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German Pages [287] Year 2021
Kirche – Konfession – Religion
Band 81
Herausgegeben vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Dagmar Heller und Kai Funkschmidt in Verbindung mit Andreas Feldtkeller, Miriam Rose und Gury Schneider-Ludorff
Lukas Pieper
Paulos Mar Gregorios Imaginationen des Ostens im Zeitalter der Ökumene
Mit 8 Abbildungen
V&R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Ikonographische Darstellung von Paulos Mar Gregorios in der St. Gregory of Nyssa Episcopal Church, San Francisco. Künstler: Mark Dukes. Fotograf: David Sanger. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-1507 ISBN 978-3-7370-1291-1
Für die Jungs
»Wer sich selbst und andre kennt Wird auch hier erkennen: Orient und Okzident Sind nicht mehr zu trennen.« Johann Wolfgang von Goethe Der West-Östliche Divan
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II Biographie im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der familiäre Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der religiöse Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 ›Duhkha‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ˙ 1.4 Der politische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Eine Übergangszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Äthiopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Lehrer Paul Verghese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Paul Verghese und Haile Selassie . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Zwischen den Vereinigten Staaten, Indien, Äthiopien und Europa 3.1 Eine erste theologische Prägung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zurück in Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Exkurs: Die historische Situation der Malankara-Orthodoxen Kirche unter Baselios Geevarghese II. . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der zweite Äthiopien-Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Der zweite Aufenthalt in den Vereinigten Staaten . . . . . . . 3.6 Oxford . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Arbeit für den Ökumenischen Rat der Kirchen . . . . . . 4.1.1 Das Zweite Vatikanische Konzil . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Der Dialog zwischen byzantinischer und orientalischer Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Die Kirchenkonferenz von Addis Abeba 1965 . . . . . . 4.2 Die Entwicklung Paul Vergheses zwischen 1962 und 1967 . . .
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Inhalt
5 Rückkehr nach Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Rektor des Orthodox Theological Seminary in Kottayam . 5.2 Vermehrte Schreibtätigkeit und die Entdeckung Indiens . 5.3 Innerkirchliche Entwicklungen und Ernennung zum Metropoliten von Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zwischen Indien und der Welt – ›The Red Bishop of Delhi‹ 5.4.1 Im eigenen Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 In der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Weiteres ökumenisches Wirken . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Mar Gregorios’ Entwicklung im Spiegel der Vollversammlungen des ÖRK von 1968 bis 1991 . . . . . . 6.1.1 Uppsala 1968: Gottesdienst . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Nairobi 1975: Auf der Suche nach Gemeinschaft. Das gemeinsame Streben der Menschen verschiedenen Glaubens, verschiedener Kulturen und Ideologien . . 6.1.3 Vancouver 1983: Den Bedrohungen des Friedens und Überlebens begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Paulos Mar Gregorios und der ÖRK . . . . . . . . . . 6.2 Weiteres ökumenisches Engagement außerhalb des ÖRK . 7 Lebensabend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III Tradition und Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Garant der Tradition: Gregor von Nyssa . . . . . . . . . . . 1.1 Motive und Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . 1.2 Cosmic Man – der freie Mensch . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Mensch als Schöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Tradition und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 ›Tradition‹ als Gegenstand des ökumenischen Diskurses 2.2 Die Tradition und die Traditionen . . . . . . . . . . . . 2.3 Die christliche Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Tradition, Theosis und die Transzendenz Gottes . . 2.3.2 Elemente der christlichen Tradition . . . . . . . . . 2.4 Tradition, Imagination, Dialog . . . . . . . . . . . . . . .
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IV Imaginationen des Ostens . . . . . . . . . . . 1 ›Die Orthodoxie‹ . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Diskurs: ›Worship in a Secular Age‹ 1.2 Mar Gregorios’ Verortung im Diskurs . 1.3 Orthodoxie als ›rechte Anbetung‹ . . . .
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Inhalt
1.3.1 Der Gottesdienst als Transzendierung . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Gebet und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Eine neue Askese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Indien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Entdeckung Indiens: Diskurse und Motive . . . . . . . . . . 2.2 Der säkulare Staat und der Säkularismus . . . . . . . . . . . . . 2.3 Personifikationen des ›Indischen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 ›Enlightenment East‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Mar Gregorios’ spätes Werk im Horizont des postcolonial turn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Samyagsambodhi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Die Indische Orthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die historische Imagination der indischen Orthodoxie . . . . . 3.3 Syrisch-orthodox oder orthodox-syrisch? Die Rolle der westsyrischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Orthodox und Indisch: Die Verbindung zweier Imaginationen des Ostens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Das (Thomas-)Christentum als indische Religion . . . . . 3.4.2 Inkulturation als Dialog: Gregor von Nyssa und die Weisen Indiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167 178 180 187 187 190 192 200
V Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . 1 Quellen . . . . . . . . . . . . . 1.1 Als Paul Verghese . . . . . 1.2 Als Paulos Mar Gregorios 2 Sekundärliteratur . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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200 207 213 213 216 226 231 231 237
Vorwort
Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2019/20 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Im Kontext der Arbeit hatte ich die Gelegenheit, viele wunderbare Menschen kennenzulernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ihnen möchte ich an dieser Stelle danksagen. Zuerst gilt dieser Dank meinem Doktorvater und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Tamcke. Er war es, der mich zu einem Forschungsprojekt ermutigte, das ein großes Maß an eben jenem Mut brauchte: um es zu beginnen, um auf mancher Strecke durchzuhalten und um es sodann – wenngleich man niemals ›fertig‹ ist – zu einem Abschluss zu bringen. In all dem wusste ich ihn als Lehrer im umfassenden Sinne fachlich wie menschlich an meiner Seite. Weiter gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. Christian Polke für die Übernahme des Zweitgutachtens. Für die konstruktive Mitwirkung in der Prüfungskommission habe ich Herrn Prof. Dr. Tobias Georges sowie Herrn Dr. Fritz Heinrich zu danken. Eine Arbeit wie diese ist nicht möglich ohne finanzielle Förderung. Hierfür danke ich herzlich der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dessen Initiative A New Passage to India, die mich in verschiedenen Phasen des Projektes finanziell wie ideell gefördert haben. Für die Gewährung von Druckkostenzuschüssen habe ich dem Ökumenischen Forschungsfonds der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Vereinten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers zu danken. Ein besonderer Dank gilt jenen Menschen und Institutionen, die mir während verschiedener Forschungsaufenthalte geholfen haben. Zunächst sei hier das St Ephrem’s Ecumenical Institute in Kottayam und dessen Leiter Fr Jacob Thekeparampil genannt, der mich als Gast in seinem Institut aufnahm. Ich danke ebenso den Verantwortlichen des Orthodox Theological Seminary in Kottayam, die mich stets an dem Ort willkommen hießen, den Paulos Mar Gregorios wohl
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Vorwort
am ehesten als sein ›Zuhause‹ bezeichnet hätte. Besonders dankbar bin ich Fr Kondothra M. George, der wie kein anderer Schüler von Mar Gregorios, dessen Werk weiterzuführen sucht und mich stets in seinem Haus zu einer Tasse Tee und einem angeregten Gespräch willkommen hieß. Ich danke auch den Brüdern des Kurisumala Ashram, die mir ermöglichten, zwischen allem intellektuellen Schaffen – ganz in Mar Gregorios’ Sinne –, das Geistliche nicht außer Acht zu lassen. Ich danke der Theologischen Fakultät der Itä-Suomen yliopisto (Universität Ostfinnlands) in Joensuu, die mich zu einem Forschungsaufenthalt willkommen hieß und wo ich im Dunkel des finnischen Winters nicht nur Ruhe zum Arbeiten, sondern auch gute Gesprächspartner fand. Der Lehrstuhl für Ökumenische Theologie und Orientalische Kirchen- und Missionsgeschichte der Georg-August-Universität Göttingen hat den Ruf, ein etwas bunter und verrückter Haufen zu sein. Das unkonventionelle und dennoch konstruktive Miteinander bleibt für mich das Vorbild einer ökumenischen Gemeinschaft. Besonderer Dank gilt Herrn Dr. Stanislau Paulau für die gemeinsamen Stunden der Arbeit in der ›Rumpelkammer‹ des HiWi-Büros, gute Gespräche und die konstruktive Rückmeldung zu meiner Arbeit. Ein ausdrücklicher Dank gilt darüber hinaus Frau Daniela Barton, der Sekretärin des Lehrstuhls, ohne die dieser nicht sein könnte. Ich danke den Herausgeber*innen – allem voran Frau Dr. Dagmar Heller – für die Aufnahme des Werkes in die Reihe Kirche – Konfession – Religion. Für Rückmeldung, Korrekturarbeiten und besondere Unterstützung danke ich Herrn David Kannemann sowie meinem Vater Volker Pieper. Letzterem danke ich zudem für die zusätzliche finanzielle Bezuschussung der Drucklegung. Meiner Schwester Antonia Pieper danke ich besonders für die Hilfe bei der Erstellung der Druckvorlage. Für die Erinnerung daran, dass es neben der Theologie auch noch andere schöne Dinge gibt, danke ich den Herren Tim Moritz Geßner und Johannes Otte. Ihnen sei der vorliegende Band gewidmet. Göttingen, im Juli 2021
Lukas Pieper
I
Einleitung
Die vorliegende Studie widmet sich dem Leben und Werk des indisch-orthodoxen Bischofs und Theologen Paulos Mar Gregorios (1922–1996). Ohne Frage handelt es sich bei dieser Person um eine der herausragenden Gestalten des indischen Thomaschristentums im 20. Jahrhundert. Wie kein anderer repräsentierte er dieses in den verschiedensten Kontexten. Er gehörte zudem zu den zentralen Gestalten der ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert, allem voran im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), in dem er von Beginn der 1960er- bis in die 1990er-Jahre aktiv war und verschiedene führende Positionen innehatte. Man kann ihn als ›großen Ökumeniker‹ bezeichnen, wenngleich sein Auftreten im ökumenischen Kontext keinesfalls immer dem entsprach, was andere von einem solchen erwarten würden. Einer seiner Wegbegleiter, Paul Abrecht (1917–2005), schreibt in seinem Nachruf, Mar Gregorios habe seine Zuhörer manchmal im gleichen Maße »stimuliert wie genervt«1. Mar Gregorios war keinesfalls ein Vorkämpfer kirchlicher Einheit um jeden Preis. Er verstand ›Dialog‹ als das Mittel zur Einheit, forderte jedoch, dass es zunächst eines Dialogs auf Augenhöhe bedürfe. So verstand er seine Rolle als Orthodoxer, als Inder und als Thomaschrist: Zeit seines Lebens stritt er für die Emanzipation dessen, was er repräsentierte im ökumenischen Diskurs. Dafür bediente er sich immer wieder der Provokation als »pädagogischem Mittel«2, wie er einmal schrieb: »But only one who loves can be permitted to provoke, even for the sake of communication.«3 Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, was Mar Gregorios im Zuge jener Emanzipation als das Eigene imaginiert. Sein gesamtes Werk hindurch benennt er dieses Eigene mit dem Begriff des ›Ostens‹. Dabei umfasst jener ›Osten‹ ver1 Paul Abrecht, »In Memoriam. M.M. Thomas. Paulos Mar Gregorios«, The Ecumenical Review 49 (1997): 112: »A forceful and often acerbic speaker, he sometimes stimulated and annoyed his audiences in about equal proportions.« 2 Paul Verghese, Freedom and Authority (Madras: The Christian Literature Society [u. a.], 1974), xii: »an ancient pedagogic trick taken from the bag of Jesus.« 3 Ebd.
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Einleitung
schiedene Konnotationen, die sich in den genannten Rollen von Mar Gregorios als Orthodoxer, Inder und Thomaschrist wiederfinden. Es gilt zu fragen, auf welche Weise er diesen Akt der Imagination legitimiert. Geht es hier lediglich um den Ausdruck der individuellen Identität eines Menschen, der sich im Dialog gefordert sieht? Man kann hier an das bekannte Diktum Martin Bubers (1878– 1965) denken: »Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du.«4 Doch betrifft dieser Prozess der Identifikation des Eigenen keinesfalls nur den einzelnen Menschen Paulos Mar Gregorios. Er versteht seine Rolle darüber hinaus stets als Repräsentant eines Kollektivs oder einer Tradition. Als Orthodoxer, Inder und Thomaschrist sah er sich als Teilhaber dreier großer Traditionen, die er zu repräsentieren und zugleich angesichts der großen Umbrüche des 20. Jahrhunderts neu zu denken suchte. Diesen in seinen Texten sichtbar werdenden Denkbewegungen, die sich mit dem Begriff der Imagination beschreiben lassen, widmet sich die vorliegende Studie. Damit vermag sie eine Forschungslücke zu schließen. Mar Gregorios’ Person und Werk sind bisher kaum erforscht. Darstellungen aus dem Kontext der Kirche Mar Gregorios’ oder seiner Schüler neigen zu einem gleichsam ›hagiographischen‹ Stil und sind dazu angetan, sich des Lebens und der ›Legende‹ des ›Gregory of India‹5 – wie er hier von vielen genannt wird – zu erinnern. Vereinzelt können jenen Texten zwar etwa biographische Daten entnommen werden, die zur Weiterarbeit hilfreich sind, entbehren darüber hinaus jedoch der kritischen Analyse. Bisher existiert lediglich eine Dissertation, die in den Vereinigten Staaten entstanden ist, die sich dem Leben und Werk von Paulos Mar Gregorios aus wissenschaftlicher Perspektive zu nähern versucht.6 An entsprechender Stelle wird Bezug auf diese Arbeit Marina Trues genommen, insbesondere in ihrer Auseinandersetzung mit dem Traditionsbegriff bei Mar Gregorios. Zugleich wird sich an jenen Stellen zeigen, dass sich die Lesart Trues signifikant von der hier vorgenommenen unterscheidet. True versucht Mar Gregorios stark in der orthodoxen – zudem byzantinischen – Tradition zu verorten, während ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit darstellt, dass es gerade die fehlende Verortung in einer Tradition ist, die das Denken Mar Gregorios’ ausmacht und Movens für jenen Akt der Imagination ist. Leben und Werk von Mar Gregorios böten Stoff für unzählige Forschungsarbeiten. So versteht sich die vorliegende Arbeit zunächst als Hinweis auf eine Person, die trotz ihrer Wichtigkeit in der ökumenischen 4 Martin Buber, »Ich und Du«, in Schriften über das dialogische Prinzip, Martin Buber Werkausgabe 4 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2019), 44. 5 Vgl. Kondothra M. George, »Gregory of India«, in Guru Gregorios, hg. von Kondothra M. George (Njaliakuzhy [u. a.]: Sahadharma Sangam [u. a.], 2014), 85–94. 6 Marina True, »Prophet of a New Humanity. Paulos Mar Gregorios on Tradition, Context, and Change as a Basis for Christian Community« (Doktor-Dissertation, Berkeley, Graduate Theological Union, 2009).
Einleitung
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Forschung bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Ein Grund hierfür kann in der fehlenden Grundlagenforschung gesehen werden: Aufgrund des Umfangs und der thematischen Vielfalt seines Werks, ist es nicht leicht, dieses einzuordnen. Mar Gregorios’ Publikationen behandeln Themen angefangen von der Theologie, über die Philosophie Indiens und Europas bis hin zu Naturwissenschaften und holistischer Medizin. Wirft man zudem noch den Blick auf seinen Nachlass, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, hier einen Menschen vor sich zu haben, der stets schreibend dachte. Kaum ein Ereignis des Weltgeschehens blieb von ihm unkommentiert. Er wurde gegen Ende seines Lebens zunehmend zu einer öffentlichen Persönlichkeit in Kerala und Indien, dessen Stellungnahme große Beachtung fand. So versucht die vorliegende Arbeit, Orientierung zu geben und die Grundmotive des Denkens von Mar Gregorios herauszuarbeiten, um möglicherweise Nachfolgenden den Zugang zu erleichtern. Für einen solchen Zugang gilt es zunächst, die Biographie und ihre Kontexte ausführlich zu behandeln (Kapitel II). Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich bereits aus der dargelegten Forschungslücke. Eine Auseinandersetzung mit seinem Werk, ohne die biographischen und historischen Kontexte zu kennen, erscheint wenig sinnvoll. So sind es gerade die besonderen Lebensumstände, die ihn zu dem Denker gemacht haben, der er war und zugleich waren es jene Umstände, die er als Persönlichkeit zu prägen suchte. Bei aller Bedeutung, die Mar Gregorios’ Person insbesondere in seinem Heimatland Indien zugeschrieben wird, ist es besonders schwierig ein historisch akkurates Bild jenes Lebens darzustellen. Es ist bereits heute gleichsam Gegenstand von ›Legendenbildung‹, die sich auch schriftlich niederschlägt.7 So muss hier immer wieder unterschieden werden zwischen der historischen Persönlichkeit und einem – ebenfalls imaginierten – Bild von Paulos Mar Gregorios, das mancher Biograph von ihm zeichnet. Was die Quellen zum Leben von Mar Gregorios angeht, müssen hier an erster Stelle die autobiographischen Aufzeichnungen aus seiner Feder genannt werden. Er begann, diese am 18. April 1993 zu schreiben, während er in Oxford weilte.8 Im Anschluss flog er am 29. Mai nach Köln, wo er an der dortigen Universität einer Konferenz über die Grundlagen theoretischer Physik beiwohnen wollte. Auf dem Weg erlitt er einen Schlaganfall, den er zwar überlebte, jedoch nunmehr an den Rollstuhl gebunden und unter starken gesundheitlichen Problemen leidend, seine Autobiographie nicht mehr fortsetzte. Zwischen dem 18. April und 29. Mai 7 Vgl. etwa Jose K. Puliyeril, H.G. Dr. Paulos Mar Gregorios. The Shining Star of the East (Kottayam: Puliyeril Publications, 1997). 8 Vgl. hierzu wie Folgendem Kondothra M. George, »Editor’s Preface«, in Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, von Paulos Mar Gregorios, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 9.
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Einleitung
1993 entstand dennoch ein umfangreiches Textmaterial, das unter anderem als Grundlage für die Beschäftigung mit Mar Gregorios’ Biographie dient. Gerade aufgrund des fragmentarischen Charakters der Autobiographie, enthält sie Informationen, die möglicherweise bei einer weiteren Überarbeitung verlorengegangen wären. So bietet kein anderer Text eine derart reichhaltige und detaillierte Schilderung des Lebens von Mar Gregorios. Dennoch bleibt er in einem hohen Maße subjektiv geprägt. Er selbst schreibt zu Beginn seiner Aufzeichnungen: »Even if my memory were prodigiously accurate, I know I would simply not be capable of separating interpretation from fact when it comes to telling my own story.«9 Er nennt persönlichen Stolz wie auch Scham als Gründe dafür, dass seine Autobiographie keinesfalls einem historisch akkuraten Bericht gleicht.10 Er erkennt an, dass – in den Worten Paul Ricœurs (1913–2005) – eine Autobiographie nichts anderes ist als ein literarisches Werk: »In dieser Eigenschaft beruht sie auf dem bald förderlichen, bald schädlichem Abstand zwischen der retrospektiven Sichtweise des Schreibakts, der Eintragung des Erlebten und dem alltäglichen Ablauf des Lebens.«11 Als Ausdruck einer narrativen Identität ist sie eine »Überkreuzung von Geschichte und Fiktion«12. Doch gerade die beschriebene Subjektivität einer Autobiographie birgt auch enorme Vorteile: So verhelfen jene Texte zu einem Einblick in das Innenleben von Mar Gregorios, der für die darauffolgende Auseinandersetzung mit seinem Denken von großem Wert ist. Es gilt dennoch stets im Blick zu behalten, dass es sich hierbei um die Narration – und damit auch die Imagination – der eigenen Lebensgeschichte handelt, die gerade als eine ›Überkreuzung von Geschichte und Fiktion‹ ernstgenommen und interpretiert werden sollte. Es bedarf somit immer wieder eines kritischen Korrektivs. Es existieren Informationen, die durch Familienmitglieder, Freunde und Wegbegleiter übermittelt worden sind. Auch hier gilt es die Subjektivität jener Schilderungen zu beachten. In manchen Fällen sind es gerade die Hinterbliebenen, die noch viel mehr als die Person selbst, zu Überzeichnungen neigen.13 Gerade Protokolle 9 Paulos Mar Gregorios, Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 13. 10 Vgl. ebd., 13–14. 11 Paul Ricœur, »Eine intellektuelle Autobiographie«, in Vom Text zur Person. Hemeneutische Aufsätze (1970–1999) (Hamburg: Felix Meiner Verlag, 2005), 3. 12 Ebd., 70. Zu Ricœurs Konzept der narrativen Identität in Bezug auf ökumenische Prozesse vgl. Beate Bengard, Rezeption und Anerkennung. Die ökumenische Hermeneutik von Paul Ricœur im Spiegel aktueller Dialogprozesse in Frankreich, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 151 (Göttingen [u. a.]: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015). 13 Hier liegt eine Schwäche der Arbeit Marina Trues, die sich immer wieder lediglich auf von ihr geführte Interviews mit Schülern und Familienangehörigen bezieht, die bei näherem Hinsehen ein mindestens so deutliches Interesse der Darstellung erkennen lassen wie die autobiographischen Texte.
Einleitung
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jedoch von ökumenischen Dialogen oder Erfahrungsberichte von Außenstehenden stellen eine wichtige Quelle dar. Auch lässt Mar Gregorios immer wieder in seinen eigenen Texten Informationen einfließen, die für die Rekonstruktion der Biographie von besonderem Wert sind. Insbesondere der zweite Teil der Biographie ist auf derlei Informationen angewiesen, da seine fragmentarischen autobiographischen Aufzeichnungen vor allem die Zeit vor 1961 – also bevor er in den Dienst des ÖRK trat – beleuchten, kaum aber die Zeit danach. Jedoch ist für die spätere Beschäftigung mit Mar Gregorios’ Werk gerade jene Zeit nach 1961 von entscheidender Bedeutung, da erst hier eine vermehrte Schreibtätigkeit einsetzte. Wichtige Dokumente, teils persönlicher Natur, finden sich in dem Besitz von Mar Gregorios’ letztem Sekretär Joice Thottackad, der seinen Nachlass verwaltet. Von der umfangreichen Sammlung und Digitalisierung des Nachlasses konnte diese Arbeit besonders profitieren. Wenn das Leben und Denken von Paulos Mar Gregorios in dem Titel in ein ›Zeitalter der Ökumene‹ datiert wird, als welches das 20. Jahrhundert immer wieder bezeichnet wird,14 so gilt es, den Begriff nach Mar Gregorios in seiner ganzen Weite zu begreifen: als Handeln im Interesse des friedlichen Zusammenlebens auf der gesamten ›bewohnten Erde‹ (οι᾿κουμένη). Er gehörte zu den ersten, die forderten, den Bereich der binnenchristlichen Ökumene zu überschreiten und den interreligiösen Dialog auf die Agenda des ÖRK zu schreiben. Dies spielte immer wieder auch eine zentrale Rolle, wenn es um sein Wirken in seinem Heimatland Indien ging: Er galt als theologischer Vordenker seiner Kirche, der Malankara Orthodox-Syrischen Kirche oder – wie Mar Gregorios sie selbst lieber nannte – der Indisch-Orthodoxen Kirche. Als Ausdruck eines genuin indigenen Thomaschristentums, versteht er die Indische Orthodoxie als indische Religion unter indischen Religionen. Zugleich gilt er bis heute in Indien als ein Denker, der abseits von Kirche und Theologie Wesentliches geleistet hat: So trat insbesondere in seinen späten Jahren immer mehr die Frage einer Identität der indischen Nation als einer bestehend aus einer Vielzahl von partikularen Identitäten in den Mittelpunkt. Die entscheidende Frage für ihn war: Wie ist ein Zusammenleben von Menschen verschiedenster Religionen und Weltanschauungen in Indien möglich? Das ›Zeitalter der Ökumene‹ beschreibt damit zum einen den Kontext, in dem Mar Gregorios dachte und wirkte, zum anderen jedoch auch seine Vision: Nach Jahrhunderten des Proselytismus und Kolonialismus, ging es ihm letztlich um das Fortschreiten in ein wahrhaft ökumenisches Zeitalter. Im Anschluss an die Auseinandersetzung mit Mar Gregorios’ Leben und dessen Kontexten, folgt die nähere Betrachtung seines Werks. Dieses liegt in 14 Vgl. etwa Friederike Nüssel und Dorothea Sattler, Einführung in die ökumenische Theologie (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2008), 23.
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keinerlei geordneter Edition vor. Der bereits genannte Joice Thottackad hat eine chronologische Liste der Werke von Mar Gregorios zusammengestellt und zählt 34 Bücher und 625 Artikel aus seiner Feder.15 Diese Zahl kann für sich keine letzte Gültigkeit beanspruchen. So fehlen etwa drei deutschsprachige Monographien16 sowie einige Artikel aus dem ökumenischen Kontext. Es konnten somit auch Texte gefunden werden, die auf jener Bibliographie fehlen. Die Liste bietet jedoch immer dort eine gute Grundlage, wo es um frühe Texte – etwa aus dem Studium von Mar Gregorios – geht, die sich ausschließlich in seinem Nachlass finden sowie wenn es um Veröffentlichungen aus dem indischen Kontext geht. Die Mar Gregorios Foundation publiziert regelmäßig Sammelbände von Mar Gregorios’ Texten, insbesondere solche, die bisher unveröffentlicht sind. Für die vorliegende Arbeit wurde eine Sammlung seiner Texte erstellt, die für sich in Anspruch nehmen kann, eine der umfassendsten ihrer Art zu sein. Beinahe alle Texte von Mar Gregorios sind ursprünglich in englischer Sprache verfasst. Ein kleinerer Teil seiner Bibliographie besteht aus Texten in seiner Muttersprache Malayalam, die jedoch wesentlich Übersetzungen seiner englischen Texte darstellen. Mar Gregorios selbst schreibt in seiner Autobiographie, dass Englisch die Sprache sei, die er am besten beherrsche und deshalb in dieser seine Bücher und Texte verfasse. Malayalam gebrauche er nur, wenn es nicht anders möglich sei.17 Zudem hatte er stets – im Sinne der ökumenischen Ausrichtung seines Wirkens – eine internationale Leserschaft vor Augen. In den Kapiteln III und IV erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit Mar Gregorios’ Werk. Wie die Biographie nicht ohne Hinweise auf sein Denken auskommt, so kommt auch die Auseinandersetzung mit seinem Werk nicht ohne Hinweise auf die historische wie biographische Verortung desselben aus. Wenn Mar Gregorios im Titel dieser Arbeit als Denker im ›Zeitalter der Ökumene‹ bezeichnet wird, findet dies im Aufbau der Kapitel, die sich diesem Denken widmen, Niederschlag. Zu Beginn jedes Unterkapitels wird in den Diskurs eingeführt, der für Mar Gregorios zum Ausgangspunkt seines Nachdenkens über ein entsprechendes Thema wurde. So kann die besondere Position, die er in jenen Diskursen für sich in Anspruch nahm, hervorgehoben werden.
15 Vgl. Joice Thottackad, »Gregorios Bibliography. A Chronological List of the Works of Dr. Paulos Mar Gregorios«, in New Vision. New Humanity, hg. von T.P. Elias (Kottayam: Sophia Books, 2000), 139–83. 16 Diese sind: Michel Leplay, Émile Marcus, und Paul Verghese, Hrsg., Priester und Pastoren. Zum Amtsverständnis in den christlichen Kirchen (Regensburg: Pustet, 1970); Paul Verghese, Hrsg., Koptisches Christentum. Die orthodoxen Kirchen Ägyptens und Äthiopiens, Die Kirchen der Welt 12 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1973); Paul Verghese, Hrsg., Die Syrischen Kirchen in Indien, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974). 17 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 17.
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Die Kapitel III und IV operieren mit zwei Schlüsselbegriffen, dem der Imagination wie der Tradition. In Kapitel III werden diese beiden Begriffe zunächst in ein Verhältnis zueinander gesetzt: Tradition wird in Mar Gregorios’ Werk verständlich sowohl als Gegenstand als auch Medium von Imagination. Beide Begriffe spielen eine zentrale Rolle in Mar Gregorios’ Denken, wie das Kapitel zeigen soll. Dabei muss jedoch auch eine begriffliche Unschärfe berücksichtigt werden: Seine wiederholte Skepsis gegenüber der Sprachlichkeit menschlichen Denkens – so könnte man sagen – spiegelt sich auch in seinen Werken wider. Insbesondere der Begriff der Imagination wird nicht nur als systematisch wichtiger Begriff im Denken von Mar Gregorios dargestellt. Er stellt auch den Versuch dar, seinen Umgang mit der Tradition beschreibbar zu machen, ohne dass er es in seinem Werk stets auf genau jenen Begriff gebracht hätte. Ihm stehen andere Begriffe zur Seite – etwa jener der ›Freiheit‹ oder ›Kreativität‹ –, jedoch lässt sich mit dem Begriff der ›Imagination‹ Mar Gregorios’ Umgang mit der Tradition am besten fassen. Während in Kapitel III der Legitimation jener Imagination bei Mar Gregorios nachgegangen wird, behandelt das Kapitel IV den Gegenstand von Mar Gregorios’ Imagination. Wurde in Kapitel III festgestellt, dass der Gegenstand von Imagination die Tradition ist, widmet sich das Kapitel IV daher den Traditionen, die Mar Gregorios imaginierte. Diese lassen sich insgesamt unter dem Begriff des ›Ostens‹ subsumieren. In den verschiedenen Diskursen, an denen Mar Gregorios partizipierte, – sei es im Bereich der christlichen Ökumene oder solchen politischer oder philosophischer Natur, – versuchte er sich stets als ›östlicher‹ Denker zu profilieren. Während er sich in ökumenischen Diskussionen oftmals als Sprecher ›der Orthodoxie‹ verstand, sah er sich innerhalb philosophischer oder politischer Diskurse etwa als Vertreter einer ›indischen Tradition‹. Unter den Thomaschristen wiederum und innerhalb seiner Kirche versuchte er, sich als Vertreter einer genuin indischen Orthodoxie zu profilieren. In all jenen verschiedenen Diskursen steht dabei das Motiv im Mittelpunkt, sich als ›östlicher‹ Denker zu verstehen, im bewussten Gegenüber zu einem nicht minder imaginierten ›Westen‹. So wird in Kapitel IV versucht, jene ›Imaginationen des Ostens‹ in drei konkreten Formen zu beschreiben: der Imagination der Orthodoxie, der Imagination Indiens sowie der Imagination der Indischen Orthodoxie. Dabei wird stets deutlich, dass es sich hierbei keineswegs um drei voneinander zu trennende Größen handelt. Vielmehr sind dies drei Motive in seinem Denken, die zusammengenommen als ›östliche Traditionen‹ eine enorme Konsistenz aufweisen: ›Der Osten‹ insgesamt wird so zum Ort des mystischen Erlebens, wo die menschliche Existenz transzendiert wird, wo ratio und fides in einem rechten Verhältnis zueinanderstehen. So ist es nur konsequent, wenn in der vorliegenden Arbeit die Imagination der Orthodoxie sowie Indiens in die Imagination der
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Indischen Orthodoxie einmünden, da in dieser konfessionellen18 Selbstbeschreibung gleichsam die Imaginationen des Ostens kulminieren. Mit dem Ziel, Mar Gregorios als Persönlichkeit sowie Denker im Zeitalter der Ökumene erkennbar werden zu lassen, bedient sich die vorliegende Arbeit verschiedener methodischer Hilfsmittel. In erster Linie analysiert sie Texte von Mar Gregorios, die sie mit Rücksicht auf ihre historischen wie biographischen Kontexte zu interpretieren sucht. Wenn sein Denken im Hinblick auf dessen imaginative Leistung betrachtet wird, so wird dies in erster Linie aufgrund seiner eigenen Legitimation dieses Vorgehens getan, wie sie in Kapitel III zur Darstellung kommt. Dennoch ist es immer wieder hilfreich, auch Erkenntnisse der Diskurstheorie – insbesondere in deren besonderer Wendung in den postkolonialen Studien – mit einzubeziehen. So ist bereits deutlich geworden, dass Mar Gregorios’ Imaginationen des Ostens nicht verständlich sind ohne den diskursiven Kontext, in dem diese stehen. Sein gesamtes Werk ist geprägt von dem Versuch der Emanzipation in den Diskursen, in denen er sich bewegte. So beschreibt er den ökumenischen Diskurs stets als einen, der von westlich-protestantischen Kräften beherrscht wird und in dem er sich als orthodoxe Stimme zu emanzipieren sucht. Auch in seinen Imaginationen Indiens wie der Indischen Orthodoxie wird immer wieder deutlich, dass er des Gegenübers des ›Westens‹ bedarf, um sich selbst als ›östlichen‹ Denker beschreiben zu können. Zugleich lässt sich in seinem späten Werken erkennen, wie er den Versuch unternimmt, gerade jene koloniale Dichotomie von ›Ost‹ und ›West‹ zu transzendieren, in seiner Vision von der ›einen Welt‹ oder ›neuen Menschheit‹. Mit dem Interesse, diese Entwicklung in seinem Denken besser beschreibbar zu machen, bedient sich die vorliegende Arbeit dem Modell der postkolonialen Theoretiker Jan Nederveen Pieterse und Bikhu C. Parekh, die erklären, wie der äußere Vorgang der Dekolonisierung in der Folge zu einem Prozess der ›internen Dekolonisierung‹ (internal decolonization)19 bei den ehemals Kolonisierten führte, der sich in der Imagination von Tradition ausdrückt: »[Decolonization] requires not the restoration of a historically continuous and allegedly pure precolonial heritage, but an imaginative creation of a new form of consciousness and way of life.«20 In 18 Der Begriff ›Konfession‹ wird mancherorts in dieser Arbeit – mangels einer besseren Alternative – verwendet, ist jedoch aufgrund der Verankerung in der abendländischen Kirchenund Theologiegeschichte nicht ganz unproblematisch. So wird auch immer wieder – insbesondere in Bezug auf ›die Orthodoxie‹ – von einer transkonfessionellen Imagination die Rede sein, während in Bezug auf die ›Indische Orthodoxie‹ im Sinne Mar Gregorios’ von einer ›indischen Religion‹ gesprochen werden muss. Dies wird an entsprechender Stelle begründet. 19 Vgl. insb. Jan Nederveen Pieterse und Bhikhu C. Parekh, »Shifting Imaginaries. Decolonization, Internal Decolonization, Postcoloniality«, in The Decolonization of Imagination. Culture, Knowledge and Power, hg. von Jan Nederveen Pieterse und Bhikhu C. Parekh (London [u. a.]: Zed Books, 1995), 7–9. 20 Ebd., 3.
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jenem Prozess der internen Dekolonisierung lasse sich immer wieder das Phänomen eines ›umgekehrten Orientalismus‹ (orientalism-in-reverse)21 beziehungsweise ›Okzidentalismus‹ (occidentalism)22 beobachten, der die ehemaligen Grenzen von Selbst und Anderem reproduziert, jedoch unter gegensätzlichen Vorzeichen: Was vormals der überlegene ›Westen‹ gegenüber dem unterlegenen ›Osten‹ war, wird nun zu einem dem ›Westen‹ in allen Dingen überlegenen ›Osten‹ mit dem Interesse, sich im Diskurs zu emanzipieren.23 So lassen sich viele gedankliche Prozesse bei Mar Gregorios gerade im Sinne jener ›internal decolonization‹ beschreiben. Zugleich führen Nederveen Pieterse und Parekh als dritte Phase nach der äußeren Dekolonisierung und internen Dekolonisierung die der ›Postkolonialität‹ (postcoloniality)24 ein, wo koloniale Essenzialisierungen und Dichotomien zwar nicht völlig verschwinden, jedoch spielerisch transzendiert werden. Jene ›postcolonial boundary crossings‹25 lassen sich gerade in den späten Werken von Mar Gregorios entdecken, wo es ihm zunehmend um eine Symbiose von ›Ost‹ und ›West‹ geht – ohne jedoch jene Dichotomie grundsätzlich zu überwinden. Jenes Modell Nederveen Pieterses und Parekhs dient somit der besseren Beschreibbarkeit des Denkens von Mar Gregorios sowie 21 Vgl. ebd., 10. 22 Vgl. ebd. 23 So stellt das Modell von Nederveen Pieterse und Parekh eine konsequente Weiterführung des Konzeptes von Edward W. Saids (1935–2003) Orientalism dar. Said beschreibt – im Rekurs auf Michel Foucaults (1926–1984) Diskurs-Begriff – Orientalismus als »Denkstil […] basierend auf der ontologischen und epistemologischen Unterscheidung zwischen ›dem Orient‹ und (in den meisten Fällen) ›dem Okzident.‹« Edward W. Said, Orientalism, Neuauflage (London: Penguin Books, 2019), 2: »Orientalism is a style of thought based upon an ontological and epistemological distinction made between ›the Orient‹ and (most of the time) ›the Occident.‹« Dieser Definition entsprechend wäre auch Mar Gregorios’ Denkstil als ›orientalistisch‹ zu bezeichnen – mit einem entscheidenden Unterschied: Saids Studie handelt von ›okzidentalen‹ Bildern des ›Orients‹ als diskursiver Fortsetzung kolonialer Herrschaft des ›Okzidents‹ über den ›Orient‹: »Orientalism can be discussed and analyzed as the corporate institution for dealing with the Orient – dealing with it by making statements about it, authorizing views of it, describing it, by teaching it, settling it, ruling over it: in short, Orientalism as a Western style for dominating, restructuring, and having authority over the Orient.« Ebd., 3. Said beschreibt jedoch nicht jenen – bei Mar Gregorios zu beobachtenden – gegenläufigen Diskurs des sogenannten ›Orients‹ über den ›Okzident‹ als Folgeerscheinung des Orientalismus. Hierfür bedarf es somit der konsequenten Weiterführung des von Said maßgeblich initiierten Forschungsfeldes der postcolonial studies, wie sie bei Nedeveen Pieterse und Parekh zu finden ist. So kann Saids Werk aufgrund seiner isolierten Behandlung okzidentaler Orient-Bilder aus heutiger Sicht durchaus mit Recht in einen okzidentalistischen Diskurs eingezeichnet werden, nicht zuletzt, da dieser selbst um eine Emanzipation des ›Orients‹ im politischen Diskurs ringt. Vgl. Markus Schmitz, »Archäologien des okzidentalen Fremdwissens und kontrapunktische Komplettierungen. Edward W. Said: ›Orientalism‹ und ›Culture and Imperialism‹«, in Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, hg. von Julia Reuter und Alexandra Karentzos (Wiesbaden: Springer VS, 2011), 109, 114–15. 24 Vgl. Nederveen Pieterse und Parekh, »Shifting Imaginaries«, 10. 25 Vgl. ebd.
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dessen Entwicklung. So wird er als Denker ansichtig, dessen Imaginationen Signum eines von ihm empfundenen Bruchs mit der Tradition sind: sei es der Bruch mit religiösen Traditionen in der westlichen Welt, die Unabhängigkeit des Staates Indien oder die Autokephalie der Indisch-Orthodoxen Kirche. Stets lautet die Frage: Welche Tradition ist es, an die – nach dem Bruch – angeknüpft werden kann? Und stets können Mar Gregorios’ Imaginationen als der Versuch einer Antwort verstanden werden. Ergänzend zu einem den Blick stark auf die Makroebene des Diskurses richtenden postkolonialen Theorieansatz, wird auch immer wieder der Ausdruck der »Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft«26 verwendet, der von Hannah Arendt (1906–1975) stammt. Arendt widmet sich in ihrem gleichnamigen Text der Frage, inwiefern ein durch den Denker empfundenes »Intervall in der Zeit«27 – der Bruch der Tradition – dazu führt, dass jenes Intervall, jene Lücke gefüllt wird durch den Akt der Imagination: Without testament or, to resolve the metaphor, without tradition – which selects and names, which hands down and preserves, which indicates where the treasures are and what their worth is – there seems to be no willed continuity in time and hence, humanly speaking, neither past nor future, only sempiternal change of the world and the biological cycle of living creatures in it.28
Anhand dessen wird Mar Gregorios als Denker ansichtig, der jene Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, die auch mit dem Begriff des ›TraditionsAbbruchs‹ beschrieben werden kann, durch Imagination zu füllen sucht. Er tut dies, ganz im Sinne Arendts, indem er immer wieder den Bezug zur Vergangenheit sucht, um sich damit zugleich einer Zukunft zuzuwenden, die es neu zu denken und zu gestalten gilt. In dem Sinne ist Vergangenheit für ihn nichts, was rückwärts zieht, sondern vorwärts drückt:29 »it is, contrary to what one would expect, the future which drives us back into the past.«30 Während der postko26 Hannah Arendt, »Preface. The Gap Between Past and Future«, in Between Past and Future. Six Exercises in Political Thought (New York: The Viking Press, 1961), 3–15. Deutsche Übersetzung: Hannah Arendt, »Die Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft«, in Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, hg. von Ursula Ludz, 2. Aufl. (München: Piper, 2000), 7–19. Im Folgenden wird auf das englische Original bezuggenommen. 27 Arendt, »Gap«, 9: »it would be of some relevance to notice that the appeal to thought arose in the odd in-between period which sometimes inserts itself into historical time when not only the later historians but the actors and witnesses, the living themselves, become aware of an interval in time which is altogether determined by things that are no longer and by things that are not yet.« 28 Ebd., 5. 29 Vgl. ebd., 10: »This past, moreover, reaching all the way back into the origin, does not pull back but presses forward«. 30 Ebd., 10–11.
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loniale hermeneutische Ansatz stärker den Blick auf den Diskurs und von dort aus auf die Positionierung Mar Gregorios’ innerhalb desselben nimmt, versteht sich der Ansatz von Arendt her als einer, der sich der Perspektive des individuellen Denkers Paulos Mar Gregorios annimmt. Das von Arendt entworfene Bild des denkenden Individuums in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft weist dabei zugleich auf den Zusammenhang zwischen dem denkenden Subjekt und die sie umgebenen historischen Umbrüche, weshalb dies zugleich den Ansatz dieser Arbeit, Text und Kontext als einander durchdringende Größen zu verstehen, unterstützt.31 So wirft diese Arbeit den Blick auf eine Person, die sich oftmals dem Zugriff verweigert und bis heute – gerade aus der Perspektive eines evangelischen Theologen – unbequem bleibt. Das Axiom orthodoxer Theologie, dass Gott in seinem Wesen (οὐσία) unerkannt bleiben muss, gilt schließlich auch für dessen Ebenbild: Auch der Mensch – jeder Mensch – bleibt seinem Wesen nach Geheimnis, eines, das sich eben so sehr dem Zugriff verweigert, wie das Geheimnis Gottes.32 Wenn die vorliegende Arbeit versucht, sich in einem möglichst umfassenden Sinne der Person Paulos Mar Gregorios und seinem Denken zuzuwenden, sei diese Erkenntnis vorweggeschickt: Jede Beschäftigung mit einem Menschen und seinem Werk kann nur ein solcher Versuch bleiben. Gerade unter der Voraussetzung der Wahrung jenes epistemologischen Vorbehalts versucht die vorliegende Arbeit diesem Menschen gerecht zu werden – als einer Person mit einem einzigartigen Leben und Werk, das aller berechtigen Kritik zum Trotz, Beachtung verdient.
31 Vgl. ebd., 13: »[The gap between past and future] may be well the region of the spirit or, rather, the path paved by thinking, this small track of non-time which the activity of thought beats within the time-space of mortal men and into which the trains of thought, of remembrance and anticipation, save whatever they touch from the ruin of historical and biographical time.« 32 Ähnlich, mit Bezug auf Gregor von Nyssas Anthropologie: Vladimir Lossky, Die mystische Theologie der morgenländischen Kirche, übers. von Mirjam Prager, Geist und Leben der Ostkirche. Texte und Studien zur Kenntnis ostkirchlicher Geistigkeit 1 (Graz [u. a.]: Verlag Styria, 1961), 148–50.
II
Biographie im Kontext
1
Kindheit und Jugend
1.1
Der familiäre Hintergrund
Paul Verghese, der erst später als Bischof den Namen Paulos Mar Gregorios annehmen sollte,33 wurde am 9. August 1922 in Tripunithura in der Nähe der Stadt Cochin (heute: Kochi) als dritter von fünf Söhnen geboren.34 Sein Vater hieß T.P. Piely, seine Mutter Aley Piely.35 Sie tauften ihn auf den Namen Geevarghese, der syrischen Version des Namens Georg, den er nach der Tradition der Thomaschristen von seinem Großonkel väterlicherseits übernahm.36 Dieser 33 So wird der vorliegenden Arbeit, wenn es um die historische und biographische Darstellung geht, vor 1975 der Name Paul Verghese verwendet und nach 1975 der Name Paulos Mar Gregorios. An Stellen, wo es um ihn als Autor bzw. den Blick auf seine Gesamtperson geht, wird zumeist der Name Paulos Mar Gregorios verwendet. 34 Vgl. True, »Prophet«, 50. Fürstenstaat und Stadt trugen vor 1949 den Namen Cochin. 1949 vereinigten sich die Fürstenstaaten Travancore und Cochin zu Travancore-Cochin und schlossen sich Indien an. 1956 benannte man das Gebiet in ›Kerala‹ um, das nach Anschluss des Malabar-Distriktes des Bundesstaates Madras nun den gesamten Sprachraum des Malayalam entsprach. Vgl. P.M. Mammen, Communalism vs Communism. A Study of the SocioReligious Communities and Political Parties in Kerala. 1892–1970 (Calcutta: Minerva Associates, 1981), vii. Mar Gregorios lebte somit während seiner Kindheit im Gebiet des Staates Cochin. Vgl. Paulos Mar Gregorios, »My Own Vision of the Ultimate. Why am I an Eastern Orthodox Christian?«, in Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 63. 35 Vgl. Kondothra M. George und K.J. Gabriel, Hrsg., »Dr. Paulos Mar Gregorios. A Life of Dedication and Service«, in Towards a New Humanity. Essays in Honour of Dr. Paulos Mar Gregorios. Published in Connection with the Seventieth Birthday Anniversary (Delhi: Indian Society for Promoting Christian Knowledge, 1992). 36 Vgl. Susan Visvanathan, The Christians of Kerala. History, Belief and Ritual Among the Yakoba, 7. Aufl. (New Delhi [u. a.]: Oxford University Press, 2010), 127. Dass Mar Gregorios’ Familie dieser Tradition folgte, macht er deutlich. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 43: »My two elder brothers, Paulos, named after my father and grandfather, and Cherian […], named, according to custom after our maternal grandfather, found this world of dukkha a bit too much, and decided to quit early.«
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Biographie im Kontext
Name wird unter den Thomaschristen traditionell abgekürzt zu Varghese oder Verghese. Hinzu kamen die Namen des Großvaters väterlicherseits (Thaddikal) sowie des Vaters (Piely). So wurde er als Kind T.P. Varghese genannt.37 Später nannte er sich Paul Verghese, da Piely die syrische Version des Namens Paul ist. In Kontinuität dazu nahm er, als er im Jahre 1975 zum Mönch geweiht wurde, den Namen ›Paulos‹ an.38 Paul Vergheses Vater war dreizehn, seine Mutter zehn Jahre alt, als sie heirateten. »That was the custom those days, and there was nothing unusual about such child marriages.«39, schreibt er. Er bezeichnet seine Mutter als »extrem intelligent«40, wenngleich mit einer verkürzten Schulausbildung, die jedoch dem entsprach, was im 19. Jahrhundert in Indien üblich war. Sein Vater – auch mit einer verkürzten Schullaufbahn – war Grundschullehrer an der Schule, die auch Paul Verghese als Kind besuchte.41 Mar Gregorios beschreibt seine Kindheit, obwohl von Armut geprägt, als ruhig und friedvoll.42 Er bezeichnet sich selbst im Rückblick als »ein bisschen frühreif«43, weshalb er bei seiner Einschulung erst vier Jahre alt und damit weitaus jünger als seine Mitschüler war. Er war offenkundig ein guter Schüler mit einem großen Talent fürs Reden und Schreiben.44
1.2
Der religiöse Kontext
In seiner Autobiographie geht Mar Gregorios auf seine religiöse Sozialisation ein: In fact, in the Orthodox tradition to which my family belonged, religious personality formation depended more on the regular observances than on doctrinal instruction. The family prayer and Sunday worship were central. It mattered little how much of it one understood. The important thing was the participation, and the subtle and subconscious ways in which such participatory experience affected one’s personality structure.45
Dieses Hineinwachsen mit allen Sinnen, bei dem den unterbewussten Elementen der Spiritualität ein höchstes Maß an Wichtigkeit zukommt, beschreibt er im 37 Vgl. ebd.: »I was as a child known as T P Varghese«. Die ersten beiden Namen werden in der direkten Anrede zumeist nicht ausgesprochen, sondern geben die Familienzugehörigkeit an. 38 Vgl. ebd. 39 Ebd. 40 Ebd., 42: »She was an angel indeed, extremely intelligent, but only a fourth grade education. That was not too bad for rural girls in nineteenth century India. She could read and write.« 41 Dies war die Government Boys’ High School, Tripunithura. Vgl. ebd., 44; George und Gabriel, »Life«. 42 Vgl. Love’s Freedom, 39. 43 Ebd., 44. 44 Vgl. ebd., 44–46. 45 Ebd., 46.
Kindheit und Jugend
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Kontrast zu einem protestantisch geprägten Verständnis von religiöser Erziehung, wie es durch britische Missionare auch in Kerala spätestens in den 1920erund 1930er-Jahren Einzug erhielt.46 Mar Gregorios bezeichnet jenes Hineinwachsen in eine religiöse Haltung als zutiefst prägend für sein späteres Leben und Werk: »Many of the attitudes and tastes that I have carried over from childhood to adulthood came from this system.«47 So sei eines der Grundmotive für das Verfassen seines ersten Werks The Joy of Freedom diese Kindheitserfahrung der Teilhabe gewesen.48 Wahrscheinlich war ihm eine andere Form als die der nichtrationalen Teilnahme am Gottesdienst auch kaum möglich, wurde die Liturgie zur Zeit seiner Kindheit noch gänzlich in Syrisch gefeiert. Frühestens gegen Ende der 1930er-Jahre begann man zunehmend in Malayalam, der Landessprache im Gebiet des heutigen Bundesstaates Kerala, zu zelebrieren.49 Später sollte Paul Verghese zum Verfechter des Gebrauchs der Muttersprache in der Liturgie werden und übersetzte diese für die Gemeinden in der Diaspora ins Englische.50 Wäre der Gebrauch der Muttersprache in dem Sinne, wie er den Gottesdienst seiner Kindheit als ein Geschehen jenseits des rationalen Verstehens beschreibt, nicht zwingend notwendig, entsteht hier somit eine gewisse Spannung: War die Feier der Liturgie in der Muttersprache ursprünglich etwas, das unter anglikanischem Einfluss bei einem Teil der Thomaschristen im Sinne reformatorischer Ideale eingeführt wurde, steht dies bei Mar Gregorios später im Zeichen des Indischseins seiner Kirche im Gegenüber insbesondere zur Syrisch-Orthodoxen Kirche in Indien.51 46 47 48 49
Vgl. ebd., 47. Ebd. Vgl. ebd. So schreibt Paul Verghese in einem Artikel von 1961: »Until some thirty years ago Syriac used to be the liturgical language. Today this Church is unique among the Orthodox Communions in that her worship is entirely in the modern vernacular (Malayalam, a Dravidian tongue).« Paul Verghese, »The Ancient Syrian Church of India. A Contemporary Picture«, The Ecumenical Review XIII, Nr. 3 (1961): 285. Ninan K. George gibt an, dass es V.C. Samuel gewesen sei, der ab 1937 begonnen habe, die syrische Liturgie für die Malankara-Orthodoxe Kirche auf Malayalam zu übersetzen und dann für dessen Verbreitung gesorgt habe. Vgl. Ninan K. George, Reenvisioning Indian Orthodox Identity. A Historico-Theological Understanding of V.C. Samuel (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge, 2015), 3–5. 50 Vgl. Paulos Mar Gregorios, The Public Celebration of the Eucharist. The Liturgies of St. John Chrysostom and Mar Dionysius Bar Slibhi. According to the Practice of the Orthodox Church of India (Kottayam [u. a.]: Sophia Publications, 1982). Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, The Joy of Freedom. Eastern Worship and Modern Man, 2. Aufl. (Madras: The Christian Literature Society, 1986), 32; Paulos Mar Gregorios, »The Ethnic Character of Orthodoxy«, in Introducing the Orthodox Churches (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1999), 61. 51 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Introducing the Eastern Churches«, in The Faith of Our Fathers, 3. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2016), 53–54. So war es Abraham Malpan (1796–1845) – die Person, welche die Reformen einzuführen suchte, die später zur Bildung der Mar Thoma Syrian Church führten –, der als erster den syrisch-orthodoxe Jakobos-
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Biographie im Kontext
Auch ein anderes von anglikanischen Missionaren herrührendes Element der christlichen Erziehung spielte eine besondere Rolle für die Entwicklung des jungen Paul Verghese: die Sonntagsschule. Er besuchte diese zunächst in der Kirche seiner Heimat Tripunithura (Nadamel St. Mary’s Church) sowie später im Nachbarort Karingachira (St. George’s Church).52 Bald schon wurde er selbst Lehrer an der Sonntagsschule und unterrichtete jüngere Kinder. Das Unterrichten sollte eine der Passionen Mar Gregorios’ bleiben, denen er – trotz Krankheit – bis ins hohe Alter nachging.53 Die Situation unter den Christen Keralas war in den Kindertagen Paul Vergheses angespannt.54 Die einst einheitliche Kirche der Thomaschristen erlitt seit dem 17. Jahrhundert eine Vielzahl von Spaltungen. Nachdem im Anschluss an den ›Eid vom Kunen Kurisu‹ von 1653 zwei Kirchen existierten – die katholische Syro-Malabarische Kirche mit ostsyrischem und die Malankara-Orthodoxe Kirche mit westsyrischem Ritus55 –, sollte sich die Lage fortan nicht beruhigen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich innerhalb der orthodoxen Kirche eine Gruppe, die nach anglikanischem Vorbild reformatorische Ideen innerhalb der Kirche zu verwirklichen suchte.56 Angesichts dessen versuchte das syrisch-orthodoxe Patriarchat verstärkt Einfluss auf die orthodoxen Thomaschristen zu gewinnen, mit dem Ergebnis, dass im Jahr 1875 zum ersten Mal ein syrisch-orthodoxer Patriarch – Ignatios Petros IV. (1798–1894) – Indien besuchte. Konnte dieser viele unter den Orthodoxen für sich gewinnen, kam es
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Liturgie auf Malayalam übersetzte und feierte. Dies geschah jedoch in einer deutlich ›reformierten‹ Version, indem er alle Teile, die er für ›unbiblisch‹ hielt, veränderte oder strich. Vgl. C.P. Mathew, »Ein neues Schisma und die Mar-Thoma-Kirche«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 115–18. Heute feiern alle thomaschristlichen Kirchen die Liturgie hauptsächlich auf Malayalam. Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 183–84; Mar Gregorios, Love’s Freedom, 48–49. Vgl. ebd. Der folgende kurze historische Abriss dient zur Einführung in die kirchliche Situation zu Paul Vergheses Kindheit. Ausführlicher werden Geschichte und Entwicklung der konfessionellen Situation in Kerala im weiteren Verlauf der Arbeit behandelt. Siehe: II.3.3.; II.5.3; IV.3.2. Zunächst existierten nach dem Eid am Kunen Kurisu, der gegen die portugiesischen Jesuiten gerichtet war, zwei Parteien: die ›alte Partei‹ (Malayalam: Pazhayakuttukar), die gegen die Latinisierungsversuche der Jesuiten war, jedoch in der Union mit Rom verbleiben wollte und die ›neue Partei‹ (Puthankuttukar), die vollkommene Unabhängigkeit von Rom anstrebte. Aus der alten Partei entwickelte sich dann die Syro-Malabarische Kirche, die den ostsyrischen Ritus ihrer Herkunft (als ehemalige Metropolie der Kirche des Ostens) fortführte. Aus der neuen Partei entstand die Malankara-Orthodoxe Kirche, die ihre Unabhängigkeit zwar bewahrte, jedoch von der ostsyrischen in die westsyrische Tradition überging. Das Dilemma der Thomaschristen kann zu einem Gutteil hierin gesehen werden: Mit dem 17. Jahrhundert stand keine Gruppe innerhalb der Thomaschristenheit mehr in Kontinuität zur Existenz der Kirche vor Ankunft der Portugiesen. Vgl. Wolfgang Hage, Das orientalische Christentum, Religionen der Menschheit, 29,2 (Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2007), 362.
Kindheit und Jugend
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dennoch im Jahr 1889 zur endgültigen Lossagung einer reformatorischen Kirche von der Malankara-Orthodoxen Kirche – der Mar Thoma Syrian Church.57 Doch war damit keine Ruhe in die orthodoxe Kirche eingekehrt: Der nunmehr gewachsene Einfluss der Patriarchen führte zum Streit darüber, wer das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Indien sei. Der Metropolit von Malabar, das höchste Amt der orthodoxen Thomaschristen innerhalb Indiens, wurde seit dem 17. Jahrhundert durch den Patriarchen von Antiochia geweiht, doch abgesehen davon hielt sich der Patriarch weitgehend aus den Angelegenheiten der indischen Kirche heraus. Unter den nun veränderten Umständen entstanden nunmehr zwei Parteien innerhalb der Kirche: diejenige, die für eine enge Anbindung an das Patriarchat von Antiochia plädierte (Malayalam: Bawa Katshi) und jene, die nach größerer Autonomie strebte (Metran Katshi). Durch die Weihe des ersten Katholikos des Ostens in Indien im Jahre 1912 verschärfte sich die Lage. Die Fragen lauteten nun: Wer ist das Oberhaupt der indischen Kirche? Wer hat jurisdiktionelle Macht? Wer weiht Bischöfe? Wer weiht das Heilige Öl (Syrisch: mooron)? Zwischen den beiden Parteien entspann sich ein Jahrzehnte währender Streit, der bis vor weltliche Gerichte geführt wurde.58 Nach zwischenzeitlichen Einigungen spaltete sich die Kirche erneut im Jahre 1975 und existierte nunmehr als Malankara Orthodox-Syrische Kirche (auch: Indisch-Orthodoxe Kirche) sowie Malankara Syrisch-Orthodoxe Kirche (auch: Jakobitische Kirche).59 Zur Zeit von Paul Vergheses Kindheit jedoch befand man sich inmitten des inneren Zwists, der zudem dazu führte, dass sich im Jahre 1930 ein Teil der Kirche unter dem Bischof Geevarghese Mar Ivanios (1882–1953) der römisch-katholischen Kirche anschloss und fortan als Syro-Malankarische Kirche existierte.60 Die beiden Gemeinden, in denen Paul Verghese als Kind aktiv war, gehören heute zum Jurisdiktionsbereich der Malankara Syrisch-Orthodoxen Kirche. Daraus zu schließen – wie es Marina True tut –, dass diese bereits zu Kindestagen Paul Vergheses »jakobitisch«61 gewesen seien, stellt freilich einen Anachronismus dar. Die Kirche war damals nominell eine und, ob eine Gemeinde der Bawa 57 Vgl. ebd., 362–63. 58 Vgl. ebd., 349–52. 59 Vgl. Dyron B. Daughrity und Jesudas Athyal, Understanding World Christianity. India (Minneapolis: Fortress Press, 2016), 78–80. Die Eigenbezeichnungen der Kirchen in Kerala differieren oftmals von der in anderen Kontexten. So nennen sich die orthodoxen Thomaschristen, die sich der Syrisch-Orthodoxen Kirche zugehörig fühlen ›Jakobiten‹, um sich so besser von den autokephalen Orthodoxen zu unterscheiden. Jedoch wird der Begriff von der Mutterkirche abgelehnt, da die Bezeichnung ›Jakobiten‹ – nach Jakob Baradai († 578) – ein ursprünglich häresiologischer Begriff ist. Mar Gregorios weist selbst auf die Problematik des Begriffs hin. Vgl. Paulos Mar Gregorios, The Orthodox Church in India. An Overview (Delhi [u. a.]: Sophia Publications, 1982), 20–21. 60 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 369–73. 61 True, »Prophet«, 51 (Anm. 6).
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Biographie im Kontext
Katshi oder Metran Katshi zugehörte, war durchaus wechselhaft. Inwiefern Paul Verghese Notiz von den inneren Streitigkeiten seiner Kirche nahm, davon sagt er in seinen Texten nichts. Später wurde er zum Vordenker der Indisch-Orthodoxen Kirche und stritt für deren Autokephalie.62 Dabei werden immer wieder jene Kindheitserinnerungen zum Ausgangspunkt seiner Imagination der Indischen Orthodoxie. Ein wichtiger Aspekt jener Imagination ist auch das interreligiöse Zusammenleben im Bereich Keralas: During the feast of St. George huge church processions (with the cross and white banner of resurrection) were taken out through the streets of our town. The Vishnu Temple in my town also had similar processions with the image of Vishnu in front. There was always danger of communal clashes as the Hindu procession entered predominantly Christian areas or vice versa, since both communities were equally prone to the evils of triumphalism. So the myth our community developed, shocking perhaps to Western Christians, held that St. George and the Lord Vishnu were blood brothers. I may not have quite believed it as a child, but it helped create the right attitude towards my Hindu brothers and sisters.63
Das Zitat zeigt: Die Gefahr religiöser Konflikte einerseits sowie die Möglichkeit eines friedvollen Zusammenlebens andererseits waren zweifelsohne prägende Erfahrungen für Paul Verghese. Dabei war der Bereich des heutigen Bundesstaats Kerala zur Zeit seiner Kindheit ein einzigartiger Ort interreligiösen Zusammenlebens: Nirgendwo anders in Indien besteht bis heute ein derart großer Anteil an christlicher sowie muslimischer Bevölkerung, der zusammengenommen etwa 40 % der Bevölkerung entspricht.64 Zugleich existierte noch zur Zeit von Paul Vergheses Kindheit eine nicht unerhebliche jüdische Gemeinschaft, insbesondere in der Stadt Cochin, die dort seit langer Zeit ansässig war und erst mit der Gründung des Staates Israel 1948 zum größten Teil das Land verließ.65 Jener multireligiöse Kontext Keralas blieb der Bezugspunkt, wenn Mar Gregorios sich später mit Fragen des interreligiösen Dialogs beschäftigte. Dabei steht oft die interreligiöse Harmonie in einem Gegensatz zu den beschriebenen Konflikten zwischen den Kirchen in Kerala. Sowohl innerhalb Indiens wie auch auf globaler Ebene sollte dies zu einem grundlegenden Motiv bei Mar Gregorios werden: Wenn er zunehmend dem interreligiösen Dialog mehr Potenzial zusprach als
62 63 64 65
Siehe: IV.3. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 183. Vgl. den Zensus von 1961, in: Mammen, Communalism vs Communism, 197. Vgl. Ginu Zacharia Oommen, Ethnicity, Marginality & Identity. The Jews of Cochin in Israel (New Delhi: Manak Publications, 2011).
Kindheit und Jugend
33
dem Dialog zwischen Kirchen, mochte dies in einer – wenn auch idealisierten – Erinnerung an seine Kindheit liegen.66
1.3
›Duhkha‹ ˙
Angesichts dieser ersten Beschreibungen seiner Kindheit mag es verwundern, wenn Mar Gregorios zu Beginn seiner Autobiographie im Anschluss an buddhistische Vorstellungen Leid (duhkha) als Schlüssel zum Verständnis ˙ menschlicher Existenz beschreibt. Er formuliert in Anlehnung an das bekannte cartesianische Diktum: »I suffer, therefore I am.«67 Die erste große Wende seines Lebens stellt er mithin als eben eine solche hin zum Leid dar, die sein Leben prägen sollte. So schreibt er: »When I was thirteen years old, I knew nothing about Buddhism, and experienced a lot of suffering. I have often wondered whether, if I had known Buddhism then, it would have shown me the way out of my suffering.«68 Der Buddhismus habe ihm später die Erkenntnis ermöglicht, dass duhkha lediglich die Auswirkung der von Leidenschaften bestimmten ˙ menschlichen Existenz sei, welche es im Zuge der Erleuchtung (bodhi) sowie Befreiung (satori) zu überwinden gelte: Leid als Signum unerlöster Existenz, der mit spiritueller Disziplin zu begegnen sei.69 Dies stellt ein zentrales Motiv in Mar Gregorios’ Denken dar, das er hier existenziell sowie biographisch begründet. Doch was war der Grund jenes Leids im Leben des jungen Paul Verghese? Er beschreibt es eindrücklich:70 Innerhalb der Familie entstanden zunehmend Spannungen, zum einen aufgrund der drückenden Armut, zum anderen, weil die Last des schweren Familienlebens zum großen Teil auf den Schultern der Mutter lag. Der Vater war mittlerweile zum Schulleiter an einer weit entfernt liegenden Grundschule befördert worden und daher kaum zu Hause. Als Paul Verghese dreizehn Jahre alt war, erkrankte die Mutter, zunächst nur an Fieber. Verbunden mit der hohen seelischen Belastung weitete dies sich jedoch zu einer psychischen Erkrankung aus: »She had become mentally ill, manic-depressive, schizophrenic, insane.«71 Das Familienleben brach infolgedessen zusammen. Der Vater neigte zu Wutanfällen, da er der Situation nicht Herr wurde, und die Kinder waren ge66 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 190: »The net result of my rather extensive ecumenical experience is that I have not been able to spot one Christian Church in the world that is even half faithful to the way of the cross and to the teaching of the Apostles. I have gradually begun to look outside the Christian Church, to see what God is doing.« 67 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 39. 68 Ebd., 38. 69 Vgl. ebd. 70 Vgl. ebd., 52–55. 71 Ebd., 55.
34
Biographie im Kontext
Abbildung 1: Der junge Paul Verghese.
zwungen, alleine auszukommen. Seine beiden älteren Brüder Paulos und Cherian verließen das Elternhaus, um außerhalb zu leben und zu arbeiten. Später sollten sich beide das Leben nehmen.72 Paul Vergheses Aufgabe wurde es, sich um seine beiden jüngeren Brüder zu kümmern – eine kaum zu bewältigende Aufgabe. In der Wahrnehmung von Mar Gregorios hatte sich das einst als Ort des Friedens empfundene Elternhaus zu einem trübsinnigen, freudlosen Ort gewandelt.73 Die häusliche Situation und die plötzliche Abwesenheit der Bezugsperson seiner Mutter führte unter anderem dazu, dass Paul Verghese sich dem Lesen widmete. Er nennt Robert Louis Stevensons Dr. Jekyll and Mr. Hyde als ein Buch, das ihm eine Möglichkeit der Interpretation seines spannungsvollen Innenlebens bot: There was quite a bit of goodness in me, but I knew that a lot of sheer wickedness was lurking underneath all the time. […] I was once the object of great love and affection from my mother, but its apparent withdrawal as a result of her illness was a trauma that I never got over. My personality was unmistakably dual and unintegrated.74
Infolgedessen übersetzte er das Buch in seine Muttersprache Malayalam.75 Als weitere Möglichkeit, dem nunmehr bedrückenden häuslichen Umfeld zu entfliehen, begann Paul Verghese nach seiner Schulzeit im Alter von sechzehn 72 73 74 75
Vgl. ebd., 43. Vgl. ebd., 55. Ebd., 57. Als er später nach mehreren Jahren der Abwesenheit nach Hause zurückkehrte, entdeckte er, dass sein Vater diese vernichtet hatte, was ihn ›in tiefe Trauer‹ versetzte. Vgl. ebd., 58.
Kindheit und Jugend
35
Jahren als Journalist für die Malabar Mail, einer römisch-katholischen Lokalzeitung in Malayalam, zu arbeiten.76 Die Möglichkeit eine Universität zu besuchen blieb aufgrund der ihm nunmehr noch schwierigeren finanziellen Lage seiner Familie verwehrt. Seinen Namen gedruckt über den von ihm verfassten Artikeln zu sehen, sei der Versuch gewesen, die ausbleibende Liebe seiner Mutter durch öffentliche Anerkennung auszugleichen.77 Man mag dies für eine aus der Retrospektive etwas konstruierte Selbstanalyse Mar Gregorios’ halten, doch führt er damit ein im Rahmen seiner Autobiographie konstantes Motiv – seine Anfälligkeit für Eitelkeit und Ruhm – auf ein konkretes Ereignis in seinem Leben zurück. Und mit der gebotenen Distanz lässt sich zumindest sagen, dass an diesem Punkt im Leben des jungen Paul Verghese eine verstärkte Leidenschaft für das Lesen und Schreiben einen Anfang nahm. Später, mit siebzehn Jahren, wurde er zum Honorary Secretary der öffentlichen Bibliothek seines Heimatorts erklärt: »I got a lot of my reading done in that library.«78 Das Bild des jungen, lesenden Paul Verghese ist ein verbreitetes Motiv, wenn es um dessen frühe Lebensjahre geht. So erzählen es auch ihm nahestehende Personen, wie sein jüngerer Bruder Abraham.79 Auch später sollten es Bibliotheken in Klöstern, Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen sein, in denen er viele seiner Bücher schrieb.80
1.4
Der politische Kontext
Zur Zeit seiner Tätigkeit als Journalist erfuhr die Unabhängigkeitsbewegung in Indien einen frühen Höhepunkt. Einer der Indikatoren für den wachsenden Willen der indischen Bevölkerung nach Eigenständigkeit war, dass in den Jahren 1936 und 1937 in sieben von elf Provinzen, in denen Wahlen abgehalten wurden, die Kongresspartei den Sieg errang.81 Unter den Christen in den Staaten Cochin und Travancore war die Begeisterung für die Unabhängigkeitsbewegung zu 76 77 78 79 80
Vgl. ebd., 19, 57–63. Vgl. ebd., 57. Ebd., 65. Vgl. True, »Prophet«, 56. Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, v; Paulos Mar Gregorios, Enlightenment East and West. Pointers in the Quest for India’s Secular Identity (Shimla: Indian Institute of Advance Study [u. a.], 1989), x; Paulos Mar Gregorios, A Light Too Bright. The Enlightenment Today. An Assessment of the Values of the European Enlightenment and a Search for New Foundations (Albany: State University of New York Press, 1992) (Preface); Mar Gregorios, Love’s Freedom, 24, 27; Paulos Mar Gregorios, The Human Presence. An Orthodox View of Nature, 2. Aufl. (Madras: The Christian Literature Society, 1980), 9. 81 Vgl. Barbara D. Metcalf und Thomas R. Metcalf, A Concise History of Modern India, 2. Aufl. (Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press, 2006), 196; Mar Gregorios, Love’s Freedom, 63.
36
Biographie im Kontext
Anfang eher verhalten, wie Mar Gregorios beschreibt. Man habe sich offenbar der britischen Kolonialmacht näher gefühlt, da diese immerhin christlich gewesen sei.82 Zugleich wurden die Staaten Cochin und Travancore nach außen von den Maharadschas geführt, während die Briten weder im sozialen noch politischen Leben offen zutage traten.83 Den Maharadschas gegenüber hegte man – so Mar Gregorios – keinerlei allzu negative Gefühle: »With such darling dodos ruling us, we did not feel the weight of British imperial rule.«84 Und dennoch änderte sich in jener Zeit auch in Malabar das politische Klima: I began to understand the need for removing untouchability, for which Gandhi also campaigned. I saw the need for removing social and economic inequalities as time went on. The political meetings I covered as a reporter helped the process of my conscientisation.85
So engagierte er sich im Wahlkampf für die Kongresspartei im Staat Cochin.86 Die Kindheit und Jugend von Mar Gregorios sind zweifelsohne Perioden seines Lebens, die schwer zu fassen sind. In Erzählungen und Büchern über ihn neigt man teils zu Überzeichnungen oder gar Romantisierungen, ebenso wie seine Autobiographie von einem bestimmten Interesse der Darstellung geleitet ist.87 Unabhängige Quellen existieren nicht. Mar Gregorios selbst beendet die Ausführungen zu seinen frühen Jahren, indem er erneut auf das Thema des Leids zu sprechen kommt. Während er zu Beginn des Kapitels die buddhistische Vorstellung der duhkha als einen Weg des Umgangs mit dem Leben und seinen ˙ Unwägbarkeiten vorschlägt, nimmt er nun Abstand hiervon und geht auf weitere Konzepte ein, mit dem Problem des Leids umzugehen.88 Schließlich probiert er, einen eigenen Zugang zu finden. Im Zuge dessen beschreibt er den Versuch, das eigene Leben und die eigene Vergangenheit einer Analyse zu unterwerfen, um schließlich in der Aporie zu enden: Das Leid, mit dem Mar Gregorios seine Kindheitserinnerungen betitelt, entzieht sich dem konzeptionellen Zugriff, bleibt für ihn ein Geheimnis. Dennoch ist dies ein Geheimnis, dem er eine theologische und existenzielle Bedeutung beimessen kann: »Suffering is the key to the mystery of existence in this world. That is why God himself, supposedly free from all suffering, decided to come and partake of it Himself. Thereby lies the Grand Mystery. God suffers, in Christ, in us, even today.«89 82 Vgl. ebd.; Geoffrey A. Oddie, »Indian Christians and National Identity. 1870–1947«, Journal of Religious History 25, Nr. 3 (2001): 346–66; Verghese, Die Syrischen Kirchen in Indien, 158. 83 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 63. 84 Ebd., 64. 85 Ebd. 86 Vgl. ebd., 65. 87 Vgl. etwa Puliyeril, Paulos Mar Gregorios, 10–15. 88 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 65. 89 Ebd., 67.
Kindheit und Jugend
1.5
37
Eine Übergangszeit
In seiner Autobiographie beginnt an dieser Stelle ein neues Kapitel, überschrieben mit »From India to Ethiopia. The Unmappable Ways of God«90. Es beschreibt zunächst eine Art Übergangszeit vor jener einschneidenden Phase seines ersten Aufenthalts in Äthiopien. Hatte er sich zuletzt auf die Phase seiner Tätigkeit als Journalist sowie der immer schwieriger werdenden häuslichen Situation konzentriert, wendet er sich nun der Zeit ab 1940 zu. In diesem Jahr – Paul Verghese war 18 Jahre alt – nahm er das Angebot an, für ein TransportUnternehmen in Mattancherry, einem Stadtteil Cochins, zu arbeiten.91 Es war das erste Mal, dass er abseits des Elternhauses lebte. Doch schon bald trieb es Paul Verghese noch weiter weg von zu Hause. Trotz der fehlenden Universitätsbildung schaffte er es, im Jahr 1941 eine Anstellung bei dem Indian Posts and Telegraphs Department zu bekommen.92 Er ging für eine kurze Zeit nach Madras (heute: Chennai), um eine Weiterbildung in Telegraphie zu absolvieren. Dies war das erste Mal, dass Paul Verghese außerhalb Keralas lebte, in einem Umfeld, dessen Sprache er nicht verstand und dessen Kultur neu für ihn war. Dennoch eignete er sich schnell einige sprachliche Fähigkeiten an.93 Nach Beendigung der Weiterbildung arbeitete er im Staat Cochin, zuletzt bis 1947 in Ernakulam, wo er zum Associate Secretary ernannt wurde und nach eigenen Angaben den ersten Streik in der Geschichte des Unternehmens in Cochin und Travancore mitorganisierte.94 Mar Gregorios beschreibt die politischen Umstände jener Zeit, insbesondere das Hervortreten der Quit India Movement unter der Führung von Mohandas Karamchand ›Mahatma‹ Gandhi (1869–1948).95 Die Frage nach der Unabhängigkeit Indiens und wie diese zu erreichen sei, schien ihn durchaus zu beschäftigen. Die britische Kolonialmacht versuchte jegliche Unabhängigkeitsbestrebungen seitens der Quit India Movement zu verhindern, indem sie davor warnte, Japan drohe in diesem Falle Indien anzugreifen, das ohne den Schutz des Vereinten Königreichs dastünde. Das Versprechen Großbritanniens war es, Indien einen ›Full Dominion Status‹ zuzuerkennen, einer Teilunabhängigkeit unter dem Schutze Großbritanniens, wie es damals bereits bei anderen ehemaligen Kolonien wie Australien oder Kanada der Fall war. Sowohl die Bewegung unter der Führung Gandhis als auch Subhash Chandra Bose (1897–1945), die sich jedoch ab 1940 zunehmend voneinander distanzierten, stellten sich gegen eine solche 90 91 92 93 94 95
Ebd., 68. Vgl. ebd., 69. Vgl. ebd., 70–71. Vgl. ebd., 71–73. Vgl. ebd., 20, 76. Vgl. hierzu wie Folgendem: ebd., 73–74.
38
Biographie im Kontext
Möglichkeit. Während sich ersterer dem friedvollen Protest verschrieb, versuchte letzterer durch ein Bündnis mit den Achsenmächten Deutschland und Japan und der Gründung der Indian National Army, sich der britischen Kolonialmacht zu entledigen.96 Mar Gregorios beschreibt, wie er die damaligen politischen Ereignisse wahrnahm: Favorisiert er in der Retrospektive klar den Weg Gandhis gegenüber dem Boses, macht er auch deutlich, dass er zu jener Zeit den Kampf Boses und dessen öffentliches Eintreten gegen die britische Kolonialmacht als durchaus heroischen Akt empfand: Mahatma Gandhi called Bose a ›patriot of the patriots‹, and for me, he well deserved that title. He was self-denying, brave and forthright in defying the British might, and this I admired. Bose had the power, if only he were a better strategist, to create a different kind of independent India, with a little more dignity and self-respect than we now seem to have.97
Trotz der auch hier klaren Retrospektive, die in dieser Aussage sichtbar wird, kommt auch jener Paul Verghese zum Vorschein, der Anfang der 1940er Jahre mitgenommen wurde von den politischen Umbrüchen dieser Zeit. Im Rückblick bewertet er Boses militärische Herangehensweise sowie sein Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland als negativ. Zudem erklärt er, wie ihm schon damals sowohl Boses als auch Jawarhalal Nehrus (1889–1964) Ansätze einer unabhängigen indischen Identität als zu sehr von deren westlicher Ausbildung geprägt erschienen seien.98 Was ist indisch? Was ist eine indische Identität? Das sind Fragen, denen er sich später im Leben noch intensiv widmen sollte, die jedoch ganz bestimmt beeinflusst waren von jenen frühen Jahren. Steht er Nehru und Bose in der Retrospektive kritisch gegenüber, bezeichnet er Gandhi sowie Rabindranath Tagore (1861–1941) als die beiden Denker – der eine auf dem Feld des Politischen, der andere auf dem Feld der Poesie –, die für ihn schon damals das authentisch Indische repräsentierten.99 Warum sind die politischen Umstände jener Jahre zwischen 1940 und 1947 wichtig für eine biographische Skizze des Lebens von Paulos Mar Gregorios? Als er im Jahr 1947 Indien verließ, war dies die Zeit des Beginns der indischen Unabhängigkeit. Er sollte vorerst nicht wieder zurückkehren. Erst im Jahre 1954 zog er zurück nach Indien, um bereits zwei Jahre später erneut für lange Zeit das Land zu verlassen: nach Äthiopien, in die Vereinigten Staaten und nach Europa. Erst im Jahr 1967 kehrte er endgültig nach Indien zurück. Hier setzte, wie er selbst 96 Vgl. ebd., 74–75; Paulos Mar Gregorios, »Can Indian Identity Be Secular?«, in The Secular Ideology. An Impotent Remedy for India’s Communal Problem (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1998), 4. 97 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 75. 98 Vgl. ebd., 75–76. 99 Vgl. ebd. Siehe: IV.2.3.
Äthiopien
39
sagt, seine Beschäftigung mit der Frage einer politischen und kulturellen Identität Indiens erneut ein.100 Sein Bild von einem unabhängigen Indien wurde daher wesentlich durch die Eindrücke der 1940er-Jahre und der aufkommenden Unabhängigkeitsbewegung geprägt. Das Motiv der Widerständigkeit, insbesondere gegenüber einem kolonialen ›Westen‹, nimmt in seinen autobiographischen Aufzeichnungen hier einen Anfang. Dieses wird im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen. Doch scheint dies keineswegs ein rein literarisches Motiv seiner Selbstbetrachtung zu sein: In seinem Engagement für die Gewerkschaft sowie die Kongresspartei wird sein frühes kritisches Verhältnis zur britischen Kolonialmacht deutlich. Diese Wahrnehmung des späten indischen Kolonialreiches sollte seine Sicht auf den von ihm so bezeichneten ›Westen‹ prägen.
2
Äthiopien
2.1
Der Lehrer Paul Verghese
Das Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 war auch ein entscheidendes Jahr im Leben Paul Vergheses. Er war zunehmend unzufrieden mit seinem Leben, das er als »nicht besonders böse oder sündig, aber ziemlich sinnlos«101 empfand. Der Tod eines Freundes und Nachbarn führte zu einer Art Konversionserlebnis. Angesichts der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit habe er ein »halbherziges Versprechen an Gott«102 gemacht. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen schreibt er es wie folgt nieder: Yes, my Lord, I know that I can also die like that. I should change my life and make it bear better fruit. You know I want to. But you also know my friends. They will laugh at me if I become overly pious overnight. I cannot stand that. So long as I live in this society, I dare not repent or change. But I promise you, put me in a brand new environment, and I shall be a different person, totally committed to your obedience, totally dedicated. I promise.103
Nach Mar Gregorios’ Erzählung ging seine Bitte bereits am nächsten Tag in Erfüllung. Auf einer Autofahrt nahmen er und ein Kollege einen Kanadier namens Robert N. Thompson mit. Am Ende der Autofahrt stellte sich heraus, dass jener auf der Suche nach indischen Lehrern für Äthiopien war. Paul Verghese bot sich spontan an, sah seine Chance auf ein neues Leben in einem neuen Umfeld 100 Vgl. ebd., 159. 101 Ebd., 76: »I was always making excuses to God for the way I was living; a life not outrageously evil or sinful, but nonetheless fairly pointless.« 102 Ebd., 79. 103 Ebd., 77.
40
Biographie im Kontext
gekommen. Und erneut erhielt er, trotz fehlender Universitätsausbildung, eine Zusage.104 Es war Teil der damaligen Bildungspolitik des Kaisers Haile Selassie, indische Lehrer anzuwerben, insbesondere um Schulen im Süden des Landes mit Personal zu versorgen.105 So reiste Paul Verghese gemeinsam mit einer ganzen Reihe indischer Lehrer im Flugzeug nach Äthiopien.106 Ziel seiner Reise war ein Ort namens Nazareth (ursprünglich: Hadama oder Adama), etwa 100 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Addis Abeba, wo er von nun an als Lehrer an einer Grundschule arbeitete.107 Er fand Gefallen an der Arbeit, verbrachte seine freie Zeit mit seinen Kollegen, aber auch damit, die Landessprache Amharisch zu lernen.108 Der einzige Kontakt außerhalb der Schule bestand zu einem Ehepaar mennonitischer Missionare aus den Vereinigten Staaten, zu denen er auch gelegentlich Sonntags in den Gottesdienst ging.109 Indirekt – möglicherweise auch unbeabsichtigt – weist Mar Gregorios an dieser Stelle seiner Autobiographie darauf hin, dass er in seinem frühen Leben keinesfalls – wie manch späterer Biograph meint110 – der orientalischen Orthodoxie leidenschaftlich zugeneigt war, wie es auch keinerlei Anhalt dafür gibt, dass er hier bereits eine negative Haltung gegenüber dem Protestantismus oder den westlichen Kirchen hatte. Viel wahrscheinlicher scheint, dass er sich in seiner Zeit in Äthiopien – wie auch bei seinem ersten Aufenthalt in den USA – klar zum Protestantismus hingezogen fühlte. Oftmals liegen solche Dinge verborgen hinter dem Willen des Autobiographen, sein Leben als eine möglichst einheitliche Lebensgeschichte darzustellen. In seiner Erwähnung der Freundschaft zu den mennonitischen Missionaren lässt sich jedoch etwas erkennen, das dieser Absicht zu widersprechen scheint und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit eine authentische Erfahrung Paul Vergheses in Äthiopien widerspiegelt: 104 Vgl. ebd., 77–80. 105 Jener Süden des Landes war erst durch Kaiser Menelik II. (1844–1913) erobert worden. Vgl. John Markakis, Ethiopia. Anatomy of a Traditional Policy (Oxford: Clarendon Press, 1974), 22–26. Unter Kaiser Haile Selassie wurde sodann eine Großoffensive in Sachen Bildung in ganz Äthiopien begonnen, die insbesondere jene südlichen Gebiete im Blick hatte. Die Ausgaben für Bildung wurden massiv erhöht, für den Ausbau der Schulen in den Stammesgebieten wurde sogar im Jahr 1947 eine Sondersteuer eingeführt. Vgl. ebd., 147. Die größte Gruppe unter ausländischen Lehrern, die man aufgrund des Mangels an Lehrkräften rekrutierte, kam aus Indien. Vgl. ebd., 151. 106 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 80. 107 Vgl. ebd., 81. Mar Gregorios schreibt, der Ort läge 100 Kilometer östlich der Hauptstadt, was der tatsächlichen Lage nicht entspricht. Damit, dass er an einer Grundschule eingesetzt war, gehörte er zu einer Minderheit der ausländischen Lehrer, die zum größten Teil an weiterführenden Schulen eingesetzt wurden. Vgl. Markakis, Ethiopia, 151. 108 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 81. 109 Vgl. ebd., 81–82. 110 Vgl. etwa Puliyeril, Paulos Mar Gregorios, 23–24.
Äthiopien
41
I went to an Ethiopian Orthodox Church once, but I found the liturgy totally beyond my comprehension, both in language and form. The American prayer meetings at the hospital were totally devoid of symbol or ritual, but at least I understood the language and felt the reality of prayer.111
Dass es im Gottesdienst nicht auf das rationale Verstehen ankomme, betont Mar Gregorios auch in seiner Autobiographie immer wieder. So projiziert er diese Erkenntnis, die zum Kern seines theologischen Denkens gehört – wie bereits gezeigt wurde –, etwa auf seine Kindheitserlebnisse. Versucht man jedoch, sich den Charakter jenes jungen Lehrers Paul Verghese in Äthiopien vorzustellen, dann kommt man nicht umhin, hier einen Menschen zu erblicken, dem sehr am rationalen Verstehen der Dinge gelegen war, nicht zuletzt, weil es dieses geistige Vermögen war, das ihm überhaupt eine Lebensperspektive eröffnete. Dass er den Gottesdienst der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche als allzu archaisch wahrnahm, passt sehr gut in dieses Bild. Die spätere Betonung des apophatischen Charakters des liturgischen Vollzugs wie auch der theologischen Erkenntnis erhält so auch eine persönliche Note: Ist dies nicht gerade die Einsicht eines Menschen, der sich in seinem Leben zumeist auf seinen Intellekt verlassen musste und der gerade darin die Grenzen desselben erkannte? Ist es nicht der Versuch eines Menschen, der dazu neigte, sogar seine Kindheitserlebnisse einem konzeptionellen Zugriff zu unterwerfen, Momente der Stille und des Schweigens zu erfahren? Der Kontakt des jungen Lehrers zu den Mennoniten jedenfalls sollte sich noch als wichtig für seinen weiteren Lebensweg erweisen. Zu Beginn seiner Tätigkeit als Lehrer erkrankte Paul Verghese an Windpocken.112 Das wäre nicht weiter erwähnenswert, würde Mar Gregorios dies nicht erneut narrativ verarbeiten und es zu einer entscheidenden Wende seines Lebens werden lassen. So rückt erneut das spirituelle Moment seiner Autobiographie in den Vordergrund: Hatte er sein Versprechen an Gott, das er nach dem Tod seines Freundes geleistet hatte, bereits vergessen, wandte er sich nun – in der erzwungenen Einsamkeit und unter heftigen Schmerzen – erneut Gott zu. Er identifizierte sich mit Hiob: I accused God of being cruel and unfair, devoid of compassion, and letting people suffer more that they deserved […] Finally, and without hesitation, I blurted out what I knew were insolent words: ›Was your suffering on the Cross anything comparable to what I am going through now?‹113
111 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 82. 112 Vgl. ebd. 113 Ebd., 83.
42
Biographie im Kontext
Nach seiner Erzählung antwortete Gott ihm klar: »Yes, my son, it was«114. Im Rückblick stellt Mar Gregorios dieses Erlebnis als nochmalige Konversion dar, nach der er ein Leben ›in Gottes Wegen‹ zu führen suchte.115 Diese Hinwendung zum christlichen Glauben hatte praktische Konsequenzen, die ihn durchaus in Schwierigkeiten bringen sollten. Nach wenigen Monaten in Nazareth wurde Paul Verghese in die Stadt Jimma versetzt. Hier kam er als Lehrer an die UNRRA116 School of Practical Arts, einem schulischen Projekt der Vereinten Nationen, das sich junger Männer annahm, die im Zuge der italienischen Besatzung (1935–1941) Waisen geworden und auf der Straße aufgewachsen waren.117 Er begann – anders als sein Vorgesetzter – auf die jungen Männer zuzugehen, sie zum Tee zu sich nach Hause einzuladen.118 Bei diesen Gelegenheiten wurde auch in der Bibel gelesen und über Fragen des Glaubens gesprochen.119 Das brachte ihm offenbar Sympathie unter den Schülern ein, aber seine Kollegen und insbesondere der Schulleiter begannen ihn argwöhnisch zu betrachten. Mar Gregorios beschreibt die zunehmende Ausgrenzung sowie den Versuch, Gerüchte über ihn in Umlauf zu bringen, die dafür sorgen sollten, dass er die Schule und Jimma verließ.120 Erst später fand er heraus, was man ihm vorwarf: Er habe den Kaiser beleidigt; er habe seine Position als Lehrer missbraucht, um religiöse Propaganda sowie Proselytismus zu betreiben; er habe die jungen Männer eigentlich aufgrund seiner homosexuellen Neigungen zu sich nach Hause eingeladen.121 Er erfuhr diese Zeit erneut als eine Zeit des Leids und zugleich des spirituellen Wachstums: Those few weeks before I left Jimma were like hell, like the hell I suffered at home in India when mother went sick. But there was a difference. Spiritually, this was the most enriching experience of my life. For, in the midst of persecution, I could rejoice inwardly.122
Was dazu gedacht war, ihn zu vertreiben, sorgte dafür, dass er schließlich in Addis Abeba um eine Audienz bei Kaiser Haile Selassie bat, da ihm niemand helfen wollte. Und mithilfe seines Freundes Robert N. Thompson – also dem Mann, den er im Auto in Indien kennen gelernt hatte – gelangte sein Be114 115 116 117 118 119 120 121 122
Ebd. Vgl. ebd., 84. United Nations Relief and Rehabilitation Administration. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 84. So beschreibt Mar Gregorios, dass der Schulleiter Ato Kirubel eine streng autoritäre Methode der Erziehung bevorzugte, er jedoch die Schüler durch ›liebende Überzeugungskraft‹ zu gewinnen versuchte. Vgl. ebd., 88. Vgl. ebd., 86. Vgl. ebd., 90–92. Vgl. ebd., 93. Ebd., 92.
Äthiopien
43
schwerdebrief immerhin zu dem so genannten ›Minister der Feder‹ (Amharisch: Sehafe Teezaz) und Privatsekretär des Kaisers, Ato Teffera Worq.123 Dieser zeigte sich nicht nur beeindruckt von den Sprachkenntnissen Paul Vergheses, sondern wohl auch von dessen selbstbewusstem Auftreten. Letzteres bezeichnet Mar Gregorios als ›Bluff‹, mit entsprechender Wirkung:124 So erhielt er im März des Jahres 1949 erneut die Erlaubnis, in Äthiopien bleiben zu dürfen und eine neue Position als Lehrer, diesmal für Englisch und Mathematik, an dem Agricultural College in Ambo etwa 100 Kilometer westlich von Addis Abeba, anzunehmen.125 Wenn Mar Gregorios zum Ende dieses Kapitels erneut auf das Motiv des Leids zu sprechen kommt,126 zeigt sich, dass seine frühe Geschichte in Äthiopien zumindest zwei Seiten hat: Zum einen wird sie von ihm subjektiv als eine leidvolle, von Unsicherheit und zugleich von einer intensivierten Spiritualität geprägte Zeit dargestellt. Zum anderen legte Paul Verghese objektiv betrachtet hier den Grundstein für seinen Aufstieg in Äthiopien, was auf sein Sprachtalent und eloquentes Auftreten zurückzuführen ist. Beides verhalf ihm seiner Erzählung nach zu einer persönlichen Begegnung mit Kaiser Haile Selassie selbst, die seinem Leben erneut eine Wende geben sollte. So ist das nun folgenden Kapitel seiner Autobiographie jenem Haile Selassie gewidmet. Die Überschrift enthält zugleich auch schon die Vorwegnahme einer Bewertung jener Persönlichkeit, die er zuvor als ›Held‹ bezeichnete,127 die sich hier jedoch als weitaus ambivalentere Persönlichkeit erweist: »Haile Selassie I. A Beloved Hero to the End, but at the End, Misguided?«128.
2.2
Paul Verghese und Haile Selassie
Die erste persönliche Begegnung fand bei einem Besuch des Colleges in Ambo durch Haile Selassie statt. Paul Verghese hatte mit seinen Schülern eine Szene aus William Shakespeares Julius Caesar vorbereitet, die sie nun dem Kaiser vorspielten. Als Paul Verghese nach dem Stück eine kleine Rede auf Amharisch hielt, zeigte sich Haile Selassie beeindruckt. Der indische Lehrer hatte in gut einem Jahr die Landessprache in beindruckender Weise zu meistern gelernt.129 Zudem sprach ihn der Kaiser auf das Stück an: »Only in later years I realized how the 123 Vgl. ebd., 93–94. Der Brief findet sich in Mar Gregorios’ Nachlass: Paul Verghese, »Letter 3«, 23. Februar 1949, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 124 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 95. 125 Ebd., 96. 126 Vgl. ebd., 97. 127 Vgl. ebd., 68. 128 Ebd., 98. 129 Vgl. ebd., 101–4.
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Biographie im Kontext
murder of a Caesar or Emperor was fascinating to him, since he was himself, like Julius Caesar, in constant danger of being killed by his internal enemies or by aspirants to his throne.«130 Er bat Paul Verghese um eine Kopie des Stücks. Kurze Zeit später – im Dezember 1948 – wurde Paul Verghese an die führende Schule des Landes nach Addis Abeba versetzt, die Haile Selassie I Secondary School.131 Zu seiner Überraschung wurde er dort als Lehrer für Amharisch eingesetzt, »nach den Wünschen Seiner königlichen Majestät«132. Wie auch bei seiner Versetzung nach Ambo schien hier die Frage der Reputation der Stelle eine wichtigere Rolle zu spielen als seine Fachkenntnis. Man wollte ihn offenbar allein räumlich näher am kaiserlichen Palast haben. Umso erstaunlicher ist es, dass sich der nicht einmal zwei Jahre im Land lebende Paul Verghese bald daran machte, ein eigenes Amharisch-Lehrbuch zu schreiben, da er die existierenden für ungeeignet und zu kompliziert hielt.133 In dieser Zeit trat er auch in näheren Kontakt zur ÄthiopischOrthodoxen Kirche, freundete sich mit Abba Habtemariam – einem Priester der Kirche – an, mit dem er gemeinsam Bibel-Stunden für Studenten organisierte.134 Im Zuge seiner intensiveren Beschäftigung mit theologischen und kirchlichen Fragen wurde er zunehmend unzufrieden hinsichtlich seiner unzulänglichen theologischen Bildung. Er schaute sich nach Möglichkeiten eines Universitätsstudiums um. Es gelang ihm durch die Bekanntschaft zu den Mennoniten aus seiner Zeit in Nazareth schließlich ein Stipendium für das Goshen College in Indiana, einer der führenden mennonitischen theologischen Einrichtungen in den USA, zu bekommen.135 Doch damit schienen für ihn die Probleme anzufangen, da der Kaiser, der nun auf ihn aufmerksam geworden war, ihn auf verschiedenen Wegen zu überzeugen suchte, zu bleiben. Mar Gregorios erzählt, wie nicht nur der Kaiser höchstpersönlich, sondern auch dessen Sohn, der Kronprinz, der Erzbischof Abuna Theophilos und der Justizminister auf ihn einredeten, zu bleiben.136 Letzterer soll ihm sogar eine äthiopische Staatsbürgerschaft sowie seine eigene Tochter versprochen haben, wenn er nur bliebe, um fortan als persönlicher Berater im kaiserlichen Palast zu arbeiten.137 Paul Verghese verließ dennoch Äthiopien mit dem Ziel, in den Vereinigten Staaten Theologie zu studieren. 130 Ebd., 104. 131 Vgl. ebd., 105. 132 Ebd.: »I was to be the Senior Amharic Teacher in the school, and this was in accordance with the wishes of His Imperial Majesty!« 133 Vgl. ebd. 134 Vgl. ebd., 107. 135 Ebd., 107–8. 136 Vgl. ebd., 108–12. Zur Episode mit Abuna Theophilos vgl. Stanislau Paulau, »›Between Islam and the Christian West‹. Paulos Mar Gregorios’ Historiography of the Ethiopian Christianity.«, The Harp. A Review of Syriac, Oriental and Ecumenical Studies XXXI (2016): 309–11. 137 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 112.
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Abbildung 2: Paul Verghese und Haile Selassie. Es handelt sich jedoch um eine spätere Aufnahme, nach 1961, sichtbar daran, dass Paul Verghese die Kleidung eines Priesters trägt.
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3.1
Eine erste theologische Prägung
Paul Verghese verließ Äthiopien im Juni 1950 und begann am Goshen College zu studieren. Er beendete sein Studium nach lediglich zwei Jahren mit dem Bachelor of Arts.138 Auch in dieser Zeit versuchte Kaiser Haile Selassie ihn dazu zu bewegen, zurück nach Äthiopien zu kommen. Unter anderem war es dessen Sohn Prinz Makonnen Haile Selassie, der ihn bei einem Aufenthalt in Chicago davon zu
138 Er schreibt, die eigentlich vorgesehene Zeit dafür sei vier Jahre gewesen. Vgl. ebd., 113.
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Biographie im Kontext
überzeugen suchte.139 Im Anschluss studierte er von 1952 bis 1954 am Princeton Theological Seminary in New Jersey.140 Princeton war eine der führenden theologischen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten und stand traditionell in der presbyterianischen Tradition. Es ist wahrscheinlich, dass Paul Verghese hier zum ersten Mal mit Namen wie Jean Calvin oder Karl Barth in Berührung kam. Dafür jedoch, dass er hier einem »virulenten unkritischen Barthianismus«141 begegnete, der ihn abgestoßen habe, gibt es keinerlei Beleg. Er sollte später noch Kontakt zu seinem Abschlussjahrgang in Princeton halten und stets betonen, dass er gerne an die Zeit zurückdenke.142 Zudem kann von einer Wende gegen ›den Westen‹ oder den Protestantismus hier kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil fühlte er sich von einer anderen Form des Protestantismus außerhalb der Universität deutlich angezogen. Einer seiner Mitstudenten war James J. Reeb (1927–1965), mit dem ihn, wie er später erzählt, theologische Interessen verbanden: There were some things in common between us. Neither of us believed that the Westminister Confession or any other Confession for that matter, include the Nicene Creed, could be the basis or content of faith. We both looked for a faith that made it possible for us to care for our fellow-man without anxiety or aggression.143
Von geringerem Interesse ist hier seine persönliche Beziehung zu Reeb. Er sagt selber, sie hätten nicht viel miteinander zu tun gehabt.144 Interessanter ist, was diese Sätze über die intellektuelle Entwicklung Paul Vergheses sagen. Er schien demnach eine große Sympathie für die theologische Strömung gehabt zu haben, die mit Begriffen wie Black Theology und Social Gospel145 betitelt wird: So setzte
139 Vgl. ebd., 112–13. 140 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 180. 141 True, »Prophet«, 69: »The Princeton of the 1950s was infected with an uncritical Barthianism that would have offended him«. Abgesehen davon, dass es für eine negative Reaktion Paul Vergheses keinerlei Beleg gibt, ist die Weise der theologischen Verortung Princetons offensichtlich tendenziös. 142 Vgl. zwei Briefe von Mar Gregorios an seinen Abschlussjahrgang, veröffentlicht durch das Princeton Theological Seminary: »Paul Verghese«, Reeb Memorial Lectures, zugegriffen 4. Oktober 2019, http://exhibits.ptsem.edu/jamesreeblectures/48-2/paul-verghese/. 143 Paul Verghese, »Thoughts on Liberation. James Reeb and Herbert Marcuse«, The Princeton Seminary Bulletin 63, Nr. 1 (1970): 42. Bei dem zitierten Artikel handelt es sich um die Reeb Memorial Lecture, die Paul Verghese im Jahr 1970 hielt. 144 Vgl. ebd. 145 Eine Definition im Sinne des Selbstverständnisses der Bewegung bietet Gary J. Dorrien, The New Abolition. W.E.B. Du Bois and the Black Social Gospel (New Haven: Yale University Press, 2015), 3–4: »The social gospel was fundamentally a movement, not a doctrine, featuring a social ethical understanding of the Christian faith. It taught that Christianity has a mission to transform the structures of society in the direction of social justice. This idea was rooted in the commands of the Bible to lift the yoke of oppression and to build a just order. At its best it refashioned the demand of antebellum abolitionism to break the chains of racial caste. The social gospel, however, had something that previous socially oriented forms of
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sich Reeb aktiv für die Rechte der Afroamerikaner im Rahmen der Bürgerrechtsbewegung ein und war ein enger Freund Martin Luther Kings (1929–1968). Er wurde ebenso wie dieser von rassistischen Aktivisten ermordet.146 Auch Paul Verghese erlebte die Rassentrennung am eigenen Leib und begann sich für die Bürgerrechtsbewegung zu interessieren.147 Er arbeitete sogar sowohl in Indiana als auch in New Jersey als Hilfspastor in einer afroamerikanischen Baptistengemeinde, die wesentlich jene Bürgerrechtsbewegung trugen.148 Er fühlte sich offenbar zu dieser Zeit jenen Strömungen des Protestantismus nahe, die sich auch theologisch gegen die starke Fokussierung auf Fragen des Bekenntnisses und für die Hinwendung zu Fragen des sozialen Handelns positionierten. Zu dem Zeitpunkt gab es für eine intellektuelle Wende gegen den Westen oder den Protestantismus noch keinerlei Grund, Paul Verghese schien vielmehr äußerst positiv von seinem Studium und seinen Aktivitäten außerhalb der Universität geprägt worden zu sein – so sehr, dass er etwa das nicänische Bekenntnis für unwichtig erklärte. Von einer Hinwendung zu seiner eigenen Tradition war er somit ebenfalls noch weit entfernt.149 So versteht er auch die unterschiedliche Entwicklung, die er und Reeb nahmen:
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Christianity lacked – modern social consciousness, especially the idea that there is such a thing as a social structure.« Zum Anschlag auf Reeb vgl. etwa David J. Garrow, Protest at Selma. Martin Luther King and the Voting Rights Act of 1965 (New Haven [u. a.]: Yale University Press, 1978), 91–92. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 113. Später zeigte er Sympathien für die Black Power Movement und die Black Panther Party. Vgl. Verghese, »Thoughts on Liberation«, 50, 52. Vgl. Verghese, »Thoughts on Liberation«, »I had already worked for three years as a Negro pastor«; Mar Gregorios, Love’s Freedom, 20: »One of my richest experiences as an Eastern Orthodox layman was serving as Assistant Pastor in two Black Baptist churches in Elkhart, Indiana and Princeton, New Yersey during that first four-year sojourn.« Die Frage ist, was mit dem Begriff ›pastor‹ oder ›assistant pastor‹ gemeint ist. Wahrscheinlich ist, dass er in irgendeiner Form ehrenamtlich in den Gemeinden tätig war. Zur Rolle der afroamerikanischen Kirchengemeinden in der Bürgerrechtsbewegung vgl. Michael Haspel, »Martin Luther King jr. als Theologe, Kirchenführer und Bürgerrechtler. Die Kontextualisierung Schwarzer Theologie und die Mobilisierung der schwarzen Kirchen in der Bürgerrechtsbewegung«, in Martin Luther King. Leben, Werk und Vermächtnis, hg. von Michael Haspel und Britta Waldschmidt-Nelson, Scripturae 1 (Weimar: Wartburg-Verlag, 2008), 67–69. Dafür spricht auch, dass Mar Gregorios selbst diese Wende gegen westliche Theologie, die einhergeht mit der Hinwendung zur orthodoxen Tradition, in die Jahre 1959 und 1960 datiert, also die Zeit seines zweiten Aufenthalts in den USA. Auch hier ist freilich Vorsicht geboten. Zwar kann hier der Beginn einer Wende vermutet werden, jedoch gestaltet sich diese prozesshaft und schließt wesentlich seine Erfahrungen in Oxford und Genf mit ein. So muss True widersprochen werden, dass Paul Verghese bereits bei seiner Ankunft in Princeton ein großes Wissen über orthodoxe und westliche Theologie gehabt und Ärger empfunden habe über die Ignoranz des theologischen ›Westens‹ gegenüber dem ›Osten‹. Vgl. True, »Prophet«, 69. Es scheint weitaus wahrscheinlicher, dass er sich hier dem Protestantismus, wie beschrieben, sehr viel näher fühlte und hierin auch theologisch besser geschult war als in seiner eigenen Tradition, die er erst später – und dann auf sehr eigene Weise – entdeckte.
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Biographie im Kontext
But we were moving in two different directions in reaction against a faith that failed to call for love. He grew towards a rejection of church dogma and even of faith in a personal God. For me the movement was towards a rediscovery of the authentic Christian tradition in which theology played but a supportive role, in which statements about God had to be qualified with the basic assertion of the unknowability of God, and where man’s growth into the fullness of God’s image in freedom, love, wisdom and power was the central concern.150
Wandte sich Reeb einem sogenannten ›unitarischen Universalismus‹151 zu, der sich noch stärker von jeglichem Bekenntnis zugunsten eines sozialen Engagements distanziert, suchte Mar Gregorios später das orthodoxe Bekenntnis mit jenem Aspekt des ethischen Engagements zu verbinden. Seine Formulierung der Theosis-Vorstellung im Hinblick auf ethische Fragen seiner Zeit trägt Spuren der Erfahrung mit der Social Gospel-Bewegung.152 Somit kann dem ersten Aufenthalt Paul Vergheses in den Vereinigten Staaten kaum zu wenig Wichtigkeit zugemessen werden. In seinen autobiographischen Skizzen blieb das Kapitel zu seiner Zeit in Amerika ungeschrieben, es finden sich lediglich hier und da Anmerkungen und Hinweise. Dennoch muss angenommen werden, dass hier eine wesentliche frühe Prägung, man könnte sagen eine ›theologische Sozialisation‹, stattfand. In seiner Sympathie für die Bürgerrechtsbewegung zeigt sich zudem erneut das in seiner Biographie immer wieder auftretende Motiv des Widerstands. Figuren wie Martin Niemöller, Haile Selassie, Mahatma Gandhi und Martin Luther King übten eine Faszination aus, die möglicherweise auch Anteil an jenem Gestus der ›Widerständigkeit‹ hatten, den Mar Gregorios später immer wieder für sich in Anspruch nahm.153
150 Verghese, »Thoughts on Liberation«, 42. 151 Die sogenannten ›unitarischen Universalisten‹ lehnen, wie es der Begriff ›Unitarier‹ verdeutlicht, jede Form der Trinitätslehre ab. Vgl. Andrew M. Hill, »Unitarier«, Theologische Realenzyklopädie 34 (Berlin [u. a.]: De Gruyter, 2002), 335. Der bekannteste deutsche Intellektuelle, der sich zum Unitarismus bekannte, ist zweifelsohne Thomas Mann (1875– 1955), der im amerikanischen Exil mit jener Strömung in Berührung kam und hier das Humanistische in der Religion verwirklicht sah. Zu dieser lange unbeachteten Seite des Schriftstellers vgl. Heinrich Detering, Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im kalifornischen Exil (Frankfurt am Main: S. Fischer, 2012). 152 Vgl. etwa Verghese, Thoughts on Liberation, 42 [Zitat oben]; Paulos Mar Gregorios, »›Justification by Faith‹ With Special Reference to Personal and Social Righteousness«, in A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982, hg. von Kondothra M. George (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 24. Siehe auch Mar Gregorios’ Beschreibung des Menschen als (Mit-)Schöpfer: III.1.3. 153 Martin Niemöller und Haile Selassie nennt er als die beiden Helden seiner Jugend, ersteren aufgrund seines Widerstandes gegen den deutschen Nationalsozialismus, letzteren aufgrund seines Widerstandes gegen den italienischen Faschismus. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 68–69. Zu Gandhi vgl. ebd., 64–65, 75. Zu Gandhi als ›Personifikation des Indischen‹ siehe: IV.2.3.
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3.2
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Zurück in Indien
Paul Verghese beendete sein Studium in Princeton 1954 mit dem Grad eines Bachelor of Divinity.154 Er kehrte nach Indien zurück und lehrte dort am sogenannten Fellowship House in Alwaye, einem christlichen Zentrum für Erwachsenenbildung mit einem Schwerpunkt auf Einkehr und Spiritualität sowie an dem damit verbundenen United Christian College (UCC) am selben Ort. Zudem fungierte er als Honorary General Secretary der St. Thomas Syrian Students Movement in Indien.155 Doch sollte er nur zwei Jahre in Alwaye bleiben. Haile Selassie hatte Paul Verghese offenbar nicht vergessen. Sie trafen sich bei dessen Besuch 1956 in Indien.156 Der Kaiser versuchte ihn erneut dazu zu bewegen, mit ihm nach Äthiopien zu kommen. Dabei bediente er sich zunächst des äthiopischen Botschafters von Delhi, dann eines Ministers aus Nehrus Kabinett namens Jaganath Rao Bhonsle (1906–1963).157 Letzterer war offenbar zunächst erstaunt über die Vorliebe des Kaisers für eine solch schlichte Person, gekleidet wie ein einfacher Mann. Doch nachdem er mit ihm gesprochen und die Gründe für dessen Ablehnung gehört hatte, habe er ihm seinerseits eine Stelle in höchsten Regierungskreisen angeboten.158 Wie kam es dazu? Paul Verghese lehnte eine hohe Stellung als persönlicher Berater Haile Selassies ab mit dem Verweis auf seine Berufung durch Gott, der er folgen müsse. Nach der Darstellung von Mar Gregorios waren es jene Eigenschaften der Bescheidenheit und Unbestechlichkeit, die ihn für Politiker und Regierungen interessant werden ließen. Erneut dient hier seine Berufung durch Gott als zentrales Motiv.159 Dass er sich in dem vorliegenden Fall selbst durchaus literarisch in Szene zu setzen weiß, wird jedoch auch deutlich. So entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn er über sich selbst sagt, dass es seine Bescheidenheit gewesen sei, die ihn zu einem gefragten Mann bis in die höchsten Kreise indischer und äthiopischer Politik habe werden lassen. 154 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 20. 155 Vgl. ebd., 20, 115. Mar Gregorios nennt jene Vereinigung, die sich um die Belange der Studenten seiner Kirche kümmert, hier ›Orthodox Student Christian Movement‹. Doch nannte sie sich so erst ab 1960. Mit vollem Namen hieß sie dann Mar Gregorios Orthodox Student Christian Movement (MGOSCM), benannt nach Geevarghese Mar Gregorios von Parumala (1848–1902), welcher heute sowohl in der Malankara Orthodox-Syrischen wie der Malankara Syrisch-Orthodoxen Kirche als der erste kanonisierte Heilige Indiens verehrt wird. Vor 1960 hieß die Vereinigung – wie oben angegeben – St. Thomas Syrian Students Movement. 156 Vgl. ebd., 115. 157 Vgl. ebd., 116. Bhonsle war unter Nehru Minister for Rehabilitation, dessen Aufgabe es war, für die Integration derer zu sorgen, die (wesentlich aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit) aus dem unabhängigen Pakistan nach Indien kamen. 158 Vgl. ebd., 116–18; Paul Verghese, »Letter 11«, 1. Dezember 1956, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 159 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 117–18.
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Ob Paul Verghese jene Bescheidenheit an den Tag legte, die der Autobiograph Paulos Mar Gregorios ihm zuschreibt, kann nicht gesagt werden. Kein Zweifel besteht jedoch über das Selbstbewusstsein des letzteren. Das zeigt auch die nun folgende Szene. Der Kaiser hatte schließlich Erfolg, indem er sich an den höchsten Vertreter der Kirche Paul Vergheses wandte: Baselios Geevarghese II. (1874–1964), Katholikos des Ostens. Diesem legt Mar Gregorios die folgenden Worte in den Mund: Everybody wants Paul Verghese. I need him in our church, the Emperor wants him in his country, and there is only one Paul Verghese. It will be good for our Church if you go to Ethiopia and work with the Emperor; he is our Emperor; you will be able to help our church a lot from there; but it will be good also if you stay here and continue the work. I cannot tell you what to do. You must go home, pray devoutly, and make your decision in prayer again.160
›Jeder will Paul Verghese.‹ Ob es wirklich diese Worte waren, mit denen ihn der Katholikos gleichsam auszeichnete, kann nicht gesagt werden. Im Duktus seiner Autobiographie passen sie gut in das Bild jenes talentierten, jungen Mannes, als der sich Mar Gregorios durchaus selbst in Szene zu setzen weiß. Dass das Kirchenoberhaupt ihm empfahl, sich erneut nach Äthiopien zu begeben, erscheint jedenfalls schlüssig. Es ist die Aussage ›er ist unser Kaiser‹, die hier Aufmerksamkeit verdient. Was ist damit gemeint? Hierfür gilt es, einen Blick auf die historische Situation der Malankara-Orthodoxen Kirche161 unter Baselios Geevarghese II. zu werfen.
3.3
Exkurs: Die historische Situation der Malankara-Orthodoxen Kirche unter Baselios Geevarghese II.
Baselios Geevarghese II. war der dritte Katholikos des Ostens seiner Kirche in Indien. Dabei ist es wichtig zu verstehen, was dieser Titel bedeutet. So war ›Katholikos des Ostens‹ oder ›Maphrian‹ ursprünglich der Titel des Hierarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche, der ab dem 7. Jahrhundert als Oberhaupt der Gläubigen in Persien – also der östlichen Gebiete der Kirche – mit Sitz in Tagrit (heute: Tikrit im Irak) eingesetzt wurde.162 Jenes Gebiet war für die Syrisch160 Ebd., 120. 161 Die Bezeichnung ›Malankara-Orthodoxe Kirche‹ wird gemeinhin für die Gestalt der orthodoxen Kirche in Indien vor der Spaltung 1975 gebraucht, wo diese sich in Malankara Orthodox-Syrische Kirche und Malankara Syrisch-Orthodoxe Kirche ausdifferenzierte. Diesem Sprachgebrauch bedient sich auch die vorliegende Arbeit. 162 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 350–51; John Madey, »Background and History of the Present Schism in the Malankara Church«, Oriens Christianus. Hefte für die Kunde des christlichen Orients 60 (1976): 100–101.
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Orthodoxe Kirche Diaspora im doppelten Sinne, da es zum einen ab dieser Zeit von Muslimen beherrscht wurde, zum anderen die Christen in diesem Gebiet mehrheitlich der Kirche des Ostens angehörten.163 Dem »Oberhaupt aller Miaphysiten Persiens«164 kam somit – wenn auch dem Patriarchen von Antiochia untergeordnet – weitgehende jurisdiktionelle Macht sowie die Aufgabe der geistlichen Führung über diese vom Kerngebiet der Kirche abgeschnittene Region zu. Mitte des 19. Jahrhunderts erlosch dieses Amt in der Syrisch-Orthodoxen Kirche.165 Dass dieser Titel in Indien wiederbelebt wurde, hatte verschiedene Gründe. Dass die Malankara-Orthodoxen überhaupt mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche in Verbindung standen, hatte an sich wenig mit einer lange geteilten kirchlichen Tradition zu tun: Der Grund dafür ist eng mit der Revolte eines großen Teils der Thomaschristen 1653 gegen die Jesuiten des portugiesischen Padroado verbunden, die als ›Eid am Kunen Kurisu‹ in die Geschichtsbücher einging.166 Dabei wird jenes Ereignis durchaus unterschiedlich bewertet, abhängig davon, welcher der thomaschristlichen Denominationen der Autor entstammt. Ist der Autor Teil einer der orthodoxen Kirchen der Thomaschristenheit, wird oft suggeriert, hier habe man gegen den Versuch der römisch-katholischen Kirche, die Thomaschristen unter die Autorität des Papstes zu zwingen, rebelliert. Weitaus näher an der historischen Wahrheit scheinen jedoch jene – vornehmlich katholischen – Autoren zu sein, welche die Rebellion vom Kunen Kurisu als eine gegen die portugiesischen Machthaber sowie deren Versuche der Latinisierung der Kirche
163 Der volle Name dieser Kirche lautet heute ›Heilige und Apostolische Katholische Kirche des Ostens der Assyrer‹ oft abgekürzt zu ›Kirche des Ostens‹ oder auch ›Assyrer‹. Oft findet sich nach wie vor der Begriff ›Nestorianer‹ in der Literatur, der jedoch ein häresiologischer Begriff ist und von der Kirche selbst abgelehnt wird. Es handelt sich um jene Kirche, die im Gegensatz zu den Kirchen chalcedonensischer Tradition und den Kirchen der miaphysitischen Tradition eine strenge Zwei-Naturen-Lehre antiochenischer Tradition vertritt und somit ausschließlich die Entscheidungen der beiden ersten Reichskonzilien von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) mitträgt, während sie bereits das stark von Kyrill von Alexandrien geprägte Konzil von Ephesus (431) ablehnt. Vgl. zur Einführung: Hage, Das orientalische Christentum, 269–313; Martin Tamcke, Christen in der islamischen Welt. Von Mohammed bis zur Gegenwart, Beck’sche Reihe 1765 (München: Beck, 2008), 87–90. 164 Hage, Das orientalische Christentum, 135. 165 Vgl. ebd., 158 (Anm. 161, 163), 350; Jean-Maurice Fiey, Pour un Oriens Christianus Novus. Répertoire des Diocèses Syriaques Orientaux et Occidentaux, Beiruter Texte und Studien 49 (Stuttgart: Steiner, 1993), 277–78; Hubert Kaufhold, »Besprechung zu: Jean Maurice Fiey, Pour un Oriens Christianus Novus. Répertoire des Diocèses Syriaques Orienteaux et Occidentaux«, Oriens Christianus. Hefte für die Kunde des christlichen Orients 79 (1995): 253. 166 Vgl. hierzu Hage, Das orientalische Christentum, 327–28; Visvanathan, Christians of Kerala, 16; Karen Schmitz, Diamper und seine Folgen. Die konfessionelle Konturierung der Thomaschristenheit in Kerala (Südindien) (Marburg: Tectum Verlag, 2014), 29–32.
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beschreiben.167 So war doch zu Beginn der Präsenz der römisch-katholischen Portugiesen keine Notwendigkeit der Rebellion empfunden worden. Die katholischen Machthaber akzeptierten sogar, dass die Kirche Bischöfe aus Persien erhielt.168 Die Situation änderte sich, als ab 1560 die kirchliche Organisation in die Hände der Jesuiten übergeben wurde, die nunmehr eine strikte Latinisierung unter den Thomaschristen anstrebten.169 Dieser Prozess führte schließlich zu der Synode von Diamper 1599. Man forderte, dass die Thomaschristen gänzlich ihrer syrischen Tradition sowie auch sämtlichen anderen Praktiken, die sie als ›indigene‹ Kirche kennzeichneten, abschworen.170 Das von der europäischen Gegenreformation geprägte Agieren der Societas Iesu hatte somit auf dem indischen Subkontinent verheerende Folgen: Die Einheit des Thomaschristenheit war nunmehr nachhaltig gefährdet. So kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der Thomaschristen sich der Rebellion vom Kunen Kurisu anschlossen, wobei viele von ihnen kein grundsätzliches Problem mit der Union mit Rom hatten, sondern lediglich mit dem Versuch, das eigene Gepräge der Thomaschristenheit zu zerstören. Erst später formierte sich sodann eine Fraktion unter den Rebellierenden, die sich gänzlich der Jurisdiktion Roms entziehen wollte und nach einer anderen kirchlichen Autorität suchte, um gegen die römische Kirche bestehen zu können. Zur eigentlichen Mutterkirche – der Kirche des Ostens – hatte man schon länger keinen Kontakt mehr gehabt. Zudem war diese unter der muslimischen Herrschaft in Persien geschwächt, sodass man nach einem anderen kirchlichen Schutzherrn Ausschau hielt. Diesen fand man in der Syrisch-Orthodoxen Kirche, wohl in Kauf nehmend, dass man hiermit konfessionell gleichsam einen Salto mortale vollzog: Es war der Schritt von einem streng-dyophysitischen zu einem miaphysitischen Bekenntnis. Doch spielte diese Bekenntnisfrage eindeutig eine marginale Rolle, im Vordergrund stand die Unabhängigkeit von Rom.171 Nach-
167 Vgl. etwa Jacob Kollaparambil, The St. Thomas Christians’ Revolution in 1653 (Kottayam: The Catholic Bishop’s House, 1981). Als Vertreter der katholischen Syro-Malabarischen Kirche fasst er im Fazit seine Position wie folgt zusammen: »it can be safely affirmed that the root-cause of the St. Thomas Christians’ revolution in 1653 was those Christians’ desire to preserve their ritual autonomy in face of the sustained efforts by Archbishop Garcia and some of his Jesuit associates to destroy the same autonomy.« Ebd., 232. Daraus erwächst auch die Forderung in der Gegenwart, die rituelle Autonomie der Syro-Malabaren zu wahren – gegen bis heute ›latinisierende‹ bzw. ›verwestlichende‹ Tendenzen im Ritus der Kirche –, was jedoch die jurisdiktionelle Abhängigkeit vom römischen Papst in keiner Weise in Frage stellt. Vgl. ebd., 248. 168 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 323–24. 169 Vgl. Schmitz, Diamper und seine Folgen, 27. 170 Vgl. ebd., 167–68. 171 Um ein eigenes Oberhaupt weihen zu können, bedurfte es der kanonischen Legitimation im Sinne der Einbindung in die apostolische Sukzession. Die Kirchenhierarchie in Malabar war
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dem es über lange Zeit wieder ruhiger um die Beziehung zwischen den Malankaren und dem syrisch-orthodoxen Patriarchat geworden war, erhielt dieses Verhältnis im Rahmen der Spannungen unter den Orthodoxen Indiens Ende des 19. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung: So hatte sich unter anglikanischen Einflüssen innerhalb der Kirche ein reformerischer Zweig entwickelt, der danach strebte, das orthodoxe Erbe mit reformatorischer Theologie zu verbinden.172 Um dieser Spaltung zu wehren sowie die Orthodoxen unter dem eigenen Einfluss zu halten, besuchte im Jahre 1875 Patriarch Ignatios Petros IV. als erster syrischorthodoxer Patriarch überhaupt Indien.173 Ihm gelang es, den größten Teil der anti-reformerischen Partei für sich zu gewinnen, in der »freilich nun längst Kräfte wirkten, die für die Autonomie der malankarischen Kirche fochten.«174 Infolge des nun erstarkten Einflusses durch das Patriarchat von Antiochia wurden die Gräben zwischen den Gruppierungen in der Kirche tiefer: Eine Gruppe führte das Anliegen der Verbindung reformatorischer Theologie mit dem orthodoxen Erbe weiter und spaltete sich endgültig 1889 als Mar Thoma Syrian Church ab.175 Innerhalb der Kirche verlieben zwei Parteien: eine, die eine starke Anbindung an den Patriarchen in Syrien befürwortete und eine andere, die auf stärkere Autonomie drängte. Dass jene Gruppen sich allmählich zu regelrecht verfeindeten Parteien entwickelten, daran waren erneut die antiochenischen Patriarchen beteiligt. Dafür ist vor allem der Plural ›Patriarchen‹ entscheidend. So kam es, dass der zweite syrische Patriarch, der Indien besuchte, Ignatios Abdallah II. (1833–1915) war, der kurz zuvor mit osmanischer Hilfe den Thron gegen seinen Konkurrenten Ignatios Abd al-Masih II. (1854–1915) eingenommen hatte. Das Interesse seines Besuchs 1909 war es, hier die Grundlage seiner Macht zu festigen, hatte doch die Syrisch-Orthodoxe Kirche mehr Gläubige in Indien als in ihrem Kerngebiet. Er exkommunizierte den stärksten Sprecher für die Unabhängigkeit der Kirche Geevarghese Mar Dionysius VI. (1858–1934), der zugleich das bis dahin höchste Amt der Kirche innerhalb Indiens, des ›Metropoliten von Malankara‹, innehatte und besetzte dieses neu.176 Im Gegenzug kam sein Konkurrent Abd al-Masih II. 1912 nach Indien, widerrief die Exkommunikation und kam zugleich den Interessen der Gruppe um Dionysius VI. nach mehr Autonomie nach und schuf ein neues höchstes Amt für die Malankara-Orthodoxe Kirche: das
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jedoch fest in jesuitischer Hand, weshalb man einer anderen legitimen Sukzessionslinie bedurfte. Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 442–43. Vgl. dazu ebd., 359–68; Schmitz, Diamper und seine Folgen, 111–30. Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 161. Ebd. Vgl. ebd., 362–63. Siehe: II.1.2; IV.3.2. Vgl. ebd., 349–50.
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Biographie im Kontext
des Katholikos’ des Ostens.177 Von nun an sprach man von zwei Parteien innerhalb der Kirche: der ›Partei des Patriarchen‹ (Bawa Katshi) und der ›Partei des Katholikos‹ (Metran Katshi).178 Das Amt des Katholikos des Ostens bedeutete nun deutlich mehr Eigenständigkeit: Die Weihe des Katholikos geschah beim ersten Mal noch durch den Patriarchen, doch der Kandidat wurde von der Bischofssynode gewählt und sollte auch in Zukunft durch diese geweiht werden. Das für das liturgische Leben unabdingliche heilige Öl konnte nun auch durch den Katholikos und nicht mehr nur durch den Patriarchen geweiht werden. Schließlich durfte der Katholikos auch eigens Bischöfe weihen.179 Die Situation in der orthodoxen Kirche blieb jedoch instabil: Da waren zum einen Einigungsversuche, zum anderen über Jahrzehnte währende zivilrechtliche Auseinandersetzungen zwischen den Parteien um Kirchenbesitz.180 Zur Zeit des Katholikats Baselios Geevargheses II. war beides aktuell und die Stabilisierung seiner Partei aus seiner Sicht von höchster Dringlichkeit. Wie ist also die Aussage zu erklären, Paul Verghese sei, wenn er in Äthiopien für den Kaiser arbeite, seiner Kirche eine große Hilfe, womöglich eine größere, als wenn er weiter im eigenen Land bleibe? Die Malankara-Orthodoxe Kirche drohte zu zerbrechen und Baselios Geevarghese II. als Führer der Metran Katshi brauchte nichts dringender als einen starken Partner. Wer als eine autonome oder gar autokephale Kirche anerkannt werden möchte, benötigt jene Anerkennung von außen – sei es von Kirchen oder politischer Seite. Die Verbindung zu dem Kaiser Äthiopiens würde sich womöglich für solche Zwecke als äußerst vorteilhaft erweisen. Er sah sich persönlich laut Verfassung von 1955 als ›Verteidiger des orthodoxen Glaubens‹181, der zudem für die Kirche im eigenen Land 177 In gewisser Hinsicht war der Titel des Amtes somit konsequent gewählt: Handelte es sich in der Geschichte um das Amt des Oberhauptes der Miaphysiten in der Kernregion der Kirche des Ostens, bezog sich das Amt nun auf das Gebiet Malabars, das zumindest zuvor eine Metropolie der Kirche des Ostens gewesen war. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 37; Hage, Das orientalische Christentum, 350. 178 Vgl. Visvanathan, Christians of Kerala, 12. 179 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 350. 180 Vgl. Visvanathan, Christians of Kerala, xii, 32. 181 So hat nach Artikel 23 der Verfassung von 1955 der Kronprinz vor Besteigung des Thrones den Eid abzulegen, »sich stets zum Glauben der orthodoxen Kirche [zu] bekennen und diesen [zu] verteidigen«. Zitiert nach: Paul Verghese, »Die äthiopische Kirche heute«, in Koptisches Christentum. Die orthodoxen Kirchen Ägyptens und Äthiopiens, hg. von Paul Verghese, Die Kirchen der Welt 12 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1973), 141. Zudem lautet es in dem 128. Artikel der Verfassung: »Die äthiopisch-orthodoxe Kirche, die im 4. Jahrhundert auf Grund der Lehren des Heiligen Markus gegründet wurde, gilt als etablierte Kirche des Kaiserreichs und wird als solche vom Staat unterstützt. Der Kaiser hat sich stets zum äthiopisch-orthodoxen Glauben zu bekennen. Der Name des Kaisers soll in allen Gottesdiensten erwähnt werden.« Zitiert nach: ebd., 142–43. Im Jahre 1965 bei der Konferenz der Oberhäupter der Orientalischen Orthodoxen Kirchen in Addis Abeba erklärten die
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ganz ähnliche Pläne hatte wie die Metran Katshi in Kerala: So stand die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche zu dieser Zeit kurz davor, die Unabhängigkeit von der Koptisch-Orthodoxen Kirche zu erlangen, als erste orientalisch-orthodoxe Kirche seit der Antike und unter engagiertem Betreiben des Kaisers selbst. Als sie sich schließlich im Jahre 1959 autokephal erklärte, wurde sie damit zugleich zur größten unter den orientalischen Kirchen, mit dem Schutz des Kaisers Haile Selassie, dem damit enorme Verehrung unter orientalischen Christen zukam.182 Ein junges Talent wie Paul Verghese hier zu positionieren, dürfte von außerordentlichem Interesse für den Katholikos gewesen sein. Paul Verghese verließ schließlich mit einigem Zögern, jedoch aufgrund deutlicher Empfehlung durch den Katholikos und seiner Freunde erneut sein Heimatland.183 Als er ein zweites Mal dem Ruf nach Äthiopien folgte, war dies somit auch der Beginn seines kirchenpolitischen Wirkens. Ohne dass er es so recht wollte, wurde Paul Verghese zu einer Schlüsselfigur seiner Kirche auf internationaler Ebene – und dies sollte für den Rest seines Lebens so bleiben.
3.4
Der zweite Äthiopien-Aufenthalt
Im Jahre 1956 erreichte Paul Verghese zum zweiten Mal Äthiopien. Doch im Unterschied zum ersten Mal kam er diesmal nicht, weil ihm im eigenen Land die Perspektive fehlte, sondern auf Betreiben des Kaisers selbst. Er arbeitete als persönlicher Berater für den Kaiser, vor allem in Sachen indisch-äthiopischer Beziehungen, Fragen der Bildung und sozialer Reformen sowie als Übersetzer.184 Haile Selassie versuchte ihn offenbar eng an sich zu binden: So beschreibt Mar Gregorios, dass er mit dessen Tochter Prinzessin Seble
Oberhäupter Haile Selassie zum »Verteidiger des Glaubens«. Paul Verghese, Hrsg., »Konferenz der Oberhäupter der Orientalischen Orthodoxen Kirchen. Von der Konferenz der Kirchenoberhäupter und -delegierten angenommene Entscheidungen, Addis Abeba, 15.– 21. Januar 1965«, in Koptisches Christentum. Die orthodoxen Kirchen Ägyptens und Äthiopiens, Die Kirchen der Welt 12 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1973), 248. 182 Hier gilt es zu beachten, dass die orientalisch-orthodoxe Christenheit (sowie die Kirche des Ostens) bis heute fast ausschließlich – mit Ausnahme der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche und den orthodoxen Kirchen Indiens – im ›Hause des Islams‹ existiert, d. h. in Ländern, die kulturell, religiös und politisch vom Islam dominiert werden. So ist zu erklären, welche Rolle Haile Selassie zukam, der sich selbst als Herrscher eines orthodoxen Königreichs verstand. Vgl. hierzu insgesamt Tamcke, Christen in der islamischen Welt; Christian Lange, »Die altorientalischen Kirchen. Dogmengeschichtliche Orientierung – Leben im Haus des Islam«, in Die altorientalischen Kirchen. Glaube und Geschichte, hg. von Christian Lange und Karl Pinggéra, 2. Aufl. (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011), 16–20. 183 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 122–24; Verghese, »Letter 11«, 1. Dezember 1956. 184 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 124–25.
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Biographie im Kontext
Desta verheiratet werden sollte, was er jedoch ablehnte.185 Er beschreibt überdies, wie man seitens der politischen Elite des Landes versuchte, ihn für sich zu gewinnen, wohl aufgrund seiner Nähe zum Kaiser. Dieser schien ihn jedoch gerade deshalb in seinem persönlichen Beraterstab haben zu wollen, da er nicht zum politischen Establishment gehörte und sich zudem gegenüber den Verlockungen von Macht und Geld als resistent erwiesen hatte.186 Doch Paul Verghese fühlte sich unwohl mit seiner Position. Sein Fazit bezüglich dieses Einblicks in die Welt von Politik und Macht fiel negativ aus: »I became aware that I was unsuited to power jobs in any government. I knew that I would not always succeed in resisting the blandishments of money and power.«187 Er wandte sich bereits nach kurzer Zeit an Haile Selassie und bat um die Entlassung: »I simply stated that I would like to go back to India and start serving my people, ordinary people.«188 Doch der Kaiser wollte ihn nicht gehen lassen und bot ihm stattdessen eine andere Position an: Er wurde Berater des Bildungsministeriums, Berater einer wohltätigen, staatlichen Organisation – der Haile Selassie I Charitable Foundation – und Executive Secretary des UNRRA Comitee, also der Organisation der Vereinten Nationen, die Schulen wie die in Jimma unterstützte.189 Doch blieb er unzufrieden, wie er beschreibt, und intensivierte sein Interesse in der kirchlichen und theologischen Arbeit: Er hielt Bibelstunden in seinem Wohnhaus ab, zudem Vorlesungen an verschiedenen Colleges in Addis Abeba.190 Er gründete im April 1957 die orthodoxe Studentenorganisation Haimanote Abew191, gemeinsam mit Studenten und Abba 185 186 187 188 189 190 191
Ebd., 126–27. Vgl. ebd., 139–40. Ebd., 141. Ebd. Vgl. ebd., 141–42. Vgl. ebd., 128, 146. Zu Deutsch: ›Der Glaube unserer Väter‹. Hierbei handelt es sich eigentlich um den Titel eines theologischen Grundlagenwerkes der Äthiopisch-Örthodoxen Kirche, in dem Schriften der Kirchenväter gesammelt sind. Als Paul Verghese später nach Indien zurückkehrte, übernahm er diesen Titel für eines seiner ersten Werke The Faith of Our Fathers, das an orthodoxe Studenten in Indien gerichtet war. Nachdem er Äthiopien verließ, wurde die Bewegung zunehmend politisch, mit Tendenz zu marxistischen Ideen sowie in Opposition zu Kaiser Haile Selassie. Vgl. ebd., 146. Zu einem von den Studenten, die Haimanote Abew mit ihm gründeten, Ato Zowndneh Yemtatu, bestanden auch später Kontakte, die dazu führten, dass dieser nach Indien kam und die dortige orthodoxe Studentenbewegung kennenlernte, die von Paul Verghese geleitet wurde. Später wurde Yemtatu zu einem der Köpfe der marxistischen Aktivisten der Gruppe. Vgl. Verghese, »Die äthiopische Kirche heute«, 144– 46. Zur Geschichte von Haimanote Abew vgl. Haile M. Larebo, »Quest for Change. Haymanote-Abew Ethiopian Students’ Association and the Ethiopian Orthodox Church. 1959– 1974«, in Ethiopia in Broader Perspective. Papers of the 13th International Conference of Ethiopian Studies. Kyoto, 12–17 December 1997, hg. von Katsuyoshi Fukui, Eisei Kurimoto, und Masayoshi Shigeta (Kyoto: Shokado Book Sellers, 1997), 326–37.
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Habtemariam, mit dem er sich bereits bei seinem ersten Aufenthalt in Äthiopien angefreundet hatte. Wie zuvor in Indien, wandte sich Paul Verghese also auch hier der Jugend in der Kirche zu. Es ist eine interessante Frage, wie viel er von den Vorgängen innerhalb der äthiopischen Kirche kannte. Wurde er später zum Verfechter der Autokephalie der eigenen Kirche, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er inspiriert wurde von dem Prozess, den er in Äthiopien beobachten konnte. So lernte er das Oberhaupt Baseleyos (1881–1970) kennen, der erste einheimische Metropolit in der Geschichte der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, welcher im Jahre 1959 zum ersten Patriarchen seiner Kirche geweiht wurde.192 Die Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche war damit die erste unter den orientalisch-orthodoxen Kirchen seit der Zeit der Bekenntnisbildung im fünften Jahrhundert, die sich für autokephal erklärte. Nach ihr sollte es die Indisch-Orthodoxe Kirche tun, unter nicht unwesentlichem Mitwirken von Mar Gregorios.193 Dabei blieb, im Gegensatz zum späteren Vorgehen in Indien, der Prozess der Emanzipation der Äthiopier von der koptischen Kirche ein friedlicher, da vom Patriarchen von Alexandria gebilligter Vorgang.194 Zudem war es ein Prozess, der im hohen Maße staatlich gefördert wurde, allem voran durch Haile Selassie selbst, der die ÄthiopischOrthodoxe Kirche als Staatskirche etablierte.195 Es kann nur gemutmaßt werden, wie die Sicht Paul Vergheses auf diese Vorgänge war und welche Vorstellungen er für seine eigene Kirche hatte – die innerkirchliche Diskussion um dieses Thema lief in Indien nun schon mindestens 70 Jahre. Rückblickend sieht er jedoch Parallelen sowie eine enge Verbindung zwischen beiden Kirchen, was für eine Vorbildwirkung spricht: »The Emperor’s Orthodox Church, (often wrongly called the Coptic Church), was in communion with our church, the Indian (also wrongly called Syrian) Orthodox Church.«196 Als Paul Verghese 1959 erneut Äthiopien den Rücken kehrte, war dies zwar nicht das letzte Mal, dass er das Land betrat, aber die Option einer politischen Karriere in Äthiopien gab er nun endgültig auf. Er wandte sich wieder der Theologie und Kirche zu als den Dingen, die ihm nach eigenen Angaben den Aufenthalt in Äthiopien überhaupt erträglich gemacht hatten. Noch im sel-
192 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 142; Hage, Das orientalische Christentum, 215. Paul Verghese beschäftigt sich selbst mit dem Thema in: Verghese, »Die äthiopische Kirche heute«, 139. 193 Siehe: IV.3. Als dritte Kirche im 20. Jahrhundert erlangte die Eritreisch-Orthodoxe Kirche die Autokephalie. Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 222–26. 194 So blieb der äthiopische Patriarch stets ein dem koptischen Papst zugeordnetes Oberhaupt, der dem Patriarchen von Alexandria einen Ehrenvorrang gewährte. Vgl. ebd., 216. 195 Zur Rolle der orthodoxen Kirche im äthiopischen Staat unter Haile Selassie, insbesondere durch die Verfassung von 1955, vgl. Verghese, »Die äthiopische Kirche heute«, 141–42. 196 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 118–19.
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Biographie im Kontext
ben Jahr immatrikulierte er sich an der Yale Divinity School in den Vereinigten Staaten.197
3.5
Der zweite Aufenthalt in den Vereinigten Staaten
An dieser Stelle ändert sich nun die Quellenlage zu Paulos Mar Gregorios’ Leben grundlegend. Seine Autobiographie bietet hier lediglich die Überschrift zu einem ungeschriebenen Kapitel: »America and the West«198. Zwar finden sich – verteilt auf das gesamte Werk Mar Gregorios’ – durchaus auch Schilderungen von persönlichen Erlebnissen nach 1959, doch eine derart umfassende Schilderung wie in den autobiographischen Aufzeichnungen zur Zeit davor findet sich nicht mehr. Auf andere Weise verbessert sich die Quellenlage: Paul Vergheses intellektuelle Tätigkeit und damit seine intensivere Schreibtätigkeit nimmt einen Anfang. Nach eigenen Beschreibungen erlebte Paul Verghese in Yale eine Art ›intellektuelle Pubertät‹.199 In Verbindung mit dieser steht – im Bild des Pubertierenden bleibend – die Revolte gegen die Vaterfigur: A father-figure comes in handy for the adolescent’s discovery of self-identity – especially if the figure is dominant and powerful enough to make one’s own revolt look all the more heroic. For me, Augustine of Hippo was such a figure. What a release it was to learn, in 1959–60, that he was the spring and fount of all creative Western theology, and then to make the gratifying discovery that this source was poisoned!200
Es ist anzunehmen, dass jene ›erfreuliche Entdeckung‹ keinesfalls derart punktuell stattfand.201 Dennoch ist es sehr wahrscheinlich, dass in der Zeit in Yale so etwas wie ein erster Entdeckungszusammenhang gesehen werden kann. Dabei kann jene Wende von Beginn an als eine Abwendung vom ›Westen‹ und eine Hinwendung zum ›Osten‹ verstanden werden. So wird man es formulieren müssen, wenn man dem Innenleben Paul Vergheses Ausdruck verleihen möchte. Zugleich wird in dieser Formulierung bereits die gesamte Problematik jener Wahrnehmung Paul Vergheses deutlich: Kann mit Blick auf sein Leben, auf die bereits hier existenten verschiedensten Prägungen von einer derartigen Grenz197 Vgl. ebd., 21. 198 Ebd., 149. 199 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »A Sacramental Humanism«, in Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 169: »Theologically, I seem during this past decade to have passed through pubescence and come into a cantankerous and boisterous adolescence.« 200 Ebd., 170. 201 So stellt er auch in dem vorliegenden Text diese Entdeckung als Entwicklung dar, die mindestens noch in seine Oxforder Zeit hineinreichte. Vgl. ebd.
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ziehung zwischen ›Ost‹ und ›West‹ die Rede sein? Wenn man überhaupt jene Begriffe verwenden möchte, dann muss seine Wende nach dem bisher Geschilderten klar auch als eine Wende gegen einen Teil seiner Selbst verstanden werden. Darauf weist nicht zuletzt auch die Bezeichnung Augustins als ›Vaterfigur‹: Er war ihm nahe, war prägend und zugleich jemand, den er als dominant und ›erdrückend‹ empfand und aus dessen Einfluss er sich zu lösen suchte. In Augustin findet ›der Westen‹, der ein Teil seiner selbst ist, eine Personifikation. So kann er seine existenzielle Lage später wie folgt beschreiben: »Here I am, an Indian, a member of an Eastern Orthodox Church, trained in the western system of education.«202 Diese Lage brachte ihn dazu, eine Entscheidung zu treffen – sich der orthodoxen Tradition zuzuwenden, als seiner »primären Verpflichtung«203. Was er mit jener ›orthodoxen Tradition‹ meint, der er sich im Zuge seiner Abwendung vom ›Westen‹ zuwendet, stellt ein zentrales Thema dieser Arbeit dar. Ein Blick auf Mar Gregorios’ Bibliographie legt jenen inneren Zusammenhang der ›Revolte gegen Augustin‹ mit der Entdeckung orthodoxer Theologie ebenfalls nahe. In den Texten, die er während seiner Zeit in Yale verfasste, beschäftigt er sich vornehmlich mit zwei Gruppen von Theologen: Zum einen sind dies Kirchenväter wie Origines, Gregor von Nazianz und Basilius der Große. Zum anderen setzte er sich mit russisch-orthodoxen Denkern der Moderne wie Wladimir Solowjew (1853–1900), Sergei Bulgakow (1871–1944) und Nikolai Berdjajew (1874–1948) auseinander.204 Findet sich hier zum ersten Mal nachweislich eine intensive Beschäftigung mit den Vätern einerseits wie mit orthodoxer Theologie andererseits, ist auch auffällig, dass Paul Vergheses Zugang zum orthodoxen Denken aus Sicht seiner eigenen Tradition keinesfalls unproblematisch ist: Zwar gehören die sogenannten ›Kappadokier‹ zum Traditionsbestand der miaphysitischen Kirchen, doch lägen in Paul Vergheses Fall syrische Kirchenväter um einiges näher. Dass er diese auch später vernachlässigt, liegt zweifelsohne an seinem Zugang zur Vätertradition über seine akademische Ausbildung im Westen, was im Kontext seiner Tradition und Kirche gerade nicht der gängige Zugang zu den Vätern ist. Die genannten russischen Denker hingegen stehen in der chalcedonensischen Tradition oder sind – wie im Falle von Solowjew und Berdjajew – auch hier umstritten.205 Dieser anfängliche Zugang zu orthodoxem
202 Verghese, Freedom and Authority, 141. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »Three Points to Consider in Inter-Religious Dialogue«, in Religion and Dialogue (Kottayam [u. a.]: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2000), 192. 203 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 142: »A number of predilections and circumstances led me to a choice – specifically for Eastern Christianity as my primary commitment.« 204 Vgl. Thottackad, »Gregorios Bibliography«, 142–43. 205 Siehe: III.1.1.
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Biographie im Kontext
Denken bleibt durchweg sichtbar in Mar Gregorios’ Werk.206 So fungiert etwa die russische Sophiologie als Beleg für die Freiheit und Kreativität orthodoxen Denkens gegenüber einem starren, ›augustinischen Westen‹.207 Doch bleibt dies ein im höchsten Maße eigener und im Kontext seiner Tradition ungewöhnlicher Zugang, der gleichermaßen Grund für hohes Ansehen wie für Skepsis innerhalb seiner eigenen Kirche ihm gegenüber wurde. In seiner Zeit in Yale widmete sich Paul Verghese neben den theologischen Themen mit Begeisterung insbesondere deutschsprachiger Philosophie, allem voran Immanuel Kant und Edmund Husserl.208 Auch sein Interesse an Friedrich Hegel und Karl Marx mag hier seinen Ausgang genommen haben.209 Die frühen Aufsätze aus dem Jahr 1960 zeigen daher eine interessante Gemengelage: »Here the language and method is Western but the thrust is distinctively Orthodox.«210 Dies sollte hinfort die Spannung seiner intellektuellen Existenz bleiben: Bei allen Versuchen, ein authentisch orthodoxer oder indischer Denker zu sein, blieb seine Herangehensweise stets von seiner westlichen akademischen Bildung geprägt.
3.6
Oxford
Im Jahr 1960 verließ Paul Verghese die Vereinigten Staaten und zog nach Oxford, um dort ein Promotionsstudium zu beginnen. Er war Mitglied am Keble College, lebte jedoch im House of St. Gregory and St. Macrina.211 Letzteres war erst kurz zuvor im Jahre 1959 durch den orthodoxen Theologen Nicholas Zernov (1898– 1980) als »Ort der Begegnung zwischen östlichen und westlichen Christen«212, an dem diese zugleich miteinander lebten, gegründet worden. Vermutlich war es Zernov, der es ihm ermöglichte dort zu leben, pflegte dieser doch gute Bezie206 Vgl. etwa Paul Verghese, The Freedom of Man. An Inquiry Into Some Roots of the Tension Between Freedom and Authority in Our Society (Philadelphia: Westminster Press, 1972), 7; Verghese, Freedom and Authority, v. 207 Vgl. etwa Mar Gregorios, Human Presence, 78–80. 208 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 21. 209 Vgl. True, »Prophet«, 69–70. 210 Ebd., 75. 211 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 21. 212 Ware, Kallistos. »Zernov, Nicolas Mikhailovich (1898–1980)«. In Oxford Dictionary of National Biography 60, herausgegeben von Henry C. G. Matthew und Brian Harrison, 990–91. Oxford [u. a.]: Oxford University Press, 2004, 991. Zernov gilt als ökumenischer Vordenker seitens der (russischen) Orthodoxie. Als Teil derjenigen russischen Intellektuellen, die aufgrund der Oktober-Revolution in den 1920er Jahren nach Paris auswanderten, war er Schüler Sergei Bulgakows, der dort zu jener Zeit Professor an dem neu gegründeten Institut de Théologie Orthodoxe Saint-Serge war. Zernov war der Gründer der Fellowship of Saint Alban and Saint Sergius und bemühte sich als Lehrer in Oxford vor allem um den Dialog zwischen der anglikanischen und den orthodoxen Kirchen.
Zwischen den Vereinigten Staaten, Indien, Äthiopien und Europa
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hungen zur Kirche Paul Vergheses.213 Ob die Idee einer spirituellen Gemeinschaft als Quelle ökumenischen Handelns, die Zernov in dem Haus in Oxford nach der Vorstellung von Sobornost’214 zu verwirklichen suchte, Paul Verghese inspirierte, kann nur vermutet werden. Doch findet sich, angefangen mit seinen frühesten Texten, immer wieder die Vorstellung, dass ökumenische Erneuerung nur aus einer neuen spirituellen Gemeinschaft geboren werden könne.215 Es mag sein, dass diese Idee von Zernov und dem House of St Gregory and St. Macrina herrührte. Über das übrige Leben und Lernen in Oxford urteilte Mar Gregorios später hart: »In general Oxford disappointed me – too staid, too dogmatic, too insular, too pompously unauthen-tic [sic!] for my taste.«216 Doch nicht nur hierüber fällt sein Urteil harsch aus. Auch über seinen Doktorvater John Norman Davidson Kelly (1909–1997) hat er nicht viel Positives zu sagen. In Fortsetzung zu den Ausführungen über seine Wende ›gegen den Westen‹ schreibt er: What if my supervisor at Oxford insisted that only Western thinkers like Augustine could think problems through? It was this well-known professor’s incapacity to understand Eastern thought, together with his adoption of Augustinianism as a standard by which to measure the doctrines of others, that prompted my revolt.217
Was war es, das Paul Verghese abstieß? War es wirklich das theologische Problem von Sünde und freiem Willen, das er bei Augustin unzureichend gelöst sah? So suggeriert er in späteren Texten, wenn er immer wieder jenes Zitat von Kelly anführt, das auch hier deutlich anklingt.218 Die Frage war offenbar wichtig für ihn. 213 Er unterhielt gute Beziehungen nach Indien und lehrte in den Jahren 1953 bis 1954 als Gastprofessor am Catholicate College Pathanamthitta – einem College, das noch heute zur Malankara Orthodox-Syrischen Kirche gehört. Infolgedessen wurde er zum Vorkämpfer einer Versöhnung zwischen den Kirchen der byzantinischen und orientalischen Orthodoxie. Vgl. Ware, »Zernov«, 990: »A visit to the Syrian Orthodox of the Malabar in 1953–4 convinced Nicolas that the members of this ancient Indian church were not to be dismissed as ›monophysite heretics‹.« Zernov veröffentlichte daraufhin ein Werk über die orthodoxe Kirche in Indien: Nicolas Zernov, The Christian East. The Eastern Orthodox Church and Indian Christianity (Delhi: Society for Promoting Christian Knowledge, 1956). 214 Einführend zum Konzept von Sobornost’ vgl. Bernhard Plank, Katholizität und Sobornost’. Ein Beitrag zum Verständnis der Katholizität der Kirche bei den russischen Theologen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Das östliche Christentum 14 (Würzburg: AugustinusVerlag, 1960). 215 Einer dieser frühen Texte ist: Paul Verghese, »The Rôle of Monasticism and a New Askesis for Our Time«, The Ecumenical Review XV, Nr. 3 (1963): 311–19. Siehe hierzu ausführlich: IV.1.3.3. 216 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 21. 217 Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 170. 218 Vgl. John N.D. Kelly, Early Christian Doctrines (London: Black, 1958), 352: »But these were superficial answers; Augustine’s starting-point was not theirs, and they could not be expected to have thought the problem through.« Mar Gregorios lässt diesen Satz immer wieder anklingen, wenn es um seine Abgrenzung von Augustin und einem ›westlichen Augusti-
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Biographie im Kontext
Später vertrat er eine dezidiert gegensätzliche Meinung zu der Kellys und stellte insbesondere Gregor von Nyssa als denjenigen Denker dar, bei dem die Freiheitsproblematik am besten – und vor allem besser als bei Augustin – gelöst ist.219 Doch drückt sich in dem Satz über Kelly auch eine persönliche Spannung zwischen ihm und dem Patristiker aus – möglicherweise entzündet an eben jener theologischen Differenz. Paul Verghese begann dennoch, seine Doktorarbeit über Gregor von Nyssa bei Kelly zu schreiben. Auch über seine anderen Lehrer in Oxford hat er im Rückblick nicht viel Positives zu berichten.220 Allein Michael Polanyi (1891–1976) bildet eine Ausnahme, von dem er sagt: »[he] initiated me into some of the problems of human knowing and intellectual certainty.«221 Jener ungarisch-britische Denker repräsentiert etwas, das sich bei Mar Gregorios auch findet: der Wille zu Synthese, insbesondere zwischen Religion und Naturwissenschaften. So zeigt sich eine bleibende Beeinflussung durch Polanyi in Mar Gregorios’ Werken.222 Es ist erstaunlich, wie sehr für Paulos Mar Gregorios diese Zeit in Oxford im Rückblick Bedeutung hat, wenn man sich vor Augen führt, wie kurz sie währte. Bereits im Jahre 1962 begann eine neue Phase in seinem Leben. Ebenso zeigt sich die stark durch die Retrospektive gefärbte Charakterisierung jener Zeit als eine, in der die Wende gegen den ›westlichen Augustinismus‹ klare Konturen erhielt – insbesondere in der Person J.N.D. Kellys. Im Jahre 1961 kündigte sich bereits jene neue Phase in seinem Leben an. Er beschreibt es später wie folgt: While at Oxford I was invited to Geneva by Dr. Visser ’t Hooft, General Secretary of the World Council of Churches. He asked me to join the WCC staff at Geneva. I had to say to him that I found the WCC too uncongenial, as being too western and too Protestant.223
219 220 221 222
223
nismus‹ geht. Vgl. Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 170; Mar Gregorios, The Joy of Freedom, 15–16. Vgl. etwa Verghese, Freedom and Authority, 61–62. Er nennt hier: Gilbert Ryle (1900–1976), Ian Ramsey (1915–1972), Henry Chadwick (1920– 2008), Robert C. Zaehner (1913–1974). Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 21. Vgl. ebd.; True, »Prophet«, 70: »Polanyi probably introduced him to the role of faith in scientific knowledge.« Er nennt ihn immer wieder in verschiedenen Werken. Spuren der Auseinandersetzung finden sich in: Paulos Mar Gregorios, The Kingdom of Diakonia (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2014), 196; Paul Verghese, »The Finality of Jesus Christ in the Age of Universal History«, The Ecumenical Review XV, Nr. 1 (1962): 24; Mar Gregorios, Human Presence, 86; Paulos Mar Gregorios, »Does Geography Condition Philosophy? On Going Beyond the Occidental-Oriental Distinction. An Introduction to the Second International Seminar on Neoplatonism and Indian Thought«, in Neoplatonism and Indian Philosophy, hg. von Paulos Mar Gregorios, Studies in Neoplatonism 9 (Albany: State University of New York Press, 2002), 15. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22.
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Er lehnte ab, auch mit der Begründung, seine Doktorarbeit beenden zu wollen.224 Im selben Jahr fand die dritte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen statt. Der Tagungsort war Neu-Delhi und Paul Verghese war als Delegierter seiner Kirche anwesend.225 Diese weihte ihn kurz zuvor zum Priester.226 Er wurde gebeten, neben Martin Niemöller (1892–1984) und Paul S. Minear (1906– 2007), die Haupt-Bibelarbeiten zu halten.227 Aufgrund jener Bibelarbeiten sei man nunmehr seitens der orthodoxen Delegierten auf ihn aufmerksam geworden und habe sich auf den Weg von Neu-Delhi nach Kerala gemacht, um das Kirchenoberhaupt Paul Vergheses davon zu überzeugen, als »Sprecher für alle orthodoxen Kirchen«228 nach Genf zu gehen und für den Rat zu arbeiten. Die Erzählung darüber, wie er schließlich Mitarbeiter des Stabs des ÖRK wurde, wirkt etwas konstruiert. Auch die Ablehnung, mit der Aussage, der Rat sei ›zu westlich, zu protestantisch‹, scheint zu sehr seiner späteren Kritik am Rat zu entsprechen. Es ist sicher richtig, dass Paul Verghese der Erlaubnis seines Oberhauptes bedurfte, um nach Genf zu gehen. Doch ist die Parallele zu seinem Weggang nach Äthiopien äußerst augenfällig:229 So weist er in beiden Fällen die Entscheidung von sich, um keinesfalls den Eindruck entstehen zu lassen, er sei in seinen jungen Jahren auf irgendeine Weise auf eine Karriere aus gewesen. Er stellt sich als gottesfürchtig und seiner Kirche gegenüber loyal dar, zugleich jedoch als überaus talentiert, sodass er in höchsten Kreisen von sich reden machte. Jedweden Willen zur Macht weist er jedoch deutlich von sich. Dass Visser ’t Hooft zu jener Zeit einen Mann wie Paul Verghese zu gewinnen suchte, erscheint jedoch durchaus realistisch.230 Die Vollversammlung in Neu-
224 Vgl. ebd. 225 Vgl. ebd. 226 Vgl. ebd., 23: »I was 39 and had just been ordained a priest a few months before the Assembly.« Nach K.M. George musste er sich zuvor einer Prüfung durch den Katholikos unterziehen, um zu gewährleisten, dass er keinerlei ›amerikanische protestantische Ansichten‹ lehre. Vgl. Kondothra M. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios. Dimensions of Ecumenism«, in A Light to the Nations. The Indian Presence in the Ecumenical Movement in the Twentieth Century, hg. von Jesudas Athyal und Michael Kinnamon (Geneva: World Council of Churches, 2016), 115. 227 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22. 228 Ebd., 23: »The Orthodox delegates present in New Delhi decided to make the trip south to Kerala (a good 3000 kilometers) to request the head of my church to persuade me to go to Geneva and become the spokesman on the staff for all the Orthodox churches.« 229 Vgl. ebd., 115–24. 230 Vgl. etwa Willem A. Visser ’t Hooft, Die Welt war meine Gemeinde. Autobiographie, 2. Aufl. (München [u. a.]: Piper, 1974), 372: »so erstrebte die Dritte Vollversammlung 1961 das Ziel, den Weltrat der Kirchen zu einem wirklichen Welt-Rat zu machen. Daß sie in Asien zusammentrat, war kein Zufall. Es unterstrich die Erkenntnis, daß wir lernen mußten, nicht so sehr ›westlich‹ als vielmehr universell zu denken.«
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Biographie im Kontext
Delhi stand für eine verstärkte Rolle der orthodoxen Kirchen.231 Dass man dies auch im Mitarbeiterstab abzubilden versuchte, ist sehr wahrscheinlich.
4
Genf
4.1
Die Arbeit für den Ökumenischen Rat der Kirchen
So begann Paul Verghese im Jahre 1962 als stellvertretender Generalsekretär des ÖRK und Direktor der Abteilung für Ökumenische Aktivität zu arbeiten.232 Er war einer der ersten Orthodoxen, der jemals in Genf für den Rat arbeitete.233 Er war mit seiner Position in eine Vielzahl von Dialogen involviert, die entscheidend für seine intellektuelle Entwicklung sein sollten. Doch auch das persönliche Leben änderte sich für ihn schlagartig: »Living in the scenic city of Geneva in an apartment of my own was also a new experience, cooking my own meals and doing my own chores like laundry and shopping.«234 Seine Doktorarbeit musste er vorerst ruhen lassen. 4.1.1 Das Zweite Vatikanische Konzil Als die ÖRK-Generalversammlung in Delhi am 5. Dezember 1961 endete, sollte es lediglich wenige Wochen dauern bis sich ein weiteres für die Geschichte der Ökumene entscheidendes Ereignis ankündigte. Am 25. Dezember des Jahres erließ der Heilige Stuhl die Apostolische Konstitution Humanae salutis, mit der 231 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22–23. Dies wurde auch durch den Beitritt vieler orthodoxer Kirchen zum Rat deutlich: der Russisch-Orthodoxen, der Rumänisch-Orthodoxen, Georgisch-Orthodoxen, Bulgarisch-Orthodoxen und Serbisch-Orthodoxen Kirche sowie – unter den Orientalen – der Armenisch-Orthodoxen Kirche. In der öffentlichen Wahrnehmung sowie der Diskussion innerhalb des ÖRK wurde der Betritt jener Kirchen aus Ländern des Warschauer Pakts politisch problematisiert. Als wichtigster Fürsprecher für den Beitritt jener Kirchen galt auch hier Visser ’t Hooft. Vgl. Katharina Kunter und Annegreth Schilling, »›Der Christ fürchtet den Umbruch nicht‹. Der ökumenische Rat der Kirchen im Spannungsfeld von Dekolonisierung, Entwestlichung und Politisierung«, in Globalisierung der Kirchen. Der Ökumenische Rat der Kirchen und die Entdeckung der Dritten Welt in den 1960er und 1970er Jahren, Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B. Darstellungen 58 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014), 32–33. 232 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 23. 233 Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 116. Mar Gregorios selbst nennt Nikos Nissiotis als einen der wenigen Orthodoxen, der bereits vor ihm zum Stab des ÖRK gehörte. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22–23. Nissiotis arbeitete bereits ab 1956 am Ökumenischen Institut des ÖRK in Bossey. Vgl. Marios Begzos, »Nissiotis, Nikos«, in Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. von Hans Dieter Betz, 4. Aufl., Bd. 6 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 345–46. 234 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 23.
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Abbildung 3: Erstes Treffen der Gemeinsamen Arbeitsgruppe in Bossey 1965. Paul Verghese: hintere Reihe, dritter von rechts. Rechts neben ihm stehen Lukas Vischer und Nikos Nissiotis, mit denen er über lange Zeit eng zusammenarbeitete.
offiziell das Zweite Vatikanische Konzil für das Folgejahr angekündigt wurde.235 Paul Verghese sollte einer der offiziellen Beobachter neben Nikos Nissiotis (1924–1986) und Lukas Vischer (1926–2008) seitens des ÖRK werden.236 Mit Blick auf die Texte, die er im Rahmen seiner Tätigkeit verfasste, zeigt sich, dass er sich durchaus mitgenommen fühlte von dem später oft beschworenen ›Geist des Konzils‹. In einem Text nach der ersten Sitzungsperiode schreibt er: The Second Vatican Council came of the vision of one man Pope John XXIII. The Spirit of the Lord obviously still speaks to those who have ears to hear and eyes to see. And the vision has begun to make concrete shapes in a near-miraculous manner. Trends set more than half a millennium ago have suddenly been reversed – not by one man but by a holy company of 3000 bishops in Council. All over the world Catholic bishops whose concern hitherto has been to protect their flock from too close contact with non235 Deutsche Fassung in: »Die Apostolische Konstitution ›Humanae salutis‹«, Herder Korrespondenz, Nr. 16 (1962): 225–28. 236 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 23. Dabei wird er in den Quellen meist übergangen. Die Gründe dafür sind nicht klar. Als offizielle Beobachter seitens des ÖRK bei dem Zweiten Vatikanischen Konzil geben viele Quellen lediglich Nikos Nissiotis und Lukas Vischer an. Vgl. Harding Meyer u. a., Hrsg., »Geschichte der Gemeinsamen Arbeitsgruppe«, in Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene. Band III: 1990–2001 (Paderborn [u. a.]: Bonifatius [u. a.], 2003), 673; Visser ’t Hooft, Autobiographie, 397.
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Catholics strive to seize the ecumenical initiatives with them, The Lord has done this and it is indeed marvellous [sic!] in our eyes.237
Hier ist kein Vorwurf zu erkennen, nichts, was darauf hindeutet, dass Paul Verghese den Kirchen des ›Westens‹ mit jenem Generalverdacht begegnete, wie er es später tat. Wenn er tatsächlich bereits die intellektuelle Wende gegen einen ›westlichen Augustinismus‹ vollzogen hatte, dann muss zumindest gesagt werden, dass er hier ein klares Zeichen der Römisch-Katholischen Kirche in eine andere Richtung erkannte. Er sah hinter dem Zweiten Vatikanum theologische Kräfte am Werk, die in die richtige Richtung wiesen.238 Seine Hoffnung in Bezug auf die Römisch-Katholische Kirche zeigt auch sein weiteres Engagement im Rahmen der Gemeinsamen Arbeitsgruppe zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem ÖRK, die er selbst mitbegründete und der er von 1965 bis 1975 angehörte.239 Darüber hinaus war er später (1971–1988) Teil des Dialogs zwischen den orientalisch-orthodoxen Kirchen und der RömischKatholischen Kirche, der von der Stiftung Pro Oriente in Wien organisiert wurde.240 Nach dem Konzil schrieb Paul Verghese einen weiteren Text, in dem er sich mit den Ergebnissen des Konzils befasste. Trotz der Tatsache, dass er sich hier durchaus mit den Schwierigkeiten auseinandersetzte, die sich im Rahmen des Konzils ergaben, herrscht nach wie vor ein äußerst positiver Tonfall vor: »One can only pay humble tribute to a great event in a great Church, and seek to focus attention on some of its achievements, give articulation to some of the hopes the
237 Paulos Mar Gregorios, »›Aggiornamento‹ and the Unity of All. An Eastern Orthodox View of the Vatican Council«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 205. Der Aufsatz wurde ursprünglich veröffentlicht in: The Ecumenical Review XV, Nr. 4 (1963): 377–90. 238 Ein Grund ist, dass viele Vordenker des Konzils zu jener Gruppierung römisch-katholischer Theologen gehörte, die man später unter dem Begriff ›Nouvelle Théologie‹ subsummierte. Bei jener Bewegung fand sich gerade eine Kritik an der einseitigen Rezeption augustinischer wie insbesondere thomistischer Theologie und eine Hinwendung zu den griechischen Kirchenvätern. Als Hauptvertreter gelten vor allem Denker des Jesuitenordens im französischsprachigen Raum, etwa Jean Daniélou (1905–1974) oder Henri de Lubac (1896–1991). Auch der Dominikaner Yves Congar (1904–1995) wird häufig hinzugezählt. Im weiteren Sinne werden auch Pierre Teilhard de Chardin (1891–1955) und Hans Urs von Balthasar (1905–1988) genannt. Insbesondere Daniélou und Teilhard haben großen Einfluss auf Paul Verghese. Vgl. Raymond Winling, »Nouvelle Théologie«, Theologische Realenzyklopädie 24 (Berlin [u. a.]: De Gruyter, 1994), 668–75. Ausführlich Hans Boersma, Nouvelle Théologie and Sacramental Ontology. A Return to Mystery (Oxford: Oxford University Press, 2009). 239 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 24. Hier schreibt Mar Gregorios, er sei von 1963 bis 1975 Mitglied der gemeinsamen Arbeitsgruppe gewesen, doch wurde die Gruppe erst 1965 gegründet. Vgl. Meyer u. a., »Geschichte der Gemeinsamen Arbeitsgruppe«, 674. 240 Siehe: II.6.2.
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Council has engendered, and point out the main problems that still remain.«241 Dabei versäumt Paul Verghese es nicht, anhand der Ergebnisse des Zweiten Vatikanums einige seiner theologischen Grundgedanken zu verdeutlichen. So bezeichnet er die Vorsicht, mit der dogmatische Aussagen getroffen wurden als eine »Rückkehr zur ostkirchlich-patristischen Tradition« und »gesundes Zeichen«242: »Truth cannot be captured in formulae. Words can only point to truth, warn against error, kindle a light in the mind and open it to the truth.«243 Dieser Satz stellt gleichsam in nuce dar, was er hinfort immer wieder als Grundgedanken in die Dialoge hineintrug: Die Suche nach der gemeinsamen Wahrheit kann nicht die sprachliche Übereinstimmung zum Ziel haben, sondern die Anerkennung einer Wahrheit, die jenseits des menschlichen Horizonts liegt. Spätere Texte, in denen sich Paul Verghese mit dem Zweiten Vatikanum und seinen Folgen auseinandersetzt, fallen deutlich negativer aus. Dabei zeigte sich, dass der Stein des Anstoßes die nunmehr beginnende Rezeption der Ergebnisse des Konzils war. Hatte Paul Verghese aus genannten Gründen Hoffnung auf eine Annäherung zwischen katholischer Kirche und orthodoxen Kirchen geschöpft, erkannte er, dass die theologische Neuorientierung auf katholischer Seite auch zu einer Annäherung an den Protestantismus geführt hatte, was ihm offenbar missfiel: »even responsible thinkers like Karl Rahner pick up ideas from Tillich and Barth, or even at times from Bultmann.«244 War seines Erachtens die Situation der römisch-katholischen Theologie vor dem Konzil aufgrund des antimodernen Kurses desaströs, sieht er nun die Gefahr der Beliebigkeit gekom241 Paulos Mar Gregorios, »Vatican II. Gains, Hopes and Hurdles«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 165. Ursprünglich war dies ein Vortrag, den er auf der dritten Hammersmith Christian Unity Conference im Jahr 1966 hielt. 242 Ebd., 167: »This tentative and cautions [sic!] approach to Christians doctrine is a welcome return to the Eastern Patristic tradition and a healthy sign of vitality to the Western Catholic tradition.« Den Vergleichspunkt bildet hier wohl die starke Zentralisierungstendenz innerhalb der römisch-katholischen Kirche im 19. Jahrhundert, die sich schließlich mit dem Unfehlbarkeitsdogma des Ersten Vatikanischen Konzils 1870 auch auf Fragen der Dogmenbildung auswirkte. Hierzu stand das Zweite Vatikanische Konzil für Paul Verghese im klaren Kontrast. So auch: Lukas Vischer, Überlegungen nach dem Vatikanischen Konzil, Polis 26 (Zürich: EVZ, 1966), 60: »Nach dem ersten Vatikanischen Konzil hatte kaum jemand mehr erwartet, daß die römisch-katholische Kirche ein weiteres Konzil einberufen werde. Die feierliche Dogmatisierung der Unfehlbarkeit und der universalen Jurisdiktion des Papstes schien der synodalen Struktur in der römisch-katholischen Kirche ein endgültiges Ende bereitet zu haben.« 243 Mar Gregorios, »Vatican II«, 167. 244 Zitat aus einem Memorandum, das Paul Verghese in Jahr 1972 an das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen (heute: Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen) des Vatikans schrieb: Paulos Mar Gregorios, »Memorandum on Church«, in The Church and Authority. Reflections on the Nature and Life of the Church, hg. von Ashish Amos (Kottayam: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2001), 216.
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men: »today the pendulum has swung over to the other side. Catholic thought is going chaotic and irresponsible. Each theologian chooses sources according to one’s own likeness.«245 Er verdeutlicht sein Anliegen, indem er die Frage stellt: »can we begin to create a theological articulation that is modest in its claims, relevant to deeper longings and aspirations of people today, and is at the same time faithful to the Tradition as we find it in biblical, patristic and liturgical sources?«246 Mag er Hoffnung in Bezug auf den Katholizismus gehabt haben, das Bild des Protestantismus, das er zeichnet, ist bereits hier äußerst negativ. 4.1.2 Der Dialog zwischen byzantinischer und orientalischer Orthodoxie Ein weiterer großer Bereich seines Wirkens in Genf war der Dialog zwischen den Kirchen der byzantinischen und der orientalischen Orthodoxie. Dieser wurde von Paul Verghese selbst sowie Nikos Nissiotis initiiert und unter der Verantwortung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) des ÖRK durchgeführt. Für diese war erneut Lukas Vischer maßgeblich an der Planung und Durchführung beteiligt.247 Somit war erneut jenes ›Dreiergespann‹, das bereits die Delegation beim Zweiten Vatikanum bildete, komplett. Paul Verghese hob die Zusammenarbeit mit Nissiotis und Vischer besonders positiv hervor.248 Die Initiative fand Niederschlag in vier inoffiziellen Gesprächen: in Aarhus 1964, Bristol 1967, Genf 1970 und Addis Abeba 1971. Paul Verghese nahm 245 Ebd. 246 Ebd., 217. 247 Paulos Mar Gregorios und Nikos A. Nissiotis, »Introduction. The Four Unofficial Conversations. An Experience of Joy and Hope«, in Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology, hg. von Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis (Geneva: World Council of Churches, 1981), xi; Trystin K. Bloom, »Protestants Can Have a Good Influence on Orthodoxy«, First Things, zugegriffen 5. Oktober 2013, https://www.firstthings.com/blogs/firstthoughts/2013/05/protestants-can -have-a-good-influence-on-orthodoxy: »It was within the WCC that two visionaries from each church met and began to collaborate – Nikos Nissiotis of the Ecumenical Patriarchate and Paul Verghese of the Malankara Indian Orthodox Church (later Metropolitan Paulos Mar Gregorios of Delhi). This work with the WCC helped galvanize the Orthodox to meet together at Rhodes in 1961 – and also invite the Miaphysites. In 1963, when the WCC Faith & Order Commission met, Swiss Reformed Protestant Lukas Vischer began working closely with Nissiotis and Verghese to eventually organize the first formal Orthodox-Miaphysite consultation in 1964, in which the bulk of the division was overcome in matter of days.« K.M. George schreibt hingegen, Paul Verghese und K. Philipose hätten den Vorschlag eines Treffens zwischen den beiden Kirchenfamilien bereits vor der Generalversammlung des ÖRK 1961 in einem Brief an die Delegierten jener Kirchen formuliert. Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 115–16. 248 Vgl. Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis, Hrsg., Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology (Geneva: World Council of Churches, 1981), xi.
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an allen vier Treffen teil. Bei dem ersten Treffen fungierte er als offizieller Berater des ÖRK, zusammen mit Nissiotis und Vischer.249 Ab dem zweiten Treffen war er als offizieller Vertreter von orientalisch-orthodoxer Seite aktiv an dem Dialog beteiligt.250 Wesentliches Ergebnis jener inoffiziellen Gespräche war die gegenseitige Anerkennung als ›orthodox‹, wenngleich man vorsichtig formulierte: »We recognize in each other the one orthodox faith of the Church.«251 Dies stellte nicht weniger als den Versuch dar, ein Schisma zu überwinden, das mehr als 1500 Jahre bestanden hatte, in Folge des Konzils von Chalcedon 451.252 Für Paul Verghese war dieser Dialog ein einschneidendes Erlebnis. So bezeichnet er diesen später als »einen der erstaunlichsten Aspekte«253 seiner Arbeit für den ÖRK. Aufgrund dieser Erfahrung wird für ihn der orientalisch-byzantinische Verständigungsprozess zum vorrangigen Ziel seiner ökumenischen Arbeit: The differences are hardly theological. There are problems like the acceptance of certain councils, anathemas against saints and fathers of the other side, and the rank of patriarchs; but none of these really constitute a substantial difference in faith. This relation remains the first ecumenical priority for the Oriental Orthodox.254
Auch hier hebt er Aspekte hervor, die bei seiner Bewertung der Ergebnisse des Zweiten Vatikanums im Mittelpunkt gestanden hatten: die gemeinsam geteilte 249 Vgl. ebd., 20. 250 Vgl. ebd., 21–23. 251 Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis, Hrsg., »Aarhus 1964. An Agreed Statement«, in Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology (Geneva: World Council of Churches, 1981), 3. Bis zur zweiten Sitzung des offiziellen Dialogs im Juni 1989 im Anba Bishoi-Kloster war diese Anerkennung jedoch von byzantinisch-orthodoxer Seite teils verweigert worden. Vgl. Mesrob K. Krikorian, »Der altorientalisch-byzantinische Dialog. Ergebnisse und Erwartungen aus altorientalischer Sicht«, in Chalzedon und die Folgen. Dokumentation des Dialogs zwischen der armenischapostolischen und der römisch-katholischen Kirche sowie des Dialogs zwischen chalzedonensischer und nicht-chalzedonensischer Orthodoxie. Festschrift zum 60. Geburtstag von Bischof Mesrob K. Krikorian, hg. von Rudolf Kirchschläger und Alfred Stirnemann, Pro Oriente 14 (Innsbruck [u. a.]: Tyrolia-Verlag, 1992), 373; Dietmar W. Winkler, Koptische Kirche und Reichskirche. Altes Schisma und neuer Dialog, Innsbrucker theologische Studien 48 (Innsbruck [u. a.]: Tyrolia-Verlag, 1997), 223, 225. 252 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 28. 253 Ebd.: »One of the most astounding aspects, for me at least, of my WCC experience was organizing the four unofficial conversations […] between theologians of the Oriental Orthodox and Eastern Orthodox churches«. 254 Paulos Mar Gregorios, »Ecumenical Priorities. An Oriental Orthodox looks at the Ecumenical Movement Today«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 219–20. Ursprünglich veröffentlicht in: The Star of the East 1, Nr. 1 (1979). Interessant ist, dass er hier eine Liste der Prioritäten aufstellt: Seines Erachtens am wichtigsten aus Sicht der Orientalisch-Orthodoxen ist somit der Dialog mit den byzantinisch-orthodoxen Kirchen, danach folgt der Dialog mit dem Katholizismus und zuletzt der mit den protestantischen Kirchen.
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Tradition der Kirchenväter sowie die Möglichkeit einer Einheit nicht im Beharren auf Begriffen oder sprachlichen Formulierungen, sondern in der Substanz des Glaubens: »the Christological issue […] which was supposed to have divided us in fifth and sixth centuries was basically terminological and not substantial.«255 Dieser bereits im Kontext des Zweiten Vatikanums geäußerte Grundgedanke findet sich an zentraler Stelle in den Abschlussdokumenten des Dialogs.256 Konkret wurde dies unter anderem in der gemeinsamen Einigung auf die sogenannte μία-φύσις-Formel Kyrills, den man als »gemeinsamen Vater in Christus«257 bezeichnete. Zwar einigte man sich damit auf eine Formel, jedoch ließ man gerade den Streitpunkt, ob es sich um eine Natur (μία φύσις) oder eine Hypostase (μία ὑπόστασις) handeln müsse, offen.258 Diese später oft bemängelte 255 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 28. 256 Vgl. Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, »Aarhus 1964«, 3: »Through the different terminologies used by each side, we saw the same truth expressed.« Vgl. dazu Dorothea Wendebourg, »Chalkedon in der ökumenischen Diskussion«, in Chalkedon. Geschichte und Aktualität. Studien zur Rezeption der christologischen Formel von Chalkedon, hg. von Johannes van Oort und Johannes Roldanus, Studien der Patristischen Arbeitsgemeinschaft 4 (Leuven: Peeters, 1997), 202: »Daß man in der skizzierten Weise zwischen identischer christologischer Substanz und differenter christologischer Terminologie unterscheiden kann, ist in allen Dialogen vorausgesetzt.« 257 Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, »Aarhus 1964«, 3: »In our common study of Chalcedon, the well-known phrase used by our common father in Christ, St. Cyril of Alexandria, mia physis (or mia hypostasis) tou Theou logou sesarkomene (the one physis or hypostasis of God’s Word Incarnate) with its implications, was at the centre of our conversations.« Dabei spricht man heute zurecht von einer ›pseudo-kyrillischen Formel‹, da es sich um eine apollinaristische Fälschung handelt. Diese Tatsache spielte bei den Gesprächen keine Rolle. Vgl. Theresia Hainthaler, »Hermeneutische Aspekte bei christologischen Erklärungen mit den Kirchen des Ostens«, in Glaubensverantwortung in Theologie, Pastoral und Ethik. Für Peter Knauer SJ, hg. von Stephan Ernst und Gerhard Gäde (Freiburg im Breisgau: Herder, 2015), 163; Winkler, Koptische Kirche, 228. 258 Vgl. Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, »Aarhus 1964«, 3. Dieser zentrale Aspekt wurde unter anderem durch John Romanides eingebracht. Dieser macht deutlich, dass es bei Kyrill selbst beiderlei Rede von einer oder zwei Naturen gebe und dass man daher terminologisch Zugeständnisse machen dürfe: »While the Chalcedonians concentrated on the confusors of the ousiai in Christ, the Alexandrians were still fighting the seperators of natures or hypostases. In the light of this it would be wise to make allowances in terminology while none whatsoever in faith. I would suggest that serious consideration be given to the Fifth Ecumenical Council, not as one which modified Chalcedon, but as one which interprets it correctly. If we agree on the meaning of Cyril’s Christology, we should also be as pliable as he on terms. In this regard the non-Chalcedonians should accept all of Cyril, including 433, and the Chalcedonians must stop overemphasizing the Cyril of 433.« John S. Romanides, »St. Cyril’s ›One Physis or Hypostasis of God the Logos Incarnate‹ and Chalcedon«, in Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology, hg. von Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis (Geneva: World Council of Churches, 1981), 69–70. An diesem Zitat wird zudem deutlich, dass man sich in Aarhus für eine sogenannte ›neuchalcedonensische‹ Interpretation der μία-φύσις-Formel entschied, das heißt auf byzantinischer Seite die Rezeption der Formel durch das Zweite Konzil von Konstantinopel 553 hervorhob. Diese Sache ist freilich für beide Seiten nicht unverfänglich.
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fehlende begriffliche Präzision erkennt Paul Verghese als Stärke. Dadurch war es möglich, sich zu einer gemeinsam geteilten christologischen Wahrheit zu bekennen, die jenseits der terminologischer Festlegungen liegt. Beide Seiten konnten somit ihrer Tradition treu bleiben. Man formulierte zum Ende der letzten inoffiziellen Konsultation in Addis Abeba 1971: »It is our hope that the work done at an informal level can soon be taken up officially by the churches, so that the work of the Spirit in bringing us together can now find full ecclesiastical response.«259 Es sollte von da an noch 14 Jahre dauern, bis man wirklich diesen offiziellen Dialog aufnahm, der in den Stellungnahmen von Chambésy 1990 und 1994 mündete.260 Der Dialog mit den byzantinischen Kirchen blieb eine ›Herzensangelegenheit‹ von Mar Gregorios. So war er auch bei dem offiziellen Dialog einer der Mit–Initiatoren. Was war es, das für ihn diesen Dialog so bedeutend machte? Die Spur einer tief empfundenen Gemeinsamkeit zwischen den beiden orthodoxen Familien lässt sich bei ihm sein gesamtes Werk hindurch verfolgen. Es ist also zunächst eine geteilte theologische, aber auch spirituelle Tradition, die er hier erkannte und der er zutraute, den Herausforderungen des 20. Jahrhunderts zu begegnen. In seiner Selbstwahrnehmung als »Sprecher für alle orthodoxen Kirchen«261 im ÖRK erkannte er die Geschlossenheit der byzantinischen und orientalischen Orthodoxie als Notwendigkeit, um so den ›westlichen‹ Kirchen gemeinsam begegnen zu können. In seinem Beitrag in Genf 1970 sagt er diesbezüglich: My own view would be that we should so continue, because despite our basic disagreement on this point of the four councils, we do still have so much in common, and
Konstantinopel II greift auf die Formel zurück, um dem Vorwurf des ›Nestorianismus‹, der in Folge von Chalcedon erhoben wurde, zu begegnen. Konstantinopel II setzt somit das Chalcedonense voraus und interpretiert es. Genau jene Voraussetzung ist jedoch auf Seiten der Orientalen nicht gegeben. Auf Seiten der Byzantiner wiederum führt es dazu, die chalcedonensische Zwei-Naturen-Lehre als sekundär gegenüber der gemeinsamen μίαφύσις-Formel zu verstehen. Diese Tatsache erschwerte die Rezeption der Ergebnisse sowohl von Aarhus als auch von Chambésy auf byzantinisch-orthodoxer Seite. Zur Kritik vgl. Hainthaler, »Hermeneutische Aspekte«, 157–58; Alois Grillmeier, Die Kirche von Konstantinopel im 6. Jahrhundert, 2. Aufl., Jesus der Christus im Glauben der Kirche 2/2 (Freiburg im Breisgau: Herder, 2004), 484; Wendebourg, »Chalkedon«, 221–22. 259 Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, Chalcedon, 16. 260 Auch hier einigte man sich auf die μία-φύσις-Formel Kyrills, in derselben offenen Diktion: »Wir haben unseren gemeinsamen Grund in der Formel unseres gemeinsamen Vaters, des hl. Cyrill von Alexandrien gefunden: mia physis (hypostasis) tou Theou Logou sesarkomene, und in seiner Aussage, dass ›es genügt für das Bekenntnis unseres wahren und untadeligen Glaubens, zu sagen und zu bekennen, dass die heilige Jungfrau Theotokos ist‹«. Zitiert nach: Hainthaler, »Hermeneutische Aspekte«, 156. 261 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 23.
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we have a significant contribution to make together as Eastern Orthodox Churches to the world-wide ecumenical discussion.262
Neben den konkreten Dialogergebnissen ist es wohl die besondere Atmosphäre der Gespräche gewesen, die Paul Verghese nachhaltig prägte. So waren von byzantinischer Seite einige der führenden Köpfe des 20. Jahrhunderts zugegen: etwa George Florovsky (1893–1979), John Meyendorff (1926–1992), John Romanides (1927–2001), später auch Ioannis Zizioulas (* 1931). Die historische Situation der beiden Kirchenfamilien ähnelte einander: Man suchte Einigkeit innerhalb der eigenen Kirchenfamilie und zugleich mit der anderen orthodoxen Tradition. Innerhalb der byzantinischen Familie suchte man Einheit in dem Ruf nach der Rückkehr zu den Vätern gegen eine theologische Orientierung am ›Westen‹.263 Dies ermöglichte den Schulterschluss mit den Orientalen, mit denen man sich zu großen Teilen auf gleiche Kirchenväter berufen konnte. Eine gemeinsame Grundlage war somit auch die negative Haltung gegenüber dem ›Westen‹. So verband Paul Verghese insbesondere mit Vertretern wie John Romanides (1927– 2001) ein anti-westliche Haltung, welche die Fehlentwicklungen innerhalb der abendländischen christlichen Tradition auf die Wirkungsgeschichte des Kirchenvaters Augustin zurückführt.264 Für die intellektuelle Entwicklung Paul 262 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Ecclesiological Issues concerning the Relation of Eastern Orthodox and Oriental Orthodox Churches«, in Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology, hg. von Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis (Geneva: World Council of Churches, 1981), 135. 263 Man spricht deshalb von der ›Neopatristischen Synthese‹ innerhalb byzantinisch-orthodoxer Theologie. Der Begriff geht auf einen Ausspruch Florovskys auf dem Ersten Kongress orthodoxer Theologie im Jahre 1936 zurück. Hierin kritisiert er im Zuge einer historischen Analyse der Entwicklung russisch-orthodoxer Theologie, dass diese einem »theologischen Westlertum« anheimgefallen sei. Georges Florovsky, »Westliche Einflüsse in der russischen Theologie«, in Procès Verbaux du Premier Congrès de Théologie Orthodoxe à Athènes. 29 Novembre–6 Décembre 1936, hg. von Hamilcar Alivisatos (Athen: Pyrsos, 1939), 221. Es gelte jene westlichen Einflüsse zu überwinden, indem man ihnen »die unveränderliche Wahrheit der väterlichen Orthodoxie« gegenüberstelle. Ebd., 231. Zum theologischen Programm bei Florovsky vgl. Christoph Künkel, Totus Christus. Die Theologie Georges V. Florovskys, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 62 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1991), 58–68. Wichtiger Ausgangspunkt in jüngerer Zeit war wiederum die erste pan-orthodoxe Konferenz auf Rhodos 1961, wo der Wille nach Annäherung in Richtung der orientalisch-orthodoxen Kirchen formuliert wurde. Vgl. Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, »Aarhus 1964«, 3. 264 Bei Paul Verghese vgl. besonders die ›fünffache Entstellung durch Augustinus und die augustinische Tradition‹ in: Paulos Mar Gregorios, »On God’s Death. An Orthodox Contribution to the Problem of Knowing God«, in A Human God, MGF Violet Series 1 (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1992), 42–45; Verghese, Freedom and Authority, 44–48; Paulos Mar Gregorios, »Humanization as a World Problem«, in Science, Technology and the Future of Humanity (Delhi [u. a.]: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2007), 18–20. Zum anti-westlichen Diskurs und ›Anti-Augustinismus‹ in byzantinisch-orthodoxer Theologie vgl. George E. Demacopoulos und Aristotle Papanikolaou,
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Vergheses war der inoffizielle Dialog somit von enormer Wichtigkeit: im Sinne seiner anti-westlichen Haltung, die ihn mit Denkern byzantinischer Provenienz verband, der gemeinsamen Orientierung an den Kirchenvätern und im Sinne der Rede von einer orthodoxen Tradition, welche sich sein gesamtes Werk hindurch findet und die zweifellos in einer empfundenen Gemeinsamkeit im Dialog gründete. 4.1.3 Die Kirchenkonferenz von Addis Abeba 1965 Daneben stand auch auf Seiten der orientalisch-orthodoxen Kirchen ein innerer Einigungsprozess. In vielen Publikationen wird Paul Verghese als derjenige angegeben, der die Idee zu einem Treffen aller orientalisch-orthodoxen Kirchen als erster eingebracht habe. Er habe im Jahre 1950, gegen Ende seines Aufenthalts in Äthiopien, Haile Selassie ein Treffen aller orientalisch-orthodoxen Kirchenoberhäupter vorgeschlagen.265 Bei näherem Hinsehen erweist sich dies jedoch als eine – zumindest in dieser exklusiven Diktion – Fehlinformation. Freilich ist es möglich, dass Paul Verghese dem Kaiser diesen Vorschlag unterbreitete, doch gibt es hierfür keinerlei historisch verlässliche Informationen. Zudem war er »Orthodox Naming of the Other. A Postcolonial Approach«, in Orthodox Constructions of the West, hg. von George E. Demacopoulos und Aristotle Papanikolaou (New York: Fordham University Press, 2013), 15–16; George E. Demacopoulos und Aristotle Papanikolaou, »Augustine and the Orthodox. ›The West‹ in the East«, in Orthodox Readings of Augustine, hg. von George E. Demacopoulos und Aristotle Papanikolaou (Crestwood, New York: St. Vladimir’s Seminary Press, 2008), 27–36. Dass im Dialog eine Tendenz bestand, die Einheit der Orthodoxen auf Kosten der Einheit mit den westlichen Kirchen herzustellen, moniert Florovsky in Aarhus: »I should like to be an advocatus diabolus [sic!] because I feel the need. First I am wholeheartedly in favour of a reconciliation between Eastern Churches, but I am not for over-emphasis on the East. Eastern Ecumensim is a contradiction in terms. The West also belongs to the oikoumene. The Christian tradition is universal.« Johannes N. Karmiris, »The Problem of the Unification of the Non-Chalcedonian Churches of the East with the Orthodox on the Basis of Cyril’s Formula: ›Mia Physis tou Logou Sesarkomene‹«, in Does Chalcedon Divide or Unite? Towards Convergence in Orthodox Christology, hg. von Paulos Mar Gregorios, William Henry Lazareth, und Nikos A. Nissiotis (Geneva: World Council of Churches, 1981), 48 (Discussion: Concerning the Paper of Professor Karmiris). Darin liegt freilich eine gewisse Ironie, kann Florovsky (wie oben ausgeführt) als derjenige gelten, der eine Wende orthodoxer Theologie gegen den Westen unter anderem evozierte und auf dessen Werk sich die genannte ›junge Generation‹ griechischer Theologen bezog. Vgl. Demacopoulos und Papanikolaou, »Augustine«, 27. 265 So findet sich dies bei: John Madey, Ecumenism, Ecumenical Movement and Eastern Churches, Oriental Institute of Religious Studies 105 (Kottayam: Paurastya Vidya¯pı¯tham, ˙ in 1987), 33; John Madey, »Einheitsbemühungen der Orientalischen Orthodoxen Kirchen«, Handbuch der Ökumenik II, hg. von Hans J. Urban und Harald Wagner (Paderborn: Bonifatius, 1986), 206–8; Winkler, Koptische Kirche, 206; Dietmar W. Winkler, »Die altorientalischen Kirchen im ökumenischen Dialog der Gegenwart«, in Die altorientalischen Kirchen. Glaube und Geschichte, hg. von Christian Lange und Karl Pinggéra, 2. Aufl. (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011), 93.
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Biographie im Kontext
mitnichten der erste, der diese Idee aufbrachte. Diese kam bereits im Kontext der ersten Vollversammlung des ÖRK 1948 in Amsterdam auf, infolgedessen ein anderer Vertreter der Kirche Paul Vergheses – ein Priester namens K.M. Simon (1917–1996) – sich daran machte, eine Weltkonferenz aller orientalisch-orthodoxen Kirchen zu organisieren.266 Doch sollte es aufgrund von Spannungen zwischen den und innerhalb der einzelnen Kirchen noch einige Zeit dauern, bis es im Januar 1965 zu einer solchen Konferenz kam.267 Das Ergebnis der Konferenz von Addis Abeba war die ausdrückliche Formulierung einer vollen kirchlichen und sakramentalen Gemeinschaft der orientalisch-orthodoxen Kirchen bei gleichzeitiger jurisdiktioneller Unabhängigkeit.268 Das Treffen war von großer historischer Bedeutung, hatte es de facto seit dem fünften Jahrhundert keines solcher Art gegeben. Hauptverantwortlich war neben Haile Selassie sowie dem Patriarchen der äthiopischen Kirche Abuna Baseleyos269 vor allem V.C. Samuel (1912–1998), der zu jener Zeit am Holy Trinity Theological College in Addis Abeba als Dozent tätig war.270 Das Ergebnis der Konferenz wurde schriftlich festgehalten. Über die weitreichenden Übereinstimmungen nicht nur in Sachen des gemeinsamen Glaubens, 266 Vgl. K.M. Simon, »The Need for Unity and Co-Ordination Among the Monophysite Churches«, The Ecumenical Review III, Nr. 1 (1950): 174–77; Vasil T. Istavridis, »Die orthodoxen Kirchen in der ökumenischen Bewegung. 1849–1968«, in Geschichte der ökumenischen Bewegung. 1948–1968, hg. von Harold E. Fey (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1974), 379–80. Zu K.M. Simon vgl. Thankamma Simon, Hrsg., Rev. Dr. K.M. Simon CorEpiscopa. His Life and Times. A Biography, 2. Aufl. (Kottayam: DC Press, 2006). 267 Grund für die Verzögerung waren Spannungen zwischen den Kirchen: zwischen koptischer und äthiopischer Kirche aufgrund der Selbstständigkeitsbestrebungen letzterer; zwischen syrischer und indischer aufgrund der Selbstständigkeitsbestrebungen eines Teils der letzteren; zwischen dem armenischen Katholikat von Etschmiadsin und dem von Kilikien aufgrund der Frage des Primats. Zu den geschichtlichen Gründen des Konflikts innerhalb der armenischen Kirche vgl. Mesrob K. Krikorian, Die Armenische Kirche. Materialien zur armenischen Geschichte, Theologie und Kultur, 2. Aufl. (Frankfurt am Main [u. a.]: Lang, 2007), 99–102; Hage, Das orientalische Christentum, 226–28. So befand man sich 1965 in der glücklichen Lage, dass man bis auf den Konflikt in der armenischen Kirche sich für den Moment eines friedlichen Zustands erfreuen konnte: Der koptische Papst hatte 1954 die Autokephalie der äthiopischen Kirche anerkannt, der syrische Patriarch Mar Ignatios Ya’qub III. hatte den neuen Katholikos Mar Baselios Ougen 1964 selbst geweiht und damit zumindest eine Autonomie der Kirche anerkannt. 268 Die Neuerung lag somit nicht in der kirchlichen und sakramentalen Gemeinschaft, die in der gemeinsamen dogmatischen Grundlage seit jeher gegeben war, sondern in der offiziellen Proklamation derselben. Vgl. Winkler, Koptische Kirche, 207. 269 Dabei wurde dieser zumeist aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands durch Abuna Theophilos, Erzbischof von Harrar, vertreten. Vgl. Ernst Hammerschmidt, »Die Kirchenkonferenz von ’Addis ’Abbäba«, Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 9 (1966): 15. 270 V.C. Samuel war an dem erst 1961 gegründeten College ab 1963 tätig. Auch dies belegt die intensiven Beziehungen zwischen der Malankara-Orthodoxen Kirche und der ÄthiopischOrthodoxen Kirche bzw. Kaiser Haile Selassie. Vgl. George, V.C. Samuel, 5–6.
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sondern auch über die Frage eines gemeinsamen Handelns angesichts der Herausforderungen der Moderne, zeigte sich Paul Verghese sehr erfreut.271 Viele Themen, die sich hier finden, sind überaus präsent in seinem Denken: die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Säkularismus sowie des technischen Fortschritts, die Zuwendung zu der Jugend und den Laien in den Kirchen, die Forderung nach einer angemessenen Reform des Gottesdienstes. Auch die Anliegen der Ökumene nahm man positiv auf, wobei der Beziehung zu den byzantinisch-orthodoxen Kirchen eine klare Priorität gegeben wurde.272 Man stand hier noch stark unter dem Eindruck der im Jahr zuvor begonnen inoffiziellen Gespräche zwischen den beiden Kirchenfamilien. Was die konkreten Folgen der Entscheidungen von Addis Abeba betraf, war Paul Verghese jedoch enttäuscht. Einige Jahre später musste er resigniert feststellen: »Leider entsprachen auf der Tagung gezeigte Begeisterung und Weisheit jedoch nicht der Fähigkeit, die beschlossenen Maßnahmen in die Praxis umzusetzen.«273 Woher rührte diese Enttäuschung? Paul Verghese wurde in Folge der Konferenz damit beauftragt, eine Studie zu den Differenzen in der Kalenderfrage und der Frage des Ostertermins unter den Orientalen zu verfassen, die darauf abzielen sollte, hier eine baldige Klärung anzubahnen, um »die Einheit nach außen [zu] bezeugen«274. Dass seine Vorschläge nie in die Tat umgesetzt wurden,
271 Vgl. Paul Verghese, »Beziehungen zu anderen Kirchen und ausländischen Missionen in Äthiopien«, in Koptisches Christentum. Die orthodoxen Kirchen Ägyptens und Äthiopiens, hg. von Paul Verghese, Die Kirchen der Welt 12 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1973), 206; Verghese, »Konferenz der Oberhäupter«, 232–37. Ähnlich urteilte man auch seitens der Genfer Ökumene. Vgl. »Oriental Orthodox Patriarchs meet in Addis Abeba«, Ecumenical Review XVII, Nr. 2 (1965): 194–95: »Instead of the inward-looking parochialism that many anticipated, the very first words of the Patriarchs were about the modern world and the problems posed by it. A great concern for the full participation of the laity, particularly of youth, in the life and ministry of the Church in the world animates the document from beginning to end.« Vgl. auch Hammerschmidt, »Kirchenkonferenz«, 18: »Wer [die Ergebnisse der Konferenz] durchliest, wird bald gewahr, daß die Vorstellung von den orientalischen Kirchen als den Leitfossilien christlichen Altertums nicht mehr zutrifft.« 272 Vgl. Mar Gregorios, »Ecumenical Priorities«, 219: »It was clear in 1965, that the first priority for the Oriental Orthodox was to restore communion with the Byzantine Orthodox Churches.«; »Decisions of the Conference of the Heads of United Orthodox Churches Addis Ababa, Ethiopia, January 15–21, 1965«, The Ecumenical Review XVII, Nr. 2 (1965): 187: »Though in our concern for the reunion of Christendom we have in our minds the reunion of all churches, from the point of view of closer affinity in faith and spiritual kinship with us we need to develop different approaches in our relationship with them. This consideration leads us to take up the question of our relation with the Eastern Orthodox Churches as a first step.« Die deutsche Übersetzung des Abschlussdokuments (Verghese, »Konferenz der Oberhäupter«, 243.) ist an dieser Stelle missverständlich. 273 Verghese, »Beziehungen zu anderen Kirchen«, 206. 274 Verghese, »Konferenz der Oberhäupter«, 237. Paul Vergheses Studie zum Ostertermin: Paul Verghese, Date of Easter and Calendar Revision in the Orthodox Churches. A Preliminary
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Biographie im Kontext
mag ein Grund seiner Frustration gewesen sein. Was als Ergebnis der Konferenz blieb, war somit lediglich ein größeres Bewusstsein für die Gemeinsamkeiten sowie ein gemeinsames Auftreten als Gruppe innerhalb von ökumenischen Gesprächen.275 Konkret strebte man weitere Zusammenkünfte an, die jedoch nur unter Schwierigkeiten zustande kamen: So fand Anfang des Jahres 1967 eine Zusammenkunft in Beirut statt, bei der man sich dem Thema der christlichen Erziehung widmete. Paul Verghese wohnte dieser bei und gab im Anschluss die verfassten Dokumente heraus.276 Er hatte offenbar große Hoffnungen hinsichtlich der Einheit der orientalisch-orthodoxen Kirchen, wenn man sich auf ein gemeinsames Curriculum der theologischen Ausbildung einigte.277 Doch fehlte bei dem Treffen ein Repräsentant des armenischen Katholikats von Etschmiadsin, weswegen man sich scheute, diesem Treffen den Rang des ersten zuzuerkennen. Aufgrund der Konflikte in der armenischen und indischen Kirche, die nun wieder aufkamen, wurde die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen immer schwieriger.278 Paul Vergheses Rolle im Rahmen der Konferenz ist schwer zu einzuordnen. Sein Name erscheint in keinem der Abschlussdokumente, wenngleich manch eine Formulierung seine Handschrift zu zeigen scheint. Ein Grund für diesen Umstand ist, dass er nicht in der Rolle eines Vertreters seiner Kirche zugegen war, sondern als einer des ÖRK. Aus diesem Grund war er wahrscheinlich auch nicht Mitglied des ständigen Ausschusses, der in der Verantwortung stand, nach der Konferenz die nun folgenden Schritte zu planen und durchzuführen. Dennoch lässt sich bei Paul Verghese auf eindrückliche Weise erkennen, wie ernst er die Ergebnisse der Konferenz nahm, deren genannten Kernthemen er sich immer wieder zuwandte und sie zu den Themen seiner verstärkt ab Ende der 1960erJahren einsetzenden Schreibtätigkeit machte.
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Study (Addis Abeba: The Standing Committee of the Conference of Oriental Orthodox Churches, 1968). Vgl. Winkler, Koptische Kirche, 207. Dass Winkler diese intensivierte Zusammenarbeit der miaphysitischen Kirchen untereinander als wesentlichen Fortschritt sieht, ist verständlich, vergleicht man die Situation mit den Jahrhunderten der ›Stille‹ vor der Kirchenkonferenz. Die Perspektive Paul Vergheses ist dabei freilich eine andere, versprach er sich doch insgesamt von einer größtmöglichen Zusammenarbeit auf orthodoxer Seite ein einheitliches Auftreten sowie eine klarere Position im Kontext der ökumenischen Bewegung. Vgl. Paul Verghese, Hrsg., Report of a Consultation of the Oriental Orthodox Churches on a Curriculum for Christian Nurture. 29th to 5th February 1967 (Kottayam: CMS Press, 1968). Er blieb sodann Vorsitzender des Oriental Orthodox Churches’ Curriculum Committee. Vgl. George und Gabriel, »Life«. Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 121–22: »He believed that through a common curriculum of education the unity of these ancient Oriental churches of one faith and one eucharistic communion could be made alive.« Vgl. Winkler, Koptische Kirche, 207.
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4.2
Die Entwicklung Paul Vergheses zwischen 1962 und 1967
Die Entwicklung, die Paul Verghese insbesondere in den USA und Oxford durchlebt hatte, zeigte bereits eine Richtung an: Hier war ein talentierter Theologe aus Indien, mit der Erkenntnis, dass sowohl seine kulturelle wie auch seine religiöse Herkunft in dem ›Westen‹, in dem er lebte, oftmals unverstanden blieb und geringgeschätzt wurde. Hier war zudem jemand, der in dieser Situation – als Inder, Orthodoxer, ausgebildet im ›Westen‹279 – nach einer intellektuellen Perspektive suchte und auch einer Verwendung für seine Fähigkeiten. Nun wurde ihm gleichsam eine ›Bühne‹ bereitet und möglicherweise ohne, dass er es so recht wollte, musste er die Auseinandersetzung suchen. Visser ’t Hooft, der ihn dazu ermutigte, mochte das gesehen haben und wollte diese Auseinandersetzung, um das Gremium zu einem werden zu lassen, welches das Attribut ›ökumenisch‹ zu Recht trägt.280 Intellektuell entwickelte Paul Verghese in den Jahren seiner Tätigkeit im ÖRK ein scharfes Profil, das zu einem bleibenden Charakterzug werden sollte. Der methodistische Theologe und Freund Paul Vergheses Wesley Ariarajah (* 1941), der lange Zeit mit ihm im ÖRK zusammenarbeitete, beschreibt dessen Rolle im ÖRK wie folgt: Met. Gregorios was involved with the WCC and the broader ecumenical movement at a time when, despite the participation and outstanding contribution by major theologians like him from the third world, the Council remained predominantly Western and Protestant in its theology and ethos. He was deeply convinced that on many occasions the theological voice of the Asian, African and Latin American theologians and the Orthodox tradition was ›tolerated but never taken seriously‹. He was convinced that the western [sic!] cultural domination of the Ecumenical Movement was the biggest obstacle to the movement becoming truly ecumenical. ›This is all icing‹ he once told me when one of the speakers spoke of the need to listen to the voices from the third world, ›Underneath is the solid Western cake.‹ During a coffee break in a Faith and Order meeting in the seventies, where I was present as a youth advisor, he came up to me and said ›You are new to this game, you will find out that you are up against an impenetrable fortress of Western thought‹.281
Er wurde skeptisch insbesondere gegenüber dem ÖRK, nicht weil er dessen Intention ablehnte, sondern weil er diesen als westliche und zudem protestantische Institution wahrnahm.282 Jenen ›Westen‹ hatte er in Verdacht, nachdem 279 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 141. 280 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22: »[Visser ’t Hooft] said that was the very reason they wanted me – to reverse the trend and balance the one-sidedness.« 281 Wesley Ariarajah, »A Tribute to the Late Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, AIACHE News Letter XXXI, Nr. 1 (Februar 1997). 282 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 22. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »WCC Fifth Assembly Concludes. The Sorting Out of Nairobi Recommendations at Central Committee, Geneva«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting
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Biographie im Kontext
sich dieser öffentlich vom Kolonialismus und Proselytismus verabschiedet hatte, seine Hegemonie gerade dadurch behaupten zu wollen, dass er sich nun dem ›Anderen‹ in Freundlichkeit zuwandte. Dem Paradigmenwechsel innerhalb des ÖRK von einem Eurozentrismus hin zu einem Selbstverständnis als Organisation der Weltkirche blieb er demnach skeptisch gegenüber. Dementsprechend verstand er seine dreifache Rolle innerhalb des Rats: als Orthodoxer, als Inder und als Vertreter der miaphysitischen Malankara-Orthodoxen Kirche. All jene Rollen brachten ihn nach seiner Wahrnehmung in Solidarität und Gemeinschaft mit allen Marginalisierten sowie immer wieder in Opposition zu den Kirchen des Westens. Das, was Ariarajah in seinem Nachruf positiv ausdrückt als mutiges Eintreten, ohne Rücksicht auf ›Unpopularität oder Feindschaft‹, beschreibt Paul Abrecht, einer seiner protestantischen Kollegen in Genf, als ambivalentes Phänomen: A forceful and often acerbic speaker, he sometimes stimulated and annoyed his audiences in about equal proportions. He was not neutral between East and West – he was anti-West, for its racism and for its conservative political-economic influence on world social and economic development.283
Mit Blick auf die Texte, in denen sich Paul Verghese mit den Entwicklungen im ÖRK auseinandersetzt, bleibt ein eigentümliches Nebeneinander stehen: Neben seiner harschen Kritik war er doch einer der wenigen orthodoxen Protagonisten im Rat, der sich unvergleichlich deutlich den hier verhandelten Themen widmete und somit auch die Hinwendung des Rates zu sozialethischen Fragestellungen guthieß. Doch suchte er darin stets nach einer eigenen Position und behielt eine innere Fremdheit gegenüber dem Rat. Es mag jene empfundene Fremdheit gewesen sein, die Paul Verghese im Jahre 1967 dazu brachte, seine Stellung in Genf zu kündigen und zurück nach Indien zu ziehen, um hier als Rektor am Orthodox Theological Seminary (OTS) in Kottayam zu fungieren. Hier konnte er sich nun der Ausbildung der Priester und Theologen seiner Kirche widmen. Dabei gab er keinesfalls sein ökumenisches Engagement auf. In manchen Bereichen sollte er dies erst jetzt entfalten. Über seine Entscheidung, Genf zu verlassen und nach Indien zu gehen, schreibt er später in einem Brief an Visser ’t Hooft:
Christian Knowledge [u. a.], 2006), 121; Paulos Mar Gregorios, »Will Vancouver be a Turning Point? Can we talk freely? Some Questions for the Vancouver Assembly of the WCC«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 125, 128–29; Paulos Mar Gregorios, »WCC and the Emerging Ecumenical Situation«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 145–46. 283 Abrecht, »In Memoriam«, 112.
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Do I miss Geneva? I can hardly say I do. You have all been so good to me, but you know I was never too happy there. This is a different world, much less stimulating, much more restricting, and certainly quite uncomfortable in many ways. Yet I have the feeling that I am finally coming down to something concrete which can possibly give some stability to my general personality and make it more responsible.284
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5.1
Rektor des Orthodox Theological Seminary in Kottayam
Im Jahre 1967 kehrte Paul Verghese nach Indien zurück. Er wurde Rektor (Principal) des OTS in Kottayam und behielt diese Position bis zum Ende seines Lebens.285 Der Eindruck, dass Paul Verghese sich auch hier wenig Ruhe gönnte und die innere Unzufriedenheit, die er in Genf verspürte, hier nicht verschwand, lässt sich anhand einer Notiz zu seinem 48. Geburtstag im Jahr 1970 gewinnen: Here I have been at the Seminary for three years, and I am ashamed to think of how little I have really achieved. The Seminary is still not on a secure or stable foundation. Our financial situation is always precarious. We still have to build up a competent faculty. We have not constructed our adequate curriculam [sic!]. We ought to produce dozens of books here – all these and many other works remain unfulfilled, quite perribly [sic!] due to my own laziness.286
Das Innenleben Paul Vergheses scheint von einer Unruhe geprägt gewesen zu sein, die ihren Grund in einer steten Unzufriedenheit mit sich selbst hat. So wirft er sich zu wenig Liebe für seinen Nächsten, Faulheit und geringe spirituelle Disziplin vor.287 Nimmt er sich selbst als »selbstsüchtig und egoistisch«288 wahr, findet dies scheinbar seinen Ausdruck darin, dass er die eigene Unzulänglichkeit unmittelbar auf die Situation des Seminars überträgt, für das er Verantwortung trägt. Das führte zu einer enormen Anstrengung für die Arbeit am OTS. Ein weiterer Grund für seine immense Belastung durch Arbeit lag darin, dass er sich damit konfrontiert sah, nie an einer der Institutionen seiner Kirche studiert zu
284 WCC Archives 994.1.10/5 (Visser ’t Hooft, General Correspondence), 01. 10. 1967. Zitiert nach: True, »Prophet«, 87. In einem anderen Brief schreibt er, dass ziemlich zwecklos für ihn sei, weiterzumachen. Vgl. WCC Archives 984.21/4 (Visser ’t Hooft, Special Correspondence), 09. 09. 1970: »[It is] quite pointless for me to continue.« Zitiert nach: ebd., 86. 285 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 23. 286 Paul Verghese, »He has brought me to this Day. 48 Years of Age« (Manuskript [Handschrift], Kottayam, 9. August 1970), Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 287 Vgl. ebd. 288 Ebd.: »I have become selfish and ego-centred to the point of lovedom for others.«
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Biographie im Kontext
haben. Er versuchte dies durch privates Studium auszugleichen. In einem Brief an Visser ’t Hooft schreibt er: As for work here, I am beginning to enjoy it, though the lack of qualification in ecclesiastical matters of my church […] gives me a sense of inferiority. My students know that I do not know as much as they do in such matters, and I do not even try very hard to hide the fact. […] I will need to do a lot of homework to be able to teach with some confidence.289
Neben ihm war bereits seit 1952 M.V. George, der später als Geevarghese Mar Osthathios (1918–2012) Bekanntheit erlangen sollte, Dozent am Seminar.290 1980 kam – möglicherweise auf Betreiben von Mar Gregorios – V.C. Samuel hinzu.291 Spätestens jetzt galt das Seminar als Ort der intellektuellen Formierung der indischen Orthodoxie.292 Unter dem Rektorat von Paul Verghese wurde das Priesterseminar in Kottayam großzügig ausgebaut.293 Bis dahin hatte dies ausschließlich aus dem Gebäudekomplex bestanden, der 1813 unter der Ägide der britischen Church Missionary Society errichtet wurde.294 Paul Verghese gründete 1974 das Sophia Centre auf dem Campus des Seminars als Ort für Konferenzen und spirituelle Einkehr.295 Hier wurden auch Bücher und Zeitschriften verlegt, unter anderem die Zeitschrift Star of the East, die er selbst begründete und in der er viele seiner Artikel veröffentlichte.296 Im Sinne dessen, was auf der Kirchenkonferenz von Addis Abeba 1965 beschlossen wurde, bemühte er sich zudem um die Stärkung der Laien innerhalb seiner Kirche. Hierfür steht das Buch The Faith of Our Fathers, das er 1969 als Einführung in das Denken der Kirchenväter für orthodoxe Studierende veröffentlichte.297 Mit einem ähnlichen Interesse publizierte er im Jahre 1975 – gleichsam als eine seiner ersten Amtshandlungen als Metropolit 289 WCC Archives 994.1.10/5 (Visser ’t Hooft, General Correspondence), 01. 10. 1967. Zitiert nach: True, »Prophet«, 87. 290 Vgl. Deane W. Ferm, Profiles in Liberation. 36 Portraits of Third World Theologians, 2. Aufl. (Oregon: Wipf and Stock Publishers, 2004), 92. 291 Vgl. George, V.C. Samuel, 6. 292 Vgl. Daughrity und Athyal, India, 220. 293 Vgl. Paul Verghese, »Letter 18«, 1. Februar 1969, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 294 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 346. 295 Hier findet sich folgende Inschrift: »In gratitude to God and to the Christian people of West Germany who made this building possible. December 1974.« Neben der Funktion als Tagungsort für Priester und Laien, diente das Sophia Centre auch als Ort des lutherischorthodoxen Dialogs im Indien sowie als Versammlungsort der Bischofssynode der IndischOrthodoxen Kirche. Vgl. Puliyeril, Paulos Mar Gregorios, 32. 296 Vgl. David Daniel, The Orthodox Church of India. History, 2. Aufl. (New Delhi: Printaid, 1986), 502. 297 Paulos Mar Gregorios, The Faith of Our Fathers, 3. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2016).
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von Delhi – das Prayer Book for Young People, das eine Einleitung in das Gebet sowie eine Sammlung und Übersetzung von Gebeten der malankara-orthodoxen Tradition darstellt.298 Dabei hatte er insbesondere junge Menschen seiner Kirche vor Augen, die außerhalb Keralas in der Diaspora lebten und für die er in seiner Funktion als Metropolit zuständig war.299 Zudem begründete er 1984 ein theologisches Bildungsprogramm für Laien in seiner Kirche mit dem Namen Divyabodhanam (Malayalam: ›Göttliche Inspiration‹), das sich diesem Anliegen in Buchveröffentlichungen und Seminarprogrammen widmete.300
5.2
Vermehrte Schreibtätigkeit und die Entdeckung Indiens
Die Zeit bis 1975 prägte insbesondere eine vermehrte Schreibtätigkeit. So veröffentlichte er kurz nach der Rückkehr sein erstes Buch The Joy of Freedom, womit er ein Thema aufnahm, das eine zentrale Stellung in seinem Denken einnehmen sollte: das der Spiritualität beziehungsweise des Gottesdienstes. Es folgten weitere Bücher, in denen er Predigten, Bibelmeditationen sowie Vorträge aus seiner Zeit in Genf veröffentlichte.301 Entscheidend für das Denken Paul Vergheses sollte sodann die Wiederaufnahme der Arbeit an seiner Dissertation sein, für die er im Jahre 1972 für ein halbes Jahr nach Münster zog, um an der dortigen Forschungsstelle Gregor von Nyssa zu arbeiten.302 Ein erstes Ergebnis war sein Buch Freedom of Man, das er in dem selben Jahr veröffentlichte und das deutliche Spuren seiner Beschäftigung mit dem Kirchenvater zeigt. In der zweiten Auflage des Werks, die 1974 unter dem Titel Freedom and Authority erschien, zeigt sich jedoch eine weitere wichtige Entwicklung: Es wird präsentiert als eine Überarbeitung der ersten Auflage für
298 Paulos Mar Gregorios, Prayer Book for Young People, Neuauflage (Kottayam: Malankara Orthodox Church Publications [u. a.], 2011). Deutsche Ausgabe: Paulos Mar Gregorios, Gebetbuch für junge Menschen. Gebete aus der indischen syrisch-orthodoxen Tradition, hg. von Martin Tamcke, übers. von Moritz Emmelmann, Studien zur orientalischen Kirchengeschichte 42 (Berlin: LIT, 2012). 299 Vgl. Mar Gregorios, Gebetbuch, 9: »Sehr viele unserer Jugendlichen, die außerhalb von Kerala leben, sprechen kein Malayalam und brauchen ein Gebetbuch in englischer Sprache.« 300 Vgl. John D. Kunnathu, Gregorian Vision. Opening a Window to the Thought of Paulos Mar Gregorios (Kottayam: Sophia Books, 2011), 8; »Divyabodhanam. Theological Education Programme for the Laity«, zugegriffen 25. März 2018, http://divyabodhanam.org/260/369/ about-us/history. 301 Diese sind: Paulos Mar Gregorios, The Gospel of the Kingdom, Neuauflage (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2015); Paul Verghese, Be Still and Know (Madras: The Christian Literature Society [u. a.], 1974); Paulos Mar Gregorios, The Meaning and Nature of Diakonia, Neuauflage (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2015). 302 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 24.
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Biographie im Kontext
eine indische Leserschaft.303 Er erweiterte das Buch um drei Kapitel, die insbesondere das Denken Gregor von Nyssas mit dem indischer religiöser Denker ins Gespräch bringen.304 Nachdem er nunmehr 17 Jahre nicht mehr in seinem Heimatland gelebt hatte, sah er die Notwendigkeit, sich dem »spirituell-kulturellen Erbe Indiens«305, das er als Teil seiner selbst erkannte, zuzuwenden. Er suchte zunehmend den direkten Dialog mit modernen Denkern indischer Philosophie im Kerala Philosophical Congress, dessen Vize-Präsident er ab 1968 war, zudem ab 1974 im Indian Council of Philosophical Research und im Indian Philosophical Congress.306 Später sollte er sogar zum ersten christlichen Präsidenten des Indian Philosophical Congress gewählt werden.307 Er brachte immer wieder indische Philosophie in den Dialog mit abendländischer Philosophie, davon zeugt etwa der schmale Band The Quest for Certainty. Philosophical Trends in the West, den er in Vorbereitung für die Tagung des Indian Philosophical Congress 1975 schrieb.308 In seinen letzten beiden großen Werken Enlightenment East and West (1989) und A Light Too Bright (1992) nimmt er dieses Anliegen des Dialogs erneut auf und findet hier – im Gegensatz zu seinen frühen, im engeren Sinne theologischen Schriften – zu einem Modell der Symbiose von ›Ost‹ und ›West‹.309 Neben dem Interesse, sich aus politisch-kulturellen Motiven heraus mit der Frage einer postkolonialen indischen Identität zu befassen, steht ein kirchlicher Beweggrund. Er befand sich im unmittelbaren Dienst seiner Kirche, als Lehrer der seinerzeit einzigen Ausbildungsstätte für Theologen und Priester der Malankara-Orthodoxen Kirche. Diese unterlag nach wie vor intensiven Spannungen zwischen der Metran Katshi und Bawa Katshi, und somit beherrschte eine Frage den innerkirchlichen Diskurs: »Is this an Indian Church?«310. Sollte dies der Fall 303 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, vii–viii. 304 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 185; George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 120. Siehe: IV.3.4.2. 305 Verghese, Freedom and Authority, 141. 306 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 25. 307 Dies geschah im Jahre 1990. Vgl. George und Gabriel, »Life«; Mar Gregorios, Love’s Freedom, 25–26. Der Kongress stellt eine der zentralen Institutionen dar, die sich der Erforschung und Pflege indischer Philosophie widmet. Er wurde von Rabindranath Tagore gegründet, der als ›Nationaldichter Indiens‹ gilt und dem Mar Gregorios große Verehrung entgegenbringt. Vgl. ebd., 75–76; Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 30–31. 308 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 26. Thematisch ähnlich sind die beiden Vorträge, die er 1978 an der Sri Venkatsewara University in Tirupati hielt: Paulos Mar Gregorios, Truth Without Tradition? Special Lectures (Tirupati: Sri Venkateswara University, 1978). Weitere Aufsätze zu dem Themenkomplex sind durch K.M. George gesammelt und neu herausgegeben worden: Paulos Mar Gregorios, Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013). 309 Siehe: IV.2.4. 310 So der Titel eines Buches von V.C. Samuel: Vilakuvel C. Samuel, Ithe Oru Indian Sabhayo? Is this an Indian Church? (Thiruvalla: Christian Literature Society, 1974).
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sein, welche theologischen Konsequenzen ergeben sich daraus? Paul Verghese machte – angefangen mit Freedom and Authority – deutliche Anstrengungen, sich dieser Frage des Verhältnisses von orthodoxer Tradition und indischem Kontext zu nähern. Dabei sah er seine Kirche als eine, die nicht nur positiv eingebettet war in den Kontext eines nachkolonialen Indiens, sondern negierte im Zuge dessen auch jeglichen Anspruch einer fremden Macht, identitätsstiftende sowie jurisdiktionelle Autorität über die orthodoxe Kirche zu haben.311 Dies führte gleichsam zwangsläufig dazu, dass Paul Verghese einer der Vordenker der Bawa Katshi wurde. Ihm wird zugeschrieben, als erster das Attribut ›autokephal‹ in Bezug auf seine Kirche gebraucht zu haben.312
5.3
Innerkirchliche Entwicklungen und Ernennung zum Metropoliten von Delhi
Im Jahre 1975 führten die innerkirchlichen Streitigkeiten zum endgültigen Bruch innerhalb der orthodoxen Kirche Indiens. Dies stellte die, wenngleich schmerzliche, Lösung eines Konflikts dar, der seit etwa einhundert Jahren in der Kirche schwelte und der sich im Zentrum um die Frage drehte, wessen Autorität die bestimmende unter den Orthodoxen Indiens sei.313 Nachdem die Partei, die diese bei dem Katholikos des Ostens – zu jener Zeit Baselios Ougen I. (1884– 1975) – sah, dem syrisch-orthodoxen Patriarchen – zu jener Zeit Ignatios Ya’qub III. (1913–1980) – dieselbe absprach, erklärte letzterer im Juni des Jahres 1975 den Katholikos samt seiner Anhänger für exkommuniziert.314 Um dies zu untermauern, weihte er am 7. September des Jahres Paulos Mar Philoxenos (nunmehr Baselios Mar Paulos II.) zum Amtsnachfolger für den bereits im Sterben liegenden Mar Ougen.315 Am 27. Oktober wiederum wählte die Synode in Indien, die für sich als leitendes Gremium einer autokephalen Kirche in Anspruch nahm, allein einen Amtsnachfolger des Katholikos bestimmen zu dürfen, Baselios Mar Thoma Mathews I. (1915–2006) in das Amt des Katholikos des Ostens.316 Er war der erste, der den Beinamen ›Mar Thoma‹ trug, den apostolischen Ursprung seines Amtes als Katholikos einer autokephalen Kirche beto311 Vgl. etwa Paulos Mar Gregorios, »Twelve Facts about the Indian Church and Papal Authority«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 229. 312 Vgl. True, »Prophet«, 92. 313 Siehe: II.3.3; IV.3.2. 314 Zum genaueren Vorgang der Ereignisse vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 349–53. Aus indisch-orthodoxer Sicht vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 31–67; Daniel, Orthodox Church, 383–412. 315 Vgl. Madey, »Schism«, 96. 316 Vgl. ebd.
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Biographie im Kontext
nend.317 Jene Kirche, die aus der Bawa Katshi hervorging, nannte sich von nun an ›Malankara Orthodox-Syrische Kirche‹ oder ›Indisch-Orthodoxe Kirche‹, letzteres in der Betonung ihrer Unabhängigkeit von jeglicher Autorität außerhalb Indiens. Die Kirche, die aus der Metran Katshi hervorging, war die ›Malankara Syrisch-Orthodoxe Kirche‹, die von nun an durch einen ›Katholikos von Indien‹ geleitet wurde, der wiederum direkt dem syrisch-orthodoxen Patriarchen unterstand.318 Bereits zuvor – am 16. Februar – wurde Paul Verghese zum Metropoliten von Delhi geweiht.319 Stand der Zwist innerhalb der Kirche in einem Zusammenhang zur Weihe Paul Vergheses zum Bischof ? Das darf in der Tat angenommen werden, wenn man beachtet, dass er sich bereits zuvor als Befürworter der Unabhängigkeit und Autokephalie seiner Kirche hervorgetan hatte. So berichtet er, dass er es gewesen sei, der im Dezember 1971 über die Pläne des syrisch-orthodoxen Patriarchen Ignatios Ya’qub III. erfahren habe, einen syrischen Mönch zum Metropoliten und apostolischen Gesandten für Indien zu weihen, was der Patriarch im Januar 1972 dann auch tat.320 Der Patriarch sprach damit dem Katholikos ab, als Oberhaupt einer autokephalen Kirche eigens Bischöfe weihen zu können und kündigte damit zugleich symbolträchtig an, sich nunmehr – nach einer Zeit scheinbaren Friedens innerhalb der indischen Kirche – erneut aktiv in deren Belange einzumischen und die Kirche für sich zu beanspruchen. Erneut eine zentrale Rolle spielte Paul Verghese, als der Patriarch im Jahre 1973 – ohne Rücksprache mit dem Katholikos – einen Bischof weihte, dieses Mal einen indischen Mönch. Der Katholikos sandte Paul Verghese nach Damaskus, um zu protestieren.321 Wenn dies auch ohne Erfolg bleiben sollte, so wird klar, dass Paul Verghese immer mehr die Rolle eines auf internationaler Ebene agierenden Botschafters des Katholikos einnahm: so auch in der letzten Phase des Streites zwischen dem Katholikos und dem Patriarchen, wo letzterer den Vorwurf äußerte, im theologischen Seminar in Kottayam würden häretische Ansichten gelehrt. Paul Verghese als Rektor des Seminars oblag es gemeinsam mit zwei anderen Beauftragten der Synode, jene Vorwürfe zu entkräften.322 Kurze Zeit später folgte der endgültige Bruch. Zusammen mit Paul Verghese wurde auch M.V. George, sodann bekannt unter dem Namen Geevarghese Mar Osthathios, zum Metropoliten von Niranam
317 318 319 320 321 322
Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 354. Vgl. ebd., 352. Vgl. Daniel, Orthodox Church, 373. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 62; Madey, »Schism«, 103–4. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 64. Vgl. ebd., 66.
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konsekriert. Hinzu kamen drei weitere Metropoliten.323 Paul Verghese war – ebenso wie M.V. George – schon seit einiger Zeit als Bischof gehandelt worden. Im Jahre 1965 wurden beide von der Synode als Bischöfe einstimmig designiert.324 Paul Verghese selbst hielt dieses Amt nicht für besonders erstrebenswert. Vielmehr schien er mit dem Gedanken zu spielen, sich einer monastischen Gemeinschaft anzuschließen. In einem Brief an Freunde schreibt er noch im Jahre 1969: What do you think I want to do next? Certainly not be a bishop or a big church administrator. I am not world-weary, but I do want to get away from it all. The world is complex but I think I can manage to live in it without being completely thrown over. But if I want to live in it with perspective I need to withdraw for a while to a disciplined community of solitude, reflection and prayer. I see quite clearly that overcoming self is the greatest victory a man can win.325
Er wurde dennoch Bischof. Einen Tag vor seiner Weihe – am 15. Februar 1975 – mussten Paul Verghese sowie die anderen Kandidaten noch in den Mönchsstand eintreten.326 Dass man lange zögerte, lag nicht nur an der Tatsache, dass keinerlei Metropolie verfügbar war, wo man ihn hätte einsetzen können. Sowohl im Falle M.V. Georges als auch Paul Vergheses hatte man offenbar Zweifel an deren innerer Nähe zu ihrer Kirche. Während ersterer dabei in dem Ruf stand, ›zu protestantisch‹ zu sein,327 war es wohl im Fall Paul Vergheses die jahrelange räumliche Distanz, die einen Zweifel an seiner inneren Nähe zu dem indischen Kontext seiner Kirche nährte. Möglicherweise war es auch sein Ruf, ›Kommunist‹ zu sein, der eine Rolle spielte.328 Dass er sich jenem indischen Kontext mit seiner 323 Dies waren Thomas Mar Makarios für die Diözese Amerika, Punnose Mar Theodosius für die Diözese Kalkutta sowie Joseph Mar Pachomius für die Diözese Kandanad. Vgl. Daniel, Orthodox Church, 373. 324 Vgl. ebd., 370. 325 Verghese, »Letter 18«, 1. Februar 1969. Bereits in seiner Zeit in Genf schrieb Paul Verghese an den damaligen Katholikos des Ostens Baselios Geevarghese II: »I should like to beg that my name be kept out of any list of nominations for election to the episcopate. […] I am quite sure not only that I am unworthy of the episcopate, but also that I have a sense of vocation to work among university students, laymen and theological students.« Paul Verghese, »Letter 19«, o. J., Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). Dieser Brief könnte unter anderem der Grund gewesen sein, warum man ihn nach seiner Rückkehr als Rektor des OTS einsetzte. 326 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Letter 20«, o. J., Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad); Puliyeril, Paulos Mar Gregorios, 33. 327 Vgl. True, »Prophet«, 92 (Anm. 77). Mar Osthathios verband eine enge Freundschaft insbesondere zu Jürgen Moltmann, der ihn stark beeinflusste (wie auch andersherum). Vgl. Jürgen Moltmann, »Vorwort der deutschen Ausgabe«, in Theologie einer klassenlosen Gesellschaft, von Geevarghese Mar Osthathios (Hamburg: Lutherisches Verlags-Haus, 1980), 9– 13. 328 Die Vermutung, dass es an Paul Vergheses kommunistischen Tendenzen gelegen habe, stammt von True. Vgl. True, »Prophet«, 92 (Anm. 77).
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Biographie im Kontext
Rückkehr so intensiv zuwandte, war im Gegenzug wohl entscheidend für seine Wahl zum Bischof.329 Zunehmend wurde Paul Verghese zu einer Schlüsselfigur im Streit auf Seiten der Metran Katshi und damit wurde eine Ernennung seiner Person zum Bischof zu einem klaren Signal, hier nicht nachzugeben.330 Mit der Position als Metropolit von Delhi verband sich für Paulos Mar Gregorios aber noch etwas anderes, denn jene Metropolie umfasste neben dem Norden Indiens auch die Golfstaaten und Europa. Ob er es wollte oder nicht: Die Zeit, in der er sich voll und ganz seinem Heimatland widmen konnte, war somit erneut vorüber. Doch mag es auch ein Grund gewesen sein, Mar Gregorios in diese Position zu bringen, hatte er doch reichlich ›Auslandserfahrung‹ vorzuweisen. Er blieb zugleich Rektor des Orthodoxen Seminars und hatte von nun an zwei Arbeitsplätze in Indien, die kaum hätten weiter voneinander entfernt sein können.331 Reisen sollte von nun an seinen Alltag prägen. Als erster Metropolit von Delhi seiner Kirche stand es ihm zu, einen Amtssitz in der indischen Hauptstadt zu bauen.332 Ebenso wie im Falle des Sophia Centres auf dem Campus des Orthodoxen Seminars, baute er das Delhi Orthodox Centre im byzantinischen Stil. In das Zentrum integrierte er zwei Institutionen, die zugleich das Profil repräsentierten, das er als Metropolit zeigen wollte: Zum einen das Neeti Shanti Kendra als Zentrum für Frieden und Gerechtigkeit sowie das Sarva Dharma Nilaya, das sich dem interreligiösen Dialog widmete.333 Beides war kennzeichnend für den Standort Delhi: Zum einen war es die Nähe zur Politik in der Hauptstadt, die das Handeln Mar Gregorios’ in Folge prägen sollte sowie die Diaspora-Situation in der Hauptstadt, die einen Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen zur wichtigen Aufgabe eines Bischofs machte.
5.4
Zwischen Indien und der Welt – ›The Red Bishop of Delhi‹
Der bereits angesprochene politische Aspekt seiner Position als Metropolit von Delhi mochte ein Grund des Zögerns gewesen sein, Paul Verghese in diese Position zu bringen. Dass er sich in seiner christlichen Existenz politisch gefordert sah, hatte sich schon während seiner Arbeit für den ÖRK gezeigt und dieser 329 Vgl. J. Russell Chandran, »The Red Bishop of India«, People’s Reporter, 1. Dezember 1996: »Even though the influence of theological education in a Protestant theological seminary was evident in some of his early writings, he made a conscious effort to affirm his commitment to be a theologian of the Orthodox Church.« 330 Zur Rolle Paul Vergheses in den Auseinandersetzungen zwischen 1970 und 1974 vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 62–64. 331 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 25. 332 Vgl. ebd. 333 Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 120.
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Kontext sollte auch bleibend einer sein, in dem er sich oft scharf zu politischen Themen äußerte. 5.4.1 Im eigenen Land Doch wie war seine Position in seinem eigenen Land zu bewerten? Keralas politische Geschichte ist besonders mit der ersten, frei und demokratisch gewählten kommunistischen Regierung verbunden.334 Unter den Orthodoxen Keralas – zumindest offiziellen Vertretern der Hierarchie – ließ sich jedoch zur Zeit von Mar Gregorios’ Ernennung zum Metropoliten keine große Nähe zu der starken kommunistischen Strömung in Kerala erkennen. Das Selbstverständnis der Orthodoxen, Abkömmlinge der vom Apostel Thomas konvertierten Brahmanen und daher fest in das Kastensystem Keralas eingebunden zu sein, machte eine solche Verbindung zu der die klassenlose Gesellschaft fordernden kommunistischen Bewegung schwierig.335 In einem engen Zusammenhang dazu stand die Tatsache, dass sie zu den Teilen der Bevölkerung mit dem größten Wohlstand gehörten – mit einer großen Dominanz im Bereich der Agrarwirtschaft und dem Bankensektor.336 Dass man womöglich Paul Verghese vor seiner Wahl zum Metropoliten vorwarf, Kommunist zu sein, mag an seinem Interesse an marxistischer Theorie gelegen haben, vielleicht auch an seinen anti-westlichen Äußerungen, die in Zeiten des Kalten Krieges schnell als pro-sowjetisch interpretiert wurden. Im Zuge seiner Beschäftigung mit der Frage einer indischen Identität 334 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 159. 335 Vgl. Visvanathan, Christians of Kerala, 2–4; Ramachandra Guha, India After Gandhi. The History of the World’s Largest Democracy, 2. Aufl. (London: Macmillan, 2017), 290; George Zachariah, »Poulose Mar Poulose. An Activist of Alternative Ecumenism«, in A Light to the Nations. The Indian Presence in the Ecumenical Movement in the Twentieth Century, hg. von Jesudas Athyal und Michael Kinnamon (Geneva: World Council of Churches, 2016), 155: »The Kerala church has a long history of being in unholy alliance with the powers that be, betraying the hopes and aspirations of the common people. Kerala, as the state that voted into power a communist government for the first time in history, has always been open to communist ideology and party politics. But the Kerala church has a history of condemning and subverting progressive initiatives of the communist governments as atheistic. Mar Poulose played a significant role in exposing the communal and right-wing politics of the church, and initiated dialogue between Christians and secular humanists, including Marxists, for the transformation of Kerala society. Μ.M. Thomas and Metropolitan Paulos Mar Gregorios were also part of such initiatives.« Zur Geschichte des Kommunismus in Kerala vgl. Karl D. Erdmann, »Die geschichtliche Situation des Kommunismus in Indien«, in Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik. Gerhard Mackenroth zum Gedächtnis von seinen Freunden und Schülern, hg. von Erik Boettcher, Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften. Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 1 (Tübingen: Mohr, 1964), 465–503; Thomas J. Nossiter, Communism in Kerala. A Study in Political Adaptation (London: Hurst, 1982). 336 Vgl. ebd., 21.
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Biographie im Kontext
zeigte sich jedoch auch, dass er ein starker Befürworter eines eigenen indischen politischen Weges war, jenseits der Ideologien von Kommunismus und Liberalismus.337 Im kirchlichen Kontext hingegen war er einer der Fürsprecher der Auseinandersetzung und des Dialogs mit dem Kommunismus, gerade im Hinblick darauf, dass die Kirche – sowohl in Kerala als auch in der weltweiten Ökumene – hier keiner politischen Einseitigkeit anheimfallen solle.338 In Indien gilt er daher als Initiator eines Dialogs zwischen Christen und Marxisten, den er auf höchster Ebene führte.339 Auf nationaler Ebene unterstütze Mar Gregorios die Politik Indira Gandhis (1917–1984). Dies korrespondierte in gewisser Weise mit dem, was Mar Gregorios als Intellektueller forderte: einen eigenständigen indischen Weg – geistig, indem man sich der eigenen Tradition zuwendet, politisch sichtbar an der Blockfreiheit Indiens. Es scheint, dass er in Delhi durchaus eine Nähe zur nationalen Politik suchte. So lässt sich auch die Tatsache erklären, dass er den von der indischen Premierministerin im Jahre 1975 ausgerufenen ›Ausnahmezustand‹ (›The Emergency‹) als notwendige Maßnahme verteidigte.340 Dadurch wurde ihm durchaus internationale Bekanntheit zuteil, vor allem in Form von Kritik. Eine neuseeländische Tageszeitung schrieb in Folge seines Besuchs in dem Land: »Bishop Paulus [sic!] Gregorios is a soft-spoken ambassador not only of his church but of his country, India, and of its Prime Minister (Mrs Gandhi).«341 Damit handelte er sich seitens der christlichen Ökumene einige Kritik ein, insbesondere durch seinen Landsmann M.M. Thomas (1916–1996), aber auch den damaligen Generalsekretär des ÖRK Philip Potter (1921–2015).342
337 Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 28: »The two basic movements generated by the Enlightenment – Marxism and liberalism – today make strident demands on India’s identity as a nation, her political economy and cultural development. Our leading intellectual elite are products of these two ways of approaching reality; yet we feel a certain amount of unease in following either path, and wish to evolve a third way«. 338 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 159, 192; Zachariah, »Poulose Mar Poulose«, 155. 339 So z. B. mit dem Mitbegründer und seinerzeit Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Indiens E.M. Sankaran Namootihiripad (1909–1998). Vgl. Cherian Eapen, »I have no qualification to untie his shoe lace!«, in Mission of the Church, hg. von T.P. Elias (Kottayam: Sophia Print House, 2009), 146–47. 340 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Emergency in India« (Manuskript [Schreibmaschine], Kottayam, o. J.), Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad); Paulos Mar Gregorios, »The National Emergency« (Manuskript [Handschrift], Kottayam, o. J.), Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 341 Paul Ransley, »Bishop Defends Mrs Gandhi«, The Press, 10. Juni 1976. 342 Vgl. True, »Prophet«, 93–95; Abrecht, »In Memoriam«, 112–13.
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5.4.2 In der Welt Der naheliegende Grund für die Bezeichnung Paulos Mar Gregorios’ als ›Red Bishop of Delhi‹ war seine Beziehung zur Sowjetunion und zur Russisch-Orthodoxen Kirche.343 Paul Verghese leitete bereits eine der ersten offiziellen Delegationen des ÖRK, die 1962 die Sowjetunion besuchte.344 Ergebnis dieses Besuchs war die Feststellung, dass man in der »Frage des Friedens«345 eins sei. Dabei stand die Forderung nach nuklearer Abrüstung im Fokus. Der ÖRK, die Russisch-Orthodoxe Kirche und die Prager Christliche Friedenskonferenz (CFK) verfolgten diesbezüglich zunehmend einen gemeinsamen Kurs. Paul Verghese war ab 1970 Vizepräsident der CFK, die unter wesentlichem Einfluss der Sowjetunion stand.346 Er blieb in dieser Position bis zum Jahre 1990.347 Sein Engagement sowohl beim ÖRK als auch bei der CFK wurde teils kritisch gesehen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass man auch deshalb Mar Gregorios – als »Diener zweier Herren«348 – von manchen Entscheidungsprozessen im ÖRK fernzuhalten versuchte, wobei er dies selbst meist auf seine Position als Orthodoxer zurückführt. Freilich hingen beide Aspekte zusammen:349 343 Vgl. Chandran, »Red Bishop«. 344 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 159–60. Mar Gregorios schreibt, dies sei die zweite offizielle Delegation gewesen. Laut Van Oudenaren war dies die erste offizielle Delegation. Vgl. John Van Oudenaren, Détente in Europe. The Soviet Union and the West since 1953 (Durham [u. a.]: Duke University Press, 1991), 300. Van Oudanaren meint offenbar die erste offizielle Delegation des ÖRK seit Aufnahme der Russisch-Orthodoxen Kirche 1961, während Mar Gregorios wahrscheinlich den (inoffiziellen) Besuch einer ÖRK-Delegation im Dezember 1959 oder das Treffen zwischen ÖRK und Russisch-Orthodoxer Kirche in den Niederlanden im August 1958 als erstes Treffen zählt. 345 Van Oudenaren, Détente, 300. 346 Vgl. Abrecht, »In Memoriam«, 112. Die Rolle der CFK bleibt bis heute umstritten. Der Historiker Clemens Vollnhals bezeichnet diese als »kommunistische[n] Tarnorganisation«. Clemens Vollnhals, »Die kirchenpolitische Abteilung des Ministeriums für Staatssicherheit«, in Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit. Eine Zwischenbilanz, hg. von Clemens Vollnhals, Analysen und Dokumente. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 7 (Berlin: Ch. Links Verlag, 1996), 116. Vgl. auch Van Oudenaren, Détente, 301: »The founding of the CPC was an attempt to make greater use of contact with people such as Collins at a time when the Soviet government was enganged in a massive campaign against the deployment of U.S. nuclear weapons in Europe.« 347 Vgl. George und Gabriel, »Life«. 348 So das für eine wissenschaftliche Abhandlung recht tendenziöse Urteil von Armin Boyens über Paulos Mar Gregorios. Armin Boyens, »Ökumenischer Rat der Kirchen und Evangelische Kirche in Deutschland zwischen West und Ost«, in Nationaler Protestantismus und ökumenische Bewegung. Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945–1990), hg. von Gerhard Besier, Armin Boyens, und Gerhard Lindemann, Zeitgeschichtliche Forschungen 3 (Berlin: Duncker & Humblot, 1999), 298. 349 Diesen Zusammenhang sah auch Paul Verghese. Vgl. Verghese, »Finality of Christ«, 21: »The World Council of Churches itself is hamstrung in its approach to Christians in the socialist
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Eine große Zahl orthodoxer Vertreter im ÖRK stammte aus Staaten des Warschauer Pakts, und seitens konservativer Kräfte bestand die Befürchtung, diese könnten versuchen, den Rat politisch zu beeinflussen. Im Falle von Mar Gregorios war die Lage jedoch eine andere: Indien verstand sich selbst als führender unter den blockfreien Staaten und er bejahte diese Politik. Seine Verbindung zur CFK und Sowjetunion war demnach freiwilliger Natur. Die CFK wurde von vielen Theologen und Kirchenvertretern, insbesondere aus Indien und Südamerika als Gegengewicht zum ÖRK gesehen, weshalb nicht wenige in beiden ökumenischen Gremien Mitglied waren.350 Der Grund dafür war ein Paradigmenwechsel innerhalb der CFK, der sich auch personell in der Besetzung wichtiger Positionen durch Vertreter des globalen Südens zeigte. Man hegte die Hoffnung, dass man in den sozialistischen Staaten, die einen klaren Bruch mit den politischen Systemen der kolonialen Ära vollzogen hatten, Partner hatte, die den »Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus«351 klar unterstützten. Den westlichen politischen Mächten traute man diesen Bruch nicht zu. Und der ÖRK stand unter dem Verdacht, unter deren Einfluss zu stehen. Der Vorwurf, der politische Westen betreibe Neo-Kolonialismus, insbesondere in Form wirtschaftlicher Ausbeutung, und die westlichen Kirchen hielten insgeheim nach wie vor an ihrem Hegemonialbewusstsein gegenüber den ›jungen Kirchen‹ des globalen Südens sowie den orthodoxen und orientalischen Kirchen fest, findet sich bei Mar Gregorios an zentraler Stelle.352 In der CFK fand Mar Gregorios somit eine wichtige Plattform, um seine Anliegen vorzubringen.
countries by the fear of being tarred and lampooned as ›com-symps‹ [›Communist sympathizer‹; L.P.] in fact the smear campaign has already been going on for some time.« 350 So z. B. der von 1985 bis 1992 amtierende Generalsekretär des ÖRK Emilio Castro (1927– 2013). Zur Person Castros und seiner Bedeutung vgl. Annegreth Schilling, Revolution, Exil und Befreiung. Der Boom des lateinamerikanischen Protestantismus in der internationalen Ökumene in den 1960er und 1970er Jahren, Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B. Darstellungen 63 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2016), 228–40. 351 Gerhard Lindemann, »›Sauerteig im Kreis der gesamtchristlichen Ökumene‹. Das Verhältnis zwischen der Christlichen Friedenskonferenz und dem Ökumenischen Rat der Kirchen«, in Nationaler Protestantismus und ökumenische Bewegung. Kirchliches Handeln im Kalten Krieg (1945–1990), hg. von Gerhard Besier, Armin Boyens, und Gerhard Lindemann, Zeitgeschichtliche Forschungen 3 (Berlin: Duncker & Humblot, 1999), 809. 352 Vgl. etwa Paulos Mar Gregorios, »The Ecumenical Movement and WCC. Problems and Possibilities«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 90; Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 175; Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 13–27; Mar Gregorios, Light Too Bright, 51–70. In Bezug auf ein ›westliches‹ Missionsverständnis vgl. Paulos Mar Gregorios, »Dialogue with World Religions. Basic Approaches and Practical Experiences«, in A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982, hg. von Kondothra M. George (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 123– 34.
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Dennoch wird deutlich, dass sich in der Zeit von Mar Gregorios’ Vize-Präsidentschaft CFK und ÖRK inhaltlich immer weiter annäherten. Spätestens mit der Wahl Philip Potters zum neuen Generalsekretär 1972 wurde auch hier die Verschiebung von einem westlich-protestantisch dominierten hin zu einem sich zunehmend den Interessen des globalen Südens annehmenden Gremium deutlich.353 Im Zuge dessen lässt sich auch im ÖRK die Ausbildung eines politischen Bewusstseins nicht von der Hand weisen. Doch stellen Kunter und Schilling richtig fest: »Abgesehen von […] tatsächlich vorhandenen linken Sympathien im Stab des ÖRK zeigte sich die ›Politisierung‹ des ÖRK jedoch in seinen Mitgliedskirchen und in den meisten Bereichen seiner Arbeit weit weniger radikal als dies ihre Kritiker wahrnehmen wollten.«354 Hier war man Anfang der 1970erJahre innerhalb der CFK in der Lage, deutlichere politische Akzente zu setzen als der plural ausgerichtete ÖRK, der sich in einer bleibenden Diskussion um ein künftiges Profil befand. Im Laufe des Jahrzehnts fand man jedoch immer mehr zusammen und teilte viele politische Positionen.355 Was diese betrifft, war die Kritik an den Rüstungsplänen der NATO unter der führenden Rolle der USA wesentlich.356 Mar Gregorios war, verbunden mit seinem Engagement in der CFK, führend an einigen Konferenzen in den 1980erJahren beteiligt, die sich den Themen von Frieden und Abrüstung widmeten.357 Diese Konferenzen standen ebenso unter der Ägide der Sowjetunion, die bereits früh versuchte, die Russisch-Orthodoxe Kirche sowie seit ihrer Gründung die CFK dafür zu nutzen, in anderen Ländern für ihre Friedenskampagne zu wer-
353 Vgl. Kunter und Schilling, »Umbruch«, 51–52. Hinzu kam, dass bereits seit 1968 M.M. Thomas Moderator des Zentralkomitees war – die nach der Position des Generalsekretärs wichtigste Position im ÖRK. Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Captive Freedom? Reflections on the Nairobi Assembly of the World Council of Churches«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 105; Paulos Mar Gregorios, »The WCC as an Instrument of the Ecumenical Movement. Reflections on Vacouver Assembly«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 138. 354 Kunter und Schilling, »Umbruch«, 61. 355 Wobei diese Tatsache ebenfalls unterschiedlich bewertet wird. Autoren wie Lindemann werten dies als sichtbare Beeinflussung des ÖRK durch die CFK und damit als ›sowjetische Unterwanderung‹. Vgl. Lindemann, »Verhältnis«, 925–32. 356 Vgl. Van Oudenaren, Détente, 298. 357 Diese waren: Religious Workers for Saving the Sacred Gift of Life from Nuclear Catastrophe (ab 1982 jährlich stattfindend); Round Table Conference of Religious Workers (1984); For a Nuclear-Weapon-Free World, for the Survival of Humanity (1987); Common Security and Moral-Ethic Values (1987). Hinzu kam: UN-Conference on the Relationships between Disarmament and Development (1987). Die dazugehörigen Vorträge von Mar Gregorios finden sich gesammelt in: Paulos Mar Gregorios, Disarmament and Nuclear Weapons (Delhi: Mar Gregorios Foundation, 1998); Paulos Mar Gregorios, Global Peace and Common Security (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1998).
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ben.358 Der ÖRK hingegen nahm sich des Themas erst Mitte der 1970er-Jahre an. Auf der Vollversammlung des ÖRK 1983 in Vancouver bestand schließlich eine eigene Sektion zu dem Thema mit dem Titel ›Den Bedrohungen des Friedens und Überlebens begegnen‹, die Mar Gregorios leitete.359 Er führt seine Zusammenarbeit mit sozialistischen politischen Organisationen auf eine Konvergenz der Interessen zurück und bekennt sich keinesfalls zu einer klaren politischen Option in Richtung Sowjetunion. Sein Engagement in der Abrüstungs-Debatte spiegelt daher gut seine politische Positionierung wider. Er führt seine Verbindung mit dem Sozialismus auf eine Übereinstimmung von dessen Zielen mit dem christlichen Auftrag in der Welt zurück. Als er später gefragt wurde, ob er ein Sozialist sei, zeigt sich diese Argumentation besonders deutlich: I have a qualified commitment to Socialism, if that is what people mean, even after the collapse, beginning in 1989, of one form of socialism in Eastern Europe and elsewhere. That is a commitment to ideals like social justice for all, the dignity of all human beings, the unity of the human race, peace among nations and peoples, and a healthy and life promoting environment. It is not, however a commitment to any particular form of the socialist ideology which has arisen in post-Enlightenment western civilisations. I am not committed to particular doctrines like the Class Struggle as the single framework for understanding all social development, state ownership of the means of production, or the dictatorship of the proletariat. I do not subscribe to fundamental ideologies like dialectical materialism or historical materialism. Nor am I committed to any form of western idealism. I remain a committed Christian, and every other commitment is within that framework only.360
Aufgrund dieses ›eingeschränkten Bekenntnisses zum Sozialismus‹ konnte Mar Gregorios äußerst kritisch gegenüber Entwicklungen im realen Sozialismus sein. Wenngleich er hier »die besseren Werte der europäischen Aufklärung […] verkörpert«361 sah, befand er dessen im gleichen Maße ›säkulare Ideologie‹ für ebenso verwerflich und den Problemen seiner Zeit unangemessen wie die des westlichen Liberalismus. Er sah den Sozialismus in der Gefahr, die Freiheit und
358 Vgl. Van Oudenaren, Détente, 296–310. 359 Vgl. Walter Müller-Römheld, Hrsg., Bericht aus Vancouver 1983. Offizieller Bericht der 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. 24. Juli bis 10. August 1983 in Vancouver/Kanada (Frankfurt am Main: Lembeck, 1983), 98–109. Siehe: II.6.1.3. 360 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 158–59. Vgl. auch Verghese, »Finality of Christ«, 21: »The charge of ›Fellow-travelling‹ or in more modern lingo, of being a ›Com-symp‹ is a frightening and tyrannical force in many parts of the world today, disrupting community both at a world-wide and at national and domestic levels. The Christian faith should be able to deliver us from bondage to this tyranny.« 361 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 152: »The better values of the European Enlightenment are embodied in socialism, but we need to deepen them by putting them on a more secure and more transcendent foundation.«
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Kreativität der Menschen zu begrenzen, wenn er einem starren Dogmatismus verfalle.362 Die Neuerungen unter Michail Gorbatschow (* 1931) in der Sowjetunion hin zu einer Demokratisierung erkannte er als positive Entwicklung.363
Abbildung 4: Paulos Mar Gregorios und Philip Potter.
Die politische Rolle Paulos Mar Gregorios’ bleibt schwer zu fassen. Das zeigen die verschiedenen Einschätzungen, die seine Person erfuhr: War er ein Wegweiser des Dialogs zwischen Marxismus und Christentum, ein Kämpfer für Frieden und Abrüstung? Oder war er in Wirklichkeit ein verdeckter Akteur im Auftrag der Sowjetunion im ÖRK? Der Historiker Armin Boyens etwa plädiert eindeutig für letzteres. In seiner Beschreibung des ÖRK als eine Organisation im Kalten Krieg, die immer wieder der Zerreißprobe zwischen Ost und West ausgesetzt war, geht er auf die Versuche ein, seitens der Sowjetunion gegen Philip Potter als Generalsekretär des ÖRK anzugehen, weil man mit dessen Verhalten auf der Vollversammlung in Nairobi 1975 nicht zufrieden gewesen sei. Boyens zitiert aus 362 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 192: »the communists became so dogmatic, corrupt and power hungry as the Roman Catholic Church and dug their own graves.« Vgl. auch Mar Gregorios, Love’s Freedom, 163; Eapen, »Qualification«, 146–47. 363 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Turning to the Future«, in Disarmament and Nuclear Weapons (Delhi: Mar Gregorios Foundation, 1998), 89–93. Vgl. auch den Brief, den er gemeinsam mit Metropolit Filaret (* 1935) im Auftrag der Konferenz Religious Workers for Saving the Sacred Gift of Life from Nuclear Catastrophe im Jahre 1982 an Gorbatschow verfasste: Paulos Mar Gregorios, »Letter 26«, o. J., 26, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad).
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Biographie im Kontext
einer Akte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) vom 17. Mai 1976, in der man die Vermutung aufstellt, man plane seitens der UdSSR durch die Russisch-Orthodoxe Kirche Potter mit »gezielten Aktionen«364 aus dem Amt zu drängen. Als eine dieser Maßnahmen notiert man seitens des MfS: »Das Auftreten von Metropolit Gregorius (Indien) gegen Potter.«365 Was zeigt diese Notiz? Sie gibt eine »verbreitete Meinung«366 wieder, die man seitens des MfS aus Kreisen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in der Bundesrepublik vernommen hatte. Es ist also weder klar, ob tatsächlich derartige Pläne bestanden, noch, ob man in irgendeiner Weise Möglichkeiten hatte, auf Mar Gregorios Einfluss auszuüben. Schließlich kam es zu keinem Versuch seitens politischer Kräfte des Warschauer Pakts, Potter aus dem Amt zu drängen, da man in ihm zusehends eine bessere Alternative sah als etwa in Lukas Vischer, der damals als aussichtsreicher Gegenkandidat galt, aber zugleich als profilierter ›Anti-Kommunist‹.367 Ist die Aufzählung der Fakten durch Boyens äußerst hilfreich, übersieht seine Interpretation der Ergebnisse die Komplexität der Lage. So zeigt die Aktennotiz doch zunächst lediglich eine äußere Wahrnehmung der Person Mar Gregorios’ als jemanden, der politisch nicht auf der Seite der Westmächte stand. Ein Gerücht aus Kreisen der EKD kann kaum als Beleg für eine Kollaboration Mar Gregorios’ mit dem KGB dienen. Eine Person, die sich nicht eindeutig politisch für die Westmächte aussprach, gleichsam selbstverständlich als ›Diener Moskaus‹ zu bezeichnen,368 schließt die Möglichkeit aus, dass in Zeiten des Kalten Krieges für einen indischen Bischof auch ein dritter Weg möglich war. Der Blick in die Texte von Mar Gregorios zeigt einen Kritiker beider Seiten – Ost und West. Ob man seitens des Warschauer Paktes versuchte, Mar Gregorios für sich zu gewinnen, und wenn dies der Fall ist, ob er diesem Werben nachgab, kann somit in letzter Konsequenz nicht beantwortet werden. Die Faktenlage lässt hierüber kein letztes Urteil zu.
364 Der gesamte Passus in der Akte (HA XX/4) vom 17. Mai 1976 lautet: »Aus dem Stab des ÖRK und aus Leitungsgremien der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – BRD – wurde die verbreitete Meinung bekannt, daß die Russisch-orthodoxe Kirche beabsichtige, Generalsekretär Potter mit gezielten Aktionen aus seinem Amt zu drängen. Angeblich verlaufe dies in 3 Etappen: 1. Der Brief des ›Heiligen Synod‹ vom 3. März 1976. 2. Ein Brief von Teilnehmern an der V. Vollversammlung aus sozialistischen Ländern, die sich gegen die Haltung des ÖRK in Nairobi aussprechen. 3. Das Auftreten von Metropolit Gregorius (Indien) gegen Potter«. Zitiert nach: Boyens, »Ökumenischer Rat«, 221. 365 Ebd. 366 Akte HA XX/4, Berlin, 17. 05. 1976. Zitiert nach: ebd. 367 Vgl. ebd., 222. 368 Vgl. ebd., 298.
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Weiteres ökumenisches Wirken
Mit dem Weggang Paul Vergheses aus Genf 1967 nahm dessen ökumenisches Wirken keinesfalls ein Ende. Im Gegenteil – er bekleidete fortan die unterschiedlichsten Positionen im ÖRK. Er blieb Mitglied in der Gemeinsamen Arbeitsgruppe zwischen ÖRK und katholischer Kirche, die er selbst mitbegründet hatte. Auch war er an Dialogen zwischen den orientalischen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche der Stiftung Pro Oriente in Wien beteiligt. Ebenso setzte sich über seine Zeit in Genf hinaus der inoffizielle Dialog zwischen den byzantinischen und orientalischen Orthodoxen fort, der 1971 in Addis Abeba ein vorläufiges Ende fand und auf offizieller Ebene erst im Jahre 1985 in Chambésy wieder aufgenommen wurde. Auch in diesen offiziellen Gesprächen spielte Mar Gregorios eine wichtige Rolle. Auf der Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala wurde er Mitglied der Kommission Faith and Order, der er bis 1975 angehörte. Zum gleichen Zeitpunkt wurde er Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK. Ab 1975 war er Moderator der Arbeitsgruppe für Kirche und Gesellschaft des ÖRK, in dessen Funktion er die Konferenz Faith, Science and the Future im Jahre 1979 gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) organisierte. Diese Position brachte ihm ein hohes Maß an öffentlicher Anerkennung ein. Auf der Vollversammlung in Vancouver 1983 wurde Mar Gregorios schließlich zu einem der Präsidenten des ÖRK gewählt. Er behielt diese Position bis 1991, um sich schließlich aus der Tätigkeit im Rat zurückzuziehen. Über den Rat hinaus und in der Position als Verantwortlicher für die ökumenischen Beziehungen seiner eigenen Kirche, die er ab 1968 einnahm, organisierte er den lutherisch-orthodoxen Dialog in Indien und Dialoge zwischen seiner Kirche und der katholischen Kirche in Indien und der Mar-Thoma-Kirche. Auf nationaler wie internationaler Ebene setzte sich Mar Gregorios für die Sache des interreligiösen Dialogs ein, die gegen Ende seines Lebens eine immer größere Rolle spielte. In diesem Zusammenhang war er Präsident der Inter Religious Federation for World Peace sowie Schirmherr des Parliament of the World’s Religions. Angesichts einer derartigen Vielfalt ökumenischen Engagements gilt es, dieses in biographischer Hinsicht auszuwerten. Die Frage ist: Wie prägte jenes Engagement sein persönliches und intellektuelles Dasein? Dabei entsteht das Bild einer Persönlichkeit, die bei aller Kritik insbesondere am ÖRK sich von den hier geführten Diskursen und verhandelten Themen zutiefst prägen ließ. Für seine intellektuelle Entwicklung war der ÖRK nicht wegzudenken. Seine anhaltend harsche Kritik erscheint somit als durchaus ambivalentes Phänomen: Um des Eigenen willen bedurfte er offenbar des Anderen. Dass er bei aller äußerlichen Kritik dem Rat bis ins hohe Alter treu blieb, kann unter anderem so erklärt werden.
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Biographie im Kontext
6.1
Mar Gregorios’ Entwicklung im Spiegel der Vollversammlungen des ÖRK von 1968 bis 1991
6.1.1 Uppsala 1968: Gottesdienst In Uppsala war Paul Verghese Teil der Sektion V mit dem Titel ›Gottesdienst‹.369 Es finden sich von ihm zwei vorbereitende Artikel zu dem Thema.370 Wesentliche Überlegungen fanden Eingang in das erste Buch, das Paul Verghese noch vor der Vollversammlung im Jahre 1967 veröffentlichte: The Joy of Freedom. Eastern Worship and Modern Man. Die Frage, ob der ›moderne Mensch‹ des Gottesdienstes bedürfe, stand im Mittelpunkt der Sektion wie auch des Buches.371 Bereits im Juli 1963 fand die vierte Weltkonferenz von Faith and Order in Montreal statt, an der Paul Verghese als Mitglied des ÖRK-Stabs teilnahm.372 Er war hier Teil der Sektion ›Worship and the Oneness of Christ’s Church‹.373 Auch die Sektion V in Uppsala stand unter maßgeblicher Ägide von Faith and Order, die auch nach der Vollversammlung das Thema weiterführen sollte.374 1967 wurde der orthodoxe Theologe John Meyendorff Vorsitzender von Faith and Order und leitete daher auch die Sektion in Uppsala. Sie war auch darüber hinaus geprägt von einer hohen Präsenz byzantinisch- und orientalisch-orthodoxer Vertreter. Jene Diskussion im ÖRK um das Thema ›Gottesdienst‹ prägte Paul Verghese besonders. Er betont die Gemeinsamkeit in der Sache unter Byzantinern und 369 Im Englischen steht hier der Begriff ›worship‹, der sowohl ›Gottesdienst‹ als Ausdruck für den liturgischen Vollzug wie auch ›Spiritualität‹ und ›Gebet‹ umfasst. Aufgrund dieses Bedeutungsspektrums wird im Folgenden gelegentlich der englische Begriff dem deutschen vorgezogen. Zum Problem der Übersetzung des Begriffs vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, vii; Paulos Mar Gregorios, »The Worship of God in a Secular Age. Certain Terminological Notes«, in Worship in a Secular Age, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2013), 23. 370 Diese wurden später veröffentlicht: Mar Gregorios, »Terminological Notes«; Paulos Mar Gregorios, »The Worship of God in a Secular Age. Towards a Conceptual Clarification«, in Worship in a Secular Age, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2013), 38–43. 371 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 1; Norman Goodall, Hrsg., Bericht aus Uppsala 1968. Offizieller Bericht über die vierte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Uppsala 4.–20. Juli 1968, übers. von Walter Müller-Römheld (Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen, 1968), 82 (Art. 1). 372 Vgl. Patrick C. Rodger und Lukas Vischer, Hrsg., The Fourth World Conference on Faith and Order. Montreal 1963, Faith and Order Paper 42 (London: SCM Press, 1964), 118. 373 Vgl. ebd., 102. 374 Vgl. Artikel 21, 35 und 37 des Abschlussdokuments, in: Goodall, Uppsala 1968, 85–86, 88. Jene anschließende Konsultation von Faith and Order zum Thema ›Worship‹ fand 1969 in Genf statt. Hieran nahm Paul Verghese offenbar nicht teil. Das Abschlussdokument ›Worship Today‹ findet sich in: Günther Gassmann, Hrsg., Documentary History of Faith and Order. 1963–1993, Faith and Order Paper 159 (Geneva: WCC Publications, 1993), 256–68. Dabei war das Thema schon präsent seit der dritten Weltkonferenz von Faith and Order in Lund 1952. Vgl. ebd., 7.
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Abbildung 5: Paul Verghese bei der Weltkonferenz von Faith and Order 1963 in Montreal.
Orientalen. The Joy of Freedom ist nicht zuletzt der Versuch einer Synthese ostkirchlicher Spiritualität, in klarer Abgrenzung zu wichtigen Strömungen des Protestantismus und Teilen des Katholizismus.375 Dabei ist das Werk im Kontext der Orthodoxie als Versuch eines Kompromisses zu sehen. Das zeigt insbesondere das Kapitel ›Worship and History‹376, das zwischen einer strengen Unterscheidung von Gottesdienst und Geschichte auf orthodoxer Seite377 und eines 375 So bezieht Paul Verghese in dem Werk grundsätzlich alle liturgischen Traditionen byzantinischer wie orientalischer Provenienz ein. Hierin ist der Versuch zu sehen, das Gemeinsame der orthodoxen Traditionen zu betonen, insbesondere gegenüber den protestantischen Kirchen im ökumenischen Kontext. Siehe: IV.1. 376 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 29: »In our time there is too much of a tendency to ignore the history of the Church’s worship, and to create new liturgies which speak directly to the needs of modern man and in his language. No one can deny that much in the traditional liturgies of the Church has become archaic and out-moded. This is true in the cases of many collects and litanies of intercession. It is fully justifiable and necessary that each generation should seek to formulate its own collects and prayers of intercession. But this does not mean that each generation should ignore those who have gone before them, and create a new liturgy after its own tastes. In Eastern worship one is never allowed to forget the presence of the faithful departed at every service of worship. This in part explains the reluctance of Eastern Churches to attempt radical reforms of the liturgy. The liturgy does not belong exclusively to the present generation. The Church in the whole of time and space worships together in the eucharistic liturgy.« 377 Diese Position drückt sich deutlich in der Stellungnahme zur Sektion V durch die Orthodox Theological Society of America aus: »Gerade diese Annahme, daß nur ein weltzentriertes und weltorientiertes Christentum für Christen heute möglich und erlaubt ist, macht die Sektion
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Aufgehens des Gottesdienstes in der Geschichte auf Seiten des Protestantismus einen Mittelweg zu gehen versucht.378 Für Paul Verghese wird die Tendenz des Protestantismus seiner Zeit, den Gottesdienst ausschließlich als Verantwortung des Christen in der Welt zu verstehen, in extremer Form in der sogenannten ›Gott-ist-tot-Theologie‹ sichtbar, der er im Kontext der Sektion möglicherweise zum ersten Mal intensiv begegnete und die fortan Objekt seiner schärfsten Polemik werden sollte.379 Jene in der Sektion prominent durch Paul van Buren (1924–1998) vertretene Strömung insbesondere nordamerikanischer Provenienz prägte in gewisser Weise den gesamten Worship-Diskurs im ÖRK dadurch, dass sie am weitesten zu gehen bereit war, wenn es um die Anerkennung eines säkularen Weltbildes ging: Gottesdienst könne nicht mehr als Kult verstanden werden, sondern ausschließlich als politisch-ethisches Handeln des Christen in der Welt.380 Die Anpassung an die Gegebenheiten der Geschichte heißt hier: die Anerkennung einer ›Welt ohne Gott‹, eines ›säkularen Zeitalters‹. Die in der Sektion umstrittene Vorstellung eines ›säkularen Zeitalters‹ prägte den Worship-Diskurs und sollte deutliche Spuren im Denken Paul Vergheses hinterlassen.381 Die ›Gott-ist-tot-Theologie‹ verursachte
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V zu einer nicht überzeugenden Mischung aus willkürlichen Fragen und angreifbaren Definitionen. […] Die Liturgie ist immer vorwiegend als ein Rückzug aus der Welt verstanden worden, und die Erfüllung der Kirche als in, aber nicht von der Welt.« Zitiert nach: David L. Edwards, »Eine Stellungnahme«, in Bericht aus Uppsala 1968. Offizieller Bericht über die vierte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Uppsala 4.–20. Juli 1968, hg. von Norman Goodall, übers. von Walter Müller-Römheld (Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen, 1968), 89. Siehe: IV.1.1. Vgl. etwa Mar Gregorios, Joy of Freedom, 4: »The Liturgy can never be a place of escape out of history. It must gather up history into itself and thereby sanctify it. Authentic worship must bring to the altar, along with the bread and the wine, the joys and sorrows of all men.« Dabei betrifft dies unter anderem die Frage der Sprache der Liturgie, bei der Paul Verghese für den Gebrauch der Muttersprache plädiert, entsprechend den Ergebnissen von Montreal 1963. Vgl. Patrick C. Rodger und Lukas Vischer, Hrsg., Montreal 1963. Bericht der vierten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung Montreal, 12.–26. Juli 1963 (Genf: Ökumenischer Rat der Kirchen, 1963), 68. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »Worship in a Secular Age. An Introductory Discussion«, in Worship in a Secular Age, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2013), 18. So schreibt er im Vorwort zur zweiten Auflage von Joy of Freedom: »Harvey Cox of Secular City, and Paul Van Buren of The Secular Meaning of the Gospel, appeared to me both uninformed and grossly mistaken. The book which I published in 1967 was an outcry from my sense of outrage.« Mar Gregorios, Joy of Freedom, xi. Ausgangspunkt waren jene Aphorismen aus Dietrich Bonhoeffers Briefen aus der Haft von der ›mündig gewordenen Welt‹ und dem Leben ›als gäbe es keinen Gott‹, die eine unvergleichlich große Wirkungsgeschichte in der ökumenischen Bewegung der 1960er-Jahre und eben auch bei jenen Gott-ist-tot-Theologen hatten. Vgl. Paul M. Van Buren, Reden von Gott – in der Sprache der Welt. Zur säkularen Bedeutung des Evangeliums (Zürich [u. a.]: Zwingli Verlag, 1965), 7; Mar Gregorios, Joy of Freedom, 1. So trug die Sektion V ursprünglich den Titel ›Worship in a Secular Age‹. Der Titel wurde geändert aufgrund der Tatsache, »daß Säkularismus und Säkularisierung schwer so zu de-
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offensichtlich inneren Widerstand bei ihm, was unter anderem in einer vermehrten Schreibtätigkeit mündete. Dabei formiert sich hier wesentlich seine Vorstellung der Orthodoxie als der Tradition, die auf der einen Seite dem mündigen Menschen die Freiheit zugesteht, nach der er verlangt und auf der anderen Seite dem drohenden Verlust eines Transzendenzbezugs entgegenzutreten vermag. So kommt dem Worship-Diskurs eine entscheidende Bedeutung zu, was die intellektuelle Entwicklung Paul Vergheses angeht. Hier manifestiert sich am deutlichsten, was in der vorliegenden Arbeit später als ›die Orthodoxie‹ als transkonfessionelle Imagination behandelt werden soll.382 6.1.2 Nairobi 1975: Auf der Suche nach Gemeinschaft. Das gemeinsame Streben der Menschen verschiedenen Glaubens, verschiedener Kulturen und Ideologien Auf der Vollversammlung in Nairobi 1975 leitete Paulos Mar Gregorios (nunmehr Metropolit von Delhi) die Sektion III unter dem genannten Titel. Der Vollversammlung ging die Vorbereitung durch die Untereinheit des ÖRK zum ›Dialog mit Menschen anderen Glaubens‹ vorweg, die Mar Gregorios mitbegründete und die von dem indischen Protestanten Stanley J. Samartha (1920– 2001), den er sehr schätzte, geleitet wurde.383 Überhaupt war in jener Untereinheit wie auch in der Sektion in Nairobi der Anteil von Christen aus solchen Kontexten, die viel alltägliche Erfahrung mit der Begegnung mit Menschen anderen Glaubens hatten, sehr hoch. In Nairobi lud man zudem Vertreter anderer Religionen ein.384 Es kam zur Kontroverse zwischen genannten Vertretern aus Asien und einigen Vertretern europäischer Kirchen. Mar Gregorios beschreibt dies
finieren sind, daß es für alle Teilnehmer und in allen Teilen der Welt annehmbar ist.« Goodall, Uppsala 1968, 80. Aus demselben Grund wurde die anschließende Studie von Faith and Order ebenfalls umbenannt von ›Worship in a Secular Age‹ zu ›Worship Today‹. Vgl. Gassmann, Documentary History, 257–58. Dennoch nimmt in beiden Dokumenten der Begriff ›säkulares Zeitalter‹ als Beschreibung des Kontextes, angesichts dessen man sich des Themas ›Gottesdienst‹ annimmt, eine zentrale Stellung ein. 382 Siehe: IV.1. 383 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 186. Die Untereinheit wurde auf der Tagung des Zentralausschusses in Addis Abeba 1971 gegründet, wo Samartha ein programmatisches Referat zum Thema Dialog als ständiges Anliegen der Christen hielt. Vgl. Stanley J. Samartha, »Dialog als ständiges Anliegen der Christen«, in Addis Abeba 1971. Vorträge bei der Tagung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen, hg. von Hanfried Krüger, Beiheft zur Ökumenischen Rundschau 17 (Stuttgart: Evangelischer Missionsverlag, 1971), 44–58. 384 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 186.
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anhand eines Wortgefechts, das er – aller Wahrscheinlichkeit nach385 – mit dem norwegischen Bischof Per Lønning (1928–2016) hatte: Our hopes were soon be dashed on the hard rocks of European cultural parochialism. In response to my presidential remarks, a friend of mine, a Norwegian bishop, asked me, ›In what sense does the Chairman find the revelation in Jesus Christ so insufficient that he has to go o the non-Christians to learn the truth?‹ I was offended, but being in the chair, could not retort in my usual rude manner. So I responded, ›In this sense that the Chairman is not as fortunate as his friend the bishop from Norway, who seems to have so mastered the revelation in Jesus Christ, that he is totally self-satisfied and does not feel any need to learn from others.‹386
Die »Nairobi-Kontroverse«387 hinterließ Spuren bei Mar Gregorios. Er schreibt weiter: »The Nairobi Assembly disillusioned me, and I came to the conclusion that neither forms of Western Christianity, Roman Catholic or Protestant, were mature enough to engage in dialogue Christians could not control and manipulate.«388 Mar Gregorios hebt immer wieder die Angst einiger europäischer Vertreter vor religiösem Synkretismus hervor, wenn man sich zu sehr auf den Dialog einlasse: »They have been taught by Calvinists like Barth and Kraemer, Brunner and Visser ’t Hooft, that the only attitude that Christians can legitimately take towards the other religions is a ›one-way witness‹ ›proclaiming the
385 Mar Gregorios nennt den Namen des norwegischen Bischofs bewusst nicht. Mit Blick auf den Bericht der Sektion wird aber deutlich, dass es sich hierbei um Lønning handeln muss, der als Kritiker des Entwurfs auftritt, da dieser »im Gegensatz zur missionarischen Aufgabe stehend« sei. Hanfried Krüger und Walter Müller-Römheld, Hrsg., Bericht aus Nairobi 1975. Ergebnisse – Erlebnisse – Ereignisse. Offizieller Bericht der fünften Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen. 23. November bis 10. Dezember 1975 in Nairobi/Kenia (Frankfurt am Main: Lembeck, 1976), 38. 386 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 186–87. 387 S. Wesley Ariarajah, Hindus and Christians. A Century of Protestant Ecumenical Thought (Amsterdam [u. a.]: Editions Rodopi [u. a.], 1991), 149: »The Nairobi controversy over dialogue has been interpreted in many ways. Stanley J. Samartha, then director of the WCC subunit on Dialogue, interpreted it as inevitable clash of attittudes between those for whom dialogue had become a matter of daily experience and others who did not live with religious pluarility in any significant way.« 388 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 187. Der Text, den Mar Gregorios 1995 veröffentlichte, zeigt deutliche Spuren der späten Frustration über die ökumenische Bewegung. Die Texte, die er kurz nach der Vollversammlung zu dem Thema veröffentlichte, sind zwar ebenso kritisch gegenüber dem Auftreten ›westlicher‹ Vertreter, jedoch ist er zuversichtlicher, dass man im ÖRK sich des Themas in Zukunft ernsthaft annehmen wird. Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Dialogue with People of Other Religions. Searching for a New Theology«, in Religion and Dialogue (Kottayam [u. a.]: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2000), 179–86; Paulos Mar Gregorios, »An Evaluation of the WCC Assembly at Nairobi«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 103; Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 107–9; Mar Gregorios, »WCC Fifth Assembly«, 115–18.
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gospel‹.«389 Mit jener »Angst vor Synkretismus«390 verband sich somit die Sorge, der Sache der Mission nicht gerecht zu werden. Interessant an der Sektion III von Nairobi ist mit Blick auf die Person Mar Gregorios’, dass angesichts des Themas des interreligiösen Dialogs zwar die westlichen Kirchen in seiner Wahrnehmung ebenfalls das klare Gegenüber blieben, jedoch keinesfalls gegenüber den Ostkirchen, sondern gegenüber den Kirchen Asiens beziehungsweise des globalen Südens. Hier wird somit die Doppelrolle von Mar Gregorios sichtbar, der er stets gerecht zu werden versuchte: einerseits als Vertreter der (orientalischen) Orthodoxie, andererseits als Vertreter einer Kirche aus einem multireligiösen Kontext.391 Die Frage, die Mar Gregorios zu Beginn der Sektion III stellte, kann als theologisches Motiv seines nun folgenden intellektuellen Schaffens gelten : »Was in unserem Glauben erlaubt uns zu sagen, daß Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, in der ganzen Schöpfung und der Menschheit wirkt?«392 An anderer Stelle beschreibt er es als Entwicklung: »I have gradually begun to look outside the Christian Church, to see what God is doing.«393 Hatte Mar Gregorios seit seiner Rückkehr nach Indien begonnen, die »Angelegenheit des Dialogs mit Menschen anderen Glaubens ernster zu nehmen«394, löste die Erfahrung von Nairobi eine doppelte Bewegung bei ihm aus: Zum einen wurde seine Skepsis gegenüber ›westlichen‹ Vertretern in der Ökumene größer, zum anderen wandte er sich zusehends anderen Diskursfeldern – insbesondere in seinem Heimatland – zu und suchte hier gezielt den Dialog mit ›Menschen anderer Religionen und Ideologien‹. Dies betraf etwa das Gespräch mit Vertretern anderer Religionen in Indien, was unter anderem zu einer Freundschaft mit Tenzyn Gyatso (* 1935) – dem 14. Dalai Lama – führte, der in Indien im Exil lebte.395 Auch sein Engagement in den verschiedenen Foren zu indischer Philosophie intensivierte sich weiter. Innerhalb seiner Kirche, die sich nun als autokephal verstand, führte
389 Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 107–8. 390 So nennt er es in einem wenig später veröffentlichten Aufsatz: Paulos Mar Gregorios, »Ohne Angst vor Synkretismus. Eine Herausforderung zum Dialog mit den Weltreligionen«, Lutherische Monatshefte 16 (1977): 402–5. 391 In Bezug auf das Thema konnte er deutliche Kritik an den orthodoxen Kirchen äußern: »I am not claiming that Eastern Orthodox Christianity is more mature or open in this regard.« Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 187–88. In Nairobi etwa zeigte sich, dass der russisch-orthodoxe Bischof Michael mit Lønning gemeinsam zu den Kritikern des Entwurfs gehörte. Vgl. Krüger und Müller-Römheld, Nairobi 1975, 38. 392 Krüger und Müller-Römheld, Nairobi 1975, 38. 393 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 190. 394 Ebd., 185: »It was only in about 1967, when I left the staff of the WCC in Geneva and returned to my country and church, that I began taking up the issue of dialogue with people of other faiths more seriously.« 395 Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 120.
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dies beinahe zwangsläufig dazu, dass er die führende Rolle innerhalb des Diskurses um die Frage der Inkulturation der indischen Orthodoxie einnahm.396
Abbildung 6: Paulos Mar Gregorios und Tenzyn Gyatso, der 14. Dalai Lama.
6.1.3 Vancouver 1983: Den Bedrohungen des Friedens und Überlebens begegnen Die Sektion V, der Paulos Mar Gregorios in Vancouver vorsaß, verband zwei seiner nunmehr zentralen Anliegen: Abrüstung und Ökologie. Ersteres stand in enger Verbindung zu seinem beschriebenen Engagement in der Prager CFK und den Konferenzen zu dem Thema in Verbindung mit der Russisch-Orthodoxen Kirche und war daher in den Augen vieler politisch nicht unproblematisch.397 396 Siehe: IV.3. 397 Siehe: II.5.4.2.
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Das Thema der Ökologie war Mar Gregorios in gewisser Weise nach der Vollversammlung in Nairobi zugewachsen. Auslöser der weltweit geführten Debatte war die vom Club of Rome 1972 herausgegebene Studie The Limits to Growth398. Infolgedessen sprach auf der Vollversammlung in Nairobi 1975 der Naturwissenschaftler Charles Birch (1918–2009) über die »fünf großen Gefahren für das Überleben der Menschheit« und forderte eine »radikale Neuinterpretation des Verhältnisses zwischen Natur und Mensch.«399 Mar Gregorios äußerte sich bereits hier mit großer Zustimmung und bezeichnet in Folge der Versammlung Birch überschwänglich als »Propheten […] und Jeremia des technologischen Zeitalters«400. Ebenfalls in Nairobi wurde er Moderator der Arbeitsgruppe für Kirche und Gesellschaft des ÖRK und hatte in der Funktion die Aufgabe die Konferenz mit dem Titel ›Faith, Science and the Future‹ 1979 gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu organisieren.401 Hierbei handelte es sich um jenes Institut, dessen Wissenschaftler maßgeblich den Bericht The Limits to Growth formulierten. Paul Abrecht, der neben ihm auf Seiten des ÖRK die Konferenz verantwortete, hebt in seinem Nachruf die Rolle von Mar Gregorios hervor: With more than 400 official participants and an additional 500 press and invited guests, this was undoubtedly one of the most significant WCC-sponsored encounters of the 1970s, and the metropolitan responded to the challenge brilliantly: as chairman of the 398 Donella H. Meadows u. a., The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, 4. Aufl. (New York: Universe Books, 1972). Deutsche Ausgabe: Dennis Meadows u. a., Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, übers. von Hans D. Heck, Rororo. Taschenbücher 6825 (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1973). 399 Lukas Vischer, »Des Menschen Freiheit. Auch, sich zu ruinieren? Mensch und Schöpfung im Rahmen der ökumenischen Bewegung«, Reformiertes Forum 7, Nr. 18 (1988): 16. 400 Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 109: »Birch was a prophet of doom and gloom, a Jeremiah of the technological age, decrying ›our technological civilization‹ as ›a Bronto-saurus totally unadapted to the needs of survival‹, our world a a ›Titanic on a collision-course‹ with an iceberg whose visible parts are pollution, over-consumption, population explosion and war, but whose hidden parts are the socio-economic and political structure of our society and the spiritual confusion as to the goals in life.« 401 Dokumentiert in Bezug auf die Konferenz sind sowohl vorbereitende Texte sowie Vorträge der Konferenz und die Ergebnisse und Empfehlungen: Paul Abrecht, Hrsg., Faith Science and the Future. Preparatory Readings for a World Conference Organized by the World Council of Churches At the Massachusetts Institute Of Technology, Cambridge, Mass., USA July 12–24, 1979 (Geneva: World Council of Churches, 1978); Roger L. Shinn, Hrsg., Faith and Science in an Unjust World. Report of the World Council of Churches’ Conference on Faith, Science, and the Future, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA, 12– 24 July, 1979. Volume 1: Plenary Presentations (Philadelphia: Fortress, 1980); Paul Abrecht, Hrsg., Faith and Science in an Unjust World. Report of the World Council of Churches’ Conference on Faith, Science, and the Future, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, USA, 12–24 July, 1979. Volume 2: Reports and Recommendations (Geneva: World Council of Churches, 1980).
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conference he captivated the assembled scientists and technologists and the MIT community by his understanding of the social ethical problems in their disciplines. Undoubtedly it was one of his greatest contributions to the life and work of the WCC and to the witness of the ecumenical movement in the contemporary world.402
Die Konferenz brachte Mar Gregorios einen guten Ruf innerhalb des ÖRK ein, sogar dort, wo er sonst als problematischer Vertreter galt. Er selbst bewertete seine Arbeit in diesem Kontext ebenfalls als äußerst prägende Erfahrung: That World Conference on Faith, Science and The Future, held at the Massachusetts Institute of Technology in 1979, with some 500 physical scientists and the same number of social scientists and theologians attending, constituted, along with the five-year preparatory process under my chair-manship which preceded it, a major turning point in my own thought-life. I had occasion to work with many world thinkers on the issues relating to modern science as our chief way of knowing, and to modern technology as our principal tool for transforming society and environment.403
Dennoch entspann sich unter Mar Gregorios’ Ägide im Vorbereitungskomitee zu der Tagung eine Kontroverse. Der US-amerikanische, reformierte Theologe Thomas Sieger Derr (* 1931), der Teil des Komitees war, setzte sich in seinem Werk Ecology and Human Liberation. A Theological Critique of the Use and Abuse of Our Birthright404, das er im Jahre 1973 veröffentlichte, mit dem Thema der Ökologie aus theologischer Perspektive auseinander. Mar Gregorios reagierte auf seine Weise: It was much too Calvinistic and hardly Christian from my perspective. The best I could do to respond was to sit in the Gregorian Library in Rome for three weeks and produce The Human Presence, giving an Eastern Orthodox Christian approach to the same problem.405
Es sollte eines seiner meistbeachteten Bücher werden.406 Ökologie, die Herausforderung der Naturwissenschaften an das Christentum und die fortschreitende Technologisierung der Lebenswelt sollten hinfort zentrale Themen für ihn bleiben. In Verbindung zu der Konferenz brachte er – neben dem genannten Werk – einen Sammelband zu dem Thema mit Beiträgen indischer Wissenschaftler und Denker heraus (Science and Our Future, 1978), außerdem nach der Konferenz 402 Abrecht, »In Memoriam«, 113. 403 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 27. 404 Thomas Sieger Derr, Ecology and Human Liberation. A Theological Critique of the Use and Abuse of our Birthright, WSCF Books 7 (Geneva: World Council of Churches, 1973). Mar Gregorios nennt hier weder den Namen des Autors noch den Titel des Werkes. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 27. Doch ist mit Blick auf das Vorbereitungskomitee sowie das Erscheinungsjahr des Werkes ersichtlich, dass es sich hierbei um Derr handeln muss. Vgl. True, »Prophet«, 88. 405 Ebd. 406 Vgl. ebd., 27.
Weiteres ökumenisches Wirken
105
eine umfassendere Monographie zu dem Thema mit dem Titel Science for Sane Societies (1980). Wie in keinem anderen Kontext wird Mar Gregorios hier als kreativer Denker erkennbar. So bringt er etwa das orthodoxe Theosis-Konzept ins Gespräch mit naturwissenschaftlichen Weltbildern, um in der Vereinbarkeit von beidem zugleich seine Kritik an einem unhinterfragt säkularen Weltbild fortzusetzen.407 Später sollten zwei Bände folgen, die in eine ähnliche Richtung weisen – Enlightenment East and West (1989) und A Light Too Bright (1990) –, in denen er sich mit der europäischen Aufklärung befasst, die er als Ursprung jener naturwissenschaftlichen Weltsicht beschreibt. So befand sich Mar Gregorios in Vancouver in gewisser Hinsicht auf dem Höhepunkt seines ökumenischen Wirkens und intellektuellen Schaffens. Er wurde auf der Vollversammlung zum Präsidenten des ÖRK und damit in eines der höchsten Ämter des Rates gewählt. Doch auch jene Tatsache sieht er im Rückblick äußerst negativ: In 1983 the Vancouver Assembly had chosen me to be one of its presidents, a desperate move on the part of the WCC establishment to keep me out of power in its policy making and running. A president of the WCC is always a decorative figure, supposed to represent the WCC on unimportant public occasions, a senior figure who generally keeps out of all controversy.408
Man habe verhindern wollen, dass er Moderator des Zentralausschusses werde, der neben dem Generalsekretär den meisten Einfluss genieße.409 Mar Gregorios beschreibt seine Präsidentschaft als eine Zeit, in der er einen tiefen Zynismus gegenüber der Arbeit des ÖRK entwickelte: »There seemed to be more dirty politics in that Christian body than in most nation states.«410 Möglicherweise war es diese Frustration, die dazu führte, dass er schließlich auf der Vollversammlung in Canberra 1991 alle Ämter im ÖRK niederlegte – nicht ohne sich mit einem Paukenschlag zu verabschieden: So antwortete er auf der Versammlung im Namen des ÖRK auf die Keynote Speech des australischen Premierministers Bob Hawke (* 1929) mit einer Rede, in der er den australischen Staat harsch für dessen Umgang mit den Aborigines kritisierte.411
407 Vgl. etwa Paulos Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 2. Aufl. (New York: Paragon House, 1987), 74–75. 408 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 188. 409 Vgl. ebd. 410 Ebd., 189. 411 Vgl. True, »Prophet«, 97.
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Biographie im Kontext
Abbildung 7: Paulos Mar Gregorios auf der ÖRK-Vollversammlung in Canberra 1991.
6.1.4 Paulos Mar Gregorios und der ÖRK Das Verhältnis von Mar Gregorios zum ÖRK könnte man mit dem Begriff ›Hassliebe‹ beschreiben. Seine Kritik bleibt von den 1960er- bis in die 1990erJahre stets die gleiche: Der Rat sei in Wirklichkeit eine »pan-protestantische Organisation«412, die unter einer »chronischen Logorrhoea«413 (»zu viele Worte, zu wenig Kommunikation«414) leide und dem es vor lauter Bürokratie und Machtspielen am Wichtigsten fehle: geistlicher Führung und geistlichem Le-
412 Mar Gregorios, »Will Vancouver be a Turning Point?«, 125: »The WCC is, perhaps unconciously, shaping itself into a pan-Protestant organization.« Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Beyond 2000 AD. Prospects for the Ecumenical Movement«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 75; Mar Gregorios, »Assembly at Nairobi«, 100. 413 Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 109. 414 Mar Gregorios, »Assembly at Nairobi«, 102: »Too many words, too little communication«. Nach der Vollversammlung von Uppsala schreibt er: »Some of the criticism was unkind, ›Upps-bla-bla‹ – some clever young person said in one of the side meetings. And ›bla-bla‹ there certainly was plenty of – as you would expect in an assembly of 2000 – most of them professional preachers.« Paulos Mar Gregorios, »Personal Reflection on Uppsala. PostUppsala Reflections«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 93.
Weiteres ökumenisches Wirken
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ben.415 Bei derart harscher Kritik ist nicht nur beachtlich, wie lange er dennoch auf höchster Ebene für den Rat tätig war, sondern auch, wie sehr ihn die hier geführten Diskurse in seinem Denken prägten. War er stets auf der Suche nach eigenen Antworten, so befand er doch die Fragen, die hier gestellt wurden, offensichtlich als die richtigen. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass er ein eigenes intellektuelles Gepräge entwickelte: als indisch-orthodoxer Theologe in Begegnung mit den Fragen seiner Zeit.
6.2
Weiteres ökumenisches Engagement außerhalb des ÖRK
Paulos Mar Gregorios engagierte sich über den ÖRK hinaus in vielen weiteren Dialogen, die zu besprechen und im Einzelnen zu analysieren den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Dennoch sollten drei von ihnen genannt werden, da diese eine bedeutende Rolle für ihn, seine intellektuelle Entwicklung sowie seinen Werdegang haben sollten. Da ist zunächst der Dialog zwischen orientalisch-orthodoxen Kirchen und der Römisch-Katholischen Kirche im Rahmen der Stiftung Pro Oriente zwischen 1971 und 1988. Dieser konnte massiv vom Faith and Order-Dialog zwischen Byzantinern und Orientalen profitieren. Auf Seiten der Orientalen bestand eine hohe personelle Überschneidung zwischen den beiden Dialogen. Aus Mar Gregorios’ Sicht war der Erfolg der Gespräche groß. Man fand hier zu einer Formel, die Streitbegriffe wie ὑπόστασις, πρόσωπον und φύσις vermied und zugleich der orientalischen Seite enorm entgegenkam.416 Die ›Wiener Christologische Formel‹ bildete infolgedessen die Grundlage für weitere ökumenische Übereinkünfte der orientalisch-orthodoxen Kirchen mit der katholischen Kirche.417 Im Rahmen der Konsultationen zeigte sich besonders, wie Mar Gregorios seine Rolle im Dialog verstand. Er übernimmt hier im Gegenüber zu den römisch-katholischen Vertretern deutlich die Rolle des Orientalen, beharrt auf dem Recht des miaphysitischen Bekenntnisses, macht jedoch auch deutlich, dass es in der Tradition apophatischer Theologie nicht um Worte, sondern um die Sache
415 Vgl. etwa Paulos Mar Gregorios, »To Keep the Ecumenical Movement Moving«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 27–28. 416 Vgl. Mar Gregorios, »Ecumenical Priorities«, 221–22; Winkler, Koptische Kirche, 264–65. 417 So in den gemeinsamen Erklärungen von Papst Schenuda III. und Papst Paul VI. (1973), Patriarch Ignatios Zakka I. Iwas und Papst Johannes Paul II. (1984) sowie der Übereinkunft zwischen Römisch-Katholischer Kirche und der Malankara Orthodox-Syrischen Kirche – also der Kirche von Mar Gregorios – im Jahre 1990. Vgl. Winkler, »Die altorientalischen Kirchen«, 104.
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Biographie im Kontext
gehe: das Bekenntnis zu Christus, dem inkarnierten Logos Gottes.418 Vergleicht man sein Auftreten mit dem in anderen Dialogen – etwa mit den byzantinischorthodoxen Kirchen – muss jedoch die Frage gestellt werden, ob sein Beharren auf das miaphysitische Bekenntnis nicht eher in seinem Gegenüber zum ›westlichen‹ Katholizismus begründet ist als in einer dogmatischen Verwurzelung in der miaphysitischen Tradition.419 Ebenso charakteristisch ist es, wenn er etwa in der ersten Wiener Konsultation dieses christologische Bekenntnis ins Verhältnis setzt zu aktuellen Strömungen des Protestantismus – allem voran jener ›Gottist-tot-Theologie‹, die er als extreme Form einer grundsätzlichen Tendenz des Protestantismus zur christologischen Häresie darstellt.420 Deutlich wird: Er bleibt zwar gegenüber dem Katholizismus in allen seinen Beiträgen innerhalb der Wiener Konsultationen äußerst kritisch,421 zugleich sucht er jedoch auch nach Gemeinschaft angesichts seines Erachtens bedrohlicher Tendenzen innerhalb des Protestantismus. Er plädiert für eine neue Sprache, um das alte christologische Bekenntnis verständlich zu machen. Auch innerhalb seiner eigenen orientalisch-orthodoxen Fraktion ist er damit – wie die Diskussionsnotizen der Konsultation zeigen – nicht immer verstanden worden.422 Ein für Mar Gregorios unvergleichlich wichtiges ökumenisches Ereignis war der offizielle Dialog zwischen orientalisch-orthodoxen und byzantinisch-orthodoxen Kirchen. Dieser stellte sich als Fortsetzung des äußerst fruchtbaren inof418 Vgl. Paul Verghese, »The Relevance of Christology Today«, Wort und Wahrheit. Revue for Religion and Culture. Supplementory Issue 1 (1972): 178: »The terminological differences need not seperate us, if we really agree on the substance of Church’s faith and tradition.« 419 Siehe ausführlich dazu: IV.3.3. 420 Vgl. Verghese, »Relevance of Christology«, 172. 421 Die Vergangenheit, in der man seitens der Römisch-Katholischen Kirche aktiv Proselytismus gegenüber den orientalisch-orthodoxen Kirchen betrieb, spielt in den Gesprächen eine große Rolle. Bei Mar Gregorios kommt das Selbstverständnis hinzu, zu jener Gruppe orthodoxer Thomaschristen zu gehören, die 1653 am Kunen Kurisu gegen die Herrschaft der römisch-katholischen Portugiesen revoltierte. Vgl. Mar Gregorios, »Twelve Facts«, 229–30. Hinzu kamen zentrale Differenzen, die er wie folgt zusammenfasst: »None of these achievements may mean that all the problems have been ironed out. The Communique of the Fourth Conversation clearly shows that apart from Filioque, Dogmas of Immaculate Conception and Papal Infallibility, and even some Christological differences, the fundamental problem of papal jurisdiction and authority has not yet found a solution.« Mar Gregorios, »Ecumenical Priorities«, 222. 422 Vgl. Verghese, »Relevance of Christology«, 178: »Archbishop Nersoyan dissociated himself expressly from Prof. Verghese’s ›personal views‹, The [sic!] latter’s explanations as given in his paper were of too general character and missed the point of the Consultation the purpose of which was getting to know and understand one another, and not meeting formally.« Paul Verghese antwortet darauf: »Prof. Verghese took up the criticism uttered by Archbishop Nersoyan: The immediate tasks were to subscribe to the highly laborious process of dealing with, and overcoming, the past, and to arrive at a novel Christology, a terminology corresponding to the language of the present and expressing the essential elements of tradition.« Ebd., 179.
Weiteres ökumenisches Wirken
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fiziellen Dialogs im Rahmen von Faith and Order dar und führte zu drei Erklärungen zwischen 1985 und 1990. Die Schlusskommuniqués von Wadi-El-Natrun 1989 und Chambésy 1990 griffen erneut auf die (pseudo-)kyrillische μία-φύσιςFormel zurück und bekennen »einen Glauben und eine apostolische Tradition«423. An beiden Kommuniqués war Mar Gregorios beteiligt.424 Die zentrale Frage war nun, wie die Einheit der beiden orthodoxen Kirchenfamilien in die Praxis umgesetzt werden könne. Damit fand für Mar Gregorios gegen Ende seines Lebens eine Sache Ausdruck, die er sein Leben lang als priorisiertes ökumenisches Anliegen bezeichnete – die Einheit der Orthodoxie, die er in seinen Texten gleichsam immer wieder vorwegnahm. Mit Chambésy 1990 war die »theologische Arbeit dieser Kommission vollendet«425. Viel schwieriger sollte sich jedoch die praktische Umsetzung darstellen. 1993 traf man sich erneut, um derlei praktische Fragen zu klären. Mar Gregorios war hier nicht mehr zugegen. Er erlitt am 29. Mai desselben Jahres einen Schlaganfall, der ihn fortan an den Rollstuhl band.426 In Indien engagierte sich Mar Gregorios ebenfalls in Sachen Ökumene. Er war lange Zeit der Hauptverantwortliche für den ökumenischen Dialog seiner Kirche. Im Rahmen dessen organisierte er wichtige Gespräche zwischen Vertretern unterschiedlicher Kirchen. Hervorzuheben sind der Dialog mit der Mar-ThomaKirche, der ab 1968 in regelmäßigen Abständen stattfand sowie der lutherischorthodoxe Dialog zwischen 1978 und 1982. Der Dialog mit der Mar-ThomaKirche steht exemplarisch für das Gespräch, das Mar Gregorios zu Vertretern anderer thomaschristlicher Kirchen suchte. Diese Gespräche stellten sich stets als schwierig dar. So zeigt sich etwa in einem Artikel im Kontext des Dialogs mit der Mar-Thoma-Kirche zur Frage der Einheit der Thomaschristen, dass er diese 423 Harding Meyer u. a., Hrsg., »Kommuniqué der Gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Orthodoxen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen (Vorchalkedonensischen) Kirchen. Wadi-El-Natrun, 20.–24. Juni 1989«, in Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene. Band II: 1982–1990 (Paderborn [u. a.]: Bonifatius [u. a.], 1992), 299. 424 Vgl. ebd. 425 Damaskinos Papandreou, »Orthodox (Chalkedonenesische Orthodoxie)/Orientalisch-Orthodoxe (Vorchalkedonensische Orthodoxie) Dialoge. Historische Einleitung«, in Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene. Band II: 1982–1990, hg. von Harding Meyer u. a. (Paderborn [u. a.]: Bonifatius [u. a.], 1992), 296. 426 Vgl. »Réunion de la Commission Mixte pour le Dialogue entre l’Église Orthodoxe et les Églises Orthodoxes Orientales«, Proche Orient Chrétien 43, Nr. 3–4 (1993): 449; Paulos Mar Gregorios, »At the Stroke of a Stroke. Journal – June 5, 1993«, in Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 165; Paulos Mar Gregorios, »The Last Will«, in Love’s Freedom. The Grand Mystery. A Spiritual Autobiography, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1997), 197.
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Biographie im Kontext
weder mit der Mar-Thoma-Kirche, noch mit den katholischen Malankaren und Malabaren für möglich hält.427 Als Vertreter des orthodoxen Zweigs der Thomaschristen versteht er all jene Gruppierungen als solche, die von der ursprünglich einheitlichen Kirche Malabars abgefallen sind und sich in Richtung ›Westen‹ orientierten: im Falle der Mar-Thoma-Kirche in Richtung der reformatorischen Kirchen, im Falle der anderen beiden Kirchen in Richtung Rom. So ist Mar Gregorios’ Rolle in Indien zu verstehen: Er war von Anfang an ein Kritiker des Anspruchs jeglicher Autorität außerhalb Indiens über die Thomaschristen und plädierte für ihre völlige Unabhängigkeit. Dies brachte ihn im Zuge des Streits innerhalb seiner Kirche klar auf die Seite der Metran Katshi, die sich später zur Indisch-Orthodoxen Kirche formierte. Später schreibt er: Our revolt against the Roman Catholic Church in 1653, was a revolt against Portuguese colonialism and western cultural imperialism. We have refused to bow also to the British colonialism which sought to unite us with the Anglican communion through more sophisticated methods. We are anxious to maintain this independence, and to cooperate with other Churches on an equal and sisterly footing.428
Dieser Umstand zeigte sich auch in den Gesprächen mit den Lutheranern zwischen 1978 und 1982. Zwar fanden diese unter gänzlich anderen Voraussetzungen statt, da die lutherische Seite sich keinesfalls zu den Thomaschristen zählte, doch wurde am Rande die Frage erörtert, ob die syrisch-orthodoxe Fraktion – die sogenannten ›Jakobiten‹ – mit in den Dialog einbezogen werden sollten. Mar Gregorios’ Haltung war klar: Hier handle es sich um eine andere Kirche und daher habe diese in einem bilateralen Dialog keinen Platz.429 Darüber hinaus wird in dem Dialog, dessen Texte im Einzelnen in dieser Arbeit immer wieder eine Rolle spielen werden, erneut Mar Gregorios’ Haltung gegenüber den reformatorischen Kirchen deutlich: Er hält deren Theologie im Kern für unvereinbar mit dem orthodoxen Glauben. Für ihn bleiben Katholizismus wie Protestantismus ›westliche‹ Größen, deren Existenz in Indien er in einen engen Zusammenhang
427 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Union in the Syrian Churches of Kerala. A Survey«, in Inter Church Dialogue, hg. von Ashish Amos (Delhi [u. a.]: Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2010), 111–16. Die Frage der Einheit mit den ›Jakobiten‹ stand hier noch nicht zur Debatte, da man – trotz bleibender Spannungen – den Streit seit 1958 beigelegt und zur Einheit gefunden hatte, um erst 1975 die endgültige Spaltung herbeizuführen. 428 Mar Gregorios, »Twelve Facts«, 229–30. 429 Vgl. Kondothra M. George und Herbert E. Hoefer, Hrsg., A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982 (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 153: »Dr. Jackayya raised the question if it would be more fruitful if we included the Jacobite Church also in the dialogue. Mar Gregorios said that the Orthodox have no objection in principle, but that would mean the we would have to open the dialogue to all other churches as well. Our dialogue is a specifically bilateral one authorized by the Lutheran Church and the Synod of the Orthodox Church.«
Lebensabend
111
mit dem Kolonialismus stellt.430 Auch in seinem Heimatland bleibt Mar Gregorios sowohl ein Initiator des ökumenischen Dialogs als auch jemand, der sich innerhalb des Dialogs harsch abgrenzt und als Kritiker des ›Westens‹ – als dessen Verkörperung er Katholizismus und Protestantismus versteht – auftritt.
7
Lebensabend
Mit dem Rücktritt von allen Ämtern sowohl in der CFK 1990 wie dem ÖRK 1991 trat Paulos Mar Gregorios von der Bühne der internationalen Ökumene ab. Er tat dies nicht etwa, um sich nun zurückzuziehen. Er selbst beschreibt es später wie folgt: The net result of my rather extensive experience is that I have not been able to spot one Christian Church in the world that is even half faithful to the way of the cross and to the teaching of the Apostles. I have gradually begun to look outside the Christian Church, to see what God is doing.
So steht Mar Gregorios’ letzter Lebensabschnitt genau unter diesem Vorzeichen. Intellektuell beschäftigen ihn in diesen Jahren zwei Dinge vordringlich: der interreligiöse Dialog sowie der Dialog zwischen ›Ost‹ und ›West‹ auf der Ebene der Philosophie. Mit seinen letzten großen Werken A Light Too Bright und Enlightenment East and West hat er diesen Anliegen sein Programm gegeben. Beide Werke sind zudem verwurzelt im indischen Kontext, von dem her sich Mar Gregorios ausdrücklich versteht. Man sieht ihn immer häufiger mit hochrangigen Vertretern anderer Religionen, wie etwa dem Dalai Lama oder Baba Virsa Singh (1934–2007).431 Auch verband ihn eine Freundschaft mit dem Benediktiner Bede Griffiths (1906–1993), der sich wie er mit der Frage der Inkulturation des Christentums in Indien befasste.432 430 Vgl. Mar Gregorios, »Dialogue with World Religions«, 129. Ähnlich urteilt Mar Gregorios’ Schüler K.M. George im Kontext des Dialogs. Vgl. Kondothra M. George, »Proposals for a Programme of Lutheran-Orthodox Conversation in India«, in A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982, hg. von Kondothra M. George und Herbert E. Hoefer (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 3–4: »The Reformation and post-Reformation period coincided with the Western colonial expansion«. 431 Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 120–21. Zu Baba Virsa Singh vgl. Paulos Mar Gregorios, »Reshaping Health Care«, in Healing. A Holistic Approach, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2016), 76. Es existiert ein Nachruf von Baba Virsa Singh auf Paulos Mar Gregorios: Baba Virsa Singh, »In Memory of Father Gregorios«, News from Gobind Sadan, Februar 1997. 432 Für dieses gemeinsame Interesse stehen unter anderem die Beitrage von Griffiths in den beiden Mar Gregorios zugedachten Festschriften. Vgl. Bede Griffiths, »Love and Community in the Ultimate State«, in Freedom, Love, Community. Festschrift in Honour of Metropolitan
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Biographie im Kontext
Am 28. August 1993 eröffnete Paulos Mar Gregorios die zweite Sitzung des Parliament of World’s Religions in Chicago. Im Verlauf der Veranstaltung trat er überdies als Hauptredner auf. Es zeigt sich, dass trotz des anderen Kontextes eine enorme Kontinuität in seinem Denken besteht. Das gemeinsame Anliegen aller Religionen sieht er in der »New Enlightenment«433, die er in den genannten letzten Werken beschreibt. Hierin erkennt er das Zeugnis der Religionen im Gegenüber zu einer säkularen Weltsicht, die er als große Gefahr für das friedliche Miteinander der Menschen sieht: There has to be a life-style change both in the industrially advanced countries, and among the privileged elite of all countries. The twenty-first century needs the building of a new civilisation based on a vision of the transcendent, on which we are all contingent, and in which we are all one, as a single human race. There is no way of patching up the structures built up in the latter half of the twentieth century. Godless in essence, they are not only obsolete, but even alarmingly self-destructive.434
Diese New Enlightenment blieb das Thema seiner letzten Schaffensphase. Es ging ihm darum, dass die Religionsgemeinschaften gemeinsam der Bedrohung eines säkularen Weltbildes entgegenträten. Dabei sah er die Zusammenarbeit mit anderen Religionen zunehmend als fruchtbarer an als die innerchristliche Ökumene. Die Konfrontation mit der sogenannten ›Theologie des Todes Gottes‹ ist für ihn Indikator dafür, dass ein gemeinsames Einstehen für eine religiöstranszendente Perspektive hinsichtlich der Probleme und Herausforderungen der Gegenwart mit dem ›Westen‹ nicht zu machen ist. Dieses Anliegen trug Mar Gregorios in seinen späten Jahren immer wieder auch in Kreisen von Naturwissenschaftlern vor. So machte er sich etwa am 29. Mai 1993 auf den Weg nach Köln zu einer Konferenz über die Grundlagen Paulos Mar Gregorios, hg. von Kondothra M. George (Madras: The Christian Literature Society, 1985), 1–6; Bede Griffiths, »The New Humanity in the Light of Western Science and Eastern Thought«, in Towards a New Humanity. Essays in Honour of Dr. Paulos Mar Gregorios. Published in Connection with the Seventieth Birthday Anniversary, hg. von Kondothra M. George und K.J. Gabriel (Delhi: Indian Society for Promoting Christian Knowledge, 1992), 5–9. 433 Paulos Mar Gregorios, »Towards a New Enlightenment. This Time – Global, Spiritual and Comprehensive«, in Religion and Dialogue (Kottayam [u. a.]: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2000), 113: »The New Enlightenment will give us a new perception of reality in which reality is three-in-one: first, the Transcendent Source and Foundation of all being, call it Allah, God, Brahman, Tao or Buddha-nature; second, the universe as the manifest reality which comes from the Transcendent Unmanifest, and is totally contingent on it; and third this strange human entity which participates in both the Manifest and the Unmanifest, and has this specific and unique double meditorial task of manifesting the Transcendent in the Universe and leading the Universe to the Transcendent.« 434 Paulos Mar Gregorios, »A Parliament without Parallel. The Chicago Meet of World Religions«, in Religion and Dialogue (Kottayam [u. a.]: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2000), 138.
Lebensabend
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theoretischer Physik.435 Auf dem Weg erlitt er einen Schlaganfall. In Deutschland gelandet, brachte man ihn sofort in das Krankenhaus St. Josef in WuppertalElberfeld.436 In der Erwartung, nicht mehr lange zu leben, verfasste er im Krankenhaus seinen Letzten Willen – einen Text über das, was er als seine Vision verstand. Jener Text beschreibt möglicherweise am dichtesten, wie Mar Gregorios sein eigenes geistiges Vermächtnis begriff – als in Christus zentriertes und gerade von dort aus sich weitendes Denken, weil es nicht der ferne, sondern der inkarnierte Gott ist, auf dem sein Glaube fußt: For He has come to us in His Son, and has become one of us, a human being in the created order, partaking of the earth, of flesh and blood, of matter in all its temporality and finitude. On that I have no doubt, even though many of the people whom I love and admire reject that faith of mine. I belong to Jesus Christ the Incarnate Son of God, and therefore to His new humanity, without any reservation.437
Er sollte noch weitere drei Jahre leben. Doch blieb Mar Gregorios von nun an von gesundheitlichen Problemen geplagt. Er war auf einen Rollstuhl angewiesen, da nach dem Schlaganfall seine linke Seite zum Teil gelähmt blieb. Auch litt er schon seit längerem unter Diabetes und Bluthochdruck.438 Diese gesundheitlichen Einschränkungen hielten ihn zunächst nicht davon ab, nach wie vor viel zu reisen und sich in verschiedensten Kontexten einzubringen. Auch seine Schreibtätigkeit setzte er fort. Dennoch war er gegen Ende dazu gezwungen, sich in seiner Residenz in Delhi zurückzuziehen. Frustriert angesichts seiner Situation, äußerte er tiefes Misstrauen gegenüber der eigenen Kirche, von der er sich allein gelassen fühlte. Er schreibt in dem Rücktrittsgesuch an das Oberhaupt seiner Kirche Katholikos Baselios Marthoma Mathews II. (1915–2006): I have also gradually lost my confidence in the leadership of the Church, and I find it difficult to associate myself with many of the present leadership’s decisions and ways doing things. I therefore herewith tender my resignation, which will take effect from May 1st 1995, from my membership and all offices in the Holy Episcopal synod, from membership and offices in the Association Managing Committee, and from membership in other administrative bodies like the Standing Committee of the synod. I have never accepted my appointment as the secretary of the Holy synod, because of irreg-
435 Vgl. Mar Gregorios, »Last Will«, 197; Mar Gregorios, »Stroke«, 165; George, »Editor’s Preface«, 9. 436 Vgl. Mar Gregorios, »Stroke«, 165; Mar Gregorios, »Last Will«, 197. 437 Ebd., 196. 438 Vgl. Joseph E. Thomas, »Metropolitan Dr. Paulose Mar Gregorios. A Personal Reminiscence«, zugegriffen 5. Oktober 2019, http://stgregorioschicago.org/articles/paulosemargre gorios.html.
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Biographie im Kontext
ularities in that office [are] not yet rectified. I resign also from being Metropolitan of the Diocese of Delhi.439
Er blieb jedoch Rektor des orthodoxen Seminars – eine Position, die er nie aufgeben wollte.440 Man erlaubte ihm, in seiner Residenz wohnen zu bleiben, während seine Aufgaben von Job Mar Philoxenos (1939–2011) übernommen wurden, der ihm bereits seit einigen Jahren als Administrator der Diözese von Delhi zu Seite stand, aufgrund der vielen Aufgaben und Reisen, die Mar Gregorios neben seiner Tätigkeit als Metropolit auf sich nahm.441 Schließlich erkrankte Mar Gregorios an Leukämie.442 Dieser hatte sein Körper am Ende nichts mehr entgegen zu setzen. Am 24. November 1996 starb er in seiner Residenz in Delhi. Er wurde auf eigenen Wunsch von dort nach Kottayam verbracht, um seine letzte Ruhestätte in der Kapelle des Orthodox Theological Seminary zu finden. Das Begräbnis fand unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit statt.443 Über sein Grab schrieb man den folgenden Satz: »Principal of the Seminary, Metropolitan of Delhi Diocese, President of W.C.C., Philosopher, Theologian, Writer, Ecumenical Leader, Philanthropist, Prophet of Peace With Justice and above all great Lover of Gods Creation.«
439 Paulos Mar Gregorios, »Letter 34«, 17. März 1995, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »Letter 33«, 10. Mai 1995, 33, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 440 Vgl. Mar Gregorios, »Letter 20«, o. J.; Paulos Mar Gregorios, »Letter 28«, 1. Januar 1992, Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 441 Vgl. ebd.: »In my diocese I have now an Assistant Metropolitan, His Grace Job Mar Philoxenos, who now does the administration and pastoral care for people in the 50 parishes and congregations stretching from London to Lucknow much better than I could have done. But that does not, alas decrease the volume of my work for my own church.« 442 Vgl. George, »Editor’s Preface«, 9. 443 Vgl. Puliyeril, Paulos Mar Gregorios, 71–72.
Lebensabend
115
Abbildung 8: Grab von Paulos Mar Gregorios im Seitenschiff der Kapelle des Orthodox Theological Seminary.
III
Tradition und Imagination
1
Garant der Tradition: Gregor von Nyssa
1.1
Motive und Anknüpfungspunkte
Gregor von Nyssa ist die wohl wichtigste Inspirationsquelle für Paulos Mar Gregorios. Dabei ist der Begriff ›Inspiration‹ durchaus nicht unangemessen: So sind es oftmals weniger theologische Aussagen oder Argumentationen im Detail, die er rezipiert, sondern vielmehr eine ›Art des Theologietreibens‹444, die er für vorbildlich hält: »the Christian tradition interpreted and enriched through the categories and concepts of the philosophers and Church fathers with a few creative contributions here and there.«445 Er versteht Gregor als einen Theologen, der es vermochte, Freiheit und Tradition zusammenzudenken, der etwa ein großer Kenner griechischer, ›paganer‹ Philosophie war und sich diese nutzbar machte für eine Theologie in intensiver Auseinandersetzung mit den Denkströmungen seiner Zeit. Gregor von Nyssa ist dabei mehr als nur theologische oder intellektuelle Referenz, er ist persönliches Vorbild.446 Er ist aber auch Garant der ›Orthodoxie‹ seines Entwurfs. Mit Gregor von Nyssa wendet er sich einem der Theologen der frühen Kirche zu, der maßgeblich dafür war, dass sich der nicänische Glaube durchsetzte.447 Hierin lässt sich auch eine Strategie erkennen: Gregor kann konfessionsübergreifend als ›kanonisiert‹ gelten.448 Anhand eines ökumenischen Kirchenvaters entwickelt Mar Gregorios 444 Vgl. Paulos Mar Gregorios, Cosmic Man. The Divine Presence. An Analysis of the Place and the Role of the Human Race in the Cosmos, in Relation to God and the Historical World, in the Thought of St. Gregory of Nyssa (ca. 330 to ca. 395 A.D.) (New Delhi [u. a.]: Sophia Publications, 1980), viii. 445 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 60. 446 Davon zeugt auch sein Bischofsname ›Gregorios‹. Vgl. True, »Prophet«, 92. 447 Vgl. David L. Balás, »Gregor von Nyssa«, Theologische Realenzyklopädie 14 (Berlin [u. a.]: De Gruyter, 1985), 174–75. 448 Vgl. True, »Prophet«, 83.
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Tradition und Imagination
eine – seines Erachtens – ›ökumenische‹ Theologie, um diese zugleich zum Anlass seiner Kritik am ökumenischen Gegenüber zu nehmen, der sich gegen diese Form einer ›Ökumene der Kirchenväter‹ verschließe.449 Dabei gilt es zu beachten, dass er zu jenen Kirchenvätern keinesfalls Augustin zählt, den er stets als Antipoden zu Gregor von Nyssa – und zugleich Personifikation des ›Westens‹ – darstellt.450 Wenn Mar Gregorios auf der einen Seite ›dem Westen‹ den ›Abfall von der authentischen Väter-Tradition‹ vorwirft, auf der anderen Seite nicht-christliche Religionen auf Basis seines Traditionsbegriffs in das ökumenische Gespräch einbeziehen möchte, muss die Frage gestellt werden: Ist die Tatsache, dass Mar Gregorios das Thema Freiheit in das Zentrum seiner Rezeption Gregor von Nyssas stellt – und Augustin zugleich zum Garanten der Unfreiheit des Westens macht451 – nicht letztlich die Legitimation einer persönlichen wie kollektiven Emanzipation im ökumenischen Diskurs? Doch für welches Kollektiv spricht Mar Gregorios? Für die orthodoxen Kirchen? Für die orientalisch-orthodoxen Kirchen? Für die Indisch-Orthodoxe Kirche? Für die Kirchen des sogenannten ›globalen Südens‹? Das Ziel der vorliegenden Arbeit liegt darin, dies zu eruieren, wenn hier näher betrachtet wird, wie Mar Gregorios den Begriff des ›Ostens‹ füllt. Es ist dieses Kollektiv des ›Ostens‹ als dessen Vertreter, Fürsprecher und Vordenker sich Mar Gregorios versteht. Dabei handelt es sich – das sei hier als Ergebnis vorweggenommen – um ein imaginiertes Kollektiv, das Merkmale jener Größen der orientalischen, indischen und sogar byzantinischen Orthodoxie trägt. Zugleich versteht sich Mar
449 Vgl. etwa Verghese, Freedom and Authority, 26–27. Dass eine solche ›Ökumene der Kirchenväter‹ entgegen Mar Gregorios’ Meinung auch aus protestantischer Sicht möglich ist, zeigt Wolfgang A. Bienert. Vgl. etwa Wolfgang A. Bienert, »Die Bedeutung der Patristik für das ökumenische Gespräch – aus protestantischer Sicht«, in Kirchengeschichte in ökumenischer Verantwortung. Ausgewählte Studien, hg. von Peter Gemeinhardt und Karl Pinggéra, Kirche – Konfession – Religion 55 (Göttingen: V&R unipress, 2009), 53–67; Wolfgang A. Bienert, »Die Bedeutung der Patristik für den ökumenischen Dialog. Zum Gedenken an Wilhelm Schneemelcher (1914–2003)«, in Kirchengeschichte in ökumenischer Verantwortung. Ausgewählte Studien, hg. von Peter Gemeinhardt und Karl Pinggéra, Kirche – Konfession – Religion 55 (Göttingen: V&R unipress, 2009), 87–102; Wolfgang A. Bienert, »Zurück zu den Anfängen? Zur ökumenischen Relevanz der Kirchenväter«, in Kirchengeschichte in ökumenischer Verantwortung. Ausgewählte Studien, hg. von Peter Gemeinhardt und Karl Pinggéra, Kirche – Konfession – Religion 55 (Göttingen: V&R unipress, 2009), 121–37; Wolfgang A. Bienert, »Die Bedeutung der Kirchenväter im Dialog zwischen der EKD und den Orthodoxen Kirchen«, in Kirchengeschichte in ökumenischer Verantwortung. Ausgewählte Studien, hg. von Peter Gemeinhardt und Karl Pinggéra, Kirche – Konfession – Religion 55 (Göttingen: V&R unipress, 2009), 323–45. 450 Vgl. etwa Verghese, Freedom and Authority, 41–44, 61–62; Mar Gregorios, »Humanization«, 15–23. 451 Vgl. etwa Verghese, Freedom and Authority, 16, 46–47, 61–62; Mar Gregorios, »On God’s Death«, 43; Mar Gregorios, Faith of Our Fathers, 36–37.
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Gregorios als Vertreter des globalen Südens – nicht nur in seiner Rolle als Theologe und Kirchenvertreter.452 Bei all dem kommt es zu teils eigentümlichen Konstruktionen, wenn etwa deutlich wird, dass die Grenzziehung zwischen ›Ost‹ und ›West‹, wenn es um den kirchlichen Kontext geht, keinesfalls schlicht auf die Orthodoxie (orientalisch und byzantinisch) auf der einen und die ›Westkirchen‹ des Katholizismus und Protestantismus auf der anderen Seite verläuft. Bei der Imagination des ›Ostens‹ und im Speziellen der Orthodoxie kommt es zu einer transkonfessionellen Grenzüberschreitung, dessen zentrale Kategorie das ›Gregorianische‹ ist.453 Dieses Erbe sieht er zwar bei den orthodoxen Kirchen besser bewahrt als in den Kirchen des Westens,454 jedoch zeigt etwa die Rezeption Teilhard de Chardins oder der Prozesstheologie, dass für ihn das ›Östliche‹ in der Theologie jenseits herkömmlicher konfessioneller Grenzen zu finden ist.455 Mar Gregorios führt Gregor von Nyssa für seinen Entwurf einer Orthodoxie ins Feld. Dabei ist ihm klar, dass dieses Vorgehen auch als ›unorthodox‹ bezeichnet werden könnte. Auf diesen Umstand geht er in dem Aufsatz On God’s Death näher ein. Hier beschreibt er im Gegenüber zu einem ›westlichen Augustinismus‹ das, was er als »östliches Korrektiv«456 bezeichnet. Er gibt zu: »We shall here do something – for the sake of convenience – which is contrary to authentic Eastern Orthodox practice, i. e. to isolate certain particular Fathers of the Church as authority for teaching.«457 Er macht von Beginn an klar, dass er sich nur auf eine begrenze Anzahl an Vätern in dem vorliegenden Text bezieht – 452 Siehe: III.2. 453 Zum Begriff ›Transkonfessionalität‹ vgl. Thomas Kaufmann, »Einleitung: Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese«, in Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, hg. von Kaspar von Greyerz u. a., Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2003), 9–15. Am Beispiel der äthiopischen Orthodoxie als transkonfessioneller Imagination: Stanislau Paulau, Das andere Christentum. Zur transkonfessionellen Verflechtungsgeschichte von äthiopischer Orthodoxie und europäischem Protestantismus, Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 262 (Vandenhoeck & Ruprecht, 2021). 454 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 180: »I came to see quite clearly that the Eastern Orthodox Church had been, in many things that matter, more faithful than others to the one apostolic tradition that we all profess.« 455 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 39–53; Paul Verghese, »Humanisierung als Weltproblem. Einige Reflexionen«, Ökumenische Rundschau. Eine Vierteljahreszeitschrift 18 (1969): 202: »Einer der wohl fähigsten Exponenten patristischen Denkens im Zusammenhang mit aktuellen Problemen ist Pater Teilhard de Chardin, jener Genius des christlichen Westens. Sein Denken steht vermutlich eher in direkter Kontinuität mit Gregor von Nyssa als mit Augustin.«. In der englischen Version: Mar Gregorios, »Humanization«, 23. 456 Mar Gregorios, »On God’s Death«, 45. 457 Ebd.
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Tradition und Imagination
namentlich die sogenannten Kappadokier.458 Ein solches Unternehmen sei eigentlich der orthodoxen Praxis unangemessen.459 Er verdeutlicht, dass er jene Weise der Reduktion auf einen oder wenige Theologen für eine ›westliche‹ Weise der Auseinandersetzung hält. Dass es sich hierbei um einen Schritt im Interesse der ›Zweckmäßigkeit‹ (convenience) handelt, mag sogar stimmen, doch ist jene Zweckmäßigkeit im Werk Mar Gregorios’ kein Einzelfall. Sein Bezug zur Vätertradition ist in fast allen Fällen einer über die Kappadokier, zumeist ausschließlich über Gregor von Nyssa. Sein Zugang zu letzterem basiert zudem auf seiner Dissertation und ist somit umso mehr ein nach seiner Definition ›westlichakademischer‹ Zugang.460 Im Verlauf des Textes folgt nun ein weiteres Charakteristikum seines Zugangs zur orthodoxen Tradition: A more balanced Eastern Orthodox doctrine would require an historical treatment of the Cappadocian Fathers, through Maximus the Confessor, John Damascene, Gregory Palamas, Vladimir Soloviev and contemporary theologians like Evdokimov, Schmemann, and Nissiotis.461
Er nennt hier als mögliche weitere Quellen für ein ›östliches Korrektiv‹ ausschließlich byzantinisch-orthodoxe Theologen und Denker. Mar Gregorios’ Zugang zur orthodoxen Theologie gelingt demnach vor allem durch die byzantinisch-orthodoxe Tradition. Hier zeigt sich in aller Klarheit seine Imagination von Orthodoxie: Er zählt sich selbst zu jener ›Eastern Orthodoxy‹ und versteht Denker der byzantinischen Tradition selbstverständlich als zu seinem Traditionsbestand gehörend. Freilich spielen die Gespräche zwischen Orientalen und Byzantinern eine zentrale Rolle, wenn es um die konkrete Durchführung seines Entwurfs dieser ›imaginierten Orthodoxie‹ geht, die er für ökumenisch anschlussfähig hält. Doch muss gesagt werden, dass bereits sein früher Zugang zur orthodoxen Tradition fast ausschließlich über die – im weitesten Sinne462 – by-
458 Vgl. ebd. 459 Vgl. ebd. 460 An anderer Stelle jedoch beschreibt er die westliche Wissenschaft als große Chance, die allerorten verschütteten Schätze der östlichen, christlichen Tradition freizulegen: »The heritage is still there, and a key can be manufactured, thanks to the techniques the West has given to us.« Verghese, Freedom and Authority, 32. 461 Mar Gregorios, »On God’s Death«, 45. 462 ›Im weitesten Sinne‹ meint hier, dass ein Denker wie Wladimir Solowjew, der für Mar Gregorios gleichsam verkörpert, was er als das ›kreative Potenzial‹ der Orthodoxie sieht, von Seiten vieler byzantinisch-orthodoxer Theologen aufgrund von dessen sophiologischen Vorstellungen als ›unorthodox‹ gilt. Vgl. Martin George, Mystische und religiöse Erfahrung im Denken Vladimir Solov’evs, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 54 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1988), 48. Zu Solowjew bei Mar Gregorios vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 78–80.
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zantinische Tradition verlief. Dies zeigt sich auch im Vorwort von Freedom and Authority: My debt of gratitude to St. Gregory of Nyssa is far greater. It was from him that I first learned what freedom means. Nicolas Berdyaev and Vladimir Lossky led me to this seminal thinker of the 4th century who is so astoundingly contemporary.463
Dieser Zugang über die Denker der russischen Emigration zeigt sich bereits in seiner Studienzeit in Yale und bleibt für ihn eine wesentliche Quelle seines Denkens.464 Es kann also gesagt werden: Nicht nur Mar Gregorios’ Entwurf einer Orthodoxie ist transkonfessioneller Natur, sondern bereits sein Zugang. In Yale oder Oxford war es weitaus leichter für ihn, sich seinem Eigenen über die byzantinische Tradition zu nähern, da diese sowohl in den USA als auch in Großbritannien breiter vertreten war und wahrgenommen wurde. Denker wie Berdjajew und Lossky waren zudem solche, die in ihren Werken eine Selbstverortung als Orthodoxe in einem westlichen Kontext vornahmen. Ein Werk wie La Théologie Mystique de l’Église d’Orient von Wladimir Lossky (1903–1958) kann als ein solcher Versuch der Selbstverortung verstanden werden und hatte gerade darin eine enorme Wirkungsgeschichte.465 Das gilt ebenso für einen Denker wie Nikolai Berdjajew, der einen starken Einfluss auf Mar Gregorios hatte. So kann der Titel 463 Verghese, Freedom and Authority, v. 464 Siehe: II.3.5. 465 Lossky gilt gemeinhin als die prägende Figur und der Wegbereiter, wenn es um eine Renaissance sowohl des Palamismus als auch der Theologie der Väter geht. Er wird deshalb – und darin liegt auch eine gewisse Ironie des obigen Zitats – oftmals als Antipode zum älteren Berdjajew gesehen, der für die eher ›spekulative‹ und unter anderem durch den deutschen Idealismus beeinflusste ›religionsphilosophische Schule‹ orthodoxen Denkens steht, die mit dem Begriff ›Sophiologie‹ umschrieben wird. Anhand der Personen Losskys und Berdjajews wird beispielhaft deutlich, dass die orthodoxe Theologie und Philosophie, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gestalt annahm und entscheidend für alle späteren Entwicklungen war, wesentlich durch Denker der russischen Emigration geprägt wurde. Symbolträchtiger Ausgangspunkt der Emigration war das sogenannte ›Philosophenschiff‹, das für die Ausweisung insbesondere religiöser Intellektueller aus der Sowjetunion im September 1922 steht. Unter diesen war auch Berdjajew sowie der Vater Wladimir Losskys, Nikolai Lossky (1870–1965). Zum ›Philosophenschiff‹ vgl. Lesley Chamberlain, Lenin’s Private War. The Voyage of the Philosophy Steamer and the Exile of the Intelligentsia (New York: St. Martin’s Press, 2007). Zu Paris als Zentrum der russischen Emigration vgl. Robert H. Johnston, »Paris. Die Hauptstadt der russischen Diaspora«, in Der große Exodus. Die russische Emigration und ihre Zentren. 1917 bis 1941, hg. von Karl Schlögel (München: C.H. Beck, 1994), 260–78. Zur theologischen Bedeutung der russisch-orthodoxen Diaspora und ihrem Einfluss auf westliche Theologie vgl. Nicolas Zernov, »The Significance of the Russian Orthodox Diaspora and its Effect on the Christian West«, in The Orthodox Churches and the West. Papers Read at the Fourteenth Summer Meeting and the Fifteenth Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, hg. von Derek Baker, Studies in Church History 13 (Oxford: Basil Blackwell, 1976), 307–327.
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Tradition und Imagination
von Mar Gregorios’ Werk Freedom and Authority als Anspielung auf Berdjajews Werk О рабстве и свободе человека (Deutsch: Von des Menschen Knechtschaft und Freiheit) verstanden werden.466 »Gott ist nicht Herr; auch herrscht er nicht. Gott ist überhaupt keine Macht eigen, auch nicht der Wille zur Macht; er fordert nicht die unterwürfige Verehrung von Sklaven. Gott ist Freiheit; Er ist Befreier, nicht Herr.«467 Jene Pointe des Werks Berdjajews rezipiert Mar Gregorios an zentraler Stelle,468 wenngleich er dies – wie in vielen Fällen seiner Rezeption anderer Autoren – nicht explizit kenntlich macht. Eine solche hochgradig reflektierte, sich mit den westlichen Geistesströmungen und Theologien auseinandersetzende orthodoxe Theologie bot Mar Gregorios einen Anknüpfungspunkt für seine eigene existenzielle und intellektuelle Situation. So kann die bereits früh einsetzende Rezeption von Denkern byzantinisch-orthodoxer Provenienz auf einen empfundenen Mangel der Auseinandersetzung mit Fragen der Moderne auf Seiten seiner eigenen, orientalisch-orthodoxen bzw. syrisch-orthodoxen Tradition zurückgeführt werden.469 Über die Denker der russischen Emigration erhielt Mar Gregorios auch den Zugang zu den Theologen der Nouvelle Theólogie, die ihrerseits beeinflusst waren von jenen orthodoxen Denkern.470 Protagonisten dieser Schule wie Henri de Lubac (1896–1991), Yves Congar (1904–1995), Jean Daniélou (1905–1974) und Hans Urs von Balthasar (1905–1988) waren entscheidend für die Renaissance der griechischsprachigen Väter in der katholischen Theologie und hatten zudem großen Einfluss auf die Ergebnisse des Zweiten Vatikanums. Dass Mar Gregorios als Beobachter des Konzils dessen Ergebnisse als »Rückkehr zur östlich-patristischen Tradition«471 preist, liegt ganz auf der Linie seiner theologischen Ausrichtung. In seiner Dissertation sind die Bezüge insbesondere zu von Balthasar 466 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, v (siehe: Zitat oben). 467 Nikolai Berdjajew, Von des Menschen Knechtschaft und Freiheit. Versuch einer personalistischen Philosophie, übers. von Reinhold von Walter (Darmstadt [u. a.]: Holle, 1954), 106–7. 468 Vgl. insbesondere Verghese, Freedom and Authority, 60–87; Mar Gregorios, »On God’s Death«, 48–51. 469 Zur derartigen Kritik in Bezug auf seine Kirche vgl. Verghese, Freedom and Authority, 160: »It needs to be said here that at this point the blame for this failure is to be placed squarely at the doors of the Syrian Orthodox Church in India, which itself still remains somewhat closed to the truly creative and dynamic depths of the oriental Christian heritage.« 470 Diesen Zusammenhang zwischen den Denkern der russisch-orthodoxen Diaspora und der Nouvelle Théologie stellt Mar Gregorios selbst her in: Paulos Mar Gregorios, »Ecumensim. An Orthodox Perspective«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 201. Vgl. auch Barbara Hallensleben, »Die ökumenische Bewegung im Leben von Erzpriester Sergij N. Bulgakov (1871– 1944)«, in Sophia. Die Weisheit Gottes. Gesammelte Aufsätze 1983–1995, von Fairy von Lilienfeld, hg. von Karl Christian Felmy, Heinz Ohme, und Karin Wildt, Oikonomia. Quellen und Studien zur orthodoxen Theologie 36 (Erlangen: Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des christlichen Ostens, 1997), 530–31; Zernov, »Significance«. 471 Mar Gregorios, »Vatican II«, 167.
Garant der Tradition: Gregor von Nyssa
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und Daniélou sehr deutlich.472 Dies verwundert kaum: Es waren jene Theologen, die im Kontext der akademischen Theologie im 20. Jahrhundert begannen, sich unter anderem dem Werk Gregor von Nyssas zu widmen.473 Dass sich Mar Gregorios dem Denken Gregor von Nyssas widmet, folgt somit einer doppelten Denkbewegung: Er wendet sich zum einen einer Quelle jener Denker zu, die er für vorbildlich in ihrer Selbstverortung orthodoxer (wie auch in gewissem Maße römisch-katholischer) Theologie unter modernen Bedingungen hält; zum anderen findet sich hierin bereits die transkonfessionelle Grenzüberschreitung vorgezeichnet, die später zu einem prägenden Element seiner Imagination der Orthodoxie werden soll.474
1.2
Cosmic Man – der freie Mensch
Die Frage, die im Folgenden im Mittelpunkt steht, ist die der Rezeption Gregor von Nyssas bei Mar Gregorios. Dies muss besonders hervorgehoben werden, da im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keinerlei Beurteilung der Forschung Mar Gregorios’ an dem Kirchenvater aus patristischer Perspektive erfolgen kann. Von Interesse ist, wie er ihn für seine Sache ›gebraucht‹ und einsetzt und dadurch Imaginationsprozesse innerhalb seines Denkens legitimiert. Die entscheidende Frage lautet: Wie wird Wissen generiert und welche Rolle spielt die Person und das Denken Gregor von Nyssas in diesem Prozess der Wissensproduktion?475 Dass es sich hierbei um den entscheidenden Aspekt seiner Forschungsarbeit an dem Kirchenvater handelt – wenn dies auch möglicherweise dafür sorgte, dass ihre Rezeption in der patristischen Forschung nicht allzu reich ausfiel476 – stellt auch Christine M. Frost fest: Paulos Mar Gregorios’ Cosmic Man is more than a major contribution to patristic scholarship: in the course of what is a penetrating analysis of St Gregory of Nyssa’s arguments against Eunomius, Mar Gregorios points to the relevance of this ancient 472 Vgl. etwa Mar Gregorios, Cosmic Man, xvii. 473 Für Mar Gregorios wichtige Werke sind: Hans Urs von Balthasar, Présence et Pensée. Essai sur la Philosophie Religieuse de Grégoire de Nysse (Paris: Beauchesne, 1942); Jean Daniélou, Platonisme et Théologie Mystique. Essai sur la Doctrine Spirituelle de Saint Grégoire de Nysse, Théologie. Études publiées sous la direction de la Faculté de Théologie S.J. de LyonFournière 2 (Paris: Aubier, 1944). 474 Siehe: IV.1. 475 Zum Begriff der ›Wissensproduktion‹ im Horizont einer postkolonialen Hermeneutik vgl. Nadin Heé, »Postkoloniale Ansätze«, in Handbuch Wissenschaftsgeschichte, hg. von Marianne Sommer, Staffan Müller-Wille, und Carsten Reinhardt (Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 2017), 80–92. 476 So schreibt er selbst: »It is a work that I had expected to be well received, but that has not been the case.« Mar Gregorios, Love’s Freedom, 29.
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Tradition und Imagination
controversy to contemporary concerns as regards dialogue and indigenisation. He observes that the Eunomian controversy encapsulated a problem that we still face today: who or what should dictate the agenda for Christian discourse: secular philosophy or Christian revelation?477
Die Inkulturation (hier: indigenisation) des Christentums ist ein sich gleichsam unter der Oberfläche befindliches und dennoch zentrales Thema in Cosmic Man, das immer wieder punktuell an die Oberfläche und zur Explikation kommt.478 Das Thema jedoch, was all dies umspannt, findet sich im Untertitel der Arbeit formuliert: An Analysis of the Place and Role of the Human Race in the Cosmos, in Relation to God and the Historical World in the Thought of St. Gregory of Nyssa. Im Vorwort erklärt er diesen Untertitel wie folgt: The theme of this book focusses on humanity’s two basic relationships – to the source and ground of its being on the one hand, and to the created world in which humanity is placed on the other. It is the contention of this work that in an authentic Christian understanding of reality like that of Gregory of Nyssa these two relationships are inseparable from each other. There is no Christian way of understanding reality in a totally secular sense, as if Man and the World were the only two realities with which we have to deal. But then it is equally disastrous for a Christian to think that we can conceive a God who is concerned only about our souls and has no relationships to the Creation. Neither of our two basic relationships can be conceived, from a Christian perspective, except in terms of each other.479
Der Mensch existiert in der Spannung zwischen Gott und Welt. Für fatal hält Mar Gregorios, wenn jene Spannung einseitig aufgelöst werde: entweder in einen »jenseitigen Mystizismus« oder einen »säkularen Humanismus«480. Wenn das Ziel die Einheit von Mensch und Gott ist, wie sie in Christus vorweggenommen und verwirklicht ist, dann gilt es diese Spannung aufrecht zu erhalten und sich so in den Prozess zu begeben, in dem die Menschheit Christus immer ähnlicher wird.481 Die Geschichte ist der Schauplatz jenes Geschehens der Vergöttlichung, 477 Christine M. Frost, The Human Icon. A Comparative Study of Hindu and Orthodox Christian Beliefs (Cambridge: James Clarke & Co, 2017), 54. 478 Zum Aspekt der ›Inkulturation‹ in Bezug auf Gregor von Nyssa siehe: IV.3.4.2. 479 Mar Gregorios, Cosmic Man, viii. 480 Ebd.: »It would be fatal for us, therefore to go on oscillating between, on the one hand, an other-worldly mysticism that ignores the reality and significance of humanity’s sinful existence in history, and on the other, a secular humanism that ignores the ground and source of the being of ourselves and the cosmos. Humanity itself becomes distorted and prone to self-destruction when it ignores either pole.« 481 Vgl. ebd., 191–92, 230–32. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, A Human God, MGF Violet Series 1 (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1992), ii: »The vision is only a beckoning – a call to be reshaped, so that, through the divine-human person that Christ has become, we too might become truly divine-human, sharing in Christ’s nature and growing into him.« Hier ist deutlich, dass Mar Gregorios mit der Betonung der einen Natur Christi, Gregors christologisch-anthropologische Überlegungen gemäß einer miaphysitischen Tradition zu
Garant der Tradition: Gregor von Nyssa
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während der Mensch dessen Protagonist ist. Als solcher steht er zwischen Gott und Welt, um nicht nur selbst die Einheit mit Gott zu suchen – nach dem Vorbild Christi –, sondern auch die ganze Welt seines priesterlichen Amtes gemäß zu vergöttlichen und schließlich mit Gott zu vereinigen.482 Hierin kommt er dem Schöpfungsauftrag (vgl. Gen 1,28) nach. Was also Mar Gregorios im Kern rezipiert, ist eine Anthropologie, die den Menschen als Teilhaber Gottes und der Welt beschreibt und deshalb als Mittler: »It is Christ recapitulating in himself the fullness (pleroma) of humanity who becomes the right mediator between God and World. This is humanity’s true role, and in Christ, humanity is to fulfill this role.«483 Hier wird zunächst die starke Nähe zwischen Christus und dem Menschen deutlich. Die gesamte Sprache, die Gregor innerhalb seiner anthropologischen Überlegungen gebraucht, ist die der Christologie. Der Mensch trägt in sich zweierlei Naturanlagen […] in das Irdische das Göttliche mischend, damit er durch beide für beiderlei Genuß befähigt und empfänglich sei, Gottes genießend durch die gottverwandte Natur, der irdischen Güter genießend durch die gleichartige Sinnenempfindung.484
An anderer Stelle schreibt Gregor: Weit schreitet der Mensch über seine Natur hinaus, da aus einem Sterblichen ein Unsterblicher, aus einem Vergänglichen ein Unvergänglicher, kurz aus einem Menschen Gott wird. Denn wer so hoch erhoben wurde, ein Kind Gottes zu werden, muß auch die Würde des Vaters erhalten und die väterlichen Güter erben.485
482 483 484
485
interpretieren versucht. Es ist Gegenstand eines anhaltenden Disputs, wie die Christologie Gregors einzuordnen ist, da sie dem Schisma, das mit dem Konzil von Chalcedon einher ging, voraus liegt. Vgl. Morwenna Ludlow, Gregory of Nyssa, Ancient and (Post)modern (Oxford [u. a.]: Oxford University Press, 2007), 101–7. Siehe: IV.3.3. Dies ist ein zentrales Thema in The Human Presence, wo Mar Gregorios sich ebenfalls maßgeblich auf Gregor von Nyssa bezieht. Vgl. etwa Mar Gregorios, Human Presence, 8, 85. Mar Gregorios, Cosmic Man, 227. Vgl. auch Mar Gregorios, Human Presence, 65–66. Gregor von Nyssa, »De hominis opificio«, in Patrologia Graeca 44, hg. von Jacques-Paul Migne (Paris, 1863), 133 (Kap. 2): »Καὶ διὰ τοῦτο διπλᾶς αὐτῷ τῆς κατασκευῆς τὰς ἀφορμὰς καταβάλλεται, τῷ γηΐνῳ τὸ θεῖον ἐγκαταμίξας˙ ἳνα δι᾽ ἀμφοτέρων συγγενῶς τε καὶ οι᾿κείως πρὸς ἑκατέραν ἀπόλαυσιν ἔχῃ τοῦ Θεοῦ μὲν διὰ τῆς θειοτέρας φύσεως, τῶν δὲ κατὰ την γῆν ἀγαθῶν διὰ τῆς ὁμογενους αι᾿σθήσεως ἀπολαύων.« Übersetzung zitiert nach: Gregor von Nyssa, »Abhandlung über die Ausstattung des Menschen«, in Ausgewählte Schriften des heiligen Gregorius, Bischofs von Nyssa., übers. von Heinrich Hand, Bibliothek der Kirchenväter 1/24 (Kempten: Kösel, 1874), 217. Das Zitat findet sich in: Verghese, Freedom and Authority, 79. Gregor von Nyssa, »De Beatitudinibus«, in Gregorii Nysseni Opera VII/2, hg. von Johannes F. Callahan (Leiden [u. a.]: Brill, 1992), 151 (Oratio VII): »ἐκβαίνει τὴν ἑαθτοῦ φύσιν ὁ ἄνθροπος, ἀθάνατος ἐκ θνητοῦ καὶ ἐξ ἐπικήρου ἀκήρατος καὶ ἐξ ἐφημέρου ἀΐδιος καὶ τὸ ὅλον θεὸς ἐξ ἀνθρώπου γινόμενος. ὁ γὰρ θεοῦ υἱὸς γενέσθαι ἀξιωθεὶς ἕξει πάντως ἐν ἑαυτῷ τοῦ πατρὸς τὸ ἀξίωμα, καὶ πάντων γίνεται τῶν πατρικῶν ἀγαθῶν κληρονόμος.« Übersetzung zitiert nach: Gregor von Nyssa, »Acht Homilien über die acht Seligkeiten«, in Des heiligen Bischofs Gregor von Nyssa
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Mar Gregorios führt weiter aus: »The more humanity becomes like God, the more it becomes itself. Divinisation is humanisation. Theo¯sis is anthro¯pe¯sis.«486 Demnach ist Christus der zweite Adam, der die Menschheit in sich mit Gott versöhnt. Die vollendete Einheit von Gott und Mensch in Christus bleibt jedoch in der Weltwirklichkeit unvollendet. Die zentrale Frage der Theologie nach dem Verhältnis von verwirklichter Versöhnung in Christus und dem Wirklichwerden jener Versöhnung unter irdischen Bedingungen,487 löst Gregor – und mit ihm die orthodoxe Theologie –, indem sie dies als Prozess beschreibt, in dem der Mensch mehr und mehr zu dem wird, was er eigentlich ist:488 »das Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15), Jesus Christus. Ist gesagt worden, die Anthropologie Gregors sei letztlich eine christologisch durchwirkte, so kann man es auch mit Johannes Zachhuber andersherum formulieren: Gregor denkt die Christologie ›humanistisch‹.489 Gregor stellt den Menschen mit seinem Vermögen in den Mittelpunkt. Hier liegt ein Grund, warum Mar Gregorios jenes Denken für anschlussfähig hält angesichts der Rede von der ›mündig gewordenen Welt‹, in welcher der Mensch nicht passiv, sondern der aktiv Handelnde sein möchte.490 So bezeichnet er sein theologisches Programm an einer Stelle genau auf jener Linie als ›Sakramentalen Humanismus‹.491 Bei aller Betonung der Freiheit des Menschen ist diese – im Unterschied zu der Freiheit Gottes – eine durch Gott verliehene Freiheit.492 Von zentraler Bedeutung für den Prozess der Theosis ist daher der Gottesdienst als der Ort, wo Gott und Mensch einander begegnen:493
486
487 488 489 490 491 492 493
ausgewählte Schriften, Bibliothek der Kirchenväter 1/56 (Kempten [u. a.]: Kösel [u. a.], 1927), 222. Mar Gregorios, Cosmic Man, 230. Der Begriff ›Humanisierung‹ wird hier zum Synonym für die ›Vergöttlichung‹. Wenn der Mensch die Welt wahrhaft ›menschlich‹ macht, dann wird sie zugleich wahrhaft göttlich. Durch die Untrennbarkeit von Gott und Mensch in Christus (und seiner einen gott-menschlichen Natur) werden Humanisierung und Vergöttlichung bei Mar Gregorios zu synonymen Begriffen. Den Begriff übernimmt er von Teilhard de Chardin. Vgl. Mar Gregorios, »Humanization«, 23; Mar Gregorios, »Humanisierung«, 202. Vgl. auch Lukas Pieper, »Paulos Mar Gregorios (1922–1996). Indische Orthodoxie im Zeitalter der Ökumene«, in Profile gelebter Theologie im Orient. Sidney Harrison Griffith zum 80. Geburtstag, hg. von Martin Tamcke, Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca 55 (Wiesbaden: Harrassowitz, 2018), 229–30. Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Ethik, hg. von Ilse Tödt u. a., 3. Aufl., Dietrich Bonhoeffer Werke 6 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2010), 34. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 105; Mar Gregorios, Cosmic Man, 230. Vgl. Johannes Zachhuber, Human Nature in Gregory of Nyssa. Philosophical Background and Theological Significance, Supplements to Vigiliae Christianae 46 (Leiden [u. a.]: Brill, 2000), 190–200. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 61. Vgl. Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 62–64, 105; Mar Gregorios, »Humanization«, 33. Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 65.
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And so has the life of worship two aspects, as Gregory makes clear in the […] sermon on the Baptism of Christ. The first is the initiation into the transcendent community – to be knit together with the rest of creation in the world and above the world. The second is our vicarious or priestly task of praising and interceding with God on behalf of the whole creation.494
Mar Gregorios bestimmt den Gottesdienst im Anschluss an Gregor auf zweifache Weise: Der erste Aspekt beschreibt das praktische Leben eines Christen: die Teilnahme am Gottesdienst und den Mysterien sowie das Gebet.495 Doch kann Gregor ausgehend davon eben auch von einem priesterlichen Dienst des Menschen an der Schöpfung sprechen: Er vergöttlicht nicht nur sich durch ein Leben der Tugend und Frömmigkeit, sondern integraler Bestandteil ist ebenso sein Dienst an der Welt. Er vergöttlicht mit sich auch die Schöpfung. Wie der Priester in der Liturgie die Elemente der Eucharistie zu Gott erhebt, sie wandelt und vergöttlicht, so tut dies auch der Mensch mit der Welt.496 Dies ist die Pointe von Cosmic Man: Der Mensch ist als Gottes Ebenbild seine Präsenz im Kosmos. Freilich ist der Mensch nicht der einzige Ort von Gottes Präsenz – Gott ist gegenwärtig in der gesamten Schöpfung in seinem Wirken –, doch unterscheidet sich die Präsenz Gottes im Menschen in einem entscheidenden Punkt: Man’s presence in the material creation is what lifts it up to God. […] man’s presence is of the utmost consequence for matter itself. Gaith calls it ›immanence consciente‹ – a conscious immanence, an immanence of God through a conscious, rational, free being who is part of the cosmos, who is also ubiquitous in it, capable of shaping it, moulding it, transforming it, humanising it, and lifting it up to God.497
Vermag Gott in seinem Wirken überall in der Schöpfung, geheimnisvoll gegenwärtig zu sein, ist er im Menschen auf andere Weise gegenwärtig: Der Mensch ist in der Lage, aktiv an der Schöpfung zu handeln, sie zu formen, zu gestalten.498 Für jene Berufung des Menschen gebraucht Mar Gregorios unterschiedliche Bezeichnungen: Mittler499, Priester500, König501, Hirte502 und schließlich auch Schöpfer. 494 Mar Gregorios, Cosmic Man, 232. 495 Siehe: IV.1.3. 496 Vgl. Mar Gregorios, Human God, ii; Mar Gregorios, Human Presence, 85; Mar Gregorios, Joy of Freedom, xi–xii. 497 Mar Gregorios, Cosmic Man, 149. Er bezieht sich hier auf das Werk La Conception de la Liberté chez Grégoire de Nysse von Jérome Gaïth. 498 Dem Verhältnis von der Schöpfung als Mysterium (mystery, wobei hier die sakramentale Konnotation des Begriffs hervorzuheben ist) und der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung (mastery) behandelt Mar Gregorios in dem Kapitel Mystery and Mastery in: Mar Gregorios, Human Presence, 82–89. 499 Es fällt auf, wenn Mar Gregorios von dem Mittleramt (bzw. den anderen Bezeichnungen) spricht, dass dieses manchmal der gesamten Menschheit, manchmal nur der Kirche zugesprochen wird. Darin liegt bei näherem Hinsehen jedoch kein Widerspruch: Es ist die
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Tradition und Imagination
Der Mensch als Schöpfer
If God is creator, and man is made in his image, has man also to be in some sense a creator? He expresses this creativity by shaping himself, his society and his environment. This is his freedom – limited but real. Science and technology can be instruments in the exercise of this freedom: freedom which ensures in creating the good, responding in Eucharistic thanksgiving to the Creator.503
In diesem Zitat ist bereits der Skopus von Mar Gregorios’ anthropologischen Überlegungen vorweggenommen: Wenn dem Menschen die Aufgabe zukommt nicht nur sich, sondern auch die Schöpfung zu vergöttlichen, dann kommt ihm eine schöpferische Aufgabe zu. Seine Berufung ist es demnach, nicht passiv zu sein, sondern am Schöpfertum Gottes zu partizipieren und mit ihm die Welt zu verwandeln. Dabei hat Mar Gregorios stets aktuelle Herausforderungen im Blick: Wie ist ein technischer Fortschritt, der es vermag, sich die Natur nutzbar zu machen, zu bewerten? Er sieht auf Basis jener Vorstellung von Vergöttlichung technischen Fortschritt positiv, sofern dieser eben auf das Gute ausgerichtet sei.504 In dem Falle bedeutet dies, dass der Mensch seine Aufgabe als Mitschöpfer Gottes wahrnimmt und die Welt in einen evolutiven Prozess hin zu Gott und damit zum Guten bewegt. Bevor die Konsequenzen jener Vorstellung vom Schöpferamt des Menschen näher bedacht werden, soll noch einmal der Blick auf Mar Gregorios’ Rezeption Gregors in dieser Sache geworfen werden. Voraussetzung für die Kreativität des Menschen ist seine Freiheit. Mit der ihm von Gott verliehenen Freiheit ist der Mensch laut Gregor stets vor die Wahl zwischen Gut und Böse gestellt. Dies ist sein Los als Mittler zwischen Gott und Welt. Das Böse würde nun darin bestehen, sich ganz den Dingen der Welt hinzugeben.505 Mar Gregorios betont, dass es sich hierbei nicht um Leibfeindlichkeit oder eine Skepsis gegenüber der Materie bei Gregor handle. Dies würde dem
500 501 502 503 504 505
eigentliche Aufgabe der gesamten Menschheit, für welche die Kirche als der Teil, der diese Berufung vernommen und angenommen hat, vollzieht. Vgl. etwa Paul Verghese, »Das königliche Priestertum«, in Priester und Pastoren. Zum Amtsverständnis in den christlichen Kirchen, hg. von Michel Leplay, Émile Marcus, und Paul Verghese (Regensburg: Pustet, 1970), 37: »Kein einziger Mensch darf außerhalb des Einflusses unseres ständigen Mittleramtes bleiben, denn Christus ist Priester für alle Menschen.« Vgl. auch Mar Gregorios, Human Presence, 8; Mar Gregorios, Cosmic Man, 225. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 85; Verghese, »Priestertum«, 25–62; Mar Gregorios, Human God, ii. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 70–71; Verghese, »Priestertum«, 25–30, 37. Vgl. ebd., 28–30, 52–61. Paulos Mar Gregorios, »An Eastern Orthodox Perspective of Nature, Man and God«, in Science, Technology, and the Future of Humanity (Delhi; Kottayam: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2007), 112. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 88–89. Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 151.
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theologischen Ansatz grundlegend widersprechen, in der Inkarnation Gottes gerade eine Bejahung des Irdischen und der fleischlichen Existenz zu sehen.506 Die völlige Hingabe jedoch an das Irdische würde heißen, dass der Mensch die Welt als etwas von Gott Unabhängiges wahrnähme und darin seine Beziehung zu Gott verlöre und somit auch die Freiheit: »He is no longer free to ›conduct his operations to a freely chosen goal‹ […], and has thus lost his humanity and become alogon, an animal.«507 Hier liegt der Grund dafür, dass Gregor – und mit ihm viele der griechischen Väter – dem Begriff der Leidenschaft (πάθος) stets eine negative Konnotation verleiht, wohingegen die ἀπάθεια zur christlichen Kardinaltugend erhoben wird. Ἀπάθεια ist der Inbegriff menschlicher Freiheit, da der von Leidenschaften befreite Mensch frei ist, das Gute zu erkennen und zu tun.508 Gerade darin kommt er seiner Berufung in der Welt nach: »Man has both to remain in apatheia, unaffected by causes outside of himself, which is his transcendence, and at the same time he has to be immanent in the creation by his presence in it, transforming it by his will, by his prayer, by his energeia or operations.«509 So insistiert Mar Gregorios etwa ganz praktisch, wenn es um den Gottesdienst geht, darauf, dass dieser ein körperlicher Vorgang sei: »Corporeal enjoyment is to be integrated into ›spiritual‹ enjoyment, not replaced by it. Eros is to be integrated with agape, not denied.«510 Es gibt demnach zwei falsche Extreme: eine Hingabe an das Materielle im Sinne eines gottvergessenen Hedonismus, aber eben auch einen »trockenen Asketismus«511, der die körperliche Existenz des Menschen negiert. Der Mensch muss gerade jener doppelten participatio an Gott und der Welt gerecht werden. Zum Synonym für menschliche Kreativität wird nunmehr der Begriff συνεργεία als »freie Kooperation«512 des Menschen mit Gott. Mar Gregorios sucht an diesem Punkt immer wieder die Auseinandersetzung mit einer aus seiner Sicht ›westlichen Theologie‹ in der Nachfolge Augustins. Wie ist eine solche freie Mitwirkung des Menschen an Gottes Werk denkbar? Er betont, dass es Gregor 506 Vgl. etwa Verghese, Freedom and Authority, 44–45. 507 Mar Gregorios, Cosmic Man, 151. 508 Deshalb übersetzt Mar Gregorios den Begriff ἀπάθεια auch nicht mit ›Leidenschaftslosigkeit‹ – wenngleich die Übersetzung nicht falsch ist –, sondern positiv mit ›spiritueller Spontanität‹. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 79. Vgl. auch ebd., 156–59; Mar Gregorios, Love’s Freedom, 65–66. Er weist hier darauf hin, dass die griechischen Kirchenväter den Begriff von den Stoikern rezipierten. 509 Mar Gregorios, Cosmic Man, 149. 510 Verghese, Freedom and Authority, 79. 511 Ebd.: »Thus Apatheia for man is not dry asceticism, but the capacity to enjoy life in both its dimensions, the spiritual and the sensible, but without losing one’s equilibrium or becoming subject to the desire for sensible pleasures.« 512 Mar Gregorios, Cosmic Man, 154: »It is in this context that both the notion of virtue as rectification and the free cooperation (synergeia) of man as a necessary element in God’s plan for the creation have to be understood in Gregory’s thinking.«
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keinesfalls um eine Depotenzierung des göttlichen Gnadenwirkens ginge. Für Gregor sei es von vornherein undenkbar, Gottes Gnade und menschliches Handeln in Konkurrenz zueinander zu sehen.513 Συνεργεία heißt demnach gerade, dass das Handeln Gottes von dem des Menschen nicht zu trennen ist. Als Gottes Präsenz auf Erden ist es dem Menschen gegeben, frei in Gemeinschaft mit Gott zu handeln. In der Einheit von Gott und Mensch in Christus ist gerade jene Einheit von Gottes Tun und dem Tun des Menschen vor Augen gestellt. So dürfe gerade jene Freiheit niemals und in keinem Moment aufgegeben werden. Wenn der Mensch nur passiv Empfänger sei, der Gutes gleichsam ›aus Zwang‹ tue, weil es ihm Gottes souveräne Gnade diktiere, verliere er seine Menschlichkeit: »then human freedom has disappeared and man is no longer divine or human, but only like plants and animals, the slaves of necessity.«514 Des Menschen Freiheit liegt in seiner Fähigkeit, Dinge zu schaffen und die Welt zu verändern. Für Mar Gregorios liegt hier der Aufruf, diese Freiheit im Interesse von Frieden und Gerechtigkeit zu nutzen. Dies betrifft – wie erwähnt – vor allem den Bereich des technischen Fortschritts, der sowohl Chancen als auch Gefahren birgt. Hier plädiert Mar Gregorios dafür, aus christlicher Perspektive nicht in eine Abwehrhaltung zu verfallen, sondern gerade den Dialog etwa mit den Naturwissenschaften zu suchen und gemeinsam für einen gerechten Gebrauch moderner technologischer Errungenschaften zu sorgen.515 Dies steht im Horizont eines eschatologischen Geschehens: Der Mensch ist »Anführer«516 der Evolution der Welt hin zu Gott. Es obliegt seiner Verantwortung, diese Aufgabe anzunehmen.
513 Vgl. ebd., 130–33, 199–218. 514 Ebd., 201. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 69. 515 Vgl. ebd., 71; Paul Verghese, »The Cultivation of the Christian Life«, in Be Still and Know (Madras: The Christian Literature Society [u. a.], 1974), 106. 516 Mar Gregorios, Human Presence, 53: »in transcending himself man does not separate himself from the stream of evolution of which he is the spearhead and captain.« Auch hier findet sich der explizite Bezug auf Teilhard de Chardin, besonders dessen Werk La Place de l’Homme dans la Nature. Insbesondere die Bezeichnung des Menschen als (in der englischen Übersetzung) ›spearhead of evolution‹ kann als einer der »Lieblingsausdrücke« Teilhards gelten. Bernhard Wall, »Introduction«, in Man’s Place in Nature. The Human Zoological Group, von Pierre Teilhard de Chardin, übers. von René Hague (Fontana Books, 1970), 3.
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1.4
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Die Grenze
Was bisher beschrieben wurde, subsummiert Mar Gregorios mit Gregor von Nyssa auch unter dem Begriff der μετουσία, der ›Teilhabe‹ des Menschen an Gott.517 Doch hat diese Teilhabe eine deutliche Grenze. Ist Gott in seinen Energien (ἐνέργεια) in der Schöpfung gegenwärtig, an denen der Mensch in besonderer Weise teilhat, bleibt ihm Gott – trotz aller menschlichen Bemühungen – in seinem Wesen (οὐσία) verborgen. Jenes Begriffspaar von οὐσία und ἐνέργεια, das gerade in der byzantinisch-orthodoxen Theologie seit Gregorios Palamas (1296/ 97–1359) von zentraler Bedeutung ist, findet sich bereits bei den Kappadokiern.518 Die Rückführung dieser Unterscheidung auf jene frühen Kirchenväter ermöglicht Mar Gregorios eine Rezeption jenes theologischen Konzepts und damit zugleich den Schulterschluss mit der byzantinischen Orthodoxie im Sinne einer ökumenischen Strategie.519 Die Unterscheidung von οὐσία und ἐνέργεια verfolgt das zentrale Interesse, den Unterschied zwischen Gott und Mensch geltend zu machen. Dieser Unterschied ist entscheidend, wenn es um die Vorstellung der Vergöttlichung geht, da hier das Interesse besteht, zwar von einer Teilhabe, nicht jedoch einer Identifikation, zu sprechen: Der Mensch ist bleibend im Aufstieg begriffen.520 Josef Hochstaffl bezeichnet daher Gregor von Nyssas Vorstellung von der Theosis als »unendliche Selbstüberschreitung des Menschen«521. Und Mar Gregorios formuliert pointiert: »To be human is a project – a race to be run, a constant going beyond.«522 Darüber 517 Vgl. David L. Balás, »Metousia. Μετουσία«, in The Brill Dictionary of Gregory of Nyssa, Supplements to Vigiliae Christianae 99 (Leiden [u. a.]: Brill, 2010), 500–501; David L. Balás, »Participation«, in The Brill Dictionary of Gregory of Nyssa, Supplements to Vigiliae Christianae 99 (Leiden [u. a.]: Brill, 2010), 581–87. 518 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 58–60. 519 Dennoch bleibt Mar Gregorios dem Palamismus gegenüber zurückhaltend, insbesondere wenn dieser von der Schau von Gottes ungeschaffenen Energien im sogenannten ›Taborlicht‹ spricht. Jene Vorstellung bezeichnet er an einer Stelle sogar als »byzantinische Häresie«. Paulos Mar Gregorios, »God’s Becoming A Human Being and Human Beings Becoming God. A Brief Introduction to the Christian Doctrine of Theosis«, in A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982, hg. von Kondothra M. George (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 285. Dies ist aus seiner Sicht durchaus schlüssig: Soll seines Erachtens die Unterscheidung von οὐσία und ἐνέργεια auf den apophatischen Charakter der Gotteserkenntnis verweisen, dient diese bei Gregorios Palamas daneben auch dazu, die Möglichkeit der Schau Gottes – wenn auch ›nur‹ in seinen Energien – durch hesychiastische Praxis auszudrücken. Hier zeigt Mar Gregorios deutliche Skepsis an und betont wiederholt, dass Palamas nicht seiner Tradition angehört. Vgl. ebd., 294; Mar Gregorios, Human Presence, 73; Mar Gregorios, Faith of Our Fathers, 13. 520 Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 99. 521 Josef Hochstaffl, Negative Theologie. Ein Versuch zur Vermittlung des patristischen Begriffs (München: Kösel, 1976), 109. 522 Mar Gregorios, »Theosis«, 289.
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hinaus ist jene Unterscheidung von οὐσία und ἐνέργεια zentral, wenn es um die damit eng verbundene Frage der Gotteserkenntnis geht. Es wird festgehalten: Es existiert eine klare Grenze jeder Erkenntnis Gottes, da einem endlichen Wesen wie dem Menschen die Erkenntnis Gottes – des Unendlichen – letztlich entzogen bleiben muss: So viel lernen wir aus der Erwägung der vorliegenden Worte, die uns offen zeigen, daß die Majestät der göttlichen Natur durch kein Jenseits begrenzt wird, daß kein Erkenntnis-Maß zu einem umfassenden Begriff des Gesuchten werden kann, bei dem stehenbleiben dürfte in der Vorwärtsbewegung, wer nach den Höhen strebt; daß vielmehr der durch Erfassung des Oberen aufwärtseilende Geist sich so einstellen muß, daß jede Menschen zugängliche Erkenntnisvollendung zum Ausgangspunkt einer Sehnsucht nach Höherem werde.523
Gregor von Nyssa bestimmt jenen bleibenden Abstand zwischen Gott und Mensch näher, indem er sich des Begriffs διάστημα bedient, den Mar Gregorios in seiner Dissertation als komplementären Begriff zu μετουσία einführt.524 So entsteht eine Zuordnung des Begriffs διάστημα zu οὐσία wie des Begriffs μετουσία zu ἐνέργεια.525 Nach Mar Gregorios sind es drei grundlegende Zusammenhänge, in denen Gregor den Begriff διάστημα gebraucht: Zunächst spielt er im trinitarischen Streit eine Rolle, wenn davon die Rede ist, dass die Personen der Trinität ἀδιαστατός – ungetrennt – sind. Gott ist einer. Er hat weder Anfang noch Ende.526 Diese Aussage ist bereits eine apophatische, da sie von Gott spricht, jedoch im Sinne der Negation. Darin wiederum beschreibt sie genau den Unterschied zur Schöpfung, die Anfang und Ende hat und in welcher alle Dinge zeitlich und räumlich begrenzt sind. Διάστημα kann daher – und dies ist der zweite Bedeu-
523 Gregor von Nyssa, In Canticum Canticorum, hg. von Hermannus Langerbeck, Gregorii Nysseni Opera, VI (Leiden: Brill, 1960), 180 (Oratio VI): »Ταῦτα δὲ πάντα διὰ τῆς τῶν προκειμένων ἡμῖν ῥητῶν θεωρίας μανθάνομεν, δι᾽ὧν σαφῶς διδασκόμεθα τὸ μήτε τινὶ πέρατι τὸ μεγαλεῖον τῆς θείας ὁρίζεσθαι φύσεως μήτε τι γνώσεως μέτρον ὅρον γίνεσθαι τῆς τῶν ζητουμένων κατανοήσεως, μεθ᾽ὃν στῆναι χρὴ τῆς ἐπὶ τὸ πρόσω φορᾶς τὸν τῶν ὑψηλῶν ὀρεγόμενον, ἀλλ᾽οὕτως ἔχειν τὸν διὰ τῆς τῶν ὑπερκειμένων κατανοήσεως ἐπὶ τὸ ἄνω τρέχοντα νοῦν, ὡς πᾶσαν τελειότητα γνώσεως τὴν ἐφικτὴν τῇ ἀνθρωπίνῃ φύσει ἀρχὴν γίνεσθαι τῆς τῶν ὑψηλοτέρων ἐπιθυμίας.« Übersetzung zitiert nach: Gregor von Nyssa, Der versiegelte Quell. Auslegung des Hohen Liedes, übers. von Hans Urs von Balthasar (Salzburg [u. a.]: Otto Müller, 1939), 91. 524 Eine allgemeine Definition bei Gregor gibt etwa: Scot Douglass, »Diastêma. Διάστημα«, in The Brill Dictionary of Gregory of Nyssa, Supplements to Vigiliae Christianae 99 (Leiden [u. a.]: Brill, 2010), 227: »The word itself refers to ›an interval or gap‹ and, in its more conceptual register, to ›the inescapable horizontal extensions of both space and time‹.« 525 Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 100. 526 Vgl. ebd., 69; Paul Verghese, »ΔΙΑΣΤΗΜΑ and ΔΙΑΣΤΑΣΙΣ in Gregory of Nyssa. Introduction to the Concept and the Posing of a Problem«, in Gregor von Nyssa und die Philosophie. Zweites internationales Kolloquium über Gregor von Nyssa. Freckenhorst bei Münster, 18.–23. September 1972, hg. von Heinrich Dörrie, Magarete Altenburger, und Uta Schramm (Leiden: Brill, 1976), 245–46, 249–51.
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tungszusammenhang des Begriffs – sowohl der Schöpfung als Attribut zugeordnet werden, wie auch gleichsam als Synonym für ›Schöpfung‹ gebraucht werden.527 Die Schöpfung ist das, was ›Ausdehnung‹ hat, während der Schöpfer die Kategorien von Zeit und Raum transzendiert. Schließlich bestimmt Mar Gregorios noch ein drittes Bedeutungsspektrum, welches die ersten beiden miteinander verbindet: Διάστημα bezeichnet den ›Abstand‹ zwischen Gott und seiner Schöpfung.528 Alle drei Bedeutungsspektren lassen sich zusammenfassen, indem man διάστημα als Attribut der Schöpfung bestimmt: Alles in der Welt ist ›diastematisch‹ – ausgedehnt in Zeit und Raum, unterschieden von Gott, dem allein es zukommt, ἀδιαστατός zu sein. Die Zuordnung von διάστημα zu Gottes οὐσία ist daher von menschlicher Warte aus gedacht: Aus Sicht des Menschen besteht ein unüberbrückbarer Hiatus zwischen sich und Gottes Wesen. Dies ist jedoch ein »one-way-gap«529: In seinem Wirken (ἐνέργεια) ist Gott in allem gegenwärtig und alles existiert in ihm. Aus jenem ontologischen Abstand von Schöpfer und Geschöpf erwächst jener bereits genannte epistemologische Vorbehalt.530 Mar Gregorios zitiert aus Gregors Kohelet-Kommentar: So when language (reason, discourse – logos) arrives at that which is beyond language, it is time to be silent (Ecclesiastes 3:7), and to marvel at the wonder of this ineffable power, uninterpreted and forbidden to the understanding, realizing that it was only about the works of God and not of God Himself that even the great ones (Prophets) spoke: ›Who shall declare the powers of the Lord?‹ (Ps 105:2), and ›I will narrate all thy works‹ (Ps 9:2 or 117–19?) and ›Generations and generations shall praise thy works‹ (Ps 144:4).531
Dem Geschöpf ist es nicht möglich, zu Gottes οὐσία durchzudringen. Es ist angewiesen auf Gottes ἐνέργεια in der Schöpfung. So enden die Versuche des Menschen, Gott in Worte zu fassen. Er wird still. Menschliche Sprache und Vernunft unterliegen den Bedingungen der διάστημα und vermögen daher nicht, an das göttliche Geheimnis zu reichen. Diese Erkenntnis bleibt für Mar Gregorios 527 Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 83–88; Verghese, »ΔΙΑΣΤΗΜΑ«, 251–52. 528 Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 88–98; Verghese, »ΔΙΑΣΤΗΜΑ«, 253–55. 529 Mar Gregorios, Cosmic Man, 95: »The diaste¯ma between the Creator and creation in Gregory […] is a one-way-gap. From the side of God, there is no gap. All creation is immediately present to him – in all its extension of space and time. All time and all space has come to be ›at once‹ and are together in their entirety always present to God – or ›in God‹.« 530 Vgl. ebd., 94–95. 531 Gregor von Nyssa, »In Ecclesiasten Homiliae«, in Gregorii Nysseni Opera V, hg. von Jacobus McDonough und Paulus Alexander (Leiden: Brill, 1962), 414 (Oratio VII): »διὰ τοῦτο ὅταν ἔλθῃ ει᾿ς τὰ ὑπὲρ λόγον ὁ λόγος, γίνεται τότε καιρὸς τοῦ σιγᾶν καὶ τῆς ἀφράστου ἐκείνης δυνάμεως ἀνερμήνευτον ἐν τῷ ἀπορρήτῳ τῆς συνειδήσεως ἔχειν τὸ θαῦμα, ει᾿δότα ὅτι καὶ οἱ μεγάλοι τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ καὶ οὐ τὸν θεὸν ἐλάλουν λέγοντες˙ Τίς λαλήσει τὰς δυναστείας τοῦ κυρίου; καὶ Διηγήσομαι πάντα τὰ ἔργα σου καὶ Γενεὰ καὶ γενεὰ ἐπαινέσει τὰ ἔργα σου.« Bei Mar Gregorios: Mar Gregorios, Cosmic Man, 91. Vgl. auch Mar Gregorios, »Theosis«, 288.
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wie kaum eine andere von zentraler Bedeutung: Sprache in Bezug auf Gott hat eine primär evokative, nicht jedoch deskriptive Funktion.532 Ihre Aufgabe ist es, Gott anzurufen, zu loben. So ist das Schweigen vor Gott keinesfalls endgültig, menschliche Rede erhält ihren Ort: The major weakness of the Christian faith has been its attempt to cerebralize it, to formulate it, and to hold it in words. But faith is a relation to the being and will of God. It cannot be reduced to words and concepts which we can control. Words can only stand by and serve. Man must come to terms with reality in the act of worship. There words have a role to play, but quite a limited role. Cerebration is part of celebration, but cannot replace it.533
Bereits Mar Gregorios’ Erstlingswerk The Joy of Freedom offenbart dieses zentrale Anliegen: Hier – im Gottesdienst – hat menschliche Sprache ihre Funktion in Bezug auf Gott. Ebenfalls an dieser Stelle ist die Kritik verortet, die ökumenische Bewegung sei allzu ›logozentrisch‹, leide gar unter einer »chronischen Logorrhoea«534 und bemühe sich zu sehr um ›neue Theologien‹. Mar Gregorios sieht sich einer ganzen Reihe von »Genitivtheologien«535 gegenüber, die ihrerseits den Anspruch erheben, angemessen auf die neuen Herausforderungen der Zeit zu reagieren. Genau hier sieht Mar Gregorios das Problem: The theologian sometimes thinks that the problem of the church today is the lack of the right words – in short, of a relevant theology. But the world is not waiting for new words; it is waiting for Godot – a pattern of life, a type of personality, a way of living, being, doing, thinking. It is our professional bias that makes us think a new theology will solve our problems.536
Im Hintergrund steht eine weitere Unterscheidung bei den Kappadokiern, die in Analogie zu der von διάστημα und μετουσία sowie οὐσία und ἐνέργεια steht – die von θεολογία und οι᾿κονομία. Θεολογία betrifft im strengen Sinne nur Aussagen über den dreieinigen Gott. Theologie als Rede über Gottes Sein müsse daher auf 532 Vgl. Mar Gregorios, »On God’s Death«, 17–18; Paulos Mar Gregorios, »God – Who is He? An Eastern Christian Perspective«, in A Human God, MGF Violet Series 1 (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1992), 17–18; Mar Gregorios, Cosmic Man, 220; Paulos Mar Gregorios, »Emerging Consciousness for a New Humankind«, in Science, Technology, and the Future of Humanity (Delhi [u. a.]: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2007), 45–46; Verghese, Freedom and Authority, 139–40. 533 Ebd., 140. 534 Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 109. 535 Annegreth Strümpfel, »Theologie der Hoffnung – Theologie der Revolution – Theologie der Befreiung. Zur Politisierung der Theologie in den ›langen sechziger Jahren‹ in Globaler Perspektive«, in Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre, hg. von Klaus Fitschen u. a., Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B. Darstellungen 52 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011), 159. 536 Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 172.
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das »größtmögliche Minimum«537 beschränkt werden. Sie ist eine in der Geschichte des Christentums nur wenigen Menschen obliegende Aufgabe. So sind es in den orthodoxen Traditionen nur wenige Menschen, die würdig waren, den Beinamen ›der Theologe‹ zu tragen. In Mar Gregorios’ Tradition sind es genau genommen zwei: der Evangelist Johannes und Gregor von Nazianz.538 Theologie zu betreiben ist nicht die primäre Aufgabe der Kirche und ihrer Gelehrten. Die primäre Aufgabe des Menschen subsumieren die kappadokischen Väter unter den Begriff der οι᾿κονομία.539 Er meint Gottes Heilswirken in der Schöpfung und steht damit im engen Zusammenhang zu der Vorstellung von Gottes ἐνέργεια.540 Wenn nun die Rede davon ist, sich Gottes Heilswirken zuzuwenden, anstatt sich allzu sehr theologischen Spekulationen hinzugeben, heißt dies nichts anderes, als dass der Mensch seinem Mittleramt nachkommt. Der Ausgangspunkt dessen ist nach Mar Gregorios der Gottesdienst als liturgisches Handeln, in dessen Mitte die Eucharistie steht.541 Hier liegt nicht nur die Quelle für das Handeln des Menschen in der Welt, hier kommt bereits sein vergöttlichendes Handeln voll zum Ausdruck: Der Mensch begibt sich auf den Weg zu Gott und nimmt die Materie – Brot und Wein – mit hinein in diese Vergöttlichung, die ihm zugleich zum Ort der Begegnung mit Gott wird. Im Handeln des Menschen in der Welt passiert nichts anderes: Materie wird sowohl zum Medium der Begegnung mit Gott als auch Objekt des vergöttlichenden Handelns des Menschen.542 In The 537 Mar Gregorios, Human Presence, 55: »The Cappadocians apply the term ›theology‹ […] strictly to the statements about the triune God, and insist on limiting discussion about theology to the minimum possible, for further intellectual effort is likely to yield further understanding of the incomprehensible divine nature.« 538 In der byzantinisch-orthodoxen Tradition wird als dritter Simeon der Neue Theologe (949– 1022) hinzugezählt. Vgl. Lossky, Mystische Theologie, 13. 539 Vgl. Guilio Maspero, »Economy. οι᾿κονομία«, in The Brill Dictionary of Gregory of Nyssa, Supplements to Vigiliae Christianae 99 (Leiden [u. a.]: Brill, 2010), 537–43. 540 Lossky betont hier einen stärkeren Unterschied, indem er Gottes ἐνέργεια eine Mittelstellung zwischen Gottes immanentem Sein und seinem ökonomischen Offenbarwerden zuweist. Vgl. Lossky, Mystische Theologie, 106. Lossky hat ein Interesse, den göttlichen Energien eine höhere Bedeutung zukommen zu lassen, da er – als Vertreter eines neopalamitischen Ansatzes –, deren ›Ungeschaffenheit‹ in den Vordergrund rückt. Mar Gregorios folgend scheint es weitaus schlüssiger, von einem engen Zusammenhang zwischen den Begriffen ἐνέργεια, μετουσία und οι᾿κονομία auszugehen. 541 Vgl. etwa Mar Gregorios, Joy of Freedom, 10–11. 542 Vgl. Verghese, »Cultivation«, 105–8; Mar Gregorios, Human Presence, 49–53, 85. Auch hier lässt sich eine deutliche Beeinflussung durch Pierre Teilhard de Chardin entdecken. Die Analogie des Handelns des Priesters in der Messe mit dem Handeln des Menschen als ›Priester der Schöpfung‹ findet sich bei diesem an zentraler Stelle. Vgl. etwa Pierre Teilhard de Chardin, »Die Messe über die Welt«, in Lobgesang des Alls (Olten [u. a.]: Walter-Verlag, 1964), 10: »Wenn Christus, die Bewegung seiner Inkarnation verlängernd, in das Brot hinuntersteigt, um an seine Stelle zu treten, beschränkt sich sein Tun nicht auf die materielle Partikel, die seine Gegenwart, für einen Augenblick, verflüchtigt. Vielmehr umgibt die Transsubstantiation sich mit einer wirklichen, wenn auch abgeschwächten Vergöttlichung
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Human Presence beschreibt Mar Gregorios diese doppelte Bewegung des Menschen in Bezug auf die Schöpfung wie folgt: In our relation to nature, we have to walk the precarious path and live in the difficult rhythm between mystery and mastery. It is not technology and theology or science and theology that need to be reconciled. It is rather these two attitudes – mastery and mystery – which have to be held in tension. […] Technology is the way of humanizing the world of matter in time-space, and thereby of extending the human body to envelop the whole universe. But that humanizing and extension, if it is to be salvific, must find its proper culmination in man’s offering of himself and the universe to God in love. A secular technology of mastery of nature for oneself is the ›original‹ sin, of refusing our mediatory position between God and the universe, dethroning God, and claiming mastery for the sake of indulging our own cupidity, avarice, and greed. The mastery of nature must be held within the mystery of worship. Otherwise we lose both mastery and mystery.543
Teilhabe und Differenz erhalten hier eine Verhältnisbestimmung. Die Welt ist Ort von Gottes Präsenz und dennoch bleibt dem Menschen der Zugriff entzogen. Seine Aufgabe ist es, selbst Ort von Gottes Präsenz zu werden. Bei aller Aktivität des Menschen, der Mar Gregorios einen hohen Stellenwert zumisst, ist jener Gottesdienst auch der Ort, an dem der Mensch lernt zu empfangen: das Sakrament ist nicht nur Objekt seines vergöttlichenden Handelns, sondern auch der Ort, an dem er Gott passiv wahrnimmt und ›rezipiert‹.544 Das rechte Verhältnis zur Welt beschreibt Mar Gregorios deshalb als »ehrfürchtig« und »empfangend«545: »It is the attitude of being open to fundamental reality as it manifests itself to us through visible, audible, sensible realities in the creation.«546 Von hier aus wird ihm die Schöpfung als Ort von Gottes Gegenwart offenbar, die es ihm unmöglich machen müsste, seine Freiheit zu missbrauchen und sich an der Natur zu vergreifen, die ihm von Gott anvertraut ist. Auch hierin ist der menschlichen Teilhabe eine Grenze aufgegeben. In dieser klaren Begrenzung der menschlichen Erkenntnis Gottes geht orthodoxe Theologie – und mit ihr Paulos Mar Gregorios – einen anderen Weg als dies insbesondere deutschsprachige römisch-katholische und evangelische Theologie im 20. Jahrhundert getan hat. Diesem bleibenden Vorbehalt, was die Erkenntnis Gottes angeht, der Grundzug apophatischer Theologie ist, wurde von Theologen wie Karl Rahner, Karl Barth oder Eberhard Jüngel prominent widersprochen, so etwa in dem Diktum Rahners: »Die ›ökonomische‹ Trinität ist
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des ganzen Universums. Vom kosmischen Element aus, in dem er wurzelt, wirkt der Logos, um alles übrige zu unterwerfen und in sich aufzunehmen.« Mar Gregorios, Human Presence, 88–89. Vgl. ebd., 86–87. Ebd., 86: »We shall call it the reverent-receptive attitude.« Ebd.
Garant der Tradition: Gregor von Nyssa
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die ›immanente‹ Trinität und umgekehrt.«547 Auch Karl Barth schreibt im ersten Band seiner Kirchlichen Dogmatik: Wesen und Wirken Gottes sind ja nicht zweierlei sondern eins. Das Wirken Gottes ist das Wesen Gottes in seinem Verhältnis zu der von ihm unterschiedenen, zu schaffenden oder geschaffenen Wirklichkeit. […] In einer von Gott aus geschehenen Überbrückung des Abgrundes zwischen göttlicher und menschlicher Begreiflichkeit wird es Ereignis, daß es im Bereich und in den Schranken menschlicher Begreiflichkeit ein wahres Erkennen des Wesens Gottes überhaupt und so auch der Dreieinigkeit gibt.548
Barth und Rahner wollen festhalten, dass sich hinter dem Gott der Offenbarung kein ›anderer Gott‹ verberge, sondern dass Gott sich selbst entspreche.549 Gott ist der, als der er sich dem Menschen offenbart. Gottes ökonomisches Wirken als Vater, Sohn und Heiliger Geist entspricht seinem Wesen. Ἐνέργεια und οὐσία entsprechen einander. Der orthodoxen Zurückhaltung, was das Unternehmen der Theologie angeht, steht damit eine Haltung entgegen, welche die Theologie als Nachdenken auch über Gottes Sein ermöglicht: Gott wird denkbar und sagbar. Und die Theologie als Nachdenken über und Rede von Gott erhält eine gewichtige Rolle: »Gott [muß] als der gedacht werden, der er ist. Und das muß so geschehen, daß zwischen Wesen und Existenz Gottes überhaupt kein Unterschied mehr aufkommen kann«550. Es ist hilfreich an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich hinter der Kritik von Mar Gregorios an seinen ›westlichen‹ Gesprächspartnern ein anspruchsvolles theologisches Problem verbirgt. Insbesondere die Theologien Rahners und Barths waren im Kontext der ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert äußerst prägend. Die Unterscheidung oder Nicht-Unterscheidung von Wesen und Wirken des trinitarischen Gottes ist ein Thema, das kaum im Dialog expliziert wurde, jedoch, da es das Verständnis dessen, was die Aufgabe der Theologie sei, derart tief prägt, eine für den Dialog bis heute enorm wichtige Rolle spielt. Für Mar Gregorios spielt es eine solche Rolle überall dort, wo er zu bestimmen sucht, was die Aufgabe des Menschen coram Deo sei – und damit auch der ökumenischen Bewegung. Im Mittelpunkt steht eine neue Weise zu leben, immer wieder ausgehend von der Feier der Liturgie und dem Gotteslob, in dem
547 Karl Rahner, »Der dreieinige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte«, in Mysterium Salutis 2 (Zürich [u. a.]: Benziger, 1967), 328. 548 Karl Barth, Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik. Erster Halbband, 8. Aufl., Kirchliche Dogmatik I/1 (Zürich: EVZ-Verlag, 1964), 391–92. 549 Deshalb versteht Barth dies als »Abweisung des Modalismus […] jene drei Momente sind dem Gottsein Gottes nicht etwa fremd.« Ebd., 402–3 [Hervorhebung im Original gesperrt]. 550 Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, 6. Aufl. (Tübingen: Mohr Siebeck, 1992), 204–5.
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Tradition und Imagination
menschliche Sprache ihre wahre Bestimmung erhält. Hier lässt sich der Mensch von Gott durchdringen, anstatt ihn und sein Wesen durchdringen zu wollen.551
2
Tradition und Freiheit
2.1
›Tradition‹ als Gegenstand des ökumenischen Diskurses
Es bestand ein lebhafter ökumenischer Diskurs über den Begriff ›Tradition‹ spätestens ab Beginn der 1960er-Jahre. Angestoßen wurde dieser bereits durch die Kommission Faith and Order auf ihrer Weltkonferenz in Lund 1952.552 Lag die hiesige Intention mehr im Bereich einer historischen Studie, in der man sich des Anliegens einer geteilten Geschichte des Christentums annehmen wollte, führte der weitere Verlauf des Diskurses dazu, dass man sich zunehmend mit dem Begriff der ›Tradition‹ auch der theologischen Dimension der Geschichtlichkeit des Christlichen annahm. Dies war nicht unwesentlich ein Anliegen der orthodoxen Fraktion, geltend gemacht etwa durch Georges Florovsky.553 Den Ausgangspunkt der Diskussion bildete die Einsicht, dass das Christentum in jeder konfessionellen Ausprägung historisch gewachsen und bedingt ist.554 551 Dabei muss deutlich gemacht werden, dass es sich hierbei keinesfalls um eine dem Protestantismus grundlegend fremde Position handelt. An dieser Stelle sei nur auf die Loci communes Philipp Melanchthons von 1521 hingewiesen, wo dem apophatischen Charakter der Gotteserkenntnis Rechnung getragen wird: »Die Geheimnisse der Gottheit [aber] sollten wir lieber anbeten als sie zu erforschen. Ja, sie können nicht ohne große Gefahr untersucht werden, was nicht selten auch heilige Männer erfahren haben. Gott der Höchste und Größte, hat den Sohn in Fleisch gehüllt, damit er uns von der Betrachtung seiner Majestät zur Betrachtung des Fleisches und so [zur Betrachtung] unserer Hinfälligkeit hinleite.« (»Mysteria divinitatis rectius adoraverimus quam vestigaverimus. Immo sine magno periculo tentari non possunt, id quod non raro sancti viri etiam sunt experti. Et carne filium deus Optimus Maximus induit, ut nos a contemplatione maiestatis suae ad carnis adeoque fragilitatis nostrae contemplationem invitaret.«) Philipp Melanchthon, Loci communes 1521. Lateinisch – Deutsch, übers. von Horst Georg Pöhlmann (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1993), 18–21. 552 So formulierte man: »We propose the establishment of a Theological Study Commission to explore more deeply the resources for further ecumenical discussion to be found in that common history which we have as Christians and which we have discovered to be longer, larger and richer than any of our separate histories in our divided churches. Such a study would focus not only on the hard cores of a disagreement between us, but also in the positive discoveries there to be made of the various levels of unity which underlie our diversities and dividedness.« Zitiert nach: World Council of Churches Commission on Faith and Order, Hrsg., The Old and the New in the Church, Faith and Order Paper 34 (London: SCM Press, 1961), 12. 553 Vgl. ebd. Zum Traditionsbegriff bei Florovsky vgl. Künkel, Totus Christus, 210–15. 554 Dies führte zu dem folgenden Eingeständnis einiger protestantischer Vertreter: »Any tradition which pretends to deny its involvement in both the Christian tradition and the
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Wiederum aufgrund der nunmehr veränderten historischen Situation eines zunehmend ökumenischen Bewusstseins unter den Kirchen, sah man sich gefordert, eben jenem Bewusstsein für eine geteilte Geschichte des Christentums sowie der Möglichkeit der Rede von einer »gemeinsamen Tradition«555 nachzugehen. Dies führte zu der Bildung einer Kommission zur Vorbereitung des Themas mit zwei Untergruppen – einer europäischen und einer nordamerikanischen556 –, die schließlich auf der Weltkonferenz von Faith and Order 1963 in Montreal in eine gemeinsame Sektion mit dem Titel Scripture, Tradition and Traditions einmündeten. Mar Gregorios (damals noch Paul Verghese) war zwar nicht Teil der Sektion, doch muss seine Beschäftigung mit dem Thema in den ökumenischen Diskurs eingezeichnet werden. Er reagiert unmittelbar auf das, was hier diskutiert wird, versucht jedoch zugleich von Beginn an, dem Thema eine ihm eigene Prägung zu geben, wie sich zeigen soll. Mit Blick auf das Abschlussdokument der Sektion II von Montreal557 zeigen sich verschiedene Definitionen des Begriffs ›Tradition‹, die somit einen gewissen ökumenischen Konsens darstellen und sich daher gut eignen, um in einem nächsten Schritt hiervon ausgehend Mar Gregorios’ eigenen Traditionsbegriff pointiert herauszustellen. Zunächst wird verdeutlicht, was von Beginn Anstoß für die Beschäftigung mit dem Begriff ›Tradition‹ war: Widmet man sich dem Thema ›Tradition‹, so geht es um das ökumenische Anliegen schlechthin – die Einheit der Kirche.558 Die Einheit der Tradition wird zum Synonym für die Einheit der Kirche. Wenn man sich in der Folge unterschiedlichen Bedeutungsspektren des Begriffs zuwendet, ist somit zugleich eine theologische Reflexion über die Einheit der Kirche und die Pluralität der Kirchen eingeschlossen: We speak of the Tradition (with a capital T), tradition (with a small t) and traditions. By the Tradition is meant the Gospel itself, transmitted from generation to generation in and by the Church, Christ himself present in the life of the Church. By tradition is meant the traditionary process. The term traditions is used in two senses, to indicate both the diversity of forms of expression and also what we call confessional traditions, for
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›traditions of men‹ – e. g., the tradition which opposes the perspicuous authority of the Word of God in the Bible to all human invention – bears the marks of an historical tradition of antitraditionalism.« World Council of Churches Commission on Faith and Order, The Old and the New, 15. Ebd., 16: »The deepest question of all has to do with the identification and denotation of the integral and unifying tradition which is presupposed in the very notion that the multiple traditions within the Christian community are manifestations – in one degree or another – of a basic and common Christian tradition.« Vgl. Commission on Faith and Order, Hrsg., The Report of the Theological Commission on Tradition and Traditions, Faith and Order Paper 40 (Geneva: World Council of Churches, 1963), 3. Rodger und Vischer, Montreal 1963, 50–61. Vgl. World Council of Churches Commission on Faith and Order, The Old and the New, 19; Rodger und Vischer, Montreal 1963, 50 (Art. 38).
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Tradition und Imagination
instance the Lutheran tradition or the Reformed tradition. In the latter part of our report the word appears in a further sense, when we speak of cultural traditions.559
Die Einheit der Tradition – und damit der Kirche – ist zunächst etwas bereits Gegebenes, im Sinne des ›im Leben der Kirche selbst gegenwärtigen Christus‹. Diese eine Tradition (the Tradition) bedarf wiederum der Tradierung (tradition), womit der grundlegende Prozess der Weitergabe einer Überlieferung gemeint ist. Die bereits gegebene eine Tradition in Christus ist unter irdischen Bedingungen zerbrochen in viele Traditionen, wobei hier konfessionelle Traditionen (traditions) gemeint sind. Davon unterschieden sind schließlich die Traditionen (ebenfalls: traditions) im Sinne einer kulturell-kontextuellen Größe. Diese Semantik wird dort wichtig, wo von der Vermittlung der einen Tradition im Kontext kultureller Traditionen die Rede ist.560 Die zentrale ökumenische Frage ist jedoch zunächst, in welches Verhältnis die eine Tradition in Christus zu den vielen konfessionellen Traditionen gesetzt wird. So könnte der Eindruck entstehen, hier sei der Konsens formuliert worden, es gäbe eine bereits gegebene Tradition in Christus und die konfessionellen Traditionen seien ›lediglich‹ unvollkommene Versuche, dieser einen Tradition gerecht zu werden. Die Erkenntnis der Wahrheit der einen Tradition wäre demnach ein eschatologisches Geschehen, das gleichbedeutend wäre mit der Vereinigung der Kirche. Bis zu jener Erkenntnis blieben demnach alle geschichtlich verwirklichten Formen unvollkommene Versuche. So ist dies insbesondere von manchen evangelischen Theologen vertreten worden.561 Diese Position steht je559 Ebd., 50 (Art. 39). 560 Vgl. ebd., 57–60 (Art. 64–73). 561 Als Beispiele eines solchen Traditionsverständnisses lassen sich etwa die Ausführungen von Kristen Ejner Skydsgaard (1902–1990) und Gerhard Ebeling (1912–2001) nennen, die beide der Sektion von Montreal sowie der europäischen Sektion der vorbereitenden theologischen Kommission angehörten. Vgl. Georg Günter Blum, Offenbarung und Überlieferung. Die dogmatische Konstitution Dei Verbum des II. Vaticanums im Lichte altkirchlicher und moderner Theologie, Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 28 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1971), 144; Commission on Faith and Order, Tradition and Traditions, 64. Zum Traditionsbegriff bei Skydgaard vgl. dessen Ausführungen im Kontext der Vorbereitungsgruppe, besonders Kristen E. Skydsgaard, »Tradition«, in The Report of the Theological Commission on Tradition and Traditions, hg. von Commission on Faith and Order, Faith and Order Paper 40 (Geneva: World Council of Churches, 1963), 46– 50. Zum Traditionsbegriff bei Ebeling vgl. dessen Artikel zur Vorbereitung von Montreal: Gerhard Ebeling, »›Sola Scriptura‹ und das Problem der Tradition«, in Wort Gottes und Tradition. Studien zu einer Hermeneutik der Konfessionen, 2. Aufl., Kirche und Konfession. Veröffentlichungen des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes 7 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1966), 91–143. Die Pointe sowohl bei Skydsgaard als auch bei Ebeling ist die Feststellung, dass das Evangelium dem Menschen nie anders als unter den Bedingungen geschichtlicher Überlieferung und damit als ›Tradition‹ zugänglich ist. Hierin liegt letztlich auch der Grund dafür, dass das Christentum geschichtlich stets in Form konfessioneller Vielfalt entgegentritt – im Sinne verschiedener geschichtlicher Aus-
Tradition und Freiheit
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doch in Spannung zu einem von orthodoxer Seite geäußerten Traditionsverständnis, das für eine geschichtliche Verwirklichung der einen Tradition im Leben der Kirche steht: For them [the Orthodox] the Tradition is not only the act of God in Christ, who comes by the work of the Holy Spirit to save all men who believe in him; it is also the Christian faith itself, transmitted in wholeness and purity, and made explicit in unbroken continuity through definite events in the life of the catholic and apostolic Church from generation to generation.562
Hier ist freilich nicht gesagt, dass es sich bei jener ›katholischen und apostolischen Kirche‹ um die orthodoxe Kirche handle, doch ist vor dem Hintergrund orthodoxer Theologie zu sagen: Die eine Tradition ist charakterisiert durch ihre Rechtgläubigkeit (Orthodoxie). Wenn nicht von einer Identifikation der geschichtlichen Gestalt der Kirche und der wahren Tradition die Rede sein kann, so ist die orthodoxe Kirche bereits dem Namen nach jene Konfession, die sich in ihrem Leben jener Identifikation als Aufgabe verschrieben hat. Wenn also auf beiden Seiten die Unterscheidung zwischen der Tradition und den Traditionen getroffen wird, dann auf unterschiedliche Weise: Die eine Seite geht von einer partiellen Teilhabe aller Traditionen an der einen Tradition aus, die jedoch in jeder Konfession letztlich unvollkommen bleibt, während die andere Seite die Aufgabe der Kirche darin sieht, dieser Verwirklichung nachzustreben und so letztlich den Plural konfessioneller Traditionen innergeschichtlich zu überwinden.563 Darin eingeschlossen ist zugleich die Ablehnung der Beschränkung der einen Tradition auf eine bestimmte Periode der Geschichte.564 Das orthodoxe Anliegen ist es, die Gegenwart Gottes in der Kirche ihre gesamte Geschichte hindurch mittels der Tradition zu gewährleisten, weshalb hier Tradition eine stark pneumatologische Konnotation enthält. Während evangelische Theologen in dem Diskurs immer wieder betonen, dass der Heilige Geist gleichsam ›in, mit
legungen des Christusgeschehens. Dies heißt, dass keine historische Größe den Anspruch erheben kann, die eine Tradition als solche vollkommen zu verkörpern. 562 Rodger und Vischer, Montreal 1963, 54–55 (Art. 57). 563 Vgl. ebd., 55 (Art. 58). Hierin kann man das bis heute präsente Anliegen orthodoxer Vertreter innerhalb der ökumenischen Bewegung erblicken, eben jene Vereinigung der Kirchen als Rückkehr aller Kirchen zur einen Tradition als eigentliches Ziel ökumenischer Verständigung festzuhalten und Kritik zu üben gegenüber einer sich vermehrt sozialethischen Fragestellungen zuwendenden ökumenischen Bewegung. Vgl. hierzu Dagmar Heller, »Nähe und Distanz. Die orthodoxen Kirchen und der Ökumenische Rat der Kirchen«, in Blicke gen Osten. Festschrift für Friedrich Heyer zum 95. Geburtstag, hg. von Martin Tamcke, Studien zur orientalischen Kirchengeschichte 30 (Münster: LIT, 2004), 315–21. 564 Vgl. Blum, Offenbarung und Überlieferung, 78. Dies war das besondere Anliegen Georges Florovskys. Vgl. Künkel, Totus Christus, 213.
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und unter‹ den menschlichen Traditionen wirkt, betont die orthodoxe Seite eine starke Bindung des πνεῦμα an die Tradition der Kirche.565 Jene Konfrontationslinie innerhalb des ökumenischen Diskurses konnte man auch in Montreal nicht überwinden. Die Diskussion zog zudem noch weitere Kreise: So waren die gesamten 1960er-Jahre von einem intensiven theologischen Gespräch über das Thema geprägt, in das sich auch römisch-katholische Theologen einbrachten.566 Hier mündeten die intensiven Bemühungen von Theologen wie Yves Congar, dessen Werk La Tradition et les traditions eine enorme Wirkung entfaltete, unter anderem in der dogmatischen Konstitution Dei Verbum des Zweiten Vatikanums.567 Es lässt sich eine gewisse Verwandtschaft der römisch-katholischen Position mit der orthodoxen feststellen, insbesondere in der engen Verknüpfung von Heiliger Tradition, Heiliger Schrift und dem Lehramt der Kirche.568 Doch ist diese Verknüpfung im Falle römisch-katholischer Theologie noch deutlicher, indem noch klarer die ›eine Tradition‹ in der geschichtlichen Gestalt der Römisch-Katholischen Kirche erkannt wird, weshalb auch bei ökumenisch aufgeschlossenen Theologen wie Congar das Paradigma einer ›Rückkehr-Ökumene‹ das einzig denkbare Modell der Vereinigung der Kirchen bleibt.569 Mit der vorliegenden kurzen Beschreibung des diskursiven Kontextes in den 1960er-Jahren ist eine Grundlage geschaffen, um die Position von Mar Gregorios in diesen einzuzeichnen und damit zugleich die Pointe seines Entwurfs besser hervorzuheben. Dabei nimmt Mar Gregorios bereits a priori eine besondere 565 Ein solches pneumatologisches Traditionsverständnisses findet sich unter anderem bei Florovsky, der dies auch in der Vorbereitungsgruppe wie der Sektion vertreten hat. Ein anderer pointierter Vertreter vor ihm war Wladimir Lossky. Vgl. etwa Lossky, Mystische Theologie, 239: »Die Tradition hat ja einen pneumatologischen Charakter: sie ist das Leben der Kirche im Heiligen Geist.« Zu Florovskys und Losskys Traditionsverständnis vgl. Blum, Offenbarung und Überlieferung, 78–86. Zur Position von beiden im Vergleich zu Mar Gregorios vgl. True, »Prophet«, 152–55. 566 Diese Tatsache war wohl nicht zuletzt auch Grund dafür, dass ab 1968 römisch-katholische Theologen vollgültige Mitglieder von Faith and Order wurden, womit die Kommission eine besondere Rolle im ÖRK einnahm. 567 Zu Congars Einfluss auf Dei Verbum vgl. Johannes Bunnenberg, Lebendige Treue zum Ursprung. Das Traditionsverständnis Yves Congars, Walberberger Studien der AlbertusMagnus-Akademie 14 (Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1989), 275–95. 568 Vgl. die Konstitution Dei Verbum II, 10: »Es ist also klar, dass die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche gemäß dem überaus weisen Ratschluss Gottes sich so untereinander verknüpfen und verbinden, dass das eine nicht ohne die anderen besteht und alle zusammen, die einzelnen auf ihre Weise, unter dem Handeln des einen Heiligen Geistes wirksam zum Heil der Seelen beitragen.« Zitiert nach: Peter Hünermann, Hrsg., Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils. Konstitutionen, Dekrete, Erklärungen, Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil 1 (Freiburg im Breisgau: Herder, 2004), 371–72. 569 Vgl. Blum, Offenbarung und Überlieferung, 144–45.
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Position in diesem Diskurs ein: Wenn in dem bisher Dargestellten grundlegende positionelle Tendenzen der einzelnen Konfessionsfamilien – Protestantismus, Orthodoxie und Katholizismus – beschrieben wurden, entzieht sich Mar Gregorios von vornherein jener konfessionellen Kartographie. Er gehört der miaphysitischen Tradition an. Bevor vorschnell eine Identifikation der orientalischen Orthodoxie mit der byzantinischen Orthodoxie stattfindet, muss – angesichts des ökumenischen Kontextes zu Beginn der 1960er-Jahre – zunächst klar gesagt werden: Es ist mitnichten eindeutig, wo Mar Gregorios hier als orientalisch-orthodoxer Theologe zuzuordnen ist.570 Dass er zudem noch dem indischen Teil der miaphysitischen Tradition angehört, macht die Sache nicht einfacher: In der Vorbereitung für Montreal gab es zwei theologische Subkommissionen – eine nordamerikanische und eine europäische. Weder die orientalische Orthodoxie, noch die Christenheit des globalen Südens waren hier repräsentiert.571 Mar Gregorios ist ein Vertreter einer der ältesten christlichen Familien, in zweierlei Hinsicht: als Vertreter der orientalisch-orthodoxen Tradition und der Thomaschristenheit. Dennoch ist deutlich, dass auf Seiten der orientalischen Orthodoxie und insbesondere im Falle der Malankaren in Indien die arendtsche ›Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft‹ besonders deutlich hervortritt. Wenn Mar Gregorios im Folgenden Freiheit, Kreativität und Imagination als Charakteristika des Umgangs mit der Tradition herausstellt, ist damit vor allem eine tief empfundene Notwendigkeit seinerseits festgestellt: Hier ist eine Kirche, die sich nach Jahrhunderten des westlichen Fremdeinflusses als indische und orthodoxe zu etablieren sucht. Hier ist eine orientalische Orthodoxie, die ebenfalls nach einer Position innerhalb des ökumenischen Diskurses sucht, in dessen Kartographie sie nicht vorgesehen scheint. Hier ist ein Theologe, der aufgrund seiner Biographie sich selbst fragen muss: Welche ist meine Tradition? Die historische und existenzielle Situation lässt Mar Gregorios Raum, sich dem Thema ›Tradition‹ in Freiheit zu nähern. Es ist zutreffend, bei Mar Gregorios von einem ›Traditionsbildungsprozess‹ zu sprechen. Doch nicht nur, dass er eine solche Traditionsbildung vornimmt – und so Tradition zum Gegenstand von Imagination werden lässt –, er legitimiert diesen Prozess theologisch, indem er Tradition zugleich als Medium von Imagination beschreibt.
570 Die erste Sitzung des inoffiziellen Dialogs zwischen Byzantinern und Orientalen fand im Jahre 1964 in Aarhus statt. Im Zuge dessen etablierte sich erst der Begriff der orientalischen Orthodoxie auf breiter Ebene, da man hier – wenn auch mit einer gewissen Vorsicht in der Formulierung – einander die Rechtgläubigkeit zugestand. Vgl. Mar Gregorios, Lazareth, und Nissiotis, Chalcedon, 3: »We recognize in each other the one orthodox faith of the Church.« 571 Vgl. Commission on Faith and Order, Tradition and Traditions, 3, 28, 64.
144 2.2
Tradition und Imagination
Die Tradition und die Traditionen
Mar Gregorios spricht in verschiedener Weise von Tradition. Er kann Traditionen ganz allgemein als jene autoritativen Strukturen verstehen, die sich mit Hans-Georg Gadamer als ›Vorurteile‹ im Sinne der geschichtlichen Bedingtheit des Verstehens begreifen lassen.572 So äußert er in Anschluss an Gadamer: Without prejudice, pro-theoria, there is neither science nor understanding. Not only is prejudice unavoidable, but our very prejudice against prejudice comes from a particularly prejudiced tradition – the Enlightenment. The best that reason can do today is not to eliminate prejudice, but to seek critically to discriminate between better and worse prejudices.573
Mar Gregorios diagnostiziert somit eine nie dagewesene Traditionshörigkeit in der westlichen Welt. In Berufung auf die europäische Aufklärung pflege die westliche Kultur eine Tradition, die sich ihrer selbst nicht bewusst sei, da sie jede Tradition als solche ablehne. Sie hege ein »Vorurteil gegen die Vorurteile überhaupt«574 und verschweige damit – möglicherweise ohne es zu wollen – die Bedingtheit des eigenen Verstehens. Im Kontext des Dialogs mit den Naturwissenschaften spielt für Mar Gregorios der Begriff ›Tradition‹ eine zentrale Rolle. Er erlaubt es ihm, zunächst von einem gleichen Ausgangspunkt der Erkenntnis auszugehen. Es sind Menschen, die mit ihren Augen die Welt betrachten und deren Verstehen historisch bedingt ist.575 Was hier somit vorliegt, ist ein allgemeiner Traditionsbegriff, in den ein spezifisch christlicher Traditionsbegriff einzuordnen ist. Hier liegt bereits eine wesentliche Pointe von Mar Gregorios’ Traditionsverständnis. Während das Hauptinteresse vieler Theologen darin liegt, zwischen einem theologischen und einem ›säkularen‹ oder ›kulturellen‹ Traditionsbegriff zu unterscheiden, betont Mar Gregorios zunächst deren Gemeinsamkeit:576
572 Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, 6. Aufl., Gesammelte Werke 1 (Tübingen: Mohr Siebeck, 1999), 275–76. 573 Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 114–15. 574 Gadamer, Wahrheit und Methode, 275: »Es gibt nämlich sehr wohl auch ein Vorurteil der Aufklärung, das ihr Wesen trägt und bestimmt: Dies grundlegende Vorurteil der Aufklärung ist das Vorurteil gegen die Vorurteile überhaupt und damit die Entmachtung der Überlieferung.« Zur Rolle des gadamerschen Traditionsbegriff im ökumenischen Traditions-Diskurs vgl. Blum, Offenbarung und Überlieferung, 148–150. 575 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Authority in the Church. An Orthodox Perspective«, in A Dialogue Begins. Papers, Minutes and Agreed Statements from the Lutheran-Orthodox Dialogue in India 1978–1982, hg. von Kondothra M. George (Madras [u. a.]: Gurukul [u. a.], 1983), 76–77. 576 In Montreal steht hierfür die Unterscheidung von der einen Tradition und den kulturellen Traditionen. Vgl. Rodger und Vischer, Montreal 1963, 50 (Art. 39).
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Like the Tradition of scientific community, the Tradition of the Church has its own specificity, its own cumulative continuity, its own pattern of behaviour and understanding, its own ›conjectures and refutations‹ to use a Popperian phrase. The Tradition of the Church is also cumulative – aspects of it continually subject to revision, other aspects remaining fairly unchanged, as in science. The integrity of the Tradition does not mean complete uniformity or unanimity in either the community of science or the community of faith.577
Traditionen sind menschengemacht und unterliegen der Veränderung. Eine Tradition ist etwas, dessen einzelne Elemente sich im Nachhinein als falsch herausstellen können und die gerade deshalb immer wieder der Korrektur bedarf. Ihre Autorität beruht nicht darauf, dass sie die Wahrheit besitzt, sondern sie ist zunächst eine ›willkürliche‹ Setzung, die sich in der Praxis behaupten muss. Hier findet sich somit die klare Einordnung des christlichen in einen allgemeinen Traditionsbegriff. Die christliche Tradition bildet zunächst keine Ausnahme unter den vielen Traditionen der Menschheit. Auch sie ist das Ergebnis von ›Mutmaßung und Widerlegung‹, was in einem über die Jahrhunderte der Kirchengeschichte geführten, lebendigen theologischen Diskurs resultiert. Diese Ansicht führt auch dazu, dass jene unter anderem in Montreal getroffene Unterscheidung von der einen Tradition und den kulturellen Traditionen von Beginn an zur Disposition steht. So kann sich das Christentum niemals anders ausdrücken als durch das Medium der Kultur. Als eine von Menschen gelebte Tradition schlägt es sich in Riten, Schriften, Musik und Sprache nieder, welche zentrale kulturelle Ausdrucksformen sind. Eine Unterscheidung von kulturellen Traditionen und der Tradition ist demnach von vornherein eine relative, keine absolute.578 Hier ist erneut Mar Gregorios Position im Diskurs von Interesse. So ist auffällig, dass die klare Differenzierung zwischen der einen Tradition und den vielen Traditionen – sei es im konfessionellen oder kulturell-kontextuellen Sinne – vornehmlich von byzantinisch-orthodoxen wie römisch-katholischen Theologen vertreten wurde. True macht zu Recht am Beispiel der kirchengeschichtlichen Auseinandersetzung John Meyendorffs mit dem Problemkomplex deutlich, dass bei jenen Theologen die Einheit der Tradition stets auch im Horizont der Einheit des Reiches gesehen wird.579 So sieht Mar Gregorios in der Ablehnung des Chalcedonense durch die Miaphysiten wesentlich eine politische Revolte gegen die Versuche des Kaiserreichs, durch ein Konzil das Reich zu befrieden und zu 577 Mar Gregorios, »Authority in the Church«, 77. 578 Auffällig an obigem Zitat – mit Blick auf die Definition von Montreal – ist somit auch, dass Mar Gregorios auch die Tradition der ›scientific community‹ im Englischen groß schreibt (Englisch: Tradition) und ihr damit implizit einen gleichrangigen Status neben der christlichen Tradition einräumt. 579 Vgl. True, »Prophet«, 117–23.
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vereinheitlichen.580 Der hierin implizierte Vorwurf gegenüber römisch-katholischen wie byzantinisch-orthodoxen Theologen ist demnach, durch ihren Traditionsbegriff nicht primär ein theologisches Interesse zu verfolgen, sondern einen jeweils fortgeführten reichskirchlichen Machtanspruch zu verteidigen. Demgegenüber vermag er die Miaphysiten als jene zu stilisieren, die der Verlockung einer privilegierten Stellung als Reichskirche widerstanden, im Interesse der Wahrung des orthodoxen Glaubens.581
2.3
Die christliche Tradition
2.3.1 Tradition, Theosis und die Transzendenz Gottes Mar Gregorios wendet sich harsch gegen die von byzantinisch-orthodoxer Seite stark gemachte pneumatologische Definition der Tradition. In einem Essay mit dem Titel The Problem of Authority from the Present Perspective, das er bereits im Jahre 1960 verfasste, schreibt er: Tradition is the total spiritual-cultural complex of the divine life of the Church in its existence in all corners of the world throughout the centuries. […] the authorship of tradition is not to be attributed to the Holy Spirit alone as some Orthodox theologians tend to do (Khomiakov, Florovsky). To deny the human elements in the total life and work of the Church is to be involved in the Docetic heresy in a new form and to misunderstand the nature of the Incarnation.582
Hier zeigt sich ein zentrales Argumentationsmuster von Mar Gregorios: Sein Ausgangspunkt ist die Christologie und im Besonderen die Inkarnation, die auf ihre anthropologischen Konsequenzen bedacht wird. Die Einheit von Gott und Mensch in Christus bedeutet, dass eine Trennung von Gottes Handeln und menschlichem Handeln nicht möglich ist. Im Gegenteil, Gott handelt wesentlich durch den Menschen. Wenn die Tradition beinahe mit dem Heiligen Geist identifiziert und gegen ›menschliche Traditionen‹ gestellt wird, versteht Mar 580 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »The Orthodox Church and Its Two Families«, in Introducing the Orthodox Churches (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1999), 17: »A much more important reason for the conflict was perhaps an Asian African revolt against growing European or Graeco-Roman Domination, both in the church and in the Empire.« Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »The Oriental Orthodox Churches«, in Introducing the Orthodox Churches (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1999), 33; True, »Prophet«, 118. 581 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 32. 582 Paulos Mar Gregorios, »The Problem of Authority from the Present Perspective. A Simple Statement of Some Random Thoughts. July 1960«, in The Church and Authority. Reflections on the Nature and Life of the Church, hg. von Ashish Amos (Kottayam: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2001), 70.
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Gregorios dies als ›doketische Häresie‹, weil Gott nicht zugetraut werde, durch die menschliche Natur zu handeln. So wird bei Mar Gregorios die Einheit von Gott und Mensch in Christus zum theologischen Ausgangspunkt, um von hieraus die Freiheit des Menschen zu begründen. Wenn bereits im vorherigen Kapitel583 vom Menschen als Mitschöpfer die Rede war, überträgt Mar Gregorios jene Vorstellung auf das Thema ›Tradition‹. Der Grund, warum er philosophische Ansätze wie den Gadamers auf die beschriebene Weise rezipieren kann, liegt in der Betonung der Freiheit als Ausdruck des Schöpferseins des Menschen. So kann der Mensch Traditionen schaffen, verändern und abschaffen, ohne sich dabei einer Sache zu bemächtigen, die ihm nicht zustünde. Mar Gregorios verdeutlicht dies, indem er erneut auf die Christologie verweist: it is arrant nonsense and sheer blasphemy to say that people can do nothing. It is humanbeing who is now sitting at the right hand of the Father, and does everything with God to accomplish His purposes. Human initiative and freedom are exceptionally significant in the working out of Gods plans. The Church is a divine-human organism in organic continuity with the historical Incarnation, and the tradition of the Church is a product of this divine-human life.584
Es besteht daher ein enger Zusammenhang zwischen der Frage der Tradition und jener der Autorität. Wenn der Mensch frei ist, existiert dann überhaupt eine autoritative Instanz in Sachen des Glaubens? It is obvious that shifting ultimate responsibility to an infallible Bible or an infallible Church is to have no respect for human freedom and responsibility. Free decisions with full possibility of error would appear to be necessary to maintain the dignity and authenticity of an individual as a free and responsible being. The first lesson from our historical discussion of the problem of authority is that there is no absolute authority even in the Person of God. Freedom is one of the profound realities both of the Being of God as well as the being of man, and theology has to maintain this at both ends.585
Gott, obgleich Instanz absoluter Wahrheit, übt die damit verbundene Autorität nicht in absoluter Weise aus. Er lässt dem Menschen Freiheit. Diese Freiheit gründet zugleich in Gottes Immanenz wie auch in seiner bleibenden Transzendenz. Wenn die Immanenz Gottes die Freiheit des Menschen begründet, so ist es zugleich seine Transzendenz, die dem Menschen diese Freiheit ausüben lässt – auch wenn dies bedeuten kann, dass der Mensch sich gegen Gott wendet.586 Jene ›Balance‹ zwischen der Immanenz und Transzendenz Gottes ist es, die Mar
583 584 585 586
Siehe: III.1.3. Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 71. Ebd., 63. Vgl. das Kapitel ›Freedom and Evil‹ in: Verghese, Freedom and Authority, 88–100.
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Gregorios in allen seinen theologischen Überlegungen zu wahren sucht.587 Für das Unternehmen der Theologie hat dies grundlegende Konsequenzen: God is Truth, and He is, absolutely. However Truth does not exist absolutely. Its being is self-subsistent and non-relative, but its existence is always contingent and relative. And since theology as a scientific discipline can only speak of existence, scientific theology’s attempt delineate the absolute as if it were an existent is bound to lead astray. The Absolute cannot be trapped in our categories which are drawn from existence. Human existence cannot comprehend the Absolute.588
Für die Beschäftigung mit der Tradition und ihrer Autorität ist dies bereits die Grundvorraussetzung: Die Schöpfung hat zwar Anteil an Gott, ist aber zugleich von ihm unterschieden. Absolute Wahrheit – und mit ihr Gott – bleibt unter den Bedingungen der Existenz dem letzten Zugriff des Menschen entzogen. Wird sie erkannt, so stets nur gebrochen, vermischt mit Irrtum.589 Die Unfehlbarkeit einer Tradition ist daher nach Mar Gregorios eine Sache der Unmöglichkeit. Unfehlbarkeit ist ein Verstoß gegen die apophatische Natur der Gotteserkenntnis. Da menschliche Rede und menschliches Tun stets unvollkommen sind, ist auch die Tradition ihrem Wesen nach fehlbar.590 Ihr eine rein pneumatologische Definition zukommen zu lassen wäre demnach ebenso falsch, wie von ihr als rein kulturellem Phänomen zu sprechen. Die christliche Tradition ist ein »kulturellspiritueller Komplex«591, in der die συνεργεία von Gott und Mensch verwirklicht wird.592 Doch was bedeutet jene Fehlbarkeit für die Autorität der Tradition hinsichtlich des Glaubens und Lebens der Kirche? Gott ist die einzige Instanz absoluter Wahrheit, jene liegt jedoch aufgrund des apophatischen Charakters der Gottes587 Mar Gregorios, Human Presence, 74: »God, as immanent, is the true being of all beings. God, as transcendent, is beyond being, non-being as source of all being. His energeia is manifest in creation. His ousia is beyond all manifest being. Affirmations about God relate to his energeia; about his ousia only negation is possible. But the affirmation and the negation have to be held together.« 588 Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 63. 589 Vgl. ebd., 63–64. Mar Gregorios sieht in dieser Erkenntnis die Relevanz der Philosophie Immanuel Kants für die Theologie: »The ontological severance from the ground of one’s being has resulted in being capable of knowledge without knowing how the knowledge is related to Truth. This, as I see it, is the Christian significance of the philosophy of Immanuel Kant. Truth does not reveal itself to us in its aseic being when we stand outside if it. It conceals its essence, and puts up a front which we can look at and study in its phenomenological aspects, but both noumenal and the phenomenal evades our gaze.« Ebd., 64. 590 Der Begriff der Unfehlbarkeit ist vor allem Gegenstand des Dialogs mit der Römisch-Katholischen Kirche. So äußert sich Mar Gregorios ausführlich zu dem Thema im Rahmen der Wiener Konsultationen. Vgl. Paul Verghese, »The Infallibility of the Church. Significance of the Ecumenical Councils«, Wort und Wahrheit. Revue for Religion and Culture. Supplementory Issue 2 (1974): 45–54. Siehe dazu ausführlich: III.2.3.2. 591 Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 70. 592 Vgl. True, »Prophet«, 108.
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erkenntnis dem Menschen niemals offen zutage. Im Glauben erhält der Mensch Anteil an der Wahrheit Gottes in Christus. Doch auch darin bleibt das Wissen um die Wahrheit Stückwerk. Es ist ein Sein in der Wahrheit, kein objektives Wissen um ihren Inhalt.593 Dennoch ist jenes fragmentarische Wissen um die Wahrheit in Christus die Grundlage für das, was der Mensch als Tradition schafft. Tradition ist der Versuch, jene unvollkommene Erkenntnis festzuhalten, um den Glaubenden die Erfahrung vorheriger Generationen zuteil werden zu lassen und ihnen so Hilfestellung im Glauben und Schutz vor Irrtum zu bieten. Daher bezeichnet Mar Gregorios die Tradition als »Gedächtnis der Kirche«594. Niemals hat die Tradition demnach die Funktion, das Geheimnis Gottes offenzulegen. Die Tradition bewahrt – das Geheimnis Gottes und den Menschen auf dem Weg des Glaubens. So steht der Begriff ›Tradition‹ bei Mar Gregorios in einem engen Verhältnis zur Vorstellung der Vergöttlichung, die für Mar Gregorios jenen ›Weg des Glaubens‹ beschreibt. Tradition ist demnach ein zentrales Element kataphatischer Theologie, deren Aufgabe es ist, Wegweiser für den Aufstieg zu Gott zu sein.595 Im Zuge dieses Aufstiegs jedoch stellen sich all jene Wegweiser als vorläufig heraus. So interpretiert Mar Gregorios den Aufstieg des Moses von Gregor von Nyssa: Erscheint Gott Mose zuerst im Feuer des brennenden Dornbuschs – und daher in der sichtbaren Welt –, realisiert er, je höher er steigt, dass alle irdischen Dinge Gott nicht gerecht werden können. Der Erkenntnis Gottes »im Licht« stellt er die Erkenntnis Gottes »im Dunkel«596 der Wolke auf dem Gipfel des Berges entgegen: Denn wenn er alle Erscheinungen verlassen hat, nicht nur, was die sinnliche Wahrnehmung faßt, sondern auch was der Geist zu glauben scheint, dringt er immer tiefer ins Innere, bis er unter großer geistiger Anstrengung zum Unsichtbaren, Unfaßbaren gelangt und dort dann Gott sieht. Denn darin liegt die eigentliche Erkenntnis des Ge-
593 Vgl. Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 65–67. 594 Vgl. ebd., 75: »Theologically, Tradition is the flowing stream of the life of the Church, the mind of the Church conceived as the Body of Christ.« Vgl. auch ebd., 71. Hier findet er sich in Übereinstimmung mit Florovsky, der die Tradition als »›Gedächtnis‹ oder ›Bewußtsein‹ der Kirche« bezeichnet. Georges Florovsky, »Tradition«, in Weltkirchenlexikon. Handbuch der Ökumene, hg. von Franklin H. Littell und Hans H. Walz (Stuttgart: Kreuz-Verlag, 1960), 1473. Vgl. Künkel, Totus Christus, 211. 595 Vgl. Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 78: »But within this plethora there are certain guideposts, and a delineation of them might be appropriate. These guideposts do not provide the material for theology, but anchor theology in the truth and keep it for going too far astray.«. Vgl. auch Verghese, Freedom and Authority, 112. Ähnlich auch: Lossky, Mystische Theologie, 52. 596 Gregor von Nyssa, De Vita Moysis, hg. von Herbertus Musurillo, Gregorii Nysseni Opera, VII/1 (Leiden: Brill, 1964), 86: »τότε γὰρ ἐν φωτί, νῦν δὲ ἐν γνόφῳ τὸ θεῖον ὁρᾶται.«
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suchten, darin das Sehen im Nicht-Sehen, daß der Gesuchte alle Erkenntnis übersteigt, wie durch Finsternis durch seine Unbegreiflichkeit auf allen Seiten abgeschlossen.597
Tradition als Element kataphatischer Theologie ist demnach eine Hilfe auf dem Weg zur wahren Gotteserkenntnis, die apophatischer Natur ist. In pointierter Weise fasst Mar Gregorios diese Erkenntnis in Freedom and Authority zusammen: »For the full-grown saint, neither the scriptures nor the tradition are any longer necessary. But during his period of growth to sainthood they were necessary. He might have shipwreck of his life if he had experimented entirely on his own.«598 Es mag Menschen geben, die sich diesem Ideal des ›ausgewachsenen Heiligen‹ annähern, doch in letzter Konsequenz braucht jeder Mensch in seinem Leben jene Weisung der Tradition, die ihn vor Irrtum schützt und auf den richtigen Weg bringt: That is why Tradition has always to have an eschatological dimension and orientation. Tradition is not backward-looking. It appropriates the past in order to be more adequately open to the future. Tradition is always reaching forward to direct vision, to unmediated knowledge, and to the consummation of love. Loyalty to tradition without openness to present reality and expectant yearning for the future, can be stifling and destructive of human freedom. But openness to future without an awareness of the past is bound to be superficial and therefore enslaving. The community of the spirit lives out the past towards the future in the present. There freedom grows, for the spirit is freedom.599
Stellt die Tradition etwas Vorläufiges, Irdisches, Menschliches dar, ist sie in ihrer Funktion als Hilfe und Weisung auf das Eschaton bezogen. In jenem eschatologischen Charakter kommen somit Vorläufigkeit und Gottesbezug der Tradi597 Ebd., 86–87: »καταλιπὼν γὰρ πᾶν τὸ φαινόμενον, οὐ μόνον ὅσα καταλαμβάνει ἡ αἴσθησις ἀλλά καὶ ὅσα ἡ διάνοια δοκεῖ βλέπειν, ἀεὶ πρὸς τὸ ἐνδότερον ἵεται ἕως ἂν διαδυῇ καὶ τῇ πολυπραγμοσύνῃ τῆς διανοίας πρὸς τὸ ἀθέατόν τε καὶ ἀκατάληπτον κἀκεῖ τὸν θεὸν ἴδῃ. ἐν τούτῳ γὰρ ἡ ἀληθής ἐστιν εἴδησις τοῦ ζητουμένου καὶ ἐν τούτῳ τὸ ι᾿δεῖν ἐν τῷ μὴ ι᾿δεῖν, ὅτι ὑπέρκειται πάσης ει᾿δήσεως τὸ ζητούμενον οἷόν τινι γνόφῳ τῇ ἀκαταληψίᾳ πανταχόθεν διειλημμένον.« Übersetzung zitiert nach: Gregor von Nyssa, Der Aufstieg des Moses, übers. von Manfred Blum, Sophia. Quellen östlicher Theologie 4 (Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag, 1963), 92. Zitiert bei Mar Gregorios in: Mar Gregorios, »Theosis«, 289. 598 Verghese, Freedom and Authority, 150–51. Vgl. auch Mar Gregorios, »Authority in the Church«, 79: »All Church rules, Church dogmas are for immature Christians, which most of us unfortunately are. all these are temporary – both the theology and the ethics. It is God’s will that we should be free – that we should be good, and the good should come out of us as a natural outflow (the good tree brings forth good fruits). It is not God’s will that human beings should remain obedient slaves, subject to commands and authority, but that they should be grown-up sons and daughters, exercising authority.«; Mar Gregorios, Human Presence, 98: »The general axiom is rather that the full-grown human being, the saint, is free from all laws in the Church. Human freedom is too important for eastern spirituality to be subordinate to any kind of law, whether of Church or state.« 599 Verghese, Freedom and Authority, 143–44.
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tion zusammen. Sie ist etwas, das letztlich, weil sie die Wahrheit nicht fassen kann, im Zuge des Aufstiegs zu Gott aufgegeben werden muss, um einer größeren Freiheit Raum zu geben: Unstructured life cannot produce freedom […]. But structure itself has to be discardable, and one has to be fully vigilant not to be enslaved by it. A structure is something which we must create in order to train ourselves. But we must be capable of destroying what we create when it becomes a threat to us.600
In Freedom and Authority überträgt Mar Gregorios das, was er theologisch als das angemessene Verhältnis von kataphatischer und apophatischer Theologie beschreibt, auf das Verhältnis von autoritativen Strukturen und menschlicher Freiheit im Allgemeinen. Das Werk beschreibt daher auf besondere Weise, wie Mar Gregorios ein theologisches mit einem allgemein-phänomenologischen Verständnis von Tradition ins Gespräch bringt. Dies wird später noch einmal eingehender zu thematisieren sein.601 2.3.2 Elemente der christlichen Tradition Stand bisher vor allem der Begriff der Tradition sowie seine Funktion im Vordergrund, muss auch darauf eingegangen werden, was nach Mar Gregorios die christliche Tradition beinhaltet. Es gibt auch hier eine Vielzahl an Texten von Mar Gregorios, die sich mit den Elementen der christlichen Tradition befassen. Sein Beitrag auf der zweiten Wiener Konsultation von Pro Oriente befasst sich hiermit im Kontext seines Vortrags zum Begriff ›Unfehlbarkeit‹: Salvation is in the Church, in Christ by the Spirit, by sharing in the new Reality created in Christ Jesus. Scripture, the councils, the doctrines, the sacraments, the Canon law, the magisterium are all elements in the structure of the Church. That indefectiblity and infallibility cannot be attached to one or more of these elements, singly or in combination. Only the living tradition of the Church is indefectible, not any particular part of it.602
Er nennt hier in einem Atemzug die zentralen Elemente, die seines Erachtens zur christlichen Tradition gehören und wiederholt zugleich sein Verständnis von Tradition. Er lehnt ab, dass eines oder mehrere Elemente zusammengenommen als ›unfehlbar‹ gelten können. Die Unfehlbarkeit der Tradition – wenn man sich des Begriffs überhaupt bedienen möchte – liegt in der ›lebendigen Tradition‹, also gerade jener Tradition, die sich verändert, weiterentwickelt und damit der menschlichen Bestimmung zum kontinuierlichen Wachstum entspricht.603 Die 600 601 602 603
Ebd., 150. Siehe: III.2.5. Verghese, »Infallibility«, 47. Vgl. Mar Gregorios, »Theosis«, 292.
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Bibel, die Konzilien, die Dogmen, die Sakramente, das kanonische Recht und das kirchliche Lehramt spielen im Zuge dieses Wachstums eine wichtige Rolle. Sie sind jene Strukturen, die dem Menschen auf seinem Weg helfen. Doch sind sie, gerade weil sie sich zum großen Teil menschlicher Sprache bedienen, der Gotteserkenntnis letztlich nicht angemessen. Ein anderer Text, in dem sich Mar Gregorios mit den verschiedenen Elementen der christlichen Tradition befasst, ist der bereits genannte Artikel The Problem of Authority. Hier zählt er diese »in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit«604 auf. An der Liste fällt auf, dass er etwa dem Nicäno-Konstantinopolitanum eine größere Bedeutung zumisst als der Heiligen Schrift. Dabei ist dies aufgrund der beschriebenen Funktion der Tradition durchaus einleuchtend: Das Bekenntnis kommt dieser Funktion auf vorbildliche Weise nach, indem es »die Wahrheit sowohl der Trinität als auch der Inkarnation bewahrt.«605 Der Eucharistie gesteht Mar Gregorios den zweiten Rang zu, da sie das Mysterium zur Darstellung bringt, dem sich das Nicänum durch Worte anzunähern sucht.606 Was die Heilige Schrift angeht, ist sie zwar von großer Bedeutung, aber da sie stets der Auslegung bedarf, kommt sie der Funktion der Tradition nicht in der Weise nach, wie dies etwa das Bekenntnis tut. Deshalb heißt es: »The Eucharist must therefore, along with the Niceno-Constantinopolitan Creed, be the twin interpretative category for Scripture.«607 Zwar beantwortet Mar Gregorios die Frage nach dem Verhältnis von Schrift und Tradition auf ähnliche Weise wie man dies in Montreal tut, indem er auf 604 Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 78: »Always keeping in mind the fact that the Holy Spirit is the Spirit of wisdom and truth and that without Him no theology is possible, we shall list these guideposts in order of their importance as they appear to this writer.« Er nennt folgende Elemente: 1. Das Nicäno-Konstantinopolitanum 2. Die Eucharistie 3. Die Schrift 4. Die Schriften der Kirchenväter 5. Das Bischofsamt 6. Entscheidungen der Konzilien und das kanonische Recht 7. Der Consensus Fidelium. Vgl. ebd., 78–79. Das letzte Element ist dabei besonders interessant, da es sowohl das Element der Veränderbarkeit als der Kontinuität der Tradition hervorhebt: Consensus Fidelium bedeutet für Mar Gregorios, dass die Gesamtheit aller Gläubigen der Kirche aller Zeiten und Orte in Übereinstimmung zur kirchlichen Praxis stehen müssten, sollte diese das Prädikat ›unfehlbar‹ erhalten. Vgl. Verghese, »Infallibility«, 53. Dies ist der Grund, warum etwa ein einzelnes Konzil niemals für sich in Anspruch nehmen könnte, eine unfehlbare Entscheidung zu treffen. Das Kriterium, nach dem Entscheidungen die Tradition betreffend getroffen werden, muss daher stets das eines Konsenses der gesamten communio sanctorum zu allen Zeiten und an allen Orten sein, wenngleich dieser Konsens niemals gewährleistet werden kann. Dieser Aspekt erhält besondere Bedeutung im Kontext von Mar Gregorios’ Beschäftigung mit dem Gottesdienst. Hier zeigt er zugleich, wie er von eben jenem Verständnis her in Sachen Liturgie, einen Mittelweg zwischen Kontinuität und Wandel zu finden sucht. Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 29. Siehe: IV.1.3.1. 605 Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 78: »This symbol preserves the truth of Trinity as well as of the Incarnation.« 606 Vgl. ebd. 607 Ebd., 79.
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einen bleibenden Strom der Überlieferung insistiert, jedoch ist daneben bereits in jenem frühen Text von 1960 auch eine deutlich polemische Beschreibung des katholischen wie protestantischen Gegenübers zu erkennen. Während der Katholizismus das Element des Lehramts isoliere und verabsolutierte, geschehe dies im Protestantismus in Bezug auf die Schrift, indem der Traditionsbestand auf diese beschränkt werde.608 Die Krise der Autorität im Protestantismus führt er demnach auf die Krise des Schriftprinzips zurück: Man habe im Umbruch zur Neuzeit die Historizität der Schrift erkannt und damit ihre Fehlbarkeit. Zudem sei der Protestantismus nicht in der Lage, das Problem des Hiatus zwischen der Gegenwart der Kirche und der biblischen Überlieferung zu lösen. Es gebe hier eben keinen bleibenden Strom der Tradition, sondern einen, der mit der Kanonbildung angeschlossen sei.609 Gerade in diesem Aspekt unterscheidet sich das Bild, das Mar Gregorios vom Protestantismus zeichnet von den Ergebnissen in Montreal, die auf Seiten des Protestantismus einen bleibenden Überlieferungsprozess affirmierten, wenngleich dieser im Sinne der Verkündigung immer ein gegenüber der Schrift sekundärer ist. Verkündigung ist demnach das Tradieren der biblischen Tradition im Sinne der Auslegung ihres Gehalts im gegenwärtigen Kontext.610 Die Chancen, die ein solches evangelisches Traditionsverständnis für den ökumenischen Dialog birgt, erkennt Mar Gregorios nicht, da er eine Priorität der Schrift gegenüber anderen Elementen der Tradition von vornherein verwirft:611 Die Schrift sei Teil der Tradition und damit nur richtig verstanden, wenn sie nicht als Autorität über der Kirche stehe, sondern ihren Ort im Leben der Kirche erhalte.612 Anhand von Mar Gregorios wenigen Texten, in denen er sich mit dem Gehalt der christlichen Tradition befasst, wird erneut die funktionale Bestimmung des 608 Vgl. auch Verghese, »Infallibility«, 47. 609 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 17–19. Mar Gregorios exemplifiziert dieses Problem unter anderem anhand der schrifthermeneutischen Überlegungen Oscar Cullmanns (1902– 1999) und Ernst Käsemanns (1906–1998). Vgl. ebd., 17: »Both men stand in the Reformation tradition of Sola Scriptura. Both of them also imply that the basic revelatory event took place around 2,000 years ago in the life of Jesus, and that God has ceased to perform new acts which are qualitatively of the same order as those witnessed to in the Bible.« 610 So verdeutlicht Ebeling, dass es sich bei dem reformatorischen Schriftprinzip nicht um Traditionsfeindlichkeit handle, sondern um die Beschränkung des Traditionsbestandes auf die Schrift als »genuine, weil ›apostolische‹ Tradition. […] Das Evangelium kommt zu uns aus einer bestimmten, nämlich der in Jesus zentrierten Geschichte, so daß um Jesu willen der neutestamentliche, aber eben darum auch der alttestamentliche Überlieferungskomplex in Sachen des Evangeliums als die ursprüngliche Überlieferung von schlechterdings einzigartiger, durch nichts zu ersetzender Bedeutung ist. An diese reine, ursprüngliche Überlieferung zu binden, sie nicht mit Fremden vermischen zu lassen, der Macht der biblischen Überlieferung Raum zu geben, sie also der Gegenwart zu überliefern, das ist der klare Sinn des ›sola scriptura‹.« Ebeling, »Tradition«, 98–99. 611 Vgl. Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 72–74; Verghese, Freedom and Authority, 19. 612 Vgl. Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 73; Mar Gregorios, Joy of Freedom, 17, 48–50.
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Tradition und Imagination
Begriffs deutlich: Zwar vermag er von einer ›Unfehlbarkeit‹ sprechen, aber nur unter der Voraussetzung eines Traditionsbegriffs, der gerade die konstante Veränderbarkeit der Tradition zu ihrem Wesen bestimmt. Darum unterscheidet er auch zwischen einer ›Unfehlbarkeit‹ (indefectibility oder infallibility) und einer ›Irrtumslosigkeit‹ (inerrancy). Letztere sei alleiniges Attribut Gottes: »Inerrancy seems to belong only to God and not to any part of creation that has freedom.«613 Die Pointe von Mar Gregorios’ Traditionsbegriff liegt somit in dem apophatischen Vorbehalt aller theologischen Erkenntnis: Gott allein ist gänzlich unfehlbar und ohne Irrtum. Nichts vermag, an Gottes Wahrheit und Geheimnis zu rühren. So bleibt jedes Element der Tradition vorläufig und unvollkommen und bedarf der konstanten Veränderung. Die Tradition ist damit einbezogen in den Prozess der Vergöttlichung, wo menschliche Kreativität immer wieder neu das zu schaffen versucht, was dem Gläubigen bei seinem Aufstieg zu Gott dienlich ist. So kommt die Tradition als Gegenstand und Medium der Imagination zur Geltung.
2.4
Tradition, Imagination, Dialog
Freedom and Authority ist zutiefst von Mar Gregorios’ Beschäftigung mit dem Thema ›Tradition‹ und ihrer Autorität geprägt. Die zentrale These des Werks verdeutlicht bereits, dass er dabei den binnentheologischen Diskurs zu transzendieren sucht: All historical human existence is under some pressure to interiorize what is good in certain patterns of authority, to discard the authority structure with all its freedomhampering elements and to move on to a greater degree of freedom by developing new structures of authority which foster human freedom.614
Der Zusammenhang, in dem das Werk entstanden ist, schlägt sich deutlich nieder, handelte es sich hierbei doch ursprünglich um Manuskripte von Vorlesungen, die Mar Gregorios im Jahre 1968 in den USA hielt.615 Das Thema ›Tradition‹ steht hier ganz im historischen Kontext eines Jahres, das aufgrund des Protests einer Generation gegen autoritative Strukturen in die Weltgeschichte einging. So beginnt Mar Gregorios mit einer Gegenwartsanalyse: »Ancient patterns of authority are fast breaking down. Anyone can see that. The temptation is to bemoan that, rather than to understand.«616 Der Satz macht bereits deutlich, dass er sich keinesfalls anschickt, den Umstand eines allenthalben sichtbaren 613 614 615 616
Verghese, »Infallibility«, 46. Verghese, Freedom and Authority, x [im Original hervorgehoben]. Vgl. ebd., v. Ebd., ix.
Tradition und Freiheit
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Bruchs mit den Traditionen zu beklagen. Im Gegenteil plädiert er im Folgenden dafür, das Verlangen des Menschen nach Freiheit ernst zu nehmen, als Ausdruck seiner Gottebenbildlichkeit.617 Befreiungsbewegungen sieht er daher nicht als Bedrohung, sondern als etwas, das im Zeichen jenes dialektischen Verhältnisses von Freiheit und Autorität steht: Alte Strukturen werden verändert oder abgeschafft und neue Strukturen entstehen, um eines Tages ihrerseits verändert oder ersetzt zu werden. Bemerkenswert ist, wie Mar Gregorios gerade diesen Kontext immer wieder in das Gespräch mit der christlichen Tradition bringt. Sein Impuls sowohl für die Kirche als auch für die ›Menschheit als Ganzer‹ lautet: »The way forward lies in hopeful, faithful, loving experiment.«618 Jener ›experimentelle‹ Ansatz betrifft dabei zunächst die christliche Tradition als partikulare unter den Traditionen der Menschheit. Hier wird die Fähigkeit des Menschen zur Imagination zum Instrument der Vereinigung der Kirchen. Dabei kommt die zweifache Vereinigungsbewegung, die Mar Gregorios im Kontext der Theosis ausmacht, zum Tragen: Vergöttlichung heißt demnach Einswerden mit Gott, was jedoch zugleich einen Prozess des Einswerdens der Menschheit impliziert. Er lehnt daher jede individualistisch gefärbte Vorstellung von Mystik ab.619 Was sein Konzept des ökumenischen Anliegens angeht, wird somit klar, dass das Einswerden der Kirche ein wesentlicher Aspekt jenes Einswerdens der Menschheit bedeutet. Freiheit in Bezug auf die Tradition heißt demnach in ökumenischer Hinsicht, das Einswerden der konfessionellen Traditionen voranzutreiben, was wiederum auf Seiten jener Traditionen eine Offenheit zur Veränderung voraussetzt. In dieser Hinsicht ist Mar Gregorios ein fundamental ökumenischer Denker: Der Vereinigung der Kirche kommt ein eschatologischer wie soteriologischer Charakter zu. Das Einswerden der Kirche ist der Vorbote der einen, neuen Menschheit als die von allen Brüchen geheilte und somit gerettete Menschheit.620 Klar ist jedoch auch, dass Mar Gregorios sich jenes eschatologi617 Vgl. ebd., 134: »The Christian faith, especially if one conceives of man as made in the image of God to inherit all the power, love and wisdom at the disposal of the Creator, does not allow man to be staggered and shocked by these possibilities, nor does it advise him to run away from them. Every new possibility that opens up before man confirms his basic faith that God wants to hold back nothing at all from His children. Everything that God can, man can also, except be one’s own creator.« 618 Ebd., xii. 619 Siehe: IV.1.3.1. 620 Mar Gregorios bezeichnet, wenn er von der christologisch antizipierten und eschatologisch vollendeten Menschheit spricht, diese zumeist als ›neue Menschheit‹. Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 191–93, 231–33, Mar Gregorios, Human Presence, 8, 66–68; Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 222–224; Paulos Mar Gregorios, »Christ. As the Eastern Fathers Saw Him«, in A Human God, MGF Violet Series 1 (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 1992), 83, 88; Paulos Mar Gregorios, »Justification by Faith«, 22; Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 66–67; Mar Gregorios, Diakonia, 21–22; Paulos Mar Gregorios, »The Old Humanity and the New«, in On Choosing the Good Portion, Neuauflage (Kottayam: Mar Gre-
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Tradition und Imagination
sche und soteriologische Geschehen stets nur unter der Einbeziehung menschlicher Tatkraft, als συνεργεία, vorstellen kann. Dies wiederum hat sozialethische Konsequenzen, wie sich zeigen soll. Wenn Mar Gregorios in dieser Weise von der Vereinigung der Traditionen im Horizont jenes eschatologischen Einswerdens der Menschheit spricht, stellt er von vornherein das ökumenische Unternehmen in eine weite Perspektive. So nimmt es nicht wunder, dass er zu jenen gehörte, die als erste den Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen als Kernaufgabe der ökumenischen Bewegung forderten. Denn von einer Tradition und einer Menschheit zu sprechen, heißt letztlich nicht im binnenchristlichen Raum zu verbleiben, sondern eben das Einswerden der gesamten Menschheit zu fördern: The Greek word Oikumene has both an ecclesiastical and a secular sense. In its Church use, it refers to the universality of the Church as it spreads through the whole-inhabited earth and embodies the full richness of all the various traditions. In its secular sense, it includes all places where men dwell. […] The ecumenical horizon should always be the whole Church in time and space, and the whole inhabited earth. Ecumenism seeks the manifest unity of the Church in its wholeness, so that it may be truly used by God for the salvation of the whole world.621
Es ist die Aufgabe aller Menschen, zum Einswerden der Menschheit beizutragen. Die Kirche erfüllt hierin die Rolle einer Avantgarde: Als Ganze in ihrer konfessionellen Vielfalt hat sie die Vereinigung der Menschheit voranzutreiben. Hieraus folgert Mar Gregorios einen Anspruch an die christlichen Kirchen, die nicht davor scheuen sollten, hierin auch mit Institutionen nicht-christlicher Weltanschauung zu kooperieren.622 Auf andere Weise kommt Mar Gregorios gegen Ende von Freedom and Authority erneut auf das Thema ›Tradition‹ zu sprechen. Hier wählt er im Gegensatz zu vorher einen persönlichen Zugang. Er stellt sich als Prototyp eines Menschen dar, der Universalität und Partikularität der Tradition in sich trägt: Here I am, an Indian, a member of an Eastern Orthodox Church, trained in the western system of education. I inherit thus three traditions – the cultural spiritual heritage of India, the religious-spiritual heritage of Eastern Christianity and the conceptual formation of western civilization. If I had to choose one of these to the exclusion of the two others, I would have been much impoverished. How do I then find my way?623 gorios Foundation, 2013), 51–53; Paulos Mar Gregorios, »The Great Symbol«, in On Choosing the Good Portion, Neuauflage (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2013), 107–8; Mar Gregorios, »Last Will«, 196. 621 Paulos Mar Gregorios, »Some Basic Principles of Ecumenism«, in On Ecumenism, hg. von Jacob Kurian (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2006), 18–19. 622 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 190. 623 Verghese, Freedom and Authority, 141–42.
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Jene existenzielle Formulierung des Traditionsproblems spielt neben den genannten anderen Aspekten eine nicht zu unterschätzende Rolle, wenn sich Mar Gregorios diesbezüglich zu Wort meldet. Selten jedoch formuliert er es derart explizit wie an dieser Stelle.624 Diese Selbstbetrachtung geschieht, um sich als Vorbild eines rechten Umgang mit dem Thema ›Die Tradition und die Traditionen‹ darzustellen, wenn er dies in den Kontext seiner Forderung nach der Schaffung (creation) einer geteilten Geschichte der Menschheit und damit einer universalen Tradition stellt: »No particular tradition can be fully trusted, except in the context of an openness to the sum-total of human experience, culture and wisdom.«625 Er macht deutlich, dass, wenn es um die Veränderbarkeit von Tradition geht, vor allem ›der Westen‹ gefordert sei, sich von einem ›messianischen Selbstbewusstsein‹ zu verabschieden und sich als Teil einer großen Tradition der Menschheit zu begreifen, ohne freilich den eigenen Beitrag zu dieser in den Schatten zu stellen.626 Universalität und Partikularität des Traditionsbegriffs gehören demnach für Mar Gregorios zwangsläufig zusammen. Auch hier formuliert er in Form der Introspektion: A number of predilections and circumstances have led me to a choice – specifically for Eastern Christianity as my primary commitment. But precisely because I hold the whole human experience as my heritage, I cannot be exclusive in my adherence to Eastern Christianity. I have learned much by being open to both western Christianity and Hinduism, as well as to Judaism, Islam, Buddhism, secular humanism and Marxism. All these belong to my tradition. But I cannot trust my own judgement as a criterion. So I do not remain in a floating relation to all my heritage, but have consciously chosen one limited heritage, from which to receive my perspective on other parts of my heritage. This I do by belonging to a community and accepting its heritage as a perspectivegranting criterion for evaluating and living out other aspects of my heritage.627
Die Zugehörigkeit zu einer Tradition ist Voraussetzung für die Offenheit, was die universale Tradition der Menschheit betrifft.628 Kein Mensch lebt frei von Herkunft oder Kontext. Er ist historisch bedingt in seinem Verstehen. Sich dessen
624 Auf ähnliche Weise formuliert findet sich dies lediglich in: Mar Gregorios, »Three Points«, 192: »I, for example, am a western trained, religious, Eastern person from the Economic South. There are many unintegrated elements in my training and formation – not just between East and West, or North and South; also between the deeper elements in my own being on the one hand, and the European Enlightenment oriented western training I have received on the other.« 625 Verghese, Freedom and Authority, 141. 626 Vgl. ebd.: »It should be possible for the West to find a via media between an absolutely selfconfident messianism and a totally self-abdicating, hand-wringing, withdrawal. That can be done by honest self-evaluation and self-awareness with humility and openness towards other civilizations and cultures.« 627 Ebd., 142. Ähnlich äußert er sich in: Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 179–80. 628 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 143.
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Tradition und Imagination
bewusst zu sein, ist nach Mar Gregorios die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben unter den Menschen. Was jedoch darüber hinaus den zitierten Text zum Schlüsseltext für Mar Gregorios Werk werden lässt, ist, dass er seine eigene Perspektive als ›Wahl‹ bezeichnet. Er ist sich bewusst, dass er selbst aufgrund seiner Biographie und den diversen Einflüssen und Prägungen, die er erfuhr, sich seiner Tradition nicht sicher sein kann. Er hält es, möglicherweise aufgrund eigener Erfahrungen der »Desintegration der Persönlichkeit«629, für notwendig, die Perspektive einer partikularen Tradition zu vertreten, jedoch auf eine Weise, die diese als Beitrag zur Fülle der universalen Tradition versteht. Er erwartet diesen Umgang auch von anderen und warnt insbesondere ›den Westen‹ davor, dessen in der Vergangenheit gepflegtes Überlegenheitsbewusstsein und das damit einhergehende paternalistische Verhalten fortzuführen. Theologisch gesprochen fordert er die Anerkennung des apophatischen Charakters menschlicher Erkenntnis. Die Wahrheit kann durch keine partikulare Tradition ergriffen werden. Die Aufgabe ist somit, die Erkenntnisse der verschiedenen Perspektiven miteinander zu teilen und so den Weg zur Vereinigung der Menschheit und ihrer mit Gott zu beschreiten. Dialog wird so zum Mittel der Vergöttlichung der Menschheit. Imagination wie Tradition sind Schlüsselbegriffe in Mar Gregorios’ Denken. Er legitimiert Imagination durch seine Rezeption Gregor von Nyssas und dessen Anthropologie. Sie wird damit zunächst einmal zu einer menschlichen Grundeigenschaft: »His ability to perceive and express, to will and to act, to envision and imagine, to love and to create makes man truly human.«630 Mar Gregorios verbindet dies mit seinem Bild von Tradition: Tradition wird so zu einem grundlegenden Gegenstand der menschlichen Imagination. Zugleich stellt sie auch ein Medium der Imagination dar, indem sie dem Menschen Hilfestellung gibt, größere Freiheit und damit die Fähigkeit zum Imaginieren zu erlangen. In diesem Aufstieg des Menschen zur Freiheit, gilt es immer wieder jenes »Geländer«631 der Tradition loszulassen, um einer größeren Freiheit Raum zu geben. Zugleich bedarf es immer wieder der Imagination neuer Traditionen, um Nachfolgenden Hilfestellung bei jenem Aufstieg zu geben. Imagination wird damit als besondere Form des Ausdrucks menschlicher Freiheit ansichtig: »phantasy, imagination […] is the matrix of all future human possibility. Phantasy both recaptures the 629 Ebd.: »No one can really remain a ›gliding philosopher‹ for all his life without serious disintegration of personality. Commitment to one particular tradition makes it easier to be open to the wealth of all traditions.« 630 Mar Gregorios, Human Presence, 71 [Hervorhebung: L.P.]. Später zeigt sich, wie er dennoch jene Imagination immer wieder zu einer Sache einer kleinen Elite macht. Siehe: IV.1.3.3. 631 Verghese, Freedom and Authority, 112: »Neither the bridge nor the railings are the master of man. Man, with the aid of God, is the master, though he is assisted and guided by the scripture and by the tradition as a whole.«
Tradition und Freiheit
159
ancient past and freely creates the distant future.«632 So vermag die Fähigkeit des Menschen zur Imagination, die ›Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft‹ zu schließen. Das Spannungsfeld von Imagination und Tradition ist gleichsam der Raum, in dem sich Mar Gregorios’ gedanklicher Entwurf formiert. Wenn in dem vorliegenden Kapitel (III) die legitimierende Grundlage geschaffen wurde, indem das Verhältnis der beiden Größen ›Imagination‹ und ›Tradition‹ bestimmt wurde, steht im Folgenden Teil der Arbeit (IV) nunmehr das im Fokus, was Mar Gregorios zum Gegenstand seiner Imagination werden lässt: ›den Osten‹. Dabei stellt sich der Osten in verschiedenen Semantiken dar: als ›Orthodoxie‹, ›Indien‹ und ›Indische Orthodoxie‹. Können alle drei Größen als ›Traditionen‹ gelten, die zum Gegenstand von Mar Gregorios Imagination werden, beschreiben alle drei ebenso die Tradition als Medium der Imagination. So versteht er diese Imaginationen stets auch als Mittel, den Menschen zur Freiheit – und damit auch zur Imagination – anzuleiten: »Image making calls for a measure of direct experience of the transcendent.«633 ›Der Osten‹ von Mar Gregorios stellt den Ort jener Erfahrung der Transzendenz dar, der damit zugleich Ausgangspunkt für das imaginierende, schöpferische Handeln des Menschen wird.
632 Ebd., 145. 633 Mar Gregorios, Human Presence, 92.
IV
Imaginationen des Ostens
1
›Die Orthodoxie‹
1.1
Der Diskurs: ›Worship in a Secular Age‹
Spätestens seit der zweiten Weltkonferenz von Faith and Order in Edinburgh 1937 war das Thema ›Worship‹ ein zentrales Anliegen der Kommission. Infolgedessen existierte auch in Lund 1952 und Montreal 1963 jeweils eine Sektion, die sich der Sache widmete.634 Auf der Weltkonferenz in Montreal war Mar Gregorios Teil der Sektion IV mit dem Titel ›Worship and the Oneness of Christ’s Church‹.635 Diese Sektion bereitete infolgedessen die Sektion V der Vollversammlung des ÖRK in Uppsala 1968 vor, die wiederum den einfachen Titel ›Worship‹ trug. Auch in Uppsala war Mar Gregorios Teil jener Sektion. Unter seinen Texten finden sich zwei vorbereitende Artikel für die Sektion.636 Die Sektionen von Montreal und Uppsala hatten dabei grundsätzlich zwei Bewegungsrichtungen: Zum einen ging es um das zentrale Anliegen der Einheit der Kirche und die Frage, inwiefern dies das geistliche und liturgische Leben derselben betreffe. Zu diesem Anliegen, das die Diskussion seit 1937 wesentlich beherrschte, trat nun zum anderen eines, das fortan bestimmend sein sollte: Man stellte die Frage danach, inwiefern der Gottesdienst angesichts einer sich als ›säkular‹ verstehenden Welt begriffen werden könne oder, ob ihm damit gar die Grundlage entzogen sei. So lautete der ursprüngliche Titel der Sektion von Uppsala ›Worship in a Secular Age‹. Dass dieser verändert wurde, macht bereits die Diskussionslage innerhalb der Sektion deutlich: So wurde von einigen Vertretern eben jene Annahme, man könne global von einem ›säkularen Zeitalter‹ sprechen, angezwei634 Der Titel der Sektion V von Lund war ›Ways of Worship‹. Vgl. den Sektionsbericht in: Secretariat of the Faith and Order Commission of the World Council of Churches, Hrsg., Report of the Third World Conference on Faith and Order. Lund, Sweden. August 15–28, 1952, Faith and Order Commission Papers 15 (London: John Roberts Press, 1952), 27–35. 635 Vgl. Rodger und Vischer, Montreal 1963 (Deutsche Fassung), 102. 636 Vgl. Mar Gregorios, »Terminological Notes«; Mar Gregorios, »Conceptual Clarification«.
162
Imaginationen des Ostens
felt.637 Dieser Einwand wurde vor allem durch Vertreter aus Ländern hervorgebracht, »die noch immer von Stammesreligionen, Hinduismus, Buddhismus oder Islam beherrscht werden«638, schreibt David L. Edwards später in seinem Bericht. Jene Vertreter wandten sich gegen eine von Edwards so bezeichnete Gruppe der »Radikalen der Säkularisierung«639, deren Vertreter vornehmlich protestantische Theologen aus Europa und Nordamerika waren. Als Initiatoren der Diskussion nennt er: Friedrich Gogarten (1887–1967), John A.T. Robinson (1919–1983), Johannes C. Hoekendijk (1912–1975), Arend Theodoor van Leeuwen (1913–1993), Harvey Cox (* 1929) und Paul van Buren.640 Mit letzterem war jene sich selbst als ›säkular‹ verstehende Theologie auch in der Sektion von Uppsala prominent vertreten. Als dritte neben den Befürwortern und Gegnern der Vorstellung eines ›säkularen Zeitalters‹ trat die Gruppe, die vornehmlich durch orthodoxe Vertreter geprägt wurde und die Edwards gegenüber den ›Radikalen der Säkularisierung‹ als ›himmlische Konservative‹ bezeichnet.641 Zu jener gehörte auch der Vorsitzende der Sektion John Meyendorff, dessen Eingangsworte die Ansicht der orthodoxen Fraktion gut zusammenfasst: Wenn Gott ›einen neuen Himmel und eine neue Erde‹ schafft, wenn wir als Christen an dieser neuen Schöpfung teilhaben und wenn der Mensch im wahren Gottesdienst des Neuen Bundes durch den Geist im Sohne Zugang zum Vater findet, welche Haltung soll dann der Christ im Blick auf die ›alte‹ Schöpfung, ihre Gesetze und ihre Geschichte einnehmen? Darf und kann die ›Welt‹, und gar eine Welt, die sich selbst als ›säkularisiert‹ bezeichnet, die Prinzipien des christlichen Gottesdienstes bestimmend beeinflussen?642
Jene Position stellt somit nicht in Frage, dass zu Recht von einem ›säkularen Zeitalter‹ die Rede sein könne. Jedoch präzisierte man, dass dieses Phänomen sich kontextabhängig unterschiedlich gestalte und kritisierte, dass von Seiten jener Vertreter einer säkularen Theologie der Kontext der »großen kapitalistischen Demokratien des Westens«643 schlicht als global angenommen werde. Wie steht es mit dem Säkularismus in den sozialistischen Ländern, in denen viele der östlich-orthodoxen Kirchen beheimatet waren? Auch weist Meyendorff darauf hin, dass es Kontexte gebe, wo keinesfalls von einer ›Säkularisierung‹ die Rede
637 John Meyendorff als Leiter der Sektion fasst zusammen: »Die Sektion hat festgestellt, daß Säkularismus und Säkularisierung schwer so zu definieren sind, daß es für alle Teilnehmer und in allen Teilen der Welt annehmbar ist. Das hat zu der Übereinkunft geführt, den Titel in ›Gottesdienst‹ zu verändern.« Goodall, Uppsala 1968, 80. 638 Edwards, »Stellungnahme«, 89. 639 Ebd., 90. 640 Vgl. ebd., 89. 641 Vgl. ebd., 86. 642 Goodall, Uppsala 1968, 78. 643 Ebd., 78.
›Die Orthodoxie‹
163
sein könne. Neben dieser präzisen Kritik an einer vorschnell sich als allgemeingültig verstehenden theologischen Bewegung des ›Todes Gottes‹, wird in dem obigen Zitat eine weitere orthodoxe Kritik an jener deutlich: Selbst, wenn von einem ›säkularen Zeitalter‹ die Rede sein könne, hieße das nicht für die Kirche, gerade deutlich zu machen, dass der Gottesdienst »seinem Wesen nach die Manifestation einer neuen Schöpfung, also verschieden von der uns jetzt umgebenen Schöpfung«644 sei? Meyendorff stellt die Frage, ob nicht der Gottesdienst gerade der Gegenentwurf zu einer sich als säkularisiert verstehenden Welt sein könne und Antwort biete etwa auf »die Revolte der Jugend in allen Ländern«, die »einen ungestillten Durst nach einer Welt« bezeugt, »die anders ist«645. Es gab demnach eine grundverschiedene Position hinsichtlich der Bewertung jener ›Revolte der Jugend‹, für die das Jahr 1968 sinnbildlich steht. Manifestiert sich die neue Welt, nach der diese Jugend verlangt, im Gottesdienst? Kann also der Gottesdienst gerade als Antwort auf das Verlangen nach einer neuen Welt verstanden werden? Oder ist die angemessene Reaktion auf die allenthalben stattfindenden Umbrüche, dass die Kirche sich diesen Umständen anpasse – in den Worten des stellvertretenden Sektionsvorsitzenden von Uppsala Jean Jacques von Allmen (1917–1994): »um fähig zu sein, die Welt zu erreichen, in die sie Gott gesandt hat, muß die Kirche säkularisiert werden.«646? Um die christliche Botschaft in der Welt laut werden zu lassen, gelte es sich den Bedingungen dieser anzupassen, die Fragen der Menschen zu den eigenen zu machen. Neben dem ›ungestillten Durst nach einer anderen Welt‹ tritt ein anderer Aspekt in dem ökumenischen Dialog der 1960er-Jahre in den Mittelpunkt: der technologische und naturwissenschaftliche Fortschritt. Es fand eine ›Entgrenzung‹ statt, die gerade durch die menschliche Selbsttätigkeit hervorging: Die Möglichkeiten etwa der Raumfahrt standen sinnbildlich für den Drang des Menschen nach Transzendierung des eigenen Horizonts: »The earth with its field of gravity was no 644 Ebd. Während Meyendorff hier eine sichtbar vermittelnde Position auf Seiten der orthodoxen Fraktion vertrat, ist jene Linie der klaren Unterschiedenheit von Gottesdienst und Geschichte im Nachgang zu Uppsala äußerst vehement von der Orthodox Theological Society of America vertreten worden: »Die Wurzel dieses Mangels ist die (tatsächlich allen Sektionen gemeinsame) Annahme, daß ein ›säkulares Zeitalter‹ für die Kirche eine so grundsätzlich neue Situation schafft, daß eine ebenso grundsätzliche Bestandsaufnahme des Christentums notwendig ist, die Gottesdienst, Einheit, geistliche Erneuerung und theologische Auseinandersetzung einschließt. Gerade diese Annahme, daß nur ein weltzentriertes und weltorientiertes für Christen heute möglich und erlaubt ist, macht Sektion V zu einer nicht überzeugenden Mischung von willkürlichen Fragen und angreifbaren Definitionen. […] Die Liturgie ist immer vorwiegend als ein Rückzug aus der Welt verstanden worden, und die Erfüllung der Kirche als in, aber nicht von der Welt.« Zitiert nach: Edwards, »Stellungnahme«, 89. 645 Goodall, Uppsala 1968, 78. 646 Ebd., 79.
164
Imaginationen des Ostens
longer to be the sole domain of man’s existence. Man’s most common dream – to float in space without being held down by gravity – was no longer a mere dream.«647 So schreibt Mar Gregorios selbst einige Jahre später. Die von Edwards so bezeichneten ›Radikalen der Säkularisierung‹ nahmen jene Neuerungen zum Anlass, von einem epochalen Umbruch im menschlichen Bewusstsein zu sprechen: there is taking place a change in human consciousness, a change of self-awareness. In place of seeing ourselves as passive entities, required to some terms with what is given, be it fate, nature, natural law, the eternal order of things, or God, we are slowly beginning to see ourselves as active beings. Where are we going and what is to become of us is beginning to seem to us not a matter of fate, Providence, luck, or immutable laws of nature, but of what we ourselves do.648
Van Buren und mit ihm viele andere Theologen sahen angesichts des allenthalben sichtbar werdenden Drangs der Menschen nach Freiheit jene von Dietrich Bonhoeffer vorhergesagte »Mündigkeit der Welt«649 gekommen. Diese in den 1960er-Jahren in der Ökumene unvergleichlich populäre Sentenz impliziert dabei auch bei Bonhoeffer den Umbruch, der mit den modernen Naturwissenschaften einher geht. Diese stehen mehr als alles andere für den selbstbestimmten Menschen, den Menschen der ohne die ›Arbeitshypothese Gott‹ auskommt.650 Was Theologen wie van Buren nunmehr fordern ist, den modernen Menschen, der 647 Verghese, Freedom and Authority, 132. 648 Paul M. Van Buren, »The Tendency of Our Age and the Reconception of Worship«, Studia Liturgica 7, Nr. 2/3 (1970): 5. Hierbei handelt es sich um van Burens Beitrag zu der im Anschluss an die Vollversammlung in Uppsala 1968 standfindenden Konsultation von Faith and Order, die in Genf 1969 unter dem Titel ›Worship Today‹ stattfand. Auch hier lautete der Titel ursprünglich anders: ›Worship in a Secular Age‹. Doch erkannte man auf gleiche Weise, dass kein Konsens über den Begriff eines ›säkularen Zeitalters‹ zu finden sei. Vgl. Gassmann, Documentary History, 257: »It soon became clear, however, that such a universally applicable description was in fact excluded. The analyses of the situation as well as the conclusions drawn from them with respect to worship diverged widely. Whereas many spoke of a breach with the past, others challenged the view that the secular age was something completely new. Nor was this just a matter of differing opinions but clearly a matter of different experiences of reality.« 649 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von Christian Gremmels, Eberhard Bethge, und Renate Bethge, Dietrich Bonhoeffer Werke 8 (Gütersloh: Kaiser, 1998), 534. 650 Vgl. ebd., 532–33: »Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese (Feuerbach!). Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeitshypothese fallen zu lassen bzw. sie so weitgehend wie irgend möglich auszuschalten.« Hierauf nimmt Bezug: Konrad Raiser, »Bonhoeffer und die ökumenische Bewegung. Historische Rekonstruktion und Bedeutung für heute«, in Dietrich Bonhoeffer. Stationen und Motive auf dem Weg in den politischen Widerstand. Festschrift für Manfred Keller zum 65. Geburtstag am 19. September 2005, hg. von Günter Brakelmann und Traugott Jähnichen, Zeitansage 2 (Münster: LIT, 2005), 52–53.
›Die Orthodoxie‹
165
eben ohne jene Hypothese auskommt, ernst zu nehmen. Anstelle des passiven Menschen trete nunmehr der aktive Mensch, der Verantwortung für die Welt übernehme und das so, als ob Gott nicht wäre (etsi deus non daretur).651 Man proklamierte das Ende eines metaphysischen Gottesbildes. An die Stelle einer spekulativen Christologie solle nun ein Jesus treten, der »Mensch für andere«652 sei und damit Vorbild für eine mündige, verantwortliche Menschheit. So verstehen jene ›Theologien des Todes Gottes‹ den Gottesdienst wesentlich als prophetische Aktion, als Übernahme von Verantwortung für die Welt und kritisieren damit implizit ein Verständnis desselben, das sie lediglich als Anbetung jenes toten, metaphysischen Gottes bezeichnen können.653 Und so schwingt sichtbar Kritik an der orthodoxen Position in Sachen Gottesdienst mit, wenn van Buren erklärt: The revolving door between the museum of antiquities and the secular world can be locked shut or it can be passed through. It will not do as a place in which to stand. Although the option of locking the door is one I can respect, it is not one that I can make, for Christianity itself, as I understand it, asks that we take the world more seriously than that.654
Jenes Aufeinandertreffen zweier grundverschiedener Positionen war für Mar Gregorios ein prägendes Erlebnis. Der Worship-Diskurs war Auslöser vertiefter Reflexion, harscher Kritik und vermehrter Schreibtätigkeit. Hier nahm sein Entwurf einer Orthodoxie Gestalt an, einer Orthodoxie, die gerade das Streben des modernen Menschen ernst nimmt und sich zugleich selbst als angemessene Antwort auf dieses Streben versteht. Das Streben des Menschen nach Freiheit kulminiert für ihn im Gottesdienst, der damit im Zentrum jener ›Orthodoxie‹ steht, die als ›rechte Anbetung‹ ihre angemessene Übersetzung findet.655
651 Vgl. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 533; Paul M. Van Buren, »Bonhoeffer’s Paradox: Living With God Without God. A Hypothetical Investigation«, in Bonhoeffer in a World Come of Age, hg. von Peter Vorkink (Philadelphia: Fortress Press, 1968), 5–6; Van Buren, »Tendency«, 9. 652 Vgl. Van Buren, »Bonhoeffer’s Paradox«, 14: »Jesus, or more strictly, the behaviour of Jesus, Jesus as ›the man for others‹ now displaces God as the root metaphor, now takes the place of ontological priority.«; Verghese, »Relevance of Christology«, 166. 653 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, x. 654 Van Buren, »Tendency«, 7–8. 655 Zur Übersetzung des Begriffs ›Orthodoxie‹ siehe: IV.1.3.3 (letzter Absatz).
166 1.2
Imaginationen des Ostens
Mar Gregorios’ Verortung im Diskurs
Edwards sprach aufgrund seiner Erfahrungen in der Sektion V von Uppsala etwas schematisch von drei Positionen: der orthodoxen, der ›säkularen‹ und einer, die besonders die axiomatische Feststellung eines ›säkularen Zeitalters‹ aufgrund des eigenen kulturellen Kontextes ablehnte. Mit Blick sowohl auf die Herkunft Mar Gregorios’ als auch seine Position innerhalb des Diskurses kann erneut festgestellt werden: Er kommt als Person in dieser Verteilung in ›Lager‹ nicht vor. Dass er nicht zu den Verfechtern eines ›säkularen Zeitalters‹ gehörte, darf hier vorweggenommen werden. Dennoch versucht er in seinen Texten den Bedingungen eines neu anbrechenden Freiheitsbewusstseins vieler Menschen nachzugehen. Seine Kritik an seinem Gegenüber betrifft die Behauptung, dass dieses Bewusstsein nur unter der Voraussetzung eines säkularen Weltbildes möglich sei. Mit den Worten Edwards stammt Mar Gregorios aus einem Kontext, der »noch immer von Stammesreligionen, Hinduismus, Buddhismus oder Islam beherrscht«656 wird. Aus Sicht von Mar Gregorios ist die Annahme eines säkularen Zeitalters ein Fall »der kulturellen Arroganz und des intellektuellen Provinzialismus des westlichen Christentums«657. Nicht nur, dass Kerala als kultureller Kontext multireligiös geprägt ist, hier kann ebenso wenig von einem umfassenden Prozess der Säkularisierung des Weltbildes die Rede sein. Sein Angriff auf die Vordenker eines ›säkularen Christentums‹ gilt daher vor allem ihrem ›intellektuellen Provinzialismus‹.658 Mit der dritten Gruppe der ›himmlischen Konservativen‹, die vornehmlich von orthodoxen Vertretern dominiert wurde, hat Mar Gregorios viel gemein. Doch unterscheidet er sich hier von radikaleren Vertretern insofern, als dass er die geschichtlichen Realitäten äußerst ernst nimmt: »The Liturgy can never be a place of escape out of history. It must gather up history into itself and thereby sanctify it. Authentic worship must bring to the altar, along with the bread and the wine, the joys and sorrows of all men.«659 Damit befindet sich Mar Gregorios in inhaltlicher Nähe zu einem orthodoxen Vertreter wie Meyendorff. Es zeigt sich, dass Mar Gregorios’ Rolle als Vertreter der orientalischen Orthodoxie ihn augenscheinlich die Nähe der Byzantiner suchen ließ, bei denen er wesentliche seiner Interessen gewahrt sah. Er war einer der wenigen Vertreter der orientalischen Orthodoxie, die überhaupt aktiv an dem 656 Edwards, »Stellungnahme«, 89. 657 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 184: »That knowledge, such as it is today, had to be developed in the forty years since 1954 when I returned from Princeton, revolting against the cultural arrogrance and intellectual parochialism of Western Christianity.« 658 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, xi: »Harvey Cox of Secular City, and Paul Van Buren of The Secular Meaning of the Gospel, appeared to me both uninformed and grossly mistaken.« Vgl. auch Verghese, Freedom and Authority, 16. 659 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 4.
›Die Orthodoxie‹
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Diskurs teilnahmen.660 Zudem stand er unter dem Eindruck der inoffiziellen Gespräche zwischen Byzantinern und Orientalen, an denen unter anderem auch Meyendorff teilnahm. Die Weise der Darstellung in Mar Gregorios’ Erstlingswerk The Joy of Freedom verkörpert eine implizit vorweggenommene Einheit der Orthodoxie, stellt er doch wie selbstverständlich die verschiedenen orthodoxen liturgischen Traditionen nebeneinander und versteht dies insgesamt als seinen Beitrag zum Worship-Diskurs. Mar Gregorios’ Orthodoxie erscheint hier somit von Beginn an als transkonfessionelle Imagination.
1.3
Orthodoxie als ›rechte Anbetung‹
1.3.1 Der Gottesdienst als Transzendierung Die Himmel sind für den modernen Menschen verschlossen, trotz seines kühnen und abenteuerlichen Vordringens in das Weltall und in seine Geheimnisse. Nur dazu ist er ›mündig‹ geworden, um zu erkennen, daß er in einer Wildnis lebt, in der nur der eisig heulende Wind der Sinnlosigkeit zu fühlen und zu hören ist – und nicht das angenehme Brausen des Pfingstgeistes.661
In diesen Worten von Mar Gregorios’ Aufsatz Ich glaube an den Heiligen Geist schwingt die Konfrontation mit jener in der Ökumene der 1960er-Jahre prägenden ›Theologie des Todes Gottes‹ mit. Wie kann man über den Glauben an den Heiligen Geist sprechen in einer Zeit, in der, wenn von Transzendenz die Rede ist, ausschließlich die Transzendierung der menschlichen Möglichkeiten 660 Der Blick auf die Teilnehmerliste der Sektion IV von Montreal offenbart, dass es neben Mar Gregorios (hier: Paul Verghese) nur einen orientalisch-orthodoxen Teilnehmer gab, K. Philipose, der ebenfalls Vertreter der Malankara-Orthodoxen Kirche war. Vgl. Rodger und Vischer, Montreal 1963, 101. K. Philipose (1911–1997) gehört zu den Pionieren seiner Kirche, der ihre Stellung in der Ökumene wegweisend mitbegründete. Er war bereits Delegierter seiner Kirche auf der Weltkonferenz von Faith and Order 1937 in Edinburgh und infolgedessen in unterschiedlichsten Funktionen in der Kommission sowie im ÖRK tätig. Vgl. Daniel, Orthodox Church, 505. Später sollte er mit Mar Gregorios zu den Initiatoren des inoffiziellen Dialogs zwischen Orientalen und Byzantinern werden. Vgl. George, »Metropolitan Paulos Mar Gregorios«, 115–16. Er war Teil der Delegation seiner Kirche sowohl in jenem Dialog als auch dem mit der Römisch-Katholischen Kirche im Rahmen der Wiener Konsultationen sowie schließlich auch im Orthodox-Lutherischen Dialog in Indien. Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Vienna Consultations Between Oriental Orthodox and Roman Catholic Theologians. Report and Recommendations to Holy Synod«, in Inter Church Dialogue, hg. von Ashish Amos (Delhi [u. a.]: Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2010), 84, 86; George und Hoefer, Dialogue Begins, 17, 199. Zudem war er Mar Gregorios’ direkter Vorgänger (1965–66) als Rektor des OTS in Kottayam. 1966 wurde er zum Bischof der Diözese von Ankamali geweiht und trug von nun an den Namen Philipose Mar Theophilos. Vgl. Daniel, Orthodox Church, 369, 471. 661 Paul Verghese, »Ich glaube an den Heiligen Geist«, in Die orthodoxe Kirche und der Heilige Geist, von Paul Verghese und Johannes Kovalevsky (Marburg: Edel, 1966), 7.
168
Imaginationen des Ostens
gemeint ist, nicht aber die Gegenwart Gottes in der Welt? Jahre später erinnert er sich an diese Zeit der 1960er-Jahre und beschreibt die Diskussion um ein säkulares Zeitalter und die Frage, welche Rolle der Gottesdienst in einem solchen zu spielen habe: The plea that Modern Man has come of age and that he should live as if God did not exist, was pure non-sense to me. Having been trained in the so-called modern way of thinking, I found its foundations totally shaky and unreliable. The fact of the matter, for me at least, was that western hubris had led to western humanity’s denial of God and consequent inability to worship Him. Religionless Christianity and Secular Christianity seemed to me high sounding theological justifications of so-called modern man’s desire to overthrow God and take over.662
In jenem Rückblick bezieht er im Unterschied zu dem oben zitierten Text die Problematik nicht auf den fehlenden Glauben an den Heiligen Geist, sondern an den Sohn: Man glaube offenbar nicht mehr an Christus, Gottes Inkarnation. Sonst könne man nicht derart vorschnell vom Menschen ohne Gott reden: »There is no such thing as Man without God, whether people recognise it or not. Humanity as such is for me, as a result of the Incarnation of the Second Person of the Holy Trinity, a divine-human reality.«663 Es wird somit deutlich: Die Kritik von Mar Gregorios ist von Beginn an eine durchaus theologische. Er sieht das Bekenntnis zum trinitarischen Gott bedroht. Zugleich weist er zurück, dass es notwendig sei, ein säkulares Weltbild zu übernehmen, wenn man in der Lage sein wolle, mit dem sogenannten ›modernen Menschen‹ zu kommunizieren: »It is a fact that I find secular people committed to justice and peace congenial. I can work with them. But I cannot affirm their doctrine, or replace my faith with a secular faith.«664 Dialog und Zusammenarbeit mit Menschen der unterschiedlichsten Weltanschauungen, ein gemeinsames Streben nach Frieden und Gerechtigkeit ist möglich. Hier lässt sich das Thema des letzten Kapitels (III) mitlesen: Verschiedene Traditionen schließen nicht aus, Teil einer großen Tradition der Menschheit zu sein. So kann man Mar Gregorios’ Engagement innerhalb des Worship-Diskurses als Plädoyer für den christlichen Beitrag zu jener großen Tradition verstehen, jedoch zugleich dafür, den Kernbestand jenes ›Christlichen‹ nicht aufzugeben. The Joy of Freedom. Eastern Worship and Modern Man heißt das Werk, das Mar Gregorios 1967 publizierte und das er selbst als »Aufschrei« seines »Gefühls der Entrüstung«665 bezeichnet. Bereits der Titel stellt sich gegen zentrale Thesen etwa eines Paul van Buren: So versteht Mar Gregorios den liturgischen Gottes662 663 664 665
Mar Gregorios, Joy of Freedom, xi. Ebd., x. Ebd. Ebd., xi: »The book I published in 1967 was an outcry from my sense of outrage.«
›Die Orthodoxie‹
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dienst zwar als Anbetung Gottes, des Gottes, der allein »wirklich und als einziger wahrhaft gut ist«666. Dennoch sieht er in diesem zugleich die Freiheit des Menschen verwirklicht. Der These van Burens, dass Gott gerade deshalb als ›Arbeitshypothese‹ ausgedient habe, weil der Mensch sich heute als frei und nicht mehr einem transzendenten Gott unterworfen wahrnehme, entgegnet Mar Gregorios, dass der Mensch im Gottesdienst sein Wesen als freier Mensch erst recht entdecke: »Where the Spirit of the Lord is, there is freedom – freedom to enter boldly into the presence, freedom to offer ourselves in union with Christ’s eternal offering, and therefore freedom to live a true human existence.«667 Mar Gregorios’ Freiheitsbegriff, wie er bereits im letzten Kapitel668 beschrieben wurde, impliziert die Koinzidenz von Gottes Gnade und menschlicher Freiheit, jene συνεργεία, die jede Vorstellung von Aktivität und Passivität wie sie van Buren voraussetzt, konterkariert.669 Dieses Verständnis der menschlichen Freiheit kulminiert für Mar Gregorios im Gottesdienst: »Worship is thus the realization of grace and freedom. Joy is its constitutive mark. Salvation means freedom to worship.«670 Zugleich ist hier eine weitere Entgegnung zu van Burens säkularer Theologie impliziert: Der Untertitel Eastern Worship and Modern Man beschreibt eben jenen orthodoxen Gottesdienst als Antwort auf das Verlangen des modernen Menschen nach Transzendierung des eigenen Lebens.671 Dabei versteht Mar Gregorios den Begriff ›Transzendenz‹ zunächst im Sinne einer ›göttlichen‹ bzw. religiösen Sphäre. Gemeint ist, was in der abendländischen Geistesgeschichte zumeist als komplementärer Begriff zu ›Immanenz‹ gebraucht wird.672 Trans666 Ebd.: »And the whole point of worship is constantly to acknowledge that God alone truly is, that He alone is truly good, and that our being and our good come from Him.« 667 Ebd., 13. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »What is Prayer? Why Pray? How Pray?«, in The Joy of Freedom. Eastern Worship and Modern Man, 2. Aufl. (Madras: The Christian Literature Society, 1986), 77: »Prayer is thus a way of becoming good by using our freedom to turn towards the good and to will the good. By prayer we become like God. God is good and wills the good. We should also become like God in willing and desiring what is good. By communion with God we also learn to desire the good which God also desires.« 668 Siehe: III.2. 669 Als weiteren Vertreter nennt er in The Joy of Freedom den anglikanischen Bischof John A.T. Robinson, dessen Buch Honest to God (1963) in der Ökumene für Kontroversen sorgte. Ähnlich wie Paul van Buren spricht sich Robinson für eine Theologie ›nach dem Tode Gottes‹ aus, da es dem modernen Menschen nicht mehr möglich sei, an einen ›Gott da oben‹ oder ›Gott da draußen‹ zu glauben. Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 62; Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 82. 670 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 13. 671 Darin ist er somit mit Meyendorff überein, dass der (orthodoxe) Gottesdienst gerade als Antwort auf »den ungestillten Durst nach einer Welt, die anders ist« zu verstehen ist. Goodall, Uppsala 1968, 78. 672 Auf ähnliche Weise beschreibt dies: Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, übers. von Joachim Schulte (Berlin: Suhrkamp, 2012), 36–37.
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Imaginationen des Ostens
zendenz meint demnach das, was insbesondere in scholastischer Tradition als ›Übernatur‹ oder ›Gnade‹ im Gegenüber zur ›Natur‹ verstanden wird.673 Die Vorstellung von einer weltlichen Immanenz und einer göttlichen Transzendenz lehnt jedoch Mar Gregorios zugleich ab: »Nature is grace.«674 Von Gott zu sprechen heißt: »He is neither part nor whole of that cosmos. He is beyond that cosmos – not in the sense that He occupies a ›point‹ ›out there‹ or ›up there‹ beyond the cosmos.«675 Die Vorstellung Gottes als einem Transzendenten versteht Mar Gregorios daher nie im räumlichen, sondern stets im epistemologischen Sinne: »He cannot be thought. He can only be worshipped in humble loving self-dedication.«676 Die Begegnung mit dem Transzendenten im Gottesdienst ist daher dem Wesen nach keine überirdische, sondern eine transrationale Erfahrung. Dabei besteht die Pointe nicht darin, die Vernunft in einen Gegensatz zum Religiösen zu bringen und letzterem einen höheren Wert zuzumessen. Vielmehr gilt Mar Gregorios’ Kritik lediglich der Reduktion des Menschen auf dessen ratio: Both East and West alike need to keep this balance between the rational and the mystical without craving for one to the exclusion of the other. But neither can afford to separate the ineffable and that which can be verbally expressed. Eastern Worship seeks to keep this balance in form and principle, even where it fails in practice. Eastern mysticism is not anti-rational; it seeks to keep before us the limitations of the rational, by keeping that which is beyond the rational numinously present.677
Hier klingt bereits seine Kritik an einer einseitigen Rezeption der europäischen Aufklärung an. Später wird er dies als das Verhältnis der zwei Enlightenments beschreiben.678 Vorbild hierfür ist das Verhältnis von kataphatischer und apophatischer Theologie, wie es sich in orthodoxer Theologie findet. Mar Gregorios’
673 Dabei befördert auch Mar Gregorios in seiner Darstellung das Missverständnis, es handle sich bei der Vorstellung von ›Natur‹ und ›Gnade‹ in katholischer Theologie um die Vorstellung zweier Räume in völliger Eigengesetzlichkeit. Auch in scholastischer Tradition bleibt die Natur stets bezogen und angewiesen auf die Gnade. Anders ist etwa der sogenannte ›teleologische Gottesbeweis‹ des Thomas von Aquin (1225–1274) kaum vorstellbar, der voraussetzt, dass es möglich ist, im Bereich des Natürlichen das Wirken Gottes im Sinne der lex aeterna zu erkennen. Vgl. Josef Pieper, Die Wirklichkeit und das Gute (München: Kösel, 1949), 69–71. Es legt sich nahe, die Trennung der beiden Räume von Natur und Gnade respektive Immanenz und Transzendenz entweder auf eine spätere Entwicklung in der abendländischen Geistesgeschichte zu beziehen oder als Missverständnis abzutun. Auch bei Charles Taylor finden sich Tendenzen einer solchen Fehlinterpretation der Scholastik. Vgl. Taylor, Zeitalter, 36–37. 674 Mar Gregorios, Cosmic Man, 128. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 28–32; Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 105–6. 675 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 6. 676 Ebd. 677 Ebd., 17. 678 Siehe: IV.2.4.
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Kritik an »westlichen Weisen des Theologietreibens«679 erhält so ein klares Profil: Der Primat der Vernunft ist nur da als sinnvoll zu erachten, wo es dem menschlichen Geist möglich ist, Erkenntnisse zu gewinnen. Mar Gregorios’ Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften zeigt, dass er hier der menschlichen Freiheit und Vernunft viel Raum zuzugestehen bereit ist.680 Doch wenn es um die göttlichen Dinge geht, ist seines Erachtens Vorsicht geboten: the tendency to minimize dogma in the East is not to be too easily attributed to intellectual laziness. The constant awareness, often lacking in the West, that dogmatic formulations can never be exhaustively descriptive of ultimate truth, led the Church from the beginning to place the emphasis on the liturgy rather than on dogma as the more adequate medium by which the Incarnate Truth is to be kept before the mind of the Church. Verbal formulations were not the result of ›thinking through‹. They arose rather from the need to check error.681
Die Rede in Bezug auf Gott hat ihren primären Ort im Gottesdienst. Diese ist jedoch keine deskriptive, sondern evokative Rede.682 Der Gottesdienst ist darin wesentlich eine ständige Erinnerung an den, der nicht begriffen werden kann und dem nachzufolgen dennoch die Aufgabe des Menschen darstellt. Das Drama von Offenbarung und Verborgenheit Gottes findet in dem Gottesdienst Ausdruck: »Here he experiences liberation from that awful dilemma of man – that if he approaches the Holy God he dies, and if he does not, he dies also.«683 In einer ›säkularen Theologie‹ erblickt Mar Gregorios die tragische Folge einer defizitären Verhältnisbestimmung von Glauben und Vernunft im Westen, indem diese die Nicht-Denkbarkeit Gottes zum Grund dafür macht, den Tod Gottes zu proklamieren. Den Tod Gottes in westlicher Theologie versteht er daher als Tod eines ›Götzenbildes‹ und seine ›Orthodoxie als rechte Anbetung‹ als angemessenes Korrektiv:
679 Mar Gregorios, Cosmic Man, vii–viii: »On the whole, however, the effort is to present the thought of Gregory of Nyssa as a valid alternative and necessary corrective to current or historical ways of western theologizing.« Zwar ist jene Aussage hier auf das Denken Gregor von Nyssas als ein solches ›Korrektiv‹ bezogen, doch ist eine Pointe seiner Arbeit an dem Kirchenvater, genau jenes Verständnis vom Gottesdienst herauszustellen. Siehe: III.1.2; IV.1.3.1. 680 So versteht er naturwissenschaftlichen Fortschritt als wesentlichen Aspekt des Aufstiegs des Menschen zu Gott. Vgl. Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 74: »In any case the Eastern patristic tradition would not be negative in its attitude to the development of science and technology, but would, on the contrary, encourage science-technology as a necessary development in the growth of historical man in process of Theosis.« 681 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 16. 682 Vgl. Mar Gregorios, »God – Who is He?«, 17–18; Mar Gregorios, »On God’s Death«, 47; Mar Gregorios, Cosmic Man, 220; Mar Gregorios, »Consciousness«, 45–46. 683 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 66.
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what has died is not God, but our idea of God. This idea of God, in deeper analysis, turns out to be an idol that has been created by theologians, especially in the West. In that sense the death of this idol is a matter for rejoicing, especially for Christians whose relation to God is not through ideas, but rather through the act of worship and prayer in which God remains a subject and not an object, one who can be addressed, loved and adored, but who cannot be described or conceptualised or comprehended.684
Zu unterscheiden von einer ›Objektivierung Gottes‹ durch die Theologie ist mithin die Erfahrung Gottes in der Schöpfung. Die Liturgie steht für diese Gegenwart Gottes in der Schöpfung. In einem der Texte, die Mar Gregorios für die Sektion V von Uppsala vorbereitete, beschreibt er es wie folgt: In every height and depth of our so-called secular experience there may be a ›beyond‹ to recognise, and this is done only by integrating all experience into worship, and being worshipful in all experience. So for the sake of living worship and for the sake of worshipful living, we must be open to all reality.685
Der Gottesdienst leitet zu einer Haltung gegenüber der Wirklichkeit an, die Mar Gregorios in The Human Presence als »reverent-receptive attitude«686 bezeichnet. Es sind die Elemente der Schöpfung – Brot und Wein –, durch welche die Begegnung mit Gott im Gottesdienst stattfindet. Damit verweist der Gottesdienst und insbesondere das Sakrament auf die ›Sakramentalität‹ der Welt. Der Mensch kann Gott nicht anders begegnen denn durch die materielle Schöpfung.687 So verweist die Inkarnation auf den eucharistischen Gottesdienst, der wiederum auf die Schöpfung verweist. In seinem Letzten Willen beschreibt er diese aus dem Gottesdienst gewonnene Haltung gegenüber der Schöpfung wie folgt: I bow before the good, wherever it shows up – in people of different faiths and religions, in people who claim to believe in no God, in birds and animals, in trees and flowers, in mountains and rivers, in air and sky, in sun and moon, in sculpture and painting, in music and art, in the smile of the infant and the wisdom of the sage, in the blush of dawn and in the gorgeous sunset. Where the good is, there is the Kingdom of God.688
In The Human Presence kontrastiert er daher zwischen der Vorstellung von der ›Natur‹ und der ›Schöpfung‹.689 ›Natur‹ sei ein dem Christentum von Grund auf fremdes Konzept, das über die griechische Philosophie in ihrer scholastischen 684 Mar Gregorios, »Introductory Discussion«, 13. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 16, 68. 685 Mar Gregorios, »Terminological Notes«, 25–26. 686 Mar Gregorios, Human Presence, 86: »Here a totally fresh attitude is necessary, one which is different from our objectifying-analysing attitude. We shall call it the reverent-receptive attitude. It is the attitude of being open to fundamental reality as it manifests itself to us through visible, audible, sensible realities in the creation.« 687 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 62. 688 Mar Gregorios, »Last Will«, 195. 689 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 23; Mar Gregorios, »Nature, Man and God«, 100.
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Rezeption, in die westliche Theologie eingegangen sei. Doch warum ist diese Vorstellung ›unchristlich‹? Das Problem liegt darin, dass die Natur sowohl vom Menschen als auch von Gott unterschieden wird. Gott wird dem Raum des Übernatürlichen zugeordnet, während der Mensch die dritte Größe darstellt: Er muss sich gleichsam ›nach oben‹ der übernatürlichen Gnade Gottes öffnen sowie ›nach unten‹ die Natur beherrschen.690 Selbst, wenn mit der europäischen Aufklärung die Vorstellung eines ›Übernatürlichen‹ an Bedeutung verloren hat, die des Menschen als »maître et possesseur de la nature«691 wurde zur Grundlage der aus der Aufklärung hervorgehenden Naturwissenschaften. Die Natur ist ein Objekt, das zu erforschen dem Menschen obliegt. Was jedoch vergessen werde, sei, dass der Mensch selbst Teil der Natur sei und diese als Schöpfung ›Teil‹ Gottes, indem sie an seiner ἐνέργεια partizipiere.692 Es ist erneut die Einheit, die Mar Gregorios einer – angeblich – dichotomischen Wahrnehmung der Wirklichkeit im ›Westen‹ entgegensetzt. Auch wenn Mar Gregorios an anderer Stelle in dem Werk durchaus eingesteht, dass die von ihm genannten drei Ebenen der Wirklichkeit in scholastischem Denken durchaus aufeinander bezogen sind,693 ist hier somit erneut der Vorwurf präsent, die Scholastik sei für jenes ›räumliche‹ Denken verantwortlich und habe daher die abendländische Vorstellung einer Säkularität der Welt vorbereitet, die schließlich in Folge der Aufklärung voll zur Entfaltung kam. Nicht nur, dass er damit scholastischem Denken nicht gerecht wird, er zeichnet, ohne näher darauf einzugehen, auch den Protestantismus in eine geistesgeschichtliche Kontinuität zur Scholastik, die in dieser Weise nicht haltbar ist.694 Mar Gregorios erkennt in jener religiösen Wahrnehmung der Wirklichkeit ein »notwendiges Gegenstück zu einem naturwissenschaftlich-technologischen Zugang«695. Auf dieser Basis hält er eine vom Gottesdienst geprägte – sakramen-
690 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 19. 691 Christian Link, Schöpfung. Schöpfungstheologie angesichts der Herausforderungen des 20. Jahrhunderts, Handbuch Systematischer Theologie 7/2 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 1991), 343: »Indem die ökologische Krise den Cartesianismus der Wissenschaft – die angemaßte Subjektstellung des Menschen als ›maître et possesseur de la nature‹ (Descartes) – als eine gefährliche Selbsttäuschung erwies, hat sie hier auch das Tor zu einem notwendigen Umdenken weithin sichtbar geöffnet.« Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 19. 692 Vgl. ebd., 58–60; Mar Gregorios, Cosmic Man, 95. 693 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 30–31. 694 Vgl. ebd., 18. Wie oben in diesem Kapitel bereits ausgeführt, ist er damit nicht allein. Unter anderem vertritt Charles Taylor diese These des Ursprunges der Vorstellung von Säkularität. 695 Vgl. ebd., 86: »This fresh attitude is not to be adopted an an alternative to the scientifictechnological attitude but as a necessary complement. Without this combination the scientific-technological attitude becomes as harmful as the other attitude becomes obscurantist and self-deceiving.«
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tale696 – Weltsicht besser geeignet für den Dialog mit etwa den Naturwissenschaften als sich christlicherseits eine säkulare Weltsicht anzueignen und theologisch zu legitimieren. So erhält der Gottesdienst und die durch ihn geprägte Wahrnehmung der Wirklichkeit einen Platz in der modernen Welt als der Ort, an dem der menschlichen Existenz eine Transzendierung zuteilwird. Neben der Transzendierung auf Gott hin, erfährt der Mensch ebenso eine Transzendierung seiner Person in Richtung der Gemeinschaft: »Christian worship, in order to be true, must also provide modern man with the sense of being one member in a large community in heaven and earth whose worship he shares.«697 Für Mar Gregorios ist die Orthodoxie, wie sie im Gottesdienst verkörpert ist, die Antithese zu einem sogenannten ›neuzeitlichen Individualismus‹.698 Klar wird dies insbesondere dort, wo sich er sich mit dem Begriff ›Mystik‹ auseinandersetzt. Er stimmt durchaus mit der stereotypen (und daher nicht unproblematischen) Charakterisierung überein, der ›Osten‹ sei mystisch.699 Er zeigt jedoch auf, dass verschiedenste Kritik an der Mystik aus westlicher Perspektive, eine Verkennung dessen ist, was ›der Osten‹ unter dem Begriff versteht. Jene westliche Perspektive führt er auf eine verfälschte Rezeption der mystischen Schriften des (Pseudo)-Dionysios Areopagita zurück, die Denker wie Geert Groote (1340–1384), Jan van Ruysbroek (1293–1381) und Thomas von Kempen (ca. 1380–1471) dazu verleitet hätten, eine katholische Form der Mystik zu entwickeln, die stets von der »Begegnung des Einen mit dem Einen«700 spreche. Nicht nur, dass diese Vorstellung einer visio beatifica die Grenze menschlichen Vermögens freimütig überschreite, indem sie von der ›Schau der Essenz Gottes‹
696 Christian Link charakterisiert Mar Gregorios’ schöpfungstheologischen Entwurf als ›sakramental‹. Vgl. Link, Schöpfung II, 402; Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«. 697 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 9. 698 Vgl. ebd., 8: »The word ›community‹ is still somewhat of a stranger to our post-individualist modern world. At best community signifies for us a group of individuals bound together by common assumptions, interests and goals.« 699 Vgl. ebd., 15. 700 Verghese, »Cultivation«, 101–2: »when it was redeveloped in Latin and Greek piety the ›mystical‹ vision became an encounter of the ›alone with the alone‹.« Vgl. auch Mar Gregorios, Human Presence, 87; Verghese, »Priestertum«, 19; Mar Gregorios, Human God, iii; Mar Gregorios, »Theosis«, 283–84; Verghese, »New Askesis«, 318; Paulos Mar Gregorios, »Church, Sacrament and Liturgy in Fr. Louis Bouyer’s Liturgical Piety«, in Worship in a Secular Age, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2013), 128. In The Human Presence begründet er dies damit, dass Johannes Scotus Eriugena, der des Griechischen kaum mächtig gewesen sei, die Schriften des Areopagiten ins Lateinische übersetzt und dadurch dessen authentische Rezeption auf lange Zeit unmöglich gemacht habe. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 29. Diese Kritik hat Ähnlichkeit mit der Vladimir Losskys in: Vladimir Lossky, »Les Éléments de ›Théologie négative‹ dans la Pensée de Saint Augustin«, in Augustinus Magister, Editions des Études Augustiniennes 1 (Paris: Editions des Études Augustiniennes, 1954), 581. Vgl. auch Demacopoulos und Papanikolaou, »Augustine«, 26.
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spreche, sie sei eben auch die Wurzel des Individualismus.701 Wenn derart unterschiedliche Theologen wie Adolf von Harnack702, Emil Brunner703 und J.N.D. Kelly704 harsche Kritik an ›der Mystik‹ äußern, so legt Mar Gregorios nahe, dass diese ein verfälschtes, da westliches, Verständnis der Mystik vor Augen haben. Er stellt somit sein orthodoxes Konzept der Mystik erneut als Korrektiv einer Fehlinterpretation im Westen vor: The union with the Person of Christ which the Christian experiences in baptism and the eucharist is the union of the Body with its Head, not of the individual with the All. It is a corporate union which at the same time unites us to Christ and to one another. This does not lead to the loss of the personal in the infinite, but rather to the augmentation and rectification of the personal in the community.705
Orthodoxe Mystik versteht Mar Gregorios demnach als eine im Gottesdienst zentrierte, sakramentale Mystik. Dies steht erneut in einem engen Zusammenhang zu dem, was über den Traditionsbegriff von Mar Gregorios gesagt wurde: Vereinigung mit Gott oder Christus heißt stets auch Vereinigung der Menschheit, als deren Anfang hier der Gottesdienst bezeichnet wird. Die Vorstellung, im Gottesdienst seien Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten in der Hinwendung zu Gott vereint, impliziert dabei bei Mar Gregorios stets eine sozialethische Komponente: Der Gottesdienst ist Movens zu einem die Menschheit vereinigenden Handeln, die Wurzel christlichen Handelns in der Welt.706 Das kollektive Element des Gottesdienstes wird zudem in seiner Form veranschaulicht. Mar Gregorios betont allenthalben die Wichtigkeit der Partizipation der gesamten Gemeinde an dem Geschehen des Gottesdienstes. Der Gottesdienst wird so zu dem Ort, an dem die Gemeinde, stellvertretend für die gesamte Menschheit, sich in den Prozess der Vergöttlichung begibt. Zentrales Geschehen auf dem Weg jener Vereinigung ist die Eucharistie. Er hebt daher, wenn es um die Frage des Amtes geht, das ›Priestertum aller Gläubigen‹ in der orthodoxen Theologie hervor: »every baptized Christian participates in the eucharistic priesthood. […] To be baptized is to be a member of the Body of Christ whose life or soul is the Holy Spirit. And to be baptized is to be initiated into the priestly ministry of the eucharistic offering.«707 Es ergibt sich, berücksichtigt man
701 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 9, 15, 69; Mar Gregorios, »Theosis«, 283–84; Verghese, »Cultivation«, 101–3; Verghese, »Priestertum«, 19; Mar Gregorios, Cosmic Man, 29; Mar Gregorios, Human God, iii; Mar Gregorios, »Louis Bouyer«, 128. 702 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 14; Mar Gregorios, Human Presence, 87–88. 703 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 18–20; Mar Gregorios, Human Presence, 87–88. 704 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 15–16; Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 170. 705 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 21. 706 Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 87–89, 100–103; Mar Gregorios, Joy of Freedom, 62. 707 Ebd., 56.
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seine anthropologischen Überlegungen,708 ein interessantes Bild: Wie das spezifische, ordinierte Priestertum Stellvertreter der Gemeinde vor Gott ist, so ist die Gemeinde Stellvertreter der Menschheit. Die Menschheit wiederum bezeichnet Mar Gregorios als »Priester der Schöpfung«709. Für den Gottesdienst bedeutet dies, dass er der Ort sein muss, an dem der Gemeinde die Partizipation am »ewigen Priesteramt Christi«710 ermöglicht wird. Von dieser theologischen Reflexion aus ergibt sich eine Kritik auch an orthodoxen Formen der Gottesdienstfeier, die dieser Sache nicht gerecht werden: etwa, weil – wie im Falle byzantinisch-orthodoxer Gottesdienste – die Gemeinde im Vollzug der Liturgie durch einen Chor ersetzt wird.711 Hier betont Mar Gregorios, dass orientalischorthodoxe Liturgien – insbesondere die der syrisch-orthodoxen Tradition – weitaus näher an der ›ursprünglichen‹ Jerusalemer Liturgie seien: in der Beteiligung der Gläubigen am liturgischen Geschehen in Form der Gesänge wie auch in ihrer eucharistischen Ausrichtung.712 Dementsprechend äußert er harsche Kritik auch an dem Brauch in manchen orthodoxen Kirchen (wie der äthiopischen), aus Ehrfurcht überhaupt nicht zur Eucharistie zu gehen.713 Der orthodoxe Gottesdienst als Akt des gesamten Volkes als »königlichem Priestertum« (1Petr 2,9) steht im Zeichen der doppelten Transzendierung des Individuums auf Gott und die Gemeinschaft hin. Nicht nur, dass der Gottesdienst bei Mar Gregorios in zweifacher Weise als Transzendenzerfahrung zur Darstellung kommt, er ist in dritter Hinsicht Gegenstand einer Transzendierung. So kann Mar Gregorios’ ›Orthodoxie als rechte Anbetung‹ als repräsentativ für die transkonfessionelle Grenzüberschreitung in seinem Denken angesehen werden. Dass ihm diese Tatsache durchaus bewusst ist, zeigt sich zu Beginn von The Joy of Freedom, wo er sich die Frage stellen muss: Ist es überhaupt legitim, allgemein von ›Eastern Worship‹ zu sprechen, wie es der Untertitel des Werks impliziert? To what extent then are we justified in speaking of an Eastern tradition in general? Despite the distinctive features of different African, Asian and European cultures, can
708 Siehe: III.1. 709 Mar Gregorios, Human Presence, 85: »Humanity has a special vocation as the priest of creation, as the mediator through whom God manifests himself to creation and redeems it.« 710 Ebd.: »Christ has become part of creation, and in his created body he lifted up the creation to God, and humankind must participate in this eternal priesthood of Christ.« 711 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 35; Paul Verghese, »Die Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 83. 712 Vgl. ebd., 71. 713 Vgl. Verghese, »Die äthiopische Kirche heute«, 137; Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, 82–83.
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one justify the effort to delineate a common pattern that underlies the worship of Antioch and Alexandria, Byzantium and Persia, Ethiopia and the Slavonic countries? 714
Die Frage bleibt zunächst unbeantwortet. Er habe nicht den Anspruch, die Arbeit eines Liturgiewissenschaftlers zu tun: »All that I can hope to achieve is to set Eastern worship in the context of the present world; it is a plea rather than an analysis.«715 Mar Gregorios scheint seiner eigenen Frage auszuweichen, doch die Aussage, es handle sich hierbei um ein ›Plädoyer‹, wie auch die in dem Werk folgenden Ausführungen, geben durchaus – wenn auch implizit – eine Antwort. Es gibt seines Erachtens, allen Unterschieden zum Trotz, ein ›Grundmuster‹ (pattern) östlichen Christentums und dessen Spiritualität. Er stellt in seinem Werk mit großer Selbstverständlichkeit verschiedenste liturgische Traditionen byzantinisch- wie orientalisch-orthodoxer Provenienz nebeneinander. Ob das Vorgehen, nunmehr von einer ›ostkirchlichen‹ oder ›orthodoxen‹ Tradition zu sprechen, überhaupt legitim ist, lässt Mar Gregorios angesichts seines dringenden Anliegens in den Hintergrund treten. Die ›gegenwärtige Welt‹ als jene, die droht den Transzendenzbezug zu verlieren droht, fordert, dass ›die orthodoxe Tradition‹ als transkonfessionelle Imagination diesem drohenden Verlust entgegentritt: Only by a long and habitual reconditioning can modern man be restored to the awareness of the transcendent, and such conditioning occurs only in a proper liturgical tradition. But an academic approach to liturgy or a pedantic attention to details in worship can obstruct the recovery of that awareness.716
Mit Blick auf den transkonfessionellen Charakter seines Plädoyers für den orthodoxen Gottesdienst wiederholt sich somit ein Phänomen, das bereits beschrieben wurde: Mar Gregorios hat kein Interesse an Detailgenauigkeit. Wie auch in anderen Bereichen seines Denkens, bleibt seine Auseinandersetzung mit dem Gottesdienst geprägt von einer intendierten Unschärfe. In The Joy of Freedom widmet er sich weder ›seiner‹ syrisch-orthodoxen Tradition im Detail, noch stellt er einen Vergleich zwischen den verschiedenen orthodoxen liturgischen Traditionen an. Er betrachtet den grundlegenden Charakter des orthodoxen Gottesdienstes – in Abgrenzung zu den westlichen Traditionen – und stellt fest: Der orthodoxe Gottesdienst ermöglicht dem Menschen durch seine besondere Form Transzendenzerfahrung. Dies betrifft sowohl die Transzendierung des Individuums auf die Gemeinschaft hin sowie des Individuums und der Gemeinschaft auf Gott hin. Diese Funktion und dieses Potenzial verbinden die Gesamtheit aller orthodoxen Traditionen. Angesichts dieser Gemeinsamkeit gilt 714 Mar Gregorios, Joy of Freedom, vii. 715 Ebd., vii–viii. 716 Ebd., 5.
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es, zusammen im ökumenischen Diskurs für diese Verortung des Gottesdienstes in der Moderne zu plädieren: »The positive aspect of the secular crisis is that the Orthodox are called upon to re-interpret, re-appropriate and re-live their own Christian heritage in the context of a world that poses new questions to us in the new social setting in which God has placed us.«717 1.3.2 Gebet und Freiheit Der Titel The Joy of Freedom lässt eine Verbindung mit dem bereits behandelten Thema der Freiheit erwarten. Im letzten Kapitel des Buchs stellt Mar Gregorios diese Verbindung her, indem er den Titel seines Werks als These formuliert: The whole thesis of this book can be summed up thus: the possibility and the ability to pray is what truly distinguishes the Christian from others; without prayer no man can be maturely Christian; nor fully human. Prayer is the joy of freedom, which characterizes the children of God.718
So schließt Mar Gregorios sein Werk mit einer theologischen Begründung des Gottesdienstes und kommt erneut auf den Kern seiner Anthropologie zu sprechen: die Freiheit. Was bereits im Rahmen des Themenkomplexes ›Tradition‹ zentral war, erscheint hier ebenso essenziell für eine Theologie des Gebets: Weil Gott Freiheit ist und der Mensch Gottes Ebenbild, findet er, wenn er Gott in der Tiefe seiner selbst sucht, eben diese Freiheit.719 Freiheit in Bezug auf das Gebet hat demnach zwei Elemente. Es ist zunächst der Ermöglichungsgrund, dass der Mensch sich Gott zuwendet: God’s grace in Jesus Christ has given us free access into the presence of the Father through the Spirit without being hampered by our sin. […] The freedom of the sons of God is first the possibility of intimate communion with God, directly, face to face, in Christ, in eucharistic worship and in personal prayer.720
Die positive Freiheit zum Gebet schließt ein, dass der Mensch – im Sinne der negativen Freiheit – von der Sünde befreit ist. Mar Gregorios insistiert: »What is at the depth of ›human nature‹ is not his sin, but his freedom. Because at depth he is free, therefore at the depths he discovers also the source of his freedom, namely the Creator God.«721 Dies weist schließlich auf das zweite Element der Freiheit in Bezug auf das Gebet: »Secondly, the joy of freedom consists in the possibility of sharing in God’s continuous creation of the universe.«722 Will der Mensch teil717 718 719 720 721 722
Vgl. Mar Gregorios, »Introductory Discussion«, 21. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 64. Vgl. ebd., 65. Ebd., 66–67. Ebd., 65. Ebd., 67.
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haben an jener Freiheit und Kreativität Gottes, so findet er im Gebet bzw. Gottesdienst die Quelle: In prayer we share with God our understanding of which way the course of history, both personal and social, should go. Our desires when guided by the creative Sprit are often accepted by God as an expression of the freedom which he has granted to the creation.723
Wenn Mar Gregorios von dem Schöpferamt des Menschen spricht – so wurde bereits ausgeführt724 –, meint er die Fähigkeit des Menschen, die Welt und die Geschichte in seinem Interesse zu verändern. Damit eine solche Veränderung zum Guten geschieht, gilt es, sich dem Ursprung des Guten in Gott zuzuwenden. Jene Zuwendung findet im Gottesdienst statt. Im Gebet findet der Mensch zu Gott und zu sich selbst. Hier erhalten seine Macht und Freiheit die richtige Richtung. Sie werden zur wahren Kreativität: That which makes art and science, literature and technology, politics and economics, teaching and healing truly creative is this dialogue with the love and wisdom of God. It happens even in non-Christians and atheists in unconscious communion with the depths of reality, through the creator Spirit who works in creation from its beginning. The Christian, however, should be able to be in conscious communion with God. Genuine creativity even in non-Christians is a foretaste of the joy of freedom available to the sons of God.725
In der Begegnung mit dem Gott der Freiheit wird der Mensch »zur Freiheit befreit« (Gal 5,1). Somit kommen Gebet und Gottesdienst im Zuge der Theosis eine zentrale Rolle zu. In einem Buch, das Mar Gregorios 1975 als Gebetbuch für junge Menschen seiner Kirche veröffentlicht, bringt er es auf den Punkt: Prayer is thus a way of becoming good by using our freedom to turn towards the good and to will the good. By prayer we become like God. God is good and wills the good. We should also become like God in willing and desiring what is good. By communion with God we also learn to desire the good which God also desires.726
Das Gebet ist die primäre Weise wie es zu jener Gleichgestaltung des Menschen mit Gott kommt. Dabei betont Mar Gregorios wiederholt, dass die Begegnung mit Gott in Gebet und Gottesdienst keine Sache des Einzelnen sei. Als zwei Typen von ›worship‹ unterscheidet er dennoch den öffentlichen Gottesdienst und das private Gebet. Beide Elemente jedoch versteht er als Akt in der Gemeinschaft mit der gesamten Kirche und Menschheit: »Even the omphaloscopia (navel-gazing) of the Athos hesychasts was not an attempt to find God in the depths by self-
723 724 725 726
Ebd. Siehe: III.1.3. Mar Gregorios, Joy of Freedom, 67. Vgl. Verghese, »Cultivation«, 115. Mar Gregorios, »Prayer«, 77.
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isolation.«727 Er versteht auch Formen des kontemplativen Gebets, wie das hier angesprochene Jesus-Gebet, als ein Akt, der fest in die Gemeinschaft der Kirche und in die Fürbitte für die Menschheit eingebunden ist.728 So muss jenes persönliche Gebet erlernt werden, was wiederum eine Gemeinschaft, die jenes Wissen weitergeben kann, voraussetzt. Ist es erlernt, ermöglicht es dem Menschen die Erkenntnis jener ›Tiefe‹ seiner selbst als Ebenbild Gottes. So versteht Mar Gregorios auch die Idee des orthodoxen Hesychasmus: »The idea was that the prayer should become as incessant an action as breathing, that the Lord Jesus Christ should become established in your heart as a deity is in a temple, and that you should constantly be in an attitude of prayer and repentance.«729 Immer wieder vergleicht Mar Gregorios deshalb das persönliche Gebet mit dem Atmen, was eine Anspielung auf die hesychastische Praxis nahelegt: »Prayer is like breathing. Without prayer we cannot live. When we breathe, air enters our lungs, cleanses the blood in our veins by relieving it of the carbon dioxide, and supplying it with oxygen.«730 1.3.3 Eine neue Askese Zur privaten praxis pietatis zählt Mar Gregorios auch weitere Elemente, besonders das Fasten. Letzteres steht bei Mar Gregorios zumeist im größeren Zusammenhang mit der Forderung nach einer Neuentdeckung der Askese, die er gleichermaßen als Ausdruck menschlicher Freiheit preist: »Restraint of hunger and thirst, of anger and jealousy, of sexual passion, of the desire for bodily excitement and sensual stimulation, and of all inner turbulences which make us do things against our own free will, is a necessary preparation for prayer.«731 Er versteht jene ›new Askesis‹ keinesfalls als eine die Leiblichkeit des Menschen herabsetzende Forderung. Gerade indem er sich dem menschlichen Leib als Teil der Spiritualität zuwendet, will er diesen als gleichwertigen Aspekt des Menschseins ansehen. In westlicher Theologie und Spiritualität sei dieser ver-
727 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 66. Vgl. Verghese, »New Askesis«, 315 (hier bezogen auf das Gebet der Mönche und Nonnen). 728 Vgl. Mar Gregorios, »Prayer«, 83. Auf der gleichen Linie liegt bei ihm das Motiv der Mönche und Nonnen, die zwar zurückgezogen leben, nicht aber abgeschlossen von der Welt, sofern sie an den Sorgen derselben teilhaben und für sie beten. Jedoch warnt er zugleich immer wieder auf individualistische Fehlinterpretationen des monastischen Ideals. Vgl. Verghese, »New Askesis«, 315–16; Verghese, »Cultivation«, 101–2. 729 Mar Gregorios, »Prayer«, 82. 730 Ebd., 76. 731 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 79.
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nachlässigt.732 Er bringt erneut das Motiv der Inkarnation dafür hervor, dass der Mensch auch in seiner Leiblichkeit eine Heiligung erfahre. Dies hat zwangsläufig Folgen für die gelebte Spiritualität: So versteht er ›Orthodoxie‹ stets als eine leiblich erfahrenes, ›inkarniertes Modell des christlichen Lebens‹.733 Wenn er Begriffe wie ›Askese‹ oder ›Disziplin‹ in den Mittelpunkt eines solchen Entwurfs des christlichen Lebens rückt, stellt sich zwangsläufig die Frage, in welcher Beziehung dies zu dem Anspruch steht, sein Entwurf einer Orthodoxie biete dem ›Menschen von heute‹ ein Modell gelebten Christseins, das gerade seinem Drang nach Freiheit entspricht. So wendet er sich in seinen Texten verschiedenen Kontexten zu, wobei er seine Forderung nach jener neuen Askese jeweils modifiziert. Im Falle des von ihm so bezeichneten ›Westens‹ bietet sich die sogenannte ›68er-Bewegung‹ an, da hier jener Freiheitsdrang deutlich sichtbar scheint. Mar Gregorios’ Werke Freedom and Authority und auch The Joy of Freedom setzen jenen Kontext voraus, ebenso wie es die ›Theologie des Todes Gottes‹ tut. Wie setzt Mar Gregorios nun seine Forderung nach einer Neuentdeckung asketischer Traditionen des Christentums in das Verhältnis zu einer Bewegung, die sich unter anderem als »Reaktion gegen repressive moralische Systeme« versteht, da sich diese als »der genuinen Freiheit entgegengesetzt«734 herausstellen? Als Theoretiker, gar »pet prophet«735 der jungen Generation bezeichnet Mar Gregorios Herbert Marcuse (1898–1979). Marcuse kritisiert in seinem Werk Triebstruktur und Gesellschaft »Sigmund Freunds These, daß Kultur und Zivilisation auf der permanenten Unterjochung der menschlichen Triebe beruhten«736. Wie passt die Utopie Marcuses einer Gesellschaft eben ohne jene Repression, in der letztlich jede menschliche Tätigkeit als libidinöse Befriedigung angesehen werden kann, zu Mar Gregorios’ Forderung einer ›neuen Askese‹? Zunächst unterstützt er die Problemanalyse Marcuses:
732 Dabei versteht Mar Gregorios dies insgesamt als eine Folge des Nicht-Ernstnehmens der Inkarnation Gottes in Christus. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 44–45; Mar Gregorios, »On God’s Death«, 42–43. 733 Vgl. Verghese, »New Askesis«, 319; Mar Gregorios, »Problem of Authority«, 69. 734 Verghese, Freedom and Authority, 144: »Today there is a reaction against repressive moral codes as destructive of genuine freedom.« 735 Ebd., 146. Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »Modern, Post-Modern and the Future of Humanity. Nostalgia for the Unattainable«, in Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 223; Paulos Mar Gregorios, »A Reverse in the Trend of Secularization. Are We Ready?«, in Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 412. 736 Herbert Marcuse, Triebstruktur und Gesellschaft. Ein philosophischer Beitrag zu Sigmund Freud, Bibliothek Suhrkamp 131 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1965), 9. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 145; Mar Gregorios, »Nostalgia«, 225; Verghese, »Thoughts on Liberation«, 43.
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Mere repression of passions cannot give us victory over our passions, we have learnt to our cost in the last century. […] Herbert Marcuse reminds us that our whole civilization suffers from our repressive tendencies which generate acquisitiveness and aggressiveness.737
Die These aus Freedom and Authority, die bereits eine zentrale Rolle bei Mar Gregorios’ Traditionsbegriff spielte, ist auch hier wesentlich: »It is becoming clinically clear that man requires external restraint and direction in order to grow into full maturity.«738 Er kritisiert daher, bei aller Sympathie, jene, die in Anschluss an Marcuse nunmehr eine völlige Befreiung von allen Strukturen fordern. Freiheit gebiert Strukturen, die wiederum Freiheit gebären. So gehe es darum, jene Strukturen – seien es Elemente der Tradition oder gesellschaftliche Institutionen – einer freien Revision zu unterziehen. Nach Marcuses kritischer Freud-Lektüre, gibt es in einer herkömmlichen kultivierten Zivilisation nur wenige Kanäle, die eine freie Entfaltung der menschlichen Phantasie und Imagination zulassen.739 Namentlich sind dies die Künste, die in einem gesellschaftlich akzeptierten Rahmen ein Gegengewicht zum allseits herrschenden ›Realitätsprinzip‹ bilden.740 Mar Gregorios rezipiert Marcuse kritisch, indem er diesen Zustand nicht wie dieser abzuschaffen sucht, sondern gerade das spannungsvolle Verhältnis von Restriktion und Expression der Libido zur Voraussetzung von Phantasie und Imagination macht. In verschiedenen seiner Texte entwirft Mar Gregorios darum eine Vision jener neuen Form der Askese, die zum Kern der Erneuerung von Kirche und Gesellschaft wird. Im Kontext seiner Beschäftigung mit Marcuse in Freedom and Authority schreibt er: Experimental communities will have to question the accepted norms of society by practising values freely and wisely chosen by it. International and interracial communities, with a minimum commitment of at least three years’ membership and a core of people committed for life to each other, are the best. They will certainly want to question both the productivity principle and the reality principle of our civilization. They would not shirk work, but will seek to make work itself a joyous thing. They will learn strict and joyful repression of the instinctual drives in man – not for the sake of productivity, nor for domination of others, but for control of oneself, without which there is no freedom.741
Jene neue Form asketisch-monastischer Gemeinschaften sei unabdingbar für die Erneuerung der Gesellschaft. Hier sieht er den zentralen Ort menschlicher
737 738 739 740 741
Verghese, Freedom and Authority, 144–45. Ebd., 147. Vgl. ebd., 145. Vgl. ebd.; Mar Gregorios, »Nostalgia«, 226. Verghese, Freedom and Authority, 147–48.
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Imagination. In jener Gemeinschaft leben Menschen, die sich ganz der Wahrnehmung Gottes sowie der Wahrnehmung der Welt und ihrer Probleme hingeben.742 Askese als Gottesdienst steht in einem engen Zusammenhang mit dem bereits beschriebenen Konzept der Freiheit als ἀπάθεια, die »sowohl Aspekt der Freiheit […] sowie Stufe auf dem Weg der Fülle der Freiheit«743 ist. Jene monastische Gemeinschaft, die Mar Gregorios vor Augen hat, vermag aufgrund der äußeren Umstände, die Freiheit, zu welcher der Mensch bestimmt ist, besser umzusetzen, weshalb ihr die besondere Funktion einer intellektuellen wie spirituellen Avantgarde zukommt. In einem frühen Text zu dem Thema schreibt er: »Rather a disciplined Christian community, living within the full complexity of modern life, must continually work out in each situation the pattern of life that indicates the will of God for the whole of humanity in that situation.«744 Diese besondere Aufgabe erfordert sowohl Disziplin als auch Freiheit. Disziplin erfordert sie dort, wo es um die bewusste Einschränkung der Triebe im Interesse größerer innerer Freiheit geht. Diese Sicherheit wiederum ermöglicht, dass diese Gemeinschaft dazu in der Lage ist, experimentelle und neue Formen des Gottesdienstes wie des Zusammenlebens zu erproben. Deshalb macht Mar Gregorios auch deutlich, dass, obwohl das Grundmuster eines traditionellen monastischen Lebens erkennbar ist, dieses transzendiert werden muss, um den Fragen und Ansprüchen der neuen Zeit zu genügen: »the simple monastic rules of poverty, chastity and obedience are inadequate for the discipline of the new community of freedom.«745 Festgehalten werden kann zunächst, dass, nachdem Freiheit zum einen als Voraussetzung des Gottesdienstes als freie Hinwendung zu Gott wie zum anderen der Gottesdienst als Quelle menschlicher Freiheit beschrieben wurde, hier eine dritte Beziehung zwischen Freiheit und Gottesdienst zum Ausdruck kommt: Der Gottesdienst unterliegt nach Mar Gregorios als Element der Tradition dem schöpferischen Handeln des Menschen. Er ist somit auch Objekt seiner Freiheit und Imagination. So kommt es in Mar Gregorios’ Werken immer wieder zu einer eigentümlichen Koinzidenz. Die Vorstellung etwa jener asketischen Gemeinschaft ist beides zugleich: Objekt von Mar Gregorios Imagination als auch der Ort, wo jene Imagination gleichsam institutionalisiert werden soll. Dies entspricht dem zuvor beschriebenen Verhältnis von Tradition und Imagination: Tradition ist sowohl Objekt als auch Medium der Imagination. Askese als Ele742 Vgl. ebd., 148–49. 743 Ebd., 157: »Thus apatheia is both an aspect of freedom (liberty from bondage to the pressure of the passions) and a stage on the way to fullness of freedom – the capacity to control one’s senses and desires, and to direct them to freely chosen ends.« 744 Verghese, »New Askesis«, 318–19. 745 Verghese, Freedom and Authority, 147. Vgl. Verghese, »New Askesis«, 316; Mar Gregorios, Joy of Freedom, 69.
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ment der Tradition ist dabei sowohl Objekt der Imagination – konkret etwa, indem Mar Gregorios sich der Frage widmet, wie eine ›neue Askese‹ aussehen könnte –, als auch Medium der Imagination, indem Mar Gregorios die asketische Gemeinschaft zum primären Ort menschlichen Imaginierens macht. Hier soll nicht nur die Frage gestellt werden, wie eine Askese im 20. Jahrhundert gestaltet werden könnte, sondern hier soll auch der Ort sein, an dem man sich den dringlichen Problemen der gesamten Menschheit widmet. Die Neuentdeckung der monastischen Lebensweise stellt ein sich wiederholendes Motiv in Mar Gregorios’ Werk dar. Dabei ist der Kontext entscheidend, soll doch die Askese dazu dienen, für Gott, aber eben auch für die (Um-)Welt empfänglicher zu werden. Im Grunde genommen geht es bei der Askese um eine Intensivierung jener »reverent-receptive attitude«746 gegenüber der Wirklichkeit. In frühen Texten beschreibt Mar Gregorios jene neue monastische Bewegung vornehmlich als eine ökumenische, die sich der Erneuerung von Spiritualität und Gottesdienst in einer zunehmend technisierten und sich als säkular wahrnehmenden Welt zu widmen habe.747 Später überträgt er jedoch jene Idee auf andere Kontexte: Im ›Indischen Postskript‹ zu Freedom and Authority charakterisiert er das gesamte Werk als ein Plädoyer für eine neue Form der Askese: »In a sense the book is a plea for a new kind of Ashram.«748 Liest man das Werk von diesem Satz ausgehend, wird gerade jene Dialektik zwischen Freiheit und Autorität verständlich als Grundlage für jene Vision einer monastischen Bewegung. Restriktion wird so zur Voraussetzung für spirituelle Freiheit und Kreativität, wie jene Freiheit zugleich der Ausgangspunkt dafür ist, dass immer wieder neue Regeln und Strukturen geschaffen werden können. Hier steht praktisch zum einen die Frage des ökumenischen Zusammenlebens, insbesondere in Kerala, im Mittelpunkt. So entwirft Mar Gregorios in jenem Postskript die Idee eines christlichen Ashrams, wo Protestanten, Orthodoxe und Katholiken zusammenleben.749 Der Begriff ›Ashram‹ zeigt jedoch zum anderen auch, dass mit Freedom and Authority zunehmend ein weiterer Kontext in den Fokus gerät: der Indiens. Das Ashram wird zum Vorbild eines asketischen Lebensstils, wo die Ausrichtung auf Gott und die Welt in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Hier finden sich sowohl Non-Konformismus als Ausdruck des Andersseins als die Welt wie auch der Wille, sich dem Interesse der Allgemeinheit zu widmen.750 Er nennt Rabindranath Tagores Ashram Shantiniketan sowie Mahatma Gandhis Sabar746 Mar Gregorios, Human Presence, 86. 747 Vgl. Mar Gregorios, »Ecumenical Movement and WCC«, 90; Verghese, »Finality of Christ«, 20; Mar Gregorios, Joy of Freedom, 73; Mar Gregorios, »Sacramental Humanism«, 173; Mar Gregorios, »Introductory Discussion«, 20; Verghese, Freedom and Authority, 150. 748 Ebd., 153. 749 Vgl. ebd., 160–61. 750 Vgl. ebd., 156.
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mati Ashram als Beispiele. Beide ›Väter Indiens‹ verfolgten mit ihrer asketischen Lebensweise das Ziel, der Allgemeinheit zu dienen. Das Ashram wird zum Ort der Imagination einer nachkolonialen, indischen Identität.751 Diese auf den indischen Kontext bezogene Wendung des Motivs der Askese findet sich später in Enlightenment East and West wieder – als Möglichkeit, ein Zusammenleben der unterschiedlichen Religionen, Weltanschauungen und Identitäten in Indien experimentell zu erproben.752 Hier tritt die christlich-ökumenische Dimension in den Hintergrund, um Raum zu geben für eine Erweiterung des Konzepts, im Interesse eines geeinten und friedlichen Indiens. Auch im Falle des Themas ›Askese‹ lässt sich somit die Entwicklung in Mar Gregorios’ Denken beobachten, den Ökumene-Begriff zunehmend auf andere Religionen und Weltanschauungen zu erweitern, ohne jedoch den Eigenwert von partikularen Identitäten und Traditionen außer acht zu lassen. Das Kernanliegen auch bei der Wiederentdeckung der Askese als Lebensform und Quelle der Imagination bleibt der Dialog. Dieser stellt den Ort der Aushandlung sowohl von Einheit und Differenz dar. Dabei weist Marina True mit einem gewissen Recht darauf hin, dass diese »Vision von Dialog […] intellektuell und elitär«753 sei. In dem ersten Text, in dem er sich ausführlich der Idee einer neuen monastischen Bewegung widmet, qualifiziert er jene Gemeinschaft ausdrücklich als »elitär«, mit der Aufgabe, »den Willen Gottes für die gesamte Menschheit in dieser Situation auszuarbeiten«754. Freiheit und Imagination, die grundsätzlich allen Menschen eignen, werden zunächst zu einer Sache von Wenigen, bevor sie – nach einer angemessenen Erprobung – allen zur Verfügung stehen. Dann ist jene Freiheit jedoch bereits zur autoritativen Struktur geronnen, indem die wenigen entschieden haben, was den vielen auf ihrem Weg zur Freiheit dienlich ist. Hier besteht eine deutliche Ambivalenz in Mar Gregorios’ Denken: Kritisiert er ›den Westen‹ dafür, dass er Freiheit allzu oft zu einer Sache weniger gemacht habe und dabei etwa ›Arbeiter und Bauern‹ immer wieder missachtet habe,755 traut er selbst an dieser Stelle ausschließlich einer spirituell-intellektuellen Elite zu, sich gänzlich der Sache der Imagination zu widmen. 751 Vgl. ebd., 153–54. 752 Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 155–57. Vgl. auch Mar Gregorios, Light Too Bright, 227–30. 753 True, »Prophet«, 239: »Despite his emphasis of experience and feeling, and despite a call for tribal religions to be included on equal footing, Mar Gregorios’ vision of dialogue is intellectual and elitist.« 754 Verghese, »New Askesis«, 318–19: »Rather a disciplined Christian community, living within the full complexity of modern life, must continually work out in each situation the pattern of life that indicated the will of God for the whole of humanity in that situation. Contextualism is not thus a philosophical system, but an incarnate pattern of Christian life which has to be worked out by the power of the Spirit by an élite community within the Body of Christ.« 755 Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 152; Mar Gregorios, Light Too Bright, 117.
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Mit der Bezeichnung der ›Orthodoxie als rechter Anbetung‹ wurde in diesem Kapitel eine Unterscheidung aufgenommen, die sich in Texten vieler orthodoxer Autoren findet. Der Begriff ›Orthodoxie‹ könne demnach auf zweierlei Weise übersetzt werden: entweder als ›rechter Glaube‹ (ὀρθός = recht, richtig; δοκέω = glauben, meinen) oder als ›rechte Anbetung‹ (ὀρθός = recht, richtig; δοξάζω = anbeten, verherrlichen).756 Trotz der Tatsache, dass es sich hierbei wahrscheinlich um eine nachträglich konstruierte Doppelbedeutung des Wortes handelt, die sich aus der russischen Selbstbezeichnung der orthodoxen Kirche mit dem Begriff православие (= Richtigkeit der Anbetung) herleitet, hat man damit treffend den engen Zusammenhang zwischen rechter Lehre und dem rechten Gottesdienst zum Ausdruck gebracht. Gerade aufgrund der Betonung des apophatischen Elements in der Theologie wird die Liturgie so zum »theologischen Ort«757, wie der russisch-orthodoxe Theologe Paul Evdokimov (1901–1970) schreibt. Nimmt der Theologe Ausgang von der Erfahrung des Gottesdienstes, ist die Theologie »keine Angelegenheit des Verstandes, sondern der ›Erkenntnis Christi‹ durch Teilhabe«758. Dieser Aspekt tritt bei Mar Gregorios deutlich hervor. Doch, wo bei byzantinisch-orthodoxen Theologen wie dem zitierten Evdokimov der Gottesdienst zugleich stets Ausdruck des kirchlichen Dogmas bleibt und damit beiderlei Bedeutungen des Wortes ›orthodox‹ einander zugeordnet bleiben, hat das vorliegende Kapitel gezeigt, dass bei Mar Gregorios – trotz aller Hochschätzung der dogmatischen Entscheidungen der Kirche – eine klare Option in Richtung der Orthodoxie als ›rechter Anbetung‹ erkennbar ist. Die ›rechte Lehre‹ bleibt klar dahinter zurück: Als verbale Formulierung ist sie kataphatischer Natur und damit auch ein Element der Tradition. Wie alle Elemente der Tradition ist auch das Dogma daher menschengemacht und muss im Zuge des Aufstieges zu Gott und der wahren Erkenntnis Gottes in dessen Unerkennbarkeit aufgegeben werden. Der Gottesdienst als Ausdruck der mystischen Theologie der orthodoxen Kirchen als transkonfessioneller Größe bleibt der Ort der Wahrung des Geheimnisses Gottes, dem hier zugleich begegnet werden kann. Und gerade jenes Mysterium ermöglicht es sodann, trotz der Verschiedenheit der dogmatischen Definitionen, jene Definitionen als menschliche Versuche zu erkennen und in der gemeinsamen Teilhabe am Mysterium Christi, Einheit zu erlangen. Hier liegt das Wesen von Mar Gregorios’ Orthodoxie als transkonfessioneller Imagination.
756 So etwa: Timothy Ware, The Orthodox Church (Harmondsworth: Penguin Books, 1963), 16. 757 Paul Evdokimov, »Grundzüge der orthodoxen Lehre«, in Die Russische Orthodoxe Kirche in Lehre und Leben, hg. von Robert Stupperich (Witten: Luther-Verlag, 1966), 67. 758 Ebd., 66.
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Indien
2
Indien »We, the People of India, having solemnly resolved to constitute India into a Sovereign, Socialist, Secular, Democratic Republic«759
2.1
Die Entdeckung Indiens: Diskurse und Motive
»I need to learn from all, and have indeed learned from many.«760 So schreibt Mar Gregorios in einem seiner letzten Texte. Bezogen ist diese Aussage auf seine Existenz in Indien als einem Land, das für ihn insbesondere mit der Rückkehr 1967 aus Genf zu einer neuerlichen Entdeckung wurde. Er begann sich in philosophischen Kreisen umzutun und wurde zu einem anerkannten Experten auf dem Gebiet indischer Philosophie. Dies führte gar dazu, dass er im Jahre 1990 zum ersten christlichen Präsidenten des Indian Philosophical Congress ernannt wurde, nunmehr in einer Reihe stehend mit dessen Gründer Rabindranath Tagore und Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975), denen er große Verehrung entgegenbrachte.761 In seiner Autobiographie schreibt er: My association since 1974 with Indian philosophers in the Indian Philosophical Congress and in the Indian Council of Philosophical Research has been a major factor in the growth of my understanding and awareness of the great and rich Indian philosophical heritage.762
Indien ist neben der Orthodoxie ein zentrales Motiv, wenn es um die Imagination des Ostens geht. Und so gibt es gleichermaßen motivische Überschneidungen mit seiner Imagination der Orthodoxie wie auch diskursive Verschiebungen. Hier findet sich das Bild des ›mystischen Ostens‹ ebenso wie das bleibende Gegenüber zum ›Westen‹, der wie zuvor mit dem Stichwort ›Säkularismus‹ in Verbindung gebracht wird. Die Verschiebung des Diskurses wiederum zeigt sich insbesondere darin, dass Mar Gregorios hier bewusst den Bereich des Kirchlichen wie Theologischen verlässt und die Auseinandersetzung mit ›Ost‹ und ›West‹ auf dem Gebiet der Philosophie sucht. ›Der Osten‹ wird hier anhand indischer Philosophie thematisch, wie der Westen durch die Philosophie der Aufklärung verkörpert wird. So kann festgestellt werden, dass Mar Gregorios’ Auseinandersetzung mit dem Thema ›Indien‹ mit seiner Rückkehr 1967 in sein Heimat-
759 Präambel der Verfassung von Indien. 760 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 191. 761 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Religion and Politics. The Upanishadic Politics of a Visvamanava. Dr. Radhakrishnan«, in Religion and Dialogue (Kottayam [u. a.]: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2000), 86–96. Siehe dazu ausführlich: IV.2.3. 762 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 26.
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land beginnt, jene Verschiebung aber von im Kern theologisch-kirchlichen hin zu stärker philosophischen Themen erst in seinen letzten Werken sichtbar wird. Er begründet dies selbst in seiner Autobiographie: »I have become tired of theological writing, especially polemical writing.«763 So tritt auch ein weiteres Motiv hinzu: Zwar verschwindet keinesfalls jene für Mar Gregorios Denken so grundlegende Dichotomie von ›Ost‹ und ›West‹ und die damit verbundene Polemik, doch versucht er im Kontext seiner Beschäftigung mit Indien zunehmend eine Vision zu entwerfen, welche die Symbiose beider kultureller Kontexte in einer sich globalisierenden Welt zulässt. Doch in welchen Diskurs kann Mar Gregorios’ Beschäftigung mit dem ›Indischen‹ verortet werden? Als einer, der sich als solcher historisch und sachlich abgrenzen lässt, könnte der Diskurs in seiner eigenen Kirche um die Inkulturation im indischen Kontext genannt werden, jedoch zeigt sich, dass dies nicht der primäre Ort für seine Auseinandersetzung mit den indisch-philosophischen Traditionen ist. Gegenüber einer Auseinandersetzung mit den indischen Traditionen lediglich im Interesse der Inkulturation des Christentums zeigt er sich äußerst kritisch. Zwar vermag er sein Wissen um indische Philosophie, immer wieder für seine Vorstellung eines inkulturierten, indisch-orthodoxen Christentums einzubringen, jedoch geht es ihm dabei nicht um eine aus seiner Sicht artifizielle Anpassung christlicher Formen »an hinduistische Symbole und Terminologie«764, sondern um einen selbstverständlich seit jeher geführten Dialog auf Basis des geteilten Lebensraumes und kulturellen Kontextes. Hier spielt sein Selbstverständnis als Thomaschrist eine wesentliche Rolle.765 Wenn es nicht primär dieser Diskurs ist, in dem Mar Gregorios’ Auseinandersetzung mit den indischen philosophischen Traditionen zu verorten ist, so bleibt sein Interesse, das in ihm wohnende »intellektuell-spirituelle Erbes Indiens«766 wiederzuentdecken sowie, sich in Indien als Intellektueller hervorzutun. So kann man sagen: Es geht bei seiner Beschäftigung mit den indischen Denkern nicht primär um die Inkulturation seiner Kirche, sondern seiner selbst. Der Diskurs, in dem er sich nun bewegt, handelt von der politischen Identität Indiens und ist daher besser als jeder andere dazu geeignet, sich hier als ein profiliert indischer Intellektueller zu hervorzutun. 763 Ebd., 31. 764 Mar Gregorios, Joy of Freedom, xiii: »The indigenisation of worship in India cannot be a matter of adjusting our forms to Hindu symbols and terminology. To restore Hindu forms of a given period in the past will not make Christian worship in India any more authentically Indian. It can only make it Hindu-Christian in a dated way.« 765 Siehe: IV.3.4. 766 Verghese, Freedom and Authority, 141–42: »I inherit thus three traditions – the cultural spiritual heritage of India, the religious-spiritual heritage of Eastern Christianity and the conceptual formation of western civilization.«
Indien
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So erscheint auf dem Hintergrund dessen, was in dieser Arbeit über Mar Gregorios’ Auseinandersetzung mit dem Thema ›Tradition‹ gesagt wurde, seine Beschäftigung mit ›Indien‹ als Fortsetzung jenes Ringens um einen Traditionsbegriff, der dem gerecht wird, was er in sich als Teilhaber einer Vielzahl an Traditionen entdeckt sowie, was seinem intellektuellen Interesse entspricht. Dabei kommt ihm entgegen, dass er sich bereits früher gegen die theologische Unterscheidung zwischen ›der Tradition‹ und ›den Traditionen‹ stellte. Die allgemeine Definition des Begriffs aus Freedom and Authority findet auch hier Anwendung: »Tradition is not backward-looking. It appropriates the past in order to be more adequately open to the future.«767 Wenn es nun um die Frage der indischen Identität geht, wirft Mar Gregorios unter anderem Jawarhalal Nehru vor, in seinem Streben, Indien zu einer »souveränen, demokratischen, säkularen, sozialistischen Republik«768 zu formen, gerade das retrospektive Element der Tradition vergessen zu haben: »Nehru, and also his grandson Rajiv Gandhi, was perhaps unaware of the fact that the future is a function of the past and the present, and that the identity of a nation cannot be fashioned anew, out of whole cloth as it were.«769 Enlightenment East and West stellt den Versuch dar, das, was Mar Gregorios als indische Tradition versteht, fruchtbar zu machen für eine nationale Identität. Diese Tradition beinhaltet daher zwei Qualitäten: sowohl die Verbindung zur eigenen Geschichte herzustellen als auch Medium für das kreative Neudenken einer indischen Identität zu sein. Angesichts des seines Erachtens gescheiterten Versuchs der Übernahme westlicher politischer Modelle sowie allenthalben sichtbarer religiös-ethnischer Konflikte und Sezessionsbestrebungen stellt er die Frage: »Is there an alternative between Enlightenment liberalism-Marxism on the one hand and reactionary, communal and backward looking anti-diluvianism and chauvinism on the other?«770 Die Pointe dessen, was er als indische Tradition ausmacht, liegt mithin darin, dass diese seit jeher eine in sich plurale Tradition von Traditionen ist: »If there is one thing we can surely say about India’s cultural heritage, is that that heritage has never been uniform or non-religious.«771 Was Mar Gregorios in Enlightenment East and West als ›indische Tradition‹ vorstellt, ist somit weniger eine partikulare religiöse oder kulturelle Tradition. Er versteht ›das Indische‹ vielmehr als eine Denkform, die über das Immanente, Rationale und Sprachliche hinausgeht, jene Elemente aber 767 Ebd., 143. 768 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 1: »But when under Pandit Jawarhalal Nehru’s inspiring leadership our nation chose an identity, it was that of a ›sovereign, democratic, secular, socialist republic‹.« Hier schreibt somit Mar Gregorios die oben zitierte Präambel der indischen Verfassung indirekt Nehru zu. Hierzu mehr im weiteren Verlauf des Kapitels. 769 Ebd., 9. 770 Ebd., 32. 771 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 183.
190
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zugleich miteinschließt. Was Mar Gregorios bereits unter ›der Orthodoxie‹ verstand, wird somit hier weitergeführt: Indisches Denken steht so ganz im Zeichen der Einheit von immanenter und transzendenter Erkenntnis.
2.2
Der säkulare Staat und der Säkularismus
Um Mar Gregorios’ Plädoyer einer indischen politischen Identität in Abgrenzung zu einem ›westlichen Säkularismus‹ zu verstehen, bedarf es zunächst einer klareren Definition der Begriffe ›Säkularismus‹, ›säkular‹ und ›Säkularisierung‹ in diesem Zusammenhang. In dem Aufsatz The Secular Debate and Our Constitutional Commitment nimmt er sie vor: »our Constitutional commitment, as a nation, is to a sovereign, socialist, secular, democratic state – not to the process of secularisation or to the ideology of secularism.«772 Diese Differenzierung ist entscheidend: Es wäre nicht nur äußerst ungeschickt, wenn Mar Gregorios sich innerhalb des Diskurses abseits der Verfassung stellen würde, seine Kritik würde auch unverständlich, wenn jene Unterscheidung nicht von vornherein klar wäre. Der Staat muss ›säkular‹ sein, im Sinne der weltanschaulichen Neutralität. Diese Säkularität ist der Garant für Religionsfreiheit und den Frieden im Land.773 Seine harsche Kritik gilt jenen, die Indien als religiös ›hinduistisch‹ bestimmen wollen: »Unfortunately our constitution does not forbid the formation of political parties coverly or overtly based on religious adherence.«774 Von dem Attribut ›säkular‹ abzugrenzen sind die Begriffe der ›Säkularisation‹ und des ›Säkularismus‹. Ersteren definiert Mar Gregorios sowohl als die Befreiung der Institutionen von religiöser Kontrolle als auch den intellektuellen Prozess, der schließlich in einem ›Säkularismus‹ als Weltanschauung endet. Kann die Befreiung der Institutionen von religiöser Kontrolle durchaus – etwa im Sinne des säkularen Staates – befürwortet werden, gilt dies nicht für die intellektuelle Säkularisierung. Dem Säkularismus als Zielpunkt jenes Prozesses gilt schließlich seine Kritik: Secularism as an ideological system of concepts and values, can not be imposed on our people, any more than any particular religion can be imposed upon them. The debate should have made it clear that our commitment as a nation is to a secular state, not to secularism as an ideology.775
772 Paulos Mar Gregorios, »The Secular Debate and Our Constitutional Commitment«, in The Secular Ideology. An Impotent Remedy for India’s Communal Problem (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1998), 32–33. 773 Vgl. ebd., 34. 774 Ebd., 36. 775 Ebd., 32.
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Hier liegt der Kernpunkt von Mar Gregorios’ Kritik am Säkularismus. Er versteht diesen als eine Weltanschauung, seinem Charakter nach einer Religion nicht unähnlich: While we must respect the rights of those who advocate secularism as an ideology, it should not be imposed in a secular state. Secularism is based on two fundamental propositions, both of which are […] unscientific. The first is that the world open to our senses is the only world that exists; the second that critical rationality as developed in the West is fully capable of understanding and dealing with that reality. Secularism is a quasi religious ideology, parochial and dated. […] Secularism as well as the religions are worthy of equal respect in a secular state. But to argue that we as a nation are constitutionally committed to secularism as an ideology would be as specious as to argue that India or Bharat is a Hindu nation.776
Ein Staat, der sich als ›säkular‹ im Sinne des Säkularismus versteht, kann nicht als weltanschaulich neutral gelten. Ein solcher Staat würde eine Ideologie verfolgen, die nur von einer kleinen, im Westen ausgebildeten Elite geteilt wird.777 Zu dieser Elite zählt Mar Gregorios Jawarhalal Nehru als einen der Staatsgründer Indiens, dem er die Formulierung der Präambel der Verfassung indirekt zuschreibt.778 Wenn Mar Gregorios dennoch in vielen seiner Texte eben jenen Begriff ›säkular‹ kritisiert, so tut er dies, um dem Missverständnis entgegenzutreten, es handle sich um einen Staat, der eine religiöse Weltanschauung unter seinen Bürgern als solche ideologisch ablehne. Diese Gefahr sieht er gerade deshalb, da Nehru und viele nach ihm genau jene ›säkulare Ideologie‹ vertreten hätten. Er schreibt später über sein Buch Enlightenment East and West: »the […] book had been written with an Indian readership in mind, pointing out that the great Founding Father of our nation, Jawarhalal Nehru, was primarily a child of the European Enlightenment, and not a promoter of the Indian heritage.«779 Nur so wird seine Kritik an dem Begriff des ›säkularen Staates‹ deutlich. Er versteht diese letztlich als Plädoyer für den säkularen Staat, richtig verstanden im 776 Ebd., 35. Vgl. Paulos Mar Gregorios, »Is Religion Non-Sense?«, in The Secular Ideology. An Impotent Remedy for India’s Communal Problem (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1998), 65. 777 Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 2–3, 28. 778 Vgl. ebd., 1. Dass er dies lediglich indirekt tun kann, liegt daran, dass der Begriff ›säkular‹ neben dem Begriff ›sozialistisch‹ erst mit dem 42. Änderungsgesetz von 1976 in die Präambel der Verfassung aufgenommen wurde. So war es Nehrus Tochter Indira Gandhi, die dafür sorgte, dass jene politische Orientierung ihres Vaters in die Verfassung geschrieben wurde. Jenes 42. Änderungsgesetz gilt als das umstrittenste in der indischen Geschichte, da es in die Zeit des Ausnahmezustands (›The Emergency‹) in Indien zwischen 1975 und 1977 fiel und weitgehende Einschränkungen der Judikative, des Föderalismus sowie der Pressefreiheit zur Folge hatte. Vgl. Guha, India, 496; Granville Austin, Working a Democratic Constitution. A History of the Indian Experience, Oxford India Paperbacks (New Delhi: Oxford University Press, 2003), 373–74. 779 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 31.
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Sinne der weltanschaulichen Neutralität. Um dem Missverständnis vorzubeugen, präferiert Mar Gregorios daher den Begriff eines ›pluralistischen Staates‹: We should recognize the freedom of human beings to adhere to one religion or another or to none and be a secularist. But neither religion nor secularism should claim scientific sanctions. A government has no right to promote secularism as an ideology. The separation of State and Religion must apply also secularism, since it functions as a religion and is not based on any consensus in the scientific community.780
Er erklärt weiter: »A Pluralistic State is one in which people of all religions and no religion (secularists) can be commonly committed to a single nation and its national goals and purposes, as adumbrated in the Constitution and in democratic parliamentary decisions and enactments.«781 Auf diese Weise könnten Interessen aller Gruppen in den demokratischen Prozess einbezogen werden. So versteht er die weltanschauliche Neutralität des Staates. Hierin findet sich eine grundlegende Kritik an den meisten seinerzeit vertretenen politischen Ideologien: Sowohl der Säkularismus in großen Teilen der Kongresspartei oder der in Kerala einflussreichen Marxisten wird hierin abgelehnt wie auch die sich einem Hindu-Nationalismus (Hindutva) verschriebene Bharatiya Janata Party (BJP) oder allenthalben präsenter separatistischer Ideologien. Mar Gregorios fasst zusammen: It is this aspect in each religion, present in a limited number of religious leaders and a large number of cultured believers that we need to promote, organize and mobilize in the service of communal harmony, as well as the national integration and international justice. Secular minded people can join forces with such people, instead of condemning all religious forces as reactionary. Let out marches, demonstrations, seminars, public meetings, etc, for communal harmony have a visible religious leadership component, and a large background support by lay people from all religions. That would be a positive role for religion. It may even convert some of the fundamentalists.782
2.3
Personifikationen des ›Indischen‹
Um besser zu verstehen, wie Mar Gregorios eine angemessene Beziehung von Staat und Religion versteht, lohnt ein Blick darauf, wie er dies immer wieder in Verbindung bringt mit bestimmten Persönlichkeiten, in denen er dieses Verhältnis paradigmatisch vorzufinden meint. Als negative Persönlichkeit erscheint immer wieder Jawarhalal Nehru. Doch muss gesagt werden, dass er diesen keineswegs ausschließlich negativ bewertet. 780 Mar Gregorios, »Non-Sense«, 66. 781 Ebd., 66. 782 Ebd., 68.
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Nehru – wie etwa auch Subhash Chandra Bose783 – kommt eine positive Rolle zu, da er die indische Unabhängigkeit wollte und durchsetzte. Doch waren seine Methoden und politischen Ideale zutiefst durch seine westliche Ausbildung geprägt. Dies trifft zwar auch auf die anderen Protagonisten zu, allem voran Mahatma Gandhi, doch anders als Gandhi suchte Nehru nicht nach einem eigenen indischen Weg, sondern blieb nach Mar Gregorios’ Dafürhalten stets »Sohn der europäischen Aufklärung, schwankend zwischen ihren liberalen und marxistischen Versionen«784. Sein Ziel sei der »klare Bruch mit der Vergangenheit«785 gewesen, nicht nur der Vergangenheit des Kolonialismus, sondern insgesamt. Doch eine Identität, auch einer Nation, könne nicht lediglich die Zukunft im Blick haben, sondern brauche stets einen Bezug zur Vergangenheit. Hinzu kommt, dass Nehru aufgrund seiner sozialistischen Prägung nicht nur ›Tradition‹ als Element nationaler Identität ablehnte, sondern äußerste Skepsis gegenüber Religion hegte. Mar Gregorios zitiert Nehrus Autobiographie: Usually religion becomes an asocial quest for God or the Absolute, and the religious man is concerned far more with his own salvation than with the good of society […]. And organised religion invariably becomes a vested interest and thus inevitably a reactionary force opposing change and progress.786
Hier wird verständlich, warum es Mar Gregorios wichtig ist, zu klären, was unter dem ›säkularen Staat‹ verstanden wird, da er Nehru in Verdacht hat, seinen ›Säkularismus‹ als eine Art Staatsideologie vor Augen gehabt zu haben, mit der negativen Folge, dass später nur eine kleine, westlich-orientierte Elite jenen Säkularismus als tragend für Indiens Identität versteht, während die Massen in Indien ihre Identität aus religiösen wie anderen Traditionen speisen. Dies führt zwangsläufig dazu, dass Gruppenidentitäten über eine kollektive indische Identität gestellt werden. Es kommt zu kommunalen Konflikten und Separationsbestrebungen. Mar Gregorios’ Plädoyer für die Beschäftigung mit den indischen Denkern ist der Versuch, eine gemeinsame und zugleich in sich vielgestaltige indische Tradition wiederzuentdecken, die es ermöglicht, sich als Individuum oder Gruppe dennoch als Teil jenes großen Indiens zu verstehen.787 Ein 783 So gesteht er Bose zu, das richtige Ziel verfolgt zu haben – die Unabhängigkeit Indiens –, dabei jedoch allzu pragmatisch vorgegangen zu sein, indem er sich der britischen Kolonialmacht mithilfe des nationalsozialistischen Deutschlands entledigen wollte. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 74–75; Mar Gregorios, »Indian Identity«, 4. 784 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 28: »The stamp of Jawarhalal Nehru, a son of the Indian brahmin aristocracy who wanted to identify himself with the people, but also a son of the European Enlightenment, wavering between its liberal and Marxist versions, has been impressed on our cultural identity both during the freedom movement and during the first quarter century of our independent national development.« 785 Ebd., 9. 786 Jawarhalal Nehru, An Autobiography; zitiert nach: Mar Gregorios, »Indian Identity«, 4. 787 Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 7–9.
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erster Schritt in diese Richtung ist seines Erachtens zum einen anzuerkennen, dass eine Identität niemals ohne die Anknüpfung an die Vergangenheit geschehen kann, und zum anderen, dass die indischen Traditionen immer eine religiöse Komponente in sich tragen.788 Jene Komponente bedeutet nicht zwangsläufig einen Gottesbezug, sondern lediglich, dass Religiosität im Sinne spiritueller Praxis sowie die Vorstellung, dass der Mensch hierüber zu einer Erkenntnis kommen könne, die über das Rationale wie Verbale hinausgeht, für alle indischen Denktraditionen von zentraler Bedeutung ist. Anstatt den Fehler zu machen, einen scheinbaren Bruch mit jedweder Tradition zu proklamieren – dies ist nach Mar Gregorios der Fehler der europäischen Aufklärung789 –, plädiert er dafür, Tradition als Medium und Gegenstand von Imagination wiederzuentdecken. Wollte Nehru in der ein oder anderen Form einen indischen Staat nach westlichem Vorbild, muss dieser damit bei Mar Gregorios in Ungnade fallen. Die Weise, in der Mar Gregorios ›den Osten‹ und damit auch Indien imaginiert, lässt eine Orientierung am Westen letztlich unmöglich erscheinen. Dabei bleibt Nehru – wie so viele Personifikationen in Mar Gregorios’ Werk – eher ein Typus denn eine reale Gestalt, da er die Kritik an seiner Person auf den Aspekt des Säkularismus beschränkt. Andere Aspekte wie Nehrus Betonung der Blockfreiheit Indiens wie auch die sozialistischen Elemente seiner Wirtschaftspolitik entsprechen viel mehr den Ansichten von Mar Gregorios, bleiben jedoch unbeachtet. Geht es um Personifikationen des Indischen im positiven Sinne, steht die Person Mahatma Gandhis nicht nur für Mar Gregorios an erster Stelle. Gandhi steht zusammen mit Rabindranath Tagore und Sarvepalli Radhakrishnan bei Mar Gregorios für einen genuin indischen Weg. In allen drei Personen sieht er einen Ansatz verkörpert, der ein säkularisiertes Weltbild bewusst transzendiert. Im Falle von Gandhi liegt ein ähnlicher Fall vor wie bei Nehru: Hier steht mehr ein Typus vor Augen denn eine reale historische Gestalt. Diese Problematik ist jedoch unmittelbar in der Person Gandhis und ihrer öffentlichen Wirkung angelegt. Der Typus des ›Politikers und Gurus‹ tritt hier klar hervor: Mahatma Gandhi was a spiritually much more attractive figure, truly Indian and truly universal, the best specimen of humanity our world has produced in the last couple of centuries. […] Gandhi embodied uncompromising integrity with genuine love and compassion for all. He was closer to the poor and suffering masses of India, identified with them in utter simplicity, deeply religious, and politically astute all the same.790
In Gandhi erkennt er den politischen Führer, der zugleich mit seinem asketischen Ethos religiöser Führer sein will – für alle Inder, unabhängig welcher religiösen 788 Vgl. ebd., 9. 789 Vgl. etwa Mar Gregorios, Light Too Bright, 96. 790 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 75.
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Zugehörigkeit. Gandhi repräsentiert daher prototypisch eine indische Traditionsverbundenheit, die keiner Partikularität und keinem Traditionalismus verfällt. Gandhi nutzt die Tradition, um Indien neu zu denken. Er ist der Tradition verpflichtet und steht zugleich für den Wandel: So lehnte er etwa die Unberührbarkeit der sogenannten Dalits ab und trat für mehr Rechte von Frauen ein.791 Dass Gandhis Ablehnung der Unberührbarkeit keinesfalls mit einer Kritik am Kastensystem als solchem einhergeht, erwähnt Mar Gregorios nicht. In gewisser Weise stellt dies die Kehrseite jenes Verständnisses der Tradition als Medium und Gegenstand von Imagination dar. Gandhi spricht sich für eine Reform des Kastensystems aus, nicht für dessen Abschaffung.792 Eine andere Verbindung von Tradition und Innovation bei Gandhi ist das Ashram, das eine zentrale Funktion in Gandhis Werdegang und seiner Vorstellung von Indien einnahm.793 Das Wirtschaftssystem, das Gandhi für Indien vor Augen hatte, war orientiert an der bäuerlichen Selbstversorgung traditioneller Ashrams. Das Spinnrad, das die indische Nationalflagge ziert, sollte zum Symbol dieser Idee werden. Was Mar Gregorios bei Gandhi zudem wiederfindet, ist ein gewisses Menschenbild, das religiös geprägt ist, jedoch zugleich politische Konsequenzen in sich trägt: Gandhi wanted to transform human persons through the grasp of Truth (Satya¯graha) and Love (Ahimsa¯) […]. Gandhi abjured power politics and advocated a pure politics ˙ based on the fundamental principles of truth and love, self-control, freedom from ambition and power-seeking, voluntary poverty and a simple way of life in common with the people.794
Hier finden sich bereits zentrale Vorstellungen, die für Mar Gregorios das Wesen des ›Indischen‹ verkörpern. Gandhi war kein Verfechter eines religiös gebundenen Staates. Er war einer der Autoren eines säkular verfassten Indiens. Dennoch war er keine rein politische Figur, sondern ebenso eine religiöse Führungsgestalt, der wie kein anderer das Bild des ›Indischen‹ nach außen wie innen
791 Dabei ging es, wenn es um Frauenrechte ging, vor allem um das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, wie ein Besuch der – heute durchaus umstrittenen – Frauenaktivistin Margaret Sanger (1879–1966) bei Gandhi im Dezember 1935 zeigt, über den es genaue Aufzeichnungen gibt. Auch hier zeigt sich der asketische Aspekt der Person Gandhis, der für Mar Gregorios von zentraler Bedeutung ist, wenn sich Gandhi gegen Geburtenkontrolle durch Verhütungsmittel und stattdessen für das Recht der Frau auf sexuelle Enthaltsamkeit ausspricht. Vgl. Ramachandra Guha, Gandhi. The Years That Changed the World 1914–1948 (London: Penguin Books, 2019), 607–10. 792 Die Ablehnung der Unberührbarkeit der Dalits ist jedoch bei Gandhi nicht mit einer Ablehnung des Kastensystems als solchem verbunden, sondern mit einer Reform desselben. Vgl. ebd., 122–25, 389–90. 793 Zur Bedeutung des Sabarmati Ashram für Gandhis Denken vgl. ebd., 21–23. 794 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 30.
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repräsentierte.795 Die Vorstellung von der ›Transformation der menschlichen Person‹, die Mar Gregorios hier als zentrales Motiv in Gandhis Denken sieht, ermöglicht ihm, darin die Verbindung von einem religiösen Menschenbild und politischem Handeln zu erblicken. So kann dies als eine Vorstellung bezeichnet werden, die den meisten Schulen der indischen Philosophie gemein ist.796 Nicht zuletzt aber ist die Transformation der menschlichen Person in der Theosis auch ein zentrales Thema in Mar Gregorios’ Theologie, worin er selbst eine Brücke zur indischen Philosophie schlägt. Diese hier aufscheinende Verbindung von orthodoxer Theologie und indischem Denken bei Mar Gregorios wird noch ausführlicher im Kontext der ›Imagination der indischen Orthodoxie‹ zu behandeln sein.797 Im Falle der Person Gandhis kann zunächst festgestellt werden: Mar Gregorios bedient sich eines gängigen Bildes Gandhis als ›Politiker und Guru‹, um immer wieder den Charakter eines indischen Weges darzustellen, in scharfer Abgrenzung zu dem Weg, den Nehru einschlug.798 Prägend für Mar Gregorios ist zweifellos das Element der Askese, das eine zentrale Stellung in seinem Denken einnimmt und das durch Gandhi in unvergleichlicher Weise zum Inbegriff indischer Spiritualität und zugleich politischer Aktion wurde. Hierfür stehen dessen öffentlichkeitswirksame Hungerstreiks gegen die britische Kolonialherrschaft, die zum Symbol des gewaltlosen Widerstands wurden. Der Name Rabindranath Tagore erscheint zumeist in unmittelbarer Nähe zu dem Gandhis. Beiden Personen eignet er den Charakter eines ›Gurus‹ zu.799 Während Gandhi daneben auch eine politische Führungsgestalt darstellt, kommt bei Tagore die Rolle des modernen ›Nationaldichters‹ Indiens hinzu.800 In seiner Person drückt sich ein zentrales Anliegen Mar Gregorios’ aus: Auch die Künste stehen für eine Transzendierung einer säkularen Weltsicht. Im ästhetischen Erleben wird die menschliche Existenz über das rein Rationale und Immanente hinausgetragen. Ebenso ist es der Künstler, dem die Rolle des Mitschöpfers und damit des Imaginierenden am unmittelbarsten zukommt: »His Gitanjali, Post Office, Fruit-gathering and other poems touched my heart deeply. Tagore had a 795 Vgl. auch Claude Markovits, The UnGandhian Gandhi. The Life and Afterlife of the Mahatma, Anthem South Asian Studies (London: Anthem Press, 2004), 13–39. 796 Vgl. Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 26 (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973), 29: »Nicht die ausführliche Beschreibung unseres diesseitigen, sondern die Überfahrt – durch Verwandlung – zum jenseitigen Ufer ist das höchste Ziel menschlichen Forschens, Lehrens, Meditierens. Es ist das Ideal, worin alle großen Philosophien Indiens übereinstimmen.« Vgl. auch ebd., 19–20. 797 Siehe: IV.3.4.2. 798 Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 75. 799 Vgl. Mar Gregorios, »Non-Sense«, 68. 800 Diese Bezeichnung ist nicht unüblich, war Tagore doch auch der Dichter und Komponist der Nationalhymne Indiens (Jana Gana Mana) sowie Verfasser des Texts der Nationalhymne Bangladeschs (Amar Shonar Bangla). Beide Lieder wurden freilich erst nach seinem Tod als Hymnen eingeführt.
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feeling of the mystery of life; he was no Western Liberal; he was a poet of the Unseen, a bard of true Beauty and a hierophant of the Holy.«801 Interessant an dieser wie an anderen Stellen, wo Mar Gregorios sich den Künsten widmet, ist die Spannung, in der seine Kritik am ›Logozentrismus‹ des Westens mit der Hochschätzung von Literatur steht. Dieser Umstand steht in einem engen Zusammenhang zu der Feststellung, dass auch die Liturgie, die im Mittelpunkt von Mar Gregorios’ Theologie steht, verbal verfasst ist und dennoch nach seinem Dafürhalten weit über das Verbale und damit Rationale hinausführt. In einem der Texte, die er für die Sektion V der Vollversammlung von Uppsala verfasste, schreibt er: Perhaps artists, painters, poets and novelists are more qualified to prospect for […] modern symbols than liturgical specialists. The work of these artists already contains many symbols deeply meaningful in modern life. Symbols cannot be reduced to a shorthand for that which can be expressed in words. The symbols used in worship should have a transcendent dimension capable of penetrating into the mystery of reality which defies verbal description.802
Tagores Poesie ist verankert in den indisch-religiösen Traditionen. Hier kann Sprache zum Symbol werden, wobei Mar Gregorios sich hier implizit eines Symbolbegriffs bedient, der dem Paul Tillichs (1886–1965) ähnelt.803 Demnach vermag auch Sprache, insbesondere Poesie, die Grenzen des Verstandes zu öffnen für das, was jenseits dessen liegt. Jene Offenheit beschreibt er in The Human Presence mit der »reverent-receptive-attitude«804 und geht dabei auch auf die Kunst als Mittel zur Öffnung für eine transzendente Dimension ein und nennt Tagore als Beispiel eines Künstlers, der diese Öffnung durch seine Werke beab-
801 Mar Gregorios, Love’s Freedom, 75. 802 Mar Gregorios, »Terminological Notes«, 29. 803 Vgl. etwa Paul Tillich, Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphilosophie, Gesammelte Werke V (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1964), 216–17: »Wie alle anderen decken die religiösen Symbole eine verborgene Wirklichkeitsschicht auf, die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden kann. Es ist die Tiefendimension der Wirklichkeit selbst, nicht eine Schicht neben anderen, sondern die fundamentale, die allen anderen zugrunde liegende Schicht, die des Seins-Selbst oder die der letzten Seinsmächtigkeit. […] Die Dimension der letzten Wirklichkeit ist die Dimension des Heiligen, weshalb wir die religiösen Symbole Symbole des Heiligen nennen können. Unserer Definition gemäß haben sie an der Heiligkeit des Heiligen teil. Doch Teilhabe ist keine Identität. Symbole sind nicht selbst das Heilige.« Vgl. auch Mar Gregorios, »Dialogue with World Religions«, 127; Paul Verghese, »Be Still and Know«, in Be Still and Know (Madras: The Christian Literature Society [u. a.], 1974), 6. Tillichs Symbolbegriff ist anschlussfähig für orthodoxe Theologie, finden sich hier – etwa in der zitierten Unterscheidung von ›Teilhabe‹ und ›Identität‹ – deutliche Anklänge an die Schöpfungstheologie und deren konsequenter Ausdeutung in (vornehmlich byzantinisch-orthodoxer) Ikonentheologie. 804 Mar Gregorios, Human Presence, 86.
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sichtigt habe.805 Wenn Tagore die indische Tradition dafür nutzt, dies zu tun, schafft er zugleich ein Bewusstsein dafür, was Indisch-Sein bedeutet: gerade jenes Element des Transzendenten einzubeziehen in alle Bereichen menschlichen Lebens und Handelns. Damit ist Tagore, ähnlich wie Gandhi, der Prototyp eines Menschen, der Tradition als Mittel zur Imagination nutzt. Auch ihn setzt Mar Gregorios daher in Kontrast zu Nehru: »While Nehru wanted to ›construct‹ a progressive Indian society, Tagore aspired after ›creation‹ or creativity. A nation, according to Tagore, has to be a ›poem‹, not a construction.«806 Gandhi und Tagore sind Teil eines Bildes, das Mar Gregorios hier zu entwerfen sucht: Beide stehen für eine Verbindung des anti-westlichen Elements mit der Imagination eines Östlich-Indischen, das zugleich deutlich universalistische Züge trägt.807 Beide stehen für einen Ansatz, der bewusst an die indischen Traditionen als zentrales Element für die Neukonstituierung einer indischen Identität anknüpft. Darin kommt die doppelte Funktion von Tradition als Gegenstand und Medium von Imagination zum Ausdruck. So verstehen beide etwa das Ashram als zentralen Ort der Imagination und Erprobung ihrer Ideen.808 Beide setzt er schließlich in einen Gegensatz zu Nehrus Ansatz einer Imitation westlicher politischer Systeme, der sich tragischerweise jedoch gegenüber den Ansätzen Gandhis und Tagores durchgesetzt habe: In totally ignoring the Gandhian and Tagorean paths and embarking on a quest for a secular identity for our nation, based mainly on Western liberal values, we have embarked on a path which we will have to leave sooner or later, after much damage has been done to our national psyche. The sooner the better; we should now look for other possible conceptions of our identity and of our path as a nation.809
Sarvepalli Radhakrishnan war ein indischer Philosoph und Forscher insbesondere im Bereich der vedantischen Tradition. Als solcher war er der erste Inder in der Geschichte, der Professor an der Universität Oxford wurde. Weltweite Bekanntheit erlangte er jedoch als zweiter Präsident Indiens von 1962 bis 1967. Diese doppelte Funktion als Staatsmann – Radhakrishnan war nie Mitglied einer politischen Partei810 – und religiöser Intellektueller lässt ihn für Mar Gregorios interessant werden. Er widmet ihm einen Artikel, den er vermutlich im Kontext des Indian Philosophical Congress verfasste, dessen Gründer Radhakrishnan gemeinsam mit Tagore war: Religion and Politics. The Upanishadic Politics of a Visvamanava – Dr. Radhakrishnan. In dieser Auseinandersetzung mit der Per805 806 807 808 809 810
Vgl. ebd. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 31. Vgl. ebd., 30. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 153. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 31. Vgl. Mar Gregorios, »Radhakrishnan«, 93.
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son Radhakrishnans lässt sich wohl am besten das Verhältnis von Politik und Religion, das Mar Gregorios sich vorstellt, ablesen. Auch bei Radhakrishnan betont Mar Gregorios die Differenz im politischen Ansatz zu dem Nehrus: »in the affirmation of something ›more ultimate than the world‹ which lifts us up from our provincial parochialism to the global perspective and vision of world unity.«811 Die Vision der Einheit der indischen Nation – trotz aller Pluralität – wie auch der Einsatz für den Frieden in der Welt speist sich bei Radhakrishnan aus religiösen Quellen: »In his fundamental faith drawn from the heritage of the Vedas, the Upanishads and the Geeta, Radhakrishnan believed that the world including humanity, was one in essence, but must become one in fact.«812 Es ist erneut kein Zufall, dass sich diese Grundeinsicht indischer Philosophie wesentlich deckt mit dem, was Mar Gregorios als Grundeinsicht orthodoxer Theologie formuliert. Die Pointe in seiner Auseinandersetzung mit Radhakrishnan ist jedoch eine andere: Es ist der Nachweis, dass es gerade religiöse Traditionen und Quellen sein können, die politisches Handeln motivieren und dieses Handeln auf eine festere Basis stellen können als dies eine säkulare Ideologie zu tun vermag. Dabei ist wichtig, dass es auch Radhakrishnan nicht um eine partikulare Religionsgemeinschaft ging, sondern um einen Lebens- und Denkstil, der von »Gebet und Kontemplation«813 geprägt ist. Aus dieser Haltung heraus habe er politische Entscheidungen getroffen und aus dieser Haltung heraus sei nach Radhakrishnan sozialer Wandel möglich. Zwar sei dieser bei Radhakrishnan noch zu individualistisch gedacht – eine Kritik, die Mar Gregorios oft an der vorherrschenden vedantischen Strömung indischer Philosophie äußert814 –, doch findet sich hier ein Ansatz, das Verhältnis von Religion und Politik auf eine aus seiner Sicht genuin ›indische‹ Weise zu bestimmen. Angesichts kommunaler Konflikte fordert Mar Gregorios, sich an Radhakrishnan ein Beispiel zu nehmen und bewusst eine religiöse Dimension sowie die religiösen Gemeinschaften in den demokratischen Prozess einzubeziehen, um partikulare religiöse und ethnische Identitäten nicht zum Ausschlusskriterium für eine gemeinsame indische Identität zu machen.815
811 Ebd., 87. 812 Ebd., 86. 813 Ebd., 89: »What kind of religion did Radhakrishnan advocate? Not a credal or dogmatic one, not an intellectual theology disputing over dogmas and definitions, but one of prayer and contemplation.« 814 Vgl. ebd., 91–92; Mar Gregorios, Joy of Freedom, xiii. 815 Vgl. Mar Gregorios, »Radhakrishnan«, 94–95.
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›Enlightenment East‹
2.4.1 Mar Gregorios’ spätes Werk im Horizont des postcolonial turn Es wurde bereits gesagt, dass Mar Gregorios in vielerlei Hinsicht mit dem Thema ›Indien‹ in seinem Spätwerk fortführt, was er zuvor unter dem Begriff der ›Orthodoxie‹ verhandelt hat. Unter anderem ist dies das Thema ›Religion‹, verstanden als spirituelle Praxis, was im Rahmen der Orthodoxie unter dem Stichwort ›Gottesdienst‹ thematisch worden ist. Bereits erwähnt wurde auch das Motiv des ›mystischen Ostens‹. Doch ist hier Vorsicht geboten: Es hat sich im Rahmen der ›Imagination der Orthodoxie‹ gezeigt, dass Mar Gregorios sein Bild des mystischen Ostens als Korrektiv eines vom Westen konstruierten und negativ konnotierten Bildes versteht. Dies gilt umso mehr, wenn es um Indien geht. Kaum ein anderer Kulturraum wurde in der Vergangenheit so sehr zum Sinnbild des ›mystischen Orients‹ verklärt: Moreover, from an ideological perspective it has sometimes been argued that the use of the term ›mysticism‹ in this crucial role underscores the West’s hegemonic role in relation to the East in so far as it tends to canonise the belief that there is something inherently mystical about Eastern thought by contrast with the typically rational essence of Western thinking, thereby privileging the latter over the former.816
Gerade angesichts des Titels von Mar Gregorios’ Werk Enlightenment East and West drängt sich gleichsam der Verdacht auf, hier handle es sich um eine sich ganz in orientalistischer Manier ausdrückende Darstellung, ja Gegenüberstellung des ›rationalen Westens‹ und des ›mystischen Ostens‹. Doch zeigt sich, dass das Gegenteil der Fall ist. Das Bild indischen Denkens, wie Mar Gregorios es in seinen späten Werken entwirft, beschreibt ein Aufbrechen falscher Konstruktionen von ›Ost‹ und ›West‹ und nimmt damit eine wesentlich andere Perspektive ein als dies seine früheren Werke tun. Er hält daran fest, dass indische Philosophie einen anderen intellektuellen Ansatz repräsentiert als dies die europäische Aufklärung tut, unter anderem dadurch, dass sie stets eine religiöse Dimension mitführt.817 Doch findet sich hierin lediglich die bereits beschriebene Kritik am Säkularismus als Ideologie, die er in dem Sinne als etwas dem indischen Denken Fremdes beschreibt. Indisches Denken versteht er als eines, das intellektuelle und spirituelle Disziplin stets zusammen denkt. Doch kann er der Vorstellung einer säkularen Verfasstheit des Staates nicht nur etwas abgewinnen, sondern versteht sein Werk als Versuch, jenen Begriff der Säkularität aus Sicht indischen Denkens positiv zu füllen. So lautet der Untertitel: Pointers in the Quest for India’s Secular 816 John J. Clarke, Oriental Enlightenment. The Encounter Between Asian and Western Thought (London [u. a.]: Routledge, 1997), 137–38. 817 Vgl. etwa Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 144.
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Identity. Man kann zusammenfassen: Wenn von ›säkular‹ die Rede sein müsse, dann im Sinne eines indischen Weges – als eine zutiefst ›religiöse Säkularität‹. Die Problematik, der er sich in Indien gegenübersieht, erkennt er gerade in einem Gegenüber von den einen, die sich als religionsfeindliche Säkularisten darstellen und den anderen, die sich einen Staat mit einer partikular religiösen Ausrichtung vorstellen. Das scheinbare Paradox einer ›religiösen Säkularität‹ setzt ein Charakteristikum indischen Denkens voraus, das Mar Gregorios’ Schüler K.M. George wie folgt beschreibt: In the Indian classical intellectual tradition one hardly distinguished between philosophy and theology – two words we have inherited from the modern west. The Sanskrit word Darsana in its complex plurality comprised both the search for wisdom (philosophia in the classical Greek sense) and the search for knowledge of God or transcendent reality (theologia in the European sense)818
Zunächst meint der Begriff ›dars´ana‹ nichts anderes als eine ›Betrachtung‹ oder eine ›Sichtweise‹. Als Terminus bezeichnet er auch die unterschiedlichen Denkschulen und -systeme indischer Philosophie.819 Diese wiederum sind keinesfalls alle theistisch. Viele unter ihnen, insbesondere die des Buddhismus, sind ausgesprochen atheistisch, gleichsam radikal in ihrer Säkularität.820 Sie sind aber darum nicht weniger religiös. Alle Denkschulen Indiens sind durch eine spirituelle Disziplin geprägt, die integraler Bestandteil geistiger Betätigung ist. Damit ist auf einen Umstand hingewiesen, der seit jeher das philosophische Gespräch zwischen Ost und West erschwerte. Während man im Westen seit der Aufklärung Philosophie oftmals als etwas verstand, das gerade keiner Tradition verpflichtet sei, sondern allein der kritischen Vernunft, ist indische Philosophie seit jeher religiös gebunden. Der Indologe Heinrich Zimmer (1890–1943) fasst dies seinerzeit wie folgt zusammen: Indien hatte gewissermaßen seine eigenen Disziplinen der Psychologie, der Ethik, der Physik und der metaphysischen Theorie – und hat es noch heute. Das vorherrschende Anliegen ist aber dort – in auffallendem Gegensatz zu den modernen westlichen Philosophen – nicht die Information, sondern die Transformation: eine grundlegende Wandlung der Natur des Menschen, wodurch er ein neues Verständnis sowohl für die Außenwelt wie für sein eigenes Dasein gewinnt; eine so gründliche Wandlung, daß sie, wenn sie gelingt, einer völligen Bekehrung oder Wiedergeburt gleichkommt. In dieser
818 Kondothra M. George, »Editor’s Note«, in Philosophy East and West, von Paulos Mar Gregorios, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 5. Vgl. auch Mar Gregorios, »Geography«, 24. 819 Vgl. Richard King, Indian Philosophy. An Introduction to Hindu and Buddhist Thought (New Delhi: Ane Books, 1999), 33; Mar Gregorios, Science for Sane Societies, 193. 820 Vgl. King, Indian Philosophy, 16; Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 137, 143–46.
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Hinsicht berührt sich die indische Philosophie viel inniger mit der Religion als das kritische, säkularisierte Denken des modernen Abendlandes.821
Damit einher geht die Vorstellung seitens westlicher Philosophie, dass man aufgrund der eigenen Ungebundenheit einen universellen Anspruch erheben könne, während indische Philosophie religiös oder kulturell partikular sei. Die Kritik Gadamers findet hier erneut ihren Ort, wenn darauf insistiert werden muss, dass auch die Philosophie der Aufklärung nur dann richtig verstanden ist, wenn sie als ein europäisches Phänomen erkannt wird, das sich seiner historischen Genese wie kulturellen Verwurzelung nicht entledigen kann: »[The Enlightenment] can only be understood as part of the continuum that is Europe.«822 Diese schlichte Feststellung führt zwangsläufig zu einer Kritik an einem Universalitätsanspruch europäischen Denkens seit der Aufklärung. Richard King formuliert diesen Umstand wie folgt: The major factor in the successful occlusion of the culturally specific and hence contextually limited, nature of western cultural forms has been the violently enforced universalism imposed as a result of European colonial conquest. […] What is often represented as philosophical truth should also be seen for what it is, namely the success of the European will to power.823
Indisches Denken ist nicht weniger rational wie auch abendländisches Denken nicht weniger auf einer partikularen Tradition – der Tradition der Aufklärung, aber auch der okzidental-christlichen Tradition – beruht. Unter der Vielzahl indischer Denkschulen existieren solche, die eine weitaus radikalere säkulare Weltsicht sowie die Autonomie des Subjektes fordern, wie etwa die Ca¯rva¯kaSchule.824 Gleichermaßen ist auch die europäische Aufklärung zutiefst religiös geprägt. Ohne ihre religiösen Wurzeln kann sie nicht verstanden werden und hat zugleich weitaus mehr zu bieten als lediglich eine säkulare Weltsicht. Es sind genau jene Perspektiven auf Indien und Europa, die Mar Gregorios in seinem späten Werk einnimmt und damit beiträgt zur Dekonstruktion gängiger Bilder von ›Ost‹ und ›West‹. Wenn Mar Gregorios in Enlightenment East and West um ein genuin indisches Verständnis von Säkularität ringt, kann dies eben als ein solcher Bruch mit jenen Bildern von ›Ost‹ und ›West‹ verstanden werden. Er tut dies etwa, indem er immer wieder auf die Parallelen zwischen den beiden Enlightenments hinweist: Just as the European Enlightenment was a reaction to medieval Christendom, the Buddhist Enlightenment was a reaction to a Vedic system that had become corrupt,
821 822 823 824
Zimmer, Philosophie, 19–20. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 53. Vgl. Mar Gregorios, Light Too Bright, 96. King, Indian Philosophy, 14. Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 144; King, Indian Philosophy, 16–23.
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priest-ridden, and ritual laden. It was also the affirmation of man as humanity, a protest against a ›divine‹ that had become oppressive because of the power of the priests who claimed to be mouthpieces of God.825
Seine Kritik gilt hier nicht der Enlightenment West als solcher, sondern dem Versuch, diese für Indien zu übernehmen, wenn man doch die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen Europas nicht teile und sich daher die europäische Aufklärung ihrem Wesen nach als eine kolonial implementierte Ideologie herausstelle. Hier findet sich somit eine Korrektur des Bildes vom Westen und dessen Universalitätsanspruch. Doch findet, indem Mar Gregorios sich buddhistischen Konzepten zuwendet, zugleich eine Korrektur eines herkömmlichen Bildes von Indien statt: Er widmet sich hiermit einer Tradition, die in ihrem Ursprung zwar indisch, jedoch faktisch von hier verschwunden ist und somit nicht in dem Verdacht steht, für partikulare Interessen zu stehen.826 Damit stellt er sich erneut gegen jene, die zwar wie er eine genuin indische nationale Identität fordern, damit aber eine ›hinduistische‹ Nation vor Augen haben: Deliverance from the castration by Enlightenment culture through English education will not come by drumming up a false awareness of our past as exclusively or even predominantly Hindu, especially when that Hindu past is itself interpreted in a distortedly one-sided fashion.827
Das Bild eines ›hinduistischen Indiens‹ findet auch Niederschlag in dem, was in Indien gemeinhin als ›indische Philosophie‹ gilt. Mar Gregorios gibt selbst einen Hinweis auf diesen Umstand, wenn er sagt: »My education in India was not only inadequate, but also sadly misleading, covering up, or at least never drawing attention to, some of the noblest achievements of Indian thought and experience.«828 Schaut man sich daraufhin die früheren Texte von Mar Gregorios an, in denen er sich mit indischen Denkern befasst, wird umso klarer, was er meint: Hier bezieht er sich vornehmlich auf das Veda¯nta als dem wohl populärsten der sechs ›orthodoxen‹ philosophischen Systeme (dars´anas) Indiens, dessen Popularität jedoch auch ein Ergebnis orientalistischer Konstruktion ist. So ist die Vorherrschaft des Veda¯nta auch das Ergebnis eines westlichen Interesses an Indien, insbesondere ab dem 19. Jahrhundert. Hier wird insbesondere das Advaita Veda¯nta in der Auslegung S´an˙karas (ca. 788–820 n. Chr.) zum Ideal eines indischen, mystischen Denkens:
825 826 827 828
Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 117. Vgl. ebd., 128. Ebd., 116. Paulos Mar Gregorios, »Nagarjuna, Diganaga, and Dharmakirti. The Three Bright Stars in the Firmament of Indian Thought«, in Quest for Certainty. Philosophical Trends in the West, 2. Aufl. (Kottayam: Mar Gregorios Foundation, 2015), 61–62.
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In particular one finds an increasing tendency within Western scholarship not only to identify ›Hinduism‹ with the Veda¯nta (thus establishing an archaic textual and canonical locus for the Hindu religion) but also a tendency to conflate Veda¯nta with Advaita Veda¯nta – the non dualistic tradition of S´an˙kara¯carya […]. Advaita, with its ¯ tman and Brahman, thereby came to represent the paramonistic identification of A digmatic example of the mystical nature of the Hindu religion.829
Nicht zuletzt die deutschsprachige Wissenschaft war es, die, wenn sie sich mit indischem Denken befasste, verstärkt um eine Essenzialisierung des Anderen bemühte und sich dabei stets einen vedantischen Monismus vor Augen hatte. So schreibt etwa Albert Schweitzer in seinem Werk Die Weltanschauung der indischen Denker: »Die indische [Weltanschauung] ist monistisch und mystisch, die unsere dualistisch und doktrinär.«830 Sowohl das Eigene als auch der Andere wird hier im wahrsten Sinne des Wortes vereinfacht. Heraus kommt eine klare Gegenüberstellung, die freilich im Falle Schweitzers dazu dient, die indischen Denker als Inspiration und Korrektiv für ›den Westen‹ zu beschreiben. Trotz aller positiven Absichten beschreibt das vorliegende Zitat jedoch paradigmatisch, wie auf Seiten westlicher Orientalisten Indien zum Stereotyp des ›mystischen Ostens‹ wurde, was zur Folge hatte, dass auch in Indien selbst das Advaita Veda¯nta zum Inbegriff indischen Denkens erhoben wurde: Once Advaita was established by exponents of neo-Hinduism and Western Orientalists alike as the connecting theological thread that united Hinduism into a single religious tradition, a great deal of popular authority has become invested in the S´an˙kara¯carya samprada¯yas in modern India. This cultural power is not so much because modern ˙ Hindus see themselves as adherents of the Advaita position, but rather because, even at a popular level, Hindus have been educated to believe that S´an˙kara was a central figure in their cultural and intellectual history. Thus, Advaita has gained significant degree of generalized cultural power in modern India as an iconic representation of Hindu religion and culture without necessarily being able to depend upon widespread adoption of or adherence to its fundamental belief system or traditions by Hindus.831
Dieser von King beschriebene Umstand spiegelt sich in der oben zitierten Aussage Mar Gregorios’ über seine Schulbildung aus: Weite Teile des großen Erbes indischen Denkens finden sich hier nicht wieder, werden überschattet und verdrängt durch eine durch das Bildungssystem implementierte Wahrnehmung S´an˙karas und des Advaita Veda¯nta als Inbegriff und Höhepunkt indischen Denkens. Auch hiergegen wendet sich Mar Gregorios, indem er sich dem Buddhismus als indischer Tradition zuwendet. 829 Richard King, Orientalism and Religion. Postcolonial Theory, India and »The Mystic East« (London [u. a.]: Routledge, 1999), 128. 830 Albert Schweitzer, Die Weltanschauung der indischen Denker. Mystik und Ethik, Nachdruck der dritten Auflage von 1965, Beck’sche Reihe 332 (München: Beck, 1987), 8. 831 King, Orientalism and Religion, 129–30.
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Doch birgt dies nicht auch dieselbe Gefahr? Jede Hinwendung zu einer indischen Tradition als formierender Größe einer nationalen Identität steht in dem Verdacht, eine Essenzialisierung des Eigenen vorzunehmen, in der Schaffung einer Einheit dort, wo eine solche nicht vorliegt. Indien ist seit jeher Ort pluraler Traditionen, eines lebendigen Diskurses. Doch genau hier liegt die Pointe von Mar Gregorios Auseinandersetzung: Er sucht nach dem genuin Indischen und findet es nicht in einer Konstruktion der einen indischen Tradition. Dort, wo er sich in Enlightenment East and West dem Thema des Indischen zuwendet, tut er dies anhand eines Diskurses: zwischen dem buddhistischen Denker Dharmakı¯rti (7. Jh. n. Chr.) und dem hinduistischen Denker Va¯chaspati Mis´ra (9. oder 10. Jh. n. Chr.). Er erklärt: We do not want to take Buddhism or any particular school within it as normative for our nation. We only want to initiate a process of assessing some of the earlier debates, in order that it may stimulate new thinking. The majority of our people profess some form of Hinduism. There is no way of formulating a consensus view either of Hinduism or Buddhism. Even if we could, we cannot make that consensus a norm for our nation. If we then examine the Indian classical tradition, it is only to look for pointers, not norms, to elucidate the nature of that Indian identity we want to build.832
Mar Gregorios deutet hier an, dass es ihm nicht um die klare Formulierung einer indischen Identität geht. Eine Proklamation einer solchen aufgrund buddhistischer Quellen wäre kaum mehrheitsfähig.833 Wenn es ein ›Wesen‹ indischen Denkens gibt, dann liegt dies in dessen ›Diskursivität‹ bzw. ›Dialogizität‹. Weder der Buddhismus noch der Hinduismus können überhaupt gedacht werden, denn aufgrund eines solchen Diskurses. Entstand der Buddhismus im Kontext brahmanischer Religiosität, erlangte der Hinduismus gerade in seiner vedantischen Ausprägung erst Gestalt in Auseinandersetzung mit buddhistischem Denken: It is a truism to say that Hindu philosophy developed in dialectical tension with Buddhist philosophy. […] The tragedy of the Indian philosophical thought since the twelfth century has been that this debate has been foreclosed or suppressed by the dominant Hindu community.834
Der Grund für seine Hinwendung zum Buddhismus liegt darin, dass er aufzeigen will, wie dieser mitgeschrieben hat an dem, was in der Gegenwart als ›das indische Denken‹ vorgestellt wird und das im großen Maße Ergebnis von bestehenden Machtverhältnissen ist.835 Seine Idee besteht somit darin, jenen Diskurs zwischen buddhistischem und hinduistischem Denken darzustellen, um den Charakter
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Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 129. Vgl. ebd., 143. Ebd., 130. Vgl. auch King, Indian Philosophy, 75–76.
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indischen Denkens aufzuzeigen, gerade ohne die Semantik einer partikularen Tradition zur Norm zu erheben. Enlightenment East and West sowie A Light Too Bright stehen für einen Paradigmenwechsel im Denken Mar Gregorios’. Die Versuche auf dem Feld des Theologischen zu einer Ansicht zu gelangen, welche die Einheit der Traditionen denkbar macht, blieben aufgrund einer tiefsitzenden Skepsis gegenüber ›dem Westen‹ in ihrem Charakter dichotomisch. Nun spricht Mar Gregorios in jenen beiden letzten Werken kaum weniger von ›Ost‹ und ›West‹ und doch ist die Veränderung evident: Er hinterfragt gängige Konstruktionen und schafft so die Möglichkeit, falsche Dichotomien zu durchbrechen. So ist Indien mehr als ein ›mystischer Osten‹ wie Europa und Nordamerika auch mehr als ein ›rationaler Westen‹ sind. In seinem letzten großen Werk A Light Too Bright, das er gleichsam als komplementären Entwurf zu Enlightenment East and West vorstellt, zeigt er daher auf, dass das Narrativ von der Rationalität abendländischen Denkens seit der Aufklärung auf gleiche Weise den Versuch einer Vereinfachung darstellt. Hier plädiert er für die Wiederentdeckung der religiösen Wurzeln der europäischen Aufklärung, wie er sich im Falle Indiens für die Entdeckung der säkularen Wurzeln ausspricht.836 Dieses Vorgehen ermöglicht ihm, die Vorstellung von der Einheit der Traditionen, die bereits in seinen frühen Werken präsent ist, zu konkretisieren: Es bedarf in Indien wie Europa und Nordamerika eines Neuaufbruchs, der es ermöglicht, sowohl religiöse und säkulare Weltanschauungen in einen »kreativen Dialog«837 zu stellen wie auch zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie der europäischen und der indischen zusammenzuleben. Dieser Paradigmenwechsel in Mar Gregorios’ Werk lässt sich nach Nederveen Pieterse und Parekh auch als Übergang von der »internal decolonization«838 zu einer »postcoloniality«839 beschreiben: Sind die frühen Werke von Mar Gregorios geprägt von einer »Essentialisierung von Differenz«840, welche das Eigene gegenüber dem Anderen als überlegen darstellt, im Interesse der Emanzipation im Diskurs, steht sein Spätwerk für bewusste Grenzüberschreitung und das Aufbrechen von Dichotomien und damit ein bewusstes Annehmen einer postkolo836 Vgl. hierzu insbesondere das Kapitel zu Hegel in A Light Too Bright, der infolge der Europäischen Aufklärung versucht habe, Religion als Garant menschlicher Freiheit erneut zur Geltung zu bringen. Vgl. Mar Gregorios, Light Too Bright, 71–83. 837 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, viii: »We shall then assess the nature of the problem in relating the two types of enlightenment in the context of the need for a universal framework for a diversified world culture, in which the religious and the secular can coexist in creative dialogue and interaction with each other.« 838 Nederveen Pieterse und Parekh, »Shifting Imaginaries«, 7. 839 Ebd., 10. 840 Ebd., 9: »The logic is that of indigenization and this process of mimesis may involve the essentialization of difference – according to a logic not unlike that of colonial racism, except that the other has become the self and the values are reversed.«
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nialen Perspektive.841 Dabei steht es eben im Zeichen eines Übergangs, gekennzeichnet von »postcolonial boundary crossings«842: Mar Gregorios kennt vormalige Grenzziehungen, hinterfragt sie jedoch und überschreitet sie auf spielerische Weise. 2.4.2 Samyagsambodhi Wie beschreibt Mar Gregorios den Charakter jenes Indischen? In Enlightenment East and West hat Mar Gregorios keinesfalls die Absicht, zu definieren, was nunmehr die maßgebliche indische Tradition sei. Der Grund, warum er sich nunmehr buddhistischen Konzepten zuwendet, liegt vielmehr darin, dass der Buddhismus eine autoritätskritische Komponente in sich trägt und darin der europäischen Aufklärung verwandt erscheint: Buddhism denied altogether the authority of the Vedas (unlike Protestantism and Catholicism, but more like the European Enlightenment) and depended, again like the European Enlightenment liberalism, on the adequacy of reason, of the empirical-logical approach to truth.843
Darin war der Buddhismus von vornherein ein Konterpart zum herrschenden Brahmanismus, der das Element der Autorität der Veden in den Vordergrund rückte.844 Mar Gregorios’ Beschäftigung mit dem Buddhismus steht daher in direkter Kontinuität mit seinem Entwurf der Orthodoxie: Er bezeichnet buddhistisches Denken als ›apophatisch‹.845 Dieser Apophatismus kulminiert in der 841 Gemeint ist hiermit nicht, dass Mar Gregorios sich etwa postkolonialen Theorien zugewandt hat, wenngleich Schlüsselwerke der postcolonial studies zur Zeit der Abfassung von Enlightenment East and West sowie A Light Too Bright entstanden. Mit jener ›postklolonialen Perspektive‹ ist jedoch nach Nederveen Pieterse und Parekh weniger die Rezeption postkolonialer Theorien gemeint als die Tatsache, dass koloniale Dichotomien wie die von ›West‹ und ›Ost‹ bewusst aufgebrochen werden. Dass die genannten Werke von Mar Gregorios wie auch Schlüsselwerke der postcolonial studies um die Wende von 1990 entstanden, ist dabei auch in der politischen Wende jenes Jahres begründet, die bisherige Konstruktionen von ›Ost‹ und ›West‹ auch in politischer Hinsicht hinterfragbar machte. Vgl. die Einordnung in den politischen Kontext in: Mar Gregorios, Light Too Bright, 1–8. 842 Nederveen Pieterse und Parekh, »Shifting Imaginaries«, 10. 843 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 119. 844 Vgl. ebd. 845 Vgl. ebd., 118. In The Human Presence differenziert er in dieser Hinsicht jedoch zwischen Buddhismus und christlicher Orthodoxie, da der Buddhismus eine radikalere Form des Apophatischen pflege, indem er alles – auch die Existenz des Subjekts – anzweifle, während orthodoxe Theologie den Ausgleich zwischen Apophatismus und Kataphatismus zu wahren suche. Vgl. Mar Gregorios, Human Presence, 74. Im Charakter des Apophatismus sieht er zudem eine Parallele zwischen dem Neuplatonismus Plotins und allen indischen Traditionen, was wiederum aufschlussreich für seine Imagination des Indisch Orthodoxen ist. Vgl. Mar Gregorios, »Geography«, 27: »In this most Indian traditions would agree with Plotinus that the conceptual cannot attain the Transcendent Divine, and that the One has to
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Negation des menschlichen Subjektes, der Seele selbst. Während prägende Strömungen hinduistischen Denkens das hauptsächliche Ziel menschlicher Existenz in der Erkenntnis der Einheit von Individuum ( jı¯va oder a¯tman) und göttlicher Wirklichkeit (brahman) sehen, wird die Existenz sowohl des einen wie des anderen im Buddhismus grundlegend angezweifelt. Dabei geht es dem Buddhismus weniger darum, die Möglichkeit einer Existenz dieser zwei Größen abzustreiten, sondern, dass es im Bereich menschlicher Möglichkeiten liege, eine solche Erkenntnis zu formulieren. Die Grunderkenntnis buddhistischer Philosophie lautet: »›Ich bin nichtwissend‹ (aham ajña).«846 Aufgrund dieses Nichtwissens kann weder gesagt werden, ob das Individuum, noch Gott, noch die Welt als solche existieren. Was wirklich zählt ist das Ausbrechen aus jenem scheinbaren Wissen und dem Verlangen (trsna¯) danach.847 Dies bedeutet ein Ende aus ˙˙ ˙ der Unstetheit (duhkha) menschlichen Daseins und schließlich ein Eingehen in ˙ das nirva¯na. Das cartesianische Cogito wäre aus Sicht buddhistischer Philosophie ˙ der Fall eines fehlerhaften Rückschlusses menschlicher Erfahrung auf die Existenz eines Selbst.848 Die Erfahrung sowohl des Selbst wie der Dinge ist laut dem Buddhismus noch kein Grund für die Annahme, dass diese irgendeine Substanz besäßen. Diese grundlegenden Aspekte buddhistischen Denkens bringt Mar Gregorios in den Diskurs um eine indische Identität ein. Die epistemologische Skepsis, die buddhistische Philosophie auszeichnet ist es, was er als ein genuin indisches Verständnis von Säkularität versteht. Als Beispiel nennt er Digna¯ga (ca. 480–540 n. Chr.): Digna¯ga is a rigorous secularist. He does not call upon any ´sabda-prama¯na (which he ˙ does not believe exists) or adduce any scripture to prove his point. His starting point is purely rational, starting with the everyday experience of this world open to our senses. How one wishes that our intellectuals and our elite would pay more attention to this uniquely Indian starting point, free from all religious our theological colouration as a starting point for our own discussion about India’s secular identity!849
Während die hinduistische Logik der Nya¯ya und Vais´esika die Position vertritt, ˙ dass das Selbst, die Dinge sowie Gott wirklich seien, erkennt Digna¯ga lediglich zwei Prinzipien an: Erfahrung durch Sinneswahrnehmung (pratyaksa) sowie das, ˙ was aus dieser Erfahrung geschlossen werden kann (anuma¯na). Damit verbun-
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be known in a way other than the conceptual. In Sankara Vedanta, we call it paravidya or the knowledge that transcends. Modern critical philosophy has no such category, and this seems to be its basic weakness.« Vgl. auch ebd., 29. Siehe: IV.3.4.2. Zimmer, Philosophie, 36. Vgl. King, Indian Philosophy, 76. Vgl. Mar Gregorios, Love’s Freedom, 38–39. Siehe: II.1.3. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 137.
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den ist somit eine Ablehnung von Dogmen als absolute Autoritäten auf dem Weg der Erkenntnis: Dogmas and doctrines may bring some knowledge, but not real enlightenment, real emancipation. Doctrines are for the ordinary mind. They are at best crutches for the lame to walk towards true emancipation, which lies beyond the ordinary mind and beyond conscious reason, the instrument of the European Enlightenment. Buddhist bodhi is prajña¯pa¯ramita¯, transcending ordinary consciousness – not arising from conceptual construction, nor capable of being conceptually constructed.850
Hier ist erneut die Kontinuität innerhalb der ›Imaginationen des Ostens‹ augenfällig: Die Funktion, die der Buddhismus Dogmen zuschreibt, entspricht dem, was Mar Gregorios an anderer Stelle für Gregor von Nyssa veranschlagt: Wo er auch bei dem Kirchenvater Dogmen und andere wörtliche Formulierungen als ›Stützen‹ und ›Wegweiser‹ auf dem Weg der Gotteserkenntnis beschreibt, werden diese hier zu ›Krücken‹ auf dem Weg einer Erkenntnis, die ebenso jenseits der Vernunft liegt.851 Wie oben kommt auch hier der Buddhismus somit als rigoros apophatisches Denken zur Darstellung. In diesem Sinne versteht Mar Gregorios den Buddhismus und die daraus hervorgehende Philosophie als ein ›aufgeklärtes‹ Denken: Es stellt dem überkommenen religiösen System, das »korrupt, klerikalistisch und ritualistisch«852 geworden ist, die kritische Vernunft buddhistischen Denkens entgegen. Keine höhere Autorität bestimmt eine Wahrheit, sondern der Beginn der Erkenntnis ist Wahrnehmung und Reflexion. Dennoch ist die Enlightenment East anders als die Enlightenment West, indem sie um die Grenzen des menschlichen Vermögens weiß, ja das autonome Subjekt, das die europäische Aufklärung ins Zentrum ihres Interesses rückt, grundlegend hinterfragt.853 So ist buddhistische Philosophie nach Mar Gregorios zu einer höheren Erkenntnis fähig als dies die europäische Aufklärung ist: Sie macht auf der einen Seite rigorosen Gebrauch von der Vernunft, auf der anderen Seite ist sie zugleich auf religiöse Erkenntnis aus. Ihre Skepsis hat letztlich das Eingehen in das nirva¯na und das Austreten aus dem ˙ Strom der Kausalität zum Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, das mit einer höheren Erkenntnis einhergeht, bedient sich auch der Philosoph spiritueller Disziplin. Zwar beginnt seine Erkenntnis ganz und gar im Säkularen, sucht jedoch gerade darin nach Erlösung und Befreiung: 850 Ebd., 122. 851 Siehe: III.2.3.1. 852 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 117: »Just as the European Enlightenment was a reaction to medieval Christendom, the Buddhist Enlightenment was a reaction to a Vedic system that had become corrupt, priest-ridden, and ritual-laden. It was also an affirmation of man as humanity, a protest against a ›divine‹ that had become oppressive because of the power of the priests who claimed to be mouthpieces of God.« 853 Vgl. ebd.
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Indian enlightenment is also an inner illumination, a seeing of light, a healing intuition that emancipates from the trammels of dogmatism and ritualism, that helps us experience the unity of the whole. It can use logic at its most rigorous best. But that logic, starting without any scriptural or religious authority […], apparently secular, not assuming God or soul, leads relentlessly to the Supreme Insight, for that insight is powerfully present at the very inception of the secular logic, powering and guiding the journey along that path.854
Buddhistische Philosophie und Logik beginnt im Säkularen, ist rigoros in ihrer Skepsis gegenüber allen Aussagen, die mehr voraussetzen als das, was aufgrund der Sinneswahrnehmung des Menschen gesagt werden kann. Sie lehnt jedes Dogma und jede Autorität als Voraussetzung ab. Und dennoch, indem sie sich von vornherein bemüht der menschlichen Wahrnehmung keinerlei Grenze aufzugeben, indem sie das Ziel verfolgt der Kausalität, welche die Wirklichkeit prägt, zu entfliehen durch spirituelle Disziplin, wird sie einer höheren als der rationalen Erkenntnis zuteil: der menschliche Geist wird erleuchtet. Indisches Denken ist nach Mar Gregorios genau das: zur radikalen, ›säkularen‹ Logik fähig und zugleich zutiefst religiös und von einer spirituellen Praxis durchdrungen. Denn gerade indem buddhistisches Denken jedwede Annahme eines Seins – sei es des Subjekts oder der Welt der Objekte – ablehnt, wendet es sich gänzlich der Erfahrung als der einzigen verlässlichen Größe zu. Und jene Erfahrung, geprägt durch die Öffnung der Sinne in spiritueller Disziplin, ›sieht‹ sodann mehr als die aufgeklärte Vernunft. Das Ziel ist das Aufgehen und damit Aufgeben jeglicher Vorstellungen eines denkenden Subjekts: »It is avidya¯ or non-wisdom that makes one think that the thinker is all-important. In true Buddhist Enlightenment, the individual becomes totally integrated with the whole, and the unity of the whole becomes primary.«855 Mar Gregorios’ Charakterisierung eines indischen philosophischen Wegs lebt von dem Bild des indischen Denkers, das er hier imaginiert. Er ist nicht der »gewöhnliche Intelligente«856, er ist »der Weise«857. Er kontrastiert dieses Bild mit dem des westlichen Philosophen: Draw portraits of a tight-lipped Voltaire, of a morose and intensely self-preoccupied Kant or Schopenhauer, of a Locke or a Hume, a Kierkegaard or a Wittgenstein, a Nietzsche, a Diderot, a Sartre. Keep these portraits on one side. Draw portraits of Buddha, As´vaghosa, Na¯ga¯rjuna, Dharmakı¯rti, Chandrakı¯rti, Digna¯ga, Va¯chaspati Mis´ra, Sridhara and keep them on the other side. The difference between European secularism and Indian secularism becomes immediately evident – in the personal lives [sic!] and 854 Ebd., 145. 855 Ebd., 126. 856 Ebd., 146: »An ordinary intelligent person cannot be a philosopher in our tradition, as he or she can in the West.« 857 Ebd.: »Only a sage is a philosopher.« Vgl. auch Verghese, Freedom and Authority, 101.
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disciplines of the two sets of philosophers. The really great philosophers of India were all deeply religious men, shaped by an intense religious discipline of fasting and prayer, asceticism and religious training.858
So bleibt auch Mar Gregorios’ Plädoyer für eine indische Identität ganz und gar durchdrungen von dem Bild des Westens, das er zeichnet. Ein indischer Weg muss vor allem anders sein. Zugleich ist zu beobachten, dass Mar Gregorios es aufgrund seiner eigenen Biographie wie des Entdeckungszusammenhangs des Indischen nicht vermag, dieses Indische anders zu beschreiben als in der Sprache abendländischen Denkens. Hier wird etwa Digna¯ga zum ›Nominalisten‹ im Gegenüber zur ›realistischen‹ Schule des Nya¯ya-Vais´esika.859 Mar Gregorios ist vom ˙ Ursprung her ein in westlicher Philosophie wie Theologie geschulter Denker. Das Indische, das er als Eigenes in Anspruch nimmt, kommt als etwas Sekundäres hinzu. So wird auch offenbar, dass die Beschreibung der Enlightenment East vage bleibt. Seine Beschreibung erinnert immer wieder an das, was er andernorts als Kosmologie Gregor von Nyssas darstellt.860 Dies hat freilich eine implizite Funktion, das Orthodoxe und Indische im Interesse des ›Indisch-Orthodoxen‹ einander anzunähern. Jedoch entdeckt er auch mit Recht bei den indischen Denkern etwas, das seinem orthodoxen Anliegen entspricht: eine intellektuelle Grundlage für eine durchaus anspruchsvolle Kritik an einem säkularen Weltbild. In seiner letzten großen Monographie A Light Too Bright erklärt er dies anhand des Titels: Our European Enlightenment is something like the daylight, which makes us see many things that we would not have seen without its help; but in that process of opening up a detailed and clear vision of some things, the daylight, by its very brightness, eclipses the stunningly vast expanse of the billions of galaxies that lie around. It is too bright a light, this European Enlightenment and its critical rationality. If we lived twenty-four hours by sunlight we would miss out on most of reality, which ›comes to light‹ only when the sunlight is dimmed, and when even the moon’s reflection of the sunlight is not too forceful.861
Die Indian Enlightenment bleibt für ihn das Paradigma eines angemessenen Verhältnisses von religiöser und säkularer Erkenntnis. Beides hat ein eigenes Recht, zugleich ist »kreativer Dialog und Interaktion zwischen beidem«862 möglich. Dies dient als Vorbild für ein Miteinander der unterschiedlichen Religionen Traditionen in Indien und die Integration von säkularen und religiösen Weltbildern in den politischen Prozess. Er versteht das ›Indische‹ – gerade in der 858 859 860 861 862
Vgl. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 143–44. Vgl. ebd., 137. Vgl. auch ebd., 126. Mar Gregorios, Light Too Bright, 188. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, viii.
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dargestellten Vagheit – als eine Denkart und Form des Diskurses. Deshalb stellt er dem buddhistischen Dharmakı¯rti einen Dialogpartner in der Person Va¯chaspati Mis´ras gegenüber. Sein Ziel lautet: »To recover the Indian heritage in such a way that Indian Hindus, Muslims, Christians, Sikhs, Buddhists and Jains, and even tribals can say, ›this is our common heritage‹«863 In dem Plädoyer gegen eine Beschränkung der indischen Tradition auf den sogenannten ›Hinduismus‹ und für eine Wahrnehmung des Buddhismus als eine solche hätte Mar Gregorios sich der Person Bimrao R. Ambedkars (1891–1956) als Gewährsmann bedienen können. Es ist verwunderlich, dass er diesen offenbar ignoriert, ist jene Assoziation insbesondere für eine indische, intellektuelle Leserschaft, die er mit Enlightenment East and West erreichen will, naheliegend. Umso verwunderlicher ist dies, da der Name Ambedkars in Enlightenment East and West sogar fällt, jedoch ausschließlich in Bezug auf seine Rolle als einer der Väter der indischen Verfassung.864 Zwar nennt Mar Gregorios dessen Einsatz für Menschen der unterprivilegierten Kasten sowie Dalits, doch lässt er ausgerechnet den entscheidenden Hinweis aus: dass Ambedkar sich dem Buddhismus zuwandte, gerade im Interesse eines Plädoyers für ein kritisches Korrektiv innerhalb einer ›hinduistischen‹ Mehrheitsgesellschaft, in der er selbst als Dalit diskriminiert wurde.865 Nachdem Ambedkar sich intellektuell intensiv mit buddhistischem Denken auseinandergesetzt hatte, trat er schließlich wenige Monate vor seinem Tod 1956 öffentlich zum Buddhismus über – gemeinsam mit etwa 380.000 Anhängern.866 Es folgten Millionen weiterer, vornehmlich kastenloser und niedrigkastiger Konvertiten. Er war es, der damit für eine Renaissance des Buddhismus in dessen Stammland sorgte, vornehmlich unter jenen, die aufgrund des Kastensystems gesellschaftliche Diskriminierung erlebten. Wäre nicht gerade das Kastenwesen ein wichtiger Ansatzpunkt, um den Buddhismus in den Diskurs über die Identität Indiens einzubringen, wie dies Abedkar tat? Darüber verliert Mar Gregorios kein Wort. Hier wie an anderer Stelle scheint es eher so, als ließe er eben jenes – auch unter den Thomaschristen – brisante Thema lieber beiseite.867 Ein weiteres Charakteristikum deutet sich darüber hinaus im Gegenüber zum Ansatz Ambedkars an: Im Falle des Buddhismus wie auch manch 863 Ebd., 143. 864 Vgl. ebd., 11. 865 Vgl. Dietmar Rothermund, Hrsg., Indien. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Ein Handbuch (München: Beck, 1995), 128; Guha, India, 375–76. 866 Vgl. Robert E. Buswell und Donald S. Lopez, »Ambedkar, Bimrao Ramji«, in The Princeton Dictionary of Buddhism (Princeton: Princeton University Press, 2014), 34. Posthum wurde Ambedkars ausführliche Studie zu Buddha und seiner Lehre veröffentlicht, sodass seine Hinwendung zum Buddhismus noch weit über seinen Tod eine enorme Wirkungsgeschichte in Indien entfaltete. Vgl. Bimrao R. Ambedkar, The Buddha and his Dhamma, Siddarth College Publication 1 (Bombay: Claridge, 1957). 867 Siehe: IV.3.4.1.
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anderer Themen scheint es ihm mehr um die Darstellung theoretischer Zusammenhänge zu gehen als um praktische Konsequenzen. Zwar findet sich ein Ansatz der Kritik, doch verleibt diese eben in sehr theoretischen Erwägungen. Zwar folgt auf seine Reflexionen wie andernorts die Forderung nach einer asketisch-intellektuellen Gemeinschaft868, doch verbleibt er auch hier eher in einer sehr allgemeinen wie konjunktivischen Forderung. Die Vagheit seiner Darstellung setzt sich somit auch in den praktischen Überlegungen fort. Trotz der Wahrnehmung, dass sich in Mar Gregorios’ spätem Werk ein Paradigmenwechsel abzeichnet, ist hier somit auch eine kritische Betrachtung desselben angezeigt.
3
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3.1
Der Diskurs
Es wurde bereits an verschiedenen Stellen dieser Arbeit dargelegt, welche wesentlichen Umbrüche in der Malankara-Orthodoxen Kirche zur Zeit von Mar Gregorios’ Leben stattfanden. Es gilt an dieser Stelle zu fragen, welche Rolle er in diesem Prozess des Umbruchs spielte. Es besteht hier ein reziprokes Verhältnis: Jener Prozess wirkte sich zum einen wesentlich auf Mar Gregorios’ Denken aus – die historische Situation ermöglichte erst sein Werk. Auf der anderen Seite ist es Mar Gregorios selbst, der diesen Prozess entscheidend mitgestaltete. Die Malankara-Orthodoxe Kirche befand sich bereits seit 1912 in einem inneren Zwist zwischen der Bawa Katshi, die dem Patriarchen von Antiochia die Treue hielt und der Metran Katshi, die nach mehr Unabhängigkeit strebte, unter der Führung des Katholikos des Ostens.869 Es ging um die Frage, inwieweit der syrischorthodoxe Patriarch jurisdiktionelle und spirituelle Autorität über die Malankaren habe. Diese Frage war keinesfalls per se gekoppelt an die Frage der Inkulturation der Kirche. So kann bis heute beobachtet werden, dass innerhalb der Indisch-Orthodoxen Kirche durchaus unterschiedliche Meinungen darüber herrschen, in welchem Verhältnis die Autokephalie der Kirche zu ihrer kulturellen Prägung steht: Ist sie vornehmlich eine indische Kirche? Oder ist sie zwar autokephal, jedoch in ihrer Tradition und Prägung ganz dem Syrischen verpflichtet? Zunächst stand also die Frage der Autorität im Mittelpunkt. Zentrale damit verbundene praktische Fragen waren: Wer weiht das heilige Öl (Syrisch: mooron)? Wer konsekriert Bischöfe? Ist dies der Patriarch von Antiochia? Oder ist 868 Vgl. insb. Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 155–57. 869 Siehe auch: II.1.2; II.3.3.
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dies das Oberhaupt der indischen Kirche? Und wer wählt und weiht einen neuen Katholikos? Die Metran Katshi sprach sich in all dem für eine völlige Autonomie der indischen Kirche aus. Dem Patriarchen von Antiochia komme lediglich der Ehrenrang eines primus inter pares zu.870 Davon abgesehen sei das Amt des Katholikos des Ostens dem eines Patriarchen ebenbürtig. In den Worten V.C. Samuels gesprochen: »So far as the Church of Malabar is concerned, its patriarch is the catholicos at Kottayam.«871 Jener V.C. Samuel war es sodann auch, der gemeinsam mit Paulos Mar Gregorios und Geevarghese Mar Osthathios für eine Autokephalie der Kirche einstand, die der Frage des ›Indischseins‹ einen zentralen Platz zuwies.872 Alle drei Protagonisten waren theologisch gebildet, mit Abschlüssen an europäischen und nordamerikanischen Universitäten. Ebenso waren sie führend in der ökumenischen Bewegung involviert. Alle drei waren Lehrer am OTS in Kottayam, das somit gleichsam als ›think tank‹ indischer Orthodoxie bezeichnet werden kann. Während Mar Osthathios sich vor allem der sozialen Frage widmete und diese im indischen Kontext verortete,873 war die Frage der Inkulturation bei V.C. Samuel und Mar Gregorios stärker an die Frage der Autokephalie gebunden.874 Beide waren in Äthiopien gewesen und inspiriert von dem dort erfolgreichen Prozess der Autokephalie der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche.875 Hinzu kommt nicht nur bei Mar Gregorios das Vorbild der byzantinisch-orthodoxen Kirchen.876 Hierin ist ein entscheidendes Phäno870 Vgl. Vilakuvel C. Samuel, Truth Triumphs. An Account of the Life and Achievements of Malankara Metropolitan Vattasseril Geevarghese Mar Dionysius (Kottayam: Malankara Orthodox Church Publications, 1986), 133. 871 Ebd. Vgl. Vilakuvel C. Samuel, An Orthodox Catechism on the Faith and Life of the Church (Kottayam: MGOCSM Bookshop & Publishing House, 1983), 82. 872 Vgl. Christine Chaillot, The Malankara Orthodox Church. Visit to the Oriental Malankara Orthodox Syrian Church of India (Geneva: Inter-Orthodox Dialogue, 1996), 77–78. 873 Mar Osthathios brachte insbesondere Trinitätstheologie und die soziale Frage miteinander ins Gespräch und hatte dabei vor allem das indische Kastensystem im Blick. Wichtig hierfür sind seine beiden Hauptwerke: Geevarghese Mar Osthathios, The Sin of Being Rich in a Poor World. Holy Trinity and Social Justice, Jubilee Year Special Publication Series 3 (Madras: Christian Literature Society, 1983); Geevarghese Mar Osthathios, Theologie einer klassenlosen Gesellschaft, übers. von Gerhard Jasper (Hamburg: Lutherisches Verlags-Haus, 1980) (Deutsche Übersetzung des englischen Originals: Theology of a Classless Society). 874 Bei V.C. Samuel ist diese Tatsache am sichtbarsten, da er sich zunächst aufgrund seiner intensiven Syrischstudien mit der Partei des Patriarchen verbunden sah und erst später zu einem der wichtigsten Vertreter der Autokephalie wurde. Vgl. etwa Vilakuvel C. Samuel, »The Indian Church and Autonomy«, in Orthodox Identity in India. Essays in Honour of V.C. Samuel, hg. von M.K. Kuriakose (Bangalore: Rev. Dr. V.C. Samuel 75th Birthday Celebration Committee, 1988), 86–87. 875 Vgl. Samuel, Catechism, 3. 876 Den Bezug zu den byzantinisch-orthodoxen Kirchen zur Begründung der eigenen Autokephalie stellt auch der indisch-orthodoxe Kirchenhistoriker David Daniel her. Vgl. Daniel, Orthodox Church, vi. Dabei weist Schmitz darauf hin, dass Daniel »nicht von zwei gespaltenen oder getrennten orthodoxen Richtungen [gemeint sind byzantinisch- und orienta-
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men zu sehen: Das Drängen auf Autokephalie steht in einem engen Zusammenhang zur ökumenischen Aktivität ihrer Protagonisten. V.C. Samuel unterscheidet in seinem Katechismus, den er für die IndischOrthodoxe Kirche entwirft, zwischen den Begriffen ›autokephal‹ und ›autonom‹. Während der erstere die jurisdiktionelle Unabhängigkeit unter einem eigenen Oberhaupt meine, ist es die Autonomie, die er als Aufgabe seiner Kirche für die Zukunft sieht: »As it is, our Church is autocephalous under the leadership of His Holiness our Catholicos. It is not yet autonomous, as we still follow the Antiochene Syrian forms of worship and Church practices almost invariably.«877 Er nennt die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche als Beispiel: Diese sei von Beginn an autonom gewesen, mit ihren eigenen Formen des Gottesdienstes und der Glaubenspraxis, jedoch sei sie erst im 20. Jahrhundert autokephal geworden, während sie zuvor dem koptischen Papst unterstanden habe. Er versteht die indische Kirche in ähnlicher Weise ursprünglich als eine, die ›östlich‹ in ihrem Charakter, zugleich ganz eingebettet in ihren indischen Kontext gewesen sei.878 Dieser Charakter sei jedoch gleichsam verschüttet aufgrund der wechselhaften Geschichte, welche die Kirche in Abhängigkeit zu anderen Kirchen gebracht habe.879 So stellt er im Duktus seines Katechismus die für ihn entscheidende Frage: »Does this not mean that we do not have to be ›Syrian‹ in order to be ›Orthodox‹?«880 Er gibt eine klare Antwort: »Yes, precisely.«881 An anderer Stelle fasst er es wie folgt zusammen: If a Church is to be considered autonomous, it should have its administrative freedom, its own liturgical and canonical traditions. Looked at from this point of view, the Orthodox Church has come only to the threshold of autonomy. It should grow from its present dependent status to a position of being really Indian and independent.882
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lisch-orthodox; L.P.] spricht, sondern lediglich von ›zwei Flügeln‹.« Schmitz, Diamper und seine Folgen, 93. Das zeigt noch einmal deutlich, dass für die Indisch-Orthodoxen der positive Bezug zu den Byzantinern von essenzieller Bedeutung ist. Dieser setzt den Dialog zwischen den beiden Kirchenfamilien ab 1964 voraus, der gerade bei Vertretern wie Mar Gregorios oder V.C. Samuel die Folge hatte, dass man nunmehr von einer orthodoxen Tradition sprechen konnte. Konkretes Beispiel eines Prozesses der Autokephalie in der byzantinischen Orthodoxie und damit weiteres mögliches Vorbild für die Gruppe um Mar Gregorios war die Orthodox Church in America (OCA). Diese wurde durch den russischorthodoxen Patriarchen Alexij von Moskau (1877–1970) im Jahre 1970 autokephal erklärt, nachdem wichtige Protagonisten der Orthodoxie in Nordamerika – darunter Alexander Schmemann und John Meyendorff – für diese gestritten hatten. Jene Autokephalie ist jedoch bis heute nicht vom Ökumenischen Patriarchat anerkannt. Samuel, Catechism, 3. Vgl. ebd., 1–2. Vgl. ebd., 3. Ebd., 4. Ebd. Samuel, »Autonomy«, 102.
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Samuel wie auch Mar Gregorios suchen nach einer Autonomie der Kirche, die sie als ›ursprünglich‹ für die Kirche annehmen. Das Streiten für eine jurisdiktionelle Unabhängigkeit unter einem eigenen Oberhaupt ist dafür nur der Anfang: Es geht ihnen um die Rückkehr zu einem Ursprung, zu einer Kirche ›indischen‹ wie ›östlichen‹ Charakters. Eine solche Rückkehr ist nach dem Bruch, den die Kirche zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert erlebte, jedoch nicht ganz einfach: Nach dem Eid am Kunen Kurisu 1653 war die Kirche in zwei Teile zerbrochen, wovon der eine die Union mit Rom, der andere die Union mit Antiochia einging. Die Kirche war vor Ankunft der Portugiesen eine autonome Größe gewesen, die zwar in der Tradition wie Hierarchie der Kirche des Ostens stand, jedoch – nach allem, was man weiß – ein deutlich eigenes kulturelles Gepräge aufwies: Die Kirchen glichen den Tempeln der ›Hindus‹ und ihre Priester ähnelten aller Wahrscheinlichkeit nach in Aussehen und Lebensform ›hinduistischen‹ sannyasins.883 Nach dem Eid vom Kunen Kurisu war all dies Geschichte: Der katholische Teil hatte eine deutliche Latinisierung erfahren, während der Teil der sich dem syrisch-orthodoxen Patriarchat anschloss, sich in Theologie und Praxis der neuen Mutterkirche annäherte. Was die Gruppe um V.C. Samuel und Mar Gregorios wollte, war ein Anknüpfen an eine frühere Geschichte. Durch den beschriebenen Bruch und die so entstandene ›Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft‹ vermochten sie dies jedoch lediglich in Form von Imagination.884
3.2
Die historische Imagination der indischen Orthodoxie
Die Erzählung der eigenen Geschichte ist die Konstruktion der eigenen Identität. Das gilt besonders für die Thomaschristen. Jede Darstellung ihrer Geschichte aus der Feder eines ihrer Vertreter ist geprägt von dem Vorgang der Selbstidentifikation im gegenwärtigen Kontext, der Rechtfertigung der eigenen kirchlichen
883 Vgl. Corinne G. Dempsey, Kerala Christian Sainthood. Collisions of Culture and Worldview in South India (Oxford: Oxford University Press, 2001), 6; Paul M. Collins, Christian Inculturation in India, Liturgy, Worship and Society (Aldershot [u. a.]: Ashgate Publishing Limited, 2007), 142–43; Penelope Carson, »Christianity, Colonialism, and Hinduism in Kerala. Integration, Adaption, or Confrontation?«, in Christians and Missionaries in India. Cross-Cultural Communication since 1500. With Special Reference to Caste, Conversion, and Colonialism, hg. von Robert E. Frykenberg und Alaine M. Low, Studies in the History of Christian Missions (Grand Rapids, Michigan [u. a.]: William B. Eerdmans Publishing Company, 2003), 133–34; Susan Bayly, Saints, Goddesses and Kings. Muslims and Christians in South Indian Society 1700–1900, Cambridge South Asian Studies 43 (Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press, 1989), 251–53. 884 True, »Prophet«, 5: »For Paulos Mar Gregorios the recovery of lost ecclesial tradition is not merely a matter of retrieval and reapplication, but also an imaginative process that leads to the creation of something new and to transcendence of the old.«
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Existenz.885 Susan Visvanathan beschreibt es in Bezug auf die Thomaschristen wie folgt: The official historian’s main function is to create legitimacy for a particular group. He must offer in the form of history what to him and his followers is the truth. Where dogma loses strength, history must fill its place. The official historian, usually an ecclesiast (priest or metran) or someone else close to ecclesiasts, is thus given the responsibility of creating a particular historical consciousness.886
Es existieren zwei Bücher von Mar Gregorios, in denen er sich der Geschichte der Thomaschristenheit sowie seiner Kirche widmet.887 Mag der erste Eindruck sein, sie seien unter seinen Büchern am wenigsten von jenem »imaginativen Prozess«888 geprägt, der seinen Werken innewohnt, so ist Vorsicht geboten: Das obige Zitat Visvanathans weist gerade jenen Prozess der Narration der eigenen Geschichte als hochgradig imaginativen Vorgang aus. Mar Gregorios bildet hier keine Ausnahme.889 Was ihn jedoch von manch anderem Geschichtsschreiber unter den Thomaschristen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er sich dieses Umstandes bewusst ist. Dies wird deutlich, wenn er sich der schwierigen Frage nach der Geschichte der Thomaschristen vor der Ankunft der Portugiesen widmet und hier zunächst die Diskussionslage unter den Thomaschristen schildert: The Syro-Malabar Catholics would claim that the Indian church was both East-Syrian (Nestorian) and under the jurisdiction of the Pope. The Church of the East would claim that the Indian Christians were always governed by the Patriarch of Babylon and never under the jurisdiction of Rome. Many Orthodox (and Jacobites) would claim that the Indian Church was West Syrian, under the jurisdiction of the Maphriana of the East in Persia. Others would claim that the Church in India was basically autonomous, receiving bishops indiscriminately from wherever in the Eastern churches they came – Tagrit or Babylon, Antioch or Alexandria, but not Rome or Constantinople.890 885 Karen Schmitz nimmt es in ihrem Buch (Diamper und seine Folgen) auf sich, die historischen Narrative der verschiedenen thomaschristlichen Kirchen zu untersuchen, zu vergleichen und auf ihren historischen Wert zu prüfen. 886 Visvanathan, Christians of Kerala, 40. Auch True bezieht sich bei ihren Überlegungen auf dieses Zitat von Visvanathan. Vgl. True, »Prophet«, 36–37. 887 Diese sind: Verghese, Die Syrischen Kirchen in Indien; Mar Gregorios, Orthodox Church in India. 888 True, »Prophet«, 37: »I argue that he thinks tradition not merely a matter of retrieval and application, but also an imaginative process that leads to transcendence. There is little evidence of transcendence in this book.« True bezieht sich hier auf The Orthodox Church in India, Mar Gregorios’ zweites Buch über die Geschichte seiner Kirche, wobei dieses im Kern eine um die jüngere Geschichte der Kirche erweiterte englische Ausgabe des früheren deutschen Buches ist. So schreibt es Mar Gregorios selbst auch im Vorwort des Werkes. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India (Foreword). 889 So auch: True, »Prophet«, 35. 890 Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 19.
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Mar Gregorios gibt zu, dass die Zeit vor Ankunft der Portugiesen »obskur, schlecht dokumentiert« und aufgrund der konfessionellen Pluralität der thomaschristlichen Kirchen »verständlicherweise kontrovers«891 ist. Es darf an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass Mar Gregorios’ eigene Position am ehesten der von ihm zuletzt beschriebenen entspricht. Er betont die Autonomie der Kirche und legt daher keinen großen Wert darauf, eine enge Verbindung zu einer Kirche außerhalb Indiens in der Frühzeit zu konstruieren. Dennoch ist seine Darstellung keinesfalls frei von Konstruktion: Auch eine solche Autonomie gilt es von historischer Warte aus zu verteidigen. Was die Ursprünge des indischen Christentums angeht, herrscht unter den Thomaschristen grundlegende Einigkeit, dass diese auf den Apostel Thomas zurückzuführen seien.892 Mar Gregorios bringt es mit Ironie auf den Punkt: »Es empfiehlt sich in Indien nicht, einerlei, ob man Ausländer oder Einheimischer ist, zu behaupten, der Heilige Thomas habe die dortige Kirche nicht gegründet.«893 Er ist in der Lage, hier einen gewissen – wenn auch nur geringfügigen – kritischen Abstand zu wahren, wohl auch, da er die Gründung durch Thomas nicht zur conditio sine qua non der Apostolizität der Kirche macht.894 Er hält lediglich fest: »Es gibt keine bessere Hypothese zur Erklärung des Ursprungs der indischen Kirche«895. Trotz der Tatsache, dass für Mar Gregorios selbst der Nachweis des Ursprungs der Thomaschristenheit bei dem Apostel nicht von zentraler Bedeutung ist, weiß er um dessen zentrale Bedeutung für den Streit unter der orthodoxen Thomaschristen. Eine autokephale Kirche bedarf eines apostolischen Ursprunges. Nun ist, was Indien angeht, mit der Thomas-Tradition eine vergleichsweise gute Quellenbasis vorhanden, um eine solche Apostolizität in Anspruch zu nehmen. Dennoch ist es genau jener Punkt, an dem die 891 Ebd.: »The history of the Church in India up to the 14th century is obscure, poorly documented, and therefore understandably controversial.« 892 Vgl. Schmitz, Diamper und seine Folgen, 133–34; Wolfgang Hage, »Die Thomas-Tradition in Indien«, in Blicke gen Osten. Festschrift für Friedrich Heyer zum 95. Geburtstag, hg. von Martin Tamcke, Studien zur orientalischen Kirchengeschichte 30 (Münster: LIT, 2004), 227– 32. 893 Paul Verghese, »Ursprünge«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 19. 894 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »The Church. Different Dimensions«, in The Church and Authority. Reflections on the Nature and Life of the Church, hg. von Ashish Amos (Kottayam: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 2001), 14: »The apostolicity of the Church is not so much a matter of a formal chain of ›Apostolic succession‹ as Eusebius and later Augustine thought but of being faithful to the apostolic testimony, teaching and heritage.« Vgl. auch True, »Prophet«, 35. Dass er damit eine Vorstellung von ›Apostolizität‹ vertritt, die einer protestantischen Position deutlich näherkommt und diametral gegen eine gängige orthodoxe Position steht, verschweigt er an dieser Stelle. Dieser Umstand zeigt jedoch erneut, dass Mar Gregorios insbesondere in frühen Texten theologisch dem Protestantismus viel näherstand als der Kirche seiner Herkunft. 895 Verghese, »Ursprünge«, 20. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 5.
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syrisch-orthodoxen Patriarchen, die sich gegen die Autokephalie stellten, angriffen. So waren es stets Fragen wie die, ob es einen ›Thron des Heiligen Thomas‹ gebe oder, ob der Apostel Priester gewesen sei, die als Vehikel dienten, die Legitimität der Indisch-Orthodoxen Kirche anzuzweifeln.896 Wichtiger als die Person des Apostels ist für Mar Gregorios der Umstand, dass die Kirche vor der Ankunft der Portugiesen, aber eben auch vor der Existenz als Metropolie der Kirche des Ostens, eine indigene Kirche war. Viele Autoren gehen davon aus, dass es eine Zeit nach der Mission des Thomas gab, in welcher die Kirche unabhängig von jeglicher Autorität außerhalb Indiens war. Dies setzt freilich voraus, dass man die Mission des Thomas als historisch annimmt und somit von einem Thomaschristentum unabhängig von der syrischen Tradition ausgeht. Wann und wie das Thomaschristentum der syrischen Tradition teilhaftig wurde, liegt ebenfalls im Dunkeln. Ein erster Anhaltspunkt nach Stand aktueller Forschung ist die Ankunft eines gewissen Bischofs namens David von Basra aus der Region am Persischen Golf um das Jahr 300, der nach ›al-Hind‹ gekommen und hier eine große Anzahl Anhänger gewonnen haben soll.897 Mar Gregorios und mit ihm andere Forscher plädieren für ein etwas späteres Datum, das der Ankunft einer Gruppe um einen gewissen Thomas von Kana, der im Jahre 345 ebenfalls aus Persien an der Malabar-Küste angelandet sein soll. Mar Gregorios vermutet, dass hier der historische Berührungspunkt der indischen Thomaschristen mit dem syrischen Erbe zu finden ist, jedoch mit einer klaren Einschränkung: »Diese Gruppe war zweifellos nicht ›nestorianisch‹ und muß den ursprünglichen Glauben der syrischen Kirche des 4. Jahrhunderts nach Indien gebracht haben.«898 Zwar erkennt Mar Gregorios, anders als andere Historiker unter den Orthodoxen Indiens, an, dass man spätestens ab diesem Zeitpunkt von 896 Vgl. ebd., 62; Hage, »Thomas-Tradition«, 229–31; Madey, »Schism«, 104. 897 Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 319; Wilhelm Baum und Dietmar W. Winkler, Die apostolische Kirche des Ostens. Geschichte der sogenannten Nestorianer, Einführungen in das orientalische Christentum 1 (Klagenfurt: Kitab, 2000), 53. 898 Paul Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 29. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 27. Noch heute versteht sich ein Teil der Thomaschristenheit (genannt Knanaya) als Nachkommen jener Gruppe um Thomas von Kana und bildet eine endogame Gruppe sowohl unter den römisch-katholischen wie orthodoxen Thomaschristen, mit eigenen Kirchen und eigenem Klerus. Sie verstehen sich als eigene Kaste der ›Südisten‹ (Malayalam: Thekkumbhagar) und grenzen sich von den restlichen Thomaschristen (›Nordisten‹, Vadakkumbhagar) in ihrem kirchlichen Leben gänzlich ab. »Mit ihren besonderen, auch in der indischen Gesellschaft allgemein anerkannten Privilegien, die denen der Brahmanen gleichen, bieten sie bis heute ein eindrückliches Beispiel dafür, daß Indiens Kastenwesen auch das indische Christentum nicht unberührt ließ.« Hage, Das orientalische Christentum, 321. Hierzu ausführlich aus der Feder eines syro-malabarischen Südisten: Jacob Kollaparambil, The Babylonian Origin of the Southists Among the St Thomas Christians, Orientalia Christiana Analecta 241 (Rom: Pontificium Institutum Studiorum Orientalium, 1992).
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einer Verbindung der indischen Thomaschristenheit nach Persien weiß, doch bringt er immer wieder vor, dass für jene frühe Zeit noch von keinem ostsyrischen und westsyrischen christologischen Bekenntnis die Rede sein könne, da man sich hier historisch vor der Spaltung unter den syrischen Christen befand.899 Die Formierung eines dyophysitischen Bekenntnisses einer autonomen Kirche des Ostens datiert Mar Gregorios auf die im Jahr 486 stattfindende Synode von Seleukia-Ktesiphon.900 Es ist jedoch bemerkenswert, dass er wiederholt die Christologie der Kirche des Ostens, wie sie sich hier als auch später etwa bei Babai dem Großen (551–628) formierte, keinesfalls als ›häretisch‹ verurteilt, sondern konstatiert, dass man sie »auf orthodoxe Weise«901 interpretieren könne, da diese die eine Person Christi bekenne, in der Gott und Mensch vereinigt seien. Er greift damit indirekt ein Motiv eines seiner miaphysitischen Tradition zugehörigen Theologen – Gregorios Barhebräus (1226–1286) – auf, es handle sich ausdrücklich um keine Häresie, solange der eine Christus als Gott und Mensch bekannt werde.902 Ein weiterer Grund dafür, dass er stellenweise die Christologie der Kirche des Ostens verteidigt, könnte sein, dass er – im Unterschied zu Historiographen insbesondere der Bawa Katshi – an keiner Stelle versucht, eine frühe Verbindung der Thomaschristen zum syrisch-orthodoxen Patriarchat zu konstruieren. Er weiß, dass in der Zeit zwischen dem 5. und 15. Jahrhundert angenommen werden muss, dass die indische Kirche immer wieder im Kontakt mit der Kirche des Ostens stand. Für die Zeit zwischen ca. 1490 und 1599 nimmt er eine historisch gesicherte Verbindung zur Kirche des Ostens sowohl in jurisdiktioneller wie auch liturgisch-theologischer Hinsicht an, die er jedoch als eine Reaktion auf die römisch-katholische Bedrohung beschreibt. Man habe ange899 Vgl. Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 25: »Zu jener Zeit gab es weder Nestorianer noch Jakobiten.« 900 Vgl. ebd., 25–26. Zur Synode und der Relevanz für die ostsyrische Christologie vgl. Christian Lange, Mia Energeia. Untersuchungen zur Einigungspolitik des Kaisers Heraclius und des Patriarchen Sergius von Constantinopel, Studien und Texte zu Antike und Christentum 66 (Tübingen: Mohr Siebeck, 2012), 493–96. Dabei stellt nicht nur Lange, sondern auch Mar Gregorios fest, dass es sich bei der Formulierung von Selekia-Ktesiphon keinesfalls um einen ›Nestorianismus‹ handle, sondern um eine klassische antiochenische Christologie, die hiervon unterschieden werden müsse: »Dieses Glaubensbekenntnis von Seleukia ist nicht ›nestorianisch‹, sondern spricht eindeutig von der einen parsopa (Person) Christi.« Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 26. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 24; Lange, Mia Energeia, 495. 901 Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 17: »The doctrine of Nestorius – namely two persons and two sons – is not here. Babai’s ›Nestorianism‹ can be understood in an Orthodox manner.« Vgl. ebd., 24; Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 26. Zu Babais Theologie vgl. Till Engelmann, Annahme Christi und Gottesschau. Die Theologie Babais des Großen, Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca 42 (Wiesbaden: Harrassowitz, 2013). 902 So Barhebräus in seinen Werken Leuchter des Allerheiligsten sowie dem Buch der Taube. Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 142–43, 311. Mar Gregorios nennt Barhebräus hier nicht ausdrücklich, folgt aber semantisch dessen Argumentation.
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sichts dieser Delegierte von Indien zu den Patriarchaten von Seleukia-Ktesiphon, Antiochia und Alexandria geschickt, wovon lediglich ersteres reagierte und zwei Bischöfe für Indien entsandte.903 Dass Mar Gregorios das christologische Dogma der Kirche des Ostens wohlwollend betrachtet, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit daran, dass er vermeiden möchte, dass die Thomaschristen an irgendeinem Punkt ihrer Geschichte einer aus Sicht der Tradition seiner Kirche häretischen Christologie anhingen. Zugleich versucht er jedoch stets, die Verbindungen zum Katholikat von Seleukia-Ktesiphon nicht allzu eng werden zu lassen und geht von einer wechselhaften Situation in Indien aus, die auch einen westsyrischen Einfluss in vorportugiesischer Zeit möglich erscheinen lässt.904 Die indische Kirche habe die Jahrhunderte hindurch zwar immer wieder Verbindung zum Metropolie von Rew Ardaschir in Persien gehabt, Mar Gregorios lässt aber geschickt einfließen, dass der dortige Metropolit sich wiederholt gegen die ostsyrischen Katholikos-Patriarchen wie auch gegen jeglichen ›Nestorianismus‹ gewehrt habe.905 Diese historischen Belege versuchen darüber hinwegzutäuschen, dass Rew Ardaschir stets eine Kirchenprovinz des Kirche des Ostens war, unabhängig davon, ob man sich gelegentlich der Jurisdiktion des Katholikos-Patriarchen zu entziehen suchte.906 Mar Gregorios kann nicht nachweisen, dass die indische Kirche jemals vor dem 17. Jahrhundert in Kontakt mit der miaphysitischen Tradition gekommen ist, lässt jedoch bewusst immer wieder die Möglichkeit offen, dass dies geschehen sein könnte. So lautet sein Fazit in Bezug auf die Zeit vor der Ankunft der Portugiesen: Ob die indische Kirche damals der westsyrischen oder der ostsyrischen Lehre und Tradition folgte, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Die verschiedenen westlichen Zeugnisse in dieser Zeit geben ebenfalls keine Antwort auf die Frage, um welchen Zweig der syrischen Tradition es sich in Indien vom 5. bis zum 14. Jahrhundert handelte.907
Achtet Mar Gregorios darauf, das miaphysitische Bekenntnis nicht als etwas erst im 17. Jahrhundert durch syrisch-orthodoxe Prälaten implementiertes erschei903 Vgl. Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 31–32; Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 29; Paulos Mar Gregorios, »The Nile and the Indus. A Brief Glance at Our Common Past«, in Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 268–69. 904 Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 29: »It was this East Syrian Church which the Portuguese encountered on arrival, and which too many scholars merely assume to have been the shape of the Indian Church throughout pre-Portuguese history.« 905 Vgl. Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 26–28; Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 24–25. Dass Indien bis etwa 800 dem Metropoliten von Rew Ardaschir unterstand, bestätigt Hage. Vgl. Hage, Das orientalische Christentum, 290, 319–20. 906 Vgl. ebd., 274. Dieses Faktum erkennt Mar Gregorios – trotz des dadurch entstehenden Widerspruchs – an anderer Stelle in dem Werk an. Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 14, 18. 907 Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 28.
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nen zu lassen, will er auch den Einfluss der syrisch-orthodoxen Kirche und des Patriarchats von Antiochia nicht allzu stark werden lassen. So betont er mit Nachdruck, dass es bis in das späte 19. Jahrhundert keine Zeit gegeben habe, in der ein Patriarch oder Katholikos der syrisch-orthodoxen Kirche direkten jurisdiktionellen Einfluss auf die indische Kirche ausgeübt habe.908 Überhaupt sei ein Kontakt zu Kirchen außerhalb Indiens stets nur in Phasen der Bedrohung – etwa durch den römisch-katholischen oder protestantischen Westen – von Bedeutung gewesen, da man hier des Schutzes sowie einer legitimen Sukzession von Bischöfen bedurft habe.909 Die Geschichte des syrisch-orthodoxen Einflusses – ohne jeden Jurisdiktionsanspruch – beginne erst mit der Ankunft des Bischofs Mar Gregorios von Jerusalem (Arabisch: Gregorios ʿAbd al-Dschalil; † 1681) im Jahre 1665910, mit der die gegen katholische Ansprüche revoltierende Gruppe der Thomaschristen sich der syrisch-orthodoxen Tradition anschlossen. Auch hier entspricht Mar Gregorios’ Darstellung dem impliziten Versuch, das Anliegen der Autokephalie zu verteidigen: »Between the Scylla of Western Catholicism and the Charybdis of Western Protestantism, the only option available was the Orthodoxy of the Syrians, because (a) they were of the same faith as the Indian Orthodox and (b) they had no imperial power behind them.«911 Die ›protestantische Bedrohung‹ erkennt Mar Gregorios zu jener Zeit in der Ankunft der Niederländer, welche die Portugiesen als Kolonialmacht ablösten. Augenfällig an dem zitierten Passus ist, dass Mar Gregorios es so darstellt, als gäbe es bereits miaphysitische, indisch-orthodoxe Christen auf dem Subkontinent, deren Eingehen in die syrisch-orthodoxe Sukzession lediglich ein pragmatischer Schritt gewesen sei. Er tut dies ungeachtet dessen, dass er an anderer Stelle in dem Werk durchaus darum weiß, dass die Thomaschristen sich zu jener Zeit entweder unter römischkatholischer Jurisdiktion oder jener der Kirche des Ostens befanden und somit entweder der lateinischen oder ostsyrischen liturgischen wie theologischen Tradition folgten.912 Hier wird somit ein Dilemma deutlich, das im weiteren Verlauf der geschichtlichen Darstellung immer mehr in den Vordergrund rückt: 908 Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 39–40: »It is to be remembered that the Patriarch of Antioch never had any direct authority in India till the 19th century.« 909 Vgl. ebd., 54. 910 Mar Gregorios gibt hier fälschlicherweise das Jahr 1664 an. Vgl. Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, 55; Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 32. Für 1665 sprechen sich unter anderem aus: Stephen Neill, A History of Christianity in India. The Beginnings to AD 1707 (Cambridge [u. a.]: Cambridge University Press, 1984), 327; Hage, Das orientalische Christentum, 343; Schmitz, Diamper und seine Folgen, 32; Karl Pinggéra, »Die Kirchen der syrisch-orthodoxen Tradition«, in Die altorientalischen Kirchen. Glaube und Geschichte, hg. von Christian Lange und Karl Pinggéra, 2. Aufl. (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2011), 87. 911 Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 54. 912 Vgl. Verghese, »Die dunklen Jahrhunderte«, 31–32; Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 29; Mar Gregorios, »The Nile and the Indus«, 268–69.
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Mar Gregorios will zum einen die Existenz des miaphysitischen Bekenntnisses in Indien verteidigen, für die vor dem 17. Jahrhundert kaum etwas spricht; zum anderen will er sich jedoch auch gegen den Zugriff der syrisch-orthodoxen Kirche behaupten, deren Jurisdiktion er ablehnt, deren christologisches Bekenntnis wie liturgische Tradition er jedoch teilt. Er geht somit kaum auf die Tatsache ein, dass der nunmehr miaphysitische Teil der Thomaschristenheit nach und nach – nicht ohne innere Widerstände – sich der westsyrischen Tradition annahm, die ihnen durch Prälaten aus deren Kernland vermittelt wurde.913 Den Jurisdiktionsanspruch des syrisch-orthodoxen Patriarchats datiert Mar Gregorios deutlich später: Dieser sei erst durch Ignatios Petros IV. (1798–1894) formuliert worden, der 1875/76 als erster syrisch-orthodoxer Patriarch überhaupt Indien besuchte und auf der Synode von Mulanthuruthy 1876 die direkte Unterstellung der orthodoxen Thomaschristen unter die Jurisdiktion des westsyrischen Patriarchats begründete.914 Dass man seitens der Thomaschristen hierauf einging, lag nach Mar Gregorios’ Darstellung mithin an einer neuen konfessionellen Bedrohung, hatte sich doch im Laufe des 19. Jahrhunderts unter anglikanischem Einfluss eine Gruppe innerhalb der orthodoxen Kirche formiert, welche die Kirche nach protestantischem Vorbild reformieren wollte und die sich später im Jahre 1889 als eigene Kirche (später unter dem Namen Mar Thoma Syrian Church) abspalten sollte.915 Er stellt daher die Situation Ende des 19. Jahrhunderts jener 913 Zu dem Prozess der Übernahme des westsyrischen Ritus vgl. Fr. Cyril, »The Introduction of the Antiochene Rite Into the Malankara Church«, in The Malabar Church. Symposium in Honour of Rev. Placid J. Podipara C.M.I., hg. von Jacob Vellian, Orientalia Christiana Analecta 186 (Rom: Pontificium Institutum Orientalium Studiorum, 1970), 137–64. 914 Vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 35, 39–40. Vgl. auch Hage, Das orientalische Christentum, 348–49. 915 Dem ging jedoch bereits ein langer Prozess des inneren Zwists voraus, der spätestens ab 1836 auf der Synode von Mavelikara zu einer inneren Spaltung geriet, mit einem die Nähe zum syrisch-orthodoxen Patriarchat suchenden Metropoliten Dionysius IV. (1781–1855) auf der einen und dem am Alten Seminar (das spätere Orthodox Theological Seminary) in Kottayam lehrenden Priester Abraham Malpan als Wortführer der Reformer auf der anderen Seite. 1889 war nach jahrzehntelangen Streitigkeiten die endgültige Spaltung vollzogen und die Kirche gab sich den Namen Mar Thoma Syrian Church. Zur Einführung vgl. ebd. 359–68; Mathew, »Schisma«; Yuhanon Mar Thoma, »Die syrische Mar-Thoma-Kirche«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 129–37. Im Jahr 1968 wurde durch Laien ein inoffizieller Dialog zwischen der orthodoxen Kirche und der Mar Thoma Syrian Church initiiert, für den Mar Gregorios (damals Paul Verghese) federführend verantwortlich war. Mar Gregorios zeigte sich zwar angesichts der Annäherung erfreut, merkt jedoch zugleich an: »Die Orthodoxen wiederum meinen, daß sich die Mar-Thoma-Kirche der Tradition der abendländischen Reformation verschworen hat, was von ihrem Standpunkt aus einem Verrat an der östlichorthodoxen Überlieferung gleichkommt.« Paul Verghese, »Die syrischen Kirchen in der Gegenwart«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 163. Die Beiträge des Dialogs sowie ein inoffizielles Kommuniqué wurden durch Mar Gregorios herausgegeben: Paul Verghese und M.
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Orthodoxen, die nach wie vor die Unabhängigkeit einer indigenen indischen Kirche erhalten wollten, als ›Vier-Fronten-Krieg‹ dar: »The Catholics on one side, the Protestants on the other, the reformers within on the third side, and the growing claims of Antioch for absolute control on the fourth«.916 Damit nähert Mar Gregorios sich dem gegenwärtigen Disput innerhalb seiner Kirche. Letztlich ist es der von Ignatios Petros IV. formulierte Anspruch auf die indischen Miaphysiten, der aus seiner Sicht Auslöser für die Streitigkeiten innerhalb der Kirche war. Dass man zu weiten Teilen durchaus willig war, sich näher an das syrisch-orthodoxe Patriarchat zu binden, habe jedoch an der reformerischen Gruppe gelegen, der gegenüber man das orthodoxe Element zu bestärken und legitimieren suchte.917 Der Konflikt innerhalb der Kirche zwischen jenen, die mehr Unabhängigkeit wollten und jenen, welche die Nähe zum syrisch-orthodoxen Patriarchat suchten, war schon hier präsent. Zur endgültigen inneren Spaltung zwischen Metran Katshi und Bawa Katshi führte jedoch, dass Geevarghese Mar Dionysius VI., der im Jahre 1909 zum ›Metropoliten der Syrer von Malabar‹, dem zu jener Zeit höchsten Amt der Kirche in Indien, geweiht worden war, dem Patriarchen den Gehorsam verweigerte.918 Daraufhin besuchte Ignatios Abdallah II. Indien und exkommunizierte Dionysius und ernannte einen neuen Metropoliten (Mar Koorilose). Dies hätte das Ende des Konflikts gewesen sein können, wenn nicht jener Abdallah mit osmanischer Hilfe den Patriarchenthron gegen seinen Konkurrenten Ignatios Abd al-Masih II. bestiegen hätte und Indien nun zu dem Ort werden sollte, an dem die beiden Patriarchen ihren Konflikt austrugen. Ignatios Abd al-Masih II. kam 1912 nach Indien und hob Dionysius’ Exkommunikation auf mit dem Versprechen, der Kirche nun mehr Eigenständigkeit zuzubilligen. Als äußerlich sichtbares Zeichen weihte er nun einen ›Katholikos des Ostens‹, dem weitgehende jurisdiktionelle Rechte zugesprochen wurden. Ab hier existierten zwei Parteien mit zwei Oberhäuptern, die jeweils ihre eigenen Bischöfe weihten. Wenngleich der Konflikt im Jahre 1975 eine ›Lösung‹ fand, indem der endgültige Bruch zwischen beiden Parteien festgestellt wurde und man sich gegenseitig exkommunizierte, so ist dieser im Grunde genommen bis in die GeThommen, Hrsg., Orthodox–Mar Thoma Conversations. Some Papers and Statements from the Period 1968–70 (Kottayam: CMS Press, 1971). Das Kommuniqué in deutscher Übersetzung: Paul Verghese, Hrsg., »Inoffizielle Gespräche zwischen der Syrisch-Orthodoxen und der Mar-Thoma-Kirche. Gemeinsame Verlautbarung«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 203–5. 916 Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 36. 917 Vgl. Paul Verghese, »Die Syrisch-Orthodoxe Kirche«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 58–59. 918 Hierzu und den nun folgenden Ereignissen vgl. Mar Gregorios, Orthodox Church in India, 36–37; Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Kirche«, 60–61. Zur Person Dionysius’ VI. als Identifikationsfigur der Indisch-Orthodoxen vgl. Samuel, Truth Triumphs.
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genwart nicht geklärt. Bis heute währende zivilrechtliche Streitigkeiten, vor allem um Kirchenbesitz, geben hiervon Zeugnis. Der weitere Verlauf des Streites zu Mar Gregorios’ Lebzeiten ist bereits an entsprechender Stelle919 behandelt worden. Hier soll nun eingeordnet werden, inwiefern Mar Gregorios’ Darstellung der historischen Ereignisse vor seiner Zeit zu einer Imagination der Indischen Orthodoxie beiträgt. Nach Mar Gregorios’ Darstellung ist die Thomaschristenheit eine von Beginn an unabhängige Größe, entstanden aller Wahrscheinlichkeit durch die Mission des Apostels Thomas im ersten Jahrhundert. Das syrische Erbe bleibt bei ihm stets etwas sekundäres, primär ist die Kirche eine indigene. Auch das Eingehen in die syrische Tradition kann hieran nichts ändern, außer, dass dadurch die Thomaschristen der ›ursprünglichen‹, semitischen Form des Christentums verbunden blieben.920 Es geht ihm darum, das Thomaschristentum als eine unmittelbar aus dem ›Urchristentum‹ hervorgehende Größe darzustellen. So ist auch sein Rekurrieren auf einen ›ursprünglichen Glauben der syrischen Kirche des 4. Jahrhunderts‹, der durch Thomas von Kana nach Indien gelangt sein soll, zu verstehen. Nicht die Verbindung zur syrischen Tradition ist hier wichtig. Im Gegenteil will er hier von keiner ostsyrischen oder westsyrischen Tradition wissen, sondern lediglich von einer ganz aus dem Ursprung des Christentums erwachsene Form, vor jeder konfessionellen Formierung im Vorderen Orient. Eine wirkliche Identifikation mit der syrischen Tradition muss bei ihm letztlich hinter der Betonung des Indigenen zurücktreten. Dieser Umstand ist in dem ihn sein gesamtes Leben begleitenden Konflikt zwischen zunächst den zwei Fraktionen der Bawa Katshi und Metran Katshi, später zwischen den zwei Kirchen der Malankara Orthodox-Syrischen Kirche und der Malankara Syrisch-Orthodoxen Kirche, begründet. Ein allzu starkes Rekurrieren oder gar Insistieren auf die Tatsache, dass es sich bei den Orthodoxen Indiens um Syrisch-Orthodoxe handelt, würde ihm und seiner Fraktion zum Nachteil gereichen. So lenkt Mar Gregorios in seiner historischen Darstellung das Augenmerk immer wieder auf die Tatsache, dass die Thomaschristen stets eine autonome Größe gewesen seien und, dass jene Autonomie angemessen durch die Indisch-Orthodoxe Kirche repräsentiert wird. Bei der Verfolgung zweier Interessen innerhalb seiner historischen Imagination der Indischen Orthodoxie – das des Nachweises der möglichst frühen Existenz miaphysitischen Christentums auf dem Subkontinent und zugleich des möglichst geringen Einfluss des syrisch-orthodoxen Patriarchats – kommt er jedoch nicht umhin, sich in Widersprüche zu verwickeln, 919 Siehe: II.3.3.; II.5.3. 920 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 32–33; Mar Gregorios, »Oriental Orthodox Churches«, 35; Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, 70–71. Zum syrischen Christentum als ›semitischem‹ vgl. Sebastian P. Brock, Spirituality in the Syriac Tradition, 2. Aufl., Mo¯ra¯n ’Eth’o 2 (Kottayam: St. Ephrem Ecumenical Research Institute, 2005), 1–3.
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Imaginationen des Ostens
sodass seine Darstellung von historischer Warte aus kritisch betrachtet werden muss. Darin ist sie ein Beleg par excellence für die von Visvanathan beschriebene konfessionelle Legitimationsstrategie unter den Thomaschristen.
3.3
Syrisch-orthodox oder orthodox-syrisch? Die Rolle der westsyrischen Tradition
Bereits in dem vorherigen Abschnitt ist Mar Gregorios’ Verhältnis zur westsyrischen Tradition behandelt worden. Hier soll dies noch einmal auf eine andere Weise geschehen: Im vorherigen Kapitel stand die historische Auseinandersetzung im Mittelpunkt – also die Frage danach, an welchem Punkt der Geschichte ein Teil der Thomaschristen der westsyrischen Tradition wurden und welche Schlüsse daraus für die Konstitution einer indisch-orthodoxen Identität zu ziehen sind. An dieser Stelle soll die Frage beantwortet werden, inwiefern sich Mar Gregorios auf die westsyrische Tradition als normative Größe beruft. Dabei wird zwischen drei Bedeutungsspektren des Ausdrucks ›westsyrische Tradition‹ unterschieden: als theologische Tradition, als liturgische Tradition und im Sinne der Jurisdiktion. Dies ist äußerst hilfreich, weil sich anhand dessen beobachten lässt, wie Mar Gregorios zu unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kontexten diese Unterscheidung hervorhebt oder bewusst vernachlässigt und damit in seinen (im weitesten Sinne) theologischen Argumentationen diskursive Strategien erkennen lässt. Theologisch rekurriert Mar Gregorios wiederholt auf das miaphysitische Bekenntnis. Hier wird die eine Natur Christi zum Garant für die Einheit der Wirklichkeit von Gott, Mensch und Welt sowie – eng damit verbunden – für die Vorstellung von der Theosis.921 Zugleich lässt sich jedoch auch feststellen, dass er jenes Motiv der μία φύσις Christi vornehmlich im Gegenüber zu den chalcedonensischen Kirchen einbringt, mit dem Interesse hier als profiliert orientalischorthodoxer Theologe aufzutreten.922 So geschieht seine Herleitung des TheosisKonzeptes mitnichten auf Basis einer genuin miaphysitischen Tradition, sondern – wie in dieser Arbeit gezeigt wurde – fast ausschließlich auf Basis seiner Auseinandersetzung mit Gregor von Nyssa, vom dem er insbesondere die Vorstellung von der Theosis als »unendlicher Selbstüberschreitung des Menschen«923 übernimmt. Doch scheint gerade diese Wendung der Theosis kaum ableitbar aus der miaphysitischen Tradition, wenn Gregor von Nyssa hier die unüberbrück921 Vgl. Verghese, »Relevance of Christology«, 175. 922 Vgl. etwa Mar Gregorios, Joy of Freedom, x; Verghese, »Relevance of Christology«; Paulos Mar Gregorios, »The Christological Consensus Reached in Vienna«, Wort und Wahrheit. Revue for Religion and Culture. Supplementary Issue 3 (1976): 17–23. 923 Hochstaffl, Negative Theologie, 111.
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bare Trennung von Gott und Mensch aufgrund der unendlichen Transzendenz Gottes betont. So muss die Frage gestellt werden: Kann sich eine Soteriologie, die im Kern besagt, dass es niemals und zu keiner Zeit zu einer völligen Identifikation von Gott und Mensch kommen könne,924 auf eine miaphysitische Christologie berufen, die genau diese Einheit in Christus bekennt? Mag auf den ersten Blick die Aussage, die Vorstellung von der Theosis stünde in einem engen Zusammenhang zum Bekenntnis der einen Natur in Christus925 plausibel erscheinen, offenbart sie sich gerade in der von Mar Gregorios’ bevorzugten Diktion bei Gregor von Nyssa als ein Konzept, dass in deutlicher Spannung zum miaphysitischen Bekenntnis steht. Ob die Theosis aus historischer Perspektive ein originär miaphysitisches Konzept darstellt, muss überdies angezweifelt werden, erscheint diese doch vielmehr als die zentrale soteriologische Vorstellung in chalcedonensisch-orthodoxer Theologie, die sich ihrerseits auf Kirchväter wie Gregor von Nyssa berufen kann, der besonders hellenistische Motive aufnimmt. Frühe syrischen Kirchenväter wie Aphrahat (ca. 260–345) oder Ephraem der Syrer (306– 373), auf die sich Mar Gregorios im Sinne eines von ihm heraufbeschworenen ›ursprünglichen Glaubens der syrischen Kirche des 4. Jahrhunderts‹ oder ›semitischen Christentums‹ berufen könnte, kennen gerade derartige vom Hellenismus beeinflusste soteriologische Vorstellungen nicht. Bei diesen stehen vielmehr biblische Bilder von Jesus als dem Arzt und Heiler von den Sünden im Vordergrund,926 die jedoch für Mar Gregorios nicht interessant zu sein scheinen. Es zeigt sich: Seine Zuneigung zu Gregor von Nyssa ist gerade in dessen hellenistischer Sprach- und Denkform begründet, meint er hier doch eine vorbildlich ›inkulturierte‹ Theologie zu finden. Das miaphysitische Bekenntnis dagegen hat für die Theologie von Paulos Mar Gregorios eine marginale Bedeutung und ist lediglich Vehikel dafür, sich insbesondere vom ›Westen‹ – im Sinne des Katholizismus und Protestantismus – abzugrenzen.927 So fehlt der Bezug zu Theologen des syrisch-orthodoxen Kanons beinahe gänzlich in Mar Gregorios’ Werk. Im Jahre 1969 veröffentlichte Mar Gregorios ein Lehrbuch zu den Kirchenvätern für orthodoxe Studenten in Indien mit dem Titel The Faith of Our Fathers. Sechs Vätern kommen ein je eigenes Kapitel zu: Athanasius dem Großen, Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomos und Kyrill von Alexandria. Letzterer gilt als
924 Vgl. Mar Gregorios, »Theosis«, 293: »there can be no identity between humanity and God.« 925 Vgl. Verghese, »Relevance of Christology«, 175: »Our commitment to a theosis soteriology is at the base of our one-nature Christology, which does not deny the distinction between the divine and the human, but places the emphasis on their union rather than on their distinction.« 926 Vgl. Brock, Spirituality, 40–42. 927 Vgl. auch Mar Gregorios, Joy of Freedom, x.
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Kronzeuge der miaphysitischen Tradition und ist als solcher unverzichtbar,928 ebenso wie Athanasius. Doch weder diese noch die darüber hinaus genannten Kappadokier oder Johannes Chrysostomos sind prominente Vertreter syrischsprachiger Theologie. Zudem werden alle genannten Theologen auch von chalcedonensischer Seite als Väter in Anspruch genommen. Genuin syrische Kirchenväter finden zwar Erwähnung, werden aber niemals derart ausführlich behandelt wie dies für die anderen gilt.929 Sie sind nicht Kernbestand von Mar Gregorios’ theologischem Repertoire.930 So kann man die Frage stellen: Hatte Mar Gregorios – auch durch die fehlende theologische Ausbildung in seiner Kirche – überhaupt eine andere Möglichkeit als ein Sprecher für die Autokephalie zu werden, die es ihm ermöglichte, freier mit der Tradition umzugehen und das ›Syrische‹ in den Hintergrund zu rücken? Möglich ist auch, dass sein Interesse an Philosophie ihn eher zu den griechischsprachigen Vätern brachte, bei denen er die Möglichkeit erblickte, christliche Vorstellungen mit anderen Konzepten in einen fruchtbaren Dialog zu bringen. Festgestellt werden kann, dass seine Fürsprache für ein inkulturiertes indisch-orthodoxes Christentum korrespondiert mit einer erkennbaren Leerstelle, was die syrische Tradition angeht. Wendet man sich der Frage der liturgischen Tradition zu, ist die Lage wiederum anders. In seinem Erstlingswerk The Joy of Freedom charakterisiert er orthodoxe Theologie als »theology in liturgy«931. Er nimmt in dem Kapitel in großer Breite Bezug auf orthodoxe Liturgien, byzantinischer wie orientalischer Provenienz. Darin kommt The Joy of Freedom als zentrales Werk seiner transkonfessionellen Imagination der Orthodoxie zum Vorschein. In dem vorliegenden Kapitel zur ›Theologie in Liturgie‹ misst er dennoch der syrisch-orthodoxen Liturgie eine besondere Hochachtung bei.932 Er hebt diese als die seines Erachtens herausragende unter den orthodoxen Liturgien hervor, insbesondere aufgrund der Wichtigkeit, die der Gemeinde im liturgischen Vollzug zukommt. In dem Kapitel über die Liturgie in seinem Buch über Die syrischen Kirchen in Indien wird diese Hochschätzung der syrisch-orthodoxen Liturgie noch einmal deutlicher. Er schreibt: »Die Fachgelehrten sind sich darüber einig, daß die syrische Liturgie die gottesdienstliche Tradition der Jerusalemer Urgemeinde fortführt, und daß sie die bei weitem reichste und mannigfaltigste eucharistische 928 Vgl. Mar Gregorios, Faith of Our Fathers, 42–45. Vgl. auch Mar Gregorios, »Christ«, 82–86. 929 Ephraem etwa wird zwar neben vielen anderen namentlich erwähnt, jedoch ohne behandelt zu werden. Vgl. Mar Gregorios, Faith of Our Fathers, 9, 13, 25. An letzterer Stelle bezeichnet er ihn lediglich als einen ›monastischen Vater‹, den er aber für nicht zentral genug hält, um sich mit ihm ausgiebig zu befassen. 930 Vgl. auch True, »Prophet«, 120. 931 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 42. Siehe: IV.1.3. 932 Vgl. etwa den ersten Satz des Kapitels. Ebd.: »In the East, especially in the Syrian tradition, worship was from the beginning acknowledged to be the true milieu for the formation of the mind of the believer.«
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Tradition ist.«933 Hier geht es ihm ausschließlich um die liturgische Tradition, die Frage der Jurisdiktion wird hiermit nicht in Verbindung gebracht. Die beiden zitierten Werke fallen jedoch in die Zeit vor 1975, wo nominell Frieden zwischen Katholikos und Patriarch herrschte. Doch deutet sich auch in beiden Werken eine Tendenz an, die nach 1975 immer mehr in den Vordergrund rückt. Er plädiert für eine größere liturgische Freiheit unter den Orientalen, mit dem Interesse, dem Gottesdienst mehr Relevanz für die Gegenwart zu ermöglichen, da viele der traditionellen Liturgien »archaisch und veraltet«934 wirkten. Er weist jedoch darauf hin: »The liturgy does not belong exclusively to the present generation. The Church in the whole time and space worships together in the eucharistic liturgy.«935 Die Aufgabe sei es somit, »eine Form des Gottesdienstes zu finden, in der sich die vergangenen Generationen gleichermaßen zu Hause fühlen wie die gegenwärtige.«936 Mar Gregorios geht davon aus, dass die Form der syrisch-orthodoxen Liturgie grundsätzlich eine gute Form des Gottesdienstes ist, die dem Verlangen des modernen Menschen nach Transzendenz entgegenkommt. Dass diese in Kerala selbstverständlich nicht mehr in syrischer Sprache, sondern Malayalam gefeiert wird, setzt er voraus.937 Dies war jedoch unter allen thomaschristlichen Kirchen seit einiger Zeit Usus. Dass er darüber hinaus für eine Modernisierung des orthodoxen Gottesdienstes plädiert, deutet bereits den Aspekt des Indisch-Orthodoxen an: Es muss möglich sein, trotz der Verankerung in der syrischen liturgischen Tradition, den Gottesdienst dem Kontext angemessen anzupassen und somit gerade in der Liturgie etwa das indische Element sichtbar werden zu lassen. Er spricht hier nicht ausdrücklich von Inkulturation, wohl auch, da er in The Joy of Freedom nicht ausschließlich den indischen Kontext vor Augen hat. Das Buch steht ganz im Zeichen einer gesamtorthodoxen Positionierung im ökumenischen Kontext. Dass er dabei dennoch auch die Situation seiner eigenen Kirche vor Augen hatte, zeigt sich im Vorwort zur zweiten Auflage. Der Kontext ist hier freilich ein anderer. Er ist nunmehr seit neun Jahren Bischof der autokephalen Kirche und zeigt sich hier als Kritiker von aus seiner Sicht oberflächlichen Versuchen der Inkulturation: The indigenisation of worship in India cannot be a matter of adjusting our forms to Hindu symbols and terminology. To restore Hindu forms of a given period in the past 933 Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, 71. 934 Mar Gregorios, Joy of Freedom, 29: »No one can deny that much in the traditional liturgies of the Church has become archaic and out-moded.« Vgl. auch ebd., 69. 935 Ebd., 29. 936 Ebd.: »The purpose of historical research into liturgies is not to restore a so-called primitive liturgy in its pristine purity and correct form, but rather to find a form of worship in which the past generations feel just as much at home as the present.« 937 Vgl. ebd., 32.
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Imaginationen des Ostens
will not make Christian worship in India more authentically Indian. It can only make it Hindu-Christian in a dated way. What is more needed in India is to make worship truly communitarian, truly eucharistic, truly related to the transcending Body of Christ in time and beyond. That requires more than theoretical knowledge of the principles of Christian worship, which theoretical knowledge is now sadly lacking in many of the indigenisation movements in the Indian churches. It also has to spring from the life of a genuinely worshipping community, so rare in India today.938
Bezogen auf den Gottesdienst bleibt Mar Gregorios ein Vermittler zwischen syrischer Tradition und indischer Inkulturation und begründet dies damit, dass es gerade die syrische liturgische Tradition gewesen sei, die sich in der Geschichte immer wieder auf neue Kontexte habe einstellen können: Dies zeige etwa die Vielzahl syrischer Anaphorae, die für eine enorme Wandelbarkeit des Gottesdienstes bis in das 12. Jahrhundert stehe. Ein starres Festhalten wiederum an liturgischen Formen sei ein Zeichen des spirituellen Niedergangs.939 Auf der anderen Seite betont er auch das bleibende Recht der alten Formen und warnt vor oberflächlichen, einem modernen ›Zeitgeist‹ entsprechen wollenden Inkulturationsversuchen. Schließlich gilt es sich der Frage der Jurisdiktion und ihrem Verhältnis zur liturgischen und theologischen Tradition zuzuwenden. Scheinen Mar Gregorios’ Aussagen zum Verhältnis von Inkulturation und syrisch-orthodoxer liturgischer Tradition ausgewogen, stellt sich diese Ausgewogenheit im Kontext des Streits mit dem syrisch-orthodoxen Patriarchat gänzlich anders dar. Die bisher zitierten Texte sind zeitlich entweder vor oder deutlich nach 1975 angesiedelt. Schaut man jedoch in einen Text, der kurze Zeit nach 1975 sich dem Verhältnis von Jurisdiktion, liturgischer Tradition und Inkulturation widmet, findet sich hier ein gänzlich anderer Zungenschlag: »What is left in the old Eastern Christian tradition in India is the Orthodox Church, sometimes called the Syrian Orthodox Church, because Syriac was once the language of worship of this Church.«940 Es ist klar, wer hier spricht: ein Bischof der Indisch-Orthodoxen Kirche. Er billigt keiner der anderen Kirchen der Thomaschristenheit zu, Teil der ›alten östlichchristlichen Tradition in Indien‹ zu sein. Zudem findet sich hier eine klare Aussage zur Sprache: Syrisch war einmal die liturgische Sprache jener Kirche. Warum diese Sprache der Vergangenheit angehört, wird zudem wenige Sätze
938 Ebd., xiii–xiv. 939 Vgl. ebd., 51; Verghese, »Syrisch-Orthodoxe Liturgie«, 71. 940 Mar Gregorios, »Eastern Churches«, 53. Zu Folgendem vgl. auch Lukas Pieper, »Paulos Mar Gregorios. (Dis-)Kontinuität syrischer Tradition im indischen Kontext«, in Studia Syriaca. Beiträge des IX. Deutschen Syrologentages in Eichstätt 2016, hg. von Peter Bruns und Thomas Kremer, Eichstätter Beiträge zum Christlichen Orient 6 (Wiesbaden: Harrassowitz, 2018), 144.
Die Indische Orthodoxie
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später deutlich: »They are cultured, fully Indian«.941 Klar ist, dass er auch in früheren und späteren Texten stets für eine Inkulturation und insbesondere für die Feier der Liturgie in der Muttersprache des Volkes plädiert. Doch wird in diesem Text stärker als in anderen deutlich, dass es ihm auch um ein kirchenpolitisches Motiv geht: »In administrative structure, the Indian Church is not subordinate to or dependent upon any Church or group outside India. They have their own supreme Head in India – His Holiness The Catholicos, who resides in Kottayam, Kerala.«942 Im Interesse der klaren Negation jeglicher Ansprüche aus Richtung des syrischen Patriarchen schwindet die in anderen Texten getroffene Unterscheidung von jurisdiktioneller Zugehörigkeit und liturgisch-theologischer Tradition zugunsten des Autokephalieanspruchs, der in ein enges Verhältnis zur Inkulturation gesetzt wird. Im Hintergrund steht die Imagination eines indischen Christentums vor dem Bruch, der mit dem Auftreten der Portugiesen einherging und allenthalben unter den Thomaschristen zu der Situation der Heteronomie führte. Was Mar Gregorios imaginiert ist ein autonomes, autokephales, orthodoxes, indisches Christentum. Das syrische Element ist hierbei von sekundärer Bedeutung, sichtbar daran, dass Mar Gregorios und mit ihm seine Kirche, den Partikel ›syrisch‹ in der Bezeichnung der Kirche an dritte Stelle des offiziellen Namens verbannte:943 Als Malankara Orthodox-Syrische Kirche versteht man sich in erster Linie als Abkömmlinge der von dem Heiligen Thomas getauften Christen Südindiens (Malankaren), als Orthodoxe sieht man sich einer ›östlich-orientalischen‹ Form des Christentums verpflichtet, das Syrische bezeichnet dabei die liturgische Tradition, in der man steht. Weil letztere jedoch zunehmend dem Element des Indischen wie Orthodoxen weichen muss, bevorzugt Mar Gregorios die Bezeichnung Indisch-Orthodoxe Kirche.944
3.4
Orthodox und Indisch: Die Verbindung zweier Imaginationen des Ostens
3.4.1 Das (Thomas-)Christentum als indische Religion Wenn es um die ›Erfindung der indischen Orthodoxie‹ geht, ist neben dem historischen Narrativ des Thomaschristentums wie dem Verhältnis zur syrischen Tradition ein dritter Aspekt von zentraler Bedeutung. Es ist die vielmehr intel-
941 Mar Gregorios, »Eastern Churches«, 53. 942 Ebd., 54. 943 Vgl. Dempsey, Sainthood, 165–66: »Keralites often refer to the Orthodox Syrian denomination as ›Syrian Orthodox,‹ as well. Although there seems to be little consensus about the correct usage of the term, Dr. Paulos Mar Gregorios, one of the most eminent Church leaders with whom I spoke, insisted that the former term was the correct one.« 944 Vgl. George, V.C. Samuel, xiv.
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Imaginationen des Ostens
lektuelle Verbindung des orthodoxen mit dem indischen Element. Dabei kann im Falle von Mar Gregorios die Frage kaum beantwortet werden, in welchem Verhältnis hier Theorie und Praxis stehen: Suchte er nach jener intellektuellen Verbindung aufgrund der praktischen Frage nach der Autokephalie, die er nunmehr auch theoretisch (nach)vollziehen wollte? Oder befand sich Mar Gregorios schon als er nach Indien zurückkehrte in einer persönlichen geistigen Situation, die ihn fast unweigerlich zu einem Teil der Metran Katshi werden ließ, weil er sich hier mehr intellektuelle Freiheit erhoffte? Es legt sich nahe, beides zusammen zu sehen. Mar Gregorios selbst spricht in keinem seiner Texte explizit von einer Entscheidung für eine der beiden Parteien innerhalb der MalankaraOrthodoxen Kirche. Überhaupt findet der Prozess innerhalb der Kirche ausschließlich in The Orthodox Church in India eine ausführlichere Behandlung. Was den intellektuellen Prozess der Verbindung der beiden Elemente des Orthodoxen und Indischen angeht, so findet dieser ebenfalls zumeist implizit statt. Es existiert kein Text aus seiner Feder, in dem er ausdrücklich, etwa im Kontext des Konflikts mit der Bawa Katshi, ein Modell der Inkulturation vorstellt. Dennoch wird er bis heute zu den Theologen seiner Kirche gezählt, die als Vordenker einer solchen Inkulturation gelten.945 Wie kommt es zu diesem Umstand? In einem Interview antwortet Mar Gregorios auf die Frage nach der Inkulturation in seiner Kirche: It is very difficult to answer this question. We are Indians and the Indian character and mind set are very present in our church; but we cannot say consciously that we have adopted something from the Indians. We are children of the soil of this country and, unlike some Roman Catholics or Protestants, we [do not] have to make a conscious effort to indianize. We are part of the Indian system. We don’t consciously try to imitate anything the Hindus do.946
So zeigt Mar Gregorios sich an verschiedenen Stellen in seinem Werk als Kritiker von Inkulturationsversuchen.947 Das Selbstverständnis der Thomaschristen und der Indisch-Orthodoxen im Besonderen ist es, stets Teil der indischen Gesellschaft gewesen zu sein. Inkulturation kommt daher nur für jene Kirchen in Frage, die durch Mission in den neuen kulturellen Kontext gelangt sind und die sich aufgrund des neuen Bewusstseins der Eigenständigkeit gegenüber ihrer europäischen Herkunft der Frage der Inkulturation widmen.948 Für Mar Gregorios existiert somit, wenn er sich der Frage der Existenz seiner Kirche im indischen 945 Vgl. Chaillot, Malankara Orthodox Church, 77–82; True, »Prophet«, 16: »He was also an architect of the reconstruction of Indian Orthodoxy in colonization’s aftermath.« 946 Chaillot, Malankara Orthodox Church, 78. 947 Vgl. Mar Gregorios, Joy of Freedom, xiii–xiv; Mar Gregorios, Cosmic Man, 36–37; Paulos Mar Gregorios, »The Witness of the Churches. Ecumenical Statements on Mission and Evangelism«, Ecumenical Review 40, Nr. 2–3 (1984): 364–65. 948 Vgl. True, »Prophet«, 4.
Die Indische Orthodoxie
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Kontext widmet, ein anderer Ausgangspunkt: der der Koexistenz als indische Religion unter indischen Religionen. Dies zeigt etwa auch die bereits im biographischen Kapitel949 genannte Kindheitserinnerung an die Legende von der Verwandtschaft bzw. Blutsbruderschaft des Heiligen Georg – als einer der wichtigsten Heiligenfiguren im Kontext der Thomaschristenheit950 – und dem Gott Visnu.951 Zum besseren ˙˙ Verständnis sei die Passage in ihrer Gesamtheit zitiert: In fact our community developed its own myths of religious co-existence, not just tolerance for other religions that some advocate, but genuine fraternal friendship with people of other faiths. For example, in my childhood I had my Sunday School lessons in a nearby church, St. George’s Orthodox Church, Karingachira. During the feast of St. George huge church processions (with the cross and white banner of the resurrection) were taken out through the streets of our town. The Vishnu Temple in my town also had similar processions with the image of Vishnu in front. There was always danger of communal clashes as the Hindu procession entered predominantly Christian areas or vice versa, since both communities were equally prone to the evils of triumphalism. So the myth our community developed, shocking perhaps to Western Christians, held that St. George and the Lord Vishnu were blood brothers. I may not have quite believed it as a child, but it helped create the right attitude towards my Hindu brothers and sisters.952
Was hat es mit der Geschichte um den Heiligen Georg und den Gott Visnu auf ˙˙ sich? Die Religionswissenschaftlerin Corinne G. Dempsey widmet sich dieser und ähnlichen Legenden in Kerala, wobei sie vor allem auf das Motiv der Geschwisterschaft zweier heiliger Personen eingeht: »The relationships of […] interreligious sacred sibling pairs, described alternately as contrary or cooperative, provide an apt metaphor for the complex communal relations between their Christian and Hindu devotee communities.«953 So existieren unterschiedliche lokale Traditionen in Kerala über derlei Verwandtschaftsverhältnisse zwischen 949 Siehe: II.1.2. 950 In Kerala wird dieser meist in der syrischen Version des Namens ›Geevarghese‹ bezeichnet. Die Beliebtheit des Heiligen unter allen Kirchen der Thomaschristenheit zeigt sich etwa in der häufigen Wahl des Namens ›Geevarghese‹ für Kinder – nicht zuletzt auch im Falle von Mar Gregorios, dessen Rufname ›Verghese‹ bzw. ›Varghese‹ (die genaue Schreibweise variiert) war, der Kurzform von ›Geevarghese‹. Zur Bedeutung des Heiligen Georg unter den Thomaschristen vgl. Dempsey, Sainthood, 34–51. 951 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 183. Zur Legende der Blutsbruderschaft bzw. Verwandtschaft des Heiligen Georg und des Gottes Visnu vgl. Corinne G. Dempsey, »Rivalry, Reliance, and Resemblance. Siblings as Metaphor for˙ ˙Hindu-Christian Relations in Kerala State«, Asian Folklore Studies 57, Nr. 1 (1998): 51–70; Dempsey, Sainthood, 52–87. Im Rahmen ihrer Feldforschung führt Dempsey auch ein Gespräch mit Paulos Mar Gregorios. Auch hier gibt sie an, Mar Gregorios habe von Visnu und Georg als ›Brüdern‹ gesprochen. ˙˙ Vgl. ebd., 83–84. 952 Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 183–84. 953 Dempsey, »Siblings«, 51.
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Hindu-Gottheiten und christlichen Heiligen, maßgeblich abhängig davon, welchem Heiligen die Kirche und welchem Gott der Tempel vor Ort jeweils geweiht ist. Die Kindheitserinnerung von Mar Gregorios aus seinem Heimatort Tripunithura stellt ein Beispiel eines an vielen Orten sichtbaren Traditionsbildungsprozesses dar, mit dem Interesse, das Zusammenleben auf kommunaler Ebene in Form religiöser Sprache und Metaphorik beschreibbar zu machen: »sibling associations between village saints and deities reflect a similar type of earthly relation between devotee communities.«954 Dabei kommt diese Beziehung insbesondere bei jeweiligen religiösen Feierlichkeiten zum Ausdruck.955 So spiegelt diese Kindheitserinnerung pointiert Mar Gregorios’ Traditionsbegriff wider. Er versteht Tradition hier als etwas, das entwickelt oder imaginiert wird, um zum einen Wirklichkeit zu beschreiben, zum anderen, um eine solche zu evozieren. Er betont, es gehe bei jener Legende nicht um Historizität oder Authentizität, sondern darum, die Beziehung zwischen Christen und Hindus auf kommunaler Ebene als eine friedliche zu beschreiben und zugleich, diesen Zustand zu erhalten und zu festigen.956 Dempsey trifft bei ihren Feldforschungen in Kerala zufällig auch auf Paulos Mar Gregorios. Sie beschreibt nach einem Gespräch mit ihm dessen Position als etwas Besonderes: »Dr. Paulos’ unapologetic appreciation for sacred sibling stories suggests that his position suspended him from the need to make clear to me his allegiance to literal truth.«957 Hier kommt es zu einer eigentümlichen Sympathie zwischen der Wissenschaftlerin und dem indischen Bischof: Beide ›verteidigen‹ jene lokalen Traditionen gegenüber einem »banalen Rationalismus«958 als den Versuch, über Traditionsbildung die Beziehung zwischen Christen und Hindus in der indischen Gesellschaft zu beschreiben und zu gestalten. Jene symbiotische Beziehung zwischen den Religionen ist es mithin, die für Mar Gregorios im Fokus steht, wenn es ihm um die Indische Orthodoxie geht. Es geht ihm nicht um Inkulturation in dem Sinne, wie sie von vielen katholischen oder protestantischen Theologen in Indien gedacht wird. Er versteht sich als Anhänger einer indigenen Religion, die selbstverständlicher Teil der indischen Gesellschaft ist. Dempsey beschreibt darüber hinaus ein Gespräch mit einem orthodoxen Priester in Kottayam, den sie über den Einfluss des Hinduismus auf seine Tra-
954 Ebd., 53. 955 Vgl. ebd., 55–57. 956 So beschreibt es auch Dempsey aufgrund der von ihr geführten Interviews zu ähnlichen Legenden. Vgl. ebd., 65. 957 Dempsey, Sainthood, 83. 958 Ebd., 83–84: »The prevailing tensions between domestic traditions and ›modern expectations‹ – the latter identified as banal rationalism by Mar Gregorios – felt by the average welleducated Keralite seemed to be quelled by the truly privileged perspective of the bishop.«
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dition befragt. Dieser antwortet: »I am a Hindu!«959 Was sich im Narrativ etwa als Blutsbruderschaft oder Verwandtschaft zweier heiliger Personen ausdrückt, zeigt sich hier auf andere Weise, indem Konstrukte wie ›Religionszugehörigkeit‹ oder ›Konfession‹ hinterfragt werden. Wie sich ›der Hinduismus‹ bei näherem Hinsehen als orientalistische Konstruktion offenbart, um unter jenem Begriff zu subsumieren, was sich dem westlichen Betrachter als ›indische Religion‹ zeigt, so versteht sich eben jener indisch-orthodoxe Priester ebenso als Vertreter einer solchen indischen Religion.960 Im Hintergrund steht das Selbstverständnis der Indisch-Orthodoxen Kirche als einer, die authentisch die Thomaschristenheit repräsentiert, wie sie vor Mission und Kolonialismus existierte. Hier kannte man keine westlichen Vorstellungen von Religion und Konfession: »Sie waren ›in kultureller Hinsicht Hindus, in religiöser Christen und in kultischer Orientalen‹.«961 Diese Beschreibung eines Thomaschristentums vor der Ankunft der Portugiesen kommt dabei – wenn auch vereinfacht – durchaus der Realität nahe, betrachtet man die wenigen schriftlichen Zeugnisse über die Zeit vor dem portugiesischen Einfluss. In Architektur wie auch äußeren Merkmalen glichen sie in vielerlei Hinsicht den ›Hindus‹.962 Auch die Akten der Synode von Diamper (1599) sind eine valide Quelle, wenn es um den Charakter der Thomaschristen in vorportugiesischer Zeit geht, enthalten diese eine Reihe von Verboten von Praktiken und Ansichten, welche die Portugiesen als ›heidnisch‹ titulierten.963 Das Verbot etwa, das Onam-Fest zu feiern – eines der höchsten ›hinduistischen‹ Festtage im heutigen Kerala – hat sich nie durchsetzen können, sodass es bis heute von Angehörigen aller Religionen in Kerala gefeiert wird. Hier spiegelt sich
959 Dempsey, »Siblings«, 63. 960 In ähnlicher Weise beschreibt dies Jacob Kurian, ein Schüler von Mar Gregorios, in: Chaillot, Malankara Orthodox Church, 79–80. Zum ›Hinduismus‹ als orientalistischer Konstruktion vgl. etwa Joachim Matthes, »Was ist anders an anderen Religionen? Anmerkungen zur zentristischen Organisation des religiösen Denkens«, hg. von Jörg Bergmann, Alois Hahn, und Thomas Luckmann, Religion und Kultur, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1993, 27: »man könnte […], leicht pointiert, von der Geburt des ›Hinduismus‹ aus dem Geist der Forschung über ihn sprechen.« Vgl. auch Andreas Nehring, »Postkoloniale Religionswissenschaft. Geschichte – Diskurse – Alteritäten«, in Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, hg. von Julia Reuter und Alexandra Karentzos (Wiesbaden: Springer VS, 2011), 337–39. Auch Mar Gregorios wendet sich in späten Texten gegen jene Bezeichnung und spricht von ›Sanatana Dharma‹ bzw. der ›Religion der Veden und Upanisaden‹. ˙ Vgl. etwa Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 181–83. 961 Xavier Koodapuzha, »Die Ankunft der Portugiesen und die katholischen Syrer«, in Die Syrischen Kirchen in Indien, hg. von Paul Verghese, Kirchen der Welt 13 (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1974), 33. Ähnlich auch: Kollaparambil, Revolution, 9: »[The Malabar Church] was Indo-Dravidian in culture, Christian in religion, Oriental in worship.« 962 Vgl. Kollaparambil, Revolution, 1–9; Dempsey, Sainthood, 6; Schmitz, Diamper und seine Folgen, 165–66; Carson, »Christianity«, 133. 963 Vgl. Collins, Inculturation, 142; Schmitz, Diamper und seine Folgen, 167–68.
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das enge Zusammenleben zwischen Christen und ›Hindus‹ – und darüber hinaus Muslimen und Juden – in Malabar wider. Wenn es um jenen Aspekt des positiven Zusammenlebens geht, verschweigt Mar Gregorios weitgehend, dass die völlige Teilhabe der Thomaschristen am indischen Gesellschaftssystem impliziert, dass diese stets auch Teil des für diese Gesellschaft formierenden Kastensystems waren. So verstehen sich die Thomaschristen als Nachkommen jener brahmanischen Familien, die der Heilige Thomas bekehrte. Die Folge ist, dass die Christen eine eigene jyati (Sub-Kaste) bilden, die eine der höchsten in der Gesellschaft Keralas ist.964 Wie ist also Mar Gregorios’ harsche Kritik an dem Begriff ›Mission‹ zu verstehen, dem er sein Verständnis von Dialog und Koexistenz entgegenstellt? Im orthodox-lutherischen Dialog in Indien etwa beschreibt er den Begriff ›Mission‹ als zu sehr »verbunden […] mit dem westlichen Kolonialismus und Imperialismus«965 und stellt infolgedessen Dialog als angemessenere Form des Kontakts mit Menschen anderen Glaubens dar. Dass diese Position auf dem Hintergrund seiner eigenen theologischen Reflexion durchaus schlüssig erscheint, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass, wenn er seinen eigenen Kontext als Beispiel für eine gelungene Koexistenz heranzieht, dies auf Kosten der Auseinandersetzung mit dem Kastenwesen in Kerala geschieht.966 Eine Koexistenz ist so nur denkbar, wenn diese als ein – wenn auch friedliches – Nebeneinander von endogamen Gruppen verstanden wird. Während also die Thomaschristen in ihrer Geschichte bis in die Gegenwart Mission im Sinne der Konversion weitgehend ablehnen, weil dies bedeuten würde, Kastengrenzen zu überschreiten, fanden protestantische und römisch-katholische Missionsbemühungen maßgeblich unter Niederigkastigen sowie Kastenlosen statt.967 Daughrity und Athyal beschreiben daher das ›Missionskonzept‹ der Thomaschristen mit dem Begriff der ›Durchdringung‹ (permeation): »Permeation was understood as both the preference for the lived experience over verbal proclamation and the preference for upholding ›Christian values‹ over proselytization in a largely Hindu culture for which interreligious conversion was an alien practice.«968 Beachtenswert an dieser Stelle ist somit auch eine von den Autoren beobachtete Höherbewertung thomaschristlicher Theologen der Erfahrung über der verbal-rationalen Durchdringung der christlichen Botschaft – ein Umstand, der sich deutlich im Denken Mar Gregorios’ wider-
964 Vgl. Visvanathan, Christians of Kerala, 2–3; Carson, »Christianity«. 965 Mar Gregorios, »Dialogue with World Religions«, 129: »Personally, I do not like to use the terminology of mission since this is associated in my mind with western colonialism and imperialism.« 966 Vgl. auch True, »Prophet«, 40–41. 967 Vgl. Daughrity und Athyal, India, 262–63. 968 Ebd., 261.
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spiegelt.969 So kann die Kritik am westlichen ›Logozentrismus‹ sowie die eigene Betonung des Kults als Mitte des christlichen Glaubens in diesem Kontext gesehen werden: Verbalität steht für Mar Gregorios in einem engen Verhältnis zur hervorgehobenen Stellung der Verkündigung im Protestantismus, die wiederum entscheidend für dessen besondere Form der Mission wurde. Es existiert somit eine Ambivalenz in der Kritik Mar Gregorios’ am ›westlichen‹ Konzept von Mission wie auch an dem Idealbild, das er von den Verhältnissen in Kerala zeichnet. Er verschweigt einen Aspekt, von dem er weiß, dass er sich für sein Plädoyer für die Aufnahme des interreligiösen Dialogs auf die Agenda des ÖRK strategisch nachteilig wäre. Stattdessen ist seine Strategie die Harmonisierung eines bestimmten Gesellschaftsbildes sowie, die Aufmerksamkeit ganz auf die Defizite seines Gegenübers zu lenken. 3.4.2 Inkulturation als Dialog: Gregor von Nyssa und die Weisen Indiens Die Selbstverständlichkeit eines Miteinanders verschiedener religiöser und weltanschaulicher Traditionen in Indien ist auch Ausgangspunkt für einen intellektuellen Prozess bei Mar Gregorios, in dem er immer wieder das Element des ›Orthodoxen‹ mit dem des ›Indischen‹ zu verbinden sucht. Hier kristallisieren sich zwei Aspekte besonders heraus: Zum einen ist es die Einheitsvorstellung bei Mar Gregorios, die in einem intensiven Dialog der Traditionen unter der Prämisse eines anzustrebenden Miteinanders – sei es in Indien, sei es im globalen Kontext – steht. Zum anderen zeigt sich hier das Element des Indisch-Orthodoxen: So haben die letzten Kapitel gezeigt, dass das Motiv des Ostens eine hohe innere Konsistenz aufweist. Viele Elemente, die sich in seiner Imagination der Orthodoxie finden, erscheinen auch in der Imagination des Indischen. So ist es nur konsequent nunmehr auf die Stellen in seinem Werk einzugehen, wo er beide Elemente zueinander führt. Hier erhält seine Imagination der Indischen Orthodoxie klare Konturen: als genuin indische Form des Christentums, die nicht der Inkulturation bedarf, weil sie selbstverständlich und seit jeher in einem Dialog mit seinen Nachbarn steht, auf der Ebene des Alltäglichen, der Spiritualität wie auch des Intellektuellen. Wenn es um die intellektuelle Verschränkung des Indischen mit dem Orthodoxen geht, so sind auch hier Gregor von Nyssa und die Kappadokier das Vorbild für Mar Gregorios. Ungewöhnlich für eine Dissertation der Patristik, jedoch charakteristisch für Mar Gregorios, projiziert er die für ihn akute Diskussion um die Frage der Inkulturation in das vierte Jahrhundert. Er geht dabei auf zwei Möglichkeiten der Inkulturation des Christentums ein, die er bei den
969 Siehe: IV.1.3.1.
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Kappadokiern auf der einen sowie den Arianern (genauer: Heterousianern970) als deren Gegenspielern verkörpert sieht. Widmet er sich in der folgenden Passage somit vordergründig dem eunomianischen Streit, geht es ihm bei genauerem Hinsehen doch um ein ganz in seiner Gegenwart verortetes Problem: Aetius and Eunomius were seeking to indigenize Christianity by domesticating it within the current and acceptable philosophical framework which we have referred to as Alexandrian philosophy. Basil, Gregory Nazianzen, and Nyssa, equally or even better at home in current philosophy, saw it clearly that this kind of indigenization would destroy the Gospel itself which was sought to be indigenized. Hence it is of utmost importance, say for example in India, to see the two different approaches to indigenization, one followed by Aetius and Eunomius, and the other by the Cappadocian Fathers.971
Hier geht es keinesfalls ausschließlich um die historische Kontroverse zwischen Kappadokiern und Heterousianern, sondern vielmehr um zwei für ihn bis in die Gegenwart existierende Ansätze von Inkulturation, die er wie folgt zusammenfasst: »Eunomius sought to adopt Christianity to secular philosophy. The Cappadocians sought to adopt secular philosophy to the Christian Gospel.«972 Man kann die dahinterstehende Fragestellung auch wie folgt formulieren: Wo ist die Grenze zwischen gelungener Inkulturation und Häresie? Mar Gregorios macht dies an dem Ausgangspunkt theologischen Denkens fest. Sei die Norm im Falle der Kappadokier das Bekenntnis zur Inkarnation sowie Trinität, machten Aëtios von Antiochia († 376) und dessen Schüler Eunomius († 395) gerade die Denkkategorien ihrer Umwelt zur Norm für ihr theologisches Denken. Die Vorstellung eines Gottes, der Mensch wird, ist für platonische bzw. neuplatonische Philosophie unvorstellbar, weil das Charakteristikum Gottes die ›Ungezeugheit‹ (ἀγεννησία) ist. Demnach kann Christus nicht ganz Gott sein, da der ›Einziggeborene‹ (μονογενής) sich gerade dadurch auszeichnet, dass er geboren ist und daher nicht Gott sein kann.973 Die Annahme, Christus sei Gott und damit einhergehend auch die Vorstellung einer Trinität, sind aufgrund der Denkvoraussetzungen für Aëtios und Eunomius unmöglich:
970 Aëtios und sein Schüler Eunomius zählen zu der gelegentlich als ›Neu-Arianer‹ bezeichneten Gruppe der ›Heterousianer‹. Heute wird der Begriff ›Arianer‹ in Bezug auf die beiden nicht mehr gebraucht, da sie zwar in vielerlei Hinsicht ›arianisches‹ Gedankengut weiterführen, jedoch keinen direkten Bezug auf Arius nehmen und deshalb als eigenständige Gruppe gelten müssen. Mar Gregorios gebraucht in Cosmic Man durchgängig den Begriff ›Arianer‹, was jedoch weniger auf Ungenauigkeit seinerseits zurückzuführen ist als auf gängige wissenschaftliche Praxis zu der Zeit. Wenn hier nicht unmittelbar auf Texte von Mar Gregorios Bezug genommen wird, wird der historisch und theologisch korrekte Ausdruck ›Heterousianer‹ gebraucht. 971 Mar Gregorios, Cosmic Man, 26. 972 Ebd. [im Original hervorgehoben]. 973 Vgl. ebd., 27–28.
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Philosophically that is more respectable than saying that the unchangeable God became something he was not, namely Man. The Christian doctrine that God who is unchangeable, became something he was not, namely Man, without change, is philosophically quite inconsistent.974
Während die Heterousianer dem Sohn die Göttlichkeit aufgrund ihrer Denkvoraussetzungen gleichsam absprechen müssen, ist der Ausgangspunkt für die Kappadokier die erkannte und geglaubte Offenbarung des trinitarischen Gottes, die sie nunmehr in Begriffen ihrer hellenistischen Umwelt zu kommunizieren suchen, wenngleich sie festhalten, dass jene Begriffe nicht dazu ausreichen, diese Wahrheit zu fassen.975 Worte, Begriffe und Sprache sind keine Schöpfungen Gottes, sondern des Menschen und vermögen lediglich zu helfen, nicht Heil zu vermitteln – so etwa im Falle der Vorstellung der Ungezeugtheit (ἀγεννησία) Gottes: Gregory [of Nyssa] would argue that the word agenne¯tos is also the creation of the human mind (epinoia), arising out of human reflection. It says only what God is not, but does not explain his ousia, says Gregory. The world is not ›innate‹, nor does its ennoia correspond with the ousia of God.976
Jene apophatische Erkenntnis verbietet jedoch nicht, sich Begriffen und Vorstellungen zu bedienen, um die Wahrheit Gottes, die jenseits der Sprache liegt, auszudrücken. Gerade die Tatsache, dass keine Sprache der Welt vermag, dem Geheimnis Gottes nahe zu kommen, ermöglicht dem Theologen, sich der Sprache seiner Zeit und seines Kontextes zu bedienen. Für Gregor von Nyssa und die Kappadokier ist dies die Sprache und Vorstellungswelt der griechischen Philosophie, die sie gebrauchen, der sie sich jedoch nicht unterwerfen.977 Das Vorgehen der Kirchenväter lässt sich nach Mar Gregorios auf den indischen Kontext und indische Philosophie übertragen. Auffällig bleibt dabei jedoch, dass Mar Gregorios diese Übertragung zumeist nur implizit über die griechischen Kirchenväter legitimiert: Wie der Umgang der griechischsprachigen Kirchenväter eine byzantinische Orthodoxie begründet, die nicht verschweigt, dass sie sich in Sprache und Vorstellungswelt hellenistischer Philosophie bedient, so darf eine indische Orthodoxie gleichermaßen Sprache und Vorstellungswelt ihres Kontextes dazu nutzen, die Wahrheit des Evangeliums zum Ausdruck zu bringen. Wie die byzantinische Orthodoxie eine im Hellenismus inkulturierte 974 975 976 977
Ebd., 32. Vgl. ebd., 26–27. Ebd., 33. Dabei stellt Mar Gregorios bereits zu Beginn seiner Arbeit heraus, dass er damit der herrschenden Meinung, Gregor sei ein Platonist oder Neo-Platonist, kritisch gegenübersteht. Vgl. ebd., vii: »The book also seeks to show that the attempts to classify Gregory as a Platonist or a Neo-Platonist cannot stand examination.«
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Form des Christentums ist, so soll auch die indische Orthodoxie eine sein, die in der Denkform genuin indisch ist. Als Gewährsmann dieses Vorgehens zieht Mar Gregorios in Cosmic Man Jean Daniélou heran, in dessen Werk Platonisme et Théologie Mystique dieser das Verhältnis von platonischer Struktur und christlicher Semantik bei Gregor von Nyssa beschreibt. Demnach sei Gregors Denken »rein christlich«, bediene sich jedoch »philosophischer Kategorien der Zeit, in dem es entstanden«978 sei. Das folgende von Daniélou angeführte Beispiel kommt dabei Mar Gregorios entgegen: »La structure platonicienne est donc un accident ici. C’est la même pensée substantielle qui pourrait s’exprimer ailleurs en empruntant les cadres de la technique bouddhiste. Elle n’en serait pas moins mystique chrétienne et non mystique bouddhiste.«979 Mar Gregorios nimmt bewusst den Weg über die patristische Ära und den Typus eines Denkers wie Gregor von Nyssa, um sich als Indisch Orthodoxer gegenüber Theologen der Inkulturation abzugrenzen. In Texten, in denen Mar Gregorios sich hinduistischen oder buddhistischen Konzepten zuwendet, scheint er kaum einer solchen Legitimation zu bedürfen: Er versteht sich selbst als Theologe im indischen Kontext, der sich Vorstellungen hinduistischer und buddhistischer Provenienz bedient, wie Gregor von Nyssa dies etwa in Bezug auf neuplatonische Vorstellungen tat. In den Texten aus Mar Gregorios’ Feder, die sich indischem Denken aus theologischer Perspektive widmen – im Unterschied etwa zu Enlightenment East and West, wo Mar Gregorios kein theologische, sondern die Frage nach einer intellektuellen Grundlage für eine geeinte indische Nation stellt –, herrscht gleichsam eine Selbstverständlichkeit der Rezeption indisch-religiöser Denker vor. Immer wieder stellt Mar Gregorios die Frage etwa danach, welche Ansichten indischer Denker sowie religiöser Systeme aus seiner Sicht mit christlichen Vorstellungen konvergieren. Eines der Grundmotive einer solchen Konvergenz ist erneut das der Einheit. Vergleicht Mar Gregorios etwa Gregor mit Denkern des Veda¯nta980 oder widmet er sich der Herausforderung des Hinduismus981 aus christlicher Sicht, steht dieses Motiv im Zentrum. 978 Daniélou, Platonisme, 9: »Ainsi l’étude de tous les textes nous a convaincu qu’il n’y avait pas lieu de chercher quels étaient les éléments platoniciens de la pensée de Grégoire, mais qu’il fallait nous habituer à cette vue d’une pensée purement chrétienne, mais qui a emprunté ses formes d’expression à la langue philosophique du temps où elle s’est constituée.« [im Original hervorgehoben]. Zitiert in: Mar Gregorios, Cosmic Man, 12. 979 Daniélou, Platonisme, 9 [im Original hervorgehoben]. Zitiert in: Mar Gregorios, Cosmic Man, 12. Vgl. auch ebd., xvii–xviii. 980 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 101–12. 981 Vgl. Paulos Mar Gregorios, »The Challenge of Hinduism. What Can Christians Learn from It?«, in The Secular Ideology. An Impotent Remedy for India’s Communal Problem (Delhi: The Indian Society for Promoting Christian Knowledge [u. a.], 1998), 85–94. In deutscher Sprache veröffentlicht als: Paulos Mar Gregorios, »Die Herausforderung des Hinduismus.
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Bei dieser Feststellung lohnt es sich, zunächst zu verweilen, da hierin ein wesentliches Motiv zu sehen ist: Immer wieder sucht Mar Gregorios das ›indische Element‹ in der christlichen Orthodoxie in jener Vorstellung der Einheit von Gott, Mensch und Welt, um zugleich auf Basis von Gregor von Nyssas Kosmologie auch vedantische Vorstellungen einer Kritik zu unterziehen. Christliche Mystik bediene sich keiner einfachen (monistischen) Vorstellung von Gott, Mensch und Welt, sondern lasse die Spannung von verwirklichter Einheit in Christus und noch nicht verwirklichter Vereinigung unter den Bedingungen von Raum und Zeit unaufgelöst, indem sie von der andauernden Einswerdung von Gott und Mensch und Welt in der Theosis spreche.982 Es existiert eine bemerkenswerter ›Sub-Diskurs‹ in Mar Gregorios’ Werk, wenn es um diese Einheitsvorstellung im Sinne des mystischen Elements in der christlichen Theologie und im indischen Denken geht. So greift Mar Gregorios wiederholt auf, dass es insbesondere der Einfluss des Neuplatonismus auf die christliche Theologie gewesen sei, die zu deren mystischer Prägung beigetragen hätte. Forscher wie der bereits zitierte Jean Daniélou vertraten dabei die These, dass Plotin (205–270), der als Wegbereiter983 des Neuplatonismus gelten kann, möglicherweise Berührung mit indischem Denken gehabt habe. Daniélou etwa stellt die Vermutung auf, Plotins Lehrer Ammomius Sakkas († 242 oder 243) sei möglicherweise indischer Buddhist gewesen. Mar Gregorios bezeichnet diese These als ›Spekulation‹984, setzt dem jedoch die nicht weniger spekulative These entgegen, Ammonius sei »aller Wahrscheinlichkeit nach ein Vedantin«985 gewesen und die starke Betonung der Einheit aller Dinge sei eine ›indische Idee‹, die Plotin rezipiert habe: »The one thing that Plotinus acquired from Ammonius was
982 983
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Was kann das Christentum von ihm lernen?«, Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie, Nr. 22 (1986): 27–32. Ausführlich dazu im weiteren Verlauf des Kapitels. Mar Gregorios spricht in diesem Zusammenhang von Plotin zumeist als ›Neuplatoniker‹. Andrew Louth weist mit Recht darauf hin, dass bei Plotin und seinen unmittelbaren Schülern dieser Begriff eine spätere Zuschreibung darstellt, da diese sich selbst schlicht als ›Platoniker‹ sahen. Vgl. Andrew Louth, The Origins of the Christian Mystical Tradition. From Plato to Denys (Oxford [u. a.]: Oxford University Press [u. a.], 1981), 37 (in Bezug auf Plotins Enneaden V.1.8). Vgl. Mar Gregorios, »Geography«, 16: »Let us leave aside these entertaining speculations, and get back to the question, ›who was this Ammonius Saccas?‹ What in his teaching, according to Porphyry, made Plotinus say, ›this is what I was looking for!‹« Vgl. auch Paulos Mar Gregorios, »Hind and Hellas. A Story of Some Ancient Encounters and a Question about Tomorrow«, in Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 291; Paulos Mar Gregorios, »The Catalyst in Neoplatonism and Christian Mysticism. What Indian Element Catalysed the Thought and Experience of Ammonius Saccas and Plotinus?«, in Philosophy East and West, hg. von Kondothra M. George (Kottayam: Mar Gregorios Foundation [u. a.], 2013), 302. Mar Gregorios, »Hind and Hellas«, 291: »He was almost certainly a Vedantin, but not necessarily an Indian.«
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the idea of the union of the Many with the One, or the realisation of their given unity. […] There need [to] be no question that Plotinus, who tried to go to India, got his Vedantic idea from Ammonius Saccas.«986 Jene These wirft Fragen auf. Was meint Mar Gregorios mit dem Begriff ›vedantisch‹? Das Veda¯nta als Schule indischer Philsophie nahm erst Jahrhunderte nach Plotin Formen an.987 Was Mar Gregorios hier vor Augen hat scheint also im besten Falle eine Vorform zu sein. So geht etwa die ältere Forschung von einer Berührung Plotins mit den Upanisaden aus, die als zentrale Quelle des Veda¯nta und dessen Einheitsvorstel˙ lungen gelten kann.988 Was jedoch an dieser Stelle von primärem Interesse ist, ist die Schlussfolgerung, die Mar Gregorios aus der These, Plotin sei wesentlich durch indisches Denken beeinflusst worden, zieht: Christianity – Latin, Greek or Anglo-Saxon, has largely been unwilling to acknowledge its debt to the East particularly to Persia and India. […] It is much more difficult, for scholar and layman alike, to recognise that the central element in Christianity, namely our union with Christ and through him with God, is not a Greek idea or a Semitic notion, but clearly an Indian idea.989
Auf den Punkt gebracht lautet Mar Gregorios’ Schlussfolgerung: Alle Mystik hat ihren Ursprung in Indien. Und dieses mystische Denken fand seinen Weg über den Neuplatonismus durch die Kirchenväter in das Christentum, wo es zu dem zentralen Element geworden ist. In dem hier untersuchten Text wie anderen Texten, die sich dieser Sache widmen, zieht Mar Gregorios nie expressis verbis den Rückschluss hinsichtlich der ›Erfindung der Indischen Orthodoxie‹: dass eine Orthodoxie, die sich Begriffen und Vorstellung ihrer indischen Umwelt bedient, etwas tut, das – über Umwege – von Beginn an das Christentum prägte. Pointiert könnte man sagen: Das Christentum ist eine indische Religion, da das zentrale Element in ihm indischen Ursprungs ist – die Vereinigung des Menschen mit 986 Ebd. 987 So gilt als früheste Ausprägung des Veda¯nta das Advaita Veda¯nta, dessen früher systematischer Denker S´an˙kara um 800 n. Chr. lebte. 988 Wichtigster Vertreter dieser These, auf den sich auch Mar Gregorios bezieht, ist Emile Bréhier (1876–1952), die er in seinem Werk La Philosophie de Plotin aus dem Jahr 1928 ausführt. Vgl. etwa Mar Gregorios, »Catalyst«, 303. Die neuere Forschung zweifelt derlei Verbindungen an. Vgl. etwa Joachim Lacrosse, »Plotinus, Porphyry, and India. A Re-Examination«, in Late Antique Epistemology. Other Ways to Truth, hg. von Panayiota Vassilopoulou und Stephen R.L. Clark (Basingstoke [u. a.]: Palgrave Macmillan, 2009), 103–17; Michal Just, »Neoplatonism and Parama¯dvaita«, Comparative Philosophy 4, Nr. 2 (2013): 1– 6. Bei den Upanisaden handelt es sich um den jüngsten Teil der Veden, die wiederum einen zentralen Korpus˙ heiliger Schriften des ›Hinduismus‹ darstellen. Besondere Bedeutung haben sie im Veda¯nta, da sich hier zentrale Vorstellungen von der Vereinigung von a¯tman und brahman finden. Die Upanisaden stellen mit der Bhagavad Gı¯ta¯ und den Brahma Su¯tras ˙ (prastha¯natraya) des Veda¯nta dar. Vgl. King, Orientalism die drei schriftlichen Grundlagen and Religion, 121. 989 Mar Gregorios, »Hind and Hellas«, 292–93.
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Gott. Dass die Aussage, das zentrale Element des Christentums sei eines, das in keinerlei direkter Beziehung zu dem Ursprung des Christentums stehe, aus dem Mund eines christlichen Theologen problematisch ist, scheint ihm bewusst zu sein. So versucht er später in dem Text auch Jesus und die Qumran-Gemeinschaft in Berührung mit indischem Denken zu bringen.990 Umso deutlicher wird daran, dass ihm wenig an einer historisch oder wissenschaftlich haltbaren Behandlung des Themas liegt, obgleich er sich immer wieder wissenschaftlicher Thesen zum Zusammenhang indischen Denkens mit dem Neuplatonismus bedient. Doch zeigt sich hier vielmehr paradigmatisch der Akt einer intendierten Wissensproduktion und daher Imagination. Mar Gregorios will eine Verbindung zwischen Indien und dem Christentum herstellen. Offenkundig tritt dabei das Motiv der Umkehrung von Machtverhältnissen zutage: Er versucht aufzuzeigen, dass ›der Westen‹ wesentlich vom indischen Erbe abhängig ist und fordert, dies anzuerkennen. Daneben besteht jedoch ein weiteres, implizites Motiv: Was heißt es, wenn der Neuplatonismus, der eine derartige Wirkung auf das Christentum in Ost und West hatte, in seiner Vorstellung von der Einheit ein Element indischen Denkens rezipierte? Hierin ist durchaus eine Legitimation indischer Orthodoxie zu erkennen: Ist es – wie oben dargestellt – absolut legitim als ein Kirchenvater wie Gregor von Nyssa neuplatonisches Denken für die eigene Theologie zu rezipieren, um wieviel mehr wäre es dann legitim, dies mit einer philosophischen Tradition zu tun, die Urquelle jenes Denkens sein soll? Und so verwundert es kaum, dass jenes Motiv der mystischen Einheit von Gott, Mensch und Welt im Zentrum von Mar Gregorios’ Beschäftigung mit den indischen religiösen Traditionen steht. In dem Kapitel ›Gregory of Nyssa and the Sages of India‹ in Freedom and Authority geht er dabei auf S´an˙karas Advaita Veda¯nta ein und bringt dies in Verbindung zu Gregors Denken.991 Die Frage ist primär die danach, auf welche Weise die Wirklichkeit als eine verstanden werden kann. So kann auch von einer christlich-eschatologischen Vision gesprochen werden, in welcher die Wirklichkeit ›advaita‹ (Sanskrit: ›nicht-dualistisch‹) ist, da »Gott alles in allem« (1Kor 15,28) sei. Doch bereits in dieser frühen Auseinandersetzung mit S´an˙kara übt Mar Gregorios Kritik an diesem von christlicher 990 Es ist jedoch sichtbar, dass es sich hierbei gleichsam um eine ›Absicherung‹ seiner These handelt, bringt er hierfür ansonsten keinerlei Belege an: »I would even argue that the Lord Jesus, whose human mind was shaped by both the Hebrew Scriptures and by the ritualmystic monasticism of the Qumran communities, was not totally free from these Indian influences which had long before his time penetrated Judaism and the near eastern civilization.« Ebd., 293. Vgl. auch Verghese, Freedom and Authority, 155–56. 991 Daneben befasst er sich in dem Kapitel mit Ra¯ma¯nuja (1050–1137), der als Hauptvertreter des Vis´ista¯dvaita Veda¯nta (= Veda¯nta des modifizierten Nicht-Dualismus), den er jedoch weniger˙˙direkt mit christlicher Theologie ins Gespräch bringt, weshalb im Folgenden Mar Gregorios’ Dialog zwischen S´an˙kara und Gregor von Nyssa im Zentrum steht.
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Warte aus: Das Christentum vermag von der Einheit von Gott, Mensch und Welt in Christus sprechen, jedoch lediglich im Sinne einer eschatologischen Wirklichkeit. Die Welt und der Mensch sind als solche – mit Gregor von Nyssa gesprochen – dem διάστημα unterworfen. Die Einheit muss noch Wirklichkeit werden. Für S´an˙kara jedoch ist die Einheit keine Sache, die Wirklichkeit werden muss, sondern die bereits Wirklichkeit ist und es liegt lediglich am Menschen, diese Tatsache zu erkennen: It is an experience to which one attains in this life itself – not a future hope – i. e. the awareness that I am Brahman and that my nature is neither that of agent (subject) or enjoyer (object), nor it ever was, nor ever will be. Brahmavidya, Para¯vidya, or atmavidya, whatever you call it, is not a matter of becoming but of realization.992
Die Entzweiung von Gott auf der einen und der Welt und des Menschen auf der anderen Seite ist bei S´an˙kara ein rein epistemologisches Problem, jedoch kein ontologisches.993 Die Wahrnehmung einer Differenz ist für ihn Illusion (maya) aufgrund der Unwissenheit (avidya) des Menschen. Das Heil liegt in der individuellen Erkenntnis ( jnana) der Einheit von der Seele mit Gott: A¯tman ist brahman.994 Aufgrund dessen, was bereits zur Rezeption Gregor von Nyssas bei Mar Gregorios gesagt wurde, wird klar, warum er diese Ansicht des Advaita Veda¯nta kritisch sieht: Für Gregor besteht ein ontologischer Hiatus, in dem jener epistemologische Hiatus zwischen Gott und Mensch begründet ist. Dies wird bei Gregor unter dem Begriff der διάστημα gefasst. Von hier wird das heilvolle Handeln des trinitarischen Gottes in Christus plausibel. Dieses Geschehen wiederum initiiert den Prozess der Theosis, in dem der Mensch wird, was er eschatologisch-christologisch bereits ist: eins mit Gott. Dennoch bleibt der Mensch auch in der höchsten Stufe der Theosis von Gott unterschieden, weil er Geschöpf bleibt, in seiner Ebenbildlichkeit vom Schöpfer anhängig.995 Wo bei Gregor Differenz und Einheit in einer bleibenden Spannung zueinander stehen, stellt der Monismus S´an˙karas das mögliche Wissen des Einzelnen um die Wirklichkeit in Aussicht, in dessen Falle ethisches Handeln (karma) wie Gottesdienst (upa¯sana¯) in letzter Konsequenz hinfällig werden.996 Hier exisitiert kein Prozess und keine Verwandlung oder Veränderung der Welt, sondern nur der Wechsel des Menschen vom Zustand des Nichtwissens in den der Erkenntnis. Hier liegt der Grund, warum Mar Gregorios gegen Ende des Kapitels zu der Aussage kommt: »There is no way of expressing Christian faith in Sankara’s
992 993 994 995 996
Ebd., 107–8. Vgl. ebd., 108. Vgl. Mar Gregorios, Cosmic Man, 97 (Anm. 66); Verghese, Freedom and Authority, 103, 110. Vgl. ebd., 110. Vgl. ebd., 102.
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terms.«997 Marina True liegt falsch, wenn sie aus diesem Satz schließt, Mar Gregorios vertrete die Ansicht, Tradition sei »stets partikular und kontextuell«998 und deshalb könne man sich eben nicht der Sprache etwa des Veda¯nta bedienen, um den christlichen Glauben zum Ausdruck zu bringen. Das Gegenteil ist in dem vorliegenden Kapitel der Fall: Mar Gregorios versucht mithilfe von Begriffen des Veda¯nta die christliche Wahrheit zum Ausdruck bringen, um damit gerade das zu tun, was er bei Gregor als angemessene Form der Inkulturation versteht. Er zeigt jedoch anhand des Vergleichs zwischen S´an˙kara und Gregor auf, wo jene beschriebene Grenze zwischen Inkulturation und Häresie liegt: That affinity is there between Sankara and Gregory, there can be no doubt. They belong essentially to the same way of thinking, though Sankara is much more rigorous in his logic than Gregory. Gregory’s thought operates within the framework of the Incarnation. Sankara’s absolute non-dualism finds no place of significance either for history or for matter or even for personal existence. Once all differentiation is excluded the two central doctrines of the Christian faith – the Holy Trinity and the Incarnation – become impossible. There is no way of expressing Christian faith in Sankara’s terms.999
Wenn Mar Gregorios sagt, dass es unmöglich sei, christlichen Glauben in Begriffen S´an˙karas auszurücken, meint er mit ›Begriffen‹ (terms) weniger die Worte, denn die dahinterliegenden Vorstellungen. Es ist demnach durchaus möglich, etwa in Begriffen S´an˙karas zu erklären, was ein christliches Konzept von Wirklichkeit ist – nichts anderes tut er in jenem Kapitel –, jedoch ist es unmöglich, zentrale Vorstellungen des Advaita Veda¯nta ungebrochen für die christliche Theologie zu rezipieren, da man damit wesentliche Kerngehalte des christlichen Glaubens ablehnen müsste. Wenn – wie im Falle von Eunomius und dem Neuplatonismus – die Kategorien des Advaita zur wahren Norm werden, um das Christentums daran zu messen, entspräche dies nach Mar Gregorios einer Häresie. Hier liegt letztlich die Kernkritik Mar Gregorios’ an Versuchen der Inkulturation des Christentums. Worum es ihm geht, ist weniger eine Verschmelzung von Christentum und indischer Religion, sondern vielmehr ein angemessener Ausdruck des Christentums als indischer Religion. Dort liegt die Aufgabe einer indischen Orthodoxie als indischer Religion im indischen Kontext. Eine solche indische Orthodoxie ist in Mar Gregorios’ Texten vorgebildet. Auch wenn sich – wie hier geschehen – durchaus theoretisch-systematische Spuren einer Legitimation finden, die einer ›patristischen Denkform‹ zu folgen versuchen, so ist es doch vielmehr die beschriebene Form der denkerischen Praxis von Mar Grego-
997 Ebd., 112. 998 True, »Prophet«, 114: »Thus tradition is always particular and contextual.« 999 Verghese, Freedom and Authority, 112.
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Imaginationen des Ostens
rios, die zum Vorbild eines indisch-orthodoxen Denkens und Theologisierens geworden ist. Dabei fordert Mar Gregorios immer wieder, den hier aufgezeigten Dialog auf intellektueller Ebene zu transzendieren und zu einem Dialog auf der Ebene der Spiritualität zu kommen. Hier findet sich das Grundmotiv in Mar Gregorios’ Denken wieder, dass eine Begegnung auf der Ebene der Spiritualität und des Gottesdienstes über eine verbal-intellektuelle Auseinandersetzung hinausgehe. Dass er diese Form der Begegnung auch auf der Ebene des ÖRK förderte und forderte, brachte ihm nach eigenen Angaben viel Kritik seitens protestantischer Kräfte ein.1000 Was bedeutet jedoch jener Dialog auf der Ebene der Spiritualität für seine Imagination der Indischen Orthodoxie? Welche Funktion kommt etwa der Dialog mit dem ›Hinduismus‹ für einen indisch-orthodoxen Gottesdienst zu? Blickt man auf seine Forderung nach einer Neuentdeckung monastischer Formen, gerät erneut das Ashram als Ort eines intensiv geführten spirituellen Dialogs in den Blick: Wenn er im ›Indischen Postskript‹ zu Freedom and Authority die Neuentdeckung des christlichen Ashrams fordert, deutet sich hier an, dass er dieses auch als Ort der Neuentdeckung einer authentisch indisch-orthodoxen Spiritualität versteht.1001 Hier lassen sich Parallelen entdecken zu Versuchen der Inkulturation von katholischer Seite, etwa durch Bede Griffiths oder Francis Mahieu Acharya (1912–2002). Insbesondere letzterer bemühte sich dabei um eine Integration von westsyrischer und indischer Tradition im Gottesdienst und in der Form des monastischen Lebens und verstand dies auch als Rückkehr zu einem ursprünglichen Idealbild der Thomaschristenheit.1002 Mar Gregorios’ 1000 Vgl. Mar Gregorios, »Vision of the Ultimate«, 186–87. 1001 Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 161. Es sei darauf hingewiesen, dass die Beschäftigung mit dem Ashram als Ort genuin indischer Spiritualität bei Mar Gregorios nicht nur Christentum und ›Hinduismus‹, sondern eben auch Buddhismus einschließt, den er – wie zuvor dargestellt – als indische Religion in den Blick nimmt. So verfolgte Mar Gregorios interessiert die Arbeit der Buddhist-Christian Monastic and Contemplative Encounter Group und äußerte Interesse mitzuarbeiten. Morris J. Augustine, »Monastic and Contemplative Encounter Group«, Buddhist-Christian Studies, Nr. 8 (1988): 197. Hierin kann eine gewisse Verwandtschaft zu einem wichtigen römisch-katholischen spirituellen Denker des 20. Jahrhunderts gesehen werden – Thomas Merton (1915–1968) –, der zugleich zutiefst inspiriert war von der Spiritualität der Ostkirchen. Zur Einführung vgl. Martin Tamcke, Im Geist des Ostens leben. Orthodoxe Spiritualität und ihre Aufnahme im Westen. Eine Einführung (Frankfurt am Main: Verlag der Weltreligionen, 2008), 147–179. 1002 Zur Person und Vision Francis Acharyas vgl. Marthe Mahieu-De Praetere, Kurisumala. Francis Mahieu Acharya. A Pioneer of Christian Monasticism in India, Cistercian Studies Series 214 (Kalamazoo: Cistercian Publications, 2008). Seine Entwürfe von Liturgie und Stundengebet orientieren sich am westsyrischen Ritus, nehmen aber ›indische Elemente‹ in Sprache und Form auf: Francis Acharya, Prayer with the Harp of the Spirit. The Prayer of Asian Churches. Volume I: A Weekly Celebration of the Economy of Salvation (Vagamon: Kurisumala Ashram, 1983); Francis Acharya, Prayer with the Harp of the Spirit. The Prayer of Asian Churches. Volume II: The Crown of the Year. Part I (Vagamon: Kurisumala
Die Indische Orthodoxie
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Skepsis mag auch mit der Tatsache zu tun gehabt haben, dass es sich hierbei um eine katholischen – und zudem europäischen – Versuch handelte. Bei Mar Gregorios nahm dies niemals derart konkrete Formen an. Seine Vision eines monastischen Lebens in Indien blieb stets eine Idee. Hier findet sich eine tiefe innere Spannung, was die Person und das Werk Paulos Mar Gregorios’ angeht: Bei aller Betonung, dass das Spirituelle das Intellektuelle transzendiere, dass es letztlich nicht auf das Verstehen, sondern das Erfahren und geistliche Leben in einer Gemeinschaft ankomme, blieb er doch in erster Linie ein Denkender, Individualist und Imaginierender. Als solcher ist er im Gedächtnis seiner Kirche geblieben: »Philosopher, Theologian, Writer, Ecumenical Leader, Philanthropist, Prophet of Peace With Justice and above all great Lover of Gods Creation.«1003
Ashram, 1982); Francis Acharya, Prayer with the Harp of the Spirit. The Prayer of Asian Churches. Volume III: The Crown of the Year. Part II (Vagamon: Kurisumala Ashram, 1985); Francis Acharya, Prayer with the Harp of the Spirit. The Prayer of Asian Churches. Volume IV: The Crown of the Year. Part III (Vagamon: Kurisumala Ashram, 1986). 1003 Siehe: Abbildung 8.
V
Fazit
Auf die Frage, was die ökumenische Bewegung sei, antwortete Ernst Lange (1927– 1974) einmal: Sie ist ein – zugegeben: sehr ernsthaftes Spiel mit einer Möglichkeit. Sie ist – abgesehen von ihrer Funktion als Instrument internationaler Zusammenarbeit – eine Werkstatt, in der Zukunft entworfen, eine Option für die Kirchen erarbeitet wird. Sie ist eine Antizipation.1004
Paulos Mar Gregorios, dessen Leben und Werk Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit war, verkörpert wie kaum ein anderer dieses ›sehr ernsthafte Spiel mit einer Möglichkeit‹. Imagination von Tradition versteht er als eben jene Antizipation der Zukunft – einer Zukunft, für welche weder der endgültige Bruch mit der Tradition noch das schlichte Wiederholen überkommener Überlieferung angemessen ist. Imagination von Tradition verbindet Vergangenheit und Zukunft. Mar Gregorios’ Imaginationen zeigen ihn als Denker in der Lücke zwischen beidem: Antizipation findet für ihn nicht in einem geschichtslosen Raum statt. Antizipation stellt einen kreativen Umgang mit der Vergangenheit im Horizont einer Zukunft dar, die es wiederum zu gestalten gilt. Die ökumenische Bewegung war für Mar Gregorios das Spielfeld, das sich jedoch nicht nur als Ort der Imagination von Einheit offenbarte, sondern zugleich als Aushandlungsort von Identität und Differenz. So beschreibt er sein Verständnis des ökumenischen Unternehmens einmal wie folgt: unity is not a mere matter of structure, of Faith and Order, but also of love and personal community of cultural and political tensions transcended but not overlooked by love, a unity that moves on in struggle and hope, receiving fresh wounds and still looking for healing in companionship and disagreement.1005
1004 Ernst Lange, Die ökumenische Utopie oder: Was bewegt die ökumenische Bewegung? Am Beispiel Löwen 1971. Menscheneinheit – Kircheneinheit (Stuttgart [u. a.]: Kreuz Verlag, 1972), 24. 1005 Mar Gregorios, »Captive Freedom«, 110.
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Fazit
Mar Gregorios scheint sich erst recht selbst zu verstehen angesichts seines Gegenübers, das er immer wieder mit dem Begriff des ›Westens‹ tituliert. Die Ökumene in der ganzen Weite des Begriffs wurde so zu dem Ort, an dem er seine Imaginationen des ›Ostens‹ entwarf – wohl wissend, dass der ›Westen‹, dem er mit harscher Polemik begegnete, Teil seiner selbst war und blieb.1006 So manifestiert sich in seiner Person die Erkenntnis, dass die ökumenische Bewegung nicht nur zu einem beeindruckenden Miteinander unter den Kirchen geführt hat, sondern zugleich Aushandlungsort von Identität und Differenz war und ist: eine Bewegung, die eben jene ›Gemeinschaft‹ verbindet, aber in gleicher Weise auch ›Uneinigkeit‹. Wird die ökumenische Bewegung so verstanden, kommt Mar Gregorios als fundamental ökumenischer Denker zum Vorschein: Sein gesamtes Denken war durch diese im Dialog verortete Aushandlung von Identität, Differenz und Einheit geprägt. Seine Legitimation der Imagination von Tradition, wie sie in der vorliegenden Arbeit beschrieben wurde, stellt letztlich eine Legitimation jenes Prozesses der Aushandlung dar. Mar Gregorios’ ›Imaginationen des Ostens‹ sind das Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses. Er entwickelt jene Imaginationen keinesfalls systematisch, sie bilden das Grundmuster seines Denkens, sind stets präsent, wenn auch nicht immer explizit. Die vorliegende Arbeit hat den Versuch unternommen, jenes Implizite explizit werden zu lassen und die Stückwerke jener Imagination, die sich verteilt über sein gesamtes Werk finden, zusammenzutragen und zu einem Mosaik zusammenzufügen. Dabei kamen sodann drei grundlegende Motive und somit Imaginationen des ›Ostens‹ zum Vorschein, die zugleich den drei wesentlichen Rollen entsprechen, die Mar Gregorios auf dem Feld der Ökumene – im weiten Sinne des Wortes – für sich annahm. Er verstand sich als Vertreter der Orthodoxie als transkonfessioneller Imagination, was sich insbesondere auf dem Feld der kirchlichen Ökumene niederschlug. Er verstand sich als indischer Denker im Kontext der Diskussion um eine indische Identität in seinem Heimatland sowie im Dialog zwischen ›östlicher‹ und ›westlicher‹ Philosophie auf globaler Ebene. Er verstand sich als indisch-orthodoxer Denker und Theologe, indem er darin nicht nur die beiden ersten Aspekte miteinander verband, sondern zugleich der Frage nach der besonderen Identität des Thomaschristentums in Indien nachging. Bei aller Unterscheidung jener drei Motive des Ostens, die insbesondere in der jeweiligen Verortung in einem Diskurs begründet ist, zeigt sich hier auch eine deutliche Kontinuität und Einheit: Der ›Osten‹ bei Mar Gregorios ist der Ort des Mystischen, Transrationalen. Dabei versteht er dies nicht so, als sei der ›Osten‹ gleichsam der Hort der Unvernunft oder des Emotionalen. Dies würde orientalistische Klischees wiederholen, anstatt sie aufzubrechen. Jener ›Osten‹ – sei 1006 Vgl. besonders Mar Gregorios, Freedom and Authority, 141–42.
Fazit
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dieser orthodox, indisch oder indisch-orthodox – ist der Ort, wo rationale und transzendente Erkenntnis in ein rechtes Verhältnis gesetzt sind. Die mystische Erfahrung weiß um die Grenzen des Verstandes und der menschlichen Sprache und weist ihr somit zugleich den rechten Platz zu. Säkulare und religiöse Erkenntnis stehen daher nicht im Widerspruch zueinander, sondern sollten einander befruchten, im Interesse der Einheit der Menschheit. So stehen Mar Gregorios’ Imaginationen des ›Ostens‹ – je auf ihre Weise – für sein Plädoyer einer bleibenden Bedeutung von Religion und religiöser Erkenntnis angesichts eines prognostizierten ›säkularen Zeitalters‹. Zugleich bezeichnet er jenen ›Osten‹ mancherorts als »Korrektiv«1007. Doch handelt es sich um mehr als das. Hier findet sich die Idee einer friedlichen Koexistenz, jenseits der ›westlichen‹ Ideale von »Abenteuer und Expansion«1008. Mar Gregorios’ Imaginationen des ›Ostens‹ enthalten – neben der Idee des Transrationalen – ganz wesentlich auch die Idee, dass Differenz und Einheit einander nicht widersprechen. Beides steht in einem engen Zusammenhang: Wenn letztlich Gott oder die Wahrheit jenseits menschlicher Verfügbarkeit sind, führt dies zur Aufgabe von absoluten Wahrheitsansprüchen und ermöglicht das Zusammenleben von Menschen. Das schließt Streit nicht aus. Aber es entzieht jedem Paternalismus und jeder imperialen Haltung gegenüber dem Anderen den Boden. So kann Mar Gregorios’ Vorstellung einer wahrhaft ökumenischen Gemeinschaft weitergeführt werden – als Gemeinschaft, die sich ›streitet und liebt‹, gerade weil sie sich vor einem Gott weiß, dem sie gemeinsam nachjagen kann, der sich jedoch nie ergreifen lässt (vgl. Phil 3,12) und der somit zugleich jegliche konfessionellen Grenzen transzendiert. Mar Gregorios’ transkonfessionelle Imaginationen lassen sich nur verstehen von einem Gott her, der seinerseits transzendent und damit auch transkonfessionell ist. Die Vision einer ökumenischen Bewegung vereint somit auch hierin Partikularität und Universalität: Ausgehend von dem, was er gleichsam als Wesen der Orthodoxie versteht – den Apophatismus –, kommt er zu einer Vision von Ökumene, die letztlich die gesamte Menschheit des Erdkreises (οι᾿κουμένη) in den Blick nimmt. Kritik an Paulos Mar Gregorios kann dort geübt werden, wo er selbst dem Anspruch dieser Vision nicht vollends gerecht geworden ist. Er, der Zeit seines Lebens Kritik- und Diskursfähigkeit von anderen einforderte, entzog sich an vielen Stellen selbst Kritikern und Diskursen. Auch saß er Trugbildern auf und war an vielen Stellen nicht bereit, diese zu hinterfragen. Hier findet sich die Krux jenes ›umgekehrten Orientalismus‹: Er ist – mit Edward W. Said gesprochen –, eben auch ein Denkmuster, das auf einer »epistemologischen Unterscheidung
1007 Mar Gregorios, »On God’s Death«, 45. 1008 Mar Gregorios, Enlightenment East and West, 13.
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Fazit
zwischen ›dem Orient‹ und […] ›dem Okzident‹«1009 basiert – wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen. Gilt es nicht, derlei Dichotomien zu überwinden? Und widersprechen Mar Gregorios’ Imaginationen des ›Ostens‹ nicht letztlich jener Idee eines friedlichen Zusammenlebens der Menschheit auf globaler Ebene? Die Welt und auch das Christentum lassen sich nicht in ›Ost‹ und ›West‹ einteilen. Doch hat die vorliegende Arbeit zugleich gerade jenen Abgrenzungsprozess als einen notwendigen Akt sichtbar werden lassen.1010 Dieser beschreibt die Emanzipation desjenigen, der im Diskurs nach wie vor marginalisiert wird. Wenngleich das Zeitalter des äußeren Kolonialismus vorüber ist, im Zuge dessen man seitens ›westlicher‹ Kirchen auch dem Proselytismus abgeschworen hat, repräsentieren die Machtstrukturen im Diskurs nach wie vor koloniale Verhältnisse. Mar Gregorios nahm das seinerzeit wahr und versuchte sich und die Kollektive, für die er zu sprechen meinte, sichtbar und hörbar werden zu lassen: als Orthodoxer, Inder und Indisch-Orthodoxer. Er war daher auch Provokateur und wollte dies sein. Er wusste um die Schmerzhaftigkeit jenes Prozesses, den Nederveen Pieterse und Parekh als internal decolonisation bezeichnen und blieb deshalb ein Denker ›auf der Schwelle‹: In seinem Werk stehen binäre Denkmuster neben Versuchen, Grenzen zu transzendieren.1011 Ein Zeitalter, das postkolonial und wahrhaft ökumenisch sein würde, blieb für ihn gleichsam eschatologische Hoffnung – jedoch eine, die zum energischen Handeln antreibt. Gerade die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in der Welt ließ es für ihn unvorstellbar sein, dass es je ein cor quietum in Deo geben könne.1012 Die Unruhe des Herzens wiederum erhob er – in seiner Wendung der Theosis-Vorstellung – zur obersten christlichen Tugend. Es bedürfte auch heute Menschen, welche auf diese Vorläufigkeit der Welt hinweisen würden –, die »provozieren, im Interesse der Kommunikation«1013 und »gleichermaßen stimulieren wie nerven«1014. Vielleicht wäre es an der Zeit, Streit als ökumenische Tugend wiederzuentdecken. Streit offenbart, dass man sich auch ökumenisch noch im Vorletzten1015 befindet. Antizipation heißt nicht Vollendung. Streit zeigt jedoch, dass man auf das Letzte hinstrebt, mit Ernst und Leidenschaft um die ökumenische Sache ringt und nicht in lethargischer Gleichgültigkeit verharrt. ›Versöhnte Verschiedenheit‹ darf nicht heißen, sich mit 1009 1010 1011 1012 1013
Said, Orientalism, 2. Vgl. ebenfalls in Bezug auf Said: Nederveen Pieterse und Parekh, »Shifting Imaginaries«, 5. Vgl. ebd., 6. Vgl. Verghese, Freedom and Authority, 46; Mar Gregorios, »On God’s Death«, 43–44. Ebd., xii: »But only one who loves can be permitted to provoke, even for the sake of communication.« 1014 Abrecht, »In Memoriam«, 112: »A forceful and often acerbic speaker, he sometimes stimulated and annoyed his audiences in about equal proportions.« 1015 Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 137–162.
Fazit
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den Verhältnissen zufrieden zu geben. In der Weise ist jenes heute immer wieder heraufbeschworene ökumenische Paradigma nie gemeint gewesen. Ein leidenschaftliches Streiten um die Wahrheit in dem Bewusstsein, dass sie zugleich jenseits des menschlichen Begreifens liegt, käme dem Anspruch, der sich hinter jenem Ausdruck verbirgt, deutlich näher.1016 Das ist ein anspruchsvolles ökumenisches Programm, doch scheint es genau das Fehlen jenes Anspruchs zu sein, das an vielen Stellen für die beschriebene Lethargie sorgt. Ökumene bleibt eine Bewegung und es braucht immer wieder Menschen, die sie daran erinnern, dass das Ziel noch nicht erreicht ist. Paulos Mar Gregorios war ein solcher Mensch. Er zeigte nicht nur auf, wo die ökumenische Bewegung ihrem Selbstanspruch nicht genügte, sondern auch, dass das eigentliche Ziel der Einheit so wenig durch die Mauern der Kirche begrenzt sein darf, wie Gott sich durch diese begrenzen lässt. Der Autor des vorliegenden Werkes – das sei zum Schluss als persönliche Note erlaubt – kann sich nicht frei davon machen, immer wieder selbst einen inneren Streit mit Paulos Mar Gregorios geführt zu haben: Mar Gregorios provoziert, auch heute noch. Doch war auch dies zweifelsohne ein Streit in eben jenem Interesse des ökumenischen Gesprächs, ein Ringen um Verstehen und darin – in aller Bescheidenheit – auch ein Ringen um Einheit. Dieses Ringen galt ihm stets als das vornehmste Ziel menschlichen Strebens. So kann das vorliegende Werk auch als das Ergebnis eines Prozesses verstanden werden, der kaum besser und pointierter zum Ausdruck gebracht werden kann als mit den Worten Martin Bubers: »Ich werde am Du«1017.
1016 So setzt Harding Meyer, von dem der Ausdruck der ›versöhnten Verschiedenheit‹ ursprünglich stammt, etwa die volle sakramentale Gemeinschaft, Anerkennung der Ämter sowie Aufhebung von Lehrverurteilungen zwischen den verschiedenen Konfessionskirchen voraus. Verschiedenheit meint somit die Beibehaltung konfessioneller und kultureller Traditionen unter der Voraussetzung des einen Glaubens. Vgl. etwa Harding Meyer, »›Einheit in Verschiedenheit‹ – ›konziliare Gemeinschaft‹ – ›organische Union‹. Gemeinsamkeit und Differenz gegenwärtig diskutierter Einheitskonzeptionen«, Ökumenische Rundschau. Eine Vierteljahreszeitschrift, 1978, 377–400; Harding Meyer, »›Versöhnte Verschiedenheit‹. Korrekturen am Konzept der ›konziliaren Gemeinschaft‹«, Lutherische Monatshefte 14 (1975): 675–79. Vgl. auch einen neueren Beitrag aus römisch-katholischer Perspektive, der ebenfalls den apophatischen Vorbehalt zum Ausgangspunkt eines gelingenden ökumenischen Dialogs macht: Bernhard Nitsche, »Konfessionelle Identität und christliche Wahrheit«, in Ökumene – Überdacht. Reflexionen und Realitäten im Umbruch, hg. von Thomas Bremer und Maria Wernsmann (Freiburg im Breisgau: Herder, 2014), 144– 69. 1017 Buber, »Ich und Du«, 44.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der junge Paul Verghese. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 34 Abbildung 2: Paul Verghese und Haile Selassie. Es handelt sich jedoch um eine spätere Aufnahme, nach 1961, sichtbar daran, dass Paul Verghese die Kleidung eines Priesters trägt. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 45 Abbildung 3: Erstes Treffen der Gemeinsamen Arbeitsgruppe in Bossey 1965. Paul Verghese: hintere Reihe, dritter von rechts. Rechts neben ihm: Lukas Vischer und Nikos Nissiotis. Quelle: John Taylor/WCC – WCC Archives B7143-29. 65 Abbildung 4: Paulos Mar Gregorios mit Philip Potter. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 93 Abbildung 5: Paul Verghese bei der Weltkonferenz von Faith and Order 1963 in Montreal. Quelle: John Taylor/WCC – WCC Archives, B6583-21. 97 Abbildung 6: Paulos Mar Gregorios und Tenzyn Gyatso, der 14. Dalai Lama. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 102 Abbildung 7: Paulos Mar Gregorios auf der ÖRK-Vollversammlung in Canberra 1991. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad). 106 Abbildung 8: Grab von Paulos Mar Gregorios im Seitenschiff der Kapelle des Orthodox Theological Seminary. Quelle: Nachlass Paulos Mar Gregorios (verwaltet durch Joice Thottackad. 115
Register Kursiv gesetzte Seitenangaben verweisen auf Anmerkungen.
1 Ortsregister Aarhus 68, 70, 71, 73, 143 Adama → Nazareth (Äthiopien) Addis Abeba 40, 42–44, 54f., 56, 68, 71, 73– 75, 80, 95, 99 Alexandria 177, 217, 221 Alwaye 49 Ambo 43f. Amsterdam 74 Antiochia 31, 51, 53, 177, 213f., 216f., 221f., 222, 224, 238 Asien 63, 99, 101 Äthiopien 37–41, 43–45, 49f., 54f., 56, 57, 63, 73, 177, 214 Australien 37 Babylon 217 Beirut 76 Bossey 64, 65 Bristol 68 Byzanz 177 Canberra 105f. Chambésy 71, 95, 109 Chennai → Madras Chicago 45, 112 Cochin 27, 32, 35–37 Damaskus 84 Delhi 49, 64, 86, 88, 113f. Deutschland 38, 113, 193 Diamper 52, 235
Edinburgh 161, 167 Ephesus 51 Ernakulam 37 Etschmiadsin 74, 76 Europa 17, 38, 45, 86, 162, 202f., 206 Genf 47, 62–64, 68, 71, 78f., 81, 85, 95, 96, 101, 164, 187 Golfstaaten 86 Großbritannien 37, 121 Hadama → Nazareth (Äthiopien) Indiana 44, 47 Indien 16, 17, 19, 21–22, 24, 27, 28–32, 35, 37–39, 40, 42, 45, 49–51, 53, 55, 56–57, 61, 77–79, 80, 81–84, 86, 88, 90, 94f., 101, 109–111, 122, 143, 156, 159, 167, 184f., 187–191, 193–196, 198–206, 208, 211f., 217–219, 221–225, 227–232, 234, 236– 238, 242f., 247, 250 Irak 50 Japan 37f. Jimma 42, 56 Kalkutta 85 Kanada 37 Kandanad 85 Karingachira 30, 233 Kerala 17, 27, 29f., 31, 32, 37, 55, 63, 81f., 87f., 166, 184, 192, 229, 231, 233–237
282
Register
Kilikien 74 Kochi → Cochin Köln 17, 112 Konstantinopel 51, 70f., 217 Kottayam 78–80, 84, 114, 167, 214, 223, 231, 234 Lund
96, 138, 161
Madras 27, 37 Malabar 27, 31, 35f., 52, 54, 61, 110, 214, 219, 224, 236 Mavelikara 223 Montreal 96f., 98, 139, 140, 142f., 144, 145, 152f., 161, 167 Mulanthuruthy 223 Münster 81 Nairobi 93, 94, 99–101, 103 Nazareth (Äthiopien) 40, 42, 44 Neu-Delhi 63f. New Jersey 46f. Niederlande 89 Niranam 84 Nicäa 51 Nordamerika 162, 206, 215 Oxford
17, 47, 60–62, 77, 121, 198
Persien
50–52, 177, 217, 219–221, 242
Rhodos 68, 72 Rom 30, 52, 104, 110, 216f. Seleukia-Ktesiphon 220f. Shantiniketan 184 Sowjetunion 89–94 Südamerika 90 Syrien 53 Tagrit 50, 217 Tikrit → Tagrit Tirupati 82 Travancore 27, 35–37 Tripunithura 27, 28, 30, 234 Uppsala 95f., 106, 161–163, 164, 166, 172, 197 USA 16, 38, 40, 44–46, 47, 48, 58, 60, 77, 85, 91, 121, 154 Vancouver 92, 95, 102, 105 Vereinigte Staaten → USA Wadi-El-Natrun 109 Wien 66, 95, 108, 148, 151, 167 Wuppertal-Elberfeld 113
2 Personenregister Abraham (Bruder) 35 Abrecht, Paul 15, 78, 103 Abuna Theophilos 44, 74 Acharya, Francis Mahieu 246 Aëtios von Antiochia 238 Alexij von Moskau 215 Allmen, Jean Jacques von 163 Ambedkar, Bimrao R. 212 Ammomius Sakkas 241f. Aphrahat 227 Arendt, Hannah 24f., 143 Ariarajah, Wesley 77f. Arius 238
As´vaghosa 210 ˙ Athanasius der Große 227f. Augustinus von Hippo 58f., 61, 72, 118, 119, 129, 218 Babai der Große 220 Balthasar, Hans Urs von 66, 122 Baradai, Jakob 31 Barhebräus, Gregorios 220 Barth, Karl 46, 67, 100, 136f. Baseleyos 57 Baseleyos, Abuna 74 Baselios Geevarghese II. 50, 54
283
Register
Baselios Mar Paulos II. (Paulos Mar Philoxenos) 83 Baselios Mar Thoma Mathews I. 83f. Baselios Marthoma Mathews II. 113 Baselios Ougen I. 74, 83 Basilius von Caesarea 59, 227, 238 Berdjajew, Nikolai 59, 121f. Bhonsle, Jaganath Rao 49 Bienert, Wolfgang A. 118 Birch, Charles 103 Bonhoeffer, Dietrich 164 Bose, Subhash Chandra 37f., 193 Boyens, Armin 89, 93f. Basra, David von 219 Brunner, Emil 100, 175 Buber, Martin 16, 253 Buddha 210, 212 Bulgakow, Sergei 59, 60 Bultmann, Rudolf 67 Bréhier, Emile 242 Calvin, Jean 46 Castro, Emilio 90 Chandrakı¯rti 210 Cherian (Bruder) 27, 34 Chomjakow, Alexei 146 Congar, Yves 66, 122, 142 Cox, Harvey 162, 166 Cullmann, Oscar 153 Daniel, David 214 Daniélou, Jean 66, 122f., 240f. Dempsey, Corinne G. 233f. Derr, Thomas Sieger 104 Desta, Seble 55f. Dharmakı¯rti 205, 210, 212 Diderot, Denis 210 Digna¯ga 208, 210f. (Pseudo)-Dionysios Areopagita 174 Ebeling, Gerhard 140, 153 Edwards, David L. 162, 164, 166 Ephraem der Syrer 227, 228 Eriugena, Johannes Scotus 174 Eunomius 123, 238, 245 Evdokimov, Paul 120, 186
Florovsky, Georges 72, 73, 138, 141f., 146, 149 Foucault, Michel 23 Freud, Sigmund 181f. Frost, Christine M. 123 Gadamer, Hans-Georg 144, 147, 202 Gaïth, Jérome 127 Gandhi, Mohandas Karamchand ›Mahatma‹ 36–38, 48, 184, 193–196, 198 Gandhi, Indira 88, 191 Gandhi, Rajiv 189 Garcia, Francis (Erzbischof) 52 Gorbatschow, Michail 93 Geevarghese Mar Dionysius VI. 53, 224 Geevarghese Mar Gregorios von Parumala 49 Geevarghese Mar Ivanios 31 Geevarghese Mar Osthathios 80, 84f., 85, 214 Georg (Heiliger) 233 George, Kondothra M. 63, 68, 82, 111, 201 George, M.V. → Geevarghese Mar Osthathios Gogarten, Friedrich 162 Gregorios ʿAbd al-Dschalil 222 Gregorios Palamas 120, 131 Gregor von Nazianz 59, 135, 227, 238 Gregor von Nyssa 25, 62, 81f., 117–121, 123–133, 149, 158, 171, 209, 211, 226f., 237–241, 243–245 Griffiths, Bede 111, 246 Groote, Geert 174 Habtemariam, Abba 44, 56f. Harnack, Adolf von 175 Hawke, Bob 105 Hegel, Friedrich 60, 206 Hochstaffl, Josef 131 Hoekendijk, Johannes C. 162 Hume, David 210 Husserl, Edmund 60 Ignatios Abdallah II. 53, 224 Ignatios Abd al-Masih II. 53, 224
284 Ignatios Petros IV. 30, 53, 223f. Ignatios Ya’qub III. 74, 83f. Ignatios Zakka I. Iwas 107 Jackayya, B.H. 110 Job Mar Philoxenos 114 Johannes Chrysostomos 227f. Johannes (Evangelist) 135 Johannes Paul II. 107 Johannes von Damaskus 120 Johannes XXIII. 65 Jüngel, Eberhard 136 Kant, Immanuel 60, 148, 210 Käsemann, Ernst 153 Kelly, John Norman Davidson 61f., 175 Kempen, Thomas von 174 Kierkegaard, Søren 210 King, Martin Luther 47f. King, Richard 202, 204 Kirubel, Ato 42 Kraemer, Hendrik 100 Kurian, Jacob 235 Kyrill von Alexandria 51, 70, 71, 73, 227 Lange, Ernst 249 Leplay, Michel 20 Link, Christian 174 Locke, John 210 Lønning, Per 100, 101 Lossky, Nikolai 121 Lossky, Wladimir 121, 135, 142, 174 Lubac, Henri de 66, 122 Makarios, Thomas Mar 85 Malpan, Abraham 29, 223 Mann, Thomas 48 Mar Koorilose 224 Marcus, Émile 20 Marcuse, Herbert 181f. Markus (Heiliger) 54 Marx, Karl 60 Maximus Confessor 120 Melanchthon, Philipp 138 Menelik II. 40 Merton, Thomas 246
Register
Meyer, Harding 253 Meyendorff, John 72, 96, 145, 162f., 166f., 169, 215 Minear, Paul S. 63 Mis´ra, Va¯caspati 205, 210, 212 Moltmann, Jürgen 85 Na¯ga¯rjuna 210 Namootihiripad, E.M. Sankaran 88 Nederveen Pieterse, Jan 22f., 206, 207, 252 Nehru, Jawarhalal 38, 49, 189, 191–194, 196, 198f. Nersoyan, Tiran (Erzbischof) 108 Niemöller, Martin 48, 63 Nietzsche, Friedrich 210 Nissiotis, Nikos 64, 65, 68f., 120 Origines
59
Pachomius, Joseph Mar 85 Palamas Gregorios 120, 131 Parekh, Bikhu C. 22f., 206, 207, 252 Paul VI. 107 Paulos (Bruder) 27, 34 Philipose, K. 68, 167 Piely, Aley (Mutter) 27, 33–35, 42 Piely, T.P. (Vater) 27f., 33–35 Plotin 207, 241f. Polanyi, Michael 62 Potter, Philip 88, 91, 93f. Rahner, Karl 67, 136f. Radhakrishnan, Sarvepalli 187, 194, 198f. Ra¯ma¯nuja 243 Reeb, James J. 46–48 Ricœur, Paul 18 Robinson, John A.T. 162, 169 Romanides, John 70, 72 Said, Edward W. 23, 251 Samartha, Stanley J. 99, 100 Samuel, Vilakuvel C. 29, 74, 80, 214–216 Sanger, Margaret 195 S´an˙kara 203f., 242, 243–245 Sartre, Jean-Paul 210 Schenuda III. 107
285
Register
Schmemann, Alexander Dmitrijewitsch 120, 215 Schmitz, Karen 214, 217 Schopenhauer, Arthur 210 Schweitzer, Albert 204 Selassie, Haile 40, 42–45, 48f., 55–57, 73f. Selassie, Makonnen Haile 45 Shakespeare, William 43 Simon, K.M. 74 Singh, Baba Virsa 111 Skydsgaard, Kristen Ejner 140 Solowjew, Wladimir 59, 120 Sridhara 210 Stevenson, Robert Louis 34 Tagore, Rabindranath 38, 82, 184, 187, 194, 196–198 Taylor, Charles 170, 173 Teffera Worq, Ato 43 Teilhard de Chardin, Pierre 66, 119, 126, 130, 135 Tenzyn Gyatso (14. Dalai Lama) 101f., 111 Theodosius, Punnose Mar 85 Theophilos, Abuna 44, 74 Thomas (Apostel) 87, 218f., 225, 231, 236 Thomas, M.M. 88, 91
Thomas von Aquin 170 Thomas von Kana 219, 225 Thompson, Robert N. 39, 42 Thottackad, Joice 19f. Tillich, Paul 67, 197 True, Marina 16, 18, 31, 47, 85, 145, 185, 217, 245 Van Buren, Paul 98, 162, 164f., 166, 168f. Van Leeuwen, Arend Theodoor 162 Van Oudenaren, John 89 Van Ruysbroek, Jan 174 Vischer, Lukas 65, 68f., 94 Visser ’t Hooft, Willem Adolf 62f., 64, 77f., 80, 100 Visvanathan, Susan 217, 226 Voltaire 210 Wittgenstein, Ludwig
210
Yemtatu, Ato Zowndneh Zachhuber, Johannes 126 Zernov, Nicholas 60f. Zimmer, Heinrich 201 Zizioulas, Ioannis 72
56