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German Pages 549 [552] Year 2007
Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte Band 128
Florence Pennone
Paul Celans Ubersetzungspoetik ··
Entwicklungslinien in seinen Übertragungen französischer Lyrik
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2007
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Faculte des lettres, des Fonds General de l'Universite de Geneve sowie der Fondation Ernst & Lucie Schmidheiny, Genf. Bisher unveröffentlichte Texte und Briefe Paul Celans Ο Eric Celan, bisher unveröffentlichte Briefe Andre du Bouchets © Fonds Anne de Stael. Wir danken, Anne de Stael, Eric Celan und dem Suhrkamp Verlag für die freundliche Überlassung der Zitate aus den unveröffentlichten Briefen und Handschriften.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-32128-1 ISBN-10: 3-484-32128-8
ISSN 0083-4564
© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2007 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Dr. Gabriele Herbst, Mössingen Druck: Laupp & Göbel, Nehren Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren
Vorwort
Paul Celan hat beim Empfang des Büchner-Preises i960 darum gebeten, dass die Bedeutung seiner Ubersetzungen gleichrangig neben derjenigen seiner Gedichte gewürdigt werde. Die Leser Celans halten sich nicht an diese Weisung. Sie befassen sich in weit geringerem Maß mit Celans übersetzerischem Werk als mit seinen Gedichten. Dies ist zwar verständlich, bedarf aber unbedingt einer Korrektur. Denn Celan, der sich gelegentlich als »russischen Dichter« bezeichnete und der von 1948 bis zu seinem Tod 1970 immer in Paris gelebt hat und dort mit einigen der bedeutenden Dichter befreundet war, die er übersetzt hat - mit Rene Char, Henri Michaux und vor allem Andre du Bouchet - , muss auch in seinem Dialog mit diesen Zeitgenossen wie mit den >Klassikern< der französischen Moderne, die ihnen vorgearbeitet haben, begriffen werden. Seit dem Erscheinen der Materialien zur Büchner-Preis-Rede Der Meridian kann die besondere Form dieses Dialogs mit größerer Präzision entziffert werden. Innerhalb der großen, internationalen >Ubersetzungslandschaft< Celans gibt es immer noch viele unerhellte Zonen. Zu ihnen zählen im französischen Bereich der Surrealist Benjamin Peret, teilweise Guillaume Apollinaire, aber auch Jules Supervielle und Andre du Bouchet. Es gehört zu den großen Vorzügen der Arbeit von Florence Pennone, gerade diesen vier Dichtern in Celans Ubersetzungen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Die beiden andern näher betrachteten Dichter, Arthur Rimbaud und Paul Valery, sind kürzlich sehr kompetent von Ute Harbusch behandelt worden (in Gegenübersetzungen, Göttingen 2005). Auch hier bedeutsame Ergänzungen, gelegentlich auch Korrekturen angebracht zu haben, ist ein weiteres Verdienst von Florence Pennone. Jules Supervielle und Andre du Bouchet gehören zu den umfangreichsten Beständen innerhalb von Celans Übersetzungen. Hier galt es auch, den Rang dieser in Deutschland nicht gegenwärtigen Dichter deutschen Lesern näher zu bringen, wobei Celans große Sorgfalt im genauen Ubertragen ihrer Dichtungen von Florence Pennone mit einer bisher noch nicht geübten Präzision dargestellt wurde. V
Celan, der wohl reflektierteste deutschsprachige Übersetzer französischer Dichtung, wird aus den Überlegungen im Vorfeld des Meridians heraus in seinen Intentionen fassbarer als bisher und erscheint dadurch vielseitiger. Zu den Vorzügen der Studie von Florence Pennone gehört die undogmatische Disponibilität ihrer komparatistischen Zugänge, deren Fruchtbarkeit für die Autorin das entscheidende Kriterium war. Sie hat damit der Übersetzungsforschung einen wichtigen Dienst geleistet: die Kombination theoretischer Schärfe mit einem untrüglichen Sinn für poetisches Gelingen wird hier exemplarisch vorgeführt. Florence Pennone hat besonders auf die Entwicklungen in Celans Übersetzungsverfahren geachtet und diese stets mit den Entwicklungen sowohl seiner Poetik als auch der eigenen Dichtung verglichen. Sie hat ihre vergleichende Tätigkeit insbesondere im Bereich der Metrik und der Syntax mit großer Subtilität geleistet. Dabei kam als erstaunliches Ergebnis heraus, dass die immer wörtlicher erscheinende Übersetzungsmethode Celans sich nicht ohne weiteres im eigenen Spätwerk spiegelt, welches in Bezug auf Zäsuren, Verknappungen, gesangsfeindliche Richtung in der Syntax der letzten Bände weithin Tendenzen der mittleren Phase verstärkt. Celans Spätstil wird also nicht einfach auf seine späten Übersetzungen angewandt. Die Verfasserin war, ehe sie sich mit Celan einließ, bereits eine eigenständige Erforscherin von Valerys »La Jeune Parque«, deren Forschungsliteratur sie besonders genau kennt. Sie hat auch scharfsinnig die Umrisse eines von Celan geplanten Essays über seine Valery-Übersetzung herausgearbeitet. Sie liest Celans Übersetzungen als französischsprachige Leserin, was ihr eine besonders sichere Ausgangslage für die komparatistische Tätigkeit gewährt. Diese ist auch in ihren sonstigen Forschungen zu ihrer Hauptsache geworden, was diesem Buch zugute kommt. In einer Zeit, wo der Dialog zwischen deutscher und französischer Dichtung verarmt ist und die Doppelkompetenz germanisch-romanischer Forschung erheblich zurückgeht, ist ein so eindringliches Zeugnis des Zusammenwirkens zweier zwar benachbarter, aber heute oft meilenweit voneinander entfernter Kulturen besonders notwendig und willkommen. Florence Pennones Leistung erscheint so zur richtigen Zeit. Bernhard Böschenstein
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Danksagung
Während der Entstehung dieser Arbeit konnte ich mich auf die Unterstützung von vielen Menschen und Institutionen verlassen. Ihnen sei nun, wo meine Arbeit abgeschlossen ist, herzlich gedankt. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater, Professor Bernhard Böschenstein, danken, der mich als letzte Doktorandin annahm und mir sein Vertrauen schenkte. Ohne seine wertvollen Anregungen, seinen fachlichen Rat und sein Zutrauen wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Ein besonders großer Dank gilt auch seinem Nachfolger, Professor Markus Winkler, der mich sowohl fachlich als auch persönlich von Anfang an sehr unterstützte. Für die Erlaubnis, unveröffentlichte Materialien wie Handschriften und Briefe einzusehen und auszugsweise in meiner Arbeit zu zitieren, danke ich Eric Celan, Andre du Bouchets Witwe Anne de Stael und Professor Klaus Reichert besonders herzlich. Letzterem bin ich außerdem für seinen freundschaftlichen Empfang bei sich zu Hause und für das dort mit ihm geführte Gespräch sehr dankbar. Im Rahmen meiner Recherchen nach Archivmaterial konnte ich mich überdies auf die Hilfe von vielen Personen stützen. Gedankt sei diesbezüglich vor allem Bertrand Badiou von der Unite de Recherche Paul Celan in Paris, der mir Zugang zu vielen Dokumenten verschaffte und auf dessen freundschaftliche Hilfsbereitschaft ich mich immer verlassen konnte. Mein Dank geht auch an das Personal der verschiedenen Archive, in denen ich forschen durfte, insbesondere aber an Dr. Ulrich von Bülow, Hildegard Dieke, Heidrun Fink, Thomas Kemme und Dr. Jochen Meyer von der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach a.N. Im Archiv des Suhrkamp-Verlags war Edita Koch hilfreich, der ich dafür sehr verbunden bin. Viele Forscher und Kollegen haben mir außerdem während meiner Arbeit durch anregende Mitteilungen, kritische Beobachtungen, nutzvollen Rat oder einfach durch Ihr aufmerksames Interesse geholfen. Unter den Celan-Forschern danke ich zunächst dem dritten Gutachter dieser Arbeit, Professor John E.Jackson, für seine aufmerksame Lektüre. Einen sehr VII
großen D a n k schulde ich Dr. U t e Harbusch, die mir den Einblick in das Manuskript ihrer Dissertation Gegenübersetzungen. gungen französischer
Symbolisten
Paul Celans
Übertra-
gewährte, noch bevor diese 2005 beim
Wallstein-Verlag erschien. Besonders wertvoll war außerdem der regelmäßige Austausch mit Dr. A r n o Barnert und Dr. Joachim Seng, denen ich viele Informationen und Hinweise verdanke; ferner bin ich Professor Remy Colombat, Dr. Peter Goßens, Professor Christine Ivanovic, Professor Leonard M. Olschner und Dr. Barbara Wiedemann für Auskünfte im Laufe meiner Recherchen dankbar. Für ihre fachliche Beratung, moralische Unterstützung oder freundliche Hilfe ist außerdem den Kollegen der Genfer Universität und anderer akademischer Institute zu danken, darunter namentlich Professor Kirsten A d a m z i k , Professor Renate Böschenstein"f', Dr. Gabriele Bruckschlegel, Professor Remy Charbon, Dr. Verena Ehrich, Professor Rolf Fiegut, Dr. Barbara Fleith, Dr. Philippe Forget, Professor Harald Fricke, Dr. Judith Gut, Dr. Edith A . Kunz, Professor Dominique K u n z Westerhoff, Dr. Christoph Laumont, Professor Patrizia Lombardo, Professor Laurent Jenny, Dr. D o m i n i k Müller, A r n o Renken, Professor Hans-Jürgen Schräder, Dr. Anna Sziräky, Professor Peter U t z , Mathilde Vischer, Dr. Dirk Weissmann und Professor Rene Wetzel. Sehr dankbar bin ich auch Professor Bernard Banoun, Professor Thomas Hunkeler, Dr. Sylvie Jeanneret, Josephine Kenworthy, Dr. Roger Müller Farguell, Thomas Stein, Professor Jenaro Talens, Cristina Tango, Professor Christina V o g e l und Professor Irene Weber-Henking, die mir ermöglichten, Teilaspekte meines Projekts im Rahmen v o n Workshops, Tagungen und K o n gressen zu präsentieren oder zu veröffentlichen. Diese Dissertation ist das Ergebnis eines jahrelangen Studiums und mehrerer Auslandsaufenthalte, die mir meine Eltern ermöglichten - auch ihnen sowie meiner Familie und meinen Freunden sei schließlich für ihre Hilfe und Unterstützung gedankt. D e r letzte, größte D a n k gilt aber meinem Mann Rajan A u t z e , ohne dessen liebevollen Beistand und fleißige Korrektur ich die vorliegende Arbeit sicher nicht in deutscher Sprache verfasst hätte. Juli 2006
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Florence Pennone
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Zur Fragestellung der Untersuchung I
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Die Übersetzung als Dialog: Theoretische und poetologische Einleitung
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1. Die Ubersetzung als literarischer Text: Theoretische Ansätze . .
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1 . 1 . Sind Paul Celans Übersetzungen >Übersetzungen