. I, II, 12), so daß zur Akzeptanzstützung weitere Rednerbemühungen (ethos-, pàthos) nötig sind.8 In dieser Hinsicht wird die „Rhetorik" des Aristoteles oft als ein Quellentext für die den weiteren Verlauf der Rhetorikgeschichte kennzeichnende Dichotomisierung ,sachlogischer' und ,emo8

Vgl. Bachem (1991: 312): „Aristoteles erscheint [...] manchmal als Zyniker, der die Verführung, die Manipulation durch Rhetorik zugleich sprachstrukturell erklärt und ethisch verurteilt, aber dann doch auch wiederum mit der Beschränktheit der Massen soziologisch zu entschuldigen scheint und schließlich natürlich auch als mögliche Sprachstrategie lehrend zum Gebrauch anbietet."

15 tionaler' Persuasionsstrategien rezipiert - mit den unvermeidlichen ethischen Implikationen. Diese weitverbreitete Interpretation nutzt jedoch m. E. nicht die kommunikationstheoretische Erkenntnischance. Der altgriechische Ausdruck lògos ist nämlich, anders als eine an der standardisierten Vorstellung von ,Rationalität' orientierte philosophische Rezeption suggeriert, keineswegs ausschließlich auf v. a. neuzeitlich-aufklärerische Verstandeskonzeptionen bezogen (vgl. IJsseling 1988). Als sprachbezogene Einheit läßt er sich auch allgemeiner als ,Redehandlung' im weitesten Sinn verstehen, als kommunikative Einheit, die zwischen zwei Sprechern eine Verbindung herstellt. In dem klassischen triadischen Kommunikationsmodell,Sender' - .Mitteilung' - .Empfänger' ließe sich lògos dann allgemein als Inhalt der Mitteilung verstehen. Auf das rhetorische Paradigma bezogen, käme hier nicht so sehr eine ,sachlogische' Erkenntnisqualifizierung ins Blickfeld, sondern, relativ wertneutral, der inhaltliche Aussagecharakter, der in der Sprechakttheorie als propositionaler Gehalt modelliert wird, mittels dessen zwei Sprecher in Kontakt treten. So gesehen repräsentiert dann das ethos den ,Sender'/Kommunikator-Anteil, das pàthos hingegen die ,Empfanger'-Funktion im rhetorischen Äußerungsprozeß. M. a.W. : die drei Überzeugungsmittel logos/prägma,

ethos und pàthos sind keine ontologisch unterscheidbaren,

voneinander unabhängigen Funktionsgrößen, die ggf. wechselseitig substituierbar sind. Im persuasiven Sprachspiel spielen sie faktisch immer zusammen. Sie einzeln zu benennen und zu diskutieren, dient dagegen einer zu theoretischen Zwecken vorgenommenen, bewußten Abstraktion, die den rhetorischen Kommunikationsprozeß zergliedert, um die interagierenden Faktoren heuristisch erfassen zu können. Damit verfugen auch Reden, deren argumentatives Niveau keinen Anspruch auf Schlüssigkeit erheben kann, ebenfalls über einen prägma-flogos-Bezug.

Aristoteles zählt explizit auch die nur scheinbaren (vorgeblichen)

Enthymemata, die keine materielle Überzeugungskraft besitzen, zum

logos/prägma.9

Der insgesamt recht zwiespältige Eindruck der aristotelischen Rhetorik (vgl. Cahn 1986), der bis heute auch die Einordnung der Persuasion betrifft, zeigt sich an - für sich genommen wohlbegründeten - widersprüchlichen Rezeptionsurteilen; Sprute (1991: 281) interpretiert die aristotelische Rhetorikkonzeption als die einer „an sich wertneutralen Technik"; allerdings habe er „im Eingangskapitel eine ideale Rhetorik skizziert", in der „sachfremde Überzeugungsmittel fehl am Platz" seien (ebd.: 288), schließlich jedoch „gegenüber den demagogischen Möglichkeiten der Rhetorik offenbar eine pragmatische Haltung eingenommen" (ebd.: 290). Eine einseitigere Position vertritt Wörner (1981: 56); laut Aristoteles sei die Rhetorik „prinzipiell [...] ein vernünftiges und Vernunft freisetzendes Vorgehen". Geradezu pathetische Formulierungen findet Rigotti (1998: 280): Aristoteles

9

Dieser wesentliche Aspekt ist in der philosophischen Auseinandersetzung mit den ethischen Problemen der Rhetorik häufig völlig vernachlässigt worden.

16 habe für die rhetorischen Überzeugungsmittel „eine logische Wende" vorgeschlagen, um sie „vom Risiko der Manipulation zu befreien". Er kommt zu dem Ergebnis: „[...] Aristoteles [rettet] die Rhetorik [...]." Zu einer völlig entgegengesetzten Interpretation gelangt dafür beispielsweise Maccoby (51973: 56), der an der aristotelischen Beschäftigung mit der Persuasion das Bemühen um „eine objektive Analyse dieses Vorgangs, ohne Rücksicht auf die Frage nach Gut und Böse" rühmt. Die deutliche Ambivalenz der Schrift und ihrer Rezeption scheint mir in einer eigentümlichen Doppelperspektivierung zu bestehen, die selten als solche erkannt wird; einerseits geht es Aristoteles um Einblicke in faktische Wirkungsprozesse rhetorischen Handelns; nach diesem Verständnis wird der Redeinhalt stets von einer kommunikativen Situation determiniert, die an Wirksamkeitserwägungen ausgerichtet ist (Situierung des Redeinhalts). Andererseits versucht er jedoch auch, Maßstäbe für den Redeinhalt als solchen zu entwikkeln, indem er die argumentative Komponente in den Vordergrund rückt. Aristoteles verspricht sich von der eingehenden Beschäftigung mit der argumentativen Komponente einer rhetorischen Kommunikationshandlung eine deutlichere Unterscheidung echter und argumentativ nicht haltbarer, d. h. nur scheinbarer Beweisansprüche (I, II, 9) (Qualifizierung des Redeinhalts). Von eher untergeordneter Bedeutung sind dabei die Selbstdarstellung des Redners sowie die affektive Wirkung auf den Rezipienten, und zwar deshalb, weil sie heuristisch unabhängig von dem sachbezogenen Inhaltsaspekt modellierbar sind. Die zunächst recht irritierende Beobachtung, daß Aristoteles einerseits drei Momente des rhetorischen Kommunikationsprozesses unterscheidet, dann aber diesen umfassende Zugriff sofort wieder auf die argumentative Stringenz des Redeinhalts verengt, läßt sich allerdings dann erklären, wenn man sich die verschiedenen Fragestellungen vergegenwärtigt. Die Aufzählung von lögos/prägma, ethos und päthos reflektiert die Einflußfaktoren der gesamten Redesituation (Redner; Rede; Zuhörer); die Betonung des Sachaspekts dient aber einem anderen Erkenntnisinteresse, nämlich Bewertungsmaßstäbe für die argumentative Qualität von Aussagen zu eruieren.10 Folgerichtig betrachtet Aristoteles zu diesem Zweck eben nicht die Redehandlung als Ausdruck einer komplexen Lebenspraxis, sondern er reduziert sie auf propositional-inhaltlich bestimmte Aussagen. Da es sich um eine rein sachorientierte Betrachtungsweise handelt, erscheinen die in der Kommunikation stets vorhandenen ethos- und päthos-Anteile geradezu zwangsläufig als zweitrangig, wenn nicht sogar störend. Dieses Vorgehen erscheint deswegen wenig kohärent, weil es immerhin Aristoteles selbst gewesen ist, der neben dem lögos noch das ethos sowie das päthos als persuasive Strategien thematisiert hat. Damit zeigt er Wege auf, die enge propositionale Perspektive der Argumentationstheorie wesentlich zu erweitern, indem man das Bewußtsein dafür schärft, daß rhetorische Äußerungen gerade nicht allein auf ihren propositionalen Gehalt 10

Hierin nähert sich Aristoteles der sokratisch-platonischen Sichtweise an.

17 reduzierbar sind, sondern intentional im Hinblick auf den Rezipienten getätigt werden. Genau dieser Umstand verleiht ihnen erst ihren spezifischen rhetorischen Handlungscharakter. Daß Aristoteles zufolge der lògos das ethos und das pàthos zum Ausdruck bringt (vgl. Eggs 1984: 215), indiziert unter pragmalinguistischen Gesichtspunkten keinesfalls einen argumentativen Primat, sondern trägt der trivialen Einsicht Rechnung, daß eine Äußerung stets einen Inhaltsaspekt aufweist. Somit sind es gerade die häufig als ,sachfremd' gekennzeichneten Rednerstrategien und Überzeugungsmittel, die als der entscheidende Ausgangspunkt für eine adäquate Beschreibung persuasiven sprachlichen Handelns gelten müssen. Wenn die propositionale und die kommunikative Perspektive nicht bewußt unterschieden werden, tritt die Gefahr eines uneingestandenen heuristischen Konzeptionenpluralismus ein, der seit der Antike besonders die Reflexion über persuasives Handeln kennzeichnet. Wie noch auszufuhren sein wird, ist die Problemgeschichte ,Persuasion/Rhetorik' von der mangelnden Differenzierung zwischen der Beschreibung und der Bewertung einer Handlung bzw. ihrer Konstituenten geprägt. Aus genau diesem Grund abstrahiert man häufig von den Handlungsbedingungen und lehnt die Rhetorik sui generis ab oder rehabilitiert sie umgekehrt. Diese grundsätzlich bewertende Perspektive bedingt völlig überflüssige terminologische Probleme. Im Verlauf der weiteren Diskussion wird besonders das Gebiet der Persuasion zu einem Streitfall, in dem metatheoretisch nur unzureichend reflektierte Erkenntnisinteressen und Prämissen kollidieren.

2.1.2.1.2 Der ei/ios-Aspekt Das zum Ausdruck gebrachte ethos des Redners ist die wesentliche Erfolgsbedingung für die Entscheidung des Rezipienten, ob ihm der Redner glaubwürdig erscheint oder nicht. Die Relation zwischen dem Kommunikator und dem Adressaten wird hier direkt thematisiert. Dabei ist es notwendig, sich zu vergegenwärtigen, daß Aristoteles die möglichst positive Wahrnehmung des Redners durchaus in dessen Einflußbereich verlegt. Als Handelnder ist er imstande, seine Äußerungen bezüglich der gewünschten Hörerbewertung zu kalkulieren, da der Rezipient nicht allein die argumentative Stringenz des Redeinhalts als Beurteilungskriterium heranzieht, sondern als Beteiligter innerhalb einer konkreten Kommunikationssituation auch seinen Interaktionspartner registriert. Mit dem ethos ist also keineswegs primär eine Charaktereigenschaft des Redners gemeint, die in rein moralischen Kategorien zu beschreiben ist; gedacht ist vielmehr an die auf kommunikativen Anstrengungen beruhende charakterliche Eigendarstellung des Redners, die in eine enge Relation zu seinem jeweiligen Rezipientenkreis gesetzt werden muß (vgl. Sprute 1991: 284). Das éthos ist also im Rahmen der aristotelischen Rhetorik zunächst einmal eine heuristische Kategorie, die die

18 Moralität des Redners in wahrnehmungstheoretischer Abhängigkeit zu wechselnden Beobachterkreisen versteht. Hier kommt die rhetorische Schlüsselkategorie, das prepon,

ins

Blickfeld. Das Erzeugen von Glaubwürdigkeit erfordert vom Redner eine bewußte Auswahl erfolgversprechender Operationen. Dabei - und hierin besteht die pragmatische Pointe der aristotelischen Auffassung - kann er sich jedoch nicht auf ein starres, gleichsam kanonisiertes System vorgefertigter Äußerungen verlassen, sondern muß in seine Planungen auch die Charakteristika der jeweiligen Rezipientengruppe, bei der er erfolgreich sein will, mit einbeziehen. Das grundsätzlich persuasiv bestimmte rhetorische Handeln muß kurz gesagt angemessen sein. Auch das Kriterium der Angemessenheit der Redebeiträge ist hier nicht vorrangig in der moralischen Lesart zu interpretieren, die sich mit dem überzeitlichen Wesen der Werte auseinandersetzt." Es ist daher notwendig, vor jedem Volk das, was bei ihm ehrenvoll gilt, so darzustellen, als ob es vorhanden sei, z. B. was bei den Skythen oder den Lakonen oder den Philosophen geehrt wird. (Rhet. I, IX, 30) Die intentionale Erzeugung von Glaubwürdigkeit beruht also auf der gezielten, angemessenen Darstellung der eigenen Charaktermerkmale, die dem jeweiligen Rezipientenkreis als positiv auffallen. Auch hier tritt die wertbezogene Basiskomponente persuasiven Handelns hervor: nicht allein die wertende Einstellung gegenüber einem Sachverhalt als Redegegenstand muß angestrebt werden, sondern auch die eigene Glaubwürdigkeit. Darüber hinaus wird am Beispiel des Angemessenheitspostulats noch etwas anderes deutlich: unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten ist eine Unterscheidimg in Redner und Hörer, Kommunikator und Rezipient etc. zu ungenau, sogar irreführend, impliziert sie doch eine polare Rollenverteilung, die den ,Redner' als allein Handelnden, den ,Hörer' hingegen als passives Zielobjekt der rhetorischen Kommunikation modelliert. Deshalb soll im Folgenden statt von dem Redner / Kommunikator / Emittent / Adressant und dem Hörer / Rezipient / Adressat von den (tiefenstrukturellen) Funktionsrollen Spl und Sp2 die Rede sein. Wie kann nun ein Sprecher einen Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben? Er muß zunächst einmal dem Gegenüber den Eindruck vermitteln, seine Ausfuhrungen seien durchdacht und zutreffend, d. h., er muß Sachkompetenz und intellektuelle Einsicht demonstrie11

Vgl. L. Fischer (1968: 192), der ausfuhrt, die aristotelische Konzeption der Angemessenheit sei „bereits weit stärker rhetorisch-technisch" ausgerichtet als die platonische, die das prepon von Redehandlungen entschieden mit dem Wahrheitsbegriff verbindet. Problematisch ist in diesem Zusammenhang die von Fey (1990: 80) vertretene Auffassung, die von Aristoteles vorgenommene Trennung von Ethik und Rhetorik sei eine rein formale, nicht jedoch inhaltliche. Ihr ist insofern zuzustimmen, als Aristoteles keinen komplementären Gegensatz zwischen ethischem und rhetorischem prepon annimmt. Allerdings geht aus ihrer Formulierung nicht klar genug hervor, daß es sich metatheoretisch um völlig unterschiedliche Perspektivierungen handelt, die per se nicht vergleichbar sind; eine analoge Betrachtungsweise, gleichgültig, ob sie nun Identität oder Komplementarität zwischen beiden prepo/i-Bereichen postuliert, ist sinnlos.

19 ren. Je deutlicher Spl als kompetent von seinem Rezipientenkreis eingeschätzt wird, desto fundierter erscheint seine zum Ausdruck gebrachte Werthaltung.12 Damit der Sp2 die rhetorisch-persuasiven Ausfuhrungen akzeptiert, muß er sie für wahr halten. Er muß dem Spl eine entsprechende ,Einsicht' in die dem Gegenstand zugehörige Wahrheit attestieren. Diese vom Sp2 wahrgenommene Qualität ist faktisch überhaupt nicht vom logos/prägma zu trennen.13 Die Sachkompetenz (Einsicht) von Spl weist Berührungspunkte mit dem formalen Argumentationsgang auf, mit der Art und Weise, wie ein Redner sein Wertungsangebot dem Sp2/Hörer sachbezogen unterbreitet. Gerade die Zuschreibung von Einsicht läßt sich nicht unabhängig von der - möglicherweise als gültig anerkannten Argumentationsstruktur des Sachaspekts der Rede - trennen; indem der Redner in der Rezipientenwahrnehmung konsensfähig und stringent argumentiert, stützt er seinen Anspruch auf Einsicht/Sachkompetenz. Dabei ist diese Fachkompetenz eine recht problematische Angelegenheit. Die inhaltlichintellektuelle Beschäftigung mit dem strittigen Sachverhalt hat der Spl als Redner bereits vor der Redeperformanz vorgenommen. Hier liegt wahrscheinlich auch der wesentliche Grund für die ethische Ambivalenz der Persuasion; der Spl ist schließlich in seiner Funktionsrolle als ,Redner' im Kommunikationsprozeß verpflichtet, eine elaborierte, mit einem zeitlichen Vorlauf verfertigte, d. h., antizipative, nach strategischen Gesichtspunkten konzipierte Rede zu halten.14 Umstände und Motivationen für das Bemühen um Persuasion liegen im Dunkeln; der Sp2/Rezipient kann nur darüber spekulieren, ob der Spl /Redner seine Ausführungen und Wertungsvorschläge selbst für wahr hält - gerade dann, wenn er einen kompetenten Eindruck macht. Um glaubwürdig zu wirken, darf der Spl eben nicht allein sachkompetent erscheinen; das Publikum muß auch erwarten können, der Redner lasse es an seiner Einsicht teilhaben, indem er nur Gedanken äußert, von deren Zutreffen er selbst überzeugt ist. Die im Redevortrag präsentierte Kompetenz muß der Sp2/das Publikum m. a.W. für identisch mit den auf Einsicht beruhenden tatsächlichen (.privaten') Über-

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13

14

Bedauerlicherweise nutzt Eggs (1984: 215), dessen Interpretation des aristotelischen lögosBegriffs als ,„das in schlußfolgernder Rede zum Ausdruck kommende Denken und Wissen'" auch das rednerische „Sachwissen" explizit berücksichtigt, nicht die Chance, genau hier den Bezug zum ethos herauszustellen. Statt dessen impliziert er - m. E. überflüssig - eine doppelte Perspektive: „[...] Ein Redner überzeugt, wenn er nach Ansicht seiner Zuhörer LOGOS, ETHOS und PATHOS richtig zu zeigen vermag." (ebd.: 234) Diese etwas unglückliche Formulierung kann man vermeiden, wenn man die drei Überzeugungsmittel konsequent als kommunikative Wirkungsfaktoren versteht. Hier handelt es sich um einen weiteren Beleg dafür, daß alle drei Überzeugungsmittel in der persuasiven Situation immer zusammenwirken. Demzufolge markiert die konkrete Redeleistung (actio/pronuntiatio) in dem klassischen Schema der rhetorischen Produktionsstadien - inventio, dispositio, elocutio, memoria (vgl. Cicero, de or. 1, 142) - auch den Endpunkt innerhalb der rhetorischen Handlungskette. Vgl. zu Analysemöglichkeiten speziell der rhetorischen Performanz Kowal (1983).

20 Zeugungen des Spl/Redners halten: Ein Kommunikator muß also auch aufrichtig wirken. Weiterführende Hinweise auf diese zweite ei/tos-Komponente gibt Aristoteles in Zusammenhang mit den Topoi, die in der epideiktischen Rede als Darstellung der Tugenden der in der Rede behandelten Person zutage treten bzw. den dritten persuasiven Operationsaspekt, die Affekterregung von Sp2 (II, II, 7) betreffen. Die Aufrichtigkeit von Spl kann nicht aus der propositionalen Stringenz der Argumentationsweise erschlossen werden; sie verweist, anders als die Fachkompetenz, nicht auf den sachlichformalargumentativen Redeinhalt (lögos/prägma), sondern thematisiert viel unmittelbarer die Wahrnehmung durch den Rezipienten, und zwar durch kommunizierte moralische Rednerqualitäten. Wiederum ist hier das Angemessenheitspostulat das entscheidende Kriterium; jede Zuhörerschaft weist eigentümliche Charakteristika auf, die ihre Empfänglichkeit gegenüber den Versuchen des Redners, sich als glaubwürdig zu präsentieren, bestimmen. Diesen Charakteristika hat sich der Spl anzupassen.15 Da nun alle die ihrem eigenen Wesen entsprechenden und die ihm ähnlichen Reden aufnehmen, ist es folglich klar, wie man die Worte gebrauchen muß, damit man selbst [als Spl/Redner, N. O.] bzw. unsere Worte als von solcher Wesensart [der Sp2/Zuhörer, N. O.] erscheinen. (Aristoteles, Rhet., II, XIII, 16)

Die Aufrichtigkeit des Spl ist als Konstruktion von Sp2 auf der Beziehungsebene angesiedelt. Aus genau diesem Grund ist es auch kontraproduktiv, seinen Aufrichtigkeitsanspruch in explizit-metakommunikativer Form zu vertreten; indem der Kommunikator den erwartbaren Wertvorstellungen der Zuhörer in seiner Argumentation entspricht, stellt er Gemeinschaft her; über die nicht eigens zu thematisierende Identifikation in strittigen Angelegenheiten (vgl. Burke 1969: 22) wird die Aufrichtigkeit kommunikativ erzeugt. So ist auch Arist. Rhet. III, XVI, 5 zu verstehen: Nebenher ist in die Erzählung das einzubringen, was für die eigene Tugendhaftigkeit [in den Augen des Zuhörers] zuträglich ist, wie z. B.: ,Ich aber ermahnte ihn ständig, indem ich auf das, was recht ist, verwies, seine Kinder nicht im Stich zu lassen'; bzw. was die Schlechtigkeit des anderen hervorhebt: ,Er aber antwortete mir, dort wo er selber wäre, da werde es für ihn andere Kinder geben.'

.Glaubwürdigkeit' als kommunikative Kategorie umfaßt somit (a) Kompetenz (.Einsicht'; vgl. A. Hellwig 1973: 252) und (b) Verläßlichkeit („Tugend" und „Wohlwollen").16 Kommunikativ ist diese Kategorie insofern, als sie genau das System wechselseitiger Wahrnehmungen und Erwartungen betrifft, die das aufeinander bezogene Zusammenspiel (mindestens) zweier Interaktanten(-gruppen) zum Ausgangspunkt nimmt. 15

16

Dahinter steht der Gedanke, daß das Erkennen ein von sozialen Faktoren beeinflußter Konstruktionsprozeß des Wahrnehmenden ist. Zur pragmalinguistischen Adaption beider Teilkategorien vgl. Falkenberg (1985: 370-371). Nähere Ausfuhrungen erfolgen in Kapitel 5.2.1.2.

21 2.1.2.1.3 Derpäthos-Aspekt Mit dem dritten persuasiven Funktionsaspekt, dem päthos, verlagert sich die Perspektive auf den Sp2/die Rezipientengruppe. Damit nimmt Aristoteles (Rhet. II, II-XI) mögliche emotionale Wirkungen der Rede/des Redners zum Ausgangspunkt für eine systematische Erfassung menschlicher Affekte, und zwar Zorn/Besänftigung, Freundschaft und Liebe/Feindschaft und Haß, Furcht/Mut, Scham, Freundlichkeit oder Wohlwollen, Mitleid/gerechter Unwille, Neid, Rivalität (Eifersucht). Die rezipientenbezogenen Wirkungsaussichten bieten sich auch hier dem Redner nur dann, wenn er über eine grundsätzliche psychologische Einsicht in die jeweiligen Affekte verfugt. Sie betrifft abermals drei Aspekte, und zwar (1) die emotionale Verfassung, in die der spezifische Affekt den Rezipienten versetzt, (2) das Objekt, auf den sich der Affekt richtet sowie (3) - rein heuristisch unterscheidbar - den Anlaß, der den Affekt zustande kommen läßt. Diese eher allgemein-psychologische Erörterung erfahrt nun in den Kapiteln eine strategische Wendung, indem auch hier wieder das Moment der Angemessenheit/Planmäßigkeit des rhetorischen Handelns bezüglich der kommunikativen Umstände ins Spiel kommt. Aristoteles differenziert mehrere Typen von Rezipientengruppen nach Merkmalen, die deren spezifischen Wahrnehmungsmöglichkeiten strittiger Sachverhalte modifizieren, somit die Wahrscheinlichkeit, mit der sie gewisse Affekte ausbilden. Dazu bedient er sich einerseits der Differenzierung nach dem Alter der Rezipienten (Jugend, Lebensmitte, Alter), andererseits aber auch nach ihren Lebensumständen (Geburtsadel, Reichtum, Macht, Glück). Es ist gerade diese Heterogenität der Klassifikation, die verdeutlicht, daß die Angemessenheit als qualitativer Gradmesser der strategischen Redeplanung eben keine rein mechanisch-behavioristisch faßbare Größe ist. Mit der Einteilung bietet Aristoteles eher Orientierungspunkte, die die Rede als planmäßiges Vorgehen erschließbar machen. Die

Beschäftigung

mit

dem

pdthos-Aspekt

ist

nur

höchst

vergröbernd

als

,selbstzweckhafte' psychologisierende ,Affektenlehre' zu verstehen. Deshalb ist A. Hellwig (1973: 242) zuzustimmen; ihrer Beobachtung zufolge hat sich unvermerkt das psychologische Wissen des Redners [...] zu einer umfassenden Kenntnis des Publikums ausgeweitet, die dem Überredungsprozeß im ganzen als Grundlage dienen kann [•••]•

Der kompetente Redner hat sich demgemäß bei der Planung auf die erwartbare Rezipientengruppe einzustellen, um die sie kennzeichnenden Affekte gezielt ansprechen zu können. So gesehen besteht zwischen dem ethos und dem päthos ein enger Zusammenhang (vgl. Eggs 1984: 232-233). Aus den Ausfuhrungen dürfte mithin deutlich geworden sein, daß der besondere Wert der aristotelischen Rhetorik-Theorie für die Linguistische Pragmatik in den handlungstheoretischen Implikationen besteht. In nur selten erreichter Klarheit modelliert Aristoteles den

22 gesamten Kommunikationsprozeß und gewinnt so prinzipielle Einsichten in die Grunddeterminanten persuasiven Sprechens: der spezifische, nach situativen Konstellationstypen (Redeanlässe) noch differenzierte Zweck der Persuasion wird ebenso berücksichtigt wie die Einflußfaktoren, das komplizierte Wahrnehmungsgeflecht zwischen den beiden ontologisch wie funktional charakterisierten Sprecher(gruppe)n und dem Redeinhalt. Weitaus klarer als spätere Systematisienmgsversuche zeigen die Ausführungen, daß die Dreiteilung der genannten Überzeugungsmittel vor allem aus Gründen der Übersicht vorgenommen wurde, in der persuasiven Kommunikationspraxis hingegen nicht trennscharf unterscheidbar sind. Der Spi hat nicht die Auswahl zwischen drei komplementären Strategien logos/prägma, ethos und pàthos-, der Erfolg seiner Bemühungen ergibt sich nur dann, wenn die drei Teilaspekte gelungen zusammenwirken. Darüber entscheidet das Kriterium der Angemessenheit, das automatisch die Sprache vor einem konkreten lebenspraktischen Hintergrund, variablen Erfolgsbedingungen also, verortet. Sprache ist, das machen die Überlegungen des Aristoteles zur Redekunst hinreichend deutlich, kein aus sich selbst erklärbarer Selbstzweck, und wenn er die inhaltliche Aussagenkomponente, den Sachbezug persuasiver Äußerungen besonders akzentuiert, dann geschieht dies unter einem theoretischen Blickwinkel, der daran interessiert ist, intersubjektive Qualifizierungsmaßstäbe für die konkrete Redehandlung zu erarbeiten, die zuvor in ihrem persuasiven Grundgehalt typisierend beschrieben wurde.

Abb. 2: Der Zusammenhang der drei aristotelischen Wirkungsfaktoren

2.1.2.2 Die sprachliche Gestaltung Dem von Aristoteles begründeten triadischen Zugriff auf die rhetorische Kommunikation schließt sich Cicero in seinen Überlegungen zu den officia oratoris an. Schon der Bezeichnungsunterschied indiziert den Perspektivenwandel; ging es Aristoteles um die analytische Erfassung und inhaltsbezogene Bewertung der unterschiedlichen Wirkungsfaktoren, rückt Cicero die Rolle des Redners in den Mittelpunkt. Auf diese Weise werden die ,Überzeugungsmittel' als konkrete ,Redneraufgaben' reformuliert. Gleichwohl bleiben grundsätzliche Analogien zum aristotelischen Faktorenschema bestehen. Demzufolge korrespondiert das docere als die Vermittlung sachbezogener Inhalte mit dem Wirkungsfaktor lögos/prägma; das conciliare, die Erzeugung einer positiven Rezeptionshaltung, verweist

23 wiederum auf das ethos\ das movere, das der intensiven emotionalen Vereinnahmung dient, entspricht schließlich dem päthos. Auf den ersten Blick müßte Ciceros Rhetorikverständnis, das ja durch den expliziten Bezug auf die strategischen Erwägungen des Redners das Moment der Planmäßigkeit schärfer konturiert, unter pragmalinguistischen Aspekten als Fortschritt gewürdigt werden. Allerdings birgt seine Auffassung ein ernsthaftes Problem, das die Einschätzung der Persuasion bis in die gegenwärtige Rhetorik-Wissenschaft belastet: der Praktiker Cicero unterscheidet nicht deutlich genug zwischen Handlungstypen und Handlungsmodalitäten. 17 Daß dieses Versäumnis auch heute noch nicht hinreichend behoben wurde, läßt sich an der Formulierung von Ottmers (1996: 123) demonstrieren, der die Ansicht vertritt, das Kategoriensystem des Aristoteles sei „affektisch .aufgeladen'" worden - diese Prädikation gehört wohl zu den gängigsten Topoi der Rhetoriktheorie. Doch jede noch so beflissene Wiederholung dieses epitheton ornans kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieser Ausdruck viel zu diffus und vage ist, um aussagekräftig zu sein. Worauf Ottmers hier offenbar rekurriert, scheint nicht so sehr Ciceros Gefühlsbetontheit zu sein als vielmehr sein - im Gegensatz zu Aristoteles - ausgeprägtes Interesse an den stilistischen Aspekten der Redehandlung. 18 Das zeigt sich an dem Umstand, daß er die drei officio unmittelbar durch entsprechende sprachlich-rhetorische Mittel (genera dicendi) realisiert sieht. Prinzipiell sind die drei Rednerstrategien für Cicero gleichwertig; sie stellen demnach allesamt probate persuasive Kunstgriffe dar. Sie unterscheiden sich allerdings durch ihre jeweilige stilistische Ausprägung; während das docere vergleichsweise unauffällige sprachliche Mittel erfordert, die damit die .Sachlichkeit' - und nicht so sehr den aristotelische ,Sachbezug' als heuristisch isolierbare Größe im Kommunikationsprozeß - als informative Redneraufgabe darzustellen haben, steigert sich die stilistische Markiertheit ausgehend von dem conciliare bis hin zu dem movere. Letztlich sind es also nicht so sehr die redner- oder hörerzentrierten Kriterien, die ihm zur Unterscheidung der .ethischen' und .pathetischen' Komponente rhetorischen Handelns dienen; es sind zuallererst eben die sprachlichen Mittel, die die Intensität der hervorgerufenen Sp2-Affekte variieren. 19 Das machen die folgenden Erläuterungen deutlich.

17

18

19

Vgl. Mainberger (1987: 275): „Cicero promoviert die Rede selbst zu einer Insignienträgerin, die so auszustatten der Orator allein fähig sei." Ohne dies im einzelnen zu explizieren, werden die Termini affektisch und stilistisch in der Forschung häufig quasi-synonymisch verwendet. Das beruht auf der Vorstellung, man könne durch markante Wörter im Rezipienten über eine Reiz-Reaktions-Verbindung gewissermaßen ausgewählte emotionale Zustände hervorrufen. Zutreffend unterstreicht Schweinfurth-Walla (1986: 71) die Wechselwirkung zwischen den ethischen und pathetischen Überzeugungsmitteln, „da die Charakterdarstellung auch Kenntnis des Publikums und da die Affekterzeugung auch die Charakterdarstellung des Redners voraussetzt".

24 Meae totius rationis in dicendo [...] tres sunt res [...]: una conciliandorum hominum, altera docendorum, tertia concitandorum. Harum trium partium prima lenitatem orationis, secunda acumen, tertia vimdesiderat [...]. (Cicero, de or. II, 128-129) Damit akzentuiert Cicero im conciliare weniger die Glaubwürdigkeit das aristotelische ethos - , sondern die Akzeptabilität des

des Redners - wie 20

Redevortrags.

Die konkrete Rückbindung der drei Rednerstrategien an entsprechende genera

dicendi

ist als ,Dreistil-Lehre' in den rhetorischen Kanon eingegangen. Die Differenzierung in das genus humile (docere), das genus mediocre (conciliare) und das genus sublime

(movere)

gehört zum terminologischen Standardrepertoire. Daß die triadische Einteilung kein starres Ordnungssystem darstellt, sondern eher zur Orientierung dient, hat schon Quintilian dargelegt, der auf unzählige Zwischenstufen hingewiesen hat (inst. orat. XII, X, 66-67; 69). Das ciceronische Rhetorikverständnis stellt eine faktisch unlösbare Einheit zwischen den strategischen Aufgaben des Redners, der Art des Sachverhalts und den stilistischen Eigenschaften der Sprachmittel her. 21 Umgekehrt bedeutet dies aber auch, daß eine oberflächlichere Betrachtungsweise diese beiden Aspekte nicht in einer handlungslogischen Abfolge gewichtet, sondern kurzschlüssig identifiziert. Damit läuft die Rhetoriktheorie Gefahr, die Sprache aus dem kommunikativen Zweckzusammenhang zu lösen und nach sekundären Kriterien, die letztlich ohne Aussagekraft bleiben, zu untersuchen. Ciceros Diktum, dem zufolge „probare necessitatis est, delectare suavitatis, flectere victoriae" (or. XXI, 69), hat diese Entwicklung nachhaltig gefördert; wenn allein das „flectere" die affektische Wirkung auf das Publikum sicherstellt, dann liegt die Schlußfolgerung nahe, daß Rhetorizität ausschließlich durch den Gebrauch möglichst kunstvoller, d. h. stilistisch auffalliger Figuren erzeugt wird. Damit avanciert der stilus grande zum Inbegriff der Rhetorik, und die Frage, unter welchen Handlungsbedingungen aber auch die den beiden anderen genera

dicendi

zuordenbaren Stilebenen besser geeignet sind, den persuasiven Erfolg zu erringen, gerät völlig aus dem Blick. D. h.: gerade der .neutrale', .sachliche' Stil wird unter deviationssti-

20

21

Vgl. auch Ottmers (1996: 124): „Schon in den frühen lateinischen Rhetoriken, in Ciceros De inventione und in der Rhetorica ad Herennium, [...] wird das ,mittlere', ethisch bestimmte Überzeugungsmittel umgewandelt zu einer unterhaltsamen .Stimmung' [...]." Diesen inhaltlichen Unterschied zur ethos-Auffassung des Aristoteles vernachlässigt Schweinfurth-Walla (1986: 67-68); statt dessen betont sie die eher formale Übereinstimmung, daß sowohl Aristoteles als auch Cicero im Gegensatz zur traditionellen Schulrhetorik die Eigendarstellung des Redners nicht auf die Einleitung bzw. den Epilog beschränken. Für diese Beobachtung spricht auch die Tatsache, daß Cicero dem conciliare zudem noch eine ästhetische Funktion zuweist (delectare); mit dieser Stilkategorie hat der Redner eine ansprechende, d. h., gefällige Redeleistung zu erbringen. Vgl. Cicero, or. XXIX, 100: „is enim eloquens, qui et humilia subtiliter et alta graviter et mediocrità temperate potest dicere." Laut L. Fischer (1968: 112) hat Cicero damit, anders noch als in „De oratore", „die Anwendung der genera dicendi [...] schematisch festgelegt".

25 listischen Vorzeichen überhaupt nicht wahrgenommen. 22 Diese Herangehensweise soll im folgenden Kapitel eingehend kritisiert werden.

2.2

Persuasion als Problem ethischer und stilistischer Fragestellungen

Der Umstand, daß das gesamte Reflexionssystem .Rhetorik' bereits in der Antike wesentliche kommunikationstheoretische Einsichten zeitigte, die im vorigen Kapitel umrissen wurden, ist mit Implikationen verbunden, deren Problematik auch heute noch die Beschäftigung gerade mit der Persuasion prägt. Zwei Sichtweisen spielen hier eine bestimmende Rolle: (1) Erfolgsorientiertes Sprechen, das auf der planmäßigen Antizipation möglicher Kommunikationszüge beruht, d. h. persuasiven Zwecken dient, löst unweigerlich Unbehagen aus. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel wird zum Maßstab einer vornehmlich an ethischen Einordnungen interessierten Interpretation. (2) Die Rhetorik als Fachdisziplin sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, den Untersuchungsgegenstand, der ausschließlich in lebenspraktischen Zusammenhängen realisiert ist, einem theoretischen Erkenntnisinteresse angemessen zu abstrahieren. Ihr fortgesetztes und tradiertes Bemühen um Systematizität kollidiert damit zwangsläufig mit dem Handlungsaspekt kommunikativer Phänomene. Die „geradezu obsessive Tendenz zur Einteilung und Klassifikation" (IJsseling 1988: 48) bringt es mit sich, daß der Generierung isolierter sprachlicher Analyse-Einheiten der Vorzug vor pragmatischen Beschreibungsmöglichkeiten eingeräumt wird. Die Frage nach der sprachlichen Gestaltung, nicht nach den persuasiven Umständen, rückt in den Vordergrund. Die folgenden Teilkapitel setzen sich mit beiden Sichtweisen auseinander.

2.2.1 D i e ethische A m b i v a l e n z der Persuasion Die Schwierigkeiten, persuasives Handeln zu bewerten, durchziehen die gesamte Rhetorikgeschichte - allen Lösungsversuchen zum Trotz, die Doppeldeutigkeit des Gegenstandes vordergründig zu entschärfen, indem man die eine oder andere Seite als perspektivischen 22

Diese Fehleinschätzung vermeidet i. ü. gerade Aristoteles, indem er in dem 3. Buch seiner .Rhetorik' v. a. eine .mittlere', an dem Ideal der sprachlichen Klarheit ausgerichtete lexis im Unterschied zum poetischen Stil empfiehlt (vgl. Arist. Rhet., III, II, 1).

26 Ausgangspunkt wählt. Derartige Ansätze haben zwar ihren Zweck verfehlt, andererseits aber die theoriegeschichtliche Kontinuität hergestellt. Die Ambivalenz der Rhetorik betrifft im Kern zwei fundamental unterschiedliche Formen des Sprachverständnisses. Hier lassen sich zwei Extrempositionen erschließen, die gewissermaßen die Grenzen markieren, zwischen denen die Interpretationsansätze zur Rhetorik oszillieren. Daß beide Positionen nicht der Gefahr entgehen können, die Prinzipien der Kommunikation letztlich zu verzerren und ihre Sprachauffassungen inadäquat sind, weil es an der Reflexion fehlt, daß die Auseinandersetzung über die Lebensform Sprache schließlich denselben Regularitäten folgt wie ihr Objektbereich, wird noch darzustellen sein.

2.2.1.1 Das sophistische und das sokratisch-platonische Sprachverständnis Die widersprüchliche Wahrnehmung der Persuasión ist nachhaltig durch die in dem platonischen „Gorgias'VDialog dargestellte Debatte zwischen Sokrates und dem Sophisten Gorgias geprägt. Im Zentrum der Meinungsverschiedenheit steht darin m. E. der notorisch vieldeutige /ógos-Begriff; sowohl die Sophisten als auch Platon/Sokrates referieren damit auf die Aneignung der Welt durch die Sprache im allgemeinsten Sinn.23 Dabei setzen sie allerdings widersprüchliche Akzente. Die Sophisten als Nachfolger der Logographen konzipieren den lógos als einen konstruktiven Akt, mit dem der Mensch Einfluß auf seine Lebenswelt zu nehmen vermag. Mit der Sprache kann er Weltzustände zu seinen Gunsten ändern. Lógoi sind nach sophistischem Verständnis ein wirksames Instrument praktischer, .diesseitiger' Lebensführung. Die sophistische Position erscheint deswegen brisant, weil ihre Überzeugung von der Notwendigkeit eines erfolgreichen /ogos-Gebrauchs durch die dezidierte Abkehr von gültigen Prinzipien überindividueller Erkenntnis verschärft wird; in den unübersichtlichen Wirren widerstreitender Meinungen ist die Erkenntnis der Wahrheit als solcher schlechthin immöglich.24 Philosophischen Fragestellungen verpflichtete Interpreten setzen sich meist mit dem argumentativen Gehalt sophistischer Äußerungen hinsichtlich ihrer Begriindbarkeit auseinander. Im Rahmen dieser Studie sind indes weiterfuhrende Überlegungen angebracht: Anstatt in Gorgias einen radikalen Skeptiker zu sehen, ist es erforderlich, die auf den ersten Blick theoretischen Äußerungen selbst wiederum in praktischen Kommunikationszusammenhängen zu verorten. Erst dann ist es möglich, den funktionalen Stellenwert der Schrift 23 24

Zum fógoí-Begriff vgl. Taureck (1995: 25-28). Vgl. auch Kap. 2.1.2.1.1. Zu den mentalitätsgeschichtlichen Hintergründen vgl. Fuhrmann (1984: 30). Als Quellentext für diese plakativ als .nihilistisch' bezeichnete Haltung gilt die Schrift des Gorgias von Leontinoi, in der er argumentiert, daß weder das Nichtseiende noch das Seiende existiere bzw. es dem um Erkenntnis bemühten Subjekt a priori nicht erschließbar bzw. einer anderen Person vermittelbar sei (vgl. Gorgias 4 1968).

27 zu bestimmen. Wenn objektive Erkenntnis unmöglich, jede Meinung gleichwertig ist, dann kommt es den Sophisten zufolge um so mehr darauf an, seine Interessen möglichst effektiv durchzusetzen, weil eine höhere Legitimationsinstanz, der die Meinungsbildung verpflichtet ist, fehlt. Mit seinen Ausführungen verbalisiert Gorgias demnach mehr als ein philosophisches Credo; als sprachliches Handeln aufgefaßt, schafft er die argumentative Basis dafür, die Zweckgebundenheit des lògos in der kommunikativen Praxis als das Maß aller Dinge zu verstehen. Er WIRBT faktisch für die erfolgsorientierte Kommunikation. Die Sophisten versuchen anders gesagt, Akzeptanz für die Überzeugung zu schaffen, daß es für die gute Lebensführung unabdingbar ist, beim Kommunikationspartner Akzeptanz zu schaffen. Damit wecken sie meta-persuasiv einen Bedarf, auf dessen Befriedigung sie zugleich einen monopolistischen Anspruch erheben. In dem persuasiven Kontext der IMAGEWERBUNG ist der Glaube an die vielbeschworene Macht des lògos zu sehen. Diese sophistische Eigendarstellung mußte als „Herausforderung" (Fuhrmann 1984: 15) an ein anderes lògos- Verständnis aufgefaßt werden, dem Sokrates und Piaton verpflichtet waren. Zwar sind auch sie hinsichtlich der menschlichen Erkenntnischance der absoluten Wahrheit skeptisch eingestellt; doch anstatt die Geltungsbedingungen des lògos nun allein auf die eigennützige Lebensführung zu beschränken, betonen sie die Aussicht, durch ihn der idealen Erkenntnis doch näherzukommen. 25 Für sie ist der lògos also kein Mittel, die Außenwelt in der alltäglichen Lebensführung den eigenen Bedürfnissen anzupassen, sondern ein - wenn auch kompliziertes - Medium der Wahrheitssuche. Diese Bandbreite möglicher Lesarten, die von der .zweckgebundenen Rede' bis zur,Vernunft als sprachvermitteltem Denken' reicht, weist der Ausdruck lògos auf. Gorgias' Lob der Macht des Wortes und Sokrates' Flucht in die logoi weisen Gemeinsamkeiten auf. Beide begnügen sich nicht mit dem Mythos [...], beide verlassen sich nicht auf die gelebte Polissittlichkeit ihrer Zeit, die ohnehin in eine Krise geraten war, und schließlich erwarten beide nicht aus der Naturphilosophie eines Anaxagoras oder Empedokles den entscheidenden Aufschluß über die Situation des Menschen. Sie vertrauen den Worten, von denen sie wissen, daß sie außerordentlich flüchtig, anfällig und korrumpierbar sind. Aber gerade weil sich beide auf demselben Terrain treffen, ist für Sokrates die Betonung der Differenz umso wichtiger. Sie betrifft den Umgang mit den Worten. Für Gorgias ist die Macht des Wortes selbst noch einmal das Mittel, um die Macht des Redners zu erzielen. Der Bindung an die Sache enthoben, ist von der Psychagogie mit Hilfe von Worten zur Demagogie nur ein Schritt [...]. Bei Sokrates dagegen bleibt die Sachbindung des Wortes erhalten. Die Suche nach dem stärksten ,logos' bleibt für ihn die Suche nach der Wahrheit. (Pleger 1991: 166)

25

Fey (1990: 49) zufolge ist der „Endpunkt" der sophistischen Auffassung der „Neubeginn" der sokratisch-platonischen Philosophie gewesen. Vgl. in der Philosophiegeschichte z. B. Hegel ( 3 1959: 22) oder Schleiermacher (1988: 9), die den Verzicht der sophistischen Philosophie auf letztbegründende abstrakte Prinzipien bemängeln. Die wachsende philosophische Skepsis bezüglich der Letztbegründbarkeit von Aussagen hat zumindest eine etwas aufgeschlossenere Beschäftigung mit sophistischen Denkschemata begünstigt.

28 Es ist sicher nicht übertrieben, in der Kontroverse die Grundlegung für den gängigen Topos vom Gegensatz zwischen .Theorie' und .Praxis' zu sehen (vgl. Niehues-Pröbsting 1987: 13). Hier nimmt das sehr komplizierte Wechselverhältnis von Philosophie und Rhetorik (vgl. IJsseling 1988; Schanze/Kopperschmidt eds. 1989), die jeweils den in der Antike vorgezeichneten Sprachbegriff durchzusetzen versuchen und immer wieder auch gegenseitige Vereinnahmungsversuche unternehmen, seinen Ausgangspunkt. 26 Der „Gorgias"-Dialog wird häufig ausschließlich als Primärtext ethischer Vorbehalte und Einwände gegen persuasives sprachliches Handeln, das die Sophisten propagierten, gelesen. Seitdem ist der theoretische Blick für die Fragwürdigkeit, ausschließlich am sprachlichen Erfolg orientiert zu sein, geschärft. Dabei finden sich in dem Dialog noch weiterführende Hinweise, die einer kommunikationsanalytischen Einordnung des Themenbereichs ,Persuasion' hilfreich sein können. Das beginnt bei der Diskussion, in welchem Anwendungsbereich die (sophistische) Rhetorik überhaupt anzusiedeln sei. Sokrates/Platon geht es dabei u m den argumentativen Nachweis, daß der sophistische Anspruch, die Macht der Rhetorik lehren zu können, gar nicht einlösbar ist, weil die Sophisten, repräsentiert durch Gorgias, eine irrige Auffassung von der Kunst der Persuasion vertreten. Ihre Konzeption, die konsequent von der Erkenntnisgebundenheit des lögos absieht, kann nicht den Anspruch einer auf Reflexion und Einsicht beruhenden praktischen Lehre, einer techne, beanspruchen. Zur Stützung dieser These problematisiert und präzisiert Sokrates die Ausgangsdefinition der peithoüs demiourgös,

indem er zwei Wissensbereiche unterscheidet, in

denen diese peithö, die Persuasion, zur Anwendung gelangt. Die eine peithö, für die Sokrates die Rechenkunst als Beispiel anführt, beruht auf Wissen, wohingegen die sophistische Rhetorik allein auf die Glaubhaftmachung abzielt (Piaton, Gorg. 453e-455a; episteme vs. pistis, 454e). Demzufolge handelt es sich bei ihr u m eine peithoüs demiourgös tikes (ebd.: 455a), nicht, wie etwa die Rechenkunst, um eine peithoüs

[...] pisteu-

didaskalikes.

Da

Gorgias den Bereich der Rhetorik faktisch auf die gerichtliche und politische Beredsamkeit konzentriert und als wesentliche Aufgaben den Rekurs auf die Werte dikaia te kai ädika (ebd.: 454b) benennt, nutzt Sokrates die Gelegenheit, die von Gorgias selbst eingeräumte fehlende Einsicht zur Diskreditierung der sophistischen Rhetorik zu verwenden. 27 Auf diese Weise rückt das sophistische Rhetorikverständnis zusehends ins Zwielicht, zumal der platonische Gorgias Sokrates passenderweise noch den Gefallen tut, auf geschicktes ironisches 26

27

Dementsprechend variiert auch das jeweilige Begriffsverständnis, so daß allgemeine Aussagen über ,die' Rhetorik - seien sie nun anklagender oder apologetischer Art die bedauerlicherweise noch immer an der Tagesordnung sind, ohne die Reflexion über das zugrunde liegende Sprachverständnis inhaltlich unergiebig bleiben müssen. Dabei ist freilich kritisch anzumerken, daß die Frage nach Recht oder Unrecht prinzipiell nicht mit dem Erkenntnisanspruch des peithoüs didaskalikes behandelt werden kann, Sokrates/Platon also nicht zwischen Sach- und Wertwissen unterscheiden; vgl. auch Hellwig (1973: 74), Göttert (21994: 82-83) sowie Kopperschmidt (1994: 44).

29 Provozieren hin (ebd.: 456a) die Macht der Rhetorik geradezu hymnisch zu feiern und eine willkommene argumentative Angriffsfläche zu bieten: Es gibt nämlich keinen Themenbereich, über den ein professioneller Redner wohl vor der breiten Masse weniger überzeugend sprechen könnte als jeder andere Fachvertreter. So kennzeichnend groß ist die Wirksamkeit dieser praktischen Lehre. (Ebd.: 456c; eigene, freiere Übersetzung)

Laut Gorgias braucht ein Redner über keinerlei Sachkenntnis zu verfugen, um auf den Laien überzeugender zu wirken als ein Experte. D. h., daß das Lehrgebiet der Rhetorik insofern universal ist, als sie unabhängig vom konkreten inhaltlichen Themawissen konstituiert ist. Allerdings hat sich die Rhetorik in den Fragen des ethisch Guten bzw. Schlechten auszukennen, da gerade diese Werturteile in der juristischen und politischen Beredsamkeit gefallt werden müssen. Wie aber kann die Rhetorik nachweislich in dem korrekten Umgang mit Werturteilen unterweisen, wenn sie prinzipiell keine Sachkenntnis voraussetzt? Wie kann die Rhetorik, wenn sie das Gute und das Schlechte ja unterscheiden können muß, Gefahr laufen, mißbraucht zu werden? Wäre die Rhetorik eine techne, dann müßte sie, die ja über das Gute und Schlechte abhandelt, die Unterscheidung treffen können. Dann wäre es unmöglich, daß ein Redner sein Vermögen, der breiten Öffentlichkeit glaubhaft zu erscheinen, zu negativen Zwecken benutzen könnte (460a-461a). Passenderweise endet hier das Gespräch mit Gorgias. Eben deswegen ist die sophistische Beredsamkeit nach platonischem Verständnis keine ernstzunehmende praktische Lehre, zumal sie über keine materiale Sachkenntnis verfugen muß. Sie beruht auf keinerlei Einsichten, sondern nutzt allein die Disposition des Publikums aus. Die Möglichkeit des Mißbrauchs ist niemals auszuschließen; darin liegt das „ethische Dilemma" (vgl. Fey 1990) der Persuasion begründet. Darum lösen die Sophisten ihren Anspruch nicht ein; ein Redner kann beispielsweise anläßlich einer politischen Versammlung den Bau eines bestimmten Gebäudes mit Hinweis auf das Gute überzeugend empfehlen, ohne (a) in der Baukunst bewandert sein zu müssen und (b) ohne überhaupt das Gute und Schlechte zu kennen. Der Sophist ist ein Nichtwissender unter Nichtwissenden, der die Schwäche des Publikums ausnutzt, also nur instrumentelle Kenntnisse oberflächlicher Schmeichelei vorweist. Die Beredsamkeit, so lautet die sokratische/platonische Auffassung, ist nur dann eine praktische Kunst - und als solche erst vermittelbar wenn sie auf Einsichten beruht. Damit wird ihr wissenschaftstheoretischer Stellenwert problematisiert (vgl. Cahn 1986). Anstatt dem Laien eine beliebige Sichtweise, sei sie auch noch so unangemessen, durch bewährte Tricks nahezulegen, muß Klarheit über das Wesen des zugrunde liegenden Sachverhalts bestehen.28 Erst dann dient die Rhetorik 28

Das Wahrscheinliche fungiert bei Sokrates/Platon als negatives Pendant zum Wahren; bei Aristoteles, der das Sach- und Wertwissen differenziert, ist es dagegen eine eigenständige Wissenskategorie. In der Rhetorik kann es nur um das Erzeugen von Meinungen/Glauben, nicht aber von Wissen gehen; kritisch zu beleuchten sind persuasive Darbietungen also (nur) dahingehend, wie wahrscheinlich die auf Zustimmung bedachten Äußerungen sind.

30 der Psychagogik, der Anleitung der Seelen zum Guten, d. h. Wahren, und nur so kann sie als „Überredung zur Einsicht" (Niehues-Pröbsting 1987) überhaupt den Status einer techne beanspruchen. Sokrates/Platon setzen nun die Einsicht nicht einfach dogmatisch voraus; statt dessen modellieren sie einen recht komplexen kooperativen Prozeß der Begriffskritik, in dem zwei Sprecher im Gedankenaustausch darüber verhandeln, ob eine Proposition als korrekte Aussage über die Welt gelten kann. Dieses Prüflingsverfahren, die Dialektik, dient dazu, Einsichten in Sachverhalte zu gewinnen und die Rhetorik in den Rang einer techne zu erheben. Das platonische logos- Verständnis bestimmt also die (platonische) Rhetorik als Dialektik. Der Universalitätsanspruch der Sophistik mag einer derartigen Auffassung als ignorante Anmaßung erscheinen. Gleichwohl macht Gorgias hier auf einen interessanten Gesichtspunkt aufmerksam: Persuasion ist nicht thematisch fixiert. Ihr Wirkungsinteresse läßt nicht zu, sie als in sich konsistentes und abgeschlossenes Kenntnissystem zu beschreiben, weil Überzeugungen nicht auf einzelne Fachbereiche beschränkt sind. Der Vorwurf der Oberflächlichkeit ergibt sich damit zwangsläufig, weil der fehlende Themenbezug eine Einordnung der sophistischen Rhetorik als techne im platonischen Sinn von vornherein ausschließt. Aber deswegen kann Gorgias allein aufgrund empirischer Wahrnehmungen, nämlich daß versierte Redner bei anderen Personen Zustimmung finden, die Macht des lögos konstatieren, jedoch nicht darlegen, wie diese Macht nun im Einzelfall zustande kommt. Wie bereits angedeutet, lenkt er durch die Betonung der Wirksamkeit den Blick auf die Persuasion als sprachliche Handlung. Eben weil die Rhetorik aber keine oben skizzierte techne darstellt, muß das persuasive Agieren so eine handlungstheoretische Sonderrolle einnehmen. Der umfassende Anspruch der sophistischen Rhetorik läßt sich darum sinnvoll auf die Beobachtung zurückführen, daß die Persuasion keine themenbezogene Handlung, sondern eine Handlungscharakteristik, eine Handlungsweise ist. Wie sich diese linguistisch fundiert beschreiben läßt, wird im weiteren Verlauf noch eingehend zu diskutieren sein. Ein weiterer Aspekt verdient Beachtung: Wenn dem sophistischen Sprachverständnis auch die Sachbindung fehlt, konzediert Gorgias doch, daß die Frage nach Recht oder Unrecht des behandelten Gegenstandes das charakteristische Merkmal der Rhetorik ist. Ohne die grundlegende Einsicht in ethische Aspekte, die Gorgias ja nicht leisten kann, fehlt den sophistischen Redelehrern nach philosophischem Verständnis die Legitimation und die Kompetenz, die Schüler in dem Wgos-Gebrauch zu unterrichten. Die Widersprüche lösen sich jedoch dann auf, wenn man die sophistische Behandlung von Recht und Unrecht nicht als Bemühen um ein metaphysisches Wissen um Werte versteht, sondern als eine wesentliche Teilkomponente innerhalb der Redehandlung: der Redner wirbt um Zustimmung, indem er einen Sachverhalt BEWERTET/EMPFIEHLT etc. Sophistische Wertbezüge sind stets als konkrete evaluative Sprechhandlungen zu verstehen. Ein Redner hat nicht die Aufgabe, in

31 einer Versammlung über die Ethik im allgemeinen zu reflektieren, er hat für seine dargebotene Auffassung zu werben. Die Auseinandersetzung um die Persuasion geht demnach von der Frage aus, inwiefern das wertende Sprechen begründet ist. Der sokratisch-platonische Ansatz eignet sich hier m. E. in erster Linie für eine fundierte Bewertung rhetorischer Sprechhandlungen, indem man die kommunizierten Sachverhaltseinschätzungen einer Prüfung unterzieht. Sokrates/Platon rekurrieren damit auf den inhaltsbezogenen Bestandteil eines Sprechakts. Sie konzipieren m. a. W. einen Redebeitrag als .Aussage', die ein Sprecher gegenüber einem anderen tätigt und die im Bemühen um den Erkenntnisgewinn hinterfragt wird. D. h., in den Kategorien der Sprechakttheorie ausgedrückt, begreift dieser Zugriff, der eine philosophische Betrachtung erst konstituiert, sprachliches Handeln ausschließlich als propositionalen Akt. Auf der Suche nach der Essenz der Erkenntnis enthebt er die Sprache größtenteils ihres Handlungscharakters. Demgegenüber orientiert sich die sophistische Konzeption an der Perlokution als erfolgversprechendem Selbstbehauptungsmittel in einer Sprachgemeinschaft.

2.2.1.2 Kommunikationstheoretische Kritik Wie lassen sich beide Sprachauffassungen nun einordnen? Gorgias als prominenter Redelehrer kann m. E. als Vorläufer des pragmalinguistischen Paradigmas gelten: Menschen nutzen die Sprache nicht ausschließlich, nicht einmal primär, um mit ihr Aussagen über die Welt zu treffen, es sei denn, sie folgen dem herkömmlichen Philosophieverständnis.29 Vielmehr verfolgen sie konkrete Handlungsziele, die von den jeweiligen Sprachspielzusammenhängen determiniert sind. Zu diesem Zweck benutzen sie sprachliche Äußerungen, die als illokutionäre Akte identifizierbar sind. Gleichwohl sind diese Sprechakte hinsichtlich ihres propositionalen Aussagegehalts problematisierbar. Es wäre aber verfehlt, diesen propositionalen Inhaltsaspekt zur Grundlage eines umfassenden Kommunikationsverständnisses zu machen. Allerdings weist das sophistische Sprachverständnis einen gravierenden Mangel auf, der es einer pragmalinguistischen Kommunikationsanalyse letztlich unzureichend erscheinen läßt; dieser Mangel besteht darin, daß Gorgias genau denjenigen Aspekt vernachlässigt, 29

Besonders plastisch zeigt sich diese Erkenntnis an Austins ( 2 1975) schrittweiser Revision der platonische Perspektive im Verlauf seiner William James-Lectures; in ihr tritt das .konstative' Sprachverständnis immer stärker in den Hintergrund. Der Grundgedanke ist zwar keineswegs neu, wie z. B. bereits Berkeley (1975: § 20) anmerkt, dem zufolge „the communicating of ideas marked by words is not the chief and only end of language", ist aber gerade in der PhilosophieTradition häufig ausgeblendet worden. Kennzeichnend für diesen Ansatz ist m. E. eine sprachontologische Perspektive; sie beruht auf „bestimmten abbildtheoretischen Vorstellungen, wonach [...] der Vorgang der Erkenntnis [...] ausschließlich von der Wirklichkeit über die Vorstellungen zur Sprache verläuft, die eine vorgängig perzipierte und kognitiv angeeignete Wirklichkeit lediglich im nachhinein bezeichnet" (Gardt 1999: 320).

32 den Sokrates/Platon so einseitig betonen: Die Kritisierbarkeit von Aussagen, die die Erkenntnismöglichkeit erst bedingt, setzt stets ein zweites Subjekt voraus. Der epistemische Prüfungsvorgang, den die platonische Richtung konstituiert, sieht den gedanklichen Austausch (mindestens) zweier Personen vor. So läßt sich i. ü. auch die etymologische Zusammenhang der Termini Dialektik und Dialog erklären. Die sophistische Konzeption erfaßt die Rolle eines zweiten Sprechers bzw. einer zweiten Gesprächspartei nun gerade nicht in ihrer grundsätzlichen Relevanz, sondern eher formal, d. h. als staunendes, der rhetorischen Wucht hilflos ausgeliefertes Akklamationsorgan. Eben deswegen ist Gorgias auch außerstande, die Rhetorik als techne zu etablieren; er postuliert Wirkungen, ohne die Möglichkeit ihres Zustandekommens systematisch erfassen zu können. Diese Erkenntnischance bleibt ihm deswegen verwehrt, weil er eine beinahe mythische Einschätzung des lögos propagiert. Sein Handlungsbegriff ist damit zu resultativ-punktuell, als daß er den prozeduralen Charakter sprachlicher Effektivität berücksichtigen könnte. Eine derartige Sichtweise erfordert es nämlich, eine dialogische Grundsituation anzunehmen, in der der Spl Anstrengungen unternehmen muß, mögliche Einwände, die der gewünschten Konvergenz im Wege stehen, zu entkräften. Das setzt wiederum voraus, daß er das Publikum als Sp2, als gleichberechtigten Gesprächspartner, anzusehen hat; versäumt er dies, kann er keine persuasiven Strategien entwickeln, weil ihm die möglichen Problemlösungen nicht vertraut sind. Zusammengefaßt lassen sich beide Positionen folgendermaßen charakterisieren: Sokrates/Platon reduzieren die durch einen kommunikativen Zusammenhang bestimmten Äußerungen auf ihren propositionalen Aussagengehalt. Eine wie auch immer geartete Zweckbindung der ihrem Verständnis zufolge nur der Wahrheit verpflichteten Sachverhaltsdarstellungen macht sie prinzipiell suspekt. Gleichwohl vertreten sie einen dialogorientierten Standpunkt. Das Ideal, zu wahren Aussagen zu gelangen, ist nur in einem wechselseitigen Prozeß der Begriffskritik anzustreben. Die dialogische Bestimmung ist die Dialektik.30 Gorgias erfaßt dagegen durch sein Interesse an sprachlichen Wirkungen den Handlungscharakter viel genauer. Allerdings verklärt er diese Wirkungsmöglichkeiten sprachlicher Äußerungen so sehr, daß bei ihm der Redner zu einem Monologisten gerät, der die der Sprache inhärente Einflußkraft geschickt entfesselt. Daß sich sprachliche Wirkungen' erst

30

Der Einfluß der platonischen Konzeption läßt sich bis in die gegenwärtige Diskursethik verfolgen, vgl. stellvertretend Böhler (1995). Ansätze zu einem erweiterten Begriffsgebrauch von Dialektik haben sich besonders bei Schleiermacher (1988: 9) angedeutet, der, ausgehend vom Gesprächsgedanken, auf Affinitäten außerhalb des rein philosophischen Diskurses hinweist. Schopenhauer (1983: 18) trennt deutlich zwischen der Logik als Bemühen um die objektive Wahrheit und der Eristischen Dialektik als ,,geistige[r] Fechtkunst"; unter philosophischen Vorzeichen rückt er damit die Dialektik viel enger an die Rhetorik. Gleichzeitig versucht er aber auch eine wissenschaftliche Dialektik zu etablieren, die als kritische Methode die eristischen Kunstgriffe zu decouvrieren hat (vgl. ebd.: 19-20). Zur wechselvollen Begriffsgeschichte, die sich m. E. immer in Relation zu der Konzeption der .Rhetorik' entwickelt hat, vgl. Rohling et al. (1994).

33 konstruierend beobachten lassen, wenn die Rolle des Publikums als imaginärer Dialogpartner bei der Konzeption der Rede angemessen berücksichtigt wird, übersieht er dabei. Mit diesen Überlegungen gewinnt die ambivalente Erscheinung persuasiven Handelns als Inbegriff der rhetorischen Problemgeschichte noch Kontur: die .Macht' der Sprache und die Vernachlässigung der Sp2-Position bedingen und verschärfen sich gegenseitig. Wenn die Wahrheitsfindung ein dialogischer Prozeß ist, die sophistischen Rhetoriker aber allein die kontrolliert heraufbeschworene Sprachmacht gegen ein gefugiges Publikum anzuwenden zu lehren versprechen, dann enthalten sie ihm die Wahrheit vor. Darum handeln sie ethischen Werten zuwider. Die sokratisch-platonische Kritik an der A-Dialogizität des sophistischen Entwurfs ist auf die Klärung theoretischer Probleme beschränkt, und so entgeht ihr, daß die Prämisse von der sprachlichen Wirkungsgewalt auch in kommunikationstheoretischer Hinsicht, d. h. in lebenspraktischen Zusammenhängen, fragwürdig ist. Ironischerweise stimmen beide Positionen damit in dem entscheidenden Kernproblem überein; sowohl Sokrates/Platon als auch Gorgias präsupponieren ebendiese Sprachgewalt, und die Kontroverse betrifft darauf aufbauend allein die Frage, inwiefern die Wirkungsmacht der Sprache legitimiert bzw. die Legitimationsfrage überhaupt relevant ist.31

2.2.1.3 Das Problem der persuasiven Zirkularität Die im „Gorgias" dargestellte Debatte markiert den Anfangspunkt eines sprachlichpersuasiven Problembewußtseins; die dort präsentierten Sprachauffassungen prägen bis heute die Diskussion. Dabei scheint die Rollenverteilung der Dialogpartner Sokrates und Gorgias nur zu eindeutig festgelegt: hier der pragmatische Rhetoriker, dessen utilitaristisch geprägte Redelehre ganz auf die Erzeugung des Scheins, bloßer Meinungen ohne epistemische Fundierung abzielt, dort der reflektierende Philosoph, dem es um den Erkenntnisgewinn bezüglich des wahren Seins geht und der somit die Haltlosigkeit der sophistischen Redekunst als bloße Schmeichelei enttarnt. Die Bezeichnung Sophist ist dadurch mit negativen Assoziationen behaftet. Einem Diskussionspartner Sophisterei zu unterstellen, bedeutet, ihm vorzuwerfen, mit unfairen sprachlichen Mitteln die Wahrheit zu verdrehen, um sich 31

Die aus dialektischem Interesse hervorgegangene Sprachkritik hat bislang die Chance vertan, ihrem Hauptanliegen gemäß zu argumentieren, indem sie die Auffassung von der quasi-ontologischen Macht der Sprache allzu undifferenziert als Ausgangspunkt gewählt hat. Die drängenden Nachfragen, die Sokrates Gorgias stellt, implizieren generell den Vorwurf, die sophistischen Rhetoriker entfesselten unreflektiert und verantwortungslos eine gefährliche Gewalt. Dabei birgt die Formulierung, der schmeichelnde Redner sei „ein Nichtwissender unter Nichtwissenden" viel aussichtsreichere Ansatzpunkte, die - vorschnelle - Empörungsbekundungen über den Mißbrauch des sprachlichen Machtpotentials zu vermeiden und damit erst einen reflektierten Umgang mit Sprache zuermöglichen. Die Doppeldeutigkeit des Begriffs ,Persuasion' hat die notwendige Differenzierung bislang erschwert: ,,[...][I]1 s'agit d'une intention du locuteur, mais aussi d'un effet produit sur le destinaire [...]." (Stati 1998: 3)

34 einen Vorteil zu verschaffen. 32 Genau diese Verwendungsweise sollte jedoch Anlaß zu weiterfuhrenden Überlegungen sein, die eben genau den Unterschied zu einer rein sprachphilosophischen Betrachtung vor dem linguistic

turn ausmachen: Dadurch, daß Sokra-

tes/Platon argumentativ den Scheincharakter der sophistischen Position herausstellen, bringen sie nun einmal nicht allein eine Aussage zum Ausdruck, sondern handeln sprachlich und BEWERTEN eine ihrer Meinung nach verfehlte Rhetorik. Im „Phaidros" dagegen finden sich etwas konkretere Hinweise, wie eine wahre, platonische, dialektische Rhetorik auszuarbeiten sei. Man kann bei der Interpretation der Dialoge also durchaus eine Konkurrenzsituation voraussetzen: Sokrates/Platon kritisierHeyen die vorherrschende Kommunikationspraxis und präsentieren einen Gegenentwurf. Sie bezwecken also durchaus

Zustimmung,

die ihnen, wenigstens, was die Diskreditierung der Sophisten in dem weiteren Verlauf der Rhetorikgeschichte angeht, auch zuteil geworden ist. Unabhängig von der Frage, ob der Dialog überhaupt historisch adäquat wiedergegeben worden ist, und selbst angenommen, Sokrates/Platon sei es tatsächlich nur um eine theoretische Erörterung der sophistischen Rhetorik gegangen - daß das Gespräch schriftlich tradiert worden ist, läßt selbst wiederum auf persuasive Absichten bezüglich der sich ausbildenden platonischen /ogoi-Auffassung schließen. 33 Eine Meinung negativ zu bewerten kann, bestimmte Handlungsbedingungen vorausgesetzt, durchaus als persuasive Handlung verstanden werden, und zwar auch ganz unabhängig davon, wie berechtigt diese negative Kritik auch immer sein mag. M. a. W.: unter sprachphilosophischem Aspekt begründet Sokrates/Platon, warum Gorgias irrt; unter pragmalinguistischen Vorzeichen BEWERTET er die sophistische Auffassung negativ, womöglich in der Absicht, die Sophisten zu diskreditieren, um Konvergenz

zu werben. Die

philosophische Auseinandersetzung mit der Rhetorik ist in ihrem Handlungscharakter also prinzipiell in einem Zusammenhang angesiedelt, den Geißner (1975: 11) treffend als „Zirkel" charakterisiert. Diese Zirkularität ist von philosophischer Seite lange Zeit vernachlässigt worden; deutlichere Hinweise auf das wachsende Problembewußtsein finden sich z. B.

32

33

In seiner „Teutschen Rhetorica" beendet Meyfart (1977) seine Darstellung der einzelnen Tropen häufig mit einem Hinweis auf den sophistischen Mißbrauch. Beispielsweise gerät die Synekdoche als ein „sehr Gravitetischer Tropus", der „wichtigen und tapffern Sachen" (ebd.: 111) angemessen sein sollte, zu einem Mittel der Schmeichelei (vgl. ebd.: 112). Vgl. Hegel (31959: 7-8): „Sophisterei ist ein übelberüchtigter Ausdruck. [...] Es bedeutet dieß Wort gewöhnlich, daß willkürlicher Weise durch falsche Gründe entweder irgend ein Wahres widerlegt, schwankend gemacht, oder etwas Falsches plausibel, wahrscheinlich gemacht wird." Laut Schopenhauer (1983: 18) besteht der Zweck der Sophistik in der „Durchführung falscher Sätze". Gerade dem ,sophistischen' Sprecher unterstellt man sehr schnell eine nur ihm bekannte, verborgen im voraus geplante Strategie, die dementsprechend ähnlich negativ konnotiert ist. Hellwig (1973: 74) weist auf die „Diskrepanz zwischen dem fiktiven und dem historischen Gorgias" in dem platonischen Dialog hin.

35 in Nietzsches (1995: 426) berühmtem Diktum von der Rhetorizität der Sprache.34 Charles L. Stevenson ("1967) verweist auf den persuasiven Charakter ethischer Werturteile überhaupt. Die Verbreitung postmoderner Denkstile hat die philosophische Sensibilität gegenüber einer zu einseitigen Auseinandersetzung mit der Rhetorik geschärft (vgl. Oesterreich 1989).35 Dabei muß man gar nicht komplexe rekursive Zeichenstrukturen, die in einem unendlichen Semioseprozeß ein zu unbefangenes Vertrauen in die Möglichkeiten sprachlicher Erkenntnis relativieren, als Erklärungsansatz wählen - es reicht aus, philosophische Aussagen auf ihren Status als Sprechhandlungen hin zu überprüfen.

2.2.1.4 Das Scheitern ethischer Lösungsversuche Seit dem „Gorgias"-Dialog bemühen sich die Theoretiker der Rhetorik, ethische Maßstäbe zu entwickeln, die das Dilemma der Persuasion überwinden können. Bereits in der Antike beeilen sich auch die prominenten Rhetoriker, sich von einem möglichen Mißbrauch der Persuasion entschieden zu distanzieren, indem sie die moralischen Qualitäten des Redners, entschiedener als Aristoteles, direkt auf seine Lebensführung beziehen. Kennzeichnend für diese v. a. in Rom vertretene Haltung ist die Cato d. Ä. zugeschriebene Forderung, ein Redner müsse ein „vir bonus dicendi peritus" (Quintilian, inst, orat, XII, 1,1) sein. Die Maßstäbe, die an die Qualität einer Rede angelegt werden, transzendieren somit den persuasiven Kommunikationszusammenhang; nicht die Funktionsrolle .Redner', sondern die Person des orator in seiner Verpflichtung gegenüber den antiken Wertvorstellungen (vgl. L. Fischer 1968: 194-195; Göttert 21994: 66) bestimmt die ,wahre Rhetorik'. Das Angemessenheitskriterium betrifft folgerichtig auch nicht allein den thematischadressatenspezifischen Wirkungszusammenhang, sondern den übergreifenden Wertbezug schlechthin. Durch den Be-griff des decorum (vgl. Cicero, or, XXI, 70-71; Quintilian, inst, orat. II, XIII, 8) wird die prepon-laptum-Norstellung in diesem ethischen Sinn akzentuiert. Bei Cicero äußert sich dieser Zusammenhang in seiner Auffassung, der ideale Redner sei ein allen Bereichen aufgeschlossener Universalgebildeter, für den die sokratischplatonische Trennimg von Philosophie und Rhetorik nicht gelte (de or., I, VI, 20). Der Redner agiert nach seinem Verständnis nur dann überzeugend, wenn er über eine Einsicht

34

35

Ciceros Bemerkung, er habe an dem „Gorgias"-Dialog v. a. Piaton bewundert, „quod mihi in oratoribus irridendis ipse esse orator summus videbatur" (de or. I, XI, 47), ist traditionellerweise offenbar eher als Versuch einer rhetorischen Apologie rezipiert worden - sinnfälliges Indiz dafür, daß der Unterschied zwischen .philosophischen' Texten, die fachbezogen' gelesen werden, und rhetorischen' Texten, bei denen man eine weitergehende Strategie vermutet, in erster Linie auf Zuschreibungen beruht. Daß die Verteidigung der Rhetorik gegen pauschale Ablehnung natürlich auch persuasiv-zirkulär ist, zeigt sich z. B. bei Quintilian (inst.orat. II, XVI, 19). In der Tat birgt der platonische Ausschließlichkeitsanspruch als „die Gefahr der Ideologisierung der Philosophie" (Fey 1990: 49).

36 in den behandelten Gegenstand verfugt, und er kann nur dann bestimmte emotive Wirkungen beim Publikum herbeifuhren, wenn er sie selbst verspürt und nicht nur simuliert (ebd.: II, XLIV, 189-190). 36 Schließt sich Cicero damit der im „Phaidros" angedeuteten Idee einer .legitimierten Wirksamkeit' an (Phaidr., 277b, c), fuhrt Quintilian diesen Gedanken noch weiter. 37 Am Anfang des 2. Buches seiner „Institutio oratoria" bespricht er recht ausführlich verschiedene Definitionsvorschläge der Rhetorik, die allesamt auf die persuasive Zweckgebundenheit verweisen. Interessanterweise verwirft er jedoch diese Sichtweise, da die Wirkungsabsicht nicht allein den orator kennzeichne, sondern auch moralisch verwerfliche Personen wie „meretrices, adulatores, corruptores" (inst. orat. II, XV, 11). Quintilian zufolge übt dagegen ein Redner a priori eine ehrenvolle Tätigkeit aus. Um die Rhetorik also als solche zu entlasten, abstrahiert er konsequent von der persuasiven Zweckkomponente und bestimmt die Rhetorik statt dessen als „ars bene dicendi" (ebd. II, XV, 38), die somit nicht an das Erfolgskriterium gebunden ist, sondern allein wertorientierte elaborierte Redeleistungen umfaßt. Damit löst er das Dilemma aber nur mit Hilfe eines terminologischen Kunstgriffs, denn nun wird nicht die Abgrenzung zwischen ,guter' und schlechter' Persuasion/Rhetorik, wohl aber die zwischen einem orator und einem meretrix,

adulator

oder corruptor problematisch. Ciceros und Quintilians Stellungnahmen sind zum einen dem römischen Ideal einer am Gemeinwohl orientierten Wirksamkeit öffentlicher Rede verpflichtet, was auch erklären mag, weswegen sie so selbstverständlich ethische Anforderungen an den Redner stellen. Zum anderen lassen sich ihre Schriften aber auch als Reaktion auf die philosophischen Einwände gegen professionelle Redner lesen. Daß derartige Vorbehalte bekannt waren, machen schon die intertextuellen Bezüge auf Piaton deutlich. Cicero und Quintilian nutzen in ihren Schriften die Chance, ,die' Rhetorik, die sie repräsentieren, vor jedem Verdacht zu 36

37

Wie Cicero (de or., I, XV, 68) explizit erläutert, sind für ihn Rhetorik und praktische Philosophie, die sich durch den Bezug „in vitam atque mores" definiert, identisch; er unterscheidet sie von zwei weiteren philosophischen Diskursgebieten („in naturae obscuritatem" sowie „in disserendi subtilitatem"), von denen gerade die zweite an die platonische Dialektikauffassung erinnert. Ciceros Äußerungen dahingehend zu verstehen, daß er vom Redner fordert, er habe seine persönlichen Überzeugungen rigoros darzustellen, wäre jedoch ein Irrtum; gerade das kennzeichnende Paradigma der Gerichtsrede zeigt vielmehr, daß der Redner aus professionellen Erwägungen bemüht sein soll, sich bewußt den Standpunkt der Partei anzueignen, die er vertritt und die erfolgsversprechenden, d. h.: überzeugenden Gesichtspunkte zu betonen. Vor diesem Hintergrund ist es nach antikem Verständnis auch kein Widerspruch, wenn Cicero (de or. II, LXXVII, 310) fordert, von den drei officio sei allein das docere offen anzustreben; was einer ideologiekritischen Perspektive rasch als zynisches Bekenntnis zu manipulativen Strategien erscheint, ist danach genau dann legitim, wenn der Redner entsprechend den Regeln der Redekunst dem antiken Auditorium gegenüber eine überzeugende Leistung darbietet, ohne zu lügen. I.ü. läßt sich auch nur das docere in einer explizit-performativen Formel metakommunikativ darstellen, nicht aber das (per)movere oder das conciliare, die beide an das Eintreten des perlokutionären Effekts gebunden sind.

37 schützen, indem sie selbst die ethische Verantwortung hervorheben und vordergründig die persuasive Ambivalenz ausklammern. Ihre Ausführungen erfolgen also pro domo. Dadurch, daß sie ihre Bereitschaft demonstrieren, ihre Kompetenz allein positiven Zielen zu verpflichten, betreiben sie zwangsläufig eine IMAGEWERBUNG - für die Rhetorik und, korrespondierend, den eigenen Berufsstand. Mit ihren Schriften unternehmen sie m. a. W. den Versuch, .Glaubwürdigkeit' kommunikativ zu erzeugen. Das Konzept einer .wahrhaftigen' Rhetorik antizipiert also unter persuasiven Vorzeichen mögliche kritische Einwände, die die philosophischen Vorbehalte gegenüber der Sophistik aktualisieren könnten. Das ,vir bonus'-Ideal ist im Prinzip ein auf einer Meta-Ebene angesiedeltes aussagekräftiges Beispiel für den kommunikativen Wirkungsfaktor ethos und, noch abstrakter, für die Brisanz des persuasiven Zirkels. Wie sich ganz besonders nachdrücklich an der Epoche der Aufklärung demonstrieren läßt, verhindert dieser die Entwicklung wirklich praktikabler Kriterien, mit deren Hilfe sich ethisches persuasives Handeln von fragwürdigem unterscheiden läßt.38 Damit bleibt jeweils im konkreten Einzelfall zu entscheiden, inwiefern der persuasive Handlungsvollzug tatsächlich dazu diente, „zu Menschen völlig wahr von ihren Sachen zu sprechen" (Bloch 1972: 197). Dazu ist es allerdings notwendig, sich eingehender mit den Charakteristika des Handlungsmusters auseinanderzusetzen, ohne vorschnell relativ unsichere Bewertungen zu äußern oder den problematischen Begriff nach Möglichkeit in die Peripherie einer rhetorikgeschichtlichen Betrachtungsweise verbannen zu wollen.

2.2.2 Die stilistische Reduktion Ciceros Reformulierung der aristotelischen pistéis als rednerbezogene officia kann nur vordergründig als Fortschritt auf dem Weg zu einer pragmalinguistischen Betrachtungsweise gelten. Gerade die römische Adaption der griechischen Rhetorik-Diskussion hat durch ihre fortgesetzten Bemühungen um Systematizität zwar einerseits die Traditionschancen des rhetorischen Regelkanons begünstigt, andererseits jedoch zu einer fehlgeleiteten Beschäftigung mit rhetorischem Sprechen geführt.

38

Genauso läßt sich m. E. auch die Streitschrift des Isokrates (1997) gegen die Sophisten lesen; wenn er der gängigen sophistischen Praxis Täuschungsabsichten vorwirft, unternimmt er einen Diskreditierungsversuch. Auf diese Weise untermauert er seinen pädagogischen Anspruch: „Um nun nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde einerseits die Versprechungen anderer zunichte machen, selbst jedoch noch Größeres versprechen^] als die Sache enthält, werde ich, wie ich meine, auch allen anderen leicht die Gründe erklären können, die mich davon überzeugten, daß es sich so verhält." (ebd.: 104)

38 2.2.2.1 Die Emanzipation der Elocutio In der Absicht, die Produktionsstadien der Rede von der gedanklichen Beschäftigung mit dem Sachverhalt, der zu einer Stoffsammlung führt (inventio), über die Anordnung der Gesichtspunkte (dispositio), die - vortragsfähige - Formulierung {elocutio),

die kognitive

Leistung des Auswendiglernens (memoria) hin zur intonatorischen bzw. gestischen Performanz {actioIpronuntiatio)

mimisch-

möglichst umfassend nachzuzeichnen, unter-

scheiden die antiken Rhetoriker jeweils zwischen dem basalen Sachverhalt und seiner Behandlung in der Rede und betonen die res - veria-Differenz. 39 Gleichgültig, welche Probleme eine heuristische Isolierung der Einzelschritte im konkreten Anwendungsfall bereitet, schafft die strikte Trennung zwischen dem ,Wesen' des Sachverhalts einerseits und seiner sprachlichen Bearbeitung andererseits grundlegende sprachphilosophische Probleme. Gleichzeitig bricht sich die Vorstellung Bahn, die persuasiven Zwecken dienende Sprache als Instrument des rhetorisch versierten Spl unterscheide sich per se von anderen Sprachgebräuchen, die die Identität von res und verba aufrechterhalten.40 Eng mit diesem Gedanken ist die rhetorikgeschichtlich äußerst einflußreiche ornatus-Vorstellung

verbun-

den; sprachlichen Mitteln, die persuasiven Zwecken dienen, wird prinzipiell die Eigenschaft zugeschrieben, den durch sie vermittelten, also grundsätzlich eigenständigen Sachverhalt auf eine dem Sp2 gefällige Weise .einzukleiden'. 41 Unmerklich verlagert sich damit die Perspektive von den situativen Rahmenbedingungen, unter denen ein Sprecher handelt, hin zu den sprachlichen Mitteln selbst, die Verwendung finden. Erst auf diese Weise wird es den Rhetorik-Theoretikern möglich, sprachliche Einheiten von ihrem Praxiszusammenhang zu isolieren und gesondert betrachtet verfügbar zu machen - v. a. zur Sammlung und Einteilung. Das rhetorische Interesse an der Erstellung und Tradierung regelrechter ornaiwi-Kataloge (vgl. Knape 1992) entspricht dem systematischen Zugriff in vollendeter Weise. V. a. das strukturalistische Paradigma der Linguistik hat sich die Erträge der rhetorischen Figurenlehre bei der Bildung und Beschreibung syntagmatischer und paradigmatischer Einheiten zunutze gemacht.

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40

41

Dabei hält man bis ins 18. Jahrhundert an der Vorstellung fest, daß eine die Ordnung konstituierende Entsprechung zwischen Sache und Wort existiert, vgl. L. Fischer (1968: 186). So gesehen ist hängt die Unterscheidung von res und verba eng mit der schon im „Phaidros" (267a, b) formulierten Vorstellung zusammen, die Rhetorik lasse Großes klein, Kleines aber groß erscheinen. Dahinter steht die Auffassung, ein an und für sich .neutrales' Faktum werde durch besondere sprachliche Mittel der jeweiligen Zielsetzung des Redners .vergrößernd'/,verkleinernd' angepaßt. Daß dabei gerade auto-referentielle Überlegungen, die rhetorischen Mitteln eine ästhetischselbstzweckhafte Qualität zuschreiben, ebenfalls eine Rolle spielen, zeigt besonders eindrucksvoll die Metaphorisierung persuasiver sprachlicher Mittel als flores rhetorici\ konzeptionelle Analogien zur epideiktischen Rede sind hier unverkennbar. Zu den Themengebieten .Ästhetik' und .Persuasion' vgl. neuerdings Mischo/Christmann (1998).

39 Doch gerade unter den Vorzeichen der Linguistischen Pragmatik erscheint dieses Vorgehen verfehlt; es generiert eine künstliche Beschreibungseinheit ,Wort', die der allzu unbedarften Vorstellung Vorschub leistet, eine rhetorische Wirkung sei das zwangsläufige Produkt von nach dem Baukastenprinzip aneinandergereihten Einheiten, die allesamt deviant sind. So vorteilhaft die theoretische Erfassung konkreter, d. h. manifester Textphänomene auch sein mag, birgt sie doch die Gefahr, daß die Abhängigkeit der stilistischen Entscheidungsfindung von den kommunikativen Zielen des Redners allmählich aus dem Blick gerät. Dieser Perspektivenwechsel wurde zudem durch den Umstand begünstigt, daß der einst relativ geschlossene antike .demokratische' Lebens- und Praxiszusammenhang in nachfolgenden Gesellschaftsformen in Vergessenheit geriet. Rhetorische Figuren lassen sich v. a. dann relativ problemlos in rhetorischen Lehrbüchern abhandeln, wenn ihre strategische Determination, etwa vor Gericht oder in Volksversammlungen, in dieser Form nicht mehr relevant ist: Die Rhetorik-Theorie abstrahiert m. a. W. von dem persuasiven Wirkungszusammenhang und konzentriert sich statt dessen auf sprachliche Phänomene der textuellen Oberflächenstruktur. Dementsprechend ist die Sammlung und Klassifizierung standardisierter stilistischer Einheiten ein Indiz für die Entwicklung, die sprachlichen Handlungsmittel aus ihrem funktionalen Zusammenhang zu lösen, sie vielmehr als Selbstzweck zu betrachten.42 Korrespondierend mit dieser ,Ontologisierung' ,der' rhetorischen Sprache emanzipiert sich die ursprünglich nur als rhetorischer Teilbereich verstandene elocutio; das in der Antike vorherrschende umfassende Rhetorikverständnis verengt sich in den folgenden Jahrhunderten zur Stilistik, zumal die methodisch motivierte Unterscheidung von res und verba immer wieder als weiteres Argument für den minderen Wert der .affektischen' Komponente persuasiven Sprechens i. S. einer realitätsverzerrenden, die reine Erkenntnis hindernden Sprachkosmetik angeführt wurde. Damit fordert das philosophische Paradigma diese Gelegenheit einer konzeptionellen Neubestimmung, indem es den Bereich der res vollständig dem Lehrgebiet der Dialektik zuschlägt. Kennzeichnend für diese Sichtweise sind die Ausführungen des Petrus Ramus, der in den „Scholae in liberales artes" (1970) der Rhetorik allein die Aufgabe zuweist, die vorgefertigten Gedanken möglichst kunstvoll zu formulieren.43 Daß ein solcherart reduktionistisches Verständnis auch 42

43

Die schrittweise Reduktion der Aufmerksamkeit auf sprachliche Gestaltungsprinzipien ist gleichwohl in der antiken Rhetorik-Diskussion vorbereitet worden. Anzeichen dafür finden sich z. B. in der stoischen Tropen- und Figurenlehre sowie im Pseudo-Longinus (vgl. Ueding/Steinbrink 3 1994: 28, 39). Die prägende Asianismus-/Attizismus-Debatte ist allein deshalb zustande gekommen, weil die rhetorischen Figuren eben nicht als Indikatoren eines funktionalen Zusammenhangs aufgefaßt wurden. Durch den Versuch, das Handeln des Redners mit der präziseren theoretischen Erfassung der genera dicendi fundierter zu beschreiben, hat nicht zuletzt Cicero dieser Entwicklung unbeabsichtigt (vgl. de or., III, VI, 24) Vorschub geleistet. Vgl. Petrus Ramus (1970: Lib. I: 238): „Tres itaque partes illae, Inventio inquam, Dispositio, Memoria, dialecticae artis sunto. [...] Quid ergo: quid Rhetoricae relinquetur? non elocutio solum in tropis & figuris (quam tarnen solam hic putas oratoris esse propriam) sed actio. Haec Rhetori-

40 vordergründig die ethische Problematik der Rhetorik entschärft, hat Cahn (1986: 112) überzeugend dargelegt; ihm zufolge „ist das Zurücktreten der Persuasionsabsicht immer auch eine Funktion ihrer Mißachtung, vor der sich die Rhetorik nur als Eloquenz sicher wähnte". In den „Scholarum Rhetoricarum" hat Petrus Ramus diese veränderte Akzentuierung expliziert: Rhetorica enim ars non est, quae omnes animi virtutes explicet. De virtutibus moralibus & de virtutibus intelligentiae ac mentis, proprie permulta elegäter Ethici philosophatur. (zit. nach Lange 1974: 43) Demgemäß ist das neuerwachte Interesse der Renaissance an der antiken RhetorikTradition letztlich auf Fragen der stilistischen Ausgestaltung, nicht aber der persuasiven Erfolgsaussichten beschränkt.

2.2.2.2 Das Angemessenheitspostulat als pragmatische Restkategorie Die systematische Sichtung rhetorischer Figuren und Tropen, die der Rede einen besonderen ,Schmuck' verleihen, ist zwangsläufig an deviationsstilistischen Einheiten interessiert. Genau hier liegt das Mißverständnis der Rhetorikgeschichte, elocutive Erscheinungen von ihrem persuasiven Verwendungszweck zu abstrahieren und in ihrer Funktion als Handlungsmittel zu verkennen. Eine — wie auch immer geartete — stilistische Autonomie besteht nicht, vielmehr sind die Formulierungen das Ergebnis kalkulierter Einschätzungen der Kommunikationssituation. Im Prinzip verweisen darauf auch die Tischreden Luthers: Die Dialektik redet einfach, wie wenn ich sagte: ,Gib mir zu trinken.' Die Rhetorik schmückt aus: ,Gib mir des lieblichen Saftes im Keller, der fein im Kruge stehet, die Leute fröhlich macht usw.' (Luther 3 1960: 155, Nr. 366) Luthers Wendung gegen einen zu elaborierten rhetorischen Sprachduktus, die demgegenüber das Ideal einer volkstümlichen, allgemeinverständlichen Redeweise hervorhebt, kann

cae virtus & propria & sola est [...]." Vgl. Lange (1974: 43). Dabei ist anzumerken, daß die ramistische Positionsbestimmung eher den Endpunkt einer bereits im mittelalterlichen Lehrkanon der artes liberales vorgezeichneten Entwicklungslinie darstellt. Die Tendenz, den inventorischen Rhetorik-Aspekt in einen engen Zusammenhang zur Dialektik zu stellen, ist schließlich bereits in der aristotelischen Topiklehre vorgeprägt und hat, vermittelt z. B. durch Boethius (1978: IV, 1215C-1216C), bis zu Nietzsche (1995: 423) fortgewirkt. Ausgehend von dem Begriffspaar thesis!hypothesis faßt er die traditionelle Aufgabenverteilung so zusammen: „Das Allgemeine zu bestimmen ist Sache der Philosophie, das Spezielle fällt der Rhetorik anheim." So gesehen ordnet die ramistische Identifikation von Rhetorik und Elokution konsequent die spezielle Darbietung eines Sachverhalts (Rhetorik) der allgemeinen und grundlegenden gedanklichen Beschäftigung (Dialektik) unter. Daß dabei eher der Unterschied zwischen dem theoretischen und dem praktischen Diskurs eine Rolle spielt, wird gerade im Humanismus nicht berücksichtigt.

41 allerdings nur bei sehr vordergründiger Betrachtung als rhetorikfeindlich gelten (vgl. Ueding/Steinbrink 3 1994: 80). Das macht eine andere Bemerkung hinreichend klar: Alle Prediger sollen sich gewöhnen, daß sie schlicht und einfältig predigen, und sollen bei sich bedenken, daß sie jungen unverständigen Leuten predigen, Bauern, die ebenso wenig verstehen [...]. Man muß nicht predigen und tapfer mit großen Worten prächtig und kunstreich herfahren, daß man sehe, wie man gelehrt sei und seine Ehre suchen. Hier ist nicht der Ort dafür. Man soll sich hier den Zuhörern anpassen; und das ist der allgemeine Fehler aller Prediger, daß sie predigen, daß das arme Volk gar wenig draus lernt. (Ebd.: 148, Nr. 341) Die Forderung, sich anzupassen, entspricht direkt dem Angemessenheitspostulat. Es ist gerade das Bemühen um Persuasion, das zu Mutmaßungen über den primären Adressatenkreis, das gemeine Volk, fuhrt und den stilus grande aus sprachsoziologischen Erwägungen als unangemessen verwirft. 44 D. h.: Daß das stilgeprägte Rhetorikverständnis reduktionistisch ist, zeigt sich m. E. besonders nachdrücklich an seinem hilflosen Umgang mit dem aptum als derjenigen in den Regelkanon aufgenommenen virtus elocutionis,

die unmittelbar

auf pragmatische Verwendungsbedingungen hinweist. An der Verbindlichkeit und normativen Kraft dieser ,Redetugend' kann kein Zweifel bestehen; weil sie aber den Charakter einer regulativen Regel i.. S. Searles (1969: 33) aufweist, ist sie rein situationsdeterminiert und auf theoretischem Wege nicht konzis zu bewältigen. 45 Darum bleibt das aptum „letztlich eine Frage des Fingerspitzengefühls" (Göttert 2 1994: 66). Die Abhängigkeit angemessenen Sprechens von der Lebensform Sprache verurteilt systematischere Definitionsversuche von vornherein zum Scheitern. Insofern handelt es sich bei dem Angemessenheitspostulat u m die rhetorische Zentralkategorie schlechthin. Sie verdeutlicht, daß rhetorisches Sprechen nicht selbstzweckhaften Kriterien der gefälligen Rede folgt, sondern persuasiv bestimmt ist. Ihre Relevanz wird immer dann deutlich, wenn man rhetorisches Sprechen mit dem exzessiven Gebrauch des bildhaften, gehobenen Stils gleichsetzt, der eben nicht

44

45

Stolt (2000: 54-55) wehrt sich gegen die Übertragung des persuasio-Begriffs auf Luthers Predigttätigkeit, weil „[...] der .Glaube des Herzens' unter Mitwirkung des .Heiligen Geistes' geweckt [wird], wovon in der humanistischen Rhetorik nichts verlautet" (ebd.: 55). Unter kommunikationsanalytischem Aspekt ist diese Trennung irrelevant, denn sie ist rein propositional begründet. Das deutet sich bereits in der dialektischen Rhetorik Piatons an; bei der Reflexion über die Bedingungen, unter denen die Seele durch den lögos zum Wahren angeleitet werden kann, muß sich Piaton auf den Hinweis beschränken, die legitimierte Wirkung der Rede sei abhängig vom kairös, dem rechten Zeitpunkt und dem rechten Ort. Folgerichtig bleibt er die Antwort auf die Frage schuldig, wie man diesen Vorläufer des aptum-Begriffs erkennen kann, vgl. Hellwig (1973: 231). Nicht zuletzt deshalb haben auch die Konversationsmaximen, die H. P. Grice (1989b) formuliert hat, allen voran die der Relation, auf eine ganze Forschergeneration von Pragmalinguisten und Sprachphilosophen eine so auffällige Faszination ausgeübt.

42 fehlender situativ-thematischer Kohärenz sogar kontraproduktive Effekte hervorrufen kann. 46 Paradoxerweise wird diese Entwicklung gerade in der Barockepoche

nachhaltig

vorangetrieben, und das, obwohl die zahlreichen normativen Poetiken wiederholt auf die Wirkungsintention rhetorischen Sprechens hinweisen. Bei genauerer Überprüfimg fallt hier jedoch auf, daß gerade den devianten Stilmitteln eine v. a. emotiv verstandene Effektivität attestiert wird (vgl. Blume 2 1980: 721). Das hat wiederum zur Folge, daß der .neutrale' Stil faktisch aus der rhetorischen Barockpraxis verdrängt wird. Hierin dürfte i. ü. der Hauptgrund dafür bestehen, daß die Zirkularität persuasiven Sprechens kaum bewußt wird: den .Verdacht', persuasive Ziele zu verfolgen, kann man leicht entkräften, indem man v. a. sprachliche Mittel anwendet, die stilistisch betrachtet .Sachlichkeit', ,Dialektizität' statt Rhetorizität zu indizieren scheinen - ein Umstand, den sich v. a. die Aufklärungsrhetorik zunutze gemacht hat (vgl. Niefanger 1997: 89), indem sie in kritischer Abgrenzung zum Sprachgebrauch

des

Barock

den

neutralen

Stil

als

probates

persuasives

Mittel

wiederentdeckt, wenn auch nicht identifiziert hat. Die barocke .Ästhetisierung der Rhetorik' bezweckt weniger die Konvergenz

in stritti-

gen Fragen als vielmehr die stilistische Überwältigung. Genau diese Sichtweise hat wesentliche Impulse zur Ausbildung einer eigenständigen Literatursprache, zur sich emanzipierenden Poesie geliefert, wie sie sich etwa bei Opitz (1970: 17) andeutet: „Dienet also dieses alles zue vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute; welches der Poeterey vornemster zweck ist." 47 Der konsequente Rückbezug der Stilelemente gipfelt damit in der .manieristischen' Spielart des Barock (vgl. Zymner 1995), in der der elaborierte Stil seine kommunikative Relevanz einbüßt und zum Schwulst gerät. 48 46

47

48

Diesen Aspekt hat besonders Quintilian (inst. orat. XI, I, 2) klar herausgestellt: „Nam cum sit ornatus orationis varius et multiplex conveniatque alius alii, nisi fuerit accomodatis rebus atque personis, non modo illustrabit eam, sed etiam destruet et vim rerum in contrarium vertet." Vgl. auch Sornig (1982: 250), Göttert (21994: 49). Gerade in der Sprache der Politik muß laut J. Klein (1995: 63) hinreichend „zwischen rhetorisch-stilistischer Kompetenz und rhetorisch-persuasiver Potenz" unterschieden werden. Ähnliche Überlegungen finden sich bei Kaehlbrandt (1989: 165). L. Fischer (1968: 223) hat nachgezeichnet, wie der herkömmliche a/rtum-Begriff im Barock allmählich umgedeutet wird; nicht die antike Forderung, ein Ausdruck habe der natürlichen Weltordnung zu entsprechen, steht im Vordergrund, sondern der unter der Bezeichnung Zierlichkeit propagierte „Gedanke der Klangentsprechung". Damit rückt die Sprache selbst in den Mittelpunkt des Interesses, die in ihrer Bindung „an das .Empfinden', an das ,Erlebnishafte' des einzelnen Menschen" (ebd.: 266) verstanden wird und die Autonomie der Stilmittel argumentativ stützt. Möglicherweise liegt diese Grundidee auch dem von Hocke (1959: 147) unterbreiteten Differenzierungsvorschlag in ,anti-rhetorischen' Manierismus und ,propagandistisch-rhetorischen' Barock zugrunde. Dieser Vorstoß ist wiederholt kritisiert worden (vgl. zuletzt Ueding/ Steinbrink 31994: 97), und zwar v. a. von Ansätzen, die primär an dem Aufweis der geistesgeschichtlichen Kontinuität des Lehrgebäudes ,Rhetorik' interessiert sind. Eine typische, unter pragmalinguistischen Gesichtspunkten zu differenzierende Auffassung vertritt beispielsweise Barner

43 Wie unzureichend es ist, dem Barockzeitalter generell ein rhetorisch-persuasives Verständnis zu attestieren, läßt sich m. E. gut an einem der wenigen Vertreter erfolgsorientierter Kommunikation demonstrieren, der sich durchaus von den übrigen Theoretikern seiner Zeit abgrenzte. Die Rede ist von Christian Weise, dessen Ausfuhrungen sich teilweise als entschiedener Gegenentwurf zu der Stilfixiertheit der humanistischen Rhetorik-Rezeption lesen. Weises Verdienst besteht darin, daß er die Tugend der Angemessenheit wieder konsequent auf den Überredungs-/Überzeugungsprozeß im sprachlichen Handeln bezog. In der antiken Vorstellung wies die apiwwi-Kategorie zwei letztlich zusammengehörige Aspekte auf, und zwar einerseits die Angemessenheit der sachlichen Gedankenfuhrung, andererseits ihre persuasive Vermittlung. Demzufolge hatte der Redner den strittigen Sachverhalt zu durchdenken und dann dem Rezipientenkreis entsprechend die von ihm favorisierte Sichtweise zu propagieren. Daß hier tendenzielle Differenzierungsmöglichkeiten bestanden, zeigt v. a. die Charakterisierung des iudicium bzw. consilium/dei prudentia (vgl. Quintilian, inst. orat. VI, V, 3-5, 11; Cicero, or. XXI, 70), wobei gerade die letztere Fähigkeit infolge ihrer situativen Gebundenheit von Fall zu Fall variiert (vgl. Quintilian, inst. orat. II, XIII, 2). Nicht zuletzt unter dem Einfluß der Dialektik tendierte die Rhetorik-Tradition dazu, den apit/w-Gedanken v. a. auf die -

korrekte -

Herleitung wahrheitsfähiger Aussagen

einzuschränken, die Anforderung an den Redner, zu einem iudicium

zu gelangen,

hervorzuheben. Weise hingegen, der mit seinen Schriften v. a. das pädagogische Ziel verfolgte, den Leser in der möglichst erfolgreichen Lebensführung innerhalb der barocken Ständegesellschaft zu unterweisen, fordert aus utilitaristischen Erwägungen die lange vernachlässigte pragmatische Komponente des aptum ein.49 Es darff bey den Worten nicht nur ein Judicium internum seyn/daß man die Sache kennt/die unter dem Worte sol bezeichnet werden; sondern das Judicium externum [nach der eben dargestellten Interpretation ist damit das antike consiliuml die prudentia gemeint, N. O.] muß auch dazu kommen/ was durch die bißherige Gewohnheit in dem Verstände verändert oder eingefuhret worden: das heisst/wenn man bedencket: wer redet? zu wem er redet! warum er redet! mit was vor einem Affect er redet? der wird die Worte nicht nach dem Ursprunge/oder nach der Grammati-

49

(1970: 75), dem zufolge die Zweckgebundenheit als „fundamentale sprachliche Kraft, die Poesie und Beredsamkeit verbindet", die Barockepoche kennzeichnet. Daß aber dieses Konzept der ästhetisierten Persuasion, fraglos durch das Barockideal des poeta doctus und durch die absolutistische Staatsform mit ihrer Förderung eines rein epideiktischen Rhetorikverständnisses begünstigt (vgl. v. Polenz 1994: 306), schließlich einen unreflektierten Gebrauch des gehobenen Stils femab praxisbezogener kommunikativer Erwägungen geradezu vorprogrammiert, so daß die Ästhetik als Selbstzweck eben nicht mehr konkreten persuasiven Zielen dient, wird nicht klar genug herausgearbeitet. In eine ähnliche Richtung ging auch Scaligers Rhetorikkonzeption, auf die beispielsweise Meyfart (1977: 60) mit einer bemerkenswert differenzierten Haltung gegenüber dem Postulat des .zierlich Redens' rekurriert.

44 ca/somdern nach der Gewohnheit/und der Politica judiciren lernen, (zitiert nach L. Fischer 1968: 248) In der neueren Rhetorik-Theorie ist diesem Begriffsgebrauch — und der eigentümlichen Bereitwilligkeit zu fortgesetzter terminologischer Ausdifferenzierung — entsprechend von dem inneren und dem äußeren aptum die Rede (vgl. Ueding/Steinbrink 31994: 218-219). 50 Damit hat Weise — entgegen seiner Programmatik — faktisch die noch striktere theoretische Trennung des Sach- und des Wirkungsaspekts begünstigt, denn seine Ausfuhrungen lassen vermuten, daß er mit der Benennung des „Judicium externum" (äußeren aptum) gerade einer Vernachlässigung des persuasiven Zweckmoments entgegentreten wollte. Die primär dem kommunikativen Erfolg verpflichtete Sprachauffassung Weises erklärt zudem seinen Status als ,,[e]influßreichster Kritiker des überladenen Stils" (v. Polenz 1994: 310) in der Barockzeit. Es wäre verfehlt, ihn als Verfechter des attizistischen Stilideals einzuordnen, denn genau diese abstrakte Debatte, die die Sprachgestalt in den Vordergrund stellt, widerspricht seiner Orientierung an der sprachlichen Zweckgebundenheit: Ja ich begehre auch nicht/daß man dergleichen Reden allezeit mit einem prächtigen Stylo abfassen soll; Denn zu Hofe und im gemeinen Leben/und sonst werden die meisten Persvasiones gar sittsam und gleichsam unter denen Conversations-Comp\\mscAen beygebracht. (Weise 1974: 891; Hervorhebungen im Original) Weises ,persuasives' Rhetorikverständnis hat sich indes im weiteren Verlauf der Theoriegeschichte nicht durchsetzen können; das ,gute Reden' wird zunehmend einseitig als das ,schöne Reden' begriffen, so daß die an die epideiktische Gattung anknüpfende FESTREDE zum „eigentlichen Paradigma" der rhetorischen Praxis erhoben wurde (vgl. Ueding/Steinbrink 3 1994: 126).

2.3

Zusammenfassung

Auf dem Weg zu einer linguistisch tragfähigen Arbeitsdefinition des begrifflichen Konzepts ,Persuasion' erschien es ratsam, den geistesgeschichtlichen Kanon zu berücksichtigen. Angesichts der engen Verbindung mit der Rhetorik, in der Persuasion den integralen Wirkungsfaktor und damit die funktionale Bestimmung rhetorischen Handelns repräsentiert, wurde eine Auswahl derjenigen Aussagen getroffen, die bei der Entwicklung einer kommunikationstheoretischen Position forderlich sind. Dazu zählt v. a. die aristotelische 50

Vgl. Asmuth (1992: Sp. 602): „Unterscheidende Äußerungen (inneres - äußeres aptum) täuschen eine antike Unterscheidung vor, weil eigentlich nur zusammengefaßt werden kann, was vorher getrennt war. Aus der Antike ist eine solche Unterscheidung aber nicht bekannt."

45 Trias der Einflußgrößen lögos, ethos und päthos, die unter den Vorzeichen des hier verfolgten Erkenntnisinteresses partiell neubestimmt wurden. Diese Neubestimmung ist deshalb notwendig, weil herkömmliche Adaptionen der antiken Rhetorik-Tradition eine bemerkenswerte Übereinstimmung in ihrem Bemühen aufweisen, den persuasiven Handlungsaspekt rhetorischen Sprechens in die Peripherie ihres Erkenntnisinteresses zu verbannen. Das hat m. E. zwei Gründe, die sich auf ideale Postulate zurückführen lassen: (1) Das Ethik-Postulat: Seit der sokratisch-platonischen Kritik an sophistischen Positionen, die die — stets als erfolgreich präsupponierte — Persuasion, die Erzeugung von Konvergenz, dezidiert in den Mittelpunkt ihres Sprachverständnisses stellen, ist man sich der Möglichkeit des Mißbrauchs der Rhetorik nachhaltig bewußt. Der Zweck des rhetorischen Sprachgebrauchs besteht unabhängig davon, ob die getätigten Aussagen der Wahrheit entsprechen (d. h. dialektisch gültig sind) oder nicht. Der die Persuasion kennzeichnende Wertbezug kann, muß aber nicht auf Einsicht beruhen; darin besteht das ethische Dilemma, die Ambivalenz der Persuasion. Fehlt die Einsicht, handelt es sich nicht um eine techne, sondern um eine negativ bewertete ,Schmeichelkunst', die das Unwissen der Zuhörer ausbeutet. (2) Das Systematizitätspostulat: Da aber das Nichtwissen des Publikums die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg der Schmeichelkunst darstellt, kann der sophistische Redner selbst nicht genauer sein Vorgehen reflektieren, sondern allenfalls rein empirische Mutmaßungen über nicht auf Einsicht beruhende sprachliche Kniffe anstellen. Damit erklärt sich auch das die Rhetorikgeschichte prägende Bemühen um eine möglichst systematische, einsichtige Erfassung der Wirkungskomponenten. Wiederum stellt die Persuasion hier einen Risikofaktor dar; es ist zwar nicht ihre ethische Ambivalenz, wohl aber ihre Abhängigkeit von komplexen sprachlichen Handlungszusammenhängen, die einer übersichtlichen Katalogisierung im Wege steht. Folglich wendet man sich direkt den sprachlichen Einheiten zu, deren Einbindung in Kommunikationssituationen zugunsten einer stilorientierten deskriptiven Erfassung möglichst devianter Phänomene aufgegeben wird. Der persuasive Handlungsaspekt spielt nur noch als Redetugend der Angemessenheit eine Rolle. Im Zuge der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Wissenssysteme weist man das grundlegende Bemühen um der Einsicht zugängliche Kriterien, die den Wahrheitswert einer Aussage bestimmen helfen, nicht dem ethisch bemühten Redner zu, sondern der Dialektik als Unterrichtsfach. Damit wird die in der Antike eher latent wahrnehmbare Tendenz der stilistischen Rückbezüglichkeit der Rhetorik deutlich akzentuiert. Im Lauf des 18. Jahrhunderts ist diese Trennung dann endgültig vollzogen: Auf der einen Seite betont die Aufklärung die menschliche Vernunft als Chance auf Einsicht, auf der anderen Seite trägt die stilistische Autonomievorstellung nachhaltig dazu bei, ein eigenständiges Literatursystem (vgl. Schmidt 1989) auszubilden, das keinerlei Anspruch auf Faktizität erhebt. Ironischer-

46 weise sind es dann auch gerade die Fragen einer originären Sprachgestaltung, die eine Abkehr von der traditionellen Schulrhetorik initiieren. Die bislang gewonnenen Erkenntnisse sollen im dritten Kapitel nun pragmalinguistisch vertieft und akzentuiert werden.

3.

Pragmalinguistische Aspekte persuasiven sprachlichen Handelns

3.1

Zur Problematik der Dichotomie von Überzeugen und Überreden

Die bisherigen Ausfuhrungen dürften mithin verdeutlicht haben, daß es eine außerordentlich problematische Angelegenheit ist, Aussagen über ,die' Rhetorik zu treffen. Um wenigstens die Chance auf einen einigermaßen reflektierten Begriffsgebrauch zu wahren, ist es unabdingbar, die Funktion der Persuasion als sprachliche Operation zur Herstellung von Akzeptanz in den Vordergrund zu stellen. Die Ambivalenz der Rhetorik beruht auf dem ethischen Dilemma persuasiven Handelns. Es besteht darin, daß offensichtlich bestimmte sprachliche Handlungen, die man als ,persuasiv' etikettiert, als .statthaft', ,legitim' o. ä. gelten, während andere wiederum, die ebenfalls extensional als Teilklasse persuasiven Sprechens bestimmt werden, diese Attribute gerade nicht aufweisen. Dies hat zur Folge, daß der Begriff ,Persuasion' den Kriterien einer möglichst umfassenden Beschreibung eines Konvergenz bezweckenden Kommunikationsversuchs nicht genügt; dem Problem kommunikationsethischer Legitimität verhält er sich indifferent gegenüber. Im Folgenden soll dargelegt werden, worauf sich diese unlösbare Ambivalenz gründet, ohne der schier endlosen Reihe kurzschlüssiger Lösungsversuche eine weitere Version hinzuzufügen. Geradezu prototypisch für die Schwierigkeiten einer konsistenten Einordnung der Persuasion ist die im deutschen Sprachraum geläufige Differenzierung der beiden Lexeme überreden und überzeugen. Prinzipiell basieren die Konzeptionsvorschläge persuasiven sprachlichen Handelns auf ebendiesem Begriffspaar, was sich bereits daran ersehen läßt, daß das lateinische Wort persuadere durch beide Ausdrücke ins Deutsche übersetzt werden kann. Um die Persuasion angemessen beschreiben zu können, ist es erforderlich, die semantische Relation der Wörter zu untersuchen. Der genuin pragmalinguistische Ansatz kann sich hier nicht damit begnügen, die begriffliche Unterscheidung einfach zugrunde zu legen, sondern beide Termini selbst wieder als objekt-, nicht aber metasprachliches Material zu nutzen. Auf diese Weise wahrt er seine sprachwissenschaftliche Erkenntnischance. Und so gilt: anders, als es das intuitive Alltagswissen voraussetzt, nämlich, daß ein Unterschied zwischen dem Überreden und dem Überzeugen vorliegt, muß eine linguistische Betrachtung genau diesen common sense näher explizieren. Bislang haben auch sprachwissenschaftliche Arbeiten zur Persuasion in dieser Beziehung nur unzureichende Reflexions-

48 arbeit geleistet. Der herkömmliche Zugriff geht meist von der Fragestellung aus: Inwiefern ist Persuasion überredend/überzeugend? Lassen sich Kriterien erarbeiten, persuasive Äußerungen hinreichend als ,überredend' oder .überzeugend' zu klassifizieren? Die Antwort auf solche Fragestellungen wirkt sich zwangsläufig auf die terminologische Konzeption aus. Sämtliche Versuche, die Persuasion einzuschätzen, erfolgen stets, so unterschiedlich die konkreten Vorschläge auch ausgeprägt sein mögen, in direkter Relation zum Begriff der ,Argumentation' (vgl. Hoffmann 1996: 296). Allerdings ist unklar, inwiefern Persuasion einen expliziten Oppositionsbegriff zur Argumentation darstellt oder eine partielle semantische Übereinstimmung besteht, in bestimmten Fällen vielleicht gar Persuasion auf argumentativem Weg zustande kommt bzw. umgekehrt die Argumentationsvm'se persuasiv ist usw. Solange hier eine gebrauchstheoretische Reflexion ausbleibt, ist man sich bei der Beschreibung sprachlicher Handlungsweisen der „Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat" (Wittgenstein PU: § 119) besonders schmerzlich bewußt. Derartige konzeptionelle Schwierigkeiten kann man eindringlich an den Ausfuhrungen von Herbig (1992: 97) demonstrieren, der die Verwicklungen und die Ratlosigkeit des Sprachwissenschaftlers auf den Punkt bringt: Durch ARGUMENTIEREN kann man [...] nicht Überreden [sie!]. Das Stützen von in Frage stehenden Geltungsansprüchen ist in seiner Grundstruktur ein rational-reflexives Verfahren, das nicht überredend sein kann. [Hervorhebung im Original, N. O.]

D. h.: die Unterscheidung von Überreden und Überzeugen scheint direkt mit derjenigen von Persuasion und Argumentation zu korrelieren. Doch unmittelbar darauf relativiert Herbig diese Dichotomie: Daß ARGUMENTIEREN bzw. seine Untertypen BEGRÜNDEN und RECHTFERTIGEN auf Überzeugung abzielen und grundsätzlich die Möglichkeit der Reflexion beeinhalten [sie!] [...], bedeutet jedoch nicht, daß nicht auch mit persuasiven Mitteln gearbeitet werden kann. [Ebd.] [kursive Hervorhebung von mir, N. O.]

Den „Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes" (Wittgenstein PU: § 109) kann man nur dann aufnehmen, wenn man die Sprachkritik der Persuasion nicht mittels der Ausdrücke überreden und überzeugen, sondern an den beiden Wörtern praktiziert. Eine derartige Sichtweise kann die Ambivalenz persuasiver Kommunikation zwar nicht lösen; sie kann aber einen Fortschritt bei der Erklärung erzielen, wie diese Ambivalenz zustande kommt. Deshalb scheint mir ein meta-metasprachliches Vorgehen eine viable Alternative darzustellen, die ein allzu ungestümes Vorgehen, das die Differenzierung in überredendes und überzeugendes sprachliches Handeln lösen will, selbst wieder zum Gegenstand der Kritik macht. Dafür bietet sich ein Perspektivenwechsel an, der nicht auf die Beantwortung

49 von WAS-, sondern von WlE-Fragen abzielt (vgl. S. J. Schmidt 1994: 5).1 Es geht dann nicht darum, zu entscheiden, was eine sprachliche Äußerung als überredend oder überzeugend klassifiziert, es geht vielmehr um denjenigen, der die Klassifikation vornimmt: den Beobachter der sprachlichen Kommunikation, der bei ihrer Beschreibung mit diesem Begriffspaar operiert - etwa ein Alltagssprecher, ein Sprachphilosoph oder ein Linguistischer Pragmatiker. Kommunikative sprachliche Handlungen sind, so lautet die hier vertretene These, nicht in einem sprachmetaphysischen Sinn ,überredend' oder .überzeugend'; sie werden es erst durch die kognitive Operation dessen, der sie beobachtet. Dementsprechend lohnt es sich, nicht am sprachlichen Beobachtungsmaterial anzusetzen, sondern den Akt der Auseinandersetzung mit diesem Material selbst zu thematisieren, kurz: den Beobachter zu beobachten (vgl. Luhmann 1990a: 68-121). Die Fragestellung lautet dann: Was meint jemand, der die Wörter überreden bzw. überzeugen gebraucht? Wo siedelt er die Kriterien an, anhand deren er die Unterscheidung trifft? Das ist ein sprachkritisches Programm im Sinne Wittgensteins. Ausgehend von einem kurzen Blick auf die Wortgeschichte soll das Problem nun näher charakterisiert werden.

3.1.1 Überblick über die Wortgeschichte Die Wortgeschichte der beiden Ausdrücke überreden und überzeugen reicht bis in die mittelhochdeutsche Sprachstufe zurück. Seit dem 13. Jahrhundert ist das Wort überziugen, etymologisch mit dem ahd. Ausdruck ziogun ,zustande bringen' verbunden, in der schriftlichen Tradition belegt. Es diente zur Referenz auf eine sprachliche Handlung vor Gericht, mit der man durch das Hinzuziehen von Beweismitteln, also Indizien oder Zeugen (vgl. Paul 91992: 1075) die Anerkennung einer Tatsache durchsetzte, eine Person in rechtlichen Entscheidungszusammenhängen überführte (vgl. Grimm/Grimm 1936: 674-675; Kluge 23 1995: 845; Paul 91992: 928).2 Insofern scheinen sich die mhd. Gebrauchsbedingungen von überziugen analog zu denen des lateinischen Wortes convincere gerichtlich überführen, widerlegen' bestimmen zu lassen. Die gegenwärtige lexemische Differenzierung ist keine Eigenheit der deutschen Sprache, sondern eben auch im Lateinischen vorgeprägt. Überreden ist seit dem 12. Jahrhundert schriftlich bezeugt. Die damaligen semantischen Verhältnisse unterschieden sich allerdings nicht so deutlich von den heutigen, wie das beim 1

2

Zur korrelierenden Differenzierung ontologischer und epistemischer Fragestellungen vgl. Jensen (1999: 61). Vgl. die von Ryle (1969: 27-35) begründete Unterscheidung von Knowing How und Knowing That. Exakt dieses Beibringen von Beweismitteln schließt Aristoteles (Rhet. I, II, 2) übrigens als atechnische, da keine Beredsamkeit erfordernde Größe explizit aus seiner Auffassung der gerichtlichen Rhetorik aus.

50 überziugen/überzeugen

der Fall ist. Überreden verweist auf eine kommunikative Praxis,

die von vornherein nicht auf den Gerichtsbereich beschränkt gewesen ist, sondern viel umfassender den Akt der Überwindung einer gegnerischen Position, einer widerstreitenden Meinimg, einer Handlungsverweigerung mit den Mitteln der Sprache betrifft. Darin könnte auch unter sprachhistorischen Gesichtspunkten eine Erklärung liegen, weswegen die lateinische Wortfamilie persuadere v. a. mit überreden wiedergegeben wurde (vgl. Knape/Sieber 1998: 72). Die überreden/überzeugen-Probhmatik

konnte erst virulent werden, seitdem

man mit beiden Ausdrücken auf denselben sprachlichen Handlungstyp verweisen kann, die Gebrauchsbedingungen von überzeugen

nicht mehr auf gerichtliche Beweiszusammen-

hänge beschränkt sind.3 Zieht man die dominierenden Bedeutungsangaben der Lexeme in den Wörterbüchern zur Gegenwartssprache zu Rate, so läßt sich konstatieren, daß beide Ausdrücke zwar einerseits formal-,denotativ' eng zusammenhängen, andererseits aber materiell-,konnotativ' differenziert werden. Zum einen handelt es sich in beiden Fällen um im weitesten Sinn kausative Verben, die jeweils auf eine sprachliche Handlung und ihre Konsequenzen verweisen. Darüber hinaus implizieren beide Ausdrücke eine anfangliche, wenn auch nicht notwendigerweise offene Divergenz von Ansichten, bei der es dem Handlungsträger schließlich gelingt, seine Auffassung als die gültige durchzusetzen, indem er auf die Zustimmung der überzeugten bzw. überredeten Person trifft. Die Tabelle auf der folgenden Seite gibt einen knappen Überblick über die Repräsentation der Lexeme in gegenwartssprachlichen Wörterbüchern.

3

Wenn man Lexer (381992: 238) Glauben schenken darf, scheint im Mhd. allerdings auch überreden als Bezeichnung für dieselbe sprachliche Handlung wie überziugen gebraucht worden zu sein. Bedauerlicherweise geht aus der Literatur nicht hervor, ob beide Ausdrücke in dieser Lesart in einem quasi-synonymischen Verhältnis zueinander standen, oder ob der Umstand, daß überziugen erst ein Jahrhundert später verzeichnet wurde, damit zusammenhängt, daß es den zuvor auch dem überreden zugewiesenen lexikalischen Aufgabenbereich der gerichtlichen Beweisführung übernommen hat.

51

Überzeugen

Überreden

Quelle: Paul (®1992)

,die Einwirkung, die durch

jd. zu einem Entschluß bewe-

Beweise auf den Glauben der

gen' (924)

als Objekt gesetzten Person hervorgebracht wird' (928) Brockhaus-Wahrig (1984)

,mit Hilfe von Beweisen, Ar-

jd. durch geschickte Worte zu

gumenten bewirken, daß jemand etwas veranlassen/jdm. so lange

Klappenbach/Steinitz (1976)

an die Richtigkeit einer Mei-

zureden, bis er etwas tut'

nung/Ansicht glaubt' (355)

(345-346)

jemanden durch Argumente

jd. durch Zureden zu etwas

dahin bringen, daß er etwas als

veranlassen' (3847)

richtig, notwendig anerkennt' (3860) DUDEN ( 2 1995)

j d . durch einleuchtende Grün-

,durch eindringliches (Zu-)

de, Beweise dazu bringen,

Reden dazu bringen, daß jd.

etwas als wahr, richtig, notwen-

etwas tut, was er ursprünglich

dig anzuerkennen' (3511)

nicht wollte' (3500)

Abb. 3: Die Lemmata überzeugen und überreden

3.1.2 Dichtomisierungsstrategien der beiden Lexeme Da das Deutsche die beiden unterschiedlichen Lexeme bereitstellt und, gesetzt den Fall, man könne von einem Ökonomieprinzip innerhalb des Sprachgebrauchs ausgehen, keine völlig deckungsgleiche Synonymie zweier Ausdrücke zuläßt, stellt sich die Frage, wie sie sich für die Zwecke dieser Studie am sinnvollsten abgrenzen lassen. Insbesondere ist dabei von Interesse, ob eine fundierte handlungstheoretische Unterscheidung erzielt werden kann. Daraufhin sollen nun drei Möglichkeiten der terminologischen Differenzierung überprüft und diskutiert werden. 3.1.2.1

Dichotomie (1): Das Rationalitätskriterium

3.1.2.1.1 Die Leitunterscheidung .Rational - Nicht-rational' Die wahrscheinlich meistverbreitete begriffliche Unterscheidung beider Ausdrücke betont das Kriterium der argumentativen Qualität. Demgemäß referiert man mit überzeugen auf

52 einen sprachlichen Effekt, der unter akzeptablen argumentationstheoretischen Vorzeichen zustande gekommen ist, während dies bei überreden nicht der Fall ist. In mehr oder weniger rigider Form etabliert der Gebrauch dieser Dichotomie ein konträres logisches Begriffsverhältnis: (1) Alexander hat Hans überredet, ihm die Arbeit zu schreiben; überzeugt hat er ihn aber nicht. (2) Klaus hat Günter nicht einfach überredet, nach Bern zu fahren. Er hat ihn schon richtig überzeugt. Ein derartiger Wortgebrauch signalisiert, daß die von Spl vorgebrachten Gründe in einem Fall ,gut', d. h. einem rationalen Prüfungsverfahren zugänglich sind und als stichhaltig gelten können, im anderen Fall dagegen .schlecht': die erwähnte Wirkung bei Sp2 beruht nicht auf rationalen Erwägungen, Sp2 ist nicht vernunftgemäß vorgegangen, eine intensivere Auseinandersetzung hätte demzufolge andere Konsequenzen nach sich gezogen. 4 Nim verdankt eine solche Dichotomisierung ihre Klarheit und Entschiedenheit bedauerlicherweise einem rein formalen Prinzip, das für die Charakterisierung konkreter kommunikativer Situationen im Einzelfall wenig leistet. Wenn Spl beispielsweise Sp2 gegenüber äußert (3) An deiner Stelle würde ich Dieter nicht meine Doktorarbeit zum Korrekturlesen geben. Der ist viel zu ungefällig. und Sp2 daraufhin entsprechend handelt, liegt die Entscheidung darüber, ob Spl Sp2 nun überredet oder überzeugt hat, bei einer beobachtenden Instanz, und zwar dem Sprecher, der 4

Die Differenzierung anhand des Rationalitätskriteriums beruht in dieser Form auf der Epoche der Aufklärung, in der die antike Unterscheidung anhand der Kriterien ,wahr'/,falsch' eine partielle Neudefinition erfuhr, indem sie nun direkt auf das mündige Individuum als transzendentales Ich projiziert wurde; demgemäß wird die ursprüngliche Frage, ob persuasive Äußerungen der Wahrheit entsprechen, in diejenige reformuliert, ob sie sich an die Vernunft des Menschen wenden oder ihn in seiner — selbstverschuldeten — Unmündigkeit belassen. Nur so kann die Prüfung der Rationalität oder Nicht-Rationalität (zu verschiedenen Möglichkeiten der begrifflichen Oppositionsbildung zu Rationalität vgl. Baier 1995: 36) zum entscheidenden Differenzkriterium avancieren. Die Liste der Äußerungen gerade in der Aufklärungszeit, die einen derartigen Befund erbringen, ist lang. Nur stellvertretend seien hier angeführt: „Ein Redner thut zu wenig, wenn er nur überredet: er muß auch überzeugen. [...] Die Überredung bringt einen ungewissen und unbeständigen Beyfall zuwege: die Überzeugung aber einen gewissen und beständigen. [...] Denn die Überzeugung gibt dem Verstände eine weit grössere Erkenntniß, und dem Willen eine weit stärckere Bewegung, als die Überredung." (Hallbauer 1974: 204-205 Fn.l) Laut Kants (1993/1: 740) einflußreicher Definition ist das Überreden „ein bloßer Schein", und die Unterscheidung in „Überzeugung oder bloße Überredung" (ebd.) läßt in der pejorativen Ausrichtung keinen Zweifel offen, wie die Sympathien verteilt sind. In dieser Epoche ist allenfalls umstritten, wie rigoros diese Differenz für die Zwecke konkreten aufklärerischen Vorgehens, der Hilfe zur Mündigkeit, anwendbar ist, d. h. ob man sich der überredenden persuasio zu bedienen hat, um die überzeugende convictio beim noch unmündigen Publikum herbeiführen zu können, vgl. dazu am Beispiel von Rüdiger, Fabricius und Gottsched die Darstellung von Petrus (1994).

53 das betreffende Sprechaktverb gebraucht. So könnte etwa Sp3, jemand, der Dieter besser kennt als Spl, die prädizierten Eigenschaft als überzogene Verallgemeinerung eines Einzelfalls einschätzen oder vielleicht Rechtfertigungen finden wie (4) Das kann sich nur auf Alexanders Arbeit beziehen. Die wimmelte nur so von Fehlern, und da hat Dieter sie ihm einfach zurückgegeben.

Unter diesen Voraussetzungen wird er die eingetretene Wirkung bei Sp2 eher als Ergebnis eines Überredungs-, nicht aber eines Überzeugungsprozesses einordnen. Wiederum müssen aber die Gründe, die Sp3 zu dieser Einschätzung gelangen lassen, noch lange nicht von einem Sp4 akzeptiert werden. Dieser kann ohne weiteres die Überzeugung von Sp2 teilen, die Ausführungen von Spl überzeugend finden. Auch Sp2 kann - allerdings mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung - als eine solche beobachtende Instanz fungieren. Womöglich ändert er später seine Meinung: (5) Hätte ich doch bloß Dieter meine Arbeit korrigieren lassen. Aber nein - ich mußte j a unbedingt auf Spl hören. Der hat mich überredet, es nicht zu tun.

Die Unwägbarkeiten bei der Rekrutierung geeigneten Korrekturpersonals sollen hier nicht weiter diskutiert werden. Entscheidend ist vielmehr, daß einem kompetenten Sprecher des Deutschen offenbar eine intuitive Selektionsbeschränkung bezüglich des Wortgebrauchs unterstellt werden kann. Problematisch daran ist jedoch, daß eine konkrete Zuordnung sprachlichen persuasiven Handelns zu dem jeweiligen Lexem von Fall zu Fall mißlingen kann; was dem einen Sprecher als Operation des Überzeugens erscheint, tut der andere als irrationales Überreden ab. Festzuhalten bleibt: Die beiden Sprechaktverben referieren resultativ auf das Ergebnis einer sprachlichen Handlung bzw. einer Handlungssequenz. Insofern bezeichnen sie in der sprechakttheoretischen Terminologie einen perlokutionären Effekt, der überdies nach dem Rationalitätskriterium einmal positiv, einmal negativ BE5 WERTET wird. Dem Beobachter, der notwendigerweise aus einer gewissen zeitlichen Distanz auf den perlokutionären Effekt als Resultat referiert, kann also unter argumentationstheoretischen Vorzeichen die präsentierten Gründe im ersten Fall nachvollziehen, im zweiten dagegen nicht. Läßt sich aus dieser argumentationstheoretischen Kategorie nun eine handlungstheoretisch stringente Binnendifferenzierung der persuasiven Kommunikation ableiten? Sind das Überreden und das Überzeugen zwei unterschiedliche Typen persuasiven Handelns? Diese Meinung ist v. a. in der Frühphase der Linguistischen Pragmatik, den 1970er Jahren, wiederholt vertreten worden und läßt sich m. E. fachhistorisch mit dem wachsenden Interesse an den gesellschaftlichen Implikationen der Sprachverwendung erklären. Einen 5

Vgl. grundsätzlich z. B. Lausberg ( 4 1971: § 43 2. b), Burgoon/Bettinghaus (1980: 143-144) sowie Lakoff/Johnson (1980: 17), die kurz und bündig feststellen: „RATIONAL IS UP, EMOTIONALIS DOWN [...]."

54 besonders großen Einfluß hat hier Jürgen Habermas ausgeübt, der sehr früh die Anregungen der Sprechakttheorie für sein ideologiekritisches Programm aufgenommen und so die Pragmatische Wende wesentlich beschleunigt hat. Aufschlußreich ist dabei, daß der Sozialphilosoph Habermas zum einen nur sehr spärlich konkrete Kommunikationsereignisse diskutiert, zum anderen seine semantischen Explikationsversuche unter linguistischem Aspekt unzulänglich bleiben: Es gehört allgemein zur Bedeutung des Ausdrucks ,überzeugen', daß ein Subjekt aus guten Gründen eine Meinung faßt. Deshalb ist der Satz (1) * Ich habe H schließlich durch eine Lüge davon überzeugt, daß p paradox; er kann im Sinne von (2) Ich habe H schließlich mit Hilfe einer Lüge überredet, zu glauben (habe ihn glauben machen), daß p korrigiert werden. (Habermas 1983: 100) Ganz so simpel und eindeutig liegen die sprachlichen Verhältnisse nun keineswegs; erstens kann man durchaus davon sprechen, jemanden mittels einer Lüge von etwas überzeugt zu haben, und zwar dann, wenn man auf das Wort Überzeugung

in einer psychologischen

Weise referiert. In diesem Fall beruht dann die feste Einstellung auf - gelinde gesagt anfechtbaren - Prämissen. Zweitens, und dieser Einwand ist hier relevanter, erscheint es sehr fraglich, ob ein kompetenter Sprecher des Deutschen tatsächlich ein Syntagma wie mit Hilfe einer Lüge überreden,

zu glauben

gebraucht. Mit einem derartig semantischen

Kurzschluß kann Habermas die Indifferenz der Persuasion gegenüber Wahrheits- und Aufrichtigkeitsbedingungen nicht handstreichartig lösen. Das Überreden setzt nicht a priori lügnerisches Handeln voraus. Nicht umsonst scheint man auch sprachhistorisch gesehen die Formel persuasio

dolosa ,(arg)listige Überredung' (Heyse

21

1978: 644) gerade nicht als

Tautologie verstanden zu haben; wenn Überredung tatsächlich das Lügen so zwingend voraussetzte, wie Habermas nahelegt, dann wäre der attributive Zusatz schlicht redundant. Drittens räumt Habermas mit dieser Bestimmung indirekt ein, daß die Entscheidung darüber, ob ein vorgebrachtes Argument nun als .rational' gelten kann oder nicht, ob ein Sprecher als - im diskursethischen Sinn -.kommunikativ' Handelnder erscheint oder nicht, grundsätzlich beim Gesprächspartner liegt: Er ist es, der dem Gesagten und damit automatisch dem Sprecher Glaubwürdigkeit zu attestieren hat. Wenn etwa Spl Sp2 empfiehlt (6) Saucen bindet noch immer Produkt XY am besten. Die Rezeptur garantiert eine besonders feine Konsistenz., macht es sehr wohl einen Unterschied, ob Spl ein langjähriger Bekannter und womöglich professioneller Koch ist, der in einem Privatgespräch mit einer solchen Empfehlung aufwartet, oder ein - vielleicht gar fiktiver - von der Werbewirtschaft verpflichteter opinion leader oder ein berufsmäßiger Verkäufer. Es zeigt sich demnach, daß die rein formale Trennung beider Kategorien ihre Entschiedenheit mit einer auffälligen Unsicherheit bei der

55 Übertragung auf konkrete, ,materiale' Kommunikationsereignisse erkauft, die sich zwischen interagierenden Sprechern abspielen. Ein besonders nachdrückliches Beispiel liefert hier Geißner (1977): Wichtig ist, daß beim ,Überzeugen' die Urteilsfähigkeit des Hörers die entscheidende Instanz — auch des logischen Schließens - bleibt, während beim .Überreden' diese Fähigkeit außer Kraft gesetzt, gleichsam ein Kurzschluß herbeigeführt wird. (Ebd.: 235)

Bei der Diskussion, inwiefern diese Sichtweise auch auf die Alltagskommunikation übertragen werden kann, wird der Überschwang schon um einiges gedämpft: [...] [E]ine Theorie der Rhetorik, die [...] die tatsächlichen Formen des Gesprächs und der Rede zugrundelegt, kann den Unterschied von .überzeugen' und .überreden' so wenig eindeutig bestimmen wie den von .Persuasion' und .Information'. Vielmehr ist in jeder Sprechhandlung erneut zu bestimmen, welche Merkmale prägend sind; wie bei jedem Kommunikationsprozeß ist die Entscheidung [...] in Abhängigkeit von der konkreten Sprechsituation im gesellschaftlichen Kontext [zu fällen], (Ebd.: 237)

Die Unsicherheit bei der konkreten Entscheidung, ob eine persuasive Sprechhandlung nun legitim oder illegitim ist - sie beruht m. E. auf einer verfehlten Rezeption der Diskursethik, wie in Kapitel 7 noch ausfuhrlich zu diskutieren sein wird - , legt folgende Haltung nahe: Gleichgültig, ob man den Aussagen von Spl nun zustimmen mag oder nicht, ob man die Gründe, aus denen Sp2 zu etwas bewegt wird, billigen mag oder nicht - es ist eine wesentlich sinnvollere (.rationalere') Strategie, das Erkenntnisinteresse nicht auf den Nachweis, im Recht zu sein, zu beschränken. D. h.: Man sollte es sich [...] zu einem methodologischen Prinzip machen, zuerst immer nach einer Erklärung zu suchen, der zufolge das betreffende Verhalten so vernünftig wie nur möglich erscheint. In der Praxis bedeutet das: Man sollte zuerst schon einiges an Zeit und Phantasie investieren, bevor man sich wirklich dazu entschließt, ein bestimmtes Verhaltensmuster für irrational zu erklären. (F0llesdal et al. (1986: 184-185)

M. a. W.: Man sollte das von pragmalinguistischer Seite häufig vernachlässigte Principle of Charity (vgl. Davidson 1984: 196-197) berücksichtigen, um den Reflexionsgehalt der eigenen Beobachtung zu steigern. 3.1.2.1.2 Die Leitunterscheidung ,Rational - Emotional' Die vielfältigen Implikationen des Vernunftbegriffs zeigen sich nicht zuletzt auch darin, daß bei der Oppositionsbildung unterschiedliche Akzente gesetzt werden können. So kann man den Mangel an Rationalität zum einen als mangelhafte intellektuelle Auseinandersetzung mit den dargebotenen Gründen bestimmen, zum anderen eine speziellere Dichotomie zugrunde legen, die mit der Leitunterscheidung von Vernunft und Gefühl operiert. In dieser Lesart spezifiziert dann Emotionalität irrationales Verhalten, indem sie als den kognitiven

56 Fähigkeiten des Menschen entgegengesetzt charakterisiert wird, als rein instinktgebundene, geschickt ausnutzbare Verhaltensdisposition, deren Intensität zunimmt, je weiter die Reflexion in den Hintergrund tritt.6 Angenommen, Spl bittet Sp2 darum, ihm sein Auto zu überlassen: (7) Sp2: Du, tut mir leid, aber ich brauche es am Wochenende selbst. Ich habe Günter versprochen, mit ihm ins Stadion zu fahren. Spl: Ins Stadion? Wohin? Sp2: Nach Dortmund. Spl: Ich dachte, du interessierst dich nicht für Zweitliga-Fußball. Sp2: Naja, das könnte ja mal eine interessante Abwechslung sein. Spl: Aber da kannst du doch besser mit dem Zug fahren. Sp2: Ach, das ist immer so ein riesiger Aufwand. Und dann all die Betrunkenen im Zug. Spl: Die triffst du dann ja sowieso im Stadion. Sp2: Ich fahre nun aber gern mit dem Auto. Da bin ich unabhängiger. Wirklich, es geht am Samstag beim besten Willen nicht. Spl: Schon gut. Ich dachte nur, Freunde wären füreinander da. Sp2: Na, wenn es so wichtig für dich ist...

Einen sachlichen Grund gibt es nach diesem Verständnis für Sp2 nicht, der Bitte von Spl zu entsprechen. Erst der Rekurs auf den emotiv besetzten Freundschaftsbegriff bewegt ihn dazu. Ohne von den ins Feld geführten Gründen überzeugt zu sein, entschließt sich Spl — hier sogar bewußt — dazu, Sp2 zuzustimmen. Nun hilft aber auch diese Akzentuierung nicht weiter, zu einer praktikablen handlungstheoretischen Unterscheidung von überreden und überzeugen zu gelangen. Zunächst ist das Konzept ,Emotionalität' viel zu unspezifisch, um als tragfahiges Analyseinstrument zu dienen. Worauf soll sich der Begriff beziehen? Auf die — intrapsychische — Reaktion des der Persuasion ausgesetzten Sprechers — die neurobiologisch noch nicht klar lokalisiert worden ist, geschweige denn für kommunikative Zusammenhänge ein explanatives Potential aufweist —? Auf die Sprache selbst, d. h. zerfällt menschliche Sprache in zwei modulare Bereiche, und zwar sachliche und emotionale, informative und evaluative? Je strikter das Emotionale als reiner Störfaktor einer vernünftigen Daseinsform abqualifiziert wird, desto nachhaltiger sieht man sich wiederum dem Vorwurf einer verengten Sichtweise ausgesetzt, die die konstruktiven Elemente der Emotionalität reduktionistisch leugnet. Damit sind Paradoxien vorprogrammiert, die den herkömmlichen oppositionellen Begriffsrahmen sprengen. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert Blaise Pascals (1991: 416) Bemühen, die Termini convaincre und persuader einerseits zu unterschieden, andererseits aber doch in einer integrativen Sicht wechselseitig zu bestimmen. In noch deutli-

6

Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts mit totalitären Regimen haben die Sensibilität für die Problematik von Emotionalität noch einmal gesteigert, aber der Dualismus von ratio und emotio ist ein Grundzug der abendländischen Geistesgeschichte.

57 cherer Form sind die Kritikpunkte in der (Meta-)Aufklärung vorgebracht worden: Breitinger (1966: 469) fuhrt an, daß die Vernunft selbst mit ihren heilsamen Erinnerungen weit dahinten stehen muß, wenn sie die Affecte nicht ihren Absichten gemäß einnehmen kan.

In den letzten Jahren hat es an Ansätzen ganz heterogener fachlicher Provenienz nicht gefehlt, die herkömmliche Wertdichotomie abzuschwächen und einmal mehr ein skalares Verständnis von Emotionalität und Rationalität zu etablieren. Im Bereich der Psychiatrie operiert man z. B. mit dem auf den ersten Blick paradoxen Begriff der ,Affektlogik' (Ciompi 3 1986), man stellt die Interdependenzen von Denken und emotionalen Prozessen nachdrücklich heraus (vgl. Dörner 1983: 33; Heller 1979: 172; Fleck 1980: 67). Von linguistischer Seite hat besonders Fiehler (1990) den wichtigen funktionalen Beitrag von Emotionalität für die Kommunikation betont. Seit kurzem sieht sich der Leser einem wahren Boom von Büchertiteln wie emotionale Intelligenz, Logik des Gefühls u. ä. ausgesetzt. Liegt hier aber tatsächlich der Ansatz „zur Überwindung falscher Alternativen" (MeierSeethaler 1997: 244)? Handelt es sich nicht eher um eine — partielle — Neubewertung der Differenzeinheiten, ohne daß die kategorialen Gleichordnung beider Konzepte noch grundlegender hinterfragt wird?7 Im allgemeinen stellt man einen mehr oder weniger engen Zusammenhang zwischen der emotiven und evaluativen Komponente her (vgl. Zillig 1982a: 108; Marten-Cleef 1991: 89). 8 Es besteht weitgehend Konsens darüber, daß Emotionen in einem psychologischen Verhältnis zu sozialen Wertorientierungen stehen. So ist es eine ironische Begleiterscheinung des persuasiven Zirkels, daß gerade der Begriff der Rationalität als wertungsfreier Widerpart zu den irritierenden emotionalen Wertbezügen selbst wieder einen Wert repräsentiert: Unvoreingenommenheit, Sachlichkeit, die frei von affektiven Wertungen ist, ist ein Wert. Das Konzept der Rationalität weist auch hier ein unverkennbar hohes ,konnotatives' Potential auf, das in persuasiven Zusammenhängen bereitwillig funktionalisiert wird. (8) Wir wollen doch sachlich bleiben. (9) Frauen argumentieren emotionaler.

Gerade der politische Diskurs als Paradebeispiel einer streng polarisierten Kommunikationssituation belegt dies ganz deutlich: Hier ist es eine Routineformel und Pflichtübung, 7

8

Als solche ist m. E. auch die forschungsgeschichtlich einflußreiche Auffassung von Dockhorn (1968: 49) einzuschätzen: ,,[...][F]ür die Rhetorik steht das Irrationale nicht als Problem neben anderen Problemen, sondern ist ihr bewegendes Prinzip." Zur Kritik an der Verbindung von Wertungen und Emotionalität vgl. Hannappel/Melenk ( 2 1990: 162), die allerdings einen sehr engen individualpsychologischen Emotionsbegriff zugrunde legen. Vgl. demgegenüber Fiehler (1990: 76-93), der Emotionen hinsichtlich ihrer Regulierung im sozialen Kontext situiert.

58 dem politischen Gegner unlautere persuasive Absichten zu unterstellen, etwa durch den Vorwurf, er rede nicht ,zur Sache', um gerade durch diesen Äußerungsvollzug die eigenen persuasiven Intentionen zu realisieren. Auch und gerade die noch so entschiedene Einforderung von Rationalität bleibt in diesem Zirkel befangen. Als Sprecher ist der Mensch trivialerweise (?) auf Sprache angewiesen. Eine pragmalinguistische Untersuchung der Persuasion kann mit solchen Klassifizierungen wie .rationale' oder .emotionale' Sprache nur einen sehr eingeschränkten Nutzen verbinden. Sie richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Bedingungen, unter denen Äußerungen überhaupt einem persuasiven Kalkül dienen können. So bemerkenswert auch die Einsichten sind, die Stevenson ( u 1 9 6 7 : 210) bezüglich des wertenden Charakters der Persuasion gewonnen hat, so problematisch ist bereits der Begriffsgebrauch persuasive

definition, der ein

schon lexikographisches, um Fixierung und Abstraktion aus dem Kontext bemühtes Grundverständnis von Sprechen als Sprache fördert9 Ein hinreichend unbefangener Kommunikationstheoretiker ist dann ohne weiteres in der Lage, eine Äußerung wie (10) Er ist ein Katholik als sachliche' Informationsvermittlung zu klassifizieren - auch wenn die Äußerung unter ganz bestimmten situativen Bedingungen (z. B. in gewissen Gebieten Belfasts) getätigt wurde. Unter den passenden Bedingungen kann also jedwede Äußerung ein persuasives Potential entfalten. Diese Beobachtung hat für die vorliegende Studie folgende terminologische Konsequenzen: .Rationalität' und ,Emotionalität' werden ausschließlich als Charakterisierungshilfe verschiedener Stilarten des Sprechens aufgefaßt. Demgemäß zeichnet sich sprachliche .Emotionalität' in persuasiven Zusammenhängen durch den intensiven Einsatz rhetorischer Figuren aus. Je deutlicher die Deviation ausgeprägt ist, desto .emotionaler' ist die Sprache. Umgekehrt weist der weitgehende Verzicht auf solche stilistischen Mittel auf einen neutralen, sachlichen', d. h. nationalen' Stil hin. Für den persuasiven Kalkül-Typ ist diese stilistische Unterscheidung von Oberflächen-Tokens im Prinzip zweitrangig. Der Einsatz rationalen bzw. emotionalen Stils erfolgt jeweils in Abhängigkeit von der Situationsdefinition, die der Sprecher vornimmt, und den Erfolgserwartungen, die er mit Stil9

Im deutschen Sprachraum hat v. a. Badura (21973: 55) diesen Terminus hoffähig gemacht. Dabei sollte man aber bedenken, daß das von Stevenson als persuasive definition bezeichnete Konzept in seinen Grundzügen z. B. bereits von Schopenhauer (1977: 82-86) entwickelt wurde: „Fast immer theilen sich in die Sphäre eines Begriffs mehrere andere, deren jede einen Theil des Gebiets des ersteren auf dem ihrigen enthält, selbst aber auch noch mehr außerdem umfaßt: von diesen letzteren Begriffssphären läßt man aber nur die eine beleuchtet werden, unter welche man den ersten Begriff subsumieren will, während man die übrigen unbeachtet liegen läßt, oder verdeckt hält. Auf diesem Kunstgriff beruhen eigentlich alle Ueberredungskünste, alle feineren Sophismen [...]." (Ebd.: 83) Die Funktion der .semantischen Aushandlung' wird in dem Exkurs über Konnotationen näher erörtert werden.

59 Token x oder y verbindet. Eine Stilebene ist nicht per se persuasiv; ein bestimmter Stil realisiert die Persuasion.10 Die Kumulation von Konnotationen, von Interjektionen, Metaphern, dem gesamten Arsenal der katalogisierten Sprachmittel steigert demnach nicht den persuasiven Gehalt. Anders gesagt: Der Sprachstil weist ein strategisches Potential auf, mit dem die Persuasion wiederum als strategisches Potential realisiert wird. Die topische Qualität der vorgebrachten Argumente (vgl. Kienpointner 1992) ist von dieser Unterscheidung nicht betroffen. So kann man beispielsweise den Appell, die Umwelt zu schützen, in unterschiedlichen stilistischen Stärkegraden formulieren: (11) Im Interesse nachfolgender Generationen sind die naturgegebenen Ressourcen maßvoll zu verwalten. (12) Setzt nicht die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel!

Von den beiden in Fiehler (1993: 151) präsentierten Möglichkeiten, das Verhältnis von Emotionalität und Argumentation zu bestimmen — und zwar zum einen: Emotionalität als Argumentationsstil; zum anderen: Emotionalität statt Argumentation — erscheint mir allein die erste Lesart geeignet, eine sinnvolle pragmalinguistische Analysestrategie entwickeln zu helfen. Fazit: Aus den angesprochenen Gründen ist die alltagssprachlich fundierte Dichotomisierung von überreden und überzeugen nach dem Rationalitätskriterium für die Zwecke dieser Studie wenig brauchbar. Mit dieser Konzeption ist es m. E. unmöglich, Persuasion handlungstheoretisch stringent zu subklassifizieren. Die Unterscheidung erlaubt allein, Orientierungspunkte zu finden, anhand deren sich persuasives Handeln bewerten läßt - was nur allzu häufig selbst zu einer strittigen Angelegenheit werden und umfangreiche Klärungsdiskurse initiieren kann, die - allen noch so gut gemeinten Bemühungen der Kritischen Theorie um einen emphatischen Verständigungsbegriff zum Trotz - keineswegs zwangsläufig zu einem Konsens fuhren. Es gilt nun, nach angemesseneren Differenzierungskriterien beider Lexeme Ausschau zu halten. 3.1.2.2 Dichotomie (2): Das Zeitkriterium Ein zweiter Vorschlag, die Lexeme überreden und überzeugen zu differenzieren, verzichtet auf den entschiedenen Rekurs auf die Leitunterscheidung .rational - nicht-rational'. Er stammt aus der Empirischen Kommunikations-/Persuasionsforschung, die schon angesichts 10

Wesentliche Impulse für eine derartige Konzeptualisierung im linguistischen Bereich hat Bally ( 3 1951: § 165) gegeben. Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung kann .Emotionalität' allein hinsichtlich ihrer kommunikativen Funktionalität im sozialen Verbund beschreiben und demgemäß als reines Oberflächenphänomen auffassen; nur so macht es überhaupt Sinn, beispielsweise die modular verstandenen Konzepte .Grammatik' und .Emotion' aufeinander zu beziehen, wie es Fries (1996: 57-58) unternimmt. Zum Zusammenhang von .Stil' und .Persuasion' vgl. etwa Sandell (1977).

60 ihres spezifischen Erkenntnisinteresses, der Analyse von Kommunikationswirkungen, namentlich im massenmedialen Diskurs, nach besser operationalisierbaren Ordnungskategorien sucht, als sie die argumentationstheoretisch-philosophische formale Richtung bietet.11 Stärker als diese akzentuiert sie die gegebene Kommunikationssituation. Hier faßt sie weniger den Prozeßcharakter der persuasiven kommunikativen Handlung ins Auge - und ist damit ausschließlich auf Spl fixiert - , sondern stellt das Ergebnis, die eingetretene Wirkung bei Sp2 in den Vordergrund. Die resultierenden Verschiebungen im Untersuchungsdesign machen grob gesagt den Zeitfaktor zum Unterscheidungskriterium. Als Leitdifferenz fungiert hier die Codierung nach .langfristigen' und .kurzfristigen' Effekten der Persuasion. Unversehens ergeben sich dadurch kommunikationspsychologische Fragestellungen; so assoziiert man gemeinhin langfristige, dauerhafte Einflüsse auf den Rezipienten einer persuasiven Äußerung mit einem Einwirken auf seine .Einstellungen' (attitudes), worunter man ein relativ stabiles Bündel von wertbasierten (values), das Glauben/Wissen betreffenden Orientierungsmustern (beliefs) versteht (vgl. Rokeach 5 1975: 159-160). 1 2 Diese Einstellungen werden in einen - keineswegs eindeutig geklärten (vgl. Reardon 1991: 33) Zusammenhang mit dem konkreten Verhalten (behaviour)

des Rezipienten gesetzt. 13 Län-

gerfristige persuasive Effekte bestehen also darin, daß Spl derartige Einstellungen von Sp2 modifiziert, der darauf sein Verhalten mehr oder weniger konsistent seinen veränderten Haltungen anpaßt. Er vertritt m. a. W. durch die Persuasion geänderte Uberzeugungen.

Das

Überzeugen appelliert nach diesem Verständnis an durch Einstellungen fundierte Verhaltensweisen. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa das BEKEHRUNGSGESPRÄCH (vgl. Kohl 1986). Man kann getrost annehmen, daß Menschen ihre religiösen Überzeugungen normalerweise nicht monatlich wechseln. Die Einübung in eine (andere) Religion bedient sich so betrachtet eines persuasiven Überzeugungsprozesses. Demgegenüber zielen kurzfristige persuasive Wirkungen nicht auf die Einstellungen und mentalen Haltungen des Sp2 ab. Sie sind durch das Moment der Singularität bestimmt. Eine Person kann demzufolge ein bestimmtes Verhalten als Folge persuasiver Kommunika11

12

13

Vgl. Schenk (1987: 58): „Studien, die die Effekte .rationaler' und .emotionaler' Appelle vergleichen, lassen zur Zeit keine Schlußfolgerungen darüber zu, welcher der beiden Appelle wirksamer ist." Einen Überblick über den aktuellen Stand der Persuasionsforschung gibt Nicki (1998). Neuere Ansätze wie z. B. Fazio/Roskos-Ewoldsen (1994) oder Petty et al. (1994) nehmen das atti'fKife-Konzept zum Ausgangspunkt für weitere Unterscheidungen, die den kognitiven Aufwand bei der Bildung von Einstellungen hinterfragen - ohne freilich daraus automatisch eine emphatische Trennung .rationaler' und .emotionaler' Effekte abzuleiten. So lassen sich auch die Ausfuhrungen in Sandell (1977: 70-71) verstehen. Dieses Verhalten hat die Forschung traditionell als Ergebnis von bewußt herbeigeführten Wandlungsprozessen interpretiert, die ebendiese Einstellungen bzw. ihre verbalen Korrelate, die geäußerten Meinungen (opinions) (vgl. Rokeach 31975: 125) betreffen. Daraus erklärt sich i. ü. auch die instruktive Verbindung des Persuasions- mit dem Propagandakonzept, die den Anfang der Forschungsgeschichte geprägt hat.

61 tion zeigen, ohne daß es in irgendeinem Zusammenhang zu ihren grundlegenden Überzeugungen stehen muß — wobei freilich offenbleibt, ob sie nun ihren basalen beliefs zuwiderhandelt oder diese überhaupt keine Rolle spielen. Dafür nutzt man in der Empirischen Kommunikationsforschung das Lexem überreden: [...] Überredung [muß] nur so lange vorhalten [...], bis der Akt, den die Überredung auslösen soll, erfolgt ist. (Merten 1999: 261)

Überzeugen ist in dieser Interpretation also eher linear-prozeßorientiert, während Überreden punktuell an einem Ereignis ausgerichtet ist. Aus pragmalinguistischer Seite weisen die von Eyer (1987) angestellten Überlegungen in eine ähnliche Richtung; was die empirische Forschung als längerfristige Einstellungen kategorial zu bestimmen sucht, identifiziert Eyers Definitionsvorschlag des Ausdrucks überzeugen als Verhalten gemäß der „Geltung einer Norm" (ebd.: 116 Fn. 37).14 Das Überreden dagegen besteht in der „Suspendierung des normalen Bedingungszusammenhanges" (ebd.: 120). Folgendes Beispiel illustriert die Unterschiede recht eingängig: [...] Wenn [...] S H davon überzeugt, daß man anderer Leute Apfelbäume besser in Ruhe läßt, hat H eine neue Verhaltensmaxime erworben, zu deren Gunsten er eine alte aufgeben mußte. Er kann dann nicht mehr, ohne inkonsistent zu sein, behaupten, daß man Äpfel stehlen darf, oder dies tun. Demgegenüber stellt die Suspendierung des Präferenzgefuges durch ÜBERREDEN nur eine sehr ephemere Veränderung dar: Wenn H dazur [sie!] ÜBERREDET wird, O ZU TUN, dann braucht er keine seiner vorher bestehenden Verhaltensmaxime [sie!] aufzugeben, er braucht sie nur für einen lohnenden Moment zu vergessen. (Ebd.)

Dieser zweite Ansatz, das Überreden vom Überzeugen zu unterscheiden, erscheint mir unter einem handlungstheoretischen Blickwinkel um einiges praktikabler als die bewertende Dichotomie (1). Gleichwohl bleiben auch hier Fragen offen: Anhand welcher Kriterien kann der Handlungsanalytiker im Einzelfall entscheiden, ob eine persuasive Äußerung nun dauerhaft die Einstellungen von Sp2 affiziert und ihm eine neue Verhaltensmaxime verschafft oder rein singulär-punktuell ein ganz bestimmtes Verhalten hervorruft? Auf obiges Beispiel bezogen heißt das: Wie kann der Beobachter begründet festlegen, ob ,H' die kommunikativen Bemühungen von ,S' nicht dazu nutzt, es sich zur Gewohnheit zu machen, Apfelbäume zu erklettern, d. h. die Entscheidung für dieses Vorgehen zu einem stabilen Bestandteil seiner Überzeugungen macht? In letzter Konsequenz wird dem Kommunikationstheoretiker ein Maß an psychologischer Introspektion in Sp2 abverlangt, dessen Umsetzungsaussichten völlig illusionär bleiben müssen. Die Einschätzung einer Entscheidung als (in)konsistent zu den übrigen Verhaltensmaximen, d. h. Überzeugungen bleibt dem jeweils 14

Das Rationalitätskriterium spielt hier ausdrücklich keine Rolle. Eyer (1987: 119) zufolge „kann man sich ein ganzes Spektrum von [...] Rationalitätsgraden denken. D. h. Irrationalität ist keine Eigenschaft aller perlokutiven Akte des Typs ÜBB [ÜBERREDEN, N.O.]: Einige sind rational, andere sind es nicht."

62 betroffenen Subjekt vorbehalten - vorausgesetzt, das Bewußtsein könnte sich überhaupt mit der nötigen - und hier schlicht präsupponierten - Transparenz objektivieren. Auch Dichotomie (2) scheitert so an den Unwägbarkeiten der Beobachtung von Kommunikation. Dennoch weisen die Kriterien der Prozeß- bzw. der Ergebnisorientierung schon in die richtige handlungstheoretische Richtung. Eine konsequente Rückbindung an syntagmatische Selektionsbedingungen im allgemeinen Sprachgebrauch kann hier für die erforderliche Klarheit sorgen. Dies soll Gegenstand der dritten Dichotomisierungsstrategie beider Lexeme sein.

3.1.2.3 Dichotomie (3): Das Ergebnis-/Folgekriterium Die dritte Unterscheidung greift den Ausgangsgedanken der Prozeß- bzw. Ereignisorientierung persuasiven Sprechens auf, ohne dabei allerdings in kommunikationspsychologische Schwierigkeiten zu geraten. Der laut Merten (1999: 261) im ,Hier und Jetzt' situierte Erfolg des Überredens unterscheidet sich vom Überzeugen nämlich nicht notwendigerweise darin, wie weit sich der persuasive Effekt zeitlich erstreckt. Hier handelt es sich m. E. eher um eine Begleiterscheinimg einer grundlegenderen Differenz, die die semantische Unterscheidung nachhaltig begünstigt hat. Das soll kurz an einer Analyse der syntagmatischen Gebrauchsmöglichkeiten des Deutschen demonstriert werden. (13) (14) (15) (16)

A A A A

hat B hat B hat B hat B

überredet, zu x-en. überzeugt, daß p (der Fall ist). zum X-en überredet. von p überzeugt.

Der Befund läßt folgende Schlußfolgerungen zu: (1) Mit überreden referiert der Beobachter einer persuasiven Kommunikation auf sprachliche Bemühungen von Spl, die die Ausübung einer bestimmten manifesten Handlung (X-en) durch Sp2 bezwecken. A überredet B, zu x-en setzt u. a. voraus, daß B ein potentieller Handlungsträger ist. Propositional gesehen besteht damit das Thema einer Überredungskommunikation in einer konkreten Handlung; Überreden zielt auf die Initiation von Handlungsbereitschaft ab. (2) Mit überzeugen referiert der Beobachter auf persuasive Bemühungen, die die Manifestierung einer bestimmten Haltung, nicht aber einer Handlung anstreben.15 Konventionel15

Dieser Unterschied zwischen Überreden und Überzeugen ist in früheren Untersuchungen allenfalls beiläufig zur Kenntnis genommen worden, ohne eine eingehendere Analyse initiiert zu haben. So nutzt Kopperschmidt (1977: 221) die ja recht eingängige terminologische Differenzierung von „Handlungsbereitschaft" (Überreden) und „Zustimmungsbereitschaft" (Überzeugen) nicht konsequent für pragmalinguistische Fragestellungen, sondern verbleibt im herkömmlichen argumentationstheoretischen Paradigma. Ähnliches gilt für Perelman/Olbrechts-Tyteca ( 4 1983: 35): „Pour qui se préoccupe du résultat, persuader est plus que convaincre, la conviction n'étant que le

63 lerweise indiziert Sp2 diese Haltung durch KONSENS. Thematisch steht die Bereitschaft zur Disposition, eine Proposition (p) als geltend

anzuerkennen.

(3) So einfach liegen die Verhältnisse indes nicht; akzeptiert man das principle of charity, sollte man bei jedem Sp2 ein grundsätzlich rationales Kalkül als Basiskonstante des Handelns unterstellen. 16 Prinzipiell muß jede auf einem mehr oder weniger elaborierten Entscheidungsprozeß beruhende Handlung rein formal betrachtet rationalisierbar sein. 17 Ein Sprecher wird sich erst dann zu einer Handlung überreden lassen, wenn er - zumindest im Entscheidungsmoment - überzeugt ist, daß sie sinnvoll ist, daß der Unterschied zwischen X-en und Nicht-X-en für ihn einen Unterschied macht. D. h.: ( 17) A überredet B, zu x-en setzt voraus (18) A überzeugt B davon, daß p, wobei die Proposition p eine von Sp2 als relevant erachtete Handlungsbegründung für das X-en darstellt. 18 Ob ein Beobachter der Kommunikation die Auffassung von Sp2 teilt, daß

16

17

18

premier stade qui mène à l'action. [...] Par contre, pour qui est préoccupé du caractère rationnel de l'adhésion, convaincre est plus que persuader." Die kommunikationstheoretische Folgerung, daß das Überreden also in einem anderen Diskursbereich situiert ist als das Überzeugen, ziehen sie allerdings nicht. Die von Coulmas (1977: 174) ins Feld geführte Unterscheidung, der zufolge das Überzeugen eine epistemische Einstellung, das Überreden eine Handlung bezweckt, wird genauso wenig ausgeführt und problematisiert. Auch Beckmann (1993: 577 Fn. 2) begibt sich der Möglichkeit, den Befund, daß „man jmd. von einem Sachverhalt überzeugt, aber zu einer Handlung überredet", die Verben „also auf Verschiedenes [referieren]", zum Ausgangspunkt einer angemessenen kommunikationsanalytischen Betrachtungsweise zu machen. Das heißt freilich nicht, daß man als Beobachter selbst in gleicher Form die Bereitschaft, bestimmte Propositionen als gültig anzuerkennen, teilen muß. Es sollte demnach gerade für den kritischen Beobachter das principle of charity bei der Betrachtung konkreter Kommunikationsverläufe gelten, weil es eine vergleichsweise gute Gewähr gegen unreflektierten Dogmatismus bietet. Hier offenbart sich besonders nachdrücklich die Problematik des Ausdrucks Überzeugung, dessen Verwendungsweisen zwischen dem argumentationstheoretisch-formalen und dem psychologischmateriellen Aspekt oszillieren. Ich ziehe den Ausdruck Handlungsbegründung aus zwei Erwägungen dem Wort Handlungsgrund vor: (1) kann eine hinreichend rigide argumentationstheoretische Auslegung gemäß ihrer wertenden Leitdifferenz von .Rational - Nicht-Rational' manchen vorgebrachten Begründungen den Überzeugungsgehalt absprechen: Daß sonnengebräunte Menschen in der Werbung an Deck einer Yacht gutgelaunt Zigaretten konsumieren, ist kein Handlungsgrund dafür, sich das Rauchen anzugewöhnen. Unter dieser Perspektive gelten nur akzeptable Begründungen als Handlungsgründe. (2) referiert das Wort Handlungsbegründung deutlicher auf die kommunikative Handlung, die Geltung einer Proposition durch den Rekurs auf eine weitere Aussage zu stützen. Die manchmal unternommene terminologische Differenzierung von Handlungsgrund - gleichgültig, ob es sich um Real- oder Beweggründe handelt (vgl. auch Schmidhauser 1995: 120) - und Handlungszweck (vgl. Schwitalla 1976: 24-27; Völzing 1979: 15) spielt für die Belange dieser Studie keine Rolle.

64 die Handlung angesichts der von Spl vorgebrachten HANDLUNGSBEGRÜNDUNG sinnvoll ist, ist eine völlig andere Fragestellung. Der Umkehrschluß, daß das Überzeugen das Überreden ebenfalls voraussetzt und somit beide persuasiven Strategien in einem interdependenten Verhältnis zueinander stehen, ist nicht möglich: (19) A hat B überredet, zu x-en präsupponiert (20) B hat ge-x-t. (21) A hat B überzeugt, daß es sinnvoll ist, zu x-en dagegen nicht; es können vielfältige Umstände eingetreten sein, die B daran hindern, seine Überzeugung in die Tat umzusetzen. Genau hierin liegt der charakteristische Unterschied zwischen den beiden Operationen Überreden und Überzeugen: Das Überreden erfordert gegenüber dem Überzeugen noch eine zusätzliche Bedingung, und zwar den Handlungsvollzug als Folge der persuasiven Kommunikation. Das Überreden ist eine komplexe persuasive Handlung, die folgenorientiert eine andere Handlung evoziert. Durch diese Folgebedingung - dafür bietet sich die Bezeichnung Erfüllungsbedingung

an - transzendiert es das persuasive Sprachspiel. Das

Überzeugen bringt es demgegenüber zum Abschluß. Sobald Sp2 zustimmt, ist die persuasive Erfolgsbedingung

erfüllt - unabhängig von den möglicherweise angestrebten Folgen. 19

Die charakteristische Unterscheidung von Kommunikationsergebnis und Kommunikationsfolge konstituiert m. E. zwei Lesarten des Überzeugens, die sich nach der illokutionären Aktcharakteristik bestimmen lassen, mit denen Sp2 den Überzeugungserfolg, die Konvergenz, indiziert:

19

Dieser tendenzielle Unterschied bleibt m. E. auch dann bestehen, wenn man im alltagssprachlichen Gebrauch verkürzt Proposition p mit dem X-en gleichsetzt. In Aussagen wie ? A hat B überzeugt, zu x-en bzw. A hat B vom X-en überzeugt können u. U. zwar überzeugen und überreden quasi-synonymisch gebraucht werden - und zwar dann, wenn B dann auch wirklich x-t. Bei detaillierter Betrachtung zeigt sich aber, daß auch hier die Trennung zwischen praktischer Handlung und (vorbereitender) kognitiver Handlungseinstellung gilt. So kann B ohne weiteres vom X-en überzeugt sein - insofern, als er die Berechtigung oder den Sinn des X-ens anerkennt ohne seine Überzeugung in die Tat umsetzen zu müssen (vgl. auch Coulmas 1977: 162). D. h.: Eine Aussage wie A hat B überzeugt, das Rauchen aufzugeben bzw. A hat B vom Nikotinverzicht überzeugt ist genau dann quasi-synonymisch mit A hat B überredet, das Rauchen aufzugeben bzw. A hat B zum Nikotinverzicht überredet, wenn B in der Folge nicht mehr raucht. Tritt diese Folgehandlung nicht ein, referiert der Ausdruck überzeugen darauf, daß B von A deutlich auf die Risiken des Nikotinkonsums hingewiesen worden ist, vielleicht einen erfolglosen Versuch unternommen hat, sich das Rauchen abzugewöhnen und fürderhin mit einem schlechten Gewissen raucht.

65 (1) Persuasive Überredungsdialoge sind der Praxisdomäne zugeordnet; sie sind dann erfüllt, wenn Sp2 die zur Disposition stehende Handlung ausführt. Sie haben aber als erfolgreich beendet zu gelten, wenn Sp2 seine Überzeugung gemäß den Bemühungen von Spl äußert, indem er seine Konvergenz mit Spl kundtut. In derartigen praktischen Zusammenhängen ist diese Konvergenz als Ankündigung der Folgehandlung durch Sp2 zu verstehen und sprechakttheoretisch als KOMMISSIV (vgl. Graffe 1990) einzuordnen. Das Überzeugen markiert eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Erfüllung des Überredungsziels und ist, wie oben ausgeführt, als Kommunikationsergebnis vom Überreden zu unterscheiden. (2) Nun bezweckt persuasive Kommunikation aber nicht immer die Initiation einer bestimmten Handlung; es ist schließlich ebenso möglich, daß überhaupt keine Folgehandlung zur Debatte steht. Das ist dann der Fall, wenn es allein um die Geltung/Berechtigung von Ansichten, Haltungen, Meinungen etc. geht. In diesem Fall zeitigt die persuasive Kommunikation keine (konkrete) Folgehandlung und bezweckt damit nicht mehr als ihr Ergebnis: Durch die Konvergenz von Sp2 fallen die Erfolgs- und die Erfüllungsbedingungen zusammen. Da keine Handlung thematisiert ist, ist das Überzeugen gewissermaßen autonom. Es handelt sich um persuasive Überzeugungsdialoge i. e. S. Sp2 markiert die erzielte Konvergenz folgerichtig nicht durch einen handlungsankündigenden KOMMISSIV, sondern durch das ZUSTIMMEN.20

Mittels dieser dritten Dichotomie kann man sinnvoller als in den ersten beiden Fällen persuasive Kommunikation als sprachliches Handeln subkategorisieren: Persuasionstyp 1 zielt als direktive Überredungskommunikation auf die Initiation einer Folgehandlung ab, Persuasionstyp 2 bezweckt als assertive Überzeugungskommunikation nichts Weitergehendes als die Übernahme/Entwicklung einer Ansicht.21 Daraus folgt: wenn Sp2 am Ende eines persuasiven Dialogs eine Äußerung wie (22) Nach all dem, was du sagst, hast du Recht

tätigt, ist dieser Konsensindikator genau dann als ZUSTIMMUNG einzuordnen, wenn keine Handlung auf dem Sprachspiel steht. Zentrierte sich das Gesprächsthema jedoch auf eine solche Handlung, ist dieselbe Äußerung angesichts unterschiedlicher Sequenzbedingungen als KOMMISSIVE Handlungsankündigung zu verstehen.

20

21

In diese Richtung geht auch der von Weigand (1999a: 57) vorgeschlagene Beschreibungsansatz, dem zufolge der eine Persuasionstyp durch die Sprechaktsequenz REPRESENTATIVE - ACCEPTANCE, der zweite durch DIRECTIVE - CONSENT charakterisiert ist. Gäbe es im Deutschen ein einzelnes illokutionäres Sprechaktverb, das einen PERSUASIONSVERSUCH bezeichnete, müßte man in Analogie zu Searle/Vandervekens (1985: 187) Diskussion des Verbs suggest konstatieren, daß es „both a directive and an assertive use" aufweist und „essentially hearer-directed" ist.

66 3.2

Aktuellere linguistische Persuasionskonzepte

So komplex das Konzept .Persuasion' mit seinen vielfaltigen Implikationen ist, so heterogen sind auch die linguistischen Ansätze einer genaueren Begriffsbestimmung. Im Folgenden soll die gegenwärtige Diskussion grob skizziert und hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für die Zwecke der vorliegenden Studie hinterfragt werden. Dabei orientiert sich die Auswahl in erster Linie an dem Ausmaß, in dem die Untersuchungen das Problem der Persuasion zentriert reflektieren. Die mittlerweile unüberschaubare Anzahl von Detailanalysen etwa aus dem Bereich der Propaganda- und Werbesprache, die ihren Untersuchungsgegenstand, konkrete Texte, eher beiläufig mit dem ad-hoc-Etikett ,persuasiv' versehen, kann hier keine Berücksichtigung finden. In den letzten Jahren ist jedoch fraglos wieder ein verstärktes Interesse an dem Persuasionskonzept zu verzeichnen, wovon z. B. die von Moilanen/Tiittula (1994) bzw. von Hoffmann/Keßler (1998) edierten Sammelbände zeugen. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Erkenntnisinteressen und Forschungsstrategien in diesem Bereich kann der folgende Überblick weder einen repräsentativen noch einen integrativen Gehalt beanspruchen. Dennoch sollte die Auseinandersetzung mit der aktuellen Diskussion dabei behilflich sein, eine praktikable Arbeitsdefinition zu entwickeln. Es ist eine gängige Praxis, den Forschungsstand dadurch zu dokumentieren, daß man die herangezogenen Arbeiten für sich der Reihe nach vorstellt, kritisiert und ggf. zueinander in Bezug setzt. Ohne den Analysen ihre Singularität und ihren eigenständigen linguistischen Wert absprechen zu wollen, gehe ich hier nicht nach dem chronologischen, sondern nach dem logischen Prinzip vor, d. h. ausgehend von den relevanten Teilaspekten des Konzepts ,Persuasion' wird der Forschungsstand reflektiert, indem die ausgewählten Analysen sachlich motiviert herangezogen werden. So unterschiedlich die einzelnen Arbeiten auch in Anlage und Methode sind, nehmen sie doch auf gewisse thematische Schwerpunkte Bezug, die allgemein konsentierte Annahmen über Persuasion repräsentieren.

3.2.1 Der persuasive Sprachspielcharakter Persuasion kommt ein wichtiger Stellenwert im soziokulturellen Umfeld zu. Demgemäß wäre es unzureichend, den kommunikativ-sozialen Zusammenhang außer Acht zu lassen, in dem die Persuasion als Sprachspiel einerseits situiert ist, den sie andererseits aber auch mitprägt. Um die eine Lebensform kennzeichnende Orientierungsfunktion innerhalb einer Sprachgemeinschaft erfüllen zu können, muß Persuasion eine charakteristische ,Regelhaftigkeit' aufweisen, die kommunikatives Handeln erst bedingt. Es geht hier um die Voraus-

67 Setzungen dafür, inwiefern es überhaupt möglich ist, daß persuasive Äußerungen getätigt bzw. verstanden werden können. Eine derartig umfassende Perspektivierung ist erst in den letzten Jahren stringenter entwickelt worden. Hier ist v. a. auf das sich in der Entwicklung befindliche Programm einer ,Persuasionsstilistik' zu verweisen, das v. a. von Hoffmann (1995), (1996), (1998) in Anknüpfung an kommunikationsstilistische Fragestellungen in der ehemaligen DDR propagiert wird. Ausgangspunkt dieser Programmatik ist die m. E. zutreffende Beobachtung, daß man den vielfältigen Implikationen des Persuasionsbegriffs nicht mit dem traditionellen .elocutiven' Stilverständnis beikommen kann. In Abgrenzung zur semiotischen Kulturtheorie v. a. Umberto Ecos legt Hoffmann (1995: 220-221) dar, daß die den Zeichentyp Persuasion konstituierenden Grundlagen, insbesondere die persuasive Definition „nichts Zusätzliches, Uneigentliches, Mitgedachtes, sondern [...] konstitutiv für das Eigentliche, Hauptsächliche: die Persuasion" (ebd.: 221) sind. Persuasive Äußerungen sind demzufolge nicht ausschließlich konnotativer Art, die sich vom ,normalen' denotativen Sprachgebrauch durch semantische Aufladung unterscheidet; die Persuasion bildet eine eigene Domäne und weist selbst einen denotativen Charakter auf, und zwar „als unmittelbare Bezugnahmen auf die für die persuasive Definition erforderlichen Grundlagen des Umdeutens und Umwertens [...], d. h. [...] auf Maß-, Wert- und andere Kategorien" (Hoffmann 1996: 305). ,Konnotativ' sind nach diesem Verständnis nicht die persuasiven Äußerungen - die „durch eine einseitig oder anderweitig simplifizierende und/oder emotionalisierende sowie in jedem Falle verabsolutierende Darstellung von Sachverhalten oder Sachverhaltszusammenhängen" (Hoffmann 1995: 221) geprägt sind - , sondern, viel komplexer, „die Summe aller kulturellen Einheiten [...], die eine persuasive Definition von Äußerungen insitutionell begleiten können [...] (ebd.: 223). M. a. W.: Persuasion ist nicht zwangsläufig eine durch den Zuwachs semiotischer Komplexität geprägte Abweichung eines von Ausdrucks- und Inhaltsseite definierten Zeichensystems, worauf v. a. das glossematische Zeichenverständnis mit dem Wortgebrauch Konnotation rekurriert - Persuasion stellt ein eigenes System sui generis dar. Konnotative semiotische Strukturen sind in der persuasiven Sprache demnach im ,lebensweltlichen' Umfeld verankert. Analog zu dem Begriffspaar ,denotativ konnotativ' operiert Hoffmann (1996) mit den Termini .Sprachstil' und ,Denkstil'. Letzterer besteht „in blickpunktgeleiteten Thematisierungsweisen" (ebd.: 300). Ein wesentlicher Kritikpunkt an dieser Auffassung besteht darin, daß der vergleichsweise mühsame und keineswegs an Beispielen belegte terminologische Aufwand das Hauptproblem der aktuellen Stilforschung darstellt. Anstatt nun pragmalinguistische Grundannahmen zu adaptieren, mit denen man den Sprachstil als gestalterische Formulierung einer illokutionären Handlungscharakteristik klar einordnen kann (vgl. Sandig 1986: 59-60), versucht Hoffmann, die von ihm klar erkannten Desiderate des Stil-Begriffs (vgl. Hoffmann 1996: 302; 1998: 66-68) durch das weit impressionistischere Denkstil-Konzept zu

68 unterlaufen. Genauso, wie in der traditionellen Lexikalischen Semantik bzw. der Lexikographie der Konnotationsbegriff die zeichentheoretische Deutung von Sprache ohne Berücksichtigung des Sprachgebrauchs quasi als negative Restkategorie rechtfertigen soll, so scheint hier der Denkstil-Gedanke die Erkenntnismöglichkeiten der Stilistik über Gebühr ausdehnen zu wollen. Was eine dezidierte stilistische Untersuchungsmethode dem ,Denkstil' zuweist, nämlich die Einbettung von Ausdrucksphänomenen in übergreifende kommunikative Zusammenhänge, läßt sich weit konziser mit dem Handlungsbegriff analysieren. Genau darin unterscheiden sich Pragmalinguistik und (Persuasions-)Stilistik.22 Abgesehen von diesen Differenzen belegt jedoch der ,Denkstil'-Begriff die Auffassung, daß Persuasión eine kommunikative soziale Praxis ist. Dieser Gedanke läßt nun weitere Schlußfolgerungen zu: Durch die ,Regelhaftigkeit' des Sprachspiels Persuasión wird die Teilnahme an dem Spiel als ,Handlung' verständlich.

3.2.2 Der persuasive Handlungscharakter Die Pragmatische Wende in der Linguistik fällt im wesentlichen mit der Rezeption/Diskussion der von Austin und Searle entwickelten speech act theory zusammen. Kommunikation als sprachliche Handlung vollzieht sich nach diesem Verständnis durch das Äußern einzelner regelgeleiteter Sprechakte. Bis heute ist der von Kopperschmidt (21976) unterbreitete Vorschlag, Persuasión innerhalb des sprechakttheoretischen Paradigmas zu beschreiben, einflußreich.23 Er beschreibt das Phänomen Persuasión in vager Anlehnung an Searle (1969) als Einzelsprechakt, der seiner Auffassung nach mittels der explizit-performativen Formel „Ich führe (hiermit) Argumente (Gründe) dafür an, daß ..." (Kopperschmidt 21976: 82) darstellbar ist und formuliert sieben .Regeln', die den .Persuasiven Sprechakt' determinieren (ebd.: 84-98). Sie lauten: 22

23

Darauf weist Hoffrnann (1998: 66 Fn. 17) selbst hin. Er widerspricht der von Heinemann/Viehweger (1991: 258) vertretenen Auffassung, der zufolge Stil allein ein sprachlichformulatives Realisierungsinstrument einer Strategie sei: ,,[...][W]as sich in texttheoretischer (textlinguistischer) Hinsicht als nützlich (als eine pragmatische' Festlegung) erweisen mag, muß sich nicht zwangsläufig in stiltheoretischer Hinsicht als akzeptabel herausstellen." Hoffmann bezweckt also die Erweiterung des herkömmlichen stilistischen Untersuchungsgebiets, indem er weiterfuhrende Fragestellungen von einem expansiven Stilbegriff aus betrachtet. Dagegen ist auch grundsätzlich nichts einzuwenden. Die vorliegende Studie betrachtet Persuasión jedoch vorrangig unter dem Handlungsaspekt, so daß eine Ausweitung des Stilverständnisses tatsächlich als wenig .pragmatisch' erscheint. Hoffinann (1988: 322-323) moniert zu Recht, daß die Konzentration auf einzelne Sprechakte die situativen Handlungsbedingungen bei der Wahl eines Stils nicht erfassen kann; daraus folgt aber nicht, daß das Illokutionskonzept nun generell „ungeeignet" (ebd.: 323) ist. Es wäre aber konsequent auf größere Handlungszusammenhänge, ganze Textbzw. Dialogmuster, zu projizieren. Vgl. stellvertretend Geier (1998: 161-162).

69 Regel 1: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn D nicht nur subjektiv willens, sondern auch faktisch in der Lage ist, mit S als gleichberechtigtem Kommunikationspartner zu interagieren. (Ebd.: 87) Regel 2: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn D an einer argumentativ erzielten Verständigung (Konsens) mit S emsthaft interessiert ist. (Ebd.: 89) Regel 3: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn D gegenüber S die Verpflichtung eingeht, die Entscheidung von S in jedem Fall zu respektieren und nicht durch persuasionsfremde Mittel zu beeinflussen. (Ebd.: 91) Regel 4: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn S fähig ist, sich mit den von D vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen und sich gegebenenfalls durch sie überzeugen zu lassen. (Ebd.: 93) Regel 5: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn S bereit ist, sich gegebenenfalls von den Argumenten des Kommunikationspartners überzeugen zu lassen. (Ebd.: 94) Regel 6: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn S sich verpflichtet, gemäß seiner Überzeugung zu handeln. (Ebd.: 95) Regel 7: Der Persuasive Sprechakt gelingt dann und nur dann, wenn die Proposition sich auf Sachverhalte bezieht, deren strittiger Charakter einen Dissens zwischen den Kommunikationspartnern zuläßt. (Ebd.: 98)

Da Kopperschmidts Versuch bereits von Coulmas (1977: 160-164) kritisiert worden ist, beschränke ich mich auf einige ergänzende Anmerkungen. Der Ausdruck Gelingen impliziert eine ganze Reihe von Bedingungen, die später terminologisch differenziert worden sind. Kopperschmidts Begriffsgebrauch verwischt Aspekte des Zustandekommens und des Erfolgs sprachlicher Handlungen. Ein noch gewichtigerer Einwand betrifft die Praxis der Regelformulierung: Durchweg liegt m. E. eine etwas nebulöse Vorstellung von .legitimer Wirksamkeit' zugrunde, mit der Kopperschmidt ethisch ,gute' von .schlechter', d. h. ,manipulativer' persuasiver Kommunikation trennen will. Besonders in den ersten beiden Regeln, in denen ganz unmittelbar subjektive Gemütszustände von Spl eingefordert werden, steht dem analytischen Beobachter kein handhabbares Instrumentarium zur Verfugung. Aber das ist offenkundig auch gar nicht beabsichtigt. Kopperschmidt (21976: 85) fuhrt aus: Wer also einen Sprechakt untersucht, befindet sich in der Lage eines reflektierenden Mitspielers, der sich die internationalisierten Spielregeln dadurch bewußt zu machen versucht, daß er sich besonders an die Situation hält, in denen [sie!] die Spielregeln verletzt und entsprechend eingeklagt werden.

Der Analytiker ist kurzerhand mit den Aufgaben eines Schiedsrichters betraut, der bei Regelverstößen kritisch eingreift; Kopperschmidt folgt hier klar dem diskursethisch-

70 ideologiekritischen Programm von Habermas, der die Sprachspiel-Metapher allein hinsichtlich der Möglichkeiten ihrer normativen Einklagbarkeit versteht. Aus diesem Grund lesen sich die Sprechakt-Regeln Kopperschmidts wie eine Anleitung zum moralisch akzeptablen Argumentieren, aber lassen den Kommunikationstheoretiker ratlos zurück. 24 Er verfugt nicht über die Fähigkeit zur Introspektion in die Sprachspielteilnehmer, kann über ihre Bereitschaft, wahrhaftig zu sein, allenfalls Mutmaßungen anstellen. Darin liegt aber gerade nicht der pragmalinguistische Beitrag zur Klärung menschlicher Kommunikation. Man fahrt m. E. besser, wenn man den Sprachspiel-Gedanken eher deskriptiv als präskriptiv deutet und bei der Reflexion über Sprechaktregeln/-bedingungen normative Urteile aus methodischen Gründen ausschließt. Einen aktuelleren Rückgriff auf die Sprechakttheorie unternimmt Kosta 121-122), der anhand der bewährten Differenzierung von überreden und überzeugen

(1998: zwei

Typen persuasiver Sprechakte unterscheidet. An Searles Einleitungsbedingungen orientiert sich Kostas Auffassung von den „Präsumptionen" (ebd.: 121; Hervorhebung im Original), zu denen „die Identifikation der Handlungsperspektiven und die Angleichung der kommunikativen Biographien der Gesprächspartner" (ebd.) zählen. Dazu gehören „gleiche Vorinformationen hinsichtlich des Weltwissens, des enzyklopädischen Wissens, der Denotatskenntnis im rationalen und emotiven Bereich" (ebd.). Allerdings ist der Bezug auf „gleiche Erwartungen, Befürchtungen, Vorlieben, Abneigungen usw." (ebd.) problematisch: die Formulierung ist so unspezifisch, daß man sie für trivial halten kann; Kosta deutet allerdings an, daß hier skalare Übergänge in dem Identifikationskontinuum anzusetzen sind, die wiederum die Erfolgs-/Erfullungsbedingungen persuasiver Kommunikation modifizieren. Je klarer diese Präsumptionen erfüllt sind, „desto geringer erscheint der verbale bzw. nonverbale Aufwand zu sein, um persuasive Sprechhandlungen glücklich zu beenden" (ebd.). So kann man sich Situationen vorstellen, in denen persuasive Sprechhandlungen nur pro forma unternommen werden - etwa, wenn eine maximale oder minimale Identifikation zwischen den Sprechern besteht. Es macht für Spl nur dann Sinn, jemanden zu überreden oder zu überzeugen, wenn er einerseits kein Einverständnis voraussetzt, andererseits aber die Herstellung von Konvergenz für zumindest möglich hält. Im Anschluß an diese Ausführungen präsentiert Kosta (ebd.: 121-122) seine Adaption der Sprechakttheorie: 24

Vgl. Coulmas (1977: 164): „Die Grammatik des Herbeiführens von Kommunikationszielen ist nicht die Grammatik des ,vernünftigen Redens' [...]." (Hervorhebung im Original, N.O.) Dementsprechend sind die in redlicher linguistischer Absicht erstellten Auflistungen von Normverstößen bzw. Argumentationsgeboten, wie sie z. B. Schwitalla (1976: 32-34) oder Hoppenkamps (1977: 57-59), aktuell Groeben/Christmann (1999) angefertigt haben, bzw. die Verurteilung von „Ausdrucksideologien" (Straßner 1987: 12) hinsichtlich ihres explanativen Gehalts unergiebig. Sie verstellen zudem den Blick dafür, daß „Argumentation, die nicht zum Konsens fuhrt, [...] nicht funktionslos [ist]" (Klein 1999: 4).

71 Wesentliche Bedingung (Handlungsziel): S meint, daß Z; H meint, daß nicht Z (oder Z*) (Dissens) (1) Der persuasive SA besteht darin, daß Sprecher (der Überzeugende) den Hörer (den zu Überzeugenden) von der Wahrheit (Überzeugung) bzw. Richtigkeit (Überredung / Beeinflussung / Verfuhrung) der Argumente (A) überzeugen will. (Herstellung von Konsens) (2) Sprecher will, daß Hörer eine Bestimmte Handlung (P z ) ausfuhrt, nachdem er von ihrer Wahrheit/Richtigkeit (Pz[r/q) überzeugt bzw. überredet wurde (Aufrichtigkeitsbedingung) (3) Der Zeitpunkt der Persuasión (SAP t ) geht dem Zeitpunkt der Handlung (Pzt+i] voraus (Bedingungen des propositionalen Gehalts) (4) Zusatzbedingungen'. (a) Kooperationsprinzip (Konversationsmaximen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität) wird von S+H befolgt (b) Identifikation der Handlungsperspektiven von S+H (c) Angleichung der kommunikativen Biographien der Gesprächspartner (d) H ist in der Lage[,] P z zu erfüllen (e) S geht davon aus, daß (d) (f) weder S noch H können davon ausgehen, daß H P z freiwillig ausfuhrt

Abgesehen von dem eher unsystematischen Charakter der Bedingungen — wovon v. a. (4) als wenig stringente Restkategorie, in der kurzerhand ,Präsumptionen' und die Griceschen Konversationsmaximen summiert werden, ein beredtes Zeugnis ablegt — sind auch nachlässige Bedingungsformulierungen zu kritisieren: Wie ist es möglich, jemanden von der Wahrheit einer Handlung zu überzeugen? Reicht es tatsächlich aus, eine rein temporale Verbindung zwischen dem Zeitpunkt der Persuasión und dem der Handlung zu postulieren? Welcher Art ist die Handlung? Hinsichtlich (3) schließt sich die interessante Frage an, ob und inwiefern persuasive Äußerungen generell nur Zukünftiges prädizieren, da man ja zweifellos jemanden auch davon überzeugen kann, daß eine Handlung richtig/zweckmäßig etc. gewesen ist. Kostas Rezeption der Sprechakttheorie erfaßt das Gesamtkonzept .Persuasión als sprachliches Handeln' also nur recht oberflächlich. Positiv ist aber hervorzuheben, daß v. a. seine Konzeption der Aufrichtigkeitsbedingung einen wichtigen kommunikationstheoretischen Fortschritt andeutet: Anders als Kopperschmidts Regel 2 legt Kostas (2) die Aufrichtigkeitsbedingung nämlich nicht allein ethisch akzeptabler Persuasión zugrunde, sondern situiert den Sprecher konsequent im sozialen Sprachspiel.25 Der gravierendste Einwand gegen beide Analysen ist aber viel grundsätzlicher: Es ist zwar nachvollziehbar, persuasive Äußerungen mit sprechakttheoretischen Mitteln faßbar machen zu wollen, aber es reicht m. E. nicht aus, den Terminus Persuasiver Sprechakt zu prägen, ohne den konzeptuellen Zusammenhang zu explizieren: Inwiefern ist ein Sprechakt persuasiv? Definiert persuasiv einen eigenständigen Sprechakttyp und fügt so Searles fünf Sprechaktklassen (vgl. Searle 1979b) eine sechste hinzu, d. h., gibt es also neben direktiven, assertiven, kommissiven, expressiven und deklarativen auch persuasive Sprechakte? 25

Dieser Gedanke wird in Kapitel 5.2.1.3.1 noch weiter ausgeführt.

72 Daß Persuasivität eine attributive Eigenschaft bestimmter Sprechakte ist, ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil die beiden Sprechaktverben überreden und überzeugen ja gerade keine Illokution indizieren, sondern auf die Perlokution referieren. Es liegt von daher näher, persuasiv als akzidentielle Charakteristik von Sprechakten einzuordnen. Demgemäß definiert es keine eigene Sprechaktklasse, sondern beschreibt bestimmte Sprechakte. Die Bedingungen zu eruieren, unter denen man einer Äußerung ein persuasives Potential zuschreiben kann, ist vordringlichster Zweck dieser Studie. Die traditionelle Sprechakttheorie Austins und v. a. Searles kann nur eingeschränkt und mittelbar zur Klärung der Frage beitragen, was es mit der Persuasion auf sich hat. In ihrer sprachlichen Handlungscharakteri-stik wird sie mit den Möglichkeiten der Einzelsprechakt-Theorie nicht angemessen erfaßt. Ein singulärer Sprechakttyp Persuasion existiert nicht. Als Handlung beruht Persuasion zwangsläufig auf Intentionalität. Es ist nun von einigem Interesse, daß die Ausdrücke überreden und überzeugen dieses Moment besonders hervorheben, was sie von anderen perlokutionären Verben deutlich unterscheidet. So ist es nicht möglich, persuasive Kommunikation wie folgt zu resümieren: (23) A hat B versehentlich/unabsichtlich überzeugt, daß p/überredet, zu x-en.

Auf der anderen Seite ist es durchaus denkbar, z. B. den Grund eines Zerwürfnisses zwischen A und B so anzugeben: (24) Ohne es zu wollen/Unabsichtlich hat A B gekränkt/beleidigt.

D. h.: sind die Erfolgs-/Erfüllungsbedingungen persuasiven Handelns erfüllt, kann man davon sprechen, daß das planmäßige Vorgehen eines Sprechers effektiv gewesen ist. Im Gegensatz zu anderen sprachlichen Handlungen, die ein Sprecher nicht unbedingt bewußt durchfuhren muß, sondern erst durch ihren Vollzug konstituiert, ist die Persuasion angesichts dieses Planungsmoments unverkennbar durch einen kognitiven Mehraufwand geprägt. Deshalb repräsentiert Persuasion das zweckrationale Kalkül der Rhetorik. Der kommunikativ Tätige folgt einem Handlungsplan.26

3.2.3 Der persuasive Strategiecharakter Nicht zuletzt aufgrund der diskursethisch geprägten Gegenüberstellung von kommunikativem und strategischem Handeln ist es sehr verführerisch, das Verfolgen eines persuasiven Handlungsplans kurzerhand mit eigennützigen Motiven des Sprechers gleichzusetzen. Der strategische Mehraufwand macht persuasive Kommunikation automatisch verdächtig. Da26

Darin besteht das .elaborative' (vgl. Rehbock 2 1980: 298) bzw. .spekulative' (vgl. Hoffmann 1996: 297) Moment der Rhetorik/Persuasion.

73 bei spielen solche Konzepte wie .versteckte Beeinflussung des Sprachspielpartners zu dessen Nachteil' noch immer eine Rolle (vgl. Sandig 1986: 232-233; Hoffmann 1996: 297). Über den kommunikationstheoretisch-linguistischen Nutzen der Berücksichtigung von Sprechermotivationen und -interessen wird im fünften Kapitel noch zu sprechen sein. Hier genügt der Hinweis, daß damit allenfalls eine Teilklasse des persuasiven Sprachspiels erfaßt wird. Es ist ohne weiteres vorstellbar, daß Sp2 eine Handlungsoption nach Ansicht von Spl nicht angemessen würdigt: (25) S p l : Und, wie hast du dich entschieden? Fährst du zu dem Kongreß? Sp2: Ich glaube nicht. S p l : Warum denn nicht? Sp2: Was soll es bringen? Es kostet Geld, man hat den Streß mit der Anfahrt, dann hält man einen Vortrag, dem sowieso niemand zuhört, dann kommt man zurück und muß am nächsten Tag schon wieder arbeiten. Die reinste Zeit-, Geld- und Nervenverschwendung. S p l : Das kannst du aber so nicht sehen. So eine Gelegenheit zum Austausch unter Kollegen hast du sonst nicht. Denk nur an die Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, präsent zu sein.

Es ist für das Sprachspiel Persuasion unerheblich, ob Spl aus tiefer Sorge um die Karrierechancen des Sp2 den Versuch unternimmt, ihn zu der Handlung ,Kongreßteilnahme' zu bewegen oder er beispielsweise die Möglichkeit wittert, in der Zwischenzeit in dessen Wohnung einzubrechen. Auch bei der Beschäftigung mit Sprachspielstrategien verstellt das vorschnelle Bemühen um Kritik kommunikativer Handlungen die Aussicht auf angemessene Beschreibung. Wenn Sornig (1986: 250) etwa die Ansicht vertritt, daß „die eigentlich illokutiv-perlokutionäre Intention des Überredenden [...] seinem Opfer nicht bekannt sein [darf]", ist diese Darstellung handlungstheoretisch unhaltbar und bedarf der Präzision. Auch differenziertere Sichtweisen (vgl. Holly 1987: 154) sind zwar idealtypisch plausibel, stellen den am konkreten Material arbeitenden Linguisten gleichwohl vor das schwerwiegende Problem, seine intuitive Ansicht fundiert zu begründen, ein Kommunikator verstoße gegen die Interessen seines Gesprächspartners. Dieser Verantwortung kann sich der Analytiker im Grunde nur entziehen, indem er sein Urteil über die Interessenlage der Sprecher eben nicht als Analytiker, sondern als involviertes und engagiertes Individuum trifft; pragmalinguistisch handhabbar ist diese - durchaus wünschenswerte - Bereitschaft zur kritischen Stellungnahme nicht. Der individuell-motivationale Aspekt des Sprechens ist Gegenstand der Psychologie; die Linguistik hat es demgegenüber mit der koordinativen Funktion des Sprachgebrauchs im sozialen Kontakt zu tun. Aus diesen Erwägungen ist ein breiter angelegtes Verständnis von Persuasion erforderlich; anstatt stereotyp Textsorten wie v. a. WERBEANZEIGE, PARLAMENTSREDE, KOMMEN-

TAR zur Analyse heranzuziehen, wäre es zumindest erwägenswert, auch auf den ersten Blick so .unverdächtige' Sprachspiele wie z. B. BERATUNGS-Diskurse, REZENSIONEN, LEBENSLÄUFE U. V. a. hinsichtlich ihres persuasiven Gehalts zu berücksichtigen. Denn es ist unstrittig, daß eine Strategie kein fixes, manifestes Merkmal eines Textes ist. Eine Klassifi-

74 kation von Texten nach dem Kriterium [+ persuasiv; - persuasiv] ist nur bei oberflächlicher Betrachtung möglich. Sinnvollerweise ist eine kommunikative Strategie nur am sprachlichen Material nachzuweisen; die Texte, Äußerungen dienen gewissermaßen als Spuren bei der Detektionsarbeit. Der strategische Aufwand betrifft die Auswahl geeigneter sprachlicher Mittel, die zielorientiert eingesetzt werden (vgl. Käge 1980: 63). Der ,Stil' einer persuasiven Äußerung ist damit das Ergebnis solcher zweckrationalen (vgl. Lenk 1998: 120, 128) Formulierungsprozesse (vgl. Antos 1982). Die Qualität der linguistischen Versuche, Vorstellungen des persuasiven Stils zu entwikkeln, variiert. So verbirgt sich hinter dem zuversichtlich als „Handbook of persuasive tactics" etikettierten Werk von Mulholland (1994) eine weitgehend unmotivierte und methodisch unzureichende additive Sammlung rhetorischer Mittel, die allesamt einer Persuasionsstrategie dienlich sein können.27 Aufgrund der a/rtM/n-Problematik reiht sich dieses ,Handbuch' nahtlos in die Reihe ähnlich ausgerichteter Fehlschläge ein und fuhrt sich selbst ad absurdum. Genau darin aber liegt paradoxerweise eine wichtige Erkenntnischance: der Stil eines Textes/einer Äußerung ist eben nicht gleichbedeutend mit der vom Urheber verfolgten Strategie; er läßt womöglich Rückschlüsse über das persuasive Kalkül zu. Nicht die Gestaltung determiniert Persuasivität; es verhält sich genau umgekehrt. D. h. wiederum: eine Strategie vermittelt zwischen dem illokutionären Zweck eines Sprechakts auf der einen und seiner konkreten sprachlichen Umsetzung in Form des lokutionären Akts auf der anderen Seite. Ansätze, persuasiven Stil präziser zu erfassen, können demgemäß keinerlei Anspruch auf Exhaustivität erheben - um so weniger, je entschiedener sie auf elocutive Stilfiguren fixiert sind. Läßt man die Frage nach dem Sinn einer sprachstrukturellen Erhebung einmal beiseite, bietet Sornig (1982) einen vergleichsweise reflektierten Gesamtüberblick über die vielfaltigen persuasiven Techniken. Zunächst beleuchtet er sie relativ grob hinsichtlich ihrer Handlungscharakteristik als Behauptungen (vgl. ebd.: 240-241), die nachhaltig kontextuell bestimmt sind, was sich besonders an „gewissen Halb-Phrasen zum Zuende-Denken und Zuende-Sprechen" (ebd.: 242) zeigt. Im Anschluß konzentriert sich die Untersuchung aber doch auf die Wortebene. Dabei wird die phonetisch-morphologische Ebene in den Blick genommen (vgl. ebd.: 244-246) und dann, breiter angelegt, der konnotative Charakter strategisch wichtiger ,Wirkwörter' im Persuasionsprozeß dargelegt. Somig fuhrt u. a. Verschiebungen kategorialer Merkmale, Neologismen, Fremdwörter, evaluativen metaphorischen Sprachgebrauch, Bezeichnungssteuerung auf. Persuasives Sprechen beruht ihm zu27

Ähnlich verhält es sich mit den Ausfuhrungen in Graesser et al. (1989: 150-151), die als Ergebnis einer empirischen Studie zum metaphorischen Sprachgebrauch festhalten, daß metaphorische Ausdrücke zwar nicht per se persuasiv sind, aber zu solchen Zwecken auch genutzt werden können.

75 folge auf einer „konnotativen Stereotypisierung" (ebd.: 257). Unter dem Etikett des ,KoTextuellen' kommt schließlich auch eine syntaktische Betrachtungsweise zum Zug: die Bildung neuer Komposita, die Kollokation, die Tautologie, syntaktische Tilgungen bzw. Passiv-Transformationen sowie Einbettungen von Zitaten. Somigs Betrachtung ist zwar um einiges differenzierter als die simple Reihung stilistischer Einzelbeobachtungen, bleibt aber dem herkömmlichen Paradigma der Sprachanalyse verpflichtet. Der Titel seines Aufsatzes lautet „Persuasive Sprachstrukturen", und zwangsläufig ist es nicht so sehr die Strategie eines handelnden Sprechers, sondern die dem Wortgebrauch inhärente rhetorisch-stilistische .Strategie', die untersucht wird. Bedauerlicherweise unterläuft Sornig damit seine sehr bedenkenswerte Warnung, das Zeichensystem .Sprache' zu vergegenständlichen und einer diffusen Vorstellung von der .Macht des Wortes' nachzuhängen (vgl. ebd.: 239-240). Dann sollten eigentlich auch die Analyseperspektive von der Wort- bzw. Satz- auf die Äußerungsebene projiziert und Vokabeln wie Reizoder Wirkwörter behutsamer gebraucht werden. Da das nicht der Fall ist, wird Sornig dem angedeuteten kommunikationstheoretischen Anspruch nicht gerecht. Die derzeit umfassendste Darstellung persuasiver Strategie stammt von Hoffmann (1998), der die vielfaltigen Detailuntersuchungen in einen anspruchsvollen begrifflichen Rahmen zu integrieren versucht. Konsequenter als ältere Analysen setzt er nicht direkt bei den sprachlichen Mitteln an, sondern berücksichtigt ihren unmittelbaren Handlungszusammenhang, das Gestalten, den er mit den textlinguistischen Kategorien ,Textfunktion', ,Diskurstyp' und .thematische Textstruktur' näher beleuchtet (vgl. ebd.: 68). Auf der textfunktionalen Ebene unterscheidet Hoffmann drei Strategietypen, und zwar (1) Plausibilitäts-, (2) Relevanz- und (3) Suggestivitäts-Strategien. Plausibilitäts-Strategien bezwecken „einen Ausgleich divergierender Meinungen (Überzeugungen)" (ebd.: 69), RelevanzStrategien zielen auf „einen Ausgleich konfligierender Interessen (Bedürfnisse) oder die Überwindung von Gleichgültigkeit oder das Erzeugen von Bedürfnissen bei gleichzeitigem Versprechen, sie befriedigen zu können" (ebd.) ab. Insofern sind Strategien (1) und (2) „akzeptanzfordernd" (ebd.). Allenfalls impressionistisch mutet v. a. Hoffmanns Versuch an, Typ (3) näher zu erläutern: Entscheidungserleichtemde Orientierungen können bekanntlich auch suggestiv vermittelt werden. Es gibt suggestive Formen des Plausibel- bzw. Relevantmachens. Aber es gibt auch Formen des Suggestivmachens, wo Suggestivität und nicht Plausibilität oder Relevanz das strategische Ziel kommunikativer Bemühungen ist. Innerhalb des textfunktionalen Strategierahmens müssen deshalb auch Suggestivitäts-Strategien berücksichtigt werden. (Ebd.: 69)

Nim ist die Kennzeichnung einer Äußerung als .suggestiv' zwar eine beliebte Praxis, erfolgt aber bedauerlicherweise weitgehend unbelastet von Bemühungen um terminologische Präzision. Das trifft auch hier zu: Was genau eine Suggestivitäts-Strategie ist, bleibt ungeklärt.

76 Neben den allgemeinen textfunktionalen Strategietypen fuhrt Hoffmann noch zwei weitere an, die deutlicher von dem jeweiligen „Hintergrund der gesellschaftlichen Konkretheit" (ebd.: 69) eines bestimmten Sprachspiels geprägt sind. Am Beispiel des politischen Sprachgebrauchs benennt er als diskurstypologische Strategietypen Attraktivitätsund Markanz-Strategien (vgl. ebd.: 70), die m. E. ebensowenig wie die ersten drei Strategietypen trennscharf unterschieden werden. Wie kann eine Analyse von ad hocCharakterisierungen wie „unterhaltende, auf Überraschung, Spannung etc. setzende Effekte" (ebd.) (Attraktivitäts-Strategie) bzw. ,„Einprägsamkeit' und ,auffällige Heraushebung' (,Unverwechselbarkeit')" (ebd.) (Markanz-Strategie) profitieren? Bereits die Unterscheidung von persuasiven Plausibilitäts- und Relevanz-Strategien ist ein unsicheres Instrument zur Untersuchimg gegebener Textexemplare; eine Meinungsdivergenz kann schließlich gerade darin bestehen, daß der zu Überredende/Überzeugende hinsichtlich eines bestimmten Sachverhalts kein Bedürfnis artikuliert. Der Eindruck drängt sich auf, daß der Analytiker bei der Entscheidung, welchem Strategietyp ein vorliegender Text folgt, ein gehöriges Maß an Willkür einbringen muß. Der heuristische Wert von Idealtypen erweist sich in ihrer Praktikabilität. Hier sind gravierende Zweifel angebracht, ob sie gewährleistet ist. Persuasiv-strategische Handlungen sind Vexierbilder; ihre Äußerungen, ihre sprachlichen Mittel sind insofern unbestimmt, als sie allein in Relation zu einem (Teil-)Zweck ein gewisses Sinnpotential entfalten. Die erörterten Probleme, auf die Hoffmanns Typendifferenzierung stößt, legen nahe, daß es sich hier um perspektivisch unterschiedliche Teilaspekte ein und desselben komplexen Musters handelt. D. h.: wenn man sich mit der Markanz-Strategie eines Textes befaßt, entscheidet man sich dafür, die Plausibilitäts- oder Relevanz-Strategie aus dem Untersuchungskatalog zu tilgen. Damit repräsentieren die einzelnen Typen viel eher strategische Universalien, die über den (Miß-) Erfolg jedes beliebigen persuasiven Textes entscheiden, als einen Ansatz zu einer stringenten Klassifikation. Der textfunktionale bzw. diskurstypologische Blickwinkel wird in modularer Manier ergänzt, indem der funktionalen nun die strukturelle Perspektive zur Seite gestellt wird. Hier unterscheidet Hoffmann (ebd.: 70-71) zwischen Strategien (a) der thematischen Textstruktur und (b) der stilistisch-gestalterischen Themenorganisationsstruktur. Die Themenstruktur wird auf der propositionalen Textebene strategisch konstituiert. In Betracht kommen hierbei: — Aspektualisierungs-Strategien; sie legen .Arten des Detaillierens von Themen und Selektierens von Teilthemen" (ebd.: 71) fest; — Positionalisierungs-Strategien; im Anschluß an das von Brinker (1994: 38) vertretene Konzept der ,thematischen Einstellung' faßt Hoffmann darunter ,Arten des Modalisierens und Evaluierens von thematischem Kern und Teilthemen" (ebd.); geschieht dies explizit, spricht er von Nominations-Strategien.

77 Der formal-gestalterische Aspekt schlägt sich in den themenorganisatorischen Strategietypen (vgl. ebd.: 71-72) nieder: — Dispositions-Strategien als inhaltliche, Segmentierungs-Strategien als formale Gliederungsarten, — Distributions-Strategien als Verteilung thematischer Einheiten hinsichtlich Plazierung und Frequenz, — Sequenzierungs-Strategien als Aneinanderreihung thematischer Einheiten sowie — Konnexions-Strategien als Verknüpfung von textuellen Teilthemen und -handlungen. Die Verbindung zwischen funktionalen und strukturellen Strategietypen will Hoffmann über eine intermediäre Einheit herstellen, die er als strategische Verfahren/Verfahrensmuster bezeichnet; darunter versteht er „Strategisches, wo sich sowohl eine Beziehung zu einem funktionalen als auch zu einem strukturellen Strategietyp herstellen läßt" (ebd.: 72). Als Vorlage dienen ihm hier aus der neueren Forschungsliteratur gewonnene, z. T. recht heterogene Einzelbeobachtungen. Festzuhalten bleibt: Die persuasionsstilistische Analyse weist die vertrauten Vor- und Nachteile einer primär .induktiven' Vorgehensweise auf: Die recht exakte Beschreibung konkreter token-Elemente aus einem intuitiv gebildeten Textcorpus erkauft ihre Präzision mit einer relativ unklaren Erfassung der wesentlichen Charakteristika des persuasiven TextTyps. Ohne den Bezug zu faßbaren Textexemplaren büßen die Analysekategorien dann rasch an Praktikabilität und Übertragbarkeit ein. Die innere Logik der entwickelten Kriterien stellt zudem keinen wirklich aussagekräftigen Zusammenhang her, anhand dessen sich andere, ebenfalls als .persuasiv' einschätzbare Textexemplare konsistent erfassen ließen. Insofern stellt der Ansatz eine unter rein stilistischen Fragestellungen sicher interessante Vorgehensweise dar, die durch ihren integrativen Zuschnitt besticht. Unter pragmalinguistischem Aspekt überzeichnet die Persuasionsstilistik so wie die linguistische Stiltheorie überhaupt den handlungstheoretischen Stellenwert der stilistischen Textgestaltung.28 Darum überzeugt auch der Versuch nicht, die Module ,Textfunktion' und ,Textstruktur' interdependentiell aufeinander zu beziehen. Die aus den Einzeluntersuchungen extrahierten .Strategieverfahren' erwecken in ihrer Heterogenität eher den Eindruck einer .offenen Liste'. Zuordnungsprobleme bei der konkreten Textanalyse räumt Hoffmann (ebd.: 79 Fn. 35) übrigens selbst ein. Stilistische Kriterien können keinen - eingestandenermaßen - abstrakt-

28

W e n n b e i s p i e l s w e i s e H e r b i g / S a n d i g ( 1 9 9 4 : 7 4 ) d a s EMOTIONALISIEREN, BEWERTEN u n d ARGU-

MENTIEREN als „illokutionäre Teilaspekte" persuasiven Handelns ausmachen, ist diese Auffassung noch zu ungenau, da der spezifische Zusammenhang zwischen diesen drei Aspekten nicht hinreichend erfaßt wird; gerade das Emotionalisieren hat keinerlei illokutionäre Kraft, sondern ist eine mittels stilistischer Kriterien beschreibbare Strategie, eine in wertenden Zusammenhängen angesiedelte Argumentationssequenz zu realisieren.

78 ,deduktiven' kategorialen Status beanspruchen. Genau darum geht es aber im Rahmen dieser Studie, die sich weniger als Konkurrenz, vielmehr als global-holistische Ergänzung zu punktuellen Detailanalysen versteht. Auf der folgenden Seite ist die persuasionsstilistische Interpretation des Strategiebegriffs in Anlehnung an Hoffmann (ebd.: 73-74) überblicksartig festgehalten.

79

Strategiefunktionstyp

Strategieverfahrensmuster

Strategiestru ktu rieru ngsty p

Plausibilitäts-Strategie

Abheben aufTopoi(z.

Positionalisierungs-Strategie

B. .Gerechtigkeit')

(Herbig/Sandig 1994) auf Autorität berufen (Klein 1994)

Positionalisierungs-Strategie

Analogie herstellen (Klein 1994)

Aspektualisierungs-S trategie

Gegenfragen des Opponenten im voraus

Sequenzierungs-Strategie

beantworten (Moilanen 1996) Relevanz-S trategie

Umformen thematisierter Wirklich-

Positionalisierungs-Strategie

keit/Modifikation des Wertes (z. B. .Nützlichkeit') (Hoffinann 1996) Einnehmen der Adressatenperspektive (z.

Positionalisierungs-Strategie

B. .Bewertungsmanagement') (Herbig/Sandig 1994; Sandig 1996) Durchspielen möglicher Folgen für den

Aspektualisierungs-Strategie

Adressaten (Herbig/Sandig 1994) Suggestivitäts-Strategie

Evidenz vermitteln (Klein 1994)

Positionalisierungs-Strategie

Bekräftigen der eigenen Position am

Distributions-Strategie

Textende (Heibig/Sandig 1994) Hervorheben von Bewertungen (Klein

Segmentierungs-Strategie (u. a.)

1994) Attraktivitäts-Strategie

Umformen thematisierter Wirklich-

Positionalisierungs-Strategie

keit/Modifikation des Wertes (z. B. .Schönheit') (Hoffinann 1996) Entkonkretisieren des Redegegenstandes

Positionalisierungs-Strategie

(z. B. die Wirkung des Produkts zum eigentlichen Kaufobjekt machen) Bilden eines thematischen Rahmens/

Distributions-Strategie

sprachliches Abrunden (Sandig 1996) Markanz-Strategie

Ausgrenzen oppositiver Sichten (Her-

Positionalisierungs-Strategie

big/Sandig 1994) Abwenden von der Argumentation des

Konnexions-Strategie

Kontrahenten Ausrichten auf ein einziges Wertkriterium

Distributions-Strategie

(Sandig 1996)

Abb. 4: Strategietypen und Strategieverfahrensmuster nach H o f f m a n n (1998: 73-74)

80 Persuasive Strategie impliziert Argumentation; jemanden zu einer Handlung überreden bzw. von einer Ansicht/Einstellung überzeugen kann man nur durch konsensorientiertes Herleiten von Gründen. Die Argumentationstheorie verfolgt die klassische Fragestellung, zum einen die in einem gegebenen Diskurs thematisierten Propositionen zu bestimmen und zum anderen ihre Qualität einzuschätzen. Ihre pragmalinguistische Adaption untersucht persuasive sprachliche Handlungen nach dem Prinzip der vernünftigen Rede. Unter diesen Bedingungen lassen sich zwei Lesarten des Ausdrucks Argumentation unterscheiden, und zwar einerseits eine .neutrale', die auf den reinen Vorgang der Sequenzierung von Propositionen in strittigen Fragen verweist, andererseits eine ,präskriptive', die zusätzlich noch Bewertungskriterien wie .Haltbarkeit',,Schlüssigkeit' u. ä. in Erwägung zieht. Diese qualitative Zusatzbedingung schränkt den Begriffsskopus ein. D. h.: legt man Lesart] zugrunde und will die Sequenzierung von Propositionen positiv bewerten, kann man von gutem/plausiblem etc. ARGUMENTIEREN sprechen; folgt man Lesart2, lehnt man eine solche terminologische Prägung als tautologisch ab. Umgekehrt kann man in Lesarti schlechtes/unplausibles etc. ARGUMENTIEREN als Ausdruck einer negativen Bewertung der dargebrachten Begründung heranziehen - eine nach den Kriterien von Lesart2 widersinnige Praxis. Da Lesart2 nach meinem Dafürhalten nur sinnvoll von Argumentationstheoretikern gehandhabt werden kann - ihr Sprachverständnis ist rein propositional - , richtet sich das linguistisches Erkenntnisinteresse auf Lesart!.

3.2.4 Der persuasive Wertcharakter Nach der hier vertretenen Auffassung läßt sich jede Art persuasiver Kommunikation argumentationstheoretisch beschreiben und bewerten. Umgekehrt ist aber nicht jede Argumentation persuasiv. Persuasion bezweckt stets die Überzeugung, daß p. Doch nicht jede Überzeugung, daß p, ist in persuasiver Kommunikation erzeugt worden. Ganz offensichtlich liegt das an der Art der strittigen Proposition p. A kann B überzeugen, daß Obst aufgrund naturgesetzlicher Kausalzusammenhänge von Bäumen fallt, daß 1888 als Drei-Kaiser-Jahr in die Deutsche Geschichte einging oder daß derzeit die Kognitive Linguistik groß in Mode ist. In diesen Situationen fällt es intuitiv schwer, eine persuasive Charakteristik zu attestieren. Andererseits kann A B davon überzeugen, daß es bedauerlich ist, daß die Globalisierung so langsam/so schnell voranschreitet, daß man am Arbeitsplatz einen guten Mann immer gebrauchen kann, daß Kafka hoffnungslos überschätzt wird. Hier ist man dann eher geneigt, einen persuasiven Zusammenhang zu vermuten. Woran liegt das?

81 Die Erklärung, daß in nicht-persuasiven Argumentationszusammenhängen Fakten beigebracht werden, in persuasiven dagegen nicht, greift zu kurz. 29 Die Unterscheidung ,epistemisch - doxastisch' kommt der Sache schon näher, muß aber noch kommunikationstheoretisch präzisiert werden: Nicht-persuasive Argumentation bezweckt ausschließlich Konsens hinsichtlich der Klärung eines Sachverhalts, die Vermehrung von Wissen bei mindestens einem der Kommunikationspartner. Persuasive Argumentation dagegen bezweckt Konvergenz bezüglich der Bewertung eines Sachverhalts/einer Person etc. Die Proposition entscheidet über die (Nicht-) Persuasivität der Argumentation. Diese Beobachtung ist noch zu pointieren: Um überhaupt die Art der Proposition eruieren zu können, reicht es nicht aus, sich auf kontextabstrakte satzsemantische Analysen zu verlassen. Grundsätzlich ist der kommunikative Zusammenhang, in dem argumentiert wird, hinzuzuziehen. Aus genau diesem Grund vergröbert die Dichotomie ,informativ - nicht informativ' unzulässig die kommunikativen Verhältnisse: Informationen können auch in Bewertungszusammenhängen eine prominente Rolle spielen. Demgemäß ist auch das Überzeugen in zwei Sprachspieldomänen situiert, und so klären sich die Probleme beim Umgang mit den Konzepten .Persuasion' und .Argumentation'; wählt man die Sprachspielebene als Kriterium der Beobachtungsoperation, muß man eine kategoriale Trennung von Persuasion und Argumentation postulieren. Ansonsten ist Argumentation als Basisoperation persuasiven Handelns aufzufassen. Persuasion ist Argumentation in wertenden Zusammenhängen; darauf scheint beispielsweise auch Pascal (1991) mit seinem Rekurs auf die „volonté" (ebd.: 413) bzw. den „ccer" (ebd.: 416) abzuzielen. Auch die von Chomsky (1988: 32) vertretene Auffassung, der zufolge Persuasion „volition" impliziert, geht in diese Richtung. In letzter argumentationstheoretischer Konsequenz desavouiert der Wertcharakter persuasiver Argumentation dann das Bestreben nach möglichst vernunftgeleiteter, i. ü. aber von den Sprechersubjekten unabhängiger Wahrheitssuche. In der persuasiven Kommunikation ist das Streben nach Wahrheit nicht die ausschlaggebende Triebfeder sprachlicher Äußerungen. Genau danach wird sie aber kategorial verfehlt bemessen. Es ist von einiger Bedeutung, sich diesen Kategorienfehler vor Augen zu führen: Wer Argumente nachvollziehen und kritisieren will, muß folgerichtig alle weiteren Determinanten der Kommunikation ausschließen und ggf. als Gefahrdung vernunftgeleiteten Argumentierens brandmarken. 30 Demgemäß tut der Argumentationstheoretiker gut daran, sich als Maßstab zu untersuchender Rede und Gegenrede genau diejenigen Sprachspiele zu suchen, in denen die

29

30

So läßt sich beispielsweise Herders (1967: 575) Unterscheidung von „zwei Gattungen Philosophen [...]: Philosophen aus Ueberzeugung und aus Ueberredung, Sach= und Wortphilosophen" deuten. Nicht zufällig hat Pascal (1991: 416) sehr klar herausgestellt, daß die Idealisierung einer rein vernunftgeleiteten Wahrheitssuche menschliche Kommunikation simplifiziert, weil „la manière d' agréer est bien sans comparisons plus difficile, plus subtile, plus utile et plus admirable".

82 Teilnehmer übereingekommen sind, allein Aussagen über die Welt zu produzieren, zu kritisieren, zu vergleichen, einander anzugleichen. Sprechen ist von diesem Blickwinkel aus betrachtet allein die Handlung, Aussagen über die Welt zu treffen. Ihre betreffende Domäne ist der theoretische

Diskurs.31

In seinem Mittelpunkt steht die kooperative und

prozedurale Prüfung von Aussagen. Er wird so von Gesprächen konstituiert, die dem Muster des „dialogue de réflexion pour la définition de problèmes, d'objets, de buts" (Bonfantini 1989: 137) folgen. 32 Den Prototyp dieser argumentativen Kooperation stellen zweifellos die sokratischen Dialoge dar. Sie repräsentieren das Ideal gemeinschaftlichen Philosophierens, wonach zwei Sprecher, unabhängig von Störfaktoren wie persönliche Interessen, Sympathie/Antipathie, Zeit-/Entscheidungsdruck etc. Begriffskritik betreiben. 33 Genau aus diesem Grund erntet die Relevanz der Beziehungsebene im persuasiven Sprachspiel (vgl. Sornig 1986: 250) - in der Alltagskommunikation eine völlig normale Erscheinung - unter den Vorzeichen des theoretischen Diskurses auch so viel Unverständnis. 34 Für einen Kommunikationstheoretiker ist dieser Reduktionismus inakzeptabel. 35 Er leistet nicht zuletzt der Tendenz Vorschub, das dialogische Moment zu verklären und eine einzelne Sprachspieldomäne, die dialogisch-dialektische Wahrheitssuche (vgl. Braun ed. 1996: 16), zur Quintessenz sprachlichen Handelns zu erheben. 36 Es ist unstrittig, daß die spezielle Kommunikationsform des theoretischen Diskurses die kognitive Grundlage für die Analyse argumentativer Sequenzen völlig heterogener Sprachspiele bildet. 37 Daß man 31

32 33

34

35

36

37

Anders als bei Habermas (1981a/l: 38-45) wird der Diskursbegriff in der vorliegenden Studie nicht an die propositional problematisierbaren Geltungsansprüche gebunden, sondern unmittelbar in den Sprachspielbedingungen verortet. Aus diesem Grund ist es hier praktikabler, eine andere Einteilung als die von Habermas vorgeschlagene vorzunehmen. Vgl. zu diesem Dialogtyp auch Lumer (1991). Paradigmatisch für dieses Verständnis ist der von Forschner (1989: 4-5) unterbreitete Bestimmungsvorschlag: „Sprache meint die Fähigkeit, über Vergangenes, Gegenwärtiges und Künftiges, über Mögliches, Unmögliches und Wirkliches Urteile zu fällen, sie auszutauschen und zu tradieren; die Fähigkeit, zu generalisieren und zu abstrahieren, zu argumentieren und zu schließen, in Alternativen zu denken und Hypothesen aufzustellen; sie meint die Fähigkeit, sein Leben über die jeweilige Einzelsituation und den Augenblick hinaus unter allgemein leitende Ziele zu stellen, Grundsätze der Orientierung und Beurteilung zu formulieren, Regeln des Lebens und Zusammenlebens zu schaffen und abzuändern; sie meint die Fähigkeit der Diskussion, der Vereinbarung und Verständigung." Darum ist es in der kommunikativen Praxis auch unmöglich, die Ideale der Diskursethik auch komplett zu realisieren; vgl. die empirische Studie von Burkart (1993). Auf Schwierigkeiten, mit einem solchen argumentationstheoretischen Verständnis kommunikative Zusammenhänge zu beobachten, weisen Herbig (1992: 97) und Fiehler (1993: 164-165) andeutungsweise hin. Diese Auffassung wird in Kapitel 5.3 noch eingehend kritisiert. Einen Vorschlag, die sokratische Dialogmethode auch für die Gegenwart nutzbar zu machen, unterbreitet Horster (1994). Es ist das wesentliche Verdienst der Pragmatischen Wende, daß auch philosophische und wissenschaftliche Diskussionen als Spiel zweier handelnder Sprecher verständlich werden. Dann erklärt sich auch, weswegen das Ideal des theoretischen Diskurses, die hochgradig kooperative und letzt-

83 die Gesamtheit persuasiver Argumentationsweisen nur im Rückgriff auf den im theoretischen Diskurs vorgeprägten Prüfungsverfahren verfügbar halten kann, bedeutet aber nun nicht, daß das persuasive Sprachspiel ebendiesem Diskurs zuzuordnen ist.38 Ein derartiger argumentationstheoretischer Ansatz hemmt die pragmalinguistische Erfassung von Sprachspielen. Persuasion bezweckt statt kooperativer Wahrheitssuche die Übernahme von Ansichten. Beziehen sich diese auf eine infragestehende Handlung, ist sie im praktischen Diskurs angesiedelt. Die kognitive Verarbeitungsstrategie zentriert sich hier auf praktische Schlüsse.39 Wie aber steht es mit persuasiven Überzeugungsstrategien, die durch das Fehlen einer manifesten Folgehandlung gekennzeichnet sind, aufgrund ihrer kommunikativen Charakteristik aber auch nicht dem theoretischen Diskurs zugeordnet werden können? M. E. hat hier Hundsnurscher (1994a: 229) einen brauchbaren Fingerzeig gegeben; in Abgrenzung zu Habermas (1981a/l: 37) gibt er zu bedenken: Vielleicht wäre es besser, [...] zwischen einem theoretischen, einem praktischen und einem moralischen Diskurs zu unterscheiden und Aussagen über das Bestehen von Sachverhalten, über die (praktische) Zweckmäßigkeit von Handlungen und über die (moralische) Rechtfertigung von Handlungen als Initialsprechakte der [argumentativen, N. O.] Sequenzen zu unterscheiden.

Statt vom .moralischen' Diskurs könnte man allgemeiner vom evaluativen Diskurs sprechen; Gegenstand dieser Domäne sind nach dem hier vertretenen Verständnis all die wertbasierten Äußerungen von Einstellungen, Haltungen, d. h. verbalisierten Meinungen, die auf die Konvergenz des Gesprächspartners abzielen, ohne daß eine Folgehandlung initiiert werden kann. Neben ästhetischen sind m. E. auch moralische Urteile im evaluativen Diskurs angesiedelt - vorausgesetzt, die kommunikativen Bedingungen sind so beschaffen, daß der zu überzeugende Sprecher die bewertete Handlung nicht unmittelbar im Anschluß lieh .unpersönliche' Wahrheitssuche als Bereitschaft, sich ggf. von dem besseren Argument (eben nicht dem Gesprächspartner!) überzeugen zu lassen, praktisch nicht einlösbar ist. Auch eine wissenschaftliche Diskussion entspricht diesem Idealtyp nicht vollständig. Sobald etwa ein Beobachter Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Wahrheitssuchenden beiwohnt, treten unwillkürlich Image-Erwägungen zutage, die gerade Dispute kennzeichnen. Vgl. v. a. Dascal (1998), der zahlreiche Möglichkeiten zur akademischen Selbstreflexion bietet. Kopperschmidts (1991: 58) pointierter Hinweis auf „strategische Verwendungsmöglichkeiten [...], die ersichtlich nicht unbedingt an einer Übereinstimmung zwischen den Argumentierenden über den Geltungsanspruch einer Aussage interessiert sind, sondern sich mit Zustimmungen zufrieden geben, worauf sie auch immer sich gründen mögen [Hervorhebungen im Original, N.O.]", reflektiert nicht den unterschiedlichen Sprachspielzusammenhang. 38

39

Im Rahmen der hier zugrunde gelegten Begriffsstrategie lassen sich auch die Ausführungen in Habermas (1981 a/1: 65) und Kopperschmidt (1989: 36-37) so deuten; ihren .Richtigkeitsanspruch', der .regulative Sprechhandlungen' im .praktischen Diskurs' begründet, kann man schließlich nur in Form von assertiven Sprechakten erheben, die sich am Wahrheitswert orientieren. Vgl. Wunderlich (1976: 257), Schwitalla (1976).

84 ausfuhren oder unterlassen, sondern generell die Meinung des Überzeugenden adaptieren und seine Lebensführung daran ausrichten soll. Wird dagegen direkt in einer Entscheidungssituation moralisch argumentiert, ist nicht der evaluative, sondern der praktische Diskurs der angemessene Bezugsrahmen. D. h.: die Differenz zwischen Argumentation und Persuasion verläuft genau analog zu der Differenz von theoretischem und evaluativem Überzeugen. Die theoretisch-diskursiven Überzeugungshandlungen umfassen insbesondere diejenigen Sprechakte, die Rolf (1983) als „Informationshandlungen" beschreibt; evaluative Überzeugungshandlungen korrelieren eher mit den von Zillig (1982a) untersuchten bewertenden Sprechhandlungen.40 Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Rationalität; kennzeichnend für den theoretischen Diskurs ist das Bemühen, auf einer höheren systematischen Ebene möglichst befreit von jeglichem Zeit- und Entscheidungsdruck aus dem Widerstreit von These und Antithese eine Synthese zu erarbeiten. Demgegenüber bezwecken evaluative Überzeugungshandlungen, daß der Gesprächspartner seinen Widerstand gegen eine vertretene wertende Situationsdefinition aufgibt und schließlich Zustimmung signalisiert. Während also im theoretischen Diskurs etwaige Widersprüche letztlich seine Fortsetzung garantieren, da mit ihnen weitere Diskurseinheiten initiiert werden können, drücken dagegen Widersprüche am Ende der praktischen bzw. evaluativen Diskurseinheiten ihr persuasives Scheitern aus. Dem Sprecher ist es nicht gelungen, seinen Gesprächspartner auf seine Seite zu ziehen. So gesehen sind theoretische Diskursformen Ausdruck ziel- und planloser Rationalität, während im evaluativen und praktischen Diskurs deutlich zweckrationale Erwägungen wenigstens eines Sprechers eine Rolle spielen (vgl. Abb. 5).

40

Es wäre eine Überlegung wert, inwiefern die von Grice (1989d: 123) vorgenommene Unterscheidung von .exhibitiven' und ,protreptischen' Äußerungstypen nicht für die heuristische Differenzierung der theoretischen und evaluativen Diskursbereiche - und damit für den Sprechakttyp AsSERTiv - genutzt werden könnte; während eine Behauptung im theoretischen Diskurs darauf abzielt, daß Sp2 erkennt, daß Spl eine bestimmte propositionale Einstellung vertritt, hat sie im evaluativen Diskurs die Funktion, Sp2 zur Zustimmung, zur Konvergenz zu bewegen. Auf dieser Grundlage scheint beispielsweise Hoppenkamps (1977: 56) „Meinungsklärung" von „Agitation" zu unterscheiden.

85

Theoretischer Diskurs

Evaluativer Diskurs

Praktischer Diskurs

- dialektisches Gespräch

- moralischer Diskurs

- Handlungsinitiation

- ästhetischer Diskurs KOMMENTAR LESERBRIEF REZENSION

etc.

ÜBERZEUGEN, Argumentation 2

Persuasion

¥ Argumentation!

Konvergenzbereitschaft

Abb. 5: Persuasion und Argumentation im diskursiven Kontext

3.2.5 Der persuasive Sequenzcharakter Wie bereits angedeutet, manifestiert sich eine Strategie nicht in einer punktuellen Äußerung; wenn überhaupt Einzelsprechakte einen prominenten Beschreibungsstatus erlangen, hat der Analytiker bereits den sequentiellen Zusammenhang, die Einbindung der Äußerungen in das strategische Kalkül, vorausgesetzt, jedoch nicht expliziert. Die Schwächen die-

86 ser einseitigen Fixierung auf Sprechhandlungen, die aus dem Zusammenhang gelöst worden sind, lassen sich an Coulmas (1977: 164-183) demonstrieren. Zwar beabsichtigt er, „einige persuasive Prozesse in ihrer logischen Struktur" (ebd.: 164) zu beschreiben, konzentriert sich aber in der Folge darauf, einige intuitiv gewählte Sprechaktverben wortsemantisch-formal zu analysieren. Sein Zugriff summiert völlig heterogene Aspekte; das kann man sich daran verdeutlichen, daß die Verben überreden, ausreden, einreden, informieren, überzeugen, agitieren, belügen, beleidigen, trösten, erinnern weitgehend beziehungslos nebeneinandergestellt werden. Eine handlungstheoretische Gewichtung bleibt aus. Dabei stellen das Überreden und das Überzeugen die prototypischen Basisstrategien persuasiver Kommunikation dar, die je nach thematischen, situativen und sequentiellen Bedingungen durch die übrigen Verben spezifiziert werden. REDET etwa Spl Sp2 einen Handlungsvorsatz AUS, ÜBERREDET er ihn, n i c h t z u x-en. REDET er S p 2 EIN, d a ß p, ÜBERZEUGT er i h n

von p mit Gründen, deren Akzeptabilität der Kommunikationsbeobachter bezweifelt. AGITATION ist persuasives Handeln im öffentlichen Bereich, wobei hier der Polarisierung ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Mit informieren, belügen, beleidigen, trösten, erinnern referiert man auf mögliche Teilhandlungen innerhalb der persuasiven Sequenz. D. h.: es macht wenig Sinn, beliebige Sprechaktverben, die teils auf die Illokution, teils auf die Perlokution verweisen, gesondert zu untersuchen und so den Blick auf die sequentiellen Verhältnisse, also ihren dialogischen Stellenwert, zu verstellen. ÜBERREDEN und ÜBERZEUGEN sind eben nicht auf derselben Ebene wie z. B. TRÖSTEN und ERINNERN angesiedelt. Das strategische Sprachspiel Persuasion wird man damit nicht befriedigend erfassen können. Neuere Entwicklungen in der linguistischen Persuasionsforschung tragen verstärkt der Komplexität des Sprachspiels Rechnung, indem sie das Sprechakt-Konzept hinsichtlich seiner funktionalen Verknüpfungsweisen verwenden. Die Sprechakt-Sequenzierung kann unter verschiedenen Kommunikationsbedingungen realisiert werden, die medial bedingt sind. Zum einen leitet man daraus ein monologisch-textlinguistisches Vorgehen ab (vgl. Moilanen 1996), zum anderen eine Analyse persuasiver Gespräche (vgl. Kosta 1998). Moilanen (1996) legt offenkundig ein rein intuitives Persuasionsverständnis zugrunde, indem er anhand „eines Kommentartextes als Beispiel von persuasiven monologischen Texten" (ebd.: 165) die Untersuchung vornimmt. Kennzeichnend für seine Interpretation ist der Rückgriff auf die Handlungsstrukturanalyse (vgl. Motsch/Pasch 1987; Brandt/Rosengren 1992).41 Die sequentiellen Verhältnisse eruiert Moilanen schrittweise, indem er zunächst den illokutionshierarchischen (vgl. ebd.: 167-169), den propositional-referentiellen (vgl. ebd.: 169-171), den propositional-konnektiven (vgl. ebd.: 171-174) sowie den argu-

41

Die ausfuhrliche textlinguistische Diskussion der Handlungsstrukturanalyse wird Gegenstand des Kapitels 4.1 sein.

87 mentativen (vgl. ebd.: 174-179) Zusammenhang relevanter Texteinheiten beleuchtet. Am Ende ist der konkrete Text (offenkundig ein LESERBRIEF) strukturell (ebd.: 179) hinreichend erfaßt, aber die Frage, inwiefern die Analyse-Einheiten tragfähige Aussagen über die Persuasivität von Texten zulassen, bleibt unbeantwortet. Erst in einem letzten Schritt wendet sich Moilanen einer weniger statisch-strukturellen Betrachtungsweise zu, die die Textfunktionalität tatsächlich vor dem Hintergrund der persuasiven Zwecksetzung und nicht vor dem der „Geschlossenheit" (ebd.) situiert. Hier deuten sich weiterfuhrende Fragestellungen an, die sich nicht auf die präzise ,Momentaufnahme' eines bestimmten textuellen Gefüges beschränken, sondern den zugrunde liegenden kommunikativen Stellenwert ins Auge fassen: Der geschickte Autor versucht sich in die Situation eines an allem zweifelnden Lesers zu versetzen, um so dessen eventuelle Einwände im voraus zu entkräften. Er führt beim Verfassen des Textes einen fiktiven Diskurs mit sich selbst, in dem er zugleich die Rollen des Proponenten und des Opponenten spielt. (Ebd.: 180)

Gleichwohl gelingt es Moilanen nicht, die Dialogizität von Texten weiter zu pointieren, sondern verweist relativ vage im Anschluß an P. Hellwig (1984) auf das „Voranschreiten von explizit oder implizit gestellten Fragen auf ihre Antworten" (Moilanen 1996: 183) als Textkonstruktionsprozeß. Trotzdem schärft die Analyse die Beobachtung, daß persuasives Sprechen nicht auf singuläre Illokutionen im Rahmen der orthodoxen EinzelsprechaktTheorie reduziert werden kann. Die Sequenzgebundenheit des Sprachspiels wäre aber noch um einiges entschiedener herauszuarbeiten. Nicht am Beispiel schriftlicher Texte, sondern an dem der Interaktion zweier Sprecher entwickelt Kosta (1998) seine Persuasionsanalyse. Sein bereits kritisch gewürdigter Versuch einer sprechakttheoretischen Beschreibung ist dabei dialoggrammatisch (vgl. Hundsnurscher 1980; 1986) inspiriert. Den Ausfuhrungen in Franke (1990) und Hindelang (1994) folgend, gewinnt für ihn das Konzept des .persuasiven Sprechakts' v. a. dadurch an Relevanz, daß er als initialer Sprechakt (ISPA) eine charakteristische Folge von Zugmöglichkeiten eröffnet. Wie im folgenden Kapitel noch zu zeigen sein wird, ist der Rückgriff auf dialoggrammatische Annahmen ein begrüßenswerter Fortschritt, müßte aber noch um einiges präziser ausfallen. Drei zusammenhängende Kritikpunkte verdienen hier besondere Beachtung: (1) Wenn Persuasion eine Strategie darstellt, kann sie keinen eigenständigen Gesprächstyp begründen. So gibt es zwar BETTEL-, BERATUNGS-, ANWEISUNGS-Gespräche u. v. a. m.,

aber eben keine Persuasionsdialoge. Zunächst einmal müßte hier scharf zwischen den heuristischen Größen .Sequenz-' bzw.,Dialogmuster' unterschieden werden. (2) Es erscheint mir sehr zweifelhaft, ob Kostas Vorgehensweise, einen überredenden/überzeugenden persuasiven Sprechakt als ISPA an den Anfang des Sequenzmusters zu stellen, sinnvoll ist. Im Grunde genommen verschiebt er das Problem nur, anstatt es zu

88 lösen: Was einer Äußerung eine überredende/überzeugende Handlungscharakteristik verleiht, stellt sich erst im dialogischen Zusammenhang heraus. Mit perlokutionären Verben kann man schließlich auch langwierige Dialogsequenzen resümieren. M. a. W.: Will man den strategischen Gehalt der Persuasion angemessen berücksichtigen, muß man die notwendigen Handlungsbedingungen - den erwartbaren Widerstand von Sp2 - stärker berücksichtigen. Genau das ist aber nicht der Fall, wenn man Persuasion dadurch beschreiben will, daß man rein formal von einem persuasiven Sprechakt ausgeht; statt dessen sollte Persuasion als emergente Eigenschaft eines notwendig idealisierten Sequenzmusters in seiner Gesamtheit beschrieben werden, dessen einzelne Züge auf die nichtssagende Etikettierung ,persuasiv' verzichten: Persuasiv ist die Abfolge charakteristischer Züge, und nicht ein einzelner Dialogbeitrag in Form eines singulären Sprechakts. (3) Kostas Adaption der Dialoggrammatik zementiert ebenso wie Moilanens Konzentration auf die Textstruktur eine strikte Trennung mündlicher und schriftlicher Persuasion. Keine der beiden Untersuchungen ist um eine integrative Sichtweise bemüht, die die Frage nach persuasivem Handeln als kommunikativer Universalie wenigstens stellt. Dabei bietet gerade die Dialoggrammatik hier bislang noch ungenutzte Möglichkeiten. Worin sie vor dem Hintergrund aktueller Tendenzen innerhalb der Textlinguistik bestehen, soll das nächste Kapitel diskutieren.

3.3

Zusammenfassung

Das vorliegende Kapitel bezweckte, eine unter pragmalinguistischen Aspekten brauchbare Konzeption des Begriffs .Persuasion' zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wurde, ausgehend von der Kernfrage der semantischen Dichotomisierung der Lexeme überreden und überzeugen, mit den Mitteln der metatheoretischen Kritik dargelegt, inwiefern traditionell argumentationsethische sowie stilistische Konzeptionen, deren Einfluß bis in die gegenwärtige Linguistik reicht, einer adäquaten deskriptiven Erfassung persuasiven Handelns hinderlich sind. Weder die geläufige Unterscheidung nach dem Rationalitäts- noch nach dem Zeitkriterium hat sich als sinnvoll erwiesen. Statt dessen wurde auf der Grundlage einer dritten Dichotomie, die zwischen dem Ergebnis und der Folge einer persuasiven sprachlichen Handlung differenziert, das Überzeugen als Kommunikationsform des theoretischen bzw. evaluativen Diskurses identifiziert, das Überreden dagegen im Bereich des praktischen Diskurses angesiedelt. In Verbindung mit der kritischen Rezeption aktueller linguistischer Ansätze wurden weiterhin die Spezifika persuasiver Kommunikation heraus-

89 gearbeitet. Darauf aufbauend läßt sich nun ein für die Zwecke dieser Studie handhabbareres Persuasionskonzept entwickeln. Es lautet: Mit Persuasion referiert man auf ein komplexes, sequentiell realisiertes Strategiemuster, mit dem Spl bezweckt, bei Sp2 Konvergenz in Handlungs- bzw. Bewertungsfragen herzustellen. Handlungsfragen sind im praktischen, Bewertungsfragen im evaluativem Diskurs bei Sp2 angesiedelt. Auf dieser Grundlage sollen die Prinzipien persuasiver Kommunikation präziser diskutiert werden, die sowohl schriftliche Texte als auch mündliche Gespräche determinieren. Dazu ist es erforderlich, den vorherrschenden Textbegriff dialogtheoretisch zu modifizieren, was in Kapitel 4 geschehen soll.

Das Struktur-/Funktions-Problem in der Textlinguistik

4.

Mittlerweile hat sich die Textlinguistik als eine der wichtigsten pragmalinguistischen Domänen etabliert und Schritt für Schritt kohärente sprachliche Äußerungen in ihrer kommunikativen Funktion zu bestimmen versucht. Die forschungsgeschichtlichen Entwicklungslinien sowie Vorschläge zu ihrer weiterführenden Differenzierung sind bereits mehrfach nachgezeichnet worden, so daß die vorliegende Studie hier ausgewählte Problembereiche diskutieren kann, ohne einen repräsentativen Querschnitt der Teildisziplinen anstreben zu wollen. 1 In den letzten Jahren ist gerade in der Textlinguistik eine verstärkte Tendenz zu verzeichnen, den Untersuchungsgegenstand ,Text' konsequenter in soziokulturellen/kommunikativen Kontexten zu situieren. Die Grenzen der vorliegenden Textgestalt als Materialbasis bestimmen damit nicht mehr zwangsläufig die linguistische Untersuchung; gleichgültig, ob nun von Domänen (vgl. Adamzik et al. eds. 1997) oder Diskurs (vgl. Warnke ed. 2000) die Rede ist - ein erweiterter Analysefokus wird offenbar übereinstimmend als wichtige textlinguistische Aufgabe identifiziert (vgl. Tietz 1997) und entwickelt (vgl. Hardenbicker 1999). Nun ist diese Problemstellung im Rahmen der Textlinguistik im Prinzip nicht neu; seit der Pragmatischen Wende besteht die Hauptanforderung an die linguistische Textanalyse darin, auf der einen Seite die kommunikative Textfunktion, auf der anderen Seite die formale Textstruktur stimmig zu integrieren. Die traditionelle Sprachwissenschaft definiert sich über die spezifischen Operationen des Beschreibens/Analysierens sprachlicher Einheiten. Nach ihrem bis in die 1960er Jahre dominierenden Selbstverständnis kamen dafür insbesondere diejenigen Sprachphänomene als Datenmenge in Betracht, die entlang der strukturell-semiotischen Fokussierung als phonologische, morphologische, lexikalische sowie syntagmatische bzw. syntaktische Einheiten abbildbar sind. Die Frühphase der Textlinguistik ist noch insofern von dem traditionellen Paradigma geprägt gewesen, als sie ausschließlich mit der Basiseinheit ,Satz' operierte und davon ausgehend textuelle Zusammenhänge über transphrastische Bezüge herleitete. Diese textanalytische Vorgehensweise definiert Textualität primär als Kohäsion, den grammatisch markierten Zusammenhang

1

Zur allgemeinen Einführung vgl. Brinker (31992) sowie Heinemann/Viehweger (1991); ebenfalls als Einleitung eignet sich Nussbaumer (1991). Spezifischere pragmalinguistische Ansatzpunkte charakterisieren die Überblicke von Franke (1987; 1991), Rolf (1993) sowie Frilling (1995).

91 zwischen Einzelsätzen. 2 Eine derart ,formale' Betrachtungsweise erlaubt zwar ein hohes Maß an InterSubjektivität, manövriert sich aber bereits bei intuitiv unproblematischen Fragestellungen wie etwa nach dem Textthema in emsthafte Schwierigkeiten: Wie kommt es, daß Texte (miß-) verstanden werden können? Lassen sich Texte klassifizieren? Nach welchen Kriterien? Mit der wachsenden Sensibilisierung dafür, daß ein Textrealisat nicht für ,sich selbst spricht', geht die stärkere Berücksichtigung kommunikationstheoretischer Fragestellungen einher. Heute stimmen Textlinguisten weitgehend überein, daß ein Text eine kommunikative Einheit darstellt, an deren Bildung sowohl der Textproduzent als auch der Textrezipient beteiligt sind. D. h., daß die Konzentration auf die manifeste Textstruktur zugunsten einer aussagekräftigeren, aber schwieriger quantifizierbaren intersubjektiven Berücksichtigung der nicht im Textrealisat eingeschriebenen kommunikativen .Umstände' gewichen ist. Der textuelle Zusammenhang ist nach dieser Auffassung als Ergebnis transphrastischer Kohäsionsprozesse nicht hinreichend beschreibbar. Um als ,kohärent' wahrgenommen werden zu können, bedarf es einer Verständigungsbasis von Adressant und Adressat. Das, was eine auf das manifeste Textprodukt fixierte Betrachtung so elegant als Kontext bezeichnet, rückt immer weiter ins Zentrum der kommunikativen Textlinguistik. Ihr Untersuchungsbereich umfaßt somit drei Bezugsgrößen, die durchaus so etwas wie inhaltliche Spektren der aktuellen Textlinguistik akzentuieren: (1)

Die Rolle des Textproduzenten; hier werden v. a. globale Aspekte der Textkonsti-

tution bzw. der lokalen Formulierung von Texteinheiten reflektiert (vgl. Antos/Krings eds. 1989); (2)

Pragmalinguistische/Funktionale Untersuchungen von Texttypen/Textsorten/ Text-

realisaten, die die Bezugsgröße ,Text' hinsichtlich thematischer (vgl. Lötscher 1987, Klein/von Stutterheim 1992), struktureller bzw. klassifikatorischer (Franke 1987, Rolf 1993) Problemstellungen hinterfragen und die Rolle der an der textuellen Kommunikation Beteiligten eher indirekt behandeln; 3 (3)

der Beitrag des Rezipienten bei der (Re-)Konstruktion des Textverständnisses, das

hinsichtlich unterschiedlicher Komplexitätsgrade (lokale/globale Einheiten, vgl. [1]) beleuchtet wird (vgl. Sichelschmidt et al. 1992; Rickheit/Strohner 1992). (1) und (3) sind nach meinem Verständnis eher prozeßorientiert, was sie für traditionelle Konzeptualisierungen, die gerade (2) kennzeichnen, eher als Randbereich qualifizieren. Meist wendet man sich konkreten Textrealisaten zu, die, abgesehen von etwaigen Problemen bei der Textcorpus-Erstellung, als punktuelle Größe ja bereits vorliegen. Gegenüber 2

3

In der neueren Textlinguistik wird allgemein zwischen Kohäsion und Kohärenz unterschieden und der Kohäsion allenfalls eine textgrammatische Etappenfunktion attestiert, vgl. Nussbaumer (1991: 102-127). Zur Kritik an dieser Sichtweise vgl. aber Brinker ( 3 1992: 18 Fn.18). Zur terminologischen Unterscheidung vgl. Franke (1987).

92 dem Produktionsprozeß markiert ein gegebenes Textrealisat den End-, gegenüber dem Rezeptionsvorgang wiederum den Ausgangspunkt. Diese Punktualität verleiht dem Kommunikationsmedium ,Text' dann seinen manifesten Charakter, vor dessen Hintergrund sich die prozeßorientierten Fragestellungen dann leicht als .latent' marginalisieren lassen. Die kommunikationstheoretische Aussagekraft einer textlinguistischen Untersuchimg (2) läßt sich m. E. auch danach bemessen, inwiefern es ihr gelingt, den scheinbar so objektivgegenständlichen Text in seiner Funktion als Träger/Medium gemeinsamen sprachlichen Handelns faßbar zu machen. Es spricht nichts dagegen, jede Textsorte, jedes -realisat detailliert nach etwaigen Besonderheiten zu befragen; die manifeste Text-,Gestalt' kann dann aber rasch dazu verleiten, auf der Ebene sprachlicher Oberflächenphänomene stehenzubleiben und den interaktionalen Zusammenhang, der einem Text erst seinen Sprachspielcharakter verleiht, zu vernachlässigen. Insbesondere stellt sich hier die Frage, in welchem Verhältnis schriftliche, nicht durch einen Sprecherwechsel charakterisierte und mündliche dialogische Kommunikation zueinander stehen und wie die linguistische Forschung damit umzugehen hat; impliziert Textlinguistik Dialoganalyse oder umgekehrt, handelt es sich also um zwei klar abgrenzbare Forschungsbereiche? Diese Frage wird in Abhängigkeit vom linguistischen Erkenntnisinteresse völlig unterschiedlich beantwortet. Nussbaumer (1991: 33) beklagt beispielsweise, im Zuge der Pragmatischen Wende habe man „gleichsam das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und gar nicht mehr Textlinguistik, sondern Gesprächsanalyse betrieben"; Techtmeier (1996: 122 Fn.l) subsumiert unter Text sowohl schriftlich-monologische als auch mündlichdialogische Erscheinungsformen. Dezidierte Gegenpositionen bezüglich der Monologizität bzw. der Dialogizität von Texten vertreten Rolf (1993: 27-35) und Franke (1991: 169-172).

4.1

Das monologische Textmodell: Die Handlungsstrukturanalyse von Illokutionshierarchien

4.1.1

Grundzüge

Der bisher umfassendste textlinguistische Beschreibungsansatz beruht auf einem kooperativen Forschungsprogramm, das vornehmlich in Lund und dem ehemaligen Ost-Berlin seit dem Ende der 1970er Jahre entwickelt wurde. Unter dem - hinsichtlich der Konnexion vielsagenden - Titel „Sprache und Pragmatik" ist es in einer Vielzahl von Publikationen entfaltet und, wie die Beiträge in Mötsch (ed. 1996) zeigen, nachhaltig ausdifferenziert

93 worden. Eine ausführliche Diskussion der einzelnen Ansätze kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden; dennoch sollen die wesentlichen Grundannahmen herausgestellt werden, ohne die bestehenden Unterschiede leugnen zu wollen. Der Grundgedanke des Konzepts ist ein integrativer: am Beispiel eines Textcorpus von .Geschäftsbriefen' werden sowohl Prinzipien sprachstruktureller als auch -funktionaler Art aufeinander bezogen. In - im Verlauf der Entwicklung auf aufschlußreiche Weise modifizierter - Anlehnung an Bierwisch (1979) unterscheidet Mötsch (1996a: 13) sprachlichgrammatisches und sprachlich-pragmatisches Wissen als zwei autonome, aber interagierende modularisierte Kenntnissysteme, die auf der Ebene der Grammatik bzw. des konzeptuellen Systems angesiedelt sind.4 Nach diesem Verständnis werden die funktionalen Einheiten eines Textes durch die grammatische Oberflächenstruktur in Form syntaktischer Einheiten repräsentiert. Für den Textlinguisten bedeutet dies, daß er ausgehend von den im Text repräsentierten Sätzen unter Nutzung des konzeptuellen Systems deren pragmatischen Status eruiert. Auf diese Weise sollen Aufschlüsse über die Interaktion beider Module gewonnen werden. Die Leistung des konzeptuellen Systems wird anhand der Trias ,Satzbedeutung' ,Äußerungsbedeutung' - ,illokutive Interpretation' nachgezeichnet (vgl. ebd.: 5-6). Die Satzbedeutung weist gewissermaßen den stärksten Bezug zum Grammatikmodul, v. a. der Logischen Form, auf; sie legt die semantische Interpretation von kontextunabhängigen Sätzen fest und markiert somit die .wörtliche Bedeutung'.5 Die Äußerungsbedeutung situiert den Satz in einem Kontext, in dem zum einen deiktische Aktualisierungen vorgenommen werden, zum anderen auch die ,intentionalistischen' Bedingungen eines Kommunikationsversuchs nach Grice greifen, indem der Sprecher bei dem Hörer einen bestimmten Effekt erzielen will (vgl. auch Motsch/Pasch 1987: 20-22). Aufgrund des Weltwissens/Enzyklopädischen Wissens bestehen Äußerungsbedeutungen in der „Spezifizierung oder Uminterpretation von Satzbedeutungen" (Mötsch 1996a: 7). Eine nach Maßgabe der Sprechakttheorie vollgültige illokutionäre Sprechhandlung kommt erst dann zustande, wenn die als Kommunikationsversuch geltende Äußerungsbedeutung einer illokutiven Interpretation unterzogen wurde und einem konventionellen Handlungsmuster zugeordnet wird; auf dieser Ebene kommt damit Searles konventionalistische Korrektur der Griceschen Bedeutungstheorie zum Tragen.6 Mötsch (ebd.: 11) umschreibt sie als „zusätzliche Infor-

4

5

6

Mit aller wünschenswerter Entschiedenheit wird wiederholt darauf hingewiesen, daß die Module zu linguistischen Zwecken vorgenommene Konstruktionen darstellen, vgl. Mötsch (1989: 43), Mötsch (1992: 56). Motsch/Pasch (1987: 34) folgen hier noch Bierwisch und verlegen die Satzbedeutung in die Domäne der Grammatik; die vorsichtigen Ausfuhrungen in Mötsch (1996a: 5) legen eine Revision dieser Haltung nahe. Vgl. dazu auch Kap. 5.3.2.

94 mationen", die das auf die Äußerungsbedeutimg bezogene Weltwissen als Illokutionswissen ergänzen. Die Illokution gilt in diesem Konzept als die Basiseinheit bei der Beschäftigung mit Texten; ein Text besteht aus einer Folge von in Satzform geäußerten Illokutionen, die dem Text eine bestimmte Struktur verleihen. 7 Die Struktur liegt in dem Verhältnis der Illokutionen zueinander begründet; diese Relation richtet sich nach dem spezifischen Beitrag, den eine

Illokution

erbringt,

um

einen

textuellen

Handlungsplan

zu

realisieren

(vgl.

Motsch/Pasch 1987: 6 6 - 7 6 ) in dem Sinn, „daß der Erfolg einer Handlung durch andere Handlungen gestützt wird" (Mötsch 1996a: 21). 8 Sofern eine Illokution dazu dient, den Erfolg einer weiteren Illokution zu stützen, gilt sie als .subsidiär', die gestützte Illokution als ,dominierend'. Je nach Komplexität des textuellen Handlungsplans sind somit unterschiedliche hierarchische Ebenen zu konstatieren: die auf Ebene n dominierende (da auf Ebene n-J gestützte) Illokution kann auf Ebene n+1 wieder als subsidiär klassifiziert werden. Die Textstruktur ist wesentlich eine Illokutionshierarchie. 9 Wie bereits angedeutet, ist das Modell der Illokutionshierarchie der derzeit überzeugendste Versuch, die beiden Aspekte Textstruktur und Textfunktion integrativ zu beschreiben. Nussbaumer (1991: 154) inspiriert sie zu einer begeisterten Würdigung: Von Textfunktionen oder Ähnlichem zu reden ist seit Ende der 80er Jahre Gemeingut geworden. Den Textbegriff aber wirklich konsequent funktional zu begründen und aus einer solchen Begründung auch die Konsequenzen für die Explikation der Textstruktur zu ziehen ist jedoch etwas anderes und nach meiner Kenntnis nirgends so konsequent verwirklicht wie in der Lunder und der Berliner Gruppe.

4.1.2 Problematisierung Trotz der Meriten der Illokutionshierarchie sind einige ihrer Annahmen unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten zu problematisieren.

7

8

9

Zur Definition vgl. Motsch/Pasch (1987: 19): IH = \ Eine Illokution ist eine Äußerung, mit der ein Sprecher unter bestimmten Bedingungen ein bestimmtes Ziel mit bestimmten möglichen/tatsächlichen Konsequenzen verfolgt. Mit der Differenzierung in Verstehens-, Akzeptanz- und Ausfuhrungsbedingungen (vgl. Motsch/Pasch 1987: 27) rekurrieren die Autoren offenkundig auf Grundüberlegungen in Wunderlich (1976) und Sökeland (1980: 92-96). Das Konzept der illokutionshierarchie' ist bereits von S. J. Schmidt (1976: 150) thematisiert worden, ohne daß die einschlägigen Arbeiten darauf verweisen. Gleichzeitig warnt Schmidt (ebd.: 149) aber auch: „Die Zuordnung von Sätzen zu Kommunikationsakten kann [...] nicht mechanisch erfolgen."

95 4.1.2.1 Defizite der isolierten Illokutionsbestimmung Eine Texttheorie, die den ehrgeizigen Anspruch erhebt, sowohl die Funktionalität als auch die Struktur eines Textes zu erfassen, hat - auch und gerade, wenn sich beide Größen gegenseitig bedingen - zwischen zwei Analyseansätzen zu wählen; sie kann entweder bei der manifesten Textgestalt ansetzen und anhand klar identifizierbarer Einheiten die Struktur erläutern, indem sie über ihre Funktion reflektiert. Die erkenntnisleitende Frage lautet: Wie läßt sich die Textstruktur funktional begründen? Ihren elaborierten Ausdruck findet dieses strukturell-funktionale Vorgehen als formalistische Pragmatik in der Auffassung, nach der sprachstrukturelle Einheiten mit sprachpragmatischen korrespondieren.10 Insbesondere strebt sie eine ,minimalistische' Detailbeschreibung sprachlichen Handelns an. Die zweite Analysestrategie geht genau umgekehrt vor; ihrem Verständnis gemäß ist die Struktur eines Textes, gleichgültig, wie präzis sie angegeben werden kann, seiner Funktion untergeordnet. Die Frage heißt: Inwiefern läßt die Funktionalität eines Textes Rückschlüsse auf Strukturparameter zu? Diese veränderte Akzentuierung begründet in ihrem funktional-strukturellen Verständnis die funktionalistische Pragmatik. Statt minimalistischer Detailbeschreibung versucht sie globale Prinzipien zu ermitteln, die einen beliebigen Text als Realisat eines bestimmten Texttyps identifizieren; ihr Analysefokus ist insofern maximalistisch, als eine gegebene Struktur nur als Ausdruck des kohärenzstiftenden funktionalen Gesamtzusammenhangs erscheint. Die perspektivischen Unterschiede zwischen der formalistischen und der funktionalistischen Pragmalinguistik werden besonders deutlich, wenn man ihre Interpretationen des Illokutionsbegriffs reflektiert. Die Handlungsstrukturanalyse operiert mit einem strikt auf die einzelne Äußerung bezogenen Illokutionsverständnis und beruft sich so auf die klassische Sprechakttheorie. Gerade deswegen insistiert sie auf der engen Verbindimg, die zwischen einem illokutionären Akt und einem Satz besteht: Die formalen Grenzen einer illokutionären Sprechhandlung werden durch syntaktische Einheiten determiniert. Dieser minimalistische Analysefokus hat zur Folge, daß größere, den herkömmlichen Einzelsprechakt transzendierende Handlungseinheiten mit dem Hinweis darauf, daß sie „meist nur globale Aspekte der Textstruktur" (Mötsch 1996a: 3; Hervorhebung N. O.) erfassen, skeptisch betrachtet werden. Hier stellt sich allerdings die Frage, wie man überhaupt eine Textstruktur feststellen kann, ohne konsequent die Globalebene zu ermitteln, die überhaupt erst eine Textgliederung voraussetzt. Nun ist die Annahme, daß Sätze mit Illokutionen modular interagieren, insofern problematisch, als sie der wiederholt bekundeten Absicht, funktionale Aspekte zu untersuchen, 10

Zur Unterscheidung von formalistischen und funktionalistischen Ansätzen vgl. Leech (1983: 46). Während er diese Differenzierung zur Unterscheidung von Grammatik und Pragmatik heranzieht, nutzt Meibauer (1999: 2 - 4 ) die Dichotomie zur Binnenunterscheidung pragmalinguistischer Ansätze. Dieser Interpretation schließe ich mich an.

96 letztlich hinderlich sind. Einerseits postuliert man eine klare Trennung zwischen Grammatik und Pragmatik, andererseits geht man doch von einem Zusammenhang der beiden Domänen aus. 11 Diese Untersuchungsanlage bringt es dann mit sich, daß man das vorliegende Textexemplar in syntaktische Einheiten aufgliedert und diesen dann eine illokutionäre Rolle zuspricht. Genau hierin liegt m. E. der Primat der Struktur vor der Funktion im Projekt „Sprache und Pragmatik". Der wiederholte Rekurs auf Basisannahmen Bierwischs stützt diese These: Nachdem das grammatische System befriedigend erfaßt worden ist und der kompetente Sprecher wohlgeformte Sätze bilden kann, stellt sich der Grammatiker die Frage, wozu diese Sätze eigentlich geäußert werden - und inwiefern Erscheinungen auf der Satzebene in der Äußerungssituation relevant sind. Das zeigt sich deutlich an gewissen Formulierungen, die fiinktionalistisch betrachtet anfechtbar sind. Kennzeichnend ist beispielsweise die sehr rigide Beschränkung des Sprachwissens auf „grammatisches wie auch lexikalisches Wissen" (Heinemann/Viehweger 1991: 93), die den Kernbereich des linguistischen Selbstverständnisses vor der Pragmatischen Wende festschreibt. 12 Nur so gesehen macht dann auch die Unterscheidung von „Sprache" und „Pragmatik" überhaupt Sinn. Mötsch (1992: 61) postuliert mit der wünschenswerten Deutlichkeit: „Sprache und Kommunikation werden [...] als eher indirekt miteinander verbunden betrachtet." Der Pragmatik kommt, folgt man diesem Gedanken, demnach v. a. die Aufgabe zu, die eigentliche' Linguistik, die Regeln für wohlgeformte Sätze generiert, zu ergänzen. 13 Sprachpragmatik ist, gemessen an der vergleichsweise gesicherten syntaktischen Basis, eine recht unübersichtli-

11

12

13

Vgl. Mötsch (1996a: 5): „[...] Einheiten für Strukturbildungen in Texten wie Illokutionen [sind] nicht an grammatisch an Sätze ausgewiesene Strukturen gebunden [...], sondern an semantisch und pragmatisch abgrenzbare Einheiten." Und ebd.: „Damit soll nicht behauptet werden, die Textanalyse sei generell unabhängig von Erscheinungen. Wir betrachten es gerade als eine zentrale texttheoretische Aufgabe, Einheiten der Textstruktur unter Berücksichtigung ihrer Korrelationen mit grammatischen (besonders syntaktischen und prosodischen) Mitteln zu bestimmen." In Anlehnung an Bierwisch assoziiert Mötsch (1992: 56) das „linguistische System" mit den „grammatischen Erscheinungen" - als erschöpften sich linguistische Fragestellungen in der Grammatikalität von Sätzen. Prinzipiell ist deshalb Antos (1997: 54) zuzustimmen: „Gegenüber minimalistisch-propositionalen Ansätzen soll [...] deutlich herausgestellt werden, daß Texte genuin eigenständige Formen sind, die sowohl Ergebnis als auch Basis der Evolution von sprachlich basiertem gesellschaftlichen Wissen sind." Überhaupt stellt sich hier die Frage, welchen Nutzen die Unterscheidung von sprachlichem Wissen und Weltwissen überhaupt erbringen soll; erstens ist die Trennung bereits theoretisch problembehaftet, worauf schon wiederholt hingewiesen worden ist (vgl. Bellert 1972: 17; Feilke 1994: 226); zweitens bleibt unklar, welche Konsequenzen man aus einer solchen Differenzierung zu ziehen hat: Sollten die Verfechter eines modularen Kognitionskonzepts damit die Empfehlung verbinden wollen, die Linguistik könne sich nicht selbst genügen, sondern müsse interdisziplinäre Anregungen aufnehmen, dann ist eine solche Sichtweise schlicht trivial. Bezeichnenderweise weckt der Sprachgebrauch wiederholt syntaktische Assoziationen; Mötsch (1996a: 26) stellt die Illokutionshierarchie schematisch als Strukturbaum dar und verwendet Termini wie Knoten und Schwesterillokutionen.

97 che Angelegenheit, und das grammatisch fundierte Sprachverständnis, am minimalistischem Zugriff orientiert, nimmt diesen Zuwachs an Komplexität eher unbehaglich zur Kenntnis (vgl. Brandt/Rosengren 1992: 28-29; Rosengren 1992: 435) und wendet sich der handlungstheoretisch durchaus anfechtbaren Frage zu, „in welcher Weise die Handlungsinstrumente Handlungsziele bestimmen" (Mötsch 1992: 60): Handlungsinstrumenten kommt dieser Status nur in Relation zu einem Handlungsziel zu; sobald man ein Handlungsmittel heranzieht, hat man das konventionell zu verfolgende Ziel de facto bereits vorausgesetzt. D. h.: Handlungsinstrumente bestimmen keine Ziele, sie drücken eine Zweck - MittelRelation aus. Ahnlich aufschlußreich ist zudem die Wendung, der zufolge Mötsch (1996a: 21) die „Funktionen von Illokutionen" in den Blick nehmen will. Sofern diese Prägung nicht als Tautologie aufzufassen ist, kann man daraus nur ableiten, daß die textuelle Einheit ,Illokution' eben primär syntaktisch definiert ist. Der funktionale Stellenwert sprachlicher Handlungen wird in der Handlungsstrukturanalyse also nicht konsequent reflektiert, weil man nicht entschieden genug auf den Satzbegriff verzichtet, so daß grammatische Sichtweisen mit der pragmatischen eben nicht - wie postuliert - interagieren, sondern interferieren.14 Darum lautet die übergreifende Fragestellung im formalistischen Konzept der Illokutionshierarchie also: Welcher illokutionäre

Status

kommt der syntaktisch repräsentierten Äußerung x zu, und nicht: Durch welche - u. U. völlig unterschiedlichen

- syntaktischen Repräsentationen

kann eine illokutionäre

Kraft

durch Äußerungstypen realisiert werden? Eine derartige Interferenz spiegelt sich in besonderem Maß darin, daß Motsch/Pasch (1987: 45-60), ganz den Prämissen der EinzelSprechakttheorie verpflichtet (vgl. Mötsch 1996a: 19), illokutionäre Grundtypen durch den Rückgriff auf Satzmodi unterscheiden. 15 Textstrukturen werden kraft dieser minimalistischen Betrachtung durch das bottom-upVerfahren transparent. Genau hierin liegt auch der entscheidende Kritikpunkt: Da man sich sträubt, komplexere Handlungseinheiten auf der globalen Ebene zu bestimmen (die Textfunktion als Ganzes in den Blick zu nehmen), bleibt auch die Analyse der einzelnen Texteinheiten, verschärft durch die unentschlossene Emanzipation vom Satzbegrifif, eigentümlich unbestimmt. Zur funktionalen Erfassimg des textuellen Zusammenhangs beschränken sich die Forscher auf die reichlich holzschnittartige Modellierung von Dominanz- und 14

15

Vgl. auch Brandt/Rosengren (1992: 14); ihre Aussage, daß „die Illokution sozusagen zwei Seiten aufweist; einen grammatischen Aspekt und einen pragmatisch-illokutiven Aspekt" provoziert geradezu Kategorienfehler. Demnach fundiert der Deklarativmodus die Illokutionsklasse MITTEILUNGEN, der Interrogativmodus instantiiert FRAGEN, der Imperativmodus begründet AUFFORDERUNGEN. Es ist in diesem Zusammenhang ebenfalls aufschlußreich, daß Mötsch et al. (1989: 23) den Unterschied von Satz und Illokution eben nicht kategorial, sondern formal bestimmen: „Während der Satz die größte strukturelle Einheit der Grammatik ist, ist die Illokution die kleinste Handlungseinheit der Pragmatik."

98 Stützungsverhältnissen. Die globale Textfunktion kommt darin nur mittelbar in den Blick, und zwar durch diejenige Illokution, die gestützt wird, aber zu keiner weiteren in einem subsidiären Verhältnis steht. Darum wirkt die Strategie, isolierte Illokutionen zwar hinsichtlich ihres Stellenwerts gleichzuordnen, durch die Attribution als .dominierend/subsidiär' aber dann doch eine vage Gewichtung nach dem primus inter pares-Pxxnzvp zu etablieren, handlungstheoretisch widersprüchlich. Die untergeordneten Äußerungen erhalten für sich genommen eine eigenständige Handlungscharakteristik, die ihnen vor dem Hintergrund des kommunikativen Zusammenhangs, der ja als Globalillokution um ein Vielfaches präziser wiedergegeben werden kann, wirklich vollständig zukommt. Zum einen ist die - in den Einzelanalysen auch häufig praktizierte - Möglichkeit, lokale Hierarchieverhältnisse ohne Berücksichtigung der Gesamtstruktur des Textes zu fokussieren, einem fundierten funktionalen Verständnis abträglich. Zum zweiten bleibt auch das Arsenal illokutionärer Handlungsbezeichnungen äußerst dürftig, eben: minimalistisch; mehr als ,prototypische' Sprechhandlungen (z. B. AUFFORDERN, INFORMIEREN, BITTEN, FRAGEN, 16 KONSTATIEREN) fördert die Analyse der Einzeläußerungen zwangsläufig nicht zutage. Diese Form der Handlungsanalyse kann insbesondere nicht erklären, weswegen ein Text nicht die Summe seiner Einzelkonstituenten darstellt, seine Globalfunktion ein emergentes Phänomen ist. Insofern unterliegt die von Mötsch (1996a: 21) vorgebrachte Kritik an funktionalistischen Ansätzen, die sparsamer mit dem Illokutionskonzept operieren, denselben Prinzipien - nur, daß die eingeklagte „Beschreibung der illokutiven Binnenstruktur" (ebd.) hier an der kurzschlüssigen Identifizierung von Äußerungseinheiten mit Illokutionen auch nicht vollends befriedigt. Mit dem orthodoxen Illokutionsbegriff, der die Sequentialität sprachlich-kommunikativen Handelns nicht angemessen berücksichtigt, verfällt man in den Kardinalfehler, anstelle von Illokutionen doch eher Äußerungsbedeutungen, propositionale Gehalte, zu beschreiben; die illokutionäre Kraft, die als interpretative Zuordnung zu einem Handlungsmuster ermittelt wird, besteht aus der Trias Handlungszweck - Handlungsmittel - Handlungsbedingungen. Komplexe kommunikative Zusammenhänge, auf die Texte zweifellos rekurrieren, verleihen den jeweiligen eingebetteten Äußerungen den Status als Handlungsmittel. M. a. W.: die Identifizierung einer Illokution kann nur relativ zu der zu untersuchenden Äußerung(sfolge) vorgenommen werden. Projiziert man das Erkenntnisinteresse also auf einen ganzen Text, d. h., weist man ihm einen Zweck zu, verfügt er über eine bestimmte Illokution. Das Interpretationsschema F (p) läßt sich m. E. auch auf ganze Äußerungssequenzen bzw. Texte anwenden. Demgemäß repräsentieren die Texteinheiten die auf die Textillokution F bezogenen Propositionen. Daraus kann man nur ableiten, daß die illokutionäre Rolle einer Äußerung nicht per se .eingeschrieben' ist; sie ist keine vorausset-

16

So auch zutreffend von Schröder (1998: 125) kritisiert.

99 zungslose Entität.17 Nur ein derart objektivistischer Irrtum kann dann Scheinprobleme generieren wie z. B. die Diskussion, ob und inwiefern der Zweck eines Textes durch die dominierende Illokution repräsentiert wird; hier verwechselt man die isolierte Äußerungsbedeutung mit der illokutionären Rolle.18 In dieser Weise kann man auch Rehbein (1988: 1184) verstehen, der das Konzept der Illokutionshierarchie prägnant als ,„Text-Semantik"' charakterisiert und damit die inhärenten handlungstheoretischen Schwierigkeiten auf den Punkt bringt. Grundsätzlich kann man auch Brinker ( 3 1992: 92) zustimmen, „daß man Sätzen im Grunde nur bei einer isolierten Betrachtung eine illokutive Rolle zuordnen kann"; allerdings halte ich es für durchaus möglich, einzelnen Textäußerungen ein illokutionäres Potential zu attestieren. Damit ist Folgendes gemeint: Analysiert man Texte in ihrer Gesamtheit, ist es praktikabel, dem Text eine Globalillokution F zuzuweisen. Insofern sind die konstituierenden Äußerungen dann als Propositionen einzuordnen. Nimmt man sie immer vor dem Hintergrund der übergeordneten Textfunktion - gesondert in den Blick, kann man sie als Ergebnis dieser Doppelperspektivierung

selbst wieder als funktionale

Einheiten verstehen und bei Bedarf einen Illokutionsbegriff zugrunde legen, dessen Fokus gemessen an der Globalperspektive eingegrenzt ist.19 Eine zufriedenstellende illokutionäre Interpretation kann sich aber dann nicht mit satzsemantischen ad Aoc-Etikettierungen begnügen, sondern muß den Bezug zur kohärenzstiftenden Globalillokution herausstellen. Mötsch et al. reflektieren m. E. unzureichend darüber, inwiefern eine textuelle Einheit in

17

Es ist bezeichnend für den gegenwärtigen Stand der Linguistik, daß diese simple und plausible Beobachtung viel zu selten konsequent bei der Suche nach passenden Beispielen für die eigene Position berücksichtigt wird; bisweilen agieren Linguisten hier auch wider besseres Wissen. So korrigiert sich beispielsweise Nussbaumer (1991: 218 Fn. 73): „Strenggenommen darf ich natürlich keine kontextlosen Beispiele machen!" Auf diese Einsicht zu verzichten bedeutet aber nicht einfach eine verzeihliche Nachlässigkeit; sie determiniert die sprachtheoretische Grundlegung, deren Status für das Fach Linguistik wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf. Vgl. Strohner (1995: 67): „Wenn in der Linguistik einem sprachlichen Ausdruck eine gewisse vom Sprecher unabhängige Textbedeutung zuerkannt wird, so ist [...] hier eine objektivistische Verirrung zu diagnostizieren. Oft ist es geradezu amüsant zu verfolgen, wie zum Beispiel auf der Grundlage strukturalistischer Syntaxtheorie eine scheinbar objektive Beurteilung der sogenannten Wohlgeformtheit eines sprachlichen Ausdrucks von subjektiven Urteilen eines Forschers abhängig ist." Das gilt um so nachhaltiger für die Detektion von kontextfreien, .voraussetzungslosen' Einzelillokutionen. Abermals sei zur eingehenderen Diskussion auf Kapitel 5.3 verwiesen.

18

Frilling (1995: 64 Fn.3) vertritt die problematische Auffassung, „daß nicht jeder Text notwendigerweise (mindestens) eine Äußerungseinheit enthält, die die jeweils dominierende Illokution repräsentiert: Der globale Zweck eines Texts kann auch einem bestimmten konventionalisierten Textmuster [...] inhärent sein, das - bei korrekter Befolgung - die Identifizierbarkeit der übergeordneten Textfunktion F sicherstellt, selbst wenn sich F in keiner der Teilillokutionen des Texts widerspiegelt." Zur Reflexion über die beschreibungsrelativen Analyseperspektiven vgl. v. a. Hardenbicker (1999: 21-39).

19

100 dem Moment, in dem die Gesamtfiinktion außer Acht gelassen wird, ihre textuelle Qualität in der Analyse verliert. Für einen Sprechakttheoretiker im herkömmlichen Sinn ist die Äußerung (26) Er ist ein ehrenwerter Mann

zuallererst ein expressiver illokutionärer Akt, mit dem ein Sprecher seiner Wertschätzung eines Mannes Ausdruck verleiht. Daß diese Prädikation in keiner Weise zwingend ist, zeigt sich daran, daß man unter spezifizierten Bedingungen (z. B. der Identifizierung des Sprechers als Mark Anton, der sich über Brutus äußert) den Sprecher nur schwerlich eines unbedarften Umgangs mit dem Kommunikationsmedium Sprache zeihen kann, wenn die Zuhörer, legt man allein die Äußerung zugrunde, ganz andere mentale Reaktionen entwikkeln. Man kann nicht einmal konstatieren, daß der eingetretene perlokutionäre Effekt verbreitete Empörung über Brutus - den Sprecher völlig überrascht hat. Im Rahmen seiner Ansprache hat er einen situativen Kontext etabliert, der die Einschätzung der sprachlichen Handlung als LOBPREISUNG o. ä. eben nicht zuläßt. Selbstverständlich ist es legitim, mit isolierten Sprechakten zu operieren, wenn man auf diesem Weg Aufschlüsse über satzsemantische Probleme gewinnen möchte; der formalistische Zugriff ist nicht per se abzulehnen. Ich möchte aber die These aufstellen, daß er für die Erfassung sprachlicher Kommunikation einen geringeren Nutzen bringt, als das mikrolinguistische Illokutionsverständnis nahelegt. Sprachliche Handlungen sind Vexierbilder insofern, als sie der linguistischen Interpretation unterliegen, die stets in Relation zu einem bestimmten Erkenntnisinteresse vor sich geht. Unbestreitbar kann man z. B. ein VERKAUFSGESPRÄCH unter ganz unterschiedlichen Fragestellungen untersuchen; ist man an einer Erhebung ,konnotativen' lexikalischen Materials interessiert, wird man zwangsläufig andere Analyse-Einheiten und -ergebnisse entwickeln, als wenn man die Rolle des Beziehungsaspekts oder argumentationstheoretische Aspekte ins Auge faßt. Die Berechtigung der einzelsprechakt-theoretischen Perspektive steht außer Frage. Daraus kann man aber keinen Ausschließlichkeitsanspruch ableiten. Somit läßt sich die handlungstheoretische Beobachtung des ,Ziehharmonika-Effekts' (vgl. Feinberg 1970: 134) noch differenzieren: Handlungen können nicht allein auf der Zeitachse „verschieden weit beschrieben oder kategorisiert werden" (Rolf 1987: 87; Hervorhebung i. O.), sondern auch in ihren zweckrationalen und situativen Verflechtungen. Unglücklicherweise postuliert man hier oft eine ,Normalform der Handlungsbeschreibung' (vgl. Harras 1983: 25-30), die man kurzerhand mit der Einzeläußerung gleichsetzt - und übersieht dabei die Abhängigkeit von den eigenen interpretativen Zielsetzungen (vgl. Rehbein 1979: 11-12).

101 4.1.2.2 Weitergehende Kritikpunkte Die Probleme einer formalistischen Illokutionsbestimmung lassen sich anhand strittiger Punkte in der theorieintemen Diskussion demonstrieren: 4.1.2.2.1 Probleme bei der Einheitenbildung Eine direkte Folge des minimalistischen Vorgehens besteht m. E. darin, daß das Bemühen, der textuellen Komplexität doch gerecht zu werden, eine Tendenz zur fortgesetzten Bildung weiterer Strukturebenen gezeitigt hat, über die bislang aber noch kein Konsens hergestellt worden ist.20 4.1.2.2.1.1 Die Binnendifferenzierung der Handlungsstruktur Brandt/Rosengren (1992) unterscheiden auf der Ebene der Handlungsstruktur neben der Illokutionsstruktur noch eine Sequenzierungs- und eine Formulierungsebene. Speziell die die Sequenzierungsebene konstituierenden Prinzipien, nämlich das Hierarchie-, das Ikonitäts- sowie das Situationsprinzip sind aber kaum präziser erläutert, geschweige denn hinsichtlich ihrer Generalisierbarkeit über das Textcorpus Geschäftsbriefe' hinaus befragt worden. Hier stellt sich die Frage nach der Sequenzierungsvarianz (vgl. Mötsch 1996b: 198-207; Techtmeier 1996: 126). 4.1.2.2.1.2 Die Informationsstruktur Zudem postulieren Brandt/Rosengen (1992) eine Ebene der Informationsstruktur, die auch wieder das Ergebnis von Beobachtungen an syntaktischen Oberflächenphänomenen darstellt. Tendenziell setzen sie Informationseinheiten mit in Nebensätzen dargebrachten Stützungsrelationen gleich. Ihnen zufolge (vgl. ebd.: 20-21) liegen in der Sequenz (27) Ich bin morgen verreist. Deshalb möchte ich Sie bitten, mich zu vertreten, zwei Illokutionen mit jeweils einer Informationseinheit vor, in der Äußerung (28) Da ich ab morgen verreist bin, bitte ich Sie, mich bis auf weiteres zu vertreten

hingegen nur eine Illokution, dafür aber zwei Informationseinheiten. Fälle aus dem Textcorpus, in denen dagegen die als dominierend eingeschätzte direktive Illokution selbst in syntaktisch untergeordneten Konstruktionen realisiert wird, werden wenig überzeugend damit erklärt, „daß der Erfolg der Aufforderung für den Sender hier 20

Ein weiterer Grund für diese Tendenz mag auch darin zu sehen sein, daß sie schließlich dem modischen ,modularem' Vorgehen in vollendeter Weise entspricht.

102 nicht sehr wichtig ist" (ebd.: 45). Diese Beobachtung mag - wenn überhaupt — in der geschäftlichen Korrespondenz als der empirischen Materialbasis noch ein gewisses Maß an Plausibilität beanspruchen; ihre Generalisierung wird allerdings der Bandbreite an stilistischen Variationsmöglichkeiten, die einem Verfasser zur Verfügung stehen, keineswegs gerecht. Ähnlich verhält es sich mit weiterfuhrenden Überlegungen, die Brandt (1996) am Beispiel der Unterscheidung von Subordination und Parenthese entwickelt.21 Die Annahme einer autonomen — aber selbstverständlich auch wieder interagierenden Informationsstruktur ist umstritten; während Mötsch (1996a: 12) sie allenfalls als „Übergang von den größten Einheiten der Grammatik, d. h. Sätzen, zu elementareren Einheiten von Texten" gelten lassen will, reicht die zweite Ebene Kotschi (1996: 244-247) noch nicht aus, so daß er noch eine zusätzliche, intermediäre Größe, die Textkonstitution, ausmacht. Die Unstimmigkeiten können z. T. auch damit erklärt werden, daß die Differenzierung der Äußerungsbedeutung sowie der illokutiven Interpretation bei der Strukturanalyse wenig aussagt. Mötsch (1996a: 10) zufolge referiert die Äußerungsbedeutung auf die Handlungssituation, in der die Sprecherabsicht vermittelt wird, während die Illokution auf „Sozialkontakte" abzielt. Gerade in der schriftlichen Kommunikation ist diese Trennung rein akademisch. Ohne die textfunktionale Perspektive bleibt der Unterschied zwischen Illokution und Information (sprich: illokutionärem Akt und propositionalem Gehalt) unbestimmt.22 4.1.2.2.2 Probleme bei der Präzisierung des hierarchischen Stützungsverhältnisses Die monierte holzschnittartige Modellierung hierarchischer Beziehungen hat Brandt/Rosengren (1992: 18-20; 27-32) veranlaßt, komplementäre von subsidiären Stützungsbeziehungen zu unterscheiden. Während subsidiäre Illokutionen direkt den Erfolg der übergeordneten Einheit als Erfüllung ihrer Verstehens-, Akzeptanz- oder Ausfiihrbarkeitsbedingungen sichern, erfüllen die komplementären Illokutionen insofern eine indirekte Stützungsfunktion, als ihre Informationen als Einführungen oder Ergänzungen entweder Sachverhalte klären oder aber auf der Beziehungsebene die Kooperation des Adressaten zu sichern haben (v. a. standardisierte Gruß- und Dankformeln im Briefverkehr). Auch diese 21

22

Laut Brandt (1996: 236-238) dient die subordinative Informationsstrukturierung dazu, eine kommunikative Gewichtung von formalen Hintergrundinformationen vorzunehmen, während die parenthetische inhaltliche Nebeninformationen markiert. Diese Problematik entgeht auch Mötsch (1996a: 13) nicht. Deswegen setzt er auch nur die zwei Ebenen ,Grammatik' und ,konzeptuelles System' an, ohne - wie Bierwisch - noch die Wissensdomäne .Interaktionskenntnis' zugrunde zu legen, da, wie er zutreffend konstatiert, diese Unterteilung „auf unscharfen Kriterien für die Abgrenzung von Faktoren, die die Äußerungsbedeutung bestimmen und solchen, die den kommunikativen Sinn determinieren^] [beruht]". Die Unscharfe liegt aber letztlich in der formalistischen Konzeption begründet.

103 Präzisierung ist kritisiert worden, da sie nicht systematisch den Bezug zur Globalstruktur des Textes erfasse (vgl. Mötsch 1996a: 25). 4.1.2.2.3 Probleme bei der Bestimmung des Verhältnisses von Satzmodus und Illokution Unter den Verfechtern der Illokutionshierarchie besteht eine langwierige Debatte über den Status des Satzmodus, der in einen engen Zusammenhang zu den Abbildungsmöglichkeiten der Illokution gesetzt wird (vgl. Mötsch 1996a: 16-21; Meibauer 1999: 75-81). Die Kontroverse konzentriert sich verkürzt gesagt auf zwei Interpretationsvorschläge; der erste ordnet den Satzmodus den Grundeinstellungen eines Sprechers zu und verweist auf Korrespondenzregeln als „Bündel von lexikalisch, morphologisch, syntaktisch und prosodisch bestimmbaren Eigenschaften" (Mötsch 1996a: 16). Dieser Lesart als .Einstellungstyp' steht der zweite Ansatz gegenüber, dem zufolge der Satzmodus strikt mit dem syntaktischen Phänomen Satztyp korreliert und als dessen semantische Form gilt. Die Satzproposition referiert per se auf Sachverhalte, ohne notwendigerweise auf die Sprechereinstellung bezogen zu sein: Die Lesart bezieht sich hier auf den Satzmodus als ,Referenztyp'. Nun mögen die konkurrierenden Interpretationsmöglichkeiten eine fesselnde formalpragmatische Fragestellung darstellen; bezeichnend ist allerdings, daß darüber die kommunikationsanalytische Kernfrage, nämlich die nach den Prinzipien, wie Illokutionen überhaupt verstanden werden, in den Hintergrund tritt; dabei hat bereits Bierwisch (1979: 129) die formalistische Problematik schon mit dem Hinweis thematisiert, daß die Äußerungsbedeutung, auch dann wenn sie nicht mit der wörtlichen Bedeutung zusammenfällt, sondern eine .übertragene Bedeutung' ist, nicht generell mit dem kommunikativen Sinn der Äußerung identifiziert werden sollte.

Die Handlungsstrukturanalyse teilt die Schwierigkeiten der Einzel-Sprechakttheorie, ggf. Primär- von Sekundärillokutionen unterscheiden zu müssen. Das Phänomen der .indirekten Sprechakte' ist in der Tat der beredte Ausdruck für die Aporien, in die das Unterfangen gerät, sprachliches Handeln von der isolierten Äußerung her zu rekonstruieren. So gesehen ist Bierwisch (1979) zuzustimmen: die Bereitschaft, mit der Vorstellung einer .wörtlichen Bedeutung' zu operieren, markiert als die „pragmatische Gretchenfrage" tatsächlich die Grenze zwischen der formal- und der funktionalpragmatischen Vorgehens weise. Verbale Kommunikation gilt im ersten Fall als wichtiges, aber eben nicht ausschlaggebendes Moment menschlicher Sprache. Die Untersuchungsperspektive entwickelt so ein Illokutionsverständnis, das u. U. eben in der Gebrauchssituation revidiert werden muß. Als Resultat des minimalistischen Zugriffs liegt ein unangemessen reduktionistisches Konventionsverständnis vor. Tendenziell konzipiert man so Pragmatik als Anwendungsgebiet der Grammatik, im Fall der,indirekten Sprechakte' sogar als eine Art .StörfalP. Genau darum kann man auch konstatieren, daß die Satzperspektive trotz gegenteiliger programmatischer Bekun-

104 düngen eben nur unvollständig aufgegeben wurde.23 Die Frage, inwiefern es ohne weiteres möglich ist, mittels eines Deklarativsatzes eine AUFFORDERUNG zu äußern oder mit einem Fragesatz einen VORWURF zu erheben, gibt der illokutionshierarchischen Betrachtung immer wieder Rätsel auf.

4 . 1 . 2 . 2 . 4 D i e Einordnung v o n ERLÄUTERUNGEN

Der handlungstheoretische Status von v. a. verstehensstützenden Äußerungen ist ebenfalls eine offene Frage. Die Beschränkung auf isolierte Einheiten läßt eine fundiertere Bestimmung als die hilflose Etikettierung .relationale Handlung' (vgl. Rolf 1996: 115) eben nicht zu. Hier wäre eine Modellierung von Textsequenzen durchaus erwägenswert. Strittig ist insbesondere, ob der illokutionäre Status auch ERLÄUTERNDEN Nebensätzen zukommt oder für Hauptsätze reserviert bleiben soll. Motsch/Pasch (1987: 18-19) sprechen gerade im Zusammenhang mit dialogisch-sequentiellen Handlungen nicht von ,illokutiven Handlungen', sondern von Funktionen: Eine Antwort ist eine spezielle Funktion, die z. B. eine Aussage in einem Gespräch haben kann. (Ebd.: 19)

Damit belegen sie selbst, daß ihr Illokutionsverständnis wie das der Sprechakttheorie kommunikationstheoretisch defizitär ist. 4.1.2.2.5 Zusammenfassung Die Hauptkritikpunkte an dem Projekt „Sprache und Pragmatik" lassen sich wie folgt zusammenfassen: — Als Handlungsstrukturanalyse räumt die Ermittlung von Illokutionshierarchien der Struktur einen Primat gegenüber der Funktion eines Textes ein. — Sie operiert mit einem kategorial verfehlten Satzbegriff zur Erfassimg von Illokutionen. — Das handlungstheoretische Grundverständnis ist formalpragmatisch geprägt und demgemäß minimalistisch. Die Textstruktur wird so nach dem bottom-up-Verfahren rekonstruiert. Ansätze zur Erfassung der globalen Textfunktion (als Muster) werden nicht systematisiert. — Einige Ergebnisse - etwa zur globalstrukturellen Sequenzierung von Illokutionen - sind durch die Spezifik des Textcorpus vorgezeichnet und nicht generalisierbar. 23

Nussbaumer (1991: 161) spricht im Einklang mit der gängigen linguistischen Meinung vom Illokutionswissen als „einem typischen Interface-Wissen: Es ist Handlungswissen und sprachliches Wissen in einem, liegt in einer Schnittmenge dieser zwei Wissenstypen." Hier stellt sich allerdings die Frage nach der Relevanz dieser Einteilung für die Beschreibung kommunikativer Zusammenhänge.

105 — Die Abbildung der Domäne sprachlichen Wissens auf die Grammatik ist reduktionistisch. — Individualstilistische bzw. textsortenspezifische Variationsmöglichkeiten werden nicht reflektiert. — Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz verkehrt die Satzperspektive das Verhältnis von Grammatik und Pragmatik. — Textrealisate werden als statische Gebilde untersucht. Die Charakteristika textueller Kommunikation (Textproduktion/Textrezeption) bleiben unbeachtet.

4.2

Ansätze zu einer dialogorientierten Betrachtungsweise

Die Aufgabe, einen Text als Realisat eines funktionalen Handlungszusammenhangs, eines textuellen Handlungsmusters zu beschreiben, das die Produktion ebenso wie die Rezeption determiniert, kann die Handlungsstrukturanalyse nicht überzeugend erfüllen. Die top-downAnalyse ist eine viel geeignetere Strategie, als vom syntaktischen Detail auszugehen. Es macht wenig Sinn, bei den nur scheinbar ,objektiven' Textdaten anzusetzen, um jenseits der ohnehin fragwürdig knapp bemessenen Ebene sprachlichen Wissens latente, nicht explizit in den Text .eingeschriebene' Zusammenhänge anzudeuten. Insbesondere bleibt die Frage offen, wie überhaupt ein Textverständnis jenseits statischer Strukturzusammenhänge zustande kommt. Hier führt das umgekehrte Verfahren weiter, auf der Textmuster-Ebene kommunikative Wissensbestände zu explizieren, die dann in Form von konkreten Textrealisaten auf vielfache Weise fokussiert werden. Auch in der Handlungsstrukturanalyse setzt man derartige Wissensbestände voraus, bezieht sie aber nicht konsequent in die Analyse ein. Ein anschauliches Beispiel liefern hier Brandt/Rosengren (1992: 28); beiläufig räumen sie ein: Es ist natürlich nicht immer ganz einfach zu unterscheiden, welche Illokution die dominierende ist. Wir meinen jedoch, daß es in den meisten Fällen möglich ist, die Hierarchie als solche mehr oder weniger intuitiv zu identifizieren, was ja auch der Adressat können muß.

Und als wäre damit alles geklärt, vertieft man sich wieder in die Untersuchung grammatisch-pragmatischer Zusammenhänge. Dabei haben Brandt/Rosengren wohl eher unwillkürlich die zentrale Frage einer kommunikationsanalytischen Betrachtungsweise aufgeworfen: Was macht ein Gefüge von syntaktischen Einheiten zu Äußerungsfolgen, die einen kohä-

106 renten Text bilden? Die Beschreibung rein struktureller Zusammenhänge greift hier zu kurz. 24 Daß in der textuellen Kommunikation ,Wissensbestände' der beteiligten Funktionsträger eine wichtige Rolle spielen, steht außer Frage. Es ist allerdings erstaunlich, daß angesichts der in den letzten 20 Jahren noch einmal forcierten Adaption kognitionstheoretischer Modelle durch die Linguistik die Aspekte des Sprachgebrauchs nach wie vor ein Randdasein fristen. Insofern fordert Biere (1995: 85) zu Recht, den „heute fast ausnahmslos kognitiv gedachte[n] Begriff der Textverarbeitung [...] auch kommunikativ zu verstehen" (Hervorhebungen i. O.). In der Tat lassen sich die scheinbar so unversöhnlichen Grundannahmen der .wittgensteinisch-pragmatischen' sowie der ,mentalistisch-kognitiven' Linguistik m. E. durchaus kompatibilisieren; was den Verstehensbegriff angeht, legen sie einfach verschiedene Ansätze zugrunde, d. h. referieren auf Unterschiedliches (vgl. Grewendorf 1995: 9 5 111). Eine Synthese der Positionen müßte demgegenüber die Frage stellen, wie sich das individuelle Sprachverstehen allein im sozialen Umfeld entwickeln kann. Über mehr oder weniger vage Vorstellungen eines pragmatischen Moduls' (vgl. Kasher 1991) oder die Annahme, Sprachbenutzer verfugten über ein ,Interaktionswissen' (vgl. Viehweger 1989: 43—44; Techtmeier 1990: 176) ist man aber noch nicht hinausgekommen. Erste Ansätze, pragmatische Aspekte der kognitiven Repräsentation, Rezeption und Produktion zu berücksichtigen, operieren mit den noch nicht detaillierter ausgearbeiteten Konzepten .Situationsund Partnerbezug' (vgl. Strohner 1995: 118-122). Hier steht eine systematische Entwicklung noch aus. Was ist unter .gemeinsamem Wissen' zu verstehen? Mittlerweile differenzieren textlinguistische Arbeiten zwei Lesarten von Text\ Texti bezieht sich auf das „Objektivgebilde, 24

Das scheint auch Moilanen (1996: 183) zu bemerken. Immerhin deutet er an, daß sich die textuelle „Struktur [...] auch als dynamischer Prozeß f...] beschreiben läßt. So kommen wir zu der Handlungsstruktur des Textes im eigentlichen Sinne des Wortes .Handlung'." [Hervorhebung N.O.] Diese Problemstellung ist m. E. in der Textlinguistik weiter zu verfolgen. Im Rahmen des Forschungsprojekts sind v. a. die von Techtmeier (1996) unternommenen Überlegungen hervorzuheben, den Untersuchungsrahmen zu erweitern. Insbesondere verdienen ihre Bemühungen um die viel zu lang vernachlässigte metatheoretische Komponente der Handlungsbeschreibung Beachtung. Techtmeier (ebd.: 136) geht von der „Mehrdimensionalität" der Handlungsebenen aus. Dabei entwickelt sie folgenden Gedankengang: „[...] Will ich eine Äußerung nicht isoliert, sondern im Rahmen eines Textes als sprachliche Handlung charakterisieren, so muß ich dies in mehrfacher Hinsicht tun: 1: als Exemplar eines bestimmten Illokutionstyps (und zwar unabhängig davon, ob es sich um ä l = dominierende Illokution oder ä= subordinierte Illokution handelt); 2: als Element einer bestimmten Illokutionshierarchie (als dominierende bzw. verstehens-, akzeptanzstützende Handlung); 3: als Element einer bestimmten Textkonstitutionsrelation (als Paraphrase, Korrektur, Erläuterung etc.); 4: als Element einer bestimmten interaktiven Konstellation (als initiative, reaktive oder reaktiv/initiative Handlung)." (Ebd.)

107 [das] allen seinen Rezipienten gleicherweise gegeben ist" (Nussbaumer 1991: 136), Text2 referiert auf die kommunikative Qualität, d. h. auf das, „was sich [...] als Text im Kopf des Rezipienten ausbildet" (ebd.). S. J. Schmidt reserviert den Terminus Text für die Lesart Texti und bezeichnet Text2 als Kommunikat (vgl. S. J. Schmidt/Groeben 1989: 19). Ein Text wird erst dadurch zu einem Kommunikationsereignis, daß anhand seiner äußeren Zeichengestalt Sinn attribuiert wird, d. h. anschlußfähige Interpretationsmöglichkeiten geschaffen werden können. Der Textsinn, genauer: die Fähigkeit, in der textuellen Äußerungsfolge einen Sinn zu entdecken, ist damit sowohl für das Verfassen als auch für das Verstehen eines Textes unabdingbar. Als Kommunikationseinheit läßt sich ein Text formal als tendenziell übereinstimmende Sinnattribution auffassen: Die Beteiligten müssen über ein Reservoir gemeinsamen Wissens hinsichtlich des kommunikativen Textgehalts verfügen. Die Idee des gemeinsamen Wissens setzt Dialogizität zwingend voraus. Im Folgenden wird zu diskutieren sein, inwiefern eine dialogische Perspektive der textlinguistischen Analyse dienlich sein kann. In der gegenwärtigen Diskussion ist man sich über den Status, der einer dialogorientierten Perspektive für die Textanalyse zukommt, nicht einig. Strittig ist insbesondere laut Franke (1996: 27-28), ob man Texte angemessen mit dem Instrumentarium der EinzelSprechakttheorie beschreiben kann oder ein konsequent dialogisches Kommunikationsmodell zugrunde legen soll. Eines aber steht für ihn fest: „Beim gegenwärtigen Stand der Forschung scheint eine ,Aussöhnung' zwischen diesen beiden Positionen nicht möglich [...]." (Ebd.: 64) Das ist insofern bedauerlich, als die zweifellos gravierenden Kritikpunkte an dem Konzept der Illokutionshierarchie eine kommunikationstheoretisch adäquatere Revision erfordern; allerdings ist der Einfluß von Dialogizität auf monologische Textrealisate bislang auch eher postuliert, aber kaum entfaltet worden. Um hier für etwas mehr Klarheit zu sorgen, ist es m. E. erforderlich, das Verhältnis von Monologizität und Dialogizität präziser zu untersuchen, als dies bislang der Fall war.

4.2.1 Kommunikative Prinzipien und Parameter Die Beziehung zwischen monologischem und dialogischem Sprachgebrauch als Relation von (schriftlichem) Text und (mündlichem) Gespräch repräsentiert eine heuristische Grundsatzfrage in der Textlinguistik. Formalpragmatiker, die einen orthodoxen Illokutionsbegriff vertreten, verstehen unter einem schriftlichen Text ein Gebilde von Sprechakten. Sprachliche Handlungen, an denen mindestens zwei Sprecher beteiligt sind, werden damit auf einer höheren Komplexitätsebene situiert: dialogischer Sprachgebrauch als die nach genauer zu explizierenden Prinzipien erfolgende Verkettung monologischer Beiträge stellt

108 nach diesem Verständnis einen klar abgegrenzten Untersuchungsbereich in der Theorie sprachlichen Handelns dar. 25 Nicht von ungefähr beruft sich beispielsweise Mötsch (1989) auf das Genfer Modell der Dialoganalyse, das den hierarchischen Strukturgedanken ja klar betont. Dialoge erscheinen so vornehmlich als deutlich erweiterte Projektionen von singulären Illokutionen; umgekehrt attestiert man ihnen kein Potential, die einzelnen Illokutionen selbst wiederum genauer bestimmbar zu machen. In dieser Weise argumentiert z. B. auch Rolf (1993: 31). Monologische Texte versteht er als Handlungsmittel zur Realisation der Handlungsintention eines Sprechers/Verfassers, dialogische Gespräche dagegen als Kommunikationsarten/-formen: Gespräche setzen sich aus Gesprächsbeiträgen zusammen, sie sind aber mit diesen nicht gleichzusetzen. Gesprächsbeiträge können durchaus als Texte angesehen werden, Gespräche [...] nicht. [...] Die häufig zu beobachtende Ausdehnung der Verwendung der Bezeichnung ,Text' auf Gespräche, Unterhaltungen, Diskussionen etc. erscheint schon deshalb als fraglich, weil an dem Zustandekommen kommunikativer Ereignisse wie diesen mehrere sprachlich Handelnde beteiligt und folglich auch mehrere (sich in der Regel voneinander unterscheidende und einander zumeist sogar widerstreitende) Intentionen bzw. Rede- oder Schreibprogramme involviert sind. Die kommunikationstheoretische Überzeugungskraft dieser Ausfuhrungen bleibt gleichwohl begrenzt; wie bereits angedeutet, entfaltet ein Text nur im Zusammenspiel der beiden Handlungsträger .Verfasser' und ,Rezipient' ein Sinnpotential. Texte stehen weder ,fur sich selbst', noch sind sie allein Ausdruck der Intention eines einsam handelnden Individuums. Im Gegenteil: gerade wenn ein Textproduzent seine Intention realisieren will, ist er gut beraten, wenn er u. U. widerstreitende Absichten seines Rezipienten beim Verfassen des Textes berücksichtigt, und zwar deswegen, weil die textuelle Kommunikation erst durch den Rezeptionsvorgang instantiiert wird. Diesen Aspekt vernachlässigen Rolfs Darlegungen. Bezeichnenderweise beschreibt er Texte allein aus der Verfasserperspektive als Produkte bestimmter Handlungen, genauer gesagt, Produkte des Formulierens, Produkte von Formulierungshandlungen, .Resultate der Herstellungshandlung .Formulieren" (Antos 1982: 34). Texte, zumal Gebrauchstexte, sind aber auch Instrumente, Mittel oder Träger eines bestimmten Handelns. Texte sind Handlungsträger, die je nach den Annahmen, die der Textproduzent über das Erreichen seines Handlungsziels hegt, strukturiert sind. (Ebd.: 36-37) Wie kommt es zu diesen Annahmen des Textproduzenten? Geht man nicht davon aus, daß der Verfasser eines Textes, zumal eines Gebrauchstextes, diesen nach der Formulierung in der Schublade verschwinden läßt, um sich dann und wann an der geschliffenen Prägnanz seiner Ausfuhrungen zu delektieren, dann liegt es - zumindest nach meinem Verständnis nahe, die die Textstruktur begründenden Annahmen des Verfassers in seiner adressatengebundenen Orientierungsleistung zu sehen. Eine essentielle dialogische Komponente ist

25

Vgl. Mötsch (1996a: 14), wo von „Dialogstrukturen, deren Elemente Sprechertexte sind", die Rede ist.

109 auch hier nicht von der Hand zu weisen. Damit reduziert sich der Gehalt der Ausfuhrungen auf das Faktum, daß es unterschiedliche Kommunikationsweisen gibt - solche, die durch das - vergleichsweise formale - Kriterium des Sprecherwechsels bestimmt sind, und andere, die darauf verzichten (müssen oder können). 26 D. h.: Der Grundzug sprachlicher Kommunikation ist dialogischer Art. Dialogizität ist das Prinzip der Kommunikation. Um monologisches und dialogisches Sprechen überhaupt in irgendeiner sinnvollen Weise unterscheiden zu können, muß man auf eine dem Dialogischen Prinzip nachgeordnete Ebene, nämlich die der Kommunikationsparameter,

zurückgreifen.

Im wesentlichen ist die menschliche Sprache ein Ausdruck sozialen Handelns. Wann immer Sprecher Weltzustände verändern wollen, sind sie zumindest von den Voraussetzungen her auf die Kooperation (die Gemeinschaft ebenso wie die Auseinandersetzung) mit anderen Sprechern angewiesen. Die entscheidende Grundkonstante der menschlichen Sprachfahigkeit ist so gesehen nicht das universalgrammatische Prinzip - das vielmehr als Epiphänomen einzuordnen ist - , sondern der Adressatenbezug. Wenn demnach seit der Pragmatischen Wende nicht der Einzelsatz, sondern die als Sprechakt verstehbare Äußerung als linguistische Einheit gilt, dann wird nicht deutlich genug, daß diese Äußerung notwendigerweise an jemanden gerichtet ist. Die klassische Sprechakttheorie berücksichtigt diese Konstellation nur unzureichend, indem sie von einem Sprecher und einem Hörer ausgeht, wobei letzterem allenfalls die Aufgabe zugewiesen wird, für das Eintreten des illokutionären Effekts zu sorgen: Er hat die Äußerung als Vollzug eines konventionellen Sprechakts zu verstehen. Diese Sichtweise greift zu kurz: Sprache bezweckt nicht Verstehen, sondern Verständigung (vgl. Hundsnurscher 1997: 130). Da Verständigung stets mindestens ein zweites Sprechersubjekt voraussetzt, ist das gemeinsame .Durchsprechen' relevanter Weltbestände, der Dialog, der allein angemessene Bezugspunkt der Kommunikationsanalyse. Für diese Annahme spricht nicht zuletzt Wittgensteins Privatsprachenargument (PU §§ 356-379), dem zufolge der Sprachgebrauch nicht auf eine rein individuelle Basis zurückfuhrbar ist. Kommunikative Kompetenz wird im Verlauf der Sozialisation erworben; ohne den Verbund mit anderen kognitiven Systemen ist sie undenkbar. Die Dialogizität kommt m. E. hinreichend in der Sprachspiel-Vorstellung zum Ausdruck. Geht man also von der Annahme aus, daß Kommunikation prinzipiell dialogisch ist, demgemäß die kommunikative Funktionalität eines Textes ein der manifesten Textgestalt emergentes Phänomen darstellt (ähnlich, wie sich die Beziehung zwischen neuronalen Netzwerken und intentionalen 26

Rolf (1993: 32) räumt selbst ein, sein Textbegriff sei „vergleichsweise eng". Wenn etwa Nothdurft (1995: 88) sich darauf beruft, daß die „Handlungs- und Wahrnehmungsbedingungen in mündlicher Kommunikation [...] grundverschieden gegenüber denen der Produktion und Rezeption schriftlicher Kommunikation (Texte)" sind, dann kann man diese Beobachtung erst recht als Ansporn verstehen, das gemeinsame kommunikative Prinzip deutlich herauszustellen.

110 Zuständen, dem .Bewußtsein', in der Kognitionsforschung modellieren läßt), dann sind zwangsläufig auch schriftliche Texte als Kommunikationsereignisse dialogische Erscheinungen — diese Grundausrichtung haben sie mit Gesprächen gemeinsam. Was sie unterscheidet, ist ihre — auch phylogenetisch begründbare - modale Charakteristik: ein Gespräch erfordert die räumliche und/oder zeitliche Unmittelbarkeit der Sprecher. In diesem Fall wird das Dialogische Prinzip als face to /ace-Interaktion parametrisiert. Ein schriftlicher Text ist dagegen in dieser Hinsicht defizitär und bildet einen Vermittlungsmodus, gleichgültig, wie gering sich die Trennung zwischen den sprachlich Handelnden auch im Zuge der technologischen Evolution mittlerweile ausnehmen mag. Die Unterscheidung von Monologizität und Dialogizität wird also häufig kategorial inadäquat begründet; Monologizität stellt eine spezielle, durch das Fehlen der interaktionalen Komponente geprägte Form der Kommunikation, d. h. Form von Dialogizität dar.27 Ein schriftlicher Text als besonders auffälliges Beispiel monologischen Sprachgebrauchs ist eine evolutionär entwickelte Form der kommunikativen Rationalisierung, denn er stellt eine Bewältigungsstrategie dar, die die Abhängigkeit vom Modus der direkten Interaktion, folglich auch die Riskanz, wenn der face to yäce-Kontakt gestört ist, einschränkt. In letzter Konsequenz bezweckt auch monologische Kommunikation Verständigung. Die Besonderheiten des Parameters bringen es aber mit sich, daß die Beteiligten, insbesondere der Textproduzent, allenfalls mühsam metakommunikative Reparaturmaßnahmen einleiten können, sollte die textuell angestrebte Verständigung scheitern, weil das unmittelbare feedback (und zwar im Vollzug der Interaktion) ausbleibt. Das macht die schriftliche Kommunikation so ,riskant' (vgl. Antos 1981: 215).

27

Der heuristische Wert des Dialogischen Prinzips kommt in Franke (1987: 265-268) noch nicht hinreichend zum Ausdruck; dort unterscheidet er Texte als SAT- und DIT-Korrelate und insinuiert auf diese Weise eine Trennung monologischen und dialogischen Sprachgebrauchs in schriftlichen Texten, die m. E. der Sachlage nicht gerecht wird. Angemessener erscheint mir die revidierte dialogische Sichtweise, die Franke (1991: 171-172) vertritt: ,,[...][P]ostuliert wird, daß die Strukturen monologischer Texte in dem Maße transparent gemacht werden können, wie man sie auf dialogisch strukturierte Handlungszusammenhänge, also auf Sequenzen von Sprechakten mit je spezifischer Struktur, bezieht."

111

Parameter/Realisationsmodus

Abb. 6: Das Dialogische Prinzip und seine Parameter

Es stellt sich nun die Frage, aufweiche Weise man einen dem übergreifenden Dialogischen Prinzip entsprechenden .kommunikativen' Textbegriff fundieren kann, um die diskutierten Mängel der einzelsprechakt-theoretischen Textlinguistik auszuschließen.

4.2.2 Zur Fundierung eines dialogischen Textbegriffs Eine angemessene theoretische Erfassung der Prinzipien textueller Kommunikation muß ein beachtliches Maß an Abstraktion erbringen, um zum einen die verständigende Funktion jedweder sprachlichen Handlung zu berücksichtigen, zum anderen den Kategorienfehler zu vermeiden, das Dialogische Prinzip allein auf die unmittelbare Gesprächssituation zu beziehen. Insbesondere dialoganalytische Verfahren und Erklärungsansätze, so berechtigt ihr Anliegen auch sein mag, bieten hier wenig Anschlußmöglichkeiten, sofern sie sich auf gesprächsspezifische Parameter wie etwa den turn ta&i'ng-Mechanismus konzentrieren. Auf diese Weise kann man die Kluft zwischen Text und Gespräch nicht überwinden und plädiert eher für eine strikte Trennung von Text- und Gesprächsanalyse, ohne dem Dialogischen Prinzip gerecht zu werden. Wie aber läßt sich ein dialoganalytischer Ansatz entwickeln, der tatsächlich geeignet ist, die Dialogizität des Sprachgebrauchs als abstraktes, heuristisches Prinzip zu konzipieren? M. E. darf ein derartiger Ansatz eben nicht von den konkreten Realisationsmodi ,Gesprächsrealisat/Textrealisat x' ausgehen, sondern muß, viel grundsätzlicher, die Sprecher-

112 kompetenz zum Bezugspunkt machen. Am aussichtsreichsten erscheint mir hier der Rekurs auf dialoggrammatische Grundannahmen. 4.2.2.1 Dialoggrammatische Grundannahmen Die auf Hundsnurscher (1980) zurückgehende Dialoggrammatik trägt der Dialogizität des Sprachgebrauchs Rechnung, wobei sie das Sprechakt-Konzept zwar nicht verwirft, wohl aber maßgeblich revidiert. Insofern ist sie kompatibel mit der Annahme, daß das Dialogische Prinzip den Beschreibungsansatz von Kommunikation darstellt und nicht der singuläre Sprechakt, der allenfalls als Moment kommunikativen Handelns greifbar ist. Angesichts des Axioms, daß Sprache dialogisch ist und Texte als Projektionen einzelner Illokutionen noch nicht befriedigend erfaßt werden, wird der Handlungsmuster-Begriff auf komplexe dialogische Zusammenhänge bezogen. Prinzipiell können Sprachspiele nie nur von einem Handelnden gespielt werden, sondern setzen stets einen realen oder imaginären Mitspieler voraus. Demgemäß implizieren Handlungsmuster Aufgabenstellungen variierenden Anspruchs, die im kommunikativen Umgang kooperativ bewältigt werden und der Erfüllung des Sprachspielzwecks dienen. Dialogmuster lassen sich so als das Bemühen (mindestens) zweier Sprecher verstehen, einen Zweck unter bestimmten Bedingungen - interner bzw. externer Art, vgl. Hardenbicker/Ortak (2000b: 107-108) - mit geeigneten sprachlichen Mitteln zu realisieren. Je nach der Komplexität des Zwecks lassen sich analytisch Teilzwecke ableiten, die erst abgearbeitet werden müssen. Das Verfolgen solcher Teilzwecke konstituiert funktionale Dialogphasen, die sequentiell durch das wechselseitige Vollziehen aufeinander bezogener Sprechakte umgesetzt werden. Komplette Dialoge lassen sich ebenso wie die funktionalen Phasen also als Sequenzmuster auffassen.28 Dieses Moment der Sequentialität stellt m. E. eine ebenso notwendige wie auch ausreichende Modifikation der orthodoxen Sprechakttheorie dar, so daß der Verzicht auf das Sprechakt-Konzept per se keineswegs zwingend begründet erscheint.29 Eine dialoggrammatischen Sichtweise assoziiert Sprechakte prinzipiell mit Dialogzügen.

28

29

In der Frühphase der Dialoggrammatik ist v. a. die Sequentialität von Sprechakten besonders betont worden, vgl. Fritz/Hundsnurscher (1975), Hundsnurscher (1976), Franke (1983). Die perspektivische Erweiterung auf ganze Dialogmuster kennzeichnet dann das Vorgehen in Hundsnurscher/Franke (eds.)(1985), Kohl (1986), Hundsnurscher (1986). Erklärbar wird diese Forderung allerdings dann, wenn man einen weitgehend unreflektierten, rigide eingeschränkten Konventionsbegriff zugrunde legt. Diese Sichtweise .konventionellen Sprechens' ist in der Pragmalinguistik bedauerlicherweise vorherrschend, was nichts an ihrer Inadäquanz ändert. Vgl. auch Weigand (1997: 10-11): „Dialogic competence is not only conventionally based, following exclusively predictable patterns as in the orthodox model of dialogue grammar. It relies on the clarifying and correcting force of the ongoing dialogic process." Zu ihrem Konzept des .Dialogic Action Game' vgl. Weigand (2000: 6).

113 Was die Dialoggrammatik für die vorliegende Fragestellung besonders interessant macht, ist ihre Abgrenzung von der Konversationsanalyse. Bei der Eruierung idealisierter Dialogmuster operiert man mit dem Kompetenzbegriff und wendet sich von der - nur scheinbar - .voraussetzungslosen' Untersuchung von Performanzerscheinungen konkreter Gesprächsparameter ab. D. h.: Das Konzept der Dialoggrammatik postuliert nicht, daß Gespräche de facto in der idealisierten Zug-abfolge abzulaufen haben; der Rekurs auf den ,Grammatik'-Begriff i. S. Chomskys impliziert etwas ganz anderes, hier Wichtigeres, und zwar, daß sprachliches Handeln als soziales Phänomen Regeln folgt. Die Kenntnis dieser Regeln instantiiert die Kommunikative Kompetenz, die im wesentlichen ein .Wissen, wie' darstellt. D a ß e i n Sprecher b e i B e d a r f ein EINKAUFS-, e i n BEWERBUNGS-, e i n ZLELVERELN-

BARUNGSGESPRÄCH etc. fuhren kann, beruht auf seiner nur selten bewußten Kenntnis von interaktionalen Routinen, die er in seinem Sozialisationsprozeß ausgebildet hat. Die Annahme einer Dialoggrammatik erlaubt es, mittels der Modellierung zweckgebundener dialogischer Handlungsmuster einen Beitrag zur Klärung der Frage zu leisten, was es mit der vielzitierten Kommunikativen Kompetenz auf sich hat.30 Einen prominenten Stellenwert in der Modellierung funktionaler Sequenzen nimmt das Konzept des Initialen Sprechakts (ISPA) ein. Hierbei handelt es sich um die heuristische Basis zur Beschreibung dialogtypischer Sequenzen; so läßt sich eine BERATUNGS-Sequenz durch den Rückgriff auf den ISPA RATFRAGE beschreiben, an den sich eine kohärente Zugfolge anschließt; analog werden z. B. stabilisierende TROST-Sequenzen durch einen expressiven ISPA eingeleitet, in dem ein Sprecher einem psychischen Ungleichgewicht Ausdruck verleiht. Sofern der Zweck derartiger Sequenzen mit dem globalen Dialogzweck identisch ist, kann von einem Dialogmuster gesprochen werden; steht der Zweck der Sequenz dagegen in einer direkten Relation zu dem handlungslogisch übergeordneten Dialogzweck, liegt eine funktionale Phase innerhalb des Dialogmusters vor. Das ISPA-Konzept repräsentiert demgemäß die Schnittstelle zwischen dem formal- und funktionalpragmatischen Illokutionsverständnis; es erlaubt, Äußerungen als Sprechakte zu fokussieren, ohne ihre funktionale, d. h. kohärente Einbettung vernachlässigen zu müssen. In einem solchermaßen kompetenzorientierten Modell ist die Unterscheidung von schriftlichen Texten und mündlichen Gesprächen zwar nicht hinfällig, aber nicht entscheidend. In der Tat liegt bereits ein Ansatz vor, die Monologizität von Äußerungen heuristisch auf das Prinzip der Dialogizität zurückzufuhren.

30

Den Umstand, daß idealtypische Handlungsmuster laut Kohl (1989: 93) „beschreibungstheoretische Konstrukte" darstellen, die nicht den Anspruch erheben, „etwas psychisch Reales abzubilden", kann man nur bei einer allzu naiven handlungsmetaphysischen Auffassung gegen die Dialoggrammatik ins Feld fuhren - naiv deswegen, weil sich diese Position nur infolge mangelnder Reflexion als .voraussetzungsfrei' begreifen kann. Vgl. zu der Frage der (Re-) Konstruktion auch P . K e l l e r (1997: 17-19)

114 4.2.2.2 Antizipation und Kohärenz Die Notwendigkeit, eine dialogische Perspektive bei der Analyse textueller Kommunikation zu entwickeln, ist in den letzten 20 Jahren mehrfach angesprochen worden - allerdings meist eher als beiläufige Konsequenz konkreter Textanalysen und selten als Vorschlag zur Systematisierung. Im Grunde hat sich das Forschungsinteresse vorwiegend auf die Frage konzentriert, was einen Text kohärent wirken läßt. Hellwig (1984: 62) erblickt in dem „Moment des Fraglichen als einer kommunikativen, pragmatischen Kategorie" das textkonstitutive Prinzip. Der Autor muß seine Aussagen so arrangieren, daß der Leser intuitiv nachvollziehen kann, wie der Autor von einer Aussage auf die nächste kommt. (Ebd.; Hervorhebung N. O.) Das Erstellen von Texten, die kohärente Reihung von Äußerungen, ist für den Textproduzenten allein durch den Bezug auf einen imaginierten Textrezipienten möglich; dieser Bezug wird dadurch hergestellt, daß der Verfasser beim Kommunizieren einer schriftlichen Äußerung mögliche Reaktionen des Rezipienten voraussetzt und diesen Reaktionen durch das Äußern geeigneter Texteinheiten zu entsprechen versucht. Diese Operation, von Zimmermann (1984: 143) als „das Prinzip der Antizipation möglicher Rezipientenreaktionen" auch terminologisch griffig formuliert, wenngleich keineswegs zum ersten Mal entdeckt (vgl. z. B. Zillig 1980: 196), spielt in den dialogorientierten Ansätzen der Texttheorie eine entscheidende Rolle. Die kognitive Leistung des Rezipienten bei dem Prozessieren von Kohärenz bezieht sich analog darauf, die Abfolge der Textäußerungen gewissermaßen als Antworten auf seine - eben durch den Verfasser antizipierten - Fragen nachzuvollziehen. Aus diesem Grund legt Hellwig (1984: 62) anhand eines .darstellenden' Textes - einer MELDUNG in einem Nachrichtenmagazin - eine FRAGE - ANTWORT-Sequenz zugrunde, um die Textkohärenz zu explizieren. Die Spezifik der Textsorte bringt es mit sich, daß hier besonders die propositional-thematischen Textaspekte in den Blick geraten. Hellwig (ebd.: 72) deutet an, daß es noch weitere „Typen von Fragestellungen" gibt, wobei er - wenig aussichtsreich - an Werlichs (1975: 30-38) Überlegungen anknüpfend vorschlägt, strukturelle Satzmerkmale als Initiatoren des jeweiligen fraglichen Themas zu ermitteln. Zweifellos ist an Hellwigs Ansatz positiv hervorzuheben, daß er nicht allein die heuristische Orientierung am dialogischen Grundmodus postuliert, sondern auch exemplarisch praktiziert.31 Problematisch ist jedoch, daß die Textkohärenz allein als die nachvollziehbare Progression thematischer Einheiten konzipiert wird. 32 Mit dieser Perspektive erfaßt man

31 32

Vgl. auch die in 3.2.5 angesprochene Adaption durch Moilanen (1996). Allerdings soll nicht verschwiegen werden, daß Hellwigs (1984: 68) .dynamischer' ThemaBegriff, der „ein Anknüpfen und Fortschreiten" vorsieht und sich von der Themengliederung nach dem Prinzip der Konstituentenstruktur dezidiert absetzt (vgl. auch Lötscher 1991), einen wichtigen Fortschritt darstellt.

115 die Kohärenz nicht grundlegend genug. Die essentielle Fragestellung lautet nämlich nicht, auf welche Weise Leserfragen vom Verfasser antizipiert werden, sondern, noch basaler, worin die Antizipation und die Leserfragen überhaupt begründet liegen: Gewiß indiziert die Themenprogression die textuelle Kohärenz, erklärt sie aber nicht. Was Hellwig nicht weiter ausfuhrt, ist die Bedeutung der Funktionalität textueller Einheiten als kohärenzstiftendes Prinzip - ein Versäumnis, das auch andere textlinguistische Arbeiten, die konsequent v o m Textthema ausgehen, teilen. Und gerade der Rekurs auf assertive Textmuster begünstigt diese ,inhaltsbezogene' Auffassung von Kohärenz, da hier Proposition und Illokution de facto ja gar nicht mehr unterscheidbar sind. Ohne zunächst festgelegt zu haben, nach welchem Muster ein Text konzipiert worden ist, d. h. welchen kommunikativen Zweck er konventionell zu erfüllen hat, reduziert man das Antizipationsprinzip im wesentlichen auf die Beantwortung der impliziten Frage: ,Und wie geht es weiter?', d. h. ,Wie kommt der Verfasser von der vorliegenden auf die nächste Aussage?' Kohärenz als Resultat von Antizipation beruht zwar nachhaltig auf Sequentialität; der Sequenzbezug ist aber nichts weiter als der formale Ausdruck dafür, daß eine funktionale Problemstellung gelöst worden ist. Einen Text zu verstehen heißt folglich nicht primär, die Abfolge seiner thematischen Elemente nachvollziehen zu können; der Rezipient muß auch begründete Vermutungen entwickeln, zu welchem Zweck ein Text ein bestimmtes Thema behandelt. U. U. lassen sich genau auf derartige Versäumnisse die Schwierigkeiten bei der Bestimmung eines Textthemas - insbesondere eines nicht-assertiven Textrealisats - zurückführen. Die Bestimmung des Textthemas als ,Fragliches', bzw. als ,Mangel' (vgl. Lötscher 1987) ist hier nur in einem eher formalen Sinn ein Ansatz zu einer pragmalinguistisch überzeugenden Sichtweise. 33 Je nach dem Grad der Bereitschaft, das Thema als eigenständiges Moment eines Textes zu begreifen, wird man konstatieren können, daß ein Verfasser ein bestimmtes Thema behandelt, um so ein kommunikatives Ziel zu verwirklichen. Die relevante Frage lautet dann, aufgrund welcher thematischer Aspekte der Rezipient dann die Textfunktion ermitteln kann. Brinker (1994: 3 7 - 3 8 ) verweist hier relativ vage auf die .thematische Einstellung' des Textproduzenten als kognitives Bindeglied zwischen Textthema und Textfunktion. Ein holistischer Zugriff wird demgegenüber das Thema eines Textes letztlich mit der Textfunktion gleichsetzen. In einem WAHLAUFRUF kann beispielsweise die Entwick-

33

Die Abhängigkeit des Textthemas von der Textfunktion arbeitet Lötscher (1998: 99 Fn. 5) inzwischen deutlicher heraus; aus der Rezipientenperspektive wendet er völlig zu Recht gegen Kotschi (1996) ein, „daß Informationseinheiten in der Abfolge der Informationsschritte nicht parallel zur illokutionären Interpretation interpretiert [...], sondern von der illokutionären Ebene vorausgesetzt werden: Eine Illokution kann erst bestimmt werden, wenn die Relevanz der Aussage bestimmt ist." Die kognitiven Verarbeitungsprozesse bei der Ermittlung von Textfunktion und Textthema erfolgen dabei natürlich nicht völlig voraussetzungslos; da Sprache ein soziales Phänomen ist, kann man davon ausgehen, daß nicht zuletzt konventionalisierte topic sets (vgl. van Dijk/Kintzsch 1983: 197) als thematische Einheiten eine bestimmte Textfunktion nahelegen.

116 lung der Arbeitslosenquote in der ausgehenden Legislaturperiode thematisiert werden. Es hängt dann von der Zielsetzung der Textanalyse ab, ob man das Thema, d. h. ,das, worum es in dem Text geht', als .Darstellung der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt' oder als .Appell, die Partei x in Anbetracht der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu wählen' definiert - je nachdem, ob man das Hauptaugenmerk auf die propositionalen Einheiten oder den Globalzweck des Textes richtet. Wie kommt die nun schon mehrfach ins Spiel gebrachte intuitive Rezeptionsleistung des Adressaten zustande? Daß er die vom Textproduzenten antizipierten Fragen bei der Themenprogression aufwirft, greift, wie dargelegt, zu kurz und erklärt nicht das Prinzip. Ganz abgesehen davon stellt sich hier die wichtige Frage, worauf die Antizipationsleistung des Textproduzenten beruht: Muß man ein genialer — und womöglich auch diabolischer - Hellseher sein und den Rezipienten zu einem willfahrigen Manipulationsobjekt degradieren können? Will man die vielstrapazierte Analogie zum Schachspiel noch einmal bemühen, kommt man an der Erkenntnis nicht vorbei, daß das Antizipieren möglicher Zugfolgen, i. S. von Reaktionsmöglichkeiten auf Textäußerungen, zuallererst in den Regeln des Schachbzw. des Sprachspiels begründet liegt: Die Adressatenorientierung ist ebenso wie die Rezeptionsleistung, so intuitiv beides auch vor sich gehen mag, regelbasiert und nicht der subjektiven Willkür unterworfen. Individuell unterschiedlich ist allenfalls das Vermögen ausgeprägt, das Ausmaß sowie den Aufwand an Regelkonformität zu bestimmen. Faßt man Verständigung als die Kongruenz der Auffassungen der beteiligten Parteien auf, in welchem Sprachspiel sie sich gerade befinden - und nimmt man weiterhin an, daß Verständigung im Grundsatz ein metakommunikatives, die sprachlichen Äußerungen jeweils begleitendes Phänomen ist - , dann impliziert dies, daß die Sprachspielteilnehmer ein hochreflexives, wechselseitiges Geflecht von Annahmen und Erwartungen ausbilden. Die Beteiligten versetzen sich jeweils in die funktional bestimmte Rolle des anderen und generieren auf diese Weise Sinn.34 Die Rekursivität dieses Verfahrens erzeugt so Kohärenz. Dies gilt für jedwede Form von Kommunikation, also auch für Texte. Der Textproduzent erwartet Kommunikationshindernisse unterschiedlicher Art bei dem imaginierten Rezipienten und versucht sie mit dem Text auszuräumen; der Rezipient wiederum erwartet genau dies von dem Adressanten, was dieser wiederum von ihm erwartet usw. Die Grundlage dieser konstitutiven Erwartungserwartungen ist durch den wechselseitigen Bezug auf das Sprachspiel genuin dialogisch: Die reflexive Bezugnahme auf den Text, die Sinngenerierung, die Kohärenz bei der Textproduktion und -rezeption macht das scheinbar monologische Gebilde zu einem Ausdruck eines virtualisierten Dialogs. Anders könnte ein Text seine kommunikative Funktion, das, wofür er verfaßt wurde, überhaupt nicht erfüllen. Beide Seiten konzipieren

34

Zur Diskussion des Terminus Sinn vor dem Hintergrund des Gebrauchs- und Bedeutungsbegriffs vgl. Kap. 5.3.1.

117 ihn als zweckgebundene Repräsentationsform eines dialogischen Zusammenhangs. Da sprachliche Handlungsmittel an die kommunikativen Bedingungen geknüpft sind und diese wiederum allein dem Prinzip von Rede und Gegenrede unterworfen sind, läßt sich nicht leugnen, daß auch schriftliche Texte allein dann als relevant gelten können, wenn der Textrezipient das vorliegende Realisat als Mittel zur Erreichung eines kommunikativen Ziels des Produzenten versteht und die einzelnen Äußerungen danach einschätzt, inwiefern sie seinen kommunikativen Bedürfhissen entsprechen, die er in der face to yäce-Interaktion dem Textproduzenten unmittelbar kundtun würde. Nur so läßt sich auch schlüssig erklären, weswegen die Texteinheiten hinsichtlich ihrer funktionalen Relevanz abgestuft werden können. Gerade hier bietet der dialoggrammatische Ansatz bislang noch ungenutzte Möglichkeiten: die ,Kernaussage' eines gegebenen Textes ermitteln die Kommunikanten dadurch, daß sie den Text unter Zuhilfenahme vielfältiger situativer Faktoren intuitiv als Realisat eines Textmusters identifizieren; dieses Textmuster läßt sich als mentale Repräsentation eines dialogischen Sprachspiels beschreiben. Die Musterkenntnis, das ,Schemawissen', dient als kognitiver Orientierungsmaßstab bei der Ermittlung der relevanten Kernaussage eines vorliegenden Textrealisats.35 Die Kernaussage wiederum kann man dialoggrammatisch als ISPA des Sprachspiels auffassen, das das Textmuster begründet. So gesehen ist das Textverstehen die hypothetische Ermittlung von Kernaussagen als virtualisierten ISPAen, die in dem zweckbestimmten Textmuster als virtualisiertem Dialogmuster eine entscheidende Rolle spielen. Verständigimg kommt in schriftlicher Kommunikation relativ risikobehaftet dann dadurch zustande, daß sowohl der Verfasser als auch der Rezipient unabhängig voneinander, aber aneinander orientiert, in etwa dieselbe Textäußerung als ISPA des virtualisierten dialogischen Sprachspiels konzipieren bzw. verstehen. Das Antizipieren ist eine grundlegende Operation des Textproduzenten; er setzt den Text als Handlungsmittel ein, um ein Ziel zu erreichen. Dieses Ziel setzt die Verständigung mit dem Rezipienten notwendig voraus. Das Antizipieren als Orientierung an der Rezipientenrolle dient dazu, den intendierten Zweck, den der Text zu erfüllen hat, über die Art seiner Gestaltung im weitesten Sinn sicherzustellen. Texte entstehen so gesehen tatsächlich stets aus einem Defizit heraus, das abgearbeitet werden soll. Der Textproduzent entwirft kognitiv eine dialogische Situation, in der er als Spl das kommunikative Ziel in Zusammenarbeit mit einem Sp2, der den Textrezipienten repräsentiert, verfolgt, wobei der Charakter dieser Zusammenarbeit je nach der Art der Interessenkonstellation (vgl. Franke 1990: 62-84; Hundsnurscher 1994a: 221-223) variiert. Seine Antizipationsleistung ist um

„Schemata repräsentieren Standardsituationen oder -handlungen. Die konzeptuellen Einheiten der Schemata sind als Variablen (die allgemeine stereotypische Charakteristika repräsentieren) konzipiert. Diese Variablen werden im Verstehensprozeß mit konkreten Werten besetzt, wenn ein bestimmtes Schema evoziert worden ist." (Schwarz 2 1996: 160). Zur Kritik am .Schema'-Begriff vgl. Strohner (1995: 102-103).

118 so elaborierter, je weniger er den Sp2 als ein bloßes Akklamationsobjekt, sondern als eigenständiges Sprechersubjekt modelliert, das den Zielsetzungen des Spl vielfaltige Probleme bereiten kann. Derartige Kommunikationsprobleme lassen sich dahingehend typisieren, welche essentiellen Verständigungsbedingungen, d. h. welche Aspekte der Kernaussage/des virtualisierten ISPA unerfüllt bleiben. 36 Diese Bedingungen umfassen — das Verstehen einer Äußerung/einer Äußerungsfolge, d. h. die Ermittlung der illokutionären Rolle in Relation zu dem übergreifenden Sprachspielzweck; — die Akzeptanz als Bereitschaft, die Geltungsbedingungen der Äußerung/der Äußerungsfolge anzuerkennen; — den Erfolg, das Verhalten von Sp2 gemäß der mit der Äußerung/der Äußerungsfolge verbundenen Zielsetzung. 37 Ohne den Rekurs auf diese dialogische Situation, sei er auch noch so gewohnheitsmäßig und beiläufig, kann kein monologischer Text verfaßt werden. Ebenso wenig kann der Rezipient einen Text verstehen, wenn er sich nicht als Sp2 in einer derartigen Dialogsituation repräsentiert sieht und den Textsinn in der Weise (re-) konstruiert, daß er die ihm relevant erscheinenden Textäußerungen als sprachliche Handlungen des Produzenten/Spl auffaßt. Antizipation ist damit als Voraussetzung von Kohärenz die wesentliche Textcharakteristik. Sie ist die Trägerin der grundlegenden Verständigungsstrategie, und zwar sowohl, was das Verfassen als auch, was das Verstehen betrifft. Latente, nicht in die konkrete Textgestalt eingeprägte Sinn-Aspekte beruhen so auf kognitiv-pragmatischen Elaborationsleistungen.

4.2.2.3 Dialogizität und Textkonstitution Die Auswirkungen der Antizipationsleistung haben dialogorientierte texttheoretische Ansätze bislang vornehmlich im Bereich der Textproduktion verortet. Kennzeichnend hierfür ist eine Perspektive, die man grob als .evolutionär' bezeichnen könnte. Ein monologischer Text wird so als der Prozeß/das Resultat von antizipativen Mehrfachzügen des Spl aufgefaßt. 36

37

Ausgehend von der essentiellen Rolle des ISPA hat Franke (1990: 15-41) einen Vorschlag zur Erfassung der universellen idealtypischen Binnenstruktur von Sequenzmustern unterbreitet. Hier dient der ISPA v. a. als methodisches Vorgehen zur Typisierung von Dialogen. Die Relevanz des ISPA, seine kohärenzstiftende Kraft, expliziert Frankes Sequenzanalyse zwangsläufig formalprozedural. Zur Kritik an dieser Sichtweise vgl. beispielsweise Weigand (1994: 67). Es besteht kein Zweifel, daß das mit den Anschlußmöglichkeiten des ISPA konstitutive Sinnpotential einer .materiellen' Explikation bedarf. Diese Differenzierung zwischen den sprecherseitigen Gelingensbedingungen i.S. Searles und den sequentiellen Verstehens-, Akzeptanz- und Erfolgsbedingungen geht auf Wunderlich (1976: 115-116) zurück und ist in der Folgezeit (vgl. Sökeland 1980: 92-96) dialoganalytisch konsequent weiterentwickelt worden, vgl. König (1991: 189-193).

119

Abb. 7: Interaktion und Text auf der Grundlage des Dialogischen Prinzips

Diese Sichtweise ist, was die Rückführung des monologischen Text-Parameters auf das Dialogische Prinzip angeht, sicher zutreffend; sie kann das Kommunikationsereignis , T e x t ' aber nicht präzis genug erfassen, wie das folgende Beispiel zeigt: (29) Lehrer: Sieh an, der Peter. Du hast die letzte Woche nicht am Unterricht teilgenommen. Schüler: Es tut mir leid, daß ich gefehlt habe. Lehrer: So, leid tut es dir? Darf man auch nach dem Grund deines Fembleibens fragen? Schüler: Ich war krank. Lehrer: Aha. Inwiefern krank? Schüler: Ich hatte eine fiebrige Erkältung. Lehrer: Soso. Na schön. Ob ich dir wohl glauben kann? Schüler: Hier habe ich ein ärztliches Attest, das meine Angaben bestätigt.

120 Da es sich um eine relativ konventionalisierte Situation handelt, die das Schemawissen Entschuldigung für das Fembleiben vom Unterricht' fundiert, ist eine Verknüpfung der Gesprächsbeiträge durch den Schüler möglich. Sie beruht auf der Antizipation möglicher Gesprächszüge des Lehrers. Als Ergebnis dieser Mehrfachzüge des Schülers kommt eine monologische Sequenz zustande: (30) Schüler: Es tut mir leid, daß ich gefehlt habe. Ich war krank. Ich hatte eine fiebrige Erkältung. Hier habe ich ein ärztliches Attest, das meine Angaben bestätigt. Man vergleiche nun dieses Beispiel für dialogische Mehrfachzüge mit der folgenden Sequenz: (31) Wie aus dem beigefugten ärztlichen Attest hervorgeht, war ich aufgrund einer fiebrigen Erkältung in der vergangenen Woche nicht in der Lage, am Unterricht teilzunehmen. Ich bitte, dies zu entschuldigen. Wie man unschwer erkennen kann, verleiht beiden monologischen Sequenzen die antizipative Ausrichtung am Dialogischen Prinzip die Kohärenz. Speziell, was das zweite Beispiel angeht, liegt jedoch der Eindruck nahe, daß es sich um einen schriftlichen Text handelt. Offenbar bestehen bestimmte Konstitutionsmaximen, die monologische Sequenzen in einem Gespräch von einem schriftlichen Text unterscheiden. Oberflächlich betrachtet lassen sich diese Unterschiede häufig mit den differierenden situativen Bedingungen erklären. Im schriftlichen Sprachgebrauch wiegen ein vergleichsweise höheres Maß an Reflexion, etwaige Korrekturmaßnahmen des Produzenten bzw. wiederholtes Lesen des Rezipienten das Fehlen von Unmittelbarkeit und Spontaneität, wie sie die interaktionale Kommunikation kennzeichnet, wieder auf. D. h. aber wiederum, daß schriftliche Texte nicht einfach als .halbierte Gespräche' hinreichend beschreibbar sind; zwischen der Struktur eines Gesprächs und der eines Textes liegt kein 1: 1- (oder, besser 1: 0, 5-)Verhältnis vor. Ein schriftlicher Text ist eben durch seine parametrischen Besonderheiten deutlich von monologischen Mehrfachzügen in authentischen Gesprächen zu unterscheiden und nicht einfach als .geronnenes' Abbild eines dialogischen Gesprächs zu verstehen, das als Interaktionsprozeß linear in der Zeit verläuft. Die textuelle Kommunikation ist insofern komplexer, als sie das dialogische Schemawissen stets voraussetzt, um die Texteinheiten bei Bedarf in wechselnden Bezügen anzusiedeln. Es wäre deswegen auch verfehlt, eine textuelle Äußerung automatisch mit einem bestimmten Dialogzug gleichzusetzen. Um die Kohärenz von Texten zu erläutern, muß ein prinzipiell sequentieller Ausgangspunkt gewählt werden. Eine Textäußerung ist nur hinsichtlich ihres strategisch-antizipativen Beitrags zur Kohärenzbildung sinnvoll.38

38

Vgl. Zillig (1980: 195): „Daß ein Satz gegeben ist, besagt nichts über die Zahl der ausgeführten Textakte [...]." (Hervorhebung i.O.)

121 Festzuhalten bleibt: Texte folgen als Kommunikationsereignisse dem Dialogischen Prinzip und setzen ein bestimmtes schematisches Dialogmuster-Wissen voraus; zusätzlich sind hier aber noch .formale' Kenntnisse von Interesse. Sie betreffen das - ebenfalls gemeinsame - Wissen um die Technik, einen schriftlichen Text zu erstellen. Nimmt man ferner an, daß die direkte Interaktion der Grundmodus für die Parametrisierung des Dialogischen Prinzips ist, dann kann man die .Technik der Textproduktion' gewissermaßen als Transformationsmuster verstehen, durch die die dialogische Basis auf der textuell-monologischen Oberfläche abgebildet wird. Einen Text bildet/versteht man durch den Rückgriff auf das Wissen um Dialogmuster; der Rückgriff selbst wird durch Einsichten in Gestaltungsprinzipien schriftlicher Texte in Gang gesetzt. Einen Text zu produzieren und zu rezipieren heißt damit, über Kenntnisse zu verfugen, daß er durch die Transformation von Dialogizität zustande kommt.

4.2.2.4 Kommunikation mittels Texten - ein Modellvorschlag Insgesamt kann man die textuelle Kommunikation, die Verständigung mittels Texten, folgendermaßen beschreiben: 1. Texte sind monologisch realisierte Parameter des grundlegenden Dialogischen Prinzips. 2. Ihre wesentliche Eigenschaft, die Sinnhafitigkeit ihrer Äußerungssequenzen, beruht, wenigstens, was Gebrauchstexte angeht, auf ihrer Funktionalität. Darunter kann man ihre Globalillokution bzw. - ein funktional-holistisches Verständnis vorausgesetzt - ihr ,Thema' verstehen. 3. Die Textfunktion wird nur selten mittels explizit-performativer Formeln metakommunikativ angezeigt; das Textverstehen durch den Rezipienten beruht in entscheidendem Maß auf seiner Fähigkeit, die latente Funktion durch kognitive Inferenzleistungen (vgl. de Beaugrande/Dressler 1981: 8) zu (re-)konstruieren - seien sie nun bewußt-elaboriert oder unbewußt-routinisiert. 4. Die (Re-)Konstruktion geschieht durch die Ermittlung von besonders relevanten Textäußerungen, die das mit dem Text verfolgte Hauptanliegen kommunizieren. Hinsichtlich ihrer besonderen Relevanz kann man auch grob von ,Kernaussagen' sprechen. Orientiert man die Beschreibung am Dialogischen Prinzip, so lassen sich derartige Einheiten als ISPAe des zugrunde liegenden dialogischen Sprachspiels beschreiben. Die Zuordnung der ISPAe zu einer der fünf Sprechaktklassen i. S. Searles erlaubt ferner die Typologisierung musterbasierter Textsorten. 5. Die kohärente Binnenstrukturierung von Texten ist das Resultat von Antizipationsmaßnahmen, mit denen mögliche/wahrscheinliche negative Reaktionen des Rezipienten auf

122 das kommunikative Hauptanliegen des Textes entschärft werden sollen.39 Als kognitiver Bezugspunkt dient hier das virtualisierte dialogische Sprachspiel, in dem der Textverfasser die Rolle des Spl, der Textrezipient die Rolle des Sp2, die relevante Kernaussage die Rolle des ISPA einnehmen. Davon ausgehend besteht die strategische Leistung der Antizipation darin, eine präventive Reaktion auf die erwartete negative Reaktion des Sp2/Rezipienten zu zeigen. 6. Die Dimensionen der Möglichkeiten, eine negative Reaktion auf einen ISPA/das textuelle Hauptanliegen hin zu äußern, umfassen (a) das Verstehen der Kernaussage/des ISPA, (b) das Akzeptieren der Kemaussage/des ISPA, (c) das Erfüllen der Kernaussage/des ISPA. Die Verstehensbedingungen

sind dann erfüllt, wenn der Rezipient dem Text eine Funk-

tion zuordnet, d. h. ihn als Realisat eines Textmusters begreift, und zwar in seiner Definition der illokutionären Rolle des ISPA im günstigsten Fall mit dem Verfasser übereinstimmt. Das setzt u. U. wiederum voraus, daß die propositionalen Einheiten hinsichtlich ihrer Referenz und ihrer Prädikation transparent sind. Der Kommunikator muß also festlegen, welche Informationseinheiten er beim Hintergrundwissen des Rezipienten voraussetzen, also aussparen, .implizit' halten kann und welche eigens thematisiert/,explizit' gemacht werden müssen. Der Versuch, die Verstehensbedingung zu erfüllen, beruht auf der Vorwegnahme möglicher Verständnisprobleme, wie sie in dem virtualisierten Dialogspiel durch KLÄRUNGs-Sequenzen abgearbeitet werden: (32) Spl: Es ist halb zwölf. Sp2: Ja, die Zeit vergeht wie im Flug. Spl: Das meine ich nicht. Mußt du morgen nicht ganz früh aufstehen? (Klärung der illokutionären Kraft/des Sprachspiels) (33) Spl: Jaja, manche Leute haben eben mehr Glück als Verstand. Sp2: Wen meinst du mit „manche Leute"? (Klärung der Referenz) (34) Spl: Sie können sagen, was Sie wollen, aber Meier ist und bleibt ein Bramarbas, wie er im Buche steht. Sp2: Bitte, was? (Klärung der Prädikation)

Auf der Grundlage derartig antizipierter KLÄRUNGS-Sequenzen als Reparaturmaßnahmen von Schwierigkeiten des Verstehens ist der Verfasser folglich um Verständlichkeit bemüht. Es ist von einigem Interesse, darauf hinzuweisen, daß die noch immer verbreitete Gleichsetzung von Verständlichkeit' und .Einfachheit' allein dann berechtigt ist, wenn man 39

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Feilke/Augst (1989: 311): Er [= der Textproduzent, N.O.] muß [...] alle möglichen Reaktionen des Adressaten in seiner Phantasie vorwegnehmen können und sie beim Schreiben bedenken. Außerdem muß er diese Fähigkeit entsprechend dem übergeordneten Kommunikationsziel differenziert anwenden können."

123 .einfachen' Sprachgebrauch nicht als Selbstzweck auffaßt, sondern als das der jeweiligen Adressatengruppe angemessene Sprechen. Die Kommunikation zwischen Experten ist deswegen auf die Verwendimg von Fachtermini angewiesen, weil sie diese Form der Verständigung erleichtern,,einfacher' machen. Aus diesem Grund sind auch die Versuche, den angestrebten Wert .Verständlichkeit' mit quantitativen Erhebungsmethoden der Wortfrequenz pro Satz, syntaktischen Komplexität u. ä. zu bestimmen, wenig aussichtsreich, sofern sie wieder einmal vom textuellen Gefiige und nicht der Kommunikationssituation ausgehen.40 Das Hauptanliegen muß darüber hinaus auch dem Rezipienten akzeptabel erscheinen. Darum ist es für die erfolgreiche Verständigung unabdingbar, daß der Verfasser Einwände und Probleme, die die Erfüllung der Akzeptanzbedingungen verletzen, ebenfalls antizipiert. Als kognitiver Bezugspunkt dieses Aspekts textueller Kommunikation dienen hier nicht K L Ä R U N G S - , sondern E N T P R O B L E M A T I S I E R U N G S - S e q u e n z e n im Dialogspiel. Ihr Gegenstand korreliert in etwa mit den drei einlösbaren Geltungsansprüchen, auf die Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns verweist.41 Ein Text, genauer: das als ISPA beschreibbare textkonstitutive Hauptanliegen ist genau dann akzeptabel, wenn es mit den Überzeugungen des Rezipienten übereinstimmt. Der häufig zu konstatierende argumentative Gehalt eines Textes beruht im wesentlichen auf solchen antizipierten entproblematisierenden Sequenzen. Der Verfasser legt darum nur dann einfach sein Anliegen dar, wenn er sich der Übereinstimmung mit dem Rezipienten sicher weiß; sobald hier Zweifel angebracht sind, tut er gut daran, die Hauptaussage durch geeignete weitere Äußerungen abzusichern. Genau hier lassen sich wesentliche Erkenntnisse hinsichtlich der texttheoretischen Beschreibung persuasiven sprachlichen Handelns gewinnen, deren eingehende Darstellung der Gegenstand des 5. Kapitels sein wird. Die Erfüllung der Erfolgs-ZErfüllungsbedingungen entzieht sich m. E. dem direkten Einfluß des Kommunikators; er kann ihre Aussichten allerdings situationsspezifisch dadurch beeinflussen, daß er die Verstehens- und Akzeptanzbedingungen reflektiert zu erfüllen versucht. 7. Die Verstehens-, Akzeptanz- und Erfolgsbedingungen können erst dann relevant werden, wenn auf einer grundlegenden metakommunikativen Ebene überhaupt ein kommunika40

41

Das räumen auch Groeben/Christmann (1989: 182) am Beispiel der „Frage nach der optimalen Sequenzierung von Textinhalten" ein, die ihnen zufolge „angesichts des Forschungsstandes nicht zufriedenstellend beantwortet werden" kann. Zur Komplexität der Einflußgrößen, die einen Text .verständlich' erscheinen lassen, vgl. Meutsch (1989: 17) und Rickheit (1995: 25). König (1991: 89-93) legt dar, daß die von Franke (1990) im zweiten Zug aufgeführten Anschlußmöglichkeiten an einen ISPA inhaltlich spezifiziert werden können. Zu diesem Zweck zieht er die von Habermas ermittelten Problematisierungsmöglichkeiten der drei Geltungsansprüche .Wahrheit', .Wahrhaftigkeit' und .Richtigkeit' heran; ein Negativer Bescheid kann demgemäß unterschiedliche Aspekte der initialen Sprechhandlung fokussieren.

124 tiver Kontakt vorliegt. Hier spielen die Parameter-Bedingungen der Kommunikationsform ,Text' eine eigenständigere Rolle. Die Herstellung kommunikativen Kontakts umfaßt zweierlei: (1) soll der Rezipient den Text überhaupt wahrnehmen, unter den jeweiligen Rezeptionsbedingungen seine Aufmerksamkeit selektiv auf den Text richten. Hier können Einflußgrößen wie die Plazierung des Textes im medialen Umfeld ebenso eine Rolle spielen wie die Auswahl einer geeigneten Überschrift. Der Text hat also in gewisser Weise .auffällig' zu sein. Diese essentielle Voraussetzung wird zwar v. a. in Untersuchungen zum Sprachgebrauch in der Werbung thematisiert, gilt aber für die Realisate jeder Textsorte (vgl. Dittgen 1989). (2) soll der Leser durch die Thematisierung/Darstellung der propositionalen Einheiten nach Möglichkeit animiert werden, den Text vollständig zu rezipieren. Das setzt voraus, daß der Verfasser den Eindruck der Monotonie möglichst vermeidet. Zu diesem Zweck stehen sowohl stilistische Variations- als auch inhaltliche Markierungsmöglichkeiten zur Verfügung. In dem zugrunde liegenden dialogischen Sprachspiel läßt sich die metakommunikative Voraussetzung (1), die Kontaktetablierung, in etwa mit der Vorbereitung der normalen ,Ein- und Ausgabebedingungen' gleichsetzen: (35) Spl: Hallo, hörst du mich? Ich bin hier drüben. Hör' zu, es geht um Folgendes....

In enger Verbindung dazu steht Voraussetzung (2) - nur, daß sie den kommunikativen Kontakt nicht initiiert, sondern während seiner gesamten Dauer gewährleistet sein muß, da das Sprachspiel sonst abgebrochen wird. Mittels des Dialogspiels läßt sie sich folgendermaßen beschreiben: (36) Spl: Hast du schon gehört, wer neuer Bundestrainer wird? Sp2: Das interessiert mich nicht. Spl: Das sollte es aber. Du wirst es nicht glauben.

D. h.: Ähnlich, wie in der interaktionalen Dialogsituation ein Sprecher ggf. den Versuch unternehmen muß, seinen Gesprächspartner metakommunikativ zu disziplinieren, ,bei der Sache zu bleiben', so muß der Verfasser in der textuellen Dialogsituation den Text so gestalten, daß der Rezipient die Aufnahme/Verarbeitung der Informationen nicht vorzeitig abbricht. Das Darstellungsverhältnis zwischen unbekannten und bekannten Informationen muß derartig konzipiert sein, daß der Rezipient basierend auf seinen geläufigen Wissensbeständen die Relevanz des Zuwachses an Informationen so hoch einschätzt, daß die Lesemotivation aufrechterhalten wird. Da gerade hier der Verfasser nicht wie im interaktionalen Dialog den Leser mit einzelnen fokussierten Äußerungen metakommunikativ zur Beteiligung an dem Sprachspiel disziplinieren kann, muß die Art der textuellen Gestaltung hier diese Funktion erfüllen. Insofern ist die Metakommunikation stärker von den Möglichkeiten und Grenzen des Realisationsmodus abhängig, als das bei den Verstehens-, Akzeptanzund Erfolgsbedingungen der Fall ist.

125 8. Die tatsächliche Gestaltungsform .schriftlicher Text' beruht auf Maximen, die die Transformation des Dialogischen Prinzips in den monologischen Parameter zum Gegenstand haben. Genau hier läßt sich das strukturelle Moment gewinnbringend einsetzen, denn man kann zwei Bereiche der Textgestaltung unterscheiden, und zwar einerseits die globale Textkonstitution, andererseits die lokale Textformulierung. Unter globaler Textkonstitution verstehe ich die gedankliche Grobgliederung des Textes, die, wie bereits angedeutet, keineswegs mit dem idealtypischen Verlauf des virtualisierten dialogischen Sequenzmusters als kognitivem Bezugspunkt zusammenfallen muß. Der Rekurs auf die Dialoggrammatik bezweckt vielmehr, ein heuristisches Modell zu entwerfen, mit dessen Hilfe man Antizipations- und Inferenzleistungen der Beteiligten erläutern kann. D. h.: ein kommunikationstheoretisch angemessenes Textmodell hat zunächst metatheoretisch den Analysefokus zu benennen. Hier bietet sich die Differenzierung in die Makro-, die Meso- sowie die Mikro-Ebene an.42 Damit korrespondiert die - skalare - Unterscheidung von latent-funktionalen und manifest-strukturellen Textcharakteristika. Aus heuristischen Gründen erscheint hier das .deduktive' top rfown-Verfahren um einiges sinnvoller als das ,induktive' bottom wp-Prinzip. In der Alltagskommunikation dürften hier beide Prinzipien zusammenwirken und ein ,abduktives' Schlußschema beim Verstehen von sprachlichen Handlungen nahelegen.43 Man kann davon ausgehen, daß der Rezipient ein Textrealisat relativ rasch einer schematischen .Regel' zuordnet, ebenso, wie der Textproduzent zur Umsetzung seines kommunikativen Anliegens ohnehin einem Handlungsmuster folgt. Da die Explikation latenter Sinnaspekte, die funktionale Kohärenz, stets das gemeinsame Wissen (das .Hintergrundwissen' des Rezipienten) voraussetzt und darum interpretativ .komplexer' ist als die Betrachtung einer vorliegenden Textgestalt, ist sie in einem texttheoretischen Modell m. E. am besten auf der Makro-Ebene aufgehoben. Die Textkonstitution ist dieser Makro-Ebene nachgeordnet; der Textproduzent setzt das gemeinsame Dialogmuster-Wissen voraus und thematisiert bestimmte Aspekte daraus. Die Manifestation geeigneter Einheiten des latenten, übergreifenden Sinnzusammenhangs resultiert so

42

Neuere textlinguistische Modelle nutzen die hierarchische Unterscheidung von Analyseebenen zu einem anspruchsvolleren Textverständnis - gleichgültig, ob man nun verfasserorientiert wie Molitor-Lübbert (1989: 292) Planungs- und Produktionsprozesse oder Makro- und Mikrostrukturwissen (vgl. Feilke/Augst 1989: 301-306) oder rezeptionsorientiert wie Sauer (1995, bes.: 158-168) ein Mehr-Ebenen-Modell zugrunde legt. Die Ebenenbildung erfolgt dabei stets relativ zum vordringlichen Analysezweck, vgl. Hardenbicker/Ortak (2000a: 5-6). Zu dem Konzept des .abduktiven' Textverstehens, der interpretazione, führt Eco ( 13 1993: 185) aus: „Logicamente parlando questa interpretazione e una INFERENZA. Anzi e simile a quel tipo di inferenza logica che Peirce ha chiamento ,abduzione' (e in certi altri casi ,ipotesi') [...]." Eco (ebd.) weist ferner auf Berührungspunkte mit dem hermeneutischen Konzept des Verstehens hin. Zur kommunikationstheoretischen Adaption vgl. v. a. Keller (1995: 141), Biere (1994: 164-165).

126 zwangsläufig aus Auswahloperationen.44 Das, was nicht in der gegebenen Textgestalt direkt ersichtlich ist, ist für das Verständnis ja gerade nicht zweitrangig, sondern muß durch das Aktivieren von Wissensbeständen ergänzt werden. Kurz gesagt: Was der Verfasser präsupponiert, muß der Rezipient inferieren. Die globale Textkonstitution betrifft das vorliegende Realisat als Ganzes; texttheoretisch kann man sie auf der Meso-Ebene ansiedeln. Das Textrealisat, sei es auch noch so umfangreich und/oder inhaltlich komplex, entsteht schließlich für sich genommen immer aus den angesprochenen Auswahloperationen aus dem Bereich des übergeordneten Sinnzusammenhangs. Die Textkonstitution umfaßt insbesondere die Progression propositional-thematischer Einheiten (das ,Thema' im nichtfunktionalen Sinn). Die somit erzeugte thematische Kohärenz auf der Meso-Ebene verleiht dem Text seine .Geschlossenheit', während die funktionale Kohärenz auf der Makro-Ebene den Textsinn bedingt. Für die thematische Textkohärenz ist v. a. das ,Quaestio'-Konzept von Klein/von Stutterheim (1992) interessant, das die Fokussierung und Sequenzierung thematischer Einheiten in den Blick nimmt.45 Die lokale Textformulierung betrifft vornehmlich die Detailbeschreibung einzelner textueller Bestandteile, und zwar die Formulierungseinheit .Äußerung' (gewöhnlich in der grammatischen Form des Satzes verwirklicht, ohne einfach mit ihr gleichgesetzt werden zu dürfen, s. o.) bzw. ihre Konsituenten, zu denen lexikalische Einheiten, ggf. morphologische oder phonologische Formulierungsaspekte gehören. Die Ausführungen sind in Abb. 8 schematisch festgehalten.

44

45

Vgl. den verbreiteten Gebrauch solcher Begriffspaare wie .explizit - implizit', .Textl - Text2', .Text - Kommunikat', .Gesagtes - Gemeintes', ,Topik - Fokus', .eigentlich - uneigentlich', .wörtlich - übertragen', .Primärillokution - Sekundärillokution' etc. Daß eine allein auf die thematische Kohärenz konzentrierte Untersuchung einen Text hinsichtlich seiner funktionalen Sinnhaftigkeit nicht adäquat erfaßt, demonstriert auch Franke (1996: 64) in seiner zutreffenden Kritik an dem .Quaestio'-Konzept. Nach dem hier empfohlenen Sprachgebrauch gehen derartige Analyseansätze allein von der Meso-, nicht aber der funktionalen Makro-Ebene aus.

127

Dialogmusterwissen Texttransformationswissen Implikation

O Inferenz CjCommunikatoì^ Makro

Rezipient

Funktionale Kohärenz

Latentfunktional

SINN

metakommuni-

Verstehensbe-

Akzeptanzbe-

Erfolgs-/ Erfttl

kative Voraus-

dingungen:

dingungen:

lungs-

setzung

KLÄREN

ENTPROBLE-

bedingungen

MATISIEREN

Thematische Kohärenz

Meso

GESCHLOSSENHEIT globale Textkonstitution Themenprogression

lokale Textformulierung syntaktische Einheit lexikalische Einheit morphologische Einheit phonologische Einheit Mikro

Manifeststrukturell

Abb. 8: Ein dialogisches Textmodell

128

4.3

Konsequenzen für die musterorientierte Beschreibung von persuasiven Texten

Das kommunikative texttheoretische Modell erlaubt es, die zunächst noch recht vage Vorstellung dessen, was einen persuasiven Text ausmacht, in einem ersten Schritt zu präzisieren. Wie bereits in Kapitel 3 erörtert, ist Persuasivität eine akzidentielle Eigenschaft von Kommunikationsereignissen, dem Dialogischen Prinzip verpflichteten Sprachspielen. Diese Eigenschaft läßt sich anhand des Textmodells mit der grundlegenden Antizipationsleistung des Verfassers explizieren, der als Spl in einem virtualisierten Dialogspiel mit möglichen Widerständen des Sp2, d. h. des Rezipienten konfrontiert ist. Antizipation ist so nichts anderes als das Wissen um mögliche Probleme bei der Kommunikation im Anschluß an einen ISPA. Ohne sich eine solche dialogische Ausgangsbasis zu vergegenwärtigen, kann der Verfasser einen Text nicht mit Aussicht auf Erfolg produzieren. Die Erfolgsaussicht beruht auf der Erfüllung der Verstehens- sowie der Akzeptanzbedingungen des kommunikativen Hauptanliegens. Besonders die Herstellung von Akzeptanz muß die Überzeugungen des Rezipienten ins Kalkül ziehen. Auf genau dieser Ebene entscheidet sich grundsätzlich, ob man einem gegebenen Textrealisat Persuasivität attestieren kann: Was einen Text persuasiv macht, ist die Antizipationsleistung auf dem Sektor der Akzeptanzbedingungen. Daran schließt sich eine weitergehende Frage an: Wie weit läßt sich die Menge der .persuasiven Texte' extensional eingrenzen? Ist Persuasivität eine Charakteristik, die nur Texten einer ganz bestimmten Klasse zukommt, oder handelt es sich um ein universelles sprachliches Phänomen? Bisher ist diese Fragestellung noch nicht befriedigend reflektiert worden. Im großen und ganzen lassen sich zwei Extrempositionen ermitteln: (1) Persuasion ist ein Grundzug des menschlichen Sprachgebrauchs. Sprache ist so gesehen immer ,persuasiv'. Eine solche Sichtweise ist beispielsweise im Bereich der „New Rhetoric" vertreten worden und kommt in Winterowds Diktum zum Ausdruck: Whenever we use language, we are using persuasion (zit. nach Vollers-Sauer 22000: 520). Diese Annahme ist m. E. als Reflex auf das lange Zeit vorherrschende reduktionistische Verständnis aufzufassen, das den Sprachgebrauch allein als Mittel zur Darstellung von Weltzuständen konzipierte. 46 In dem Maß, in dem die Zweifel an der Auffassung wuchsen, mit Sprache .objektiv' die Realität abzubilden, das traditionelle Sprachvertrauen also in eine Krise geriet, wandte man sich entschiedener den zuvor ausgeblendeten Aspekten des Sprachgebrauchs zu. Insbesondere der in dem Dialogischen Prinzip ja schon immer vorausgesetzte Grundzug, daß mittels Sprache Beziehungen zwischen Menschen als Sprechern

46

Vgl. Kap. 2.1.2.1.1.

129 konstituiert werden, erlaubt der Annahme (1), einen Zusammenhang mit dem rhetorischen Ziel der Einwirkung auf den Gesprächspartner/den Zuhörer herzustellen. So überrascht es auch nicht, daß mit der Hinwendung zu sprachpragmatischen Überlegungen der dem Sprachgebrauch inhärente Beziehungsaspekt grundsätzlich mit persuasiver Wirkungsabsicht gleichgesetzt wird. So kann man z. B. Morris ( ll 1964: 30) verstehen: Historically, rhetoric may be regarded as an early and restricted form of pragmatics, and the pragmatical aspect of science has been a recurrent theme among the expositors and interpreters of experimental science.

Die universalistischen Implikationen dieser Annahme können allerdings kaum befriedigen: wenn der Sprachgebrauch per se persuasiv ist, dann ist es unsinnig, überhaupt noch die Besonderheiten ,persuasiven' Sprechens untersuchen zu wollen, weil man jedes beliebige Sprachspiel heranziehen kann. Demgegenüber schränkt die zweite Annahme den Untersuchungsskopus von vornherein deutlich auf ausgewählte Textsorten bzw. Dialogtypen ein. Sie lautet: (2) Persuasion ist eine Eigenschaft bestimmter sprachlicher Handlungen und Texte. Diese Textsorten werden häufig im Bereich der Werbung und Propaganda angesiedelt. Was zunächst eine leichter handhabbare Untersuchungsstrategie nahelegt, entpuppt sich allerdings bei näherem Hinsehen als äußerst problematisches, weil willkürliches Bemühen, die Persuasivität des Sprachgebrauchs mit typologischen Zielsetzungen zu verbinden. Beispielsweise ist nicht jede politische Rede - unter den Prämissen der Annahme (2) immerhin ein Musterbeispiel persuasiver Kommunikation - tatsächlich in gleicher Weise ,persuasiv' auf den Konsens der Adressaten ausgerichtet (vgl. J. Klein 1995: 93). Darüber hinaus folgen politische Kundgebungen in totalitären Staaten ganz anderen Prinzipien als in einer Demokratie. Es macht einen großen Unterschied, ob Sp2 über die Möglichkeit verfügt, einen Dissens zu äußern oder ihm nur die Rolle eines bloßen Akklamationsobjekts eingeräumt wird. Ahnlich liegt der Fall bei Produktankündigungen, die ein monopolistischer Anbieter kommuniziert. Annahme (2) krankt insbesondere an der mangelhaften Differenzierung von Textrealisationsformen (TRF) (vgl. Hardenbicker 1999: 35), d. h. der fehlenden Reflexion über das eigene analytische Vorgehen. Darum läuft sie Gefahr, stilistische und funktionale Aspekte der Textgestaltung zu verwechseln. Es ist ohne weiteres denkbar, daß ein Text, den man für sich genommen als Realisat einer .informativen' Textsorte klassifiziert, eine persuasive Funktion erfüllt - und zwar dann, wenn z. B. die Textsorte BERICHT in einen übergreifenden Textverbund (Textkosmos), z. B. einer KUNDENZEITSCHRIFT oder einer PARTEIZEITUNG eingebettet ist. In einem derartigen Zusammenhang kann man den zugrunde liegenden Textsortenbegriff eben nicht als funktional autonom, sondern nur als stilistisch invariant begreifen (vgl. Frilling 1995: 49-52, 65-68). Geht man von der 47

Rolf

(1993: 185)

zählt den

BERICHT ZU

den assertiv-darstellend-registrierenden Textsorten.

130 Prämisse aus, daß Handlungen durch anschlußfähige Beobachterkonstruktionen konstituiert werden, die sozial bedingt sind und einen gleichgearteten situativen Kontext voraussetzen, dann zeigt sich, daß die Ausrichtung nach Textsorten eine Abstraktion darstellt, die zwar heuristisch notwendig erscheinen mag, aber, was den funktionalen Bezug angeht, auch in die Irre fuhrt. Das, was kontextabstrakt beispielsweise als Information eingeschätzt wird, kann unter passenden Umständen ohne weiteres als akzeptanzorientierte persuasive Strategie gelten. Persuasion ist dann keine strategische Eigenschaft, die man isolierten Illokutionstypen a priori absprechen oder attestieren könnte; sprachliche Handlungen sind vielmehr unter geeigneten Bedingungen funktional zu beschreiben als Strategieelemente persuasiver Kommunikation. Isoliert, außerhalb dieser Handlungszusammenhänge, lassen sich diese Äußerungsformen dann als illokutionäre Handlungstypen/Textsorten beschreiben. Man muß also prinzipiell die kontextuellen Inferenzleistungen der Dialogpartner berücksichtigen, die bei der abstrakten typologischen Erfassung von Textsorten gar nicht erst in den Blick kommen können. Gerade, was die Persuasion angeht, darf man die pragmalinguistische Beschreibungsebene nicht zu niedrig ansetzen; Persuasion ist keine ,Eigenschaft' sprachlichen Materials auf der wortsemantischen, satzsemantischen, nicht einmal der sprechakttheoretischen Ebene. Beispielsweise können expressive ebenso wie deklarative Äußerungen Bestandteil einer persuasiven Strategie sein - vorausgesetzt, sie stehen in einer bestimmten Art der funktionalen Kohärenz: (37) Spl: Leihst du mir bis morgen 60 Mark? Sp2: Ich denke nicht daran. Spl: Das kränkt mich aber jetzt sehr. Die letzte Äußerung kann unter isolierten Bedingungen als Repräsentation des expressiven Sprechakt-Potentials aufgefaßt werden - nur: was ist damit gewonnen, wenn die Äußerung als Versuch begreifbar ist, auf der Beziehungsebene die Handlungsbereitschaft von Sp2 herzustellen? Damit ist nicht gesagt, daß die Äußerung nicht als veritables Beispiel für einen expressiven Sprechakt herangeführt werden kann, wenn der Linguist ein anderes Erkenntnisinteresse verfolgt - Handlungen sind eben keine unveränderlichen Einheiten, sondern Zuschreibungen innerhalb eines Bezugssystems. Die vorliegende Studie ist hier mit einer besonderen Aufgabenstellung konfrontiert, und zwar der Funktionalität sprachlicher Handlungen im Zusammenhang mit der Herstellung von Handlungs-/Zustimmungsbereitschaft. Die kommunikationstheoretischen Unzulänglichkeiten eines taxonomischen Interesses an Texten zeigen sich besonders nachdrücklich an den TRF REZENSION, LESERBRIEF, KOMMENTAR, GLOSSE, KRITIK. In einem ersten analytischen Zugriff kann man feststellen, daß es in Textrealisaten dieser Art darum geht, über das thematisierte Objekt zu INFORMIEREN und es zu BEWERTEN. Speziell der zweite Handlungsaspekt wirft die Frage nach etwai-

131 gen Berührungspunkten zur persuasiven Textcharakteristik auf, denn die beurteilende Komponente impliziert notwendigerweise einen Wertbezug. Brinker ( 3 1992: 106) fuhrt dazu aus: Die informative Textfunktion kann sich [...] mit der ,evaluativen' Einstellung (etwas gut/schlecht finden) verbinden. Der Emittent gibt dem Rezipienten dann seine (positive bzw. negative) Bewertung eines Sachverhalts kund (ohne ihn in seiner Haltung beeinflussen zu wollen!) Diese thematische Einstellung ist kennzeichnend für die Textsorten .Gutachten', .Rezension', .Leserbrief usw.

Prinzipiell stimmt auch Rolf (1993: 190) dieser Sichtweise zu. Er begründet seine Zuordnung dieser TRF zu den assertiv-darstellend-judizierenden Textsorten damit, daß sie viel zu sehr an Rationalitätsstandards orientiert und viel zu sehr auf die argumentative Darlegung von Gründen verpflichtet [sind], als daß sie sich in der Bekanntgabe einer positiven oder negativen Bewertung erschöpfen und als .evaluativ' bezeichnet werden könnten. Wie man einen bestimmten Sachverhalt beurteilt und aus welchen Gründen man zu dieser Beurteilung gelangt, ist für die entsprechenden Textsorten von weitaus größerer Relevanz als die Frage, ob man ihn gut oder schlecht findet. (Ebd.)

Das taxonomische Erkenntnisinteresse nötigt beide Verfasser, die Problemfälle quasi im Handstreichverfahren lösen zu wollen. Was die persuasive Funktion angeht, überzeugen ihre Ausführungen nicht: Ob der Autor eines

LESERBRIEFS

den Rezipienten subjektiv nun

beeinflussen will oder nicht, ist eine nachgeordnete Fragestellung, die allenfalls introspektiv beantwortet werden könnte. Darüber hinaus können ja, wie bereits dargelegt, gerade betont sachliche Kommentare ein eigentümliches persuasives Wirkungspotential entfalten - etwa, wenn der Verfasser generös die Absicht erklärt, nun einmal etwas ,Ruhe in die aufgeheizte Debatte' bringen zu wollen. Richtig ist allerdings auch, daß man auch nicht jedem

LESERBRIEF

a priori eine persuasive Strategie bescheinigen kann. Persuasion ist kein

taxonomisches Merkmal.48 Statt dessen sind Textrealisate hinsichtlich ihrer Verstehensbedingungen an Rezipientenkreise gebunden, die womöglich heterogener sind, als man in einer Textklassifikation bewältigen kann. Auch hier scheint es wieder sinnvoll, eben nicht 48

Das entgeht auch Rolf (1993: 215) bei der Diskussion der assertiv-indizierend-inzitierenden Textsorten nicht; seiner Beobachtung zufolge „[ist] die Persuasion [...] nicht dazu geeignet, den gesamten Bereich der intendierten Wirkungen inzitierender Textsorten abzudecken". Es ist allerdings anzumerken, daß die weitgehende Anlehnung an das von Morris (1973: 185) zugrunde gelegte Persuasionsverständnis auch nicht unproblematisch ist. So beschränkt sich die von Rolf vorgebrachte Kritik an Morris auf die Bemerkung, „daß die Überredung ein lediglich mentaler Effekt ist. Die mit einer inzitiven [i.S. von Morris, N.O.] Zeichenverwendung beabsichtigte Wirkung ist auf den mentalen Bereich einzuschränken, [...] liegt also höchstens in Form einer Hand\\mgsbereitschaft vor [...]." (Ebd.: 215-216; Hervorhebung i.O.) Die wichtige Frage nach dem Zusammenhang mit nicht-bindenden direktiven Textsorten wird auf diese Weise einfach unterschlagen. Dementsprechend beliebig nimmt sich dann auch die Zuordnung der TRF SLOGAN, WAHLPAROLE, WAHLSLOGAN, WERBESLOGAN, WERBESPRUCH, WERBETEXT ZU d e n

inzitierenden

ASSERTIVA ( v g l . e b d . : 2 1 8 ) , d i e v o n WERBEANZEIGE u n d WERBEBRIEF ZU d e n n i c h t - b i n d e n d e n D i REKTIVA ( v g l . e b d . : 2 5 0 ) a u s .

132 von der ,Textsorte' auszugehen, sondern von der Kommunikation zwischen Textproduzent und -rezipient. Die Frage lautet dann nicht: Was macht einen Text persuasiv? Sie lautet: Welche Bedingungen (des virtualisierten dialogischen Sprachspiels) erlauben es den Teilnehmern, eine textuelle Äußerungsfolge als persuasiv kohärent zu produzieren/zu rezipieren? Diese reformulierte Fragestellung schärft den Blick dafür, daß Persuasivität eine kognitive Beobachterkategorie ist, mit deren Hilfe man funktionale Kohärenz prozessiert und so einen Text versteht. Das Phänomen der Mehrfachadressierung ist in der Forschung bislang noch nicht hinreichend reflektiert worden.49 In gewisser Weise werden Texte selektiv rezipiert, und gerade diejenigen Textsorten, denen Brinker keine Beeinflussungsabsicht attestieren will, bieten hierfür ein gutes Beispiel: Eine FILMKRITIK kann man, je nach der subjektiven Lesemotivation, entweder als informative Orientierung über den plot funktionalisieren - und das v. a., wenn man die Kompetenz des Filmkritikers eher niedrig veranschlagt - oder als Entscheidungshilfe hinsichtlich des Erwerbs einer Eintrittskarte heranziehen.50 Nun soll gar nicht bestritten werden, daß gerade Texte, die man v. a. intuitiv als Appellativ' bezeichnet, besonders naheliegende Beispiele für Persuasion darstellen. Da aber noch keine weiterführenden Erklärungsversuche unternommen worden sind, erscheint es mir als eine unzulässige Verallgemeinerung, andere TRF von vornherein als nicht-persuasiv ausschließen zu wollen. Es ist sinnvoller, hier ebenfalls von einem Kontinuum auszugehen. Bei manchen Textrealisaten ist eine persuasive Intention besonders leicht nachvollziehbar, bei anderen aber auch nicht kategorisch von der Hand zu weisen. Wenn man so will, repräsentieren sogar standardisierte Grußformeln, etwa in der schriftlichen Korrespondenz, noch .Ansätze' oder ,Restbestände' von Persuasion. Solche Strategieelemente lassen sich zwar nicht in einer Texttaxonomie abbilden und stellen auch keineswegs die persuasiven Prototypen dar, auf deren Grundlage man eine adäquate Analyse vornehmen kann. Aber die Möglichkeit, sie u. U. auch unter dem Blickwinkel persuasiven Sprechens zu beschreiben, sollte auch nicht voreilig ausgeschlossen werden. Was die ,appellativen' oder ,evaluativen' clear cases von den persuasiven Spurenelementen' unterscheidet, ist m. E. der funktionale Stellenwert derjenigen textuellen sprachlichen Handlung, auf die sich die persuasive Akzeptanzstrategie bezieht. Ein Großteil der Probleme bei der Bestimmung der extensionalen Reichweite persuasiven Handelns liegt darin begründet. Die persuasive Ausrichtung läßt sich theoretisch dahingehend abstufen, ob der das gesamte Sprachspiel begründende ISPA oder ein funktional untergeordneter Teilzweck abgestützt wird. Man kann auf diese Weise eine ganze Bandbreite textueller Persuasion konzipieren, die als globale Strategie direkt 49

50

,,[...][M]ehrfachadressierte Sprachhandlungen liegen dann vor, wenn ein und dieselbe Äußerung in bezug auf ihren Handlungsgehalt adressatenspezifisch verschiedenen Handlungsmustern zugeordnet werden kann." (Kühn 1995: 62) Ähnliches gilt für „Paratexte" wie z. B. Buchtitel, vgl. Genette (1989: 77).

133 das Hauptanliegen bzw. als lokale Taktik eine funktional untergeordnete Textäußerung stützt. Zusammenfassend läßt sich konstatieren: Beide Aussagen korrigieren wechselseitig die universalistischen bzw. reduktionistischen Irrtümer, ohne aber für sich genommen restlos überzeugen zu können. Insbesondere arbeiten beide mit der Annahme, eine linguistische Untersuchung könne es sich leisten, vom handlungstheoretischen Kontext einer sprachlichen Handlung absehen zu können. Da diese Annahme unhaltbar ist, ist Persuasion in ganz unterschiedlichen TRF denkbar; demgemäß ist es sinnvoll, im Zuge der empfohlenen Umstellung von WAS- auf WlE-Fragen, zwar Textmuster zu explizieren, bei denen Persuasion die Akzeptanzstützung des ISPA zu sichern hat, ohne aber kategorisch ausschließen zu wollen, daß auch persuasive Teilsequenzen - etwa als Stützung eines Teilzwecks - in anderen Textmustern als den ,prototypischen' clear cases auftreten können. Insofern ist eine vermittelnde Position zwischen beiden Extremaussagen am aussichtsreichsten.

4.4

Zusammenfassung

Auf dem Weg zu einer linguistischen Analyse persuasiver Texte wurden aktuelle Tendenzen der Textlinguistik reflektiert. Derzeit lassen sich grob .monologische' und,dialogische' Textkonzeptionen ausmachen; die erste Gruppe findet v. a. in der Handlungsstrukturanalyse von Illokutionhierarchien ihren elaborierten Ausdruck. Ihr größtes Defizit besteht darin, daß sie im wesentlichen mit dem Instrumentarium der orthodoxen Einzel-Sprechakttheorie operiert und dabei Gefahr läuft, die kommunikative Komponente eines Textes zu vernachlässigen. Im Anschluß an die kritische Würdigung dieses Ansatzes wurden Vorschläge unterbreitet, auf welche Weise man das wiederholt postulierte, jedoch kaum eingehend explizierte Dialogische Prinzip zur Grundlage der Betrachtung schriftlicher Texte machen kann. Erst vor diesem Hintergrund ist es möglich, ihre Spezifika als Realisationsformen dieses Prinzips etwa gegenüber denen des Parameters ,Interaktion' herauszustellen und den Anspruch eines .dialogischen Textmodells' mit einiger Aussicht auf Erfolg zu vertreten. Insbesondere die Wechselwirkung von Antizipation und textueller Kohärenz verdient hier eine nähere Beachtung. Ausgehend von einem solchen Modellvorschlag, der mit Konzepten wie ,Dialogmusterwissen - Texttransformationswissen', ,Sinn - Geschlossenheit', .Globale Textkonstitution - Lokale Textformulierung' operiert, wurden dann die Konsequenzen für die Beschreibung persuasiver Texte erörtert, die Gegenstand des folgenden Kapitels sein wird.

5.

Persuasion als dialogisches Textstrategiemuster

Wie bereits angedeutet, ist Persuasivität eine Eigenschaft, die man einem gegebenen Text in Abhängigkeit von dem Textverstehen zu- oder absprechen kann. Zieht man die in Kap. 3 angeführten Gesichtspunkte persuasiver Textqualität hinzu, läßt sich festhalten, daß die Strategie Persuasion kein funktionales Textmuster fundiert; statt dessen dient sie seiner Realisation. Damit ist Folgendes gemeint: Der Zweck des persuasiven Sprachgebrauchs ist nicht mit dem Globalzweck des Textes, in dessen Rahmen der Textproduzent persuasiv agiert, identisch. Als Strategie dient Persuasion dazu, das kommunikative Hauptanliegen, die Globalillokution also, hinsichtlich ihrer Angemessenheit für den Rezipienten abzusichern. Dialoggrammatisch gewendet heißt das wiederum: Persuasive Handlungen sind Dialogzüge, die im Anschluß an einen negativ beschiedenen ISPA des Spl (des Textproduzenten) getätigt werden, um die Akzeptanzbedingungen des ISPA doch noch zu erfüllen.1 Insofern steht der Zweck der Persuasion zu dem des Gesamttextes in einer instrumenteilen Relation. M. a. W.: Texte sind keine Strategien, Texte folgen vielmehr Strategien. Dieser Ansatz erlaubt eine präzisere Bestimmung des häufig zu impressionistisch gebrauchten Strategiebegriffs. Der Terminus ,Strategie' wird in linguistischen Arbeiten häufig verwendet, ohne aber zwangsläufig tragfahig definiert worden zu sein. Darüber hinaus weist er ein unverkennbar konnotatives Potential auf, das dem Bemühen um terminologische Präzision oft entgegensteht. Bemüht man sich, in einem ersten Zugriff das Konzept,Strategie' so wertneutral wie möglich zu bestimmen, kann man festhalten, daß eine Strategie stets auf Antizipationsleistungen bei der Erstellung eines Handlungsplans beruht. Daraus ist ersichtlich, daß die relevante Handlung komplex genug sein muß, damit ihr Vollzug in irgendeiner Weise problematisch' werden kann. Die Lösung dieses Handlungsproblems, die Erstellung eines Lösungsplans zu ihrem Vollzug, macht eine Strategie aus. Als Handlungsplan entspricht eine Strategie somit dem, was Aebli (1980: 216-218) als .Operation' bezeichnet: So können wir eine Operation eine abstrakte Handlung nennen. Sie kann effektiv ausgeführt oder nur gedacht werden [...]. Wenn sie effektiv ausgeführt wird, so sieht der Handelnde von anderen [...] Aspekten der Handlung ab, um einen einzigen zu zentrieren, diesen aber in Klarheit und bestmöglicher Strukturierung zu sehen. Dieses Bemühen um bestmögliche Strukturierung macht das Operieren nun auch zu einem kognitiven Prozeß. Zwar sind die Grenzen fließend, die RichPersuasiv sind demnach bestimmte Realisationsformen des INSISTIERENS (vgl. Franke 1 9 8 3 ) , und zwar im direktiven Zusammenhang (Überreden) des DRÄNGENS, im assertiven Kontext (Überzeugen) des BEKRÄFTIGENS. Speziell was das BEKRÄFTIGEN angeht, halte ich die von Franke ( 1 9 8 3 : 2 6 8 - 2 6 9 ) vorgeschlagene Abgrenzung vom ARGUMENTIEREN für unpraktikabel - eben „sinnvoll, [...] aber nicht in jedem Fall möglich" (ebd.: 269).

135 tung jedoch ist klar: Indem das Bemühen um Strukturierung in den Vordergrund tritt, wird die Handlung .kognitiv'. [...] Die Stufen des Übergangs sind Stufen der Abstraktion. Die Handlungen [...] können zunehmend abstrakt gesteuert und betrachtet werden. Sie werden damit zunehmend .operativ'.

Die Abstraktion vom konkreten Handlungsziel setzt Reflexion über das Handeln voraus: Das Handeln bezweckt damit wiederum Handeln. Darum sind strategische Operationen als Handlungspläne auf einer Meta-Ebene angesiedelt.2 Nun ist ein Verhalten nur dann sinnvoll als Handlung zu identifizieren, wenn es in irgendeiner Weise ,verstehbar' ist; angemessen läßt sich allein da von Handlungen reden, wo ein sozial fundiertes, konventionelles Muster vorliegt, anhand dessen man das beobachtete Verhalten einem Handlungstyp zuordnen kann. Demgemäß empfiehlt es sich, statt von Handlungen (der Ausdruck ist type/token-ambig)

von Handlungsmustern

zu sprechen:

Strategien sind Handlungsmuster 2. Ordnung, d. h. Handlungsmuster von Handlungsmustern, kurz: Meta-Handlungsmuster. Sie konstituieren/kontrollieren den Vollzug von Handlungsmustem. Auf das sprachliche Handeln bezogen heißt das: eine Strategie ist ein integraler Bestandteil jeder Verständigung zwischen zwei oder mehr Sprechern. Eine Äußerung/Äußerungssequenz zu verstehen impliziert zwangsläufig, daß Sp2 eine Strategie bei Spl erkennt.3 Mißlingt dies, sind die Äußerungen sinnlos, d. h. inkohärent. Gerade das Textverstehen, das dem Rezipienten grundlegende Inferenzleistungen abverlangt, kann allein dann funktionale/thematische Kohärenz prozessieren, wenn der Adressat abduktiv eine Verfasserstrategie ermittelt, die die Äußerungen innerhalb einer Sequenz in einen Bezug zueinander setzt: Eine Strategie ist [...] eine Sequenz von Handlungsmustem und damit selbst ein Handlungsmuster. (Fritz 1982: 58)

Genauer gesagt reguliert eine Strategie eine Handlungsmuster-Sequenz. Eine Strategie bemißt sich grundsätzlich nach der Effizienz, mit der sie die Lösung von Problemen im Umgang bzw. Vollzug des Handlungsmusters 1. Ordnung ermöglicht - also danach, wie erfolgsorientiert sie Rezeptionsschwierigkeiten ausräumt. Strategisches Handeln beruht stets auf Auswahloperationen, die nach dem Kriterium der Eignung vorgenommen werden. Wahrscheinlich zieht man aus diesem Grund häufig formale spieltheoretische Vorstellungen heran, die insbesondere mit dem Konzept der Zweckrationalität operieren (vgl. Fritz 1994). Allerdings besteht hier die Gefahr, den Strategiebegriff unmerklich 2

3

Wolf (1998: 27) charakterisiert strategische Auswahloperationen als „Handlungsmuster höherer Ordnung". Diese Auffassung ist mit derjenigen von Heinemann/Viehweger (1991: 214-215) kompatibel, die ausfuhren, „daß Strategien zwischen den aus der Interaktion und den gesellschaftlichen Bedingungen abzuleitenden kommunikativen Aufgaben und den Zielen der Kommunikationspartner einerseits und den zu deren Realisierung einzusetzenden sprachlichen (und nichtsprachlichen) Mitteln und ihrer Strukturierung andererseits vermitteln".

136 eben doch wieder v. a. mit dem Spi/Textproduzenten zu assoziieren und völlig zu vernachlässigen, daß eine Strategie nur erfolgreich ist, wenn sie Sp2 als Mittel der Kohärenz erkennt. Das impliziert wiederum, daß ein auf einer Strategie beruhendes Handeln bewußtreflektiert abläuft, auf einer vor dem Handlungsbeginn gefaßten Intention beruht und/oder als solches verstanden wird - es ist denkbar, daß einem Handlungsträger eine Strategie unterstellt wird, die dieser subjektiv überhaupt nicht verfolgen wollte. Den kategorialen Unterschied zwischen der individualpsychologischen und der sozialen Komponente von Intentionen verkennen gerade pragmalinguistische Abhandlungen häufig und verstricken sich demgemäß in vermeidbare - und unlösbare - Scheinprobleme.4 Was den strategischen Stellenwert persuasiven Sprachgebrauchs angeht, ist es m. E. angebracht, hier ebenfalls ein konventionelles Muster anzunehmen: Operationen persuasiver Art begründen den Vollzug sprachlicher Handlungsmuster auf eine ganz bestimmte Weise, die sie von anderen sprachlichen Operationen zumindest heuristisch unterscheidbar machen. Persuasion ist eine Operation/ein Handlungsmuster 2. Ordnung/ein Strategiemuster, das die Akzeptanz bestimmter sprachlicher Handlungen als ISPAe sichern soll. Damit erklärt sich auch die Beobachtung, daß der Zweck des Handlungsmusters 2. Ordnung nicht mit dem des regulierten Handlungsmusters 1. Ordnung zusammenfällt, Persuasion trotzdem mit den bewährten Möglichkeiten der HM-Beschreibung (Handlungszweck - Handlungsbedingungen - Handlungsmittel) (vgl. Hundsnurscher 1984: 77) erfaßt werden kann.5

5.1

Der Strategiezweck

Ausgehend von der Annahme, daß der Sprachgebrauch auf der Zuschreibung von Intentionen beruht, spielt der Äußerungszweck eine prominente Rolle bei der Bestimmung von Handlungsmustern und der Subsumption von Einzelhandlungen. In der herkömmlichen Sprechakttheorie ist es üblich, eine sprachliche Handlung hinsichtlich ihres konventionell verfolgten Zwecks, ihres ,illocutionary point', zu bestimmen. Die bereits monierte Ausblendung des Dialogischen Prinzips bringt es aber mit sich, daß der Adressat einer Äußerung, Sp2, bei der handlungstheoretischen Konzeption nur unzurei4

5

Strategien sind also Beobachterkonstrukte, was Titscher et al. (1998: 191) mit ihrer Auffassung andeuten, daß sie „häufig unbewußt, irrational und emotional [wirken]". Hier zeigt sich erneut, daß die von diskursethischen linguistischen Ansätzen häufig propagierte Unterscheidung von strategischem und kommunikativem Handeln unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten problematisch, sogar irreführend ist. Die fundamentale Zweckkomponente stellt insbesondere Weigand (1993: 259; 1999b: 773) in den Mittelpunkt.

137 chend berücksichtigt wird. Das, was Spl mit einem Sprechakt bei seinem Gesprächspartner u. U. bewirkt - und weswegen er ihn überhaupt äußert! - , ist v. a. in Searles Entwicklung der Sprechakttheorie konsequent vernachlässigt worden. Mitunter gebraucht man die Konzepte ,Illokution' und ,Perlokution' kurzschlüssig als explizite Gegensätze - eine theoretisch inadäquate und schädliche Sichtweise, die direkt aus der Fixierung auf die Einzeläußerung, nicht aber den Gesprächsbeitrag resultiert. Demgemäß verbindet man mit der Illokution eine konventionsgebundene, reguläre Sprachverwendung, wohingegen die Perlokution ein unsicheres Gebiet der Kommunikation absteckt, dem man fast schon erleichtert eine gewisse „Psychologieverdächtigkeit" (Schlieben-Lange 2 1979: 88) bescheinigt und als reine Folgeaspekte illokutionärer Akte (vgl. Rolf 1997: 29-30) aus der Betrachtung ausschließt.6 Nicht zuletzt angesichts der dialoggrammatischen Revision der Sprechakttheorie erscheint es angemessener, bei der Kommunikationsanalyse nicht eine Sprecher - Hörer-, sondern eine Spl - Sp2-Konstellation zugrunde zu legen. Dazu ist es dringend erforderlich, das Perlokutionskonzept eingehender zu diskutieren. Da der Erfolg einer Äußerung nur mit der Beteiligung des Adressaten zustande kommen kann, deutet sich in dem Perlokutionsbegriff so eine Erweiterung auf die dialoganalytische Perspektive an (vgl. Naumann 1995: 279-283). 7 Problematisch ist in erster Linie Austins Wortgebrauch, denn ein Akt als Handlung wird nun einmal primär über seinen zugrunde liegenden Zweck, das intentionale Moment, definiert. Austin scheint den perlokutionären Aspekt aber eher als ein retrospektives Interpretationskonstrukt aufzufassen: Ob ein perlokutionärer Akt vorliegt, läßt sich erst nach der Hörerreaktion entscheiden. Faktisch sind demnach Akt und Effekt nicht voneinander zu trennen: Spl äußert einen Sprechakt mit einer bestimmten Illokution, der bei Sp2 einen bestimmten Effekt hervorruft. Erst nach dem Eintritt des Effekts läßt sich eine Sprechhandlung überhaupt als perlokutionärer Akt beschreiben. Aufgrund dieser zeitlichen Verschiebung ist die Perlokution eigentlich nicht auf derselben Ebene wie die Lokution oder die Illokution anzusiedeln.

6

7

Tendenziell vertritt auch Wiegers (1991: 272) diese Position: Ihm zufolge sind Perlokutionen „den nicht-sprachlichen Zielen konkreter Sprecher und wie diesen der Performanz- oder Ereignisebene zuzuordnen, während ,Illokutionen' als deren funktionale Komponenten den Dialogmustem und damit der Kompetenzebene zuzuordnen" sind. Faktisch läuft dieser Ansatz auf eine elegante Nivellierung des Perlokutionsbegriffs hinaus. Das Perlokutionskonzept wird in den verschiedenen Ausprägungen der Dialoganalyse durchaus kontrovers diskutiert, vgl. Weigand (1989: 14-19) und Franke (1997: 352-353). Es dürfte aber kein Zweifel bestehen, daß eine unverkennbar an der adjacency paiV-Vorstellung orientierte Assoziation dialogischer Kommunikation mit zweizügigen Minimalsequenzen der Komplexität von Sprachspielen unangemessen ist. Zu berücksichtigen sind Sequenzprinzipien, innerhalb einphasiger und mehrphasiger Dialoge, die Minimalsequenzen zu längeren Sequenzen erweitern. Vgl. vor allem Weigand (2000: 13-14).

138 Wenn auch Austins terminologische Entfaltung an Stringenz zu wünschen übrig läßt, kann kein Zweifel bestehen, daß er mit dem Begriffspaar perlocutionary object und perlocutionary sequel, das er in der neunten William James Lecture einführt, einen wichtigen Hinweis gegeben hat, den seine Nachfolger systematisch übersehen haben: The perlocutionary act may be either the achievement of a perlocutionary object (convince, persuade) or the production of a perlocutionary sequel. [...] An argument against a view may fail to achieve its object but have the perlocutionary sequel of convincing our opponent of its truth (,I only succeeded in convincing him'). (Austin 21975: 118)

Die Unterscheidung von object und sequel scheint hier auf eine Differenzierung zwischen intendierten und nicht-intendierten perlokutionären Effekten hinauszulaufen - eine Beobachtung, die entscheidend für die Bewertung des Perlokutionsbegriffs ist, denn es ist unter analytischen Gesichtspunkten weit lohnender, intendierte perlokutionäre Akte - mit einem object - zu untersuchen als solche, die unbeabsichtigte sequels hervorrufen. Hält man nämlich an der zweiten Gruppe fest, müssen wieder mögliche Erklärungen, warum nun ausgerechnet ein bestimmtes sequel zustande gekommen ist, einem nebulösen, ,psychologieverdächtigen' Situationsbegriff vorbehalten bleiben. Bedauerlicherweise hat Austin die Differenzierung aber nicht klar genug verfolgt: Some perlocutionary acts are always the producing of a sequel, namely those where there is no illocutionary formula: thus I may surprise you or upset you or humiliate you by a locution, though there is no illocutionary formula ,1 surprise you by ...', ,1 upset you by ...', ,1 humiliate you by ...' (Ebd.)

Der Witz eines jeden perlokutionären Aktes besteht jedoch gerade darin, daß das den perlokutionären Effekt indizierende Verb nicht performativ gebraucht werden kann - worauf Austins Bezeichnung „illocutionary formula" wohl hinausläuft.8 Es ist ebenso unmöglich, durch Äußerungen wie I convince you oder I persuade you den thematisierten Effekt zu erzielen. Speaking of the ,use of .language' for arguing or warning' looks just like speaking of ,the use of ,language' for persuading, rousing, alarming'; yet the former may, for rough contrast, be said to be conventional [Hervorhebung im Original - N. O.], in the sense that at least it could be made explicit by the performative formula; but the latter could not. Thus we can say ,1 argue that' or ,1 warn you that' but we cannot say ,1 convince you that' or ,1 alarm you that'. Further, we may entirely clear up whether someone was arguing or not without touching on the question whether he was convincing anyone or not. (Ebd.: 103-104) 8

Austin schient hier v. a. die Klasse der deklarativen Sprechakte im Auge zu haben, was auch Strawson (1971: 152-153) bei seiner Diskussion des Konventionsbegriffs nahelegt. Allerdings kann diese eingeschränkte Sichtweise nicht erklären, worin die Ambiguität solcher Sprechaktverben wie z. B. warnen besteht. Die Aussage Sp2 fühlt sich gewarnt kann sowohl auf den illokutionären Effekt, d. h., die Erfüllung der Verstehensbedingungen des Sprechakts, als auch auf den eingetretenen perlokutionären Effekt, d. h., auf die erfüllte Erfolgsbedingung des illokutionären Aktes referieren.

139 M. E. sind diese Ausführungen mißverständlich; sofern ein Sprecher ein object anstrebt, kann man nicht umhin, ein konventionelles Handlungsmuster anzunehmen. Das mit einem Sprechakt verfolgte perlocutionary object ist mit dessen illokutionärer Rolle identisch. Das perlocutionary sequel dagegen betrifft ausschließlich die Frage, ob das object erreicht worden ist oder nicht. Und diese Frage ist in der Tat nicht konventionell zu regeln, da hier mit Sp2 ein eigenständig handelnder Sprecher ins Blickfeld rückt, der es u. U. einfach vorziehen kann, sich Spl zu widersetzen. Das ändert aber nichts an dem Umstand, daß Sp2 überhaupt nur irgendeinen perlokutionären Effekt zeigen kann, wenn er der Äußerung des Spl ein bestimmtes perlocutionary object unterstellt. Die Frage lautet dann allein, ob sich der faktisch eingetretene perlokutionäre Effekt, das sequel also, mit dem von Spl angestrebten Effekt, dem object, deckt oder nicht. Genauer gesagt spielen hier zwei Aspekte eine Rolle: (a) Unterstellt Sp2 Spl korrekt, daß er ein bestimmtes object verfolgt und (b) verhilft Sp2 darüber hinaus auch noch durch seine Anschlußreaktion dem Spl -object zum Erfolg? Man stelle sich beispielsweise vor, A habe gerade seinen Wagen bei einem Unfall demoliert, und ein Bekannter B äußere bei dem nächsten Zusammentreffen: (38) Weißt du, woran ich gerade denken muß? Ohne Auto ist man ja doch nur ein halber Mensch.

Wenn sich A daraufhin beleidigt, gekränkt, verspottet, schockiert etc. fühlt, stellt sich dieser perlokutionäre Effekt aber nicht rein zufällig ein; vielmehr vermutet A, daß B ihn mit seiner Äußerung provozieren wollte - und diese Annahme basiert zwangsläufig auf der Interpretation der Äußerung als Vollzug des konventionellen Handlungsmusters P R O V O K A T I O N S V E R S U C H . Wie anders lassen sich Kommunikationsstörungen, Mißverständnisse, erklären, als daß zwei Sprecher eine Äußerung zwei unterschiedlichen konventionellen Handlungsmustern zuordnen? B kann sich nun verteidigen, indem er äußert: (39) Das tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung, daß du einen Unfall gehabt hast. Ich habe nur heute morgen in der Zeitung gelesen, daß die Zahl der Blechschäden in den letzten Jahren rapide gestiegen ist.

Unkonventionell' sind perlokutionäre sequels also nur aus der Perspektive von Spl insofern, als sie grundsätzlich nicht in einem vorhersagbaren Kausalverhältnis zu den objects stehen.9 9

Auf diesen Aspekt weist auch Hindelang ( 3 2000: 14) hin: „Zu sagen Wie geht es Ihrer geschiedenen Frau?, gilt nicht konventionellerweise als Verunsicherung. Unter bestimmten Bedingungen kann eine solche Frage jedoch beim Hörer den Effekt hervorrufen, daß er verunsichert ist. Diese Wirkung ist aber nicht in der Weise durch die Sprache vorprogrammiert wie die Tatsache, daß Ich werde dir beim Umzug helfen als Versprechen gilt oder Könntest du mir mal das Salz reichen? als Bitte." Damit ist aber gerade nicht gesagt, daß man die Beispieläußerung unter den geeigneten Bedingungen nicht als Vollzug eines konventionellen Handlungsmusters VERUNSICHERUNGSVERSUCH verstehen kann. Anderenfalls könnte sich Sp2 das Eintreten eines perlokutionären Effekts

140 Die Diskussion läßt sich so zusammenfassen: Das perlocutionary object ist das Ziel, das ein Sprecher mit dem Vollzug einer Sprechhandlung bei seinem Gesprächspartner erreichen will. In komplexeren Kommunikationssituationen, wie sie u. a. das persuasive Sprachspiel repräsentiert, verleiht dieses object dem Handeln die antizipative strategische Dimension. Einen bestimmten perlokutionären Effekt - hier: die Wertungskonvergenz - herbeifuhren zu wollen, weist das Vorgehen von Spl als effizient aus. Ein intendierter perlokutionärer Effekt folgt damit um so deutlicher dem Effizienzkriterium, je elaborierter die Antizipationsleistung auf der Grundlage des Dialogischen Prinzips ist. Da Persuasion aber nicht per se erfolgreich ist, sondern die Kooperation des Dialogpartners voraussetzt, ist es denkbar, daß sich Effekte einstellen, die Spl überhaupt nicht angestrebt hat. Vielleicht trifft seine Situationsdefinition nicht zu, ist sein Vorgehen nicht angemessen, wirken sich seine Sprechhandlungen kontraproduktiv aus. Effizienz allein kann den Erfolg also nicht sicherstellen, sondern ,nur' seine Wahrscheinlichkeit erhöhen. Ein Restrisiko effizienten Kommunizierens bleibt immer bestehen. Die Effektivität einer Handlung stellt sich folglich erst durch das Anschlußverhalten von Sp2 heraus.10 Spl handelt also im Prinzip immer effektiv. Fraglich ist, inwiefern diese Effektivität auch angestrebt wird. In genau dieser Hinsicht sind sprachliche Wirkungen immer kontingent." Diese Überlegungen rechtfertigen m. E. das Unterfangen, persuasive Strategien mittels der Beschreibung konventioneller Handlungsmuster zu untersuchen. Darüber hinaus erweist sich hier die Möglichkeit der dialoganalytischen Revision sprechakttheoretischer Grundannahmen: Geht man davon aus, daß ein Sprecher nicht rein zufallig eine Lautfolge produziert, muß man jedem Kommunikationsversuch eine wie auch immer geartete Wirkungsabsicht unterstellen, und es gehört zum wechselseitigen Wissen der Sprachbenutzer, daß eine solche Wirkungsabsicht besteht. Die Identifikation einer Absicht ist m. E. mit dem

10

überhaupt nicht erklären: Indem er Spl - zu Recht oder zu Unrecht - unterstellt, ihn verunsichern zu wollen, muß er ein konventionelles Handlungsmuster zugrunde legen. Vgl. auch Kap. 5.3. Die Unterscheidung von effizienten und effektiven Maßnahmen spielt v. a. in der Betriebswirtschaft eine Rolle; dort versteht man unter Effektivität das „Globalmaß", das „lediglich die grundsätzliche Eignung eines Mittels zur Zielerreichung" festlegt, während Effizienz als „differenziertere Größe" dazu dient, „eine zieladäquate Abstufung dieser Maßnahmen" vorzunehmen (vgl. Corsten ed. 4 2000: 207). Die hier vertretene Konzeption unterscheidet sich v. a. dahingehend, daß sie durch den Rekurs auf das Dialogische Modell explizit auch von Spl unbeabsichtigte Wirkungen als effektiv ausweist. Da Austin nun v. a. von einem Sprecher - Hörer-Ansatz ausgeht, trennt er das perlocutionary object schärfer von dem perlocutionary sequel, als es theoretisch sinnvoll ist: object und sequel können faktisch zusammenfallen - und zwar genau dann, wenn sich das effiziente Vorgehen durch Spl in Anbetracht der Reaktion von Sp2 als effektiv i.S. der Intention von Spl herausgestellt hat. Klar zu trennen sind object und sequel dagegen, wenn sich die Bemühungen von Spl als effektiv im nicht-effizienten Sinn erweisen, Sp2 also nicht der von Spl verfolgten Strategie zum Erfolg verhilft.

'1 „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. " (Luhmann 2 1988: 152)

141 Verstehen einer Äußerung als sprachliche Handlung des Typs X gleichzusetzen; der einem Sprecher attribuierte intendierte perlokutionäre Effekt verleiht einer Äußerung ihre illokutionäre Kraft. Ob der Effekt aber auch tatsächlich eintritt, ist dagegen eine andere Frage, die mit linguistischen Methoden nicht geklärt werden kann. Der notorisch undifferenzierte Gebrauch des Ausdrucks Perlokution, der Austins Unterscheidung von object und sequel vernachlässigt, verwischt den bedeutsamen Unterschied zwischen intendiertem und faktischem perlokutionären Effekt.12 Für die orthodoxe Sprechakttheorie stellt dies kein besonderes Problem dar, da sie schließlich die Rahmenbedingungen von Äußerungssequenzen aus ihrem Sprachverständnis ausklammert. Für den Pragmalinguisten mindert dieses Versäumnis jedoch den Nutzen der Sprechakttheorie als Instrument der Beschreibung konkreter Kommunikationsabläufe - es sei denn, insbesondere der Illokutionsbegriff erfahrt gewissermaßen die erläuterte ,perlokutionäre' Revision, um somit für interaktionale Aspekte anschlußfähig zu werden. Gemäß der prototypischen Lexemunterscheidung von überreden und überzeugen sind zwei Typen intendierter perlokutionärer Effekte persuasiver Strategien zu unterscheiden, und zwar (1) das Wecken von Handlungsbereitschaft und (2) das Wecken von Zustimmungsbereitschaft. Die sprachlichen Handlungen, mit denen diese Effekte herbeigeführt werden sollen, sind als illokutionäre Muster beschreibbar. In Fall (1) handelt es sich um einen ÜBERREDUNGSVERSUCH, in Fall (2) dagegen um einen ÜBERZEUGUNGSVERSUCH. Beide Muster bezwecken die Entproblematisierung eines von Sp2 negativ beschiedenen ISPAs, und so legt der akzeptanzstrategische Stellenwert nahe, die der persuasiven Strategie folgenden sprachlichen Äußerungen als 3. Zug eines idealtypischen Dialogmusters zu konzipieren. Die Wahl der Typen ist keineswegs beliebig, sondern in der illokutionären Spezifik des ISPA festgelegt. In Betracht kommen allein derartige illokutionäre Akte, die eine gewisse Wertorientierung des vollziehenden Sprechers erkennen lassen, der sich Sp2 aber nicht unbedingt anzuschließen hat, sie statt dessen prinzipiell ablehnen kann. Das Strategiemuster Persuasion kommt in denjenigen dialogischen Handlungsmustern zum Einsatz, in denen Spl gezwungen ist, eine Wertkonvergenz mit Sp2 zu erzeugen; Persuasion bezweckt die Akzeptanz eines von Spl erhobenen Wertanspruchs durch Sp2. Die angestrebte Konvergenz bezieht sich auf eine zukünftige Handlung durch Sp2 (ÜBERREDUNGSVERSUCH) oder einen einzuschätzenden Sachverhalt, ein Ereignis, eine Person, eine vergangene Handlung etc. (ÜBERZEUGUNGSVERSUCH) Beide Konvergrenzstrategien (vgl. Abb. 9) sollen nun dargestellt werden.

12

Klassifikationsvorschläge perlokutionärer Effekte unterbreiten z. B. Zillig (1982b: 342) und Hindelang (32000: 102), perlokutionärer Verben Eyer (1987: 132-133).

142

Handlungsbereitschaft: ÜBERREDUNGSVERSUCH

Persuasive AkzepISPA

tanzstrategie:

NB

Herstellung von Konvergenz Zustimmungsbereitschaft: ÜBERZEUGUNGSVERSUCH

l.Zug

2. Zug

3. Zug: Sequenz

Abb. 9: Der dialoggrammatische Status des persuasiven Strategiemusters

5.1.1 D e r ÜBERREDUNGS VERSUCH

Der

ÜBERREDUNGSVERSUCH

dient dazu, bei Sp2 Handlungsbereitschaft zu wecken. Dia-

loggrammatisch ist er beschreibbar als eine Äußerung/eine Äußerungssequenz, mit der der wertgebundene Handlungsanspruch, den Spl mit dem ISPA an Sp2 heranträgt, nach dem Negativen Bescheid durch Sp2 im zweiten Zug aufrechterhalten werden soll. Der illokutionäre Status des ISPAs ist damit die dieser im Anschluß

DIREKTIV;

VERWEIGERT.

Spl

FORDERT

also Sp2 zu einer Handlung

AUF,

Erst vor diesem Hintergrund besteht nun persuasiver

Handlungsbedarf. Entscheidend hierbei ist, daß die

HANDLUNGSVERWEIGERUNG

Sp2 ohne

weiteres möglich ist. Spl verfugt über keinerlei gesellschaftlich legitimierte bzw. legalisierte Sanktionsmöglichkeiten, die fragliche Handlung einfach

ANZUORDNEN

o. ä. Sp2 hat so

das Recht, einen Negativen Bescheid zu äußern, was auch Spl akzeptiert, so daß auch der Rückgriff auf illegale Druckmittel

(ERPRESSUNGEN

Z. B.) von vornherein ausgeschlossnn

ist.13 Da Persuasion stets Wahlfreiheit impliziert, kommen aus der Gesamtklasse der DIREKTIVEN

13

Sprechakte allein diejenigen sprachlichen Handlungen als ISPAe des

ÜBERRE-

Vgl. auch Chomsky (1988: 32): „If I say that the police interrogator persuaded John to confess by the threat of torture, 1 am using the term ,persuade' ironically." Analoges gilt im Deutschen für die Gebrauchsbedingungen der Ausdrücke überreden/überzeugen.

143 DUNGSVERSUCHS in Betracht, die man in Anlehnung an Hindelangs (1978: 132-141) Taxonomie als ,nicht-bindende AUFFORDERUNGEN' bezeichnen kann. Genau daraus erklärt sich die Affinität persuasiver Strategien zu Argumentationen: Über einen BEFEHL muß/darf nicht diskutiert werden, und die Ausfuhrung der Handlung ist unter bestimmten institutionellen Rahmenbedingungen sogar so selbstverständlich, daß auch ein Positiver Bescheid durch Sp2, die KOMMISSIVE Ankündigung, das Befohlene zu tun, gar nicht vorgesehen ist: ( 4 0 ) * S p l : Stillgestanden! Sp2: Ach ja, warum auch eigentlich nicht?

Bindende AUFFORDERUNGEN verfugen nur über ein sehr eingeschränktes Dialogpotential; ihr Witz besteht gerade darin, dem auffordernden Sprecher die Mühsal persuasiver Akzeptanzherstellung abzunehmen. Ein weiteres Beispiel mag dies verdeutlichen: (41)* S p l : Wir haben Ihren Sohn. Wenn Sie uns nicht zwei Millionen Euro zahlen, schneiden wir ihm ein Ohr ab. Sp2: Also, so wertvoll ist ein Ohr nun auch wieder nicht.

Das Gewicht der erwartbaren Sanktionshandlung macht jede Weigerung und daran anschließende strategische Maßnahmen überflüssig. Diese sind nur dann angebracht, wenn Spl die Entscheidungsfreiheit von Sp2 im Interesse des Handlungsvollzugs zu modifizieren versucht. Weitere Präzisierungen sind möglich, wenn man die Interessenkonstellation beider Sprecher berücksichtigt.

5.1.1.1 Die Interessenkonstellation Bei der Betrachtung der Interessenkonstellation der Dialogparteien bewegt sich die linguistische Analyse auf einem relativ unsicheren Gebiet, das unmerklich in das psychologische Terrain überzugehen droht. Unstrittig ist zunächst, daß das Strategiemuster Persuasion stets durch die in den ersten beiden Dialogzügen virulent gewordene Wertungsdivergenz initiiert wird. Was den ÜBERREDUNGSVERSUCH angeht, betrifft sie den Wert der von Sp2 zu vollziehenden Handlung. Mit dem Negativen Bescheid HANDLUNGSVERWEIGERUNG besteht Einverständnis darüber, daß Spl den Handlungswert höher einschätzt als der Handlungskandidat Sp2 selbst. In gewisser Weise kann man damit die These aufstellen, daß Spl sich an dem Handlungsvollzug durch Sp2 interessiert zeigt. Diese Beobachtung bedarf jedoch einer näheren Erläuterung. Mit dem gezeigten Interesse ist nämlich keinesfalls zwingend vorausgesetzt, daß Spl individuell, d. h. motivationspsychologisch gesehen in irgendeiner Weise von dem Handlungsvollzug profitiert. Ob ihm die Handlung persönlich wichtig ist, ist eine kommunikationstheoretisch klar untergeordnete Fragestellung, deren Beantwortung man getrost der Psychologie überlassen kann. Wichtig ist vielmehr, daß Spl als Teilnehmer

144 des dialogischen Sprachspiels die kommunikative Funktionsrolle des Befürworters übernimmt. Nur so kann man linguistisch sinnvoll den Faktor .Interesse' berücksichtigen. Ausgehend von der Bestimmung des Spl-Interesses als Fürsprache läßt sich eine weitere Unterscheidung treffen, die sich auf die Handlungspräferenz bezieht: Spl kann sich entweder an dem Handlungsvollzug - oder dem erwarteten Ergebnis - selbst oder an dem Vollzug durch Sp2 als Handlungsträger interessiert zeigen. Im ersten Fall gibt Spl Sp2 mit dem kommunizierten Interesse ein Eigeninteresse zu verstehen, indem er ausdrückt, daß er der Handlung/dem Ergebnis Relevanz beimißt, er aber aus bestimmten Gründen Sp2 für den geeigneten Aktanten hält und nicht selbst bzw. allein handeln kann. Im zweiten Fall dagegen beruht das Spl-Interesse an der Handlung nicht auf einem Eigeninteresse; vielmehr bewertet Spl die Handlung unter Vorbehalt, und zwar aus der Perspektive von Sp2. Damit unterstellt er faktisch, daß Sp2 den Negativen Bescheid, die WEIGERUNG, wider besseres Wissen erteilt und gewisse Handlungsaspekte nicht hinreichend gewürdigt hat. Vergleicht man diese beiden Typen der Interessenkonstellation (mit/ohne Eigeninteresse des Spl) mit der von Hindelang (1978: 132-133) vorgeschlagenen Differenzierung nichtbindender AUFFORDERUNGEN in solche mit (a) Sprecher- (=Spl-) Präferenz, (b) beiderseitiger Präferenz, (c) mit Adressaten- (= Sp2-)Präferenz, zeigt sich, daß Hindelangs Auffassung zwar einerseits präziser ist, andererseits aber die sequentiellen Anschlußmöglichkeiten an den ISPA nicht berücksichtigt. Das zeigt sich besonders deutlich bei den Sprechakten des BITTENS; zweifellos impliziert eine BITTE (nicht aber ein in der stilistischen Form einer vollzogener RATSCHLAG!), daß zunächst die Handlung allein von Spl präferiert wird. Besonders klar wird diese Konstellation, wenn die thematisierte Handlung als Gefälligkeit gelten kann: (42) Bist du so nett und bringst mir nächste Woche das Buch mit?

Eine WEIGERUNG auf eine BITTE indiziert, daß Sp2 aus irgendwelchen Gründen den Umstand, daß die Handlung im alleinigen Interesse von Spl liegt, als irrelevant betrachtet, sich zum X-en zu entschließen. Und genau hier bieten sich für Spl zwei Möglichkeiten, den ÜBERREDUNGSVERSUCH a u s z u f ü h r e n :

(1) Er versucht, den Handlungswert für Sp2 durch geeignete Argumente zu erhöhen und ihn zu überzeugen, daß die Ausfuhrung der Handlung auch im Interesse von Sp2 liegt. M. a. W.: Spl versucht, die in den ersten beiden Dialogzügen etablierte Interessenkonstellation umzudefinieren. Sobald Spl Sp2 gegenüber nachweist, daß die Handlung eben nicht allein in seinem Interesse liegt, modifiziert er faktisch den handlungstheoretischen Stellenwert des ISPA BITTE ZU dem eines VORSCHLAGS, einer ANREGUNG etc. Derartige strategische Operationen, die strikt auf die fragliche Handlung bezogen vorgehen und bezwecken, deren Attraktivität zu erhöhen, konstituieren das ZUREDEN.

145 (2) Er intensiviert seine Beteuerungen, daß die Handlung in seinem Interesse liegt und bezweckt damit im Gegensatz zum ZUREDEN nicht, daß Sp2 ein Eigeninteresse an der Handlung entdeckt, sondern, daß Sp2 den Wert für Spl nachvollzieht und ggf. in Anbetracht dessen einen Handlungsentschluß fällt. Spl modifiziert hier also nicht die Interessenkonstellation, sondern hält an den Bedingungen der BITTE fest, wiederholt sie allenfalls nachdrücklicher und unterstreicht damit, daß ihre Erfüllung ganz in das Belieben von Sp2 gestellt ist. Dadurch, daß er die Bitte nicht propositional begründet, sondern die illokutionäre BLTT-Handlung rechtfertigt, appelliert er an den guten Willen des Gesprächspartners, ohne die Attraktivität der erbetenen Handlung für Sp2 durch geeignete Sprechakte zu erhöhen. Insofern kann man diese Operation im Unterschied zum argumentativen, sach-, d. h. handlungsorientierten ZUREDEN als ,petitiv' kennzeichnen. Sie charakterisiert v. a. das Sequenzmuster FLEHEN (vgl. Franke 1983: 145-183) und ist primär beziehungsorientiert. Da Spl über keine Möglichkeiten verfügt, Sp2 die erbetene Handlung schmackhaft zu machen, muß er ihm zu verstehen geben, daß er dessen Berechtigung zur Handlungsverweigerung akzeptiert. D. h.: er attestiert ihm, in der stärkeren Position zu sein und kommuniziert dies gewöhnlich dadurch, daß er das Image des Dialogpartners explizit aufwertet. Darin liegt die Ursache dafür, daß die Rhetorik wiederholt als reine Schmeichelkunst abqualifiziert worden ist.14 In den Situationen, in denen Spl eine abgeschlagene BITTE nicht neudefinieren kann, sondern sich ausschließlich beziehungsorientiert verhält, liegt ein derartiger Vorwurf besonders nahe. Anders als das ZUREDEN, bei dem eine möglichst unbelastete Relation zwischen den Kommunikanten zwar ebenfalls wichtig, aber eben nicht ausschlaggebend ist, operiert das FLEHEN hier um einiges subtiler: Spl gibt auf diese Weise Sp2 zu verstehen, daß dieser genau deshalb Wertschätzung beanspruchen kann, weil er durch den Verzicht auf sein Recht, den Negativen Bescheid aufrechtzuerhalten, ein Verhalten zeigt, das mit der allgemein geschätzten Charaktereigenschaft ,Großmut' korreliert. Auf diese mittelbare Weise kann es doch noch gelingen, die Handlung für Sp2 attraktiv zu machen - indem er mit der kommunizierten Aufwertung auf der Beziehungsebene entschädigt wird.

14

Speziell, was die gerade im Barock verbreiteten Devotionsformeln angeht, wird traditionell - und kategorial verfehlt - der Vorwurf der „Unaufrichtigkeit und Unwahrheit" (Zaehle 1933: 103) erhoben.

146 5 . 1 . 1 . 2 D a s ZUREDEN

Die strategische Maßnahme Zureden als sachorientierte Realisation eines ÜBERREDUNGSVERSUCHS kann ihren operativen Zweck, die Herstellung von Handlungsbereitschaft bei Sp2, nur unter zwei Voraussetzungen erfüllen: (1) Sp2 muß prinzipiell die Möglichkeit haben, zu x-en; (2) Sp2 muß prinzipiell ein wertbasiertes Interesse daran haben, zu x-en. Die im 2. Zug des idealisierten Sequenzmusters vorgebrachte HANDLUNGSVERWEIGERUNG auf eine nicht-bindende AUFFORDERUNG hin kann sich somit auf unterschiedliche argumentative Inhaltsspektren (vgl. Hindelang 1980: 61-65) beziehen. In Fall (1) bestreitet Sp2 nicht die Präsupposition, daß das X-en im Prinzip sinnvoll ist, sondern leugnet, daß es ihm möglich ist, die Handlung auszufuhren. Die Ursachen hierfür können entweder in seiner fehlenden persönlichen Qualifikation oder aber in widrigen situativen Begleitumständen liegen. Spl redet Sp2 genau dann kohärent zu, wenn er eine KOMPETENZNACHWEISSequenz initiiert, d. h. Sp2 davon zu überzeugen versucht, daß er fähig ist zu x-en bzw. daß das X-en möglich ist. In Fall (2) dagegen spricht Sp2 der Handlung die Relevanz ab. Er gibt so zu verstehen, daß er das X-en nicht für erstrebenswert (genug) hält. Spl redet Sp2 genau dann kohärent zu, wenn er eine RELEVANZNACHWEIS-Sequenz initiiert. Das Muster ZUREDEN läßt sich also in den KOMPETENZ- und den RELEVANZNACHWEIS differenzieren. Die durch den intendierten Strategiezweck begründete Kohärenz des operativen Sequenzmusters ZUREDEN läßt sich in Form der bewährten Darstellung von Gelingens-, Akzeptanz- und Erfolgs-/Erfüllungsbedingungen explizieren.

5 . 1 . 1 . 2 . 1 D e r KOMPETENZNACHWEIS

Gelingensbedingungen Die Äußerungssequenz ist angesichts situativer Rahmenbedingungen (externer Bedingungen) zum Vollzug des Strategiemusters ZUREDEN geeignet. D. h.: Spl produziert/initiiert eine Äußerung/Äußerungssequenz. Unter den Bedingungen Spl hält es fur möglich, daß Sp2 x-t. Es ist in Anbetracht der vorliegenden Situation erforderlich, daß Sp2 aus eigenem Entschluß x-t. Spl hat Grund zu der Annahme, daß Sp2 nicht glaubt, x-en zu können. Spl weiß/glaubt, daß ein Hinweis auf die Handlungskompetenz von Sp2 diesem einen Anlaß zum X-en bietet. Spl weiß/glaubt, daß er Sp2 diesen Anlaß bieten muß. gilt sie als ZUREDEN (Kompetenzhinweis)

147 Es ist erkennbar, daß Spl Sp2 zu einer bestimmten Handlung ZUREDET. Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 die Handlung ohnehin vollziehen will. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfolgsbedingungen verletzt ist. Akzeptanzbedingungen Sp2 hält seinen Handlungsvollzug für möglich. Sp2 hält Spl für glaubwürdig. Erfolgsbedingungen Sp2 kündigt mittels eines kommissiven Sprechakts den Handlungsvollzug an. Erfüllungsbedingungen Sp2 x-t bei gegebenem Anlaß.

5 . 1 . 1 . 2 . 2 D e r RELEVANZNACHWEIS

Gelingensbedingungen Die Außerungssequenz ist angesichts situativer Rahmenbedingungen (externer Bedingungen) zum Vollzug des Strategiemusters ZUREDEN geeignet. D. h.: Spl produziert/initiiert eine Äußerung/Äußerungssequenz. Unter den Bedingungen Es besteht Einverständnis darüber, daß Sp2 x-en kann. Es ist in Anbetracht der vorliegenden Situation erforderlich, daß Sp2 aus eigenem Entschluß x-t. Spl hat Grund zu der Annahme, daß Sp2 nicht x-en will. Spl weiß/glaubt, daß eine positive Handlungsbewertung Sp2 diesen Anlaß bietet. Spl weiß/glaubt, daß er Sp2 diesen Anlaß bieten muß.

gilt sie als ZUREDEN (Relevanzhinweis) Es ist erkennbar, daß Spl Sp2 zu einer bestimmten Handlung ZUREDET. Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 die Handlung ohnehin vollziehen will. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfolgsbedingungen verletzt ist. Akzeptanzbedingungen Sp2 hält X-en für positiv. Sp2 hält Spl für glaubwürdig. Erfolgsbedingungen Sp2 kündigt mittels eines kommissiven Sprechakts den Handlungsvollzug an.

148 Erfüllungsbedingungen Sp2 x-t bei gegebenem Anlaß.

5.1.1.3 D a s FLEHEN

Gelingensbedingungen Die Äußerungssequenz ist angesichts situativer Rahmenbedingungen (externer Bedingungen) zum Vollzug des Strategiemusters (AN-/ER-)FLEHEN geeignet. D. h.: Spl produziert/initiiert eine Äußerung/Äußerungssequenz. Unter den Bedingungen Es besteht Einverständnis darüber, daß Sp2 x-en kann. Es ist in Anbetracht der vorliegenden Situation erforderlich, daß Sp2 aus eigenem Entschluß x-t. Spl hat Grund zu der Annahme, daß Sp2 nicht x-en will. Spl hat keine Möglichkeit, Sp2 von einem Eigeninteresse an der Handlung in irgendeiner Weise zu überzeugen. Spl versucht, durch den wiederholten bzw. inständigen Hinweis auf sein Interesse an der Handlung Sp2 zum X-en zu bewegen. gilt sie als (AN-/ER-)FLEHEN E s ist erkennbar, daß S p l Sp2 ANFLEHT zu x-en.

Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 die Handlung ohnehin vollziehen will. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfolgsbedingungen verletzt ist. Akzeptanzbedingungen Sp2 erkennt das von Spl geäußerte Interesse als Handlungsgrund zum X-en an. Sp2 hält Spl hinsichtlich seines hohen Handlungsinteresses für glaubwürdig. Erfolgsbedingungen Sp2 kündigt mittels eines kommissiven Sprechakts den Handlungsvollzug an. Erfüllungsbedingungen Sp2 x-t bei gegebenem Anlaß.

5 . 1 . 2 D e r ÜBERZEUGUNGSVERSUCH

Wie bereits bei der Diskussion des Lexemgebrauchs von überreden und überzeugen ausgeführt, unterscheiden sich beide Persuasionsstrategien darin, daß die charakteristischen ISPAe hinsichtlich ihrer möglichen Erfolgs- bzw. Erfüllungsbedingungen differieren. Der ISPA eines ÜBERREDUNGSVERSUCHS zielt als nicht-bindender DIREKTIV auf seine Erfiil-

149 lung in Form einer bestimmten Handlung ab, die der erfolgreich überredete Sp2 KOMMISSIV ankündigt. Dagegen besteht für einen ÜBERZEUGUNGSVERSUCH eine derartige Erfiillungsbedingung nicht, und so hat die im Erfolgsfall zum Ausdruck gebrachte Konvergenz mit Spl auch keinen kommissiven Sprechakt-Charakter. In Kapitel 3.1.2.3. diente die idealtypische Unterscheidung von theoretischen, praktischen und evaluativen Diskursbereichen dazu, den wertorientierten Grundzug der Persuasion schlechthin herauszuarbeiten und zugleich eine Binnendifferenzierung von Teilstrategien vorzunehmen. Demgemäß läßt sich die charakteristische persuasive Maßnahme des Strategiemusters ÜBERZEUGUNGSVERSUCH als EVALUIEREN beschreiben. 15 Der illokutionäre Stellenwert des ISPA ist analog zu dem nicht-bindenden DIREKTIV des ÜBERREDUNGSVERSUCHS als bewertender ASSERTIV zu

verstehen; mit dem Strategiemuster EVALUIEREN unternimmt Spl den Versuch, Sp2 davon zu überzeugen, daß das Referenzobjekt x auf eine bestimmte wertgebundene Weise prädikativ zu erfassen ist. Welcher Art das Referenzobjekt ist - Gegenstände, Sachverhalte, Lebewesen etc. - , ist dabei irrelevant - allein eine zukünftige Handlung durch Sp2, die schließlich den ÜBERREDUNGSVERSUCH propositional charakterisiert, ist b e i m ÜBERZEU-

GUNGSVERSUCH/EVALUIEREN ausgeschlossen. Anders formuliert: Persuasion beruht auf der Attribution eines Wertes. Allein seine propositionale Spezifik erlaubt die Trennung der Teilstrategien ZUREDEN u n d EVALUIEREN.

Gelingensbedingungen Die Äußerungssequenz ist angesichts situativer Rahmenbedingungen (externer Bedingungen) zum Vollzug des Strategiemusters EVALUIEREN geeignet. D. h.: Spl produziert/initiiert eine Äußerung/Äußerungssequenz. Unter den Bedingungen Ein bestimmter Sachverhalt, ein Gegenstand, eine Person etc. wird zum Objekt einer Einschätzung. Es ist in Anbetracht der vorliegenden Situation erforderlich, daß Sp2 aus eigenem Entschluß die Einschätzung von Spl teilt. Spl hat Grund zu der Annahme, daß Sp2 das Objekt nicht in der von ihm vertretenen Weise einschätzt. Spl weiß/glaubt, daß eine Wertattribution Sp2 einen Anlaß zur Einschätzungskonvergenz bietet. Spl weiß/glaubt, daß er Sp2 diesen Anlaß bieten muß. gilt sie als EVALUIEREN

Es ist erkennbar, daß Spl ein bestimmtes Objekt EVALUIERT. Es ist nicht offensichtlich, daß Sp2 mit Spl in der Evaluation übereinstimmt. Es ist nicht offensichtlich, daß eine der Akzeptanz- oder Erfolgsbedingungen verletzt ist. 15

Dieser Terminus wird dem Ausdruck bewerten vorgezogen, weil Bewertungen im allgemeinen Sinn einen Teilaspekt jedweden sprachlichen Handelns repräsentieren und die für diese Studie notwendigen Spezifikationen terminologisch nicht zulassen.

150 A kzeptanzbedingungen Sp2 teilt die Bewertung von Spl. Sp2 hält Spl für glaubwürdig. Erfolgsbedingungen Sp2 äußert seine ZUSTIMMUNG hinsichtlich der Bewertung.

5.2

Die Strategiebedingungen

Von vorrangigem Interesse sind die Erfolgsvoraussetzungen der persuasiven Strategie, ohne die die angestrebte Konvergenzbereitschaft nicht erzielt werden kann. Im Folgenden werden die Bedingungen, unter denen der Strategiezweck angestrebt wird, einer näheren Betrachtung unterzogen. Insbesondere die Akzeptanzbedingungen des persuasiven Strategiemusters verdienen eine eingehende Berücksichtigung. Sie sind es, die als unmittelbare Erfolgsvoraussetzungen das Vorgehen von Spl nachhaltig beeinflussen; m. E. korrelieren sie mit den von Aristoteles thematisierten Wirkungsfaktoren lògos, ethos und pàthos, und ihre Diskussion bietet die Möglichkeit, die antike Rhetorik-Tradition mit aktuellen pragmalinguistischen Fragestellungen zu verbinden. Im Rahmen der Erfassung von sprachlichen Handlungsmustern repräsentieren die Handlungsbedingungen wohl die bislang am wenigsten erforschte Determinante. Dieses Versäumnis wiegt deshalb besonders schwer, weil sie in der Analyse das Bindeglied zwischen dem charakteristischen Handlungszweck und den sprachlichen Äußerungen als den Mitteln der Zweckrealisation darstellen. Was ihre analytische Erfassung wohl in erster Linie zu einem Problem macht, ist ihre hohe Inferenzgebundenheit, die man bislang eher hilflos als schlüssig mit dem nebulösen Schlagwort von der .situativen Kontextabhängigkeit' zu fassen versucht hat. Demgegenüber scheint es angebracht, zwei Aspekte der Bedingtheit des Sprachgebrauchs wenigstens tendenziell zu unterscheiden, und zwar (a) dialoginterne Einflußgrößen, die sich zuallererst funktional-abstrakt bestimmen lassen und (b) situative Faktoren, die den Vollzug eines konkreten Handlungsrealisats betreffen und eher als externe Rahmenbedingungen zu verstehen sind, in denen ein konventionelles Sprachspiel durchgeführt wird. Das konventionelle HM WERBEN setzt beispielsweise bestimmte Gelingens-, Akzeptanz- und Erfolgsbedingungen voraus, damit bestimmte Handlungsmittel überhaupt herangezogen werden können, damit der Handlungszweck realisiert werden kann. Die konkrete Umsetzung, d. h. die Rekrutierung der Handlungsmittel, ist gleichwohl nicht eine Frage der individuell-willkürlichen Geschmacksbildung, sondern ist abhängig von situati-

151 ven Einflüssen wie z. B. die Marktposition des Unternehmens, das Produktportfolio, der anvisierte Adressatenkreis als potentielle Konsumentenschicht, die Art, Form, Dauer, Gestaltung der (massen-)medialen Thematisierungsmöglichkeiten etc. Derartige externe Situationsbedingungen lassen sich nur in Relation zu dem spezifischen Erkenntnisinteresse eruieren, aus dem man einen Einzelfall detailliert untersucht - und gerade in diesem Fall sind die Aussichten, ein zugrunde liegendes Muster zu deduzieren, gering. Das Problem der extern-situativen Handlungsbedingungen ist genau auf der Schnittstelle zwischen .Begriffen' (einer .deduktiven Sprachspielgrammatik') und .Anschauungen' (einer ,induktiven Konversationsanalyse') angesiedelt.

5.2.1 Interne Bedingungen Die Akzeptabilität der persuasiven Strategie beruht auf drei Momenten: — Spl muß Sp2 einen Wertanspruch zu verstehen geben; — Sp2 muß Spl hinsichtlich des von ihm erhobenen Wertanspruchs für legitimiert halten; — Sp2 muß den Wertanspruch für plausibel halten. Wie läßt sich diese Beobachtung nun mit der aristotelischen Differenzierung von lögos/prägma, ethos und pdthos in Einklang bringen? Oberflächlich betrachtet verweist der Wirkungsfaktor päthos direkt auf den perlokutionären Effekt bei Sp2, die Erzeugung von Wertkonvergenz; diese Konvergenz muß jedoch als Ergebnis der persuasiven Strategie von Spl einzuordnen sein. Insofern weist der Wirkungsfaktor tatsächlich zwei zusammenhängende Aspekte auf, und zwar auf der einen Seite die konventionellen strategischen Bemühungen von Spl, bei Sp2 Akzeptanz in der im ISPA erhobenen Wertfrage zu erzeugen, auf der anderen Seite die Sp2 betreffenden Determinanten, die Bemühungen von Spl auch zu honorieren. Das päthos repräsentiert m. a. W. die Perlokution einer Sprechhandlung, d. h. a) den von Spl intendierten perlokutionären Effekt (die Gelingensbedingungen des Strategiemusters), b) das tatsächliche Eintreten dieses Effekts bei Sp2. Schließlich nutzt es Spl wenig, seine wertende Situationsdefinition ggf. noch so nachdrücklich zu vertreten, wenn Sp2 ihn nicht grundsätzlich für legitimiert hält, die kommunikative Rolle des wertenden Fürsprechers auszufüllen. Hierin äußert sich der Wirkungsfaktor ethos. Darüber hinaus kommt darin, daß das Strategiemuster Persuasion nur im Rückgriff auf die Sequentialität von Sprache beschreibbar ist, noch der eher formal-prozedurale Faktor lögos/prägma zum Tragen. Nach meinem Verständnis äußert er sich dahingehend, daß sich Spl eben nicht darauf beschränken kann, einfach eine Wertung auszusprechen, um damit

152 bereits die Konvergenz bei Sp2 erwarten zu dürfen. Die kognitive Verarbeitungsstrategie von Sp2 ist vielmehr darauf gerichtet, zumindest so etwas wie eine rudimentäre argumentative Grundstruktur in den Ausführungen von Spl zu entdecken. Bei der Angabe der Musterbedingungen des ZUREDENS, FLEHENS und EVALUIERENS ist dieser Aspekt nicht eigens formuliert worden, weil die Bestimmung als sequentielles dialogisches Handlungsmuster m. E. die charakteristische Prozeduralität bereits impliziert. Zusammengefaßt heißt das: Persuasion ist genau dann erfolgreich (Sp2-päthos), wenn Sp2 eine von einem für legitimiert gehaltenen Spl (ethos) vorgetragene praktischhandlungsorientierte bzw. evaluativ-zustimmungsorientierte Einstellung (Spl-päthos) für plausibel (lögos) hält. In Anlehnung an die Wirkungsfaktoren lassen sich folgende strategischen Teiloperationen konstatieren: das Anstreben des perlokutionären Effekts beruht auf der wertenden Stellungnahme des Spl, die ich im Folgenden als POLARISIEREN bezeichne; der erhobene Legitimationsanspruch läßt sich als PROFILIEREN verstehen. Das formal-sequentielle Prinzip, mit dem diese beiden Maßnahmen umgesetzt werden sollen, nenne ich PLAUSIBILISIEREN. Diese Teiloperationen sind, wie angedeutet, konstitutiv für das Strategiemuster Persuasion schlechthin; genauer gesagt repräsentiert das PROFILIEREN und das POLARISIEREN vorgängige Geltungsansprüche, die ggf. in einer konkreten Kommunikationssituation von Sp2 problematisiert bzw. von Spl u. U. antizipativ in Form des PLAUSIBILISIERENS elaboriert werden können.

5 . 2 . 1 . 1 D a s POLARISIEREN

5.2.1.1.1 Allgemeine Charakteristika der persuasiven Wertattribution Der im ISPA erhobene Wertanspruch, den Sp2 durch die im NEGATIVEN BESCHEID manifestierte Divergenz als fraglich ausweist, legt Spl auf die persuasive Akzeptanzstrategie fest. Er hat demzufolge die im ISPA vertretene wertende Haltung aufrechtzuerhalten. Das setzt voraus, daß er dem thematischen Gegenstand des Dialogs, der Handlung oder dem apraktischen Sachverhalt erkennbar einen Wert zuweist. Diese Wertattribution kann man auch als Vorschlag einer Situationsdefinition auffassen; mittels Persuasion bezweckt Spl, daß sich Sp2 dieser Definition anschließt. Dieses basale Moment des persuasiven Sprachgebrauchs, das POLARISIEREN, soll noch etwas genauer erörtert werden. Sprachlogisch betrachtet handelt es sich bei der Wertattribution um eine Aussage, die man in bewährter Manier als propositionalen Akt modellieren kann. Demgemäß referiert Spl auf ein bestimmtes Objekt - sei es nun eine von Sp2 zu vollziehende Handlung, sei es eine andere propositionale Entität - und sagt darüber etwas prädikativ aus. Eine Wertattribution ist allerdings eine besondere Aussage, die der reinen Darstellung eines Sachverhalts noch ein kommentierendes Element, eine Stellungnahme des Urhebers der Aussage, hinzu-

153 fugt. Eine Wertattribution ist damit eine Aussage über eine Aussage (vgl. Merten 1999: 72). Sie kommt dadurch zustande, daß der fragliche Gegenstand als Bestandteil einer extensional bestimmten Klasse hinsichtlich des die Klasse intensional bestimmenden Normwertes betrachtet wird. Der Normwert fungiert als Bewertungsmaßstab, der mittels einer ,positiv - negativ'-Skala repräsentierbare Erwartungen hinsichtlich des vorliegenden Gegenstands festlegt. Es besteht ein konventionelles Bewertungsprofil.16 Das Ausmaß, in dem das Objekt als token dem fy/>e-Maßstab entspricht, determiniert den Wert, der dem Gegenstand zugewiesen wird. Insofern beruhen Wertattributionen stets auf kognitiven Operationen (vgl. Sandig 1996: 274-276). Anders formuliert: das Objekt wird zweifach identifiziert, und zwar zunächst (Referenz!) als Bestandteil der extensionalen Klasse (Prädikation,), darüber hinaus noch hinsichtlich des Grades, in dem es mit den nonnbezogenen Erwartungen an einen Repräsentanten der Klasse korreliert (Prädikation2 von Referenz2 [Referenzi+Prädikationi]). Damit erklärt sich auch, daß jede Wertung einen Sachverhalt präsupponiert. Es ist nun von einiger Wichtigkeit, darauf hinzuweisen, daß die kommentierende Stellungnahme des Spl nicht mit dem Vollzug eines expressiven Sprechakts gleichzusetzen ist - so, wie die Emotivität bewertenden Sprechens ohnehin kein sicherer Hinweis auf den Ausdruck psychischer Befindlichkeiten ist. Wertzuweisungen, Bewertungen, sind nicht allein auf expressive Sprachspiele beschränkt, sondern können ebenso in assertiven Zusammenhängen, die man nicht nur als Informationshandlungen beschreiben kann (vgl. dazu Rolf 1983: 56), einen integralen Bestandteil bilden.17 Bewertungen als Gefühlsausdruck zielen darauf ab, daß Sp2 durch die Wahl geeigneter Äußerungen Spl vermittelt, daß er an dessen emotiv-psychischen Befindlichkeiten Anteil nimmt - etwa durch das Kommunizieren von Sympathie wie geteilter Freude oder Mitgefühl. Eine Bewertung im persuasiven ZUREDEN oder EVALUIEREN bezweckt demgegenüber etwas völlig Unterschiedliches, nämlich die Zustimmung durch Sp2, daß die Handlung X-en bzw. der a-praktische Sachverhalt X einen positiven oder negativen Wert repräsentiert. Wie bereits angedeutet, ist hier nicht

16

17

Die Konventionalität von Wertmaßstäben ist unter keinen Umständen mit ihrer universellen Geltung zu verwechseln. Das wird besonders deutlich, wenn der Bewertungsgegenstand extensional nicht zureichend eingegrenzt wird; als guter Fußballspieler zu gelten erfordert von einem Torwart völlig andere Fertigkeiten als von einem Angriffsspieler. Rolf (1997: 2 1 9 - 2 2 4 ) deutet die persuasive Funktion der Wertattribution ebenfalls an, beharrt allerdings auf der Zuordnung zu den Expressiva. Sein Rückgriff auf Stevensons Konzept der .persuasive definition' ist aber insofern problematisch, als es in Anbetracht seiner Entstehungszeit nachhaltig von behavioristischen Vorstellungen geprägt ist, die in dieser Form unhaltbar sind. Darum ist Rolf genötigt, zwei Klassen expressiver Illokutionen zu unterscheiden und bezogen auf die persuasive Wertattribution von emotions-induzierenden Sprechakten zu reden, anstatt sie denjenigen Assertiva zuzuordnen, die keine reinen Informationshandlungen darstellen. Demgegenüber soll hier noch einmal betont werden, daß das Rationalitäts-/Emotionalitätskriterium denkbar ungeeignet ist, zwischen assertiven/expressiven Sprechakten per se zu unterscheiden.

154 die Dichotomie von rationalem Denken und emotionalem Fühlen ein verläßliches Unterscheidungskriterium, sondern die Art der erwartbaren Reaktion durch Sp2; mag Spl beim ZUREDEN oder EVALUIEREN auch noch so beschwörerisch seine psychische Haltung ins Spiel bringen, soll Sp2 dennoch nicht (primär) nachvollziehen, daß Spl dem Objekt einen Wert beimißt, sondern daß dieser Wert dem Objekt auch tatsächlich zukommt. Auch das FLEHEN ist nicht erfolgreich, wenn Sp2 akzeptiert, daß Spl viel an der Handlung liegt; Sp2 soll vielmehr aufgrund dessen die Handlung ausführen: (43) Spl: Kannst du mir 1000 Mark leihen? Sp2: Wie bitte?! Spl: Ja, es ist ganz wichtig. Ich bin mit der letzten Rate überfällig. Ich weiß nicht mehr ein noch aus. Sp2: Das kann ich gut verstehen. Das ist wirklich eine verfahrene Situation. Spl: Heißt das, du leihst mir das Geld? Sp2: Ich denke nicht daran. Aber du solltest wissen, daß meine Gedanken bei dir sind.

Die persuasive Zweckorientierung der Wertzuweisung zeigt sich also daran, daß dem Objekt nicht allein ein Wert beigemessen wird, sondern zusätzlich der Wertattributionsvorgang als solcher wiederum bewertet wird - und zwar nach dem Kriterium der Relevanz für Sp2. Spl bewertet das X-en/das a-praktische Objekt X nicht allein, sondern erhebt darüber hinaus auch prinzipiell den Anspruch, daß die wertbasierte Unterscheidung für Sp2 von Interesse ist. Die in der Proposition ausgedrückte Bewertung erfährt m. a. W. durch den bewertenden Relevanzanspruch für Sp2 ihre illokutionäre Fundierung, denn der kennzeichnende ,Unterschied, der einen Unterschied macht' kann nur dann von Sp2 als Aufforderung zur Wertkonvergenz verstanden werden, wenn das X-en bzw. das a-praktische Objekt X auch hinsichtlich der Bewertungsrelevanz scharf konturiert wird und Spl einen Ausschließlichkeitsanspruch erhebt. Darin liegt die Funktionsweise des POLARISIERENS. Das kognitive Basismuster, an dem sich die persuasive Kommunikation orientiert, hat also die Form: — X - e n ist ein positiver Wert, Y - e n dagegen nicht (ZUREDEN)

— Das a-praktische Objekt X ist ein positiver Wert, Y dagegen nicht

(EVALUIEREN).

Die charakteristische Komplementarität der Operation .Aufwerten/Abwerten' konstituiert die persuasive Polarisierungsmaßnahme.18 18

Die problematische Unterscheidung von propositionalen Einstellungskundgaben (vgl. allgemein Wunderlich 1980: 117) und illokutionären Bewertungshandlungen läßt sich m. E. nicht mit satzsemantischen Paraphrasen klar treffen, sondern betrifft den funktionalen HandlungsmusterRahmen, innerhalb dessen man eine Äußerung(ssequenz) betrachtet. D. h.: untersucht man beispielsweise einen Text auf eine persuasive Strategie hin, gewinnen wertende Teilaspekte einer Äußerung, die „nicht im Zentrum des Satzinhalts erscheinen" (v. Polenz 2 1988: 219), eine andere Relevanz, als wenn man ihn primär hinsichtlich seiner Informativität analysiert. Insbesondere Textsorten wie REZENSIONEN, in denen man sowohl INFORMATIONEN als auch BEURTEILUNGEN konstatiert (vgl. Zillig 1982c: 199), kann man nicht unabhängig von dem erkenntnisleitenden In-

155 Spl stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, durch das P O L A R I S I E R E N der Handlung/dem Objekt einen Wert zu attribuieren; am einen Ende der Maßnahmenskala bildet der explizite Bezug auf eine klar umrissene Alternative Y-en bzw. Y eine Einheit: (44) Spl: Kommst du mit zum Schwimmen? Sp2: Ach nein, ich spiele lieber Fußball. Spl: Fußball? Das ist doch das reinste Gift für die Muskulatur. Schwimmen ist viel gesünder. (45) Ich kann gar nicht verstehen, was alle Welt nur an Kafka findet. Thomas Mann, das ist ein richtiger Schriftsteller.

In diesen Fällen geht es darum, das Präferenzgefüge von Sp2 zu modifizieren, eine vertretene oder vermutete Ansicht bzw. Handlungsdisposition abzuändern. Geht Spl dagegen subtiler vor, expliziert er die Polarisation nicht eigens, sondern beschränkt sich darauf, entweder dem X-en/X einen positiven oder dem Y-en/Y einen negativen Wert beizumessen. Aufgrund des komplementären Charakters der P O L A R I S I E R U N G (die Aufwertung der einen sowie die Abwertung der anderen Seite stehen in einem wechselseitigen Implikationsverhältnis) kann er es Sp2 überlassen, die nicht explizierte Alternativhandlung/das Alternativobjekt hinsichtlich des höheren/niedrigeren Wertes zu erschließen. Es liegt eine „invited inference" (Geis/Zwicky 1971) vor. Ausgehend davon kann man konstatieren, daß der Grad der durch Implizitheit dem Sp2 abverlangten Inferenzleistung in einem proportionalen Verhältnis zu der Suggestivität einer Äußerung/eines Textes steht. Persuasion ist also nicht einfach mit Suggestion gleichzusetzen; statt dessen kennzeichnet Suggestion den Stil der persuasiven Polarisationsmaßnahme. Exkurs: Zur Funktionalität des konnotativen Wortgebrauchs Das weitgehende Desinteresse der Pragmalinguistik an dem Problem der Konnotationen ist nicht weiter überraschend: Ein Großteil dessen, was unter semiotisch-struktralistischer Perspektive als .Konnotation' gilt, betrifft Phänomene, die in gebrauchstheoretischer Hinsicht darauf verweisen, daß Wörter in konkreten Handlungszusammenhängen geäußert teresse der linguistischen Analyse eine Funktion zusprechen. In ähnlicher Weise gilt dies auch für LESERBRIEFE, K R I T I K E N und K O M M E N T A R E . Im Journalismus ist das Berufsideologem .Objektivität' (vgl. Weischenberg 1995: 157-168) mit der klassischen Forderung, informative und meinungsbetonte Texte klar zu trennen, gerade deswegen so entscheidend, weil diese Trennung eben nicht kategorial vorgenommen werden kann. In diesem Sinn läßt sich auch Lüger ( 2 1995: 69) verstehen: „Selbst wenn man mit Heinemann/Vieh weger (1991: 249) davon ausgeht, daß praktisch jeder Text auch Bewertungen ausdrückt, erscheint für diesen Bereich eine Differenzierung von primär faktenübermittelnden Texten und solchen, in denen es um eine Evaluierung nach bestimmten Maßstäben geht, fundamental und unverzichtbar. Diese Trennung schließt natürlich implizite Wertungen in informationsbetonten Texten, z. B. durch Selektion, Anordnung und Gewichtung in der Sachverhaltsdarstellung, keineswegs aus; der Anspruch prinzipieller Sachdominanz, verbunden mit weitgehender Verifizierbarkeit des Übermittelten, bleibt davon unberührt." (Hervorhebung von mir, N.O.)

156 werden und nunmehr die Äußerung die entscheidende Bezugskategorie des linguistischen Interesses darstellt. Der Verzicht auf ein auf der Lexemebene angesiedeltes Denotationskonzept bedingt eine fundamental andere Sprachauffassung, nicht zuletzt, was den Stellenwert der Wörter angeht, die nicht mehr als abstrakte Entitäten mit ,Begriffskern' und ,Randbedeutung', sondern als Komponenten von Äußerungen in Gebrauchszusammenhängen konzipiert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint der in der traditionellen Lexikalischen Semantik fundierte Konnotationsbegriff ohnehin über Gebühr überdehnt. Der Eindruck, es handele sich um eine ad hoc-gebildete linguistische Verlegenheitskategorie, eine „Rumpelkammer" (Dieckmann 1981: 111), verstärkt sich noch, wenn man berücksichtigt, daß z. T. auch regionale Varianten und allgemeinere soziolinguistische Fragestellungen Berücksichtigung finden.19 Wenn demgemäß vieles, was unter strukturalistischer Perspektive eine Randerscheinung abstrakter semantischer Verhältnisse ist, nichts anderes als die Grundlegung pragmatischer Zusammenhänge darstellt, stellt sich die Frage, inwiefern es in gebrauchstheoretischer Hinsicht überhaupt so etwas wie eine Anwendungsmöglichkeit des Terminus

Konnotation

gibt, d. h., ob eine begriffliche Konzentration zu einem Fachterminus möglich ist. Pragmalinguistische Ansätze wie z. B. Aiston (1994: 30-31) und Hundsnurscher (1996: 42) lenken den Blick von einer isolierten Betrachtungsweise einzelner Wörter hin zu ihrer Funktion für die Äußerungsform, in der sie Verwendung finden: Worin besteht der funktionale Beitrag eines Wortes zu der spezifischen Verwendung einer Äußerung? Hier bieten Aspekte dessen, was in dem vagen Konzept ,Konnotation' zusammengefaßt wird, eine wohl praktikable Lösungsmöglichkeit: Konnotationen sind Einzelwörter, deren Beitrag zur Äußerungsbedeutung deutlicher profiliert ist, als dies bei anderen Wörtern der Fall ist. Es handelt sich hierbei um Wörter, die sogar ohne Einbindung in einen Verwendungszusammenhang als Ergebnis eines Abstraktionsprozesses isoliert betrachtet das aufweisen, was man prälinguistisch als .Bedeutung' versteht. Besonders ausgeprägt ist dieses semantische Potential bei den sogenannten ,emotiven/affektiven' Wörtern - Wörter, mit denen ein kompetenter Sprecher in einer künstlichen Laborsituation, etwa bei der Anwendung des Semantischen Differentials, einen bestimmten Wert verbindet. Im Unterschied zu rein individuellen Assoziationen bieten Konnotationen allerdings durchaus kommunikationstheoretische Anbindungsmöglichkeiten, denn sie rekurrieren auf abstrakte Wörter, mit denen innerhalb einer Sprechergemeinschaft eine bestimmte Werthafitigkeit verknüpft ist. Wann immer von emotiv-affektiven Spracheinheiten die Rede ist, steht man vor dem Problem, diese intuitiv recht einleuchtenden Phänomene auch adäquat zu beschreiben. 19

Einen theoriegeschichtlichen Überblick gibt Garza-Cuarön (1991); vgl. auch die knappe Obersicht von Konstantinidou (1997: 49, 63-67). Diese metatheoretische Perspektivierung erscheint mir sinnvoller, als völlig heterogene Konnotationskonzepte additiv zusammenfassen zu wollen, vgl. Rössler (1979).

157 Gewöhnlich begnügt man sich damit, die genauere Beschäftigung in die Psychologie zu verschieben. Dabei ließe sich die affektiv-emotive Komponente auch pragmalinguistisch fundieren. Die .emotiven' Ausdrücke sind Wörter, die Sprecher in wertenden kommunikativen Zusammenhängen benutzen. Strenggenommen sind es also nicht die Wörter ,an sich', die eine wertende Bedeutung haben; folglich gibt es auch nicht den Gebrauch von Konnotationen, wohl aber den konnotativen Gebrauch von Wörtern/Äußerungen. 20 ,Konnotationen' sind damit v. a. derartige Wörter, die aufgrund ihrer vorrangigen, stereotypen Verwendung in wertenden Kontexten einer abstrahierenden Betrachtungsweise als standardisierte Wertwörter erscheinen. Wenn bestimmte Wörter eine Wertung implizieren, erscheint es nur konsequent, sie als Ausdruck einer Bewertung aufzufassen; pragmalinguistisch gesehen bietet es sich an, diese standardisiert konnotativ gebrauchten Wörter aufgrund ihrer auch isoliert bewußten bewertenden Komponente als eigenständige BEWERTUNGEN, d. h. als Sprechakte zweiter Ordnung in einem tiefenstrukturellen Rahmen zu fassen. 21 Auf diese Weise läßt sich das impressionistische Wertwörter-Konzept differenzieren. Zunächst sind Wertwörter funktionale Bestandteile einer deutlich konturierten kommunikativen Praxis, die gewöhnlich die Beeinflussung eines Sprechers bezweckt. Innerhalb dieses persuasiven Verwendungszusammenhangs kommt den Konnotationen eine wichtige Aufgabe zu: Sie stellen einen konventionell akzeptierten allgemeinen Wert dar und dienen dazu, die propagierte Idee/Handlung aufzuwerten, ohne sie ständig explizit mit dem Prädikat gut zu verbinden. Von diesen Überlegungen ausgehend läßt sich folgende Modellierung entwickeln: Konnotationen als BEWERTUNGEN im handlungstheoretischen Sinn, als tiefenstrukturelle, inferenzgebundene Sprechakte, verfugen neben der illokutionären Charakteristik EINEN WERT ATTRIBUIEREN auch über eine propositionale Komponente, die aus der Referenz und der Prädikation besteht. Kennzeichnend für Konnotationen ist die Wertbezogenheit der Prädikation, die konventionell einen positiven und/oder einen negativen Wert indiziert. Hier lassen sich vorläufig drei Konnotationstypen differenzieren, die hinsichtlich ihres Grades an Konventionalität, an Abstraktion sowie an Adäquatheit unterschiedlich ausgeprägt sind. Der erste Typ betrifft abstrakte Wertwörter, die generell in einer Sprechergemeinschaft als .positiv' oder .negativ geladene' Bewertungen gelten. Es gehört zur Kommunikativen Kompetenz der Sprecher, um diese Werthaftigkeit zu wissen; der prädikative Wertgehalt ist 20

21

Vgl. auch Pulvermüller (1990: 30), dem zufolge ein Wort „keinen eingebauten .affective value'" hat. In dieser Hinsicht kann man auch Härtung (2000: 120) verstehen, der ausfuhrt, daß „in Gesprächen eine für die Wahrnehmung der Teilnehmer explizite Wertzuweisung oft nicht auf der semantisch-syntaktischen Ebene erkennbar [wird], sondern nur über geteilte Wissensbestände, zu denen auch das Bewertungswissen gehört". Zur Anbindung an das sprechakttheoretische Paradigma vgl. auch den Interpretationsvorschlag von Liedtke (1994: 178).

158 für jeden Sprecher verbindlich ,+' bzw.-,-'. Strittig ist hingegen die Referenz, auf die sich die Prädikation bezieht. Typische Vertreter dieser Formen sind v. a. Leitwörter wie z. B. Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Gesundheit, Zukunft, die bevorzugt in der politischen Persuasión gebraucht werden.22 Negative Werte betreffen z. B. Wörter wie Manipulation, Zwang, Gefahr etc. Da die Referenz unklar ist bzw. immer wieder neu aktualisiert werden muß, wird von sprachkritischer Seite immer wieder ihre Vagheit (vgl. Hannappel/Melenk 2 1990: 167; Sornig 1982: 259) und ihr Mangel an Informativität betont. Dabei wird aber vernachlässigt, daß es gerade ihre Vagheit ist, die einen öffentlichen Diskurs in Form kommunikativer Anschlußmöglichkeiten als semantische Aushandlung (vgl. Hardenbikker/Ortak 2000a: 31-32, A5-A1) initiiert.23 Die zweite Gruppe betrifft Wörter, die neben ihrer konnotativen Verwendungsweise auch auf eine konkrete Entität referieren können. Besonders in diesen Fällen, in denen der Abstraktionsgrad der Referenz sinkt, ist eine bewertende Lesart nicht zwingend. In der konnotativen Verwendungsweise ist strittig, ob sie einen positiven Wert darstellen oder nicht (,Ideologeme'): Führer, Tod, Demokratie, Vaterland, Mensch, Ausländer, Preuße. Die dritte Wertwortgruppe unterscheidet sich von den ersten beiden darin, daß sie hinsichtlich ihrer konkreten Referenz und ihrer positiven/negativen Werthaltung eindeutig ist; strittig ist in diesem Zusammenhang, ob das Referenzobjekt mit einem derartigen Wertwort adäquat charakterisiert worden ist. Wertwörter dieser Art werden nur von einem Teil der Sprechergemeinschaft benutzt; sie indizieren deutlich eine Sprechereinstellung zu dem Referenzobjekt. Das typischste Beispiel betrifft die Art der Referenz einer bestimmten extensionalen Klasse gegenüber (z. B. ethnischer Gruppen, Berufsgruppen etc.). Typ 1 betrifft also sozial konventionelle Wertwörter, Typ 2 Wörter, die in abstraktem Gebrauch einen Wert indizieren, dessen Skalierung als ,positiv' oder .negativ' von individuellen/gruppenspezifischen Faktoren abhängt, die in konkreter Referenz ihre Werthaftigkeit verlieren können, Typ 3 hingegen Wörter, deren Werthaftigkeit und Referenz klar sind, deren Gebrauch aber von individuellen/gruppenspezifischen Dispositionen abhängt. Gerade Typ 2 ist historisch gebunden, d. h. die Gebrauchsdisposition der Wertung ist, insbesondere in politisch-persuasiven Zusammenhängen, variabel (vgl. Abb. 10).

22

23

J. Klein (1991: 50) charakterisiert diese Wörter unter Rückgriff auf ihren .deontischen Bedeutungsgehalt'; allerdings nutzt er dieses Konzept, um es von dem des .konnotativen Bedeutungsgehalts', den allgemeinen Glanz der Wörter, zu unterscheiden - eine Strategie, die vielleicht für den politischen Diskurs sinnvoll ist, aber keine generelle trennscharfe Unterscheidung zuläßt und deswegen hier nicht aufgegriffen wird. Es wäre eine weiterführende Überlegung wert, ob und inwiefern gerade der Gebrauch von Konnotationen eine gesamtgesellschaftliche Funktion bei der Konstruktion der .Lebenswelt' (vgl. Habermas 1981a/2: 182-228) erfüllt. Hier könnten sich Parallelen zu Formen öffentlicher Sprach-thematisierungen (vgl. Wengeler 1996; Bolten 1996: 284) ergeben.

159

Freiheit

Typ i

Prädikation

Referenz strittig Typ 2

+ Demokratie

a) Abstraktion

Prädikation strittig +/-

b) Konkret

nicht gegeben

Referenz

Typ 3

Nigger

Referenz

Prädikation

Verwendungszusammenhang strittig

Abb. 10: Die drei konnotativen Gebrauchstypen

Neben diesen auch isoliert als werthaltig charakterisierbaren Ausdrücken sind weitere Wörter in ihrer Gebrauchsposition deutlich kontextabhängiger. Sie dienen häufig dazu, ein aufwendigeres Argumentationsmuster zu verkürzen, folgen also sprachökonomischen Prinzipien. Die Aufzählung isolierter Wörter der obigen drei Typen deutet demnach nicht darauf hin, daß sie ein ,Mehr' an semantischen Informationen tragen; vielmehr ist ihre Verwendung in persuasiven Kontexten habitualisierter, und ihre auch isoliert attestierte Werthaftigkeit resultiert aus ihrer kognitiven Abstraktion von persuasiven Sprachspielzusammenhängen.

5 . 2 . 1 . 1 . 2 S p e z i f i k a d e s ZUREDENS

Die Bewertung einer Handlung kann im Prinzip an zwei verschiedene Typen von Beweggründen appellieren: (1) Sp2 soll sich von der Ausübung der Handlung einen persönlichen Gewinn versprechen; dieser Gewinn fungiert motivationspsychologisch gesehen als Anreiz zum X-en. Anreize sind Verhaltensauslöser, die hedonistischen Erwägungen folgen. (2) Sp2 soll, ohne in der Handlung einen Anreiz zu sehen, von der sozialen Notwendigkeit/Akzeptanz des X-ens überzeugt sein - auch und gerade wenn das X-en sogar mit einem Verzicht auf hedonistische Zielsetzungen einhergeht. Anstatt seiner Neigung zu folgen und nicht zu x-en (bzw. zu y-en), soll sich Sp2 im Interesse eines überindividuellen, gesellschaftlichen Wertes entschließen, X auszufuhren. Im wesentlichen handelt es sich hier um

160 diejenigen Werte, die Zillig (1982a: 262-263) als ,moralisch-altruistische' bezeichnet. Die von ihm angeführte zweite Teilklasse dieser Werte, die „im Bereich der Entsagung von hedonistischen Werten" (ebd.: 263) situiert sind, kann man dagegen u. U. auch als nur auf den ersten Blick paradoxe Möglichkeit interpretieren, gerade durch den Verzicht auf die Erfüllung des hedonistischen Wertes a sein Selbstwertgefühl oder doch die Anerkennung des sozialen Umfelds zu erringen - indem man auf a verzichtet, erfüllt man b. Mit der Einschränkung, daß es sich hier um abstrakte Orientierungsschemata handelt, kann man Beweggrund (1) mit dem Schlagwort Handlungsmotivation, obligation

(2) mit Handlungs-

etikettieren. Der im ZUREDEN erhobene Wertanspruch einer Handlung in Form

der operativen Maßnahme POLARISIEREN wird also inhaltlich entweder als MOTIVIEREN oder als OBLIGIEREN ausgeführt. Um die Diskussion nicht mit Problemstellungen der Moralphilosophie oder Psychologie zu befrachten, sei noch einmal betont, daß die Fundierung des Handlungswerts allein auf das kommunikative Vorgehen von Spl zurückgeführt wird: Spl spezifiziert den Wert der Handlung entweder als Anreiz oder als soziale Verpflichtung.

5 . 2 . 1 . 1 . 2 . 1 D a s OBLIGIEREN

In Anbetracht der bereits erläuterten Spezifik der nicht-bindenden AUFFORDERUNG und der damit verbundenen Wahlfreiheit von Sp2 handelt es sich beim obligierenden ZUREDEN nicht um juristisch sanktionierte Weisungen, für deren Mißachtung Sp2 in irgendeiner Weise belangt, d. h. bestraft werden kann. Spl rekurriert statt dessen auf allgemeine moralische Werte - etwa, daß man edel, hilfreich und gut sein soll, man jedem Lebewesen Achtung entgegenzubringen hat, es .ungehörig' ist, das X-en zu unterlassen. Der Verstoß gegen die Obligation kann somit soziale, nicht aber juristische Sanktionen nach sich ziehen. Nachteile für Sp2 können also nicht mittels deklarativer Sprechakte thematisiert werden, und so läuft er allein bzw. immerhin Gefahr, sich in seinem sozialen Umfeld inakzeptabel zu machen. Hinsichtlich des Verzichts durch Spl, Sp2 mittels motivationaler Anreize zum Handlungsvollzug zu bewegen, weist das obligative ZUREDEN Parallelen zum FLEHEN auf. Allerdings liegen hier unterschiedliche Bedingungen vor: das FLEHEN setzt, wie ausgeführt, zwingend eine BITTE als ISPA voraus. Darüber hinaus ist der etwaige Eindruck von Sp2, moralisch verpflichtet zu sein, eine kontingente Folge des FLEHENS, während beim obligativen ZUREDEN es die Definition der sozialen Beziehung zwischen Spl und Sp2 zuläßt, daß Spl Sp2 selbst direkt auf die Obligation aufmerksam machen kann: (46) Spl: Liest du meine Arbeit Korrektur? Sp2: Im Moment paßt es mir nicht. Spl: Ach, bitte. Du bist der beste Korrektor, den ich mir nur vorstellen kann, und ich brauche dringend Hilfe. (FLEHEN)/

161 Spl: Freunden soll man doch wohl helfen. Hast du schon vergessen, daß ich dir letztes Semester bei deinem Referat geholfen habe? (OBLIGIEREN)

5.2.1.1.2.2 D a s MOTIVIEREN

Die Vorstellung, eine Handlung zu vollziehen, kann für eine Person in zweierlei Hinsicht einen Anreiz repräsentieren: (1) Sie schätzt den Wert der Handlung als Selbstzweck hoch ein, d. h. sie beurteilt das X-en nach seinem Verlauf. (2) Sie verspricht sich von der Handlung positive Konsequenzen (und bestehen sie auch nur darin, daß durch das X-en negative Konsequenzen vermieden werden); insofern betrachtet sie das X-en als ein Mittel, einen angestrebten Zustand zu erreichen, läßt sich also nachhaltig von zweckrationalen Erwägungen leiten. Mit der Differenzierung von (1) und (2) korrelieren die geläufigen Unterscheidungen von Praxis und Poiesis bzw. intrinsischer und extrinsischer Motivation. So kann Spl Sp2 entweder intrinsisch zum Erwerb eines Autos zu motivieren versuchen, indem er darauf hinweist, daß das Befahren von Straßen einfach großen Spaß macht oder extrinsisch vorgehen und z. B. den Zeitgewinn, die Unabhängigkeit von den Unwägbarkeiten des öffentlichen Personentransports, die erhöhte Mobilität als karrierefördernde Maßnahme thematisieren. Bei der extrinsischen Motivation sind wiederum zwei unterschiedliche Konstellationen denkbar: a) Spl verfügt über Mittel, die Anreize zu realisieren. b) Sp2 spekuliert über die Möglichkeiten der Anreizrealisation. Ad a): In diesem Fall wissen beide Gesprächsparteien, daß Spl persönlich die positiven Konsequenzen, die sich aus der Handlung von Sp2 ergeben sollen, herbeifuhren kann. Damit erhalten die Gesprächszüge von Spl kommissiven Charakter, wobei häufig Gegenleistungen in Aussicht gestellt werden. In diesem Punkt treten deutliche Parallelen zu AUSHANDLUNGs-Sequenzen zutage. (47) Spl: Könnte ich heute vielleicht ausnahmsweise das Auto haben? Sp2: Du weißt genau, daß ich heute dran bin. a) Spl: Na komm schon. Ich bezahle auch die nächste Tankfullung.

Das Angebot des Spl, die Kosten zu übernehmen, ist genau in dem Moment als Übernahme einer Handlungsverpflichtung zu deuten, in dem Sp2 darauf eingeht. Daß Spl genau dies weiß, macht dieses Angebot zu einem Anreiz. Er verfügt also über ein Gratifikationspotential, die Kompetenz, die für Sp2 positiven Konsequenzen selbst herbeizuführen, sofern dieser die Handlung ausführt. Er äußert Sprechakte, die als VERSPRECHEN einzuordnen sind. Gemäß der invited inference ist Sp2 gewöhnlich in solchen Situationen klar, daß Spl die positiven Konsequenzen nicht herbeiführen wird, wenn er die Handlung verwei-

162 gert. Spl kann aber auch direkt darauf hinweisen, daß er in diesem Fall nicht nur keine positiven, sondern sogar explizit negative Konsequenzen folgen lassen wird: (47)

b) Spl: Na schön. Aber bitte du mich noch mal um einen Gefallen.

Anstelle seines Gratifikationspotentials (VERSPRECHEN) thematisiert Spl sein Sanktionspotential. Damit vollzieht er die Illokution SANKTIONSDROHUNG.24 Für ihren Erfolg ist es besonders wichtig, wie Sp2 die möglichen negativen Konsequenzen subjektiv bewertet; die Frage, inwiefern damit für ihn die Aufforderung faktisch findenden' Charakter erhält (vgl. Hindelang 1978: 124-131), betrifft also eher das perlokutionäre sequel als das object.25 Der kommissive Verweis auf die Handlungskonsequenzen (VERSPRECHEN, SANKTIONS24

25

Äußert ein Spl gegenüber einem Sp2 mit vorgehaltener Schußwaffe Geld oder Leben, wird Sp2 im Normalfall zu der Handlung der Geldübergabe nachhaltig geneigt sein. Neben die handlungsauslösende Willensintensität muß aber auch noch das Moment der Willensautonomie treten. Hier ist eine Unterscheidung zwischen dem Drohen und dem Erpressen nützlich.: Mit der Illokution DROHEN prädiziert Spl eine Handlung, die er im Falle einer bestimmten (Nicht-) Handlung des Sp2 vornehmen wird und die Sp2 als Sanktionsmaßnahme, als Verstoß gegen seine Interessen bewertet. Es ist besonders die präzisere Formulierung der Bedingungen der Sanktionshandlung, die eine Untergliederung erlaubt. 1: Die (Nicht-)Handlung des Sp2 verstößt gegen die Interessen des Spl; um diese zu wahren, DROHT Spl mit Sanktionen. Es geht ihm also primär darum, eine als negativ aufgefaßte Aktion des Sp2 zu vereiteln. Insofern bemüht er sich um eine .defensiv' ausgerichtete DROH-Form, initiiert durch den Eindruck des Spl, Sp2 überschreite seinen Freiraum auf seine Kosten. Die SANKTIONSDROHUNG ist, gerade in Konstellationen, in denen Spl auf Sp2 angewiesen ist, der letzte Ausweg, Sp2 doch noch einen Anreiz zu bieten, im Interesse von Spl zu handeln. Natürlich spielt hier der Vertrautheitsgrad die entscheidende Rolle. Wesentlich ist ein Dialograhmen, in dem es leichter fällt, Gefälligkeiten zu erbitten und die Aussicht auf eine erfolgreiche BITTE relativ hoch ist. Spl geht von ebendiesem Bezugsrahmen aus und hält, wie es für die SANKTIONSDROHUNG charakteristisch ist, seine BITTE für legitim. Die Form des NEGATIVEN BESCHEIDES verdeutlicht jedoch, daß Sp2 diesen Bezugsrahmen nicht gelten läßt. In diesem Kontext stellt schließlich die SANKTIONSDROHUNG auch einen Appell an den Gesprächspartner dar, seine Situationsdefinition noch einmal zu überdenken. Neben der Überzeugung des Spl, ,im Recht' zu sein, ist für die SANKTIONSDROHUNG noch relevant, daß das Gewicht der angekündigten Sanktionshandlung für Sp2 niedrig genug ist, ggf. auf seinem NEGATIVEN BESCHEID ZU insistieren. Im Normalfall ist dem Sp2 nämlich bereits vor der SANKTIONSDROHUNG klar, daß seine (Nicht-) Handlung möglicherweise die Beziehung zu Spl belasten wird. Insofern sind die Erfolgsaussichten relativ niedrig, woran nicht zuletzt auch die ethische Legitimation der SANKTIONSDROHUNG erkennbar ist. Ein weiteres Merkmal besteht in der Sequenzgebundenheit. Die SANKTIONSDROHUNG ist nicht in initialer Sequenzposition denkbar, soll sie doch nachträglich den Erfolg der Spl-BITTE sicherstellen. 2: Die Handlung des Sp2 bedeutet eine Begünstigung der Interessen des Spl, hingegen einen ungerechtfertigten Verlust für Sp2. Dabei sind die Sanktionen so hoch, daß Sp2 lieber die ihm unangenehme Handlung ausführt, als die Sanktionen von Spl in Kauf zu nehmen. Er wählt das kleinere Übel - eine Situation, die gerade erst das ERPRESSEN bedingt. Spl verfolgt also eine offensive Zielsetzung; anstatt einen Nachteil vermeiden zu wollen, versucht er, sich einen Vorteil zu verschaffen. Anders als die strikt sequenzgebundene SANKTIONSDROHUNG ist das ERPRESSEN häufig ein Einzelsprechakt. Die

ist damit direkt im Grenzbereich zwischen dem angesiedelt. Zur Trennung vgl. Franke (1983: 219 Fn.2).

SANKTIONSDROHUNG

NÖTIGEN

DRÄNGEN

und dem

163 DROHUNG) steht dem Spl generell als eine Möglichkeit der Anreizpräsentation zur Verfü-

gung. Die einzelnen Gratifikations- oder Sanktionsmöglichkeiten sind dabei sehr unterschiedlich; sie umfassen sowohl konkrete, materielle Maßnahmen als auch soziale Dispositionen. Zur ersten Gruppe können z. B. finanzielle Anreize oder Gefälligkeiten gezählt werden, während die zweite Variante allein die Beziehungsebene betrifft. Um Sp2 zur Handlungsausführung zu veranlassen, kann Spl Verbesserungen oder Verschlechterungen im wechselseitigen sozialen Verhältnis in Aussicht stellen: (48) S p l : Hilfst du mir beim Reifenwechsel? Sp2: Im Moment paßt es mir ganz schlecht. S p l : a) Na k o m m schon. Ich lade dich auch auf einen Kaffee ein. b) Ich dachte, wir wären Freunde. Das werde ich mir merken.

Speziell die Androhung von Sanktionen auf der Beziehungsebene kann sehr rasch Streitsequenzen einleiten. Festzuhalten bleibt, daß für den Erfolg des MOTIVIERENS in den erwähnten Fällen aus-

schlaggebend ist, ob Sp2 die von Spl angekündigten Konsequenzen als Anreize auffaßt, sie für relevant genug hält, um sich an ihnen zu orientieren. Ad b) Bei dieser Gesprächssituation kann Spl die Konsequenzen aus der Handlung nicht selbst herbeiführen. Er muß sich darauf beschränken, Sp2 auf mögliche Handlungsfolgen aufmerksam zu machen. Daraus ergibt sich, daß die Äußerungen von Spl eher als assertive Sprechakte zu deuten sind.26 Dem Versprechen von Gratifikationen entspricht hierbei das PROPHEZEIEN b z w . PROGNOSTIZIEREN (vgl. R o l f 1983: 1 5 7 - 1 6 1 ) positiver K o n s e q u e n z e n , das VERHEIßEN, der SANKTIONSDROHUNG das PROPHEZEIEN oder PROGNOSTIZIEREN negativer Auswirkungen, das WARNEN. 27 26

27

Auch hier gilt, daß die übergeordnete Illokution, festgelegt durch den initialen Gesprächszug, direktiv ist und der assertive Verweis auf die Handlungskonsequenzen dem Hauptziel des Spl dienen soll. Rolfs Unterscheidung prognostizierender und prophezeiender Sprechakte läßt sich auf die alltagssprachliche Praxis schwer übertragen. Es wäre angemessener, in diesen Fällen die Sequentialität zu berücksichtigen, d. h. die Frage zu klären, auf welche Weise ein Sprecher seine Aussage über einen zukünftigen Weltzustand argumentativ absichert. Die strategischen Untermuster VERSPRECHEN, SANKTIONSDROHUNG b z w . VERHEIBEN, WARNEN k ö n n e n mittels unterschiedlicher L e x e m e

- etwa zuraten, abhalten, anstiften, einreden, ausreden, aufschwatzen etc. - in der Beschreibungssprache thematisiert werden. Hier spielen i. d. R. speziellere Kontextbedingungen der kommunikativen Situation ebenso eine Rolle wie die kommentierende Stellungnahme des Handlungsbeobachters. Nach der hier vertretenen Auffassung lassen sich allerdings sämtliche Sprechaktverben, die auf persuasive Zusammenhänge im Bereich des MOTIVIERENS referieren, auf die diskutierten Untermuster beziehen. M. a. W.: das Problem, wie sich beispielsweise das W a m e n vom Abhalten unterscheidet, kann man auf herkömmlichem Weg, der beide Lexeme mit einem distinkten Sprechakttyp korrelieren läßt, nicht befriedigend lösen. Vielmehr folgt ein Sprecher dem Muster WARNEN, was man bei der Beobachtung der Kommunikationssituation z. B. mit dem Ausdruck abhalten resümieren kann. Die übliche Praxis, mit einzelnen Sprechakten zu operieren, verwischt darum die verschiedenen Ebenen der Handlungsbeschreibung.

164 (49) Spl: Hast du eigentlich schon das Referat in Geschichte vorbereitet? Sp2: Ach, eigentlich habe ich dazu überhaupt keine Lust. Spl: Das würde ich mir aber noch mal überlegen. Dann bekommst du auch keinen Schein und hast ein ganzes Semester verloren. Die Möglichkeiten, die jeweils geäußerte Proposition herzuleiten, können dabei stark variieren und auch umfangreichere Argumentationssequenzen einleiten: (50) Spl: Du kommst doch auch heute abend zur Vereinsfeier, oder? Sp2: Na, ich weiß nicht, ob sich das wirklich lohnt. Spl: Wieso denn nicht? Oft trifft man da ja doch wichtige Leute und kann Kontakte knüpfen. Sp2: Das glaubst du doch wohl selbst nicht.... Diese Gesprächssituation setzt voraus, daß Spl seine - möglicherweise vorhandenen Interessen völlig zurückstellt und ganz aus der Perspektive von Sp2 argumentiert; speziell hier ergeben sich strukturelle Parallelen zu BERATUNGs-Sequenzen. Die Lage ist für Spl in gewisser Hinsicht komplizierter, denn anders als bei der ersten Variante kann es vorkommen, daß Sp2 die Eintrittswahrscheinlichkeit der Konsequenzen bereits anders bewertet, sich ihm die Relevanzfrage gar nicht erst stellt.

5.2.1.2 Das PROFILIEREN Persuasive Kommunikation wird häufig auf den aristotelischen Wirkungsfaktor päthos, die Teiloperation POLARISIEREN also, reduziert. Diese Sichtweise ist allerdings unzureichend. Damit Spl Sp2 von einer Ansicht überzeugen bzw. zu einer Handlung überreden kann, muß auch die kommunikative Beziehung zwischen den Dialogpartnern definiert sein. Das betrifft in erster Linie die wechselseitigen Eindrücke der Sprecher, die sich als Images äußern. Pragmalinguistische Adaptionen des Image-Begriffs sind nachhaltig von mikrosoziologischen Beschreibungsansätzen inspiriert und besonders im Umfeld der ethnomethodologischen Konversationsanalyse entwickelt worden. Im Anschluß an Goffman faßt Holly (1979a: 2) ein Image funktional als „Beitrag einer ,rituellen Ordnung' zur Gesprächssteuerung" auf. Damit ist allerdings ein sehr allgemeiner Ansatzpunkt gewählt, der für jede Form der Interaktion gilt. Aus diesem Grund assoziiert man mit,Imagearbeit' häufig die sprachliche Beziehungsgestaltung in phatischen Gesprächen, die durch Höflichkeitsformen zustande kommt (vgl. Adamzik 1994: 358). M. E. ist es aber möglich, diese allgemeine Ebene hinsichtlich der Bedingungen, unter denen ein bestimmtes zweckgerichtetes Sprachspiel abläuft, zu spezifizieren, um auf diese Weise den Image-Begriff aus seinem rein phatischen Bezugsbereich zu lösen. Dabei spielen folgende Überlegungen eine Rolle: Das Image eines Sprechers ist Ausdruck bestimmter Erwartungserwartungen; sie werden durch die Bewußtseinszustände der Interaktanten ausgebildet, die ihre Gesprächsbeiträge nach einem dialo-

165 gischen Handlungsmuster konzipieren. Die kohärenzstiftende Kraft des illokutionären Zwecks bringt es dann auch mit sich, daß die Sprecher bestimmte dialogfunktionale Rollen übernehmen, indem sie sprachlich agieren. Äußert beispielsweise ein Sprecher (51) An deiner Stelle würde ich mir aber langsam mal ein Handy zulegen,

so übernimmt er die kommunikative Rolle eines Ratgebers.

Sofern sich sein Gesprächs-

partner auf die BERATUNGs-Sequenz einläßt, besteht gemeinsames Wissen darüber, daß eine solche kommunikative Rolle konventionellerweise ausgefüllt werden muß. Spl weiß, daß er ggf. Argumente anführen muß, die seinen Ratschlag plausibel erscheinen lassen, und er weiß, daß Sp2 dies auch weiß; Sp2 weiß wiederum, daß Spl dies weiß etc. U m diesem Erwartungserwartungen zu entsprechen, entwerfen die Sprecher Images, deren Gültigkeit im Erfolgsfall durch den Gesprächspartner akzeptiert werden. Es geht also in der interaktionalen Kommunikation nicht allein darum, funktional sinnvolle Dialogzüge anzubringen, sondern auch darum, daß die Sprecher sich gegenseitig als erwartungsgemäße, d. h. .angemessene' Mitspieler wahrnehmen.28 Ein Sprecher definiert seine Rolle in dem Dialog und vergleicht seine Situationsdefinition mit der seines Gesprächspartners. Die gegenseitige Wahrnehmung, das Orientieren an dem Orientieren des anderen, verläuft folglich sehr selektiv und damit in hohem Maß strategisch. Die Kohärenz eines Dialogmusters kommt schließlich gerade dadurch zustande, daß die relevanten Sprecher-Rollen im Hinblick auf den Kommunikationszweck auch nach Möglichkeit durchgehalten werden. Was das persuasive Sprachspiel angeht, erhebt Spl neben dem Anspruch, daß das Xen/X einen Wert darstellt, noch einen weiteren Anspruch - nämlich, daß er in irgendeiner Weise legitimiert ist, den Wert in Form der Polarisation zu attribuieren. Darin besteht der Wirkungsaspekt ethos. Erkennbar wird dieser Image-Faktor genau dann, wenn Sp2 die Rollendefinition von Spl nicht teilt und dessen Legitimation anzweifelt. Wie unschwer zu erkennen ist, ist gerade im Strategiemuster Persuasion die Spl-Legitimation im Grundsatz eine Frage der Glaubwürdigkeit. Sp2 wird sich allein dann überreden oder überzeugen lassen, wenn er den Ausführungen von Spl zustimmt; er wird aber allein dann zustimmen können, wenn er prinzipiell die Berechtigung von Spl anerkennt, das Ziel zu verfolgen, bei Sp2 Konvergenz herzustellen. Diese strategische Teiloperation, mit der Spl seinen Legitimationsanspruch auf Glaubwürdigkeit erhebt, stellt das PROFILIEREN dar. Die Glaubwürdigkeit ist im Rahmen dieses Sprachspiels gerade deswegen so wichtig, weil das persuasive sprachliche Handeln wie die Rhetorik überhaupt argumentationstheore28

In phatischen Dialogen wie etwa dem small talk ist die gegenseitige Wahrnehmung gerade deshalb so auffällig, weil i. d. R. zwei Unbekannte mit der Situation konfrontiert sind, ohne die Hilfestellung eines auf einen Zweck zentrierten Gesprächsthemas interagieren zu müssen. Hier stehen allgemeine Verfahrensregeln zur Verfügung, die darauf abzielen, die Beziehungsgestaltung durch den Austausch von Höflichkeiten in Gang zu setzen. Eben deshalb ist Höflichkeit ein soziales Phänomen.

166 tisch betrachtet im doxastischen Bereich situiert ist. Darum spielt es auch, anders als im idealen theoretischen Diskurs, durchaus nicht nur eine Rolle, was argumentativ erläutert wird, sondern auch, wer dies tut. Wie bereits im Zusammenhang mit der Diskussion der aristotelischen eiAoi-Konzeption angedeutet, ist die Glaubwürdigkeit kein konstantes Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine auf der im kommunikativen Umgang erworbenen Wahrnehmung beruhende Zuschreibung. So betrachtet ist die Wendung, daß eine Person glaubwürdig ist, eine alltagssprachliche Verkürzung; exakter müßte es heißen, daß eine Person als glaubwürdig gilt. Es handelt sich um eine Wahmehmungskategorie, die Einschätzungsmöglichkeiten bietet. Indem Sp2 von Spl ein Image konstruiert, entwickelt er eine Erwartungshaltung, wie das künftige Verhalten von Spl beschaffen sein dürfte. Das Spl-Image fungiert als Orientierungspunkt, für wie relevant Sp2 die von Spl vorgebrachte polarisierende Wertattribution halten kann. Daran zeigt sich, daß die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit im wesentlichen das Risiko verringern soll, das in einer Situation, in der man sich auf eine andere Person verlassen muß, immer gegeben ist. Sofern die situativen externen Bedingungen der Persuasion dies zulassen, beruht das Image auf Erfahrungswerten, die Sp2 im vergangenen kommunikativen Umgang mit Spl entwickelt hat. Besteht hingegen keine gemeinsame Interaktionsgeschichte, sind Spl und Sp2 also einander unbekannt, verschärft sich die strategische Komponente noch dahingehend, daß die reflexive Ausgangslage - das Beobachten also, wie man von dem Dialogpartner beobachtet wird potenziert wird. In solchen Fällen, in denen Sp2 mangels persönlicher Erfahrungswerte einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, spielen dann ,virtuelle' Faktoren, die insbesondere massenmediale Images prägen, eine wichtige kompensatorische Rolle.29 Wie erörtert, umfaßt die Glaubwürdigkeit zum einen den .sachbezogenen' Aspekt der Fachkompetenz/Qualifikation, zum anderen den stärker ,beziehungsorientierten' Aspekt der Verläßlichkeit. Zweifelt Sp2 die Glaubwürdigkeit von Spl an, treten beim P R O F I L I E R E N charakteristische Unterschiede zwischen dem Anspruch auf Kompetenz und dem auf Verläßlichkeit zutage, die kurz erläutert werden sollen.

29

Vgl. hierzu die von Merten (1999: 244-245) vorgenommene Unterscheidung von Image und Ruf. Gerade unter diesen Kommunikationsbedingungen, insbesondere im politischen Diskurs, ist der Zusammenhang mit dem POLARISIEREN dann besonders eng; gemäß der invited inference verlaufen IMAGEPFLEGE der eigenen Partei/Position und DISKREDITIERUNG des politischen Gegners parallel (vgl. Tillmann 1989: 125).

167 5 . 2 . 1 . 2 . 1 D a s BEKRÄFTIGEN

Spl muß, will er eine Wertungskonvergenz herbeiführen, von Sp2 für sachkundig gehalten werden. Beim EVALUIEREN etwa muß er u. U. nachweisen können, daß seine Wertung qualifiziert ist: (52) S p l : Ich finde, die Regierung macht beim Thema ,Existenzgründung' so ziemlich alles falsch, was es falsch zu machen gibt. Sp2: Hört, hört! Ein echter Wirtschaftspolitiker unter uns.

Die Aspekte, die festlegen, was .Qualifikation' konkret ausmacht, variieren, d. h. sie können, je nach der Art des Bewertungsobjekts, ganz unterschiedlich begründet werden - ein akademischer Grad kann ebenso von Interesse sein wie der Rekurs auf einen Experten, jahrelanges Ausüben einer Tätigkeit, allgemeine ,Menschenkenntnis' etc. Wenn Sp2 die Sachkompetenz von Spl anzweifelt, steht Spl für die Aufrechterhaltung seines Legitimationsanspruchs das insistierende Sequenzmuster BEKRÄFTIGEN (vgl. Franke 1983: 256-287) zur Verfugung. Beim handlungsbezogenen ZUREDEN spielt das BEKRÄFTIGEN V. a. dann eine Rolle, wenn Spl Sp2 extrinsisch zu MOTIVIEREN versucht, er aber über die positiven Konsequenzen nur mit assertiven Sprechakten spekulieren kann.

5 . 2 . 1 . 2 . 2 D a s BETEUERN

Zudem muß Sp2 davon ausgehen können, daß Spl ihm seine vorhandene Sachkompetenz auch nach bestem Wissen und Gewissen zur Verfügung stellt. V. a. muß Sp2 das Risiko als niedrig einschätzen können, daß Spl mit dem ZUREDEN oder EVALUIEREN bestimmte Hintergedanken verbindet, die ihm schaden könnten. Spl muß also als aufrichtig erscheinen, um als verläßlich gelten zu können: (53) S p l : Wenn ich Ihnen einen Tip geben darf: Investieren Sie jetzt in den Neuen Markt. Der hat die günstigsten Erfolgsaussichten. Sp2: Ist das auch die volle Wahrheit?

Als verläßlich gilt Spl demgemäß dann, wenn Sp2 annimmt, daß Spl seine Sachkompetenz nicht zu seinem Nachteil einsetzt. Zweifelt Sp2 seine Verläßlichkeit an, kann Spl seinen Glaubwürdigkeitsanspruch nur nach dem insistierenden Sequenzmuster BETEUERN (vgl. ebd.: 288-316) unter Beweis zu stellen versuchen. Es ist gerade dann von entscheidender Wichtigkeit, wenn SICH Spl bei seinem Versuch, Sp2 extrinsisch zu MOTIVIEREN, VERPFLICHTET, die thematisierten positiven Handlungskonsequenzen selbst herbeizuführen.

168 5.2.1.3 D a s PLAUSIBILISIEREN

Mit dem POLARISIEREN und dem PROFILIEREN sind die beiden relevanten Teiloperationen des Strategiemusters Persuasion benannt, die die inhaltliche Akzeptanz bei Sp2 sicherstellen sollen. Bezieht man aber zudem die Sequentialität des dialogischen Sprachgebrauchs in die Überlegungen ein, zeigt sich, daß die inhaltlichen Akzeptanzbedingungen der Persuasion zwar die Kommunikation zwischen Spl und Sp2 auslösen bzw. bei Erfüllung erfolgreich beenden können, sie jedoch den Verlauf des persuasiven Sprachspiels nicht angemessen widerspiegeln. Dieses formale Moment besteht in der Zugabfolge durch Spl und Sp2 und läßt sich analytisch als prozedurales Sequenzprinzip von den inhaltlich definierten POLARISIEREN und PROFILIEREN unterscheiden. Es ermöglicht den Dialogparteien, ggf. am Ende des persuasiven Sprachspiels ein Kommunikationsergebnis zu verzeichnen - sei es, daß Sp2 eine Handlungs-/oder Zustimmungsbereitschaft entwickelt, sei es, daß Spl die divergente Situationsdefinition akzeptiert und sich vielleicht sogar von Sp2 umstimmen läßt. Diesen formalen Akzeptanzfaktor, ohne den das Sprachspiel inhaltlich überhaupt nicht gefuhrt werden kann, stellt das PLAUSIBILISIEREN dar. Das Strategiemuster Persuasion mit seinen Realisationsformen ÜBERREDUNGSVERSUCH (ZUREDEN) bzw. ÜBERZEUGUNGSVERSUCH (EVALUIEREN) umfaßt also die beiden inhaltlichen Teiloperationen POLARISIEREN und PROFILIEREN, die jeweils an die formale Voraussetzung PLAUSIBILISIEREN gebunden sind.

5.2.1.3.1 Plausibles Argumentieren Das PLAUSIBILISIEREN beruht auf dem argumentativen Sequenzmuster und umfaßt damit verschiedene argumentationstheoretische Aspekte: (1) den Bereich der funktionalen Stringenz, der am Modell abstrakter Schluß Schemata den funktionalen Stellenwert von Aussagen in Argumentationen verdeutlicht. Ausgehend von dem vielzitierten Toulmin-Schema (vgl. Toulmin 1974: 97-107) geht es um den Zusammenhang von Datum (.Argument', data), Konklusion (,These', claim) und Schlußregel (warrant) bzw. Stützung (backing); (2) den Bereich der formalen Topik, der die Schlußregeln als abstrakte inhaltliche Muster in den Blick nimmt und auf dieser Basis typisiert (vgl. Kienpointner 1992); (3) den Bereich der materialen Topik als Bezugssystem, innerhalb dessen man überhaupt erst eine Argumentation als Zusammenhang von Datum, Schlußregel und Konklusion entwickeln kann.30 In der klassischen formalen Argumentationstheorie ist dieser Bereich 30

Wie z. B. van Eemeren/Grootendorst (1992: 28-30) darlegen, läßt sich das ARGUMENTIEREN nur unzureichend als Einzelsprechakt beschreiben. Diesen Aspekt stellt m. E. Kang (1996: 150) nicht deutlich genug heraus, wenn er den Zweck des ARGUMENTIERENS darin sieht, „einen Geltungsanspruch zu unterstützen", wohingegen das BEGRÜNDEN darauf abziele, „dem Hörer Informationen

169 häufig vernachlässigt worden, zumal die materiale Bestimmung eines Arguments eine primär lebenspraktische ist und damit genau das umfaßt, was der formale Zugriff gern als ,Alltagsargumentation' abtut. Demgegenüber kann gar nicht nachdrücklich genug betont werden, daß argumentative Zusammenhänge stets auf Konstruktionsleistungen innerhalb eines Bezugssystems beruhen, d. h. eine Aussage nicht dadurch zu einem Argument wird, daß sie einen von der kognitiven Leistung des Sprechers unabhängigen Sachverhalt ,an sich',abbildet': Alle Prüfung, alles Bekräften und Entkräften einer Annahme geschieht schon innerhalb eines Systems. Und zwar ist dies System nicht ein mehr oder weniger willkürlicher und zweifelhafter Ausgangspunkt aller unsrer Argumente, sondern es gehört zum Wesen dessen, was wir ein Argument nennen. Das System ist nicht so sehr der Ausgangspunkt, als das Lebenselement der Argumente. (Wittgenstein ÜG §105)

Das Bezugssystem fungiert damit als ,/ramework" (Camap 1967: 73; Hervorhebung i. O.), außerhalb dessen sich nicht argumentieren läßt: „There is no [...] cosmic exile." (Quine 8 1973: §56)31 Den fortgesetzten Vorgang der Aussagenprüfung kann man sinnvollerweise allenfalls bis zum „Grunde des Sprachspiels" (Wittgenstein ÜG § 204) fortsetzen.32 Daraus muß man keineswegs einen radikal relativistischen oder skeptizistischen Standpunkt herleiten - insbesondere das transzendentalpragmatische Standardargument steht bereit - , denn das Postulat der Widerspruchsfreiheit innerhalb des Bezugssystems wird nicht geleugnet; man wird aber auch nicht vorschnell Aussagen disqualifizieren können, nur weil der Gesprächspartner womöglich ein anderes Bezugssystem zugrunde legt.33 Die Fragestellung, ob jemand ein Argument anführt oder versteht, muß sprachkritisch dahingehend reformuliert werden, ob jemand eine Äußerung hinsichtlich ihres propositionalen Gehalts als Argument beibringt bzw. versteht.34 Demgemäß kann ein Argument auch nicht als ,wahr' oder .falsch', sondern als ,gut' oder .schlecht' gelten (vgl. T. J. Richards 1978: 26). Darin liegt

31

32

33

34

darüber zu übermitteln, wie der thematisierte Gegenstand [...] zustandegekommen ist bzw. warum er so ist, wie er ist". Das BEGRÜNDEN einer Aussage kann vielmehr eine ARGUMENTIERENSequenz einleiten, sofem Sp2 die Begründung zurückweist. Vgl. auch Bayer (1999: §§ 64-85) sowie Mans (1997), der die Konzeption von der „Argumentation im Kontext" vertritt. Daß die argumentative Funktion der Sprache mehr umfaßt, als einfach bestehende Sachverhalte verbal abzubilden, betonen z. B. Anscrombe/Ducrot (1986). So betrachtet besteht der Sinn von Argumentationen gerade darin, das zugrunde liegende Bezugssystem zu explizieren. Dieser Aspekt kommt in der Darstellung von Schmidt-Faber (1986: 31) m. E. nicht deutlich genug zum Ausdruck: „Die Argumentregel ist im allgemeinen einprägsamer als der Argumentsatz. Sie liefert die Denkschiene, auf der der Argumentsatz vorgeführt wird. Häufig hat sie eine solche Suggestivkraft, daß der Gesprächspartner gar nicht mehr überprüft, ob eine Regel überhaupt anwendbar ist." Es ist nicht ,die Kraft' einer Argumentation ,an sich', die Auswirkungen zeitigt, sondern die kognitive Operation der am Sprachspiel ARGUMENTATION beteiligten Sprecher. Vgl. auch Halff (1998: 181-182).

170 die Brisanz, d. h. das Motiv ebenso wie die Schwierigkeit, mit dem Gesprächspartner einen Konsens herzustellen. 35 Aus diesem Grund ziehe ich den Terminus plausibilisieren

dem

Ausdruck argumentieren vor. 36 (54) Spl: Ich finde diese ewigen Werbeunterbrechungen im Fernsehen fürchterlich. Die verleiden einem das Zusehen. Sp2: Sie sind aber nun einmal für die Privaten dringend notwendig, um das Programm zu finanzieren. (55) Die Gentechnik ist keine Frage der Wissenschaft, sondern der Ethik (oder umgekehrt). Sofern das materiale Bezugssystem thematisiert - bzw. im Dialog konstruiert - wird, ist die zunächst komplizierte Unterscheidung von Schlußregel und Stützung möglich. Als lebensweltlicher Hintergrund gewährleistet es „kategoriale Problemzugänge" (Kopperschmidt 1999: 17) und stellt z. B. Orientierungsschemata wie Bewertungscodes, Rationalitäts- und Plausibilitätsstandards bereit. In genau diesem Rahmen ist die für die alltagssprachlichen Argumentationsleistungen typische Implizitheit - etwa in Form verkürzter, ,enthymematischer' Schlußprozesse - möglich. 37 Wie bereits in Kapitel 3 angedeutet, wird der kommunikative Charakter, d. h. der Sprachspielbezug von ARGUMENTIEREN-Sequenzen, nur unzureichend reflektiert, wenn 35

36

37

Legt man den im Toulmin-Schema angedeuteten idealtypischen Verlauf einer ARGUMENTIERENSequenz zugrunde (vgl. Hundsnurscher 1994a: 229), zeigt sich, daß spätestens bei der Prüfung der Stützung die vielbeschworenen Bindungskräfte des argumentativen Konsenses rasch abnehmen. Die Plausibilität von Argumentationsmustern sieht Kienpointner (1992: 92) durch ihren Bezug „auf Glaubens- und Wissenssysteme aller oder der meisten oder vieler (etc.) Laien-Sprecher einer Sprechgemeinschaft" begründet. Demgemäß kann man unter der Plausibilität die „pragmatische Gültigkeit" (etwa im Unterschied zur logischen und semantischen Gültigkeit verstehen (ebd.). Die unvermeidliche interpretative Eigenleistung des Rezipienten - mag sie noch so selbstverständlich erscheinen - , ohne die, wie erörtert, Argumente gar nicht bestehen können, wird in neueren Argumentationsanalysen dadurch stärker berücksichtigt, daß man bei der (Re-) Konstruktion argumentativer Strukturen in Beispieltexten zunehmend Vorstellungen von Linearität durch die Annahme komplexer propositionaler Netze ersetzt, wie z. B. Kopperschmidt (1989) und Klein (1993) zeigen. Problematisch wird diese implizite Argumentationsform insbesondere dann, wenn sie im öffentlichen Diskurs getätigt wird und der Sprecher/Kommunikator die Hintergrundannahmen nicht kenntlich macht, so daß es dem einzelnen Rezipienten überlassen bleibt, überhaupt so etwas wie eine These zu inferieren. Gerade in den Debatten zum Verhältnis der deutschen Nachkriegsgesellschaft zum Nationalsozialismus bestehen angesichts eines solchen .thesenunabhängigen' Argumentationsstils (vgl. Petter 1988: 111) dann rasch Zuschreibungsschwierigkeiten (Stichwort: „geistige Brandstiftung"), die nicht abschließend geklärt werden können, weil in pluralistischen Gesellschaften die Existenz einer homogenen Rezipientengruppe nicht gegeben ist und damit u. U. dieselbe Äußerungsfolge von zwei gegensätzlichen Positionen mit Beifall bedacht werden kann. Vgl. nur stellvertretend die Beiträge zur Walser - Bubis-Debatte in Schirrmacher (ed.)(1999). Genau an dieser Kontroverse kann man sich mit Assmann/Frevert (1999: 94) zudem die Funktion der unterschiedlichen materialen Bezugssysteme verdeutlichen: „Während Walser im Paradigma der Schamkultur von ,Schande' sprach, sprach Bubis im Paradigma der Schuldkultur von .Verbrechen'."

171 man ihre Funktion in einem emphatischen Sinn darin erblickt, der Wahrheitsfindung zu dienen und auf diese Weise völlig unterschiedliche Diskursebenen verwechselt. Insbesondere der Bereich der Akzeptanzbedingungen sollte hier vorsichtig formuliert werden. Man vergleiche in diesem Zusammenhang die beiden folgenden Darstellungen, die die Aufrichtigkeit des argumentierenden Sprechers betreffen: Beckmann (1993: 573) fordert, daß „Spl glaubt, daß p der Fall ist". Damit interpretiert sie die Aufrichtigkeitsbedingung insofern als mentales Problem, als Spl selbst von dem Inhalt seiner Aussage überzeugt sein soll. Demgegenüber nehmen van Eemeren/Grootendorst (1992: 31) einen kommunikationstheoretisch zweckmäßigeren, da vorsichtigeren Standpunkt ein; bezeichnenderweise sprechen sie von responsibility conditions, die u. a. von Spl fordern, er solle p für akzeptabel - aus Sicht von Sp2 - halten. Auf diese Weise gelingt es ihnen, den kategorialen Unterschied zwischen den mentalen Zuständen eines Individuums und ihren zum Ausdruck gebrachten Repräsentationen aufrechtzuerhalten: The major consequence of the responsibility conditions is that the Speaker, because he is answerable for what he has said, may be deemed to act as ifhe were sincere - whether he actually is sincere or not. For our purposes, it is what the Speaker can be held accountable to that counts, not what he privately thinks. (Ebd.: 32; Hervorhebung i. O.)

Für die Argumentation ist entscheidend, daß Spl annimmt, daß seine Ausfuhrungen bei Sp2 konsensfahig sind - ist er dabei auch noch aufrichtig, um so besser. Der illokutionäre Status des ARGUMENTIERENS ist davon jedoch nicht betroffen.

5.2.1.3.2 D i e Sequenzstruktur des PLAUSIBILISIERENS

Vergleichsweise unkompliziert nimmt sich die Beschreibung der funktionalen Binnensequenzierung des PLAUSIBILISIERENS aus. Im Rückgriff auf Toulmin kann man sich die Abfolge der funktionalen Argumentationseinheiten so vorstellen, daß Spl eine These aufstellt, deren Akzeptabilität Sp2 in variierenden Stärkegraden problematisiert - z. B. durch das Anzweifeln der Aussage, durch das Nachfragen, durch die vehemente Aufstellung einer Gegenthese - , worauf Spl bestimmte Aussagen tätigt, die die Geltung der These belegen, sie also als Konklusion ausweisen sollen. Der rekursive Grundzug prozeduralen Argumentierens bringt es mit sich, daß der angeführte Beleg für die These/Konklusion selbst wieder problematisiert werden kann usw. Hier stehen Sp2 zwei Möglichkeiten zur Verfügung (vgl. Beasley 1980: 17-18): (1) Er problematisiert den Aussagengehalt des beigebrachten Belegs; indem er das Datum kritisiert, initiiert er eine HALTBARKEITSNACHWEIS-Sequenz i. S. eines FeststellungsDiskurses (vgl. Zillig 1982a: 258-260); (2) Er problematisiert den Zusammenhang zwischen Datum und Konklusion; indem er die Schlußregel kritisiert, initiiert er eine SCHLÜSSIGKEITSNACHWEIS-Sequenz i. S. eines

172 Norm-Diskurses (vgl. ebd.). Bei fortgesetzter Diskussion wird auch die Stützung hinterfragt, so daß, wie ausgeführt, fraglich ist, inwiefern Spl und Sp2 dasselbe materiale Bezugssystem zugrunde legen.

Abb. 11: Problematisierungen des Datums als prozedurales Argumentationsprinzip

Im persuasiven Sprachspiel wird das Datum von einer Aussage repräsentiert, die explizit oder implizit auf den im ISPA thematisierten Wert W verweist.38 Zweifelt Sp2 also die Haltbarkeit des PLAUSIBILISIERENS an, akzeptiert er prinzipiell den in der These (dem ISPA) erhobenen Wertanspruch, spricht jedoch dem in dem Datum thematisierten Sachverhalt ab, daß er über die Eigenschaft verfügt, die mit dem akzeptierten Wert W korrespondiert. Leugnet Sp2 demgegenüber die Schlüssigkeit des PLAUSlBlLlSIERENs, konzediert er, daß die prädizierte Eigenschaft dem im Datum dargestellten Sachverhalt tatsächlich zukommt; diese Eigenschaft betrachtet er allerdings als irrelevant für den erhobenen Wertanspruch. Die Binnenstruktur soll nun hinsichtlich ihres funktionalen Beitrags, den sie für das POLARISIEREN und das PROFILIEREN erbringt, näher erläutert werden. Wie an dem abstrakten Charakter der Formulierungen ersichtlich sein wird, handelt es sich hier um Beschreibungen kognitiver Orientierungsschemata, die gewissermaßen den formalen Interpretationsrahmen dafür darstellen, was Spl Sp2 im Einzelfall ,zu verstehen gibt'.

5 . 2 . 1 . 3 . 2 . 1 Plausibles POLARISIEREN

Gemäß der in 2.1.2.3 getroffenen handlungslogischen Unterscheidung zwischen dem Überreden und dem Überzeugen ist festzuhalten, daß das in dem direktiven Zusammenhang verortete Überreden auf den Handlungsvollzug als Erfullungsbedingung abzielt; aus diesem Grund wird das plausible ZUREDEN durch einen praktischen

Schluß ergänzt, was beim

plausiblen EVALUIEREN trivialerweise nicht der Fall ist, da im ISPA schließlich gar keine Handlung zur Disposition steht. Daraus erklärt sich auch, inwiefern jede sprachliche Hand-

38

Es scheint der Grad der Inferenzleistung des Sp2 zu sein, anhand dessen Zillig (1982a: 254) intrinsisch-evaluative von intrinsisch-deskriptiven Werten unterscheidet.

173 lung des Überredens diejenige des Überzeugens voraussetzt, aber nicht jedes Überzeugen das Überreden des Gesprächspartners bezweckt.

5.2.1.3.2.1.1 Das ZUREDEN Der praktische Schluß des ÜBERREDUNGSVERSUCHS (ZUREDENS) hat die Form: These/Konklusion: X-e! Beleg: X-en ist positiv (repräsentiert den für Sp2 relevanten Wert W). Schlußpräsupposition: Wenn eine Handlung positiv ist (einen für Sp2 relevanten Wert W repräsentiert), ist sie auszufuhren. Problematisiert Sp2 die Haltbarkeit des praktischen Schlusses, d. h. zweifelt er den Wert des X-ens an, fordert er Spl auf, die persuasive Operation ZUREDEN (Relevanznachweis) zu PLAUSIBILISIEREN. Zweifelt er dagegen die Schlüssigkeit des praktischen Schlusses an, besteht die persuasive Aufgabe von Spl primär darin, Sp2 davon zu überzeugen, daß die wahrgenommenen Hindernisse beim Vollzug der an sich wünschenswerten Handlung keine Rolle spielen. Es geht also darum, den Kompetenznachweis des ZUREDENS ZU PLAUSIBILISIEREN. In diesem Fall hat der praktische Schluß die Form: These: X-e! Beleg: Die positiv bewertete Handlung X-en ist ausfuhrbar. Schlußpräsupposition: Wenn eine positiv bewertete Handlung ausführbar ist, ist sie zu vollziehen.

5.2.1.3.2.1.1.1 Der plausible Relevanznachweis Das argumentative Vorgehen läßt sich so formalisieren: These: X-en ist positiv (repräsentiert den für Sp2 relevanten Wert W). Beleg: X-en kann die Eigenschaft E zugeordnet werden. Schlußpräsupposition: Wenn eine Handlung die Eigenschaft E hat, ist sie positiv (repräsentiert den für Sp2 relevanten Wert W). Im Anschluß daran kann Sp2 wiederum die HALTBARKEITSNACHWEIS-Sequenz des Relevanznachweises dadurch initiieren, daß er dem X-en die Eigenschaft E abspricht. Demge-

174 mäß hat S p l , will er seine persuasiven Bemühungen nicht einstellen, weiterhin so zu argumentieren: These: X-en kann die Eigenschaft E zugeordnet werden. Beleg: X-en hat die Eigenschaft F. Schlußpräsupposition: Die Eigenschaft F impliziert die Eigenschaft E. Hinterfragt Sp2 die Schlüssigkeit des Relevanznachweises, gibt er zu verstehen, daß er nicht bezweifelt, daß dem X-en die Eigenschaft E prädiziert werden kann, sondern, daß E für die positive Bewertung des X-ens eine Rolle spielt. Dann hat das argumentative Vorgehen von Spl folgende Struktur: These: Die dem X-en zugeordnete Eigenschaft E ist relevant für die positive Bewertung. Beleg: Die Eigenschaft E impliziert die Eigenschaft F. Schlußpräsupposition: Die Eigenschaft F ist relevant für den Wert W.

5.2.1.3.2.1.1.2 Der plausible Kompetenznachweis Die mit einem Kompetenzdefizit begründete Handlungsverweigerung initiiert folgende Binnensequenzierung: These: Sp2 kann x-en. Beleg: Sp2 kann y-en. Schlußpräsupposition: Das Y-en impliziert das X-en. Problematisiert Sp2 die Haltbarkeit des Kompetenznachweis-Versuchs, besteht die argumentative Strategie von Spl in diesen Schritten: 39 These: Sp2 kann y-en.

39

Die konkrete Ausfüllung dieses formalen Rahmens - als taktische Untermuster - kann z. B. darin bestehen, daß Spl Sp2 auf einen Analogieaktanten hinweist, der bereits erfolgreich ge-x-t hat, obwohl dessen generelle Handlungskompetenz niedriger einzustufen sei als die von Sp2. Daraus soll Sp2 den Schluß ziehen, daß seine höhere Qualifikation (das Z-en) ihm erlaubt, sich für das Y-en befähigt zu halten, das, wie er schließlich selbst eingeräumt hat, das X-en impliziert. Ebenso ist es möglich, daß Spl auch auf eine bereits erfolgreich vollzogene Handlung durch Sp2 verweist, die er in eine enge Analogie zum X-en setzt.

175 Beleg: Sp2 kann z-en. Schlußpräsupposition: Das Z-en impliziert das Y-en. Sofern Sp2 die Schlüssigkeit der Spl-Argumentation in Zweifel zieht, hat das PLAUSIBILISIEREN die Form: These: Das Y-en impliziert das X-en. Beleg: Das Y-en impliziert das Z-en. Schlußpräsupposition: Das Z-en impliziert das X-en.

5.2.1.3.2.1.2 Das EVALUIEREN Die argumentative Binnenstruktur des EVALUIERENS unterscheidet sich von derjenigen des ZUREDENS durch das Fehlen der praktischen Schlußprozedur; infolgedessen geht es auch propositional gesehen nicht um die Handlung X-en, sondern um den a-praktischen Sachverhalt X. These: X ist positiv (repräsentiert den für Sp2 relevanten Wert W). Beleg: X kann die Eigenschaft E zugeordnet werden. Schlußpräsupposition: Wenn ein a-praktischer Sachverhalt die Eigenschaft E hat, ist er positiv (repräsentiert den für Sp2 relevanten Wert W). Für die HALTBARKEITSNACHWEIS-Sequenz gilt entsprechend: These: X kann die Eigenschaft E zugeordnet werden. Beleg: X hat die Eigenschaft F. Schlußpräsupposition: Die Eigenschaft F impliziert die Eigenschaft E. D e m g e g e n ü b e r lautet die SCHLÜSSIGKEITSNACHWEIS-Sequenz: These: Die X zugeordnete Eigenschaft E ist relevant für die positive Bewertung. Beleg: Die Eigenschaft E impliziert die Eigenschaft F. Schlußpräsupposition: Die Eigenschaft F ist relevant für den Wert W.

176 5.2.1.3.2.2 Plausibles PROFILIEREN

Sowohl für das ZUREDEN als auch für das EVALUIEREN gilt, daß Spl glaubwürdig erscheinen muß. Die plausible Binnenstrukturierung des Sachkompetenz-Anspruchs, des BEKRÄFTIGENS also, lautet: These: Spl hat als glaubwürdig zu gelten. Beleg: Spl ist kompetent, den Wertanspruch W zu erheben. Schlußpräsupposition: Wenn jemand kompetent ist, hat er als glaubwürdig zu gelten.

Die Haltbarkeit des Kompetenzanspruchs kann Spl gegen Problematisierungen mit der folgenden Sequenz verteidigen: These: Spl ist kompetent(, den Wertanspruch W zu erheben). Beleg: Spl weist die Sachqualifikation Q auf. Schlußpräsupposition: Wer Q aufweist, ist kompetent bezüglich W.

Zweifelt Sp2 die Schlüssigkeit des BEKRÄFTIGENS an, verlagert sich das Glaubwürdigkeitsproblem hingegen auf die charakterliche Verläßlichkeit, die Spl, wie dargelegt, nicht BEKRÄFTIGEN kann, sondern BETEUERN muß. Die plausible Binnensequenz dieses Untermusters hat die Struktur: These: Spl hat als glaubwürdig zu gelten. Beleg: Spl ist verläßlich. Schlußpräsupposition: Wenn jemand zuverlässig ist, hat er als glaubwürdig zu gelten.

Den HALTBARKEITSNACHWEIS erbringt Spl dadurch, daß er seinen Anspruch wie folgt plausibilisiert: These: Spl hat als verläßlich zu gelten. Beleg: Spl weist die charakterliche Disposition C ^Zuverlässigkeit') auf. Schlußpräsupposition: Wenn jemand die charakterliche Disposition C (.Zuverlässigkeit') aufweist, hat er als verläßlich zu gelten.

Den SCHLÜSSIGKEITSNACHWEIS kann Spl wiederum nicht plausibel BETEUERN, sondern

muß hier - analog zu seinem Kompetenzanspruch - das Muster wechseln und seinen An-

177 spruch

D. h.: Die Untermuster des PROFlLIERENs, das BEKRÄFTIGEN und das BETEUERN, verweisen in ihren formalen plausiblen Vollzugsweisen in genau dem Moment aufeinander, in dem jeweils ihre Schlüssigkeit in Zweifel gezogen wird. Damit erklärt sich der heuristische Charakter, der der Trennung von Sachkompetenz und Verläßlichkeit zukommt. BEKRÄFTIGEN.

Das globale Strategiemuster Persuasion ist mit seinen dialogischen Untermustern auf der nächsten Seite zusammenfassend schematisiert.

178

Persuasion Strategiemuster zur Herstellung von Konvergenz durch Akzeptanz Praktischer Sach-

A-praktischer

verhalt:

Sachverhalt:

Handlung

Wertung ÜBERZEUGUNGSVERSUCH

Strategische Maßnahmen: POLARISIEREN PROFILIEREN PLAUSIBILISIEREN ZUREDEN

EVA •LUIEREN

ISPA:

ISPA:

VORSCHLAGEN

BEWERTEN

EMPFEHLEN

Rele-

Kompe-

vanz-

tenz-

hinweis

hinweis

intrinsisch assertiv VERHEIßEN

WARNEN

kommissiv VERSPRECHEN

SANKTIONSDROHUNG

Abb. 12: Das Strategiemuster PERSUASION und seine dialogischen Untermuster

Die Ausfuhrungen zum PLAUSIBILISIEREN sollen abschließend an einem fiktiven Beispieldialog illustriert werden.

179 (56) (1)Spl: (2) Sp2: (3) S p l : (4)Sp2 (5) Spl (6) Sp2 (7) Spl (8) Sp2: (9) S p l : (10) Sp2: (11) Spl: (12) Sp2: (13) Spl: (14) (15) (16) (17) (18)

Sp2 Spl Sp2 Spl Sp2

Kommst du mit ins Kino? „Außerirdische erobern die Welt" läuft. Du meinst diesen Science-fiction-Actionthriller? Eigentlich habe ich keine große Lust. Nein? Der soll aber ganz tolle Spezialeffekte haben. Das ist doch genau das Richtige für dich. Also, ich habe gehört, daß die Effekte ziemlich enttäuschend sein sollen. Wer sagt das? Hans-Peter. Ja, natürlich. Das hätte ich mir gleich denken können. Der hat doch immer etwas auszusetzen, damit man ihn für einen Experten hält. Stimmt auch wieder. Heißt das, du kommst mit? Na ja, selbst wenn die Effekte wirklich gut sein sollten - die Handlung soll j a ziemlich primitiv sein ... Außerirdische, die die Welt erobern wollen ... Ach, das ist ja interessant. Wer hat denn neulich erst gesagt, er habe genug von diesen anspruchsvollen Problemfilmen? Sag' doch gleich, daß du einfach nicht allein ins Kino gehen willst. Das spielt keine Rolle. Diesen Film werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, mit oder ohne Begleitung. Na schön. Vielleicht hast du Recht. Wann wollen wir gehen? Ich dachte an den Freitagabend. Zu dumm. Da bin ich schon verabredet. Kein Problem. Dann gehen wir am Samstag, wenn es dir dann besser paßt. Gut. Bis Samstag.

Die Sequenz läßt sich dem persuasiven Strategiemuster insofern zuordnen, als Spl im ersten Zug (1) an Sp2 einen nicht-bindenden Direktiv richtet, ihn ins Kino zu begleiten, dem Sp2 in (2) einen abschlägigen Bescheid erteilt. Um Sp2 doch noch zur Konvergenz (Absichtsbekundung) zu bewegen,

REDET

Spl ihm zu, indem er in (3) die tricktechnische

Qualität des Films hoch bewertet. Damit versucht er, die Attraktivität der auf dem Sprachspiel stehenden Handlung .Kinobesuch' zu erhöhen: er redet Sp2 nach dem Muster VIEREN

MOTI-

(Relevanznachweis) zu. Wie der vierte Zug belegt, ist diese Maßnahme allerdings

nicht erfolgreich; statt dessen initiiert Sp2 eine Haltbarkeitsnachweis-Sequenz, denn er bringt Zweifel an, daß die von Spl ins Feld geführte Anreizqualität dem Film überhaupt zukommt. Der Nachweis der argumentativen Haltbarkeit beschäftigt die Dialogparteien bis einschließlich Zug (8): Sp2 widerruft seine Zweifel. Der Teilerfolg von Spl beruht darauf, daß er den in (6) angeführten Gewährsmann negativ profiliert und Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit äußert. Mit der Plausibilisierung der argumentativen Haltbarkeit ist Spl jedoch noch nicht am Ziel angelangt, denn in (10) hinterfragt Sp2 die Schlüssigkeit des Relevanznachweises. Damit gibt er zu verstehen, daß er zwar nun konzediert, daß dem Film eine hohe Qualität im Bereich der Spezialeffekte zukommt, leugnet aber, daß diese positive Bewertung für ihn einen Anreiz darstellt, Spl ins Kino zu begleiten. Demgemäß bemüht sich Spl in (11)

180 darum, nun auch diesen Nachweis zu erbringen, wobei er hier auf die argumentative Strategie der reductio ad absurdum zurückgreift, d. h. Sp2 daraufhinweist, daß seine Ablehnung inkonsistent zu früheren Äußerungen ist. Derart in Bedrängnis, tritt Sp2 in (12) die Flucht nach vorn an und konfrontiert Spl mit der Vermutung, daß auch er nicht glaubwürdig ist, aus anderen Motiven als den thematisierten Sp2 zum Kinobesuch bewegen will. Infolgedessen muß Spl in (13) eine positive Eigenprofilierung vornehmen (BETEUERN). In (14) legt Sp2 dar, daß er keine Zweifel mehr an der Plausibilität des Relevanznachweises hegt; wie sich allerdings dann im Verlauf der anschließenden PLANUNGs-Sequenz herausstellt, bestreitet er nunmehr seine - situativ begründete - Kompetenz, die Handlung auszufuhren (16). Dadurch, daß Spl die äußeren Umstände (den Termin) modifiziert, gelingt es, die situative Handlungskompetenz von Sp2 wiederherzustellen und ihn zur Abgabe eines Positiven Bescheides (18) zu bewegen, der den Erfolg der persuasiven Strategie markiert.

5.2.1.4 Wirkungsfaktoren Legt man ein .kommunikatives' Sprachverständnis zugrunde, d. h., geht man davon aus, daß das Äußern einer Lautfolge in allererster Linie bezweckt, auf den Gesprächspartner in kognitiver, emotiver, praktischer Weise Einfluß zu nehmen, sieht man sich zwangsläufig mit dem Problem der Sprachwirkung und ihrer Prognostizierbarkeit konfrontiert. Die Fragestellung ist, wie die Geschichte der Empirischen Kommunikationsforschung nur allzu deutlich zeigt (vgl. Schenk 1987; Merten 1999), äußerst heikel. Die notorische Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Analyseergebnisse haben im Bereich der Kommunikationsforschung in den letzten 20 Jahren zu einem grundlegenden Perspektivenwandel Anlaß gegeben, der, beeinflußt durch die soziologische Systemtheorie Luhmanns sowie (radikal-) konstruktivistische Annahmen, zumindest eine wünschenswerte Reflexion über das eigene Vorgehen in Gang gesetzt hat. In der Tat erfordert das Wirkungskonzept einen besonders präzisen Umgang mit der Beschreibungssprache: Das Reden über Wirkungen ist zunächst einmal in den ,exakten', erklärenden', .nomothetischen' Wissenschaften vorgeprägt, in denen man gemäß dem Untersuchungsbereich einen kausalistischen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zur Beschreibungsgrundlage macht. Eine solche Sichtweise operiert mit dem Kriterium der Zwangsläufigkeit. Diese Perspektive hat man stillschweigend bei der Adaption des Wirkungsbegriffs auf kommunikative Zusammenhänge übernommen, wovon gerade das behavioristische Stimulus - Response-Modell zeugt, das, gestützt auf wissenschaftsgeschichtlich so einflußreiche Metaphern (vgl. Lakoff/Johnson 1980; Krippendorff 1994) wie den ,Transport von Kommunikationseinheiten' eine lineare IrlÜbertragung von Kommunikationsinhalten zwischen dem Sender und dem Empfanger einer Botschaft annimmt: Das, was ein Sprecher in einer Äußerung zum Ausdruck bringt, wird in genau der beabsichtigten Weise von dem Hörer aufgenommen. Die Konsequenzen eines

181 solchen Wirkungsbegriffs liegen auf der Hand: Die Effektivität sprachlicher Äußerungen gilt als logische Konsequenz ihrer inhärenten Allmacht; der Sprecher muß nur die richtigen Worte finden, und schon hat er - gerade in der massenmedialen Kommunikation, die keine direkte Interaktion zuläßt - den Hörer zum willfährigen Objekt konditioniert. V. a. die unter dem Oberbegriff der ,New Rhetoric' firmierenden Untersuchungen sind nachhaltig von dieser Ausgangshypothese beeinflußt gewesen. 40 Der sprachanalytische Betrachtungsfehler besteht darin, daß man zwar in bestimmten Fällen beobachten kann, daß eine persuasive Äußerung erfolgreich ist, daraus aber nicht folgt, daß der Erfolg vorprogrammiert ist. Deswegen sind Vorstellungen von der sprachmagischen Kraft von Äußerungen empirisch unhaltbar. Mit dieser Erkenntnis, daß einer Botschaft nicht losgelöst von der kontextuellen Situation überhaupt irgendwelche Effekte sinnvoll zugeschrieben werden können, haben die .intervenierenden Variablen' als Modiflkatoren des Reiz - Reaktions-Verhältnisses an Bedeutung gewonnen. Aber erst in der modernen Kommunikationsforschung ist man dazu übergegangen, überhaupt die konstitutive Rolle des Adressaten, an den sich ein Sprecher mit einem Persuasionsversuch richtet, systematisch zu berücksichtigen. In gleicher Weise schwindet dann die Bereitschaft, dem Kommunikationsinhalt eine ausschließliche Wirkungsmacht zu bescheinigen, und die lange Zeit vernachlässigte Relevanz des apfK/w-Postulats kommt wieder in den Blick. Die sprachmetaphysisch inspirierte Assoziation kommunikativer Handlungen mit der exakt vollziehbaren Beeinflussung von Bewußtseinszuständen geht viel zu weit; Kommunikation, auch persuasive, ist ein genuin sozialer Prozeß, in dem die beteiligten Handlungssubjekte 40

In der Linguistik hat man sich bislang noch nicht eingehender mit den Implikationen einer konstruktivistischen Kommunikationstheorie beschäftigt, sieht man einmal von Busse (1995) und Härtung (1997) ab. Eine Ursache mag auch darin liegen, daß die traditionellen Vorstellungen von Sprache als .Abbild der Realität' bzw. von Kommunikation als Informationsaustausch' in diesem Konzept autopoietischer Systeme eine radikale Umwertung erfahren. Der Haupteinwand, der gegen den Konstruktivismus erhoben wird, nämlich, daß er die Existenz einer beobachterunabhängigen Außenwelt leugnet (Searle 1995: 159 charakterisiert diese Position als ,just a non sequitur, a genetic fallacy"), trifft in dieser Form aber nicht zu, sondern beruht laut Roth (1992: 321-322) auf einem Mißverständnis, das er durch die Differenzierung von Realität und Wirklichkeit zu klären versucht. M. E. können insbesondere pragmalinguistische Fragestellungen durchaus von konstruktivistischen Positionen profitieren, indem sie darüber reflektieren, daß man nicht mit vorgefertigten Sprachbausteinen handelt, sondern die Funktionalität von Sprache durch ihren Vollzug begründet wird und bei der kommunikativen Konstruktion von Wirklichkeit - als Ändern von Weltzuständen - das traditionelle Sprecher - Hörer-Modell durch das dialogische Spl - Sp2Modell ersetzt werden muß. Der von Busse (1995: 260) erhobene Einwand, insbesondere der Radikale Konstruktivismus betone als „Überreaktion gegenüber allen ontologisierenden Sprachtheorien" die „sprachbenutzenden Individuen [...], die als nur eigendeterminierte kognitive Systeme gedacht werden, wobei nunmehr die sprachlichen Zeichen [...] am Ende funktionslos dastehen", erscheint nur vor dem Hintergrund akzeptabel, daß die von S. J. Schmidt bereits frühzeitig dargelegte Charakterisierung des Subjekts hinsichtlich seiner sozialen Einbindung (vgl. Schmidt 1990: 31) in der Folgezeit stärker ausgearbeitet worden ist, vgl. z. B. Schmidt (1995: 239).

182 bemüht sind, ihre Intentionen sinnhaft aufeinander zu beziehen. Auch wenn das interaktionale Moment fehlt, der Rezipient also nur als Sp2 in einem virtualisierten Dialog fungiert, wird man nicht umhin können, ihn als eigenständigen Sprachspielteilnehmer aufzufassen. In einem sehr trivialen Sinn zeitigt sprachliches Handeln stets Wirkungen - wenigstens diejenige, daß Sp2 weiß, daß Spl einen lokutionären Akt vollzogen hat. Wirkungen als erfüllte Erfolgsbedingungen stellen sich demgegenüber weniger selbstverständlich ein. Die Gründe hierfür sind ebenso vielfältig wie rezipientenabhängig. Rein formal betrachtet haben sie jedoch allesamt mit der prinzipiellen Bereitschaft des Individuums zu tun, sich (1) mit dem Kommunikationsangebot auf die eine oder andere Weise auseinanderzusetzen sowie (2) daran anknüpfend eine zustimmende oder ablehnende Haltung zu entwickeln. Diese Bedingung der Involviertheit zeigt, daß die vollzogenen Äußerungen erst dann als .kommunikativ' gelten können, wenn Sp2 sie mit seinen kognitiven Voraussetzungen als (relevante) Information interpretiert, wobei die durch Spl antizipierte und die durch Sp2 vorgenommene Informationsverarbeitung keineswegs zwingend kongruieren. Die grundsätzliche Möglichkeit dieser Differenz markiert die Unterscheidbarkeit von effizienter und effektiver Kommunikation, intendiertem und faktischem perlokutionären Effekt, perlocutionary object und sequel. Daß man also jedem Sprecher unterstellen muß, daß er in gewisser Hinsicht kognitiv autonom ist, bildet m. E. das beste Argument gegen eine verfehlte Übertreibung sprachlicher Effektivität. Sprache ist allein dann wirkungsvoll, wenn ihr Gebrauch durch Spl der Involviertheit des Sp2 entspricht. Dies besagt die eingangs konstatierte Formel von der Kontingenz perlokutionärer Effekte. 41 D. h. wiederum: allzu voreilige und naive Ursache - Wirkungs-Vorstellungen sind verfehlt. Kommunikative Wirkungen folgen nicht einem Kausalitätsprinzip (vgl. Halff 1998: 182 Fn. 151), sondern beruhen auf dem Moment der Reflexivität als Voraussetzung der menschlichen selektiven Informationsverarbeitung (vgl. Merten 1999: 18-19): [...] Es sind eben nicht die absoluten Qualitäten der Stimuli, sondern die selektiven Operationen, die auf diese aufgesetzt werden, die für Wirkungen verantwortlich zu machen sind. Es kann keine Bedeutung von Stimuli a priori geben, sondern diese werden selektiv erzeugt. (Ebd.: 355) Die Involviertheit eines Individuums ist in der Kommunikationspsychologie namentlich in Form des Elaboration Likelihood Model (ELM) (vgl. Petty et al. 1994) thematisiert worden. Das Modell postuliert, daß Personen im Prinzip auf zwei Arten Einstellungen zu Themenobjekten ausbilden; im ersten Fall beruhen ihre Überzeugungen auf bewußt-reflektiver kognitiver Konstruktion, d. h. Verarbeitung von themenrelevanten Informationen, im zwei41

Rothermund (1994: 60) hält mit Rekurs auf die Synergetik fest: ,,[...][M]an kann nur dann wirkungsvoll handeln, wenn man in einer Phase der ,kritischen Fluktuation' buchstäblich den Ausschlag gibt." Diese .kritische Fluktuation' korrespondiert m. E. direkt mit dem kairös und somit dem apiwm-Postulat. Vgl in diesem Zusammenhang auch Willke (51996: 165), dem zufolge das „Verhältnis von Handlung und System [...] vielfach gebrochen [ist]".

183 ten Fall ist die kognitive Konstruktionsleistung weniger elaboriert. Petty et al. (ebd.: 115) arbeiten hier mit dem Bild der „central" bzw. der „peripheral route to persuasion".42 Auf die Wirkungsaussichten persuasiver Kommunikation bezogen heißt das: Faktisch entscheidet nicht die Qualität der persuasiven Äußerung ,fiir sich' über ihre Erfolgschancen, sondern die Art der Informationsverarbeitung durch den Sp2. Die Elaborationsleistung ist dabei nicht ausschließlich von der kognitiven Gesamtkapazität eines Individuums abhängig, sondern von seiner Motivation, sich mit dem in der Persuasion thematisierten Objekt zu beschäftigen.43 Mißt man der Frage, ob das X-en/X positiv ist oder nicht, in seinem lebensweltlichen Zusammenhang eine hohe Relevanz bei, wird man die persuasiven Bemühungen des Dialogpartners intensiver/bewußter zur Kenntnis nehmen, eine argumentative Struktur (re-) konstruieren und einschätzen, als wenn der persuasiv verhandelte Gegenstand für das Individuum keinen so hohen Relevanzwert hat. In diesen Situationen spielen Entlastungsmechanismen bei der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle, denn [...] it is neither adaptive nor possible for people to exert considerable mental effort in thinking about all of the persuasive communications to which they are exposed [...] (ebd.: 118).

Daraus läßt sich ableiten, daß die Effizienz des persuasiven Strategiemusters darin besteht, daß Spl bei der Antizipation möglicher negativer Reaktionen auf den ISPA ein ganz bestimmtes ,Bild' von Sp2 entwirft: Vermutet er einen stark involvierten Dialogpartner, muß er damit rechnen, daß das Strittigkeitspotential des ISP As so stark ausgeprägt ist, daß er im Zuge der reflexiven Konstellation selbst eine erhöhte Elaborationsleistung erbringen muß, um bei Sp2 Konvergenz herbeizuführen. Geht er dagegen von einem schwach involvierten Dialogpartner aus, muß er dagegen sein Hauptaugenmerk darauf richten, den ISPA - infolge der motivationsabhängigen selektiven Wahrnehmung durch Sp2 - möglichst auffällig und eingängig zu vollziehen bzw. abzustützen. Insbesondere die häufig kritisierte Oberflächlichkeit der massenmedialen Persuasion hängt damit zusammen, daß infolge des wachsenden Informationsangebots die Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten immer geringer 42

43

Vgl. auch Fazio/Roskos-Ewoldsen (1994: 82), die sich an einer ähnlichen Einteilung (die sogenannte „theory of reasoned action" und das „attitude-to-behavior process model") orientieren und zu vergleichbaren Ergebnissen gelangen: „In sum, when the situation both motivates the individual to consider his or her action carefully and allows the individual the opportunity to do so, the process described in the theory of reasoned action may occur. Attitudes would affect behavior by being one of the elements that the individual actively considers in arriving at a behavioral plan. Without such motivation or opportunity, the model of the attitude-behavior process appears applicable." (Ebd.: 89) Insofern könnte man faktisch zwei Typen von .Relevanz' in der Kommunikation unterscheiden, und zwar zum einen den Bezug einer Äußerung zu den Gelingensbedingungen in Form von Kohärenz - diesen Aspekt scheinen Sperber/Wilson (1986) im Auge zu haben zum anderen die in der Involviertheit des Sprachspielteilnehmers begründete Wahrscheinlichkeit, daß die Erfolgsbedingungen einer Äußerung erfüllt werden. Auf diese zweite Form der Relevanz scheint auch Pander Maat (1990: 164) mit der Formel „lezen ,om te X-en'" hinzuweisen.

184 wird und man zudem, gerade angesichts der Disparität und Heterogenität der potentiellen Rezipientenschicht, nicht von einer bewußt-reflektierten Elaborationsleistung ausgehen kann - besonders dann nicht, wenn der angestrebte persuasive Effekt in erster Linie quantitativ definiert ist, man möglichst viele Rezipienten zu einer Handlung überreden bzw. von einer Wertung überzeugen will.44 Dementsprechend läßt sich die strategische Qualität persuasiver Effizienz im massenmedialen Diskurs danach bemessen, inwiefern der Kommunikator (z. B. eine politische oder ökonomische Institution) Informationsangebote (in Form von Textsorten oder Textkosmoi) bereitstellt, mit denen auf die variierende Involvierung des jeweiligen Rezipienten eingegangen wird. Darin besteht m. E. auch der Unterschied zwischen Werbung und PR: eine WERBEANZEIGE appelliert zuallererst an die periphere' Route der Informationsverarbeitung. Ein involvierter Rezipient wird sich damit jedoch kaum zufriedengeben und aktiv weitergehende Informationen zu der betreffenden Institution suchen. In dem Maß, in dem sie diesbezüglich Transparenz über die eigene Funktionsweise kommuniziert, erfüllt ihre Eigendarstellung das Kriterium der auf die .zentrale' Informationsverarbeitung abzielenden persuasiven Effizienz. Es ist also - wiederum gemäß dem Ziehharmonika-Effekt - ohne weiteres möglich, auch unterschiedliche Textsorten bzw. Textkosmoi als Konstituenten einer komplexeren persuasiven Strategie einzuordnen, d. h. eine auf das einzelne Realisat begrenzte Sichtweise zu erweitern. So gesehen lassen sich dann beispielsweise WERBEANZEIGEN als POLARISIERENDE sowie IMAGEBROSCHÜREN,

KUNDENZEITSCHRIFTEN O. ä. als PROFILIERENDE Maßnahmen eines umfangreicheren per-

suasiven Strategiemusters auffassen. Entscheidend ist schließlich nicht die ,objektive' Gestalt eines Einzeltextes, sondern dessen funktionaler Kommunikationsbezug.

5.2.2 Externe Bedingungen So notwendig die Betrachtung musterinterner Bedingungen für die Analyse konkreter Kommunikationsrealisate auch ist, bedarf sie doch einer Einbettung in den situativen Kontext, in dem die Beteiligten nach dem Muster handeln. Diese externen Bedingungen stellen heuristisch gesehen das Bindeglied zwischen dem Muster und dem Realisat dar, zwischen ,Kompetenz' und ,Performanz'. Selbstverständlich sind diese Bedingungen nicht in einer abgeschlossenen Liste von Parametern a priori zu katalogisieren, sondern spielen immer im konkreten Einzelfall eine Rolle. Aus diesem Grund fällt die Diskussion der externen Bedingungen hier zwangsläufig impressionistisch aus, und zwar in Form von Aufzählungsvor44

Die von Wolf (1998: 53) beobachtete Verkürzung des persuasiven Sprachspiels im politischen Diskurs, der zufolge argumentative Sequenzen i. a. nicht über den dritten Zug hinaus entwickelt werden, liegt zu einem beträchtlichen Teil in diesen massenmedialen Kommunikationsbedingungen begründet.

185 schlagen möglicher relevanter situativer Aspekte, die zweifellos bei der Detailarbeit auch modifiziert zu betrachten wären. Ein für das persuasive Strategiemuster besonders wichtiger Bedingungsaspekt betrifft die sozialen Beziehungen zwischen Spl und Sp2, deren Qualität die Effektivität der kommunikativen Bemühungen nachhaltig beeinflußt. Hier geht es v. a. um den Zusammenhang zwischen den sozialen Rollen und den Beziehungen der Kommunikationspartner (vgl. Adamzik 1994: 364-365). Die jeweiligen Rollen, die eine Person einnimmt - z. B. Lehrer, Abteilungsleiter, Vereinsmitglied, Mutter - , eröffnen ihr eine besondere Auswahl an Kommunikationsmöglichkeiten, die charakteristisch für das konventionelle Sprachspiel im allgemeinen sind. Dadurch, daß gewisse Sprechakte, speziell im institutionellen Bereich, nicht allen Teilnehmern des Sprachspiels zur Verfügung stehen, manifestieren sich bereits in den Sprechhandlungen soziale Unterschiede. Ein Schüler ist nicht berechtigt, von dem Lehrer die Anfertigung einer Hausarbeit zu verlangen, ein Teamspieler muß gewöhnlich dem Trainer die Entscheidung überlassen, ob er in einem Wettkampf zum Einsatz kommt. Diese vorgegebenen Möglichkeiten, Sprechakte zu äußern, indizieren somit soziale Hierarchien.45 Derartige Unterschiede wirken sich auch auf zweckbestimmte Dialoge aus. Im Anschluß an Adamzik (1984: 129-130) kann man hier die starre Dichotomie symmetrisch' - .asymmetrisch' abschwächen und eher graduelle Übergänge in der sozialen Distanz annehmen. Auf diese Weise läßt sich das Konzept der sozialen Beziehungen in der Dimension der horizontalen und vertikalen Distanz präzisieren. D. h., die Relationen zwischen zwei Sprechern werden zum einen nach ihrem Vertrautheitsgrad, zum anderen nach ihrem Rang in der sozialen Hierarchie transparent. Auf das persuasive Sprachspiel bezogen hieße das, daß Sp2 beispielsweise die Wertungsdivergenz, z. B. eine HANDLUNGSVERWEIGERUNG, einem vertrauten Kollegen gegenüber weit expliziter vollziehen kann als gegenüber seinem Vorgesetzten. Die vertikale Ebene determiniert vor allem die Dauer und die Erfolgschancen, die horizontale Ebene dagegen den Verlauf, den Gesprächsstil des Dialogmusters. Aus der Sicht des Spl ist eine große vertikale Distanz zum Sp2 (soziale Dominanz von Spl) und/oder eine geringe horizontale Distanz die optimale Gesprächssituation. Selbst wenn Spl ein nicht-bindendes Aufforderungsspiel initiiert, dürfte Sp2 Schwierigkeiten haben, seine Ablehnung kategorisch vorzubringen, wenn der Spl eine höhere soziale Position bekleidet. Sofern die horizontale soziale Distanz zwischen den Interaktanten gering ist, ist Spl gewöhnlich über die Wertvorstellungen von Sp2 informiert, was den Vollzug der Strategie erleichtert, die Möglichkeiten von Sp2, Argumente gegen die Handlung anzufüh-

45

Vgl. v. a. die Klasse der deklarativen Sprechakte in Searles (1979b: 16-20) Überlegungen: Aufgrund ihrer institutionellen Verwendungskontexte schlägt eine derartige Sprechhandlung schon fehl, wenn der Sprecher nicht berechtigt ist, sie zu äußern.

186 ren, also erschwert.46 Umgekehrt sind die Aussichten auf einen erfolgreichen Persuasionsversuch am ungünstigsten, wenn Sp2 einen höheren sozialen Rang innehat bzw. die horizontale Distanz beträchtlich ist. Hier stehen Sp2 andere Möglichkeiten zur Verfügung, ggf. auf seiner Wertungsdivergenz zu insistieren. Je länger eine gemeinsame Kommunikationsgeschichte zwischen den Sprechern besteht, desto geringere Schwierigkeiten bereitet Spl die Antizipationsleistung im allgemeinen sowie die PROFILIERUNG im besonderen. Die Herstellung einer kongruenten Situationsdefinition ist damit das vordringliche Anliegen, und zwar um so mehr, wenn die horizontale soziale Distanz stärker ausgeprägt ist.47 Gerade deswegen ist die massenmediale Persuasion ein besonders riskantes Unterfangen, da das dialogische Sprachspiel notwendigerweise virtualisiert ist und die Teilnehmer (Spl als Kommunikator, Sp2 als Rezipient) sich voll und ganz auf Imagekonstruktionen voneinander verlassen müssen. Ist diese Konstellation schon eine unsichere Angelegenheit, wird sie noch durch die weiteren medialen Kommunikationsbedingungen (Medienart, Rezeptionsintensität, -dauer etc.) vollends unberechenbar. Die Effizienz der massenmedialen Persuasion beruht unter diesen Umständen darauf, mögliche Reaktionen einer womöglich völlig heterogenen Rezipientenschicht zu antizipieren und da dies nicht möglich ist, bleibt kaum noch eine andere Möglichkeit, als die plausible POLARISIERUNG durch den konnotativen Gebrauch von Abstrakta sicherzustellen, die der konkrete Rezipient durch Inferenzleistungen individuell zu aktualisieren hat.48 Das Fehlen der interaktionalen Komponente läßt eine semantische Aushandlung, anders als beim konnotativen POLARISIEREN in Gesprächen, eben nicht zu.

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Vgl. Sager (1981: 316; 346), der die Relationen der Sprecher unter handlungstheoretischer Perspektive als „Kontakt" bezeichnet und in diesem Zusammenhang auf die sogenannten „connexiven Akte" verweist, mit denen diese Kontakte im Gespräch thematisiert werden. Ihre Teilklasse „Distanz-Connex" determiniert z. B. die Art der Interaktion, den ,Stil' des Gesprächs; je nach Art der Distanz ergeben sich charakteristische Zugmöglichkeiten. Spl kann einem vertrauten Sp2 gegenüber etwa äußern: Du kannst x überhaupt nicht ablehnen. Dafür kenne ich dich viel zu gut. Die Verringerung dieser Distanz scheint mir auch der Zweck der im NLP propagierten Technik des pacing zur Erzeugung von Rapport (vgl. Ötsch/Stahl 1997: 147, 161-162, 179-181) zu sein - eine keineswegs unproblematische Konzeption, da sie, ausgehend von der Rollenkonstellation .Therapeut - Klient', die Reflexivität sprachlichen Handelns in anderen Sprachspielen schlicht ausblendet. So gesehen stellt die fortgesetzte Ausdifferenzierung und Definition von Zielgruppen ein Bemühen dar, die Kontingenz der perlokutionären Effekte zu reduzieren - freilich ohne sie vollständig ausschalten zu können, wovon insbesondere die Werbewirtschaft profitiert.

187 5.3

Die Konventionalität der Strategiemittel

Die Beschreibung eines Handlungsmusters - gleichgültig, welcher Ordnung - ist erst komplett, wenn über die Handlungsmittel reflektiert wird, die unter bestimmten Bedingungen einem Zweck dienen. Im Fall eines komplexen Sequenzmusters, bei dem die Sprecher zudem häufig die Inferenzleistungen ihrer Dialogpartner bemühen, ergeben sich besondere Probleme, von der die Analyse singulärer Sprechhandlungen absehen kann, um eine relativ klar abgrenzbare Liste semantischer Untermuster' als Bindeglieder zwischen kognitivem Sprechakttyp und konkretem Äußerungsrealisat präsentieren zu können (vgl. instruktiv Hindelang 1978: 142-174). Hier handelt es sich um eine im Rahmen der orthodoxen Theorie zwar sinnvolle, faktisch aber künstliche Reduktionsstrategie, mit der man die prinzipiell unüberschaubare Menge aller kommunikativen Äußerungen in den Griff zu bekommen versucht. Die sprachlichen Handlungsmittel, die Äußerungsformen, sind aufgrund ihres Bedeutungspotentials Realisate eines Handlungsmusters. So lapidar sich diese Feststellung auch ausnimmt, so kompliziert sind ihre Konsequenzen, nehmen doch unterschiedliche Teildisziplinen der Linguistik den Bedeutungsbegriff für sich in Anspruch.

5.3.1 Bedeutung, Sinn und Gebrauch Grundsätzlich ist der Vorgang, von der Bedeutung eines Wortes oder einer Äußerung zu reden, ein Beobachtungsakt: Indem z. B. ein Linguist sprachlichen Einheiten eine bestimmte Bedeutung attestiert, verleiht er sie ihnen. Entscheidende Unterschiede ergeben sich nun, zu welchen analytischen Zwecken das geschieht. Letztlich geht es dabei um zwei unterschiedliche Fragestellungen: (a) Was versteht man unter möglichst neutralen Kontextbedingungen unter einem Wort/einer Äußerung? 49 (b) Was versteht man in Anbetracht vorliegender Kontextbedingungen unter einem Wort/einer Äußerung? Die Frage (a) gehört in den Bereich der traditionellen Lexikalischen Semantik bzw. der Semantik von Äußerungsbedeutungen. Gewöhnlich unter Zuhilfenahme von Konzepten wie Usualität, Denotation und Literalität tendieren diese Ansätze dazu, den Bedeutungsbegriff vorrangig auf fixierte sprachliche Einheiten zu beziehen, die Einbindung von Sprache in soziale Handlungsprozesse weitgehend außer Acht zu lassen, um auf diese Weise Auf49

Wie Searle (1979d: 120) darlegt, kann man sich schwer einen Nullkontext ohne Hintergrundannahmen denken.

188 Schluß über konstante semantische Charakteristika des Materials zu gewinnen (BedeutungO. (b) repräsentiert demgegenüber eine Beobachteroperation, die nicht mit einem sprachsystemischen Bedeutungsverständnis operiert, sondern von Bedeutung im jeweiligen Gebrauchsfall spricht (Bedeutung2). Beide Sichtweisen sind relativ zu dem verfolgten Erkenntnisinteresse legitim und bereiten nur dann Probleme, wenn der linguistische Beobachterstatus nicht ausreichend reflektiert wird, man also bei dem Rekurs auf den Bedeutungsbegriff diese beiden Beobachteroperationen verwechselt. Symptomatisch dafür ist die Diskussion, inwiefern die Bedeutung sprachlicher Einheiten mit ihrem Gebrauch gleichzusetzen ist oder nicht. Diese Frage ähnlich wie diejenige, ob es überhaupt so etwas wie eine ,Gebrauchstheorie der Bedeutung' gibt (vgl. Rolf 1992) - verdankt ihre Brisanz reinen Scheinproblemen. Der perspektivische Irrtum im linguistischen Umgang mit sprachlicher Bedeutung wird besonders deutlich, wenn man im Umgang mit (b) Grundannahmen aus (a) importiert, also die Lesart Bedeutung2 mit Bedeutung] verwechselt. Der Erwerb einer Sprache L beruht darauf, daß in einem kognitiven System Wissensbestände über L akkumuliert und strukturiert werden. Diese Bestände lassen sich mit verschiedenen linguistischen Modellen repräsentieren - etwa als Lexikon, das das Inventar eines Sprachsystems (Phoneme, Morpheme, Lexeme, Syntax) abbildet. Nun ist jedoch der Vorgang des Spracherwerbs ein gewichtiger Sozialisationsfaktor; kein natürlicher Sprecher gewinnt seine Kenntnisse über L in irgendeiner der inneren Logik der linguistischen Beschreibung folgenden Weise. Vielmehr erwirbt man eine Sprache, indem man in einer Sprechergemeinschaft L aufwächst, (wie) selbstverständlich an dem Vollzug von Sprachspielen partizipiert. Die Kenntnisse über L sind somit notwendigerweise unbewußt; sie erweisen sich, indem man - nach und nach - eine aktive Rolle innerhalb der Sprechergemeinschaft spielt, d. h. im Vollzug seines sprachlichen Handelns Regeln befolgt. Das Regelbefolgen als knowing how läßt sich nur dann sinnvoll diskutieren, wenn man die im lebenspraktischen Zusammenhang unbewußte Kenntnis eigens auf einer sprachlichen MetaEbene thematisiert. So gesehen ist es die Aufgabe der Linguistik, auf dieser Meta-Ebene Kenntnisse über Kenntnisse herzustellen, knowing how in knowing that (vgl. Ryle 1969: 27-35) sprachlich zu transformieren. Die Explizierung als Bewußtmachung des Regelbefolgens beruht damit auf einem Abstraktionsvorgang. Auf das Problem der ,Bedeutung' bezogen heißt das: Nach der Bedeutung sprachlicher Einheiten zu fragen, heißt, eine Regel formulieren zu wollen, die man herkömmlicherweise befolgt. Ohne den Gebrauch ist Bedeutung überhaupt nicht hinterfragbar. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber unglücklicherweise neigt man noch immer häufig dazu, den Abstraktionsprozeß zu unterschlagen und die ermittelte Bedeutung in

189 einem sprachmetaphysischen Sinn mit der Bedeutung ,an sich' zu identifizieren.50 Darunter faßt man dann i. d. R. die ,wörtliche Bedeutung' eines Ausdrucks/einer Äußerung. Bei der linguistischen Beschäftigung mit kommunikationsanalytischen Fragestellungen ist dieser Vorgang äußerst kontraproduktiv: die vom Gebrauch abstrahierte Bedeutung, die schließlich etwas Sekundäres darstellt, wird auf einmal zum Ausgangspunkt gewählt, um wiederum Gebrauchsphänomene zu erläutern - so, als folge der Gebrauch eines Wortes der abstrakten Bedeutung und nicht umgekehrt. Ein Blick auf die sprachliche Praxis macht bereits deutlich, daß es sich nicht so verhält: Ein Wörterbuch zu erstellen heißt auf den Sprachgebrauch zu reagieren. Umgekehrt erlernt zumindest ein native Speaker seine Sprache nicht aus Wörterbüchern, die „nur für bereits Orientierte brauchbar" (Köck 21988: 370) sind.51 Zusammengefaßt heißt das: Für den Vollzug sprachlicher Kommunikation ist es entscheidend, daß Sprecher das, was sie meinen, aufeinander abstimmen. Es spielt dagegen keine funktionale Rolle, ob das sogenannte Gesagte mit dem sogenannten Gemeinten übereinstimmt oder nicht, denn diese Unterscheidung ist für die Erfassung komplexer dialogischer Zusammenhänge nicht geeignet. Damit keine weiteren terminologischen Unklarheiten provoziert werden, wird im Folgenden der Rekurs auf Gebrauchsphänomene (i. S. der Lesart Bedeutung2) mit der etwas weniger schillernden Vokabel ,Sinn' vorgenommen. Dann läßt sich feststellen, daß sich eine Bedeutungstheorie um so weniger an dem Sinn einer Äußerung interessiert zeigt, je entschiedener sie die Konzepte .Gebrauch' und .Bedeutung' auseinanderhält, also die Lesart Bedeutung! zugrunde legt. Der Sinn einer Äußerung ist ihre kommunikative Bedeutung. Bei der Verwendimg des Begriffs bieten sich bislang ungenutzte dialoggrammatische Anschlußmöglichkeiten, denn eine Äußerung hat nur dann einen Sinn, wenn sie als Gesprächszug funktional dazu beiträgt, eine dialogische Handlungssequenz zu initiieren oder zu prozessieren.52 Was man sich kommunikationstheoretisch unter dem Sinn einer Äußerung vorstellen kann, läßt sich

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Vgl. das besonders pointierte Diktum von Russell (1997: 300): [...][T]he use cornes first, and the meaning is distilled out of it." Einwände gegen den „Proper Meaning Superstition" (I. A. Richards 1965: 11) sind auch im Bereich der Linguistik wiederholt - und eher beiläufig - vorgebracht worden; v.Polenz ( 2 1988: 301) spricht von der „weitverbreiteten traditionellen SemantikIdeologie", Somig (1986: 250) weist daraufhin, „daß die Stabilität der Bedeutung von Wörtern und Sätzen eine Fiktion der Semantiker ist". In dieselbe Richtung geht Jablonkas (1996: 94) Argumentation. Die Relevanz dieser veränderten Sichtweise ist im lebenspraktischen Zusammenhang besonders für therapeutische Maßnahmen im Bereich der Aphasie offenkundig, vgl. Pulvermüller (1990: 151). Wie noch näher auszufuhren sein wird, besteht darin die entscheidende konzeptionelle Revision der Sprechakttheorie, die die abstrakte Bedeutung eines illokutionären Akts, nicht aber seinen Sinn erfaßt. Diese Revision des begrifflichen Instrumentariums übersehen gerade die konversationsanalytischen Kritiker der Dialoggrammatik geflissentlich.

190 im Anschluß an Luhmanns (21988: 93-94) Adaption des Husserlschen Sinnverständnisses entwickeln: Das Phänomen Sinn erscheint in der Form eines Überschusses von Verweisungen auf weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns. Etwas steht im Blickpunkt, im Zentrum der Intention, und anderes wird marginal angedeutet als Horizont für ein Und-so-weiter des Erlebens und Handelns. [...] Die Gesamtheit der vom sinnhaft intendierten Gegenstand ausgehenden Verweisungen gibt mehr an die Hand, als faktisch im nächsten Zuge aktualisiert werden kann. Also zwingt die Sinnform durch ihre Verweisungsstruktur den nächsten Schritt zur Selektion [...]: Sinn stattet das je aktuell vollzogene Erleben oder Handeln mit redundanten Möglichkeiten aus. (Hervorhebungen i. O.)

Daraus kann man ableiten, daß der Sinn einer Äußerung allein relational ersichtlich ist, und zwar im Hinblick auf eine weitere Äußerung, die zu ihr in einem sequentiellen Zusammenhang steht. Der Äußerungssinn stellt sich für einen Sprecher dadurch her, daß er eine Auswahl aus einer Menge von Themen und Äußerungsformen trifft, und der Gesprächspartner selektiert daraufhin wiederum seine Verständnisstrategie. Die Kohärenz von Gesprächsbeiträgen drückt die fortgesetzte Unterscheidung innerhalb der Kommunikation aus, wie man etwas möglicherweise zum Ausdruck bringt und es tatsächlich tut bzw. analog dazu, wie man etwas möglicherweise versteht und es tatsächlich tut. An einem Gespräch teilzunehmen heißt eine Einsicht zu zeigen, wozu es dient; eine Äußerung zu verstehen heißt sie als funktionalen Beitrag innerhalb eines Zweckgefüges aufzufassen. Ebenso stehen jedem Sprecher mehrere Alternativen zur Verfügung, auf einen kommunikativen Beitrag zu reagieren. Der Sinn eines Negativen Bescheides liegt nicht zuletzt darin, daß Sp2 rein hypothetisch auch einen Positiven Bescheid oder einen nicht-definiten Sprechakt hätte äußern können, und dieser ,Sinnüberschuß' ist es letztlich auch, der den sequentiellen Charakter von Kommunikation prozessiert. Initiiert Spl eine Sequenz mit der Äußerung (57) Hast du eigentlich schon abgewaschen?,

mag ihm der Sinn zwar klar sein; um kommunikativ sein zu können, muß sie Sp2 aber in irgendeiner Weise verstehen, was die Auswahl seines Anschlußzuges ausdrückt, z. B. (58) Nein, noch nicht, tut mir leid, was Spl ggf. korrigieren kann: (59) Das habe ich nicht gemeint. Ich wollte gerade anbieten, daß ich heute abwasche.

Deshalb ist der illokutionäre Stellenwert eines ISPA erst retrospektiv anhand der Kohärenz des Dialogverlaufs ermittelbar. Solange ein Sprecher in Dialogzug n keine metakommunikativen Einwände gegen das auf seinen Dialogzug n-2 gezeigte Verständnis seines Dialogpartners erhebt, das in Dialogzug n—1 zum Ausdruck kommt, müssen beide Sprachspiel-

191 teilnehmer davon ausgehen können, daß gegenseitiges Verständnis besteht. Auf interaktionalem Weg kommt Verständigung dadurch zustande, daß Sp2 eine von Spl hervorgebrachte Lautfolge als eine Äußerung mit einer bestimmten Handlungskraft versteht und daraufhin eine seiner Ansicht nach passende, .sinnvolle' Lautfolge produziert. Aus dieser kann Spl dann schließen, inwiefern ihn Sp2 verstanden hat und die Auswahl weiterer Lautfolgen vornehmen. Die Grundlegung interaktionaler Kommunikation beruht eben nicht auf einer Zweier-Sequenz - kommunikationstheoretisch fundiert betrachtet ist Verständigung m. E. das Resultat dessen, was Schneider (1994: 178-179) als Dreier-Sequenz beschreibt oder Weigand (2000: 14) als doppelte Zweier-Sequenz restrukturiert.53 Analoges gilt für die textuelle Kohärenz: Eine schriftliche Äußerung weist zunächst mehr Verständnismöglichkeiten auf als allein diejenige, die dann jeweils durch die Anschlußäußerung aktualisiert wird. Die gerade für das Verstehen von Äußerungen relevante Frage lautet nun, inwiefern man von der Konventionalität sprachlicher Handlungen sinnvoll sprechen kann.

5.3.2 Konventionalität vs. Intentionalität In der Pragmalinguistik spielt der Konventionsbegriff eine zwielichtige Rolle; auf der einen Seite wird kaum emsthaft in Abrede gestellt, daß sprachliches Handeln als soziale Praxis notwendigerweise auf Konventionen beruht, auf der anderen Seite wird kaum eingehend erörtert, was es nun eigentlich genau mit der Konventionalität des Sprachgebrauchs auf sich hat. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit ist das Konzept v. a. mit Searles Kritik an H. P. Grices ,intentionalistischer' Kommunikationsauffassung gerückt. Die Diskussion soll hier nicht noch einmal detailliert nachgezeichnet (vgl. Harras 1983; Rolf 1994; Ulkan 1997), sondern auf die für das vorliegende Interesse wesentlichen Aspekte hin betrachtet werden. Grices Grundmodell lautet: 53

Diesen Gedanken vertritt z. B. das Genfer Modell der Gesprächsanalyse mit der Konzeption von der „completude interactionelle" als „contrainte du double accord" (Moeschier 1994: 73; Hervorhebungen i.O.). Vgl. auch in der britischen Diskursanalyse die Revision des Sinclair/Coulthardschen Ansatzes in Form der Regel: E(xchange) I(nitiation) R(esponse) F(eedback) (vgl. Lörscher/Schulze 1994: 65). Besonders in soziologischen Denkmodellen ist diese Auffassung klar herausgearbeitet worden. Man vergleiche z. B. Max Webers Konzept des .Einverständnishandelns' (Weber 6 1992: 129-130), das Feilke (1994: 79) kommunikationstheoretisch so zusammenfaßt: „Entscheidend ist allein die das Anschlußverhalten bestimmende selektive Wirkung der Äußerungsform." Interessanterweise verweist Luhmann ( 2 1988: 197) in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem triadischen Kommunikationsverständnis (.Information - Mitteilung - Verstehen') auf Austins Unterscheidung von .lokutionärem - illokutionärem - perlokutionärem Akt'. Diese kommunikationstheoretischen Möglichkeiten der Sprechakttheorie sind von Searle aber gerade nicht weiterverfolgt worden.

192 ,U meant something by uttering x' is true iff, for some audience A, U uttered x intending: (1) A to produce a particular response r (2) A to think (recognize) that U intends (1) (3) A to fulfill (1) on the basis if his fulfillment of (2). (Grice 1989c: 92; Hervorhebungen i. O.) Grice assoziiert demnach Kommunikation mit einem Bewirkungsversuch; Spl äußert etwas, um damit bei Sp2 eine bestimmte Reaktion hervorzurufen, was dieser auch erkennen soll. Anders formuliert: Das Grundmodell konzipiert einen Kommunikationsversuch als das Zuverstehengeben einer Intention - dessen, was der Sprecher meint. Hier stehen laut Grice (1989d: 118) dem Sprecher zwei Möglichkeiten zur Verfügung: er kann das Gemeinte direkt sagen oder es implikatieren; Sagen und Meinen können, müssen aber nicht zusammenfallen. 54 Das Gesagte ist damit ein Phänomen der kontextunabhängigen, .wörtlichen' Bedeutung, wohingegen das per Implikatur Inferierte kontextgebunden ist, also auf den Sinn verweist. Gegen das Grundmodell sind nach und nach Kritikpunkte vorgebracht worden, denen zufolge die Intentionsbedingungen nicht hinreichend sind. 55 Das Grundmodell schließt die Möglichkeit nicht aus, daß ein Sprecher zwar eine bestimmte Absicht zu verstehen gibt, tatsächlich aber eine ganz andere Absicht verfolgt, die nicht durchschaut werden soll. Um diese Möglichkeit auszuschließen, fordern .Revisionisten' die prinzipielle Offenheit der Sprecherintentionen. Da es sich um wechselseitiges Wissen handelt, kranken derartige Modifikationsvorschläge an der von Kemmerling (1986: 139) treffend so bezeichneten „Multiple Intentionitis". Mit jeder Zusatzbedingung, die die Offenheit der Sprecherintentionen verbürgen soll, verstärkt sich jedoch die Tendenz, (a) Intentionalität als psychischen Bewußtseinszustand zu akzentuieren sowie (b) den deskriptiven Ansatzpunkt des Grundmodells unter der Hand in eine präskriptive Haltung zu überfuhren. Auf diese Weise erhält der Kommunikationsbegriff eine ethische Emphase i. S. der .wahren', ,echten' Verständigung zwischen zwei Sprechersubjekten. Searle (1969; 1986) scheint in seiner Kritik an Grice die Gefahr, sprachliches Handeln mit der reflexive Transparenz mentaler Zustände gleichzusetzen, erkannt zu haben. Aus diesem Grund akzentuiert er gegenüber der Intentionalität die Konventionalität sprachlicher Handlungen, um zu berücksichtigen, that one's meaning something when one utters a sentence is more than just randomly related to what the sentence means in a language one is speaking. (Searle 1969: 45) Die Berufung auf die Konventionalität des Sprachgebrauchs ist zweifellos ein wichtiges Korrektiv gegenüber den Revisionen des Grundmodells (vgl. ebd.: 47 Fn.l), die den sozia54

55

So kann man nicht zuletzt auch die Griceschen Konversationsmaximen (vgl. Grice 1989b: 26-27) sowie die Differenzierungen des ,meaning'-Konzepts (vgl. Grice 1989c: 88-91) verstehen. Die eindrucksvollen Belege sprachphilosophischer Imaginationskraft sind z. B. in Harras (1983: 138-147) dargestellt.

193 len Charakter der Sprache vernachlässigen: Ein Sprecher versteht seinen Gesprächspartner genau dann, wenn er weiß, welchem Muster die Äußerung in der gegebenen Situation zugeordnet werden kann; er muß keineswegs über diagnostische Fertigkeiten verfugen, mit denen er das Seelenleben des anderen Sprechers per Introspektion erschließen kann. Die Vorzüge dieser Sichtweise treten nicht zuletzt in Searles Ausführungen zu der sincerity condition (vgl. 1969: 62, 65) zutage, die ebenfalls nicht als subjektgebundener Gradmesser für die Handlungscharakteristik einer Äußerung herangezogen wird. Unter den geeigneten Bedingungen gilt eine Äußerung wie (60) Doch, wirklich. Ich verspreche dir hoch und heilig, daß wir am Wochenende ins Kino gehen.

als Vollzug des konventionellen Sprechakts VERSPRECHEN - auch, wenn der Sprecher subjektiv nicht die geringste Neigung verspürt, die angekündigte Handlung auch wirklich auszufuhren. Mit Austin ( 2 1975) ist davon auszugehen, daß bei derartigen infelicities „the act is achieved" (ebd.: 16; Hervorhebung i. O.) bzw. „the Performance is not void" (ebd.: 39; Hervorhebung i. O.). Der mißbräuchliche Handlungsvollzug ist demgemäß nicht auf der Ebene der sozialen Konventionalität problematisch, sondern auf der des individuellen Bewußtseins. Unglücklicherweise krankt jedoch Searles Einwand daran, daß er unter meaning offenbar etwas anderes versteht als Grice: Searle referiert damit allein auf Fälle, in denen Gesagtes und Gemeintes zusammenfallen, legt also die abstrakte, .wörtliche' Bedeutungi, nicht aber den Gebrauch, den Sinn, zugrunde. Das hat zur Folge, daß seine Vorstellung von Konventionalität unangemessen eingeschränkt ist; konventionell ist eine Äußerung laut Searle dann, wenn man ihre Bedeutung versteht, ohne daß es eine Rolle spielt, was ein Sprecher mit ihr beabsichtigt. Auf diese Weise legt er nahe, daß zwischen dem .konventionellen' und dem ,intentionalen' Sprachgebrauch ein gewisses Oppositionsverhältnis besteht. Begünstigt wird diese Sichtweise dadurch, daß Searle in einer vergleichsweise rigiden Manier die Illokution von der Perlokution trennt, d. h. den perlokutionären Aspekt, unter dem man eine sprachliche Handlung beschreiben kann, ausschließlich dem Bereich der ungeregelten Folgen zuschlägt. Nicht von ungefähr fuhrt er den Begriff des illokutionären Effekts als Mittel zur Abgrenzung von dem des perlokutionären Effekts ein: The characteristic intended effect of meaning is understanding, but understanding is not the sort of effect that is included in Grice's examples of effects. It is not a perlocutionary effect. (Searle 1969: 47) 5 6

In dieser Form ist diese Auffassung allerdings kommunikationstheoretisch anfechtbar: Das Äußern einer Lautfolge ist kein Zweck in sich, sondern zielt allemal darauf ab, Weltzustände zu verändern. Da Sprechhandlungen an jemanden gerichtet sind, ist es widersinnig, 56

Vgl. auch Searle (1986: 211).

194 davon auszugehen, man gebe sich bereits damit zufrieden, daß der andere versteht, was die Äußerung bedeutet. Searles Desinteresse an der Perlokution hindert ihn daran, den wichtigen Ansatz Austins, das perlocutionary object vom perlocutionary sequel zu unterscheiden, im Interesse eines fundierten Kommunikationsbegriffs weiter auszuführen. Daß der illokutionäre und der perlokutionäre Effekt nicht identisch sind, ist zwar einleuchtend; Searle vermeidet aber die Frage, inwiefern der illokutionäre Effekt davon abhängig ist, daß man eine Äußerung als Versuch versteht, einen intendierten perlokutionären Effekt herbeizuführen. So erwecken seine Darlegungen stellenweise den Eindruck, als seien es nicht die Sprecher, die sich illokutionärer Akte bedienten, sondern als spreche gewissermaßen der konventionell vorgeprägte Sprachgebrauch durch die Sprachbenutzer. Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß das, was den Vollzug eines Sprechakts charakterisiert, keine Frage von Intentionalität oder Konventionalität ist, sondern sich beide handlungsrelevanten Aspekte gegenseitig bedingen. Die Schwachpunkte der Searleschen Auffassung zeigen sich v. a. in seinen Ausfuhrungen zum Problem der ,indirekten Sprechakte' - also genau der Beispiele, in denen .Gesagtes und Gemeintes' i. S. von Grice divergieren und Inferenzleistungen des Rezipienten erforderlich machen. Searles Vorschlag in diesem Zusammenhang, Sprach- von Gebrauchskonventionen zu unterscheiden (1979c: 49), mutet wie ein hilfloser Versuch an, anhand der bereits kritisierten Trennung von sprachlichem Wissen' und ,Weltwissen' an seinem Konzept der Konventionalität festzuhalten.57 Es gelingt ihm nicht, die Vorstellung der wörtlichen Bedeutung konsequent von der Vorstellung konventionellen sprachlichen Handelns zu trennen. Damit verfallt er dem sprachmetaphysischen Fehler, vom Sprachgebrauch abstrahierte Beobachtungen semantischer Art heranzuziehen, um wieder den Sprachgebrauch zu erhellen. Konventionalität erscheint so als ein Mechanismus, der die Bedeutung einer Äußerung hinsichtlich ihrer Sprechaktcharakteristik festlegt. Dann stellt sich jedoch das Problem ein, inwiefern man noch klar zwischen einer Äußerung als Realisat und einem Sprechakt als Typ unterscheiden kann; gerade die Ausführungen zu den indirekten Sprechakten machen deutlich, daß die Differenzierung zwischen einem konventionellen Handlungsmuster und einem im Einzelfall herangezogenen Handlungsmittel nicht durchgehalten wird. Damit unterliegt man m. E. denselben Prinzipien, auf denen auch der .deskriptive Fehlschluß' (vgl. Austin 21975: 3, 100) beruht.58 57

58

Vgl. auch Ossner (1985: 128), der nicht minder künstlich zwischen Sprachkonventionen und der „Logik einer Gesellschaft" unterscheidet. Diese mangelnde Differenzierung bildet nach meinem Dafürhalten auch den Ausgangspunkt für Searles spätere (1983: 165-166) Unterscheidung von Kommunikation und Repräsentation. Searle scheint zuallererst von der Ebene des propositionalen Gehalts der isolierten Äußerung auszugehen und Sprachkonventionen als Regeln zum Vollzug eines propositionalen Aktes (hinsichtlich seiner Referenz und seiner Prädikation) aufzufassen. Daraus resultiert dann seine Bevorzugung der Repräsentationsfunktion von Sprache. Wie Leilich (1993: 52) ganz richtig ausfuhrt, ist für

195 Ich fasse zusammen: Die intentionalistische und die konventionalistische Auffassung verfahren jeweils reduktionistisch, indem sie einseitig die relevanten Charakteristika des Sprachgebrauchs betonen: Grice arbeitet den ,perlokutionären' Sinn von Kommunikation angemessen heraus, versäumt jedoch, das Erkennen einer Sprecher-Intention mit dem Moment der Konventionalität in Verbindung zu bringen, so daß v. a. die Adaptionen des Grundmodells Schritt für Schritt nur noch solche sprachlichen Handlungen als .kommunikativ' gelten lassen wollen, die ein Sprecher auch aufrichtig meint. Damit werden sie dem sozialen, .konventionellen' Charakter der Sprache nicht gerecht. Dieses Problem löst Searle zwar, versäumt es aber auf geradezu komplementäre Weise, die Konventionalität des Sprachgebrauchs mit der Intention eines Sprechers zu verknüpfen. Kommunikation ist laut Searle ein Phänomen dessen, was eine Äußerung konventionell (i. S. von,wörtlich') bedeutet, d. h. dessen, was repräsentiert und mitgeteilt wird. Faktisch reduziert sich sein Sprechaktverständnis damit auf die isolierte Äußerungsbedeutung.59 Zwar zieht auch Grice die wörtliche Bedeutung (,das Gesagte') heran, macht aber hinreichend deutlich, daß das Gesagte in der Kommunikation eigentlich nur eine Rolle spielt, wenn es mit dem Gemeinten, dem Sinn, identisch ist. Darin besteht die Pointe des Kooperationsprinzips: Die wörtliche Bedeutung ist für das Funktionieren von Kommunikation faktisch unerheblich, solange die Umstände es erlauben, daß man das Gemeinte auch mit anderen Äußerungsrealisaten zu verstehen geben kann. So gesehen ist die Unterscheidung praktisch hinfällig und könnte von einer ,intentionalistischen' Sichtweise de facto auch aufgegeben werden.60 Searles ,konventionalistischer' Ansatz ist hier dagegen mit weit größeren Problemen konfrontiert: da er Konventionalität allein auf das Gesagte bezieht, kann er die stilistische Variationsbreite der zur Realisation eines Handlungsmusters zur Verfügung stehenden Äußerungsformen (Handlungsmittel), die für das Gelingen von Kommunikation notwendigen Inferenzleistungen der Sprecher, nicht überzeugend berücksichtigen. Ein integrativer Standpunkt müßte demgegenüber davon ausgehen, daß es nur da sinnvoll ist, von intentionalem Sprachgebrauch zu reden, wo man sich auf Konventionen - und eben nicht subjektive Dispositionen eines zufällig sprechenden Individuums - berufen kann bzw. auch da angemessen ist, einen konventionellen Sprachgebrauch zu konstatieren, wo man einem Sprecher solche Intentionen zuschreiben kann. M. a. W.: als kommunikations-

59

60

Searle Kommunikation demgegenüber einfach der Vorgang, „daß man den Hörer wissen läßt, was man repräsentieren will". Zur Kritik an dieser Sichtweise vgl. Ulrich (1997: 155-156). Damit umfaßt Searles Sprechaktbegriff allenfalls das, was in Grices Terminologie in etwa dem „utterance-type occasion meaning" (1989c: 89-90) entspricht. Ausdrücklich ist hier Bucher (1986: 59-60) zuzustimmen: „[...] Die Frage, ob zwischen der .Basisfunktion' und der .tatsächlichen Funktion' .Diskrepanz' oder .Harmonie' besteht, macht nur dann Sinn, wenn die .tatsächliche Funktion' bereits unabhängig von der .Basisfunktion' verstanden werden könnte. Ist letzteres aber möglich [...], so ist die Annahme des Umwegs über die Basisfunktion überflüssig."

196 theoretischer Terminus muß der Skopus des Begriffs »Intention' eingeschränkt, der des Begriffs .Konvention' hingegen auf das .Gemeinte' hin erweitert werden. In jedem Fall muß man aber die Grundannahmen beider Konzepte korrigieren und statt von einer Einzeläußerung, die ein Sprecher einem Hörer gegenüber tätigt, zu einem dialogischen Spl Sp2-Modell übergehen.

5.3.3 Ein integratives Konzept 5.3.3.1 Zur,Entstandardisierung' des Konventionsbegriffs Die reduktionistische Konzeption von Konventionalität gerät genau dann in Schwierigkeiten, wenn sie erklären soll, inwiefern diese beiden Sprechhandlungen funktional äquivalent sein können: (61) Ich kann Ihnen den Erwerb des neuen Staubsaugermodells .Heinzelmann' nur wärmstens empfehlen. (62) Ich bin ja so glücklich, daß es das neue Staubsaugermodell .Heinzelmann' gibt! Und doch wird man ohne weiteres feststellen, daß beide Äußerungen unter identischen kontextuellen Bedingungen - etwa in einem Werbespot - als persuasive Kaufempfehlungen verstanden werden können. Ist das zweite Beispiel nun .unkonventionell', während das erste sprachlichen Konventionen entspricht, weil sich die kontextabstrakten Annahmen der Äußerungsbedeutung direkt mit dem situativen Gebrauch decken? M. E. greift diese Sichtweise zu kurz; die Konventionalität in der Bedeutung einer Äußerungsform suchen zu wollen, ohne ihren Gebrauch zu berücksichtigen, desavouiert letztlich nur den Konventionsbegriff. Von Konventionen läßt sich nur da sinnvoll reden, wo man ihre Befolgung konstatiert.61 Aus dieser Beobachtung lassen sich zwei Konsequenzen ziehen; beispielsweise kann man das Kind mit dem Bade ausschütten und Konventionalität als untersuchungsrelevanten Terminus aufgeben. Diese Haltung legt beispielsweise Davidson (1986: 174) nahe: We must give up the idea of a clearly defined shared structure which language-users acquire and then apply to cases. And we should try again to say how convention in any important sense is involved in language - or, as I think, we should give up the attempt to illuminate how we communicate by appeal to conventions. Diese Anregung hat sicher einiges für sich - insofern, als sie völlig berechtigt berücksichtigt, daß Sprache nichts streng Vorgefertigtes repräsentiert, sie man nicht vor dem Gebrauch erwirbt. Eine Äußerung a priori als Ausdruck der Konvention x auszuweisen ver61

Dieser Reduktionismus bestimmt zwangsläufig auch das von Aiston (1994: 33) propagierte Programm des illokutionären Akt-Potentials, das eine Äußerung für sich genommen aufweist.

197 kennt den Umstand, daß Konventionalität ein deskriptiver Begriff ist, mit dem ein Beobachter Regelmäßigkeiten, nicht aber - kodifizierte - Regeln präskriptiver Art darstellen kann. Wie schon bei der Diskussion der Illokutionshierarchie angedeutet, sind Äußerungen nicht für sich genommen konventionell und stehen keineswegs in einem eindeutigen Verhältnis zu einem Sprechakttyp. Deswegen ist die illokutionäre Rolle eines Gesprächszuges auch nicht ohne die Verstehensleistung des Kommunikationspartners ermittelbar. Diese Einwände postulieren aber nicht zwangsläufig, daß Sprache nicht als .konventionell' beschrieben werden kann. Jede soziale Praxis setzt notwendig einen konventionellen Bezug voraus, um Anschlußhandlungen zu ermöglichen, die darauf basieren, daß ein zweites Individuum das Tun in irgendeiner Weise versteht. Kommunikation ist insofern immer konventionell, als sie die Abstimmung des Verhaltens (mindestens) zweier Handlungsträger ermöglicht. Die Koordination kommt dadurch zustande, daß die Handelnden reflexive Erwartungshaltungen entwickeln (vgl. Lewis 1969: 39, 118). Eine formale Definition lautet dann: [...] A regularity R in the behavior of members of a population P when they are agents in a recurrent situation S is a convention if and only if it is true that, and it is common knowledge in P that, in almost any instance of S among members of P, (1) almost everyone conforms to R\ (2) almost everyone expects almost everyone else to conform to R; (3) almost everyone has approximately the same preferences regarding all possible combinations of actions; (4) almost everyone prefers that any one more conform to R, on condition that almost everyone conform to R\ (5) almost everyone would prefer that any one more conform to R', on condition that almost everyone conform to R', where R' is some possible regularity in the behavior of members of P in S, such that almost no one in almost any instance of S among members of P could conform both to R' and to R. (Ebd.: 78; Hervorhebungen i. O.)

Von besonderem Interesse scheinen hier die folgenden Annahmen zu sein: Eine Konvention instantiiert eine Handlung-, demgemäß kann man sprachliche Konventionen in der Kommunikation allein als Gebrauchsregelungen der Zuordnung eines Äußerungsrealisats zu einem illokutionären Akt-Typ verstehen. Konventionen können nur in Verbindung mit einer Handlung(sklasse) thematisiert werden. Wie Handlungen, so sind auch Konventionen stets an bestimmte situative

Bedingungen

geknüpft, woraus sich auch erklärt, weswegen man Konventionen i. d. R. mittels Konditionalen formuliert. Nimmt man diese Bedingungen nicht ernst genug, verkehren sich die Verhältnisse, indem man faktisch davon ausgeht, daß Handlungen Konventionen begründen und nicht umgekehrt. Äußert ein Sprecher beispielsweise (63) Das eine kann ich dir versprechen: wir sehen uns noch,

198 kann man ohne weitere Hintergrundinformationen natürlich annehmen, es handele sich um ein VERSPRECHEN. Dieser Mangel an Informationen, die Ausblendung des situativen Kontextes, rechtfertigt m. E. aber keine vorschnelle Berufung auf Konventionen. Gesetzt den Fall, die Äußerungsbedingungen erforderten eine Interpretation als DROHUNG - ist die Zuordnung zu diesem Handlungsmuster dann etwa nicht konventionell? Kann man sich einen nicht-konventionellen Sprachgebrauch überhaupt vorstellen? Schließt der Umstand, daß ein Sprecher situativ-sequentiell bedingt eine Äußerung nicht nach dem stereotyp erwarteten Muster A vollzieht, damit gleichzeitig aus, daß er sie u. U. nach dem Muster B tätigt? Ein solches Konventionsverständnis, das die Situativität des Sprachgebrauchs im Interesse einer bequemeren - unglücklicherweise aber auch oberflächlicheren - Beschreibung sprachlichen Handelns eliminieren will, ist unangebracht. Bei der kommunikationsanalytischen Betrachtung konkreter Gesprächsverläufe hilft es überhaupt nicht weiter, sich auf eine universalistisch gedachte Sprechergemeinschaft zu berufen, die diese Charakteristik nur mit situationsspezifischer Unkenntnis erkauft. Kennzeichnend für diese Position ist etwa folgender Gedankengang, der in Rolf (1993: 18) entwickelt wird: Gegenstände der verschiedensten Art können zweckentfremdet verwendet werden. Eine Kneifzange läßt sich als Hammer, eine Salatschüssel als Blumentopf, ein Reisewecker als Eieruhr verwenden. Man würde von der Kneifzange allerdings nicht sagen, sie sei ein Hammer, ebensowenig wie man von der Salatschüssel sagen würde, sie sei ein Blumentopf, oder von dem Reisewecker, er sei eine Eieruhr. (Hervorhebungen N. O.)

Die hervorgehobenen Formulierungen verdeutlichen m. E., daß hier ein ,ontologisierendes' Verständnis vorherrscht, das unter taxonomischen Gesichtspunkten auch durchaus angebracht ist. Funktional betrachtet handelt es sich allerdings bei den aufgeführten .Gegenständen' um .Gebrauchsgegenstände', .Instrumente', nicht-sprachlichen Pendants zu verbalen Handlungsmitteln, deren hervorstechendste Eigenschaft nun gerade in ihren Anwendungsmöglichkeiten besteht, die ihnen der Benutzer zuweist. D. h.: funktional betrachtet ist es völlig unerheblich, ob man ein Behältnis, in dem Blumen wachsen, unter anderen Umständen auch zum Anrichten von Salat nutzen kann. Wenn ein Gegenstand x dieselbe Funktion wie ein Gegenstand y haben kann, liegt ein funktionales Äquivalenzverhältnis vor, und es ist unter diesen Bedingungen sekundär, zu welchen anderen Zwecken x bzw. y noch eingesetzt werden können. Wenn eine Salatschüssel auch als Blumentopf Verwendung finden kann, dann muß sie instrumentell betrachtet den Status eines Blumentopfes, nicht aber den einer Salatschüssel zugewiesen bekommen. Hier eine Zweckentfremdung zu erkennen, die der .eigentlichen Funktion' (man beachte die Parallelen zu dem Konzept der .wörtlichen Bedeutung' im sprachlichen Anwendungsbereich) entgegensteht, hilft bei der Beschreibung, auf welche Weise der Gebrauchsgegenstand seinen .entfremdeten' Zweck erfüllt, überhaupt nicht weiter. In der alltäglichen Kommunikation, in der solche .Zweckentfremdungen' schließlich gang und gäbe sind, ist ein taxonomischer Zugriff, der

199 nach dem ,Sein' von Äußerungsformen fragt, von geringem Nutzen, kann er doch allenfalls konstatieren, daß der lebenspraktische Handlungsvollzug chaotischer i. S. von .unberechenbar' verläuft. Ein weiterer Aspekt verdient Beachtung: Konventionen bestehen in einer (Sprecher-)Gemeinschaff,

bedauerlicherweise weckt die

von Lewis gewählte Bezeichnung population irreführende Assoziationen: daß eine Konvention eine universelle Gültigkeit in einer Sprechergemeinschaft beanspruchen kann, sagt noch nichts über die Art ihrer Befolgung - insbesondere in kleineren, spezielleren Sprechergemeinschaften - aus. Versteht eine universelle Sprechergemeinschaft eine Äußerung nicht in der von Spl intendierten Weise, stellt dies allenfalls den linguistischen Beobachter vor Probleme - nicht aber Spl, wenn Sp2 die Äußerung versteht, d. h. eine Konvention zugrunde legt. Träfe dies nicht zu, wäre der Sprachgebrauch um Phänomene wie z. B. Ironie, inside jokes, Sondersprachen etc. ärmer. Konventionalität ist damit der Domäne kognitiver Schemata als Handlungsmuster-,

nicht aber Stilmuster-Wissen zuzuordnen. 62 Sie

determiniert die Informationsverarbeitung des Sprachgebrauchs hinsichtlich des Zusammenspiels von Handlungszwecken, Handlungsbedingungen und Handlungsmitteln. 63 Hier bestehen m. E. bislang noch nicht ausreichend wahrgenommene Möglichkeiten, eine Schnittstelle zwischen Kognitiver Linguistik und Pragmalinguistik zu etablieren. 64 Die Ausprägungsgrade der Konventionalität umfassen die Extremwerte .Standardisierung' und .Idiomatizität'. 65 Eine konventionelle Äußerung kann als standardisiert gelten, wenn sie von der gesamten Sprechergemeinschaft ohne weitergehende Inferenzleistung, ohne speziellere Situationskenntnisse also, in der vom Sprecher intendierten Weise einer Illokution zugeordnet werden kann. Idiomatizität liegt dagegen dann vor, wenn eine konventionelle Äußerung nur mittels solcher spezielleren Situationskenntnisse eines Mitglieds

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Diese Unterscheidung kommt z. B. bei Sandig (1989: 133-135) zu kurz, so daß einmal mehr type und token verwechselt werden. Die von Kasher (1991: 141) thematisierte .Kreativität' des Sprachgebrauchs ist nur durch einen solchen konventionellen Rahmen als kognitives Orientierungsmuster erklärbar, innerhalb dessen der Sprachgebrauch innovativ erweitert wird. Hier ließe sich eine Verbindung zwischen psychischen und sozialen Systemen, d. h., zwischen individuellem Bewußtsein und Kommunikation herstellen, um den postulierten Zusammenhang zwischen „language use" (als „claim to truth and volition") und „mental representation" („belief and desire") (vgl. Weigand 1991: 95) zu unterstreichen und die bereits erörterte Distinktion von Kommunikation und Repräsentation i.S. Searles (und damit die Implikationen der Einzelsprechakttheorie) konsequent zu überwinden. Eine solche .skalare' Sichtweise findet sich z. B. bei Wunderlich ( 2 1975: 32); allerdings erscheint es wenig hilfreich, davon zu sprechen, daß „kaum Konventionalität" bzw. „ein größerer bis großer Grad an Konventionalität" (ebd.) vorliegt. Statt dessen sollte man prinzipiell immer davon ausgehen, daß eine verstehbare Äußerung konventionell ist und die Stärkegrade als Realisierungsformen interpretieren. Nur vor diesem Hintergrund ist es auch möglich, die i. ü. höchst problematische Unterscheidung von Gebrauch und Verwendung von Äußerungen (vgl. Hundsnurscher 1993: 10) vorzunehmen: Die Verwendung ist Teil des Gebrauchs.

200 der Sprechergemeinschaft gemäß der Intention des Sprechers einer Illokution zugeordnet werden kann. Die sozialen Beziehungen zwischen den Sprechern sind im zweiten Fall also deutlich konturiert; die Sprecher stützen sich auf ein spezielles Vorwissen, eine gemeinsame Kommunikationsgeschichte, Einblicke in Formulierungspräferenzen etc. Das schließt einen modifizierenden (je nach Sichtweise .kreativen' oder .parasitären') Umgang mit standardisierten Routineformeln durchaus ein. Je unstrukturierter eine Kommunikationssituation ist - in dem Sinn, daß die horizontale soziale Distanz zwischen zwei Sprechern groß ist - , desto wahrscheinlicher nimmt sich die standardisierte Erscheinungsform des konventionellen Sprachgebrauchs aus.66 Mit einer solchen Erweiterung des Konventionsbegriffs ist es möglich, den korrespondierenden Intentionsbegriff ansatzweise von seinen psychologischen Implikationen zu trennen und ihn für kommunikationsanalytische Fragestellungen verfügbar zu halten. Wenn das Hervorbringen einer nicht-standardisierten Äußerung eben nicht mehr als eine unkonventionelle, also individuelle Angelegenheit gilt, eröffnet sich die Möglichkeit, von einem Bereich .konventioneller Sprechhandlungsintentionen' auszugehen, die nicht auf das Konzept der .wörtlichen Äußerungsbedeutung' angewiesen ist. 5.3.3.2 Zur .Entpsychologisierung' des Intentionsbegriffs Über Kommunikation läßt sich allein dann sinnvoll sprechen, wenn man mit handlungstheoretischen Begriffen operiert; darum wird eine Sprechhandlung als kommunikativer Akt verständlich, wenn man einem Handlungsträger eine bestimmte Absicht attestiert, mit der er die Äußerung vollzogen hat. Allerdings sind Absichten zunächst einmal Bewußtseinszustände, die individuell ausgeprägt und nicht von außen erfaßbar sind. Unter dieser Perspektive lassen sich dann keinerlei Aufschlüsse über das kommunikative Handeln gewinnen, das schließlich die Existenz eines zweiten Individuums bindend voraussetzt. Somit impliziert schon das Thematisieren einer Handlung - und zwangsläufig einer Absicht eine kommunikative Situation, denn ein Subjekt B schreibt einem Subjekt A eine Handlung zu und bewegt sich automatisch innerhalb eines Sprachspiels. Kommunikatives Handeln ist vor diesem Hintergrund im wesentlichen ein Koordinationsprozeß, in dem mindestens zwei Individuen ihre intentionalen Zustände koordinieren und damit, wegen der Orientierung am Gegenüber, notwendigerweise die Komplexität der eigenen Bewußtseinszustände verrin66

Vgl. auch S. J. Schmidt (1990: 319). Auf diesen Aspekt weist übrigens Davidson (1986: 168) bei seiner Unterscheidung der „prior theory" und der „passing theory" - als Erwartungen an ein bzw. Erfahrungen mit einem Mitglied der Sprechergemeinschaft selbst hin, ohne, wie das obige Zitat belegt, daraus eine Revision des Konventionsbegriffs zu gewinnen. Daß die Einschätzung dessen, was standardisierten Sprachgebrauch im Kontakt mit einem Unbekannten ausmacht, zwangsläufig relativ ist (vgl. ebd.: 170), ist nur dann ein Problem, wenn man an einem quasi-kodifizierten Konventionsverständnis festhält.

201 gern. Wie Luhmann (1990a: 27) in pointierter Weise herausstellt, produziert das Bewußtsein als psychisches System mehr Informationen als diejenigen, die kommunikativ thematisiert werden: nicht alles, was einem Sprecher möglicherweise im kommunikativen Kontakt durch den Kopf geht, wird auch tatsächlich kommuniziert.67 Das Individuum ist nicht auf die Rolle, die es im sozialen Kontext spielt, reduzierbar.68 In neueren pragmalinguistischen Untersuchungen ist es im Anschluß an Searle/Vanderveken (1985: 16) üblich, die angedeutete Trennung von individualpsychologischem Bewußtsein und sozialer Kommunikation mit der griffigen Unterscheidung von aims und purposes, von Sprecherzielen und Musterzwecken zu reflektieren. Das Verhältnis dieser beiden Aspekte, Ziele auf der einen, Zwecke auf der anderen Seite, ist aber noch nicht hinreichend expliziert worden. Wiegers (1991: 268) fuhrt im Zusammenhang mit seiner Modellierung des idealen Sprachspielers aus, dieser überblicke die Sprache seiner Sprachgemeinschaft, ihre Sprachspiele einschließlich ihrer Zwecke; so ist er in der Lage, diese wiederum seinen nicht-sprachlichen Zielen unterzuordnen, sie zu verwenden. Er kann Sprachspiele oder Komponenten von Sprachspielen strategisch als Mittel der Verfolgung seiner nicht-sprachlichen Ziele nutzen.

Die Implikationen dieser Sichtweise sind allerdings nicht ganz unproblematisch; die Ausführungen legen nahe, daß Äußerungen gewissermaßen als Vollzug eines sprachlichen Handlungsmusters vorgeprägt sind. Sie verfugen danach über einen konventionellen Zweck, dessen sich ein Sprecher bedient, um ggf. ein abweichendes Ziel zu verfolgen. Den Differenzgrad zwischen dem Zweck des Musters und dem Ziel des Sprechers markiert damit die Strategie. Diesen Aspekt präzisiert König (1993: 386), der den konventionellen Zweck einer Äußerung mit dem deklarierten Sprecherziel parallelisiert und dementsprechend das Verfolgen weiterer, ,nicht-deklarierter' Sprecherziele als strategische Maßnahmen interpretiert. Diese Ansätze weisen zwar in die richtige Richtung, sind aber nach meinem Verständnis, besonders was die Gegenüberstellung von konventionellen Musterzwekken und strategischen Sprecherzielen angeht, noch zu sehr im Paradigma der klassischen Sprechakttheorie verhaftet. Wenn König (ebd.) nämlich darlegt, daß durch die Berücksichtigung nicht-deklarierter Sprecherziele auch auf der Ebene der Einzelsprechakte bei der Rekonstruktion von Sprecherstrategien zum Teil noch Handlungszusammen-

67

68

In systemtheoretischer Hinsicht konsequent trennt Luhmann damit Kognition und Kommunikation und kommt zu dem Ergebnis, daß auf Kommunikation beruhende soziale Systeme nicht mit handlungstheoretischen Konzepten beschreibbar sind - eine Strategie, die man angesichts der strukturellen Kopplung von Kognition und Kommunikation (vgl. v. a. Feilke/Schmidt 1995: 275; Schmidt 2000: 27-28) aber nicht zwangsläufig übernehmen muß, vgl. Hesse (1999: 256-262). Oder technischer ausgedrückt: Ähnlich, wie ,Intentionalität' gegenüber den neurobiologischen Prozessen ein emergentes Phänomen darstellt (vgl. auch Searle 1997: 17-18), verhält es sich auch mit der sozialen Kommunikation gegenüber subjektiven Bewußtseinszuständen.

202 hänge nachgewiesen werden können, wo mit Hilfe herkömmlicher Analysemethoden nicht mehr als ein ,Handlungschaos' auszumachen ist (Hervorhebung i. O.),

dann stellt sich die Frage, wozu dann überhaupt noch die Unterscheidung von deklarierten und nicht-deklarierten Sprecherzielen notwendig ist. Was König vorsichtig andeutet, nämlich, daß eine Strategie durchaus eine Verständnishilfe sein kann, ist noch zu radikalisieren: m. E. ist es unsinnig, strategische Ziele als .Ausbeutung' kommunikativer Zwecke aufzufassen. Sobald man bei einem Sprecher aufgrund von Kohärenzaspekten das Vorliegen eines bestimmten nicht-deklarierten Ziels vermutet, das den konventionellen Zweck der Äußerung - also dem deklarierten Sprecherziel - nicht entspricht, ersetzt man faktisch die Hypothese, er gehe nach dem Muster A vor, durch diejenige, er gehe nach dem - nicht minder konventionellen, wenn auch u. U. weniger standardisierten - Muster B vor. Wenn man m. a. W. über Sprecherziele/Intentionen redet, kann man dies ausschließlich durch den Rekurs auf konventionelle Zwecke tun. Alles, was darüber hinausgeht, ist sprachlich gar nicht zu formulieren und begründet die individualpsychologische Fragestellung. Dieser Gedanke soll an einem Beispiel ausgeführt werden: Das BEWERBUNGSVERFAHREN (vgl. Hardenbicker/Ortak 2000a) ist ein komplexes Sprachspiel, ein Verfahrensmuster, das die Behebung einer Stellenvakanz bezweckt; die Ziele der beiden Sprachspielparteien, der einstellenden Organisation auf der einen, des Bewerbers auf der anderen Seite, lassen sich angesichts der charakteristischen Verschränkung der Angebots- und Nachfragesituation von dem Globalzweck unterscheiden. Das gilt g e r a d e f ü r d i e i m EINSTELLUNGSGESPRÄCH d u r c h g e f ü h r t e AUSHANDLUNGSPHASE, d i e d e m

Abschluß des Arbeitsvertrags vorausgeht. Beide Seiten verfolgen Ziele, die nicht dekkungsgleich sind und Kompromißanstrengungen erfordern. Und doch sind die Sprecherziele ein integraler Bestandteil des globalen Verfahrenszwecks. Der Zweck eines sprachlichen Handlungsmusters ist ohne das Ziel des ausführenden Sprechers nicht vorstellbar. Ein dialogisches Handlungsmuster läßt sich dann gewissermaßen als ein systemartiger Kontext verstehen, innerhalb dessen die Teilhandlungen der Sprecher erst anschlußfähig, kohärent, sinnvoll gehalten werden können. Da ein sprachliches Verhalten erst dann als Handlung verständlich ist, wenn ein zweiter Sprecher dem Sprecher ein sozial nachvollziehbares Ziel zuschreibt, ist ein Sprecherziel eine Attribution, die ein Beobachter einem Individuum im sozialen Kontext zuteil werden läßt.69 D. h.: Sprecherziele unterscheiden sich von Handlungszwecken nicht hinsichtlich ihrer fehlenden Konventionalität, und sie sind auch kein Phänomen individueller, nicht eigens deklarierter kognitiver black box-Vorgänge. Sprecherziele sind nur im konventionellen Rahmen eines Sprachspiels erkennbar und relevant. Einem Sprecher ein Ziel zu unterstellen ist gleichbedeutend mit der Annahme, er gehe nach einem konventionellen Muster vor. Der Unterschied zwischen Zielen und Zwecken beruht 69

Verkennt man die soziale Komponente, besteht die Gefahr, dem „dogma of the Ghost in the Machine" (Ryle 1969: 22) anheimzufallen.

203 darauf, daß man im ersten Fall auf den Handlungsträger, im zweiten Fall auf die Handlung referiert. Sprecherziele sind also Intentionen, Absichten, die man in seiner Funktion als Sprecher hegt - das, wozu man eine kohärente Äußerung vollzieht. Individuelle, persönliche Ziele sind hingegen Intentionen, die man mit seiner Funktion als Sprecher verfolgt das, weswegen man eine Äußerung vollzieht. Hier handelt es sich um Sprechermotive. Die Fixierung auf die Einzeläußerung hat zur Folge, daß sprechakttheoretisch argumentierende Positionen die so notwendige Differenzierung zwischen Sprecherzielen und -motiven nicht vornehmen können. Wohl auch deswegen plädiert Searle (1992: 20) so nachdrücklich für eine strikte Trennung sprechakttheoretischer und dialoganalytischer Positionen, ohne eine dialogische Revision der klassischen Sprechakttheorie in Erwägung zu ziehen. Einer hinreichend rigorosen Betrachtung erscheinen dann alle Äußerungen, deren illokutionäre Funktionen nicht mittels explizit-performativer Formeln indiziert sind, als Versuche, .nichtdeklarierte Sprecherziele' zu verfolgen - und da diese Ziele - in diesem theoretischen Umfeld nur eine heuristische Randerscheinung - eine Strategie implizieren, gerät der Strategiebegriff zwangsläufig in einen etwas zwielichtigen Ruf. Das gilt in erster Linie für kommunikationsethische Ansätze, die mit der Vorstellung nicht-offengelegter Sprecherintentionen unkommunikative, u. U. gar schädliche Hintergedanken des Sprechers verbinden. Die Konsequenzen dieser Sichtweise werden im abschließenden Kapitel erörtert. Zuvor sollen jedoch die theoretischen Grundlagen an ausgewählten Textbeispielen im folgenden Kapitel illustriert werden.

5.4

Zusammenfassung

Als Ergebnisse dieses Kapitels lassen sich folgende Aspekte festhalten: Ein bestimmter Text kann genau dann als ,persuasiv' gelten, wenn es möglich ist, ihn als Realisat eines bestimmten Handlungsmusters zu verstehen, das wiederum durch ein Strategiemuster (als Handlungsmuster 2. Ordnung) zu dem Zweck reguliert wird, beim Rezipienten eine Wertungskonvergenz herbeizufuhren. In Anbetracht seiner antizipativen Ausrichtung ist das Textstrategiemuster Persuasion genuin dialogischer Natur. Nach der Art der Konvergenz lassen sich die Subtypen ÜBERREDUNGS- und ÜBERZEUGUNGSVERSUCH unterscheiden. In Abhängigkeit von der zum Ausdruck gebrachten Interessenkonstellation kann es sich beim ÜBERREDUNGSVERSUCH entweder um das ZUREDEN oder u m das FLEHEN

handeln; ÜBERZEUGUNGSVERSUCHE folgen dem EVALUIEREN. Sämtliche Subtypen persuasiven Handelns setzen strategische Teiloperationen um, die inhaltlich als POLARISIEREN

204 und PROFILIEREN, in formal-prozeduraler Hinsicht durch das PLAUSIBILISIEREN realisiert werden. Das persuasive Strategiemuster indiziert insofern eine Erfolgsorientierung, als in einem antizipierten virtualisierten Dialogspiel der Textproduzent als ,Spl' den Rezipienten als ,Sp2' planmäßig zur Konvergenz bewegen will; ob sich der Erfolg aber tatsächlich einstellt, das kommunikative Vorgehen also nicht allein effizient, sondern auch effektiv ist, hängt von verschiedenen Wirkungsfaktoren ab, die sich nicht sprachlich kontrollieren lassen und deswegen behavioristische Vorstellungen von der,Macht der Sprache' widerlegen, die von der dialogischen Grundkonstellation und damit der Rolle des Rezipienten absehen. Dieses Versäumnis wirkt sich außerdem negativ auf die Konzeption der konventionellen Handlungsmittel, der persuasiven Äußerungsformen, aus. Gerade die klassische Sprechakttheorie hat ein unzulässig restriktives Verständnis sprachlicher Konventionalität propagiert, das es im Interesse einer kommunikationstheoretisch fundierteren Konzeption zu erweitern gilt. Dies kann nur gelingen, wenn man analog dazu den Komplementärbegriff ,Intentionalität' durch die Unterscheidung von Sprechermotiven und Sprecherzielen von seinen psychologischen Implikationen befreit.

6.

Diskussion ausgewählter illustrativer Textbeispiele

6.1

Vorbemerkung

Da Persuasivität nur unter erheblichen theoretischen Einbußen als ontologisches Textmerkmal einzuschätzen ist, sollte die klassische - und nicht allgemein beantwortbare - Frage, ob ein gegebenes Kommunikationsrealisat der Information oder der Überredung dient, zugunsten eines Ansatzes reformuliert werden, der Vorstellungen von der Gradualität, Skalarität und Kontinuität Rechnung trägt. Festzuhalten bleibt darum, daß das Problem nicht lautet, was persuasive Texte sind, sondern wie die Kommunikatoren und Rezipienten Texte als Handlungsmittel im kohärenzstiftenden Zusammenhang möglicher persuasiver Strategien produzieren bzw. verstehen, ihnen einen persuasiven Sinn verleihen können ohne zwangsläufig die eine Klasse von Textrealisaten allein auf eine solche Strategie zu reduzieren, eine andere von vornherein auszuschließen. Unter den bei der Beschreibung der Strategiemuster angeführten Bedingungen kann man einen Text als persuasives Kommunikat auffassen, d. h. ihm einen persuasiven Strategiezweck zuweisen bzw. dem Verfasser eine solche Intention attestieren (vgl. Kreye 1994), die, wie dargelegt, keineswegs mit der tatsächlichen mentalen Disposition des Verfassersubjekts übereinzustimmen braucht. Es ist denkbar, daß ein Kommunikator mit einem Text in erster Linie die Darstellung (.Vermittlung') von Fakten bezweckt, ein Rezipient dagegen eine persuasive Wirkungsabsicht vermutet. Die ,ontologische' Textauffassung, der zufolge ein Text gewissermaßen ,für sich selbst' spricht, verschleiert nur den (Re-) Konstruktionsakt der Sprachspielteilnehmer.1 Wie S. J. Schmidt (1995: 243) bemerkt, liegt in hermeneutischen Prozessen ein oft übersehener Machtfaktor [...]; denn die entscheidende Frage in der Kommunikation lautet: Wer kann/darf wem in welcher Situation attestieren, er/sie habe .richtig verstanden'?

Auf diese Frage nach der Grenze zwischen möglichen ,legitimen' Interpretationsweisen und .illegitimen' Mißverständnissen im Umgang mit Texten erscheint mir die sinnvollste Antwort diejenige zu sein, die nicht von dem manifesten Text (,inhärent') ausgeht, sondern, ganz pragmatisch, berücksichtigt, inwiefern Sprachbenutzer mit ihrer Kommunikativen Kompetenz in ihrer Sprechergemeinschaft bestehen: Wer ständig Realisate einem anderen 1

Diese Frage wird herkömmhcherweise v. a. bei der Beschäftigung mit literarischen Texten gestellt, vgl. Eco (1990: 38), der ein Verhältnis von „l'interpretazione contro l'uso del testo" zugrunde legt.

206 Handlungsmuster zuordnet als seine Umwelt, wird rasch große Schwierigkeiten haben, weiterhin am sozialen Sprachspiel zu partizipieren. Die Berücksichtigung des lange Zeit vernachlässigten Textbenutzers kann auch die Auffassung erläutern, daß die strategischen Maßnahmen POLARISIEREN, PROFILIEREN und PLAUSIBILISIEREN .Anschauungskategorien' darstellen, unter deren Bedingungen man Äußerungsrealisaten planend und/oder verstehend einen persuasiven Sinn verleiht. In Kapitel 4 ist dargelegt worden, daß sich monologische Texte kommunikationstheoretisch adäquat nur als Parameter des Dialogischen Prinzips verstehen lassen. In diesem Zusammenhang wurde der Antizipationsbegriff herangezogen, der nun an einigen illustrativen Textbeispielen noch genauer hinsichtlich seiner strategisch-persuasiven Funktion erläutert werden soll. Der Rekurs auf ein Modell dialogischer Sequenzen, an denen Spl und Sp2 beteiligt sind, kann m. E. wertvolle Gesichtspunkte für die Textanalyse liefern, wenn man seinen explanativen Gehalt nicht überschätzt: Aufgrund ihrer medialen Produktions- und Rezeptionsbedingungen folgen monologische Texte anderen strukturellen Kriterien als Gespräche. Texte bilden nicht einfach reduzierte Dialoge ab; allerdings sind sie nur insofern kommunikativ relevant i. S. von verstehbar, wenn der Rezipient in den Textäußerungen eine funktionale Kohärenz erkennt, die er als Ergebnis vorweggenommener Reaktionen in einem imaginären Gespräch deutet. Ohne das Wissen um sprachliche Sequentialität kann man einen Text nicht kommunikativ nutzen; seine parametrische Spezifik liegt aber gerade darin, daß noch Einsichten in die Gestaltungsweise monologischer Texte das basale Dialogmuster-Wissen ergänzen. Beispielsweise kann man eine WERBEANZEIGE nur durch die Kenntnis ihres Zwecks identifizieren - als Antwort auf die Frage, was der Kommunikator mit ihr erreichen will und auf welchem Wege er dies beabsichtigt. Diese Fragen begründen eine kommunikative Affinität zu einem EINKAUFS-/VERKAUFSGESPRÄCH. Nun wird aber kaum ernsthaft zu konstatieren sein, daß eine Anzeige irgendwelche strukturellen / kompositorischen / gestalterischen Ähnlichkeiten mit einem schriftlich fixierten Gespräch dieses Typs aufweisen. Ich möchte allerdings die These aufstellen, daß die charakteristische Tendenz zur Suggestivität (als auf stilistischer Verknappung beruhende Aufforderung an den Rezipienten zur Inferenz) allein deshalb eine praktikable Maßnahme darstellt, weil man von einem solchen Dialogmuster-Wissen ausgehen kann. Der antizipative Charakter schriftlicher Texte erweist sich auf unterschiedlichen Ebenen, die sowohl ihre Globalstruktur als auch die interne Konstruktion betreffen. Zunächst einmal ist ein Text als solcher als das Ergebnis eines fundamentalen und umfassenden antizipativen Handlungsplans beschreibbar: als Handlungsmittel wird er von einem Verfasser zu einem bestimmten Zweck konzipiert. So betrachtet ist jeder Text das Ergebnis einer effektiven Antizipation. Durch das Verfassen bringt der Kommunikator zum Ausdruck, daß er das Erreichen des angestrebten Ziels ohne seine kommunikativen Maßnahmen für unwahr-

207 scheinlich hält. Daraus erklärt sich die Motivation, aus der man einen Text produziert: jeder Text markiert eine defizitäre Ausgangslage. Die innere Struktur eines Textes beruht auf der Art, in der die Einzeläußerungen, ausgehend von funktionalen Erwägungen, in einen Zusammenhang gebracht werden. Mit Bezug auf die Darlegungen in Kapitel 5 kann man die Textkohärenz als das Resultat effizienter Antizipationsanstrengungen

auffassen. Sie determinieren den Verlauf, die Weise, auf die

man das effektive Ziel anstrebt. Die Effizienz textueller Kommunikation tritt in dem Zusammenspiel globaler und lokaler isolierbarer Einheiten zutage, das traditionell als ,hermeneutischer Zirkel' erfaßt wird. Die Ausprägungen effizienter Antizipationsleistungen in textuellen Äußerungen lassen sich wiederum im Rückgriff auf dialoggrammatische Konzeptionen heuristisch abstufen; bekanntlich werden hier die auf einen ISPA folgenden Reaktionshandlungen von Sp2 in definitive und nicht-definitive Bescheide unterschieden (vgl. z. B. Hundsnurscher 1994a: 218-219). So besteht etwa die Sequenz (64) Spl: Kommst du auch zu der Feier? Sp2: Nein, keine Zeit.

aus einer FRAGE und einem definitiven (Negativen) Bescheid; dagegen sind Reaktionen wie (65) (66) (67) (68)

Ach, mal sehen. Welche Feier meinst du? Schönes Wetter heute. Können wir das ein anderes Mal besprechen?

in dem Sinn unspezifisch, daß sie den Zweck des ISPA, eine eindeutige Festlegung durch Sp2 auf sein zukünftiges Verhalten, nicht erfüllen. Auf diese Weise klärt sich die Expansion von Minimalsequenzen zu vielfach komplexeren Gesprächsverläufen: Nicht alle Gesprächszüge erfüllen hinsichtlich der Realisation des Dialogzwecks dieselben funktionalen Aufgaben. Statt dessen ist die konkrete Binnenstruktur gewöhnlich das Ergebnis expansiver Äußerungen, die die funktional relevanteren Züge spezifizieren, erläutern etc. Analoges gilt für die textuelle Kommunikation: die globalen antizipativen Einheiten, die für die Identifikation der persuasiven Strategie entscheidend sind - insofern, als sie direkt auf einen definitiven Positiven Bescheid durch den Textrezipienten als virtualisierten Sp2 abzielen - , werden häufig durch Sequenzen von Textäußerungen realisiert, die als lokale Antizipationen weit eher nicht-definitive Reaktionen des imaginierten Sp2 vorwegnehmen. Dazu gehören z. B. Verständnisfragen oder Bitten um Präzisierung/Elaboration. Aus genau diesem Grund ist es schließlich möglich, einen Text kommunikativ in der Art zu gewichten, daß man ihn in gedankliche Abschnitte, funktionale Texteinheiten (FTE), gliedert. Auch hier gilt, daß das in diesen globalen Einheiten zu verstehen Gegebene nicht explizit mit einer

208 bestimmten Einzeläußerung zusammenfallen muß, sondern eher, daß der strategische Stellenwert etwa eines Textabsatzes ein aus der Kohärenz der Äußerungen resultierendes Phänomen darstellt, das auf inferierenden Rezeptionsleistungen beruht. So betrachtet sind Texte nichts anderes als vorweggenommene Reaktionen auf erwartete definitive Negative bzw. nicht-definitive Bescheide.2 Es ist gerade das Zusammenwirken effektiver und effizienter Vorwegnahmen, durch das ein Rezipient an der textuellen Kommunikation partizipiert, indem er sein Textverständnis auf dialogische Grundlagen bezieht (vgl. Abb. 13). Daraus erklärt sich auch, daß die von einem Verfasser gewählte Anordnung der Texteinheiten gewöhnlich von dem idealen Dialogmuster abweicht. Gerade persuasive Texte werden nicht durch den charakteristischen ISPA - die AUFFORDERUNG bzw. die BEWERTUNG - des korrespondierenden Strategiemusters eingeleitet. I. d. R. wird die Zielaussage erst am Ende des Textes kommuniziert. Der manifeste Textverlauf erscheint somit nicht als das Ergebnis einer Verteidigungsstrategie, mit der man den ISPA vor denkbaren EINWÄNDEN, NACHFRAGEN etc. schützen will, sondern, offensiver, als konsequente Entfaltung eines in der Einleitung formulierten Grundgedankens, die geradezu zwangsläufig in der vom Kommunikator freilich bereits geplanten Zielaussage - dem ISPA eben - resultiert.

2

Ansätze zu einer derartigen Perspektive finden sich auch bei Techtmeier (1984), (1996).

209

Abb. 13: Der Text als das Resultat dialogischer Antizipation

Im Verlauf dieses Kapitels werden nun sechs Textrealisate diskutiert, die die hier vertretene Konzeption des antizipativen, auf dem dialogischen Prinzip beruhenden persuasiven Strategiemusters veranschaulichen sollen. Gemäß der in Kapitel 5 vorgenommenen Unter-

210 Scheidung handelt es sich dabei um Beispiele für ÜBERREDUNGS- bzw. ÜBERZEUGUNGSVERSUCHE. Da die Textexemplare rein illustrative und nicht induktive Zwecke erfüllen sollen, sind sie nicht als repräsentatives Textcorpus zu verstehen. Infolgedessen beschränken sich die Auswahlkriterien auf Fragen der Praktikabilität. Darüber hinaus ist vorauszuschicken, daß die Analyse bzw. die Thematisierung des persuasiven Strategiemusters nicht aus .kritischen' Erwägungen - als Offenlegung ,manipulativer' Techniken - erfolgt. D. h.: die kommunizierten Inhalte werden so wertfrei wie möglich hinsichtlich ihrer antizipativen Kohärenz erörtert, die Auswahl der Textbeispiele spiegelt weder die Billigung noch die Ablehnung des Verfassers wider. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die textuellen Äußerungen mit arabischen Ziffern numeriert; bei komplexeren Realisaten wird eine mit römischen Ziffern gekennzeichnete zusätzliche Ebene funktionaler Texteinheiten, die sich aus textuellen Äußerungssequenzen zusammensetzt, angenommen.

6.2

Text 1: ZEITUNGSKOMMENTAR

Bei dem ersten Text handelt es sich um ein Realisat der Textsorte ZEITUNGSKOMMENTAR, für die die Interpretation bzw. die Evaluierung eines aktuellen Sachverhalts von öffentlichem Interesse kennzeichnend ist. Von daher ist es angebracht, derartige Texte hinsichtlich ihres persuasiven Wirkungskalküls zu untersuchen, da, wie Lüger ( 2 1995: 126) darlegt, die vermittelten Deutungen und Wertungen [...] in der Regel darauf ab[zielen], beim Adressaten bestimmte Einstellungen zu fordern oder zu verändern. In Anbetracht des Rollenbildes, das die journalistischen Akteure von sich entwerfen, sind KOMMENTARE gewöhnlich von einem eher abwägenden, elaborierten Argumentationsstil geprägt; die bewertende Stellungnahme zu einem (tages-) politischen Sachverhalt soll den Kommentator als ,unabhängig und überparteilich' ausweisen. So betrachtet nimmt er eine Vermittlerrolle zwischen der veröffentlichten Kommunikation politischer Handlungsträger und der informellen Interaktion zwischen politisch interessierten Privatleuten ohne politisches Mandat ein. Die Distanz zur parteipolitischen Kommunikation bringt es mit sich, daß es bereits zur persuasiven Strategie gehört, den Sachverhalt als ,strittig' zu charakterisieren. Daraus leitet sich eine Tendenz zur Pro - Contra-Argumentation ab. Der Text erschien am 12.10.2000 in der Süddeutschen Zeitung und behandelt die als .problematisch' ausgewiesene Frage, ob der Antrag auf ein Verbot der NPD mit demokratischen Prinzipien vereinbar ist. Er lautet:

211 Das NPD-Verbot: ein Gebot Von Heribert Prantl (I) (1) Darf man Neonazi sein in Deutschland? (2) Man darf. (3) Darf man das auch zeigen? (4) Das darf man auch. (5) Man darf in einem demokratischen Land verquaste Ideologien herunterbeten, man darf sie sogar drucken und damit Geschäfte machen. (6) Das tut jedem Demokraten in der Seele weh, aber: Eine Demokratie muss das aushalten können. (7) Und wenn einer Adolf Hitler oder Josef Stalin als seine Vorbilder betrachtet, dann kann man darüber zornig, wütend, traurig und entsetzt sein, aber der darf das. (8) Nicht nur die Gedanken sind frei, ihre Formulierung ist es auch, selbst dann, wenn es sich um braune Gedanken handelt. (9) Eine Demokratie mit einer Gedankenpolizei wäre nämlich keine Demokratie mehr; also muss das Strafgesetz ziemlich lang zuschauen. (10) Das Gesetz darf erst dann eingreifen, wenn der Hass gegen andere militant wird, wenn also aus politischer Hetze Volksverhetzung und wenn die Menschenwürde anderer mit Füßen getreten wird. (11) Dann muss das Recht zupacken, schnell und bestimmt. (II) (12) Wenn Extremisten auf ihre Grundrechte pochen, wird aus Wohltat Plage. (13) Und trotzdem ist der Satz „Demokratie nur für Demokraten" ein unüberlegter Satz - weil erstens Freiheit nun einmal die Freiheit des Andersdenkenden ist und weil es zweitens kein Demokratiemessgerät gibt, das man dem echten oder vermeintlichen Demokratiegegner wie ein Fieberthermometer in den Hintern stecken kann, um so seine Teilnahmeberechtigung an der Veranstaltung Demokratie zu überprüfen. (14) Die Meinungsfreiheit muss eine geduldige Freiheit sein - sie muss auch unerträgliche Dummheit ertragen. (15) Sie muss es ertragen, dass auch diejenigen ihre Meinung sagen, die, wenn sie das Sagen hätten, das nie und nimmer zulassen würden. (16) Und wenn Demokraten von Linksoder Rechtsextremisten deswegen liberale Scheißer genannt werden, dann müssen sie das aushalten - ohne sich gleich zu Verboten provozieren zu lassen. (17) Demokratie ist also, kurz gesagt, eine anstrengende Staatsform. (III) (18) Die Demokratie muss im Umgang mit ihren Gegnern den Weg finden zwischen Skylla und Charybdis. (19) Skylla ist in diesem Fall die selbstmörderische Lethargie, wie sie in der Weimarer Republik herrschte. (20) Charybdis ist die eifernde Selbstgerechtigkeit, wie sie sich in dem flotten Spruch „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit" widerspiegelt. (21) Dieser Spruch stammt bezeichnenderweise von Saint-Just, dem Theoretiker und Praktiker des Terrors während der Französischen Revolution - und damit ist schon angedeutet, wie leicht er zu missbrauchen ist. (22) Demokratie setzt nicht auf Verbote, sondern auf offene politische Auseinandersetzung auch mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen, in der Überzeugung, dass sie Auseinandersetzung nicht scheuen muss. (23) Die streitbare Demokratie streitet, so lange es irgend geht, mit Argumenten, nicht mit Verboten. (IV) (24) Das sind die Grundsätze, die zu gelten haben. (25) Und trotzdem ist die NPD zu verbieten - wenn und weil sie eine kriminelle Vereinigung ist. (26) Wenn es stimmt, dass sich hier unter dem Schutz des Parteienprivilegs Gewalttätigkeit versammelt, wenn es stimmt, dass die NPD nicht nur braunem Gedankengut, sondern auch braunen Straftaten Heimstatt bietet, wenn es stimmt, dass diese Partei Animations- und Rekreationsraum ist für aggressive Rassisten - dann ist der NPDVerbotsantrag nicht nur erlaubt, sondern geboten. (27.1) Ein solches Verbot ist kein Konstrukt antiliberalen und antidemokratischen Denkens, sondern aktiver (und hoffentlich nicht einziger) Schutz der Menschenwürde; (27.2) Otto Schily ist, wenn er den Verbotsantrag stellt, kein Saint-Just der Demokratie: (27.3) Er entzieht den Extremisten nämlich nicht die Meinungs- und Versammlungsfreiheit - die haben sie weiterhin. (28) Er versucht nur, ihnen einen schützenden Mantel des Parteienprivilegs wegzuziehen. (29) Es wäre sträfliche Unterlassung, dies nicht zu tun. (V) (30) Der große Jurist Hans Kelsen, der Begründer der Reinen Rechtslehre, hat in der Weimarer Republik die These vertreten, dass eine Demokratie, die sich selbst treu bleibt, „auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden" müsse. (31) Und der Trost, den er anbot, war eine dünne Hoffnung: „Man muss seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt, und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mitnehmen, dass das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und dass es, je tiefer gesunken, umso leidenschaftlicher wieder aufleben wird."

212 (VI) (32) Tiefer hätte das Land nicht sinken können. (33) Mit der Leidenschaft des Wiederauflebens nach der Hitler-Barbarei verband sich deshalb die Abkehr von solchen Theorien. (34) Diese Abkehr von einer grenzenlosen und selbstmörderischen Toleranz zeigt sich nicht nur im Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Parteienverbot formuliert. (35) Es zeigt sich vor allem darin, dass das Grundgesetz den Schutz der Menschenwürde an seine Spitze stellt - und dass diese Garantie unabänderlich ist. (36) So formuliert es der Artikel 79 Absatz 3 - man nennt ihn die Ewigkeitsgarantie. (37) Eine solche Garantie fordert Taten. (VII) (38) Gegen jeden, der es unternimmt, die Menschenwürde organisiert in Frage zu stellen, ist also Widerstand geboten; alle Deutschen haben dieses Recht, so steht es in Artikel 20 Absatz 4. (39) Und für einen Verfassungsminister ist dieser Widerstand Pflicht. (40) Diese Pflicht heißt: Antrag auf Verbot der NPD.

Der Text zerfällt in sieben Abschnitte, die auch durch strukturelle Gestaltungsmittel (Layout, Absätze) kenntlich gemacht werden. Diese Abschnitte bilden die funktionalen Texteinheiten, die das Resultat global-effizienter Antizipationsakte darstellen. Inhaltlich-propositional betrachtet können diese Einheiten zu folgenden Kernaussagen verdichtet werden: I. II. III. IV.

Eine Demokratie darf keine Gedankenpolizei sein. Damit ist Demokratie eine anstrengende Staatsform. Sie muß so lang wie möglich auf Argumente statt Verbote setzen. Ein Verbot der NPD ist aber auch in Anbetracht dieser Überlegungen nicht antidemokratisch. V. Die Reine Rechtslehre postuliert, eine Demokratie müsse auch ihre Vernichtung dulden. VI. Angesichts der historischen Entwicklung Deutschlands korrigiert das Grundgesetz diese Auffassung. VII. Das grundgesetzlich verbriefte Recht des Bürgers auf Widerstand gegen demokratiefeindliche Unternehmungen ist fiir einen Verfassungsminister Pflicht. Die Binnenstruktur dieser sieben funktionalen Texteinheiten beruht auf der Sequenzierung von Einzeläußerungen, die auf der lokalen Ebene antizipativen Erwägungen folgen. Ihr Zweck besteht darin, die propositionalen Kernaussagen zu entfalten. Betrachtet man die Anordnung der Texteinheiten hinsichtlich ihrer persuasiven Strategie, bestätigt sich die Auffassung, daß quasi-monologische Texte nicht ihre korrespondierenden Gesprächsrealisate verkürzt abbilden, weil, wie erläutert, schließlich der gesamte Text als solcher die vorweggenommene negative Reaktion auf den ISPA repräsentiert. Darum korreliert der in Texteinheit I entfaltete Gedankengang auch nicht mit dem dialogischen ISPA, sondern dient als fakultativer thematischer Einstieg. Die mit dem Dialogischen Prinzip erklärbare kommunikative Relevanz des Textes spiegelt sich demzufolge nicht in der Progression der thematischen Einheiten wider, sondern kann vom Rezipienten erst nach der Kenntnisnahme des Gesamttextes inferiert werden. Bei komplexeren Texten wie dem vorliegenden empfiehlt sich daher eine Doppelanalyse, die das persuasive Strategierealisat sowohl auf der

213 monologischen Parameter- als auch auf der dialogischen Prinzip-Ebene beschreibt. Dies soll nun andeutungsweise geschehen. Einen markanten Orientierungsrahmen für die Ermittlung der textuellen Hauptaussage (der Schutz demokratischer Prinzipien erfordert den Verbotsantrag) bildet die pointierte Überschrift, die mit dem Homöoteleuton Verbot/Gebot die Rezeption lenkt.3 Insofern fungiert die Überschrift als propositionales Motto für den gesamten KOMMENTAR. Davon ausgehend läßt sich die persuasive Strategie hinsichtlich ihrer polarisierenden und profilierenden Maßnahmen präziser fassen. Aspekte der POLARISIERUNG

Kennzeichnend für die elaborierte Argumentation des Textes ist der relativ breite Raum, der der Auseinandersetzung mit der vom Verfasser antizipierten Antithese eingeräumt wird. So läßt sich das Realisat grob in zwei argumentative Blöcke teilen, wobei die Abschnitte I bis III zunächst mögliche Gründe für die Ablehnung eines Verbotsantrags reflektieren, ehe im Anschluß die Kernthese, daß der Verbotsantrag geboten ist, näher ausgeführt wird. Besonders in zweiseitigen Argumentationen, in denen ein Verfasser sich explizit mit einer entgegengesetzten Sichtweise auseinandersetzt, ist für den Erfolg einer persuasiven Strategie von besonderer Relevanz, daß der Kommunikator den Rezipienten von dem konnotativen Gebrauch der Schlüsselwörter überzeugt. Im vorliegenden Fall steht der Ausdruck Demokratie im Zentrum der strategischen Maßnahmen. Mit diesem positiven Leitwert entfaltet der Kommentator ein gewisses normativ-deontisches Interpretationspotential, das etwa durch den Rekurs auf das Gebot bzw. die Pflicht bzw. die Kumulation von Modalverben in Texteinheit I akzentuiert wird. Entscheidend ist nun die Konfrontation mit der vorweggenommenen Antithese, daß der Verbotsantrag undemokratisch ist. Um ihr wirkungsvoll begegnen zu können, stehen dem Verfasser im Grunde zwei taktische Maßnahmen zur Verfügung: entweder er attackiert die Schlüssigkeit des Einwandes - womit er zwangsläufig impliziert, daß der Verbotsantrag tatsächlich demokratische Prinzipien verletzt, was aber im Interesse eines anderen Wertes nicht besonders brisant ist - , oder er greift unmittelbar die Haltbarkeit der antithetischen Position an. In diesem Fall muß er darlegen, daß die negative Bewertung des Verbotsantrags als .undemokratisch' auf einem defizitären Demokratieverständnis beruht. Hierin zeigt sich die bereits theoretisch reflektierte semantische Aushandlungsbasis von POLARISIERUNGS-Sequenzen. Nicht zuletzt die externen situativen Bedingungen, unter denen konventionellerweise politische KOMMENTARE produziert und rezipiert werden, belegen, daß für den Verfasser allein die zweite Möglichkeit erfolgversprechend erscheint. Der Ausdruck Demokratie ist

3

Einen handhabbaren Überblick über die Vielfalt der rhetorisch-stilistischen Figuren bietet neuerdings Harjung (2000).

214 in wertenden Sprachspielen gewöhnlich so positiv besetzt, daß es allemal angemessener ist, den Begriffsgebrauch für die eigene Sichtweise zu reklamieren. In diesem Kontext erfüllt Texteinheit III eine entscheidende strategische Funktion; mit dem Begriffspaar Skylla und Charybdis (18-21) - als Antonomasie für eine dilemmatische Situation - veranschaulicht der Kommentator die doppelte Gefahr, die einer demokratischen Staatsform droht, nämlich entweder in das Extrem der selbstmörderischen Lethargie (19) oder konträr der eifernden Selbstgerechtigkeit (20) zu verfallen. Beide Seiten - der prägnante Rückgriff auf die stark assoziativen Konzepte ,Weimarer Republik' (19) - ,Saint Just (Terreur)' (21) illustriert dies - nivellieren letztlich die demokratische Staatsform. Mit diesem Begriffspaar ist gegenüber den ersten beiden Einheiten das Fundament für eine semantische Modifikation des Kernbegriffs gelegt worden: ein angemessenes Demokratieverständnis sorgt sich nicht allein um die in den ersten beiden Abschnitten diskutierten Erscheinungsformen der eifernden Selbstgerechtigkeit, sondern um die in Einheit III erstmals thematisierte Lethargie. Damit impliziert der Kommentator, daß die in I und II ausführlich angesprochenen Aspekte nur bei einer einseitigen Betrachtungsweise, die gewissermaßen auf die Charybdis fixiert ist, als Argumente für die Ablehnung des Verbotsantrags taugen: Nur ein eingeschränkter Demokratiebegriff kann Zweifel aufkommen lassen, daß der Antrag geboten ist. Die strategischen Erwägungen laufen nun im zweiten Block (IV-VII) darauf hinaus, die Hauptthese mit der passenden Interpretation des Grundgesetzes als wesentlicher normativer Instanz zu stützen. Dazu muß der Nachweis erbracht werden, daß die für einen Verbotsantrag plädierende Auslegung demokratischen Prinzipien nicht nur nicht widerspricht, sondern, zwingender, direkt von ihnen erfordert wird. Die defensive strategische Ausprägung schlägt sich in den beschwichtigenden Äußerungen (27.3), (28) nieder. Mit ihnen senkt der Kommunikator das Gewicht der Konsequenzen, die aus einem eventuell erfolgreich beschiedenen Verbotsantrag erwachsen, indem er die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf der einen, das Parteienprivileg auf der anderen Seite gegenüberstellt. Diese Ausführungen explizieren damit die zentrale Äußerung (27.2). Als Brücke zu den Darlegungen in V bis VII fungiert die Prädikation sträfliche Unterlassung (29). Vor diesem Hintergrund nimmt sich (25) interessant aus: der zweifach eingeleitete Gliedsatz als Verbindung der konditionalen und kausalen Konjunktion impliziert, daß der Verfasser den Antrag für angemessen hält, zumal er offenbar keinen Zweifel daran hat, daß die NPD eine kriminelle Vereinigung ist. Daß in der folgenden Äußerung (26) in exponierter Weise allein die konditionale Konjunktion in der anaphorischen Wendung wenn es stimmt als Trikolon wiederholt wird, scheint m. E. eher eine suggestive Aufforderung an den Rezipienten zu sein, auch hier jeweils das kausale weil zu ergänzen. Hier ist ohne weiteres eine klimaktische Taktik erkennbar, die die aus dem propagierten Demokratieverständnis erwachsende

215 Pflicht, den Antrag zu stellen, noch gesondert betont.4 Aus einer einseitigen Furcht, die Demokratie zu einer Gedankenpolizei zu pervertieren, erwächst dem Verfasser zufolge, der damit wieder an die Skylla - C/iaryMu-Metapher anknüpft, die komplementäre Gefahr der Lethargie. Der Rekurs auf das Grundgesetz wird dabei doppelt gestützt: zum einen ist die Enumeration der Artikel (34), (36), (38) als antizipierter Nachweis der Haltbarkeit verstehbar, mit dem die Berufung auf das Grundgesetz formal gestützt werden soll. Die Schlüssigkeit der Interpretation obliegt dagegen der Nachweis-Sequenz, der zufolge der materielle Grundgedanke des Grundgesetzes gerade durch die Reaktion auf die historischen Erfahrungen in der (späten) Weimarer Republik motiviert ist. In dieser Weise dient die semantische Modifikation des Demokratiebegriffs dazu, nicht allein die Unbedenklichkeit des Verbotsantrags zu plausibilisieren, sondern gerade den Verzicht auf einen derartigen Antrag selbst mit dem antizipierten Vorwurf zu behaften. Die defensive persuasive Taktik ist damit offensiv gewendet worden. Mit dem Rückgriff auf das Grundgesetz wird die zusammenfassende Evaluation (39), (40) in Einheit VII vorbereitet; sie legt neben der Überschrift und der Einheit IV den ISPA des zugrunde liegenden dialogischen Sprachspiels nahe. In diesem Kontext wird die deontische Argumentation durch das ,a minore'-Plausibilisieren resümiert: Was das Grundgesetz dem Bürger als Recht auf Widerstand gegen antidemokratische Tendenzen zugesteht, verpflichtet den Verfassungsminister. Aspekte der PROFILIERUNG

Die Glaubwürdigkeit als Wahrnehmungskategorie der kommunikativen Rollengestaltung ist in deutlicherem Maß als die polarisierende Wertattribution auf kognitive Schlüsse des Rezipienten angewiesen; daß der Kommunikator sie selten explizit in quasi-monologischen Texten beansprucht, hängt damit zusammen, daß sie in der gesamten textuellen Kommunikation präsupponiert wird. Wenn ein Kommunikator ohne Not seine Glaubwürdigkeit beteuert, ist dieses Vorgehen schon deshalb kontraproduktiv, weil er den Rezipienten u. U. erst selbst darauf aufmerksam macht, daß die Zuweisung von Vertrauen riskant ist. I. d. R. erweist sich das PROFILIEREN im plausiblen Vollzug des POLARISIERENS, d. h., es ist nicht auf eine isolierbare textuelle Funktionseinheit beschränkt. Dennoch lassen sich einige Äußerungen deutlicher als textuelles Pendant zu einer PROFILIERUNGS-Strategie in der interaktiven Kommunikation konturieren. Wie bereits angedeutet, gehört es zu dem konventionellen Rollenprofil eines politischen Kommentators, daß er seine Evaluation möglichst frei von subjektiven Dispositionen prä4

Auffällig ist zudem, daß der Kommentator entgegen der verknappten Aussage der Überschrift weniger die Frage nach den Erfolgsaussichten des Verbotsantrags explizit in den Mittelpunkt stellt, sondern die nach der Vertretbarkeit. Da zwischen den beiden Aspekten aber ein Implikationszusammenhang besteht, suggeriert der Verfasser, die NPD müsse verboten werden.

216 sentiert. Die Bewertung soll den Rezipienten allgemein nachvollziehbar erscheinen. Der Kommentator verfolgt damit kein persönliches Interesse bei der Diskussion der strittigen Angelegenheit, und seine Parteinahme soll allein sachlich motiviert wirken. Damit ist seine Konstruktion von Glaubwürdigkeit - im Gegensatz zu der eines Parteipolitikers - wenig problematisch. Die persuasive PROFILIERUNGS-Strategie kommt in dem Realisat etwa dadurch zum Ausdruck, daß der Kommentator eine explizite Polarisierung insofern vermeidet, als er in seiner Evaluation klar um einen sachlichen' Stil bemüht ist; die denkbaren Gründe für den Verzicht auf einen Verbotsantrag werden in den Texteinheiten I und II recht ausfuhrlich präsentiert und nicht einfach als haltlos verworfen, sondern hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit für die Gegenthese angezweifelt. Daß der Verfasser in dieser Form auf die Gegenposition eingeht, signalisiert dem Rezipienten, daß er ein maßvolles Urteil anstrebt, das auf sorgfältiger Abwägung beruht. Die Befürchtungen und Einwände werden verantwortungsbewußt ernstgenommen, der Kommentator ist, das impliziert seine Argumentationsweise (concessio), aufrichtig. Aufschlußreich ist etwa die in (16) geäußerte Bereitschaft, sogar Invektiven demokratiefeindlicher Gruppen (in Form der Aißchrologie/Koprolalie) zu tolerieren, mit denen sie ihre eigene Duldung verhöhnen. Die Ausführungen lassen sich als Ausdruck einer Strategie verstehen, den Opponenten eine argumentative Brücke zu bauen, dessen im Prinzip berechtigte Haltung, so wird suggeriert, der Verfasser teilt. Allerdings versäumt er es schon am Ende von I nicht, eine Grenze demokratischer Toleranz anzudeuten. (10) und (11) entfalten ihr strategisches Potential jedoch nicht in den ersten beiden Einheiten - wo sie eher wie eine beiläufige Bemerkung zur Präzisierung des Demokratiebegriffs wirken - , sondern erst in ihrem kohärenten Bezug zu den Texteinheiten III und IV. Zur Profilierung als fairer Kommentator trägt zudem die Taktik bei, in (30) den Begründer der Reinen Rechtslehre mit dem Adjektiv-Attribut groß zu charakterisieren, also auch der der eigenen Haltung entgegengesetzten Position Respekt zu erweisen. Seine fachliche Kompetenz demonstriert der Kommunikator v. a. in den Einheiten V bis VII, und zwar zum einen durch den Bezug auf den rechtshistorischen Hintergrund, zum zweiten durch die präzise Anfuhrung der einschlägigen Grundgesetz-Artikel. Der abwägende Argumentationsstil hindert den Kommunikator auch daran, die antizipierte Gegenposition vehement abzuwerten, sieht man einmal von der Qualifizierung als sträfliche Unterlassung (29) ab, die hinsichtlich ihres stilistischen Stärkegrades sicher noch gesteigert werden könnte (denkbar wären etwa Formeln wie bodenloser Leichtsinn, Totengräber der Demokratie o. ä.). Die persuasive Strategie beruht m. a. W. angesichts der konventionellen Rahmenbedingungen, die das aptum-?rof\\ der Textsorte KOMMENTAR begründen, darauf, die wertende Position auf vergleichsweise elaborierte Weise zu plausibilisieren.

217 Die dialogischen Grundlagen des Textes Das gesamte Realisat ist als das Ergebnis einer am Kriterium der Effektivität orientierten Antizipation zu verstehen; mit dem Text nimmt der Verfasser als Spl einen Negativen Bescheid (WIDERSPRUCH) des Rezipienten als Sp2 auf seinen ISPA in dem virtualisierten Dialogspiel vorweg. Dieser ISPA kann als deontisch-normative BEWERTUNG modelliert werden; ihre Proposition lautet ,Der Verbotsantrag ist geboten.' Damit folgt der Text dem persuasiven Strategiemuster ÜBERZEUGUNGSVERSUCH/EVALUIEREN. Mit d e m WIDER-

SPRUCH antizipiert der Kommentator den Vollzug des propositionalen Aktes ,Der Verbotsantrag verletzt demokratische Prinzipien', was insbesondere in den funktionalen Texteinheiten I und II verbalisiert wird. Die strategischen Maßnahmen, mit denen die Konvergenz des Rezipienten/Sp2 effizient angestrebt wird, legen nahe, daß Einheit IV gewissermaßen als insistierender dritter Zug einzuordnen ist, der direkt auf einen definitiven Positiven Bescheid abzielt. In diesem Zusammenhang sind die folgenden funktionalen Aspekte der antizipative Sequenzen von Belang: (a) die semantische Aushandlung als Modifikation des in den ersten beiden Einheiten zugrunde gelegten Demokratieverständnisses; die Binnenstruktur der Text-einheit III entspricht damit grob einer dialogischen KLÄRUNGS-Sequenz, die von der FRAGE Was heißt Demokratie? initiiert wird; (b) die Explikation der .defensiven' Einstellung, der zufolge der Verbotsantrag demokratischen Prinzipien nicht widerspricht; hier geht es v. a. darum, den Rechtsgütern ,Meinungs-/Versammlungsfreiheit' eine Präferenz gegenüber dem .Parteienprivileg' zuzuweisen; (c) die Explikation der ,offensiven' Einstellung, die der Rezipient als invited inference auch ohne eigene Verbalisierung erschließen könnte, nämlich daß der Verzicht auf den Verbotsantrag demokratischen Prinzipien zuwiderläuft. Die Explikation des Grundgesetzes bezieht sich sowohl auf die antizipierte KLÄRUNGS-Sequenz, in der der Rezipient/Sp2 die formale Haltbarkeit problematisiert, d. h. sich nach den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes erkundigt, als auch die Erläuterung der materiellen Angemessenheit, mit der der Verfasser das Grundgesetz als historische Reaktion auf die Konsequenzen der Reinen Rechtslehre deutet. Der kommunikativ-antizipative Textaufbau ist auf der folgenden Seite schematisch festgehalten.

218

T e x t a n t i z i p a t i o n ISPA:

Negativer Bescheid:

Verbotsantrag positiv

Verbotsantrag undemokratisch

(deont.

(WIDERSPRUCH) (I, II)

BEWERTEN)

(2. Zug)

(1- Zug) 3. Zug: INSISTIEREN P E R S U A S I O N ÜBERZEUGUNGSVERSUCH

Demokratie erlaubt und fordert den Verbotsantrag

semantische A ushandlung:

Explikation:

Explikation:

Meinungs- / Versammlungs-

GG sieht Verbote vor

KiÄRUNGS-Sequenz:

freiheit nicht angetastet

Demokratie

(Präferenzzuweisung)

(III)

(IV)

— formal: Klärung der Artikel (VI, VII) — materiell: Explikation der Angemessenheit: historische Entwicklung (V, VI)

Verbotsantrag keine eifernde

Verzicht auf Verbotsantrag

Selbstgerechtigkeit

selbstmörderische

Abb. 14: Text 1 und seine dialogische Antizipation

Lethargie

219

6.3

Text 2:

POLEMIK

Im Gegensatz zu dem abwägenden Kommentar handelt es sich bei dem zweiten Beispiel u m ein Textrealisat, das die persuasive Polarisierung weit deutlicher expliziert. Die textsortenindizierende Bezeichnung Polemik legt bereits nahe, daß die divergente Ausgangssituation in dem Stärkegrad einer Kontroverse abgearbeitet wird. Damit weist eine POLEMIK klare Parallelen zu intransigenten Dialogmustern (vgl. Hundsnurscher 1994a: 222) auf. Der Rezipientenkreis dient als Entscheidungsgremium, das die Auseinandersetzung zwischen den beiden scharf konturierten Kontrahenten(gruppen) beobachtet. Typisch hierfür ist die ausgeprägte Tendenz, die Abwertung der Gegenposition unmittelbar zu personalisieren. Darum besteht ein besonders enges Implikationsverhältnis zwischen dem POLARISIEREN und dem PROFILIEREN. I. d. R. überläßt es der Kommunikator nicht der Inferenzleistung des Rezipienten, den oder die Vertreter der abgewerteten Haltung für negativ profiliert zu halten, sondern greift häufig zu expliziten Invektiven. Tollheit mit Methode Marcel Reich-Ranicki Uber den Historiker Ernst Nolte (I) (1) Es ist schon ein Kreuz mit diesem Nolte, Ernst, dem höchst dubiosen Historiker. (2) Im SPIEGEL vom 18. September beschwert er sich wieder einmal, jetzt über eine Äußerung von mir im SPIEGEL-Gespräch vom 22. Mai: (2.1) „Reich-Ranicki hat erklärt, ich hätte Juden mit Ungeziefer verglichen, das heißt gleichgesetzt. (2.2) Ich nahm das anfangs nicht emst, weil ich meinte, jeder vernünftige Mensch erkenne klar aus meinem Text, dass das üble Wort von Goebbels stammt." (II) (3) Hier stimmt so gut wie nichts. (4) Von einer „Gleichsetzung" ist in meiner von Nolte beanstandeten Äußerung überhaupt nicht die Rede, vielmehr sagte ich, Nolte habe Juden mit Ungeziefer verglichen. (5) Der Gelehrte hätte ein Wörterbuch zu Rate ziehen sollen. (6) „Vergleichen" bedeutet nämlich nicht „gleichsetzen", sondern betrachtend oder wertend nebeneinander stellen. (7) Wenn man, beispielsweise, die Verbrechen Albert Speers mit denen Himmlers vergleicht, dann ist das noch keine Gleichsetzung der beiden. (III) (8) In dem von mir zitierten SPIEGEL-Gespräch sagte Nolte 1994, man habe die Juden ermordet, „wie man Ungeziefer, dem man ja auch nicht Schmerzen bereiten will, weghaben möchte". (9) Nolte hat also, worauf er jetzt Wert legt, die Juden nicht mit dem Ungeziefer „gleichgesetzt", wohl aber die Behandlung der einen mit der der anderen verglichen. (IV) (10) Es ist immer wieder dasselbe: Man wirft Nolte diesen oder jenen Ausspruch vor, und er antwortet prompt und spitzfindig, er habe es etwas anders gemeint oder er habe jemand anderen zitiert oder referiert. (11) Jetzt holt er Goebbels zu Hilfe. (12) Wenn es denn tatsächlich dessen Worte sind, dann hätte der Historiker Nolte darauf verweisen oder zumindest die übernommene Formulierung mit Anführungszeichen versehen sollen. (13) Aber das korrekte Zitieren scheint nicht die Sache dieses Gelehrten zu sein. (14) Kann er nicht richtig zitieren, oder will er es nicht? (15) Warum hat er sich erst jetzt (mit dem Adjektiv „übel") von dem angeblich übernommenen Wort distanziert? (V) (16) Er sagt: „Wer meine Bücher kennt, der weiß, dass ich nichts schärfer verurteile als solche Gleichsetzungen von Menschen mit tierischen Schädlingen." (17) Da irrt er sich aber mächtig. (18) Gerade das Gegenteil trifft hier zu. (19) Das soll heißen: Eben weil mir Noltes Schriften vertraut

220 sind, hat mich sein Vergleich nicht überrascht - und nicht obwohl, sondern weil er, der Vergleich, ekelhaft ist. (VI) (20) Seit vielen Jahren wirbt er um Verständnis für den Nationalsozialismus, er ist bemüht, ihn zu verteidigen und natürlich die deutschen Verbrechen zu bagatellisieren. (21) Denn die Historiker hätten die Pflicht - so betont er jetzt abermals „den jeweils vorherrschenden Ansichten entgegen die .andere Seite' der Dinge herauszustellen". (22) So hat Nolte den Standpunkt vertreten, Hitler sei berechtigt gewesen, alle deutschen Juden zu internieren und zu deportieren. (23) Die „Endlösung der Judenfrage" sei - erklärte er - nicht ein Werk von Deutschen, vielmehr ein Gemeinschaftswerk der „europäischen Faschismen und Antisemitismen". (24) Im Dezember 1998 rühmte Nolte die WaffenSS als „Höhepunkt des Kriegertums schlechthin", wobei er einräumte, dass die Ermordung von „Minderwertigen" und Juden (er schreibt „Tötung"!) auch mit „unritterlichem Verhalten" verknüpft war. (25) Das ist doch interessant: Ganz ritterlich ging es, wie wir jetzt erfahren, in Auschwitz oder Treblinka nun doch nicht zu. (VII) (26) Wurden denn die Juden von den Nationalsozialisten je grausam behandelt? (27) Ja, in der Tat spricht Nolte in diesem Zusammenhang von Grausamkeiten, fügt aber gleich hinzu: „Sie mögen da gewesen sein, es mag sie gegeben haben" - so im SPIEGEL 40/1994. (28) Mit anderen Worten: Er ist nicht sicher, ob den Juden etwas Grausames angetan wurde, doch kann er es nicht ganz ausschließen. (VIII) (29) Ist dieser Nolte überhaupt noch zurechnungsfähig? (30) Das jedenfalls scheint sicher: Wenn es Tollheit ist, so hat's doch Methode - wie Polonius im „Hamlet" sagt. (31) Aber ob er je im Stande sein wird zu erkennen, welche Rolle er im heutigen Deutschland spielt, was er anrichtet? (32) Beunruhigen ihn nicht die Anschläge auf Ausländerheime und Gedenkstätten, auf Synagogen und jüdische Friedhöfe und noch viele andere Untaten der Rechtsradikalen - gibt ihm das alles nicht zu denken? (33) Ist sich Nolte denn seiner Verantwortung - um nicht von Mitschuld zu sprechen - gar nicht bewusst? (IX) (34) Wundert es ihn, dass viele seiner Kollegen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit von „Schande" sprechen und ihre Verachtung nicht verbergen? (35) Jedenfalls geht er einen Weg - wie der Historiker Christian Meier schon 1994 schrieb - „abseits jeder intellektuellen Redlichkeit". (36) Und was Nolte predigt und verkündet, hat verheerende Folgen. (37) Deshalb, nur deshalb sollte man ihn nicht ignorieren. Das vorliegende Realisat - publiziert im SPIEGEL am 09.10.2000 - besteht aus neun funktionalen Texteinheiten, die sich wiederum aus sequenzierten Äußerungsformen zusammensetzen. Die propositionalen Hauptgedanken können wie folgt rubriziert werden: I.

Laut Ernst Nolte hat Marcel Reich-Ranicki ihm unterstellt, er habe Juden mit Unge-

II.

Noltes Beschwerde ist bei einer metasprachlichen Unterscheidung von Vergleichen

ziefer gleichgesetzt. und Gleichsetzungen haltlos. III.

Er hat die Behandlung von Juden mit der von Ungeziefer verglichen.

IV.

Er hat das seinen Äußerungen zugrunde liegende Zitat von Goebbels nicht kenntlich gemacht.

V.

Seine Beteuerungen, er distanziere sich inhaltlich von dem zitierten Vergleich, sind unglaubwürdig.

VI.

Er wirbt u m Verständnis für den Nationalsozialismus.

VII. Er betont die Grausamkeiten des Nationalsozialismus nicht deutlich genug.

221 VIII. Er ist darum für heutige rechtsradikale Straftaten mitverantwortlich. IX. Er ist wissenschaftlich unredlich. Aspekte der POLARISIERUNG UND DER PROFILIERUNG Daß in Polemiken die Polarisierungs- und die Profilierungs-Strategien nicht klar voneinander getrennt werden können, hat zur Folge, daß sich das semantische Aushandlungsspiel unmittelbar auf die Glaubwürdigkeit des Kontrahenten konzentriert. Der inhaltliche Zusammenhang der Texteinheiten legt eine Zweiteilung in die Abschnitte I bis IV und V bis IX nahe. Dem ersten Teil fällt zunächst die Funktion zu, die kommunikative Vorgeschichte des Textes zu erläutern. Oberflächlich betrachtet stellt er eine REPLIK, also eine sequenzgebundene, reaktive Textform (vgl. Franke 1987: 265-266) dar, mit der der Verfasser auf eine textuelle Äußerung seines Kontrahenten vom 18.09.2000 antwortet. Die intertextuellen Verweise können aber noch weiter zurückverfolgt werden: die Äußerung vom 18.09. bezieht sich auf eine Äußerung des Verfassers vom 22.05.2000, in dem sich dieser wiederum auf eine 1994 getätigte sprachliche Handlung des Kontrahenten bezieht. Dieses System wechselseitigen Referierens verleiht dem ersten Teil eine unverkennbar metasprachliche Charakteristik. Die Äußerungen (2), (4), (8) beziehen sich als direkte oder indirekte Zitate auf vorangegangene Sprechhandlungen. Der persuasive Zweck dieser Bezugnahmen besteht darin, die eigene Position positiv zu profilieren, indem die Glaubwürdigkeit des Kontrahenten abgewertet wird. Das bringt bereits die superlativische Apposition dem höchst dubiosen Historiker zum Ausdruck. Der Verfasser nimmt das im ersten Abschnitt wörtlich wiedergegebene Zitat Noltes zum Ausgangspunkt, ihm eine fachliche Unzulänglichkeit vorzuwerfen. Dazu dienen die Einheiten II und III, die taktisch von einer begriffskritischen Differenzierung der Lexeme vergleichen und gleichsetzen geprägt sind. Sie sollen den Nachweis erbringen, daß Noltes Vorwurf, Reich-Ranicki habe ihm unterstellt, er habe Juden mit Ungeziefer gleichgesetzt, haltlos ist. In dieser polarisierenden Situation kommt dieser Einwand gegen die Haltbarkeit des Vorwurfs einem Gegenvorwurf gleich, dem zufolge der Kontrahent den Verfasser falsch zitiert hat. Dabei entspricht es durchaus den Konventionen der Textsorte, daß dieser Nachweis spöttisch kommentiert wird - etwa in (5) und (6), in denen der Verfasser durch seine Empfehlung, der Gelehrte hätte ein Wörterbuch benutzen sollen, gerade die Prädikation Gelehrter ironisiert. Texteinheit IV generalisiert die geschilderte Ausgangslage und identifiziert die Einheiten I bis III als Einstiegsbeispiel, das die grundsätzlichen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kontrahenten lediglich illustriert. Dementsprechend expliziert der Kommunikator den zuvor nur angedeuteten Vorwurf, Noltes Zitationsgepflogenheiten entsprächen nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Die prädikativen Teilakte der Historiker Nolte (12) und dieser Gelehrte (13) steigern

222 die ironischen Zweifel zum Sarkasmus.5 (14) stellt eine Kohärenz zu der zweiten Sektion funktionaler Texteinheiten (V bis IX) her. In ihrem Mittelpunkt steht der Vorwurf, die in I bis IV illustrierte Unglaubwürdigkeit Noltes mache ihn mitverantwortlich für aktuelle rechtsradikale Untaten. Der Verfasser widerspricht explizit den Beteuerungen des Kontrahenten, er distanziere sich von dem eingangs referierten Zitat (16, 17). Als pointierte Marker der kontroversen Position in Texteinheit V dienen v. a. der Ausdruck Gegenteil (18) sowie die konträre Anordnung der kausalen bzw. konzessiven Konjunktionen obwohl und weil (19). Da die Wendung etwas scharf verurteilen im allgemeinen eine expressive Sprechhandlung nahelegt, zweifelt der Kommunikator also nun nicht allein die Sachkompetenz, sondern die Aufrichtigkeit des Gegners an. Den anschließenden Texteinheiten kommt nun die Hauptaufgabe zu, namentlich die negative Bewertung der moralisch-charakterlichen Eigenschaften Noltes zu explizieren. Sie erläutern und entfalten allesamt den Vorwurf der Unredlichkeit, den Reich-Ranicki gegen den Kontrahenten sowohl als Fachhistoriker als auch als Person erhebt. Zentral hierfür ist die Äußerung (33). Wiederum unter Zuhilfenahme wörtlicher Zitate sollen dabei die Texteinheiten VI und VII die Anschuldigung plausibilisieren, er bagatellisiere den nationalsozialistischen Genozid an den Juden, VIII verweist demgegenüber auf einen kausalen Zusammenhang zu rechtsradikalen Straftaten. Taktisch, also hinsichtlich ihres Aufbaus, weisen VI und VII Parallelen auf: zunächst werden die betreffenden Äußerungen/Äußerungseinheiten vergleichsweise genau wiedergegeben, zugleich noch durch die Angabe der näheren Umstände - Dezember 1998 (24), SPIEGEL 40/1994 (27) - spezifiziert, im Anschluß daran wiederum in sarkastischer Manier durch Reich-Ranicki kommentiert.6 Besonders VIII spekuliert suggestiv über Noltes Motive, fachwissenschaftlich unhaltbare Thesen zu propagieren. Auffällig ist die Kumulation von Fragesätzen (29, 31-33), deren propositionaler Gehalt als quaesitum präsentiert wird. Sie problematisieren Noltes epistemische Einstellung und deuten darüber hinaus an, er nehme den von Reich-Ranicki präsupponierten Kausalzusammenhang mit den Straftaten bewußt in Kauf. Insofern legt sich der Verfasser gerade nicht auf die zu Beginn der Einheit VIII provozierend gestellte Frage nach der Zurechnungsfähigkeit des Kontrahenten (29) negativ fest, sondern insinuiert, er gehe möglicherweise planmäßig vor. Als relevante Äußerungen fungieren hier (30) und (33). Das Shakespeare-Zitat, das mit dem Oxymoron Tollheit - Methode operiert (30), bereitet die in paraliptischer Form präsentierte Funktiona5

6

Wahrscheinlich ist dieser Zitationsvorwurf als Allusion zu deuten, mit der der Verfasser das Hintergrundwissen der involvierten Rezipienten über den „Historikerstreit" (vgl. Augstein et al. 1987) aktiviert, der sich bekanntlich im Anschluß an kritische Einwände von Jürgen Habermas u. a. gegenüber Noltes Ausfuhrungen entwickelt hat und in dessen Verlauf funktional vergleichbare Vorwürfe wissenschaftlicher Unredlichkeit aufgrund fehlerhafter Zitate erhoben wurden. Gerade in Anbetracht der Texteinheit IV sollen diese Präzisierungen den Verfasser gegenüber Nolte noch nachhaltiger profilieren.

223 lisierung der semantischen Differenzierung von Mitverantwortung und Mitschuld vor. Damit impliziert der Kommunikator, daß sein Kontrahent in jedem Fall unglaubwürdig ist - gleichgültig, ob er die NS-Verbrechen allein aus fachlicher Inkompetenz oder aus niederträchtigen Motiven bagatellisiert. In Einheit IX resümiert (35) diese Haltung, indem ReichRanicki als Autoritätsargumentation die Äußerung eines Historikers anfuhrt. Damit akzentuiert er seine Eigenprofilierung noch einmal, indem er mögliche Einwände antizipiert, die ihm die Legitimation zur Abgabe eines Fachurteils über Nolte absprechen. Die dialogischen Grundlagen des Textes Effektiv antizipiert der Verfasser mit dem Text als Spl einen Negativen Bescheid des Rezipienten als Sp2 auf seinen ISPA in Form einer epistemischen bzw. ethischen BEWERTUNG. Auch hier liegt also wieder das persuasive Strategiemuster ÜBERZEUGUNGSVERSUCH/EVALLJIEREN vor. Anders als im ersten Beispiel scheint der Kommunikator hier aber keine explizite Gegenthese (in Form eines WIDERSPRUCHS) zu erwarten, sondern eher einen anzweifelnden Sprechakt. Darum ist die Elaboration der Argumentationsweise weniger ausgeprägt, was, wie bereits angedeutet, durchaus mit den Konventionen der Textsorte POLEMIK begründbar ist. In Anbetracht der suggestiven Verbindung der semantisch unverträglichen Lexeme Tollheit und Methode ist es nicht ganz unproblematisch, den propositionalen Gehalt des ISPA eindeutig zu rubrizieren. Gerade angesichts der Texteinheit VIII erscheint die Lokution ,Nolte ist iniredlich' zu schwach,,Nolte ist an rechtsradikalen Straftaten mitschuldig' hingegen zu stark. Deshalb ist es angemessen, eine komplexe Proposition wie ,Nolte ist unredlich [a] und deshalb zumindest mitverantwortlich für rechtsradikale Straftaten [b]' anzusetzen. Was den zweiten propositionalen Teilakt [b] angeht, lassen sich die Einheiten VI und VII als Antwort auf die antizipierte Frage verstehen, inwiefern der Kontrahent eine Mitverantwortung trägt, was die korrespondierenden Äußerungen (20)-(28) explizieren. Einheit VIII expliziert dagegen, worin die Mitverantwortung besteht. Auch wenn diese Anschuldigung wegen der kausalistischen Perspektive generell schwierig zu plausibilisieren ist und keineswegs zwangsläufig bei den Rezipienten Konvergenz erzeugt, ist davon der polemische Vorwurf der Unredlichkeit (mangelnde fachliche und/oder moralische Kompetenz) nicht gleichermaßen betroffen. Es erweist sich, daß die Teilakte in einem argumentativen Schlüssigkeitsverhältnis stehen. Daher ist es denkbar, daß ein Rezipient die Mitverantwortung an den Straftaten hinterfragt, ohne zwangsläufig zu leugnen, daß er - aus welchen Gründen auch immer - unredlich agiert. Die negative Profilierung als unredlich wird im wesentlichen in den Einheiten V und IX explizit geäußert; sie nehmen einen Negativen Bescheid vorweg, dem zufolge Nolte ein redlicher Historiker ist. Somit fungieren sie als Haltbarkeitsnachweis-Sequenz für den Teilakt [a] des ISPA. Verdeutlicht werden sie mit den illustrativen Beispielen der Einheiten

224 I bis IV. Dabei antizipiert der Kommentar des Verfassers (10) den Einwand, daß die Beispiele nur Einzelfalle repräsentieren und nicht stichhaltig sind. In diesem strategischen Zusammenhang sind auch Ausdrücke und Wendungen wie vertraut (19), seit vielen Jahren (20), schon 1994 (35) angesiedelt, die belegen sollen, daß die Sequenz I bis IV gerade keine induktive Beispielargumentation umsetzt, sondern die Abwertung des Kontrahenten allein veranschaulicht.

225

T e x t a n t i z i p a t i o n

Abb. 15: Text 2 und seine dialogische Antizipation

226 6.4

T e x t 3: AUFRUF ( 1 9 1 6 )

Anders als die bisher analysierten Textrealisate lassen sich die folgenden Beispiele als Realisationsformen des persuasiven Strategiemusters ÜBERREDUNGSVERSUCH interpretieren. Es ist - wenigstens einer bestimmten Rezipientengruppe - möglich, die Globalfunktion der Texte als nicht-bindende Direktive z u identifizieren. Gleichwohl kann es hier im konkreten Fall zu Zuordnungsproblemen kommen, und zwar besonders dann, wenn die auf dem Sprachspiel stehende Aufforderung nicht präzise mittels klar abgrenzbarer Basishandlungen umgesetzt werden kann. Ein Beispiel hierfür stellt dieses Realisat dar: Der Wille zum Sieg (27.7.1916) Ein Aufruf Berliner Universitätsprofessoren (I) (1) An unser Volk! (II) (2) Ein zweites Kriegsjahr nähert sich seinem Ende. (3) Es hat unseren Waffen noch reichere Erfolge gebracht als das erste. (4) Unsere Tapferen bieten ihre Brust den Gegnern. (5) Tief im Feindesland im Verein mit den Bundesgenossen haben sie den Weg nach Konstantinopel freigemacht, den Balkan für die Mittelmächte gewonnen. (6) Unsere junge Flotte hat sich in offenem Kampfe den gefurchteten Herren der Meere nicht nur gewachsen, sondern überlegen gezeigt. (7) Und doch sind hofihungsfreudiger Stolz, wie er uns lange erfüllte, und die Erkenntnis der Notwendigkeit weiteren Ausharrens und Kämpfens nicht mehr herrschende Stimmung des Tages. (8) Die Erwartung eines nahen Friedens bewegt weite Kreise. (9) Wir waren von jeher, seit Jahrhunderten, ein Friedensvolk. (10) Wenn unser Reich nicht zustande kommen konnte ohne vorbereitende Kriege, so lag das im Gang der Geschichte, wie das Geschick sie uns auferlegte. (11) Nachdem das Deutsche Reich geworden war, hat es nichts gewollt als den Frieden, Raum für ehrliche Arbeit, die allein im Frieden gedeihen kann. (12) Es hat nicht haben sollen, was es suchte. (13) Rachsucht, Ländergier, Erwerbsneid der Nachbarn haben ihm die Waffen in die Hand gezwungen, sich selbst und das verbündete Nachbarreich zu retten vor der geplanten Verstümmelung und Zerstückelung. (III) (14) Auch seitdem wir kämpfen, haben wir keinen anderen Gedanken gehabt, als daß wir ringen um einen ehrlichen Frieden. (15) Wir haben das Schwert nicht in die Hand genommen, um zu erobern. (16) Nun wir es haben ziehen müssen, wollen, können und dürfen wir es nicht in die Scheide stecken, ohne einen Frieden gesichert zu haben, den auch die Feinde zu halten gezwungen sind. (17) Der ist aber nicht zu erlangen ohne Mehrung unserer Macht, Ausdehnung des Bereiches, in dem unser Wille über Krieg und Frieden entscheidet. (18) Dazu bedarf es sicherer Bürgschaften, „realer Garantien". (19) Darüber ist bei allen Deutschen nur eine Meinung. (IV) (20) Unsere Gegner sind noch nicht bereit, uns solche Bürgschaften zuzugestehen. (21) Sie geben ihren Absichten nicht mehr so schroffen Ausdruck wie zu Anfang. (22) Sie haben sie aber nicht aufgegeben, sie wollen nach wie vor, daß wir machtlos werden, und rechtfertigen das fortgesetzt mit der niederträchtigen Verleumdung, daß wir nach der Unterdrückung aller Völker, nach Weltherrschaft streben. (23) Sie sind nicht friedebereit, so können auch wir nicht von Frieden reden. (V) (24) Der Krieg lodert, ungeheure Opfer fordert er fortgesetzt. (25) Es gibt kaum noch eine Familie, in die Schmerz, Trauer und Sorge nicht ihren Einzug hielten. (26) Sollte all das umsonst dargebracht, ertragen, gelitten sein? (27) Sollten wir wünschen können, all dem ein Ende zu machen mit der gewissen Aussicht, in wenigen Jahren abermals und dann in schwierigerer Lage als jetzt um unser Dasein kämpfen zu müssen? (28) Unsere Feinde rechnen mit der Not, in die sie uns durch Absperrung versetzen können. (29) Sollten wir der kleinen Entbehrungen wegen, die uns der Tat

227 auferlegt, unsere Zukunft in Frage stellen können, sollten das tun, obgleich wir Sieger sind? (30) Wir verdienen nicht ein Volk zu heißen und ein Reich zu haben, wenn es so wäre. (31) So wollen wir denn ,durchhalten", unverzagt und unerschiittert durchhalten und siegen, weil, wollen wir uns nicht selber aufgeben, wir gar nicht anders können. (32) Mit dem Willen zum Siege sind wir in den Krieg gezogen, ihm verdankt unser Volk seine Erfahrungen. (33) Sollte trotz ihrer dieser Wille ins Wanken geraten? (34) Der Krieg hat bewiesen, daß wir ein einiges Volk sind. (35) Daß es daheim und draußen vielfach bezweifelt wurde, erinnert sich jeder. (36) So sollen auch die Zweifel an der Notwendigkeit weiteren Kämpfens und Siegens, die unser Volk beschleichen und seine Seele schwach zu machen, die Gegner aber zu stärken drohen, wie störende Nebel dahinschweben vor dem Sonnenglanz unseres Willens zum entscheidenden Siege und des Glaubens an ihn. (37) Sei stark, deutsches Volk, und Gott wird mit dir sein.

Die Zuordnung dieses AUFRUFS ZU dem überredenden Strategiemuster ZUREDEN erscheint deswegen angemessen, weil angesichts der externen situativen Bedingungen, des historischen Kontextes, die Kommunikatoren nicht allein anstreben, daß die Rezipienten ihren Ausführungen allein zustimmen (wie das beim überzeugenden Strategiemuster EVALUIEREN der Fall ist); vielmehr sollen sie ihre Konvergenz dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie dem angestrebten Ziel, den Krieg fortzuführen, zumindest keinen Widerstand entgegenbringen und nach Möglichkeit durch ihr Verhalten dazu beitragen, die Kampfmoral der Truppen aufrechtzuerhalten. 7 Die funktionalen Texteinheiten werden durch vier Abschnitte repräsentiert: I.

Trotz Kriegserfolgen will das Volk Frieden.

II.

Der Frieden muß aber ehrlich sein.

III.

Zu einem solchen Frieden sind die Kriegsgegner jedoch nicht bereit.

IV.

Sowohl die erbrachten Kriegsopfer als auch die Siegesaussichten verpflichten zur Fortsetzung.

Aspekte

der POLARISIERUNG

Allgemein spiegeln sich die soziokulturellen Bedingungen des klassischen Nationalstaats in der persuasiven Strategie wider. Der dezidiert konnotative Gebrauch des Ausdrucks Volk ist durch die auffällige Verschränkung von deontischen und motivationalen Aspekten charakterisiert: das Bewußtsein, einer gemeinsamen, überindividuellen Sache zu dienen, soll hierin liegt eine gewisse Paradoxie - den Rezipienten auch individuell beeinflussen. Die Erfüllung einer hochgeschätzten Pflicht stiftet Identität. Den Verfassern, Berliner Universitätsprofessoren, fällt nun die Aufgabe zu, die Kollision dieses Konzepts mit dem offenbar ebenfalls positiv konnotierten Begriff ,Frieden' zu vermeiden. Der AUFRUF antizipiert damit die nachlassende Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung.

7

Man vergleiche in diesem Zusammenhang auch das propagandistische Potential, das die .Dolchstoßlegende' nach Kriegsende entfaltet hat.

228 Die Kommunikatoren reflektieren mit dem Text die problematische Ausgangslage, daß weite Kreise ihrer Rezipienten fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Kriegsbeginn ihre anfängliche Begeisterung - nachhaltig gefördert durch unrealistische Erwartungen eines raschen Sieges - verloren haben. Darum bezweckt der Aufruf, möglichst entschieden zwischen den Optionen Fortsetzung' und .Beendigung' zu polarisieren. Der Text soll den Rezipienten eine Begründung liefern, weswegen es geboten ist, den Krieg fortzufuhren. Texteinheit I leitet eine Zwischenbilanz ein, in der mit Blick auf die zweijährige Kriegsdauer der status quo resümiert wird (2-6). Neben der expositorischen Funktion erfüllt sie aber auch ein persuasives Kalkül: Die aufgezählten Kriegserfolge sollen von vornherein das Bemühen um einen Friedensschluß problematisieren. Die Verfasser implizieren, daß die Kriegslage ein vom Deutschen Reich initiiertes Ende nicht nahelegt. Mit der adversativen Wendung und doch (7) beginnt die concessio: da die Kommunikatoren den Friedenswillen in der Bevölkerung nicht einfach leugnen, seine Konstatierung als haltlos zurückweisen können, bemühen sie sich statt dessen, die Gegenposition hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit zu hinterfragen. Da die Rezipienten schließlich zur Fortsetzung (intrinsisch) motiviert werden sollen, unterbleiben auch explizite Vorwürfe an die Bevölkerung. Das Konzept .Frieden' wird deshalb nicht abgewertet, sondern semantisch modifiziert, wie die Prädikation Friedensvolk (9) verdeutlicht. Die entscheidende Modifikation besteht darin, daß die Ausdrücke .Krieg' und .Frieden' aus ihrer quasi-antonymischen Begriffsrelation gelöst werden sollen, indem man versucht, ein instrumentelles Verhältnis zwischen beiden Konzepten zu etablieren: Die Äußerungssequenz (10) bis (13) wirft den gegnerischen Staaten vor, für den Krieg verantwortlich zu sein. Deutschlands Beteiligung am Krieg erfolgt laut der propagierten Interpretation ausschließlich aus defensiven Motiven, die der Friedfertigkeit des deutschen Volkes entsprechen. Damit implizieren die Verfasser folgenden Schluß: Wenn das deutsche Volk friedfertig ist und ohne eigenes Verschulden in die kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt worden ist, dann hat es den Kriegseinsatz so lang fortzuführen, bis der Frieden auch tatsächlich gesichert ist. Somit ist die zweite Texteinheit von der Vorstellung des ehrlichen Friedens (14) geprägt, die die komplexe Synekdoche (15) und (16) versinnbildlicht. Die mit der Fortführung des Kriegs angestrebte Mehrung unserer Macht (17) wird in diesem Zusammenhang gerade nicht als Selbstzweck aufgefaßt, sondern als Mittel verstanden, den ehrlichen Frieden zu gewährleisten. Um einen Grundkonsens zu erzeugen, berufen sich die Kommunikatoren auf die konnotativen Wendungen sicherer Bürgschaften, „realer Garantien" (18).8 Texteinheit III fällt v. a. die Funktion zu, die eta-

8

Hier liegt ein Musterbeispiel für die Konnotation des Typs 1 vor, deren unklare Referenz Problematisierungen geradezu herausfordert. Zu den innenpolitischen Implikationen dieser vom Reichskanzler propagierten Wendung vgl. Loth ( 2 1997: 146): „Bethmann Hollweg geriet infolge der gegensätzlichen Erwartungen [bürgerlicher Kreise einerseits, der Arbeiterbewegung andererseits, N.O.] in eine schwierige Lage, f...] Er behalf sich mit vieldeutigen Formeln, die ihm allseits Ver-

229 blierte Polarisierung zwischen der deutschen Bevölkerung und den Kriegsgegnern explizit zu machen. Dazu werden die Gegner deutlich negativ profiliert, indem sie als unglaubwürdig, d. h. unaufrichtig dargestellt werden. Daß die Verfasser einräumen, die Gegner gäben ihren Absichten nicht mehr so schroffen Ausdruck wie zu Anfang (21), ist Bestandteil einer Immunisierungsstrategie, mit der man einer erfolgreichen Gegenpropaganda vorzubeugen versucht. Der für den AUFRUF zentrale Gedankengang wird in der vierten Einheit plausibilisiert; was seinen argumentativen Gehalt angeht, ist er deshalb von einigem Interesse, weil die Kommunikatoren, ähnlich wie bei der Kompatibilisierung von,Krieg' und,Frieden', erneut eine Synthese zunächst widersprüchlicher propositionaler Inhalte anstreben. Ihre Taktik besteht darin, die in den zwei Jahren erbrachten Kriegsopfer zu honorieren (24-26), ohne aber Zweifel an den Siegeschancen des Deutschen Reichs (29) aufkommen zu lassen. Auf diese Weise soll gewissermaßen auf zwei Seiten ein moralischer Druck erzeugt werden, der die Rezipienten zur Fortsetzung der Kriegshandlungen verpflichtet. Daß diese taktische Maßnahme ein gewisses Risiko birgt, kann man sich an den beiden Äußerungen (24) und (29) verdeutlichen; während zunächst die Bereitschaft des Volkes durch den Verweis auf ungeheure Opfer gewürdigt wird, ist dann von den kleinen Entbehrungen die Rede. Das Gewicht der Kriegsforderungen darf im Interesse des kommunikativen Globalziels keine defaitistische Haltung nahelegen. Unter der Präsupposition, daß die kriegerische Auseinandersetzung unvermeidlich ist, bestärken die Verfasser die Erwartung, daß ein Friedensschluß nicht lange Bestand haben, sondern dann noch größere Entbehrungen fordern wird (27). Insbesondere dieser vierte Textabschnitt ist stilistisch nachhaltig markiert, was den Appellcharakter des Realisats unterstreicht; auffällig sind beispielsweise die Personifikationen in (24) und (25), die anaphorische Wiederholung rhetorischer Fragen (26, 27, 29, 33), wobei die erste zudem durch das klimaktisch strukturierte Trikolon charakterisiert ist. Die Kommunikatoren beschwören den Leitgedanken .Einigkeit des deutschen Volks' pathetisch, was sowohl der irreale Konditionalsatz in (30) - mit ihm wird die Einigkeit betont, indem ihre hypothetische Negation geleugnet wird - und besonders in den letzten beiden Äußerungen (36) und (37) unmißverständlich zum Ausdruck kommt. (36) pointiert dabei noch einmal die Antithese zu den Kriegsgegnern und operiert dabei mit dem metaphorischen Gebrauch der Ausdrücke Nebel und Sonnenglanz. Nur der Zweifel an der weiteren Kriegsbeteiligung, so wird impliziert, kann das Deutsche Reich den sicheren Sieg kosten. Die für das Realisat zentrale Durchhalteparole wird in der expliziten Anrede als klimaktischer Effekt in der abschließenden Äußerung präsentiert.

trauen sichern sollten, in Wirklichkeit aber überall das Mißtrauen schürten: ,Reale Garantien und Sicherheiten' für den Frieden und eine innenpolitische .Neuorientierung' nach dem Krieg."

230 Aspekte

der PROFILIERUNG

Die Antizipation profilierender Sequenzen ist in dem Aufruf nur geringfügig ausgeprägt, weil die Verfasser als Mitglieder der angesehenen Gruppe der Universitätsprofessoren von vornherein den Status als Autoritäten beanspruchen und damit der Anspruch auf die fachliche Kompetenz präsupponiert wird. Dementsprechend werden auch keine gesteigerten Anstrengungen unternommen, etwa die Ausfuhrungen zum Gang der Geschichte (10) zu explizieren. Den Aufrichtigkeitsanspruch erheben die Kommunikatoren dagegen direkt mit der Disqualifizierung der gegnerischen Kriegspropaganda. In diesem Zusammenhang sei noch einmal auf die Ausführungen zur Texteinheit III verwiesen. Der häufige Gebrauch des Personalpronomens wir suggeriert überdies, daß die Verfasser gemäß dem propagierten Leitgedanken sich ebenso zur Bevölkerung zählen wie die Rezipienten.9 Die dialogischen Grundlagen des Textes Dialoggrammatisch läßt sich der AUFRUF SO analysieren: Als ISPA fungiert die AUFFORDERUNG, den Krieg bereitwillig fortzusetzen. Die Verfasser antizipieren mit dem Textrealisat effektiv betrachtet einen Negativen Bescheid (HANDLUNGSVERWEIGERUNG), der auf die mangelnde Bereitschaft weiter Bevölkerungskreise verweist, die Aufforderung motiviert zu realisieren (Texteinheit I). Der von den Kommunikatoren vorgebrachte Einwand gegen diesen Bescheid, das persuasive Insistieren, betrifft dessen Schlüssigkeit: die gegen den Krieg gerichtete Position verkennt, daß die Beendigung des Kriegs keinen ehrlichen Frieden sichert (II). Insofern dienen III und IV dazu, II zu explizieren und fungieren als antizipierte Explikations-Sequenzen, mit denen die Verfasser (Spl) Nachfragen der Rezipienten (Sp2) ins Kalkül ziehen: III erläutert, inwiefern die Kriegsgegner nicht zu dem ehrlichen Frieden bereit sind, die Sequenz der Äußerungen in IV entfaltet die Konsequenzen für das Deutsche Reich und soll die Rezipienten obligativ zur bereitwilligen Weiterführung des Kriegs bewegen.

9

Zur persuasiven ,Wir-Gruppen'-Konstruktion vgl. Mautner (1998: 177).

231

T e x t a n t i z i p a t i o n

Abb. 16: Text 3 und seine dialogische Antizipation

232 6.5

Text

4: AUFRUF

(2000)

Ein zweites Realisat der Textsorte AUFRUF stellt das vierte Beispiel dar. D i e externen situativen B e d i n g u n g e n (Verfasserkreis, historischer Anlaß, Stilnormen i m Jahr 1916 u n d i m Jahr 2 0 0 0 ) sorgen dafür, daß der pathetische T o n sehr g e d ä m p f t ist. U m g e k e h r t ist die direktiv thematisierte H a n d l u n g so klar konturiert, d a ß es i m vorliegenden Fall keine Schwierigkeiten

bereitet,

das persuasive

Strategiemuster

ÜBERREDUNGSVERSUCH/ZU-

REDEN zu konstatieren. (I) Bürgerinitiative Rathausprojekt Hagen (II) Aufruf zum 1. Bürgerentscheid in Hagen am 22. Oktober 2000 (III) (1) FUr den Erhalt des Rathauses stimmen Sie mit „JA" (IV/1) (2) Sie als Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hagen haben es erstmalig in der Hand, den Ratsbeschluß [sie!] vom 31. August außer Kraft zu setzen, wenn Sie beim 1. Bürgerentscheid in dieser Stadt mit „JA" für die von der Bürgerinitiative gestellte Frage stimmen. (IV/2) (3) Der Rat der Stadt hat den unsinnigen Beschluß [sie!] gefasst, das erst 1965 erbaute Rathaus abreißen zu lassen, [sic!]und das Grundstück für den Bau eines Geschäftszentrums an MDC zu verkaufen. (4) Durch Abriss und Grundstücksverkauf werden laut Gutachterberechnung 29, 8 Millionen DM Vermögen der Hagener Bürger verschleudert. (5) Für ca. 30 Millionen DM soll dann ein neues Rathaus an der Volme gebaut werden, obwohl die Sanierung unseres Rathauses, hochgerechnet nach Angaben der Stadt, nur ca. 9 Millionen kosten soll. (IV/3) (6) Und das alles, obwohl die Stadt mit mindestens 460 Millionen verschuldet ist! (7) Hinzu kommen Kosten für zweilfellos [sie!] erforderliche Verwaltungsbauten von ca. 25 Millionen DM. (IV/4) (8) Der vorgesehene Investor MDC zeigt offen die Absicht, nach Durchfuhrung der Baumaßnahmen, seinerseits wieder einen Käufer zu suchen. (9) Das ist dann von niemandem mehr beeinflussbar [,] und jetziger Bürgerbesitz wird zum Handelsobjekt. (V) (10) Sie haben nur einmal die Möglichkeit),] durch IHR „JA" am 22. Oktober den Abriss unseres Rathauses zu verhindern. (VI) (11) Eine Mehrheit, bei mindestens 20% der Stimmen der Hagener Bürger, ist für unser und Ihr Anliegen erforderlich. (12) Sprechen Sie rechtzeitig mit Ihren Freunden und Bekannten, damit auch Sie [sie!] uns ihr JAWORT geben, um unser Rathaus zu erhalten. (VII) (13) Denken Sie bitte daran, dass es auch die Möglichkeit der Briefwahl gibt!!! D i e graphische Gestaltung des als Flugblatt verteilten A u f r u f s legt eine D i f f e r e n z i e r u n g in sieben funktionale Texteinheiten nahe; I identifiziert die G r u p p e der K o m m u n i k a t o r e n

-

eine o f f e n b a r eigens f ü r das auf d e m Spiel stehende Hauptanliegen gegründete Bürgerin-

233 itiative II spezifiziert die Textsorte und das Thema des AUFRUFS, III faßt den kommunikativen Zweck in Form eines Imperativsatzes zusammen, IV präsentiert eine Äußerungssequenz, die die Leser persuasiv zu der in III thematisierten Handlung bewegen soll, V dient dazu, die Relevanz der Handlung noch einmal zu akzentuieren, indem mit der adverbialen Bestimmung nur einmal die Dringlichkeit der Entscheidung hervorgehoben wird, VI und VII geben nähere Informationen über die Art und Weise, in der die Rezipienten die Handlung vollziehen sollen bzw. können. Der AUFRUF antizipiert einen Negativen Bescheid auf die im ISPA geäußerte Aufforderung, bei dem Bürgerentscheid für den Erhalt des Rathauses zu stimmen. Als insistierende persuasive Maßnahme im dritten Zug des virtualisierten Dialogspiels kann man hier die Äußerung (3) verstehen, die den vom Rat der Stadt beschlossenen Abriß als unsinnig disqualifiziert. Die Binnensequenzierung in (IV/2) hat zum Ziel, die polarisierende Bewertung der beiden Optionen ,Erhalt' und ,Abriß' zu plausibilisieren. Damit antizipieren die Verfasser etwaige Nachfragen der Rezipienten, wie sie zu dieser Einschätzung gelangt sind. Der Vorwurf an den Rat, einen unsinnigen Beschluß - das Prädikat unsinnig ist durch Fettdruck graphisch hervorgehoben - gefaßt zu haben, wird durch zwei Argumente gestützt; das erste weist zwei Aspekte auf, die sich aus den Äußerungen (3) bzw. (4) bis (7) inferieren lassen und impliziert den Tadel der Geldverschwendung: Der Abriß des Rathauses ist schon sachlich nicht erforderlich - das impliziert der Gebrauch der Partikel erst bei der Zeitangabe des Rathausbaus in (3) - und in Anbetracht der prekären Haushaltslage erst recht nicht akzeptabel. Der zweite Kritikpunkt (8, 9) weckt dagegen durch die antithetische Verbindung der Lexeme Bürgerbesitz und Handelsobjekt Assoziationen undemokratischer, enteignender' Handlungsweisen. Demgegenüber liegt den Einheiten V bis VII ein anderes antizipatives Kalkül zugrunde; in diesen Fällen erwarten die Verfasser offenbar problematisierende Sprechakte des imaginierten Sp2, mit denen dieser zwar nicht die Relevanz der Handlung, wohl aber seine situative Kompetenz anzweifelt. Neben dem wiederholten Verweis darauf, wie die Stimmabgabe durchzuführen ist bzw. wie viele Stimmen notwendig sind (III, V, 12), soll insbesondere die Information über die Möglichkeit der Briefwahl (13) den Rezipienten verdeutlichen, daß ihr Votum nicht an etwaigen terminlichen Schwierigkeiten scheitern muß.10 (12) enthält darüber hinaus noch einen Mobilisierungsappell an die Leser, in ihrem sozialen Umfeld als Multiplikatoren tätig zu werden. V antizipiert dagegen eine andere Art von Problematisierung, und zwar die prinzipielle Bereitschaft der Rezipienten, sich überhaupt an dem Entscheid zu beteiligen; um sie meta-

10

Vor diesem Hintergrund kann man die Äußerung (1) sowohl als AUFFORDERUNG, den Erhalt zu sichern, verstehen als auch als ANLEITUNG, wie die Abstimmungsmodalitäten zu befolgen sind wohl, um den Irrtum zu vermeiden, den Abriß intuitiv mit einem NEIN verhindern zu wollen.

234 kommunikativ zum Sprachspiel zu bewegen, die Involvierung der Bürger zu steigern, greifen die Kommunikatoren auf die Angabe nur einmal zurück. Aspekte der PROFILIERUNG

Die PROFILIERUNGS-Strategie der Verfasser beruht im wesentlichen darauf, die Gruppen Rat der Stadt und Bürgerinnen und Bürger (2, 3) scharf voneinander abzugrenzen. Als Bürgerinitiative ausgewiesen (I), verfolgen sie das Ziel, sich mit den Rezipienten zu solidarisieren. Ausdrücke wie erstmalig (2) und nur einmal (10) implizieren zusätzlich so etwas wie eine obligative Komponente, nach der die seltene Chance zu plebiszitärer Basisdemokratie unbedingt zu nutzen ist. In diesem Kontext läßt sich dann leicht die Vorstellung inferieren, dem Rat gewissermaßen einen .Denkzettel' zu erteilen. Um sich als aufrichtig zu profilieren, deuten die Verfasser eine Interessenkonvergenz mit den Rezipienten an. Kennzeichnend hierfür ist besonders der suggestive Gebrauch des Possessivpronomens unser in Einheit VI; in Äußerung (11) referieren die Kommunikatoren auf sich selbst, kompatibilisieren ihre Interessenlage mit der der Adressaten aber sogleich mit der Konjunktion und-, die Äußerung (12), die sich auf unser Rathaus bezieht, weitet dagegen die Extension noch auf die Rezipienten aus. Auch der Ausdruck JAWORT folgt dieser Solidarisierungstaktik. Mit ihm wird ein humoristischer Effekt angestrebt, der die Beziehungsarbeit in der textuellen Kommunikation erleichtern soll. Den Ansprach auf Fachkompetenz erheben die Verfasser v. a. in Einheit IV. Die Kumulation konkreter Zahlenangaben soll die Inferenz nahelegen, daß sich die Initiative eingehend mit der finanziellen Problematik befaßt hat und dem Rollenvorbild des engagierten und mündigen Bürgers gerecht wird. Auch der einstellungsmarkierende Operator zweilfellos (sie!) (7) sowie der Ausdruck offen (8) - er signalisiert Gewißheit - dienen diesen Profilierungsbemühungen. Ein zentraler Stellenwert kommt so der Formel laut Gutachterberechnung (4) zu. Der Bezug auf eine unabhängige Autorität soll die Verfasser von vornherein vor dem Einwand bewahren, sie schilderten die Sachlage auf tendenziöse Weise. Aus diesem Grund wird auch explizit auf die Angaben der Stadt (5) zurückgegriffen.

235

T e x t a n t i z i p a t i o n

Abb. 17: Text 4 und seine dialogische Antizipation

236 6.6

T e x t 5: WERBEANZEIGE

Ein vergleichsweise klassisches Beispiel für eine nach dem persuasiven Strategiemuster konzipierte Textsorte stellt die WERBEANZEIGE dar. Der folgende Text repräsentiert ein Realisat dieses Textmusters. (I) (1) INTERNATIONALE POLITIK (II) (2) Fundiertes Material zur weltpolitischen Debatte (III/l) (3) Die Monatszeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sucht nach neuen Lösungsansätzen für die wichtigsten außenpolitischen Probleme unserer Zeit. (4) In INTERNATIONALE POLITIK, die im 53. Jahrgang erscheint, liefern internationale Experten und prominente Politiker kompetente Analysen, informative Stellungnahmen und aktuelle Strategievorschläge zu außenpolitischen Streitfragen. (5) INTERNATIONALE POLITIK enthält Dokumentationen, femer Buchkritiken und Übersichten zu internationalen Buch- und Zeitschriften-Neuerscheinungen. (III/2) (6) INTERNATIONALE POLITIK ist ein im deutschsprachigen Raum einmaliges Wissensund Diskussionskompendium - unentbehrlich für Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftler und alle politisch-historisch Interessierten. (III/3) (7) Sie sollten INTERNATIONALE POLITIK kennenlernen. (8) Wir schicken Ihnen gerne kostenlos das neueste Exemplar zum Probelesen. (IV) (9) Internationale Politik: Aktuell. Fundiert. Analytisch. Der Text setzt sich aus vier funktionalen Einheiten zusammen. Einheit I benennt das Produkt, für das geworben wird - eine Monatszeitschrift - , Einheit II charakterisiert es in syntaktisch verknappter, nominaler Form und wird durch die Äußerungssequenz in III plausibilisiert, Einheit IV operiert als WERBESLOGAN mit dem Trikolon der konnotativ gebrauchten Ausdrücke aktuell, fundiert

und analytisch.

Der unverkennbar redundante

Charakter der Informationen läßt sich mit den Rezeptionsbedingungen erklären. Die Kommunikatoren rechnen offenkundig mit einer nur beiläufigen Aufnahme der Anzeige und der zwangsläufig kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Auf den ersten Blick bezweckt eine WERBEANZEIGE die Abnahme eines Produkts; gleichwohl erfüllt sie auf dem Weg dorthin noch den Teilzweck, den Rezipienten auf das Angebot hinzuweisen (Teilzweck der Präsentation) (vgl. Hardenbicker/Ortak 2000b: 106). Im Zeitalter heterogener Rezipientenkreise mit unterschiedlichen Interessen wäre es verfehlt, davon auszugehen, eine WERBEANZEIGE sei mißlungen, wenn ihre Rezeption nicht automatisch eine Konsumbereitschaft einleitete. Wenn das vorliegende Realisat dennoch als ÜBERREDUNGSVERSUCH/ZUREDEN eingestuft wird, orientiert sich diese Interpretation an dem - u. U. nur längerfristig zu verfolgenden - Maximalzweck, den man einer WERBEANZEIGE konventionellerweise zuweist. Unter diesem Vorbehalt kann man den ISPA des zugrunde liegenden Dialogspiels als AUFFORDERUNG verstehen, das Periodikum zu abonnieren. Dementsprechend ist die WERBEANZEIGE das Resultat effektiver Antizipationspro-

237 zesse, mit denen die Kommunikatoren auf einen Negativen Bescheid reagieren, nämlich die WEIGERUNG, das Druckerzeugnis zu abonnieren." In diesem Sinn kann man Texteinheit II als Versuch deuten, dem unwilligen Sp2 in dem virtualisierten Dialog einen Anreiz zu bieten, das Produkt wenigstens zum Gegenstand einer Konsumerwägung zu machen. Der Nutzen-Nachweis (vgl. ebd.: 107) bezieht sich im vorliegenden Fall auf die hohe sachliche Qualität. Diese positive Polarisierung (impliziert wird, daß vergleichbare publizistische Produkte weniger fundiertes Material zur weltpolitischen Debatte bereitstellen) wird in III näher ausgeführt. Neben Äußerung (3), die die Rezipienten grundsätzlich motivieren soll, die thematische Relevanz der Zeitschrift nachzuvollziehen, nimmt hier v. a. Äußerung (6) eine Schlüsselposition ein; sie qualifiziert die Zeitschrift vergleichsweise subtil als ein im deutschsprachigen Raum einmaliges Wissens- und Diskussionskompendium. Der durch das Adjektiv-Attribut einmalig inferierbare superlativische Charakter wird durch die Verwendung des unbestimmten Artikels ein in stilistisch leicht abgeschwächter Form suggeriert. Der Zweck des Kompendiums, sachliche und wertende Informationen zum Thema .Außenpolitik' bereitzustellen, wird mit den Ausdrücken Wissen und Diskussion umschrieben, die eine inhaltliche Kohärenz zu Texteinheit II herstellen. Dabei folgt die Bestimmung der Zielgruppe einer aufschlußreichen Taktik: Einerseits schränkt die propagierte fachliche Qualität den Kreis der potentiellen Leser automatisch ein - Politiker, Wissenschaftler, Wirtschaftler (6) - (special interest), andererseits soll aber auch der kontraproduktive Eindruck vermieden werden, die Zeitschrift sei nur für einen exklusiven Zirkel hochspezialisierter Leser konzipiert. So weitet der Nachsatz und alle politisch-historisch Interessierten die Extension der Abonnentengruppe - und mit ihr die Absatzchancen - wieder aus, ohne den so nachdrücklich betonten qualitativen Informationsgehalt als persuasiven Hauptgedanken aufgeben zu müssen. Die fachliche Qualität der Zeitschrift wird durch die Äußerungen (4) und (5) expliziert. (4) akzentuiert die Prädikation Diskussionskompendium, wobei die Kumulation konnotativ gebrauchter Adjektiv-Attribute auffällt. (5) verweist demgegenüber stärker auf die Funktion des Wissenskompendiums, indem die für wissenschaftliche Fachzeitschriften obligatorischen Rubriken aufgeführt werden. Aspekte

der PROFILIERUNG

Die dem Druckerzeugnis zugeschriebene fachliche Komponente determiniert auch die Profilierungs-Strategie der Kommunikatoren. Impliziert wird somit, daß der Handlungsträger, der einem Referenzobjekt eine bestimmte Eigenschaft - hier: ,Fundiertheit' - prädi-

" Die in der Werbeforschung relevante Differenzierung von Produzent/Auftraggeber und Verfasser/professioneller Werbekommunikator (z. B. Werbeagentur) kann hier entfallen.

238 ziert, selbst über die für den Prädikationsakt erforderliche Legitimation durch Kompetenz verfügt. Gerade die semantische Aushandlung des Konzepts ,Fundiertheit' läßt eine allzu auffällige stilistische Realisation nicht zu, die der Rezipient u. U. als .marktschreierisch' auffassen könnte. M. a. W.: die stilistische Form und der kommunizierte Inhalt könnten kollidieren und den Eindruck mangelnder Seriosität aufkommen lassen, weil die Güte-/Angebotsmerkmale (vgl. ebd.: 109) ein spezifisches aptum-Prof\\ entfalten, das Erwartungen an die Art der Präsentation bestimmt. Darum unterbleiben in diesem Realisat auch die gegenwärtig beliebten selbstironischen Verweise der Werbetreibenden, die metakommunikativ mit dem eigenen kommunikativen Handlungsmuster spielen (vgl. ebd.: 114) Als Ausdruck der Profilierungs-Strategie sind auch (7) und (8) zu verstehen. In (7) kleiden die Kommunikatoren ihre AUFFORDERUNG zum Abonnement in die Form einer Empfehlung, wobei der Gebrauch des Modalverbs den abwägenden Ton verstärkt. Bezeichnenderweise wird nicht das Maximalziel, das Abonnement, explizit thematisiert. Statt dessen ist unverbindlicher vom Kennenlernen die Rede, dessen Modalitäten (8) erläutert. Dabei sollen die Angaben gerne und kostenlos den Rezipienten von der Seriosität der Kommunikatoren überzeugen. Daß das neueste Exemplar zugeschickt werden soll, erhebt einen gewissen Anspruch auf Repräsentativität. Suggeriert wird, der interessierte Rezipient habe die faire Chance, sich unentgeltlich einen Eindruck von dem State of the art zu machen.12

12

Auf die angestrebte psychologische Wirkung solcher Angebote geht Cialdini (1994: 197-199) ein.

239

T e x t a n t i z i p a t i o n

Abb. 18: Text 5 und seine dialogische Antizipation

240

6.7

Text 6:

SUPPLIK

Das abschließende Beispiel illustriert ein nach dem persuasiven Strategiemuster ÜBERREDUNGSVERSUCH/FLEHEN konzipiertes Realisat der Textsorte SUPPLIK. Hier handelt es sich unter den externen situativen Bedingungen zur Zeit des Absolutismus wohl recht gebräuchliches Mittel, bei einem hochgestellten Rezipienten ein Anliegen vorzubringen. Eine SUPPLIK ist Ausdruck einer quasi-privaten Kommunikationssituation und insofern kennzeichnend für das ,vorbürgerliche' Zeitalter, das noch nicht von massenmedial konstituierter Öffentlichkeit geprägt ist.13 (1) Großer König! (2) Zürne nicht, dass ein armes Mädchen es sich zugesteht, sich die Gnade von Dir zu erflehn, höre mit der Dir eigenen Güte, die so gern Menschen beglückt, meine Bitte und schenke mir, gütiger König, eine kleine Maierei in Deinen neuen Colonien. (3) Ich bin jetzt arm und unglücklich, aber wenn Du mir, grosser König! meine Bitte gewährst, tausche ich mit keinem. (4) Ich wählte mir dann den redlichen Mann, der mich liebte, in dessen Herz ich glückliche Tage in dem Lande meines Wohltäters, meines Königs durchlebte. (5) Jeden Morgen würde ich Gesundheit und Freude von meinem Gott für Dich erflehen. (6) Dir ist es leicht, meinen Traum zum Glück wirklich zu machen, lass Dich, gütiger König! meine Bitte bewegen. (7) Tue es doch. (8) Ich umfasse Deine Kniee, bitte so lange, bis Du mir zurufst: ich erfülle Deine Bitte. (9) Noch flehe ich um Gnade, um Verzeihung dieses Schreibens, das ich ohne Jemands Wissen, allein nach meiner Erfindung, mich unterstehe, zu Deinen Füssen zu legen. (10) Deinen Entschluß, grosser König, er sei, wie er wolle, mit kindlicher Ehrerbietung ehrfurchtsvoll zu verehren, ist meine Pflicht. (11) Gross-Keil im Mecklenburgischen, den 11. Mai 1782. Da die SUPPLIK ausschließlich eine persuasive Bittstrategie verfolgt, ist der Anteil an Devotionsformeln für diese Textsorte besonders hoch. Für das vorliegende Exemplar erscheint dies um so gebotener, als mit Friedrich dem Großen der Rezipient der Bittschrift an der Spitze des preußischen Staates steht. Sinnfällige Indizien für den devoten Ton, den die Verfasserin anschlägt, ist der wiederholte Gebrauch von epitheta ornantia wie groß und gütig (1, 2, 3, 6, 10) bei der direkten Anrede. Mit ihnen vollzieht sie die Handlung des inständigen BITTENS, die das insistierende Sequenzmuster FLEHEN kennzeichnet. D. h., mit dem devoten Vollzug des Textmusters

13

Das unterscheidet eine SUPPLIK von mehrfachadressierten Bittschriften wie z. B. PETITIONEN (vgl. Reinicke 1998: 101-102); in diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, zwischen Rezipienten und Adressaten eines Textes zu unterscheiden. Mag sich im Fall der PETITION das Anliegen auch an einen überschaubaren Kreis entscheidungsbefugter Personen als Adressaten richten, ermöglicht doch seine Publikation einer weit größeren Lesergruppe, den Text zu rezipieren. Dadurch wird es möglich, durch die allgemeine Verfügbarkeit von Informationen einen öffentlichen Druck zu erzeugen, der für demokratische Staatsformen konstitutiv ist. Zwischen den Teilnehmern des Sprachspiels besteht darum nicht nur wechselseitiges Wissen (voneinander), sondern zusätzlich darüber, daß die Kommunikation zwischen Spl und Sp2 öffentlich verfolgt wird.

241 antizipiert die Verfasserin, daß der Rezipient auf den ISPA BITTE um eine Maierei einen Negativen Bescheid erteilt, die BITTE also ABSCHLÄGT. Da sie völlig auf die Willkür des Königs angewiesen ist, ist das FLEHEN das einzig angemessene persuasive Strategiemuster - eine Kommunikationssituation, die die Verfasserin fortgesetzt metakommunikativ thematisiert, wie die Ausdrücke erflehn und Bitte (2, 3, 6, 8) belegen. Der devote Stil des Textes soll den Rezipienten zwanglos zur Gewährung der Bitte verpflichten. Typisch hierfür ist die W e n d u n g in (2) mit der Dir eigenen Güte, die so gern Menschen

beglückt-, damit prä-

supponiert die Kommunikatorin, daß der Rezipient schon in der Vergangenheit die Anliegen seiner Untertanen erfüllt hat und so gewissermaßen Präzedenzfälle königlichen Großmuts bestehen. Um sein Image als gütiger Herrscher zu wahren, soll der König der Bitte entsprechen. Dafür stellt die Kommunikatorin in (4) und (5) zwei Gegenleistungen in Aussicht; in (4) verweist sie auf ihre Zukunftspläne. Was aber zunächst wie eine bloße konditionale FESTLEGUNG wirkt, mit der sie den Rezipienten über ihr künftiges Verhalten informiert, kann vor dem Hintergrund, daß die Maierei in den neuen Colonien (2) liegen soll, auch als VERPFLICHTUNG gedeutet werden, die Ansiedlung voranzutreiben.14 Damit gibt sie auf sehr subtile Weise zu verstehen, daß auch der preußische Staat ein Interesse an der Gewährung ihrer Bitte haben könnte. In Anbetracht der sozialen Beziehungen in dieser historischen Situation rechtfertigt diese Interpretation allein aber nicht gleich die Zuordnung zum ÜBERREDUNGSVERSUCH/ZUREDEN: Die Bittstellerin befindet sich in keiner symmetrischen Verhandlungsposition. Die zweite Gegenleistung, die (5) in Aussicht stellt, ist rein ideeller Art; der Gebrauch des Konjunktivs läßt hier die invited inference zu, daß diese frommen Wünsche an einen Positiven Bescheid gekoppelt sind. Die beträchtliche soziale Distanz bedingt noch eine weitere taktische Maßnahme: sie erlaubt es der Supplikantin, das Gewicht der erbetenen Handlung als geringfügig darzustellen. (6) läßt sich entnehmen, daß der König mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an freudiger Dankbarkeit bei der Bittstellerin auslösen kann. Aspekte der PROFILIER UNG

Die Profilierungsmöglichkeiten der Verfasserin beschränken sich auf den Aufweis ihrer Involviertheit, d. h. der hohen persönlichen Relevanz, die die Erfüllung der Bitte für sie hat. Das zeigt z. B. die Opposition, die sie zwischen ihrer als arm und unglücklich (3) prädizierten gegenwärtigen Lage und der erhofften positiven Zukunft (4) herstellt. Hier zeigt sich sehr deutlich, daß der vorweggenommene insistierende Charakter des persuasiven FLEHENS durchaus hartnäckig wirken kann, wie gerade Äußerung (8) belegt. Um andererseits den kontraproduktiven Anschein zu vermeiden, anmaßend zu sein, beendet die Verfasserin die SUPPLIK mit der beschwichtigenden Devotionsformel (10). Zusammen mit 14

Zu den kommissiven Untertypen SICH FESTLEGEN und VERPFLICHTEN vgl. Graffe (1990).

242 dem negierten Imperativ zürne nicht (2) sowie der Bitte um Verzeihung dieses Schreibens (9) impliziert die Supplikantin, daß sie es nur aus einer beträchtlichen Notlage heraus überhaupt wagt, den König zu behelligen. Damit erleichtert sie nicht allein die metakommunikative Kontaktaufnahme (als Pendant zu dem .kommunikativen Vorfeld' einer dialogischen Interaktion), sondern verleiht ihrem Anliegen noch größeren Nachdruck. Der Erfolg der persuasiven Strategie hängt völlig davon ab, wie glaubwürdig die Verfasserin ihre Involviertheit beteuert. Dazu geht sie nach einer bemerkenswerten Taktik vor, indem sie ihren Anspruch auf Aufrichtigkeit mit dem authentischen Charakter ihres Schreibens, das ich ohne jemands Wissen, allein nach meiner Erfindung, mich unterstehe, zu Deinen Füssen zu legen (9). Im Grunde leugnet sie damit, eine persuasive Strategie zu verfolgen, was den König von der Unmittelbarkeit ihrer Bemühungen überzeugen und gnädig stimmen soll. Hier erweist sich besonders deutlich, daß Persuasion allein eine Frage des Angemessenheitspostulats, nicht aber der Anzahl rhetorischer Stilmittel ist. T e x t a n t i z i p a t i o n

I S P A : BITTE u m M a i e r e i

Negativer Bescheid:

(1-Zug)

Handlungsverweigerung: ABSCHLAGEN ( 2 . Z u g )

3. Zug: INSISTIEREN P E R S U A S I O N ÜBERREDUNGSVERSUCH/ FLEHEN

Festlegung auf zukünf-

Intensivierungen der

Verweis auf Authenti-

tiges Verhalten

Bitte

zität

(4), (5)

(6-8)

(9)

Devotionsformeln

(9), (10)

Abb. 19: Text 6 und seine dialogische Antizipation

Das abschließende Kapitel diskutiert auf der Grundlage der handlungstheoretischen Erkenntnisse die Probleme der ethischen Betrachtungsweise des persuasiven Vorgehens.

Die ethische Ambivalenz der Persuasion

7.

Im Gefolge der Pragmatischen Wende sind die Grenzen zwischen sprach- und gesellschaftswissenschaftlichen Fragestellungen fließend geworden. Die vielfältigen Bemühungen um eine .kritische' Linguistische Pragmatik entsprachen besonders in den 1970er Jahren dem wachsenden Bedürfnis, den Anwendungsbereich der sprachwissenschaftlichen Analyse auf sozial relevante Probleme auszudehnen.1 Diese Haltung hat v. a. die deutschsprachige Rezeption der Analytischen Sprachphilosophie, namentlich der klassischen Sprechakttheorie, nachhaltig beeinflußt. Im Zuge dieser (neuentdeckten) gesellschaftlichen Verantwortung hat die Pragmalinguistik die ethische Problematik des persuasiven Sprachgebrauchs im politischen und ökonomischen Bereich stark akzentuiert. Gerade hier ließ sich relativ leicht auf die ideologiekritischen Einwände gegen den kapitalistischen Massenkonsum zurückgreifen; eine solche kritische Perspektive dient dem Zweck, die Teilnehmer der Sprechergemeinschaft von ihrer entmündigenden Rolle des passiven Konsumenten zu emanzipieren. Allerdings müßte dazu zunächst geklärt sein, welche Formen des Sprachgebrauchs bedenklich, welche akzeptabel sind. Genau an dieser Stelle wird dann wieder das altbekannte Ethikproblem der Persuasion virulent. Unterzieht man derartige Ansätze einer metakritischen Untersuchung, muß man konstatieren, daß die bisherigen Versuche kritischer Linguisten, die Sprecher vor illegitimer Persuasion zu schützen, unzureichend bleiben mußten, was im weiteren Verlauf dieses Kapitels näher erläutert werden soll. Damit ist nicht gesagt, daß eine ethisch orientierte Linguistik im Prinzip keine Daseinsberechtigung hätte; allerdings sind die linguistischen Adaptionen gerade des diskursethischen Kommunikationskonzepts ein denkbar ungünstiger Weg, das emanzipatorische Anliegen zu verwirklichen.

7.1

Das Problem der Manipulation

Sprachkritische linguistische Ansätze deklarieren ethisch inakzeptable persuasive Sprechhandlungen bisweilen als ,manipulativ'.2 Bedauerlicherweise hat der unbefangene Gebrauch dieses Ausdrucks, insbesondere in den 1970er Jahren, eine terminologisch trag1

2

Zum traditionell problematischen Verhältnis von Sprachwissenschaft und Sprachkritik vgl. Schiewe (1998: 2 4 - 2 5 ) . Zur generellen Programmatik einer Kritischen Linguistik vgl. Wodak (1990: 127).

244 fähige Definition verhindert; Ansätze und Anregungen, das schillernde Schlagwort Manipulation fundierter zu verwenden, sind in dieser Phase auf Einzelfalle beschränkt geblieben (vgl. Wolff 1974; Baumhauer 1978). In den letzten Jahren ist die Gebrauchsfrequenz des Wortes zurückgegangen.3 Manche Analysen operieren mit dem - nur selten explizierten Manipulationsvorwurf (vgl. Moilanen/Tiittula 1994: V; Gantscharowa 1998: 313), andere verzichten bewußt darauf (vgl. Käge 1980: 63) bzw. unterziehen ihn einer scharfen Kritik (vgl. Lüger 21995: 6-8). Als linguistisch-kommunikationstheoretischer Fachbegriff hat sich die Bezeichnung nicht durchsetzen können. Eine äußere Ursache mag darin liegen, daß die mit dem Manipulationsbegriff eng verbundenen ideologiekritischen Prämissen mittlerweile an Einfluß auf die Theoriebildung verloren haben. Bedeutsamer ist aber der Umstand, daß das Konzept von Grundannahmen geprägt ist, deren philosophische und psychologische Implikationen ein eher beiläufiges Interesse an kommunikationstheoretischen Problemfeldern erkennen lassen. Der Gebrauch des Manipulationsbegriffs ist nachhaltig durch die Ideen der Aufklärung inspiriert und umfaßt gewissermaßen all das, was mit dem Leitbild der Emanzipation unvereinbar ist. Jemanden zu manipulieren heißt ihn als vernunftbegabtes, autonomes Subjekt zu mißachten, ihn statt dessen zu einem unmündigen, willenlosen Objekt zu degradieren, das nur zur Durchsetzung der eigenen Ziele dient.4 Der Begriff impliziert damit zweierlei, und zwar zum einen einen Verstoß gegen das Postulat der Offenheit sowie, damit zusammenhängend, einen Verstoß gegen die Interessenlage des Gesprächspartners (vgl. Harre 1985: 127; Holly 1987: 154). Das Individuum wird also nicht als ,Zweck an sich' respektiert, sondern allein als .Mittel zum Zweck' instrumentalisiert: Der Manipulator unterläuft die eigengesetzliche Vernunft des Adressaten (vgl. Forschner 51997: 179). Das gelingt und hier liegt das psychologisierende Moment - durch den Einsatz von mit Bedacht ausgewählten Stimuli, die, so die Annahme, das kritische Bewußtsein des Rezipienten umgehen, also keine bewußte kognitive Verarbeitung zulassen, statt dessen unmittelbar das Unterbewußtsein beeinflussen.5 Als Antithese zu dem Vernunftideal der Aufklärung wird m. a. W. einmal mehr das behavioristische Reiz - Reaktions-Modell herangezogen. Genau diese psychologisierenden Hintergrundannahmen sind es, die eine strengere terminologische 3

4

5

So auch von Eggs (1996: 179) zutreffend konstatiert. Insofern ist die von Wolff (1974: 47) seinerzeit registrierte Tendenz der „modischen Aufklärung über ,Sozialisation und Manipulation durch Sprache'" heute eher ein fachgeschichtliches Detail. Punktuell ist es allerdings noch möglich, z. B. auf Fachkongressen mit dem Reizwort Manipulation noch engagierte, wenn auch fruchtlose Diskussionen auszulösen, vgl. Wetzel-Kranz (1998: 227). Was die Persuasion angeht, hat Kant (1993/3: Fn. 184-185) hier eine besonders rigorose Auffassung vertreten; während die politische Rede „die Menschen als Maschinen" behandele, sei die Rednerkunst sogar „als Kunst, sich der Schwächen der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer so gut gemeint oder auch wirklich gut sein, als sie wollen), gar keiner A c h t u n g würdig" (Hervorhebung i.O.). Vgl. auch Elertsen (91982: 100). Repräsentativ für diese Auffassung sind die Ausfuhrungen von Marcuse ( 8 1976: 106-107).

245 Handhabung des Schlagwortes verhindern, denn über das Unbewußte als ,black box'Phänomen läßt sich trivialerweise mit den Möglichkeiten des bewußten Sprachgebrauchs nicht angemessen reden. Über etwas Verborgenes läßt sich nur spekulieren, nicht aber reflektieren. Folglich leistet ein derartiges Verständnis auch keine brauchbare Hilfestellung, wenn es um Fragen der Kommunikationsethik geht. Der Versuch, das als Manipulation Erkannte nachzuweisen, bietet so dieselben trüben Erfolgsaussichten wie die mit dem klassischen Wirkungsbegriff operierenden Einzelstudien aus dem Bereich der empirischen Kommunikationsforschung. Manipulation ist als Beschreibungskonstrukt ein reiner Beobachterbegriff, wobei seine konnotativen Gebrauchseigenschaften offenkundig eine metasprachliche Begriffskritik hemmen. Es hat den Anschein, als seien in der Blütezeit des Schlagworts gerade Linguisten viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, verborgene manipulative Strategien zu entdecken, um ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung einer Angewandten Linguistik gerecht zu werden, als daß sie die Beschränkungen dieses Standpunktes reflektiert hätten. Hierin liegt m. E. auch der Grund, weswegen angesichts des hohen konnotativen Streitwerts, also des persuasiven Zirkels, nur hier und da in Frage gestellt wird, inwiefern der Manipulationsvorwurf selbst ,manipulativ' ist (vgl. Wolff 1974, Baumhauer 1978). Darüber hinaus blendet man in aller Regel das Problem aus, wie es überhaupt denkbar ist, dem kritischen Aufklärungsideal zu dienen, wenn man die ,Manipulationsopfer' zwar auf ihre Entmündigung hinweist, aber keine brauchbare Beschreibungsperspektive entwickeln kann, mit deren Hilfe sie sich emanzipieren können. So betrachtet ist Manipulation ein Begriff der d e struktiven', nicht der .konstruktiven' Kritik, denn er verweist allein auf die Existenz eines pervertierten Sprachspiels x, nicht aber auf die eines eigenständigen Sprachspiels y. Die Konsequenz: der kritische Beobachter impliziert mit der Detektion latenter Strategien einen Wissensvorsprung vor dem Manipulationsopfer; das ,Opfer' ist angesichts seiner Manipulierbarkeit wohl oder übel weiterhin darauf angewiesen, den kritischen Beobachter zu Rate zu ziehen. M. a. W.: es liegt in der inneren Logik des Manipulationsbegriffs, daß das Abhängigkeitsverhältnis nicht beendet, sondern lediglich verschoben wird. Was den kritischen Linguisten dann vom,Manipulator' unterscheidet, ist allenfalls sein guter Wille - zu wenig, um auf dieser Grundlage ein fundiertes kommunikationsethisches Konzept entwikkeln zu können.

246 7.2

Das Problem der Strategie

Ein weniger impressionistisches Konzept zur Kritik sprachlichen Handelns repräsentiert die Diskursethik; hier wird der Manipulationsbegriff nicht einfach schlagwortartig gebraucht, sondern mit der Unterscheidimg von .Kommunikation' und .Strategie' begründet. In seiner „Theorie des kommunikativen Handelns" unterscheidet Habermas (1981a/l: 384-385) die sozialen Handlungstypen .strategisches Handeln' und .kommunikatives Handeln'. Sie sind durch das Kriterium der Handlungsorientierung abgegrenzt. Während strategisches Handeln durch „egozentrische Erfolgskalküle" (ebd.: 385) des Aktanten gekennzeichnet ist, d. h., „die Beteiligten [...] primär am eigenen Erfolg orientiert [sind]" (ebd.), geht es beim kommunikativen Handeln im wesentlichen darum, „Handlungspläne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander ab[zu]stimmen" (ebd.). Strategisches Handeln ist demzufolge erfolgs-, kommunikatives Handeln hingegen verständigungsorientiert. Dafür zieht Habermas (1971: 111-112; 1995b) die Sinnperspektivierung universeller Geltungsansprüche heran, die ein Sprecher in der Kommunikation stets apriorisch erhebt.6 Der im Kern aufklärerische Ansatz seiner Kritischen Theorie hat somit kommunikatives Handeln prinzipiell vor dem Hintergrund konzipiert, verschiedene Geltungsansprüche im herrschaftsfreien Diskurs einzulösen. Dieser Diskurs ist so gesehen ein dialogisches Prüfungsverfahren problematischer Propositionen. Der Grad, in einem idealen Diskurs die propositionalen Geltungsansprüche einzulösen, dient diesem Verständnis nach als das handlungsunterscheidende Kriterium von überreden und überzeugen. Damit wird die handlungstheoretische Zwecksetzung diskursethisch begründet, indem die an den universalen Geltungsansprüchen orientierte Äußerung in einen engen Zusammenhang zu einem relativ emphatischen Verständigungsbegriff gesetzt wird, der das kommunikative (rationale und verständigungsorientierte) Handeln charakterisiert. Dementsprechend deut-

6

So gesehen radikalisiert Apel (1997: 294) diesen Ansatz noch durch das Letztbegründungspostulat. Der Grundgedanke beruht auf der rein formalen Vorstellung, der Wahrheitswert einer Aussage werde durch das Ausmaß ihrer Universalisierbarkeit festgelegt. So vertritt Kant (1993/1: 739) die Auffassung: „Das Fürwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstände, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüte dessen, der da urteilt, erfordert. Wenn es für jedermann gültig ist, sofern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend, und das Fürwahrhalten heißt alsdann Überzeugung. Hat es nur in der besonderen Beschaffenheit des Subjekts seinen Grund, so wird es Überredung genannt." In ähnlicher Form findet sich dieser Ansatz auch bei Perelman/Olbrechts-Tyteca (41983: 36-37), die allerdings nicht mit dem eher korrespondenztheoretischen Konzept der Objektivität, sondern mit dem der InterSubjektivität operieren: „Nous nous proposons d'appeler persuasive une argumentation qui ne prétend valoir que pour un auditoire particulier et d'appeler convaincante celle qui est censée obtenir l'adhésion de tout être de raison." (Ebd.: 36) Diese konsenstheoretische Richtung akzentuiert die Diskursethik durch die Sinndimensionen der Universalpragmatik.

247 lieh grenzt Habermas das kommunikativ-rationale vom rein zweckrationalen-strategischen Handeln ab, wobei das Überzeugen in der ersten, das Überreden in der zweiten Kategorie verortet wird. Im Zuge der Adaption sprechakttheoretischer Prämissen hat Habermas (1981a/l: 393397) die Unterscheidung illokutionärer und perlokutionärer Akte mit seinen Vorstellungen von Kommunikation und Strategie verbunden. Danach korrelieren illokutionäre Akte mit kommunikativem, perlokutionäre Akte mit strategischem Handeln. Für die ethischen Implikationen dieser Sichtweise ist besonders die These wichtig, daß das kommunikative Handeln den Originalmodus darstellt, der im Zuge perlokutionärer Akte zu strategischen Zwekken parasitär simuliert wird (ebd.: 388). Die Pervertierung des Originalmodus kommt dadurch zustande, daß illokutionäre Akte eine Rolle in einem teleologischen Handlungszusammenhang übernehmen. Solche Effekte ergeben sich immer dann, wenn ein Sprecher erfolgsorientiert handelt und dabei Sprechhandlungen mit Absichten verknüpft und für Ziele instrumentalisiert, die mit der Bedeutung des Gesagten in einem nur kontingenten Zusammenhang stehen [...]. (Ebd.: 390)

Mittlerweile differenziert Habermas die Trennung von .illokutionärer Kommunikation' und .perlokutionärer Strategie' (vgl. Habermas 21988a: 363; 21988b: 133 Fn.31), ohne sie allerdings im Prinzip aufzugeben. In neueren Arbeiten unterscheidet er zwischen drei Klassen perlokutionärer Effekte, und zwar solchen, die „sich grammatisch aus dem Inhalt eines erfolgreichen illokutionären Aktes [ergeben]" (Habermas 1997: 277), solchen, die „grammatisch nicht-geregelte, also kontingente Folgen einer Sprechhandlung [sind]" (ebd.), sowie denjenigen, die „nur auf eine für den Adressaten unauffällige Weise erzielt werden [können]" (ebd.; Hervorhebung i. O.). In den Grundzügen gilt damit nach wie vor die von Habermas (1981a/l: 446; 1995c: 462) erörterte Subdifferenzierung des strategischen Handelns in Formen des offenen und des verdeckten Operierens. Beim verdeckt strategischen Handeln verhält sich mindestens einer der Beteiligten erfolgsorientiert, läßt aber andere in dem Glauben, daß alle die Voraussetzungen kommunikativen Handelns erfüllen. Das ist der Fall der Manipulation [...]. (Habermas 1981a/l: 445) 7

Wie besonders König (1997) und auch Greve (1999) dargelegt haben, sind Habermas' Bemühungen, das offen-strategische vom kommunikativen Handeln klar zu trennen, zum Scheitern verurteilt.8 Diesen Ausfuhrungen schließe ich mich an, so daß gerade für die Diskussion des persuasiven Handelns allein die Frage relevant ist: Inwiefern läßt sich die 7

8

Vgl. zu prinzipiell ähnlichen Konzeptionen z. B. Ulkan (1997: 34-35), die die Kommunikationsabsichten in kommunikative und bloß-instrumentelle unterteilt oder Holly (1990: 10-13), der zwischen kommunikativem und funktionalem Sprachgebrauch differenziert. Zur möglichen Gleichsetzung kommunikativen und strategischen Handelns vgl. auch Strecker (1987: 40-41).

248 ethische Ambivalenz persuasiven Sprachgebrauchs mit dem Begriffspaar .kommunikativ/offen-strategisch' vs. ,manipulativ/latent-strategisch' fassen? Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Positionen in der Frage der Letztbegründung (vgl. Habermas 1983: 105-108; Habermas 1991: 185-199) vertreten die beiden prominentesten Verfechter der Diskursethik, Habermas und Karl-Otto Apel, hier ganz ähnliche Standpunkte.9 Es gibt [...] den Fall des latent strategischen Sprechhandelns, das auf konventionell nicht geregelte Effekte abzielt. Diese kommen nur zustande, wenn der Sprecher seine Ziele im Rahmen der gemeinsamen Situationsdefinition gegenüber dem Hörer nicht deklariert. So beispielsweise verfährt ein Redner, der sein Publikum zu etwas überreden möchte, vielleicht weil ihm in der gegebenen Situation überzeugende Argumente fehlen. Diese nicht-öffentlichen perlokutionären Effekte können nur parasitär erzielt werden, nämlich unter der Bedingung, daß der Sprecher die Absicht vortäuscht, seine illokutionären Ziele vorbehaltlos zu verfolgen, und den Hörer über die tatsächliche Verletzung der Präsuppositionen verständigungsorientierten Handelns im unklaren läßt. (Habermas 2 1988b: 132; Hervorhebung i. O.)

Und Apel (1997: 297-298) fuhrt aus: [...] Wer durch verdeckt strategische Erschleichung des perlokutionären Erfolgs seiner Rede seine Zwecke - z. B. politische oder ökonomische Ziele - beim Adressaten erreichen will, der muß trotzdem, oder vielmehr gerade deshalb, auf der Ebene der offiziell verständlichen, sprachlichen Kommunikation beim Adressaten den Eindruck erwecken, er gebe ihm die Chance, die illokutionäre Kraft der Rede als solche von Geltungsansprüchen zu beurteilen. Einfacher ausgedrückt: Wer rhetorisch erfolgreich überreden will, der muß beim Adressaten den Eindruck erwecken, er wolle ihn - mit Argumenten - überzeugen. Das ist das Geheimnis der 2000-jährigen Ambiguität und Ambivalenz der abendländischen Rhetorik-Tradition. (Hervorhebungen i. O.)

Ist diese diskursethisch geprägte Konzeption für die Zwecke einer linguistischen Kommunikationsanalyse brauchbar? Im Zusammenhang mit Kapitel 3.1.2.1 ist bereits angedeutet worden, daß dies nicht der Fall ist. Die Einwände sollen nun etwas genauer erläutert werden. Geht man davon aus, daß das persuasive Sprachspiel als solches ethisch ambivalent ist, muß man legitime und illegitime Realisationsformen des Globalmusters Persuasión annehmen. Das bedeutet wiederum: Für die konventionelle Strategie ist es zweitrangig, auf welche Weise ein Sprecher persuasiv handelt. Sowohl das akzeptable als auch das verwerfliche Vorgehen muß handlungstheoretisch als Persuasión identifizierbar sein. Immerhin kann man vom Überreden in der pejorativ konnotierten Lesart nur dann sprechen, wenn man den positiven Gegenbegriff Überzeugen voraussetzt. Gleichgültig, wie man ein persuasives Handlungs-Token im Einzelfall auch bewerten mag - die ethische Ambivalenz der Persuasión ist kein handlungstheoretisch-illokutionäres Problem, sondern ausschließlich eine Frage, wie man die Aussagenqualität, den propositionalen Teilakt, einstuft. Nur so erklärt 9

Zur Kritik an dem Letztbegründungspostulat vgl. Gebauer (1993: 137).

249 es sich, weswegen das globale Sprachspiel als ambivalent gilt: Wäre eine handlungstheoretisch fundierte ethische Einordnung möglich, könnte man die Persuasion - in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Begriffsstrategie - geschlossen als legitim oder inakzeptabel ent- oder belasten. Der typisch ambivalente Schwebezustand läge dann aber gar nicht vor. Statt dessen ist es geradezu ein konstitutives Merkmal jedweder in einem persuasiven Kalkül getätigten Äußerung, daß Sp2 niemals mit vollständiger Sicherheit ausschließen kann, daß Spl womöglich in voller Absicht unzureichende Gründe anfuhrt, um ein egozentrisches Ziel zu verwirklichen. Mag dieser Zustand einem Diskursethiker auch Unbehagen bereiten - aus der Welt schaffen läßt er sich nicht; illegitimer Sprachgebrauch ist unvermeidlich. Vor diesem Hintergrund mutet aber dann die Charakterisierung illegitimer Persuasion als verdeckt strategisches Handeln ungenau, wenn nicht gar irreführend an. Selbst wenn Spl Sp2 auf unlauterem Weg zur Konvergenz bewegt - und dies tatsächlich nachweisbar ist - , besteht zweifellos bei beiden Dialogparteien gemeinsames Wissen, in welchem Sprachspiel sie sich gerade befinden. Eben deshalb ist das ethische Dilemma rein propositionaler Art; hinsichtlich der illokutionären Handlungseigenschaften besteht Transparenz. D. h.: verdeckt strategisch kann persuasives Handeln allenfalls insofern sein, als Spl Sp2 erfolgreich über die tatsächliche Qualität der Handlungs- oder Bewertungsbegründung täuscht, sich also die Konvergenz erschleicht. Es gehört aber zu den Gebrauchsbedingungen auch des Ausdrucks überreden, daß Sp2 zu jeder Zeit informiert ist, daß Spl einen Persuasionsversuch unternimmt. Das läßt sich mit dem von Heringer (1974: 37-38) angeführten Beispiel illustrieren: Nach einem einstündigen erfolglosen Verkaufsgespräch sagt der Vertreter zu dem alten Bauern, er wolle die Waschmaschine nur nicht kaufen, weil er unterschreiben müsse, er aber offenbar gar nicht schreiben könne. Der Bauer tritt den Beweis an, daß er schreiben kann: er schreibt seinen Namen dorthin, wo es ihm der Vertreter vorschlägt. Es entsteht kein Streit darüber, daß der Bauer seinen Namen geschrieben hat, trotzdem entsteht ein Streit darüber, was er getan hat: den Kaufvertrag abgeschlossen oder gezeigt, daß er seinen Namen schreiben kann. Seine Handlung läßt beide Interpretationen zu.

Will man diesen kommunikativen Kontakt mit dem Ausdruck überreden resümieren, kann man aber, unabhängig, welche Interpretation man wählt, allein konstatieren: (69) Der Vertreter hat den Bauern üben-edet, seinen Namen auf die gepunktete Linie (des Kaufvertrags) zu schreiben,

nicht aber (70) Der Vertreter hat den Bauern überredet, den Kaufvertrag zu unterzeichnen,

denn dies würde voraussetzen, daß der Bauer schließlich zum Kauf der Waschmaschine aus bestimmten Gründen, ganz gleich, wie fadenscheinig sie auch sein mögen, entschlossen ist.

250 Eine latente Strategie bezweckt nicht umsonst, daß Sp2 nicht weiß, an welchem Spldefinierten Sprachspiel er beteiligt ist. Sobald Sp2 hier einen Verdacht schöpft und das Sprachspiel identifiziert, hat er die verdeckte Strategie durchschaut und damit zum Scheitern verurteilt. Für einen erkannten Persuasionsversuch gilt dies gerade nicht. 10 Wenn also ein Sprecher seinen Zuhörer überreden oder überzeugen will, vollzieht er konventionell einen ÜBERREDUNGS-/ÜBERZEUGUNGSVERSUCH. Diese Versuche sind nicht annullierbar: (71)* Spl: Leihst du mir bis morgen 500 Mark? Sp2: Wie käme ich dazu? Spl: Ach, sei nicht so. Soll man nicht seinen Freunden helfen? Sp2: Hör' bloß auf. Ich lasse mich nicht überreden. Spl: Das wollte ich auch gar nicht. Als Strategie mit einem intendierten perlokutionären Effekt ist ein Persuasionsversuch mit den Möglichkeiten des dialoganalytisch modifizierten Illokutionsbegriffs beschreibbar; der intendierte perlokutionäre Effekt verleiht der korrespondierenden persuasiven sprachlichen Handlung ihre illokutionäre Charakteristik. Ethisch fragwürdige Persuasion läßt sich daher mit dem Konzept des latent strategischen Handelns nur unzureichend beschreiben. Das Problem betrifft nicht die Intention von Spl, ohne Wissen von Sp2 einen Persuasionsversuch zu unternehmen. Fraglich ist vielmehr die Begründungsqualität, mit der Konvergenz hergestellt werden soll. Genau darin liegt die Ambiguität des Strategiemusters, das hinsichtlich seines Handlungszwecks, seiner Handlungsbedingungen und -mittel transparent ist, nicht aber bezüglich der Motivation,

mit der

sich Spl seiner bedient. Möglicherweise sind die im EVALUIEREN oder ZUREDEN präsentierten Gründe doch nicht so gut, wie Sp2 glauben soll. Die scheinbar allein an Fakten orientierte Argumentation kann sich als parteilich entpuppen." Das ändert aber nichts daran, daß auch das .Überreden', wie mittlerweile eine etwas differenziertere diskursethische Position darlegt, „klar unterschieden von einfacher Täuschung oder Lüge" (Kuhlmann 1993: 52) ist. Nicht die Persuasion als transparentes, manifestes Strategiemuster ist illegitim; es sind die Motive, die Spl mit dem konventionellen Strategiezweck verknüpft, d. h.,

10

11

Vgl. Ossner (1985: 139). Zur handlungstheoretischen Unterscheidung von ÜBERREDEN und zu ETWAS BRINGEN vgl. Eyer (1987: 31). „f...] In die Bezeichnung des perlokutiven Akts ÜBERREDEN können nur solche Konsequenzen der Äußerung Ä importiert werden, über die gemeinsames Wissen zwischen S und H besteht." (Ebd.: 32) Vgl. auch Holly (1979b: 15), der auf Perlokutionen verweist, die „konventionell" - i.S. des in dieser Studie diskutierten Effizienz-, nicht aber des Effektivitätskriteriums - sind; etwas unverfänglicher spricht Cohen (1973: 497) vom Typ der „associated perlocution" (Hervorhebung i.O.). Daraufscheint auch Schöberle (1984: 108) zu referieren, wenn er das Verbergen der „Beeinflussungsabsicht" des Spl als Kriterium heranzieht. Mit diesem Terminus gerät aber wieder das zugrunde liegende propositionale Kriterium aus dem Blick.

251 es sind die Konsequenzen der persuasiven Kommunikation. Daß diese Motive und Konsequenzen für persuasives Handeln irrelevant sind, macht seine ethische Ambivalenz aus. 12

7.3

Das Problem des Dogmas

Die ethische Bewertung einer persuasiven Äußerung ist im wesentlichen abhängig davon, wie man ihren propositionalen Gehalt einschätzt - und birgt einige Probleme. Es hat den Anschein, daß gerade die Pragmalinguisten besonders Gefahr laufen, hier in einen regelrechten Teufelskreis zu geraten; je nachdrücklicher die dem Rationalitätskriterium verpflichtete Differenzierung von überreden und überzeugen an den Anfang der deskriptiven Erfassung von Kommunikation gestellt wird, desto komplizierter nimmt sich ihr Verlauf aus. Dennoch hält man häufig unverdrossen an der formalen Prämisse fest, sprachliche Handlungen ließen sich anhand ihrer Rationalität klassifizieren. Daher rührt m. E. auch die eifrig tradierte Rede von der Ambivalenz der Persuasion. Erst in den letzten Jahren rückt man von dieser starren Dichotomisierung zugunsten einer skalaren Sichtweise eines Rationalitätskontinuums ab. 13 Dieser Zustand ist in hohem Maße unbefriedigend, zugleich aber das zwangsläufige Ergebnis einer verfehlten Rezeption der Diskursethik, die schließlich ihre idealisierende Sichtweise bewußt einsetzt, um normative Vorstellungen überhaupt erst zu entwickeln. Die Hauptschwierigkeit einer diskursethisch geprägten Untersuchung der Alltagskommunikation besteht nun aber gerade darin, daß hier zwei völlig unterschiedliche Kategorien der Beschäftigung mit Kommunikation quasi unter der Hand verwischt werden. Diskursethische Überlegungen, die unter der Bezeichnung Transzendentalpragmatik versal-ZFormalpragmatik

(Apel) bzw. Uni-

(Habermas) firmieren, weisen nur sehr periphere Parallelen zu

Fragestellungen der Linguistischen Pragmatik auf: Es ist gerade Habermas' - übrigens völlig legitime - Bereitschaft gewesen, in seinem ideologiekritischen Programm weitgefächerte Anregungen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen aufzunehmen, die etwa zeitgleich mit der Pragmatischen Wende viele Sprachwissenschaftler relativ unvorbereitet getroffen hat. Als Konsequenz wurden die deskriptiven Termini Pragmatik, Kommunikation,

Ver-

ständigung ethisch konnotiert. Dabei sollte man sich vor Augen halten, daß Habermas keine diskursethischen Fragestellungen etabliert, um pragmalinguistische Aufschlüsse zu 12

13

Augustinus (1995: II, XXXVI, 54) fuhrt ebenso korrekt wie prägnant aus: ,,[...][N]on est facultas [der Persuasion, N.O.] ipsa culpabilis, sed ea male utentium perversitas." Vgl. z. B. J. Klein (1994: 3), der mit den Begriffen ,Argumentativität' und .Suggestivität' operiert und auf die „Verfahren im Grenzbereich zwischen beiden" hinweist.

252 gewinnen; es verhält sich genau umgekehrt. Darum ist es auch wenig aussichtsreich, mit normativen Kriterien, die, wie bereits angedeutet, im Zuge ihrer universalistischen Perspektive notwendigerweise formal bleiben, Kommunikationsprozesse beschreiben zu wollen. W a s einer oberflächlichen ideologiekritischen Betrachtung darum rasch als .technologische' Indifferenz erscheinen mag, ist nichts anderes als das Bemühen, sprachliche K o m m u nikation zunächst handlungstheoretisch so fundiert wie möglich zu beschreiben - ohne im Anschluß

auf eine normative Wertung verzichten zu müssen. 1 4 Die Einschätzung jedoch,

daß diese Evaluation direkt in der Deskription kommunikativer Handlungszusammenhänge vorgeprägt ist, erscheint mir illusionär. 15 Einen solche Meinung vertritt etwa Beckmann (1993: 577), der zufolge [...] die Wohlgeformtheit einer argumentativen Sequenz - sei es hinsichtlich der singulären Sprechaktbedingungen oder aber der sequentiellen Bindungen - sehr wohl Kriterien liefert, die in der Literatur häufig angestellte Gegenüberstellung von ÜBERREDEN und ÜBERZEUGEN sprechakttheoretisch zu identifizieren, wobei sie den hinlänglich bekannten „Unterschied zwischen einem erschlichenen und ein e m rational-motivierten ,Ja"' (ebd.: Fn. 2) ein weiteres M a l bemüht. Dieser Optimismus, verläßliche Bewertungsmaßstäbe hinsichtlich kommunikativer Ereignisse aus ihrem wahrgenommenen faktischen Verlauf zu entwickeln, erinnert im Prinzip an das metaethische Problem des .naturalistischen Fehlschlusses'. Es äußert sich hier darin, daß der Linguist 14

Ich verweise hier nur auf die Debatte, die in Habermas/Luhmann (1971) dokumentiert ist. Gerade in den 1970er Jahren scheint eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Persuasion, die auf die ideologiekritisch-ethische Ausgangsbasis verzichtete, selbst schnell in den Verdacht der ,Sozialtechnologie' geraten zu sein, wie Spillner (1977: 94-95) darlegt. Unter den Prämissen einer Kritischen Theorie ist es nur folgerichtig, wenn Habermas ( 3 1981b: 221) Wittgensteins Diktum, die Kritik der Alltagssprache lasse alles so, wie es ist (PU § 124), als .konservativ' ablehnt. Schließt man sich diesen Prämissen aber nicht an, erscheint die Kritik als sehr oberflächlich und selbst wieder einer traditionellen, .konservativen' Sprachmetaphysik verhaftet. Im übrigen folgt aus Wittgensteins im Tractatus (§ 6.42) dargelegter Auffassung, der zufolge Sätze nichts Höheres, Transzendentales (etwa die Ethik) ausdrücken können, keine szientistische Absage an den paradoxen Drang, dennoch gegen die Grenzen der Sprache anzurennen. Wittgensteins Haltung - die Beschäftigung mit ethischen Fragestellungen als Akt, die vielbeschworene .Leiter' am Ende des Tractatus wegzustoßen - bewahrt jedoch eher, als dies die Diskursethik zu leisten imstande ist, davor, die eigene Sichtweise durch den Rekurs auf eine imaginäre ideale Diskursgemeinschaft zum Dogma zu erheben.

15

Vgl. Austin ( 2 1970: 178): „Yet before we consider what actions are good and bad, right or wrong, it is proper to consider first what is meant by, and what not, and what is included under, and what not, the expression ,doing an action' or ,doing something'." Dabei ist völlig unstrittig, daß eine strikte Trennung von deskriptiven und normativen Aussagen nicht naturgegeben ist;,Objektivität' ist ein wissenschaftliches Ideal, dessen Verfolgung für den wissenschaftlichen Diskurs (denk-) stilbildend ist, ohne ultimativ erreicht werden zu können. Gleichwohl löst diese Idealvorstellung Routinen wissenschaftlicher Kommunikation aus, die nicht zuletzt fordern, daß der Untersuchungsgegenstand vor seiner expliziten Beurteilung zunächst in einem möglichst .neutralen' Sprachstil beschrieben wird. Vgl. Feyerabend (1984: 77-78), Fleck (1980: 133).

253 seinen eigenen Status als Mitglied der Sprechergemeinschaft nicht genügend reflektiert; er fällt sein Urteil über die (Ir-) Rationalität einer Äußerung nicht von einem privilegierten Standpunkt aus, sondern seine Einschätzung ermöglicht selbst wiederum Anschlußargumentationen, in denen über die Geltung seiner Thesen wieder verhandelt werden kann. .Rationalität' ist damit ein prozedurales Prinzip, das fortgesetzt aufeinander bezogene Thesen generiert. 16 Exakt hier scheint mir auch die Inkonsistenz der kommunikationstheoretischen Adaption diskursethischer Ansätze zu liegen: Indem sie sich nur rein formal auf die ideale Diskursgemeinschaft berufen kann und dieses Leitbild zur Ablehnung oder gar Verurteilung von Aussagen nutzt, erhebt sie faktisch den Anspruch, selbst einen abschließenden Einblick in die ultimative rationale Verständigung der idealen Sprechergemeinschaft zu haben. 1 7 Genau aus diesem Grund kann sie keineswegs einen verläßlichen Bewertungsmaßstab für Argumente anbieten. Das ethisch-formale Prinzip setzt die Klärung hinsichtlich der allgemein anerkennbaren Vernünftigkeit von Aussagen erst ans Ende eines unter idealen Bedingungen zustande gekommenen herrschaftsfreien Diskurses. Der angestrebte Endzustand dieser vernünftigen Klärung erfordert jedoch Zeit, und es ist genau dieser Zeitfaktor, den ideologiekritische Linguisten ausklammern. 1 8 Die Relevanz der von Apel als .Letztbegründungspostulat' bzw. von Habermas als ,Universalpragmatik'

entwickelten

Überlegungen besteht darin, daß sie das grundlegende Movens, sich überhaupt im Verbund mit anderen sprachlich zu betätigen, recht eindrucksvoll bezeichnen; ob die sprachlichen Handlungen aber in letzter Konsequenz dieses emphatische Verständigungsziel im Sinne der Diskursethik erreichen können, ob dies für die Alltagskommunikation überhaupt eine Rolle spielt, erscheint mir sehr zweifelhaft. Immer dann, wenn man die formalen, metaethi-

16

17

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Daraufhat besonders pointiert Michelstaedter (41990: 78) hingewiesen, der den Weg der Persuasion (i.S. von .Überzeugung') als asymptotisch verlaufende Hyperbel bestimmt. Demgemäß kommt er zu dem Ergebnis: ,,[...][L]a via della persuasione non ha che questa indicazione: non adattarti alla sufficienza di ciò che t'è dato." (Ebd.: 104) Luhmann (1994) spricht in diesem Zusammenhang von „re-entries". Darin liegt i. ü. ein von den Verfechtern der Diskursethik nicht ausreichend reflektiertes Problem, nämlich, daß Diskurse eher (weiterführende) Probleme erkennend schaffen als bestehenden Dissens einfach ausräumen: „Diskurse können nicht ihrem Ideal entsprechen, sie müssen gleichsam gegen sich selber geschützt werden." (Giegel 1992: 70) Darin liegt die große Stärke, aber auch die nicht minder große Schwäche der Diskursethik; zu letzterem vgl. Taylor ( 2 1988. 44). Vgl. auch Gebauer (1993: 174). Diese Beobachtung ist nicht neu; schon Vico (1974: 28) kritisiert die Kritiker persuasiver Kommunikation: „[...] quorum [gemeint sind die oratores, d. h. persuasiv Handelnden, N.O.] munus id est praecipuum, ut in rebus fervidis, quae cunctationem, vel comperendinationem non patiuntur [...], reis, quibus paucae horae ad dicendam caussam sunt praestituta, praesentem opem afferre possint. At nostri critici, cum quid dubii iis oblatum est, illud respondent: Ista de re sine cogitem." Vgl. auch Luhmann (1971: 336). Die Ausblendung dieses Zeitfaktors ist es m. E. auch, was z. B. Apels Transzendentalpragmatik einem Zirkelschluß (vgl. Nagelschmidt 2 1999: 41) erliegen läßt.

254 sehen Grundlagen für moralische Urteile über konkrete Kommunikationsereignisse nutzen will, vermag die Diskursethik am wenigsten zu überzeugen. Beruft sich der Kritiker also auf die ideale Diskursgemeinschaft, erliegt er der Gefahr, sein Urteil als objektiv-verbindlich zu verabsolutieren, seine eigene Beobachtungsoperation auszublenden. Er mag noch so aufrichtig um Objektivität bemüht sein - er bewegt sich zwangsläufig in dem Persuasiven Zirkel, trifft eine Bewertung über eine bewertende Sprechhandlung. Je entschiedener er dann manipulative Strategien verurteilt, desto nachdrücklicher formuliert er deswegen selbst einen persuasiven Anspruch, und zwar denjenigen, nicht dem Manipulator, sondern dem Kritiker Glauben zu schenken. Ideologiekritik ist ausschließlich dann möglich, wenn der Beobachter seine Ideologie der kritisierten vorzieht. 19 Gerade dann nimmt seine Haltung womöglich dogmatische Züge an; in moralischen Fragen liegt diese Möglichkeit besonders nah (vgl. Luhmann 1990b: 26).20 Diese Entwicklung geht auf Kosten eines fundierteren Werturteils.21 Welche Schlüsse ethisch orientierte Betrachtungsweisen daraus ziehen können, diskutieren beispielsweise Krüll (1987) und Kramaschki (1995).

7.4

Das Problem der self-fulfilling prophecy

Die Gefahr der Dogmatik wird nicht zuletzt durch die sprachtheoretischen Implikationen gefördert. Die Idealisierungen kommunikativen Handelns stützt die diskursethische Sichtweise nur unzureichend, bedient sie sich doch unverdrossen des Kommunikationsmodells der klassischen Einzel-Sprechakttheorie. Es ist schon erstaunlich, daß gerade eine Metaethik, die so großen Wert auf die Diskursivität und damit Dialogizität des Sprachgebrauchs legt, selbst noch immer mit dem herkömmlichen Sprecher - Hörer-Modell hantiert. Dieses Modell ist in zweierlei Hinsicht inakzeptabel; erstens verwechselt es den illokutionären und den propositionalen Aspekt einer sprachlichen Äußerung.22 Zweitens gerät auf dieser 19

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22

Im Bereich der Linguistik belegen dies nicht zuletzt die in Bahner (ed. 1982) publizierten Aufsätze, die die manipulative kapitalistische Ideologie nur deshalb thematisieren können, weil sie von einer nicht minder festen ideologischen Basis aus operieren. Analoges gilt selbstverständlich auch im umgekehrten Fall. Tatsächlich scheinen besonders Moralphilosophen irritiert zu reagieren, wenn man ihren Beobachterstatus thematisiert, wie Pieper (1994: 364, 369) darlegt. Dies würde eine sprachkritische Reflexion des Rationalitätsbegriffs voraussetzen; Hinweise, die auch von linguistischem Interesse sein könnten, finden sich bei Kneer (1992: 110-111). Aus dem Umstand, daß Habermas' Universalpragmatik anders als Apels Transzendentalpragmatik nicht allein den argumentationstheoretischen Geltungsanspruch der Wahrheit einer Aussage vorsieht, damit auch im Gegensatz zu Searle nicht auf die Probleme der Wahrheitssemantik fixiert ist

255 Grundlage die Annahme einer manipulativen Sprachgewalt sehr schnell zur Prophetie, die sich selbst erfüllt: Ein Hörer (d. h. ein passiver Sprecher), der Äußerungen nur in ihrer isolierten .Standardbedeutung' verstehen kann, verdient zwar alle pragmalinguistische Anteilnahme, kommt aber in der alltäglichen Praxis selten vor. Darum erscheint mir etwa die Fürsorglichkeit, die Harras (1983: 1 4 8 - 1 4 9 ) in d e m folgenden Beispiel zeigt, unangebracht. W e i l die Darstellung in gewisser Weise symptomatisch für die Programmatik einer ethikbewußten Linguistik ist, sei sie hier vollständig zitiert: [...] S hat eine rauschende Party gegeben. Es geht auf vier Uhr morgens. Alle Gäste bis auf H, der sich an der letzten Flasche Whisky gütlich tut, sind gegangen. S will nun auch H so langsam zum Aufbruch bewegen und dementsprechend aktiv werden. (Es gilt: (i) S will, daß H geht (ii) S will, daß H erkennt, daß (i) (iii) S will, daß Hs Erkenntnis von (i) zusammen mit seiner Aktion dazu fuhrt, daß H geht [)] S gähnt nun geräuschvoll, seufzt abgrundtief und sagt zu seiner auch schon halb eingeschlafenen Frau: ,mein Gott, es ist ja schon gleich halb vier!' (Anmerkung: es geht auch ohne die Ehefrau; S könnte auch gegen die Wand oder zu seinem Hund reden.) (Ebd.: 148) Weitaus größere Aufmerksamkeit als dieses vergleichsweise banale Beispiel verdient nun die kommunikationsethische Diskussion: [...] [W]ir [würden] selbst dann nicht von einem Kommunikationsversuch KV (S, H, f, r) reden wollen, wenn nur S und H im Raum sind (wenn also S eine Art Selbstgespräch vorgibt) [...]: S verhindert sozusagen durch die Art und Weise seines Tuns Hs Erkenntnis, daß er mit ihm in der Absicht kommuniziert, um seinen Aufbruch herbeizufuhren. Zugleich nimmt er H die Möglichkeit, sich auf seine Aktion als einen an ihn, H, gerichteten Kommunikationsversuch zu beziehen. Noch krasser formuliert: S handelt nicht vermittels einer Äußerung mit H, sondern er behandelt H mit einer Äußerung, ohne daß dieser die Möglichkeit hätte, gegen die Behandlung zu protestieren, ähnlich wie ein narkotisierter Patient hilflos dem Messer des Chirurgen ausgeliefert ist! (Ebd.: 149) D i e moralische Entrüstung nötigt i m Anschluß zu der Annahme - oder, genauer, d e m Postulat - , daß [kaum] ein Kommunikationstheoretiker, der sich nur halbwegs verantwortungsbewußt wissenschaftlich betätigt, verbale Übergriffsaktionen wie die oben skizzierte ernsthaft als einen Versuch ansehen wollte, mit dem ein S einen H durch ein f-Tun zu einer bestimmten Reaktion r bringen will, unter der Bedingung [...], daß - metaphorisch gesprochen - S den Weg von f zu r sozusagen gemeinsam mit H geht, d. h. ihm bei seinem f-Tun Einsicht gewährt in die Wegstrecke, die für ihn von f zu r fuhrt. (Ebd.)

(vgl. dazu Nassehi 1991: 187), folgt m. E. aber nicht, daß man nicht auch bei Habermas durchaus noch ,ontologische Restbestände' in seiner Sprachkonzeption ausmachen kann, was Horster (1997: 78) etwa bestreitet.

256 Ganz recht - wenn man den Prämissen des Sprecher - Hörer-Modells sowie dem damit verbundenen behavioristischen Glauben an die manipulative Sprachgewalt folgt, ist diese Position vertretbar.23 Allerdings unternimmt sie nicht einmal den Versuch, dem als .weniger verantwortungsbewußt' diskreditierten Kommunikationstheoretiker auseinanderzusetzen, wie es sich erklären läßt, daß ausgerechnet bei ihr nun die Narkose nutzlos bleibt. Ist es der Expertenstatus, den sie in Fragen der Kommunikation für sich beansprucht? Der Rekurs auf die Einzeläußerung assoziiert das Konzept der Literalität mit dem der ethischen Akzeptabilität. Unter diesen Voraussetzungen scheint es fast, als gehe der Kritiker davon aus, daß der (linguistische) Laie allein wörtliche Standard-Äußerungen verstehen könne, anderenfalls aber hoffnungslos manipulierbar sei. D. h. wiederum: Gerade ein kritischer Linguist, der mit dem orthodoxen Sprecher - Hörer-Modell operiert, ist für den in der empirischen Kommunikationsforschung so bezeichneten ,third person effect' (vgl. Davison 1983: 3) anfällig. Verkürzt gesagt, überschätzt er die Auswirkungen (persuasiver) Kommunikation auf seine Umwelt. Und im Zuge einer ethischen Betrachtungsweise ist diese Auffassung vielleicht deswegen so naheliegend, weil die Detektion von Sprachmißbrauch die leitende Fragestellung ist. Gleichzeitig verkennt man aber die empirischen Kompetenzverhältnisse der Kommunikationsteilnehmer. Ob diese Perspektive tatsächlich zur Emanzipation der Sprechergemeinschaft beiträgt, scheint mir sehr fraglich. Daß Äußerungen auch anders als .wörtlich' verstanden werden können bzw. müssen, ist schon im Prinzip deswegen für die Sprechergemeinschaft kein Problem, weil das Konzept der .wörtlichen Bedeutung' schließlich ein sprachanalytisches Konstrukt darstellt. Mit der Fixierung auf Einzeläußerungen schafft sich der wohlmeinende kritische Linguist viel größere Scheinprobleme, als er für den Praxiszusammenhang Nützliches beizusteuern imstande ist. Viel zu umständlich nimmt sich dabei die Reflexion über sprachliches Handeln aus. Das sei abschließend an dem von Habermas (1997: 277) als Perlokutionen bezeichneten „interessanten Sonderfall" (ebd.) demonstriert: Auch sie benötigen das Vehikel erfolgreicher illokutionärer Akte; aber in diesen Fällen verschwindet selbst die scheinbare Dominanz des illokutionären Zieles, die auch noch für die zuletzt genannte Klasse perlokutionärer Effekte notwendig ist. Der illokutionäre Akt einer Behauptung [...] Du benimmst Dich wie ein Schwein erhält im Lichte des offen verfolgten perlokutionären Zieles, den Hörer zu verletzen, einen anderen Sinn: Die Behauptung gilt dann nämlich als Beschimpfung, Vorwurf oder Beleidigung. In ähnlicher Weise können beliebige illokutionäre Akte, je nach dem gegebenen Kontext, als Äußerungen von Spott oder Hohn gelten, weil die wörtlich ausgedrückte illokutionäre Bedeutung von dem gesetzten perlokutionären Ziel, den Angesprochenen bloßzustellen (bzw. von dem eingetretenen Effekt der Bloßstellung) überlagert und uminterpretiert wird. (Ebd.; Hervorhebungen i. O.) Gebauers (1993: 189) Kritik an der Diskursethik - „Die Sache der Aufklärung ist gut, aber die Argumente für ihre Fundierung sind es nicht" - ist, was die kommunikationstheoreti23

Vgl. demgegenüber Hundsnurscher (1999: 43).

257 sehen Implikationen angeht, voll und ganz zuzustimmen. Ihre praktische Relevanz beschränkt sich auf die Erkenntnis, daß der soziale Sprachgebrauch nicht dazu dient, individuelle mentale Zustände zu vermitteln. Die theoretisch anspruchsvollen Darlegungen zum kommunikativen Handeln reduzieren sich im alltäglichen Sprachgebrauch auf die Aufforderung an die Sprecher, aufrichtig zu sein.

7.5

Überlegungen zu einer alternativen Betrachtungsweise

Überredung, die - Art Hypnose; hierbei nimmt die mündliche Suggestion die hemmende Form von Argumenten oder Aufrufen an. In der gesetzgebenden Körperschaft der Zukunft wird man Stimmen, wie bisher, mittels hypnotischer Suggestion gewinnen, doch werden Beratung und öffentliche Angelegenheiten nicht länger durch Debatten verfinstert und behindert werden; die Opposition wird durch Anstarren zur Zustimmung gebracht" Ambrose Bierce, Des Teufels Wörterbuch

So sinnvoll das Beharren auf diesen auch ethisch relevanten Bedingungen für heuristische Zwecke zunächst auch ist - in der kommunikativen Praxis können sich interagierende Sprecher vorsichtig formuliert ihrer wechselseitigen Intentionen niemals sicher sein. In actu ist sich ein Sprecher auch nicht notwendigerweise der eigenen Intentionen in einem kognitiven Sinn bewußt. Demgemäß propagiert die im Vergleich zur sprachphilosophischen Kommunikationstheorie eher an faktischen Abläufen interessierte soziologischsystemtheoretische Kommunikationsanalyse eine andere Sichtweise, die die double contingency (vgl. Parsons 1964: 10-11; Luhmann 1990a: 24) bei der Interaktion klar herausstellt. Entwickelt man diesen Gedanken weiter, so kommt man zu dem Ergebnis, daß Intentionen, ebenso wie Glaubwürdigkeit oder Rationalität Beobachterbegriffe sind, die retrospektiv eine Kommunikationssituation charakterisieren. Das gilt nicht zuletzt auch für die Lexeme überreden!überzeugen, die ohnehin resultative Verben darstellen. D. h.: der Wortgebrauch ist Ausdruck einer Synchronisierungstendenz, die zugleich die Rolle des Beobachters verdeckt. Damit ist Folgendes gemeint: Die Entscheidung, sprachliche persuasive Handlungen dem Überreden oder dem Überzeugen zuzurechnen, hängt ausschließlich davon ab, ob der Sprecher Konsistenzen zwischen der infragestehenden Äußerungen und dem Verhalten im Vor- und/oder Nachfeld des kommunikativen Kontakts beobachtet hat. Kommunikation ist also nicht in erster Linie das Resultat einer Kopplung von individuellen Motiven. Das gilt gerade für das persuasive Sprachspiel. Es macht seine Ambivalenz aus, daß es unabhängig davon, ob die sincerity condition erfüllt ist, zustande kommt. So

258 erklärt sich m. E. auch der eigentümliche Umstand, daß Spl seine persuasive Absicht nach Möglichkeit nicht explizit thematisiert, Sp2 sie aber immer voraussetzt. Es gehört zu den Regeln persuasiver Kommunikation, den Zweck, die Herstellung von Konvergenz, nicht eigens zu benennen, aber davon auszugehen, daß er auch dem Dialogpartner bekannt ist. M. a. W.: die Ambiguität einer persuasiven Äußerung gehört zu dem gemeinsamen Hintergrundwissen der beteiligten Sprecher. Gerade im Interesse der aufklärerischen Zielsetzungen ist es verfehlt, dieses gemeinsame Wissen nicht an den Anfang der Überlegungen zu stellen. Wenn die Theorie dem potentiellen Manipulationsopfer Sp2 nicht einmal die prinzipielle Möglichkeit einräumen will, sich des Spl-Vorgehens zu erwehren, beschränkt sich die ethische Position auf Klagen über den weitverbreiteten Sprachmißbrauch. Nimmt man die dialogischen Implikationen dagegen wirklich ernst, dann muß man bei Sp2 einen höheren Grad an Autonomie voraussetzen, als das bei einem,Hörer' der Fall ist. Tatsächlich kann Spl seine Äußerungen, wie effizient sie auch durchdacht sein mögen, nur in dem Maß effektiv nutzen, in dem Sp2 dies zuläßt. So betrachtet läßt sich dann auch nicht konstatieren, Spl (oder, noch unzureichender, ,die Sprache') manipuliere Sp2, sondern Sp2 lasse sich manipulieren. Es charakterisiert das persuasive Sprachspiel, daß es Sp2 jederzeit freisteht, auf seinem Negativen Bescheid zu beharren.24 Eine ethisch engagierte Pragmalinguistik kann daraus nur einen Schluß ziehen: will sie die Kommunikative Kompetenz der Sprechergemeinschaft fordern, kann sie nur von einem mündigen, emanzipierten Sprachbenutzer ausgehen, um auf dieser idealtypischen Grundlage ggf. Ratschläge (nicht aber Anleitungen!) zu erteilen, wie man diesem Ziel näherkommen könnte.25 Und d. h.: man sollte sich bemühen, auch .manipulativen' Sprachgebrauch als regelbasiertes Sprachspiel zu beschreiben, um der Sprechergemeinschaft die Chance zu geben, auf eigenständige Weise darüber zu reflektieren, was von einem Kommunikationsangebot zu halten ist. Lediglich mit moralischer Empörung darauf hinzuweisen, daß bestimmte Formen des Sprachgebrauchs parasitär sind, sagt über ihre Funktionsweise noch überhaupt nichts aus. Diese Haltung entbindet den kritischen Beobachter vielmehr von der Aufgabe, sich über sein eigenes Vorgehen mit dem principle of charity Rechenschaft abzulegen und Täuschungsversuche als eigenständige Bestandteile der kommunikativen Praxis zu explizieren. Welche Konsequenzen eine linguistische

24

25

Wie Dahme (1980: 728) richtig ausfuhrt, „setzt jede erfolgreiche Manipulation] eine präexistente Bereitschaft des Opfers voraus". Daraus läßt sich gerade unter konstruktivistischen Vorzeichen eine neuartige Perspektive gewinnen, vgl. Krieg (1991: 136): „[...] Wenn ich auf die Vorstellung einer von mir unabhängigen Realität verzichte, erlange ich erst die volle Verantwortung für mein Handeln - und damit auch die volle Freiheit. Ich kann nun nicht mehr sagen: Es sind die Medien, die mich zum Kauf eines neuen Autos zwingen, und die Werbung ist schuld, daß der Wagen 500 PS haben muß." Vgl. dazu meine Ausfuhrungen in Hardenbicker/Ortak (2000a: 53-55).

259 Sprachkritik daraus zu ziehen hat, verdeutlichen die Ausfuhrungen von Hundsnurscher (1994b: 112): Nicht eine im harmonischen Einklang lebende Menschheit, die sich strikt an allgemeingültigen Normen orientiert, dürfte die Perspektive sein, sondern erhöhte Wachsamkeit und wirksame Kontrolle auf der Basis sprachwissenschaftlicher Einsichten.

Diese Einsichten sind aber nur dann zu gewinnen, wenn man die Ambivalenz bestimmter Sprechhandlungs-Typen nicht aus naheliegenden ethischen Bedenken auflösen will, sondern sie zum Ausgangspunkt der Analyse macht, um die spezifischen Erscheinungsformen genauer herauszuarbeiten. Und dazu gehört auch das Bewußtsein der Sprachkritik, daß sie wie ein perpetuum mobile [ist]. Sie ist Teil des großen Sprachspiels, in dem jeder Sprecher einen Zug macht, wenn er spricht. (Schiewe 1998: 289)

Nur so können linguistische Erkenntnisse einen gesellschaftlichen Praxisnutzen entfalten.

8.

Abschließende Betrachtung

Was macht persuasives sprachliches Handeln aus? Im Verlauf dieser Studie wurden unterschiedliche Aspekte rhetorikgeschichtlicher, argumentationstheoretischer, ethischer, v. a. aber pragmalinguistischer Art benannt und diskutiert. Das rhetorische Interesse an Persuasion konzentriert sich auf die Möglichkeiten (und auch Grenzen), die Sprache wirkungsvoll zu gebrauchen; argumentationstheoretische Gesichtspunkte befassen sich vorrangig mit der Frage, inwiefern Persuasion einen sachlich gültigen Konsens zwischen Sprechern befördert. Die ethische Sichtweise verbindet diese Fragestellungen mit Überlegungen zur argumentativen Integrität und ringt darum, die Ambivalenz persuasiven Sprechens zu entschärfen. Die Prämissen einer handlungstheoretischen Kommunikationsanalyse dominiert ein umfassender Ansatz; sie nimmt in erster Linie den funktionalen Beitrag in den Blick, den die Persuasion bei der Koordinierung intentionalen Verhaltens erbringt. Die Einflußnahme auf Weltzustände, sei sie nun psychischer, kognitiver oder praktischer Art, ist ein sozialer Prozeß, der intersubjektive Abstimmung erfordert. Im günstigsten Fall beruht das Einverständnis der Beteiligten auf Konvergenz; der Persuasion fallt dabei die Aufgabe zu, eine divergente Ausgangssituation abzuändern, indem ein Sprecher einen anderen zur Handlungs- oder Zustimmungsbereitschaft bewegt. Als kommunikativer Prozeß ist persuasives Handeln deswegen stets dialogisch und infolgedessen mit dialoganalytischen Mitteln zu beschreiben. Das gilt gerade für Kommunikationsformen, deren manifeste Gestalt nicht durch den Sprecherwechsel bestimmt ist. Der turn ta&wg-Mechanismus ist in diesen ,monologischen' Texten auf der Parameter-Ebene verzichtbar, weil die prinzipielle handlungstheoretische Ebene von Dialogizität geprägt ist und die unverzichtbaren Inferenzleistungen der Beteiligten erst bedingt. Das virtualisierte Sprachspiel liegt als Wissen um Dialogmuster vor. Darauf beruht die Kommunikative Kompetenz. Es gehört zu den Besonderheiten des dialogischen Strategiemusters Persuasion, daß über die Konvergenzbemühungen gemeinsames Wissen vorliegt und sein funktionaler Zweck nicht explizit thematisiert werden muß, in manchen Fällen sogar nicht darf. Sich einem Dialogpartner gegenüber metakommunikativ auf die persuasive Akzeptanzstrategie festzulegen kann sich sogar kontraproduktiv auf ihre Erfolgsaussichten auswirken. Und doch rechtfertigt dieser Umstand keine vorschnelle Gleichsetzung persuasiven sprachlichen Handelns mit ,manipulativem' Sprachgebrauch. Wenn man die dialogische Grundkonstellation verkennt, entläßt man - ungewollt - das ,Manipulationsopfer' aus seiner Eigenverantwortung: der lebenslangen Aufgabe, seine Kommunikative Kompetenz als Teilnehmer an der Lebensform Sprache auszubilden. Persuasion ist kein simples Unterfangen. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn man die Konvergenz nicht durch außersprachliche Druckmittel

261 erlangen kann. Und wohl auch deshalb kann man es sich mit ihrer Beschreibung und Beurteilung nicht leicht machen: die Verbindlichkeit sprachanalytischer Ergebnisse begrenzt der persuasive zirkuläre Charakter. Sicher konstatieren läßt sich allerdings: Persuasion ermöglicht es, individuelle Zielsetzungen im sozialen Verbund auszuhandeln - ein, wenn nicht das wichtigste Motiv, Sprache zu gebrauchen.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Die klassische Trias persuasiver Redeformen

12

Abb. 2:

Der Zusammenhang der aristotelischen Wirkungsfaktoren

22

Abb. 3:

Die Lemmata überzeugen und überreden

51

Abb. 4:

Strategietypen und Strategieverfahrensmuster nach Hoffmann (1998: 73-74)

79

Abb. 5:

Persuasion und Argumentation im diskursiven Kontext

85

Abb. 6:

Das Dialogische Prinzip und seine Parameter

111

Abb. 7:

Interaktion und Text auf der Grundlage des Dialogischen Prinzips

119

Abb. 8:

Ein dialogisches Textmodell

127

Abb. 9:

Der dialoggrammatische Status des persuasiven Strategiemusters

142

Abb. 10: Die drei konnotativen Gebrauchstypen

159

Abb. 11: Problematisierungen des Datums als prozedurales Argumentationsprinzip

172

Abb. 12: Das Strategiemuster PERSUASION und seine dialogischen Untermuster

178

Abb. 13: Der Text als das Resultat dialogischer Antizipation

209

Abb. 14: Text 1 und seine dialogische Antizipation

218

Abb. 15: Text 2 und seine dialogische Antizipation

225

Abb. 16: Text 3 und seine dialogische Antizipation

231

Abb. 17: Text 4 und seine dialogische Antizipation

235

Abb. 18: Text 5 und seine dialogische Antizipation

239

Abb. 19: Text 6 und seine dialogische Antizipation

242

Literaturverzeichnis

1. Konkordanzverzeichnis

Arist. Rhet. = Aristoteles ( 4 1993) Cicero, de or. = Cicero ( 3 1988) Cicero, or. = Cicero (1976) Platon, Gorg. = Piaton (1973) Platon, Phaidr. = Piaton (1983) Quintiiianus, inst. orat. = Quintiiianus (1972/1975) Wittgenstein, Tractatus = Wittgenstein ("1980) Wittgenstein, PU = Wittgenstein ("1980) Wittgenstein, ÜG = Wittgenstein (1984)

2. Verwendete Literatur

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264 -

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