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German Pages 502 [504] Year 1991
Osteoporose
Osteoporose Pathogenese, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten Herausgegeben von J. D. Ringe mit Beiträgen von M. Bühring, M. Dören, K. J. Münzenberg, Ch. Reiners, J. D. Ringe, H. P. G. Schneider, A. Schulz
W DE G
Walter de Gruyter Berlin • New York 1991
Herausgeber Professor Dr. J. D. Ringe Med. Klinik IV Städt. Krankenhaus Leverkusen Akadem. Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln D-5090 Leverkusen
Dieses Buch enthält 167 Abbildungen und 62 Tabellen.
CIP-Titelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Osteoporose : Pathogenese, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten / hrsg. von J. D. Ringe. Mit Beitr. von M. Bühring ... — Berlin ; New York : de Gruyter, 1991 ISBN 3-11-012028-3 NE: Ringe, Johann D. [Hrsg.]; Bühring, Malte
© Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskripterstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz: Arthur Collignon GmbH, Berlin. — Druck: Gerike GmbH, Berlin. — Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin. Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin. Printed in Germany.
Liste der erstgenannten Autoren Prof. Dr. med. M. Bühring IV. Innere Abteilung Krankenhaus Moabit Turmstr. 21 D-1000 Berlin 21
Prof. Dr. med. K. J. Münzenberg Orthopädische Universitätsklinik D-5300 Bonn
Prof. Dr. med. Ch. Reiners Universitätsklinikum Essen Abteilung Nuklearmedizin Hufelandstr. 55 D-4300 Essen 1
Prof. Dr. med. J. D. Ringe Med. Klinik IV Städt. Krankenhaus Leverkusen Akadem. Lehrkrankenhaus der Universität zu Köln D-5090 Leverkusen Prof. Dr. med. H. P. G. Schneider Universitäts-Frauenklinik Albert-Schweitzer-Str. 33 D-4400 Münster Prof. Dr. med. A. Schulz Institut für Pathologie Langhansstraße 10 D-6300 Gießen
Vorwort To add life to years, not just years to life
Mit den Fortschritten der modernen Zivilisation ist es besonders in den letzten Jahrzehnten gelungen, die mittlere Lebenserwartung nochmals erheblich anzuheben. Nach dem erfolgreichen Zurückdrängen bestimmter Todesursachen wird jedoch deutlich, daß der nun länger lebende Mensch häufig von der bekannten Multimorbidität des Alters eingeholt wird. Es gilt also nicht nur unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankungen zu bekämpfen, sondern zunehmend geht es darum, Krankheiten einzudämmen, die mit einer erheblichen Minderung der Lebensqualität im Alter einhergehen. Als eine besonders wichtige derartige Krankheit ist in den letzten Jahren die Osteoporose identifiziert worden. Bekanntheitsgrad und internationale wissenschaftliche Beachtung der Osteoporose sind exponentiell emporgeschnellt. Parallel zu der Flut von wissenschaftlichen Publikationen läuft eine breite Welle von journalistischen Bemühungen, über verschiedene Medien das Thema Osteoporose der Bevölkerung nahezubringen. Diverse Patientenratgeber der Pharmaindustrie sowie Taschenbücher für bereits oder potentiell Betroffene ergänzen dieses Spektrum. Diese Entwicklung ist im Prinzip zu begrüßen, und die große sozioökonomische Bedeutung der Osteoporosekrankheit rechtfertigt alle diese Anstrengungen. Die ärztliche Ausbildung hinkt jedoch der Entwicklung hinterher. Die deutschen Universitäten hatten sich des Themas bislang nur sehr vereinzelt angenommen, und die wenigen Ansätze deutscher Osteologieforschung und -lehre wurden teilweise durch mangelnden Weitblick wieder liquidiert. In den USA und in vielen europäischen Ländern längst etabliert, wird das Fach Osteologie in Deutschland an kaum einer Universitätsklinik ausreichend vermittelt. Die praktisch tätigen Ärzte versuchen, ihren Informationsbedarf aus wissenschaftlichen Publikationen und bei ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen zu decken. Meine eigene Tätigkeit in diesem Umfeld hat gezeigt, daß eine beachtliche Anzahl von Orthopäden, Allgemeinmedizinern, Internisten, Gynäkologen und Radiologen sich intensiv dem Thema Osteoporose zuwendet und ihrer Praxis oder Krankenhausabteilung eine entsprechende Ausrichtung geben wollen. Viele Kollegen schaffen sich ein Knochendichtemeßgerät an, in dem Glauben, damit den Schlüssel zur Osteoporosediagnostik
VIII Vorwort in Händen zu haben. Die Indikationen dieser Methoden und die Einschätzung des Stellenwertes der damit erhaltenen Daten im Gesamtkomplex der Osteoporosediagnostik bereiten oft noch Schwierigkeiten. Die Diagnose Osteoporose ist auch derzeit in Mode gekommen. In der eigenen Ambulanz werden unter diesem Etikett zunehmend Patienten vorgestellt, die gar keine Osteoporose haben, deren Rückenbeschwerden sich durch degenerative Veränderungen der Wirbelsäule erklären, oder die nicht erkannte, wichtige andere endokrine oder metabolische Osteopathien aufweisen, mit erheblichen therapeutischen Konsequenzen. Meine Hoffnung ist, daß das vorliegende Buch dazu beiträgt, Wissenslücken auf dem Gebiet der Osteoporose zu schließen. Es möchte Studenten und Ärzten, auch den schon in der Osteologie Fortgeschrittenen, den aktuellen Wissensstand über Grundlagen, Pathophysiologie, Diagnostik, Prävention und Therapie dieser Krankheit vermitteln. Auf ausführliche Literaturhinweise in den einzelnen Kapiteln wurde besonderer Wert gelegt. Für die speziellen Aspekte der Pathologie, Radiologie, Gynäkologie, Physikalische Therapie und Orthopädie konnte ich sehr kompetente Kollegen gewinnen, denen ich an dieser Stelle für die Mitarbeit an diesem Buch danken möchte. In Bezug auf meine eigene Arbeit an diesem Werk möchte ich sagen, daß ein wesenticher Grundstein in meinen Assistenzjahren in der damals einzigen Abteilung für klinische Osteologie am Universitätskrankenhaus HamburgEppendorf bei Friedrich Kuhlencordt gelegt wurde, dem an dieser Stelle auch mein Dank gebührt. Leverkusen, Februar 1991
Johann Diederich
Ringe
Inhalt
1
Grundlagen
1
1.1
Definition und Einteilung der Osteoporose
1
J. D. Ringe
1.1.1 Aktuelle Osteoporosedefinition 1.1.2 Frühere Osteoporosedefinitionen 1.1.3 Osteoporose als Krankheitsbegriff 1.1.4 Einteilung generalisierter Osteoporosen 1.2
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
1 4 6 7 15
J. D. Ringe
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3
Prävalenz der Osteoporose Inzidenz von Frakturen Kostenabschätzung der Osteoporose Folgen für die Patienten
15 20 25 27
Frakturtypen und Frakturgenese
37
J. D. Ringe
1.3.1 1.3.2 1.3.3
Definition und unterschiedliche Frakturarten Biomechanische Aspekte Hauptlokalisationen osteoporotischer Frakturen
38 41 43
1.4
Aufbau und Funktion des Skeletts
64
A. Schulz
1.4.1 Funktionelle Konstruktion 1.4.2 Spongiosa 1.4.3 Kompakta 1.4.4 Vaskularisation
64 65 67 68
1.5
69
Knochenzellen A. Schulz
1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4. 1.5.5
Osteoblasten und Osteozyten Steuerung der Osteoblastenfunktion Knochenmatrixbildung Osteozyten Osteoklasten
69 70 72 74 75
X 1.6
Inhalt Umbauvorgänge des Knochengewebes
78
A. Schulz
1.6.1 1.6.2
„Coupling"-Hypothese „Quantum-Konzept"
78 80
2
Pathophysiologie
87
J. D. Ringe
2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4
Allgemeine Prinzipien Postmenopausale Osteoporose Biochemische Veränderungen Auswirkungen auf die Knochendichte Risikofaktoren Osteoporose im Senium Beschleunigung des Knochenmassenverlustes Kalzium- und Skelettbilanz Osteoporose des Mannes
87 89 90 92 94 97 97 99 101
3
Klinik und Diagnose
109
Verdachtsdiagnose Osteoporose
109
3.1
J. D. Ringe
3.1.1 Differentialdiagnose Rückenschmerz 3.1.2 Akuter und chronischer Osteoporoseschmerz 3.1.3 Präklinische Osteoporose 3.1.4 Manifeste Osteoporose 3.1.5 Orientierende Erstuntersuchungen
110 112 113 115 116
3.2
119
Definitive Diagnose und Differentialdiagnose J. D. Ringe
3.2.1 Anamnese 3.2.2 Körperliche Untersuchung 3.2.3 Laborchemische Untersuchungen 3.2.4 Röntgenuntersuchung 3.2.5 Skelettszintigraphie 3.2.6 Zytologie und Histologie 3.2.7 Kalziumbilanzuntersuchung und Radiokalziumkinetik
119 121 123 128 148 149 150
3.3
157
Nicht-invasive quantitative Knochendichtebestimmung Ch. Reiners
3.3.1
Methodische Grundlagen
157
Inhalt 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.4
XI
Ältere semiquantitative Verfahren Direkte Absorptiometrie Quantitative Computertomographie (QCT) Messung der Streuung von Photonen Neutronenaktivierungs-Analyse (NAA) Alternative Verfahren Diagnostische Wertigkeit Synopsis und Ausblick
161 167 181 189 191 192 194 206
Beckenkammbiopsie
217
A. Schulz
3.4.1 Beckenkamm: Referenzort für generalisierte Osteopathien . . . 217 3.4.2 Technik und Komplikationen 219 3.4.3 Histologie 221 3.4.4 Schweregrad der Osteoporose 224 3.4.5 Aktivität der Osteoporose 227 3.4.6 Differentialdignose der endokrinen Osteopathien 230 3.4.7 Indikation 235 4
Prävention und Therapie
241
4.1
Übersicht und Einteilung
241
J. D. Ringe
4.2
Allgemeine Möglichkeiten der Osteoporoseprävention
244
J. D. Ringe
4.2.1 Körperliche Aktivität 4.2.2 Lebensstil und Ernährung 4.2.3 Orale Kalziumsubstitution 4.2.4 NichtÖstrogene medikamentöse Prävention
247 249 252 257
4.3
264
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution H. P. G. Schneider, M. Dören
4.3.1 4.2.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8
Klimakterisches Syndrom Ziele Wirkungen der Östrogene auf den Knochenumbau Interventionsstudien zur Osteoporoseprävention Effekte auf den Lipidstoffwechsel Karzinomrisiko Praktische Hinweise für die Substitution Präparateübersicht
264 271 272 273 276 279 281 284
XII 4.4
Inhalt Physikalische Therapie und Krankengymnastik
292
M. Bühring
4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.5
Erstprävention der Osteoporose Heliotherapie bei Osteomalazie Physikalische Therapie von Schmerzsyndromen Abschließende Betrachtungen
293 297 298 312
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
318
K. J.
Münzenberg
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
Wirbelkörperfrakturen Frakturen am proximalen Femurende Radius- und Humerusfrakturen Beindeformitäten
318 327 334 336
4.6
Analgetisch-medikamentöse Therapie
341
4.6.1 4.6.2
Akuter Schmerz Chronischer Schmerz
342 343
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
345
/ . D. Ringe
4.7
J. D. Ringe
4.7.1 Kalzium 4.7.2 Fluorid 4.7.3 Kalzitonin 4.7.4 Sonstige Substanzen 4.7.5 Alternierend sequentielle Therapie
347 353 371 385 392
5
409
Sekundäre Osteoporosen J. D. Ringe
5.1 Epidemiologie 5.2 Definition und Einteilung 5.3 Endokrin-metabolisch 5.3.1 Cushing-Syndrom 5.3.2 Hyperthyreose 5.3.3 Hypogonadismus 5.3.4 Primärer Hyperparathyreoidismus 5.3.5 Akromegalie 5.3.6 Prolaktinom 5.3.7 Diabetes mellitus 5.4 Iatrogen-medikamentös 5.4.1 Glukokortikoide
410 411 413 413 415 417 419 420 421 421 422 422
Inhalt
5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.6 5.6.1 5.6.2 5.7 5.7.1 5.7.2 5.8 5.9 5.9.1
Heparin Schilddrüsenhormone Sonstige Medikamente Myelogen-onkologisch Multiples Myelom Mastzellretikulose Sonstige maligne Erkrankungen Parainfektiös-immunogen Chronische Polyarthritis Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Inaktivität — Immobilisation Pathophysiologic Prävention und Therapie Hereditäre Bindegewebserkrankungen Komplexe Osteopathien Intestinale Osteopathie
Sachverzeichnis
XIII
432 437 438 440 440 444 445 445 446 447 449 450 453 454 454 455 484
1
Grundlagen
1.1 Definition und Einteilung der Osteoporose J. D. Ringe
1.1.1 Aktuelle Osteoporosedefinition Eine im Jahre 1988 publizierte Definition der Osteoporose [1]*, die von einer Kommission der „Sektion calciumregulierende Hormone und Knochenstoffwechsel" der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie erarbeitet wurde, lautet: „Osteoporose ist ein mit Frakturen einhergehender Verlust bzw. eine Verminderung von Knochenmasse, -struktur und -funktion". Der Fortschritt in dieser Definition ist folgender: Sie trägt der Erkenntnis der letzten Jahre Rechnung, daß bei der Osteoporose nicht nur Knochenmasse verlorengeht, sondern daß im Rahmen des Massenverlustes und der dabei ständig weiterlaufenden Skelettremodellierung eine grundsätzliche Änderung der Struktur oder auch Architektur der verbliebenen Konchensubstanz resultieren kann. Gemeint sind z. B. Dicke, Ausrichtung, Verzweigung, Vernetzung von Spongiosatrabekeln und ihre Beziehung zur Kortikalis. Damit ändert sich auch die Funktion des Knochengewebes. Die Tragfähigkeit bzw. Biegungs- oder Kompressionsfestigkeit hängt nicht nur von der Knochenmasse, sondern auch von der räumlichen Anordnung der Substanz ab. Neuere histologische Untersuchungen haben ergeben, daß die Spongiosa beim jungen Erwachsenen überwiegend aus räumlich verzweigten Platten besteht. Mit zunehmendem Alter bleiben durch Substanzabbau von diesen Platten nur die Kanten als Trabekel stehen. Abbildung 1 a zeigt Röntgenaufnahmen von Sagittalschnitten von 2 Wirbelkörpern. Es handelt sich um den Wirbelkörper eines ca. 30jährigen Mannes (oben) und den eines ca. 80jährigen Mannes (unten). Das Phänomen Osteoporose wird besonders deutlich an dem Verlust an Spongiosa. Das Trabekelwerk in der unteren Bildhälfte ist rarefiziert, die Trabekel sind dünner, es sind * Literatur nach Kap. 1.3, S. 56.
2
Grundlagen
Abb. 1 a
Röntgenbilder von Sagittalschnitten durch Wirbelkörper eines jungen (oben) und alten Mannes (unten). Das Phänomen Osteoporose wird in erster Linie am Spongiosaschwund deutlich.
Abb. 1 b
Schematische Darstellung des spongiösen und kortikalen Knochensubstanzverlustes mit Abnahme der „Spongiosavernetzung" bei Osteoporose. Die Folge ist mechanische Insuffizienz, symbolisiert durch Impression der Grund- und Deckplatte in der unteren Bildhälfte.
mehr vertikale als horizontale Trabekel vorhanden. Die Kompakta ist nicht eindeutig verschmälert, jedoch deutlich aufgelockert, porosiert. Qualitativ sind Osteoporose und Altersatrophie im Röntgenbild nicht zu unterscheiden. D. h., die Verhältnisse der unteren Bildhälfte sind wahrscheinlich altersentsprechend. Würde ein gleicher Befund bei einem 60jährigen gefunden, läge eindeutig eine Osteoporose vor. Eine schematisierte Darstellung dieser Veränderungen gibt die Abbildung 1 b. In der oberen Hälfte das homogene Trabekelwerk, das dem äußeren Kompaktarahmen — bzw. räumlich betrachtet dem Kompaktakasten — Halt gibt. Unten wenige, dünne Spongiosabälkchen mit vermin-
Definition und Einteilung der Osteoporose
3
derter Vernetzung und damit vergrößerten „Knicklängen" [2]. Die kolbigen Auftreibungen einzelner Trabekel symbolisieren Mikrokallus nach Mikrofrakturen. Bei gleichzeitiger Porosierung der Kompakta ist eine mechanische Inkompetenz des Wirbels die Folge, die hier durch eine beginnende Impression der Grund- und Deckplatten symbolisiert wird. Natürlich spielt für die Festigkeit des Knochens als dritte Komponente die Qualität des verbliebenen Gewebes eine Rolle. Von der lichtmikroskopischen Beurteilung der Knochenhistologie ausgehend wurde für die Osteoporose immer formuliert, „das verbliebene Knochengewebe ist normal zusammengesetzt" [3]. Damit ist insbesondere gemeint, daß keine Vermehrung von Osteoid im Sinne einer Osteomalazie vorliegt. Heute werden jedoch für einzelne Osteoporosen möglicherweise unterschiedliche Änderungen der Knochenmatrix bzw. der Kollagenstruktur sowie auch Störungen der Kristallinität der anorganischen Komponente diskutiert [4, 5], Eine gewisse Untermineralisation des an sich mineralisierten Gewebes — d. h. ohne Vorliegen einer Osteomalazie im Sinne der Mineralisationshemmung — dürfte häufiger als angenommen vorliegen [6]. Tabelle 1
Klinische Stadieneinteilung der Osteoporose. Stadium B und C sind meist eindeutig nach dem Kriterium Fraktur abzugrenzen (nach 1)
Osteoporosestadien A. Altersassoziierter Knochenmassenverlust („Osteopenie") B. Präklinische Osteoporose mit potentieller Frakturgefahrdung C. Manifeste Osteoporose mit eingetretenen Frakturen
Das eigentliche Problem der eingangs gegebenen Definition [1] liegt in der Formulierung „ein mit Frakturen einhergehender Verlust". Wörtlich genommen bedeutet dies, daß man erst bei eingetretenen Frakturen von Osteoporose sprechen kann. Man hat damit letztendlich einem Kernproblem der Osteoporose, nämlich der Schwierigkeit der Frühdiagnose und der Abgrenzung vom schwer definierbaren Begriff „altersphysiologischer Knochenabbau", Rechnung tragen wollen. Um die wichtige, sicher viele Jahre dauernde Phase vor der klinisch manifesten Osteoporose nicht völlig aus dem Problembereich Osteoporose auszugrenzen, wurden neben der Definition drei Stadien der Osteoporose beschrieben (Tab. 1). Mit dieser Einteilung [1] gehört die Vorphase mit bereits pathologisch reduzierter Knochenmasse letztendlich auch zur Osteoporose, vergleichbar wie der subklinische Diabetes zum Gesamtproblem der Zuckerkrankheit.
4
Grundlagen
Vergleiche haben es an sich, zu hinken. Dennoch ist der Vergleich zwischen Osteoporose und Hypertonus interessant und veranschaulicht das Problem. Der Hypertonus ist, obwohl häufig ohne jegliche Beschwerden und nur als meßbare Normabweichung im Blutdruck zu erfassen, als Krankheit anerkannt. Keiner würde definieren, erst wenn die Komplikation zerebraler Insult auftritt, sei von manifestem Hypertonus zu sprechen. Genauso sollte es sich theoretisch mit der klinisch asymptomatischen Osteopenie und der Komplikation Fraktur verhalten. Der Unterschied zwischen beiden Krankheiten liegt in der Meßbarkeit und der Abgrenzung des Normalbereichs. Knochenmassenverlust ist nicht wie Blutdruck mit einem handlichen Gerät überall meßbar, der Streubereich des Normalen ist erheblich und wird durch Alter und Geschlecht sowie ethnische Faktoren beeinflußt [7 — 9]. Man kann und wird über die Osteoporosedefinition sicher weiter streiten [10]. Die Fortentwicklung der Definition wird von der Weiterentwicklung der diagnostischen Methoden, vor allem von nicht invasiven Meßmethoden des Knochenmineralgehaltes mit Festlegung von Frakturschwellenbereichen und möglichen neuen Markern des Knochenumbaus im Serum abhängen.
1.1.2 Frühere Osteoporosedefmitionen Zur Verdeutlichung der Problematik sei der „historische Werdegang" der Osteoporosedefinition kurz skizziert. Der deutsche Pathologe Gustav Pommer definierte 1885: „Das Wesen der Osteoporose besteht darin, daß der durch die lakunäre Resorption bedingte Verlust an Knochensubstanz nur unvollständig ersetzt wird" [11]. Diese rein deskriptive, von der histologischen Beobachtung ausgehende Definition mutet sehr modern an. Sie trifft das wesentliche Problem, daß bei der Remodellierung des Knochengewebes allmählich Substanz verlorengeht, ohne daß festgelegt wird, welche Störungen zugrunde liegen. Die klassische Definition der Osteoporose stammt von F. Albright (Abb. 2) aus dem Jahre 1947: „... to little calcified bone by a defect in matrix formation" [12], Der erste Teil dieser Definition, das Defizit an mineralisierter Knochensubstanz, gilt weiterhin. Der zweite Teil, die pathogenetische Aussage, eine Osteoblasteninsuffizienz führe zu diesem Defizit, gilt mit Einschränkung. Allgemeiner gesagt, führt eine Imbalance zwischen Osteoklasten- und Osteoblastentätigkeit zur Osteoporose, wobei verschiedene Konstellationen mit erniedrigtem und erhöhtem Knochenumsatz vorkommen [13, 14], Auch diese Definition war noch direkt von der pathoanatomischen Anschauung geprägt. Nachfolgend rückte dann die radiologisch-klinische Betrachtung der
Definition und Einteilung der Osteoporose
Abb. 2
5
Füller Albright hat in den fünfziger Jahren durch umfassende klinische Studien über Osteoporose und andere metabolische Knochenerkrankungen die Osteologie bis in unsere Zeit entscheidend geprägt (aus R. O. Green und R. V.Talmage: The Parathyroids. Thomas, Springfield/Ill. 1961).
Osteoporose in den Mittelpunkt. So benutzten wir in den siebziger und achtziger Jahren in Hamburg die Definition: „Die Osteoporose ist eine Verminderung der Knochenmasse gegenüber der alters- und geschlechtsentsprechenden Norm" [13, 15]. Diese im Prinzip sehr allgemein gültige Definition, die bewußt auch präklinische Osteoporosen einbezieht, impliziert die exakte Meßbarkeit des alters- und geschlechtsentsprechenden Normbereichs, sei es histomorphometrisch aus der Beckenkammbiopsie [13] oder radiologisch mitMethoden, wie der damals aufgekommenen Photonenabsorption [16, 17]. Die Knochenhistologie kann viele wertvolle Beiträge zur Diagnose der Osteoporose liefern (s. S. 217), aber aus methodischen Gründen ist die Meßgenauigkeit der Spongiosadichte nicht genügend präzise, im Sinne der letztgenannten Definition. Bei Patienten mit typischen Wirbeleinbrüchen werden bei bis zu 30% der Fälle normale Werte für die volumetrische Spongiosadichte am Beckenkamm gefunden [13, 18]. Auch die modernen, nicht invasiven Meßverfahren des Knochenmineralgehaltes erlauben hier keine eindeutige Trennung (s. S. 157). Besonders mit zunehmendem Lebensalter wird die Trennung zwischen alters- und geschlechtsentsprechender (physiologischer, obligater) Verminderung des Knochenmineralgehaltes und einem darüber hinausgehenden pathologischen Verlust immer schwieriger bis nicht mehr möglich. Die
6
Grandlagen
natürliche Streuung des schwer definierbaren „Normalen" steigt an [8]. Mit den vorhandenen Methoden zur Quantifizierung des Knochenmineralgehaltes kann in der 7. bis 10. Lebensdekade oft nicht zwischen einer „normalen Verminderung" der Knochenmasse und einer subklinischen Osteoporose unterschieden werden. Klinisch-pragmatisch wurde daher im höheren Lebensalter dann von Osteoporose gesprochen, wenn die mechanische Insuffizienz des Knochengewebes sich mit Beschwerden, Frakturen oder Wirbelkörperverformungen manifestierte [19, 10]. Die Folge war, daß schließlich, um eine präzise Definition zu haben, generell das Frakturereignis zum wesentlichen Bestand der Definition gemacht wurde. Diese Definition ist durchaus noch üblich und wird vor allem im amerikanischen Schrifttum häufig benutzt [20]. Für die Vorstadien wurde der alte und u. E. durch vielfältige unterschiedliche Anwendungen belastete Begriff der „Osteopenie" herangezogen [10, 21], Der osteopenische Mensch wäre nach einer derartigen Definition gesund und würde durch das Frakturereignis zum „osteoporotischen Patienten" [22]. Die Nachteile dieser Definition, welche die präklinische Osteoporose bewußt ausgrenzt, liegen auf der Hand. Mit der eingangs gegebenen Definition der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und der zugehörigen Stadieneinteilung wurde ein Kompromiß geschlossen und von dieser puristischen Definition schon wieder Abstand genommen.
1.1.3 Osteoporose als Krankheitsbegriff Unabhängig von den Definitionen, die versuchen, die Änderungen der Knochensubstanz und -bruchfestigkeit zu fassen, benutzen wir gelegentlich eine, diese Problematik bewußt ausklammernde, rein klinisch-phänomenologische Definition: „Die Osteoporose ist ein chronisches Schmerzsyndrom des Bewegungsapparates, das sich als Folge eines pathologischen Knochensubstanzverlustes entwickelt." Wichtig erscheint auch uns, daß der Begriff Osteoporose als eine „Krankheit" bezeichnend verwendet werden sollte und nicht für einen „Meßbefund", wie verminderte Knochenmasse. So erscheint es auch problematisch, alle die Personen osteoporotisch zu nennen, bei denen der Knochenmineralgehalt unterhalb der doppelten Standardabweichung des Mittelwertes junger Erwachsener des gleichen Geschlechtes liegt [23], Bei Messungen am Radius hätten dann bereits 50% aller Frauen ab einem Alter von 65 Jahren eine Osteoporose, mit 80 Jahren praktisch 100%. Dieser reine Meßbefund sollte als präklinische Osteoporose mit potentieller Frakturgefährdung bezeichnet werden. Es sei nicht verschwiegen, daß auch die klinisch orientierte Osteo-
Definition und Einteilung der Osteoporose
7
porosedefinition durchaus ihre Probleme hat. Wirbelfrakturen sind im Gegensatz zu extravertebralen Frakturen oft nicht „Alles-oder-Nichts"-Ereignisse, sondern können sich sozusagen stufenlos entwickeln. Ab welchem Verformungsgrad eines Wirbels sollte man von Fraktur sprechen (vergl. S. 133)? Außerdem ist es umstritten, ob ein äußerlich offenbar noch nicht verformter osteoporotischer Wirbel bereits Schmerzen verursachen kann, z. B. durch intravertebrale Mikrofrakturen. D. h., letztendlich ist auch das eingetretene Frakturereignis zumindest im Bereich der Wirbelsäule nicht immer eindeutig zu definieren. Es sei noch angefügt, daß in der täglichen klinischen Praxis der Begriff Osteoporose häufig für das alleinige Röntgensymptom „erhöhte Strahlentransparenz" benutzt wird. So ist z. B. Osteoporose ein Symptom im Rahmen des Sudeck-Syndroms oder die sogenannte gelenknahe Osteoporose bei der chronischen Polyarthritis.
1.1.4 Einteilung generalisierter Osteoporosen Einteilungen von Erkrankungen werden meist nach pathoanatomischen, klinischen oder ätiopathogenetischen Aspekten vorgenommen. Entsprechende Einteilungen sind auch bei der Osteoporose möglich, wobei mit Einteilung an sich in der Regel die ätiologische Einteilung gemeint ist und die übrigen eher Stadieneinteilungen beinhalten. 1.1.4.1
Histologische
Einteilung
Auf Grund der histologischen Untersuchung von Beckenkammbiopsien kann zwischen aktiven Osteoporosen mit hohem Knochenumsatz (high turn-over Osteoporose) und inaktiven Osteoporosen mit weitgehend ruhenden Knochenoberflächen (low turn-over Osteoporose) unterschieden werden [2, 13, 24, 25, 26]. Natürlich sind zwischen diesen beiden Stadien verschiedene Abstufungen möglich. In einer amerikanischen Arbeit wird für die high turnover Osteoporose eine weitere Unterteilung angegeben in Fälle mit hoher Resorption, d. h. einer dominierenden Osteoklastentätigkeit, und Fälle mit Hyperosteoidose, d. h. leichter Osteoidvermehrung [27], Diesen Gruppen werden dann typische Vertreter verschiedener sekundärer Osteoporosen zugeordnet, z. B. die Glukokortikoid-Osteoporose für die hohe Resorption und Alkoholabusus und „subklinische Osteomalazie" für die Hyperosteoidose. Im deutschen Schrifttum hat es sich eingebürgert, bei letzteren von Osteoporomalazien, d. h. Mischbildern aus Osteoporose und Osteomalazie, zu sprechen und sie eindeutig von den reinen Osteoporosen abzugrenzen.
8
Grundlagen
Die Knochenhistologie erlaubt im Prinzip keine Zuordnung des jeweiligen Befundes zu den ätiologisch verschiedenen Osteoporoseformen. Eine gewisse Ausnahme bildet hier die glukokortikoid-induzierte Osteoporose. Im Gegensatz zur primären Osteoporose, bei der kurze Trabekelfragmente unterschiedlichen Kalibers erhalten bleiben, finden sich hier oft langstreckig erhaltene, fast regulär vernetzte, aber sehr dünne Trabekel. Diese filigrane Struktur [28] ist aber nicht immer nachweisbar und somit kein eindeutiges Kriterium.
1.1.4.2 Klinisch-radiologische
Einteilung
Eine Einteilung wurde unter der Definition der Osteoporose bereits genannt, die drei Stadien (s. Tab. 1), die in dem Papier der Expertenkommission der „Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie" formuliert wurde [1], Während sich die Stadien B und C dieser Einteilung durch das Kriterium Fraktur in den meisten Fällen eindeutig trennen lassen, sind erstes und zweites Stadium nicht immer zu trennen. Es geht bei diesen beiden Stadien gerade bei älteren Personen weniger um einen quantitativen Unterschied als vielmehr um die Auffassung der Genese: Ist der Substanzverlust „altersassoziiert" aufgetreten oder handelt es sich um einen krankhaften Zustand? Eine Frage, die im Einzelfall oft kaum zu beantworten sein wird. Diese Frage ist letztendlich klinisch wenig relevant, es interessiert vielmehr, ob im Einzelfall Behandlungsbedarf besteht. D. h., es ist zu fragen, wie hoch das Frakturrisiko einzuschätzen ist. Eine wichtige Aufgabe wird es in Zukunft sein, auf Grund densitometrischer Daten Frakturschwellen bzw. kritische Bereiche zu definieren, unterhalb derer es zu gehäuften Frakturen kommt (vgl. Kapitel 3.4). In Tabelle 2 wird eine eigene klinisch-röntgenologische Einteilung der manifesten Osteoporose vorgestellt. Diese Einteilung beschreibt verschiedene Schweregrade der Osteoporose auf Grund von Anamnese, Untersuchungsbefund und konventionellem Skelettröntgen [29]. Die Einteilung beruht auf praktisch-klinischer Erfahrung an einer großen Zahl von stationären und ambulanten Osteoporosepatienten. Die drei Stadien lassen sich vereinfacht mit leichter, mittelgradiger und schwerer Osteoporose umschreiben. Während die Stadien II und III unterschiedliche Schweregrade der manifesten Osteoporose darstellen und relativ einfach auf Grund des Röntgenbefundes zu trennen sind, beinhaltet das Stadium I die schwierige, aber wichtige Phase der gerade beginnenden Osteoporose an der Grenze zwischen präklinischer und manifester Form. Die Beschwerden sind uncharakteristisch, es stellt sich oft die bereits erwähnte Frage, ob bereits Wirbelkörperdeformierungen vorliegen und ob noch nicht eindeutig verformte Wirbel bereits Schmerzen verursachen können. Der Röntgenbefund ist meist nicht eindeutig zuzuord-
Definition und Einteilung der Osteoporose Tabelle 2
9
Klinische Stadien I — III unter Berücksichtigung anamnestischer Angaben, des klinischen Befundes und des Röntgenbefundes der Wirbelsäule bei Osteoporose-Patienten.
Stad.
Anamnese
Befund
Röntgen-WS
I
Gelegentliche Kreuzschmerzen, durch Belastung verstärkt
Unauffällig, evtl. Paravertebrale Myogelosen
Kalksalzminderung: Rahmenstruktur, vertikale Streifung, leichte Ballonierung
II
Chronische umschriebene Rückenschmerzen
Leichte Größenabnahme, angedeuteter Rundrücken
WK-Verformungen, Grund- und Deckplatteneinbrüche (bis zu 3 Wirbel)
III
Diffuse chron. Rükkenschmerzen, evtl. akute Exazerbationen, evtl. extravert. Frakturen: Radius, Rippen, prox. Femur
Starke Größenabnahme; Habitus: Rundrücken, Rumpfverkürz., Abdomenvorwölbung, quere Hautfalten
Ausgeprägte WK-Deformierungen: Grundund Deckplatteneinbrüche, Keilwirbel, Fischwirbel, Plattwirbel (mehr als 3 Wirbel)
nen. Entsprechend kann der klare Nachweis einer reduzierten Knochenmasse mit Hilfe einer quantitativen Meßmethode in dieser Phase besonders hilfreich sein. 1.1.4.3
Ätiopathogenetische
Einteilung
In dem bereits wiederholt zitierten Papier einer Kommission der Sektion „Kalziumregulierende Hormone und Knochenstoffwechsel" der „Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie" wurde neben Definition und klinischer Stadieneinteilung erstmals auch eine rein ätiologische Einteilung der Osteoporose unter Vermeidung des Begriffs primäre Osteoporose versucht. Dabei wurden 11 Formen herausgestellt (Tab. 3). An dieser Aufstellung wird sicher in den kommenden Jahren noch weiter gearbeitet werden müssen. So entsteht z. B. der Eindruck, als ob die Adjektive kindlich, juvenil und prämenopausal kausale Aspekte darstellten, da sie mit postmenopausal, senil oder endokrin verursacht in einer Reihe stehen. Diese Adjektive beschreiben jedoch nur das ursächlich unklare Phänomen, daß idiopathische Osteoporosen sich in verschiedenen Lebensphasen klinisch manifestieren. Im internationalen Schrifttum ist überwiegend noch die klassische Einteilung in primäre und sekundäre Osteoporosen üblich, die wir außerdem aus didaktischen Gründen weiterhin bevorzugen. Tabelle 4 zeigt eine entsprechende
10
Grundlagen
Tabelle 3
Ätiologische Einteilung der Osteoporose in 11 Gruppen [aus 1],
Ursachen A. B. C. D. E. F.
G.
H. I. J. K.
Idiopathische Osteoporose Kindliche und juvenile Osteoporose Prämenopausale Osteoporose Postmenopausal Osteoporose Senile Osteoporose Endokrin verursachte Osteoporose 1. Hormonmangel: z. B. Sexualhormonmangel 2. Hormonüberschuß a. Hyperkortisolismus b. Hyperthyreose Osteoporose im Rahmen komplexer Osteopathien 1. Intestinale Verursachung: Malabsorption, Maldigestion 2. Besondere Formen der renalen Osteopathie Neoplastische Erkrankungen, z. B. myeloproliferative und lymphodysplastische sowie maligne Systemerkrankungen wie Plasmozytom und Mastozytose Entzündliche Erkrankungen Osteoporose im Rahmen hereditärer Bindegewebserkrankungen, z. B. Osteogenesis imperfecta Reduktion der statischen Kräfte am Knochen, z. B. Immobilisation, Schwerelosigkeit
amerikanische Einteilung [30]. Die Bezeichnung primär umschreibt den heutigen Stand der ätiologischen Ungeklärtheit verschiedener Osteoporoseformen. Eine künftige ätiologische Klärung einzelner Formen erscheint möglich. So ist es z. B. schon heute zu diskutieren, ob nicht die postmenopausale Osteoporose unter den sekundären Osteoporosen eingereiht werden sollte, da Östrogenmangel hier eindeutig als ein wichtiger pathogenetischer Faktor identifiziert wurde [31]. Diese Unsicherheit tritt in Tabelle 3 besonders deutlich zutage, wo einmal die postmenopausale Osteoporose unter D aufgeführt wird, andererseits aber auch unter F 1 logischerweise erscheinen muß. Bedenkt man, daß nicht alle postmenopausalen Frauen eine Osteoporose bekommen, so wird klar, daß die Bezeichnung postmenopausale Osteoporose einen gar nicht so eindeutigen Zusammenhang vortäuscht. Die Schwierigkeit der ätiologischen Zuordnung liegt vermutlich in der multifaktoriellen Genese der postmenopausalen Osteoporose [32], Die Kenntnis der verschiedenen Osteoporoseformen ist für die Diagnostik und Differentialdiagnose unverzichtbar, d. h. durch die Benutzung des Begriffs sekundäre Osteoporose wird didaktisch die Verpflichtung zur Abklärung jeder Osteoporose besonders deutlich. Tabelle 5 zeigt die eigene Einteilung der
Definition und Einteilung der Osteoporose Tabelle 4
11
Aktuelle amerikanische Einteilung der Osteoporose mit der klassischen Unterscheidung primärer und sekundärer Formen (vgl. Tabelle 5).
Primary Idiopathic juvenile osteoporosis Idiopathic osteoporosis in young adults Involutional osteoporosis type I („postmenopausal" osteoporosis) type II („senile" osteoporosis) type III (osteoporosis associated with increased parathyroid function) Secondary (partial listing) Hypercortisolism Hypogonadism Hyperthyroidism Diabetes mellitus Hyperparathyroidism Seizure disorder (anticonvulsants) Gastrectomy Malabsorption syndrome Rheumatoid arthritis Connective tissue disease Chronic neurological disease Chronic obstructive lung disease Malignancy
generalisierten Osteoporosen. Lokalisierte Osteoporosen wie z. B. das Sudeck Syndrom, die gelenknahe Osteoporose bei chronischer Polyarthritis oder die lokale Inaktivitätsatrophie des Knochens sind nicht berücksichtigt. Bei den generalisierten Osteoporosen handelt es sich um Systemerkrankungen, bei denen das Skelett entweder homogen insgesamt betroffen ist oder inhomogen, jedoch mit symmetrischem Befall. Diese Muster ergeben sich durch unterschiedliche Verteilung von Spongioasa und Kortikalis im Skelett und deren unterschiedliche Umbauaktivität in Abhängigkeit verschiedener hormonaler Einflüsse. Die Wirbelsäule ist bei allen generalisierten Osteoporosen beteiligt. In Tabelle 5 ist unter den primären Osteoporosen an erster Stelle die idiopathische Osteoporose im engeren Sinne aufgeführt. Dies sind insgesamt relativ seltene Formen, bei denen bislang praktisch keine ursächlichen Pathomechanismen nachgewiesen wurden. Hierzu gehören die Osteoporose im Kindesalter, die juvenile Osteoporose und weitere Formen, die nach ihrem zeitlichen Auftreten etikettiert werden, wie adulte, prämenopausale und präsenile Osteoporose. Auch die ätiologisch weiterhin unklare Schwangerschafts-
12
Grundlagen
Tabelle 5 Eigene Osteoporoseeinteilung. Die pathogenetischen Mechanismen der sekundären Osteoporose können per se zur Osteoporose führen oder ätiologische Zusatzfaktoren bei den sogenannten primären Osteoporosen darstellen. I. Primäre Osteoporose 1. Idiopathische Osteoporose (juvenil, adult, prämenopausal, präsenil) 2. Postmenopausale Osteoporose (Typ I) 3. Senile Osteoporose (Typ II) II. Sekundäre Osteoporose 1. Endokrin/metabolisch Cushing Syndrom, Hyperthyreose, Hypogonadismus, Hyperparathyreoidismus, Akromegalie, Diabetes mellitus 2. Iatrogen/medikamentös Glukokortikoide, Heparine, Schilddrüsenhormone, LH-RH-Analoga, Tamoxifen, Danazol, Gluthetimid, Laxantien, Cholestyramin 3. Myelogen/onkologisch Multiples Myelom, Mastozytose, lymphoproliferative Erkrankungen, diffuse Knochenmarkskarzinose 4. Parainfektiös/immunogen Chron. Polyarthritis, Morbus Crohn(?) 5. Inaktivität/Immobilisation Bettruhe, Paraplegie, Hemiplegie, Raumfahrt 6. Hereditäre Bindegewebserkrankungen Osteogenesis imperfecta, Marfan Syndrom, Ehlers Danlos Syndrom, Menke's Syndrom, Homozystinurie 7. Im Rahmen komplexer Osteopathien Renale Osteopathie (chron. Niereninsuffizienz), intestinale Osteopathie (chron. Malabsorption)
Osteoporose könnte hier subsumiert werden. Die häufigste und wichtigste Osteoporoseform ist außer Zweifel die postmenopausale Osteoporose. Die senile Osteoporose der Frau dürfte sich in der Regel auf eine vorbestehende postmenopausale Form aufpfropfen. Die hohe Inzidenz auch bei Männern zeigt andererseits, daß zusätzlich intrinsische und extrinsische Faktoren des Alters eine Rolle spielen dürften [8, 33]. In Tabelle 5 ist hinter postmenopausaler und seniler Osteoporose Typ I bzw. Typ II vermerkt. Im anglo-amerikanischen Schrifttum haben sich diese Begriffe bereits eingebürgert. Typ II-Osteoporose deckt sich mit der Bezeichnung senile Osteoporose, d. h. einer generalisierten Osteoporosemanifestation mit ausgeprägtem Substanzverlust von trabekulärem und kortikalem Knochengewebe. Typ I-Osteo-
Definition und Einteilung der Osteoporose Tabelle 6
13
Unterscheidungskriterien für die Typ I- und Typ II-Osteoporose.
Parameter
Osteoporoseform Typ I
Typ II
Alter Geschlecht (w/m)
50-70 8/1
70-100 3/1
Art des Knochenverlustes
trabekulär > kortikal
trabekulär = kortikal
Hauptfrakturtyp
Wirbelkörper, dist. Radius
Wirbelkörper, prox. Femur, Humerus u. a.
Wichtige ätiologische Faktoren
Östrogenmangel (u. a. Risikofaktoren)
Altern (Involution, Immobilität)
porose umfaßt vor allem die postmenopausale Osteoporose und daneben seltenere idiopathische Formen, die sich ebenfalls mit bevorzugter Manifestation an spongiös aufgebauten Skelettarealen präsentieren. Tabelle 6 gibt weitere Charakteristika dieser beiden wichtigsten skelettalen Manifestationsmuster der Osteoporose. Fließende Übergänge kommen selbstverständlich vor. Die Diagnose einer primären Osteoporose bedeutet stets, daß sekundäre Formen ausgeschlossen sein müssen. D. h., die vielfältigen Möglichkeiten — auch wenn sie teilweise selten sind — müssen zumindestens bekannt sein. In Tabelle 5 sind die sekundären Osteoporosen unter 7 verschiedenen Gesichtspunkten gruppiert. Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es existieren noch umfangreichere Auflistungen [34]. Die sekundären Osteoporosen werden in einem besonderen Kapitel hinsichtlich ihrer Pathophysiologic, Klinik und spezieller Therapieansätze abgehandelt (s. S. 409 ff.). Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, daß die hier aufgeführten pathogenetischen Aspekte einerseits per se zur Osteoporose führen können, andererseits aber auch nur ätiologische Teilkomponenten bei bereits bestehenden oder sich entwickelnden Osteoporosen darstellen. Interessant ist ein Vergleich der Tabelle 5 mit der aktuellen amerikanischen Einteilung der Tabelle 4. In beiden Tabellen wird zwischen primären und sekundären Osteoporosen unterschieden. Die sekundären Osteoporosen erscheinen uns in Tabelle 4 weniger systematisch geordnet. Die Antikonvulsivatherapie der Epilepsie führt so z. B. in der Regel zur Osteomalazie [35, 36] und sollte hier nicht aufgeführt werden. Chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COLD) führen nicht per se zur Osteoporose, wie hier der Anschein entsteht. Die Autoren führen hierzu im Text aus, daß weitere Faktoren, wie Rauchen, frühe Menopause und Kortikoide pathogenetisch eine Rolle spielen [30], Bei fortgeschrittener respirato-
14
Grundlagen
rischer Insuffizienz dürfte Bewegungsmangel im Rahmen einer pulmonalen Kachexie als weiterer Faktor hinzukommen. Die in Tabelle 4 unter primären Osteoporosen als neue Nomenklatur aufgeführte Typ HI-Osteoporose bedarf der Erläuterung. Diese Bezeichnung wird für eine Untergruppe von postmenopausalen Osteoporosen vorgeschlagen, bei denen sich ein erhöhtes Parathormon mit inadäquat niedrigem 1,25Dihydroxicholecalciferol fand [37], Die Häufigkeit soll ca. 10% bei postmenopausalen Osteoporosen betragen [30]. Pathogenetisch wird eine Störung der 1-a-Hydroxylase in der Niere angenommen. Die weitere Erforschung dieser noch fraglichen Entität erscheint vor allem wegen der möglichen Therapierbarkeit mit dem aktiven D-Hormon von großem Interesse.
1.2 Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung J. D. Ringe
„Osteoporosis is a disease whose time has come", schreiben Riggs und Melton einleitend in ihrem Buch [20], Daß für die Osteoporose die Zeit gekommen ist, liegt im wesentlichen daran, daß in den letzten Jahren zunehmend die große sozioökonomische Bedeutung dieser Krankheit erkannt wurde und daß die intensive Forschung des letzten Jahrzehnts einige wichtige Fortschritte in Diagnostik, Prävention und Therapie erbracht hat. Das frühere geringe Interesse an der Osteoporose lag vor allem daran, daß die Osteoporose von den Ärzten als eine langweilige, wenig beeinflußbare, schicksalhaft mit dem Alter verknüpfte Störung angesehen wurde. Inzwischen ist nicht nur das Interesse der Ärzte, sondern auch das der Laien geweckt. In den USA ist z. B. nach einer Fernsehumfrage die Bekanntheit dieser Krankheit von 15% auf 85% angestiegen [20]. Bei uns ist vermutlich das Problem Osteoporose noch weniger in das allgemeine Bewußtsein vorgedrungen, aber auch hier ist der Bekanntheitsgrad durch die Arbeit von Hochschullehrern und Ärzten einerseits und die der Medien andererseits steil im Steigen begriffen. Die große sozioökonomische Bedeutung der Osteoporose liegt im wesentlichen in drei Punkten: 1. in der großen Häufigkeit dieser Erkrankung, welche entsprechend der demographischen Entwicklung in den westlichen Ländern weiter steigen wird; 2. in den gravierenden Folgen für die Betroffenen wie u. a. chronische Schmerzen, Invalidität, Verlust der Selbständigkeit, erhöhte Mortalität; 3. in den erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem und die gesamte Volkswirtschaft.
1.2.1 Prävalenz der Osteoporose Die wenigen vorhandenen epidemiologischen Studien zur Osteoporose sind einerseits wegen des dargestellten uneinheitlichen Gebrauchs der Definition und der diagnostischen Kriterien und andererseits wegen offenbar vorhan-
16
Grundlagen
dener erheblicher geographischer und ethnischer Unterschiede nur mit Einschränkungen auf andere Bevölkerungsgruppen übertragbar [38, 39]. So weisen z. B. Afrikaner und Amerikaner afrikanischer Abstammung wesentlich höhere Knochenmineralgehaltswerte auf als Weiße [9] und leiden auch im fortgeschrittenen Alter kaum an Osteoporose oder pathologischen Frakturen [40], Dagegen soll bei Japanern und der jüdischen Bevölkerung von Israel [41] die Osteoporoseprävalenz höher liegen als bei der zentraleuropäischen bzw. weißen nordamerikanischen Bevölkerung. In einer Untersuchung der metakarpalen Kortikalisdicke an 51 Personen japanischer bzw. chinesischer Abstammung war die Masse an kortikalem Knochen gegenüber Standardwerten von Personen europäischer Abstammung signifikant erniedrigt [42]. In einer Studie an 1 368 Männern und 1 098 Frauen japanischer Herkunft auf Hawai wurden signifikant niedrigere Knochendichtewerte am Radius gefunden als bei Amerikanern kaukasischer Abstammung [43], In einer weiteren epidemiologischen Studie mit Berücksichtigung verschiedener ethnischer Gruppen wurden Röntgenbilder der Wirbelsäule von 200 Frauen aus Puerto Rico mit mehr als 2 000 aus dem Staat Michigan verglichen. Nach Röntgenkriterien boten 60% der über 65jährigen Puerto-Ricanerinnen und 80% der über 65jährigen weißen Amerikanerinnen Zeichen der Kalksalzminderung [44], Frauen afrikanischer Abstammung zeigten wesentlich seltener eine Kalksalzminderung, in keinem Fall Frakturen. Von der gefundenen Rate an Wirbelfrakturen in Michigan wurde mit Vorbehalt eine Hochrechnung für alle amerikanischen Frauen vorgenommen. Danach hätten 1,6 Millionen Amerikanerinnen asymptomatische Wirbelfrakturen. Zur generellen Prävalenz der Osteoporose in den USA können hieraus keine Rückschlüsse gezogen werden. Ein interessanter Nebenbefund war, daß der Grad der osteoathrotischen Veränderungen der Wirbelsäule umgekehrt mit dem vermuteten Osteoporosegrad korrelierte, ein Befund, der auch von anderen Autoren herausgestellt wurde [45], Das Ausmaß der Aortenverkalkung dagegen korrelierte eher mit dem Grad der Knochenatrophie der Wirbelsäule [44]. Tabelle 7 zeigt die Osteoporoseraten in Prozent aus zwei epidemiologischen Untersuchungen bzw. Schätzungen von zwei deutschsprachigen Autoren [19, 41, 46, 47]. In der Arbeit von Goldsmith et al. [46] wurden 8434 Personen mit einer speziellen Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule und teilweise auch mittels Photonenabsorption am Radius auf Osteoporoseprävalenz untersucht. In der Studie von Menczel et al. [41] wurden Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule von 1 755 Frauen und 1 760 Männern jeweils im Alter von 45 bis 84 untersucht. Wendet man die Prozentzahlen dieser Studien bzw. Schätzungen, die sich entweder auf Frauen allein, auf Männer oder auf die Gesamtbevölkerung beziehen, unter Berücksichtigung der Altersbezugsgruppen auf die Bundesrepublik Deutschland an, so ergeben sich die Zahlen der
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung Tabelle 7
17
Angaben zur Osteoporoseprävalenz auf Grund epidemiologischer Erhebungen bzw. Schätzungen. Die Prozentwerte wurden unter Berücksichtigung der jeweiligen Altersbezugsgruppe auf die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hochgerechnet [48], Bezug
Prozentwerte Frauen Männer Gesamt
Geschätzte Osteoporosehäufigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 10,4 Mio.
Goldsmith et al. 1973
> 20 J
33,3
11,9
Menczel et al. 1976
> 45 J
14,5
2,9
Krokowski u. Fricke 1978
> 50 J
42,0
Dambacher 1982
— GesamtBevölk. > 60 J 9 25,0
-
2,2 Mio.
—
—
5,0 Mio. $
—
12
7,4 Mio.
-
-
2,0 Mio. 9
rechten Spalte der Tabelle 7 [48]. Vergleicht man diese, so sind die Unterschiede durch den verschiedenen Bezug der jeweiligen Aussage nicht allein zu erklären. Dies zeigt sich z. B. sehr deutlich darin, daß Krokowski und Fricke [47] für über 50jährige Frauen im Mittel 42% (ansteigend von 10 — 75%) und Dambacher [19] für über 60jährige Frauen 25% Osteoporosen annehmen. Die pauschale Schätzung, daß 12% aller Bundesbürger eine Osteoporose haben, halten wir für zu hoch veranschlagt, obwohl die Zahl 7,4 Millionen etwa in der Mitte zwischen den beiden Extremen 10,4 und 2,2 Millionen Osteoporosen liegt, welche sich aus den ersten beiden Hochrechnungen ergibt. Klinisch manifeste Osteoporosen, d. h. Fälle mit Wirbeleinbrüchen bzw. Rükkenschmerzen, dürften u. E. bei 6,5 bis 8% der Bevölkerung vorliegen, das entspricht etwa der Annahme von 4 bis 5 Millionen betroffenen Bundesbürgern. Eine möglichst exakte epidemiologische Studie zur Frage der Osteoporosemorbidität und der Häufigkeit typischer osteoporoseassoziierter Frakturen in der Bundesrepublik Deutschland wäre dringend zu wünschen. Sie müßte in einem wohldefinierten Wohngebiet mit möglichst normaler Altersstruktur der Bevölkerung konzipiert werden. Sicher ist, daß die Osteoporosemorbidität in den westlichen Industrieländern parallel zur Änderung der Altersstruktur kontinuierlich steigt. Sprunghafte Steigerungen sind in Staaten zu erwarten, bei denen die sogenannte Überalterung der Bevölkerung jetzt erst einsetzt (z. B. Osteuropa). Prozentzahlen der Bevölkerung im Alter über 60 Jahre an einer Auswahl europäischer
18
Grundlagen
Staaten [49] erlauben abzuschätzen, um wieviel das Osteoporoseproblem zwischen 1980 und dem Jahr 2000 zunehmen könnte (Tab. 8). Die z. Z. im Mittel sieben Jahre längere Lebenserwartung der Frauen gegenüber den Männern trägt erheblich zu diesem Anstieg bei. In allen Ländern ist der Anteil der über 60jährigen Frauen deutlich höher als der Männeranteil. Die Tabelle 8 läßt ferner erkennen, daß in den osteuropäischen Ländern mit z. Z. noch relativ niedrigem Stand älterer Bürger mit höheren Zuwachsraten zu rechnen ist. Bis zum Jahr 2000 wird der Anteil der über 60jährigen Frauen z. B. in Westdeutschland um 12,3%, in Bulgarien sogar um 34,3% gegenüber dem Stand von 1980 ansteigen. Bis zum Jahr 2030 soll der Anteil der Frauen, die älter als 60 Jahre alt sind, bei uns 35% der weiblichen Gesamtbevölkerung ausmachen. Damit könnte die Prävalenz der Osteoporose im Vergleich zu 1980 um 54% zunehmen, wenn ein anzunehmender Bevölkerungsschwund außer acht gelassen wird. Daten aus einigen europäischen Ländern (vergl. 1.2.2) sprechen sogar für eine überproportionale Zunahme der Osteoporoseprävalenz. Tabelle 8
Prozentualer Anteil der über 60jährigen männlichen und weiblichen Bevölkerung ausgewählter west- und osteuropäischer Staaten im Jahre 1980 bzw. 2000 (Daten aus [49]). 2000
1980 Männer
Frauen
Männer
Frauen
Großbritannien Frankreich Italien Westdeutschland
17,2 14,0 15,5 14,5
22,6 19,8 19,6 22,8
17,8 16,3 19,8 19,4
22,0 21,2 24,3 25,6
Polen Sowjetunion Bulgarien
11,6 8,7 14,6
15,1 16,9 16,9
16,2 13,9 18,8
20,0 20,8 22,7
Unberücksichtigt blieben bei diesen Überlegungen natürlich zu erhoffende langfristige Erfolge der seit einigen Jahren zunehmenden Bemühungen um die Osteoporoseprävention. Über die Häufigkeit von sekundären Osteoporosen gibt es praktisch gar keine konkreten Informationen (vergl. 5.2). Die zahlenmäßig wichtigste Form dürfte die kortikoid-induzierte Osteoporose sein.
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
19
1.2.1.1 Typ I und Typ II In Tabelle 9 ist versucht worden, aus der Alters- und Geschlechtsverteilung der bundesdeutschen Bevölkerung eine grob orientierende Schätzung der Prävalenz der Typ I- und Typ II-Osteoporose vorzunehmen. Nach dem statistischen Jahrbuch 1987 der Bundesrepublik Deutschland lebten im Jahr 1985 in unserem Land insgesamt 12,98 Millionen 50 —70jährige und 6,90 Millionen über 70jährige. Zu beachten ist, daß der Anteil der Frauen in der höheren Altersgruppe erheblich höher liegt (67% gegenüber 55%). Den Berechnungen in Tabelle 9 liegen folgende vereinfachende Annahmen zugrunde: 1. Die Prävalenz an Osteoporosen für alle Frauen, die z. Z. älter als 50 Jahre sind, beträgt 35%. 2. Die Osteoporoseinzidenz der Frauen steigt linear mit dem Alter an. 3. Das Geschlechtsverhältnis bei der Typ I-Osteoporose beträgt 1:8, bei der Typ II-Osteoporose 1 : 3 (vergl. Tabelle 6), d. h. bei Männern steigt die Osteoporoseinzidenz exponentiell an. Tabelle 9
Abschätzung der Prävalenz der Typ I- und Typ II-Osteoporose (aus 33). 50 — 70 J.
Bevölkerung der BRD* OsteoporosePrävalenz
n (Mio.) % % n (Mio.)
> 70 J.
Männer Frauen
Gesamt
Männer Frauen
Gesamt
5,84 45 3,1 0,18
12,98 100 12,2 1,58
2,28 33 19,6 0,47
6,90 100 46,2 3,19
7,14 55 19,6 1,40
4,62 67 58,8 2,72
* nach Stat. Jahrbuch der BRD 1987
Unter diesen Voraussetzungen ergeben sich bezüglich der Osteoporoseprävalenz die Prozentzahlen in Zeile 3 der Tabelle 9. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungsdaten folgen die absoluten Häufigkeitsangaben in Zeile 4. Obwohl die über 70jährige Bevölkerung nur halb so groß ist wie die Gruppe der 50 — 70jährigen (53%), ist die Osteoporoseprävalenz bei der erstgenannten Bevölkerungsgruppe mit 3,19 Millionen Typ II-Osteoporosen gegenüber 1,58 Millionen Typ I-Osteoporosen deutlich höher (Verhältnis 2:1). Die Gesamtzahl von 4,77 Millionen Osteoporosen liegt im Rahmen der o. g. Schätzungen von 4 —5 Millionen für die Bundesrepublik Deutschland [33]. Diese Berechnungen bzw. Voraussagen bedürfen dringend der Überprüfung durch epidemiologische Studien. Wenn es zutrifft, daß die Typ II-Osteoporose doppelt so häufig ist wie die Typ I-Osteoporose, dann erfährt die senile Osteoporose bei uns bislang viel zu wenig Beachtung.
20
Grundlagen
1.2.2 Inzidenz von Frakturen Wegen der großen Unsicherheit in allen Angaben zur Osteoporoseprävalenz wird oft zur Abschätzung der Osteoporosemorbidität die Inzidenz typischer osteoporoseassoziierter Frakturen herangezogen. Die häufigsten Frakturlokalisationen im Rahmen des Osteoporose-Syndroms sind eindeutig Wirbelbrüche, distale Radiusfrakturen und proximale Femurfrakturen. In einer britischen Studie an 60- bzw. 80jährigen Frauen (Abb. 3) hatten 7 % der 60jährigen an einer dieser drei Skelettregionen Brüche erlitten (1% an mehreren Stellen zugleich). Bei den 80jährigen war bereits in 25% eine dieser drei Frakturarten aufgetreten, 4 % der Frauen hatten Frakturen an mehr als einer der drei Skelettregionen [50].
FRAKTURHÄUFIGKEIT BEI FRAUEN °/o 0 E3 •
FEMUR WIRBEL RADIUS
mm
—
m
60 Jahre 2 7V.I1)
Abb. 3
1
•
60 Jahre 2
25•/.IM
Häufigkeit von Frakturen an den drei wichtigsten osteoporosetypischen Skelettregionen bei 60- bzw. 80jährigen Frauen (modifiziert nach [50], vgl. Text).
Für epidemiologische Erhebungen lassen sich Wirbelfrakturen anamnestisch schwer erfassen, da sie oft nicht als genau defmierbares Schmerzereignis erlebt werden. Sie können daher nur retrospektiv auf Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule aus signifikanten Höhenminderungen bzw. Deformierungen der Wirbelkörper objektiviert werden. Dagegen sind Extremitätenfrakturen stets „Alles-oder-Nichts"-Ereignisse, die mit heftigen Schmerzen einhergehen und daher anamnestisch leicht zu eruieren sind.
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
Abb. 4
21
Häufigkeit distaler Radiusfrakturen bei Frauen und Männern in Abhängigkeit vom Lebensalter [nach 51].
Aktuelle Schätzungen für die USA gehen davon aus, daß pro Jahr mehr als 1,3 Millionen Frakturen auftreten, davon 240000 proximale Femurfrakturen, 500000 Wirbelbrüche bzw. -einbrüche und 170000 distale Radiusfrakturen [63]. Während die Inzidenz von Wirbel- und Femurfrakturen mit dem Alter exponentiell ansteigt, wurde für die distale Radiusfraktur (angloamerikanisch: Colles' fracture) ein Maximum in der sechsten Lebensdekade beschrieben, danach findet sich ein Plateau, d. h. die jährliche Inzidenz bleibt bis ins hohe Alter etwa gleich [51]. Die Abbildung 4 zeigt männliche und weibliche Inzidenzkurven von distalen Radiusfrakturen. Es findet sich ein Maximum für beide Geschlechter um die Pubertät. Bei Männern ist vom 20. Lebensjahr an bis ins hohe Alter dieser Frakturtyp sehr selten, bei Frauen nur zwischen dem 20. und 45. Lebensjahr. Danach kommt es zu einem steilen Anstieg, der ab 60 das genannte Plateau erreicht [51]. Während die Ursache des Peaks in der 2. Dekade unklar ist, ist für den Wiederanstieg bei Frauen ab dem 45. Lebensjahr der peri- und postmenopausale Knochenverlust ursächlich anzunehmen. 1.2.2.1
Proximale
Femurfrakturen
Die verläßlichsten Häufigkeitsangaben beziehen sich auf die proximalen Femurfrakturen im höheren Lebensalter (angloamerikanisch: hip fractures), die überwiegend auf die Osteoporose zu beziehen sind. Dieser Frakturtyp ist typisch für die senile oder Typ II-Osteoporose und kann selbstverständlich auch nur zu Aussagen über die Morbidität an Typ II-Osteoporose einer bestimmten Population beitragen. Da diese Frakturen stets zu einer Klinik-
22
Grundlagen
Tabelle 10
Inzidenz von proximalen Oberschenkelfrakturen bei Männern und Frauen in verschiedenen Ländern bzw. ethnischen Gruppen bezogen auf 10000 Einwohner (adaptiert nach [40]).
USA (Rochester) Neuseeland Schweden Jerusalem Großbritannien Holland Finnland Jugoslawien* Hongkong Jugoslawien** Singapur Bantus (Südafrika)
Frauen
Männer
?/c?
101,6 96,8 87,2 69,9 63,1 51,1 49,9 39,2 31,3 17,3 15,3 5,3
50,5 35,2 38,2 42,8 29,3 28,5 27,4 37,9 27,2 18,2 26,5 5,6
2,01 1,79 2,75 1,63 2,15 1,80 1,78 1,03 1,15 0,95 0,58 0,94
* Wenig Kalzium in der Nahrung ** Viel Kalzium in der Nahrung
einweisung führen, können sie relativ exakt erfaßt werden. Ausgeschlossen werden müssen dabei selbstverständlich pathologische Frakturen infolge metastatischer Knochendestruktion im proximalen Femurbereich. Nicht immer eindeutig ausgeschlossen wurden bei den meisten vorliegenden Erhebungen Femurfrakturen durch Osteomalazien im höheren Lebensalter bzw. durch Mischbilder, Osteoporomalazien. Der Anteil derartiger Osteoporomalazien im Alter differiert vermutlich erheblich je nach Ernährung und Sonnenexposition der untersuchten Bevölkerungsgruppen. Für Großbritannien wird ein relativ hoher Anteil von 20 — 30% bei Patienten mit Femurfrakturen beschrieben [52, 53]. Für viele andere Länder, so auch die Bundesrepublik, fehlen entsprechende Untersuchungen. Eine sehr exakte epidemiologische Studie zur Häufigkeit proximaler Femurfrakturen wurde in Rochester (Minnesota) für die Jahre 1965 — 1975 erstellt. Unter Ausschluß von rein traumatisch bedingten Frakturen und Patienten mit Skelettmetastasen wurden 415 Frakturen registriert, 328 bei Frauen, 87 bei Männern [40]. Bezogen auf die Bevölkerung von Rochester ergeben sich Frakturraten von 101,6 bei Frauen und 50,5 bei Männern pro 100000 Einwohner und Jahr, welche auf die weiße Bevölkerung der USA in etwa übertragbar sind. Danach wurden für die USA ca. 200000 neue Femurfrakturen pro Jahr angenommen. Tabelle 10 zeigt aus der gleichen Publikation [40] eine Übersicht über Frakturraten, die in anderen Staaten bzw. an anderen ethni-
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
23
sehen Gruppen erhoben wurden. Die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen erklären sich teilweise durch den jeweils unterschiedlichen Anteil der älteren Bevölkerung. Die beiden Angaben aus Jugoslawien zeigen, daß diätetische Faktoren, insbesondere der regelmäßige Kalziumkonsum einer Population, eine große Rolle spielen können [39], In den Ländern, in denen der Quotient der Frakturraten von Frauen und Männern unter 1,0 liegt, dürfte ein erheblicher Anteil an traumatischen Frakturen mit adäquatem Trauma im Spiel sein. Die sehr niedrigen Frakturraten schwarzer Südafrikaner sind durch die generell sehr niedrige Osteoporoseprävalenz bei dieser Rasse bedingt. In Tabelle 10 werden für Holland Femurfrakturraten von 51,1 bei Frauen und 28,5 bei Männern angegeben. Mit der Annahme, daß die holländische und deutsche Bevölkerung ethnisch und soziokulturell wenig differieren, haben wir aus diesen Daten eine Hochrechnung [48] für die Bundesrepublik vorgenommen (Tab. 11). Die Berechnungen beruhen auf dem Bevölkerungsstand der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1983 (Quelle: Statistisches Jahrbuch 1983). Es ergeben sich aufgerundet bei uns 50000 Frakturen des proximalen Oberschenkelknochens pro Jahr, das Verhältnis Frauen zu Männern beträgt 2:1. Die Tabelle 11 zeigt außerdem eine grobe Abschätzung der Behandlungskosten, wenn im Mittel 14 Tage Behandlung im Akutkrankenhaus und 42 Tage einer kostengünstigen Rehabilitationsklinik unterstellt werden. Tabelle 11
Häufigkeit von proximalen Femurfrakturen pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung von Frakturraten im Nachbarland Holland (vgl. Tab. 10) sowie Abschätzung der jährlichen Behandlungskosten.
Frakturrate: (vgl. Holland)
Frauen Männer
51,1/100000 EW/Jahr 28,5/100000 EW/Jahr
OSH-Frakturen: (61,6 Mio. EW)
Frauen Männer
31500 17 500
Kosten pro Patient:
14 T. à 4 0 0 , - = 5 6 0 0 , 42 T. à 1 5 0 , - = 6 3 0 0 , -
Gesamtkosten:
DM 588000000,-/Jahr
49 000/Jahr 11900,-
In Tabelle 12 sind der aus dieser Berechnung stammenden bundesdeutschen jährlichen Inzidenz an proximalen Femurfrakturen aktuelle Angaben aus anderen westlichen Staaten gegenübergestellt [54]. Gegenüber den Zahlen der Tabelle 10 (publiziert 1980) ergeben sich Abweichungen, die teilweise durch
24
Grundlagen
Tabelle 12
Inzidenz von Femurfrakturen in verschiedenen industrialisierten Staaten bezogen auf die Gesamtbevölkerung und auf 100 000 Einwohner pro Jahr.
USA BRD Großbritannien Italien Singapur
Gesamtbevölkerung (Mio.)
Frakturen pro Jahr
Inzidenz pro 100000 EW pro Jahr
235 61 56 57 2,4
240000 50000 42000 43 000 258
102,1 82,0 75,0 75,4 10,8
Zunahme der Osteoporoseprävalenz oder aber auch durch methodische Fehler bedingt sein dürften (Singapur). Die Umrechnung auf Frakturen pro 100000 Einwohner pro Jahr zeigt, daß die angenommenen Frakturraten in der Bundesrepublik, in Italien und in Großbritannien mit Werten zwischen 75 bis 82 sehr ähnlich sind. Die nordamerikanische Inzidenz liegt höher, die Rate in einem kleinen Industriestaat mit einer im Durchschnitt jüngeren Bevölkerung liegt signifikant niedriger.
1.2.2.2
Überproportionale
Frakturzunahme
Wiederholte Untersuchungen der Inzidenz von zervikalen und pertrochantären Femurfrakturen in größeren Abständen haben für verschiedene europäische Staaten das beunruhigende Ergebnis erbracht, daß die Inzidenz steiler ansteigt, als unter Berücksichtigung demographischer Änderungen zu vermuten ist [55]. Dieser überproportionale Anstieg ist für die USA bislang nicht bestätigt [56], In einer Studie aus Nottingham [57] betrug für das Jahr 1971 die Inzidenz 250, für das Jahr 1981 dagegen bereits 612 pro Jahr für die Stadtbevölkerung. Die retrospektive Analyse ergab zwischen 1971 und 1976 jährliche Steigerungen der Inzidenz von 6% und danach von 10%. Die ältere Bevölkerung stieg dagegen in Nottingham zwischen 1977 und 1981 um weniger als 2% an. Dem zugrundeliegend wurde ein überproportionaler Anstieg der Frakturen bei über 75jährigen Frauen gefunden von 8/1 000/Jahr 1971 auf 16/1000/Jahr 1981. Die dringende Notwendigkeit einer Verstärkung der prophylaktischen Maßnahmen gegen die Osteoporose wurde aus diesem bedrohlichen Anstieg abgeleitet [57], Eine retrospektive Studie aus Oxford bestätigte im Prinzip diesen Trend, wobei jedoch der überproportionale Anstieg beide Geschlechter in allen Altersstufen betraf [58], Ursächlich diskutiert werden müssen hierbei natürlich die Änderungen im Risikofaktorenprofil der Bevölkerung, insbesondere Diät-
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
25
faktoren, Umweltfaktoren und körperliche Aktivität. Bislang gibt es jedoch hierzu noch keine gesicherten Daten [58]. Eine weitere derartige alarmierende Studie kommt aus Belgien [59]. Die Inzidenz an proximalen Femurfrakturen stieg für die Gesamtbevölkerung Belgiens weitgehend stetig von 7 897 im Jahre 1977 auf 10106 im Jahre 1982, d. h. ein Anstieg von 25%. Zur Kontrolle wurde die Häufigkeit diaphysärer Femurfrakturen (welche als rein traumatisch bedingt anzusehen sind) erfaßt. Sie stieg nicht signifikant von 1 514 auf 1 568 ( + 3,5%). Die weitere Datenanalyse ergab, daß der Anstieg mehr die pertrochantären als die zervikalen Femurfrakturen betraf [59]. Die Relation trochantär/zervikal änderte sich von 0,71 (1971) zu 1,00 (1982). Dieser überproportionale Frakturanstieg, der in drei unabhängigen Studien nachgewiesen wurde, muß sicher sehr ernst genommen werden. Weitere epidemiologische Untersuchungen aus verschiedenen Ländern erscheinen dringend nötig, wobei auch sich ändernde Risikofaktorenprofile durch Änderungen der Lebensgewohnheiten (Diät, Genußmittel, Medikamente, Bewegung, Freizeit) erfaßt werden müßten. Inzwischen gibt es erste Mitteilungen, daß dieser durch die Alterung der Bevölkerung nicht zu erklärende Frakturanstieg auch andere Skelettregionen betrifft. Die im Jahre 1988 veröffentlichten retrospektiven Untersuchungen aus der schwedischen Stadt Malmö ergeben, daß sich zwischen 1950 und 1980 die Häufigkeit von Wirbelkompressionen bei über 80jährigen Frauen vervierfacht hat, für ältere Männer liegt die Zunahme noch höher. Die Autoren schlössen aus diesen Daten, daß die Faktoren, die zur Verschlechterung der „Knochengewebsqualität" der Extremitätenknochen führen und den überproportionalen Anstieg der Femurfrakturen begünstigen, auch im Bereich der Wirbelsäule wirksam sind [60].
1.2.3 Kostenabschätzung der Osteoporose Ein wichtiges Argument für die in den letzten Jahren zunehmend propagierte Prävention der Osteoporose durch langzeitige Östrogen/Gestagen-Substitution sind die enormen Kosten, die diese Krankheit verursacht [61, 62]. Für den Gesamtkomplex der Osteoporosekrankheit gibt es entsprechend der wenig exakten Daten zur Prävalenz nur sehr grobe Kostenschätzungen. Eine Schätzung für die USA für das Jahr 1986 nimmt Gesamtkosten von 7 — 10 Milliarden Dollar an [63], Die Bevölkerung der Bundesrepublik beträgt ca. % der Einwohnerzahl der USA. Unterstellt man eine etwa gleiche Osteoporoseprävalenz, so würde die Osteoporose in unserem Land jährlich 1,8-2,5 Milliarden Dollar oder 3 , 2 - 4 , 5 Milliarden DM kosten.
26
Grundlagen
1.2.3.1 Frakturbezogene
Kosten
In Anbetracht dieser sehr vagen Schätzungen erscheint es naheliegend, auch bei Kostenhochrechnungen sich auf einzelne Frakturtypen mit relativ gut bekannter Inzidenz zu beschränken. In der geschilderten belgischen Studie zur Inzidenz von proximalen Femurfrakturen [59] wurden zur Kostenberechnung stichprobenartig aus 17 verschiedenen Kliniken 225 Fälle ausgewählt. Es ergaben sich bei einer mittleren Krankenhausverweildauer von 33 Tagen durchschnittliche Kosten pro Fall von 245 000 belgischen Franken. Umgerechnet sind das 6 800 Dollar oder 11 700 DM pro Oberschenkelbruch. Für Belgien ergeben sich jährliche Kosten von 2,5 Milliarden belgischen Franken allein für die Oberschenkelfrakturen. Die Fallkosten von 11 700 DM, die in dieser Studie erhoben wurden, sind fast identisch mit der eigenen Hochrechnung, die in Tabelle 11 aufgeführt ist. In dieser Berechnung für die Bundesrepublik Deutschland wurden pro Patient Kosten von 11 900 DM angenommen, allerdings eine längere Behandlungsdauer von 56 Tagen unterstellt. Die jährlichen Kosten für proximale Femurfrakturen in unserem Land betragen danach bei angenommenen 50000 Fällen aufgerundet 600 Millionen DM. Diese Zahl bezieht sich auf die reinen Behandlungskosten und kann daher mit der o. g., aus amerikanischen Angaben abgeleiteten Hochrechnung für die Gesamtkosten von 3,2 bis 4,5 Milliarden DM nicht verglichen werden. Die Gesamtkosten für die Volkswirtschaft einschließlich Kosten durch Arbeitsausfall, vorzeitige Berentung und Invalidität lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt ohne epidemiologische Originaldaten aus Deutschland nicht weiter abschätzen. Berücksichtigt werden müßte bei einer derartigen Berechnung auch die Mortalität durch bzw. nach Femurfrakturen, die sich im Falle der Frühmortalität kostensenkend auswirken würde. 1.2.3.2 Okkupation von Krankenhausbetten Ein indirekter Hinweis für die Häufigkeit von proximalen Femurfrakturen und deren große ökonomische Bedeutung wird durch die Belegungsquoten von Krankenhausbetten deutlich. In Finnland (Bevölkerungsstand 1983: 4,58 Millionen) werden 550 Betten der akuten Krankenhausbehandlung nur für über 65jährige Patienten mit proximalen Femurbrüchen genutzt. Das sind 9,5% aller chirurgischen Krankenhausbetten des Landes [64]. Für Großbritannien wird angenommen, daß mehr als 5 000 Betten jährlich durch Patienten mit Femurfrakturen permanent belegt sind [65]. Bei einer geschätzten mittleren Liegedauer von 40 Tagen errechnen sich für das Vereinigte Königreich jährliche Kosten von 165 Millionen Pfund Sterling. Bei 50000 Patienten mit Femurfrakturen und einer mittleren Liegezeit von 56 Tagen (14 Tage Akutbett, 42 Tage Rehabilitationsbett), wie es von uns in Tabelle 11 berechnet wurde,
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
27
ergeben sich für die Bundesrepublik Deutschland folgende Bettenzahlen: Pro Jahr sind 1 920 Akutbetten und 5 750 Rehabilitationsbetten durch Femurfrakturpatienten okkupiert, insgesamt 7 670 Betten. Insgesamt gesehen finden sich erhebliche Unterschiede in der Aufenthaltsdauer im Krankenhaus von Femurfrakturpatienten, wobei die Variationsbreite durch Unterschiede im Alter des Patientenguts und medizinische Probleme nicht allein zu erklären ist [66], In einer sehr interessanten prospektiven Studie an 216 derartigen Patienten wurde die Notwendigkeit des Krankenhausaufenthaltes von Tag zu Tag neu analysiert. Die insgesamt 5167 Aufenthaltstage im Akutkrankenhaus (im Mittel 24 Tage pro Patient) konnten folgendermaßen unterteilt werden: 10% Warten auf operative Versorgung, 3% Verbessern der Operationsfähigkeit, 51% Erholung von der Operation ohne Komplikationen, 1 % Behandlung wegen chirurgischer, 1 % wegen medizinischer Komplikation, 6% wegen zusätzlicher konservativer Therapie und 28% Warten auf Entlassung nach abgeschlossener chirurgischer und internistischer Therapie [67],
1.2.4 Folgen für die Patienten Neben der großen Häufigkeit und den Kosten, welche die Osteoporose für Gesundheitssystem und Volkswirtschaft verursacht, sind für die sozioökonomische Bedeutung dieser Krankheit als dritte Komponente die Folgen für die Betroffenen zu diskutieren. Die wichtigsten Aspekte in diesem Zusammenhang sind chronische Schmerzen, Deformierungen, Invalidität, soziale Isolierung und Mortalität. Das zentrale Ereignis im Osteoporosegeschehen, das diese Folgen nach sich zieht, ist die Fraktur. Bei den „akuten Frakturen" (Extremitätenknochen, Rippen, Wirbel) spielt neben der „Brüchigkeit" des Knochens stets auch eine gewisse traumatische „Gewalteinwirkung" eine Rolle (Abb. 5). Bei der Mehrzahl der Wirbelfrakturen dagegen, die sich als chronische Wirbeideformierungen entwickeln, d. h. als Summationseffekte zahlreicher Mikrofrakturen anzusehen sind („Sinterungsbrüche"), steht dagegen die Bruchneigung durch die verminderte Knochenmasse im Vordergrund und eine traumatische Einwirkung ist oft nicht eruierbar. 1.2.4.1
Schmerzsyndrom
bei
Osteoporose
Obwohl der Schmerz sicher für die Betroffenen das wichtigste Symptom ist und der Patient den Erfolg einer Behandlung primär an der für ihn wichtigen
28
Grundlagen KNOCHENMASSE
FESTIGKEIT
DER
KNOCHENSUBSTANZ
STURZNEIGUNG
"BRÜCHIGKEIT"
EINFLÜSSE
GEWALTEINWIFUCUNG
AKUTES
W I R B EL K O R P E R V E R F O R M U N G (MIKROFRAKTUREN,
UMGEBUNGS-
FRAKTUREREIGNIS
SINTERUNG)
////////////////////A FRZ 7 SCHME
V/j
IMMOBILISIERUNG ABHÄNGIGKEIT TOD
Abb. 5
Beziehungen zwischen Frakturgenese und klinischem Bild der Osteoporose.
Schmerzlinderung mißt [68], gibt es kaum klinische Arbeiten zur Schmerzanalyse bei Osteoporose und noch weniger pathophysiologische Untersuchungen zur Schmerzgenese. Generell wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden [69]. Der akute Schmerz wird dem frischen Frakturereignis zugeordnet und entsprechend als eigentlicher ossärer Schmerz angesehen. Intraossär gibt es keine Schmerzrezeptoren, die Schmerzvermittlung erfolgt über das reich mit Schmerzfasern ausgestattete Periost, das bei der Fraktur lädiert oder durch Zug und Druck (Hämatome) irritiert wird. Unklar ist die bereits oben (s. S. 7) diskutierte Frage, ob Spongiosamikrofrakturen in einem äußerlich intakten Wirbelkörper oder im Epiphysenbereich von Röhrenknochen Schmerzen verursachen können. Denkbar wäre dieses z. B. durch Änderungen des intraossären Druckes. Lokalisierte intraossäre Einblutungen in offensichtlichem Zusammenhang mit derartigen Mikrofrakturen wurden beschrieben. Das größere Problem ist sicher der chronische Osteoporoseschmerz [70], der typischerweise im Tagesverlauf und unter Belastung zunimmt [71]. Dieser Schmerz wird als „Weichteilschmerz" bzw. über artikuläre Rezeptoren vermittelter Schmerz angesehen. Die chronischen Schmerzen betreffen praktisch nur den Rücken. Durch die Wirbelverformungen kommt es zu Änderungen
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
29
in der Statik und Gewichtsbelastung der Wirbelsäule. Die Folge sind schmerzhafte Fehlbelastungen von Sehnen, Bändern und Muskeln sowie Kapselzerrungen an den Wirbelgelenken. Als dritte Schmerzkomponente kommen bei der Osteoporose radikuläre Schmerzen vor, die durch direkte Irritationen von Nerven bzw. Nervenwurzeln ausgelöst werden. Im BWS-Bereich strahlt dieser Schmerz nach ventral aus. Die Abgrenzung dieser Schmerzen von Angina pectoris bereitet oft Schwierigkeiten. Unnötig durchgeführte Koronarangiographien kommen ebenso vor wie unnötige Skelettröntgenaufnahmen. Da Osteoporose und koronare Herzkrankheit als zwei häufige Krankheiten im Alter oft koinzidieren, können auch Überlagerungen vorkommen. Im LWS-Bereich manifestiert sich der radikuläre Schmerz als ischialgiformer Schmerz mit Ausstrahlung in das Gesäß oder die Beine. Der chronische Schmerz zeigt im Verlauf oft spontane Besserungen oder akute Exazerbationen, kann aber auch über viele Jahre persistieren. Sicher spielt wie bei allen Schmerzen die individuelle Schmerzempfindlichkeit bzw. Schmerzverarbeitung eine große Rolle. Gerade bei der Osteoporose sind jedoch nicht selten die chronischen Schmerzen für die Betroffenen extrem zermürbend. Gehäufte Depressionen bis hin zur Suizidalität sind die Folge. 1.2.4.2 Habitusveränderungen
und Invalidität
Ohne die gesamte klinische Symptomatologie der Osteoporose vorwegnehmen zu wollen, seien hier kurz die sozialen Folgen von Skelettdeformierungen, Habitusveränderungen und Invalidität skizziert. Was das Krankheitsbild Osteoporose für die Betroffenen bedeutet, wird am besten durch eine Abbildung der äußerlich sichtbaren Veränderungen deutlich. Abbildung 6 a zeigt die schräg-seitliche Rückenansicht einer 74jährigen Frau mit ausgeprägtem sog. „Witwenbuckel" im BWS-Bereich. Die Wirbelsäule ist im oberen BWS-Bereich fast rechtwinklig abgebogen, die Größenabnahme beträgt 24 cm (von 168 auf 144 cm). Besonders charakteristisch sind die am Rücken schräg nach unten ziehenden Hautfalten und die schlaffe Abdomenvorwölbung zu erkennen, die Folge der Rumpfverkürzung sind. Die Frau klagte über heftige chronische Rückenschmerzen, die im Tagesverlauf bzw. unter kleinster körperlicher Belastung zunahmen. Sie konnte ihren Haushalt nicht selbst versorgen, verließ kaum ihre Wohnung und war fast in allen Verrichtungen des täglichen Lebens (z. B. Anziehen, Nahrungsbereitung) auf Hilfe ihres Mannes angewiesen. Der Röntgenbefund der Brustwirbelsäule (Abb. 6 b) belegt eindrucksvoll die hochgradig erhöhte Strahlentransparenz aller Wirbelkörper und die multiplen Wirbelkörperabflachungen bzw. keilförmigen Deformierungen.
30
Grundlagen
Abb. 6 a
Schräg-seitliche Ansicht einer 74jährigen Frau mit fortgeschrittenen Habitusveränderungen bei Typ II-Osteoporose (vgl. Text).
Abb. 6 b
Seitliche Röntgenaufnahme der BWS der gleichen Patientin. Ausgeprägte Hyperkyphosierung bei erhöhter Strahlentransparenz und keilförmiger Deformierung der meisten Brustwirbelkörper.
Die Osteoporose führt, wie auch andere Erkrankungen des Bewegungsapparates, besonders im Alter zu verschiedenen Beeinträchtigungen, welche in Tabelle 13 unter den Oberbegriffen physische Situation, Fortbewegung, soziale Integration und ökonomische Situation aufgelistet sind [72], Das Risiko der Invalidität und Pflegebedürftigkeit im Alter ist bei Extremitätenfrakturen mit Gehbehinderung oder Einschränkungen in der E r s e t z barkeit der Arme oft noch größer als bei der relativen Immobilität infolge vertebragener Schmerzen. Nach proximalen Femurfrakturen werden die besten Ergebnisse durch frühe Versorgung mit einer Totalendoprothese bzw. belastungsstabiler AO-Versorgung, anschließende Frühmobilisierung und nachfolgende Gehschulung und Rehabilitation in d a f ü r spezialisierten Kliniken erreicht. Der Prozentsatz derer, die nach einer Femurfraktur im Alter nicht wieder ihre vorherige Unabhängigkeit und Selbständigkeit erreichen, ist
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung Tabelle 13
31
Die wichtigsten körperlichen und sozioökonomischen Beeinträchtigungen, die älteren Menschen bei chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates (z. B. Osteoporose) drohen.
Beeinträchtigungen durch Erkrankungen des Bewegungsapparates im Alter Physische Situation: • • • •
Hilfsbedürftigkeit beim Ankleiden Körperhygiene (Waschen, Frisieren) Häusliche Versorgung (Kochen, Reinigung der Wohnung, Kleidung) Hilfsbedürftigkeit bei Stuhlgang und Wasserlassen
Fortbewegung: • • • •
Gehen mit Hilfsmitteln Fortbewegung mit Rollstuhl Beschränkung auf Wohnung/Haus Beschränkung auf Sessel/Bett
Soziale Integration: • Einschränkung der Freizeitaktivitäten • Verlust sozialer Kontakte • Vereinsamung, Depression Ökonomische Situation: • Erwerbsminderung • Erhöhter finanzieller Aufwand für Pflege, Fortbewegung etc.
dennoch sehr hoch. Nach einer älteren amerikanischen Untersuchung liegt der Anteil derer, die nach Überleben einer Femurfraktur teilweise oder komplett pflegebedürftig sind oder nicht mehr allein gehen können, bei 50% [73], Die Lebensqualität dieser Patienten ist stark reduziert. Nach einer skandinavischen Studie kommt es bei der Hälfte aller Femurfrakturpatienten zu einer sozialen Verschlechterung und ca. lA werden komplett abhängig [74], Natürlich interagieren hier häufig andere Erkrankungen. Das Phänomen der Multimorbidität gilt als Spezifikum geriatrischer Patienten. Die proximale Femurfraktur ist eine dramatische Zäsur im Alter mit meist mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt. Viele bis dahin noch kompensierte Störungen oder Erkrankungen können sich in dieser Phase definitiv etablieren, so daß der vorherbestehende kompensierte Zustand nicht wieder erreicht wird. Jeder alte Mensch, der von einer akuten Krankheit oder einer plötzlich auftretenden Komplikation eines chronischen Leidens betroffen wird, steht in Gefahr, in den unheilvollen Circulus vitiosus von Grundkrankheit und Immobilisierungssyndrom zu geraten, der ihn in die totale Abhängigkeit führt [75], Insofern sind Femurfrakturen oft das definitive Ereignis, das nach bis dahin noch
32
Grundlagen
möglicher häuslicher Versorgung zur Pflegeheimeinweisung führt. Etwa 8% aller Patienten in Pflegeheimen haben eine Oberschenkelfraktur durchgemacht. In einer von uns kürzlich publizierten Kasuistik zum Thema Invalidität bei Typ II- Osteoporose handelte es sich um einen 79jährigen Patienten, der nach einer pertrochantären Femurfraktur und Versorgung mit Totalendoprothese 7 Jahre zuvor erfolgreich rehabilitiert worden war [76]. Jetzt hatte er sich innerhalb eines halben Jahres eine rechtsseitige und dann doppelte linksseitige Humerusfraktur zugezogen (Abb. 7). Durch die extreme Achsenfehlsteilung, Oberarmverkürzung und Schmerzen war der Arm für keine Verrichtung einsetzbar. Eine operative Versorgung kam bei hauchdünner Kompakta nicht in Frage. Bei persistierender Kraft- und Beweglichkeitsminderung des rechten Armes nach Humerusfraktur bestand eine komplette Pflegebedürftigkeit. Die
Abb. 7 Röntgenaufnahmen des linken Humerus eines 79jährigen Patienten mit proximaler und distaler Schaftfraktur. Proximal beginnende Pseudathrose, distal extreme Achsenfehlstellung und Einstauchung. Armverkürzung und Funktionsverlust. Hauchdünne Kompakta der Humerusdiaphyse.
33
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
diagnostische Abklärung ergab, daß dieser schweren Osteopathie mit bevorzugtem Verlust von kortikalem Knochengewebe (Wirbelfrakturen lagen nicht vor) als ätiologische Teilkomponente eine intestinale Malabsorption zugrunde lag. Die Knochenhistologie bestätigte ein Mischbild aus Osteoporose und Osteomalazie [76], Als Ursache mußte eine 10 Jahre zurückliegende Magenteilresektion angenommen werden, die außerdem zu einer perniziösen Anämie, schwerer Malnutrition und Exsikkose geführt hatte [76], Epidemiologische Daten zur Häufigkeit der Invalidität durch Osteoporose exsitieren nicht. Der Hauptteil der schweren Osteoporosefalle mit partieller oder totaler Invalidität fallt in das höhere Lebensalter nach Ende des Berufslebens. Diesbezügliche statistische Erhebungen beziehen sich jedoch in der Regel auf Berufstätige, d. h. speziell auf die erkrankungsbedingte Erwerbsoder Berufsunfähigkeit. Die Tabelle 14 zeigt die Daten des Statistischen Bundesamtes des Jahres 1987 über den Zugang an Renten wegen Osteopathien und sonstigen Krankheiten der Knochen, Gelenke und Bewegungsorgane. Danach werden bei ca. 24% der Arbeiter und 23% der Angestellten Berufsoder Erwerbsunfähigkeit durch Erkrankungen des Bewegungsapparates hervorgerufen. Der Anteil der Osteoporosen unter diesen Osteopathien kann nicht näher abgeschätzt werden. Tabelle 14
Zugang zu den Renten wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit bei männlichen und weiblichen Arbeitern und Angestellten nach Daten des Statistischen Bundesamtes 1987. Der durch Erkrankungen des Bewegungsapparates verursachte Anteil beträgt im Mittel 24% der Arbeiter und 23% der Angestellten. Arbeiter m
Alle Erkrankungen insgesamt
% Bewegungsapparat
Soziale Isolierung und
w
100218 48 077
Osteopathien und sonstige Krankheiten der Knochen, Gelenke und Bewegungsorgane
1.2.4.3
Angestellte
22697 22,6
12 611 26,2
m
w
30 535
37 347
5445
10 238
17,8
27,4
Mortalität
Die chronischen Schmerzen, der dadurch bedingte unterschiedlich ausgeprägte Verlust an Mobilität und die oft schmerzbedingte depressive Stimmungslage führen zum Verlust von sozialen Kontakten. Dies verstärkt die Neigung zu Depressionen und hat besonders bei Patienten ohne Partner oder Familie eine rasche Vereinsamung zur Folge.
34
Grundlagen
Years after fracture
Abb. 8 Vergleich von Überlebensraten von Patienten nach proximaler Femurfraktur mit der alters- und geschlechtsentsprechenden normalen Überlebenskurve [nach 40].
Die Thoraxdeformität mit Hyperkyphosierung der BWS und Vergrößerung des sterno-vertebralen Durchmessers kann bei ausgeprägten Fällen zu einer kardiorespiratorischen Beeinträchtigung führen. Bei jungen Männern mit sehr progredientem, geradezu malignem Verlauf von Osteoporosen wurde in Einzelfällen ein tödlicher Ausgang durch kardiorespiratorische Komplikationen in Kausalzusammenhang mit der Osteoporose beschrieben [77]. Dagegen kann bei der häufigen Koinzidenz von Osteoporose und kardialen und pulmonalen Erkrankungen im höheren Alter die begünstigende Rolle der Thoraxdeformität und der behinderten Atemexkursionen schwer abgeschätzt werden. Nach den eigenen klinischen Erfahrungen ist die Rolle der Osteoporose in diesem Zusammenhang jedoch keineswegs unerheblich. Die Osteoporose mit schwerer Wirbelsäulendeformierung kann im Rahmen der Multimorbidität des Alters, z. B. bei einer Pneumonie, durchaus den Ausgang dieser Krankheit entscheidend negativ beeinflussen. Eindeutiger sind die Verhältnisse wiederum
Epidemiologie und sozioökonomische Bedeutung
35
bei dem Beispiel der proximalen Femurfrakturen. International wird die Mortalität im Gefolge dieser Frakturen mit 10 — 20% angegeben [33, 40, 78], In Abbildung 8 ist die Überlebenskurve von Patienten aus Rochester nach proximalen Femurfrakturen im Vergleich zur erwarteten Lebenskurve einer alters- und geschlechtsentsprechenden Population ohne Frakturen dargestellt [40]. Es fand sich ein signifikanter Unterschied zwischen beiden Kurven (2,5 und 10 Jahre nach Fraktur p < 0,01). Offensichtlich divergieren die Kurven in den ersten 4 postoperativen Monaten, danach laufen sie weitgehend parallel, solange die Patienten nachverfolgt wurden. Die Differenz von ca. 12% zwischen beiden Kurven repräsentiert somit die Mortalität durch Femurfrakturen und zugehörige Komplikationen in den ersten 4 Monaten nach Fraktur. STERBEFÄLLE
( B R D , 1982)
(5 - Jahresgruppen)
Abb. 9
ALTER
Alters- und geschlechtsabhängige Inzidenz der Sterbefalle im Zusammenhang mit proximalen Femurfrakturen in der Bundesrepublik Deutschland (nach Statistischem Jahrbuch 1986).
Nach der Todesursachenstatistik der Bundesrepublik Deutschland von 1986 starben 5 836 Personen an Folgen bzw. Komplikationen von Oberschenkelbrüchen. Davon waren 5 765 älter als 50 Jahre. Geht man aufgerundet von 6000 derartigen Todesfallen pro Jahr aus und bezieht diese auf die o. g. 50000 Oberschenkelbrüche, so liegt bei uns die Mortalität ebenfalls bei 12%. Abbildung 9 zeigt die Sterbefälle im Gefolge von Oberschenkelbrüchen für unser
36
Grundlagen
Land in Abhängigkeit von Lebensalter und Geschlecht [79]. Es wird deutlich, daß die Mortalität im Kindes- und jüngeren Erwachsenenalter minimal ist und erst mit dem 70. Lebensjahr steil ansteigt. Dabei sind die Frauen etwa im Verhältnis 3:1 betroffen. Dies entspricht der höheren Inzidenz der Typ IIOsteoporose bei Frauen (vgl. Tab. 6).
1.3 Frakturtypen und Frakturgenese J. D. Ringe
Das Skelett hat neben seiner metabolischen Bedeutung essentielle mechanische Funktionen. Es ist das „Gerüst" für den Ansatz von Muskeln, Sehnen und Ligamenten und ermöglicht damit die lebensnotwendige Mobilität. Das Knochengewebe hat die einzigartige Eigenschaft, sich selbst lebenslang remodellieren und reparieren zu können und dabei sich strukturell wandelnden mechanischen Ansprüchen anpassen zu können [80], Dabei ist jedoch die Reservekapazität an Festigkeit relativ gering, bedingt durch die Notwendigkeit, das Skelett materialsparend zu konstruieren. Ein Kernproblem des strukturellen und materiellen Skelettaufbaus ist nämlich die Tatsache, daß die Festigkeit des Knochengewebes nur mit der zweiten Potenz des benutzten Materials wächst, während das Gewicht mit der dritten Potenz zunimmt. Tabelle 15 zeigt vergleichend mittlere Gesamtkörpergewichte und Skelettgewichte von drei Säugerspezies. Mit zunehmender Körpergröße nimmt der prozentuale Anteil des Skelettgewichts am Körpergewicht zu. Wegen dieser geringen Reservekapazität führen obligatorische Verluste an Knochensubstanz in der 2. Lebenshälfte relativ schnell zu einem Ungleichgewicht zwischen biomechanischer Integrität des Knochengewebes und den biologischen Anforderungen. Tabelle 15 Der prozentuale Anteil des Skelettgewichtes am Gesamtkörpergewicht steigt mit zunehmender Körpergröße an. Spezies
Körpergewicht
Skelettgewicht
Anteil des Skeletts (%)
Maus Mensch Elefant
20 g 70 kg 7t
lg 10 kg 2t
5 14 28
Die Konsequenz sind Frakturen bei geringem Trauma. Ohne das Ereignis der Fraktur wäre die Osteoporose wahrscheinlich nur von akademischem Interesse [81]. Die Analyse der zur Fraktur beitragenden Komponenten ist daher für das Verständnis der Osteoporosekrankheit von essentieller Bedeutung.
38
Grundlagen
1.3.1 Definition und unterschiedliche Frakturarten Bei der Diskussion über die Osteoporose stellt es sich immer wieder als Problem heraus, daß der Begriff Fraktur sehr unterschiedlich benutzt wird und z. B. Traumatologen und Orthopäden einerseits und internistische Endokrinologen oder Osteologen andererseits unterschiedliche Vorgänge mit diesem Begriff assoziieren. Im engeren Sinne wird unter Fraktur eine akute Kontinuitätsdurchtrennung von Knochengewebe verstanden. Dabei kann es je nach traumatischer Einwirkung und Lokalisation am Skelett zu einer Dislokalisation der Frakturenden oder des Fraktursegments kommen oder die Fragmente können weitgehend ohne Verschiebungen in situ bleiben. Dieser Frakturtyp ist stets ein „Alles-oder-Nichts"-Ereignis und ist in Tabelle 16 mit dem Begriff akute
Tabelle 16
Unter dem Oberbegriff Fraktur werden nach Verlauf und Genese sehr unterschiedliche partielle oder komplette Frakturtypen subsummiert.
Akute Frakturen
Chronische Frakturen
1. Adäquates Trauma 2. Inadäquates Trauma — Patholog. Fraktur — Spontanfraktur — Geringes Trauma
1. Ermüdungsfraktur („Marschfraktur") 2. Sinterungsfraktur 3. Infraktur 4. Looser'sche Umbauzone
Fraktur gemeint. Dabei können ursächlich Frakturen mit adäquatem und inadäquatem Trauma unterschieden werden. Erstere sind die eigentlichen traumatisch bedingten Frakturen, die in jedem Lebensalter durch Unfälle oder andere lokale Krafteinwirkungen auftreten können. Die Frakturen mit inadäquatem Trauma (gelegentlich wird auch von „atraumatischen Frakturen" gesprochen) treten bevorzugt im höheren Lebensalter auf. Es handelt sich entweder um sog. pathologische Frakturen, wenn eine lokale Festigkeitsminderung durch maligne Destruktion zugrunde liegt, oder um sogenannte Spontanfrakturen, die typischerweise bei der Osteoporose oder anderen calcipenischen Osteopathien auftreten. Ein eigentliches Trauma ist hier oft nicht eruierbar, z. B. bei einem Teil der Wirbelfrakturen oder etwa bei Rippenfrakturen, die beim Niesen oder Husten auftreten. Die Begriffe Spontanfraktur und pathologische Fraktur werden nicht immer differenziert in diesem Sinne gebraucht. Gelegentlich werden sie vertauscht oder auch synonym bei malignomverursachten Frakturen angewandt.
Frakturtypen und Frakturgenese
39
Als dritte Möglichkeit ist die Fraktur bei inadäquat geringem Trauma zu nennen. Dies trifft z. B. für einen großen Teil der proximalen Femurfrakturen im hohen Alter zu. Der auf den ersten Anschein widersinnige Begriff „chronische Fraktur" meint dagegen partielle oder komplette Kontinuitätsstörungen an Knochen, die sich allmählich entwickeln, z. B. als Summationseffekte zahlreicher Mikrotraumata bzw. Mikrofrakturen im Bereich der Spongiosa. Ein typisches Beispiel hierfür sind die sog. Dauerfrakturen oder Ermüdungsfrakturen. Sie sind Ausdruck einer mechanischen Überbeanspruchung des Materials Knochengewebe (z. B. sog. Marschfraktur) und sind durchaus mit Ermüdungsbrüchen bei technischen Geräten vergleichbar. Im Gegensatz zu letzteren kommt es jedoch zu einer Reaktion des Materials. Im Bereich der Fraktur ist oft eine lokale Verdichtung der Strukturen im Röntgenbild erkennbar, d. h. vor dem definitiven Frakturereignis ist es bereits zu Mikrofrakturen der Spongiosa mit Kallusbildung gekommen. Die für die Osteoporose typischen Sinterungsfrakturen der Wirbelkörper sind mit diesen Ermüdungsfrakturen vergleichbar. Es kommt hier jedoch zu schrittweise fortschreitenden Grund- und Deckplatteneinbrüchen und nicht zu transversalen Frakturlinien wie bei den Röhrenknochen. Ein gutes Beispiel für Ermüdungsfrakturen, die mechanisch ausgelöst, aber durch eine verminderte Knochenmasse begünstigt sind, stellen die häufigen Metatarsalknochenfrakturen bei jungen Ballettänzerinnen dar. Unter 75 Tänzerinnen (Altersmittel 24,3 Jahre) boten 61% Frakturen, davon 69% „stress fractures". Die Inzidenz dieser Ermüdungsfrakturen korreliert signifikant mit später Menarche und sekundärer Amenorrhoe, d. h. einem vermutlich durch Östrogenmangel induzierten Knochensubstanzverlust [83]. Infrakturen, d. h. partielle Frakturen ohne völlige Durchtrennung eines Knochens, können ebenfalls mechanisch durch chronisch traumatische Einwirkungen entstehen oder durch lokale biomechanische Minderwertigkeit des Knochengewebes, z. B. bei malignen Erkrankungen oder bei der Ostitis deformans Paget. Die Infraktionen beim Morbus Paget sind als typische Kompaktaeinkerbungen an der Konvexseite verbogener Knochen (z. B. Tibia, Abb. 10) zu erkennen. Eindeutig abzugrenzen von den Ermüdungsfrakturen einerseits und den Infrakturen andererseits sind die Looser'schen Umbauzonen. Diese entstehen im Rahmen einer Osteomalazie an Skelettstellen mit erhöhter mechanischer Beanspruchung (z. B. Schambeine, Konkavseiten des proximalen Femur, Metatarsalknochen). Im Röntgenbild sind sie in der Regel als breite Aufhellungszonen zu erkennen (Abb. 11). Histologisch entspricht dieser Aufhellung eine umschriebene Zone unmineralisierten Osteoids. Für die Diagnostik und Verlaufskontrolle der manifesten Osteoporose ist es wichtig, bei progredienten Wirbelverformungen eine einheitliche Nomenklatur zu verwenden. Im Sinne des hier dargestellten, weitergefaßten Frakturbegriffs
40
Grundlagen
Abb. 10 Typische Infraktionen an einer von Morbus Paget befallenen Tibia. Die „Kompaktaeinkerbungen" treten stets an der Konvexseite auf.
Abb. 11
Looser'sche Umbauzone am zweiten Metatarsalknochen bei einer 38jährigen Patienten mit intestinaler Osteopathie bei schwerem Malabsorptionssyndrom.
Frakturtypen und Frakturgenese
41
ist es im internationalen Schrifttum üblich, signifikante Höhenminderungen von Wirbelkörpern bzw. im Verlauf zunehmende Höhenverluste von Wirbeln im anterioren, medialen oder posterioren Bereich als Frakturen zu benennen, unabhängig davon, ob sie akut oder chronisch aufgetreten sind (s. S. 133).
1.3.2 Biomechanische Aspekte Seit einigen Jahren findet die Fraktur als das zentrale Ereignis des Osteoporosegeschehens zunehmend wissenschaftliche Beachtung [81]. Es ist allgemein klargeworden, daß nicht nur die Knochenmasse, sondern auch die Knochengewebsqualität (Material) und die strukturelle Verteilung (Architektur) entscheidende Determinanten der Bruchfestigkeit sind [84], Dies erklärt, warum die Vorhersage des individuellen Frakturrisikos durch Messung des Knochenmineralgehaltes mit modernen, nicht invasiven Meßmethoden, bei denen nur eine Komponente, nämlich pauschal der Kalziumgehalt am Meßort erfaßt wird [17], große Schwierigkeiten bereitet. 1.3.2.1
Struktur
und Verteilung des
Knochengewebes
Bei der Osteoporose sind sowohl kortikales als auch trabekuläres Knochengewebe betroffen, jedoch mit einem sehr unterschiedlichen zeitlichen Ablauf. Die maximale Knochenmasse (peak bone mass) für Kortikalis wird zwischen dem 35. und 40. Lebensjahr erreicht. Dies zeigen z. B. sehr eindrucksvoll die von uns erstellten umfangreichen Normalwertmessungen am Radiusschaft [16, 17]. Der peak der Spongiosamasse liegt wesentlich früher, bei 25 bis 30 Jahren [85, 86]. Dies geht z. B. aus Knochendichtemessungen an der Wirbelsäule, aber auch aus histomorphometrischen Untersuchungen am Beckenkamm hervor [87], Die unterschiedlichen prozentualen Verluste an Knochensubstanz bei Frauen und Männern bezogen auf die peak mass von Kortikalis und Spongiosa zeigt Tabelle 17. Das sehr unterschiedliche Verhalten der beiden Knochenstrukturformen ist evident, ebenso wie der Unterschied zwischen beiden Geschlechtern. Die Zahlen der Tabelle 17 beziehen sich auf Daten der Arbeitsgruppe von Riggs [88, 89]. Nach unseren eigenen UnterTabelle 17
Unterschiedlicher Verlust an kortikaler und spongiöser Knochenmasse im Alter von 90 Jahren bezogen auf die peak bone mass [nach 88 und 89],
Alter 90 Jahre: Verlust von der maximalen kortikalen Knochenmasse Verlust von der maximalen spongiösen Knochenmasse
Frauen
Männer
20%
5%
40-50%
10-25%
42
Grundlagen
suchungen sind lediglich die 5% Kortikalisverlust bei Männern zu niedrig veranschlagt [90]. Die recht hohe Inzidenz von Extremitätenfrakturen bei Männern im Senium läßt ebenfalls niedrigere Werte vermuten. Ohne Zweifel kommt der Spongiosa zumindestens bei der Typ I-Osteoporose die größere Bedeutung zu. Es ist aber nicht nur von Bedeutung, wieviel Spongiosa verlorengegangen ist, sondern auch, wie dies geschehen ist. Die räumliche Verteilung und Vernetzung der verbliebenen Spongiosa spielt eine wichtige Rolle [84, 91]. Beim jungen Menschen ist die Spongiosa nicht, wie früher aus der zweidimensionalen histologischen Sicht angenommen, allein aus Knochenbälkchen aufgebaut, sondern überwiegend aus räumlich angeordneten Knochenplatten bzw. -röhren. Durch zunehmenden Substanzverlust mit Perforationen dieser Platten bleibt zunächst ein relativ dicht vernetztes Trabekelwerk stehen. Bei weiter zunehmendem Abbau werden diese Trabekel dünner, zahlenmäßig weniger und schließlich auch perforiert. Die Folge ist ein Verlust an gegenseitiger Abstützung mit verlängerten „Knicklängen" [2] und somit mechanischer Insuffizienz. Diese Phänomene haben erhebliche Konsequenzen für die Therapie. Bei der Induktion von Knochenneubildung kann nur Matrix auf noch vorhandenen Strukturen aufgebaut werden. D. h., daß einmal durchtrennte Bälkchenstrukturen mit Kontinuitätsverlust kaum wieder miteinander verknüpft werden können. Eine „effektive Therapie" mit meßbarem Anstieg des Knochenmineralgehaltes führt zu einer Verplumpung der restlichen Trabekel, ohne notwendigerweise auch eine erhöhte mechanische Festigkeit zu erzielen [84]. Lediglich durch Mikrokallusbildungen können Spongiosadefekte überbrückt werden. Substanzen, welche die Kallusbildung inhibieren (Diphosphonate?), sind von daher problematisch. Für das Kalzitonin wurde in einer tierexperimentellen Studie belegt, daß die Kallusbildung bei langfristiger Anwendung nicht gehemmt wird [92]. 1.3.2.2
Materialbeschaffenheit
Die Materialeigenschaften des Knochengewebes variieren in Abhängigkeit von der anatomischen Lokalisation, vom Typ des Knochens und seiner Geometrie, vom Alter und von der zugrundeliegenden Osteopathie. Für physikalische Materialuntersuchungen sind kleine Knochensegmente mit gleichmäßiger Geometrie geeignet. Es existieren exakte Meßdaten für die Bruchfestigkeit (maximale Krafteinwirkung bis zur definitiven Frakturierung) sowohl von homogenem kortikalem als auch spongiösem Gewebe [81]. Die Materialeigenschaften ändern sich bei unterschiedlicher Orientierung bzw. Richtung der Krafteinwirkung (Anisotropie). So ist z. B. Kortikalis fester bei longitudinaler als bei transversaler Krafteinwirkung [93, 94], Die Kompressionsfestigkeit ist für Kortikalis größer als die Zugfestigkeit. Das Phänomen der Anisotropie findet sich auch bei Spongiosa. Die Kompressionsfestigkeit
Frakturtypen und Frakturgenese
43
ist z. B. bei Lendenwirbeln am größten in Richtung der vertikalen Achse der Trabekel [95, 96], Im Gegensatz zur Kortikalis sind jedoch bei Spongiosa Kompressions- und Zugfestigkeit praktisch gleich [93, 97]. Der Elastizitätsmodul von Spongiosa ist deutlich geringer als der von Kortikalis. Zu der wichtigen Frage, welche Anteile die Knochenmasse einerseits und die Knochenqualität andererseits an der Bruchfestigkeit haben, gibt es erst wenig Befunde. Nach einer skandinavischen Untersuchung wird angenommen, daß die „Knochendichte" insgesamt 75 bis 85% zur Festigkeit des Knochengewebes beiträgt. Der Rest wird durch qualitative Unterschiede der Matrix und des Minerals bestimmt [98]. Qualitative Änderungen der Kollagenstruktur im höheren Alter wurden beschrieben, ohne daß deren genaue Auswirkungen auf die Festigkeit bzw. Elastizität genau erfaßt werden können. Es gibt Hinweise dafür, daß Störungen in der Orientierung der Proteoglykanmoleküle für die Festigkeit des Knochengewebes von Bedeutung sind [4, 5]. Das Knochengewebe kann weiterhin relativ untermineralisiert sein, ohne daß eine Mineralisationsstörung im Sinne der Osteomalazie vorliegt. In einer histologischen und chemischen Analyse von Beckenkammspongiosa bei Fällen mit postmenopausaler Osteoporose boten 25% ein Kalziumdefizit in der mineralisierten Matrix [6]. Auf das mit zunehmendem Alter gehäufte Vorkommen von echten Mineralisationsstörungen wurde bereits hingewiesen [52], Es liegen nicht selten Mischbilder aus Osteoporose und Osteomalazie vor [53, 99]. Der Anteil dieser Osteoporosemalazien an den Femurfrakturen bei uns ist nicht bekannt. Untersuchungen der Vitamin-D-Versorgung und des Vitamin-D-Stoffwechsels bei geriatrischen Patienten lassen hier eine erhebliche Dunkelziffer vermuten [100, 101, 102]. Analog hierzu findet sich mit zunehmendem Alter bei Männern und Frauen eine Verschlechterung der enteralen Kalziumresorption [103], Bei der Osteoporose kommen andererseits auch Übermineralisierungen vor, welche ebenfalls die Bruchfestigkeit beeinträchtigen könnten [104], In diesem Sinne sind z. B. Beschreibungen von atypisch großen Apatitkristallen zu werten [105], Derartige Veränderungen dürften über eine verminderte Energieabsorption und Verformbarkeit des Knochengewebes die maximale mechanische Belastbarkeit herabsetzen [106, 107].
1.3.3 Hauptlokalisationen osteoporotischer Frakturen Der osteoporotische Knochensubstanzverlust betrifft das Skelett symmetrisch und letztendlich auch systemisch. Dennoch sind drei anatomische Lokalisationen mit Abstand führend hinsichtlich der Frakturhäufigkeit: proximale Femurfrakturen, distale Radiusfrakturen und Wirbelkörperfrakturen. Ge-
44
Grundlagen
FRAKTURENTSTEHUNG
1. VERÄNDERUNG DER KNOCHEN GEWEBSQUALITAT
VERMINDER DER KNOCHENM/
STURZNEIGUNG
Abb. 12 Wichtigste Faktoren, die bei der Frakturgenese von extravertebralen Frakturen beteiligt sind. meinsam ist allen drei Lokalisationen ein relativ hoher Spongiosaanteil, die Geometrie der Knochenquerschnitte und die mechanische Belastbarkeit sind jedoch sehr unterschiedlich. Bei der näheren Analyse der Frakturentstehung an definierten Lokalisationen muß berücksichtigt werden, daß neben den bislang besprochenen Faktoren Knochenmasse und Knochen-Gewebsqualität (Material und Struktur) als dritter Faktor das Trauma hinzukommt. Dieses ist bei einem großen Teil der Wirbelfrakturen von untergeordneter Bedeutung, bei Brüchen von Extremitätenknochen jedoch stets nachweisbar. Abbildung 12 zeigt das Zusammenwirken dieser verschiedenen Faktoren, wobei meist die Sturzneigung im Alter die traumatische Komponente bedingt. 1.3.3.1 Distale
Radiusfrakturen
Beim gesunden Erwachsenen beträgt der Anteil Spongiosa am Radiusquerschnitt gemessen bei 5 mm von distal 40 bis 50% und ultradistal knapp unter dem Knorpel bis zu 75% [108]. Das dichte Spongiosagewebe unter dem Gelenkknorpel dient dazu, dieses gleichmäßig abzustützen und Krafteinwirkungen auf die rein kortikal aufgebaute Diaphyse zu übertragen. Da der Radius ein bevorzugter Meßort bei der 125-Jod-Photonenabsorption ist, liegen über die Gewebsverteilung und die alters- und geschlechtsabhängigen Änderungen besonders viele Informationen vor [16, 17]. Mit zunehmendem Alter nimmt der Knochenmineralgehalt am distalen Radius ab. Dies geschieht durch endostalen Knochenabbau bei kontinuierlichem,
Frakturtypen und Frakturgenese
45
leichtem periostalen Knochenanbau, so daß der Durchmesser des Radius im Alter leicht ansteigt. Durch die Porosierung bzw. Spongiosierung der Kompakta muß dabei die Spongiosamenge nicht unbedingt abnehmen [108], Die Kompaktaverdünnung führt besonders im metaphysären Bereich zu einer deutlichen Festigkeitsminderung [109, 110]. Der altersabhängige Substanzverlust ist jedoch für die üblichen Belastungen des Unterarmes im täglichen Leben praktisch nicht von Bedeutung. Spontanfrakturen treten in dieser Region nicht auf. Es liegt immer ein typisches Trauma vor, in der Regel der Sturz auf die ausgestreckten Hände. Epidemiologische Studien mit Berücksichtigung der Jahreszeit zeigen erwartungsgemäß Inzidenzzunahmen in Monaten mit Schneefall. Durch die beim Sturz auf die Hände auftretenden Biegungskräfte an der Radiusmetaphyse kommt es palmar am Radius durch Zugkräfte zu einer scharfen Frakturlinie und dorsal (Konkavseite während des Frakturereignisses) zu einer Fraktur mit Stauchung der angrenzenden Spongiosa.
Abb. 13 Häufigster Typ der distalen Radiusfraktur mit Dislokation der Hand nach dorsal bei nichtfrakturierter Ulna, Colles' Fraktur (seitliche und dorsovolare Röntgenaufnahme der rechten Hand einer 68jährigen Patientin).
Je nach der speziellen Position von Hand und Arm beim Aufprall kommen drei Frakturtypen vor. Die häufigste ist die Colles-Fraktur [11], bei der eine Dislokation der Hand nach dorsal auftritt (Abb. 13). Bei der selteneren SmithFraktur ist die Hand nach volar disloziert und bei der Barton'schen Fraktur (Abb. 14) ist das Handgelenk beteiligt. Das Trauma spielt bei der distalen Radiusfraktur sicherlich die entscheidende Rolle und der Anteil des Osteoporosegrades am Frakturgeschehen dürfte bei vielen Fällen von geringer Bedeutung sein [112, 113]. Andererseits fallt jedoch auf (s. Abb. 4), daß es bei Frauen perimenopausal zu einem steilen Anstieg der Frakturinzidenz kommt
46
Abb. 14
Grundlagen
Komplizierte Trümmerfraktur mit Handgelenksbeteiligung an den distalen Unterarmknochen, Barton'sche Fraktur (seitliche und dorsovolare Röntgenaufnahmen der rechten Hand einer 81jährigen Patientin; provisorische Schienung für Transport).
[51]. Der beschleunigte postmenopausale Spongiosaverlust dürfte hier doch ein wichtiger Faktor sein. Viel spekuliert worden ist über das Plateau in der Inzidenz der distalen Radiusfraktur, welches nach dem 60. Lebensjahr beobachtet wird (s. Abb. 4). So wurde z. B. diskutiert, daß im höheren Alter die Fähigkeit zum reflektorischen Vorstrecken der Hände bei Stürzen nachlassen könnte. Andere Hypothesen nehmen an, daß das Plateau durch einen Schwund der Risikobevölkerung bedingt sei oder durch eine Festigkeitszunahme im Rahmen des periostalen Knochenanbaues [114], Biomechanische Untersuchungen belegen, daß die Bruchfestigkeit bei Zunahme des Röhrendurchmessers zunimmt [93], Eine befriedigende Antwort für das „Plateauphänomen" der Radiusfrakturen im Alter, welches ganz im Gegensatz zu dem exponentiellen Anstieg der Femurfrakturen steht, kann bislang nicht gegeben werden. Es darf jedoch gefolgert werden, daß die distale Radiusfraktur typischerweise mit der Typ IOsteoporose assoziiert ist. 1.3.3.2
Wirbelbrüche und
Wirbelverformung
Für menschliche Lendenwirbelkörper wurde eine hochsignifikante Korrelation (r = 0,88) zwischen dem Aschegehalt ( = anorganische Substanz) und Kompressionsfestigkeit nachgewiesen. Dabei schwankte die Bruchfestigkeit
Frakturtypen und Frakturgenese
47
zwischen 89 und 852 Pfund pro Quadrat-Inch und der Aschegehalt bezogen auf Spongiosa zwischen 0,06 und 0,23 g pro Kubikzentimeter [115]. In einer weiteren biomechanischen Studie an Lendenwirbelkörpern wurde gefunden, daß 45 — 75% des maximalen, gerade nicht-destruktiven Kompressionsdrucks von der Kortikalis gehalten wird [116]. Nach anderen Studien soll die Kortikalis nur ca. 10% zur Bruchfestigkeit beitragen. Letztere Untersuchungen beziehen sich jedoch auf definitiv destruktive Kompressionsversuche [81]. Lendenwirbel können sich bei Kompression um bis zu 16% ihrer Höhe verformen, ehe sie brechen [117]. Dabei dürfte das Knochenmark eine hydraulische Rolle übernehmen, so daß die maximale Belastbarkeit bei Kompression höher ist als bei akuter traumatischer Einwirkung, wie z. B. beim Fall auf die Füße [118]. Wie bereits dargelegt, spielen bei den osteoporotischen Wirbelfrakturen akute traumatische Einwirkungen eine untergeordnete Rolle. Andererseits sind die Wirbelkörper im täglichen Leben erheblichen Krafteinwirkungen ausgesetzt. Wirbelkörper müssen vor allem Kompressionskräfte aushalten. Bei aufrechter Körperhaltung wird etwa die Hälfte dieser Krafteinwirkung durch die Muskeln und Ligamente übertragen, welche die aufrechte Körperhaltung sicherstellen, die andere Hälfte durch das Körpergewicht oberhalb eines jeden Wirbels [81]. Für das Frakturrisiko von Osteoporosepatienten ist die Tatsache von großer praktischer Bedeutung, daß das Anheben eines Gewichtes in vorgebeugter Körperhaltung den Kompressionsdruck auf die untere Wirbelsäule um einen Faktor 10 bis 20 vervielfachen kann [118]. Nur ein Teil dieser erhöhten Krafteinwirkung im Sinne des Hebelgesetzes wird durch den erhöhten intraabdominellen Druck abgefangen [119]. Die Wirbelfrakturen im Rahmen der Osteoporose betreffen nur den Wirbelkörper. Von der äußeren Form her können drei Haupttypen von Verformung unterschieden werden: Keilwirbel, Plattwirbel und Fischwirbel (Abb. 15 a, b, c). Selbstverständlich kommen zahlreiche Zwischenformen dieser charakteristischen Deformierungstypen vor. Die Ausprägung dieser Frakturtypen wird durch die Position des einzelnen Wirbelkörpers im Gesamtorgan Wirbelsäule, den Zustand der angrenzenden Bandscheiben und die im Einzelfall einwirkenden Kräfte bestimmt. Da bei den meisten Bewegungsabläufen des täglichen Lebens die Wirbelsäule in vorwärtsgebeugter Haltung belastet wird, sind die Wirbelvorderkanten besonders häufig betroffen. Bei den Keilwirbeln, die typischerweise im mittleren BWS-Bereich auftreten (selten oberhalb von BWK 5), ist die posteriore Höhe nur gering oder gar nicht reduziert, während der Wirbel anterior unterschiedlich stark abgeflacht ist. Mäßiggradige derartige Keilwirbel sind nicht immer Folge der Osteoporose, sondern können besonders bei Männern gelegentlich Residuen eines in der Jugend durchgemachten Morbus Scheuermann sein. Der Vergleich der
Grundlagen
Frakturtypen und Frakturgenese
49
aktuellen Wirbelkonturen mit denen alter Röntgenaufnahmen ist die sicherste Möglichkeit, diesen Werdegang zu beweisen. Mehrere typische Keilwirbel übereinander führen zum Rundrücken des Osteoporosepatienten (Abb. 15 a). Bei einigen Fällen kommt es dabei zu einer Abknickung der BWS im Kyphosescheitel bis hin zu einer Gibbusbildung von 90 Grad und mehr. Ein Beispiel hierfür zeigt die seitliche Thoraxaufnahme einer 79jährigen Frau mit Typ IIOsteoporose, bei der im Kyphosescheitel zwei völlig abgeplattete Wirbelkörper zu erkennen sind (Abb. 16a). Bemerkenswert ist die im Vergleich zu den Wirbeln hohe Schattendichte der Aorta, die teilweise durch Kalksalzinkrustation hervorgerufen wird. Die nebenstehende Skizze der Wirbelkörperkonturen (Abb. 16 b) zeigt deutlich den Deformierungsgrad der Brustwirbelkörper 4 bis 12 dieser Patientin. Die Plattwirbel BWK 7 und 8 sind offensichtlich aus Keilwirbeln entstanden.
Abb. 16 b
Die nachgezeichneten Wirbelkonturen der Abbildung 16 a zeigen besonders deutlich im Kyphosescheitel zwei vollständig abgeplattete Keilwirbel (schraffiert = Aortenkontur).
50
Grundlagen
Einen aus einem Keilwirbel hervorgegangenen Plattwirbel zeigt auch Abbildung 15 b. Es handelt sich hier offenbar um eine noch recht frische Kompressionsfraktur. Die intravertebralen Strukturen sind verdichtet durch Spongiosastauchung einerseits und Kallusbildung andererseits. Nach längerem Verlauf wird dieses dichte „überflüssige" Knochenmaterial wieder abgebaut. Die kaudalen Brustwirbelkörper und besonders die Lendenwirbelkörper neigen mehr zu konkaven Einbrüchen der Endplatten, d. h. Abflachung der mittleren Höhe bei mehr oder weniger erhaltenen Vorder- oder Hinterkanten. Diese Bruchform wird dadurch begünstigt, daß durch die natürliche Biegung der Wirbelsäule die Hauptlast im Vergleich zur mittleren Brustwirbelsäule mehr nach zentral verschoben ist. Die Wirbelkörperdeckplatten brechen häufiger ein als die Wirbelkörpergrundplatten [120], Wenn Grund- und Deckplatten etwa gleich stark eingebrochen sind, kommt es zu dem typischen Bild des bikonkaven Fischwirbels. Die Ausrundung dieser bikonkaven Wirbel hängt wesentlich vom Funktionszustand der Bandscheibe ab. Intakte Bandscheiben erzeugen eine sphärische Impression [121]. Zu der starken Überhöhung der Zwischenwirbelräume, wie in Abbildung 15 c zu sehen, kommt es nur bei relativ jungen Patienten mit noch voll quellfähigem Bandscheibengewebe [118]. Bei dem gezeigten Fall handelt es sich um eine schwere juvenile Osteoporose bei einem 32jährigen Mann. Alte, bereits abgeflachte Bandscheiben können nicht mehr einen erhöhten zentralen Druck auslösen. Der Druck wird über den peripheren Anulus fibrosus weitergegeben [118]. Es resultieren hierbei eher planparallele Wirbelabflachungen bis hin zum kompletten Plattwirbel [122], Laterale Keilwirbel können beim einseitigen Anheben schwerer Gegenstände auftreten. Insgesamt sind sie aber außer bei vorbestehender Skoliose selten. Die laterale Ausbiegung der Wirbelsäule ist im Vergleich zur ventralen Beugung wesentlich geringer möglich, so daß geringere Kraftmomente auf die Seitenkanten als auf die Vorderkante einwirken [119]. Hinzu kommt, daß mit steigendem Alter die seitliche und dorsale Beugefahigkeit der Wirbelsäule mehr abnimmt als die lang erhaltene ventrale Beugung. Bei Extension übernehmen die dorsalen Elemente des Wirbels bis zu 30% der Kompressionskräfte [81]. Da außerdem Belastungen in Hyperextension sehr selten sind (außer traumatisch), kommt es bei der Osteoporose praktisch nicht zu isolierten Zusammenbrüchen der Wirbelkörperhinterkanten. Rückenmarksläsionen bzw. Querschnittssyndrome sind daher bei der idiopathischen Osteoporose extrem selten [123]. Im Vergleich zu der Extremitätenfraktur ist ganz offensichtlich bei Wirbelfrakturen eine viel engere Korrelation zur Knochenmasse gegeben. Frauen mit Wirbelfrakturen haben in der Regel niedrigere Knochenmineralgehaltswerte als Kontrollen ohne Frakturen [124]. Dennoch ist es — wie bereits dargelegt — schwierig, eindeutige Frakturschwellenwerte festzulegen. In einer
Frakturtypen und Frakturgenese
51
Studie der Mayo Klinik lag der Knochenmineralgehalt der Wirbelsäule bei 90% aller Frauen mit Wirbelfrakturen unter einem Wert von 0,97 g/cm 2 [89]. Dieser Wert liegt 2,3 Standardabweichungen unter dem mittleren Normwert gesunder 30jähriger Frauen. 1.3.2.3 Proximale
Femurfrakturen
Von den verschiedenen Frakturen, die im Rahmen des Osteoporosesyndroms vorkommen, sind die proximalen Femurfrakturen eindeutig die gravierendsten klinischen Ereignisse. Auf die große Häufigkeit, die Bedeutung für die Betroffenen (Invalidität, Mortalität) und die erheblichen Kosten wurde bereits hingewiesen (s. S. 22). Von Personen im Alter von 90 Jahren und mehr bekommen ein Drittel der Frauen und ein Sechstel der Männer früher oder später eine derartige Femurfraktur. Trotz der enormen sozio-ökonomischen Bedeutung dieses Frakturtyps wird erst seit einigen Jahren diesem großen Problem zunehmend Beachtung geschenkt. Die Erforschung der Risikofaktoren der Osteoporose insgesamt und speziell der Femurfrakturen hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen. Es ist deutlich geworden, daß neben den Hauptrisikofaktoren der Osteoporose, wie weibliches Geschlecht, höheres Alter, weiße Rasse, Kalzium- und Bewegungsmangel, eine Reihe spezieller Risikofaktoren bei den Oberschenkelbrüchen beteiligt sind, die mit der Sturz-
Abb. 17 a
Typischer Befund bei pertrochantärer Oberschenkelfraktur.
Abb. 17 b
Typische mediale Schenkelhalsfraktur.
52
Grundlagen
neigung (vgl. Abb. 12) im Alter in Zusammenhang stehen [125], Unterschieden werden die sog. medialen oder zervikalen Femurfrakturen von den pertrochantären Brüchen. Die Abbildung 17 a, b zeigt typische Beispiele dieser beiden Hauptmanifestationen des osteoporotischen Bruches am Femur. In einer klinischen Studie an 128 Fällen wurden zwischen den beiden Patientengruppen mit diesen Frakturformen Unterschiede aufgedeckt [126]. Bei den Patienten mit pertrochantären Frakturen war die Medikamenteneinnahme bei Aufnahme höher und die Sterblichkeit im Verlauf im Vergleich zu den Fällen mit zervikalen Frakturen doppelt so hoch. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß sowohl in der Pilotstudie als auch bei den prospektiv untersuchten Fällen jeweils die Patienten mit pertrochantären Frakturen im Mittel älter waren. Es wird angenommen, daß bei den pertrochantären Fällen in der Regel eine ausgeprägtere Osteoporose vorliegt. In der trochantären Region beträgt der Anteil der Kortikalis nur 50%, während am Oberschenkelhals 75% der Knochenmasse aus Kortikalis besteht [89]. Auch am Oberschenkelhals kommt es mit zunehmendem Alter zu einer geringen Vermehrung des Durchmessers und damit zu einer relativen Festigkeitszunahme. Dies könnte die pertrochantären Brüche im höheren Alter geringgradig begünstigen. Andererseits dürfte aber auch der biomechanische Ablauf und die jeweilige traumatische Krafteinwirkung eine andere als bei den medialen Brüchen sein. So können trochantäre Frakturen z. B. auch allein durch direkten Stoß gegen den Trochanter major entstehen. Die Osteoporose ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Ursache für die proximalen Femurfrakturen. Ähnlich wie bei den Radiusfrakturen [127] ist im Gegensatz zu den Wirbelbrüchen stets ein sehr unterschiedlich ausgeprägtes Trauma nachweisbar und entsprechend die Korrelation zwischen Knochenmasse und Frakturen weniger eindeutig. Dennoch ist die Rolle der „Knochenbrüchigkeit", die annäherungsweise mit der gemessenen Knochendichte korreliert, unbestritten. Das Femurfrakturrisiko steigt wie das der Wirbelfrakturen mit abnehmendem Knochenmineralgehalt am Oberschenkelhals [89], Bei Frauen mit einem Knochenmineralgehalt über 1,0 g/cm2 (gemessen mittels Dualphotonenabsorption) sind zervikale oder intertrochantäre Brüche sehr selten [128], Bei solchen mit zervikalem Mineralgehalt unter 1,0 g/cm2 betrug die Gesamtinzidenz von zervikalen Frakturen 4,0 pro 1 000 Personenjahre. Bei Frauen mit einem trochantären Mineralgehalt kleiner als 1,0 g/cm2 war die Gesamtinzidenz entsprechender Frakturen 3,7 pro 1000 Personenjahre. In der gleichen Studie fand sich mit zunehmendem Verlust an Knochenmineralgehalt des proximalen Femur ein exponentieller Anstieg der Frakturen. Frauen mit Werten unter 0,6 g/cm2 an beiden Meßorten hatten zervikal 8,3 und intertrochantär 16,6 Frakturen pro 1 000 Personenjahre [89]. Diese Zahlen belegen, daß der Osteoporosegrad ein wichtiger Faktor für den
Frakturtypen und Frakturgenese
53
typischen altersabhängigen Anstieg in der Femurfraktur-Inzidenz sein dürfte. Dennoch ist die Osteoporose allein nicht ausreichend für die Frakturentstehung, da einzelne Individuen mit niedrigen Knochendichtewerten unterhalb der o. g. Risikoschwellen frakturfrei bleiben können. Für das wichtige Langzeitziel der Prävention der Oberschenkelbrüche ist es wichtig, neben der Prophylaxe der Osteoporose auch die Erforschung und Prävention der häufigen Stürze älterer Menschen voranzutreiben. Aus einer prospektiven Studie an 240 Frauen in Großbritannien wurde gefolgert, daß die Sturzneigung im Alter der wichtigste ätiologische Faktor der Femurfrakturen sei. Die Osteoporose selbst sei eine Zusatzbedingung, wobei stärkere Osteoporosegrade die pertrochantären Brüche begünstigen [129]. In einer anderen Studie zur Frage des pathogenetischen Anteils der Osteoporose an den Femurfrakturen im Alter wurde herausgestellt, daß vor dem 75. Lebensjahr der Osteoporosegrad, gemessen nach dem Singh Index, den Hauptrisikofaktor darstellt, während im Alter über 75 die schlechte neuromuskuläre Koordinationsfähigkeit bei Stürzen der wichtigere Faktor wird [130], Stürze stellen für ältere Menschen ein häufiges und ernsthaftes Problem dar. Selten handelt es sich dabei um echte Unfälle. Es besteht vielmehr eine erhöhte Sturzneigung durch zahlreiche altersbedingte Störungen, Krankheiten und Wechselwirkungen mit äußeren Faktoren [131]. Tabelle 18 gibt eine Übersicht über die Hauptursachen der Stürze älterer Menschen. Sehr häufig kommen mehrere dieser Faktoren bei einer Person zusammen. Kardiovaskuläre Störungen ziehen zentralnervöse Funktionsstörungen nach sich. Im Rahmen der typischen Multimorbidität im Alter liegen oft gleichzeitig Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates (z. B. Arthrosen) oder metabolische Störungen (z. B. Diabetes mellitus) vor. Erhebliche Bedeutung kommt sicher auch dem Alkohol, Medikamenten und Medikamenteninteraktionen zu. Speziell untersucht wurde der Einfluß psychotroper Medikamente auf das Risiko, Femurfrakturen zu erleiden. In einer Untersuchung an 1021 Patienten und 5 606 Kontrollen [132] wurde gezeigt, daß Hypnotika bzw. Antidepressiva mit kurzer Halbwertzeit das Risiko nicht erhöhen, während Substanzen mit Halbwertzeiten über 24 Stunden ein deutlich erhöhtes Risiko verursachen. Zu den multiplen endogenen Sturzursachen der Tabelle 18 kommen oft verschiedene äußere Faktoren, welche das Stürzen begünstigen. Die Wohnungseinrichtung älterer Menschen zwingt die Bewohner oft zu einem wahren Hindernislauf [131]. Faktoren sind hier unter anderem: alte, wacklige Möbel, ausgetretene Treppen mit schlechten Geländern, kleine Vorleger oder ausgefranste Teppiche, schlechte Beleuchtung, niedrige Betten und Toiletten, Haustiere, im Laufe des Lebens angehäufte Unordnung. Offenbar nicht zufallig passieren mehr Stürze in der Wohnung als außerhalb [133].
54
Grundlagen
Tabelle 18
Übersicht über die wichtigsten Sturzursachen bei älteren Menschen.
„Unfälle" — echte Unfälle — Wechselwirkung zwischen äußeren Faktoren und erhöhter Anfälligkeit Synkope (plötzlicher Bewußtseinsverlust) a) verminderte zerebrale Durchblutung — verringertes Herzminutenvolumen (z. B. Arrhythmien, Aortenstenose) — Hypovolämie (z. B. Dehydratation, Blutung, Anämie) — Störung des venösen Rückflusses (z. B. venöses Pooling, Valsalva, Miktion) — ungenügende Vasokonstriktion (z. B. Insuffizienz des vegetativen Nervensystems, Arzneimittel) b) metabolische Ursachen (z. B. Hypoxie, Hypoglykämie, Hyperventilation) „Drop-Anfälle" (plötzliches Hinfallen ohne Bewußtseinsverlust) — vertebrobasilare Ischämie — zervikale Spondylose orthostatische
Hypotonie
— Hypovolämie — Störung des venösen Rückflusses — ungenügende Vasokonstriktion Benommenheit!
Schwindel
— vestibuläre oder zentrale Funktionsstörungen — alle Ursachen für Synkopen oder orthostatische Hypotonie neurologische Funktionsstörungen (z. B. Demenz, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Parkinsonismus, Anfallserkrankungen, Gangstörungen) Arzneimittel (z. B. Sedativa, Antihypertensiva, Diuretika, hypoglykämisch wirkende Substanzen)
Auch die Kälte kann ein wichtiger Faktor sein. Speziell bei unterernährten Personen k o m m t es über eine Unterkühlung zu einer erheblichen Verschlechterung der Muskelkoordinationen [134], O b es im Einzelfall bei einem Sturz zur Fraktur kommt, hängt v o n einer Reihe weiterer Faktoren ab, die in Abbildung 18 dargestellt sind. Wichtige Aspekte sind hierbei die Sturzenergie, die Körperhaltung und der Untergrund. D i e relative Muskelschwäche und die verlangsamte Koordination im Alter sind hierbei entscheidende K o m p o n e n t e n [135]. Im Einzelfall sehr variabel ist auch die Möglichkeit der Absorption der lokalen Krafteinwirkung durch den Untergrund. Ein weicher Untergrund oder eine relative Adipositas des Stürzenden können Frakturen vermeiden.
Frakturtypen und Frakturgenese
INZIDENZ
PROXIMALER
OBERSCHENKELFRAK TUREN
1. S T U R Z N E I G U N G
(inn.
2.
(Krafteinwirkung)
5.
ABSORPTION
6.
BEIM
DER
DER
(Untergrund,
Ursachen)
»
3. K Ö R P E R H A L T U N G
EFFEKTIVITÄT
u. ä u ß e r e
\
STURZENERGIE
4.
55
\
FALLEN
»
REFLEXMECHANISMEN
LOKALEN
KRAFTEINWIRKUNG
Weichteilpolster)
BRUCHFESTIGKEIT (Knochenmasse,
l
DES
KNOCHENS
-gewebsqualität)
t
F R A K T U R
Abb. 18
Sequenz der Bedingungen, die zur proximalen Femurfraktur führen.
In einer prospektiven Studie wurden 50 Patienten mit proximalen Femurfrakturen über 6 Monate beobachtet. Es zeigte sich, daß Personen mit einem Krankenhausaufenthalt unter 28 Tagen und einer guten mentalen Situation vor der Fraktur eine sehr gute Prognose hatten, während bereits vorbestehende Verwirrtheit und längerer stationärer Aufenthalt als ungünstige prognostische Indizes anzusehen waren [136]. Ein besonderer Hinweis in diesem Zusammenhang betrifft verwirrte, ältere Patienten, die es in geriatrischen Kliniken oder Pflegeeinrichtungen relativ plötzlich ablehnen, aufzustehen oder zu gehen. Hinter diesem Symptom soll sich nicht selten eine ansonsten symptomarme Femur- oder Beckenfraktur verbergen [137].
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1.4 Aufbau und Funktion des Skeletts A. Schulz
1.4.1 Funktionelle Konstruktion Die beiden Hauptbestandteile des Erwachsenenskelettes sind der k o m p a k t e (Kortikalis) u n d spongiöse Knochen (Abb. 1). Während der k o m p a k t e K n o chen der Kortikalis als nahezu alleiniger Bestandteil der Diaphysen der langen R ö h r e n k n o c h e n vorliegt, bauen sich die epimetaphysären Anteile der langen
Abb. 1 Mazerationspräparat des Beckenkammes (35, männlich): Das Skelett besteht in diesem Bereich (Referenzort für die Biopsieentnahmen) überwiegend aus Spongiosa wie die Wirbelsäule, an der sich die führenden Krankheitssymptome der Osteoporose ausbilden. Der gesunde (normale) Beckenkamm zeigt wenig Spongiosastäbchen, eher findet sich ein Gitterwerk aus Spongiosaplatten („trabecular plate density"). Die Kortikalis ist sehr schmal, sie nimmt nach caudal leicht an Dicke zu.
Aufbau und Funktion des Skeletts
65
Röhrenknochen, die Wirbelsäule, das Becken und das Sternum überwiegend aus Spongiosa auf, die nur von einer schmalen Kortikalislamelle umkleidet wird. Die spongiöse Knochenkonstruktion entspricht dem Leichtbauprinzip, wobei im Becken und mit geringen Abweichungen auch in den übrigen genannten Skelettregionen etwa 20% des Gesamtvolumens aus reiner mineralisierter Knochenmatrix besteht, während etwa 80% Volumenanteile auf das Hohlraumsystem der Markräume entfallen [1]*.
1.4.2 Spongiosa In der Spongiosa sind die lamellären Matrixschichten in mehreren unterschiedlich zahlreichen parallelen Lagen angeordnet. Sie folgen nicht dem Längsverlauf eines Spongiosabälkchens, sondern bauen dieses in mosaikartig gegeneinander versetzten Schichtsystemen der Lamellen auf. Diese Konstruktion ist auf die ständig wechselnden An- und Abbauphasen des spongiösen Knochens zurückzuführen. Histologisch und elektronenmikroskopisch ist die Verlaufsstruktur der Kollagenfasern sowohl am entkalkten wie auch am unentkalkten Schnittpräparat leicht nachzuweisen (Abb. 2). Die Lamellensy-
Abb. 2 a
Spongiosa des Beckenkammes mit dunkel angefärbten, unmineralisierten Osteoidsäumen auf dem hellgrauen, mineralisierten Knochen. Der Verlauf der Lamellensysteme ist in diesem Anschnitt weitgehend parallel (Methylmethacrylat, Trichrom-Goldner, x 125).
* Literatur nach Kap. 1.6.
66
Grundlagen
Abb. 2 b
Elektronenmikroskopisches Bild der Kollagenfaserschichtung mit zwei jeweils parallelen Lagen, die einmal quer (oben) und einmal längs (unten) getroffen sind ( x 21000).
Abb. 3 Verlauf der Kollagenfasern im mineralisierten Knochen: In der Mitte schräg verlaufend das elektronenmikroskopische Bild der Grenzschicht zweier Faserlagen, die sich als Fuge darstellt (sog. Kittlinie), x 8 000.
Aufbau und Funktion des Skeletts
67
steme sind untereinander durch lichtmikroskopisch erkennbare Kittlinien getrennt. Diese färben sich besonders deutlich im entkalkten histologischen Schnittpräparat basophil an, was auf einen höheren Gehalt an Glykoproteinen schließen läßt. Elektronenmikroskopisch handelt es sich bei den Kittlinien um kollagenfaserfreie Fugen der aneinander stoßenden unterschiedlich ausgerichteten Matrixlamellen (Abb. 3).
1.4.3 Kompakta Komplizierter als der Aufbau des spongiösen oder trabekulären Knochens ist die Architektur des kompakten Knochens, die ihren höchsten Organisationsgrad an den Diaphysen der langen Röhrenknochen erreicht. Der Kortikalisaufbau ist seit langem bekannt und wird in der Literatur einheitlich beschrieben [2, 3, 4]: Die Havers'schen Systeme oder Osteone bilden den Hauptbestandteil der Kompakta (Abb. 4). Sie bestehen aus in Längsrichtung der Diaphyse angeordneten Knochenzylindern. Jedes dieser zylindrischen Osteone hat eine max. Länge von 3 —9 mm [5] und besteht aus 4 — 20, in konzentrischen Ringen angeordneten Knochenmatrixlamellen, die einen zentralen Havers'schen Kanal umhüllen. Innerhalb dieses Kanals von 22 —110|i Durchmesser [6] verlaufen englumige Blutgefäße vom Typ der Kapillaren oder postkapillären Venolen und gelegentlich auch kleine Arteriolen. Zwischen den
Abb. 4
Histologisches Bild der Kompakta (Kortikalis) mit den typisch konzentrisch geschichteten Havers'schen Systemen. Zentral liegen die Gefaßkanäle, die aus Blutgefäßen (Kapillaren) und Mesenchymzellen (Osteoprogenitorzellen?) bestehen.
68
Grundlagen
Havers'schen Systemen, deren ringförmige Lamellen auch als Speziallamellen bezeichnet werden, liegen die sog. Schaltlamellen, welche als Residuen älterer, bereits wiederholt umgebauter Havers'scher Systeme aufzufassen sind. Zur äußeren Oberfläche der Kortikalis hin werden die Havers'schen Systeme von mehreren durchgehenden Knochenmatrixlamellen ummantelt, die als Grundoder Generallamellen bezeichnet werden. Unabhängig von diesen Havers'schen Systemen existieren auch großlumige gefäßführende Kanäle, die als Volkmann'sche Kanäle bezeichnet werden und die entscheidende Gefaßstruktur für die intraossäre Vaskularisation und die Anastomosierung zwischen periostalen und endostalen Blutgefäßen darstellen [6]. Der physiologische Knochenumbau der Kortikalis erfolgt an den endostalen Oberflächen und an den inneren Oberflächen der Havers'schen Kanäle. Letztere werden durch Resorptionshöhlen erweitert, die sich über mehrere Osteone erstrecken können. Anschließend erfolgt wieder eine ringförmige Einmauerung bis zu einem englumigen gefäßführenden Kanal, wodurch neue Spezial- und Schaltlamellen entstehen. Eine erhöhte Knochenumbauaktivität an der äußeren Oberfläche ist am erwachsenen Skelettsystem nur unter pathologischen Bedingungen (entzündlicher oder traumatischer Periostreiz) zu beobachten.
1.4.4 Vaskularisation Die Vaskularisation des Knochens geht mit der Entwicklung des knorpelig präformierten Skelettes bis zum komplett ossifizierten Knochensystem des erwachsenen Menschen konform. Mit der Einsprossung von arteriellen Gefäßen in die Diaphyse des knorpelig präformierten Extremitätenknochens bilden sich Ossifikationskerne aus, die im späteren Verlauf der Skelettentwicklung durch epiphysäre Ossifikationszonen ergänzt werden, welche ebenfalls erst nach Gefäßeinsprossungen auftreten. Der komplett ossifizierte Röhrenknochen enthält daher drei miteinander über die Kortikalis und den Markraum kommunizierende arterielle Gefaßsysteme in Form der proximalen und distalen epiphysären Versorgung und der diaphysären Versorgung, welche vom Periost her über die erwähnten Volkmann'schen Kanäle erfolgt. Angiographisch ist das sich in Achsenrichtung verzweigende Gefaßsystem der Röhrenknochen darzustellen und entspricht auch im Verlauf der Venen dem arteriellen System [7]. Experimentelle Untersuchungen der Durchblutungswerte an Säugetierröhrenknochen zeigen eine fünf- bis sechsmal höhere Durchblutung der überwiegend spongiösen Epimetaphysen im Vergleich zu den aus Kortikalis bestehenden Diaphysen [8], Die Durchblutungswerte gemessen in ml/100 g Knochengewebe nehmen von proximal nach distal an den Röhrenknochen der Extremitäten ab.
1.5 Knochenzellen A. Schulz
1.5.1 Osteoblasten und Osteozyten Knochenmatrix kann ausschließlich durch Osteoblasten gebildet werden. Aus dieser Feststellung leitet sich ab, daß Osteoblasten hochspezialisierte Zellen darstellen, deren Leistung auf eine entsprechende genetische Codierung zurückzuführen ist. Das moderne Konzept über die Zytogenese der Osteoblasten ist auf eine kontinuierliche Entwicklung experimentell untermauerter Erkenntnisse zurückzuführen, welche ihren Ausgang von der Definition einer hypothetischen Stammzelle als Osteoprogenitorzelle [9, 10] genommen hat. Die Osteoprogenitorzellen stellen den Pool der teilungsfähigen Vorläuferzellen der Osteoblasten dar [11]. Reife Osteoblasten sind histologisch leicht als kubische, epithelartig angeordnete Zellen in einem einschichtigen oder mehrschichtigen Belag an Knochenoberflächen zu erkennen (Abb. 5). Sie tauchen auf und verschwinden in Abhängigkeit von der lokalen Umbaudynamik des Skelettes [12].
Abb. 5 Überwiegend einschichtige Osteoblastenlage auf einem Osteoidsaum (schwarz), der einzelne Osteozyten enthält und den mineralisierten Knochen (grau) bedeckt. Methylmethacrylat, Trichrom-Goldner, x 500.
70
Grundlagen
Die zytogenetische Abklärung der vor dem Osteoblasten liegenden Stammzellvorstufen gelang mit Hilfe einer kombinierten in vitro- und in vivoKulturmethode: Friedenstein [13] wies nach, daß in vitro-kultivierte Knochenmarksfibroblasten Monolayer-Kulturen bilden, welche nach Implantation in einer Diffusionskammer unter in vivo-Bedingungen kalzifizierte Knochenmatrix innerhalb weniger Wochen produzieren. Diese dem Stromazellsystem des Knochenmarks entstammenden Zellen, die morphologisch Fibroblasten glichen, jedoch funktionell die Fähigkeit zur Entwicklung in Osteoblasten besaßen, wurden unter der Annahme einer genetischen Codierung als „determined osteogenic precursor cells" (DOPC) bezeichnet [13]. Analoge Untersuchungen wie mit Knochenmarksstromazellen wurden auch mit anderen Stromazellsystemen wie denen des Thymus, der Milz oder der Lymphknoten durchgeführt. Auch diese Stromazellen ließen sich als Fibroblasten in Monolayer-Kulturen anzüchten. Unter nachfolgender Implantation in Diffusionskammern bildeten diese Zellen in vivo jedoch nur ein fibröses Gewebe ohne Ossifikation oder Verkalkung [14]. Nach Zugabe von „inducing agents" wie Transitionalepithel der Harnblase, dekalzifizierter Knochenmatrix oder knochenbildendem Protein [15, 16, 17] zeigten auch diese Zellen die Bildung einer kalziflzierten Knochenmatrix. Diese erst nach Induktion zur Ausdifferenzierung in Osteoblasten und damit zur Knochenbildung fähigen Zellen wurden als „inducible osteogenic precursor cells" (IOPC) bezeichnet [14], Diese inzwischen bestätigten experimentellen Ergebnisse haben zu folgendem Konzept über die Stammzellen der Osteoblasten geführt [18, 19]: Genetisch determinierte Stammzellen der Osteoblasten, die als determinierte osteogene Vorläuferzellen (DOPC) bezeichnet werden, gehören zum Stromazellsystem des Knochenmarkes und sind unter in vivo-Bedingungen zur spontanen Knochenbildung in der Lage. Die zweite Zellpopulation der induzierbaren Osteoprogenitorzellen (IOPC) ist erst nach Einwirkung eines Induktionsfaktors zur Osteogenese fähig. Diese Gruppe wird durch undifferenzierte Mesenchymzellen repräsentiert, die ubiquitär in verschiedenen Stromageweben des Organismus vorkommen. Sie stellen den Zellpool dar, aus dem sich die ektopische Knochenneubildung entwickeln kann [17, 20] und der wahrscheinlich bei reparativen Prozessen die Hauptrolle spielt [13].
1.5.2 Steuerung der Osteoblastenfunktion Die Umwandlung osteogener Vorläuferzellen in knochenmatrixproduzierende Osteoblasten erfolgt innerhalb weniger Stunden. Die Knochenanbauseite stellt somit ein schnell stimulierbares Zellsystem dar, welches einer Reihe von Steuerungsmechanismen unterliegt, die auch heute nur zum Teil bekannt sind.
Knochenzellen
71
Von den drei „klassischen osteotropen Hormonen" Parathormon (PTH), dem Vitamin D-Hormon Kalzitriol (l,25(OH) D3) und Kalzitonin existieren nur für die beiden zuerst genannten Hormone Rezeptoren an den Osteoblasten. Wachstumshormon (GH) und Schilddrüsenhormon (T3, T4) wirken indirekt über den Mediator IGF („insulin-like growth factor", Somatomedin C) auf die Osteoblasten, wobei die Produktion dieses Faktors in den Osteoblasten selbst erfolgt und unter Einwirkung dieser Hormone gesteigert wird [21], Eine Reihe weiterer Faktoren, wie der PDGF („platelet-derived growth factor") und der TGF ß („transforming growth factor ß"), die beide in Thrombozyten, TGF ß aber auch in Osteoblasten gebildet werden [22], wirken zwar direkt auf die Osteoblasten, doch ist ihre physiologische Bedeutung für die Knochenanbaustimulation noch nicht geklärt. Ein weiterer Faktor wie der TNF alpha (Tumornekrosefaktor alpha), ein Zytokin des Monozyten-Makrophagen-Systems [2], hat ebenso wie das Parathormon eine pleiotrope Wirkung auf die Osteoblasten, indem diese durch TNF alpha sowohl stimuliert als auch gehemmt werden können. Zunehmende Bedeutung wird den bereits seit längerer Zeit bekannten, aber erst in den letzten Jahren genauer definierten Knochenmatrixfaktoren beigemessen: Aus der nichtkollagenen Proteinfraktion der Knochenmatrix sind
STEUERUNG RUHEPHASE
PROLIFERATION
DER
O S T E O B L A S T E N
DIFFERENZIERUNG
TNF-*
PTH
BDGF
BMP
E
MINERALISIERTER
Abb. 6
FUNKTION AKTIVIERUNG
FUNKTION HEMMUNG
t25(0H)2 D 3 IGF(GH,T3,T4) TGF-ß PDGF
PTH GLUKOKORTIKO IDE TNF-* TGF-*
0
1
D
KNOCHEN
Die Steuerungsfaktoren der Osteoblasten wirken in verschiedenen Phasen der Entwicklung (Differenzierung) der Osteoblasten. Während einige Faktoren die Proliferation von Vorläuferzellen fordern, stimulieren andere die Funktion (Syntheseleistung) des „reifen" Osteoblasten.
72
Grundlagen
mehrere Faktoren mit knochenwachstumsstimulierender Wirkung wie der BDGF („bone-derived growth factor") oder das BMP („bone morphogenic protein") isoliert worden [24], Diese von den Osteoblasten selbst produzierten Knochenmatrixbestandteile stellen autokrine Regulationsfaktoren der Osteoblasten dar, indem sie diese erneut stimulieren, wenn sie wieder aus der Matrix freigesetzt werden (z. B. Knochenbruchheilung). Die Erkenntnisse über die Wirkung dieser verschiedenen Faktoren auf den Knochenanbau leiten sich im wesentlichen aus Zellkultur- und Organkulturuntersuchungen ab. Die Steuerungsmechanismen sind am besten zu verstehen, wenn man die Wirkung dieser Faktoren auf den phasenhaften Ablauf des Knochenanbaues — von der Ruhephase über eine Proliferationsphase zur Differenzierung, Funktionsaktivierung und Funktionshemmung — betrachtet (Abb. 6).
1.5.3 Knochenmatrixbildung Während in der Wachstumsperiode die endostalen Knochenoberflächen überwiegend von aktiven matrixproduzierenden Osteoblasten bedeckt werden, sind beim erwachsenen Menschen nur etwa 20 — 25% der endostalen Spongiosaoberflächen von aktiven Osteoblasten besetzt [25], wobei das Verhältnis von inaktiven zu aktiven Knochenoberflächen in Abhängigkeit von der Lokalisation des untersuchten Skelettabschnittes und dem Lebensalter variiert [26, 27], Die Matrixsyntheseleistung der Osteoblasten läßt sich auch beim Menschen histomorphometrisch an einer Biopsie durch eine Tetrazyklindoppelmarkierung erfassen [28]: Tetrazyklin wird an der Mineralisationsfront des Knochens eingebaut und läßt sich als eine Fluoreszenzlinie nachweisen. Bei zwei Markierungen innerhalb zweier Wochen kann durch Messung des Abstands zwischen den Banden die tägliche Zunahme der neugebildeten Knochenmatrixschicht bestimmt werden. Sie beträgt beim skelettgesunden Menschen etwa 0,7 (im/Tag. Nach Abzug des Wasseranteiles von 10% ergibt sich eine Unterteilung des Trockengewichtes der Knochenmatrix in Mineral und Matrixbestandteile (Tab. 1). Die organische Matrix besteht zu über 90% aus Kollagen Typ I. Die nicht-kollagenen Proteinbestandteile des Knochens liegen zwischen 5 — 10% des gesamten Knochenproteingehaltes. Die interessantesten nicht-kollagenen Proteinbestandteile sind das Osteonectin [29] und das Osteokalzin [30], Beide Proteine spielen eine komplexe und noch nicht vollständig aufgeklärte Rolle bei der Matrixmineralisation: Osteonectin bindet Kollagen und Hydroxyapatit, so daß es wahrscheinlich sowohl an der initialen Mineralisation wie
Knochenzellen Tabelle 1
73
Verteilung der organischen Knochenmatrixbestandteile.
Organische Knochenmatrixbestandteile (%) Collagen I BSP I (Bone Sialoprotein) BSP II (Osteopontin) PG I (Bone Proteoglycan I) PG II (Bone Proteoglycan II) BGP (Bone GLA-Protein = Osteocalcin) Osteonectin BMP (Bone Morphogenic Protein) Structur Glycoprotein Peptide Lipide Proteolipide Phosphoprotein Albumin a 2 -HS-Glycoprotein Sonstige
88,0 1,0 1,0 1,5 2,5 0,1 1,0 0,8
0,4 0,3 0,2 0,3 0,4 2,0
nach Urist et al., Science 220, 6 8 0 - 6 8 6 (1983)
auch an der Stabilisierung und Anlagerung von Apatitkristallen an den Kollagenfibrillen wesentlich beteiligt ist. Die Rolle des Osteokalzins für die Knochenmineralisation ist noch unklar. Es besitzt einerseits eine hohe Affinität zu Hydroxyapatit, andererseits inhibiert es die Hydroxyapatit-Bildung in der Knochenmatrix. Die Mineralisation neugebildeter Knochenmatrix erfolgt nicht sofort nach der Ablagerung, sondern erst nach einer Phase der Osteoidreifung. Daher findet sich stets bei der aktiven Knochenneubildung ein unmineralisierter Osteoidsaum, auf dem die Osteoblasten liegen. Die Osteoidsaumbreite hängt somit von drei Vorgängen ab: Der Matrixproduktion durch Osteoblasten, der Osteoidreifung und der Mineralisation. Unter physiologischen Bedingungen wird angenommen, daß nur die Osteoidproduktion von der Aktivität der Osteoblasten abhängt, die Osteoidreifung und Mineralisation hingegen unabhängig von der zellulären Aktivität der Osteoblasten ablaufen. Osteoidreifung und Mineralisation sind jedoch hochsignifikant miteinander korreliert, was darauf schließen läßt, daß diese Prozesse einer gleichartigen Kontrolle unterliegen, die in erster Linie als adäquate Ionen-Konzentration von Kalzium und Phosphor in der Extrazellulärflüssigkeit angesehen wird [31]. Da die Osteoidsaumbreite eine Funktion dieser drei Parameter ist, wird sie bei einer erhöhten Matrixproduktion ebenso zunehmen, wie bei einer verzögerten Rei-
74
Grundlagen
fung oder Mineralisation. Während die Osteoidsaumbreite des Menschen unter physiologischen Bedingungen bei 6,7 ± 1,5 JJ. liegt, ist sie bei der Osteomalazie im Rahmen einer renalen Osteopathie mit 25,4 + 8,8 |i auf das Vierfache verbreitert, was durch eine verzögerte Osteoidreifung erklärt wird, die etwa ein Zehntel des Normalwertes beträgt [31], Neuere Untersuchungen haben aber auch gezeigt, daß Kalbindin — ein von Osteoblasten unter der Wirkung von Vitamin D gebildetes kalziumbindendes Protein — für die Einleitung des Mineralisationsvorganges notwendig zu sein scheint [32].
1.5.4 Osteozyten Nach etwa drei bis vier Tagen Knochenmatrixproduktion sind die ersten Osteoblasten als Osteozyten vollständig von Matrix eingemauert (Abb. 7). Diese aus den Osteoblasten entstehenden Osteozyten spielen auf der Kno-
Abb. 7
Elektronenmikroskopie eines frisch „eingemauerten" Osteozyten, der im Osteoid (grau) an der Grenze zum mineralisierten Knochen (schwarz) — der sog. Mineralisationsfront — liegt, x 5 400.
Knochenzellen
75
chenanbauseite keine Rolle. Ihre wesentliche physiologische Funktion wird in der Aufrechterhaltung der Ca + + -Homöostase gesehen [33], Die Osteozyten stehen untereinander durch ein ausgedehntes Kanälchensystem der Osteozytenfortsätze (lakunokanalikuläres Osteozytensystem) in Verbindung. Diese innere Oberfläche von 200 mm 2 /mm 3 der Knochenkompakta [34] dient dem raschen Mineralaustausch zwischen der Knochenmatrix und der „bone fluid", welche wiederum mit der Extrazellulärflüssigkeit und damit auch mit dem Blutgefäßsystem im Austausch steht.
1.5.5 Osteoklasten Die Osteoklasten sind mehrkernige Riesenzellen, die sich aus einer wahrscheinlich bereits genetisch determinierten, spezifischen Monozytenpopulation ableiten [35]. Osteoklasten unterscheiden sich durch spezifische Membranantigene von anderen Makrophagen [36]. Wie Zellkulturuntersuchungen gezeigt haben, ist die Differenzierung der Osteoklasten von der Anwesenheit von Osteoblasten abhängig [37, 38], Die Funktion der Osteoklasten ist die Knochenresorption mittels lysosomaler Enzyme, die ein saures pH-Optimum besitzen, welches durch die H + -Ionenausschleusung an der Basis der Osteoklasten erzeugt wird. Bei der Resorption entstehen an der Knochenoberfläche, je nach Aktivität und Mobilität der
Abb. 8 Osteoklasten sind spezialisierte, mobile, mehrkernige Riesenzellen, die durch die Knochenresorption flache, muldenförmige Oberflächendefekte (Howship'sche Resorptionslakunen) oder auch Resorptionstunnel (perforierende Resorption) erzeugen.
76
Grundlagen
Osteoklasten, muldenförmige Resorptionslakunen (Howship'sche Lakunen) oder auch perforierende Resorptionstunnel (Abb. 8). Die Osteoklasten sind schnell stimulierbar: Innerhalb zweier Stunden nach Parathormonstimulation kommt es zu einer Zunahme von Zellzahl und Zellgröße. Bereits 30 Minuten nach einer PTH-Stimulation tritt eine elektronenmikroskopisch sichtbare Aktivierung der Osteoklasten in Form einer Zunahme des basalen Bürstensaumes auf. Diese schnelle Aktivierung korreliert mit der Beobachtung des frühen Anstieges der Serumkalziumkonzentration nach Parathormon-Injektion im Tierexperiment. Steuerung der OSTEOKLASTEN
RUHEPHASE
Abb. 9
PROLIFERATION FUSION und von DIFFERENZIERUNG VORLÄUFERZELLEN
FUNKTION AKTIVIERUNG
FUNKTION HEMMUNG
Steuerungsfaktoren der osteoklastären Knochenresorptionen, die in verschiedenen Entwicklungsphasen wie der Proliferation, der Fusion einkerniger Vorläuferzellen zu mehrkernigen Riesenzellen und der funktionellen Stimulation angreifen.
Die Steuerungsmechanismen der Knochenresorption sind nach dem heutigen Kenntnisstand ebenso kompliziert wie die des Knochenanbaues und nur dann zu verstehen, wenn man die einzelnen Steuerungsfaktoren wiederum in Zusammenhang mit dem phasenhaften Ablauf — von der Proliferation osteoklastärer Vorläuferzellen über deren Fusion zu Riesenzellen bis hin zur funktionellen Aktivierung und funktionellen Hemmung — betrachtet (Abb. 9). Eine wichtige Erkenntnis ist, daß für Parathormon keine direkten Rezeptoren an der Osteoklastenmembran existieren. Obwohl PTH als das klassische knochenresorptionsstimulierende Hormon anzusehen ist, übt es seine Wir-
Knochenzellen
77
kung auf die Osteoklasten nicht direkt, sondern indirekt über die Osteoblasten aus, von denen aus dann eine Signalübertragung auf die knochenresorbierenden Zellen erfolgt (siehe auch „coupling-Hypothese"). Eine Reihe von Faktoren, die auch beim Knochenanbau eine Rolle spielen, finden sich wieder bei der Stimulation der Osteoklasten (pleiotrope Wirkung). Hervorzuheben sind die Prostaglandine (PGE 2j3 ), das Interleukin-1 (IL-1) und der Tumornekrosefaktor (TNF) der Monozyten und Makrophagen, die eine direkte Aktivierung der Osteoklasten bewirken. Bei der Entstehung der Osteoklasten wirken bereits Knochenmatrixproteine wie Kollagen I und Osteokalzin mit, welche chemotaktisch Vorläuferzellen der Osteoklasten an die Knochenoberfläche heranführen [39], deren Fusion unter dem Einfluß von 1,25 (OH)2 D 3 ZU mehrkernigen Riesenzellen gefördert wird. Die Hemmung der Osteoklastenfunktion erfolgt direkt durch Kalzitonin, für das die Osteoklasten Membranrezeptoren besitzen [40].
1.6 Umbauvorgänge des Knochengewebes A. Schulz
Die Knochenmasse des Skeletts wird druch die Bilanz der An- und Abbauvorgänge bestimmt. In diese Bilanz greifen die Vorgänge der Knochenmineralisation direkt oder indirekt ein. Alle Prozesse, wie Knochenanbau, Resorption und Knochenmineralisation, sind wiederum ganz entscheidend über den Kalziumpool der Extrazellulärflüssigkeit und des Plasmas als Maß und Stellgröße für die hormonelle Regulation miteinander verknüpft. Von großer Bedeutung für die Entstehung generalisierter Osteopathien ist das bilanzierte Zusammenwirken der Osteoblasten und Osteoklasten. Unser derzeitiger Kenntnisstand über die vielschichtigen, aufeinander abgestimmten Wirkungen systemischer Regulationsmechanismen und lokaler Faktoren des Knochenumbaus hat zu zwei Modellvorstellungen über die physiologische Regulation der Knochenumbauvorgänge geführt. Es handelt sich um die „coupling"-Hypothese, d. h. die Hypothese der gegenseitigen Abhängigkeit von Knochenanbau und Knochenresorption, und um das „Quantum-Konzept" des Knochenumbaues.
1.6.1 „Coupling"-Hypothese Die biologische Entwicklung des Skelettsystems zu einer dreidimensionalen Struktur und die Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Skelettbilanz bei ständig miteinander in Konkurrenz stehenden Anbau- und Resorptionsvorgängen muß zu der Überlegung führen, daß Knochenanbau und Resorption nicht allein durch systemisch wirksame Hormone gesteuert werden können. Während im wachsenden Knochen die Modellierung der dreidimensionalen Struktur des Skelettes gesteuert werden muß, ist im erwachsenen Organismus vor allem die Skelettbilanz aufrechtzuerhalten. Zur Erhaltung der Knochenmasse müssen parallele Änderungen der Knochenanbau- und -resorptionsraten gefordert werden. Die Abstimmung beider Prozesse aufeinander wurde als „coupling" bezeichnet [41]. Entsprechend ist die Reduktion des Knochenanbaues gegenüber einer gleichbleibenden oder erhöhten Resorptionsrate als Entkoppelung oder „uncoupling" zu bezeichnen; sie führt über einen zunehmenden Knochenverlust zur Osteoporose [42]. Eine schematische Darstellung dieser „coupling"-Hypothese zeigt die Abbildung 10.
Umbauvorgänge des Knochengewebes K N O C H E N S T R U K T U R E I KOPPLUNG
VON KNOCHENANBAU
111
Abb. 10
N H E I T
UND KNOCHENRESORPTION 1'tOUPLING-HYPO T H E S I T ]
KNOCHENANBAU — • KNOCHENRESORPTION "COUPLING"- SIGN A L E
79
KNOCHENRESORPTION—» KNOCHENANBAU "COUPLING"- SIGNALE
ill
Knochenanbau und Resorption sind auf zellulärer Ebene direkt durch Steuerungsfaktoren aneinander gekoppelt. Ein Beleg für diese Hypothese kann aus dem experimentellen Nachweis der Steuerung beider Zellsysteme durch Faktoren abgeleitet werden, die aufgrund ihrer Wirkung als Kopplungssignale aufgefaßt werden können.
Für die Kopplung der knochenresorbierenden Osteoklasten an die knochenbildenden Osteoblasten, und umgekehrt ist das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren notwendig. Unter den bisher bekannten Kopplungssignalen von Osteoblasten auf Osteoklasten sind T G F ß, PGE 2 und IL-1 zu nennen, wobei besonders das zuletzt genannte Zytokin als möglicher Mediator für die Signalübertragung der Parathormonwirkung von Osteoblasten auf Osteoklasten diskutiert wird [43], Wie Zellkulturuntersuchungen gezeigt haben [37, 38, 44], müssen weitere, bisher nicht bekannte Faktoren für die Signalübertragung zwischen Osteoblasten und Osteoklasten in Betracht gezogen werden. Der umgekehrte Weg der Anbindung des Knochenanbaues (Osteoblasten) an die Knochenresorption (Osteoklasten) ist ebenso bedeutsam für die Reparatur des durch Resorption entstandenen Knochendefektes. Osteoklasten selbst bilden keine Faktoren (oder zumindestens sind bisher keine isoliert worden), die die Osteoblasten direkt stimulieren. Es ist aber bekannt, daß verschiedene Knochenmatrixproteine, die durch die Knochenresorption freigesetzt werden, eine direkte stimulierende Wirkung auf Vorläuferzellen der Osteoblasten besitzen: Einige dieser als „coupling"-Faktoren aufzufassenden Matrixproteine sind inzwischen isoliert und in ihrer Wirkung auf Knochenzellkulturen über-
80
Grundlagen
prüft worden, so beispielsweise der „bone-derived growth factor" (BDGF) und das „bone morphogenic protein" (BMP) [24, 43], Aus der Existenz dieser Knochenmatrixfaktoren ist daher zu schließen, daß die Osteoblasten selbst bereits den skelettprotektiven Mechanismus gebildet und bei der Matrixproduktion abgelagert haben (autokriner Regulationskreis). Die Matrix des Knochens stellt somit eines der Bindeglieder für die aufeinander abgestimmte Funktion der knochenbildenden und der knochenresorbierenden Zellen dar.
1.6.2 „Quantum-Konzept" Bei der Entwicklung des Skelettsystems wird die Knochenform der einzelnen Skelettanteile durch An- und Abbauvorgänge ständig dem jeweiligen Wachstumsstand angepaßt. Dieser Modellierung („modeling") steht die Knochenumbauaktivität am erwachsenen Skelett gegenüber, die keine Formveränderung der Knochen mehr verursacht. Dies ist dadurch zu erklären, daß zuvor resorbierte Knochenpartien an derselben Stelle sofort wieder durch eine entsprechende Knochenneubildung ersetzt oder re-modelliert („remodeling") werden. Knochenanbau- und Abbauvorgänge müssen sich daher nicht nur durch eine Kopplung („coupling") ausgleichen, sondern sich auch lokal am jeweiligen Ort des Knochenumbaues quantitativ entsprechen, damit die Knochenstruktur erhalten bleibt. Diese Überlegung führte zu dem „QuantumKonzept" des Knochenumbaues [42, 45], demzufolge an den endostalen Oberflächen des gesamten Skelettsystems eine unübersehbare Zahl kleinster Knochenumbaueinheiten existiert, welche alle, jede eigenständig für sich, eine Knochenresorptions- und eine Anbauphase stets gleichbleibenden Ausmaßes durchlaufen (ein kleines Knochenquantum wird umgesetzt). Da eine solche Knochenumbaueinheit dem lokalen Zusammenspiel einer bestimmten Zahl von Osteoklasten und Osteoblasten entspricht, wurde sie auch als „basic multicellular unit" (BMU) bezeichnet. Die Umbaudynamik solcher Umbaueinheiten soll gesetzmäßig ablaufen (Abb. 11): Nach einer Ruhephase beginnt an der endostalen Oberfläche die Resorptionsphase, während der eine Resorptionslakune erzeugt wird. Nach einer Umschaltphase folgt die Anbauphase, in der die Osteoblasten die Resorptionslakune vollständig ausfüllen und reparieren. Dieser Ablauf läßt sich auch bei der histologischen Untersuchung des Knochengewebes belegen (Abb. 12). Die neuabgelagerte Knochenmatrix, die die Lakune wieder ausfüllt, ist vom alten Knochen später mikroskopisch mit Hilfe einer Kittlinie abzu-
Umbauvorgänge des Knochengewebes
81
K N O C H E N S T R U K T U R E I N H E I T UMBAUDYNAMIK
BEI INTAKTEM " COUPLING "
RESORPTIOSPHASE
UMSCHALTPHASE
ANBAUPHASE
^qQna^pq
RUHEPHASE
Abb. 11
Schematische Darstellung des Knochenumsatzes auf zellulärer Ebene in Form der Knochenstruktureinheiten, die innerhalb von 3 Monaten in 4 Phasen ein Knochenquantum resorbieren und remodellieren [42].
grenzen. Die innerhalb dieser Kittlinienbegrenzung gelegene neue Matrix wird auch als Knochenstruktureinheit mit der Abkürzung BSU („bone structure unit") bezeichnet und entspricht einem umgesetzten Knochenquantum. Etwa 1,5 Millionen solcher Knochenstruktureinheiten sollen ständig in den unterschiedlichen Phasen des Ablaufes im erwachsenen Skelett umgesetzt werden, wobei die Dauer des Umbauzyklus für jede Einheit mit etwa drei Monaten angegeben wird [42],
82
Grundlagen
Umbauvorgänge des Knochengewebes
Abb. 12
83
Histologische Beispiele (Methylmethacrylat, Trichrom-Goldner, x 500) für die verschiedenen Phasen der Remodellierung einer Knochenstruktureinheit zur Illustration der schematischen Abbildung 11: a) Resorptionsphase durch mehrkernige Osteoklasten. b) Umschaltphase durch Einwanderung von Mesenchymzellen (Osteoprogenitorzellen?). c) Anbauphase durch Osteoblasten mit Osteoidablagerung (schwarz). d) Ruhephase mit glatter Oberfläche, von flachen, inaktiven „lining cells" bedeckt.
84
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2 Pathophysiologie J. D. Ringe
Das klinische Bild der Osteoporose ist das Endresultat zahlreicher extrinsischer und intrinsischer Einflüsse („Risikofaktoren") auf Kalziumstoffwechsel und Skelett. Genetische Ausgangslage und positive und negative Einwirkungen im Verlauf von Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter auf das Skelett hinterlassen sozusagen ihre Spuren an der Knochensubstanz. Insofern sind verfügbare Knochenmasse bzw. Frakturrisiko in einem bestimmten Lebensalter stets auch ein Abbild der Biographie des Individuums.
2.1 Allgemeine Prinzipien Ätiopathogenetisch liegt somit der Osteoporose stets ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Aus diesem lebenslangen multifaktoriellen Prozeß können vier wichtige Phasen hervorgehoben werden: 1. Aufbauphase des Skeletts bis zum Erreichen der maximalen Knochenmasse (peak bone mass). 2. Obligatorischer Knochensubstanzverlust nach Erreichen der peak bone mass im Rahmen der physiologischen Skelettremodelierung. 3. Beschleunigter Knochensubstanzverlust in den peri- und frühen postmenopausalen Jahren. 4. Beschleunigter Verlust im hohen Senium durch Inaktivität parallel zur Involution der Muskulatur und anderer Organsysteme. In Abbildung 1 ist die Änderung der Skelettmasse in Abhängigkeit vom Lebensalter dargestellt. Die vier Pfeile im unteren Rand der Abbildung zeigen die vier genannten Phasen. Beschleunigter klimakterischer Verlust (Pfeil 3) und seniler Verlust (Pfeil 4) überlagern den obligatorischen Verlust (Pfeil 2). Die Abbildung ist eine schematisierende Vereinfachung, im Einzelfall werden Kurvenverlauf und Dauer der einzelnen Phasen variieren. Aus diesen allgemeinen Überlegungen zur Pathophysiologie der Osteoporose wird deutlich, daß bei Erreichen eines sehr hohen Lebensalters die meisten
88
Pathophysiologic
Menschen an einer Osteoporose erkranken werden. Die Variationsbreite der meßbaren Skelettmasse bei Betagten ist erheblich und die Abgrenzung zwischen noch altersentsprechend und pathologisch kaum möglich. Die Problematik der Osteoporosedefinitionen im höheren Alter ist evident (vgl. 1.4). Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, daß zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose einer Osteoporose die verschiedenen Faktoren, die im Individualfall zum Abbau von Knochensubstanz beigetragen haben, oft nicht mehr komplett rekonstruierbar sind. Eine wichtige Unbekannte bei diesen Überlegungen ist vor allem die einmal erreichte peak bone mass. Skelettmasse
I Abb. 1
1
Peak Bone Mass
Menopause
H
2 I—3—•
• I—4 —
Schematische Darstellung der altersabhängigen Änderung der Skelettmasse und der besonderen Einflüsse in bestimmten Lebensphasen (Pfeile 1 - 4 : 1 2 3 4
= = = =
Aufbauphase bis zum Erreichen der peak bone mass, obligatorischer Knochenmassenverlust nach der peak bone mass, beschleunigter Abbau peri- und postmenopausal, beschleunigter Verlust im Senium).
Bei vielen Patienten, bei denen im höheren Alter eine Osteoporose diagnostiziert wird, ist zum Zeitpunkt der Diagnose keine relevante Störung des Kalziumphosphatstoffwechsels erkennbar, so daß eine primäre bzw. postmenopausale oder senile Osteoporose angenommen werden muß. Bei sehr gründlicher Untersuchung werden jedoch erstaunlich häufig Erkrankungen oder pathogenetische Faktoren aufgedeckt, die zur Osteoporose beigetragen haben oder weiterhin eine Rolle spielen. Von 300 Patienten, die sich in einer amerikanischen Spezialklinik für Osteoporose vorstellten, hatten 180 ( = 60%)
Postmenopausale Osteoporose Tabelle 1
89
Begleitdiagnosen mit potentieller Skelettschädigung bei 180 unselektierten Osteoporosefällen [nach 1],
Begleitdiagnosen mit potentieller Skelettschädigung bei 83 von 180 Osteoporosepatienten Endokrin: Glukokortikoide Frühe Menopause Niedriges 25-OH-D Hyperthyreose — iatrogen Diabetes mellitus Hyperparathyreoid. Polyzyst. Ovarien Hyperprolaktinämie
Gastrointestinal: (26) (17) (10) (7) (5) (5) (3) (1) (1)
Maligne: Plasmozytom Mamma-Karzinom Akute Leukämie Sarkom Morbus Hodgkin
(2) (2) (1) (1) (1)
Laktasemangel Einheimische Sprue Malabsorption postoperativ
(4) (3) (2)
Sonstige: Chemotherapie bei Karzinom oder c. P. Skoliose Chron. Polyarthr. Poliomyelitis Nephrolithiasis Alkoholabusus Langzeit. Bettruhe Morbus Paget Unterernährung Phenhydantherapie Sarkoidose
(8) (7) (5) (4) (4) (4) (3) (3) (2) (1) (1)
eine Osteoporose. Bei diesen fanden sich bei 83 ( = 46%) eine oder mehrere Begleitdiagnosen mit negativer Auswirkung auf Kalziumstoffwechsel und Skelett [1]. In Tab. 1 sind insgesamt 123 „Begleitdiagnosen" bei diesen 83 Patienten aufgelistet. Die meisten dabei in Betracht kommenden pathogenetischen Bedingungen werden unter den jeweiligen Stichworten der sekundären Osteoporosen besprochen (vgl. Kap. 5). Im folgenden sollen speziell die pathophysiologischen Mechanismen besprochen werden, die bei der postmenopausalen (Typ I) und senilen (Typ II) Osteoporose eine Rolle spielen.
2.2 Postmenopausale Osteoporose Die Tatsache, daß die Osteoporose signifikant häufiger bei Frauen als bei Männern vorkommt und der signifikante Anstieg der Inzidenz postmenopausal legen eine ursächliche Beziehung zu den Sexualhormonen und deren Änderung mit dem Alter bei Frauen nahe (s. auch Kap. 4.3.1.1).
90
Pathophysiologic
2.2.1 Biochemische Veränderungen Die ovarielle Funktion nimmt bereits mehrere Jahre vor dem Ausbleiben der Regel, d. h. der definitiven Menopause, ab [2], In den perimenopausalen Jahren etablieren sich erhebliche Änderungen des Kalziumphosphatstoffwechsels und damit auch des Skelettmetabolismus [3]. Kalzium und Phosphatspiegel im Serum steigen innerhalb des Normbereiches leicht an und die Urinausscheidung beider Substanzen nimmt ebenfalls zu. Diese Veränderungen sind deutlicher nach Kastration (Ovarektomie), da der Östrogenabfall abrupter auftritt [4]. Weiterhin steigen die alkalische Serumphosphatase und die Hydroxyprolinausscheidung im Urin. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß diese Änderungen insgesamt diskret sind, so daß sie im Einzelfall kaum je diagnostische Rückschlüsse erlauben, in Gruppenuntersuchungen aber statistisch signifikant nachweisbar werden. Die genannten biochemischen Änderungen sind Ausdruck einer Umstellung in der Skelettremodelierung. AbbilPathogenese des beschleunigten postmenopausalen Knochenverlustes Östrogene J. —> Knochenresorption f —> Knochenformation | (weniger Formation als Resorption) —* Kalzium-Exkretion f Abb. 2
Der Östrogenmangel führt zu einem Ungleichgewicht in der Knochengewebsremodelierung mit Überwiegen der Resorption.
dung 2 verdeutlicht, daß durch den Abfall der Östrogene die Knochenresorption ansteigt. Die daran gekoppelte osteoblastäre Knochenformation steigt jedoch nicht gleichermaßen, so daß fortschreitend Knochenmasse verlorengeht und die Kalziumausscheidung im Urin ansteigt. Ein weiterer wichtiger pathophysiologischer Faktor ist die Abnahme der intestinalen Kalziumresorption perimenopausal [5], Die Abbildung 3 zeigt die heutige Auffassung über die Sequenz von hormonalen Umstellungen, die zu dieser relativen Kalziummalabsorption führen. Durch den erhöhten Skelettabbau kommt es zu dem bereits erwähnten leichten Anstieg des Serumkalziumspiegels. Dieser drosselt die Parathormonsekretion und damit auch die parathormonabhängige Synthese von 1,25-Dihydroxycholekalziferol ( = D-Hormon). Da die Hauptfunktion dieses letztgenannten Hormons, die Synthese-Induktion des kalziumbindenden Proteins im Dünndarmepithel, nachläßt, kommt es zu einer Verminderung der intestinalen Kalziumutilisation. Unklar ist noch der erste Schritt der Abbildung 3 zwischen Östrogenen und vermehrtem Knochenabbau
Postmenopausale Osteoporose
Abb. 3
91
Änderungen des Zusammenspiels der kalzitropen Hormone infolge des periund postmenopausalen Östrogenabfalls.
bzw. die Frage, wodurch Östrogene einen gewissen Schutz für das Skelett gegen Parathormon darstellen. Neuere in vitro-Daten weisen direkte Östrogenrezeptoren an Knochenzellen nach, ohne daß sicher belegt ist, ob diese in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Andererseits gibt es zahlreiche Untersuchungen, die nachwiesen, daß mit dem Abfall der Östrogene auch die endogene Kalzitoninsekretion der Schilddrüse nachläßt [6]. D. h., der eigentliche Schutzfaktor gegen den erhöhten Parathormoneffekt wäre das körpereigene Kalzitonin. Auch diese Auffassung ist jedoch wegen kontroverser Befunde noch nicht gesichert (vgl. 4.7.3.1). Interessant ist, daß bereits deutlich prämenopausal die Kalzitoninspiegel bei Frauen wesentlich niedriger sind als
Tabelle 2
Endogene Kalzitoninspiegel bei gesunden Männern und Frauen [nach 7]. Männer
Frauen
n
43
38
Mittl. Alter Kalzitonin pg/ml
58,8 47,9
53,6 17,6
92
Pathophysiologic
bei Männern, wie die Daten der Tab. 2 belegen [7], Aktuelle Untersuchungsergebnisse weisen darauf hin, daß Interleukin 1 (IL-1) bei den Effekten der Östrogene auf das Skelett beteiligt sein könnte [8]. IL-1 ist ein sehr potenter Stimulator der Knochenresorption. In einer in vitro-Untersuchung der IL-1Produktion von Blutmonozyten fanden sich bei Osteoporosepatienten signifikant höhere Werte als bei Kontrollen [9], Die IL-1-Aktivität der Einzelfalle korrelierte dabei mit den dynamischen Umbauparametern der quantitativen Beckenkamm-Histomorphometrie. In einer nicht-longitudinalen Studie wurde weiterhin ein eindeutiger perimenopausaler Anstieg in der IL-1-Produktion von Blutmonozyten gefunden. Schließlich wurde gezeigt, daß dieser Anstieg durch eine zyklische ÖstrogenGestagen-Behandlung sehr rasch wieder auf prämenopausale Werte bzw. auf postmenopausale Werte von Nicht-Osteoporotikern gesenkt werden kann [8], Sofern die an Blutmonozyten nachgewiesenen Veränderungen denen im Skelett entsprechen, könnte dies bedeuten, daß ein Östrogenmangel die Freisetzung von IL-1 aus Knochenmarksmonozyten begünstigt und damit eine erhöhte Knochenresorption eingeleitet wird. Eine Bestätigung der biologischen Relevanz dieser Befunde würde der Pathophysiologie der postmenopausalen Osteoporose eine ganz neue Richtung geben. Interessant ist, daß auch bei der infektions-assoziierten Osteoporose dem IL-1 als OsteoklastenStimulator eine wichtige Rolle zukommen soll (vgl. 5.6).
2.2.2 Auswirkungen auf die Knochendichte Während Transversalstudien des skelettalen Mineralgehalts bei gesunden Probanden eine beginnende Abnahme ab dem 35. Lebensjahr und weitgehend gleichbleibende Verlustraten zwischen 40 und 80 Jahren aufzeigen [10, 11], zeigen andere eine gewisse Akzeleration um die Menopause [3, 12]. D. h., ein postmenopausal beschleunigter Verlust ist in derartigen Studien nicht immer erkennbar. Als Erklärung hierfür kann angeführt werden, daß nur ein Teil der Frauen diesen beschleunigten Verlust hat und die Menopause zu verschiedenen Zeitpunkten auftritt. Bezieht man die postmenopausal gemessenen Werte nicht auf das Lebensalter, sondern auf den zeitlichen Abstand zur Menopause, so wird die postmenopausale Beschleunigung des Knochenverlustes besser erkennbar [12], In der einzigen prospektiven Longitudinalstudie an prä- und postmenopausalen Frauen wurde am Achsenskelett ein prämenopausaler Knochenmassenverlust, aber postmenopausal keine signifikante Abnahme gefunden [13], Nach Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Christiansen [14] ist die Messung der
Postmenopausale Osteoporose
93
Knochendichte am Unterarm der Messung an der Wirbelsäule überlegen, um einen postmenopausalen Knochenmassenverlust zu erfassen. In einer eleganten Vergleichsstudie an drei Gruppen von Frauen [15] wurde durch Messungen des Mineralgehaltes an vier verschiedenen Skelettstellen belegt, daß bei Frauen der Verlust an Knochenmasse mehr durch die Menopausedauer als durch das Alter bestimmt wird (Tab. 3). Im Vergleich zu einer Gruppe von perimenopausalen Frauen (Mineralgehalt an allen vier Meßorten 100%) zeigten gleichaltrige Frauen mit iatrogener Menopause etwa gleich starke Verluste an Knochensubstanz wie ältere Frauen mit natürlicher Menopause bei gleicher mittlerer Menopausezeit von 22 Jahren.
Tabelle 3
Mineralgehaltsbefunde an 4 Skelettregionen bei ovarektomierten und älteren postmenopausalen Frauen in Prozent zu jungen perimenopausalen Frauen [nach 15]. Perimenopausal
Ovarektomie
Postmenopausal
n
14
14
14
Mittl. Alter (J)
52
54
73
22
22
85 75 84 77
82 72 74 77
Mittl. Menopausedauer (J) Mineralgehalt (%) Mittl. Radius Oberschenkelhals OS intertrochantär Lenden-WS
0,3 100 100 100 100
Die wichtige Rolle der Östrogene für den Erhalt der Skelettsubstanz wird wieterhin dadurch belegt, daß auch durch vorzeitigen Östrogenverlust bei unterschiedlich ausgelösten sekundären Amenorrhoen es zu einem meßbaren Defizit an Knochenmasse kommt. Eine Untersuchung an Hochleistungssportlerinnen ergab, daß bei zwei statistisch vergleichbaren Gruppen diejenige mit sekundärer Amenorrhoe im Bereich der Lendenwirbelsäule deutlich verminderte Mineralgehaltswerte bot [16]. Der positive Effekt gesteigerter körperlicher Aktivität auf das Skelett wurde hier offenbar durch die negative Auswirkung eines Östrogenmangels übertroffen. Am Modell der ovarektomierten Frau wurde auch in weiteren Studien eindeutig der durch Östrogenmangel induzierte Knochenmassenverlust dokumentiert (u. a. [17]). Zahlreiche Studien zeigen erhebliche Verminderungen der Knochenmasse auch für die sekundäre Amenorrhoe bei Anorexia nervosa (vgl. 5.3.3).
94
Pathophysiologic
2.2.3 Risikofaktoren Obwohl alle Frauen früher oder später eine endokrine Ovarialinsuffizienz bekommen, entwickeln nicht alle eine klinisch manifeste Osteoporose. Der peri- und postmenopausale Östrogenmangel ist sicher ein entscheidender Faktor für die postmenopausale oder sich später etablierende Osteoporose, aber es müssen im Einzelfall andere Faktoren beteiligt sein. Diese Tatsache ist das Hauptargument für das sogenannte Risikofaktorenkonzept der Osteoporoseentstehung und dafür, die postmenopausale Osteoporose nicht als „reine" sekundäre Osteoporose durch Hypogonadismus zu klassifizieren. Eine wichtige Zusatzüberlegung ist in diesem Zusammenhang, daß die weibliche Skelettmasse nicht nur von Östrogenen, sondern auch von Androgenen beeinflußt wird. Relativ hohe Androgenspiegel gehen bei jüngeren Frauen mit einer hohen Knochenmasse einher [19]. Terminologisch könnten alle negativen Einwirkungen auf das Skelett im Rahmen der o. g. multifaktoriellen Genese der Osteoporose als Risikofaktoren bezeichnet werden. Es ist jedoch im internationalen Schrifttum üblich, bestimmte Faktoren, die im Einzelfall per se zur Osteoporose führen können, unter den sekundären Osteoporosen aufzuführen (vgl. 5.2) und andere Faktoren, die bei der Osteoporose Typ I oder Typ II immer wieder identifizierbar sind, als Risikofaktoren im engeren Sinne zu benennen [18]. Dabei gibt es jedoch erhebliche Überschneidungen und keine verbindlichen Abgrenzungen [20]. Die Tabellen von Risikofaktoren variieren daher von Autor zu Autor, und speziell die Gewichtung einzelner Faktoren ist extrem verschieden. Es ist wichtig, hervorzuheben, daß die Risikofaktoren der Osteoporose keineswegs so valide durch epidemiologische Daten oder Interventionsstudien gesichert sind, wie die Risikofaktoren der koronaren Herzkrankheit. Die Vielzahl der Einzeldaten aus der Literatur der letzten Jahre belegt jedoch zunehmend die Bedeutung der in Tabelle 4 aufgeführten Faktoren. In dieser Auflistung sind sechs Hauptfaktoren unterschieden (kursivgedruckte Begriffe), die durch weitere Faktoren erläutert oder ergänzt werden. Die Reihenfolge beinhaltet keine Gewichtung. Es ist offensichtlich, daß im Einzelfall je nach Intensität der eine oder andere Risikofaktor der Osteoporoseentstehung entscheidend sein kann. Die Schwierigkeit der exakten Erforschung der einzelnen Risikofaktoren liegt sicher auch in der sehr häufigen Koinzidenz mehrerer Faktoren, z. B. Schlankheit, Rauchen und Alkoholkonsum. Im folgenden wird teilweise auf die Ausführungen im Rahmen der verschiedenen sekundären Osteoporosen verwiesen. Ein sicher besonders wichtiger Risikofaktor für jegliche Osteoporoseform ist Bewegungsmangel [21], sei es durch mangelnde körperliche Aktivität bei Gesunden oder durch Immobilität im Rahmen von Erkrankungen (vgl. 5.7).
Postmenopausale Osteoporose Tabelle 4
95
Risikofaktoren für Osteoporoseentstehung.
Risikofaktoren 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Bewegungsmangel, sitzende Tätigkeit, kein Sport, Immobilität Kalziumarme Kost, Laktoseintoleranz, phosphat-, faserreich Genet. Disposition, positive Familienanamnese Östrogenmangel, frühe Menopause, sekundäre Amenorrhoe, Nullipara Schlanker Habitus, helle, dünne Haut; blond, graziler Skelettbau Starkes Rauchen, Alkohol, Koffein
Daß ein Mangel an dem wichtigen Skelettbaustein Kalzium ein Osteoporoserisiko beinhalten muß, ist auf den ersten Blick genauso selbstverständlich wie der Zusammenhang zwischen Eisenmangel und Anämie. Aber nicht alle Anämieformen sind Eisenmangelanämien, und nur wenige Osteoporosen dürften allein durch Kalziummangel hervorgerufen werden. Die Rolle des Kalziums als pathogenetischer Faktor der Osteoporose wird immer wieder kontrovers diskutiert. Nach der Mehrzahl der vorliegenden epidemiologischen Daten und Interventionsstudien ist jedoch die lebenslange optimale Kalziumversorgung mit geringerem Frakturrisiko im Alter verbunden [22] (vgl. 4.7.1.2). Phosphat-, protein- und faserreiche Kost reduzieren die enterale Kalziumresorption und sollten zumindest im Exzeß vermieden werden. Eine bei uns heute überwiegend übliche phosphatreiche und kalziumarme Diät (z. B. 1 600 mg Phosphat, 400 mg Kalzium pro Tag) führt bei jungen Erwachsenen zu einem Parathormon- und nachfolgendem 1,25-Dihydroxycholekalzeferolanstieg. Die weitere Folge ist eine erhöhte Skelettresorption [23], Speziell bezogen auf die Situation der frühen postmenopausalen Jahre mit beschleunigtem Knochenabbau liegt nach den bisherigen Ausführungen ein erhöhter renaler Kalziumverlust und eine Abnahme der intestinalen Kalziumresorption vor (vgl. Abb. 2, 3). Eine vermehrte Kalziumzufuhr von ca. 1 500 mg pro Tag wird daher meist in dieser Lebensphase empfohlen. Es ist jedoch in zahlreichen Studien gezeigt worden, daß Kalzium allein nicht ausreicht, bei Frauen mit beschleunigtem Knochenabbau (rapid loosers) diesen aufzuhalten (u. a. [24], vgl. 4.2.3.2). Als weiterer Risikofaktor wird heute eine gewisse genetische Disposition zur Osteoporose generell akzeptiert. Ergebnisse von Knochendichtemessungen an eineiigen und zweieiigen Zwillingen stützen diese Auffassung [25, 26, 27]. Dabei zeigen Studien mit Messungen an verschiedenen Skelettlokalisationen, daß der Wirbelsäulenmineralgehalt stärker genetisch determiniert ist als der Mineralgehalt am peripheren Skelett, wie z. B. Radius und Femur [28]. Die peak bone mass ist vermutlich besonders stark von der genetischen Vorgabe
96
Pathophysiologic
abhängig, wobei die Umgebungseinflüsse die tatsächlich erreichte Knochenmasse im Rahmen der vorgegebenen Spannbreite modifizieren. Neben den zitierten Zwillingsstudien wurde eine Erblichkeit des Osteoporoserisikos auch durch Knochendichtemessungen an Mutter-Töchter-Paaren nachgewiesen [29]. Im Gesamtkomplex des Faktors Östrogenmangel sind neben früher natürlicher Menopause, Ovarektomie und sekundärer Amenorrhoe auch die späte Menarche und Kinderlosigkeit (Nullipara) als Risikofaktoren einzustufen. Generell gesagt ist davon auszugehen, daß die Skelettmasse bei Frauen mit der Östrogen-Gesamtexpositionszeit im Laufe des Lebens korreliert. Eine längere Laktation kann dagegen zu einer Abnahme des Knochenmineralgehaltes führen, wie eine prospektive Studie über 16 Wochen zeigte [30]. Der fünfte Risikokomplex der Tabelle 4 beruht überwiegend auf klinischer Erfahrung und ist durch wenig exakte Daten belegt. Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Osteoporose und Osteoarthrose [31] zeigen jedoch eindeutig, daß Osteoporotikerinnen schlanker sind und weniger Muskelmasse und -kraft haben als Arthrotikerinnen. Letztere haben, offenbar genetisch bedingt, einen kräftigeren Skelettbau. Eine Koinzidenz zwischen schwerer Osteoarthrose und Osteoporose ist auffällig selten. Auch hier spielt vermutlich wieder der Androgenstatus der Frauen eine gewisse Rolle. Die größere Muskelmasse der Frauen mit Arthrose weist auf einen besseren anabolen Hormonstatus hin [32], Eine gewisse Adipositas in der Postmenopause schließlich schützt vor Osteoporose [33], da die Aromatase in den Adipozyten eine Konversion von Androgenen der Nebenniere zu Östrogen ermöglicht. In einer amerikanischen Studie an weißen und schwarzen Frauen erwies sich ein niedriges Körpergewicht bei beiden Rassen als eindeutiger Risikofaktor für proximale Femurfrakturen [34], Eine eher dünne Haut gilt in diesem Zusammenhang auch als Hinweis auf ein erhöhtes Osteoporoserisiko. Entsprechende Korrelationen wurden bereits in den frühen siebziger Jahren wiederholt nachgewiesen. Der Zusammenhang über den Hauptbaustein Kollagen von Haut und Skelett ist evident. Ob jedoch über eine Hautfaltendickenmessung die Osteoporose früher als über die Osteodensitometrie erkannt werden kann, ist u. E. eher zweifelhaft. Als letzter Punkt der Tabelle 4 sind Genußmittel wie Nikotin, Alkohol und Koffein als Risikofaktoren aufgeführt. Die Wertigkeit dieser Risikofaktoren wird sehr diskrepant diskutiert [35], Rauchen gilt schon lange als Osteoporoserisikofaktor [36]. Neuere Arbeiten zeigen einen möglichen Effekt auf den Östrogenmetabolismus. Bei Raucherinnen wird ein Stoffwechselweg induziert, der schneller zu inaktiven Östrogenmetaboliten führt [37], wodurch u. a. die Menopause früher eintritt [38]. Chronischer Alkoholkonsum bzw. -abusus führt nach einer Vielzahl von Studien zu ausgeprägten Knochensubstanzde-
Osteoporose Im Senium
97
fiziten (vgl. 5.9.1.6). Messungen von Osteokalzin bei Alkoholikern lassen einen direkten toxischen Effekt auf die Osteoblasten vermuten [39]. Daneben dürfte auch ein negativer Effekt auf die Sexualhormone bei Alkoholabusus bei beiden Geschlechtern eine Rolle spielen. Am wenigsten klar ist, ob Koffein als Risikofaktor genannt werden sollte. Der diuretische Effekt mit erhöhter Kalziurese könnte eine Rolle spielen.
2.3 Osteoporose im Senium Für die Typ II-Osteoporose gilt das gleiche Konzept einer multifaktoriellen Pathogenese und sich im Laufe des Lebens addierender oder, wenn möglich, auch potenzierender Risikofaktoren. Die zunehmende Inzidenz von senilen Osteoporosen bei Männern unterstützt dieses Konzept. Der Faktor Östrogenmangel bewirkt, daß die Frauen wesentlich früher eine Osteoporose bekommen, wohingegen nur ein Teil der Männer die Osteoporose erleben. Typ Iund Typ II-Osteoporose sind nicht scharf zu trennen. Frauen, die zwischen 50. und 70. Lebensjahr keine manifeste Osteoporose entwickelten, haben dennoch oft in dieser Phase erheblich an Knochensubstanz verloren, d. h. eine präklinische Osteoporose ausgeprägt. Bei über 70jährigen Frauen finden sich in 25%, bei über 80jährigen in 50% Wirbelfrakturen.
2.3.1 Beschleunigung des Knochenmassenverlustes Die Frage, ob sich der Knochenmassenverlust bei Personen im höheren Lebensalter beschleunigt, wie in Abbildung 1 angenommen, ist umstritten [40]. In den verschiedenen Studien zur Normalwerterstellung des Knochenmineralgehaltes an unterschiedlichen Skelettarealen ist eine derartige Akzeleration im Senium nicht erkennbar [10, 41, 42], Dies kann daran liegen, daß erstens meist sehr wenig hochbetagte „gesunde" Personen gemessen werden können, und zweitens, daß diese Personen eine positive Selektion von „Überlebenden" darstellen können. Eindeutig läßt sich diese Frage wohl nur mit sehr aufwendigen Longitudinalstudien darstellen, die bislang nicht vorliegen. In einer eigenen Untersuchung (cross-sectional study) an 180 Personen im Alter über 70 Jahren fanden wir eine signifikante Beschleunigung des jährlichen Knochenmassen Verlustes [43]. Unter Hinzuziehung bereits vorhandener Normalwerte bei jüngeren Personen [11] konnten wir daraus Verlustraten pro Dekade ab dem 30. Lebensjahr in Abbildung 4 darstellen [44], Es ist nach dem 80. Lebensjahr eine deutliche Beschleunigung besonders für das männ-
98
Pathophysiologie
MINERALGEHALTSVERLUST PRO DEKADE (RADIUS 1/3)
Abb. 4
Abnahme der Knochenmasse am Radiusschaft bei gesunden Frauen und Männern pro Dekade zwischen dem 30. und 100. Lebensjahr. Eine Beschleunigung erfolgt zwischen 30 und 50 und nach 80 Jahren, dazwischen relativ gleichbleibende Verlustraten [aus 44],
MINERALGEHALT
Abb. 5
Mittelwertskurven und Streubereiche der normalen Knochendichte am Radiusschaft bei 1 300 Probanden. Der beschleunigte Verlust im Senium ist bei Männern ausgeprägter als bei Frauen.
Osteoporose Im Senium
99
liehe Geschlecht erkennbar. Abbildung 5 zeigt insgesamt Mittelwertskurven und Streubereiche der altersabhängigen Änderung der Knochendichte am Radiusschaft, berechnet aus den Werten für 1 300 nach anamnestischen Kriterien skelettgesunde Probanden. Die beiden vertikal gestrichelten Linien lassen erkennen, daß zwischen dem 40. und 80. Lebensjahr beide Geschlechter praktisch gleichbleibende Verlustraten haben, allerdings beim weiblichen Geschlecht steiler abfallend. Etwa nach dem 80. Lebensjahr kommt es nach den Daten dieser Transversalstudie bei Frauen zu einer leichten und bei Männern zu einer deutlichen Akzeleration der Verlustraten.
2.3.2 Kalzium- und Skelettbilanz Die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen über die Änderungen der Skelettremodelierung im höheren Alter sind diskordant. Die Urinausscheidung des Gesamthydroxyprolin ( = Index für Knochenresorption) und der Serumspiegel des Osteokalzin ( = Index für Knochenformation) fallen in einigen Studien ab, in anderen steigen sie an [45]. Insgesamt gesehen ergibt sich jedoch aus den vorliegenden Daten zur Pathophysiologie der Typ II-Osteoporose, daß die zwei Hauptfaktoren eine Abnahme der Osteoblastenfunktion und eine verminderte renale Produktion von 1,25-Dihydroxycholekalziferol sind [46]. Abbildung 6 gibt eine Übersicht über die Mechanismen, die zur negativen Kalzium- und Skelettbilanz im höheren Lebensalter führen. Die Ursache der relativen Osteoblasteninsuffizienz im Alter ist unklar. Es ist jedoch naheliegend, hier generelle Mechanismen des Alterns anzunehmen, die ja auch andere mitotische Gewebe betreffen. Vermutlich kommt es zu einer progressiven Reduktion des verfügbaren Pools an Mesenchymzellen, aus dem sich die Osteoblasten rekrutieren. Zunehmend sind weniger und womöglich funktionseingeschränkte Osteoblasten verfügbar [45], Parallel mit der Abnahme der glomerulären Filtrationsrate im Alter nimmt die Aktivität des Schlüsselhormons des Vitamin D-Stoffwechsels, der 25-Hydroxy-l-alpha-Hydroxylase, in den Nieren ab. Die niedrigeren Spiegel an 1,25-Dihydroxycholekalziferol führen zu einer Reduktion der enteralen Kalziumresorption, zu einem leichten Abfall der Serumkalziumspiegel und einem milden sekundären Hyperparathyreoidismus (Abb. 6). Ein Abfall des ionisierten Kalziums und ein Anstieg des Parathormons mit zunehmendem Alter wurden in verschiedenen Studien gezeigt [47, 48, 49]. Als untergeordneter dritter Faktor entfällt eine gewisse Hemmung der Osteoklasten durch die im Alter progrediente Abnahme der Syntheseleistung der C-Zellen der Schilddrüse, d. h. dem Abfall an endogenem Kalzitonin (Abb. 6).
100
Pathophysiologic Altern
Mesenchymzellproliferation 4
1a-Hydroxylase 4-
A k t i v i t ä t der C-Zellen i
Ca-Resorption I
PTH t
K n o c h e n f o r m a t i o n •!•
Knochenresorption t
CT 1
Abb. 6 Pathogenetische Mechanismen der Typ II-Osteoporose (s. Text).
Die biochemischen Änderungen, über welche die körperliche Inaktivität im Alter zu gesteigerter Resorption bzw. nachlassender Formation von Knochengewebe führt, sind weitgehend unerforscht. Für die Wichtigkeit des Faktors Mobilität gibt es jedoch umfangreiche Evidenz aus verschiedenen Interventionsstudien im Alter (vgl. [50]). Die Kalziummalabsorption ist für einen Teil der alten Menschen durch eine Vitamin D-Unterversorgung bedingt [51]. Dies hängt jedoch sehr von den sozialen Einrichtungen in verschiedenen Ländern ab, sowie von geographischklimatischen Faktoren. Die meisten Studien über Vitamin D-Mangel im Alter und entsprechend gehäuftes Vorkommen von Mischbildern aus Osteoporose und Osteomalazie kommen aus Großbritannien [52], In einer Studie aus New York wurde an älteren Probanden weder eine Vitamin D-Unterversorgung noch eine Vitamin D-Malabsorption festgestellt. Die Serumspiegel an 25Hydroxycholekalziferol waren normal [53]. Die Verminderung der 1,25-Dihydroxycholekalziferolspiegel bei einem Teil der Fälle wurde auf eine renale Funktionseinbuße bezogen. In einer holländischen Interventionsstudie an 72 Altenheimbewohnern wurde gezeigt, daß bereits 400 IE Vitamin D 3 den Vitamin D-Status im Alter verbessern und die Parathormonspiegel um ca. 15% senken. Der gleichzeitige Abfall von Osteokalzin zeigt an, daß auch der Skelett-turnover leicht reduziert wird [54],
Osteoporose des Mannes
101
Zusammenfassend sei nochmals daran erinnert, daß neben den dargestellten speziellen Pathomechanismen im höheren Lebensalter die Pathogenese der Osteoporose einen kumulativen Prozeß aus allen Risikofaktoren im Laufe des Lebens eines Individuums darstellt.
2.4 Osteoporose des Mannes „Die Erörterung der Problematik der Osteoporose auf die Verhältnisse bei Frauen zu beschränken — wie das z. Z. vielfach geschieht — bedeutet eine Außerachtlassung fundamentaler Gegebenheiten. Der pathogenetische Ablauf einer Osteoporose ist bei Frauen und Männern der gleiche, lediglich die disponierenden Momente sind z. T. verschieden" [55]. Diese Aussage ist sicher zutreffend und auch u. E. wird die Häufigkeit der idiopathischen Osteoporosen bei jüngeren Männern und besonders die der Typ II-Osteoporose bei älteren Patienten häufig unterschätzt. Die spärlich vorhandene Literatur zum Thema Osteoporose beim männlichen Geschlecht entspricht jedoch dieser Unterschätzung. Da sekundäre Osteoporosen bei Frauen und Männern etwa gleich häufig sein dürften, ist entsprechend der insgesamt geringeren Osteoporosehäufigkeit bei Männern mit einem relativ hohen Anteil sekundärer Osteoporosen zu rechnen. Bei gründlicher Untersuchung von 94 Männern mit mindestens einer Wirbelfraktur boten 40 eine primäre-idiopathische und 54 ( = 57%) eine sekundäre Form [56] (vgl. 5.1). In einer anderen Studie an 105 Männern wurden 4 Risikofaktoren herausgestellt, die statistisch signifikant als Einzelfaktoren und kumulativ wirksam waren [57]. Das relative Osteoporoserisiko für Männer war demnach erhöht bei Zigarettenrauchern (relatives Risiko 2,3), Alkoholkonsum (relatives Risiko 2,4) und weiteren internistischen Erkrankungen (relatives Risiko 5,5). Adipositas war ein negativer Risikofaktor (relatives Risiko 0,3), d. h. war protektiv wirksam. Unter den assoziierten Erkrankungen, die im Vergleich zu Kontrollen signifikant gehäuft vorkamen, rangierten an den ersten drei Positionen: Exogene Hyperthyreose (n = 16), Hypogonadismus (n = 7) und Gastrektomie (n = 7). Nach dieser Studie müßte demnach bei Männern mit zunächst offenbar primärer Osteoporose besonders nach einer Therapie mit Schilddrüsenhormonen, nach einem möglicherweise unterschwelligem Hypogonadismus und nach früheren Magenoperationen gefahndet werden. Nach eigener Erfahrung und auch verschiedenen rezenten amerikanischen Studien sollte auch der Alkoholkonsum sorgfältig eruiert werden (vgl. 5.9.1.6).
102
Pathophysiologic
Abb. 7 Typischer Habitus eines 36jährigen Mannes mit schwerer idiopathischer Osteoporose (s. Text).
Es bleiben jedoch auch bei sorgfältigster stationärer internistischer und speziell endokrinologischer Abklärung von männlichen Osteoporosen Fälle übrig, bei denen sich nicht der geringste Hinweis auf die Genese der oft schweren Osteopathie ergibt. Dies betrifft besonders oft Männer in der 3. und 4. Lebensdekade, weniger ältere Männer mit Typ II-Osteoporose, bei denen doch dieser oder jener pathogenetische Faktor im Laufe des langen Lebens retrospektiv eine Rolle gespielt haben könnte. Abbildung 7 zeigt einen derartigen 36jährigen Mann. Deutlich ist die Hyperkyphosierung des Thorax, die Rumpfverkürzung und die Ausprägung schräger Hautfalten unterhalb der dorsalen Rippen zu erkennen. Anamnese und laborchemische Untersuchungen waren in diesem Fall völlig unauffällig. Die Knochenhistologie zeigte eine hochgradige Reduktion der volumetrischen Spongiosadichte bei reduziertem Knochenumbau. Der extreme Schweregrad dieser Osteoporose ist aus einer seitlichen Tomographie der Brustwirbelsäule dieses Mannes abzuschätzen (Abb. 8). Die Diagnose bei derartigen Fällen bleibt weiterhin idiopathische Osteoporose, obwohl es bislang noch nicht bekannte Pathomechanismen geben muß. Besonders unbefriedigend ist diese Diagnose bei jungen Männern mit progredientem und meist therapeutisch nicht beeinflußbarem Verlauf. In einer Fallsammlung von sechs besonders schwer betroffenen jungen Männern, die dem
Osteoporose des Mannes
103
Abb. 8 Ausschnitt aus einer seitlichen mittleren Schichtaufnahme der BWS des Patienten der Abbildung 7. Alle dargestellten Wirbelkörper sind abgeflacht und keilförmig deformiert. Betonung der Grund- und Deckplatten.
Autor aus der eigenen früheren Arbeitsgruppe alle bekannt sind, wurde auf Grund der Schwere der Verläufe von „maligner primärer Osteoporose" gesprochen [58, 59], Das Adjektiv maligne soll neben der schwer invalidisierenden Osteoporose auch die erhöhte Morbidität durch kardiovaskuläre Komplikationen bei Thoraxdeformität charakterisieren. Besonders zu achten ist bei derartigen Fällen aus eigener Erfahrung auf eine möglicherweise nicht bekannte, bis dahin abortiv verlaufende Form der Osteogenesis imperfekta. Diese Abgrenzung erfolgte in den genannten 6 Fällen ebenso wie der Ausschluß von Knochendysplasien oder Kollagenkrankheiten mit begleitender Osteoporose [58]. Ein spezieller pathogenetischer Aspekt, der bislang noch nicht diskutiert wurde und dessen Bedeutung noch unklar ist, klingt in einer anderen Mitteilung über männliche Osteoporosen an [60]. Es wurden die Kasuistiken von 5 Männern im Alter von 27 — 57 Jahren vorgestellt, die allerdings im Vergleich zum Schweregrad in der oben genannten Studie nur einzelne Wirbelfrakturen hatten. Als einheitliche Störung des Kalzium-Stoffwechsels boten diese 5 Patienten eine Hyperkalzurie und knochenhistologisch eine erhöhte Knochenresorption. Alle anderen biochemischen Parameter, einschließlich Vitamin D-Metabolite und Parathormon, fanden sich im Normbereich. Die
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Literatur
Ursache dieser „idiopathischen Hyperkalzurie" blieb unklar [60]. In einem zugehörigen Editorial wird spekuliert, ob durch eine zu hohe Aufnahme an organischen Säuren durch die Diät osteoklastäre Knochenresorption und Hyperkalzurie ausgelöst wurden. Der Organismus würde sich gegen systemische Azidose durch Knochenabbau und damit Schaffung von Pufferkapazität schützen [61]. Eine übermäßige Zufuhr organischer Säuren kann z. B. durch eine sehr proteinreiche Kost erfolgen. Eine proteinreiche Kost wurde als Risikofaktor der Osteoporose erwähnt. Durch verschiedene Studien ist belegt, daß eine proteinreiche Diät zu einer vermehrten Kalzurie führen kann [62].
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3
Klinik und Diagnostik
3.1 Verdachtsdiagnose Osteoporose J. D. Ringe
Der Verdacht auf das Vorliegen einer Osteoporose wird meistens aus einem Röntgenbefund der Wirbelsäule ausgesprochen. Eine seltenere Möglichkeit ist dabei, daß beim Röntgen anderer Organe die Wirbelsäule mitgeröntgt und dabei Verdacht auf Osteoporose geäußert wird oder auch an extravertebralen Skelettarealen die Strukturveränderungen an eine Osteoporose denken lassen. Die dritte Möglichkeit ist eine auffällige Häufung von Frakturen bei einer Person insbesondere dann, wenn jeweils relativ geringe traumatische Einwirkungen angegeben werden. Durch Röntgen der Wirbelsäule kann dieser Verdacht dann weiter erhärtet werden. Der vierte und häufigste Weg, der zum Verdacht Osteoporose führt, sind akute oder chronische Rückenschmerzen, die schließlich zur Röntgenuntersuchung der Wirbelsäule Anlaß geben. Röntgenuntersuchungen stehen mit Recht fast immer am Anfang der Osteoporose-Diagnose. Das Problem dabei ist, wie im Kap. „Definition und Einteilung der Osteoporose" (1.5) diskutiert, daß aus dem Röntgenbefund streng genommen nur die manifesten Osteoporosen mit eingetretenen Wirbelkörperdeformierungen diagnostiziert werden können, der Verdacht auf präklinische Osteoporose aber offen bleiben muß. Als fünfte Variante der Verdachtsdiagnose Osteoporose kommen in letzter Zeit zunehmend Frauen perioder kurz postmenopausal in Ambulanzen oder Sprechstunden, die auf Grund von Osteoporosefällen in der Familie und weitere persönlicher Risikofaktoren wissen wollen, ob sie eine Osteoporose haben oder ob diese ihnen in naher Zukunft droht. Diese Sorge wird oft durch geringgradige Rückenbeschwerden wechselnder Intensität verstärkt. Letztendlich sind somit Rückenbeschwerden, die ja per se ein sehr unspezifisches Symptom darstellen, das wichtigste Leitsymptom für die Osteoporose. An das Vorliegen einer Osteoporose muß bei allen akuten oder chronischen Rückenschmerzen gedacht werden, speziell natürlich bei postmenopausalen Frauen und älteren Personen beiderlei Geschlechts [1]*. * Literatur nach Kap. 3.2.
110
Klinik und Diagnose
3.1.1 Differentialdiagnose Rückenschmerz Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Beschwerden, die zum Arztbesuch führen. Wegen der dargelegten Unspezifität des Osteoporoseschmerzes muß bei jeder Schmerzsymptomatik im Rückenbereich bzw. offenbar vom Rücken ausgehenden radikulären Beschwerden die Osteoporose in die Differentialdiagnose miteinbezogen werden. Umgekehrt muß bei der Abklärung der Osteoporose stets auch die sehr breite Differentialdiagnose akuter und chronischer Rückenschmerzen gegenwärtig sein. Abbildung 1 gibt eine Übersicht über die wichtigsten extravertebralen und vertebragenen Erkrankungsgruppen in diesem Zusammenhang.
1.EXTRAVERTEBRAL
RÜCKENSCHMERZ
2.VERTEBRAGEN ENTZÜNDLICH" DEGENERATIV
< NEOPLASTISCH '
• MYELOGEN
METABOUSCHENDOKRIN
GENERALISIERTE OSTEOPATHIEN
/ ' \
OSTEOMALAZIEN
Abb. 1
OSTEOPOROSEN
OSTITIS FIBROSA
Übersicht über die pathogenetisch unterschiedlichen Erkrankungsgruppen, die bei der Differentialdiagnose akuter oder chronischer Rückenschmerzen zu berücksichtigen sind.
Beispiele zu diesen Gruppen sind in Tabelle 1 aufgelistet. Es wird deutlich, daß ein sehr breites Spektrum von internistischen, neurologischen, rheumatologischen und orthopädischen Grunderkrankungen mit dem Leitsymptom Rückenschmerz einhergehen können. In der Regel ist durch eine sorgfaltige
Verdachtsdiagnose Osteoporose
111
Tabelle 1 Auswahl wichtiger Erkrankungen in Zuordnung zu den pathogenetischen Erkrankungsgruppen der Abbildung 1. Differentialdiagnose akuter und chronischer Rückenschmerzen 1. Extravertebral 1.1. Viszeral: Koronare Herzkrankheit, Pleuritis, Pankreatitis, Cholelithiasis, Nephrolithiasis, Aortenaneurysma, retroperitoneale Prozesse 1.2. Neurogen: Intraspinale Prozesse, Neurinom, Herpes zoster 1.3. Myogen: Myositis, Myositis ossificans, Myopathien, Polymyalgia rheumatica 1.4. Psychosomatisch: Projezierte Schmerzsyndrome, depressive Verstimmung, „Fehlhaltung", Fehlstatik 2. Vertebragen 2.1. Entzündlich: Spondylitis, Discitis, seronegative Spondylarthritiden, Morbus Paget 2.2. Degenerativ: Osteochondrose, M. Scheuermann, Spondylolisthesis, Spondylarthrosen, Spondylosis deformans 2.3. Neoplastisch: 2.3.1. Benigne Knochentumoren (Hämangiom, Osteochondrom) 2.3.2. Maligne Knochentumoren (Osteosarkom, primäres Chondrosarkom, Chordom) 2.3.3. Osteolytische und osteoplastische Metastasen 2.4. Primär myelogen: Plasmozytom, Mastzellretikulose, maligne Lymphome, Leukämien 2.5. Metabol.-endokrin: 2.5.1. Ostitis fibrosa (primärer Hyperparathyreoidismus, sekundärer renaler Hpt., sek. intestinaler Hpt.) 2.5.2. Osteomalazien (Vitamin D-Mangel, Vit. D-Stoffwechselstörung, renal tubuläre Verlustsyndrome) 2.5.3. Osteoporosen (idiopathisch, postmenopausal, senil, sekundär)
Anamnese und körperliche Untersuchung eine gewisse differentialdiagnostische Einengung möglich [2, 3], Die tägliche Praxis zeigt jedoch, daß es — um ein Beispiel zu nennen — gelegentlich sehr schwierig sein kann, zwischen osteoporotisch oder degenerativ bedingten vertebragenen Schmerzen und einer koronaren Herzkrankheit sicher zu unterscheiden. Gelingt es, die Differentialdiagnose auf vertebragene Erkrankungen einzuengen, so sind als wichtigste Erkrankungsursachen dann entzündliche, degenerative, neoplastische (ossär oder myelogen) oder metabolisch-endokrine Störungen zu berücksichtigen (s. Abb. 1). Unter letzteren sind außer der durch verschiedene Überfunktionszustände der Nebenschilddrüsen bedingten Ostitis fibrosa und der Osteomalazie als wichtigste und häufigste Gruppe die Osteoporosen angeführt. Eine gewisse Hilfe bei der Differenzierung der vertebragenen Rükkenschmerzen stellt die Beobachtung dar, daß die beiden Hauptvertreter, die
112
Klinik und Diagnose
Osteoarthrose und die Osteoporose der Wirbelsäule, auffallig selten koinzidieren [4], Es handelt sich offenbar um sehr differente Entwicklungswege von Krankheit und Alterungsvorgängen an der Wirbelsäule, wobei genetische Faktoren eine Rolle spielen dürften.
3.1.2 Akuter und chronischer Osteoporoseschmerz Eine genaue Schmerzanalyse bringt für die differentialdiagnostische Osteoporoseabklärung relativ wenig Verwertbares. Dennoch sollten Beschwerden und Schmerzen möglichst genau erfaßt werden, da sie einen wichtigen Therapiekontrollparameter darstellen. FRAKTUREN / WIRBELKÖRPERDEFORMIERUNGEN ZUSAMMENSINTERUNG
HABITUSVERÄNDERUNG
/ DISKONGRUENZ DER KLEINEN WIRBELGELENKE
\ MUSKELVORSPANNUNG VERÄNDERT
GELENKKAPSELDEHNUNG
MUSKELZUGRICHTUNG VERÄNDERT
FEHLBELASTUNG VON SEHNEN UND BÄNDERN
HARTSPANN, MYOGELOSEN
\ |
Abb. 2
1 RUNDRÜCKEN
i
/ CHRON. OSTEOPOROSESCHMERZ
|
Pathomechanismen des chronischen Osteoporoseschmerzes. In der Regel handelt es sich nicht um einen primär ossären, sondern um einen „Weichteilschmerz".
Der akute Osteoporoseschmerz ist uncharakteristisch, so daß aus der subjektiven Darstellung der Schmerzempfindung, aus Schmerzlokalisation und Schmerzausstrahlung in der Regel keine Rückschlüsse gezogen werden können. Dies gilt im Prinzip auch für die überwiegend bei der Osteoporose anzutreffenden chronischen Schmerzen [5]. Nach der Darstellung der wichtigsten Entstehungsmechanismen dieses Schmerzsyndroms (Abb. 2) handelt es sich nicht um einen primär ossären, sondern überwiegend um einen „Weichteilschmerz". Frakturen bzw. Sinterungen von Wirbelkörpern führen zu progredienten Wirbelsäulenverformungen, die einerseits über die Fehlbelastung von Wirbelgelenken, Gelenkkapseln, Sehnen und Bändern, andererseits über die muskuläre Fehl- bzw. Überbelastung die chronischen Beschwerden verursachen. Hinzu kommen im Einzelfall radikulär ausstrahlende oder projizierte Schmerzen bei der Irritation von Nervenwurzeln, die sich z. B. als
Verdachtsdiagnose Osteoporose
113
Interkostalneuralgie oder Ischialgie manifestieren. Der akute Osteoporoseschmerz wird gelegentlich recht typisch geschildert, ist aber differentialdiagnostisch, wie erwähnt, kaum verwertbar. Eine häufige Schilderung lautet etwa: „Ich beugte mich über den Kofferraum meines Autos, und als ich den Koffer anhob, gab es einen Knacks und einen stoßartigen Schmerz im Rücken ...". Häufig wird hinzugefügt, der Knacks sei deutlich hörbar gewesen; man habe durch den wahnsinnigen Schmerz mehrere Sekunden nicht Luft holen können. Akute Wirbeleinbrüche kommen gehäuft beim Heben schwerer Gegenstände in vorgebeugter Körperhaltung vor, können aber bei hochgradiger Verminderung der Knochenmasse in jeder Körperhaltung spontan auftreten (vgl. 1.6.3.2). Der chronische Osteoporoseschmerz kann den Rücken diffus oder lokalisiert betreffen. Oft ist er nach nächtlicher Bettruhe oder Liegephasen am Tage geringer und nimmt im Tagesverlauf unter Belastungen zu. Ein Teil der Patienten klagt jedoch auch über ausgesprochene nächtliche Schmerzen. Denkbar ist, daß nachts durch unkontrollierte Bewegungen im Schlaf oder Traum akut einschießende Schmerzen ausgelöst werden. Gelegentlich wird als besonderes Symptom ein Gefühl der Schwäche im Rücken angegeben (meist im BWS-LWS-Übergang), mit der subjektiven Angst, die Wirbelsäule könne jeden Augenblick durchbrechen. Schmerzen am Extremitätenskelett sind bei der Osteoporose zahlenmäßig von untergeordneter Bedeutung und treten lediglich lokalisiert bei entsprechenden Frakturen auf [6]. Dies ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur Osteomalazie, bei der diffuse Schmerzen, besonders der gewichtstragenden unteren Extremitäten, die Regel sind [7].
3.1.3 Präklinische Osteoporose Mit der zunehmenden Bekanntheit der Osteoporose hat auch die Sorge, von dieser chronisch-schmerzhaften und deformierenden Erkrankung im späteren Leben betroffen zu sein, erheblich zugenommen. Dies ist einerseits positiv zu werten, da über die Erkennung von Risikofaktoren oder Frühformen die Chancen der Prävention wachsen. Andererseits wächst die Gefahr, daß Personen falschlich mit dem Begriff Osteoporose etikettiert werden. Die Zahl derartiger Patienten, die glauben, an einer Osteoporose erkrankt zu sein und an dieser „Gewißheit" leiden, hat in den letzten Jahren zugenommen. Es ist oft sehr schwer, einem Patienten diese Diagnose wieder auszureden und die unspezifischen gelegentlichen Rückenbeschwerden durch degenerative Wirbelsäulenveränderungen zu erklären. Daneben besteht die größere Gefahr,
114
Klinik und Diagnose
daß Personen ohne gegebene Indikation langfristig therapiert werden. So kann z. B. eine Fluortherapie bei einer knochengesunden Person viel früher zu einer Fluorose führen als bei einer ausgeprägten Osteoporose. Der Verdacht auf präklinische Osteoporose kann bei Vorliegen mehrerer Osteoporose-Risikofaktoren ausgesprochen werden. Tabelle 2 zeigt die u. E. wichtigsten Risikofaktoren bzw. den Hauptrisikofaktoren zugeordnete Begleitfaktoren [8, 9]. Die Bedeutung dieser Risikofaktoren ist bislang größtenteils nur empirisch abgeleitet, und ihre Wertigkeit oder Gewichtung wird größtenteils kontrovers diskutiert [10, 11], Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf das Kap. „Postmenopausale Osteoporose" verwiesen (vgl. 2.2). Tabelle 2
Hauptrisikofaktoren und untergeordnete Begleitfaktoren der Osteoporose. Die Aspekte unter Punkt 4 und 5 gelten nur für Frauen, die übrigen für beide Geschlechter.
Risikofaktoren 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Bewegungsmangel, sitzende Tätigkeit, kein Sport, Immobilität Kalziumarme Kost, Laktoseintoleranz, phosphat-, faserreich Genet. Disposition, positive Familienanamnese Östrogenmangel, frühe Menopause, sekundäre Amenorrhoe, Nullipara Schlanker Habitus, helle, dünne Haut; blond, graziler Skelettbau Starkes Rauchen, Alkohol, Koffein
Rückenbeschwerden und Röntgenbild der Wirbelsäule können weder zum Verdacht noch zur Diagnosesicherung der präklinischen Osteoporose beitragen. Die histologische Untersuchung der Beckenkammspongiosa mit quantitativer Auswertung ist auch bei optimaler Technik nicht geeignet, relativ geringe Spongiosaverminderungen aufzudecken [12], da die Streuung des Normalen und intraindividuelle Schwankungen je nach Entnahmestelle zu groß sind (vgl. 3.5). Große Hoffnung wird in diesem Zusammenhang in die künftige Laborchemie gesetzt. Bisher gibt es jedoch keinen idealen biochemischen Marker, der für einen Einzelfall verläßlich einen beschleunigten Knochenabbau und damit eine negative Skelettbilanz anzeigt (vgl. 3.2.3.2). Definiert man die präklinische Osteoporose als signifikante Verminderung des Knochenmineralgehaltes (z. B. unter dem doppelten Streubereich der peak bone mass für den entsprechenden Meßort und das jeweilige Geschlecht) mit erhöhter Frakturgefahrdung, so wird klar, daß nur durch entsprechende nichtinvasive Messungen des Knochenmineralgehaltes diese Diagnose gestellt werden kann [12 — 16], Berücksichtigt man die im zeitlichen Ablauf oft unterschiedliche Manifestation der Osteoporose am spongiösen und kortikalen
Verdachtsdiagnose Osteoporose
115
Knochengewebe und die unterschiedlichen Fehlermöglichkeiten der einzelnen Methoden (vgl. 3.4), so wird klar, daß die Sicherheit der Aussage mit der Zahl der Meßorte wächst [17, 18]. Optimal ist u. E. eine Messung an der Lendenwirbelsäule, eine am proximalen Femur und eine am distalen Radius. Tabelle 3 stellt noch einmal zusammenfassend die verschiedenen Momente der Verdachtsdiagnose präklinischer Osteoporose und die limitierten Möglichkeiten der Diagnosesicherung gegenüber.
Tabelle 3
Übersicht zur Diagnostik der präklinischen Osteoporose. Die in Klammern gesetzten Befunde bzw. Methoden haben kaum diagnostische Relevanz.
Rationelle Diagnostik der Osteoporose:
Präklinische Osteoporose
Verdach tsdiagnose
Diagnoseabsicherung
und
Diff.-Diagnose
• Risikofaktoren: u. a. Postmenopause, Familienanamnese, schlanker Habitus, kalziumarme Diät, Kortikoidtherapie • (Rückenbeschwerden) • (Röntgenbefund)
• Nachweis verminderter Knochenmasse mit nicht-invasiver Meßmethode an verschiedenen Skelettregionen • (Röntgenbefund) • (Knochenhistologie) • (Laborchemie)
3.1.4 Manifeste Osteoporose Wird bei einem Patienten mit Rückenbeschwerden im Röntgenbild der Einbruch eines oder mehrerer Wirbel nachgewiesen, so ist der Verdacht auf das Vorliegen einer Osteoporose gerechtfertigt. Dies um so mehr, wenn es sich um eine Frau in der Postmenopause handelt und wenn anamnestische Risikofaktoren für eine Osteoporose zu eruieren sind. Bei dieser Situation geht es jetzt weniger um den Nachweis der verminderten Knochenmasse, denn diese ist durch die mechanische Inkompetenz des Knochengewebes — d. h. durch die Fraktur — indirekt dokumentiert. Dies bedeutet insbesondere, daß eine direkte Messung des Knochenmineralgehaltes für die Sicherung der Diagnose von untergeordneter Bedeutung ist. Dies sei besonders betont, da die Bedeutung der nicht-invasiven Messung des Knochenmineralgehaltes mit einer der heute zunehmend verfügbaren Methoden oft falsch eingeschätzt wird. Wichtiger ist die differentialdiagnostische Absicherung der Diagnose Osteoporose. Diese Diagnoseabsicherung beinhaltet den Ausschluß anderer Osteopathien und die Differenzierung primärer oder sekundärer Osteoporose [19, 20]. Für diese Differentialdiagnose sind eine sorgfaltige Anamnese und körperliche Untersuchung meist richtungweisend [1], Das Röntgenbild kann
116
Klinik und Diagnose
nur in Einzelfällen einen differentialdiagnostischen Hinweis geben. Wichtiger ist die Laborchemie. Sicherste Möglichkeit der Differenzierung zwischen verschiedenen metabolischen Osteopathien ist die knochenhistologische Untersuchung (vgl. 3.5). Bei jüngeren Personen und speziell bei Männern muß diese Differentialdiagnose wesentlich gründlicher erfolgen als bei älteren Frauen, bei denen die Osteoporose statistisch gesehen die häufigste Ursache von Wirbeleinbrüchen darstellt. Tabelle 4 stellt zusammenfassend die verschiedenen Aspekte vor, die zum Verdacht auf manifeste Osteoporose führen, sowie die Möglichkeiten der diagnostischen Absicherung. Ist das Vorliegen einer primären Osteoporose sehr naheliegend, genügt ein diagnostisches Minimalprogramm. Bestehen oder ergeben sich Verdachtsmomente auf eine andere Osteopathie oder eine bestimmte Grundkrankheit, ist das diagnostische Programm zu erweitern. Was Minimalprogramm und erweitertes Programm im Einzelfall beinhalten, wird in den nachfolgenden Ausführungen zur Diagnostik dargestellt (vgl. 3.2). Tabelle 4
Übersicht zur Diagnostik der manifesten Osteoporose. Anwendung von diagnostischem Minimalprogramm oder erweitertem Programm richtet sich nach Alter, Geschlecht und den Ergebnissen von Anamnese und Befund (der Inhalt dieses Programmes wird unter 3.2 aufgeschlüsselt).
Rationelle Diagnostik der Osteoporose:
Manifeste Osteoporose
Verdachtsdiagnose
Diagnoseabsicherung
• Akute oder chron. Rückenschmerzen • Röntgen WS • Gehäufte Frakturen • Weibl. Geschlecht, höheres Alter, Risikofaktoren
• • • •
und
Diff.-Diagnose
Sorgfaltige Anamnese Körperl. Untersuchung Minimalprogramm Erweitertes Programm je nach individueller Befundkonstellation
3.1.5 Orientierende Erstuntersuchungen Zur richtigen Einordnung der akuten oder chronischen Rückenschmerzen sind in der Regel eine erste orientierende Anamnese und körperliche Untersuchung sowie Röntgenaufnahme der Brust- und Lendenwirbelsäule ausreichend. Hierdurch lassen sich meist extravertebrale Ursachen der Beschwerden (vgl. Tab. 1) ausklammern. Handelt es sich um vertebragene Schmerzen, sind oft bereits aus dem Röntgenbild eine degenerative, neoplastische oder ent-
Verdachtsdiagnose Osteoporose KLINIK
RÖNTGEN - WS
BESCHWERDEN; -
KALKSALZMINDERUNG:
Kreuzschmerzen
- chron.
-
Rückenschm.
- paravert.
Rahmenstruktur
- vertikale Streifung
Myogelosen
- B a l l o n i e r t e ZWR WK - DEFORMIERUNG:
HABITUS: -
Rundrücken
-
Deckplatteneinbrüche
-
Rumpfstauchung
-
Grundplatteneinbrüche
- Keilwirbel
- Quere Hautfalten
- Fischwirbel
- .Abdomenvorwölbung FRAKTUREN: - Rippen, -
117
- Platt wirbel
Radius
Oberschenkelhals
\
/
VERDACHT AUF O S T E O P O R O S E
t
LABORCHEMIE normal: BSG, BB,
E'phorese,
K r e a t . , C a , P, A l k .
Phosph.
Abb. 3 Klinische, röntgenologische und laborchemische Befunde, die zur Verdachtsdiagnose Osteoporose berechtigen.
zündliche Genese erkennbar (vgl. Abb. 1). Findet sich als Korrelat der Rükkenschmerzen dagegen das fragliche Symptom „Kalksalzminderung" im Röntgenbild (Abb. 3), geht es um den bereits dargelegten Verdacht auf präklinische Osteoporose. Sind neben den Rückenbeschwerden bei meist schon länger dauernder Anamnese bereits Veränderungen der Statur mit Größenabnahme und Rundrücken eingetreten, so zeigt das Röntgenbild entsprechend signifikante Wirbelkörperdeformierungen (Abb. 3). Jetzt geht es also um die Ausschlußdiagnostik anderer metabolischer Osteopathien bzw. sekundärer Osteoporosen. Die dargestellten Habitusveränderungen werden oft als pathognomisch für die Osteoporose angesehen. Dies ist eine weit verbreitete Fehleinschätzung. Die Angaben und Befunde der Abbildung 3 sowie die schematisch wiedergegebenen Änderungen der Körperstatur in Abbildung 4 können auch durch andere generalisierte Osteopathien hervorgerufen werden [21]. Besteht wenig Zweifel an einer primären Osteoporose (Typ I oder Typ II), so reicht in der
118
Klinik und Diagnose A l t e r (Jahre)
Abb. 4
65
75
Schematische Darstellung der Wirbelkörper- und Wirbelsäulenverformung, Größenabnahme und Änderungen der Körpersilhouette bei progredienter Osteoporose.
Regel das kleine Programm von Blutuntersuchungen aus, das in Abbildung 3 unten aufgeführt ist. Finden sich bei diesen Parametern keine signifikanten Normabweichungen, so ist die auf Klinik und Röntgenbefund basierende Verdachtsdiagnose Osteoporose als weitgehend gesichert anzusehen [19].
3.2 Diagnoseabsicherung und Differentialdiagnose J. D. Ringe
Liegt nach den vorangehend dargestellten, orientierenden Untersuchungen der Verdacht auf eine manifeste Osteoporose vor, so sind folgende Punkte abzuklären [1]: 1. Sind andere generalisierte metabolisch-endokrine Osteopathien auszuschließen? 2. Liegt eine primäre oder sekundäre Osteoporose vor? 3. Kann eine maligne Grunderkrankung ausgeschlossen werden? 4. Wie ist der Schweregrad der vorliegenden Osteoporose? 5. Wie ist der Aktivitätsgrad der Osteoporose zu beurteilen? Die diagnostischen Möglichkeiten zur Abklärung dieser Fragen beinhalten zunächst eine nochmalige ausführliche und gezielte Anamnese sowie körperliche Untersuchung. Das Ausmaß weiterer laborchemischer Untersuchungen sowie der Einsatz radiologischer und ggf. histologischer Untersuchungstechniken richtet sich, wie dargestellt, nach dem Einzelfall. Dabei werden in praxi die 5 Fragestellungen nicht der Reihe nach abgehandelt, sondern müssen vielmehr in einem kombinierten diagnostischen Programm unter Berücksichtigung von Aufwand und zu erwartenden Resultaten stufenweise aufbauend beantwortet werden.
3.2.1 Anamnese Eine sehr gründliche Anamnese ist extrem wichtig und meistens bereits richtungsweisend. Zunächst werden die früheren und aktuellen Beschwerden möglichst genau charakterisiert. Wichtig ist dabei auch die Erfassung von Intensität, Lokalisation und zeitlichem Verlauf, wie in Tabelle 5 aufgeführt. Unter Beschwerden sind hier auch Aspekte der Sozialanamnese, wie Hilfeund Pflegebedürftigkeit aufgelistet. Weitere wichtige Punkte sind: Frakturen, Änderungen der Körperstatur, Familienanamnese und mögliche Risikofaktoren, die zu einer Osteoporose beitragen können (Tab. 5). Für die differentialdiagnostische Abklärung der Osteoporose muß die mögliche Symptomatologie der anderen metabolischen Osteopathien, d. h. vor allem die der
120
Klinik und Diagnose
Tabelle 5 Hauptaspekte, die bei der Anamneseerhebung bei Verdacht auf manifeste Osteoporose erfragt werden sollten. Unter den Punkten 6 und 7 ist nur eine Auswahl häufiger Erkrankungen bzw. Symptome aufgelistet. Anamnese 1. Beschwerden Art, Intensität, Dauer, Lokalisation von Rückenbeschwerden; zeitlicher Verlauf, aktueller Stand; Bewegungseinschränkung, Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit; extravertebrale Schmerzlokalisationen 2. Frakturen Wirbelfrakturen; Rippen-, Radius-, Oberschenkelfrakturen; TEP-Versorgung; sonstige Frakturen; jeweils adäquates oder inadäquates Trauma 3. Körperstatur Größenabnahme, Deformitäten, zeitlicher Verlauf 4. Familie Gehäufte Frakturen oder Rundrücken im Alter bei direkten Verwandten 5. Risikofaktoren Körperliche Aktivität, Sport, längerfristige Immobilisation; Diät: Milch und Milchprodukte, Protein, Phosphat, Ballaststoffe; Alkohol, Nikotin, Koffein; Menarche, Menopause, Graviditäten; sekundäre Amenorrhoe, Overektomie 6. Bekannte Vorerkrankungen u. a. Nephrolithiasis, Niereninsuffizienz; Magen-Darm-Operationen, Sprue, chronische Pankreatitis, M. Crohn, Leberzirrhose; Hyperthyreose, M. Cushing, Diabetes mellitus; Karzinom 7. Hinweise auf okkulte Grunderkrankungen u. a. Polyurie, chronische Diarrhoe (Stuhlhäufigkeit und -konsistenz); Gewichtsverhalten, schlechtes Allgemeinbefinden; Tachykardien, Schwitzen; bei Männern Impotenz, bei Frauen Regelanamnese 8. Therapeutika Kortikoide, Heparin, Antazida, Schilddrüsenhormone
verschiedenen Formen von Osteomalazien und die des primären sowie sekundären (renalen und intestinalen) Hyperparathyreoidismus, gegenwärtig sein. Daneben sind alle anamnestischen Aspekte zu berücksichtigen, die für eine der in Tabelle 5 (1.4.4) aufgeführten Grunderkrankungen sekundärer Osteoporosen sprechen könnten. Es kann direkt nach bekannten Vorerkrankungen gefragt werden. Es muß aber auch nach Symptomen gefahndet werden, die auf eine bislang möglicherweise nicht bekannte Nieren- oder Magen-DarmErkrankung, Endokrinopathie oder ein Malignom hinweisen. Die Auflistung in der Tabelle 5 erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Letztendlich kann im Einzelfall das ganze internistische Repertoire vonnöten sein.
Diagnoseabsicherung und Differentialdiagnose
121
3.2.2 Körperliche Untersuchung Die körperliche Untersuchung bei bestehendem Verdacht auf Osteoporose ergänzt die soeben dargestellte Anamnese. Größenabnahme und Änderungen der Wirbelsäulenkrümmungen und des gesamten Habitus werden objektiviert (Tab. 6). Bei fehlenden Angaben zur früheren Körpergröße kann aus einer aktuellen Differenz zwischen Armspannweite und Scheitel-Sohlenabstand auf einen Größenverlust geschlossen werden. Bei proportioniertem Habitus sind Körpergröße und Armspannweite identisch. Die äußerlich sichtbaren Veränderungen der Körperstatur sowie das typische Auftreten von Hautfalten durch Rumpfverkürzung sind in Abbildung 5 schematisch dargestellt [22], Eine Illustration der Skelettveränderungen, die zu diesen Änderungen der Körperstatur und des Integumentes führen, gab bereits Abbildung 4. Wichtig ist es, sich über den generellen Gesundheitszustand im Hinblick auf z. B. ein Malabsorptionssyndrom oder eine maligne Erkrankung klar zu werden und auch gezielt nach typischen Symptomen möglicher Grunderkrankungen zu suchen. Die Tabelle 6 kann wie die Tabelle 5 hier keine vollständige Auflistung bieten.
Tabelle 6
Hauptaspekte, die bei der Untersuchung von Patienten mit Osteoporoseverdacht beachtet werden müssen.
Körperliche Untersuchung 1. Anthropometrische Parameter Größe, Gewicht, Armspannweite, Hautfaltendicke, Abschätzung von Fett- und Muskelmasse 2. Rückenbefund Rundrücken, Rumpfverkürzung (Rumpfstauchung), Gibbus, Klopfschmerzhaftigkeit, paravertebrale Myogelosen, schräge Hautfalten beiderseits der Wirbelsäule („Tannenbaumphänomen") 3. Übriger Habitus Quere Hautfalten an Abdomen und Flankenregion, Kopfvorneigung, Abdomenvorwölbung, scheinbare Überlänge der Arme, verkürzter Abstand zwischen Xiphoid und Symphyse, Berühung des Beckenkamms durch Rippenbogen 4. Gesundheitszustand Allgemeinzustand, Kräfte- und Ernährungszustand, Haut, Exsiccose, Ödeme, Kachexie 5. Spezielle Krankheitszeichen Hinweise auf renale, gastrointestinale, endokrine oder maligne Erkrankungen; sekundäre Geschlechtsmerkmale
122
Klinik und Diagnose
Abb. 5 „Die Wandlung zum Habitus der calcipenischen Osteopathie" (nach Barthelheimer [22]). Darstellung der Ausprägung typischer Hautfalten infolge Rumpfverkürzung. Das Bild von dorsal wurde auch als „Tannenbaumphänomen" angesprochen.
Abb. 6
Diagnostisch wegweisender Inspektionsbefund der Oberschenkelhaut bei einer 47jährigen Patientin mit Osteoporose. Es fand sich als Ursache eine generalisierte Mastozytose mit dem dermatologischen Bild der Urtikaria pigmentosa.
Im Einzelfall können zunächst unbedeutend erscheinende Aspekte später diagnostisch relevant werden. Als Beispiel seien die bräunlichen, kleinen Hautflecken der Abbildung 6 aufgeführt: Die 47jährige Patientin mit heftigen Rückenschmerzen und ungeklärter prämenopausaler Osteoporose gab auf Befragung an, daß anfallsweise an der Haut auch kleine Quaddeln auftreten. Die Hautbiopsie ergab eine typische Urtikaria pigmentosa. Das Sternalmark bewies eine generalisierte Mastozytose, eine seltene Ursache für sekundäre Osteoporosen [23 — 25].
Diagnoseabsicherung und Differentialdiagnose
123
In einem anderen Fall, bei einem männlichen Patienten mit Osteoporoseverdacht, fanden wir bei der Inspektion einen großen, dunklen Pigmentfleck am Rücken, der sich als malignes Melanom erwies und durch bereits eingetretene Metastasierung Ursache der als Osteoporose angesprochenen Wirbeleinbrüche war.
3.2.3 Laborchemische Untersuchungen Wie bereits erwähnt, finden sich bei der Osteoporose typischerweise unauffällige Befunde im Blut und Urin. Die Bedeutung der laborchemischen Untersuchungen liegt somit vor allem in der Differentialdiagnose. Tabelle 7 zeigt die typischen laborchemischen Befundkonstellationen der wichtigsten generalisierten, metabolischen bzw. endokrinen Osteopathien [21]. Bei der Osteoporose sind die aufgeführten Serum- und Urinparameter in der Regel alle im Normbereich. Bei wenigen Ausnahmen ist die alkalische Phosphatase gering erhöht als Ausdruck reparativer Osteoblastentätigkeit nach frischen Frakturen oder aber durch eine Osteoblastenstimulation bei bereits eingeleiteter Fluoridtherapie. Die Kalziumausscheidung im Urin ist bei einem kleinen Teil der Fälle phasenweise leicht erhöht, meist jedoch normal. Die Osteomalazie und die verschiedenen Überfunktionszustände der Nebenschilddrüsen [26]
Tabelle 7
Typische laborchemische Befundkonstellationen bei Osteoporose und anderen metabolisch-endokrinen Osteopathien (HPT = Hyperparathyreoidismus, —» = im Normbereich, J. = erniedrigt, f = erhöht).
Differentialdiagnose
SERUM: — Calcium
Osteoporose
-
Laborchemie
— Phosphor — alkalische Phosphatase
Osteomalazie
-.(t)
— Parathormon URIN: — Calcium
-.(t)
— Phosphor
-
— Hydroxyprolin
-
Ostitis fibrosa generalisata primärer HPT
sekund àrer HPT intestinal renal
ir*
t
ir*
ir*
ir*
t
t
t,-
t
t
t.-
t
t
t
ir*
t,-
- *
t
—V
t
-
ir*
-
t
-
124
Klinik und Diagnose
führen dagegen stets zu deutlichen im Serum oder Urin ablesbaren Veränderungen des Kalziumphosphatstoffwechsels (Tab. 7). Bei der Osteomalazie kommen dabei sehr unterschiedliche Laborkonstellationen des Kalziumphosphatstoffwechsels je nach zugrundeliegender Störung vor. Lediglich die alkalische Phosphatase ist bei allen Fällen deutlich erhöht. Hier sei auf die vielfältigen ätiologischen Möglichkeiten der Osteomalazien verwiesen [7]. Kalzium und Vitamin D-Mangel bei intestinaler Malabsorption zeigen so z. B. als typische Laborwerte eine Hypokalzurie und Hypokalzämie bei erhöhtem Parathormon, während bei der Osteomalazie durch Phosphatdiabetes die permanente Hypophosphatämie das wichtigste Leitsymptom ist. Bezüglich der laborchemischen Differentialdiagnose der verschiedenen Formen der Ostitis fibrosa generalisata, dem knochenhistologischen Korrelat einer erhöhten Parathormoneinwirkung auf das Skelett, sei ebenfalls auf den entsprechenden Handbuchartikel verwiesen [26]. 3.2.3.1
Screening
Kombiniert mit der Ausschlußdiagnostik anderer metabolischer Osteopathien sollte bereits, um nicht Zeit zu verlieren, nach möglichen Ursachen der Osteoporose gefahndet werden. Ein routinemäßiges großes Laborscreeningprogramm ist nicht zu empfehlen, da die Trefferquote zu gering ist. Als Minimalkontrollen (s. o.) sollten im Serum Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit, Blutbild, Eiweißelektrophorese, Kreatinin, Kalzium, Phosphor und alkalische Phosphatase untersucht werden (vgl. Abb. 3). Zusätzlich können bestimmt werden im 24-Stunden-Urin Kalzium, Phosphat und Kreatinin sowie im Serum die y-GT, um eventuelle Erhöhungen der alkalischen Phosphatase als hepatogen oder ossär einordnen zu können. Dies sind Parameter, die heute in den meisten Kliniken ohnehin routinemäßig bestimmt werden. Statt der Kalziumbestimmung im 24-Stunden-Urin können auch Kalzium und Kreatinin im morgendlichen Nüchternurin gemessen werden und als KalziumKreatininquotient angegeben werden. Dieser Wert korreliert signifikant mit dem Kalzium-Kreatininquotienten in der Gesamttagesurinmenge und letztendlich auch mit der 24-Stunden-Kalziumausscheidung. Tabelle 8 zeigt Mittelwerte der Kalzium-Kreatininquotienten vergleichend im 24-Stunden-Urin und im morgendlichen Nüchternurin aus einer großangelegten Untersuchung von B. E. C. Nordin [27], Nach beiden Parametern haben postmenopausale Frauen im Vergleich zu prämenopausalen eine signifikant höhere renale Kalziumausscheidung. Interessant ist, daß der morgendliche Nüchternurin einen deutlicheren Unterschied zwischen prä- und postmenopausal ergibt. Von den Autoren wird als Erklärung hierfür erstens angenommen, daß das Nahrungskalzium nicht interferiert, und zweitens spekuliert, daß nachts ein vermehrter Skelettabbau stattfindet. Dies bedeutet, daß der morgendliche Nüchternurin
Diagnoseabsicherung und Differentialdiagnose Tabelle 8
125
Mittelwerte der Calcium-Kreatinin-Quotienten im Gesamttagesurin und im morgendlichen Nüchternurin bei prä- und postmenopausalen Frauen (nach 27). Der Morgenurin zeigt einen deutlicheren Unterschied und spiegelt womöglich besser den Knochenabbau wider.
Premenop. women Postmenop. women P
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Ii 1> g C O .SPS ^ n «ü rt 5 x 3 ö CS I< 300 mg/ die) kann eine Kontraindikation einer oralen Kalziumsubstitution sein. Daraus folgt, daß unter kalziumreicher Diät und/oder oraler Substitution die renale Kalziumausscheidung gelegentlich kontrolliert und der Patient zu reichlicher Flüssigkeitszufuhr angehalten werden sollte. Gesunde können bis zu 2 g Kalzium täglich zu sich nehmen, ohne erhöhtes Risiko einer Nephrolithiasis [80]. Sobald jedoch der oralen Kalziumtherapie Vitamin D oder dessen Metaboliten hinzugefügt werden, steigt das Risiko der Nephrolithiasis sprunghaft an. Bei Überdosierung oder unzureichender Kontrolle der D-Therapie ist gerade bei älteren Patienten mit möglicherweise eingeschränkter Nierenfunktion auch das Risiko einer Hyperkalzämie groß [81]. Besonders groß ist dieses Risiko bei der Verwendung von Kalzitriol, dem aktiven, vom Vitamin D abstammendem, Hormon der Niere. Zur Frage der Begünstigung der Arteriosklerose durch Kalzium ist zunächst festzuhalten, daß Osteoporose und Arteriosklerose aufgrund ihrer Häufigkeit im hohen Lebensalter zwangsläufig oft zusammentreffen. Eine überzufällige Koinzidenz ist bislang epidemiologisch nicht nachgewiesen worden. Dennoch wird immer wieder die besorgte Frage gestellt, ob das reichlich oral zugeführte Kalzium ein erhöhtes Arterioskleroserisiko bedeutet oder ob bei der Osteoporose im Sinne einer „Transmineralisation" (calcium shift) das aus dem Knochen freiwerdende Kalzium direkt in die Gefäße gelangt. Nach der „Re-
Allgemeine Möglichkeiten der Osteoporoseprävention
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sponse to injury"-Hypothese beginnt die Entwicklung der atheromatösen Plaque mit einer initialen Gefaßendothel-Läsion durch cholesterinreiche Lipoproteinpartikel oder mechanische, immunogene, toxische oder virale Noxen. Dadurch werden Makrophagen angelagert, die nach subendothelialer Wanderung und zunehmender Cholesterinüberladung zu Schaumzellen werden. Gleichzeitig werden verschiedenen Wachstumsfaktoren sezerniert mit konsekutiver Attraktion und Proliferation von Thrombozyten und glatten Muskelzellen [82]. Die Ablagerung von Kalziumsalzen ist ein verhältnismäßig später Phänomen. Die Inkrustation der nekrotisch gewordenen Gewebsanteile trägt im Verhältnis zur initialen atheromatösen Plaque nur wenig zur Lumeneinengung bei [83], Eine signifikante Begünstigung dieser sekundären Verkalkung tritt u. E. nur bei Auslösung einer Hyperkalzämie auf, also im allgemeinen nur bei einer Kombination von Kalzium und Vitamin D-Präparaten. Wir halten jedoch eine Vitamin D-Therapie nur bei Osteoporosen mit osteomalazischer Komponente für indiziert. Bei der renalen Osteopoathie mit oft schwer zu senkender Hyperphosphatämie und der Notwendigkeit, durch Kalzium und D-Metaboliten den Serumkalziumspiegel anzuheben, kommt es dagegen oft zu einer vermehrten Kalziumeinlagerung in die Gefäße; dies ist meist nativ-röntgenologisch als weitstreckige homogene Mediaverkalkung sichtbar und führt nicht zu einer bedeutsamen Lumeneinengung. Insgesamt gesehen wird durch alleinige Kalziumsubstitution die Arteriosklerose nicht begünstigt. Neuere Befunde sprechen dafür, daß die gesteigerte orale Kalziumzufuhr sogar vasoprotektiv wirken kann. In den letzten Jahren häufen sich nämlich Mitteilungen über Zusammenhänge zwischen Kalzium und arteriellem Blutdruck. Danach wird durch eine erhöhte Kalziumzufuhr der Blutdruck bei Gesunden und bei Patienten mit leichtem bis mäßigem Hypertonus gesenkt [84, 85, 86]. Für diesen interessanten Zusammenhang sprechen auch epidemiologische Untersuchungen, die eine umgekehrte Korrelation zwischen der regionalen Härte des Trinkwassers und der kardiovaskulären Sterblichkeit aufzeigen [87]. In die gleiche Richtung weist eine epidemiologische Studie aus Japan, welche in einem Gebirgsort mit kalziumarmer Ernährung radiologisch eine deutlich kalkarme Wirbelsäule und kalkreiche Aorta und in einem Küstenort mit reichlich Nahrungskalzium umgekehrte Befunde nachwies [88],
4.2.4 NichtÖstrogene medikamentöse Prävention Der protektive Effekt einer langzeitigen Östrogensubstitution in den Jahren nach der Menopause ist heute allgemein akzeptiert und wird im nachfolgenden Kapitel ausführlich dargestellt. Für die Frauen mit Kontraindikationen gegen
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Literatur
Östrogene oder solche, die eine Hormonsubstitution aus verschiedenen Gründen generell ablehnen, ist es wichtig, medikamentöse Alternativen zu haben, um eine Phase raschen Skelettabbaus nach der Menopause zu behandeln. Der derzeit interessanteste Ansatz ist sicher die nasale Applikation von Kalzitoninspray in Kombination mit oralen Kalziumgaben. In einer entsprechenden Studie einer belgischen Gruppe konnte erstmals gezeigt werden, daß 30 frühpostmenopausale Frauen ohne Vorbehandlung unter einer Gabe von 50 E Lachskalzitonin an 5 Wochentagen nasal und täglicher Einnahme von 500 mg Kalzium über 1 Jahr eine Zunahme des Knochenmineralgehaltes an der Wirbelsäule von 1,4 + 0,08% zeigten [89]. Diese Zunahme war zwar nicht signifikant, aber die Kontrollgruppe von ebenfalls 30 Frauen, die nur Kalzium bekamen, bot in der gleichen Zeit einen signifikanten Verlust von 3,2 + 0,6%. Gleichzeitig konnte durch biochemische Marker gezeigt werden, daß in der Kalzitoningruppe der Knochenabbau vermindert war [89]. Theoretisch kommen auch Diphosphonate als ebenfalls osteoklastenhemmende Pharmaka für eine derartige Prävention in Frage. In einer ersten Untersuchung an Frauen mit „chirurgischer Menopause" (20 Frauen, mittleres Alter 46 Jahre) wurde der präventive Effekt von Etidronat (EHDP) untersucht. Es zeigte sich kein signifikanter Effekt auf den Knochenmineralgehalt, wohl aber ein gewisser hemmender Effekt auf den bei unbehandelten Frauen beobachteten beschleunigten Knochenabbau [90], Zur Beurteilung des tatsächlichen Wertes dieser potentiellen Östrogenalternativen bleiben weitere Studien abzuwarten. An weiteren Medikamenten zur Osteoporoseprävention seien nochmals die Thiazide erwähnt. Eine langzeitige Anwendung schützt nach den vorliegenden Daten ältere Personen vor Osteoporose und Frakturen [15, 91]. Allerdings wurden Thiazide in diesen Untersuchungen zur Langzeittherapie des Hypertonus eingesetzt, und es dürfte kaum vertretbar sein, die spezifischen diuretischen und antihypertensiven Effekte bei normotensiven postmenopausalen Frauen in Kauf zu nehmen. Einen gewissen antiosteoporotischen Nebeneffekt könnte auch das bei uns sehr viel verordnete Pentoxyphyllin haben. Hier liegen allerdings bislang lediglich in vitro-Untersuchungen vor, die diese Vermutung nahelegen [92].
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4.3 Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution* H. P. G. Schneider, M. Dören
4.3.1 Klimakterisches Syndrom Das Klimakterium beschreibt einen Lebensabschnitt der Frau, der durch eine allmähliche Reduktion fertiler Zyklen bis zum vollständigen Verlust der Reproduktionsfähigkeit charakterisiert wird. Dieser physiologische Prozeß setzt im Alter von 35 — 40 Jahren ein und wird durch die im Mittel im Alter von 52 Jahren eintretende Menopause, die terminale Amenorrhoe, abgeschlossen. Diese „Wechseljahre" sind ein einschneidendes Ereignis im Leben jeder Frau, beinhalten sie doch einen definitiven Verlust der zyklischen Ovarialfunktion, dessen Symptome erheblichen seelischen und körperlichen Krankheitswert haben können (Tab. 1). Tabelle 1 Ovarialfunktion — Definitionen. Menopause:
Prämenopause: Perimenopause: Postmenopause: Senium: Vorzeitige Menopause:
Letzte vom Ovar gesteuerte Menstruationsblutung unter Einschluß eines Zeitraumes von einem nachfolgenden Jahr, auch terminale Amenorrhoe. Zeitabschnitt des Verlusts der Geschlechtsreife; entspricht dem 35. bis 40. Lebensjahr bis zur Menopause. Zeitraum von einem Jahr vor und nach der Menopause. Zeitabschnitt nach der Menopause. Zeitabschnitt nach dem 70. Lebensjahr. Terminale Amenorrhoe vor dem 35. Lebensjahr.
Die steigende Lebenserwartung der Frauen — derzeit 78 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland — bedeutet eine zunehmende Verlängerung der Postmenopause und des Seniums. * Anmerkung des Herausgebers: Da die Indikation zur langzeitigen Hormonsubstitution oft nicht allein durch die Osteoporoseprävention zu begründen ist, werden auch wichtige Aspekte der klimakterischen Beschwerden, des Lipidstoffwechsels und des Karzinomrisikos in diesem Kontext dargestellt.
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
265
Tabelle 2 Altersverteilung der weiblichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland. Lebensalter (Jahre) 45-50 >50 >60 >70 >80 >90
Anzahl Absolut (Mio.)
Relativ (%)
2,3 11,7 7,9 4,6 1,4 0,13
7,3 37,0 24,9 14,5 4,3 0,4
Etwa 37% aller Frauen in der Bundesrepublik Deutschland — 11,7 Millionen — sind älter als 50 Jahre. Die Altersverteilung der weiblichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland (Tab. 2, [1]**) zeigt die eminente, auch medizinische Bedeutung der steigenden Anzahl älterer Frauen. In diesem Zusammenhang sei auf die sozialen Veränderungen, die auf die große Mehrheit der Frau um die 50 zukommen, hingewiesen. Die unangenehmen subjektiven Erscheinungen des Östrogenentzugs fallen sehr häufig mit einer eingreifenden Veränderung der persönlichen Lebensverhältnisse zusammen. Die herangewachsenen Kinder werden selbständig über Studium oder Berufstätigkeit, es vollzieht sich die örtliche und auch persönliche Ablösung vom Elternhaus. Für die Frau des mittleren Lebensalters bedeutet dies, die eigenen Kinder nicht mehr als Mittelpunkt ihres Lebens in ihr Handeln einbeziehen zu können. Gleichzeitig war oftmals die berufliche Karriere der Frau von Einschränkungen oder auch vollständigem Verzicht auf Seiten der Frau begleitet oder wurde hierdurch erst ermöglicht. Es entsteht eine Situation, die der Frau das Gefühl vermittelt, nicht mehr gebraucht zu werden. Reaktive Verstimmungen des Gefühls, des Erlebens und des Verhaltens können daraus resultieren. Das Auftreten klimakterischer Beschwerden wird von der psychischen Konstitution und der individuellen Verarbeitung des Alterungsprozesses beeinflußt. Die Menopause kann andererseits auch als Neubeginn eines Lebensabschnitts erlebt werden, da vermehrte Freizeit Freiraum für die Wiederaufnahme oder den Beginn einer Berufstätigkeit oder Engagement im sozialen oder politischen Raum schaffen kann. Die ovarielle Erschöpfung im Klimakterium bedeutet in erster Linie ein zunächst schleichend einsetzendes Östrogendefizit, das sich mit Zyklusstörungen ankündigt und später zur Atrophie primär östrogenabhängiger Organe ** Literatur nach diesem Kapitel.
266
Prävention und Therapie
und auch östrogenempfanglicher extragenitaler Organsysteme, insbesondere der Knochen, führen kann. Schon viele Jahre vor der Menopause vermindert sich die zyklische Östradiolproduktion aus nicht mehr voll funktionsfähigen Follikeln, begleitend wird ein allmählicher Anstieg der FSH-Konzentrationen nachweisbar. Die Menstruationsintervalle sind noch regelmäßig, jedoch werden anovulatorische Zyklen häufiger. Nach der Menopause sind die Konzentrationen von FSH, weniger ausgeprägt von LH, konstant erhöht. Die FSHKonzentration steigt 1—3 Jahre nach der Menopause maximal auf das 10 — 20fache der Basalkonzentration an. Im Laufe der nächsten Jahre verringern sich die Gonadotropinkonzentrationen graduell, ohne jedoch die Werte der fertilen Lebensphase wieder zu erreichen. Das Postmenopauseovar verliert fast vollständig seine Fähigkeit zur Östrogensynthese, die Testosteronsynthese nimmt relativ zu, allerdings ist dessen absolute Produktion herabgesetzt durch eine verringerte Konversion von Androstendion zu Testosteron. Die periphere Konzentration von Östradiol beträgt während der Geschlechtsreife 70 — 900 pmol/1 in der Follikelphase, > 440 pmol/1 in der Lutealphase, postmenopausal werden nur noch < 70 pmol/1 erreicht, die im wesentlichen aus der Konversion von Östron stammen. Die Bereitstellung von Androstendion als Hauptpräkursor für die Synthese von Östron erfolgt zum überwiegenden Teil aus der Nebenniere, nur zum geringeren Teil (20%) aus dem Ovar. Nach der Menopause reduziert sich die Sekretion von Androstendion allmählich mit zunehmendem Lebensalter. Durch die allmähliche Steigerung der Konversionsleistung mit zunehmendem Lebensalter auf 3% wird jedoch eine weitgehende Konstanz in der Bereitstellung von Östron bewirkt, welches das dominante Östrogen in der Postmenopause darstellt. Die Umwandlung geschieht überwiegend in den Stromazellen des Fettgewebes, aber auch in der Muskulatur, Leber und Nieren. Je ausgeprägter die individuelle Fettmasse der Frau, desto stärker ist die Bildung von Östron, welches ein Redoxpotential zum biologisch wirksamen Östrogen, dem Östradiol, unterhält. Bei adipösen Frauen mit verstärkter Konversion von Androstendion zu Östron kann es daher zu einer unkontrollierten Stimulation mit Ausbildung einer Endometriumhyperplasie kommen. Die hormonell bedingten Probleme des Klimakteriums sind überwiegend durch Östrogenmangel — Hitzewallungen, Atrophie im Urogenitalbereich, postmenopausale Osteoporose — aber auch durch Östrogenüberschuß — dysfunktionelle Blutungen, Endometriumhyperplasie — bedingt. Zeichen des Östrogenmangels sind Hitzewallungen und Schweißausbrüche als pathognomonische Zeichen der Wechseljahre; letztere können auch bei (noch) regelmäßigen Menstruationen auftreten. Die vasomotorischen Symptome führen nicht zu irreversiblen gesundheitlichen Störungen. Hitzewallungen sind
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
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Ausdruck eines zentralnervösen Umschaltprozesses, der Sollwert der Körpertemperatur wird hochgestellt, es setzen Wärmeabgabemechanismen mit Vasodilatation in der Peripherie, Anstieg der peripheren Hauttemperatur und Absinken der Körperkerntemperatur sowie Diaphorese ein. Simultan wird im Hypothalamus Gonadotropin Releasing Hormon freigesetzt, ohne jedoch in kausalem Zusammenhang mit den vasomotorischen Veränderungen zu stehen. Der im Alter beschleunigte Abbau im Tryptophan- und Katecholamin-Stoffwechsel führt in der Folge auch zu Mangel an Tiefschlaf und einem veränderten Verhältnis von Tief- zu Traumschlafphasen. Jede Hitzewallung ist mit einer Schlafunterbrechung verbunden. In der Folge entwickelt sich ein dysphorischer bis depressiver Verstimmungszustand mit Labilität im affektiven Bereich und kognitiven Defiziten. Zu den spezifischen klimakterischen Allgemeinsymptomen gehören demnach Vergeßlichkeit, Depressionen, Hitzewallungen und Schweißausbrüche, aber auch Reizbarkeit, Nervosität und Müdigkeit; des weiteren treten weniger spezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Parästhesien, Muskel- und Gelenkschmerzen hinzu. Atrophische Veränderungen im Urogenitalbereich äußern sich in seniler Kolpitis, Pruritus, Dyspareunie und Introitusstenose, auch nicht-entzündlich bedingter Dysurie mit Drang-Inkontinenz, Pollakisurie und Urethritis atrophicans mit Streßinkontinenz. Die allgemeine Beeinträchtigung der Lebensqualität, insbesondere auch durch Störungen des Sexuallebens, die auf eine Epithelatrophie der Vagina zurückgeführt werden kann, sollte nicht unterschätzt werden, insbesondere angesichts der höheren Lebenserwartung der heutigen Generation klimakterischer Frauen und eines damit verbundenen gewandelten Altersverständnisses. Auf den ersten Blick erscheinen klimakterische Beschwerden, die einem endogenen Östrogenüberschuß zuzuordnen sind, paradox: unregelmäßige Blutungen und Wiedereintreten von Blutungen nach längerer sekundärer Amenorrhoe. Vor der Menopause häufen sich anovulatorische Zyklen, eine Follikelpersistenz mit unphysiologisch verlängerter Östrogenphase und inadäquater Lutealphase ist die Folge. Nach der Menopause kann eine extraovarielle Östrogenproduktion Blutungen bewirken. Vor allem eine verstärkte Aromatisierung von Androstendion zu Östron bei adipösen Frauen, des weiteren auch erhöhte adrenale Androstendionkonzentrationen bei Dauerstreß oder androgenproduzierenden Tumoren des Ovars oder der Nebennierenrinde können zu einer vermehrten Bildung von Östron führen. Sowohl bei Adipositas als auch bei erhöhter Androgenkonzentration sind die SHBGKonzentrationen vermindert mit Anstieg des verfügbaren Östradiols. Kennzeichen dieser relativ vermehrten postmenopausalen Östrogenbildung kann das Ausbleiben einer Epithelatrophie im Bereich des Urogenitale sein, sowie die diskrete oder auch fehlende Ausprägung als typisch angesehener klimak-
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Prävention und Therapie
terischer Beschwerden bei adipösen Frauen. Diesen vorteilhaften Aspekten steht als möglicher Nachteil gegenüber die übermäßige Stimulation des Endometriums mit Ausbildung einer Hyperplasie.
4.3.1.1 Postmenopause und Osteoporose Im Gegensatz zu vorübergehenden vasomotorischen Ausfallserscheinungen stellt eine Osteoporose — die mit Frakturen einhergehende Minderung von Knochenmasse, -struktur und -funktion — einen schwerwiegenden metabolischen Prozeß dar. Chronischer Östrogenmangel in der Postmenopause, aber auch die primäre Amenorrhoe sowie die sekundäre Amenorrhoe der Leistungssportlerin oder der Magersüchtigen können nach mehrjähriger Latenz zur Osteoporose führen. Kompressionsfrakturen der Wirbelsäule sind bei Frauen etwa 5mal häufiger als bei Männern, ein Drittel aller Frauen über 65 Jahre hat Wirbelkörperdeckplatteneinbrüche. Nach dem 40. Lebensjahr verdoppelt sich die Anzahl von Unterarmfrakturen im Abstand von jeweils 6 — 7 Jahren. Eine norwegische Untersuchung belegt, daß die Inzidenz von Oberschenkelhalsfrakturen in den letzten 30 Jahren erheblich zugenommen hat [2]. Jede Frau verliert im Laufe ihres Lebens etwa 35% ihrer kortikalen und 50% ihrer trabekulären Knochenmasse. Nach dem 40. Lebensjahr kann jede Frau mit einem jährlichen Verlust von 0,3 — 0,5% Kortikalis rechnen, in den ersten Jahren nach der Menopause tritt eine Akzeleration mit einem durchschnittlichen Verlust von 2 — 3% pro Jahr ein. Der Abbau des trabekulären Knochens beginnt schon ab dem 30. bis 35. Lebensjahr mit einem jährlichen Verlust von ca. 0,6% [3], Nach Avioli [4] beginnt der Abbau trabekulären Knochens in der Wirbelsäule gar schon mit 20 Jahren. Der Östrogenmangelzustand allein kann als Erklärung zur Entstehung der Osteoporose nicht hinreichen, da jede postmenopausale Frau diesem Mangel unterliegt, aber nicht jede Frau daran erkrankt. Zwei Faktoren sind sicherlich für die Entstehung einer Osteoporose wichtig: die absolute Knochenmasse und die Geschwindigkeit ihres Abbaus. Wir gehen davon aus, daß die Osteoporose sich einmal als Folge eines beschleunigten Knochenabbaus manifestieren kann; des weiteren führt der Abbau einer im Kindes- und Jugendlichenalter ungenügend aufgebauten Knochenmasse frühzeitig zu Struktur- und Funktionsverlust. Die Zunahme osteoporotischer Frakturen wird mit veränderten Lebensgewohnheiten in Zusammenhang gebracht: Verminderter Milchkonsum, abnehmende Parität mit Verlust der als protektiv angesehenen Perioden schwangerschaftsbedingter hoher Östrogen- und Progesteronkonzentrationen, Zunahme rauchender Frauen. Es ist eine gesicherte Erkenntnis, daß eine bedarfsdeckende, altersabhängige Kalziumaufnahme sowie regelmäßiges körperliches Training die in jungen Jahren genetisch determinierte,
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
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maximal erreichbare Knochenmasse steigern. Der tägliche Kalziumbedarf wurde für Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche mit 800 mg, für prämenopausale Frauen mit 1000 mg und postmenopausale Frauen mit 1500 mg errechnet. Erheblichen Mehrbedarf haben Schwangere — 1 200 mg — und Stillende — 2000 mg [5]. Die durchschnittliche diätetische Aufnahme von Kalzium bei prämenopausalen Frauen in der Bundesrepublik liegt bei nur etwa 500 mg täglich [6]. Ein einheitliches pathophysiologisches Konzept zur Entstehung der postmenopausalen Osteoporose ist bisher nicht erarbeitet worden. Die durch Östrogenmangel bedingte Veränderung der Kalziumhomöostase mit gesteigertem Knochenumbau, beschleunigtem Knochenabbau und somit negativer Kalziumbilanz entzieht sich zum großen Teil unserer Einsicht, da der Einfluß des Östrogenmangels auf die Funktion und Interaktion der Osteoklasten und Osteoblasten in vitro nur ansatzweise und in vivo überhaupt nicht benannt werden kann. Auch die kausalen Beziehungen der (veränderten) Wirkungen endogenen Parathormons, Kalzitonins und 1,25(OH)2-Cholekalziferols untereinander und am Skelett sind nicht befriedigend geklärt.
4.3.1.2 Postmenopause
und kardiovaskuläres
Risiko
Herz-Kreislauferkrankungen nehmen in unserer Gesamtbevölkerung den führenden Platz in der Mortalitätsstatistik ein. In der Postmenopause und im Senium schieben sich Herz-Kreislauferkrankungen an die erste Stelle ärztlicher Beratung, Prophylaxe und Therapie. Im 5. Lebensjahrzehnt wird bei Frauen eine deutliche Zunahme des Bluthochdrucks mit seinen Folgeerkrankungen evident. Die Atherosklerose ist die häufigste Todesursache in den westlichen Industrieländern. Neben den bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonus und Diabetes mellitus beeinflussen auch Sexualhormone die Manifestation der koronaren Herzerkrankung, allerdings ist die Bedeutung eines Östrogenmangels bei Frauen recht schwer von den dem Alter zugeschriebenen Veränderungen abzugrenzen. Da bei Frauen insgesamt, insbesondere aber bei intakter Ovarialfunktion, eine geringere Inzidenz für kardiovaskuläre Erkrankungen besteht, ist eine protektive Wirkung der Östrogene postuliert worden. Wenn jüngere Frauen bilateral ovarektomiert werden, steigt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Je früher die Operation durchgeführt wurde, um so gravierender ist die Risikobelastung: bei unter 35jährigen Frauen erhöht sich das Risiko für den Herzinfarkt auf das 7,7fache, bei Frauen über 45 nur noch auf das l,3fache [7], Autopsien zeigten, daß das Lumen von Koronargefäßen bei bilateral ovarektomierten Frauen im Vergleich zu Frauen mit erhaltenen Ovarien eingeengt ist; je länger die Operation zurücklag, um so ausgeprägter waren die Gefaßstenosen [8]. Auch bei vor-
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Prävention und Therapie
zeitigem Eintritt der natürlichen Menopause besteht ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen [9]. Im alter zwischen 45 — 65 Jahren sterben mehr Frauen an Mammakarzinom als an den Folgen einer Hypertonie oder eines Myokardinfarkts. In der Gruppe der 65 — 75jährigen ist dann eine deutliche Zunahme der Mortalität kardiovaskulärer Erkrankungen eingetreten [1] (Tab. 3 u. 4). Tabelle 3
Mortalitätsstatistik ausgewählter Erkrankungen der weiblichen Bevölkerung (Standardisierte Sterbeziffern). Inzidenz (pro 100000)
Krankheiten des zerebrovaskulären Systems Herzinfarkt Mammakarzinom Endometriumkarzinom Oberschenkelhalsbruch
Tabelle 4
101 74,5 38,6 11,5 5,5
Altersabhängige Veränderung der Mortalität (Relatives Risiko) (Relatives Risiko für Mammakarzinom = 1 = 100%).
Alter Jahre
Mammakarzinom
Endometriumkarzinom
jjgf^nfaj.^
Zerebrovask. Erkrankungen
Oberschenkelhalsfraktur
25-45 45-65 65-75 >75
1 1 1 1
0,28 0,23 0,36 0,36
0,15 0,65 2,34 4,43
0,31 0,43 2,03 8,97
0,001 0,009 0,056 0,65
Der Zusammenhang zwischen Lipidstoffwechsel und Gefäßerkrankungen ist unbestritten; hohe HDL-Konzentrationen sollen einen Schutz vor koronaren Erkrankungen gewähren. Umgekehrt steigt die Wahrscheinlichkeit für Herzerkrankungen bei erhöhten LDL-Spiegeln. In der Postmenopause steigen die Konzentrationen von Gesamtcholesterin, LDL- und VLDL-Cholesterin. Somit wird ein Zusammenhang zwischen Veränderungen der Lipidfraktionen und Anstieg von Gefaßerkrankungen bei Frauen nach der Menopause sehr wahrscheinlich. Nach bilateraler Ovarektomie steigen das Cholesterin, die LDL-Fraktion und die Triglyzeride, die HDL-Fraktion sinkt [10]. LDL wird überwiegend durch Bindung an hepatische Rezeptoren aus dem Blut entfernt. Die LDL-Rezeptoren der Leber weisen eine hohe Affinität für eines der Oberflächenproteine des LDL, das Apoprotein E auf. Wenn die Kapazität der hepatischen Rezeptoren zur Aufnahme und Metabolisierung des LDL überschritten wird, können an schadhaften Stellen der Gefaßintima LDL-
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
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Partikel eindringen, die Atherombildung hat begonnen. Die Funktion des als atheroprotektiv angesehenen HDL besteht im Transport von freiem und in zirkulierenden Lipoproteinen gebundenem Cholesterin und Phospholipiden zur Leber. Zelluläres oder an andere Lipoproteine gebundenes Cholesterin kann vom HDL unter entscheidender Mitwirkung des Apoprotein E gebunden werden und in der Leber einer Metabolisierung und/oder Ausscheidung zugeführt werden. Membrangebundenes Cholesterin kann von HDL-3 aufgenommen werden. Zunächst nimmt das in der Leber gebildete HDL-3, das einen hohen Anteil an Apoprotein A-I und A-II besitzt, im Fett- und Muskelgewebe Cholesterin und Phospholipide auf, die durch Lipolyse von Chylomikronen und VLDL freigesetzt worden sind. Durch die Apoproteine A-I und A-II wird die Veresterung des Cholesterins gewährleistet, durch dessen Inkorporation in das HDL-3 wird das HDL-2 gebildet. Die hepatische Lipoproteinlipase setzt Phospholipide und Triglyzeride aus dem HDL-2 frei, dadurch entsteht wieder HDL-3. Östrogene inhibieren die hepatische Lipoproteinlipase, somit kommt es zu einem Anstieg der Phospholipid-, Triglyzerid- und Cholesterinkomponenten des VLDL und des HDL-2. Frauen haben einen höheren HDL-2- und einen niedrigeren HDL-3-Spiegel als Männer, was mit der Östrogenabhängigkeit dieser Lipase erklärt wird.
4.3.2 Ziele Auch wenn der durch die Menopause offensichtlich gewordene Ausfall der Ovarialfunktion ein physiologisches Phänomen darstellt, das mit dem Alterungsprozeß der Frau zusammenhängt, so ist eine Hormonsubstitution kein unerlaubter Eingriff in den natürlichen Lebensablauf, sondern eine bewährte therapeutische und prophylaktische Maßnahme zur Behebung der beschriebenen metabolischen und vegetativen Störungen mit deutlicher Steigerung des Wohlbefindens und Gewinn an Lebensqualität. Eine Östrogentherapie behebt effizient vasomotorische Beschwerden, beugt der Atrophie des Urogenitale vor und schützt als einzige therapeutische Strategie Frauen vor der postmenopausalen Osteoporose — unabhängig von der Östrogenmangelsymptomatik, die subjektiv sehr unterschiedlich empfunden wird. Jedes Symptom eines Östrogenmangels rechtfertigt eine großzügige Anwendung von Östrogenen, da der erwiesene Nutzen der Substitution — insbesondere Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität, Abnahme osteoporotischer Frakturen — durch ihren präventiven Charakter eminent ist. Gerade bilateral ovarektomierte Frauen sollten vorrangig behandelt werden. Jeder Frau mit dem Wunsch nach Osteoporoseprävention sollte eine differenzierte ÖstrogenGestagen-Substitution vorgeschlagen werden.
272
Prävention und Therapie
Wir unterscheiden folgende Behandlungsformen: Zyklische oder kontinuierliche Östrogentherapie mit oder ohne Gestagen sequentiell oder ebenfalls kontinuierlich. Die Östrogendosis richtet sich nach der subjektiven Symptomatik, nach Möglichkeit sollten die zur Osteoporoseprophylaxe geeigneten Dosierungen verschiedener Östrogene nicht unterschritten werden. Die Wirkung der Östrogene ist in erster Linie von der erreichten Östradiolkonzentration im Serum abhängig, muß also individuell angepaßt werden, um alle Beschwerden zu lindern und eine Osteoporoseprävention zu gewährleisten. Die Auswahl unter verschiedenen Östrogenen ist abhängig von der Indikation: Zur lokalen Behandlung einer Yaginalatrophie ist Östriol am besten geeignet, bei der Therapie vasomotorischer Beschwerden sollte oralen Östrogenen oder Östradiol perkutan der Vorzug gegeben werden. Die zusätzliche Verabreichung eines Gestagens wird zur Protektion des Endometriums gefordert. Die Therapiedauer orientiert sich an den Symptomen der Patientin; die Behandlung wird für die Dauer klimakterischer Beschwerden über Jahre beibehalten. Im Verlauf der Behandlung können vorübergehende Erhöhungen oder Verminderungen der Dosis erforderlich werden. Bei einer zyklischen Anwendung von Östrogenen mit therapiefreiem Intervall kann anhand der Beschwerdesymptomatik in diesem Zeitraum die Notwendigkeit der Fortführung der Substitution im Verlauf einer längerfristigen Therapie überprüft werden. Zur Osteoporoseprävention sollte eine Substitution von 10 Jahren nicht unterschritten werden, da der Abbau der Spongiosa nach Therapieende so weit wie möglich hinausgezögert werden sollte. Möglicherweise ist der Knochenabbau nach Beendigung der Östrogensubstitution verstärkt. Eine längerfristige Substitution in der Bundesrepublik wird z. Zt. erst von etwa 10% postmenopausaler Frauen angewendet.
4.3.3 Wirkungen der Östrogene auf den Knochenumbau Auf- und Abbau des spongiösen Knochens sind erheblich von Alter und Geschlecht abhängig. Schon im Alter von 4 Jahren sind Geschlechtsunterschiede der trabekulären Knochendichte zwischen Jungen und Mädchen nachweisbar [11], im Alter von 14 Jahren sind schon 92 — 94% der individuell erreichbaren peak bone mass aufgebaut. Normales pubertäres Wachstum wird im wesentlichen von somatotropem Hormon, insulin-like growth factor I und Sexualsteroiden gesteuert. Letztere stimulieren die Sekretion von somatotropem Hormon. Mit Beginn der Adrenarche findet eine verstärkte Apposition kortikalen Knochens statt. Bei Mädchen wird schon bei einer frühfollikulären Östradiolkonzentration von 75 pmol/1 die höchste Wachstumsgeschwindigkeit
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
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beobachtet. Androgene sind am beschleunigten Längenwachstum nicht wesentlich beteiligt. Die Zunahme des Gewichts auf etwa 48 kg, insbesondere der Anstieg des Gesamtkörperfettes auf etwa 24%, ist zum Eintritt der Menarche und zur Auslösung des Wachstumsschubs erförderlich. Das Ausbleiben der Gewichtszunahme in der Pubertät ist nicht nur mit der Entwicklungsverzögerung von Adrenarche, Thelarche und Menarche assoziiert, sondern führt auch zu einer Verminderung der genetisch determinierten maximalen Knochenmasse. Die Dichte trabekulären Knochens wird bei Frauen schon nach Abschluß der Adoleszenz vermindert [3], Frauen im Alter von 90 Jahren haben etwa 50% der vertebralen Dichte verloren, Männer nur etwa 10%; der Verlust kortikalen Knochens beträgt nur etwa 30% bei Frauen. Der kortikale Knochen erreicht sein Dichtemaximum mit etwa 30 Jahren, danach findet ein stetiger Abbau statt. Östradiolmangel führt zu einem Anstieg der Knochenresorption mit Zunahme der Erosion und Perforation von Spongiosatrabekeln. Der genaue Mechanismus, über den ein Östradiolmangel in die Kalziumhomöostase eingreift, ist nicht bekannt. Sekretorische Veränderungen der kalziumregulierenden Hormone Kalzitonin und Parathormon spielen bei der Genese der postmenopausalen Osteoporose möglicherweise keine entscheidende Rolle. Die exakte Rolle der Sexualsteroide zeichnet sich erst in Umrissen ab: Nukleäre Östradiolrezeptoren konnten in vitro in Osteoblasten nachgewiesen werden, die aus trabekulären Knochen von Gesunden kultiviert wurden [12]. Östradiol soll die Rezeptorbildung von epidermal growth factor [13] und die mRNA-Synthese für transforming growth factor ß (TGF-ß) steigern [14]. Beide Wachstumsfaktoren regulieren die Proliferation von Osteoblasten, insbesondere TGF-ß soll für das coupling zwischen Resorption und Knochenneubildung entscheidend sein [15]. Androgene (z. B. Dihydrotestosteron) bewirken in vitro eine Proliferation menschlicher Osteoblasten [16].
4.3.4 Interventionsstudien zur Osteoporoseprävention Die Wirksamkeit einer Östrogensubstitution auf die Reduktion osteoporotischer Frakturen und Verlangsamung bzw. Vermeidung eines Knochenmasseverlustes ist sehr gut belegt. Östrogene wirken antikatabol. Retrospektive Studien konnten eine deutliche Abnahme von Unterarmfrakturen um 60% bei östrogenbehandelten Frauen zeigen [17, 18]. Die Inzidenz von Wirbelund Hüftfrakturen [19, 20, 21] kann deutlich reduziert werden. Bei 245 postmenopausalen Frauen mit Östrogensubstitution, die retrospektiv über eine Zeit von bis zu 18 Jahren untersucht wurden, konnte eine Senkung
274
Prävention und Therapie
osteoporotischer Frakturen (Wirbelkörper, Unterarm, Rippe, Oberarm, Unterschenkel, Hüfte) um 50%, verglichen mit Kontrollen, gezeigt werden [22], Bei 18 dieser substituierten Frauen (Durchschnittsalter 73 Jahre) wurde eine Spongiosadichte der Lendenwirbelsäule ermittelt, die um mehr als 50% über der von Kontrollen lag. Der Erfolg einer Östrogensubstitution bei älteren Frauen wurde von Jensen und Mitarbeitern bestätigt [23], Schon Albright und Mitarbeiter [24] zeigten bei 3 Frauen mit postmenopausaler Osteoporose, die Östradiolbenzoat 1,66 mg in 2tägigen Abständen i. m. über etwa 3 Monate bekamen, einen positiven Effekt auf die Kalziumbilanz. Die Aufrechterhaltung der Knochenstärke gelingt am besten, wenn innerhalb von drei Jahren nach der Menopause eine langfristige Östrogen-Gestagen-Behandlung begonnen wird, eine Unterbrechung der Behandlung zieht einen prompten Knochensubstanzverlust nach sich, der nur durch eine erneute Östrogen-Behandlung blockiert werden kann [25]. Eine Behandlungsdauer von 5 Jahren sollte nicht unterschritten werden [18]. Im 9. und 10. Jahr einer Behandlung mit 10 — 38 (j.g Mestranol/die bei 100 bilateral ovarektomierten Frauen soll ein Wirkungsverlust eintreten, ermittelt durch Knochendichtebestimmung des Os metakarpale III [26], Eine ganze Reihe prospektiver Untersuchungen belegt die Wirksamkeit der Östrogensubstitution: Nachtigall und Mitarbeiter [27] zeigten in einer prospektiven Studie über 10 Jahre bei 84 postmenopausalen Frauen die Erhaltung der Knochendichte (SPA Os metakarpale III) mit einer Tagesdosis von 2,5 mg konjugierten Östrogenen — heute als sehr hoch angesehen — und Medroxyprogesteronazetat 10 mg/Tag für 7 Tage eines jeden Monats. In dieser Untersuchung konnte gezeigt werden, daß bei Beginn der Therapie innerhalb von drei Jahren nach der Menopause ein Gewinn an Knochendichte möglich ist. In einer Untersuchung über 2 Jahre — quantitative Computertomographie der Spongiosa der Lendenwirbelkörper — konnte mit Tagesdosen von 0,15 oder 0,3 oder 0,45 mg konjugierter Östrogene der z. T. rapide Abfall der Knochendichte bis zu 35% innerhalb von 2 Jahren bei bilateral adnexektomierten Frauen im Alter von 24 — 49 Jahren nicht verhindert werden, als effektive Mindestdosis wurden 0,6 mg identifiziert, um den bei Kontrollen gemessenen Verlust von fast 20% zu vermeiden [28], Konjugierte Östrogene in einer Dosis von 0,3 mg täglich kombiniert mit 1000 mg Kalzium und 10 mg Medroxyprogesteronazetat oder 5 mg Norethisteronazetat täglich für jeweils 10 Tage sequentiell für insgesamt 2 Jahre erhielten bei 15 postmenopausalen Frauen die Knochendichte, gemessen an der Lendenwirbelsäule mit der quantitativen Computertomographie [29], Auch 3 mg Östradiol-Creme für 24 Tage eines jeden Behandlungsmonats für 2 Jahre, kombiniert mit 200 mg mikronisiertem Progesteron für 12 Tage sequentiell zusätzlich im zweiten Behandlungsjahr konnten am Unterarm (Singlephotonenabsorptiometrie, SPA) und
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
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an der Lendenwirbelsäule (Dualphotonenabsorptiometrie, DPA) einen Knochendichteverlust bei 20 postmenopausalen Frauen vermeiden [30]. Bei 21 postmenopausalen Frauen, die über 2 Jahre mit 2 mg Östradiol und 1 mg Norethisteronazetat täglich kontinuierlich behandelt wurden, wurde sogar ein Zugewinn der Knochendichte von etwa 1% (SPA, Unterarm) bzw. 5( —9)% (DPA, Lendenwirbelsäule) nach zweijähriger Therapie erzielt [31]. Ein Dreiphasen-Sequenzpräparat mit 4 mg Östradiol für insgesamt 22 Tage und 1 mg Norethisteronazetat für 10 Tage sequentiell über zwei Jahre [32] führte zur Konsolidierung der Knochendichte bei 21 postmenopausalen Frauen (SPA, Unterarm). Nach den Empfehlungen des National Institute of Health ist eine Östrogentherapie die primäre medikamentöse Maßnahme zur Verhinderung einer Osteoporose; ergänzend sollten eine Kalzium-Supplementation von 1 000 — 1 500 mg täglich schon etwa 10 Jahre vor der zu erwartenden Menopause mit 50 Jahren sowie körperliches Training regelmäßig durchgeführt werden. Östriol — auch in Tagesdosen von bis zu 12 mg — ist nicht wirksam [33]. Heute können folgende Dosen empfohlen werden: 2 mg mikronisiertes Östradiol, 2 mg Östradiolvalerat, 0,6 mg konjugierte Östrogene. Die Behandlung mit unterschiedlich zusammengesetzten Östrogen-Gestagen-Sequenzpräparaten — 1 bzw. 2 mg Östradiol + 0,5 bzw. 1 mg Östriol + zyklisch 1 mg Norethisteronazetat oder 2 mg Östradiol + zyklisch 1 mg Cyproteronazetat oder 4 mg Östradiol + 2 mg Östriol + zyklisch 1 mg Norethisteronazetat oder 2,5 mg konjugierte Östrogene + zyklisch 5 —10 mg Medroxyprogesteronazetat bzw. 5 mg Medrogeston bzw. 0,5 mg Levonorgestrel — kann zumindest die Knochendichte erhalten, z.T. sogar bei den höheren Dosierungen den Mineralgehalt erhöhen. Gestagene wie Norethisteronazetat können die renale Ausscheidung von Kalzium und Hydroxyprolin vermindern [34], Norethisteronazetat 10 mg täglich bei 43 postmenopausalen bzw. bilateral adnexektomierten Frauen zeigte nach einem Jahr kontinuierlicher Therapie keinen Abfall der Knochendichte (SPA), die renale Ausscheidung von Kalzium und die Serumspiegel von Kalzium, Phosphat und alkalischer Phosphatase wurden gesenkt [35], Medroxyprogesteronazetat in einer Tagesdosis von 10 —20 mg vermindert die renale Kalzium- und Hydroxyprolinausscheidung [36], Auch Lynestrenol 5 mg täglich besitzt diesen Effekt [37], ist jedoch wegen unerwünschter Effekte auf den Lipidstoffwechsel zur Therapie postmenopausaler Frauen eher ungeeignet. Die Kombination von Östradiol in zweifacher Dosisabstufung und Norethisteronazetat sequentiell zeigte einen Anstieg von Osteokalzin und alkalischer Phosphatase in der Gestagenphase, die renale Ausscheidung von Kalzium und Hydroxyprolin war unabhängig von der Gestagenphase unter Therapie gleichförmig reduziert [38],
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Prävention und Therapie
4.3.5 Effekte auf den Lipidstoffwechsel Die günstigen Effekte auf den Fettstoffwechsel durch eine Östrogen-Substitution werden in unterschiedlichem Maße durch Gestagene beeinflußt (Übersicht Tab. 5). Die protektive Wirkung der Östrogene kommt durch einen pharmakologischen Effekt auf die Lipoproteinfraktionen im Serum zustande. Östrogene führen zu einer Abnahme und Androgene zu einem Anstieg der hepatischen Triglyzeridlipase. Dieses Enzym ist entscheidend für die HDLBildung. Auch bei lOjähriger Östrogensubstitution bleibt die HDL-Konzentration erhöht [39], Auch körperliches Training begünstigt die HDL-Fraktion. Tabelle 5 Lipid- u. Lipoproteinkonzentrationen unter oraler Östrogen-Gestagen-Substitution (modifiziert nach [51]). C Postmenopause (unbehandelt) Östriol
HDLC
TG
+ 10/ + 20/ - 20 + 20 + 30 0
0
HDL 2 C - 30
0/ + 1 0 / 0/ - 10 + 20 + 2 0
+ 20
Norgestrel Norethisteron Desogestrel
0/ - 2 0 / 0/ - 10 - 10 - 3 0
- 30
0
0
0
Östradiol oder Östradiolvalerat + zyklisch Norgestrel oder Norethisteron
- 10/ 0/ - 10/ - 20 + 20 - 2 0
Östradiolvalerat oder Konj. Östrogene + zyklisch MPA
0/ - 10
0
+ 100
VLDLC
Hepatische Lipoproteinlipase
0
0
Östradiol Östradiolvalerat Konj. Östrogene
MPA
Apo LDLA-l C
0
- 30/ - 50
0
- 10/ - 20
- 10/ -20
0/ - 10
-25
0/ +10
0/ -20
+ 60
0
0
0/ - 15
0
0/ - 10
C = Cholesterin TG = Triglyzeride HDL-C = HDL-Cholesterin Apo A-l = Apoprotein A-l VLDL-C = VLDL-Cholesterin Veränderungen der Lipide und Lipoproteine: + = Zunahme, — = Abnahme, 0 = kein Effekt
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
277
Es ist bedeutsam, ob 19-Nortestosteron- oder Progesteronabkömmlinge eingesetzt werden. Im allgemeinen sind die Konzentrationen des Gesamtcholesterins unverändert oder leicht erniedrigt, die LDL-Konzentrationen werden wenig beeinflußt. Mikronisiertes Progesteron (200 mg) führt zusammen mit Estradiolvalerat (2 mg) zu keiner Beeinflussung der Lipid- und Lipoproteinparameter. Auch Medroxyprogesteronazetat bewirkt keine Senkung der HDL-Spiegel [40], Eine Ausnahme macht die Studie von Ottoson [41], die bei der Kombination von 2 mg Estradiolvalerat und 10 mg Medroxyprogesteronazetat für 10 Tage sequentiell eine geringgradige Erniedrigung der HDL2-Konzentration fanden. Diese war jedoch nicht von einem Konzentrationsabfall des Apoproteins A-l begleitet. Die lOtägige Anwendung von LevoNorgestrel (250 (ig) sowie von Norethisteronazetat (1 mg) in Kombination mit Östradiolvalerat [41] führt zu einer Erniedrigung der HDL-Konzentration. Die Kombination von 1 oder 2 oder 4 mg Estradiol/Tag für 22 Tage + 1 mg Estradiol für 6 Tage bzw. ötägiges östrogenfreies Intervall und 1 mg Norethisteronazetat täglich für 22 Tage, gegeben über ein Jahr, führt nicht zur Erniedrigung der HDL-Fraktion, die LDL-Fraktion sinkt [42, 43], Dagegen zeigten Sporrong und Mitarbeiter [44], daß die Behandlung mit 2 mg Estradiol + 1 mg Norethisteronazetat kontinuierlich nach 1 Jahr zu einer etwa 10%igen HDL-Reduktion führt. Die Gabe von 0,625 oder 1,25 mg konjugierter Östrogene für 25 Tage zyklisch + Medroxyprogesteronazetat 5 mg für 11 Tage sequentiell führt zum Anstieg der HDL-Konzentration [45], Die Therapie mit 2 mg Östradiolvalerat für 21 Tage sequentiell und 10 Tage Cyproteronazetat resultiert ebenfalls nicht in einer Absenkung der HDLKonzentration, LDL wurde gesenkt [46], 3 mg Östradiol-Creme für 24 Tage, sequentiell für 2 Jahre, kombiniert mit Progesteron oral 200 mg/Tag für 12 Tage, sequentiell im zweiten Behandlungsjahr, führt nicht zur HDL-Senkung, sondern zu einem leichten Anstieg im Vergleich zu Kontrollen, LDL wurde gesenkt [47]. Der protektive Einfluß von Östrogenen auf kardiovaskuläre Erkrankungen ist durch mehrere fallkontrollierte und prospektive Studien belegt (Tab. 6 a u. 6 b). Retrospektiv wurden in einem Zeitraum von 15 Jahren eine 60%ige Risikoabsenkung für ischämische Erkrankungen östrogentherapierter postmenopausaler Frauen im Vergleich zu unbehandelten Frauen gefunden [48]. Eine umfangreiche Untersuchung [49] zeigt, daß die deutlichste Risikoabsenkung für kardiovaskuläre Erkrankungen in der Gruppe der Frauen zu verzeichnen ist, die zum Erhebungszeitpunkt eine Substitution durchführten — 70% —, etwas weniger ausgeprägt bei Frauen nach Diskontinuation — 50% —. Prospektive Untersuchungen zeigen, daß unter einer Östrogenbehandlung eine mehr als 40%ige Reduktion von Herzinfarkten auftritt [Übersicht bei 50] (Tab. 7). Junge ovarektomierte Frauen haben ein erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit.
278
Prävention und Therapie
Tabelle 6 a
Hormonale Substitution und koronare Herzerkrankung — prospektive Studien.
Autor
Patientinnen
Erkrankung
Relatives Risiko
Stampfer et al. 1985 [49]
32 317 postmenopausale Krankenschwestern 8 841 postmenopausale Seniorinnen 2 269 weiße Amerikanerinnen 737 hysterektomierte Frauen 610 Frauen mit E2-Mangel 1234 postmenopausale Frauen
KHK
0,5
Herzinfarkt (letal) KHK (letal) KHK KHK KHK
0,6
Henderson et al. 1988 [52] Bush et al. 1983 [53] Burch et al. 1974 [48] Hammond et al. 1979 [54] Wilson et al. 1985 [55]
Tabelle 6 b
0,3 0,4 0,4 1,9
Hormonale Substitution und koronare Herzerkrankung — fallkontrollierte Studien.
Autor
Design
Rosenberg et al. 1980 [7] Pfeffer et al. 1978 [56] Jick et al. 1978 [57] Ross et al. 1981 [21] Bain et al. 1981 [58] Adam et al. 1981 [59] Szklo et al. 1984 [60]
Interview Apotheke Interview Krankenakten Fragebogen Arztbericht Interview
Relatives Risiko Östrogene: früher 1,5 0,9
— gegenwärtig 0,9 0,7 4,2
0,4 0,8
0,7
0,6
0,8
0,4
0,4
Tabelle 7 Veränderung der Mortalität durch Östrogen bzw. Östrogen-GestagenSubstitution [50], Mortalität für KHK/100 000/Jahr (Alter 6 5 - 7 4 )
Östrogen-Substitution Veränderung der Mortalität /100 000/Jahr
Östrogen-Gestagen-Substitution Veränderung der Mortalität /100 000/Jahr
592
RR 0,52
RR 0,69
- 284
- 184
Langzeitige Östrogen-Gestagen-Substitution
279
4.3.6 Karzinomrisiko Östrogene fördern die Proliferation des Endometriums durch Induktion von Zellmitosen. Eine alleinige Östrogensubstitution — zyklisch oder kontinuierlich — kann zu adenomatösen Hyperplasien mit Übergang in ein Adenokarzinom führen. Man nimmt an, daß die Erkrankungswahrscheinlichkeit für das Endometriumkarzinom etwa vier- bis achtmal höher ist als bei vergleichbaren Frauen ohne Hormoneinnahme. Zur Zeit beträgt die standardisierte Sterbeziffer für das Endometriumkarzinom in der Bundesrepublik Deutschland 11,5 bezogen auf 100000 Frauen aller Altersklassen ohne Berücksichtigung einer etwaigen Hormontherapie. Je höher die Dosis und je länger die Anwendungsdauer von Östrogenen, um so größer ist die Gefahr der Endometriumhyperplasie; bis zu 10 Jahren nach Beendigung einer Östrogensubstitution bleibt das Risiko für ein Endometriumkarzinom erhöht. Gambreil [61] gibt eine Inzidenz von 49:100000 bei Östrogen-Gestagen-Therapie an, jedoch 391:100000 bei Östrogenmonotherapie und 246:100000 bei Kontrollen. In dieser prospektiven Untersuchung wird also das relative Risiko für ein Endometriumkarzinom bei Frauen mit Östrogenmonotherapie mit 1,8 angegeben, diese Zahl ist mit der retrospektiven Risikoberechnung von Horwitz und Feinstein [62] gleichzusetzen (Tab. 8). Etwa 18,5% aller Frauen mit adenomatöser Endometriumhyperplasie entwickeln ein Endometriumkarzinom bei kurzer Behandlungsdauer, etwa 30% bei lOjähriger Behandlungsdauer [63], fast 50% aller Frauen mit adenomatöser Endometriumhyperplasie entwickeln ein Adenokarzinom innerhalb eines Beobachtungszeitraums von 2 — 8 Jahren [64], Das Risiko eines Endometriumkarzinoms ist etwa 4 —8 x höher bei alleiniger Östrogentherapie im Vergleich zu unbehandelten Frauen. Tabelle 8
Alleinige Östrogensubstitution in der Postmenopause — Risiko eines Endometriumkarzinoms (Retrospektive Studien).
Autor
Patienten n
Kontrollen n
Relatives Risiko
Antunes et al. 1979 [67] Smith et al. 1975 [68] Hulka et al. 1980 [69] Horwitz & Feinstein 1978 [62] Gray et al. 1977 [70]
509 317 256 119 94
438 317 224 119 188
6,0 7,5 4,1 1,7 7,6
Die zusätzliche Gestagengabe vermag Hyperplasien zurückzubilden und die Häufigkeit des Endometriumkarzinoms zu vermindern. Gestagene reduzieren zelluläre Östradiolrezeptoren, fördern den Abbau von Östradiol zu Östron-
280
Prävention und Therapie
sulfat und vermindern die intrazelluläre Verfügbarkeit von Östradiol. Daher sollte bei Frauen mit erhaltenem Uterus regelmäßig ein Gestagen neben der Östrogenkomponente eingesetzt werden, das optimale Behandlungsintervall, Art des Gestagens und Tagesdosis werden kontrovers diskutiert. Eine Behandlungsdauer von mindestens 10, besser 12 — 14 Tagen sequentiell sollte nicht unterschritten werden. Ungefähr äquipotente Tagesdosen sind 10 mg Medroxyprogesteronazetat und 0,7 — 1 mg Norethisteronazetat. Die Inzidenz einer Hyperplasie kann auf 3 — 4% reduziert werden bei 7tägiger und auf 2% bei lOtägiger monatlicher Gestagengabe, die vollständige Protektion tritt bei mindestens 12tägiger Einnahme auf [65]. Die mit dieser Behandlung verbundenen monatlichen Abbruchblutungen werden von vielen postmenopausalen Frauen nicht toleriert, häufig scheitert daran eine Substitutionsbehandlung. Alternativ wurde daher ein neues Behandlungsprinzip entwickelt, das sich durch die kontinuierliche tägliche Gabe sowohl des Östrogens als auch des Gestagens unterscheidet [66]. Damit werden Östrogenmangelsymptome gleichermaßen behoben wie durch die zyklische Sequenztherapie, zusätzlich kommt es nicht zu einem Wiederaufleben von regelmäßigen Menstruationen. Die große Mehrheit der Patientinnen ist nach einjähriger Therapie anhaltend amenorrhoisch. Die Häufigkeit des Endometriumkarzinoms ist unter dieser Therapievariante im Vergleich zu Kontrollen nicht erhöht. Tabelle 9
Östrogensubstitution in der Postmenopause — Häufigkeit von Brustkrebs (Relatives Risiko in Abhängigkeit von der Östrogenexpositionszeit).
Autor
Patienten n
Kontrollen n
Relatives Risiko
Wingo et al. 1987 [71] Kaufman et al. 1984 [72] Hoover et al. 1981 [73] Bergkvist et al. 1989 [74] Hulka et al. 1982 [75] Buring et al. 1987 [76] Nachtigall et al. 1979 [77]
1369 1610 345 208 196 110 84
1645 1606 611 653 1303 111 84
1,0-1,7 0,8-1,1 1,4-2,0 0,7-1,7 1,2-1,8 0,9-1,5 betont lokaler Erhalt und Anbau von Knochenmasse 2. Systemische, unspezifische Bewegungstherapie (z. B. Gehen und Laufen, Einzelund Gruppengymnastik, Gruppenspiele, Einzel- und Gruppensport) —• Erhalt und Verbesserung zahlreicher (auch nicht-motorischer) Funktions- und Regelsysteme —• Erhalt und Verbesserung muskulärer, bindegewebiger und knöcherner Strukturen —> Erhalt und Verbesserung der allgemeinen Vigilanz, der Beweglichkeit und des körperlichen Geschicks ( = verminderte Unfallrate) 3. Systemische UV-Exposition bei Osteoporomalazie —• Physiologische Anregung des Vitamin D-Metabolismus unter Ausnützung natürlicher Schutzmechanismen vor einer Überdosierung Physikalische Therapie bei Osteoporose (Schmerzsymptomatik, Fehlhaltungen, algo-dystrophe Entwicklungen) 1. Krankengymnastik (im Trockenen und im Wasser) a. Dehntechniken kontrakter Muskulatur b. Kräftigung und Tonisierung schlaffer Muskulatur c. Mobilisation von Gelenkstrukturen (teilweise auch manuelle Therapie) d. Gang- und Haltungsschulung e. Bewegungstherapie als Kontrairritation bei Schmerz und Algodystrophie 2. Ergotherapie —• Vermeiden ungünstiger und Einüben günstiger Bewegungsabläufe
Physikalische Therapie und Krankengymnastik Tabelle 1
293
(Fortsetzung)
3. Massage (Haut und Subkutis, Muskulatur, Periost) a. Umfassende, lösende und lockernde Massagetechniken b. Gezieltes Aufsuchen und Therapie sog. Maximal- und Triggerpunkte und -zonen 4. Wärme- und Kältetherapie Häufig in Kombination mit 1. und 3. —* Überwiegend neurophysiologisch vermittelte Wirkungen auf den Bewegungsapparat und die Schmerzempfindung 5. Elektrotherapie a. Hydrogalvanische Voll- und Teilbäder b. Iontophorese mit lokalen Schmerzmitteln c. Schmerzdämpfende Behandlungen mit niederfrequenten Wechselströmen, teilweise mit detonisierenden und durchblutungsfördernden Wirkungen 6. Balneotherapie a. Süßwasserimmersion —• Günstige Wirkungen einer Schwerelosigkeit in Wasser, u. U. in Kombination mit einer Bewegungstherapie b. Spezielle Balneotherapie in ortsgebundenen Heilwässern, Moorbäder und pflanzliche Badezusätze —» Pharmakodynamische(?) und reflektorische (?) Wirkungen von Badeinhaltsstoffen
4.4.1 Erstprävention der Osteoporose [1,2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 1 0 , 1 1 , 1 2 ] * Das Skelettsystem dient der Statik und der Dynamik des menschlichen Organismus. Es entspricht einer grundsätzlichen Erfahrung mit fast allen biologischen Gegebenheiten, daß eine regelmäßige Beübung Substanz, Struktur und Funktion aufbaut sowie erhält (sog. trophische und funktionelle Adaptation) und daß ein unphysiologisch geschontes Gewebe atrophiert. Grundsätzlich gilt diese Erfahrung sicher auch für das Knochensystem; im Detail ergeben sich Fragen nach dem notwendigen Ausmaß körperlicher Belastung, nach der optimalen Qualität körperlicher Belastung und nach der Wirksamkeit einer solchen Therapie in Abhängigkeit von dem Lebensalter. Für eine kombiniert nutritive, pharmakologische und physikalische Therapie gilt es, die gegenseitigen Beeinflussungen solcher Maßnahmen zu erfahren.
* Literatur nach diesem Kapitel.
294
Prävention und Therapie
4.4.1.1 Körperliche Aktivität und Knochenmineralgehalt Zunächst einmal überrascht die schnelle Déminéralisation gesunder Knochen gesunder Versuchspersonen bei einer körperlichen Immobilisation. Entsprechende Beobachtungen wurden — auch tierexperimentell — in der Weltraummedizin gemacht [13] und z. B. auch bei Bettruhe über mehrere Wochen [14], Eine der ersten und bekanntesten Studien zur Prävention solcher Immobilisationsosteoporosen stammt von Issekutz et al. [15]: Bei bettlägrigen jungen Männern benutzten sie die aktuelle Kalziurese als Maß für den knochenatrophischen Prozeß. Die vermehrte Kalziumexkretion konnte durch eine täglich vierstündige Ergometrie in liegender oder sitzender Position und durch einen täglich achtstündigen Aufenthalt in sitzender Position nicht aufgehalten werden. Wohl aber beeinflußte ein täglich dreistündiges Stehen die Kalziurese signifikant. Bei dem untersuchten Kollektiv hat also vor allem die statische Belastung Osteoporose-verzögernd gewirkt. Ähnlich werden interindividuelle Vergleichsstudien an Gesunden interpretiert, nach welchen Tennisspieler im Vergleich zu Schwimmern einen besonders großen Mineralgehalt der Fersenbeine aufweisen [16], und nach denen Gewichtheber unter den Sportlern verschiedener Disziplinen den größten Mineralgehalt besitzen [16]. /Miraindividuelle Vergleichsstudien haben z. B. bei Tennisspielern eine stark ausgeprägte Hypertrophie des Humérus an der tennisspielenden oberen Extremität bestimmt: Die Kortikalis war bei Männern um 35% und bei Frauen um 28% dicker als auf der kontralateralen Seite [17]. Als physiologische Grundlagen dieser belastungsinduzierten Knochenbildungen werden lokale elektrische Phänomene und biochemische Reaktionen diskutiert [9], Sämtliche zitierten Befunde wurden an Gesunden bzw. überwiegend gesunden Sportlern erhoben, bei denen vorausgesetzt werden kann, daß sie auf einen physiologischen Reiz adäquat reagieren. Es bleibt fraglich, ob diese Beobachtungen auf den Osteoporosekranken übertragen werden dürfen; es könnte auch gelten, daß diese zu einer adäquaten trophischen Adaptation nicht mehr in der Lage sind. Im Sinne einer sehr früh einsetzenden Prävention wurde daher vorgeschlagen, daß bereits ab der frühen Jugend eine maximale Knochenmasse angestrebt werden soll („peak bone mass" in der angelsächsischen Literatur), so daß der später obligate Abbau ab etwa dem 30. bis 40. Lebensjahr von einem hohen Niveau aus beginnt und die frakturgefährdete Grenze erst spät unterschritten wird. Uns erscheint dieses Konzept unrealistisch. Die Vorstellung, daß der jährliche prozentuale Mineralverlust unabhängig von den Ausgangswerten erfolgt, erscheint uns nicht hinreichend belegt.
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
295
Eine quantitativ relevante statische Belastung fördert also den knöchernen Anbau in der unmittelbar betroffenen Region. Sind die bisher vorgetragenen Befunde und klinischen Beobachtungen in ihrer Gesamtheit einleuchtend und plausibel, so haben spätere Längsschnittstudien überrascht, nach welchen auch eine gering dosierte Belastung bei osteoporotischen Patienten (überwiegend bei postmenopausalen Frauen) den Knochen günstig beeinflußt [18, 19, 4, 5, 9, 10, 20, 21]. Vor allem wurden auch solche Knochen beeinflußt, welche selbst nicht belastet worden sind. Beispielhaft schildern wir die Ergebnisse von Kralner et al. [5]: Ein Kollektiv osteoporotischer Frauen (50 — 73 Lebensjahre) wurde über 8 Monate 2mal wöchentlich über jeweils eine Stunde mit einem üblich dosierten krankengymnastischen Übungsprogramm therapiert (einfaches Gehen, Laufen, Übungen im Stehen, im Sitzen, im Liegen, im Kriechen und einfache Ballspiele). Gleichzeitig wurden die Versuchspersonen angeregt, im häuslichen Bereich weiter zu üben. Während der Beobachtungszeit nahm der Mineralgehalt in der Wirbelsäule um 3,5% zu, während er in einer Kontrollgruppe gleichzeitig um 2,7% sank. Smith et al. [21] erreichten bei älteren Frauen (x = 81 Lebensjahre) in 3 Jahren mit einer 3mal wöchentlichen Hockergymnastik (jeweils 30 Minuten) einen Anstieg des knöchernen Mineralgehalts im distalen Radius um 2,3%, während dieser in der Kontrollgruppe in dem gleichen Zeitraum um 3,3% abgenommen hat. Ähnlich konnten Ringe et al. [9] (dort auch weitere Literatur) bei im Mittel 80jährigen Senioren den obligaten Mineralverlust des Radius (in der Kontrollgruppe — 2,8% in 14 Monaten) auf fast 0% reduzieren. Das sehr milde Trainingsprogramm hatte aus einer 3mal wöchentlichen Gymnastik über jeweils 20 Minuten und aus täglich 10 Minuten abendlicher Selbstübung bestanden. Bei anderen Untersuchern [9] hatte bereits ein einfaches Spazierengehen günstige Auswirkungen auf den Radius postmenopausaler Frauen. Dieser selbst war gar nicht belastet worden!
4.3.1.2
Systemische
Effekte gesteigerter
Aktivität
Bei diesen und ähnlichen Beobachtungen muß es sich um Wirkungen handeln, denen andere als lokal trainierende und trophisch adaptierende Vorgänge zugrunde liegen. Smith und Raab [16] diskutierten einen Anstieg plasmatischer Östrogenspiegel (Ergebnisse von Wallace, [22]) mit einer verminderten parathyreoidalen ossären Empfindlichkeit. Damit denken diese Autoren an eine Wirkmodalität, welche in der bisherigen Osteologie kaum Beachtung findet; in der allgemeinen Physiotherapie und besonders auch in der Sportmedizin wurde sie inzwischen vielfach beschrieben: Danach hat wiederholte körperliche Aktivität unter anderem auch erhebliche endokrine Wirkungen (Übersicht bei [2]). Sie beeinflußt weniger die endokrin aktive Drüse selbst, als daß
296
Prävention und Therapie
sie die endokrine Empfindlichkeit in der Peripherie moduliert (peripherer Rezeptorbesatz von Zielzellen und postrezeptorische Vorgänge). Die Effekte sind also weniger anhand plasmatischer Hormonspiegelvorgänge zu objektivieren als an den biologischen Reaktionen auf ein zugeführtes Hormon. Entsprechende Beobachtungen werden besonders für Katecholamine (Kreislaufreaktionen, Lipolyse) und für Insulin (Zuckerhaushalt, Lipolyse) mitgeteilt (Übersicht bei [2]). Die Pathogenese der Osteoporose ist noch weitgehend unbekannt, ebenso sind die Wirkprinzipien endokriner und anderer Therapien überwiegend noch ungeklärt. Die angedeuteten Beobachtungen aus anderen Bereichen der Bewegungstherapie könnten wichtige Anregungen bedeuten. Damit haben wir Grundlagen gewonnen, den Einsatz körperlichen Trainings zu differenzieren (Tab. 2): Für die unmittelbare Kräftigung des Knochensystems (vielleicht auch für den Erhalt einer günstigen Struktur?) erscheinen mehr isometrische und statische, damit aber auch anaerobe Übungen sinnvoll. Tabelle 2
Systematik von Bewegungsübungen nach mechanischen, pragmatischen und metabolischen Gesichtspunkten (nach Bühring, 1987 [2]).
Isotonisch
Isometrisch
mit konstanter Spannung (und wechselnder Muskellänge)
mit konstanter Muskellänge (und wechselnder Spannung)
Dynamisch
Statisch
rhythmisch wechselnde Belastung agonistischer und antagonistischer Muskelgruppen
gleichmäßig länger anhaltende Belastung von Muskelgruppen
Aerob
Anaerob
z. B. oxydative Phosphorylierung Beisp.: Laufen, Schwimmen, Ballspiele, Radfahren, „Aerobic(!)"-dance
z. B. Glukose zu Laktat Beisp.: Gewichtheben, vieles Geräteturnen, Schiabfahrtslauf, hand-grip (im physiologischen Experiment)
Beispielhaft zeigt Abbildung 1 ein Programm für eine vielfältige Belastung der Unterarmknochen. Für die Beeinflussung vegetativer und endokriner Ausgangswerte und Regelfunktionen werden mehr isotonische, dynamische und aerobe Übungen empfohlen. Das auch für andere sporttherapeutische Ziele empfohlene Ausmaß körperlicher Aktivität [23; s. auch 4, 11] entspricht durchaus den gewählten Bedingungen der oben zitierten Studien. Gleichzeitig werden mit solchen Übungsprogrammen auch günstige kardiozirkulatorische, pneumologische, metabolische (0 2 -Metabolismus, Fett- und Zuckerhaushalt, Harnsäure) und
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
297
Abb. 1 Beispiele einer Krankengymnastik mit Zug-, Druck- und Scherbelastungen für die Unterarmknochen (nach Ayaion et al., 1987 [18]).
auch psychische Wirkungen erreicht [Übersicht bei 24, 1], Dieses gilt auch für den älteren Menschen [25]. Körperliche Beübung verbessert die Struktur und Funktion von Bändern, Sehnen und Gelenkstrukturen [26]. Sie führt zu einer verbesserten Beweglichkeit [27] und zu einem erhöhten motorischen Geschick. Damit senkt sie gleichzeitig das Unfallrisiko mit der Konsequenz weiterer Frakturen [28].
4.4.2 Heliotherapie bei Osteoporomalazie Verfeinerte Möglichkeiten der Diagnostik haben aufgezeigt, daß bei einer Reihe von Patienten mit Osteoporose eine gewisse osteomalazische Komponente mit von Bedeutung ist [29, 30, 31, 32, 33, 34, 35], In Extremfallen wurden bei Gastarbeitern oder bei Einwanderern aus südlichen Ländern in nördliche Regionen extreme Osteopathien festgestellt, welche überwiegend osteomalazischer Genese gewesen sind. Häufig hatten die betroffenen Personen in ihrer neuen Umgebung mit einer nur geringen UV-Exposition tradierte Sitten in bezug auf ihre Kleidung beibehalten [32]. Aber auch Vergleichsstudien bei Nordeuropäern und Nordamerikanern haben gezeigt, daß es innerhalb einer Population in Abhängigkeit von dem Breitengrad, von der Jahreszeit und von dem Arbeitsplatz (Arbeit im Freien und Arbeit in geschlossenen Räumen) zu erheblichen Schwankungen plasmatischer Vitamin D-Spiegel kommen kann [33, 34]. Es stellt sich die Frage, ob in solchen Fällen nicht doch eine Vitamin D-Behandlung sinnvoll ist. Für den interessierten Physiotherapeuten ergibt sich damit die Möglichkeit einer UV-Therapie, wie sie vor der Synthese des Vitamin D in der Pädiatrie außerordentlich segensreich gewesen ist. Eine grundsätzlich mehr „biologisch"
298
Prävention und Therapie
orientierte Therapie würde die natürliche UV-Exposition einer Vitaminsubstitution aus grundsätzlichen Überlegungen vorziehen. Gegenüber der standardisierten oralen Vitamin D-Medikation besitzt eine Heliotherapie den Vorzug, daß diese dem Organismus einen Schutz gegen Überdosierung beläßt: Unter der Bestrahlung bildet sich in der Haut aus einer Vorstufe (7-Dehydrocholekalziferol) das Prävitamin D 3 . Dieses gelangt in das Blut und wird über mehrere Schritte in der Leber und in der Niere in das wirksame l,25-(OH) 2 -Vitamin D 3 umgebaut [31]. Bei einer unphysiologisch starken UV-Belastung werden aber nicht beliebig große Mengen des Prävitamin D gebildet, sondern ab einer gewissen Konzentration in der Haut wird aus der Vorstufe das biologisch unwirksame Lumisterol gebildet [36], Ähnlich wurde für plasmatische Konzentrationen des 1-(OH)-Vitamin D gezeigt, daß es nach extremen UV-Expositionen nicht zu vergleichbar extrem hohen Plasmawerten kommt. Diese steigen nur bei Patienten mit einer Malabsorption auffällig an [37, s. a. 38], Der Organismus scheint also im Laufe seiner Entwicklung Vorgänge aufgebaut zu haben, welche ihn vor einer Intoxikation schützen. Die UV-Behandlung muß allerdings mit einer Wellenlänge erfolgen, die dem spektralen Bereich des UVB entstammt. Die maximale photochemische Umwandlung geschieht bei einer Wellenlänge zwischen 295 und 300 nm [39]. Es handelt sich um einen Bereich, welcher wohl in der natürlichen Sonne, nicht aber in den heute stark verbreiteten kosmetischen Solarien anzutreffen ist. Letztere arbeiten überwiegend mit dem längerwelligen UVA; unter UVA kommt es in der Haut zu einer direkten Bildung von Pigment, es fehlt die erythemale Reaktion und damit die Gefahr eines Sonnenbrandes. Eine UVPrävention und -Therapie der Osteoporomalazie müßte also mit Lampen durchgeführt werden, wie sie überwiegend in der dermatologischen Praxis vorhanden sind.
4.4.3 Physikalische Therapie von Schmerzsyndromen [40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50] Quälendes Leitsymptom manifest osteoporotischer Patienten ist der Schmerz. Die Osteoporose per se ist dabei weniger schmerzhaft. Schmerzen beruhen auf ihren Auswirkungen. Sie ergeben sich aus Mikro- und Makrotraumen der knöchernen Struktur (häufig akute Schmerzen), dazu aber auch aus statischen Dysbalancen und myotischen, tendinösen, ligamentären und periostalen Störungen (häufig chronische Schmerzen).
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
4.4.3.1 Neurophysiologische
299
Grundlagen
Ein wichtiges Moment für solche Schmerzsyndrome sind ungünstige Regelkreise, in welchen sich Schmerz, gestörte Funktion und Struktur gegenseitig bedingen und verstärken. Aus diesen circuli vitiosi konnten Gesichtspunkte für das Verständnis und für die Indikation physikalischer Therapie abgeleitet werden. Wir orientieren uns an einem Vorschlag von Zimmermann [51] (Abb. 2; ähnliche, zum Teil auch abweichende Darstellungen bei [45, 52, 53]): absteigende Bahn
Abb. 2
Hinterstrangbahn
Vorderseitensträng
Zur Neurophysiologie von Schmerzsyndromen und der sympathischen Reflex* oder Algodystrophie. Einzelheiten im Text (aus Zimmermann, 1987 [51]).
Danach führt Schmerz (Nozizeptor in Abb. 2) zu einer algischen Afferenz (Cund A 5-Fasern). Diese kann über den Vorderseitenstrang nach zentral fortgeleitet werden, der Schmerz wird bewußt empfunden. Überwiegend werden aber potentiell algische Afferenzen im Rückenmark oder in höheren zentral nervösen Strukturen gehemmt (2 und 3 in Abb. 2). Algische 4#erenzen „irritieren" aber auch motorische und vegetative Effcrenzen zurück in das schmerzende Gebiet selbst (eigenreflektorische Irritation) und in segmental zugeordnete „fremde" Regionen (fremdreflektorische Irritation; sympathische und motorische Efferenz in Abb. 2). Bei der Fremdirritation sind auch Verbindungen zwischen inneren Organsystemen und der Körperoberfläche möglich [54]. In einem gewissen Sinne gehört zu solcher fremdreflektorischen Irritation auch, daß diese auf benachbarte Segmente übertragen werden kann. Die
300
Prävention und Therapie
anatomische Basis sind aufsteigende und absteigende Bahnen innerhalb der zentralen internuntialen Verschaltungen. Die motorische und die vegetative Störung (mit der evtl. Folge weiterer Schmerzen) breitet sich nach kranial oder nach kaudal aus. Für den motorischen Apparat führt die Fehlinnervation zunächst zu einer erhöhten Muskelspannung mit der Möglichkeit tendinöser, tendovaginöser, bursaler und periostaler Störungen, z. B. im Sinne einer Enthesiopathie. Länger bestehende muskuläre Dystonie führt zu Fehlhaltungen, Fehlmotorik und knöchernen Veränderungen i. S. arthrotischer und spondylotischer Entwicklungen. Für die vegetative Komponente einer oben charakterisierten Irritation werden vor allem Auswirkungen auf die Durchblutung und auf die Mikrozirkulation diskutiert. Vermutet wird eine erhöhte Kapillarpermeabilität mit der Ausbildung eines eiweißreichen Ödems bei einer gleichzeitig gestörten Lymphangiomotorik [55]. In dieser Situation vermehren und differenzieren sich ruhende Bindegewebszellen, teilweise bilden sie bindegewebige Grundsubstanz, welche das ödematöse Gewebe organisiert [56]. Der Vorgang entspricht der Pathophysiologie des M. Sudeck, etwa dem Stadium I und II (akutes und dystrophisches Stadium an den Weichteilen); im Stadium III (atrophisches Stadium) käme es zu einer allgemeinen Atrophie und Schrumpfung bindegewebiger Fasern und Grundsubstanz. Entsprechend dieser Pathophysiologie wurde der Begriff einer Algodystrophie oder einer sympathischen Reflexdystrophie geprägt. Neben und mit dem muskulären Hypertonus und gestörter Gewebetrophik bestehen verschiedene Bedingungen für weiteren Schmerz. Von besonderem Interesse für spezielle Schmerzsyndrome bei Osteoporose ist das Modell der sog. pseudoradikulären Irritation. Hierbei kommt der auslösende Schmerz aus Strukturen der Wirbelsäule oder aus Wirbelsäulen-naher Muskulatur. Der Schmerz unterhält (und verstärkt) sich nach dem Schema der Abbildung 2, und er irritiert fernergelegene, segmental zugeordnete und benachbarte Regionen. Es kommt zu den charakteristischen weichteilrheumatologischen Syndromen (s. o.), inklusive Veränderungen der Haut und der Subkutis [57], Letztere sind in der praktischen Medizin noch nicht hinreichend bekannt und zum Teil auch umstritten; wegen der besonderen diagnostischen Bedeutung stellen wir sie weiter unten ausführlicher dar (s. 4.4.3.2). Die unscharfe Begrenzung pseudoradikulärer Syndrome unterscheidet diese charakteristisch von den länger bekannten radikulären Syndromen in der Neurologie mit einer Störung oder Erkrankung von Nerven selbst. Ob und in welchem Ausmaß diese pseudoradikuläre Irritation auch segmental be-
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
301
grenzt Osteoporose auslösen kann (wie bei der klassischen Algodystrophie) ist wohl noch offen. Für das weitere Verständnis müssen wir noch den Begriff algischer Maximalund algischer Triggerpunkte erläutern; sie fügen sich ebenfalls in das Schema der Abbildung 2 ein: algische Maximalpunkte oder -zonen sind besonders schmerzhafte, umschriebene Gewebe innerhalb der Körperdecke (überwiegend Subkutis, Muskulatur, Periost). Oft schmerzen sie nicht spontan, sondern sind sie erst auf einen zusätzlichen Druck empfindlich. Sie werden mit einer sorgfältigen Palpation erkannt (Einzelheiten s. 4.4.3.2). Für die Pathophysiologie solcher Punkte und Zonen wird angenommen, daß die sicher anzunehmenden, spontanen algischen Afferenzen aus diesem Bereich überwiegend gehemmt werden (Abb. 2); in der Regel besteht also keine spontane Schmerzhaftigkeit. Erst der zusätzliche mechanische Reiz führt zu einer Intensität, welche dann als ein starker Schmerz empfunden wird. Für Triggerpunkte wird zusätzlich angenommen, daß sie nicht nur potentiell schmerzen, sondern daß sie auch fremdreflektorisch irritieren im Sinne der obigen Ausführungen: Sie „triggern" weiteren Schmerz und weitere Dystrophie. Triggerpunkte und -zonen ohne eine spontane oder Ruheschmerzhaftigkeit werden als stumm bezeichnet. Die allgemeine Klinik (zum Teil auch stummer Triggerpunkte) besteht in einer Steifigkeit, einer verminderten Muskelkraft, einer raschen Ermüdbarkeit sowie einer tiefen und dumpfen Schmerzhaftigkeit. Letztere ist ausgedehnter und deutlich unterschieden von dem meist scharfen und gut lokalisierbaren Schmerz bei der Palpation solcher Punkte. Der Spontanschmerz wird verstärkt bei länger unveränderter Position oder durch eine bereits geringe bis mäßige Belastung. Neben Schmerz triggern solche Bereiche auch eine Vielzahl weiterer autonomvegetativer Phänomene und auch Störungen der Propriorezeption mit z. B. Schwindel, Gang- und Standunsicherheit. In dem aktuellen Zusammenhang unseres Themas interessiert der vertebragene Schwindel (s. o. die pseudoradikuläre Irritation) als gleichzeitige Ursache eventueller traumatischer Ereignisse. Für den Patienten mit Osteoporose hatten wir bereits Knochenschmerzen nach Frakturen oder Impressionen und Gefügestörungen als eventuelle Trigger weiterer Schmerzsyndrome erkannt. Zusätzliche Momente für Myalgie sind Überlastungen (z. B. beruflich), Fehlbelastungen mit inadäquaten Bewegungsabläufen, weitere Traumen, Viszeralerkrankungen (s. o.), thermische Einflüsse sowie psychische und emotionale Faktoren [58], Es ergeben sich Gesichtspunkte für die Ergotherapie, für die allgemeine Hygiene und auch für die psychische Führung solcher Patienten.
302
Prävention und Therapie
Damit sind Grundlagen gewonnen, die physikalische Therapie gezielt und begründet einzusetzen. Theoretisch bestehen zwei unterschiedliche Intentionen: die Linderung oder Sanierung schmerzhafter Befunde selbst (a) und die Unterbrechung zentraler Übertragungen in der Fortleitung algischer Afferenzen und dem Aufbau zentrifugaler Irritationen (b); (a) wäre die eigentlich kausale Therapie, in der Regel werden beide therapeutischen Ziele gleichzeitig angestrebt. Vor jeder Behandlung erfolgt aber eine spezielle, an physikalischer Therapie orientierte Diagnostik.
4.4.3.2 Diagnostische
Möglichkeiten
Wir beschränken uns auf die Beobachtungen, welche der praktische Arzt und der Allgemeinarzt beherrschen sollten. Der spezialisierte Internist, der Rheumatologe und besonders der Orthopäde wird sich darüber hinaus an der speziellen, z. B. auch manualtherapeutischen Literatur orientieren [59, 60, 61, 62, 63]. Zunächst einmal imponiert die häufige Fehlhaltung eines Patienten mit Schmerzsyndromen bei Osteoporose. Für die Wirbelsäule haben Dambacher et al. [41] auf charakteristische Fehlentwicklungen der Rumpfmuskulatur aufmerksam gemacht (Abb. 3): Die mehr tonisch arbeitende Muskulatur neigt zu Verkürzungen und zu Myotendinosen; die mehr phasisch arbeitende Muskulatur neigt zu einer Abschwächung. Spezielle Funktionsproben sind in der Lage, einzelne Muskel und Muskelzüge selektiv zu beurteilen [59]. Sie erfassen die Kraft, die Spannung, die Dehnbarkeit und den Schmerz solcher Muskeln. Die Palpation orientiert sich an Techniken und Erfahrungen aus der Massage, sie prüft die Spannung, das Volumen und die Rheologie von Gewebe; aus Reaktionen und Mitteilungen des Patienten beurteilt sich auch der Schmerz. Für den Muskel sind solche Untersuchungen allgemein bekannt, sie erfolgen mit der palpierenden, häufig auch leicht zirkulierenden Fingerkuppe. Oft werden umschriebene hypertone und algische Muskelstränge innerhalb eines Muskels auch bei Querfriktionen erkannt. Maximale Druckschmerzhaftigkeiten finden sich häufig in den proximalen und distalen muskulo-tendinösen Übergängen. Diese werden bis zu ihrem knöchernen Ansatz verfolgt (s. u.). Gelegentlich sind besondere Haltungen und Positionen notwendig, um einzelne Anteile bei günstig vorgespannter Muskulatur zu erreichen. Der knöcherne Ansatz schmerzhafter Muskulatur ist häufig ebenfalls stark dolent, es handelt sich um eine Insertionstendinopathie oder eine Enthesiopathie. Auch über weiteren knöchernen Anteilen ist das Periost häufig stark druckdolent, gelegentlich besteht auch der Tasteindruck einer gewissen Anschwellung in solchen Bereichen. Typische Regionen sind die Dornfortsätze
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
Abb. 3
303
Typische Entwicklung einer muskulären Dysbalance und Fehlhaltung mit Verkürzung tonischer Muskulatur (schwarz) und abgeschwächter phasischer Muskulatur (hell). Es kommt zu einer vermehrten Beckenkippung (1), einer vermehrten LWS-Lordosierung (2), einer vermehrten BWS-Kyphosierung (3), einer vermehrten HWS-Lordosierung (4), einer Verlagerung des Kopflotes (5), einer schlaffen Bauchdecke (6) und zu nach vorn gezogenen Schultern (7) (nach Dambacher et al., 1977 [41]).
der Wirbelkörper und über den Rippen, bei letzteren im ventralen Bereich der unteren Rippenbögen und im sterno-kostalen Übergang. Reflexdystrophe und pseudoradikuläre Irritation führt auch zu Veränderungen der Haut und Subkutis. Typische Beobachtungen wurden in größerem Umfang erstmals in den 40er Jahren gemacht (Dicke, Teirich-Leube, Kohlrausch, Wünsche; Übersicht und Literatur bei [65, 62]). In Zusammenhang mit inneren Organerkrankungen wurden ödematöse Anschwellungen und Verhärtungen in der Subkutis festgestellt. Die damalige Terminologie sprach von einer Quellung und einer Induration bzw. Verhaftung solcher Abschnitte in der Haut. Von einer Verhaftung insofern, als daß die Haut und Subkutis mit der Unterlage fester verbunden schien; auf mechanischen Zug bzw. Schub innerhalb der Haut (bei tangentialer Bewegung eines oder mehrerer Finger
304
Prävention und Therapie
Abb. 4
Sog. skin-rolling-test: Eine zwischen den Fingern abgehobene Falte wird über den Rücken von kaudal nach kranial „abgerollt" (z. B. Schuh 1986 [62]).
unter mäßigem bis mittlerem Anlagedruck) oder bei dem Versuch, eine Hautfalte von der Unterlage abzuheben oder abzurollen (skin-rolling-test in der angelsächsischen Literatur, siehe Abb. 4), schien diese Subkutis mit der Unterlage fester verwachsen. Ein drittes Kriterium solcher Haut ist ein scharfer, epikritischer Schmerz, wenn z. B. eine abgehobene Falte zwischen den Fingern gequetscht wird. In Zusammenhang mit solchen Beobachtungen wurde die sog. Bindegewebsmassage entwickelt [Übersicht bei 62], die entsprechend veränderte kutane und subkutane Kröperdecke wurde als „bindegewebige" Zone bezeichnet. Solche Zonen sind auch bei weichteilrheumatologischen und orthopädischen Erkrankungen bekannt, die klinsiche Relevanz wird unterschiedlich bewertet. Zum Teil besitzen sie als sog. Pannikulose sicher nur eine kosmetische Bedeutung, in Zusammenhang mit Grunderkrankungen der oben besprochenen Art liefern sie Grundlagen für eine gut wirksame Therapie. Im Gegensatz zu der einfachen Pannikulose besteht dann fast regelhaft eine vermehrte bis starke Schmerzhaftigkeit bei mechanischer Irritation. Erst die beschriebene Diagnostik liefert Grundlagen für eine rationale physikalische Therapie. Der Arzt muß in der Lage sein, Schmerzhaftigkeiten gut zu lokalisieren, auch „stumme" Triggerpunkte und -zonen (s. o.) müssen erkannt werden. Fehlhaltungen, Fehlbewegungen und muskuläre Dysbalancen müssen wahrgenommen werden, eine genaue Einordnung und der detaillierte Entwurf einer Therapie sind in diesem Fall auch durch den Krankengymnasten und Ergotherapeuten möglich. Physikalische Therapie hat dann zunächst probatorisch zu erfolgen, die Verträglichkeit einzelner Maßnahmen (z. B. Wärme- und Kältetherapie, Massage)
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
305
ist unterschiedlich. Grundsätzlich werden Programme bevorzugt, die nach einer gewissen Schulung auch selbständig möglich sind und welche die Selbständigkeit und Eigeninitiative eines Patienten erhalten. Lokale Schmerzhaftigkeiten werden gerne auch neuraltherapeutisch bzw. mit einer therapeutischen Lokalanästhesie [66] behandelt, bei periostalen Schmerzhaftigkeiten gerne auch mit einem geringen Zusatz von Kortison. Selbstverständlich gilt es auch, weitere, Osteoporose-unabhängige Erkrankungen zu erkennen und einzuordnen. Beispielhaft nennen wir eine allgemeine oder regionale Osteoarthrose, Osteochondrose, Spondylose, gerade bei älteren Patienten selbstverständlich auch maligne Entwicklungen. Schrittmacher und Metallimplantate verbieten besondere Formen der Elektrotherapie. Gerinnungsstörungen oder eine entsprechende Medikation sind Kontraindikationen forcierter Massagen. Fortgeschrittene Herzinsuffizienz und ernsthafte Rhythmusstörungen sind Gesichtspunkte gegen eine Balneotherapie (s. 4.3.3.9).
4.4.3.3 Krankengymnastik
und
Bewegungstherapie
Grundsätzliche Ausführungen haben wir bereits bei der Darstellung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen gemacht. Darüber hinaus sind auch günstige Auswirkungen auf die Schmerzwahrnehmung und Schmerzverarbeitung dokumentiert [44, 4], In Abbildung 2 handelt es sich um die Situation, daß auch absteigende (motorische) Bahnen Hemmneurone aktivieren. Körperliche Aktivität kann unmittelbar, aber auch mittelbar über psychische Wirkungen detonisierend und relaxierend die Muskulatur beeinflussen und Angst und Spannungsgefühle mindern [24], Körperliche Aktivität beeinflußt das Schmerzerleben zusätzlich über eine Steigerung von Körpergefühl und -Wahrnehmung, über einen vergrößerten, auch sozialen Aktionsradius sowie über eine Erhöhung der Motivation für Mobilisierung und weitere Therapie. So haben sehr einfache Übungen am Arbeitsplatz bereits zu einer eindrucksvollen Besserung der allgemeinen Befindlichkeit geführt, ohne daß bereits auch objektive Befunde für die Schmerzhaftigkeit gebessert werden konnten [67]. Für die spezielle Problematik verspannter bzw. schlaffer und schwacher Muskulatur kann angenommen werden, daß eine globale Bewegungstherapie bereits ausgleichend wirkt. Es gilt das grundsätzliche physiotherapeutische Prinzip, daß eine physiologische, nicht schmerzhafte und nicht fehlbelastende Beübung Trophik und Regulation überwiegend verbessert.
306
Prävention und Therapie
Spezielle Krankengymnastik und manuelle Therapie versuchen, verspannte Muskulatur gezielt zu detonisieren und zu dehnen bzw. atonische Muskulatur zu kräftigen. Neben der unmittelbaren Wirkung am Muskel selbst werden Einflüsse auf die Innervation der antagonistischen Muskulatur und auf die agonistisch-antagonistische Koordination ausgeübt. Nach den neurophysiologischen Ausführungen (z. B. über die pseudoradikuläre Irritation, s. o.) gilt es vor allem aber auch, eventuelle „zentrale" Ursachen myalgischer Syndrome zu erkennen und mitzubehandeln. Es wurden verschiedene Schulen krankengymnastischer Therapie entwickelt; gemeinsam ist mehreren, daß sie auf „neurophysiologischer Grundlage" im Sinne obiger Ausführungen arbeiten. Manche aktive und passive Behandlungen sind besonders günstig in einem sog. Schlingentisch durchführbar, hierbei werden der Körper bzw. Teile des Körpers in waagerechter Position an gut durchdachten Halterungen aufgehängt, sie befinden sich in einem quasi schwerelosen Zustand. Die bekannteste Methode ist die passive (durch den Physiotherapeuten) und die aktive (durch die aktive Anspannung der antagonistischen Muskulatur) Dehnung verspannter Muskulatur. Besonders wirksam sind solche Dehnungen, wenn die Muskelgruppe vorher noch einmal maximal angespannt worden ist. Für diese Behandlungsart wurde der Begriff einer postisometrischen Dehnung entwickelt [68, 69, 70, 50]. Durch eine solche Dehnungsbehandlung lassen sich auch periostale Schmerzpunkte lindern oder sogar beseitigen. Gerne werden solche Dehnungen mit einer Kryotherapie (s. u.) kombiniert. Ein ähnliches krankengymnastisches Verfahren besteht darin, daß der Patient nach einer ebenfalls aktiven Anspannung verspannter Muskulatur das angenehme und entspannende Gefühl der postisometrischen Relaxation erlebbar gemacht bekommt [68, 45]. Diese Behandlungsart beinhaltet bereits Momente einer suggestiven bzw. autosuggestiven Behandlung, wie sie z. B. dem Wärmeund Schweregefühl des autogenen Trainings entsprechen kann. Das zweite krankengymnastische Bemühen zielt nach einer Tonisierung und Kräftigung übermäßig erschlaffter Muskulatur [69, 41, 42], Mit dieser soll vor allem eine Haltungskorrektur erreicht werden, auch eine ständige Fehlhaltung führt zu unphysiologischen statischen Belastungen und zu Verspannungen innerhalb des muskulo-skelettalen Systems. Ein typisches Beispiel für die Kräftigung der Rückenmuskulatur zeigt Abbildung 5. Gerade bei der Wirbelsäulengymnastik gilt es, besondere Regeln zu beachten: In einer kontrollierten und vergleichenden Studie zu verschiedenen Formen krankengymnastischer Therapie wurde bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose der Wirbelsäule und Rückenschmerzen der radiologische Befund in ca. 18 Monaten durch Flexionsübungen im Vergleich zu einer Kontroll-
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
307
t
Abb. 5
Übungsbeispiele zur Kräftigung der Rückenmuskulatur (nach Sinaki und Grubbs, 1989 [87]).
gruppe sogar verschlechtert (in 89% und in 67% zusätzliche Keilbildung oder Kompressionsfrakturen), während mit Extensionsübungen zusätzliche Schäden vermindert wurden (16% versus 67%). Das unterschiedliche Ergebnis beider Therapiegruppen war hoch signifikant [71]. Einen starken Impuls hat physikalische Therapie durch Krankengymnastik bzw. Bewegungstherapie im Wasser erfahren [72, 73, 74], In einer fast schwerelosen Situation kommt es zu einer allgemeinen muskulären Entspannung sowohl für die Haltearbeit wie für die agonistisch-antagonistische Regulation. Es werden aktive und passive Bewegungen möglich, welche im Trockenen u. U. nicht durchgeführt werden konnten. Teilweise werden sie durch Gewichte an kaudalen oder durch Auftriebskörper an kranialen Körperteilen unterstützt [75], Wasser setzt körperlichen Bewegungen einen sog. viskosen Bewegungswiderstand entgegen, in etwa steigt dieser mit dem Quadrat der Bewegungsgeschwindigkeit an. Damit besteht die Möglichkeit auch eines gut dosierbaren Muskeltrainings. Bewegung in Wasser beinhaltet ein zweites, oft günstiges Moment: Durch taktile Reize über die Haut werden dem Patienten seine Bewegungen noch einmal bewußt gemacht. Dieses „feed back" wird bei Patienten ausgenutzt, welche ein gestörtes Körpergefühl aufweisen, auch ohne definierte neurologische Ausfälle. Mit solchen ist z. B. bei älteren Menschen durchaus zu rechnen.
308 4.4.3.4
Prävention und Therapie Ergotherapie
Eine wesentliche Bedeutung in der Behandlung chronischer Schmerzzustände bei Osteoporose besitzt auch die Ergotherapie [44, 49], Mit ihrer Hilfe lassen sich verletzungsträchtige, risikoreiche und schmerzverstärkende Alltagssituationen und Bewegungsabläufe abbauen und angemessen ersetzen. Dies erleichtert die Mobilisierung und vor allem auch die Automobilisierung von Patienten. Es kommt zu günstigen Auswirkungen auf Schmerz, Psyche, Körpergefühl und Körperwahrnehmung sowie zu einer grundsätzlichen Motivation zu aktiver Therapie. Nicht selten läßt sich ein circulus vitiosus zwischen Schmerz, Verletzungsangst, Immobilisation und Depression wirksam durchbrechen.
4.4.3.5
Massage
Am Muskelsystem sind Krankengymnastik und Massage zum Teil konkurrierende Verfahren, zum Teil benutzen sie sogar identische Elemente physikalischer Therapie. Grundsätzlich sind bei Patienten mit Osteoporose Bewegungstherapien zu bevorzugen, sie beinhalten die zitierten, zusätzlichen günstigen Wirkungen auf das Knochensystem. Häufig ist muskulärer Schmerz aber auch der Massage besser zugänglich, dies gilt vor allem für umschriebene myalgische Bereiche und Muskelgruppen, welche der Krankengymnastik weniger gut zugänglich sind. Darüber hinaus werden neben der Muskulatur auch weitere Gewebe erfolgreich massiert. Die verschiedenen Grifftechniken stellen wir an dieser Stelle nicht dar [76, 77, 60, 61, 62, 78, 79, 80], es genügt, die Indikation für Massage ausreichend zu erkennen. Wir betonen noch einmal die Diagnostik umschriebener, oft typisch lokalisierter Maximalpunkte, welche mit besonderen Druckbehandlungen beeinflußbar sind: Die gezielte Kompression solcher umschriebenen Myalgien führt zunächst zu einem sehr heftigen Schmerz. Nach kurzer Zeit läßt dieser nach, und es besteht über längere bis lange Zeit Beschwerdefreiheit [60], Vorstellungen zur Wirksamkeit solcher Behandlungen stellen wir weiter unten im Zusammenhang mit der kontrairritierenden Therapie dar. Algische Periostosen werden mit der sog. Periostmassage nach Vogler [77] behandelt. Mit der Fingerkuppe oder dem Knöchel eines gebeugten Fingers wird ein an- und abschwellender Druck ausgeübt. Die Therapie bindegewebiger Zonen (s. o.) und schmerzempfindlicher Pannikulosen erfolgt mit verschiedenen Techniken der sog. Bindegewebsmassage [62], Das Prinzip besteht darin, daß H a u t und Subkutis in sich und gegeneinander bewegt werden sowie darin, daß tiefere Schichten der Subkutis von der Körperfaszie gelöst werden.
Physikalische Therapie und Krankengymnastik
309
Grundsätzlich werden Massagen zunächst vorsichtig dosiert. Einzelne Patienten erfahren bei schmerzhaften Grifftechniken eine Verstärkung ihrer algischen Symptomatik. Bei guter Verträglichkeit darf Massage durchaus aber auch schmerzhaft weitergeführt werden. Dies gilt insbesondere für die beschriebenen Drucktechniken, z. B. nach Marnitz [60], und für die Bindegewebsmassage. Muskelmassagen werden gerne mit einer oberflächlichen Wärmebehandlung kombiniert. Häufig benutzt werden z. B. Bestrahlungen mit infrarotem Licht oder heiße Packungen, z. B. mit Fango. In letzter Zeit werden Massagen aber auch nach Kältebehandlungen durchgeführt, z. B. nach Einreibungen mit Eis und nach Packungen mit kaltem Moor. Unter den mechanisch günstigen Bedingungen der Immersion (s. o.) werden erfolgreich Unterwasser-Druckstrahlmassagen durchgeführt. Bei insgesamt entspannter Muskulatur werden auch tiefe Muskelregionen erreicht. Der mechanische Reiz wird durch einen unterschiedlichen Druck (in der Regel 1—4 atü) und durch eine verschieden weite Öffnung des Schlauches dosiert. Ebenfalls in Wasser werden sog. Luft-Perlbäder durchgeführt. U m den Patienten aufsteigende Luftblasen führen zu sehr wechselnden feinen Hautreizen. Auch diese haben einen zum Teil hervorragenden analgesierenden Effekt. Aus der täglichen Erfahrung ist auch die gute Wirksamkeit einer heißen Dusche bekannt; es handelt sich um eine Kombination thermischer und mechanischer Einwirkungen auf die Haut. In letzter Zeit werden vermehrt sog. Dauerbrausen aufgestellt und angeboten, welche eine großflächige Behandlung unter kostengünstigen Bedingungen ermöglichen: Eine geringe Mengen einmal erwärmten Wassers wird mittels eines Pumpensystems wiederholt benutzt.
4.4.3.6
Wärme- und Kältebehandlung
Mit thermotherapeutischen Methoden [44, 81, 45, 82, 49] wird versucht, reflektorisch auf den Muskeltonus Einfluß zu nehmen. Bedeutsam scheint, daß diese Wärme über kutane Rezeptoren wirksam wird. Eine Hyperthermie der Muskulatur selbst scheint den Muskeltonus eher zu erhöhen, sie könnte phlogistische Prozesse eher anregen, und sie scheint die Empfindlichkeit einiger Typen von Schmerzrezeptoren zu steigern [Übersicht bei 47, 82], Für die Thermotherapie sind also eher Auflagen, Wickel und Packungen günstig als eine Tiefenhyperthermie im elektromagnetischen Feld [41, 42, 49], Ähnlich günstige Wirkungen sind aber auch mit einer Kältebehandlung erreichbar [44, 45, 82, 49], Die Kälte (z. B. Abreibungen mit Eis) wird nur für sehr kurze Zeit angewendet, das eigentliche therapeutische Ziel sind die
310
Prävention und Therapie
reaktive Hyperaemie (mit einer gleichzeitigen muskulären Relaxation?) und das subjektive Wärmegefühl. Darüber hinaus hat Kälte einen oft sehr zuverlässigen analgesierenden Effekt, gelegentlich wird diese Wirkung mit einer krankengymnastischen Behandlung kombiniert. 4.4.3.7
Thermotherapie als Versuch einer
Kontrairritation
Die Ausführungen über diese Therapie haben bereits deutlich werden lassen, daß nicht mehr ein unmittelbarer Effekt an der schmerzhaften Region angestrebt wird, sondern daß bereits „reflektorische" Wirkungen erreicht werden sollen. In dem Schema der Abbildung 2 würde es sich darum handeln, daß anstatt des dort eingezeichneten Mechanorezeptors Wärme- bzw. Kälterezeptoren angeregt werden, welche ein Hemmneuron anregen könnten. Eine weitere Möglichkeit zur Wirkung einer solchen Behandlung besteht in dem Prinzip der Kontrairritation: Bei kontrairritativen Analgesieverfahren [44, 45, 82, 47, 49, 50] wird durch intensive, meist nur kurze Zeit andauernde Reize, die über bzw. k n a p p unterhalb der individuellen Schmerzschwelle liegen, versucht, die Weiterleitung, Verarbeitung und Wahrnehmung der ursprünglichen nozizeptiven Impulse abzuschwächen oder aufzuheben. Als entsprechende Reize werden z. B. benutzt: Wärme, Kälte, mechanische Irritationen wie lokale Pressur und bestimmte Massage- oder Manipulationsgriffe, Einreibungen, elektrische Stimulationen, Nadelungen und lokale Injektionen. Wegen der Reizintensität werden manche dieser Verfahren auch als Hyperstimulationsanalgesie [83] bezeichnet. Ein Beispiel soll die Wirkungen und den postulierten Wirkungsmechanismus verdeutlichen: Intensive Stimulation der H a u t durch Kälte (z. B. Eismassage) wird durch dickere Afferenzen schneller geleitet als schmerzhafte Impulse aus der Muskulatur über dünne Afferenzen. Dies führt zu einer „Refraktärperiode", in welcher die Weiterleitung und die Verarbeitung bzw. Wahrnehmung der schmerzhaften Impulse „blockiert" sind. In dieser Zeit kann z. B. ein ansonsten schmerzhafter Muskel entspannt und auf seine normale Länge gedehnt werden. Daneben kann auch direkt durch „HyperStimulation" oder „Kontrairritation" z. B. die Erregbarkeit kutaner Rezeptoren temporär abgeschwächt oder aufgehoben werden. F ü r die schmerzlindernde Wirksamkeit auch in stimulationsfernen Körperregionen spielen „reflektorische" Verbindungen zwischen verschiedenen somatischen und/oder viszeralen Strukturen eine wesentliche Rolle (z. B. anti-viszerale oder anti-somatische Verbindungen). Für die Wirksamkeit solcher Analgesieverfahren liegen mittlerweile neben der umfangreichen klinischen Erfahrung und einer Vielzahl von Fallberichten auch eine Reihe kontrollierter Studien vor [s. 83].
Physikalische Therapie und Krankengymnastik 4.4.3.8
311
Elektrotherapie [84, 85, 44, 45, 46, 82, 49]
Überwiegend solche, in den neurologischen Regelkreis eingreifende Wirkungen sind wohl auch für die Elektrotherapie anzunehmen [44, 82], Bei einfachen galvanischen Strombehandlungen kommt es zu Reizerscheinungen an der Haut; in dem hydrogalvanischen Vollbad nach Stanger werden Elemente dieser Galvanisation mit Wirkungen der Schwerelosigkeit und Entspannung bei subaqualer Immersion kombiniert. Ein weiteres elektrotherapeutisches Verfahren mit stabilem galvanischen Strom ist die sog. Iontophorese. Hierbei werden gleichzeitig mit dem Strom z. B. Lokalanästhetika aufgebracht. Die elektrische Polung erfolgt dergestalt, daß das elektrisch differente Molekül mit dem Stromfluß in die Haut eingeschleust werden kann. Die Iontophorese ist am wirksamsten, wenn solche Behandlungen über besonders schmerzhaften Regionen der Haut im Sinne der oben beschriebenen bindegewebigen Zonen durchgeführt werden. In der sog. Niederfrequenztherapie werden Wechselströme mit einer Frequenz zwischen 50 bis etwa 200 Hz an oder in der Nähe der schmerzhaften Region angebracht. Wechselströme mit dieser Frequenz haben unmittelbar elektrophysiologisch wirkende Effekte. Sie sollen eine muskuläre Relaxation, eine verbesserte Durchblutung und eine Analgesie herbeiführen. Solche Elektrotherapien dienen vor allem der Therapie akuter Schmerzzustände. Sie sind an die Praxis eines niedergelassenen Arztes oder eines Physiotherapeuten gebunden. Die Vorstellung, daß solche Strombehandlungen in die unmittelbare neurologische Verschaltung einwirken können, wurde durch die später entwickelte Transdermale Elektrische Nerven-Stimulation (TENS) belegt [46]: Ursprünglich hatte man bei Patienten mit schwersten Schmerzsyndromen Elektroden bis in das Rückenmark vorgeschoben bzw. dort implantiert, um mit kleinen elektrischen Impulsen schmerzdämpfende Wirkungen zu erreichen. Später hat man gelernt, daß solche Ströme auch wirksam sind, wenn Elektroden an die Körperoberfläche unmittelbar über peripheren Nerven, sog. Schmerzpunkten oder im Bereich schmerzhafter Regionen plaziert werden. Für das Verfahren der TENS werden sehr geringe Strommengen benötigt, so daß batteriebetriebene Geräte entwickelt werden konnten. Diese stehen dem Patienten für eine nahezu komplikationslose häusliche Behandlung zur Verfügung. Der Wirkungsmechanismus der TENS ist wie bei einer Reihe anderer physikalisch-therapeutischer Verfahren nicht endgültig oder widerspruchsfrei geklärt. Die lokale, regionale und/oder zentralnervöse Freisetzung bzw. Aktivierung endogener Oligo- und Polypeptide (z. B. Endorphine, Enkephaline, vasoaktive Peptide) scheinen jedoch eine entscheidende Rolle zu spielen,
312
Prävention und Therapie
desgleichen Auswirkungen auf Teile des autonomen Nervensystems über Eingriffe in den Stoffwechsel und Umsatz von Transmittersubstanzen (z. B. Noradrenalin, Serotonin) [s. 45, 46, 83]. Ein Teil der Wirksamkeit hängt auch mit der Beeinflussung „reflektorischer" Beziehungen zusammen, z. B. schmerzhafter Punkte und Zonen in der Körperperipherie und in anderen somatischen oder viszeralen Strukturen. Für die schmerzlindernde Wirksamkeit liegt eine Reihe kontrollierter klinischer Studien vor [45, 46, 83], In vielen Fällen vergleichbar mit TENS oder auch mit einer Triggerpunktbehandlung können Therapieverfahren mit Akupunktur oder vor allem Elektroakupunktur angewandt werden [45, 83, 49], 4.4.3.9
Balneotherapie
Wir hatten bereits über die günstigen Wirkungen einer subaqualen Immersion referiert. Gerne werden Bewegungstherapien mit speziellen, balneologischen Maßnahmen kombiniert oder auch ausschließlich „Heilbäder" verordnet. Für die vorliegende Indikation gelten Solen (NaCl-haltige Heilwässer), C0 2 -, Schwefel- und Moorbäder als besonders günstig [85]. Für die Wirksamkeit werden überwiegend neurologische (Chemo- und Metabolorezeptoren) Vorgänge zwischen Haut- und Muskelsystem vermutet. Beim geriatrischen Patienten besteht für Balneotherapie eine gewisse Einschränkung: Unter dem hydrostatischen Druck kommt es zu einem Anstieg zentraler (thorakaler) Blutvolumina mit einem Anstieg der kardialen Vorlast. Für kardial insuffiziente oder grenzwertig suffiziente Patienten besteht die Möglichkeit einer Dekompensation. Beim Verlassen des Bades besteht die gelegentliche Gefahr einer orthostatischen Dysregulation, u. U. auch mit der Ausbildung maligner Rhythmusstörungen [86].
4.4.4 Abschließende Betrachtungen Der Einsatz verschiedener physikalischer Behandlungsmethoden richtet sich nach der zugrundeliegenden Erkrankung, nach dem aktuellen Befund und nach äußeren, auch ökonomischen Bedingungen. Für akute Beschwerdebilder, z. B. mit frischen Frakturen, wird überwiegend zunächst Bettruhe („gelockerte Bettruhe") empfohlen. In diesem Stadium ist zum Beispiel aber auch eine Kryotherapie oder eine analgesierende Elektrotherapie sinnvoll [41, 42], Eine sehr strenge Bettruhe halten wir für nicht angezeigt; auch für zentripetale motorische Impulse wurde nachgewiesen, daß sie auf der spinalen Ebene
Literatur
313
schmerz- und algodystrophie-dämpfend wirksam sind. In der Orthopädie und in der Traumatologie wurde die Inzidenz eines Sudeck vor allem durch eine früh einsetzende Krankengymnastik erfolgreich reduziert [2]. Bei chronischen Erkrankungen und im beschwerdefreien Intervall halten wir vor allem eine krankengymnastische Therapie für angebracht. Sie verfolgt das Ziel einer muskulären Eutonie und einer Verbesserung statischer Bedingungen. Eine Aufrichtung des meist vornübergebeugten Osteoporosepatienten ist zum Beispiel in der Lage, die Einbrüche an den vorderen Wirbelkörpern zu reduzieren [41, 42, 71]. Physikalische Therapie wird überwiegend in Therapieserien abgegeben. Eingeschobene Pausen sind kostensparend; oft sind sie auch dann gut zu realisieren, wenn die unglückliche Beziehung zwischen Schmerz und schmerzverstärkender Dysfunktion wirksam durchbrochen werden konnte. In der Regel ist ein Patient dann nicht „geheilt", ein häusliches Therapieprogramm sollte Rezidive hinauszuzögern versuchen. Kurzfristige, aber intensive Behandlungsversuche sind optimal in spezialisierten Rehabilitationskliniken und am Kurort durchführbar. Das eigentliche krankengymnastische Programm zur Prävention und zur Besserung einer Osteoporose hat selbstverständlich ohne Unterbrechung zu erfolgen.
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4.5 Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie K. J. Münzenberg
Spätestens dann, wenn die Grenze der mechanischen Festigkeit des Knochens so weit herabgesetzt ist, daß schon Belastungen, wie sie tagtäglich durch die Muskel- und Schwerkraft auftreten, ausreichen, um zum Knochenbruch zu führen, wird der osteoporotisch Kranke zum orthopädischen Patienten. Die orthopädischen Probleme, die sich bereits vorher ankündigten und nunmehr ganz aktuell auftreten, sind weit gespannt. Um nur einige zu nennen, die in diesem Abschnitt aus redaktionell begründeter Thematik und Länge nicht erörtert werden können, seien die Fragen nach der statistischen Zuverlässigkeit (reliability) einer störungsfreien Belastbarkeit einzelner Knochen für eine bestimmte Zeit [1]*, die Beeinflussung der Bruchfestigkeit durch Medikamente, Überlegungen zur Frakturheilung und Callusbildung bei der Osteoporose oder auch zur Wahl des Implantatmaterials oder des Osteosyntheseverfahrens bei Operationen am osteoporotischen Knochen genannt [2]. Unerwähnt müssen beispielsweise hier auch die Schwierigkeiten bleiben, die bei der krankengymnastischen oder physikalischen Anwendung in der Nachbehandlungszeit oder in der Rehabilitationsphase nach einer stattgehabten und regelrecht versorgten Fraktur auftreten, vor allem auch unter unbedingter Berücksichtigung der jeweils durchgeführten Therapiemethode. Hier kann nur kompendienartig das Wichtigste abgehandelt werden, das sich orthopädisch ergibt, wenn Brüche oder Deformitäten bereits eingetreten sind; auf die Problematik drohender Frakturen oder bevorstehender Verbiegungen kann nur stichwortartig hingewiesen werden.
4.5.1 Wirbelkörperfrakturen Wirbelkörperdeformierungen stehen zahlenmäßig an der Spitze der osteoporotisch bedingten Knochen Veränderungen. Erstaunlich ist, daß die Zugfestigkeit der Dornfortsätze und die mechanische Widerstandsfähigkeit der Wir-
* Literatur nach diesem Kapitel.
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
319
beibögen weitgehend erhalten bleiben. Selbst bei der Typ-II-Osteoporose sind Abrißfrakturen von Dornfortsätzen oder Wirbelbogensprengungen ganz ungewöhnlich. Von der Form her lassen sich drei Wirbelkörperdeformierungen unterscheiden (Abb. 1 a, b, c): Der Kompressionsbruch, der den ganzen Wirbelkörper, einschließlich Hinterkante, zusammenpreßt, so daß er insgesamt an Höhe verliert und mehr oder weniger plattgedrückt wird; beim Keilwirbelbruch bleibt die Hinterkante erhalten und nur der vordere Anteil des Wirbelkörpers wird eingestaucht; der Fischwirbel schließlich hat eine bikonkave Form durch Eindellung der Grund- und Deckplatte. Beim Berstungs- und Keilbruch handelt es sich fast immer um die Folge akut eingetretener Einbrüche, also bis zu einem gewissen Grade um Analoga zu den echten traumatischen Wirbelsäulen Verletzungen. Bei der Fischwirbelform ist das anders. Sie entsteht nach Art einer sogenannten Kriechverformung [3] als langsamer adaptiver Umbauprozeß nach Mikrofrakturen [4, 5], Entsprechend dem größeren mechanischen Widerstand durch die Wirbelkörperkompakta und dem konzentrisch wirkenden Expansionsdruck der Bandscheibe geben die Grund- und Deckplatten im Zentrum mehr nach als an den Rändern. Ob ein Keil- oder Plattwirbel entsteht, ist in erster Hinsicht abhängig von der unterschiedlichen Mechanik der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte: Im Bereich der Brustwirbelsäule kommt es vorwiegend durch die kyphosierenden Kräfte und den dadurch verstärkten Druck auf die Vorderkanten zur keilförmigen Deformität, während an der Lendenwirbelsäule mit mehr axial und lordosierend wirkender Kompression eher ein gleichmäßiges Zusammensintern mit Abflachung der Vorder- und Hinterkante erfolgt. Vor allem die Keilwirbelbildung wird zur Ursache einer statisch relevanten Deformität durch die Ausbildung eines Rundrückens. Die Entwicklung einer verstärkten Lendenlordose durch Wirbelkörpereinbrüche ist demgegenüber seltener; in der Regel ist sie nur die Folge der statischen Kompensation der Brustkyphose. Weil die beiden Seitenkanten der Wirbelkörper fast immer in einem annähernd gleichen Ausmaß eingestaucht werden, sind Wirbelkörpereinbrüche bei der Osteoporose nicht sehr häufig die Ursache einer stärkeren Seitenausbiegung im Sinne einer Skoliose [6, 7], In unserem Krankengut findet sie sich bei 9,5% und betrifft ganz überwiegend die Lendenwirbelsäule und ältere Patienten. Die mechanischen Voraussetzungen darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man in der Therapie grundsätzliche Fehler vermeiden will.
Abb. 1 Die 3 Arten von Wirbelkörperdeformierung bei Osteoporose a) Kompressionsberstungsbruch b) Keilwirbel c) Fischwirbel.
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie 4.5.1.1 Frische
321
Wirbelkörperfrakturen
Während der Prozeß der Rarefikation der Knochenplättchen und -röhren in der Regel stumm bleibt und sich auch meist für den untersuchenden Arzt unmerklich vollzieht, führt ein Wirbelkörpereinbruch im Sinne eines Berstungs- oder Keilwirbelbruches zur akuten Schmerzattacke mit vorwiegend umschriebener Lokalisation. Meistens, aber nicht immer, ist es den Patienten auch möglich, das akute Auftreten der Beschwerden zeitlich genau zu fixieren. Der lokale Klopfschmerz ist das wegweisende Symptom; Stauchungs- und Bewegungsschmerz sind geringer. Das gilt für den Berstungsbruch ebenso wie für den Keilbruch. Klinisch ist es unmöglich, zwischen beiden zu unterscheiden; nur das Röntgenbild kann beide auseinanderhalten. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule nimmt nach allen Richtungen hin ab, was klinisch vor allem bei der Prüfung der Seitneigung in Erscheinung tritt. Als Folge der Wirbelkörperkompression ist auch die exakte Justierung der kleinen Wirbelgelenkflächen verlorengegangen, so daß es hier zu degenerativen Veränderungen kommt, die zu einer wesentlichen Ursache des Bewegungsschmerzes werden [7]. Nervenwurzelreizerscheinungen aber mit ischiasartigen Ausstrahlungen sind die Ausnahme, und Symptome einer Querschnittsläsion gehören nicht zum Bild der Osteoporose. Bislang sind nur 14 Fälle von Querschnittslähmung beschrieben worden [8], von denen man sogar annehmen muß, daß ihnen nicht immer nur eine Osteoporose zugrunde lag. Und die Prognose einer Querschnittslähmung ist im Hinblick auf die Restitution der Nervenfunktion ausgesprochen günstig [8], Eine Querschnittslähmung muß immer an eine ernstere Ursache denken lassen, beispielsweise an ein Plasmozytom oder eine generalisierte Skelettmetastasierung, bei denen die Osteoporose nur zum Begleitsymptom wurde. Reine Berstungsbrüche sind ohne wesentliche statische Bedeutung. Zwar sind sie der entscheidende Anlaß für die Abnahme der Körpergröße, aber tendopathische Beschwerden durch Fehlhaltung beispielsweise verursachen sie normalerweise nicht. Die Schmerzen sind zum größten Teil durch das akute Ereignis der Fraktur verursacht und werden durch dieses auch im Verlauf bestimmt; d. h. die Intensität der Schmerzen nimmt im Laufe der Zeit mehr und mehr ab, wenn nicht, was durchaus möglich ist, eine gewisse Nachsinterung der Fraktur erfolgt. Dann hat das Schmerzprofil einen zweigipfeligen Charakter. Diese Frakturen sind aufs Ganze gesehen weniger beunruhigend. So steht denn auch die Schmerztherapie ganz im Vordergrund. Uns hat sich gegen die akuten Schmerzen die Verabreichung von 2 x 150 mg DextropropoxyphenHC 1 (2 x 1 Develin retard Kapsel) für 6 bis 10 Tage als besonders wirksam erwiesen. Von Anfang an sollte Kalzitonin gegeben werden, um einem reflek-
322
Prävention und Therapie
torischen Knochensubstanzverlust und auch den Schmerzen entgegenzuwirken (tgl. 1 Amp. Calsynar oder Karil i. m. für 4 Wochen). Da Nervenläsionen oder eine Querschnittssymptomatik nicht zu befürchten sind, dürfen die Patienten ihren täglichen Obliegenheiten weiter nachgehen, wenn diese nicht mit körperlicher Anstrengung verbunden sind. Für 6 bis 8 Wochen sind das Heben von Gegenständen, die schwerer als 3 — 5 kg sind [9], einseitiges Tragen und eine gebückte Haltung streng zu meiden. Ein täglicher Spaziergang von wenigstens einer halben Stunde Dauer sollte möglich sein, um dem Knochen, insbesondere der Wirbelsäule, den adäquaten mechanischen Reiz zu geben und damit einer Inaktivitätsatrophie vorzubeugen. Bettlägerig also sind die Patienten unter keinen Umständeft, auch bei stärkeren Schmerzen nicht. In solchen Fällen muß man die Analgetikamedikation für einige Tage erhöhen und die Patienten auffordern, jede Bewegungsrichtung des Körpers zu meiden, die die Schmerzen provoziert. Notfalls muß man dann auch für eine kurze Zeit auf den Spaziergang verzichten. Nur bei länger als 2 bis 4 Wochen anhaltenden Beschwerden kann man sich die Verordnung eines elastischen Mieders überlegen. Dessen feste Schnürung ermöglicht über der Bauchwand eine Kompression des Intestinalballons auf die Wirbelsäule von vorn, was erfahrungsgemäß zum Nachlassen der Beschwerden führt [10]. Eine Schwächung der Rückenstreck- oder Bauchmuskulatur durch ein solches Mieder ist nicht zu befürchten, denn die den Rumpf haltenden Muskeln werden dadurch nicht entlastet [11],
Abb. 2 Elastisches Zweidrittelmieder. Besonders gute Erfahrungen haben wir mit dem elastischen Zweidrittel-Mieder nach Lindemann gemacht (Abb. 2). Jede Korsettkonstruktion, die entlastend oder stützend wirkt, ist kontraindiziert. Sie würde die Rumpfmuskulatur schwächen und zur aufgepfropften Inaktivitätsatrophie des Wirbelsäulenknochens führen. Das gilt auch für das hin und wieder empfohlene HohmannMieder oder Hohmann-Korsett. Auch das von Eichler [12] vorgeschlagene
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
323
sog. Osteoporosekorsett halten wir für ungeeignet und zu aufwendig. Es schränkt den Bewegungsspielraum des Rumpfes zu sehr ein, kann weitere Wirbelkörpereinbrüche — wie jede andere Orthesenkonstruktion auch nicht — keineswegs verhindern und wird dann nicht selten ungenau in der Paßform. Prinzipiell gilt, daß jede Rumpforthese bei der Osteoporose nur zeitlich begrenzt getragen werden sollte, so lange nämlich, wie durch sie eine Schmerzlinderung erreicht werden kann [13]. Mit der krankengymnastischen, insbesondere der Bewegungstherapie sind wir in der Zeit nach erfolgtem Einbruch sehr zurückhaltend. Nach unserer Meinung ist sie in den ersten 6 bis 8 Wochen geradezu kontraindiziert. Sie würde nur Anlaß für zusätzliche Schmerzen sein. Danach aber sind physiotherapeutische Maßnahmen durchaus angebracht. Muskelkräftigungsübungen, vor allem auch isometrische, und in der Intensität sich steigernde Muskelmassagen sind, wenn sie nicht übertrieben werden, eine gute Voraussetzung der Rehabilitation. Hat sich der Bruch stabilisiert, spätestens nach 10 bis 12 Wochen, sind auch Unterwassermassagen mit geringem Druck (50 —lOOKPa) nicht mehr kontraindiziert [14]. Die andersartige Entstehungsweise der Keilwirbelbrüche und ihre unterschiedlichen biomechanischen Folgen machen im akuten Falle eine andere therapeutische Strategie erforderlich als bei den einfachen Kompressionsberstungsbrüchen. Von der Statik und den körperlichen Beschwerden her ist der Keilbruch als schwerwiegender anzusehen. Immer führt er zur Kyphosierung der Wirbelsäule mit konsekutiven Beschwerden, die aber nicht nur in der veränderten Statik ihre Erklärung finden, sondern auch in degenerativen Umgestaltungen der kleinen Wirbelgelenke. Wenn nämlich etwa 50% der Vorderkantenhöhe des Wirbelkörpers durch Kompression verlorengegangen sind, stellen sich auch immer degenerative Veränderungen in den kleinen Wirbelgelenken mit dadurch bedingten Schmerzen ein [15]. Obwohl bei ihnen mit einer mechanischen Kompression von Nervensubstanz noch weniger zu rechnen ist als bei den Berstungsbrüchen, machen die Keilwirbelbrüche Maßnahmen erforderlich, die ein weiteres Kyphosieren möglichst vermeiden lassen. Doch so etwas sagt sich leichter, als es sich verwirklichen läßt. Das kyphosierende Biegungsmoment kann ab einer bestimmten Rundrückenbildung größer geworden sein als jede von außen angelegte lordosierende reklinierende Kraft. Dennoch sollte man nach einem frischen Einbruch versuchen, durch eine reklinierende Orthese ein weiteres Zusammensintern in die Kyphose zu verhindern. Als am wenigsten aufwendig und doch recht wirksam erscheint uns hier das 3-Punkte-Reklinationsmieder nach Bähler und Voigt (Abb. 3). Es ist modulartig verfügbar (J.W.Teufel, Stuttgart). Seine reklinierenden Druckkräfte sind über unterschiedliche Federstärken und durch Nachbiegen des vorderen Stabes dosierbar. Die Symphysen-, Brust- und Rückenpelotte
324
Prävention und Therapie
Abb. 3 3-Punkte-Reklinationsmieder nach Bähler u. Voigt (J. W. Teufel, Archiv Stuttgart).
lassen sich individuell einstellen und in bezug auf die Krümmungsscheitel akzentuieren. Wichtig ist, daß durch die Konstruktionsart dieses Mieders die thorakale Atmung unbehindert bleibt. Bei fettleibigen Patienten wird es allerdings recht schwierig, es wirksam anzulegen. D a n n m u ß man bisweilen auf Systeme wie das 3-Punkte-Reklinationsmieder im Rahmensystem nach Jewett (Abb. 4) zurückgreifen, eine aufwendigere und kostspieligere Konstruktion. Das gilt um so mehr, als beide Bauarten zu einer gewissen Muskelmassenminderung führen. Eine Inaktivitätsatrophie des Wirbelknochens ist allerdings kaum zu befürchten, weil der Knochen beim Gehakt auch weiterhin die erforderlichen mechanischen Impulse erhält. Trotzdem sollte der Patient alsbald wieder von der Orthese loskommen. Länger als 3 bis 4 Monate lassen wir also diese Orthese nicht tragen. Nach dieser Zeit dürfte sich der Keilbruch so weit wieder stabilisiert haben, daß er langsam zunehmenden Belastungen gewachsen ist. Krankengymnastische Kräftigungsübungen sind spätestens zu diesem Zeitpunkt unbedingt angezeigt. Aber auch schon nach Abklingen der akuten Schmerzsymptomatik ist es sinnvoll, mit vorsichtigen isometrischen Muskelübungen zu beginnen. Mit Massagen sollte man indessen zunächst noch zurückhaltend sein. Leichte Streichmassagen, wie sie bisweilen befürwortet werden [16, 17, 18], dürften physiologisch wenig sinnvoll sein und den
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
Abb. 4
325
3-Punkte-Reklinationsmieder nach Jewett (R. Uhlig, Archiv Erlangen).
Aufwand und die Kosten nicht lohnen. Muskel- und Unterwassermassagen haben erst 6 bis 10 Wochen nach dem Frakturereignis, je nach Beschwerdenkomplex, ihren Platz in der Nachbehandlung. Operative Maßnahmen zur Korrektur einer Wirbelsäulenfehlstellung oder zur Stabilisierung stehen bei osteoporotisch verursachten Wirbelkörperbrüchen nicht zur Debatte. Das gilt auch für den Berstungskompressionsbruch, bei dem die Hinterkante des Wirbelkörpers mitbetroffen ist. Derartige Verletzungen gelten, wenn sie traumatisch erfolgten und einen noch stabilen und tragfähigen Wirbel betrafen, heute zwar als Indikation für eine stabile instrumentelle Fixation, um eine spätere Verlagerung von Knochenanteilen in den Spinalkanal und bewegungs- und belastungsabhängige Beschwerden zu vermeiden. Beim Bruch des osteoporotischen Wirbelkörpers aber ist die Gefahr einer Kompression von Nervengewebe durch verschobene Knochenstücke gleich Null, weil dazu die Masse an Knochensubstanz nicht ausreicht und das hintere Längsband den osteoporotischen Einbrüchen immer Widerstand leistet. Jeder operativ korrigierende Eingriff wäre also eine unverantwortliche Übertherapie, die noch dadurch besonders belastend wäre, daß sie meist alte Menschen betrifft, deren Allgemeinzustand und vor allem deren Herz-Kreislauf-Situation nicht immer ganz stabil sind.
326 4.5.1.2
Prävention und Therapie Wirbelsäulendeformitäten
Nach einem Wirbelkörperbruch fortbestehende Rückenbeschwerden beruhen — abgesehen von einer Nachsinterung oder einer frischen Fraktur an anderer Stelle — entweder auf Muskelverspannungen und Tendopathien als Folge der statischen Fehlbelastung oder auf einer aktivierten Arthrose in den kleinen Wirbelgelenken (Spondylarthrose) durch die eingetretene Fehlstellung der Gelenkfacetten zueinander. Die Differentialdiagnose ist im allgemeinen nicht schwer und in der Regel durch die klinische Untersuchung möglich. Der Knochenbruch tritt akut auf und läßt sich durch den umschriebenen Klopfschmerz gut lokalisieren. Tendopathisch gereizte Muskelansätze sind umschrieben druck-, kaum aber klopfoder stauchungsschmerzhaft. Nur bedingt werden sie durch Bewegungen leicht verstärkt. Das ist bei der aktivierten Arthrose anders. Hier tritt der Bewegungsschmerz so in den Vordergrund, daß er den Leidenszustand ganz beherrscht. Die gereizten Gelenke sind in der Tiefe umschrieben druckschmerzhaft, etwa 2 cm lateral der Dornfortsatzspitze. Daß das native Röntgenbild hier differentialdiagnostisch ebenso von Bedeutung ist wie die Skelettszintigraphie oder die Kernspintomographie, wird in einem anderen Kapitel dieses Buches ausführlich dargelegt. Tendopathisch gereizte Muskelansätze, besonders häufig am hinteren Bekkenrand, lassen sich gut mit einer Scandicain-Kortikoid-Injektion beeinflussen (10 ml 0,5%iges Scandicain und 10 mg Prednisolonäquivalent). Bei dieser Dosierung braucht eine für den Knochen nachteilige Kortikoidwirkung nicht befürchtet zu werden, auch dann nicht, wenn man in Abständen von 2 bis 3 Wochen die Injektionen wiederholen muß. Die Wirkung ist meist schlagartig und beweist die Richtigkeit der Diagnose. Auch die spondylarthrotischen Reizzustände sprechen am besten auf eine Kortikoid-Injektion an (2 —5 ml 0,5%iges Scandicain und 5 —10 mg Prednisolonäquivalent lokal in die Facette injiziert, am sichersten unter Bildwandlerkontrolle). Als Alternative und gut wirksam hat sich uns auch die epidurale Injektion erwiesen (10 ml 0,5%iges Scandicain und 10 mg Prednisolonäquivalent). Niederfrequente Reizströme sind bei der Tendopathie ebenso wie bei der Spondylarthorse sehr hilfreich. Das gilt für die diadynamischen Ströme (Neodynator) in gleichem Maße wie für den Interferenzstrom (Nemectrodyn). Beide entfalten eine schmerzlindernde Wirkung und haben auch einen die Durchblutung in tieferen Gewebsschichten fördernden Einfluß [19]. In jedem Falle ist dafür Sorge zu tragen, daß der Patient nicht inaktiv wird, sei es durch Schmerzen oder Kräfteverfall infolge Ruhigstellung oder vermehrten Kraftaufwand durch die statischen Bedingungen, die eine Kyphosierung immer mit sich bringt. Der Patient muß also immer wieder angehalten
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
327
werden, körperlich aktiv zu bleiben und seinen täglichen Spaziergang einzulegen. Auch krankengymnastische Maßnahmen sind hilfreich. Muskelmassagen sollten allerdings vorsichtig angewandt werden, um nicht durch zusätzliche mechanische Irritation die tendopathischen Beschwerden zu verstärken. Demzufolge sind die Muskelansätze von der Massage auszusparen. Vorsichtige und dann kräftiger werdende Muskelmassagen können unter diesen Kautelen lockernd und schmerzlindernd sein. Von Bewegungsübungen ist dann dringend abzuraten, wenn ein gewisses Maß der Schmerzen auf der Spondylarthrose beruht. Jede, vor allem die fremdinduzierte Bewegung, verstärkt den Schmerz und aktiviert die Reizerscheinungen in den arthrotischen Gelenken. Aus dem gleichen Grunde können sogar die wichtigen isometrischen Muskelkräftigungsübungen zur Schmerzursache werden und dürfen dann nur vorsichtig und sich langsam steigernd angewandt werden [7], Jede Korsett-Therapie der osteoporotisch bedingten Wirbelsäulendeformität ist auch hier im Prinzip kontraindiziert. Das Korsett würde die den Rumpf aufrecht haltende Muskulatur inaktivieren und ihren Wirkungsgrad erheblich herabsetzen. Eine ausbalancierte muskelgeführte Rumpfhaltung würde mehr und mehr unmöglich und der anfangs als wohltuend empfundene Effekt zum Bumerang. Anders steht es um ein Mieder, das eher nach Art einer Leibbinde anzuwenden ist. Sein Wirkungsprinzip ist hier nicht anders als oben beschrieben. Mit einem solchen Mieder gelingt es überraschend oft, die Schmerzen durch die tendopathischen Reizzustände an den Muskelansätzen und auch aktivierte Arthrosen derart günstig zu beeinflussen, daß die Patienten manchmal sich erst durch das Mieder wieder in die Lage versetzt sehen, ihre erforderlichen Gehstrecken zurückzulegen. Weil ein solches Mieder den Rumpf nicht halten kann, braucht auch die Inaktivitätsatrophie der Muskulatur nicht befürchtet zu werden.
4.5.2 Frakturen am proximalen Femurende Die schwerste Komplikation der Osteoporose ist ohne Zweifel der Schenkelhalsbruch. Ab dem 40. bis 45. Lebensjahr bei Frauen und ab etwa dem 50. bei Männern nehmen sie exponentiell zu (Abb. 5), so daß man schließen kann, daß über ein Drittel aller Frauen und über ein Sechstel aller Männer im Alter von 90 Jahren einen Schenkelhalsbruch erlitten haben [20], Noch 1969 mußte man davon ausgehen, daß etwa 20% der Patienten das l . J a h r nach dem
328
Prävention und Therapie V)
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Jahre
Abb. 5 Exponentielle Zunahme der Schenkelhalsbrüche mit dem Alter.
Unfallereignis nicht überlebten [21], Zwar ist die Überlebenschance heute durch neue Operationsmethoden und verbesserte Operationstechniken und nicht zuletzt auch dank der Fortschritte auf dem Gebiet der Anästhesiologie besser geworden; trotzdem ist eine Fraktur am proximalen Femurende auch heute noch ein für den alten Organismus schwerwiegendes Ereignis, das durch Komplikationen wie Thrombose und Embolie, Lokalinfektion, Pneumonie und Herz-Kreislaufversagen einen deletären Ausgang nehmen kann. Leider ist es kaum möglich, rechtzeitig wirksame präventive Maßnahmen in die Wege zu leiten. Ob die Fluortherapie die Frakturrate signifikant und für den Einzelfall auch voraussagbar herabsetzen kann, ist immer noch umstritten [22], Analoges gilt für Östrogene, Kalzium und Kalzitonin [22]. Und ob durch so simple Maßnahmen wie die Entfernung von höherkantigen Teppichen in der Wohnung, das Anbringen von Treppengeländern mit Handlauf oder das prophylaktische Benutzen eines Gehstockes manch eine Fraktur wirklich verhindert werden kann, mag man mit Recht bezweifeln. Etwa zwei Drittel der Oberschenkelfrakturen im Hüftbereich ereignen sich nämlich ohne adäquates Trauma, ganz einfach während des Gehens. Die Patienten geben dann oft an, daß das Bein ohne jeden äußeren Anlaß unter dem Rumpf nachgegeben habe und weggerutscht sei, oder sie meinen, sie müßten gestolpert sein. Zwar besteht auch am Schenkelhals eine Korrelation zwischen dem Knochensubstanzverlust und der Knochenbruchrate; diese ist aber nicht so eng
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
329
wie am Achsenskelett. Insbesondere scheint weniger eine Wechselbeziehung zwischen der Trabekularstruktur des Schenkelhalses zu bestehen als eher zwischen seiner Kompaktadicke und der Frakturanfälligkeit [23]. Es scheint auch so zu sein, daß die Korrelation zwischen dem Singh-Index [24] und der Knochenmasse der Wirbelkörper größer ist als die zur Knochensubstanzmenge des Schenkelhalses [23], Dennoch kann der Singh-Index (Abb. 6) bis zu einem gewissen Grade auf dem nativen Röntgenbild die prospektive Frakturneigung erkennen lassen [25],
Abb. 6
Grad der Osteoporose am Schenkelhals (nach Singh [24]: Grad 6 bis 4 normal).
Eine Prognose in bezug auf eine hüftnahe Fraktur ist wohl auch deshalb so schwierig zu stellen, weil zusätzlich zum Verlust der Knochenmasse noch Veränderungen der Materialeigenschaften des proximalen Femurendes eine Rolle für die Bruchneigung spielen. Ob diese allerdings in einer Osteomalazie zu suchen ist, wie einige Autoren annehmen [26], oder in einer relativen Zunahme der Knochenmineralsubstanz in bezug auf das Kollagen [27] oder in ganz anderen, noch unbekannten Material- und Struktureigenschaften, läßt sich heute noch nicht entscheiden. Für veränderte Materialeigenschaften sprechen auch die hin und wieder nachweisbaren unvollständigen Spaltbildungen im Schenkelhals nach Art einer Umbauzone (Abb. 7 a, b).
330
Prävention und Therapie
Abb. 7
Ermüdungsbruch am Schenkelhals bei Osteoporose a) im nativen Röntgenbild nur zu vermuten b) im Kernspintomogramm deutlich.
Aufgrund verschiedenartiger Entstehungsweisen, unterschiedlichen Bruchverhaltens, voneinander abweichender Heilungstendenz und ungleichartiger Therapie unterscheidet man die intertrochantären Frakturen von den medialen (intrakapsulären) Schenkelhalsbrüchen. Beide Arten sind annähernd gleich häufig, und beide sollten operativ behandelt werden, um die Folgen einer längeren Liegezeit zu vermeiden. Allerdings ist es nicht nötig, innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Unfall zu operieren. Im Gegenteil: Uns hat es sich bei alten Patienten als vorteilhaft erwiesen, erst ein oder zwei Tage danach den erforderlichen Eingriff vorzunehmen. Bis dahin läßt sich die Kreislaufsituation besser abschätzen und stabilisieren, und alle Maßnahmen können ohne die Umstände, die eine dringliche Operation mit sich bringt, getroffen werden. Der intertrochantären Bruchform liegt häufiger ein noch rekonstruierbares adäquates Unfallereignis zugrunde als dies beim medialen Schenkelhalsbruch der Fall ist. Meist wird ein Sturz auf die Seite angegeben. Die Bruchformen können mannigfaltig sein und reichen von der einfachen Kontinuitätstrennung ohne wesentliche Dislokation bis hin zur Stückfraktur mit mehreren einzelnen Fragmenten und Verkippungen des Schenkelhalses.
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
331
Die Komplikationen dieser Bruchformen liegen weniger in der Möglichkeit einer schlechten Heilungstendenz oder in einer Hüftkopfnekrose als in einer resultierenden Fehlstellung im Sinne einer Rotationsdeformität oder Coxa vara mit Beinverkürzung, vor allem aber in den Folgen der in der Regel notwendig längeren Liegezeit nach einer Operation; 8 — 10 Wochen braucht die Fraktur immer, bis sie stabil durchbaut ist. 4.5.2.1 Osteosynthesen der intertrochantären
Frakturen
Als Operationsart bieten sich meist zwei Methoden an: Die offene Reposition mit Fixation der Fragmente durch eine Winkelplatte oder durch eine dynamische Hüftschraube (Abb. 8) oder die geschlossene Reposition unter Bildwandlerkontrolle mit Auffädelung des proximalen Femurfragmentes durch intramedullär vom distalen Femur aus eingeführte Nägel (Ender-Nägel, Abb. 9). Die Fixation mit einer Winkelplatte oder einer dynamischen Hüftschraube ist zwar operativ oft aufwendiger, hat aber den Vorteil einer besseren Festigkeit im Bruchbereich. Andererseits sind die kürzere Operationsdauer und der
Abb. 8 Versorgung der intertrochanteren Schenkelhalsfraktur mit der dynamischen Hüftschraube.
332
Prävention und Therapie
Abb. 9 Versorgung der Schenkelhalsfraktur mit Ender-Nagel.
geringere intraoperative Blutverlust Vorteile der Ender-Nagelung. D a ß im einen oder anderen Falle auch andere Operationsmethoden sinnvoll sind, braucht nicht erwähnt zu werden. 4.5.2.2 Hüftendoprothesen
bei Typ
II-Osteoporose
Die Komplikationen der medialen Schenkelhalsfrakturen liegen vor allem in der avaskulären Hüftkopfnekrose und der Pseudarthrose. Die Rate des fehlenden Knochendurchbaues ist auffallend hoch und direkt abhängig von dem sich im Beckenkamm widerspiegelnden Spongiosaverlust. Ist er hier bis zu 15% des Normalen abgesunken, dann m u ß man in der Mehrzahl der Fälle mit einer Pseudarthrose rechnen [28]. Auch dann, wenn die Reposition, ob sie geschlossen oder offen erfolgte, exakt gelingt, bleibt die Wahrscheinlichkeit einer avaskulären Hüftkopfnekrose mit 15 — 20% sehr hoch [29], Das sind die beiden Gründe, weshalb wir den Einbau einer Totalendoprothese von Anfang an befürworten. Damit werden die Patienten auch in die Lage versetzt, direkt am postoperativen Tag ihr Bett zu verlassen, und die Rehabilitationsphase wird verkürzt. Die Liegezeit nach der operativen Fixation des Schenkelkopfes mit Kompressionsschrauben beispielsweise würde etwa 3 — 7 Wochen betragen.
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
333
Damit stellen sich die Fragen, ob man überhaupt damit rechnen kann, daß sich bei der schweren Osteoporose die Pfanne und der Schaft beim Einbau der Hüftendoprothese primär fest verankern lassen und ob man davon ausgehen muß, daß sich im Laufe der Zeit beide Prothesenteile leichter und schneller lockern. Zur Beantwortung dieser Fragen haben wir die Röntgenaufnahmen von 50 schweren Osteoporosen nachuntersucht, denen eine Totalendoprothese eingesetzt worden war [2], Es war überraschend, daß selbst bei den schwersten Formen von Osteoporose die primäre Verankerung von Pfanne und Schaft ohne Schwierigkeiten gelang. Der osteoporotische Knochen war immer in der Lage, eine von Anfang an feste Stabilität der Verankerung der Prothesenteile zu gewähren. Intraoperativ auftretende Schaftsprengungen oder durch das Einklopfen der künstlichen Pfanne entstandene Einbrüche der knöchernen Pfanne haben wir nicht beobachten müssen. Auch in den folgenden Jahren der Belastung sahen wir keinen einzigen Fall von plötzlichem Einbruch der Pfanne ins Becken, was als Fraktur hätte gedeutet werden müssen. Nach 5 Jahren hatten sich zwar 5 Pfannenlockerungen ereignet; diese Zahl aber ist im Vergleich zu Kollektiven ohne Osteoporose nicht so groß, daß man unbedingt davon ausgehen müßte, daß bei einer schweren Osteoporose mit einer vorzeitigen Pfannenlockerung zu rechnen sei. Wir sahen immerhin auch 4 Fälle, bei denen sich eine Lockerung der Pfanne noch nach mehr als 10 Jahren nicht nachweisen ließ. Etwas anders verhält sich die Prothese im Oberschenkelmarkraum. Schon normalerweise nimmt die Zahl der Lockerungen hier mit jedem Jahr ziemlich konstant zu [30]. Dieser lineare Anstieg der Schaftlockerungen in großen Vergleichskollektiven verläuft aber etwas weniger steil als in unserer Beobachtungsgruppe. Wir müssen deshalb schließen, daß gerade Schaftlockerungen bei der schweren Osteoporose sich früher ereignen können als in der Grundgesamtheit der Hüftendoprothesen. Diese Beobachtung ist auch nicht einfach mit der im Zuge der Alterung sich vollziehenden physiologischen Aufweitung der Röhrenknochen [19] zu erklären. Diese nämlich betrifft nicht nur den Oberschenkel der Osteoporotiker. Es ist vielmehr zu vermuten, daß es bei schweren Osteoporosen zu Veränderungen im Festkörperverhalten des proximalen Femurendes kommt. Diese führen dann wahrscheinlich zu vermehrten Relativbewegungen von Implantat und Träger und begünstigen dadurch den Vorgang der Prothesenschaftlockerung in größerem Maße als beim festeren Knochen. Aus dieser unserer Beobachtung darf man aber nicht den Schluß ziehen, daß der Einbau einer Totalendoprothese beim Osteoporotiker nur mit Zurückhaltung vorgenommen werden sollte. Die potentielle Lockerung des Prothe-
334
Prävention und Therapie
senstieles wiegt niemals die Vorteile der schnellen postoperativen Mobilisation und Rehabilitation des Patienten auf. Eine wesentlich höhere Infektionsrate gegenüber der Methode einer einfachen Drahtung oder Nagelung ist nicht zu befürchten [28, 31].
4.5.3 Radius- und Humerusfrakturen Auch die distalen Radius- und die proximalen Humerusfrakturen stehen in einem engen Zusammenhang mit dem Knochensubstanzverlust der Osteoporose. Vom 40. bis zum 60. Lebensjahr steigt die Zahl der Radiusfrakturen um etwa das lOfache an [32]. Das Risiko, nach einer durchgemachten Radiusfraktur einen Schenkelhalsbruch zu erleiden, erhöht sich auf das Doppelte, so daß eine Radiusfraktur als Frühzeichen der Osteoporose zu werten ist [33], Trotzdem ist die Korrelation zwischen Alter und Fraktur weniger deutlich als bei den Wirbelkörper- und den hüftnahen Femurfrakturen. Auch der Häufigkeitsgipfel liegt 15 bis 20 Jahre früher als bei den Schenkelhalsbrüchen. Die Häufigkeitszunahme während der Wintermonate läßt zudem erkennen, daß zum Knochensubstanzverlust noch ein anderer Faktor kommt, der des Traumas. Während bei 2 Drittel der Patienten mit einer Schenkelhalsfraktur die Gewalteinwirkung fehlt, ist der Sturz auf die ausgestreckte Hand der typische Anlaß für die Radiusfraktur. Der Querbruch proximal des Handgelenkes braucht nur reponiert und mit einer Gipsschiene ruhiggestellt zu werden. Lassen sich die Bruchstücke nicht durch äußere Schienung fixieren, besonders, wenn des Handgelenk vom Bruch miteinbezogen ist, dann ist es möglich, sie durch perkutan eingebrachte Kirschnerdrähte in ihrer Position zu halten. Schwer reponierbare und so nicht exakt zu haltende Brüche muß man offen reponieren und gegebenenfalls mit einer T-Platte nach dem AO-System stabilisieren (Abb. 10). Von Anfang an ist darauf zu achten, daß sich kein Sudeck-Syndrom entwikkelt, denn der distale Radiusbruch prädisponiert dazu, und das SudeckSyndrom ist fast unausweichlich, wenn nicht nur einmal reponiert werden mußte. Die Osteoporose macht da keine Ausnahme. Pathogenetisch werden die Erscheinungen des Sudeck-Syndroms mitbestimmt durch einen erhöhten Anfall von Kalzium- und Kaliumionen im Interstitium [34], also durch den foudroyant verlaufenden, lokal umschriebenen Entkalkungsvorgang. Dementsprechend ist es angezeigt, sofort beim ersten Auftreten der Symptome Kalzitonin zu verabreichen (tgl. 100 E vom Lachs für 3 —6 Wochen) und die Hand ruhigzustellen, bis die akuten Schmerzen abgeklungen sind. Da auch eine Entgleisung des Vegetativums pathogenetisch für das Sudeck-Syndrom verantwortlich ist, empfiehlt es sich, jetzt auch a- und ß-Blocker zu geben
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
335
Abb. 10 T-Platte zur Versorgung eines nicht exakt reponierbaren Radiusbruches. Sudeck-Syndrom.
(3 x 15Tr. Hydergin Tropfen und 3 x 10 mg Propranolol = Dociton oder Indobloc). Was für die Pathogenese und Häufigkeit der Radiusfrakturen gilt, ist auch für die proximalen Humerausbrüche anzunehmen. Auch hier ist der Sturz auf den Arm ein wichtiges pathogenetisches Moment. Kompliziert kann in sei-
336
Prävention und Therapie
tenen Fällen ein solcher Bruch durch die Verletzung des in Oberarmnähe verlaufenden Plexus brachialis werden. In der Regel lassen sich Oberarmbrüche konservativ mit einem sogenannten Hängegips (Abb. 11) behandeln, unter dessen Gewichtszug die Bruchenden beieinander gehalten werden. Nur ausnahmsweise ist die offene Reposition mit innerer Metallfixation erforderlich. Naturgemäß sind der Oberarmbruch und der Radiusbruch weniger einschneidend für den Patienten als der Oberschenkelhalsbruch; sie schränken den Aktionsradius weniger ein, machen im allgemeinen nicht bettlägerig, und die Bewegungsschmerzen lassen sich sehr viel leichter vermeiden.
4.5.4 Beindeformitäten Die Zunahme der Beindeformitäten im X- oder O-Sinne mit dem Alter, besonders bei Frauen (Abb. 12), ist als eine weitere Folge der Osteoporose zu sehen [35, 34]. Der Knochensubstanzverlust der Spongiosa des Tibiakopfes nimmt ab dem 40. Lebensjahr zu. Präexistente, meist unbemerkt gebliebene leichte Achsenabweichungen der Beine sind in der Regel von zusätzlicher Bedeutung, also für O-Beine auffallend gerade Beine ohne physiologischen Valgus von etwa 5 — 8 Grad oder für X-Beine Valgusabweichungen von mehr als 10 Grad. Wenn dann die Trag- und Lotlinie nicht mehr exakt zusammen
Abb. 12 O-Bein bei Osteoporose.
Orthopädische Aspekte der Osteoporose-Therapie
337
Abb. 13 Trag- und Lotlinie am Bein. Beim O- oder X-Bein weichen beide voneinander ab [aus 36].
und geradlinig vom Hüftkopfzentrum über die Kniegelenksmitte zur Mitte des oberen Sprunggelenkes ziehen (Abb. 13), wirkt das Drehmoment der geknickten Traglinie auf die Deformität verstärkend und muß zur weiteren Umformung führen, wenn der Knochen den Biegekräften nicht mehr genügend elastischen Widerstand leisten kann. Die Verbiegung ist meist doppelseitig und kann so exzessiv werden, daß der Knorpel im belasteten Kniekompartiment fast vollständig abgerieben wird. Um das zu verhindern, empfiehlt sich der rechtzeitige, korrigierende, operative Eingriff, der sich aber ohne Schwierigkeiten nur bis zu einem gewissen Winkelgrad und einem bestimmten Ausmaß der Arthrose vornehmen läßt. Uns hat sich die relativ leicht durchführbare hohe Tibiakopfosteotomie mit Fixation der Fragmente durch Krampen und einen Gipstutor, in dem die Patienten nach der Operation gehen können, bewährt (Abb. 14). Ist indessen die Arthrose so weit fortgeschritten, daß die Osteotomie zu spät käme, dann bringt nur noch der Ersatz des Kniegelenkes durch eine Endoprothese Beschwerde- und funktionelle Besserung. Wenn sich die Patienten von einer prophylaktischen Operation nicht überzeugen lassen, dann kann man in leichten Fällen noch versuchen, durch eine Versetzung des Schuhbodens und damit auch der Belastungsebene des Schuhes den Angriff der Bodendruckkraft wieder näher an den Projektionspunkt der Lotlinie heranzuführen [36] (Abb. 15). Für eine gewisse Zeit kann es damit gelingen, die Kniebeschwerden deutlich zu mindern und den Prozeß der Deformierung zu verlangsamen [31].
338
Abb. 14
Prävention und Therapie
Umstellungsosteotomie im Tibiakopf beim O-Bein; Fixation mit BlountKrampen.
i
Abb. 15
Verlagerung des Schuhbodens nach medial beim X-Bein, um Trag- und Lotlinie einander näher zu bringen [aus 36].
Literatur
339
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4.6 Analgetisch-medikamentöse Therapie J. D. Ringe
Für den von der Osteoporose Betroffenen stehen die oft kaum erträglichen Schmerzen im Mittelpunkt des Osteoporosegeschehens. Erst danach rangiert die Sorge, einen noch runderen Rücken zu bekommen, noch kleiner zu werden, weitere, womöglich auch extravertebrale, Frakturen zu erleiden. Entsprechend sucht der Osteoporosepatient in erster Linie einen Arzt auf, mit der Erwartung, von den quälenden Schmerzen befreit zu werden, und erst in zweiter Linie hofft er, daß die Krankheit zu stoppen ist und keine weiteren Frakturen auftreten. Der behandelnde Arzt muß sich darüber klar sein, daß diese beiden Punkte sehr eng zusammenhängen. Ein medikamentöser Versuch, den Knochenabbau zu bremsen oder gar den Knochenanbau zu stimulieren, muß frustran bleiben bei schmerzbedingter Immobilität, besonders dann, wenn der Patient durch Schmerzen mehr oder weniger ans Bett gefesselt ist [1]*. Unter Bettruhe kommt es vermutlich auch bei schon bestehender Osteoporose zu einem weiteren Verlust an Knochenmasse. Ein akuter und dramatischer Knochenmassenverlust unter Bettruhe ist bei skelettgesunden Probanden [2] und nach Querschnittssyndrom [3] eindeutig nachgewiesen worden (vgl. 5.7). Es besteht also ein Circulus vitiosus zwischen Schmerz und Osteoporose, wie in Abbildung 1 dargestellt. Dieser Teufelskreis muß durch eine adäquate, analgetische Behandlung durchbrochen werden. Die Schmerztherapie sollte unter Berücksichtigung des potentiellen Schadens fortbestehender relativer Immobilität zu Beginn eher großzügig gehandhabt werden, selbstverständlich unter Berücksichtigung möglicher Nebenwirkungen und Kontraindikationen. Für die Schmerztherapie stehen praktisch gleichberechtigt physikalisch-balneologische Maßnahmen sowie Krankengymnastik (vgl. 4.4) und die medikamentös analgetische Therapie zur Verfügung [4], Beide Prinzipien sind in der Regel parallel anzuwenden und individuell nach Nutzen und Bedarf anzupassen. Obwohl im Einzelfall nicht immer exakt zu trennen, hat es sich bewährt, zwischen akuten und chronischen Schmerzen zu unterscheiden.
* Literatur nach diesem Kapitel.
342
Prävention und Therapie
Abb. 1
Circulus vitiosus zwischen Schmerz und Osteoporose.
4.6.1 Akuter Schmerz Der akute Schmerz tritt bei der klinischen Erstmanifestation der Osteoporose, d. h. bei dem oder den ersten Wirbelbrüchen auf, oder im Verlauf in Form akuter Schmerzexazerbationen durch erneute oder fortschreitende Einbrüche oder Sinterungen [5], Wie im diagnostischen Teil dargelegt (vgl. 3.1.2), muß somit dieser Schmerztyp als der eigentlich ossäre bzw. durch das Periost vermittelte Schmerz angesehen werden. Durchgehende Bettruhe ist in der akuten Schmerzphase oft unumgänglich. Auch nach frischen Wirbeleinbrüchen sollte diese Bettruhe jedoch möglichst kurz gehalten werden. Ein halbelastisches Stützmieder kann oft die Remobilisierung begünstigen. Starre Mieder mit weitestgehender Immobilisierung der Rückenmuskulatur sind u. E. zu vermeiden [6]. Spezielle Aspekte dieser orthopädischen Versorgung werden gesondert dargestellt (vgl. 4.5). Nicht wenige Patienten können unter einer ausreichenden analgetischen Therapie akute Schmerzphasen im Verlauf der Osteoporose auch weitgehend ambulant durchstehen. Physikalisch-therapeutische Maßnahmen werden in der akuten Schmerzphase oft kaum toleriert, insbesondere keine Bäder, Fangoanwendungen und Massagen. Gelegentlich helfen Kälteanwendungen oder sehr vorsichtige, detonisierende Massagen von umschriebenen Muskelverspannungen [7]. Der akut primär ossär vermittelte Schmerz, der evtl. mit radikulärem Schmerz und myogenem Schmerz kombiniert auftritt [4], bedarf besonders der konsequenten medikamentösen Therapie. Die Basis sollte in der Anwendung eines nichtsteroidalen Antirheumatikums (NSAR) bestehen, mit dem gute eigene Erfahrungen bestehen. Kontraindikationen sind eine akute Gastritis bzw. Ulkuskrankheit. Bei einer „Magenanamnese" ohne aktuelle Beschwerden
Analgetisch-medikamentöse Therapie
343
sollte evtl. nach gastroskopischer Kontrolle neben den NSAR ein Antazidum bzw. ein ^-Rezeptorenblocker verordnet werden. Bei ungenügendem analgetischem Effekt kann die Umstellung auf ein anderes NSAR erprobt werden. Meist ist jedoch bei heftigen Schmerzen das NSAR zunächst nicht ausreichend, so daß auch zentral angreifende Analgetika verabfolgt werden müssen. Wir bevorzugen z. Z. Tramadol oder Tilidin in Tropfenform bzw. Buprenorphin sublingual. Selbstverständlich können diese oder andere starke Schmerzmittel (z.B. Pentazocin) initial auch parenteral indiziert sein. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß ein großer Teil der Patienten (nach eigener Erfahrung ca. 70 — 80%) in dieser Erkrankungsphase durch tägliche subkutane Injektionen von 100 E Kalzitonin innerhalb von 10 Tagen bis zu drei Wochen eine deutliche Schmerzlinderung erlebt [8], so daß die genannten, zentral angreifenden Analgetika reduziert oder abgesetzt werden können [9, 10].
4.6.2 Chronischer Schmerz Die chronischen Rückenschmerzen bei Osteoporose, bei denen es sich um überwiegend weichteilvermittelte, nicht ossäre Schmerzen handelt (vgl. 3.1.2, Abb. 2), sind primär die Domäne der physikalischen Therapie [7]. Neben dieser individuell zu verordnenden Basistherapie ist aber in den meisten Fällen auch hier eine Behandlung mit NSAR indiziert. Hierbei ist die Dosierung ggf. der Tagesrhythmik der Beschwerden anzupassen, sofern NSAR mit relativ kurzer Halbwertzeit zur Anwendung kommen, wie die Salizylate oder Arylessigsäurederivate. So hat z. B. das zur letzteren Substanzklasse gehörende Diclofenac eine Halbwertzeit von lediglich 1 bis 2 Stunden, was oft nicht beachtet wird. Bei den Oxicamderivaten (Piroxicam, Tenoxicam) ist eine tageszeitliche Anpassung nicht möglich und nicht nötig, da die Halbwertzeit zwischen 35 und 70 Stunden rangiert. Eine zusätzliche Gabe von zentral angreifenden Analgetika ist beim chronischen Osteoporoseschmerz nur im kleineren Teil der Fälle nötig. Bei intensiven und quälenden chronischen Schmerzen ist wie beim akuten Schmerzsyndrom eine Therapie mit Kalzitonin erprobenswert. Es sollten zunächst täglich 100 E subkutan verabfolgt werden. In den meisten Fällen registrieren die Patienten nach ein bis zwei Wochen eine deutliche Beschwerdeminderung. Danach kann nach eigener Erfahrung die Kalzitonindosierung auf 100 E an jedem zweite Tag reduziert werden. Bei längerer Anwendung kommt neben dem analgetischen Effekt ein gewisser anaboler Effekt auf die Knochenmasse zum Tragen [11].
344
Literatur
Ein gewisser analgetischer Effekt — möglicherweise über eine muskelrelaxierende Wirkung — wurde in früheren Arbeiten oralen Kalziumgaben zugesprochen [12], Diese Auffassung ist keineswegs wissenschaftlich gesichert. Auch bei der Therapie der Osteoporose mit Kalziuminfusionen, die sich über eine Suppression des Parathormons und Stimulation des Kalzitonins positiv auf den Knochenmetabolismus auswirken sollten [13], wurde ein analgetischer Effekt beobachtet. Bei Kalziuminfusionen könnte durch einen relativ raschen Anstieg des Serumkalziumspiegels das daraufhin sezernierte endogene Kalzitonin analgetisch wirksam sein.
Literatur [1] Ringe, J. D., E. Steinhagen-Thiessen: Die therapiebedürftige Altersosteoporose. In: R.-M. Schütz (Hrsg.): Praktische Geriatrie 4. Lübeck 1984. [2] Donaldson, C. L., S. B. Hulley, J. M.Vogel et al.: Effect of prolonged bed rest on bone mineral. Metabolism 19 (1970) 1071-1084. [3] Minaire, P., P. Meunier, C. Edouard et al.: Quantitative histological data on disuse osteoporosis. Comparison with biological data. Calcif. Tiss. Res. 17 (1974) 57-73. [4] Felder, M., M. A. Dambacher, F. J. Wagenhäuser: Die Behandlung der Schmerzen bei Osteoporose. Schweiz, med. Wschr. 112 (1982) 60 — 64. [5] Uehlinger, E.: Der Knochenschmerz. M. Kurse ärztl. Fortb. 14 (1964) 517-524. [6] Ringe, J. D.: Was ist gesichert in der Therapie der Osteoporose? Internist 26 (1985) 735-740. [7] Bühring, M., R. Salier: Physikalische Therapie und Krankengymnastik bei Osteoporose. Z. Geriatrie 2 (1989) 33-41. [8] Ringe, J. D.: Clinical evaluation of salmon calcitonin in bone pain. In: C. Christiansen, J. S. Johansen, B. J. Riis (Hrsg.): Osteoporosis 1987. S. 1262 — 1264. Osteopress, Denmark 1987. [9] Franceschini, R., P. Bottaro, C. Panopoulos et al.: Long-term treatment with salmon calcitonin in postmenopausal osteoporosis. Curr. ther. Res. 34 (1983) 795-800. [10] Levernieux, J., D. Julien, F. Caulin: A double-blind study on the effect of calcitonin on pain and acute resorption related to recent osteoporotic crush fractures. In: W. Doepfner (Hrsg.): Calcitonin 1984. Excerpta Med. Curr. Clin. Pract. Ser. 42 (1986). [11] Gennari, C., S. M. Chierichetti, S. Bigazzi et al.: Comparative effects on bone mineral content of calcium and calcium plus salmon calcitonin given in two different regimens in postmenopausal osteoporosis. Curr. ther. Res. 38 (1985) 455-464. [12] Krokowski, E.: Kombinierte Fluor-Kalzium-Therapie der Osteoporose. Fortschr. Med. 102 (1984) 1067-1070. [13] Jowsey, J., R. C. Hoye, C.Y. C. Pak et al.: The treatment of osteoporosis with calcium infusions. Amer. J. Med. 47 (1969) 17 — 22.
4.7 Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaues J. D. Ringe
Die vier Säulen der Osteoporose-Therapie sind die allgemeinen Maßnahmen, die Schmerztherapie, die Beeinflussung des Knochenumbaues und die orthopädisch-chirurgischen Maßnahmen (vgl. Tab. 1, S.242). Diese vier sind im Prinzip gleichberechtigt [1,2]. Häufig werden jedoch die wichtigen allgemeinen Maßnahmen und die Schmerztherapie durch Hervorhebung der Möglichkeiten der medikamentösen oder hormonalen Einwirkungen auf die Knochenzellen in den Hintergrund gedrängt. Für letztere Maßnahmen bedarf es jedoch eines langfristigen Konzeptes, das auf einer sorgfältigen diagnostischen Abklärung mit Erfassung von Schweregrad der Osteoporose und wenn möglich Aktivität und Verlaufstendenz basieren sollte [3, 4], Daneben sind sicher Alter und Geschlecht bzw. bei betagten Patienten die Einschätzung des „biologischen Alters" und der generellen Lebenserwartung mit in die Überlegungen einzubeziehen [5], Die medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaues zielt auf eine Hemmung weiteren osteoblastären Knochenabbaues oder eine Stimulation des osteoblastären Knochenanbaues. Das eigentliche Therapieziel ist dabei stets die Vermeidung weiterer Frakturen — primär im Bereich der Wirbelsäule, sekundär extravertebraler Frakturen — und damit fortschreitender Deformierung des Rückens, chronischer Schmerzen und Invalidität [6]. Es versteht sich von selbst, daß eine derartige Therapie erst nach Monaten oder evtl. erst nach ein bis zwei Jahren erste Erfolge zeigen kann, wenn die Knochenmasse zu Beginn erheblich unterhalb des kritischen Frakturbereiches liegt. Umsomehr sind gleich zu Beginn alle vier Säulen der Therapie individuell angepaßt auszuschöpfen. Die Compliance des Patienten für langfristige medikamentöse Behandlung mit dem Ziel des „Knochenwiederaufbaues" kann nur durch eine initiale Schmerztherapie und durch den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses mit Motivation zur Mitarbeit erreicht werden. Die Patienten sind oft zu Beginn einer Therapie durch chronische Schmerzen oder ihnen bislang zugegangene Informationen verunsichert und depressiv. Ein Glauben an die Behandelbarkeit ihrer Erkrankung muß in dem Patienten aufgebaut werden und damit die Möglichkeit aktiver Mitwirkung im Gesamttherapiekonzept (z. B. selbständige Gymnastik, Diätberatung, eigenhändige Injektionen von Medikamenten). Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammen-
346
Prävention und Therapie
hang sicher auch die in den letzten Jahren zunehmend gegründeten Osteoporose-Selbsthilfegruppen. Eine weitere Einschüchterung des Patienten durch das Ausmalen einer düsteren Prognose ist schädlich. Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die wichtigsten der heute verfügbaren Substanzen und Hormone, die bei langfristiger Anwendung Kalziumbilanz und Knochenumbauvorgänge und damit die Skelettbilanz positiv verändern können. Die Einteilung basiert dabei auf den nach heutigem Kenntnisstand anzunehmenden wichtigsten pathophysiologischen Angriffsorten der einzlenen Therapeutika. Dabei ist zu berücksichtigen, daß unter Gabe von Kalzium, Thiaziden oder Vitamin D natürlich nur eine positive Kalziumbilanz bzw. Skelettbilanz resultieren kann, wenn das Skelett bereit ist, Kalziumsalze einzulagern. Es muß eine vorherige relative Untermineralisation vorliegen [7] oder zuvor eine Neusynthese von Osteoid induziert worden sein. Die übliche Einteilung in osteoklastenhemmende und osteoblastenstimulierende Therapeutika wurde bewußt durch das Adjektiv „überwiegend" relativiert. Es gibt neuerdings eindeutige Hinweise, daß Kalzitonin neben der Hauptwirkung der Osteoklastendepression auch Osteoblasten stimuliert [8], Für das Fluorid ist andererseits neben der Osteoblastenstimulation auch eine gewisse Erschwernis der Knochenresorption beschrieben [9]. Parathormon stimuliert die Osteoblasten indirekt über eine primäre Steigerung der Knochenresorption. Tabelle 1
Einteilung der wichtigsten Osteoporosetherapeutika nach dem primären pathogenetischen Angriffspunkt.
Medikamentöse Osteoporosetherapie 1. Positivierung der Kalziumbilanz Kalzium oral, Kalzium i. v., Thiazide, Vitamin D, (D-Metabolite) 2. Überwiegend Hemmung der Osteoklasten Kalzitonine, Diphosphonate, (Östrogene) 3. Überwiegend Stimulation der Osteoblasten Na-Monofluorphosphat, Na-Fluorid, (PTH) 4. Ohne eindeutige Zuordnung Anabolika, D-Hormon, (Gestagene)
In Abweichung von dieser primär pathogenetischen Einteilung der medikamentösen Osteoporose-Therapie der Tabelle 1 sollen im folgenden die aktuell wichtigsten Therapeutika in Einzelkapiteln abgehandelt werden. Die weniger angewandten bzw. noch experimentellen Substanzen werden zusammengefaßt kurz vorgestellt. Daneben wird gesondert der heutige Stand der sogenannten Kohärenztherapie bzw. der sequentiellen Anwendung verschiedener oben genannter Substanzen dargelegt.
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
347
4.7.1 Kalzium Das Element Kalzium spielt in der belebten Natur eine Doppelrolle. In kleinsten Mengen, als zweiwertiges Kation, ist es ein entscheidender Regulator zahlreicher Zellfunktionen und intrazellulärer „second messenger" [10 — 13], in großen Mengen ist es der wichtigste mineralische Baustein des Stützskeletts. Dieser Dualismus bedeutet das Nebeneinander extremer Konzentrationsgradienten in verschiedenen Kompartimenten des Organismus [14]. So kann man beim Menschen den Kalziumgehalt des Skeletts in Kilogramm ausdrücken (1,0 —1,5 kg), die extrazelluläre Konzentration im Plasma liegt bei 10 3 Mol (2,1—2,6 mmol/1) und die intrazelluläre Konzentration liegt nochmals lO.OOOmal niedriger bei 10~7 Mol. Akute Änderungen dieser letzteren Gradienten sind das entscheidende Signal in lebenden Zellen für Vorgänge wie Bewegung, Sekretion, Exzitation, aber auch Teilung und Differenzierung [15]. Die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung dieser Gradienten und eine exakte Konstanthaltung der Kalziumspiegel im Plasma ergeben sich zwingend aus diesen ubiquitären Effekten auf essentielle Zellfunktionen [16]. Offensichtlich haben bei der Doppelrolle des Kalziums die lebenswichtigen metabolischen Funktionen Vorrang vor der „banalen" mechanischen Funktion, das heißt die Aufrechterhaltung der Kalziumhomöostase erfolgt notfalls auf Kosten des Skeletts. 4.7.1.1 Kalziumhomöostase und Osteoporose Der dargestellte Dualismus ist entwicklungsgeschichtlich betrachtet eine Hypothek der Entstehung des Lebens vor mehr als 3 Milliarden Jahren in den Ur-Ozeanen [17]. Das Element Kalzium war im äußeren Milieu Meerwasser im Überfluß vorhanden, die Konzentration von 10 mmol/1 ist etwa das vierfache der Plasmaspiegel der meisten lebenden Wirbeltiere. Fische haben keine Nebenschilddrüsen und kein Parathormon; die Situation, daß aus dem Skelett Kalzium bereitgestellt werden muß, kommt nicht vor [18]. Mit der Eroberung des Landes wurde ein extrem kalziumarmes Milieu erobert (Abb. 1). Kalzium konnte nur noch durch die Nahrung aufgenommen werden, und zwar je nach Nahrungsangebot in sehr wechselnden Schüben. Eine Kalziumhomöostase mit Kalzium-Sparmechanismen war die Antwort der Evolution. Dies wurde durch das komplizierte Zusammenspiel der drei wichtigsten Hormone Parathormon, 1,25-Dihydroxycholecalciferol und Kalzitonin erreicht. In der Notwendigkeit, mit dem Element Kalzium zu sparen und nötigenfalls den extrazellulären Pool auf Kosten des Skeletts aufzufüllen, liegt vermutlich eine Wurzel der Osteoporoseproblematik. Eine andere liegt in einer Besonderheit der Skelettarchitektur. Die Festigkeit des Knochengewebes wächst nur mit der zweiten Potenz des benutzten Materials, während das Gewicht
348
Prävention und Therapie
Ca-ÜBERFLUSS
FISCHE Parathyreoidea ( - )
Abb. 1
Ca-MANGEL
SÄUGETIERE Parathyreoidea (+]
Die Eroberung des festen Landes durch die Tierwelt erforderte die Umstellung von einem Milieu mit Kalziumüberfluß auf eine Umgebung mit Kalziummangel [nach 17].
mit der dritten Potenz ansteigt. Mit zunehmender Körpergröße einer Tierspezies nimmt daher der prozentuale Anteil des Skelettgewichts am Körpergewicht zu. Da Schnelligkeit und die Fähigkeit zu fliehen Überlebensvorteile sind, muß aus Gewichtsgründen beim Knochenbau mit Material, speziell Kalziumsalzen, gespart werden. Das heißt, es gibt beim Knochengewebe wenig „Reserve-Substanz". Zum eigentlichen Problem wird die Sache durch einen dritten Aspekt: die hohe mittlere Lebenserwartung der Menschen unserer Zeit, ermöglicht durch die medizinische und technische Evolution. Die von der biologischen Evolution „vorgegebene Knochenmasse" ist für eine Lebenserwartung von 40 — 50 Jahren völlig ausreichend. In der zweiten Lebenshälfte wird im Rahmen des physiologischen Skelettumbaus („remodeling") ständig immer mehr Knochen ab- als aufgebaut, das heißt, es besteht eine permanent negative Skelettbilanz. Die Ursachen dieses obligaten Skelettverlustes sind unklar, vermutlich ist jedoch ein wichtiger Faktor die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Kalziumhomöostase. Mit zunehmendem Alter nimmt die Effektivität der enteralen Kalziumresorption ab. Hormonal entspricht dem ein Abfall des 1,25-Dihydroxycholecalciferol und ein Anstieg des Parathormons mit dem Lebensalter [19, 20], Hinzu kommt, daß aufgrund der üblichen Eßgewohnheiten zumindestens in den meisten westlichen Ländern auch die Kalziumzufuhr mit der Nahrung mit zunehmendem Alter abfällt. 4.7.1.2 Kalzium und Pathogenese der Osteoporose Obwohl aufgrund der dargestellten Besonderheiten der Kalziumhomöostase Zusammenhänge zwischen chronischem Kalziumdefizit und Osteoporose sehr
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
349
naheliegend sind [21], wird die Rolle des Kalziums bei der Osteoporosepathogenese immer noch kontrovers diskutiert [16]. Die Literatur zum Thema ist unübersehbar und teilweise widersprüchlich [22]. Tierexperimentell läßt sich eindeutig durch kalziumarme Nahrung eine Osteoporose induzieren [21]. Als Gegenargument für den Faktor Kalziummangel bei der Osteoporose des Menschen wird oft angeführt, daß diese Skeletterkrankung in Ländern der Dritten Welt mit Kalziumzufuhr keine Rolle spielt. Hiergegen muß gehalten werden, daß erstens die mittlere Lebenserwartung dieser Populationen niedrig liegt und zweitens andere Ernährungsaspekte interagieren dürften. So kommt es nicht, wie in Populationen der westlichen Industrieländer, durch einen hohen Anteil an Natrium und tierischen Proteinen in der Nahrung zu erhöhten Kalziumverlusten [23]. Andererseits wurde bei uns nach dem 2. Weltkrieg das Krankheitsbild der „Hungerosteopathie" gehäuft beobachtet [24, 25], wobei neben Kalziummangel auch Proteinmangel mit ungenügender Knochenmatrixbildung eine Rolle gespielt haben soll. Wie bereits dargelegt, kann eine negative Kalziumbilanz nur auf Kosten des Skeletts ausgeglichen werden. Eine negative Kalziumbilanz tritt jedoch aufgrund einiger Besonderheiten des Kalziumstoffwechsels sehr leicht auf [16, 26]: 1. Gesunde Personen können aus der Nahrung unabhängig von der Zubereitung nur ca. 30% des zugeführten Kalziums resorbieren. Mit zunehmendem Alter nimmt diese Rate auf 10 — 15% ab. 2. Die Nettoresorption aus dem Darm ist in der Regel noch niedriger, da ein Teil des resorbierten Kalziums über die Verdauungssekrete wieder über das Darmlumen abgegeben wird. Erst oberhalb einer oralen Zufuhr von 200 mg kann die Nettoresorption überhaupt positiv werden [27], 3. In der Niere werden aufgrund der Kinetik der tubulären Rückresorption 1 —2% des filtrierten Kalziums (ca. 120 mg/die) regelmäßig ausgeschieden. Dieser obligate Verlust kann nur unterschritten werden, wenn der Serumkalziumspiegel absinkt, was normalerweise jedoch durch Parathormon verhindert wird [21], Rechnet man die obligaten fäkalen und renalen Kalziumverluste zusammen, so beträgt die tägliche Kalziumausscheidung ca. 400 mg. Um eine ausgeglichene Kalziumbilanz zu gewährleisten, muß also minimal diese Menge zugeführt werden. Das Parathormon, der wichtigste Hüter der extrazellulären Kalziumkonzentration, mobilisiert Kalzium aus dem Skelett durch osteoklastische Resorption. Nennenswerte Kalziummengen können aus dem Skelett nicht selektiv herausgelöst werden, die Mobilisierung erfolgt stets über einen Abbau des Knochengewebes einschließlich Grundsubstanz, das heißt Knochenmasse und -Struktur gehen verloren [21].
350
Prävention und Therapie
Epidemiologische Daten stützen die Auffassung, daß chronischer Kalziummangel die Osteoporose begünstigt. Japanerinnen mit sehr niedriger Kalziumzufuhr von im Mittel 400 mg/Tag haben sehr hohe Frakturraten im Gegensatz zu einer Population in Finnland mit geringer Osteoporoseinzidenz bei einer Aufnahme von 1.300 mg Kalzium pro Tag [28]. Trotz einzelner derartiger positiver Korrelationen ist insgesamt in epidemiologischen Untersuchungen die Korrelation zwischen mittlerer Kalziumzufuhr mit der Nahrung und Osteoporoseinzidenz gering [28], Dies liegt vermutlich einerseits an genetischen Unterschieden, andererseits an Interaktionen zwischen dem Faktor Nahrungskalzium und anderen Risikofaktoren der Osteoporose. Insbesondere dürften hier die Effizienz der Kalziumresorption, die Gonadenfunktion, der Proteinanteil der Nahrung und die körperliche Aktivität von Bedeutung sein [29 — 31], Die Kalziumutilisation wird neben der Proteinmenge auch von deren Zusammensetzung beeinflußt [32, 33]. Der geringe Anteil schwefelhaltiger Aminosäuren in vegetarischer Kost führt zu einer gesteigerten Natriurese und reduzierten Calciurese, das heißt insgesamt günstigeren Kalziumbilanz als bei Verzehr tierischen Eiweißes [34].
4.7.1.3 Kalzium in der
Osteoporosetherapie
Der Stellenwert des Kalziums bei der Therapie manifester Osteoporosen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr wechselnd von weitgehender Ablehnung bis zur Überschätzung eingestuft worden. Obwohl wenig gesichert ist, wird doch Kalzium von den meisten Autoren als eine wichtige Komponente der Osteoporosetherapie angesehen [35]. Für eine regelmäßige Kalziumsubstitution spricht eine Untersuchung über den Kalziumgehalt von Beckenkammbiopsien, in der gezeigt wurde, daß bei Osteoporosepatienten in 25 — 35% ein signifikantes Kalziumdefizit in der Knochensubstanz vorliegt, ohne daß es sich um eine Osteomalazie handelt [7]. Eine Nachbeobachtung nach 2 Jahren zeigte, daß bei Gabe von Kalzium und einer kleinen Dosis Vitamin D unabhängig von der Therapie mit Kalzitonin oder einem Anabolikum die Fälle mit der stärksten initialen Untermineralisation den deutlichsten Therapieeffekt aufwiesen. Dies bedeutet, daß der Ausgleich eines vorbestehenden Kalziumdefizits eine wichtige variable Größe ist, welche die Auswertung von Therapiestudien erheblich beeinflußt [7],
Kalzium als
Monotherapie
Unter der Vorstellung, daß eine Störung im Gleichgewicht zwischen Parathormon und Kalzitonin ein wesentlicher pathogenetischer Faktor der Osteo-
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
351
porose sei, wurden gegen Ende der 70er Jahre Kalziumfusionen zur Osteoporosetherapie empfohlen, um die Parathormonsekretion zu drosseln und die endogene Kalzitoninausschüttung zu steigern [36], In der Tat konnten positive Effekte dieser Therapie knochenhistologisch objektiviert werden [37], Angewandt wurden 15 mg Kalzium pro Kilogramm Körpergewicht infundiert über 4 Stunden in physiologischer Kochsalzlösung. Interessant an diesen Studien ist, daß der oft beobachtete deutliche analgetische Effekt dieser Kalziumfusionen aus heutiger Sicht auf die endogene Kalzitoninsekretion bezogen werden kann, da inzwischen Befunde für eine deutliche analgetische Potenz dieses Hormons vorliegen [38, 39, 40], Als längerfristiges Konzept hat sich die Kalziumfusionstherapie nicht durchsetzen können. Eine kurzzeitige Anwendung kann in Einzelfällen bei stationären Patienten erwogen werden, um den analgetischen Effekt zu erzielen, wobei vermutlich positive Placeboeffekte durch die sehr suggestive Therapiemaßnahme beteiligt sind. Kalzium in oraler Form kann generell nicht als Monotherapie manifester Osteoporosen, das heißt bei Patienten mit Wirbelkörpereinbrüchen und aktuellen Beschwerden, empfohlen werden. In verschiedenen radomisiert-kontrollierten Therapiestudien, in denen Osteoporosetherapeutika gegen eine Kontrollgruppe Kalziummonotherapie geprüft wurden, zeigte jeweils diese letzere Gruppe einen Abfall des Knochenmineralgehaltes [u.a. 41—44]. Da keine Gruppe ganz ohne Therapie war, ist ein gewisser Effekt von Kalzium aufgrund dieser Studien nicht auszuschließen. Präventionsstudien an gesunden postmenopausalen Frauen mit gruppenweiser Gabe von Östrogen, Kalzium oder Placebo zeigen, daß unter Kalziumzufuhr der Verlust an Knochenmasse geringer ist als bei Placebogabe [45], Ein gewisser Effekt einer KalziumMonotherapie ist daher anzunehmen, vermutlich handelt es sich bei einem Teil der Fälle dabei lediglich um den Ausgleich eines zuvor bestehenden Kalziumdefizits [vgl. 7], Osteoporosepatienten müssen meist über sehr viele Jahre therapiert und betreut werden. Nach einer spezifischen Therapie mit Kalzitonin, die heute maximal über ein Jahr durchgeführt wird oder einer Fluoridtherapie (maximal 3 — 4) Jahre stellt sich oft die Frage, ob und wie weiterbehandelt werden soll. Wenn eine stabile und relativ schmerzfreie Phase erreicht worden ist, so können derartige Patienten nach eigener langjähriger Erfahrung oft sehr gut mit einer alleinigen oralen Kalziumsupplementation von 500 mg/Tag neben einer kalziumreichen Diät und regelmäßiger Gymnastik weitergeführt werden. Der tatsächliche Wert dieser Kalziumgabe im Sinne einer „Erhaltungstherapie" ist zwar nicht objektiviert, aber bei zahlreichen Patienten beobachtet worden.
352
Prävention und Therapie
Kalzium in kombinierten Therapieschemata Orale Kalziumsupplemente sind als adjuvantes Prinzip in den meisten Therapiestudien der letzten Jahre enthalten. Dies gilt für die Therapie mit Natriumfluorid [46, 47, 49] ebenso wie für die Behandlung mit Kalzitonin [42, 43, 44], aber auch für Therapieversuche mit Anabolika [49, 50] und mit Vitamin D-Metaboliten [51, 52, 53], Auch für die breite Anwendung gängiger Therapien in der Praxis wird heute mehrheitlich empfohlen, 500 —1.500 mg Kalzium pro Tag zu substituieren [54, 55, 56]. Bei der Kalzitonintherapie ist ein pathophysiologisches Argument für die zusätzliche orale Kalziumgabe, daß ein möglicherweise auftretender milder reaktiver Hyperparathyreoidismus so vermieden werden könne [57]. Da in allen größeren Kalzitoninstudien stets das Hormon mit Kalzium kombiniert wurde, ist der mögliche additive Effekt von Kalzium nicht gesichert [44], Eine eigene Studie mit Kalzitonin-Monotherapie kann hier nicht vergleichend herangezogen werden, da es sich um die besondere Situation der Kortikoidosteoporose handelte [58]. Die Hauptdomäne der adjuvanten Kalziumsupplementation ist die langzeitige Fluoridtherapie der Osteoporose. Bei dieser Therapie wird knochenhistologisch gesichert durch Osteoblastenstimulation eine Osteoidvermehrung induziert [59]. Für die Mineralisation dieser neugebildeten Knochenmatrix muß genügend Substrat angeboten werden. Nach den vorliegenden Therapiedaten wird die Mineralisation des neugebildeten Knochengewebes durch Kalziumgaben begünstigt, sofern die Natriumfluoriddosen nicht 90 mg/Tag überschreiten [60]. Eine zusätzliche Therapie mit Vitamin D bringt keine weiteren Vorteile [60], Nach den Ergebnissen zweier eigener früherer Therapiestudien ist die kombinierte Natriumfluorid-Kalziumbehandlung einer Monotherapie mit Natriumfluorid überlegen [61, 62], Während beim Natriumchlorid Kalzium getrennt gegeben werden muß, um die Fluoridresorption nicht zu beeinträchtigen, kann beim Natriummonofluorphosphat Kalzium zugleich zugeführt werden. Auch bei diesem Fluorid in fixer Kombination mit Kalzium konnten positive Effekte auf den Knochenmineralgehalt nachgewiesen werden [63, 64], In einer Studie aus der Mayoklinik im Vergleich der Wirbelfrakturraten bei unbehandelten Fällen und 4 verschiedenen Therapiegruppen zeigte bereits die alleinige Kalziumgabe eine signifikante Abnahme der Frakturen, am niedrigsten lag jedoch die Dreierkombination Natriumfluorid, Kalzium und Östrogene [65]. Unter allen heute üblichen Kombinationsschemata unter Verwendung von Kalzium kann die Kalziumgabe bei der Fluoridtherapie als die am besten abgesicherte Zweierkombination gelten.
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
353
4.7.2 Fluorid Eine Zunahme der Knochenmasse kann theoretisch durch eine Hemmung der osteoklastären Knochenresorption mit spontan fortlaufender osteoblastärer Knochenformation geschehen oder durch eine nachhaltige Stimulation der Osteoblasten. Der erstere Weg erscheint jedoch problematisch, da durch die Kopplung zwischen Resorption und Formation [66] bei jeder langzeitigen Hemmung die Resorption theoretisch auch nachfolgend die Formation reduziert werden müßte. Es wird nach der heutigen Vorstellung über die physiologischen Knochenumbauvorgänge angenommen, daß nach 6 Monaten osteoklastärer Hemmung auch die Formation zum Stehen kommt [67]. Für den zweiten Weg, die primäre Stimulation der Knochenneubildung, steht bei uns seit mehr als 20 Jahren Fluorid zur Verfügung. Der osteoblastenstimulierende Effekt des Fluoridions ist eindeutig belegt [68, 69]. Auf einer im Oktober 1988 abgehaltenen internationalen „Consensus Konferenz" über die Fluoridtherapie wurde herausgestellt, daß Fluorid zu einem langanhaltenen Zuwachs an Knochenmasse führe, der über dem anderer üblicher Therapien läge [70]. Andererseits ist z. Zt. aufgrund diskrepanter Studienergebnisse umstritten, ob es unter langfristiger Fluoridtherapie zu einer Zunahme extravertebraler Frakturen kommt.
4.7.2.1
Grundlagen und
Wirkungsweise
Eine chronische Fluorintoxikation führt zu einer diffusen Osteoklerose und zu Schmelzdefekten der Zähne. Entsprechende Veränderungen am Skelett und Zähnen wurden bereits 1937 im Staat Madras in Indien als endemische Fluorose beschrieben und auf einen hohen Fluoridgehalt des Trinkwassers bezogen [71]. Die endemische Fluorose soll etwa ab einem Fluorgehalt des Trinkwassers von 8 mg/1 vermehrt auftreten. Neben dem hohen Fluorgehalt spielt vermutlich auch ein starker Wasserkonsum in heißen Gebirgsgebieten eine Rolle [72]. Bereits davor waren osteoklerotische Veränderungen bei Arbeitern festgestellt worden, die langzeitig Kryolith-Staub ausgesetzt waren. Eine besonders eindrucksvolle radiologische Studie wurde 1932 an 78 Arbeitern erhoben [73], Ziel der Studie war an sich die arbeitsmedizinische Erforschung der Silikose. Neben Silikosen der Lungen wurde jedoch eine „merkwürdige sklerotische Affektion der Knochen, Bänder und Muskelansätze, die vermutlich auf die Deposition von Kalziumfluorid in den Knochen zurückzuführen ist" beschrieben. Die Skelettveränderungen bei der „Industriefluorose" wurden von Roholm in drei Stadien eingeteilt [74],
354
Prävention und Therapie
1. Stadium: Verbreiterung und Verdichtung der Bälkchenstruktur in den Wirbelkörpern sowie erhöhte Knochendichte des Beckens. 2. Stadium'. Weitere Sklerosierung der Spongiosa, Einengung der Markhöhlen der Röhrenknochen, beginnende Verkalkung der Längsbänder der Wirbelsäule. 3. Stadium". Wirbelsäule zeigt marmorartige Struktur mit Verknöcherung des Bandapparates sowie Verkalkung von Sehnen, Muskelansätzen und Membrana interossea. Ektopische und periostale Knochenneubildung. Aus den Beobachtungen der endemischen und der industriellen Fluorose wurde bereits sehr früh die Möglichkeit des therapeutischen Einsatzes von Fluorid bei rarefizierenden Osteoporosen abgeleitet [72, 73]. Da die genannten Stadien der Fluorose mit zunehmender Dauer der Fluoridexposition korrelierten, war von vornherein klar, daß die therapeutische Anwendung von Fluorid zeitlich limitiert werden müßte, um eine iatrogene Fluorose zu vermeiden. Ein frühes Stadium 1 nach Roholm (s. o.), d. h. eine im Röntgenbild der Wirbelsäule gerade sichtbare Vergrößerung der Spongiosastrukturen, wurde als mögliches Therapieziel für die Osteoporose definiert [72], Weitere Untersuchungen zur Industriefluorose hatten gezeigt, daß frühe Fälle von Fluorose sich durch eine erhöhte Fluoridausscheidung im Urin bzw. durch den Fluoridgehalt von Beckenammbiopsien diagnostizieren lassen [75], Als drittes Argument für die therapeutische Anwendung kamen epidemiologische Daten aus dem amerikanischen Bundesstaat North-Dakota hinzu [76], Dort zeigte eine Bevölkerungsgruppe mit höherem Fluorgehalt des Wassers (4 —5,8 mg/1) weniger Frakturen als eine Gruppe mit niedrigen Fluormengen im Trinkwasser (0,15 —0,3 mg/1). Dieser Befund scheint sich nach vorläufigen Daten einer Vergleichsstudie aus Finnland mit Beobachtung zweier Kommunen mit und ohne Trinkwasserfluoridierung zu bestätigen [77]. Die Aufgaben der ersten Jahre der Fluoridanwendung bei der Osteoporose betrafen u. a. Fragen der Galenik, Dosisfindung, Wirkungsnachweis, Nebenwirkungen. Die Vielzahl der wichtigen Pionierarbeiten kann hier nicht zitiert werden. Wichtig waren daneben Untersuchungen über den physiologischen Metabolismus des Fluorids bei Menschen unabhängig vom pharmakologischen Einsatz [78]. Fluorid muß als essentielles Spurenelement für die normale Skelett- und Zahnentwicklung angesehen werden. Empfohlene Zufuhrmengen sind 1 —4mg pro Tag. Zum Wirkungsmechanismus wurden seit der therapeutischen Fluoridanwendung verschiedene Theorien aufgestellt. Als gesichert kann heute gelten, daß ein Teilaspekt der Einbau des Fluoridions in das Hydroxylapatit ist (im Austausch gegen eine OH-Gruppe). Die Kristalle sollen größer und stabiler
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
Abb. 2
355
Dosis-Wirkungskurve für Fluorid. Abhängig von der F~-Konzentration im Kulturmedium steigt die Inkorporation von radioaktivem Thymidin als Ausdruck der Proliferation embryonaler Knochenzellen [nach 68]. Fluorideffekte am Knochen
Mineralsubstanz des Knochens
IGF! MembranRezeptor
Abb. 3
Kinase
Phosphatase
Änderung der Kristallstruktur ("Fluorapatit")
Onkogen -
Osteoblastenprol iteration
Abbau durch Osteoklasten
Darstellung der Wirkungsmechanismen des Fluorids auf den Knochenstoffwechsel. Es kommt über den Weg I zu einer Stimulation der Osteoblasten und Weg II zur Verminderung des osteoblastären Abbaues.
werden, so daß eine Hemmung des osteoklastären Abbaus resultiert. Ein dadurch möglicherweise ausgelöster leichter sekundärer Hyperparathyreoidismus, der in der Anfangszeit viel diskutiert wurde [79], ist bislang nie bewiesen worden. Dieser postulierte sekundärer Hyperparathyreoidismus war das Hauptargument einer Kombination der Fluoridtherapie mit Kalzium und Vitamin D, ein Therapieschema, daß später von den meisten Arbeitsgruppen zugunsten der Zweierkombination Fluorid und Kalzium aufgegeben wurde. Inzwischen ist eindeutig belegt, daß der Haupteffekt des Fluorids am Knochen die direkte Stimulation der Osteoblasten ist [68], In vitro konnte an Knochenzellen aus der Schädelkalotte embryonaler Küken gezeigt werden, daß Natriumfluorid den zellulären Einbau von 3 H-Thymidin stimuliert (Abb. 2).
356
Prävention und Therapie
D.h. es kommt zur Steigerung der DNA-Synthese und Zellproliferation. Weiterhin wurde der Gehalt der osteoblastenähnlichen Zellen an alkalischer Phosphatase signifikant gesteigert. In Abbildung 3 sind die aktuellen Auffassungen zum Wirkungsmechanismus des Fluorids auf das Knochengewebe zusammengefaßt. Als erster Effekt (I) wird die von IGF ( (insulin like growth factor) stimulierte Osteoblastenproliferation durch Fluoride verstärkt, da das Fluorid die Phosphatase hemmt, welches die kinase-abhängige Osteoblastenstimulation hemmen würde. Als zweiter Mechanismus (II) gilt weiter die o.g. Bildung von Fluorapatit mit nachfolgend reduziertem Knochenabbau.
4.7.2.2
Bioverfügbarkeit
Nach Abbildung 2 ist anzunehmen, daß auch in vivo ein optimaler Fluoridkonzentrationsbereich für die Stimulation der Osteoblasten bestehen dürfte. Bei zu niedrigen oder zu hohen Konzentrationen kommt vermutlich der erwünschte knochenanabole Effekt nicht zustande. Die Kenntnis von Resorption und Pharmakokinetik unterschiedlicher Fluoridpräparationen ist daher für die Therapie von großer Bedeutung. Das „therapeutische Fenster" über einer Wirksamkeitsschwelle und unter toxischen Konzentrationen wird von der Arbeitsgruppe von Pak [80] mit einem Bereich von 95 — 190ng/ml Fluorid im Serum angegeben, wobei auf eine ältere Studie Bezug genommen wird [81]. Unseres Erachtens ist dieser Bereich zu eng angenommen, andererseits spricht die oben zitierte in vitroUntersuchung [68] und das Phänomen eines gewissen Anteils von Nonrespondern in den meisten Therapiestudien generell für die Existenz eines therapeutischen Fensters. Mit einer retardierten Natriumfluoridpräparation konnten Pak und Mitarbeiter [80] bei täglicher Applikation von zweimal 25 mg die Serumfluoridspiegel im Bereich zwischen 100 —200ng/ml halten. Bei einem intermittierenden Therapieschema von drei Monaten Therapie und zwei Monaten Pause fielen die Fluoridspiegel während der Therapiepause auf Werte zwischen 50 —90 mg/ml ab. Bei 25monatiger Anwendung dieses Schemas kam es jedoch zu einem durchgehenden signifikanten Anstieg des Serumosteokalzins, d. h. offenbar zu einer permanenten Stimulation des Knochenanbaues [80]. Als Marker für die Effektivität der Fluoridtherapie kann auch der Anstieg der alkalischen Serumphosphatase benutzt werden. Allerdings sind Höhe und Zeitpunkt des Anstieges extrem variabel [82], In einer Studie an 53 Osteoporose-Patienten wurde in 87% im Verlauf einer Fluortherapie ein Anstieg der alkalischen Phosphatase beobachtet. Dieser korrelierte mit der Ausdehnung der Osteoidsäume in der Knochenhistologie [82], d. h. zeigte eine Steigerung der Knochenneubildung an.
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
357
Der wichtigste Aspekt in der Pharmakokinetik des Fluorids ist der Einfluß von Nahrungskalzium- oder zusätzlichen oralen Kalziumgaben auf die enterale Kalziumresorption. In zahlreichen älteren Untersuchungen ist darauf hingewiesen worden, daß die Fluoridresorption durch Kalzium im Darm reduziert wird [zitiert bei 83], Der resorptionsmindernde Effekt wird auf die Bildung schlecht- bzw. unlöslichen Kalziumfluorids bezogen. Dieser Effekt ist allgemein akzeptiert, wird aber in verschiedenen Mitteilungen sehr unterschiedlich stark bewertet. In einer aktuellen französischen Untersuchung an zwölf gesunden Probanden gab es 2V2 Stunden nach einmaliger Gabe von 25 mg NaF einen maximalen Fluoridspiegel von 259 + 211 ng/ml. Bei Gabe von 25 mg NaF + 500 mg Kalzium kam es erst nach vier Stunden zu einem Peak, der nur 204 + 89 ng/ml betrug [84], Auf erhebliche Unterschiede in der individuellen Fluoridresorption bei beiden Applikationen wurde in dieser Studie ausdrücklich hingewiesen. Wegen der offenbar primär stark schwankenden Fluoridresorption aus NaF und den zusätzlichen Einflüssen des Kalziums hat Ericsson bereits in den 70er Jahren nach alternativen Fluoridverbindungen gesucht. In zahlreichen, tierexperimentellen Studien konnte er zeigen, daß bei Gabe von Natriummonofluorphosphat (Na 2 Po 3 F) ein gleichmäßiger und langanhaltender Anstieg des Serumfluoridspiegels resultiert, der durch gleichzeitige Kalziumgaben nicht beeiflußt wird [83, 85]. An zwölf gesunden männlichen Probanden wurde bestätigt, daß bei gleicher oral gegebener Fluoridmenge aus Monofluorphosphat plus Kalzium ca. 60% mehr Fluor resorbiert wird als aus NaF. Bei Einnahme mit Milch war die Resorption aus Monofluorphosphat praktisch unverändert, aus NaF um ca. 40% Vermindert [86]. Bei milder Niereninsuffizienz kann es zu einer Retention von Fluorid kommen [87]. Da bei älteren Patienten leichte Kreatininerhöhungen nicht selten sind, muß entsprechend eine Dosisreduktion oder eine frühere, zeitliche Begrenzung der Fluortherapie erwogen werden [88], Im Rahmen der Skelettremodellierung wird nach durchgeführter Fluoridtherapie Fluor wieder aus dem Knochengewebe freigesetzt. Ein gewisses Maß für diese Fluormobilisierung ist die Fluorexkretion im 24-Stunden-Urin. Ein Teil des freigesetzten Fluors dürfte dabei auch wieder erneut in den Knochen eingebaut werden [89].
4.7.2.3 Anwendung und Dosierung
Die meisten Therapiestudien mit Fluorid wurden bei unselektierten primären Osteoporosen (Frauen und Männer) oder bei Kollektiven mit nur postmenopausaler Osteoporose durchgeführt. Bei sekundären Osteoporosen gibt es wenig gut dokumentierte Therapieergebnisse; dies gilt insbesondere für die Kortikoid-induzierte Form. In einer kontrollierten Studie an Plasmozytom-
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Prävention und Therapie
patienten wurde ein positiver Effekt einer die Zytostatikagabe begleitenden NaF-Therapie kombiniert mit 4 g Kalziumkarbonat pro Tag beschrieben [90]. Die Dosisempfehlungen für das NaF schwanken zwischen 30 und 100 mg/ die, wobei überwiegend je nach Präparat 3 x 2 5 mg oder 2 x 40 mg verabfolgt werden (80 mg NaF entspricht 36,4 mg Fluorid). Dosierungen unter 50 mg führen nur unregelmäßig zur Stimulation der Knochenneubildung, bei Dosen über 80 mg wurde vermehrt eine überschießende Bildung von unreifen Geflechtknochen beobachtet [91]. In der Arbeitsgruppe von Riggs werden daher 60 mg NaF bevorzugt mit 1500 mg Kalzium (tageszeitlich getrennt) kombiniert [67], Dabei wird empfohlen, die Fluordosis — wenn möglich — nach der Höhe der Serumspiegel anzupassen, wobei der optimale Serumfluoridbereich zwischen 5 — 15 piM 24 Stunden nach der letzten Einnahme liegen soll. Die Fluoridexkretion im Urin kann als Marker für die enterale Resorption verwendet werden. In einer Untersuchung an 35 Osteoporose-Patienten der Arbeitsgruppe von Duursma [92] fanden sich bei Gabe von 80 mg NaF in 83% Responder. Diese hatten im Mittel signifikant höhere Fluoridwerte im Urin (11,6 + 2,6 mg/24 Stunden) als die Nonresponder (6,1 ± 1,8 mg/24 Stunden). Die Fluoridausscheidung im Urin weist somit bereits auf einen zu erwartenden Anstieg des Knochenmineralgehaltes hin. Bei niedrigen Urinwerten könnten entsprechende Dosiserhöhungen vorgenommen werden. Für. das meist mit Kalzium in fixer Kombination gegebene Monofluorphosphat ist die übliche Dosisempfehlung 114mg/die entsprechend 15,0 mg Fluorionen. Gelegentlich werden auch höhere Dosen angewandt (z. B. 152 mg MFP entsprechend 20 mg F). Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die enterale Fluoridresorption besser ist als bei Gabe von NaF. In einer aktuellen Studie aus Kalifornien [93] war die Nettofluoridresorption aus MFP plus Kalzium doppelt so hoch wie aus NaF.
4.7.2.4
Nebenwirkungen
und
Therapiegrenzen
In der zuletzt zitierten Studie waren die gastrointestinalen Nebenwirkungen unter Gaben von MFP und Kalzium deutlich niedriger als bei Gabe von Fluorid als NaF [93]. Dies dürfte daran liegen, daß in den USA das NaF nicht in dünndarmlöslichen Dragees erhältlich ist wie bei uns. Gastrointestinale Nebenwirkungen werden bei uns unter NaF sehr selten beobachtet. In einer eigenen Behandlungsgruppe klagten zwei von dreiundzwanzig Fällen unter Gabe von 80 mg NaF über leichte Oberbauchbeschwerden [61]. In den USA sind inzwischen auch retardierte NaF-Präparationen mit weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen erprobt worden [80].
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Bei Gabe von Fluorid in Form von M F P treten nach eigener Erfahrung praktisch keine derartigen Beschwerden auf [63, 64]. Periartikuläre Beschwerden der unteren Extremitäten, insbesondere im Sprunggelenks- und Fußbereich treten dagegen bei beiden Fluoridpräparationen in gleicher Häufigkeit auf. In einer Literaturübersicht kommt diese Nebenwirkung in 35% der langzeitigen Fluoridbehandlungen vor [67]. In der o. g. eigenen Therapiestudie hatten 11 der 23 Patienten über periartikuläre Beschwerden geklagt [61]. Dabei treten diese sehr unterschiedlich nach wenigen Monaten oder auch erst im 2. oder 3. Behandlungsjahr auf. Sie sind in der Regel nach Therapiepause von 2 — 4 Wochen deutlich rückläufig. Die Genese dieser „osteoartikulären Beschwerden" war lange Zeit unklar. Hinweise für eine Synovitis bzw. Gelenkergüsse wurden nie gefunden [94]. Weitere Hypothesen nahmen eine lokale Periostitis oder Beschwerden durch eine fluoridinduzierte, passagere Osteomalazie an. In einer eigenen Beobachtung fanden wir eine schwache Aufhellungszone in der Kompakta der distalen Tibia, die an eine Looser'sche Umbauzone denken ließ. Untersuchungen der letzten Jahre machen für die Mehrzahl dieser Nebenwirkungen eine andere Genese wahrscheinlich. In einer Untersuchung der Mayo-Klinik zeigten 11 betroffene Patienten deutliche Radionuklidanreicherungen mit einzelnen oder multiplen Herden im distalen Bereich der unteren Extremität [94]. Röntgenkontrollen ergaben in 5 dieser 11 symptomatischen Fälle Streß-Mikrofrakturen. Es ist daher anzunehmen, daß das akute Schmerzsyndrom an den unteren Extremitäten unter Fluoridbehandlung durch eine besonders intensive regionale Knochenmodellierung mit komplizierenden Mikrofrakturen der Spongiosa verursacht wird. Eine eigene derartige Beobachtung zeigt besonders eindrucksvoll Aktivitätsanreicherungen in der distalen Tibiaepiphyse und im Calcaneus (Abb. 4a) und als Röntgenkorrelat Spongiosaverdichtungen, die als Mikrokallusbildungen bei den genannten Streßfrakturen der Spongiosabälkchen gedeutet werden müssen (Abb. 4b). Eine Korrelation zwischen Höhe der alkalischen Phosphatase und dem Auftreten dieses Schmerzsyndroms wurde in Einzelfallen beschrieben. Abgesehen von den genannten Nebenwirkungen kann die Fluorbehandlung als eine sehr sichere Therapieform angesehen werden. Toxische Effekte auf Nieren, Leber oder Knochenmark treten bei den üblichen Dosierungen nicht auf. Die therapeutische Breite ist sehr groß. In einer kürzlich mitgeteilten Kasuistik traten bei einer Fluorintoxikation Serumspiegel von 3,4 mg/1 auf, die früher für letal gehalten wurden [95]. Eine 1964 mitgeteilte Kasuistik über das Auftreten einer bds. Optikusneuritis während einer Fluortherapie [96] ist durch keine Zweitmitteilung bestätigt worden, so daß vermutlich eine zufallige Koinzidenz vorlag. Als Kontraindikationen für Fluorid gelten Schwanger-
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Prävention und Therapie
Abb. 4 a Aktivitätsanreicherung in der distalen Tibia und geringer im Kalkaneus im Knochenszintigramm bei einer 74jährigen Patientin mit Schmerzen im Bereich des linken Sprunggelenkes. Nebenwirkung unter Osteoporosetherapie mit Monofluorphosphat und Kalzium. Abb. 4 b Anteriores Röntgenbild der distalen Tibiaepiphyse zum Fall der Abbildung 3 a. Horizontale Verdichtungen in der Spongiosa als Folge von Mikrostreßfrakturen unter Fluortherapie.
schaft wegen möglicher embryotoxischer Effekte, chronische Niereninsuffizienz und Osteomalazie wegen möglicher Verstärkung der Mineralisationsstörung. Wie bereits ausgeführt ist auch bei mäßiger Niereninsuffizienz durch Fluoridretention das Fluoroserisiko vermehrt, wobei gleichzeitig ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen bestehen soll [87]. Das Risiko einer iatrogenen Fluorose wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Zu Beginn der Fluortherapie der Osteoporose galten 20 g Fluor als obere Therapiegrenze. Diese wurden bei Einnahme von 80 mg Natriumfluorid nach ca. zwei Jahren erreicht. Inzwischen wird die obere Grenze weniger streng gesetzt. Die meisten Arbeitsgruppen empfehlen 3 bis max. 4 Jahre Fluoridtherapie sowohl für N a F wie für M F R Wie bereits dargelegt, wird ein leichtes Stadium I der Fluorose [vergl. 74] durchaus als Therapieziel angesehen [72, 97]. Dabei ist davon auszugehen, daß sich die Kompressionsfestigkeit des Knochengewebes erhöht, ein Effekt der gerade im Bereich der Wirbelsäule
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erwünscht ist. Andererseits könnte für Extremitätenknochen ein gewisser Elastizitätsverlust von Nachteil sein [98]. Ob unter Fluoridlangzeittherapie gehäuft extra vertebrale Frakturen auftreten, wird kontrovers diskutiert. Nach der letzten Konsensus-Konferenz über Fluortherapie im Oktober 88 in Kanada wurde ein gehäuftes Auftreten derartiger Frakturen als nicht gesichert erachtet [70],
Abb. 5 Seitliche Aufnahme der LWS einer 63jährigen Patientin, die bereits nach 2jähriger Fluortherapie eine Fluorose entwickelte.
Die zunehmenden Mitteilungen über iatrogene Fluorosen [99 — 101] und auch die häufigen eigenen Beobachtungen sind u. E. nicht Folge davon, daß häufig die drei oder vier Jahre Therapiezeit überzogen werden, sondern daß zunehmend Personen therapiert werden, die eine gering oder keine Osteoporose haben. Bei Personen mit relativ viel Knochensubstanz und entsprechend großen endostalen Anbauflächen wird durch Fluor eine schnellere Knochenformation ausgelöst als bei einem hochgradig rarifizierten Knochengewebe. Hierzu paßt die Beobachtung, daß jüngere Osteoporosepatienten mit größerer Knochenausgangsmasse eher eine Fluorose entwickeln [98]. In einer aktuellen Fallbeobachtung hatte eine 63jährige Patientin bereits nach zwei Jahren Therapie mit 75 mg NaF eine ausgeprägte Fluorose entwickelt. Abbildung 5 zeigt hierzu einen Ausschnitt aus der seitlichen Röntgenaufnahme der LWS, wobei die massive Verdichtung der Spongiosa — besonders im Bereich Abschlußplatten — zu erkennen ist.
362
Prävention und Therapie
Unter einer langzeitigen Fluortherapie sollten jährlich Röntgenkontrollen der BWS und LWS durchgeführt werden, um Anzeichen einer vermehrten Spongiosasklerosierung zu entdecken. 4.7.2.5
Effekte auf Knochenmasse
und
Frakturrate
In einer Übersicht zur Fluortherapie der Osteoporose listeten Eriksen und Mitarbeiter 39 Therapiestudien mit NaF aus den Jahren 1960 bis 1986 auf [67]. Das letzte Drittel dieser Tabelle ist in Tabelle 2 wiedergegeben [61, 97, 103 — 113]. Die Originaltabelle aber auch der bereits hier gezeigte Ausschnitt mit Arbeiten aus den Jahren 1978 — 1986 lassen erkennen, daß die einzelnen Therapiestudien bezüglich Dosis, Zusätzen an Kalzium, Vitamin D, Beobachtungsdauer und Kontrollparameter kaum vergleichbar sind. In der rechten Spalte der Tabelle 2 sind jeweils die Hauptaussagen über die Behandlungsergebnisse zusammengefaßt. Sie beziehen sich auf histologische Befunde am Beckenkamm, Knochendichtemessungen unterschiedlicher Art und Lokalisation, Kalziumbilanzbefunde und Frakturraten. Ohne alle Arbeiten hier einzeln diskutieren zu wollen, kommen die Autoren aller Studien zu mehr oder weniger posiviten Aussagen. Dabei liegen die NaF-Dosen abgesehen von der ersten Studie zwischen 40 —70 mg/die. In den ersten beiden Studien wurde NaF als Monotherapie angewendet [61, 103], als Vitamin D-Supplement wurden nur pharmakologische Dosen gewertet. In der Eigenuntersuchung an 23 Patienten [61, 114] war aufgefallen, daß bei signifikantem Anstieg der trabekulären Kochenmasse in der Histologie (von 12,1% vor Therapie auf 13,9 nach Therapie, p < 0,05) der Mineralgehalt am rein kortikalen Radiusschaft gemessen mittels Photonenabsorption von — 8,8% auf — 12,5% (p < 0,0125) abfiel. Hieraus könnte eine Umverteilung von Mineral aus kortikalem in spongiösen Knochen abgeleitet werden, ein möglicher Effekt, der auch in einigen anderen Studien diskutiert wurde. In einer erneuten eigenen Studie, die in der Tabelle 2 nicht aufgeführt ist, war dagegen nach einjähriger Therapie mit 80 mg NaF plus 1000 mg Kalzium an je einem Meßort von Radius und Ulna ein signifikanter Anstieg des Mineralgehaltes zu verzeichnen. Die Knochenhistologie zeigte nach dieser 12monatigen Therapie noch keine signifikante Zunahme der volumetrischen Spongiosadichte, wohl aber eine signifikante Stimulation des Knochenanbaues [62], Nach dieser Pilotstudie an 16 Patienten aber besonders nach Evaluierung aller Daten der Tabelle 2 kann gesagt werden, daß die Kombination NaF plus Kalzium der Monotherapie mit Kalzium überlegen ist. Das Problem bei der kritischen Würdigung der Vielzahl der vorliegenden Arbeiten ist, daß neben Fluor und Kalzium oft noch andere Substanzen zur Anwendung kommen. So wird in zwei Arbeiten der additive Nutzen einer
Medikamentöse Beeinflussung des Knochenumbaus
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Östrogentherapie hervorgehoben [107, 109). In zwei dänischen Studien wurden neben NaF, Kalzium und Vitamin D 2 oral Phosphat verabfolgt [112, 113]. In einer anderen Arbeit bestand die Therapie in NaF, Kalzium, Phosphat und einem Anabolikum [104], Die möglichen Effekte dieser Zusätze können nicht abgeschätzt werden, sind aber vermutlich neben dem Haupteffekt der Fluormedikation zu vernachlässigen. Zur wichtigen Frage des Vitamin D-Zusatzes sind in den Arbeiten der Tabelle 2 unterschiedliche Dosierungen von Vitamin D 3 , D 2 und einmal 25-Hydroxycholekalziferol [110] angewendet worden. Die Frage nach dem Nutzen pharmakologisch wirksamer Vitamin D-Gaben ist daher weiterhin nicht eindeutig zu beantworten. Ein Mehrgewinn an Knochensubstanz konnte in keiner Studie durch die Hinzugabe von Vitamin D gesichert werden. Riggs und Mitarbeiter betonen, daß aufgrund ihrer Daten Vitamin D keine zusätzliche Reduktion der Frakturraten erbrachte [109]. Eine passagere Störung der Mineralisation wurde von einigen Autoren trotz Vitamin D beschrieben [106, 110]. Da weiterhin in einigen Fällen dem fraglichen Nutzen des Vitamin D das mögliche Risiko von Hyperkalzämie und Hyperkalzurie gegenübersteht [109], ist die Dreierkombination NaF, Kalzium und Vitamin D heute von den meisten Arbeitsgruppen aufgegeben worden. Nur von Einzelgruppen [z. B. 115, 116] wird an diesem Schema festgehalten.
Individuelles Ansprechen auf die Therapie
In Tabelle 2 sind die Therapieeffekte nur generell für die jeweiligen Beobachtungsgruppen zusammengefaßt worden. Seit Beginn der Fluortherapie mit NaF ist jedoch bekannt, daß das individuelle Ansprechen auf die Behandlung erheblich variiert. Die Mitteilungen über „Nonresponder" schwanken zwischen 20 bis 50%. In der Arbeit von Riggs und Mitarbeitern [109] boten 15 von 27 Fällen eine eindeutige Zunahme der Spongiosadichte im Röntgenbild (d.h. 44% Nonresponder) und diese Fälle hatten auch eindeutig weniger Frakturen als die übrigen gleichartig therapierten Fälle. In einer französischen Studie zeigten 28 Fälle als Gesamtgruppe einen signifikanten Anstieg der Spongiosadichte im Beckenkamm, aber eine Untergruppe von 7 Fällen ( = 25%) zeigte keinerlei Änderung. In Abbildung 6 sind die Anfangs- und Endwerte des Mineralgehaltes des 3. Lendenwirbels einer dreijährigen Therapiestudie an 25 Frauen mit Osteoporose dargestellt [117]. Diese Behandlungsstudie mit täglich 1 g Kalzium und nur 30 mg NaF aus dem Jahre 1987 ist in Tabelle 2 noch nicht erfaßt. Die meisten Linien zeigen eine unterschiedliche Anstiegstendenz, 5 Fälle ( = 20%) sind mit gestrichelten Linien als Nonresponder gekennzeichnet. Im Mittel steigt der Knochenmineralgehalt aller 25 Fälle der Abbildung 6 von 2,72 auf 3,18g/cm, d.h. um 17% (p
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Prävention und Therapie
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