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German Pages 979 [981] Year 2010
Klaus Peter Dencker Optische Poesie
Klaus Peter Dencker
Optische Poesie Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart
De Gruyter
ISBN 978-3-11-021503-8 e-ISBN 978-3-11-021504-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin/New York Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ÜGedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degryuter.com
Meinen Lehrern und Förderern Hans Peter Althaus, Walter Donat, Ulrich Fülleborn
Anonym, Tabvla Avrea Salomonis et Hermetis, 1739 In: Imagining Language. An Anthology. Hg. Jed Rasula and Steve McCaffery. MIT Press Cambridge/MA 1998, S. 132.
IX
Inhalt
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I.
Bezeichnung, Systematik, Typologie
. . . . . . . . . . . .
17
II.
Akustische Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
III.
Musikalische Grafik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
IV.
Kinetische Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV/1 Filmische Realisationen . . . . . . . . . . . . . . . .
104 104
Analogien 106 Bewegungselement 110 Text in Bewegung 116 Textfilme 124 TV-Poesie 137 BTX 140 TV-PC-Telefon 142 Video 143 Musik-/Video-Clip 152 Kinetische (Neon)Lichtinstallation 153 Holografie 166
IV/2 Computergesteuerte Produktionen
. . . . . . . . . .
177
Manipulation/Kombinatorik/Zufall 180 Poesie-Automat (technischanalog) 197 Poesie/Automat (elektronisch-digital) 203 Nichtlineare Textproduktion 213 Kollaborationsprojekte 225 Virtuelle Texträume 236 Codeworks 248 Bionik/Bio-Poetry 252
IV/3 Reale und scheinbare poetische Bewegungsmodelle Manipulationen 271
V.
267
Wahrnehmungsformen/Leseabläufe 284
Konkrete Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V/1 Abstrakte Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstrakt/konkret in der bildenden Kunst 315 der Literatur 322 Sprachskepsis 325
312 315
Abstrakt/konkret in
V/2 Wortkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 V/3 Le parole in libertà . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 V/4 Textfläche – Wort – Buchstabe – Zeichen . . . . . . . 345 Rechteck/Quadrat 352 Buchstabe/Zeichen 360 Frühformen Konkreter Poesie 374 Lettrismus 386
V/5 Komplexe Entwürfe
Zahlen
367
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
Satzspiegel 392 Typografie 399 Bildmaterial 406 Ezra Pound 423 Gertrude Stein 425
Rückblick:
X
Inhalt
V/6 Programmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431
VI.
453 453
Visuelle Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI/1 Schriftsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Piktografie/Ideografie 453 Rebusschrift 473 Der Rebus 484 Labyrinthe 499 Hieroglyphik 505 Emblematik 512 Einblattdrucke/ Bilderbogen 528 ut pictura poesis 534
VI/2 Text und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
552
Formenkatalog
VI/3 Text als Figur – Text im/als Bild . . . . . . . . . . . .
564
a) Figur: Hieroglyphen 564 Technopägnien 568 Zauberpapyri 571 SATOR-Quadrat 577 Figurale Schriftflächen 582 Figurengedicht 583 Gittergedicht 623 Liniengedicht 624 Konkretes/ Konkretistisches Bildgedicht 628 Architekturgedicht 632 b) Sprache: Das sprechende Bild 643 Spruchband 647 Bilderzyklus 652 Bilderbogen 657 Comic 662 Pop-Art/-Literatur 667 Text-Bild-Sequenzen 678 c) Schrift: Kalligrafie 697 Initialen-/Buchmalerei 701 Buchkunst 711 Buchobjekte 719 d) Bild: Lingualisierung des Bildes 724 Skripturale Malerei 738 e) Raum: Graffiti 774 Text im öffentlichen Raum 779 Plakatgedicht 789 Kunst im öffentlichen Raum 802
VI/4 Text-Bild-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . .
820
Correspondence-Art 821 Mail-Art 826 Stamp-/Stencil-Art 837 Telefon/Telegrafie/Telefax/E-Mail 845 Copy-Art 848
VI/5 Visuelle Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang I: Dokumente zur Chronologie . . . . . . Zeittafel 1 – Jean François Bory (1968) . . . . Zeittafel 2 – Luciano Ori (1976) . . . . . . . . Zeittafel 3 – Dom Sylvester Houédard (1965), Erweiterte Fassung (1978) . . . .
856
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
869 871 873
. . . . . . .
881
Anhang II: Stichworte zur Typologie . . . . . . . . . . . . . . . Peter Mayer (1983) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
889 891
Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
895
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
937
Biografische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
971
Einleitung
1
Einleitung Dieser Versuch eines historischen Überblicks zur Optischen Poesie1 möchte das Blickfeld der Beobachtungen und Überlegungen zu Dokumenten, die in der 1972 erschienenen Publikation „Text-Bilder. Visuelle Poesie international. Von der Antike bis zur Gegenwart“2 vorgestellt wurden, erweitern und einer Beschreibung und Begriffsbestimmung von Optischer Poesie näherkommen, die damals höchstens im Ansatz möglich waren. Bei einer – wie sich noch zeigen wird – sehr heterogenen künstlerischen Ausdrucksform, deren historische weltweite Entwicklung aus zahlreichen sehr divergierenden Quellen sich als extrem vielfältig darstellt, kann sicher auch mit diesem Versuch keine erschöpfende und abschließende Darstellung gelingen, zumal eine ins fachliche Detail gehende Beschäftigung mit der Optischen Poesie in allen fremdsprachlichen Literaturen gar nicht zu leisten ist und den jeweiligen Spezialisten vorbehalten sein muss. Dennoch sind die inzwischen gesammelten praktischen und theoretischen Erfahrungen, die Einsicht in eine Fülle von Publikationen in den letzten 40 Jahren vielleicht geeignet, eine historisch und typologisch geordnete Materialübersicht anzubieten, sowie vorsichtig Linien und Zusammenhänge zu skizzieren, die zur weiteren Beschäftigung und 1
2
Ich verwende folgende Begriffe (Abb. 12): Optische Textformen als Dachbegriff, um auch Textformen im Blick zu behalten, die nicht der Poesie zuzurechnen sind; Optische Poesie als allgemeinen Oberbegriff für eine Poesie, zu der – differenziert und als eigene Formen betrachtet – Visuelle Poesie und in Teilbereichen auch Konkrete Poesie, Kinetische Poesie sowie Musikalische Grafik ebenso gehören wie z. B. Figuren-, Gitter- und Labyrinthgedichte oder Formen der Ars Combinatoria, Enigmatik, Allegorik, Hieroglyphik, Emblematik und die diversen Formen von Bild-Texten, Text-Bildern sowie Produktionen nicht nur im Print-, sondern auch im technischen und elektronischen Medienbereich (eingeschlossen Poesie im öffentlichen Raum) des 20. und 21. Jahrhunderts. Dabei soll insbesondere vermieden werden, dass der Begriff Visuelle Poesie, der eine ganz bestimmte Ausdrucksform bezeichnet, die sich leicht zeitversetzt parallel zur Konkreten Poesie seit den 1960er Jahren entwickelte, über alle Jahrhunderte hinweg auf alles Verwandte oder gar nur Ähnliche angewendet wird. Verlag M. DuMont Schauberg, Köln 1972 (= DuMont Dokumente).
2
Einleitung
Präzisierung anregen könnten. Mehr als dieser Zweck wäre erfüllt, sollte sich der Blick auch öffnen können für die durch die Geschichte der Medien und Medienkommunikation verursachten Paradigmenwechsel, für das gewandelte Selbstverständnis von Künstler und Kunstwerk, Poet und Poesie, für die Verlagerung vom Bild in der Poesie über das Bild der Poesie zur Poesie über die Poesie, vom poetischen Bild über die Visualisierung der Poesie bis zur Metapoesie3, für die zunehmende Lingualisierung des Bildes und Ikonisierung des Textes.4 Dabei erfolgt die Annäherung an die im Mittelpunkt stehende Konkrete und Visuelle Poesie über Visualisierungsformen der Akustischen Poesie, Musikalischen Grafik und Kinetischen Poesie nicht nur um zu zeigen, dass alle Zwischenbereiche der traditionellen Kunstsparten ähnlichen historischen Bedingungen folgend verwandte Strukturen entfalten, sondern auch um deutlich zu machen, dass selbst bei starken formalen Ähnlichkeiten der Blick für ganz eigenständige Ausdrucksformen nicht verstellt werden darf, die gerade nicht unter ein und demselben Begriff zu subsumieren sind. Als ich Anfang der 1960er Jahre auf einzelne Veröffentlichungen der Wiener Gruppe stieß, 1967 die von Gerhard Rühm im Rowohlt Verlag herausgegebene Dokumentation „Die Wiener Gruppe“5 las und schließlich auf die Autoren der Konkreten Poesie, insbesondere auf Eugen Gomringer und die Stuttgarter Schule um Max Bense aufmerksam wurde, blieb das nicht ohne Einfluss auf meine literarische Arbeit. Dazu kam meine Nähe zur bildenden Kunst, zur Op- und Pop-Art und zum Film, die schließlich dazu führte, dass zunächst Text-Bilder (Plakatgedichte6 und Textlandschaften7) auf der einen und 1970 dann Visuelle Poesie als kurze Fernsehfilme für das 3. Programm des Südwestfunks in Baden-Baden auf der anderen Seite entstanden8. 3
4
5
6 7
8
Siegfried J. Schmidt, Glanz und Elend der Konkreten Kunst. In: Philosophie/ Konzept/ Rezeption. Dokumentation des 11. Erfurter Kolloquiums. Hg. Forum Konkrete Kunst e.V. Erfurt 2004, S. 29, siehe Anm. 2930. Wolfgang Max Faust, Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur. Vom Kubismus bis zur Gegenwart. Köln 1987, S. 10 u. 15. Die Wiener Gruppe. Achleitner Artmann Bayer Rühm Wiener. Texte Gemeinschaftsarbeiten Aktionen. Hg. Gerhard Rühm. Hamburg 1967. Vgl. auch Anm. 261. Dencker, 9 Tote Spatzen. In: AZ/Nürnberg, 9. 12. 1969. Dencker, Textlandschaften. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 7, Nürnberg 1973, o. P. u. Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005. Weitra 2006, S. 72 ff. Dencker, Textfilme. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972, S. 33 ff.
Einleitung
3
Einerseits übte also die Konkrete Poesie einen befreienden Einfluss aus, die traditionellen metaphorischen Schreibweisen aufzugeben und stattdessen neue literarische Ausdrucksformen zu finden, andererseits engte die besonders auf das Sprachmaterial reduzierte Arbeitsweise der Konkreten Poeten wieder so stark ein, so dass eine Erweiterung in visueller Hinsicht, eine Verschränkung von Textmaterial und figurativen, bildhaften Elementen die notwendige Folge war. Deshalb hatte die von mir damals so verstandene, über die Konkrete Poesie hinausgehende Visuelle Poesie nur wenig mit dem gleichen Begriff zu tun, den die Konkreten Poeten zur Differenzierung innerhalb der Konkreten Poesie für die optische Komponente im Gegensatz zur akustischen (Akustische Poesie) benutzten. Um nun mehr über das Verhältnis von Text und Bild zu erfahren, suchte ich nach historischen Vorformen und fand eine Fülle Optischer Textformen, die mit der Konkreten Poesie weniger, mit meiner Vorstellung von Visueller Poesie aber leichter in Verbindung zu bringen waren. Das ließ nun die Vermutung zu, dass die Konkrete Poesie zwar als Spielart solcher Optischen Textformen, aber deutlich unterschieden von Visueller Poesie betrachtet werden könnte9 – dazu später mehr10. Das historische Material war zwar reichlich vorhanden11, aber nirgends systematisch gesammelt und aufgearbeitet. Dafür war es zu unterschiedlich in Herkunft, inhaltlicher Bedeutung und Funktionsweise. Lediglich die vorzügliche Sammlung von Buchstabenbildern und Bildalphabeten, die Robert Massin 1970 veröffentlichte12, – allerdings mit anderem the9
10 11
12
Dencker, Neuartige Ausstellungsverfahren für neue Kunstgattung wurden erörtert. In: Erlanger Tagblatt v. 20. 4. 1970 u. Dencker, Litfaßsäule mit Sehtexten. In: Nürnberger Nachrichten v. 25./26. 4. 1970 (Berichte über ein von Dietrich Mahlow geleitetes Kolloquium in der Nürnberger Kunsthalle); Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 7 ff. u. Dencker, Drei Kapitel zur Visuellen Poesie. In: Tecken. Lettres, Signes, Escritures. Ed. Roberto Altmann. Konsthall Malmö 1978, S. 62 ff. Anm. 23. Bereits angedeutet in dem Katalogbuch zur Ausstellung: Schrift und Bild. Hg. Dietrich Mahlow. Amsterdam/Baden-Baden 1963, vor allem aber in der Ausstellung „visuelle poesie. die geschichtliche entwicklung der bilderlyrik von 300 v ch bis 1964“, die Christian Chruxin (1937–2006) vom 29. Dezember 1964 bis zum 15. Februar 1965 in seiner „situationen 60 galerie“ in Berlin zeigte. Leider gab es zu dieser Ausstellung nur eine Autoren-Liste (Abb. 1) und keinen Katalog. (Robert) Massin, La lettre et l’image. Du signe à la lettre et de la lettre au signe. Editions Gallimard, Paris 1970, dt.: Massin, Buchstabenbilder und Bildalphabete. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1970; Neuausgabe (erweitert): Massin, La lettre e l’image. Paris 1993.
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Einleitung
Abb. 1: Autorenliste der „situationen 60 galerie“, 1964
Einleitung
5
matischen Schwerpunkt –, ließ vermuten, wie umfangreich und kompliziert die Quellenlage sein könnte und wie schwer es sein würde, eine gültige Typologie zu gewinnen. In den 1972 erschienenen „Text-Bildern“ wurde deshalb versucht, eine historische Linie bis in die Antike und die überraschend hohe internationale Verbreitung (z. T. auch hier mit Hinweisen auf die Geschichte) wenigstens anzudeuten. Zur selben Zeit entwickelte sich eine enge Verbindung zu dem amerikanischen Fluxus-Künstler Dick Higgins (1938–1998), der sich mit einer besonderen Spielart Optischer Poesie, dem internationalen Figurengedicht beschäftigte. Er berichtete13, dass er seit 1967 an einer umfangreichen Bibliografie und Anthologie zur Geschichte des Figurengedichts arbeiten würde, – Thema auch seiner Magisterarbeit14, die der New Yorker Universität 1977 vorgelegt wurde. Das gesamte Material (über 700 Figurengedichte von 2000 v. Chr. bis 1900) stellte er erstmals 1983 in seiner Heimatstadt Barrytown „in the form of a Marathon afternoon lecture“15 vor. Darauf erhielt ich 1984 den Ausdruck einer internationalen Bibliografie mit rund 800 Nachweisen. 1986 folgte die Sondernummer der Zeitschrift „Visible Language“16 mit dem Thema „Pattern Poetry: A Symposium“, bis schließlich 1987 seine Geschichte des Figurengedichts17 erschien. Auch zum Figurengedicht gab es bereits eine ganze Reihe von Publikationen, aber nur wenige, die historisch und international einen Überblick anboten18. Higgins’ Verdienst war es, in Ergänzung zu den vorliegenden Nachweisen mit vielen Kollegen weltweit Kontakt aufzunehmen, um möglichst alle nationalen Literaturgeschichten auf neues Material hin zu überprüfen, und die Vielseitigkeit dieser literarischen Spielart zu dokumentieren. Dieses „Kooperationsnetzwerk“, an dem zunächst vor allem Visuelle Poeten beteiligt waren (und z. T. auch heute noch sind, sonst hätte auch dieses Buch nicht entstehen können), ist sicher einer 13 14
15 16 17
18
Briefe an Dencker v. 28. 11. 1977 u. 18. 2. 1983. Dick Higgins, George Herbert’s Pattern Poems: In Their Tradition. Unpublished Editions, New York 1977 (für den Druck erweiterte Magisterarbeit). the something else NEWSLETTER Vol. II, No. 8, 1983, S. 2. Visible Language, Vol. XX, No. 1, Cleveland/OH 1986. Dick Higgins, Pattern Poetry. Guide to an Unknown Literature. State University of New York Press, Albany/NY 1987. Zu den frühesten Darstellungen zählen die beiden Beiträge von Max Zobel von Zabeltitz, Über Figurengedichte. In: Gutenberg-Festschrift. Hg. Alois Ruppel. Mainz 1925, S. 182 ff. und Figurengedichte. In: Zeitschrift für Bücherfreunde NF 18. Jg., H. 1, Leipzig 1926, S. 21 ff.
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Einleitung
der Gründe für die andauernde starke internationale Lebenskraft der Visuellen Poesie. Heute ist das Figurengedicht die am intensivsten erforschte und am umfangreichsten dokumentierte Form Optischer Poesie. Dafür verantwortlich ist vor allem die verdienstvolle Arbeit des Literaturwissenschaftlers Ulrich Ernst, der Mitte der 1970er Jahre begann, das Figurengedicht zu seinem Forschungsschwerpunkt zu machen19. 1987 erschien die neben Higgins’ Publikation bis dahin beste Darstellung zu diesem Thema20 anlässlich einer Fachkonferenz „Visuelle Poesie im historischen Wandel“, die im gleichen Jahr in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel stattfand. Fortgeschrieben und wesentlich erweitert wurde daraus 1991 eine Publikation, die heute als Standardwerk insbesondere für den abendländischen Kulturkreis bezeichnet werden muss21. Aber neben diesen Untersuchungen zum Figurengedicht gab es vor allem auch eine umfangreiche Literatur zur Konkreten Poesie, und dies eigentlich seit sich die Konkrete Poesie in den 1950er Jahren entwickelte. Ein Grund dafür war, dass die meisten Konkreten Poeten zugleich auch ihre eigenen Programmatiker und Theoretiker waren und damit relativ schnell weiterführende theoretische Untersuchungsansätze entstanden. Das begünstigte allerdings wieder eine sehr diffuse Ausgangslage, weil keine einheitliche Begriffsbildung stattfand und oft gleiche Auffassungen unterschiedlich benannt wurden und umgekehrt22. Was wiederum nur natürlich war, weil es den meisten Poeten nicht so sehr um Begriffe und spitzfindige Unterscheidungen, sondern vor allem um ihre poetischen Arbeiten und die Beschreibung von Absichten und Produktionsprozessen ging. Die Folge war die synonyme und nicht-synonyme Ver19
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Ulrich Ernst, Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Ein literarhistorisches Forschungsdesiderat. In: GRM NF Bd. 26, H. 314, 1976, S. 379 ff. Heute leitet Ulrich Ernst eine eigene, von der DFG unterstützte Forschungsstelle „Visuelle Poesie“ an der Bergischen Universität GH Wuppertal. Jeremy Adler und Ulrich Ernst, Text als Figur. Visuelle Poesie von der Antike bis zur Moderne. Ausstellungskatalog der Herzog August Bibliothek Nr. 56, Wolfenbüttel 1987. Ulrich Ernst, Carmen figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters. Köln 1991. Hansjörg Schmidthenner, Konkrete Poesie. In: Konkrete Poesie deutschsprachiger Autoren. München 1969, S. 7 (Ausstellungskatalog des Goethe-Instituts). Er beklagte angesichts dieser Situation, „dass zwar alle Autoren der konkreten Poesie das, was an der Sprache materiell konkret ist, nachdrücklich in die Produktion mit einbezogen wissen wollen, dass sie aber im übrigen sehr oft verschiedene Meinungen vertreten, was – noch oder schon – zur konkreten Poesie zu zählen sei“.
Einleitung
7
wendung der Bezeichnungen Konkrete Poesie und Visuelle Poesie, wie sie seit dem Aufkommen der Konkreten Poesie bis in die 1970er Jahre gehandhabt wurde23.
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Die Unentschiedenheit zeigt sich z. B. bei Siegfried J. Schmidt, der 1968 festellte: „Zwischen konkreter Dichtung und visueller Poesie bestehen weitgehende Berührungspunkte, doch lassen sich beide nach dem Kriterium der Berücksichtigung der Semantik deutlich voneinander unterscheiden.“ (Siegfried J. Schmidt, Zur Poetik der konkreten Dichtung. In: Format. Fachzeitschrift für verbale und visuelle Kommunikation 4. Jg, Nr. 18, H. 4, Stuttgart 1968, S. 10); 1969 schrieb er in: Konkrete Dichtung. Ergebnisse und Perspektiven. In: Schmidt, Ästhetische Prozesse, a.a.O., S. 140: „Visuelle Poesie gehört in die Klasse Konkreter Dichtung, die als eine eigengesetzliche Entwicklung der Literatur zu einer konkreten Kunst angesehen werden muss,“ und 1970 verfasste er einen Thesenkatalog „Visuelle Poesie“ (in: Schmidt, Ästhetische Prozesse. Beiträge zur einer Theorie der nicht-mimetischen Kunst und Literatur. Köln 1971, S. 115 f., vgl. dazu auch Anm. 112), in dem Eigenschaften der Konkreten Poesie beschrieben wurden. Das gleiche gilt für den Beitrag von Heinz Gappmayr „Bedingungen der !visuellen Poesie"“ von 1972 (in: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie. Hg. Thomas Kopfermann. Tübingen 1974, S. 65 f.). Peter Weiermair sprach zunächst von „visueller Poesie als einem bestimmten Bereich konkreter Dichtung“, da in „nahezu allen Definitionen konkreter Dichtung das visuelle Moment so stark betont“ werde, „dass es oft zu einer Synonymie der Begriffe konkret und visuell kommt“ (in: Zur Visuellen Poesie. In: Wort und Wahrheit 23, 1968, S. 525 f.), dann aber sagte er im gleichen Jahr: „Visuelle und konkrete Poesie sind nicht synonyme Begriffe“ (Peter Weiermair, Aspekte des Visuellen in der konkreten Poesie. In: Format, a.a.O., S. 18). Am deutlichsten zeigte sich die Trennung in einer Anthologie von Erik Slagter, Visuele Poezie. Den Haag 1977, die „Figuratieve poezie“, „Ritmische typografie“, „Konkrete poezie“, „Visuele poezie“ und „Visie-poezie“ (in Anlehnung an die um 1963 in Florenz entstandene und als Gruppe 1970 (Lucia Marcucci, Eugenio Miccini, Luciano Ori, Lamberto Pignotti) sich zusammenschließende und von der „poesia concreta und poesia visuale“ unterscheidende Bewegung der „poesia visiva“, vgl. auch Anm. 1520 u. 1919) aufführt. Für die synonyme Verwendung (und deren Rücknahme) mögen die beiden Anthologien stehen, die Eugen Gomringer (konkrete poesie. Stuttgart 1972; visuelle poesie. Stuttgart 1996) herausgab und denen die Definitionsunsicherheit, zugleich aber auch der Einbezug neuer Erkenntnisse (wie auch in seinen „bemerkungen zum begriff !visuelle poesie"“, in: Tecken, a.a.O., S. 66) abzulesen ist. Heute hat sich durchgesetzt, was ich seit 1970 (Anm. 9) schon zu formulieren versuchte: „Keinesfalls aber ist visuelle Poesie, wie ihre Geschichte zeigt, nur ein !bestimmter Bereich konkreter Dichtung"“ (Reinhard Döhl, Poesie zum Ansehen, Bilder zum Lesen?: Notwendiger Vorbericht und Hinweise zum Problem der Mischformen im 20. Jahrhundert. In: Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes. Hg. Ulrich Weisstein. Berlin 1992, S. 158), und die diversen Definitionsversuche in: Visuelle Poesie. Hg. Klaus Peter Dencker. Dillingen 1984 von Peter Weiermair (S. 10 ff.), Luciano Ori (S. 14 ff.), Dick Higgins (S. 22), Chris-
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Einleitung
Abb. 2: Dick Higgins, Brief an Dencker, 1978 (Archiv Dencker)
Einleitung
Abb. 3: Dick Higgins, Brief an Dencker, 1978 (Archiv Dencker)
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Einleitung
Diese so entstandene allgemeine Definitionsunsicherheit wurde schließlich aus zwei Gründen verstärkt. Einmal gab es keine umfassende historische Untersuchung aller Visualisierungsformen von Text, die eine Typologie ermöglicht hätte, um von hier aus wieder auf unterschiedliche Entwicklungslinien verschiedener Formen der Optischen Poesie hinweisen zu können, und zum anderen lag ein weiterer Grund in der Ausdrucksform selbst. Die visuelle Komponente der Konkreten Poesie ergab sich zwangsläufig aus der dieser Poesie eigenen Organisation von Buchstaben- und Textmaterial. Dabei gerieten notwendig Fläche und Raum ins Bewusstsein. Und weil sich bisher die Lesegewohnheit lediglich an der Linie, an der Textzeile mit der Leserichtung von links nach rechts orientierte, wurde durch Kombinationsmöglichkeiten des angebotenen Textmaterials nach oben und unten, ja zu allen Seiten hin, das schon immer dagewesene Sehen eines Textes24 dem Leser nun erst richtig bewusst. Damit ergaben sich zunächst zwei Positionen, die jeweils für sich eine richtige Bezeichnung der neuen Ausdruckformen reklamieren konnten: Aus der Sicht des Betrachters konnten alle Anordnungsformen des Textmaterials, die nicht dem traditionellen Satzspiegel entsprachen, als Visuelle Poesie bezeichnet werden. Aus der Sicht der Autoren, die mit Sprachmaterial konkreter umgehen wollten – und zwar auf der Basis einer Theorienähe zur Konkreten Kunst –, handelte es sich aber um Konkrete Poesie.
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tina Weiss (S. 24 ff.) und Einlassungen wie: „Concrete Poetry is less a visual than a silent poetry.“ (Ian Hamilton Finlay, Detached Sentences on Concrete Poetry. In: De Woorden en de Beelden: Tekst en Beeld in de Kunst van de Twintigste Euew. Katalog. Centraal Museum, Utrecht 1991, S. 139) ausweisen. Denn das an sich schon visuelle Kommunikationssystem Sprache unterlag schon immer dem Wechselspiel von Bild und Text, auch dort, wo es überhaupt nicht um Spielarten Optischer Textformen ging: Typografie, Satzspiegel, Format, Papierfarbe, Buchgestaltung usw., all dies sind bei einem normalen Textdruck schon Elemente, die über das visuelle Aufnahmevermögen unwillkürlich das Lesen eines Textes, eines Schriftbildes also, beeinflussen und damit auch inhaltlich Einfluss nehmen. Dazu ist kritisch zu beachten, was Max Bense über die Unterscheidung von Textlinie und Textfläche gesagt hat: Max Bense, Programmierung des Schönen. Baden-Baden 1960, im Kapitel „Visuelle Texte“, S. 111 f.: „Reimschemata, Versformen entwickeln allerdings essentiell keine Textflächen, auch wenn sie traditionell die poetischen Texte zu einer zweidimensionalen Typografie zu zwingen scheinen“. Dazu: Johanna Drucker, Letterpress Language: Typography as a Medium for the Visual Representation of Language. In: Leonardo, Vol. 17, No. 1, 1984, S. 8 ff.
Einleitung
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Schließlich erschwerte ein weiterer Punkt Erfolg versprechende Forschungsansätze. Die über Jahrhunderte tradierten festen Gattungsgrenzen hatten in der Wissenschaft Gattungsspezialisten gezeugt, die mit einem analytischen Handwerkszeug ausgerüstet waren, das nur für die jeweilige Gattung taugte.25 Entstanden nun aber Gattungsmischformen, fehlte die interdisziplinäre Sichtweise und damit die Akzeptanz intermedialer Ausdrucksformen26, so dass es zu hämisch-abfälligen Bemerkungen27 und grotesken Äußerungen kommen konnte, wie die Bezeichnung „Sprachknochensplitter“28 für Gomringers „33 konstellationen“ oder: „Die sogenannte !konkrete Poesie" mit ihrem ma-
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Deshalb empfahl Franz Mon: „den Gattungsbegriff, der der gewohnten Poetik schon Schmerzen bereitete, links liegen zu lassen. Die Unterscheidung von Prosa und Poesie und ganz und gar die von Lyrischem, Epischem und Dramatischem hat ihren Sinn verloren, wenn die Texte sich nicht mehr nach Haltungen von Ich, Du, Gesellschaft und Welt zu sich und zueinander charakterisieren sondern nach ihren experimentellen Fragestellungen. Die Gattungseinteilung wird vollends zu Schrott, wenn man die intermedialen Textphänomene in den Blick nimmt, die eine immer wichtigere Rolle spielen: Texte, die in den Grenzbereichen zur Musik (sound poetry, phonetische Poesie, Lautgedichte usw.) oder zur bildenden Kunst (poème objet, Schriftbilder, konkrete Poesie) erscheinen …“ (Mon, An eine Säge denken. In: Akzente 15. Jg., H. 5, München 1968, S. 434). So dass Käte Hamburger in der überarbeiteten Neuauflage ihrer bereits 1957 erschienenen „Logik der Dichtung“ z. B. nur von Vernichtung, nicht aber über Erweiterung oder Erneuerung einer Gattung spricht: „Die Prädominanz der Sprache, ihre Verabsolutierung oder !Konkretisierung" scheint mit der Grund für die Vernichtung der lyrischen Form qua Form zu sein – ein Vorgang, der sich bis in die neusten Erscheinungen der !konkreten" Poesie hinein fortsetzt, die mit Worten, Silben, Buchstaben graphisch arbeitet und !visuelle" Texte erzeugt. Bei solcher Verarbeitung sprachlicher Elemente als graphisches Material ist die Grenze erreicht, wo die lyrische Subjekt-Objekt-Korrelation nicht mehr gültig ist und eben damit, wie uns scheint, diese Form konkret-visueller Poesie nicht mehr in den Bereich der Lyrik fällt.“ (Hamburger, Die Logik der Dichtung. München 1987, S. 233). Günter Grass, Das Gelegenheitsgedicht. In: Akzente 8. Jg, H. 1, München 1961, S. 8 ff., in einem Vortrag auf dem Symposium „Lyrik heute“ anlässlich des Schriftstellerkongresses in Berlin 1960, in dem Grass sich über die „Labordichtung“ ausließ. Siehe auch Paul Celan, Ein Brief. In: Mein Gedicht ist mein Messer. Lyriker zu ihren Gedichten. Hg. Hans Bender. München 1961, S. 86. Max Rychner, Sprachknochensplitter (…) die sich für Poesie halten. In: Die Zeit, Hamburg 4. 10. 1960: „Gomringers Schnickschnack“ seien „irgendetwas, gewiß aber keine Gedichte“, „sie entstammen einer Kiste, die Lallbrocken enthält, aber auch Wörter, die von den Tischen reicherer Männer in die Armseligkeit fielen“, „Konstellatorheiten“.
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Einleitung
schinell ausgeworfenen Wörter- und Silbenschutt kann (…) völlig außer Betracht bleiben“29.
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Hugo Friedrich, Die Struktur der modernen Lyrik. Hamburg 1967, S. 13. Vorbote der kritischen Stimmen waren Gottfried Benns Äußerungen am 21. August 1951 in der Universität Marburg: „In der allerletzten Zeit stößt man bei uns auf verlegerische und redaktionelle Versuche, eine Art Neutönerei in der Lyrik durchzusetzen, eine Art rezidivierenden Dadaismus, bei dem in einem Gedicht etwa sechzehnmal das Wort !wirksam" am Anfang der Zeile steht, dem aber auch nichts Eindrucksvolles folgt, kombiniert mit den letzten Lauten der Pygmäen und Andamanesen – (…) In Frankreich macht sich eine ähnliche Strömung geltend, die sich Lettrismus nennt“, das abendländische Gedicht würde sich doch immer noch durch einen Formgedanken und Worte gestalten und nicht durch „Rülpsen und Husten“ (Gottfried Benn, Probleme der Lyrik. Wiesbaden 1951, S. 10f.); allerdings steht dort auch: „Was daraus wird, weiß man heute noch nicht. Einiges klingt gewiß lächerlich, aber es ist doch nicht ganz unmöglich, dass aus einem wieder veränderten Wortgefühl, weitergetriebenen Selbstanalysen und sich sprachkritisch originell erschließenden Theorien eine neue lyrische Diktion entsteht“, womit Benn vorwegnimmt, was Heißenbüttel später deutlicher formulierte, siehe Anm. 1867. Die Verdammung der experimentellen Poesie/ Konkreten Poesie wurde fortgesetzt von Hans Magnus Enzensberger in seinen Beiträgen „Die Kunst und das Meerschweinchen oder: Was ist ein Experiment?“ (in: Texte und Zeichen. Hg. Alfred Andersch. 2. Jg., H. 2, Stuttgart 1956, S. 214f.) u. „Die Aporien der Avantgarde“ (1962: abgedr. in: Enzensberger, Einzelheiten II. Poesie und Politik. Frankfurt 1976, S. 74), oder von Peter Rühmkorf, An den Quellen des Versiegens. In der poetischen Avantgarde Deutschlands ist das Schweigen der letzte Schrei. In: Die Zeit Nr. 15, 13. April 1962, S. 17, der von „Lallbrocken“ (vgl. Ryncher) und „Armseligkeit“ sprach. Weiter dann bei Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1963, S. 288f. („Wortkünstelei“ und „manieristischer Entartung“), oder Karl Krolow, Aspekte zeitgenössischer deutscher Lyrik. München 1963, der für den Bereich der experimentellen Poesie den Begriff der „Einöde“ (S. 140) prägte und von „absoluter Leere“ und „Abdankung des lyrischen Textes als wie immer geartetes geistiges Lebewesen“ (143) sprach, sowie Erich v. Kahler, Form und Entformung. In: Merkur 205, 19. Jg., H. 4, Köln/Berlin 1965, S. 318ff. (bes. S. 335) und die Fortsetzung in H. 5, S. 413ff. (bes. S. 424). So nimmt das seinen Lauf über das Nachwort von Peter Hamm in: Aussichten. Junge Lyriker des deutschen Sprachraums … München 1966, S. 328f. bis in die 1970er Jahre, wo etwa in „Visuelle Poesie. Bild vom Dichter“ (in: Spiegel 24, Nr. 32, Hamburg 1970, S. 99ff.) – immerhin schon kenntnisreicher – Inflations- und Alterserscheinungen beschwört werden und Helmut Schneider in „Sprachlose Lesebilder“ (in: Stuttgarter Zeitung 7. 12. 1970, S. 14) meinte: „allen Beteuerungen zum Trotz ist visuelle Poesie über weite Strecken nichts anderes als geschmäcklerisch-unverbindliche, informationstheoretische aufgeblähte Wand- oder Bodendekoration, die ästhetische Beschwichtigungsformeln propagiert“. Ein schönes Beispiel gibt es auch im englischsprachigen Raum: William S. Walsh, Handy-Book of Literary Curiosities. Philadelphia/London 1893, S. 270: „There is a pity, or even forgiveness for all forms of
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Aber gerade, wie sich noch zeigen wird, die neben den traditionellen Gattungsgrenzen eigentlich schon immer vorhandene Neigung der Künstler sich wechselseitig nicht nur zu informieren, sondern sich auch Einflüssen der Nachbarkünste zu öffnen und sie für ihre eigene Arbeit fruchtbar zu machen – zwischen den Künsten, wenn auch oft nicht dauerhaft, so doch gelegentlich, sich spielerisch einzurichten –, musste als ganz wesentliche Voraussetzung in den Blick geraten30. Öffnete sich aber der Blick dafür, entstand eine neue Gefahr, nämlich alles, was zur Text-
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human folly, imbecility, error and crime. Yet the makers of what are known (as emblematic, figurate, or shaped poems) strain the divinity of forgiveness to an almost diabolic tension“, vgl. auch die Bemerkung zu George Herbert (S. 272). Diese Nachweise, die sich ab 1970 dann auch regelmäßig mit dem Tod der Konkreten Poesie befassten (Vaughan Concrete. Ed. Ronald Draper. Vaughan Papers in Adult Education 13. University of Leicester 1968; Stereo Headphones. Hg. Nicholas Zurbrugg. Vol 1, Nr. 2/3, Kersey 1970, hier z. B. bpNichol, Über den !Tod der Konkreten Poesie"), münden 1986 ein in die Feststellung von Thomas Kellein (in: Thomas Kellein, „Fröhliche Wissenschaft“. Das Archiv Sohm. Stuttgart 1986, S. 151): „Je lauter von neuen Zeitaltern der Kommunikation geträumt wurde, desto häufiger ist die Konkrete Poesie an ihren Permutationen und Satyrspielen erlahmt. Auch sie gehörte zu den erfolglosen Durchbruchsversuchen des Intermedia und muß sich heute dem Vorwurf stellen, die herkömmliche Poesie ursprünglich nur verlassen zu haben, um den Anschluß an das prosperierende Nachkriegszeitalter zu finden. Eine Mitgestaltung hatte man der Literatur verwehrt. Insofern bedeutete die Ausstellung Schrift und Bild, die wehmütig auf die Schreibmeister zurückblickte, das Ende einer nie begonnenen Entwicklung. Jährliche Colloquien, auf denen man sich viel und wenig zu sagen hatte, weil sich die Konkrete Poesie zunehmend zum Dialog zwischen Universitätsgelehrten hinbewegte, haben nicht die Folgenlosigkeit dieser experimentellen Dichtung gezeigt. Sie haben sie in wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen verwandelt“. Eine mögliche weitere Begründung für diese Positionen: Peter Demetz, Eugen Gomringer und die Entwicklung der konkreten Poesie. In: Die deutsche Lyrik 1945–1975. Zwischen Botschaft und Spiel. Hg. Klaus Weissenberger. Düsseldorf 1981, S. 277: „Die Literaturgeschichte handelt lieber von der Historie jener Gedichte, in welchen sich graphische Kontur, Klang und Bedeutung in glücklichen Bündnissen zusammenfinden, als uns die Annalen der radikalen Störungs- und Emanzipationsprozesse innerhalb der Gedichtstruktur zu liefern.“ Und so heißt es noch 2001 bei Hans Dieter Schäfer: „Wie Krolow das Rohe der naturmagischen Wirklichkeit oder des Surrealismus matt changieren ließ, so dekorierte die !konkrete" oder !experimentelle Literatur" Text- und Zeichenmaterial zu belanglosen Buchstabenfeldern.“ (Schäfer, Avantgarde als Werbung und Geste der Langen Fünfziger Jahre oder Hölderlin im Turm. In: Aufbruch ins 20. Jahrhundert. Über Avantgarden. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München 2001, S. 285). Einer der dies sehr früh erkannte, war Helmut Heißenbüttel, Zur Geschichte des visuellen Gedichts im 20. Jahrhundert. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. XVff. (S. 291 ff.).
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auflösung gehörte, nur Text im Bild und Bild im Text war, undifferenziert für ein und dieselbe Entwicklung und denselben Begriff zu reklamieren. Hinzu kam die Beobachtung, dass jene Künstler, die sich für neue Ausdrucksformen zwischen den Gattungsgrenzen interessierten, zugleich auch sensibel auf die Technologie- und Medienentwicklung reagierten und es deshalb notwendig war, den Blick auf die Geschichte visueller Textformen mit einem auf die Geschichte der Medien zu verbinden. Dies wurde aber erst wesentlich später vor dem Hintergrund der Medienkunstentwicklung in seiner ganzen Tragweite erkannt. Die Ansätze einer historischen Untersuchung waren also zunächst geprägt vom Selbstverständnis der einzelnen wissenschaftlichen Positionen und von Einzeldarstellungen, die sich jeweils auf einen bestimmten historischen Aspekt, ein Land oder einen Sprachbereich konzentrierten. So stellte Peter Weiermair 1968 fest, „die eigentliche geschichte der visuellen poesie datiert (…) seit carlo bellolis texten aus dem jahr 1943“31. Nicholas Zurbrugg sah die Vorläufer im Dadaismus32, Reinhard Döhl lenkte den Blick auf Kandinsky33. Andere betrachteten den Futurismus, den Manierismus und das Mittelalter als Quellen, bis hin zur griechischen Bukolik oder den voralphabetischen Bilderschriften im Mittleren Osten, in Ägypten, China oder Mittelamerika und der ganz generellen Fragestellung: „The question also arises as to whether visual poetry is a form of literature or of art“34, – die zurückverweist auf das schon angesprochene Phänomen der Aufhebung von Gattungsgrenzen, zu der ebenfalls ein ausführlicher historischer Überblick fehlte. Inzwischen gibt es eine Reihe ganz ausgezeichneter Darstellungen zu einzelnen Ländern35 und auch länderübergreifende Versu31
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Peter Weiermair, zur geschichtlichen voraussetzung und zum kunstwollen der visuellen poesie. In: visuelle poesie. Münster 1969, (Schriften zur Konkreten Kunst, Hg. Schmidt, Bd. 2), o. P. Nicholas Zurbrugg, Dada and Experimental Poetry. In: Dada Spectrum: The Dialectics of Revolt. Ed. Stephen C. Foster/Rudolf E. Kuenzli. Madison 1979, S. 226ff. Reinhard Döhl, Von der Alphabetisierung der Kunst. Zur Vorgeschichte der konkreten und visuellen Poesie in Deutschland. In: zeichen von zeichen für zeichen. festschrift für max bense. Hg. Elisabeth Walther /Udo Bayer. Baden-Baden 1990, S. 250 ff. David W. Seaman, Concrete Poetry in France. Ann Arbor/Michigan 1981, S. 2. Vgl. u. a. Bob Cobbing, Die Grenzen verwischen sich. Über experimentelle und konkrete englische Lyrik. In: Akzente 16. Jg., H. 6, München 1969, S. 552 ff.; Seaman, a.a.O.; Piotr Rypson, Piramidy – słon´ca – labirynty. Poezja wizualna w Polsce od XVI do XVIII wieku. Warszawa 2002; Mykola Soroka, Visual Poetry in
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che36. Hilfreich ist immer noch die tabellarische historische internationale Übersicht von Dom Sylvester Houédard, die 1965 unter dem Titel „Between Poetry und Painting. Chronology“ als Beilage zum gleichnamigen Katalog des Institute’s of Contemporary Arts in London erschien37. Von dieser Basis ausgehend, hatte Peter Mayer dann mit Hilfe von Jeremy Adler und Dick Higgins eine vom 1700 v. Chr. bis 1978 reichende Zeittafel erstellt38, die ergänzt wurde von einer „Chronology of Sound Poetry“39. Unter Einbezug der letzten 30 Jahre wurde nun in einem neuen Anlauf40 der Versuch unternommen das bislang Publizierte zu sichten, möglichst viele der weltweit existierenden Ausformungen Optischer Textformen zu erfassen, um Unbekanntes oder noch nicht Zusammengeführtes ergänzen und das gesamte Material neu ordnen und typologisieren zu können. Mit einem Personen- und Sachregister soll die Erschließung des Materials erleichtert und dem interessierten Leser nicht nur zu einzelnen Fragestellungen Hinweise und Antworten sondern
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Ukrainian Literature in the End of the 17–18th Century. Kiiw 1997; Kalanath Jha, Figurative Poetry in Sanskrit Literature. Delhi 1975; Ana Hatherly, A experiência do prodígio. Bases teóricas e antologia de textos-visuais portugueses dos séculos XVII e XVIII. Lisboa 1983; Giovanni Pozzi, La parola dipinta. Milano 2002; Clemente Padin, La poesia experimental latinoamericana (1950–2000). Colemenar Viejo 1999; Philadelpho Menezes, Poetics and Visuality. A Trajectory of Contemporary Brazilian Poetry. San Diego 1994; Humphrey Ottenhoff, De letter te lijf. Beeldvorming van concrete en visuele poëzie in Nederland en Vlaanderen. Zevenaar 2005; Jesper Olsson, Alfabetets användning. Konkret poesi och poetisk artefaktion i svenskt 1960-tal. Stockholm 2005; escrito está. Poesía experimental en España. Hg. Fernando Millán. Vitoria-Gasteiz/Valladolid 2009. Concrete Poetry: A World View. Ed. Mary Ellen Solt. Bloomington 1968; historische anthologie visuele poëzie. Hg. Gerrit Jan de Rook. Brüssel 1976; Piotr Rypson, Obraz sowa. Historia poezji wizualnej. Warszawa 1989; Tocka zrenija. Vizual’naja poezija: 90-e gody/A Point of View. Visual Poetry: The 90s. Ed. Dmitry Bulatov. Kaliningrad 1998; Visuelle Poesie. Historische Dokumentation theoretischer Zeugnisse. Hg. Ulrich Ernst. 2 Bde (von der Antike bis zur Gegenwart) erscheinen ab 2010 bei Walter de Gruyter/Berlin. Seit März 2007 erscheint (z. Zt. 39 Bände) die internationale Visuelle Poesie in Einzeldarstellungen: C’est mon dada. Hg. Francis van Maele. Dugort/Irland. Between Poetry and Painting. Ed. Jasia Reichardt. Institute of Contemporary Arts, London 1965. Beilage: 14 geheftete Seiten/Manuskriptdruck. concerning concrete poetry, compiled by Bob Cobbing and Peter Mayer. London 1978, S. 63 ff. A.a.O., S. 71 ff. Siehe auch: Dom Sylvester Houédard, Chronology: Sound Poetry. In: Kontextsound. Hg. Michael Gibbs. Amsterdam 1977, S. 3 f. Der schon 1978 geplant war, siehe den „Schlusshinweis“ in: Tecken, a.a.O., S. 64.
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auch weiterführende Literatur an die Hand gegeben werden. Darüber hinaus bleibt allerdings noch als Desiderat die Publikation einer selbständigen Bibliografie zur Optischen Poesie, die neben der Primär- und Sekundärliteratur auch den Bereich der Kataloge und Ausstellungen umfassen müßte, was aufgrund der Materialfülle und des damit verbundenen Zeitaufwands wohl nur als größeres Forschungsprojekt denkbar ist. Die mehr als 4000 bibliografischen Angaben in den Anmerkungen könnten dies vielleicht unterstützen. Dieses Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne das Netz hilfreicher Freunde, Kollegen und Informanten in vielen Ländern. Stellvertretend für alle seien genannt: Helge Krarup (Dänemark), thalia- (Australien), Hiroo Kamimura (Japan) und Karl Young (USA). Für all die Hilfe habe ich sehr zu danken, – vor allem aber für die geduldige Unterstützung durch meine Frau Gisela Dencker.
Ahrensburg, 2010
Klaus Peter Dencker
Bezeichnung, Systematik, Typologie
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I. Bezeichnung, Systematik, Typologie Der erste Versuch, eine Art Systematik zur Visualisierung von Schriftsprache, Wörtern und Text zu entwerfen, stammt von dem Kunsthistoriker und ehemaligen Verlagsbuchhändler des Verlagshauses Breitkopf & Härtel und Vorsteher des Deutschen Buchgewerbevereins in Leipzig Ludwig Volkmann (1870–1947). Obwohl Volkmann41 den ästhetischen Vorstellungen der Jahrhundertwende folgend 1903 noch über die „Grenzen der Künste“42 schrieb, dass „die einzelnen Kunstgattungen in engem Zusammenwirken allerdings eine gewisse innere Rücksichtnahme aufeinander sich auferlegen müssen (…) sich selbst dort zwar geistig beeinflussen, niemals aber vermischen“43, befasste er sich 193044 mit eben dieser Vermischung von Literatur und bildender Kunst45 erstaunlich 41
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Volkmann promovierte 1892 bei Heinrich Wölfflin in München über: „Bildliche Darstellungen zu Dantes Divina Commedia bis zum Ausgang der Renaissance“ (Leipzig 1892). Volkmann, Grenzen der Künste. Auch eine Stillehre. Dresden 1903. Volkmann, a.a.O., S. 9. Auch 1924 schrieb er zwar noch: „Die Kunst teilt sich in Künste, die fest und naturgemäß gegeneinander abgegrenzt sind, weil jede Kunstgattung in anderer Weise isoliert, weil jede derselben nach Maßgabe ihrer Mittel eine besondere Seite der Erscheinungswelt zum Gegenstand hat, auf andere aber verzichten muß. (…) Betreffs der Grenzen zwischen Malerei und Poesie hat Lessing in seinem Laokoon diese Grundgedanken, trotz mancher unbestrittener Mängel im besonderen, für alle Zeiten klassisch formuliert“, und fährt fort, dass nun auch noch das Verhältnis der einzelnen bildenden Künste untereinander (Malerei, Plastik, Architektur, Kunstgewerbe) zu klären sei. Dann heißt es allerdings: „Und eine Klärung dieser Frage ist um so notwendiger, als heute mehr denn je interessante Versuche und Ansätze gemacht werden, die Grenzen der Künste zu verwischen oder zu verleugnen, andererseits aber tatsächlich allerlei neue Wirkungen und Ausdrucksweisen gefunden werden (…)“ (Grundfragen der Kunstbetrachtung. Die Erziehung zum Sehen/Naturprodukt und Kunstwerk/ Grenzen der Künste. Leipzig 1925, S. 173 f.). Volkmann, Bild und Schrift. Das Programm eines ungeschriebenen Buches. In: Buch und Schrift 4, Leipzig 1930, S. 9 ff. Die auch in dieser Zeit auf andere Weise im Bewusstsein war: Paul Gizewski, Bildende Kunst und Literatur. Ein Hilfsbuch für die Behandlung der bildenden Kunst im Anschlusse an die deutsche Literaturgeschichte. Bielefeld/Leipzig 1910; Fritz Gansberg, Das kann ich auch. Eine Anleitung zum Bilderschreiben und
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fortschrittlich, und „als Leitspruch“ – so Volkmann – „könnte dabei ein Wort Goethe’s aus !Kunst und Altertum" vom Jahre 1823 dienen, wo es heißt: !Wort und Bild sind Korrelate, die sich immerfort suchen"“46. Das – wie er es nennt – „Programm eines ungeschriebenen Buches“ über das Verhältnis von Schrift und Bild erwähnt bereits ein fast vollständiges Formenspektrum der historischen Linien, die zur Entwicklung Optischer Textformen beigetragen haben. Er beginnt mit der Vorbemerkung: „Wir begeben uns damit freilich in Grenzgebiete, die Sprache und Literatur, Kultur- und Kunstgeschichte, ja Ethnographie und Religion gleichermaßen berühren (…) Und der Standpunkt, von dem aus wir dieses Ganze zu betrachten hätten, wäre (…) einmal ein logisch-genetischer, und (…) ein ästhetischer; man könnte diesen Dualismus kurz zwischen die beiden Gegenpole: Bildschrift und Schriftbild einspannen, deren einer das Bild zum Gedankenausdruck macht, während der andre der Schrift selbständige künstlerische Wirkung zugesteht – zwischen beiden aber liegt das weite Gebiet der gegenseitigen Berührung, Verbindung und Durchdringung von Bild und Schrift in geistiger und formaler Beziehung“47. Das dazu von ihm entworfene grafische Modell nennt eine Vielzahl von Ausdrucksformen, die kreisförmig und in sich rückläufig angeord-
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Fibeldichten. Leipzig 1913; Fritz Kuhlmann, Schreiben im neuen Geiste. Teil III „Bildschreiben“. Braunschweig (1916) 1925 f. „Wort und Bild sind Correlate, die sich immerfort suchen, wie wir an Tropen und Gleichnissen genugsam gewahr werden. So von je her, was dem Ohr nach innen gesagt oder gesungen war, sollte dem Auge gleichfalls entgegenkommen. Und so sehen wir in kindlicher Zeit in Gesetzbuch, in Heilsordnung, in Bibel und Fibel sich Wort und Bild immerfort balancieren.“ (Goethe, Maximen und Reflexionen, nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs hg. von Max Hecker. Weimar 1907, S. 33, Nr. 188 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 21), abgedr. in: Wert und Ehre deutscher Sprache, in Zeugnissen Hg. von Hugo von Hofmannsthal. Frankfurt 1957, S. 84). Wobei Volkmann als Motto für die „Grundfragen der Kunstbetrachtung“ noch ein anders lautendes Goethe-Zitat wählte (a.a.O., S. 163): „Die Künste selbst sowie ihre Arten sind untereinander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung, sich zu vereinigen, ja sich ineinander zu verlieren; aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst, die Würde des Künstlers, dass er das Kunstfach, in welchem er arbeitet, von anderen abzusondern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu stellen und sie aufs möglichste zu isolieren wisse.“ Verstärkt wird diese Position durch den vor diesem Absatz stehenden Satz: „Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Verfalls der Kunst ist die Vermischung der verschiedenen Arten derselben.“ (Goethe, Einleitung für die Propyläen, Tübingen 1798 in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 12, Hamburg 1953, S. 49). Volkmann, a.a.O., S. 11.
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Abb. 4: Volkmann, Bild und Schrift, aaO., S. 12
net sind. Die Ordnung ist keine historische, sondern folgt einem stufenweise sich ändernden Verhältnis von Form und Inhalt und beginnt links mit dem „Bild“, das zunächst nur reine Form ist und durch die „immer stärkere Beimischung von Ausdruckswerten allmälig von hier zur Bildschrift leitet, aus der dann wieder in allmälig fortschreitender Abstraktion die reine !Schrift" erwächst, die völlig im Inhalt aufgeht“48. Als erste Stufe bezeichnet Volkmann das Bild mit symbolischer Bedeutung: „Das Bild wird hier ohne weiteres zum !Zeichen"“49. Die nächste Stufe, die Allegorie, sei „schon stärker in verstandesmäßiger Richtung inhaltlich durchsetzt“ und erstrebe „ganz direkt !sinnbildliche" Wirkung“50. Zur Stufe der Illustration erwähnt Volkmann „die mittelalterliche Auffassung des Bildes als !Laienschrift", die es mit sich gebracht habe, dass man „unbedenklich den Figuren Spruchbänder zur Erläuterung beigab“51, und er spricht in diesem Zusammenhang von „der Gleichsetzung von Schrift und Bild“, für die er „die Stelle bei Dante, Purgatorio XXXIII, Vers 75 ff., wo Beatrice will, dass er ihr Wort 48 49 50 51
Volkmann, a.a.O., S. 12, Abb. 4. Volkmann, a.a.O., S. 12. Volkmann, a.a.O., S. 12. Volkmann, a.a.O., S. 13.
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!wenn nicht geschrieben, so doch gemalt" (so non scritto, almen dipinto) in sich tragen solle“52, anführt. Hierher würden auch die „Lehrund Anschauungsbilder“ gehören. Diese würden dann zur Stufe des Gedächtnisbildes führen, zur Mnemonik, soweit diese sich bildlicher Mittel bediene und die er „augensinnliche Gedächtniskunst“ nennt. Sie führe immer mehr vom rein Anschaulichen zum Intellektuellen, und „insofern hier das Bild ohne weiteres für den Begriff gesetzt wird, sind wir damit bereits (mit dem Blick auf den Rebus53) an der Schwelle der Bildschrift angelangt.“54 Zur „Bildschrift oder Bilderschrift (Pictogramm)“ rechnet Volkmann zunächst den „einfachsten und zugleich reinsten Zustand“, in dem sich „Bild und darzustellender Begriff vollständig (Ideogramm)“ decken. Diese Art Bilderschrift, die nur aus Ideogrammen bestünde, sei naturgemäß von der Sprache unabhängig und geeignet über die Sprachgrenzen hinweg als eine Art „Sinnschrift“ (Pasigraphie) zu funktionieren55. Weiter würden Geheimschriften dazugehören oder z. B. jene himmlischen Bilderschriften, die Astrologen in den Gestirnen entdecken und damit den Planetenzeichen eine besondere Bedeutung geben würden.56 Mit Gegenstandsschrift bezeichnet Volkmann Mitteilungen, die auf die Darstellung von Gegenständen zurückgehen, denen eine bestimmte Bedeutung zukomme, so dass Assoziationen und Wortanklänge möglich werden, die die Gegenstandsschrift in die Nähe des Rebus stellt, „mit Recht hat man hierfür geradezu den Begriff Sinnrebus bzw. Laut-
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Volkmann, a.a.O., S. 13. Ludwig Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel. In: Zeitschrift für Bücherfreunde 4/5, Leipzig 1926, S. 65 ff. Der oder das Rebus ließe sich einerseits auf lt. rebus (= ablativus instrumentalis von res = Ding, Sache) zurückzuführen, andererseits aber auch auf die germanische Wurzel rib, ahd. hriba, mhd. ribe (= Freude). Diese und weitere Herleitungen des Begriffs bei: Dirk Kampmann, Das Rebusflugblatt. Studien zum Konnex von literarischer Gattung und publizistischem Medium. Köln 1993, S. 17 ff. Vgl. auch: Eva-Maria Schenck, Das Bilderrätsel. Hildesheim 1973, S. 55 f. Der Rebus wird oft auch als Bilderrätsel bezeichnet. Bilderrätsel kann als umfassender Begriff verstanden werden, d. h. ein Bilderrätsel kann auch ein Ensemble von Bildmotiven sein, das einen bestimmten Sinn ergibt, ohne dass die einzelnen Bildmotive im engeren Sinne Sprachelemente sind. Der Rebus dagegen ist dezidiert ein Text, in dem einzelne Wörter, Wort- oder Lautteile durch ein Bildmotiv ersetzt wurden. Volkmann, a.a.O., S. 14. Vgl. dazu auch Karl Haag, Die Loslösung des Denkens von der Sprache durch Begriffsschrift, Stuttgart 1930. Anm. 899.
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rebus geprägt“57. Eng verwandt seien die Bilderschriften der Renaissance58, die zur Hieroglyphik der Romantik führten und aus denen die Emblematik erwachsen sei. Zeichen- und Signalsprachen seien hier zu subsumieren. Mit dem Schritt zur Silben- und Lautschrift meint Volkmann „das Phonetischwerden der Bilderschrift“59. Dieser Schritt sei eng mit der Entwicklung zur alphabetischen Schrift verbunden, die sich bei den alten Kulturvölkern der Sumerer, Chinesen und Ägypter so vollzogen habe, dass „das Begriffsbild, das reine Ideogramm, nicht mehr ausreicht, und dass sich allmälich besondere Deutzeichen beigesellen oder aber phonetische Elemente (…) woraus die eigentlichen Alphabete entstehen (…) Abschleifung bzw. Typisierung der ursprünglichen Bilder in der Richtung zum abstrakten Liniengebilde oder Zeichen“60, womit der Pol „Schrift“ erreicht wäre. Neben dem den Inhalt vermittelnden Element der Schrift träte die ästhetische Betrachtungsweise und das Bewusstsein für eine dem Inhalt adäquate Schriftgestaltung. Das Schriftbild im wahrsten Sinne des Wortes wird gestaltet: Schriftdekoration und Kalligrafie. Volkmann macht hier schon aufmerksam auf die verschiedenen Qualitäten und Ausdrucksmöglichkeiten der Druck- und Handschrift. „Seltsame Sondergruppen stellen dann solche Erzeugnisse dar, worin aus Schrift oder Drucktypen durch bildmäßige Anordnung recht eigentlich !Schriftbilder" hergestellt werden (…) ich nenne nur das merkwürdige Bildergedicht des Hrabanus Maurus !Liber de laudibus sanctae crucis" um 815 (…) aus neuester Zeit sei etwa an Christian Morgensterns !Trichter" erinnert“61. Weiter werden die Bildalphabete erwähnt und „Figuren aus Schriftzügen“ (also Figurengedichte): „auch hier zeigt sich eben wieder, wie nahe die Handschrift mit der Zeichnung ist“. Und so kommt Volkmann dann über das Ornament und das dekorative Bild wieder „zum Bild an sich“ zurück. Zusammenfassend macht also Volkmann schon auf ein Quellen- und Formenreservoir aufmerksam, das für die Betrachtung Optischer Textformen von erheblicher Bedeutung ist:
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Volkmann, a.a.O., S. 15. Ludwig Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance. Hieroglyphik und Emblematik in ihren Beziehungen und Fortwirkungen. Leipzig 1922/unv. Nachdruck 1923. Volkmann, a.a.O., S. 16. Volkmann, a.a.O., S. 16. Volkmann, a.a.O., S. 18.
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– die Entstehung der Schrift vom ikonografischen zum abstrakt/phonetischen Gebilde – das Entstehen von Piktogramm und Ideogramm – die figurative und bildhafte Umsetzung von Textinhalten – die Wirkungsgeschichte der Hieroglyphik – die Geschichte des Rebus – die Entwicklung der Emblematik und deren Folgeerscheinungen – die Spruchbandliteratur – die Lehr- und Anschauungsliteratur (Bilder-Bibel z. B.) – die immer wieder neu und weiter sich entwickelnde Vermischung der Künste Volkmanns theoretischer Zugang war der eines Kunsthistorikers, geprägt vom besonderen Interesse für die Buchkunst. Das Bewusstsein aber für die Entgrenzung der literarischen Gattung und dessen, was in Zukunft Poesie auch sein könnte, gab es allerdings durch die bildenden Künstler und Schriftsteller selbst schon wesentlich früher62. Und spätestens 1923 erhielt der heutige Begriff Visuelle Poesie durch die tschechische Avantgarde um Karel Teige und Víteùzslav Nezval eine erste und ungefähre Entsprechung: „Die Dichtung, durch Marinetti von den Fesseln der Syntax und der Interpretation befreit, nahm in Apollinaires Ideogrammen eine optische, graphische Form an (…) Wir stehen vor einer logischen Folgerung: Eine Fusion der modernen Malerei mit der modernen Poesie. Die Kunst ist eins, und zwar die Poesie. Ihr seht (in der zweiten Nummer des „Disks“) Bildgedichte, welche eine Lösung des Problems sind, das der Malerei und Poesie gemeinsam ist. Diese Fusion ruft wahrscheinlich früher oder später eine vielleicht allmähliche Liquidierung der traditionellen malerischen und dichterischen Methoden hervor.“63 62
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Tristan Tzara sprach vom „poème visuel“ im Zusammenhang mit Apollinaire in: Tzara, Note pour les bourgeois. In: Cabaret Voltaire. Zürich 1916, S. 6 f. Karel Teige, Malirstvi a poesie. In: Disk 1, Brno 1923, S. 20; dt.: „Malerei und Poesie“ in: Tschechische Avantgarde 1922–1944. Hg. Zdenek Primus. Hamburg 1990, S. 172 f.; vgl. auch die weiteren Manifeste von 1924–1928 von Teige und Nezval in: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938). Hg. Wolfgang Asholt/Walter Fähnders. Stuttgart 1995 u. die Monografie: Karel Teige/1900–1951. L’enfant terrible of the Czech modernist avant-garde. Hg. Eric Dluhosch/Rostislav Sˇvácha. Cambridge/Mass. 1999, Abb. 5, S. 30). Im selben Jahr 1923 prägte der polnische Künstler W·adyslaw Strzemin´ski (ein Freund von Kazimierz Malewicz, der zusammen mit Chagall, Kandinsky, Lissitzky und Rodschenko 1919 an der Ausstellung der neuen russischen Kunst in Moskau teilnahm: vgl. Andrzei Szewczyk, Malevich and the Polish Avant-Garde. In: Kasimir Malewitsch zum 100. Geburtstag. Galerie Gmurzynska, Köln 1978, S. 264 ff.) den
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Abb. 5: Karel Teige, Abfahrt nach Kythera, 1923/24
Begriff der „Poesiographie“ (W·adyslaw Strzemin´ski, Ausstellung neuer Kunst in Wilno. In: Zwrotnica 6, 1923, S. 193, abgedr. in: Der Raum der Worte. Polnische Avantgarde und Künstlerbücher 1919–1990. Hg. Piotr Rypson. Wolfenbüttel 1991, S. 38), und der Schriftsteller Jan Brzêkowski – den Theorien von Strzemin´ski folgend – sprach von „integraler Poesie“ (Jan Brzêkowski, Integrale Poesie (1933) in: Befreite Phantasie, Krakau 1976, S. 22–23, abgedr. in: Der Raum der Worte, a.a.O., S. 54).
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In Rumänien wurde 1924 von Victor Brauner und Ilarie Voronca der Begriff „Pictopoezie“ mit dem Hinweis „Pictopoezia nu e Pictura/ Pictopoezia nu e Poezie/Pictopoezia e Pictopoezia“ programmatisch eingeführt: „LA PICTOPOÈSIE invention du péintre VICTOR BRAUNER et du poéte ILARIE VORONCA est le dernier-cri de l’heure actueile. Tous les dandys doivent se tailler leurs babits d’après la coupe pictopoétique. La pictopoésie revivifie tous les courents révélateurs d’art nouveau LA PICTOPOÉSIE réalise enfin la vraie synthése des futurismes dadaismes constructivismes. Les attitudes les plus éloignées se retrouvent universellement fécondées dans le mouvement pictopoétique, mots et couleurs recoivent une nouvelle sonorité la sensation ne se perd plus mais au contraire comme le diamant taille le cristal des regards et des cerveaux comme pneux cautchoux traversent l’air des locomotives versent leurs sang or confitures charbon. PICTOPOÉSIE TRIOMPHE SUR TOUT ENREGISTRE TOUT RÉALISE L’IMPOSSIBLE.“64 Dennoch wurden erst, nach den drei wichtigsten programmatischen Schriften von Öyvind Fahlström65, Eugen Gomringer66 und der brasilianischen Noigandres-Gruppe67, die umfassenderen Systematisierungs64
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Abgedruckt in einer Zeitschrift, von der nur eine einzige Nummer erschien: 75HP. Hg. Victor Brauner. Bukarest, Oktober 1924, o. P., hier auch Abb. 6. Siehe dazu: Texte der rumänischen Avantgarde 1907–1947. Hg. Eva Behring. Leipzig 1988, S. 29 u. Tom Sandqvist, DADA East. The Romanians of Cabarate Voltaire. Cambridge/MA 2006, S. 360 ff. Ein Beispiel für Brauners Pictopoezie in: Artists’ Books in the Modern Era 1870–2000. The Reva and David Logan Collection of Illustrated Books. Fine Arts Museums of San Francisco 2002, S. 201. Vgl. auch Andrei Oisteanu, The Romanian Avant-Garde And Visual Poetry. In: http://www.corpse.org/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&1id=177. Hätila ragulpr pa fatskliaben (1953). In: Bord dikter 1952–1955. Stockholm 1966, S. 57 ff. (dt.: Manifest für konkrete Poesie, in: Text Buchstabe Bild. Ausstellungskatalog Helmhaus, Zürich 1970, S. XVII ff.), vgl. Anm. 2323. vom vers zur konstellation. zweck und form einer neuen dichtung (1954). In: Augenblick (Hg. Max Bense), Jg. 1, H. 2, Krefeld/Baden-Baden 1955, S. 14 ff. u. in: konkrete poesie. deutschsprachige autoren. anthologie von eugen gomringer. Stuttgart 1972, S. 153 ff. Der Begriff „Konkrete Poesie“ taucht in diesem Beitrag noch nicht auf, erst ab 1956, vgl. S. 159. Augusto und Haroldo de Campos/Décio Pignatari, plano-pilóto para poesia concreta (1958). In: Noigandres Nr. 4, 1958 (dt.: Programm der konkreten Poesie, in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXVII f.). Wichtig ist auch das 2 Jahre vorher schon erschienene Manifest zur Konkreten Poesie „poesia concreta: un manifesto“ von Augusto de Campos in: ad – arquitetura e decoracao No. 20, Sao Paulo November/Dezember 1956. Zusammengefasst in: Augusto de Campos/Décio Pignatari/Haroldo de Campos, Teoria da Poesia Concreta. Textos Críticos e Manifestos 1950–1960. Edições Invenção, São Paulo 1965.
Bezeichnung, Systematik, Typologie
Abb. 6: Victor Brauner/IlarieVoronca, Pictopoezie, 1924
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und Typologisierungsversuche in den 1960er und 1970er Jahren zunächst von den Autoren der Konkreten Poesie entworfen.68 Dies geschah unabhängig vom traditionellen literaturwissenschaftlichen Interpretations- und Analyseinstrumentarium, das – so Franz Mon69 – „links liegen“ zu lassen sei, was einerseits zwar Sichtweisen ermöglichte, die offen waren für neue kreative Ausdrucksformen, andererseits aber auch einer allgemein akzeptierten Begrifflichkeit70 entgegenstanden. Nachdem Pierre Garnier sein „Manifeste pour une poésie nouvelle, visuelle et phonique“ veröffentlichte71, unterschrieben am 10. Oktober 68
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André Steiner, Die Konkrete Poesie – Geschichte und aesthetische Prinzipien einer literarischen Avantgarde – Bewegung dargestellt am Beispiel der Autoren Claus Bremer, Franz Mon, Max Bense, Helmut Heißenbuettel und John Cage. Universität Bremen (Magisterarbeit) 2004 in: www.grin.com/de/preview/42864.html. Vgl. Anm. 25. Dies ist heute noch erkennbar, wie die jüngste Publikation von Ulrich Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang. Beiträge zur Theorie und Geschichte der visuellen Lyrik. Berlin 2002 und der dort abgedruckte Beitrag von 1999: „Konkrete Poesie. Blicke auf eine Neo-Avantgarde“ zeigt, in dem generell der Begriff Konkrete Poesie für Entwicklungen und Formen benutzt wird, die der Konkreten Poesie nicht zuzurechnen sind. Dieses Manifest wurde am 30. September 1962 geschrieben und veröffentlicht in: Les Lettres 8, No. 29, Paris 1963 (Jan.), S. 1 ff. (dt. in: Ilse und Pierre Garnier, Poésie spatiale – Raumpoesie. Hg. Gerhard Penzkofer/Maren Burghard. Bamberg 2001, S. 193 ff.). Der zu Beginn dieses Manifests auftauchende Hinweis von Garnier auf Henri Chopin (1964–2008) und seine Zeitschrift „Cinquième Saison“, in der Chopin bereits seit 1958 Konkrete Poesie vorstellte, ist zu beachten (Henri Chopin, J’ose! Verona 2000, S. 61 und 72). Am 31. Dezember 1962 schrieb Garnier das „Deuxième manifeste pour une poésie visuelle“, veröffentlicht in: Les Lettres 8, No. 30, Paris 1963 (Mai), S. 15 ff. (dt. in: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung 14. Jg., Nr. 1, Frankfurt 1964, S. 10). Es folgte: „3ème Manifeste du spatialisme pour une poésie supranationale“ (1965), verfasst von Seiichi Niikuni und Pierre Garnier, in: Pierre Garnier. In: Schriften für Literatur, bildende Kunst und Musik. Hg. Édition Galerie Press, St. Gallen 1966, S. 11 (= Serielle Manifeste 66, Nr. VII). In der Folge dieser Manifeste sind die Veröffentlichungen der japanischen ASA-Gruppe zu betrachten, die sich teilweise auf Garnier, Gomringer und die Noigandres-Gruppe beziehen und von Seiichi Niikuni verfasst wurden: Poetik für visuelle und phonetische Poesie. ASA 1, Tokyo 1965, S. 1–4; Das dritte Manifest für den Spatialismus. In: ASA 2, 1966, S. 4–7; Erläuterung des dritten Manifests für den Spatialismus. In: ASA 2, 1966, S. 8–9; Visuelle Poesie. In: Nanboku 9, 1968, S. 116–119; Tokyo manifesto for the spatialism: 1968. In: ASA 3, 1968, S. 1–2; Memorandum of tokyo manifesto for the spatialism: 1968. In: ASA 3, 1968, S. 3–5; ASA-Manifest 1973. In: Hiroo Kamimura, Japanische Konkrete und Visuelle Poesie im internationalen Kontext. In: Aktuelle Konkrete und Visuelle Poesie aus Japan. Hg. Hiroo Kamimura. Siegen 1986, S. 45 (= experimen-
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1963 25 Poeten aus 14 Ländern seine „Position I du Mouvement International“72, in der sechs Formenbereiche für die neue Poesie genannt wurden: poésie concrète travaillant le langage-matière, créant avec lui des structures, transmettant une information d’abord esthétique poésie phonétique fondée sur les phonèmes, corps sonores du langage et d’une facon générale sur tous les sons émis par les organes vocaux d l’homme, travaillés au magnétophone et tend ant à la création d’un espace sonore poésie objective arrangement pictural, graphique, sculptural, musical, grace à l’active collaboration de peintres, de sculpteurs, de musiciens, de typographes poésie visuelle le mot ou ses éléments pris en tant qu’objets et centres d’énergie visuelle poésie phonique poème composé directement sur bande magnétique, le mot et les phrases étant pris comme objets et centres d’énergie auditive poésie cybernétique sérielles, permutationnelles, verbophonie, etc.
Ferdinand Kriwet empfahl in einem Zusatz zu dieser Positionsbestimmung, die Gliederung auf drei Bereiche zu beschränken: „poésie phonétique, poésie objective, poésie visuelle“73.
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telle texte 6). Neben der mehr zur Konkreten Poesie neigenden ASA-Gruppe gab es die VOU-Gruppe (die Gruppennamen ergaben sich aus den Zeitschriftennamen der Gruppen), die mehr zur Visuellen Poesie neigte, vgl. Anm. 1604. Ihr Hauptvertreter war Katue Kitasono, dessen Manifest 1966 erschien: a note on plastic poem. In: VOU 104, Tokyo Februar/März 1966, S. 23 (In: Kamimura, Japanische Konkrete und Visuelle Poesie im internationalen Kontext, a.a.O., S. 46 u. in: Oceans beyond monotonous space. Selected poems of Kitasono Katue [1902–1978]. Ed. Karl Young/John Solt. Hollywood 2007, S. 167, vgl. Anm. 1606). Les Lettres, 8. Série, Numéro 32, Paris 2. trimestre 1964 (April), S. 1 ff. Es handelte sich dabei um die überarbeitete Version des Pilotplans vom 5. August 1963 zum Spatialismus von Pierre Garnier (Plan pilote fondant le Spatialisme. In: Les Lettres, 8. Série, Numéro 31, Paris 4. trimestre 1963 (November), S. 1 ff. Ab No. 32 bekam dann auch die Zeitschrift Les Lettres, Poésie Nouvelle den Untertitel: Revue du Spatialisme. Les Lettres 8, a.a.O., S. 4.
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1964 stellten dann Max Bense und Reinhard Döhl, die 1963 nicht zu den Unterzeichnern gehörten, in ihrem Beitrag „Zur Lage“74 – noch ohne die Bezeichnung Konkrete Poesie zu verwenden – folgendes Ordnungsprinzip vor: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Buchstaben = Typenarrangements = Buchstaben-Bilder Zeichen = grafisches Arrangement = Schrift-Bilder serielle und permutationelle Realisation = metrische und akustische Poesie Klang = klangliches Arrangement = phonetische Poesie stochastische und topologische Poesie kybernetische und materiale Poesie
Obwohl Garnier eine neue Form der Raumpoesie (Spatialisme)75 und Bense/Döhl „ein Fortschreiten der Literatur“ als Flächenpoesie76 vor Augen hatten, fällt auf, dass sich ähnliche Gliederungspunkte in beiden Entwürfen zu den drei Gruppen zusammenfassen lassen, die Kriwet vorschlug, – aus heutiger Sicht formuliert: Akustische Poesie, Konkrete Poesie, Visuelle Poesie – womit Kriwet bereits seine Position erweiterte, die 1961 noch von den zwei Gruppen der Sehtexte und Hörtexte ausging77, „gemäß den optischen und akustischen Verhaltensweisen von Sprache“. Für den Bereich der Sehtexte hatte Kriwet eine weitere Differenzierung vorgeschlagen, indem er „drei Stadien des Schreibens gegeneinander“ absetzte, „die als Basis für unterschiedliche Textformen gelten können“78: 1. Kritzeln, Ritzen, Sudeln, Schmieren ohne Gestalt- oder Formrepertoire, 2. Gestaltschreiben oder Malen mit formalem Repertoire, 3. Buchstabenschrift, die die manuelle und mechanische Schrift zur Folge hat.79
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manuskripte 5, H. 1 (13), 1965, S. 2, auch in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 166. Die Manifeste sind gesammelt in: Pierre Garnier, Spatialisme et poésie concrète. Paris 1986. Zur Poesie der Fläche (1963). In: Franz Mon, Texte über Texte. Neuwied 1970, S. 44 ff.; eine Auflistung der Kompositionsprinzipien von verbalem Material in der Fläche in: Mon, Über konkrete Poesie (1969) in: Mon, Essays. Berlin 1994, S. 111; vgl auch: Monika Schmitz-Emans, Die Sprache der modernen Dichtung. München 1997, S. 195 ff. Vgl. Anm. 1493 f. Sehtexte-Hörtexte. In: Diskus 11. Jg., No. 5, Frankfurt 1961, S. 10, so unterschied auch das erste Manifest von Garnier nur zwischen „visuelle et phonique“. Über die Wirklichkeiten und Möglichkeiten einer visuell wahrnehmbaren Literatur. In: manuskripte 4, H. 12, 1964, S. 15 ff., hier zit. nach: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 105. Diese Gliederung wäre in etwa vergleichbar mit einer, die Manfred Betz aus der Sicht der Rezeption anbietet, „nach dem Anteil der optischen und intellektuellen Komponenten an der Rezeption konkreter Texte (…) 1. Poetische „Textbilder“, bei
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Die erste Gruppe, so sagte Kriwet, gehöre in den Bereich der Malerei, und in der zweiten werde „Schrift und Malerei miteinander verschmolzen, durchdringen und modifizieren sich“, wobei sich wiederum zwei Richtungen abzeichnen, diejenige, die in einer von der Schrift unabhängigen Weise zur bildenden Kunst, und diejenige, die zur Schrift, „in welcher die Zeichen (sei es in bildhafter Gestalt oder nicht) schließlich zu sekundären Symbolen für sprachliche Begriffe und Worte werden“80, tendieren. Die schon hier erkennbare Beschreibung einer Mischform81 zwischen Poesie und Malerei82 führte zu einem weiteren Schritt genauerer Klassifizierung, bei dem Formen und Techniken der neuen Poesie Ausgangspunkte waren. So leitete Kriwet eine Typologie der Sehtexte nach zwei Kriterien ab, „erstens nach denen ihrer Herstellung; zweitens nach ihren Ausmaßen, ihren Formaten“: 1. 2. 3. 4.
Schreib-Bilder Schrift-Bilder Schreib-Texte Schrift-Texte
Unter Schreib-Bilder wurde die Skripturale Malerei83 verstanden, während bei den Schrift-Bildern der „Kontakt zwischen Malerei und Literatur, vor allem zwischen Graphik und Literatur“ enger sei. Schreib-Texte „sind eng mit den Schreibbildern verwandt, nur weniger Bild als diese, sondern mehr begrifflicher Text“ und „aus den Schrift-Texten hat sich die Malerei oder freie Graphik endgültig absentiert“.
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deren Rezeption das Lesen vor dem Sehen dominiert; 2. Optische „Bildertexte“, deren Semantik deutlich herabgestimmt ist; 3. Visuelle Konzepte, die ein Gleichgewicht von Betrachten und Lesen erfordern“ (in: Betz, In der Rolle des Betrachters. Zur Aktivierung und Sensibilisierung des Lesers in der visuell-konkreten Poesie. In: Jb. d. dt. Schillergesellschaft XXIV, Stuttgart 1980, S. 427). Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 107. Bense/Döhl, a.a.O., S. 2: „Wir ziehen die Poesie der Mischformen vor“. Erkennbar auch im Titel zwei der wichtigsten Ausstellungen: Schrift und Bild. Amsterdam/ Baden-Baden 1963, Between Poetry and Painting. London 1965. „Unter der Bezeichnung !skripturale Malerei" sollten all die Werke zusammengefaßt werden, die ihre Aktualität aus den Spannungen zwischen den zitierten Vorstufen der Schrift und der ausgebildeten, ausgeschriebenen und ablesbaren, in Lautzeichen und Begriffe übersetzbaren Schrift beziehen. Ihr Kennzeichen bleibt jedoch immer der deutliche Schreib-Impetus. Malerei und Literatur verschränken sich hier teilweise, obwohl der Malerei immer das Primat gebührt (…)“ Dieses und folgende Zitate in: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 108 ff.
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Während Kriwet über den engen Literaturbegriff hinaus versuchte, die neue Poesie in ihrer Zwitterrolle zu fassen und damit eigentlich auch schon über die Grenzen der Konkreten Poesie hinausging, bewegten sich die „definitionen zur visuellen poesie“ (1972) von Eugen Gomringer ganz im Rahmen literarischer Formen-Referenz und waren noch stark der Konkreten Poesie verhaftet. Er benannte sechs Gruppen: Ideogramme poetische ideogramme sind gebilde aus buchstaben und wörtern, welche durch präzise konkretionen semantischer wie semiotischer intentionen entstehen und die als ganzes einprägsame sehgegenstände von logischem aufbau darstellen. konstellationen im gegensatz zu den ideogrammen sind konstellationen nicht unbedingt geschlossene gebilde, was durch die anwendung von techniken wie kombination und permutation oft verhindert wird. wesentliches merkmal ist sowohl bei buchstaben- wie bei wort- und satzkonstellationen der einbezug des raumes als zwischen- und umgebungsraum, der einzelne elemente nicht nur trennt, sondern auch verbindet und dabei assoziationsmöglichkeiten schafft. dialektgedichte entgegen der erwartung sind sie in vielen fällen nicht nur sprechgedichte, sondern wesentlich visuelle dichtung. palindrome bezeichnung für wörter oder wortfolgen, die vorwärts und rückwärts gelesen werden können und den gleichen oder einen anderen sinn ergeben. typogramme poesie entdeckt sich in buchstaben, verändert sie und verändert ganze textbilder, die dadurch gleichzeitig dichterisch interpretiert werden. piktogramme poetische piktogramme sind textanordnungen, deren erscheinungsbild absichtlich abbildende umrisse hat.84
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In: konkrete poesie. deutschsprachige autoren, a.a.O., S. 163 f. Zu den ersten drei Gruppen: Ideogramme, Konstellationen und Dialektgedichte gibt es auch frühe Definitionen von Gerhard Rühm in: Between Poetry and Painting, a.a.O., S. 79 (Ideogramme), Die Wiener Gruppe (1967), a.a.O., S. 14 (Konstellationen) u. S. 20 (Dialektgedichte). Zum Ideogramm vgl. auch das Manifest der NoigandresGruppe in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXVII. Zum Piktogramm: piktogramme – die einsamkeit der zeichen. Hg. Marion Ackermann. Katalog, Kunstmuseum Stuttgart 2006.
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Die für Gomringer wichtigsten Formen sind Ideogramme85 und Konstellationen86. Seinem Beitrag „vom vers zur konstellation“87 stellte er, gebildet aus Wörtern der letzten vier Seiten des „Un coup de dés jamais n’abolira le hasard“ (1897) von Stéphane Mallarmé, die Feststellung voran: „Nichts/ wird stattgefunden haben/ außer/ vielleicht/ eine Konstellation“88. Es wird deshalb angenommen, dass Gomringer mit den Bezeichnungen Konstellation und Ideogramm auf Apollinaire und Mallarmé zurückgegriffen habe.89 Da aber die Konkrete Kunst bekanntlich für die Konkreten Poeten von großer Bedeutung war, darf auch angenommen werden, dass Gomringer Arbeiten wie Strukturale Konstellationen (von Josef Albers seit 1950), Ideogramme (von Willi Baumeister seit 1935) und Pictographs (von Adolph Gottlieb 1941–1951) kannte90, und insofern könnten die Bezeichnungen in den „definitionen“ durchaus auch von anderer Herkunft sein91. Einen dritten Ansatz boten Gerhard Rühm und Siegfried J. Schmidt, die einen Katalog der technischen Möglichkeiten aufstellten. Rühm, indem er seine Arbeiten einzelnen Werktypen wie: Schreibmaschinenideogramme, Typocollagen, Lichttexte, Würfeltexte, Textfrottagen usw.92, im wesentlichen orientiert an den jeweiligen medialen Bedingungen, zuordnete, und Schmidt, indem er die „Verfahren der Präsentation von konkret behandeltem Sprachmaterial“93 auflistete, wobei auch er eine Trennung von Visueller und Akustischer Poesie vornahm94.
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Vgl. den Beitrag von Stefan Themerson, Idéogrammes lyriques. In: Typographica 14, London 1966, S. 3 ff. (zu den „calligrammes“ von Apollinaire). eugen gomringer, konstellationen constellations constelaciones. Bern 1953. Siehe Anm. 66. Nach der Übersetzung von Wilhelm Richard Berger in: Un coup dés jamais n’abolira le hasard. Ein Würfelwurf niemals tilgt den Zufall. Göttingen 1995. Ulrich Ernst, Konkrete Poesie. Blicke auf eine Neo-Avantgarde, a.a.O., S. 258. Ich verdanke diesen Hinweis: Manfred Betz, In der Rolle des Betrachters, a.a.O., S. 437 f. Vgl. dazu auch Gomringers Aussage in Anm. 1037 u. Dencker, Eugen Gomringer im Gespräch. In: Dencker, Den Grass in der Schlinge. Erlangen 1971, S. 67. Vgl. die Auflistung bei Ulrich Ernst, Konkrete Poesie. In: U. E., Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 259 (aus: Gerhard Rühm, 20 Arbeiten 20 Jahre. Köln 1990). Zur Poetik der konkreten Dichtung (1968) in: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 83 ff. Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 80 f.
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Dieser letzte Ansatz, der nicht mehr nur die Konkrete Poesie im engeren Sinne im Auge hatte und für den stellvertretend Rühm und Schmidt stehen, erbrachte in der Folgezeit vielfache Varianten95 bis zu dem umfangreichsten Entwurf, der von Samson Dietrich Sauerbier96 stammt und der der Reihenfolge nach nennt: Bildgedichte – Vollzugstexte – Selbstbezeichnungen/Textverweisungen – Letternobjekte – Leseplastiken – Bewegung im Raum – Lese- und Buchhandlungen – Objektgedichte – Raumgedichte – Architektur aus Text/als Text – Texte im Außenraum – Musikalische Grafik – Ideenkunst – Deklarierte Objekte – Aktionspoesie – Skripturale Malerei – Daten, Begriffe und Schrift – Reproduktionen – Bildergeschichten – Text/Bild-Korrelation als Kollektivarbeit – Bildschemata/Schemabilder – Schriftcollagen – Bildertitel – Bild/Text-Rhetorik – Interpretationstexte – Signaturen. Kennzeichnend für diese eher unsystematische Formenauflistung für die Zeit nach 1945, die sich in ihren Beispielen auch im wesentlichen auf den europäisch-amerikanischen Raum beschränkt, ist die Vermischung von inhaltlichen und formalen Bezugspunkten in der Begriffsbezeichnung und die Hereinnahme einer ganz neuen Ausdrucksform, der Musikalischen Grafik. Da diese und andere Versuche einer Typologisierung immer noch wenig befriedigend waren, kam Christina Weiss in ihrer Dissertation97 zu der Überzeugung, dass aufgrund einer inzwischen kaum mehr überschaubaren Menge von künstlerischen Arbeiten aus Wort und Bild „eine Typologie nur noch schwer machbar“98 sei. Sie schlug stattdessen vier Gliederungsbereiche vor: 1. 2. 3. 4.
Sprache als Aktionsspur einer künstlerischen Handlung Sprache mit Bildelementen kombiniert Sprache als Objekt/Raum Sprache als Träger eines künstlerischen Konzepts
Ausgangspunkt war also nach wie vor die Sprache, die Poesie. Und dies sah auch Ulrich Ernst so, als er vorschlug99:
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Vgl. z. B. Felix Andreas Baumann in: Text Buchstabe Bild. Zürich 1970, S. 6–16. Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur. Übersicht über Text/Bild-Beziehungen. Beispiele für eine Typik. In: Kunstforum 37, Köln 1/1980, S. 31 ff. 1982 an der Universität des Saarlandes, als Buch gedruckt: Christina Weiss, SehTexte. Zur Erweiterung des Textbegriffes in konkreten und nach-konkreten visuellen Texten. Zirndorf 1984. Weiss, a.a.O., S. 181. Konkrete Poesie. Blicke auf eine Neo-Avantgarde, a.a.O., S. 259 f.
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Poetik der Fläche Poetik der Materialität Poetik der Medialität Poetik der Mobilität
Beide Vorschläge spiegeln und ergänzen sich in gewisser Weise und umreißen am weitesten die Spielräume der Optischen Poesie. Diese Systematik könnte aus heutiger Sicht100 nun – mit einem Mediengerüst versehen – ergänzt werden: Poesie: flächenbezogen Dazu gehören alle von Gomringer genannten Formen (Laut- und Bildtexte) und in der Fläche realisierbaren Techniken auf Papier. Einflüsse der bildenden Kunst. Hineinspielen von Musikalischer Grafik und Skripturaler Malerei. Poesie: raumbezogen Dazu gehören alle in geschlossenen und offenen Räumen realisierbare Sprachereignisse auf und mit allen nur denkbaren Materialien: Text-Reliefs, Text-Objekte, TextInstallationen. Einflüsse der bildenden Kunst. Trennung und Zusammenwirken von Akustischer, Kinetischer und Visueller Poesie. Poesie: medienbezogen Dazu gehören alle mit technischen und elektronischen Medien erarbeiteten Sprachereignisse: Fotopoesie, Film/TV-Poesie101, Videopoesie, Holopoetry, Digitale (CDROM, PC /Net, VR) Poesie. Einflüsse der Medienkunst. Trennung und Zusammenwirken von Akustischer, Kinetischer und Visueller Poesie. Poesie: aktionsbezogen Dazu gehören Aktionen und Interaktionen. Prozessuale Texte102, Mail-Art, Text-Puzzles, visuelle poetische Performances, interaktive Medieninstallationen, interaktive Netzpoesie. Einflüsse der Medienkunst. Trennung (Akustische Poesie/Slam-Poetry) und Zusammenwirken von Akustischer Poesie, Kinetischer Poesie und Visueller Poesie.
Zur Bestimmung des Ortes der Visuellen Poesie innerhalb des Spektrums künstlerischer Ausdrucksformen zeigt diese Systematik – vor dem 100
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Ich folge hier – nur aktualisiert – im wesentlichen meiner Systematik in: Drei Kapitel zur Visuellen Poesie. In: Tecken, a.a.O., S. 63. Dencker, Entwurf einer eigenständigen TV-Poesie. In: Akzente 20, H. 4, München 1973, S. 321 ff. Franz Mon; Text als Prozeß. In: Texte über Texte, a.a.O., S. 86 ff.; vgl. auch: Theorie der Avantgarde. Antworten auf Peter Bürgers Bestimmung von Kunst und bürgerlicher Gesellschaft. Hg. W. Martin Lüdke. Frankfurt 1976, S. 267, Anm. 49. Vgl. Andreas Haus/Franck Hofmann/Änne Söll, Material im Prozess. Strategien ästhetischer Produktivität. Berlin 2000.
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Hintergrund, dass alle künstlerischen Disziplinen am Entwicklungsprozess beteiligt sind – Grenzüberschreitungen, so dass sich eine Gliederung anbietet, die einzelne Formen zwischen den traditionellen Künsten aufweist: Konkrete und Visuelle Poesie – Akustische Poesie – Musikalische Grafik – Kinetische Poesie, eigenständige Mischformen also, die zwischen Literatur und den visuellen Künsten (unter Einschluss der alten und neuen Medien)103, zwischen Literatur und musikalisch-akustischen Ausdrucksformen und zwischen den visuellen Künsten und der Musik anzusiedeln sind und für die jeweils auch historische Vorformen nachgewiesen werden können. Demnach wären Teile der Konkreten Poesie mit ihrer Nähe zur Konkreten Kunst nun in der Tat eine besondere Ausdrucksform (neben der Visuellen Poesie) der Optischen Poesie, was auch Dick Higgins in seinem 1976104 entworfenen Poster eines Systems der „metapoetries“105 kenntlich machte: „visual poetry (including concrete poetry)“. Wobei Higgins in seiner Gliederung (mit Bezug auf das 20. Jahrhundert) zu einer weiteren Ausdifferenzierung kam: Visuelle Poesie – Akustische Poesie – Aktions-Poesie – Objekt-Poesie – Konzept-Poesie – Kinetische Poesie (Film/ Video). Unter Berücksichtigung der bisherigen Systematisierungsversuche und der Voraussetzung, dass die Visuelle Poesie nicht, wie von den Poeten der Konkreten Poesie damals postuliert, als Spielart der Konkreten Poesie oder gar synonym zur Konkreten Poesie zu verstehen ist, wäre es also sinnvoll, 103
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Denn zu beachten ist, dass der Entstehung von Mischformen in gewisser Weise auf der Seite der Medientechnologie die Konvergenz der Apparate und Systeme entspricht. So wie verschiedene, vorher einzeln existierende elektronische Dienste in Terminals, wie z.B. im TV-Gerät oder dem Handy, konvergieren, sprach man auch von inhaltlicher Konvergenz zwischen den öffentlich-rechtlichen und den privaten Fernsehsystemen, oder im kommerziellen Bereich trifft dies vielleicht auch auf die Verkaufsstrategien der Warenindustrie in den Malls zu. „Die Konvergenz zur Telekommunikation (das deutet sich ja durch Übertragungstechniken wie W@P an) scheint eher auf eine Defokussierung weg vom Web und hin zu neuen Konvergenzformen hinzuweisen“ (Harald Taglinger, KLIK. Schrift im Netz. In: Schrift und Bild in Bewegung. Hg. Bernd Scheffer. Medienforum München e. V. 2000, S. 19). Vgl. auch zur Konvergenz im Medienbereich: Martin Stock, Konvergenz im dualen Rundfunksystem? In: Media Perspektiven 12, Frankfurt 1990, S. 745ff., u. Udo Michael Krüger, Zur Konvergenz öffentlich-rechtlicher und privater Fernsehprogramme. Entstehung und empirischer Gehalt einer Hypothese. In: Rundfunk und Fernsehen Jg. 39, H. 1, Baden-Baden 1991, S. 83ff. Und in seinem Brief an Dencker v. 18. 1. 1978, Abb. 2/3. Dick Higgins, Some Poetry Intermedia. Unpublished Editions, New York 1976 (Poster), Abb. 7 in: Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960. Hg. Michael Lailach. Berlin 2002, Vorsatzblatt u. dazu siehe noch einmal Abb. 2/3.
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Abb. 7: Dick Higgins, Some Poetry Intermedia, 1976
von einer allgemeinen Gattungsbezeichnung auszugehen, die alle Visualisierungsformen der Poesie umfasst, die entsprechend der Akustischen Poesie Optische Poesie106 genannt wird und zu der Teile der Konkreten Poesie ebenso gehören, wie das Figurengedicht der griechischen Bukolik des 106
Zur erweiterten Typologie der Optischen Poesie vgl. VI/2.
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3. vorchristlichen Jahrhunderts, oder Yuri Rozhkovs Foto-Text-Collagen der 1920er Jahre107, oder die Visuelle Poesie, wie sie sich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte und als Begriff etablierte. Innerhalb der Optischen Poesie entstanden nun zu bestimmten Zeiten Ausdrucksformen, die jeweils von ganz unterschiedlichen Einflüssen bestimmt wurden, von den Einflüssen der besonderen Zeitumstände und religiösen sowie gesellschaftlichen Bedingungen, der Nachbarkünste, der einzelnen Medien, vom Rezeptionsverhalten, sowie Literatur- und Kunstmarktstrategien, – einerseits über Jahrhunderte tradiert, wie etwa das Figurengedicht oder der Rebus, andererseits in sich abgeschlossene Produktionsphasen, wie z.B. die Konkrete Poesie108 –, und die ganz eigene Entstehungsgeschichten besitzen, form- und materialabhängig oder metaphorisch/bildhaft, magisch/ zeichenhaft, politisch/didaktisch oder rätselhaft/spielerisch bestimmt. So ist aus der Rückschau feststellbar, dass die Optische Poesie zwar auf gemeinsame formale Elemente, diese aber nicht zwangsläufig damit auch innerhalb einer stringenten historischen Entwicklungslinie zu betrachten sind, wenn auch die Kenntnisse der über Jahrhunderte sich herausbildenden Verfahren und Spielarten die Entwicklung des sich immer mehr vergrößernden Formenspektrums beeinflusst haben mögen, so dass es nahe liegt, Korrespondenzen und Abhängigkeiten anzunehmen. Und weiter lässt sich feststellen, dass die Optischen Textformen jeweils ebenso sensibel auf das Aufkommen neuer Medien109 reagiert haben, wie auf die jeweils sich gerade entwickelnden Kunstrichtungen110. Und so wie die Abhängigkeit der Konkreten Poesie von der Konkreten 107
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Abb. in: Mayakovsky: Twenty Years of Work. Ed. David Elliott. Oxford/Moskau 1982, a.a.O., S. 40 ff. eugen gomringer, visuelle poesie. In: Welt aus Sprache. Auseinandersetzung mit Zeichen und Zeichensystemen der Gegenwart. Berlin 1972, S. 118: „obgleich konkrete poesie entstehungsgeschichtlich als abgeschlossene periode bezeichnet werden kann (…) „ Vittore Baroni hat in seiner Grafik „organic tree“ von 1991 dies darzustellen versucht. „organic tree“ wurde zuerst veröffentlicht in: Arte Postale (Hg. Vittore Baroni), Nr. 63, 1992, S. 3, Abb. 8, vgl. Ausführlicher in VI/5. Wobei die Literatur schon immer von der bildenden Kunst beeinflusst wurde – vgl. den literarischen Jugendstil (Lyrik des Jugendstils. Hg. Jost Hermand. Stuttgart 1964; Dominik Jost, Literarischer Jugendstil. Stuttgart 1969; Dencker, Literarischer Jugendstil im Drama. Wien 1971 und dort weiterführende Literatur) oder die expressionistische Lyrik, die zuerst 1920 unter dem Titel „Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung“ von Kurt Pinthus herausgegeben wurde (später: Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Hg. Kurt Pinthus. Hamburg 1959). Hierzu gehört auch das Bildgedicht.
Bezeichnung, Systematik, Typologie
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Abb. 8: Vittore Baroni, organic tree, 1991
Kunst111 evident ist, gibt es Abhängigkeiten, die zu Ausdrucksformen innerhalb der Visuellen Poesie führen, die z. B. durch Einflüsse von Concept Art112 oder Pop Art113 bestimmt wurden114. 111
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Dencker, Konkrete Poesie. In: Literaturlexikon. Hg. Walther Killy. Gütersloh 1992, Bd. 13, S. 492 ff. und Literaturwissenschaftliches Lexikon. Hg. Horst Brunner/Rainer Moritz. Berlin 1997, S. 175 f. Siegfried J. Schmidt, Von der visuellen Poesie zur konzeptionellen Dichtung: 10. Thesen. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 66 ff., zuerst unter dem Titel: Von der konkreten Poesie zur konzeptionellen Dichtung. In: neue texte, Linz 1973, o. P. Dencker, Visuelle Poesie plus Pop Art. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 7, Nürnberg 1973, S. 8ff.; vgl. auch Claus Bremer, Wie konntest Du konkrete Poesie schreiben? In: Orte – Schweizer Literaturzeitschrift 7. Jg, 1981, S. 32: „(…) aus dem Abstand von heute tragen meine Schrift-Bilder des Kampfes gegen die süßen Harpunen des Konsums Züge der Pop-Art“; Paul de Vree, Visuelle poesie. In: klankteksten? konkrete poezie visuele teksten. Ausstellungskatalog Stedelijk Museum, Amsterdam 1970, o. P. (S. 12); Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 17. Beide Aspekte wurden zum ersten Mal 1972 von Schmidt und Dencker im Goethe-Institut Lille anlässlich eines Symposiums vorgetragen. Vgl. Konkrete Poesie.
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Bezeichnung, Systematik, Typologie
Dick Higgins hatte 1995 in einem neuen Entwurf, einerseits auf diese Nähe zu Stilrichtungen der bildenden Kunst und andererseits auf die Intermedialität115 aufmerksam gemacht116. Er definierte „Intermedia“: „This term was first used by Samuel Taylor Coleridge117 about 1812 and re-applied in 1965 by Dick Higgins118 to describe art works being produced which lie conceptually between two or more established media or traditional art disciplines. Intermedia differ from mixed media in that they represent a fusion conceptually of the elements (…) Note also, however, that with familiarity each intermedium becomes a new medium, and that new intermedia can therefore be said to exist between the old ones. Intermedia are therefore forms, with no quality judgement of any kind, good or bad, attached to them, and while they may be characteristic of one or another movement, they can never in themselves, constitute an art movement. It is therefore nonsense to speak of a ‚concrete poetry‘ movement, a ‚happenings‘ movement, etc. Rather the intermedia appear whenever a movement involves innovative formal thinking of any kind, and may or may not characterize it.“ Nach den vorstehenden Einordnungs- und Systematisierungsversuchen ergibt sich also für die Optische Poesie im Zusammenhang der inter-
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Akten des Kolloquiums in Lille vom 4.–6. Mai 1972 (masch. Vervielf.). Hg. Goethe-Institut, Lille 1972, S. 87 ff. und S. 107 ff. Vgl. dazu Weiss, a.a.O., S. 227 (PopArt) und S. 249 (Concept-Art), sowie Johanna Drucker, Figuring the Word. Essays on Books, Writing, and Visual Poetics. New York 1998, S. 127 (Pop-Art und Concept-Art), aber auch den Hinweis auf den Einfluss von Fluxus, S. 123 ff. Renate Matthaei, Kunst im Zeitalter der Multiplizierbarkeit. Situation und Theorie der Intermedia. In: Merkur H. 9, Nr. 293, Stuttgart 1972, S. 884 ff. Dick Higgins, Intermedia Chart, Molvena 19. 1. 1995. In: Giovanni Fontana, La voce in movimento. Vocalità, scritture e strutture intermediali nella sperimentazione poetico-sonora. Monza 2003, S. 348, Abb. 9. Angeregt von Higgins und Castellin (Philippe Castellin, Doc(k)s: Mode d’Emploi, histoire formes et sens des poésies expérimentales au XXo siècle. Romainville 2002, S. 75 ff.) hat Demosthenes Agrafiotis 2003 eine weitere Variante innerhalb einer, wie er 2005 an Dencker schrieb, der wenigen griechischen Artikel über Visuelle Poesie entworfen, in: Iconographs. The Greek Visual Poetry Group 1981–2003. Hg. Manos Stefanidis. Athen 2003, Abb. 10 u. 11 (Archiv Dencker). „art is an intermedia quality between the thought and the thing, union and reconciliation of all that is nature with what is exclusively human“ (in: Experimental – Visual – Concrete: Avant-Garde Poetry Since the 1960s. Ed. K. David Jackson/ Eric Vos/Johanna Drucker. Amsterdam 1996, S. 229). Dick Higgins, Intermedia. In: the something else Newsletter, Vol. 1, No. 1, New York 1966, S. 1 ff. Faksimile-Druck in: Poetry Intermedia Künstler Bücher, a.a.O., S. 29 ff.
Bezeichnung, Systematik, Typologie
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Abb. 9: Dick Higgins, Intermedia Chart, 1995
medialen Ausdrucksformen Akustische Poesie, Kinetische Poesie und Musikalische Grafik nun folgende Positionierung: Ausgehend von der klassischen Aufteilung in Literatur, Musik, bildende und darstellende Kunst entstehen durch Grenzüberschreitung und Verschränkung von Text und Bild Optische Poesie (OP) als Ausdrucksform zwischen Literatur und bildender Kunst, sowie von Text und Ton Akustische Poesie (AP) als Ausdrucksform zwischen Literatur und Musik. Zu diesen Formen, die zugleich auf die beiden, die Poesie ursprünglich ausmachenden, visuellen und akustischen Eigenschaften verweisen,
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Bezeichnung, Systematik, Typologie
Abb. 10: Demosthenes Agrafiotis, Intermedia, 2003
Bezeichnung, Systematik, Typologie
Abb. 11: Demosthenes Agrafiotis, Intermedia, 2003
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Bezeichnung, Systematik, Typologie
Abb. 12: Klaus Peter Dencker, Intermedia, 2004
treten zwei weitere, die einerseits mit ihren Ausdrucksformen eher zufällig entstanden und zunächst nicht bewusst von den Künstlern als solche gesehen wurden, andererseits aber in der weiteren Entwicklung auf mannigfache Weise zu eben solchen wurden. Die im Zusammenhang mit dem Ausprobieren der technischen und elektronischen Medien eingesetzten visuellen und akustischen Eigenschaften der Sprache führten zu Formen von Kinetischer Poesie (KiP). Und das an der Musik sich orientierende Beschreiten neuer Notationswege ließ sogenannte Musikalische Grafiken (MuG) entstehen, die einen eigenen ästhetischen Reiz bekamen.
Akustische Poesie
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II. Akustische Poesie Mit der Akustische Poesie (sound poetry)119 werden oft auch gleichgesetzt: Phonetische Poesie, Auditive Poesie, Verbophonie120, Optophonetisches Gedicht121, radiogene Poesie122, Lautpoesie, Klangpoesie, Laut119
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Den besten Überblick über die Gattung geben: Text-Sound Texts. Ed. Richard Kostelanetz. New York 1980; Christian Scholz, Untersuchungen zur Geschichte und Typologie der Lautpoesie. Obermichelbach 1989; Michael Lentz, Lautpoesie/-musik nach 1945. Wien 1999; Homo Sonorus. An international anthology of sound poetry. Ed. Dmitry Bulatov. Kaliningrad 2001; Giovanni Fontana, La voce in movimento. Vocalità, scritture e strutture intermediali nella sperimentazione poetico-sonora. Monza 2003; Henrike Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder. Intermediale Sprachkonzeptionen in der russischen Poesie des 20. Jahrhunderts. Diss. Bochum 2001 (http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/ HSS/Diss/SchmidtHenrike/diss.pdf); Thomas Keith, Poetische Experimente der deutschen und russischen Avantgarde (1912–1922) – ein Vergleich. Berlin 2005. Diskographie in: Ursula Block/Michael Glasmeier, Broken Music. Artists’ Recordworks. Berlin 1989, S. 233 ff. Arthur Pétronio, Verbophonie. In: Les Lettres, 8. Série, Numéro 31, Paris 4. trimestre 1963 (November), S. 31 ff. Ein Begriff, den Raoul Hausmann für seine Lautgedichte seit 1918 prägte: „Das optophonetische Gedicht und das phonetische Gedicht sind der erste Schritt zu einer vollkommenen nichtgegenständlichen, abstrakten Poesie.“ (Hausmann, Bilanz der Feierlichkeit. Texte bis 1933. Hg. Michael Erlhoff München 1982, Bd. 1, S. 57 u. 210). Vgl. Hausmann, Am Anfang war Dada. Hg. Günter Kämpf. Giessen 1980, S. 34 u. Raoul Hausmann Retrospektive. Katalog Kestner-Gesellschaft, Hannover 1981, S. 58. 1922 ließ er sein Optophone patentieren, ein Gerät, das Klangwellen in Licht und umgekehrt übertragen konnte, vgl. Raoul Hausmann, Elektronische Eidophonie. In: Hausmann, Eletronische Eidophonie und andere Aufsätze. Hg. Karl Riha. Siegen 1991 (Vergessene Autoren der Moderne Bd. 50), S. 16 u. in: Vom Klang der Bilder. Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hg. Karin v. Maur. München 1985, S. 416. Karel Teige spricht im Zusammenhang mit dem Tonfilm von „optophonetischer Kunst“ im „Manifest des Poetismus“ (1928) (in: Karel Teige, Liquidierung der „Kunst“. Analysen, Manifeste. Frankfurt 1968, S. 104); Walter Fähnders, Schrift-Bild und Opto-Phonetik bei Dada. In: Pictogrammatica. Die visuelle Organisation der Sinne in den Medienavantgarden (1900–1938). Hg. Inge Münz-Koenen/Justus Fetscher. Bielefeld 2006, S. 161 ff. Teige, Liquidierung der Kunst, a.a.O., S. 103.
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Akustische Poesie
text, Lautgedicht, Lautdichtung, akustische Literatur, Phontext123, Poesia Sonora, Polipoesia124, Oral Poetry125, Musikalischer Lettrismus126, Alphabet Music127, Lingual Music128, Worded Music129, LautMusik130 und Wort- und Sprachmusik bezeichnet, wobei letztere besonders die Nähe zur Musik hervorheben131. Scholz erwähnt, dass viele Poeten der Akustischen Poesie sehr bewusst mit dem Instrument Stimme und den Eigenschaften der Lautstärke, Tonhöhe, Tonfärbung, Artikulationstempi usw. „komponieren“ würden.132 Da aber auch die meisten Bezeichnungen von Autoren der Akustischen Poesie stammen, ist wieder Vorsicht geboten. Denn es muß differenziert werden zwischen allgemeinen Bezeichnungen wie Akustische Poesie oder Phonetische Poesie und speziellen von einzelnen Autoren benannten Ausdrucksformen wie das Optophonetische Gedicht oder der Phontext. Hinter diesen verschiedenen Begriffen verbergen sich eine ganze Reihe von besonderen Ausdrucksformen mit fast ebenso vielen voneinander abweichenden pro123
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So nennt der bildende Künstler und Schriftsteller Herbert Behrens-Hangeler (1898–1981) seine Lautgedichte, die es noch zu entdecken gilt (der Nachlass befindet sich in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden). Enzo Minarelli, Polipoesia. In: Experimental – Visual – Concrete, a.a.O., S. 225 ff. Sein „Manifesto della polipoesia“ erschien zuerst in dem Katalog „Tramesa d’Art“ (Valencia 1987), im Internet unter: http://www.391.org/manifestos/ enzominarelli_manifestoofpolypoetry.htm und eine Weiterführung 1999 unter: http://www.391.org/manifestos/enzominarelli_12years.htm. Siehe das Programm von S/Press Tonbandverlag. Wuppertal 1981. In: Gustav René Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und Esoterische Kombinationskunst. Hamburg 1959, S. 196. Jeremy Adler, Alphabet Music. London, Alphabox Press 1992, in 25 Ex. erschienen. Lily Greenham, Lingual Music. In: Kontextsound, a.a.O., S. 22. Philip Corner in: Text–Sound Texts, a.a.O., S. 67 ff. Josef Anton Riedl bezeichnet so seine „nichtsemantischen“ Lautgedichte, vgl. dazu: Michael Lentz, Lautgedicht-Lautmusik. Josef Anton Riedl im Gespräch. In: MusikTexte 61, Köln 1995, S. 16 ff. Wie dies bereits in einem der frühesten Zeugnisse für die Definition von Akustischer und Visueller Poesie in den Fragmenten des Novalis nachzulesen ist: „Die Poesie im strengen Sinn scheint fast die Mittelkunst zwischen den bildenden und tönenden Künsten zu sein. !Musik(alische) Poesie. Deskriptivpoesie."“ (Novalis, Gesammelte Werke. Hg. Hildburg u. Werner Kohlschmidt. Gütersloh 1967, S. 461). Alfred Liede, Dichtung als Spiel. Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache. Bd. 2. Berlin 1963, S. 64: „Schon 1871 hat Gustav Gerber (Die Sprache als Kunst. 2 Bde. Bromberg 1871/1873) versucht, diese Spiele als !Sprachkunstwerke" von der Dichtung zu trennen und sie als selbständige, zwischen Ton- und Dichtkunst vermittelnde Kunstgattung herauszuheben“. Homo Sonorus, a.a.O., S. 38.
Akustische Poesie
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grammatischen Äußerungen, so dass keinesfalls und generell von synonymen Begriffen auszugehen ist. Ohne auf die einzelnen Stilistika einzugehen, gliedert sich die Akustische Poesie133 in drei Darstellungsgruppen: 1. die gedruckte Poesie, die sich in der visuellen Rezeption als Akustische Poesie entdecken lässt, 2. die auf Tonträger eingespielte, oder mit dem Tonträger direkt erzeugte Poesie, die sich nur akustisch erschließt, 3. die Poesie-Performance (live oder aufgezeichnet), die visuell und akustisch (über Körpersprache und Stimme) wahrnehmbar ist.
Die Geschichte der Akustischen Poesie beginnt in vielen Darstellungen für gewöhnlich mit den ersten Beispielen von Paul Scheerbarts „Kikakokú!“ (1897)134 und Christian Morgensterns „Das große Lalula“ (1905), mit den Arbeiten der italienischen135 und russischen Futuristen136, gefolgt von Velimir Chlebnikov137 und den russischen Formalisten138, den Dadaisten wie Hugo Ball, Raoul Hausmann139, Kurt Schwitters140, Pierre 133
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Eine TV-Dokumentation (Redaktion: Dencker) zur Akustischen Poesie wurde mit dem Titel „Maulkonzert“ am 13. 4. 1977 im 3. Fernsehprogramm des SR ausgestrahlt. Paul Scheerbart, Ich liebe Dich! Berlin 1897, S. 249; Christian Morgenstern, Alle Galgenlieder. Leipzig 1944, S. 23 (zuerst erschienen 1905). F. T. Marinetti, Supplement zum technischen Manifest der futuristischen Literatur (11. 8. 1912) und F. T. Marinetti, Zerstörung der Syntax. Drahtlose Phantasie. Befreite Worte. Die futuristische Sensibilität (11. 5. 1913) in: Umbro Apollonio, Der Futurismus. Manifeste und Dokumente einer künstlerischen Revolution 1909–1918. Köln 1972, S. 85 u. 127. Abb. 13 in: Literally Speaking. Motala 1993, S. 10. El Lissitzki bezeichnet 1923 Aleksej Jeliseevicˇ Krucˇonych (mit der futuristischen Oper „Sieg über die Sonne“, 1913 uraufgeführt) als den „Erfinder des Lautgedichts“ (El Lissitzky. Maler, Architekt, Typograf, Fotograf. Erinnerungen, Briefe, Schriften. Übergeben von Sophie Lissitzky-Küppers. Dresden 1976, S. 353), Abb. 14 in: Literally Speaking, a.a.O., S. 13. Velimir Chlebnikov, Werke. Bd. 1 und 2. Reinbek 1972. Zur Geschichte des russischen Kubofuturismus und Dadaismus sehr ausführlich: Keith, a.a.O., S. 77 ff. Boris Éjchenbaum, Die Illusion des Skaz. In: Texte der russischen Formalisten. Bd. 1. Hg. Jurij Striedter. München 1969, S. 160 ff. Raoul Hausmann, Zur Gesetzmäßigkeit des Lautes. Flugblatt, Berlin 1918, dann unter dem Titel „Schultze philosophiert“ in: Der Blutige Ernst 1, H. 6, Berlin 1919, S. 6. Vgl. auch Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 67. Hausmann berichtet wie Schwitters 1921 auf einer gemeinsamen Fahrt in Lobositz Hausmanns Plakatgedicht von 1918 „fmsbw“ artikulierte: Der Beginn der Schwitterschen „Ursonate“, die in Teilen 1923 und 1927 entstand, zuerst ganz gedruckt 1932. Zur Akustischen Poesie und der „Ursonate“ von Schwitters vgl. Bernd Scheffer, Anfänge experimenteller Literatur. Das literarische Werk von Kurt Schwitters. Bonn 1978, bes. S. 240 ff.
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Akustische Poesie
Abb. 13: Giacomo Balla, Paessaggio + Temporale, 1914
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Abb. 14: Vasilij Kamenski, K, 1918
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Akustische Poesie
Albert-Birot141 und dem späteren Lettrismus in Frankreich, der Wiener Gruppe und der Fylkingen-Gruppe142 in Stockholm, Carlfriedrich Claus (ehem. DDR) und Franz Mon143, bis zu Paul de Vree144 in Belgien, Bob Cobbing und Paula Claire in England, Ladislav Novak in der (ehem.) Tschechoslowakei und Franz Mon in Deutschland – um nur eine grobe historische Linie für den europäischen Sprachraum145 zu zeichnen.146 Kikakokú! Ekoraláps! Wîso kollipánda opolôsa. Ipasátta îh fûo. Kikakokú proklínthe petêh. Nikifilí mopaléxio intipáschi benakáffro – própsa pî! propsa pî! Jasóllu nosaressa flípsei. Aukarótto passakrússar Kikakokú. Núpsa púsch? Kikakokú bulurú? Futupúkke – própsa pî ! Jasóllu … Paul Scheerbart, Kikakokú!, 1897
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Pierre Albert-Birot (1885–1967), Poème à crier et à danser (Essai de poésie pure), 1916 in: Imagining Language. An Anthology. Hg. Jed Rasula/Steve McCaffery. Cambridge/MA 1998, S. 112 f. Kontextsound, a.a.O., S. 5 ff. Sten Hanson, Text-Sound Composition in Sweden during the Sixties. In: DOC(K)S (SON), Serie 3, No. 17/18/19/20. Ajaccio 1998, S. 156 ff. Michael Lentz, Claus’ akustisches Œvre im Kontext der Lautpoesie/-musik nach 1945. In: Augen Blicke Wort Erinnern. Begegnungen mit Carlfriedrich Claus. Berlin 1999, S. 240, siehe auch Abb. 258. Franz Mon, Literatur im Schallraum. In: Franz Mon, Essays. Berlin 1994, S. 236 ff. Paul de Vree zur Programmatik der Akustischen Poesie in: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 82 f. u. „De fonetische poezie“ In: Paul de Vree, Katalog des Provinciaal Museum Hasselt. Limburg 1981, o. P., im Internet: http://www.391.org/manifestos/1967pauldevree_manifesto.htm. Auf den die Akustische Poesie natürlich nicht beschränkt ist. Ein eindrucksvolles Beispiel aus Japan ist abgedr. in: Hannes Leopoldseder, Meisterwerke der Computerkunst. Prix Edition ’87. Worpswede 1987, S. 148 f. (Iro Wa Nihoedo, vocal piece for 20 Japanese Shingon Buddhist Monks [1986]). Im Internet gibt es eine umfangreiche akustische Anthologie der wichtigsten Sound-Poeten, die mit Apollinaires beginnt und bis in die Gegenwart reicht: http://www.ubu.com/sound/.
Akustische Poesie
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Dennoch darf der Einfluss früherer Formen147 nicht unerwähnt bleiben. Sie konnten sich einerseits aus der umgangssprachlichen148, oft von besonderen Dialekten und überlieferten Gesangstechniken geprägten Tradition149 entfalten. Andererseits tauchten sie im Bild auf, z. B. in der griechischen Vasenmalerei150 und in der Beatus-Apokalypse (11. Jh.)151, oder sie entwickelten sich aus den in der Literatur kunstvoll eingesetzten rhetorischen Klangfiguren, vom Gleichklang der Vokale und Konsonanten, der Anfangs- und Endsilben, bis zu den mittelalterlichen Parodien der sogenannten „Engelsmusik“152 und zur Onomatopoie153, der Laut147
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Siehe vor allem Fontana, a.a.O., S. 54 ff. und die Chronologie (1855–1978) in: concerning concrete poetry, a.a.O., S. 72 ff. (zuerst gedruckt in: Kontextsound, a.a.O., S. 3 f.) und bei Fontana, a.a.O., S. 349 ff. (1950–2000). Daneben sind auch frühe Formen künstlicher Sprachen interessant, vgl. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, a.a.O., S. 232 f. Higgins nennt Stammesüberlieferungen wie „The tenth horse-song of Frank Mitchell (Blue)“ der Navaho (abgedr. in: Text-Sound Texts, a.a.O., S. 428 f.) und die von Sven Hedin bei den Mongolen entdeckten Beispiele (Henning HaslundChristiansen, The Music of the Mongols: Eastern Mongolia. New York 1971 [1943]). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Ladislav Novak 1965 in Prag ein Buch veröffentlichte „Pisne Vrbovyho proutku“ (Gesänge der Weidenrute), das paraphrasierte Eskimolyrik enthielt, nachdem er schon seit 1956 Dichtungen primitiver Völker übersetzte. Leonard Forster, Poetry of significant Nonsense. In: Revue d l’Association pour l’Étude du Mouvement Dada. Numéro 1, Paris, Octobre 1965, S. 22 ff. (über Anfänge der Akustischen Poesie vor dem 20. Jahrhundert, zurückgehend bis zur Bibel). Eine Fundgrube sind auch die Publikationen von Jerome Rothenberg, z. B.: Technicians of the Sacred. A Range of Poetries from Africa, America, Asia & Oceania. New York 1969; Symposium of the whole. A Range of Discourse Toward an Ethnopoetics. Berkeley 1983; Shaking the Pumkin. Traditional Poetry of the Indian North Americas. New Mexico (1986) 1992, sowie Hinweise im Internet: http://www.ubu.com, die auf die Formen des „ca dao“ in Vietnam, das bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende gälische „canntaireachd“, das keltische „puirta-beul“, das indonesische, vom „sanghjang“ abhängige „ketjak“ oder auf die kehligen Gesänge der kanadischen Inuit (Eskimos) zurückgehen – alles Beispiele für Kehlkopf-, Oberton- und Zwei- oder Dreiton-Artikulationspraktiken. Vgl. Anm. 2174 ff. In einer Miniatur kommen aus dem Schnabel eines Vogels Lautmalereien, vgl. Anm. 2183. Reinhold Hammerstein, Die Musik der Engel. München 1962. 1957 nannte Ladislav Novak seine Lautgedichte „Poésies Onomatopées“, und auf einen interessanten Fall weist Peter Weibel in: Subgeschichte der Literatur. In: der Löwe Nr. 2. Hg. Georg Johann Lischka. Bern 31. 8. 1974, S. 62 f., der die Lautmalerei des Rumänen Ghérasim Luca (1913–1994) in seinem Gedicht „L’echo du corps“ (in: Héros-Limite. Paris 1953) mit der Lautmalerei von Johann Klaj (1616–1656) vergleicht.
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Akustische Poesie
malerei, die schon bei Ovid154 zu finden ist, und im Barock – z. B. in den „Letterhäufelungen“ der Pegnitzschäfer155 – ihre Blütezeit erfuhr. In den Aphorismen über Sprache und Literatur steht schon bei Georg Christoph Lichtenberg: „Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saußt, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klinget, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreyen, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöcken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht blose Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr“156, – welche eine Nähe zu gegenwärtigen Formen des Scat-Gesangs157 oder der
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In den „Metamorphoseon Libri“ des Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. – 18 n. Chr.). Fontana, aaO, S. 55 geht sogar bis zu Aristophanes (Batrachoi/Die Frösche, 405 v. Chr.) zurück (vgl. die Erwähnung von Aristophanes, Omithes/Die Vögel, 414 v. Chr., 1. Szene: Gesang des Wiedehopfes in: Imagining Language, a.a.O., S. 101) und nennt vor dem Barock noch Nicolò de Rossi (1290–1348), François Rabelais (1492–1553) oder George Herbert. Sehr interessante Klangexperimente und Wortspiele gibt es auch von dem englischen Schriftsteller John Dee (1527–1608). Vgl. weitere Hinweise in: Albert Becker, Gestalt und Gehalt in Wort und Ton. Von der Wortkunst und Musik zur Volkskunde. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift (GRM) 34, Heidelberg 1953, S. 18. Georg Philipp Harsdörffer/Sigmund von Birken/Johann Klaj, Pegnesisches Schäfergedicht 1644–1645. Tübingen 1966, S. 77 f. Lit.: Wolfgang Kayser, Die Klangmalerei bei Harsdörffer. Ein Beitrag zur Geschichte der Literatur, Poetik und Sprachgeschichte der Barockzeit. Göttingen 1932/1962 = Palaestra 179. Vgl. auch Hocke, Manierismus in der Literatur, a.a.O., S. 182 ff. (Klang-Poesie). Geschrieben um 1770: Georg Christoph Lichtenberg, Die Aphorismen-Bücher. Nach den Handschriften Hg. von Albert Leitzmann. Frankfurt 2005, S. 38 (Nr. 125). Die Formulierung „Bilderschrift für das Ohr“ verweist auf Arno Holz, der vom „Ohrbild eines Gedichtes“ spricht und dessen theoretische Bemerkungen im Hinblick auf die Entwicklung der Akustischen Poesie sehr interessant sind, wie auch sein Hinweis auf Friedrich Nietzsches Bemerkung im 8. Hauptstück von „Jenseits von Gut und Böse“ (Arno Holz Werke. Hg. Wilhelm Emrich/Anita Holz. Bd. V, Das Buch der Zeit/Dafnis/Kunsttheoretische Schriften. Neuwied 1962, S. 102). Vgl. auch die Bemerkung von Lichtenberg aus dem Jahr 1778 (Nr. 1063), a.a.O., S. 569 sowie Johann Nikolaus Schneider, Ins Ohr geschrieben. Lyrik als akustische Kunst zwischen 1750 und 1800. Göttingen 2004. Sehr schön das Beispiel von Ella Fitzgeralds Aufnahme von „Lady be good“ (1957). Vgl. auch: Brent Hayes Edwards, Louis Armstrong and the Syntax of Scat. In: Critical Inquiry, Vol. 28, No. 3, 2002, sowie Louis Armstrongs Scat in „Heebies-Jeebies“ (1926) in: Stimmen und Klänge der Lautpoesie. Hg. Christian Scholz/Urs Engeler. Basel 2002, S. 282 f.
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Rap-158 und Slam-Poetry159 zeigen. Das dabei wieder in den Blick gerückte Performance-Element160 ist ein wesentliches Charakteristikum dieser Traditionslinie161. Roland Barthes umschrieb einmal das mit der Akustischen Poesie einhergehende „laute Schreiben“: „Bezüglich der Töne der Sprache ist das laute Schreiben nicht phonologisch, sondern phonetisch; sein Ziel ist nicht die Klarheit der messages, das Schauspiel der Emotionen; es sucht vielmehr (im Streben nach Wollust) die Triebregungen, die mit Haut bedeckte Sprache, einen Text, bei dem man die Rauheit der Kehle, die Patina der Konsonanten, die Wonne der Vokale, eine ganze Stereophonie der Sinnlichkeit hören kann: die Verknüpfung von Körper und Sprache, nicht von Sinn und Sprache.“162 Betrachtet man nicht nur die von der literarischen Seite geprägten Einflüsse, sondern auch die von der Musik163 oder die von den Geräuschen der Umwelt164 herkommenden Formen der Akustischen Poesie, 158
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Greg Dimitriadis, Performing Identity/Performing Culture. Hip Hop as Text, Pedagogy, and Lived Practice. Frankfurt 2004. 5. German International Poetry Slam Clubliteratur-Festival 2001. Hg. Writer’s Room, Hamburg 2001 (Theoretische Texte, Textbeispiele, Liste der 150 Teilnehmer aus den deutschsprachigen Ländern); Poetry Slam 2004/2005. Hg. Hartmut Pospiech/Tina Übel. Rotbuch 2005. Zur Erklärung u. Geschichte der Slam-Poetry: Kurt Heintz in: http://www.e-poets.net/library/slam/; u. http://www.slam2006.de/. Jerome Rothenberg, Some Notes toward a Poetics of Performance. In: Homo Sonorus, aaO, S. 206 ff. Zu der die Bemerkungen von Novalis in den Fragmenten zur „poetischen Musik“ und „musikalischen Poesie“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 453 u. 461) und: „Unsre Sprache – sie war zu Anfang viel musicalischer und hat sich nur nach gerade so prosaisirt – so enttönt. Es ist jetzt mehr Schallen geworden – Laut, wenn man dieses schöne Wort so erniedrigen will. Sie muß wieder Gesang werden.“ (Novalis, Schriften. Hg. Richard Samuel. Bd. III. Darmstadt 1965, S. 283f.) ebenso gehörten wie Rudolf Blümners, Die absolute Dichtung. In: Der Sturm 12, 1921, S. 122. R. B., Die Lust am Text (Le Plaisir du Texte, 1973). Frankfurt 1974, S. 97 f. Georg Heike, Musik und Sprache. In: Movens. Dokumente und Analysen zur Dichtung, bildenden Kunst, Musik, Architektur, in Zusammenarbeit mit Walter Höllerer und Manfred de la Motte herausgegeben von Franz Mon. Wiesbaden 1960, S. 170ff.; Werner Küppelholz, Sprache als Musik. Studien zur Vokalkomposition seit 1956. Saarbrücken 1995; Gert Sautermeister, !Musik" im literarischen Werk. Dionysische Erbschaft und architektonisches Gefüge. In: Laokoon und kein Ende. Der Wettstreit der Künste. Hg. Thomas Koebner. München 1989, S. 10ff. Georg Philipp Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae. Der Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden. Zweyter Theil. Nürnberg 1677, S. 129 ff., bes. S. 147 f. und S. 151 f. Hier erwähnt Harsdörffer die Verbindung von Naturgeräuschen mit der Musik und der Poesie.
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müssten sich die Blicke auf die Ars Acustica richten, beginnend mit Luigi Russolo165 oder den programmatischen Ansätzen einer „Radiopoesie“ von Karel Teige166, bis zur „musique concrète“ von Pierre Schaeffers „Etudes de bruits“ (1948), dem „Gesang der Jünglinge“ (1955/56) von Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagels „Anagrama“ (1957/58), Luciano Berio’s „Thema (Ommagio a Joyce)“ (1958), Herbert Eimert’s „Epitaph für Aikichi Kuboyama“ (1960–62), den „Maulwerken“ – (1968–74) und „Glossolalie“-Projekten167 (1959–60/1961/1994)168 von Dieter Schnebel, und weiter bis zu den elektronischen Experimenten von Klaus Schöning169 im Studio für Akustische Kunst beim
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Der in einem Briefmanifest vom 11. 3. 1913 an Francesco Balilla Pratella für eine Geräuschekunst mit neuen Instrumenten und anderen Notationen eintrat und damit das Manifest vom 29. 3. 1911 „Die Futuristische Musik – Technisches Manifest“ von Pratella mit der Forderung nach einer Enharmonik fortführte; vgl. die Texte in: Apollonio, Der Futurismus, a.a.O., S. 44 (Pratella), S. 86ff (Russolo) und die Partituren von Pratella und Russolo in: Tavole parolibere futuriste (1912–1944) (Teil 1). Hg. Luciano Caruso/Stelio M. Martini. Napoli 1974, S. 228 ff. und in: Futurismo & Futurismi. Hg. Pontus Hulten. Milan 1986, S. 210, 345 f., 547, 560. Im Museum Bochum gab es 1985 eine vielbeachtete Ausstellung „Luigi Russolo, Die Geräuschkunst 1913–1931“ mit einem Katalog und einem ausführlichen „Informationsblatt des Museums Bochum“ (Nr. 39, 12/1985). Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 103 f. Glossolalie (Zungenreden) bedeutet in religiösen Gemeinschaften das Beten/Predigen in einer dem Sprecher unbekannten Sprache und wird an vielen Stellen der Bibel erwähnt (z. B. Markus 16, Apostelgeschichte 2/10/11/19, 1. Korinther 12/14). Entfernt zu vergleichen mit dem Scat-Gesang. Dazu: Liesl Ujvary „Glossolalie“(Radio-Essay) am 26. 5. 1988 im ORF-Kunstradio. Andrej Belyj konstruierte 1917 ein ideografisches Sprachsystem, das 1922 in russischer Sprache veröffentlicht wurde „Glossolalie. Poem über den Laut“. (Hinweis in: piktogramme, a.a.O., S. 40 u. dort Anm. 20 weitere Hinweise auf Chlebnikov). Vgl. auch Imagining Language, a.a.O., S. 128. Eine szenische Neufassung „glossolalie“ (1959–60) wurde 2000/2001 in der Akademie der Künste Berlin aufgeführt von den „Maulwerkern“. Dencker, Sound Poetry goes Radio. In: Radio-Kultur und Hör-Kunst. Zwischen Avantgarde und Popularkultur 1923–2001. Hg. Andreas Stuhlmann. Würzburg 2001, S. 239ff. (engl. in: Homo Sonorus, a.a.O., S. 162 ff.) und Klaus Schöning, Hörspiel hören. Akustische Literatur: Gegenstand der Literaturwissenschaft? In: Spuren des Neuen Hörspiels. Hg. Klaus Schöning. Frankfurt 1982, S. 287. Einen Überblick über Experimente in der Akustischen Poesie und im Neuem Hörspiel für den europäischen Bereich gibt Hermann Naber, radiospektakl-teatrradiodrama-verbosonie. In: Akzente 1, 16. Jg., München 1969, S. 2ff. Neuere Hinweise zur „Radiokunst“ mit mehreren Beiträgen in: Kunstforum 103, Köln 1989, S. 276 ff.
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WDR170. Diese Beziehungsgeflechte brachte René Block in eine schematische Übersicht171. Die Suche nach neuen akustischen Kompositionen war seit Russolo zudem begleitet von der Erfindung neuer Instrumente172 und Kunstformen wie Klangbrücken173 oder Klangskulpturen und Klanginstallationen, sowie der Suche nach kombinierbaren Klangfarben bekannter Alltagsgeräte wie Schreibmaschinen, Registrierkassen usw.174 Sie forderten zu neuen Notationen heraus, wie sie z. B. Rolf-Gunter Dienst mit „Großes Windspiel 1“ entwarf: „!Großes Windspiel 1" deutet auf ein lyrisches Konzept hin. Tatsächlich handelt es sich bei meinen Arbeiten !Verschiebungen", !Zerstreuung" oder den !Windspielen" um lyrische Texte, die allerdings eine weitgehende Verfremdung erfahren haben. Wir kennen das Schwittersche Lautgedicht. In gewissem Sinne handelt es sich hier auch um ein Lautgedicht, nicht etwa um einen !Sehtext" oder !Plakattext" (Kriwet Mon), sondern um eine typografische Akzentuierung des Vokals, der für das einzelne Wort die Sprechmelodie zu bilden hat. Die Verdoppelung und Vervielfältigung der Vokale bereitet den !Betrachter" oder Leser auf das Wort vor, das zu einem neuen Sinnzusammenhang geführt werden soll. Der Text wurde zusammengeklebt, man hätte ihn auch drucken oder kalligrafieren können, jedoch erscheint es mir richtiger, mir mein eigenes typographisches Bild zu suchen, um eine richtige Akzentuierung zu erhalten. Selbst die Verschiebung eines Buch170
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Gerhard Rühm, radiophone poesie – neues hörspiel. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1980, S. 83: dort eine Auflistung der Produktionen von 1970–1979. Abgedr. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 439 (zuerst in: Ecouter par les Yeux. Objets et Environnements Sonores. Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Paris 1980, S. 8, Abb. 15). Die erweiterte Fassung erschien in: Für Augen und Ohren. Von der Spieluhr zum akustischen Environment. Objekte. Installationen. Performances. Hg. René Block/Lorenz Dombois/Nele Hertling/Barbara Volkmann. Akademie der Künste, Berlin 1980 S. 4, Abb. 16. Z. B. durch die Gebrüder Bernard (1917) und François (1920) Baschet in den 1950er Jahren. Bill Fontana, Acustica International. Klangskulpturen-Satelliten-Ohrbrücke. WDR/Museum Ludwig Köln. Katalog, Köln 1987. Typisches Beispiel: Rolf Liebermann, Symphonie „Les Echanges“. Komposition für 156 Büromaschinen (ein Stück für 16 Schreibmaschinen, 18 Rechenmaschinen, 8 Buchungsautomaten, 12 Streifenlocher, 10 Registrierkassen, 8 Klebestreifen-Befeuchter, 8 Fernschreiber, 2 Klassentaktgeber, 4 Signal-Glocken, 2 TürGongs, 10 Hupen, 16 Telephon-Apparate, 40 Empfänger einer Suchanlage, 1 Vervielfältiger und 1 Hubstapler. Uraufgeführt 1964 auf der EXPO in Lausanne. Das Maschinenorchester wurde von einem elektronischen Steuergerät „dirigiert“. Abb. in: http://www.rechnerlexikon.de/artikel/Symphonie_Les_Echanges.
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Abb. 15: René Block, Relations entre arts plastiques et musique, 1980
stabens um eine halbe Satzhöhe ist von Wichtigkeit. Denn dieser Text soll gesprochen werden. Durch die Höhe des Buchstabens soll die Höhe eines Tones gegeben werden. Es handelt sich hier quasi um die typografische Durchführung eines Gesanges, das Spiel des Windes, der über eine erbrochene Felsenlandschaft streicht und dadurch Töne erzeugt. Windspiele sind die Durchführung melodiöser Sprachverschiebungen durch Typografie und Wort.“175 175
Rolf-Gunter Dienst, Großes Windspiel 1. In: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung 11. Jg, No. 10, Frankfurt 1961, S. 11 (mit Abb.).
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Abb. 16: René Block, Erweiterte Fassung, 1980
Einerseits gingen nun die neuen Notationen weit über das hinaus, was schon mit dem variantenreichen Einsatz der Typografie erreicht wurde und andererseits bedeuteten sie die Abkehr von der traditionellen Notenschrift und Partitur, womit der Weg für die Musikalische Grafik vorbereitet war.
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III. Musikalische Grafik Der Begriff Musikalische Grafik tauchte schon 1925 in einer Arbeit von Oskar Rainer176 auf. Rainer wies auf die wechselseitige Beziehung der Künste in den verwandten Bezeichnungen Musiktöne – Farbtöne, Musikharmonien – Farbharmonien hin und stellte dar, wie sich bestimmte Musikwerke grafisch oder malerisch umsetzen lassen177. Das Erzeugen von Farbempfindungen aufgrund bestimmter Töne oder Tonsequenzen sei schon am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts von Isaac Newton in Erwägung gezogen worden178. Dann habe der Jesuitenpater 176
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Oskar Rainer, Musikalische Grafik. Studien und Versuche über die Wechselbeziehungen zwischen Ton- und Farbharmonien. Wien 1925; dazu: Kamilla Adam, Farbklänge zu Klangfarben in Bewegungsspuren. Neuorientierung in der Musikalischen Graphik Oskar Rainers. Wien 2000. Charles Baudelaire schrieb 1861 in einer Studie über Wagners Tannhäuser: „Es wäre wirklich erstaunlich, dass Töne nicht Farben suggerieren könnten, dass Farben keine Vorstellung von Melodie gäben und dass Töne und Farben keine Gedanken vermitteln könnten. Denn die Dinge haben sich stets durch gegenseitige Analogie ausgedrückt, seit Gott die Welt als komplexes, unteilbares Ganzes hervorgebracht hat.“ (In: Baudelaire, Richard Wagner et Tannhäuser. In: Curiosité esthétiques – L’art romantique. Paris 1962, S. 696). Vgl. auch Ottokar Fischer, Über Verbindung von Farbe und Klang: Eine literar-psychologische Untersuchung. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 2, 1907, S. 501ff. Giuseppe Arcimboldo/Arcimboldi (1527–1593) soll schon 1580 eine farbige Notenschrift entwickelt haben, so Lionello Levi „Arcimboldi als Musiker“ in: Benno Geiger, Die skurrilen Gemälde des Giuseppe Arcimboldo. Wiesbaden 1960, S. 107 und der Bericht von Arcimboldos Freund Gregorio Comanini: „Was die Harmonie betrifft, so wisst ihr ja, daß sie nicht Sache des poetischen Vermögens ist, sondern der Musik, welche ihrerseits nichts mit der Malerei zu tun hat. Aber nichtsdestoweniger gesellt sich die Malerei zur Musik, wie es von ungefähr die Poesie tut. Das soll euch der von mir erwähnte Arcimboldo beweisen, welcher die Töne und die Halbtöne, das Diatessaron (Quart) und das Diapente (Quint) und das Diapason (Oktav) und alle anderen musikalischen Konsonanzen in den Farben gefunden hat, just mit jener Kunst, mit der Pythagoras dieselben harmonischen Proportionen fand. (…) In dieser Ordnung unterwiesen, fand Mauro Cremonese, der Musiker Rudolf II, auf dem Gravicembalo alle diese Konsonanzen, die Arcimboldi mit den Farben auf ein Papier gezeichnet hatte.“ (G. C., Il figino overe del fine della pittura, 1591).
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Louis Bertrand Castel (1688–1757) die Idee entwickelt, mit der Konstruktion eines Farbenklaviers179 eine Art Farbenmusik180 zu produzieren, die er „optische Musik“ nannte181. Rainer greift damit das Thema der Synäs-
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Nach der Ankündigung („Clavecin pour les yeux“) seiner Erfindung in „Mercure de France“ (Nov. 1725, S. 2557 f.) entstand 1729 das erste „clavecin oculaire“ (optische Cembalo), 1754 das zweite Modell: „Beschreibung der Augen-Orgel oder des Augen-Clavicimbels, so der berühmte Mathematicus und Jesuit zu Paris, Herr Pater Castel, erfunden und ins Werk gerichtet hat; aus einem französischen Briefe übersetzet von Telemann. Hamburg 1739“. Vgl. auch: Castel „L’Optique des Couleurs“ (Paris 1740/dt.: Die auf lauter Erfahrung gegründete FarbenOptik. Halle 1947). Zur Beschreibung des Farbklaviers von Raoul Hausmann vgl. Anm. 121. Die Geschichte der Farblichtmusik (bis weit vor Aristoteles zurückgehend) wird ausführlich dargestellt von William Moritz, Der Traum von der Farbmusik. In: Clip, Klapp, Bum. Von der virtuellen Musik zum Musikvideo. Hg. Veruschka Bódy/ Peter Weibel. Köln 1987, S. 17 ff., und in: http://www.hg11.com/musikgeschichte/ farbmusik.html. Vgl. auch: Sara Selwood, Farblichtmusik und abstrakter Film. In: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 414 ff.; Adrian B. Klein, Colour Music. The Art of Light, London 1926; Albert Wellek, Farbenharmonie und Farbenklavier: Ihre Entstehungsgeschichte im 18. Jahrhundert. In: Archiv für die gesamte Psychologie 94, 1935, S. 347 ff. und Helga de la Motte-Haber, Musik und bildende Kunst. Von der Tonmalerei zur Klangskulptur. Laaber 1990, S. 65 ff., sowie: Susanne Scheel, Vjing – Musikvisualisierung im 20. Jahrhundert. Bochum 2005 http://www.aec.at/de/archiv_files/20061/FE_2006_Susanne_Scheel_ de.pdf. Rainer, a.a.O., S. 25. Novalis verwendet in seinen Fragmenten den Begriff der „sichtbaren Musik“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 458). Vgl. auch das Konzept von Manfred Kage, Zur Realisation des optischen Konzerts. In: ZERO (Hg. Otto Piene/Heinz Mack). Köln 1973, S. 225. Neben der Bezeichnung „optische Musik“ gab es auch die des „photogenischen Gedichts“: „Die moderne Technik gewährte die Möglichkeit, reflektorisch konkrete Farblichter zu projizieren, reflektorische Farbspiele, bewegliche Gebilde, zusammenhängende Lichtund Farbsymphonien, die dem Farbschaffen neue Möglichkeiten öffnen: bewegliche Projektionsbilder, befreit von der Starre mittelalterlicher Handwerkstechniken, geboren aus dem Licht – das photogenische Gedicht“ (In: Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 92). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf Alexander Lászlós „Sonochromatoskop“ (vgl. Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 211), Alexander Skrjabins „Farbklavier“ (Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 340 ff.) und die am Bauhaus entwickelten „Reflektorischen Farblichtspiele“ (1921/23) von Kurt Schwerdtfeger und Ludwig Hirschfeld-Mack, auf den „Licht-Raum-Modulator“ (1922–30) von László Moholy-Nagy, sowie auf das „Le Piano optophonique“ (1923) von Vladimir Baranoff-Rossiné, vgl. Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 214. Ausführlich und mit historischen Hintergrund zu den Experimenten von MoholyNagy: Hannah Weitemeier, Licht-Visionen. Ein Experiment von Moholy-Nagy. Bauhaus-Archiv, Berlin 1972.
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thesie182 auf, das z. B. die Freunde Johannes Itten183 und Josef Matthias Hauer in Form einer Kugel (Itten) bzw. Kreises184 der „Klangfarben“ darzustellen versuchten. Parallel dazu gab es im 18. Jahrhundert auch Untersuchungen, nicht nur Farben dazustellen, sondern auch Linien, eine bestimmte Form von „Schrift“, durch den Physiker Johann Wilhelm Ritter (1776–1810), der die Physik als Kunst betrachtete185 und in einem Versuch nachwies, dass sich durch das Erzeugen verschieden hoher Töne auf einer mit Sand bestreuten Glasplatte figurative Strukturen veränderten und Klänge sichtbar gemacht werden konnten186. Diese Beobachtungen gingen zurück auf die Entdeckung der sogenannten Lichtenberg-Figuren durch Georg Christoph Lichtenberg 1977187 und den ihr folgenden Untersuchungen von Ernst Florens Friedrich Chladni (1756–1827)188.
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Paul Hadermann, Synästhesie: Stand der Forschung und Begriffsbestimmung. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 54 ff.; Synästhesie. Interferenz-TransferSynthese der Sinne. Hg. Hans Adler. Würzburg 2002; Karl Clausberg, Stimmbänder der Bildphantasie. Synästhetische Rückwege der Schrift zur Sprache. In: Phonorama. Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium. Hg. Brigitte Felder. Karlsruhe 2004, S. 71 ff. Hans Heinz Stuckenschmidt, Musik am Bauhaus. In: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 408 ff. Josef Matthias Hauer, Vom Wesen des Musikalischen. Grundlagen der Zwölftonmusik. Berlin 1966 (zuerst erschienen 1920/Schlussgrafik Abb. 5), der dieser Grafik zugrunde liegende handschriftliche Entwurf (Abb. 17) „Die Intervalle der zwölfstufigen Temperatur chromatisch angeordnet“ ist abgedr. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 67, vgl. dazu in: Bauhaus. Hg. Jeannine Fiedler/Peter Feierabend. Königswinter 2006/07, S. 143, Abb. 18 u. auch Itten, Farbkugel bandräumlich (1919/20) in: Bauhaus, a.a.O., S. 393. Johann Wilhelm Ritter, Die Physik als Kunst. München 1806. Dies wandte Ritter auf die Poesie an: „Jeder Ton hat somit seinen Buchstaben immediate bey sich; und es ist die Frage, ob wir nicht überhaupt nur Schrift hören, – lesen, wenn wir hören, – Schrift sehen! – Und ist nicht jedes Sehen mit dem inneren Auge Hören, und Hören ein Sehen von und durch innen?“ (Ritter, Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Faksimile der Ausgabe von 1810. Heidelberg 1969, S. 227 f.). Georg Christoph Lichtenberg, Über eine neue Methode, die Natur und Bewegung der elektrischen Maschine zu erforschen. In: Lichtenberg, Observationes. Göttingen 1997, S. 151. Ernst Florens Friedrich Chladni, Entdeckungen über die Theorie des Klanges. Leipzig 1787. Vgl. dazu den Artikel: Johann Gottfried Voigt, Beytrag zu den Versuchen über die Klangfiguren schwingender Flächen. In: Neues Journal der Physik, Bd. 3, H. 4, Leipzig 1796, S. 391 ff.
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Abb. 17: Josef Matthias Hauer, Die Intervalle der zwöfstufigen Temperatur chromatisch angeordnet, 1919
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Abb. 18: Josef Matthias Hauer, Charakteristik der Intervalle, 1920
Die Ergebnisse, die Rainer in vielen Versuchen mit seinen Schülern erzielte,189 waren allerdings nicht mechanisch begründet, sondern sind subjektive Interpretationen, also auch keine spielbaren Partituren: „So wurden die fünf Takte der Einleitung mit der torbogenartigen Liniengruppe, die an der Höhenstelle der Gesamtschrift steht, ausgedrückt. Die drei ersten Takte des 189
Rainer, aaO., Abb. 19 S. 48. Eine Entsprechung gibt es für die Lyrik: Vilma Mönckeberg, Der Klangleib der Dichtung. Hamburg 1946 (München 1981). Mönckeberg versuchte die klangliche Durchformung eines Gedichtes in grafische Linienkonstellationen zu übertragen.
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Abb. 19: Johann Strauß (Vater), Radetzkymarsch, „rhythmischeKlassenarbeit“, ca. 1918 Marsches selbst ergaben die drei „M„-Motive, die durch den anschließenden Zackenschritt des folgenden Taktes zusammengehalten werden. Die Wiederholung reißt diesen Zackenschritt höher und baut ihn eng über den zweiten; die unmittelbar nachfolgenden Modulationsfiguren sind mit den unregelmäßigen Zickzackbewegungen symmetrisch eingefügt, der Abschluß des Teiles durch die in der Mitte aufgesetzte „M„-Figur und die daruntergestellten drei Lotrechten vermerkt. Nun wird dasselbe in wesentlich gehobener Lage wiederholt und darum schräg über den ersten Teil gerückt, nur verändert durch die Einfügung der fähnchenartigen Liniengebärden in der Mitte und das zweifache Daruntersetzen der Lotrechtengruppe, die ihrer Betonung entsprechend kräftiger gehalten sind. Das Da capo bedingt die Wiederholung der ersten linken Zackengruppe, symmeterisch sich auf die Ausgangshöhe senkend. Das Trio ordnet sich in der Mitte unter den Eingangsteil und weist ganz andere Bewegung auf. Das hier vorherrschende Glissando drückt sich in den aufwärtsgeworfenen Bogenschwüngen aus, die Triller in den kollernden Schlingenketten, die Wiederholung in der symmetrischen Anordnung. Die streng gruppierte Komposition muß selbstverständlich eine ebenso streng ornamental architektonische Nachschrift ergeben, wie sie hiermit auch tatsächlich zustande kam.“ (Rainer, aaO., S. 47 f.)
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Abb. 20: Heinrich Neugeboren, Stereometrische Darstellung, 1928
Die Nichtspielbarkeit gilt ebenso für Formen dieses Komplexes der Musikalischen Grafik, die von genauen grafischen Umsetzungen190 bis zu stereometrischen Darstellungen191 und Arbeiten der bildenden Kunst 190
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Paul Klee, Anfangstakte des Adagios aus der 6. Sonate für Violine und Cembalo, G-Dur von Johann Sebastian Bach; Klee entwarf 1921–22 die grafische Darstellung eines dreistimmigen Sonatensatzes von Bach, aus dem dieses Beispiel stammt (Abb. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 424). Auch Kandinsky versuchte mit seinen „Klangpunkten“ eine Umsetzung der 5. Symphonie von Beethoven. Stereometrische Darstellung von vier Takten (52–55) der Es-Moll-Fuge von J. S. Bach (1928). Vgl. dazu den Text u. Abb. von Heinrich Neugeboren, Eine Bach-Fuge im Bild (1929) in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 36 u. in: Bauhaus, a.a.O., S. 145, Abb. 20, vgl. auch Anm. 2164.
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reichen, die schließlich nur noch vom Titel her die Quelle der Umsetzung bzw. Anregung erkennen lassen192. Der andere, wesentlich variantenreichere Komplex umfasst den Bereich der Notationen. Ging es bisher um die Übertragung der künstlerischen Produktion eines Mediums in ein anderes193, handelt es sich nun um das große Spektrum der Partituren und Notenschriften, das insbesondere im Laufe des 20. Jahrhunderts ganz neue Muster hervorbrachte. Dabei sind vier Gruppen zu unterscheiden: 1. Die genaue Notation als Vorlage und Spielanweisung für die Musiker, 2. die Notation, die lediglich einen Spielanweisungsrahmen für die freie Interpretation der Musiker gibt, 3. der grafische Entwurf, der Assoziationen und Vorstellungen (nicht nur für Musiker) zulässt, 4. die Musikalische Grafik als eigenständiges Bild oder Textbild.
Stockhausen194 und Karkoschka195 definieren 1 als eine den Klang beschreibende Notation und 2 als eine die Hervorbringung des Klanges entwickelnde „Aktionsschrift“. „Diese Entwicklung tendiert zu einer Entwurfsschrift, die dem Interpreten statt einer Vorschrift eine Vorstellung
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Piet Mondrian, Broadway Boogie-Woogie (1942/43/Abb. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 19), vgl. auch das unvollendete Bild von Mondrian, Victory Boogie-Woogie (1942/44/Abb. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 177); Theo van Doesburg, Rhythmus eines russischen Tanzes (1918/Abb. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 406). Es gibt nicht nur die Übertragung von Musik in Grafik, sondern auch von Literatur in Musik. Oskar Fischinger hat 1921/22 Diagramme gezeichnet, die die Dynamik von literarischen Vorlagen (Shakespeares „Was ihr wollt“ und Fritz von Unruhs „Ein Geschlecht“) darstellen sollen. Es entstand eine Art „abstrakte Bildmusik“ (Optische Poesie. Oskar Fischinger. Leben und Werk. Kinematograph Nr. 9, Berlin 1993, Abb. 21 S. 9; William Moritz, Optical Poetry. The Life and Work of Oskar Fischinger. Indiana University Press 2004). Und auf der Basis der Computer-Technologieentwicklung wurde es sogar möglich, direkte Übertragungen von Musik in Bilder, von Bildern in Musik oder von Texten in Bilder vorzunehmen, wie z. B. mit Boris Müllers Poesie-Bild-Generator, den der Benutzer im Internet selbst bedienen kann: http://www.esono.com/boris/projects/poetry/. Karlheinz Stockhausen, Musik und Grafik (1959) In: Karlheinz Stockhausen, Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik. Bd. 1, Köln 1963, S. 179. Erhard Karkoschka, Das Schriftbild der Neuen Musik. Celle 1966, S. 3. Siehe auch: Erhard Karkoschka, Das Schriftbild der neuen Musik. Bestandsaufnahme neuer Notationssymbole. Anleitung zu deren Deutung, Realisation und Kritik. Celle 1984.
Abb. 21: Oskar Fischinger, Diagramm zu „Ein Geschlecht“, 1922
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der Musik vermittelt“196. Karkoschka: 1 zeigt das Klangresultat, 2 die Aktion, die zum Resultat führt. 3 ist nach Stockhausen „gelesene Musik“197, die nicht nur lesbar ist und Musik imaginiert, sondern auch noch aufschlüsselbar ist, während 4 ein autonomes Kunstwerk darstellt. Alle vier Gruppen basieren auf der Abkehr von der traditionellen Partitur, Anregungen folgend, die wiederum von Einzelbeispielen früherer Jahrhunderte198 ausgingen, angefangen bei der besonderen grafischen Qualität einer Musiktabulatur aus dem 11. Jahrhundert199, oder der Neumennotation von Gradualgesängen im 12. Jahrhundert200, über die Madrigalkomponisten der Renaissance und des Barock201 bis zur Romantik, zu den „belebten Noten“ eines Grandville202 und Gustave Doré203 und 196 197 198
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Stockhausen, a.a.O. Dieter Schnebel, MO-NO. Musik zum Lesen. Köln 1969. Johannes Wolf, Musikalische Schrifttafeln. Leipzig 1923. Viele Quellen nennt Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 179 ff. Siehe auch sein Überblick „Spartiti figurali e pattern poetry. Guida bibliografica per lo studio delle relazioni fra partitura e immagine“. In: La taverna di Auerbach 1, Alatri 1987, S. 30 ff. u. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 620 ff. Generell zum Verhältnis von Musik und Malerei vgl. Helmuth Plessner, Die Musikalisierung der Sinne. In: Merkur H. 9, Nr. 293, Stuttgart 1972, S. 837 ff., wo er von der „Musikalisierung des Sehens“ spricht. Vgl. auch den Beitrag von Franzpeter Goebels, Anima-Regula-Forma. Zur musikalischen Grafik und grafischen Musik. In: Welt aus Sprache, a.a.O. S. 94 f. u. JeanYves Bosseur, Du son au signe. Histoire de la notation musicale. Paris 2005. Diaphonie zu vier Stimmen, Partitur aus dem Codex Colbertinus, 11. Jh. In: Vom Klang der Bilder, aaO, S. 445. Abb. in: Vom Staub und Moder im Hartmut-Turm zum Wiederaufblühen der Harfenklänge der Musen an den Wasserfällen der Steinach: Hg. Karl Schmuki/Ernst Tremp. St. Gallen 2001, S. 67; Geschichte und Hagiographie in Sanktgaller Handschriften. Hg. Ernst Tremp/Karl Schmuki. St. Gallen 2003, S. 107, siehe Anm. 2391. Johann Theile, Harmonischer Baum, 1691 in: Adler/Ernst, Text als Figur, a.a.O., S. 196, Abb. 22; Ghiselin Danckerts, Rätselkanon, 1549 in: Ulrich Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 627, vgl. dazu von John Cage, Chess Pieces (1944) in: Richard Kostelanetz, John Cage. Köln 1973, S. 129 (Abb. 14). Besonders zahl- und variantenreich sind die Rundkanonformen im 17. Jahrhundert wie etwa ein Blatt von Johann Georg Keyrleber (Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 51) oder das Dedikationsblatt des Frankfurter Kapellmeisters Johann Jeep (Abb. in: Albert Richard Mohr, Musik in der Kunst. Frankfurt 1989, S. 67). Ein dreistimmiger Kanon in Herzform aus dem 14. Jh. – eines der frühesten Beispiele für die sogenannten „Augenmusik“ – von Baude Cordier ist zu finden in: Jérôme Peignot, Du Calligramme. Paris 1978, S. 47. D. i. Jean Ignace Isidore Gérard, der statt der Noten Tänzerinnen, Krieger oder Küster wählte, veröffentlicht 1840 (Abb. in: Massin [1970], a.a.O., S. 146 ff.) und andere Beispiele von ihm in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 90. Veröffentlicht 1854 (Abb. in: Massin [1970], a.a.O., S. 149).
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Abb. 22: Johann Theile, Harmonischer Baum, 1691
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zur „Katzensymphonie“ von Moritz von Schwind204, die bereits teilweise mit der Verselbständigung des Partiturbildes die Musikalische Grafik der Moderne205 vorwegnahm, und schließlich bis zu jener Partitur ohne Noten des Schriftstellers Alphonse Allais (1854–1905)206, in der nur Taktstriche vorkommen. Eine besondere Form figurativer Verselbständigung der Partitur ist die „Augenmusik“: „Hier handelt es sich um Musik, in der der Tonsetzer den Sinn, die Symbolik, den Ausdruck und Gehalt, den einzelne Stellen seines Werkes vermitteln sollen, dem Gesicht, statt dem Gehör darbietet, in der er mit voller Absicht zum Medium das Auge an Stelle des Ohres gewählt hat“207. Ist damit auch gemeint, was Novalis am Ende des 18. Jahrhunderts in seinen Fragmenten dunkel andeutete: „Die eigentliche sichtbare Musik sind die Arabesken, Muster, Ornamente usw.“208? Der spanische Kunstkritiker Javier Maderuelo209 nannte folgende Aspekte, die die Abkehr von der traditionellen Notation ausmachen: die Aufgabe der Raum-/Zeitdarstellung, des Zeichensystems (Notenlinien, Noten), des Abfolgesystems (links-rechts-Abfolge) ermöglicht die Aufnahme grafischer Formen und Inhalte, verbaler Formen, neuer Zeichensprachen, wissenschaftlicher Elemente (mathematische, geometrische, statistische), die Darstellung der Synästhesie (aus Gestik, Be-
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Moritz von Schwind, Die Katzensymphonie, 1868 in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 49, Abb. 23. Eine parodistische Vorform „Die neuesten Noten des Herrn Jacques Offenbach“ (in: Kikeriki! Humoristisches Volksblatt Nr. 15, Wien 13. April 1865, Titelseite) zeigt an der Stelle von Noten Körperteile von Frauen auf den Notenlinien. Eine Vielzahl von Beispielen Musikalischer Grafik bietet Fontana, La voce in movimento, a.a.O. „Trauermarsch, komponiert für die Beerdigung eines großen tauben Mannes“, 1897 erschienen im „Album Primo-Avrilesque“ von Allais (Neudruck: Heidelberg 1993). Alfred Einstein, Augenmusik im Madrigal. In: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft (e.V.) 14, Leipzig 1912, S. 8. In anderem Zusammenhang von „Augenmusik“ spricht auch Werner Diebold am 2. 4. 1921 in der Frankfurter Zeitung. „Eine Neue Kunst. Die Augenmusik des Films“ (abgedr. in: Film als Film. 1910 bis heute. Vom Animationsfilm der zwanziger zum Filmenvironment der siebziger Jahre. Hg. Birgit Hein/Wulf Herzogenrath. Köln 1978, S. 16 f.). Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 458. Javier Maderuelo, Musica grafica. In: metaphora no. 1, Madrid 1981, S. 99 ff. Vgl. auch Daniele Lombardi, Teoria di una scrittura musicale ideografica. In: Visual 1, Firenze 1977, S. 56 ff.
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Abb. 23: Moritz von Schwind, Katzensymphonie, 1868
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wegung, Ton, Semantik, Grafik) und einer neuen Sprache der bildenden Kunst. Und Karkoschka ordnete die Entwicklung der Neuerungen wie folgt210: A. Änderungen der traditionellen Notenschrift 1. Vereinfachungen 2. Erweiterungen und Ergänzungen B. Teilweise neue Grundlagen 1. Notation ungefährer Werte 2. Aktionsschrift 3. Qualitative Notation C. Vollkommen neue Grundlagen 1. Temperierte Notationen 2. Verbalpartituren 3. Musikalische Grafik a. mit der üblichen Höhen- und Zeitachse zu lesen b. Lesart ganz freigestellt 4. Hörpartituren, Hörhefte D. Notationsweisen elektronischer Musik 1. Auf den Grundlagen der alten Notation mit neuen Zeichen 2. Schematische Skizze 3. Verbale Anweisung 4. Lochstreifen-Aufzeichnung mit Diagramm und verbaler Anweisung 5. Symbole zum Programmieren eines Computers
In dieser Ordnung lassen sich nicht nur die vier oben erwähnten Gruppen wiedererkennen, sie weist auch auf die Wechselbeziehung mit der Poesie (in enger Verbindung zur Visuellen Poesie), mit dem Hörspiel (in enger Verbindung zur Ars Acustica), mit der Musik (in enger Verbindung zur Akustischen Poesie) und der bildenden Kunst.
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Erhard Karkoschka, Zum heutigen Stand der Notenschrift. Katalog „Grenzgebiete der bildenden Kunst. Konkrete Poesie/Bild Text Text Bilder/Computerkunst/Musikalische Grafik“. Stuttgart 1972, S. 122 f.; vgl. auch: Noten. Musikalische Schriftbilder und ihre Ausführung. Hg. Urs Peter Schneider. Bern 1974. Neben der Ausstellung in Stuttgart 1972 und jener „Vom Klang der Bilder“ 1985 fand eine weitere wichtige Ausstellung zur Musikalischen Grafik im Paul-Hindemith-Institut in Frankfurt 1983 und sehr früh bereits 1962 in Berlin (Skripturale Malerei. Katalog, Haus am Waldsee, Berlin 1962, Abb. S. 47 ff.) statt. Partituren von Karkoschka sind abgedr. in: buchstäblich wörtlich wörtlich buchstäblich. Hg. Michael Glasmeier. Berlin 1987, S. 86.
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Es waren sehr früh211 schon Komponisten wie Alexander Skrjabin (1872–1915)212 und Erik Satie (1866–1925)213, die aus dieser Wechselbezie-
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Eine sehr frühes und interessantes Text-Musik-Grafik-Beispiel findet sich bei Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 139, wo oberhalb der Notenlinien die Tonleiterbezeichnungen do, re, mi, fa, sol usw. ausgeschrieben, zugleich aber Buchstabenbestandteile eines Textes sind, der unterhalb der Notenlinie auftaucht. D. h. einmal werden die Noten auf den Linien bezeichnet, und zum anderen vervollständigen diese Bezeichnungen Wortfragmente. Auf S. 131 spricht Harsdörffer von einer „Musicalischen Poetetey“. „Es ist die Zeit der Wiedervereinigung dieser sämtlichen zerstreuten Künste gekommen. Diese Idee, die unklar schon von Wagner formuliert wurde, ist heute viel klarer von Skrjabin aufgefasst.“ (In: Leonid Sabaneyeff, „Prometheus“ von Skrjabin. In: Der blaue Reiter. München 1914, S. 57 f.). Skrjabin, Prométhée. Le poème du feu (Symphonie Nr. 5/Opus 60/ 1911), komponiert zwischen 1908 und 1910, in der sich Farbstimmen, Wortelemente und neue Tonordnungen jenseits von Dur und Moll mischen. Skrjabin betrachtete „Prométhée“ als Vorarbeit zu einem „Mysterium“, zu einem gesamtkunstwerklichen Ritual, das in einem Amphitheater Musik, Dichtung, Tanz in einer Symphonie aus Licht, Farbe, Klang, Wort und Duft verbinden sollte. Dazu: Dorothee Eberlein, Cˇiurlionis, Skrjabin und der osteuropäische Symbolismus. In: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 341 ff. und ausführlicher mit historischem Hintergrund: Marek Keprt, Skrjabins Farb-Ton Zuordnungen im Umfeld ähnlicher synästhetischer Bestrebungen in der Kunst seiner Zeit. In: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis, Facultas Philosophica, Musicologica Olomucensia VI, 2001, S. 127ff. (http://publib.upol.cz/~obd/ fulltext/Musicologica%206/musicol6-9.pdf). Skrjabin versuchte die Idee einer „Allkunst“ zu verwirklichen, so wie sie bereits in der Romantik gefordert wurde, dazu Ottokar Fischer, Über Verbindung von Farbe und Klang. Eine literarischpsychologische Untersuchung. In: Zs f. Ästh. II, 1907, S. 50 ff. (Farbenhören im Kreise Tiecks); Ludwig Schrader, Sinne und Sinnesverknüpfungen. Studien und Materialien zur Vorgeschichte der Synästhesie in der italienischen, spanischen und französischen Literatur, Heidelberg 1969 (= Beiträge zur neueren Literaturgeschichte: 3, 9), S. 42: „Der Psychologe Anschütz bemühte sich um eine Art ‚interfakultativer‘ Synästhesie-Forschung, zu der er synästhetisch begabte Künstler und Laien heranzog. Er versprach sich neue Impulse für verschiedene Wissenschaften und Künste: für Psychologie, Medizin, Sprach- und Literaturwissenschaft, für Musik, Malerei und Theater. Man sprach von der ‚Synthese der Sinne in der Kunst‘, von einer durch die Synästhesien ermöglichten ‚Allkunst‘, ja von einer ‚neuen Synthese des Geistes‘, die durch die gemeinsame Benutzung verschiedenster Kreise um die Synästhesie zustande kommen sollte.“ Dazu: Georg Anschütz/Eduard Reimpell, Das Farbe-Ton-Problem im psychischen Gesamtbereich. Sonderphänomene komplexer optischer Synästhesien („Sichtgebilde“), Halle 1929 (= Deutsche Psychologie; 5, 5). Walter Mehring berichtete von Lichtenbergs Vorstellung eines „Allbuchs“, Anm. 758. Grete Wehmeyer, Erik Satie und die Künstler. In: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 384 ff.
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hung214 heraus gearbeitet haben. Satie z. B. nahm Anregungen weniger von Musikerkollegen als von Literaten und bildenden Künstlern auf. Das bezeugte seine Zusammenarbeit mit Picasso auf der einen und seine Nähe zu den Dadaisten auf der anderen Seite. So gehört sein „Socrate. Drame symphonique pour 4 soprani et orchestre“ (1920)215 zu einer Vertonung der sokratischen Dialoge (seit 1918), die, über den Notenlinien geordnet, Partituren ergeben. Am deutlichsten zeigen sich die Verschränkungen und Simultanität von Musik, Literatur und bildender Kunst in dem Zyklus „Sports et divertissements“ (1914). Satie komponierte diesen Zyklus nach einer gleichnamigen Serie von Zeichnungen Charles Martin’s (1884–1934), die ihn auch zu Gedichten anregte, die in den Partituren, die zum Teil auch grafisch den Zeichnungen in den Hauptlinien folgten, integriert wurden und die nur gelesen werden sollten, also keine Gesangstexte waren. Im gleichen Jahr 1914 veröffentlichte Umberto Boccioni sein Manifest „Wir setzen den Betrachter mitten ins Bild“216, in dem er die Simultanität217 als die Grundlage aller bildnerischen Versuche bezeichnete, und 1918 bekannte sich Guillaume Apollinaire zu einer: „synthèse des arts, de la musique, de la peinture et de la littérature“218. Neben dem, nicht nur für den Futurismus wichtigen Prinzip der Simultanität ist für die neuen Kunstschöpfungen des 20. Jahrhunderts ein weiteres von großer Bedeutung: das Prinzip der „offenen Form“. War die „offene Form“219 bereits 214
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Ein Musterbeispiel: Als der Maler Viktor Hartmann (1834–1873) starb, organisierte der Kunstkritiker Stassow in St. Petersburg eine Ausstellung seiner Werke, die Modest Mussorgsky zu seiner Klaviersuite „Bilder einer Ausstellung“ (1874) anregte, der zehn Bilder von Hartmann zugrunde lagen. Diese Suite hatte wieder KP Brehmer bewogen zehn Radierungen (Sonogramme) „Bilder einer Ausstellung“ (1975) zu entwerfen, die wiederum Phil Corner 1988 als Grundlage für seine Komposition „Pictures of Pictures from Pictures of Pictures“ dienten. Corner schuf dafür „Scores for !Pictures of Pictures from Pictures of Pictures"“ in: Broken Music, a.a.O., S. 118f. Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800. Hg. Harald Szeemann. Aarau und Frankfurt 1983, S. 309, Abb. 24. In: Umbro Apollonio, Der Futurismus, a.a.O., S. 229. Vgl. auch Gladys C. Fabre, Vom Orphismus zum Musikalismus. In: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 361. Guillaume Apollinaire, L’Esprit nouveau et les Poètes. In: Mercure de France, No. 491, 1. Dez. 1918, S. 386. Volker Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama. München 1960 (= Literatur als Kunst); vgl. dazu Sabine Kuhangel, Literarische Offenheit und die Rolle des Lesers. Wiesbaden 2003 (unter Einbezug der Rezeptionsästhetik von Wolfgang Isers [1970] und der Arbeit von Umberto Eco, Opera aperta. Mailand 1962, dt.: Das offene Kunstwerk. Frankfurt 1973 ff.).
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Abb. 24: Erik Satie, Socrate, 1920
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im Drama Shakespeares vorbereitet, gewinnt sie in der Erneuerungsbewegung der Gattung um die Jahrhundertwende220 im Gegensatz zur geschlossenen Form des klassischen Dramas, die noch den Forderungen der aristotelischen Poetik (Einheit der Handlung, der Zeit und des Ortes) gehorchte, zunehmend an Bedeutung. Und dies nicht nur im Drama, sondern in allen Künsten – vor allem im Hinblick auf den Gedanken eines Gesamtkunstwerks221, das sich nicht mehr als Einheit versteht, wie es noch Richard Wagner forderte, sondern als Vielheit: es ist der Wechsel vom organischen zum nicht-organischen Kunstwerk im Sinne Peter Bürgers222. Ein Beispiel223 für diese offene Form ist die 3. Klaviersonate (1955–57) von Pierre Boulez. Hier kann der Spieler Reihenfolge, Geschwindigkeit, Grundlautstärke und die Auswahl der nicht klar miteinander verbundenen Module in den einzelnen Formanten selbst bestimmen. In dem Formant „Sequenz“ hat der Pianist eine Tongruppe zu spielen, die er durch Verschieben einer Schablone auf dem Notenpapier ermittelt. Aber nicht nur innerhalb der einzelnen Formanten gibt es offene Auswahlmöglich220 221
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Vgl. Dencker, Literarischer Jugendstil im Drama, a.a.O. In der Romantik spricht Novalis von „gemeinschaftlichen Kunstwerken“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 404) und fährt fort: „Man sollte plastische Kunstwerke nie ohne Musik sehn, musikalische Kunstwerke hingegen nur in schön dekorierten Sälen hören. Poetische Kunstwerke aber nie ohne beides zugleich genießen.“ (a.a.O., S. 405) Der Begriff taucht dann bei dem Philosophen Karl Friedrich Eusebius Trahndorff (1782–1863) in seiner „Ästhetik oder Lehre von der Weltanschauung und Kunst“ (Berlin 1827) auf, in der er für das Zusammengehen der Künste in einer Darstellung eintrat; dazu: Dieter Borchmeyer, Gesamtkunstwerk. In: Moderne Literatur in Grundbegriffen. Hg. Dieter Borchmeyer/Viktor Zmegac. Tübingen 1994, S. 181; Gesamtkunstwerk. Zwischen Synästhesie und Mythos. Bielefeld 1994 (= Bielefelder Schriften zur Linguistik und Literaturwissenschaft 3); Anke Finger, Das Gesamtkunstwerk der Moderne. Göttingen 2005. Eine wichtige Ausstellung fand 1983, von Harald Szeemann betreut, im Kunsthaus Zürich statt: „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ (vgl. Anm. 215). Peter Bürger, Theorie der Avantgarde. Frankfurt 1974, S. 97 und S. 107. Vgl. dazu auch Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Dissertationsdruck Neuwied 1907. Buchveröffentlichung: München 1908/München 1959 ff. u. Dencker, Über die wechselseitige Befreiung der Künste, a.a.O., S. 163. Von diesem und weiteren Beispielen (die exakt auch Kriwet 1975 erwähnt und damit seine Nähe zu Eco erkennen lässt, vgl. Anm. 219, 372, 925, 1490) geht Umberto Eco in seinem Beitrag „Die Poetik des offenen Kunstwerks“ (in: Opera aperta. Mailand 1962) aus, dessen Gedanken bereits 1958 anlässlich des 12. Internationalen Philosophenkongresses in „Das Problem des offenen Kunstwerks“ formuliert wurden.
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keiten, auch das gesamte Werk ist so angelegt, dass die Folge der einzelnen Formanten nicht festliegt und so mindesten acht Aufführungsmöglichkeiten existieren224. Diese offene Form hat z. B. auch Georges Perec in seinem Hörspiel „Die Maschine“225 verwendet, und Ferdinand Kriwet bezieht sich in dem Programmtext226 zu seinem Sprechtext „offen“ (1961/62) ausdrücklich auf die 3. Klaviersonate von Boulez: „der auftrag für eine bühnenaufführung ein stück zu schreiben, dessen ablauf nicht festgelegt sein sollte, konfrontierte mich einer problematik, derer sich bereits einige komponisten neuer musik (z.b. pierre boulez (III. klaviersonate), karlheinz stockhausen (klavierstück XI, zyklus für einen schlagzeuger, refrain für 3 spieler) henri pousseur (mobile für 2 klaviere), john cage, earl brown, mauricio kagel etc.) theoretisch und praktisch angenommen hatten, der nämlich, welche sogenannten ‚offenen‘ formen innewohnt“. Diese offene Kompositionsweise basiert auf einer polyphonen Struktur (eigentlich dem Sprachkunstwerk fremd), die in der Notation zu neuen Formen führen musste, um die Simultanität der Ereignisse festhalten zu können. Ein Beispiel dafür ist „Fa:m’ Ahniesgwow“ (1959) von Hans G. Helms, auf das sich Kriwet ebenfalls bezieht227. Im Laufe von rund acht Jahren entstand aus einem Reservoir von über dreißig Sprachen eine Textkomposition, deren Struktur in Form einer „Partitur“ aus acht ausfaltbaren Tafeln besteht, die simultan gelesen werden müssen. Es handelt sich weder um Poesie noch Prosa, noch gibt es eine Hand-
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Horst Petri, Literatur und Musik. Form und Strukturparallelen. Göttingen 1964, S. 65 f. Vgl. Anm. 628. Petri macht auch auf Strukturschemata aufmerksam (S. 67), die auf Stéphane Mallarmés „Le Livre“ zurückgehen, von Jacques Scherer aus den nachgelassenen Schriften erstmals 1957 veröffentlicht: J. Sch., Le „livre“ de Mallarmé. Paris 1957. Vgl. auch Stéphane Mallarmé. Escrits sur le Livre. Hg. Henri Meschonnic. Paris 1986. Petri, Probleme der Amalgamierung von Sprache und Musik im Hörspiel. In: Akzente 16. Jg., H.1, München 1969, S. 93. „bemerkungen zu ‚offen‘“ in: Kriwet, Mitmedien. Katalogbuch Württembergischer Kunstverein Stuttgart 1975, S. 126. „offen“ wurde 1962 am Ulmer Theater uraufgeführt. Redaktion des Programmheftes: Claus Bremer. Vgl. von Kriwet auch seine Bemerkungen zur „offenen Form“ in: Dekomposition zur dynamischen Einheit. Notizen zur visuell wahrnehmbaren Literatur. In: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung 14. Jg, Nr.5/6, Frankfurt 1964, S. 24, und in: leserattenfaenge. sehtextkommentare. Köln 1965, S. 19. 1969 in einer Notiz zu seinem Hörtext „One Two Two“ in: Neues Hörspiel. Texte Partituren. Hg. Klaus Schöning. Frankfurt 1969, S. 454; Hans G. Helms, Fa:m’ Ahniesgwow. Köln 1960.
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lung. Die acht mehrsprachigen Texte werden bei der akustischen Realisation von einem Sprecher einzeln aufgenommen, dann gemischt, so dass durch Überlagerung und Mischung ein neuer Text, eine neue „Textmusik“ entsteht. Viele der neuen Komponisten, die wichtigsten wurden in dem Kriwet-Zitat bereits erwähnt, standen also nicht nur der bildenden Kunst nahe, sondern bezogen eigene Texte und literarische Vorlagen in ihre Kompositionen mit ein228, wie Pierre Boulez ganz ausdrücklich formulierte: „Was hat mich dahin gebracht, ein derartiges Werk für Klavier zu schreiben? Weniger musikalische Erwägungen als die literarischen Berührungen, die mir zuteil geworden sind. Überhaupt ist die Form des gegenwärtigen Denkens mehr aus Reflektionen über die Literatur als aus solchen über die Musik hervorgegangen.“229 Für die Musikalische Grafik neuerer Ausprägung230 war vor allem der Kreis um John Cage, Morton Feldman, Earle Brown und Christian Wolff, der in den 1940er Jahren in New York zusammenkam, richtungsweisend. Der erste radikale Versuch mit der Tradition zu brechen,231 wurde 1952 von Earle Brown mit seinen „Folio“-Blättern unternommen: „Nov. ’52“ und „December 1952“. Von einem Blatt zum anderen kann man 228
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Wie z. B. Werner Heider (1930) mit seinen Kompositionen „Stundenbuch für 12 Stimmen und 12 Bläser“ (1972/ Text aus dem „Stundenbuch“ von Eugen Gomringer), „Commission für Stimme und Kammerensemble“ (1972/nach Gedichten von Ezra Pound) oder „Schöne Aussichten“ (1991/nach Gedichten von H. M. Enzensberger). Heiders Notationen, gesammelt in einer kleinen Mappe mit acht Blättern (entstanden zwischen 1965 und 1988) enthalten ein Partiturblatt, das ausdrücklich als „Musikalische Grafik“ bezeichnet wird: „Klangbaum“ (1987). Pierre Boulez, Zu meiner III. Sonate (1959). In: Darmstädter Beiträge 3, Mainz 1960, S. 27 f. Vgl. die Sammlung von über 200 Komponisten, die John Cage aufforderte, ihm Beispiele ihrer Notationen zu schicken: John Cage, Notations. New York 1968. Zum New Yorker Kreis siehe: The New York schools of music and visual arts: John Cage, Morton Feldman, Edgar Varèse, Willem de Kooning, Jasper Johns, Robert Rauschenberg. Hg. Steven Johnson. New York/London 2002. Siehe auch: Musik im Bild. Stuttgart o. J. (1980). Eine interessante Vorform gibt es von Hermann Finsterlin: „Partitur“ (1924). Die acht abgebildeten Blätter weisen z. T. noch Noten und Taktstriche, unregelmäßig über das Notenblatt verteilt und zusammen mit kleinen und großen grafischen, klecksförmigen Elementen auf, ein Blatt ist fast leer, ein anderes nur mit wenigen Elementen versehen. Es handelt sich einerseits um eine Partitur, andererseits schon um eine „musikalische Grafik“. (Abb. in: Reinhard Döhl, Hermann Finsterlin. Eine Annäherung. Stuttgart 1988, S. 103 u. 401 ff.).
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Abb. 25: Earle Brown, Nov. ’52, 1952
Abb. 26: Earle Brown, December 1952, 1952
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sehr schön den Übergang von der offenen Partitur zur Musikalischen Grafik erkennen. In „Nov. ’52“ suggerieren noch Tondauer- und Tonstärkeangaben sowie Vorzeichen ein exakt determiniertes Tonstück, doch mit dem Fehlen von Takt, Schlüsseln, Notenlinien, Musikinstrumenten- und Tempoangaben werden diese zu irrelevanten Werten. Alles wird dem Interpreten überlassen, der sich lediglich „Anregungen“ holen kann, was noch weniger aussichtsreich bei „December 1952“ zu sein scheint. Brown äußerte sich dazu einmal: „Für mich musste die Beweglichkeit (oder Veränderlichkeit) eines Werkes während der Aufführung aktiviert werden (wie in einem Mobile von Calder), sie musste spontan und intensiv durch den Ausführenden ausgedrückt werden, ganz wie in dem unmittelbaren Kontakt zwischen Pollock und seinen Leinwänden und Materialien. Diese beiden Elemente: Beweglichkeit der Klangbestandteile innerhalb des Werks und grafische Provokation einer intensiven Mitarbeit des Ausführenden waren für mich die faszinierendsten neuen Möglichkeiten für !Klangobjekte" analog zur Skulptur und Malerei“232. In Europa sind es u. a. Roman Haubenstock-Ramati, Dieter Schnebel, Karlheinz Stockhausen, Mauricio Kagel, Sylvano Busotti, Boguslav Schäffer, die sich in den 1960er Jahren mit neuen Notationsexperimenten befassten. Zu ihnen gehörte auch der Schweizer Komponist Klaus Huber, der für sein Trio für Flöte, Violine und Klavier „Ascensus“ (1969) folgende Anweisung gab: „Du bist in einem unbekannten Klanggestirn! Versuche, dein Instrument so zart und fremdartig wie möglich erklingen zu lassen. Die Dynamik ist geographisch notiert an der Peripherie pppp – im Kreismittelpunkt p. Diese Kadenz an der Hörbarkeitsgrenze kann in drei Varianten gespielt werden: 1. Sichel von A nach B, 2. Halbkreis von A nach C, 3. Kreis von A nach D – dabei kann auf die Mondphase am Tage des Konzerts Rücksicht genommen werden“233. Die Nähe zur Literatur wurde nun noch dadurch verstärkt, dass viele der neueren Komponisten grenzüberschreitend sowohl im Musik- als auch im Hörspielbereich gearbeitet haben234, wie z. B. Mauricio Kagel235 oder der österreichische Komponist und Maler griechischer Ab232
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Zitiert nach: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 24 f. Die Abb. 25 u. 26 in: Grenzgebiete der bildenden Kunst, a.a.O., Taf. 1 des Teils „Musikalische Grafik“. Zitiert nach: Musikalische Grafik. Katalog zur Ausstellung im Paul-HindemithInstitut. Frankfurt 1983, (S. 20), Abb. 27. 1. Acustica International. Komponisten als Hörspielmacher. Eine Dokumentation. Hg. WDR, Köln 1990. Mauricio Kagel, Das Buch der Hörspiele. Hg. Klaus Schöning. Frankfurt 1982.
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Abb. 27: Klaus Huber, Ascensus, 1969
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stammung Anestis Logothetis. Seine „Partituren“ sind Bilder und Ausführungsanleitungen, die oft der griechischen Mythologie verpflichtet sind236. Logothetis entwickelte seine musikalische Grafik aufgrund der Anregungen von Oskar Rainers „Musikalischer Grafik“ (1925) und Wassily Kandinskys „Punkt und Linie zu Fläche“ (1926) und folgte ihnen erstmals 1959 mit der Komposition „Struktur-Text-Spiegel-Spiel“, nachdem er sich im elektronischen Studio des WDR mit elektroakustischen Klangexperimenten und deren Mikrostrukturen befasste. „Matratellurium“ gehört wie „Anastasis“ (1970) zu den Musikhörspielen, die Logothetis ebenfalls im Studio für Akustische Kunst des WDR realisierte. „Anastasis“ bezeichnete Logothetis als ein „musikalisches Sprachabenteuer“, in dem es eine Ansammlung von Medikamentennamen und Begriffen aus der Chemie und vom Komponisten verfasste Liebesgedichte gibt, die durch Kombinationen und Permutation zu Mehrdeutigkeiten führen und musikalische Eigengesetzlichkeit erlangen237. Einer der vielseitigsten Komponisten war John Cage, in dessen Produktion sich alle Künste treffen238. Er war gleichermaßen Musiker, bildender Künstler und Autor poetisch-philosophischer Werke239, die z. T. als Sprechtexte komponiert wurden.240 Die „Partituren“241 zu den akus236
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Aus der Partitur zu „Ichnologia“ (1964) in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 447. Aus der Partitur zu dem Hörspiel „Mantratellurium“ (1971) in: Friedrich Wilhelm Hymmen, Hörspielkonflikte und Konflikthörspiele. In: medium 2. Jg., H. 2, Frankfurt 1972, S. 7, Abb. 28. Partitur-Ausschnitt zu „Anastasis“ (1970) in: SR-Information Nr. 2, Saarbrücken 1987, S. 14. „Die Künste existieren nicht isoliert voneinander, sondern ziehen einander ins !Gespräch"“ (John Cage, Die Künste im Gespräch [1964]. In: Richard Kostelanetz, John Cage, a.a.O., S. 207). Z. B. die Sammlung „Silence“ (Darmstadt 1969), die „Vorträge“ von 1954 bis 1961 enthält, oder „Roaratorio. Ein irischer Circus über Finnegans Wake“ (Königstein 1985), eine Arbeit (1979), die auf eine intensive Beschäftigung mit James Joyce zurückgeht. In einer spektakulären 24-stündigen Dokumentation hatte der WDR zum 75. Geburtstag von Cage vom 14. 2. 1987, 20.00 Uhr bis zum 15. 2. 1987, 20.00 Uhr die akustischen Arbeiten gesendet. Lit: Nachtcagetag. Programmbuch. Hg. WDR, Köln 1987. Am 12. 8. 1992 folgte zum Tode von Cage eine 6-stündige NonstopLautsprecher-Performance im Funkhaus des WDR. Eine Reihe von Partitur-Blättern von Cage bietet: Klänge des inneren Auges. Hg. Wulf Herzogenrath. Katalog, Kunsthalle Bremen 2002, siehe auch „Water Music“ (1952/Abb. in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, a.a.O., S. 415).
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Abb. 28: Anestis Logothetis, Mantratellurium, 1971
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tischen Arbeiten hatte Cage immer auch als Kunstwerke gesehen. Schon 1958 gab es eine Ausstellung von „Unikaten“, in denen „ein delikater Sinn für das Zeichnerische, der weit über den technischen Vorgang des Musik-Aufschreibens hinausgeht“, waltete – wie Dore Ashon am 6. 5. 1958 in der New York Times schrieb242. Zwei Auszüge aus dem „Solo for Piano“ (1957/58) zeigen dies sehr deutlich243. Eine große Rolle spielte bei Cage der Zufall244, wie z. B. in der 1958 gezeichneten Mappe „Variation I“. Sie besteht aus sechs Transparentfolien. Durch Zufallsmanipulation245 werden zwei Folien ausgewählt und übereinandergelegt. So entstehen immer neue Grafiken und zugleich Anweisungen zur musikalischen Umsetzung. Wie bei Cage entstanden nun viele Musikalische Grafiken auf der Basis gedruckter literarischer Vorlagen, die sowohl Autoren zur Realisierung ihrer Hörspiele benutzten, als auch Komponisten, die die lite242
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In: Richard Kostelanetz, John Cage, a.a.O., S. 177. Die aus den graphischen Notationen sprechende Nähe zur bildenden Kunst, zeigt sich auch in den Benennungen von Musikwerken wie: „Klang-Kalligraphie“, das Motto der Reihe „Mouvement. Festival für Neue Musik“ des Saarländischen Rundfunks im Mai 2008 mit Werken von Toshio Hosokawa, der seine Musik als „Kalligraphie in Raum und Zeit“ bezeichnet, oder „Kalligraphie I + II für Orchester“ (1998) von Hans Zender; vgl. SRinfo 5, Saarbrücken 2008, S. 4 u. 19. Musikalische Grafik. Katalog der Ausstellung im Paul-Hindemith-Institut Frankfurt 1983, (S. 31), Abb. 29. Martin Maurach, ALEA et alii. Zufall und Ordnungsbildung in Hörstücken und Gehirnen. In: Die Künste des Zufalls. Hg. Peter Gendolla/Thomas Kamphusmann. Frankfurt 1999, S. 77 ff.; Holger Schulze, Das Modell der nichtintentionalen Werkgenese. Über Werkgeneratoren zwischen Cage und Frontpage. In: Die Künste des Zufalls, a.a.O., S. 94 ff., vgl. auch: Holger Schulze, Das aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20. Jahrhundert. München 2000. Eine interessante historische Zufallsmanipulation wird Mozart zugeschrieben. Er soll eine Reihe von Walzern verfasst haben, bei denen die Reihenfolge der Takte mit Würfeln bestimmt wurde. Neben Notenteilen, in denen die einzelnen Takte mit Ziffern versehen wurden, gab es zwei Zahlentabellen, in denen man durch gewürfelte Kombinationen Länge und Reihenfolge der immer neuen Walzerkompositionen bestimmen konnte (Wolfgang Amadeus Mozart, Musikalisches Würfelspiel. Hg. Karl Heinz Taubert. Edition Schott 4474, Mainz/London/ New York o. J.). Und Athanasius Kircher entwarf einen „Kompositionsapparat“ (Musurgia universalis … 1650, Bd. II, Bildtafel XIV), die „arca musarithmica“, eine Kiste mit einer Vielzahl von Versatzstücken, mit denen der Laie seine eigenen Kompositionen zusammensetzen konnte: vgl. Siegfried Zielinski, Archäologie der Medien. Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens. Hamburg, 2002, S. 170 ff.
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Abb. 29: John Cage, Solo for piano, 1957/58
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Abb. 30: Leon Schidlowsky, PALINDROM für stimmen, 1979
rarischen Texte in das Kompositionsgefüge für Sprachmusiken integrierten. Nach dem Roman „Codex“ (1974) von Maurice Roche entstand so z. B. das „Hörspiel „Christmas Day“ (1977)246 und Leon Schidlowsky komponiert „PALINDROM“ (1979)247 auf der Basis des Sator-Quadrats. Hier schließt sich der Kreis zu den Autoren der Akustischen Poesie und ihren Soundtext-Partituren. Für diese Autoren war es erheblich schwieriger248, grafische Vorlagen für Hörspiele oder Formen akustischer Poesie249 zu erfinden. Lesbares und Gedachtes auf die Ebene des Hörba246
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Eugen Helmlé, Maurice Roche. In: KLfG. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München 1984 ff., S. 6. Leon Schidlowsky, Musikalische Grafik. Katalog. Staatsgalerie Stuttgart 1979, S. 39, Abb. 30. Zu SATOR siehe Anm. 1982. Weitere Notationen von Schidlowsky mit Texten von G. Stein, P. Éluard, G. Grosz, W. Majakowski, H. Ball u. E. A. Poe in: Musikalische Grafik, a.a.O. Spuren des Neuen Hörspiels, a.a.O., S. 297. Aleksej Nikolaevicˇ Cˇicˇerin (1889–1960) schrieb bereits Partituren für seine Phonetischen Gedichte, in denen der Text so sehr zum Bild wurde, dass der Leser-Rezi-
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Abb. 31: Walter Ruttmann, Weekend, 1930
ren zu transponieren, oder etwas zu fixieren, was weder musikalisch noch sprachlich darstellbar ist, weil es um neue akustische Ausdrucksformen geht, führte zu Grafiken, die natürlicherweise Eigenleben gewannen, – von typografischen Akzentsetzungen der Futuristen und Dadaisten, Schwitters Varianten der „Ursonate“ seit 1923 und Walter Ruttmanns sehr einfacher Notation für sein „photographisches Hörspiel“ „Weekend“ (1930)250 bis zu den Autoren der Gegenwart251 wie Oskar Pastior252 oder Valeri Scherstjanoi253. In dem bisher behandelten Spektrum der Musikalischen Grafik gab es nun entweder spielbare Vorlagen mit mehr oder weniger genauen
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tator kapitulieren musste „angesichts der schieren Unmöglichkeit eines adäquaten mündlichen Vortrags“ (Zitat u. Abb in: Henrike Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 211 f. u. in: Zelinsky/ Chicherin/Sel’vinsky/ Kupreyanov/Zemenkov, Mena Vsekh. Konstruktivisty Poety. Moskau 1924, Abb. in: Imagining Language, a.a.O., S. 16 f.). Siehe auch sein Manifest aus dem Jahr 1926: Aleksej N. Cˇicˇerin, Kan-Fun. In: Zabytyj avangard. Rossija – pervaja tret’ XX stoletija. Sbornik spravocˇnych i teoreticˇeskich materialov. Hg. K. Kuz’minskij/G. Janecek/A. Ocˇeretjanskij. Wien 1988, S. 191 ff. (= Wiener Slawischer Almanach, Sonderband 21). Jeanpaul Goergen, Walter Ruttmann. Eine Dokumentation. Berlin (1987), S. 130f., Abb. 31. In drei Publikationen gibt es eine Vielzahl von Beispielen internationaler Musikalischer Grafik und Lautgedicht-Partituren: Text-Sound Texts, a.a.O.; Giovanni Fontana, La voce in movimento, a.a.O. u. Stimmen und Klänge der Lautpoesie, a.a.O. – Wobei es auch weit früher Notationsversuche gab wie die Partitur bei Matthias Claudius im 3. Teil des „Wandsbecker Bothen“ (1777), die Vertonung eines Liedes ohne Notenlinien und nur mit großen und kleinen Buchstaben dargestellt: Claudius, Werke. Bd. 1. Gotha 1871, S. 32, Abb. auch in: Stimmen und Klänge der Lautpoesie, a.a.O., S. 254 f. Stimmen und Klänge der Lautpoesie, a.a.O., S. 238 ff. Aus „lautländische partitur“ (1994) in: Neue Musik München. Klang-Aktionen ’97. Programmheft. Hg. Kulturreferat der Stadt München 1997, (S. 37), vgl. auch Abb. 263 und Anm. 2597.
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Abb. 32: Peter Maxwell Davies, Eight songs for a mad king (3.), 1971
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Anweisungen für die Aufführung von Musikwerken254, oder solche, die, von konkreten Werken der Musik oder der Literatur ausgehend, neue und offene Angebote machten, um Geräusche, Töne, Sprache und Musik in Form von Musikstücken, Hörspielen, Akustischer Poesie oder Sound-Performances kreativ umzusetzen. Ernst Jandl schrieb dazu: „Man könnte versuchen zu sagen, Lesbarkeit und Hörspielcharakter seien umgekehrt proportional, d. h. von einem Hörspielmanuskript könne erst dann die Rede sein, wenn dieses zeigt, dass sein Verfasser seinen Text vor der späteren Realisation sozusagen vorausgehört hat, dass also die akustische Welt dieses Hörspiels schon dem Manuskript-Autor gegenwärtig war, Tempo, Farbe, und Lautstärke der Stimmen, Musik und Geräusch, jeweilige Distanz der Vorgänge vom Hörer, räumliche Auffächerung, Einfall der Stereofonie, all dies freilich im Bewusstsein unvollkommener Fixierbarkeit, bzw. gewollt unrealisierbarer Fixierung, Raum für die Freiheit des Realisationsteams.“255 So waren es vor allem Komponisten der Neuen Musik, die neue Notationsformen suchten und dabei Grenzüberschreitungen zur Literatur vornahmen. Diese Grenzüberschreitungen sind allerdings schon früher erkennbar, etwa bei Marcel Duchamp256, Tullio C. Crali257 und Francesco Cangiullo258. Aber erst mit dem Neuen Hörspiel, als sich sowohl Komponisten als auch Autoren intensiver mit dem Wort, mit den akustischen Qualitäten von Sprache befassten und neue akustische Aus-
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Ein schönes Beispiel ist die Partitur in der Form eines Vogelkäfigs von Peter Maxwell Davies (1934) „Eight songs for a mad king. 3.“ (1971/Abb. in: The British Library. The Reference Division Collections. London 1983, S. 37, Abb. 32). Ernst Jandl/Friederike Mayröcker, Anmerkungen zum Hörspiel. In: Neues Hörspiel. Essays, Analysen, Gespräche. Hg. Klaus Schöning. Frankfurt 1970, S. 90 f. Abb. 33 ist eine Partiturseite aus dem Hörspiel „Das Röcheln der Mona Lisa“ (1970) in: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972, (S. 27), dazu und weitere Jandl-Notationen in: Monika Schmitz-Emans, Notation als Kunst. Akustische Poesie und die Inszenierung von Schrift. In: Poetica 38, H. 3–4, München 2006, S. 451 ff. Siehe auch: Ernst Jandl. Musik, Rhythmus, Radikale Dichtung. Hg. Bernhard Fetz. Wien 2005. Erratum musical (1913) in: Fontana, a.a.O., S. 279 u. http://www.toutfait.com/ issues/issue_1/Music/erratum.html. Sensazioni pentagrammate (1933) In: Tavole parolibere futuristi (1912–1944) Teil 2. Napoli 1977, S. 293. Eine ganz ähnliche Arbeit gibt es von Alain AriasMisson aus den 1960er Jahren, in: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 202. Poesie pentagrammata. Napoli 1923 (Faksimiledruck Hg. von Luciano Caruso. Firenze 1979).
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Abb. 33: Ernst Jandl, Das Röcheln der Mona Lisa, 1970
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Abb. 34: Anthony Gnazzo, Aristotle, 1964
drucksformen entwickelten, entstand ein sehr variantenreiches Spektrum von „Partituren“, und mit ihrer immer stärker voranschreitenden Verselbständigung und dem in den Hintergrundtreten der Spiel- und Aufführbarkeit zugunsten der künstlerischen Realisation der Grafik, entwickelten sich Formen, die allmählich ganz in den Bereich der Poesie259 oder der bildenden Kunst260 übergingen. 259
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Anthony Gnazzo, Aristotle (1964) in: Fontana, a.a.O., S. 308, Abb. 34; Eugenio Carmi, Stripsody. Vocal Interpretation by Cathy Berberian. Introductory Text by Umberto Eco. Rome/Houston 1966 (Abb. in: Massin [1970], a.a.O., S. 226); Carlos Alvear, Russian Rhapsody in: konkrete poesie international 2. Hg. Max Bense/Elisabeth Walther. Stuttgart 1970 (= rot 41); Helmut Löhr, Visual Music (1993) u. Abb. in: Kommunikation visuell: Wort, Bild, Buch – verschlüsselt und transformiert. Katalog. Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig 2001, S. 44 ff. Hannah Höch, Konstruktion mit Verdi (1948) in: Schrift und Bild. Hg. Dietrich Mahlow. Amsterdam/Baden-Baden 1963, S. 78, Abb. 35, oder gegenwärtig: Jutta-
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Abb. 35: Hannah Höch, Konstruktion mit Verdi, 1948
Maria Walter, Illuminations – Poèmes Symphoniques. Künstlerbuch 1999 (Abb. in: Bartkowiaks forum book art. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 23. Ausg., Hamburg 2005/06, S. 381). Vgl. auch: Visual Music. Synaesthesia in Art and Music since 1900. London 2005.
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Exemplarisch für diese Formenausweitung in beiden Bereichen steht Gerhard Rühm. Als Mitbegründer der Wiener Gruppe261 hatte er sich in den 1950er Jahren über einen neuen Zugang zum Dialektgedicht262, über Theaterperformances und die Produktion von Akustischer und Optischer Poesie dieser Gattung genähert. Das Studium der Musik (Klavier und Komposition) an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, der Privatunterricht bei Josef Matthias Hauer, seine Arbeiten im Bereich der bildenden Kunst, seine Lehrtätigkeit an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste in Hamburg, – dies alles waren Voraussetzungen, grenzüberschreitend zu arbeiten, Anregungen von allen künstlerischen Disziplinen aufzunehmen und neue Formen jenseits der reinen Gattungsgrenzen zu erfinden. So trennte Rühm auch die Musikalische Grafik – er verwendete den Begriff „grafische musik“263 – von „visueller musik“: „die sogenannte grafische musik, die unkonventionelle notationsformen entwickelte, um die fantasie des interpreten anzuregen und ihn zu kreativen klanglichen umsetzungen zu provozieren, noch durchaus spielvorlage, so verzichtet !visuelle musik", wie ich sie betreibe, ganz auf interpretierende wiedergabe, bleibt stumm; nur im kopf des betrachters sollen vage musikalische assoziationen geweckt werden. !visuelle musik" ist das musikalische pendant zur !visuellen poesie", die – obgleich grundsätzlich dichtung – primär ein visuelles ereignis ist, ein phänomen, bei dem sich zwei verschiedene kunstsparten, einander ergänzend, vermischen“264. Zu dieser „visuellen musik“265 gehört die Gruppe der „leselieder“266: „durchdringen einander in meinen !leseliedern" zeichnung, schrift 261
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Die Wiener Gruppe (1967), a.a.O. u. die wiener gruppe. ein moment der moderne 1954–1960. die visuellen arbeiten und die aktionen. Hg. Peter Weibel. Wien/New York 1997. Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Gerhard Rühm, hosn rosn baa. Wien 1959. Gerhard Rühm, Text – Bild – Musik. Ein Schau- und Lesebuch. Wien 1984, S. 165 (= Freibord Nr. 41/42) u. Rühm, Visuelle Musik. In: Rühm, Musik des Verstummens. Ein Zyklus von zwölf Collagen. Katalog, Meiningen 1994, (S. 32 f.) sowie Rühm, Visuelle Musik. Vierundzwanzig Notenblätter. Hannover 1984. Gerhard Rühm, Zu meinen Liederbildern. In: Rühm, Liederbilder. Katalog, Bremen 1992, (S. 3), Abb. 36 im Katalogteil. Eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Werkgruppen seiner Visuellen Musik (u. a. auch Bleistiftmusik) findet sich in: Rühm, Aspekte !Visueller Musik". In: Der gute Ton zum schönen Bild. Ausstellungskatalog der HfbK Hamburg 1989, (S. 6 ff.) mein mein lebt mein, 1992. In: Rühm, Liederbilder, a.a.O., o. P.; Beispiele auch in: Rühm, Visuelle Poesie. Arbeiten aus vier Jahrzehnten. Innsbruck 1996, S. 189ff.
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Abb. 36: Gerhard Rühm, Liederbild, 1992
(text) und musik (als freie notation), so treffen bei den !liederbildern" vorgefundene textierte noten, also lieder, mit bildern, genauer mit dokumentarischem fotomaterial zusammen, das zu den älteren liedzitaten aktuelle bezüge herstellt“267. Schließlich nennt Rühm noch eine weitere Werkgruppe seiner „visuellen musik“, die „melogramme“268. Es sind Konturzeichnungen auf Notenpapier, die melodische Bewegungsabläufe vorstellbar machen. Aus den „melogrammen“ abgeleitet sind die „klangkörper“, Scherenschnitte aus leeren Notenblättern, die wiederum auf leere Notenblätter gegeneinander verdreht und verschoben collagiert werden. Für alle Formen der „visuellen musik“ Rühms gilt, dass trotz der grafischen/zeichnerischen Darstellung eine Art optische „Musik“ entsteht. Ganz anders dagegen zielte z. B. Dick Higgins in seinen „variations on a natural theme for orchestra“ (1982) auf die grafische Wirkung, indem er mit einer Scheinpartitur spielte: – interessanterweise mit genau dem gleichen Thema, das Rühm in seinen „melogrammen“ 1984 benutzte, nämlich dem erotischen Spiel mit dem weiblichen Körper269. Higgins 267 268 269
Rühm, Zu meinen Liederbildern, a.a.O. Rühm, Text – Bild – Musik, a.a.O., S. 167 ff., Abb. 37, S. 181. Dick Higgins, variations on a natural theme for orchestra. In: Christiane Dierks, Fluxus. Kunst-Bibliothek. Oldenburg 1994, S. 36, Abb. 38.
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Abb. 37: Gerhard Rühm, melogramm, 1984
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Abb. 38: Dick Higgins, variations on a natural theme for orchestra (third variation), 1982
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Abb. 39: Josef Anton Riedl, (1998)
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gab zwar präzise Spielanweisungen, aber „die Partitur hat sich hier in bildhafter Eigenständigkeit von ihrer funktionellen Bedeutung befreit, ihre Aufführung ist allenfalls denkbar“270. Noch radikaler, d. h. ohne irgendwelche optischen Hinweise wie Notenlinien, Noten, Schlüssel, Pausen- oder Lautstärkensymbole usw., geben sich die „Optischen Lautgedichte“ von Josef Anton Riedl271, früher auch von ihm „Sonographien“272 genannt. Der von Carl Orff beeinflusste Komponist, der sich schon früh mit elektronischen Kompositionen beschäftigte und von 1959 bis 1966 das von Siemens in München gegründete Studio für elektronische Musik leitete273, begann sich 1960 „mit !Musik zum Sehen" zu beschäftigen. Es entstanden Zeichnungen in Farbe und schwarz-weiß. Sie wurden von mir !Optische Lautgedichte" genannt (…) später nannte ich kurze Sprachstücke !Lautgedichte". Noch mal später nannte ich kurze Stücke für verschiedene Instrumente und Gegenstände !Instrumentale Lautgedichte". Meine Einteilung jetzt: !Optische Lautgedichte" und !Akustische Lautgedichte". Zu letzteren gehören !Lautgedichte" und !Instrumentale Lautgedichte"“274. Gab es bei Rühm, Higgins und Riedl für ihre Arbeiten noch rudimentäre Bezüge zur Musik, gibt es demgegenüber eine Reihe von Arbeiten der Musikalischen Grafik, die auf Notenblättern Textelemente und/oder bildhafte Fragmente enthalten, die einerseits zur Literatur, andererseits zur bildenden Kunst neigen, die frei von musikalischen Bezügen sind und lediglich mit ihnen ein Form- und Metaphernspiel betreiben. Eines der bedeutendsten frühen Beispiele ist Marcel Duchamps Zeichnung von 1914 „avoir l’apprenti dans le soleil“275 oder 270 271
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Dierks, Fluxus, a.a.O., S. 38. Hans Rudolf Zeller, Schrift-Musik im Extrem. In: Positionen 36, Berlin 1998, S. 29 ff. Georg Decristel entwickelte seine „Maultrommelklangbildgedichte“ aus sogenannten Sonogrammen: Vom Sonogramm zum Maultrommelklangbildgedicht. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1984, S. 422 f. Josef Anton Riedl, Musik des technischen Zeitalters. In: Siemens-Studio für elektronische Musik. München 1994, S. 27 ff. Lentz, Lautgedicht-Lautmusik, a.a.O., S. 20, vgl. Hans Rudolf Zeller, SchriftMusik im Extrem. Josef Anton Riedls Optische Lautgedichte. In: Positionen 36. Schrift(lichkeit). Berlin 1998, S. 29 ff., Abb. 39, S. 35. Michael Glasmeier, Marcel Duchamp, John Cage und eine Kunstgeschichte des Geräusches. In: Resonanzen. Aspekte der Klangkunst. Hg. Bernd Schulz. Katalogbuch der Stadtgalerie, Saarbrücken 2002, S. 49 ff. (Abb. 40 S. 50). Zu diesem Beispiel, das mehr zur bildenden Kunst neigt, das mehr zur Literatur neigende
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Abb 40: Marcel Duchamp, – avoir l’apprenti dans le soleil –, 1914
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„La partition complète complétée“ (1945)276 von Edouard Léon Théodore Mesens (1903–1971). Besonders ausgeprägt ist diese Kunstform in Italien277. Luciano Ori, der zur Florenzer Gruppe „poesia visiva“ gehörte, ist wohl der interessanteste Vertreter. Seit den 1970er Jahren hatte er auf Notenlinien Text und Bild zu einer jeweils eigenen Zeichensprachen-Komposition vereint, die er „musica visiva“278 nannte. Die Durchnummerierung seiner „Kompositionen“ erinnert an die Nummerierung umfangreicher Kompositionswerke traditioneller Komponisten, und wie „telephone blues“279 gibt es eine ganze Serie von Arbeiten, in denen er anstatt der Telefone und Sprechblasen auch Bäume, Schrauben, Heizkörper usw. verwendete, wie dies bereits bei Moritz von Schwind280 oder in einer Partitur aus dem Jahr 1913281 zu sehen war282. Ganz ähnlich, aber deutlich weniger streng und malerischer arbeitete der zur Gruppe „Fluxus“ gehörende Giuseppe Chiari283, der ebenfalls aus Florenz stammte und sich sowohl mit Musik284 als auch mit Kunst befasste. Auf leeren Notenblättern sind rhythmisch Zeichenspuren über die Notenlinien verteilt, und auf gedruckten Partituren entstanden durch Übermalungen und handschriftliche Korrekturen, entweder als Sequenz oder als einzelnes Blatt, Kunstblätter285. 276
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„Erratum musical“ (1913) von Marcel Duchamp, Abb. in: http://www.toutfait.com/issues/issue_1/Music/erratum.html. – Eine Parodie gibt es von Martin Mißfeldt: „Giraffe radelt zur Sonne – nach Marcel Duchamp“ (2006/Abb. in: http://www.martin-missfeldt.de/kunst-bilder/klee-popart-warhol/marcel-duchampfahrrad.php u. http://www.dynoxicon.de Abb. in: Herta Wescher, Die Geschichte der Collage. Vom Kubismus bis zur Gegenwart. Köln 1974, S. 243 u. Francine Claire Legrand, peinture et écriture. In: Quadrum 13. Brüssel 1962, S. 18 f. Katalog „Del suono e dell’imagine“ (Galeria „Il Punto“, Velletri 1986), hg. von Mirella Bentivoglio u. Giovanni Fontana, von dem es schöne Beispiele gibt in: Art in Italia 5. Jg., Nr. 11, Colognola ai Colli 1998, S. 57 ff. Luciano Ori, poemes de Musica Visiva. FULL (International Research & Poetics) 20, Barcelona 1996. telephone blues (1974), 75 × 95 cm, Abb. 41, Archiv Dencker. Siehe Anm. 204. Anonym, Fantasio (1913) in: Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 526, Abb. 42. Mit alphabetischen Zeichen (Buchstaben/Wörtern und dem Taubstummenalphabet) auf den Notenlinien arbeitet auch Wolfgang Kleinöder (1955). Fontana, La voce in movimento, a.a.O., S. 229 f. Giuseppe Chiari, Musica madre. Ed. Preparo G. Milano 1973; Giuseppe Chiari, Music is easy. Opere 1962–1982. Salone Villa Romana, Florenz 1983. Abgedr. in: Fluxus. Ausstellungskatalog der Galeria Fontanella Borghese, Rom 1990, (S. 56/57 u. S. 93).
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Abb. 41: Luciano Ori, telephone blues, 1974
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Abb. 42: Anonym, Fantasio, 1913
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Abb. 43: Mieko Shiomi, Ultimate Music No. 6, 2004
Gerade bei Fluxus-Künstlern286, aber auch bei Visuellen Poeten und bildenden Künstlern anderer Provenienz finden sich viele verwandte Varianten dieser Ausdrucksform287. Der Franzose Jérôme Peignot komponierte auf einem Notenblatt nur mit dem Zeichenmaterial der musikalischen Notation wie Vorzeichen, Pausenzeichen, Notenschlüssel, Tempo- und Lautstärkeangaben288. Seine Landsmänner Françoise Mairey und Claude Melin simulierten Noten-
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Z. B. bei den New Yorker Fluxus-Künstlern Jackson Mac Low (Hereford Bosons 1/1989 in: Fluxus. Ausstellungskatalog, a.a.O., S. 79), Yasunao Tone (Trio for a Flute Player/1985 in: Fluxus: una storia veneta. Ausstellungskatalog Museo Biblioteca Archivio, Bassano del Grappa [1995], S. 126) oder Dick Higgins (1000 Symphonies/1962 in: Fluxus: una storia veneta, a.a.O., S. 92). Abb. 43 in: Mieko Shiomi, A Series of Ultimate Music (Osaka 2004). Sogar in der Werbung tauchen Beispiele auf, wie: „Rite of Spring“ (2000) der Agentur Saatchi & Saatchi Wellington, eine Interpretation von Stravinskys „Rite of Spring“ (1913), Abb. in Jeremy Myerson & Graham Vickers, Rewind. Forty Years of Design & Advertising. New York 2002, S. 446. Quand les cœurs brisés sont à la clef, ils soupirent (1992) in: Jérôme Peignot, Typoésie. Paris 1993, S. 446.
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linien mit Schreibmaschinenschrift, fortlaufend und scheinbar nach dem Zufallsprinzip die gesamte Schreibmaschinentabulatur rot und schwarz im Wechsel von Zeile zu Zeile ausreizend289, oder mit an Noten und Notenlinien erinnernden zeichnerischen Figurationen290. Der Engländer Tom Phillips entwarf ein Blatt, das an die letzten Tage von Robert Schumann in der Anstalt Endenich erinnern soll291, wo Schumann unverständliche und unzusammenhängende Partiturfetzen produziert haben soll, die Clara vernichtete. Und die deutsche Künstlerin Linda Schwarz gewinnt durch mehrfache Verwendung eines alten, in Teilen unterschiedlich erhaltenen Manuskripts der Anna Magdalena Bach neue Noten-Bilder292. Sie nimmt zwar Bezug auf die alte Partitur, interpretiert diese aber mit Mitteln der bildenden Kunst und gewinnt damit eine andere Möglichkeit, Musik in die bildende Kunst zu übertragen, als die, die Oskar Rainer mit seinen Schülern in den 1920er Jahren versuchte. Beide Transponierungsvarianten fanden ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung. So macht Irina L. Vanechkina in einem Aufsatz „!Musical Graphics" as an Instrument for Musicologists and Educators“293 auf ihr Projekt in Kazan/USSR aufmerksam, das die Ansätze von Oskar Rainer aufgegriffen und in der Praxis mit Schülern fortgeführt hat, und der Künstler und Wissenschaftler Pierre Y. Karinthi aus Frankreich legte in einem Beitrag „A Contribution to Musicalism: An Attempt to Interpret Music in Painting“294 ein theoretisches Modell der Transponierung von Musik bzw. Partitur in Malerei vor. Dabei ersetzte er das System der bekannten Farb-Klang-Kreis-Vorstellungen, indem er nicht, den Synästhe-
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Françoise Mairey, Clavier n° 3 sur aquarelle et Olympia splendid 66 à Paris rue Saint-Nicolas en juillet 1988 avec deux erreurs (1988) in: Peignot, Typoésie, a.a.O., S. 441. Claude Melin, Opus 7 (encre noire) in: Peignot, Typoésie, a.a.O., S. 411. Weitere Beispiele ebd. S. 412–414 (Musikinstrumente werden aus Notenlinien und Noten gezeichnet) u. in: Melin, Chansons de Gestes. Paris 1998. Letzte Notenzeichen aus Endenich (1974) in: Phillips, Der Klang in meinem Leben. In: Phillips, Musik der Bilder. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. München 1998, S. 121. Das Buch „Musik der Bilder“ ist eine Sammlung von Beiträgen über die Beziehung von Musik und bildender Kunst. Volker Straebel, Linda Schwarz: Vom Verschwinden Bachs. In: Positionen 36, Berlin 1998, S. 39 ff. In: Leonardo 5, Vol. 27, Oxford 1994, S. 437 ff. Hier auch weitere Hinweise auf Publikationen von Vanechkina zum selben Thema. In: Leonardo 4, Vol. 24, Oxford 1991, S. 401 ff., Abb. 44.
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Abb. 44: Pierre Y. Karinthi, A Contribution to Musicalism, 1991
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sieerkenntnissen folgend, Zuordnungen vornahm, sondern exakt errechnete Transponierungs-Regeln anwendete295. Eine Sonderform mag den Blick auf die Musikalische Grafik abschließen, die der 1932 in Belgrad geborene Komponist Vladan Radovanovic´ seit 1954 entwickelte und „VocoVisual“296 nannte. Die Arbeiten seien weder „poetry nor any other one-medium genre. Today this tendency can be conceived as an independent art genre. It is an interdisciplinary multimedia art, which involves not only the visual and phonetic, but also tactile, kinetic, etc. Though being a multimedia discipline, it itself differs from Mixed Media, Multi Media and Inter Media by its designative meaning.“297 Diese Äußerung leitet nach der Akustischen Poesie und Musikalischen Grafik nun über zu Grenzüberschreitungen, die den Bereich der Kinetischen Poesie ausmachen.
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Leonardo 4, a.a.O. Vladan Radovanovic´, Story of „0“. VocoVisual. Hg. K. Riha/S. J. Schmidt. Siegen 1986 (= experimentelle texte 9). Radovanovic´, a.a.O., S. 3
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IV. Kinetische Poesie IV/1 Filmische Realisationen Die Kinetischen Poesie298, die als Begriff und Ausdrucksform im Zusammenhang mit den Programmatiken der Konkreten Poeten ins Bewusstsein geriet299, besitzt – wie die Kinetische Kunst300 – enge Bezüge zur Geschichte der technischen und elektronischen Medien. Sie verweist insbesondere auf das Verhältnis von Literatur und Film, in dem die beiden Elemente Bewegung und Visualisierung eine wesentliche Rolle spielen. Die Entdeckung des Films am Ende des 19. Jahrhunderts markiert mit der Entwicklung einer sogenannten Filmsprache301 den Beginn einer Fülle von Äußerungen des wechselseitigen Bezugs302, 298
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Zur Kinetischen Poesie siehe: Peter Weiermair, Aspekte des Visuellen in der konkreten Poesie. In: 4. Jg, Nr. 18, H. 6, Stuttgart 1968, S. 20; Hans Scheugl/Ernst Schmidt jr. Eine Subgeschichte des Films. Lexikon des Avantgarde-, Experimentalund Undergroundfilms. 1. Bd. Frankfurt 1974, S. 416 ff., Abb. 45 S. 404; Dieter Kessler, Untersuchungen zur Konkreten Dichtung. Vorformen – Theorien – Texte. Meisenheim a. Gl. 1976, S. 233 ff.; Manfred Pütz, Formen moderner Gedichte. In: Konkrete Poesie, Linguistik und Sprachuntericht. Hg. Burckhard Garbe. Hildesheim 1987, S. 170 f. Vgl. Anm. 364. Vgl. die bereits erwähnte Publikation ZERO (Anm. 181); Kinetica. Ausstellungskatalog. Museum des 20. Jahrhunderts, Wien 1967; Guy Brett, Kinetic Art: the language of movement. London 1968; Kinetische Kunst. Ausstellungskatalog. Haus am Waldsee, Berlin 1968; Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde. Hg. Wien Museum. Wien 2006. Folgerichtig beginnt die „Chronologie der Kinetische Kunst nach 1900“ von Wolfgang Ramsbott mit den frühen Filmemachern der englischen „Schule von Brighton“ George Albert Smith u. Alfred Collins (in: Movens, a.a.O., S. 179ff.) und den ersten Ansätzen des Filmschnitts (Smith „Grandma’s Reading Glas“ 1900 und Collins „Marriage by Motor“ 1903) als Grundlage einer späteren Filmsprache. „Die alten Formen der Übermittlung nämlich bleiben durch neu auftauchende nicht unverändert und nicht neben ihnen bestehen. Der Filmesehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmesehender“ (Bertolt Brecht, Gesammelte Werke Bd. 18. Schriften zur Literatur und Kunst I. Frankfurt 1967, S. 156).
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Abb. 45: Schema zur Entwicklung der kinetischen Schaukünste, 1974
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die, in zwei Gruppen gegliedert, zugleich zwei historische Entwicklungslinien zur Kinetischer Literatur ausmachen. 1) Programmatische Äußerungen, die auf dem Weg zu einer Filmsprache Analogien zwischen der Literatur und dem neuen Medium Film erkennen lassen und in der Rückschau auf Formen filmischer Schreibweisen (vor und nach der Entdeckung des Films) in der Literatur aufmerksam machen. 2) Programmatische Äußerungen, die mit dem historischen Bezug zur Entdeckung des Films das Bewegungselement303 in der Kunst thematisieren und auch hier den Blick rückwärts und vorwärts auf nahestehende literarische Formen neu öffnen.
Analogien Die Analogien zur Literatur finden sich besonders ausgeprägt im Umfeld des russischen Formalismus304 bei den russischen Filmkünstlern. „Ich bin ein Filmschriftsteller“, schrieb Dziga Vertov (1896–1954) am 6. 9. 1936, „ein Filmdichter. Ich schreibe nicht auf Papier, sondern auf Zelluloid“305. 303
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Hier soll nicht auf die über diesen Bezug hinausgehende historische Entwicklung des Bewegungselements eingegangen werden, die sich bis zur Funktion Gottes als „erster Beweger“ und seinem seit Hesekiel (Hes 1,4) bekannten Fortbewegungsmittel, dem „Merkaba“ genannten himmlischen Wagen, zurückverfolgen ließe: dazu der Philosoph Henry More (1614–1687) in: More, Opera omnia. Ed. Avec une introduction par Serge Hutin. Bd. 2,1: Opera philosophica 1. Nachdr. dt. Ausg. London 1679/Hildesheim 1966. Poetik des Films. Deutsche Erstausgabe der filmtheoretischen Texte der russischen Formalisten mit einem Nachwort und Anmerkungen. Hg. Wolfgang Beilenhoff. München 1974, S. 139: „Der in den vorliegenden Texten avisierte Entwurf einer Poetik des Films expliziert einen Theoriebildungsprozess, in dem die literaturtheoretische Vorgabe als erkenntnistheoretisches Modell und produktive Matrix fungiert“. Dazu: Texte der russischen Formalisten. Bd. I. Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. Hg. Jurij Striedter. München 1969 u. Texte der russischen Formalisten. Bd. II. Texte zur Theorie des Verses und der poetischen Sprache. Hg. Wolf-Dieter Stempel. München 1972. Wobei zu berücksichtigen ist, dass es auch durchaus kritische Stimmen gab, wie die von Jurij Nikolajewitsch Tynjanow (1894–1943), der sich seit 1926 gegen die „Einbürgerung der literarischen Tradition in der Filmkunst“ wandte. Vgl. dazu seine „Grundlagen des Films (1927)“ in: Poetica 3, München 1970, S. 510ff. u. den Beitrag von Neja Sorkaja, Tynjanow und der Film. In: Filmwissenschaftliche Beiträge 1, 9. Jg., Berlin 1968, bes. S. 176f. Dsiga Wertow, Aus den Tagebüchern. Bd. 1. Hg. Peter Konlechner/Peter Kubelka. Wien 1967, S. 56.
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Und noch 1953 heißt es in einer Bemerkung zur Montage: „Sie müssen aus den Buchstaben Worte bilden, aus den Worten Phrasen, aus den Phrasen Artikel, Abrisse, Gedichte und so weiter. Das ist nicht mehr Montage, sondern Filmschrift“.306 Wsewolod Ilanowitsch Pudowkin (1893–1953) verband seine Montagetheorie (1928) mit einem „Vergleich aus einer anderen Kunstform, der Literatur“307, und Sergej Michailowitsch Eisenstein (1898–1948) stellte 1929 fest: „In dieser Hinsicht nutzte die Filmkunst die literarische Erfahrung zunächst für die Ausarbeitung ihrer eigenen Sprache, ihrer eigenen Rede, ihrer eigenen Wortkunst, ihrer eigenen Bildlichkeit“308. Noch konkreter wird Eisenstein, wenn er am Beispiel der japanischen Sprache und ihrer Zeichen die Verbindung zur Montage herstellt. Wenn die Kombination zweier Zeichen wie „Mund“ und „Hund“ ein Superzeichen wie „bellen“ ergeben, dann ist es „das gleiche, was wir im Film machen, wenn wir kurze darstellerische Bildeinstellungen, möglichst einschichtige, bedeutungsneutrale, zu bedeutungsgeladenen Kontexten und Reihen zusammenfügen“309 wie die lyrischen Formen Haikai und Tanka, die mit wenigen bildhaften Elementen einen sehr viel größeren Bedeutungsraum entfalten: „Für uns sind das – Montage-Phrasen, Montagelisten. Die einfache Zusammenfügung von zwei, drei Details der Materialreihe ergibt eine vollständige fertige Vorstellung anderer Art – die psychologische“310. Mit dieser filmischen Optik, die erst Erkenntnisse dieser Art ermöglichte, lassen sich so auch filmische Schreibweisen311 und die Anwendung technischer Mittel des Mediums in vielen literarischen Arbeiten312 306 307 308
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Wertow, a.a.O., S. 150. W. I. Pudowkin, Über die Filmtechnik. Zürich 1961, S. 8. Sergej M. Eisenstein, Schriften 3. Hg. Hans-Joachim Schlegel. München 1975, S. 245. Vgl. auch im Beitrag „Das Mittlere von Dreien“ (1934): „das Verdienst einer tiefgreifenden Wechselbeziehung zur Literatur, zu literarischen Traditionen und literarischen Methodologien. Indem sich der Film jener Periode aus einem Antagonismus zum Theater und zur theatralischen Filmkunst des bürgerlichen Westens heraus entwickelte, knüpfte er gleichzeitig einen ausgesprochen engen Kontakt zu allen Manifestationsarten der Literatur.“ (Sergej M. Eisenstein, Schriften 1. Hg. Hans-Joachim Schlegel. München 1974, S. 272). Eisenstein, Schriften 3, a.a.O., S. 227, vgl. auch Anm. 1198. Eisenstein, Schriften 3, a.a.O., S. 228. Joachim Paech, Literatur und Film. Stuttgart 1988, bes. S. 122 „Filmische Schreibweise“. Z. B. Kinobuch (1913). Hg. Kurt Pinthus. Zürich 1963, S. 27, hier „versuchte jeder der Autoren dieses Buches irgendeine literarische Form zu finden, die dem Kino irgendwie adäquat ist“.
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der Jahrhundertwende nachweisen, wie dies schon Wolfgang Iskra in der „Darstellung des Sichtbaren in der dichterischen Prosa um 1900“313 an Romanen von Martin Beradt oder Richard Beer-Hofmann gezeigt hat. Brecht behauptete 1925 im Berliner Börsen-Courier: „Interessant ist auch, dass, wie man aus den Stevensonschen Erzählungen genau sieht, die filmische Optik auf diesem Kontinent vor dem Film da war. Nicht nur aus diesem Grunde ist es lächerlich, zu behaupten, dass die Technik durch den Film eine neue Optik in die Literatur gebracht hat. Rein sprachlich genommen, hat die Umgruppierung nach dem optischen Gesichtspunkt hin in Europa schon lange begonnen. Rimbaud zum Beispiel ist schon rein optisch eingestellt. Aber bei Stevenson sind schon die ganzen Vorgänge visuell angeordnet“314. Brechts Behauptung wird teilweise durch ein besonders gutes Beispiel im Aufsatz „Dickens, Griffith und wir“ von Eisenstein gestützt. Eisenstein weist an den Romanen von Charles Dickens nach, dass hier schon filmische Mittel benutzt und Montage- und Überblendungstechniken eingesetzt wurden, so dass Eisenstein sich fragte: „Hat Dickens hier nicht die !Sinfonie der Großstadt" vorweggenommen“315, womit er auf einen Film anspielte, der bekanntlich von Walter Ruttmann 1927 produziert wurde, also mehr als ein halbes Jahrhundert nach Dickens. Und Eisenstein ging noch weiter. In seinen Aufzeichnungen „… und fand sich berühmt“316 berichtete er über ganz ähnliche Entdeckungen an Puschkins Gedichten vom Anfang des 19. Jahrhunderts, die bis zur Rekonstruktion filmskriptartiger Mon313 314
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Münster 1967. Brecht, Gesammelte Werke Bd. 18, a.a.O., S. 24, wobei anzumerken ist: wenn Brecht sich auf Robert Louis Stevensons Roman „The Master of Ballantrae“ von 1889 bezieht, übersieht er, dass bereits im Januar desselben Jahres der Engländer William Friese-Greene den ersten Zelluloidfilm drehte und am 21. Juni öffentlich vorführte, nachdem aber schon vorher in Europa und in Amerika Filme auf Papier mit lichtempfindlicher Schicht und filmähnliche Versuche mit einer ganzen Reihe von Apparaten entstanden, die längst den neuen „optischen Gesichtspunkt“, nämlich den Eindruck des bewegten Bildes, ermöglichten und ebenfalls einer breiteren Öffentlichkeit bekannt waren. Eisenstein, Aufsätze 1, a.a.O., S. 87. Eisenstein geht hier auf eine Beobachtung zurück, die bereits Griffith machte: „Ich habe die Idee !des cross-cutting von einer Szene zu einer anderen, um die Spannung zu erhöhen" eingeführt (…) , aber es war keineswegs meine eigene Idee. Ich habe sie in den Werken von Dickens gefunden.“ (Hinweis bei: Paech, Literatur und Film, a.a.O., S. 48, vgl. auch S. 61 u. 65). Interessant der Beitrag von Norbert Greiner, Kinematographische Strukturen im Roman. In: Trierer Beiträge X. Trier 1985, S. 12 ff., (eine Analyse mit dem Schwerpunkt auf Romanen des 19. Jahrhunderts). Sergei Eisenstein, „ … und fand sich berühmt“. Wien/Düsseldorf 1968.
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tagelisten reichen317, wie sie später übrigens auch von dem Literaturwissenschaftler Lotman am Beispiel des Gedichtes „Morgen“ – 1874 von Nikolai Alexejowitsch Nekrasov (1821–1878) geschrieben – musterhaft belegt wurden318. Ob allerdings der Blick noch weiter zurück erlaubt ist, bedarf einer eigenen Untersuchung, die anknüpfen könnte etwa an die „Vorschule der Ästhetik“ von Jean Paul, in der davon die Rede ist, dass die „fließende Phantasie“319 eingesetzt werden müsse, wenn die Sprache allein zur Darstellung des Sichtbaren nicht mehr ausreiche. Jean Paul verstand darunter die Umsetzung des Statischen ins Dynamische und meinte, erst wenn sichtbare Dinge ins Vorganghafte geraten, „sieht man etwas“320 – wenn man so will, die Definition der Filmform schlechthin, die von Marinettis Formulierung in seinem „Technischen Manifest der futuristischen Literatur“ (1912) gespiegelt wird: „Dichtung muss eine ununterbrochene Folge neuer Bilder sein“321. Gesicherter ist jedoch, was Käte Hamburger in ihrer „Logik der Dichtung“322 feststellte, dass nämlich aufgrund der Abfolge von bewegten Bildern der Film nicht im Bereich der bildenden, sondern in dem der literarischen Künste seinen phänomenologischen Ort habe323 und das filmische Bild als bewegtes Bild weithin die Funktion des Erzählens der erzählenden Dichtung erfülle. Unter diesem Gesichtspunkt gehöre auch die Filmfiktion in den logischen Bereich der literarischen Fiktion. Insofern hat auch Brecht sicher recht.
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A.a.O., S. 371: „Und deshalb konnte das bewegliche Bild der Puschkinschen Konstruktionen erst mit dem Entstehen der Filmkunst so intensiv empfunden werden. (…) Eine Puschkinsche Beschreibung in einen montageartigen Wechsel von Einstellungen umzusetzen, ist ein hoher Genuß, denn Schritt für Schritt wird einem das eine oder andere Ereignis so deutlich sichtbar, wie es der Dichter sah und folgerichtig darstellte.“ Vgl. auch in Serge Eisenstein, Gesammelte Aufsätze I. Zürich o. J., S. 263 ff. die Analyse des Puschkin’schen Gedichts „Poltawa“ in seinem Essay „Montage 1938“. Jurij M. Lotman, Die Struktur des künstlerischen Textes. Frankfurt 1973, bes. S. 390 ff. Iskra, a.a.O., S. 69, Anm. 21. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik. Sämtl. Werke. Hg. E. Berend. Weimar 1935, Bd. 11, 1. Abtlg. S. 269. Manifeste, a.a.O., S. 25. Stuttgart 1957, S. 140/143. Vgl. auch Käte Hamburger, Zur Phänomenologie des Films. In: Texte zur Poetik des Films. Hg. Rudolf Denk. Stuttgart 1978, S. 123. Was Fernand Léger bestreitet: „Wenn der Film literarischen Ursprungs ist, ist er nichts“ (Film als Film, a.a.O., S. 115).
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Brecht hat jedoch unrecht, wenn er in Frage stellt, dass durch die Technik des Films eine neue Optik in die Literatur gebracht wurde. Denn erst mit der Existenz des Films tritt eine weitergehende qualitative Veränderung auf324, die etwa im Hinblick auf die Montagetechniken besonders deutlich in Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (1919)325 oder in Dos Passos’326 USA-Trilogie (1930) erkennbar ist. Wenn Döblin 1910 die Dramatiker aufforderte „vom Kinema zu lernen“327, 1913 von einem eigenen „Kinostil“ in der modernen Epik sprach328, und im gleichen Jahr Joseph Adler feststellte: „Der Wortfilm rollt (…) die Literatur muss von der Kinematographie lernen. Und sie hat schon von ihr gelernt (…) Das Döblinsche Werk hat das Tempo unseres Lebens“329, dann ist dies sehr früh schon anders eingeschätzt worden.
Bewegungselement Der „Tempo“-Hinweis von Adler führt unmittelbar zur zweiten Gruppe der programmatischen Äußerungen zur Entdeckung des Bewegungselements: „Das Kino ist ebenso die Kunst der Erfindung der Bewegung der Dinge im Raum“330 sagt Vertov 1922, und Yvan Goll schreibt 1920 im
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„Der Film hat das !20. Jahrhundert der anderen Künste" eigentlich erst in Bewegung gebracht (…) Theater, bildende Kunst, Literatur waren in einem Prozess begriffen, in den sich der Film einschaltete (…) Er lehrte die Malerei das Problem der Bewegung zu lösen (…) Der Literatur brachte er die Montage: jene Form, die Gleichzeitigkeit ausdrückt“ (Hans Richter, Der Kampf um den Film [1939]. München 1976, S. 63 f.). Ekkat Kaemmerling, Die filmische Schreibweise. Am Beispiel Alfred Döblin. Hörfunk-Feature, SFB 24. 10. 1972, gedruckt in: Materialien zu Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz. Hg. Matthias Prangel. Frankfurt 1975, bes. S. 186; Ekkat Kaemmerling, Rhetorik als Montage. In: Semiotik des Films. Hg. Friedrich Knilli. München 1971, S. 94 ff., wo Kaemmerling die rhetorischen Figuren der Literatur für die Beschreibung einer Film-Syntaktik zugrunde legt. „Dos Passos hat die Übertragung des filmischen Sehens in die Literatursprache vorgenommen, die Terminologie und den Kinoglas-Aufbau“ in: Dsiga Vertow, Aus den Tagebüchern. Wien 1967, S. 26 (Eintrag vom 16. 4. 1934). Alfred Döblin, Antikritisches. In: Der Sturm 1, 1910, S. 280. Alfred Döblin, Aufsätze zur Literatur. Olten 1963, S. 17. Joseph Adler, Ein Buch von Döblin. In: Der Sturm 4, 1913, S. 71. Dziga Vertov, Wir. Variante eines Manifestes. In: Dziga Vertov, Schriften zum Film. Hg. Wolfgang Beilenhoff München 1973, S. 10.
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„Kinodram“331: „Wir stehn in einem neuen Zeitalter, dem der Bewegung“. Es ist die Zeit, in der von Jules Vernes „Reise um die Welt in 80 Tagen“ (1873) über H. G. Wells „Zeitmaschine“ (1895) bis zur Relativitätstheorie von Einstein332 Zeit- und Bewegungsphänomene zum Gegenstand phantasievoller Entwürfe und zugleich wissenschaftlicher Studien werden. So wird dem englischen Physiker Lord Rayleigh 1874 die später für die OP-Art wichtige Entdeckung des Moiré-Effekts333 zugeschrieben, und 1875 regte Rev. H. R. Hawies an, die „Faszination der Geschwindigkeit“ in die Kunst zu tragen, „wenn es nur Instrumente oder entsprechende künstlerische Mechanismen gäbe“334, was genau drei Jahre später mit der Perfektionierung der Serienfotografie durch Eadweard Muybridge in Stanford auf dem Weg zur Entdeckung des Films geschah. Und in der Literatur gesellte sich zu dem Sekundenstil von Arno Holz und Johannes Schlaf im „Papa Hamlet“ (1889) der Telegrammstil in den Skizzen von Peter Altenberg „Wie ich es sehe“ (1896)335. Vor allem aber sind es die programmatischen Äußerungen der Futuristen, beginnend mit Marinettis „Manifest des Futurismus“ (1909), in denen die „angriffslustige Bewegung“336 und die „Schönheit der Ge-
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Yvan Goll, Das Kinodram. In: Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909–1929. Hg. Anton Kaes. Tübingen 1978, S. 136. 1905 begründete Albert Einstein (1879–1955) in der Schrift „Über das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen“ die Relativitätstheorie, – „Zeichnungen in Bewegung. Konstruktionsentwürfe in Bewegung. Projekte der Zukunft. Die Relativitätstheorie auf der Leinwand“ (Vertov, a.a.O., S. 10). Lord Rayleigh (d. i. John William Strutt), On the manufacture and theory of diffraction-gratings. In: Philoph. Mag. 81, 1874, S. 81–93 (in: G. Indebetouw/R. Czarnek, Selected papers on Optical Moiré and Applications. SPIE-Press, Bellingham/Wash. 1992, S. 3–15 [= SPIE Milestone Series, Vol. 64]). Der MoiréEffekt entsteht durch Überlagerung von Punkt-, Linien- und Kreis-Rastern, die zu Interferenzen führen, so dass Bewegung simuliert werden kann, was z. B. die „Moving Picture Books“ der Jahrhundertwende (The Motograph Moving Picture Book. Bliss, Sands & Co. London 1898. Faksimile-Druck: The Magic Moving Picture Book. Dover Publications, Inc. New York 1975) nutzten und im 20. Jahrhundert in der OP-Art wieder auftauchte, z. B. bei Ludwig Wilding, Retrospektive 1949–1987. Katalogbuch der Pfalzgalerie Kaiserslautern 1987. Zum Gesamtkomplex: Nicholas Wade, The art and science of visual illusions. London 1982. Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 415. Dazu: Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit. Die Krisis der europäischen Seele von der Schwarzen Pest bis zum Ersten Weltkrieg. München (1927–1931) 1969, S. 1456. Manifeste, a.a.O., S. 4.
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schwindigkeit“337 gepriesen werden. Im Manifest von 1913 wird dann der Bezug zu der den Verkehr ausmachenden Geschwindigkeit338 und zu den Kommunikationsmedien besonders deutlich: „Der Futurismus beruht auf einer vollständigen Erneuerung der menschlichen Sensibilität, die eine Folge der großen wissenschaftlichen Entdeckungen ist. Wer heute den Fernschreiber, das Telephon, das Grammophon, den Zug, das Fahrrad, das Motorrad, das Auto, den Überseedampfer, den Zeppelin, das Flugzeug, das Kino, die große Tageszeitung (Synthese eines Tages der Welt) benutzt, denkt nicht daran, dass diese verschiedenen Arten der Kommunikation, des Transports und der Information auf seine Psyche einen entscheidenden Einfluss ausüben“339. Im Hinblick auf die bildende Kunst sind die beiden programmatischen Schriften von Umberto Boccioni340 und Gino Severini341 zu nennen, in denen festgestellt wird: „Wir Futuristen haben die in Bewegung
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Manifeste, a.a.O., S. 5. Den philosophischen Hintergrund zu dieser Zeit bildete Henri Bergsons „Einführung in die Metaphysik“ mit der Abhandlung „Bewegung eines Gegenstandes im Raum“, in: Denken und schöpferisches Werden (1939). Frankfurt 1985; vgl. auch Duchamp: „Schnell-Kunst – das ist seit den Kubisten das typische Merkmal des ganzen Jahrhunderts gewesen. Die Geschwindigkeit, die im Raum, in Kommunikationen Verwendung findet, wird jetzt auch in der Kunst verwendet.“ (In: Marcel Duchamp, Ready Made! 180 Aussprüche aus Interviews und Briefen von Marcel Duchamp, zusammengetragen, ausgewählt, übersetzt von Serge Stauffer und von demselben mit einer Einführung versehen. Zürich 1973, S. 35). Geschwindigkeit und Bewegung werden beeindruckend im Autoroman von Octave Mirbeau „La 628 E 8“ (Paris 1907, bes. S. 51 f.) thematisiert. F. T. Marinetti, Zerstörung der Syntax – Drahtlose Phantasie – Befreite Worte. In: Manifeste, a.a.O., S. 39. Vgl. auch Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, a.a.O., S. 1351: „Eine der wesentlichsten Veränderungen im äußeren Gestus des Zeitalters ist das Heraufkommen eines neuen Tempos: eilfertige Kleinbahnen, Großomnibusse, Tramways, anfangs mit Pferden oder Dampf, bald auch elektrisch betrieben, beherrschen das Stadtbild; Blitzzüge, von Jahr zu Jahr verbesserte Telephone, täglich wachsende Telegraphenanlagen besorgen den Fernverkehr. Dieses ebenso komplizierte wie zentralisierte Kommunikationssystem verleiht dem Menschen nicht bloß erhöhte Beschleunigung, sondern auch Allgegenwart: seine Stimme, seine Schrift, sein Leib durchmißt jede Entfernung, sein Stenogramm, seine Kamera fixiert jeden kürzesten Eindruck. Er ist überall und infolgedessen nirgends, umspannt die ganze Wirklichkeit, aber in Form von totem Wirklichkeitsersatz“. Bildnerischer Dynamismus (1913). In: Der Futurismus, a.a.O., S. 115 ff. Die bildnerischen Analogien des Dynamismus. Futuristisches Manifest (1913). In: Der Futurismus, a.a.O., S. 162 ff.
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befindliche Form und die Bewegung der Form entdeckt“342. Das Ergebnis waren z. B. Bilder von Giacomo Balla „Die Hand des Violinenspielers“ (1912)343 oder „Bewegung eines Hundes an der Leine“ (1912)344, in denen die Bewegung des Armes des Violinenspielers oder die der Beine des Hundes in einzelne Phasen zerlegt und aneinandergereiht in einem Bild dargestellt wurden. Ganz ähnliche Arbeiten, deren Technik auch als „Cinematismus“ bezeichnet wird345, im Bereich der Fotografie346 gab es von Anton Giulio Bragaglia (1890–1960)347. In seiner programmatischen Schrift von 1911 „Fotodinamismo futurista“348 finden sich Erläuterungen, die an Vorbilder erinnern, die vor der Erfindung des Films mit der Chronophotographie eines Eadweard Muybridge, Etienne-Jules Marey
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Der Futurismus, a.a.O., S. 117. Später dann – und sich bewusst vom italienischen Futurismus unterscheidend – im „Realistischen Manifest“ (Moskau 1920) von Naum Gabo und Noton Pevsner: „Wir erkennen in der bildenden Kunst ein neues Element, die kinetischen Rhythmen, als Grundform unserer Wahrnehmung der realen Zeit.“ (In: Manifeste, a.a.O., S. 209). Lissitzki notiert dazu: „Tatlin und die Konstruktivisten in Moskau haben die Bewegung symbolisiert.“ (El Lissitzki, a.a.O., S. 357), und er führt dafür neben dem Beispiel Tatlin (Turm für die III. Internationale [1920]) auch die „Kinetische Konstruktion“ (1920) von Naum Gabo an – die übrigens ihre Fortsetzung in der „Kybernetischen Skulptur“ (1979) von Wen-Ying Tsai fand (in: art ware. Kunst und Elektronik. Hg. David Galloway. Düsseldorf 1987, S. 189 ff.), der neben einer kinetischen Steinplastik (1936) auch kinetische Malereien (1943–1945) produzierte. „Ich habe versucht, in der kinetischen Konstruktion im Raum (…) die Grundelemente einer Verwirklichung kinetischer Rhythmen in der Plastik darzulegen (…) Der Entwurf ist eher eine Erklärung der Idee der kinetischen Plastik als selbst eine kinetische Plastik.“ (Naum Gabo. London 1957/ Neuchatel 1961, S. 176). Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 70. Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 71. Karin Thomas, Bis Heute: Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Köln 1971, S. 98. Vgl. dazu auch Marcel Duchamps „Akt, die Treppe herabsteigend“ (1912), zu dem es bereits vor der ersten Ausstellung der Futuristen 1912 in Paris Skizzen gegeben haben soll, so Octavio Paz in: Nackte Erscheinung. Das Werk von Marcel Duchamp. Berlin 1987, S. 11, die dann auch direkt zu filmischen Arbeiten wie „Anémic Cinéma“ (1926) führten, obwohl Duchamp selbst über den „Akt“ urteilte, er sei „ohne jeden Versuch, durch die Malerei filmische Wirkungen wiederzugeben“ entstanden (Duchamp, Ready Made!, a.a.O., S. 23). Weitere Beispiele in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 363 f. Enno Kaufhold, Bilder des Übergangs. Zur Mediengeschichte von Fotografie und Malerei in Deutschland um 1900. Marburg 1986, S. 123 „Bewegung“. Hand in Bewegung (1911) In: Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 140. Anton Giulio Bragaglia, Fotodinamismo futurista. Turin 1970.
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(1830–1904) und Ottomar Anschütz (1846–1907) ab Mitte der 1870er Jahre entstanden349. Einerseits waren diese fotografischen Bewegungsreihen350 eine der Quellen für die künstlerischen Arbeiten des Futurismus351, andererseits die ersten Schritte auf dem Weg zur Entdeckung des Films. Es mag zwar sein, dass erst physikalische und chemische Erkenntnisse in Kombination mit der Entdeckung technischer Möglichkeiten am Ende des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts die entscheidenden Grundlagen dafür schufen. Nicht von der Hand zu weisen sind jedoch auch Beobachtungen und Versuche von Gelehrten, die wesentlich weiter zurückreichen. Sie belegen eine alte Sehnsucht des Menschen, Bewegung darzustellen, zu simulieren, wie dies deutlich schon in den Bewegungsstudien des Vitruv-Mannes352 um 1550 zu erkennen ist und wie es Leonardo da Vinci in seinem Traktat „Trattato della pittura“ (um 1494) am Beispiel einer sich bewegenden Hand zu erläutern versuchte353. Zu der vermutlich langen Vorgeschichte, die mit den Tierfresken der älteren Steinzeit in den nordspanischen Höhlen von Altamira oder den schwedischen Felsbildern aus der Bronzezeit des Kivik-Monuments von Schonen begann354, gehört auch die Entdeckung des stroboskopischen Effekts. 349
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„Nikolaus von Oresmes hat im 14. Jahrhundert, wie erwähnt, den Flug eines Wurfgeschosses auf dem Zeichenpapier schon in Einzelphasen aufgelöst (…)“ in: Friedrich Kittler. Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin 2002, S. 198. Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 43 ff. (Marey); vgl. auch: Eadweard Muybridge. Hg. Württembergischer Kunstverein, Stuttgart 1976. Petr Tausk, Die Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert. Köln 1977, S. 37. Zeichnung nach Leonardo da Vinci, Codex Huygens, vgl. dazu Abbildung und Erläuterungen bei Horst Bredekamp, Der Mensch als „zweiter Gott“. In: Interface 1. Elektronische Medien und künstlerische Kreativität. Hg. Dencker. Hamburg 1992, S. 138. Noch spannender ist Leonardos Darstellung einer Überschwemmung in der „Malerregel“ in: Leonardo da Vinci, Tagebücher und Aufzeichnungen, nach den italienischen Handschriften übersetzt und hg. v. Theodor Lücke. Leipzig 1940, S. 712 f. Dieses Beispiel benutzte Eisenstein in seinem Aufsatz „Montage 1938“ (in: Eisenstein, Gesammelte Aufsätze 1, a.a.O., S. 245 ff.) um zu zeigen, wie hier ein „Montageplan“ ein „ganz festes Bewegungsprinzip“ verfolgt. Vgl. dazu mit vielen Nachweisen: Joseph Gregor, Das Zeitalter des Films. Wien/ Leipzig 1932 u. dazu kritisch: C. W. Ceram, Eine Archäologie des Kinos. Hamburg 1965, sowie Übersicht und Zeittafel bei Heinrich Fraenkel, Unsterblicher Film. Die große Chronik von der Laterna Magica bis zum Tonfilm. München 1956, S. 371 ff. u. die Zeittafel bei Scheugl/ Schmidt, Eine Subgeschichte des Films. Bd. 2, a.a.O., S. 1127 ff. Eine sehr schöne prähistorische Abbildung (drei Bewegungsphasen eines laufenden Hasen), leider ohne Quellenangabe findet sich
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Sie wird gemeinhin Titus Lucretius Carus (um 98–55 v. Chr.) zugeschrieben, der im 4. Teil seiner Schrift „de rerum natura“355 Andeutungen macht, die sich auf das Phänomen der Nachbildwirkung356 beziehen könnten. Präziser aber äußerte sich Claudius Ptolemäus (um 90–160 n. Chr.) in der „Optica“ (um 150 n. Chr.). Diese Entdeckung geriet dann in Vergessenheit, bis Chevalier (Patrick) d’Arcy 1754 glühende Kohle an einem Draht in Rotation versetzte und zeigte, dass nicht das Stück Kohle an einzelnen Punkten der Kreisbewegung, sondern ein einziger glühender Kreis wahrgenommen wird. Eine wichtige theoretische Grundlage für die Befassung mit diesem Phänomen waren die Untersuchungen des englischen Arztes Peter Marc Roget (1799–1869), die er 1824 in seiner Abhandlung „The Persistence of Vision with regards to Moving Objects“ vorlegte357. Damit war der Einstieg in die zukünftige Entwicklung der Filmtechnik358 und ein entscheidender Impuls gegeben, Objekte und Apparate zu bauen, die diese Bewegungsreihen als filmische Wahrnehmungen ermöglichten. So konnte man mit dem Lebensrad359, der Bildertrommel (Zoe-
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in: Die Entstehung unserer Zivilisation. Stuttgart 2005, S. 14 (= Reader’s Digest Illustrierte Geschichte der Welt). Eine weitere ist die eines Nashorns in der Höhle von Chauvet im Ardèche-Tal (Abb. in: Andreas C. Knigge, Alles über Comics. Eine Entdeckungsreise von den Höhlenbildern bis zum Manga. Hamburg 2004, S. 91), dessen Körperumrisse mehrfach verdoppelt sind, so dass der Eindruck von Bewegung entsteht. Lukrez, De rerum natura – Welt aus Atomen (lt. u. dt., Übers. u. Nachwort Karl Büchner). Stuttgart 1973. Der stroboskopische Effekt beruht einerseits auf der Beobachtung, dass zwei rasch aufeinanderfolgende Bilder in der Wahrnehmung zu einem verschmelzen (John Ayrton Paris wies dies 1825 mit dem Thaumatrop nach: eine Scheibe mit einem Käfig auf einer und einem Vogel auf der anderen Seite, zeigt bei schneller Drehung den Vogel im Käfig), und andererseits auf dem Phänomen, dass aufgrund der Netzhautträgheit, ein Bildeindruck, den das Auge aufnimmt, nach einer Unterbrechung noch für einen kurzen Augenblick in der Wahrnehmung haften bleibt. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch John Tyndall (1820–1893). Begleitet von den Erfindungen der Projektionsapparate wie „camera obscura“ und „laterna magica“, vgl. dazu die Darstellung des Medienarchäologen Siegfried Zielinski, Zur Entstehung des Films für das Kino. In: Werner Faulstich/Helmut Korte, Fischer Filmgeschichte Bd. 1. Frankfurt 1994, und Siegfried Zielinski, Archäologie der Medien. Zur Tiefenzeit des technischen Hörens und Sehens. Hamburg 2002. Aufgrund der Experimente des Physikers Michael Faradays (1791–1867) entwickelten der Belgier Joseph Anton Ferdinand Plateau (1801–1883) und der Österreicher Simon Ritter von Stampfer (1792–1864) unabhängig voneinander Lebensräder (Faraday 1829), Phenakistikope (Plateau 1832) und Stroboskope (Stampfer 1832) mit Bildern einzelner Bewegungsphasen, die beim Betrachten des drehenden Ra-
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trop360, Praxinoskop361) und dem Abblätterbuch362 (Kineograph, Mutoskop) filmische Sequenzen produzieren und projizieren, die über den Futurismus hinaus die Künste erheblich beeinflussten363.
Text in Bewegung In der Literatur hatte diese Entwicklung vor allem in der Mitte des 20. Jahrhunderts Folgen gehabt und schlug sich in den programmatischen Äußerungen im Umfeld der entstehenden Konkreten Poesie nieder364.
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des eine zusammenhängende Bewegung ergaben. Plateau entdeckte 1829: Wenn ein Bewegungsvorgang in mindestens 16 Einzelphasen zerlegt wird und diese dann in einer Sekunde abgespielt werden, ergibt sich für das Auge eine zusammengehörige Bewegung. Auch Zootrop genannt, erfunden 1834 von William George Horner. Erfunden 1877 von Charles-Émile Reynaud. Es handelt sich hier um die älteste filmähnliche Erfindung, die mit der Phasentechnik arbeitet und die später auch als „Pennybook“, „Flip-Book“ und „Daumenkino“ bezeichnet wurde. Die in einem Buch zusammengebundenen einzelnen Phasenbilder einer Bewegung, schnell „abgeblättert“, ergeben den Eindruck ebendieser Bewegung. Ein gewisser Maler Lautenburg aus Fulda soll bereits 1760 Phasenbilder gezeichnet und ein solches Büchlein hergestellt haben. Der erste sichere Nachweis bezieht sich auf die Abblätter-Bücher des Engländers John Barnes Linnett aus dem Jahr 1868, der sich diese Objekte als „Kineograph“ patentieren ließ. Eine Weiterentwicklung (als großes Schaugerät mit einer Walze von Abblätter-Phasenbildern) war die Erfindung des „Mutoscopes“, das der Amerikaner Hermann Casler 1894 konstruierte. Der amerikanische Filmemacher Douglas Crockwell experimentierte 1949 mit diesen Mutoscope-Apparaten und stellte „abstrakte Werke nach dem Prinzip der !Abblätt-Bücher" her“ (Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films Bd. 1, a.a.O., S. 161). Heutige Künstler des Flip-Books sind z. B. Ruth Hayes (http://www.Randommotion.com/html/flip.html), George Griffin (http://www.geogrif.com) oder Volker Gerling (http://www.daumenkinographie.de), weitere siehe im Katalog: Daumenkino. The Flip Book Show. Hg. Kunsthalle Düsseldorf. Köln 2005. Yvan Goll 1920: „Ein neues Element, wie Radium, Ozon wirkt auf die gesamte Kunst: Die Bewegung. Alle Gattungen: Dichtung, Malerei, Plastik, Tanz erfahren es (…)“ (Kino-Debatte, a.a.O., S. 137) und Ludwig Hilberseimer 1922: „Das Problem der Bewegung ist jetzt dank der Anwendung eines neuen Mediums, des Kinos, auf die radikalste Weise gelöst worden. Die neuen Ausdrucksmittel schaffen eine neue Grundlage (Generalbaß) für die Malerei“ (Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 392). Vgl. besonders die Beiträge: Mike Weaver, Poésie cinétique. In: Les Lettres, 9. Série, Numéro 34, 4. trimestre Paris 1965, S. 12 ff., und Stephen Bann, Poésie cinétique, a.a.O., S. 20 ff. u. ders., Communication and structure in Concrete Poetry. In: Image. Kinetic Art: Concrete Poetry. London 1964/1965 (dort auch: Mike
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Während Öyvind Fahlström 1953 noch zurückhaltend lediglich der „Rhythmisierung“ in der Poesie „ungeahnte Möglichkeiten“ zusprach365, hieß es im „Programm der konkreten Poesie“ der NoigandresGruppe 1958 schon deutlicher: „Dynamische Struktur: Vielzahl konkommittierender Bewegungen“366, womit eine frühere Bemerkung von Carlfriedrich Claus aus dem Jahr 1954 korrespondiert: „Erst im gedruckten Wort tritt die Sprache in lose Beziehung zum Räumlichen. Nur in lose Beziehung deshalb, weil im Nacheinander (des Lesens) auch die Zeit mitspielt. Die Zeit kann vom Wort bestimmt, umschlossen, geformt werden. Der Dichter gestaltet in seinen Arbeiten nicht nur die Sprache, sondern auch die Zeit. Er wirkt im Element der Zeit (…) Die Sprache kann so gebaut werden, dass sie eine Raumwelt suggeriert“367. Claus sprach 1967 dann weitergehend sehr konkret von der „kinetischen konstruktionsebene“368 einzelner Blätter und von „blätterbewegungssystemen“ größerer Zusammenhänge. Zu diesem poetischen Verfahren des Produzenten wird nun der Konsument als „Kooperator im Kunstprozeß“369 erwartet. „so legt die bewe-
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Weaver, Concrete and Kinetic: the Poem as Functional Object) sowie Pierre Garnier, Le poème cinétique. In: Pierre Garnier, Spatalisme et poésie concrète. Paris 1968, S. 123 ff. Vgl. auch Anm. 910 ff. u. 937. Text Buchstabe Bild, a.a.O., S.XIX. Text Buchstabe Bild, a.a.O., S.XXVII, vgl. Anm. 923. „Notizen: an Will Grohmann gerichtet“ (1954) in: Carlfriedrich Claus, Erwachen am Augenblick. Sprachblätter. Karl-Marx-Stadt 1990, S. 78. Was Claus damit gemeint hat, lässt sich in Arbeiten wie „Letternfeld“ (1959/Abb. 46 in: Les Lettres, 9. Série, Numéro 33, Paris 4. trimestre 1964 [September], S. 38 f. (Querformat. Abb. eines Hochformats in: Augen Blicke Wort Erinnern, a.a.O., S. 25) erkennen, vgl. auch Anm. 974 u. 2572. „lagen der buchstaben-orte auf dem ersten blatt, größen der distanzen, arten der stellungen zueinander – im verhältnis zu den veränderungen auf den folgenden blättern, bewirkt durch mathematische erprobung, entfaltung, ausdehnung, zusammenziehung des anfänglichen letternfeldes, durch bewegungen, mutationen, verringerungen oder/und mehrungen in der anfänglichen lautzeichenfigur, verschiedene bewegungsrichtungen, differente tempi der elemente in der zeitstrecke !zwischen" blatt und blatt. mit anderen worten: mit den versuchen zu blätterbewegungssystemen liegen vorversuche zur produktion einer nichtverbalen literatur vor“, in: „zwischenbemerkungen. die experimente zielen.“ (1967, zuerst gedruckt in: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 2/3, Nürnberg 1971, S. 14 ff.; Wiederabdruck in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 127). Schmidt, Ästhetische Prozesse, a.a.O., S. 95. Diese geforderte Kooperation des Rezipienten, die bis zur Vorstellung geht, dass das Kunstwerk erst im Kopf des Betrachters entsteht, findet ihre Fortsetzung vor allem später in den auf Interaktivität angelegten künstlerischen Ausdrucksformen. Auf eine sehr interessante frühe
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Abb. 46: Carlfriedrich Claus, Letternfeld, 1959
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gung des textes dem leser oder hörer nahe, die gewohnte passivität aufzugeben. sie schlägt ihm vor, selbst aktiv zu werden und in sich selbst mit der eben gewonnenen bescheidenheit den schöpfer zu entdecken. sie lädt ihn ein, mit dem gegebenen umzugehen, sich wörter oder wortgruppen und ihre abfolge selbst herauszuwählen und zusammenzustellen“370, stellte Claus Bremer (1924–1996) fest und schrieb an anderer Stelle: „die konkrete dichtung liefert keine ergebnisse. sie liefert den prozess des findens (…) sie ist bewegung. ihre bewegung endet im leser auf verschiedene weise“371. Hinter dieser Position steht die Vorstellung des „offenen Kunstwerks“, von „geschlossener und offener Form“372, wie sie bereits bei Heinrich Wölfflin in den „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ angesprochen373 370
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Äußerung machte Schwitters aufmerksam (Merz 2, Hannover, April 1923, S. 18): „zitiere ich das vielbesprochene Wort von (Karl) Alois Schenzinger (1886–1962): !Ein Kunstwerk wird erst zu einem solchen durch den Beschauer"“ (Kurt Schwitters, Das literarische Werk. Hg. Friedhelm Lach. Bd. 5, Köln 1981, S. 138). Noch früher gibt es einen entsprechenden Hinweis bei Novalis in „Blüthenstaub“ (1798): „Der wahre Leser muß der erweiterte Autor seyn.“ (in: Novalis, Schriften. Hg. Paul Kluckhohn/Richard Samuel. Stuttgart 1960, 2. Bd., S. 470, Nr. 125) u. „Der Leser setzt den Akzent willkürlich; er macht eigentlich aus einem Buche, was er will.“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 416, Nr. 247). Doch am genauesten nimmt Egon Friedell die neue Entwicklung 1912 vorweg: „Denn jede Dichtung ist nichts anderes als eine Aufforderung an das Publikum, zu dichten. Darin besteht ja gerade ihr hoher Reiz und Wert. Je mehr Spielraum sie gewährt, je mehr Stellen sie offen lässt, desto bedeutender ist sie. In jedem Versteher erwächst ihr ein neuer Dichter. Tausend Auffassungen sind möglich, und alle sind richtig.“ (Friedell, Ecce Poeta. Berlin 1912, S. 25). Vgl. dann auch Bob Brown (1895–1973), Gems. New York 1931 mit Gedichten, in denen einzelne Wörter ausgestrichen sind, so dass der Leser – wie Brown forderte – „become a competent co-creator“, Beispiele in: Imagining Language, a.a.O., S. 288, zur Ausstreichung vgl. Anm. 1398. Claus Bremer, konkrete poesie. texte (1957 bis 1964) in: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 97, vgl. auch Bremer, ANLAESSE kommentierte Poesie 1949 bis 1969. Neuwied 1970, S. 31 u. 40. Bremer, a.a.O., S. 101. Vgl. Anm. 223. „Nichts bezeichnet eindrücklicher den Gegensatz zwischen alter Kunst und der Kunst von heute als die Einheitlichkeit der Sehform dort und die Vielfältigkeit der Sehformen hier (…) Das Bedeutsame der Form ist nicht das Gerüste, sondern der Atemzug, der das Starre in Fluss und Bewegung bringt. Dort sind es Werte des Seins, hier Werte der Veränderung“. (In: Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst. München 1918, S. IX u. 146, sowie das ganze Kapitel „Geschlossene Form und offene Form“, S. 133ff.). Vgl. dazu auch den Hinweis von Max Bense, Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik II. Die Mathematik in der Kunst. Hamburg 1949, S. 19.
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und dann zeitgleich mit den Äußerungen der Konkreten Poeten von Umberto Eco, auf die Gegenwartskunst bezogen, weiterentwickelt wurde: „Wahrnehmungsschemata mussten zerbrochen werden. Wenn die Wahrnehmungsgewohnheiten uns dazu trieben, eine Form immer nur dann, wenn sie sich als etwas Vollständiges und Abgeschlossenes präsentierte, zu würdigen, mussten Formen erfunden werden, die im Gegensatz dazu niemals die Aufmerksamkeit sich ausruhen lassen, sondern sich jedesmal von sich selbst unterschieden erscheinen. Während die Informellen eine !Bewegung" des Bildes auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand erarbeiteten, indem sie einen Raum und eine Zeichendialektik entwarfen, die fähig waren, das Auge zu immer wieder erneuerbarer Betrachtung anzuführen, versuchten sich die Erfinder mathematischer Formen auf dem Wege einer dreidimensionalen !Bewegtheit", indem sie unbewegliche Strukturen konstruierten, die, von mehreren Gesichtswinkeln gesehen, wandelbar und wechselnd erschienen, oder sogar mobile, !kinetische" Strukturen. Während also die ersteren !offene" Werke konstruierten, in dem Sinne, dass sie !Konstellationen" von Elementen in vielfältige Beziehungen setzten, konstruieren die zweiten nicht nur !offene" Werke, sondern geradezu solche !in Bewegung"“374. Im selben Jahr, in dem Franz Mon (1926) seinen Vortrag „Text als Prozeß“375 hielt, verwies Gomringer auf ein wichtiges Grundprinzip der ki374
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Umberto Eco, Programmatische Kunst. In: Nesyo, 2. Jg., Nr. 8/9, München 1965, S. 35. Das „Kunstwerk in Bewegung“ hat Eco bereits in „Opera aperta“ (1962/dt. Das offene Kunstwerk. Frankfurt 1977, S. 42 ff. erläutert und dazu festgestellt: „Das Phänomen des !Kunstwerks in Bewegung" ist in der gegenwärtigen kulturellen Situation nicht auf den musikalischen Bereich beschränkt (…).“ Als ein wichtiges Beispiel für die Literatur nennt er das unvollendete Werk „Le Livre“ von Stéphane Mallarmé (S. 43 f.). Die Position Ecos, dass das Phänomen der Offenheit, des Zufalls, des „Kunstwerks in Bewegung“ Kennzeichen der Avantgarde im 20. Jahrhundert sei, ist nicht unumstritten. Pierre Boulez weist in seinem Essay „Alea“ 1957 (Nouvelle Revue Francaise 59, Paris 1957/dt. Darmstädter Beiträge 1, Mainz 1958) darauf hin, dass in der traditionellen indischen Musik die strukturellen Formanten bereits mit Improvisationen verbunden wurden und beruft sich auf dieses Beispiel für seine Ästhetik des „gelenkten Zufalls“. Vgl. auch das Beispiel Mozart (Anm. 245) und für die Literatur die historischen Beispiele in: Dencker, Poetische Sprachspiele. Stuttgart 2002, S. 425 ff. Die historischen Beispiele beweisen zwar nun, dass das Phänomen bereits existierte, aber das kunstästhetische Bewusstsein nicht in dem Maße prägte, wie dies zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall war. Mon, Text als Prozess. Vortrag auf dem 5. Seminar des Arbeitskreises Grafik und Wirtschaft der Gruppe 56 im BDG, Stuttgart 1966: abgedr. in: Mon, Texte über Texte, a.a.O., S. 86 ff.
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netischen Poesie. In seinem Aufsatz „vom gedicht zum gedichtbuch“ hatte er dargelegt, wie schon die Handhabung eines Buches „und entsprechend die bewegung des umblätterns376 als zäsur, als blickwechsel, eine ganz bestimmte, kalkulierbare rolle spielt“377, und mit „1 konstellation: 15“378 gleich selbst ein Beispiel geliefert379. Ein weiteres Beispiel, das die Sinnbestimmung des Umblättereffekts zeigt, sind die „visuellen wortbewegungen“ von Raimer Jochims (1935)380, Beispiele einer sequentiell-semantischen Progression. Auf einer Blattfolge steht in der Mitte das Wort TOD, erst ganz klein, dann wird es von Blatt zu Blatt größer, bis auf dem letzten Blatt ganz klein tot erscheint. Auf einer anderen Blattfolge steht an den vier Ecken des Blattes, ein Quadrat bildend, auf dem ersten Blatt das Wort WEISS, auf dem zweiten Blatt, etwas zur Mitte gerückt, neun mal, wieder ein Quadrat bildend und etwas größer im Druck, das Wort IST, auf der folgenden Seite in der Mitte noch größer das Wort SCHWARZ. 1959 entwarf Claus sogenannte „Vokalkreisungen“, die Isolierung und Verselbständigung von Klangphänomenen in einem Raum, in 376
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Vgl. dazu den Verweis von Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 44 auf „Four Suits“ (1965) von Tomas Schmit. Vgl. dazu auch Anm. 362 und „Play 9“ (1969) des Filmemachers Klaus Schönherr, der mit „Play 9“ einen Film in Buchform (Buchfilm) gemacht hat. Gomringer, konkrete poesie, a.a.O., S. 162. Gomringer, worte sind schatten/die konstellationen 1951–1986. Reinbek 1969, S. 167 ff. Zu dem man auch „lieb ( )leib. 10 visuelle konstellationen“, „5 mal 1 konstellation“ und „13 variationen des themas !baum wind"“ (in: Eugen Gomringer, vom rand nach innen. die konstellationen 1951–1995. Wien 1995, S. 175ff, S. 186 ff. u. S. 242 ff.) rechnen könnte. Auf ein weiteres Gomringer-Beispiel – neben einer ausführlichen Analyse des „stundenbuchs“ (1965) – weist Kessler (Untersuchungen zur Konkreten Dichtung, a.a.O., S. 235 ff.) hin. Es handelt sich um den Text „hängen“ aus dem Jahr 1959, der in seiner kinetischen Form nie publiziert wurde, lediglich in der Zusammenfassung aller Textseiten als Variante gedruckt in: Gomringer, die konstellationen les constellations the constellations los constelaciones. Frauenfeld (1964), und in: The Book of Hours and Constellations. Poems of Eugen Gomringer. Presented by Jerome Rothenberg. New York 1968, (S. 23). Vgl. dazu auch Gomringers Bemerkung in „Poesie als Mittel der Umweltgestaltung“ (a.a.O., S. 24): „Was ich aber als die besten Arbeiten von Konkreten Dichtern der Jüngstzeit betrachte, sind Gedichtsysteme, Textballungen – Synthesen, Textkollektive. An mir selbst spüre ich das Verlangen, vom Einzelgedicht wegzukommen zur Gestaltung von Textbüchern, die keine Anthologien, Sammlungen von einzelnen Texten sein sollten, sondern Texte als Synthese von Seiten, Papier und sprachlichem Material.“ Jochims, fünf visuelle wortbewegungen. Frauenfeld 1965.
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dem – als gezeichnetes Rechteck – die Vokale i, e und a agieren. Die Arbeit mit dem Titel „Auf- und Abbau einer Figur aus vier gleichen“381 besteht aus fünfzehn Blättern, beginnend und endend mit einem leeren Blatt und der zunehmenden Konstellationserweiterung der Vokale e und i, der nach zwei Blättern für sieben Blätter noch ein a hinzugefügt wird, und dem nach Blatt neun wieder einsetzenden Abbau der Konstellation. Das Suggerieren einer Raumwelt und die Bewegung von Sprache in einem zeitlichen Kontinuum entstanden so auch als sequentielle Variante zu den einblättrigen kinetischen Sprachblättern. Noch evidenter wird das Prinzip – neben dem Leporello „alphabetenquadrate“ von Hansjörg Mayer382 oder dem Leporello „fragment“ von Timm Ulrichs383 – in den Büchern von Ann Noël384 und Emmett Williams „sweet-hearts“ und „a valentine for noel“385. In der 1966 verfassten „Gebrauchsanweisung“ für „sweethearts“ stellte Williams einen direkten Bezug zum Film her, wenn er sagt, „die position eines jeden buchstaben auf jeder seite ist durch seine stellung im wort sweethearts determiniert keines der einzelnen gedichte kann mehr als 11 buchstaben vertikal oder horizontal enthalten zusätzlich zu den wortgedichten ergeben sich kinetische metaphern die gleichfalls aus den 11 buchstaben des wortes sweethearts gebildet sind diese metaphern können durch schnelles überblättern der seiten sichtbar gemacht werden das heisst schnell genug um einen primitiven kinematischen effekt zu erzielen die wörter und die kinetisch visuellen metaphern bedingen gegenseitig die komplexe aussage des gedichts der autor denkt dass dieses zusammen dann eintritt wenn das buch dort beginnt wo das traditionelle abendländische buch endet“386. Diesen Daumenkino-Effekt387 hat der Finne Jan381 382
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Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 28 ff. Hansjörg Mayer, alphabetenquadrate. Stuttgart 1966 (= rot 26). Andere Beispiele: „The Golden Message“ (1965/Abb. in: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 191) von Mathias Goeritz; Wolfgang Schmidt, „Serie 6“ (1962/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 171) und: jeremy adler, alphabox, london 1973 (= writers forum object series number one). Vgl. Anm. 995. Ann Noël, You. Berlin 1982. Emmett Williams, sweethearts. Stuttgart 1967; Emmett Williams, a valentine for noel. Stuttgart 1973. sweethearts, a.a.O., (S. 3). Vgl. Anm. 362. In dem dort genannten Buch „Daumenkino“ der Kunsthalle Düsseldorf sind weitere Beispiele abgebildet. Historische Daumenkinos wurden anlässlich der „World Retrospective of Animation Cinema“ 1967 von der Cinémathèque gezeigt, und eine ganze Eadweard Muybridge-Serie ist bei Optical Toys,
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Olof Mallander in seinem „Kama Lettra“388 bis zur Perfektion reproduziert. Das Buch besteht aus über sechzig gleichen Seiten. Es handelt sich um die Fotografie einer Landschaft als Bühne für das Agieren von Buchstaben, Zahlen und neuen Zeichen, die jeweils in diese Landschaft montiert wurden. In die Nähe der Bilderzählung, des Comics sind die Arbeiten von Luciano Ori zu rücken: „estremamente variabile“ (1970)389, „variabile/ racconto“ (1972)390 oder „romanza incompleto“ (1973)391. Die ComicElemente sperren sich zwar gegen den gleichmäßigen, filmischen Bewegungsablauf, dennoch handelt es sich um Bilder der Phasen eines bestimmten zeitlichen Kontinuums – im Film würde man von Sequenzen sprechen. Mit diesen arbeitet auch der Schweizer Ernst Buchwalder. Er entwarf Fotosequenzen wie „urteilen heißt eigentlich: etwas in die urteile zerlegen“ (1974) oder „Studien zu Eis-Plastik“ (1977)392. Buchwalder hatte aus Styropor die drei Buchstaben I C H in fortschreitenden Zuständen der Zerstörung fotografiert, so dass sich eine Sequenz von der unzerstörten ICH-Plastik bis zur in viele Einzelteile zerfallenen Materialmasse ergab. Dieses Thema der Auflösung und Vergänglichkeit wurde bereits in einer Aktion am 22. 3. 1975 mit dem Wort LEBEN thematisiert. Man sieht auf einer Fotosequenz, wie das unzerstörte Wort fortschreitend durch Feuer abgebrannt wird393. Den „Studien zur EisPlastik“ folgte eine entsprechende Aktion (Projekt: – ICH –, 25. 11. – 10. 12. 1977), nun allerdings mit Buchstaben aus Eis, die es gleichfalls als Fotosequenz394 gibt. Das Motiv der Auflösung von Text verwendete auch Valie Export in ihrer Photo-Literatur „Ebbe & Flut“ (1974)395. Und 1971 veröffentlichte Peter Weibel schließlich eine Fotosequenz – 29-mal die gleiche Aufnahme der Tastatur einer Schreibmaschine –, in der von
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Putney, VT 05346 in den 1980er und 1990er Jahren für die Museumsshops in Amerika aufgelegt worden. Mallander, Kama Lettra. (Helsinki) 1975. Luciano Ori, Estremamente Variabile. Florenz 1970 (= tèchne 9). Ori, Poesia Visiva. Florenz 1974, (S. 10) (= Studio Inquadrature 33, Mostra No. 13). Ori, a.a.O., (S. 11). Ernst Buchwalder, wörterbuch. Wolhusen/CH 1978, S. 84 ff., erste Skizzen stammen vom 28. 3. 1977. Eine gleiche Idee findet sich bei Gerhard Rühm: „zeit-wort“ in: Rühm, Text-Bild-Musik, a.a.O., S. 147. In: das wort, 1. Zeitung. Hg. Schill & Cie AG, Luzern 1976, (S. 5). Gefaltetes Blatt (53,5 × 31,5 cm), Galerie Raeber, Luzern 25. 11. 1977–7. 1. 1978. Abb. in: Kunst aus Sprache. Katalog Museum des 20. Jahrhundert, Wien 1975, o. P.
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Aufnahme zu Aufnahme lediglich die Finger in anderen Stellungen Buchstabentasten drücken, so dass der Eindruck eines Wort-/oder Textentstehungsprozesses vermittelt wird396.
Textfilme Alle Aktionen sind als Film vorstellbar, so wie z. B. „EAU-NIVEAU“ (1981/1982)397 von Timm Ulrichs auch als Film398 realisiert wurde. Das heißt, die Fotosequenzen könnten ihrerseits wieder als eine Art „Buch der Einstellungen“ betrachtet werden. Mit dieser Form spielte Paul Zelevanskys „The Book of Takes“ (1976)399, das sich zwar an der Form des Drehbuchs400 als Raster orientierte, aber zu einem Buch wurde, das 396
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Peter Weibel, Metaphysisches Gedicht für einen Amphioxus. In. Neues Forum, Wien Januar 1972, S. 56 f. Vgl. dazu von Tomas Schmit „Schreibmaschinengedicht“ (1964/Abb. in: Die Sprache der Kunst. Die Beziehung von Bild und Text in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hrsg, Kunsthalle Wien. Stuttgart 1993, S. 212), in dem auf der Schreibmaschinentastatur eine Buchstabenfolge nummeriert wurde, nach der ein Text herzustellen war. Eine weitere Fotosequenz von Weibel ist „augentext“ (1973/74/Abb. in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P.). „EAU-NIVEAU (Pointillistisches Wasser-Zeichen mit Wasserlinsen)“ in: Visuelle Poesie (1984) a.a.O., S. 82 f. Die Fotosequenz ist das Ergebnis einer (natürlichen) Aktion auf einem Fluß, bei der sich aus schwimmenden pflanzlichen Partikeln Buchstaben und nacheinander die Wörter EAU und NIVEAU bildeten. Dazu der Text von Ulrichs in: Timm Ulrichs. Katalog. Hg. Nord/LB. Hannover 1983, S. 81 f. Zu sehen in der TV-Dokumentation von Dencker, Visuelle Poesie. Bilder zum Lesen und Texte zum Anschauen. SR III, 16. 3. 1985. Paul Zelevansky, The Book of Takes. New York 1976: „The Book of Takes is a chapter of a larger work called Jericho. It is a book within the book. The form is new. The pictures are not appendages to, or illustrations of the words. The visual structure and the verbal structure are to be read together. The book is most often read in columns, vertically, from page to page. It can also be read horizontally and, in the case of the card game, diagonally and in a circle. I would suggest that the reader let the work take him, at least on the first reading. Like all poetry, it is ment to be read many times. Pick sections out and savour the separately. The Book of Takes is highly condensed. It is constructed of the interrelationships and reverberations of idea, language, space and time.“ (Preface, S. 1). Unter dem Einfluß des amerikanischen Underground schrieb Rolf Dieter Brinkmann in dem Essay „Der Film in Worten“ (1969): „!Das Buch in Drehbuchform ist der Film in Worten" (Kerouac) (…) ein Film, also Bilder – als Vorstellungen, nicht die Reproduktion abstrakter, bilderloser syntaktischer Muster“ (Brinkmann, Der Film in Worten. In: ACID. Neue amerikanische Szene. Hg. R. D. Brink-
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ein neues Leseverhalten provozierte und die Realisation als Film, die auch nicht intendiert war, überflüssig machte. Eine Form übrigens, die auch bei Wolfgang Schmidt401 das Gerüst seiner „Serien“ bildet, die in den 1960er Jahren bei Wendelin Niedlich in Stuttgart und im Typos-Verlag von Franz Mon in Frankfurt erschienen. Sie zeigen Progressionen und Permutationen von Zeichen und Buchstaben in gleichbleibenden quadratischen Feldern402 (ähnlich wie bei Hansjörg Mayer), die Schmidt später als Vorlagen für filmische Animationen403 benutzte. Seit Anfang der 1970er Jahre entwickelte er dann ein Schrift- und Bild-System, „Lebenszeichen“404 von mehreren hundert Zeichen als „Versuch, den Kosmos der Erfahrungen zu vermessen“405, das immer mehr zur Drehbuchform neigte406. Kinetische Visualisierungsformen, die zunächst nicht nur für das Papier, sondern gleich mit einer Verfilmungsabsicht konzipiert wurden, gab es schon in den 1920er Jahren. Hans Richter schrieb in der Rückschau auf die Zeit um 1915: „Durch die Unvoreingenommenheit gegenüber allen Prozessen und Techniken gelangten wir oft genug in den kommenden Jahren über die Grenzen der einzelnen Künste hinaus: von der Malerei zur Skulptur, vom Bild zur Typografie, zur Collage, zur Fotografie und Fotomontage, von der abstrakten Form zum Rollenbild, vom Rollenbild zum Film, zum Relief, zum Objet trouvé, zum Readymade. Mit der
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mann/R. R. Rygulla. Berlin 1969 ff., S. 381 u. Brinkmann, Der Film in Worten. Prosa, Erzählungen, Essays, Hörspiele, Fotos, Collagen. Reinbek 1982, S. 223), „Zooms auf winzige banale Gegenstände (…) Überbelichtungen, Doppelbelichtungen (…) unvorhersehbare Schwenks (Gedankenschwenks)“ (a.a.O., S. 267) sollten die verfestigte negative Programmierung der Sprache aufweichen. Wolfgang Schmidt, Worte und Bilder. Hg. Anke Jaaks. Mainz 1992. Eine gute Einführung gibt Eckhard Neumann, Aesthetic pattern programmes. In: Typographica 13, London 1966, S. 37 ff. Wie etwa die „Serie 6“ (1962/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 171, siehe dazu Eckhard Neumann, Aesthetic pattern programmes. In: Typographica 13. London 1966, S. 37 ff.) für Gerd Winklers Film „buchstaben, schreibspuren und signale“ (Die Poesie des Konkreten. Plakate und Graphik der Kasseler Schule. Berlin 2000, S. 26 [= Sammlungskataloge der Kunstbibliothek/Staatliche Museen zu Berlin. Hg. Bernd Evers]). Leporello zur Ausstellung „lebenszeichen“, Galerie Modus, Berlin 1977 und ein Blatt (42 × 29,5 cm) Sonderdruck aus: OETZ 2, Düsseldorf 1980 (= Zeitschrift im Fachbereich Design an der Fachhochschule Düsseldorf). Gisela Brackert, Annäherung an Wolfgang Schmidt. In: Arbeiten von Wolfgang Schmidt im Materialis Verlag. Frankfurt 1981, S. 21. Drei Manuskriptblätter „zeichenkonzert“ (54–56) vom 10. 6. 1983 (Archiv Dencker), Abb. 47.
Abb. 47: Wolfgang Schmidt, zeichenkonzert, 1983
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Abb. 48: Hans Richter, Invasion 1944/45
Verwischung der Grenzen zwischen den Künsten wandte sich der Maler der Dichtkunst zu und der Dichter der Malerei. Überall spiegelte sich die neue Un-Begrenztheit wider.“407 Richters Hinweis auf die filmische Vorform des Rollenbildes bringt eine Verbindungslinie ins Bewusstsein, die von den frühen ägyptischen Papyrusrollen, über die chinesischen und japanischen Rollenbilder408, 407
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Hans Richter, DADA – Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Köln 1973, S. 57 f. Vgl. auch Richter, Der Kampf um den Film, a.a.O., S. 63: „ist der Film, wie ein Agens, in den Bereich aller anderen Künste eingedrungen und hat sie gezwungen, !neue Verbindungen" einzugehen“. Ekkehard May, Books and Book Illustrations in Early Modern Japan. In: Written Texts – Visual Texts. Woodblock-printed Media in Early Modern Japan. Hg. Susanne Formanek/Sepp Linhart. Amsterdam 2005, S. 26: „In the illustrated narrative scrolls that began at the latest in the Heian period – the oldest-known examples go back at least to the 12th century – the plot of the text is already mirrored in the pictures that change from section to section as the scroll progresses. This sophisticated technique of illustration utilizing the scroll format could and did produce an almost cinematic simultaneity of textual and pictorial development, for, in a concretely literal sense, the story !unfolds" along with the unwinding of the scroll. Thus, the succession of the pictures obtains a pronounced dynamic element.“
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die englischen „emblematical scrawles“ (1588) eines George Ripley409 oder James Standysh410 des 16. Jahrhunderts bis zu Sonia Delaunay-Terks „La prose du Transsibérien et de la petite Jehanne de France“ (1913)411 reicht. Neben dieser Form des Rollenbildes, in dem Delaunay-Terk mit der Visualisierung des Gedichts von Blaise Cendrars eine „komplementäre Simultanität von Sprache und Malerei“412 erreichte, gab es weitere Varianten entweder teilweise mit Text-(Collage)elementen413, mit Textillustrationen414 oder ganz ohne Text415. Zur letzteren Gruppe gehören die Rollenbilder von Viking Eggeling416 409
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George Ripley, The Emblematical Scroll, illum. Hs. 15. Jh. (The Fitz William Museum, MS 276, 671–57 cm), Abb. in: http://bibliodyssey-blogspot.com/ 2009/01/ripley-scroll.html. Roll by James Standysh, 16. Jh. (British Library, Add. Ms. 32621, 14 ft. 6 in. × 1ft. 7 in.). Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 14. Worte werden Bilder. Hg. A. Schug/Kunst- und Museumsbibliothek im WallrafRichartz-Museum, Köln 1972, S. 16 (= Ausstellungs-Leporello mit einer ausgezeichneten Reproduktion des Rollenbildes); verkleinerte Abb. in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 14. Beispiel: Hans Richter „Stalingrad“ („Sieg im Osten“ [1943/44]) in: Hans Richter, 1888–1976 Dadaist – Filmpionier, Maler – Theoretiker. Katalog der Akademie der Künste, Berlin 1982, S. 114f. Zwei weitere Rollenbilder „Invasion“ (1945/46) u. „Befreiung von Paris“ (1945/46) siehe: Hans Richter, Malerei und Film. Frankfurt 1989, S. 85 (= Schriftenreihe des Deutschen Filmmuseums, Kinematograph Nr. 5), Abb. 48. El Lissitzki/Moshe Broderson „Prager Legende“ (1917) in: El Lissitzki, a.a.O., S. 108/Abb. 8–10, Abb. 49. Broderson gründete 1918 „Jung Idysz“ in Lodz und gehörte zur (futuristischen) polnischen Avantgarde. Die Rolle befindet sich in einem Holzfutteral in Form einer Thorarolle. So ist dieses Objekt auch vergleichbar mit Buchobjekten wie z. B. mit „EGO“ (1980), Rollenbuch von Fria Elfen (1934), Abb. in: Visuelle Poesie [1984], a.a.O., S. 115. Beispiel: Duncan Grant „Abstrakte Kinetische Collage-Malerei mit Klang“ (1914) in: Vom Klang der Bilder, a.a.O., S. 229, oder die frühen Formreihen von Kurt Kranz, die 1972 verfilmt wurden: Kurt Kranz, Frühe Formreihen 1927–1932. Hamburg 1975. „Horizontal-Vertikal Orchester“ (1920) und „Symphonie diagonale“ (1923/24). Dazu die Dissertation von Louise O’Konor, Viking Eggeling 1880–1925. Artist and Film-Maker. Life and Work. Stockholm 1971. Richters Abhängigkeit von Eggeling hatte er selbst formuliert in: Die schlecht trainierte Seele. In: G. Material zur elementaren Gestaltung III. Hg. Hans Richter. Berlin, Juni 1924 (Reprint: Hg. Marion von Hofacker. Ausgaben I–V I. München 1986, S. 45f.). Zur Beurteilung der Zusammenarbeit zwischen Eggeling und Richter, der Frage von Plagiat und Fälschung durch Richter und Einschätzung, welchen Anteil an der Entwicklung der gemeinsamen Ideen welcher Künstler hatte, vgl. Film als Film, a.a.O., S. 8ff.; Erwin Leiser, Verfälschte Filmgeschichte. Zu Louise O’Konors Buch über Viking Eggeling. In: Neue Zürcher Zeitung 23. 10. 1971, S. 25; Marion von Hofacker, Kunsthistoriker gegen Künstler. In: Hans Richter, Malerei und Film, a.a.O., S. 155ff.
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Abb. 49: El Lissitzky/Moshe Broderson, Prager Legende, 1917
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und Hans Richter417, deren Physiognomie bereits Paul Wegener in einem Vortrag 1916 vorausschauend beschrieb: „Rhythmus und Tempo, Hell und Dunkel spielen im Film eine Rolle wie in der Musik. Und als letztes Ziel schwebte mir eine Art kinetische Lyrik vor, bei der man auf das Tatsachenbild überhaupt verzichtet (…) Ich könnte mir eine Filmkunst denken, die – ähnlich wie die Musik – in Tönen, in Rhythmen arbeitet. In beweglichen Flächen, auf denen sich Geschehnisse abspielen, teils noch mit der Natur verknüpft, teils bereits jenseits von realen Linien und Formen“418. Die Programmatik zu den Rollenbildern419 veröffentlichten Eggeling und Richter jeweils unter ihrem eigenen Namen in einem nahezu wortgleichen Artikel420. Obwohl die Experimente mit den Rollenbildern dem Ziel dienten, eine besondere Form des abstrakten421 Films zu entwickeln, stellte Richter später auch fest: „Obwohl Eggeling unsere Rollen oft als Partitur für den Film bezeichnete, entsprach das nicht vollkommen den Tatsachen. Wir liebten die Rollen mit Recht als selbständige künstlerische Form“422. Bei den nach Eggeling und Richter folgenden Filmexperimenten tauchten dann erste Versuche mit Text und Schrift auf 423, allerdings selten, da der Avantgardefilm der Stummfilmzeit ganz der bildenden Kunst verpflichtet war. Die Experimentalfilmer waren bildende Künst-
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„Präludium (Komposition Schwer/Leicht)“ (1920), „Rhythmus 21“ (1921), „Rhythmus 23“ (1923), „Rhythmus 25“ (1925). Dazu Richter, Malerei und Film, a.a.O. und Richter, Der Kampf um den Film, a.a.O. Paul Wegener, Die künstlerischen Möglichkeiten des Films. Zitiert nach: Scheugl/ Schmidt, Eine Subgeschichte des Films Bd. 1, a.a.O., S. 190. „Die !Sprache", die da !gesprochen" wird, beruht auf einem !Alphabet"“ (Hans Richter, Prinzipielles zur Bewegungskunst. In: De Stijl, Jg. 4, Nr. 7, Leiden 1921, S. 110). Viking Eggeling, Elvi fejtegetések a mozgómüvészetröl (Theoretische Präsentation der Bewegungskunst). In: MA, Vo.6, No. 8, Wien 1921, S. 105 f. (FaksimileAbdruck in: O’Konors, a.a.O., S. 88 f.). Richter, Prinzipielles zur Bewegungskunst, a.a.O., S. 109 ff. (Abdruck in: O’Konors, a.a.O., S. 90 f. u. in H. L. C. Jaffé, Mondrian und De Stijl. Köln 1967, S. 135 ff.). O’Konor belegt in ihrer Dissertation die starke Wirkung von Worringers „Abstraktion und Einfühlung“ auf Eggeling, z. Bsp. a.a.O., S. 81 f., 106, 264. Hans Richter, Von der statischen zur dynamischen Form. In: Plastique 2, Paris 1937, S. 17. 1921/22 entwarf László Moholy-Nagy die Skizze zu einem Filmmanuskript „Dynamik der Großstadt“ (zweisprachige Ausgabe im Rainer Verlag Berlin 1992), in dem Ansätze für Visualisierungsformen von Wörtern und Buchstaben im Film zu erkennen sind.
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ler424. Schrift und Text spielten in der Regel nur untergeordnete, gleichsam Randrollen als gelegentliche Verständnishilfen für den Kinobesucher.425 Poesie im Film war die Poesie der Bilder, die Metaphorik und Rhetorik von Bildsequenzen. Umfangreiche Montagetheorien, insbesondere der russischen Schule um Eisenstein, Vertow, Pudowkin und Timoschenko begründeten das, was Filmsprache genannt wurde. So gab es lediglich Ausnahmen wie 1926 Marcel Duchamps filmisches Hauptwerk „Anémic Cinéma“. Seit 1925 konstruierte Duchamp sogenannte Disks/ Scheiben, mit denen er die Dreidimensionalität durch Rotation in der Wahrnehmung des Betrachters herzustellen versuchte. Der Film besteht aus zehn solcher Bildscheiben. Dazwischen gibt es neun Schriftscheiben, die mit einer einzigen Kameraeinstellung gedreht wurden und spiralförmig Wortspiele zeigen, wie sie schon in den beiden Wörtern „Anémic Cinéma“426 zu erkennen sind.427 Eine weitere Ausnahme ist Charles Dekeukeleire, der die Zwischentitel seines 50-minütigen Stummfilms „Histoire de détective“ (1928) gegen jede bis dahin gekannte Sehgewohnheit gestaltete, indem er handgeschriebene Wörter abschwenkte, Sätze zwischen den Bildeinstellungen auseinanderriss, Wörter überlang stehen ließ oder sie so schnell schnitt, dass sie kaum zu lesen waren.428 Im selben Jahr 1928 entstand „The Fall of the House of Usher“429 in der Regie von James Sibley Watson (1894–1982) und Melville Webber (1871–1947) nach einer Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, in dem Buchstaben sich über das Filmbild so bewegen, dass sich auch einzelne Wörter wie BEAT oder CRACK bilden. Und seit 1929 gab es von Len Lye (1901–1980) spezielle Farbfilmexperimente, unter denen „Trade Tattoo“ von 1937 auch in seiner Verwendung von Schrift im Film interessant ist.430
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Wie Viking Eggeling, Hans Richter, Walter Ruttmann, Werner Graeff oder Kurt Kranz. Zu Textelementen im Stummfilm seit 1900 vgl.: Marc Silbermann, „Mixed Messages“. Schrift und Bild im expressionistischen Film. In: Pictogrammatica, a.a.O., S. 145 ff. „Anémic“ als Anagramm von „Cinéma“. Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films Bd. 1, a.a.O., S. 230 f. Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films Bd. 1, a.a.O., S. 180 f. Der komplette Film im Internet: http://video.google.nl/videosearch?q=The+ Fall+of+the+House+of+Ushers&emb=0&ay=f# Len Lye, Figures of Motion. Selected Writings. Hg. Wystan Curnow/Roger Horrocks. Oxford University Press/Auckland University Press 1984; Filmausschnitte im Internet: http://www.youtube.com/watch?v=rjjHqf34Qd0.
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Erst seit den 1950er Jahren tauchten Textfilme431 auf, etwa bei Marc Adrian432, Daniel Szczechura433, Dieter Roth434, Ernst Schmidt Jr.435 und
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In Frankreich begründeten Anfang der 1950er Jahre Maurice Lemaître („Syncinéma“) und Isidore Isou („Esthétique du cinéma“ 1952) den Experimentalfilm der Lettristen. Beispielhaft sind Isous „Traité de bave et d’eternité“ (1951), Gil J. Wolmans „L’Anticoncept“ (1952) und Lemaîtres Film „Le film est déjà commencé?“ von 1951. In Lemaîtres „Canailles-Büchern“ (Paris 1964 und 1968) finden sich Filmsequenzen, die eine große Nähe zu dem Film „Ein optisches Gedicht“ (1937) von Oskar Fischinger aufweisen, und Bildrollen, die ganz in der schon erwähnten Tradition stehen. Die beste Übersicht über die Filmexperimente der Lettristen gibt: Frédérique Devaux, Le Cinéma Lettriste 1951–1991. Paris 1992 und früher: Devaux, Approaching Lettrist Cinema. In: Visible Language Vol. XVII, No. 3, Cleveland/OH 1983, S. 48 ff., sowie die Filmografie von 1951 bis 1988 in: Roland Sabatier, Le lettrisme. Les creations et les createurs. Nice o. J. (1989), S. 189 ff. Eine Sammlung der Experimentalfilme von Lemaître aus dem Jahr 1951 gibt es auf Video: Lemaître, Le film est deja commerce? Séance de cinéma, Paris 1990. Am Institut für Deutsche Philologie/Lehrstuhl Bernd Scheffer der LMU-München werden in einem Forschungsprojekt „Schrift und Bild in Bewegung“ alle Variationen (Experimentalfilm, Music-Clip, Werbung usw.) gesammelt und analysiert, in denen es um Textbewegungen geht. Vgl. dazu Scheffer, Schrift & Bild in Bewegung. In: Einsichten/ Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München 1, München 1999, S. 34 ff. sowie die Dokumentation von Ausstellung und Symposium (2000) in: Schrift und Bild in Bewegung, a.a.O. Das Thema ausgeweitet und allgemein auf die Kinesis der Schrift bezogen, ist in der Forschung unter dem Stichwort „Kinetographie“ (das ursprünglich eine Methode der choreografischen Notation von Körperbewegungen bezeichnet) behandelt worden: Kinetographien. Hg. Inke Arns/Mirjam Goller/Susanne Strätling/Georg Witte. Bielefeld 2004 (= Schrift und Bild in Bewegung, Bd. 10). Marc Adrian „wo-da-vor-bei“ (1958), „Schriftfilm“ (1959), „text 1“ (1963) und „text 2“ (1964), frühe Beispiele des „strukturalen Films“ (Adrian), in denen Film- und Textstrukturen miteinander verbunden wurden. Zufallsgenerierte mathematische Reihen, Permutationen, Speicherprogramme eines Computers bestimmten die Struktur der Filme. Vgl. dazu Marc Adrians Statements in: 7. internationaler experimentalfilm workshop. Bericht 1987. Osnabrück o. J., S. 157 und S. 166 ff. Daniel Szczechura „LITERA“ (1962) handelt von dem Buchstaben N, der am Schluss des Films Teil des Wortes KONIEC (Ende) wird. Szczechura produzierte das Ende in verschiedenen Sprachen, in denen das N im Wort für Ende auftaucht: FIN, END, ENDE usw. Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films, Bd. 1, a.a.O., S. 571. Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films, Bd. 2, a.a.O., S. 813 ff. Eine Auflistung der Text- und Sprachfilme (1967–1975) von Schmidt findet sich in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P. (Beiheft): „Angesichts der stetigen Erweiterung audiovisueller Systeme ist absehbar, dass Schrift kommenden Generationen fremd und unverständlich sein wird. Meine Schriftfilme sind sentimentale, paradoxe filmische Rückschritte ins absterbende Zeitalter der Buchstabenkunst.“ (Schmidt).
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Gerhard Rühm436, der notierte: „endlich die möglichkeit ein wort, einen laut, eine wortgruppe so lange auf den beschauer wirken zu lassen oder so kurz aufblitzen zu lassen (andeuten), als ich das will! auch die enormen möglichkeiten durch verschiedene größen der buchstaben (großaufnahme!) und durch ihre abstände, schließlich durch die länge der pause (die !unbeschriebene" leinwand)!“437. Diese Filme der 1950er und 1960er Jahre438, in denen auch die ersten computeranimierten Textfilme produziert wurden439, entstanden im Umfeld der Konkreten Poesie440 und visualisierten ausschließlich Buchstaben und Wörter441. Demgegenüber stellte der Finne Eino Ruutsalo nur wenig später in „ABC 123“ (1967)442 schon kleine Textbilder her, die eine reichere Visualisierung durch die Verbindung von Text und Zeichnung aufwiesen und 436
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„3 kinematografische texte“, entstanden 1964, realisiert (wie auch „ophelia und die wörter“) 1970 beim Sender Freies Berlin/ 3. Programm Fernsehen, Berlin 1970. Auszüge gedruckt in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 604f. Rühm dazu in: Kunst aus Sprache. Katalog des Museums des 20. Jahrhunderts Wien, a.a.O. (S. 17ff.). Notiz vom 18. 2. 1955 in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 606. Eric Andersen „textfilm“ (1964); Jean-Luc Godard Vorspann zu „Pierrot le Fou“ (1965); Paul Sharits „Word Movie“ (1966); David Lynch „The Alphabet“ (1968); Timm Ulrichs „ikon/ kino“ (1969/1975/Abb. in: Timm Ulrichs. Retrospektive 1960–1975. Kunstverein Hannover 1975, S. 54 und dazu Text S. 132), vgl. auch Anm. 504 u. 995). Spätere Beispiele sind: Mike Dunford „Tautology“ (1973), Vito Acconci „My Word“ (1973/74), Lis Rhodes „Light Reading“ (1978) und Michael Snow „So is this“ (1982, vgl. dazu Saskia Reither, Computerpoesie. Studien zur Modifikation poetischer Texte durch den Computer. Bielefeld 2003, S. 46 f.). Kenneth C. Knowlton, Computer-animated movies. In: Cybernetic Serendipity, the computer and the arts. Ed. Jasia Reichardt. London 1968, S. 67 f. In: „bit“ international br., no 5–6, Zagreb 1969 sind „Animirane TV sekvences“ von J. Stamp, R. Bailey, W. Wurtzel, S. 20/I u. 20/II abgebildet u. siehe auch Georg Nees, text und lava. zur evolution des computerfilms. In: muster möglicher welten. eine anthologie für max bense. Hg. Elisabeth Walther/Ludwig Harig. Wiesbaden (1970), S. 132, bes. S. 135: „computerfilme und konkrete poesie“. Innerhalb der Ausstellung im Stedelijk Museum in Amsterdam 1970 wurden Filme der Konkreten Poeten gezeigt, die aufgelistet sind in: Dencker, Textfilme. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972, o. P. (S. 32). Heute erscheinen ganz ähnliche Arbeiten im Medium des Internets, wie die Arbeiten aus dem Jahr 2003 f. des norwegischen Poeten Ottar Ormstad belegen: http://www.nokturno.org/ottar-ormstad/. Wobei es auch die Verbindung zur Akustischen Poesie gibt, wie z. B. in den audiovisuellen Aktionen von Michael Lentz und Josef Anton Riedl „paper music I–III“, vgl. in: Schrift und Bild in Bewegung, a.a.O., S. 77 ff. Eino Ruutsalo, Textfilm. In: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 96 f., Abb. 50 u. in Visuelle Poesie, a.a.O., S. 94 f. Es handelt sich um die Geschichte eines „typeface book“.
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Abb. 50: Eino Ruutsalo, ABC (Filmband 33–36), 1967
die später, genau auf Musik und Geräusche geschnitten, in den Film übernommen wurden. Insofern hatten sie auch, jedes für sich betrachtet, poetischen Eigenwert. Dazu schrieb Ruutsalo 1972: „Als ich kinetische Gedichte zu schreiben begann, empfand ich das Bedürfnis, eher die in mir selbst entstandene und gewordene Sprache zu sprechen als die erlernte Schreibmethode zu benutzen. Ich wollte Gedichte, Bilder schrei-
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ben, aber so, wie sie in mir bereits fertig vorhanden waren (…) Ich wollte die Methode des Schreibens verwenden, den Raum meiner Bilder durch Zeichen bereichern, die schon allein als solche, losgelöst von der gewohnten Methode des Schreibens benutzt, neue Tiefen und Assoziationen zu besitzen schienen. Ich empfand das als informales Schreiben. Die geschriebene Seite wurde zur Hauptsache, ihr literarischer Wert wuchs in dem Maß, wie sich ihr geschriebener Rhythmus verdichtete (…) Die Buchstabenzeichen konnten jedoch nicht beliebig verwendet werden, sie schienen sofort eine Gesetzmäßigkeit zu schaffen, die in diesem Fall ebenso in der Literatur wie in der bildenden Kunst wurzelte. Ich wollte die Methode des Schreibens von Bildgedichten auch auf den Film übertragen und machte im Jahre 1961 auf der Grundlage derselben Rhythmusbegriffe meinen ersten geschriebenen Film !Kinetische Bilder" (1962). In diesem Film verwandeln sich die abstrakten Rhythmen in einigen Phasen buchstäblich zu einem maschinengeschriebenen Film“.443 Von einem Textbild ging wohl auch Ian Hamilton Finlay in seiner Arbeit „wave rock“ (1966)444 aus. Zugrunde lag zunächst eine Konstellation aus den beiden Wörtern wave und rock, die schräg auf einander zuliefen und in der Mitte sich vermischten445. Dann kam zu diesen beiden Wörtern die Fotografie446 einer Küstenlandschaft, in der sich zum Ufer hin die Wörter wave und rock mischen: „The repeated letters of !wave" seem to move from left to right, where they meet massed letters of the word !rock", which emerge strongly and clearly. Where the letters meet and are superimposed they suggest the third word !wrack" (seaweed), and the thickened stems of the letters suggest, visually, seaweedy rocks. The poem is !about" two opposing forces, but, being a poem, presents them in equipoise, resolved“447. In dieser Fotografie gut zu erkennen, noch deutlicher aber in einer zweiten Fotografie mit anderem Hintergrund448 handelte es sich um eine Glasplatte449, in die Finlay die Wörter-Konstel443 444 445
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Eine Ruutsalo, Kinetisches Wort und Bild. In: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 89. an anthology of concrete poetry. Ed. Emmett Williams. New York 1967, (S. 100). Abb. in: Ian Hamilton Finlay, Prints 1963–1997 Druckgrafik. Hg. Rosemarie E. Pahlke/Pia Simig. Ostfildern 1997, S. 20. Zuerst 1968 in einer Serie „The Blue and Brown Poems“ publiziert (Jargon Press), aber wohl schon früher entstanden. Zuerst veröffentlicht in: The Beloit Poetry Journal, Vol. 17, No. 1, 1966. an anthology of concrete poetry, a.a.O., (mit Abb.). Solt, Concrete poetry, a.a.O., S. 207, Abb. 51. Bereits 1964 berichtet Finlay, er „habe Gedichte für große Glasplatten entworfen“ (Ian Hamilton Finlay. Übers. u. arr. v. Ernst Jandl. In: Akzente 16. Jg., H. 6, München 1969, S. 481, hier ist auch eine andere Version von „wave rock“ vor einer Mauer abgebildet (S. 489).
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Abb. 51: Ian Hamilton Finlay, wave rock, 1966
lation eingravierte. In beiden Fotografien wird dem Betrachter beim Durchschauen der Eindruck vermittelt, als würden die Wörter in einer Landschaft agieren.450 So kam es schließlich zur filmischen Realisation mit einer einzigen Einstellung451, in der wiederkehrend die Mischung der Wörter, gleichsam auf und in den ans Ufer rollenden Wellen einer Strandlandschaft, stattfand. 450
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„The poem is intended for use in a building as stained glass windows were used with light playing through spiritual symbols.“ (Solt, Concrete poetry, a.a.O., S. 296). Innerhalb der Dokumentation: Visuelle Poesie. Der Weg vom Gedicht zur Aktion. Buch/ Regie: Dencker, Hessischer Rundfunk/3. Programm Fernsehen, Frankfurt 1972.
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TV-Poesie Die Kombination von Text und Bildmaterialien wurde mit der Zeit intensiver452, wie in den Filmen von Ferdinand Kriwet453, die nun auch mit Klammermaterial aus bereits gedrehten Filmen entstanden. Von diesen wurden einige, wie „Apollovision“ (WDR, Köln), schließlich im Fernsehen gezeigt. Direkt im Auftrag des Fernsehens gab es die Produktion einer sogenannten TV-Poesie454. Es war ein Spiel mit dem Medium, das Aus452
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Ein interessantes Beispiel ist „Hank and Mary without Apologies“ (1969/1972) von Dick Higgins. Der Film entstand zunächst als Text (abgedr. in: Dick Higgins, Modular Poems. Barton 1975), bestehend aus vier Wörtern HANK, MARY, DEAD, SHOT mit durchnummerierten Takes, in denen jeweils die vier Wörter permutiert und in immer neuen Kombinationen erscheinen. Im Film wurden dann die vier Wörter durch Bilder und bestimmte Farben ersetzt, und auf der Tonebene sind Fluxus-Performances von Higgins, Dine, Hansen und Oldenburg hörbar. Der Film lief innerhalb des Autorenmagazins 8, Saarländischer Rundfunk/Fernsehen, III. Programm, am 19. 6. 1985, in dem auch „ABC 123“ von Ruutsalo gezeigt wurde. „Textfilm“ (1966), „TV-Take“ (1968), „APOLLOVISION“ (1969), „TELETEXT“ (1970), Stills und Spots in: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 95 ff., sowie in der Dokumentation Visuelle Poesie (vgl. Anm. 451). „Der Film gestattete dem Autor, mit den vielfältigen Möglichkeiten des Tricks erstmals Lesevorgänge direkt in all ihren Informations-Stufen zwischen eindeutig und vieldeutig, lesbar und unlesbar, deutlich und undeutlich zu komponieren und den Zuschauer an der Entstehung des Textes unmittelbar teilnehmen zu lassen: Work in progress.“ (Kriwet, Medien, Kunst: Medienkunst. 1. Teil: Subjektive Überlegungen zur Verwendung vieler verschiedener Medien in der literarischen und künstlerischen Praxis von heute. In: VDI nachrichten Nr. 17, 30. 4. 1976, S. 27 (2. Teil: Mixed-Media-Praxis, aufgezeigt am Beispiel einer Ausstellungsveranstaltung im Württembergischen Kunstverein. In: VDI nachrichten Nr. 18, 7. 5. 1976, S. 22 f.). Es handelte sich um die drei Filme „starfighter“, „rausch“ und „astronaut“ die mit den elektronischen Möglichkeiten des Mediums Fernsehens – 1970 von Dencker entworfen – 1971 beim Südwestfunk, 3. Programm Fernsehen in Baden-Baden realisiert wurden. „In ihnen wird mit abnehmender Intensität in drei Stufen die Visualisierung des Sprachmaterials vorgenommen, die Integration in einen Bildund Tonablauf versucht, wobei der Abnahme der Visualisierung des Sprachmaterials von eins nach drei die Zunahme der akustischen Aktualisierung parallel läuft. Die drei Wörter, die zugleich Filmtitel sind, werden im Denk- und Assoziationsprozess des Zuschauers in ihre materialen (grafischen) und semantischen Bestandteile zerlegt und wieder zusammengesetzt. Die Funktion sowohl der eingesetzten optischen als auch akustischen Elemente, bloße Ergänzung und Illustration zu sein, musste vermieden werden. Kontrastwirkungen sollten möglich sein, so wie einzelne Signale sich verselbständigen, äußerlich noch kaum etwas zu tun haben
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probieren von Blue-Box und Cox-Box-Effekten, das Einsetzen ganz unterschiedlicher Montageprinzipien, die Verquickung von Live- und Konservenanteilen und das Experimentieren mit unterschiedlichen Produktionsformen.455 Zu dieser Zeit öffnete sich das Fernsehen den experimentellen Filmangeboten, stellte Sendeplätze zur Verfügung456 und wagte auch Eigenproduktionen457. Einerseits wollte man die noch in den Kinderschuhen steckenden Dritten Programme neben dem zunächst sehr konventionellen Bildungsangebot attraktiver gestalten, andererseits zusätzliche Anregungen und Erkenntnisse über die neuen elektronischen Möglichkeiten im Studio und am Mischpult gewinnen. Dabei war das Medium Fernsehen als Produktions- und Kommunikationsmittel für die Künstler bereits im Ausland viel früher entdeckt worden. In konsequenter Fortsetzung seines „Technischen Manifests“ entwarf Marinetti zusammen mit Pino Masnata 1933 das „La Radia. Manifesto futurista dell’ottobre 1933“458 und formulierte dort Visionen, die mit der Umschreibung der Begriffe Ubiquität, Simultanität, Virtualität und Interaktivität weit über das Fernsehen hinaus bereits die Entwicklung der Neuen Medien im Blick zu haben schienen, so dass gut 30 Jahre
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können mit dem, was semantisch eine bestimmte Anordnung von Buchstaben mitteilt, so dass also die Kombinationsfähigkeit des Zuschauers angeregt wird.“ (Dencker, Entwurf einer eigenständigen TV-Poesie. In: Akzente 4, München 1973, S. 329). Siehe auch: Dencker, Textfilme, a.a.O., (S. 31f.) und Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005. Weitra, S. 63ff. (mit dem Filmskript vom „starfighter“, S. 66), sowie in: Dencker, Zur Vorgeschichte der Textfilme und zu den eigenen Textfilmen. In: Schriftfilme. Schrift in Bewegung. Hg. Bernd Scheffer, Marcel Schellong, Christine Stenzer. Bielefeld 2009. Dencker, Visuelle Poesie und Film. In: Lund Art Press Vol. 2, No. 3, Lund 1992, S. 165 (University of Lund/Sweden). Z. B. für die Filme von Gerry Schum im WDR. Lit: Yo von Swento, videogalerie schum (…) In: Welt aus Sprache, a.a.O., S. 182 ff. und Dorine Mignot, Gerry Schum – die Idee einer Fernseh-Galerie. In: Videokunst in Deutschland 1963–1982. Hg. Wulf Herzogenrath. Stuttgart 1982, S. 44 ff. Wibke von Bonin, Video und Fernsehen. Wer braucht wen? In: Videokunst in Deutschland, a.a.O., S. 133 ff. Bericht über die erste Auftragsproduktion: Otto Piene/Aldo Tambellini, Black Gate Cologne, WDR/Köln 30. 8. 1968, vgl. auch Tambellini im Katalog Ars Electronica. Linz 1980, S. 111. Einen Überblick bis 1987 in: Wibke von Bonin, Das elektronische Museum: Kunstvermittlung im Fernsehen. In: Synthesis. Die visuellen Künste in der elektronischen Kultur. Hg. Manfred Eisenbeis/Heide Hagebölling. Offenbach 1989, S. 296 ff. Manifesti Futuristi. Hg. Luciano Caruso. Florenz 1980, Nr. 256. Dt. in: Vom Verschwinden der Ferne. Telekommunikation und Kunst. Hg. Edith Decker/Peter Weibel. Köln 1990, S. 223 ff.
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später Marshall McLuhan mit seinem „The Medium is the Massage“459 nahtlos daran anknüpfen konnte460. Es folgte 1939 zu Beginn des amerikanischen Fernsehens die Ankündigung des Chefs der RadioCorporation of America, David Sarnoff, dass dies die „Geburt einer neuen Kunst“ sei461, und 1952, als das Fernsehen nach dem 2. Weltkrieg wie in Deutschland auch in Italien auf Sendung ging, war es dann Lucio Fontana, der im „Manifesto del movimento spaziale per la televisione“462 die von ihm schon 1948 geäußerte These programmatisch ausführte: „Durch Funk und Fernsehen werden wir künstlerische Ausdrucksformen von ganz neuer Art ausstrahlen.“ Erste Schritte unternahmen dazu zwei lokale Fernsehstationen in San Francisco und Boston 1967, die sich von ihren kommerziellen Partnern trennten und mit Hilfe von öffentlichen und privaten Geldern neue Formen der Fernsehkunst entwickeln wollten463. Obwohl sich gerade im Experimentalfilmbereich der Text- und Schriftfilme Fernsehproduktionen geradezu angeboten hätten, weil mit der beginnenden Entwicklung diverser elektronischer Simulations- und Trickmöglichkeiten neue technische Mittel den gewohnten Umgang mit Sprache verändern halfen, blieben diese Produktionen dennoch Randerscheinungen. Die Anzahl der Sendeplätze reduzierte sich rasch. Mit Beginn des Privatfernsehens, der Kabelpilotprojekte und dem Start von RTL 1984 war das Medium Fernsehen kommerziellen Zugzwängen ausgesetzt und als Experimentierfeld verloren. Die Idee einer fernsehadäquaten TV-Poesie blieb auf der Strecke464, und der Begriff bekam 1994
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Marshall McLuhan/Quentin Fiore, The Medium is the Massage. An Inventory of Effects. New York 1967, S. 125 (dt. Frankfurt 1969 und 1984, S. 125). Friedemann Malsch, Eine letzte (erste) Antizipation. Die Entdeckung des Fernsehens durch die italienischen Futuristen. In: Vom Verschwinden der Ferne, a.a.O., bes. S. 218. In: The New Television: a public/private Art. Ed. Douglas Davis/Allison Simmons. Cambridge/MA-London 1977, S. 3. In: Enrico Crispolti, Fontana. Catalogo generale Bd. 1. Mailand 1986, S. 37 (dt. in: Vom Verschwinden der Ferne, a.a.O., S. 66). Kathy Rae Huffman, Return to Sender. Eine kurze Geschichte des interaktiven Fernsehens. In: European Media Art Festival 1993, Osnabrück 1993, S. 274. Gislind Nabakowski, Utopien? Folgen? (…) Passagen! Zwischenzeiten! Überlegungen zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in der Bundesrepublik. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 307. Dieter Daniels, Fernsehen – Kunst oder Antikunst? Konflikte und Kooperationen zwischen Avantgarde und Massenmedium in den 1960er/1970er Jahren. In: Medien Kunst Netz 1: Medienkunst im Überblick/Media Art Net 1: Survey of Media Art. Hg. Rudolf Frieling/Dieter Daniels. Wien/New York 2004 (Reader zum online-Portal www.medienkunst-
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mit der Installation von Gebhard Sengmüller eine neue Bedeutung: – nicht das, was mit und durch das Fernsehen produziert wurde, sondern was der Medienkünstler Sengmüller durch die collagehafte Verknüpfung einzelner Programmteile produzierte, war nun TV-Poesie465.
BTX Auch die im gleichen Jahr 1984 bundesweite Einführung von Bildschirmtext (BTX) im Fernsehen eröffnete nur kurzzeitig Möglichkeiten. Sie gingen vor allem auf Manfred Eisenbeis466 an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach zurück, der seit 1978 mit der Entwicklung des BTX-Designs befasst war. So konnten zwar einzelne Künstlergruppen wie die 1983 gegründete Toronto Community Videotex467 mit der Offenbacher Arbeitsgruppe im sogenannten V.A.N.-Projekt (= Video Art Network) experimentieren468. Die Gruppe BLIX konnte im österreichischen „Kunst-BTX/ MUPID“469 arbeiten, und die französische Variante MINITEL470 stellte 1985 (bis 1986) anlässlich der Ausstellung „Les Immatériaux“ in Paris (Kurator: Jean François Lyotard) über 80 Künstlern eine Experimentalplattform zur Verfügung471. Auf diese Weise entstanden Text-Bilder von Ben
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netz.de und dort: http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ ueberblick/massenmedien. Gebhard Sengmüller, TV Poetry (1994) in: Minima Media. Medienbiennale Leipzig. Hg. Dieter Daniels. Leipzig 195, S. 101 f. Manfred Eisenbeis, Das Bild der neuen Medien (…) In: form. Zeitschrift für Gestaltung, Ausgabe 87/III, 1979, S. 14 ff.; ders., Bildschirmtext: Die zweite Generation. In: form 102/II, 1983, S. 30 ff.; Norbert Friedl, Motion Graphic Design. In: Medien Bulletin 5/3, 1986, S. 36 f.; Michael Troesser, Vom Faltblatt zur Hochglanzbroschüre (BTX-Programmideen). In: neue medien 5, 1985, S. 94 ff. Die sich 1987 in „Inter/Access“ umbenannte und mit dem kanadischen MATRIXSystem arbeitete. Zu ihr gehörten Autoren wie bpNichol oder David Rockeby. So Alfred L. Copley, Thomas Bayerle, O. H. Hajek und Tom Wesselmann; vgl. Gerhard Breinlinger, Marilyn gewinnt feinere Züge. In: postmagazin II, 1984, S. 6 ff. Bericht über VAN in: Kunst und Technologie. Aufbruch in neue Wirklichkeiten. Katalog einer Ausstellung des Bundesministers für Forschung und Technologie (verantwortlich: Jürgen Claus), Bonn 1984, S. 41 f.; in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 307 ff. und in: Synthesis, a.a.O., S. 86, 144, 189, 305 ff. Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 341 ff. Mit dem auch Eduardo Kac 1985 in Brasilien experimentierte. Während der Ausstellung lief ein Projekt von „Art Access“, das MINITEL als Netzwerk für eine Online-Interaktion zwischen den Künstlern innerhalb der Ausstellung und Videotextteilnehmern aus dem Großraum von Paris benutzte, vgl.
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Vautier472, sogar BTX-Galerien473, und Klaus Modick äußerte sich noch 1988 euphorisch über die Chancen des neuen Mediums: „(…) es könnte durchaus hilfreich sein, wieder kritisch anzuknüpfen auch an den Kulturoptimismus der 50er und frühen 60er Jahre, in denen sich eine literarische Avantgarde mit den veränderten Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Sprache im technischen Umfeld befasste“474. Aber bereits 1987 wirkte das von Richard Kriesche zum „steirischen herbst“ in Graz veranstaltete „kulturdata – BTX“-Projekt475 wie eine Art Abgesang, was auch im Vorwort schon durchschien: „in diesem ausschließlich nach kommerziellen richtlinien !gebauten" medium, – alle medien haben diese baustruktur –, ist die freiheit des marktes, nicht aber die freiheit der kunst eingebaut. die kunst innerhalb der medien ist solange frei, solange sie der freiheit des marktes dient (…) wir wenden uns in diesem öffentlichen elektronischen bildraum und ganz speziell am beispiel dieses btx-projektes dem neuen arbeitsplatz des !neuen künstlers" zu. dieser arbeitsplatz muß aber von den künstlern selbst erprobt und definiert werden, da ja von technischer und wirtschaftlicher seite her keine kulturelle dimensionierung vorgesehen ist“476. BTX verband zunächst den Fernseher mit dem Telefonnetz, ab 1988 dann auch mit
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Roy Ascott, Gesamtdatenwerk. In: Kunstforum 103, a.a.O., S. 100 ff. (dort auch Abb. von Videotextseiten). Siehe auch Philippe Bootz, Poetic Machinations. In: New Media Poetry: Poetic Innovation and New Technologies. Ed. Eduardo Kac. Visibile Language 30. 2. Providence/Rhode Island 1996, S. 121. Vgl. die Abbildung bei Breinlinger, a.a.O., S. 7. BTX-Galerie Othmar Karschulin (1985) in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 310 ff.; BTX-Galerie Volker Hildebrandt (1985) in: art ware. Kunst und Elektronik. Hg. David Galloway. Düsseldorf 1987, S. 128 ff. Klaus Modick, Das Stellen der Schrift. Siegen 1988, S. 101. KULTURDATA-BTX. Katalog. Hg. kulturdata. Graz 1986/87. Teilnehmende Künstler: Joachim Baur, Eva Cladi-Schmeiser, Fedo Ertl, Peter Hoffmann, Richard Kriesche, Werner Schmeiser, Wolfgang Temmel. Vgl. auch Richard Kriesche, Neubestimmung der Identität des Künstlers am Beispiel BTX. In: Interface 1, a.a.O., S. 80ff. Richard Kriesche in KULTURDATA-BTX, a.a.O., Vorwort S. 1 f. Diese kulturelle Dimensionierung war noch in der ersten offiziellen Vorstellung (form 87/III, 1979, S. 17: „Ausschnitte aus einem experimentellen Programm für die gestalterische und künstlerische Nutzung des neuen Mediums“) ausdrücklich vorhanden, aber in der 2. Ausgabe (form 102/II, 1983, S. 34 „bis hin zur künstlerischen Nutzung“) nur noch marginal erwähnt. Deutschland war kein Einzelfall. Auch mit anderen Systemen wie CAPTAIN (Japan), PRESTEL (England) oder VIATEL (Australien) gab es nur kurzfristige Versuche wie in Kanada (z. B. von Geoffrey Shea: www.n3krozoft.com/dead/02.4.html), der Anfang der 1980er Jahre nur kurz mit dem dortigen System TELIDON arbeitete und aufgab).
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dem Computer, aber bereits zwei Jahre später begann BTX zu verschwinden, bevor jene Verbreitung erreicht werden konnte, die bereits das World Wide Web besaß, das BTX quasi ersetzte.
TV-PC-Telefon Die Koppelung Fernsehgerät – Computer – Telefon schien dann noch einmal eine Chance zu bieten, erneut mit dem Fernsehen zu experimentieren. Auf der Ars Electronica in Linz 1986, vor allem aber auf der documenta 8 1987 in Kassel machte die Künstlergruppe „Ponton“477 auf sich aufmerksam, die einen eigenen Festivalsender als Hörfunk und als Fernsehen betrieb, zunächst mit eigener Programmstruktur, dann aber zunehmend unter Hereinnahme von Publikumsbeiträgen und – in logischer Konsequenz daraus – mit der Schaffung eines interaktiven Kommunikationssystems478. War das Fernsehen also bisher lediglich einerseits Vermittler und andererseits Ideengeber aufgrund der neuen elektronisch-technischen Möglichkeiten, also immer noch Sender von fertig produzierten „Kunstwerken“, sah Ponton nun die Chance, mit dem Kommunikationsmittel Fernsehen, ein „Kunstwerk“ zu produzieren: Kommunikation als Kunstwerk, wie es Fred Forest bereits seit 1982 forderte479. Ponton gründete „Van Gogh TV“ und experimentierte 1989 und 1990 auf der Ars Electronica über 3sat mit dem Satelliten-TV-Projekt „Hotel Pompino“480 und 1992 auf der documenta 9 in Kassel und 1993 auf der „Mediale“ in Hamburg mit „Piazza Virtuale“. Dem Zuschauer wurde kein fertiges Programm angeboten, sondern ein Fernsehbild als interaktive Benutzeroberfläche, in die sich jeder über Telefon, Computer-Mo-
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Dencker, Ponton European Media Art Lab oder: Die Öffnung des öffentlichen Raumes. In: Medienkunstpreis 1993. Hg. Heinrich Klotz/Michael Rossnagel. Stuttgart 1993, S. 106 ff. Zur Geschichte des interaktiven Fernsehens bis Ponton siehe: Kathy Rae Huffman, Return to Sender. Eine kurze Geschichte des interaktiven Fernsehens. In: European Media Art Festival. Osnabrück 1993, S. 273 ff. Fred Forest, Für eine Ästhetik der Kommunikation. In: Plus Moins Zéro. Revue d’art contemporain. No 43, Brüssel 1985, S. 25 ff. u. Fred Forest, Die Gesellschaftskunst und die Ästhetik der Kommunikation. In: Teleskulptur. Hg. kulturdata. Graz 1993, S. 36 ff. Ars Electronica 1990. Hg. Gottfried Hattinger/Peter Weibel. Bd. 1. Digitale Träume. Linz 1990, S. 160 ff.
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dem oder Faxgerät481 einschalten konnte. Ponton hatte „ein sich selbst generierendes Kunstwerk errichtet, einen Kommunikationsautomaten, der im Netz und als Netz funktioniert. Die Piazza Virtuale ist eine Versuchsanordnung, deren Ergebnis wir nicht kennen (…) Der Sender ist das Kunstwerk“482. Damit war Ponton auf dem von Forest vorgezeichneten Weg: „Die Welt der Kommunikation, die webartige Struktur ihrer Netze, die ihr eigenen Wechselbeziehungen führen uns zu neuen Geistesschemata. Die Ästhetik der Kommunikation findet einen selbstverständlichen Platz in dieser Strömung“483. Aber Forest ahnte auch: „Nachdem wir in Produktionsgesellschaften gelebt haben, sind wir jetzt in die Kommunikationsgesellschaft eingetreten. Wenn auch Elektrizität, Elektronik und Informatik heute schon dem Künstler neue Kreationsinstrumente darbieten, so muss man allerdings feststellen, dass die Gesellschaft jeglicher Änderung entschieden Widerstand leistet. Dieser Widerstand ist besonders in den spezialisierten Kreisen der Kunst und in ihren Anstalten, in denen oft immer noch ein Geist herrscht, der aus einem anderen Jahrhundert stammt, zu spüren“484. Van Gogh TV musste sich auflösen. Ponton widmete sich fortan kommerziellen Kommunikationsprojekten im Internet.
Video Im Gegensatz zum inhaltlich-fernsehpolitisch begrenzten Medium Fernsehen und zum technisch begrenzten BTX-Medium, entwickelte sich parallel aber ein Medium, das für die künstlerische Arbeit wesentlich interessanter war und sich als Reaktion485 und kreative Ant-
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Mit dem Faxgerät wurde am 5. August 1981 das erste Projekt (von Tom Klinkowstein) von Künstlern in Europa (zwischen dem Mazzo Club Amsterdam und der Blitz Bar Wien) realisiert. Documenta 9. Bd. 1, Kassel 1992, S. 250 f. Vgl. auch Karel Dudesek, Piazza Virtuale/Van Gogh TV. In: REFLEXIONEN zu Kunst und Neuen Medien. Hg. Eikon und Medien. Kunst. Passagen. Wien/ Innsbruck 1993, S. 81 ff. Forest, a.a.O., S. 25. Forest, a.a.O., S. 27. Lynn Hershman, Reflections on the Electric Mirror. In: New Artists Video. A Critical Anthology. Ed. Gregory Battcock. New York 1978, S. 38: „video artists still exist in relationship to television“. Aber „Video art in the long run is not television. It’s the medium of television being used by artists to express conceptual ideas also to express ideas about time and space. What is important about video
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wort486 auf das Massenmedium Fernsehen verstand: Video487. Erfahrungen, die mit technischer und elektronischer Filmarbeit gesammelt wurden, konnten nun ohne redaktionelle Vorgaben und den Zwang des Sendeplatzes umgesetzt werden, wobei bei der Herstellung von VideoTapes die schnelle Überprüfbarkeit und Korrekturmöglichkeit, ihre flexible Handhabung (Sony-Portapak) und bezahlbare Technologie insbesondere für den nicht-kommerziellen Produktionsbereich von Vorteil waren. Video wurde so einerseits zu einem wichtigen Aufzeichnungsmedium, mit dem die Anfang der 1970er Jahre nach den Vorbildern in Kanada, England, Frankreich und Italien entstandenen Medienzentren488 ein Dokumentations-Archiv kritischer kultur- und gesellschaftspolitischer Medienarbeit aufbauten, andererseits zu einem ästhetischen Experimentierfeld489, das sich nicht nur auf die technischen Ressourcen des neuen Mediums beschränkte, sondern das auch die Apparate (Kamera, Recorder, Monitor) selbst zum Gegenstand künstlerischer Installationen und Aktionen anbot490 und eng mit der nahezu gleichzeitig entstehenden Fluxus-Bewegung verbunden war. Wolf Vostell und Nam June Paik gründeten 1962 zusammen mit Galeristen Jean-Pierre Wilhelm und George
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tape is that it is a direct medium of dealing with your own mind, not making a physical object that puts our body between you and your mind. The tendency of video tape is to expose the artist in a direct relationship with the audience.“ (Les Levine, One-Gun Video Art. In: New Artists Video, a.a.O., S. 90). Von Hershman gibt es „Lorna“ (1979–1984), eine interaktive Videodisc, in der Text und Bild einander spiegeln (Abb. in: Simon Morley, Writing on the Wall. Word and Image in Modern Art. Berkeley/Los Angeles 2003, S. 200). Richard Serra zeigte auf der documenta 6 (1977) in Kassel ein Video „Television Delivers People“ (1973), in dem „die Botschaft selbst ihr Medium kritisiert. Zu seichter Schlagermusik rollen Kernsätze der Fernsehkritik an der Verführung der Leute durch das Fernsehen vor dem üblichen blauen Fernsehhintergrund ab“ (documenta 6, Bd. 2. Kassel 1977, S. 354). Obwohl auch für dieses Medium Erfolglosigkeit prognostiziert wurde: Jaime Davidovich, Das Versagen der Videokunst. Ein Manifest (1986). In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 318 f. Ute Hagel, Medien-Zentren. Hamburgs kulturelle Initiativen. Hamburg 1994. Eines der ersten und wichtigsten künstlerischen Videozentren war das von Woody und Steina Vasulka mitbegründete „The Kitchen“ in New York (the kitchen 1974–1975. New York 1975) Vgl. auch Video Art. An Anthology. Ed. Ira Schneider/Beryl Korot. New York 1976 und Video End. Hg. Richard Kriesche. Pool/Pfirsich Nr. 16/17/18, Graz 1976. Video-Skulptur retrospektiv und aktuell 1963–1989. Hg. Wulf Herzogenrath/ Edith Decker. Köln 1989.
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Maciunas Fluxus491, und beide markierten 1963 mit ihren Ausstellungen in Wuppertal492 und New York493 zugleich den Beginn der Video-Kunst. Mit Schrift/Text in der Video-Kunst beschäftigte sich sehr früh auch der Österreicher Peter Weibel. Seine Arbeiten reichen zurück bis ins Jahr 1967. Es sind Textaktionen und Aktionstexte mit Video und Fernsehausstrahlung – Fernseh-Gedichte: „Teleaction is an abbreviation of the word telecommunicationaction. I used it at the beginning of my video work in view of the lack of personal video equipment and the greater chance for realisation in tv institutions. I therefore designed many of my pieces especially for tv (…) A sampler of those pieces were shown f. e. 1972 in Austrian television ORF (…) (vt and tv works 1969–1972)“494. 1973 bis 1975 entstand „a sequence of videospecific poems, purely linguistic poems, which are constructed on the temporal, sculptural and technical possibilities of the video system. Evolutions of some methods of concrete poetry“495. Ähnlich früh wie Weibel begann der portugiesische Autor Ernesto Manuel Geraldes de Melo e Castro, dessen erstes Videopoem 1968 entstand496. Und auch für ihn galt immerhin: „Concrete poetry in 1960 was for me not an arrival point, but rather a launching platform“497, die so491
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Das erste Fluxus-Festival fand 1962 in Wiesbaden statt mit anschließenden Veranstaltungen in Kopenhagen und Paris. Vgl. Fluxus. 1962–1982 Wiesbaden. Eine kleine Geschichte von Fluxus in drei Teilen. Hg. René Block. Wiesbaden 1982. Eine umfangreiche Fluxus-Chronologie 1959–1970 mit Quellennachweisen ist: happening & fluxus. materialien zusammengestellt von h. sohm. Köln 1970 (= Katalog Koelnischer Kunstverein 1970). Nam June Paik, Exposition of Music (?). Galerie Parnass Wuppertal, 1.–20. März 1963. Wolf Vostell, 6 TV De-Coll/agen. Smolin Gallery New York, 2. Mai 1963. Peter Weibel, An annotated videography 1969–1976. Hg. von der Österreichischen Hochschülerschaft. Innsbruck 1977, (S. 2). Weibel, a.a.O., (S. 15). So gab es am 4. August 1974 von ihm eine Video-Text-Installation mit Palindromen, die sich für kinetische Inhaltswechsel besonders gut eignen. „Roda Lume“ (1968), das 1969 vom portugiesischen Fernsehen gesendet wurde. In einer ersten Schwarzweiss-Fassung zeigt es die Animation von geometrischen Formen und handgeschriebenen Buchstaben. Eine zweite Fassung entstand 1986. Einen guten Überblick zur Videopoesie Melo e Castros gibt der Beitrag: Videopoetry. A new poetics of reading is thus on the way. A personal trajectory. Videopoemography: http://www.ociocriativo.com.br/guests/meloecastro/video.htm. Eine bis 1994 reichende und illustrierte Übersicht zu seiner „videopoetry“ gibt Melo e Castro selbst in: New Media Poetry, a.a.O., S. 139 ff. Videopoetry, a.a.O., S. 2.
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gar noch bestimmend war in Videos wie „Ideovideo“ von 1987498. „As for videopoetry the immediate reference is the experimental poetry of the ’60s as iconized text. But the ultimate goal is to investigate video as a medium capable of developing by itself a new kind of reading pleasure. At first sight the aesthetic values present in video are the intimate relation of space and time, the rhythm of movement and the changing colors, all pointing to a poetics of transformation and to a grammar of integration of verbal and nonverbal signs. All these features contribute to a different and perhaps new meaning of reading (…) On the whole, a verbi-voco-sound-visual-color-movement complex and animated image is created calling for a total kinesthetic perception“499. Später in den 1970er und 1980er Jahren gab es weltweit immer wieder Autoren, die sich auf das Medium Video einließen, wie z. B. W. Mark Sutherland500 in Kanada, wo ohnehin eine starke Video-Szene existierte, oder in der Tschechoslowakei Miroslav Klivar, bei dem einerseits sehr deutlich der Bezug zur Konkreten Poesie zu erkennen war501, andererseits eine Entfernung von dieser, indem er – ähnlich wie Mallander in der Fotosequenz seines „Kama Lettra“ – Buchstaben in den öffentlichen Raum setzte502, oder sogar mit dem Fernsehen collagehaft 498
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Zu diesem Video und weitere Bemerkungen zu Melo e Castro bei Reither, a.a.O., S. 188 ff. und S. 93 ff. Videopoetry, a.a.O., S. 1 f. tvi (a Video-Poetry Book). Ed. V Tape, Toronto 1994. Enthält dreißig Video Poems von 1985 bis 1994. „The majority of video-poems produced between 1985 and 1994 are a juxtaposition of lyric poems set to musical accompaniment with a montage of found TV images and staged scenes which construct a visual-narrative thread. Antecedents for some of these video-poems might be discovered in the cinema of Anger, Dali/Buñuel, Deren, Cocteau, Vertov, etc. with hints of structuralist and post-structuralist experimental work like that of Snow, Brakhage etc. (…) The video-poems from 1966–2004 present a more refined integration of sound and moving image as well as form and content. The cinematic qualities (…) are replaced by a reduction formalism (definitely more Duchamp, Snow, Brakhage, Sharits, even Warhol etc) and are aimed more squarely at the viewers perceptions (…) Some of these videos are created by digital animation, while others, are a hybrid of digitally manipulated live-performance pieces“ (SutherlandE-Mail vom 29. 12. 2004 an Dencker). Video Poetry. Prag 1976. „My !Land-poems" Nos. 1–4 of 80ties represent verbal symbols of verses which I created on nature of Reservation Sárka, Prague 6. Every plastic letter which I placed into nature is in fact my dreamed imagination of verse which can begin with a choiced letter which emerged from my subconsciousness dreaming“ (Brief an Dencker v. 4. 12. 2004).
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spielte503. Eine entsprechende Arbeit mit der Collage von Schlußsequenzen internationaler Spielfilme, in denen das Wort ENDE jeweils in deren Landessprache erschien, hatte Timm Ulrichs nach einer Idee von 1970 dann 1990/97 realisiert.504 Und selbst bei jüngeren Autoren, wie bei dem 1967 in Zürich geborenen Daniel Brefin, scheinen noch die Sprachexperimente der 1960er Jahre durch, wie eine seiner ersten Arbeiten „Hahrweit“ (1998) beweist. „Hahrweit zeigt in schnell oszillierendem Rhythmus Wortgruppen, die vor einem monotonen akustischen und optischen Hintergrund gezeigt werden und sich jeweils nur durch ihre ausgetauschten Anfangsbuchstaben unterscheiden. Aus Fußball wird Bussfall, aus Mutterkuchen wird Kuttermuchen, aus Wahrheit wird Hahrweit. Eine einfache Spielregel, wie sie Kinder häufig verwenden, um untereinander verschlüsselte Botschaften auszutauschen. Einerseits erzählen die Wörter in ihrer chronologischen Reihenfolge eine Art Kurzgeschichte. Andererseits erhalten die konstruierten und eigentlich sinnlosen Wörter eine eigentümliche sprachliche oder poetische Bedeutung“505. Am besten lässt sich die Entwicklung des Videopoems vom Textexperiment auf dem Papier bis zum elektronischen Ereignis506 wohl an der Ar503
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„In !TV drama poetry" (1987) enters my poetry into television dramatical art as a symbol of inner language of a man. It is known that man has except pronounced, written and mimical expresses, also his own inner speech, which is silent. The letters which I used in a television dramatical picture are imaginations of inner talks displaying e. g. reduction in inner talking, in forbidding etc. Letters are therefore put before the mouth as a symbols of inhibitions in inner talks“ (Brief an Dencker v. 4. 12. 2004). „The End“ Videofilm, Abb. aller verwendeter Schlußsequenzen in: Timm Ulrichs, Der detektorische Blick. Berlin 1997, S. 55 ff. 1981 hatte sich Ulrichs auf dem Augenlid „The End“ tätowieren lassen: „Um zu demonstrieren, dass alles, was in mein Blick-Feld fällt oder mir unter die Augen kommt, Film ist, beschrifte ich (mittels Tätowierung) meine Augenlid-Vorhänge (…) mit dem Wort „Ende“: Schließen sie sich, ist auch mein Augen-Kino beendet.“ (a.a.O., S. 63). So beginnt eine längere Information mit vielen historischen Querverweisen zu dieser Aktion. Zu weiteren Filmprojekten siehe: film-vorstellungen, vorgestellt“ in: Ulrichs, Der detektorische Blick, a.a.O., S. 89 ff. Eine weitere Augen-Tätowierungs-Aktion als Fotosequenz stammt von Peter Weibel, „augentext“ (1973/74/Abb. in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P.), in der TAG und NACHT jeweils auf dem rechten und linken Augenlid erscheinen, wenn das betreffende Auge geschlossen wird. Der letzte Teil der Sequenz enthält links SCHLAF, rechts nichts. E-Mail vom 10. 11. 2004 an Dencker. Als Beispiele neuerer Arbeiten sind Peter Greenaways Videos (z. B. „M is for Man, Music, Mozart“ 1992, in: MultiMediale 4. Hg. Heinrich Klotz/ZKM, Karlsruhe
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beit des amerikanischen Poeten Richard Kostelanetz beobachten, der seit 1975 mit Video experimentierte507 und noch heute „Video Poems und Video Stories“508 produziert. Er schrieb in seinem Essay „Literary Video“509, dass für ihn das Medium Video dem Buch näher sei als dem Film. Der Schirm sei klein und könne nur in einem relativ kleinen Kreis „gelesen“ werden, welches Konzentration ermögliche, die bei einer Filmvorführung weniger gegeben und beim Buch Voraussetzung sei. „As a fulltime writer, I bring language, with which I am familiar, to video, which I have scarcely explored. Although I won’t abandon one art to do another – a 1960s fashion – I am, as a creative writer, currently experimenting not just vertically, within literary art; but horizontally, with media other than the small rectangular page-silkcreened prints, offset posters, ladderbooks, collections of cards, audio tape, and now video tape“510. Kostelanetz, der als New Yorker dem Künstlerkreis um Dick Higgins, Emmett Williams und John Cage nahe stand, gehört zu jenen Autoren in Amerika, „who have been determined to get spontaneity into poetry, through the use of an undecorous or !open"511 diction. Twentieth century developments such as the idea of !free" verse in the early part of this century (although beginning with Whitman in the late nineteenth century) link the past to the present. Certainly an echoing of the eighteenth-/ nineteenth-century conflict exists today in the efforts of poets of the 60s and 70s to get away from the formalism of the critically dominated poetry of the conservative 1940s and 1950s“, stellte der Autor Michael Benedikt 1978 fest512. Benedikt sah eine Analogie zwischen dem neuen Autorenbe-
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1995, S. 92) oder die Video-Type-Collagen des „NOW! Art project“ der Künstlergruppe Natalie Fries, Ellen Klein, Tom Bausch und Achim Natzeck zu nennen. Vgl. dazu: Schrift und Bild in Bewegung, a.a.O., S. 122 ff. Richard Kostelanetz, Thirty Years of Visible Writing: A Memoir. In: Visible Language, No. 33/1, Rhode Island 1999, S. 6 ff. Auch wichtig: Richard Kostelanetz, Kinetic Writings (videotape). R. K. Editions, New York 1988. Über die Videoarbeit von Kostelanetz vgl. auch Reither, a.a.O., S. 50f u. 92 f. So der Titel seiner Veranstaltung am 2. 1. 2005 im Bowery Poetry Club/New York. Richard Kostelanetz, La vidéo littéraire (1975). In: Terminal X.périenZ – littérature(S) & nouvelles technologies. Arras 2003, S. 14ff.; Literary Video. In: New Artists Video, a.a.O., S. 40 ff. und erweitert R. K., Literary Video (1975, 1984). In: Lotta Poetica 3. Serie, No. 1, S. Martino B. A. 1987, S. 101 ff. Kostelanetz in: New Artists Video, a.a.O., S. 42. Naked Poetry. Recent American Poetry in Open Forms. Ed. Stephen Berg/Robert Mezey. Indianapolis 1969. Michael Benedikt, Poetry and Video Tape: A Suggestion. In: New Artists Video, a.a.O., S. 9.
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wusstsein, geprägt von „spontaneity“ und „flexibility“ und dem neuen Medium, das dafür die technischen Voraussetzungen mitbrachte. Die Kinetik dieser anfänglichen Video-Poesie gründete wesentlich auf dem filmischen Element, das entweder über einen Monitor sichtbar wurde oder in Installationen über mehrere Monitore513 und oft unter Zuhilfenahme Überraschung auslösender elektronischer Tricks, wie es Gary Hill in „Happenstance“514 mit seinen computergenerierten abstrakten Zeichen einer „visualisierten Poesie“ 1982/83 vorführte. Dabei entwickelte sie schnell Varianten, die alle Ausdrucksformen der Poesie, auf der akustischen, visuellen und kinetischen Ebene entweder in großen multimedialen Installationen oder aufwendigen elektronischen VideoExperimenten zusammenführte, wie das Beispiel des spanischen Visuellen Poeten und Performance-Künstlers Bartolomé Ferrando515 zeigt. Interessant ist dabei, dass diese Video-Künstler516 sich nicht nur mit Visueller Poesie517, sondern zugleich auch und oft intensiver mit Akustischer Poesie518 und deren Randgebieten befassten. Ferrando z. B. nahm als 513
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Ein interessantes Beispiel ist die Arbeit von Wolf Kahlen, S. C. H. A. F. E. (1975, s/w, 40 Minuten), die aus sechs Monitoren besteht. Jeder Monitor zeigt in Leserichtung einen Buchstaben des Wortes SCHAFE. Schafe einer Herde (von oben gedreht) versammeln sich, bilden die Kontur des Buchstabens und gehen wieder auseinander, die Form des Buchstabens auflösend, Abb. in: Videokunst in Deutschland, a.a.O., S. 196. Abb. in: 7. internationaler experimental workshop, a.a.O., S. 155 u. in: multimediale 4, a.a.O., S. 85. In Karlsruhe wurden während der multimediale 4 folgende Text/Bild-Videos gezeigt: Jenny Holzer, Television Pieces (1990); Stephen Partridge, Easy Piece (1974); Irit Batsry, A Simple Case of Vision (1991); Bill Seaman, The Exquisite Mechanism of Shivers (1991: The Siggraph 93. Visual Proceedings. New York 1993, S. 205); Jeanne C. Finley, Involuntary Conversion (1990); Miroslaw Rogala/Carolee Schneeman, Instructions per Second (1994/95); Sadie Benning, Jollies (1990); John Baldessari, Teaching a Plant the Alphabet (1972). Beispiel: Bartolomé Ferrando, Fragmentos (1993) Ein sehr gutes Beispiel für die Kombination von Visueller und Akustischer Poesie im Video ist Ide Hintze, Akt in A und AH (1985), vgl. Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 242. Bartolomé Ferrando, Poesia Procès. Barcelona 1998. Mary Ellen Solt (1920–2007) hatte im Vorwort „A World Look at Concrete Poetry“ zu ihrem Buch „Concrete Poetry: A World View“ (Anm. 36) vermutet, „that the kinetic poem is less related to the tradition of poetry than the sound poem, or phonetic poem“ (S. 60). Die Aktivität des Lesers und die Aktion des Vorlesenden sollten bei der Betrachtung der Herkunft der Kinetischen Poesie berücksichtigt werden. Der polnische Videokünstler Wojciech Bruszewski las in „Sonnets, Vol. 1“ (1992) seine Texte, die auf dem Monitor zufallsgesteuert sichtbar wurden: Medienbiennale Leipzig 92. Drogenhaus Galerie, Leipzig 1992, S. 58 ff.
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Mitglied vom „Flatus Vocis Trio“ seit 1987 an Veranstaltungen der Akustischen Poesie teil. Als Mitglied der Gruppe „Taller de Música Mundana“ produzierte er seit 1990 „Objekt-Musik“, und seit 1991 trat er mit der Gruppe „Rojo“ in Free-Jazz-Konzerten und Performances auf. Wie Ferrando arbeitet auch der italienische Autor Enzo Minarelli zwischen den Künsten: Visuelle Poesie, Akustische Poesie519 und Performances reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Die ersten videopoetischen Arbeiten wurden Ende der 1980er Jahre veröffentlicht. Aber bereits 1982 veranstaltete Minarelli „Visioni Violazioni Vivisezioni“520, ein Projekt, das schon alle Möglichkeiten der zukünftigen multimedialen Ausdrucksformen mit Text einschloss. Seine Video-Poesie, die er später „Polipoesia“521 nannte, ist ein besonders gutes Beispiel für die Integration von Akustischer Poesie, visuell-kinetischen Schrift/Text- und Aktions-Elementen, wobei seine Videos522 mit sehr kunstvollen Musikvideos vergleichbar sind523. Die hier angedeutete Entwicklung der Video-Poesie524 veranlasste nun Caterina Davinio in ihrer jüngsten Publikation zu einer interessanten Differenzierung zwischen „Videopoetry“ und „Video-Visual Poetry“. „Videopoetry is a very broad category in which for two decades have been converging very dissimilar works, which went from the simply documentation of a poetry event, to the digital video, to the computer graphic recorded in a videocassette. Sometimes videopoetry uses a considerable digital elaboration in the editing phase, sliding towards computer poetry (Lemay, Dupuis), elsewhere it utilizes an elaboration poor of electronic effects, going up to the performance in video or to a certain kind of videoperformances, in which is still identifiable as referent the real action (Menezes, Calzolari).
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Enzo Minarelli, Coralmente me stesso. Cento 1998 (CD und booklet zu allen poetischen Aktivitäten zwischen 1991–1998). Ausstellung in der Biblioteca Possente di Stellata der Comune di Bondeno in Arci/Italien vom 5. 9.–20. 10. 1982. Minarelli besitzt eines der größten Archive zur Video-Poetry. Vgl. Anm. 124. Enzo Minarelli, Archivio 3ViTre di Polipoesia (1984 – 1998). Cento 1998. Dennoch lag die Dominanz der Polipoesia bei der Akustischen Poesie, was im Titel der von Minarelli veranstalteten „Video Sound Poetry Festivals“ zum Ausdruck kommt. Bis in die Gegenwart gut zu verfolgen bei den jährlichen CIN(E)-Poetry Festivals in San Francisco, veranstaltet vom Literary Televison (LTV), gegründet von George Aguilar.
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To differentiate it from these ones are the more visible connections with the videoart and with the experimental short film, a language that international festivals have codified, so that we could also define videopoetry a particular type of videoart containing poetry text, variously elaborated at a visual and acoustic level; its presence in video can be more or less wide – in some cases conjugated with the performance (Calzolari), in some others with the cinema (Lee) –, and we could speak, when the text is exiguous or absent, about filmic poem or poem-video (Babin, Rheys). Video-Visual Poetry Constitutive elements of the video-visual poetry are: 1. an image that derives from the iconic aspect of the word, to which is imparted the motion, that can also destroy the intelligibility of the text; 2. the collage of written text, sound, music, spoken words and images, in which nevertheless is predominant a visual quality bounded to the alphabetical letter. In the video-visual poetry the direct reference is to the Futurists. Images and texts picked from the mass media, if present, can constitute, also in this case, a link to the historical visual poetry. We can still find at the basis, or as one of the present elements, a linear or a visual poetry text, but elaborated to become something completely different and conceived from its origin as multimedia.“525 Davinio machte damit am Beispiel der Video-Poesie auf einen wichtigen Punkt aufmerksam, der insbesondere auch bei der CD-ROM-, PC-, Net- und VR-Poesie im Blick bleiben muss: Da sich die Gattungsgrenzen verwischen und die Einflüsse aus vielen formalen Entwicklungslinien des Films, der bildenden Kunst, des Theaters, der Literatur, der Musik und der Werbung kommen, muss für den engeren Bereich der Visuellen Poesie die Art und Weise und damit die Qualität der Visualisierung von Textmaterial im Mittelpunkt stehen, die Bestimmung der begleitenden intermedialen Ausdruckselemente im Hinblick auf Funktionalität und inhaltlicher Bedeutung der von Buchstaben, Wörtern und Textenzusammenhängen gebildeten Inhalte. Aus den sich daraus ergebenden Dominanzen gäbe es Hinweise, welches Gewicht, welches Übergewicht einzelner Gestaltungselemente die Physiognomie der künstlerischen Arbeit bestimmt526. 525
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Caterina Davinio, Tecno-Poesia e realtà virtuali. Storia, teoria, esperienze tra scrittura, visualità e nuovi media. Mantova 2002, S. 272 ff. Dieser Band enthält auch die beste und aktuellste Übersicht über die internationale Video-Poesie-Szene in Form von Einzeldarstellungen. Hier wird die ganze Fragwürdigkeit der Einordnungs- und Kanonisierungsversuche deutlich, wenn man dies mit tradierten grenzbestimmenden Kriterien versucht, da gerade die Grenzverwischungen, die Aufhebung der Gattungen im
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Musik-/Video-Clip So war auch das reiche Spektrum der technischen Innovationen im elektronischen Bereich vor allem der 1980er Jahre wesentliche Voraussetzung für die Entstehung einer weiteren Spielart von Video, die Musik-VideoClips, deren Geschichte527 bis zum Experimentalfilm der 1920er Jahre – etwa bei Hans Richter, Walther Ruttmann und Oskar Fischinger – zurückreicht. Schon dort bezog ein synchron zur Musik geschnittener Film seine Faszination aus diversen Überblend- und Stoptrick-Techniken. Wie in den Werbespots528, im Vorspann von Film- und Fernsehproduktionen und Hintergrundspots von Musik- und Sprechbühnen haben
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20. Jahrhundert (wenn überhaupt) andere Ordnungssysteme fordern. Diese könnten vielleicht nach dem Paradigmenwechsel im Zusammenhang mit Überlegungen zu einem neuen Kommunikationsmodell (vgl. Anm. 612 u. 2929) verbunden werden. So wären die Bestimmungselemente für eine neue Poetik z. B. nicht mehr im grammatikalisch-rhetorischen Figurensystem zu suchen, sondern in Bestimmungen wie: linear, nichtlinear, statisch, kinetisch, visuell, akustisch, inaktiv, aktiv, interaktiv, simultan, ubiquitär, variabel, viabel, simulativ, virtuell, hybrid, kommunikativ, adaptieren, navigieren, reagieren usw. Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo. Hg. Veruschka Bódy/Peter Weibel. Köln 1987. Nur mit Text arbeiten Werbespots relativ selten, weil erst das Zusammenspiel von Text-, Bild-, Ton-Elementen jene emotionale Kommunikationsbrücke schafft, auf die sich der potentielle Konsument zwecks Verführung begeben soll. Ausnahmen sind Arbeiten wie die von Juan Watanabe „Oreo/Word Play“ (vgl. in: The Siggraph 93, a.a.O., S. 83), Oliver Harrison „Letters of Love“ (1990/Abb. in: Jeremy Myerson & Graham Vickens, a.a.O., S. 314; hier auch noch das Beispiel „Poems on the Box“ [1994] vom BBC Bristol Graphic Design Department) oder Heike Sperling (1965), z.B. „Gauloise blondes“ von 1997. Vgl. auch Heike Sperling, Motion Graphics: Anwendung und Kriterien. In: Beobachten mit allen Sinnen. Grenzverwischungen, Formkatastrophen und emotionale Driften. Hg. Oliver Jahraus/Marcel Schellong/ Simone Hirmer. Frankfurt 2008, S. 125ff. Werbespots, die das Thema Werbung kritisch aufnahmen, produzierte der Amerikaner Chris Burden. Auf der documenta 6 (1977) in Kassel zeigte er „Promo“ (1975), ein Band, das in einer von ihm bezahlten Ausstrahlung im US-Werbe-Fernsehen lief und auf dem nacheinander nur berühmte Künstlernamen, zusammen mit seinem Namen, erscheinen: Vgl. dazu: documenta 6, Bd. 2. Kassel 1977, S. 330. Die TV-Commercials von Burden sind auf einer DVD (New York 2000) gesammelt. Parodistisch verfährt die Video-Animation von Peter Conn mit den Logos der Werbung in „Flying Logos“ (1988), zu sehen auf der Video-Kassette Prix Ars Electronica ’89. Hg. ZWD 1/Siemens AG München. Literatur zum Werbefilm: Harald Pulch, Werbefilm im Wandel. Zur Geschichte des deutschen Werbefilms. In: Die Kunst zu werben. Das Jahrhundert der Reklame. Hg. Susanne Bäumler. München 1996, S. 371ff. Günter Agde, Flimmernde Versprechen. Geschichte des deutschen Werbefilms im Kino seit 1897. Berlin 1998.
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Schrift und Sprache vor allem in den Musik-Video-Clips eigene Formen entwickelt, beispielsweise in „Subterranean Homesick Blues“ (1966) von Bob Dylan529, „Sign o’ the times“ (1987, Regie: Bill Konersman) von Prince oder in „The Child“ (1999, Regie: Antoine-Bardou Jacqet/Herve de Crecy/ Ludovic Houplain) von Alex Gopher530. „The Child“531 spielt in einer ganz aus Buchstaben erbauten Stadt, durch die Buchstabenautos fahren, – das Ganze erinnert an die interaktive Installation von Jeffrey Shaw „The Legible City“, zu der es mehrere Variationen gibt532. In „Sign o’ the times“ wird der gesungene Text durch Typografie, Farbe und Formen im Rhythmus der Musik variiert533. Und in „Subterranean Homesick Blues“ hält Dylan zum Songtext Textkarten (cue cards) in die Kamera. Das Konzept dieses Videos wurde später vielfach kopiert, z. B. in „Mediate“ (1987) von INXS, „Wall Street Rap“ von Tim Robbins im Film „Bob Roberts“ (1992), „Bob“ (2003) von Alfred Matthew „Weird Al“ Yankovic, „Nur ein Wort“ (2005) von „Wir sind Helden“. Die Kinetische Poesie, eng verknüpft mit dem filmischen Element, hatte sich also vor allem im Umkreis von Film/Fernsehen/Video entfalten können. Aber die Schrift und damit der poetische Umgang mit ihr bemächtigte sich nahezu aller Medien, die im 19. und 20. Jahrhundert erfunden und weiter entwickelt wurden – von der Neon-Leuchtschrift über die LED (Light Emitting Diodes) -Technik, die Laserstrahl- und Holografieexperimente bis zum PC und den interaktiven Ausdrucksformen im Internet.
Kinetische (Neon)Lichtinstallationen Schon El Lissitzky berichtete in einem Fragment von 1920/21534 wie die 1913 entstandene Oper „Sieg über die Sonne“ nicht mehr im Theater, sondern auf einem öffentlichen Platz mit aufwendiger „Schaumaschinerie“ gezeigt werden könnte. Licht, Ton, Figuren sollten von einem 529
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Unter Benutzung von Filmausschnitten aus D. A. Pennebaker’s Film „Don’t Look Back“ über die England-Tour von Dylan 1965. Interessant auch „Bachelorette“ (1997, Regie: Michel Gondry) von Björk. Vgl. dazu Reither, a.a.O., S. 49 f. und S. 227 f. Manhattan Version (1988/89), Amsterdam Version (1990), Karlsruhe Version (1991), „The Distributed Legible City“ (1998). Video Passage. In: Schrift und Bild in Bewegung, a.a.O., S. 43 ff. Die plastische Gestaltung der elektro-mechanischen Schau „Sieg über die Sonne“ (Vorwort zur Figurinen-Mappe, Hannover 1923) in: Lissitzky, a.a.O., S. 353.
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Abb. 52: Chryssa Vardea, Air, 1962
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„Schaugestalter“ an Schalttafeln über technische Konstruktionen in Bewegung versetzt werden. „Er dirigiert die Bewegungen, den Schall und das Licht. Er schaltet das Radiomegaphon ein, und über den Platz tönt das Getöse der Bahnhöfe, das Rauschen des Niagara-Falles, das Gehämmer eines Walzwerkes. An Stelle der einzelnen Spielkörper spricht der Schaugestalter in ein Telephon, das mit einer Bogenlampe verbunden ist, oder in andere Apparate, die seine Stimme je nach dem Charakter der einzelnen Figuren verwandeln. Elektrische Sätze leuchten auf und erlöschen. Lichtstrahlen folgen den Bewegungen der Spielkörper, durch Prismen und Spiegelungen gebrochen (…) Die Sprache ist alogisch. Einzelne Gesangspartien sind Lautgedichte“. In diesem frühen Multimedia-Spektakel ging es auch um Sprache im Raum, um bewegte Sprache. Vorstellbar wäre eine Neon-Schrift-Installation, wie sie später dann von vielen Künstlern formal mit Mitteln der Neon-Reklame-Mechanismen, aber inhaltlich bewusst mit ihnen spielend, entwickelt wurde. Da gab es statisch und im Innenraum zunächst von Chryssa Vardea (1933) ein Stahlrelief, in das in einer Buchstabenkomposition das Wort AIR eingefügt war535 und Robert Watts präsentierte Rembrandts Signatur in Orange536. Timm Ulrichs’ Wort-Lichtspiele537 sind zu nennen, wie Arbeiten von Maurizio Nannucci538. Von dem amerikanischen Kon535
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„Air“ (1962/Abb. in: Mehr Licht. Künstlerhologramme und Lichtobjekte. Hg. Achim Lipp/Peter Zec. Hamburg 1985, S. 217, Abb. 52). Wort- und Buchstabenpoeme als Neon-Skulpturen folgten wie „Automat“ (1971/Abb. in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1980, S. 101). „Rembrandt“ (1965), Abb. in: Mehr Licht, a.a.O., S. 94. „Earth-Art“ und „Death-Eat“ 1965/74, Abb. in: Ulrichs. Retrospektive, a.a.O., S. 50, dazu in Timm Ulrichs, Die Druckgrafik. Hannover 2003, S. 63 „Earth-Art“. 1976 entstand ein anagrammatisches Lichtbild-Objekt: „IKON – KINO“, Abb. in: Timm Ulrichs, Totalkunst: Angesammelte Werke. Ludwigshafen 1984, S. 67, Abb. 53, vgl. dazu die gedruckte und filmische Variante (Anm. 438 u. 995). „wirKLich“ (1989/90) nach einem Text (1970) und einer Zeichnung (1980/Abb. in: T. U., Totalkunst. Lüdenscheid 1980, S. 112 u. 138) Neoninstallation, Abb. in: Kunst Sprache Vermittlung. Zum Zusammenhang von Kunst und Sprache in Vermittlungsprozessen. Hg. Friedrich W. Block/Hermann Funk. München 1995, S. 128 mit Erklärung S. 132. „Alfabeto fonetico“ (1967/1968/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 329 u. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 156), „this side is red“ (1969/1979/Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung. Hg. Westfälischer Kunstverein. Münster 1979, S. 107), „take up another way“ (1981/ Abb. in: Am Anfang war das Wort. Hg. Uwe Obier. Lüdenscheid 1984, S. 88), „when white is white, blue is blue and red is red (…)“ (1969/70), „the singing of fealing“ (1980) und weitere Abb. in: In Other Words. Wort und Schrift in Bildern. Stuttgart 1989, S. 69 ff., sowie in Kunstforum Bd. 102, Köln 1989, S. 70f. und in: http://www.maurizionannucci.it.
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Abb. 53: Timm Ulrichs, IKON – KINO, 1969/1976
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zeptkünstler Joseph Kosuth sind Arbeiten539 bekannt, in denen er, von Wittgenstein und aus dem Umfeld der „Art & Language„-Gruppe beeinflusst, Sprachreflexion betrieb. Von Ferdinand Kriwet gab es zahlreiche „Neon-Texte“540, Bruce Naumann entwickelte Neon-Text-Objekte541, Mario Merz brachte Neontexte auf Objekten an542, und Mark Mendel programmierte „Neon-Gedichte“543. Im Außenraum gab es 1999 innerhalb der Projekte „Licht und Visuelle Texte im Altstadtkern von Erfurt“ und „München im Kunstlicht“ Beispiele von Ian Hamilton Finlay544,
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„Five Words and Five Colors“ (1965/Abb. in: Magie der Zahl in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hg. Karin v. Maur. Stuttgart 1997, S. 223). „Five Words in Orange Neon“ (1965/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 83), „Five Words in Red Neon“ (1965), „Five Words in Green Neon (1966), „Neon Electrical Light English Glass Letters Green Eight“ (1966), „Fetichism“ Freud Series (1987), „Miscellaneous“ (1989) oder die Installation „276. (On Color, Violet)“ (1990). Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 88 f. und 92 f. Diese Arbeiten stammen aus dem Jahr 1968 u. 1973. Spätere Arbeiten, wie die Licht-Text-Wände, Licht-Text-Säulen, Licht-Text-Stäbe, Licht-Text-Decken, Abb. 54 in: Kriwet, Kunst und Architektur. Atelier Kriwet (Dresden) 1981, S. 21. „Window or Wall Sign“: „The true artist helps the world by revealing mystic truths“ (1967/ Abb. in: Beatrice von Bismarck, Bruce Naumann. Der wahre Künstler/The True Artist. Ostfildern-Ruit 1998, S. 9 u. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 222). Interessant sind auch die Neonschriftzüge seines Vor- und Nachnamens (1968/Abb. in: Bruce Naumann, a.a.O., S. 34 f. u. 50), oder „Run from Fear, Fun from Rear“ (1972/ Abb. in: Lichtkunst aus Kunstlicht. ZKM Karlsruhe 2005/Prospekt und Katalog u. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 165), ganz ähnlich „none sing/neon sign“ (1970) in rotem und weißem Neonlicht. In diesen Beispielen wird der Sinn durch anagrammatische Vertauschung oder Selektion der Buchstaben verändert, und beide Sinneinheiten zusammen führen assoziativ zu einer neuen Sinneinheit, ähnlich der Superzeichenfunktion, von der Eisenstein sprach, vgl. Anm. 309. Naumann dazu: „I think the point where language starts to break down as a useful tool for communication is the same edge where poetry or art occurs. If you only deal with what is known, you’ll have redundancy; on the other hand, if you deal with the unknown, you cannot communicate at all. There is always some combination of the two, and it is how they touch each other that makes communication interesting.“ (in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 164). „che fare“ (1969) und „Giap Iglu“, Abb. in: Mehr Licht, a.a.O., S. 218 f. oder: „noi giriamo intorno alle case o le case girano in torno a noi?“ (1992): http://www.flickr. com/photos/sixteen-miles/3125015545/. „POETRONICS“ (1978) in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1980, S. 107. „parhelical marbel“ (1992), dazu: Harry Gilonis, Kennst Du das Land, wo die „Neons glühn“: Ian Hamilton Finlays 1999er Installation in Erfurt. In: Licht + Visuelle Texte. Katalog. Erfurt 1999, S. 50 ff.
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Abb. 54: Ferdinand Kriwet, Licht-Text-Säule, 1978/1979
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Heinz Gappmayr545, Marco Gastini546 und Martin Creed547. Neben diesen statischen Beispielen sind auch solche „in Bewegung“ zu nennen: Bruce Naumanns „Eat-Death“ (1972) besteht aus den beiden aufeinanderliegenden Wörtern EAT und DEATH in gelbem und blauem Neonlicht548, „American Violence“ (1981/82) aus einem von Sätzen gebildeten Hakenkreuz, in dem wechselnd Sätze und einzelne Wörter aufleuchten. Richard Kriesche hatte 1984 für die daad-Galerie in Berlin eine zweiteilige Installation „wer zuerst schießt stirbt als zweiter“ mit einem Umschaltmechanismus verbunden, so dass jeweils die Wörter „zuerst“ und „als zweiter“ im Wechsel so aufleuchteten, dass sie sich damit selbst aufzuheben schienen549. Und eine computergesteuerte Neoninstallation „Alle Menschen werden Brüder“550 entwarf Waltraud Cooper als Zusammenspiel von Poesie, Bild und Klangerzeugung für das Österreichische Konferenzzentrum in der UNO-City Wien. Während die Kinetik des Textes bei den Neon-Arbeiten nur durch Flimmern, Aufleuchten und Wechsellicht simuliert werden konnte, gab es mit dem elektronischen Laufband neue Möglichkeiten. Richard Kostelanetz experimentierte mit dem Laufbandeffekt 1979 zunächst auf Papier, indem er eine einzige Buchstabenkette551 entwarf („Strings“) und 545 546
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„0–1. Null bis Eins“ (1999) dazu in: Licht und Visuelle Texte, a.a.O., S. 30 ff. Christoph Wiedemann, Lufthoheit für Lichtkünstler. In: Süddeutsche Zeitung vom 3. 12. 1999; dort auch abgebildet die Arbeit von Marco Gastini: lichtumrahmte Buchseiten mit Wortfragmenten. „Work No. 203, Everything is going to be alright“ (2001/Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 209). Abb. in: Mehr Licht, a.a.O., S. 96. Richard Kriesche, Strahlen. Katalog. Berlin 1984, o. P. Abb. in: Waltraud Cooper, Digitale Poesie. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 331. Historisch betrachtet, ist an die „sesquipedalia verba“ (Quintus Horatius Flaccus, De Arte Poetica Liber/Die Dichtkunst. Zürich 1961, S. 12, V. 97) zu erinnern, an die Bildung von „ellenlangen“ Wörtern, wie z. B. bei Kurt Schwitters im Brief an Hans Arp „vor dem 25. 11. 1920“ (Kurt Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt. Briefe aus fünf Jahrzehnten. Hg. Ernst Nündel. Frankfurt 1974, S. 35), oder besonders in der englischen Sprache etwa bei James Joyce in „Finnegans Wake“ mit 100 bzw. 101 Buchstaben pro Wort, in den Wortketten von Heinz Tesar seit 1963 (Abb. in: Architektur wie sie im Buche steht. Fiktive Bauten und Städte in der Literatur. Hg. Winfried Nerdinger. München 2006, a.a.O., S. 445), oder als Namen chemischer Verbindungen (mit 1185 Buchstaben in: Schotts Sammelsurium. Hg. Ben Schott. Berlin 2004, S. 125 und mit 1913 Buchstaben in: http://notes.1ec5.org/archives/2002/03/22/sesquipedalia.html, zitiert aus Mrs. Byrne’s Dictionary of Unusal, Obscure and Preposterous Words) erscheinen, so-
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sie 1986 („Partitions“) und 1989 („Videostrings“) dann als Videos realisierte. Als Videoclip gibt es z. B. auch „cidade – city – cité“ (1999)552 von Augusto de Campos, allerdings nicht im Verlauf von links nach rechts, sondern umgekehrt. atrocaducapacaustiduplielastifeliferofugahistoriloqualubrimendimultipliorganieriodiplastipublirapareciprorustisagasimplitenaveloveravivaunivoracidade (Augusto de Campos, cidade – city – cite, 1963)
Eine der frühesten elektronischen Laufschriften „eine tautologie ist eine tautologie ist eine tautologie ist eine tautologie …“553 stammt aus dem
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wie an die Streckvers-Definition von Jean Paul in den „Flegeljahren“: Jean Paul, Werke in 12 Bänden. Hg. Norbert Miller. München 1975, Bd. 4, S. 634 u. 680 f. (K. Freye, Jean Pauls „Flegeljahre“. Materialien und Untersuchungen. In: Palaestra LXI, Berlin 1907, S. 57 u. Peter Horst Neumann, Streckvers und poetische Enklave. In: Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft 1967, S. 13ff.). Dann sei auf das Mitschreibeprojekt „First Collaborative Sentence“ (1995) von Douglas Davis verwiesen (NetzkunstWörterBuch. Hg. (Kurd) Alsleben/(Antje) Eske. Hamburg 2001, S. 155 f. und: http://on1.zkm.de/netcondition/projects/project18/ default_e). Vgl. auch, was Peter Gendolla/Jörgen Schäfer das „unendliche Lesen“ nennen: P. G./J. Sch., Auf Spurensuche. Literatur im Netz, Netzliteratur und ihre Vorgeschichte(n). In: Digitale Literatur. Hg. Roberto Simanowski. München 2001, S. 77 (Text+Kritik, H. 152). Vgl. auch bei Liede, Bd. 2, a.a.O., S. 43 ff. „Wortungeheuer“. In: pOes1s internationale digitale Poesie. Hg. Friedrich W. Block/André Vallias. Kassel 2000, (S. 16 f., Videoclip auf „You Tube“ im Internet). Zunächst von de Campos als Buchstabenkette entworfen, Abb. in: Concrete Poetry. Ed. Stephen Bann. London 1967, S. 107, dort ist die Jahreszahl 1964 angegeben, aber de Campos gibt selbst 1963 an, und so auch auf einer CD mit Akustischer Poesie von de Campos „Augusto de Campos/Cid Campos, Poesia é Risco“. Sao Paulo (1994). – Eine Wortkette ist Konrad Bayers „flucht“ (1962/64). Für die Ausstellung „visuelle poesie. die geschichtliche entwicklung der bilderlyrik von 300 v ch bis 1964“ in Christian Chruxins „situationen 60 galerie“ in Berlin 1964 wollte Bayer „flucht“ als eine Zeile setzen, „auf einem Band, das spiralförmig über Wand, Boden und Decke verlaufen sollte oder durch mehrere Räume, so dass man dem Band lesend folgen sollte, bis wir auf die Idee den Text auf einen Zylinder zu schreiben stiessen, was ich dann steigern konnte, indem ich dem Besucher (Leser) jede Mühe ersparen wollte und die Kunststoffsäule auf eine sehr langsam rotierende Scheibe gestellt habe.“ (Brief von Chruxin an Dencker v. 22. 6. 2005). Der Zylinder ist abgebildet in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 185 und in: Thomas Kellein, „Fröhliche Wissenschaft“. Das Archiv Sohm. Stuttgart 1986, S. 125. In Manuskripte 8, 1963 gibt es eine frühere Fassung mit anderem Wortlaut. – Von Ferdinand Kriwet stammen weitere Buchstabenketten aus dem Jahr 1971, Abb. in: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 141. Zu sehen in der TV-Dokumentation Visuelle Poesie (siehe Anm. 451). Abb. und erläuternder Text von Timm Ulrichs in: Ulrichs, Retrospektive 1960–1975, a.a.O., S. 53.
Filmische Realisationen
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Abb. 55: Ferdinand Kriwet, Elektronische Lichtzeitung, 1977
Jahr 1969 von Timm Ulrichs, und Ferdinand Kriwet hatte nicht nur in seinen Filmen mit dem Laufbandeffekt gearbeitet, sondern auch auf der documenta 6 in Kassel 1977 mit einer „Elektronischen Lichtzeitung“ den Schriftzug „Museum Fridericianum“ im Giebel des documenta-Gebäudes ersetzt554. Am intensivsten hat wohl Jenny Holzer dieses Medium benutzt: „Ich liebe diese Bewegung von rechts nach links, weil sie mich so sehr an den Prozess des Sprechens erinnert: Man kann betonen, ausdehnen, Pausen setzen und so die Modulation der Stimme nachempfinden“555. Ihre an 554 555
documenta 6, Bd. 1. Kassel 1977, S. 204 f., Abb. 55. In: art ware, a.a.O., S. 133, Abb. 56 S. 131. Vgl. auch: Jenny Holzer. Hg. Diane Waldmann. New York 1989 ff. (1997), und Jenny Holzer – Die Macht des Wortes. I can’t tell you. Hg. Söke Dinkla. Duisburg 2006.
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Kinetische Poesie
Abb. 56: Jenny Holzer, Survival Series, 1983
der Werbung orientierte Publikationsstrategie, sozial- und gesellschaftskritisch zu agieren, begann in den späten 1970er Jahren mit Textbotschaften auf Plakaten, Postern, Schildern oder direkt im öffentlichen Raum an Hauswänden, Absperrzäunen usw. Anfang der 1980er wechselte sie dann zu wirksameren Medien wie der Leuchtbildtafel556 und dem elektronischen Laufband557. Im Ansatz ähnlich wie Holzer nutzte eine Leipziger Künstlergruppe558 während der Medienbiennale „Minima Media“ 1994 die LED-Anzeige556
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„Truisms (Binsen-Wahrheiten)“ (1977–1979) zunächst als Plakataktion konzipiert, dann 1982 auf der elektronischen Leuchttafel am Times Square in New York realisiert. „Protect Me from What I Want“ aus der „Survival“-Reihe am Times Square in New York 1985 (Abb. in: connected cities. Kunstprozesse im urbanen Netz. Duisburg 1999, S. 18 u. S. 39 und documenta 8. Bd. 2. Kassel 1987, S. 103 Abbildungen) und Caesars Palace in Las Vegas 1987 realisiert. Das Projekt „Lustmord“ wurde 1993 als Zeitungsbeilage entworfen, dann in verschiedenen Varianten als 3D-LED-Installation in Bergen 1994 oder als Leuchtschrift am Völkerschlachtdenkmal 1996 in Leipzig realisiert. 2006 realisierte Holzer „For the City“-Projektionen von Beckett- und Szymborska-Gedichten in London (Barbican, City Hall und Somerset House on the Strand/Abb. in: http://www.barbican.org.uk/theatre/ event-detail.asp?ID=4034 und in: http://venicegent.blogspot.com/2008/05/jennyholzer.html). „Ceiling Snake“ (1996) wurde für den Neubau der Galerie der Gegenwart in Hamburg konzipiert. Eine durchgehende Laufschrift auf einer Länge von über 47 Metern verbindet den Neubau mit dem Altbau der Hamburger Kunsthalle. Ca. 1000 „Truisms“, teils in englischer, teils in deutscher Sprache ergeben einen Zyklus von fast drei Stunden Laufzeit. Fred Fröhlich, Tjark Ihmels, Paul Sermon, Andrea Zapp.
Filmische Realisationen
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Abb. 57: Bill Bell, The Hamburg Light Quartett, 1999
tafel am Leipziger Hauptbahnhof für das Projekt „Himmel über Leipzig“559: „Die Werbetrailer Leipziger Unternehmen und Institutionen über den Autoschlangen symbolisieren nicht nur typische Kennzeichen dessen, was auf den ersten Blick unter Aufschwung zu verstehen ist: nämlich geschickte Werbung, Kaufkraft und vor allem viele bunte Lichter; sie werden in ihrer räumlichen Abgehobenheit gleichzeitig zum Ausdruck der Veränderung als einem Mythos, als Konfrontation. Die künstlerischen Projekte versuchen dazu eine Querverbindung aufzubauen, indem sie sich als Werbespots verkleiden, die im Dickicht des sich immer wiederholenden Anzeigenblocks zunächst nur schwer zu entdecken sind, mit den minimal-ästhetischen und -sprachlichen Elementen des gängigen Designs der Werbung auf der Tafel spielen und diese ironisieren. Sie sind genauso flüchtig und vergänglich wie das, was auf den Markt geworfen wird, angepriesen, um dann in Kürze wieder zu verschwinden“560. Eine besondere Form der LED-Technik stammt von dem amerikanischen Künstler Bill Bell. Das Prinzip: Er benutzte eine Lichtleiste (Ligth-
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Andrea Zapp in: Minima Media, a.a.O., S. 127 ff. Minima Media, a.a.O., S. 127.
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Kinetische Poesie
stick)561, brachte mehrere Tausend Mal in einer Sekunde die LEDs zum Blinken und nutzte den Nachbildeffekt unserer Wahrnehmung beim Hinsehen. Die Lightsticks können programmiert werden, und so werden beim schnellen Hin- und Wegsehen Images (Wörter, Logos, Grafiken usw.) erkennbar. 1981 führte Bell seinen ersten Lightstick im Rahmen der „Sky Art Conference ’81“562 am Center for Advanced Visual Studies am MIT (Massachusetts Institute of Technology/Cambridge) vor. 1984 ließ er sich die Technik patentieren. Eine besonders spektakuläre Arbeit „A-Train“ (1996) befindet sich in Los Angeles/Union Station East Portal563, eine weitere im Exploratorium in San Francisco „Between the Lines“ (2002). In einem nichtrealisierten Projekt zur Jahrtausendwende „The Hamburg Ligth Quartett“ (1999) waren vier Masten mit einer Höhe von vierzig Metern im Abstand von je einhundert Metern zueinander zwischen den beiden Alsterbecken in Hamburg vorgesehen: Drei Lightsticks und ein Laser-Mast. Bei Sonnenuntergang sollte der Laser564 nacheinander auf die Lightsticks schwenken und sie mit einem
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Diese Idee des Lightsticks erinnert an das Projekt „Cybernetic light tower“ von Nicolas Schöffer, das er anlässlich der Ausstellung „Cybernetic Serendipity“ (Institute of Contemporary Arts, London 1968), im gleichnamigen Katalog, a.a.O., S. 44 vorstellte. Das Projekt war für den Rond-Point de la Defense in Paris gedacht und sollte ein über den Computer programmierbares kinetisches Lichtspiel werden, nicht nur als ästhetisches Gebilde, sondern auch mit der Funktion, im öffentlichen Raum Informationstransfer zu produzieren. Für diese Konferenz realisierte Mark Mendel sein „Sky Poem“ (Abb. in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1982, S. 99), und für eine frühere Konferenz „Centerbeam“ am MIT 1977 entwickelte er das Sky-Work-Project, durch Dampflaser abgetastete Texte (Ars Electronica, a.a.O., S. 99). Siehe zu diesem u. weiteren Projekten: http://www.subliminaryartworks.com/. Abb. 57 Postkarte, Archiv Dencker. Laser = Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation (Lichtverstärkung durch angeregte Strahlungsemission). Die Forscher Arthur Schawlow und Charles Townes der amerikanischen Telefongesellschaft Bell beschrieben 1958, wie man einfarbiges und gleichtaktiges, auf nur einer Wellenlänge schwingendes Licht produzieren kann. Das Verfahren nannten sie Laser. Theodor H. Maiman des Hughes Aircraft Company Research Laboratory/USA konstruierte 1960 den ersten Rubin-Pulslaser, und 1961 wurden von Lloyd Cross/USA die ersten Laser an die Texas Instruments verkauft. – Direkte Textproduktionen mit Laserstrahlen waren auch Ausgangspunkte der Projekte des Schweizers Johannes Gees (1960). Über eine Website oder SMS konnten Texte an Orte geschickt werden, wo sie dann per Laser auf Bergrücken oder Hauswänden lesbar projiziert wurden. Zum World Economic Forum (WEF) im Januar 2001 in Davos realisierte er „hellomrpresident“ und zum UN World Summit on the Information Society im Dezember 2003 in Genf das „helloworld-
Filmische Realisationen
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Abb. 58: Jenny Holzer, Arno, Licht-Projektion 1996
„Splash“-Effekt zünden. So konnten einerseits die Splash-Effekte und die farbigen Lightsticks beim Hinsehen und die Images dann beim Wegsehen wahrgenommen werden.
project“ mit Projektionen auf die Genfer Fontäne, das UN-Gebäude in New York, auf einen Berg in Rio de Janeiro und auf eine Hochhausfassade in Mumbai (Abb. in: http://www.clickhere.ch/t_121005.html u. in: http://www.juniorcom.ch/cms/ upload/pdf/JohannesGees.pdf). Ein weiteres Beispiel ist die Laser-Projektion „Halverwege“ (2006) von Bart Moeyaert (1964) in der Sint-Anneke-Bucht von Antwerpen: (http://legacy.odeo.com/audio/1757858/view). – Beispiele für die Projektion von Text (z. B. mittels Diapositivprojektoren) im Außenbereich (auf Häusern oder Bäumen) gibt es bei Imi Knoebel um 1970, im Innenbereich bei Ferdinand Kriwet („COM.MIX 71“, Abb. in: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972, o. P.), Robert Barry („Night Piece“ 1974, Giovanni Anselmo, „Visible“ 1971/„Particolare“ 1974/Abb. in: Mehr Licht, a.a.O., S. 223 ff.), oder bei Jenny Holzer „Arno“ (1996/Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 207, Abb. 58).
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Kinetische Poesie
Holografie Nahezu zeitgleich mit der ersten Videokunst-Ausstellung führte die Erfindung des Lasers zur Entdeckung des Mediums Holografie in Russland565 und Amerika566. Das erste bekannte Transmissions-Hologramm567 stammt von Emmett Leith/Juris Upatnieks568, und 1972 fertigten Lloyd Cross und Dave Schmidt das erste Bewegungs-Hologramm, eine Synthese aus Film und Holografie. Kurze Bewegungsabläufe wurden in einzelne Filmbilder aufgelöst, auf einem durchsichten Zylinder befestigt und aus der Mitte heraus beleuchtet. Durch die Bewegung des Betrachters um den Zylinder herum konnten so die Bewegungsabläufe in den Holografien wieder wahrgenommen werden569. Die erste bedeutende Holografie-Ausstellung mit dem Titel „N Dimensional Space“ fand 1970 im Finch College Museum of Art/New York statt, und die erste umfassende Retrospektive „Holography ’75: The First Decade“ der künstlerischen Holografie wurde von Rosemary H. „Posy“ Jackson und dem Leiter des 1976 von Jackson in New York gegründeten Museums of Holography, Joseph R. „Jody“ Burns, 1975 im Center of Photography/New York organisiert. Beteiligt waren 35 Künstler. Wie Jürgen Claus berichtete570, sind die ersten Versuche, Laser und Holografie in den künstlerischen Prozess einzubeziehen, bei der amerikanischen Gruppe E.A.T. (= Experiments in Art and Technology) nachweisbar, die von Billy Klüver und Robert Rauschenberg 1966 gegründet 565 566 567
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1961 durch Yuri N. Denisyuk. 1962 durch Emmett Leith und Juris Upatnieks/University of Michigan/USA. Zur Technik und Definition der einzelnen Hologramm-Typen (TransmissionsHologramm, Weißlicht-Reflektions-Hologramm, Präge-Hologramm, BewegungsHologramm, Regenbogen-Transmissions-Hologramm) siehe: Holografie. Eine neue Dimension für Kunst und Technik (Beilage der Firma Fielmann zum Katalog: Mehr Licht, a.a.O.); Jürgen Claus, Zur Philosophie des Hologramms. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1986, S. 324 ff. und Ralph Umard, Holographie – Massenmedium der Zukunft. In: Rundfunk und Fernsehen 34. Jg., H. 2, Baden-Baden 1986, S. 220 ff. „Train and Birds“ (1962), Abb. in: Holografi. Det 3-Dimensionella Mediet. Stockholm 1976, S. 82 f. Zur Chronologie der frühen Holografie siehe: Holographie – ein neues Medium. Katalog, Neuer Berliner Kunstverein. Berlin 1979, o. P. Ein Ausstellungs- und Literaturverzeichnis in: Holografie in der Bundesrepublik Deutschland. Hg. Deutsche Gesellschaft für Holografie e.V. Hückelhoven 1989, S. 67 ff. Beispiele von Lloyd (S. 81) u. a. in Holografi, a.a.O. Jürgen Claus, Expansion der Kunst. Beiträge zu Theorie und Praxis öffentlicher Kunst. Reinbek 1970, S. 64.
Filmische Realisationen
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wurde, etwa zur selben Zeit, als auch Carl Fredrik Reuterswärd571 die Holografie für sich entdeckte oder Bruce Nauman572, Robert Indiana573 und Salvadore Dali574 sich für kurze Zeit der Holografie zuwandten. Frank Popper bezeichnete den künstlerischen Ort der Holografie als „eine technologische Leistung der kinetischen Kunst“ und so – folgert Bodo Dorra – „kann man die Arbeiten holographierender Künstler als die vorläufige Optimierung lichtkinetischer Projekte und Utopien bezeichnen, deren Wegbereiter in den zwanziger und dreißiger Jahren (BaranoffRossiné, Raoul Hausmann, Alexander László, Ludwig Hirschfeld-Mack, Kurt Schwerdtfeger und László Moholy-Nagy) zu finden sind und die in den fünfziger und sechziger Jahren (durch Frank Malina, die Gruppe !ZERO" und Recherches d’Art Visuel) wieder aufgegriffen wurden“575. Mit Schrift und Text wurde in der Holografie von Anfang an experimentiert. Der erste Versuch des Wissenschaftlers Dennis Gabor, 1947/49 am Imperial College in London ein Hologramm (ohne Laser, nur mit einer Quecksilberdampflampe als Lichtquelle) herzustellen, bestand aus drei Wörtern, den Namen Huygens, Fresnel und Young576. Aber schon der als Pionier der Holografie geltende Künstler Hans Weil-Alvaron
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Carl Fredrik Reuterswärd, Rubies and Rubbish: An Artist’s Notes on Lasers and Holography. In: Leonardo Vol. 22, No. 3/4. Cambridge/MA 1989, S. 343 f.. Carl Fredrik Reuterswärd, 25 ar i Branschen. Hg. Ulf Linde. Stockholm 1977. Vgl. auch die Hinweise in: Mehr Licht, a.a.O., S. 130 ff. Bruce Nauman, „First Hologram Series: Making Faces (A-K)“ (1968/Abb. in: Mehr Licht, a.a.O., S. 23 und in: Dieter Jung, Holographic Network. Bramsche 2003, S. 158); „Second Hologram Series: Full Figure Pose (A-J)“ (1969). Robert Indiana, Love (1970), Abb. in: Jung, a.a.O., S. 161. Salvadore Dali begann sich seit 1965 für die Dreidimensionalität in der Kunst zu interessieren. Die erste Ausstellung seiner Hologramme fand 1972 bei M. Knoedler and Co./New York statt. 1973 wurde dort der Dalinian Holographic Room eröffnet, in dem die ersten Hologramme wie: „Holos! Holos! Velázques! Gabor!“ (1972/Abb. in: Art News, April 1972) und „First Cylindric Chromo-Hologram Portrait of Alice Cooper’s Brain“ (1973) gezeigt wurden. Siehe dazu auch Jung, a.a.O., S. 162. Bodo Dorra, Holographische Bilder – eingefroren in Raum und Zeit. In: Ars Electronica. Katalog. Linz 1984, S. 351, Gemeint ist „Groupe de Recherche d’Art Visuel“, vgl. Anm 2914. Abb. in: Jung, a.a.O., S. 43, Abb. 59. Auch für die Stereoskopie gibt es entsprechende Beispiele bei Harold A. Layer, Space Language – Three Dimensional Concrete Poetry. In: Media & Methods 8/5, 1972, S. 34 u. in: Bulletin of the Computer Arts Society (England) 21/4, 1972, sowie Evaluations of the 3-D Concrete Poetry Winners. In: Leonardo 5/1, 1972, S. 55 u. Media & METHODEN 9 (2), 1972, S. 80.
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Kinetische Poesie
Bild 59: Dennis Gabor, hologram, 1947/49
Filmische Realisationen
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Abb. 60: Juan Caramuel y Lobkowitz, Cubus Metametricus, 1663
(1902–1998)577 ließ aufgrund seiner bereits in den 1920er Jahren gemachten ersten Beobachtungen über Lichtreflexe an Glasplatten 1932 von einem Silberschmied eine Silberplatte mit mehreren Wörtern gravieren, auf der bei entsprechender Drehung vor einer Lichtquelle aus dem gesamten Wortmaterial einzelne Wörter reliefartig hervorgehoben wurden578. Auf diese Weise ergaben sich, je nach Drehung, verschiedene Sinnzusammenhänge der Wörter – Verfahren und Materialbewusstsein, das an die spätere Konkrete Poesie erinnert. Doch noch spannender ist der „Cubus Metametricus“579 des Spaniers Juan Caramuel y Lobkowitz (1606–1682). 577
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Über Patente („Improvement in Advertising and the like Signs“/Dez. 1934 und „Device for Plastic Projection“/März 1937) und zu Beobachtungen, dass Weils Formulierungen von 1937 fast wörtlich bei Dennis Gabor wieder auftauchen, siehe Nils Abramson, Hand Drawn Holography unter: http://www.holonet.khm.de/ Holographers/Abramson_Nils/text/Abramson-Weil.html und im HolografieJahrbuch 189/90. „Handgraviertes Kinegram“ (1932), Abb. von vier verschiedenen Beleuchtungsstufen in: Jung, a.a.O., S. 202. Primus calamus, ob oculos ponens metametricam quae variis currentium, recurrentium, adscendentium, descendentium necnon circumvolantium versuum ductibus, aut aeri incisos, aut buxo insculptos, aut plumbo infusos, multiformes labyrinthos exornat. Romae: Fabius Falconius excudebat, anno 1663 (Nachdruck:
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Kinetische Poesie
Der dreidimensionale Körper wird bestimmt durch den Mittelpunkt mit dem Buchstaben V, den Mittelpunkten der Flächen mit dem Buchstaben I, den Mittelpunkten der Kantenlinien mit dem Buchstaben D und den Eckpunkten mit dem Buchstaben E, was vom Mittelpunkt V aus betrachtet und nach allen Seiten des Raums gelesen die Lesung VIDE (= lat. siehe) ergibt. Buchstaben und sich ergebende Wörter werden trotz ihrer zweidimensionalen Aufzeichnung vom Betrachter als dreidimensional empfunden. Gibt es hier schon eine frühe Vision dessen, was 1962 François Le Lionnais (1901–1984)580 dann – ebenfalls noch als Vision – formulierte: „Nous songeons aussi à des poèmes anaglyphiques, à des textes transformables par projection, etc.“581, die er 1973 in seinem Beitrag „Holopoèmes“ weiter ausführte582, ohne dass solche Holopoèmes produziert wurden. Die ersten realisierten Text-Hologramme stammten von Anait Arutunoff Stephens583 und Dieter Jung. Jung, der zunächst an der Film- und Fernsehakademie in Berlin studierte und sich 1975 dann an der New York School of Holography bei Dan Schweitzer mit dem neuen Medium vertraut machte, verwendete zwei Gedichte von Hans Magnus Enzensberger „Hologram“ und „Hologramm“584, die Enzensberger im Hinblick auf eine holografische Transfiguration schrieb.
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Victor Infantes, Juan Caramuel. Laberintos. Madrid 1981). Abb. auch in: Ernst, Text als Figur, a.a.O., S. 77, Abb. 60. Buchstaben und Wörter als Cubus-Objekt gibt es z. B. bei Tom Edmonds „Compromise Poem“ (1969), in: klankteksten, a.a.O., S. 91, als dreidimensionale Textfigur bei Micheline Hachette, Poème cubiste (1966/Abb. in: La Biennale di Venezia 1978. Settore arti visive e architettura: materializzazione del linguaggio. Hg. Mirella Bentivoglio. Venedig 1978, S. 24). Gründete zusammen mit Raymond Queneau OuLiPo (= L’Ouvroir de Littérature Potentielle/ Werkstatt für potentielle Literatur) 1960. Zu OuLiPo, den Manifesten und programmatischen Schriften siehe: Oulipo. A Primer of Potential Literature. Ed. Warren F. Motte Jr. Lincoln/ London 1986; Heiner Boehncke/Bernd Kuhne, Anstiftung zur Poesie. Oulipo – Theorie und Praxis der Werkstatt für potentielle Literatur. Bremen 1993. La Lipo, (Das erste Manifest). In: Heiner Boehncke/Bernd Kuhne, Anstiftung zur Poesie, a.a.O., S. 21: „Wir denken auch an Figurengedichte, durch Projektion veränderbarer Texte usw.“. François Le Lionnais, Holopoèmes. In: Oulipo. La Littérature potentielle (Créations Re-créations Récréations). Paris 1999, in diesem Band auch enthalten „La Lipo (le premier manifeste)“. Stephens (1922–1998): „Ode to Ray Bradbury“ (1975), vgl. http://www.holonet.khm.de/Holographers/Carreton_Vincente/text/STEPHENS.html. Beide Gedichte abgedr. in: Holographie – ein neues Medium, a.a.O., o. P., dort auch Abb. 61.
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Hologram for Dieter Jung It is easy to build a poem in the air All you need are a few well-lit words light-footed light-fingered light-minded words and your breath is enough to make them soar and to keep them poised transparently hanging in the balance floating in mid-air hovering between life and death A few words lighter than air will do until the lights go out and they sink slowly alightening on the dark face of the earth Never mind It is easy to build Hans Magnus Enzensberger, Hologram, 1977
Die beiden Gedichte „mussten auf einem Drehtisch oder verspiegelt in einem konischen Aufbau gefilmt werden. Danach wurde der Film selbst das zu Holographierende Objekt. Die erste Version wurde ein 360-GradIntegral-Hologramm, in der das Gedicht als Spirale in einem Zylinder schwebt und sein Titel !Hologram" die vertikale Achse bildet. Das zweite Gedicht wurde in einen diaphanen Kubus585 montiert, und die Buchstaben erschienen als reelle und virtuelle Projektionen. Diese Montage bezieht sich auf Mallarmés Idee von einem Würfel aus Kristall, 585
„Hologramm“ 1979, Abb. in: Jung, a.a.O., S. 51.
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Kinetische Poesie
Abb. 61: Dieter Jung, Hologram, 1977
durch den man hindurchsehen und -lesen konnte: !Un coup de dés jamais abolira le hasard"“586. Jung begann danach computer-generierte Bewegungshologramme herzustellen: „Der horizontalsymmetrische Text !BIBI BEI BOB" von H. M. Enzensberger musste auf ganz andere Art umgesetzt werden587. Der Text sollte sich 360 Grad um seine horizontale Achse drehen (…) Hier nun musste das Modell mit Pixel am Bildschirm entworfen und dreihundert verschiedene Blickwinkel erzeugt werden, um die Animation zu erreichen (synthetic camera). Zur !Vorhersichtbarmachung" des Gedichtes im Raum wurde ein Stereo-Paar erzeugter Einzelbilder mit Polarisationsfiltern durch einen Flüssigkeitskristallschirm vor dem Monitor betrachtet (denken Sie an das photographische Stereobild). Das fertiggestellte Hologramm ist 340 cm lang und agiert wie ein holographischer Film. Im gleichen technischen Verfahren entstanden: !Dogma"588 (Palindrom von Dario Lancini), das um seine vertikale Achse rotiert und einen virtuellen Kubus erzeugt (…) die chinesischen Zeichen für
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Dieter Jung, Holographische Räume – Geschichtliche Vorstellungen und persönliche Erfahrungen. In: Synthesis, a.a.O., S. 173. Das Hologramm entstand 1988, Abb. in: Jung, a.a.O., S. 217. Das Hologramm entstand 1986, Abb. in: Synthesis, a.a.O., S. 91.
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!Schwarz", !Blau" und !Weiß" mit ihrer entsprechenden Kalligraphie (von Video eingelesen)589“. Diese Arbeiten, wie auch „Stone of Light“ (Darstellung der Zehn Gebote in Hebräisch)590, übertrugen Texte in das Medium Holografie und schienen damit zunächst nicht einer Definition von Literary Holography (Richard Kostelanetz) oder Holopoetry (Eduardo Kac) zu entsprechen, wie sie später von Kostelanetz und Kac formuliert wurde, denn beide gingen davon aus, dass Holopoetry nicht nur die Übertragung dessen sein darf, was auf Papier bereits existierte oder existieren könne: „Within the context of my poetry, I think !Antitheses" the best of the constellations, in part because in three dimensions, with the spatial experience of language, I can more fully realize my earlier poetic idea of complementary words within a single visual frame, as well as my general purposes of reading in unfamiliar ways and doing with new media what could not be done in print. Because language suspended in space gains a peculiar, mysterious and perhaps poetic quality, !Antitheses" complements and yet surpasses !On Holography" in revealing the medium’s capacities for unusual verbal-visual experience“591. Obwohl das Textmaterial, das Jung benutzte, auch auf dem Papier darstellbar war, sind es gerade die frühen Enzensberger-Text-Hologramme, mit denen Jung durch seine Realisationen die zweidimensionale Linearität der Texte aufgehoben und durch das Medium des Hologramms „Mehrfachlesungen“ des Betrachters ermöglichte, – dem Betrachter also schon in gewisser Weise den poetischen Spielraum eines „aktiven Mitproduzenten“ gab, etwa im Gegensatz zum zweiteiligen Hologramm „inout“ von Stephens aus dem Jahr 1977592, in dem lediglich auf dem einen Teil das Wort „in“, auf dem anderen das Wort „out“ zu sehen ist. Dennoch ist von Eduardo Kac über diese Position Jungs hinaus in der Folgezeit der poetische Spielraum noch erheblich erweitert worden. 589 590 591
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Das Hologramm entstand 1986. Das Hologramm entstand 1987. Richard Kostelanetz, Literary Holography. In: Lund Art Press Vol. 2, No. 3. Lund 1992, S. 241. Vgl. auch von Kostelanetz, My Artwork Entitled „On Holography“. In: Figura/ Scrittura/ Partitura. Hg. Giovanni Fontana. Velletri/Roma 1984, o. P., erweiterter Beitrag, 1979 schon unter dem Titel „On Holography“ erschienen in: Soho Weekly News, March 1979. „On Holography“ (1978) und „Antitheses“ (1985) waren die beiden ersten Hologramme von Kostelanetz. Vgl. auch Chris T. Funkhouser, Prehistoric Digital Poetry. An Archology of Forms, 1959–1995. Tuscaloosa/Alabama 2007, S. 265 ff. Abb. in: Jung, a.a.O., S. 171.
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Kinetische Poesie
Abb. 62: Eduardo Kac/Fernando Catta-Preta, Holo/Olho, 1983
Zeitlich begrenzt und als abgeschlossene Produktionsphase stellte Kac von 1983 bis 1993 insgesamt 23 „Holopoems“593 her. In der Grundtendenz nahezu einig mit Richard Kostelanetz594 hatte er mehrfach ausführlich seine Position und Definitionen zur Holopoetry dargelegt595: „Ein holographisches Gedicht oder Holopoem ist ein Gedicht, das holographisch konzipiert, hergestellt und vorgeführt wird. Das bedeutet zunächst einmal, dass ein solches Gedicht nichtlinear in einem immateriellen dreidimensionalen Raum organisiert ist und dass es sich, noch während der Leser oder Betrachter es beobachtet, verändert und neue Bedeutungen hervorruft. Der Betrachter verändert, indem er das Ge593
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Alle Holopoems sind abgebildet unter: http://www.holonet.khm.de/ekac/ allholopoems.html. Vgl. auch in: Jung, a.a.O., S. 213 f. Die Theorie ist gesammelt in: Kac, Holopoetry. Essays, manifestoes, critical and theoretical writings. New Media Edition, Lexington 1995. Vgl. Auch Kac, Holopoetry. In: New Media Poetry, a.a.O., S. 184 ff., Abb. 62 S. 197. Der bereits 1978 mit Neal Lubelskyi (Kamera) das Hologramm „On Holography“ und mit Kac auch eine Kollaborationsarbeit „Lilith“ (1987/89, 30 × 40 cm pulsed hologram) produzierte. Bibliografie: http://www.ekac.org/holopoetry.html.
Filmische Realisationen
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dicht im Raum liest, das heißt sich gegenüber dem Hologramm bewegt, ständig die Struktur des Textes. Ein Holopoem ist ein raumzeitliches Ereignis: Es ruft Denkprozesse hervor und nicht deren Ergebnis (…) Mit anderen Worten, die Wahrnehmung eines Holopoems vollzieht sich weder linear noch simultan, sondern weitgehend in Fragmenten, die der Betrachter je nach seinen Entscheidungen bzw. seiner Position gegenüber dem Gedicht sehen kann. Die räumliche Wahrnehmung von Farben, Größen, Graden oder Transparenz, Formveränderungen ist nicht von der syntaktischen und semantischen Wahrnehmung des Textes zu trennen. Die Instabilität der Farbe hat eine poetische Funktion, und die visuelle Wandelbarkeit der Buchstaben lässt diese über den sprachlichen Bereich hinausreichen“596. Alles zielt darauf, „den Text zu destabilisieren“. Diese „textuelle Instabilität“ wird dadurch noch begünstigt, dass der Betrachter dem „binokularen Lesen“597 durch die Holografie ausgesetzt ist, d. h. das linke Auge und das rechte Auge bekommen verschiedene Inputs und sehen nicht das gleiche wie beim Betrachten von Bildern oder Lesen eines Buches. Es entsteht eine „Syntax flüchtiger Transformationen und abrupter Sprünge (…) Ein Beispiel: Man kann eine syntaktische Struktur erzeugen, in der man zwanzig oder mehr Wörter sehen könnte, die den gleichen Raum beanspruchen, ohne sich zu überschneiden. Ein Wort könnte sich auch in ein anderes Wort, in eine andere Form verwandeln oder auch in einem Augenblick verschwinden. Buchstaben können in sich zusammenfallen und sich wieder aufbauen oder dahingehend verändern, dass sie in einem zeitlich rückläufigen Übergang andere Wörter formen.“598 Kacs Holopoems entstanden im Umfeld brasilianischer Autoren der Konkreten Poesie, die sich mit der Holografie befassten, wie Augusto de Campos599, Décio Pignatari und Julio Plaza, und die zusammen mit den Holografie-Künstlern Moysés Baumstein, Fernando Catta-Preta und José Wagner Garcia zum ersten Mal umfassend ihre Arbeiten 1985 und 1987 im Museu de Arte Contemporanea der Universität von Sao 596
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Kac, Holopoetry und darüber hinaus. In: Neue Poesie und – als Tradition. Hg. Friedrich W. Block. Passauer Pegasus Jg. 15, Nr. 29/30, Kassel 1997, S. 106 ff. Erweiterter Beitrag von Kac, Holopoetry and Fractal Holopoetry: Digital Holography as an Art Medium. In: Leonardo, Vol. 22, No. 3/4, 1989, S. 397 ff. Kac, Key Concepts of Holopoetry. In: Experimental-Visual-Concrete, a.a.O., S. 249. Holopoetry und darüber hinaus, a.a.O. Augusto de Campos, „Allo, Holo“ (1986) und „Poema Bomba“ (1987) in: Terminal Zone – Poésie et nouvelles technologies. Centre régional des lettres de BasseNormandie 2002, o. P.
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Paulo (MAC/ USP) ausstellten. Es ist anzunehmen, dass die brasilianischen Arbeiten angeregt wurden durch die Enzensberger-Text-Hologramme von Dieter Jung, die seit 1977 mehrfach in Brasilien und besonders häufig in Sao Paulo gezeigt wurden600. Die früheste Beschäftigung brasilianischer Autoren mit der Holografie geht auf John Webster zurück, der nach einem Prototyp von José Wagner Garcia den Text „Rever“ von Augusto de Campos als Poesie-Hologramm 1981 realisierte. Gegenwärtig gibt es nur noch vereinzelte Versuche wie die von MarieChristiane Mathieu601, Ed Ruscha602 oder Florian Kuhlmann603. Der Holografie wurden zwar im Gefolge der Technologieentwicklung im digitalen Bereich durch Querverbindungen und Integrationsmöglichkeiten im Zusammenspiel von Film, Video und Computer neue Chancen künstlerischer Kreativität eröffnet604, aber herausragende Ergebnisse haben sich nur noch in der Forschung605 abgezeichnet. Insofern ist nicht erkennbar, was Vito Orazem noch auf den Weg zu bringen suchte606, oder was Dieter Jung607 und Jürgen Claus 1987 prog600
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1977 Museu de Arte Contemporanea da Universidada de Sao Paulo, 1981 und 1984 Museu de Arte de Sao Paulo (MASP). Außerdem wurden auf der 15. Internationalen Biennale von Sao Paulo 1979 Hologramme von Setsuko Ishii gezeigt. http://www.absolutearts.com/portfolios/h/hologram/artist_exhibitions.html. „Solaris“ (1994), Abb. in: Jung, a.a.O., S. 189. „The End“ (1998), Suite of four Reflection Holograms, Abb. in: Jung, a.a.O., S. 148 f. Zu dem Thema gibt es auch eine Reihe von Arbeiten als Lithografien oder auf Acryl seit 1991. Manifest der Statik (2003), nach dem „Manifest für Statik“, das Jean Tinguely 1959 in 150 000 Exemplaren über Düsseldorf abgeworfen hatte. Die auch an der Kunsthochschule für Medien in Köln oder im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe erkundet wurden. Siehe dazu auch: Annette Hünnekens, Expanded Picture, Holographie im Kontext der interaktiven Medienkunst. In: Jung, a.a.O., S. 56 ff., bes. S. 78 f. Beispiel: Labor für Biophysik an der Universität Münster, wo der Leiter Gert von Bally die Endoskopie durch die EndoHolografie im medizinischen Bereich ersetzt und zugleich mit höchstauflösender Holografie Keilschrift-Fragmente, die rund 3500 Jahre alt sind, aus aller Welt aufnehmen, zusammenfügen und analysieren kann: http://campus.uni-muenster.de/512.html. Orazem, Holografie und Gesellschaft. Über vier Aspekte der bildnerischen Holografie. In: Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Hg. Florian Rötzer. Frankfurt 1991, S. 303 f. und Orazem, Holografie – Manufaktur mit HighTech. In: Interface 1, a.a.O., S. 70 ff. „In naher Zukunft können wir sogar an holographisches Fernsehen denken, da alle Massenkommunikationssysteme digitalisiert werden und die Entwicklung holographischer Umsetzung durch hochauflösende Flüssigkeitskristalle bevorsteht“, in: Dieter Jung, Holographische Räume, a.a.O., S. 175.
Computergesteuerte Produktionen
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nostizierten: „Nicht mehr das reale Vorlageobjekt wird die Grundlage der Holografie von morgen sein, vielmehr die computererzeugte, ins Dreidimensionale übersetzte Bildwelt, die dann ein Kondensat imaginierter Bildvorstellungen wird: visuelle Räume, die der Struktur des Bewusstseins eher als der der Objektwelt entsprechen. In etwas riskanter Übernahme eines Begriffes, den Stanislav Grov in seiner !Topographie des Unbewussten" (1976) aufstellte, könnte man in diesen kommenden Hologrammen !Systeme verdichteter Erfahrung" (!systems of condensed experience" = COEX-Systeme) sehen, visuelle Datenträger vielfältigster Erlebnis- und Erfahrungsebenen. Solche Bild- und Erfahrungskondensate liegen der energetischen Struktur des Gehirns mit seinen Nervenabläufen näher als der Realität des faktischen Gegenüber“608. Dafür bot das Medium Holografie vielleicht einen zu begrenzten künstlerischen Spielraum an, und der Hinweis auf die „computererzeugte Bildwelt“609 wies schon darauf hin – aus heutiger Sicht bestätigt – dass „vielfältigere Erlebnis- und Erfahrungsebenen“ sich in einem ganz anderen medialen Umfeld besser entwickelten konnten.
IV/2 Computergesteuerte Produktionen Gemeint sind Arbeiten, die in einem ersten Schritt unmittelbar mit dem Computer entstanden sind, zuerst noch weitgehend im Bereich einer statischen und linearen Vorstellungswelt. In einem zweiten Schritt waren es dann Arbeiten, die die Kinetik und den „Raum“ entdeckten, den der Computer imstande war zu öffnen, die Animation und das Navigieren innerhalb eines nicht-linearen, vielfach verzweigten und gestaffelten, scheinbar unbegrenzten Materialangebots. In einem dritten Schritt wurde die Erweiterung dieses „Raums“ ausgelotet und im Netz gearbeitet, wobei diese Raumerweiterung zugleich bedeutete, dass die anfängliche, noch dialogische Arbeitsweise sich zu einem vielfältigen interaktiven Networking entwickelte, geprägt von Simultani-
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Claus, Das elektronische Bauhaus. Gestaltung mit Umwelt. Zürich 1987, S. 77 f. Kac experimentierte bereits seit 1987 mit sogenannter „computer holopoetry“: Kac, Recent Experiments in Holopoetry and Computer Holopoetry. In: Display Holography/Fourth International Symposium. Ed. Tung H. Jong. Bellingham/ WA 1991, S. 229 ff.
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tät und Ubiquität.610 Nicht mehr das fertige Produkt eines vom Computer generierten Gedichts war nun das Ziel, der Computer war nicht mehr nur das elektronische Produktions-Hilfsmittel, sondern die hinzugewonnenen Fähigkeiten, Kommunikation zu entwickeln, sorgten für konstituierende und sinngebende Elemente des Produktionsvorgangs. Damit konnten Arbeiten entstehen, die prozesshaft waren, einerseits im Prozess der Kollaboration erst entstanden, andererseits als Prozess selbst eigenen künstlerischen Wert und Qualität entwickelten. Der Computer war nicht nur ein künstlerisch einsetzbares Medium, sondern zugleich künstlerisch wirksame Übertragungs- und Kommunikationsplattform ins Internet. In einem vierten Schritt kam zu der Erweiterung des Raumes schließlich die Erweiterung des elektronischen Instrumentariums, gepaart mit einer Erweiterung der Schnittstellen technologischer Entwicklungen, die zu einer Entgrenzung und Veränderung dessen führte, was vorher noch als Text, Bild und Ton eindeutig wahrnehmbar war611, und dessen Kommunikationsmechanismus sich noch im weitestens Sinne innerhalb des Modells von Kommunikator und Rezipient erkennen ließ. Nachdem einerseits nun Werkzeuge entwickelt wurden, die Eindeutigkeit und Begrenzung nicht mehr zuließen, der Text sich z. B. augenblicklich in ein Bild verwandeln konnte, dieses wieder in ein akustisches Ereignis und umgekehrt, und andererseits Prozesse nicht mehr eindeutig einer bestimmten Autorenschaft zuordnenbar waren, verlor auch das bisherige Kommunikationsmodell, das noch an der (linearen) Nachrich610
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Vgl. dazu den sehr interessanten Beitrag von Michel Foucault, Andere Räume. In: Äisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Hg. Karlheinz Barck u. a. Leipzig 1990, S. 34 ff. Zur Ubiquität vgl. schon die sehr frühe Einschätzung von Friedell, Anm. 339. Die beiden Künstler Joan Heemskerk (NL) und Dirk Paesmans (ESP) schufen nach ihrem Besuch in Silicon Valley 1993 jodi.org und damit „ein Kunstwerk in Form einer Website, deren durcheinander geratener grüner Text und aufblitzende Bilder die visuelle Sprache des Webs zu dekonstruieren scheinen. Ähnlich wie DadaKünstler mit fotografischen Abbildungen und der Typografie von Zeitungen und Zeitschriften spielten, mischten Heemskerk und Paesmans vorgefundene Bilder und HTML-Skripte neu. Jodi.org veränderte die gängigen Vorstellungen vom Internet und demonstrierte, dass es nicht nur eine neue Form der Veröffentlichung von Informationen war, sondern auch ein künstlerisches Medium (…)“ (new media art. Hg. Mark Tribe/ Reena Jana/Uta Grosenick. Köln 2006, S. 6; hier auch weitere Beispiele, in denen Text eine wichtig Rolle spielt, von: Shu Lea Cheang, Brandon (1998), S. 36f.; Knowbotic Research (Yvonne Wilhelm/Christian Huebler/Alexander Tuchacek) mit Peter Sandbichler, Minds of Concern:: Breaking News (2002), S. 56; Olia Lialina, My boyfriend came back from the war (1996), S. 60f.; Radioqualia (Honor Hager/Adam Hyde), Free Radio Linux (2002), S. 74f.).
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tentechnik mit den Begriffen Sender, Medium, Empfänger entwickelt wurde612, seine Gültigkeit. Und dies erst recht, als zu all den noch gelinden Entgrenzungs- und visuellen Täuschungsmechanismen im Netz613, jene noch stärker Wahrnehmung und Bewusstsein angreifende im Virtuellen Raum (VR), im Cyberspace hinzukamen. Definitionen, Beschreibungsformen und Analysemuster waren nicht mehr tauglich, und insofern kam es zu Hilfsbegriffen und Hilfsdefinitionen, deren Genauigkeit immer wieder in Frage zu stellen war. Um diese Infragestellung haben sich in letzter Zeit eine ganze Reihe von Untersuchungen614 gekümmert und deutlich gemacht, mit welcher Vorsicht mit Begriffen wie Computerpoesie, Netzliteratur, Hypertexte, Cyberpoetry, New Media Poetry, digitale Literatur, elektronische Literatur umzugehen ist. Es haben sich zwar seit der Herausgabe des Bandes „New Media Poetry: Poetic Innovation and New Technologies“ 1996615 und bekräftigt durch die Austellung „pOes1s. Ästhetik digitaler Poesie“ im Kulturforum Potsdamer Platz in Berlin 2004 die beiden Begriffe New Media Poetry und digitale Poesie616 in gewisser Weise etabliert, aber wenn schon die Begriffe Medium, Poesie oder Literatur als historisch zu betrachten sind, weil deren Funktionsfähigkeit noch auf einem verläss612
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Vgl. dazu die entsprechenden Beiträge von Harold D. Lasswell (1948), Claude E. Shannon/Warren Weaver (1949), sowie Gerhard Maletzke (1963) und Anm. 2929. Etwa durch die Integration von elektronischen Trickmöglichkeiten bei der Bildbearbeitung. Christiane Heibach, Literatur im elektronischen Raum. Frankfurt 2003; Saskia Reither, Computerpoesie, a.a.O.; pOes1s. Ästhetik digitaler Poesie. Hg. Friedrich W. Block/Christiane Heibach/Karin Wenz. Ostfildern-Ruit 2004; Chris T. Funkhouser, a.a.O. mit einer Chronology of Works in Digital Poetry 1959–1995, sowie Jorge Luiz Antonio, Poesia electrônica: negociações com os processos digitais (2008). (siehe: http://jlantonio.blog.uol.com.br/ u. http://www.vispo.com/misc/ BrazilianDigitalPoetry.htm), dazu eine Reihe von Beiträgen, vor allem von Florian Cramer (Literatur im Internet, 1999) und Friedrich W. Block, die im Internet zu finden sind. Vgl. auch Noah Wardrip-Fruin, Writing Networks. New Media, Potential Literature. In: Leonardo, Vol. 29, No. 5, 1996, S. 355ff. u. Peter Gendolla/Jörgen Schäfer, Literatur in Netzen/ Netzliteratur. In: Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft (SPIEL) 20, H. 2, Siegen 2003, S. 284ff. New Media Poetry: Poetic Innovation and New Technology. Ed. Eduardo Kac. Visible Language 30. 2. Providence/Rhode Island 1996; vgl. dazu: Friedrich W. Block, New Media Poetry. In: Konfigurationen. Zwischen Kunst und Medien. Hg. Sigrid Schade/Georg Christoph Tholen. München 1999, S. 200. Entsprechend New Media Art, vgl. die Publikation von 2006: new media art, a.a.O. Sehr informativ: Jorge Luiz Antonio, Poesia Digital, teoria, história, antologias. São Paulo 2010 (mit DVD).
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lichen, festumrissenen Gattungsschema mit einem bestimmbaren Formenkanon beruhte, muss eigentlich jede Form von Begriffsbildung in einem nun von Grenzüberschreitungen, Entgrenzungsphänomenen617 von Zeit, Ort, Körper und Wahrnehmung geprägtem Arbeitsfeld, in der diese Begriffe wieder auftauchen, zur Vorsicht mahnen. Am ehesten traf noch der Begriff Poesie für die ersten Versuche zu, mit dem Computer zu „dichten“. Seine Fähigkeit konnte genutzt werden, um in kürzester Zeit komplizierteste Berechnungen und Textmanipulationen vorzunehmen und zugleich eine aleatorische Komponente einzubringen, die über den menschlichen Vorstellungs- und Handlungsspielraum hinausreichte und damit zu überraschenderen und sehr neuen Angeboten kommen konnte. Vor diesen ersten Versuchen lag aber schon eine lange Reihe historischer Beispiele manipulativer, kombinatorischer und zufallsgesteuerter Textherstellung618.
Manipulation, Kombinatorik, Zufall Die kombinatorische Textherstellung beruhte im wesentlichen auf dem Prinzip der „Ars Combinatoria“, wie sie Gottfried Wilhelm Leibniz 1666 formulierte619, aber auch Guillaume Postel620, Giordano Bruno621 und Athanasius Kircher, die sich alle auf Raimundus Lullus’ (1232–1315) Vorstellung einer „Ars Magna“ beriefen. Lullus war der Auffassung, dass es Grundelemente aller Wissensbereiche gäbe, die sich wie Bausteine zu immer neuen Informationseinsichten kombinieren ließen. Dazu entwarf Lullus ein Modell, das aus übereinanderliegenden, jeweils kleiner werdenden Drehscheiben (bis zu 14 Stück) bestand, auf denen er bestimmte Begriffe notierte, um diese dann durch entsprechende Drehun-
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Entgrenzte Grenzen. Hg. Richard Kriesche. Graz 1987. Vgl. zum Text als Prozess und zur Rolle des Zufalls: Heibach, a.a.O., S. 111 ff. „Dissertatio de Arte Combinatoria, Autore Gottfredo Guilielmo Leibnüzio“ (Gottfried Wilhelm Leibniz, De Arte Combinatoria. Sämtliche Schriften und Briefe. Reihe 4, Bd. 1. Berlin 1989). Leibniz bezieht sich in einem Brief 1696 an Thomas Smith auf den 1349 verstorbenen Ricardus Suiseth, der mit einer Mathematisierung der Philosophie dem kombinatorischen Denken entscheidend den Weg bereitet hatte. Vgl. auch Peter Bexte, Ars Combinatoria. Zum Ursprung der Denkmaschine. In: Interface 2. Weltbilder/Bildwelten. Computergestützte Visionen. Hamburg 1995, S. 126 ff. Guillaume Postel (1510–1581), „Livre de la formation“ (1560). Giordano Bruno (1548–1600), „De lampade combinatoria lulliana“ (1587).
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gen kombinieren zu können.622 Neben diesem philosophischen und kulturwissenschaftlichen Hintergrund geht die kombinatorische Textherstellung formal auf die rhetorische Figur der Permutation, des Wechselsatzes623 zurück. Die frühesten Beispiele textpermutativer Gedichte gab es bei den Ägyptern624 bereits in der Zeit ab 1375 v. Chr. Durch den griechischen Grammatiker Athenaios ist um 200 n. Chr. ein Proteusgedicht des Kastorion von Soloi überliefert worden625, und die lateinische Tradition begann mit der „ars permutandi“626 des Publius Optatianus Porfyrius627 im 4. Jh. n. Chr., die wiederum die deutsche Barockliteratur628 beeinflusste629. Existierten bei dieser Art der Textvorlagen – wie etwa auch bei den visuell spannenderen Drehscheiben630, Schach-
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Athanasius Kircher (1602–1680), „Ars magna lucis et umbrae“ (1646), „Ars magna sciendi sive combinatoria“ (1667), alle Abb. mit Erläuterungen in: http://lullianarts.net/Ars-Magna/ars-magna.htm. Einzelne Textbestandteile eines Textabschnittes können beliebig verstellt werden, ohne dass sich der Sinn ändert. In gebundener Form spricht man von Proteusvers. Vgl. auch den Aufsatz von Christian Wagenknecht, Proteus und Permutation. Spielarten einer poetischen Spielart. In: Konkrete Poesie II. München 1971, S. 1 ff. (= Text + Kritik 30). Vorgestellt bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 15–19 Abb. 63 S. 14. „Ein archaisches textpermutatives Gedicht, das für alle Zeichen mehrfache Lesung vorsieht, also in seinem gesamten Hieroglyphenkontingent von links nach rechts sowohl horizontal wie vertikal mit unterschiedlichen Aussageweisen gelesen werden kann (…) das älteste bekannte Zeugnis visueller Poesie überhaupt.“ (ebd. S. 15), – statt Visueller Poesie besser Optischer Poesie, vgl. Anm. 1. Athenaios, Deipnosophistai. Hg. Georg Kaibel. Leipzig 1887–90, Kap. 10, S. 81 (übersetzt in: Wolfgang Schultz, Rätsel aus dem hellenistischen Kulturkreise. Leipzig 1909–12, Bd. 1, S. 14). Ernst, Carmen Figuratum, a.a.O., S. 134. Beispiel das „Carmen XXV“ aus dem 4. Jh. n. Chr. Nach diesem Vorbild tauchen bei dem Iren Dicuil (gest. ca. 825) in seiner „Computusdichtung“ unter der Überschrift „De ludificis versibus“ vier aus jeweils fünf Wörtern bestehende Hexameter auf, die sich alle mit jeweils neuem Sinn permutieren (216 mal) lassen: Nachdruck in: Mario Esposito, An unpublished astronomical Treatise by the Irish Monk Dicuil. In: Proceedings of the Royal Irish Academy, Jg. 26, No. 7, 1906, S. 393 ff. Das gelungenste Beispiel „Der XLI. Libeskuß“ (1671) stammt von Quirinus Kuhlmann, der in einer beigegebenen Anweisung mitteilt, dass es über sechs Milliarden Austausch- und damit Lesemöglichkeiten gäbe. Abgedr. in: Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hg. Dencker. Ditzingen 2003, S. 76 ff. Ausführlich berichtet Liede, a.a.O., Bd. 2, S. 160 ff. Carmen infinitum (Wien 1717), vgl. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 786 ff.
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Abb. 63: Hymnus, Grab des Kheruef, Theben, 1375–1358 v. Chr.
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brett-631 und Kreuzwort-Labyrinthtexten632 – die Kombinationsmöglichkeiten nur in der Vorstellungskraft oder neu aufgeschrieben in endlosen Wiederholungen des Ausgangstextes, ermöglichten die parallel entstehenden Drehscheiben, Sprach- und Lesemodelle in der kombinatorischen Manipulation wesentlich schnellere und umfangreichere Varianten der Textgenerierung. Herausragende Beispiele sind, neben der bereits erwähnten „Ars Magna“ von Raimundus Lullus633, „Maria Stella“ (1616)634 von Juan Caramuel y Lobkowitz635, „Coelum Liliveldense“ (1649)636 aus dem Zisterzienserkloster Lilienfeld, „Fünffacher Denckring der Teutschen Sprache“ (1677) von Georg Philipp Harsdörffer637, „Carme permutazionale circolare“ (1657) von N. Barsotti638, „Coelum Carmelaeum“ (1679)639 des Paschasius à 631
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Novalis notiert in den Fragmenten „Mathematische Anekdote vom Schachspiel. Verwandlung einer Anekdote in eine bestimmte Aufgabe“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 456). Das Schachmodell taucht später in der Struktur von Romanen auf, z. B. ist nach den Regeln des Schachspiels „Through the looking-glass and what Alice found here“ (1872) von Lewis Carroll aufgebaut und ebenso bei Georges Perecs „La vie mode d’emploi“ (1978); vgl. dazu: Georges Perec, Vier Figuren für Das Leben Gebrauchsanweisung. In: Anstiftung zur Poesie, a.a.O., S. 61 ff. u. Ulrich Ernst, Typen des experimentellen Romans in der europäischen und amerikanischen Gegenwartsliteratur. In: arcadia 27, Berlin 1992, S. 300 ff. Siehe auch Anm. 965. Silo Princeps fecit (Oviedo 8. Jh.), vgl. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 406 f. Abb. in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 11. W. Künzel/H. Cornelius, Die Ars Generalis Ultima des Raymundus Lullus. Studien zu einem geheimen Ursprung der Computertheorie. Berlin 1986; Peter Bexte, a.a.O., S. 128 f., Abb. in: http://www.ricardocosta.com/textos/artebreve.htm. Abb. in: Adler/Ernst, Text als Figur, a.a.O., S. 103. Siehe auch die von Juan Caramuel y Lobkowitz stammenden vier gegenläufigen Textscheiben (Mitte 17. Jh.) in: Ulrich Ernst, Intertextualität in der barocken Kasuallyrik. In: Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Frankfurt 1994, S. 339 und Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 252. Lobkowitz hat auch eine zylindrische Textmaschine entworfen, deren vier beschriftete Rollen gegeneinander gedreht werden können, Abb. in: http://www.engramma.it/engramma_revolution/ 55/055_saggi_bartezzaghi.html. Abb. in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 12. Vgl. auch: Ulrich Ernst, Permutation als Prinzip in der Lyrik. In: Poetica 24, München 1992, S. 243 f. Georg Philipp Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae. Der Mathematischen und Philosophischen Erquickstunden Zweyter Theil. Nürnberg 1677, S. 516 f., Abb. 64. D. i. Niccolò da Lucca, Abb. in: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 117. Abb. in: Ulrich Ernst, Lesen als Rezeptionsakt. In: Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 173 u. in: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 119 (Vergrößerung).
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Abb. 64: Philipp Harsdörffer, Fünffacher Denckring der Teutschen Sprache, 1677
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S. Johanne Evangelista, „Carmen infinitum“ (1717)640, und schließlich die sogenannten Textproduktionsmaschinen, wie sie z.B. Jonathan Swift im 5. Kapitel der dritten Reise von „Gulliver’s Travels“ (1726) beschrieb, oder Sir Walter Scott für die Kombination von Romanfragmenten, wie sie John Clarke zur Erstellung lateinischer Hexameter 1845 baute641, oder William Stanley Jevons logische Maschine von 1869, Raymond Roussels Lesemaschine642, die Sonett-Maschine „Cent mille milliards de poèmes“ (1961)643 von Raymond Queneau, Tristan Tzaras „poème perpétuel“ (1958) und André Thomkins’ Wortmaschine DOGMAT-MOT (1955–1966)644. 640
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Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 788. Ein „Carmen infinitum“ (1732) in: Piotr Rypson, Piramidy, a.a.O., S. 173 u. Abb. S. 318. Swift, Gullivers Reisen, Bd. 2, T. 3. Stuttgart 1839, S. 65 ff. Abb. der Maschine in: Ernst, Permutation als Prinzip in der Lyrik, a.a.O., S. 267, u. in: Bernhard J. Dotzler, Die Swift-Maschine. Zur Poesie der Kombinatorik im 17. und 18. Jahrhundert. In: Die Künste des Zufalls, a.a.O., S. 248, Abb. 65 in: Imagining Language, a.a.O., S. 254; zu Scott siehe Anm. 687 u. zu Clarke siehe Abb. in: http://www.minervaclassics.com/eureka.htm. Entworfen Anfang der 1930er Jahre, zuerst ausgestellt 1937, Abb. in: http:// blog.mobooks.com/?p=143. Dt. Ausg. „Hundertausend Milliarden Gedichte“ (Frankfurt 1984). Das Prinzip folgt dem beliebten Kinderspiel „Kleine Metamorphosen“, bestehend aus einer Schachtel, in der in drei Sektionen untereinander eine menschliche Figur in drei Teilen mit einem Stapel austauschbarer Kärtchen dargestellt wird. So können bei gleichbleibendem Kopf in der ersten Sektion die Kärtchen der zweiten und dritten Sektion von Ober- und Unterkörper beliebig angelegt werden. Für eine Ausstellung „Alfonse Schilling“ 1970 in der Richard Feigen Gallery in New York wurde ein Katalog herausgegeben, der aus einundzwanzig Portraits (Fotografien) besteht, in drei Sektoren (Stirn/Augen, Nase/Mund, Kinn) aufgeschnitten, so dass sich z. B. die Stirnpartie von S. 2 mit der Augenpartie von S. 9 und der Mundpartie von S. 5 kombinieren lässt. Von Gerhard Rühm gibt es die Publikation „Mann und Frau“ (Neuwied/Darmstadt 1972), in der die Seiten geteilt sind und auf diese Weise Texte der oberen mit Texten der unteren Seiten beliebig kombiniert werden können. Das Kunsthaus Hamburg publizierte 1992 den Katalog „words don’t come easy“, in dem ebenfalls die Seiten geteilt waren und in der oberen Hälfte Werke der bildenden Kunst mit Text-Zitaten in der unteren Hälfte kombinierbar waren. Mirella Bentivoglio entwirft am Ende ihres Buches (Un albero di pagine. Dolo/Ve 1992) fünf geschnittene Sektionen zu je achtzehn Seiten mit Beiträgen von Ausstellungsbesuchern zum Motiv des Baumes in Arbeiten von Bentivoglio, die ebenfalls untereinander kombinierbar sind und von denen eine Kombinationsmöglichkeit in vierfacher Seitengröße beigefügt wurde. A. Th., DOGMAT-MOT. Édition MAT MOT No. 5. Hg. Karl Gerstner/Daniel Spoerri. Köln 1965. Darin befindet sich „apparat zum sinn-dichten/mittels eines dreisprachigen/drehbaren/ auswechselbaren/wortfeldes“. (Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 56, Abb. 66)
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Abb. 65: Jonathan Swift, Maschine der großen Akademie von Lagado, 1726
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Abb. 66: André Thomkins, DOGMAT – MOT, 1966
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Die zufallsgesteuerte Textherstellung lässt sich vielleicht am besten mit dem sogenannten „Würfelwurf “645 darstellen. Der Zuruf von Wörtern, das zufällige Zustandekommen von Texten, das Spiel mit den „Buchstabwürffel“646, war ein beliebtes Gesellschaftsspiel im 17. Jahrhundert, ganz im Sinne Tiecks: „Ich schüttle die Worte zwischen den Zähnen herum, und werfe sie dann, dreist und gleichgültig wie Würfel heraus“647. Borinski648 berichtete über solche Würfelspiele, und in Abbé Balthazards „L’Isle des philosophes et plusieurs autres, nouvellement découvertes et remarquables par leurs rapports avec la France actuelle“ (1790) ist nachzulesen: „Besuchern wird ein Spiel gefallen, bei dem mehrere achtseitige Würfel, mit Buchstaben auf jeder Seite, in einen Würfelbecher gelegt, geschüttelt und geworfen werden. Gewinner ist, wer durch Zufall die größte Anzahl an Wörtern und Sätzen bildet. 1789 fiel der Würfelbecher durch ein Erdbeben um; die Buchstaben auf den Würfeln bildeten die Ansprache Ludwigs XVI. an die Generalstände“649. In den Aphorismen von Lichtenberg und in den Fragmenten650 von Novalis finden sich viele Stellen, die dem Zufall in der Poesie eine gewisse Bedeutung einräumen, und Georg Nikolaus Bärmann verfasste sogar zwei Bücher über die Kunst des Dichtens mit dem Würfel651.
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Bezieht sich auf ein Schlüsselwerk der modernen Literatur im allgemeinen und der Visuellen Poesie im besonderen: Stéphane Mallarmés „Un coup de dés jamais n’abolira le hasard“ (1897, 1914 in der von Mallarmé vorgesehenen Gestaltung). Alea (lt.) = Würfel, aleator (lt.) = Würfelspieler. Aleatorik ist ursprünglich die Bezeichnung für ein Kompositionsprinzip in der Musik (vgl. Anm. 245 und 374), das dem Zufall unterworfen ist, – inzwischen als Begriff auch auf die Literatur übertragen. Vgl. Holger Schulze, Das Aleatorische Spiel. Erkundung und Anwendung der nichtintentionalen Werkgenese im 20. Jahrhundert. München 2000, und Reinhard Döhl, Würfeltexte. In: Metzler Literatur Lexikon. Hg. Günther und Irmgard Schweikle. Stuttgart 1984, S. 560. Eine Fülle von aleatorischen Romanformen werden behandelt in: Ulrich Ernst, Typen des experimentellen Romans in der europäischen und amerikanischen Gegenwartsliteratur. In: arcadia 27, Berlin 1992, besonders S. 291 ff. Vgl. auch: Franz Mon, Über den Zufall. In: Mon, Gesammelte Texte 1. Essays. Berlin 1994, S. 231 ff. Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 513 f. Ludwig Tieck, Schriften. Berlin 1828–1854, Bd. 5, S. 363. Karl Borinski, Die Poetik der Renaissance. Berlin 1886, S. 59. Reinhard Döhl, Exkurs über Aleatorik. In: http://www.stuttgarter-schule.de/aleatori.htm. Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 339, 343, 441, 445, 456, 464. Simplicius (d.i. Georg Nikolaus Bärmann), Die Kunst ernste und scherzhafte Glückwunschgedichte durch den Würfel zu verfertigen (Berlin 1826) und Neun-
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Mit Mallarmés „Würfelwurf “ und Max Jacobs „Der Würfelbecher“652 gewinnt dann die zufallsgesteuerte Textherstellung eine andere Qualität, deren Entwicklungslinie schließlich zu den „Gewürfelten Texten“ (1959)653 von Ferdinand Kriwet, den Würfeltexten (1955–1965) von Gerhard Rühm, Max Benses „Mein Standpunkt“ (1961), zu Timm Ulrichs’ tautologischem „Würfel“ (1964), „Textkasten“ (1965)654 mit 125 permutierbaren Würfeln und dem aleatorisch-anagrammatischen Textobjekt „CASUAL:CAUSAL“ (1982), den „Wurftexten“ (1962–1966)655 von Ludwig Gosewitz, den Textkörpern (1965/66) von Herbert Schuldt656, dem Roman „Il Giuoco dell’Oca“ (1967) von Edoardo Sanguinetti657, dem Würfelgedicht II (1994)658 von Michael Lentz und schließlich zu dem Würfelroman im Internet „Berlin-Roman“ (1999) von Michael Rutschky659 führte. Über das formal und inhaltlich mehr willkürliche Spiel hinaus bedingen sich nun nämlich Material, Verfahren und Bedeutung insofern, als ein kalkuliertes und vom Autor selektiertes Ausgangsmaterial das aktive Mitspiel des Rezipienten und das Ergebnis gewissermaßen steuert.660 Wenn Tristan Tzaras Anleitung im 8. Abschnitt des „Manifests über die schwache Liebe und die bittere Liebe“ (1920)661 empfahl, aus
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hundert neun und neunzig und noch etliche Almanachs-Lustspiele durch den Würfel (Zwickau 1829/Reprint Leipzig 1972). Max Jacob, Le Cornet à Dés. Paris 1917; dt.: Der Würfelbecher. Gedichte in Prosa. Frankfurt 1968; Max Jacobs Würfelbecher. In: Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 71 ff. F. K., gewürfelte texte. In: nota. studentische zeitschrift für bildende kunst und dichtung. Nr. 3, München 1959, S. 26. „Würfel“ und „Textkasten“, Abb. in: Ulrichs. Retrospektive 1960–1975, a.a.O., S. 45. Abb. in: anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. u. in: Ludwig Gosewitz, Gesammelte Werke 1960–1980 u. Neues Glas. Berlin 1980, S. 15 (Abb. 67) u. S. 54 f. Abb. in: Konkrete Poesie II. In: Text + Kritik 30, Stuttgart 1971, S. 11 ff. Ein Roman in 111 Kurztexten, die sich als Felder verstehen, deren (Lese)Reihenfolge durch den Einsatz von zwei Würfeln bestimmt wird. Dessen Untertitel lautet: „ein würfelsprechakt für gerhard rühm, ausgewürfelt am 6. april 1994“, Abb. in: Im Buchstabenfeld. Die Zukunft der Literatur. Hg. Peter Weibel. Graz 2001, S. 278. Michael Charlier, Der Kubus der Flaneure. Auf der Suche nach der Netzliteratur. In: Kunst & Kultur Jg. 6, H. 1, Stuttgart 1999, S. 23. In dem 1916 verfassten Vorwort zu „Le Cornet à Dés“ beschrieb Jacob den Unterschied seiner literarischen Konzeption zu der von Mallarmé: Das Gedicht sei ein außerhalb kosmischer und existentieller Dimensionen hergestellter Gegenstand, ein montiertes Mosaik, das eine eigene sprachliche Existenz besitzt und mit nichts über sich hinausweist. Tristan Tzara, 7 Dada Manifeste. Hamburg 1976, S. 44.
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Abb. 67: Ludwig Gosewitz, Wurftext, 1962
einer Zeitung Wörter, Wortverbindungen und Sätze eines Artikels von bestimmter Länge herauszuschneiden, alles in eine Tüte zu geben, diese kräftig zu schütteln und dann alles aufzuschreiben, was beim Auskippen nach und nach herauskommt, wird bereits der Spielraum des Zufalls und damit die Semantik durch das auf diese Weise ausgewählte Ausgangsmaterial bestimmt. André Breton schrieb im Ersten Manifest des Surrealismus 1924: „Man darf sogar Gedicht nennen, was man durch eine so zufällig wie möglich gemachte Assemblage erhält (berücksichtigen wir, wenn Sie wollen, die Syntax), und zwar von
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Titeln und Titelfragmenten, die man aus Zeitungen ausgeschnitten hat“662, und Hans Arp notierte: „Wörter, Schlagworte, Sätze, die ich aus Tageszeitungen und besonders aus ihren Inseraten wählte, bildeten 1917 die Fundamente meiner Gedichte. Öfters bestimmte ich auch mit geschlossenen Augen Wörter und Sätze in Zeitungen, indem ich sie mit Bleistift anstrich. Ich nannte diese Gedichte Arpaden“663. Aber selbst wenn Arp diese Gedichte in einer „schwer leserlichen Handschrift“ schrieb, „damit der Drucker gezwungen werde, seine Phantasie spielen zu lassen und beim Entziffern meines Textes dichterisch mitzuwirken“664, beschränkten sich doch die „Verballhornungen, Zerformungen“ immer noch auf das, was die Vorgabe nahelegte. Dieses Zufallsprinzip665, das im Barock z.B. bei Zesen und Harsdörffer noch Bestandteil eines reinen Gesellschaftsspiels war, wurde spätestens 662
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André Breton, Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek 1996, S. 38 (hier auch Abb. in dt., im frz. Original in: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 230). Dieser Bemerkung von Breton folgt dann ein mit „Gedicht“ überschriebener Montage-Text aus Titeln und Textfragmenten mit unterschiedlicher Typografie. Ein frühes Beispiel derartiger Textmontagen – allerdings mit geringem aleatorischen Charakter – findet sich bei Arno Holz, der aus Illustrierten Textzeilen herausschnitt, daraus Gedichte klebte und den Zyklus „Scherz-Phantasus“ nannte; zuerst publiziert in: Die Horen 17. Jg., Nr. 88, H. 4, Hannover 1972, S. 3 ff., Abb. 68. Klaus M. Rarisch berichtet (in: Die Horen 116, Hannover 1979, S. 105 ff.) wie Holz für sein Gedicht „Niepepiep“, entstanden am 1. 12. 1898, ganze Wortgruppen und Sätze aus dem Berliner Lokal-Anzeiger v. 27. 1. 1898 (2. Ausgabe/ Abendblatt) u. 28. 1. 1998 (1. Ausgabe/Morgenblatt) übernahm. Aus Aufzeichnungen der Witwe, Anita Holz, ist bekannt: „Viele Jahre hindurch schrieb Holz mit einem Bleistiftstümpfchen alle Verse, die ihm gelegentlich einfielen, auf kleine Zettel, deren er immer einige in den Hosentaschen bei sich führte. Abends versenkte er die Zettel dann in die Tiefen einer Zigarrenkiste (…); als dann einige Kisten voll waren, stellte er aus dem Inhalt die !Blechschmiede" zusammen, die er den !umgekippten, umgestürzten Wunderpapierkorb" nannte.“ (Rarisch, a.a.O., S. 107). Vgl. Arno Holz Werke, a.a.O., S. 122: „meine Riesen-Papierkorbiade !Die Blechschmiede"“. Vgl. auch: Anke te Heesen, Der Zeitungsausschnitt, Ein Papierobjekt der Moderne. Frankfurt 2006. Hans Arp, Wortträume und schwarze Sterne.Wiesbaden 1953, S. 6 f. A.a.O., S. 7. Die Mitwirkung des Setzers nach „eigener Laune“ hat auch Raoul Hausmann für seine Plakattexte bevorzugt, vgl. Anm. 1208. Hans Arp, Unsern täglichen Traum … Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914–1954. Zürich 1955, S. 74 („Gesetz des Zufalls“). Hans Richter, Der Zufall I, Der Zufall II, Der Zufall und der Anti-Zufall. In: H. R., Dada – Kunst und Antikunst. Der Beitrag Dadas zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Köln 1964/1973, S. 51ff.; Dietmar Guderian, Zufall – Chaos – Katastrophe. In: Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt. Hg. Peter Volkwein. Heidelberg 1993, S. 13ff. Vgl. auch: Karl Riha, Literatur und Zufall. In: Die Künste des Zufalls, a.a.O., S. 263ff.
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Abb. 68: Arno Holz, Scherz-Phantasus, ca. 1898
mit dem Dadaismus ein wichtiger Bestandteil der künstlerischen Produktion. „Mit der Zeit werden sie dazu kommen, den Zufall hinzunehmen als eine Möglichkeit, Dinge zu produzieren. Tatsächlich ist die ganze Welt auf Zufall begründet, oder der Zufall ist wenigstens eine Definition für das, was passiert in der Welt, in der wir leben und mehr wissen, als irgend-
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ein kausaler Zusammenhang“666. Aus heutiger Sicht betrachtet, könnte man auch von einer kalkulierten Zufallsproduktion, von einer vagen Art der „Programmierung“ sprechen, eigentlich auch schon, als Harsdörffer in „Frauenzimmer Gesprächspiele“ (1644–46) und Philipp von Zesen im „Helikon“ (1649) für den Buchstaben-Wechsel vorsahen, Papierchen zu beschriften, oder „alle buchstaben aus karten oder spielblättern schneide/ und dan ihrer so als im nehmen begriffen seind/ selbige verlege und wider lege/ so lange/ bis eines oder etliche worte aus dem nahmen zusamengebracht hat/ die einen guten und folkomnen sin haben/“667. Sie ist noch greifbarer in dem Kartenspiel von Hermann Finsterlin (1887–1973), bei dem Karten mit unterschiedlichen Beschriftungen „nach bestimmten Regeln“ aufzunehmen waren und so Texte entstanden, „die sich konkret mit den instabilen unsinnigen Textwelten Hans Arps berührten“668. Ein ganz ähnliches Prinzip liegt auch Marc Saportas Roman aus einhundertfünfzig losen Blättern „Composition No. 1“ (1962)669 zugrunde, 666 667
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Marcel Duchamp, Ready Made!, a.a.O., S. 69. Filip Zesens Durchaus vermehrter und zum dritt- und letzten mal in drei teilen ausgefärtigter Hochdeutscher Helikon. Wittenberg 1649, I T 2 vo. Bei Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 514: „schreibet man die Buchstaben eines Namens auf kleine Papierlein/ oder weil solche leichtlich verblasen werden/ auf hölzerne Würffel/ wie erst gedacht: dann sondert man die Stimmer (vocales) von den Mitstimmern/ und setzet sie so lang hin und her/ dass endlich andere Wörter heraus kommen“, vgl. auch Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele, IV. Teil, Tübingen 1968, S. 185. Reinhard Döhl, Hermann Finsterlin, Gesamtkünstler. In: http://www.doehl.netzliteratur.net/mirror/poetscorner/finsterlin_essay.htm, http://www.unistuttgart.de/ ndl1/finsterlin/finsterlin9.htm und: Döhl, Hermann Finsterlin. Eine Annäherung, a.a.O., S. 98 f. Reinhold Grimm, Marc Saporta oder der Roman als Kartenspiel. In: Sprache im technischen Zeitalter (SPITZ) 13, 1965, S. 1173 ff. Einem ganz ähnlichen Prinzip folgt Bryan Stanley William Johnson (1933–1973) mit „The Unfortunates“ (London 1969, dt. Ausg. „Unglücksraben“. München 1993), der die Kapitel des Buches als Einzelteile in einer Schachtel lieferte. Eine andere Variante entwarf Johnson in „Albert Angelo“ (1964/dt. Berlin 2003), in dem die Seiten 183 bis 188 mit einem 9 × 2 cm großen rechteckigen „Fenster“ versehen wurden, das Durchblicke und Textkombinationen ermöglichte. Ein Prinzip, das später auch z. B. Jirˇí Kolárˇ in „hinauf und hinunter/tiefengedicht“ (Uelzen 1969), Neide Dias de Sá (1941) in „Livro Poema“ (Rio de Janeiro 1976 ff.) und Attila Csernik (1941), in „Text“ (U´jvidék 1985) benutzten. Von Dieter Roth gibt es „bok 3 b und bok 3 d“ (gesammelte werke band 7, Stuttgart 1961/1974), in dem im ersten, dem Comic-Teil, unterschiedlich große, ausgestanzte Löcher den Blick auf Sprechblasen der nächsten Seite freigeben, und im zweiten Teil (mit Zeichnungen) die ausgestanzten Löcher zur Kombination von gezeichneten Partikeln führen. Der Däne Vagn Steen (1928)
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einem Kartenspiel vergleichbar, das immer wieder neu gemischt werden kann und so immer neue Sinnzusammenhänge und Handlungsabläufe entstehen. Saportas „Composition No.1“ war vielleicht beeinflusst von William S. Burroughs’ (1914–1997) „Naked Lunch“ (1959), wo es im Vorwort heißt, das Werk zerfalle in Einheiten, die alle ein Ganzes bildeten und als solches auch betrachtet würden, aber alle Einzelteile könnten auch auf jede Art neu geordnet werden, und man könne zu lesen beginnen und fortsetzen, wo immer man wolle. „Es gibt viele Möglichkeiten Cut-ups anzufertigen: 1. Nehmen Sie eine Textseite, teilen Sie sie in der Mitte durch einen Längs- und einen Querstrich. So erhält man vier Textblöcke 1 2 3 4. Jetzt zerschneidet man die Seiten längs der Striche und legt Block eins neben Block vier und Block zwei neben Block drei. Dann lesen Sie die so arrangierte Seite. 2. Falten Sie eine Textseite der Länge nach in der Mitte, und legen Sie sie auf eine andere Textseite. Dann lesen Sie die kombinierten Texthälften. 3. Arrangieren Sie Ihre Texte in drei oder mehr Spalten, und lesen Sie quer durch die nebeneinander stehenden Spalten. 4. Nehmen Sie irgendeine Textseite und nummerieren Sie die Zeilen. Dann permutieren Sie durch Auswechseln der Zeilen die Anordnung 1 3 6 9 12 etc. Selbstverständlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten. Jedes Zusammenwürfeln von Worten ergibt neue Kombinationen. Auswahl und Anwendung bleibt dem Autor überlassen.“670 Eine Methode, die Burroughs Cut-Up671 nannte und deren erste Versuche, von Brion Gysin (1916–1986) im Sommer 1959 hergestellt, 1960 erschienen.672
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veröffentlichte schließlich „Et godt bogøje/A Hole Book“ (1969/Neudruck 1998), ein sogenanntes „Buchauge“ mit einem ca. 4,5 cm (Ø) großen Loch, das durch das ganze Buch ging und zugleich das Thema des Buches ist (nämlich die Kommunikation durch das Loch). Vgl. auch: Seaman, a.a.O., S. 294. Ein schwarzes Buch mit schwarzen Seiten, auf denen sich zur Mitte hin ausgestanzte Buchstaben und Worte lesen lassen, stammt von: Joachim Sartorius/James Lee Byars, The Golden Tower. Köln 1992. Bereits um die Jahrhundertwende gab es ein Buch mit einem Loch: Peter Newell, The Hole Book. New York 1908. Beliebt in Kinderbüchern: Bsp. Das Zauberspiegel-Buch. Reinbek 1981, in dem das Loch auf allen Buchseiten das Gesicht von Figuren ausspart, so dass der Leser in einem Spiegel auf der letzten Seite sich in jeder Figur aller durchgeblätterter Seiten wiederfinden kann. Vgl. auch Anm. 1397. William S. Burroughs, Die literarischen Techniken der Lady Sutton-Smith. In: Akzente 5–6. Sonderheft: Veränderung. München 1964, S. 424. Vgl. auch Anm. 1395 u. 1418: fold-in-Methode. Cut Up. Der sezierte Bildschirm der Worte. Hg. Carl Weisner. Darmstadt 1969. Brion Gysin, Minutes to Go. Paris 1960. Weitere von Brion Gysin waren „Cut-Up Self-Explained“ (1970 in: William S. Burroughs/Brion Gysin, The Third Mind. Paris 1977/New York 1978).
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Cut-Up knüpft an die Technik des Crossreadings673 an, wie sie Georg Christoph Lichtenberg in einer Fußnote zur „Nachahmung des englischen Crossreadings“ (um 1774/75)674 oder Johann Wolfgang Goethe im 6. Kapitel des 8. Buches von „Wilhelm Meisters Lehrjahre“(1795/96) beschrieben675. Mit Konrad Balder Schäuffelens „deus ex scatola“ (1964)676 und „Lexikon einer sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden“ 673
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Karl Riha, Cross-Reading und Cross-Talking. Zitat-Collagen als poetische und satirische Technik. Stuttgart 1971. „Man muss sich vorstellen, das Lesen geschehe in einem öffentlichen Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements von allerlei Art usw., anzutreffen sind: der Druck jeder Seite sei in zwei oder mehrere Columnen geteilt, und man lese die Seiten quer durch, aus einer Columne in die andere“ (Vermischte Schriften. Neue vermehrte, von dessen Söhnen veranstaltete Originalausgabe. Göttingen 1844–1853, Bd. 2, S. 63). „Endlich hatte Philine den herrlichen Einfall, die sämtlichen Bücher auf einen großen Tisch aufzuschlagen; wir setzten uns gegen einander und lasen gegen einander, und immer nur stellenweise, aus einem Buch wie aus dem andern“ (Goethes Werke. Hg. Erich Trunz. Hamburg 1950ff, Bd. VII/2, S. 558). Vgl. dazu den Bericht von Raoul Hausmann, wie er mit Johannes Baader 1918 Kellers „Grünen Heinrich“ gelesen habe: „Das heißt, wir rezitierten abwechselnd, willkürlich in dem Buch blätternd, hier und dort Bruchstücke von Sätzen, ohne Anfang, ohne Ende, änderten die Stimme, den Rhythmus, den Sinn, blätterten von vorne nach hinten, von hinten nach vorne, spontan, ohne zu zögern, ohne uns zu unterbrechen. Das gab einen neuen Sinn und wunderbare Verbindungen.“ (Hausmann, Johannes Baader – Oberdada. In: Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 57. „schäuffelens lotterie romane 1: deus ex skatola. entwicklungsroman 1964, zweite, durchgesehene und vermehrte auflage 1975“ (Abb. 69 in: Visuelle Poesie [1984], a.a.O., S. 126). Handelt es sich hier um Schäuffelen-Texte, werden dagegen Fremdtexte benutzt in: schäuffelens lotterie romane 2: thomas mann/gladius dei/novelle 1902. jubiläumsausgabe 1875–1975, Abb. in: „http://www.antiquariat-loidl.de/ k45/abb/B58099.htm.“ Weitere Beispiele stammen von: Joachim M. Krauße (1943), Poetor – Dichtmaschine. Plastikkoffer mit Karten-Programmen, Wortkarten, Karten-Mischmaschine, Metallhalterung, Kunststoffbox mit Schublade u. 3 Anleitungsheften. Berlin 1966. W. Mark Sutherland, „Voice Box“ (1996, Abb. in: musikworks 85, Spring Toronto 2003, S. 38), bestehend aus einem Holzkasten mit beschrifteten Karteikärtchen: „The voice-box in each case contains the potential for a diverse variety of noises: just as the diverse tones of the larynx can be arranged in order to create a structured speech, so also can the various cards of the object be shuffled in order to create a randomized poetry“, (Christian Bok) und Lew Rubinstein, Karteikasten mit drei Arbeiten „Ereignis“, 1980, „Vorromantische Vermutungen“, 1983, „Das ist interessant“, 1983, Abb. in: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 99ff.) u. „Programm der gemeinsamen Erlebnisse“ (Münster 2003), bestehend aus einem Holzkarteikasten mit 347 zweifarbigen, zweisprachigen Karten und einem Beiheft, Abb. in: Bartkowiaks forum book art, 2005/2006, aaO, S. 525.
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Abb. 69: Konrad Balder Schäuffelen, schäuffelens lotterie romane Nr. 1, deus ex skatola, 1975
(1970) von Andreas Okopenko677 gab es zwei Modelle aleatorischer Literatur, die schließlich die Aufmerksamkeit wieder auf die Poesiemaschi677
Okopenko listet alphabetisch Textmaterial, dass der Leser zu einer, seiner eigenen Geschichte zusammentragen muss. In gewisser Weise ähnlich ist auch Georges Perecs „La vie mode d’emploi“ (1978), der für den Leser einen Apparat im Anhang bietet, bestehend aus einem Personen- und Sachregister, einer chronologischen Übersicht und einer ausführlichen Liste der einzelnen Geschichten,
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nen eines Juan Caramuel y Lobkowitz richten, nun aber in ihrer Weiterentwicklung bezogen auf den Bereich der Textgenerierung. Während der „Leser“ bei Schäuffelen noch aus einer Holzkiste mit 365 beschrifteten Losröllchen, zufallsbestimmt selbst ziehen und lesen musste, um schließlich auch auf ein bei Schäuffelen einzulösendes Gewinnlos zu stoßen, lässt sich an dem „Lexikon“ von Okopenko zeigen678, wie die Autorenschaft, die Autonomie des Autors mehr und mehr schwindet zugunsten eines aktiven, partizipatorischen Lesers, der zum Mitautor wird, der im nächsten Schritt auch noch einen Teil seiner Mitautorschaft dem Zufall überlässt679 bis zu einer maschinellen Textgenerierung, an der mindestens drei „Autoren“ mitwirken: der eigentliche Autor, der „Leser“ und die von beiden genutzte Maschine, die einerseits nach den Regeln des Autors programmierte und andererseits nach den (durchaus wechselnden) Regeln des jeweiligen „Lesers“ interpretierte Outputs produziert.
Poesie-Automat (technisch-analog) Verantwortlich dafür war die technische Entwicklung von Automaten680, die Sehnsucht des Menschen, natürliche und abstrakte Bewegungs- und
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wann sie zum ersten Mal in welchem Kapitel auftauchen (versehen mit dem Hinweis, dass sie durchaus auch in anderen Kapiteln ihre Fortsetzung finden könnten, der dem Leser das Navigieren innerhalb des Buches nahe legt). Zu Perec vgl. auch Anm. 631. Der Roman von Okopenko erschien zwischen 1990 und 1998 unter dem Titel „Elex“ (Elektronischer Lexikon Roman) als CD und im Netz in digitalisierter Form. Wolfgang Schlüter, Eines Fensters Schatten, oder: Mercurius’ Hochzeit mit der Philologie. Berlin 1984. „Ein experimenteller Roman also? Darauf deutet neben seiner !offenen Form" und den eben festgehaltenen avantgardistischen Schreibweisen speziell auch die !Vorrede" des Buches mit !Textregeln", die in gewisser Weise auf Vorstellungen vom Roman als Kartenspiel oder als einer Lotterie – mit unendlich vielen Kombinationsmöglichkeiten der Spielelemente – hinauslaufen, wie wir sie von Marc Saporta oder Konrad Balder Schäuffelen kennen.“ (Karl Riha, Nachwort, a.a.O., S. 173). – Hartmut Geerkens „holunder“ (Spenge 1984) erschien in 600 Exemplaren, wobei jedes Exemplar ein Unikat ist. Bei der Herstellung der Auflage mischte der Verleger Klaus Ramm von Exemplar zu Exemplar die Seiten immer wieder neu, assistiert von Geerken, der die Schlussmischung vornahm. In Griechenland gab es schon früh Maschinen, die natürliche Bewegunsgabläufe nachahmen konnten. Archytas von Tarent (400–350 v. Chr.) konstruierte eine sich bewegende Taube, über die René Descartes in seinen Notizbüchern berichtete. Bei Descartes findet sich auch eine längere Beschreibung über die Möglichkeit der Herstellung von „lebenden“ Automaten (Von der Methode. Darmstadt
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Handlungsmuster zu mechanisieren, wie sie in der Literatur am eindringlichsten von Jean Paul in seiner Erzählung über den „Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften“ dargestellt wurde681. Die sich daraus ergebende Automatisierung der Umwelt – einerseits von den Androiden682 bis zur Robotik, andererseits bis zu den „psychischen Automatismen“683 etwa einer „écriture automatique“684 oder den automatischen Zeichnun-
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1960, S. 45 f.). In China entstand zur gleichen Zeit ein mechanisches Orchester aus zwölf in Bronze gegossenen Figuren. In Europa sind die Mandolinenspielerin von Gianello Torriano (1515–1585), „L’écrivain“ (1760) von Pierre Jacquet-Droz (1721–1790), eine Figur, die mit einer echten Schreibfeder ganze Sätze schrieb oder die Ente von Jacques de Vaucanson (1709–1782), die fressen, kauen und verdauen konnte, die ersten herausragenden Beispiele. Weitere Hinweise und Übersichten in: Johann Heinrich Moritz Poppe, Wunder der Mechanik, oder Beschreibung und Erklärung der berühmten Tendlerschen Figuren, der Vaucansonschen, Kempeleschen, Drozschen, Maillardetschen und anderer merkwürdiger Automaten und ähnlicher bewunderungswürdiger mechanischer Kunstwerke. Tübingen 1824; Raymond Kurzweil, KI. Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. München 1993, S. 159f., Bruce Mazlish, Faustkeil und Elektrorechner. Die Annäherung von Mensch und Maschine. Frankfurt 1998 und in: Literatur im Industriezeitalter. Hg. Ulrich Ott. Bd. 1, Marburg 1987, S. 13 ff. (= Marbacher Kataloge 42/1) sowie Scheugl/Schmidt, Eine Subgeschichte des Films, Bd. 1, a.a.O., S. 418 ff. Jean Paul, Auswahl aus des Teufels Papieren nebst einem nöthigen Aviso vom Juden Mendel. Gera 1789, S. 509ff. (in: Literatur im Industriezeitalter, Bd. 1, a.a.O., S. 24ff.). Vgl. auch: Maschinen. Zur Kulturgeschichte des Mensch-Maschinen-Verhältnisses. Katalog. Hg. Fachbereich Angewandte Kulturwissenschaften Universität Lüneburg. Technische Sammlungen der Stadt Dresden 1994 u. Wolfgang von Kempelen, Man-(in the)-Machine. Hg. Bernhard Serexhe, Peter Weibel. Berlin 2007. Julien Offray de la Mettrie, L’homme machine (Leiden 1748), dt. Der Mensch eine Maschine. Leipzig 1909; Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden. Hg. Eva Kormann/Anke Gillier/Angelika Schlimmer. Amsterdam 2006; Menschenkonstruktionen. Künstliche Menschen in Literatur, Theater und Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Hg. Gisela Febel/Cerstin Bauer-Funke. Göttingen 2004 (=Querelles. Jb. f. Frauen- und Geschlechterforschung Bd. 9). Im selben Jahr, in dem André Breton seinen Essay „Le message automatique“ (in: Minotaure, H. 3–4, 1933, S. 55 ff.) veröffentlichte, promovierte Hans Bender (1907–1991) über das Thema „Psychische Automatismen“ (publiziert 1936). Vgl. auch „Automatisches Schreiben“, aus dem Zweiten Manifest des Surrealismus von André Breton, in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XIII ff. Von Gertrude Stein 1897 unter dem Einfluss von William James (1842–1910) am Harvard Psychological Laboratory zuerst als „spontaneous automatic writing“ erprobt. André Breton propagierte dann zusammen mit Philippe Soupalt mit den ersten drei Kapiteln von „Les Champs Magnétique“ in den Ausgaben Oktober bis Dezember 1919 der Zeitschrift „Littérature“ die „écriture automatique“, programmatisch erläutert in seinem am 15. 10. 1924 in Paris erschienenen „Manifeste du Surréalisme“ (in: Manifeste, a.a.O., S. 329ff.). Auch Louis Aragon verfasste
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gen685 –, die eine zunehmende körperliche und geistige Prothetisierung des Menschen zur Folge hatte, führte über die Entwicklung der Zeit-686 und Rechenmaschinen687 schließlich zur Erfindung des Computers. Mit ihm sollte die Errungenschaft der Automatisierung physischer Vorgänge nun vollends auf das Denken erweitert und eine Künstliche Intelligenz geschaffen werden. So glaubte Alan M. Turing in „The State of Art“ (1947), dass diese Künstliche Intelligenz mit der Hilfe des Computer eines Tages die Fähigkeit menschlichen Denkens fast vollständig übernehmen
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1919/1920 kurze Texte (alle genannt in: www.uni-muenster.de/Romanistik/Aragon/ werk/frueh/ autom.htm). Hans Richter verweist auf ein ganz ähnliches Verfahren, das bereits 1916 in Zürich von den Dadaisten Ball, Arp, Serner und Huelsenbeck angewandt wurde (in: Hans Richter, DADA – Kunst und Antikunst, a.a.O., S. 200), vgl. auch Hans Arp: „Diese Art Dichtung wurde später von den Surrealisten !Automatische Dichtung" getauft“ (Arp, Unsern täglichen Traum …, a.a.O., S. 54). Wie sie z. B. von Gerhard Rühm („zu meinen automatischen zeichnungen [1977]“ in: Rühm, Text – Bild – Musik, a.a.O., S. 125) bekannt sind. Begann mit der Erfindung der mechanischen Uhrwerkstechnik im 13. Jahrhundert (Bsp. die Astronomische Uhr des Straßburger Münsters, zwischen 1352 und 1354 als Dreikönigs-Uhr erbaut und Mitte des 16. Jahrhunderts erneuert und mit vielen automatisierten Funktionen versehen) und führte zu den Utopien einer „Zeitmaschine“ bei Herbert George Wells, Myona (d.i. Salomo Friedländer), Egon Friedell, Kurt Tucholsky u.a. siehe: Literatur im Industriezeitalter, Bd. 1, a.a.O., S. 351ff. Das automatisierte Rechnen hat seinen Ursprung in Griechenland im 4. Jh. v. Chr. mit Rechenbrettern, auf denen mit Körnern, oder im 1. Jh. v. Chr. in Rom mit Steinen (lt. calculi, dt. kalkulieren/siehe auch Anm. 1558) Rechnungen mit Zahlenwerten bis zu 10000000 möglich waren. Nach den Rechenmaschinen von Wilhelm Schickard (1624), Blaise Pascal (1643) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1671/1675) und der Entdeckung eines binären Codes (zwei Buchstaben A und B stellen das ganze Alphabet dar) von Francis Bacon 1605 sowie der „Erklärung der binären Arithmetik“ (1703) von Leibniz 1680 (abgedr. in: Impulse Computerkunst. Katalog. Kunstverein München 1970, S. 5ff.) sind die Grundlagen für die erste programmgesteuerte Rechenmaschine gelegt, die Charles Babbage 1822 als „Difference Engine“ und 1833 als Digitalrechner („Analytical Engine“) entwarf, der bereits über alle Grundelemente eines Computers verfügte (Bernhard J. Dotzler, Nachrichten aus der früheren Welt – und Zukunft. Zur Programmierung der Literatur mit und nach Babbage. In: Computer als Medium. Hg. Norbert Bolz/Friedrich A. Kittler/Christoph Tholen. München 1994, S. 39ff.: dort auch der Hinweis auf die Literaturmaschine von Sir Walter Scott, S. 65f.). Damit war der Weg frei für Konrad Zuses ersten Rechenautomaten „Z 1“ (1936/37) und dessen Weiterentwicklungen (vgl. Jürgen Alex, Wege und Irrwege des Konrad Zuse. In: Spektrum der Wissenschaft, Januar 1997, S. 78ff.), sowie für die „Universal Discrete Machine“ (1936) von Alan M. Turing (1912–1954), die den Beginn der modernen Computertechnologie markieren. Vgl. Konrad Zuse, Wissenschaft und Rechenmaschine. In: Impulse Computer, a.a.O., S. 8 mit angefügter Übersicht: „Wichtige Daten zur Entwicklung der programmgesteuerten Rechenmaschinen (Computer)“.
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könnte, und die Künstler erhofften sich eine zusätzliche, maschinell steuerbare und dann automatisch funktionierende Kreativitätshilfe688. So wurden die frühen Ansätze von Sprech-689 und Poesiemaschinen690 von den Schriftstellern bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, spätestens aber seit dem „Technischen Manifest der futuristischen Literatur“ (1912) Marinettis zusammen mit einer radikalen Änderung der über Jahrhunderte tradierten Vorstellung: „ein Poete kann nicht schreiben wenn er will/ sondern wenn er kann/ und ihn die Regung des Geistes welchen Ovidus und andere vom Himmel her zue kommen vermeinen/ treibet“691 wieder aufgegriffen. Unter dem Einfluss der neuen technischen Medien und dem Aufkommen neuer Verfahren und Techniken wie Collage692 und Montage693 entwickelte sich ein entmystifiziertes Selbstverständnis der Autorenschaft, das seine Legitimation nicht mehr aus der Eingebung von „oben“ bezog, sondern auf die Formel gebracht werden konnte: „(…) die Abneigung, Künstler zu spielen; wir betrachteten uns als Ingenieure, wir behaupteten, unsere Arbeiten zu konstruieren, zu montieren“694. 688
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Einen Überblick über die Entwicklung der menschlichen Intelligenz vom Beginn der Menschheit bis (vorausschauend) 2070 gibt Kurzweil, a.a.O., S. 465 ff. Nachdem bereits erste Versuche von Marin Mersenne (1588–1648) 1635 und Erasmus Darwin (1731–1802) 1770 (vgl. in: Imagining Language, a.a.O., S, 97f.) die maschinelle Artikulation von Vokalen, Konsonanten und Silben ermöglichten, beschrieb Christian Gottlieb Kratzenstein 1779 in der Anleitung für den Bau einer Flöte die mechanische Synthese der Vokale a, e, i, o, u und publizierte Wolfgang von Kempelen 1791 in seinem Buch „Mechanismus der menschlichen Sprache nebst Beschreibung einer sprechenden Maschine“ die Konstruktion einer Sprechmaschine. Die Geschichte der synthetischen Spracherzeugung führt dann z.B. zur „Talking Machine“ (1990–1992) von Martin Riches (in: Interface 2, a.a.O., S. 146ff.) u. Abb. in: Artec ’91. Katalog. Nagoya City Art Museum, Nogoya 1991, S. 55. Vgl. S. 91 ff. u. Monika Schmitz-Emans, Maschinen-Poesien. Über dichtende Automaten als Anlässe poetologischer Reflexion. In: Germanistik und Deutschunterricht im Zeitalter der Technologie. Bd. 1, Tübingen 1988, S. 389 ff. (Vorträge des Germanistentages Berlin 1987, 4 Bde). Martin Opitz 1624 in seinem „Buch von der Deutschen Poeterey“ (Neudruck Tübingen 1963, S. 11). Siehe Anm. 1145 f. Volker Klotz, Zitat und Montage in avantgardistischer Literatur und Kunst. In: Sprache im technischen Zeitalter (SPITZ), 60, Berlin 1976, S. 259 ff.; Montage. In: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 12. Jg., H. 46, Siegen 1982 u. Montage als Kunstprinzip. Hg. Hilmar Frank. Berlin 1991. Vgl. auch Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit. Zürich 1935: 4. Teil, Großbürgertum, Sachlichkeit und Montage. S. 162 ff. Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 45. Vgl. Werner Gräff, Es kommt der neue Ingenieur (1922). In: G. Material zur elementaren Gestaltung I. Hg. Hans
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Egon Friedell hatte bereits 1912 weitsichtig formuliert: „Der vollkommenste Dichter ist der unpersönlichste, derjenige, der einen möglichst vollkommenen Aufnahms- und Durchgangsapparat für die Poesie der Natur des Lebens bildet“695. War das die Vorausahnung des Computers, wenn er an anderer Stelle ergänzte: „Die Maschine ist die souveräne Beherrscherin unseres gegenwärtigen Lebens. Nun das leugnet niemand; was aber höchst verwunderlich ist: diese brutale, rohe, seelenlose Tyrannin, die alles, was wir für schön, wahr, gut und überhaupt für ideal hielten, zwischen ihren fühllosen Zähnen und Rädern zu zermalmen drohte, beginnt nun allmählich unsere geistige Führerin zu werden: unser Geschmack, unsere Ethik, unser Pathos, unsere ganze seelische und körperliche Haltung fängt an, sich am Vorbild der Maschine leise und halb unbewusst umzumodeln, und erstaunlicherweise: das Verhältnis kehrt sich um; wir glaubten, der Mensch habe die Maschine gemacht, aber o nein: – die Maschine macht den Menschen“696. Und steckt in der schlichten Bemerkung „die Maschine macht den Menschen“ nicht ein praefigurierender Aspekt, für den Max Bense in seiner „Literaturmeta-
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Richter. Berlin, Juli 1923, S. 4 (Reprint: Hg. Marion von Hofacker. Ausgaben I–V I, München 1986, Beilage), dazu: Ulrike Gärtner, „Es kommt der neue Ingenieur!“. Zum Selbstverständnis des Künstler-Ingenieurs Werner Graeff In: K. I. Konstruktivistische internationale schöpferische Arbeitsgemeinschaft. 1922–1927. Utopien für eine europäische Kultur. Hg. Bernd Finkeldey u. a., Düsseldorf 1992, S. 129 ff. Schon Mallarmé empfand sich als Ingenieur (Hocke, Manierismus in der Literatur, a.a.O., S. 54) und Henry van de Velde schreibt in den „Allgemeinen Bemerkungen zu einer Synthese der Kunst“ (1895): „Die Industrie hat die Metallkonstruktion, ja sogar den Maschinenbau in den Bereich der Kunst gezogen. Sie hat kurzweg also den Ingenieur zum Künstler erhoben und das ganze Gebiet der Kunst um all das bereichert, was die Bezeichnung !auf die Industrie angewandte Künste" mit Stolz umschließt.“ (In: Henry van de Velde, Zum neuen Stil. Hg. Hans Curjel. München 1955, S. 40); vgl. auch Duchamp, der von „Handwerker“ spricht (in: M. D., Ready Made!, a.a.O., S. 57) oder Teige in: Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 66 und den Begriff „Ingenieur-Künstler“ im russischen Konstruktivismus bei Hubertus Gaßner, Von der Utopie zur Wissenschaft und zurück. In: „Kunst in die Produktion!“ Sowjetische Kunst während der Phase der Kollektivierung und Industrialisierung 1927–1933. Hg. NGBK. Berlin 1977, bes. S. 62 u. 72. Egon Friedell, Ecce Poeta. Berlin 1912, S. 212 f. Friedell, Ecce Poeta, a.a.O., S. 87. Zeigt sich nicht ein vorausschauendes Element auch bei Tytus Czyzewski, Über !grünes Auge" und über meine Malerei (1921). In: Manifeste, a.a.O., S. 245: „Elektrische Visionen – ein mechanisiertes Poem“, oder bei El Lissitzky, wenn er sagt: „Der gedruckte Bogen, die Unendlichkeit der Bücher, muß überwunden werden. Die Elektrobibliothek“ (Typografie der Typografie [1923]. In: Lissitzky, a.a.O., S. 360).
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physik“ bereits „eine neue zukunftsreiche philosophische Wissenschaft, eine technologische Theorie der Existenz697 nötig [erachtete], an deren Bearbeitung heute gedacht werden muss. Diese Theorie untersucht den technologischen Zustand des Seins und beabsichtigt den erfahrungsgemäßen Entwurf seiner Kategorien und Modi, die den Äußerungen der aktiven Intelligenz entsprechen. In ihr verwischen sich die qualitativen Unterschiede zwischen Mensch und Maschine, sofern beständig auf diejenigen Schichten reflektiert wird, in denen sie beide im gleichen Geiste des Seins sind“698. „Das Team !Mensch-Maschine" ist zu einem wechselseitigen geworden, in dem die Maschine (wiederum: mindestens im Prinzip) nicht nur das Bewusstsein des Menschen simuliert, sondern der Mensch unter Umständen den Automatismus der Maschine nachahmt. Eine noch tiefer liegende Partnerschaft lässt sich kaum denken, ganz davon abgesehen, dass sie unsere metaphorische Redeweise von der Geburt der Poesie aus dem Geist der Maschine fast sachlich rechtfertigt“699. Es ist die Zeit, als Roald Dahl in „Great Automatic Grammatizator“ (1948) die Vision von einer Poesiemaschine und eines ökonomischen Vertriebssystems mit dem Ziel vorstellte, für alle Zukunft Schriftstellern die Arbeit abzunehmen, und als Norbert Wiener (1894–1964) 1948 die Kybernetik begründete und das Mensch-Maschine-Verhältnis vor dem Hintergrund mathematischer Methoden, insbesondere der Wahrscheinlichkeitsberechnung700 und mathematischer Statistiken, 697
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Dazu weiter: „Der geistige Mensch und die Technik“ (1946), „Technische Existenz“ (1949), „Das Unbehagen an der Technik“ (1950), „Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine“ (1951), „Die Philosophie im Zeitalter der Technik“ (1952). Max Bense, Literaturmetaphysik. Der Schriftsteller in der technischen Welt. Stuttgart 1950, S. 14. Bense, Die Gedichte der Maschine der Maschine der Gedichte. In: M. B., Die Realität der Literatur. Köln 1971, S. 96. Kurzweil, a.a.O., S. 374, hat unter dem Titel „Eine Art Turing-Test“ (1991/1992) ein Computerprogramm entwickelt, das eingegebene menschliche Poesie z. T. in eigene Poesie verwandelt. Kurzweil stellte die Frage: Ist das Gemisch aus menschlicher und technisch hergestellter Poesie von einander zu unterscheiden? Bei etwas mehr als 50 % wurde die technische Herstellung erkannt – aber im Prinzip war dies für Kurzweil der Beweis, wie sehr Mensch und Maschine in ihren Äußerungen nicht mehr unterscheidbar waren. Hinzuweisen ist auf den russischen Mathematiker Andrei Andrejewitsch Markow (1856–1922), auf den die „Markowsche Kette“ zurückgeht, eine Methode der Wahrscheinlichkeitsrechnung, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, wie groß bei einer bestimmten Folge von Merkmalen die Wahrscheinlichkeit einer Fortsetzung ist.
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erörterte701. „Nicht die Erfindung der Atombombe ist das entscheidende technische Ereignis unserer Epoche, sondern die Konstruktion der großen mathematischen Maschinen, die man, vielleicht mit einiger Übertreibung, gelegentlich auch Denkmaschinen genannt hat (…) Tiefer als bisher ist damit die Technik in unser soziales und geistiges Leben eingebrochen. Wir können durchaus von einer neuen Stufe der Technischen Welt oder der Technischen Zivilisation sprechen“702.
Poesie-Automat (elektronisch-digital) Während Konrad Bayer 1957 noch seine Dichtungsmaschine – zwar auf einer mathematischen Reihenberechnung basierend – ähnlich dem Modell mittelalterlicher Kreisscheiben konstruierte703, entstanden 1959 bereits die ersten Computergedichte704. Ein Schüler Max Benses, Theo Lutz, verfasste auf der Basis des Vokabulars aus Kafkas „Das Schloss“ sogenannte „Stochastische Texte“705 mit Hilfe des Großrechners Zuse 22 und eines Zufallsgenerators706. Experimente von Nanni
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Die beiden dazu wichtigen Publikationen von Wiener: „Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine“ (1948); „Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft“ (1952). Max Bense aus dem Vorwort zu: Louis Couffignal, Denkmaschinen. Stuttgart 1955, S. 7. So ist für diese Zeit auch die Herausgabe einer neuen Zeitschrift mit dem Titel „Sprache im technischen Zeitalter“ durch Walter Höllerer bezeichenend, deren erste Nummer 1961 erschien. Konrad Bayer, der vogel singt. eine dichtungsmaschine in 571 bestandteilen. In: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 187 ff. und Abb. in Weibel, Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 46 u. 48. Eine detaillierte Übersicht zur Geschichte der Computerpoesie von 1959 bis 2003 bietet Reither, Computerpoesie, a.a.O., S. 120 ff. Vgl. auch: Miriam Stürner, Von künstlicher und digitaler Poesie. Formen computergenerierter Poesie seit den 1960er Jahren. Magisterarbeit/Universität Stuttgart 2003 (http://www.netzliteratur.net/stuerner/stuerner.html). Theo Lutz, Stochastische Texte. In: Augenblick 4, H. 1, Stuttgart 1959, S. 3 ff. (http://www.netzliteratur.net/lutz_schule.htm); vgl. auch: Theo Lutz, Zum „Problem des Cicero“. In: muster möglicher welten, a.a.O., S. 105 ff. Eine genaue Beschreibung dieser ersten Versuche ist zu finden bei Max Bense, Die Gedichte der Maschine der Maschine der Gedichte, a.a.O., S. 74 ff. u. in: htt.p://auer.netzliteratur.net/0_lutz/lutz_original.html. Vgl. auch HighTech – LowLit? Literatur und Technik: Autoren und Computer. Hg. Erhard Schütz. Essen 1991 (bes. S. 33 ff.).
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Balestrini707, Jean A. Baudot708, Marc Adrian709, Emmett Williams710, Gerhard Stickel711 und Rul Gunzenhäuser712 folgten in Europa ebenso wie solche in Amerika713. Schließlich entstanden ganze Gedichtbände714 und Spezialprogramme für bestimmte Literaturformen715.
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„Tape Mark I“ (1961) in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 55. Jean A. Baudot, La machine à écrire. Montreal 1964. „CT 2“ (1966) in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 53. „The ultimative poem (The IBM poem)“ (1966), vgl. Reither, a.a.O., S. 128. Gerhard Stickel, „Computer-Dichtung“. Zur Erzeugung von Texten mit Hilfe von datenverarbeitenden Anlagen. In: Der Deutschunterricht 18, H. 2, 1966, Anhang; Gerhard Stickel, Monte-Carlo-Texte. Automatische Manipulation von sprachlichen Einheiten. In: Kunst aus dem Computer. Stuttgart 1967, S. S. 53 ff. (= Exakte Ästhetik 5). In diesen Publikationen beschreibt Stickel die Produktion seiner „Autopoeme“. Eine ironische Doppelbedeutung bekam der Begriff später bei Jürgen O. Olbrich, der in verschiedenen Städten die Auto-Kennzeichen (in Frankfurt beginnend mit F, in Essen beginnend mit E usw.) nacheinander notierte und die so zufällig gewonnenen Reihen „Autopoeme“ nannte (in: Am Erker Nr. 18, 12. Jg., Münster 1988, S. 42 f.). Zu den Texten von Stickel vgl. Siegfried J. Schmidt, Computopoeme. Einige kritische Aspekte. In: S. J. Sch., Ästhetische Prozesse, a.a.O., S. 146 ff., zuerst in: „bit“ international, a.a.O., S. 119 ff. Rul Gunzenhäuser, Zur Synthese von Texten mit Hilfe programmgesteuerter Ziffernrechenanlagen. In: mtw. Zeitschrift für moderne Rechentechnik und Automation 10, H.1, 1963, S. 4 ff. Ein Gedicht [Weihnacht] von Gunzenhäuser ist abgedr. in: Herbert W. Franke, Phänomen Kunst. Die kybernetischen Grundlagen der Ästhetik. Köln 1974, S. 167. Z. B. Alison Knowles, „The House“ (1968) in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 56; S. R. Levin, On Automatic Production of Poetic Sequences. In: The University of Texas Studies in Literature and Language 5, No. 1, 1963; Kurzweil, a.a.O., S. 370 u. S. 499/Anm. 43 berichtet von Experimenten in den 1960er Jahren im KI Laboratoriums des MIT/Mass. Computer-Lyrik. Programmiert und hg. von Manfred Krause/Götz F. Schaudt. Düsseldorf 1967 (2. Aufl. 1969, abgedr. Text S. 22). Bezeichnenderweise waren beide Herausgeber Ingenieure: Krause arbeitete als Marktforscher, Schaudt als Unternehmensberater. Sie nahmen Gedichte von Claudius, Grass, Rühmkorf u. a. sowie wissenschaftliche Texte und erzeugten mit der Programmiersprache ALGOL (Revised Report on the Algorithmic Language ALGOL 60. In: Communications of the ACM, Bd. 3, Nr. 5, Mai 1960, S. 299 ff.) neue Lyrik. Eine weitere Sammlung gab es von Erwin Schäfer, Gedichte aus dem Computer. Neuwied 1970 (= Luchterhands Loseblatt Lyrik 24). Z. B. Das Programm von Margaret Masterman und Robin McKinnon Wood zur Produktion von Haikus, in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 54 oder das Programm „Orpheus“ von Michael Newman/New York, das vom Haiku bis zum Sonett verschiedene Modi anbietet, vgl. A. K. Dewdney, Computer-Kurzweil. In: Spektrum der Wissenschaft, Juni 1990, S. 18.
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Stochastischer Text 16 Subjekte und 16 Prädikate, ausgewählt aus F. Kafka „Das Schloß“: DER GRAF DER FREMDE DER BLICK DIE KIRCHE DAS SCHLOSS DAS BILD DAS AUGE DAS DORF DER TURM DER BAUER DER WEG DER GAST DER TAG DAS HAUS DER TISCH DER KNECHT OFFEN STILL STARK GUT SCHMAL NAH NEU LEISE FERN TIEF SPAET DUNKEL FREI GROSS ALT WUETEND Das Ergebnis der Maschine: Stochastische Texte. Auswahl. NICHT JEDER BLICK IST NAH. KEIN DORF IST SPAET. EIN SCHLOSS IM FREI UND JEDER BAUER IST FERN. JEDER FREMDE IST FERN. EIN TAG IST SPAET. JEDES HAUS IST DUNKEL. EIN AUGE IST TIEF. NICHT JEDES SCHLOSS IST ALT. JEDER TAG IST ALT NICHT JEDER GAST IST WUETEND. EINE KIRCHE IST SCHMAL KEIN HAUS IST OFFEN UND NICHT JEDE KIRCHE IST STILL. NICHT JEDES AUGE IST WUETEND. KEIN BLICK IST NEU. JEDER WEG IST NAH. NICHT JEDES SCHLOSS IST LEISE. KEIN TISCH IST SCHMAL UND JEDER TURM IST NEU. JEDER BAUER IST FREI. JEDER BAUER IST NAH. KEIN WEG IST GUT ODER NICHT JEDER GRAF IST OFFEN: NICHT JEDER TAG IST GROSS. JEDES HAUS IST STILL. EIN WEG IST GUT. NICHT JEDER GRAF IST DUNKEL. JEDER FREMDE IST FREI. JEDES DORF IST NEU. JEDES SCHLOSS IST FREI. NICHT JEDER BAUER IST GROSS. NICHT JEDER TURM IST GROSS ODER NICHT JEDER BLICK IST FREI. EINE KIRCHE IST STARK ODER NICHT JEDES DORF IST FERN JEDER FREMDE IST NAH, SO GILT KEIN FREMDER IST ALT. EIN HAUS IST OFFEN. KEIN WEG IST OFFEN. EIN TURM IST WUETEND. JEDER TISCH IST FREI. EIN FREMDER IST LEISE UND NICHT JEDES SCHLOSS IST FREI. EIN TISCH IST STARK UND EIN KNECHT IST STILL. NICHT JEDES AUGE IST ALT. JEDER TAG IST GROSS. KEIN AUGE IST OFFEN. EIN BAUER IST LEISE. NICHT JEDER BLICK IST STILL. NICHT JEDER TURM IST STILL. KEIN DORF IST SPÄT ODER JEDER KNECHT IST GUT. NICHT JEDER BLICK IST STILL. EIN HAUS IST DUNKEL. KEIN GRAF IST LEISE SO GILT NICHT JEDE KIRCHE IST WUETEND. EIN BILD IST FREI ODER EIN FREMDER IST TIEF. EIN GAST IST TIEF UND KEIN TURM IST FERN. EIN GAST IST LEISE. JEDES BILD IST FERN EIN TISCH IST OFFEN. JEDER KNECHT IST FREI. JEDER TURM IST NEU UND EIN BILD IST ALT. NICHT JEDER TISCH IST GROSS ODER JEDES DORF IST ALT. Theo Lutz, ca. 1959
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Der Schnee ist kalt und jeder Friede ist tief und kein Christbaum ist leise oder jede Kerze ist weiß oder ein Friede ist kalt oder nicht jede Kerze ist rein und ein Engel ist rein und jeder Friede ist still oder jeder Friede ist weiß oder das Kind ist still ein Engel ist überall
Rul Gunzenhäuser, [Weihnacht], 1963
Die fröhlichen Träume regnen. Das Herz küßt den Grashalm. Das Grün verstreut den schlanken Geliebten. Fern ist eine Weite und melancholisch. Die Füchse schlafen ruhig. Der Traum streichelt die Lichter. Traumhaftes Schlafen gewinnt eine Erde. Anmut friert, wo dieses Leuchten tändelt. Magisch tanzt der schwache Hirte. Gerhard Stickel, Autopoem Nr. 312, 1966 Das Laub ist aufgeflimmert die tote Seele wimmert zum Greise nah und gar der Schein perlt frei und stecket und an den Blüten recket die weite Woge unsichtbar Wir lieben Schwanenlieder sind linde grüne Flieder und sind so mild und klar wir lichten Donnerklänge und schenken süße Sänge und liegen oben in dem Haar Manfred Krause, Götz F. Schaudt, Computer-Lyrik, 1967
Bense, der nicht nur selbst literarisch tätig war716, sondern vor allem den Versuch unternahm, die Grundlagen für eine umfassende informationstheoretische Ästhetik717 zu erarbeiten und dies vor allem für die Litera-
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Max Bense, Ausgewählte Schriften in vier Bänden. Hg. Elisabeth Walther. Bd. 4, Poetische Texte. Stuttgart 1998. Max Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik. Grundlegung und Anwendung in der Texttheorie. Reinbek 1969.
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tur, verwies auf die bereits von Mandelbrot stammende Unterscheidung von „immitativer oder analoger“ und „symbolischer oder digitaler sprachlicher Repräsentation718, „analog, also in Bildern“, „digital, also in Urteilen“719. Ihr entspricht in gewisser Weise die Unterscheidung von natürlicher und künstlicher Poesie720, die sich aus der Möglichkeit ergeben hatte, auch synthetisch Texte herzustellen als Umkehr zur mit mathematischen Mitteln erreichten Analyse literarischer Texte. „Damit drang die Idee einer künstlichen Poesie in die experimentelle Literatur der Avantgarde ein, die zugleich als synthetische oder sogar als technologische Poesie definiert werden konnte. Insofern in die Verfahren auch Überlegungen und Vorstellungen aus der vor allem russischen und amerikanischen Mathematikern zu verdankenden Automatentheorie721 hineinflossen, wäre sogar von automatischen Texten zu sprechen. Jedenfalls handelt es sich um programmierte Sprachgestaltung, und das allgemeine Schema ihrer Erzeugung in Daten verarbeitenden Rechenanlagen, in Computern, entspricht dem Erzeugungsschema dieser Maschinen überhaupt (…)“722.
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Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 96. Vgl. auch Max Bense, Kosmologie und Literatur. Über Alfred N. Whitehead und Gertrude Stein. In: Texte und Zeichen. Hg. Alfred Andersch, 3. Jg., H. 5, Stuttgart 1957, S. 523, wo in dem Zusammenhang auf Mandelbrots „An Informational Theory of the Statistical Structure of Language“ (1953) hingewiesen wird. francis ponge, praxis der sprache aus malherbe. Stuttgart 1967, o. P. im Nachwort von Bense (= rot 30). Welche bereits Novalis getroffen hatte, der schon in den Fragmenten schrieb. „(Mathematik und Grammatik.) Über die Logarythmen. Die eigentliche Sprache ist ein Logarythmensystem.“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 563) und: „Zur künstlerischen Poesie oder zur technischen überhaupt gehört die rhetorische (…) Der Roman gehört zur natürlichen Poesie – die Allegorie zur künstlichen“ (Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 490), oder August Wilhelm Schlegel in „Poesie“ [1802]: „Wir handeln also zuvörderst von der Naturpoesie, dann der Kunstpoesie.“ (Schlegel, Über Literatur, Kunst und Geist des Zeitalters. Hg. Franz Finke. Stuttgart [1964] 1994, S. 101). Vgl. Miriam Stürner, Von künstlicher und digitaler Poesie. Formen computergenerierter Poesie seit den 1960er Jahren. Stuttgart 2003 http://www.netzliteratur.net/stuerner/ stuerner_mag.pdf. Zur Automatentheorie vgl. Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 107ff. Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 109.
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Entscheidend war also die Vorstellung von einer Mathematisierung der Literatur723, ja jeder künstlerischen Produktion überhaupt724, sowohl im analytischen als auch im synthetischen Bereich. Zugrunde lag ihr die Entwicklung einer messenden und somit numerischen Ästhetik, wie sie George David Birkhoff schon 1928 in einem Vortrag „quelques éléments mathématiques de l’art“ auf dem Mathematiker-Kongress in Bologna vortrug725.
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Mathematik und Dichtung. Versuche zur Frage einer exakten Literaturwissenschaft. Zusammen mit Rul Gunzenhäuser herausgegeben von Helmut Kreuzer. München 1965. Das Thema „Mathematik und Dichtung“ lässt sich historisch bis auf Platon zurückverfolgen. Nach Bense hat sich mit der Mathesis universalis (dem Gedanken der universalen Anwendbarkeit der Mathematik) besonders zwischen 1630 und 1750 ein „mathematisches und sprachliches Bewußtsein aus(ge)bildet und eine einheitliche Ideologie erzeugt“ (Bense, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, a.a.O., S. 265 in dem Beitrag „Mathematik, Poesie und Literatur“ innerhalb seiner „Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik“, die 1946 zuerst erschien). Ein besonders interessantes Werk dazu ist die „Arithmologia“ (1665) des Universalgelehrten Athanasius Kircher (1601–1680). Auf eine noch frühere Beziehung weist Bense (Nachwort zu ponge, praxis der sprache aus malherbe, a.a.O., o. P.) mit François de Malherbe (1555–1628), der die Sprache als „eine art algebra“ betrachtete. Vgl. auch: „Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, dass es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei. Sie machen eine Welt für sich aus. Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus, und eben darum sind sie so ausdrucksvoll – eben darum spiegelt sich in ihnen das seltsame Verhältnis der Dinge.“ (in: Novalis, Monolog [1798/1799]. Gesammelte Werke, a.a.O., S. 333). „Ich habe versucht aus früheren Graphismen (Zeichnungen: !Schriftzeichen" oder !Schriftzeichen") in Scherenschnitt zu lösen. Das sind Linien die entstanden sind beim Lesen von Sätzen, wobei ich besonders meine Empfindung ausrichtete die innere Bewegung (Sinnrichtungen, Sinnschwenkungen) graphisch zu fassen. Diese Liniensprache kommt dem Verdichten und Umwerten einer Abstraktion gleich die ich da bei Sätzen angewendet habe. Ich möchte diese Mutationen so bewusst machen dass es möglich würde sprachlich gefasste Sätze aus bestimmten Formspielen abzuleiten. Eine Art graphische Mathematik. Man braucht Linien und Zeichen in Form von Dehnungen und Längen, Kürzen, Schweifungen, Brechungen die, in anderer Aufmachung, aber im Ausdruck gleichwertig im sprachlichen Satz enthalten sind.“ (Andrè Thomkins an Eva Schnell, 24. 10. 1950. In: André Thomkins. menschenmöglich. Federzeichnungen 1947–1977. Köln 1988, S. 15). Vgl. Dietmar Guderian, Mathematik in der Kunst der letzten dreißig Jahre. Von der magischen Zahl über das endlose Band zum Computerprogramm. Ebringen o. J. (1991/ als Katalog: Ludwigshafen 1987). George David Birkhoff, einige mathematische elemente der kunst. Stuttgart 1968 (= rot 37), vgl. dazu auch: Rul Gunzenhäuser, Die ästhetische Formel G. D. Birkhoffs – Ausgangspunkt einer exakten Ästhetik. In: Objektive Kunstkritik. Stuttgart 1969, S. 15 ff. (= Exakte Ästhetik 6).
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Mandelbrot726, Abraham A. Moles727, Fucks728 und Fischer729 hatten mit ihren Publikationen dazu entscheidende Beiträge730 geliefert. Das „Phänomen Kunst“731 vor dem Hintergrund der kybernetischen Grundlagen einer neuen Ästhetik schien sich als programmierbar, jederzeit (auch von Nicht-Künstlern) als intelligent herstellbar zu erweisen. Dies galt schließlich für alle künstlerischen Bereiche: für die bildende Kunst wurden ebenso Programme und Maschinen erfunden wie für die Musik und die Literatur. Nachdem es bereits einzelne Spezialausstellungen gab, z.B. die früheste zur Computergrafik 1953 im Sanford-Museum/Cherokee/Iowa, wurde zum ersten Mal 1968, von Jasia Reichardt kuratiert, ein umfassender Überblick zur Computerkunst in der Ausstellung „Cybernetic Serendipity“ im Institut of Contemporary Arts/ Nash House London gezeigt, der das gesamte Spektrum künstlerischer Disziplinen umfasste.732
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Benoit B. Mandelbrot, An Informational Theory of the Statistical Structure of Language. In: Communication Theory. Ed. Willis Jackson. New York 1953, S. 486 ff. Bereits am 23. 1. 1913 hatte Markow auf einer Sitzung der physikalischmathematischen Abteilung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg einen Vortrag gehalten, der unter dem Titel „Esai d’une recherche statistique sur le texte du roman !Eugéne Onagin" illustrant la liaison des épreuves en chaine“ in: Bull. Acad. Imper. Sci. 7, St. Petersburg 1913 gedruckt wurde (dt.: Beispiel einer statistischen Untersuchung über den Text !Eugen Onegin", das den Zusammenhang von Merkmalen in einer Kette veranschaulicht. In: Objektive Kunstkritik. Stuttgart 1969, S. 52 ff. (= Exakte Ästhetik 6). André Abraham A. Moles, Comment peuton !mesurer" le message parlé? In: Folia Phoniatrica Bd. 4, Nr. 3, Zürich 1952, S. 169ff. und: Theorie de l’Information et Perception Esthétique. Paris 1958; Über die Verwendung von Rechenanlagen in der Kunst. In: Kunst aus dem Computer. Stuttgart 1967, S. 16ff. (= Exakte Ästhetik 5). Wilhelm Fucks, On mathematical analysis of style. In: Biometrika 39, London 1952, S. 122 ff. u.: Mathematische Analyse von Werken der Sprache und der Musik. In: Objektive Kunstkritik. Stuttgart 1969, S. 60 ff. (= Exakte Ästhetik 6). Walter L. Fischer, Topologische Stilcharakteristiken von Texten. In: Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft, Bd. 10, H. 4, Quickborn 1969, S. 111 ff. u. Bd. 11, H. 1, Quickborn 1970, S. 1 ff.; Texte als simpliziale Komplexe. In: Beiträge zur Linguistik und Informationsverarbeitung H. 17, München 1970, S. 27 ff.; Mathematik und Literaturtheorie. Versuch einer Gliederung. In: Archimedes, H. 1, 1970, S. 1 ff. Eine umfangreiche Bibliografie zur Informationsästhetik und Computer-Kunst ist abgedr. in: Kunst aus dem Computer. Stuttgart 1967, S. 58ff. (= Exakte Ästhetik 5). Vgl. Anm. 712/Franke. Vgl. Anm. 439. Ein tabellarischer Überblick zum Thema Kunst und Computer von 1951 bis 1991 samt ausführlicher Bibliografie bietet: Virtuele Werelden. Beeld Media & Technologie in de Kunst. KMSK/Internationaal Cultureel Centrum, Antwerpen 1991, S. 4 ff.
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Insbesondere in den 1970er Jahren begann die Hauptentwicklung von Literaturprogrammen und Poesiemaschinen, deren Ergebnisse zunächst als Bücher733, dann als CD-ROM734 und schließlich im Internet735 erschienen. Aus einem anfangs begrenzten vorgegebenen Wortund Textmaterial wurden neue Texte generiert, wie das ursprünglich Krause und Schaudt736 versuchten oder später noch William Chamberlain und Thomas Etter mit dem Lyrik und Kurzprosa generierenden „Racter“ (1984) oder Ulrich Müller, der ein Wörterrepertoire von 31 Autoren als Grundlage nahm, um per Zufallgenerator Lyrik und Essays erzeugen zu können737. In gewisser Weise gehörte zu diesen Versuchen auch der Zufallsgenerator „Das Lächeln des Leonardo da Vinci“ (1991) von Adib Fricke738 733
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Als Beispiel sei die 1968 begonnene Arbeit am „Volksbuch“ (Wien 1978) von Heidulf Gerngroß genannt. Er mischte eigene Texte mit Auszügen aus Kriminal- und Heimatromanen, Volksliedern, der Bibel und Darstellungen der Mythologie und entwickelte ein Computerprogramm, das nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten das gesamte Material zu einem mehr als 1200 Seiten umfassenden Text montierte. Vgl. den Bericht von Gerngroß in: Ars Electronica, Linz 1980, S. 78. Beispiel ist eine CD-ROM-Produktion, die sich noch ganz auf die Vorlagen der Konkreten Poesie früherer Jahre stützte. Johannes Auer/Reinhard Döhl, kill the poem. Digitale visuell-konkrete poesie und poem art. CD-ROM, update Verlag Zürich (= edition cyberfiction 2) Vgl. dazu im Internet die Animation des Döhlschen Apfels (WURM-Wort frißt APFEL-Wörter auf): http://auer.netzliteratur.net/worm/applepie.htm. Z. B. Poesie-Animationen, auch oft abhängig von der Konkreten Poesie, wie die Dynadichte und Gedilme (1990–1995) von Jens Olaf Koch oder Arbeiten von Michael Bauer, besonders sein dada-Gedicht (2002): http://mikelbower.de/szenen/ dada.html und Manfred Arens „Die Phasen der Pest“ (1997): http://www.muart. de/traeos/inhalt.htm. Reinhard Krüger, Die poesia concreta und das Internet: Metamorphosen des Mediums. In: PhiN-Beiheft 2, Berlin 2004, S. 83 ff. (http:// web.fu-berlin.de/phin/beiheft2/b2t07.htm). Vgl. Anm. 714. In gewisser Weise eine Weiterentwicklung stammt von Franz Josef Czernin und Ferdinand Schmatz mit der Entwicklung eines Programms POE (Poetic Oriented Evaluations, in Anlehnung an E. A. Poes Analysen über Die Methode der Komposition oder Die Logik des Verses), das sowohl die dichterische Produktion als auch die wissenschaftliche Analyse umspannt (Czernin/ Schmatz, Anmerkungen zum Dichtungsprogramm POE. In: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 99 ff.). Emil Zopfi, Wie ein Kamel in der Sprachwolke. In: Die Zeit, 4. 7. 1997. Joachim Schmid, „Das Lächeln …“ des Adib Fricke. In: Interface 2, a.a.O., S. 142 ff.; vgl. dazu auch Nancy Princenthal, Artist’s Book Beat. In: The Print Collector’s Newsletter (PCN), Vol. 23, No. 2, May-June 1992, S. 68 u. den Abdruck der Texte in: Schnittstellen der Information. Vorträge Gespräche Arbeiten. Hochschule der Künste Berlin 1990, o. P.
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und der Landsberger Poesie-Automat (2000) von Hans Magnus Enzensberger739, den Adam Seide mit einer Projektgruppe der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe 2003 dann als „Versfabrik“740 im Internet einrichtete. Im Gefolge der Text-Kombinatorik-Programme kam nun relativ schnell der Wunsch auf, einerseits die Intelligenz der Programme zu erhöhen, andererseits die ständig Veränderungen bewirkende Einflussnahme des Nutzers einzubinden, interaktive Programme zu entwickeln: – Literatur als Computer-Spiele.741 Für die Herstellung intelligenter Programme stand Anfang der 1980er Jahre die Arbeit von Michael Lebowitz742, der an der Columbia University eine Forschungsgruppe zur Entwicklung intelligenter Informationssysteme leitete, die natürlich-sprachliche Texte lesen, speichern und daraus lernen sollten743. Er arbeitete an Systemen, die über einen längeren Zeitraum sich weiterentwickelnde Geschichten erzeugen, wie sie z. B. in soap-operas benötigt werden. Sein „Story-Telling Universe“ wurde in den 1990er Jahren von Ashley Publishers mit dem „Programm Plots Unlimited“ getoppt, das für Drehbuchautoren auf der Basis einer integrierten Datenbank mit mehr als 5600 Konfliktsituationen und
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Hans Magnus Enzensberger, Zum Projekt eines Poesie-Automaten. In: Weibel, Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 137 ff. Der Poesie-Automat wurde am 1. 7. 2000 zum ersten Mal im Stadttheater vorgestellt. Auf einer elektronischen Anzeigetafel erschienen auf Knopfdruck wechselnde Gedichte. Vgl. auch Enzensberger, Einladung zu einem Poesie-Automaten. Frankfurt 2000. Versfabrik. Ein Bericht. Hg. Adam Seide. Hannover 2003. Zu Programmen und Text-Maschinen vgl. Robert Simanowski, Automatisches Schreiben. In: http://www.xcult.ch/helmhaus/simanowski.html, die einschlägigen Kapitel bei Heibach, Reither, Davinio und Weibel a.a.O. sowie die unzähligen web-sites im Internet wie z. B. http://www.cyberfiction.ch/beluga/hypfic.htm, http://www.netlit.de/literatur/digital, sowie die Seite des Electronic Poetry Centers der State University of New York/Buffalo oder die „Digital Poetry“-Seite von Jorge Luiz Antonio. Michael Lebowitz, Nur Arbeit und kein Spiel: Deshalb ist HAL ein dummes Programm. In: Kurzweil, a.a.O., S. 390 ff., dort auch Nachweise zu Beiträgen von Lebowitz über „Universe“, dazu: Lebowitz, Creating a Story-Telling Univers (1983) in: http://dli.iiit.ac.in/ijcai/IJCAI-83-VOL-1/PDF/012.pdf. Auch das Programm „Mark V. Shaney“ produzierte nach dem Einlesen fremder Texte selbständig Paraphrasen. Der Name erinnert beziehungsvoll an die Markow-Ketten (engl. Markov Chains), und das Programm stammt von Bruce Ellis in Zusammenarbeit mit Don T. Mitchell/ AT&T-Bell-Laboratories/Murray Hill/ New Jersey; vgl. Dewdney, a.a.O., S. 12 ff.
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13 900 Handlungsalternativen nach bestimmten multiple-choice-Kriterien verschiedene Charaktere, Story-Formen und über 200 000 Szenenmöglichkeiten generierte744. Ein besonders reiches Aktions-Spektrum ergab sich aber aus der programmierten und nicht-programmierten Einflussnahme des Nutzers auf die Programme. In den Erzählmaschinen von Scott R. Turner „Minstrel“ (1992/1994), Simon Biggs „Great Wall of China“ (1996), Selmer Bringsjord „Brutus“ (1998), Hugo Liu/Push Singh „Makebelieve“ (2002) bis zu Stephan Karsch „maquina poetica“ (2002) erweiterte sich das Eingriffs- und Spielpotential und damit zugleich auch das visuelle und kinetische Erscheinungsbild. Dies galt für die Prosa- ebenso wie für die Lyrikprogramme: vom vollautomatischen „Poetry Generator“ (1988) von Rosemary West745 über Gedichtgeneratoren746 und TrashPoesie produzierende Textgeneratoren747 von Jean-Pierre Balpe bis zur „Jabberwocky Engine“ (2001) des kanadischen Autors Neil Hennessy, „(which) produces nonsense words that sound like English words, in the way that the portmanteau words from Lewis Carroll’s !Jabberwocky"748 sound like English words. When a letter comes into contact with another letter or group of letters, a calculation occurs to determine wether they bond according to the likelihood that they would appear contiguously in the English lexicon. Clusters of letters accumulate to form words, which results in a dynamic nonsense word sound poem floating around on the screen with each iteration of the generator“749. Inzwischen sind die Möglichkeiten der interaktiven Textproduktion mittels
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Hannes Gutzer, Krimis aus dem Computer. In: LOG IN 11, H. 1/2, 1991, S. 52 ff. und MediumMagazin 10, 1994, S. 62. Dewdney, a.a.O., S. 16 f.: http://software-informer.com/getfree-rosemary-k-westpoetry-generator. Z. B. Ken Perlin, Kinetic Poetry http://mrl.nyu.edu/~perlin/poetry2/; Günter Gehl, Poetron (1996): http://www.poetron-zone.de/poetron.php; Anu Garg, Internet Anagramm Server: http://www.wordsmith.org/anagram/index.html oder Jaka Zˇeleznikar, Interactive Visual Poem Generator (1998): http://www.jaka.org/ 1998/aberration/ascii/citat/okvir.html. „Babel Poesie“ in: http://www.p0es1s.net/de/projects/jean_pierre_balpe.html; Reither, a.a.O. S. 110 f. Dt. „Schepperwocki“ in: Lewis Carroll, Alice im Spiegelland. Carroll, Das literarische Gesamtwerk. Hg. Jürgen Häusser. Darmstadt/Köln 1998/2003, Bd. II, S. 659 f. Siehe auch zu „Jabberwocky“: http://webpages.math.luc.edu/~vande/ jabberwocky.html u. http://www.jabberwocky.com/carroll/jabber/. http://www.poemsthatgo.com/gallery/winter2004/jabber/index.htm.
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bereitliegender Generatoren im World Wide Web nach Umfang und Vielseitigkeit750 kaum mehr überschaubar751.
Nichtlineare Textproduktion Ein wichtiges konstituierendes Element dieser Produktionen ist neben der Technologie-Entwicklung sowohl im Offline-752 als auch im OnlineBereich vor allem im Wechsel von der linearen zur nichtlinearen753 und assoziativ-kombinatorischen Literaturproduktion zu sehen. 750
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Z. B. gibt es einen „Slogantexter“ von Bernd Röthlingshöfer u. Günter Gehl (http://www.heise.de/newsticker/meldung/16046), den eine Werbeagentur anbietet. Unter www.sloganizer.de produziert ein Algorithmus pro Jahr eine Millionen Werbesprüche. Allein Heibach spricht von einer über 300 Projekte umfassenden Datenbank, die ihrer Arbeit zugrunde lag, verweist aber auf wesentlich umfangreichere Datenbanken, die im Netz aufgerufen werden können: Heibach, a.a.O., S. 160, Anm. 33. Bildplatte/CD-i/CD-ROM. Jürgen Claus, Die Bildplatte als Medium für Künstler. In: Ars Electronica. Katalog Bd. 1, Linz 1986, S. 318 ff. und Peter Crown, Die Bildplatte – Ihre Anwendung in Kunst, Wissenschaft und Alltagsleben. In: Ars Electronica. Katalog Bd. 2, Linz 1986, S. 172 ff., sowie Sven Boedecker, Vom Leser zum Spieler. Namhafte deutsche Schriftsteller produzieren für CD-ROM: Die Literaturverlage wollen am Boom der neuen Medien teilhaben. In: Die Woche, 21. 7. 1995, S. 29. 1995 begann eine Offensive der deutschen Verlage, Autoren für CDROM-Produktionen zu gewinnen. Insbesondere der Münchner Systhema Verlag brachte Produktionen der Voyager Company/Santa Monica auf den Markt und mit der CD-ROM „Die Veteranen. So nutzlos wie eine Fuge von Bach“ (1994) von Micha Touma, Stefan Eichhorn, KP Ludwig John und Tjark Ihmels „Erfahrungen im anderen Raum“ – wie der Verlag schrieb (in: Minima Media. Medienbiennale Leipzig. Hg. Dieter Daniels. Leipzig 1994, S. 136 f.). Damit wurde etwas nachgeholt, was bereits in Amerika seit den 1980er Jahren produziert wurde, etwa von Paul Zelevansky, Judy Malloy oder Michael Joyce: vgl. dazu den Beitrag von Nancy Princenthal a.a.O. CD-ROM-Projekte der Gegenwart sind bei Davinio, a.a.O. nachgewiesen. Ein besonders gutes Beispiel ist die CD-ROM „Interpoesia. Poesia Hipermídia Interativa“ (Sao Paulo 1997/98) von Philadelpho Menezes und Wilton Azevedo, auf der z. B. „O Lance Secreto“ auf Lewis Carroll anspielt. Relativ schnell meldeten sich aber auch kritische Stimmen zur Qualität der CDROMs: Udo Flohr, Schrott und Frust. In: Spiegel special, Nr.3, Hamburg 1997, S. 115. Marshall McLuhan, The Medium is the Massage, a.a.O., S. 63. „Our electricallyconfigured world has forced us to move from the habit of data classification to the mode of pattern recognition. We can no longer build serially, block-by-block, step-by-step, because instant communication insures that all factors of the environment and of experience coexist in a state of active interplay.“
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Vorformen gab es bereits in früheren Strukturen von Büchern, die etwa in der Wissensvermittlung mit dem Prinzip der „programmierten Unterweisung“ den Stoff nicht fortlaufend von Seite zu Seite, sondern geordnet nach Stichworten und Sinnkomplexen mit Querverweisen und aufeinander bezogenen Anmerkungen auffächerten, oder in der Literatur mit dem von Einschüben und Querverweisen durchsetzten „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne754, den labyrinthhaften Strukturen des modernen Romans755 bei Proust, Joyce756, Queneau, Roussel, Perec und Arno Schmidt, sowie etwa in den Lexikonromanen von Okopenko und Pavic´757. Ausgangspunkt aber dürften die konzeptionellen Überlegungen zum Projekt „Le Livre“ von Stéphane Mallarmé gewesen sein, die er seit ca. 1867 in mehreren Schriften zusammenfasste. Seine Vorstellungen von den unendlichen Möglichkeiten eines totalen Buches758, das keinen Anfang und kein Ende besitzt und dessen visueller und semantischer Zeichenvorrat in immer neuen Kombinationen sich für den Leser als eine Art „work in progress“ erweisen sollte, stellt sich aus heutiger Sicht 754
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Eine interessante Bemerkung findet sich bei Lichtenberg in den Aphorismen: „Nur immer ein Buch herauszugeben, wenn man etwas Rundes zu sagen hat, ist menschlicher Stolz. Gibt es denn nicht noch mehr Figuren als die Runden, die auch alle schön sind? Die Schlangenlinie halte ich für ein Buch für die dienlichste. Und ich hatte schon in dieser Linie geschrieben, ehe ich wusste, das Hogarth etwas über dieselbe geschrieben hatte, oder ehe Tristram Shandy seine Manier en Ziczac oder Ziczac à double Ziczac bekannt machte.“ (Lichtenberg, Werke, a.a.O., S. 158). Ulrich Ernst, Typen des experimentellen Romans, a.a.O., S. 225 ff. James Joyce, Finnegans Wehg. Kainnäh ÜbelSätzZung des Wehrkeß fun Schämes Scheuß von Dieter H. Stündel. Frankfurt 1993 (engl/dt). Zu „Finnegans Wake“ hat Umberto Eco am Beispiel des Begriffs „Neanderthal“ dargestellt, wie man durch phonetische Assoziation zu „meander“, „Tal“, „tale“ und schließlich zu „meandertale“ gelangt: Umberto Eco, The Limits of Interpretation. Bloomington/Indianapolis 1990, S. 141, abgebildet auch in: Kurt Fendt, Leser auf Abwegen. Hypertext und seine literarisch-ästhetischen Vorbilder. In: Digitale Literatur, a.a.O., S. 92, Abb. 71. Eine frühe grafische Darstellung von „Finnegans Wake“ stammt von László Moholy-Nagy in: Vision in Motion. Chicago 1947/Abb. 70 in: http://www.richardkostelanetz.com/examples/moholy.php u. in: Yukimasa Matsuda/Shutaro Mukai, the functions of circle and square. Tokyo 1998/99, S. 227. Milorad Pavic´, Das Chasarische Wörterbuch. Lexikonroman. Männliches oder weibliches Exemplar. München 1988. Vgl. dazu die Hinweise bei: Heiko Idensen/ Matthias Krohn, Kunst-Netzwerke: Ideen als Objekte. In: Digitaler Schein, a.a.O., S. 384 f. u. Anm. 28, S. 395. Walter Mehring erwähnt, dass sich Georg Christoph Lichtenberg schon ein „Allbuch“ ausgedacht habe, „das aus sämtlichen überhaupt möglichen Kombinationen des Alphabetes alles enthalten müsse, was je gedacht und geschrieben worden war oder werden wird“ (in: Die verlorene Bibliothek. München 1972, S. 117).
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Abb. 70: László Moholy-Nagy, Finnegans Wake, 1947
Abb. 71: Umberto Eco, meandertale, 1990
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als der frühe „Entwurf eines nicht-digitalen Hypertextes“759 dar, ein Begriff und eine Form, die seit Mitte der 1960er Jahre für die digitale Textproduktion per Computer zentrale Bedeutung erlangten. Mallarmés Vorstellungen fanden in gewisser Weise ihre Fortsetzung in dem ebenfalls auf dem Papier als Utopie entworfenen Informationssystem „Memex“ (1945) von Vannevar Bush760, wobei dieser sich auf Leibniz und Babbage berief. Bush wollte die Assoziationsmöglichkeiten des menschlichen Gedächtnisses mittels einer Maschine, die täglich neues Informationsmaterial speichert, unterstützen und erweitern: „(an) associative indexing, the basic idea of which is a provision whereby any item may be caused at will to select immediately and automatically another“. Das älteste Hypertext-System stammte von Douglas C. Engelbart und wurde 1963 als „Augment“ am SRI International in Stanford entwickelt, bevor der Begriff dann Mitte der 1960er Jahre im Zusammenhang mit den Arbeiten von Ted (Theodor Holm) Nelson zum ersten Mal auftauchte. Nelson entwickelte ein weltumspannendes, computerunterstütztes Begriffsnetz, auf dessen Informationen der Benutzer unter Einbeziehung eigener Daten Zugriff erhielt und das er zugleich auch als Autor, gleichsam ein dynamisches intertextuelles Fortschreiben von Texten unterstützend, erweitern konnte, wobei dessen Zugriffsmöglichkeiten zudem noch durch komplexe Links und Vernetzungswege diversifiziert wurden. „Xanadu“761, so der Name des Netzes, konnte über leistungsfähige PCs seit 1989/90 aufgerufen werden und war theoretisch und praktisch bereits die Vorwegnahme der Technologie des World Wide Web762. 759 760 761
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So Peter Weibel in: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 35. Vannevar Bush, As We may Think. In: Atlantic Monthly 176, (Juli 1945), S. 101 ff. Der Projektentwurf geht auf ein Papier zurück: A File Structure for the Complex, the Changing and the Indeterminate. Proceedings of the ACM 1965 National Conference. Vgl. Ted Nelson, Literature to Last. Design for a Universal Digital Medium. In: Interface 3, a.a.O., S. 98 ff. und Nelson, Dream Machines: new freedoms through computer screens – A minority Report. Computer Lib: You can and must understand computers now. Chicago 1974 und Nelson, Literary Machines. Edition 87.1. South Bend Indiana 1987. Erfinder ist Tim Berners-Lee vom Europäischen Forschungszentrum für Teilchenphysik CERN in Genf, der einen Informationsaustausch im Internet für Wissenschaftler realisieren wollte. 1991 wurde das Hypertext Tranfer Protocoll (http) und die Hypertext Markup Language (html) entwickelt. Und 1993 wird allgemein der Beginn des WWW mit dem ersten WWW-Browser Mosaic von Marc Andresen/ NCSA (National Center for Supercomputing Applications) datiert. Andresen gründete Netscape und setzte 1995 mit dem Netscape-Browser neue html-Standards, bevor 1996 Microsoft auf den Markt kam.
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Abb. 72: Juan de Celaya, Geometrische Tafel des Verstandes, 1525
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Abb. 73: Sefiroth-Schema, Ms. Saloniki, o. J.
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Die Struktur763 des Hypertextes764 wurde also zunächst für Informationssysteme erprobt, bevor die Literaten765 nach Einführung der Hypercard766 1987 durch Apple offline767 und später online ihre Projekte, sogenannte Hyperfictions, entwickelten – Projekte, die in ihren interes763
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Abb. 72 in: Imagining Language, a.a.O., S. 342 (aus: J. d. C., Exposition … in primum tractatum Summularum Magistri Petri Hispani. Paris 1525). Hier sei hingewiesen auf prinzipiell ähnliche Strukturen des Sefiroth-Baumes der Kabbala wie im Beispiel von C. Knorr von Rosenroth, Kabbala denudata. Sulzbach 1684 (in: Alexander Roob, Das hermetische Museum. Alchemie & Mystik. Köln 1996, S. 314. Beispiel für einen Teil dieser Wabenstruktur ist Abb. 73 in: Roob, a.a.O., S. 316, dort weitere Beispiele zwischen dem dem 15. und 18. Jh.). Im Blick muss auch das Rhizom (analog der Botanik: Wurzelsystem ohne Hauptwurzel) sein. Gilles Deleuze und Felix Guattari sehen für das nicht-hierarchische, an jeder Stelle sich verzweigende und in alle Richtungen neu wuchernde Denken und Produzieren rhizomorphe Strukturen: „Wir schreiben dieses Buch als Rhizom. Wir haben es aus Plateaus zusammengesetzt. Zum Spaß haben wir ihm eine zirkuläre Form gegeben. Morgens nach dem Aufstehen hat sich jeder überlegt, welchen Plateaus er folgen soll, und dann fünf Zeilen hier und zehn Zeilen dort geschrieben (…) Jedes Plateau kann an beliebiger Stelle gelesen und zu beliebigen anderen in Beziehung gesetzt werden“ (Rhizom. Berlin 1977, S. 35). Vgl. auch Deleuze/ Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin 1980/92. Dazu Idensen/Krohn, a.a.O., S. 384 f. Und schließlich gibt es auch unter den Labyrinth-Texten Beispiele für strukturelle Vorformen, wie z. B. das aus 29 × 29 (= 841) Charakteren bestehende Gedicht der Su Hui aus dem 4. Jh., das je nach Kombination und Leserichtung bis zu 40 000 Lesungen ergibt: vgl. dazu Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 152 (Abb. 74) u. 212 und Ulrich Ernst, Labyrinthe aus Lettern. Visuelle Poesie als Konstante europäischer Literatur. In: U. E., Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 225 ff. Rainer Kuhlen, Hypertext. Ein nichtlineares Medium zwischen Buch und Wissensbank. Berlin 1991; George P. Landow, Hypertext. The Convergence of Contemporary Critical Theory and Technology. Baltimore 1992; Andreas Kitzmann, Hypertext Handbook. The Straight Story. Bern/ Berlin 2006. Sehr eindrucksvoll ist aber auch ein Beispiel des bildenden Künstlers Ugo Dossi aus dem Jahr 1975, der auf 190 Blättern netzbildende Strukturen von Assoziationsketten zu Begriffen notiert. Stelle man sich die einzelnen Blätter als Hypercards und ihre Vernetzung vor, ergäbe sich ein Hypertext: Abb. 75 in: Hermann Kern, Labyrinthe. Erscheinungsformen und Deutungen. 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. München 1982/199, S. 453. Hypertext ergibt sich unter Zuhilfenahme des Autorensystems Hypercard, mit dem beliebig viele „cards“ aufgerufen und verknüpft werden können. Durch das Anlegen und Aktivieren der Hypercards sowie Stapel von Hypercards und deren Verknüpfung untereinander entsteht ein virtuelles nicht-lineares Gefüge, in dem der Benutzer von unterschiedlichen Ausgangspunkten auf immer neuen Wegen navigieren, lesen und antworten kann. Von Firmen wie Eastgate Systems auf den Markt gebracht.
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santeren Strukturen vor allem auf Interaktivität768 angelegt waren: „Hypertext als ein nicht-sequentielles Schreiben und Lesen ist von den Entwicklern als ein Produktionssystem konzipiert worden, das Denkprozesse durch die Visualisierung komplexer Strukturen prozessual unterstützen soll. Reine Präsentationssysteme, die eben gerade keinen Eingriff seitens der Leser erlauben, sondern den Akt des Lesens auf ein Überfliegen – ein !Browsen" – reduzieren, rauben dem Hypertext-Konzept gerade die wichtigsten aktiven diskursiven Funktionen“769. Hinzu kam, dass für die Weiterentwicklung der medienangebundenen Literatur – neben der Stuttgarter Schule um Bense in den 1950er und 1960er Jahren, bei OuLiPo770 in den 1960er und 1970er Jahren oder bei A.L.A.M.O.771 und L.A.I.R.E.772 in den 1980er und 1990er Jahren –, insbesondere dann auch im Gefolge der elektronischen Medienerweiterungen und Vernetzungsmöglichkeiten, außer der zunächst 768
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Pioniere der Interaktiven Kunst sind in der Partizipationskunst zu suchen, etwa in den 1950er Jahren bei Karl Gerstner mit seinen Bildern zum Verändern und in der Elektronik in den 1970er Jahren mit den Responsive Environments. Der Unterschied zwischen Partizipation und Interaktion könnte mit dem Begriffspaar Teilhabe und Teilnahme ausgedrückt werden. Im einen Fall wird Manipulation und Eingriff am vorhandenen Künstlerangebot erwartet, im anderen ist der interaktiv Tätige Mit-Künstler und erweitert das Künstlerangebot im Sinne einer Autorenschaft. Zu den Begriffen: Partizipation, Kollaboration, Kooperation siehe Heibach, a.a.O., S. 207. Und zur Interaktivität: Erkki Huhtamo, Penetrating into the Virtual World. Möglichkeiten der Kommunikation mit interaktiver Kunst. In: European Media Art Festival. Osnabrück 1992, S. 241 ff., E. H., It is Interactive – but is it Art? In: The Siggraph 93, a.a.O., S. 133 ff.; Söke Dinkla, Von der Partizipation zur Interaktion. In: European Media Art Festival. Osnabrück 1995, S. 194 ff. Heiko Idensen, Hypertext: Von utopischen Konzepten zu kollaborativen Projekten im Internet. In: Interface 3, a.a.O., S. 72. Die Gruppe „Ouvroir de Littérature Potentielle“ um Raymond Queneau und François Le Lionnais, gegründet 1960. Mit dem Vortrag „Computer und Schriftsteller“ (1977) von Paul Fournel (in: Heiner Boehncke/Bernd Kuhne, Anstiftung zur Poesie, a.a.O., S. 67 ff.), gehalten auf den Schriftsteller-Computer-Tagen des Atelier de Recherches Avancées du Centre d’Art et de Culture Georges Pompidou (A.R.T.A.), vertiefte die Gruppe die Kooperation zwischen elektronischer Datenverarbeitung und literarischem Schaffen. Vgl. auch Oulipo. A Primer of Potential Literature, a.a.O. Die Gruppe „Atelier de Littérature Assistée par la Mathématique et les Ordinateurs“ um Paul Braffort, Jacques Roubaud und Jean-Pierre Balpe, gegründet 1981. Die Gruppe „Lecture, Art, Innovation, Recherche, Écriture“ um Claude Maillard, Tibor Papp und Philippe Bootz, gegründet 1988. Vgl. den Beitrag von Bootz (siehe Anm. 471).
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Abb. 74: Su Hui, 4. Jh.
von der „exakten Ästhetik“ bestimmten puristischen Richtung, die nicht nur die Poesie (wie die Konkrete Poesie) sondern auch die „musique concrète“ und die Konkrete Kunst beeinflusste, Gegenbewegungen wie Fluxus, Pop-Art und Neue Innerlichkeit, Happenings und Performances eine große Rolle spielten, was dazu führte, dass die künstlerischen Gattungen sich weiter vermischten773, multimediale 773
Frühe Text/Grafik-Computerarbeiten etwa bei Marc Adrian „Semantische Metaund Infrastrukturen/optische Semantik“ (1969), Manfred R. Schroeder „Wortreiches Auge“ (1969) und Alan Sutcliffe „Poems for SPASMO“ (1969) (Nachweise in: Impulse Computerkunst, a.a.O., S. 20, 27 u. 35).
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Abb. 75: Ugo Dossi, Assoziationsketten, 1975
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Werke entstanden774, und somit auch besonders Ereignisse im Netz zunehmend Gesamtkunstwerkcharakter bekamen: Text, Bild, Ton, Bewegung usw. griffen nun in ihren jeweiligen formalen und inhaltlichen Funktionen Grenzen auflösend bedeutungsvoll ineinander775. Dies war der Schritt von Hypertext zu Hypermedia, wobei Hypermedia sich von Multimedia darin unterscheidet, dass Multimedia lediglich „mehrere Medien“ meint, dagegen Hypermedia die besondere Organisationsform mehrerer Medien, so wie es beim Hypertext um die besondere Organisationsform von Texten geht. nicht-sequentiell u. interaktiv
Schrift u./o. Bild/statisch
Ton u./o. Bild/kinetisch
HYPERTEXT
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HYPERMEDIA
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MULTIMEDIA
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Installationen wie die interaktive Computerinstallation „Die Amme“ (1992 ff.) von Peter Dittmer. Es ist die Verwirklichung von der Vorstellung eines sprachbegabten Computers, der dem Nutzer Antworten auf eingegebene Fragen und Feststellungen gibt, die innerhalb einer aufwendigen Apparatur zu Ereignissen (Umfallen eines mit Milch gefüllten Glases) führen, die nicht berechenbar sind. Die entstehenden, oft beziehungslos wirkenden Dialoge entfalten dabei eine ganz eigene sprachliche Kraft, und die Installation gewinnt mit ihren sprachlichen, akustischen und kinetischen Reaktionen eine gewisse Überlegenheit, die das Geschehen zu bestimmen scheint. Der Nutzer ist nur der Auslöser eines Prozesses, vgl. Minima Media a.a.O., S. 50 ff. Weitere Beispiele sind die – Text-Sequenzen generierende – interaktive Installation „wenn die landschaft aufhört“ (1999) von Dieter Sperl und Paul Pechmann, produziert für die steirische Landesausstellung Comm.gr2000az, Schloß Eggenberg 2000, http://www.hls-software.com/ frame_sperl.html, http://www.camilleutterback.com/textrain.html; „Text Rain“ (1999) von Camille Utterback/Romy Achituv oder in: Friedrich W. Block, Beyond Pages. Von der visuellen zur digitalen Poesie in Japan: http://www.netzliteratur.net/ block/japan.html Beispiel: Bastian Boettcher, Looppool (1997: http://www.looppool.de). Eine Kugel durchläuft ein Textgitter in der Form eines dreifach verschlungenen MöbiusBandes, die mit beliebigen Befehlen der Tastatur ihre Richtung ändert und damit bestimmte Textteile verbindet, die zugleich akustisch wahrgenommen werden können. Bewegung (Animation), Akustik, Visualisierung, Semantik verbinden sich zu einem interaktiven „Gesamtkunstwerk“. Seit 1997 gibt es mehrere Weiterentwicklungen: Bastian Boettcher, Der Looppool 1997– . In: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 77 ff. oder das interaktive Buch von David Small (1965), Talmud Project/ 2000, Abb. in: Documenta 11_Plattform 5: Ausstellung/Katalog. Kassel 2002, S. 510 f. 8
774
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Die Physiognomie dieser Arbeiten wird deutlich an dem Beispiel776 „Dollspace“777 von Francesca da Rimini/Australien, das 1998 auf der COMTECart in Dresden vorgestellt wurde: „Dollspace besteht aus drei Web-Seiten, die dunkle Hypertext-Fiktion, strategische Links zu zeitgenössischen Seiten politischer Aktion von Geistern der dritten und vierten Welt und einen Bereich für Sichtungen von geisterhaften Störungen enthalten. Die Online-Umwelt ist ein weites Feld. Diese Arbeit enthält neue Formen von Urheberschaft, welche sich nicht nur auf das von mir entworfene Text- und Bildmaterial beziehen, sondern vielmehr auch durch E-Mails, Kommentare und Erinnerungen anderer angereichert wurden. Hierzu zählen vor allem digitale Anlagen wie Klänge, Animationen, graphische Darstellungen und digitale Filme. Jeder Beitrag eröffnet neue Flugrouten, neue Verfolgungen, neue Stimmen (…)“778. Neben den „dialogischen interaktiven“ Arbeiten wie „Dollspace“, deren Hypermedia-Struktur durch Veränderungen der Animationen779 und Text-Bild-Erweiterungen des vorgegebenen Ausgangsmodells vom aktiven Nutzer bestimmt wurde, gab es mit zunehmender Häufigkeit Arbeiten, die als „kollektive Mitschreibeprojekte“780 und „collaborative web hyperfictions“ bezeichnet wurden und aus der Zusammenarbeit auch untereinander vernetzter Projektteilnehmer erst entstanden. Wobei das kommunikative Moment des Prozessualen im Sinne von Fred Forest gegenüber dem Ziel eines fertigen Endprodukts immer wichtiger wurde. Denn während reine Mitschreibe-Projekte wie Curt Sifferts „Story-
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Wer sich über die Entwicklung (etwa vom 1. Deutschen Hypertext-Festival/Berlin 1995 und dem ersten Wettbewerb von ZEIT und IBM 1996 an/vgl. DIE ZEIT/ magazin Nr. 39, 20. 9. 1996) und über die Vielzahl der Projekte informieren will, kann dies einerseits im Netz tun, z. B. bei Eastgate Systems für „disk-basedfictions“ http://www.eastgate.com, andererseits über die Publikationen/Kataloge der Ars Electronica/Linz, der Ausstellungen des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe sowie der Kunsthochschule für Medien in Köln, der „p0es1s“-Ausstellungen (seit 2000 von Friedrich W. Block herausgegeben), der Mediale-Ausstellungen in Hamburg und Leipzig, der COMTECart in Dresden – um nur einige zu nennen. http://www.sterneck.net/cyber/rimini-dollspace/index.php, http://www.thing. net/~dollyoko. Francesca da Rimini, Dollspace. In: COMTECart. Katalog. Dresden 1998, S. 40. Eine sehr schöne Übersicht über „Computer Animated and Generated Poetry“ bietet: http://www.cs.bham.ac.uk/~nxm/mscPoetry/bookmarks.html. Hartmut Winkler, Kollaborative Schreibprojekte im Netz. Über Komplexität und einige mediengeschichtliche Versuche sie wieder in den Griff zu bekommen, unter: http://uni-paderborn.de/~winkler/
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Sprawl“ (1998)781 oder „Beim Bäcker“782 von Claudia Klinger, das Carola Heine 1996 startete und 2000 – mit dem Hinweis „die Geschichte !Beim Bäcker" ist beendet“, es gäbe nun einen „guten Schlusspunkt“ – abgeschlossen wurde, noch ein beendbares Werk vor Augen hatten, erweisen sich solche wie „Assoziations-Blaster“783, in dem sich scheinbar konzeptlos und nie endend alle eingetragenen Texte automatisch miteinander zu einem großen Gewebe von Assoziationsketten verknüpfen, in das nur mit Hilfe einer Stichwort-Datenbank eingedrungen werden kann, als offene, am Prozess orientierte Modelle784.
Kollaborationsprojekte Die kollektive Literaturproduktion besitzt nun eine interessante Vorgeschichte785, in der sich beide Aspekte, gemeinsame Arbeit an besonderen Formen der Literatur und Kommunikationsmöglichkeiten in neuen Communities786, sich entwickelt hatten. Novalis schrieb visionär in den Aphorismen: „Das Schreiben in Gesellschaft ist ein interessantes Symptom – das noch eine große Ausbildung der Schriftstellerei ahnen lässt. Man wird vielleicht einmal in Masse schreiben, denken und handeln. 781 782
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http://www.storysprawl.com u. http://www.aboutus.org/StorySprawl.com. Roberto Simanowski, Tod des Autors? Tod des Lesers! In: p0es1s, a.a.O., S. 82 ff. und Uwe Wirth, Der Tod des Autors als Geburt des Editors. In: Digitale Literatur, a.a.O., S. 59 f., http://www.claudia-klinger.de/archiv/baecker/index.htm NetzkunstWörterBuch, a.a.O., S. 40 f. und Simanowski in: p0es1s, a.a.O., S. 86 f. Zu denen schließlich auch die großen und wichtigen KommunikationsPortale von Heiko Idensen http://netlern.net/hyperdis/ u. Roberto Simanowski http://www.simanowski.info/ mit ihren auf unbegrenzten Material- und Erkenntniszuwachs angelegten Plattformen gerechnet werden könnten. Florian Rötzer, Probleme mit der kollektiven Produktion von Kunst. In: Reflexionen, a.a.O., S. 49 ff. „Global Village“ in: Marshall McLuhan, Understanding Media (1964) dt.: Die magischen Kanäle. Düsseldorf 1992, S. 11 f., 1967 in: Medium is the Massage, a.a.O., S. 63 und 1969 in: Counter Blast. New York 1969, S. 41: „The speed of information movement in the global village means that every human action or event involves everybody in the village in the consequences of every event. The new human settlement in terms of the contracted global village has to take into account the new factor of total involvement of each of us in the lives and actions of all. In the age of electricity and automation, the globe becomes a community of continuous learning, a single campus in which everybody, irrespective of age, is involved in learning a living.“ Eine Grafik der Technologien zum Begriff „Globales Dorf “ befindet sich in: connected cities, a.a.O., S. 35.
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Ganze Gemeinden, selbst Nationen werden Ein Werk unternehmen“787. So gab es einerseits z. B. in der frühen japanischen Literatur bereits Renga- und Renshi-Formen als Ergebnis der Kooperation von mehreren Autoren, im Barock die poetischen Sprachspiele der Pegnitzschäfer, oder im Surrealismus jenes kollaborative (automatische) Schreibexperiment von Breton und Soupault788. Andererseits gab es die sich von der ars sermonis herleitende Conversationskunst789, die z. B. in den Musenhöfen der Renaissance und in den Pariser Salons des Barock gepflegt wurde und schließlich in den Chat-Rooms und Mailinglists in gewisser Weise ihre Forsetzung fand – bis zu der von Kurd Alsleben propagierten „Circulating Art790: „Ins Netz zu artikulieren ist keine Kunst – Artikulation erfolgt erst im Hin und Her der Antworten. Das kann Kunst sein: Kunst als Verkehr, circulating art“. Nachdem bereits Bertolt Brecht 1932 über einen „Kommunikationsapparat“791 nachdachte, und es zu Beginn der 1970er Jahre Überlegungen792 zu PC-Netzen gab, war die technische Möglichkeit vor dem Internet793 schon 1969 mit dem ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network)794 gegeben, das als Wissenschaftsnetz (zunächst für
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Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 415. Les champs magnétiques (1920). Dazu der Bericht von Maurice Nadeau in seiner „Histoire du Surréalisme“ (Paris 1945/dt.: Geschichte des Surrealismus, Reinbek 1986, S. 50 ff.) und die dort (S. 19) zitierte Äußerung von Lautréamont: „Dichtung ist von allen zu erschaffen, nicht nur von einem einzelnen“. NetzkunstWörterBuch, a.a.O., S. 96 f. u. 99 ff. Kurd Alsleben, Circulating Art. In: Interface 3, a.a.O., S. 154 ff. „(…) ein Vorschlag zur Umfunktionierung des Rundfunks: Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen.“ Brecht, Radiotheorie. In: Gesammelte Werke, Bd. 18, a.a.O., S. 129. Interessant ist die Idee des englischen Medienkünstlers Ernest Edmonds für die Ausstellung „Computer 70“ in London: „Art systems for interactions between members of a small group of people“, ein Papier, das er 1973 bei der „Computers in the Arts Conference at Edinburgh“ vortrug und erweitert publizierte in: Leonardo, Vol. 8, H. 3, Oxford 1975, S. 225 ff. Heinz-Otto Peitgen, Vom Strom der Innovation – wohin geht das Internet. In: Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Hg. Christa Maar/Hubert Burda. Köln 2004, S. 142 ff. ARPANET wurde 1990 eingestellt.
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militärische Zwecke) die Computer vier amerikanischer Universitäten vernetzte, 1972 ein E-mail-System und Chat-Formen einführte und die Voraussetzung schuf für das erste, 1979 von Roy Trubshaw an der University of Essex entwickelte, literarische MUD (Multi User Dungeons)Projekt795 (durchaus den literarischen Salons vergleichbar). Befördert wurde diese prozessuale und gemeinschaftliche Produktivität durch das Entstehen von Elektronischen Medienwerkstätten796, MediaLabs und Elektronischen Cafes (ECI).797 Kit Galloway und Sherrie Rabinowitz, die seit 1975 kooperierten, entwickelten Projekte, die den elektronischen Raum als Gemeinschaft, als eine virtuelle Umwelt darstellten. In ihrem ersten Projekt „The Satellite Arts Project“ (1977) wurden Menschen aus weit voneinander entfernt liegenden Orten per Satellit zu einem einzigen Bild in einem „grenzenlosen“ Raum zusammengefügt, und in „Hole in Space“ (1980)798 konnten Akteure in Los Angeles und New York miteinander agieren. Aus diesen Erfahrungen entstand die Idee des „Electronic Cafe“ (1984)799, „ein multimediales Echtzeit-Computer/Video-Netz und öffentliche Bildbank, das fünf von verschiedenen Volksgruppen bewohnte Bezirke von Los Angeles sieben Wochen lang während der Olympischen Spiele im Juli und August 1984 miteinander verband“800. 795
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Roger Harrison, Multi User Dungeons. Versuch einer Definition und Standortbestimmung. In: Kursbuch Internet. Hg. Christiane Heibach/Stefan Bollmann. Mannheim 1996, S. 299 ff. Klaus Bartels, Überlegungen zu einem Konzept für eine Elektronische Medienwerkstatt in einem „Haus der Literatur“, Hamburg 14. 10. 1984 (Manuskript): „Die Demokratisierung der elektronischen Kommunikation, die für die Informationsgesellschaft unumgänglich ist und die Nachrichtenelektronik einbeziehen muss, verändert die literarische Kommunikation von Grund auf … Die Verbindung von Schrift und Bild im Computer erzeugt eine neuartige Mitteilungsstruktur und neuartige literarische Formen. Schon jetzt ist festzustellen, dass sowohl literarische als auch wissenschaftliche Texte zunehmend Bilder in die Argumentation integrieren. Dieser Prozess wird sich fortsetzen (…) [Der Rezipient] kann die Texte am Bildschirm bearbeiten. Oder schreibt mit anderen zusammen Texte (…) Weitere Formen der literarischen Kommunikation sind durch die neuesten technischen Entwicklungen möglich.“ (S. 3 f.). Eine gute Übersicht bei Funkhouser, a.a.O., S. 199 ff. Timothy Druckrey, Elektropolis oder Ohne feste Zustände. In: connected cities, a.a.O., S. 66 f. http://www.ecafe.com Die erste europäische Variante des Elektronischen Cafes folgte 1992 im Parc de la Vilette in Paris. Gene Youngblood, Der Virtuelle Raum. Die elektronischen Umfelder von Mobile Image. In: Ars Electronica. Katalog Bd. 2, Linz 1986, S. 289ff., Abb. 76 S. 298. Vgl. auch Idensen/Krohn in: Digitaler Schein, a.a.O., S. 390 f.
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Andere Formen des vernetzten Koproduzierens gab es nach den ersten sogenannten Computer-Konferenzen801 z. B. von Robert Adrian802 mit dem Projekt „Die Welt in 24 Stunden“ 1982 im Rahmen der Ars Electronica in Linz803, wo 14 Künstler oder Gruppen rund um die Welt von Linz aus via Telefon mit Hilfe von Slow-Scan-Television oder Telefaksimile-Sender-Empfänger-Geräten sowie dem I. P.-Sharp-ComputerTimesharing-Netzwerk mit voneinander unabhängigen Beiträgen zusammengeführt wurden, dann von Roy Ascott804, der für die von Frank Popper organisierte Ausstellung „Electra 1983“ im Musée d’Art Moderne de la Ville Paris ein kollektives Schreibprojekt „La Plissure du Texte“ mittels eines für die künstlerische Zusammenarbeit entwickelten E-Mail-Programms805 realisierte, mit dem Autoren in elf Städten an einem gemeinsamen Märchen schrieben, oder von Fred Forest, der für die gleiche Ausstellung das Projekt „L’Espace Communicant“806 entwarf, ein multiples Netz von 40 Telefonapparaten, Anrufbeantwortern und Bildschirmsichtgeräten, die an das internationale Netz angeschlossen waren. Und im September 1984 begann dann ein auf 30 Autoren begrenztes kollektives Schreibprojekt, deren Ergebnisse die Besucher 1985 während Lyotards „Les Immatériaux“-Ausstellung807 abrufen konnten. 801
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Telekommunikations-Projekt „Interplay“ 1979, eine 2stündige Vernetzung von 12 Städten in Kanada, den USA, Australien, Japan und Österreich; „Artists’ Use of Telecommunications Conference“ 1980, Vernetzung von 9 Städten in Kanada, USA, Japan und Österreich, sowie das von Stewart Brand und Larry Brilliant im Netz installierte „computer conferencing system Well“ (Whole Earth ’Lectronic Link). Vgl. auch dessen Beitrag: Kunst und Telekommunikation 1979–1986: Die Pionierzeit. In: springerin. Hefte für Gegenwartskunst. Bd. 1, H. 1, Wien 1995, S. 10 ff. Ars Electronica. Katalog. Linz 1982, S. 145 ff. Roy Ascott, Keine einfache Materie. Der Künstler als Medienproduzent in einem Universum der komplexen Systeme. In: Interface 1, a.a.O., S. 75 ff. ARTEX (Artists’ Electronic Exchange Network). Das Programm entstand nachdem Robert Adrian und Bill Bartlett 1980 die Timesharing Firma I. P. Sharp Associates (ISPA) zur Entwicklung einer Mailbox für Künstler drängten: die von Gottfried Bach entwickelte ARTBOX. Ihre Weiterentwicklung war ab 1983 ARTEX. „La Plissure du Texte“ oder „The Pleating of the Text: A Planetary Fairy Tale“ war als Hommage auf Roland Barthes „Le Plaisir du Texte“ gedacht. Das Projekt lief vom 11. bis 23. Dezember 1983. Eine Teildokumentation gibt es unter: http://www.normill.ca/Text/plissure.txt. Fred Forest, Thematisierung des Zeit-Raums als kritische Praxis. In: Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. Hg. Florian Rötzer/Peter Weibel. München 1993, S. 355. Siehe Anm. 471. Vgl. auch Idensen/Krohn in. Digitaler Schein, a.a.O., S. 387 f.
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Abb. 76: Kit Galloway/Sherrie Rabinowitz, Mobile Image, 1984
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Zur gleichen Zeit entwickelte Jürgen Claus, angeregt durch den Beitrag von Gene Youngblood anlässlich der Ars Electronica 1984, ein ISDN (Integrated Services Digital Network)-basiertes Projekt808, und Carl Eugene Loeffler gründete zusammen mit Fred Truck in San Francisco das Art Com Electronic Network (ACEN)809. ACEN war zu der Zeit die umfangreichste Kommunikationsplattform. Hier gab es einen elektronischen Ausstellungsraum, eine Bibliothek, Einkaufsstraßen, elektronische Konversation, gemeinschaftliche Textproduktion und die ersten Hypercard Stacks von Judy Malloy „Molasses“ oder Fortner Anderson/Henry See „The Odyssey“ (1988). Ein weiteres interessantes Projekt war das European Museums Network (EMN), ein Pilotprojekt (EEC) der Europäischen Union von 1989 bis 1992, an dem acht Museen in Lissabon, Madrid, Paris, Den Haag, Bremen, Bremerhaven, Kopenhagen und Hamburg beteiligt waren. Erfinder des Projekts war der Museumspädagoge Achim Lipp, der 1986 in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung „Kunst im Netzwerk“810 konzipierte. Sie beruhte auf der Idee, Assoziationen, Bemerkungen, Interpretationen zu einer begrenzten Anzahl von Bildern (es waren damals 140) von den Besuchern in den Computer einspeisen zu lassen, so dass sich mit diesen wieder andere Besucher auseinandersetzen konnten, und so ein wachsendes Reaktionsmosaik zu einer neuen – und nicht primär kunst-historischen – Blickrichtung und Erschließungsmöglichkeit für Kunstwerke führen konnte. Die Weiterentwicklung dieses Kommunikationsnetzes beruhte dann auf dem Versuch, in acht Museen Europas, jeweils mit einer gleichen Menge von Objekten, die von jedem Museum aus per PC zugänglich waren, die Vernetzung einer über die nationalen Kulturgrenzen reichenden Rezeption herbeizuführen811. Diese Idee wurde teilweise 1999 noch einmal aufgegriffen, als sich acht Museen in Bremen auf der Basis von
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Jürgen Claus, „Terminal Kunst“. 1. Ausstellungsteil. Der elektronische Schirm. In: Ars Electronica. Katalog Bd. 1, Linz 1986, S. 305, Abb. 77. Carl (Eugene) Loeffler, Telecomputing und die digitale Kultur. In: Kunstforum 103, a.a.O., S. 128ff. und Interaktive Computerkunst. In: Interface 1, a.a.O., S. 65ff. Dazu erschien: Achim Lipp, Kunst im Netzwerk. Katalog, Hamburger Kunsthalle 1986. Vgl. auch Achim Lipp, The vision of the electronic Kunst- und Wunderkammer. In: Gesänge über dem Lerchenfeld. Beiträge zur Datenkunst. Hg. Matthias Lehnhardt. Hamburg 1994, S. 66 ff.
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Abb. 77: Jürgen Claus, Skizze eines möglichen Anwednungsbereiches für ISDN, 1985
über 5000 Exponaten zu einem „Lebendigen Museum Online“812 vernetzten. Die sich durch Hypertext und Hypermedien erweiternden Kommunikationsplattformen eröffneten mit den erweiterten Denkstruktu-
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Michael Leitl, Reality Lexikon: Das vernetzte Museum (9. 11. 1999) (www.heise.de/tp/r4/artikel/5/5468/1.html)
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ren813 auch immer umfangreichere und vielseitigere Spielräume für die künstlerische Praxis. Waren es zunächst einzelne KünstlerInnen, die in Netzwerken interagierten,814 gab es schließlich Versuche, Media-Labs miteinander zu verbinden. Die Errichtung des Baltic Interface Net (BIN)815 1997 war ein solcher Versuch, die Media-Labs der Anrainerländer des Ostseeraumes zu vernetzen und über eine elektronische Faceto-Face-Kommunikation an Tools zu arbeiten, die geeignet waren, über geografische, politische und sprachliche Grenzen hinweg ein Instrumentarium für neue künstlerische Ausdrucksformen im Netz zu erkunden. Bald bestätigte sich aber die bereits weltweit gemachte Erfahrung, dass diese privaten und unabhängigen Labs wegen der zu erwartenden geringen wirtschaftlichen und politischen Vermarktungschance mit einer für das erfolgreiche Experimentieren notwendigen dauerhaften institutionellen Förderung durch die Länder nicht rechnen konnten, und die gelegentlich projektbezogene finanzielle Unterstützung für das kontinuierliche Arbeiten an innovativen Gemeinschaftsprogrammen nicht ausreichte. Im Gegensatz dazu war z. B. die Errichtung von sogenannten Kulturnetzen816 als Informations-Kommunikations-Plattformen wesentlich erfolgreicher, weil zumindest die Selbstdarstellung der Förderer und die Eigenwerbung Beteiligter Motivationen setzten. 813
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Derrick de Kerckhove, Hyperthinking. In: Interface 5. Die Politik der Maschine. Hg. Dencker. Hamburg 2002, a.a.O., S. 394 ff. Joachim Blank, Was ist Netzkunst? In: Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk. Kongressdokumentation. Hg. Kornelia von Berswordt-Wallrabe. Schwerin 1996, S. 63 ff. Von Dencker im Auftrag der Kulturbehörde Hamburg 1997 auf der Kulturministerkonferenz der Ostsee-Anrainer-Staaten in Lübeck als Konzept vorgestellt und von 1997 bis 2002 entwickelt: vgl. Baltic Interface Net. Hg. LEM. Hamburg 2001, http://re-lab.net/xu/bin. Beispiele sind das NAMAC (National Alliance for Media Arts and Culture) in San Francisco, das 1980 gegründet wurde (http://www.namac.org/node/3906), die Kulturnetze in Los Angeles (LA Culture Net: http://dir.groups.yahoo.com/ group/laculturenet/?v=1&t=directory&ch=web&pub=groups&sec=dir&slk=2), The Icelandic Educational Network (http://portal.acm.org/citation.cfm?id= 698481) Kulturnät Sverige (http://www.kultur.nu/); das finnische Ausbildungsund Kulturnetz (http://www.kulttuuri.net/), Kulturnet Danmark (http://www. kulturnet.dk/), sowie die Kulturnetze in Deutschland: Kulturserver Niedersachsen, Kultur-Netz Berlin, Kulturnetz Münsterland, KulturNetz Mannheim-Ludwigshafen, Kulturnetz NRW usw. Vgl. auch: Wolfgang Ratzek, Kulturnetze online – Innovation aus dem hohen Norden in: http://www.bibliothek-saur.de/ 2002_1/051–054.pdf. u. http://www.kulturportal-deutschland.de/laenderportal. html.
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War der Beginn dieser neuen Kommunikationsprozesse im Netz also zunächst geprägt vom Ziel eines Wissensaustausches, wurde nun, nach einer Zwischenphase innovativer Experimente eine Art Rückkehr, zwar unter technologisch besseren Bedingungen, aber nach der kurzfristigen Chance interaktiver kreativer Teilhabe und Gestaltung durch Eingriffe des Nutzers wieder reduziert auf das bloße Dialogisieren in Chat-Rooms und Foren, sichtbar. Eine ganz ähnliche Beobachtung ließ sich im Verlauf des Aufbaus von Virtual Communities Digitaler Städte im sogenannten Cyberspace817 machen. Zunächst als Informationsnetz818, dann als innovatives Projekt819 entworfen, um gegenüber den Strukturproblemen der realen Stadt820 mit der Verödung der Stadtkerne, ihren verkehrstechnischen Widrigkeiten, sozialen Negativaspekten und kulturellen Auflösungserscheinungen einen eigengesetzlichen Urbanismus zu entwerfen, in dem nach neuen „netz-humanen“ Vorstellungen Gemeinschaften kreativ kommunizieren, überlebte von diesen Ideen lediglich das mit dem Kul817
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Obwohl der Begriff zum ersten Mal im Roman „Neuromancer“ (New York 1984) von William Gibson auftauchte, reichen die Denkentwürfe bis in die 1960er Jahre zurück (Peter Weibel) und selbst bei Athanasius Kircher Mitte des 17. Jahrhunderts sind solche Ansätze zu erkennen (Weibel, Virtuelle Realität oder der Endo-Zugang zur Elektronik. In: Cyberspace, a.a.O., S. 15 ff. u. Zielinski, Expanded Reality. Cyberspace, a.a.O., S. 47 ff.). Ein frühes Modell ist das Cleveland Free-Net, 1984 von Tom Grundner für die verbesserte Ausbildung des medizinischen Personals an fünf Klinken von Cleveland eingerichtet und 1985 unter der Bezeichnung Saint Silicon’s Hospital and Information Dispensary für ein größeres Publikum erweitert (Tom Grundner, Interactive Medical Telecomputing: An Alternative Approach to Community Health Education. In: New England Journal of Medicine (NEJM), Vol. 314, No. 15, 10. April 1986, S. 982 ff.). Dieses Free-Net 1 lief von 1985–1989 und wurde abgelöst vom Free-Net 2 (1989–1999), das sich mehreren Zielgruppen öffnete und weltweite interaktive Kommunikation anbot. Dazu: Jay R. Hauben, A Brief History of Cleveland Free-Net. In: The Amateur Computerist (US-Online-Magazine), Vol. 7, No. 1, 1995. Hierher gehört auch das kanadische Projekt „Mandala: Virtual Cities“ in: The Siggraph 93, a.a.O., S. 208 und die Idee der „Intelligent Cities“ in Japan: Mark Schreiber, Lofty Visions & Harsh Realities. In: Intersect. Ed. PHP Institute. Vol. 8, No. 9, Tokyo 1992, S. 15. Zu den ersten gehört das von Carl Eugene Loeffler auf dem Symposium „Virtual Reality“ (Palais Ferstl/Wien 1993) als Prototyp vorgeführte Projekt „Virtual Polis: A Networked Virtual Reality Application“. Christian Weiske/Ute Hoffmann, Die Erlebniswelt als Stadt. In: Informationen zur Raumentwicklung, H. 6, 1996, S. 365 ff.; Reinhard W. Wolf, Digitale Städte im Datennetz – von der Metapher zur Realität. In: connected cities, a.a.O., S. 85 ff.
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turnetzmodell vergleichbare Servicenetz, das den Zugang zu Behörden, Shopping-Malls, Spielhallen und Events ermöglichte. So blieb wenig von einer „Virtual Polis“821. Und obwohl Projekte in Verlängerung von „Virtual Polis“ wie „De Digitale Stad“ Amsterdam822 inzwischen totgesagt wurden823, gab es immer wieder Spielwiesen wie „Cybertown“824, die mit aufwendigem grafischen Design Fantasiewelten zur Unterhal-
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„The Virtual Polis – or city – is a virtual reality application consisting of a three dimensional, computer generated city, inhabited by a multitude of participants. They are joined together in the environment by means of telecommunications, and tele-existence is an essential aspect. Imagine a virtual city complete with people, private homes, museums, parks, stores, and entertainment centers. As much as a grand social experiment, the virtual city is also a far reaching graphical user interface (GUI) for cultural expression, electronic home shopping and entertainment, with implications for society as a whole (…) The Virtual Polis is presented as a contemporary, western style, urban center. Some of the buildings are new, bright and shiny; while others are tattered with the appearance of plaster falling off walls. It is a city of contrasts. Participants can !hang out" in private spaces, relax in the parks, or go shopping to obtain virtual objects to bring back !home". Journeys to distant times – ancient Egypt, for example – are options at the travel store. Future versions will include entertainment centers, where participants can experience the latest in public media events. The city is populated, so participants may find themselves in a crowded elevator, and virtual friends may be invited over for a party. There are agents, presented as people or animals, who can lend elements of surprise. The possibilities of going bar, disco, and club-hopping are evident. Applications of the virtual city may also be thematic in nature, adding new meaning to terms like the !Latin Quarter", and other such cultural distinctions.“ (Carl Eugene Loeffler, Virtual Polis: A Networked Virtual Reality Application, in: Proceedings of Networked Reality, workshop on May 13–14, 1994, by NTT Media Lab, Tokyo, Manuskript 1993, S. 1). 1994 von Medienwissenschaftlern und Künstlern „gegründet“. Mitbegründer Geert Lovink: „Die Stadtmetapher erscheint im Cyberspace zu einem Zeitpunkt, in dem es mit der Stadt Amsterdam als Verwaltungseinheit endgültig vorbei ist und die Stadt sich in der Region (ROA) auflöst (…) Die Digitale Stadt kann als zurückgekehrte Metapher einen Schutz gegen die hochauflösende Fähigkeit der neuen Technologien bieten“ (Geert Lovink, The Digital City Amsterdam. In: Mythos Information. Welcome to the Wired World. Hg. Karl Gerbel/Peter Weibel. Ars Electronica Katalog. Wien 1995, S. 182). Auf DDS folgte inzwischen DeDS („De echte digitale Stadt“): http://www.deds.nl/ u. http://nl.wikipedia.org/wiki/ De_Digitale_Stad. Konrad Lischka, telepolis 5. 2. 2001 (http://www.konradlischka.de/nhproben233.htm) u.: Alles umsonst? Die Gratis-Demokratie der Digitalen Stadt Amsterdam als Kommerz-Opfer. Kulturzeit 27. 4. 2001: http://www.3sat.de/ kulturzeit/themen/18396/. http://www.cybertown.com/main_ie.html.
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tung entwarfen, oder Agenturen wie „Teletown“825 und „meta Wien“826, die an neuen Konzepten827 arbeiteten. Während „meta Wien“ auf UserFreundlichkeit setzte828, dachte „Teletown“ an begrenzte High-TechOrte, sogenannte Teleports, vergleichbar den Projekten „Teletopia“ und „Technopolis“, wie sie Japan bereits seit 1980 vorsah829. Und so zeigen die Beispiele, dass die für Medienkünstler interessante Grundidee, neue Räume zu entwerfen, in denen gemeinschaftlich und kreativ produktiv Erfahrungen gesammelt, sowie technische und künstlerische Grenzen ausgelotet werden könnten, gegenüber dem Informations-Business unterlegen war. Die schöpferische Kreativität wechselte vom Nachdenken über neue Inhalte zur Perfektionierung der Technologie. Die wechselseitige Bedingung von Form und Inhalt830 war nicht mehr zu erkennen. Die technischen Innovationen wurden zwar als 825 826 827
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http://www.teletown.info/digitalestadt.htm. http://www.meta.at/agentur/referenz/utopia/utopia.html. So auch die Symposien: „Telepolis“ (Medientage München 19./20. Oktober 1995) und „Telepolis“ (Goethe-Institut Luxembourg 3.–12. November 1995). Dazu Florian Rötzer, Die Telepolis. Urbanität im digitalen Zeitalter. Köln 1995 u. Virtual Cities. Die Neuerfindung der Stadt im Zeitalter der globalen Vernetzung. Hg. Christa Maar/Florian Rötzer. Basel 1997. „Das im Internet vorhandene Wissen ist für viele Menschen aufgrund mangelnder Kenntnisse nicht zugänglich. Zielsetzung dieses Projekts war die Erstellung eines Benutzerinterfaces, das Menschen spielerisch und intuitiv den Zugang zu Informationen ermöglicht (…) Die Idee ist, ein gesamtes komplexes Gemeinwesen (Stadt, Gemeinde) im Internet vernetzt abzubilden und digital zugänglich zu machen. Die Umsetzung erfolgte im Rahmen einer digitalen Stadt, die in mehreren Vierteln (zum Beispiel Kunst, Bildung oder Business) Webseiten, Links und Informationen anbietet. Die Inhalte sind logisch strukturiert und 3-dimensional dargestellt – somit für eine intuitive (optische) Suche ausgerichtet. Die Darstellung der Inhalte ist unabhängig von Sprache und Schrift, wodurch auch andere Städte inhaltlich nach demselben Prinzip dargestellt werden können. Die Umsetzung erfolgte unter Einsatz der neuesten Technologien (VRML, Flash, digitales Video, Java etc.)“ in: www.meta.at/agentur/referenz/utopia/utopia.html. Mark Schreiber, a.a.O., S. 14. Günther Anders hatte bereits Anfang der 1950er Jahre davor gewarnt, die Medien als bloße „Mittel“ zu betrachten. Er sprach – lange vor Marshall McLuhans „The Medium is the Massage“ (1967) – von dieser Wechselbeziehung, von einer zweifachen Prägung: als Medium und Mittel, d. h. „was uns prägt und entprägt, was uns formt und entformt, sind eben nicht nur die durch die !Mittel" vermittelten Gegenstände, sondern die Mittel selbst, die Geräte selbst: die nicht nur Objekte möglicher Verwendung sind, sondern durch ihre festliegende Struktur und Funktion ihre Verwendung bereits festlegen und damit auch den Stil unserer Beschäftigung und unseres Lebens, kurz: uns.“ (Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 1, München 1992, S. 100).
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Hilfsmittel gern angenommen, schlugen aber auf das Denken und die inhaltlichen Strukturen kaum durch831.
Virtuelle Texträume Neben den kollektiven Interaktionsmodellen im Virtuellen Raum, übertragen durch das Netz, gab es schließlich für die Künstler eine weitere, und zwar nun individuelle Raumerfahrung mit der Erschaffung Virtueller Realität in Form von einzelnen interaktiven Mensch-MaschineKunstprojekten als computergesteuerte Installationen außerhalb des Netzes. Im einen Fall war es also der Aufbau, die Besichtigung und die Handhabung des Virtuellen Raumes, – ein im weitesten Sinne Außensichtstandort des Künstlers. Im anderen Fall war es die Verknüpfung seiner Person mit dem Virtuellen Raum und die Rückwirkung auf sein Bewusstsein und sein Handeln, gleichsam aus einer Innensicht heraus. McLuhans Vorhersage832 von der Ausweitung „unserer Körper in den Raum“ und von der „Endphase der Ausweitung des Menschen“, der „Ausweitung des Bewusstseins“, schien sich zu bestätigen. Die Einnahme dieses Innensichtstandortes wurde nun nicht nur bestimmt durch die lange Geschichte des perspektivischen Denkens und Gestaltens, sondern vor allem von zwei historischen Entwicklungslinien: jener des fotografischen und filmischen Raumes, von Sinnestäuschungen833 angefangen bis zum Panorama834, der Stereoskopie, Holografie, Cinerama/Cinemascope- und IMAX-3-D-Projektionstechnik835, 831
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„Es geht generell um die Klärung der Bedingungen computerbasierter Kommunikation und der Ausdifferenzierung von kollektiven Produktionsformen und damit um die Schaffung sozialer Räume auf technischer Basis, deren Rahmenbedingungen sowohl in Bezug auf die Interaktionsregeln als auch auf ihre Darstellung noch intensiver Reflexion bedürfen. Diese muss jedoch in einer Interaktion zwischen elektronischen und den zahlreichen gesellschaftlichen Räumen erfolgen, in denen die Notwendigkeit kollektiver Arbeitsformen schon erkannt wurde, jedoch bisher noch nicht befriedigend umgesetzt werden konnte.“ (Heibach, a.a.O., S. 206). McLuhan, Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 11. Z. B. durch das Thaumatrop. Von Robert Parkers großer Rotunde in London (1792) und Anton von Werners „Die Schlacht von Sedan“ (1883) bis zu Werner Tübkes „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“ (1983–1987) in Bad Frankenhausen. Oliver Grau, Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Berlin 2001. Diese historische Entwicklungslinie behandelt Grau innerhalb einer Betrachtung des Phänomens der Immersion.
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sowie von jener der Flugsimulation836. Dieser Innensichtstandort wurde umso mehr erreicht, je stärker die Prothetisierung837 der Sinneswahrnehmung und des Bewusstseins technisch voranschritt. Datenhelme838 und Datenhandschuhe839 begannen den Menschen in eine scheinbar unbegrenzt zu gestaltende und das Raum-Zeit-Gefüge außer Kraft setzende künstliche Welt zu versetzen, deren zukünftige Eigenschaften kaum vorstellbar sind. In diesem immer breiter werdenden Angebot der Technologie-Entwicklung veränderte sich auch zunehmend die Rolle der Literatur. In „Counter Blast“ schrieb McLuhan: „All the new media, including the press, are art forms which have the power of imposing, like poetry, their own assumptions. The new media are not ways of relating us to the old !real" world; they are the real world and they reshape what remains of the old world at will.“840 Und: „All the new media have enriched our perception of language (…) It is easy now to see that language has always been a mass medium even as the new media are new languages having each its own unique grammar and aesthetic modes“841. Er machte darauf aufmerksam, dass sich mit dem Aufkommen neuer Medien auch neue
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Wulf R. Halbach, Reality Engines. In: Computer als Medium, a.a.O., S. 231. Halbach zeichnet eine Linie von Edwin L. Links Trainingsgerät (Efficient Aeronautical Training Aid – A Novel Profitable Amusement Device/US Patent 1929), über die Synthetic Flight Training Systems (Sensorama Simulator/US Patent 1962) von Morton L. Heilig bis zum Head-mounted-Display, Data-Glove und Eye-Phone. Nach der körperlichen Prothetisierung durch die Bionik, dem Ersetzen menschlicher Körperteile (nicht nur des Bewegungsapparates) durch technische Objekte, folgte auf dem Weg zum sogenannten „whole-person-paradigm“ (Karen Wright, Auf dem Weg zum Globalen Dorf. In: Spektrum der Wissenschaft 5, 1992, S. 50) die Prothetisierung durch sogenannte Mind-Machines: Rudolf Kapellner, Mind, Mensch und Maschine. In: Ars Electronica 1990, a.a.O., S. 323 ff. Zur Prothetisierung siehe auch Dencker, Mit der Elektronik zurück in die Zukunft. In: Festschrift für Horst Gronemeyer. Hg. Harald Weigel. Herzberg 1993, S. 130. Eine sehr schöne Grafik, die deutlich macht, was am menschlichen Körper ersetzbar ist, bietet ein Poster in: Spiegel special 3, Hamburg 1997. Zur Geschichte des Datenhelms (HMD = Head Mounted Display): J. C. Chung u. a., Erforschung virtueller Welten mit Head-mounted Displays. In: Ars Electronica 1990, a.a.O., S. 138 ff. Technischer Erfinder des Daten-Handschuhs und des ersten kommerziell verfügbaren Virtual Reality-Systems in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war Jaron Lanier, Gründer von „Visual Programming Language Research“ (VPL) in RedwoodCity/Kalifornien. McLuhan, Counter Blast, a.a.O., S. 52. A.a.O, S. 84.
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eigengesetzliche Sprachfelder entwickeln und damit indirekt auch neue Formen der Poesie, so z. B. Virtual Poetry842, auch vpoetry oder Cybertext, Cyberpoetry843 genannt, die mit Programmen wie VRML (Virtual Reality Modeling Language) oder XML (Extensible Markup Language) hergestellt werden konnten. Neben Arbeiten, wie die des Amerikaners Stephen Lawrence Guynup, bei dem die alphabetische Sprache gegenüber der neuen des virtuellen Bildraumes in „The Crystal Cabinet“ (2003)844, angeregt von den Text-Bild Korrespondenzen William Blakes, weniger dominant ist, gleichsam die sprachliche Semantik aus dem Hintergrund den metaphorischen Bildraum stützt, gibt es wiederum Arbeiten, die sich ganz auf die Verlebendigung der Sprache im Virtuellen Raum konzentrieren.845 Einer der interessantesten Vertreter dieser Richtung ist der argentinische Poet Ladislao Pablo Györi, der seit 1984 an computergenerierten Räumen arbeitete, 1994 zusammen mit José E. García Mayoraz846 und Gyula Kosice die Gruppe TEVAT (tiempo espacio vida arte tecnología) gründete und Visionen entwickelte, wie sich der Besucher seiner virtuellen Poesieräume, ausgestattet mit Datenhelm und Datenhandschuh, zwischen Buchstaben und Texten bewegen und mit ihnen spielerisch zu jonglieren vermag. In einem programmatischen Essay Györis zur neuen Poesie heißt es: „Virtual poetry would have to be a precise answer from the field of poetical creation to a digitalized world that already referred us in an almost permanent way to Internet, telepresence, nanotechnology, computed
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William R. Sherman/Alan B. Craig, Literacy in Virtual Reality: A New Medium. In: Computer Graphics 29/4, November 1995, S. 37 ff. (im Sonderheft „Visual Literacy“: Siggraph 29/4, Chicago 1995). Eine umfangreiche Liste der im Web zugänglichen Seiten gibt es unter: „Cybertext Literature, an online URLography“ http://www-ec.njit.edu/~cfunk/URLography.html. Der Begriff soll von Komninos Zervos 1996 eingeführt worden sein: Komninos Zervos, Technoliteratures on the internet (1997): http://www.textjournal.com.au/ oct97/kkztext.htm. http://noel.pd.org/~thatguy/. Einen guten Einblick gab die Ausstellung der University Gallery der University of Essex mit dem Katalog: e-motive: Visual Poetry in the Digital Age. Essex 2006, die computer-generierte Visuelle Poesie für „screen and space“ zum Thema hatte und Arbeiten von Jim Andrews (Kanada), Giselle Beiguelman (Brasilien), Ladislao Pablo Györi (Argentinien), Eduardo Kac (Brasilien), Robert Kendall (Kanada), Maria Mencia (Venezuela), Brian Kim Stefans (USA), Ana Maria Uribe (Argentinien) und Nico Vassilakis (USA/Abb. 78 S. 16) zeigte. José E. Garcia Mayoraz, Art Criticism in Cyberspace. In: DOC(K)S 3.21/22/23/24, Ajaccio 1999, S. 178 ff.
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Abb. 78: Nico Vassilakis, Texts for Nothing. But Cut-Up, 2003
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animation, cyberspace, etc. Hence, I recognized in its respect three primary characteristics: behind the indispensable conjunction between human creative work and the use of electronic media that has enormously widened all fields of work, providing extremely valuable tools for the development of ideas, the entire creative process must progress in the virtual space offered by the machine. Then I said also that digital world, which deeply differs from any physical, real or analogical realization, bases its preeminence on the numerical character of the elements that it admits, and on the possibility of openly fixing correlations between virtual space, objects and subjects, as no other medium has yet allowed. Lastly, I adverted that the application of digital computers has not only made possible the access to a custom-definable virtual space or to a large series of algorithmic operations, but also it has fundamentally inaugurated an essentially different field, for which it is necessary to produce new languages which will give birth to a new aesthetics. Consequently, virtual poetry would result after an intimate linking to these three primary qualities: virtual space, its digital nature and the conception of events private to the medium. Toward such effects, virtual poems or vpoems would be interactive digital entities capable of integrating themselves in – or rather being generated within – a virtual world (here called Virtual Poetry Domain or VPD) through software or routines (for the development of VR applications and real time exploration) that confer on it diverse modes of manipulation, navigation, behavior and alternative properties, evolution, sounds emission, animated morphing, and so on; and being experienced by means of partially or fully immersive interface devices.“847 Der Vision Györis versuchte auch Jeffrey Shaw mit seinem Projekt „Alice’s Room“ (1989)848, vor allem aber mit „The Legible City“849 nahe 847
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Ladislao Pablo Györi, The Virtual Poetry Domain. In: Cosign 2002: Computational Semiotics for Games and New Media. Hg. Elisabeth André u.a. Augsburg 2002, S. 45ff. Vgl. auch die Beiträge von Györi, Virtual Poetry. In: Visible Language 30.2, a.a.O., S. 158ff. u. Aided Creation in vpoetry? A quick approach to the poetry of the next century. In: DOC(K) série 3.13/14/ 15/16, Ajaccio 1997, S. 70ff. Der Betrachter navigiert mittels eines Joysticks in einem künstlichen Raum, der dem Realraum gleicht, in dem die Installation aufgebaut ist. An den Ecken des künstlichen Raumes gibt es jeweils wieder einen Raum, der den Raum dupliziert, den er enthält. In einem der Räume bewegt sich ein Gedicht von Shuntaro Tanikawa in Form von dreidimensionalen Buchstaben, die sich dauernd durch den Raum bewegen: Jeffrey Shaw, Das Zimmer von Alice. In: Ars Electronica 1990, Bd. 2, a.a.O., S. 319 ff. The Legible City. An interactive installation by Jeffrey Shaw in cooperation with Dirk Groeneveld and Gideon May. Hg. Amsterdamse Raad voor Informatica en
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Abb. 79: Jeffrey Shaw, The Legible City, 1989/90
zu kommen. Seine Vorstellung von dem Besucher, der sich in einem virtuellen Stadtraum navigierend bewegen kann, geht zurück auf Modelle, die seit dem Ende der 1960er Jahre entwickelt wurden850. Der früheste Versuch, „Cybernetic Landscapes“ (1971), stammt von Aaron Marcus851.
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Telecommunicatie. Amsterdam 1990. Vgl. auch: Jeffrey Shaw, Reisen in virtuelle Realitäten. In: Cyberspace, a.a.O., S. 317 ff. und: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 387 ff. Alle Projekte u. Abb. 79 von Shaw unter: http://www.jeffrey-shaw.net/. Florian Rötzer, The Legible City. In: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 337 ff. Vor allem auf Produktionen wie „Corpocinema“ (1967), mit der Shaw im Sinne des Expanded Cinema über die Grenzen der Kinoleinwand hinausging und Überlegungen fortsetzte, die später als Virtueller Raum realisiert wurden, vgl. dazu Anm. 817 ff. Dazu auch die von Shaw kuratierte Ausstellung „Future Cinema“ im ZKM/Karlsruhe 2003–2004. Artist and Computer. Ed. Ruth Leavitt. New York 1976, S. 13 ff. Vgl. Block, Website: Zum Ort digitaler Literatur im Netz der Literaturen. In: Digitale Literatur, a.a.O., S. 102, sowie Abb. 80 in: http://www.atariarchives.org/artist/sec4.php u. in: Block, Auf hoher Seh in der Turing-Galaxis. Visuelle Poesie und Hypermedia. In: Visuelle Poesie. München 1997, S. 197 (= TEXT + KRITIK Sonderband IX/97).
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Marcus entwarf mit dreidimensionalen Buchstaben und Texten eine Textlandschaft auf dem Bildschirm und ermöglichte dem Benutzer mit einem Joystick durch diese Landschaft zu navigieren. A sequence from ‚Cybernetic Landscape I‘, 1971–1973. These landscapes in a simulated space provide a concrete, palpable, spatial experience of abstract visual forms and conventional verbal and typographic elements. As such, the space functions as a poem-drawing environment. Instead of the white field and black letterforms of traditional written symbols, the field is the deep, black space of night, and the symbols have been transformed into glowing filaments of light – a direct extension of the desire for ‚constellations‘ which Mallarme, Gomringer and others cherished. The ‚objects‘ are diagrams for objects, as the letterforms are diagrams for sound/ideas. All are in a dematerialized form. Computer graphics effectively interfaces with man via light. The images have no mass, no physical substance in a sense, but they are perceivable and meaningful to the viewer. Most importantly, the statements appear in a three-dimensional space. The viewer/reader/participant is no longer bound to the flat surface of the incised, written or printed sheet. By using the interactive equipment (a ‚joystick‘ and knobs to control the display), the viewer may look at and wander through this aesthetically composed symbolic space at will. The illustrations show various views of Cybernetic Landscape I. The small diagrams at the top indicate location of the viewer on the groundplane (dot in the square) and direction of view along the groundplane (line in the circle). Bars indicate height above the groundplane and a vertical viewing angle. The space is organized with hortatory slogans of the Consumptive Good Life distributed along a sacred axis. At certain locations, other visual elements are to be found in the space away from the main path, and the viewer may explore these as desired. The simple forms near the center of the space symbolize the ‚I‘ of the viewer-the vertical presence moving about the horizontal landscape plane. In one quadrant of the space is a kinetic piece, a whirlwind of letterforms rotating silently with a pulsating, varying rhythm independent of the viewer’s position or movement. Within the space is a diagrammatic ‚person‘ who moves randomly along the groundplane. This creature is both a ‚mirror‘ of the viewer and an indicator that other viewers, other human beings, could be connected to this space, could ‚enter‘ it and could ‚meet‘ the present viewer ‚inside‘ this electronically created environment. The space is cyclically infinite. Each side wraps around electronically to the opposite side so the viewer moving off one edge would emerge instantly into the space again at the opposite edge. To signal the beginning/end of the journey, a canopy of points/stars/periods hovers in space at one terminus of the path. By means of this computer-assisted display, new relationships-new meaningsemerge, depending on the position, movement, and viewing direction of the viewer/reader/participant. As objects of light, the elements in the space convey a distinct and forceful presence combining the mystery of dreams, the awesomeness of the starry night and the wonder of the modern, man-made urban environment seen at night. Instead of the strict topology of the stele, codex and later book forms, the linking of elements can be richer and more complex; yet is
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Abb. 80: Aaron Marcus, Cybernetic Landscape 1, 1971–1973
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achieved through visually simple elements: points, lines and planes. These visual components of our familiar forms have been transmuted into light and space. The reader travels through the text as context. Princeton, New Jersey September 1975
Das zweite Modell wurde zwischen 1978 und 1980 am MIT852 als sogenannte „Aspen Moviemap“ realisiert, die mit einem „touch-sensitive screen display“ dem Benutzer das Navigieren durch die Stadt Aspen/ Colorado ermöglichte. Der Besucher konnte von Straße zu Straße fahren, mit der Berührung des Bildschirms vor einem Restaurant anhalten, mit der nächsten Berührung dort eintreten und mit einer weiteren die Speisekarte lesen. Nach diesem Muster wurden in der Folgezeit viele interaktive Bildplatten für den Tourismus hergestellt853. Jeffrey Shaw verwendete für den Prototyp854 von „The Legible City“ 1988 im Bonnefanten Museum/ Maastricht zunächst ebenfalls einen Joystick zum Navigieren, in den darauffolgenden Versionen855 aber ein Fahrrad856, das an ein weiteres Modell, erinnert, nämlich an „The Carrot“ (1984) von Michael Page aus Toronto, der eine Installation mit drei Weißlichthologrammen, PC und einem Hometrainer schuf857. Shaws Modell geht inhaltlich allerdings weiter und wird damit zu einem poetischen Kunstwerk858. Während in den Vorläufer-Modellen le852
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Von Andrew Lippman, Michael Naimark, Scott Fisher zusammen mit der Architecture Machine-Group des MIT (Massachusetts Institute of Technology), Abb. 81 in: http://www.naimark.net/writing/aspen.html. Z. B. „Paris VideoPlan“ (1986), „Golden Gate Videodisc Exhibit“ (1987), „VBK: A Movie-map of Karlsruhe“ (1991), „See Banff!“ (1993/4) oder „BE NOW HERE (Welcome to the Neighborhood)“ (1995/6). Siehe die Darstellung bei Michael Naimark, http://www.naimark.net/writing/spie97.html und in: „Präsenz bei INTERFACE“ oder „Woher weißt du, dass dies kein Film ist (und wann ist das wichtig)?“ In: Interface 2, a.a.O., S. 364 ff. Aber es gab auch künstlerisch interessante Versuche wie das „City Project“ in seiner letzten Version „Five into One“ (1991) von Matt Mullican: Jean-Louis Boissier, Die Präsenz, Paradoxon des Virtuellen. In: Interface 2, a.a.O., S. 374 und Abb. zum Projekt in: first europeans. frühe kulturen – moderne visionen. Katalog. Schloss Charlottenburg, Berlin 1994, S. 92 f. Abb. in: Jeffrey Shaw, Modalitäten einer interaktiven Kunstausübung. In: Kunstforum 103, a.a.O., S. 209. Siehe Anm. 532. Vgl. auch von Nancy Patterson „Bicycle TV“ (1991). Hinweis bei: Annette Hünnekens, Expanded Picture, a.a.O., S. 71. Vgl. auch: Licht-Blicke. Holographie – die dritte Dimension für Technik und Kunst. Katalog. Frankfurt 1984, S. 205. Vgl. Shaws „Televirtual Chit Chat“ (1993).
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Abb. 81: Michael Naimark u. a., Aspen Moviemap, 1978–1980
diglich eine bestimmte „Architektur“ und Informationen durch Navigation erkundet werden konnten, die sich auf die Struktur der abgebildeten Stadt bezogen, begibt man sich bei Shaw auf eine Art Lesereise. Auch Shaw hält sich vom Grundmuster her an bestimmte reale Stadtstrukturen, die er mit Buchstaben und Texten dreidimensional erstellt: So liegt in der Manhattan-Version das Areal zwischen der 34. und 66. Straße sowie Park Avenue und der 11. Avenue zugrunde, in der Amsterdam-Version der frühere Stadtkern bis zu den im 19. Jahrhundert bestehenden Grenzen und in der Karlsruhe-Version das Gebiet zwischen dem Schloss, der Fritz-Erler Straße, der Karlstraße und der Kriegstraße, entlang der Ettlinger Straße bis zum Bahnhof. In der Manhattan-Version werden nun verschiedene Geschichten von fiktiven Personen erzählt, die jeweils ihren besonderen Ort in der Stadt haben, gekennzeichnet mit einer besonderen Buchstabenfarbe. So kann der Radfahrer die jeweilige Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes „erfahren“. In der Amsterdam-Version wurde mit Texten aus den Archiven gearbeitet, die jeweils zu einzelnen, mit Buchstaben maßstabsgetreu nachgebauten Orten ihre Geschichte erzählen. Und in der Karlsruhe-Version wurden Texte aus Werbebroschüren und historischen Berichten gemischt.
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Es überrascht nicht, dass Shaw hier etwas fortsetzt, was bereits in den Labyrinth-Texten, den Strukturen des modernen Romans und in dem Rhizom-Modell, typisch für die digitale Literatur859, zu erkennen war. In der folgenden Version „The Distributed Legible City“ (1998) erweiterte Shaw die Interaktion und bezieht mehrere Teilnehmer in die Installation ein, die sich im virtuellen Stadtraum treffen und miteinander kommunizieren können: „While the Distributed Legible City shows the same urban textual landscape as the original Legible City, this database now takes on a new meaning. The texts are no longer the sole focus of the user’s experience, but instead becomes the con-text (both in terms of scenery and content) for the possible meetings and resulting conversations (meta-texts) between the bicyclists. In this way a rich new space of co-mingled spoken and readable texts is generated. In other words the artwork changes from being merely a visual experience, into becoming a visual ambiance for social exchange between visitors to that artwork“860. In verstärktem Maße wurde dies nun von einer der gegenwärtig wichtigsten VR-Künstlergruppen „KR+cF. Knowbotic Research“861 mit dem Projekt „IO_dencies Series (Tokyo/ Sao Paulo/ Ruhrgebiet/ Venice)“ (1997–1999) verfolgt. Das Projekt IO_dencies entwarf aus künstlerischer Perspektive Modelle des Handelns und Intervenierens für lokale Teilnehmer in Tokyo (1997) und Sao Paulo (1998), um soziopolitischen Transformationsprozessen offensiv begegnen zu können und „in die Urbanität jener Großstädte einzugreifen“862. Das Interesse von Knowbotic Research war nicht mehr nur auf die Erkundung des Virtuellen Raums mit all seinen technischen Möglichkeiten863 und seiner Einflussnahme auf den Besucher in diesem „closed circuit“ ausgerichtet, wie das noch in den ersten Projekten bis 1994 der Fall war864, in denen auch Sprachreflexion eine große Rolle spielte, sondern die „Projekte, die wir in den 859 860 861 862 863
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Vgl. auch The Electronic Labyrinth: http://www3.iath.virginia.edu/elab. Jeffrey Shaw, The Distributed Legible City: http://www.jeffrey-shaw.net. http://www.krcf.org/krcfhome. connected cities, Druckrey, a.a.O., S. 69 f. und S. 145 ff. Eine Reihe von Beispielen verschiedener Medienkünstler findet sich bei: Frank Popper, Visualization, Cultural Meditation and Dual Creativity. In: Herausforderungen für die Informationstechnik. Hg. P. Zoche. Heidelberg 1994, S. 405 ff. Der Trick des Descartes. Eine Materialsammlung zusammengestellt von Dencker und Knowbotic Research. In: Siemens Medienkunstpreis 1995. Hg. ZKM, Karlsruhe und Siemens Kulturprogramm, München 1995, S. 86 ff. Vgl. auch: Nonlocated online. Territories, incorporation and the matrix. Hg. KR+cF. Medien.Kunst.Passagen, Innsbruck o. J. (1995) zu „Dialogue with the Knowbotic South“ (part 1 und 2).
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letzten Jahren entwickelt haben, sind Handlungsanlagen zur Durcharbeitung der verschiedenen Bedingungen und Potenziale von mediatisierten urbanen Öffentlichkeiten. Diese Handlungsanlagen sind meist kollaborative Netzprojekte, in denen verschiedene Teilnehmer in Informationsprozesse intervenieren und parallel dazu, eine (Teil-)Öffentlichkeit für diese Interventionen zu generieren versuchen. Wir können nicht mehr von einer, von der Öffentlichkeit sprechen, sondern ich möchte vorschlagen, den public domain als ein Aggregat von heterogenen, sich überlagernden und fragmentierten Zonen von physischen, virtuellen und materiellen Bedingungen zu denken, auf denen verschiedenste Teilöffentlichkeiten basieren. Wir halten die Stadt, vor allem Großstädte und ihre urbanen Bedingungen, für einen der wichtigsten Orte, um mit dem neuen public domain zu verhandeln. Sie sind Zonen von Spannungen, in denen soziale Konflikte und Instabilitäten produktiv gemacht werden können.“865 Damit zeigt sich die Tendenz, nach einer Phase medienästhetischen Experimentierens, den Virtuellen Raum nicht mehr nur als eine auf sich selbst bezogene überraschende Ereignis- und Erfahrungsspielwiese zu erleben, sondern zunehmend als offenes, mit Außenbezügen versehenes Reflexionsfeld zu nutzen866, was schließlich auch bei veränderten Wertigkeiten von Buchstabe und Text das Generieren poetischer Modelle beeinflusste. So ist etwa bei Bill Seaman zu beobachten, wie das hermetische Sprachspiel867 früherer Installationen abgelöst wird von neuen kritischen Fragestellungen zur Wahrnehmung und Wirkung von Bedeutungen etwa in „The World Generator/The Engine of Desire“ (1996–2004): „Da uns der Computer tatsächlich die Fähigkeit verleiht, die Natur über nanotechnologische Prozesse zu restrukturieren, beginnt für uns ein anderes, komplexes Zeitalter der technologischen Transformation. Jede computer-
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Christian Hübler/Knowbotic Research, Knowbotic Agencies. Für eine Praxis der konfliktreichen Intervention in mediale Öffentlichkeiten (New Public Domain). In: Interface 5, a.a.O., S. 230. Wie schon in „Home of the Brain“ (1992) von Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss erkennbar. Beispiel: „passage sets/one pulls pivots at the tipp of the tongue“ (1995): „Die Installation beschäftigt sich mit den sinnlich erfahrbaren Beziehungen im Cyberspace. Wörter, Bilder und Töne werden simultan präsentiert und lösen eine Assoziationskette aus. Der Benutzer wird dabei sowohl in den Steuerungsprozess des Gedichtes eingebunden, als auch in den Entstehungsprozess neuer Gedichte, die aus poetischen Fragmenten dieses Wort-Bild-TonNetzwerkes abgeleitet werden“, in: MultiMediale 4, a.a.O., S. 45; vgl. auch in: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 369ff.
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basierte Erforschung von Bedeutung ändert auf subtile Art die Gestalt des Denkkörpers, der wiederum zeitweise ohne Computer existiert. Könnte man eine Technologie entwickeln, die auf die subtile Natur des Bedeutungswandels im Zeitablauf hinweist? Diese Frage weist auf das Initialproblem hin, das zum Projekt The World Generator/The Engine of Desire und zu meinem Konzept der Recombinant Poetics führte. Meine Untersuchungen zeigen die Notwendigkeit, ein spezielles Wissenschaftsgebiet zu definieren, das eine Reihe divergenter Forschungen erfordert, um die Entstehung von Bedeutung als künstlerisches Thema zu erkunden. Ich habe versucht, diese Forschungen in die Konstruktion der techno-poetischen Maschine einfließen zu lassen, und nenne dieses gerade entstehende Gebiet !Recombinant Poetics". Das Wort !recombinant" wird hier metaphorisch und poetisch verwendet. Ein Werk der !Recombinant Poetics" präsentiert einen Mechanismus, in dem ein Betrachter/Benutzer/Teilnehmer agieren und dessen ständig variierende Verbindungen von computerbasierten Medienelementen erforschen kann, um die Bedeutung einer veränderbaren generativen elektronischen Umgebung zu untersuchen (…) Das Werk ermöglicht es einem, sowohl voneinander verschiedene Bedeutungsfelder als auch Bedeutungskräfte zu untersuchen, während diese von einem interagierenden Teilnehmer erforscht werden. Auf diese Weise kann man subtile Bedeutungsverschiebungen empirisch beobachten (…) Der techno-poetische Mechanismus (The World Generator/The Engine of Desire) versucht, Wandlungsprozesse zu erhellen – das !Werden" und !Vergehen" von Konfigurationen von Medienelementen in einer hoch entwickelten technologischen Umgebung. Innerhalb dieser technologischen Umgebung verändert sich eine Welt des potenziellen Verstehens von Poesie – Bedeutungen erlauben eine ständige Reflexion bezogen auf die Natur sich ausdifferenzierender Prozesse“868.
Codeworks Die Reflexionsebene in Bezug auf die Poesie bekommt nun mit der Herstellung von sogenannten Codeworks869 (ein von Alan Sondheim gepräg868
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Bill Seaman, Die illusionäre Natur des Kontexts: Die Vermittlung des Denkkörpers. In: p0es1s, a.a.O., S. 230 ff. Ein nicht unumstrittener Begriff, siehe dazu in: p0es1s, a.a.O., S. 42 u. die weiteren Aufsätze dort. Außerdem Friedrich W. Block, Vom Code zum Interface und zurück. Zur Orientierung im Diskurs digitaler Poesie zwischen Konzept und Wahr-
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ter Begriff870) eine neue Dimension. Nicht mehr das auf dem PC sichtbar Generierte, sondern die dazu notwendigen Programmiersprachen, die Computer-Systemsprachen, die die Standards und Normen, Verschlüsselungen, Regulierungen und Kontrollen bestimmen, nicht das Gespeicherte und Transportierte, sondern die für den Prozess notwendigen Codes werden zum Gegenstand künstlerischer Produktion. ASCII871 Poetry, Perl872 Poetry oder Kunst-Code-Sprachen wie „mezangelle“873 reflektieren das technische und medienpolitische System, in dem bisher naiv experimentiert wurde, kritisch. Ihre Produkte erinnern nur äußerlich an bekannte literarische Muster, wenn sich bestimmte Visualisierungen ergeben, permutative Textfigurationen entstehen oder leitmotivische verbale Korrespondenzen erkennbar werden. Der an sich visuell interessante, aus 13 Zeichen bestehende „Text“ des italienischen Netzpoeten Jaromil874
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nehmung. In: $wurm = ($apfel"0) 21:0. experimentelle literatur und internet. memoscript für reinhard döhl. Hg. Johannes Auer. Zürich/ Stuttgart 2004. Das Thema der Ars Electronica in Linz war 2003 „Code – The Language of our Time“, wo die Frage aufgeworfen wurde, wie stark die gesellschaftsregulierende und normierende Macht der Codes sei. Eine gute Darstellung mit Beispielen findet sich auch bei: Heibach, Literatur im elektronischen Raum, a.a.O., S. 250ff. u. bei Funkhouser, a.a.O., S. 257ff. – Damit nicht vergleichbar, aber auch eine Art Codework, sind Arbeiten mit dem Strichcode, vgl. dazu die Beispiele in: Magie der Zahl in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hg. Karin v. Maur. Stuttgart 1997, S. 190 u. 269; Typoésie, a.a.O., S. 349ff. u. seit ca. 1996 viele Arbeiten von Josef Linschinger (Abb. in: Miteinander. Josef Linschinger/Heinz Gappmayr/ Eugen Gomringer/ Shutaro Mukai/Hiroshi Tanabu. Saarbrücken 2007, S. 67), „Den Code habe ich, ich müsste nachforschen wann, für mich entdeckt. Ich wusste, dass man damit schon vor mir gearbeitet hat. Am meisten überraschte mich in !Poesia Totale" die große Ähnlichkeit einer Code-Arbeit mit einer von meinen, die ich darin fand. Sie ist etwa zur selben Zeit entstanden. Was ich für mich in Anspruch nehme (…) ist die Farbgebung der Vokale, die ich auch (…) auf die des Codes angewandt habe. Daß meine Zuordnung der Farben auf die Vokale der Anordnung des Farbenspektrum entspricht, war für mich eine große Überraschung. A-rot, E-orange, I-gelb, O-grün, U-blau.“ (Linschinger, E-Mail an Dencker v. 1. 9. 2005). Alan Sondheim, Introducion: Codework. In: American Book Review, Vol. 22, No. 6, 2001, S. 1 ff. American Standard Code for Information Interchange. Abb. Von Arbeiten in: „L’art ASCII“ in: http://de.wikipedia.org/wiki/ASCII-ART. Practical Extraction and Report Generation Language. Von Mary Anne Breeze entwickelte Kunstsprache, siehe: Mez, Net.DrenchingCreating Mezangelled Co(de)(i)n.Text. In: p0es1s, a.a.O., S. 251 ff. D. i. Denis Jaromil Rojo (auch: Dyne:Bolic), in: p0es1s, a.a.O., S. 26. Zu „forkbomb“ siehe das Statement von Jaromil: http://www.digitalcraft.org/index.php? artikel_id=278.
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erweist sich erst unter der Oberfläche, d.h. mit der Eingabe als Befehl in ein Unix-System, als „trojanisches Programm“. Indem das Programm nämlich seinen Output immer wieder in den Inputkanal einspeist, rekursiv beständiger Verdoppelungen unterliegt, wird das System allmählich überfordert und der PC zum Absturz gebracht.
:(){ :|:& };:
Jaromil, ascii forkbomb, 2003
Die geradezu minimalistische Reduzierung875 auf diese „poetische“ Zeichensprache erschließt sich nicht mehr mit bekannten literarischen Kriterien. Sie ruft Funktionalität und Prozesse auf. Sie richtet sich einerseits an den Leser, andererseits an die Maschine, bleibt aber zumindest zu einem Teil „Text“, insbesondere dann, wenn die „Codeworks“ nicht mehr ausführbar sind und ihrer eigentlichen Funktion zugunsten einer neuen „Text-Konfiguration“ beraubt wurden876. Diese janusköpfige „Textsorte“, die sich einerseits auf dem Bildschirm mit einer besonderen Bildschirmästhetik präsentiert und auf der anderen Seite zu codebasierten, kaum wahrnehmbaren Symbolschichten des Computers gehört, erweitert nun einerseits das Spektrum visueller und semantischer Erscheinungsformen von Literatur, und andererseits in der Mutation auf die zweite Ebene das Aktionsfeld von Literatur: War die Wirkung von Literatur bisher auf die 875
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Eine weitere sprachliche Reduktion zur Kunstsprache „txt lingo“ lässt sich in der SMS-Poetry beobachten. Ins Bewusstsein geriet diese Poesie als der englische The Guardin 2001 einen Wettbewerb ausschrieb, auf den 7500 Beiträge von 4700 Handys eingingen. Der 1. und 3. Preis waren in „txt lingo“ geschrieben: http://www.guardian.co.uk/technology/2001/may/03/internet.poetry u. http:// www.lingo2word.com/lists/txtmsg_listA.html. Diese Kunstsprache ist ein Verständigungs-Abkürzungs-Code, der aus Zeichen, Zahlen und Buchstaben besteht, aber nicht mit der Code-Poetry verwechselt werden darf. Interessant ist, dass es in den elektronischen Kommunikationsmedien neben dem unbegrenzten Einsatz aller visuellen, akustischen und kinetischen Hilfsmittel, mit der CodePoetry und der SMS-Poetry auf dem Bildschirm eine gegenläufige Bewegung mit reduzierter Zeichensprache gibt. Unter http://www.karik.wordherders.net/archives/001312.html werden Links zur SMS-Poetry angeboten, u. a. auch ein Converter von Standard-Englisch in „txt lingo“. John Cayley, Der Code ist nicht der Text (es sei denn er ist der Text). In: p0es1s, a.a.O., S. 287ff. diskutiert dieses Thema in der Auseinandersetzung mit theoretischen Äußerungen von Florian Cramer. Zu Cramer: sub merge {my $enses; ASCII Art, Rekursion, Lyrik in Programmiersprachen. In: Digitale Literatur, a.a.O., S. 112ff. Vgl. auch: Vuk C´osic´, Deep ASCII (1998) in: new media art, a.a.O., S. 38f.; Eva und Franco Matthes, Life Sharing (2000–2003) in: new media art, a.a.O., S. 26f.; Mark Napier, Shredder 1.0 (1998) in: new media art, a.a.O., S. 70.
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menschliche Wahrnehmung, das Denken, Beurteilen und Kommunizieren angewiesen, erhält sie nun direkte Zu- und Eingriffsfähigkeiten, systemverändernd in der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie auf das davon geprägte Bewusstsein im kulturellen und politischen Umfeld der Mediengesellschaft einzuwirken. „Mutation bedingt Veränderung, Bewegung, ein kinetisches Potenzial der Texte in den neuen Medien, eine mimetische Auseinandersetzung der Literatur mit unserer Kultur. Somit ist sie tatsächlich eine fruchtbare Katastrophe für eine Literatur, die als unveränderliches und autoritatives Korpus verstanden wird. So wie das Schreiben in vernetzten und programmierbaren Medien verändern sich Sprache und Literatur mit der Zeit und als zeitbasierte Kunst entsprechend den Programmen kodierter Texte, die eingebettet und verborgen sind in ihren Strukturen der flimmernden Signifikation. Damit der Code als Generator, als Programmaton und als Manipulateur des Textes fungieren kann, muss er sich vom globalen textuellen System unterscheiden. Es muss möglich sein, die Codes als operative Prozeduren neu als Aspekte einer Lebenskunst textueller Praxis zu übersetzen. Der Code ist nicht der Text.“877 Muss nun aufgrund dieser Entwicklung mit einem Rückschritt, d. h. mit der Aufgabe von Errungenschaften der Literatur gerechnet werden, die die Erkundung der Virtual Reality gerade eben erbrachte? Derrick de Kerckhove äußerte sich zu dem Verhältnis von Virtualität und Textualität: „Wir praktizieren das Virtuelle in Wirklichkeit mental, zumindest seit der Erfindung der Schrift, mit deren Hilfe wir im Denken flexible Welten bilden können. Der bedeutende Unterschied zwischen Virtuellem und Textuellem, der Unterschied, der die Kunst in höchstem Maße betrifft, besteht jedoch darin, dass der Text, um zur Bedeutung zu gelangen, die Sinne beiseiteschiebt, wohingegen das Virtuelle sie herbei877
Cayley, a.a.O., S. 304 ff. u. dazu Cramer: „Denn gleich ob in naiver oder disruptiver Form, schreiben ASCII Art, Rekursionen und Programmiersprachen-Lyrik eine Poesie, die im Gegensatz zur „Hyperfiction“ und „Multimedia“-Netzliteratur den Computer und das Internet eben nicht simpel als Expansion anderer Medien ansieht. Stattdessen ist ihr technischer Aufwand minimalistisch und sind Störungen, Inkompatibilitäten und Fehlcodierungen Teil ihrer Poetik und Ästhetik. Indem sie den Computer vor allem als selbstbezüglichen Generator kontingenter Zeichen versteht, als System von Kontrolle und Absturz, ist ihr Verständnis digitaler Zeichen skeptischer und auch politischer als das einer Literatur, die mit Hypertext-Verweisen und digitaler Vernetzung immer noch eine ästhetisch-gesellschaftliche Utopie verbindet.“ (a.a.O., S. 122).
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ruft. Aufgabe der Kunst in der Ära des Alphabetentums war es, unsere verlorenen Sinne in der abstrakten Semiotik des Alphabets zurückzugewinnen. Die Arbeit der Literatur bestand darin, den Text wieder sensorisch erfahrbar zu machen, allerdings im Inneren der Psyche. Aufgabe des Virtuellen wird es sein, neue sensorische Gebilde zu erforschen.“878
Bionik/Bio-Poetry Auf dem Wege zu einer solchen sensorischen Erfahrbarkeit hatten auf der technologischen Ebene Eye-Phone, Data-Suit, Data-Glove und Mind-Machines Empfindungs- und Bewusstseinssteuerungen bereits erreichen können. Ergänzt wurden diese Möglichkeiten einerseits durch die Schnittstellentechnologie der Bionik und Neurobionik,879 durch die körperliche und geistige Prothetisierung des Menschen, andererseits durch die neuen Möglichkeiten, den alten Menschheitstraum von der Erschaffung neuer intelligenter „Lebewesen“880 vom Golem über den Homunkulus, den Automatenmenschen und Robotern881 bis zu den künstlichen Digitalkörpern der Cyborgs882 und Avatare883 im Cyber878
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Derrick de Kerckhove, Ästhetik und Epistemologie in der Kunst der neuen Technologien. In: Interface 2, a.a.O., S. 340 f. Werner Nachtigall/Kurt G. Blüchel, Das große Buch der Bionik. Neue Techniken nach dem Vorbild der Natur. Stuttgart 2000. Thomas Schlich, Eine kurze Geschichte der Körperverbesserung. In: Wie viel Körper braucht der Mensch? Standpunkte zur Debatte. Hg. Gero von Randow. Hamburg 2001, S. 131 ff. Hans Moravec, Leiter des Robotics Institute an der Carnegie Mellon University/ Pittsburgh 1990: „Wir sind einer Zeit nicht mehr fern, in der es so gut wie keine physische oder geistige Funktion des Menschen geben wird, die nicht von einem Apparat ausgeführt werden könnte. Die Verkörperung dieses neuen kulturellen Zeitalters wird der intelligente Roboter sein, eine Maschine, die wie ein Mensch denkt und handelt, so wenig sie ihm auch in physischen oder geistigen Details ähneln mag“, in: Der Mensch als Maschine. In: Zeit-Magazin 12. Hamburg 1990, S. 32. Vgl. auch H. M., Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz. Hamburg 1990. Der Begriff Cyborg (cybernetic organism) wurde von Manfred C. Clynes und Nathan S. Kline in einem Aufsatz für die NASA (Cyborgs and Space. In: Astronautics 26/27, Sept. 1960, S. 74 f.) geprägt. Florian Rötzer, Als Cyborg ewig leben. In: Spiegel special 3, Hamburg 1997, S. 72 ff. Dreidimensionale computeranimierte Kunstkörper, die Menschen benutzen, um in einer Metawelt zu kommunizieren: Susanne Baller, Elektronisches Kasperle. In: Spiegel special 3, a.a.O., S. 36 f., z. B.: Naoko Tosa, Neuro Baby. In: The Siggraph 93, a.a.O., S. 167, Abb. 82.
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Bild 82: Naoko Tosa, Neuro Baby, 1993
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space zu erfüllen. Die Aufhebung der Grenzen zwischen Natur und Technik, Mensch und Maschine, realer und künstlicher Wirklichkeit und damit auch zwischen Kunst und Leben884, die Integration und Interaktion von organischen und anorganischen Bewegungselementen und Steuerungsmechanismen885 etwa in künstlerischen Performances des Australiers Stelarc886 oder Installationen des Brasilianers Kac weisen auf Fähigkeiten und Visionen, natürliches Leben zu simulieren, zu ersetzen, ja schließlich neu zu erschaffen. Dies hatte bereits 1990 anlässlich eines Symposiums in München die Frage an einen der Pioniere der Computerkunst, Georg Nees, provoziert: „Warum simulieren Sie nicht Gott, Herr Nees?!“887, auf die zwei Jahre später Christof Koch vom California Institute of Technology/ CALTECH antwortete: „wir können Gott spielen“888, was schließlich Danny Hillis, Kopf der Thinking Machines Corporation/Cambridge mit dem Hinweis ergänzte: „Wir können mit unserer Maschine889 zum 884
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„Behind much art extending through the Western tradition exists a yearning to break down the psychic and physical barriers between art and living reality“ in: Jack Burnham, Beyond Modern Sculpture. The Effects of Science and Technology on the Sculpture of This Century. New York 1968, S. 312. Marvin Lee Minsky/MIT war sich schon 1992 sicher, das es möglich sein würde, Maschinen mit eigener künstlicher Intelligenz mit dem menschlichen Gehirn zu koppeln, so dass die Menschen allein durch ihre Gedanken die Computer kontrollieren könnten. Sie würden kleine Nervensteckdosen an ihren Körpern tragen, die jederzeit neuroelektrische Bewegungsübertragungen auf eine beliebige Stellvertreterkonfiguration, also Telepräsenz erlaubt, und das Ziel könnte sein, „durch einfaches Einstöpseln einer Datenleitung in die neuronale Schnittstelle sich in ihren Computer zu laden und dort, als Datenstruktur nicht länger dem körperlichen Verfall unterworfen, eine Ewigkeit zu leben“ (zit.: Klaus Bartels, Virtueller Honig. In: MAC up. Sonderdruck zur Documenta IX. Hamburg 1992, S. 6 f.). Zur Telepräsenz vgl. die künstlerischen Realisationen von Eduardo Kac seit Ende der 1980er Jahre mit seinen „interactive works/ telepresence works“: http://www.ekac.org/interactive.html: Kac, Telepresence Art. In: Teleskulptur. Hg. Kulturdata. Graz 1993, S. 48 ff.; Scott S. Fisher/Telepresence Research Inc., Menagerie. In: The Siggraph 93, a.a.O., S. 212 ff. Derrick de Kerckhove, a.a.O., S. 346 f. Abb. zur Performance in: Spiegel special 3, a.a.O., S. 76. Alex Kempkens, Warum simulieren Sie nicht Gott, Herr Nees?! In: Bilder Digital 3, 1990, S. 21. Gero von Boehm, Der achte Tag der Schöpfung. Computerforscher und ihre Schönen Neuen Welten. Manuskript zur ARD-Sendung „Der achte Tag der Schöpfung“ (Südwestfunk/HA FS Kultur, Baden-Baden 20. 3. 1992), S. 17. Hillis war der Erfinder der sogenannten Connection Machine (1985), die aus 65 000 Mini-Computern bestand und mit der erstmals Informationen nicht nach-
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Beispiel auch die Entschlüsselung des gesamten menschlichen Erbguts wesentlich beschleunigen. Denn auch die genetische Information, die uns zu Menschen macht, ist im Laufe eines parallelen Prozesses entstanden. Dieser Prozess heißt Evolution. Deshalb kommen wir jetzt nahe an die Wurzel des Lebens heran. Wir können die Evolution mit unserer Maschine nachvollziehen und (…) wahrscheinlich haben wir die Evolution890 schon beeinflusst“891. Es entstanden „an der Schwelle zur digitalen Natur“892 Bereiche wie Bioinformatik und Digital Biology, und mit diesem Eingriff in die Natur, in die genetischen Grundlagen des Lebens, verbreitete sich der Glaube und die Hoffnung, die notwendigen Codes entschlüsseln zu können, um Leben programmier- und beherrschbar zu machen. Von den ersten Versuchen eines Edward Steichen seit 1920, Gentechnologie und Kunst zu verbinden893, über die fantastische Fauna des Künstlers und „Zoosystemikers“894 Louis Bec bis zur „Transgenen Kunst“895 von
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einander, sondern parallel verarbeitet werden konnten, zusammen damals schon in einer Sekunde die Leistung erbrachten, die ein Taschenrechner in 1000 Jahren schaffen würde. Vgl. auch „collaborating with evolution“ in: Thomas S. Ray, Evolution as Artist. In: Art @ Science. Ed. Christa Sommerer/Laurent Mignonneau. New York 1998, S. 82. Boehm, a.a.O., S. 2 f. Florian Rötzer, An der Schwelle zur digitalen Natur. Die Medientechnologien im Zusammenspiel mit Bio- und Neurotechnologien. In: Kursbuch Neue Medien. Trends in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Hg. Stefan Bollmann. Mannheim 1996, S. 313 ff. In einer Ausstellung im Museum of Modern Art in New York: Ronald J. Gedrim, Edward Steichen’s 1936 Exhibition of Delphinium Blooms. An Art of Flower Breeding. In: History of Photography 17, No. 4, 1993, S. 352 ff. Louis Bec, Zoosystemiker. In: Kunstforum 97, Köln 1988, S. 136 ff. Vgl. auch seine Texte: Vorläufiger Versuch über die Upokrinomenologie oder: Eine verheerende zoosystemische Expedition durch ein Glossar. In: Digitaler Schein, a.a.O., S. 397 ff.; Die Upokrinomenologie. Eine Ästhetik des künstlichen Lebens. In: REFLEXIONEN, a.a.O., S. 59 ff.; Über das Wiederflottgemachte. In: Cyberspace, a.a.O., S. 357 ff. Die Abb. im Kunstforum (a.a.O., S. 140 ff.) erinnern formal an die Parodie von Professor Dr. Harald Stümpke, Bau und Leben der Rhinogradentia. Stuttgart 1964. Vgl. auch den Essay „Fragment von Schwänzen“ von Georg Christoph Lichtenberg, der 1779 zuerst in Baldingers „Neuem Magazin für Ärzte“ erschien und eine Parodie auf Johann Caspar Lavaters „Physiognomische Fragmente“ war (Lichtenberg, Werke, a.a.O., S. 409 ff.). Kac, Transgene Kunst. In: Ars Electronica 99 – Life Science. Wien 1999, S. 289 ff.
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Eduardo Kac wurden nicht nur technische Bio-Utopien896 in der Biotelematik verwirklicht, sondern auch Voraussetzungen geschaffen, die schließlich in eine Biopoesie mündeten. „Neue Technologien bewirken eine kulturell bedingte Mutation unserer Wahrnehmung des menschlichen Körpers von einem natürlichen selbstregulierten System zu einem künstlich kontrollierten und elektronisch transformierten Objekt (…) Zwei der bekanntesten Technologien, die jenseits der visuellen Wahrnehmung operieren, sind die digitalen Implantate und die Gentechnologie, die beide das Potenzial für tiefe Auswirkungen sowohl auf die Kunst als auch auf das soziale, medizinische, politische und ökonomische Leben des nächsten Jahrhunderts haben (…) Transgene Kunst stelle ich als eine neue Kunstform zur Debatte, die mit gentechnischen Methoden arbeitet, um synthetische Gene in einen Organismus oder natürliches Genmaterial von einer Art in eine andere zu verpflanzen und so einzigartige Lebewesen zu schaffen“897, schrieb Eduardo Kac und schlug vor, „Biotechnologie und lebende Organismen als einen neuen Bereich der Sprachschöpfung zu nutzen“898. BIOPOETRY Eduardo Kac Since the 1980s poetry has effectively moved away from the printed page. From the early days of the minitel to the personal computer as a writing and reading environment, we have witnessed the development of new poetic languages. Video, holography, programming and the web have further expanded the possibilities and the reach of this new poetry. Now, in a world of clones, chimeras, and transgenic creatures, it is time to consider new directions for poetry in vivo. Below I propose the use of biotechnology and living organisms in poetry as a new realm of verbal, paraverbal and nonverbal creation. 1) Microbot performance: Write and perform with a microrobot in the language of the bees, for a bee audience, in a semi-functional, semi-fictional dance.
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Amy M. Youngs, The Fine Art of Creating Life.In: Leonardo, Vol. 33, No. 5, San Francisco 2000, S. 377 ff. Vgl. auch die Transformationen von HTML-Tags in künstliche Biotope (Heibach, Literatur im elektronischen Raum, a.a.O., S. 228 f.). Kac, Transgene Kunst, a.a.O., S. 289 f. Eduardo Kac, Biopoesie. In: p0es1s, a.a.O., S. 243 ff. In späteren Publikationen wurde die Vorschlagsliste noch erweitert: http://www.ekac.org/biopoetry.html, hier auch Abb. 83. Vgl. auch von Robin Allott, The Biological Basis of Poetry. In: http://www.percepp.com/biopoetry.htm (Extrakt des Beitrags „The Pythagorean Perspective“. In: The Arts and Sociobiology. In: Journal of Social and Evolutionary System 17/1, New York 1994, S. 71 ff.).
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2) Atomic writing: position atoms precisely and create molecules to spell words. Give these molecular words expression in plants and let them grow new words through mutation. Observe and smell the molecular grammatology of the resulting flowers. 3) Marine mammal dialogical interaction: compose sound text by manipulating recorded parameters of pitch and frequency of dolphin communication, for a dolphin audience. Observe how a whale audience responds and vice-versa. 4) Transgenic poetry: synthesize DNA according to invented codes to write words and sentences using combinations of nucleotides. Incorporate these DNA words and sentences into the genome of living organisms, which then pass them on to their offspring, combining with words of other organisms. Through mutation, natural loss and exchange of DNA material new words and sentences will emerge. Read the transpoem back via DNA sequencing. 5) Telephant Infrasonics: Elephants can sustain powerful infrasound conversations at distances as far as eight miles. These can be perceived by attuned humans as air pressure variations. Create infrasound compositions that function as long-distance elephant calls and transmit them from afar to a population of forest elephants. 6) Amoebal scripting: Hand write in a medium such as agar using amoebal colonies as the inscription substance and observe their growth, movement, and interaction until the text changes or disappears. Observe amoebal scripting at the microscopic and the macroscopic scales simultaneously. 7) Luciferase signaling: create bard fireflies by manipulating the genes that code for bioluminescence, enabling them to use their light for whimsical (creative) displays, in addition to the standard natural uses (e.g., scaring off predators and attracting mates or smaller creatures to devour). 8) Dynamic biochromatic composition: use the chromatic language of the squid to create fantastic colorful displays that communicate ideas drawn from the squid Umwelt but suggesting other possible experiences. 9) Avian literature: teach an African Gray parrot not simply to read and speak, and manipulate symbols, but to compose and perform literary pieces. 10) Bacterial poetics: two identical colonies of bacteria share a petri dish. One colony has encoded in a plasmid a poem X, while the other has a poem Y. As they compete for the same resources, or share genetic material, perhaps one colony will outlive the other, perhaps new bacteria will emerge through horizontal poetic gene transfer. 11) Xenographics: Transplant a living text from one organism to another, and vice-versa, so as to create an in vivo tattoo. 12) Tissuetext: Culture tissue in the shape of word-structures. Grow the tissue slowly until the word-structures form an overall film and erase themselves. 13) Proteopoetics: create a code that converts words into aminoacids and produce with it a three-dimensional proteinpoem, thus completely bypassing the need to use a
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Abb. 83: Eduardo Kac, Prophecy, transgenic poem, 2003. gene to encode the protein. Write the protein directly. Synthesize the proteinpoem. Model it in digital and non-digital media. Express it in living organisms. 14) Agroverbalia: Use an electron beam to write different words on the surface of seeds. Grow the plants and observe what words yield robust plants. Plant seeds in different meaningful arrays. Explore hybridization of meanings. 15) Nanopoetry: Assign meaning to quantum dots and nanospheres of different colors. Express them in living cells. Observe what dots and spheres move in what direction, and read the quantum and nanowords as they move through the internal three-dimensional structure of the cell. Reading is observation of vectorial trajectories within the cell. Meaning continuously changes, as certain quantum and nanowords are in the proximity of others, or move close or far away from others. The entire cell is the writing substrate, as a field of potential meaning. 16) Molecular semantics: Create molecular words by assigning phonetic meaning to individual atoms. With dip-pen nanolithography deliver molecules to an atomically-flat gold surface to write a new text. The text is made of molecules which are themselves words. 17) Asyntactical carbogram: Create suggestive verbal nanoarchitectures only a few billionths of a meter in diameter.
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18) Metabolic metaphors: Control the metabolism of some microorganisms within a large population in thick media so that ephemeral words can be produced by their reaction to specific environmental conditions, such as exposure to light. Allow these living words to dissipate themselves naturally. The temporal duration of this process of dissipation should be controlled so as to be an intrinsic element of the meaning of the poem. 19) Haptic listening: Implant a self-powered microchip that emits a sound poem upon contact (via pressure). The sound is not amplified enough to be heard through the skin. The listener must make physical contact with the poet in order for the sound to travel from the microchip inside the poet’s body into the listener’s body. The listener becomes the medium through which the sound is transmitted. The poem enters the listener’s body not through the ears, but from inside, through the body itself 20) Scriptogenesis: Create an entirely new living organism, which has never existed before, by first assembling atoms into molecules through „Atomic writing“ or „Molecular semantics“. Then, organize these molecules into a minimal but functional chromosome. Either synthesize a nucleus to contain this chromosome or introduce it into an existent nucleus. Do the same for the entire cell. Reading occurs through observation of the cytopoetological transformations of the scriptogenic chromosome throughout the processes of growth and reproduction of the unicellular organism.
Obwohl entstehende, vergehende, sich bewegende schriftsprachliche Elemente in der natürlichen Umwelt und die Beziehung zwischen Literatur und Natur von alters her bekannt sind899, mögen die Vorschläge 899
So besaßen die Hebräer ein sogenanntes „Alphabetum Hebraeum Coeleste“. Bestimmte Sternenkonstellationen ergaben Buchstaben, so dass sich ein himmlisches Alphabet (Himmelsschrift) ergab: Jacques Gaffarell, Curiositez inouyes hoc est curiositates inauditae de figuris persarum talismannicis, horoscopo patriarcharum et characteribus coelestibus J. G., latine cum notis quibusdam ac figuris, editae opera M. Gregorii Michaelis …, Hamburgi, apud Gothefredum Schultzen (…), 1676, S. 259 (Abb. 84 der nördlichen Hemisphäre in: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 79; der südlichen Hemisphäre in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 11 u. Exiled in the Word. Poems & Other Visions of the Jews from Tribal Times to Present. Ed. Jerome Rothenberg/Harris Lenowitz. Washington 1989, S. 225). Darüber berichtet Harsdörffer in: Deliciae Mathematicae et Physicae (a.a.O., S. 278 ff.) und Roob, a.a.O., S. 602 und vgl. auch Franz Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie. Reprint der Ausgabe von 1925, Leipzig o. J., S. 89 ff. Johanna Drucker, Simulacral Exoticism. In: Drucker, Figuring the Word, a.a.O., S. 76 ff. In den griechischen Zauberpapyri (4.–5. Jh. n. Chr.) tauchen Teile dieser Himmelsschrift auf (Abb. in: Papyri Graecae Magicae. Die Griechischen Zauberpapyri. Hg. Karl Preisendanz. Bd. 2, München/Leipzig 2001, S. 26 u. 53 zu Taf. I, Abb. 4 u. 5). Vgl. die Schrift von Max Ernst in: Peter Schamoni, Max Ernst/Maximiliana (1964). Die widerrechtliche Ausübung der Astronomie. München 1974, S. 23, 67, 74 f., 78 f. (Abb. aus der Maximiliana, ou l’exercice illégal de l astrono-
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und Verfahren, die Kac anbot, zunächst befremdlich erscheinen und in Frage stellen, ob es sich schon um „Poesie“ handelt, wenn es primär um neue Herstellungsverfahren von sprachlichen Zeichen geht, auch wenn deren Addition Wörter oder sogar kleine Texte ergeben mögen. Dennoch zeigt sich, dass ein grundsätzlich neues Verständnis von Poesie weiterentwickelt wird, was schon bei den Codeworks erkennbar war. Auch hier gibt es zwei Ebenen. Die sich an der Oberfläche zeigende lesbare alphabetische Sprache entsteht erst aufgrund natürlicher und künstlicher Eingriffe in die dieser zugrunde liegenden – und diese gleichsam „codierende“ – Ebene der bio-physikalischen Strukturen und Gesetze. Diese Art „Mehrsprachigkeit“, die sich ebenso in einem „kontextuellen“ Feld bewegt wie collagierte Texte oder Poesien, die sich aus akustischen, optischen und alphabetischen „Sprachen“ zusammensetzen, korrespondiert mit den Versuchen avantgardistischer Kunst, neue ästhetische und semantische Ausdrucksformen zu erschließen, die die Grenzen der alten nicht nur sprengen, sondern auch mit eigendynamischen Gesetzlichkeiten versehen, die Künstler durch neue Erfahrungen zu überraschen vermögen. Und nachdem bereits am „Versuchsobjekt Mensch“ die Verbindung von Sprache und lebendiger Umwelt auf und mit dem Körper900
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mie. Paris 1964 in: Artists’Books in the Modern Era 1870–2000, a.a.O., S. 234 f.). Interessant ist auch, dass man im Altertum die These vertrat, die Form der Buchstaben könnten aus dem Flug der Kraniche abgelesen werden (Dornseiff, a.a.O., S. 8). Schließlich: Eduard Stücken (Der Ursprung des Alphabets und die Mondstationen. Leipzig 1913) vertrat die These, dass die Reihenfolge der Buchstaben astrologischen Ursprungs sei. Dazu gibt es einen interessanten Fund, den Oskar Pastior gemacht und zuerst abgedruckt hat in: Pastior, Gewichtete Gedichte. Chronologie der Materialien. Wien-Hombroich 2006, S. 74 ff. Es handelt sich um ein Manuskript (Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Graph 4°502 0) des Assyriologen Fritz Hommel mit dem Titel „Zur astralen Anordnung des phönizisch-griechischen Alphabets“. Aktionspoesie in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 62. Vgl. auch zu Stelarc Anm. 886. Zu den Körperbeschriftungen siehe auch Gerhard Rühm, hand- und körperzeichnungen. In: Rühm, Text-Bild-Musik, a.a.O., S. 135 f. und Rühms gefilmte Aktion „witz“ (1971, gesendet 1972 in: Dencker, Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O.). Körperkalligrafie betreibt Ling Luo (1963), Body Art Kirsten Justesen (1943) und Stamp Body Art Attila Csernik (Abb. in: Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk, a.a.O., S. 272). Shirin Neshat (1957) schafft Poesie-Bilder, in denen beschriebene Körperteile im Zentrum stehen (mehrere Abb. in: Lettre International. Europäische Kulturzeitung H. 44, Berlin 1999). Hanna Eglinger, Der Körper als Palimpsest. Die poetologische Dimension des menschlichen Körpers in der skandinavischen Literatur der Gegenwart (2006/in: http://www.docphilol.uni-muenchen.de/modules.php?
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Abb. 84: Alphabetum Hebraeum Coeleste, 17. Jh.
name=Dissertationen&op=ShowAbstract&did=150). Vgl. auch Palm Poetry/ Anm. 1666 u. in dem Zusammenhang interessant das Finger-Alphabet von George Dalgarno (1626–1687), Didascalocophus: Or, the Deaf and Dumb Mans Tutor. London 1680, (Abb. in: Imagining Language, a.a.O., S. 64). In der Werbung siehe die Funkuhr-Werbung in: Bunte 36, München 1. 9. 2005. Auf den Körper projiziert Texte findet man in dem James-Bond-Film „Liebesgrüße aus Moskau“ (1963/Abb. in: Massin [1970], a.a.O., S. 27). Eine besondere Ausdrucksform sind die „visuellen lippengedichte“ von Ernst Jandl, die ohne Tonbildung gesprochen, mit den Lippen in die Luft geschrieben werden: Ernst Jandl, Laut und Luise. Stuttgart 1976, S. 81.
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in Tanz901 und Performance902 erprobt wurde, die Imagination von und die Aktion mit dem Material Sprache Körperlichkeit und Funktionalität
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Schon um die Jahrhundertwende antwortete der sogenannte Ausdruckstanz auf die Sprachskepsis und Sprachkrise mit einer eigenen „Sprache“, die Hans Brandenburg, Das Theater und das neue Deutschland. Jena 1919, z.Bsp. auf S. 16, 36, 40 als „Bewegungsschrift“ bezeichnete. Hugo Ball schrieb 1917: „Der Tanz ist Selbstzweck geworden (…) Hier im besonderen Falle genügte eine poetische Lautfolge, um jeder der einzelnen Wortpartikel zum sonderbarsten, sichtbaren Leben am hundertfach gegliederten Körper der Tänzerin zu verhelfen.“ (Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit. Hg. Bernhard Echte. Zürich 1992, S. 148). Vgl. auch Dencker, Über die wechselseitige Befreiung der Künste. Zum Medieneinfluß und zur Veränderung des Kunstbegriffs auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. In: Sprache im technischen Zeitalter 110, Berlin 1989, S. 152, u. Yasmine Inauen, Verwandelte Körper, verwandeltes Ich. In: Lyrik des 20. Jahrhunderts. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München 1999, S. 215. Buchstaben und Texte interpretierend getanzt in dem Projekt „Das getanzte Gedicht“ (steirisc(:her:)bst 2004) des Corousel Theaters: http://www.steirischerherbst.at/2004/de/Programm/Detail0bd3.html? ProgrammeID=164&EreignisseID=20, oder als direkte Übertragung vom Buchstabencode über den Satzbau bis zur Interpunktion durch bestimmte Bewegungsfiguren etwa im AlphaSystem von Jo Fabian: http://www.jofabian.de, oder das Buchstabenballett nach „abeceda“ von Karl Teige: „motion in alphabetical order“ von Börries Müller-Büsching: www.b-mb.de. Vgl. dazu auch den Hinweis auf die Buchstabenballette der attischen Bühne etwa bei Sophokles im „Amphiaraos“ (Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 70) u. Euripides im „Theseus“ (Raoul Schrott, Über die antiken Wurzeln der Konkreten Poesie und die Geschichte der Schrift. In: Schreibheft 49, Essen 1997, S. 183). Der Hinweis auf die attische Bühne wird bei Liede ergänzt (Dichtung als Spiel, Bd. 2, a.a.O., S. 75) mit Hinweisen auf eine getanzte Buchstabenscharade im 18. Gesang von Dantes Paradiso, auf Harsdörffers Buchstabentanz „Eitelkeit“ (Frauenzimmer Gesprächspiele, III. Teil, Tübingen 1968, S. 234) und auf eine Mitteilung von Hans Weis (Bella Bulla. Lateinische Sprachspielereien. Bonn 1994, S. 51), in der von einem AnagrammBallett zu Ehren der Tronbesteigung des Königs Stanislaus Leszczyn´ski 1704, erdacht von dem Rektor Jablonsky der Schule in Lissa, die Rede ist. Zum Thema Tanz und bildende Kunst vgl. Nele Lipp, Ertanzte Bilder. Hamburg 1990 u. Nele Lipp/Christiane Meyer-Rogge, Bodybuildings. Hamburg 1994, vgl. auch Teige, Manifest des Poetismus, a.a.O., S. 108. Zum Thema Tanz und Poesie vgl. Gabriele Brandstetter, Tanz-Lektüren. Körperbildungen und Raumfiguren der Avantgarde. Frankfurt 1995. Vgl. Anm. 1602. In diesen Umkreis gehören die Bildalphabete, in denen menschliche Körper in der Form von Buchstaben erscheinen. Vgl. die Beispiele bei Massin (Abb. 85 S. 140), der von einer Ausstellung berichtet, die Grandville (Un autre monde, Paris 1844) im Louvre plante, in der neben lebenden Bildern auch Buchstaben auftreten sollten, a.a.O., S. 22 und der ein Foto zeigt von norwegischen Partisanen, die 1945 mit ihren Körpern „Es lebe der König“ in den Schnee „schrieben“, a.a.O., S. 133. Dann auch: Carrington Bowles, The Comical Hotch-Potch, Or
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Abb. 85: Stefan Themerson, Kaitelüberschriften für: Exercises de style. London 1960
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sinnbildend beeinflussten, erscheint der Entwurf einer Biopoesie gleichsam als ein komplementäres Weiterdenken. Versucht man nun, die „Computergesteuerten Produktionen“ im Überblick etwas zu ordnen, fällt dies nicht leicht angesichts einer Fülle ganz unterschiedlicher Bereiche, was umso deutlicher wird, wenn man den Ordnungsversuch (und der nur für einen Teilbereich) von Dieter Daniels und Rudolf Frieling auf ihrer „Medien-Kunst-Netz“-Plattform903 liest: „Telepresence Art, Biokybernetische Kunst, Robotik, Netzkunst, Space Art, Experimente im Nanobereich, A-Life-Art (etwa eines Karl Sims oder Tomas Ray), Kreation von virtuellen Agenten und Avataren, Datamining, Mixed Realities, datenbankgestützte Kunst und so weiter. Diese Spezialdisziplinen lassen sich wiederum, grob skizziert, in die Gebiete Telematische, Genetische und Immersiv-Interaktive Kunst ordnen und unter dem Oberbegriff Virtuelle Kunst fassen“. Komninos Zervos hatte bereits 1997904 einen ordnenden Versuch unternommen: „During my masters year, 1995, I created multimedia poetry on my computer for CD-Rom production completely oblivious to the vast amounts of emerging techno-literatures throughout the world. I initially called them text animations. I was making dimocopo or digital moving concrete poetry but found that was not sufficient to describe exactly what I was producing as it neglected the sound experiments I was doing with computer voices and sound manipulation software. I considered dimocoposo as an alternative but it was clumsy and still not accurate. When Richard Barbrook from the Hypermedia Research Centre emailed me and suggested that pomo was very 80’s and Eduardo Kac, holographic/visual poet emailed and suggested what I was doing was different from concrete poetry anyway and should be called some903
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The Alphabet Turn’d Posture-Master (1782), Christian Ludwig Attersees „Buchstabenprothesen“ (1967/die Beine der Akteure werden mit Buchstabenobjekten verlängert/Abb. in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P.), die 1969 im Film „Gruß Attersee“ erschienen, sowie Poesie-Performances wie die von Enzo Minarelli, Bartolomé Ferrando, Clemente Padin, Fernando Aguiar – um die wichtigsten zu nennen; weitere Performance-Künstler bei: Davinio, a.a.O., S. 135 ff. – oder jene spektakuläre Multimedia-Performance von Arleen Schloss „A. E.: BLA BLA BLA“, ein Auftragswerk für die Ars Electronica 1986: Ars Electronica. Katalog, Bd. 1, Linz 1986, S. 45 ff. und Kunstforum 103, a.a.O., S. 89. Vgl. auch Takenobu Igarashi, Von der Graphik zur Plastik: Igarashi Alphabets. Zürich 1987, S. 4 f./11, wo auf historische Beispiele hingewiesen wird. http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/immer sion/4/. Vgl. Anm. 843.
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thing new, I decided to give it a very generic name of cyberpoetry. I had created a poetry that could not be published in a print publication but could only be experienced via a computer and CD-Rom … After a year searching the net, making contact with other cyberpoets and swapping links with other sites it seems to me that the new forms of techno-literature fall into seven categories. The first category, which takes advantage of the hyperlinking abilities of the internet, is hypertext poetry. The earliest of this kind of poetry and fiction originated as Mac hypercard stacks, and then progressed to html on the internet (…) The second category of cyberpoetry also utilises the hyperlinking feature of the internet but links are not always text. Image, sound, video and animation are linked to or used as links to blocks of text. This is known as hypermedia poetry (…) The third category of poetry that cannot be published in print is the random poetry generator. This involves software programms that generate poems to a formular (…) The fourth category, is sound manipulation poetry.Oral poetry has been around since before written poetry, but sound manipulation and sound as meaning, sound as emotional journey, even sound-as-noise and noise-as-sound type poetry grew from the revolutionary arts movements of the early 1900’s in Europe and the mid 1900’s in the U.S.A. (…) The fifth category of cyberpoem is an old form too, that of spoken word poetry, as it is known in the U.S.A., or performance poetry in Australia and the U.K. (…) New Forms of visual poetry, make up the sixth category of cyberpoem (…) The seventh category of cyberpoem is the animated text type cyberpoem (…) While I have tried to identify the kinds of categories that techno-literatures fall into, there are obviously cross-overs between the categories. One thing is for sure, these categories of techno-literature did not exist prior to the internet and multimedia computer. Writers of techno-literature no longer conceive of words on a two dimensional surface, in lines across a page, but rather words in a space, a three dimensional cyberspace, in which text moves around, to tell a story, evoke emotions and create imagery“. Erweitert und chronologischer zusammengestellt bieten sich aus heutiger Sicht folgende Gruppen an: 1. Mit dem Computer hergestellte, linear strukturierte Texte, produziert mit festen oder zufallsgesteuerten Programmen. 2. Herstellung von Text-Generatoren mit festen Programmen oder interaktiv erweiterbar. 3. Herstellung nicht-linearer Texte (Hypertext). 4. Herstellung linearer und nicht-linearer Texte versetzt mit Bild-, Ton-, Videoelementen (Hypermedia).
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5. Einstellung von computergenerierten Texten im Netz. Das Netz ist nur Speicher- und Transport-Medium. 6. Herstellung von Texten, die nur für das Netz produziert wurden, d. h. also nicht (wie bei 5 noch möglich) außerhalb des Netzes existieren könnten. Formen der Text-Animation. 7. Herstellung von Interaktions- und Kollaborationstexten, die auf eine „totale Immersion des Rezipienten“905 zielen. 8. Herstellung von interaktiv produktiven Communities und deren Vernetzung auf der Basis nicht-linearer Hypertext- oder HypermediaKommunikation. 9. Herstellung virtueller Räume im PC, im Netz und außerhalb des Netzes (auch interaktiv) mit jedweder optischen und akustischen Textanimation und Formen der Performance. 10. Herstellung code-basierter, selbstbezüglicher und selbstagierender Texte. 11. Herstellung (begrenzt) autonom agierender Objekte der Robotik, Bionik, Digital Biology. Es ist, zusammengefasst, die Entdeckung des Raumes906, die Erkundung vom realen über den virtuellen Raum des konkreten Bilden und Denkens zum irrealen Raum der Codes, vom virtuellen Raum der Körperlichkeit zum imaginären Raum des Bewusstseins. Damit wird auch den Faktoren Zeit und Bewegung eine neue Qualität zugewiesen, die sich in den Begriffen Simultanität und Ubiquität, aber auch Instabilität und Labilität ausdrückt. Es scheint sich eine beziehungsvolle Abhängigkeit von der Aktivität des Produzenten zu Entgrenzungsphänomenen im Umfeld der Aktivitäten zu zeigen. Der nur vom Produzenten bestimmten Aktivität folgt die vom Kontext mitbestimmte Interaktivität bei gleichzeitiger Entgrenzung und Aufhebung von Orts-, Zeit- und Personenbezügen und zunehmender Einflussnahme reaktiver Objekte und Installationen, die die aktive Selbstbestimmung immer mehr einer (immerhin noch programmierten und damit kalkulier905
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Zitiert nach Roberto Simanowski, Digitale Literatur. Begriffsbestimmung und Typologisierung, in: http://209.85.129.132/search?q=cache:M38mqzzv9tAJ: www.brown.edu/Research/dichtutal/Simanowski/28Mai991/typologie.htm+Roberto+Simanowski,+Digitale+Literatur.+Begriffsbestimmung+und+Typologsierung&hl=de&ct=clnk&cd=1&gl=de. Jay David Bolter, Writing Space. The Computer, Hypertext and the History of Writing. Hillsdale, New Jersey 1991. Vgl. dort besonders das Kapitel „The Mind as a Writing Space“.
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ten) Fremdbestimmung unterziehen. Und dies im Hinblick auf die Vorstellung von einem neuen Gesamtkunstwerk – in gewisser Weise ebenfalls ein Entgrenzungsphänomen –, in dem alle natürlichen und künstlichen Ausdrucksmöglichkeiten mit Hilfe natürlicher und künstlicher Produktionsmittel miteinander verbunden zum Einsatz kommen.
IV/3 Reale und scheinbare poetische Bewegungsmodelle Teemu Ikonen hat in seinem Beitrag „Moving text in avant-garde poetry. Towards a poetics of textual motion“907 festgestellt, dass den Innovationen in der digitalen Literatur, die er in einem Katalog von elf Merkmalen zusammenfasste, u. a. auch die „analogies of movement in printed lite-rature“ vorausgingen und Einfluss nahmen, besonders jene in der Konkreten Poesie: „the analogy of motion is more systematically developed in the work Concretist poets from the 50’s onwards“. In der Tat ist erkennbar, dass viele Poeten bei ersten Film-, Video-, Holografie und Computerrealisationen zunächst von Spielarten der Konkreten Poesie ausgingen. Mary Ellen Solt schrieb das vorausahnend 1968908: „There have been signs throughout our reading of the poems that other strong kinetic impulses are at work in contemporary poetry, but they have not yet arrived at the synthesis necessary in the artistic consciousness to bring them into definite formal expression. The kinetic poem may still be in its infancy“. Und sie verwies auf einen Beitrag von Mike Weaver909, in dem er drei Typen der Konkreten Poesie identifizierte: „visual (or optic), phonetic (or sound) and kinetic (moving in a visual succession)“. Mike Weaver war es auch, der 1964 „The First International Exhibition of Concrete, Phonetic and Kinetic Poetry“ organisierte910, im selben Jahr in Cambridge den „International Kinetic Poetry Fund (KINKON)“ gründete und eine der drei wichtigsten programmatischen Schriften911 zur Kinetischen Poesie verfasste. Seine Verweise auf
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http://www.ekac.org/ikonen.html. Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 7 und S. 59 f. Mike Weaver, Concrete Poetry. In: The Lugano Review, Vol. 1/5–6, 1966, S. 100 ff. Rushmore Rooms/St. Catherine’s College in Cambridge. Wobei angemerkt sei, dass es bereits 1956 eine Ausstellung gab: „1st national exhibition of kinetic and concrete poetry“ im Museum of Modern Art in Sao Paolo. Vgl. Anm. 364.
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die Elemente Bewegung, Raum und Zeit912 unter Berücksichtigung der Erfahrung von Filmemachern913 führte Stephen Bann in seinem Beitrag „Poésie cinétique“ einer genaueren Definition zu. Für das Element der Bewegung erwähnte er drei Möglichkeiten: 1. optische Phänomene, die auf Wiederholungen von Formen beruhen, 2. optische Phänomene, die von den Formen selbst hervorgerufen werden und 3. optische Phänomene, die durch die Bewegung des Betrachters entstehen. Und zum Element Raum914 hieß es: „La surface jadis spatialisée par les perspectives devient, dans l’art cinétique, espace par les vibrations rétinales ou les mutations lumineuses. Cette base est aussi celle de la poésie cinétique: transcender la surface pour créer de l’espace. Bien sur il s’agit de la page imprimée et non de l’écran ou de la surface picturale; d’un espace sémantique plutot que strictement visuel“915. Am genauesten aber hatte sich Pierre Garnier, der Begründer des Spatialismus916, über „Le poème cinétique“ geäußert917. Schon 1963 hieß es in seinem „Manifeste pour une poésie nouvelle, visuelle et phonique“918: „La poésie nouvelle fail bouger les mots sur la page: ils ont des pattes, ils 912
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Übrigens schon 1926 in dieser Klarheit von Theo van Doesburg (I. K. Bonset [Pseudonym für Doesburg], Über den Sinn der Literatur. In: De Stijl, Jg. 7, Nr. 77, Leiden 1926, S. 78, abgedr. in: Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 211) gesehen: „Schreiben als ein Schöpfen aus und ein Schaffen mit dem Wortmaterial ist reine Dichtkunst, der neue Vers beruht auf dem schöpferischen Einfall, der ohne absolute Destruktion des Begriffs (und all dessen, was mit dem gewöhnlichen Verstand zusammenhängt) und der Syntax nicht möglich ist. Diese Vernichtung von Begriff und Syntax zieht die Aufhebung von Raum und Zeit nach sich“. Van Doesburgs Gedichte sind erschienen in: De Stijl, Jg. 4, Nr. 11, Leiden 1921 (Anthologie-Bonset), komplett im Internet unter: http://sdrc.lib.uiowa.edu/ dada/De_Stijl/011/index.htm. „Mais ce sont le cinéaste – et éventuellement le musicien – qui peuvent au mieux nous expliquer les problèmes du mouvement actuel ou du temps réel (…) „, a.a.O., S. 15. In Georges Perec, Träume von Räumen. Bremen 1990 gibt es ein Textstück „die seite“, in dem Perec von dem „Raum eines Blatts Papier“ (S. 16) spricht und darstellt, wie er durch Beschreiben der Blattfläche den „Raum“ mit Wörtern zu „bewohnen“ beginnt. Anders dagegen eine Arbeit von Arrigo Lora Totino „Spazio“ (1966), in der mit dem Wort „spazio“ auf der zweidimensionalen Blattfläche ein Raum simuliert wird. A.a.O., S. 19. Siehe Anm. 75 Vgl. auch: Gaby Gappmayr, Sprache und Raum. Die POÉSIE SPATIALE von Pierre und Ilse Garnier. Bielefeld 2004. A.a.O., S. 123 ff. Les Lettres, 8. Série, Numéro 29, Paris 1. trimestre 1963 (Januar), S. 1 ff. dt. Übers. in: Garnier, Poésie spatiale, a.a.O., S. 193 ff.
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ont des ailes, des roues, des mains, des pieds, des lumières proches et lointaines. Ca bouge comme un œil. Chaque mot doit avoir son espace propre. Il doit pouvoir se dilater et se rétrécir dans son espace propre. Mais il ne peut être posé sur la page qu’en fonction de l’atmosphère du poème. D’ailleurs, le fait que le poème n’appartient plus à un écoulement, mais à une stagnation modifie la valeur même de chaque mot. „919 Und 1968 schrieb er in „Le poème cinétique“920: „Donc un poème est dit cinétique s’il est en mouvement, c’est-à-dire s’il se forme, se transforme, se déforme, se forme, etc. sous nos yeux – qu’il se déplace virtuellement ou réellement (…) Le poème cinétique sera donc fabriqué avec quelques éléments choisis mis soit en mouvement virtuel par les rapports qui s’établissent, soit en mouvement réel par un quelconque mécanisme (…) Mais ces mots et ces syllabes eux-mêmes doivent être en mouvement – intérieurement en mouvement. Si on se contente de faire bouger des mots fixes sur un écran c’est comme si on faisait varier sur l’écran des personnages immobiles: il faut que le mot bouge en luimême, qu’il se forme, se déforme, s’intègre, se désintègre, se forme, se déforme, se transforme, devienne un autre mot, etc. (…) La poésie concrète et le Spatialisme sont une tentative de la poésie de prendre ouvertement conscience de l’époque – et cela sur tous les plans“. Garnier, Bann und Weaver beschreiben eine wechselseitige Beziehung von (Flächen)Raum und Zeit, gleichsam die Aufhebung ihrer realen physikalischen Bestimmungskomponenten zugunsten einer neuen Wahrnehmung von Sprachmaterial und dessen formaler und semantischer Funktion. Damit unterstrichen sie, was Augusto de Campos 1956 im Rahmen eines Programms Konkreter Poesie feststellte: „Poesia concreta: tensão de palavras-coisas no espaço-tempo is how I tried to define it, in 1956, in the manifesto that I published for the First National Exposition of Concrete Poetry, in the Museum of Modern Art in São Paulo: Concrete poetry: tension of thing-words in space-time921. I don’t believe it’s possible to speak of a total abolition of temporality in CP. But it’s undeniable that, as far as it coincides with the materiality of language, breaking physically with the linear structure of discourse, including the imagination to organize itself by juxtaposition and coordination (parataxis) rather than by subordination (hypotaxis), and permitting a multiplicity 919 920 921
A.a.O., S. 5. A.a.O., S. 123 ff. Vgl. auch: Augusto de Campos/ Décio Pignatari/ Haroldo de Campos, Teoria da Poesia Concreta. Ed. Patricia Parker/David Quint. Baltimore 1986, S. 29.
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of readings and points of view through the exploration of graphic resources, CP interjects space into the temporality of language; it relativizes that temporality. This phenomenon was what motivated me to speak of space-time, although in an unorthodox way, with an obvious allusion to the conceptual universe of modern physics. In that sense, CP simply runs parallel to the development of contemporary music. What is created is a perceptual ambiguity, which explodes the concepts of linearity and of temporality conventionally tied to these two types of artistic expression“922. In dem für die Konkrete Poesie richtungsweisenden Manifest der Noigandres-Gruppe wird dies dann noch einmal knapp zusammengefasst: „Raum wird genannt: die Raumzeitstruktur an Stelle einer nur linearzeitlichen Entwicklung (…) Konkrete Dichtung: Wortobjekte in das Raum-Zeitgefüge gespannt. Dynamische Struktur: Vielzahl konkommittierender Bewegungen“923. Dieses auf Öffnung, Entgrenzung angelegte Beziehungsgeflecht zwischen Raumzeitstruktur und dynamischer Struktur, also Bewegung, ist wieder im Zusammenhang mit der Form des „offenen Kunstwerks“924 im Sinne Ecos zu betrachten. Eco, der seinen Begriff des „Kunstwerks in Bewegung“ von der Tatsache ableitete, dass das Kunstwerk erst durch die Mitwirkung des Rezipienten „verschiedene unvorhergesehene, physisch noch nicht realisierte Strukturen“ annehmen kann und insofern die vom Autor angebotenen Materialien und Wege sich in einem von Rezipient zu Rezipient wechselnden Herstellungsprozess befinden,925 identifizierte in der Literatur Mallarmés „Livre“ als ein solches Werk „ohne Anfang und Ende, 922
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Roland Greene, From Dante to the Post-Concrete: An Interview with Augusto de Campos. In: The Harvard Library Bulletin, Summer 1992, Vol. 3, No. 2 (http://www.ubu.com/papers/decampos.html). Text, Buchstabe, Bild, a.a.O. S. XXVII. Noch heute berufen sich Poeten auf diese Stelle im Pilot-Plan, wie der chilenische Poet Martin Gubbins 2003: Martin Gubbins, Time and Visual Poetry (http://www.pores.bbk.ac.uk/3/gubbins.html). Vgl. Anm. 223. „Als ich 1962 Das offene Kunstwerk veröffentlichte, hatte ich die Frage zu klären versucht, wie ein Kunstwerk einerseits eine freie interpretierende Beteiligung von seinen Empfängern fordern, auf der anderen Seite aber strukturale Charakteristika aufweisen könnte, die insgesamt die Ordnung dieser Interpretation regulierten und stimulierten (…) ich hatte einen besonderen Aspekt herausgearbeitet, nämlich die Aktivität der Mitarbeit, durch die der Empfänger dazu veranlasst wird, einem Text das zu entnehmen, was dieser nicht sagt (aber voraussetzt, anspricht, beinhaltet und miteinbezieht), und dabei Leerräume aufzufüllen und das, was sich im Text befindet, mit dem intertextuellen Gewebe zu verknüpfen, aus dem der Text entstanden ist und mit dem er sich wieder verbinden wird.“ (in: Eco, Lector in fablua. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München 1987, S. 5)
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als ein Text, der – organisch !Seiendes" und architektonisch !Gemachtes" zugleich – durch die !totale Entfaltung des Buchstabens" sich an der Demarkationslinie zwischen Natur und Kultur in unaufhörlichem Werden konstituiert“926. Mallarmés Absicht war, das Buch „zu einem aleatorischen (zufallsgelenkten) Prozess, eine(r) augenblicksgebundenen Konstellation permutierbarer Teile (…) auf der Suche nach einer mathematischen Gleichung für eine solche Operation der Kombinatorik“927 zu entwickeln928.
Manipulationen Mit dem Blick auf eine solche Werkstruktur beinhaltete für Eco Bewegung nicht nur das sich prozessuale Formieren immer neuer Textkonstellationen, sondern auch die Manipulation an sich, das Eingreifen des Rezipienten, nicht nur in der Literatur, sondern auch im musikalischen Bereich und in den plastischen Künsten, „wo wir heute Objekte finden, die etwas wie eine Mobilität in sich haben, eine Fähigkeit, sich kaleidoskopisch in den Augen des Betrachters als beständig neue zu formieren“929. Ähnlich den Mobiles von Alexander Calder, die Eco erwähnte, gab es denn auch Textobjekte, wie sie Gerhard Rühm 1955 schon vorschwebten: „mobile lyrik: als letztes stadium nun auch bewegung einführen. etwa auf bewegten flächen im raum in der art calders; auch mit sprungfedern für schock- und plötzlichkeitseffekte! kreisbänder, um die ständig wort- oder lautgruppen rotieren. ein kosmos der bewegten laute (worte) im raum. dadurch auch simultanwirkungen (gleichzeitigkeit verschiedener wort- oder lauteindrücke). auch das moment der pausenlängen (innerhalb der abfolge oder zwischen den abfolgen)!“930 So sind von Ludwig Gosewitz Textmobiles bekannt, die er 1966 entwarf: zwei längliche Tafeln beidseitig mit den Wörtern ICH und DU bedruckt, jeweils waagrecht in vier Teile geschnitten und untereinander frei schwebend befestigt, so dass sowohl ICH als auch DU nur bei besonderer 926 927 928
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Felix Phillipp Ingold, Das Buch. In: Aisthesis, a.a.O., S. 289 f. Peter Weibel in: Im Buchstabenfeld, a.a.O., S. 33. Vgl. Stéphane Mallarmé, Ecrits sur le Livre. Choix des textes, présenté par Henri Meschonnic. Paris 1986. Vgl. zu „Le Livre“ auch Ute Schorneck, Calligrammes. Figurentexte in der abendländischen Literatur, besonders im 19. und 20. Jahrhundert (Schwerpunkt: Frankreich, Italien). Frankfurt 2001, S. 87 ff., und Seaman, a.a.O., S. 122 ff. Eco, Das offene Kunstwerk, a.a.O., S. 42 und S. 158. die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 606.
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Konstellation zusammengesetzt erschienen, oder ganz ähnlich ein Objekt mit einem Text von Gertrude Stein „when you see this remember me“, der waagrecht Wort für Wort über sechs nebeneinander hängenden Platten mit schwarzer Rückseite lief, so dass bei entsprechenden Drehungen der Platten immer nur einzelne Wörter dieses Satzes zu lesen waren.931 Ein anderes Beispiel sind die Poesie-Uhren von Emmett Williams932 oder Kenelm Cox933, deren Ziffernblatt durch Buchstaben ersetzt wurden, so dass sich je nach Stellung der Zeiger auf den Buchstaben Wörter ergaben934. Cox hatte in den 1960er Jahren eine ganze Reihe von Text931
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Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. Ein weiteres Beispiel in: Gosewitz, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 18 („hier/dort“, 1966). Abb. 86 in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. „The !Poetry Clock", along with a poem constructed by alphabetized live carp, was concieved for an Hommage pour Anton Müller by Jean Tinguely, Daniel Spoerri and myself at the Galerie 59 in Aschaffenburg. The show was first postponed, then cancelled, and the clock wasn’t exhibited publicly until the Salon de Mai in Copenhagen in 1962. I have a collection of poems made by clock-watchers at the exhibition. (E. M.)“ Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 90, hier ist nur das „Buchstabenblatt“ abgebildet. Das Objekt in Bewegung ist zu sehen in: Visuelle Poesie. Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O. Ein weiteres interessantes Objekt ist von Robert Filliou, Clock Work (1972), Abb. in: Fluxus: una storia veneta, a.a.O., S. 79. Die Poesie-Uhr ist auch ein beliebtes Textbild-Motiv, spätestens seit Apollinaire „La cravate e la montre“ in den „Calligrammes“ (1913–1916/Abb. in: Guillaume Apollinaire, Poetische Werke. Neuwied 1969, S. 246f. mit Übersetzung) oder „Léopold Survage“ in den „Poèmes retrouvés“ (1917/Abb. in: Guillaume Apollinaire, Le Guetteur mélancolique suivi de Poèmes retrouvés. Paris 1970, S. 213), oder bei Lajos Kassák 1920 (Hinweis von Herta Wescher, Die Geschichte der Collage.Vom Kubismus bis zur Gegenwart. Köln 1974, S. 302). Später dann Beispiele von Vagn Steen (1962/Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 76), André Thomkins (1966/Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. u. als zweite Version in: Peignot, Typoésie, a.a.O., S. 309) u. Kahtan al Madfai (1970/Abb. in: konkrete poesie international 2, a.a.O., o. P.), Edgardo Antonio Vigo (Abb. in: Jean-François Bory, Once again. New York 1968, S. 64f.), Jérôme Peignot (Abb. in: Peignot, Typoèmes, poésie visuelle. Éditions du Seuil 2004, S. 207). Im Video von Zdzislaw Pokutycki „Illusion 1“ (1989) baut sich am Anfang auf der Treppenszene von Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ eine Uhr auf, indem die Buchstaben I L L U S I O N nacheinander und im Uhrzeigersinn das Wort und die Form einer Uhr ergeben, zu sehen auf der Video-Kassette: Prix Ars Electronica ’89. Hg. ZWD 1, Siemens AG München. John Cayley „The Speaking Clock“ (1995/Abb. in: New Media Poetry, a.a.O., S. 181, wo Cayley auch auf die „Poetry Clock“ von Williams und John Christie’s „mechanical Word Clocks“ [1968] hinweist) in: http://www.shadoof.net/in/incat.html. Unter den Suchbegriffen „Poetry Clock“, „Word Clocks“, „Speaking Clocks“ gibt es im Internet eine ganze Reihe von Marktangeboten, – von fantasievollen Zeitmesspunkten bis zu ganzen Gedichten, die zu jeder vollen Stunde ertönen.
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Abb. 86: Emmett Williams, Poetry Clock, 1959
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objekten („machines“)935 konstruiert wie das dreiteilige Objekt „AmorVoluptas-Pulchritudo“ (1966/68)936, über das Dom Sylvester Houédard, der selbst 1963 schon 28 „kinetic poems“937 für die Ausstellung in Cambridge938 entwarf, berichtete939. Ähnlich wie Tzaras „La Rose et le chien“, das aus drei aufeinandergelegten Rundscheiben besteht, die gegeneinander verstellbar sind und dadurch die Texte der einzelnen Scheiben immer neu kombinierbar sind940, hat Kriwet 1968/1971 solche Text-Mobiles entworfen,941 und Timm Ulrichs entwarf 1963 eine Textscheibe „rotor“942, deren Drehung Stillstand simuliert: „ROTOR/Stroboskop-Text/ Kinetisches Ideogramm für einen Plattenspieler. der text wird während der rotation auf einem schallplattenteller bei intermittierendem (periodisch unterbrochenem) licht und wechselnden umdrehungszahlen betrachtet. (bei alternieren-
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Between Poetry and Painting, a.a.O., S. 35. Abb. und Erklärung in: Cybernetic Serendipity, a.a.O., S. 51 und unter dem Titel „The Three Graces 1967–1968)“ in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 40 f. Ceolfrith 15, Sunderland 1972, S. 27 und S. 47: „the poem as self-regulating machine“. Ein „machine mantra for raoul hausmann“ ist mit Erklärung zu finden in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. In Concrete Poetry. Ed. Stephen Bann, a.a.O., S. 23 gibt es den Hinweis, dass Houédard Anweisungen für „poemmachines“ geschrieben habe. Vgl. Anm. 910. Ceolfrith, a.a.O., S. 59 ff. Tristan Tzara „La Rose et le chien“ (Alés 1958/Abb. in: René Lacôte, Tristan Tzara. Paris 1960 u. in: Artists’ Books in the Modern Era 1870–2000, a.a.O. S. 150, siehe auch: Schorneck, a.a.O., S. 192 f. u. Text als Figur, a.a.O., S. 267 f.). Ähnlich den Poesiemaschinen, vgl. S. 76 ff. Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 82 f. Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 47. Ganz anders hat Franz Mon das Buchstabenmaterial R O T O R behandelt (Abb. in: konkrete poesie [1972], a.a.O., S. 104). Ein auf der Spitze stehendes Quadrat, gebildet aus dem umlaufenden, alle vier Seiten des Quadrats ausmachenden Buchstaben R O T O R, die sich zur Mitte des Quadrats regelmäßig verkleinern, scheint das Gegenteil dessen, was Rotor bedeutet, darzustellen, unterstützt durch die sich aufdrängenden Lesungen wie T O T (verstärkt durch die Typografie, die das T klein geschrieben als Kreuz erscheinen lässt) oder T O R. In diesem Fall geht es weit mehr als um die Simulation von Bewegung und Stillstand. Die Vielzahl der Lesemöglichkeiten, zu denen R O T, O R T oder O R O ebenso gehören, wie die akustischen Varianten, die beim lauten Lesen entstehen, intensivieren die über die bloß ikonografische Komponente hinausgehende komplexe Struktur dieses Ideogramms. Interessant auch bei Jens Peter Mardersteig in seinem „thriller“ (in: Poetische Sprachspiele, a.a.O., S. 279 f.) die Verwendung des Wortes „rotor“ und die sich aus ihm entwickelnden Lesungen innerhalb der Bewegung des Textes.
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dem, durch wechselstrom erzeugtem licht sind glimmlampen und neonröhren besser geeignet als glühbirnen mit wolframfäden). die richtung der empfundenen (scheinbaren) bewegung der schriftscheibe ist abhängig von der periodenzahl des lichtes und der bewegungsfrequenz des vorganges. stimmen beide überein oder ist die frequenz des rotors ein vielfaches der des lichtes, scheint der text stillzustehen. nach dem system der stroboskopie gleichartiger objekte, das häufig zur messung von drehzahlen verwendet wird, lassen sich verschiedenartige kinetische licht-spiel-apparate (scheiben mit schwarzen und weißen sektoren etc.) konstruieren. (ich habe u. a. „stroboskop-kreisel“ entworfen).“943 Neben Textobjekten, die als kinetische Objekte, mechanisch oder motorisch bewegt, konstruiert wurden, entstanden vor allem statische Objekte, die erst durch die Aktion desjenigen, der sie in die Hand nahm und benutzte, zu kinetischen Objekten wurden944. Beispiele dafür sind die bereits erwähnten „Wurftexte“ oder die gestempelten Klötzchen des Legespiels „On facing page“ (1962–1966) von Ludwig Gosewitz945, das mit drehbaren Klötzchen versehene Objekt „Babacus“ (1964) von John Furnival946, die „Möbius Schleife“ (1966) von Carl Andre947 – eine nach dem Prinzip des Möbius-Bandes mit einzelnen Wörtern beschriftete Papierschleife, die mit der Hand abgerollt werden muss, um alles lesen zu können –, die plastische und taktile Poesie von Josef Bauer948 und die Textkörper von Schuldt, die seit 1965 entstanden: „Gegenstände tragen sprachliche Strukturen, die je nach Handhabung des Gegenstandes in verschiedenen Konstellationen gelesen werden, wobei syntaktische und 943
944
945
946 947 948
Ulrichs, um nicht zu sagen: ganz zu schweigen von. In: timm-ulrichs-bulletin, 3. folge/ text- und aktionsabend II, kunsthalle bern 27. 2. 68, hannover 1968. Ein gutes Beispiel ist der ruhende und sich bewegende Fahrstuhl im Projekt „Schriftfilm“ von Franz Mon, vgl. Anm. 2752. In gewisser Weise könnte man auch an die vielfachen Textmitteilungen z. B. auf T-Shirts denken, die zunächst als Textträger statische Objekte sind und dann durch das Tragen zu „bewegten Mitteilungen“ werden und öffentlich kommunizieren – Text im öffentlichen Raum, der sich z. B. auch auf Verkehrsmitteln wie Bussen und Straßenbahnen, Demo-Tafeln und Fahnen finden lässt, allerdings mit dem Unterschied, dass der Text sich selbst und damit seine Bedeutung durch die Bewegung kaum verändert, dagegen seine Deutung und Wirkung als Teil einer Kommunikationssituation durch die Bewegung beeinflusst wird. Abb. und Erklärung in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. Zu den ähnlichen „Wurftexten“ siehe Abb. 67. Abb. in: Once again, a.a.O., S. 71. Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 38. Die Bauer seit 1965 produzierte. Abb. in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P.
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Kinetische Poesie
semantische Verschiebungen auftreten, die beim lauten Vorlesen auch zu akustisch deutlich unterschiedenen Verläufen führen. Verschiedene denkbare Verläufe eines Textes werden parallel verfolgt und untereinander wieder verknüpft; an bestimmten Stellen wird die (im Zuge des Lesens) bis dahin wahrscheinliche syntaktische Auffassung des sprachlichen Materials von einer anderen, nun mehr wahrscheinlicheren, abgelöst“949. Schließlich ist das auf die Handhabung des Rezipienten angewiesene umfangreiche Spektrum der Buchobjekte950 zu nennen. Hierher gehören einmal die schon in anderem Zusammenhang erwähnten, dem Zufallsprinzip unterworfenen Text-, Buch- und Poesiemaschinen-Modelle und zum anderen jene Objekte, deren Handhabung von klaren Anweisungen des Autors bestimmt werden, wie für Ferdinand Kriwets „Virtual949
950
Notizen zu den Abbildungen der Textkörper in: Konkrete Poesie II, a.a.O., S. 17, dort auch Abb. 87 (S. 13). Ein längerer Beitrag von Schuldt zu seinen Textkörpern mit Abb. in: Vom Aussehen der Wörter. Visuelle Poesie/Notationen. Hg. Michael Erlhoff/Bernhard Holeczek. Hannover 1980, S. 17 ff. Schuldts TextkörperAktion ist zu sehen in der TV-Dokumentation: Visuelle Poesie. Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O. Dort auch die Aktion von Timm Ulrichs mit seinem Textobjekt „Würfel“ (1964), vgl. zu den „Wort-Dingen und Ding-Worten“ (Ulrichs): T. U., Totalkunst. Angesammelte Werke. Ludwigshafen 1984, S. 13. Einer der besten Kataloge zum Thema Buchobjekte: Hermann Havekost, Künstlerbücher Buchobjekte. Oldenburg 1986. Siehe auch: Buchwerke. Dominique Moldehn, Künstlerbücher und Buchobjekte 1960–1994. Nürnberg 1996; BuKs – Buchkonstruktionen. Hg. Holger Jost. ZKM/Karlsruhe 1999. Bibliografie zu Ausstellungen, Katalogen, Aufsätzen bis 1984 in: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 130 f. Die beiden wichtigsten Sammlungen zum Buchobjekt/Künstlerbuch gibt es in der Universitätsbibliothek Oldenburg und im Neuen Museum Weserburg Bremen, das auch seit Anfang der 1990er Jahre eine Heftreihe zum Thema herausgibt. Zur Geschichte des Buchobjekts vgl. Jean-François Lyotard, Ausflüchte in der Literatur. In: Lyotard, Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens. Berlin 1986, S. 129 ff.; hier weist Lyotard auf „das erste Buch-Objekt, das erste mobile Druckerzeugnis, das erste offene Werk und erste Collage-Buch“ hin, auf: R. P. Christophe Leuterbreuver, La confession coupée, ou La méthode facile pour se préparer aux confessions particulièrses et générales. Paris 1739. Auf S. 44 dieses Buches wird die Anweisung gegeben, die Sünden zu markieren und die Zeilenenden mit einem spitzen Gegenstand herauszuziehen, deren der Leser sich zu beschuldigen habe, „deutlich greifen Schere und Klebstoff in die Druckseite ein; die jeweilige Kombination wird dem !Leser", d. h. dem Sünder, überlassen: er ordnet die einzelnen Teile nach dem, was ihm gerade am Herzen liegt; die einmal gebeichtete Anordnung wird ungültig und er kehrt zum Ausgangspunkt zurück; es wird also merklich etwas getilgt und so Abbuße und Erlösung von den Sünden erreicht; unendliche Beichte, unendliche Poesie.“ (Lyotard, a.a.O., S. 134). Vgl. auch Anm. 1396, 2462 u. 2466.
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Abb. 87: Schuldt, Elfenbein-Textkörper, 1965
aktuelle Buchanzeige“ (1961)951, in der dem Leser Leserichtungen, die Art des Umblättern, sein mit Pausen zu versehenes Leseverhalten und vieles mehr exakt vorgegeben wird, oder Tomas Schmits Buch „das uch der b“ (1966), das erst gelesen werden kann, wenn nach einem bestimmten Regelwerk alle Seiten aus dem Buch herausgerissen und neu geordnet werden. Damit wird der Lesevorgang selbst zu einem konstituierenden Element952. Die Einflussnahme auf die Wahrnehmung des Lesers steuert letztlich dessen Mitwirkung am poetischen Text. 951 952
Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 44. Vgl. die einschlägigen Äußerungen von Kriwet in: leserattenfaenge, a.a.O., S. 18 ff.
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Kinetische Poesie
Diese Art der prozessualen Textherstellung, oder wie es Ernst nennt, des „kinetischen Leseprozesses“953, der vor allem durch verschiedenartige Manipulationen am Textmaterial entsteht, unterscheidet sich nun von Handhabungen (etwa durch Umblättern eines Buches oder eines mehrseitigen Textzusammenhangs), die erst Bewegungen der Buchstaben und Wörter, wie etwa bei Williams und Gomringer, hervorrufen. Während dort der Text durch die ordnende Manipulation zusammengesetzt und lesefähig wird, ist hier das Umblättern nur eine Unterstützung der ordnenden Zusammenschau, die durch die Augen des Betrachters erfolgt, also eine Art Film ergibt. Damit verwandt ist eine Form, die bereits im Futurismus anzutreffen ist. Francesco Cangiullo entwarf ein „Caffè-concerto. Alfabeto a sorpresa“954. Es handelt sich um den Ablauf (von Seite zu Seite) des Programms eines Varieté-Theaters, dargestellt mit Buchstaben, die sich zu Figuren, den Artisten der einzelnen Nummern, formen. Die erste Seite zeigt ein Blick ins Orchester, die zweite auf den Vorhang und die dritte beginnt mit der ersten Nummer des Programms: die typografisch figurierte „Jole Charmant“ betritt eine stilisierte Bühne. Das Abblättern gleicht dem Öffnen des Vorhangs, und die Augen nehmen einerseits die Bewegung der Buchstaben in den einzelnen Figuren, aber andererseits auch in ihrem zeitlichen Nacheinander von Nummer zu Nummer auf den unterschiedlich farbigen (Bühnen)Seiten, den Rhythmus von Blatt zu Blatt wahr. Eine Art „Augentheater“ ist entstanden. Ganz ähnlich verhält es sich mit optischen Textformen auf einer Buchseite, wie beim „fingertext“ (1965)955 von Tomas Schmit. Mehrere 953
954
955
Ernst, Permutation als Prinzip in der Lyrik, a.a.O., S. 248, wofür er als Beispiel von Octavio Paz „Discos visuales“ (Mexico City 1968) nennt, bewegliche Textscheiben, die durch Drehungen nach und nach Gedichte von Paz freigeben. Vgl. auch Anm. 368, wo Claus von „kinetischer konstruktionsebene“ spricht. Ernst mag diese Bezeichnung von Solts Bemerkungen über das Kinetische Gedicht abgeleitet haben: „The serial form of the kinetic poem also introduces into the poem the cinematic method of reading, which relates to our !reading" or viewing of movies and television programs and commercials, bringing the silent reading of the poem more in line with contemporary habits of reading“ (Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 60). Nach Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 440 im Manuskript auf 15. 1. 1915 datiert, im Werk selbst erscheint im (fiktiven) Programmblatt die Datierung 10. 8. 1916, zum ersten Mal ausgestellt wurden die Blätter 1918 (Rom) und 1919 (Mailand). Dazu F. T. Marinetti, Alfabeto a sorpresa. In: Tavole parolibere futuriste (1912–1944), Bd. 2, a.a.O., S. 347. Abb. in: Hans Brög/S. D. Sauerbier u. a., Konkrete Kunst – konkrete Poesie. Programmatik – Theorie – Didaktik – Kritik. Kastellaun 1977, S. 182. Einen weiteren „Fingertext“ bietet: A Point of View, a.a.O., S. 63.
Reale und scheinbare poetische Bewegungsmodelle
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Abb. 88: Tomas Schmit, fingertext, 1965
auf einem Blatt verteilte Buchstaben werden mit einem kaum auseinander zu haltenden Gewirr von Linien verbunden, denen man mit einem Finger folgen muss, um den Text „MEIN ZEIGEFINGER!“ zu entziffern,956 wie auch in „odcizeni“ von Václav Havel, in dem die beiden Buchstaben j und á (já = ich) am Anfang und Ende eines solchen Linien-Netzes stehen.957 Gibt es hier noch aufgrund der Verbindungslinien eine Lesehilfe, wie auch bei den Text-Kreisscheiben958, Text-Spiralen 956
957
958
Annette Gilbert, Bewegung im Stillstand. Erkundungen des Skripturalen bei Carlfriedrich Claus, Elizaveta Mnatsakanjan, Valeri Scherstjanoi und Cy Twombly. Bielefeld 2007, S. 312 f., Abb. 88 S. 313. Havel, Protokoly. Prag 1966, S. 111 (auch in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.). Ferdinand Kriwet „Rundscheibe“ (1960/Abb. in: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 36 ff.). Kriwet hat dem Thema der Rundscheibe ein ganzes Buch („leserattenfaenge“) gewidmet, in dem er ausführlich insgesamt zehn Rundscheiben kommentiert und eine Mappe mit Rundscheiben herausgab 1963 (DuMont, Köln).
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Kinetische Poesie
und Text-Labyrinthen959, deren Drehrichtung (und damit Leserichtung)960 vorgeben ist, oder in Arbeiten, die durch ihre besonderen 959 960
Vgl. Ernst, Labyrinthe aus Lettern, a.a.O., S. 225 ff. Vgl. Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 85, 167, 243. Text-Kreisscheiben und Textspiralen gibt es seit dem „Diskos von Phaistos“ (17.–16. Jh v. Chr./Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 29), dem „Archaischen Diskos“ (6. Jh. v. Chr./Abb. in: Ernst, a.a.O., S. 31), der etruskischen Bleitafel aus Magliano (6./5. Jh. v. Chr./Abb. in: Ernst Doblhofer, Die Entzifferung alter Schriften und Sprachen. Stuttgart 1957/1996, S. 300 und ein Foto in: Harald Haarmann, Universalgeschichte der Schrift. Frankfurt 1991/1998, S. 93), der „Inscription de Duenos (6.–4. Jh. v. Chr./Abb. in: Jérôme Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 4) und den altbalkanischen Schriftzeugnissen der Vincˇa-Kultur (Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 74 ff.) sowie den aramäischen Beschwörungsschalen (Berjouhi Bowler, The word as image. London 1970, Innendeckel und Gabriele Mandel, L’Alfabeto ebraico. Milano 2000./dt. Ausg.: Gezeichnete Schöpfung. Eine Einführung in das hebräische Alphabet und die Mystik der Buchstaben. Wiesbaden 2003, S. 115). Sie tauchen in allen Kulturen auf (vgl. Gabriele Mandel Khân, l’écriture ARABE. alphabet, styles et calligraphie. Paris 2001, S. 142 f. oder Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 56/hebräisch und Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 811/chinesisch). Der früheste Nachweis im deutschen Sprachraum datiert 1510 (Ernst, Carmen Figuratum, a.a.O., S. 735, Abb. 89), dann verstärkt im 16., 17. und 18. Jh. (Kern, a.a.O., S. 310), im 19. Jh. (Thalmayr, a.a.O., S. 352 f., oder die Komposition in Neschi-Schrift (1819) in: Abdelkébir Khatibi/ Mohammed Sijelmassi, Die Kunst der islamischen Kalligrafie. Köln 1977, S. 190), im russischen Formalismus (Majakowskij/1905, Abb. in: Chlebnikov, Werke, Bd. 1, a.a.O., Abb. 14), bei Apollinaire („Bonjour mon frère Albert à Mexico“ [1914/Abb. und Interpretation in: Schorneck, a.a.O., S. 110ff]), im italienischen Futurismus (Tavole parolibere futuriste, Bd. 1, a.a.O., S. 90, 148), bei Man Ray „Spiral Poem“ (1919/siehe Anm. 1304), die 1926/27 verfilmte Textscheibe von Marcel Duchamp (vgl. Anm. 426) und nach 1945 – um nur einige Beispiele zu nennen – bei: Sylvain Lecoq „Le Cas“ (1949/Abb. in: Laure Hesbois, Les jeuy de langage. Ottawa 1986, S. 117), Öyvind Fahlström „Zeichenscheibe“ (vor 1952/Abb. in: Dencker, Textbilder, a.a.O., S. 10), Tristan Tzara „La Rose et le chien“ (vgl. Anm. 940), Konrad Bayer „flucht“ (1962/64/ Abb. in: die wiener gruppe [1997], a.a.O., S. 184 f.), Al Hansen „Zohm Tondo/ Everything Powerful Moves in Circles“ (1962/Abb. in: „Fröhliche Wissenschaft“, a.a.O., S. 40), Maurice Lemaître „Le fameux phallus“ (1964/Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 103), Eduard Ovcˇácˇek, „Kruhy 1964–1966“ (in: Ovcˇácˇek, Lekce velkého. Praha 1995, S. 85 ff., besonders in der englischen Sprache), Jirˇí Kolárˇ „Große tote Zunge“ (1965/Abb. in: Kolárˇ. Eine Monografie. Hg. Miroslav Lamacˇ/Dietrich Mahlow. Köln 1969, S. 19), Paul de Vree „het leven is een baccarat“ (1966) oder „revolutie“ (Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 139), Ian Hamilton Finlay „Sea Poppy 1 + 2“ (1966/1968/Abb. in: The Order of Things. Scottish sound, pattern and concrete poetry. Ed. Ken Cockburn. Edinburgh 2001, S. 16 f.), Neide Dias de Sá (in: Ponto 1. Revista de poemas de processo. St. Tereza, Guanabara 1967), Jean François Bory „e“ (1967/Abb. in: Fontana, a.a.O., S. 314), Maurice Le
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Abb. 89: Erhart Falckner, Spirale der Gerechtigkeit, 1510
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Konstellationen961 oder rhythmischen Abläufe der Buchstabenfol961
1
maître „Mensuel Fevrier 1967“ (Abb. in: Lemaître, Canailles II, III, IV … N + Q +/- . Paris 1968, o. P.), Ilse Garnier „Voice“ (1967/Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 292), Klaus Warmuth „collage imprimé“ (1968/Abb. in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. 66), Jochen Gerz in: Footing. Paris 1968/Gießen 1969, Ryojiro Yamanaka „I“ (1970/Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 86), Wanda Gotkowska „Tabuica z zapisen tekstowyn“ (1973/Abb. In: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 111), Jean-Luc Parant „Et le vide nous a continué en lui nous inversant côte (…).“ (1978/Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 112), Arrigo Lora Totino „Vedo dove vado“ (1973/Abb. in: Fontana, a.a.O., S. 315), Peter Murphy „statist“ (1975/ Abb. in: Missing Form. Concrete, Visual and Experimental Poems. Collective Effort Press, Melb/Australien 1981, o. P.), Emmett Williams „Letters to Ay-O“ (1976/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 19), Beispiele der 1980er Jahre von Luciana Arbizzani „The new big bang“ (1985) u. Jean-Luc Parant „Calligramme pour mes 33 ans“ (1980/Abb. in: Philippe Castellin, DOC(K)S: MODE D’EMPLOI: histoire formes et sens des poésies expérimentales au XXo siècle. Romainville 2002, S. 190 u. 226), César Figueiredo „Solar 1 + III“ (1987/88/Abb. in: Portugál kísérleti költészet. Hg. Szkárosi Endre. Budapest 2002, S. 48f.), Thomas Ockerse „La roue des chiffres“ (in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 327), Thomas Günther/Ottfried Zielke/Axel Wendelberger (in: wortBILD. Visuelle Poesie in der DDR. Hg. Guillermo Deisler/Jörg Kowalski. Leipzig 1990, S. 44, 78, 128), Paul Nagy „imago(elaborintus)“ (in: Paul Nagy, journal in – time. 1984–1994. Paris 1994, S. 39), eine Arbeit „Kritski“ disk. Versiѕ“ (1997), die sich direkt auf den „Diskos von Phaistos“ bezieht (Abb. in: A Point of View, a.a.O., S. 386f.), ebenso die von Milan Osrajnik „Cˇip iz Phaistosa“ (ca. 1980/Abb. in: verbo voco vizuel. Verbo-voco-vizuelno u Jjugoslaviji 1950–1980. Beograd 1982, o. P., Abb. 90). Besonders beliebt wurde dieses Formspiel dann in der Werbung: Bsp. Dencker, TextBilder, a.a.O., S. 168 und bei Schorneck, a.a.O., S. 326. Eine umfassende Darstellung gibt es in japanischer Sprache von Yukimasa Matsuda/Shutaro Mukai, The functions of circle and square. Tokyo 1998/99. Auf der Website http://holeartarthole.blogspot.com/2007_04_01_archive.html gibt es eine seit Sept. 2005 wachsende Anthologie als non-stop-edition, von nur kreisrunden Arbeiten. Während diese Beispiele im wesentlichen ihre Kinetik nur durch das Leseverhalten des Betrachters erfahren, gibt es Textkreise, die zusätzlich durch ihre grafische Darstellung einen kinetischen Effekt erzeugen. So etwa die Arbeiten von Mary Ellen Solt aus dem Jahr 1966 (in: klankteksten, a.a.O., S. 148 und in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.), Ian Hamilton Finlays „waterwheels“ (in: Speaking Pictures. A Gallery of Pictorial Poetry from the Sixteenth Century to the Present. Ed. Milton Klonsky. New York 1975, S. 245), Miyo Kawashima „whirlpool“ (vor 1970/Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 82), Paul de Vree „Contestical mill“ (1969/Abb. in: Poesia visiva di/Versi e Racconti Mediterranei. Hg. Nicola Miceli. Padula 2000, o. P.), Karl Kempton „Quelle“ (1996/Abb. in: A Point of View, a.a.O., S. 346) oder Formen wie: Konrad Balder Schäuffelen „Windrose“ (1996/Abb. in: Konkrete Poesie II, a.a.O., S. 19), „White Rose“ von Solt (in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 198) und die von der ASA 1968 herausgegebene Falt8
1
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Abb. 90: Milan Osrajnik, Cˇip iz Phaistosa, ca. 1980
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gen962 die Leserichtung steuern, wird diese geringer bei offenen Textkonstellationen etwa einer Arbeit von Elfriede Czurda963, die scheinbar ebenfalls Verbindungslinien zu den Buchstaben aufweist, oder Formen von Spielbrettern wie Halma964 oder Schach965, die allenfalls noch aufgrund der Spielregeln Lösungen vermuten lassen. Sie verschwindet schließlich ganz bei einer nichtlinearen und nicht figurativ bestimmten Verteilung der Buchstaben oder Wörter auf der Buchseite966, so dass jetzt ohne manuelle Zusatzhilfe das alleinige kreativ ordnende Betrachten im Sinne eines kinetischen Leseprozesses zu Ergebnissen führt. Wahrnehmungsformen/Leseabläufe In den Umkreis des filmischen Elements gehört auch die optische Erscheinung des stroboskopischen Effekts967 und der Vibra962
961
962
963 964 965 966
967
karte (in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 254), die auf einen Typus zurückgeht, der z. B. 1666 bei Johann Casparus Zetsching auftaucht (in: Visible Language, Vol. XX, 1, a.a.O., S. 68) und mit anderem Text von einem anonymen Autor im 18. Jh. nahezu kopiert wird (Abb. in: Jérôme Peignot, Du Calligramme, a.a.O. S. 69; dort auch eine Spiralscheibe aus dem 6.–4. Jh. v. Chr., abgebildet auf S. 4). Timm Ulrichs’ Palindrom „stets“ (1961/Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 49). Einerseits scheinen die kreisförmig angeordneten Buchstaben kurz vor einer sich aufdrängenden Drehbewegung zu stehen, andererseits tritt ihr ein statisches Moment mit der Umzingelung des e durch die als Totenkreuze wirkenden t-Buchstaben entgegen. Dieser Gegensatz in der Form besitzt eine gewisse Entsprechung in der Bedeutung des Wortes „stets“, das in sich zugleich ein Moment des stets Gleichbleibenden, Statischen und des sich stets Bewegenden, Wiederholenden trägt, was sich wiederum in der Vor- und Rückläufigkeit des Palindroms spiegelt. Hirsˇal/Grögerová „B. B.“ (1961/62/Abb. in: Josef Hirsˇal/Bohumila Grögerová, JOB-BOJ. Prag 1967, S. 81 ff.) oder Carlos Alvear „Russian Rhapsody“ (in: konkrete poesie international 2, a.a.O., o. P.), sowie ein anderer Typus, der sich in einer Arbeit des spanischen Autors Juan Ocarte zeigt (in: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 197). Abb. in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P., Abb. 91. „halma“ von Miroslav Korycˇan in: klankteksten, a.a.O., S. 124. Vgl. Anm. 631. Carl Fernbach-Flarsheim „Mirror Field inside Random Field“ (in: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 249). Ein sehr gutes Beispiel dafür ist „poem for rose-marie“ (ca. 1965) von Charles Cameron, in dem nur mit den Buchstaben n und m Quadrate und Rechtecke entstehen, deren Anordnung der Betrachter beim Hin- und Wegsehen als sich überschneidende (rotierende) Kreise wahrnimmt. Abb. in: Les Lettres, 9. Série, Numéro 34, Paris 4. trimestre 1965, S. 18, u. Alan Riddell, Typewriter Art. London 1975, Abb. 92 S. 120.
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Abb. 91: Elfriede Czurda, o. T., ca. 1975
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Abb. 92: Charles Cameron, poem for rose-marie cahc, 1965
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tion968, wie „Hommage to Vasarely“969 von Jirˇí Valoch970. Betz971 hat in diesem Zusammenhang auf das Beispiel von Timm Ulrichs „e“ (1965) und Vasarelys „Eridan-C, Nr. 33“ (1963)972 hingewiesen. In beiden Fällen973 wird die regelrechte Anordnung der Elemente im Quadrat von außen nach innen durch leichte Drehung verändert, womit zum Innenraum hin der Betrachter ein Vibrieren974 registriert. Ulrichs hatte die Arbeit 1969 dann mit blauen Buchstaben auf einem roten Fond gedruckt, was den Effekt verstärkte975. Die Wahl der geometrisch klaren Helvetica-Type, bestehend aus Kreis und waagerechter Linie, verstärkt die Konstruktion der Rotation und damit den Flimmereffekt. Das be968
969 970 971 972
973 974
975
Eino Ruutsalo (1961/Abb. in: Eino Ruutsalo, Kineettisiä runoja, Kuvia ja maalauksia. Helsinki 1990, S. 5), Jirˇí Kolárˇ (1961/Abb. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 37), Eduard Ovcˇácˇek, „Optická struktura“ (1964 in: Ovcˇácˇek, a.a.O., S. 73), Herbert W. Kapitzki, Siebdrucke (1966/Abb. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 82) u. die Umschlaggestaltung des Ausstellungskatalogs von 1967 in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 226. In: Once again, a.a.O., S. 31. Weitere Beispiele von Valoch in: klankteksten, a.a.O., S. 131. Betz, Permutation als Prinzip in der Lyrik, a.a.O., S. 435 f. Von Vasarely gibt es auch eine Arbeit, die mit 23 Buchstaben × 23 Zeilen eine Art kinetisches Hell-Dunkel-Spiel probiert: „Lunik en rodage“ (1959/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 100). Ist es Zufall, dass der Titel von Vasarelys Arbeit mit E beginnt? Claus nennt eine frühe Arbeit „Vibrationstext“ in: Movens, a.a.O., S. 77 (siehe Abb. 259), und eben dort folgen auf den Seiten 78 und 79 von Vasarely die „Plastique Cinétique“. Auf eine interessante Arbeit von Dieter Roth macht Dietrich Mahlow im Katalog „Schrift und Bild“ (a.a.O., S. 172 f.) aufmerksam. Eine Seite aus Roths „Bok 1956–59“ zeigt die Zeichen d b q p so geordnet, dass vier Zeichen innerhalb eines gedachten Quadrats auf immer neue Weise zusammengefügt werden, so dass die Seite von 8 × 8 solcher kleinen Quadrate gebildet wird: „Die Fläche [gerät] unter den Permutationen der Letterngruppen ins Vibrieren. Die vollkommene Reduktion der Letternformen auf Kreis und Gerade, die in der Futura vollzogen ist, erlaubt, die Buchstaben als Elemente einer Gruppe nur noch optischer Relevanz zu betrachten.“ (a.a.O.) Zur damaligen Zeit entwarf Roth „Kinetische Bilder (Puzzles)“, beteiligte sich auf Vermittlung von Daniel Spoerri an der Ausstellung „Vision in Motion“ 1959 im Hessenhuis in Amsterdam, und sein „bok“ wurde im Rahmen der Ausstellung „Dynamo 1“ zusammen mit Werken von Tinguely, Klein, Mack, Piene, Bury und Soto im gleichen und darauffolgenden Jahr in Paris, London, Mailand und Zürich gezeigt. 1961 entstand „textfilm (ein brief)“ (Brief Dieter Roths an Richard Hamilton/September 1961) und „bok 2b“ und „bok 4a“, die kinetische Arbeiten enthielten (Abb. in: Roth Zeit. Eine Dieter Roth Retrospektive. Hg. Theodora Fischer/Bernadette Walter. Basel 2003, S. 50). Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 47.
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Kinetische Poesie
kannte Zeichen „e“ wird plötzlich fremd, verliert die Bedeutung des Buchstabens und gewinnt sie wieder neu. Der Bedeutungswandel ein und desselben Sprachzeichens bei veränderter optischer Positionierung wird bewusst976. Dieser Flimmereffekt, der vor allem durch eine regelmäßige Permutation von Zeichenelementen in einer bestimmten Konstellation wahrnehmbar ist, begegnet schon in frühen Beispielen des 16. Jhs.977 und 17. Jhs.978, genau diesen Mustern entsprechend, dann in Stephen Banns „Dominikus Zimmermann“ (1964)979 und besonders deutlich bei Pierre Garnier980 in „cinema“ (1965)981. In Verbindung mit der schräg laufenden Permutation von cinema und einem Schwarz-Weiß-Effekt des Wechsels zwischen der, das Weiß durchlässigeren Fläche cin und der dichter bedruckten Fläche ema ergibt sich der optische Effekt des filmischen Flimmerns982. 976
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Der inhaltlich-qualitative Unterschied wird deutlich, wenn man eine ganz ähnliche Arbeit von Hans Reimann (1889–1969) betrachtet, die bereits 1919 (wohl als Parodie) veröffentlicht wurde. Reimann druckte in einem Rechteck ebenfalls nur den Buchstaben „e“, aber 132mal in wechselnder Typografie und unterschiedlichen Größen, wobei hier durch Wellenbewegungen im Druckbild eine andere Art von Bewegung entsteht: Hans Reimann, Literarisches Albdrücken. Leipzig 1919, Abb. 93 S. 94. Ein weiteres Beispiel mit dem Buchstaben E stammt von Mirella Bentivoglio aus dem Jahr 1973 (Abb. in: Love and Joy About Letters. The Work of Ben Shan and Mirella Bentivoglio. Katalog. Pomona College Museum of Art/ Claremont 2003, S. 27). Vor einem schwarzen Hintergrund ergeben zwei Reihen von jeweils 2 × 5 ineinander verschachtelten weißen E ebenfalls eine kinetische Irritation. Johannes Trithemius, Polygraphia, Basel 1518, Bl. O 2r, oder Eustorg de Beaulieu „Gloire à seul“ (1537), Abb. in: Seaman, a.a.O., S. 66 f. Johann Heinrich Schill, Grabschrifft und Lobspruch (1631), oder David Klesel, Denck= Täffelchen (1675) in: Poetische Sprachspiele, a.a.O., S. 48 und S. 81. Weitere Beispiele bei Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 39, 48, 114, 128, sowie bei Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 154. Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P., hier auch mit Erklärung von Jasia Reichardt. Eine eindrücklichere Fassung in: Concrete Poetry. Ed. Stephen Bann, a.a.O., S. 164. Garnier entwickelte seit 1964 eine besondere Form der Kinetischen Poesie, die er „poème mécanique“ nannte. Siehe dazu seine programmatischen Äußerungen (mit Beispielen) in: Les Lettres, 9, Série, Numéro 33, Paris 4. trimestre 1964 (September), S. 3 ff. und Les Lettres, 9. Série, Numéro 34, Paris 4. trimestre 1965, S. 33 ff. Abb. in: Garnier, Poésie spatiale, a.a.O., S. 53. Seaman, a.a.O., S. 255 f., S. 256 Abb. 94 u. in: anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.
Reale und scheinbare poetische Bewegungsmodelle
Abb. 93: Hans Reimann, e, 1919
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Abb. 94: Pierre Garnier, cinema, 1965
Entscheidend ist das permutative Prinzip der von Zeile zu Zeile sich immer um die gleiche Buchstabenzahl verschiebenden Buchstaben oder Wörter, so dass eine schräge Abwärtsbewegung entsteht, wie in „rivers of white“ (1974)983 von Alex Selenitsch, wo sich aus drei Wörtern rivers of light durch die Verschiebungen Kombinationen bilden, wie vers of light und light rivers, die zugleich hell fließende Wellenlinien984 darstellen, oder wie in der strengen geometrischen Figur von Claus Bremers „bewegen und beweglich sein“ (1968)985. Bremer erweitert nun das Spektrum der Bewegungssimulation z. B. durch Auslassungen von Buchstaben in „der text der ausbleibt ist der text“ (1970)986 oder in der Kombination von Auslassung und Überschreibung in „was dem einen text fehlt macht 983 984
985 986
Abb. in: Missing Form, a.a.O., o. P. Vgl. auch Eduard Ovcˇácˇek, „Vlne˘ni“ (1964), a.a.O., S. 66 u. Henri Chopin, „Quelques 6970 zébrures“ (1993) in: Literally Speaking, a.a.O., S. 56. Abb. in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 33. Abb. in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 32.
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den anderen text lesbar“ (1964)987, wobei sich hier Abwärts- und Aufwärtsbewegung durch die Überschreibung kreuzen988. Eine sehr interessante Sonderform, die umgekehrt nicht mit Auslassungen oder Überschreibungen, sondern mit Dehnungen und Erweiterungen Bewegung simuliert, bieten einmal Arbeiten, die entweder durch technische Manipulationen989 oder durch eine bestimmte Satz-Struktur wie in Peter Meijbooms Text „De vermoeide lezer“990 kinetische Effekte erzeugen. Der Text von Meijboom beginnt, traditionell als Flattersatz auf einer Seite gesetzt, ganz unverfänglich: „The dicussion which follows will be restricted to homogeneous kinetic steps.“ Aber bereits im nächsten Satz schleicht sich scheinbar ganz unmotiviert der Buchstabe z ein: „Heterogeneous kinetic steps, such as those taking plaz zz on the surface of solid catalysts, are more difficult to understand and interpret than are homogeneous steps and reactionzz.“ Im weiteren Verlauf des Textes ersetzt das z nicht nur einzelne Buchstaben und treten nicht nur Verdoppelungen und Verdreifachungen des z auf, sondern kontinuierlich wird der Fließtext durchsetzt von wachsenden z-Folgen: „If the molecule is a single atzzz it can possess kinetic zzzzzzzzzzzzzzzzzzz“, bis Viertel- und Halbzeilen die zunehmende Bewegung steigern und die letzten beiden Zeilen dann lauten: „thezzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzpizzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz zzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz“.
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Abb. in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 31, Abb. 95. Zur Interpretation der Bremer-Texte: Bremer, Farbe bekennen. Mein Weg durch die konkrete Poesie. Zürich 1983, S. 33 ff.; Bremer, Texte und Kommentare. Zwei Vorträge. Steinbach 1968, o. P.; Bremer, ANLAESSE kommentierte Poesie 1949 bis 1969. Neuwied 1970, S. 28 ff. u. S. 86. Etwa in der Copy-Art. „I learnt to read, at the age of four, in the London Underground. The first word I read was !Exit". I then progressed to the posters and the names of the stations. As the trains slowly left the stations, the letters of the station names appeared to move. I think you can still see this early underground influence in my work. I am still fascinated by old posters and I am always trying to get kinetic effects with moving letters. In the 1970’s, I achieved these kinetic effects with prisms and mirrored and reflecting papers and cards (…) However from the 1980’s onwards, I tried to get effects by manipulating the photocopier. A technique, I think, invented by Bob Cobbing.“ (Betty Radin, Brief an Dencker v. 11. 9. 2006). Vgl. Betty Radin, summer sales. London 2002 u. Northern Line Angel. London 2003. In: VISIE/VERSA. Hg. Renaat Ramon. Katalog. Brugge 2002, S. 25.
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Abb. 95: Claus Bremer, was dem einen text fehlt macht den anderen text lesbar, 1964
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Zu beobachten ist, dass bei der Mehrzahl dieser Varianten der Kinetischen Poesie das traditionelle Leseverhalten von oben nach unten genutzt wird, um den Bewegungseffekt problemloser simulieren zu können. Dabei wird die Wahrnehmung der Bewegung zusätzlich durch die Vorstellung des „Herab- oder Ausfallens“991 von Buchstaben unterstützt, wie in „ein text passiert“ (1970)992 von Bremer, in dem sich die Wörter ein text passiert vom e zum n, vom t zum t und vom p zum t auf einer vier Buchstaben breiten Senkrechten von oben nach unten auf- und wieder abbauen, oder schlichter in „up/dn“ (1968)993 von Alex Selenitsch, der 34mal up untereinander setzt und direkt daneben, jeweils um eine halbe Zeile tiefer, dn. Noch deutlicher wird das in „fallen“ (1966)994 von Franz Mon. Das Wort fallen wird, sich wiederholend, so untereinander geschrieben, dass nur die Senkrechten (d. h. alle f untereinander, alle a untereinander usw.) eine gerade Linie ergeben, nicht aber die waagerechten Linien des Wortes fallen. Und dies deswegen, weil Mon unregelmäßig in der Senkrechten die Buchstaben jeweils ganz oder teilweise überschrieben hat und damit der Eindruck eines unregelmäßigen Herabfließens der Buchstaben entsteht. Die sprachlichen Zeichen verwandeln sich in der Visualisierung zu dem, was dem Begriff, den die Zeichen ausdrükken, entspricht. So auch in Ernst Jandls „film“ (1964), einem Spiel mit den Buchstaben f i l m. Diese werden 52mal untereinander geschrieben, wobei f und m unverändert untereinander stehen, während i und l wechselseitig ausfallen bzw. die Plätze im Wort film tauschen.
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Zwei sehr schöne Beispiele: Marcello Diotallevi „Lettre“ (1980/Abb. in: Peignot, Typoésie, a.a.O., S. 298) und Bob Cobbing „Whisper Piece“ (1969/Abb. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 99). Abb. in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 30. Abb. in: Missing Form, a.a.O., o. P. Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. Eine spätere PermutationsVariante stammt von Annette Lemieux, „We all Fall Down“ (1987/Abb. In: Kunstforum Bd. 102, Köln 1989, S. 67).
294 film film film film fi m f im fi m f im f m fl m f im f m flim film flim film f lm f lm fl m f lm fl m f m f lm fl m f m f lm f m fl m f lm fl m fl m fl m fl m fl m fl m flim film flim film flim film flim f m film f m flim film flim film film film film film
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Ernst Jandl, film, 1964
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Jandl schrieb dazu: „This poem is a film. There are two actors, i and l. The action starts in line 5 and ends in the 5th line from the bottom. i is alone, changes position 3 times, disappears, l appears disappears, i appears disappears, both appear together changing position, like dancing; then i disappears for a long time, which, after stunning l, makes l restless, then immobile, like resignation; when at last i reappears, the dancelike jumping about and out of the picture and back again is resumed for a longer stretch than the first time. This state is final. It is the happy ending of the film. (flim, if you like, is the weightier half of the German flimmern, to flicker.)“995. Ein (filmisches) Spiel mit zwei Akteuren ist „Match. Pour deux personnages typographiques“ (1970)996 von Jean Claude Moineau. In 80 Zeilen werden A LA PAROLE A LA PAROLE untereinander geschrieben und in jeder Zeile einzelne Buchstaben oder Buchstabenteile so gefettet, dass neue Wörter und neue Zeichen entstehen, die eine eigene Sprachebene entwickeln. Vorformen dieses häufig anzutreffenden Bewegungseffekts, der noch durch Seitwärtsbewegungen aus der Senkrechten verstärkt wird, finden sich im 16. Jahrhundert bei Guillaume Guéroult997 oder im 17. Jahrhundert bei Joseph Beaumont, dessen Gedicht „Suspirem ad amorem“998 von oben nach unten, jeweils immer vier Zeilen nach rechts und nach links verschoben, rhythmisch in Serpentinen verläuft; dann bei Goethe in seinem Gedicht „Liebeslied eines Wilden. Brasilianisch“ (1782), in dem
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Erläuterung in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. Eine ganz ähnliche Arbeit ist „fragment“ (1960/65) von Timm Ulrichs (Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 78 f., S. 79), die auch als Leporello existiert. Von Ulrichs siehe auch „IKON – KINO“, zu dem es vor der filmischen Realisation auch eine Druckfassung gab (Anm. 438). In diesem Zusammenhang sind auch die 2 Schriftrollen (zur Beziehung Schriftrolle/Leporello zum Film siehe Anm. 408 ff.) von Emmett Williams „Alphabet Poem“ (1963) und „An Opera“ (1963/Abb. von beiden in: Kellein, a.a.O., S. 145) zu nennen. Nach einem anderen Prinzip, aber ebenfalls einem filmischen Ablauf vergleichbar, ist „o organismo quer perdurar“ (1960) von Décio Pignatari (Abb. als Filmsequenz in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. 44) u. in: Williams, a.a.O., o. P. eine andere Variante mit folgender Erläuterung von Haroldo de Campos: „organismo/organism: cine-poem first published as a booklet in 1960, a kind of erotic piece dealing with the transformation of a sign (the letter and Potuguese article O) into a biological signal“. Abb. 96 in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 193. „Hymnes du temps et de ses parties“ (Lyon 1560/Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 56). Abb. bei Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 97.
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Abb. 96: Jean Claude Moineau, MATCH, 1970
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die Schlangenbewegung am Ende auch im Druck visualisiert wird999, in Lewis Carrolls Gedicht „The Mouse’s Tale“ (1862/63), in dem die Textfolge in unterschiedlichen Fassungen1000 kurvige Schwanzbewegungen ergibt,1001 und schließlich bei Rafael Nogueras Oller „Una esse“ (1905)1002. Gleichsam als Brücke zwischen diesen Formen und denen der Konkreten Poesie1003 ist 999
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In: Goethes Werke. Hg. i. Auftr. der Großherzogin von Sachsen. Vierter Theil. Weimar 1891, S. 320. Ein dem „The Mouse’s Tale“ von Lewis Carroll entsprechender Drucksatz in: Das Wasserzeichen der Poesie oder Die Kunst und das Vergnügen, Gedichte zu lesen. In hundertvierundsechzig Spielarten vorgestellt von Andreas Thalmayr. Frankfurt 1990, S. 312. Text als Figur, a.a.O., S. 227 ff.; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 106; concerning concrete poetry, a.a.O., Tafel III; Massin, (1970) a.a.O., S. 214; Speaking Pictures, a.a.O., S. 155. Vgl. Lewis Carroll, Das literarische Gesamtwerk, a.a.O., Bd. II, S. 553. Siehe auch dazu Beaumont (Anm. 998). In der Gegenwart gibt es von Josef Hirsˇal/Bohumila Grögerová „topologicky´ text – rˇete˘zec“ (Abb. in: Vrh kostek. Cˇeska experimentální poezie. Prag 1993, S. 319), von Miroljub Todorovic´ „zmija“ (1971/Abb. in: Typewriter Art. Ed. Alan Riddell. London 1975, S. 50 u. Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 144), ein Schlangentextbild. Andere Varianten der Ikonisierung von Text sind die das Wort ersetzenden Schnörkel bei Laurence Sterne „Tristram Shandy“ (1759/ Abb. in: Laurence Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy Gentleman. Ed. Graham Petrie. Harmongsworth/Middlesex 1967, S. 576 = Penguin Books), die Bewegung von Corporal Trims Stock nachahmend, oder bei Eduard Mörike „An Clara“ (1837/Sämtliche Werke. Hg. Herbert G. Göpfert. München 1976, S. 251), wo am Schluss das Wort Schnörkel durch einen ebensolchen ersetzt wird. Dann sind jene Formen zu nennen, die innerhalb eines Textes Wörter oder Satzteile aus dem Satzspiegel herausheben, schräg oder einzelne Buchstaben aus der Zeile stellen, wie die Beispiele aus dem 18. Jahrhundert bei Ernst, Text als Figur, a.a.O., S. 208 und 19. Jh. bei Massin, (1970) a.a.O., S. 907, Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 140 u. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 214 zeigen. Abb. in: Isidre Vallès i Rovira, Joan Brossa: Les sabates són més que un pedestal. Barcelona 1996, S. 307. Vgl. serpentinenförmige und Zickzack-Bewegungen bei Ian Hamilton Finlay „XM poem“ (1963/Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.), bei Ilse und Pierre Garnier (1965/ Abb. in: Garnier, Poésie spatiale, a.a.O., S. 57 u. 60 „visible/invisible“, „caValcade“) u. in: Seaman, a.a.O., S. 265 (kamikaZe), Dom Sylvester Houédard (Ohne Titel, 1963/Abb. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 24), Ferdinand Kriwet, „unter anderem bustrophisch“ (1961/ Abb. in: leserattenfänge. Köln 1965, S. 45/Lesbogen 6), Hirsˇal/Grögerová, „had“ (ca. 1962/ Abb. in: JOB-BOJ, a.a.O., S. 121) u. Vladimír Burda, „hemzˇeni“ (1965, Abb. in: Burda, Lyrické minimum. Prag 2004, S. 189). Oder ein neueres Beispiel von Erich Wilker „schmie“ (1990/91/Abb. in: Poetische Sprachspiele, a.a.O., S. 334). Ronald Drapers „Topspin“ (vor 1970/Abb. in: rot 41, a.a.O. o. P.) stellt durch Abund Aufbau der Buchstaben eine Rotation von top und pin um die Vertikalachse s
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Abb. 97: Guillaume Apollinaire, Il pleut, 1916
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dann Apollinaires „Il pleut“ (1914/16)1004 zu betrachten. Shutaro Mukai sah in dieser Arbeit von Apollinaire nicht nur das Bewegungselement als eine Entsprechung zu den herabfallenden Regentropfen, sondern mit Bezug auf den Inhalt der Textzeilen die Darstellung von „Zerfall“.1005 Vor dem Hintergrund des 1. Weltkriegs, der Verwundung 1916, Auflösung der Verlobung und des rasch folgenden Todes 1918 sah Mukai das Gedicht als eine Art melancholische1006 Vorahnung, als „Zerfall des Geistes der modernen Zeit bzw. den Zerfall des Ichs.“1007 Er verglich es mit dem mehr als 50 Jahre später entstandenen Regen-Gedicht von Seiichi Niikuni. Niikuni zerlegte das chinesische Zeichen für Regen, bildete aus 1004
1004
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dar, so dass neben der Bewegungssimulation auch die vielseitige Bedeutung von pin ins Spiel kommt. Eine ähnliche Konstruktion gibt es bei Decio Pignatari: „u m“ (1956) „Around the axial line of mm, words and segments of words constellate themselves, making a kind of verbal mobile“ (Haroldo de Campos, in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.). Um zwei Achsen konstruiert Cavan Michael McCarthy eine Bewegung (Abb. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 211). Abb. 97 von Handschrift u. Erstdruck mit Erläuterungen in: Themerson, Idéogrammes lyriques, a.a.O., S. 15 ff. und in: Text als Figur, a.a.O., S. 244 u. in: http://www.eratiopostmodernpoetry.com/editor_Il_Pleut.html. Vgl. die Adaption durch die Werbung aus dem Jahr 1960 in: Massin, (1970) a.a.O., S. 156, von Richard Hamilton „Picturegram“ (1968, Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 73), dann die Bearbeitung des Themas von Seiichi Niikuni „rain“ (ca. 1965/Abb. 98 in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.), sowie von Ian Hamilton Finlay „rain“ (1963/Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.) Nur formal vergleichbar: Mary Carmen de Celis „Der Tod“ (Abb. in: Felipe Boso, Avantpropos. In: Akzente 4, München 1972, S. 322). Interessant vielleicht auch von Franz Mon „ausdenaugenausdemregen“ (1960/ Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o.P.) sowie mit ganz ähnlichem Muster „aus den augen aus der traum“ (ca. 1966/Abb. in: das wort auf der zunge. franz mon, Texte aus vierzig Jahren, ausgewählt und zueinander und zu sprachblättern in subjektive wechselbeziehung gesetzt von Carlfriedrich Claus. Berlin 1991, S. 70) u. Agno Stowitsch (d. i. Karl Riha), „strichweis regen“ (1963–1965/Abb. in: A. St., alles zielt auf einen punkt [1963–1965]. Frankfurt 1977, o. P.). Shutaro Mukai, Schriftzeichen, die die Kultur aufnehmen, widerspiegeln, transformieren – über die Revolution der modernen Kunst –. In: Katachi no Semiosis (Semiosis der Form). Tokyo 1986. Der Beitrag wurde 1984 geschrieben und liegt in deutscher Sprache im Manuskript vor (Archiv Dencker), aus dem zitiert wurde. Vgl. eine ganz gegenteilige Interpretation (die Stimmung des Gedichts würde einer Explosion der Freude gleichen) durch Jasia Reichardt, Seiichi Niikuni und Konkrete Dichtung. In: ASA 10, Vol. 7, No. 7, Tokyo 1974. A.a.O., S. 2.
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den punktförmigen Strichelementen ein Rechteck und ließ das ursprüngliche Zeichen nur einmal auf der unteren Linie des Rechtecks in der Mitte erscheinen, so dass der Eindruck entsteht, dieses Zeichen, umschlossen vom Regen, sei ein „Mikrokosmos, nämlich ein Häuschen, in dem man lebt und still dem Regen zuhört. Die beiden – das Häuschen und die Natur in seinem Hintergrund – scheinen miteinander zu verschmelzen. Die daraus entstandene Regenszene entspricht der Welt der traditionellen Dichtung Japans, dem Haiku.“1008 Neben den durch Analogien zur Figur (Mouse’s Tale) oder zur Bewegungsrichtung (Le pleut) entstehenden kinetischen Leseprozessen gibt es auch solche, die durch den Text selbst, gleichsam durch Anweisungen, gesteuert werden. Helmut Heißenbüttel macht dem Betrachter sein Leseverhalten bewusst, indem er mit den Hinweisen oben, unten, links, rechts von oben nach unten und von Zeile zu Zeile das Lesen lenkt „von da nach da“ (1962/63)1009. Dabei folgt er zunächst der gewohnten Leserichtung des Betrachters (von oben nach unten und von rechts nach links), um diese aber umso plötzlicher zu durchbrechen mit Anweisungen wie: links von da nach oben oder unten oder rechts oben oder links unten oder
Die Absicht vieler Formen Kinetischer Poesie ist, das gewohnte Leseverhalten und Wahrnehmungsvermögen zu stören, um die Aufmerksamkeit auf das Sprachmaterial und dessen grafische und semantische Funktionen zu lenken. Ernst Jandls „reise“ (1966)1010 in der Textbildform eines Pfeils wird aus dem Wort nach (Spitze) und bayern (Schaft) gebildet. Einerseits gibt es die gewohnte Leserichtung von links nach rechts, andererseits die gegenläufige Bewegung des Pfeils von rechts nach links, wobei diese durch die mehrfache Wiederholung von ay in bayern (gleichsam das Flattern des fliegenden Pfeils) akzentuiert wird. Zugleich entsteht durch das Aufeinandertreffen von Bewegungsrichtungen und Bedeutung der Wörter für den Betrachter Raum, hinter den Sinn einer vielleicht hintersinnigen Konstruktion zu kommen. Das entfällt in der Regel, wenn es sich um nur abbildend-illustrierende kineti1008 1009 1010
A.a.O., S. 4. Abb. in: Helmut Heißenbüttel, Das Textbuch. Neuwied 1967, S. 221. Abb. in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 79.
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Abb. 98: Seiichi Niikuni, rain, ca. 1965
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sche Texte handelt. Wenn z. B. das Wort PÊNDULO seine Buchstaben lediglich nacheinander nach rechts ausschwenkt1011 und in einem aus Buchstaben (concrete funnel) geformten Trichter Buchstaben hinein und unten als word wieder herausfallen1012, oder wenn von unten beginnend mit einem großen V nach oben hin eine wachsende Zahl von V’s kleiner werdend das Auffliegen (vielleicht auch den Vogelflug) von Vögeln simuliert1013, dann bleibt das ebenso innerhalb der gewohnten Wahrnehmung wie Pierre Garniers „Le Défaite Des Chevaliers Teutoniques A Tannenberg“ (1967)1014 mit den von unten nach oben angedeuteten Pfeilen, die das Explodieren von Munition darstellen1015, oder „revolver II“ (1969)1016 von Alan Riddell, bestehend aus sieben vollständig lesbaren und einem achten angedeuteten Buchstabenkreis, der von dem Wort revolver gebildet wird und dessen Buchstaben sich von außen nach innen so verkleinern, dass der Eindruck einer Revolveröffnung in der Mitte entsteht, aus der die Buchstaben aus der Tiefe des Laufs nach vorne geschossen werden. Bei solchen Arbeiten1017 stellt sich schnell die Frage nach der Qualität von Kinetischer bzw. Konkreter Poesie, die immer dann interessanter wird, wenn mehrere formale und inhaltliche Ebenen so ineinander spielen, dass das entstehende Textgebilde in seiner Offenheit mehr bietet als 1011
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Melo e Castro, sem titulo (1962). Abb. in: antologia da poesia visual europeia. Hg. Josep M. Figueres/Manuel de Seabra. Lisboa 1977, S. 134 u. in Schorneck, a.a.O., S. 267. Joe Michaud „Concrete funnel“ (Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 211). Maarten Mourik „Die Vögel“ (1970/Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 212). Garnier, Poésie spatiale, a.a.O., S. 74. Allerdings muss bei Garnier noch eine zweite Ebene, nämlich die des Phonetischen berücksichtigt werden: die Buchstaben o, l und z artikuliert, ergeben das Geräusch der aufsteigenden und explodierenden Munition. Abb. in: Missing Form, a.a.O., o. P. (Fassung von 1969), in: Peignot, a.a.O., S. 249 (Fassung von 1968). Hierher gehören auch Beispiele wie: Ladislav Novak „GLORIA“ (1965/Abb. in: an anthology auf concrete poetry, a.a.O., o. P.) und damit vergleichbar von Reinhold Aman „Balloon“ (1971/Abb. in: Reinhold Grimm, Poems and/as Pictures: A Quick Look at Two and a Half Millennia of Ongoing Aesthtic Intercourse. In: From Ode to Anthem. Problems of Lyric Poetry. Ed. Reinhold Grimm/Jost Hermand. Madison/Wisconsin 1989, S. 72): Aus beiden Wörtern GLORIA und BALLON „fliegt“ das O nach oben, so dass in einem Fall akustische Höhe und im anderen Fall räumliche Höhe wahrgenommen wird. Von Felipe Boso gibt es Anfang der 1970er Jahre die umgekehrte Variante: „Lluvia“, in der das i umgekehrt geschrieben wird, so dass der i-Punkt nach unten fällt: lluvia = regnen (Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 116).
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ein Abbild bekannter Figürlichkeit oder Metaphorik (Nürnberger Trichter bei Michaud), und Zeichen und Begriff in einem notwendigen Wechselbezug stehen. Deutlich wird dies an Grenzfällen Kinetischer Poesie wie etwa in Eugen Gomringers „wind“ (1962)1018. Solche Begriffe wie „wind“, oder auch alle nichtgegenständlichen abstrakten Begriffe, von denen es im Gegensatz zu „funnel“ kein unmittelbares Abbild gibt, sondern nur eine mittelbare Darstellung möglich ist, begünstigen diese Formen der Poesie und fordern zu immer neuen Lösungen heraus. So ist der Begriff „wind“ von vielen Poeten zum Thema gemacht worden, neben Eugen Gomringer u.a. von Carlfriedrich Claus1019, Bohumila Grögerová/Josef Hirsˇal1020, Heinz Gappmayr1021, Ivo Vroom1022 und Ronald Johnson (1935–1998)1023, aber auch von Künstlern wie Alighiero Boetti (1940–1994)1024: „Gerade über den Begriff und das Wort Wind habe ich mit dem japanischen Kalligraphen arbeiten wollen. Gemeinsam haben wir einige Bilder über das Wort Wind gemacht. Mithilfe eines Übersetzers sind wir von dem italienischen zu dem englischen Wort für Wind gewechselt, um dann zu den Dutzenden und Aberdutzenden von Möglichkeiten zu gelangen, wie man das Wort Wind auf Japanisch schreiben kann. Um das richtige Wort auswählen zu können, habe ich ihm meine Vorstellung von Wind erklärt. Ich habe ihn gebeten, alle Winde zu zeich1018
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eugen gomringer, die konstellationen les constellations the constellations los constelaciones. Frauenfeld (1962), Abb. 100 in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 61. Entstanden ist „wind“ nach Auskunft von Gomringer (Fax an Dencker v. 17. 5. 05) 1961, aber bereits 1960 zeigen sich in der Konstellation „baum wind“ (Abb. 99 in: an anthologie of concrete poetry, a.a.O. o. P.) verschiedene Ansätze der späteren Form. „wind rings“, vermutlich Mitte in der 2. Hälfte der 1950iger Jahre entstanden, Abb. 101 in: nota. zeitschrift für bildende kunst und dichtung, Nr. 3, München 1959, S. 15. „vítr“ (1961/62/Abb. in: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung 15. Jg., Nr. 2, Frankfurt 1965, S. 11) und in: Hirsˇal/Grögerová, JOB-BOJ, a.a.O., S. 117, Abb. 104. „wind“ (1961), zuerst ohne Titel veröffentlicht, später unter dem Titel „durchdringung 3“ (Abb. 102) publiziert in: Peter Weiermair, Zur Dichtung Heinz Gappmayrs. In: Wort und Wahrheit 3, Wien 1971, S. 236 u. Weiß, Seh-Texte, a.a.O., S. 81. Eine weitere Arbeit „wird/wind“ (1970) erschien in: Heinz Gappmayr, Texte. München 1978, o. P., Abb. 103. „winden“ (1966), Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 140, Abb. 105. In „The Songs of the Earth“, Abb. in: This Book is a Movie: An Exhibition of Language Art and Visual Poetry. Ed. Jerry G. Bowles/Tony Russell. New York 1971, 177 ff., Abb. 106 S. 180. „The Songs of the Earth“ siehe: http:// www.thing.net/~grist/ld/koppany/kgram/rj-08.htm. piktogramme, a.a.O., S. 18 f.
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nen, all die Kalligramme und Ideogramme, die meine Idee von Wind ausdrücken könnten (…) Der Höhepunkt der gesamten Aktion bleibt auf jeden Fall die Anfertigung des Ideogramms (…).“1025 Allen Arbeiten gemeinsam ist, dass sie sich nicht nur mit einem ikonografischen Aspekt zufrieden gaben1026, sondern Ideogramme entwickelten. Zwar ist das ikonografische Moment zunächst das Auffällige, so dass Christina Weiss1027 auch zuerst an Gomringers Konstellation von 1961 die „Wind-Bewegung“ entdeckte und den „Windstoß“, die gerichtete Bewegung bei Hirsˇal/Grögerová und Vroom. Ein wesentlicher weiterer Aspekt ist jedoch, dass diese Arbeiten nicht nur – wie sie meinte – von einem Lexem ausgingen, sondern gerade in ihrem kalkulierten Buchstabenmaterialangebot weitere Lesemöglichkeiten zuließen, die erst die Besonderheit der jeweiligen Konstellation ausmachen1028. So ist in der frühen Konstellation von Gomringer aus dem Jahr 1960 zu erkennen, dass das Buchstabenmaterial von baum und wind zu einem Beziehungsnetz verknüpft wurde, das sowohl englische als auch deutsche Lesungen zuließ, was durch und/and signalisiert wurde. Diese Beobachtung1029 1025
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Alighiero e Boetti, Sall’oggi al domani. Hg. Sandro Lombardi. Brescia 1988, S. 22. Abb. in: piktogramme, a.a.O., S. 19 u. 90, oder Peter Weibels „motion poem II“ (1966–1975) u. die „lichtwand“ (1973 – Abb. in Peter Weibel, das offene werk 1964–1979, Ostfildern 2006, S. 174 f.). Vgl. im Gegensatz dazu „wind-ship-earth-heart“ (1967/Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 143) von Frans Vanderlinde. Weiss, a.a.O., S. 76 ff. Ein interessantes Beispiel gibt es noch von der Amerikanerin Amelia Etlinger, „wind“ (Abb. in: klankteksten, a.a.O., 206), nicht unter dem Aspekt des Kinetischen, aber dem der Abstraktion: Anstelle der vier Buchstaben „wind“ erscheinen über die Papierfläche verteilt nur 4 Punkte in Quadraten streng symmetrisch in Reihen angeordnet, wobei von 28 Quadraten nur ein Quadrat (auf Grund eines Windstoßes?) „aus der Reihe fällt“. Sie werden gestützt durch Gomringers eigene Aussagen zur Internationalität der Konstellation: „die konstellation ist eine ordnung und zugleich ein spielraum mit festen größen. sie erlaubt das spiel. sie erlaubt die reihenbildung der wortbegriffe a, b, c, und deren mögliche variationen (…) die konstellation ist inter- und übernational. ein englisches wort mag sich zu einem spanischen fügen“ (Gomringer, vom vers zur konstellation. In: konkrete poesie. deutschsprachige autoren, a.a.O., S. 157), oder: „international-übernational. ein bezeichnendes merkmal der existenznotwendigkeit der konkreten dichtung ist, dass gebilde, wie sie in diesem buch versammelt sind, fast gleichzeitig in europa und südamerika auftauchten (…) ich bin deshalb überzeugt, dass die konkrete dichtung die idee einer universalen gemeinschaftsdichtung zu verwirklichen beginnt.“ (Gomringer, konkrete dichtung [1956] in: konkrete dichtung. texte und theorien. Hg. Siegfried J. Schmidt. München 1972, S. 83) oder: „Die Konkrete Poesie verstand sich
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könnte auch zu einer zweisprachigen Lesung in der Konstellation von deshalb als das ästhetische Kapitel in der Entwicklung einer universalen Gemeinschaftssprache.“ (in: Gomringer, Poesie als Mittel der Umweltgestaltung. Referat und Beispiele. Itzehoe 1969, S. 16 [= Vorspann 5]); ausführlich zur universalen Gemeinschaftssprache in: „23 punkte zum problem dichtung und gesellschaft“ (1958) in: konkretismus: materialien. reader und wissenschaftliche dokumentation. Hg. Reinhard Krüger/Anja Ohmer. Materialband zum Kolloquium „Die Materialität der Zeichen“. IZKT Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung an der Universität Stuttgart 2006; vgl. auch in den Mitteilungen für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972: „Ich habe in Dutzenden von Lesungen und Diskussionen betont, dass unsere internationalen Bestrebungen zur Strategie der konkreten Poesie gehören und doch wohl ohnegleichen sind“. Gomringers Vorstellungen besaßen eine gewisse historische Parallele in dem Beitrag von Velimir Chlebnikov „An die Maler“ (13. 4. 1919/in: Chlebnikov, Werke 2, a.a.O., S. 311), in dem er die Grundzüge eines „Weltwörterbuchs“, einer „Weltsprache“ aus dem russischen Konsonatensystem als Aufgabe für die Maler darstellte. Die in der Einleitung angesprochene internationale Lebenskraft der Visuellen Poesie hat zwar nicht im Sinne Gomringers zu einer „universalen Gemeinschaftssprache“ geführt, aber zu international verbreiteter Verständigung und zum Verständnis für eine Poesie, die sich zunehmend ohne Kenntnis der jeweiligen Landessprache vermitteln konnte. Dass latent die Vorstellung aber immer noch existiert, zeigt das Beispiel des russischen Poeten Sergej Sigej (Kratkaja istoria vizual’noj v Rossii. In: Avangardisty v Chersone Cˇast’I [Prilozˇenie k gazete !Tribuna"] 2. 2. 1991, S. 2: „Ist die visuelle Poesie, die heute auf der ganzen Welt existiert, (…) eine internationale Sprache? Wahrscheinlich noch nicht, noch ist sie nur ein Tiegel, in dem die nationalen Ambitionen schmelzen.“ – Die Vorstellung von einer „universalen Gemeinschaftssprache“ kann bis Raimundus Lullus zurückverfolgt werden, zu dessen ersten Überlegungen einer Ars Magna 1273, die in der Niederschrift der „Ars generalis ultima“ (1305–1308) gipfelte. René Descartes korrespondierte mit Marin Mersenne über die Möglichkeit einer Universalsprache im Brief vom 20. 11. 1629 und stellte skeptisch fest, dass dies nur gelänge, wenn zugleich damit auch eine entsprechende Philosophie entwickelt werden könnte. Wenig später entwarf Athanasius Kircher auf Bitten Kaiser Ferdinand III. eine Art „lingua universalis“ in der „Polygraphia nova et universalis“ (1663, die auf Lullus zurückgeht), zu der es eine Vorstufe „Reduzierung aller Sprachen auf eine einzige“ (1959/60) und ein noch früheres Manuskript gab: „Characterum literarum linguarumque totius universi historia universalis“ (ca. 1633–1636/vgl. Daniel Stolzenberg, Egytian Oedipus: Antquarianism, Oriental Studies & Occult Philosophy in the Work of Athanasius Kircher. Ph. Diss., Stanford University 2004, S. 343 ff.). Nachdem sich Francis Lodwick (1619–1694) 1647 („A common writing“), George Dalgarno 1661 („Ars signorum“) und John Wilkins (1614–1672) 1668 ebenfalls theoretisch mit der Schaffung einer Universalsprache befassten, glaubte Gottfried Wilhelm Leibniz in der Zeit um 1679 eine Lösung gefunden zu haben, wie er an den Herzog Johann Friedrich von Hannover über die „characteristica universalis“ schrieb (Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe. II. Reihe, Bd. 1, Philosophischer Briefwechsel: 1663–1685. Hg.
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1961 führen. Neben wind, sowohl englisch als auch deutsch, ergeben Leibniz-Forschungstelle Universität Münster 2006, S. 700ff., Nr. 204a, S. 705ff., Nr. 205a/= Akademie-Ausgabe). In Leibniz’ Unterlagen befand sich eine Abschrift des Briefes von Descartes an Mersenne, und belegt ist auch, dass er mit Johann Amos Comenius (1592–1670) zusammentraf und dessen „Prodromus pansophiae“ (London 1639) kannte. Zu Leibniz vgl. auch: Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 114. Spätere Universalsprachkonzepte wie „SOLRESOL“ (1817) von Jean François Sudre (1787–1862), „VOLAPÜK“ (1880) von Johann Martin Schleyer (1831–1912), „Esperanto“ („lingvo internacia“ 1887) von Ludwig L. Zamenhof (1859–1917) und „interlingua“ (1951) von Alexander Gottfried Friedrich Gode-von Aesch (1904–1970) werden ergänzt durch Piktogramm- und visuelle Sprachensysteme wie „BLISS“ (1949) von Charles K. Bliss (Karl Kasiel Blitz 1897–1985), „Smiley“ (1963) von Harvey Ball (1921–2001), „LoCos“ (1964) von Yukio Ota (1939), „Elephant’s Memory“ (1994) von Timothée Ingen-Housz (1971), „CAILS“ (2000) von Bernard Champoux, Martin David, Alain Huot. Viele dieser visuellen Sprachensysteme (vgl. Franz Hermann Wills, Schrift und Zeichen der Völker von der Urzeit bis heute. Düsseldorf 1977, S. 222ff. u. Imagining Language, a.a.O., S. 199ff.) besitzen in dem „ISOTYPE (International System Of TYpographic Picture Education)“-Bildstatistik-System von Otto Neurath (1882–1945), das in der Mitte der 1920er Jahre von ihm entwickelt wurde und ab 1930 seine Verbreitung in den USA und Europa erfuhr, insofern einen wichtigen Vorläufer, als hier die notwendige Verbindung von Logik und Grafik, von Semantik und Design als eine Art künstlerischer Symbiose verstanden wurde: „Turning the statements of science into pictures is frequently a delicate business, and it is not the work of a man of science or of a designer. Special attention to this process has given birth to the ISOTYPE system. Its rules are the instruments for putting together the work of science and the work of design (…) To be good at a language more is needed than a knowledge of the words and of the rules: the sense of a word and of a group of words is different under different conditions. It is an art to get the full effect from the words. In the same way it is an art to get the full effect from pictures. To make a picture is a more responsible work than to make a statement, because pictures make a greater effect and have a longer existence. Every ISOTYPE picture is like a part of a great picture book or encyclopaedia, because all of them have to go together.“ (Otto Neurath, International Picture Language. The first rules of ISOTYPE. London 1936, S. 8 u. 15). Interessant ist der Hinweis auf das hieroglyphische Sprachsystem (Neurath, Statistische Hieroglyphen. In: Österreichische GemeindeZeitung 3, 1926, #10, S. 328ff.; Neurath, From Hieroglypics to Isotype. Extract from the Manuscript. With an Introduction by Paul Rotha. In: Future Books [1946] 3, S. 92ff.), das ja auch eine enge Verbindung zur Entwicklung der ägyptischen Kunst besaß (Maria Carmela Betrò, Geroglifici. 580 Segni per capire l’antico egitto. Milano 1995/dt. Ausg.: Heilige Zeichen. 580 Ägyptische Hieroglyphen. Wiesbaden 2003, S. 15f.). Zu Neurath: Frank Hartmann, Medienphilosophie. Wien 2000, S. 147ff. u. Frank Hartmann/Erwin K. Bauer, Otto Neurath – Visualisierungen. Wien 2002 u. piktogramme, a.a.O., S. 26f., 224f. (Abb.) u. kompletter Überblick in: http://www.fulltable.com/iso/. Es folgen später dann Systeme, die sich mit abstrakten und ikonischen Zeichen als Kommunikationssprachen
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Abb. 99: Eugen Gomringer, baum wind, 1960 für Handys oder PCs von ASCII über ISO bis Unicode aus der Praxis gebildet haben, wie „VIL“ (A Visual Inter Lingua 1997) von Neil Edwin Michael (Paul) Leemans oder „gyaru moji“ (2003), eine Mixtur aus den japanischen Schriften Hiragana und Katakana in Verbindung mit chinesischen und erfundenen Zeichen, die von japanischen Mädchen für die Handy-Kommunikation erfunden wurde. Einen guten Überblick zum Thema der Universalsprachen geben: Gerhard F. Strasser, Lingua universalis. Kryptologie und Theorie der Universalsprachen im 16. und 17. Jahrhundert. Wiesbaden 1988; Gerald Aichholzer, Prototypentwicklung ausgewählter Anwendungen einer Symbolsprache. Diplomarbeit, TU Graz 2005; J. UCS (Journal of Universal Computer) Vol. 9, Iss. 4, 2003 (http://www.jucs.org/jucs_9_4/foundations_ of_miracle_multimedia), hier wurde besonders das Projekt „MIRACLE“ vorgestellt. Vgl. auch Umberto Eco, La ricerca della lingua perfetta nella cultura europea (1993/dt.: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. München 1995).
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Abb. 100: Eugen Gomringer, wind, 1961/1962
sich die englischen Lesungen: in, did, i did, win, din, i’d (für I had oder I would). Dazu erlaubt die 61er Konstellation weitere Beobachtungen. Es gibt vier1030 lineare Leserichtungen des Wortes wind (jeweils zwei gegenläufige), von insgesamt zehn Lesemöglichkeiten. In der Mitte erscheinen zwei auf der Spitze stehende Quadrate, symmetrisch konstruiert aus den Buchstaben n und d und n und i. Wenn zu dem n das akustisch mitgesprochene e (= en) und zu dem d das akustisch ebenfalls mitgesprochene e (= de) betrachtet wird, dann ergibt sich nd = ende. Im zweiten Quadrat ergibt sich die Lesung in oder ni. Aus dem gemeinsamen Buchstabenmaterial d, i, n, wird mit fünf Buchstaben das Quadrat im Zentrum gebildet, das die Lesung din ermöglicht, englisch = Lärm, sonst in der Funktion DIN (= Norm). Man könnte also sagen, dass sich einerseits der Blick in die verwandte Semantik (Wind/Lärm), andererseits zur formalen Konstruktion des Ganzen öffnet, die in ihrer Symmetrie nicht 1030
Kessler, a.a.O., S. 244: „Man darf diese Richtungen wohl in Analogie zu den vier Windrichtungen verstehen“.
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nur sehr exakt durch die erwähnten Quadratbildungen verläuft, sondern auch von Zeile zu Zeile: erste und letzte Zeile nur w, zweite und vierte Zeile nur i und d im Wechsel, Mittelzeile nur n. Die Konstellation könnte nach diesen Beobachtungen metaphorisch und programmatisch zu folgender Interpretation verführen: Mit einem „aufwirbelnden Wind“ wird das Ende einer Norm signalisiert, einer Norm, wie Texte zu schreiben und zu lesen sind. Aber Vorsicht: dieses ist nur ein Bündel von Beobachtungen und nur ein Interpretationszugang und keineswegs versehen mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit oder gar Richtigkeit. Das Verfahren zeigt nur, auf welche Weise solche Textkonstellationen zur Produktivität herausfordern wollen und können. So spielt Vroom mit dem niederländischen und deutschen „wind“, ist bei Hirsˇal/Grögerová nicht nur vírt = Wind zu lesen, sondern auch v = in/im und vír = Wirbel/Strudel, und so ist bei Gappmayr ein janusköpfiges Textbild (1970) zu entdecken, das in sich die Wörter wird und wind vereinigt. Während Claus sehr reduziert mit wenigen Hinweisen, durch die herausgestellten Vokale, z. T. sogar gedehnt (änn und zweimal i übereinander), nicht nur visuell/kinetisch, sondern auch zum Sprechen herausfordernd, akustisch ein windiges Yachthafenbild im stechenden Sonnenlicht zeichnet, besitzt die Arbeit von Gappmayr aus dem Jahr 1961 kaum noch ikonografische Aspekte, was Peter Weiermair als „nicht mimetisch, sondern linguistisch-strukturell“1031 bezeichnete. „Das Gedicht ist nicht die Abbildung der Eigenschaften des Windes, nicht Analogie zu jener transitorischen Ungreifbarkeit, die den Wind auszeichnet. Zeigt Gomringer in seinem Text durch die aleatorischen Leseweisen die Ortlosigkeit und Unfassbarkeit des Windes auf, so arbeitet Gappmayr mit der Zerstörung und Zusammenfügung des Begriffes selbst, mit der Einbeziehung von Auseinander und Zusammenfügung des Begriffes !wind". Dieser dynamisierte wie verlangsamte Lesevorgang wird mit in die Vorstellung vom Begriff einbezogen. Begriff und Darstellung des Begriffs sind voneinander nicht mehr unabhängig. Subtil wird die Vorstellung vom Begriff durch seine optische Präsentation verrückt“1032. *** Das Kapitel „Kinetische Poesie“ macht nun im Rückblick deutlich, dass die Kinetische Poesie – als Begriff zunächst nicht so eng gefasst, wie er 1031 1032
Weiermair, Zur Dichtung Heinz Gappmayrs, a.a.O., S. 239. Weiermair, a.a.O.
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Kinetische Poesie
Abb. 104: Bohumila Grögerová/ Josef Hirsˇal, vitr, 1961/62 Abb. 101: Carlfriedrich Claus, wind rings, 1955–1958
Abb. 105: Ivo Vroom, winden, 1966
Abb. 102: Heinz Gappmayr, durchdringung 3, 1961
Abb. 103: Heinz Gappmayr, wird/wind, 1970
Abb. 106: Ronald Johnson, aus: „The Songs of the Earth“, 1970
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Mitte der 1960er Jahre begründet wurde, sondern allgemeiner im Sinne von „Poetry in Motion“1033 – im gesamten Medienspektrum besondere Ausdrucksformen entwickelte, unabhängig davon, ob es sich um mechanisch/technische und elektronische Medien handelte, die schon allein aufgrund ihrer Technologie kinetische Realisationen begünstigen, oder um Printmedien, deren Vermittlung kinetischer Elemente erst durch die Wahrnehmungs- und Vorstellungswelt des Betrachters in Erscheinung treten. Dabei ist ein Wechselspiel zu beobachten. Effekte, die durch Technik und Manipulation entstehen, werden im Druck simuliert, und umgekehrt werden literarische Modelle mit Hilfe der Technik in reale Bewegungen „übersetzt“. Diese „Übersetzungen“ können allerdings leicht der Gefahr unterliegen, nur dem Technologiereiz der Umsetzung oder dem unterhaltenden Spiel als Selbstzweck zu verfallen. Was die Kinetische Poesie aber im Umfeld der Konkreten Poesie an neuer Programmatik einbrachte, war gerade, über das reizvolle neue Formenspektrum hinaus, das Bewusstsein für Sprache in all ihren visuellen, akustischen und linguistisch-semiotischen Eigenschaften, die Reflektion des Betrachters und Lesers, sowie dessen kreative Eigenproduktion zu aktivieren. Kinetik ist so auch als eine Art „gedankliche Bewegung“ zu verstehen, d. h. die Aufforderung, auf den ersten Blick visuell und semantisch disparat erscheinende Elemente im gedanklichen Spiel zu Sinneinheiten zu verbinden, unterstützt von der „visuellen Bewegung“ der Augen, die optische Effekte ideografisch herzustellen und zu deuten vermag, und schließlich als „manuelle Bewegung“, deren Handhabungen von Textmaterialien (Objekte/-Aktionen) notwendig der „visuellen und gedanklichen Bewegung“ als Ergänzung bedürfen. Zusammengefasst handelt es sich um die Rückführung der Wahrnehmung des Rezipienten von dem gewohnten, durch den täglichen Verschleiß geprägten Sprach- und Textbewusstsein auf die Materialqualität des konkreten (und nicht schon womit auch immer besetzten) Sprachzeichens, auf seine zu ihm gehörige, entfaltbare Eigendynamik von Form und Inhalt und auf sein potentiell neues variantenreiches Spielund Deutungsspektrum. Damit sind aber auch schon wesentliche Aspekte der Konkreten Poesie angesprochen, was zugleich darauf aufmerksam macht, dass Konkrete Poesie auch Kinetische Poesie und umgekehrt, aber nicht ausschließlich, ist.
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Die kalifornische Voyager Company bezeichnete so ihre CD-Rom-Reihe.
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V. Konkrete Poesie Bei der bisherigen Betrachtung von Akustischer Poesie, Musikalischer Grafik und Kinetischer Poesie waren Wechselbezüge zwischen Literatur, Musik und darstellender bzw. Medienkunst sowie der bildenden Kunst erkennbar. Die Formen der Optischen Poesie, wie Konkrete Poesie und Visuelle Poesie, wurden naturgemäß von der bildenden Kunst nun erheblich stärker beeinflusst. Und so ist inzwischen unbestritten, dass eine der wichtigen Quellen für die Konkrete Poesie Theorien und Werke der Konkreten Kunst sind, was allerdings nicht dazu führen sollte, den Begriff Konkrete Poesie vorschnell nur als Analogiebildung zur Konkreten Kunst zu verstehen1034. Dies liegt zwar nahe, weil einerseits diese Analogiebildungen etwa beim (literarischen) Jugendstil1035, (literarischen) Expressionismus, (literarischen) Futurismus, (literarischen) Dadaismus usw. geläufig scheinen, und andererseits, weil einer der Mitbegründer der Konkreten Poesie, Eugen Gomringer, berichtete, wie er sich mit dem Vertreter der brasilianischen Noigandres-Gruppe1036, Décio Pignatari, an der Ulmer Hochschule für Gestaltung 1955 getroffen habe und sie „sich einigten, 1034
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Helmut Heißenbüttel, Konkrete Poesie. In: Über Literatur. Aufsätze und Frankfurter Vorlesung. München 1970, S. 66: „Der Begriff einer konkreten Poesie wurde gebildet in Analogie zur bildenden Kunst, vor allem zur Malerei. Dort löste er sich ab aus den theoretischen Vorstellungen Mondrians, der Stijl-Gruppe und Kandinskys“. Dominik Jost, Literarischer Jugendstil. Stuttgart 1969, S. 13: „Unter !literarischer Jugendstil" ist die literarische Entsprechung zum bildnerischen Jugendstil der Jahrhundertwende zu verstehen“. Die Noigandres-Gruppe mit den Hauptvertretern Décio Pignatari, Augusto und Haroldo de Campos wurde 1952 gegründet. U. a. befasste sich die Gruppe mit der Übersetzung von Pound und Majakowski, was auch zur Erklärung der Gruppenbezeichnung führt: in Pounds „Canto XX“ heißt es: „Yes, Doctor, what do they mean by noigandres?/ And he said: Noigandres! NOIgandres!/ You know for seex mon’s of my life/ Effery night when I go to bett, I say to myself:/ Noigandres, eh, noigandres,/ Now what the DEFFIL can that mean!“. (Mit der Frage, was dieser Begriff meinen könnte, befasste sich Jacques Donguy in: Donguy, 1960–1985 Une Génération. Paris 1985, S. 10 f. u. Augusto de Campos, Anthologie despoesia. Hg. Donguy. Paris 2002, S. 7). Der Gruppe schlossen sich dann weitere Poeten an, wie José Lino Grünewald und Ronaldo Azeredo.
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ihre parallelen experimente aufgrund ästhetischer verwandtschaft und geistiger verpflichtung gegenüber den theoretikern, malern und bildhauern der konkreten kunst ebenfalls als konkret zu bezeichnen“1037. Doch er fährt auch fort – und hier ist bereits auf die kleine Einschränkung zu achten: „mit dem vorbild der konkreten kunst, also eines visuellen bereichs, ist die frage nach der herkunft der bezeichnung !konkrete" poesie zum teil beantwortet. noch früher als gomringer1038 und pignatari1039 sprach öyvind fahlström in einem manifest im jahr 1953 von !konkreter poesie", was allerdings !mehr im anschluß an konkrete musik als an bildkonkretismus im engeren sinn geschah"“1040 und in Fortsetzung dieser Bemerkung Fahlströms, die Gomringer einschränkend erwähnt, heißt es: „Außerdem ist der konkret arbeitende Dichter natürlich mit den Forma1037
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konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 5. Dies wird noch untermauert von einer weiteren Bemerkung Gomringers in seinem Beitrag „Das Gedicht als Gebrauchsgegenstand“ (1960). In: Gomringer, worte sind schatten. die konstellationen 1951–1968. Reinbek 1969, S. 291: „ordneten meine freunde in são paulo und ich den begriff der !konkreten dichtung" unseren gedichten über, dies nicht zuletzt zu ehren der konkreten maler in zürich – bill, graeser, lohse, vreni loewensberg – der starken gruppe, von der seit den frühen vierziger jahren ununterbrochen impulse ausgingen in alle welt und der ich seit 1942 entscheidende anregungen zur bildung der konstellationen verdanke“. Gomringer war von 1954 bis 1958 Sekretär von Max Bill an der Ulmer Hochschule für Gestaltung. Bill, angeregt durch das Manifest „Base de la peinture concrète“ (in: Art Concret 1. Hg. Theo van Doesburg. Paris, April 1930; dt. in: Manifeste, a.a.O., S. 396) von Otto Carlsund/Theo van Doesburg/Jean Hélion/ Léon Tutundjian/Marcel Wantz, hatte sich bereits seit 1936 („konkrete gestaltung“, in: Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik. Katalog. Kunsthaus Zürich 1936) der Konkreten Kunst verpflichtet. 1937 gründete sich dann die „Zürcher Allianz“: Leo Leuppi, Max Bill, Richard Paul Lohse, Camille Graeser und Verena Loewensberg, später (ohne Leuppi) die „Zürcher Konkreten“. Die mir bekannte früheste Bezeichnung „konkreter Dichter“ findet sich in: Max Bense, Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik. II. Mathematik in der Kunst. Hamburg 1949, S. 51, wo Bense T. S. Eliot als den „Typus des konkreten Dichters und abstrakten Denkers“ bezeichnet. Bense, der Eliot an die Seite von Pound innerhalb der „Imagismus„-Bewegung (vgl. Anm. 1433) stellte, zitiert Eliots Vorstellung von einer „absoluten Dichtung“: „Dichtung zu schreiben, die wesenhaft Dichtung wäre, ohne doch !poetisch" zu sein, Dichtung, die hüllenlos dastünd gleichsam in ihrem Knochengerüst (…)“ (a.a.O., S. 52). Die Bezeichnungen „konkrete Dichtung“ und „konkrete Gedichte“ tauchen dann 1951 auf in: Hans Arp, Der Dichter Kandinsky. In: Wassily Kandinsky. Hg. Max Bill. Paris 1951, S. 147, abgedr. in: Wie sie einander sahen. Moderne Maler im Urteil ihrer Gefährten. Hg. H. M. Wingler. München 1961, S. 89. Obwohl die Noigandres-Gruppe schon seit 1952 existierte, wurde das Manifest erst nach der Begegnung mit Gomringer publiziert. konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 5.
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listen und Sprachknetern aller Zeiten, mit den Griechen, mit Rabelais, Gertrude Stein, Schwitters, Artaud und vielen anderen verwandt“1041. Dieser Hinweis auf die Formalisten, lenkt den Blick auf den russischen Formalismus um 1915/16 und dessen Umfeld, so auf den gleichzeitig entstehenden Suprematismus eines Kasimir Malewitsch1042, den wenig später, um 1920 sich entwickelnden russischen Konstruktivismus1043 und El Lissitzkys „Proun“1044, Piet Mondrians und Theo van Doesburgs De Stijl-Bewegung1045, bis hin schließlich zu der auf van Doesburg und Max Bills „Zürcher Allianz“1046 sich berufenden italienischen M. A. C. (movimento arte concreta)1047, aber vor allem auch auf die dieses alles schon seit der Jahrhundertwende einleitenden Entwicklungen zur Abstraktion1048, etwa bei Frantisˇek (Frank) Kupka1049 oder Wassily Kandinsky1050, und zur „Concrétion“1051 bei Hans Arp. 1041 1042
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Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXII. Kasimir Malewitsch zum 100. Geburtstag. Katalogbuch der Galerie Gmurzynska, Köln 1978. Naum Gabo/Noton Pevsner, Realistisches Manifest, 5. 8. 1920 u. Alexander Rodschenko/Varvara Stepanova, Produktivistenmanifest in: Manifeste, a.a.O., S. 206 ff. Lit.: Tendenzen der Zwanziger Jahre. Redaktion: Dieter Honisch u. a. Berlin 1977, S. 1/1 ff. Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 167 ff. Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O. Vgl. Anm. 1037. Wurde 1948 in Mailand u. a. von Gillo Dorfles gegründet. Lit.: Maffei Giorgio, M. A. C. movimento. Arte concreta. Opera editoriale. Milano 2004. Worringer, Abstraktion und Einfühlung, a.a.O., S. 36: „(…) betrachten wir eine Ästhetik, die anstatt vom Einfühlungsdrange des Menschen auszugehen, vom Abstraktionsdrange des Menschen ausgeht.“ Otto Stelzer, Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. Denkmodelle und Vor-Bilder. München 1964, S. 91 ff. berichtet von Gottfried Keller, Adalbert Stifter, Arthur Rimbaud, Victor Hugo, dass sie weitgehend gegenstandsfreie Kompositionen zeichneten: „Es gibt Blätter und Bilder von Strindberg, Scheerbart, Morgenstern, die alle eines gemeinsam haben: Sie tendieren zur abstrakten Komposition, zum abstrakten Bildsymbol.“ 1909 beginnen die ersten Farbkombinationsexperimente von Kupka. Lit.: Kupka, Die Schöpfung in der bildenden Kunst. Hg. Noemi Smolik. Ostfildern 2001; Kupka, Katalog Centre Pompidou, Paris 2003. Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst (1911). Bern 1965, bes. S. 69 ff., das Manuskript wurde von Kandinsky bereits 1910 fertiggestellt; Kandinsky, Über die Formfrage (1912). In: Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler. Hg. Max Bill. Bern 1955/19733, S. 17 ff., bes. S. 27 ff. Auf Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ hat sich später ausdrücklich Franz Mon berufen: Mon, Meine 50er Jahre. In: Vom „Kahlschlag“ zu „movens“. Über das langsame Auftauchen experimenteller Schreibweisen in der westdeutschen Literatur der fünfziger Jahre. Hg. Jörg Drews. München 1980, S. 39. Arp, Unsern täglichen Traum …, a.a.O., S. 83.
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V/1 Abstrakte Dichtung Abstrakt/konkret in der bildenden Kunst In diesem Umfeld, gekennzeichnet vom deutlichen Vorangehen der Kunstpraxis in den ersten Jahren gegenüber theoretischem Bewusstsein und programmatischer Definition, sind die ersten begrifflichen Näherungsversuche zur Konkreten Kunst1052 bei Hans Arp 1918 und Max Burchartz 19221053 erfolgt, bis Theo van Doesburg im Unterschied zur abstrakten Malerei in den „Grundbegriffen der neuen gestaltenden Kunst“1054 erstmals formulierte: „Konkrete Malerei also, keine abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche.“1055 1936 folgte Max Bills Definition1056, bis schließlich auch Kandinsky 1938 zu der Erkenntnis kam: „Wenn ich an all diese Debatten (…) denke, an die Debatten, die vor 30 Jahren begannen und die heute noch nicht beendet sind, so sehe ich die immense Kraft der als !abstrakt" oder !ungegenständlich" bezeichneten Malerei, die ich vorziehe !konkret" zu nennen“1057. Und so sahen es dann auch Johannes Itten1058 und Hans Arp aus der Rückschau (1951): „1912 besuchte ich Kan1052
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Arp, Unsern täglichen Traum …, a.a.O., S. 8 u. S. 79 ff.; Hans Arp, Dada (Juli 1958), abgedr. In: Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 2/3. Burchartz nahm vom 3. 8.–5. 8. 1922 an einem Kurs von van Doesburg im Weimarer Bauhaus teil. Theo van Doesburg, Grundbegriffe der neuen gestaltenden Kunst. Bauhausbücher Bd. 6, München 1925 (neu Hg. H. L. C. Jaffé, Berlin 1981). Vgl. auch den Hinweis bei van Doesburg in dem Beitrag „Malerei und Plastik“ (1926): „Die Zeit der Abstraktion ist vorüber“ (in: Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 206). Im Katalog der Ausstellung „zeitprobleme in der schweizer malerei und plastik“ (1936) formulierte Bill zuerst seine Vorstellungen von Konkreter Kunst, die dann modifiziert als 2. Fassung im Katalog „zürcher konkrete kunst“ (1949) erschienen (Teile der 1. Fassung auch abgedr. in: Konstruktive Kunst: Elemente und Prinzipien. Katalog der Kunsthalle Nürnberg 1969, o. P. und die 2. Fassung in: max bill. dokumentation zur ausstellung max bill. Hg. Hamburger Kunsthalle. Zürich 1976, S. 31). Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 221. Vgl. auch seine Formulierung im Beitrag „abstrakt oder konkret?“, den er ebenfalls 1938 für den Katalog „Tentoonstelling abstracte Kunst“ im Stedelijk Museum/Amsterdam schrieb (in: Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 225). Johannes Itten, Wassily Kandinsky – Kunst und Erziehung. In: Wie sie einander sahen, S. 87 f.: „Er will ja nichts Äußeres nachbilden, sondern innere Ordnungen gestalten, eine Wirklichkeit, die als solche ebenso existiert wie die äußere. Es ist
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dinsky in München (…) Es war die Zeit, da die abstrakte Kunst sich in die konkrete Kunst zu verwandeln begann (…) Kandinsky ist einer der ersten gewesen, der es bewusst unternahm, solche Bilder zu malen und entsprechende Gedichte zu schreiben“1059. Möglicherweise war zwar Arp einer der ersten, der den Begriff Konkrete Kunst verwendete1060, aber wohl eher „poetisch“, als denn theoretisch handhabbar: „Die konkrete Kunst jedoch ist eine elementare, natürliche, gesunde Kunst, welche in Kopf und Herzen die Sterne des Friedens, der Liebe, der Dichtung erblühen lässt. Wo die konkrete Kunst eintritt, zieht die Schwermut mit ihren grauen Koffern voll schwarzer Seufzer fort“1061. Was dagegen genau mit „konkret“ gemeint, was in der bildenden Kunst und in der Literatur gleichermaßen oder unterschiedlich als „konkret“ anzusehen war, blieb offen und weist auf eine Problematik, die sich im Gefolge einer Vielzahl programmatischer Äußerungen und Manifeste zwischen 1890 und 1930 ergab. Und insofern wird über die engere Beziehung zur Konkreten Kunst hinaus auch ganz allgemein die Frage nach der Bedeutung des Begriffs konkret1062 relevant, zumal wohl die früheste Verwendung der Bezeichnung !konkrete Poesie" bereits bei Ernest Francisco Fenollosa (1853–1908) 1907/08 in ganz anderem Zusammen-
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darum richtig, solche Werke !konkret" zu nennen, da sie die innere künstlerische Welt in konkreter Art gestalten. Nur was innerhalb des Bildraumes passiert, ist dabei entscheidend, nicht, was assoziativ an außerhalb des Werkes Liegendes erinnert“. Hans Arp, Der Dichter Kandinsky. In: Wie sie einander sahen, a.a.O., S. 89. Zur Interpretation der (Prosa)Gedichte von Kandinsky, die z. T. 1912 entstanden und als „Musikalisches Album“ in 300 Exemplaren mit dem Titel „Klänge“ im PiperVerlag, München 1913 erschienen, siehe: Reinhard Döhl, Von der Alphabetisierung der Kunst. Zur Vorgeschichte der konkreten und visuellen Poesie in Deutschland. In: Zeichen von Zeichen für Zeichen. Festschrift für Max Bense. Hg. Elisabeth Walther/Udo Bayer. Baden-Baden 1990, S. 250 ff. Zum Prosagedicht siehe: Deutsche Prosagedichte des 20. Jahrhunderts. Eine Textsammlung. Zus. m. Dencker Hg. v. Ulrich Fülleborn. München 1976, dort Kandinsky S. 69 f. u. 278 f. Aber vgl. dazu: „Alle meine Arbeiten waren !abstrakt"“ (Arp, Unsern täglichen Traum, a.a.O., S. 9) und „Seine und meine Arbeiten waren konkrete Kunst“ (Arp, Unsern täglichen Traum, a.a.O., S. 8). Arp, Unsern täglicher Traum, a.a.O., S. 81. Werner Hofmann, Über den Begriff der !Konkreten" Kunst. In: DVjs (Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte) 29, Stuttgart 1955, S. 57 ff. Zum Begriff „konkret“ siehe auch: concerning concrete poetry, a.a.O., S. 9 ff.
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hang auftaucht1063, und auch diese Quelle von den Konkreten Poeten als eine sehr wichtige angesehen wurde1064. Denn gerade dort, wo Eindeutigkeit zu erwarten wäre, z. B. bei Kandinsky oder der De Stijl-Gruppe, ist zwischen 1910 und 1938 ein bemerkenswerter Wechsel in der Begrifflichkeit zu beobachten, ohne dass sich allerdings der zentrale Ausgangspunkt, „die große Abstraktion, die aus dem Bestreben, das Gegenständliche (Reale) scheinbar ganz auszuschalten, besteht und den Inhalt des Werkes in !unmateriellen" Formen zu verkörpern sucht“1065, wesentlich geändert hätte. So neigte Kandinsky 1918 zu der Bezeichnung „konstruktiv“1066, um sich dann ab 1930 von den Konstruktivisten abzugrenzen1067 und 1935 zu der Auffassung zu gelangen: „Schon seit längerer Zeit versuchte man (was auch ich noch vor dem Krieg tat) das !abstrakt" durch !abso-
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Ernest Francisco Fenollosa, The Chinese Written Character as a Medium for Poetry. Ed. Ezra Pound in: Little Review (New York) 6/5, Sept. 1919, S. 62–64; 6/6, Okt. 1919, S. 57–64; 6/7, Nov. 1919, S. 55–60; 6/8, Dez. 1919, S. 68–72. Reprint, leicht verändert: An Essay on the Chinese Written Character, by Ernest Fenollosa, in: Instigations, New York 1920 und London 1936. Dt. mit einem Vorwort von Eugen Gomringer: Ernest Fenollosa, Das chinesische Schriftzeichen als poetisches Medium. Starnberg 1972, S. 20. Fenollosa stellt dar, in welcher Weise die Reduktion auf ein chinesisches Zeichen „das Konkrete der Natur“ (S. 22 u. 27) ohne grammatikalisches und abstrahierendes Netzwerk auszudrücken vermag, wie unvermittelt und präzise das ideografische Element der Zeichen „zu einem prächtigen Aufblitzen konkreter Poesie“ (S. 20) verhilft. Zu Fenollosa: Udo Kultermann, !Wo es weder Westen noch Osten gab" Ernest Fenollosas Bedeutung für die Kulturentwicklung der Moderne. In: Merkur H. 12, Dez. 1993, S. 1101 ff. Zuerst erwähnt im plano-pilóto 1958 der Noigandres-Gruppe, später dann mit Nachdruck von Gomringer: „von großer tragweite, bis heute von einem teil des konkreten lagers noch übersehen, ist vor allem auch die dimension, die ernest fenollosa 1908 in seinem essay (…) dem begriff !konkrete poesie" zuordnete“ (in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 5). Kandinsky, Über die Formfrage, a.a.O., S. 29. „Daß ein Bild (…) nur als konstruktives Wesen existieren kann, soll jedem ohne weiteres klar und unverrückbar erscheinen. Das heute stark (und immer stärker) sich zeigende bewusste oder auch noch oft unbewußte Streben, das Gegenständliche durch das Konstruktive zu ersetzen, ist die erste Stufe der beginnenden reinen Kunst, zu der die vergangenen Kunstperioden unvermeidlich und gesetzmäßig waren“ (Malerei als reine Kunst. In: Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 68 f.). Kandinsky, Betrachtungen über die abstrakte Kunst. In: Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 148 und deutlicher S. 170 ff. (in: Die Kunst von heute ist lebendiger denn je).
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lut"1068 zu ersetzen. Eigentlich kaum besser. Der beste Name wäre meiner Meinung nach !reale Kunst", da diese Kunst neben die äußere Welt eine neue Kunstwelt stellt, geistiger Natur. Eine Welt, die ausschließlich durch Kunst entstehen kann. Eine reale Welt.“1069 1938 vollzog er dann den endgültigen Wechsel von „abstrakt“ zu „konkret“. Ganz ähnliches vollzieht sich innerhalb der De Stijl-Gruppe. Piet Mondrian schrieb 1917: „Die Neue Gestaltung kann also nicht in den (natürlichen) konkreten Vorstellungen erscheinen (…) sie muss vielmehr in der Abstraktion von Form und Farbe zum Ausdruck kommen – in der 1068
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Blümner nannte seine 1921 im Sturm veröffentlichte Dichtung „Ango laïna“ „Eine absolute Dichtung“ (vgl. auch den Beitrags Blümners „Die absolute Dichtung“). Naum Gabo schrieb 1937: „Die Formen, die wir schaffen, sind nicht abstrakt, sondern absolut.“ (Naum Gabo. Bauten Skulptur Malerei Zeichnungen Grafik. London 1957/Neuchatel 1961, S. 176). Kurt Schwitters schrieb am 26. 4. 1927 an Kandinsky, nachdem er über das „beliebige abstrakte Gemälde“ gesprochen hatte: „Der absoluten Malerei sind auch weder ihre noch meine Arbeiten nahe, ich glaube, heute malt noch niemand absolut. Am nächsten sind ihr die Arbeiten von Mondrian“ (Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 257). Von Ball gibt es einen Eintrag v. 7. 5. 1917: „Vom Wort also, nicht vom Bilde. Nur was genannt wird, ist da und hat Wesen. Das Wort ist die Abstraktion des Bildes, und also wäre doch das Abstrakte absolut.“ (Ball, Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 160). Vgl. auch: Werner Günther, Über die absolute Poesie. In: DVjs (Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte) 23, Halle 1949, S. 1 ff. u. Jürgen H. Petersen, Absolute Lyrik. Die Entwicklung poetischer Sprachautonomie im deutschen Gedicht vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 2006, dazu (was bei Petersen fehlt) in den Fragmenten/Nachlese von Bülow: „wenn auch nur die wenigsten schöne, (absolute) Poesie sind.“ (in: Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 454), Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung (1795/bes. in der „Idylle“: „Jede Poesie nämlich muss einen unendlichen Gehalt haben, dadurch allein ist sie Poesie; aber sie kann diese Forderung auf zwei verschiedene Arten erfüllen. Sie kann ein Unendliches sein, der Form nach, wenn sie ihren Gegenstand mit allen seinen Grenzen darstellt, wenn sie ihn individualisiert; sie kann ein Unendliches sein, der Materie nach, wenn sie von ihrem Gegenstand alle Grenzen entfernt, wenn sie ihn idealisiert, also entweder durch eine absolute Darstellung oder durch Darstellung eines Absoluten.“), vor allem aber F. W. J. Schelling, Philosophie der Kunst (1802). In: Schelling, Texte zur Philosophie der Kunst. Hg. Werner Beierwaltes. Stuttgart 1982, bes. S. 191 und 266 ff. Zum Begriff „absolute Malerei“ (Otto Stelzer, Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. Denkmodelle und Vor-Bilder. München 1964), zum „absoluten Film“ (G. Material zur elementaren Gestaltung, a.a.O., S. 107 u. Guido Seeber, Filmtechnik. Halle 1925, S. 95), zur „absoluten Musik“ (Carl Dahlhaus, Die Idee der absoluten Musik. Kassel 1978). Kandinsky, Abstrakte Malerei. In: Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 182.
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geraden Linie und in der zur Bestimmtheit geführten Primärfarbe“1070, „!abstrakt" gestaltet sie sich durch Position, Dimension und Wert von gerader Linie und rechteckiger Farbfläche (…) durch Zweiheit der Position im rechten Winkel zueinander“1071. 1918 entwirft Mondrian in „Das Bestimmte und das Unbestimmte“ die These einer „Gleichgewichtsbeziehung“ zwischen dem „Bestimmten/abstrakt“ und dem „Unbestimmten/konkret“: „was alle Kunst zur Kunst macht, ist die Darstellung, die bestimmte Gestaltung dieser Beziehung“1072, und „die Kunst musste sich (in der Gestaltung) vom Unbestimmten (Natürlichen) befreien, um eine wahrhaft klare Darstellung des Bestimmten zu erzielen“.1073 Theo van Doesburg definierte im selben Jahr das „konkrete Denken“ als ein sich in der „abbildlichen Kunst“ offenbarendes, gegenüber dem „abstrakten Denken“, das sich „in ästhetischer Weise in der Neuen Gestaltung unserer Zeit“ manifestiere1074. In der „Erklärung“ vom 30. Mai 1922 zum „ersten internationalen Kongress der fortschrittlichen Künstler“ tauchte der Begriff des Konstruktivismus auf1075, und van Doesburg sprach außerdem von dem Kunstwerk als einem „realen Ding“, und die „Kunst der zukünftigen Generation wird kollektiver Ausdruck sein (…) in Richtung auf eine reale Einheit“1076. „So verwandelte sich das Abstrakte in das Reale, womit die Relativität des Begriffs bewiesen war. Der Ausdruck !abstrakt-real" (Mondrian) war daher ein glücklicher Einfall. Zum Zweck einer neuen Orientierung können wir uns aber mit real begnügen. Die Zeit der Abstraktion ist vorüber“1077, und van Doesburg sprach 1925 nun von konkreter Malerei. Damit aber nicht genug: Nach der gelegentlichen Erwähnung des Ringens „um einen elementaren Stil mit elementaren Mitteln“1078 ge1070
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Mondrian, Die Neue Gestaltung in der Malerei. In: Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 36. Ein sehr ausführlicher Beitrag zur Beschreibung dessen, was „abstrakt“ ist. A.a.O., S. 38 f. A.a.O., S. 101 f. A.a.O., S. 105. A.a.O., S. 108 f. „Konstruktivismus ist hier nur gebraucht, um den Kontrast mit allen !Impulsivisten" zu charakterisieren (De Stijl)“, a.a.O., S. 165, Anm. 1. Siehe auch „Konstruktivistische internationale schöpferische Arbeitsgemeinschaft“, a.a.O., S. 176. A.a.O., S. 175, auch S. 180. Theo van Doesburg, Malerei und Plastik. In: Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 206. Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 148. Weitere Belege, a.a.O., S. 185 von Werner Graeff, S. 189 u. 206 von van Doesburg.
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winnt für ihn in den folgenden Jahren der „Elementarismus“1079 in Kunst und Architektur an Bedeutung, als Erneuerung des „individuellen und kollektiven Lebensgefühls“, um „eine elementare Welt von exakter und prachtvoller Wirklichkeit aufzubauen“: „Für den Elementaristen, der die Ursache der Polyrelativität in der universalen Bewegung erblickt, sind Geist und Materie, Realität und Superrealität, abstrakt und konkret nichts anderes als Formeln, in denen wir die Bewusstseinsentwicklung des Denkprozesses bis zum heutigen Tage untergebracht haben.“1080 Natürlich spiegeln sich in diesen beiden Skizzen zu Kandinsky und van Doesburg Einflüsse vieler Künstlerpersönlichkeiten und ihrer Programmatiken wider, die im einzelnen sehr sorgfältig betrachtet werden müssten, um das Netz von im Detail sehr unterschiedlichen Positionen, denen Kandinsky und van Doesburg in jenen Jahren ausgesetzt waren, genauer beurteilen zu können. Vielleicht darf aber davon ausgegangen werden, dass für den gesamten Zeitraum als zentrales Postulat das der Abstraktion allen gemeinsam war1081, und dies galt sogar schon für Henry van de Velde1082, als er im Zentrum der Erneuerungsbewegung des Jugendstils1083 einerseits die Ablehnung des Staffeleibildes1084 in der Kunst 1079
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A.a.O., S. 213 „Elementarismus (Manifestfragment)“ (1926/27) u. S. 241 „Elementarismus“ (1930). A.a.O., S. 214 f. Vgl. allerdings die Äußerung von Ball in der Eintragung v. 7. 6. 1920: „Weil der Mensch dem Bildhaften nicht zu entgehen vermag, deshalb führt alle Abstraktion als ein Versuch, ohne Bild auszukommen, nur zu einer Verarmung, einer Verdünnung, einem Surrogat des Sprachprozesses.“ (Ball, Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 263 f.). In diesem Zusammenhang zu beachten die Eintragung v. 13. 4. 1916: „Das abstrakte Zeitalter ist im Prinzip überwunden.“ (a.a.O., S. 91). Als van de Velde 1902 nach Weimar berufen wurde, entwickelte er die Idee einer kunstgewerblichen Versuchsanstalt, aus der dann das „Kunstgewerbliche Seminar“ und 1906 die Weimarer Kunstgewerbeschule entstand, deren pädagogisches Konzept in direkter Linie zur Gropius’schen Bauhausgründung 1919 führte. Werner Hofmann, Von der Nachahmung zur Erfindung der Wirklichkeit. Die schöpferische Befreiung der Kunst 1890–1917 (engl. New York 1969) Köln 1970: „die Form- und Gedankenwelt des Fin de Siècle enthält bereits den Keim der Wunschvorstellungen, denen die Bahnbrecher des 20. Jahrhunderts nach dem Überschreiten verschiedener !Formschwellen" die radikalsten und konsequentesten Verwirklichungen geben werden“ (S. 18, siehe auch S. 123). Zu Umbruch und Erneuerung um die Jahrhundertwende vgl., Friedrich Ahlers-Hestermanns Bemerkungen über die neue Sachlichkeit (in: Stilwende. Aufbruch der Jugend um 1900. Berlin 1941/1956), auch Adolf Loos, Sämtliche Schriften. Wien 1962, mit einem Blick auf die Wiener Kunstgewerbeschule und die Wiener Werkstätten. Henry van de Velde, Säuberung der Kunst (1894). In: Velde, Zum neuen Stil, a.a.O., S. 31: „Und wir erkannten, dass das Staffeleibild nur ein Zeichen des
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und andererseits für das Kunstgewerbe als „edelsten Inhalt jeder Ornamentik immer das Abstrakte“1085 forderte1086. – Die Präferenz für das Abstrakte gegenüber dem Arabesken und dem organisch Gewachsenen, – die Abkehr vom Abbilden der Natur und des Gegenstandes, – nicht zuletzt überflüssig geworden durch die neuen Medien Fotografie und Film, die diese Aufgabe auf andere Weise übernahmen –, – die „Entindividualisierung“1087 des Kunstwerks, – die Ablösung der Intuition durch die Konstruktion, – der Weg zu einer autonomen Kunstrealität, deren Strukturelemente sich unmittelbar aus einem neuen Material- und Formenbewusstsein für die eingesetzten Mittel ergaben, – die Reduktion auf die „Vereinfachung fast bis zum Schematischen“1088, auf das „Primäre“ und „Reine“, auf die Linie und den rechten Winkel, die Grundfiguren der Geometrie und die Primärfarben, – die Aufgabe der Gattungsgrenzen und das wechselseitige Interesse für die Nachbarkünste1089, sowie Ausdrucksformen, die sich zwischen den bisherigen Gattungsgrenzen zu entwickeln begannen,
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höchsten Alters gewesen sei, das langsame Vergehen der Kräfte bei einem Greise, die letzten Augenblicke eines Sterbenden“. Velde, Ein Kapitel über Entwurf und Bau moderner Möbel (1897). In: Velde, Zum neuen Stil, a.a.O., S. 61. Weitere Belege, Das neue Ornament (1901), a.a.O., S. 97, Prinzipielle Erklärungen (1902), a.a.O., S. 128, Die Linie (1910), a.a.O., S. 186. Ist hier die Quelle der Hinwendung Kandinskys zur Abstraktion zu sehen, wenn man bedenkt, dass er in seinen Münchener Lehrjahren (1896/1906) mit van de Velde in Berührung kam. Dazu Will Grohmann, Kandinsky. Köln 1958, S. 35. „Das Kunstwerk ist ein Organismus. Das Kunstwerk ist ein Lebewesen. Als solches ist es für sich individuell im eigentlichen Sinne: für sich ungetrennt. Deswegen ist die Aufgabe des Künstlers erledigt: Entindividualisierung. Weil das Kunstwerk durch sich selbst ein Organismus sein muss und für sich selbst ist (…) Abstrakte Kunst kann folglich nur entindividualisierte Kunst bedeuten.“ (Paul van Ostaijen, Et Voilà. Ein Manifest zur Einführung (1920). In: Manifeste, a.a.O., S. 215). „Übersichtlichkeit, Geradlinigkeit, Sparsamkeit der Konturen, Vereinfachung fast bis zum Schematischen: dies wird allmählich der Kanon des modernen Geschmacks. Vorläufig nennt man überflüssige Linien, Farben und Formen, alle Arten Schnörkel, Dekors und Koloraturen bloß unelegant; eines Tages wird man sie hässlich nennen (…) Erstens höchstmögliche Einfachheit; zweitens straffste Organisation, die alle Details einem Zentralzweck unterordnet; drittens möglichste Ausnützung der Mittel. Nun, und dies ist ganz einfach die Definition des modernen Kunstwerks.“ (in: Egon Friedell, Ecce Poeta. Berlin 1912, S. 89). Dencker, Über die wechselseitige Befreiung der Künste, S. 151 ff.
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– und die sich entwickelnde Lust und Notwendigkeit, den Konventionen und verbrauchten tradierten Regelwerken des 19. Jahrhunderts neue Entwürfe, nicht nur der Kunsttheorie, sondern auch der Lebenspraxis, entgegenzustellen, das waren kennzeichnende Konstituenten einer alle Kunstgattungen umfassenden europaweiten revolutionären Bewegung, die über Russland hinaus schließlich auch Amerika erfasste1090.
Abstrakt/konkret in der Literatur Was sich somit in der bildenden Kunst ereignete, fand nun seine Parallelen in der Literatur, zumal sich viele Künstler über die Gattungsgrenzen hinaus auch in den Nachbarkünsten einrichteten. Entsprechend war der Gebrauch gleicher begrifflicher Umschreibungen. So fällt zwar der Name Arp nicht nur im Zusammenhang mit der Kennzeichnung Konkreter Kunst, sondern auch Konkreter Dichtung, allerdings erst aus der Rückschau1091. Denn auch in der Literatur ist das umfassende Kennzeichen das der Abstraktion1092, auf das Kurt Schwitters, der sich schon 1910 zum „Problem der abstrakten Kunst“ äußerte1093 und seine Merzmalerei1094 sowie die Merzdichtung1095 als abstrakt bezeichnete, schon 1090
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Siehe die tabellarische Übersicht von 1902 bis 1925 für West- und Osteuropa, Nord- und Südamerika in: Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 3/132 ff. Raoul Hausmann, Zur Geschichte des Lautgedichts. In: Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 42: „Hans Arp schreibt in dem Text !Der Dichter Kandinsky" (…) Die Dadaisten waren die kämpferische enthusiastische Avant-Garde der konkreten Dichtung. 1916 schrieben Hugo Ball und Tristan Tzara onomatopoetische Gedichte, die sichtlich dazu beitrugen, den Sinn der konkreten Dichtung zu klären“. Vgl. Anm. 1038 u. 1052. Bsp. Ilia Zdanevitch, 41° (1921). In: Manifeste, a.a.O., S. 262. Vgl. Anm. 1464 ff. „Das Problem der abstrakten Kunst“ (1910) in: Kurt Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 26 ff. und „Zur abstrakten Kunst“ (1910), a.a.O., S. 36 f. Das Thema beschäftigte Schwitters auch fortan: „Ich und meine Ziele“ (1913), a.a.O., S. 340 ff., oder „Abstract Art“ (1940–46), a.a.O., S. 385. Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, aaO, S. 28: „Die Bilder der Merzmalerei sind abstrakte Kunstwerke“ (1920). Schwitters, a.a.O., S. 38: „Die Merzdichtung ist abstrakt“ (1919), S. 255: „Außer diesen rein abstrakten Dichtungen schreibe ich jetzt auch Märchen und Grotesken“ (1927); Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, a.a.O., S. 70: „abstrakte Poesie“ (1922). Allerdings spricht Schwitters auch von „konsequenter Dichtung“ und dass die „abstrakte Dichtung (…) noch nicht konsequent genug“ sei (Konsequente Dichtung. In: G. Material zur elementaren Gestaltung, III, Juni
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bei August Stramm hinwies: „Stramm war der große Dichter (…) Abstrakte Dichtung. Die abstrakte Dichtung wertet Werte gegen Werte. Man kann auch !Worte gegen Wort" sagen“.1096 „Und dann kam einer, der hieß August Stramm. Und er erlöste die Dichtung. Er befreite das Wort von seiner konventionellen Bedeutung, die keine Bedeutung mehr war, sondern eine vereinbarte Ausdeutung, gab ihm seine echte Bedeutung, seine Ur-Bedeutung wieder und führte es oft bis auf seinen verschollenen Ur-Wert zurück“1097. URTOD Raum Zeit Raum Wegen Regen Richten
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1924, abgedr. In Schwitters, a.a.O., S. 55) und „Es ist in der Litteratur schwer möglich, die Abstraktion rein durchzuführen, dazu genügen die heutigen Voraussetzungen noch nicht. Von meinen Dichtungen ist die am reinsten abstrakte die Ursonate“ (Merz 21, 1931, S. 114, in: Kurt Schwitters Merzhefte als FaksimileNachdruck mit einer Einleitung von Friedhelm Lach. Bern/Frankfurt 1975). Im ersten Manifest von 1918 der De Stijl-Gruppe um Theo van Doesburg ist von „äußerster Konsequenz jeden Kunstbegriffs“ die Rede (In: Jaffé, Mondrian und De Stijl, a.a.O., S. 91). Neben „abstrakt“ und „konsequent“ gibt es schließlich auch die Bezeichnung „elementar“ für einige Schwitters-Gedichte, so in der 1922 veröffentlichten Publikation „Elementar. Die Blume Anna. Eine Gedichtsammlung aus den Jahren 1918–1922. Berlin 1922, wobei sich diese Bezeichnung vom Manifest „Aufruf zur elementaren Kunst“ von Hausmann, Arp, Puni, MoholyNagy herleiten könnte, datiert „Berlin, Okt. 1921“ und zuerst veröffentlicht in: De Stijl Jg. 4, Nr. 10, Leiden 1921, S. 156. Dafür spricht ein Brief von Schwitters an Arp (abgedr. In: Kurt Schwitters Almanach 1986. Hg. Michael Erlhoff. Hannover 1986, S. 41), in dem es heißt: „Ich bin jetzt in Berlin. Hausmann und ich arbeiten lebhaft an dem Manifest. Wir wollen noch vielleicht Puni, Viking Eggeling, Doesburg auffordern. Wissen Sie noch jemand in Frankreich? Das Manifest wird elementare Kunst fordern, d. h. Kunst der Elemente und elementaren Künstlerkraft“. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 38. „Ich begann in der Dichtung im Jahre 1917 mit einer Gestaltung ähnlich der äußeren Form August Stramms“ (a.a.O., S. 255). Zur Beziehung Stramm – Schwitters vgl. Friedhelm Lach, Der Merz Künstler Kurt Schwitters. Köln 1971, S. 90 ff. und Scheffer, a.a.O., S. 23 ff. Rudolf Blümner, August Stramm. In: Der Sturm, 16. Jg., H. 9, Berlin, Sept. 1925, S. 122. Wichtig für dieses Sprachverständnis war die Urwort-Theorie von Ernst Cassirer in „Substanzbegriff und Funktionsbegriff “ (1910).
324 Raum Zeit Raum Dehnen Einen Mehren Raum Zeit Raum Kehren Wehren Recken Raum Zeit Raum Ringen Werfen Würgen Raum Zeit Raum Fallen Sinken Stürzen Raum Zeit Raum Wirbeln Raum Zeit Raum Wirren Raum Zeit Raum Flirren Raum Zeit Raum Irren Nichts
1098
Konkrete Poesie
August Stramm, Urtod, 19151098
August Stramm, Die Dichtungen. Sämtliche Gedichte, Dramen, Prosa. Hg. Jeremy Adler. München 1990, S. 103f, zuerst veröffentlicht in: Der Sturm VI, Nr. 7/8, 1. u. 2. Juliheft 1915, S. 40.
Abstrakte Dichtung
325
Sprachskepsis Die Rückführung auf das Material der Poesie, auf das Wort1099 und auf den Buchstaben, ist ein wesentliches Element der damals so bezeichneten abstrakten Dichtung. Ihr Ursprung ist unter anderem in der Sprachskepsis der Jahrhundertwende zu suchen, im Misstrauen der Schriftsteller gegenüber dem Wort und dem Sprachvermögen der alphabetischen Sprache, in einer Art Anschauungsschwäche1100 der Dichtung. Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden stärkeren Abbildungs- und Anschauungskünste Fotografie und Film geriet der Schriftsteller in eine Darstellungsnot und rettete sich in den Unsagbarkeitstopos1101. Diese Anschauungsschwäche ist bereits von Leonardo da Vinci am Ende des 15. Jahrhunderts in dem „Trattato della pittura“ angesprochen worden und wirkte über Valérys „Einführung in die Methode des Leonardo da Vinci“ – 1895 in der „Nouvelle Revue“ erschienen – in die Zeit um 1900. Iskra hat belegt, wie die von diesen Gedanken bestimmte entscheidende Schrift von Theodor A. Meyer „Das Stilgesetz der Poesie“1102 auf die Ästhetiken der Zeit, etwa von Mauthner, Volkelt, Dessoir, Rotteken oder Lehmann Einfluss nahm1103. In diesem Zusammenhang gewinnt die Bemerkung von Hugo von Hofmannsthal, „das Material der Poesie (sind) die Worte“1104, vor allem 1099
1100
1101
1102 1103 1104
Interessante Bemerkungen gibt es schon bei Wilhelm von Humboldt, Über die Natur der Sprache im allgemeinen (1806) in: Humboldt, Schriften zur Sprache. Hg. Michael Böhler. Stuttgart 1973, z. B. S. 8: „Das Wort ist freilich insofern ein Zeichen, als es für eine Sache oder einen Begriff gebraucht wird, aber nach der Art seiner Bildung und seiner Wirkung ist es ein eignes und selbständiges Wesen (…) Es bleibt zwischen dem Wort und seinem Gegenstande eine so befremdende Kluft (…) „, u. Über den Dualis (1827), a.a.O., S. 25. Dazu Walter Benjamin: „Jede Sprache teilt sich selbst mit. Die Sprache dieser Lampe z. B. teilt nicht die Lampe mit (denn das geistige Wesen der Lampe, sofern es mitteilbar ist, ist durchaus nicht die Lampe selbst), sondern: die Sprach-Lampe, die Lampe in der Mitteilung, die Lampe im Ausdruck. Denn in der Sprache verhält es sich so: Das sprachliche Wesen der Dinge ist ihre Sprache.“ (Benjamin, Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen [1916]). In: Benjamin, Sprache und Geschichte. Philosophische Essays. Hg. Rolf Tiedemann. Stuttgart 2000, S. 32). Wolfgang Iskra, Die Darstellung des Sichtbaren in der dichterischen Prosa um 1900. Münster 1967, S. 36 Iskra, a.a.O., S. 37. Vgl. auch zur älteren Literatur „Unsagbarkeitstopoi“ in: Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, a.a.O., S. 168 ff. Leipzig 1901. Iskra, a.a.O., S. 69, Anm. 20. Hofmannsthal, Poesie und Leben (1896). In: Hofmannsthal, Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. 2. Hg. Rudolf Hirsch. Frankfurt 1957, S. 316.
326
Konkrete Poesie
aber die Zeilen im Lord Chandos-Brief (1902) eine besondere Bedeutung: „(…) die abstrakten Worte (…) zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze … Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich“1105. Und früher schon in der „Monografie“(1895) schrieb Hofmannsthal: „[Die Leute] haben einen tiefen Ekel vor den Worten: Denn die Worte haben sich vor die Dinge gestellt (…) wir sind im Besitz eines entsetzlichen Verfahrens, das Denken völlig unter den Begriffen zu ersticken. So ist eine verzweifelte Liebe zu allen Künsten erwacht, die schweigend ausgeübt werden“1106. Zu ihnen gehörte der Ausdruckstanz1107 und die Gebärdenkunst1108 ebenso wie die Fotografie und der Stummfilm1109: „Das Bild ist so zur Kurzschrift der Sprache geworden. Wo das Wort versagt, ermöglicht das Bild noch eine Verständigung“1110. Egon Friedell notierte im „Prolog vor dem Film“ (1912): „Das Wort verliert allmählich an Kredit. Der menschliche Blick, die menschliche Gebärde, die ganze Körperhaltung des Menschen vermag heutzutage bisweilen schon mehr zu sagen als die menschliche Sprache“1111. Die Krise des Wortes wird also einmal abgefangen durch das Entstehen neuer Sprachen, aber auf der anderen Seite auch durch ein neues 1105
1106
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1109 1110
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Hofmannsthal, Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Hg. Herbert Steiner. Prosa II, Frankfurt 1951, S. 13 f. Hofmannsthal, Ein Brief. In: Gesammelte Werke, aaO, Prosa I, Frankfurt 1950, S. 265. Vgl. Anm. 901. Zur Gebärdenkunst: Carl Hauptmann, Film und Theater. In: Die neue Schaubühne 1, H. 6, Juni 1919, S. 165 ff. u. Dencker, Literarischer Jugendstil im Drama, a.a.O., S. 47 ff. Vgl. Anm. 1549. Dencker, Über die wechselseitige Befreiung der Künste, a.a.O., S. 158. Alois Ulreich, in: Photographische Rundschau 21. Jg., 1907, S. 251, zitiert bei: Kaufhold, Bilder des Übergangs, a.a.O., S. 161. Egon Friedell, Abschaffung des Genies. Essays bis 1918. Hg. Heribert Illig. Wien 1984, S. 156 f. Vgl. auch entsprechende Äußerungen bei Hugo Ball: „Das Wort ist zur Ware geworden (…) Das Wort hat jede Würde verloren“ (Hugo Ball, Die Kulisse. Das Wort und das Bild. Zürich/Köln 1971, S. 41 und ganz ähnlich auch S. 116 f.) und „Daß das Bild des Menschen in der Malerei dieser Zeit mehr und mehr verschwindet und alle Dinge nur noch in der Zersetzung vorhanden sind, das ist ein Beweis mehr, wie hässlich und abgegriffen das menschliche Antlitz, und wie verabscheuenswert jeder einzelne Gegenstand unserer Umgebung geworden ist. Der Entschluß der Poesie, aus ähnlichen Gründen die Sprache fallen zu lassen, steht nahe bevor. Das sind Dinge, die es vielleicht noch niemals gegeben hat.“ (5. 3. 1916, in: Kulisse, a.a.O., S. 84 f.).
Abstrakte Dichtung
327
Materialbewusstsein der Schriftsteller für ihr Handwerkszeug, durch eine neue Sensibilität für das Betrachten des Sprachzeichens als Strukturelement und Bedeutungsträger. „Wenn der Leser irgendeinen Buchstaben dieser Zeilen mit ungewohnten Augen anschaut, das heißt nicht als ein gewohntes Zeichen eines Teiles eines Wortes, sondern erst als Ding, so sieht er in diesem Buchstaben außer der praktisch-zweckmäßig vom Menschen geschaffenen abstrakten Form, die eine ständige Bezeichnung eines bestimmten Lautes ist, noch eine körperliche Form, die ganz selbständig einen bestimmten äußeren und inneren Eindruck macht, das heißt unabhängig von der eben erwähnten abstrakten Form (…) Hier offenbaren sich die Gesetze der Konstruktion. Für uns ist augenblicklich nur eins wichtig: der Buchstabe wirkt. Und, wie gesagt, ist diese Wirkung doppelt: 1. Der Buchstabe wirkt als ein zweckmäßiges Zeichen; 2. er wirkt erst als Form und später als innerer Klang dieser Form selbständig und vollkommen unabhängig“1112. Diese Betrachtung von Kandinsky erklärt, warum es denn auch gerade Hans Arp und Hugo Ball waren, die sich mit ihrer Arbeit, insbesondere aus der Sicht des Schriftstellers auf Kandinsky beriefen: „Nirgendwo, auch bei den Futuristen nicht, hat man eine ähnlich kühne Purifikation der Sprache versucht (…) Und Kandinsky ist auch den letzten Schritt noch weiter gegangen. Er hat im !Gelben Klang" als Erster den abstraktesten Lautausdruck, der nur aus harmonisierten Vokalen und Konsonanten besteht, gefunden“1113.
1112
1113
Kandinsky, Über die Formfrage, a.a.O., S. 31 f. Vgl. auch Kandinskys Bemerkungen über das „Wort“ in: W. K., Über das Geistige in der Kunst, a.a.O., S. 44 ff. Hugo Ball, Vortrag über „Kandinsky“ in der „Galerie Dada“, Zürich 7. April 1917, abgedr. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 51. Jg., H. 4, Stuttgart 1977, S. 703. Vgl. dort (S. 676 ff.) auch den Beitrag von Andeheinz Mößer, Hugo Balls Vortrag über Wassily Kandinsky in der Galerie Dada in Zürich am 7. 4. 1917. Zu Arp: Arp, Der Dichter Kandinsky, a.a.O. Nicht nur das Zitat von Ball, sondern viele nahezu gleichlautende anderer Autoren verwiesen zu jener Zeit innerhalb ihrer Vorstellung von einer neuen Form der Literatur vor allem auf die akustische Materialqualität der einzelnen Sprachzeichen und Wörter: programmatische Äußerungen, die in direkter Linie zum Entstehen der Akustischen Poesie führten. Ein weiteres Beispiel für alle: „die bedeutung des wortes ist von untergeordneter bedeutung und hängt nicht von dem ihm zugeschriebenen begriff ab. es ist als AONOMATISCH VERWENDETES klangliches material zu behandeln“, schrieben Anatol Stern und Aleksander Wat (in: Gga. Warschau, Dezember 1920) in ihrer programmatischen Schrift „Die Primitivsten an die Völker der Welt und an die Polen“ (In: Manifeste, a.a.O., S. 214).
328
Konkrete Poesie
V/2 Wortkunst Kandinskys Postulat „das Wort (…) ist das reine Material der Dichtung“1114, das gleichlautend später auch bei Schwitters1115 zu finden ist, tauchte im Sturm-Kreis1116 als Grundlage für die „Wortkunsttheorie“1117 auf, die Herwarth Walden von Arno Holz übernahm1118 und bis in den russischen Formalismus1119 wirkte. Denn eigentlich ist der Materialaspekt schon bei Holz nachweisbar, wenn es in seiner „Revolution der Lyrik“ heißt: „!Also Kunst = Natur – X. Schön. Weiter. Woran, in meinem speziellen Falle, hatte es gelegen, dass das X entstanden war? Ja, dass es einfach hatte entstehen müssen? Mit anderen Worten also, dass mein Suldat kein Soldat geworden?" Und ich musste mir antworten !Nun, offenbar, in erster Linie wenigstens, doch schon an seinem Material. An 1114 1115
1116
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Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, a.a.O., S. 46 f. Schwitters, Das Literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 134: „Material der Dichtung sind Buchstabe, Silbe, Wort, Satz, Absatz. Worte und Sätze sind in der Dichtung weiter nichts als Teile (…) In der Dichtung werden die Worte aus ihren alten Zusammenhang gerissen, entformelt und in einen neuen, künstlerischen Zusammenhang gebracht, sie werden Form-Teile der Dichtung, weiter nichts.“ (Merz 1, Januar 1923, S. 10 f., in: Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O.). Vgl. auch früher (1920) schon a.a.O., S. 77. Herwarth Walden: „Das Material der Dichtung ist das Wort“ (in: Expressionistische Dichtungen vom Weltkrieg bis zur Gegenwart. Hg. Herwarth Walden/Peter Silbermann. Berlin 1932, S. 8). Scheffer, a.a.O., S. 28 ff. Vgl. auch: Literaturrevolution 1910–1925. Dokumente, Manifeste, Programme. Hg. Paul Pörtner. Bd. 1, Darmstadt 1960, S. 395 ff. Herwarth Walden zitiert aus dem Vorwort von Holz zum „Ignorabimus“ dessen Vorstellung von „Wortkunst“ (Walden, Arno Holz. In: Der Sturm IV, Nr. 160/161, Berlin, Mai 1913, S. 26). Auf dieses Zitat bezog sich Holz in seinem Brief an Walden v. 12. 11. 1917 (Arno Holz, Briefe. Eine Auswahl. Hg. Anita Holz/Max Wagner. München 1948, S. 239), in dem er sich beschwerte, dass nicht Stramm (wie 1917 von Walden veröffentlicht), sondern er „der deutschen Dichtung neue Wege gewiesen, indem er eine neue Wortkunst geschaffen“ habe: „Zu Ihrer Wendung !Neue Wortkunst". Nicht bloß ihr Begriff, der vor mir nicht da war, und ihre Formulierung, die seitdem nicht überboten wurde, sondern auch bereits ihr Ausdruck stammt von mir !Die neue Wortkunst. Eine Zusammenfassung ihrer ersten, grundlegenden Dokumente". Angezeigt von mir 1913, nachdem ich gut 20 Jahre an diesen ersten, !grundlegenden" gearbeitet hatte!“. Viktor Zˇirmunskij, Die Aufgaben der Poetik (1921). In: Texte der russischen Formalisten, Bd. II, a.a.O., S. 153: „Material der Dichtung sind nicht Bilder und Emotionen, sondern das Wort (Slovo). Dichtung ist Wortkunst, und die Geschichte der Dichtung ist die Geschichte der Wortkunst. Der alte Schulausdruck !Wortkunst" (slovesnost’) entspricht in diesem Sinne vollkommen unserm Gedanken.“
Wortkunst
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seinen Reproduktionsbedingungen rein als solchen"“1120, noch radikaler in der „Blechschmiede“: „Worte sind weiter nichts als Silben“1121 und schließlich, fast prophetisch das Postulat der „befreiten Worte“ des Futurismus bereits 1898 vorwegnehmend1122: „Die Revolution der Lyrik, von der so viele schon fabeln, dass sie längst eingetreten sei, wird nicht eher eintreten, als bis auch diese Kunst, gleich ihren voraufgegangenen Schwestern, sich von jenem Prinzip, das sie noch immer einengt und das ihre Schaffenden noch immer in Zungen reden lässt, die schon ihre Urgroßväter gesprochen, endlich emanzipiert und ein neues, das sie von allen Fesseln, die sie noch trägt, erlöst, das sie von allen Krücken, auf denen sie noch humpelt, befreit, endlich an dessen Stelle setzt,“1123 die „ursprünglichen Werte den Worten aber gerade zu lassen und die Worte weder aufzupusten noch zu bronzieren oder mit Watte zu umwickeln, ist das Geheimnis“1124. Holz wandte sich gegen alle Formen des Reimes1125, „Assonanzenzier“ und „Alliterationsbindung“1126, gegen den „geheimen Leierkasten“ der Strophenbildung1127 und die „Zwangsschablonen bisheriger Metrik“1128: „Die letzte !Einheit" der bisherigen Metrik war der Versfuß. Die letzte Einheit meiner Rhythmik ist eine ungleich differenziertere: die Zeile“1129, eine Rhythmik, die eine „permanente, sich immer wieder aus den Dingen neu gebärende, komplizierteste Form-Notwendigkeit“1130 darstellt. Sie wende sich gegen die „Freien Rhythmen“1131 und decke sich höchstens in ihrer letzten Tendenz mit der „zeitgenössischen französischen vers-libre-Bewegung“1132. Diese Rhythmik unterliege einer „meist 1120 1121 1122
1123 1124 1125 1126 1127 1128 1129 1130 1131 1132
Holz, Die Revolution der Lyrik (Berlin 1899). Wiesbaden 1951, S. 35. Holz, Werke, Bd. VII, a.a.O., S. 315. Vgl. auch seinen Beitrag „Die befreite deutsche Wortkunst“ (Arno Holz Werke, Bd. V, a.a.O., S. 72 ff.). 1896 äußerte sich Hugo von Hofmannsthal in „Poesie und Leben“: „Der Mutigste und der Stärkste ist der, der seine Worte am freiesten zu stellen vermag; denn es ist nichts so schwer, als sie aus ihren festen, falschen Verbindungen zu reißen“ (Hofmannsthal, a.a.O., Prosa I, Frankfurt 1950, S. 309) Holz, Werke, Bd. V, a.a.O., S. 66. A.a.O., S. 71. A.a.O., S. 69. A.a.O., S. 86. A.a.O., S. 70 f. A.a.O., S. 86. A.a.O., S. 125. A.a.O., S. 87. A.a.O., S. 71. A.a.O., S. 72.
330
Konkrete Poesie
strengst durchgeführten Zahlenarchitektonik“1133 und „Zahlenverästelung“1134, so dass „mit Hilfe seiner von mir so benannten !Arithmetik" die größten, umfänglichsten rhythmischen Einheiten, die je durch Wortkunst bisher gebildet wurden“1135, entstünden. Sie würde verdeutlicht durch den unregelmäßigen Zeilenbruch auf einer Mittelachse1136: „Ich 1133
1134 1135 1136
A.a.O., S. 96, vgl. auch S. 95, 132 f., 135. Im Brief an Wolfgang Schumann v. 27. 3. 1926 heißt es: „Alles ist so von !Zahlen" durchsetzt, das Ganze so !klingende Mathematik", dass kein Körnchen von ihm und kein Tönchen entbehrt werden könnte“ (Holz, Briefe, a.a.O., S. 265). Arno Holz Werke, Bd. V., a.a.O., S. 104. A.a.O., S. 105. Die immer wieder von Holz hervorgehobene Mittelachsenkonstruktion, auf die sich dann auch Autoren wie Otto Nebel berufen, ist einerseits lange vor Holz z.B. in alten Handschriften, wie Lehmann berichtet (Paul Lehmann, Figurale Schriftflächen. In: Zeitschrift für Buchkunde I, Leipzig 1924, S. 74ff. u. in: Paul Lehmann, Erforschung des Mittelalters. Bd. III. Stuttgart 1960, S. 60ff.), ein oft geübtes Stilmittel des Setzers, mit Figurensatz und figuralen Schriftflächen Buchseiten zu gestalten, insbesondere Gedichte zu setzen, wie etwa vor der Phantasus-Veröffentlichung Dehmel-Gedichte in Dehmels Lyriksammlung „Aber die Liebe“ (1893), die Holz sehr lobte, (vgl. Holz, Briefe, a.a.O., S. 95), oder die anderer Dichter in der von Ludwig Gemmel herausgegebenen Anthologie „Die Perlenschnur“ (Berlin 1898). Ein interessantes Beispiel ist das kleine Gedicht „Avoirdupois“ eines anonymen Verfassers, vermutlich aus dem 19. Jh., dessen Thema die unterschiedliche Länge seiner Zeilen ist, Abdr. in: Massin, a.a.O., (1970) S. 207: Avoirdupois The length of this line indicates the ton of coal as dug by the miner. This one indicates the ton shipped to the dealer. The small dealer gets a ton like this. This is the one you pay for. This is what you get. The residue is: Cinders and Ashes. And this line will give you some conception of the size of the BILL. Im Gegensatz zum reinen Gestaltungselement zeigt sich hier im Ansatz eine Funktionalität der Mittelachse, die nach Holz z. B. im Druck der Palindrome von Reinhold Koehler, EIN REGEL LEGER NIE. Contra Texte. Kassel 1968, erkennbar wird, auf der beide Lesungen des Palindroms zusammentreffen, oder z. B. in Gedichten, die bewusst mit gängigen Mustern der Mittelachse im Alltag spielen, wie auf Türschildern (René Altmann, Die Türglocke. In: Die Meisengeige. München 1964, S. 33), in Annoncen (Horst Bienek, Vorgefundene Gedichte. München 1969, S. 35) oder der Aufstellung von Fußballmannschaften und dem Abspann von Filmen (Peter Handke, Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt. Frankfurt 1969, S. 59, 119). – Ein Wort zu der Bemerkung von Keith,
Wortkunst
331
nenne das durch diese !unsichtbare Mittelachse" erzeugte !sichtbare Etwas" das Ohrbild eines Gedichtes. Seine gewissermaßen !typographische Musik"“1137. Holz wählte diese Form, um „die jeweilig beabsichtigten Lautbilder1138 möglichst auch schon typographisch anzudeuten“1139. Diese Grundposition von Holz spiegelte sich in seiner Arbeitsweise. Aus Berichten der Zeitzeugen Anita Holz1140 und Robert Reß1141 geht
1137 1138
1139 1140 1141
es handle sich bei Holz um „abstrakte Figurendichtung“ (Poetische Experimente der deutschen und russischen Avantgarde, a.a.O., S. 246). Neben der Frage, ob der Begriff „Figurendichtung“ mit dem des „Figurengedichts“ gleichgesetzt werden kann, muss untersucht werden, ob Formen, die sich eher einer „Satzspiegelentwicklung“ (vgl. Anm. 24) zuordnen lassen, schon als Optische Poesie zu bezeichnen sind. Diente die Mittelachse Holz tatsächlich nur, wie er behauptete, zur Rhythmisierung, oder hat sie zusätzlich eine – auch inhaltlich bezogene – visuelle Funktion bekommen? Da die Mittelachse von Holz aber ein prinzipielles Gestaltungsmittel ist und nicht notwendiger Bedeutungsträger eines einzelnen Gedichtes oder Werkes, ist die Bemerkung von Keith nicht unproblematisch. Vgl. dazu auch Richard Dehmel, Das Buch und der Leser. In: Dehmel, Dichtungen, Briefe, Dokumente. Hamburg 1963, S. 117 f.: „Was wird nicht alles versucht, um das flüchtende Auge ruhsamer an das Schriftwort zu fesseln und so das Ohr des Lesers aufmerksamer für die Bewegtheit der Sprache zu stimmen. Der eine Dichter ordnet die Zeilen nach der Mittelachse des Druckspiegels, um seine irreguläre Rhythmik durch Kontrast der optischen Symmetrie noch sinnfällig hervorzuheben (…) je mehr das Buch selbst Kunstwert erlangt (…) um so mehr zugleich verführt es die Dichtkunst zur inneren Augendienerei“. A.a.O., S. 94. Die Laut- und Klangwirkung war für Holz ein besonderes Anliegen (a.a.O., S. 103). Und so klingt denn auch seine Bemerkung von 1898 wie die Beschreibung einer Textpartitur für Akustische Poesie: „Die für den ersten Augenblick vielleicht etwas sonderbar anmutende Druckanordnung – unregelmäßig abgeteilte Zeilen und unsichtbare Mittelachse, die ich für diese Form bereits seit Jahren vorgesehn, inzwischen ist sie glücklich !modern" geworden – habe ich gewählt, um die jeweilig beabsichtigten Lautbilder möglichst auch schon typographisch anzudeuten. Denn wenn irgendeine bisher, so ist es gerade diese Form, die, um ihre volle Wirkung zu üben, den lebendigen Vortrag verlangt. Und so wenig allerdings eine solche !Typografie" auch schon genügen mag, uns steht leider ein anderes, besseres Mittel für solche Zwecke noch nicht zur Verfügung. Was ich auf diese Weise gegeben, ich weiß, sind also gewissermaßen nur Noten. Die Musik aus ihnen muß sich jeder, der solche Hieroglyphen zu lesen versteht, allein machen.“ (a.a.O., S. 73). Vgl. auch Anm. 1171. A.a.O., S. 72. Mitgeteilt von Rarisch, a.a.O., bes. S. 107. Robert Reß, Arno Holz arbeitet am „Phantasus“. Ein Augenzeugenbericht. In: Holz, Berg des Lebens. Ein Phantasusgedicht fürs Theater. Aus der Tragödie „Sonnenfinsternis“. Hg. Robert Wohlleben. Hamburg 1980, o. P.
332
Konkrete Poesie
hervor, dass Holz sein Sprachmaterial bis auf die Wortstämme und einzelne Vor- und Endsilben mit der „über alles von ihm geliebten Papierschere, Reihe für Reihe und Stück für Stück, in einzelne kleine, nicht gerade sehr regelmäßige Vierecke zerschnitten“ habe, um diese dann auf sogenannten „Backbrettern“ in immer neuen Varianten zu ordnen und zusammenzufügen1142. Und vielleicht lässt sich dieses Montageverfahren sogar in einer Bildvorstellungen am Ende des 2. Heftes vom „Phantasus“ (1898) entdecken. Dort heißt es nämlich, dass „in meine Dachkammer“ (literarische?) „Missgeburten“ zur Reparatur auf den „Probiertisch“ gelegt werden und so die „Nase eine Leberwurst“ wird1143 und schließlich eine, in der Zusammensetzung einzelner Körperteile, Furcht weckende Kreatur erscheint: Die Diele knackt! Mir graut vor meinem Schatten. Es hat einen dicken Krötenbauch, Geierkrallen, lange, schlenkernde Affenarme und Schweinsaugen …1144
Dieses formale und inhaltliche Montageverfahren in der Literatur, vom Cross-Reading bis zum Cut-up, bekam seine Entsprechung dann auch in der bildenden Kunst, angefangen von einfachen Klebearbeiten, die bereits bei Victor Hugo, Hans Christian Andersen und Carl Spitzweg Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, bis zu Christian Morgensterns Collagen um die Jahrhundertwende und den Klebebildern von Gabriele Münter, der Lebensgefährtin von Kandinsky, um 1909, bevor mit Pablo Picasso und Georges Braque die eigentliche Geschichte der Collage im
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Diese mosaikartige, auf selbständige Einzelteile fußende Arbeitsweise wird von Holz in seinem Brief an Georg Hirth v. 7. 8. 1997 erläutert. Er spricht dort von einer „merkwürdig zusammengesetzten“ Form, „ein riesiges Mosaik (…) dessen tausend bunte Einzelsteinchen aber trotzdem derartig gearbeitet sein sollen, dass jedes dieser Teilchen, auch aus dem Ganzen herausgenommen, seine Bildwirkung als Einzelnes behält.“ (Holz, Briefe, a.a.O., S. 13). Wie es in der bildenden Kunst im 16. Jahrhundert schon Giuseppe Arcimboldo (1527–1593) vorführte (vgl. Massin, [1970] a.a.O., S. 150 f.), oder in alten Bildalphabeten die Buchstaben durch Stellungskonstellationen von Menschen, Tieren oder Pflanzen erschienen. Arno Holz, Phantasus. Verkleinerter Faksimiledruck der Erstfassung. Hg. Gerhard Schulz. Stuttgart 1968 (= Reclam 8549), S. 105.
Wortkunst
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Kubismus begann1145, – eine wichtige Ausdrucksform, die über den Futurismus und Dadaismus ihren Weg in die Gegenwartskunst nahm1146. Holz befand sich also mit seinen Vorstellungen inmitten eines Umbruchprozesses, in dem einerseits durch die Technologieentwicklung 1145
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Wescher fand bereits erste Vorläufer der Collage bei den japanischen Kalligrafen im 12. Jh., in Persien zwischen dem 13. und 16. Jh. und den frühen Materialbildern des 16. und 17. Jh. in Europa (a.a.O., S. 7ff.). Eberhard Roters ergänzte: „Dazu gehören die gemalten Trompe-l’œil-Stilleben des 16.–18. Jahrhunderts. Dazu gehören jene liebenswürdigen !Quodlibets", in denen vorgefundene Kleinigkeiten wie Reste von Spitzenbordüren, Buntpapieren [Die Buntpapiererin“, Augsburg 1740/Abb. in: Compendium zeitgenössischer Handpressendrucke. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 5. Ausgabe 2/1990 A. Hamburg 1990, S. 198] und Oblatenbildchen zu angenehmen Mustern geordnet sind, und dazu gehört beispielsweise jenes sonderbar drollig-satirische Blatt !Oberbergrat Schmitz als Freikorpshauptmann", das Graf Franz Pocci, Erfinder vieler Kasperle-Stücke für das Marionettentheater, 1875 für das Album des Münchner Geselligkeitsvereins !Alt England" anfertigte. Die Zeichnung zeigt einige würdige Herren, denen echte Stiefmütterchenblüten als Gesichter dienen (…) Abgesehen davon hat Pocci, wenn man so will, die Schriftcollage eher als Picasso erfunden, denn in der Mitte der Komposition klebte die herausgeschnittene Titelanzeige: !Neue Ausgabe von Franz Kobells Gedichten in oberbayrischer Mundart, Stuttgart, April 1875".“ (Roters in: Hannah Höch. Collagen aus den Jahren 1816–1971. Katalog der Akademie der Künste, Berlin 1971, S. 11). Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 3/34 ff.; prinzip collage. Hg. Franz Mon/Heinz Neidel. Neuwied 1968; Prinzip Collage. Hg. Dietrich Mahlow. Stuttgart 1981; Literarische Collagen. Texte, Quellen, Theorie. Hg. Volker Hage. Stuttgart 1981. Beispielhaft die Monografie: Werner Spies, Max Ernst. Collagen. Köln 1988. Paul Virilio hatte 1983 im Gespräch mit Sylvère Lotringer auf das Montagehafte, das Collagehafte der Wahrnehmung und des Bewusstseins und damit auf die Veränderung in der Kunst des 20. Jahrhunderts mit dem Satz hingewiesen: „Es gibt nur Collagen, nur Schnitte.“ Er sagte weiter: „Unser Bewusstsein ist ein Montageeffekt. Es gibt kein kontinuierliches Bewußtsein, nur ein zusammengesetztes (…) Wir befinden uns schon in der Zeit der Mikro-Erzählungen, der Kunst des Fragments. Nicht von ungefähr ist eines der größten in Frankreich erschienenen Bücher das Buch von Mandelbrot Les Objets fractals (über die Geometrie der Fragmentierung [Paris 1975; dt.: Die fraktale Geometrie der Natur. Basel 1987]). Eine Dimension braucht nicht vollständig, sie kann bruchstückhaft ausgedrückt werden (…) Es wird deutlich, dass man von Einheit und Einheitlichkeit (dem Begriff der Einheit einer Kontinuität) übergehen kann zu Begriffen von Fragmentierung und Unordnung. Damit kehrt sich etwas um. Das Fragment findet seine Autonomie wieder, seine Identität als unmittelbare Gegebenheit des Bewusstseins, wie Bergson sagen würde. Geschichte gibt es nur auf der Ebene der großen Erzählung. Ich meinerseits glaube nur an Collagen. Sie sind transhistorisch.“ (Paul Virilio und Sylvère Lotringer, Der reine Krieg. Berlin 1984, S. 39 f.).
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um die Jahrhundertwende, gepaart mit den neuen Medien Fotografie und Film, das Bewusstsein für Konstruktion und Montage gefördert und andererseits durch die industrielle Revolution das bisher einheitliche Weltbild mit seinen überkommenen Vorstellungsinhalten brüchig wurde und im Gegenentwurf die Entdeckung sich wechselseitig bedingender neuer Ausdrucksformen und Inhalte begünstigte, was Helmut Heißenbüttel am 26. 4. 1963 in der „Deutschen Zeitung“ zu der Frage führte: „war er es wirklich, der erste, der die Tendenzen der neueren (um nicht zu sagen der neuesten) Moderne zusammenfasste und in die Zukunft projizierte?“1147 Der Entwurf einer der Natur gegenüber nun nicht mehr mimetischen Ausdruckswelt, deren Konstruktion sich ganz aus dem Verständnis für den Materialcharakter des einzelnen Sprachzeichens entwickelte, kann also schon bei Holz aus den theoretischen Bemerkungen entnommen werden, selbst wenn seine literarische Praxis dies an vielen Stellen noch weniger erkennen ließ und deshalb sein Satz „Die Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur zu sein“1148 Gewicht behält1149, obwohl er differenzierte, dass Natur und Kunst nicht gleichzusetzen seien1150, und er nicht Kunst als „Nachahmung“, sondern „Kunst ist Wiedergabe“1151 im Sinne einer Gesetzmäßigkeit1152 und nicht Stofflichkeit1153 meinte. Hier
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Helmut Heißenbüttel, Vater Arno Holz. In: Über Literatur. Aufsätze und Frankfurter Vorlesungen. Olten 1966/München 1970, S. 32. Vgl. auch seine Bemerkung über Holz in: H. H., Was ist das Konkrete an einem Gedicht? Zwei Ansätze. Itzehoe 1969, S. 18. Gomringer, vom vers zur konstellation. In: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 155: „die neue dichtung ist entwicklungsgeschichtlich begründet. ihre anfänge sind in den versuchen eines arno holz (…) zu sehen“. Holz, Die Kunst. Ihr Wesen und ihre Gesetze. Berlin 1891/92, Zitat aus: Holz, Das Werk. Bd. X. Die neue Wortkunst. Eine Zusammenfassung ihrer ersten grundlegenden Dokumente. Berlin 1925, S. 83. Egon Friedell: „Arno Holz stellte damals die These auf: !Die Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur zu sein". Man könnte mit mindestens ebenso großer Berechtigung behaupten: !Die Kunst hat die Tendenz, wider die Natur zu sein".“ (Friedel, Ecce Poeta, a.a.O., S. 204). Holz an Wolfgang Schumann v. 27. 3. 1926: „Daß das Wort !Natur" in meiner !Formel", kongruent dem Worte !Kunst", kein Absolutum mehr darstellt (…) sondern nur noch ein Relativum“ (Holz, Briefe, a.a.O., S. 267). Holz an Henri Gartelmann v. 2. 6. 1996 in: Holz, Briefe, a.a.O., S. 104 f. „Natur ist Gesetz, Kunst seine Spiegelung“ (Holz, Briefe, a.a.O., S. 21). „Der Naturalismus ist eine Methode, eine Darstellungsart und nicht eine Stoffwahl“ (Holz, Das Werk, Bd. X, a.a.O., S. 271).
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wird dann auch das damalige Verständnis von Abstraktion1154 im Sinne Fritz Mauthners deutlich: „weil die begriffliche, abstrakte, aus Worten bestehende Sprache ihrem Wesen nach gezwungen ist, die Wirklichkeiten zu berauben, von Sinneseindrücken der unmittelbaren Anschauung zu abstrahieren“1155.
V/3 Le parole in libertà Das um die Jahrhundertwende so entstandene Bewusstsein für das Material Sprache, für eine „befreite Wortkunst“, führte im italienischen Futurismus und im russischen Kubofuturismus, nahezu zur gleichen Zeit1156, zu einer für die Konkrete Poesie bedeutsamen Betrachtungsweise der Buchstaben- und Wortqualität. Aleksej Krucˇonych und Velimir Chlebnikov verfassten 1913 bemerkenswerte kleine Manifeste1157, die zusammenfassen, was Chlebnikov bereits früher zur „Freiheit der Kunst des Wortes“1158 forderte: „Im Jahre 19081159 wurde der !Richterteich" I vorbereitet. Ein Teil der Werke kam in ihn, der andere kam ins !Studio der Impressionisten". In beiden Almanachen wiesen V. Chlebnikov, Nikolaj und David Burljuk, S. Mjasojedov u. a. der Kunst einen neuen Weg: Es entwickelte sich das Wort als solches. Von nun an konnte ein Werk aus einem einzigen Wort bestehen, 1154
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Alfred Döblin urteilte über die Arbeiten von Holz: „Wir werden am besten verstehen, was in diesen Mammutgebilden, den strömenden Rhythmen, vorliegt, wenn wir uns an die moderne Malerei erinnern, an die nicht gegenständliche, die sogenannte abstrakte. Ich nenne den Namen Kandinski.“ (Alfred Döblin in der Einführung zu: Arno Holz, Die Revolution der Lyrik. Wiesbaden 1951, S. 19). Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band. Zürich 1980, S. 10. Dieser Nachdruck folgt der Erstausgabe von 1910/11. Hier soll nicht diskutiert werden, wer wen beeinflusst hatte. Aleksej Krucˇonych und Velimir Chlebnikov schrieben 1913 in ihrem Manifest „Das Wort als solches“: „Die Italiener griffen die russischen Lüfte auf und begannen, Spickzettel der Kunst, Interlinearversionen zu schreiben. Mit dem Wort zu tun hatten sie weder vor 1912 [dem Erscheinen eines großen Sammelbandes] noch danach.“ (Chlebnikov, Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 115). „[Richterteich]“, „Das Wort als solches“ und „Der Buchstabe als solcher“, in: Chlebnikov, Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 108 f. u. 115 ff. Chlebnikov, Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 105, datiert Anfang des Jahres 1912. Der Herausgeber der Chlebnikov-Werke Peter Urban notiert: „absichtlich vordatiert, der Almanach wurde Ende 1909 geplant und erschien Anfang 1910“ (a.a.O., S. 528).
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und bloß durch seine sachkundige Abwandlung wurden Fülle und Ausdruckskraft der künstlerischen Form erreicht. Aber es war eine andere Ausdruckskraft – das Kunstwerk wurde nurmehr als Wort akzeptiert und kritisiert (zumindest wurde das vorausgeahnt). Ein Kunstwerk ist Wortkunst.“1160 Und in einem weiteren Manifest des gleichen Jahres wurden zwei, für die Konkrete Poesie ebenfalls kennzeichnende Elemente genannt: „Wir haben begonnen, den Wörtern Inhalt nach ihrer graphischen und phonetischen Charakteristik zu geben“1161. Weitere wichtige Forderungen im Hinblick auf eine neue Literatur waren dann u. a. das Überdenken der Rolle von Prae- und Suffixen, Aufgabe der Rechtschreibung, Aufgabe der Adjektive, Aufgabe der Metren zugunsten des freien Rhythmus.
Abb. 107: Aleksej Krucˇonych, Gedicht nur aus Vokalen, 1913
Abb. 108: Jamar (Pietro Gigli), o. T., 1917
Abb. 109: Kurt Schwitters, Das i-Gedicht, 1922 1160 1161
Chlebnikov, Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 115. Chlebnikov, Werke, Bd. 2, a.a.O., S. 108.
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Die Hervorhebung des einzelnen Wortes, die Feststellung, dass ein Gedicht aus einem einzigen Wort1162, ja aus einem einzigen Buchstaben1163 1162
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August Stramm spricht in einem Brief an Herwarth Walden v. 11. 6. 1914 vom „einzigen allessagenden Wort“ (Franz Richard Behrens. Blutblüte. Die gesammelten Gedichte. Werkausgabe Bd. 1. Hg. Gerhard Rühm. München 1979, S. 361). Helmut Heißenbüttel verwies auf Paul van Ostaijen, der versichert habe „das Wort Fisch sei für ihn poetischer als alle Gedichte zum Thema Fisch“ (Helmut Heißenbüttel/Heinrich Vormweg, Briefwechsel über Literatur. Neuwied 1969, S. 10) und Eugen Gomringer habe einmal gesagt, „das ideale konkrete Gedicht besteht im Grunde aus nur einem einzigen Wort“ (Heißenbüttel, Was ist das Konkrete an einem Gedicht?, a.a.O., S. 8 f.). Dazu paßt Gomringers Hinweis auf sein prägendes erstes „erlebnis der konkreten poesie“ auf einem Postamt in Ascona 1950: „ein auf löschblatt geschriebenes wort wurde mir in seiner vereinzelten gestalt gewahr“ (Gomringer, Theorie der Konkreten Poesie. Texte und Manifeste 1954–1997. Bd. II, Wien 1997, S. 7). Max Bense schrieb 1969 in seiner „Einführung in die informationstheoretische Ästhetik“: „Dabei kann man bereits ein einziges Wort als Text auffassen.“ (Bense, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, a.a.O., S. 357). László Moholy-Nagy, The New Vision (1928). New York 1946, S. 48: „(…) away from syntax and grammar to relations of single words“. Von Sergej Eisenstein ist überliefert, man könnte „Gedichte in Konsonanten schreiben“ (Eisenstein, Gesammelte Aufsätze I, a.a.O., S. 56). Ein solches Gedicht hat z. B. Schwitters 1922 geschrieben: „W W“ (Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, aaO, S. 211) oder Ernst Jandl „what you can do without vowels“ (1969/Abb. in: Konkrete Poesie [I]. In: Text + Kritik 25, Stuttgart 1970, S. 24). Die Entsprechung dazu: „Ein Gedicht nur aus Vokalen“ stammt von Aleksej Krucˇënych (Krucˇonych), Deklaration des Wortes als solches. In: Manifeste, a.a.O., Abb. 107 S. 49. „Wir haben Gedichte, die nur aus Vokalen bestanden“ zitiert Hausmann Tzara (Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 42). Von dem italienischen Futuristen Jamar (d. i. Piero Gigli) gibt es ein Beispiel in: Tavole parolibere futuriste (1912–1944), a.a.O., Teil 2, Abb. 108 S. 223, das 1917 datiert ist und aus sechs i-Vokalen besteht. Das i-Gedicht von Schwitters von 1922 besteht aus einem Vokal mit Leseanleitung (Schwitters, Das literarische Werk. Hg. Friedhelm Lach. Bd. 1, Köln 1971, Abb. 109 S. 206). Schwitters schrieb 1924: „Nicht das Wort ist ursprünglich Material der Dichtung, sondern der Buchstabe (…) Die konsequente Dichtung ist aus Buchstaben gebaut (…) Das konsequente Gedicht wertet Buchstaben und Buchstabengruppen gegeneinander.“ (Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 190 f.). Ein Pendant in der Konkreten Kunst ist Josef Albers’ „i“ (1934) in: Josef Albers. Eine Retrospektive. Köln 1988, Abb. 110 S. 168. 1943 entwarf Carlo Belloli eine besondere Form des i-Gedichts „treni“ (Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., Abb. 111). Weitere i-Gedichte: Gerhard Rühm hat Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre mehrere i-Gedichte als Typocollagen (die Vokale aus Zeitungen ausgeschnitten und geklebt) verfasst (in: Rühm, Gesammelte Gedichte und Visuelle Texte. Reinbek 1970), ebenso Dieter Roth „Ideogramme“ (Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 54 – leider auf dem Kopf stehend gedruckt – und weitere in: Roth, Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa. Hg. Jan Voss u. a. Frankfurt 2005, S. 17 u. 23). An-
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Abb. 110: Josef Albers, i, 1934
Abb. 111: Carlo Belloli, aus: „testi-poemie murali“, 1944
Abb. 112: Joan Brossa, Poema visual, 1969–71
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bestehen könnte, basierte zudem auf der Aufgabe der Syntax, und „mit der Preisgabe des Satzes dem Wort zuliebe begann resolut der Kreis um schließend gab es in den 1960er Jahren Beispiele von Åke Hodell (Abb. in: Olsson, Alfabetets användning, a.a.O., S. 393), Adriano Spatola (Abb. in: Chicago Review, Vol. 19, No. 4, Chicago Sept. 1967, S. 8), Hansjörg Mayer (Abb. in: Once again, a.a.O., S. 74 u. in: Slagter, Visuele Poezie, a.a.O., S. 34), José Luis Castillejo, „The Book of i’s“ (1969/Abb. in: Escrituras en libertad. Poesía experimental española e hispanoamericana del siglo XX. Hg. Instituto Cervantes. Madrid 2009, S. 304 ff.), Robert Joseph (d. i. Robert Josef Willibrordus 1943–2003), „Brandende kaarsen voor Kurt Schwitters“ (1971/Abb. in: Humphrey Ottenhof, De letter te lijf, a.a.O., S. 126), Jeremy Adler, „Vowel Jubilee“ (1979/Abb. in: Vom Aussehen der Wörter, a.a.O., S. 28), Joan Brossa (Abb. 112 in: Joan Brossa, poesia tipogràfica. Barcelona 2004, S. 146, hier noch vier weitere i-Gedichte, das jüngste datiert von 1992, S. 149). Eine Parodie auf das Schwittersche i-Gedicht stammt von Karl Riha, der in schwitterscher Schreibweise deutscher Schrift aus der Verdoppelung von i ein ü gewinnt (Abb. in: dada kalender. Hg. Jürgen Häusser. Giessen 1991, S. 145: „Das ü-gedicht ist die potenzierung des i-gedichts durch doppelung (…)“ (Riha, a.a.O.). – Siehe auch zum Vokal e Anm. 976. Im Katalog (– auf ein Wort!, a.a.O., S. 14 ff.) sind Arbeiten von Mira Schendel, transparente alphabetische Konstellation (1971) mit dem Buchstaben a und Vladimir Burda, ABCEDA 1 (1967) mit dem Buchstaben b abgedruckt. Überlegungen zur Bedeutung und Funktionsweise einzelner Buchstaben hat es schon immer gegeben. Sie gehen zurück bis zu den einschlägigen Stellen im „Kratylos“ von Platon (Platon, Sämtliche Werke 2. Reinbek 1957/1963, S. 167 (bes. 426c ff. u. 434c ff.; Dornseiff, a.a.O., S. 25 f.). Vgl. auch Geoffroy Tory, Champ fleury, auquel est contenu l’art & science de la deue & vraye proportion des lettres attiques, qu’on dit autrement lettres antiques, & vulgairement lettres romaines, proportionnées selon le corps & visage humain. Paris 1529; Victor Hugo über die Poesie der Buchstaben (1839, in: Hugo, Œuvres complètes.Voyages. Alpes et Pyrenées. Paris 1987, S. 684); Arthur Rimbaud „Voyelles“ (1871, in: Rimbaud, Œuvres. Paris 1983, S. 110); René Ghil „Traité du Verbe“ (Avec Avantdire de Stephane Mallarmé. Paris 1886); Marc Legrand „Les Voyelles“ (1889/abgedr. in: Seaman, Concrete Poetry in France, a.a.O., S. 97); Ernst Jünger „Lob der Vokale“ (1934, in: Jünger, Geheimnisse der Sprache. Zwei Essays. Hamburg 1934, S. 5 ff.), dazu Max Benses Bemerkungen in den „Konturen einer Geistesgeschichte der Mathematik“ (Bense, Ausgewählte Schriften, Bd. 2, a.a.O., S. 264 f.); Josef Weinheber „Ode an die Buchstaben“ (1942, in: Weinheber, Sämtliche Werke. Hg. Josef Nadler/Hedwig Weinheber. Salzburg 1953–56, S. 199 f.) u. Arnold Keyserling, Weisheit des Rades (5. Stimme des Wesens: Vokale). Wien 1985. Mirella Bentivoglio: „I have discovered that letters have a distinct personality and visual power. For example, the capital letter H is a sign of separation, the capital letter E is open, a symbol of human relationships, connections. The letter E means !and" in Italian and it has the shape of a joint. Letters can be interpreted in so many ways (1999).“ (Love and Joy About Letters, a.a.O., S. 5). Jüngste Veröffentlichungen (http://www.puramaryam.de/namebuchstabe.html) zeigen, dass weitergehenden Interpretationen und mystischen Spekulationen kaum
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Marinetti mit den !parole in libertà". Sie nahmen das Wort aus dem gedankenlos und automatisch ihm zugeteilten Satzrahmen (dem Weltbilde) heraus (…) Wir anderen gingen noch einen Schritt weiter. Wir suchten der isolierten Vokabel die Fülle einer Beschwörung, die Glut eines Gestirns zu verleihen. Und seltsam: die magisch erfüllte Vokabel beschwor und gebar einen neuen Satz, der von keinerlei konventionellem Sinn bedingt und gebunden war.“1164 Filippo Tommaso Marinettis Forderung von der „Befreiung der Wörter“ vom 11. 5. 1912: „Dopo il verso libero, ecco finalmente le parole in libertà!“1165, die also spätestens seit Holz gedanklich im Blickfeld der Schriftsteller war1166, wurde von Autoren, die sich der neuen Wortkunst verpflichtet fühlten, wie Rudolf Blümner1167, Franz Richard Behrens oder Otto Nebel, sowie von den Dadaisten und der De Stijl-Gruppe aufgegriffen und jeweils eigenen Zielen untergeordnet. Der Blick für „die graphische und phonetische Charakteristik“ des Sprachmaterials führte einerseits zur Entwicklung einer von Berlin bis Zürich besonderen Vor1164
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Grenzen gesetzt sind: „Den Buchstaben-Dingen haftet eine bestimmte – evokatorische, apotropäische – Qualität an, sie sind qua ihrer Gestalt, Stofflichkeit oder räumlichen Anordnung als Körper magisch identisch mit dem unverfügbaren Sacrum in der Doppelbedeutung von Heiligem und Verwünschtem. Es handelt sich hier sozusagen um eine Nullstufe semiotischen Relativitätsbewußtseins. Das Zeichen wird als unbedingte Entsprechung zum außersemiotischen Objekt aufgefasst.“ (Helmut Glück, Schrift und Schriftlichkeit. Stuttgart 1987, S. 214). Ball, Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 101 f., datiert 18. 6. 1916. „Stürmisches Bedürfnis, die Worte zu befreien, sie aus dem Gefängnis des lateinischen Satzbaus zu ziehen (…) Nach dem freien Vers, nun endlich DIE BEFREITEN WORTE“ (Manifeste, a.a.O., S. 24 u. 27). Weitere Äußerungen dann ein Jahr später in Marinettis „Zerstörung der Syntax – Drahtlose Phantasie – Befreite Worte“ (a.a.O., S. 41 ff.). Rudolf Blümner schrieb, Stramm „befreite das Wort von seiner konventionellen Bedeutung“ (in: R. B., August Stramm, a.a.O., S. 123). Nicht zu vergessen die wichtigen Ansätze bei den französischen Schriftstellern Hugo, Baudelaire, Rimbaud und Mallarmé, vor allem bei Apollinaire, „der sich schon seit Ende des 19. Jahrhunderts mit der Lösung der Worte aus ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang und der Ausweitung des Bereichs der Metrik in die Syntax beschäftigte, der den !vers libre" und das Calligramm in seiner Dichtung anwandte“ (Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 3/154). Friedhelm Lach berichtet, dass Schwitters sich in seinem Exemplar von Rudolf Blümner, Der Geist des Kubismus und die Künste (Berlin 1921) folgende Zeilen unterstrichen hatte: „Dichtung ist die Zusammensetzung von Worten, die untereinander in künstlerischen Beziehungen stehen. Dichtung ist Wort-Komposition. Sie kann mit Logik und Grammatik in Einklang stehen, aber sie muß nicht.“ (Lach, Der Merz Künstler Kurt Schwitters. Köln 1971, S. 112).
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tragskunst und zur Entwicklung einer Poesie, die spätere Formen der Akustischen Poesie praefigurierte,1168 und andererseits zu Visualisierungsformen von Buchstaben und Wörtern, die gegenüber historischen Visualisierungsmustern, wie Figurengedicht oder Labyrinthtext freie Textbilder hervorbrachten, die entweder stark reduziert und puristisch nur vom gesetzten und gedruckten Buchstabenmaterial auf der Buchseite1169 ausgingen, oder malerischer waren mit Farben, sowie textfremde Formenelemente zulassend1170, als gezeichnete, oft größere Textbilder. Der Forderungskatalog der Futuristen sah vor, die Syntax zu zerstören, das Adjektiv, das Adverb und die Zeichensetzung abzuschaffen1171, 1168
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Hier sei noch einmal an Kandinsky (Essays, a.a.O., S. 32) erinnert, und was er über den „inneren Klang“ des Buchstabens schrieb, an Hausmanns Hinweis auf die „Klänge“ von Kandinsky und die Feststellung, dass Kandinsky schon die Konzeption von „phonetischen Gedichten“ vor Augen hatte (Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 42). Und in diesem Zusammenhang wird auch Fahlströms Bemerkung (vgl. Anm. 1040) wieder interessant. Marinetti aus: Zang Tumb Tumb. Milano 1914 (Abb. in: Tavole parolibere, a.a.O., Teil 1, S. 33); Lucio Venna, Sintesi di città. In: L’Italia futurista, anno II, Nr. 18, Firenze 17. 6. 1917; Nelson Morpurgo, Amore. In: Morpugo, Il fuoco delle Piramidi. Milano 1923. Beispiele, die als Vorformen der Konkreten Poesie bezeichnet werden können. Francesco Cangiullo, Parole in libertà (1914/Abb. in: Futurismo&Futurismi, a.a.O., S. 146); Carlo Carrà, Rapporto di un Nottambulo Milanese (1914/Abb. In: Futurismo& Futurismi, a.a.O., S. 162); Marinetti, Parole in libertà (1914/Abb. In: Futurismo&Futurismi, a.a.O., S. 190). Beispiele, die als Vorformen der Visuellen Poesie bezeichnet werden können. Eine sehr gute Beispielsammlung für den italienischen Futurismus ist auch: Giovanni Lista, Le livre futuriste de la libération du mot au poème tactile. Modena 1984. Apollonio, Der Futurismus, a.a.O., S. 85, hier wird als Ersatz für die Interpunktion, die „mehr oder weniger lange weiße Stelle“ gefordert, ein Raum- und zugleich Zeitintervall im Text und beim Lesen des Textes, das den Leser zwingt, neu zu gliedern (vgl. Anm. 1341 ff.). Zugleich wird damit deutlich, welche Rolle die Fläche, die Anordnung des Textes in der Fläche spielt. Vgl. dagegen die ablehnende Position von Hans-Georg Gadamer, Poesie und Interpunktion. In: Kleine Schriften II. Interpretationen. Tübingen 1979, S. 188 ff. Theodor W. Adorno, Satzzeichen. In: Akzente 3. Jg., H. 6, München 1956, S. 569 ff. entwirft dagegen einen Figurenkatalog der Satzzeichen, dessen einzelne Merkmale in der Konkreten und Visuellen Poesie wieder auftauchen: „Gleicht nicht das Ausrufezeichen dem drohend gehobenen Zeigefinger? Sind nicht Fragezeichen wie Blinklichter oder ein Augenaufschlag? Doppelpunkte sperren, Karl Kraus zufolge, den Mund auf: weh dem Schriftsteller, der sie nicht nahrhaft füttert. Das Semikolon erinnert optisch an einen herunterhängenden Schnauzbart; stärker noch empfinde ich seinen Wildgeschmack. Dummschlau und selbstzufrieden lecken die Anführungszeichen sich die Lippen. – Alle sind Verkehrssignale, am Ende wurden diese
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Unordnung im linearen Textgefüge herzustellen, eine neue Rechtschreibung einzuführen und das „Ich“ aufzugeben. In der Sprache sollte alles abgeschafft werden, was sie an Bild-Klischees und farblosen Metaphern enthält, „also fast alles“1172. Tempo, Lärm und Brutalität sollten den Inhalt bestimmen. Technik und Konstruktion sollten verherrlicht, die Intelligenz gehasst werden. Ganz ähnlich lautete in einigen Punkten der Katalog bei Theo van Doesburg1173, der eine Erneuerung vorsah für „die Satzlehre, die Verslehre, die Druckanordnung, die Rechenkunst, die Rechtschreibung“ und für „eine neue Bedeutung des Worts und eine neue Kraft des Ausdrucks“. Dagegen fällt es schwer, genaue Entsprechungen in den Manifesten des Dadismus zu finden. Dada1174 war Antikunst1175 und im Prinzip gegen alles, vor allem (später in Berlin) gegen die politischen und gesellschaftlichen Zustände der damaligen Zeit. „Wir werden immer !gegen" sein“ schrieben Hugo Ball und Richard Huelsenbeck in ihrem „literarischen Manifest“, das anlässlich einer Veranstaltung „für gefallene Dichter“ am 12. 2. 1915 in Berlin als Flugblatt1176, verteilt wurde. Walter Serner reagierte darauf: „Sie (Ball und Huelsenbeck) glauben nicht mehr an den Geist und sein Wort und nicht einmal daran und vollführen wieder
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ihnen nachgebildet. Ausrufezeichen sind rot, Doppelpunkte grün, Gedankenstriche befehlen stop. Aber es war der Irrtum der Georgeschule, sie darum mit Zeichen der Kommunikation zu verwechseln. Vielmehr sind es solche des Vortrags; sie dienen nicht beflissen dem Verkehr der Sprache mit dem Leser, sondern hieroglyphisch einem, der im Sprachinnern sich abspielt, auf ihren eigenen Bahnen.“ (a.a.O., S. 569). Manifeste, a.a.O., S. 25. Theo van Doesburg/Piet Mondrian/Antony Kok, Kundgebung II des „Stijl“ 1920: Die Wortkunst. In: Manifeste, a.a.O., S. 201 f. Zur Herkunft und Bedeutung des Wortes: Richard Huelsenbeck, En avant dada. Die Geschichte des Dadaismus. Hannover 1920 (= Die Silbergäule Bd. 50/51), Reprint: Hamburg 1976, S. 12; Richter, DADA-Kunst und Antikunst, a.a.O., S. 30; Tzara, 7 Dada Manifeste, a.a.O., S. 18; Ball, Leben und Werk, a.a.O., S. 145; Manifeste, a.a.O., S. 121. Richter, DADA-Kunst und Antikunst, a.a.O., S. 7: „Die Daten und Fakten jener Jahre, die Sprüche, Anti- und Wider-Sprüche, Kunst und Anti-Kunst-Theorien und Werke sind die Merkmale des lebendigen Dada, dieser Kunst-Rebellion gegen die Kunst“. Ein literarisches Manifest. Abgedr. In: Hugo Ball Almanach 1985/86. Pirmasens 1986, S. 86; vgl. hier auch: Gerhard Schaub, DADA avant la lettre. Ein unbekanntes !Literarisches Manifest" von Hugo Ball und Richard Huelsenbeck (S. 63ff.).
Le parole in libertà
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eine Gaukelei“1177. Obwohl Huelsenbeck 1916 zu den Begründern von Dada in Zürich gehörte, sah er wenig später, als er 1917 nach Berlin in ein ganz anderes gesellschaftspolitisches Umfeld kam, in Tzara und den Dadaisten des Cabaret Voltaire nur noch Vertreter einer ästhetischen Richtung1178, die „aus dem Dadaismus eine abstrakte Kunstrichtung“1179 machen wollten. „Anstatt weiter Kunst zu machen1180, hat sich Dada einen Gegner1181 gesucht, es stellt sich in direkten Gegensatz zur abstrakten Kunst. Die Bewegung, der Kampf wurde betont. Aber wir bedurften noch eines direkten Aktionsprogramms, wir mussten genau sagen, was unser Dadaismus wollte. Dies Programm wurde von Raoul Hausmann und mir aufgestellt. Wir nahmen dadurch zu gleicher Zeit mit vollem Bewusstsein eine politische Stellung ein“1182. Die propagierte Abkehr von allem, was die Ismen wie Kubismus, Futurismus und Expressionismus ausmachten1183und auch die Feststellung, dass der „Dadaismus weder eine Kunstrichtung noch eine Richtung in der Poesie“ gewesen sei und „nichts war und nichts wollte“1184, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl die Berliner als auch die Zürcher 1177
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Zuerst erschienen in: Sirius 6, Jg. 1915/16, abgedr. In: Hugo Ball (1886–1986). Leben und Werk. Hg. Ernst Teubner. Berlin 1986, S. 121. Huelsenbeck, a.a.O., S. 32. Ebenso: Raoul Hausmann, Club Dada. In: Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 2/11: „Der Dadaismus Zürich’s (war) (…) ein Protest gegen veraltete Ästhetiken“. Huelsenbeck, a.a.O., S. 18; Tzara, 7 Dada Manifeste, a.a.O., S. 21: „DADA ist das Schild der Abstraktion; Manifest radikaler Künstler“ (1919). In: Manifeste, a.a.O., S. 174: „Die Geistigkeit einer abstrakten Kunst bedeutet die ungeheure Erweiterung des freiheitlichen Gefühls des Menschen“. Was Hans Richter indirekt bestätigte: „Heute nach 40 Jahren wird Dada oft so ausgelegt, als ob Anti-Kunst die eigentliche Arbeitshypothese dieser Bewegung gewesen sei. Das war keineswegs der Fall (…) wenigsten wir in Zürich: Arp, Eggeling, Janco und ich, (fanden) was wir suchten: !Kunst: ein Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle" (Arp)“ (Richter, Der Zufall. In: Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 2/20). Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 73 („Der Kampf gegen Weimar“) u. 171. Huelsenbeck, a.a.O., S. 37. Vgl. Dazu: Hausmann, Huelsenbeck, Golyscheff, Was ist der Dadaismus und was will er in Deutschland?(1919) In: Manifeste, a.a.O., S. 175. Manifeste, a.a.O., S. 146; Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 2/11; Dada. Monografie einer Bewegung. Hg. Willy Verkauf. Teufen 1957, S. 17; Dada soulève tout. Manifeste Dada. Paris, 12. 1. 1921. Dieses Flugblatt wurde anlässlich einer Veranstaltung von Marinetti in Paris verteilt: „Le futuriste est mort. De quoi? De DADA“ (Tendenzen der Zwanziger Jahre, a.a.O., S. 3/171). Huelsenbeck, Dada-Rede v. 18. 2. 1918. In: Manifeste, a.a.O., S. 140.
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Konkrete Poesie
Dadaisten Kontakt zu den Futuristen hatten1185 und vieles übernahmen, wie etwa das Prinzip der Simultaneität und den Brutismus1186. Willy Verkauf vertrat sogar die These: „In Wirklichkeit war die DadaKunst eine Synthese aller bisherigen Kunstrichtungen, die sie zum Ausdruck des von ihr gewollten Inhaltes verwendete“1187. Und insofern müssen die Äußerungen Hugo Balls im Manifest vom 14. 7. 19161188 und in den Aufzeichnungen „Die Flucht aus der Zeit“1189 beachtet werden, die in jener Linie von Holz über die parole in libertà bis zu Tzaras Vortrag liegen, den er am 23. und 25. 9. 1922 in Weimar und Jena hielt und in dem er ganz ausdrücklich feststellte: „Auch die Worte haben ihr Gewicht und dienen einer abstrakten Konstruktion (…) Dada versucht, die Bedeutung der Worte zu ergründen, ehe es sich ihrer bedient, nicht unter dem Gesichtspunkt der Grammatik, sondern unter dem der Darstellung“1190. Diese besonders über Zürich-Dada erkennbare Linie führte schließlich zur Konkreten Poesie1191, worauf sich auch ausdrücklich die Poeten der Konkreten Poesie bezogen1192. Sogar Gomringers 1956 geäußerte Ansicht, dass die Konkrete Poesie die Idee einer universalen Gemeinschaftsdichtung verwirklichen könnte1193, findet sich in Huelsenbecks Manifest von 19181194. Und das Vorwort von Arps Gedichtsammlung aus den Jahren 1911–1952, die im gleichen Jahr wie Gomringers „konstellationen“ erschien, belegt dies noch einmal aus der Rückschau: „In diesen 1185
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Jürgen F. E. Bohle, Theatralische Lyrik und lyrisches Theater im Dadaismus. Saarbrücken 1981, S. 42 f. (= Dissertation/Universität des Saarlandes). Hugo Ball: „Marinetti schickt mir !Parole in libertà" von ihm selbst, Cangiullo, Buzzi und Govoni.“ (Eintrag v. 9. 7. 1915 in: Ball, Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 41 u. S. 15). Huelsenbeck, a.a.O., S. 13 f. u. S. 32. Dada, a.a.O., S. 19. Manifeste, a.a.O., S. 121. Vgl. Dazu Reprint des Manuskripts mit Korrekturen in: Ball, Leben und Werk, a.a.O., S. 155 f. Einträge v. 18. 6. 1916, a.a.O., S. 101 f.; 23. 6. 1916, a.a.O., S. 105; 10. 5. 1917, a.a.O., S. 160; 18. 6. 1921, a.a.O., S. 296. Tzara, 7 Dada Manifeste, a.a.O., S. 10. Hausmann: „Die Dadaisten waren die kämpferische enthusiastische AvantGarde der konkreten Dichtung“ (Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 42). Eugen Gomringer, vom vers zur konstellation. In: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 155. Gomringer, a.a.O., S. 160. Manifeste, a.a.O., S. 146 f. Vgl. auch Hausmanns Bemerkung im „Pamphlet gegen die Weimarische Lebensauffassung“ (Manifeste, a.a.O., S. 170).
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Gedichten verwende ich öfters die gleichen Wörter (…) Ich schrieb Gedichte mit einer beschränkten Anzahl Wörter, die in verschiedenen Konstellationen auftreten (…) Die Beschränkung in der Zahl der Wörter bedeutet keine Verarmung des Gedichts, vielmehr wird durch die vereinfachte Darstellung der unendliche Reichtum in der Verteilung, Stellung, Anordnung sichtbar.“1195
V/4 Textfläche – Wort – Buchstabe – Zeichen Zu den Kriterien für eine neue Wortkunst gab es nun neben den formalen Befreiungs- und Entschlackungsprozessen, der Reduktion auf das Sprachmaterial mit seinen visuellen (Graphem-Ebene) und akustischen (Phonem-Ebene) Ausdrucksqualitäten, auf das einzelne Wort1196 und den einzelnen Buchstaben, in gewisser Weise eine Entsprechung auf der Bedeutungsebene (Morphem-Ebene). Die Wertung des Buchstabens als Zeichen, die Addition der Zeichen zu einem poetischen Begriff, dies hatte Fenollosa1197 bereits 1907/1908 in seinem Essay dargestellt. Für ihn war die Kraft des chinesischen Zeichens als poetischer Baustein ohne Kopula und adjektivischer oder adverbialer Ergänzung größer und „konkreter“ als die Metaphorik einer syntaktischen Poesie. Fenollosa erläuterte, wie konkret das Zeichen für „Mann“ nicht nur gedacht, sondern auch gesehen werden kann, und wie sich aus der Kombination von drei Zeichen „Mann“, „sieht“ und „Pferd“ ein Vorgang (poetisch) konkretisiert. Diese Art der Kombination, oder Montage wird noch deutlicher, wenn die Zusammensetzung der einzelnen Zeichen betrachtet wird. Aus der Kombination von „Auge“ und (laufende) „Beine“ entsteht das Zeichen „sehen“, also ein, aus der Abstraktion beider Zeichen entstandenes drittes (Super)Zeichen. Dies erinnert an Eisensteins „Dramaturgie der Film-Form“, in der anhand der japanischen Sprache – die ja chinesische 1195
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hans arp, wortträume und schwarze sterne. auswahl aus den gedichten der jahre 1911–1952. Wiesbaden 1953, S. 9 f. Ein besonders gutes Beispiel ist „Sekundenzeiger“ aus dem „Pyramidenrock“ von 1924 (Hans Arp, Gesammelte Gedichte. Gedichte 1903–1939. Hg. Marguerite Arp-Hagenbach/Peter Schifferli. Zürich 1963, S. 98). Dies schlägt durch bis zu Franz Mon, Meine 50er Jahre, a.a.O., S. 53: „(…) durch die Konzentration auf das isolierte Wort und weiter auf die kleinste sprachliche Einheit und durch den Versuch, daraus methodisch Texte aufzubauen, die in irgendeinem – und nicht unbedingt sprachlich-rationalen Sinn – !lesbar" waren.“ Vgl. Anm. 1063.
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Konkrete Poesie
Abb. 113: Un Document, 1916
Zeichen verwendet – das „Explodieren“ von Begriffen zu einer „Superposition“ erläutert wird: aus den Zeichen „Wasser“ und „Auge“ wird „weinen“, aus „Tür“ und „Ohr“ wird „lauschen“, aus „Messer“ und „Herz“ wird „Kummer“ usw.1198. Das heißt, aus der Paarung von zwei ikonischen Zeichen entsteht keine Addition, keine Summe, sondern ein Produkt in der Dialektik zweier Montageteile als Ideogramm1199. 1198
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Eisenstein, Schriften 3, a.a.O., S. 205. Am Ende des Jahres 1916 erschien in Paris ein Kalender für das Jahr 1917 mit 4 altchinesischen Schriftzeichen, 4 Ideogramme, die aus jeweils 3 Piktogrammen bestanden. Ihre Erklärung kommt der Eisensteinschen verblüffend nahe, in: Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 36 f., Abb. 113. In der Gegenwart kommen die ikonischen und ideografischen Bedeutungselemente nicht mehr nur in den Zeichen selbst, sondern durch das Spiegeln, Kontrastieren oder Ersetzen einer direktbildhaften Zeichensprache zum Ausdruck, wie dies Shohachiro Takahashi dokumentiert, Abb. 114 in: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., Titelseite. Christian Metz, Sprache und Film. Frankfurt 1973, bes. S. 294 ff.: „Cinéma und Ideographie“.
Abb. 114: Shohachiro Takahashi, my !syllabary" 3, 1977
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Konkrete Poesie
Diese Sichtweise nun, Wörter auf ihre konkreten begrifflichen Bestandteile abzuklopfen und sie in der poetischen Produktion konkreter als Konstruktionsbestandteile zu montieren, wird befördert mit dem durch die technischen Medien Fotografie und Film eingebrachten Verfahren der Montage und ihrer sich entwickelnden Bild- und Filmsprache, wobei im formalen und inhaltlichen Bereich entsprechende Ergebnisse erzielt wurden: – aus statischen Materialien ergaben sich bei entsprechender Montage Bewegung aus sicht- und fassbaren konkreten Einzelelementen und diesen übergeordnete Begriffe. Kurt Schwitters, dessen Werk sich als ein wichtiges – eher unabhängiges – Bindeglied zwischen den verschiedenen Ismen und der späteren Konkreten Poesie erweist1200, versuchte nun, die Kongruenz von Sprachmaterial und seiner Bedeutung hinsichtlich des eindeutigen Bezeichnens in dem Beitrag „Konsequente Dichtung“ zu hinterfragen1201. „Die Bedeutung ist nur eindeutig, wenn z.B. der bedeutete Gegenstand dabei ist“1202. In allen anderen Fällen ist sie abhängig vom jeweiligen Rezipienten und dessen unterschiedlichen Vorstellungen und Assoziationen. Und so kam er folgerichtig zum Schluss, dass „die konsequente Dichtung aus Buchstaben gebaut (ist). Buchstaben haben keinen Begriff “1203 Diese „Atomisierung“1204 der Sprache drückt sich schließlich auch in den Überlegungen zu einem neuen Alphabet und einer neuen Systemschrift1205, sowie 1200
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Was den Herausgeber der Werke von Schwitters, Friedhelm Lach, wohl bewogen haben mag, in Bd. 1 (Köln 1973, S. 197 ff.) eine Abteilung „Konkrete Poesie“ einzurichten, obwohl Schwitters selbst den Begriff nie benutzte und entsprechende Arbeiten als „elementar“ bezeichnete. Allerdings vgl. Anm. 1079 f. u. Anm. 1095. Zur Schwitters-Rezeption in der Konkreten Poesie vgl. Gerhard Schaub, „An Schwitters kommt man nicht vorbei“. Zur Rezeption des Merzdichters in der Literatur nach 1945. In: Merz. Aller Anfang ist Merz – von Kurt Schwitters bis heute. Hg. Susanne Meyer-Büser/Karin Orchard. Ostfildern-Ruit 2000, S. 310 ff. Dass dies gelegentlich widersprüchlich geschieht, hat Scheffer (a.a.O., S. 206) kritisch beleuchtet. Schwitters, Das Literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 190. Schwitters, a.a.O., S. 191. Bohle, a.a.O., S. 151 u. 153. Vgl. auch Anm. 1207. Vgl. dazu auch die SchwittersTexte in Merz 2, Nummer „i“. April 1923 (Schwitters, Das Literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 137 ff.). „Anregungen zur Erlangung einer Systemschrift“. In: i 10. Internationale Revue, 1. Jg., H. 8/9, Amsterdam August/September 1927, S. 312 ff. Mit leichten Veränderungen (die Lach notiert in: Schwitters, Das literarische Werk, a.a.O., S. 421) wieder abgedr. in: Der Sturm, 19. Jg., H. 1/2/3, Berlin April/Mai/Juni 1928, S. 196 ff. Vgl. die Erläuterungen dazu von Schwitters im Briefwechsel mit Walter Borgius in: Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, a.a.O., S. 119 ff.
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Abb. 115: Adriaan Michiel van den Broecke (der Jüngere) †, 1920
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Konkrete Poesie
zur „Gestaltung in der Typografie“1206 aus1207. Schwitters begann mit dem Material des Setzkastens1208 bildhaft zu gestalten. In der Montage von Buchstaben und anderen Satzelementen entstanden 1925 in der „Scheuche“1209 figurative Handlungsträger, wie dies ganz ähnlich 1928 Lissitzky in den Entwürfen zu dem Kinderbuch „Die vier Grundrechnungsarten“1210 versuchte. Spätestens seit 1922 gab es eine direkte Verbindung, später Freundschaft, zwischen Schwitters und Lissitzky, der übrigens im Merz-Heft 4 1923 unter dem Titel „Typografie der Typografie“ Thesen publizierte, zu denen Schwitters die redaktionelle Bemerkung folgen ließ, dass er nicht mit allen Thesen einverstanden sei, weil er „einen Zusammenhang zwischen Text und Buchstabengestaltung nur bedingt“1211 anerkennen würde. Lissitzky schrieb dort: „Durch konventionelle Worte teilt man Begriffe mit, durch Buchstaben soll der Begriff gestaltet werden“. Und was Lissitzky darunter verstand, hatte er bereits 1206 1207
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Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 192 u. 215 ff. Ein besonders gutes Beispiel (Abb. 115) für die Atomisierung im Layout, die typografische Gestaltung jedes einzelnen Buchstaben: Rolf A. Sievers, Adriaan Michiel van den Broecke (der Jüngere). In: Das neue Material 2. Jg., H. 6, 1920, abgedr. in: Hans Reimann u. a., DADA im Leipziger !Drachen". Siegen 1988, S. 18 (= Vergessene Autoren der Moderne Bd. 33); Lewis Blackwell, Schrift als Experiment. Typografie im 20. Jahrhundert. Basel 2004. „Die Abfälle der Druckereiproduktion müssen für den Künstler (Schwitters), der immer wieder Abfall sammelte und seiner Kunst einfügte, wie eine !Readymade-Collage" vorgekommen sein.“ (Norbert Noris, Die i-Zeichnungen. In: Kurt Schwitters 1887–1948. Hannover 1986, S. 160). Hausmann berichtete (mit Bezug auf das Jahr 1918), dass er einen Setzer beauftragt habe, nach „eigener Laune“ „große Plakatschrifttypen“ auszuwählen und beliebig zu setzen, was nach einer guten Stunde vier Plakatgedichte ergab: „Es war das erste !Readymade" der Literatur“ (Hausmann, Am Anfang war Dada, a.a.O., S. 156). Vgl. Duchamp, Ready Made!, a.a.O., S. 50 f.; Bohle (a.a.O., S. 176 f.) verweist auf Gedichtformen in Paris-Dada, „deren Körper sich teilweise oder völlig aus !Prothesen" zusammensetzt. Diese Prothesen entlieh man der Sprache des Alltagslebens, Wort- und Satzfetzen, Redensarten, Jargon und Mundartliches, Reklamesprüche, beliebige öffentliche Texte oder Textfetzen aus Zeitungen, aus der Werbung, aus Lexika (…) Diese Art, mit Surrogaten zu dichten oder Surrogate als Gedichte auszugeben, kam dem Auswählen und der Setzung von Ready-mades in der Bildenden Kunst gleich, einem Verfahren, (…) welches untrennbar mit der Person Marcel Duchamps innerhalb New York Dadas verbunden ist“. Die Scheuche. Märchen. Typografisch gestaltet von K. Schwitters, Käte Steinitz, T. v. Doesburg. Hannover 1925. Vgl. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 2, Köln 1974, S. 155 ff. Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., Abb. 152 ff. Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O., Merz 4, S. 47. Ohne redaktionellen Zusatz abgedr. in: Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 360.
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Abb. 116: El Lissitzky, Für die Stimme, 1923
im Gedichtbuch „Für die Stimme“1212 von Vladimir Majakowski ausprobiert: „Dieses Buch ist nur mit dem Material des Setzkastens ausgeführt (…) So wie bei dem Dichter aus dem Gedanken und dem Laut das Einheitsgebilde, das Gedicht, entsteht, so wollte ich eine gleichwertige Einheit aus dem Gedicht und den Elementen der Typografie schaffen.“1213 Die Tatsache aber, dass Schwitters in dem kleinen Heft „Werbe-Gestaltung“1214 1925 die Thesen Lissitzkys ohne die einschränkende Bemer1212
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El Lissitzky/Vladimir Majakowski. Für die Stimme. Berlin 1923. Nachdruck der Originalausgabe. Hg., übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Wolfgang Beilenhoff. Köln/New York 1973, Abb. 116. Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., T. 95. Ein neueres Beispiel, Lissitzky zum 100. Geburtstag gewidmet, stammt von Manfred Bofinger, Graf Tüpü, Lina Tschornaja und die anderen. Berlin 1991. Kurt Schwitters, Werbe-Gestaltung. Die neue Gestaltung in der Typografie. Hannover o. J. (1925) in: Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O., Heft in einem Briefumschlag. Vgl. auch: Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 230. Siehe auch: Anke Dießelmeier/Gerhard Schaub, TYPO-ÉSIE: ,Die Scheuche‘.
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Konkrete Poesie
kung abdruckte, zeigt wohl (wie auch die spätere Zusammenarbeit), dass die Standpunkte so unterschiedlich nicht waren. Insbesondere die „Gesetzten Gedichte“ von Schwitters entsprechen ziemlich genau den Forderungen Lissitzkys in den „Typographischen Tatsachen“ (1925)1215: „SIE verlangen klare Gebilde für Ihre Augen. Die sind nur aus eindeutigen Elementen zusammensetzbar. Die Elemente der Buchstaben sind: die Waagerechte —, die Senkrechte I, die Schiefe I, der Bogen (. Das sind die Grundrichtungen der Fläche. Die Zusammensetzung erfolgt in waagerechter und senkrechter Richtung. Diese beiden ergeben den geraden (eindeutigen) Winkel. Der kann in der Richtung der Flächengrenzen gestellt werden, dann wirkt er statisch (Ruhe). Er kann diagonal gestellt werden, dann wirkt er dynamisch (Bewegtheit). Das sind die Axiome der Typografie (…) SIE können sehen wie dort wo neue Gebiete den gedanklichen und sprachlichen Gebilden sich erschließen, wie dort organisch neue typographische Gestaltungen entstehen. Das sind: die moderne Reklame und die moderne Dichtung.“
Rechteck/Quadrat Am 13. 9. 1922 schrieb Schwitters an van Doesburg: „Ich will Ihnen noch einige gesetzte Gedichte schreiben (…) Wenn Sie meine neuesten gesetzten Gedichte für den Stijl verwenden könnten, sollte es mich freuen“1216. Es folgten in der Anlage 3 Gedichte im gezeichneten Entwurf, die bei Lach1217 unter „AO Bildgedicht“1218, A-A Bildgedicht“ und „S-S Bildgedicht“ abgedruckt wurden. Das „AO Bildgedicht“ wurde als „Gesetztes Bildgedicht“ 1923 erstmals gesetzt, also gedruckt veröffentlicht1219. Es bekam im Druck eine rechteckige Linienbegrenzung, die es im Entwurf ebenso nicht besaß, wie auch die beiden anderen Ent-
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Ein „typografisches Märchen“ von Theo van Doesburg, Kurt Schwitters und Käte Steinitz. In: Kurt Schwitters, Herzsch/Merzen. Hg. Gerhard Schaub. Echternach 1991, S. 125 ff. Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograph, a.a.O., S. 360 f. Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, a.a.O., S. 71. Schwitters, Das literarische Werk. Hg. Friedhelm Lach. Bd. 1, Köln 1973, S. 200 f. Die Herausgabe der Schwitters-Werke durch Lach enthält Auslassungen, Fehler und Ungenauigkeiten: a.a.O., S. 200 heißt es „AO Bildgedicht“, S. 311 „A-O Bildgedicht“; S. 201 heißt es „S-S Bildgedicht“, S. 311 „S-s Bildgedicht“. Kurt Schwitters, Elementar. Die Blume Anna. Die neue Anna Blume. Eine Gedichtsammlung aus den Jahren 1918–1922. Berlin 1922, Abb. 117 S. 31.
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Abb. 117: Kurt Schwitters, Gesetztes Bildgedicht, 1923
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Konkrete Poesie
würfe1220. Lach bezeichnete die Gedichte als Bildgedichte1221, obwohl Schwitters an van Doesburg nur von „gesetzten Gedichten“ spricht, so auch jeweils handschriftlich im Titel der drei weiteren Gedichte, die Lach später auffand1222. Es würde sich zwar anbieten, in der rechteckigen Linienbegrenzung einen Rahmen, also das Gedicht tatsächlich als Bildgedicht wahrzunehmen. Dafür würde auch sprechen, dass Schwitters zur selben Zeit eine ganze Reihe von Bild-Collagen machte, deren Inhalt aus ausgeschnitten Buchstaben bestand, die innerhalb eines Rahmens positioniert wurden. So sind in der „D on“-Collage von 19221223 die einzelnen Buchstaben zudem noch so ausgeschnitten, dass rechteckige Collageteile als Buchstabenträger entstanden, – eine Entsprechung zu den Rechtecken im „Gesetzten Bildgedicht“, die innerhalb des Rahmens eine Begrenzung für den einzelnen Buchstaben bilden. Interessant und keineswegs eindeutig in der Funktion, erscheint nun aber die Verwendung rechteckiger Begrenzungslinien bei näherer Betrachtung weiterer Beispiele unter mindestens fünf Aspekten: Hervorhebung, Markierung, Spielfläche, Bild, Sinnbild. In Merz 11224 wird eine Zeichnung von Hannah Höch, die bereits einen Linienrahmen besitzt, unter dem der Titel „Zeichnung“ und der Name der Künstlerin Hannah Höch steht, noch einmal von einer Linienbegrenzung umrahmt, die Zeichnung und Unterschriften einschließt. In Merz 2 besitzt das Gedicht „Geduld, du kleine –“ eine Linienbegren1220
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Klaus Schenk, Medienpoesie. Moderne Lyrik zwischen Stimme und Schrift. Stuttgart 2000, S. 150 ff. geht bei den „Bildgedichten“ von einem Quadrat aus und macht deswegen auf die Tradition der „magischen Quadrate“ aufmerksam. In diesem Zusammenhang erinnert er an das SATOR-AREPO-Quadrat und stellt fest, dass auch das „Gesetzte Bildgedicht“ die bedeutungsvollen Buchstaben A und O enthalten würde. Dagegen erscheinen andere Bildgedichte von Schwitters in der Handschrift nicht als Quadrat, allerdings aber immer mit einer „gedachten“ rechteckigen Begrenzungslinie, die als Rahmen eines Bildes, eben der „Bildgedichte“ verstanden werden kann. Die folgenden Anmerkungen Schenks, insbesondere zur anagrammatisch – kabbalistischen Betrachtungsweise der Bildinhalte, bleiben nachdenkenswert und davon unberührt. Nicht zu verwechseln mit dem Begriff „Bildgedicht“, vgl. VI/3a. Wobei es interessant wäre, ob Schwitters möglicherweise diese Gedichte tatsächlich nach konstruktivistischen Bildvorlagen „gesetzt“ hatte. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 434. Auch hier gibt es ein Gedicht ohne Rahmen. Abb. in: Schwitters. Ausstellungskatalog der Galerie Gmurzynska. Köln 1978, S. 62. Schwitters Merzhefte, a.a.O., Merz 1, Januar 1923, S. 10.
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zung1225, obwohl hier im Gegensatz zu den „gesetzten Gedichten“ keine besondere typografische Gestaltung vorgenommen wurde. In beiden Fällen könnte es sich um die Absicht handeln, ein Bild oder einen Text innerhalb des Layouts einer Seite, oder eines Textzusammenhangs besonders hervorzuheben, so dass diese wie Annoncen wirken. Bekanntlich hatte Schwitters im Rahmen seiner Tätigkeit als Werbeberater eine ganze Reihe von Annoncen, vor allem auch poetische Annoncen1226 entworfen. Als Markierung könnte ein von Schwitters oft verwendetes leeres Rechteck1227, quasi als eine Art Logo, gesehen werden, wie es am Ende des Manifests „Proletkunst“ mit der Unterschrift „De Stijl“1228 erscheint und in „Banalitäten“ programmatischen Zitaten1229 Gewicht verleiht. 1225
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Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O., Merz 2, April 1923, S. 22. Ohne Begrenzung in: Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, S. 94. Beispiele in: Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 97, 98, 100, 101, 102, 153, 181, 184). Vgl. auch Stephan Ott, „eugen sucht“. In: Kurt Schwitters Almanach No. 10. Hannover 1991, S. 57 ff. Ein frühes Beispiel der poetischen Annonce aus dem Jahr 1910 findet sich in: Max Ernst, Aus unserem Leben in der Penne. Hg. Karl Riha. Siegen 1991, S. 50 (= Vergessene Autoren der Moderne Bd. 51). Ein Quadrat, wobei auffällig ist, dass die meisten Beispiele zum Quadrat tendieren und Schwitters eine wichtige Form des Konstruktivismus aufgreift. Das „Quadrat ist im Licht von Malewitschs Aussagen eine Art Urzelle des Suprematismus“ (Malewitsch, a.a.O., S. 156). Das „Schwarze Quadrat“ ist ein Schlüsselwerk der abstrakten Malerei und wurde von Malewitsch in den Entwürfen eines futuristischen Bühnenbildes und den Kostümen für die Oper „Sieg über die Sonne“ von Aleksej Krucˇonych (Uraufführung 1913 in Petrograd) symbolhaft eingesetzt und 1915 zum ersten Mal auf der „Letzten Futuristischen Ausstellung 0.10“ als Bild ausgestellt (Abb. in: Malewitsch, a.a.O., S. 157 [Fassung: 1916] u. in: Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch. Hg. Hubertus Gaßner. Ostfildern 2007, S. 25 [Fassung: 1923]). Vgl. auch Anm. 1237. Überhaupt gibt es in der russischen Tradition dazu viele Beispiele, so El Lissitzkys Geschichte „Von 2 Quadraten“ (1920/Abb. in: El Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 168 ff.) oder Aleksej Cˇicˇerins „Quadrat-Erzählung“ (1924/Abb. in: Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 293, dort auch weitere Hinweise im Kapitel „Erzählung im Quadrat – Geometrische Texte“). Das Strukturelement des Quadrats ist ein wichtiger Bestandteil der Konkreten Kunst, bis hin zu den jüngsten Arbeiten von Sol LeWitt (Catrin Lorch, Quadrat in Quadrat. Wunderbar einfach: Sol LeWitt im Albers-Museum in Bottrop. In: FAZ v. 22. 10. 2005, S. 39). Vgl. auch die vielen Beispiele in Yukimasa Matsuda/Shutaro Mukai, the functions of circle and square. Tokyo 1998/99; Karl Riha, Literatur als Viereck. In: Sprache im technischen Zeitalter 110, Berlin 1989, S. 171 ff. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 144. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, a.a.O., S. 172 u. 174.
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Konkrete Poesie
In Merz 2 wird ein Rechteck aus vier Pfeilen gebildet, die gegen den Uhrzeigersinn die im Uhrzeigersinn zu lesenden Buchstaben M E R Z umfassen1230. M
E
Z
R
Diese mit Richtungspfeilen versehene Buchstabenkonstellation gibt es nun auch ohne und mit einer durchgehenden rechteckigen Begrenzungslinie1231. Beide Varianten erscheinen auf der Vorderseite einer Postkarte in ganz bestimmter Funktion. Die Konstellation ohne Begrenzungslinie markiert den Platz der Briefmarke. Die begrenzte Konstellation bindet in der vorgedruckten Adresse die Wörter Merzverlag und Hannover. Hier werden Flächen durch und Spielflächen für Buchstabenkonstellationen definiert, wie etwa auch in dem sogenannten „tippspiel.“1232, oder in den „gesetzten Gedichten“. Ganz eindeutig Bildrahmenfunktion besitzt dagegen ein Rechteck, in dem mit den Mitteln des Setzkastens figurativ montiert wurde1233. Und schließlich gibt es in der „Auguste Bolte“ ein Rechteck, in dem das Wort „leer“ zu finden ist, das Schwitters als „Sinnbild der Kunst-Kritik“ bezeichnete1234. Das Rechteck ist nun keineswegs „leer“, worauf schon – formal betrachtet – das Wort „leer“ im Rechteck hinweist. In der Spannung zwischen dem, was das Wort „leer“ meint, und dem, was grafisch sichtbar ist, entsteht vielmehr ein Drittes, ein Abstraktum, flankiert von der Bemerkung am oberen Rand des Rechtecks: „Was man kaut wird Brei (Ernst Lehmann)“. Bereits Francis Picabia hatte 1913 zwei leere Quadrate veröffentlicht und ihnen jeweils die Bildtitel „Badende“ und „Das Meer“ gegeben1235 und damit auf diese Spannung zwischen Zei1230 1231 1232
1233 1234 1235
Schwitters Merzhefte, a.a.O., Merz 2, April 1923, S. 23. A.a.O., S. 32. In: Kurt Schwitters Almanach 1982. Hg. Michael Erlhoff. Hannover 1982, S. 151, 1927 in der jugoslawischen Zeitschrift „Tank“ auf S. 102 erschienen. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., Abb. 118 S. 108. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 2, a.a.O., S. 70. Erschienen in der von Alfred Stieglitz in New York als Sondernummer („The Latest Evolution in Art and Picabia“, Apr.-Jun. 1913) herausgegebenen Zeitschrift „Camera Work“. Wie hier der Titel auf einer leeren Fläche eine Bildvorstellung provoziert, mutieren in „Tristram Shandy“ in Volume IX zwei leere Seiten durch die Bezeichnung „CHAPTER EIGHTEEN“ und „CHAPTER NINETEEN“
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Abb. 118: Kurt Schwitters, Tran 25 Sämischgares Rindleder, 1922
chen, Bezeichnendem und Bezeichnetem aufmerksam gemacht. 1921 skizzierte Schwitters im Gästebuch der Kate T. Steinitz ein dunkles Rechteck mit einem schwarzen Oval in der Mitte, schrieb darunter „Kurt Schwitters“, fasste beides mit einer rechteckigen Begrenzungslinie ein1236 und setzte darunter ein kleines Montagestück mit dem Satz: „Die Unsterblichkeit ist nicht jedermanns Sache“. Ob nun das dunkle Rechteck sinnbildhaft für Schwitters steht, oder „Schwitters“ nur die Signatur für die Zeichnung ist, – in jedem Fall gibt es eine spannungsvolle Kor-
1236
(a.a.O., S. 592 f.) zu einer Art virtuellem Textbild. Die bei Sterne auftauchenden leeren, schwarzen oder marmorierten Seiten finden sich in der Folge z. B. bei Robbe-Grillet, Le voyeur (1955), Bryan Stanley Johnson, Travelling People (1963) und House Mother Normal (1971), Guillermo Cabrera Infante, Tres tristes tigres (1967), Gerhard Rühm, Albertus Magnus Angelus (1989). Zu diesem Stilmittel: Jeremy Adler, Black and White: Letter, Ink and Page in Rosart, Sterne, Mallarmé and Modern Concrete Poetry. In: Text-Image Bild-Text. Hg. Sybill Dümchen/ Michael Nerlich. Berlin 1990, S. 221 ff. Schwitters 1987–1948, a.a.O., S. 15 (größere Abb. in: Ernst Nündel, Kurt Schwitters in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1981, S. 132.
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Konkrete Poesie
respondenz zwischen beiden Elementen, die der an sich leeren rechteckigen und ovalen Fläche einen Sinnzusammenhang gibt.1237 1237
Vielleicht darf in diesem Zusammenhang auch an die beiden schwarzen, genau den Satzspiegel der Buchseite ausfüllenden Rechtecke im „Tristram Shandy“ von Laurence Sterne (a.a.O., S. 61f.) gedacht werden. Auch sie besitzen über den Satzspiegel hinaus einen natürlichen Rahmen, der durch die Papierfarbe der Buchseite gebildet wird. Und beide Seiten stehen in Korrespondenz zu den sie umgebenden Text (wie übrigens auch die leeren Seiten in Volume IX), so dass, wie bei Schwitters und Picabia zu beobachten, eine scheinbar bedeutungslose Form in der Rezeption zum „Sinnbild“ werden kann. „Der Wechsel vom Sprachlichen ins Visuelle – eine besondere Form der !disgression" – führt zur !abstrakten" Bildkomposition, die dennoch !lesbar" ist (…) Als !Sinnbild des Werks" korrespondiert das Bild mit Sternes Komposition des Romans, seiner Poetik und Weltauffassung“ (Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 114). Ein sehr frühes Beispiel für ein „Schwarzes Quadrat“ findet sich in: Roberto Fludd, Utriusque Cosmi Maioris scilicet et Minoris Metaphysica, Physica Atque Technica Historia. Oppenheim 1617, S. 26 (Tract. I, Lib. I, Cap. V). Robert Fludd (1574–1634) gab dem Schwarzen Quadrat einen Rahmen, beschrieben auf allen vier Seiten mit „Et sic in infinitum“, für ihn die Repräsentation der „prima materia“, Ausgangspunkt aller Kreativität, Abb. 119 in: http://echo.mpiwg-berlin.mpg.de/home/search?searchSimple= Fludd. Guillem Viladot, Entre Opus i Opus (Agramunt/Lo Pardal 1972) fügt schwarze Quadrate durch Übermalung auf einer Textseite so ein, dass um das Quadrat noch eine Art Textrahmen entsteht: (Abb. in: Felipe Muriel, Hermetismo y visualidad. La Poesía Gráfica de Eduardo Scala. Madrid 2004, S. 271, dort auch S. 107 von Scala, Cubierta de Circulo (1979) ganz ähnlich, wie vorher schon mit Buntpapier-Quadrat und Rechtecken Marcel Broodthaers, Pense-Bête. Brüssel 1964 (Abb. in: Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960, a.a.O., S. 21ff.); Dietrich Helms, Schwarze Quadrate. Hannover 1979 (zwischen 1974 und 1979 bat Helms Künstler, sich zum Schwarzen Quadrat von Malewitsch zu äußern). Mit dem Schwarzen Quadrat spielt Mel Ramsden, Two Black Squares (1967/Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste. Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock. Hg. Ingrid Mössinger/ Brigitta Milde. Köln 2005, S. 442) u. in „Secret Painting“ (1967/68/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 41) sowie Heinz Gappmayr „Zeichen“ (Abb. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 100), mit schwarzen Rechtecken der Amerikaner Allan McCollum (1944) in seinen „Surrogates Paintings“ seit 1978 (http://home.att.net/~allanmcnyc/). Vgl. Gabriel Ramin Schor, Black Moods. In: TATE ETC. Visiting and Revisiting Art, etcetera, Issue 7, London 2006 (http://www.tate.org.uk/tateetc/issue7/blackmoods.htm). Gerhard Merz entwarf 1989 für die Zürcher Kunsthalle eine Installation mit einem schwarzen Doppelquadrat (Abb. in: Jeannot Simmen, Moderne als Höhlen-Projektion. In: Paragrana. Int. Zs. f. Historische Anthropologie, Bd. 5, H. 1, Berlin 1996, S. 197 u. Abb. 9). 2007 lief in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung „Das Schwarze Quadrat“, in der Arbeiten von Künstlern der Gegenwart gezeigt wurden, die sich mit dem Schwarzen Quadrat auseinandergesetzt haben, Katalog: Das Schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch, a.a.O. (Anm. 1227). Siehe auch: Clemente Padin, HOMMAGE TO THE SQUARE and other visual poems. Redfoxpress/Dugort 2008.
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Abb. 119: Robert Fludd, Et sic in infinitum, 1617
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Konkrete Poesie
Dieses besondere Verhältnis von Text und Fläche, der Raum auf dem Papier, der durch die Form des Sprachmaterial und die Struktur des Textes definiert wird1238, stellen eine neue Qualität der Visualisierung von poetischen Mitteilungen dar. Sie gab es im Prinzip zwar schon immer, weil jedes Schriftbild den Lesevorgang mitbestimmt. Aber wenn nun – wie auch schon früher bei den italienischen Futuristen – wichtige traditionelle Formen des Textkörpers sich auflösen, die ordnende Zeile entfällt, die Links-Rechts-Lesung nicht mehr existiert, Buchstabenkonstellationen in ihrer Kombination verschiedene Lesarten zulassen, die typografische Gestaltung Gewicht bekommt, sind dies erste Vorboten der Konkreten Poesie, aber durchaus noch Spielformen der Literatur und keine Grenzüberschreitungen zur bildenden Kunst.1239
Buchstabe/Zeichen Dagegen gibt es bei Schwitters Bilder, in denen Wörter und Buchstaben erscheinen, Collagen, in denen Textfragmente als Bausteine verwendet werden1240, die aber wiederum eindeutig der bildenden Kunst zuzurechnen sind, auch wenn Schwitters 1920 in dem Beitrag „Merz“ verkündete: „Mein Ziel ist das Merzgesamtkunstwerk, das alle Kunstarten zusammenfasst zur künstlerischen Einheit. Zunächst habe ich einzelne Kunstarten miteinander vermählt. Ich habe Gedichte aus Worten und Sätzen so zusammengeklebt, dass die Anordnung rhythmisch eine Zeichnung ergibt. Ich habe umgekehrt Bilder und Zeichnungen geklebt, auf denen Sätze gelesen werden sollen (…) Dies geschah, um die Grenzen der Kunstarten zu verwischen.“1241 In seinen Textarbeiten sind diese Grenzüberschreitungen zur bildenden Kunst allerdings nur gelegentlich, wie z. B. in der Serie der Stempelbilder1242, wesentlich intensiver aber dagegen auf dem Weg zu akustischen Kompositionen1243 zu beobachten. 1238
1239 1240 1241 1242
1243
„Wir haben heute für das Wort zwei Dimensionen. Als Laut ist es eine Funktion der Zeit, und als Darstellung ist eine Funktion des Raumes.“ („Unser Buch“, in: Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 362, zuerst erschienen in: Gutenberg-Jahrbuch, Mainz 1926/27). Zu dieser Problematik vgl. Scheffer, a.a.O., S. 222 ff. Viele Beispiele in: Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, a.a.O., S. 273–288. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 5, a.a.O., S. 79. Sturm Bilderbücher IV: Kurt Schwitters. Berlin 1921 (in: Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O.). Schwitters, Ursonate. Hannover 1932 (= Merz 24, in: Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O.).
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Diese akustische Komponente wurde von Schwitters neben der Ursonate in den „Lautgedichten“ variantenreich durchgespielt. Vom „Kleinen Gedicht für große Stotterer“1244 über die Lautmalerei in „naa“ oder „bii bill“1245, die Erfindung einer neuen Sprache in „Obervogelsang“1246, dem Gedicht ohne Vokale „W W“1247, dessen akustischer Vortrag zu diversen Zisch-, Schmatz- und Gurgellauten führte, bis zum „Nießscherzo“1248 und „Husten Scherzo“1249, deren Anweisungen lautet: „Das Ganze niesen (husten)“, wurde eine umfangreiche Laut- und GeräuschePalette ausprobiert. Ja, in „Cigarren“1250 sollte der letzte Vers sogar gesungen werden. Cigarren [elementar] Cigarren Ci garr ren Ce i ge a err err e en Ce CeI CeIGe CeIGeA CeIGeAErr CeIGeAErrEr CeIGeAErrErr CeIGeAErrErr ErrEEn EEn En
1244 1245 1246 1247 1248 1249 1250
Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, a.a.O., S. 118. Schwitters, a.a.O., S. 212. A.a.O., S. 248. A.a.O., S. 211. A.a.O., S. 244. A.a.O., S. 246 f. A.a.O., S. 199.
362 Ce i ge a err err e en Ci garr ren Cigarren
Konkrete Poesie
(Der letzte Vers wird gesungen)
Kurt Schwitters, Cigarren, 1921
Aber gerade an „Cigarren“ ist zu erkennen, dass über das akustische Spiel hinaus mehr demonstriert wird. Zwischen dem gesprochenen „Cigarren“ am Anfang und dem gesungen „Cigarren“ am Ende wird das Wort erst silbenweise, dann buchstabenweise durchbuchstabiert, um in der Mitte mit mehrfachem Anlauf zu einem dramaturgischen Höhepunkt zu kommen, dessen Zeile zweimal lautet: „CeIGeAErrErr“. Diese wird dann langsam wieder abgebaut, und es folgen wie am Anfang, aber in umgekehrter Reihenfolge, die Buchstaben- und Silben-Artikulationen. Die hier vorgenommene Zerlegung des Wortes in seine Bestandteile über eine so lange Strecke von 35 Zeilen scheint sinnentleerend zu wirken. Das Wort verliert seine Bedeutung, nicht Zigarren, schon gar keine bestimmten sind gemeint, sondern das Buchstabenmaterial „Cigarren“, dessen Zerlegung und wieder Zusammensetzung demonstrativ benutzt wird, um den Unterschied von geschriebener und gesprochener Sprache zu zeigen, denn ein geschriebenes „C“ erscheint akustisch als „Ce“ und ein „R“ als „Err“. Gedicht 63 Wand
Wand
WAND WAND WAND WAND WAND WAND WAND WAND WAND WAND
WAND
wände wände Wände
WÄNDE WÄNDE WÄNDE WÄNDE WÄNDE WÄNDE WÄNDE
WAND
Textfläche – Wort – Buchstabe – Zeichen
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WAND WAND WAND WAND WAND WAND wand wand wand wand wand wand wand
Kurt Schwitters, Gedicht 63, 1921
Dramaturgisch ganz ähnlich und noch stärker die Wortbedeutung in Frage stellend, ist das Gedicht „Wand“ gebaut, weniger in der zweiten Fassung1251 von 1922, sondern bezeichnender Weise deutlicher in der ersten Fassung „Gedicht 63“1252 von 1921, in dem Jahr, in dem auch „Cigarren“ entstand. Wieder gibt es – diesmal durch die Typografie – einen Auf- und Abbau mit mehreren kräftigen Höhepunkten in der Mitte. Interessant ist nun, dass dieses Gedicht aus drei Teilen besteht, von denen der erste und der dritte Teil nur das Wort „Wand“ enthält, der mittlere Teil aber den Plural „Wände“, erst klein, dann groß geschrieben1253, bis in der letzten Zeile dieses Teils in großen Versalien wieder WAND erscheint. Beim Lesen/Vortrag stellen sich nun mehrere Effekte ein. Nach dem ersten Teil, scheint – verstärkt durch die Kleinschreibung von „wände“ – sich eine Art Bedeutungsveränderung – akustisch im Sinne von „wende“ – zu entwickeln, so dass nach seiner häufigen Wiederholung nun auch WAND plötzlich eine andere Qualität annimmt und schließlich das Verb „wand“ evoziert, ebenfalls begünstigt durch die Kleinschreibung. Dem Auf- und Abbau in der formalen Struktur entspricht der Abbau von „Wand“ über „wände“ zum Aufbau von „wand“. Der Infragestellung der Bedeutung eines Wortes, zumindest ihrer Eindeutigkeit, der Demonstration, dass das Sprachmaterial Zeichenmaterial ist, dessen Bedeutung neu verabredet und so auch zu neuer Begrifflichkeit geführt werden kann, liegt letztlich auch die Erkenntnis zu1251 1252 1253
A.a.O., S. 203. Scheffer, a.a.O., S. 220. Schwitters benutzt die verschiedenen Größen der Buchstaben und die Groß- und Kleinschreibung, um unterschiedliche akustische Artikulationen zu notieren. Die Kleinschreibung wurde von Reformern immer wieder gefordert. 1925 wurde sie durch das Bauhaus propagiert und später insbesondere von den Konkreten Poeten verwendet, um den Materialcharakter und die Gleichwertigkeit der Wörter zu betonen. Interessant: bereits vor Jacob Grimms Position gegen „den gleich verwerflichen misbrauch groszer buchstaben“ im Vorwort zum Deutschen Wörterbuch 1854, gab es bereits einen „Aufruf zur Revolution. gegen die großen – – buchstaben“. In: Der Volksbote Nr. 34, Hannover 23. August 1848.
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Konkrete Poesie
Abb. 121: Jan Nepomucen Miller, Interpunktionsgedicht, 1922
Abb. 120: Christian Morgenstern, Fisches Nachtgesang, 1905
Abb. 122: Man Ray, Lautgedicht, 1924
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grunde, dass die Poesie nicht nur aus einem einzigen Wort, nicht nur aus einzelnen Buchstaben, sondern auch aus ganz anderen Zeichen1254, ja aus nur einem Zeichen1255 oder sogar aus Zahlen bestehen kann. 1254
1255
Beispiele sind: Christian Morgenstern, Fisches Nachtgesang (1905, in: Morgenstern, Alle Galgenlieder. Leipzig 1944, S. 31, Abb. 120); Jan Nepomucen Miller (1890–1977), Interpunktionsgedicht (1922/Abb. 121 in: Imagining Language, a.a.O., S. 15); eine Parodie auf das Interpunktionsgedicht ist „Die Poesie der Jüngsten“ in: Das neue Material, 3. Jg., H. 20, 1922 (in: Hans Reimann u. a., a.a.O., S. 19); Man Ray, Lautgedicht (1924/Abb. in: Massin [1970], a.a.O., S. 227, Abb. 122), eine Bearbeitung des Gedichts von Man Ray ist zu finden in: http://jianxingtoo.com/Images/21.html; 1 Gedicht mit waagerechten (wie Man Ray), ein Gedicht mit sparsamen waagerechten Strichen von Henri Michaux (Abb. in: Imagining Language, a.a.O., S. 202), ein Gedicht mit senkrechten Strichen von G. J. de Rook (Abb. in: totaal 1. Hg. Ruud van Aarssen. Amsterdam, o. P.) u. ganz ähnlich Marcel Broodthaers grafische Umsetzung von „Coup de Dés“ (1969/ vgl. Anm. 1348); Raôul Duguay, Poème Barbare/L’ Apokalypsô (1971/Abb. In: Hesbois, a.a.O., S. 40); Armando Macatrão, Soneto do nada ubiquo (1987), in: Fontana, La voce in movimento, a.a.O., S. 301; Edward Wright, point, comma, quote (1951/Abb. in: concerning concrete poetry, a.a.O., T. IX); Dieter Roth, „all as one? one as all?“ (1958/Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O.); Gerhard Rühm, interpunktionen (1954/Abb. in: die wiener gruppe [1997]), a.a.O., S. 484); Jirˇi Valoch, Typogramme (1964, in: Vrh kostek, a.a.O., S. 24 ff.); Carl Fredrik Reuterswärd, from Prix Nobel (1966/Abb. in: Olsson, Alfabetets använding, a.a.O., S. 335 u. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. mit Erläuterungen von Reuterswärd); Amelia Etlinger, wind (vgl. Anm. 1028); Michael Gregaard, „Forord“ (in: Gregaard, Drøm med åbne øjne. Aarhus 1988, S. 1) und viele Arbeiten von Peignot, Typoèmes, a.a.O. Ein interessantes frühes Beispiel nennt Adler, Black and White, a.a.O., S. 222 „Crochets et accollades“ von Jacques-François Rosart in: Epreuve des caractères. Brüssel 1768, Abb. 123. Von Wsewolod Nekrassow (1934), einem wichtigen Vertreter der Konkreten Poesie in Russland, gibt es eine Arbeit, die aus einer leeren Seite besteht, auf der lediglich unten rechts ein Punkt erscheint. „Der Punkt beschließt normalerweise einen Satz und kündigt gegebenenfalls den Anfang eines neuen Satzes an. Er ist somit auf eine vorangehende und auf eine nachfolgende Aussage bezogen. Eine solche Aussage fehlt hier. Dennoch existiert sie. Sie ist nur abwesend. Und der Punkt verweist auf die abwesende Aussage, ohne sie – charakteristisch für das offene Dichten Nekrasovs – in irgendeiner Weise inhaltlich zu bestimmen. Die leere Seite erweist sich als Text. Text ist der Text als Präsenz des Abwesenden. Diese Präsenz visualisiert sich in der Leere. In der Leere erreicht die Visualisierung des Textes paradoxerweise ihre höchste und das heißt reinste Form.“ (Bodo Zelinsky, Text und Bild, Bild und Text in der russischen Avantgarde. In: Literarische Avantgarde. Festschrift für Rudolf Neuhäuser. Hg. Horst-Jürgen Gerigk. Heidelberg 2001, S. 308). Vgl. dazu auch Anm. 1342 (Gnedov). Zu Nekrassow (Dossier): Die Räumlichkeit der Rede – Wsewolod Nekrassow. In: Schreibheft 44. Essen 1994, S. 103 ff.
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Konkrete Poesie
Abb. 123: Jacques François Rosart, Crochets et accollades, 1768.
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Zahlen Die einzige inhaltliche Änderung in der zweiten Fassung von „Wand“ ist die vorangestellte erste Zeile „Fünf Vier Drei Zwei Eins“. „Wand“ wurde von Schwitters als Vortragstück benutzt1256, und insofern ist das Herunterzählen in der ersten Zeile dem Anzählen für den Einsatz eines Chores oder Orchesters vergleichbar. Inwieweit nun die Zahlenwerte sich in dem Gedicht widerspiegeln, bleibt der produktiven Rezeption vorbehalten1257, mit der Schwitters durchaus spielte, wie dies auch in seinen ausgewiesenen Zahlengedichten1258 der Fall ist1259. Gedicht 62 Eins Zwei Drei Vier Fünf Fünf Vier Drei Zwei Eins Zwei Drei Vier Fünf Sechs Sechs Fünf Vier Drei Zwei Sieben Sieben Sieben Sieben Sieben Acht Eins
1256
1257
1258
1259
An Theo van Doesburg v. 13. 9. 1922: „Sonst könnte ich das Gedicht !Wand"(aus einem Worte), 3 Zahlengedichte, wenn Sie mir die holländischen Zahlen sagen, und Lautgedichte vortragen, die ohne Sinn, ohne Sprache, jedem Holländer verständlich sind. D d s s n n r – J e – M – M p – Mpf – Mpft – Mpftl – u.s.w.“ (Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, a.a.O., S. 71). Die längste Zeile enthält 5 Wörter, die kürzeste 1 Wort. Verschiedene Wörter und typografische Gestaltungen von Wörtern tauchen innerhalb der Zählung nur bis 5 auf: 2 × Wand, 5 × WAND (kleinere Versalien), 2x wände, 1 × Wände, 2 × WÄNDE, 2 × WAND (größere Versalien), 5 × wand. Es fehlen in der horizontalen Zeilenlesung der Wert 2 (es gibt Zeilen mit 1, 3, 4, 5 Wörtern), in der vertikalen Zeilenlesung die Werte 3 und 4. Alle Wörter des Gedichts bestehen aus 4 oder 5 Buchstaben. Alle Zahlenwörter von 1 bis 5 haben 4 Buchstaben. Die Gesamtzahl der Zeilen beträgt 20, eine Zahl, die durch 5 teilbar ist, so dass sich 4 Komplexe mit jeweils 5 Zeilen ergeben, was durchaus Sinn machen würde. Dies ist nur der statistische Befund. Die Zeile „Fünf Vier Drei Zwei Eins“ findet sich auch in dem Gedicht „Zwölf “ (a.a.O., S. 205), das wohl deshalb so heißt, weil die Zahl 12 weder in der Zeilenzahl noch in der Zählung, die beide nur bis 11 gehen, erreicht wird. Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, a.a.O., S. 204 ff. „Gedicht 62“ erschien 1922 unter dem Titel „Zwölf “ (so auch in: Schwitters, Das literarische Werk, Bd. 1, S. 205). Scheffer (a.a.O., S. 305) macht darauf aufmerksam, dass ursprünglich das „Gedicht 62“ in Ziffern geschrieben war (wie es auch auf der Rückseite des zweiten Merz-Heftes, April 1923 zu finden ist), aber die Redaktion des „De Stijl“ verwendete Zahlwörter im Druck des Juli-Heftes 1921, um den Klangwert besonders zu betonen. Vgl. dazu Scheffer, a.a.O., S. 216 ff.
368 Neun Eins Zehn Eins Elf Eins Zehn Neun Acht Sieben Sechs Fünf Vier Drei Zwei Eins
Konkrete Poesie
Kurt Schwitters, Gedicht 62, 1921
Mit diesen Zahlengedichten steht Schwitters in einer langen Tradition1260 der Zahl in Kunst und Literatur, die zunächst vor allem von der Magie der Zahlen ausging, vom ersten magischen Quadrat im alten China von Fuh-Hi (ca. 2800 v. Chr.) bis zu Albrechts Dürers magischem Quadrat in „Melencolia I“ (1514), Harsdörffers „Spiel von den Zahlen“1261 oder Goethes Hexen-Einmaleins im „Faust I“ (1788). Abgesehen von Abzählreimen und Kinderversen tauchen reine Zahlengedichte wohl erst im 20. Jahrhundert auf1262, und ohne Zweifel hat auch hier 1260
1261
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Zur Geschichte der Zahl in der Kunst und Literatur vgl.: Jérôme Peignot, „du chiffre“. Paris 1982; Magie der Zahl in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Hg. Karin v. Maur. Stuttgart 1997; Manfred Hardt, Zahlen in literarischen Texten. In: arcadia 15, Berlin 1980, S. 225 ff. Einen hochinteressanten Beitrag gibt es von Peter Weibel, Kuriosa der Zahlenkunde und die Kunst – kurz gefasst und leichtfasslich dargestellt. In: http://www.igi.tugraz.at/maass/KFD/kap1_weibel.pdf. Mit der Doppelfunktion von Schrift- und Zahlzeichen befasst sich Christian Reder, Das Alphabet als Code. Wörter und Zahlen. Wien 2000. Neben den Zahlengedichten ist der Komplex der Zahlenbilder zu erwähnen, z. B. bei Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Josua Reichert, Robert Indiana, Klaus Burkhardt oder Roman Opalka und Hanne Darboven. In: Die Pegnitz Schäfer. Georg Philipp Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken. Gedichte. Hg. Gerhard Rühm. Berlin 1964, S. 59. Allerdings gibt es einen interessanten Fall, auf den Jerome Rothenberg (in: Exiled in the Word, a.a.O., S. 227) aufmerksam macht: Maria Hebrea (1. Jh. v. Chr.) „2 sind 1/ 3 und 4 sind 1/ 1 wird 2/ 2 wird 3“. In den 4 Versen tauchen die Zahlen von 1 bis 4 auf, von denen Platon gesagt hat, dass es die Grundzahlen wären, die etwas Prinzipielles bedeuten würden (Ernst Hoffmann, Platon. Reinbek 1961, S. 42 f. u. 110; vgl. auch zur 4: Giordano Bruno, Über die Monas, die Zahl und die Figur als Elemente einer sehr geheimen Physik, Mathematik und Metaphysik. Hg. Elisabeth von Samsonow. Hamburg 1991, S. 56 ff.). Dann hat Harsdörffer (Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 515) ein symmetrisch als Turm angelegtes Zahlengebilde geschaffen, das für ein Wort mit 4 Buchstaben alle Möglichkeiten neuer Zusammensetzung der Buchstaben zu Wörtern mit 2, 3 und 4 Buchstaben durch die Zahlen 1 bis 4 darstellt. In der Mitte des Turmes läuft vertikal (gleichsam als Titel des Gebildes) „combinationes ElemeNtorum“. Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 178 druckt eine „Symphony No. 3“ von Royal Vale Heath ab (aus: Jerome S. Meyer, Mor Fun for the Family. New York 1938, S. 128), eine Zahlenpyramide „in a gorgeous pattern of truth“. Bsp. für eine weitere „Zahlenfigur“ ist „Zahlenzipfel“ (1968) von Ludwig Gosewitz (Abb. in: Gosewitz, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 37).
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Schwitters für die Konkrete Poesie Beispiele gegeben, so dass sich viele Spielarten dieser Poésie Arithmétique1263 z. B. bei Timm Ulrichs1264, Hermann Finsterlin1265, Emmett Williams1266, Heinz Gappmayr1267, Jochen Gerz1268, Eugen Gomringer1269, Helmut Heißenbüttel1270 und Gerhard Rühm1271 entwickeln konnten1272. Einige dieser Gedichte erschließen sich – wie bei Schwitters – nicht auf den ersten Blick und zwingen den Betrachter zur Entschlüsselung. Als Beispiel sei Max Benses 1970 veröffentlichtes Gedicht „Das zweite Ich“1273 genannt: 1263
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1265 1266 1267
1268 1269 1270 1271 1272
1273
Beginnend mit Isidore Isou, Sonnet infinitésimal numéro 3 (1958/Abb. in: Sabatier, Le lettrisme, a.a.O., S. 104). Werner Schreib „La Poésie Arithmétique“ (1966) in: Werner Schreib, Gott raucht nicht, er braucht Pudding. Gedichte Prosa Happenings. Hg. Karl Riha. Hannover 1991, S. 33 f. Bob Cobbing notiert die englischen Zahlen von 1 bis 10 phonetisch so verändert, dass jede Zahl eine andere Bedeutung annimmt und eine Geschichte entsteht: wan/ do/ tree/ fear/ fife/ seeks/ siphon/ eat/ neighing/ den/ elephan’/ twirl (in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o.P.). Vgl. auch: „Mathematical Poetry“ in: http://www.mathematicalpoetry.blogspot.com. Eine Entsprechung zur Konkreten Kunst gibt es bei Theo van Doesburg; „composition arithmétique“ (1930). In: Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 130; Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 55; Magie der Zahl, a.a.O., S. 134 u. 318. http://www.reinhard-doehl.de/finsterlin10.htm Emmett Williams, a four letter word (1969) in: – auf ein Wort!, a.a.O., S. 89. Heinz Gappmayr. Zahlentexte. München 1975 und: Gappmayr, Texte. München 1978, o. P. Peignot, „du chiffre“, a.a.O., S. 154. gomringer, vom rand nach innen, a.a.O., S. 37 ff. In: Konkrete Poesie (I), a.a.O., S. 17. die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 485 ff. Und dies auch außerhalb des deutschen Sprachraums wie z. B. in Russland bei Vladimir Kazakov (1938–1988). Hinweise und Abb. des Zahlengedichts „Multiplikationstafel“ (1969) bei: Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 286 ff. 1914 schrieb Nikolaj Burljuk (1890–1920) in seinem Traktat „Poetische Grundlagen“: „Es war immer mein Traum, dass jemand das graphische Leben der Schriftzeichen studieren möge, diese !Stimme vom Grunde des Grabes" der Faszination durch die Metaphysik. So viele Zeichen, Notenzeichen, mathematische, kartographische und ähnliche Zeichen liegen im Staub der Bibliotheken. Ich verstehe die Kubisten, wenn sie Zahlen in ihre Bilder einfügen, aber ich verstehe die Dichter nicht, die dem ästhetischen Leben all dieser f, l, +, §, x, °T, ü –, =, >, ? usw. fremd sind.“ (Schmidt, a.a.O., S. 284). In: Bense, Ausgewählte Schriften, Bd. 4, a.a.O., S. 317; zuerst in: Max Bense, NUR GLAS IST WIE GLAS WERBETEXTE. Berlin 1970, S. 30. Ein weiteres Bsp. von Bense ist „Zufällige Wortereignisse“ in: Bense, Ausgewählte Werke, Bd. 4, a.a.O., S. 235 f.; zuerst in: Les Lettres 9. Série, Numéro 34, Paris 1965, S. 8 f., dort auch mit dem Hinweis auf die mathematische Formel, nach der der Text entstand.
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Konkrete Poesie „Das zweite Ich“ 1+2+4+71+142 = 220 1+2+4+5+10+20+11+22+44+55+110 = 284 1+2+4+71+142 Max Bense, Das zweite Ich, 1970
Selbst seine handschriftliche Notiz1274 zur Auflösung der mathematischen Struktur irritiert noch: „Kommentar: Die Summanden der ersten Zahl 220 sind die Teiler der zweiten Zahl 284, die wiederum aus Teilern besteht, die die Summanden der ersten Zahl sind. Solche Zahlen nannte bereits Platon !befreundete Zahlen"1275, dabei soll er eine !befreundete Zahl" als !zweites Ich" bezeichnet haben.“1276 Und ohne diesen Hinweis ließe sich schwerlich der Titel des Gedichts verstehen. Aber gerade die kunstvolle Verrätselung ist ein Stilmittel der neuen Poesie, um die schon oft angesprochene produktive Rezeption herauszufordern, den Rezipienten zum Mitspieler, zum Co-Autor zu gewinnen. Es ist auf der anderen Seite auch ein Versuch, den Helmut Heißenbüttel in eigener Sache einmal ansprach: „Dies alles geschieht nicht in einer !abstrakten" Kombination von !Sprachmaterial", so als ob statt der Kleckse, Verlaufungen und Pinselschläge nun Wörter und Satzbruchstücke verwendet würden. Dies alles geschieht auch nicht als !Verschlüsselung" irgendwelcher Art. Es geschieht als Versuch, ein erstesmal einzudringen und Fuß zu fassen in einer Welt, die sich noch der Sprache zu entziehen scheint. Und die Grenze, die erreicht wird, ist nicht eine zum Nichts, zum Sprachlosen, zum Chaos (was immer auch die Gründe sein mögen, die für das Hindrängen an solche Grenze 1274 1275
1276
Archiv Dencker, ohne Datum (1971). Genauer muss es wohl heißen: Die Summanden der ersten Zahl 220 sind die Teiler der zweiten Zahl 284, die wiederum aus Summanden besteht, die die Teiler der ersten Zahl sind. Außerdem ist Pythagoras wohl richtig und nicht Platon. Dazu Weibel, Kuriosa der Zahlenkunde und die Kunst, a.a.O., S. 32 ff. Vielleicht könnte ein Zufallsfund zur Quelle des Bense-Gedichts führen: Ernst Born, Zahlensymbolik. Basel 1996 (3. Aufl.), S. 30: „Befreundete Zahlen. Befreundete Zahlen sind solche, deren Divisoren zusammengezählt den Wert der anderen Zahl ergeben. So sagte Pythagoras, ein Freund ist einer, der des andern Ich ist – wie 220 und 284. 220 besitzt die Teiler: 1+2+4+5+10+11+20+22+44+55+110 = 284. 284 besitzt die Teiler: 1+2+4+71+142 = 220.“ In der Publikationsliste von Born wären Publikationen, die vor 1970 erschienen sind, zu überprüfen.
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erfunden werden), es ist die Grenze zu dem, was noch nicht sagbar ist.“1277 A B C D E F G H I J K L M N 1 2 3 4 5 6 7 8 9 1O 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 P Q R S T U V W X Y Z Gerhard Rühm, Kreuzung – Hommage á Kurt Schwitters, 1987
Demgegenüber steht aber auch das Gegenteil, nämlich die schnell erkennbare Irritation und materiale Konkretion, wie in der Hommage1278 von Gerhard Rühm, in der sich 26 Zahlen mit 26 Buchstaben im gemeinsamen grafischen Zeichen für Null und für den Buchstaben O kreuzen. Eine Hommage an die Zahlen- und Alphabetgedichte von
1277 1278
Heißenbüttel, Pro domo. In: Heißenbüttel, Über Literatur, a.a.O., S. 211. Kreuzung – Hommage à Kurt Schwitters. In: Kurt Schwitters Almanach 1987. Hg. Michael Erlhoff. Hannover 1987, S. 177. In einer Fassung von 1989, in der Rühm ebenfalls eine Zahlenreihe mit der Alphabetreihe im Buchstaben O kreuzt, erscheinen sowohl nach rechts als auch nach links die Zahlen von 0 bis 9 (Abb. in: Gerhard Rühm, Gesammelte Werke. Hg. Michael Fisch. 2.1 Visuelle Poesie. Hg. Monika Lichtenfeld. Berlin 2006, S. 66, dort auch weitere Zahlengedichte S. 64 ff.).
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Konkrete Poesie
Schwitters1279, auf einen Punkt, den Kreuzungspunkt als Nullpunkt1280 gebracht. Rühm benennt damit eine weitere, für die Konkrete Poesie wichtige Spielart, die von Schwitters benutzt wurde, aber auch ihrerseits eingebettet ist in eine Traditionslinie, die bis weit zurück in die Buchstabenmystik1281 und die Geschichte der Abecedarien1282 reicht, was nahelegt, Scheffer1283 und Weiss1284 neu zu prüfen, die „Suicide“ von Louis Aragon1285 als das erste Alphabetgedicht1286 bezeichnet haben: 1279
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In Merz 2, April 1923, S. 31 (in: Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O.) gibt es die Kombination von Zahlengedicht und Alphabetgedicht in zwei Zeilen. Ein Text in 4 Zeilen bietet Bohumila Grögerová/Josef Hirsˇal „manifest“ (1960–62, Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O.). Zur alphabetischen Zeile vgl. Sterne, Tristram Shandy, a.a.O., S. 44 u. Henri Pichette, Les Épiphanies. Paris 1948, S. 13. Eine freie Kombination von Alphabet und Zahl vgl.: Dieter Roth, Da drinnen vor dem Auge, a.a.O., S. 109 (aus: „Mundunculum“ 1967). Allerdings könnte man auch hier noch Besonderheiten herausfinden, die nicht auf den ersten Blick auffallen: Nach der ersten Lesung (von links nach rechts) Null und der Lesung (von oben nach unten) des Buchstabens O, folgt auch noch die Lesung vom Kreuzungspunkt (von links nach rechts) wieder Null, d.h. hinter der gleichbleibenden 1 folgt exakt ab der Kreuzung mit Null die Lesung von O bis 9 und anschließend wieder von O bis 6 nach der gleichbleibenden 2. Die 16 Zahlen jenseits des Buchstabens O lassen sich durch 4 teilen, – O ist der vierte Vokal im Alphabet. Rechts neben dem O stehen die Zahlen von 1 bis 9, die durch 3 teilbar sind, oberhalb des Os befinden sich die 3 Vokale A, E, I. Neben dem O rechts steht die Zahl 11, unterhalb des Os befinden sich noch genau 11 Buchstaben. Vgl. Dornseiff, a.a.O. Liede berichtet von Abc-Reihen, die in griechischen Papyri auftauchen, Liede, Bd. 2, a.a.O., S. 272. Albrecht Dieterich, Kleine Schriften. Leipzig 1911, S. 217 ff.; Richard Grasshoff, Das Alphabet in der Literatur. (Magisterarbeit) FU Berlin 1997. A.a.O., S. 305. A.a.O., S. 32. In: Cannibal 1. Hg. Francis Picabia. Paris, April 1920, abgedr. bei Weiss, a.a.O., S. 33. Der Text enthält neben der sich anbietenden bildhaften Deutung (eines sich auflösenden und damit zum Verstummen kommenden, zum Buchstabenskelett reduzierten, gedachten Gedichts aus Wörtern, von dem nur noch die Zeilen und das Notations-Instrumentarium [Alphabet] erkennbar ist) eine interessante Struktur: Der Text besteht aus 5 Buchstaben-Zeilen. Die ersten 3 Zeilen enthalten 6 (also 2 × 3) Buchstaben, die vierte Zeile 5 und die fünfte Zeile 3 Buchstaben. Die Werte 3 und 5 bestimmen die Struktur. Im Titel SUICIDE ist der 3. und 5. Buchstabe gleich: ein I. Er ist zugleich der erste und letzte Buchstabe von ICI, einem Wort, das genau die Mitte zwischen den jeweils zwei Buchstaben SU und DE bildet, die ihrerseits wieder das Wort SUDE ergeben. „Suicide“ wird unterschiedlich reproduziert, manchmal ohne Leerzeile, in der Werkausgabe von Aragon (L’Œuvre Poétique I–X. Paris. Bd. II, 1974, S. 103) mit Leerzeile. Da die Leerzeile Bestandteil des Gedichts ist, wird die Struktur noch strenger mit 2 × 3 waagerechten und 2 × 3 senkrechten Zeilen (die Abmessungen eines Quadrats).
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SUICIDE A g m s x
b h n t
c i o u
d e j k p q v w
y
z
f l r
Louis Aragon, Suicide, 1920
Denn im selben Jahr entstand auch „L’arbre à violon“ von Georges Ribemont-Dessaignes1287, sozusagen die zur Visuellen Poesie neigende Variante des Alphabetgedichts, ein sich 24 × verzweigender stilisierter Baum, der – nicht zufällig – alle Buchstaben außer G enthält1288. Und ein bestimmter Typus des Alphabetgedichts der Konkreten Poeten, z. B. von Jean-François Bory1289 oder Emmett Williams1290, verweist auf Permutationen bei Johannes Trithemius (1462–1516)1291 oder Juan Caramuel y Lobkowitz (1606–1682)1292, um mit zwei ganz unterschiedlichen Beispielen den Blick zurück zumindest zu öffnen.
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Abb. 124 in: Dada. Eine internationale Bewegung 1916–1925. Hg. Raimund Meyer/Hans Bolliger. Zürich 1993, S. 225. G ist der Anfangsbuchstabe von Georges. Georges erscheint in der Signatur zu dem Blatt von 1920 in der Abkürzung als G. Am Fuß des Hauptstammes befindet sich ein kleiner Kreis mit einem Kreuz in der Mitte: steht das Kreuz für das G, aus dem sich alles entwickelt? Die Idee eines Buchstabenbaumes gab es schon im 15. Jh., Holzschnitt aus Geiler von Keisersberg: „Ein heylsame lere und predig“ (1490), Abb. in: Hubert Göbels, Zauberformel ABC. Dortmund 1988, Innenseite Umschlag. Entsprechend: „l’homme-lettre“, wie bei Champ fleury, a.a.O., Abb. in: Massin, (1970) a.a.O., S. 26. Vgl. auch die Varianten bei Reichert, Werkverzeichnis, a.a.O., S. 180 f. sowie den ausführlichen Beitrag mit vielen Beispielen von Thomas Macho, Die Bäume des Alphabets in: http://www.culture.hu-berlin.de/tm/?node=96, u. in Gappmayr, Sprache und Raum, a.a.O., S. 39 sowie Abb. 178, 179 u. 205 u. Anm. 1777. Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 39. Abb. „Meditation No. 2“ (1958) in: Dick Higgins, George Herbert’s Pattern Poems: In their Tradition. New York 1977, S. 51. Johannes Trithemius, Polygraphica. Basel 1518, Bl. O 2r (Abb. in: Ernst, Permutation als Prinzip in der Lyrik, a.a.O., S. 259). Ganz ähnlich auch: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 39. Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 44.
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Konkrete Poesie
Abb. 124: Georges Ribemont-Dessaignes, L’arbre à violon, 1920
Frühformen Konkreter Poesie Neben den Gesetzten Gedichten, Abecedarien, Alphabet-, Zahlen-, und Lautgedichten, experimentierte Schwitters vor allem in den 1940er Jahren auch in englischer Sprache, ohne dafür allerdings Vorbilder zu haben. Obwohl er mit New York-Dada über Katherine S. Dreier1293, die zusammen mit Marcel Duchamp und Man Ray 1920 die „Société Anonyme“ gründete, seit Mitte der 1920er Jahre in Verbindung stand, 1931 sogar deren Ehrenpräsident wurde, gab es anscheinend keinerlei Kontakte (und wohl auch keine Kenntnisse) zu den Autoren, die zwischen 1914 und 1945 die „Revolution of the Word“1294 betrieben, wie etwa William Car-
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Vgl. dazu den Briefwechsel mit ihr in Schwitters, Wir spielen, bis uns der Tod abholt, a.a.O. Revolution of the Word. A New Gathering of American Avant-Garde Poetry 1914–1945. Ed. Jerome Rothenberg. Boston 1974. Vgl. auch: Karl Young, Whose History of What World? In: http://www.jackmagazine.com/issue5/renhistkyoung. html.
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los Williams (1883–1963), Edward Estlin Cummings (1894–1962), Abraham Lincoln Gillespie (1895–1950), Harry Crosby (1898–1929), Kenneth Patchen (1911–1972) oder Jackson Mac Low (1922–2004). Umgekehrt waren die italienischen Futuristen, die Franzosen Mallarmé und Apollinaire, sowie die Dadaisten (besonders Zürich-Dada) in Amerika durchaus bekannt, und so blieben deren Arbeiten dort nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung der neuen Poesie, die nach Bohn1295 mit der Veröffentlichung von „Mental Reactions“ 19151296 von Marius de Zayas (1880–1961) begann1297. De Zayas war im Sommer 1914 in Paris gewesen und lernte dort Apollinaire kennen1298, der zur gleichen Zeit „Lettre-Ocean“ am 15. Juni 1914 in „Les Soirées de Paris“ veröffentlichte. 1916 bekannte de Zayas, dass alle seine in 291 veröffentlichten Gedichte1299 durch Apollinaire und die Futuristen angeregt waren1300. Er verdiente sein Geld hauptsächlich mit Zeichnungen/ Karikaturen in einem „totally abstract style of painting“, die er „abstract caricatures“ 1295
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Willard Bohn, Marius de Zayas and abstraction. In: Bohn, The aesthetics of visual poetry 1914–1928. Chicago 1993, S. 185. 291, No. 2, New York, April 1915 (Abb. 125 in: Bohn, a.a.O., S. 186 f.). Es handelt sich um ein Gedicht von Agnes Ernst Meyer, das de Zayas visualisierte. Bohn, a.a.O., S. 188: „!Mental Reactions" mark the birth of visual poetry in America“, wobei Bohn unter „visual poetry“ nicht Visuelle, sondern (unserer Definition nach) Optische Poesie versteht: „For our purposes we can define visual poetry as poetry meant to be seen (…) It aims to abolish the dual perspective introduced by the written word. Not only is each letter a unit in a verbal chain; it belongs to a visual chain as well. As the reader deciphers the linguistic message, he retraces the visual message line by line. Thus the work exists simultaneously as poem and picture.“ (a.a.O., S. 2). Zum Verhältnis Apollinaire und de Zayas siehe: Willard Bohn, Guillaume Apollinaire and the New York Avant-Garde. In: Comparative Literature Studies 13, No. 1, März 1976, S. 40 ff. Weitere Gedichte ähnlich „Mental Reactions“ in:. http://en.wikipedia.org/wiki/ 291_(journal), so „Woman“ (291, No. 3, New York, Mai 1915, Abb. in: Willard Bohn, Modern Visual Poetry. Newark 2001, S. 124 u. ganz aus Wortmaterialien konstruiert und neben Picabias „Voilà Elle“ erschien im November 1915 in 291 „Elle“ (beide Abb. in: Dada. Monografie einer Bewegung, a.a.O., S. 46 u. eine Variante von „Elle“ in: Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 132). Neben der Zeitschrift 291 sind die Zeitschriften The Blind Man (New York 1917), Rongwrong (New York 1917), The Ridgefield Gazook (Ridgefield/NJ 1915), New York Dada (New York 1921), TNT (New York 1919) wichtige Fundgruben für frühe amerikanische Beispiele. Vgl. auch Karl Young, Whose History of What World? In: http://www.jackmagazine.com/issue5/renhistkyoung.html. 291-A New Publication. In: Camera Work, No. 48, New York, Oktober 1916, S. 62.
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Konkrete Poesie
Abb. 125: Marius de Zayas, Mental Reactions, 1915
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Abb. 126: John Bartlett Kerfoot, A Bunch of Keys, 1915
nannte und deren Methode er in 3 Punkten zusammenfasste: „1. The spirit of the individual was to be represented by algebraic formulas, 2. his material self by !geometric equivalents", and 3. his initial force by !trajectories within the rectangle that encloses the plastic expression and resents life" (…) Interestingly, de Zayas adapted this method to visual poetry.“1301
1301
Bohn, The aesthetics of visual poetry, a.a.O., S. 191. Zu Zayas vgl. auch Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 122 ff. Hier auch Hinweise auf sehr interessante frühe Vertreter der Optischen Poesie im spanischen und lateinamerikanischen Raum wie: José Juan Tablada (1871–1945/ S. 156 ff.), Santiago Rusiñol (1861– 1931/ S. 192 ff.), Josep Vicenç Foix (1893–1987/ S. 201 ff.), Vicenç Solé i de Sojo (S. 211 ff.), Carles Sindreu i Pons (1900–1974/ S. 219 ff.).
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Konkrete Poesie
Im Umkreis von de Zayas sieht Bohn noch Juliette Roche (1884–1980)1302, John Bartlett Kerfoot (1865–1927), dessen „A Bunch of Keys“1303 am stärksten Elemente der Konkreten Poesie vorwegnahm, sowie Man Ray mit seinem berühmten Spiralgedicht „LA LOGIQUE ASSASSINE“1304, der sich gelegentlich auch der Optischen Poesie zuwandte.1305 Vor allem aber sind Arbeiten wie the „sky“ (1916/17)1306 und „grasshoper“1307 von Edward Estlin Cummings (1894–1962), der seine Anregungen von Ezra Pound (1885–1972) und Gertrude Stein (1874–1946)1308 erhielt, zu den Vorformen der Konkreten Poesie zu rechnen.1309 Es ist nun bemerkenswert, dass die beiden wichtigsten Anthologien zur Konkreten Poesie, in Amerika von Emmett Williams und Mary Ellen Solt herausgegeben, diese Spuren im eigenen Land kaum oder nur andeutungsweise aufnahmen1310, und auch nicht jene, die aus dem Ein-
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Abb. von 2 Gedichten in Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., „BREVOORT“ S. 137 (mit deutlicher Abhängigkeit von de Zayas’ „Mental Reactions“) u. „Untitled Poem“ S. 143. Abb. in: Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 130, veröffentlicht in: 291, No. 3, New York, Mai 1915, Abb. 126. Eine Gemeinschaftsarbeit mit seiner ersten Frau Adon Lacroix (d. i. Donna Lecoeur) aus dem Jahr 1919 (Abb. in: Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 148; vgl. Die bessere Abbildung in: Roland Penrose, Man Ray. London 175, S. 33, u. S. 46 die Textcollage „Theatr 1916“) Willard Bohn, The Dada Market: An Anthology of Poetry. Carbondale 1993, S. 170 f. (2 Gedichte). In: Cummings, Etcetera. The Unpublished Poems. Ed. George James Firmage/ Richard S. Kennedy. Together with Uncollected Poems, ed. George James Firmage. New York 1983, Abb. 127 S. 39, Übers. in: Cummings, 39 Alphabetisch. Hg. Mirko Bonné. Basel 2001, o. P. Aus: Cummings, No Thanks. Privatdruck 1935, New York 1998. Abb. 128 in: Speaking Pictures, a.a.O., S. 203: „e.e.cummings, who sought to combine the métiers of painting and poetry for !dooble delighte", first introduced the typographical hijinks of Apollinaire into English after World War I.“ Vgl. auch Erich Fried, E. E. Cummings oder Die Sprache, in der man nicht lügen kann. In: Texte und Zeichen, a.a.O., 3. Jg., H. 5, S. 496 ff. Stein über Cummings siehe: Gertrude Stein, Autobiographie von Alice B. Toklas. Leipzig 1986, S. 239. Vereinzelte Beispiele rücken ins Blickfeld, wie die Zeichnung „Schlaflied“ von Walter Benjamin, datiert: 22. 5. 1934 (in: Walter Benjamin Archive. Bilder, Texte und Zeichen. Hg. Walter Benjamin Archiv. Frankfurt 2006, S. 189). Im Gegensatz dazu z. B. Jerome Rothenberg, der dies bis hin zu indianischen Überlieferungen versuchte: Rothenberg, Shaking the Pumkin, a.a.O., bes. S. 15 ff. u. S. 349: „The resemblance of Seneca verbal art to concrete & minimal poetry among us was another (if minor) point these translations were making.“
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Abb. 127: Edward Estlin Cummings, sky, 1916/17
Abb. 128: Edward Estlin Cummings, grasshopper, 1935
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Konkrete Poesie
flusskreisen Londons (Ezra Pound) oder Paris (Gertrude Stein) zurückwirkten, sondern stattdessen in „parole per la guerra“1311 und vor allem in „testi-poemi murali“1312 von Carlo Belloli (1922) den eigentlichen Beginn der Konkreten Poesie sahen. Einerseits werden zwar Gomringer und die Noigandres-Gruppe als die Väter betrachtet, aber andererseits die Arbeiten Bellolis in ihren Entsprechungen1313 („pre-dates the concrete movement“1314) so gewichtig eingeschätzt, dass sie als früheste Bei1311 1312 1313
Milano 1943. Milano 1944. Was ein Vergleich von Bellolis „cerchio“ (1951) mit Gomringers „schweigen“ (1954) nahelegt (beide Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O.). Belloli thematisiert ein visuelles Moment, indem er aus 7 × 4 Textsäulen ein Rechteck mit dem Wort „cerchio“ (Kreis) bildet und im freien Raum in der Mitte mit den Begriffen Kugel (sfera) und Sphäre (sfera) „Gegenspieler“ zur geometrischen Form des Rechtecks setzt. Gomringer thematisiert ein akustisches Moment, indem er aus 5 × 3 Textsäulen mit dem Wort „silencio“ (schweigen) ein Rechteck baut, dessen Mitte durch Auslassung des Wortes „silencio“ scheinbar Stille versinnbildlicht, was aber durch die Wiederholungen des Wortes „silencio“ wieder aufgehoben wird. Vgl. zu beiden Texten Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 243 ff. cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cer cerchio cerchio sfera cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio cerchio
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cerchio cerchio cerchio chio cerchio cerchio cerchio
silencio silencio silencio silencio silencio silencio silencio silencio silencio
silencio silencio silencio silencio silencio
Solt, a.a.O., S. 287. Wobei Solt immerhin Cummings abdruckt und Robert Lax mit einem Gedicht von 1941 mit der Bemerkung: „A very early example of a poem exhibiting strongly concrete tendencies, which pre-dates the Concrete Poetry movement by more than ten years.“ (a.a.O., S. 303). – Hier sind auch die ersten Gedichte von Joan Brossa (1919–1999) aus dem Jahr 1941 (Abb. in: Joan Brossa, desde Barcelona ao Novo Mundo. Hg. Fundació Joan Brossa. Barcelona 2005, S. 109, interpretiert in: Klaus Peter Dencker, Joan Brossa, Lettra – Objeto. In: Verso Brossa. Instituto Cervantes, Madrid 2008, S. 33 ff., Abb. 129 S. 34) zu nennen. Und noch weiter zurück gibt es den Grenzfall „grün“ (1918) von Raoul Hausmann. Grenzfall deshalb, weil einerseits ein Text konkret auf Einzelwörter und Buchstaben reduziert wird, andererseits die Anordnung über die der Konkreten Poesie eigenen, strengen Visualisierungsform hinausgeht und durch die spielerisch bildhafte u. farbige Struktur auch als frühe Form der Visuellen Poesie betrachtet werden könnte. (Abb. in: Keith, Poetische Experimente der deutschen und russischen Avantgarde, a.a.O., S. 293, Abb. 130, vgl. dazu auch die Interpretation von Corinna Hübner, Raoul Hausmann, Grenzgänger zwischen den Künsten. Bielefeld 2003, im Kapitel: 4.2.3.2). Aus dem gleichen Jahr stammt ein
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Abb. 129: Joan Brossa, Poema experimental, 1941
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Konkrete Poesie
Abb. 130: Raoul Hausmann, grün, 1918
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spiele der Konkreten Poesie in beiden Anthologien erscheinen, untermauert mit einer Darstellung von Solt, die im Verhältnis zu anderen Autoren der Anthologie, besonders ausführlich die Vorstellungen Bellolis behandelt.1315 Belloli, der sich nicht nur auf Marinetti und die Tradition des Futurismus bezog, sondern von Marinetti auch gefördert wurde1316, ging aber sowohl in seinen vorwiegend formal-ästhetischen Darstellungen als auch in seinen literarischen Arbeiten keineswegs über die bis dahin bereits formulierten theoretischen und praktischen Begründungen einer neuen Poesie wesentlich hinaus. Auch er vertrat die Ansicht1317, „one word will be enough to write a book“, „my text-poems neither evoke a state of mind nor do they tell a story“, „for the poetry of ideas, for symbolical, technological and other forms of poetry, we have substituted a poetry of simple words whose semantic structure is capable of integration with a corresponding semiotic structure in space: the poetry body“, „for us a word is purely verbal material of visual conception and structure, a precise typographical arrangement deriving from selected semantic values“.
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sehr strenges Beispiel „Gedicht mit dem Buchstaben K“ (Abb. in: The AvantGarde in Russia 1910–1930. New Perspectives. Hg. Stephanie Barron/Maurice Tuchman. Cambridge/Mass. 1980, S. 161) von Vasilii Vasilievich Kamensky (1884–1961). Vor allem aber muss Josep-Maria Junoy (1887–1955) erwähnt werden, dessen frühe Arbeiten (wie „ART POÈTICA“ [1916], von Bohn als das älteste Alphabetgedicht bezeichnet, noch vor Aragon [siehe Anm. 1285]) wohl in diesem Zusammenhang am interessantesten sind. Sie sind erschienen in: „Poemes i calligrames“ (Barcelona 1920). Vgl. dazu: Bohn, The aesthetics of visual poetry, a.a.O., S. 85 ff., Abb. 131 S. 91. „Belloli, in 1943, was making what would sixteen years later come to be called concrete poetry.“ (a.a.O., S. 37). Gemeint sind Gedichte wie „un sorriso“ (1943) von Belloli (Abb. 132 in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.). Vielleicht ist dies ein Grund, warum bis heute diese Auffassung in vielen Darstellungen zur Geschichte der Konkreten Poesie noch gilt: Mon, Sulla poesia concreta. In: Poesia concret indirizzi concreti, visuali e fonetici. La Biennale di Venezia. Venedig 1969, S. 7 (dt. In: Mon, Gesammelte Texe 1, a.a.O., S. 106); Weiss, a.a.O., S. 58 ff.; Eugenio Gianni, Póiesis. Ricerca poetica in Italia. Arezzo 1986, S. 111; Adler/Ernst, Text als Figur, a.a.O., S. 279; Ernst, Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittealter und Neuzeit, a.a.O., S. 147; Silke SeglerMessner, Die poesia visiva als Modell digitaler Texte: Carlo Belloli – Lamberto Pignotti – Eugenio Miccini. In: PhiN-Beiheft 2, Berlin 2004, S. 102. Marinetti schrieb z. B. die Einleitung zu „testi-poemi murali“. Vgl. auch Williams im Vorwort zu: an anthology of concrete poetry, a.a.O., S. vi: „Belloli, protégé of F. T. Marinetti“. Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 38 f.
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Konkrete Poesie
Abb. 131: Josep-Maria Junoy, ART POÈTICA, 1916
Die Reduktion auf das Zeichenmaterial, vorrangig auf den Aspekt des Visuellen und weniger auf den des Phonetischen1318, wird allerdings im Laufe der Jahre nicht mehr nur in bezug auf die Fläche, sondern nun vor allem auch im Hinblick auf den Raum ausprobiert. Belloli versuchte, mit den „Corpi di poesia“ dreidimensionale Wortobjekte als kommunikative Gestaltungselemente der Umwelt zu schaffen1319: „the people of the future will not seek poetry in libraries but on the walls of their rooms, and they will find in it an integrating factor uniting them with the environment in which they work“.1320 So entstand ein für den Betrachter offener Text-Raum-Bezug, der ihm erlaubte sein eigenes Textobjekt zu entdecken: „poetry bodies inaugurate the quest for flexible phonemes and hyper-acoustic words of verbal simplicity printed on plastic composed of transparent rodoid; alternatively on opaque paper arranged with intersecting characters inside liquid Plexiglas or phenolic resin. When solid these geometrical poetry bodies stand out clear, crystalline 1318 1319 1320
Solt, a.a.O., S. 37: „to see will become more necessary than to listen.“ Segler-Messner, a.a.O., S. 104. Solt, a.a.O., S. 37.
Textfläche – Wort – Buchstabe – Zeichen
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Abb. 132: Carlo Belloli, un sorriso, 1943
in space (…) with the aid of poetry bodies it will be possible for the creative spectator to compose his own poem-object.“1321 Das war neu und implizierte eine veränderte Funktion des Mediums und damit Kommunikationshaltung des Rezipienten: „Belloli has in1321
Solt, a.a.O., S. 39. Ein solches Textobjekt „corpo die poesia 5“ ist abgebildet in: Weiss, Seh-Texte, a.a.O., S. 61. Vgl. auch die Bemerkung Bellolis in: Poesia concreta indrizzi concreti, visuali e fonetici. Hg. Dietrich Mahlow/Arrigo Lora-Totino. La Biennale di Venezia 1969, S. 16: „Liberati in una materia trasparente e infrangibile i testi-poemi di allora ci permettevano di situare la struttura semeiotica delle parole nell’atmosfera spaziovisiva connaturale al ricorso semantico perseguito, sino a determinare una specifica area poematica metastabile e percezionalmente plurima.“ (Teilweise übersetzt bei Weiss, a.a.O., S. 60).
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Konkrete Poesie
stinctively read the future of futurism (…) these text-poems anticipate a language of word-signs set in the communicational network of a mathematical civilization which will be marked by restraint in the use of dialogue, gestures and feelings.“1322
Lettrismus Nahezu zur gleichen Zeit entstand aber auch in Frankreich eine Literatur, die wichtige Elemente der Konkreten Poesie enthielt, der Lettrismus1323, der zunächst ebenfalls auf einer Materialkonkretisierung und der Rückführung auf den Buchstaben aufbaute: „Die Zentralidee des Lettrisme geht davon aus, dass es im Geiste nichts gibt, was nicht Buchstabe ist oder Buchstabe werden kann.“ Dies schrieb Isidore Isou 19471324, der 1925 als Jean-Isidore Goldstein in Botosani/Rumänien geboren wurde, im August 1945 nach Paris kam und dort den Lettrismus begründete1325. Bereits zwischen 1942 und 1944 verfasste Isou die Hauptteile seines grundlegenden Werkes „Introduction à une nouvelle poésie et à une nouvelle musique“1326, u. a. auch „Le manifeste de la poésie lettriste“, das schon 1942 entstand.1327 Aus dieser Zeit stammen Ar-
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Marinetti in der Einleitung zu „testi-poemi murali“ (Solt, a.a.O., S. 38). Nach der Definition von Richard Grasshoff, Der Befreite Buchstabe. Über Lettrismus. Berlin 2001 (FU-Berlin Digitale Dissertation: http://www.diss.fu-berlin.de/2001/9, S. 58) sind „Dekomposition, Ludismus, Mystik die dem Lettrismus wesenhaft vertrauten Gebiete, die nicht allein literarische sind; die ihm nahestehenden Denkfiguren, denen literarische Stilfiguren korrespondieren, sind Kombinatorik, Atomistik, Analytik und Enzyklopädik. Sie können als alternative Figuren des Literarischen gelten, die ein Schreiben jenseits wortsemantischer Ordnungen zulassen, ohne dass das Schreiben aufgegeben werden müsste.“ Mehr über Lettrismus in: Sentieri interrotti. Crisi della rappresentazione e iconoclastia nelle arti dagli anni Cinquanta alla fine del secolo. Milano 2000 (englisch/italienisch). Isidore Isou, Bilan Lettriste. In: Fantaine. Paris, Oktober 1947. Als Gründungsdatum gilt die „Premièr Manifestation Lettriste“ am 8. 1. 1946 im la salle des Sociétés Savantes de Paris (Abb. der Ankündigung in: Sabatier, Le lettrisme, a.a.O., S. 98. Mitbegründer war Gabriel (Pomerans) Pomerand. Erschienen: Paris 1947. Der Text von „Manifesto of Lettrist Poetry“ (1942) steht im Internet unter: http://www.391.org/manifestos/1942isidoreisou_letterist.htm. „Préoccupé de me forger un système neuf dans la littérature, ce fut, le 19 mars 1942, un bout de phrase, d’un livre du philosophe allemand, Hermann von Keyserling, qui m’inspira l’idée de la versification alphabétique. On avait traduit, en
Textfläche – Wort – Buchstabe – Zeichen
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beiten, die unter dem Titel „Dessin lettriste“1328 – aus handschriftlich untereinander geschriebenen Wortreihen – Textsäulen1329 ergeben, die, einerseits Konkrete Poesie vorausahnend, andererseits aber schon erkennen ließen, dass neben dem grafischen Element der Neubestimmung des Buchstabens und ihrer (auch bedeutungsmäßigen) Eigengesetzlichkeit (Systematisierung von Buchstabengruppen mit der Zuweisung bestimmter Attribute), bis hin zu erfundenen Hieroglyphen ähnlichen Zeichen, die zu „lettres“ erklärt wurden, zunehmend die phonetischen und später auch die filmischen Realisationsmöglichkeiten eine große Rolle spielten. Vor allem aber die Symbiose von Text und Bild, die dann wichtige Vorformen der Visuellen Poesie hervorbrachte und rasch dominierte, wurde für die Arbeitsweise der Lettristen schon in der 2. Hälfte der 1940er Jahre und dann mit dem Auftauchen des 1926 in Paris geborenen Maurice Lemaître (d. i. Moïse Bismuth)1330 und seinen ersten Arbeiten um 1950 bestimmend. Sie ließ neue Spielarten des Lettrismus entstehen, gekennzeichnet auch als „métagraphie“, oder später „hypergraphie“.1331 Letztlich verstand sich der Lettrismus als eine allumfassende1332, in gewisser Weise anarchische Bewegung, die ästhetische,
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français, la pensée de l’auteur, en écrivant que la poésie est faite de vocables. En roumain, vocala signifie voyelle. J’ai donc pensé aux lettres de l’alphabet. Une poésie de voyelles (et de consonnes)! Mon esprit – déjà en possession de nouvelles idées, personnelles, sur la création – reçut une impulsion qui le mit en branle et, au cours de l’année 1942, je rédigeai mon Manifeste de la poésie lettriste, texte qui inaugurait une autre structure, détachée des éléments et des formes connus de la versification.“ (1987 in: Isidore Isou u. a., La peinture lettriste, a.a.O., S. 100). Sabatier, a.a.O., S. 98 (1944) u. Isidore Isou/Alain Satié/Gérard Bermond, La peinture lettriste. Paris 2000, S. 100 (1944) und Abb. 133 S. 65 (1947). In gewisser Weise ähnlich den späteren Textsäulen des Amerikaners Robert Lax (1915–2000) (Lax, notes/notizen. Zürich 1995 u. Red-yellow-blue [1990]. In: Leinwände/Tele/Works on Cloth. Edizioni Francesco Conz. Bozen 2006, Abb. Nr. 8), vgl. auch die umfangreiche Dokumentation: Robert Lax. Museum Tinguely, Basel 2005. Ausführlich über Lemaître siehe: Seaman, S. 210 ff. Seaman, a.a.O., S. 207. Abb. 134 in: Isidore Isou u. a., La peinture lettriste, a.a.O., S. 75. Geprägt von Buchstabenmystik und kabbalistischer Kombinatorik. „Ni langage, ni poésie, ni musique, le lettrisme se propose de faire une synthèse en héritant de leurs formes, conventions et contraintes en vue de les dépasser.“ Diese Bemerkung findet sich auf der wichtigsten Website der Lettristen (http://www. cafe.umontreal.ca/genres/n-lettri.html).
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Konkrete Poesie
Abb. 133: Isidore Isou, Swing, 1947
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Abb. 134: Roland Sabatier, Hypergraphie pleine page, 1965
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Abb. 135: Évolution de l’ecriture utilitaire
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ethische und vor allem auch politische Anschauungen umfasste1333, aber keineswegs außerhalb eines festumrissenen historischen Bezugssystems, was, nach Perioden über die Jahrhunderte geordnet, von Sabatier belegt wurde1334. Ergänzend dazu geht aus einem Diagramm der „Introduction“ von Isou hervor1335, welche literarischen Traditionslinien – ausgehend von Baudelaire und speziell für seine Arbeit – bestimmend waren: nämlich einmal jene der „instinctivistes“ (links), die der „rationalistes“ (rechts) und die zentrale Linie: „concerns the liberation of the strophe within the poem (Verlaine), of the line within the strophe (Kahn and le vers libre)1336, and the word within the line (Apollinaire’s Calligrammes), which Isou calls !le motlibrisme".“1337 Ch. Baudelaire I. D. Lautréamont
A. Rimbaud
A. Jarry T. Tzara
P. Verlaine
S. Mallarmé
G. Kahn
A. Breton
G. Apollinaire
P. Valéry
I. Isou
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Die Lettristen wandten sich insbesondere an die linke Studentenbewegung und traten 1967 als Partei bei den Wahlen in Frankreich an (Maurice Lemaître, Qu’est-ce que le lettrisme? Paris 1954, S. 116 ff.). Abb. in: Sabatier, Le lettrisme, a.a.O., Abb. 135 S. 28. Zuerst erschienen in: Isidore Isou, Introduction à une esthétique imaginaire ou Mémoire sur la particule infinitésimale. In: Front de la Jeunesse, Nr. 7, Paris 1956. Abb. in: Isou, Introduction à une nouvelle poésie, a.a.O., S. 21 u. Seaman, a.a.O., S. 202. Im Oktoberheft 1905 erschien in der von Marinetti herausgegebenen Zeitschrift „Poesia“ eine Rundfrage an die bedeutendsten Schriftsteller und Kritiker Italiens und Frankreichs mit der Bitte um Stellungsnahme zum verso libero/vers libre, vgl. dazu die Antworten in: Christa Baumgarth, Geschichte des Futurismus. Reinbek 1966, S. 16 ff., S. 35 u. 139 ff. Seaman, a.a.O., S. 203.
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Konkrete Poesie
V/5 Komplexe Entwürfe Satzspiegel Ein wichtiger Bezugspunkt innerhalb der Linie der „rationalistes“ war nun Stéphane Mallarmé, der mit seinem „Un Coup de Dés Jamais N’abolira le Hasard“ (1897)1338 ein Schlüsselwerk auf dem Weg zur Konkreten Poesie1339 schuf. Indem Mallarmé nicht nur bestimmten Wortgruppen durch neun unterschiedliche Schrifteinheiten1340 im Hinblick auf ihre sich durchkreuzende Struktur und Motivik, sondern auch der über eine Doppelseite gehenden Behandlung der Fläche, dem Zeilenfall1341, der räum-
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1895 entworfen und zuerst erschienen in: Cosmopolis Vol. 6, London (Mai) 1897, S. 415 ff., allerdings nicht in der von Mallarmé vorgesehenen Gestaltung (auf 11 Doppelseiten – die Zeitschrift gewährte ihm nur 10 einfache Seiten). Sie erschien erst mit den präzisen Vorgaben Mallarmés nach dessen Tod 1914 bei Gallimard in Paris. Mallarmé nahe sind z. B. die Arbeiten von Henri-Martin Barzun, Fragment de „L’Universel Poème“. In: Transition 27, New York April/Mai 1938, S. 17 ff. oder Jen-François Bory, Bientôt le livre. Paris 1967. Guy Schraenen, Hommage an Stéphane Mallarmés Würfelwurf. Bremen 1998 (Neues Museum Weserburg: eine Ausstellung 100. Todestag von Mallarmé mit Arbeiten der Konkreten und Visuellen Poesie). Massin, a.a.O., (1970) S. 226 verweist auf einen Vorläufer: Nicolas Edmé Restif de la Bretonne (1734–1806), Monsieur Nicolas ou Le cœur humain dévoilé. 16 Bde Paris 1794–1797. Er benutzte unterschiedliche Schrifttypen und -größen je nach Stimmungslagen und Bedeutungen in dieser Autobiographie, oft sogar auch mitten im Wort zur besonderen Betonung. Abb. bei Massin, a.a.O., (1970) S. 224. Ein Kennzeichen moderner Lyrik ist die Abkehr vom traditionellen, durch das Metrum bedingten regelmäßigen zum unregelmäßigen Zeilenfall, die zugleich mit einer Auflösung der traditionellen Verszeile einherging, die wiederum Voraussetzung für die Entwicklung von der Textlinie zur Textfläche und damit einer „offenen Schreibweise“ wurde (Walter Hinck, Versuche einer offenen Schreibweise. Zu den !Feldern" und !Rändern" von Jürgen Becker. In: Akzente 17. Jg., H. 3, München 1970, S. 210 ff.). Schenk, Medienpoesie, a.a.O., S. 344 macht in dem Zusammenhang auf einen interessanten (Medien)Aspekt aufmerksam: es entstünde nicht nur eine Bild-Fläche, sondern auch eine Bildschirm-Fläche (screen), auf der die einzelnen Textpartikel vernetzbar und zugleich (am Beispiel von Rolf Dieter Brinkmanns !Westwärts 1&2" 1975) „Botschaftsformen der telekommunikativen (elektronischen) Epoche“ (Götz Großklaus, Medien-Zeit/ Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne. Frankfurt 1995, S. 95) wären. Schenk geht noch einen Schritt weiter und erkennt in Jürgen Beckers Gedichtschluß von „Takes“, der aus vier Zeilen nur
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lichen Beziehung zwischen Wörtern und Text-Zeilen1342 und der dadurch entstehenden Rhythmik, Bedeutungsfunktionen zuwies, entwarf er in dieser Radikalität als erster eine formal und inhaltlich extrem „offene“ literarische Ausdrucksform.1343 Ihre wichtigsten Elemente nannte er selbst im Vorwort des „Werks, das keine Vorläufer kennt“ mit einer „Zukunft, die von hier ausgehen wird: die „Verräumlichung1344 des Lesens“, das Weiß der Seite1345 „als umgebendes Schweigen“, die „Bewegung mal beschleunigt, mal verlangsamt, sie skandierend, ja ihr nachgerade Weisung erteilend im Hinblick auf die simultane Gesamtsicht der Seite: diese als Einheit genommen wie sonst der Vers oder die abgeschlossene Zeile“, denn es handle sich nicht „wie üblich um regelmäßige
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mit Punkten besteht, die Punktauflösung des TV-screens (hier nicht zweifelsfrei, da Becker auch an anderer Stelle, die nichts mit Film/Fernsehen zu tun hat, gepunkte Zeilen an den Schluß setzt, wie in „Fragment aus Rom; 1966“ in: Becker, Schnee. Gedichte. Berlin 1971, S. 20), die dagegen bei Timm Ulrichs in seinem „selbstbildnis des fernsehbildes“ (PATIO-Magazin „Fernsehen“. Hg. Karl Riha. Siegen 1995, S. 17 = MuK, H. 94) eine direkte Umsetzung erfährt. Auf eine Vorform wird hingewiesen in: Jacques Legrand, Spiele zu verkaufen. In: muster möglicher welten, a.a.O., S. 103; „Den Wert des weißen Raumes hatte schon 1854 ein von Queneau entdeckter Schriftsteller, Defontenay, erkannt“, gemeint ist: C. I. Defontenay (1814–1856), Star ou Psi de Cassiopèe: Histoire Merveilleuse de l’un des Mondes de l’Espace. Paris 1854. Henrike Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 62 ff.: „Das Weiß der leeren Seite – Vom Zeichen und seiner Absenz“; „Kaum ein anderer Dichter hat die Faszination für die Leere jedoch in seinem Werk so konsequent umgesetzt wie der Ego-Futurist Vasilisk Gnedov in seinem !Poem vom Ende"/Poèma conca, 1913. Die Zeichenlosigkeit des weißen Blatt Papiers, nichts anderes ist nämlich dieses !Gedicht", bezeichnet nichts mehr. Zeichen und Bezeichnetes verschmelzen in ihrer Absenz.“ (a.a.O., S. 63). Auf weitere Beispiele bei Cocteau, Reverdy und Huidobro weist Teige (Manifest des Poetismus, a.a.O., S. 84), siehe auch Heinz Gappmayr vgl. Anm. 1414. Von Adler/Ernst (Text als Figur, a.a.O., S. 233) als das erste abstrakte visuelle Gedicht bezeichnet. „In den letzten Jahren erlangte das Schlagwort !Verräumlichung" in Literatur und Musik eine besondere Bedeutung. Die graphische Gestaltung der Notenanordnung einer Partitur oder die Typografie bzw. das Verhältnis von Schwarz (Lettern) zu Weiß (freie Papierfläche) rücken plötzlich in den Blickwinkel der Avantgarde.“ (Petri, Literatur und Musik, a.a.O., S. 68 u. 71). „wo die Sprache sich durch Fixiertsein allein rechtfertigen kann, durch den Gegensatz des geschrieben Schwarz und des unerschlossenen Weiß des Papiers“ (Carl Einstein, Zu Paul Claudel. In: Einstein, Gesammelte Werke. Hg. Ernst Nef. Wiesbaden 1962, S. 64).
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Konkrete Poesie
Klangzeilen oder Verse“, sondern „eher um prismatische Brechungen der Idee“,1346 die „Erzählung wird vermieden“.1347 Diese Offenheit, verstärkt durch keinerlei Interpunktion, was unterschiedliche Möglichkeiten der Zuordnung und Kombination des Textmaterials in jede Richtung zulässt, hatte seit der Veröffentlichung des Gedichts immer wieder Spekulationen befördert, ob möglicherweise hinter der vordergründig erkennbaren Optik der Textgestaltung weitergehende ideogrammatische Elemente verborgen, bis zum Figürlichen reichende Images zu entdecken wären, der „Coup de Dés“ im weitesten Sinne in der Tradition des Figurengedichts stünde. Mallarmé hat dazu selbst den Anstoß mit seiner Bemerkung im Vorwort (von den schwindenden und wiederkehrenden Bildern) und dem Wunsch nach Illustration1348 1346
In einer Publikation von Nicolaus Petersen (Danckschüldige Ehrengedächtniß dem Johannes Birckenbusch. Glückstadt 1679) gibt es eine ungewöhnliche frühe Entsprechung: Hie Schawt
Der Welt
ihr Ei=
telkeit!
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Barbara Catoir, Poesie – Malerei, Schrift – Bild. In: das kunstwerk 2/XXXI. Stuttgart 1978 (April), S. 3, verweist auf eine gewissen Parallelität zwischen dem „Coup de Dés“ und dem I-Ching/I-Ging, Dieses chinesische Weisheits- und Orakelbuch (Das Buch der Wandlungen. Hg. Rudolf Titsema/Hansjakob Schneider. Frankfurt 2000) geht in seinen ältesten Partien bis auf den Zeitraum zwischen 1000 und 750 v. Chr. zurück: „In beiden Werken erscheint der Text als grafisches Muster, als Zahlensystem, das diesem entweder zugrunde liegt oder das dieser selbst erstellt. Er ist Bild, schwarze Wortfiguration als Ordnungsprinzip für die ihn umgebenden leeren Stellen, eine lose Folge von Worten, Satzfragmenten“ Vor allem aber sei es die Mehrdeutigkeit, die Sinnverborgenheit, – so Catoir – die in einem komplizierten grafischen System immer neue Kombinations- und Auslegungsarten ermöglichen. Alle Zitate in der Übersetzung von Berger, a.a.O., S. 51, frz. in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. I. Eine Buchausgabe mit Illustrationen von Odilon Redon war geplant, doch Mallarmés Tod verhinderte die Realisation. Überliefert sind 4 Lithographien von Redon, die allerdings in ihrer mystizistisch-symbolistischem Stilistik „might well have led to more confusion about it“ (Seaman, a.a.O., S. 150), Abb. bei
Komplexe Entwürfe
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des Textes, vor allem aber mit den Äußerungen im Brief an André Gide vom 14. 5. 1897 gegeben: „Die Konstellation wird, nach genauen Gesetzen und soweit es einem gedruckten Text erlaubt ist, ihm notwendigerweise die Gangart eines Sternbildes aufprägen. Das Schiff gibt die Schräge hinzu, von der Höhe einer Seite bis auf den Grund der nächsten usw.“1349 Eine Reihe von Darstellungen, allen voran Roulet1350 und Cohn1351, begannen deshalb nach bildhaften Motiven zu suchen und entdeckten z. T. für eine Doppelseite sogar mehrere. So wurde für die Doppelseite 3 ein Abgrund (l’Abîme), der Rumpf (Bug) eines Schiffes (coque), der Körper eines Vogels mit nur einem Flügel (d’aile), der Kopf oder Rachen eines Seeungeheuers und eine Welle erkannt. Hervorgerufen durch einzelne Hinweise im Text, ließen sich auch bestimmte Bewegungsmuster der Wellen, der Flügel, des Schiffes oder das Flattern eines Segels ebenso vorstellen, wie auf der Doppelseite 5 der Abgrund, 7 die einsame Feder,
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R. G. Cohn, Mallarmé’s Masterwork: New Findings. The Hague 1966, S. 83 ff. In der Folgezeit sind immer wieder Versuche unternommen worden, „Un Coup de Dés“ grafisch umzusetzen. Die drei interessantesten Beispiele sind: Ernest Fraenkel, Les Dessins trans-conscients de Stéphane Mallarmé, A propos de la Typografie de Un Coup de Dés, Avant-Propos par Étienne Souriau, avec 68 planches en hors-texte. Paris 1960 (dt. Fraenkel, Die unsichtbaren Zeichnungen Stéphane Mallarmés. Hg. Schuldt. Lana/Wien 1998; Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 238 f.); Broodthaers’ Umsetzung auf 12 Aluminiumtafeln, die der von Mallarmé vorgegebenen Typografie entsprechend für die einzelnen Wörter und Zeilen Rechtecke verwenden und Teil einer Installation („Exposition littéraire autour de Mallarmé“) waren, die 1969 zuerst in Antwerpen und 1997 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach gezeigt wurde, als Publikation erschienen: Broodthaers, Un coup de dés jamais n’abolira le hasard. Galerie Michael Werner, Köln 1969 (Abb. in: Broodthaers, Bücher-Kataloge-Ephemera, a.a.O., S. 12 f., u. Schorneck, a.a.O., S. 279). Aus dem gleichen Jahr 1969 stammt auch ein Textbild von Broodthaers „Un Coup de Dés“ (Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 4). Vgl. auch die Gestaltung von Klaus Detjen in der von Berger übersetzten Ausgabe (vgl. Anm. 88). Abb. 136 (Doppelseite 9) in: Guy Schraenen, Hommage an Stéphane Mallarmés Würfelwurf. Bremen 1998, S. o. P. Text als Figur, a.a.O., S. 236, u. Seaman, a.a.O., S. 127 u. Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 8 u. 10 mit Quellenangabe. Claude Roulet, Elucidation du poème de Stéphane Mallarmé: Un Coup de Dés jamais n’abolira le Hasard. Neuchâtel 1947. Robert G. Cohn, L’Œuvre de Mallarmé: Un Coup de Dés. Paris 1951. Vgl. auch Massin, a.a.O., (1970) S. 219, Text als Figur, a.a.O., S. 236, Seaman, a.a.O., S. 136 ff., Schorneck, a.a.O., S. 74 f. u. das Nachwort in der Ausgabe von Berger, a.a.O., S. 77 f. Seaman, a.a.O., S. 139 ff. bietet eine Synopse der Interpretationen von Cohn und Roulet, geordnet nach Doppelseiten.
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Konkrete Poesie
Abb. 136: Stéphane Mallarmé, Doppelseite aus: Un coup de dés jamais n’abolira le hasard, 1897
9 ein Pentagramm oder Herz1352 und 10 die Konstellation des Polarsterns mit dem Sternbild des Kleinen Bären. Doch ist dies alles nicht zweifelsfrei zu erkennen und zu belegen, und es würde auch der offenen Struktur des Gedichts zuwiderlaufen, wenn Eindeutigkeit erstrebt worden wäre oder gefunden werden könnte: im „verborgenen Leitfaden“, wo „das fiktive Bild strömt ein und zerrinnt“, wie Mallarmé in der Einlei1352
In Text als Figur, a.a.O., S. 236 wird fälschlich 10 genannt.
Komplexe Entwürfe
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tung schrieb. Karel Teige äußerte sich dazu 1928: „Mallarmé will, dass die Gedichte für den Leser Rätsel sind, die übrigens einige Lösungen ermöglichen. Er will, dass der Leser das Gedicht zu Ende dichtet. Rätsel, Evokation, Suggestion (…) erfordern die Zusammenarbeit des Lesers in einem Maß, dass das eigentliche Gedicht erst aus der Berührung des Dichters mit dem Leser geboren wird“.1353 1353
Karel Teige, Manifest des Poetismus, a.a.O., S. 80.
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Das trifft auch für die inhaltliche Struktur zu, aus der einerseits eine „orphische Erklärung der Welt“1354 mit der Metapher des Scheiterns, aber auch der Hoffnung (peut-être) für das „Entstehen und das Vergehen der Welten und der Werke“1355 ablesbar ist (das Gedicht vom Ende her betrachtet), oder andererseits und weniger abstrakt (von vorne beginnend) die Figur des Kapitäns eines in den Sturm geratenen Schiffes („zweifellos Mallarmés Alter ego, ja Symbolfigur für die dichterische Existenz selbst“1356) zu erkennen ist, dessen Schicksal von der Magie eines den Zufall möglicherweise tilgenden Würfelwurfs bestimmt werden könnte. Sowohl der Form als auch dem Inhalt nach könnte man von einer Art Partitur sprechen.1357 Nicht nur – wie Mallarmé auch im Vorwort schreibt –, weil sich „aus dem Druckbild an sich für den, der laut lesen will, eine Partitur ergibt“, in der die verschiedenen Akzente und Tempi typografische Ausdruckswerte erhalten, sondern auch, weil Textmaterialien und Spielräume angeboten werden für die Möglichkeit eines sich immer wieder neu organisierenden Nachdenkens über diese paradigmatische Spiegelung auch der eigenen Existenz, gepaart mit der Reflektion über das Vermögen der Sprache und ihres Materials, dieses darzustellen. Mallarmé1358 versuchte trotz eines Bruchs mit traditionellen literarischen Formen und der Veränderung syntaktischer und semantischer Strukturen und Bedeutungsmuster noch einen größeren narrativ-sequentiellen Bogen zu schlagen, auch wenn ein klassisches Erzählkontinuum und eine harmonische Geschlossenheit der Form aufgegeben wurde1359, was auch neben den nachfolgenden, zunehmend experimen1354
1355 1356 1357 1358 1359
Cohn, a.a.O., S. 31, Massin, a.a.O., (1970) S. 219, Text als Figur, a.a.O., S. 233, Seaman, a.a.O., S. 139. Der „Orphismus“ geht auf Apollinaire zurück, vgl. dazu Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 99. Schorneck, a.a.O., S. 72. Berger, a.a.O., S. 79. Vgl. auch Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 207 ff. Insbesondere auch mit seinem großen Projekt „Le livre“. Interessant ist, wie die Form des „Coup de Dés“ noch bei Michel Butor nachwirkte, z. B. in „Mobile“ (1962/dt. M. B., Orte. Frankfurt 1966). Ein Vergleich der deutschen Übersetzung mit der französischen Erstausgabe belegt, welche Bedeutung die Typografie und die Konstruktion von Wörtern, Textzeilen, Leerzeilen, der Zeilenbruch und die freien Flächen haben, die sich im großräumigeren Layout der Erstausgabe wesentlich stärker entfaltet. Butor zu „Mobile“ 2002: „Mobile stellt für mich einen beträchtlichen Einschnitt innerhalb meines Werks dar. Davor war ich ein Schriftsteller, der ein bisschen zum Nouveau Roman gehörte. Das ging noch, man verstand noch, was ich schrieb. Nach !Mobile" hatten die Leute den Eindruck, ich wäre zu einem außerirdischen Orbit aufgebrochen (…)
Komplexe Entwürfe
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tellen Kleinformen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, immer wieder versucht wurde, z. B. von Blümner („Ango laïna“), Nebel („Unfeig“) oder Schwitters („Ursonate“).
Typografie In diesen größeren Textzusammenhängen begannen aber dann vor allem Visualisierungselemente an Bedeutung zu gewinnen, die zwar zunächst noch mit den Mitteln des Setzkastens im Spiel innerhalb des Satzspiegels entstanden, aber schon Gestaltungsräume öffneten, in denen sich später unter Hinzunahme weitere Elemente die Visuelle Poesie entwickeln konnte. Was bei Carroll gelegentlich, oder bei de la Bretonne und Sterne schon kontinuierlicher zu erkennen war, nämlich das Aufbrechen des normalen Satzspiegels1360, die Hereinnahme von nichtalphabetischen Zeichen und grafischen Elementen und schließlich der Einsatz einer variantenreichen Typografie1361, werden stärker strukturbestimmend. Vor allem die Entwicklung der Typografie1362 zu einem eigenständigen Aus-
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Ich bin ein unverständlicher Autor geworden.“ (http://www.uni-stuttgart.de/lettres/projekte/swr/butorinterview.htm). Die Visualisierungstendenzen setzten sich bei Butor in Description de San Marco (1963), Ou (1971) und Boomerang (1978) fort. Vgl. auch: Franz Mon, Michel Butors Mobile – eine Textcollage? In: Mon, Gesammelte Texte 1, a.a.O., S. 227 ff. Ein sehr interessantes Beispiel ist der zunächst auf herkömmliche Art daherkommende Roman von A. von Sternberg (d. i. Peter Alexander Freiherr von UngernSternberg) „Tutu. Phantastische Episoden und poetische Excursionen. Mit Illustrationen von Sylvan. Leipzig 1846, mit über 100 Textholzschnitten (davon 12 ganzseitigen) von Sylvan (d. i. der Autor), der aber mit dem 11. Kapitel zu einer Bildergeschichte mutiert im Stile Rodolphe Töpffers. Auch dafür gibt Legrand, a.a.O., S. 103 ein frühes Beispiel: „Queneau auch verdanken wir die Entdeckung eines Typografen namens Nicolas Cerier (wohl: Cirier 1792–1869), der in seinem Pamphlet !L’Apprentif [administrateur: pamphlet pittoresque (!), littérario-typographico-bureaucratique … Paris, chez l’auteur, 1840]" alle grafischen Künste, als da sind Chirografie, Tachygrafie, Lithografie, Autografie, Chalcografie, Cassiterografie, Phellografie, Xylografie und Polytypografie gebrauchte.“ Albert Kapr/Walter Schiller, Gestalt und Funktion der Typografie. Leipzig 1977, u. Typografie – wann wer wie. Hg. Friedrich Friedl/Nicolaus Ott/Bernhard Stein. Köln 1998; Rudolf Paulus Gorbach, Typografie. In: Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden. Hg. Klaus Sachs-Hombach. Frankfurt 2005, S. 296 ff. Die Rolle der Typografie in der Konkreten Poesie, siehe: Solt, Concrete Poetry, a.a.O., S. 61 ff.
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drucksmittel führte spätestens seit dem Futurismus1363 und der russischen Avantgarde1364 auch zu neuen Gestaltungsformen. Als Beispiele einer sogenannten „Poesie aus dem Setzkasten“ sind Lissitzky, Iliazd (d. i. Ilia Zdanevich)1365, Werkman1366, Paul van Ostaijen1367 und Schwitters zu nennen. Diese Eigenständigkeit der Typografie im Hinblick auf eine bedeutungstragende Funktion wird besonders deutlich in drei Publikationen der 1940er Jahre. Stefan Themerson (1910–1988)1368 spielte in „Bayamus and the Theatre of Semantic Poetry“ (1945) zwar noch sehr verhalten mit dem Satzspiegel1369, aber definierte in diesem Roman eine Form der Literatur, die er als Semantic Poetry1370 bezeichnete und die schon deutlich auf Elemente der Konkreten Poesie hinwies: „Nun kann man dieses Gedicht entweder horizontal lesen, und erhält so die Melodie. Oder man nimmt
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Mirella Bentivoglio, Innovative Artist’s Books of Italian Futurism. In: International Futurism in Arts and Literature. Hg. Günter Berghaus. Berlin 2000, S. 473 ff. Russian Book Art 1904–2005. Hg. Albert Lemmens/Serge-Aljosja Stommels. Brüssel 2005. Iliazd, Ledentu le Phare, poème dramatique en zaoum. Paris 1923, komplett im Internet unter: http://sdrc.lib.uiowa.edu/dada/Ledantu/index.htm. Die Arbeiten (Abb. 211) des Niederländers Hendrik-Nicolaas Werkman erschienen vor allem in der seit 1923 von ihm herausgegebenen und von ihm selbst auf einer Handpresse mit Material aus dem Setzkasten gedruckten Zeitschrift „The Next Call“. Lit.: Le Mouvement de L’Espace. Typographique années 1920 1930. Hg. Andre Belleguie. Paris 1984; Werkman (1882–1945), Travailleur&Cie. Hg. Hubert van den Berg/Walter Fähnders. Siegen 1995 (= Vergessene Autoren der Moderne LXII). Vor allem seine Arbeit „Bezette Stadt“ (Anvers 1921). Das gesamte Buch steht im Internet unter: http://sdrc.lib.uiowa.edu/dada/Bezette%20Stad/index.htm. Ein sehr guter Reprint in französischer Sprache: Ostaijen, Ville Occupée. Anvers 1993. Vor „Bezette Stad“ verfasste v. Ostaijen handschriftlich „De Feesten van Angst en Pijn, Gedichten“ (1918–1921), in gewisser Weise ein Vorstufe zu „Bezette Stadt“ (Faksimile in: Ostaijen, Verzameld Werk/Poëzie. Den Haag 1963, S. 153 ff.). Dt. Ausg.: P. v. O., Besetzte Stadt. Hg. Hansjürgen Bulkowski. München 1991. Themerson gründet 1948 in London die Gaberbocchus Press (die Namensgebung erfolgte in Anlehnung an Carroll’s Jabberwocky) und veröffentlichte u. a. futuristische und dadaistische Poesie. Zusammen mit seiner Frau Franciszka gehörte er in den 1930er Jahren zur polnischen Avantgarde des Experimentalfilms und stellte Bild-Text-Collagen, Fotogramme und Animationsfilme her. Ein sehr schönes Beispiel, wie Themerson später (viel reicher) arbeitete, ist „Kurt Schwitters on a time-chart“, in: Typographica 16. London 1967, S. 29 ff. St. Th., On Semantic Poetry. London 1975.
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sich jedes Wort einzeln vor und instrumentiert von oben nach unten das ganze Gedankenorchester. Jedes Wort erhält dann durch seine genaue Definition Fleisch. Anstatt zuzulassen, dass nur die im Gedächtnis gespeicherten Klischees abgerufen werden, kommt man damit der wahren Realität näher, auf die jedes einzelne Wort verweist. Und dies nenne ich Semantische Poesie.“1371 Henri Pichette (1924–2000) schrieb ein Theaterstück „Les Épiphanies“1372, das Gerard Philippe nach einem Verbot der Aufführung im Theater Edonardo II in Paris im Théâtre des Noctambules am 3. Dezember 1947 zur Uraufführung brachte. Auf eigene Kosten mietete er das Theater an und spielte in dem Stück auch die Hauptrolle. Pichette entwarf nun zusammen mit dem Buchkünstler Pierre Faucheux (1924–1999)1373 Maquetten für ein Buch1374, das über ein reines Textbuch für Schauspieler hinaus eine Partitur geworden ist, in der auf mehreren Ebenen Stimmen und Stimmungen mit der ganzen Vielfalt des Setzkastens gestaltet wurden. Verschiedene Schrifttypen und Schriftgrößen, der Wechsel im Druck von schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund und umgekehrt, der von Seite zu Seite wechselnde Rhythmus, der dadurch erreicht wird, dass immer neue Spannungsverhältnisse zwischen Text und ihn umgebenden freien Seitenraum entstehen, die poetische Verdichtungen durch Buchstabenkonstellationen und Wortkomplexen und Reduktionen bis zur Isolation einzelner Wörter und Buchstaben auf einer Seite vermitteln schon ein Sprach- und Sprachmaterialbewußtsein, das – hier stärker noch zum Ausdruck kommt als bei Themerson – wenige Jahre später in der Programmatik der Konkreten Poesie zentrale Bedeutung erhält. Eine noch reichere Visualisierung bot Kenneth Patchen1375 mit seinem Roman „Sleepers Awake“ (1946)1376, in dem vielseitiger als bei Pichette, außersprachliche Zeichen verwendet wurden und einzelne Passa1371
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St. Th., BAYAMUS und das Theater der Semantischen Poesie. Leipzig 1992, S. 65. Adrienne Monnier, Lecture des !Épiphanies". In: Mercure de France v. 1. 12. 1948, S. 649ff Faucheux, le magicien du livre. Hg. Marie-Christine Marquat. Paris 1995. Pichette, Les Épiphanies. Paris 1948. Visuelle Poesie von Patchen in: The Argument of Innocence. A Selection from the Arts of Kenneth Patchen. Oakland/CA 1976 und in: Karl Young, Kenneth Patchen Survey in: http://www.thing.net/~grist/l&d/kpint.htm. Dt:. Kenneth Patchen, Schläfer erwacht. Berlin 1983, Abb. 137 S. 291. Teilweise interessant auch: Ernst-Jürgen Dreyer (1934), Die Spaltung. Siegburg 1979.
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Abb. 137: Kenneth Patchen, Schläfer erwacht, 1946/1983 (dt. Übers.)
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gen formal späteren Konstellationen der Konkreten Poesie vergleichbar waren. Allerdings überwog noch die textbegleitende illustrative Funktion, die die Konkrete Poesie gerade vermeiden wollte. Dennoch war Patchens Roman ein weiterer wichtiger Schritt, der vorführte, wie komplexe Textzusammenhänge vom Layout her aufgebrochen, eigene visuelle Bedeutungszonen eingerichtet und mit sprachspielerischen Ideen der Leser und Betrachter nicht nur in den Spannungsbogen der Geschichte hineingezogen, sondern auch für das verwendete Sprachmaterial sensibilisiert werden konnte. Einerseits hielten die Bücher, die nach dem Aufkommen der Konkreten Poesie entstanden, noch an einer vorgegebenen Geschichte und intakten syntaktischen Verhältnissen fest,1377 wie etwa Raymond Federmans (1928) „Double or Nothing“ (1971)1378, in dem zwar nahezu jede der über 280 Seiten eine eigene Physiognomie erhielt, aber, trotz der scheinbaren Brüche und montierten Enklaven, diese noch durch teilweise herkömmliche Erzählstrukturen netzartig verknüpft wurden, oder ganz ähnlich, aber noch experimenteller in der Sprachform, Paul Wührs (1927) „Gegenmünchen“ (1970), ein Planspiel in Rundgängen, der Aufbau einer Wörterstadt, ein philosophischer science–fiction–text, in dem „er“ und „sie“ in immer anderen Rollen den sprachlichen Manipulationen, die dieser Gegenentwurf einer Stadt hervorbringt, ausgeliefert sind. In seinen „Hamburger Poetik-Lektionen“, gehalten 1990 im Literaturhaus Hamburg, umriß Federman das Spektrum neuer Möglichkeiten:
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Besondere den Satzspiegel aufbrechende Formen drangen sogar in die Unterhaltungsliteratur. Alfred Bester (1913–1987) schrieb einen Science-Fiction-Roman „The Demolished Man“ (1951/ dt.: Demolition. München 1979), in dem er das Stimmengewirr auf einer Party durch im ZickZack laufende Satzlinien visualisierte („seht euch bloß einmal das Gedankenmuster !?" an, das wir gewoben haben“, a.a.O., S. 28) und diese dann in ein architektonisches Gebilde einmünden lässt („!Was wünschst du dir?" !Korbflechtmuster? Mathematische Kurven? Musik? Architektonische Gebilde?"“, a.a.O., S. 29). An anderer Stelle gibt es ein Figurengedicht, ein Auge in einem Bierkrug: „Im Wohnzimmer beschäftigte man sich unterdessen mit dem Rebus. Mary Noyes war dabei, einen Begriff zu erfragen, der in einem Bild versteckt war, das von dem Text eines uralten Gedichts gebildet wurde (…) Nanu, was war denn das bloß?! Ein Auge in einem Glas? Hm? Oh! Kein Glas! Ein Bierkrug. Ein Steinkrug. Auge in einem Stein. Einstein! Na, das war ja leicht.“, a.a.O., S. 31 f.). Jüngstes Beispiel mit einem Formenkatalog, der der Konkreten und Visuellen Poesie entlehnt ist, bis hin zu eingefügten ganz leeren Seiten: Steven Hall, Gedankenhaie. Thriller. München 2007, Abb. 138 S. 98. Dt.: Federman, Alles oder Nichts. Nördlingen 1986.
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Abb. 138: Steven Hall, Gedankenhaie. Thriller, 2007
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„Der bloße Akt des Lesens, auf der ersten Seite oben anzufangen und von links nach rechts fortzufahren, von oben nach unten, Seite für Seite bis zum Ende, in einer aufeinander folgenden vorgefertigten Weise ist restriktiv und langweilig geworden. Jeder intelligente Leser sollte sich in diesem vorbestimmten Lesesystem frustriert und eingeengt fühlen. Deshalb muß die ganze traditionelle, konventionelle, fixierte langweilige Art des Lesens in Frage gestellt, angegriffen und demoliert werden. Und der Schriftsteller selbst (nicht die moderne Drucktechnik) muß durch Innovationen im Schreiben selbst – in Typografie und Topologie des Textes – unser Lesesystem erneuern (…) Deshalb müssen Wort, Satz, Abschnitt, Kapitel, Seitenzahl, Zeichensetzung und ihre Position auf der Seite und im Buch neu überdacht und verändert werden, damit sich neue Wege (vielfältige und parallele Wege) eröffnen, ein Buch zu lesen (…) Schreiben heißt, einen Raum füllen (Seiten schwärzen); und in den Räumen, in denen es nichts zu schreiben gibt, kann der Schriftsteller jederzeit Material einfügen (Zitate, Bilder, Diagramme, Karten, Entwürfe, Stücke aus anderen Diskursen, Kritzeleien, usw.), die absolut nichts mit der Geschichte zu haben, die er gerade schreibt. Oder er kann einfach diese Räume weiß lassen, denn Literatur besteht zu einem ebenso großen Teil aus dem Gesagten wie aus dem Nichtgesagten, denn das Gesagte muß nicht notwendig wahr sein, da das Gesagte stets auch anders ausgedrückt werden kann.“1379 1379
Raymond Federman, Surfiction: Der Weg der Literatur. Hamburger Poetik-Lektionen. Frankfurt 1992. Zum Stichwort !Raum"und !Verräumlichung" vgl. auch den Roman von Ronald Sukenick, Out (Chicago 1973), indem Sukenick mit gegen Ende des Buches kumulierenden typografischen Leerräumen arbeitet, wie Peter Maybury, White Book (Selbstverlag, 5 Exemplare, 64 Seiten, 1997/Abb. in: http://www.softsleeper.com/whitebook06.html) u. in: Teal Triggs, Experimentelle Typografie. Avantgarde im modernen Schriftdesign. London/München 2003, S. 145: „Text und Schrift enthalten viele Ebenen aus Mustern und Rhythmen. Ich nahm Textseiten aus einem Taschenbuch und machte daraus alternative typografische Kompositionen, indem ich alle Elemente des ursprünglichen Texts (mit Ausnahme der Wortzwischenräume) entfernte und nur ein einziges Element stehen ließ, etwa einen Vokal oder ein Satzzeichen. Die sich daraus ergebenden Seiten scannte ich wieder ein und setzte sie als neues Buch zusammen“. In der Kleinform führten dies schon Franz Mon mit „ausdenaugenausdemregen“ (1960) und in der Großform mit „Maus im Mehl“ (Frankfurt 1976) sowie Gerhard Rühm in seiner „abhandlung über das weltall“ (1964/66 in: Die Wiener Gruppe [1967], S. 189 ff.) vor. Vgl. auch Emmett Williams, Alphabet Poem u. An Opera (beide 1963/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 187) u. Michael Wulff (1940–1997) in „Der Tragödie erster Teil“ (ca. Mitte 1970/ in: Wulff, Ein schönes Geschenk. Rastatt 1979, S. 118). Auch die umgekehrte Form, das zunehmende
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Die so entstandenen Bücher profitierten von einem inzwischen reichen Repertoire an Stilmitteln. Mit dem Ziel der Verkehrung, Irritation, Entleerung, Evokation, Verrätselung und Persiflage von Sprachinhalten standen Typogramme, Piktogramme, Ideogramme, Palindrome, Permutationen, Konstellationen und alle nur denkbaren visuellen Formen der Text- und Sprachbehandlung zur Verfügung. Vom Ein-BuchstabenText über geordnete und ungeordnete Textmengen, über ABC- und Zahlengedichte bis zu nicht-alphabetischen Zeichensprachen und als Partituren angelegten Textbildern reichte das große Formenspektrum. Einer der interessantesten Autoren dieser Macro-Form ist Maurice Roche (1925–1997) mit seinen Romanen „Compact“ (1966), „Circus“ (1972) und „CodeX“ (1974), dessen inhaltliches und formales poetologisches Instrumentarium Federman in seinen „Spieltexten“ mit den für Roche typischen Textbildstrukturen nachempfand.1380
Bildmaterial Andererseits entwickelte sich nun in Opposition zu dem abstrakten Zeichenrepertoire und den Konfigurationen von Buchstaben und Wörtern eine Form der Visualisierung, die deutlich über den Setzkasten hinausging1381 und Grafiken (oft in Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern), Fotos1382,
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Auffüllen von Leerräumen, das Entwickeln von Wörtern über verschiedene Bedeutungsebenen oder beides in einem war ein beliebtes Stilmittel der Konkreten Poeten, z. B. „is the text the text left out“ (1964) von Claus Bremer oder von Edwin Morgan (1920) „Seven Headlines“ (1966): – beide Beispiele in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o.P., sowie von Zdene˘k Barborka (1938–1994), PAMEˇTˇ in: Kulturneˇ-literární revue: PANDORA 14. U´sti nad Labem/CR 2007, S. 25 ff. Federman, Playtexts/Spieltexte. Berlin 1990, S. 110 ff.; Abb. 139 S. 68 in: Maurice Roche, Circus. roman(s). Paris 1972. Rudimentär sogar bei Peter Handke (1942) in „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970) zu beobachten, der Piktogramme, abstrakte Bildzeichen in den Fließtext rebusartig einbaute. Erwin Koppen, Über einige Beziehungen zwischen Photographie und Literatur. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 231 ff. Textsammlungen mit Montagen: Kurt Tucholsky/John Heartfield, Deutschland, Deutschland über alles. Berlin 1929. 1955 gibt Bertolt Brecht zusammen mit Ruth Berlau die „Kriegsfibel“ (Berlin 1983) heraus, eine Folge von Fotografien, die mit Vierzeilern versehen sind, von Brecht „fotoepigramme“ genannt. Dem Modell folgte: Uwe Herms, Brokdorfer Kriegsfibel. Hamburg 1977. In diesem Zusammenhang sei erwähnt: Ernst Friedrich, Krieg dem Kriege! Berlin 1924, eine die Schrecken des 1. Weltkriegs dokumentierende Anti-Kriegs-Photo-Text-Montage des Anarchisten und
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Abb. 139: Maurice Roche, Circus. roman(s), Paris 1972
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Zeitungsausschnitte1383 und andere Fundsachen einbezog1384, also neben 1383
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Pazifisten Ernst Friedrich (1894–1967), Freund von Erich Mühsam und Gründer des Anti-Kriegs-Museums in Berlin 1925, das 1982 wiedereröffnet wurde. Vgl. auch Jochen Gerz, Life after humanism. Photo-Text 1988 – 1992. Bremen 1992, der bereits in seinen frühen Büchern (Annoncenteil, Neuwied 1971 u. Die Beschreibung des Papiers, Darmstadt 1973) eine Verbindung von Foto und Text versuchte, z.B. in den „Prozeßtexten“ oder in der „Entwicklung des Schreibens“ (Abb. in: Gerz, Res Publica. Das öffentliche Werk 1968–1999. Ostfildern 1999, S. 115), alles gesammelt in: Gerz, Die Zeit der Beschreibung. Lichtenberg/Spenge 1974–1983 (4 Bücher), vgl. Anm. 2326ff., und nicht zuletzt Ferdinand Kriwet, Apollo Amerika. Frankfurt 1969, ein Buch, das nach Wochentagen geordnet auf der einen Seite und umgedreht nach dem Alphabet auf der anderen Seite aus Fotound Textmaterialien der ersten Mondlandung besteht: „Thema meines sechsten Hörtextes Apollo Amerika ist die elektrische Veröffentlichung des Verlaufs dieses Projektes mit den Medien der Telekommunikation und nicht etwa dieses Projekt in seinen technischen und wissenschaftlichen Aspekten und Details selbst, wiewohl diese selbstverständlich in seine Reflexion eingehen werden. Mit anderen Worten: mein Thema ist die sensorische und intellektuelle Wahrnehmung all dessen, was ich im Radio, Fernsehen oder sonstwie vermittels sonstiger technischer oder menschlicher Information von oder über das Projekt Apollo 11 höre. Gemäß meiner hörtext-theoretischen Forderung, die Wahrnehmung selbst und nicht einzig das Wahrnehmbare zu komponieren, ist das Thema meines sechsten Hörtextes das Hören und Verstehen selbst.“ (Kriwet, Über Apollo Amerika. Arbeitsbericht. In: Hörspiele des Westdeutschen Rundfunk, 2. Halbjahr 1969. Hg. WDR. Köln 1969, S. 73); vgl. auch Anm. 2358f. Vgl. auch den Katalog: ars photographica. Fotografie und Künstlerbücher. Hg. Anne Thurmann-Jarjes. Bremen 2002. Dencker, grünes erlangen. Saarbrücken 1979. Das ganze Buch besteht aus einer Collage von Zeitungsausschnitten, in dem das Wort „grün“ erscheint, verbunden mit einem „Grün-Lexikon“. Ein Beispiel für den Sprachverschleiß eines Wortes, das in den unsinnigsten Sinnzusammenhängen auftaucht. Günter Wallraff, BILDerbuch. Göttingen 1985 besteht nur aus faksimilierten BILD-Zeitungs-Schlagzeilen, die sich als demagogische Meinungsmache entlarven. – Die Nobelpreisträgerin Herta Müller verfasste ein ganzes Buch mit ausgeschnittenen farbigen Textfragmenten: „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“ (München 2005). Bereits in Louis Aragon, Le Paysan de Paris/Pariser Landleben (1924/25). München 1969 zu finden, wo sich allerdings eine Mischung von fiktiven und nichtfiktiven neu gesetzten (und nicht vom Original reproduzierte) Materialien (wie Annoncen, Firmenschilder, Preislisten u. ä.) findet, gleichsam als Vorstufe zur später üblichen Integration von Reproduktionen der Originalvorlagen als Bestandteile des Textes. Bei Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz (1929) erscheinen zwar im Manuskript die Zeitungsaussschnitte und Fotos als Collagen im Text (Abb. in: Alfred Döblin 1878–1978. Katalog Nr. 30 des Schiller-Nationalmuseums, Marbach 1978, S. 242 ff.), im Druck sind sie in den Erzählfluß integriert, – mit Ausnahme der Piktogramme zu Beginn des 2. Buches. In das Umfeld dieser Collagen-Romane gehören auch André Breton, Nadja (1928) und Max Ernst, La femme 100 tétes (1929).
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dem Sprachmaterial nun auch Bildmaterial zu verwenden begann1385, die die entstehende Visuelle Poesie entscheidend beförderte. Die „trinkermeditationen“ von Günter Bruno Fuchs1386 und in der Folge die 26 Lieferungen der Luchterhand Loseblatt Lyrik1387 sind Beispiele für die Versinnlichung von Texten durch eine optische Aufbereitung, durch den Wechsel der Blattfarbe, die Veränderung der Typografie von Blatt zu Blatt und durch integrierte grafische und fotografische Montagen. Dies geschah allerdings um Texte zu „designen“, zu illustrieren. Es handelte sich also noch um sogenannte geschlossene Textformen, in denen sich Text und Grafik für ein und dieselbe Aussage symbiotisch verbanden.1388 Anders dagegen verfuhr Rolf Dieter Brinkmann in seinem umfangreichen Gedicht „Vanille“1389. Die verwendeten Bildmaterialien waren eigenständige Bestandteile eines visualisierten Sprachflusses, und diese Art der Visualisierung folgte nun dem Prinzip der „offenen Form“. Brinkmann bemerkte dazu: „Meine Einstellung zu dieser Arbeit war, sie so offen wie möglich zu halten, darüber hinaus gab es keine weitere Vorstellung, was das Gesamte des Gedichts betrifft, d. h. das !Thema" war je-
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Siehe auch die Gestaltung der Originalpublikationen von Marshall McLuhan: The Medium is the Massage. New York 1967, Verbi-Voco-Visual Explorations. New York 1967 und Counter blast. New York 1969. Günter Bruno Fuchs, trinkermeditationen. collagen ali schindehütte/arno waldschmidt. Neuwied 1962. Lieferung 1–26, September 1966 bis November 1970, Neuwied/Berlin. Durch ihre außergewöhnliche Blattgröße (18 × 50 cm) bekamen die einzelnen Blätter eine plakative Wirkung. Die Lyrik sollte aus dem Buch den Weg an die Wand finden. Sie sollten nicht nur gelesen, sondern nun auch aufmerksamer gesehen werden. Ganz ähnlich Arbeiten wie die „Rixdorfer Bilderbögen“ oder „Landschaften mit Gästen“ (Hg. Uwe Bremer u. a. Marburg 1992) in der 1963 von G. B. Fuchs mitbegründeten „Werkstatt Rixdorfer Drucke“/Berlin/Gümse. Vgl. Teal Triggs, Experimentelle Typografie. Avantgarde im modernen Schriftdesign. London/München 2003. Interessant dazu die Zusammenarbeit von Michel Seuphor und Piet Mondrian in „Tableau-poème“ (1928/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 23). – Eine Besonderheit ist: Remember, be here now. San Cristobal, New Mexico 1971, eine biografische Darstellung von Richard Alpert zu Baba Ram Dass auf der Basis der Hindu-Relegion. Eingebunden in das Buch sind 110 Seiten (40 × 20 cm quer gebunden), auf denen mit unterschiedlicher Typografie und intensiver Verquickung von Text und Bild der „innere Weg“ zum Guru geschildert wird. In: März 1, Herbstein 1969, abgedr. in: Mammut. März Texte 1 & 2 1969–1984. Hg. Jörg Schröder. Herbstein 1984, S. 106 ff., Abb. 140 S. 137. Das Gedicht entstand 1968/1969.
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Abb. 140: Rolf Dieter Brinkmann, Vanille, 1969
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weils völlig dem im Augenblick des Schreibens sich anbietenden Material auszuliefern, das wiederum heißt: das !Thema" des Gedichts ist das Gedicht selber! “1390 Brinkmann wandte sich gegen die verloren gegangene Sinnlichkeit des Sehens, die blutleeren „objects trouvés“ der „Vorgefundenen Gedichte“ von Horst Bienek (1930–1990)1391 oder die abstrakten Wortkompositionen der konkreten Poeten. „Das Abstrakte herrscht vor: einen Beleg zu schaffen für den Begriff, nicht aber ein attraktives Objekt selber, aus dem sich der Begriff ergeben würde und das zugleich (im selben Augenblick) über ihn hinausführte.“1392 So entstehen viele seiner Arbeiten wie „Rom, Blicke“1393: – auf kariertem Heftpapier werden maschinenschriftliche Durchschläge von Briefen, Tagebuchnotizen, Fotokopien, Fotos, Postkarten, Stadtpläne Quittungen usw. geklebt und mit handschriftlichen Texten ergänzt1394, deren besondere ästhetische Authentizität dieser Originaltyposkripte im Druck nur angedeutet werden konnte. Brinkmanns Arbeit ist im Zusammenhang mit der Pop-Art und der Pop-Literatur, der amerikanischen cut-up und fold-in1395 Methode zu betrachten, historisch in einer ganz anderen Entwicklungslinie als jener, die zur Konkreten Poesie führte.
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Brinkmann, Anmerkungen zu meinem Gedicht „Vanille“. In: Mammut, a.a.O., S. 141. Brinkmann bezieht sich auf eine Publikation im Merkur, H. 3, März 1969. Brinkmann, Anmerkungen zu meinem Gedicht, a.a.O., S. 143. Brinkmann, Rom, Blicke. Reinbek 1979, entstanden 1972/73. So auch: Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand: Reise Zeit Magazin (Tagebuch). Reinbek 1987 u. Schnitte. Reinbek 1988. A.a.O., S. 244, 286. Hinzuweisen ist auch auf die Bücher von Dieter Roth, insbesondere auf „246 little clouds“ (New York 1968), eine faksimilierte Collage u. a. aus handschriftlichen Notizen u. aufgeklebten Zeichnungen, Abb. in: http://www.goshen.edu/~gwenjm/bookarts/brief10.htm. William S. Burroughs hielt 1964 einen Vortrag auf der Writer’s Conference in Edinburgh. Sie wurde veröffentlicht mit dem Titel „Die Zukunft des Romans“ (in: Cut Up, a.a.O., S. 19 ff. u. in: Mammut, a.a.O., S. 145 ff.), dort heißt es: „Beim Schreiben meiner beiden letzten Bücher, NOVA EXPRESS und THE TICKET THAT EXPLODED, habe ich eine Variation der cut-up-Methode verwendet die ich fold-in-Methode nenne: – Eine Textseite, von mir selbst oder von einem anderen, wird in der Mitte der Länge nach gefaltet und auf eine andere Seite Text gelegt – die beiden Texthälften werden ineinander-!gefaltet", d. h. der neue Text entsteht dadurch, dass man halb über die eine Texthälfte & halb über die andere liest – Die fold-in-Methode bereichert die Textherstellung um die Möglichkeit der Rückblende, wie sie im Film benutzt wird, & gestattet es dem Schriftsteller, sich auf seiner Zeitspur vor & zurück zu bewegen“ (a.a.O., S. 145 f.).
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Obwohl es einen Berührungspunkt in dem grundlegenden Prinzip des sehr komplexen offenen Materialangebots1396 gab, deutete die neue Qualität dieser Visualisierung von Literatur1397 eher in die Richtung der Visuellen Poesie, eher in die Richtung eines Tom Phillips (1937), der mit seinem Buch „A Humument“ eine Spielart der Visuellen Poesie erfand, die besonders intensiv Text und Bild miteinander verband, ineinander verschränkte. Phillips berichtete im Nachwort, dass er nach dem Lesen eines Aufsatzes von William Burroughs über die „cut-up“ Technik 1965 in der „Paris Review“ eigene Formen erfand und seit 1966 die zufällig erworbene Ausgabe von William Hurrell Mallock (1849– 1923) „A Human Document“ (1892) zu bearbeiten begann und durch die Selektion von Buchstaben und Wörtern durch Übermalungen1398 1396
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Komplexe „Materialbücher“ gab es schon früher. Dinah Nelken (1900–1989) „ich an Dich“ (Hamburg 1936 und Berlin 1939) ist ein Briefroman, in der auf unterschiedlich farbigen Seiten mit Hand- und Schreibmaschinenschrift, mit allen nur denkbaren Fundsachen des Alltags (vom Flugschein bis zur Kneipenrechnung, von der Kinokarte bis zur persönlichen Notiz), mit Fotografien und Zeichnungen die Geschichte einer Liebesbeziehung dokumentiert wird. Nahezu eine Kopie ist die damit vergleichbare Publikation von Edith Rode (1879–1956) „J. E. D. En roman i breve“ (Kopenhagen 1943), wieder mit Briefen, Rechnungen, Kinokarten, Fahrkarten, Spielkarten usw., die ebenfalls eine Liebesgeschichte andeuten. Peter Handke veröffentlichte „Deutsche Gedichte“ (Frankfurt 1969), die aus 40 mit Fundstücken gefüllten Umschlagseiten bestanden, und Wolf Vostell/Peter Faecke erfanden einen „Post Versand Roman“ (Neuwied 1970), der in 11 Lieferungen mit zahlreichem Bildmaterial und einer Schallplatte den Subskribenten zugeschickt wurde und von diesen individuell zusammengestellt werden konnte. Diese Form der Materialbücher findet sich dann auch zu dieser Zeit in der Werbung: 25 Jahre Hauni-Werke. Hg. Hauni-Werke Körber & Co. KG, Hamburg 1971. Paralell dazu entstanden Bücher aus Montagen von erfundenen und gefundenen Text-, Foto- und anderen Bild-Materialien wie: BAMBERG(A). 1000 Jahre Kunst und Kultur oder das Hysterische Weib von Bayern. Bamberg o. J. (ca. 1974), anonym erschienen im Selbstverlag Heinrich Kaiser (d. i. [Heinrich] Henry Walz), dem wegen Verunglimpfung der Stadt Bamberg vor dem Amtsgericht Bamberg im Mai 1974 der Prozeß gemacht wurde. Nicht nur auf der Seite, sondern auch die Seite selbst war betroffen, z. B. mit Durchbrüchen: vgl. Anm. 669. Ein Beispiel dafür ist der Nürnberger Johannes Volkmann (1968), bitte eintreten. Nürnberg 2005, ein Originalbuch, in dem von Seite zu Seite mit wenigen Wörtern und massiven Eingriffen in die Beschaffenheit der Seite (Einrisse, Ausrisse, Durchblicke, Beschneidungen, geklebte Einfügungen usw.) eine Geschichte erzählt wird. Ganz ähnlich auch: Volkmann, Kugelmenschen, Nürnberg 2007. Ein sehr frühes Beispiel von Text-Übermalung ist die Zeichnung von Gustave Doré (1832–1883) in: Histoire pittoresque, dramatique et caricaturale de la Sainte Russie (…). Paris 1854 (Abb. 141 in: Schrift und Bild, aaO, S. 15). 1948 erschien
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Abb. 141: Gustave Doré, Histoire pittoresque (…) , 1854
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in der Originalausgabe das 368 Seiten umfassende „A Humument“ entstand.1399 Brinkmanns Arbeit kann nun aber auch als eine mediale Erweiterung der Aufzeichnungsmittel aufgefasst werden, indem über den Blocksatz 1399 eine
kleine Sequenz von 5 schwarzen Seiten, in denen weiße Rechtecke mit einzelnen Worten und Sätzen die Selektion aus einer ganzen Textseite simulieren, in „Les Èpiphanies“ von Pichette (a.a.O., S. 60ff.). Zu Beginn der 1960er Jahre beginnt Gerhard Rühm mit seinen Selektionen durch Übermalung: z.B. „Ein Geschlecht“ (1961/Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 340), „Übermaltes Buch“ (1962/Abb. in: documenta 6, a.a.O., S. 340), „Österreichische Neue Tageszeitung“ (1962/ in: Rühm, Visuelle Poesie. Arbeiten aus vier Jahrzehnten. Innsbruck 1996, S. 114ff. u. gesammelte werke, 2.1, a.a.O., S. 654ff. sowie dort weitere Beispiele) oder im Heft III der Prana-Bibliothek/Leipzig „Lust und Schmerz“ (1962, in: die wiener gruppe [1997] a.a.O., S. 545ff.) und in „Lehrsätze über das Weltall“ (1965, in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.). Emilio Isgrò, uit: il Cristo cancellatore (1968/Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 208). In den 1960er u. 1970er Jahren gab es viele Varianten das „libro cancellato“ von Emilio Isgrò. Marcel Broodthaers, Pense-Bête. Brüssel 1964 besteht aus Buchseiten, auf denen der Text z.T. mit buntem Papier überklebt wurde (Abb. in: Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960, a.a.O. S. 22). Shusaku Arakawa „Webster’s Dictionary“ (1965, Abb. in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 11), auf der kopierten ersten Seite des Lexikons strich Arakawa Stichwörter und Erklärungen aus. A. R. Penck, „Standart Technoklassik“ (1970/Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 336). Martin Schwarz, „Nichts“ (1972/Abb. in: documenta 6, a.a.O., S. 344). In den Arbeiten von Maria Lai, Volume oggetto (1978/Abb. in: La Biennale di Venezia 1978, a.a.O., S. 29) u. Hans Peter Willberg, Kafka/Der Prozeß (1982/Abb. in: – auf ein Wort!, a.a.O., S. 154f.) verdichten sich von Seite zu Seite die Skripturen zu einem schwarzen Feld, und von Horst Antes ist bekannt, dass er 1988 das Projekt „Bilde a men“ begann, die Überarbeitung eines kunstgeschichtlichen Buches, des Textes mit Tipp-Ex und der Illustrationen durch Übermalung (Abb. u. Hinweis in: Sprache im technischen Zeitalter 110, Berlin 1989, II. Teil, S. 38f.). Siehe auch die politisch-kritischen Arbeiten von Veit Hofmann (1944), die das DDR-Regime verherrlichenden Bücher der DDR als Ausgangsmaterial benutzten und die auf andere Weise von Michael Järneke stammende „verbesserte“ Fassung von Hermann Löns, Das Zweite Gesicht (Roman eines Lesers des Romans !Das Zweite Gesicht" von Hermann Löns. Issendorf 1993), in dem durch Kürzungen und wieder Einbringen durch Überdrucken ein neuer Roman entstand. Von Dmitri A. Prigov (1940) gibt es die Übermalung einer Gorbatschow-Rede von 1987, in: Dmitri A. Prigov, Poet ohne Persönlichkeit. Berlin 1991, S. 7 ff. Jüngst wurden Übermalungen von Drehbuchseiten des Schauspielers Armin Mueller-Stahl (1930) bekannt (Abb. im: Hamburger Abendblatt, 25. 1. 2007, S. 8). Neueres Bsp.: Lucien Suel (1948), Poèmes Express. Redfoxpress/Dugort 2007. 1399 Tom Phillips, A Humument. A treater victorian novel. London 1980, Abb. 142 S. 251. Teilweise bereits publiziert London 1970 (–1975) ist das Buch ein work in progress – jede neue Ausgabe (1986, 1998, 2004) enthielt überarbeitete neue Seiten.
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Abb. 142: Tom Phillips, A Humument. London, 1980
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der Buchseite hinaus alle nur denkbaren geschriebenen, gedruckten und fotografischen Mitteilungsmöglichkeiten einbezogen wurden.1400 Weitergeführt wurde dieses Prinzip in einem „Roman“ des amerikanischen Autors Mark Z. Danielewski (1966)1401. Danielewski, dessen Vater ein Avantgarde-Filmer war, verfasste in mehr als 7 Jahren ein über 700 Seiten umfassendes Text-, Foto-, Bild- und Collage-Opus, in dem er zusätzlich mit dem Medium Film spielte. „I would say that most of the typographical setting is influenced by film. That had been the design from the very beginning: to use the image of text itself in a way that had been studied very carefully for a hundred years by exquisite film-makers and to increase the reader’s experience as they progress through the book (…) So I began to theorise how one could adopt the same techniques textually. So, for example, in chapter nine, The Labyrinth Chapter, the density of the text intentionally slows the reader down, reorients the reader, redresses that question of direction inside the book. However, the next chapter, The Rescue Chapter, only has a few sentences per page so the reader will move through a hundred pages a lot quicker.“1402 Es ist die Geschichte des Filmemachers Navidson, der in ein Haus einzieht, das von außen betrachtet kleiner ist als innen. Er entdeckt plötzlich im Kellerbereich Räume, die sich unerklärlich vermehren und beschließt, dies zu dokumentieren, zu filmen. Das Manuskript, das die filmische Recherche beschreibt, wird dann von einem gewissen Zampanò gefunden und mit Anmerkungen versehen. Dieses wiederum ist das Basisskript für Johnny Truant, seine eigene Lebensumstände einzuarbeiten. Zur labyrinthischen Verschachtelung dieser drei Erzählebenen treten Marginalien und Fußnoten, Appendices und vielfache Bildinformationen, eingespannt in ein ebensolches typografisches Labyrinth, in dem alles eingesetzt wird, was vorstellbar ist, von der leeren Seite bis zu den auf dem Kopf stehenden oder spiegelverkehrt gedruckten Textzeilen, dem Einsatz von Blindenschrift und dem „Schwarzen Quadrat“1403, 1400
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Andreas Moll, Text und Bild bei Rolf Dieter Brinkmann. Intermedialität im Spätwerk. Frankfurt a. M. 2006. Danielewski’s House of Leaves by Zampanò with introduction and notes by Johnny Truant. New York 2000. Vgl. Dazu: Sebastian Deterding/Achim Hölter, Papier simuliert visuelle Medien. Zu Mark Z. Danielewskis Roman House of Leaves (2000). In: Ästhetische Transgressionen. Festschrift für Ulrich Ernst zum 60. Geburtstag. Hg. Michael Scheffel u. a. Trier 2006, S. 213 ff. Five minutes with Danieleswki. Interview vom 30. 11. 2000, akustisch und schriftlich: http://books.guardian.co.uk/firstbook2000/story/0,6194,405144,00.html. A.a.O., S. 144.
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und in dem immer wieder Rückgriffe auf Formen der Konkreten Poesie erkennbar sind1404, wie etwa auch in schon in den 1968 ebenfalls in Amerika erschienenen Romanen „Willie Master’s lonesome Wife“ von William H. Gass (1924), „The Exagggerations of Peter Prince“ von Steve Katz (1935) und „See the Old Lady Decently“ (1975) von dem in London geborenen Bryan Stanley Johnson (1933–1973) oder „Thru“ (1975) von der aus Genf stammenden Christine Brooke-Rose (1923).1405 Und selbst in dem kürzlich erschienenen Roman des jungen amerikanischen Autors Safran Foer (1977), „Extremly loud and incredible close“1406, lassen sich diese Rückgriffe, verbunden mit einer Vielzahl von Visualisierungsformen nachweisen. Der Roman erzählt von Oskar Schell, der mit einem Tamburin1407 durch New York läuft, den Tod seines Vaters beklagend, der anlässlich des 11. September ums Leben kam, und das passende Schloss zu einem geheimnisvollen Schlüssel sucht, den er im Nachlass des Vaters fand. Die zunächst ganz traditionelle Erzählstruktur mit normalem Satzspiegel wird im Laufe des Buches immer wieder aufgebrochen, durch eingefügte Visitenkarten und gedruckte Presseberichte, einzelne Fotos und sogar einer 15-seitigen Fotosequenz, durch farbige Textbilder und mit allen Formen der Satzspiegelauflösung – angefangen bei leeren Seiten (S. 161–163), über die marmorierte schwarze Seite (S. 427) bis zum Zeilenfall und unregelmäßigen Zeilenbrüchen, Durchstreichungen, Überschreibungen bis zum Schwarzfeld, AusXungen, Verteilung einzelner Wörter auf einer sonst leeren Seite und schließlich bis zur Aufgabe des Textes, so dass über ganze Seiten plötzlich nur noch Zahlen erscheinen (S. 357–359). Die am stärksten spielerisch experimentierende Mischform aller nur denkbaren Gestaltungsmöglichkeiten – und damit der Visuellen Poesie am nächsten – schuf Paul Zelevansky mit „The Case for the Burial of Ancestors“1408, eine Trilogie, einerseits der Form nach ein Buch „which contains all significant myths, tales, accumulations, interventions and moments of generation that combined to form the geography and space of the known world, according to the hegemonians“, andererseits eine Sequenz von in sich abgeschlossenen und durchkomponierten Einzelblät1404 1405 1406 1407
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Z. B. a.a.O., S. 232, 291, 428, 466, 628. Hinweise dazu bei Ernst, Typen des experimentellen Romans …, a.a.O., S. 273 ff. Extrem laut & unglaublich nah. Köln 2005. Das Motiv erinnert an den trommelnden Oskar Mazerath in: Günter Grass, Die Blechtrommel (1958/59). Zelevansky, The Case for the Burial of Ancestors. New York, Book I: 1981, Book II: 1986, Book III: 1991, Abb. 143 S. 51 (Book I).
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Abb. 143: Paul Zelevansky, The Case for the Burial of Ancestors, 1981
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tern, die zugleich für den Leser/Betrachter als Bausteine für eine von ihm zu entdeckende Geschichte dienen. „Why is this book different from all other books? If explanation is still necessary (remember the building of the tale is already upon you) we will continue with a discussion of the pieces, which are given and taken away in turn (…) To the pieces: Speak of the exchange between word and image. Consider the gradations, progressions and comparisons. Picture the labyrinth of connection drawn between this and that, dark and light, positive and negative, thick and thin, up and down, rough and smooth, long and short, near and far, in and out, backwards and forwards, off and on, gathering and unfolding, loud and soft, beginning and ending, shadow and substance – when within our book, past, and potential exist at once. Internal, external, above und below, projection and echo exist within the same geography. Where all are visible, all are manifest, all are simultaneous in thought. Words are within pictures, pictures are within words and both speak of eachother, together and apart. Out of the exchange comes the vehicle and the form: the screen of projection, the floor of reflection, the surface, the page. All of which would induce great confusion, an anvil chorus of static noise and conflicting cues, if it were played out at one time, without modulation. That would be more than anyone should have to contend with between the covers of a book. So, although the story is indeed upon you, do not fear to be crushed by it. Most of the web is beneath the surface, hairlike and light without a trace. The full, cacaphonic view is opened only rarely.“1409 Vereinzelte Rudimente dieser Entwicklung lassen sich schließlich auch in „Zettel’s Traum“1410 von Arno Schmidt nachweisen, der als Typoskript veröffentlicht wurde. Das Original umfasste 1350 Seiten im Format DIN A 3. Auch „Zettels’s Traum“ ist eine Materialsammlung, vor allem aus Zitaten und Aufzeichnungen, in 3 Textsäulen – auf der linken Befassung mit Edgar Allen Poe und seinem Werk, auf der mittleren „ein Abbild der Realität um mich herum“1411, auf der rechten „Gedankenspiele, die Einfälle, die Denkeleien der beteiligten Personen“ – ergänzt von Randzeichnungen und kleinen eingeklebten Ausschnitten aus
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The Case for the Burial of Ancestors, a.a.O., S. 14 f. Schmidt, Zettel’s Traum. Frankfurt 1970, entstanden zwischen 1965 und 1968. Schmidt, Vorläufiges zu Zettels Traum. In: Vorläufiges zu Zettels Traum. Textaufzeichnung von Arno Schmidt’s freier Rede beim Gespräch mit dem NDR über Entstehung, Aufbau und Absicht seines Typoskriptbuches „Zettels Traum“. Textheft, 2 Schallplatten in Kassette. Frankfurt 1977, Textheft S. 11.
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Illustrierten. Jedoch hatte sich Schmidt nie für die typografische Gestaltung interessiert und Arbeiten in dieser Richtung1412 abgelehnt, aus Furcht bei einer Grenzüberschreitung in das Gebiet der Grafik bliebe der Sinn auf der Strecke. Aber: „Die reine – Anordnung der – Blöcke – hat zuweilen ein – recht reizvolles Bild ergeben. Aber ich bin – nicht etwa primär, auch nicht sekun- oder tertiär danach gegangen, sondern wie gesagt, es … es hat sich so herausgestellt.“1413 Die bildhaften Elemente sollten lediglich der Orientierung dienen und das Verständnis befördern. Als dritte Spielart gab es dann auch die ganz von der Konkreten Poesie beeinflussten Buchentwürfe. Sie waren entweder auf ein Minimum an Zeichenmaterial (nämlich kleine Quadrate und Zahlen bzw. Zahlenfragmente) reduziert1414 wie in „nollapiste nulpunt“1415 von Osmo Jokinen (1938–1985), oder streng einem bestimmten Prinzip verpflichtet, wie in Raimer Jochims „grün und violett“1416, einem Buch, in dem auf jeder linken Seite in neun über die Seite verteilten Zeilen linksbündig nur wenige Wörter (rechtsbündig mit einem Datum versehen), syntaktisch nicht gebunden, Stichwörter1417 gleichsam, gedruckt wurden, so dass beim Abblättern – weil die Zeilen alle auf gleicher Höhe liegen – auch Wörterkombinationen sich ergeben.1418 1412 1413 1414
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Er nennt Kriwets Rundscheiben, Textheft, a.a.O., S. 13. Textheft, a.a.O., S. 13. Bis zur vollständigen Reduktion bei Heinz Gappmayrs „raum“ (München 1977/ Ottenhausen 1983, bestehend aus 40 leeren, gebundenen weißen Blättern) und „reflex“ (Ottenhausen 1978/ 1983, bestehend aus 40 leeren weißen Blättern und einem schwarzen Blatt, das genau zwischen den 2 × 20 Blättern eingebunden ist), oder bei Irma Blank „Blank Book“ (Verona 1995), bestehend aus 63 leeren, aber mit Seitenzahlen versehenen Seiten u. auf Seite 3 mit dem Titel „Blank Book“ (in doppelter Bedeutung: Name der Künstlerin/unbeschriebenes Buch), sowie andererseits auch in den Künstlerbüchern der Konzeptkünstler: z. B. bei Robert Barry (1936), Come on. Gent 1987, Peter Downsbrough (1940), Prospectus. Gent 1988, Niele Toroni (1937), 1, 2, 3, 4, 5. Gent 1990. Jokinen, nollapiste, Kansi/Fi 1964, (Neudruck: Doetichem/Nl. 2004). Jochims, grün und violett. Innsbruck 1981. Nach Jochims handelt es sich um datierte Tagebucheintragungen, die er seit 1974 vornahm. In diesem Buch sind Eintragungen von 1975 bis 1977 aufgenommen. Eine Publikation, in der nur einzelne Wörter auf den Seiten – in verschiedenen Positionen – erscheinen, ist die grafische Suite „Alphabet“ von Michel Leiris (1901– 1990), die bereits 1947 entstand und 1948 bei Gallimard in Paris erschien (dt. Michel Leiris, Alphabet. Göttingen 1998) und die eingelassen ist in einem Essay, der aus gegeneinander versetzten Textblöcken besteht. „Die Gestaltung mag an die ABC-Fibeln mit ihren Beispielwörtern aus dem gesamten Alphabet erinnern, auf jeden Fall winkt hier von fern der Surrealismus mit seiner Verbindung von Bild
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Dies waren oft schmale Publikationen, denen aber auch große Entwürfe gegenüberstanden, wie „Das Unbuch“ von Mike Rose1419, eine spielerische Kommunikation zwischen dem ICH (Autor) und dem DU (Rezipienten), die – zusammen mit dem Schreibprozess – reflektiert wird und sogar offen ist für Fortschreibungen1420. Ein Buch, das zwar einen fortlaufenden Text bietet, aber konsequent den traditionellen Satzspiegel und den Zeilenlauf durchbricht, figurative Textflächen von Seite zu Seite neu erfindet und damit dem Spiel mit dem Sprachmaterial immer neue Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Dagegen folgt einem strengen Formprinzip der „quadratroman“1421 von Friedrich Achleitner, dessen, in Abläufe und Bereiche gegliedertes, offenes System innerhalb verschiedener sprachlicher Situationen die Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung darstellt. Ausgangspunkt war das Quadrat, das in variantenreicher Funktion, als geometrische Figur, Flächenmaß, Werteinheit, Plan, Sprachobjekt usw. den Hintergrund für Achleitners Beschäftigung mit der Konkreten Poesie bildete. Aber Achleitner ging auch über diese Konzeption hinaus, wenn er gelegentlich konventionelle Sprachmittel verwendete,1422 wie das in noch stärkerem Maß in Bü-
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und Sprache, bildender Kunst und Literatur herüber (…) Die rhythmisch angeordnete Typografie des Lesetextes will dem komponierten und montierten Erzählduktus entsprechen, man hat bei der Lektüre nicht den Eindruck eines linear durchlaufenden fließenden Erzählens, sondern den eines Montageprinzips der Vereinigung von Zerstückelung und Komposition. Wir sehen Textblöcke vor uns, die sich gegenseitig verschieben, darin eine Bewegung des Vor und Zurück ergeben und so die Symmetrie des klassischen Satzspiegels unterlaufen.“ (Klaus Detjen, Zur Gestaltung. In: Leiris, Alphabet, a.a.O., S. 91f.). Von Michel Leiris gibt es Buchstabenkonstellationen, die, in der 1920er und 1930er Jahren entstanden, durchaus schon auf ganz ähnliche Strukturen der späteren Konkreten Poesie hinweisen, siehe: Leiris, Wörter ohne Gedächtnis/Große Schneeflucht. Frankfurt 1991. Rose, Das Unbuch. Bachmaier Verlag, München 1981. Erschien in einer Auflage von 100 Exemplaren als Lose-Blatt-Sammlung von 188 Seiten, eine Art Faksimile-Druck der Schreibmaschinenfassung. Rose (1932) war Weggenosse von Isidore Isou und schloß sich 1972 der Pariser „groupe lettriste“ an. So auf den Seiten 121 und 181, wo in Textaussparungen der Leser aufgefordert wird, sich selbst zu äußern. Achleitner, quadratroman. Darmstadt/Neuwied 1973/Salzburg 1995. Vorausgegangen sind die o-i-Studie (1960 entstanden) abgedr. in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 138 ff., die „quadrat-studie“, abgedr. in: neue texte Nr. 13, Linz 1974 u. in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 148 ff., sowie die „Vorstudien zum Quadratroman“, 3 Bsp. in: Neue Poesie, a.a.O., S. 29 ff. Vgl. Achleitner, Quadrat-Roman & andere Quadrat-Sachen. Salzburg 1995. Siehe dazu auch die Ankündigung des Verlags in: Luchterhand Lesebuch 1973. Darmstadt/Neuwied 1973, S. 92.
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chern von Franz Josef Bogner zu beobachten ist, wie in „Das arabische System. Variationen über ein Thema von Adam Riese“1423 und „goethes V’st“1424 (ein gegen das Bildungsbürgertum gerichteter listenreicher Umgang mit Goethe-Texten), denen zunächst Bogners (Solo) Bühnenprogramme – 1970 in Zürich uraufgeführt – zugrunde lagen und die dann erst – von der Entstehung her mit Pichette vergleichbar – eine Buchform bekamen. Und schließlich wurde auch die Buchform selbst, die Entwicklung der Buchobjekte, erheblich von der Konkreten Poesie beeinflusst.1425 Beide Linien nun, jene die Veränderungen in Typografie, Satzspiegel und Buchform und jene, die über diese hinaus außersprachliche bildhafte Elemente in den Textcorpus einbeziehen1426, sind einerseits aus Sicht der Konkreten Poesie und andererseits aus der der Visuellen Poesie1427 bedeutsam, dies allerdings wieder mit aller Vorsicht gesagt, weil der Bereich der experimentellen Literatur seine Innovationen nicht nur aus einem vielseitigen literarischen Formensspektrum1428 schöpft, sondern auch Einflüssen fast aller musischer Disziplinen unterliegt, so dass solche Grenzziehungen nur der groben Orientierung dienen können. 1423 1424 1425
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Neuwied 1971. Darmstadt/Neuwied 1973. So gibt es noch heute Produktionen von Mon, Gomringer und Rühm, die in ihren Buchobjekten Elemente der Konkreten Poesie verwenden: Franz Mon/HD Schrader, ausgeartetes auspunkten. Zürich 1997; Eugen Gomringer/HD Schrader, dabei sein mittun. Zürich 2000; Gerhard Rühm/HD Schrader, hundert kunststücke, eine elegie. Zürich 2001 (alle: Edition Howeg/Zürich). „die Wörter werden zu Bildern entfaltet“ (Brinkmann, Anmerkungen, a.a.O., S. 143). Noch wesentlich später zeigen sich die Nachwirkungen der Konkreten Poesie in Büchern der Visuellen Poesie wie in: Evelyne Egerer, Isolation. Wien 1991. Sie notiert in einem Miteinander von Grafik, Foto und Text nur Wörter, die mit dem Buchstaben A beginnen und entwickelt aus diesen Wörtern von Seite zu Seite eigene semantische Zusammenhänge. Z. B. gibt es schon von Otto van Veen (1556–1629) ein Werk „Physicae et theologicae conclusiones, notis et figuris dispositae ac demonstratae, de primariis fidei capitibus, atque inprimis de praedestinatione, quomodo effectus illius superetur a libero arbitrio. Authore Otthone Vaenio. Orsellis, Anno M.DC.XXI (1621)“, das aus einer Folge von Blättern besteht, die auf der rechten Seite Text auf der linken Seite ein Rechteck aufweisen, in dem nur einzelne oder mehrere Buchstaben erscheinen., vgl. Anm. 1757, dort auch Hinweis auf Abb. 174. Eine gewisse Ähnlichkeit ergibt sich im Vergleich mit der Schöpfungsbildsequenz in der Schedelschen Weltchronik (Hartmann Schedel, Lieber chronicarum cum figuris et imaginibus ab initio mundi. Nürnberg 1493, Faksimile: Die Schedelsche Weltchronik. Dortmund 1978, Abb. Blat II–V [= Die bibliophilen Taschenbücher Nr. 64]).
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Rückblick: Ezra Pound Was bei all diesen Formen aber fehlte und für die Entwicklungslinie der Konkreten Poesie höchst bedeutsam war, sind weitergehende sprachphilosophische Überlegungen, wie sie in Ansätzen schon bei Pound und Stein zum Ausgangspunkt der literarischen Arbeit wurden. „Sprache ist aus konkreten Dingen gemacht. Allgemeine Äußerungen in nicht-konkreten Worten sind bloße Trägheit; sie sind Gerede, nicht Kunst, nicht Schöpfung. Sie sind die Reaktion des Dichters auf die Dinge, keine schöpferische Tat des Dichters“1429, stellte Pound 1915 fest. Mit seinen Arbeiten befasste sich die Noigandres-Gruppe, korrespondierte mit ihm und gab sich ihren Namen nach einem Begriff, den sie in seinem „Canto XX“ fand.1430 Pound, der sich auf Kandinskys „Über das Geistige in der Kunst“ berief,1431 hatte nach der Entdeckung von Fenollosas Schrift, die er auch zum Druck beförderte, aus ihr zentrale Erkenntnisse gewonnen und in dem von ihm vertretenen Vortizismus diese weiter verfolgt.1432 Nach seiner Übersiedlung nach London wurde er zunächst zum geistigen Führer der sogenannten Imagismus-Bewegung1433: „Eine dichterische Sprache ist immer eine erkundende Sprache. Seit Anbeginn des schlechten Schreibens haben die Dichter images (Bildhaftes) zur Ausschmückung ver1429 1430 1431
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Pound, Lesebuch. Dichtung und Prosa. Hg. Eva Hesse. München 1987, S. 41. Vgl. Anm. 1036. Vortizismus. Das Programm der Moderne. In: Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 106 f.: „Das Bildhafte (image) ist der Werkstoff des Dichters; wenn ihr euch das vor Augen haltet, könnt ihr ohne weiteres Kandinsky anwenden, könnt sein Kapitel über die Sprache von Form und Farbe transponieren und es fürs Versemachen geltend machen (…) So kam es, dass mir nicht vieles neu war, als ich Kandinskys Kapitel über die Sprache von Form und Farbe las. Ich empfand nur, dass ein anderer begriff, was ich begriff, und es sehr klar niedergelegt hatte“. Zu Pound und Fenollosas Einfluß vgl. Jacques Derrida, Grammatologie. Frankfurt 1996 (= stw 417), S. 166 f. „Das Wort !Imagiste" wurde erstmals im Herbst 1912 in meiner Anmerkung zu den fünf Gedichten T. E. Hulmes am Ende meiner !Ripostes" gebraucht.“ (Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 25). Arbeiten der Imagisten erschienen zuerst in der in Chicago herausgegebenen Zeitschrift „Poetry“ März 1913, dort auch Pounds programmatische Äußerungen (Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 25 ff.). In der von Pound herausgegebenen ersten und einzigen Anthologie des Imagismus (Des Imagistes. New York 1914), erschien auch ein Beitrag von James Joyce, auf den Pound 1913 aufmerksam wurde, den er seitdem förderte und dessen „Ulysses“Erstveröffentlichung er in der „Little Review“ (New York, März 1918-Dezember 1920) erwirkte.
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wendet. Der Sinn des Imagisme ist nun eben der, Bildhaftes nicht als Ausschmückung zu verwenden. Das image (Bildhafte) ist selbst Sprache. Das image ist das Wort jenseits des Formulierten.“1434 Die Thesen der Bewegung, die zum Teil auch auf Thomas Ernest Hulme (1883–1917) zurückgingen1435, setzten gegenüber einem wachsenden Abstraktionsprozess auf der sprachlichen Ebene das image als konkrete Bildhaftigkeit. Konkrete Bildvorstellungen aber, und das war die Erkenntnis aus der Fenollosa-Lektüre, die aufeinander prallen, die sich „überlagern“, können neue Sinnzusammenhänge im intellektuellen und emotionalen Bereich im Hinblick auf eine „Idee“, auf ein Ideogramm1436 entwickeln: „Das image ist keine Idee. Es ist ein ausstrahlendes Schwingungszentrum, eine Ballung; es ist das, was ich nicht umhin kann, einen Vortex zu nennen1437, aus dem, durch den und in den immerfort Ideen dringen. Man kann es, um ihm gerecht zu werden, nur einen Vortex nennen. Und aus dieser Unumgänglichkeit enstand der Name !Vortizismus"1438. Nomina sunt consequentia rerum, und nie traf dieser Ausspruch Thomas von Aquins mehr zu als auf die vortizistische Bewegung.“1439 Der Vortizismus, der als dynamischer Imagismus bezeichnet werden könnte, bestand nur wenige Jahre1440. Er war zugleich Antwort und Ge1434 1435
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Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 109. T. E. Hulme, Speculations. London 1914, S. 97: „There is a desire among modern artists to avoid those lines and surfaces which look pleasing and organic, and to use lines which are clean, clear-cut and mechanical.“ Vgl. dazu Pound, Das chinesische Schriftzeichen und die Folgen. In: Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 58 ff. u. Bohn, Modern Visual Poetry, a.a.O., S. 32 ff. Der Begriff „Vortex“ wurde zum ersten Mal von Pound in einem Brief vom 19. Dezember 1913 an William Carlos Williams benutzt. Das Wort erscheint aber schon in einem Gedicht Pounds 1908 (Wieland Schmied, Ezra Pound, Percy Wyndham Lewis und der Vortizismus. In: Blast. Vortizismus – Die erste Avantgarde in England 1914–1918. Hg. Karin Orchard. Berlin 1996, S. 92). Vortext kommt aus dem Lateinischen (eigentlich: vertex = Wirbel, Strudel; auch: Drehpunkt des Himmels, Pol und Spitze, Gipfel, Höhepunkt). Der Begriff „Vertex“ taucht auch in anderem (philosophischen) Zusammenhang bei Alfred N. Whitehead auf, der zur selben Zeit in London wirkte (Alfred N. Whitehead, Abstraktion. In: Max Bense, Zwischen den Kriegen. Erster Band: Die Philosophie. Frankfurt 1951, S. 347). 1914 erschien „BLAST. A Review of the Great English Vortex“, herausgegeben von Wyndham Lewis, mit Manifesten und Diskussionen zur Bewegung. 1915 erschien die 2., zugleich letzte Ausgabe. Vgl. auch: Blast to Freeze. British Art in the Twentieth Century. Katalog. Wolfsburg 2002/2003. Pound, Lesebuch, a.a.O., S. 113. 1920 erklärte ihn Wyndham Lewis offiziell für beendet.
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genentwurf zum Futurismus Marinettis, der mehrfach in London für seine Bewegung warb1441, aber eine Vereinnahmung der Schriftsteller und Künstler um Lewis und Pound nicht erreichen konnte. Erst viele Jahre später gab es eine Art Annäherung Pounds an Marinetti, allerdings nachdem Pounds wichtigster literarischer Beitrag, die „Cantos“, die seit 1915 entstanden, bereits mit dem Ideogramm – durch die Aufgabe einer syntaktischen Subjekt-Prädikat-Objekt-Verknüpfung zugunsten einer parataktischen Reihung von Ideogrammen – ein grundlegendes Organisationsprinzip bekommen hatte, und er sich weniger literarisch, sondern eher politisch im Zeichen des Faschismus’ Mussolinis an die Seite Marinettis stellte1442.
Gertrude Stein Gertrude Stein spielte in den ersten 2 Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Paris im Umkreis der Kubisten eine zentrale Rolle. In ihrem Haus trafen sich Picasso, Apollinaire und Joyce und mit ihrer Arbeit (vielleicht radikaler als Pound, den sie übrigens nicht mochte1443) realisierte sie Vorstellungen1444, die bei Alfred North Whitehead (1861–1947) zu finden sind1445, den sie vor Ausbruch des 1. Weltkriegs in England kennenlernte, und der zusammen mit Bertrand Russell (1872–1970) die „Principia Mathematica“1446 verfasste. Russell wiederum schrieb das Vor-
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Marinetti, Vital English Art. Futurist Manifesto, in: Manifeste, a.a.O., S. 77 ff. Schmied, a.a.O., S. 97 und Helmut Heißenbüttel, Die Konsequenzen der konservativen Gesinnung. Zum 75. Geburtstag Ezra Pounds am 30. Oktober 1960. In: Heißenbüttel, Über Literatur, a.a.O., S. 31. Vgl. dazu Eva Hesse, Die Achse Avantgarde – Faschismus. Reflexionen über Filippo Tommaso Marinetti und Ezra Pound. Zürich 1992, deren Arbeit auf eine grundsätzliche Fragestellung weist, nämlich inwieweit die „historischen Avantgarden“ auch politisch inhaltlich bestimmt wurden. Dazu auch: Grasshoff, Der Befreite Buchstabe, a.a.O., S. 65 ff. und Walter Fähnders, Avantgarde und politische Bewegungen. In: Aufbruch ins 20. Jahrhundert, a.a.O., S. 60. Stein, Autobiographie von Alice B. Toklas, S. 221 f.; Heißenbüttel, Über Literatur, a.a.O., S. 31. William Carlos Williams sieht Gertrude Stein in der Tradition von Sterne’s Tristram Shandy, in: The Work of Gertrude Stein (http://www.dalkeyarchive.com/ article/show/81). Whitehead, Abstraktion, a.a.O., S. 333 ff. (Auszug aus: A. N. W., Wissenschaft und moderne Welt. Zürich 1949). Vol. 1, Cambridge 1910 ff.
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wort1447 zur englischen Ausgabe des „Tractatus logico-philosophicus“ von Ludwig Wittgenstein (1889–1951), 1922 in London erschienen. Es ist also anzunehmen, dass Stein, die 1926 in Cambridge und Oxford ihre sprachkünstlerische Position („Composition as Explanation“)1448 erläuterte, die Sprachphilosophie Wittgensteins gekannt hat. Max Bense war es, der aus Wittgensteins „Tractatus“ Proben abdruckte und in die Diskussion der 1950er Jahre einbrachte.1449 Er war es auch1450, der den ersten Beitrag jener Jahre über Gertrude Stein von Helmut Heißenbüttel1451 veröffentlichte1452 und als erster auf die Bedeutung nicht nur Whiteheads und Wittgensteins, sondern auch im besonderen Steins und ihren Beziehungen untereinander für die Literaturentwicklung hinwies.1453 Heißenbüttel, in dessen frühen Texten der Einfluss von Stein schon spürbar ist1454, hob hervor, dass die Beschäftigung mit Stein voraussetze, 1447
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Dt.: Bertrand Russell, Über Ludwig Wittgensteins Traktat. In: Max Bense, Zwischen den Kriegen, a.a.O., S. 309 ff. http://grace.evergreen.edu/~arunc/texts/literature/stein2/stein2.pdf; Abgedr. in: Twentieth-Century Culture: The Breaking Up. Ed. Robert Phelps. New York 1965. Vgl auch: Stein, Autobiographie von Alice B. Toklas, a.a.O., S. 255f. u. S. 258. Bense, Zwischen den Kriegen, a.a.O., S. 325 ff. Reinhard Döhl, Gertrude Stein und Stuttgart – eine Spurensuche. In: Semiosis. Internationale Zeitschrift für Semiotik und Ästhetik, 18. Jg., H. 3/4, 1993, S. 125ff. Heißenbüttel, Reduzierte Sprache. Über einen Text von Gertrude Stein. In: augenblick. zeitschrift für tendenz und experiment. Jg. 1, H. 4, Stuttgart 1955 (Heißenbüttel, Über Literatur, a.a.O., S. 9 ff.). Heißenbüttel berichtet darüber, wie er Stein entdeckte und Bense ihm den Auftrag gab, in: „!Meine" oder !die" fünfziger Jahre“, in: Vom „Kahlschlag“ zu „movens“, a.a.O., S. 57 f. Bense, Aesthetische Information. Aesthetica II. Baden-Baden 1956, S. 75; Max Bense, Kosmologie und Literatur. Über Alfred N. Whitehead und Gertrude Stein. In: Texte und Zeichen, a.a.O., 3. Jg., H. 5, 1957, S. 512 ff. Vgl. auch: Steven Meyer, Irresistible Dictation. Gertrude Stein and the Correlations of Writing and Science. Stanford 2001. Die Weitsicht Benses zeigt das Andauern der Bedeutung Steins bis in die Gegenwart: Abb. 144 in: Visuelle Poesie aus Japan, a.a.O., S. 61. Harald Hartung, Experimentelle Literatur und konkrete Poesie. Göttingen 1975, S. 31: „Die strukturelle Ähnlichkeit basiert nicht bloß auf dem Prinzip der Variation sprachlicher Formeln und auf der Tendenz zu tautologischer Formulierung, sondern geht bis in die Eigentümlichkeiten des Wortgebrauchs, etwa die Neigung zur Verwendung einsilbiger Wörter.“ Vgl. dazu Heißenbüttel selbst in: Heißenbüttel, „Meine“ oder „die“ fünfziger Jahre. In: Vom „Kahlschlag“ zu „movens“, a.a.O., S. 57. Ein Beispiel für die Abhängigkeit von Stein ist Heißenbüttels „Georg-Büchner-Preis-Rede 1969“ in: Konkrete Poesie. Text + Kritik 25, Stuttgart 1970, S. 42 ff.
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Abb. 144: Hiroo Kamimura, En hommage á Gertrude Stein, 1997
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sich vom traditionellen Form/Inhalt-Gesetz der Literatur zu trennen. Da es sich um eine Rückführung und Rückbesinnung der Sprache auf sich selbst handle, sei die Frage nach Form und Inhalt gegenstandlos: „Der Fortgang des Textes ergibt sich nicht aus einer erzählenden, inhaltlichen Entwicklung1455, sondern jeder Satz schließt parataktisch an den Vordersatz an, läuft in schon Gesagtes zurück, entwickelt sich aus bloßen Wortklängen. Die Verfahrensweise erinnert äußerlich an die buddhistischer Predigten oder liturgischer Texte. Der inhaltliche Bezug ist auf ein Mindestmaß reduziert.“1456 Es ist das Prinzip, das Stein in „Composition as Explanation“ als „continuous present“1457 erläuterte: „In beginning writing I wrote a book called Three Lives this was written in 1905 (…) I created then a prolonged present naturally I knew nothing of a continuous present but it came naturally to me to make one, it was simple it was clear to me and nobody knew why it was done like that I did not myself although naturally to me it was natural (…) Continuous present is one thing and beginning again and again is another thing. These are both things. And then there is using everything (…) In this beginning naturally since I at once went on and on very soon there were pages and pages and pages more and more elaborated creating a more and more continuous present including more and more using of 1455
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Stein, Was sind Meisterwerke? Mit einem Geleitwort von Thornton Wilder. Zürich 1962, S. 53: „Es ist schrecklich schwierig, Handlung ist direkt und wirkungsvoll, aber schließlich ist Handlung notwendig und alles was notwendig ist, hat mit menschlicher Natur zu tun und nicht mit dem menschlichen Geist. Daher hat ein Meisterwerk vorwiegend nicht notwendig zu sein, es hat zu sein, das heißt es hat zu existieren aber es hat nicht notwendig zu sein, es ist nicht Antwort auf Notwendigkeit wie Handlung es ist weil im Augenblick in dem es notwendig ist es in sich keine Möglichkeit hat weiterzugehen.“ Das „es hat zu sein“ ist eine wichtige Bestimmung der Konkreten Poesie (Präsentation statt Repräsentation), die Ernst Jandl formulierte: „Das konkrete Gedicht ist ein Gegenstand, nicht eine Aussage über einen Gegenstand.“ (Jandl, Voraussetzungen, Beispiele und Ziele einer poetischen Arbeitsweise. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 47). Heißenbüttel, Reduzierte Sprache, a.a.O., S. 10 f. Ein eindrucksvolles Beispiel für die Sprachform von Stein wurde 1960 (movens, a.a.O., S. 35 ff. „A play called not and now“) veröffentlicht. Stein hatte als Studentin im Harvard Psychological Laboratory an Experimenten des automatischen Lesens und Schreibens teilgenommen, um bei fortlaufenden Lese- und Schreibvorgängen herauszufinden, was noch von einem parallel vorgetragenen Text als Textkontinuum aus Fragmenten wahrgenommen werden kann. (Ausführlich bei: Friedrich A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800/1900. München 1985, S. 231 ff.).
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everything and continuing more and more beginning and beginning and beginning (…) More and more in going back over what was done at this time I find that I naturally kept simply different as an intention. Whether there was or whether there was not a continuous present did not then any longer trouble me there was or there was not, and using everything no longer troubled me if everything is alike using everything could no longer trouble me and beginning again and again could no longer trouble me because if lists were inevitable if series were inevitable and the whole of it was inevitable beginning again and again could not trouble me so then with nothing to trouble me I very completely began naturally since everything is alike making it as simply different naturally as simply different as possible (…) This founds its culmination later, in the beginning it began in a center confused with lists with series with geography with returning portraits and with particularly often four and three and often five and four.“ In Steins Wortketten wie z. B. „A Book Concluding as a Wife Has a Cow. A Love Story“1458, die sich zu eigengesetzlichen architektonischen Wortlandschaften verdichten, gleichsam durch Überkomponieren dekonstruktiv verfremden1459, weist nichts über diese hinaus, nichts über das Wort, den Satz oder den Absatz. Damit wird auch der traditionelle Subjektbegriff, der sich mit und in der Sprache realisierte, der Emotion und Denken, innere Verfassung und ordnenden Willen erkennen ließ, reduziert. „Alles, was gesagt wird, ist gleichwertig. Es gibt keine Gattungen und Genres, und es gibt keine Oberfläche der Wörter, die auf eine verborgene Tiefe, einen !eigentlich" gemeinten Sinn verweist: Eine Rose ist eine Rose und noch einmal eine Rose. Das Wort Rose jedoch ist kein Symbol für Liebe oder Zuneigung oder Frühling oder Natur. All die Bedeutungen, die ein Wort in der literarischen Tradition angenommen hat, sind aufgehoben1460. Die pure Tautologie – also Feststellung einer Selbst1458
1459
1460
Mit Grafiken von Juan Gris in Paris 1926 veröffentlicht; dazu: Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 79 ff. Andrzej Wirth, Gertrude Stein und ihre Kritik der dramatischen Vernunft. In: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 12. Jg., H. 46, Siegen 1982, S. 65. Thornton Wilder hat im Geleitwort zu: Stein, Was sind Meisterwerke?, a.a.O., S. 7f. aufgezeichnet, was Stein in einem Seminar an der Universität Chicago einem Studenten zu ihrer berühmten Zeile „Rose is a rose is a rose is a rose“ (aus dem Gedicht „Sacred Emily“, 1913), in: Stein, Geography and Plays, Boston 1922, (vgl. dazu in: Stein, Autobiographie von Alice B. Toklas, a.a.O., S. 151) erläuternd sagte: „Also hören Sie! Ich bin doch kein Narr. Ich weiß, dass man im täglichen Leben nicht
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Konkrete Poesie
verständlichkeit – ersetzt den metaphorischen Gebrauch des Wortes Rose.“1461 Und dennoch: der Leser gibt sich damit nicht zufrieden. Auf der Suche nach Einstiegsmöglichkeiten zur Entschlüsselung, gerät er an einzelne Wörter oder Satzfragmente, die Assoziationen auslösen und sich zu einer Art Bedeutungsnetz verbinden. Eine Bedeutung, die aber weder vor noch hinter dem Text verborgen ist, sondern ein nur diesem Leser eigenes, neues Textgerüst ergibt. Stein beschreibt nichts, sie teilt nichts mit, sie führt den Leser mit ihren labyrinthischen Wort- und Satzverket-
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sagt !is a … is a … is a … " … Verstehen Sie denn nicht, dass, als die Sprache neu war, – wie bei Chaucer und Homer – der Dichter den Namen eines Dinges gebrauchen konnte, und das Ding dann wirklich da war? Er konnte sagen !O Mond", !O Meer", !O Liebe", und Mond und Meer und Liebe waren wirklich da. Und verstehen Sie denn nicht, dass er, nachdem Hunderte von Jahren vergangen und Tausende von Gedichten geschrieben worden waren, sich auf eben jene Worte berufen konnte und herausfinden, dass sie nur abgenutzte literarische Worte waren? Das Erregende des reinen Seins war von ihnen gewichen; es waren nur noch ziemlich abgegriffene literarische Worte. Nun, der Dichter muß in der Erregung des reinen Seins arbeiten; er muß der Sprache diese Intensität neu verleihen.“ Ein Auszug von „Sacred Emily“ ist abgedr. in: konkretismus: materialien, a.a.O., S. 32ff Marlis Gerhardt, Ich höre Stimmen und Rhythmen. Ein Porträt der amerikanischen Schriftstellerin. In: DIE ZEIT Nr. 44, Hamburg 25. 10. 1985, S. 66. Auf den Satz von Stein „Rose is a rose is a rose is a rose“ gibt es von Paul de Vree eine Paraphrase (Abb. in: Solt, a.a.O., S. 179): a rose is a rose as a rose for a rose for ever a rose
everywhere
ever is everywhere
Vgl. Josua Reichert, Die Rose von Gertrude Stein (1962), in: – auf ein Wort! Aspekte visueller Poesie und visueller Musik. Gutenberg-Museum Mainz 1987, S. 38 u. eine Variante in seinem Werkverzeichnis, a.a.O., S. 154 u. 157; das Anagramm von Timm Ulrichs, rose – eros (1962/1969/Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 45, sowie: Hommage to Gertrude Stein (1972/1977) in: Ulrichs, Totalkunst: Angesammelte Werke, a.a.O., S. 61 u. in: – auf ein Wort! a.a.O., S. 39ff.). Im Zusammenhang mit seiner Laufschrift „eine tautologie ist eine tautologie ist eine tautologie“ weist Ulrichs auf frühere Formen hin, z. Bsp bei Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (1878): „Oder ich negiere den Satz: die Rose ist eine Rose, wenn ich sage: die Rose ist keine Rose; und was kommt dabei heraus, wenn ich die Negation wieder negiere und sage: die Rose ist aber doch eine Rose“ – zitiert bei Breton, Die Manifeste des Surrealismus, a.a.O., S. 67 u. 134 und Jean Paul Sartre, Die Wörter. Hamburg 1968, S. 119.
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tungen in den Sprachkörper hinein und auf das Material, das diesen Körper ausmacht, zurück: – meditative Rückbesinnung, die einen Abstraktionsprozess von gewohntem Bedeutungsballast zur Konkretion einer bestimmten Denkfigur innerhalb einer neu entworfenen Wortwelt ermöglicht. „For me the work of Gertrude Stein consists in a rebuilding, an entire new recasting of life, in the city of words.“1462 Dies hat Bense – und damit ist zugleich auch der Bogen von Holz bis Stein und von Marinetti bis Schwitters und Belloli geschlagen – für sich so erklärt, „dass man heute, wo die Poesie sehr viel weniger an der außertextlichen Objektwelt als vielmehr an ihrer sprachlichen Eigenwelt interessiert ist, mit der Unterscheidung Schillers keine große Reichweite mehr besitzt, wenigstens nicht in dem poetischen Raum, der durch Mallarmé, Gertrude Stein und Arno Holz abgesteckt worden ist. Denn genau in diesem Raum wird, wenn auch nicht nur, die Sprache, ihre Eigenwelt selbst wesentlicher Gegenstand der Poesie; hier erscheint der Text vorab als Menge von Wörtern, aber nicht als Menge von Dingen, Gefühlen, Stimmungen u. s. w. Da indessen die Wörter nun einmal Bedeutungsträger sind, kann man sagen, dass für diese Poesie die Wörter nicht Vorwände für Objekte, sondern die Objekte Vorwände für Wörter sind. Man spricht gewissermaßen rückwärtsgewandt, also mit dem Rücken zu den Dingen, über Wörter, Metaphern, Kontexte, Zeilen, Laute, Morpheme und Phoneme. Es handelt sich um Poesie auf metasprachlicher Stufe, um eigenweltliche Poesie.“1463
V/6 Programmatik Insofern ist verständlich, dass Autoren wie Helmut Heißenbüttel zunächst ihre literarischen Arbeiten als „abstrakt“1464 bezeichneten, und damit einerseits auf Schwitters und seine Vorläufer zurückverwiesen, andererseits Richard Brinkmanns Definition genügten, der die Entwicklung 1462
1463
1464
Sherwood Anderson, The work of Gertrude Stein. In: Gertrude Stein, Geography and Plays. New York 1922/68, S. 8. Bense, Ausgewählte Schriften. Hg. Elisabeth Walther. Band 4: Poetische Texte. Stuttgart 1998, S. 529 f. Heißenbüttel „Abstrakte Prosa“ (in: Texte und Zeichen. Hg. Alfred Andersch. 2. Jg., H. 3, Stuttgart 1956, S. 267 ff.). Elisabeth Walther bezeichnete die Prosa Gertrude Steins als „abstrakten Text“ (in: Walther, Semiotische Analyse. In: Sprache im technischen Zeitalter 15, Berlin 1965, S. 1228). Zum Begriff „abstrakt“ bei Stein vgl. auch Wilder im Geleitwort zu: Stein, Was sind Meisterwerke?, a.a.O., S. 32. Vgl. Anm. 1092 ff.
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der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Bestimmung zusammenfasste: „Ich nenne ein Kunstwerk abstrakt, in dem nicht !Mimesis" im Sinne einer wie auch immer erweiterten Naturnachahmung das vorwaltende und lenkende Prinzip ist, in dem nicht die Aufbauformen, die Zusammenhänge und bildhaften Ganzheiten der Erfahrung ein wesentliches und grundlegendes Strukturgesetz sind, sondern Kompositionsformen eigener, künstlicher, nicht aus der Erfahrung bekannter Art.“1465 Doch dies ist nur eine Teilbestimmung dessen, was sich dann in der Mitte des 20. Jahrhunderts als „konkret“ in der Bezeichnung „Konkrete Poesie“ darstellte und ihre Entsprechung in der Diskussion über die Abgrenzung von „abstrakt“ gegenüber „konkret“ von Mauthner bis Bense fand, wobei Naum Gabo schon 1937 in seinem Aufsatz „Plastik: Bildnerei und Raumkonstruktion“ die radikale Forderung aufstellte, die Bezeichnung „abstrakt“ durch „konkret“ zu ersetzen: „Jedes Kunstwerk ist in seinem realen Dasein konkret, da es eine Empfindung in jedem unserer fünf Sinne auslöst. Ich glaube, es wäre eine große Hilfe für das allgemeine Verständnis, wenn dieses unglückliche Wort !abstrakt" aus dem theoretischen Wortschatz gestrichen würde.“1466 Mit einem Blick auf Schopenhauer und in Abgrenzung zu Hegel stellte Mauthner noch fest, „dass wirklich konkret nur die Wirklichkeit selber ist, dass abstrakt völlig gleichbedeutend ist mit begrifflich (…) dass also ein Wort oder ein Begriff darum niemals eigentlich konkret sein kann.“1467 Demgegenüber kam Bense aber, und gleichsam Gabo fol1465
1466
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Brinkmann, „Abstrakte Lyrik“ im Expressionismus und die Möglichkeit symbolischer Aussage. In: Der deutsche Expressionismus. Formen und Gestalten. Hg. Hans Steffen. Göttingen 1965, S. 90. Zur Problematik des Begriffs „Abstrakte Dichtung“ vgl. Beda Allemann, Gibt es abstrakte Dichtung? In: Definitionen. Hg. Adolf Frisé. Frankfurt 1963, S. 183 und die Ausführungen bei Scheffer, Anfänge experimenteller Literatur, a.a.O., S. 10 u. 275 f. Naum Gabo, 60 Jahre Konstruktivismus. München 1986, S. 209. Heißenbüttel spricht von einer Begriffsüberlagerung und nennt das Beispiel Malewitsch und Mondrian, die einerseits als abstrakte Maler, andererseits „zu Erzvätern der Konkreten erklärt“ wurden. „Die Verwendung des Begriffspaares abstrakt-konkret ist ein Indiz dafür, dass in der Kunst, auf die es angewendet wird, ein grundsätzlich anderer Realitätsbezug maßgebend ist als in jeder früheren Kunstepoche. Kunst, Musik, Literatur usw. beziehen sich nicht auf etwas, das außerhalb davon in einer bestimmten, theologischen, philosophischen oder wissenschaftlichen Definition als Wirklichkeit erkannt wird, sie versuchen, von sich aus Wirklichkeit zu setzen.“ (Heißenbüttel, Was ist das Konkrete an einem Gedicht?, a.a.O., S. 50). Fritz Mauthner, Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band. Zürich 1980, S. 10 (Nachdruck der Erstausgabe von 1910/11). Zu Mauthners Bedeutung im Hinblick auf die für die Konkrete Poesie
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gend, zu der Auffassung. „Was den Ausdruck !konkret" angeht, so ist er zunächst, wie auch bei Hegel, durchaus als Gegensatz zum Ausdruck !abstrakt" zu verstehen. Das Konkrete ist das Nichtabstrakte. Alles Abstrakte hat etwas zur Voraussetzung, von dem gewisse Merkmale abstrahiert wurden. Alles Konkrete ist hingegen nur es selbst. Ein Wort, das konkret verstanden werden soll, muss ganz und gar beim Wort genommen werden. Konkret geht jede Kunst vor, die ihr Material so gebraucht, wie es den materiellen Funktionen entspricht, nicht aber wie es im Sinne von Übertragungsvorstellungen unter Umständen möglich wäre. In gewisser Hinsicht könnte also die !konkrete" Kunst auch als !materiale" Kunst aufgefasst werden.“1468 Benses Position war einerseits geprägt von Entwürfen einer neuen Texttheorie1469, die zurückgingen auf Zeichentheorien von Charles William Morris (1901–1979)1470 und Charles Sanders Peirce (1839–1914)1471, andererseits aber auch von Überlegungen zur Informationsästhetik Konkreter Kunst, maßgeblich beeinflusst1472 vor allem durch Äußerungen von Max Bill. Und dieser brachte einen Gedanken ein, der in der Kennzeichnung Konkreter Kunst oft als weniger bedeutsam erachtet wird, als die vom Material- und Zeichengedanken bestimmte mathematische Denk- und Konstruktionsweise, die – so z. B. S. J. Schmidt in der Ableitung aus Programmatiken von Mondrian und van Doesburg –, reduziert auf mathematisch-geometrische Regelwerke, Proportionslehren, sowie
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bedeutsame Sprachkritik siehe: Gerald Stieg, Konkrete Poesie. In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. Klaus von See. Literatur nach 1945 II. Themen und Genres. Hg. Jost Hermand. Wiesbaden 1979, S. 61. Bense, Konkrete Poesie. In: Sprache im technischen Zeitalter 15, Berlin 1965, S. 1240 (Sonderheft: Texttheorie und Konkrete Dichtung). Bense, Programmierung des Schönen, a.a.O., S. 51 ff. Morris, Foundations of the Theory of Signs. Chicago 1938 (dt. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie. München 1972). In der von Bense herausgegebenen Reihe „rot“ erschienen: Pierce, über zeichen. rot 20. Stuttgart 1965 und Pierce, graphen und zeichen. prolegomena zu einer apologie des pragmatizismus. rot 44. Stuttgart 1971. Bense, der eng mit Elisabeth Walther zusammenarbeitete, beruft sich in seinen Schriften mehrfach auf ihre „Semiotische Analyse“ (in: Sprache im technischen Zeitalter 15, a.a.O., 1214 ff.). Bense, Aesthetica. Metaphysische Beobachtungen am Schönen. Stuttgart 1954, S. 62 ff. und Bense, Aesthetische Information. aesthetica II. Krefeld/Baden-Baden 1956, S. 87 f. Vgl. auch Bense, Konkrete Poesie, a.a.O., S. 1241, dieser Beitrag wurde zuerst gedruckt in: Sprache im technischen Zeitalter 15, Berlin 1965, S. 1236 ff., in diesem Heft gibt es weitere Beiträge u. a. von Peter Schneider, Konkrete Dichtung (S. 1197 ff.), Helmut Wartwig, Schrift und Nichtschrift – kritische Notizen zur Konkreten Dichtung (S. 1228 ff.).
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Konkrete Poesie
Farb- und Reihengesetze, sinnliche Wahrnehmung ausschaltete und Entindividualisierung propagierte.1473 Bill betrachtete die Konkrete Kunst als eine janusköpfige Ausdrucksform: „konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem mass und gesetz. sie ordnet systeme und gibt mit künstlerischen mitteln diesen ordnungen das leben. sie ist real und geistig, unnaturalistisch und doch naturnah. sie erstrebt das universelle und pflegt dennoch das einmalige. sie drängt das individualistische zurück, zugunsten des individuums.“1474 Und noch deutlicher äußerte er sich in „die mathematische denkweise in der kunst unserer zeit“ (1949): „unter mathematischer denkweise in der kunst soll hier nicht das verstanden werden, was man landläufig vielleicht als !errechnete kunst" bezeichnen könnte (…) denn kunst braucht gefühl und denken (…) es ist nötig immer wieder zu betonen, dass eines der wesentlichen merkmale des menschen das denken ist. das denken ermöglicht es auch, gefühlswerte in einer weise zu ordnen, dass daraus kunstwerke entstehen (…) unsichtbares, abstraktes denken wird konkret, anschaulich und damit empfindungsmäßig wahrnehmbar … die mathematische denkweise in der heutigen kunst ist nicht die mathematik selbst, ja sie bedient sich vielleicht kaum dessen, was man unter exakter mathematik versteht. sie ist vielmehr eine anwendung logischer denkvorgänge zur gestaltung von rhythmen und beziehungen, von gesetzen, die individuellen ursprung haben (…) sie sind nicht formalismus, für den man sie oft fälschlicherweise
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Schmidt, Konkrete Dichtung. Ergebnisse und Perspektiven. In: Ästhetische Prozesse. Beiträge zu einer Theorie der nicht-mimetischen Kunst und Literatur. Köln 1971, S. 140 f. u. Konkrete Dichtung: Theorien und Konstitution, a.a.O., S. 157. Vgl. zu diesen Gedanken auch den längeren Beitrag: Dencker, Über das Konkrete im Raum – Ein Versuch zur Plastik. In: Tendenzen konkreter Plastik. Hg. Josef Linschinger. Piesport 1996, o. P. dokumentation zur ausstellung max bill, a.a.O., 31. 1936 für den Katalog „zeitprobleme in der schweizer malerei und pastik“ (Kunsthaus Zürich) entworfen. Hier aus der für den Katalog der Ausstellung „zürcher konkrete kunst“ (1949) überarbeiteten Fassung zitiert. Mit Bezug auf die Konkrete Poesie und im Hinblick auf ein Zitat von Bense/Döhl im Manifest „Zur Lage“ (siehe Anm. 1496) stellt Raoul Schrott fest: „Ihre Intellektualität ist !cartesianisch", ihre Moral !ästhetisch" und ihr Denken !synthetisch-rationalistisch". Dabei ist jedoch das Phänomen erkennbar, dass all ihre Theorielastigkeit wider Willen in das Gegenteil umkippt. Das !Mechanistische" kann sich dennoch, wenn auch nur andeutungsweise, in das !Intuitive" verwandeln, genau wie das Gedicht nach Franz Mon !theoretisch" und zugleich !mystisch" ist.“ (Schrott, Über die antiken Wurzeln der Konkreten Poesie, a.a.O., S. 184).
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anspricht; sie sind nicht nur form als schönheit, sondern form gewordener gedanke, idee, erkenntnis: also nicht auf der oberfläche vorhandene substanz, sondern strukturen des weltgefüges, des verhaltens, entsprechend dem bild, das wir uns heute von der welt vorstellen können, aber nicht abbild, sondern neues system, vermittlung elementarer kräfte auf sinnlich wahrnehmbare weise. man könnte vielleicht sagen, damit sei die kunst zu einem zweig der philosophie geworden, zu einem teil der darstellung der existenz.“1475 Konkrete Kunst als existenzialistische Ideen- und Erkenntniskunst: – Max Bense hatte anlässlich einer Bill-Ausstellung in Esslingen 19651476 diesen kunstphilosophischen Hintergrund Bills, der nach Bills eigener Darstellung schon in seinem Beitrag „von der abstrakten zur konkreten malerei im XX. jahrhundert“1477 auf Platon zurückgeführt werden könnte, direkt angesprochen: Konkrete Kunst als künstlerische Form des Platonismus1478. Die dafür gültigen Quellen wären Platons „Philebos“1479 und die Passage zur Erschaffung der Welt im „Timaios“1480. Aber auch bei Hegel tauchen die Begriffe „konkret“ und „abstrakt“ in kunstphilosophischem Zusammenhang auf, in der Terminologie – besonders in der „Ästhetik“1481 – durchsetzt von Platonismen, allerdings mehr als metaphysische Beschreibung der ästhetischen Wahrnehmung und nicht, wie es Bense formulierte und das neue Selbstverständnis der Kunst des 20. Jahrhunderts forderte, „die das Sein des Kunstwerks selbst berücksichtigt.“1482 Vor diesem Hintergrund gewinnen die Programmatiken im Umfeld der Konkreten Poesie seit Mitte des 20. Jahrhunderts an zusätzlichem 1475 1476
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1480 1481
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dokumentation zur ausstellung max bill, a.a.O., S. 75 ff. Max Bills ästhetische Zustände. In: Max Bense, Artistik und Engagement. Köln 1970, S. 92. In: pro arte, Vol. 2, No. 15/16, Genf 1943 (überarbeitet für den Ausstellungskatalog „arte astratta e concreta“, Milano 1947). „Max Bill als Platoniker, konkrete Malerei als eine künstlerische Form des Platonismus“ (Max Bills ästhetische Zustände, a.a.O., S. 95). Eckhard Niebel, Untersuchungen über die Bedeutung der geometrischen Konstruktion in der Antike. Köln 1959. Platon, Sämtliche Werke 5. Politikos, Philebos, Timaios, Kritias. Hg. Ernesto Grassi u. a. Reinbek 1959/1963, S. 121/51b ff. Platon, Sämtliche Werke, a.a.O., S. 156/31bff u. S. 175/c ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. I. Die Idee de Kunstschönen oder das Ideal. 2. Kapitel (Texte unter: www.textlog.de/hegel_aesthetik.html). Bense, Aesthetica, a.a.O., S. 61. Vgl. auch Bense, Aesthetische Information, a.a.O., 87 f.
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Konkrete Poesie
Interesse, insbesondere, wenn von den Autoren selbst direkte Bezüge zum „platonischen Weltbild“ hergestellt werden, wie z. B. von Heinz Gappmayr, der sich dazu am genauesten geäußert hat. In seinem Beitrag „Was ist konkrete Poesie?“1483 erläutert Gappmayr die Diskrepanz zwischen der konkreten Wirklichkeit und dem Begriff von Wirklichkeit, von dem konkreten Haus, in dem ich wohne und dem Begriff (Wort) „Haus“, der in seiner konkreten Eigenschaft als Wort mit vier Buchstaben nur sich selber, also die Wortfigur meint und eindeutig ist, im Gegensatz zum „Inhalt“ des Begriffs, der unbegrenzt alle Vorstellungsmöglichkeiten von „Haus“ umfassen kann. Und betrachtet man die Wörter „Haus“, „maison“ und „casa“, dann handelt es sich nur scheinbar um den selben Begriff, denn die unterschiedliche konkrete Wortfigur (vielleicht noch unterstützt von formalen, typografischen Elementen) beeinflusst wiederum die Begriffsbildung, die Ideenwelt der von Sprache ausgelösten Vorstellung. So kommt Gappmayr zu der Feststellung: „Die !Physiognomie" der Begriffe und ihr ideenhafter Charakter spielen in der konkreten Poesie eine entscheidende Rolle. Es gilt aus dem !Material" der Sprache, das bloß zur Verständigung und Orientierung in der Gegenstandswelt dient und daher nichts anderes ist als ein Hilfsmittel im immanenten Bereich der Objekte, die transzendentale Realität des Begrifflichen zu gewinnen und sichtbar zu machen. Dies ist bei aller formalen Verschiedenheit innerhalb der konkreten Dichtung, das allgemein verbindende Prinzip ihrer Ästhetik.“1484 Daraus ergibt sich nach Gappmayr, dass dem Gegensatzpaar „konkret“ und „abstrakt“ nicht die Unterscheidung von empirischem Objekt und Begriff entspricht, da beide unmittelbar gegeben seien, einmal als Objekt in der Erfahrung und zum anderen der Begriff im Denken. Das heißt, hinweisen und abstrahieren auf sprachlicher Ebene ist immer zugleich urteilen. In der Konkreten Poesie gibt es aber keine Urteile über etwas, sondern „kategoriale Formen des Denkens“ von etwas: „Konkret ist sowohl das Zeichen, das heißt die Einheit der Linien und Laute mit den Bedingungen ihres Erscheinens, als auch der Begriff, seine Begrifflichkeit, seine Idealität und seine kategoriale Zugehörigkeit (…) In der gegenseitigen Abhängigkeit erscheinen Zeichen und Begriffe als eine untrennbare Einheit, als ein ideenhaftes, universelles Ganzes.“1485 „!Kon1483 1484 1485
In: Konkrete Poesie/Text + Kritik 25, a.a.O., S. 5 ff. A.a.O., S. 7. Heinz Gappmayr, Die Poesie des Konkreten. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 6 f.
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kret" bedeutet im Zusammenhang mit der konkreten Poesie also das Unmittelbare der Zeichen, das sich in Gedachtes, Sinnhaft-Logisches, Ideenhaftes verwandelt, wobei aber dieser Prozess nie zum Abschluss kommt, sondern als Erscheinen des Seins der Dinge zugleich die Gegenwart der transzendentalen Formen des Denkens ist.“1486 Der Zeichencharakter der Sprache und noch weiter gefasst, die Sprache der nicht-alphabetischen Zeichen, auf einer durch sie definierten Fläche1487 oder in einem durch sie definierten Raum1488, entfalten in Bezug auf den Betrachter damit eine eigene konkrete Seinswirklichkeit, deren Wahrnehmung im Hinblick auf eine durch diese ausgelöste Ideenbildung allerdings auch eine eigene, besondere Rezeption erfordert. Es handelt sich um neue Formen der Wahrnehmung von Literatur, wie sie bereits beschrieben wurden (Stichwort: „offene Form“ und „Produktivität des Rezipienten“) und spätestens mit Mallarmé’s „Coup de Dés“ zu neuen Lesevorgängen führten, die Kriwet vor Augen hatte, als er schrieb: „Überspitzt könnte man zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts sagen: nicht das Gelesene, sondern das Lesen selbst wird komponiert; mithin wird die Wahrnehmung zum wesentlichen Parameter und mit ihr der Wahrnehmende, der Betrachter und Leser (…) Daher muss in Textformen, die sich der Anwendung der Lesevorgänge als Parameter verdanken, ebenfalls1489 das Prinzip der Selektion komponiert sein. Dieses wiederum ist ein Grundprinzip der offenen Form, welche die selektiv gefällten Entscheidungen des Betrachters und Lesers nicht nur miteinbezieht, sondern aktualisiert. Offene Formen sind nicht auf Geschlossenheit aus, was nicht heißt, dass sie weniger komplex sind, als geschlossene Formen; – es erweist sich vielmehr, dass die Komplexität nicht-geschlossener Formen meistens größer ist, als die geschlossener, weil in ihnen alle oder doch viele der einzelnen Formelemente und Mikropartikel in einer kontextuell ungleich intensiveren, dichteren Beziehung stehen müssen, soll die gesamte Form nicht auseinanderfallen; denn sie wird schließlich von keiner übergeordneten geschlossenen Form, Aussage oder Idee zusammengehalten oder eingeklammert.“1490 Dieses Auseinanderfallen liegt nahe – und sein Gegenteil kann deshalb als ein Kriterium für Qualität betrachtet werden –, weil durch die 1486 1487 1488 1489
1490
In: Konkrete Poesie/Text + Kritik 25, a.a.O., S. 8. Vgl. Anm. 76. Vgl. Heinz Gappmayr, Text Farbe Raum. Innsbruck 2000. Kriwet sagt, dass der vielschichtige und differenzierte Vorgang des Lesens ganz allgemein auf dem Prinzip der Selektion beruht. Kriwet, leserattenfaenge, a.a.O., S. 18.
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Konkrete Poesie
Aufgabe des eindimensionalen linearen Textflusses eine in der Tradition wirksame Wahrnehmungshilfe entfällt und der Betrachter/Leser gezwungen ist, anstelle dieser bisher vorgegebenen Orientierung seine eigene innerhalb einer zweidimensionalen Textfläche zu entwickeln, was umso besser gelingt, je dichter das von Kriwet angesprochene Beziehungsnetz ist. Bense hatte auf diesen wesentlichen Unterschied vom Prinzip der Zeiligkeit, der Linearität, der Eindimensionalität eines Textes im Gegensatz zum zweidimensional sich entwickelnden Zeichen- und Informationsfluss als Ereignis auf einer Fläche aufmerksam gemacht, wobei er (nach Elisabeth Walther) noch differenzierte und materiale Textflächen (Beispiel: Gomringers Konstellationen) von phänomenalen Textflächen (Beispiel: „L’Araignée“ von Francis Ponge mit der Antizipation von Inhalt durch Typografie) unterschied. Und insofern verlagerte sich mit der Wahrnehmung der Textfläche (also optischer Texte, wie die der Konkrete Poesie) die Aufmerksamkeit von Elementen linearer Texteinheiten auf diejenigen nicht-linearer Bildeinheiten.1491 Dies bestimmte auch Benses Definition von Konkreter Poesie: „es handelt sich um eine poesie, die weder den semantischen noch den ästhetischen sinn ihrer elemente, etwa der wörter, durch die übliche bildung linear und grammatisch geordneter kontexte erzeugt, sondern dabei auf visuelle und flächige konnexe reflektiert. nicht das nacheinander der wörter im bewußtsein ist also das ursprünglich konstruktive prinzip dieser art von poesie, sondern ihr miteinander in der wahrnehmung. das wort wird nicht in erster linie als intentionaler bedeutungsträger verwendet, sondern mindestens darüber hinaus auch als materiales gestaltungselement, aber so, dass bedeutung und gestaltung einander wechselseitig bedingen und ausdrücken.“1492 1491
1492
Bense, Visuelle Texte. In: Bense, Programmierung des Schönen, a.a.O., S. 110 ff. Eine sehr frühe Konzeption zum Verhältnis Text und Textfläche, hat Kriwet Anfang der 1960er Jahre entworfen: Kriwet, Stichnoten I. Leseeskapadenomination. In: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 40 f. M. B., konkrete poesie. In: konkrete poesie international. Stuttgart 1965, Nachwort (=rot 21). Und 1969 folgt die Bestimmung: „Konkrete Texte benutzen im idealen Fall die Sprache nicht als Bedeutungsträger, sondern darüber hinaus und vielleicht noch betonter als lautlichen und visuellen Akt. Das Wort erscheint also gleichzeitig auf der Morphem-Ebene (der Bedeutung), der Graphem-Ebene (der figürlichen Wahrnehmbarkeit) und der Phonem-Ebene (des Klangverlaufs) als poetisches Gestaltungsmittel. Der Kontext eines Konkreten Textes ist gleichzeitig semantischer, visueller und phonetischer Zusammenhang.“ (In: Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 95).
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Franz Mon entwarf in mehreren Beiträgen1493 einen Katalog dieser wechselseitigen Bedingungen und Wertigkeiten zum Verhältnis von Textpartikel und Flächeneinheit (die er Textgrund nennt und die dabei zur Textkonstituenten wird), wobei er den Begriff der „Gestik“ eines Textes einführte: „In der Zweidimensionalität der Fläche kann sich ein Teil der Gestik eines Textes darstellen: Expansion, Schachtelung, Reihung, Stauung, Fallenlassen und viele andere, oft nicht mehr beschreibbare gestische Bewegungen vermögen sich in der flächigen Textanordnung niederzuschlagen, ohne den Text selbst thematisch zu belasten. Das Textbild vollzieht sie, statt dass von ihnen gehandelt wird. Die optische Gestik gesellt sich selbstverständlich zur phonetischen und zur semantischen – als Ergänzung, Erweiterung, Spannung, Negation.“1494 So entsteht – nach Mon – aus „zeichen und fläche eine funktionelle einheit“1495, wobei die Grenzen zwischen Text und Bild zu verschwimmen beginnen, und deshalb „wächst den techniken der textherstellung besonderes gewicht zu/ mechanische oder fototechnische überlagerung der schriftelemente/ zerreissen zerschneiden/ zerknäulen und pressen/ collagieren bewirken die destruktion des gegebenen schriftmaterials bzw. die konstruktion neuer textformen“. Dies führte nun, wie Bense/Döhl in ihrem Manifest „Zur Lage“ forderten, zu einer „poesie der mischformen“: „ihre kriterien sind experiment und theorie, demonstration, modell, muster, spiel, reduktion, permutation, iteration, random (störung und streuung), serie und struktur. das erzeugen ästhetischer gebilde erfolgt nicht mehr aus gefühlszwängen, aus mumifizierender oder mystifizierender absicht, sondern auf der basis bewusster theorien, intellektueller (cartesianischer) redlichkeit. zur realisation ästhetischer gebilde bedarf es des autors und des druckers und des malers und des musikers und des übersetzers und des technikers und programmierers.“1496
1493
1494
1495 1496
„zur poesie der fläche“, texte in den zwischenräumen“, „buchstabenkonstellationen“ in: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 167 ff. u. „textflächen“ in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XLVII, sowie „Über konkrete Poesie“ in: Texte über Texte, a.a.O., S. 86 ff. Texte über Texte, a.a.O., S. 46 f. Äußerungen in diesem 1963 verfassten Text „Poesie der Fläche“ gehen zurück auf Mons „artikulationen“ (Pfullingen 1959, z. B. S. 14). Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XLVII. konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 166.
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Konkrete Poesie
Dem folgte auch Helmut Heißenbüttel1497, der von medialen Grenzüberschreitungen1498 sprach, für die Anwendung größtmöglicher Verfahrensspielräume eintrat und in der Vielzahl entstandener Formen der Konkreten Poesie auch eine Reaktion und einen Spiegel der veränderten Erfahrung auf eine veränderte Umwelt erkennen wollte. Vor allem auf ein Grundprinzip wies er mit Nachdruck hin, das in allen Programmatiken seit der Jahrhundertwende immer konsequenter verfolgt wurde: die Reduktion. Reduktion einerseits ausgehend von einer Materialbegrenzung, andererseits von der reflexiven Selektion bestimmt, die scheinbar zur Vereinfachung neigte, aber Präzisierung und Eindeutigkeit zum Ziel hatte. „unsere zeit spricht, wie jede zeit, ihre eigene sprache (…) unsere sprachen befinden sich auf dem weg der formalen vereinfachung. es bilden sich reduzierte, knappe formen. oft geht der inhalt eines satzes in einen einwort-begriff über (…) knappheit im positiven sinne – konzentration und einfachheit – sind das wesen der dichtung“.1499 Aus diesem Grundprinzip heraus sind auch die programmatischen Äußerungen Gomringers zu verstehen und sein Bemühen, einen Formenkatalog1500 zu entwickeln, der nicht nur die Gedichtformen im tradierten Kanon klassischer Rhetoriken ersetzen, sondern vor allem eine Antwort auf die „zeit“ geben wollte. Denn eine seiner Vorstellungen war, die Poesie, auch als „Gebrauchsgegenstand“1501, mit einer neuen und besonderen
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1498
1499 1500
1501
Heißenbüttel, Anmerkungen zur konkreten Poesie. In: Text + Kritik 25, a.a.O., S. 19 ff. Vgl. Heißenbüttel, Kurze Theorie der künstlerischen Grenzüberschreitung. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 21 ff. Gomringer, vom vers zur konstellation. In: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 154. Vgl. Anm. 84 ff. Vgl. auch „Charakteristika der gebräuchlichsten Formen der konkreten Poesie (1986)“ in: Deine Träume – mein Gedicht. Eugen Gomringer und die konkrete Poesie. Hg. Cornelius Schnauber. Nördlingen 1989. S. 55 ff. Vgl. auch Schmidt, Zur Poetik der konkreten Dichtung. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 83 f. Gomringer, das gedicht als gebrauchsgegenstand (1960) in: konkretismus: materialien, a.a.O., S. 117 ff.; Gomringer, Poesie als Mittel der Umweltgestaltung, a.a.O., S. 8: „Ich muß bei meinen Betrachtungen von den Gedanken und Zielen ausgehen, welche am Beginn der Konkreten Poesie lebendig waren (…) auf meine eigenen Äußerungen und damaligen Gedanken abstellen, da sie tatsächlich immer in einem Zusammenhang mit dem Thema !Poesie als Mittel der Umweltgestaltung" standen und immer noch stehen.“ „Das dichterische Produkt – Gebrauchgegenstand.“, das ist der letzte Satz des Manifests der NoigandresGruppe, in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXVIII. Und Bense schlägt schließ-
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Funktion auszustatten, um „damit den platz des dichters zu seinem nutzen und zum nutzen der gesellschaft neu zu bestimmen.“1502 Wie wichtig Gomringer die Beziehung von Dichtung und Gesellschaft war, ist an seinem Manifest „23 punkte zum problem !dichtung und gesellschaft"“1503 aus dem Jahr 1958 erkennen. Ausgehend von einem Satz Ludwig Wittgensteins „Und eine Sprache vorstellen, heisst sich eine Lebensform vorstellen“, den er in diesem Manifest zitiert, spitzt er an anderer Stelle zu: „die inhaltsfrage ist für den konkreten dichter eng verbunden mit einer solchen der lebenshaltung, in welche die kunst wirksam einbezogen ist.“1504 Diese fast wieder rückwärts gewandte Propagierung der Idealvorstellung einer Einheit von Kunst und Leben wird schließlich noch ergänzt von der Hoffnung, „dass die konkrete dichtung die idee einer universalen gemeinschaftsdichtung zu verwirklichen beginnt“.1505 Der Kern dieser eher allgemeinen Äußerungen, nämlich, dass der Autor dieser neuen Poesie mit seiner Produktion immer noch seiner Zeit und ihrer gesellschaftlichen Bedingungen verhaftet ist, wurde auch in anderen Programmatiken gesehen1506, allerdings dort mit einer konkreten inhaltlichen Aufgabenstellung verbunden1507, die
1502 1503
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lich eine Brücke zur Werbung, indem er hervorhebt, daß konkrete Texte infolge ihrer besonderen typografischen und grafischen Konstruktion plakativen Texten ähneln: „das heißt ihr ästhetisches kommunikationsschema entspricht gern einem werbetechnischen. so ähneln konkrete texte oft werbetexten“ (Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XLII). Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXIV. Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXIX ff. Vgl. auch: Gomringer, Poetry as a Mean for the Structuring of a Social Environment. In: Visible Language Vol. X, No. 3, Cleveland/Ohio 1976, S. 227 ff. Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 39. Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 41, auch in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. XXX f. So z. B. bei Heißenbüttel: „Der weiteste Begriff, den man von konkreter Poesie bilden könnte, so meine ich, besteht darin, dass man deren Tendenzen nicht nur als neue Sprechweise erkennt, sondern ebenso als eine neue Weise, sich sprachlich in dieser Welt zu orientieren. Ich bin überzeugt, dass die Sprache als das Medium der menschlichen Sozialität, weit genug ist, das herzugeben.“ (Heißenbüttel, Anmerkungen zur konkreten Poesie, a.a.O., S. 21). Ganz wichtig etwa in Ländern, in denen die Konkrete Poesie noch eine Art geistiger Freiraum und kritisches Medium für mögliche Mitteilungen in den internationalen Raum war, wie z. B. in der Tschechoslowakei der 1960er Jahre. Dazu: Bohumila Grögerová/Josef Hirsˇal, Beginn und Entwicklung der konkreten und visuellen Poesie. In: Gedicht Bild Geste Laut. Hg. Ministerium für auswärtige Angelegenheiten der Tschechischen Republik. Prag 1998, S. 7 ff.
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bei Gomringer fehlte1508, so dass ihm vorgeworfen wurde, seine Arbeiten seien affirmativ und trügen eigentlich außer der guten Absicht nichts zur Lösung gesellschaftlicher Probleme bei.1509 Bense und Döhl sprachen selbst einem Autor des von der Sprachtheorie gelenkten „ästhetischen Spiels“ eine klarere Zielsetzung zu: „zwar bleibt auch dieser autor, als intellektuelles individuum einer zivilisation und ihrer gesellschaft, ebendieser gesellschaft verpflichtet: aber an stelle der ethischen verpflichtung tritt die ästhetische moral, an stelle des kategorischen imperativs zählt die ästhetische auseinandersetzung (mit der sprache des unmenschen etwa), an stelle der mitgeteilten fabel gilt das ästhetische spiel. in einem solchen sinne sprechen wir auch von poesie heute als einer ästhetischen negation gesellschaftlicher zustände, zivilisatorischer mängel.“1510 Die hier schon erkennbare gesellschaftspolitische Komponente1511 bekommt durch Claus Bremers „engagierende texte“1512 und Chris Bezzels Beitrag „dichtung und revolution“1513 aus dem Jahr 1971 – also vor 1508
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Obwohl er in „Poesie als Mittel der Umweltgestaltung“ (a.a.O., S. 19) erwähnt: „Die Konkrete Poesie oder besser gesagt die Methode der Konkreten Poesie erstreckt sich auf gesellschafts-kritische Poesie, auf Vietnam und Biafra, auf HippyArrangements“ und in „23 punkte zum problem dichtung und gesellschaft“ (1958) schrieb: „das problem der wechselseitigen beziehung von dichtung und gesellschaft ist von dauernder aktualität“ (in: konkretismus: materialien, a.a.O., S. 111 f.). Reinhard Döhl, Engagement und konkrete Poesie. In: Konkrete Poesie. Akten des Kolloquiums in Lille, a.a.O., S. 51 f. Bense/Döhl, Zur Lage. In: konkrete poesie (1972), a.a.O., S. 165. Für die Döhl als Kurator der Ausstellung „Text Buchstabe Bild“ im Helmhaus Zürich 1970 eine eigene Sektion „engagierende texte“ einrichtete (vgl. Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. 89 ff.). „Alle Texte, die ich hier zeige, sind so geschrieben, dass die Haltung, zu der sie einladen, auch in unseren gesellschaftlichen, politischen Verhältnissen ihr Wirkungsfeld finden kann. Es sind keine engagierten Texte, es sind engagierende Texte.“ (Bremer, Texte und Kommentare, a.a.O., o. P. dort auch Abb. 145). Auf einen Widerspruch zu dieser Äußerung weist Jürgen Schmidt, Konkrete Poesie. In: Format 18, 4. Jg., H. 6, Karlsruhe 1968, S. 4, wenn Bremer 1967 schreibt: „These are not engaging texts. They are engaged texts“. In: anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P.) Zu den hier kommentierten Beispielen vgl. auch weitere in: Bremer, engagierende texte. Stuttgart 1966 (= futura 8) u. Bremer, ANLAESSE, a.a.O., S. 80 f. Vgl. dazu: Peter Handke „Eine engagierte Literatur gibt es nicht.“ in dem Beitrag „Die Literatur ist romantisch“ in: P. H., Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturmes. Frankfurt 1972/1975, S. 43. In: Experimentelle und Konkrete Poesie – Vom Barock zur Gegenwart. Hg. Peter Reichartz. Stuttgart 1981, S. 121 f.
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Abb. 145: Claus Bremer, Selig sind die …, 1968
dem Hintergrund der politischen Bewegung der Jahre um 1968 – eine noch eindeutigere Bestimmung, die über die bloße Veränderung der Literatur innerhalb eines gesellschaftlichen Bezugssystems hinausgeht: „revolutionär ist damit eine dichtung, die das medium sprache selbst verändert, umfunktioniert, die den hierarchischen sprachlichen charakter zerstört, die im neuartigen sprachspiel und durch das neuartige sprachspiel diejenige gesellschaftliche umwälzung vorwegnimmt, für die alle revolutionäre arbeiten. dichter unter diesem aspekt ist also der, der mit poetischen mitteln im medium der sprache die sprache selbst als ein menschliches zeichensystem für menschen revolutioniert. dichtung der revolution bedeutet revolution der dichtung.“1514 Ob allerdings das gesellschaftspolitische Engagement der Avantgarde, die teilweise Verherrlichung des Krieges durch die italienischen Futuristen oder der Protest der Dadaisten gegen den Krieg, ob das Ma1514
In Experimentelle und Konkrete Poesie – Vom Barock zur Gegenwart, a.a.O., S. 121 f.
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Abb. 146: Paul de Vree, revolutie, 1968
Abb. 147: Paul de Vree, Revolutie II, 1972
nifest der Wiener Gruppe gegen die Wiederbewaffnung Österreichs1515 oder einzelne Autoren wie Paul de Vree etwa mit seiner typografischen Figuration „revolutie“1516, Hansjörg Mayers Permutation „sau/aus/usa“ (1965)1517 oder Yüksel Pazarkayas kritischer Orden1518 mehr bewirken konnten, als Gomringers Konstellationen, und vielleicht doch weniger Dichtung im Dienste der Revolution als vielmehr Revolution im Dienste der Dichtung waren, ist zumindest eine offene Frage. Sie gilt jedenfalls für die Konkrete Poesie – etwa im Gegensatz zur Visuellen Poesie, die durch die Hereinnahme von umweltbezogenen, nichtalphabetischen visuellen Elementen1519 vielfältigere Möglichkeiten be1515
1516
1517 1518
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Hans Carl Artmann, Manifest (1955). In: Die Wiener Gruppe (1967), a.a.O., S. 18 ff. Beispiele im Katalog des Provinciaal Museum Hasselt, a.a.O.; Abb. 146 in: Paul de Vree, Verzamelde Gedichten. Nijmegen/Brügge 1979, S. 303. Abb. 147 in: http://www.muhka.be/verzamelt_depot_detail.php?work_id=929&person_id= 123&letter=V&la=nl. an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P. Geformt aus den Wörtern s¸ah=schah, taç=Krone, halk=Volk, aç=hungrig, Abb. in: Text Buchstabe Bild, a.a.O., S. 91. Was Gomringer 1978 im Ausstellungskatalog „Tecken“ der Konsthall Malmö dann später erkannte: „das visuelle moment ist bei ihr nicht mehr nur auf spezifisch alphabetische zeichen angewiesen, sondern beruht oft in collageartigen konstellationen solcher zeichen mit reinen ikonen. dieser hinweis auf !mehr welt" durch einbezug desparater substrate kann zweifellos im zusammenhang mit einem umfassenden semiotischen verständnis unserer begegnung mit der
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saß1520 –, die nach knapp zwei Jahrzehnten als eine abgeschlossene Produktionsform betrachtet wurde1521, deren Möglichkeiten alle durchgespielt schienen und deren Spielraum sich für viele Autoren als zu eng
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wirklichkeit gesehen werden“ (S. 66). 1955 schrieb schon Helmut Heißenbüttel in einem Brief an Eugen Gomringer (25. Juni 1955): „ich halte die Schwierigkeiten, die uns bevorstehen für außerordentlich groß und auch noch gar nicht zu übersehen. Denn die Konstellation hat keinen Sinn, wenn sie leer bleibt. Das Spiel und das absolute Wort sind allein nicht in der Lage, diesen Sinn zu ersetzen. Es bedarf der Erfahrung dazu, der Erfahrung unserer Welt.“ (in: konkretismus: materialien, a.a.O., S. 107). Wie das Beispiel von Paul de Vrees „pacem in terris“ zeigt: in der Version 1 der Konkreten Poesie als (Schreibmaschinen)Typogramm (Abb. in: de Vree, Verzamelde Gedichten, a.a.O., S. 295) und in der Version 2 der Visuellen Poesie mit verschiedener Typografie und dem übergroßen Collageteil eines Panzers (Abb. in: antologia da poesia visual europeia, a.a.O., S. 129), siehe dazu auch Abb. 146/147. Am deutlichsten war dies in Italien zu beobachten, wo sich im Gegensatz zur „poesia visuale“ und „poesia concreta“ die „poesia visiva“ entwickelte, Lamberto Pignotti Abb. 148 a u. b Archiv Dencker, Abb. 149 In: Gabrielle Dalesio, Eugenio Miccini Poesia é avventura. Colognola ai Colli (1994), o. P. Zur Definition: Luciano Ori, Poesia Visiva. In: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 14 ff.; Weiss, Seh-Texte, a.a.O., S. 226 und Carlo Belloli, Poesia visuale: affermazione di una tendenza. In: Poesia concreta – indirizzi concreti, visuali e fonetici. Venezia 1969, S. 13 ff. Mon, Über Konkrete Poesie (1969): „Vielleicht haben sich heute ihre (der Konkreten Poesie) Möglichkeiten erschöpft.“ (in: konkretismus: materialien, a.a.O., S. 157); Schmidt, Konkrete Poesie. Ergebnisse und Perspektiven (1972). In: Konkrete Dichtung, a.a.O., S. 141: „Die literarische Entwicklung der konkreten Poesie scheint an einem gewissen Endpunkt angekommen zu sein“ u. „Der Tod der !Konkreten Dichtung", von ihren Autoren und Kritikern schon seit Ende der sechziger Jahre verkündet, scheint inzwischen in der Tat eingetreten zu sein“ (Schmidt, Nachruf: Zum Ableben der Konkreten Dichtung (1979). In: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 163). Timm Ulrichs schrieb zu seinem Textobjekt „concrete poetry“ (1972/ 1973): „Ich habe oft behauptet, dass !CONCRETE POETRY" mein abschließender Text zur Konkreten Poesie sei. Das war eine duchaus programmatische Behauptung, denn um 1972/73 waren die Verfahren der konkreten Poesie für mich weitgehend erschöpft“ (in: Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 132). Bremer bemerkte im Rückblick: „1967 etwa. Unter den Konkreten drei Gruppen. Eine, die sich anpasst, die sich in die Reihe der Diener des Konsumzwangs einfügt, – eine zweite, die nicht mehr konkret schreibt, die mit der konkreten Poesie Schluss gemacht hat (oder Schluss macht) – konkrete Poesie ist jetzt klassisch (Anthologien entstehen, Ausstellungen reisen um die Welt)-, – eine dritte Gruppe, zu der ich mich zähle, versucht, trotz der Macht der Werbung werbungssichere Freiräume im Gedicht zu halten, den Materialcharakter des Textes den Lesenden zu bewahren, durch ihn Kreativität auszulösen“ (Bremer, Farbe bekennen, a.a.O., S. 44 f.).
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Abb. 148a: Lamberto Pignotti, tra le due culture, 1965
Abb. 148b: Lamberto Pignotti, la ricerca in poesia, 1966
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erwies. So äußerte sich im Rückblick Raimer Jochims, der mit seinen „visuellen wortbewegungen“1522 einen wichtigen Beitrag zur Konkreten Poesie geleistet hatte: „Immer wichtiger geworden ist mir der Lebensbezug, die Wahrnehmung des organischen Lebens, im Unterschied zum Innenraumbezug der konkreten und visuellen Poesie“. Es gab zwar noch Autoren wie S. J. Schmidt, der an „die gesellschaftspolitische Brisanz der konkreten Dichtung, die effizienter sein dürfte als die sogenannter engagierter Dichtung“1523, glaubte und ihr eine Ideologiekritik zubilligte, die durch ihre demonstrative Sprachkritik der angreifbaren Auslegungs- und Begründungskritik überlegen und gegenüber festgelegten Aussagen mit ihrer Offenheit „eine stete Erweiterung des Bewusstseins für Unvorhergesehenes, für die Veränderbarkeit, für das Mögliche“1524 wäre. Schmidt machte aufmerksam auf den Möglichkeitstopos, der Konkreter Poesie immanent sei. „In konkreter Semantik ist das Wirkliche (das in individueller Bestimmung und Beschränkung Verwirklichte) auf das Mögliche (auf ein Bündel von Perspektiven) zurückgebracht, erscheint sprachlich konstituierter Sinn als reine Möglichkeit.“1525 So erklärt sich auch, die für ihn und sein Schaffen wichtige Erkenntnis, dass Konkrete Poesie Aspekte konzeptioneller Kunst besitzen würde1526: „Konkrete Kunst ist eine konzeptionelle Kunst, die nicht dieses oder jenes zu seinem maximal gesteigerten Ausdruck bringen will, sondern die die allgemeinen Bedingungen, die Konstanten und Strukturen möglicher Verwirklichung von realem, von Sinn- oder Bedeutungsvollem reflektiert, indem sie die Mittel und die Bedingungen der Mög1522 1523
1524 1525 1526
Vgl. Anm. 380. Schmidt, Konkrete Poesie. Ergebnisse und Perspektiven. In: Konkrete Dichtung, a.a.O., S. 147. A.a.O., S. 147 f. A.a.O., S. 144. Was z. B. Peter Weibel in der Rückschau auf die Wiener Gruppe feststellte, wenn er schon in „jetzt“ (1954–55) von Gerhard Rühm „ein perfektes beispiel konzeptueller kunst“ erkennt, „wenn darunter verstanden wird, dass die bedeutung eines begriffs sich selbst definiert bzw. erschließt und die struktur der abgebildeten sachverhalte visuell zeigt“ (die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 781); oder wenn er auf Oswald Wieners „die verbesserung von mitteleuropa, roman“ (zuerst veröffentlicht in 8 Fortsetzungen in: manuskripte 14/15, Graz 1965 bis Nr. 22, Graz 1968, dann als Buch: Reinbek 1969) hinweist, ein konzeptuelles Werk, aufbauend auf den Erfahrungen der literarischen Experimente in den 1950er Jahren (a.a.O., S. 779), eine radikale Sprachkritik, die in dem Medium zur Sprache kommt, in dem er sich ausdrückte und dem er zugleich misstraute.
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Konkrete Poesie
Abb. 149: Eugenio Miccini, la crisi delle indeologie, 1991
lichkeit je individueller Gegenstandsverwirklichung und Sinnerfahrung ästhetisch simultan (nicht philosophisch diskursiv) reflektiert.“1527 Und so kommt Schmidt folgerichtig zu der Auffassung, dass konzeptionelle Dichtung eine Weiterentwicklung der Konkrete Poesie sei: „Konzeptionelle Dichtung versucht, die Möglichkeiten konkreter Dichtung weiter1527
A.a.O., S. 143. Dazu Raoul Schrott, Über die antiken Wurzeln der Konkreten Poesie, a.a.O., S. 183: „Anders ausgedrückt, kennzeichnet die Konkrete Poesie das Bestreben, die abstrakte Qualität von Zeichen und Lauten in das Ikon eines figurativen Zeichens oder einer Onomatopoeia zu überführen, das Symbol also zum Ding selbst werden zu lassen. Das Zeichen ist es, das die Barriere zwischen Subjekt und Objekt aufheben soll; die Methode, bei der damit vorgegangen wird, ist konzeptuell.“
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zuentwickeln, indem sie einerseits die Strenge und ungeschwätzige Knappheit konkreter Dichtung beibehält, andererseits aber größere Komplexität der thematischen gedanklichen Konzepte anstrebt. Jeder einzelne konzeptionelle Text ist aufzufassen als ein komplexes Kommunikationsspiel zwischen den verschiedenartigen Bedeutungsmöglichkeiten der verwendeten sprachbegrifflichen und optischen Bestandteile des Textes.“1528 Diese Entwicklung zur Komplexität1529 ist schließlich auch ein Kennzeichen für die sich mit der Konkreten Poesie in ihrer Entwicklung überschneidende Visuelle Poesie. Aufbauend auf den Erfahrungen und Erkenntnissen1530, die durch die Konkrete Poesie gewonnen wurden, erweiterte sich der Spielraum und das Spektrum der Ausdrucksmittel 1528
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Schmidt, Konzeptionelle Dichtung: ein Interpretationsversuch. In: konkrete dichtung. texte und theorien, a.a.O., S. 150. Von Schmidt weiter ausgeführt in: Schmidt, Glanz und Elend der Konkreten Kunst, a.a.O., S. 29. Die Mon in seinem Beitrag „Meine 50er Jahre“ in einem Katalog zusammenfasste (in: Vom „Kahlschlag“ zu „movens“, a.a.O., S. 51 f.): „– die Schärfung des Blickes für die Parameter eines Textes analog denen einer Partitur: die Fläche, auf der er sich befindet, die Konstellation der Textelemente auf der Fläche und zueinander, die Bewegungsführung des Auges, die Größe und Type der Schrift usw. – die Ausweitung des Schriftbegriffs auf alles, was Zeichencharakter hat, also in irgendeiner Weise der Vermittlung von Bedeutung und Sinn dient; dadurch wurde der Transfer vom Text zum Bild und umgekehrt möglich; – die Reduktion auf die Artikulation der gesprochenen Sprache, die Konzentration auf die Abfolge der Bewegungen der Artikulationsorgane ohne Rücksicht auf den sprachlichen Sinn; dadurch Zugang zur phonetischen Poesie; – als Korrektiv ein Materialbegriff der Sprache, der die Totalität der Verwendungszusammenhänge, den geschichtlichen Zustand der Wörter, Redensarten, Formulierungen einbezieht; also die Erinnerung, die der Einzelne und die Gesellschaft mit den Wörtern usw. verbindet, als Materialdimension; – die Diskrepanz zwischen Ausdruck und Geäußertem, zwischen der Innen- und Außenansicht von Gesprochenem; die Entfernung des Ausgedrückten in die objektivierte, fixierbare, kontrollierbare, kritisierbare gesellschaftliche Sprachhandlung; – damit zusammenhängend die Verdinglichung von Sprache, die Verhärtung von subjektivem Ausdruck, persönlichem Impuls, privater Meinung zum Klischee, ja beliebig verwendbaren, manipulierbaren Versatzstück; also der Collageaspekt von Sprache; – das Querstellen des Lesers, das damit nun wieder zusammenhängt; der Leser als Entzifferer des Spurensystems Sprache; und der Leser als der Erfinder seines eigenen, aus dem angebotenen strukturierten Material entstehenden Textes; – die Unmöglichkeit des absoluten Anfangs !der nie begonnene Beginn" eines jeden Textes; also der mit der menschlichen Existenz und mit der Geschichtlichkeit des Gesellschaftsprodukts Sprache in Gang befindliche Prozess, in dem sich jede neue Sprachhandlung, jeder neue Text einfädeln muss.“
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durch die Hereinnahme akustischer und visueller Gestaltungselemente anderer künstlerischer Ausdrucksformen, so dass sich, gepaart mit der technischen und elektronischen Medienentwicklung, sowohl auf der akustischen als auch auf der visuellen Ebene neue Produktionsfelder erschlossen. Sehr früh hatte sich das schon in der Wiener Gruppe abgezeichnet. Stand am Anfang noch die Sprache selbst im Mittelpunkt der Arbeiten, wurden es zusehends mehr und mehr Sprachsituationen, die in den 1950er Jahre zum Aktionismus, zu Happenings und zum literarischen Cabaret führten1531. Nicht die Veränderung der Sprache stand im Vordergrund, sondern das, was durch Sprache bewirkt und gesteuert werden konnte. Weibel macht in dem Zusammenhang aufmerksam auf die Verbindungen der Wiener Gruppe zur englischen „Independent Group“ (1952–1956)1532 und zur „Situationistischen Internationale“ (1957– 1972)1533. Und sieht man sich die Avantgarde-Gruppen der Zeit an, die Lettristen in Frankreich um Isidore Isou und Maurice Lemaître, die Darmstädter Gruppe1534 um Daniel Spoerri, Claus Bremer, Dieter Roth 1531
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Siehe die Dokumentationen der Wiener Gruppe von Gerhard Rühm (1967) und Peter Weibel (1997). Mitglieder der Gruppe waren Richard Hamilton, Lawrence Alloway, Alison und Peter Smithson, Eduardo Paolozzi, Rayner Banham, William Turnbull, Nigel Henderson, Colin St. John Wilson. Die Gruppe traf sich Anfang der 1950er Jahre am Institute of Contemporary Arts (ICA) in London und begründeten in zwei Ausstellungen „Parallel of Art and Life“ (1953) und „This is Tomorrow“ (1956) „British Pop“. Lit.: David Robbins, Independent Group. Postwar Britain and the Aesthetics of Plenty. Cambridge/MA 1990. Die Geschichte der „Situationistischen Internationale“ beginnt mit Guy Debord Anfang der 1950er Jahre in Frankreich, nachdem er 1951 beim Filmfestival in Cannes Kontakt mit den Lettristen aufnahm. Einige Lettristen schlossen sich (mit Debord) zur Lettristischen Internationale zusammmen, die mit Gruppen um Asger Jorn (Bewegung für ein Imganinäres Bauhaus) und Ralph Rumney (Londoner Psychogeographische Gesellschaft) 1957 in Cosio d’Arroscia (Italien) die eigentliche „Situationistische Internationale“ gründeten. Von Guy Debord stammen Manifeste von 1957 „Rapport über die Konstruktion von Situationen und die Organisations- und Aktionsbedingungen der Internationalen Situationistischen Tendenz“ und „Vorschläge für ein Aktionsprogramm der SI“. Lit: Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin 1996; Vincent Kaufmann, Guy Debord – Die Revolution im Dienste der Poesie. Berlin 2004; Biene Baumeister/ Zwi Negator, Situationistische Revolutionstheorie – Eine Aneignung. Stuttgart 2004. Der Beginn einer Epoche. Texte der Situationisten. Hamburg 1995. Bremer, Farbe bekennen, a.a.O., S. 32, Bremer berichtet hier über die Zusammenarbeit mit Spoerri und die Herausgabe der „kleinen anthologie konkreter Dichtung“ (Darmstadt 1957) sowie über die Arbeit an der Zeitschrift „material“,
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Abb. 150: George Maciunas, Expanded Arts Diagram, ca. 1963
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und Emmett Willams, die Verknüpfung mit der Fluxus-Gruppe in New York um John Cage1535, Dick Higgins und George Brecht1536 bis hin zur 1954 in Japan gegründeten GUTAI (Association for Concrete Art)Gruppe1537 um Jiro Yoshihara und Shozo Shimamoto, dann wird deutlich, aus welchem Reservoir an Ideen und Ausdrucksformen1538 die Visuelle Poesie schöpfen konnte, wobei dazu noch, die vielfältigen historischen Visualisierungsformen von Texten zu berücksichtigen sind, die es seit den frühen Bilderschriften gab.
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von der 4 Nummern zwischen 1958 und 1960 erschienen und neben Gomringer, Heißenbüttel, Roth und Spoerri auch Ghérasim Luca druckte: vgl. auch Katerina Vatsella, Edition MAT: Daniel Spoerri, Karl Gerstner und das Multiple – Die Entstehung einer Kunstform. Bremen 1998. Bremer erwähnt, dass Cage 1954/55 Kurse an der Musikhochschule in Darmstadt leitete und „wesentlich zum Mut zur Improvisation beitrug“ (Bremer, Farbe bekennen, a.a.O., S. 10). S. D. Sauerbier, Zur ästhetischen Vermittlung zwischen Kunst und Sprache. Ereignisse und Kreativität. In: Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 75 ff. Vgl. auch das Diagramm von George Maciunas „Expanded Arts Diagram“ (ca. 1963) in: happening & fluxus, a.a.O., o. P., Abb. 150. Hiroo Kamimura, Visuelle Poesie in Japan. In: Visuelle Poesie aus Japan. Hg. Dencker. Hamburg 1997, S. 24 f. Nach Weibel der entscheidende „paradigmawechsel der 60er jahre von der wahrnehmung zur sprache als künstlerisches leitmodell, die berühmte !linguistische wende" vom objekt zur idee, von der illusion zur wirklichkeit, vom werk zur situation, vom produkt zum prozeß, vom perzept zum konzept, vom material zur immaterialität“ (die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 783).
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VI. Visuelle Poesie VI/1 Schriftsysteme Piktografie/Ideografie Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte von Sprache und Schrift muss zwangsläufig auf Grund vieler ungesicherter Quellen, in den Bereich von Spekulationen führen, wenn es um die Frage nach dem Beginn menschlicher Verständigung und der Ausbildung erster Sprachformen geht. Vor allem sind dies Auslegungen diverser Schöpfungsmythen1539 insbesondere der orientalischen Völker1540, deren Vorstellung es war, dass der kosmische Schöpfungsakt von Tönen und Geräuschen, ja sogar Worten begleitet wurde, und sich auf diese Weise die sprachliche Kommunikation entwickelt haben könnte.1541 Wie schon im Alten Testament1542 wird entweder von einer Monogenese1543 ausgegangen, oder von einer Polygenese im Sinne Wilhelm von Humboldts: „Die Sprache entspringt zwar aus einer Tiefe der Menschheit, welche überall verbietet, sie als ein eigentliches Werk und als eine Schöpfung der Völker zu betrachten. Sie besitzt eine sich uns sichtbar offenbarende, wenn auch in 1539
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Z. B. in: Friedrich Zipp, Vom Urklang zur Weltharmonie. Werden und Wirken der Idee der Sphärenmusik. Kassel 1998, vgl. dazu auch: www.friedenswarte.de. Ernst Doblhofer, Die Entzifferung alter Schriften und Sprachen. Stuttgart 1993, S. 11. Bsp. Johann Gottfried Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin 1770. 1. Mose, Kap.11, Vers 1 u. 6. Einleuchtend im Falle einer Sprachenfamilie z.B. der indoeuropäischen Sprachenfamilie: Thomas W. Gamkrelidse/Wjatscheslaw W. Iwanow, Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. In: Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg Mai 1990, S. 130 ff. Polygenese ist wohl im Hinblick auf die Ursprünge in den verschiedenen Erdteilen anzunehmen, entgegen der durchaus spannenden These von Rudolf Falb (Das Land der Inca in seiner Bedeutung für die Urgeschichte der Sprache und Schrift. Leipzig 1883/ Faksimile-Druck: Wiesbaden 1989), dass in der Sprache der Inkas Belege für die Wurzeln eines einheitlichen SprachenUrsprungs in prähistorischer Zeit zu finden seien.
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ihrem Wesen unerklärliche, Selbsttätigkeit, und ist, von dieser Seite betrachtet, kein Erzeugnis der Tätigkeit, sondern eine unwillkürliche Emanation des Geistes, nicht ein Werk der Nationen, sondern eine ihnen durch ihr inneres Geschick zugefallene Gabe. Sie bedienen sich ihrer, ohne zu wissen, wie sie dieselbe gebildet haben. Demungeachtet müssen die Sprachen sich doch immer mit und an den aufblühenden Völkerstämmen entwickelt, aus ihrer Geisteseigentümlichkeit, die ihnen manche Beschränkungen aufgedrückt hat, herausgesponnnen haben. Es ist kein leeres Wortspiel, wenn man die Sprache als in Selbsttätigkeit nur aus sich entspringend und göttlich frei, die Sprachen aber als gebunden und von den Nationen, welche sie angehören, abhängig darstellt“.1544 Ebenso ranken sich die Mythen um den Schöpfungsakt der Schrift,1545 der – so noch die Auffassung bis ins 18. Jahrhundert – gleichsam über Nacht und plötzlich erfolgt sein soll.1546 Eine andere Theorie1547 besagt, dass es vor der Lautsprache1548 als erste Kommunikationsform 1544
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Wilhelm von Humboldt, Einleitung zum Kawi-Werk. Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. In: Humboldt, Schriften zur Sprache. Hg. Michael Böhler. Stuttgart 2000, S. 37. Der auch im Alten Testament, 2. Mose, Kap. 32, Vers 15 u. 16, erwähnt wurde. Die verschiedensten Sagen und Legenden weltweit zum Ursprung der Schrift nennt Faulmann, a.a.O., S. 28 ff. vgl. auch Klaus Schreiner, Buchstabensymbolik, Bibelorakel, Schriftmagie. Religiöse Bedeutung und lebensweltliche Funktion heiliger Schriften im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 59 ff. und Karl Kempton, Visual Poetry: A Brief History of Ancestral Roots and Modern Traditions (2005). In: http://www.logolalia. com/minimalistconcretepoetry/archives/karl-kempton-visual-poetry-a-briefintroduction.pdf. Denise Schmandt-Besserat, How Writing Came About: http://www.utexas.edu/ utpress/excerpts/exschhop.html, S. 4: „The myths, from Sumer to Daniel Defoe, share one common characteristic: they present writing as emerging, on one day, as a full-fledged script. None of them conveys the notion of an evolution from a simple to a more complex system of communication. The concept of a readymade alphabet handed down from heaven persisted until the eighteenth century.“ Siehe auch: Anm. 1556. Gordon Winant Hewes, Language Origin Theories. In: Language Learning by a Chimpanzee – The Lana Project. Hg. Duane M. Rumbaugh. New York 1977, S. 3 ff. Diese Theorie wird diskutiert von Dieter E. Zimmer, Die Herkunft der Sprache. In: Zimmer, So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung und Sprache & Denken. Zürich 1986/1988, S. 164 ff. Von der Platon behauptete, ihr Entstehung sei onomatopoetischen Ursprungs: Platon, Kratylos. Zürich 1986/1988, S. 164 ff. (423b ff.).
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eine Art Gebärdensprache gegeben habe, in der das gestische Benennen (Zeigen)1549 sich allmählich in symbolische Gebärden wandelte, und die Bewegung der Hände in jene der Lippen und schließlich die Sprache der Hände und des Körpers in die der Laute übergingen. Dies versuchte der Phonetiker Philip Lieberman1550 zu beweisen, indem er vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie die anatomische Entwicklung vom Australopithecus über den Homo Erectus bis zum Homo Sapiens hinsichtlich der Kehlkopf-, Rachen-, Mund- und Nasenhöhlenentwicklung untersuchte und zu dem Ergebnis kam, dass die Entwicklung zur eigentlichen menschlichen (syntaktischen) Sprache – abhängig von der Ausbildung des Zungenbeins1551 – vor mehr als 250 000 Jahren begann und erst vor 35 000 Jahren abgeschlossen war. Wobei die Ausformung und Ausübung sprachlicher Verständigung nicht das ursprünglich angenommene gestische und symbolische Gebärdenrepertoire ablöste, sondern vielmehr eine Symbiose von akustisch wahrnehmbaren Sprachlauten und visuell erkennbarer Zeichensprache des Körpers entstehen ließ. Diese von Anfang an aber immer auch visuell geprägte Ausdrucksform menschlicher Kommunikation1552 wurde durch die Erfindung der 1549
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Vgl. dazu auch Platon, Kratylos, a.a.O., S. 164 (422e u. 423a, b); Richard Paget, Babel or The Past, Present and Future of Human Speech. London 1930, oder die Thesen von Aleksander Romanovich Luria (1902–1977), dass die ersten Lautzeichen Steuerungszeichen der Arbeit gewesen seien. Siehe auch: Charles F. Hockett, The Origin of Speech. In: Scientific American, Vol. 203, New York 1960, S. 88 ff. Philip Lieberman, The Evolution of Speech and Language. In: The Role of Speech in Language. Hg. James F. Kavanagh/James E. Cutting. MIT Press, Cambridge/MA 1975, S. 83 ff. u. Lieberman, The Biology and Evolution of Language. Harvard University Press, Cambridge/ MA 1984. 1983 wurde in der Kebara-Höhle (Israel) ein ca. 60 000 Jahre altes NeandertalerSkelett gefunden, bei dem ein Zungenbein (und damit Sprachfähigkeit) nachgewiesen werden konnte. Lit.: Ofer Bar-Yosef/Bernard Vandermeersch, Le Squelette Moustérien de Kebara 2. Paris 1991 u. Ofer Bar-Yosef u. a., The Excavations in Kebera Cave, Mount Carmel. In: Current Anthropology Vol. 33, No. 5, Davis/CA 1992, S. 49 ff. „War am Anfang das Wort? Lange vor der Etablierung einer Schriftkultur haben die Menschen zwar mit Worten kommuniziert, die zentralen Inhalte des gesellschaftlichen Lebens – Recht, Religion, Kult – jedoch in Form von Gesten, Gebärden und Zeichen vermittelt, also in vom Auge aufzunehmenden, von Körpern erzeugten, starren oder bewegten Bildern. Und zudem materialisieren sich Geschichten und historische Erinnerung, im Medium der Sprache weitergereicht, unter der Hirnschale des Rezipienten nicht als Folge von Wörtern oder Sätzen, sondern als Bilder. Seit Anbeginn steht deshalb Literatur – d. h. Wissen und Unterhaltung, in Texten geronnen – in steter Wechselbeziehung zu Bildern,
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Schriftsysteme nicht nur erweitert, sondern erhielt zudem eine neue Qualität, deren Geschichte – bis auf einige, bis heute unerschlossene Schriftsysteme auf Kreta, in Mexiko oder Pakistan1553 – insoweit belegbar erforscht ist, als sich nach der bisher gebräuchlichsten Auffassung eine historische Linie von den Felsbildern vor mehr als 50000 Jahren und der Gegenstandsschrift über das Bild als Symbol zu den Piktogrammen der Keilschrift in Mesopotamien und den Hieroglyphen in Ägypten bis zur Wertung der Bildzeichen (in Anlehnung an die Hieroglyphen) als Buchstaben durch die kanaanäischen Semiten auf der Habinsel Sinai darstellen lässt. Ebenso die weitere Entwicklung durch die Phönizier, die die Bildzeichen durch einfache geometrische Formen ersetzten, so dass mit der Übernahme dieses Schriftsystems spätestens im 8. Jh. v. Chr. durch die Griechen und ihrer Einfügung der bisher in allen Schriften fehlenden Vokale der Wechsel vom Bildalphabet zum Lautalphabet eintrat.1554 Dass jedoch auch dieser Entwicklungsprozess keineswegs unumstritten und geradlinig von einem Urschriftsystem ausgehend Schritt für Schritt, von Land zu Land, verlaufen ist und an vielen Stellen noch Fragen offen lässt, belegt Haarmann1555 u. a. mit dem Hinweis, dass z. B. die Keilschrift und die Hieroglyphen, die beide in ihren Ursprungsländern keine Buchstabenschriften waren, dennoch in einzelnen Kulturen auch wie Buchstaben – die Hieroglyphen im historischen Nubien (Sudan) und die Keilschrift in Ugarit (im heutigen Syrien) – benutzt wurden. Noch massiver warf Denise Schmandt-Besserat1556 Fragen auf, die auf-
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verschränkt sich das Textmedium mit dem Bildmedium. Letztlich ist, wenn man so will, bis hinein in das 19. Jahrhundert alle abendländische Bildkunst textbezogen, indem sie mündlich oder schriftlich tradierte, im literarischen Medium geformte Inhalte mit Hilfe der ihr immanenten Struktur- und Darstellungsgesetze abbildet, seien es die Geschichten der Bibel und der christlichen Tradition, sei es das Wissen des antiken Mythos.“ (Norbert H. Ott, Texte und Bilder. Beziehungen zwischen den Medien Kunst und Literatur in Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 105). Eva-Maria Hanebutt-Benz/Dirk H. Veldhuis, Vom Bildzeichen zum Alphabet. In: Carl Faulmann, Illustrierte Geschichte der Schrift. Entstehung der Schrift der Sprache und der Zahlen sowie der Schriftsysteme aller Völker der Erde. Wien 1880/Reprint Augsburg 1990, S. 633. Siehe dazu die Abb. 151 in: Károly Földes-Papp, Vom Felsbild zum Alphabet. Die Geschichte der Schrift von ihren frühesten Vorstufen bis zur modernen lateinischen Schreibschrift. Stuttgart 1987, S. 207. Haarmann, a.a.O., S. 13. Sehr interessant: André Leroi-Gourhan, Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst. Frankfurt a. M. 1988, S. 237ff. Schmandt-Besserat, How Writing Came About. Austin 1996.
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Abb. 151: Stammbaum des lateinischen Alphabets
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grund ihrer Analyse der „token1557/calculi“1558-Funde1559 die Theorie vertrat, dass die Geschichte der Schrift nicht aus einer realen Abbildpraxis, sondern aus einer abstrakten Zählpraxis abzuleiten sei: „The substitution of signs for token was the first stepp toward writing.“1560 Fest steht: die ältesten Funde sind Kratzspuren und makkaroniartige Fingerritzungen1561, deren Alter auf 55 000–50 000 Jahre geschätzt wird und aus der Höhle von Altamira (Nordspanien)1562 stammen. Wahrscheinlich ist, dass es sich noch nicht um magische oder religiöse Zeichen handelte, „sondern (diese) aus einem Nachahmungs- und Spieltrieb“1563 heraus entstanden, z. B. nach dem Entstehungsmuster von Bärenkratzspuren, wie der Vergleich ähnlicher Zeichen von Bären und Höhlenmenschen in verschiedenen Höhlen nahelegt. Vorschriftliche Felsbilder, die in überwiegendem Maß, Zeugnisse von Magie und Ritual sind, gab es dann weltweit1564 in Höhlen und im Freien, am häufigsten in Afrika (mehr als 40 000 Jahre alt)1565, Asien (ca. 35 000)1566 und Europa (ca. 35 000), aber auch in Südamerika (ca: 30 000) und Australien (ca. 22 000) wurden eine Fülle von Darstellungen entdeckt. Sie geben in ihrem frühen Stadium Auskunft über Lebensfor1557
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Abb. in: Schmandt-Besserat, Accounting with tokens in the ancient near east (1999): http://dgatx.com/computing/people/Denise-Schmandt-Besserat/pubs/ 2004/Accounting/archive.html u. Georges Jean, Writing. The Story of Alphabets and Scripts. London 2000, S. 12 f. Abb. in: Annegret Kehrbaum/Bernhard Korte, Calculi – Bilder des Rechnens einst und heute. Images of Computing in Olden and Modern Times. Opladen 1995. Wichtige Fundorte sind: Susa (antike persische Stadt im Südwesten des heutigen Iran an der irakischen Grenze) und Uruk (sumerische Stadtgründung südlich von Bagdad im heutigen Irak). Schmandt-Besserat, How Writing Came About, aaO, S. 7. Vgl. Anm. 1546. Abb. 152 in: Földes-Papp, a.a.O., S. 8f., aufgefunden an der Lehmdecke der Höhle von Altamira, ca. 5 m breit mit der Darstellung eines Tierkopfes (Moschusochse?) rechts. L. G. Freeman/J. Gonzalez Echegaray, La grotte d’Altamira. Paris 2001. Földes-Papp, a.a.O., S. 8. Abb. aus vielen Ländern in: Petra Pinkl, Weltweite Verbreitung von Felsbildern. In: Zeichen an der Wand. Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti. Hg. Manfred Hainzl. Wels 2004, S. 46 ff. Bsp. „Blomos Cave“ in Südafrika (http://www.svf.uib.no/sfu/blombos/Picture_ Gallery.html). Robert G. Bednarik, Palaeolithic art found in China. (13 000-year-old decorated antler fragment from Longgu Cave near Xinglong, Hebei Province). In: Nature No. 356, London 1992, S. 116 ff. u. a. Publikationen von Bednarik zur Felsmalerei.
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Abb. 152: Fingerritzungen, ca. 35.–30. Jhtsd. v. Chr.
men (Jagd) und Werkzeugentwicklung1567 (Jagdwaffen). Es sind Abbildungen von Objekten, also Piktogramme, wie sie – als älteste Beispiele1568 – in der Grotte Chauvet (Ardèche)1569, dem Abri Blanchard (Dordogne)1570 und am ausgeprägtesten in der Höhle von Lascaux (Dordogne)1571 gefunden wurden. Nach einer sich anschließenden Phase rein ornamentaler Formen, zu denen auch Abbildungen auf Mammutstoßzähnen und aus Geweihen geschnitzte Stäbe zählen1572, stehen spätere Felsbilder auf einer höheren Ausdrucksstufe. Sie entwickelten sich über die Piktografie hinaus zur Ideografie. Das Zeichen meinte nun nach allgemeiner Übereinkunft 1567
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Die nach anderen Theorien mit der Sprachentwicklung Hand in Hand gegangen sein soll (Zimmer, So kommt der Mensch zur Sprache, a.a.O., S. 165). Gerhard Bosinski, Eiszeitliche Höhlenkunst. In: Zeichen an der Wand, a.a.O., S. 13. Nach neuesten Untersuchungen werden die Felsbilder der Grotte Chauvet auf 37 000–35 000 Jahre geschätzt und die älteste Abbildung (eines Pferdes) in Abri Blanchard auf ca. 34 000 Jahre. Abb. in: Zeichen an der Wand, a.a.O., S. 19 u. in Jean-Marie Chauvet/Eliette Brunel Deschamps/Christian Hillaire, Grotte Chauvet: Altsteinzeitliche Höhlenkunst im Tal der Ardèche. Sigmaringen 1995 (mit 92 großformatigen Abb.). Louis Didon, L’Abri Blanchard des Roches (commune de Sergeac): Gisement aurignacien moyen. In: Bulletin de la Société historique et archéologique du Perigord 38/1, Périgueux 1911, S. 246 ff. u. 321 ff.; Brigitte Elluc/Gilles Delluc, Abri Blanchard. In: L’Art Cavernes. Hg. André Leroi-Gourhan. Paris 1984, S. 216 ff. Abb. in: Földes-Papp, a.a.O., S. 14 f. u. S. 19. Abb. in: Földes-Papp, a.a.O., S. 23 ff.
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Abb. 153: Bilderschrift aus der Pasiega-Höhle, 12.–11. Jhtsd. v. Chr.
mehr als die bloße Abbildung des Gegenstandes, – für „Speer“ also nicht mehr nur „Speer“, sondern z. B. „Jagd“, „Verwundung“ oder „Tod“, – spätestens hier beginnt auch die lange Geschichte der Graffiti1573. Diese aus Ideogrammen bestehende Mitteilungsart einerseits und die Entwicklung abstrakter Zeichen andererseits führten zu einer sogenannten Ideenschrift. Mehrere solcher Zeichen aneinandergereiht deuteten auf einen komplexeren Sachverhalt, wie die buchstabenähnlichen und linear angeordneten Zeichen eines Felsbildes der nordspanischen Pasiega-Höhle1574, die wohl das Betreten der Kultstätte verbieten sollten. Was mit einem einfachen symbolischen Handabdruck begann, der durch Umsprühungen einer auf die Felswand aufgelegten Hand entstand und
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An der Wand: Graffiti zwischen Anarchie und Galerie. Hg. Johannes Stahl. Köln 1989, S. 9 und J. St., Graffiti reloaded. In: http://www.uni-bonn.de/ ~uph60016/texte/grafreloaded.html; vgl. auch: Zeichen an der Wand. Höhlenmalerei – Felsbilder – Graffiti, a.a.O.; 1985 gab es eine Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein „Elementarzeichen. Urformen visueller Information/ Felsbilder – Moderne – Graffiti“. Vgl. dagegen: Thomas Northoff, Graffiti. Die Sprache an den Wänden. Wien 2005, S. 123, der den Beginn der eigentlichen Geschichte erst in der römischen Antike sieht. Nach Haarmann, a.a.O., S. 64 datiert auf 12.–11. Jhtsd. v. Chr., dort Abb. 153 S. 65 sowie in: Földes-Papp, a.a.O., S. 31 f., dort verschiedene Deutungsversuche.
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hier schon unterschiedliche Bedeutung besaß1575, je nachdem welche und wie viele Finger der Hand umgeknickt waren1576, führte zu abstrakten Zeichen wie Punkte, Punktlinien und andere geometrische Kleingebilde1577. Dazu gehörten auch die bemalten Kieselsteine1578 der Höhle von Mas d’Azil/ Ariège1579 aus der Mittleren Steinzeit, die gravierten Steine aus Alvão/ Portugal1580 sowie die bereits erwähnten „token/calculi“ der Jüngeren Steinzeit. Und wieder eng verwandt mit diesen waren einerseits Sigelzylinder, Sigelsteine1581, Töpferzeichen und Eigentumsmarken1582 – die allgemein als den Beginn der Geschichte von Symbolen1583 und Mar1575
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An der Universität von Montpellier haben Charlotte Faurie und Michel Raymond mehr als 500 Handabdrücke in 26 Höhlen in Frankreich und Spanien untersucht (http://www.univ-montp2.fr), allein 55 gibt es in der Grotte Cosquer: Jean Clottes/Jean Courtin, Grotte Cosquer bei Marseille. Eine im Meer versunkene Bilderhöhle. Stuttgart 1995. Beeindruckende Beispiele finden sich in der Cueva de las Manos („Höhle der Hände“) im Norden der Provinz Santa Cruz/ Argentinien, die von den Tehuelches Indians ca. 13000–9000 v. Chr. stammen: C. J. Gradin/C. Aschero y A. M. Aguerre, Investigaciones arqueológicas en la cueva de las Manos Pintadas estancia alto rio Pinturas. In: Relaciones de la Sociedad Argentina de Antropologia, Nueva Serie 10, Buenos Aires 1976, S. 201ff. u. 261ff. Beispiele dafür finden sich vor allem in den Höhlen von Cosquer und Gargas/ Hautes-Pyrénées, Abb. in: Bosinski, Eiszeitliche Höhlenkunst, a.a.O., S. 22. Z. B. in den Höhlen von El Castillo/Nordspanien (Abb. in: Földes-Papp, a.a.O., S. 28), Lascaux (Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 52 f.) u. Chauvet (Abb. in: Bosinski, a.a.O., S. 24). Vgl. dazu die sogenannte „Bohnenschrift“ im präkolumbischen Peru der MocheKultur (Abb. in: Maria Longhena, Scrittura Maya. Milano 1998/dt. Ausg.: Sprechende Steine. 200 Schriftzeichen der Maya – die Entschlüsselung ihrer Geheimnisse. Wiesbaden 2003, S. 172). Abb. in: Földes-Papp, a.a.O., S. 36 f. u. Haarmann, a.a.O., S. 63. Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 65. Es gibt eine These, nach der die älteste Schriftform auf Sigelsteinen aus Terracotta in Harappa/Mohenjodaro (am Oberlauf des Indus gelegen) gefunden wurde. Diese Indus-Schrift, die mit keiner anderen bekannten Schrift verwandt ist, besteht aus einem hybriden System von bildhaften und alphabetischen Zeichen und einer Kombination aus beiden. Am intensivsten ist diese Schrift von Natwar Jah erforscht worden, der die Ergebnisse in 2 Büchern vorlegte: Jah, Vedis Glossary on Inus Seals.Varanasi 1996 u. Jah, The Deciphered Indus Script: Methodology, Readings, Interpretations. New Delhi 2000. Abb. in: Földes-Papp, a.a.O., S. 40 ff. u. für die Fortentwicklung siehe: Wolfgang Haubrichs, Figuren und Skripturen. Onomastische Kleinkunstwerke in Inschriften auf Ringen und anderen Objekten der Spätantike und des frühen Mittelalters. In: Ästhetische Transgressionen, a.a.O., S. 1 ff. Marion Zerbst/Werner Waldmann, DuMonts Handbuch: Zeichen und Symbole. Herkunft-Bedeutung-Verwendung. Köln 2003.
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kenzeichen1584 betrachtet werden –, andererseits bearbeitete Gegenstände, die in der Schriftentwicklung dem Bereich der Gegenstandsschrift zuzuordnen sind. Es handelte sich um gegenständliche Mitteilungen z. B. in bestimmter Weise geknotete Stricke aus Pflanzenfasern, die als numerische und kalendarische Aufzeichnungen bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. in China zurückreichen und sich später vor allem bei den Inka in Altperu als „Quipu“ (bestehend aus Wollfäden) zu einer vollständigen Schrift entwickelten1585. Zur Gegenstandsschrift werden auch Kerbstöcke1586, Boten- und 1584
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Robert Meldau, Zeichen Warenzeichen Marken. Kulturgeschichte und Werbewert graphischer Zeichen. Bad Homburg 1967. Sepp Jakob/P. Donatus M. Leicher, Schrift + Symbol in Stein, Holz und Metall. München 1977. Faulmann, a.a.O., S. 195 ff.; Haarmann, aao., S. 56 ff., Abb. 154 S. 59 u. in: http://caobac.blogspot.com/2008_10_01_archive.html u. Doblhofer, a.a.O., S. 14ff. Forschern der Harvard University ist es kürzlich gelungen, am Beispiel von mehr als 600 Quipus (auch Khipus) diese Knotenschrift zu entziffern: http:// khipukamayuq.fas.harvard.edu. Vgl. dazu bei Kolárˇ in: Prˇíbeˇhy Jirˇího Kolárˇe. Hg. Josef Hlavácˇek/Vladimír Karfík/Jan Rous/Jirí Machalicky´. Prag 1999, S. 95 (Abb. 155) das Gedicht „Má nejmilejsˇí básenˇ/ Mein bestes Gedicht“ (1962), das aus verschiedenartigen, mit unzähligen Knoten versehenen Schnurstücken besteht, die auf einer Tafel (45 × 55 cm) von einem horizontal angebrachten Schnurstück herunterhängen. In „vielleicht nichts, vielleicht etwas“ erwähnt Kolárˇ sein Studium über die Entstehung der Schrift: „Es reizten mich mehr die Reibflächen der Übergänge einzelner Entwicklungsepochen als die Schrift selbst, hauptsächlich die Petroglife und die Knotenschrift. Aus dieser Zeit (1962–63) stammen meine ersten Knotengedichte, Rasierklingen- und Schlüsselgedichte, welche mich zu den Tiefe-Gedichten führten, und ein Jahr später zur Gegenstandspoesie.“ (In: Kolárˇ, Eine Monografie, a.a.O., S. 54). Dazu gehören die Buchenstäbe, in denen Runen geritzt wurden. Aus dieser Zeit (ca. 0–100 n. Chr.) soll auch das Wort Buchstabe stammen. Es waren „beschriftete“ Buchenstäbe, die zur Weissagung ausgeworfen und aufgelesen wurden, um zu lesen, was die Befragung des Schicksals ergab. So jedenfalls die dafür allgemein zitierte Stelle bei Tacitus, Germania (98 n. Chr.). Stuttgart 1997, S. 9 (Kap. 10). So geht auch das Wort lesen zurück auf lat. legere mit den zwei Bedeutungen: aufsammeln und lesen. Weniger mythologisch Harsdörffer. „Wann sie aber einander zuschreiben wollen/ haben sie einen Stab von einer Buchen/ daher das Wort Buchstab/ mit unterschiedenen Linien bezeichnet/ und denselben an statt eines Brieffs übersendet/ und haben die Bauren in Schweden noch heut zu Tage ihre Kalender auf solchen Stäben verzeichnet/ wie alle die der Orten gewesen/ einstimmig beglauben.“ (in: Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 509). Andere Theorien besagen, dass das Wort Stab ursprünglich den senkrechten Strich der Runen meinte und Ritz den Querstrich, so seien es Stäbe, die auf eine Tafel „gemalt“ wurden. Dafür wird als Beleg Venantius Fortunatus, Carmina VII/18 herangezogen: „barbara fraxineis pingaturruna tabellis“.
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Abb. 154: Quipu-Schnüre
Kommandostäbe1587, Gegenstandsbriefe1588, oder Wampungürtel1589 gerechnet, die alle eine ähnlich lange Tradition aufweisen und in gewisser Weise die These Schmandt-Besserats stützen, dass diese Objekt-Funde eine andere Vorstufe der Schriftentwicklung darstellen könnten als die Piktogramme. Sie entdeckte nämlich, dass vor allem die aus gebranntem Lehm hergestellten tokens als Zählsteine benutzt wurden und kam zum Ergebnis, dass der Ursprung der Schrift nicht in Ideogrammen, sondern in Objekten des Zählens zu suchen sei. Wolfgang Ernst stellte dazu 1587 1588 1589
Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 55. All diese Beispiele genannt bei Doblhofer, a.a.O., S. 13 ff. Von den Indianern im Nordosten der USA benutzt, Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 41; Doblhofer, a.a.O., S. 17 f. u. Faulmann, a.a.O., S. 197 f.
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Abb. 155: Jirˇí Kolárˇ, Má nejmilejsˇí básenˇ, 1962
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fest1590: „Mit den Funden der Archäologin Schmandt-Besserat in Mesopotamien gilt also nicht mehr die historisch-lineare These vom Piktogramm zum Alphabet, sondern der Beleg, das Piktogramme der archaischen Texte aus Uruk !ihr Urbild nicht in der Natur, sondern in Tokens hatten"1591. Rekapitulieren wir: Der Ursprung der Schrift lag nicht in Symbolen für gesprochene Sprache, sondern in Objekten des Zählens – token. Und das heißt !numeracy" statt !literacy". Dieser Befund steht in einem gewissen Widerspruch zu jenen Thesen der Schriftgeschichte, die den zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit auch in der Evolution der Schriftkultur in der angenommenen Abfolge piktographisch – logographisch – syllabographisch – alphabetisch1592 erkennt (…) Die klassische These einer Entwicklung von Schrift aus piktographischen Zeichen ist also unhaltbar geworden; Schrift entspringt keiner narrativen Bilderschrift, sondern aus Zählsteinen, abstrakten Tonsymbolen.“ Die Allgemeingültigkeit auch dieser These ist allerdings nach wie vor umstritten angesichts der grafischen Entwicklung der ältesten Schriftsysteme, des sumerischen, ägyptischen, kretischen und hethitischen1593, oder das der altbalkanischen Vincˇa-Kultur1594, das noch älter sein soll1595 als die älteste Schriftentwicklung der Sumerer. Dagegen vielfach belegt ist eine schrittweise Vereinfachung des Bildzeichens zum Schriftzeichen1596, eine sehr konkret nachweisbare grafische Genealogie, die mittels Reduktion auf die typischen Wesensmerkmale des Bildzeichens aus diesem ein abstraktes Schriftzeichen werden ließ, was sich am genauesten an den
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Wolfgang Ernst, Mediengeschichte als Medienarchäologie – Mo(nu)mente von Materie, Technik und Logik in der Zeit. Zahl-Bild-Schrift: Antike Grund/Lagen/ Noch einmal: Begriffe der Medienarchäologie (Vorlesungsskript an der HumboldtUniversität/Berlin 2004/2005): http://www.medienwissenschaft.hu-berlin.de/ theorien/skripte.php, S. 11. Susanne Holl, Das Pfand der Zahl. Zur Archäologie der Keilschrift. In: Sprache und Literatur, H. 75/76, 1995, S. 106. Piktografie (Bilderschrift): Das Bildzeichen steht für ein Objekt (Piktogramm); Logografie (Ideenschrift): Das Zeichen (Ideogramm) steht für einen Begriff; Syllabografie (Silbenschrift): Das Silbenzeichen steht für eine Silbe der gesprochenen Sprache; Alphabetische Schrift: Der Buchstabe steht für einen Laut. Földes-Papp, a.a.O., S. 47. Haarmann, a.a.O., S. 78. Haarmann, a.a.O., S. 73 ff. Wie etwa im sumerischen System, vgl. die Beispiele in den Abb. bei Földes-Papp, a.a.O., S. 48 u. Haarmann, a.a.O., S. 159, 229.
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chinesischen Charakteren (hanzi/japanisch: kanji) Stufe für Stufe verfolgen lässt.1597 Vielleicht ist davon auszugehen, dass sich aus den piktografischen, ideografischen und gegenstandsbezogenen vorschriftlichen Ausdrucksformen zwei Systeme ausbildeten, die bis in die Gegenwart reichen: die Bilderschrift1598 und die Zeichenschrift1599. Die Bilderschrift, die auf der Übereinkunft zur Bedeutung verschiedener bildlicher Darstellungen beruhte und ihre Vorlagen aus realen Lebensbezügen ableitete, die Zeichenschrift, die abstrakte Zeichen erfand, einerseits mit dem Wunsch zur schnelleren Kommunikation, andererseits auch mit der Absicht ein neues Verständigungssystem zu schaffen, dessen Systematik und Lesbarkeit eindeutiger sein sollte als die Bilderschrift.1600 So gibt es denn auch in der weiteren Entwicklung zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert auf der einen Seite Beispiele einer Bilderschrift in den mittelamerikanischen
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Haarmann, a.a.O., S. 173 u. Edoardo Fazzioli, Caratteri Cinesi. Milano 1986/dt. Ausg.: Gemalte Wörter. 214 chinesische Schriftzeichen – vom Bild zum Begriff Wiesbaden 1991, S. 15. Und „so behält die Ansicht, die Schrift sei das Produkt einer langen Entwicklung, an deren Anfang das Bild gestanden hat, doch eine gewisse Berechtigung.“ (Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 12); vgl. auch ausführlicher: Wolfram H. Müller-Yokota, Die chinesische Schrift. In: Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Hg. Hartmut Günther/Otto Ludwig. Berlin 1994, 1. Halbband, Vol. 1, S. 347ff. Leitsysteme wie z. B. Straßenverkehrszeichen oder die Logogramme im Berufsleben: vgl. Haarmann, a.a.O., S. 208 f. (Zusammenstellung von 181 Logogrammen) oder Mini Icons. Amsterdam 2003; Lars Müller, Hommage to a Typeface. Baden/Schweiz 2004 mit einer Fülle von Abbildungen von Schrift im öffentlichen Raum; Rayan Abdullah/Roger Hübner, Piktogramme und Icons. Mainz 2005. Ferdinand Kriwet, COM.MIX. Die Welt der Schrift- und Zeichensprache. Köln 1972: „Dieses Buch ist eine Sammlung signifikanter Beispiele aus dem Repertoire historischer und aktueller, sich ständig vermehrender Zeichen menschlicher Kommunikation (…) Vertrautes als fremd und Fremdes als vertraut zu zeigen ist der ideale Effekt, den COM.MIX. auslösen möchte.“ (Umschlagtext). Beide Varianten finden sich z. B. bei einzelnen Indianerstämmen Nordamerikas, wie Irokesen, Kiowas oder Sioux, die Kalender oder Stammeschroniken in solchen Bilderschriften verfassten, von denen das auf fünf Birkenrindenstücken eingeritzte „Walam Olum“ der Lenni Lenape/Delawaren (http://www.sacredtexts.com/nam/walam/wa00.htm) am bekanntesten ist. Oder bei den Cherokees, deren Häuptling Sequoya (Sikwayi ca. 1760–1843) ein eigenes Alphabet (eine Mixtur aus erfundenen Zeichen und lateinischen Buchstaben) zwischen 1809 und 1821 entwickelte, das für die Bewahrung mündlicher Überlieferungen wertvoll wurde und erst im 20. Jh. wieder an Bedeutung verlor (Abb. in: http://www.native-languages.org/cherokee_alphabet.htm).
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Codices1601 und auf der anderen Seite abstrakte Schriften wie die für visuelle, haptische und akustische Wahrnehmung von Claude Chappe 1793 erfundene optische Telegraphie, die von Louis Braille 1825 erfundene Blindenschrift und das von Samuel Finley Breese Morse 1838 erfundene Morsealphabet.1602 Und in der Visuellen Poesie des 20. u. 21. Jahrhunderts entwickelten sich aus dieser Tradition eine Fülle von nicht-alphabetischen Kunstschriften1603, sowohl bildhaft als auch zeichenhaft, die nicht nur z. B. auf die ägyptischen Hieroglyphen1604, Sigel1601
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Während eine Vielzahl aztekischer Codices überliefert sind (Los códices de México. Museo Nacional de Antropologia. México 1979) gibt es nur wenige aus dem Bereich der Mayas, so: Codex Dresdensis (Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. R 310), Codex Borgia (Cod. Vaticanus mess. 1/Faksimile: Graz 1976), Codex Zouche-Nuttall (British Museum/ Faksimile-Ausgabe: Graz 1987). Der Dresdener Codex (Die Maya-Handschrift/Codex Dresdensis. Hg. Rolf Krusche. Frankfurt 1966 (= Insel-Bücherei Nr. 462) ist das älteste erhaltene Beispiel und in Teilen wahrscheinlich eine um 1200 n. Chr. hergestellte Kopie älterer Originale, die bereits seit dem 3. Jh. n. Chr. entstanden sein könnten, Abb. 160. Übersetzungen in: Paul Arnold, Das Totenbuch der Maya. Frankfurt 1980/2007. – Eine der wenigen überlieferten Codices der Mixteken ist der Codex Vindobonensis Mexicanus I. (Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vondobon. Mexic. 1/Faksimile: Mexico City, Fondo de Cultura Ecónomica 1992), der im Gegensatz zu den von den Mayas benutzten Hieroglyphen ähnlich den Codices der Azteken Piktogramme aufweisen, dazu Karl Young, Approaches to Codex Vindobonensis. In: (http://www.thing.net/~grist/ld/vind/vind.htm). Ein Sonderfall ist die Gebärdensprache, die Gehörlose als natürliche Sprache entwickelten, die also nicht „erfunden“ wurde, selbst wenn Systemvervollständigungen Abbé Charles Michel de l’Epée, der 1760 in Paris die erste Gehörlosenschule gründete, und Samuel Heinicke 1778 in Leipzig zugeschrieben werden. Zu dieser Gebärdensprache wurde, ausgehend von einer „Tanzschrift“ (vgl. Anm. 901) für das Ballett, eine Gebärdenschrift von Valerie Sutton 1974 erfunden, die seitdem für alle Bewegungsbereiche des täglichen Lebens von ihr vervollständigt wird: (http://www.valeriesutton.org) und das als Global Sign Writing System aus einer Symbiose von Bild und abstrakten Zeichen besteht. Abb. einer anderen Tanzschrift von Lavinia Schulz in: Flugkraft in goldene Ferne (…) Bühnentanz in Hamburg seit 1900. Hg. Nils Jockel/Patricia Stöckemann. Hamburg 1989, S. 71. Eine Tanzschrift für den Kammertanz im Barock, vgl. NetzkunstWörterBuch, a.a.O., S. 247 ff. und Kurd Alsleben, Circulating Art. HfbK Hamburg 1995, S. 10 ff. Zur Geschichte: Claudia Jeschke, Tanzschriften. Ihre Geschichte und ihre Methoden. Bad Reichenhall 1983. Vgl. Anm. 1029 im Hinblick auf die Erfindung von Universalsprachen. Im Manifest der ASA-Gruppe, maßgeblich von Seiichi Niikuni 1973 formuliert, heißt es unter Punkt 11: „Ein Gedicht soll der Natur einer ideographischen oder hieroglyphischen Schrift entsprechen.“ (Kamimura, Japanische Konkrete und Visuelle Poesie im internationalen Kontext, a.a.O., S. 45). Insbesondere im Lettrismus gibt es dafür eine Fülle von Belegen bei Lemaître in seinen „Canail-
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zeichen und Eigentumsmarken1605, sondern auch mit neuen Formen von Objektschriften1606 auf die alte Gegenstandsschrift zurückverweisen.
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les“-Büchern, oder bei Roland Sabatier, Gaffe au Golf. Roman Hypergraphique (1964). Nice 1994 und Gérard-Philippe Broutin, Peintures 1968–1989. Cluny 1989, Abb. 156 Titelseite. Vgl. auch Bohn, Modern Visual Poetry, aaO, S. 256 ff. („Hieroglyphics and Hypergraphics“). Aber auch außerhalb des Lettrismus sind Belege zu finden z. B. in der russischen Tradition (vgl. dazu Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 66 „Hieroglyphen und Ligaturen – Urbilder der Schrift“) oder bei Dieter Roth (Mundunculum. Köln 1967/dazu in: Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960, a.a.O., S. 12) und Andy Warhol, Horoscope for the Coctail Hour 1959/Abb. in: Eric Shanes, Warhol. Leben und Meisterwerke. New York 2004, S. 19 und eine Arbeit ohne Titel von 1958/Abb. in: Hieroglyphen! Der Mythos der Bilderschrift von Nofretete bis Andy Warhol. Hg. Dietrich Wildung/Moritz Wullen/Iris Wenderholm. Köln 2005, S. 114 f., – hier auch weitere Beispiele z. B. von Klee und Penck. Dann erwähnt Michel Butor (Die Wörter in der Malerei. Essay. Frankfurt 1993, S. 131) Kandinskys „Aufeinanderfolge“ (1935). Siehe auch den Beitrag von Dieter Scholz, Die Hieroglyphen der Moderne, a.a.O., S. 39 ff., bei Agnes Denes, Revolution (1970/ Abb. in: La Biennale di Venezia. Settore arti visive e architettura/ materializzazione del linguaggio. Hg. Mirella Bentivoglio. Venedig 1978, S. 14), oder bei Bill Keith, Pictographs. Kingston/NY 1996 mit Rückgriffen auf asiatische, westafrikanische und mittelamerikanische Piktogramme. Einschlägig dazu: Mon, Schrift als Sprache. In: Mon, Texte über Texte, a.a.O., S. 48 ff. Vgl. entsprechende Arbeiten in Jérôme Peignots Büchern Typoèmes und Typoésie (a.a.O.). Im Manifest (1966, vgl. Anm. 71) von Katue Kitasono heißt es: „Sprache ist das ungenaueste Übermittlungszeichen, das die Menschheit je schuf (…) Plastische Poesie ist eine Gestalt, die weder Zeilen noch Strophen braucht und nichts als ein Gedicht ist (…) Ich stelle eine Poesie dar, im Sucher meiner Kamera und durch eine Handvoll Papierabfälle, Pappe, Glasscherben. Das ist die Geburt der plastischen Poesie.“ (In: Kamimura, Japanische Konkrete und Visuelle Poesie im internationalen Kontext, a.a.O., S. 46) und bei Ugo Carrega, einem Vertreter der Nuova Scrittura, (Faltblatt der Galerie Senatore, Stuttgart 1970) steht: „1. Alles ist Sprache. 2. Ich sehe deshalb nicht ein weshalb die Poesie fortlaufend nur Worte benutzen soll (…) 7. Ein Kieselstein ist ein Wort“, vgl. die Gedichte von Kolárˇ in: Prˇíbeˇhy Jirˇího Kolárˇe, a.a.O., Abb. 157 S. 142: „Cˇerny´ cukr/ Schwarzer Zucker“ (1963) u. in: Kolárˇ, Eine Monografie, a.a.O., S. 11 die Abb. „Vogelkongreß. Evidentes Gedicht“ (1963). Die Gedichte (80 × 60 cm) bestehen aus kleinen montierten Gegenständen in sieben Zeilen mit einer Überschriftzeile: „Ein Ding ist wie ein Wort. Jedes der von mir hier aufgeklebten Dinge hat selbstverständlich seine Geschichte, sowie jedes Wort auch. Damit das Publikum dieses besser versteht, teilte ich sie in Verse auf. Sollte ich Ihnen jedes Ding erklären, so wäre das falsch, denn die Zuschauer, das Publikum, sollen die Geschichte der Verse und des Gedichts selbst bestimmen. Diese Dinge sind alle direkt aus dem Leben genommen. Ich will zeigen, dass Poesie nicht nur Worte bedeutet, denn sie kann
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Abb. 156: Gérard-Philippe Broutin, Eve, 1988
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Die ältesten Schriftsysteme zeigen nun auf einer fortgeschrittenen Stufe nicht nur eine Reduktion vorhandener Bild- und Zeichenelemente in der grafischen Genealogie, die als Abstraktionsvorgang aufgefasst werden könnte, sondern zugleich eine zunehmende Mischung von noch piktografisch-logografischen und schon syllabografischen Elementen, zwar noch das Nebeneinander von Bildhaftem und Zeichenhaftem, allerdings schon mit linearem Schriftverlauf. Sie ergab sich aus dem Beginn der Phonetisierung der Schrift, der Hereinnahme von Lautzeichen in das Schriftsystem, der Visualisierung des Hörbaren. Und dies war auch der Zeitpunkt, von dem ab sich die Schrift in einem beständig enger werden Anpassungsprozeß der Sprache näherte. Der logografischen Wortbildschrift folgte die Wortlautschrift. Dieser Vorgang lässt sich am besten mit dem altägyptischen Schriftsystem erklären, das auf der einen Seite aus einer Zeichen-Kombination von Piktogrammen, konsonantischen Phonogrammen (Umwertung von Piktogrammen, in denen man Lautwerte entdeckte) und determinativen Zeichen bestand, die eine Unterscheidung zwischen Piktogrammen und Phonogrammen deutlich machten, und das auf der anderen Seite einen Prozess in knapp 3000 Jahren von einer hieroglyphischen zu einer kurzschriftähnlichen hieratischen und stärker abstrakt demotischen Schrift durchlief1607. Die Stilisierung und Vereinfachung in der Form machten sich nun auch in der Bedeutung der Zeichen bemerkbar. Besaß früher ein Zeichen noch mehrere verwandte Lesungen, verengte sich das Bedeutungs1607
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mit einer konkreten Konstellation der Dinge überall auf der Welt gefunden werden. Wir können Poesie aus allem, was um uns ist, machen.“ (Kolárˇ, Eine Monografie, a.a.O., S. 10 u. Anm. 1585) Ganz ähnlich die Beschreibung einer Objekt-Schrift schon bei Harsdörffer („Mit Blumen oder Kräutern einen Brieff schreiben“, in: Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 522 f.) und dort auch der Vorschlag, „Auf allerhand Früchte Buchstaben schreiben“ (a.a.O., S. 521), was wiederum auf die Birne und den Apfel von Kolàrˇ verweist. Man könnte den „Schwarzen Zucker“ auch als eine Art Rebusschrift auffassen, in der die einzelnen Elemente nicht gemalt oder gezeichnet, sondern als reale Dinge (lt. res = Ding, Sache) auf einer Tafel angebracht werden. Eine Tabelle zur Entwicklung der ägyptischen Schriftzeichen der 3 Stufen – hieroglyphisch, hieratisch und demotisch – gibt es bei: Faulmann, a.a.O., S. 247 ff. Eine z. T. eigenwillige Deutungstabelle der ägyptischen Hieroglyphen bietet: Ernst Fuhrmann, Afrika. Sakralkulte – Vorgeschichte der Hieroglyphen. Hagen 1922, S. 8 ff. Vgl. auch Ludwig D. Morenz, Bild-Buchstaben und symbolische Zeichen. Die Herausbildung der Schrift in der hohen Kultur Altägyptens. Göttingen 2004 (= Orbis Biblicus et Orientalis 205).
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Abb. 157: Jirˇí Kolárˇ, Cˇerny´ cukr, 1963
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spektrum zu einem Begriff. Das Zeichen verlor seine Bildentsprechung und erhielt als Wort nur noch eine lautliche Entsprechung zum ursprünglich abgebildeten Gegenstand. Das bedeutete, dass es für mehrere gleichlautende Wörter ein Zeichen (AHNEN als Substantiv oder Verb)1608 und – noch komplizierter – für einzelne Silben mehrsilbiger Wörter auch jeweils ein Zeichen mit mehreren Bedeutungen geben konnte: Schlosstor (Schloss: Teil einer Tür oder Gebäude, Tor: Mensch oder Bauwerk). „Diese Wortlautschrift erlaubte es nun auch, nach dem Prinzip des Bilderrätsels, des Rebus (wie bei den Gegenstandsschriften)1609, aus ursprünglichen Bildzeichen neue Abstraktbegriffe zusammenzusetzen“1610. Aus der Kombination von zwei (oder mehreren) Bildzeichen entstand ein abstrakter Begriff: U(h)r-Laub.1611
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Was in der Konkreten und Visuellen Poesie reichlich Material lieferte, z.Bsp. Achleitners Spiel mit dem Wort taube (konkrete poesie/1972, a.a.O., S. 11), Dencker mit dem Wort weiss (Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005. Weitra 2006, S. 46), oder die Sprachen wechselnd wie in pair/pear bei Finlay, Abb. in: klankteksten, a.a.O., S. 40. Doblhofer, a.a.O., S. 19 verweist auf Gegenstandsbriefe westafrikanischer Volksstämme, deren Auslegung bereits von den Verfassern doppeldeutig angelegt waren: „Sie verliehen nämlich gewissen solchen !Briefen" den Charakter eines Laut-Rebus“. Bereits Herodot (485–425 v. Chr.) habe in seinen Historien (IV. Buch, Abs. 131–133.: Herodot, Historien. Dt. Gesamtausgabe. Hg. H. W. Haussig. Stuttgart 1971) einen Gegenstandsbrief erwähnt, der aus Vogel, Maus, Frosch und fünf Pfeilen bestand und verschieden ausgelegt wurde (Doblhofer, a.a.O., S. 20). Doblhofer, a.a.O., S. 34. „Hier hat sich neben der Schreibung des Wortes mit Hilfe eines zeichenbaren Bildes die Übertragung des Lautwertes eines zeichenbaren Wortbildes auf ein homonymes, nicht zeichenbares Wort ausgeprägt. Dieses Prinzip der Bilderschrift, neben dem Wortbild Abstrakta durch lautähnliche Konkreta zu schreiben, kann treffend mit der Methode verglichen werden, die das Bilderrätsel verwendet.“ (Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 11) – und so kommt Schenck auch zu der Auffassung: „Das Bild für das Wort zu setzen, entspricht dem Gedanken, der zur Erfindung der Schrift führte. Das Prinzip des Schreibens hat seinen Ursprung im Bild.“ (a.a.O., S. 11). Vgl. die Entsprechung im Chinesischen, dazu Eisenstein, Hinter der Leinwand (1929). In: NO – Vom Genius Japans. Ezra Pound/Ernest Fenollosa/Serge Eisenstein. Zürich 1963, S. 265: „Die Sache ist die, dass die Paarung (oder vielleicht sollten wir lieber sagen, die Vereinigung) von zwei Hieroglyphen der einfachsten Reihen nicht als ihre Summe anzusehen ist, sondern als ihr Produkt, d. h. als Wert einer anderen Dimension, einer anderen Potenz; für sich entspricht jede einzelne einem Ding, etwas Konkretem, ihre Vereinigung aber entspricht einem Begriff. Die Einzel-Hieroglyphen zünden zum – Ideogramm.“
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Rebusschrift Dieses Rebusprinzip, das auch in anderen Schriftsystemen wie denen der Azteken und Mayas auftauchte, als anfängliche Form der Phonetisierung auch „Rebusschrift“1612 genannt, wurde von den Ägyptern zwar im Ansatz für die Wortschreibung von den Sumerern übernommen, dann aber zu einem Satz von Lautzeichen systematisch ausgebaut.1613 Sie war formal auch die Voraussetzung für den Wechsel von der Wort- und Silbenschrift zum Konsonantenalphabet, das phönizisch-semitischen Ursprungs sein soll und von den Griechen durch Hinzufügung von Vokalen zum ersten vollständigen Alphabet ausgebildet wurde, nachdem eine ganz ähnliche Entwicklung wie im altägyptischen sich auch im altkretisch-minoischen Schriftsystem vollzogen hatte.1614 Denn die aus einer reinen Bilderschrift entstandene kretische Hieroglyphenschrift, deren Zeugnisse (altkretische Sigel)1615 auf das Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. datiert werden1616, besaß eine Reihe von Bildzeichen, die in den abstrakteren und verlautlichten Linearschriften A (ca. 18. Jh. v. Chr. entstanden) und Linear B (ca. 16. Jh. v. Chr. entstanden) wiederkehrten.1617 1612
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Földes-Papp, a.a.O., S. 71. Beispiele für einzelne Kulturkreise vgl. Haarmann, a.a.O., S. 155 (sumerisch), S. 181f (chinesisch), Abb. 158 S. 205 (aztekisch). „Die äußere Form des Bilderrätsels entspricht dem Prinzip des Erscheinungsbildes der Bilderschrift. Seine isolierten Bestandteile, die keinem anschaulichen Bildzusammenhang, sondern dem begrifflichen Zusammenhang dienen, reihen sich gemäß dem Zeitverlauf oder formen den Schriftblock.“ (Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 57). Wolfgang Schenkel, Wozu die Ägypter eine Schrift brauchten. In: Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation. Hg. Aleida u. Jan Assmann/ Christof Hardmeier. München 1983, S. 54 ff. Vgl. auch Jan Assmann, Die Frühzeit des Bildes – der altägyptische Iconic Turn. In: Iconic Turn, a.a.O., S. 321: „in Ägypten selbst schlägt meines Erachtens die Geburtsstunde des abendländischen Hieroglyphendiskurses, der ja, wie wir sahen, auf genau diesem Unterschied zwischen Bilderschrift und abstrakter Schrift beruht.“ Dazu: Aleida und Jan Assmann, Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie. München 2003. Földes-Papp, a.a.O., S. 51 f., wo auf die Entwicklung von den altkretisch-minoischen Bildzeichen, über die kretisch-minoische Hieroglyphenschrift zu den ca. im 2. Jahrtausend v. Chr. sich bildenden Linear A und Linear B Schriften hingewiesen wird. Abb. in: Haarmann, a.a.O., S. 88. Haarmann, a.a.O., S. 88. Vgl. die Synopse bei Földes-Papp, a.a.O., S. 49. Nach Doblhofer (a.a.O., S. 288) ist allerdings die bisher gültige These der Ableitung von Linear B aus A und beide aus dem kretischen Hieroglyphensystem in Frage zu stellen. Dies liegt vor allem
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Abb. 158: Tenochtitlan, ca. 16. Jh.
Ein besonders wichtiges und bis heute unerschlossenes Zeugnis aus dieser Zeit – gleichsam im doppelten Sinn Rebusschrift – ist der Diskos von Phaistos, dessen Bildzeichen unzählige Deutungsversuche erfuhren und deren Zugehörigkeit zu einem der bekannten Schriftsysteme nach wie vor unsicher ist1618, obwohl die Forschung der letzten Jahre zu der An-
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an der noch nicht entzifferten Linearschrift A und der damit verbundenen Unsicherheit ihres Ursprungs. Der Grund ist der fehlende „Schlüssel“, wie er im Falle des „Steins von Rosette“ (196 v. Chr.) vorliegt. Dieses Zeugnis wurde 1799 im Nildelta (Rosette) gefunden. Es handelt sich um eine dreisprachige Inschrift: im oberen Teil in altägyptischer
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sicht kam, dass sie wohl der Linearschrift A zuzurechnen sei.1619 Den Diskos entdeckte Luigi Pernier (1874–1937)1620 1908 in der minoischen Palastanlage von Phaistos/Kreta neben einer beschädigten Schrifttafel, auf der die Linearschrift A identifiziert wurde. Dieser Umstand, statistische Vergleiche mit der Linearschrift A1621 und Ähnlichkeiten mit ihren Zeichen auf einer Doppelaxt von Arkalachori/Kreta1622 waren die Ausgangspunkte, den Diskos, wie dies schon sein Finder vermutete, ins 17. Jh. v. Chr. (oder jünger)1623 zu datieren. Jedoch ist weder gesichert, ob der Diskos überhaupt aus dem Kulturkreis seines Fundortes stammt und nicht vielmehr „importiert“ wurde, noch ob es sich um ein logografisches1624 oder phonografisches1625 Schriftsystem handelt:1626 „Die Kon-
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Sprache/ägyptischer Hieroglyphenschrift, im Mittelteil in neuägyptischer Sprache/demotischer Schrift und im unteren Teil in griechischer Sprache und Schrift. So war es Jean François Champollion (1790–1832) möglich, die ägyptischen Hieroglyphen entziffern zu können (Champollion, Lettre à M. Dacier, Secrétaire de l’académie royale des inscriptions et belles lettres, relative a l alphabet des hiéroglyphes phonétiques. Paris 1822). Vgl. Doblhofer, a.a.O., S. 57 ff., Abb. dort S. 54 und besser in: Földes-Papp, a.a.O., S. 100. Haarmann, a.a.O., S. 92 verweist mit weitläufigen Entsprechungen auf einen anderen, ebenfalls einzigen Spiraltext unter den Denkmälern des Etruskischen aus dem 5. Jh. v. Chr., vgl. Anm. 960. Die neuere Forschungslage stellt dar: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 27 ff., hier auch Abb. 159 S. 29. Ein guter Überblick über die verschiedenen Deutungsversuche gibt: http://users. otenet.gr/~svoronan/phaistos.htm. Die interessanteste jüngst erschienene Untersuchung: Torsten Timm, Der Diskos von Phaistos – Anmerkungen zur Deutung und Textstruktur. In: Indogermanische Forschungen, Bd. 109, Berlin 2004, S. 204 ff. u. Torsten Timm, Der Diskos von Phaistos. Fremdeinfluss oder kretisches Erbe? Nordersted 2005. Scheiben mit hieroglyphenähnlichen Bildzeichen gab es mehrere. Franz Boll (Sternglaube und Sterndeutung. Die Geschichte und das Wesen der Astrologie. Leipzig 1926, Taf. I/Abb. 2) erwähnt eine Scheibe (1. Jh. v. Chr.) mit astronomischen Zeichen, die aus dem Tempel von Dendera/ Oberägypten stammt und dem Diskos von Phaistos überraschend ähnelt. Luigi Pernier, Il disco di Phaestos con caratteri pittografici. In: Ausonia III, Rom 1908, S. 255 ff. Timm, Der Diskos von Phaistos. Fremdeinfluß oder kretisches Erbe?: http:// www.kereti.de/phaistos.html Abb. in: Victor J. Kean, Der Diskus von Phaistos. Athen 1985, S. 16 u. http://www.kereti.de/arkalochori.html. Spätere Datierungen gehen bis ins 14. Jh. v. Chr. So Haarmann, a.a.O., S. 167. Cyrus Herzl Gordon, Evidence for the Minoan language. Ventnor/New Jersey 1966. Zur Logografie zählt Haarmann (a.a.O., S. 147) piktografische, ideografische und abstrakt-logografische Symbole; zur Phonografie Zeichen für Lautsegmente, die Silbenschrift und die Buchstabenschrift.
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Abb. 159: Diskos von Phaistos, ca, 17.–16. Jh. v. Chr.
frontation der statistischen Auffälligkeiten des Diskostextes mit bekannten Schriftsystemen lässt den Schluss zu, dass der Diskos von Phaistos weder in einer Buchstaben- noch in einer logographischen Schrift verfasst wurde. Zahlreiche Argumente deuten vielmehr auf eine Silbenoder Hieroglyphenschrift hin.“1627 Dieser Abstraktionsprozeß auf dem Weg zur phonografischen Rebusschrift ist nun in vielen anderen Kulturbereichen ebenso nachweisbar. Im Alten Orient zeigt sich dies in den ältesten logografischen Schriftformen der Sumerer, von den piktografischen Anfängen (30. Jh. v. Chr.) bis
1627
Timm in: (http://www.kereti.de/thesen.html).
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zur abstrakten Ausformung der Keilschrift1628 bei den Akkadern (20. Jh. v. Chr.) in ihren beiden Hauptentwicklungssträngen des Babylonischen und Assyrischen, auch dort, wo sich hartnäckig noch eine Hieroglyphenschrift hielt, wie im Hethitischen (15. Jh. bis 750 v. Chr.)1629, die aber bereits eine phonografische Silbenschrift war. Am eindrucksvollsten ist die Entwicklung im Nebeneinander von bildhaften Hieroglyphen und abstrakten Zeichen in den Schriftsystemen und Song-Transkriptionen der Indianer Nordamerikas1630 sowie in den präkolumbianischen Kulturen Mittelamerikas und dort besonders seit dem 3. Jh. n. Chr. bei den Mayas, deren Schriftsystem wohl über die Zapoteken auf die Olmeken zurückgeht.1631 „Das besondere der Schriftkultur besteht unter anderem darin, dass sie sich neben der Tradition der sprachunabhängigen Bildererzählung in Gestalt der Faltbücher1632 entfaltet, ohne diese zu verdrängen oder etwa in eine direkte Abhängigkeit zur bildhaften Darstellung zu geraten. Es gibt daher Werke der reinen Bilderzählung (ohne die Beteiligung von Schriftsymbolen), solche der reinen Verwendung von Schriftsymbolen (ohne bildhafte Darstellungen) und Dokumente, in denen sowohl Bildkompositionen als auch sprachgebundene Hieroglyphen gemeinsam verwendet werden.“1633 Und diese Hieroglyphenschrift besitzt eine ganz eigene Symbiose von Bildhaftigkeit und Abstraktion: „!Hauptzeichen"1634 treten mit !Klein1628
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Ausführlich zur Geschichte der Keilschriften vgl. Faulmann, a.a.O., S. 331ff, Doblhofer, a.a.O., S. 101 ff. Auch als „Bildluwisch“ bezeichnet, weil es um die Verschriftlichung einer dem Hethitischen nahe stehenden indogermanischen Sprache (Luwisch) Kleinasiens handelt (Haarmann, a.a.O., S. 242). Jerome Rothenberg, Shaking the Pumkin, a.a.O., vgl. Anm. 149 u. Abb. in: Eugen Oker, Bilderrätsel. Rund um den Rebus. Beispiele, Anleitungen, Auflösungen. München 1994, S. 37 u. 43. Von US-Forschern der University of New Hampshire (William A. Saturno/David Stuart/Boris Beltrán, Early Maya Writing at San Bartolo/Guatemala. In: Science, Vol. 311, No. 5765, Washington 3. 3. 2006, S. 1281ff.) ist aufgrund neuer Funde in der Nähe der Las Pinturas-Pyramide in Guatemala festgestellt worden, dass das Maya-Schriftsystem älter ist, als bisher angenommen, und bereits rund 250 Jahre v. Chr. existiert haben muss (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21731/1.html). Aber „Die älteste Schrift der Neuen Welt“ (In: Geo 4, Hamburg April 2007, S. 187) soll von den Olmeken stammen, entnommen dem Cascajal-Stein, der 900 v. Chr. datiert wird und 62 Glyphen aus 28 verschiedenen Zeichen aufweist. Haarmann, a.a.O., S. 44 ff. Haarmann, a.a.O., S. 192. Abb. 160 in: Die Maya-Handschrift. Codex Dresdensis, a.a.O., S. 14 f. Das sind einzelne Hieroglyphen.
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Abb. 160: Codex Dresdensis, 12. Jh. n. Chr.
zeichen"1635 zusammen; Affixe lagern sich an die äußeren Konturen oder werden in das Hauptzeichen selbst eingeschrieben; ein Graphem zeigt sich bald in einer geometrischen Form, bald als Portraitkopf von Menschen oder Tieren. Das äußere Bild ist also von einer schillernden Kompliziertheit; die ästhetische Komponente drückt sich in barocken Spielformen aus.“1636
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Das sind Zusatzzeichen, die den Wert von Silben oder Einzellauten haben können. T. S. Barthel, Entzifferung früher Schriftsysteme in Alt-Amerika und Polynesien. In: Frühe Schriftzeugnisse der Menschheit. Göttingen 1969, S. 161 (= Veröffentlichung der Joachim – Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg Nr. 12).
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Dieses dominant logografische Schriftsystem war deshalb sehr komplex, weil es neben den piktografischen und ideografischen auch syllabisch – phonetische Elemente gab und zudem verschiedene Schreibweisen bei gleicher Aussprache, die unter Verwendung unterschiedlicher Funktionen einzelner Hieroglyphen den gleichen Gegenstand meinten, – eine sehr weit entwickelte Form der Rebusschrift, die in der Forschung zu der Annahme führte, dass diese wohl nur einer kleinen intellektuellen Elite zugänglich war.1637 Noch komplizierter ist die aztekische Hieroglyphenschrift, obwohl sie im Gegensatz zur Hieroglyphenschrift der Mayas eine größere Einfachheit und das einzelne Bildzeichen eine konkretere Wiedergabe des bezeichneten Objekts besitzt. Komplizierter deswegen, weil nicht nur die Zusammensetzung des einzelnen Zeichens aus vielen Einzelbedeutungen tragenden Teilelementen zu entschlüsseln war, sondern vor allem auch als neues Schlüsselelement der Schrift die Farbe hinzukam, die nicht nur dekorativen, sondern auch einen eigenen Funktionswert besaß. Nur noch entfernt verwandt mit der Hieroglyphik, aber ein besonders interessantes Beispiel der späten Erhaltung von Bilderschrifttradition und Abstraktion einerseits und der Rebusform andererseits ist eine Ideenschrift, die ca. 1892 bei den Jukagiren in Sibirien entdeckt wurde. Es handelte sich um den Liebesbrief eines jungen Jukagiren-Mädchens, der von ihrer unerwiderten Liebe zu einem verheirateten Russen berichtete.1638 Die Darstellung, sowohl abbildhaft nach der Natur1639 als auch abstrakt – zeichenhaft1640, wurde mit einem Messer in frische Birkenrinde geritzt. Krahmer spricht in diesem Zusammenhang einerseits von „schreiben“ und andererseits von „Zeichnung“, was die Ambivalenz sowohl der Darstellung (ein Brief) als auch des Schreibens (ein grafisches Ritzen) verdeutlicht. Womit sich noch im 19. Jahrhundert jene Verbin-
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Maria Longhena, Sprechende Steine. 200 Schriftzeichen der Maya – die Entschlüsselung ihrer Geheimnisse. Wiesbaden 2003, S. 25. Ca. 1895 entstanden und zuerst publiziert von Krahmer, Über jukagirische Briefe. In: Globus (Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Volkskunde) 69, Braunschweig 1896, S. 208 ff., der auch weitere Beispiele erläutert und „übersetzt“. Vgl. dazu Doblhofer, a.a.O., S. 26 f. (mit Abb). In diesem Zusammenhang sind auch Briefe der Ojibwa-Indianer zu nennen: Abb. unter Eva Völkel, Entwicklung der Schrift (2002): http://www.e-teaching-austria.at/02_cont/03content/03_be/ be_pp/05/basics/Ideenschriften_m.pdf, hier auch Abb. 161 des jukagirischen Briefes. Die weiblichen Personen werden mit einem Zopf (gepunktete Linie) dargestellt. Bestimmte Linien stellen Gefühle dar.
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Abb. 161: Jukagirischer Brief, ca. 1895
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dung der Bedeutungen zeigt, die im Begriff Bilder-Schrift zum Ausdruck kommt und die sich schon etymologisch in vielen Sprachen nachweisen lässt, so etwa im Mittelhochdeutschen, wo „die Termini schrîben und mâlen, schrift und gemeld in mittelalterlichen Texten synonym verwendet werden. Ein solcher Wortgebrauch ist nicht besonders häufig, aber durchaus gut belegt. Im !Lexer" findet sich eine eigene Kategorie für das mittelhochdeutsche Wort schrîben im Sinne von zeichnen oder malen. Umgekehrt ist für das mittelhochdeutsche Wort mâlen die Bedeutung von schreiben oder aufzeichnen belegt. Das Deutsche Wörterbuch bezeichnet !schreiben" auch !als kunst vom anbringen farbiger oder zeichnerischer striche", schränkt dies jedoch durch den Zusatz !nur in alter sprache" ein. Damit ist angedeutet, dass es einen gemeinsamen Funktionsraum von Bild und Schrift gibt und dass die beiden Bereiche sich erst spät ausdifferenziert haben.“1641 Und so finden sich auch die zwei Bedeutungen (xie˘ = schreiben und zeichnen, abbilden) eines Zeichens im Chinesischen1642, bzw. eines Wortes im Altägyptischen (s sˇ und s´ p h r), Lateinischen (scribere) oder Griechischen (graphein).1643 Im Ägyptischen gibt es zudem für ein und das1641
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Horst Wenzel, Erzählende Bilder und bildhafte Literatur. Plädoyer für eine TextBildwissenschaft. In: Iconic Worlds. Neue Bilderwelten und Wissensräume. Hg. Christa Maar/Hubert Burda. Köln 2006, S. 237 und dort die Anm. 31–34. Sprachgeschichtlich betrachtet hat der Graph bereits im 3. Jh. v. Chr. die Bedeutung angenommen: etwas in Metall gießen, speziell Zeichen in Metall gießen, davon abgeleitet etwas abbilden, nach der Natur abzeichnen, abmalen, und schließlich schreiben (von Schriftzeichen). Bis auf schreiben sind die anderen Bedeutungen im modernen Chinesisch verlorengegangen. Vgl. auch Günther Debon, Grundbegriffe der chinesischen Schrifttheorie und ihre Verbindung zu Dichtung und Malerei. Wiesbaden 1978, bes.: Bindeglieder zwischen den Theorien der Dichtung, der Schriftkunst und der Malerei Chinas, S. 47 ff. Weitere Beispiele bei Földes-Papp, a.a.O., S. 56. Vgl. dazu Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 30: „Wie sehr man damals Bild und Schrift geradezu in dem Begriff der Graphik zu einer Einheit zu verschmelzen geneigt war, das zeigt vielleicht am deutlichsten der Neapolitaner Pomponius Gauricus in seinem Traktat: Über die Skulptur, 1504. Er wirft dort die Frage auf, ob die Alten als !Graphiker" die Schriftsteller oder die Maler und Bildhauer bezeichnet hätten; das Verfahren der Ägypter zeige, dass das Wort schreiben gleichbedeutend mit malen und meißeln sei, denn die Ägypter hätten eben dies getan, wenn sie etwas bezeichnen oder in Denkmälern überliefern wollten. So wird ihm « gleichbedeutend für Schreibkunst und Zeichnen, was natürlich der hieroglyphischen Auffassung nur Vorschub leisten konnte. Sein Werk war übrigens auch in Deutschland verbreitet, wo 1542 eine Ausgabe erschien.“ Vgl. dazu: Hans H. Frankel, Poetry and Painting: Chinese and Western Views of their Convertibility. In: Comparative Literature Vol. IX, No. 4, 1957, S. 290: „The sculptor
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selbe Wort tjt die zwei Bedeutungen: Bild- und Schriftzeichen. Ein Befund, der auf die alte Frage nach der wesensmäßigen Identität oder Nichtidentität, bzw. den Grenzbestimmungen von Malen und Schreiben weist. Ist das abbildende Malen schon ein Schreiben oder das Schreiben ein noch abbildendes Malen. Wie eng ist das Verhältnis von Bild und Text, Malerei und Poesie. Eine Frage, die vor dem Hintergrund der ut pictura poesis1644-Diskussion1645 über die weitläufigen Interpretatio-
1644
1645
and poet Pomponius Gauricus pointed to the Greek word graphein, which means both !to write" and !to paint", as proof that these two arts are inseparable. (He would have been pleased to know that in literary Chinese, too, a single verb, hsieh, is used in the dual sense of !to write" and !to paint", and that the expression tu hua !to look at a painting" literally means !to read a painting".“ Das Zitat von Gauricus aus De sculptura (1504) in: Jean Paul and Irma A. Richter, The Literary Works of Leonardo da Vinci. 2 Bde. London 1939, Bd. 1, S. 48 f. Gemeint ist hier die entsprechende Stelle bei Horaz, De arte poetica liber (Die Dichtkunst, lat./dt.). Hg. Horst Rüdiger. Zürich 1961, S. 36 f. (V. 361 f.): „ut pictura poesis: erit quae, si propius stes,/ te capiat magis, et quaedam, si longius abstes (Dichtungen gleichen Gemälden: Einzelne Züge ergreifen/ Tiefer beim Anblick von nahem und andre beim Anblick von ferne)“. Dazu ist S. 12 f. (V. 9 f: pictoribus atque poetis/ quidlibet audendi semper fuit aequa potestas/ Maler und Dichter/ Hatten schon immer das Recht, sich ans Größte zu wagen) zu beachten. Dieser Vergleich (noch nicht Gleichsetzung) zwischen Malerei und Dichtung (ca. 16 v. Chr.), geht zurück auf die Poetik (ca. 335–322) des Aristoteles: „Da der Dichter ein Nachahmer ist, genau wie der Maler oder ein anderer Bildner …“ (Aristoteles, Poetik. Hg. Olof Gigon. Stuttgart 1961, S. 68, Nr. 25; Aristotle, The Poetics Longinus on the sublime Demetrius on style. (gr./engl) London 1960, S. 100f). Diese Diskussion wurde auch durch die Bemerkung des griechischen Dichters Simonides von Keos (557/556–468/467) befördert, dass das Gedicht ein sprechendes Bild und das Bild ein stummes Gedicht sein solle: „Poëma loquens pictura, píctura tacitum poëma debet esse“ (M. Tulli Ciceronis, Fasc. 1, Ad C. Herrennium De Ratione Dicendi. Hg. Friedrich Marx. Leipzig 1964, S. 149/liber IV/§ 39, 12 f., dort weitere Nachweise u. a. der Hinweis auf die früheste Überlieferung bei: Plutarch, De Gloria Atheniensium VIII, 346 F-347a, II/2 in: Moralia. Hg. W. R. Paton/J. Wegehaupt/M. Pohlenz. Leipzig 1935, S. 125). Vgl. auch Jean H. Hagstrum, The Sister Arts: The Tradition of Literary Pictorialism and English Poetry from Dryden to Gray. Chicago 1958, S. 10 f. Eine sehr gute Zusammenstellung vieler Zeugnisse und der Diskussion über die Jahrhunderte im Netz unter: Rensselaer W. Lee, Ut Pictura Poesis. The Humanistic Theory of Painting. New York 1967 (http://www.noteaccess.com/Texts/Lee/Intro. htm), John Graham, Ut Pictura Poesis (http://etext.virginia.edu/cgi-local/DHI/ dhi.cgi?id=dv4-63) und Anne-Kathrin Reulecke, Geschriebene Bilder. Zum Kunst- und Mediendiskurs in der Gegenwartsliteratur. München 2002, S. 128 ff. Die sich nicht nur auf den europäischen Raum beschränkt. Frankel vergleicht Verszeilen von Lope de Vega (aus: Rimas humanas y divinas. Madrid 1634/ Reprint Madrid 1935, S. 56) mit Versen des chinesischen Dichters Su Shih
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nen von Lessings Schrift „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“ (1766) bis ins 19. Jahrhundert diskutiert wurde und die für eine neue Synthese von Bild und Text eingehende janusköpfige Ausdrucksform der Visuellen Poesie aus heutiger Sicht ebenso bedeutungsvoll ist, wie das schon in den frühen Schriftsystemen erkennbare Rebusprinzip.1646 Dieses Prinzip ist schon bei den Ägyptern auch direkt als Methode „einer mit optischen Mitteln operierenden Kryptographie“, als eine Art „Verschlüsselung durch Homonyme und Rebuselemente“1647 nachweisbar, so in Hymnen zwischen dem 12. und 14. Jh. v. Chr. mit Kreuzwort- und Permutationsstrukturen, die Ernst1648 als älteste Zeugnisse Visueller Poesie bezeichnet.1649
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1648 1649
(1036–1101/in: Ostasiatische Zeitschrift, n. s. VIII, 1932, S. 107), wo Gedichte als formlose Gemälde und Gemälde als wortlose Gedichte bezeichnet werden (Frankel, a.a.O., S. 289) und Debon zitiert den chinesischen Dichter Kuo Hsi (1020–1090) mit dem Diktum, dass Gedichte Gemälde ohne Formen und Gemälde Gedichte mit Formen seien (Debon, a.a.O., S. 48). Debon und Frankel machen deutlich, dass der Hintergrund die frühe Verschmelzung von Schreibund Malkunst in China sei „In China, however, writers and painters early came to use the same tool, the hair brush (…) This unique tool, applied to the rich potentialities of the Chinese script, caused writing to develop not only as a utilitarian vehicle but also as a form of art, calligraphy (…) Thus calligraphy formed an important link between literature and painting.“ (Frankel, a.a.O., S. 302) Und so interpretiert Frankel „convertibility of poetry and painting“ „as synaethesia“ (a.a.O., S. 298 f.) und stellt fest, daß dem europäischen gleich „a similar concept is found in Chinese literature from the eleventh century on.“ (a.a.O., S. 302). Zuordnung zur Visuellen Poesie, vgl. Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 15 ff. u. 26. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 13. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatte schon in den Vorlesungen über die Ästhetik. II. Entwicklung des Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen. 1. Abschnitt, 1. Kapitel: „Vollständige Symbolik: Memnonen, Isis und Osiris, Sphinx“ von der Rätselhaftigkeit der ägyptischen Kunst gesprochen, die in ihrer geheimnisvollen Symbolik „das objektive Rätsel selbst“ sei. Zum Rätsel vgl. Hegels Beitrag in den Vorlesungen über die Ästhetik a.a.O., 1. Abschnitt, 3. Kapitel: „Das Rätsel“ (Texte unter: www.textlog.de/hegel_aesthetik.html). Ernst, Carmina figuratum, a.a.O., S. 15, vgl. auch die Abb. S. 16 ff. Ludwig D. Morenz, Visuelle Poesie als eine sakrale Zeichen-Kunst der altägyptischen hohen Kultur. In: Studien zur altägyptischen Kultur. Hg. Hartwig Altenmüller/Nicole Kloth. Bd. 32, Hamburg 2004, S. 311 ff. u. Ludwig Morenz, Sinn und Spiel der Zeichen. Visuelle Poesie im Alten Ägypten. Köln 2006.
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Der Rebus Insofern verwundert es nicht, dass sich der erste Nachweis zum Begriff Rebus bei Geoffroy Tory (1480–1533)1650 ausdrücklich auf die ägyptische Hieroglyphik bezieht und ebenso die weitere theoretische Beschäftigung mit dem Phänomen, etwa bei Daniel Schwenter (1585–1636): „Bey den Alten/ innsonderheit aber bey den Ægyptiern ist eine sondere art verborgen zu schreiben gewesen/ die sie fast für ihre Theologiam vnd Religion gehalten/ in dem sie durch allerley wunderliche Figuren ihre geheimnuß ganz künstlich vnd geschickt angedeutet/ vnd haben solche Kunst genennet Hieroglyphica.“1651 Als zu Beginn des 15. Jahrhunderts das Interesse der italienischen Humanisten an der Antike und den ägyptischen Hieroglyphen wuchs, entstand die sogenannte Renaissance-Hieroglyphik1652 – allerdings aus einem falschen Verständnis der Hieroglyphen heraus, da deren Entzifferung und damit die tiefere Erkenntnis für das hieroglyphische Schriftsystem bekanntlich erst 1822 durch Champollion erfolgte und deshalb die Auffassung von einer reinen Bilderschrift vorherrschte. Durch die Renaissance-Hieroglyphik wurde nun im Zuge diverser Neuschöpfungen artifizieller literarischer Formen der Weg für den Rebus geebnet. Mit seiner raschen Verbreitung seit seinem ersten Erscheinen1653 vor allem in Italien, Frankreich, den Niederlanden, England und Deutschland1654 1650
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Tory, Champ fleury, a.a.O., fol 42v (Reprint: Paris 1931 u. 1970), Zitat vgl. Anm. 1754. Daniel Schwenter, Steganologia et Steganographia Nova. Geheime Magische/ Natürliche Red und Schreibkunst. Nürnberg 1619–1624, S. 137. Diese Auffassung hat sich bis in die Gegenwart gehalten: Hellmut Brunner, Änigmatische Schrift (Kryptologie). In: Handbuch der Orientalistik. Hg. Bertold Spuler. Abt. 1, Bd. 1, Hg. Wolfgang Helck. Köln 1973, S. 52 ff. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, a.a.O., S. 351. In Frankreich um 1400 (vgl. Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 23 u. Abb. 30), in Deutschland Mitte des 15. Jahrhunderts (vgl. Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 43 u. Abb. 101). Zur Geschichte vgl. Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 258 ff. u. Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 11 ff. In beiden Darstellungen gibt es umfangreiches Bildmaterial. Dieses geht zurück auf kommentierte Ausgaben der großen Sammlungen: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Kommentierte Ausgabe. Teil 1: Ethica. Physica. Hg. Wolfgang Harms/ Michael Schilling/ Barbara Bauer/ Cornelia Kemp. Tübingen 1985; Bd. 2: Historia. Hg. Wolfgang Harms/Michael Schilling/Andreas Wang. München 1980; Teil 3: Theologica. Quodlibetica. Bibliografie. Personen- und Sachregister. Hg. Wolfgang Harms/ Michael Schilling/ Albrecht Juergens/ Waltraud Timmer-
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übernahm ein sich entfaltender Formenreichtum je nach Epoche verschiedene Aufgaben: „Die erotische Funktion. Die Anwendung des Rebusverfahrens auf Impresen und Devisen dient der diskreten Übermittlung einer erotischen Botschaft. Die karikaturistische Funktion/die politische Agitation. Die Texte der Rebusflugblätter aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges sind parteigebunden und zielgruppenorientiert. Sie beziehen deutlich Position und nutzen karikaturistische Elemente zur Diffamierung ihrer politischen Gegner. Die erbauliche Funktion. Besonders die Bilderbibeln des ausgehenden 17. und die des 18. Jahrhunderts arrangieren Bibelverse mit Hilfe des Rebuskonzepts. Nicht der Schwierigkeitsgrad des Lösungsprozesses, sondern die Bilder als Vorlagen zur Meditation stehen dabei im Vordergrund. Aber auch im 19. Jahrhundert finden sich Bilderbogen, die Passagen aus dem Neuen Testament in die hier homogen gestaltete Bilderwelt eines Rebus kleiden. Die erzieherische Funktion. Speziell Rebusbogen für Kinder, aber auch solche für Erwachsene, sind in ein pädagogisches Konzept eingebunden, das vielfach mit Plattitüden operiert. Die spielerische Funktion. Das ludische Moment lässt sich durchgängig für alle Bilderrätsel reklamieren, insbesondere kommt es jedoch bei den Rebuspreisausschreiben zum Tragen.“1655 Das noch bis heute am häufigsten anzutreffende Formenspektrum des Rebus ist das spielerisch-unterhaltende auf der einen Seite, das vor allem in den Illustrierten der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert auftauchte1656, und auf der anderen Seite das didaktische in Fi-
1655 1656
mann. Tübingen 1989; Die Sammlungen der Hessischen Landesbibliothek in Darmstadt. Kommentierte Ausgabe. Hg. Wolfgang Harms/ Cornelia Kemp. Tübingen 1987; Die Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Kommentierte Ausgabe. Teil 2: Die Wickiana II (1570–1588). Hg. Wolfgang Harms/Michael Schilling. Tübingen 1997; Illustrierte Flugblätter: die Sammlung Stopp, Eckensberger Stiftung/Herzog August Bibliothek. Bearb. Thomas Weißbrich. Dep. 4.9 FM 1–50. Wolfenbüttel 2000 u. Dep 4.9 FM 51–60. Wolfenbüttel 2005. Vgl. auch Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 184 ff. für die internationale Verbreitung. Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 288. Mit vielen Beispielen belegt bei: Oker, Bilderrätsel, a.a.O., besonders gelungene in: Deutsche Meisterrätsel. Hg. Walter Schmidkunz. München o. J. (= Münchner Lesebogen Nr. 76). Vgl. auch Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 276 ff., Abb. 162 S. 167.
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Abb. 162: Der Finländer new Cartten Spiel, 1632
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beln und „Lesebilderbüchern“1657. Während die eine Form – neben dem bloß unterhaltenden Rätsel mit dem einzigen Ziel der Enträtselung – auch artifizielle Poesie sein kann und möglichst überraschende und schwer zu entschlüsselnde Substitutionen auf mehreren, miteinander verschränkten Ebenen (der Bild-, Text-, Laut-, grafischen und logischen Konstruktionsebene) benutzt, verzichtet die andere, deren Ziel neben der Didaktik auch das der Kritik, Agitation und der Karikatur ist, weitgehend auf Verfremdung durch Verrätselung. Sie enthält eine Text-BildEntsprechung, in der die bildhafte Substitution von Wörtern oder Wortteilen im Text lediglich ein wichtiges inhaltliches Element hervorhebt, betont und damit nur genau dem entspricht, was aus oder zusammen mit dem Kontext bereits mühelos erschlossen werden könnte: – „Der Hund(als Bild) bellt“.1658 Im einen Fall handelt es sich um eine BilderDeutung, im anderen um eine Bilder-Lesung. Auf diese Weise diente das Bilderlesen1659 – das auch die Bildwerdung der Schrift, die reiche Vielfalt der Bild- und Figuren-Alphabete1660 her 1657
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Charles J. Barnes/ Harlan H. Ballard, New National First Reader. New York 1883 (Abb. in: David Crystal, Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache. Frankfurt 1993, S. 250), oder Margret Rettich’s Lesebilderbuch. Up and Down in the Street. Bindlach 2003. Oder noch schlichter, wenn die Bildelemente illustrativ dem entsprechenden Wort hinzugefügt werden, wie in: Hans Weis, Spiel mit Worten. Deutsche Sprachspielereien. Bonn 1985, S. 117. Wie es von Johannes Buno (1617–1697) empfohlen wurde (Buno, Neues ABC= und Lesebüchlein (1650). In: Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von 1570–1750. Hg. Theodor Brüggemann in Zus. m. Otto Brunken. Stuttgart 1991, S. 410 ff.), und so auch die Vorschläge von Comenius in seinem „Vortrag“ zum „Orbis sensualium pictus“ (Nürnberg 1658/Osnabrück 1964), abgedr. In: Hubert Göbels, Nachwort. In: Cürieuse Bilder=Bibel oder die vornehmsten Sprüche heiliger Schrift in Figuren vorgestellt wodurch dieselben der zarten Jugend auf eine angenehme u: ergötzende Art bekannt gemacht werden können. Nürnberg o. J. (1806). Hg. Hubert Göbels. Reprint: Dortmund 1979, S. 130 f. Die beste Übersicht bietet Massin. Das Entstehen dieser Alphabete „zeigt ein deutliches Interesse an Konstruktionsmodellen literarischer Modelle, in denen einzelnen Buchstaben über ihre !Normalfunktion" als Konstituenten schriftlicher Äußerungen hinaus in jeweils spezifischer Weise eine Sonderolle zugeteilt wird.“ (Elisabeth Kuhs, Buchstabendichtung. Zur gattungskonstituierenden Funktion von Buchstabenformationen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Heidelberg 1982, S. 205). Vgl. dazu auch Wenzel, Die Schrift und das Heilige, a.a.O., S. 51 ff. u. Schreiner, Buchstabensymbolik, Bibelorakel, Schriftmagie, a.a.O., S. 59 ff., die beide der Bedeutungszuweisung einzelner Buchstaben in Religion und Mystik nachgehen. – Nachdem die Initialen in den frühen Handschriften z. B. des 8. Jahrhunderts aus
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vorbrachte – nicht nur der Sprache- und Leselernhilfe, sondern auch der nachdrücklichen Vermittlung von Glaubensinhalten, besonders in der Bibel-Publizistik. Die Verknüpfung von Text und Bild in der Geschichte der Bibel-Illustration1661 reicht zurück bis zu den Quedlinburger Itala-
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menschlichen oder tierischen Figuren bestanden (Massin, (1970) a.a.O., S. 35 ff.), wurden ganze Bilder um einen einzigen Buchstaben (Paulini-Alphabet/1570, Massin, (1970) a.a.O., S. 60 f.) entworfen oder die Buchstaben durch Gegenstände ersetzt (A = Zirkel, F = Sichel, X = Schere usw). Mnemotechnische Alphabete im 16. und 17. Jahrhundert, Alphabete, deren Buchstaben durch Hand- und Fingerstellungen dargestellt wurden (Massin, (1970) a.a.O., S. 64) waren Vorstufen z. B. für das Taubstummen-Alphabet (vgl. Anm. 1602). Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung stehen auch die optischen Signal-Alphabete, deren Vorstufen (Leuchtfeuer- u. Fackeltelegraphie) bis in die Antike zurückgehen: Homer berichtet, dass Agamemnon Klytämnestra den Fall Trojas 1184 v. Chr. mit Signalfeuern mitgeteilt habe, und Demokleitos und Kleoxenes führten für die Fackeltelegraphie eine erste Buchstabensprache um 450 v. Chr. ein. Die Römer wechselten von der Fackeltelegraphie zu Semaphoren (Balken- oder Flügeltelegraphen) wie Flavius Vegetius Renatus um 400 berichtet. Es folgten viele Vorschläge und Versuche: Franz Kesslers optischer Tonnentelegraph 1616, Robert Hookes Gerüst 1684, auf dem 24 verschiedene Buchstabenzeichen angebracht waren, Guillaume Amontons Ideen 1690, und 1763 errichtete von London nach New Market Richard Lovell Edgeworth eine optischen Telegraphenverbindung. Johann Andreas Benignus Bergstraesser entwarf den „Synthematograph“ 1795, die Brüder Chappe 1792/94 den „Tachygraph“, Lord George Murray 1796 einen Telegraphen mit sechs achteckigen Tafeln und schließlich 1836 Johann Ludwig Schmidt die Deutsche Volkstelegraphie, die Stephan von Huene (1932–2000) für seine Installation „Erweiterter Schwitters“ (1987) als Vorlage diente (Stefan von Huene, Lyd Skulpturer. Katalog Louisiana Museum of Modern Art 1990). Das Ersetzen der Buchstaben durch ein anderes Zeichensystem, wie z. B. bei Otto Nebel in der Poesie (Einige Fingerzeige zur Neun-Runen-Fuge. Unfeig. In: Der Sturm 16. Jg., H. 2, Berlin Feb. 1925/Abb. in: Paris – Berlin. Übereinstimmungen und Gegensätze Frankreich-Deutschland. München 1979, S. 432 u. 511) zeigt sich auch in Winker- und Flaggen-Alphabeten (Das Wasserzeichen der Poesie, a.a.O., S. 330 ff.), in der Erfindung des „Alphabet of Bones“ (Abb. in: Joyce Cuttler Shaw, The Anatomy Lesson: The Body, Technology and Empathy. In: Leonardo 1, Vol. 27, Oxford 1994, S. 34) oder des „Hasen-Signal-Alphabets“ (in einem Animationsfilm von Franz Winzentsen 1995) bis hin zu dem „Lippen-ArtikulationsAlphabet“ der IBM-Werbung „Endlich ein Computer, der tut, was man ihm sagt“ realisiert von der Agentur Springer & Jacobi (in: Der Spiegel 49, Hamburg 1993, S. 52 f.), sowie in der Erfindung ganz neuer Kunstsprachen, Kunst- und Geheimschriften (Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 36 „Mit Buchstaben zu rechnen“, S. 525 „Mit Chymischen Kunstzeichen oder Characteren schreiben“ u. S. 526 „Einen Brieff mit Puncten schreiben“). Im Anfang war das Wort. Glanz und Pracht illuminierter Bibeln. Hg. Andreas Fingernagel. Köln 2003.
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Fragmenten1662. Sie bekam spätestens mit der Entstehung der Blockbücher1663 im 15. Jahrhundert, Luthers „Betbüchlein“ (1522)1664 und der „Leien-Bibel“1665 im 16. Jahrhundert eine didaktische Komponente religiöser Unterweisung1666, die sich in herausragenden Publikationen z. B. 1662
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Ca. 400 n. Chr. wohl in Rom entstanden. Illuminationen aus den Quedlinburger Itala-Fragmenten. Faksimile der Handschrift. Berlin 1932; The Quedlinburg Itala: the oldest illustrated biblical manuscripts. Hg. Inabelle Levin. Leiden 1985. Blockbücher entstanden in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts in den Niederlanden und in Süddeutschland. Sie enthielten zur besseren Verständlichkeit der Texte Text-Bild-Kombinationen. Zu dem synoptischen Nebeneinander von Text und Bild, erschien der Text auch im Bild, zum Teil als Inschrift auf Schriftrollen, Schriftbändern oder Texttafeln. Das bekannteste Blockbuch ist die „Biblia pauperum“, die sogenannte Armen-Bibel, von der man annimmt, dass ihr Handschriften der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zugrunde liegen, die auf einen Archetyp zurückgehen, der noch vor der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein dürfte (Elisabeth Soltész im Nachwort zu: Biblia pauperum. Die vierzigblättrige Armenbibel in der Bibliothek der Erzdiözese Esztergom. Faksimileausgabe. Budapest/Berlin 1967, S. V). Die Handschriften der Armenbibel im 14. Jahrhundert lassen sich in drei Gruppen einteilen: in die österreichischen, die bayrischen und die Weimarer Handschriften mit drei verschiedenen, aber in den drei Gruppen immer wiederkehrenden figurativen Bild-Text-Varianten (Abb. a.a.O., S. IV, V, VI u. in: Im Anfang war das Wort, a.a.O., S. 310 ff./Krumauer Bildercodex ca. 1350; S. 316 ff./ Handschrift Klosterneuburg 1330/31). – Besonders das Blockbuch „Ars memorandi“ mit seinen Merkbildern war eine Memorier- und Lernhilfe. Vgl. Ludwig Volkmann, Ars memorativa. In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 39, N. F. 3, 1929, S. 111 ff.; Bibel der Armen/Speculum humanae salvationis/Canticum canticorum/Ars memorandi/ Defensorium virginitatis Mariae/Apocalypsis/Der Endkrist und die fünfzehn Zeichen/Ars moriendi/ Regiomontanus: Deutscher Kalender für 1475 bis 1530. Hrs. Wolfgang Müller/ Helga Lengenfelder. München 2004. Den ausführlichsten und besten Überblick über die Geschichte der Blockbücher bietet: Blockbücher des Mittelalters. Bilderfolge als Lektüre. Hg. Gutenberg-Gesellschaft. Mainz 1991, Abb. 163 Taf 9: Apokalypse, Mainzer Blockbuchausgabe von ca. 1463. Wittenberg 1529 (Holzschnitte von Hans Lufft), Reprint: Kassel 1982. Straßburg 1540 (Holzschnitte Hans Baldung Grien), Reprint: Marburg 1971. Sehr schöne Beispiele sind auch der Einblattholzschnitt „Die Hand mit dem Heilsspiegel“ (15. Jh./Abb. in: Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., S. 177 f.), eine Unterweisung auf Handfläche und Fingern, wie durch bestimmte Handlungsweisen und religiöse Übungen das göttliche Heil erlangt werden kann, ganz ähnlich das Flugblatt „Manuale examinis conscientiae. Ein klarer Spiegel sein Gewissen täglich abends zu erforschen“ (1. Drittel 17. Jh./Abb. in: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Teil 3, a.a.O., S. 166 f.), in dem für die Einübung in den Katechismus ebenfalls Finger und Handfläche benutzt werden, wie in dem Fragment „Die Haupt(stück christli)cher Religion“ (o. J./Abb. in: Die
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von Matthaeus Merian d. Ä. (1593–1650)1667 im 17. Jahrhundert, Johann Ulrich Krauss (1655–1719)1668 um die Wende zum 18. Jahrhundert und Julius Veit Hans Schnorr von Carolsfeld (1794–1872)1669 im 19. Jahrhundert niederschlug. Nachdem vor diesem Hintergrund im 16. Jahrhundert zunächst Sammlungen von Bibel-Sprüchen als „Spruchbücher“ entstanden, folg-
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Sammlung der Zentralbibliothek Zürich. Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Hg. Wolfgang Harms. Bd. VII. Zürich 1997, S. 62 f.). Der Aspekt der Lehre und Unterweisung zeigt sich auch – was naheliegt und möglicherweise auch einflußgebend war für die religiöse Didaktik – in häufigen Hand-Darstellungen der Chiromantie. So etwa in dem Blockbuch von Johann Hartlieb, Chiromantie (1468/Abb. in: Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., S. 204 ff.) oder in: Les oeuvres de Monsieur Jean Belot, contenant la chiromance, physiognomie, l’art de mémoire de Raymond Lulle. Rouen 1640/Abb. in: Wills, a.a.O., S. 157; ein indisches Zeugnis in Brahmischrift ist abgebildet in: Wills, a.a.O., S. 141. Die Kombination Hand und Text findet sich auch bei Adam Nieradzki im Jahr 1663/4 (Abb. in: Rypson, Piramidy, a.a.O., S. 336), und im „Poculum Consolationis“ (1652) von Joachim Calvör erscheint eine (Text)-Hand im Figurengedicht (Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 125). Beispiele der Gegenwart sind von Gellu Naum (1915–2001), Mana Mea – Forta Mea (1948/in: Calea Searpelui. ¸ Bukarest 2000); Peter Mayer (1968/ in: Mindplay. An Anthology of British Concrete Poetry. Ed. John J. Sharkey. London 1971, S. 61); Fernando Millán (Mitogramas. Madrid 1978, S. 24); Ginka Steinwachs, „Handschriftschuhe“ (1986/87) in: www.ginkasteinwachs.de/unten/hand.htm, oder von Timm Ulrichs, Hand-Schriften (1988/ 1996, Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 168 ff.). 2001 gab es eine Ausstellung: II Mostra Interpoesia: A Poética das Hipermídias/ Universidade Presbiteriana Mackenzie/ São Paulo mit dem Titel „Palm Poetry“ (Abb. eines Bsp. http://www.clipmarks.com/clipmark/A19AE6AF-66E3-4F70ADA7-B7937AE06DF0/) – Text und Bild auf Handflächen, oder vgl. dazu auch die Werbung von hp (Hewlett-Packard) in: Stern Nr. 39, Hamburg 19. 9. 2006, S. 83. Biblische Figuren, darinnen die furnembste Historien in h. Schrift begriffen. Amsterdam 1628. Vgl. auch: Mathaeus Merian, Die Bilder zur Bibel – Mit Texten aus dem Alten und neuen Testament. Hg. Peter Meinhold. Hamburg 1965. Historische Bilder-Bibel: welche besteht in Fünff Theil … Augsburg 1698–1700/ 1705; Heilige Augen=und Gemüths=Lust/ Vorstellend/ Alle Sonn=Fest=und Feyrtägliche Nicht nur Evangelieb/ Sondern auch Epistelen und Lectionen/ Jene Historisch/ Diese auch Emblemmatisch/ und mit curieusen Einfassungen/ In vielen Kupffer=Stücken von frembder und gantz neuer Invention, So wohl zur Kunst=Ubung als Unterhaltung Gottseeliger Betrachtungen/ wie auch Vermehrung der Kupffer=Biblen/ und Außzierung aller Christlichen Postillen dienlich. Augspurg 1706 (alle Abb. unter: http://mdz1.bib-bvb.de/~emblem/emblalle. html?inpKng=paut&inpBegriff=Krauß,%20Johann%20Ulrich), vgl. auch: Johann Ulrich Krauss, Ornamental cartouches. New York 1988. Bibel in Bildern. Leipzig 1852–60, Nachdruck: Zürich 1972.
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Abb. 163: Apokalyse, ca. 1463
ten im 17. Jahrhundert die „Figurenspruchbücher“ in Rebus-Form, die im wesentlichen auf ein Vorbild zurückgingen, nämlich auf die „Geistliche Herzens-Einbildungen Inn Zweihundert und Fünfzig Biblischen Figur-Sprüchen angedeutet“1670 von Melchior Mattsperger (1627– 1698)1671. Im weiteren Umfeld der Figurenspruchbücher1672 und z. T. von ihnen abhängig oder zumindest durch sie angeregt, wurden dann eine
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Augsburg 1685 (Kupferstiche von Johann Georg Bodenehr). Reprint: Darmstadt 1965. Von Mattsperger gibt es eine weitere Publikation: Der Fünfhundert Geistlichen Herzens Einbildungen Anderer Theil Begriffen inn Zweihundert und Fünfzig Biblischen Figur-Sprüchen … Augspurg 1699, mit einem „Hieroglyphisches Beschlußgedicht“ (Abb. in: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 321). Weiteres Bsp. Sittensprüche des Buches Jesus Sirach für Kinder und junge Leute aus allen Ständen mit Bildern welche die vornehmsten Wörter ausdrücken. Hg. Jakob Friedrich Feddersen. Nürnberg 1784/1786. Auf dieses Beispiel macht auch Walter Benjamin aufmerksam: Benjamin, Aussichten. Illustrierte Aufsätze. Frankfurt 1977, S. 14 f./Abb. S. 15), vgl. auch dort den Beitrag zum Rebus: „Worüber sich unsere Großeltern den Kopf zerbrachen“ (S. 54 f.).
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Fülle von Andachtsbildchen1673 und schließlich auch die Bilder-Bibeln in Rebus-Form produziert. Die erste Bilder-Bibel1674 wurde 1687 von Thomas von Wiering kurz nach Erscheinen des Figurspruchbuches von Mattsperger (und diesem sehr verwandt) herausgegeben. Sie gilt als direkter Vorläufer der damals wohl bekanntesten „Curieuse Bilder-Bibel“ von 17491675, die in mehreren Auflagen und Erweiterungen1676 erschien. Sie bezog sich ebenfalls ausdrücklich auf die „Biblischen Figur-Sprüche“1677 und zudem auf die „Egyptische Hieroglyphica“1678. Die BilderBibeln waren bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts europaweit bis nach Nordamerika1679 sehr beliebt, wobei die Rebus-Form nicht nur in Bibeln
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Hans Gärtner, Andachtsbildchen. Kleinode privater Frömmigkeitskultur. München 2004, S. 106 ff. gibt eine Fülle von Beispielen für die Verknüpfung von Text und Bild im Andachtsbild, auch für solche in Rebus-Form. Die Abhängigkeit von den Figurenspruchbüchern zeigen die Beispiele auf S. 106, die sich nur in der Schreibweise von 3 Buchstaben (Groß-/ Kleinschreibung) von den entsprechenden Vorbildern bei Mattsperger Nr. 49 u. Nr. 53 unterscheiden. Sie stammen von dem Augsburger Kupferstecher Johann Martin Will, der bei Mattsperger „abkupferte“. Curieuse, und mit 800 Bildern erleuterte 252 Biblische Kern-Sprüche, oder sogenannte kleine Bilder-Bibel. Dem Gemüth zur Ergetzung, der lieben Jugend zu Erlernung eines jeden Dinges mit seinem rechten Nahmen zu benennen: wie nicht weniger die Sprüche Heil. Schrifft ohne Mühe ins Gedächtnüß zu bringen. Hamburg 1687. Curieuse und mit vielen Bildern erläuterte Biblische Kern=Sprüche/ oder sogenannte Bilder=Bibel/ Dem Gemüth zur Ergetzung/ der lieben Jugend zur Erlernung eines jeden Dinges, mit seinem rechten Namen zu benennen; Wie nicht weniger die Sprüche Heil. Schrifft ohne Mühe ins Gedächtnus zu bringen. Nürnberg 1749, Nachdruck: Andernach 1999. Mit gleichem Titel, nur minimal veränderter Schreibweise gab es bereits eine Ausgabe (Nürnberg 1737) vor 1749. Weitere Ausgaben mit leichten Titel-Abwandlungen erschienen 1756, 1760, 1806 u. 1808. Die Ausgabe von 1806 (Nachdruck: Dortmund 1979) enthielt erstmals kolorierte Kupfer, Abb. 164. Hinweis a.a.O. S. 7. Hinweis a.a.O. S. 4. Dieser direkte Bezug erscheint in späteren Bilder-Bibeln auch im Titel: Neue hieroglyphische Bibel. Mit fünfhundert Figuren für die Jugend. Stuttgart 1830, oder: A Curious Hieroglyphick Bible. Dublin 1789. Othmar Hicking, Begleittext im Nachdruck der „Curieusen Bilder-Bibel“ (1749/Anm. 1675), S. X. Abb. der Ausgaben Amsterdam 1720 und Dublin 1789 im Nachdruck der „Cürieusen Bilder-Bibel“ (1806), S. 141 ff., dort auch in Göbels Nachwort (Anm. 1659), S. 130 f. weitere Hinweise zur Verbreitung. Umfangreiche Auflistung der Verbreitung bei: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 116/ Anm. 139.
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Abb. 164: Cürieuse Bilder-Bibel, 1806
zu finden war, sondern auch in Katechismen1680 und Flugblättern, wie z. B. in dem Blatt „Als Jesus in den Garten …“ (1850)1681. Obwohl es gerade in diesem Beispiel, ähnlich den Formen in den Figurenspruchbüchern und Bilder-Bibeln, nicht um Verrätselung sondern nur um Anschaulichkeit ging, was sich in der ausschließlichen Substitution von Substantiven zeigt, gab es aber in der Mehrzahl der Flugblätter, die sich in der Regel thematisch auf aktuelle (politische) Ereignisse bezogen, wie etwa die während des Dreißigjährigen Krieges entstandenen, wesentlich kompliziertere Enkodierungen. Insbesondere galt dies für die mehrteiligen Schriften des 18. Jahrhunderts1682. 1680
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Curieuser Bilder-Catechimus mit zierlichen Figuren, durch dessen Gebrauch die Kinder von ihrer zartesten Jugend an auf eine angenehme Weise zur Erkenntnis der evangelischen Wahrheiten können geführet werden. Nürnberg 1773. Abb. und Kommentar bei Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 226 ff. und farbige Abb. in: Gärtner, Andachtsbildchen, a.a.O., S. 114. „AVGVSTVS EX POLONIA REDVX“ (1727) u. „Die Macht der Liebe …“ (1728), vgl. Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 185–212. Nach dem Muster der Sub-
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Abb. 165: Shaker, Sirit Message, 1843
Eine Sonderform des Rebus mit religiösem Hintergrund tauchte im 19. Jahrhundert und hauptsächlich in der Zeit zwischen 1837 und 1850 bei den Shakern1683 in Nordamerika auf. In diesen Manuskripten1684, z. B. in „Spirit Message“ (1843)1685, wurden keine didaktischen Ziele verfolgt. Die Niederschriften, von „Eingebungen“ diktiert, stellen sich als eine Art Geheimschrift mit ebenfalls schwer entschlüsselbarer Symbolik dar: „The (Shaker) drawings … are documents of !visions" taking a physical form that is, in most instances, highly contained and organized.
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stantiv-Substitution der Bilder-Bibeln wurden später ganze Bilderbogen bei G. N. Renner & Schuster in Nürnberg u. Gustav Kühn in Neu-Ruppin gedruckt (Abb. in: Die Schwiegermutter und das Krokodil. 111 bunte Bilderbogen für alle Land- und Stadtbewohner soweit der Himmel blau ist. Hg. Werner Hirte. Berlin 1970, S. 109f.). Die Shaker sind eine religiöse Gemeinde, die sich 1776 um die aus England eingewanderte Ann Lee (1736–1784) in Watervliet als „The United Society of Believers in Christ’s Second Appearing“ gründete. Guide to Bound Shaker Manuscripts in the Library Collection of Hancock Shaker Village. Ed. Magda Gabor-Hotchkiss. Pittsfield/Mass. 2001. Abb. 165 unter: http://www.ubu.com/ethno/visuals/shaker.html.
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Nonetheless, within this ordering are chaotic details and decorations, flourishes of line and color, as well as indecipherable texts and, alternately, those that read with heart-stopping clarity.“1686 Auch in den Manuskripten der Shaker ist wieder die Nähe zur Hieroglyphik zu finden, wie in dem Manuskript „The Narrow Path to Zion“ (1843).1687 Einer Art von Geheimschrift1688 näherte sich der Rebus auch in Briefformen1689 des 17. und 18. Jahrhunderts, die der Übermittlung von verborgenen Gefühlen zwischen Liebenden dienten und einen entsprechend 1686
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Ann Philbin/Catherine de Zegher in: Heavenly Visions. Shaker Gift Drawings and Gift Songs. Ed. France Morin. Minneapolis 2001 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung im UCLA Hammer Museum/New York 2001). John T. Kirk in: Heavenly Visions, a.a.O.: „written by Inspiration & in hiragliphics about a year since“. Abb. unter: www.ubu.com/ethno/visuals/shaker08.html und 09.html. Geheimschriften mit geometrisch-abstrakten oder figürlich-bildhaften Zeichen besitzen eine eigene Tradition. Neben den Geheimschriften Karls des Großen (Korrespondenz-Sprache), Hildegard von Bingens („lingua ignota“), Leon Battista Albertis (Chiffren/vgl. Anm. 1720), Maria Stuarts (Alphabet-Verschlüsselung), Lavaters und Jung-Stillings (in ihren Tagebüchern von 1771 und 1799) oder Egar Allan Poes („Goldkäfer-Geheimschrift“, diese und mehr in: Fred B. Wrixon, Codes, Chiffren & andere Geheimsprachen. Von den ägyptischen Hieroglyphen bis zur Computerkryptologie. Köln 2000 u. 2006 (Geheimsprachen – Codes, Chiffren & Kryptosysteme. Von den Hieroglyphen zum Digitalzeitalter) ist wohl die spektakulärste und bis heute nicht entzifferte Geheimschrift die Voynich-Handschrift, die in den achtziger Jahren des 16. Jh. von John Dee (1527–1608/09), Verfasser der „Monas Hieroglypica“ (Antwerpen 1564, in: http://www.esotericarchives.com/ dee/monad.htm) an Rudolf II. verkauft worden sein soll. Alle Entschlüsselungsversuche bis hin zu Fälschungstheorien sind zusammengefasst in: Gerry Kennedy & Rob Churchill, Der Voynich-Code. Das Buch, das niemand lesen kann. Berlin 2005, Abb. 166 Blatt 22). In dieser Handschrift gibt es eine Reihe von Figurentexten (Blatt 67ff.), die ins Mittelalter weisen und andere Belege, die an William Blakes Verbindungen von Text und Bild erinnern (Blatt (78r). Vgl. zum Thema Kryptographie Ulrich Ernst, Der Dichter als „Zifferant“. Zu Schnittstellen zwischen Lyrik und Kryptographie. In: Allgemeine Literaturwissenschaft – Grundfragen einer besonderen Disziplin. Hg. Rüdiger Zymner. Berlin 2001, S. 56ff.; ders., Der Roman als Kryptotext. Geheimschrift in der europäischen Erzählliteratur der Neuzeit. In: Der europäische Roman zwischen Aufklärung und Postmoderne. Festschrift zum 65. Geburtstag von Jürgen C. Jacobs. Hg. Friedhelm Marx/Andreas Meier. Weimar 2001, S. 1ff.; ders., Kryptographie und Steganographie. Zwei Grundformen der Verschlüsselung in literarästhetischen Kontexten. In: Codes, Geheimtext und Verschlüsselung. Geschichte und Gegenwart einer Kulturpraxis. Hg. Gertrud Maria Rösch. Tübingen 2005, S. 155ff. Schon der älteste bekannte französische Rebus war eine kurze briefliche Mitteilung ebenso wie die noch im 19. Jahrhundert auftauchenden Liebesbriefe der Jukagiren, vgl. Anm. 1638.
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Abb. 166: Newbold’s „Großer Andromeda-Nebel“ (Voynich-Hs.), ca. 15.–16. Jh. n. Chr.
hohen Verschlüsselungsgrad besaßen. Benacci und Bargagli berichteten schon von ähnlichen chiffrierten Karten und Briefen, die in Italien im 16. Jahrhundert zirkulierten.1690 Einer der bekanntesten Rebusbriefe, ein Geburtstagsbrief an Georgina „Ina“ Watson, stammt von Lewis Carroll1691. Auch für die Übermittlung von Kritik und Satire an der 1690
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Alessandro Benacci, I discorsi di M. G. Andrei Palazzi sopra l’imprese: rectati nell’ Accademia d’Urbino. Bolgna 1575; Scipion Bargali, Dell’Imprese. Venedig 1589. D. i. Charles Lutwidge Dodgson (1832–1898). Der Brief datiert ca. 1869 und ist unterzeichnet mit CLD. Abb. in: Rediscovered Lewis Carroll Puzzles. Ed. Edward Wakeling. New York 1995, S. 4 ff.
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Abb. 167: Giovanni Battista Palatino, Sonetto Figvrato, 1540
herrschenden Politik, ist der stark verschlüsselte Rebusbrief, wie er aus England des 18. Jahrhunderts1692 überliefert ist, ebenso bekannt. Am interessantesten sind aber sicher poetische Formen des Rebus, wie z. B. die Figuration in Strophenform „Rondeau d’amour, composé par significations“1693, das im weitesten Sinne auch als Frühform der Visuellen Poesie bezeichnet werden könnte. Diese Rebus-Poesie vereinigt in sich nun nicht nur alle drei Ebenen konkreter und vorstellbarer Bilder – Piktografie, Ideografie, Metaphorik –, sondern geht auch über die bloße Reihung von Buchstaben und
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Nachweise bei Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 50, 117/Anm. 156 u. Abb. 115–118 auf S. 330–333. In: Giovanni Giorgio Alione: Opera jocunda Giovani Giorgii Alioni Astensis, metro mechanico materno et gallico composita. Asti 1521 (Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 25, 175/Anm. 40 u. Abb. S. 260 f.). Ein zweites Rondeau von Alione wurde 1540 veröffentlicht (a.a.O., S. 109/Anm.72).
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Zeichen hinaus – die in der Regel den Rebus in Anlehnung an die fortlaufende Zeilenstruktur von Texten bestimmt1694 – und erhält eine geschlossene figurativ/malerische Gestaltung, so dass die Zwitterstellung des Rebus zwischen Bild und Text im einen Fall mehr zum Text bild1695, im anderen Fall zum Bildtext neigt. Wobei am Ende bei starker, bzw. vollständiger Reduktion von Buchstaben- und Wortmaterial der Rebus ganz Bild wird.1696 Die figürliche Gestaltung erfolgte einmal auf sehr einfache Weise, indem in einem Bildmotiv Teile des Motivs ausfallen und durch das Nachzeichnen mittels Buchstaben ersetzt werden. So gibt es im Bild eines Baumes zwar den Ansatz der Krone und die Wurzeln, der Stamm aber wird komplett durch die Aneinanderreihung der Wortes ANS gebildet: „tronc d’ANS“1697 ist dann zu lesen. Oder der Rebus wird als Textblock in einem Figurengedicht eingebaut, wie in dem Ehrenpfortengedicht „Weil sich das Neue Jahr …“ (1751).1698 Als komplettes Figurengedicht erscheint der Rebus bei Engelbert Lenaerts im „Trophaeum amoris“(1739), indem für die Silbe cor immer das Bild eines Herzens eingesetzt wird und die Linie der Herzbilder wieder ein Herz ergeben1699.
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Wie auch noch in dem sehr komplizierten anonymen englischen Rebus (Abb. bei Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 186), erschienen in: Facetiae. Musarum Delicae; or, The muses’ recreation, containing severall pieces of poetique wit. (1640). Ed. John Mennes/James Smith (London 1874, S. 300, 303 f.) oder in dem Scherz-Rebus mit Stern-Zeichen bei Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 314, wie auch in Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele, V. Teil, Tübingen 1969, S. 160 f. Ein sehr strenges Beispiel ist das „Sonetto Figvrato“ von Giovanni Battista Palatino in: Libro nuovo d’imparare a scrivere tutte sorte di lettere antiche et moderne … con un breve et utile trattato de le cifre. Rom 1540 (Abb. einer Strophe in: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., Abb. 167 S. 297). Schenck bringt dazu a.a.O., S. 370 ff. eine Fülle von Beispielen. In einem Bilderrätsel von Gilbert Radon in: Petit Journal pour Rire, 1860, Nr. 127/Abb. in: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 290 Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 222 ff. Zwei Beispiele abgebildet bei: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., Abb. 32 u. 33, besprochen S. 127 u. mit bibliografischer Notiz S. 390. Ein Beispiel ohne Quellenangabe bietet: Hans Weis, Bella Bulla. Lateinische Sprachspielereien. Bonn 1994, S. 108 und in Rypson, Piramidy, a.a.O., S. 267 werden zwei weitere Beispiele von Franciszek od s´w. Kazimierza aus dem Jahr 1736 und ein Beispiel (S. 268) von Marian Sikorski aus dem Jahr 1937 abgebildet, wobei Sikorski als Besonderheit schon in jedem Herz die Silbe cor eingesetzt hatte.
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Labyrinthe Diese Formen der Anlehnung an das Figurengedicht1700 sind relativ streng, und die Figuration ergibt sich im wesentlichen aus einer Buchstaben- und Zeichenstruktur. Ganz ohne Zeichen und nur mit Buchstabenkonstellationen bietet die Tradition des Figurengedichts eine Fülle von Rebusformen, deren Entschlüsselung nicht das Zeichen oder die Kombination aus Zeichen und Buchstaben fordert, sondern das „richtige Lesen“, das richtig gerichtete Lesen, das ordnende und den Sinn erschließende Lesen. So gibt es Textfiguren, in denen schon allein die Suche nach dem Anfang des Textes Mühe macht, was noch schwieriger wird in den Cubus-Texten1701 oder Labyrinthgedichten1702, in denen oft 1700
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Auf die Affinität des Rebus zum Figurengedicht verweisen: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 49; Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 68; Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 15 u. 240. Einen strengen Rebus-Kubus (ohne Textbestandteile) im Schachbrettmuster „Sanctus Benedictus“ (1663) entwirft Juan Caramuel y Lobkowitz (Abb. 168 in: Text als Figur, a.a.O., S. 77, besser lesbar in: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 273), aber auch einen mit Textteilen (Abb. in: Pozzi, La parola dipinta, a.a.O., S. 245), ganz ähnlich wie P. Francesco Passerini „Ama Fama“ (1659). Auf SchachGedichte wie von Matthijs de Castelein (1555) und Gratien du Pont (1534) (Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 734 f.) geht auch „sprachmatt“ (1967) von Yaak Karsunke (Abb. in: Dencker, Poetische Sprachspiele, a.a.O., S. 264) zurück. Vgl. auch entsprechende Rätsel-Kanons mit Schachbrettmuster von Nicolaes Bodding (1665) und Ghiselin Danckerts (1549), Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 626 f. Kompliziertere Cubus-Texte sind z. B. die von Vigilán und Sarracino von Albelda im Codex Vigilanus (976/Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 477 ff.). Ausführlich zum Codex und Erläuterungen der CubusTextstrukturen vgl. Rafael de Cózar, Poesía e Imagen. Formas díficiles de Ingenio Literario. Sevilla 1991, S. 180 ff. u. Abb. S. 491 ff. Auf ein chinesisches Permutations-Labyrinth aus dem 4. Jh. n. Chr. macht Herbert Franke (Chinese Patterned Texts. In: Visible Language 1, Vol. XX, 1, a.a.O., S. 97/Abb. in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 152 – hier auch der Franke-Aufsatz S. 211 ff. wiederabgedruckt) aufmerksam, in dem in einem Quadrat, gebildet aus horizontalen, vertikalen und diagonalen Linien mit 29 × 29 chinesischen Zeichen nach allen Richtungen immer neue Lesemöglichkeiten entdeckt werden können, vgl. Anm. 763 u. Abb. 74. Auch Cubus-Texte können Labyrinthgedichte sein, z. B. als Kreuzwortlabyrinthe, in denen sich von der Mitte ausgehend die Sinnwege in horizontalen und vertikalen Leserichtungen erschließen. Diverse Formen des Labyrinthgedichts bietet Hatherly, A experiência do prodígio, a.a.O., S. 267 ff., Piotr Rypson, The Labyrinth Poem. In: Visible Language, Vol. XX, 1, a.a.O., S. 65ff.; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 197 ff., sowie Ulrich Ernst, Labyrinthe aus Lettern. Visuelle Poesie als Konstante europäischer Literatur. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 225 ff. Dabei sind 3 Gruppen zu unter-
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Abb. 168: Juan Caramuel y Lobkowitz, Sanctus Benedictus, 1663
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keinerlei Hilfe einer linearen Textführung existiert und verstreut gesetzte Buchstaben- oder Textteile erst in sinnvolle Zusammenhänge gebracht werden müssen. Eines der spannendsten Beispiele sind die Kreuzge-
scheiden: 1) das Buchstabenmaterial in einem geschlossenen Textcorpus als Quadrat oder Rechteck ergibt bei horizontalen, vertikalen, gelegentlich auch diagonalen und sprunghaften Lesungen, deren Anfangspunkte zu suchen sind, Sinnwege (z. B. Kreuzwortlabyrinthe); 2) der Text folgt in einem Quadrat, Rechteck oder auch anderen Formen den verschlungenen Linien eines Labyrinths (2 Beispiele, die in Labyrinthform die Welt als irdisches Labyrinth thematisieren: „Jch namm mir einßmals für die hand“ (Anf. 17. Jh.) in: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Teil 1: Ethica. Physica, a.a.O., S. 42f u. „Ein geistliches Labyrinth“ (1641) in: Cimelia Sangallensia. Hundert Kostbarkeiten aus der Stiftsbibliothek St. Gallen. Hg. Karl Schmuki/Peter Ochsenbein/Cornel Dora. St. Gallen 1998, S. 208 f., und ein „Spiral Letter“ (22. 10. 1878) von Lewis Carroll in: Rediscovered Lewis Carrolls Puzzles, a.a.O., S. 7); 3) der Text füllt in Labyrinthlinien die Figur eines Figurengedichts aus (Bsp. „Elapho-Zographia Chalcographica. Das ist/ Beschreibung des Edelhohen Gewilds/deß Hirschen“ (1629), 366 Knittelverse bilden die Form eines Hirsches in: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, a.a.O., S. 496 ff.); 4) das Labyrinth, der Labyrinth-Text als Teil eines Bildes (Bsp. Hanns Rudolph Seyrl „Geistliches Labyrinth“ (1663), Abb. in: Hermann Kern, Labyrinthe. Erscheinungsformen und Deutungen – 5000 Jahre Gegenwart eines Urbilds. München 1999, S. 313). Dem Labyrinthgedicht ähnlich sind die „Love/lovers knots“, ineinander verschlungene Textbänder, überliefert bei William Browne, Britannia’s Pastorals. London 1613/1616, S. 61 (Abb. 169 in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 99) oder die anonym überlieferten „love knots“ in: Witts Recreations: selected from the finest fancies of moderne muses (London 1640/Reprint: Brookfield/Vt 1990), Abb. in: Speaking Pictures, a.a.O., S. 53, 55 u. 57 sowie weitere Varianten in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 101, 109. Ähnliche Formen (siehe: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 52 u. 56f.) gibt es auch außerhalb des englischen Sprachraums, z.B. in Indien: eine in sich verschlungene Schlange, Abb. 170 in: Siegfried Lienhard, Text-Bild-Modelle der klasschen indischen Dichtung. In: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. I. Phil.-Hist. Kl., Jg. 1996, Nr. 2, Göttingen 1996, S. 43 und zwei ineinander verschlungenen (Text)Schlangen (Kalanath Jha, Sanskrit Citrakavyas and the Western Pattern Poem: A Critical Appraisal. In: Visible Language, Vol. XX, 1, a.a.O., S. 119) u. eine Variante bei Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 163, oder in China: die Textlinie folgt einem verschlungenen chinesischen Zeichen (Franke, Chinese Patterned Texts, a.a.O., S. 103). Umfassend zum Phänomen des Labyrinth in nahezu allen kulturellen Zusammenhängen informiert: Kern, Labyrinthe, a.a.O., speziell Text-Labyrinthe S. 306ff. Interessant auch: Wolfgang Haubrichs, Error inextricabilis. Form und Funktion der Labyrinthabbildung in mittelalterlichen Handschriften. In: Text und Bild. Aspekte des Zusammenwirkens zweier Künste in Mittelalter und früher Neuzeit. Hg. Christel Meier/Uwe Ruberg. Wiesbaden 1980, S. 63ff.; Sig Lonegren, Labyrinths. Ancient Myths & Modern Uses. Glastonbury/Somerset 1991.
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Abb. 169: William Browne, love knot, 1613/1616
Abb. 170: Nagabandha, ca. 9. Jh.
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dichte des (H)rabanus Maurus „De laudibus sanctae crucis“ (um 810)1703, die aus mehreren ineinander laufenden und verschachtelten Intexten1704 bestehen, für die Rabanus auch Leseanweisungen gegeben hat1705. In gewisser Weise erleichtert wird die Entschlüsselung durch ausgemalte Bilder, die den Texten unterlegt wurden und deren Umrisse Hilfsstrukturen sind. Bei Maurus treffen sich also Bild-Text-Symbiosen und Verschlüsselungsformen1706 in Form von „Bildern“, denn jedes Kreuzgedicht wird von einem Rahmen eingefasst. Späte Beispiele mit der Unterlegung des Textes durch figurative Motive finden sich bei Samuel Pomarius „Figvrata Meditatio Passionis Christi“(1590)1707 und in dem Einblattdruck „Arma Christi“ mit „dem Charakter einer Hieroglyphenschrift“.1708 Der Rebus wird schließlich ganz Bild, wenn er in den Umrissen eines Gegenstandes, der selbst Teil eines Bildes ist, oder im Bild selbst als konstituierendes Bildelement erscheint. Aus dem 18. Jh. stammt ein Gebet, dessen Text von einem Rahmen eingefasst wird. Innerhalb des Textes und unmittelbar vom Rahmen oben und unten, sowie von links und rechts begrenzt, befindet sich ein dreidimensional gezeichnetes Kreuz und auf dessen Vorderseite Umriss füllend ein Rebus1709. Und von Zacharias Heyns gibt es ein Albumblatt „monumentum amoris“ (1590) mit einem Rebus auf einem ägyptischen Obelisken.1710 Die Arbeit soll von der Hieroglyphen-Pyramide beeinflusst sein, die auf einem Beiblatt zum Gedicht „Olympiade“ (1571) von Jan van der Noot im Zentrum einer
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Hrabanus Maurus, Liber de laudibus sanctae crucis. Faksimile-Ausgabe. Graz 1972, Kommentarband Graz 1973, Entstehung dieses Codex Vindobonensis 652 nach 847, Abb. 171 in: Rabanus Maurus. Auf den Spuren eines karolingischen Gelehrten. Hg. Hans-Jürgen Kotzur. Mainz 2006, S. 91 (= Ausstellungskatalog des Vatikanischen Codex Reg. lat 124 von 825/26). Ulrich Ernst, Text und Intext. Textile Metaphorik und Poetik der Intextualität am Beispiel visueller Dichtungen der Spätantike und des Frühmittelalters. In: „Textus“ im Mittelalter. Hg. Ludolf Kuchenbuch/ Uta Kleine. Göttingen 2006, S. 43 ff. Rabanus Maurus, a.a.O., S. 49. Zur Entschlüsselung des „De laudibus sanctae crucis“, vgl. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 222 ff. Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 127. Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 90. Abb. in: Schenck, a.a.O., S. 301/Abb. 84 u. Entschlüsselung S. 189 f. Vgl. auch Ernst, Die neuzeitliche Rezeption des mittelalterlichen Figurengedichtes in Kreuzform. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., bes. S. 200 ff. Abb. in: Schenck, a.a.O., S. 307/Abb. 91 u. Entschlüsselung S. 191 f.
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Abb. 171: (H)rabanus Maurus, De laudibus sanctae crucis, Kreuzgedicht XV (Codex Vindobonensis 652, fol. 20v), nach 847
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aufwendigen Landschaft zu sehen ist1711, – ein typisches Beispiel der Rennaissance-Hieroglyphik1712, wie auch die beiden Rebus-Bilder aus dem Jahr 1639 auf das Glück und auf die Liebe von Stefano della Bella (1610–1664). Zu dem Rebus-Bild „Ecran d’Amour“ schreibt Volkmann: „Bedeutsam ist es, dass unten eine Landschaft mit ägyptischen Gegenständen angedeutet ist, über der sich der geheimnisvolle Vorhang des Bilderrätsels lüftet; der geistige Zusammenhang mit der Renaissance-Hieroglyphik wird dadurch ausdrücklich angedeutet.“1713
Hieroglyphik Ein wichtiger Teil der Bildwerdung des Rebus ist nun eng mit dieser Entwicklung der Renaissance-Hieroglyphik1714 verknüpft, zu der – neben der auf die ägyptische Zeichensprache rekurrierenden Rezeption der Antike1715 – der italienische Humanist Cristoforo Buondelmonti (1386–1430) beitrug, als er die Hieroglyphica des Horapollo (Horus Apollo), die 1419 auf der griechischen Insel Andros entdeckt wurde, 1422 erwarb und nach Florenz brachte. Fortan bekräftigte diese Quelle 1711
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Jan van der Noot, Das Buch Extasis. Köln 1576, Abb. in: Schenck, a.a.O., S. 340/ Abb. 128 u. Entschlüsselung S. 205. Volkmann weist detailliert nach, wie sehr diese Arbeit von der „Hypnerotomachia Poliphili“ (1467/ zuerst erschienen 1499 in Venedig) des Francesco Colonna (1433/34–1527) abhängig ist, die als eine der drei wichtigsten Publikationen der Renaissance-Hieroglyphik gilt (Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 79 f., u. Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 113 f.). „An diesen Typus der Rätselpyramide, der in spielerischer Form auf den Geheimnischarakter der ägyptischen Hieroglyphen rekuriert, knüpft möglicherweise Athanasius Kircher an, der im Tomus I seines vierbändigen Werkes Oedipus Aegyptiacus (Rom 1653–54) als Elogium 27 auf Kaiser Ferdinand III. († 1657) einen Obelisken abdruckt, der, gekrönt mit dem österreichischen Doppeladler, eine Anzahl änigmatischer Hieroglyphen abbildet, deren Bedeutung der Autor durch lateinische flankierende Marginalkommentare selbst dekodiert.“ (Ernst, Europäische Figurengedichte in Pyramidenform aus dem 16. und 17. Jahrhundert. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 135, Abb. 172 in: Volkmann, Bilderschriften der Renaissance, a.a.O., S. 113). Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 69, Abb. 66 u. Schenck, a.a.O. S. 298; „Fortuna“ in: Oker, Bilderrätsel, a.a.O., S. 52. Den besten Überblick bietet: Erik Iversen, The Myth of Egypt and Its Hieroglyphs in European Tradition. Kopenhagen 1961/Princeton 1993. Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 4 ff.
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Abb. 172: Athanasius Kircher, Ferdinandus III Caesar, 1653–54
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entscheidend das Verständnis für die ägyptischen Hieroglyphen, das bereits durch den 1467 vollendeten und mit beschrifteten Obelisken und Altären, hieroglyphischen, hebräischen, griechischen und arabischen Textpassagen, mathematischen Marginalien und Bilderrätseln durchsetzten Roman „Hypnerotomachia Poliphili“ des Francesco Colonna (1433–1527 ) zum Ausdruck kam1716. Horapollos Werk, das vermutlich ins 4. oder 5. Jahrhundert zu datieren ist, versuchte in 2 Büchern 189 Hieroglyphen zu erklären und wurde zuerst in Venedig 1505 auf griechisch und später dann in lateinischer Übersetzung seit 1512 in zahlreichen Ausgaben veröffentlicht1717. Diese Erklärungen auch einfacher phonetischer Zeichen als sinnhafte Bilderschrift stützten das falsche Verständnis der ägyptischen Hieroglyphik, das für jede Hieroglyphe einen mit der bildhaften Darstellung korrespondierenden Begriff voraussetzte, was bis zur genauen Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion 1822 den wachsenden Erfindungsreichtum einer ganz eigenen vollen Bildersprache, bestehend aus einer Mixtur von heidnisch-antiken und christlich-mittelalterlichen Symbolen und geprägt von mystisch-romantischen Vorstellungen des fernen Ägyptens, beförderte. Herausragendes Zeugnis dafür war das seitdem als Fundgrube geltende und 58 Bücher umfassende Sammelwerk „Hieroglyphica, sive de sacris Aegyptiorum literis commentarii“1718 von Giovanni Piero Valeriano (1477–1558), „und je weniger man sich wirklich in der Lage sah, die Hieroglyphen der Ägypter zu entziffern, desto mehr träumte man sich in eine allgemeine Bildersprache hinein, die man als Hieroglyphik bezeichnete, die aber alles umfasste, was sich nur immer an Symbolik und Allegorie in ägyptischen, griechischen, römischen oder biblischen Quellen finden mochte. Nur von diesem Gesichtspunkt aus sind auch die ! Hieroglyphica sive de sacris Aegyptiorum aliarumque gentium literis " des Piero Valeriano richtig zu verstehen.“1719 Einflussreiche Gelehrte, wie Leon Battista Al-
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Erste Publikation: Francesco Colonna, Hypnerotomachia Poliphili. Venetiis, in aedibus Aldi Mantii, 1499; engl. Übersetzung: Colonna, Hypnerotomachia Poliphili. The Strife of Love in a Dream. London 1999. Im Netz: http:// www.xs4all.nl/~knops/hypnerotomachia.html. Reprint (griech. Fassung): Hori Apollonis hieroglyphica, saggio introduttivo, ed. critica del testo e commento di Francesco Sbordone. Napoli 1940/Hildesheim 2002; dt. Übersetzung: Des Niloten Horapollon Hieroglyphenbuch. Hg. u. übers. Heinz Josef Thissen. München 2001. Zuerst erschienen in Basel 1556; Reprint: Hildesheim 2005. Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 35.
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berti (1404–1472)1720, der auch Colonna beeinflusste1721, sorgten für die Fundierung und Verbreitung dieses Verständnisses1722, und so begannen „die Humanisten, statt mit Buchstaben mit Dingbildern (rebus) zu schreiben, entstand so auf Grund der änigmatischen Hieroglyphen das Wort Rebus, und füllten sich mit solchen Rätselschriften die Medaillen, Säulen, Ehrenpforten und alle möglichen Kunstgegenstände1723 der Renaissance.“1724 Valeriano spricht am Ende des 54. Buches seiner Hieroglyphica ausdrücklich von einem „hieroglyphischen Schreiben“ und versuchte ganze Sätze auf diese Weise zu schreiben, die als Inschriften auf Obelisken und Säulen erschienen1725. In der Folgezeit erfuhr die Hieroglyphik einen Bedeutungswandel. Die vorherrschende Auffassung, in ihr noch eine besondere Sprachform zu sehen, die aus bestimmbaren Sprachelementen besteht, weicht vor allem dann in der Romantik1726 einer Vorstellung, die noch stärker geprägt wird von allegorischen und mystischen Inhalten als dies in der Renaissance der Fall war. Der Begriff wird gleichsam zum Synonym für das Geheimnisvolle in der Natur schlechthin, für die Umschreibung eines Kunstprinzips, das, pantheistische Züge tragend, die Symbiose und 1720
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Der auch als Begründer der Kryptologie gilt (De componendis cifris, 1466, gedr. Venedig 1568), Geheimalphabete und 1470 mit der „Albertischeibe“ die erste Chiffriermaschine erfand. Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 13. Erkennbar in Albertis Werk über die Baukunst: De re aedificatoria, 1452, gedr. Florenz 1485 (dt.: Zehn Bücher über die Baukunst. Wien 1912/Darmstadt 1991). In diesem Zusammenhang könnte auch auf die Tradition der „redenden Wappen“ und „redenden Signets“ verwiesen werden, (so auch Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 11 u. 70) wobei allerdings nur der prinzipielle Zusammenhang über die Verschlüsselungstechnik und die Form des Rebus gilt, da die Entwicklung bereits zurückreicht bis ins 7. bzw. 6. Jh. v. Chr. als die Städte Griechenlands für die Münzprägung sogenannte „redende Wappen“ schufen. So entstanden auch Wahrzeichen von Münzstätten und das Signetwesen (insbesondere Verlags- und Druckersignets), vgl. Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 71 ff. und Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 118 ff.) im 15. und 16. Jh. Vgl. Abb. in: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 236 ff. und Oker, Bilderrätsel, a.a.O., S. 25 f. Vgl. auch die Entwicklung der Logogramme. Karl Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance, besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerh. Kaiserhauses, Bd. 32, H. 1, Wien/ Leipzig 1915, S. 34. Abb. in: Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 39. Ludwig Volkmann, Die Hieroglyphen der deutschen Romantiker. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, NF Bd. III, H. 1 München 1926, S. 157 ff.
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Einheit der Künste propagierte.1727 Am Ende des 18. Jh.’s begründete dies Friedrich Schlegel im „Brief über den Roman“ (1798): „für den wahren Dichter ist all dieses, so innig es auch seine Seele umschließen mag, nur Hindeutung auf das Höhere, Unendliche, Hieroglyphe der Einen ewigen Liebe und der heiligen Lebensfülle der bildenden Natur“1728, – und in der Deutung von Polheim: „Da haben wir sie nun beisammen, die drei Künste, – im Begriff der Hieroglyphe. Vereinigend wieder der wahre Dichter, dann die Liebe, deren Sprache ja die Musik ist, und die bildende Natur, als deren Gegenstück unschwer die bildende Kunst zu erkennen ist.“1729 So sind es zwar auch die Dichter wie Clemens Brentano1730, Friedrich von Hardenberg/Novalis1731, E. T. A. Hoffmann1732, Ludwig Tieck1733 1727
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Karl Konrad Polheim, Zur romantischen Einheit der Künste. In: Bildende Kunst und Literatur. Beiträge zum Problem ihrer Wechselbeziehungen im neunzehnten Jahrhundert. Hg. Wolfdietrich Rasch. Frankfurt 1970, S. 157 ff. http://www.literaturwelt.com/werke/schlegel_friedrich/romanbrief.html. Polheim, a.a.O., S. 165 f. Ausführliche Betrachtungen zu Schlegel bei Polheim, a.a.O., S. 159ff. Clemens Brentano, Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter (1801), 1. Teil/ Römer an Godwi: „Hieroglyphisch sprachen flatternd die Wellen ihres Graziengewandes zu meiner Seele, sie schwebte in den Schatten und Lichtern der Mondnacht, als habe jemand die Allmacht der Liebe unter die Sternbilder versetzt – und ich, ich war im Zustand eines hungrigen Dichters, der der eines Genie’s nachläuft.“ (http://gutenberg.spiegel.de/brentano/godwi/godwi08b.htm) Besonders in den Fragmenten wie: „Ehemals war alles Geistererscheinung. Jetzt sehen wir nichts als tote Wiederholung, die wir nicht verstehn. Die Bedeutung der Hieroglyphe fehlt. Wir leben noch von der Frucht besserer Zeiten.“ (Novalis, Neue Fragmente. Von der geheimen Welt. Fragm. 2320: http://gutenberg.spiegel.de/ novalis/fragment/0htmldir.htm) und „Religiosität der Physiognomik. Heilige, unerschöpfliche Hieroglyphe jeder Menschengestalt.“ (Novalis, Neue Fragmente. Sophie, oder über die Frauen. Fragm. 2027: http://gutenberg.spiegel.de/novalis/ fragment/sophie.htm); vgl. auch Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 392, 407, 457, 490. Zur Hieroglyphik bei Novalis siehe: Silvio Vietta, Sprache und Sprachreflexion in der modernen Lyrik. Bad Homburg 1970, S. 48ff. Hoffmann, Der Sandmann (1815): „Sie spricht wenig Worte, das ist wahr; aber diesen wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der Anschauung des ewigen Jenseits.“ (Hoffmann, Nachtstücke. Frankfurt 1982, S. 40). Franz Äußerungen im 6. Kapitel des 3. Buches von Ludwig Tiecks Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“ (1797) gehören zu den frühesten Zeugnissen für den Begriff des Hieroglyphischen in der Romantik: „Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Empfindung selbst, sichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch meine Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchste, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in tätiger Wirksamkeit, in Arbeit, sich selber aufzulösen und auszusprechen, ich fühle die
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oder Wilhelm Heinrich Wackenroder1734, die den Begriff metaphorisch verwenden, aber anstelle des „hieroglyphischen Schreibens“ in der Renaissance tritt nun das umfassendere „hieroglyphische Bilden“ in der Romantik, namentlich bei Caspar David Friedrich (1774–1840)1735 und Philipp Otto Runge (1177–1810). Brentano schrieb über Runge: „Runge (habe) doch zuerst gezeigt, dass die Arabeske eine Hieroglyphe ist und ihre Verknüpfung eine ebenso tiefsinnige Bildersprache der stummen, malenden Poesie, als das Werk der Poesie selbst eine gesprochene sein soll.“1736 Runges Überlegungen, die ihn zur Arabeske und zur Hieroglyphe führten, gingen auf eine bestimmte Vorstellung von Symbolik zurück, keiner einzelnen Kunstform zugeordnet, sondern vor dem Hintergrund der Vermischung und Einheit der Künste. Sie sei „die eigentliche Poesie, d. i. die innere Musik der drei Künste, durch Worte, Linien und Farben.“1737 Und so erläutert er seinem Bruder in einem Brief vom 28. Juni 1803, warum er „so viele auffallende Zusammensetzungen“ in seinem Werk „Die vier Tageszeiten“ (1803/1805)1738 nicht „erklären darf “: „Es ist der, der eine große Idee durch zusammengesetzte Symbole oder Hieroglyphen ausdrücken und solche Ausdrücke an den Tag legen will, genötigt, die Hieroglyphen als bloße Worte, die er schon längst verstan-
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Bewegung, das Rätsel im Begriff zu schwinden – und fühle meine Menschheit. – Die höchste Kunst kann sich nur selbst erklären, sie ist ein Gesang, deren Inhalt nur sie selbst zu sein vermag.“ (http://gutenberg.spiegel.de/tieck/sternbld/stern36. htm). Im Abschnitt „Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft“ in den „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ (1797) von Wilhelm Heinrich Wackenroder heißt es: „Die Kunst ist eine Sprache ganz anderer Art als die Natur; aber auch ihr ist, durch ähnliche dunkle und geheime Wege, eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen eigen. Sie redet durch Bilder der Menschen und bedienet sich also einer Hieroglyphenschrift, deren Zeichen wir dem Äußern nach kennen und verstehen.“ (http://gutenberg. spiegel.de/wackenro/herzens/herzens.htm#chap12), vgl. auch Magdolna Orosz, Hieroglyphe – Sprachkrise – Sprachspiel. In: Im Dienste der Auslandsgermanistik. Festschrift für Prof. Dr. Dr. h.c. Antal Mádl zum 70. Geburtstag. Budapest 1999, S. 167ff (im Netz: http://www.kakanien.ac.at/beitr/theorie/MOrosz1. pdf). Vgl. dazu die Belege bei Volkmann, Die Hieroglyphen der deutschen Romantiker, a.a.O., S. 180 ff. Brentano, Werke. Hg. Friedhelm Kemp. II. Bd. Darmstadt 1963, S. 1039. Runge, Hinterlassene Schriften. Hg. von dessen ältestem Bruder. Erster Theil. Hamburg 1840, S. 43 f. Abb. und Runges Kommentare zu den „Tageszeiten“ in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, a.a.O., S. 139 ff.
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den hat, anzusehen und frischweg damit, wie der Musikus mit seinem Instrument ohne Bewußtseyn der Griffe, zu agiren; will er nun auch noch alles einzelne selbst genießen und anderen jede Note erklären, so versperrt er sich die lebendige Kraft des Bildens.“1739 Während also die Renaissance-Hieroglyphik noch ein „Vokabular“ von Zeichen schuf, das erlernbar war und damit zum Bestand eines bestimmten Sprachsystems wurde, das jeder, der dieses Vokabular kannte, zu lesen verstand, wandelten sich Vorstellung und Begriff durch individuelle Kunstauffassungen in der Romantik. Die Hieroglyphe war nicht mehr das eindeutig zu enträtselnde konkrete und nahezu immer gleich einsetzbare Zeichen einer komplexen Bilder-Sprache, sondern die einerseits ganz und gar nicht geheimnisvolle, weil auf individueller Erkenntnis beruhende, andererseits aber weitläufig interpretierbare Metapher, gleichermaßen für die Kunstpraxis als auch für die philosophisch-künstlerische Weltsicht. Von einer Bilder-Sprache, in der die Bildzeichen klar definiert und auch außerhalb eines inhaltlichen Zusammenhangs einzeln erkennbar waren, gab es eine Entwicklung zu einer Sprache der Bilder, in der sich die Einzelelemente eines Bildes nur innerhalb der formalen und inhaltlichen Struktur bestimmten, außerhalb des Bildes aber offen waren in ihrer Bedeutung. Dem aus mehreren Zeichen zusammengesetzten, rational erschließbaren künstlichen Sprach-Bild folgte das die Emotionen und sinnlichen Empfindungen ansprechende künstlerische, organisch geschlossene Welt-Bild1740. Am 31. Dezember 1799 schrieb Runge in einem Brief an den Bruder: „Ich hatte dieser Tage den Gedanken, einen Roman oder sonst eine Geschichte in lauter Bildern zu schreiben.“1741 1739 1740
1741
Runge, Hinterlassene Schriften, a.a.O., S. 47 f. Hilfsbegriff, um das Gegenüber von Sprache und Welt darzustellen. Ein anderes Begriffspaar, das diese Entwicklung (aber schon innerhalb der Geschichte des Emblems) markiert: „Schriftbild“ und „Gegenstandsbild“, wurde von Ernst Friedrich von Monroy eingeführt (Embleme und Emblembücher in den Niederlanden 1560–1630. Eine Geschichte der Wandlungen ihres Illustrationsstils. Diss. Freiburg i. Brg. 1942, posthum Hg. von Hans Martin von Erffa. Utrecht 1964). In seiner Darstellung der Emblematik von der Renaissance-Hieroglyphik eines Francesco Colonna bis hin zu den niederländischen realistischen Emblembüchern des 17. Jh. wählte er für deren Anfangs- und Endpunkt dieses Begriffpaar. Monroy bezeichnet die Renaissance-Hieroglyphen als „Schriftbilder“, weil sie mehr begrifflich und weniger anschaulich Umsetzungen von Texten wären. Das „Gegenstandsbild“ sei dagegen eine Form, in der „das Bild, das etwas anderes meint als was es darstellt, überwunden ist durch eine Kunst, die nichts will als die reine Vergegenwärtigung, das reine Jetzt und Hier.“ (aa.O., S. 64). Runge, Hinterlassene Schriften, a.a.O., Zweiter Theil. Hamburg 1841, S. 38.
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Emblematik Auf dem Weg dieser Entwicklung, vornehmlich im 16. und 17. Jh., entstand nun eine Text-Bild-Kombination, deren wichtigste Quelle einerseits die Renaissance-Hieroglyphik war, anderseits aber auch das griechische Bildepigramm, das zunächst eine kurze poetische Innschrift1742 war, dann im 4. Jh. bei den Römern die Gestalt des Titulus und als solches didaktisch-erklärende Funktion und schließlich als Programmtitulus Anweisungs- und Vorlagenfunktion für Bildwerke annahm.1743 Diese Text-Bild-Kombination, die zu einem großen Fundus, Formen- und Ideenreservoir für die nachfolgenden künstlerischen Produktionen der Welt-Bilder wurde, – war das Sinn-Bild, das Emblem1744. „Während nach der Auffassung der Klassik und Romantik im Symbol das Zeichen und ein von ihm Bezeichnetes zusammenfallen, die Idee, der Sinn, die Bedeutung des Bildes dort von der Hand der Wahrheit durch den Schleier der Poesie verhüllt scheint, wirksam und unfasslich zugleich, wahrhaft unaussprechlich, wird im Emblem eine außerhalb des Dargestellten liegende Bedeutung fixiert und aufs jeweils Eindeutige beschränkt.“1745 Seine Struktur ist dreiteilig1746. Sie besteht aus dem
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John Sparrow, Visible Words. A Study of Inscriptions in and as Books and Works of Art. Cambridge 1969. Vgl. Rosenfeld, Das deutsche Bildgedicht, a.a.O., S. 11 ff. Rosenfeld spricht in der letzten Stufe vom „Übergang vom Epigrammatischen zum Bildgedicht“ (a.a.O., S. 15), bzw. von der Epigrammatik zur „Epigraphik“ (Hellmut Rosenfeld, Bild und Schrift. Die verschiedenen Versuche zu ihrer Verschmelzung. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens XI, München 1971, Sp. 1654). Wesentlich geprägt wurde das Entstehen der Emblematik durch Andrea Alciati (1492–1550), dessen Emblemata bereits 1521 handschriftlich vorlag und ergänzt zuerst gedruckt wurde 1531 (Viri Clarissimi D. Andree Alciati lurisconsultis. Mediol. Ad D. Chonradum Peutigerum Augustanum, lurisconsultum Emblematum liber, 1531; Reprint der Originalausgabe Paris 1542: Darmstadt 1991). Lit: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Hg. Arthur Henkel/Albrecht Schöne. Stuttgart (1967) 1996, Abb. 173 Sp. 1223; SinnBilderWelten. Emblematische Medien in der Frühen Neuzeit. Hg. Wolfgang Harms/ Gilbert Heß/ Dietmar Peil/ Jürgen Donien. Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1999. Zusammenstellung mit Abb. von Emblembüchern des 16. und 17. Jhs in: John Harthan, The History of the Illustrated Book. The Western Tradition. London 1981/1997, S. 104 ff.; Das Emblem im Widerspiel von Intermedialität und Synmedialität. Hg. Johannes Köhler/Wolfgang Christian Schneider. Hildesheim 2007. Emblemata, a.a.O., S. XIII.
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Abb. 173: Invia virtvti nvlla, 1604
Motto (inscriptio)1747, dem Bildteil (pictura)1748, und dem Epigramm (subscriptio). Der Ausspruch in der Funktion einer Überschrift wurde in der Regel kurz gehalten und war gewichtiges Zitat, erkenntnistheoretische These oder ethisches Postulat. Der Bildteil, dessen Motivik aus vielen tradierten Bild-Quellen stammte, orientierte sich am Verschlüsselungsprinzip der Hieroglyphik. Das Epigramm bot – oft auch in versteckter Form – Erläuterung und Auflösung des von inscriptio und pictura gebildeten rätselhaften Inhalts. Zusammen bildeten sie eine Ein-
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Harsdörffer nennt in der „Vorrede an den Kunstliebenden Leser“ (Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., o. P.) in Abschnitt II „Von den Bildereyen“ 25 Regeln zur Herstellung des Emblems, das er Sinnbild nennt. Auch: Lemma oder Motto, in Abb. 173: Nichts ist der Tugend unzugänglich. Auch: Icon, Imago oder Symbolon, in Abb. 173: Obelisk an dem sich eine Schlange emporwindet. Übers. des Epigramms in Abb. 173: Mit großer Mühe erklimmt die Schlange diese Spitze. Natürlich ist der Pfad der Tugend voll Beschwerden.
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heit aus Darstellung und Deutung, in der der Text das Bild beschreibt und deutet, also das Bild keine Illustration des Textes ist.1749 Insofern verband sich mit dem hieroglyphischen Strukturelement der Darstellung ein bereits seit langem vom griechischen Bildepigramm bekanntes Element der lehrhaft-allegorischen Deutung. „Was aus einer solchen Verbindung von Renaissance-Hieroglyphe und griechischem Epigramm aber entsteht, ist mehr als die bloße Summe seiner Teile: mit dem Emblem gesellt sich eine neue Gattung zu den älteren Formen und Vorbildern einer Verbindung von Bild und Text, den mit Tituli versehenen frühchristlichen und mittelalterlichen Wandmalereien etwa, den Heilsspiegeln, Totentänzen, Armenbibeln, bebilderten Fabelsammlungen, Spruchbändervorlagen oder Sprichwortillustrationen und Lehrbildern nach Art des Brant’schen !Narrenschiffs" und der Murner’schen !Schelmenzunft", den aus Bildern und Wahl- oder Wappensprüchen zusammengesetzten Darstellungen der Heraldik, der Devisen- und Impresenkunst.“1750 Insbesondere Devisen und Impresen1751 waren wichtige Prototypen für das Emblem1752. Devise und Imprese sind sich in ihrer zweiteiligen Struktur ähnlich, – ihnen fehlt der dritte Teil des Emblems, das Epigramm. Beide haben kennzeichnende Funktion, wobei die Devise in ihrer Frühform als Verbindung von Monogramm und Bildelement Charakter und Gesinnung einer Persönlichkeit signethaft zeigte. Die Imprese1753 wies auf Abzeichen Absicht und Vorhaben seiner Träger hin, vornehmlich in den Bereichen des Kriegsdienstes und der Liebesabenteuer: imprese d’armi, imprese d’amore. Für beide gilt das Verschlüsselungselement und die Verbindung zum Rebus, die schon von Tory erwähnt wurde, der eigentlich die Proportionen der Antiquabuchstaben in seinem Werk „Champ fleury“ untersuchte, sich aber auch zur Devise einließ: „Les Divises qui ne sont faictes par lettres significatives, sont faictes dimages qui signifient la fantasie de son Autheur, & cela est appele ung Resbuz au quel on a resue, & faict on resuer les autres. Telz images sont 1749
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Bernhard F. Scholz, Emblematik: Entstehung und Erscheinungsweisen. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 119. Emblemata, a.a.O., S. XI. Das für die Impresenkunst einflussreichste Regelwerk war: Paolo Giovio (1483–1552), Dialogo dell’Imprese militari et amorose. Roma 1555 (ohne Abbildungen/ mit Abbildungen: Lyon 1559). Volkmann, Die Emblematik und ihre Auswirkungen: Impresen und Devisen. In: Volkmann, Bilder Schriften der Renaissance, a.a.O., S. 41 ff. Als voremblematische Imprese war sie eine Sonderform der Devise, als nachemblematische Imprese eine Reduktion der emblematischen Form.
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ou hommes, ou femmes, bestes, oy-seaux, poissons & autre choses corporelles & materielles.“1754 Und in diesem Zusammenhang erläuterte Tory sein eigenes verrätseltes Signet1755, ein sogenanntes „redendes Signet“.1756 Interessant ist, dass es neben vielen Emblembüchern, deren pictura real-gegenständliche Objekte, Personen und Landschaften enthält, zumindest ein Buch-Beispiel gibt, dessen pictura aus abstrakte Modellen besteht, in denen einzelne Buchstaben und geometrische Figuren inhaltliche Funktionen besitzen, die „Physicae et theologicae conclusiones“ (1621) des Holländers Otto van Veen.1757 Es handelt sich um eine Folge von 20 Text-Bild-Doppelseiten, links ein Text (Bibelstellen oder Zitate von Autoren) mit dem darunter befindlichen Kommentar, rechts gerahmt die pictura. Das Ausgangsmodell, die erste pictura enthält in der Mitte eines gerahmten Rechtecks den Buchstaben A, die zweite in der Mitte des gerahmten Rechtecks ein Kreis um den Buchstaben B, die dritte in der Mitte des gerahmten Rechtsecks ein Kreis um die untereinander stehenden Buchstaben B und A, über dem Kreis auf gleicher
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Champ fleury, a.a.O., fol. 42v, dt. Übersetzung bei: Schenck, Das Bilderrästel, a.a.O., S. 21 u. bei Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 70. Tory, Champ fleury, a.a.O., fol. 43r, Abb. in: Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 246 u. Auflösung S. 21 f.: „Tory nennt die Devise Rebus und betrachtet sie als Rätsel. Er gibt im Anschluß die Deutung seines eigenen Signets, das die Devise !Non plus" trägt. Die zerbrochene Vase ist nach Anregungen aus der !Hypnerotomachia Poliphili" gestaltet. Sie bedeutet Körper. Das Zeichen der Spindel oder des Wellbaumes (toret), eine Anspielung auf seinen Namen, weist in der Hieroglyphica des Valeriano auf das Schicksal. Das geschlossene Buch unter der Vase, Ketten und Schlösser deuten auf das Buch des Lebens, das nach dem Tode des Körpers für niemanden zu öffnen sei, außer für Gott. Sonnenstrahlen und Blumen sollen die Inspiration Gottes zur Tugend deutlich machen. Das Zusammenspiel von Hieroglyphik und versteckter bildlicher Namensgebung wird hier sichtbar.“ Volkmann, Von der Bilderschrift zum Bilderrätsel, a.a.O., S. 70. „Physicae et theologicae conclusiones, notis et figuris dispositae ac demonstratae, de primariis fidei capitibus, atque inprimis de praedestinatione, quomodo effectus illius superetur a libero arbitrio. Authore Otthone Vaenio. Orsellis, Anno M.DC.XXI (1621)“, Abb. 174 in: Christoph Geissmar, The Geometrical Order of the World: Otto van Veen’s Physicae et theologicae conclusiones. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 56, London 1993, S. 168–182 (Plate 22–24) u. ders., Konstrukte der Welt um 1600: Lichte Klarheit, unendliche Schwärze, geometrische Schlüssigkeit, Buchstabenpositionen und Wortbilder. In: Paragrana. Int. Zs. f. Historische Anthropologie, Bd. 5, H. 1, Berlin 1996, S. 47 ff. (Abb. von 2 Doppelseiten).
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Abb. 174: Otto van Veen, Picturae der „Physicae et theologicae …“, 1621
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vertikaler Linie unterhalb der oberen Rahmenlinie die Buchstaben in umgekehrter Reihenfolge A und B untereinander. Von pictura zu pictura erweitert sich das Modell, die Anzahl gleicher Buchstaben vergrößert sich, neue Buchstaben kommen hinzu, und das geometrische Zeichenrepertoire wird vielseitiger. Geissmar sieht in dieser Blattfolge die Darstellung der Genesis mit der Setzung des Buchstabens A für Gott, B für das Nichts. „!Gott" als einen Statthalter !A" zu definieren ist 1621 (vermutlich) bizarr. Van Veen führt innerhalb seiner Sequenz noch weitere Buchstaben für verschiedene Kräfte ein und unterstützt sie mit geometrischen Figuren, Kreisen, die Sphären meinen, Ellipsen, schematisierten Strahlen und Ausflüssen. Sie führen zu !Modellzeichnungen" der Ideen des nebenstehenden Textes. Van Veen fixiert ein System mit kompatiblen Komponenten. Die Buchstaben sind seine Statthalter von Räumen, Sphären und Vorstellungen. In Verbindung mit dem jeweiligen Text unterliegt der Serie von 20 Platten ein enzyklopädischer Ansatz, er zielt auf das Muster des Schöpfungsplans. Auf dieser Basis postuliert der Autor zusätzlich den profan-weltlichen Triumph des Glaubens.“1758 Betrachtet man diese Sequenz ohne ihr historisches Bezugssystem, sind der hohe Grad der Abstraktion und Reduktion, die Setzung konkreter Zeichen in einem vorgegebenen Raum (gerahmtes Rechteck), sowie die Neudefinition der Sprachzeichen Elemente, wie sie (unter anderen Voraussetzungen und deshalb direkt nicht vergleichbar) auch in der Konkreten Poesie eine Rolle spielen. Jedenfalls zeigt sich, dass die oben angesprochenen Systeme von Bilderschrift und Zeichenschrift sich in gewisser Weise auch wieder in der emblematischen Poesie spiegeln1759 und auch hier, wie in der bisher verfolgten Entwicklung der Schriftsysteme, eine Art Verschlüsselungsprinzip begegnet. Dieses Verschlüsselungsprinzip nun, das im Rebus und in Figurentexten ebenso anzutreffen ist, wie in labyrinthischen Textstrukturen, in der 1758 1759
Geissmar, Konstrukte der Welt um 1600, a.a.O., S. 49. In der Gegenwart befasst sich vor allem Konrad Balder Schäuffelen mit dem Emblem: Konrad Balder Schäuffelen, Aus dem Auge. Aus dem Sinn. Objekte, Installationen, Embleme, Dialoge, Protokolle. Berlin 1999, vgl. auch seine „Aphorismen zur Emblematik“ in: Schäuffelen, Ein haymlich Verstan. Beiträge zur Emblematik. In: Kunstforum Bd. 102, Köln 1989, S. 173 (mit vielen Abbildungen der Embleme Schäuffelens, Abb. 175 S. 180). Auch der Moskauer Poet Dmitrij Avaliani (1938–2003) schuf eine ganze Reihe von Emblemen, in denen Textund Bildzeichen rätselhafte Textbilder ergeben (Abb. in: Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 333 ff.).
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Abb. 175: Konrad Balder Schäuffelen, Embleme, vor 1989
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Metaphorik der Lyrik oder im sogenannten Schlüsselroman, lässt sich als ein Grundprinzip der Poesie1760 mit zunehmendem Spektrum der literarischen Mittel bis in die Gegenwartsliteratur verfolgen. Dabei bestimmen vor allem drei Verfahren die Optische Poesie: 1) Wortteile, Wörter, Sätze werden durch Bilder ersetzt = Bildersprachen entstehen (Verschlüsselung durch Bilder) 2) Wortteile, Wörter, Sätze, Texte werden figurativ angeordnet = Figurengedichte, Gittergedichte, Labyrinthtexte usw. entstehen (Verschlüsselung durch grafische Strukturen) 3) Neue Formen und Zeichen werden für Wortteile, Wörter, Sätze, Texte erfunden = Umschriften, Ersatzschriften, Geheimschriften, Kunstschriften entstehen (Verschlüsselung durch Codierung, Chiffrierung, usw.) In allen drei Bereichen entstehen poetische Setzungen, deren spannendste Äußerungen und Gebilde kryptischen und steganografischen Ursprungs sind. „Rückblickend bleibt programmatisch festzuhalten, dass die Kryptografie in der europäischen Literatur nicht nur ein wichtiger Anregungsfaktor für poetische Verschlüsselungen und damit für die Konstituierung von Dichtung überhaupt ist, sondern neben Allegorese, Emblematik, Symbolik und stilus obscurus auch eine wichtige Methode für die Generierung eines Zweitsinns darstellt. Formen poetischer Geheimschrift stehen dabei in einem engen Zusammenhang mit der Hieroglyphik, der Signaturenlehre und der Vorstellung vom Text als Palimpsest. Der Ästhetisierung der Kryptographie in der Frühen Neuzeit korreliert eine Kryptographisierung der Literatur.“1761 Auf dem Weg zu einer Poesie, die eine stärkere Verbindung von Bild und Text/Schrift aufwies, eine Vermischung der Künste, wie sie von der Romantik postuliert wurde, waren Hieroglyphik und Emblematik also wesentlich1762, obwohl in den Devisen, Impresen und Emblemen diese Vermischung bis ins 18. Jh. noch in gewisser Weise getrennt war, selbst wenn in der pictura gelegentlich Spruchbänder oder Beschriftungen von Gegenständen erschienen. Dazu gab es aber parallel schon eine Vielzahl anderer ganz unterschiedlicher Ausdrucksformen, die diese intensive 1760
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Für die bildende Kunst und Werbung vgl. Kampmann, Das Rebusflugblatt, a.a.O., S. 282ff. Zufällig entdecktes Beispiel aus der Werbung: Zwilling J. A. Henckels AG-Solingen. In: Focus 47, München 1999, S. 277. Ernst, Der Roman als Kryptotext, a.a.O., S. 24. Nachweise bei Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 104 f./Anm. 42.
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Bild-Text-Mischung bereits besaßen. Denn neben der langen Tradition des Figuren-, Gitter-, Linien- und Labyrinthgedichts und der geschlosseneren Text-Bild-Formen, wie sie in der „Phainomena“ des Aratos mit den figurativen Ergänzungen von Gaius Julius Hyginus (64 v. Chr – 17 n. Chr.)1763 oder bei Hrabanus Maurus anzutreffen sind, entstanden einerseits Formen, die sich von den nur aus Buchstaben bestehende Figurengedichten darin unterscheiden, daß auf höchst kunstvolle Weise Text- und Bildelemente verbunden, Texte einmal kombiniert mit Setzkasten-Elementen1764 und zum anderen in gezeichneten Figuren oder Ornamenten funktionsgerecht, d. h. inhaltlich bestimmend integriert werden,1765 andererseits komplexere und zugleich offenere Text-BildKombinationen z. B. in den Bereichen der Philosophie, Natur- und Kulturwissenschaften1766, Medizin1767, Astronomie, Kartographie1768, 1763
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Abbildungen in: Massin, (1970) a.a.O., S. 168–173; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 583 ff. Georg Wolfegger, Format-Büchlein. Graz 1672/73/Abb. in: Bartkowiaks forum book art. 20. Ausgabe 2002–2003. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. Hamburg 2003, S. 58. Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, aaO, Bd. 2, 1 Colossus vel statua regis babylonici, 1667; Teil 3, 51 Sicvt aqvila p(ro)voca(n)s ad volanv(m), 1596; Bd. III, 52 Idea religionis: sive emblema theologicum, 1630; Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, a.a.O., Bd. IV, 269 Germania O Vatterland, dein grose Schand (Incipit), 1668; Bd. IV, 270 Speculum Hominis, 1668. Ein besonders schönes Beispiel ist die „Tabvla Avrea Salomonis et Hermetis“ (1739), Abb. in: Imagining Language, a.a.O., S. 132, siehe Titelbild der „Optischen Poesie“ u. Frontispiz, S. VII. Z. B. Abb. einer provenzalischen Handschrift aus dem 13. Jh. in: Natur im Bild. Anatomie und Botanik in der Sammlung des Nürnberger Arztes Christoph Jacob Trew. Hg. Thomas Schnalke. Erlangen 1995, S. 43 (hier auch weiterführende Abb. und Literaturhinweise S. 31, Anm. 45). Abb. einer hebräischen Manuskriptseite aus dem 14. Jh. in: Alexander Roob, Das hermetische Museum. Alchemie & Mystik. Köln 1996, S. 566. Eine am stärksten den Text figurierende persische Handschrift stammt von Mans_¸ur ibn_ Muhammad ibn Ahmad (Anatom und Physiker, gest. nach 1422), Tashrı h-i Insan, enthält fünf Abbildungen (Abb. in: Dietrich Brandenburg, Islamic Miniature Painting in Medical Manuscripts. Basel 1982, S. 31 ff.). Eine weitere Handschrift vom gleichen Autor Rauda-t Aladhan Fi Ma’rafa-t Tashrih Badan Al-insan (Tashrih Mansuri, 1396) mit ebenfalls fünf Abbildungen (Abb. unter: http://dewey.library.upenn.edu/sceti/ljs/Page Level/index.cfm?option=view&ManID=ljs049. Von Johannes Putsch (1516–1542) stammt eine Europa-Karte in Form einer Königin (Paris 1537, verändert 1543), dann von Heinrich Bünting (1545–1606) variiert in seinem Werk: Itinerarium Sacrae Scripturae: das ist ein Reisebuch, über die gantze heilige Schrift. Wittenberg 1588, S. 4/5, T. 12 (verändert 1592/Abb. in: http://www.jungeforschung.de/europa-bilder/karten.htm); beide Abb. auch in:
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Alchemie und Mystik.1769 Es sind in der Regel Memorialblätter, wie z. B. www.celtoslavica.de/europa/virgo.html; und noch einmal variiert wurde in Sebastian Münster, Cosmographia Universalis. Basel 1588, S. 41/Abb. in: Rosenfeld, Bild und Schrift, a.a.O., Sp. 1665/1666; hier auch die Abb. „Leo Belgicus“ von Romeyn de Hooghe, eine Belgien-Karte in Form eines Löwen, die es in mehreren Varianten seit dem 16. Jh. gab (R. V. Tooley, Leo Belgicus, an illustrated list of variants. London 1963/Map Collector’s Circle 7; mehr als 100 Varianten sind im Internet auf der Bilderseite von www.google.de unter dem Stichwort „Leo Belgicus“ zu finden). Ein wichtiger Aufsatz zur Figuration der Karten ist: Kartenbilder Bilderkarten. Bilderkarten von Holger Runge und ihr kulturhistorisches Umfeld. Hg. Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund 1987, S. 3ff. Interessant auch die frühen Weltkarten, wie die Ebstorfer Weltkarte, deren Entstehung vorsichtig auf 1239 geschätzt wird:http://kulturinformatik.unilueneburg.de/projekte/homepage_ebskart/content/info_hintergr_fr.html. Hier reichern (lateinische) Texte aus nahezu allen Wissensbereichen wie Geographie, Theologie, Geschichte, Ethnologie, Astronomie zusammen mit Bildern auf einer Fläche von 3,5 Metern im Quadrat die geografische Darstellung der damals bekannten Weltkarte an. Eine „ganzheitliche Deutung (…) als beschriebenes und bebildertes Werkstück, dem Gott als das primär bewegende Prinzip vorausgeht. Jegliches Geschöpf in Gottes Welt und jeder Gegenstand ist zugleich Bild und Zeichen.“ (Wenzel, Die Schrift und das Heilige, a.a.O., S. 15). Zu den Weltkarten mit vielen Abbildungen siehe: Uwe Ruberg, Mappae mundi des Mittelalters im Zusammenwirken von Text und Bild. In: Text und Bild, a.a.O., S. 550ff. und Ingrid Baumgärtner, Die Wahrnehmung Jerusalems auf mittelalterlichen Weltkarten. In: Jerusalem im Hoch- und Spätmittelalter. Konflikte und Konfliktbewältigung. Hg. D. Bauer/K. Herbers/N. Jaspert. Frankfurt 2001, S. 271ff. (mit vielen Abb.). Interessant auch: Alphons Woelfle, Karte des Bücherlandes (1938) in: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 14. – Mit diesen Vorbildern ist in der Visuellen Poesie zu vergleichen.: Öyvind Fahlström, World Map (1972/Abb. in: Fahlström, Die Installationen. Hg. Sharon Avery-Fahlström. Ostfildern 1995, S. 28f., siehe auch Abb. 233) u. „Zeichnung für !Welt-Karte"“ (1972/Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 117). Dazu interessant auch die imaginären Karten von Robert Smithson (1938–1973) „Imaginary Maps“ (Abb.: http://www.robertsmithson. com/drawings/imaginary_maps_300.htm und in: Smithson. Hg. Eugenie Tsai/ Cornelia Butler. Los Angeles 2004, S. 176), „Hypothetical Continent of Lemuria“ (1969/Abb.: http://www.robertsmithson.com/drawings/lemuria_280.htm ), von Nam June Paik „Fluxus Island“ (1963/Abb. in: happening & fluxus, aaO., o. P.) und „Fluxus Island in Decollage Ocean“ (1989/Abb. in: Fluxus. Ausstellungskatalog, a.a.O., S. 81), von Eugen Gomringer „Geografie-Entwurf “ (1970/Abb. 176 in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 127), von Ladislav Novak „Geografie“ (1973/Abb. in: Jirˇi Valoch, Promeˇny Ladislava Nováka. Prag 2002, S. 132), von Klaus Sobolewski „Karte der Psyche“ (1979/Abb. in: Schrift. Zeichen Geste., a.a.O., S. 180), von Carlfriedrich Claus „Annaberg-Buchholz: Denkgänge über unter Tage“ (1984/86/ Abb. in: Claus 1930-1998. Annaberg Buchholz 2000, S. 65), von Alison Knowles „S. T.“ (1985/Abb. in: Fluxus. Ausstellungskatalog, a.a.O., S. 99), sowie „Europa” (2005) von Ján Mancˇusˇka (Abb. in: Mancˇusˇka, Chybeˇni. Praha 2007, o. P.),
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Abb. 176: Eugen Gomringer, Geografie-Entwurf, 1970
die Figurae1770, die aus Diagrammen, Tabellen, Textdispositionen oder figürlichen Darstellungen bestehen, wie Rotae, denen ein Rad, Arbores, denen ein Baum oder Scalae, denen eine Leiter als Grundschema zugrunde liegt. 17691770 Die einfache Form der Wissensvermittlung als Diagramm war bereits seit vorhellenistischer Zeit bekannt. Als Stemma folgen Figuren wie die von Radulphus de Longo Campo (1150/60–1213/16) zu Beginn des
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„Mapas do desejo“ von Ana Marín Sánchez (Abb. In: big ode 3. Frielas/Portugal 2007, S. 15ff.) und kurios die „Fictional Road Maps“ von Adrian Leskiw (Abb.: http://www-personal.umich.edu/~aleskiw/maps/home.htm). Ein interessanter Nebenfund ist: Lou Scheper-Berkenkamp, Humoristischer Stadtplan (1924/Abb. in: Bauhaus, a.a.O., S. 33). Schließlich in der Werbung: Europa und Afrika werden u.a. mit Kleidungsstücken, Gemüseteilen, Kuchenformationen dargestellt in der AEG-Gerätekampagne z.B. in: Focus Nr. 39 v. 22. 9. 08, S. 65; Nr. 42 v. 13. 10. 08, S. 21; Nr. 44 v. 27. 10. 08, S. 15. Vgl. auch Anm. 2795 u. die Abb. 287 u. 288. Eine Fülle von Abbildungen für alle Bereiche sind zu finden in: Alexander Roob, Das hermetische Museum. Alchemie & Mystik. Köln 1996. Michael Evans, The Geometry of the Mind. In: Architectural Association Quarterly 12/4, Oxford 1980, S. 32 ff.
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13. Jhs.1771 oder von Thomas Le Myésier (gest. 1336) aus dem 14. Jh.1772, die an Hierarchien der Hypertexte und ähnliche Formen1773 oder an die Glaubens-,1774 Wissenschafts- und Kunst-Netze der Gegenwart1775 erinnern. 1771
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Radulphus de Longo Campo, In Anticlaudianum Alani commentum (1216). Hg. Jan Sulowski, Warschau 1972, S. 75 ff. Gemeint ist der Kommentar zum Anticlaudianus des Alanus ab Insulis (Alain de Lille/Alans von Lille/1120–1202), Abb. in: Christel Meier, Die Rezeption des Anticlaudianus Alans von Lille in Textkommentierung und Illustration. In: Text und Bild, a.a.O., S. 540. Thomas Le Myésier, Electorium magnum. Paris 1323 (Abb. in: Evans, a.a.O., S. 34). Vgl. Anm. 763. „Offenbarung Jesu Christi. Überblick“ von A. Muhl (Zürich 1980), Abb. in: Gerhard Henschel, Die wirrsten Grafiken der Welt. Hamburg 2003, S. 168. Ein sehr gutes Beispiel stammt von Stephan von Huene. Es wurde als Vorbereitung für eine Rede zum Interface-Symposium in Hamburg 1990 als Sequenz von 6 Blättern gefertigt (Abb. in: Interface I, a.a.O., S. 93ff.). Weitere Beispiele sind das analytische Schema zu „Finnegans Wake“ von László Moholy-Nagy (Abb. 70), das „Semantische Netzwerk“ von Douglas R. Hofstadter, Gödel, Escher, Bach. New York 1979/Stuttgart 1985, Abb. 177 S. 396, siehe auch S. 695; das „Diagramm der Tragetasche für die Straßenaktion auf der Kölner Hohe Straße“ (1971/Abb. in: Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., Taf. 6e/S. 215) von Joseph Beuys (1921–1986); „The Energy of Meaning“ (1971) von Arakawa in: Arakawa, Mechanismus der Bedeutung. München 1971, S. 48f.; die Wegweiser durch poetische Werke wie „Plan II“ (1983/Abb. in: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 156) zur „Rättin“ von Günter Grass, Hubert Fichtes Arbeitsplan zu „Platz der Gehenkten“ (1989/Abb. in: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 155), S. Lewitscharoff, Romanplan zu „Montgomery“ (2003/Abb. in: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 151), „Roman Theorie Projekt“ (1975/76/Abb. in: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 80) und „Text über den Roman“ (1978) von Karel Trinkewitz (Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 142); „Das Inhaltsverzeichnis“ von Bora C´osic´ (Abb. in: Schreibheft 44, Essen 1994, S. 49); die „Kosmologie“ von Arno Schmidt (Abb. in: Schmidt, Vorläufiges zur Zettels Traum. Frankfurt 1977, Innenseite der Kassette); die poetischen Werke von Asger Jorn/Guy-Ernest Debord (GuyErnest Debord: Mémoires, Structures Portantes d’Asger Jorn, édité par l’Internationale Situationiste. Kopenhagen 1959/ Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. XXI und Guy Debord, The Naked City/1957 in: Documenta 11, a. a.O., S. 61); Torsten Ekbom (1938, Geschichte/1966, Abb. in: Dencker, Text-Bilder,., S. 88 mit Übersetz.); Raymond Federman (1928, weather report, Abb. in: Federman, Playtexts/ Spieltexte a.a.O, a.a.O., S. 79); Amanda Berenguer (1921) „Colored Words“ (1990), Abb. 178 (Archiv Dencker); die Werke der bildenden Kunst von Annette Messager (1943/ Mes ouvrages. Arles 1989, Abb. in: ars photographica, a.a.O., S. 157); Arbeiten von Graham Gillmore wie „High Maintenance“(2003) oder „Good Rev/Bad Rev“ (2005/Abb. in: http://www.artists4kids.com/artists/gilmore.php) und „The Pedagogical Structure of Capitalism“ in: RE/ ARTIKULACIJA 5. Ljubljana 2008, Titelseite (Abb. in: http://www.reartikulacija.org/pdfs/Reartikulacija5_web.pdf). Zum engeren Begriff einer „Netzwerk-Poesie“ siehe Shukuro Habara, Towards A Book! Tokyo 2007 u. vgl. Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005, a.a.O., S. 136.
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Abb. 177: Douglas R. Hofstadter, Semantisches Netzwerk, 1979
Unter den figürlichen Darstellungen, vor allem seit dem frühen 11. Jh.1776, war am häufigsten das Radschema anzutreffen. Die ihm zugrunde liegende Kreisform ist ein Muster, das ebenfalls bis in die Gegen1776
Ulrich Rehm, Bebilderte Vaterunser-Erklärungen des Mittelalters. Baden-Baden 1994, Kap. 3.2 ff., dort auch viele Abb.
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Visuelle Poesie
Abb. 178: Amanda Berenguer, Colored Words, 1990
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wart immer wieder die Poeten angeregt hat, mit ihm poetisch-bildhaft zu spielen. Ähnliches gilt für die Figur des Baumes1777, die neben Stammbaum-1778, Chronologie-1779 und Genealogiedarstellungen für alle Wissensbereiche der Gesellschaft und Kultur1780 ein beliebtes Motiv der Optischen Poesie wurde.1781 1777
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1779
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1781
Thomas Macho, Die Bäume des Alphabets. In: Neue Rundschau, 116. Jg., H. 2, Frankfurt/M. 2005, S. 66 ff.; Ad Reinhardt, How to Look at Modern Art in America. In: P. M. New York, 2. Juni 1946 u. in: Documenta 11, a.a.O., S. 87. Christine Klapisch-Zuber, Stammbäume. Eine illustrierte Geschichte der Ahnenkunde. München 2004. Frühe Beispiele des Arbor consanguinitatis und Arbor affinitatis – kommentiert von Johannes Andreae, Super arboribus consanguinitatis, affinitatis et cognationis spiritualis. Paris 1500, S. III) – gehen bis ins 10. Jh. zurück: Consanguinitätstafel, 9. Jh., Modena, Handschrift der lex romana, Paris, Bibl. Nat. 4412, fol. 75b oder Stammbaum der Welfen (1170), Fulda, Landesbibliothek, D11, Historia Welforum, diese und weitere Abb. in: Angelika Kastner, Wallfahrt, Weihnachten und Stammbaum. In: Der Baum in Mythologie, Kunstgeschichte und Gegenwartskunst. Hg. Hans Gercke. Heidelberg 1985, S. 102 ff. und bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 646–680. Literaturhinweise zur Geschichte der Baumsymbolik bei Rehm, a.a.O., Kap. 3.4, Anm. 322; Alexander Demandt, Über allen Wipfeln. Der Baum in der Kulturgeschichte. Köln 2002. Ein sehr ungewöhnliches Beispiel von Sigismund Vogel, Arbor genealogica Brahea (17. Jh.), in dem in der Mitte des Baumes eine Landschaft und kartografische Elemente montiert wurden, ist abgebildet in: Toini Melander, Suomen kirjapainotaitoa barokin vuosisadalla. Helsinki 1960, S. 121. Britta Orgovanyi-Hanstein, Geschichtsbaum Europa. Frankfurt, Fischer Verlag 2003 (Poster). Vgl. auch Abb. 8 u., Abb. 151. – Petrus Hispanus, Tractatus duodecim. Deventer 1494 (darin die erste Verwendung der Baumfigur in der Wissenschaftsgeschichte: Arbor porphyriana/1239); Jean le Rond d’Alembert, Baum des Wissens (nach Francis Bacons Baum des Wissens) in: Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société des gens de lettres. Hg. Denis Diderot/Jean le Rond d’Alembert. Paris Band 1, Paris 1751, Einleitung (Abb. in: Interaktiv – Im Labyrinth der Möglichkeiten. Hg. Wolfgang Zacharias. Remscheid 1997, S. 92); Stammbaum des modernen Sozialismus. Gedenkblatt des Einigungskongresses deutscher Sozialdemokraten, Gotha 22.–27. 5. 1875/Abb. in: Monte Verita. Berg der Wahrheit. Hg. Harald Szeemann. Tegna 1978, S. 14; Henry Miller, Entwurf für „The Palace of Entrails“ (1930er Jahre/Abb. in: Miller, Mein Leben und meine Welt. München 1972, S. 75); Stammbaum der Schrift (1937). Hg. Brauersche Gießerei. In: Print & Produktion 12. Jg., H.11, Wiesbaden 1999, S. 35; Peter von Bartkowski, Highlights of the Jazz Story in USA. Hamburg 1988; Stammbaum indoeuropäischer Sprachen, Abb. in: Thomas W. Gamkrelidse/Wjatscheslaw W. Iwanow, Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. In: Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg Mai 1990, S. 131; Entscheidungsbaum, Abb. in: Kurzweil, KI, a.a.O., S. 144; Stammbaum der Gymnastikgrundformen in: Henschel, Die wirrsten Grafiken der Welt, a.a.O., S. 35. Z. B. Philipp von Zesen, „Palm-baum“ (Filip Zesens, Durch-aus vermehrter und
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Visuelle Poesie
Einblattdrucke/Bilderbogen Besonders interessante Formen begegnen vor allem in den Illustrierten Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts. Exzerpte aus den Schriften griechischer Philosophen1782 erscheinen in aufwendig gestalteten und
1782
zum dritt- und letzten mahl in dreien teilen aus gefartigter Hochdeutscher Helikon/ oder Grund-richtige anleitung zur hoch-deutschen Dicht- und Reim-kunst. Wittenberg 1649, III, Bl./ 7r/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 83, dort auch Hinweise auf weitere Baumgedichte bei Erdmann Uhse (1705/S. 84), Georg Heinrich Heldberg (1704/S. 95 f.), Johann Ernst Beims (1714/S. 130), Johannes Bredtsprecher (1656/S. 146), Johann Helwig (1650/S. 152), Johann Geuder (1672/S. 152), und bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 128 Optatianus Porfyrius (4. Jh.), S. 569 Acta Apostolorum (10. Jh.), S. 771–785 islamische und jüdische Figurengedichte (10. Jh.-14. Jh.); Gottfried Kleiner, „Zeder“ (Kleiner, Garten-Lust im Winter. Hirschberg 1732, S. 95/Abb. in: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 159). Siehe auch: Johann Michael Döler (Anm. 2074, Abb. 205), ein persisches Figurengedicht (Anf. 19. Jh.) von Kabul Muhammad (Abb. in: Grammatik, Poetik und Rhetorik der Perser. Nach dem 7. Bande des Heft Kolzum dargestellt von Friedrich Rückert. Neu herausgegeben von Wilhelm Pertsch. Gotha 1874, Taf. II/Neudruck: Wiesbaden 1966), Georges Ribemont-Dessaignes, L’Arbre à violon (1920/Abb. 124) und David J. Jarvis, „Elm, Oak, Ash?“ (Abb. in: primera bienal international de poesía visual y experimental en méxico 1985–1986. México 1986, S. 21). Mirella Bentivoglio bezieht sich ausdrücklich in ihrem Buch „Un albero di pagine“ (Dolo/Ve 1992, vgl. auch Anm. 643) auf historische Beispiele wie den Buchstabenbaum (Anm. 1288) und den „Baum des Wissens“ (1295/96) von Raymvndus Lvllus, Arbor scientiae venerabilis et caelitvs illuminati: patris Raymvndi Lvllii Maioricensis Lugduni 1515/Prag/Blatt 11v. (In dieser Enzyklopädie von Lullus gibt es 15 weitere Bäume, die das „Alphabet der Künste“ bilden). Mitte der 1970er Jahre entwirft Einar Hylander (1913–1989) einen Lebensbaum auf einem Briefumschlag (Abb. 179 in: Dencker, 4 Bildgeschichten. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 17/18. Nürnberg 1978, o. P.). Von Ernst Buchwalder gibt es zwei Varianten eines „poetree“ (1977, Abb. in: Ernst Buchwalder. Wörterbruch. Studien, Projekte und Realisationen mit Buchstaben, Wörtern und Begriffen (1967–1978). Hg. Toni Zwyssig. Wolhusen 1978), Buchstaben (Variante 1) und beschriebene Blätter (Variante 2) hängen in einem Baum. Einen real existierenden Poesiewald des Armand Schulthess (1901–1972) dokumentierte Ingeborg Lüscher in: I. L., „Der größte Vogel kann nicht fliegen“. Dokumentation über A. S., Köln 1972, Abb. 285. Auch im Bereich der Musikalischen Grafik gibt es Beispiele, vgl. Johann Theile (Abb. 22) oder Werner Heider (vgl. Anm. 228). Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Kommentierte Ausgabe. Teil 1, 1, a.a.O., S. 2 ff.: Artificiosa totivs logices descriptio, 1614; 1,5, a.a.O., S. 16 ff.: Physica sev natvrae theatrum in typum totivs philosophiae natvralis, 1611; 1,6, a.a.O., S. 20 ff. Logicae vniversae typvs, 1605–1621. (Vgl. die in Anm. 1654 angegebenen Sammlungen, in denen die Blätter ausführlich interpretiert werden.)
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Abb. 179: Einar Hylander, Lebensbaum, ca. 1975
mit allegorischen Objekten und symbolischen Figuren ausstaffierten Landschaften und Architekturen, in denen die Texte frei über das Blatt verteilt und/oder den Umrissen der Bildelemente folgend oder eingepasst zum konstituierenden visuellen Bestandteil großformatiger Kupferstiche werden. Es sind Disputationsblätter mit didaktischer Funktion, wie z. B. jene, die die christliche Lehre vermitteln1783 oder religionspolitische Ziele verfolgen1784. 1783 1784
3,49, a.a.O., S. 100 ff.: Tabernacvlvm dei cvm hominibvs, um 1600. 2,8, a.a.O., S. 16 ff.: The Lambe speaketh. Why do you crucifie me (Incipi), 1553–1555; VII, 152 Vnbekante fögell, Erdbidem 1569 (Incipit), 1585.
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Visuelle Poesie
Neben diesen kunstvollen Erweiterungen der Verbindung von Text und Bild gab es in der Folge der Einblattdrucke des 15. und 16. Jahrhunderts, sowie der illustrierten Flugblätter seit dem ausgehenden Mittelalter, die Form des Bilderbogens1785, zunächst belehrender und später unterhaltender Art, wie die Albertitafeln, die vom Spätbarock bis zum 19. Jahrhundert in Oberbayern und Österreich nachweisbar sind.1786 Eine interessante Parallele ist der zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert in Russland auftauchende – volkstümlich und im Holzschnitt einfach gestaltete – Volksbilderbogen, „Lubok“1787 genannt, der im wesentlichen religiöse1788 und volksnahe Themen behandelte, aber auch kritisch war, wie einer der Form und dem Inhalt nach spannendsten: „Die Maus bestattet den Kater“1789 aus dem frühen 18. Jh., wohl eine Satire auf Zar
1785
1786
1787
1788
1789
Rosenfeld, Das deutsche Bildgedicht, a.a.O., S. 39: „Die Betrachtung der Grundhaltung der Bildergedichte zeigt deutlich, dass die Typen der mittelalterlichen Tituli und des allegorisierenden griechischen Epigramms sich in den Bilderbogen in ihrer Eigenart erhielten oder organisch fortentwickelt wurden. Der Unterschied zum Mittelalter aber liegt augenfällig darin, dass mit der weltanschaulichen und kunsttechnischen Renaissance die Priorität der Dichtung erschüttert wird und das Schwergewicht sich zugunsten solcher Bildergedichte verlagert, die eine bildliche Darstellung, d. h. die Ausprägung eines Stoffes in bildkünstlerische individuelle Form, nachträglich dichterisch auswerten.“ Vgl. auch Rosenfeld, Die Rolle des Bilderbogens in der deutschen Volkskultur. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde. Regensburg 1955, S. 79 ff. Vgl. auch: Alltag, Klatsch und Weltgeschehen. Neuruppiner Bilderbogen – Ein Massenmedium des 19. Jahrhunderts. Hg. Stefan Brakensiek/Regine Krull/Irina Rockel. Bielefeld 1993 u. Die Schwiegermutter und das Krokodil, a.a.O. Abb. in: http://www.bistumsmuseen-regensburg.de/html/ausstellungen_albertus. htm und in: Genoveva Nitz, Albertus Magnus in der Volkkunst. Die AlbertiTafeln. München 1980. Der russische Volksbilderbogen. Einführung Irina Danilowa. Dresden 1962; Lubok. Der russische Volksbilderbogen. Hg. Wolfgang Till. München 1985; Wulfhild Ziel, Der russische Volksbilderbogen in Bild und Text, ein kultur- und kunsthistorisches Intermedium. Frankfurt 1999. „Diese Bezeichnung hat sich nach Meinung einiger Fachleute daher gebildet, dass die Lubok-Hausierer diese Bildchen, die bis in die entlegensten Winkel des vorrevolutionären Russland gelangten, in Tragkörben aus Lubok, aus Lindenrinde, umhertrugen.“ (Der russische Volkbilderbogen, a.a.O., S. 5). Text im Bild hat eine lange Tradition in Russland, die sich bis zur Ikonenmalerei zurückverfolgen lässt, vgl. Günter Hirt/Sascha Wonders, Legenden, die nicht enden. In: Schreibheft 42, Essen 1993, S. 35 ff. und Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat. Hg. Günter Hirt/ Sascha Wonders. Bremen 1998, S. 8 ff. Abb. in: Der russische Volksbilderbogen, a.a.O., Abb. 180 S. 19. Farbige Abb. zusammen mit einer umfangreich bebilderten Information und Bibliografie zum
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Abb. 180: Die Maus bestattet den Kater, Lubok frühes 18. Jh.
Peter I., der als Kater von den Mäusen zu Grabe getragen wird, die aber bis heute keine gültige Deutung1790 erfahren hat. Dabei handelt es sich um einen der wenigen Luboks, die intensiv eine Vermischung und nicht nur ein illustrierend-erklärendes Nebeneinander von Text und Bild aufweisen, die allerdings wieder auf andere Weise synkretistichen Charakter erhalten: „Der russische Kulturwissenschaftler Jurij Lotman hebt in seinen Studien zum !Lubok" besonders dessen synkretistischen Charakter hervor. Die Rezeption dieser Druckblätter und Alben, die auch auf öffentlichen Plätzen (Jahrmärkten, Volksbelustigungen) von !Vorlesern" theatralisch vorgetragen wurden, bildet eine Einheit aus körperlicher (szenischer) Gestik, visueller Wahrnehmung und akustischer Performance. Text und Bild stehen nicht in einem Verhältnis wie Buch und Illustration (für die !Lektüre"), der Text, der die Bilder begleitet, ist vielmehr mit der Szenen- oder Regieanweisung für
1790
Lubok von Alexander Bogulawski (1999): http://www.rollins.edu/Foreign_Lang/ Russian/Lubok/lubok.html. Wulfhild Ziel, Zum Funktionswandel von „Bild und Text“ des russischen Volksbilderbogens – von Karion Istomin bis D. A. Rovinskij, ca. 300 Jahre. In: Bild und Text. Hg. Leander Petzold. Frankfurt 1995, S. 249 (= Beiträge zur europäischen Ethnologie und Folklore, B/5).
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Visuelle Poesie
ein reales oder imaginiertes Mitspielen der dargestellten Szenen zu vergleichen.“1791 Eine Mischung zwischen Plakat, Volksbilderbogen, Zeitungskarikatur und Comic-Strip waren die ROSTA-Fenster1792, deren erstes im September 1919 in Moskau entstand. Sie wurden von der Russischen Telegraphenagentur (ROSTA) und vom Hauptkomitee für politische Aufklärung in Auftrag gegeben und bis 1922 unter der Leitung von Majakowski hergestellt1793. Diese oft mehrere Meter großen „Fenster“ wurden in öffentlichen Gebäuden zum Zweck der Agitation und Propaganda angebracht. Wieder komplizierter und kryptischer sind spätere Kunst-Blätter wie z. B. der Neuruppiner Bilderbogen „Der breite und der schmale Weg, die weite und die enge Pforte; Math. Cp. 7 v. 13 14“1794, ein Erbauungs- und Ermahnungsbild über die beiden Wege in die Hölle und in die Glückseligkeit um 1860, oder die großformatigen Farbblätter von Henry Dunant (1828–1910), die 1890 entstanden: „Diagramme symbolique chronologique de quelques Prophéties des Saintes-Escritures par un Chrétien Suisse“, auf denen Dunant sein religions-philosophisches System in Form einer prophetisch-apokalyptischen Geschichtsschau darstellte.1795
1791 1792
1793 1794
1795
Günter Hirt/Sascha Wonders, Legenden, die nicht enden, a.a.O., S. 39. pictogramme, a.a.O., S. 44 f. u. 72 f., sowie: Szymon Bojko, Rot schlägt Weiß. Die Neue Grafik und das Design der Russischen Revolution. München 1975, S. 68 ff. Renate Kummer, Nicht mit Gewehren, sondern mit Plakaten wurde der Feind geschlagen! Eine semiotisch-linguistische Analyse der Agitationsplakate der russischen Telegrafenagentur ROSTA. Bern/Berlin u. a. 2006. Siehe auch Abb. 276 und weitere Abb. in: Wladimir Majakowski, Ausgewählte Werke. Hg. Leonhard Kossuth. Bd. 1. Berlin 1966, Abb. 14, 15, 18, 79. Mayakovsky: Twenty Years of Work, a.a.O., S. 28. Abb. u. Kommentar in: Glauben. Nordelbiens Schätze 800–2000. Hg. Johannes Schilling. Neumünster 2000, S. 139f u. 233. Abb. 181 und Kommentar in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, a.a.O., S. 200 ff.
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Abb. 181: Henry Dunant, Diagramme (…) , 1890
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Visuelle Poesie
ut pictura poesis Nachdem also auf vielfältige Art jene Annäherung und schließlich ein Neben- und Ineinander der Künste erfolgte, die Grenzen der Malerei und Dichtung sich zu weiten begannen, so dass Winckelmann in seinen „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ 1755 feststellen konnte: „Es scheint nicht widersprechend, dass die Malerei ebenso weite Grenzen als die Dichtkunst haben könne, und dass es folglich dem Maler möglich sei, dem Dichter zu folgen, wie es die Musik imstande ist zu tun.“1796, widersprach Lessing, beeinflusst von Jean-Baptiste Dubos1797, mit seinem „Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie“(1766). Sein Versuch einer Grenzziehung1798 gründet im XVI. Kapitel auf der These: „Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren, aufeinander-folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen.“1799
1796
1797 1798
1799
Johann Joachim Winckelmann, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. Sendschreiben. Erläuterung. Hg. Ludwig Uhlig. Stuttgart 1969/ 2003, S. 99. Jean-Baptiste Du Bos, Reflexions sur la poésie et la peinture. Paris 1719. Die außer von Du Bos auch schon von Jonathan Richardson (An Essay on the Theory of Painting. London 1715), James Harris (Three Treatises. Second Treatise, concerning music, painting and poetry. London 1744), Denis Diderot (Lettre sur les sourds et les muets à l’usage deceux qui extendent et qui parlent. Paris 1751), Edmund Burke (A Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and the Beautiful. London 1757) und Daniel Webb (Remarks on the Beauties of Poetry. London 1762) vorgenommen wurden. Vgl. zum Wettstreit der Künste (Paragone): Hans Christoph Buch, Ut Pictura Poesis. Die Beschreibungsliteratur und ihre Kritiker von Lessing bis Lukács. München 1972, S. 10 ff. Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie. Stuttgart 1864/2003, S. 114. Dazu: Monika Schrader, Laokoon – „eine vollkommene Regel der Kunst“. Ästhetische Theorien der Heuristik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts: Winckelmann, (Mendelssohn), Lessing, Herder, Schiller, Goethe. Hildesheim 2005 (= Europa Memoria, Reihe 1: Studien Bd. 42).
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Lessing betrachtete die Malerei als eine Kunst der Fläche, des Raumes, in dem Bildelemente und Farben nebeneinander angeordnet sind, wo hingegen die Poesie Elemente in ihrem zeitlichen Ablauf, also Handlung darzustellen vermag. Insofern wird die strikte Trennung der Künste nicht nur durch die unterschiedlichen Mittel bestimmt, sondern auch durch das ungleich größere Vermögen der Poesie in zeitlichen Abläufen Entwicklungen von Zuständen und Ereignissen zu verfolgen, während die Malerei aus einem Zeitkontinuum lediglich einen Moment herausgreifen und gleichsam eingefroren zum Ausdruck bringen kann. Die sich daraus ableitende Vorrangstellung der Poesie gegenüber den anderen Künsten findet sich dann in den „Vorlesungen über die Ästhetik“1800 bei Hegel und später in der „Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen“ von Friedrich Theodor Vischer: „Die Poesie ist die Kunst der Künste“.1801 In der Vorrede zum „Laokoon“ schrieb Lessing: „Die blendende Antithese des griechischen Voltaire, dass die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei, stand wohl in keinem Lehrbuche. Es war ein Einfall, wie Simonides mehrere hatte; dessen wahrer Teil so einleuchtend ist, dass man das Unbestimmte und Falsche, welches er mit sich führet, übersehen zu müssen glaubet.“1802 Mit diesem Rückbezug verweist Lessing ausdrücklich auf die Geschichte einer Auffassung, die zu dem bekannten „ut pictura poesis“–Vergleich des Horaz1803 führte und – nach gelegentlichen Wiederaufnahmen1804 – insbesondere in der italienischen Renaissance des 16. Jahrhunderts z.B. von Gauricus1805, Dolce1806,
1800 1801
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1804
1805 1806
Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik. I, a.a.O., S. 149 ff. Vischer, Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Reutlingen 1846–57, Bd. 6., S. 262. Lessing, Laokoon, a.a.O., S. 4. Lit. zu ut pictura poesis in: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 332, vgl. Anm. 1644. So bei Lukian (120–180 n. Chr.), der in den „Eikones“ Homer als Maler bezeichnete. Vgl. den Hinweis bei Weisstein in der Einleitung zu „Literatur und bildende Kunst“, a.a.O., S. 12 oder später bei Leon Battista Alberti, De pictura (1435), Della pittura. Florenz 1936: „For their own enjoyment artists should associate with poets and orators who have many embellishments in common with painters“ (Alberti, On Painting. Hg. J. R. Spencer. New Haven/London 1966, S. 90 ff.). Pomponius Gauricus, Super arte poetica Horatii, Rom 1541. Lodovico Dolce, Dialogo della pittura, Venedig 1557.
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Visuelle Poesie
da Vinci1807, Lomazzo1808 und Comanini1809 neu belebt wurde. War es hier noch eine Nähe der Künste zueinander, wurde im Barock bereits von der Verschwisterung der Künste gesprochen, was schon auf dem Weg dahin in der Bezeichnung für das Emblem als „Gemälpoesy“1810 und später „Sinnbild“1811 erkennbar war. Anknüpfend an Simonides äußerte sich Harsdörffer im Dritten Theil des „Poetischen Trichter“ (1653): „Es wird die Poeterey ein redendes Gemaehl/ das Gemaehl aber eine stumme Poeterey genennet/ nicht nur wegen der Freyheit dieser verbruederten und verschwesterten Kunste/ indem wir nach beliebten Einfaellen/ Reden im Gemaehl und Mahlen in der Rede; sondern auch wegen der Bilder welche mit Kunstartiger Zierlichkeit dardurch vorstellig gemacht werden/“1812 oder im Fünften Theil der „Frauenzimmer Ge1807
1808
1809 1810
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Leonardo da Vinci, Il Paragone (ca. 1500–1505). „Die Malerei ist eine stumme Dichtung und die Poesie ist eine blinde Malerei. Die Malerei ist eine Poesie, die man sieht und nicht hört, die Poesie ist eine Malerei, die man hört und nicht sieht. Diese beiden !Poesien" oder, wenn du willst, diese beiden !Malereien" haben die Sinne ausgetauscht.“(Leonardo da Vinci, Der Paragone. Der Wettstreit der Künste. Düsseldorf 1948, S. 22). Giovanni Paolo Lomazzo, Trattato dell’arte della pittura, scoltura, et architectura. Mailand 1585: A Tracte Containing the Artes of Curious Paintinge Caruinge & Buildinge. Oxford 1598, S. 2: „Painting is an instrument vnder which the treasury of memory is contained, in somuch as writing is nothing else, but a picture of white and black.“ Gregorio Comanini, Il figino overe del fine della pittura (1591). Holtzwart, Mathias (1540-nach 1589): Emblematum Tyrocinia: Sive Picta Poesis latinogermanica: Das ist Eingeblümete Zierwerck, oder Gemälpoesy Innhaltend Allerhand Geheymnuß Lehren, durch Kunstfündige Gemäl angepracht, und Poetisch erkläret … Sampt eyner Vorred von Ursprung, Gebrauch und Nutz der Emblematen. – Nun erstmals inn Truck kommen. – Straßburg: Jobin, 1581 Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., „Vorrede an den Kunstliebenden Leser II. Von den Bildereyen“, o. P. Auch der Begriff des „Denkbildes“ bei Johann Gottfried Herder knüpft in gewisser an diese Tradition an: J. G. Herder, Älteste Urkunde des Menschengeschlechts (1774–1776) spricht in der sprachphilosophischen Auseinandersetzung zur Schöpfungsgeschichte vom „Denkbild der Schöpfungshieroglyphe“. Vgl. auch: Britta Leifeld, Das Denkbild bei Walter Benjamin. Die unsagbare Moderne als denkbares Bild. Frankfurt 2000, sowie Denken als Bildprozeß. Vorstellungsart und Denkbild um 1800. In: Bildersturm und Bilderflut um 1800. Zur schwierigen Anschaulichkeit der Moderne. Hg. Helmut J. Schneider/Ralf Simon/Thomas Wirtz. Bielefeld 2001. Georg Philipp Harsdörffer, Poetischer Trichter. Darmstadt 1969, reprografischer Nachdruck der Originalausgabe: Dritter Theil (1653), X. Von den Bildereyen, S. 101. Siehe auch in Georg Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele, IV. Teil, Tübingen 1968, S. 135 u. VI. Teil, Tübingen 1969, S. 562 die Anspielungen auf Simonides.
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sprächspiele“ (1645): „Es sol der Mahler ein Poet/ oder der Poet ein Mahler seyn/ wo nicht mit dem Pinsel/ jedoch mit der Feder: Stehet aber beides wol beysammen/ dieses hilfft jenem, jenes diesem.“1813 So gab es von Opitz1814 bis Bodmer1815 eine Fülle gleichlautender Formulierungen1816, die bis in die Aufklärung hinein Ausdruck einer Poetik waren, die in Winckelmanns „Gedanken“ wiederkehrten und Lessings umfangreiche Streitschrift herausforderte. Die Position Lessings wurde dann aber angesichts der Entwicklung der romantischen Kunstauffassung, die eine Vereinigung der Künste in einem Kunstwerk und eine Universalpoesie propagierte, überholt, obwohl Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ noch berichtete: „Man muss Jüngling sein, um sich zu vergegenwärtigen, welche Wirkung Lessings !Laokoon" auf uns ausübte, indem dieses Werk uns aus der Region eines kümmerlichen Anschauens in die freien Gefilde des Gedankens hinriß. Das so lange missverstandene1817 ut pictura poesis war auf einmal beseitigt, der Unterschied der bildenden und Redekünste klar, die Gipfel beider erschienen nun getrennt, wie nah ihre Basen auch zusammenstoßen mochten.“1818 1813
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Harsdörffer, Frauenzimmer Gesprächspiele, V. Teil, Tübingen 1969, S. 185, sowie zahlreiche weitere Beleg in allen 6 Teilen. Vgl. auch Sigmund von Birken, Teutsche Red- bind und Dicht-Kunst/ oder kurze Anweisung zur Teutschen Poesy/ Geistlichen Exempeln. Das VII Redstuck. Nürnberg 1679, S. 73 f.: „Die Poesy und Mahlerei sind gleichsam Zwilling-Geschwistere/ und in vielem einander gleich.“ Martin Opitz, Buch von der Deutschen Poeterey (1624). Tübingen 1963, S. 10. Johann Jacob Bodmer, Critische Betrachtungen über die Poetischen Gemählde der Dichter. Zürich 1741. Z. B. Charles Alphonse Du Fresnoy, De arte graphica (1656). Paris 1667; Johann Jacob Breitinger, Critische Dichtkunst. Fortsetzung der Critischen Dichtkunst. 2 Bde (1740). Stuttgart 1966. Kranz verweist auf ein Mißverständnis der Stelle bei Horaz: „Ut pictura poesis meint im Kontext des Horaz etwas anderes. Horaz verlangt hier nicht, ein Gedicht habe wie ein Gemälde zu sein. Er stellt lediglich fest, daß einige Bilder in einer Galerie nur auf Entfernung und im Schatten wirken, andere dagegen genaue Betrachtung aus der Nähe im vollen Licht vertragen; so sei es auch mit Gedichten. Der Vergleich des Horaz stellt also keine Forderung für das künstlerische Schaffen auf, sondern trifft eine Feststellung über die Wirkung von Kunstwerken. Aus dem Zusammenhang des Textes herausgerissen, mußte diese Formel vom 16. bis zum 18. Jh. dazu herhalten, die Unterschiede zwischen den Künsten verwischen zu helfen.“ (Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O., Bd. 1, S. 27 f.) Dichtung und Wahrheit (1811 f.), 2. Teil, 8. Buch. In: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe. Bd. 9. München 1981, S. 316. Immerhin erkannte Goethe das „Zusammenstoßen“, und weitere Äußerungen belegen dies, vgl. Anm. 46.
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Doch schon Sulzer stellte fest: „Man hat aber Kunstwerke ausgedacht, in welchen zwey oder alle drey Gattungen vereinigt werden. Im Tanz vereinigen sich die Künste, die durch Aug und Ohr zugleich rühren; in dem Gesange vereinigen sich die redenden Künste mit der Musik, und in dem Schauspiele können sogar alle zugleich würken (…) so wird man begreifen wie unwiederstehlich die Gemüther der Menschen durch ein Schauspiehl könnten hingerissen werden, in welchem die einzelnen Kräfte der verschiedenen schönen Künste so genau vereiniget sind.“1819 Und auch Schiller beklagte, dass die Grenzen der Künste sich zu verengen drohten je mehr die Wissenschaft sich erweitern würde1820 und räumte die Verwandtschaft der Poesie mit der bildenden Kunst ein.1821 In der Romantik war es vor allem Novalis, der – Lessing versteckt kritisierend1822 – die Vision entwickelte: „Das wird die goldne Zeit sein, wenn alle Worte – Figurenworte – Mythen – und alle Figuren – Sprachfiguren – Hieroglyphen sein werden – wenn man Figuren sprechen und schreiben – und Worte vollkommen plastisieren, und musizieren lernt.“1823 Und in den Fragmentsammlungen gibt es viele Hinweise, die darüber hinausgehend schon die Vorstellung von einem Gesamtkunstwerk formulierten: „Eine Oper, ein Ballett sind in der Tat plastisch poetische Konzerte, gemeinschaftliche Kunstwerke mehrerer plastischer Instrumente.“1824 Zur gleichen Zeit untermauert dies Friedrich Schlegel: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist 1819
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Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste. 4 Bde Leipzig 1771–1774, Stichwort: „Künste – Theorie der Sinnlichkeit“ (http://www.textlog.de/ 7476.html) und „Oper – Schaubühne, Kostüme, Schauspiel“ (http://www.textlog.de/7462.html). Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen (1793/94), zuerst gedruckt in den „Horen“ 1795, 2. Brief (http://www.wissen-im-netz.info/literatur/schiller/prosa/aesterzieh/02.htm). Friedrich Schiller, Über naive und sentimentalische Dichtung (1795) im Kapitel „Elegische Dichtung“ Anm. 4 (http://www.wissen-im-netz.info/literatur/ schiller/prosa/25–04.htm). Novalis Gesammelte Werke, a.a.O., Nr. 34, S. 457: „!Poeticismen. Lessings Prosa fehlt’s oft an hieroglyphischem Zusatz"“. Novalis, Freiberger Naturwissenschaftliche Studien (1798/99) in: Novalis, Werke. Hg. Gerhard Schulz. München 1969, S. 437. Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 404. Vgl. dort auch die Hinweise Nr. 207 S. 405, Nr. 224 S. 407, Nr. 15 S. 453, Nr. 49 S. 459, Nr. 56 S. 460, Nr. 62 S. 461, Nr. 379 S. 491, Nr. 772 S. 550.
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nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen (…) Sie umfasst alles, was nur poetisch ist, vom größten, wieder mehrere Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst bis zu dem Seufzer, dem Kuß, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosem Gesang (…) Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, dass die Willkür des Dichters kein Gesetz über sich leide (…) Wie Simonides die Poesie eine redende Malerei und die Malerei eine stumme Poesie nannte (…) Wie übel verfährt selbst Lessing mit jenem schönen Wort des geistvollen Griechen, der vielleicht keine Gelegenheit hatte, an descriptive poetry zu denken, und dem es sehr überflüssig scheinen musste, daran zu erinnern, dass die Poesie auch eine geistige Musik sei, da er keine Vorstellung davon hatte, dass beide Künste getrennt sein könnten.“1825 Schlegel eröffnete damit den philosophischen Diskurs, der sich von August Wilhelm Schlegel1826 über Schelling1827 bis Humboldt1828 verfolgen lässt und die ästhetischen Absichten der Maler wie
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Friedrich Schlegel, Athenäums-Fragmente und andere Schriften. Hg. Andreas Huyssen. Stuttgart 1978, S. 90 (1798). August Wilhelm Schlegel, Die Gemählde. Gespräch (1799). Hg. Lothar Müller. Dresden 1996, S. 20 „Und so sollte man die Künste einander nähern und Uebergänge aus einer in die andre suchen. Bildsäulen beleben sich vielleicht zu Gemählden (…) Gemählde würden zu Gedichten, Gedichte zu Musiken.“ Siehe auch: August Wilhelm Schlegel, Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801–1804). In: Deutsche Litteraturdenkmale des 18. u. 19. Jahrhunderts. Hg. Jacob Minor. Bd. 17. Heilbronn 1884, S. 116. F. W. J. Schelling, Philosophie der Kunst (1802). Darmstadt 1976, S. 380: „Ich bemerke nur noch, dass die vollkommenste Zusammensetzung aller Künste, die Vereinigung von Poesie und Musik durch Gesang, von Poesie und Malerei durch Tanz, selbst wieder synthesirt die componirsteste Theatererscheinung ist, dergleichen das Drama des Alterthums war, wovon uns nur eine Karikatur, die Oper geblieben ist, die in höherem und edlerem Styl von Seiten der Poesie sowohl als der übrigen concurrirenden Künste uns am ehesten zur Aufführung des alten mit Musik und Gesang verbundenen Dramas zurückführen könnte.“ Humboldt, Ueber die Buchstabenschrift und Ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. Vortrag vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 20. Mai 1824, in: Sonderdruck: Galerie Der Spiegel, Köln 1965, S. 31 „Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist.“
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Runge oder der Poeten wie Brentano1829, Hölderlin1830, Jean Paul1831, oder E. T. A. Hoffmann1832 begründete.1833 Gleichsam als Spiegel dieses Diskurses könnte William Blakes Textbild „Laocoön“ aus dem Jahr 1826 gelten, in dem auf kunstvolle Weise ein Text, den Umrissen der Laokoon-Gruppe folgend und in allen Richtungen des Blattes sich ausbreitend, kritisch das Verhältnis von Geld, Religion und Gesellschaft zur Kunst beschreibt.1834 Sulzers Vision von der Vereinigung der Künste im Schauspiel, Novalis’ Kennzeichnung der Oper als „plastisch poetisches Konzert“ und E. T. A. Hoffmans Vorstellung von einem „Totaleffekt“ im Theater waren schließlich die Vorboten für das, was selbst der späte Goethe in gewisser Weise zuließ: „Da ist Poesie, da ist Malerei, da ist Gesang und Musik, da ist Schauspielkunst, und was noch alles! Wenn alle diese Künste und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend, und zwar auf bedeutender Stufe, zusammenwirken, so gibt es ein Fest, das mit keinem andern zu vergleichen.“1835 Es ist das Zusammenwirken der Künste mit dem Ziel ein neues, vollkommeneres Kunstwerk zu schaffen, als es im Vermögen der Begrenztheit der Einzelkünste liegt, nicht nur als Nebeneinander, sondern durchaus als eine Art Synthese, was – von Schel1829 1830
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Brentano, Werke. Hg. Friedhelm Kemp. II. Bd. Darmstadt 1963, S. 1039. Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Hg. Friedrich Beissner. Stuttgart 1946–1962, Bd. 4, S. 273: „Mischung der Dichtarten“, siehe auch S. 285. Jean Paul, Vorschule der Ästhetik. Hamburg 1804, S. 581, spricht von der „Bildlichkeit“ der Poesie. E. T. A. Hoffmann, Fantasie und Nachtstücke (1817). Hg. Walter Müller-Seidel. München 1960, S. 58, spricht von den vereinigten Künsten und dem anzustrebenden !Totaleffekt" im Theater. Allerdings darf auch nicht verschwiegen werden, daß Ludwig Tieck dagegen in „Franz Sternbalds Wanderungen“ schrieb: „Jegliche Kunst hat ihr eigentümliches Gebiet, ihre Grenzen, über die sie nicht hinausschreiten darf, ohne sich zu versündigen. So die Poesie, Musik, Skulptur und Malerei. Keiner muß in das Gebiet des andern streifen, jeder Künstler muß seine Heimat kennen.“ (Tieck, Franz Sternbalds Wanderungen (1798). In: Kürschners Deutsche National-Literatur, 145. Bd.: Tieck und Wackenroder. Hg. Jacob Minor, S. 404). Und noch um die Jahrhundertwende gibt es Stimmen wie: Otto von Leixner, Ästhetische Studien für die Frauenwelt. Leipzig 1901, S. 208 f.: „Nach unserer Ansicht ist eine Verbindung aller Künste für jede einzelne derselben nicht von Vortheil (…) Mit diesen Bemerkungen soll aber durchaus nicht behauptet werden, dass die Verbindung einzelner Künste kunstwidrig sei.“ William Blake, The Complete Illuminated Books. London 2000, Abb. 182 S. 403. Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. 1823–1832. Berlin 1956, S. 173 (Eintragung: 22. 3. 1825).
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Abb. 182: William Blake, Laocoön, 1826
ling bereits angesprochen – von Richard Wagner als Ideal gesehen wurde: „Jede Einzelkunst kann heutzutage nichts Neues mehr erfinden, und zwar nicht nur die bildende Kunst allein, sondern die Tanzkunst, Instrumentalkunst und Dichtkunst nicht minder. Nun haben sie alle ihre höchste Fähigkeit entwickelt, um im Gesamtkunstwerk, im Drama, stets neu wieder erfinden zu können, d. h. aber nicht einzeln an sich al-
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lein, sondern eben nur in der Darstellung des Lebens, des immer neuen Gegenstandes.“1836 Die Vorstellung von einem vollkommenen Kunstwerk fand bei den Künstlern der Jahrhundertwende schließlich eine Entsprechung1837 in dem, was Kandinsky als „monumentale Kunst“1838 bezeichnete. Er sah sie allerdings noch keineswegs erreicht und sprach auch nur von einer Vorahnung dessen, was einmal verwirklicht werden könnte. Und so sind auch seine Überlegungen zu einer „synthetischen Kunst“ gekennzeichnet nicht nur von der Zusammenführung, sondern von einer viel stärkeren Vermischung der einzelnen Künste: „Es sind schon vier Jahre her, dass ich versuchte, die Anfänge einer Synthese in der Kunst sichtbar zu machen. Wenn uns eine tiefere Prüfung der Künste zeigt, dass jede einzelne eigene Mittel verwendet, um sich auszudrücken, so zeigt eine solche Prüfung gleichzeitig die Verwandtschaft auf, die zwischen allen Künsten – in dem, was ihre ursprünglichen Absichten betrifft – besteht. Jede Kunst besitzt ihre persönlichen Kräfte, und es ist unmöglich, die Mittel der einen bei einer anderen anzuwenden, auf eine andere zu übertragen, beispielsweise von der Malerei auf die Musik. Aber wenn man im selben Werk die Mittel verschiedener Künste anwendet, kommt man zur monumentalen Kunst.“1839
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Richard Wagner, Das Künstlertum der Zukunft (1849), in: Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen. Leipzig 1911, S. 270. Vgl. auch die Äußerungen im „Kunstwerk der Zukunft“ der Zürcher Schriften (1850–1855). „Mallarmé träumt von der Verschmelzung der Musik, der Dichtung und der Malerei zu einer einzigen Symphonie von Worten, Vorstellungen, Farben und Tönen. Camille Mauclair (in der Revue bleu – d. i. Revue bleue, revue politique et littéraire. Paris – 1902) erwägt die Möglichkeit, diese Synthese zu verwirklichen.“ (in: Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 95). Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst. Bern 1952, S. 56, geschrieben 1910, zuerst veröffentlicht 1912. Wassily Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler. Hg. Max Bill. Bern 1955/1973, S. 163, zuerst 1935 veröffentlicht in dem Essay „Die Kunst von heute ist lebendiger denn je“, vgl. ähnliche Bemerkungen (a.a.O., S. 102) in: „Und. Einiges über synthetische Kunst“, zuerst veröffentlicht 1927. Vgl. dazu auch: Konrad Wünsche, Bauhaus. Versuche, das Leben zu ordnen. Berlin 1989, S. 88 mit dem Hinweis auf die synthetische Bildung und den Beitrag von Gertrud Grunow, Der Aufbau der lebendigen Form durch Farbe, Form, Ton. In: Staatliches Bauhaus Weimar 1919–1923. Weimar 1923, S. 19 ff. Umfangreicher: Cornelius Steckner, Zur Ästhetik des Bauhauses. Ein Beitrag zur Erforschung synästhetischer Grundsätze und Elementarbeziehungen am Bauhaus. Stuttgart 1985 und Hajo Duechting, Farbe am Bauhaus. Synthese und Synästhesie. Berlin 1996.
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Es handelte sich also nicht mehr nur um Anleihen, die die Schwesterkünste wechselseitig betrieben1840 oder um die endgültige Umsetzung der Erkenntnis des Simonides1841, sondern der Umbruch, der um die Jahrhundertwende stattfand, zudem befördert durch die Erfahrungen und Erkenntnisse der englischen Praeraffaeliten1842 und des französischen Symbolismus1843 sowie durch das Bewusstsein für Synästhesie1844, 1840
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Velde, Allgemeine Bemerkungen zu einer Synthese der Kunst (1895). In: Henry van de Velde, Zum neuen Stil. Hg. Hans Curjel. München 1955, S. 42: „Die bildenden Künste haben ihr Ziel geändert und machen Anleihen bei ihrer Schwesterkunst, der Poesie.“ Johann Leonhard Frisch, Die entdeckte und verworffene Unsauberkeit der falschen Dicht- und Reim-Kunst. In einem einfältigen Schulspiel vorgestellet. Berlin 1700. In: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, H. 26, Berlin 1890, S. 36 f.: „Wer Dicht- und Mahlerkunst so nah vereinigt findet/ Und nennt sie Leib und Seel, der hat nicht weit gefehlt./ Sonst sind sie, wann man sie zu einer Gleichheit bindet,/ Ein schweigendes Gedicht, ein redendes Gemähld./ (…) Ein solches Mahlen muß ein rechter Dichter können/ Nicht eine Verß-Figur von Schreiber-Hand gemacht.“ Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit (1927ff.). München o. J., S. 1193: „Das Ideal der Schule war der Painter-Poet, was aber nicht bloß äußerlich gemeint war: man verlangte vom Künstler nicht nur, dass er sowohl Maler wie Dichter, sondern auch, dass er beides in demselben Werk sei. Jede Dichtung sollte eine Farbensymphonie sein und jedes Gemälde ein poetisches Manifest. Dazu kam noch, dass fast allen präraffaelitischen Schöpfungen eine hohe Musikalität eignet. Im Grunde war es die alte romantische Forderung nach der Vermischung aller Künste.“ Und Teige, Manifest des Poetismus (1928), a.a.O., S. 79f.: „Der Dichter des Wesentlichen (Mallarmé), der Meister der Verkürzung und des elliptischen Stils, der Mathematiker des Wortes träumt (als Erbe Poes) ebenfalls von der Verschmelzung der Musik, der Dichtung und der Malerei: diese Sehnsucht nach der Fusion der einzelnen Künste, die von Baudelaire geweckt wurde, lebt auch in Mallarmés Werk weiter und ist das unerreichbare, absolute Ideal der Symbolisten.“ Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit (1927 ff.). München o. J., S. 1468 f.: „Eine der charakteristischsten Besonderheiten der Symbolisten war ihre literarische Verwertung der Synästhesien oder Sinnesvermischungen: des Hörens von Farben, Sehens von Tönen, Schmeckens von Gerüchen. Sie wurden mit Spott überschüttet, wobei man vergaß, dass sie nur konsequent ausgestalteten, was längst in der Kunst wie in der Wissenschaft anerkannt war; denn immer schon hatte man von Farbtönen, Klangfarben und dergleichen gesprochen, und seit Jahrzehnten hatte die Experimentalpsychologie beobachtet, dass wir niemals eine einzelne Art von Sinneseindruck aufnehmen, sondern immer mehrere miteinander, durcheinander, gegeneinander.“ Arthur Rimbaud, Une saison en enfer (1873): „Ich erfand die Farbe der Vokale! – A schwarz, E weiß, I rot, O blau, U grün. – Ich bestimmte Form und Bewegung jedes Konsonanten, und mit Hilfe triebhafter Rhythmen schmeichelte ich mir, eine poetische Sprache zu erfinden, die, früher oder später, allen Sinnen zugäng-
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führte – in letzter Konsequenz auch unter Überwindung der Idealvorstellung von einem monumentalen Kunstwerk – zu einem Gattungsverständnis, das geprägt war, von dem neuen Selbstverständnis von Künstler und Kunstwerk. So bilanzierte schon früh Benedetto Croce kritisch: „Aber die Konfusion des Physischen und des Ästhetischen hat ihren Höhepunkt erreicht, als man sich einbildete, dass es ästhetische Theorien der einzelnen Künste geben könnte, und auf die Frage zu antworten versuchte: Welches sind die Grenzen jeder Kunst? (…) Die sogenannten !Künste" haben keine ästhetischen Grenzen, weil sie, um solche Grenzen zu haben, eine ästhetische Existenz haben müssten (…) Wenn sie keine Grenzen haben, lassen sie sich auch nicht genau determinieren und sind daher nicht klassifizierbar (…) Die Lehre von den Grenzen der Künste war vielleicht zur Zeit, in der sie aufkam, eine wohltätige kritische Reaktion gegen jene, die das Umgießen eines Ausdrucks in einen anderen für möglich hielten, wie etwa das der Ilias oder des Verlorenen Paradieses in eine Reihe von Bildern; Leute, die den höheren oder geringeren Wert einer Dichtung danach beurteilen wollten, ob sie sich von einem Maler in Gemälde umsetzen ließ oder nicht (…) Mit der Lehre von den Künsten und ihren Grenzen fällt auch die von der Vereinigung der Künste. Sobald einzelne und begrenzte Künste gegeben waren, entstanden die Fragen: Welche Kunst ist die !mächtigste"? Und müssen sich nicht, wenn man mehrere Künste vereinigt, noch !mächtigere" Wirkungen erzielen lassen? (…) Es gibt künstlerische Anschauungen, die zu ihrer vollständigen Veräußerlichung der Worte, des Gesanges, der musikalischen Instrumente, der Farben, der Plastik, der Architektur und der Schauspieler bedürfen; und es gibt andere, die mit einem Umriß mit der Feder oder wenigen Bleistiftstrichen vollendet sind. Aber falsch ist, daß die Deklamation und der szenische Apparat oder alle jene anderen Dinge, die wir genannt haben, zusammen !mächtiger" seien.“1845 Es ging also nicht mehr um die Frage einer wechselseitigen Beförderung oder Addition1846 zum Zweck eines qualitativ über die Einzelkunst
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lich sein würde.“ (Rimbaud, Sämtliche Dichtungen. Hg. Walther Küchler. Heidelberg 1982, S. 299); Victor Segalen, Les Synethésies et l’école symboliste. In: Mercure de France 42, Paris 1902, S. 57 ff., als Buch unter gleichem Titel: Montpellier 1981. Benedetto Croce, Aesthetik als Wissenschaft des Ausdrucks und allgemeine Linguistik. Theorie und Geschichte. Leipzig 1905, S. 109 f. (der Hauptteil wurde bereits 1900 geschrieben). Raoul Hausmann, Typografie (1932). In: Hausmann, Retrospektive. Hannover 1981, S. 58 f.: „Es wurde bereits damals (1919) erkannt, daß das gesteigerte Bedürf-
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hinausweisenden Gesamtkunstwerks, sondern um das Entstehen neuer Ausdrucksformen, in denen sich die Eigenschaften und Ausdrucksmöglichkeiten aller Künste spiegeln konnten. Begünstigt wurden diese Versuche durch das Aufkommen der technischen Medien, später dann fortgesetzt und verstärkt durch die Entwicklung elektronischer Medien. In der von Alfred Stieglitz in New York herausgegebenen Zeitschrift „Camera Work“ erschienen seit 1910 viele Aufsätze, die sich vor dem Hintergrund des Mediums Fotografie zur Synthese in der Kunst äußerten, und Ivan Goll sah 1920 in der Erfindung des Films eine der „höchsten Forderungen der Kunst, die Synthese“, verwirklicht1847. So wurden mit diesen neuen Ausdrucksformen zugleich auch neue „künstlerische Sprachen“1848 geschaffen, einerseits aus dem Ungenügen an Verschlissenem und Verbrauchtem, andererseits aus gesellschaftspolitischem Protest oder spielerischer Neugier und Experimentierlust.1849 Und so tauchten auch für diese neuen Ausdrucksformen, oder wie es 1926 in der „Literarischen Welt“ zu lesen war, „neuen Gattungen (…) zwischen den Künsten“1850, Begriffe auf, die zugleich auf den Ursprung, auf die Symbiose der Künste zurück verwiesen. Obwohl Novalis eigent-
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nis der Zeit nach dem Bild, also der Verdoppelung eines Textes durch die optische Illustration, nicht durch einfaches Nebeneinander, sondern nur durch eine auf sprachgedankliche Grundlage zurückgreifende optische Konstruktion zu lösen war.“ „Die Umwälzung war seit langem gespürt: Futurismus, Simultanismus. Picasso in der Malerei, Stramm in der Lyrik. Ahnungen. Aber es ist mehr geschehen. Die statischen Gesetze sind umgestoßen. Der Raum, die Zeit ist überrumpelt. Die höchsten Forderungen der Kunst: die Synthese und das Spiel der Gegensätze, werden durch die Technik erst ermöglicht und erleichtert.“ (in: Kino-Debatte, a.a.O., S. 137). Das deutete schon Humboldt an, wenn er meinte: „Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist.“ (In: Humboldt, Ueber die Buchstabenschrift und Ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. Vortrag vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 20. Mai 1824 in: Sonderdruck: Galerie Der Spiegel, Köln 1965, S. 31). Alois Ulreich, in: Photographische Rundschau 21. Jg., 1907, S. 251: „Das Bild ist so zur Kurzschrift der Sprache geworden. Wo das Wort versagt, ermöglicht das Bild noch eine Verständigung.“ Frank Warschauer, Zwischen den Künsten. In: Die Literarische Welt 14, 2. Jg. Berlin 2. April 1926, S. 7: „Da entstehen die neuen Gattungen, die sich so schwer rubrizieren lassen (…) Wir müssen uns sehr hoch stellen und frei nach allen Seiten blicken. Und dürfen dies nicht übersehen – das weite Gebiet zwischen den Künsten.“
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lich schon Bezeichnungen wie „sichtbare Musik“1851, „poetische Malerei“1852, „Chiffrenschrift“1853 und „musikalische Poesie“1854 gefunden hatte, dienten diese lediglich einem besonderen Aspekt in den jeweiligen Künsten eines immer noch gültigen triadischen Gattungsschemas. Nun erweiterte sich aber das Gattungsschema aufgrund von Mitteln, die bisher unbekannt waren: „Les artifices typographiques poussés très loin une grande audace ont l’avantage de faire naître un lyrisme visuel qui était presque inconnu avant notre époque. Ces artifices peuvent aller très loin encore et consommer la synthèse des arts, de la musique, de la peinture et de la littérature.“1855 Tzaras „poème visuel“1856 und Apollinaires „lyrisme visuel“, die „Poesiographie“ von Wladyslaw Strzeminski,1857 „Pictopoezie“ von Victor Brauner und Ilarie Voronca1858, „poezo-painting“1859 von Mykhailo Semenko (1892–1937) sowie die bei Lissitzky gelegentlich auftauchende „visuelle Dichtung“1860, sind wohl die ersten 1851 1852 1853
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Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 458. Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 453. In „Die Lehrlinge zu Sais“ (1798/99) heißt es zu Beginn (1. Der Lehrling) im 2. Satz: „Figuren, die zu jener Chiffrenschrift zu gehören scheinen, die man überall, auf Flügeln, Eierschalen, in Wolken, im Schnee, in Krystallen und Steinbildungen, auf gefrierenden Wassern, im Innern und Äußern der Gebirge, der Pflanzen, der Thiere, der Menschen, in den Lichtern des Himmels, auf berührten und gestrichnen Scheiben von Pech und Glas, in den Feilspänen um den Magnet her, und sonderbaren Conjuncturen des Zufalls erblickt. In ihnen ahndet man den Schlüssel dieser Wunderschrift, die Sprachlehre derselben.“ Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 461 u. 453 („poetische Musik“). Guillaume Apollinaire, L’Esprit nouveau et les Poètes. In: Mercure de France, Nr. 491, 1. Dezember, Paris 1918, S. 386. Schon 1914 sprach Apollinaire von einer synthetisch-ideographischen Lektüre unter dem Pseudonym Gabriel Arbouin, Devant l’idéogramme d’Apollinaire. In: Les Soirées de Paris, Paris 1914, S. 383 ff. Tristan Tzara, Note pour les bourgeois. In: Cabaret Voltaire. Zürich 1916, S. 7: „En même temps Mr Apollinaire essayait un nouveau genre de poème visuel, qui est plus intéressant encore par son manque de système et par sa fantaisie tourmentée.“ (in: Dada Zürich Paris 1916 1922. Paris 1981, S. 23). Vgl. Anm. 63. Vgl. Anm. 64, Abb. 6. Abb. in: Myroslava M. Mudrak, The New Generation and Artistic Modernism in the Ukraine. Ann Arbor 1986, S. 164, 173, 174, 179 ff., alle Beispiele zwischen 1921 und 1922 entstanden. Vgl. auch: Oleh Stepan Ilnytzkyj, Ukrainian Futurism, 1914–1930: A Historical and Critical Study. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1998. El Lissitzky, Topographie der Typografie (1923). In: Lissitzky, Maler Architekt Typograph Fotograf, a.a.O. S. 364: „Die meisten Künstler montieren, das heißt sie stellen aus Photos mit den dazugehörigen Aufschriften ganze Seiten zusam-
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Hinweise auf eine Form der Optischen Poesie, die auf dem Weg zu einer Visuellen Poesie dann von Karel Teige mit Bezug auf Apollinaire als Bildgedicht1861 genauer definiert wurde. Wie er schufen Künstler, die in mehreren Künsten zuhause waren1862, mit den neuen Mitteln – die auch in der Herstellungstechnik die Mischung der Künste signalisierten – der Montage, Collage und Assemblage Arbeiten, die sich jenseits des traditionellen Kunstverständnisses bewegten.1863 Seine Voraussage, dass die Fusion von Malerei und Poesie1864 auf eine allmähliche Liquidierung der
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men, die für den Druck klischiert werden. Es bildet sich so eine Form von eindeutiger Schlagkraft heraus, die sehr einfach in der Handhabung zu sein scheint und daher leicht zu Plattheiten verführt, aber in kräftigen Händen zu dem dankbarsten Verfahren und Mittel der visuellen Dichtung wird.“ Nicht zu verwechseln mit dem Begriff des Bildgedichts, den Kranz benutzt. Wie z. B. Hans Richter oder Kurt Schwitters. Vgl. auch: Henry I. Schvey, Doppelbegabte Künstler als Seher: Oskar Kokoschka, D. H. Lawrence und William Blake. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 73 ff.: „das 20. Jahrhundert mehr Beispiele von Doppelbegabungen aufweist als irgendeine frühere Epoche.“ (S. 77). Eine Liste der Doppelbegabungen von Goethe bis in die Gegenwart (1973) bietet Kranz, Das Bildgedicht in Europa, a.a.O., S. 33 f. „Das rasche Ausgreifen collagierender und montierender Verfahren in den verschiedenen Produktionsformen der Avantgarde aber bezeugt nur noch einmal die offenen Grenzen zwischen den Künsten wie auch den Umstand, dass das Gesetz der !imitatio naturae", unter dem Lessing die Künste in ihrer Verschiedenheit doch umgriffen hatte, auf breiter Front nun zugunsten konstruktiver Betätigungen preisgegeben wurde. Es ist dieser alle Künste umfassende Umbruch von nachahmender, auf Illusionierung eines Raumes oder einer Handlung gerichteten Tätigkeit zur Erprobung der vielfältigen Bezüge und Bedeutungen aufgelesener !Gemeinplätze", in der die Materialästhetik der Avantgarde ihre besonderen, konstruktiven Möglichkeiten entfaltete.“ (Dietrich Scheunemann, Die Schriftzeichen der Maler – die Stilleben der Dichter. In: Laokoon und keine Ende, a.a.O., S. 90). Teige hat in seinem Beitrag über „Poetismus“ aus dem Jahr 1924, festgestellt, dass der Poetismus weder Literatur noch Malerei, weder -ismus noch Kunst sei, sondern vor allem ein modus vivendi, in dem „die Malerei den Weg zur Poesie angetreten“ habe, so „wie die Poesie bildnerisch wurde (im Werk Apollinaires, Marinettis und in Birots !poésie plein-air" und auch in seinen Filmen)“, und so ging die Malerei daran „mit optischen Formen zu dichten. Mit an der Fahnensprache gebildeten optischen Worten.“ (In: Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 48 f.; vgl. auch: Karel Srp, Optische Worte. Poetismus und Bildgedichte. In: Vladimír Bìrgus, Tschechische Avantgarde-Fotografie 1918–1948. Stuttgart 1999, S. 56 ff.). Im „Manifest des Poetismus“ (a.a.O., S. 70 ff.) wird ausführlich der Weg beschrieben, wie „die allmähliche Loslösung der Poesie von der Literatur (…) und gleichzeitig damit eine größere Optisierung der Poesie bis zur Fusion mit der Malerei in ein Bildgedicht“ erfolgte; vgl. Abb. 5.
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traditionellen und dichterischen Methoden hinauslaufe, findet sich nicht nur zeitnah auch bei Walter Benjamin, der als Vision eine „internationale Wandelschrift“ sah – und damit eigentlich die Idee einer global verständlichen Poesie, die Gomringer für die Konkrete Poesie propagierte, vorwegnahm1865 –, sondern noch in den 1960er Jahren bei Helmut Heißenbüttel: „Die Entwicklung der Künste im 20. Jahrhundert ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie, schubweise, Bereichen zudrängt, in denen jede Kunstart an die Grenze zur anderen gerät. Diese Grenzbereiche fördern Vermischungen1866 und bringen neue Kunsttypen hervor (…) Die Entwicklung erschöpft sich nicht in der Befolgung von bloß anonymen oder außerrationalen Impulsen. Vielmehr drückt sich in der Vereinheitlichung aller künstlerischen Medien durch Zersetzung und Reduktion der herkömmlichen hierarchischen Absonderungen und Stufungen eine historische Richtung aus. Wohin diese Richtung zielt, kann heute noch kaum deutlich gesagt werden. Zu vermuten ist, dass die Entwicklung einem neuen Stadium menschlicher Äußerung überhaupt zustrebt. In diesem Stadium wird möglicherweise ein neuer Kanon die neuen Kunsttypen bestimmen.“1867 1865
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Walter Benjamin, Einbahnstraße/Vereidigter Bücherrevisor (1924). In: Benjamin, Gesammelte Schriften IV/1. Hg. Tillman Rexroth. Frankfurt 1972, S. 103 ff.: „Die Schrift, die im gedruckten Buche ein Asyl gefunden hatte, wo sie ihr autonomes Dasein führte, wird unerbittlich von Reklamen auf die Straße hinausgezerrt und den brutalen Heteronomien des wirtschaftlichen Chaos unterstellt. Das ist der strenge Schulgang ihrer neuen Form. Wenn vor Jahrhunderten sie allmählich sich niederzulegen begann, von der aufrechten Inschrift zur schräg auf Pulten ruhenden Handschrift ward, um endlich sich im Buchdruck zu betten, beginnt sie nun ebenso langsam sich wieder vom Boden zu heben. Bereits die Zeitung wird mehr in der Senkrechten als in der Horizontale gelesen, Film und Reklame drängen die Schrift vollends in die diktatorische Vertikale (…) der Augenblick kommt, da Quantität in Qualität umschlägt und die Schrift, die immer tiefer in das graphische Bereich ihrer neuen exzentrischen Bildlichkeit vorstößt, mit einem Male ihrer adäquaten Sachgehalte habhaft wird. An dieser Bilderschrift werden Poeten, die dann wie in Urzeiten vorerst und vor allem Schriftkundige sein werden, nur mitarbeiten können, wenn sie sich die Gebiete erschließen, in denen (ohne viel Aufhebens von sich zu machen) deren Konstruktion sich vollzieht: die des statistischen und technischen Diagramms. Mit der Begründung einer internationalen Wandelschrift werden sie ihre Autorität im Leben der Völker erneuern.“ Eine wichtige Ausstellung „The Arts in Fusion“ gab es 1966 in der Tyler School of Art/Temple University/Philadelphia und Something Else Gallery/New York. Heißenbüttel, Zur Geschichte des visuellen Gedichts im 20. Jahrhundert. (1963) In: Heißenbüttel, Über Literatur. Aufsätze und Frankfurter Vorlesungen. München 1970, S. 70 ff.
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In der Rückschau lässt sich sagen, dass der Lessingsche Versuch, in der Dichotomie von Flächen-/Raum- und Zeitkunst die bildende Kunst und die Literatur zu charakterisieren, im Laufe der Kunstentwicklung, insbesondere durch die Erneuerungsbewegung der Jahrhundertwende, des Surrealismus und Dadaismus und letztlich in den künstlerischen Sprachfindungsprozessen nach 1945 eine Umkehrung erfahren und schließlich sich als untauglich erwiesen hat.1868 Der eingetretene Paradigmawechsel von der Gutenberg-Galaxis zur Turing-Galaxis, hatte dazu beigetragen, dass die „visuelle Fiktion das Monopol der literarischen Fiktion“ auflöste,1869 was dazu führte, dass das Bild Text1870 und der Text Bild1871 werden konnte1872. Eine dominant
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Schon 1970 äußerte sich Böckmann: „Mir scheint überlegenswert, ob oder wie weit wir noch bereit sind, Lessings These als einen !unbestrittenen Satz der Ästhetik" hinzunehmen oder ob zu diesen Grenzziehungen Voraussetzungen gehören, die durch die weitere Entwicklung der Künste wie des Kunstverständnisses in Frage gestellt oder auch nur bei Seite geschoben sind.“ (Paul Böckmann, Das Laokoonproblem und seine Auflösung in der Romantik. In: Bildende Kunst und Literatur, a.a.O., S. 60). Klaus Bartels, Das Verschwinden der Fiktion. Über das Altern der Literatur durch den Medienwechsel im 19. und 20. Jahrhundert. In: Ansichten einer künftigen Medienwissenschaft. Hg. Rainer Bohn. Berlin 1988, S. 253. Michel Butor, Literatur und Malerei. In: Sprache im technischen Zeitalter 110, Berlin 1989, S. 10: „Angesichts der Umgestaltung unserer Kultur wäre es zum Heil der Literatur, wenn sie sich ihrer Beziehungen zum Bild annähme, und das kann sie auf zweierlei Weise leisten: zunächst indem sie untersucht, was passiert, wenn sie die anderen visuellen Bilder so weit wie möglich fernhält, darauf, und vor allem, indem sie alle Kombinationen zwischen jenen ganz besonderen Bildern, nämlich den Buchstaben unseres Alphabets und den anderen, den unveränderlichen der Malerei oder der beweglichen anderen Künste, ausprobiert.“ Und: M. B., Die Wörter und die Malerei. Essay (1969). Frankfurt 1993, a.a.O., S. 9 „denn gerade das Vorhandensein dieser Wörter (in der Malerei) unterminiert die durch unser Bildungssystem errichtete Trennwand zwischen der Literatur und den bildenden Künsten“, „ut pictura poesis. Früher sagte man, die Dichter malten mit Wörtern; auch die Maler können es.“ (a.a.O., S. 137). Octavio Paz, Nackte Erscheinung. Das Werk von Marcel Duchamp (1966). Berlin 1987, S. 11, 19, 30. Flusser hat dies so ausgedrückt: „Die Bilder werden immer begrifflicher, die Texte immer imaginativer. Gegenwärtig ist die höchste Begrifflichkeit in konzeptuellen Bildern (zum Beispiel in Computerbildern), die höchste Imagination in wissenschaftlichen Texten zu finden. So wird, hinterrücks, die Hierarchie der Codes umgeworfen. Die Texte, ursprünglich ein Metacode der Bilder, können selbst Bilder zum Metacode haben“ in: Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen 1983 ff.: http://www.servus.at/ILIAS/flusser.htm.
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durch die Printmedien literarisch geprägte Kultur verwandelte sich zunehmend in eine visuelle Kultur. Das ursprünglich streng linear logische Denken erfuhr eine Erweiterung durch den Zugewinn der wichtiger werdenden Form einer assoziativen, nicht-linearen und kombinierenden Wahrnehmung. Neue, insbesondere durch die elektronischen Medien hervorgerufene Produktions- und Rezeptionskriterien wie: Interaktivität, Immaterialität, Virtualität, Simultanität und Ubiquität waren verantwortlich für die Aufhebung des alten Gefüges von RaumZeit-Person-Koordinaten1873, was schließlich auch die Auflösung des klassischen Kommunikationsmodells eines linearen Sender-EmpfängerSystems bedeutete. Die Vermischung, die in den Künsten stattfand, und womit für die neuen Werke Lessingsche Zuordnungskriterien notwendigerweise ungültig wurden, besaß ihre Entsprechung in der Konvergenz1874 der Medien und dem Rollentausch der das alte Kommunikationsmodell ausmachenden Konstituenten. Das Zusammenführen aller nur denkbaren akustischen und visuellen Dienste in einem Medium verbunden mit der Möglichkeit interaktiver Eingriffe wechselnder Produzenten- und Rezipientenrollen1875 in einer Person musste schließlich auch zur Aufhebung des Denkens in traditionellen Gattungsschemata und damit auch zu einer Neudefinition gültiger Kommunikationsmodelle führen. So waren letztlich auch die Versuche der Wissenschaft, auf die Gattungsmischung mit neuen Interpretationsansätzen zu reagieren, zeitlich
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Zur raum-zeitlichen Wahrnehmung siehe die Publikation von Großklaus. Nicolai Hartmann, Ästhetik. Berlin 1953, S. 400 f.: „Alle wirklich große Kunst konvergiert und nähert sich einer ungreifbaren Identität. Relativ identisch oder doch hochgradig konvergent sind auf allen Kunstgebieten die letzten Innenschichten (…) Soweit also eine große Kunst bis in diese Tiefen reicht und sie in ihrer Weise erscheinen lassen kann – und das tut alle wirklich große Kunst –, muß sie mit ihresgleichen konvergent gerichtet sein. Daher der Eindruck des Engverwandten im ganz Heterogenen.“ „Die Vermischung von Medium und Botschaft verhält sich natürlich korrelativ zu der Vermischung von Sender und Empfänger. Durch die Vermischung verschwinden alle dualen und polaren Strukturen, die die diskursive Organisation der Sprache und jede determinierende Artikulation im Sinne des berühmten !Jocobson’schen Funktionsgitters" ausmachen. Man muß den zirkulären Diskurs im wörtlichen Sinne nehmen, d.h. er läuft nicht mehr gradlinig von einem Punkt zum anderen, sondern durchläuft eine Kreisfigur, in der Sender- und Empfängerposition, die von nun an als solche nicht mehr existieren, undeutlich verschmelzen.“ (in: Jean Baudrillard, Agonie des Realen. Berlin 1978, S. 67; „Jacobson“ wohl Roman Ossipowitsch Jakobson, gemeint). Vgl. zusammenfassend Anm. 2929.
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begrenzt und hilfreich weniger an konkreten Gegenständen als vielmehr zur Beförderung eines sich wandelnden ästhetischen Bewusstseins und kunstphilosophischen Denkens.1876 „Die !Mutual Illumination of the Arts" im allgemeinen und der Vergleich der Literatur mit den Bildenden Künsten im besonderen sind nach wie vor in einem Zustand der Unreife und daher weit davon entfernt, ein verbindliches Instrumentarium – ganz zu schweigen von einer schlüssigen Theorie – ihr eigen zu nennen. Ihre lange, unausgeglichene Geschichte umfasst eine Reihe von nur zum geringen Teil erfolgreichen Versuchen, Ähnlichkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten, den Vorrang einer Kunst vor der anderen unter Beweis zu stellen, für oder gegen eine Fusion der Medien zu argumentieren.“1877
1876
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Nachdem bereits Joseph Addison, Dialogues upon the Usefulness of Ancient Medals. In: The Works of the Late Right Honourable Joseph Addison. London 1730, Bd. 1, S. 431 f. u. S. 485 den Gedanken einer wechselseitigen Erhellung („enlightning“) vortrug, begann den Diskurs – herkommend von Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst. München 1915 – Oskar Walzel mit seinem Buch: Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. Berlin 1917, S. 9: „Wenn sie von wechselseitiger Erhellung der Künste spricht, wirft sie nur die Frage auf, ob der Erforscher einer Kunst fähig ist, von dem Erforscher einer anderen, einer Nachbarkunst die Augen zu leihen, um gewisse künstlerische Züge besser zu fassen, die ihm seine eigenen Beobachtungsweisen nicht hinreichend enthüllen.“ Vgl. weitere Publikationen wie: Ernst Roth, Die Grenzen der Künste (1919/1920). Stuttgart 1925; Karl Vossler, Über die gegenseitige Erhellung der Künste. In: Festschrift Heinrich Wölfflin zum siebzigsten Geburtstag. Dresden 1935, S. 160 ff.; Kurt Wais, Symbiose der Künste. Forschungsgrundlagen zur Wechselberührung zwischen Dichtung, Bild- und Tonkunst. Stuttgart 1936, S. 19; Theodore Meyer Greene, The Arts and the Art of Criticism. Princeton 1940; Etienne Souriau, La Correspondance des arts: Eléments d’esthétique comparée. Paris 1947; Heinrich Dilly, Wechselseitige Erhellung: Die Kunstgeschichte und ihre Nachbardisziplinen. In: Kunstgeschichte: Eine Einführung. Hg. Hans Belting. Berlin 1986, S. 283 ff.; Peter V. Zima, Ästhetik, Wissenschaft und !wechselseitige Erhellung der Künste". Einleitung von: Literatur intermedial. Musik Malerei Photographie Film. Hg. Peter V. Zima. Darmstadt 1995. Ulrich Weisstein in der Einleitung zu: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 19.
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Visuelle Poesie
VI/2 Text und Bild Vergleich, Annäherung und Symbiose von Text und Bild produzierten im Laufe der Jahrhunderte sehr vielfältige Formen, die jeweils zu ihrer Zeit unterschiedlichen Entstehungsbedingungen unterlagen und nicht – wie bereits gesagt1878 – in allen Fällen als kontinuierliche Weiterentwicklung bestimmter Ausdrucksformen betrachtet werden dürfen, selbst wenn im Rückblick dies aufgrund rein formaler Ähnlichkeiten (oder gar Gemeinsamkeiten) nahe liegen könnte. So lassen sich zwar in einer groben Typologie zum Verhältnis von Text und Bild nicht nur bei historisch, sondern auch geografisch weit auseinander liegenden Spielarten Optischer Poesie vergleichbare Strukturmerkmale erkennen, – z. B. ein Bogen vom carmen figuratum über das Figurengedicht des Barock bis zum Calligramme Apollinaires schlagen1879 –, allerdings betrifft dies aber mehr äußere Strukturen als Wesen und Funktion, die geprägt wurden von wechselnden inhaltlichen und poetologischen Vorstellungen, die keineswegs Teil einer stringenten Entwicklung waren. So war es gerade diese historische Formenvielfalt, die nicht ohne Einfluss auf die Produktion der Visuellen Poeten blieb, die aus der langen Wechselbeziehung zwischen Literatur und bildender Kunst mit der Zeit ein künstlerisches Instrumentarium in die Hand bekamen, mit dem sich das Spektrum kreativer Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten Optischer Poesie erheblich erweitern ließ. Diese historische Formenvielfalt innerhalb einer Systematik typologisch zu erfassen, hat Weisstein „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ unternommen, „denn die Anzahl der virtuellen und potentiellen Gattungen, Formen und Verfahren ist unabsehbar.“1880 In dieser Typologie werden Phänomene in einer 15-Punkte-Liste erfasst, die das Wechselverhältnis von Literatur und bildender Kunst ausmachen, wobei Verfahren, Formen und Inhalte (wie z. B. Montage/Collage-Verfahren, Figurengedichte oder Texte über Gegenstände der bildenden Kunst) gleichermaßen berücksichtigt werden. Abweichend von Weisstein wäre auch ein anderer Formenkatalog denkbar: 1878 1879
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Vgl. auch S. 2, 14 u. 36. Ute Schorneck, Calligrammes, Figurentexte in der abendländischen Literatur, besonders im 19. und 20. Jahrhundert (Schwerpunkte: Frankreich, Italien). Frankfurt 2001. Weisstein, Einleitung. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 20.
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1. Buchstabe a) Typografie Ausgehend vom Buchstaben des Alphabets (oder Zeichen von Kunstoder Geheimschriften) entstehen Gebilde, in denen der Buchstabe einerseits eine besondere typografische Gestaltung erhält und andererseits Bestandteil einer bildhaften Buchstaben-Konstellation ist.1881 b) Figurale Textfläche Sie entsteht am Anfang oder Ende eines Textes im Übergang zur leeren Blattfläche: sowohl geometrische und symmetrische Formen (z. B. spitz zulaufende, oder im Halbkreis auslaufende Muster sowie Mittelachsentexte) als auch Figuren wie Kelche, Trichter, Pokale usw.1882 Neben diesen Positivformen, gibt es Negativformen: Aussparungen innerhalb des Satzspiegels.1883 c) Figuren-, Linien- u. Gittergedicht Nach Ernst präsentiert sich das Figurengedicht in 3 Grundformen: „1. in einer mimetisch-ikonischen Form, bei der das Arrangement der Schriftzeilen die Umrisse eines Gegenstandes nachahmt; 2. in einer steganografischen Form, bei der in einem Basistext Intexte inseriert sind, die eigene bildliche Strukturen mit einer besonderen Lesart, einem Metatext, ergeben; 3. in einer kombinatorisch-aleatorischen Form, bei der ein rechteckiges Textfeld in Kästchen eingeteilt wird, denen Schriftzeichen einbeschrieben sind, die ein permutatives Lesen postulieren.“1884 Diese Definitionen gelten auch für Linien- und Gittergedichte. Während das Figurengedicht in der Regel als Umrissgedicht den Gegenstand mit kompletter Textfüllung nachbildet, zeichnet das Liniengedicht die Umrisse von Gegenständen und geometrischen Figuren mit einzelnen Schriftzeilen. Das Gittergedicht entsteht durch die Hervorhebung von Schriftzeichen, die Linien ergeben, innerhalb eines Basistextes.
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Vgl. die Bücher von Peignot, Typoésie (1993) und Typoèmes (2004), a.a.O. Lehmann, Figurale Schriftflächen, a.a.O. 74 ff. u. in: Lehmann, Erforschung des Mittelalters, S. 60 ff. Jindrˇich Procházka, Geschenke für Mona Lisa (1968/Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 105 oder Zoran Popovic´, Portrait (1970/Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 119) Ulrich Ernst, Von der Hieroglyphe zum Hypertext. Medienumbrüche in der Evolution visueller Texte. In: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 213 f.
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Visuelle Poesie
d) Figurae Figurae sind abstrakte oder an Gegenständen sich orientierende grafische Muster, die vor allem der Straffung und Erklärung komplexer Wissengebiete dienen, oft auch als Disposition vor Abhandlungen. e) Konkretistisches Bildgedicht „Bildgedichte sind Verse, die sich auf ein Bildkunstwerk beziehen“1885 ohne Visualisierung des Textes. Konkretistische (auch konkrete) Bildgedichte bilden gegenständliche oder gegenstandslose Bilder als Figurengedicht oder in abstrakten Formen nach.1886 f) Konkrete Poesie Sie entwickelt ein neues Sprachmaterialbewusstsein, eine neue Wortwörtlichkeit durch linguistisch geprägte Sprachanalysen und die entsprechende Definition des Buchstaben- und Textbildes im Verhältnis zur Fläche und zum Raum mit den Mitteln der Reduktion und Konstruktion. 2. Text a) Rebus Kryptografisch-aleatorische Rätselform, in der ein Wort oder eine Textstelle durch ein Zeichen oder Bild ersetzt wird. b) Emblem Das Emblem besteht aus den beiden Textteilen Motto und Epigramm, sowie einem zwischen beiden befindlichen Bildteil, der Pictura.
1885 1886
Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O., Bd. 1, S. 7. Senger, Bildgedicht und Gedichtbild – Zur semiotischen Analyse konkreter Bildgedichte, a.a.O., S. 175 ff.; Erika Greber, Das konkretistische Bildgedicht. Zur Transkription Bildender Kunst in Visueller Poesie. In: Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. Hg. Roger Lüdeke/ Erika Greber. Göttingen 2004, S. 171 ff. Hierher gehört auch der Typ des Architekturgedichts, dessen Text sich auf Bauwerke bezieht. Und auch hier gibt es die Form ohne Visualisierung des Textes und jene mit Visualisierung, z. B. Gedichte über Pyramiden in Pyramidenform: Gisbert Kranz, Das Architekturgedicht. Köln 1988, S. 16. Verwandt ist der Typus des Dinggedichts, das auch, aber nicht nur Gegenstände der bildende Kunst thematisiert. Der Begriff wurde eingeführt von: Kurt Oppert, Das Dinggedicht. Eine Kunstform bei Mörike, Meyer und Rilke. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 4. Jg., H. 1, 1926, S. 747 ff.
Text und Bild
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c) Spruchband Mit Spruchbändern werden Bilder durch Schrift zum Sprechen gebracht. Bereits in der antiken griechischen Vasenmalerei gab es aus dem Mund strömende Buchstabenketten1887 und seit dem 12. Jh. Schriftbänder als geöffnete Buchrollen in der Hand der Bildpersonen, frei schwebende Schriftfahnen und Spruchbänderzungen aus dem Mund – wie in der „Eneïde“ des Heinrich von Veldeke –, woraus sich der Spruchbanddialog und spätestens seit dem 18. Jh. die Sprechblase entwickelte. d) Bildergeschichte Chronologische Bildsequenz, in der sich Bild und Text ergänzen wie in den alten Papyrusrollen der Ägypter1888, chinesischen1889, japanischen1890, indischen Rollenbildern1891, Blockbüchern, englischen Scrawles, Bilderbogen, Mangas1892 und Comics. 1887
1888
1889 1890
1891
1892
Rosenfeld, Bild und Schrift, a.a.O., Sp. 1659 u. Abb. 4. Eine weitere Abbildung gibt es bei: Karl Clausberg, Metamorphosen am laufenden Band. Ein kurz gefasster Problemumriss der Sprechblasenentwicklung. In: Ästhetik des Comic. Hg. Michael Hein/Michael Hüners/Torsten Michaelsen. Berlin 2002, S. 19. Vgl. auch Anm. 2172 u. 2187 ff. Ausführlich zum Verhältnis von Kunst und Poesie im Altertum: Carl Robert, Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin 1881. Bsp. Papyrus des Hunefer (ca. 1300 v. Chr./Abb. in: Knigge, Alles über Comics, a.a.O., S. 96 f.) oder der Totenbuch-Papyrus zum Tod der Priesterin Anhai (Abb. in: British Museum Guide. London 1976, S. 40 f.). – Von Carl Maria Seyppel (1847–1913) gibt es die sogenannten „Mumiendrucke“, die Trilogie: Schlau, schläuer, am schläuesten: 1. ägyptische Humoreske. Düsseldorf 1882; 2. Er – Sie – Es, IIte aegÿptische Humoreske. Düsseldorf 1883, Die Plagen; 3te aegyptische Humoreske. Düsseldorf 1884. Es sind den ägyptischen Vorlagen nachempfundene Bildergeschichten im Stile Wilhelm Buschs, allerdings mit BuchobjektCharakter und überraschenden Brechungen, wie dem handschriftlichen Hinweis, in der 2. Humoreske: „Freude brüllen, Freudestammeln, ganz Aegypten soff sich satt. Selbst der Autor muss sich sammeln Darum hier das leere Blatt.“ Es folgen auf dem folgenden leeren Blatt nur noch Schmierstellen. Alle Bücher komplett im Internett: 1. in: http://www.bis.uni-oldenburg.de/retrodig/buch. php?id='0117', 2. in: http://www.muzeum.clnet.cz/muzeum/vystavy/seypel.htm, 3. in: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/thumbview/117417. Früheste Beispiele in der Song-Dynastie ca. 10.–12. Jh. Im frühen 18. Jh. entstehen Toba-e Bücher, Geschichten vor allem mit satirischem Inhalt. Rollhandschrift in Sanskrit des Bhagavatapurana (18. Jh./Abb. in: Francis, Schätze des Britischen Museums, a.a.O., S. 246). Katsushika Hokusai (1760–1849) führte den Begriff 1814 ein, allerdings nicht für sequentielle Bildgeschichten, es waren Skizzen, Momentaufnahmen ohne Text.
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Visuelle Poesie
3. Schrift a) Kalligrafie Ein wichtiger Bereich für das Wechselverhältnis von Bild und Text ist die Kalligrafie, begründet in der Verschmelzung ostasiatischer Schreib- und Malkunst, sowie in der arabischen Schriftkunst1893 und hebräischen Mikrographie1894, Texte bildhaft – ornamental und figürlich – zu übersetzen. Dazu gehört auch die Initialen-Kunst1895 und die mittelalterliche Buchmalerei1896 bis hin zur modernen kalligrafischen Textinterpretation1897 und zur Körperkalligrafie. b) Bildalphabete Die gewöhnliche Form des Buchstabens dient als Vorlage für eine volle Bildgestaltung aus grafisch abstrakten oder figürlichen Elementen.1898 c) Kunstschriften Nichtalphabetische Schriften aus erfundenen „utopischen oder fantastischen Buchstaben“1899.
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Die eigentlichen Manga-Vorläufer entstanden unter amerikanischen Einfluß nach der Öffnung Japans am Ende des 19. Jhs. Als erster Vorläufer gilt Rakuten Kitazawa (1876–1955), Tagosaku to Mokube no Tokyo Kembutsu (1902). Dentz Erduman, Arabische Kalligraphie und Literatur im Wandel der Zeit. Geschriebene Welten. Köln 2004. vgl. auch: http://www.afsnitp.dk/anneks/1/kalligrafi2.html. Leila Avrin, Micrography as Art. Paris/Jerusalem 1981 (= Etudes de Paléographie Hébraïque); Dan Pagis, Carmina Figurata in pre-modern Hebrew Poetry. In: Hassifrut 25, Tel Aviv 1977, S. 13 ff. Ausgeprägt im Book of Kells (8. Jh.), 2 Bde, Faksimile Verlag Luzern 1990; The Book of Lindisfarne (8. Jh.). Faksimile Verlag Luzern 2002. Christine Jacobi-Mirwald, Text-Buchstabe-Bild: Studien zur historisierten Initiale im 8. und 9. Jahrhundert. Berlin 1998. Mira Calligraphiae Monumenta. A 16th century Calligraphic Manuscript, inscribed by Georg Bocskay and illuminated by Joris Hoefnagel. Malibu 1992. Martin Andersch, Spuren Zeichen Buchstaben. Über das Schreiben von Schrift, das Experimentieren mit Alphabeten und das Interpretieren von Texten. Ravensburg 1988; Word into Art. Artists of the Modern Middle East. Hg. Venetia Porter. London 2006. Dietmar Debes, Das Figurenalphabet. Leipzig 1968; piktogramme, a.a.O., S. 16, 44. Speaking Pictures, a.a.O., S. 6 f., Geofroy Tory in: Champ fleury, a.a.O.
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d) Künstlerbriefe Sie bilden zusammen mit der Künstlerpostkarte1900 eine eigenständige Form innerhalb der Textmaterial im Bild verwendenden bildenden Kunst1901 aufgrund des dominanten Textanteils und der Mitteilungsfunktion, der sich die rein bildkünstlerische Komponente in der Regel unterordnet.1902 e) Skripturale Malerei Skripturale1903 und Geschriebene1904 Malerei oder Geschriebene Bilder1905 enthalten in ihrer reinen Form etwa bei Carlfriedrich Claus1906 oder Ana Hatherly1907 keine schriftfremden Elemente. Der handschriftliche Duktus und die Definition des Anteils von Schrift und Freifläche bestimmen Konstruktion und inhaltliche Bedeutung. f) Malerbücher Fremde oder eigene Texte, die Seite und Umfang des Buches bestimmen, sind der Ausgangspunkt für das Entstehen von gemalten Textbildern der Malerbücher wie das von Fernand Léger1908. 1900
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Die Künstlerpostkarte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. Bärbel Hedinger. München 1992. Interessant hier vor allem Fluxus, Pop und Konzeptkunst, Bsp. Stanley Brouwn, Brief an Nam June Paik v. 13. 1. 1964, Abb. in: Kellein, „Fröhliche Wissenschaft“, a.a.O., S. 114 (Stempeldruck, Sprechblasen mit grüner Tinte). Beispiele: Proust-Album. Leben und Werk im Bild. Hg. Pierre Clarac/André Ferré. Frankfurt 1975; Briefe von Jean Tinguely an Maja Sacher. Hg. Margit Hahnloser. Bern 1992; Henry Miller, Mein Leben und meine Welt, a.a.O., S. 64 u. 69; Niki de Saint Phalle in: La Fête. Die Schenkung – Niki de Saint Phalle. Werke aus den Jahren 1952–2001. Hg. Ulrich Krempel. Ostfildern-Ruit 2001, S. 208 ff., 220 f., 262 f., 267, 268 f., 309 ff. Skripturale Malerei. Katalog: Haus am Waldsee, Berlin 1962. Vgl. Anm. 83. Geschriebene Malerei. Hg. Michael Schwarz. Karlsruhe 1975; Kirsten Rolf, Geschriebene Malerei. Eine Untersuchung im Werk Rudolf Englerts. Mag. Arbeit, Universität Münster 1996. Anne-Kathrin Reulecke, Geschriebene Bilder: zum Kunst- und Mediendiskurs in der Gegenwartsliteratur. München 2002. Novalis spricht von „Buchstaben in einer geschriebenen Zeichnung“ (in: Novalis, Gesammelte Werke, a.a.O., S. 476). Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O. Ana Hatherly, a reinvenção da leitura. Lisboa 1975. Jean Arthur Rimbaud, Les Illuminations. Mit Original-Lithographien von Fernand Léger. Lausanne 1949; Künstlerbücher. Hg. Peter Weiermair. Katalog, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt 1981; Das Buch des Künstlers. Hg. Carl Haenlein. Die schönsten Malerbücher aus der Sammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Hannover 1989; ut pictura poesis. Weltliteratur in Malerbüchern der Herzog August Bibliothek. Hg. Sabine Solf. Wolfenbüttel 1991;
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g) Graffiti Die im öffentlichen Raum erscheinenden Botschaften, deren Inhalte eine weites Spektrum von demonstrativ privaten Mitteilungen bis zu politischen Protesten und gesellschaftlichen Provokationen reicht, divergieren auch in der Form vom flüchtigen und konzeptlosen Wandtext mit direkter Aussage bis zum kunstvollen „tag“ und „piece“, in denen Farbgebung und Strukturen oft geschickte Sinnverrätselung betreiben.1909 4. Medium a) Bild-Text-Bild Gemeint ist hier die Verwendung von einzelnen Buchstaben, Satzfragmenten oder ganzen Textpassagen in Werken der bildenden Künstler (montiert, collagiert, gemalt auf Papier, Leinwand usw.), vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts.1910 Eine besondere Spielart ist die Textgrafik der Schriftsteller, Blätter, die „zeigen, wie die Autoren bildhaft mit ihren Texten umgehen, wie sie ihre Texte sehen: ob sie die Texte zum Anlaß für spielerische Entwürfe nehmen, oder ob sie sich als Illustratoren ihrer Texte verstehen.“1911 b) Papier- u. Buchobjekt Neben dreidimensionalen beschrifteten Papierobjekten gibt es die Variante der Papierschöpfung unter Einschluß von Buchstaben und Wörtern, wie sie Jirˇi H. Kocman (1947) als „Paper as Poetry“ (1979) fertigt.1912 – Das Buchobjekt ist im Gegensatz zum Maler- oder Künstlerbuch ein Kunstwerk an sich. D. h. der Künstler ist nicht mehr nur Produzent des Inhalts eines Buches, sondern nun auch Hersteller des
1909
1910
1911
1912
Michael Glasmeier, Die Bücher der Künstler. Publikationen und Editionen seit den sechziger Jahren in Deutschland. Stuttgart 1994; Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960, a.a.O.; Das Malerbuch des 20. Jahrhunderts. Die Künstlerbuchsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Hg. Werner Arnold. Wiesbaden 2004. Beispiele besonders gelungener Graffiti in: urban discipline 2002 – graffiti-art. Hg. getting-up. Hamburg 2002; Thomas Northoff, Graffiti. Die Sprache an den Wänden. Wien 2005. Eine gute Übersicht gibt der Katalog: lettres et chiffres/schrift im bild. Galerie Beyeler, Basel 1980. In: Textgraphik-Lithographie-Radierung. (Beiblatt in) L’80. Zeitschrift für Literatur und Politik. Hg. Heinz Ludwig Arnold u. a. Göttingen o. J. (ca. 1987). Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 91 u. In: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 80 f. Abb. 183 (Archiv Dencker).
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Abb. 183: Jirˇi H. Kocman, Paper as Poetry, undatiert
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gesamten Objekts, so dass sowohl die nahezu unbegrenzte Materialauswahl als auch das wechselnde Verhältnis Text/Fläche zu Text/ Raum die neue semantische und ästhetische Qualität bestimmen. Insofern sind Buchobjekte auch Text-Objekte. Daneben gibt es den großen Bereich der Buchobjekte ohne Sprachmaterial, bei denen die literarische Komponente entweder durch den Titel zum Ausdruck kommt, oder durch die Herstellung einer abstrakten Metaphorik mittels rebusartiger Objektmontage.1913 c) Musikalische Graphik Sie entsteht als Text-Bild-Notation für Musikwerke und als von Musikwerken unabhängige, oder durch sie nur angeregte (nicht spielbare) Text-Bild-Partitur. d) Medien-Partitur Gemeint sind Vorlagen für Hörspiele und Ars Acustica-Produktionen ebenso wie poetische Film-Skripte. e) Medien-Textbild Darunter sind Text-Bild-Kombinationen zu verstehen, die unmittelbar durch die neuen spezifischen Möglichkeiten technischer und elektronischer Medien ihre besondere Physiognomie erhalten. So entstanden früher Figurengedichte durch die Form der Gegenstände, auf die sie geschrieben wurden. Später nutzten die Fotosequenzen von Ulrichs, Buchwalder oder Mallander die Möglichkeit der Momentaufnahme in der Fotografie. Zeitungskunst1914, Stamp-Art1915 und Copy-Art1916 entwickelten sich. Video, die Dreidimensionalität der Holopoetry, BTX und die digitalen Möglichkeiten auf dem PC
1913 1914
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Wolfgang Nieblich, BuchSkulpturen. Gütersloh 1991. Vgl. Anm. 950 u. 2462. Kunstzeitung/Zeitungskunst. Hg. Guy Schraenen. Katalog. Neues Museum Weserburg, Bremen 1996 (Band 14 – Sammlung der Künstlerbücher). Stamp Art. Hg. Wouter Kotte. Utrecht 1980; Sharilyn Miller, Stamp Art. Gloucester/MA 1999; Sandra Mizumoto Posey/Sue Nan Douglass, Rubber Soul: Rubber Stamps and Correspondence Art. University Press of Mississippi 1997; James Warren Felter, Artistamps. Bertiolo 2000; Peter-Jörg Splettstößer, Internationaler Stempelworkshop 1981. Bremen 2002. Rolf Sachsse, Bärlappsamen und Anarchie. Marginalien zur Photokopie. In: APEX H. 6, Köln 1989, S. 4 ff.: Copie-Grafien. Bücher und Grafik. Hg. Guy Schraenen. Katalog. Neues Museum Weserburg, Bremen 1995 (Band 12 – Sammlung der Künstlerbücher).
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und im Netz führten zu Formen, die nur mit und in diesen Medien realisiert werden konnten.1917 f) Visuelle Poesie Wie für die Akustische Poesie1918 gibt es auch mehrere Bezeichnungen für die Visuelle Poesie, wie Spatialismus (Frankreich), Signalismus (Jugoslavien/Serbien), Shishi/ Shikakushi (Japan), poesia visiva/poesia visuale (Italien), poesia visual (Südamerika), visual poetry (USA). Am ausgeprägtesten erscheint sie in den italienisch-, portugiesisch, spanisch und französisch sprechenden Ländern.1919 5. Raum a) Text-Objekte Objekte, die kinetisch oder statisch mit Sprachmaterial (alphabetisch oder nicht-alphabetisch zeichenhaft) ihre Bedeutung aus der besonderen dreidimensionalen Konstruktion beziehen, in der zudem alle Mittel der bildenden Kunst mitspielen. Text-Objekte können Buchobjekte sein, nur aus Sprachmaterial bestehen, oder aus der Kombination von Sprach- und Objektelementen in welcher Form auch immer.
1917 1918
1919
Ausführlich dargestellt im Kapitel „Kinetische Poesie“. Vgl. Anm. 119 ff. Die Vorsicht im Umgang mit der Begrifflichkeit, die bereits für die Akustische Poesie gefordert wurde (vgl. S. 44), gilt auch für die Visuelle Poesie. Zur ausführlichen Definition vgl. Anm. 2915 und Miccinis Definition der „poesia visiva“: „fondata sull impiego di moduli e di materiali tratti da linguaggi tecnologici (pubblicità giornalismo, moda, burocrazia, commercio ecc.) dirottati dal loro uso normale e riscattati esteticamente“ (Eugenio Miccini, La „poesia visiva“. In: Ipotesi e ricerche d’arte contemporanea. Hg. Miccini. Taranto 1974, S. 27). „Visual poetry appeared in Italy around 1963 under the name of !Poesia Visiva" (Gruppo 70) and in France under the name of !Poésie Visuelle". As an avantgarde movement, it must be related to the dates of the !Internationale Situationniste" (1958) and to works like Fin de Copenhague, Mémoires of Asger Jorn and Guy-Ernest Debord. In Italy, with !Poesia Technologica", the question revolves more around the mass-media, whereas in France the dicussion will be more about the typographic sign, the letter as sign. French visual poetry moves from inscription to printing, and from the mass-media spectacle, to the image.“ (Jacques Donguy, Jean-François Bory or the saga of the book. In: Jacques Donguy, Jean-François Bory, A life made with words. Verona 2006, S. 3). Vgl. auch: Dencker, Von der Konkreten zur Visuellen Poesie – mit einem Blick in die elektronische Zukunft. In: Visuelle Poesie. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München 1997, S. 169 ff. (= Text+Kritik, Sonderband IX/97).
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b) Text-Räume Texträume, wie sie z.B. von Franz Mon1920, Allan Kaprow1921, Marcel Broodthaers1922, Robert Barry1923, oder Lawrence Weiner1924 bekannt sind, entstanden als konzeptuelle Installationen, die einen Sprachraum, eine Sprachwelt herstellen, in dem Text – oft mit Bezug zum Installationsort1925 – räumlich objekthaft und mit durch den Rezipienten erst erschließbarer semantischer Funktion wahrnehmbar wird. c) Text i. ö. Raum Texte im öffentlichen Raum präsentieren sich auf vielfache Weise: als Plakatgedichte, Billboard-Texte, Schaufenster- und Himmelsschreiber-Kunst, Objekte oder Bauten und Räume definierende Installationen. Der Text und der ihn umgebende Raum bilden eine Bedeutungseinheit, in der ein wechselseitiges Verweisungs- und Bezugssystem besondere inhaltliche, den Ort oder sein gesellschaftliches Umfeld kennzeichnende Aspekte hervorheben.1926 6. Kommunikation a) Correspondence-Art Mail-Art ist die seit den 1960er Jahren (nach den Künstlerbriefen und -postkarten) wichtigste sich entwickelnde Correspondence-Art, eine 1920
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Textraum, Titel: „mortarium für 2 alphabete“, bestehend aus einem Oktogon mit einer Seitenlänge von 2,50 m, Höhe 2,50 m, ausgestellt: Biennale Venedig 1970, Kunsthalle Nürnberg 1971. Ein weiterer Textraum entstand im Zusammenhang mit einem Festival des Hessischen Rundfunks in Wilhelmsbad bei Hanau: eine übermannshohe, 8 m lange, begehbare Tonne, deren Innenfläche mit einem Text bedeckt war, Abb. in der Dokumentation: Der Weg vom Gedicht zur Aktion. a.a.O. Imaged Words and Worded Images. New York 1970 (Abb. in Weiss, Seh-Texte, a.a.O., S. 245). Marcel Broodthaers, L’Angélus de Daumier, Salle blanche, Paris, Centre national d’art contemporain, 2 octobre – 10 novembre 1975, Minneapolis, Walker Art Center / New York 1989, Abb. in: Marcel Broodthaers. Katalog. Tate Gallery, London 1980, Nr. 174, vgl. auch in: Der Hang zum Gesamtkunstwerk, a.a.O., S. 429. Robert Barry, Installation at Galeria 57, Madrid 1991, Abb. in: Writing on the Wall, a.a.O., S. 206. „Ohne Rücksicht oder/or without regard“ realisiert: 23. Okt.–4. Dez. 1994, Städtische Kunstsammlungen Chemnitz. Katalog: Lawrence Weiner. Ohne Rücksicht oder – or without regard. Hg. Susanne Anna. Stuttgart 1994. Bestes Beispiel: Timm Ulrichs, Die 4 Himmelsrichtungen/ Raumvermessung (1968/Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 49). Kirsten Winderlich, Die Stadt zum Sprechen bringen. Sprachwerke im öffentlichen Raum. Performative Annäherungen. Oberhausen 2005. Siehe auch Anm. 2754.
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voraussetzungslose offene Kommunikationsform, die jeweils neue Ausdrucksformen jenseits von gewohnten künstlerischen Instrumentarien und Qualitätsmaßstäben sucht. Sie ist Mitteilung als Knoten in einem weltweit gespannten Netz, das über die nationalen Grenzen hinweg den Dialog befördert, die politische Einmischung riskiert, Sprachgrenzen ignoriert und ästhetisch mit allem und gegen alles spielt, sowie mit allem bricht, was etabliert zu sein scheint. Weitere Formen der Correspondence-Art sind Telefonkunst1927 FaxArt1928 und Electronic-Mail-Art1929. Ein wichtiges Moment der Correspondence-Art ist die Gemeinschaftsarbeit, die künstlerische Kollaboration, die insbesondere durch Fax- und Kopiergeräte, sowie durch den PC und das Internet befördert wurde. b) Werbung Alle vorgenannten Formen finden sich mehr oder weniger auch in der Werbung, wobei neben der künstlerischen Zielsetzung, mit Mitteln der Werbung die Werbung zu konterkarieren1930, diese Formen 1927
1928
1929
1930
Veit Homann/Otto Sander, Telefonkunst-Buch. Selbstverlag, Dresden 1989, siehe: Die Bücher der Künstler, a.a.O., S. 121 f.; M + M, Arbeiten mit Post, Telefon und Internet. (Villa Massimo) Rom 1999. Lars Movin, Fax Art. Vereinigt II. Odense 1992/1994; fax art international. Hg. BBK BW. Heidelberg 1994; Ludovico Pratesi/Massimo Catalani, Fax art. La velocità nell’arte. Rom 1995; Andrew Patrizio/Clive Phillpot, Networking: Art by Post and Fax. London 1997. E-Pêle Mêle 1994–1995. Electronic Mail Art Netzine. Ed. Guy Bleus. Begijnhof 1997 (= T. A. C. E-Mail Art-Archives 42.292. Vol 1, No 1, April/May 1994). Gomringer (Poesie als Mittel der Umweltgestaltung, a.a.O., S. 32ff.) gibt Beispiele der Verknüpfung von Konkreter Poesie und Werbung. Vgl. auch Robert Kuhn, Wenn Dichter texten (…) Hamburg 1996, S. 127: Eugen Gomringer über Werbung und Konkrete Poesie. Claus Bremer: „Ich versuche, mit den Mitteln der Werbung die Werbung in Frage zu stellen. D.h. also mit den Mitteln der Werbung das Gegenteil von Werbung zu erzielen“ in: Visuelle Poesie. Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O., dort auch Beispiele aus der Werbung und der Hinweis von Max Bense auf die Verknüpfung der Existenz von Urbanität durch Sprachmaterial und der „Verwortung“ durch die Werbung. An anderer Stelle spricht Bense von der „Versprachlichung“, „Man könnte von Umwelttexten, geradezu von der Versprachlichung einer modernen Welt sprechen.“ (Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 124f.). Wie diese Versprachlichung aussehen kann, zeigt der Beitrag von Henry Steiner, Hong Kong signs. In: Typographica 13, London 1966, S. 20ff.). Vgl. auch: Reinhard Krüger, Lesebilder und Sehtexte der Avant-Garde: Die Geburt des Dadaismus aus dem Geist des Festes. In: Runa. Revista Portuguesa de Estudos Germanisticos 28, Porto 1999–2000, S. 175 (Der moderne Markt und der typographisch inszenierte Produktauftritt).
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Visuelle Poesie
als bloße Design-Elemente für das Funktionieren des Werbeziels eingesetzt werden.
VI/3 Text als Figur – Text im/als Bild a) Figur Hieroglyphen Die von der Wissenschaft vertretene Hypothese, dass der eigentliche Beginn der Optischen Poesie, sowie eine mögliche Rückführung der Konkreten und Visuellen Poesie auf figurative Textformationen, in Ägypten zu suchen sei1931, so wie es Ernst bereits in seinem umfangreichen Werk „Carmen figuratum“ darstellte1932, wird jüngst in der Arbeit des Ägyptologen Ludwig D. Morenz „Sinn und Spiel der Zeichen. Visuelle Poesie im Alten Ägypten“1933 ausführlich begründet. Seine Feststellung, „die Visuelle Poesie kann geradezu als ein besonders charakteristisches Phänomen und Produkt der ägyptischen Bild-Schrift-Kultur gesehen werden“1934, gründet sich auf Beobachtungen, die er vor allem an Zeugnissen des späten 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. machte. Dem zugrunde lag die Erkenntnis des Clemens Alexandrinus (140/50–215)1935, dass neben 1931
1932 1933 1934
1935
Wobei die spiralförmige Zeichenanordnung auf dem Diskos von Phaistos (16. Jh. v. Chr.) vor den ersten ägyptischen Belegen entstand und zur Vermutung Anlass gibt, dass dies sicher kein Einzelstück war, wie die spätere Tradition zeigt (vgl. Anm. 960), – auch wenn keine weiteren Beispiele aus dieser Zeit erhalten sind. A.a.O., S. 21. Köln 2007 (= Pictura et Poesis 21). A.a.O., S. 1, u. 29, 37, 43, 68, 69: „auch wenn es kein eigenes spezifisches Wort für visuelle Poesie gegeben zu haben scheint“, 281, 295 f. Des Clemens von Alexandreia Teppiche. Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Buch IV–VI. München 1937, S. 135 f. (= Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Bd. XIX): „So lernen diejenigen, die bei den Ägyptern unterrichtet werden, zuerst von allem die Verwendungsart der ägyptischen Schrift, die den Namen Briefschrift führt, als zweite sodann die hieratische, die von den heiligen Schreibern angewendet wird, zuletzt und am Schluß die Hieroglyphenschrift, die teils mit den Buchstaben etwas wirkliches benennt, teils sinnbildlich ist. Von der sinnbildlichen Schrift gibt es drei Arten; Die eine bezeichnet etwas unmittelbar, indem sie seine Form im Bilde wiedergibt, die andere wird in der Weise geschrieben, dass ein Zeichen auf ein anderes Gebiet übertragen wird, die dritte, in der alles nur sinnbildliche Bedeutung hat, gibt gewissermaßen Rätsel auf.“
Text als Figur – Text im/als Bild
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der gewöhnlichen Einteilung in demotische (Brief)Schrift, hieratische (priesterliche) Schrift und Hieroglyphenschrift die Hieroglyphenschrift differenzierter als eine abbildende (mittels Buchstaben), eine übertragende (mittels Abbildung) und eine allegorische (mittels Rätsel) zu betrachten sei. Morenz zeigt an vielen Beispielen, dass es zur hieroglyphischen „Normalschrift“ eine höherwertige und stärker bildhafte Hieroglyphenschrift mit einem rebusartigen visuell-poetischen Prinzip gab, die er als Visuelle Poesie1936 bezeichnet1937. Sie ließ sich insofern gut bestimmen, als synoptisch zu normalschriftlichen Zeugnissen zugleich auch „Übersetzungen“ in visuell-poetischer Schrift bis in die griechisch-römische Zeit erhalten sind, aufgefunden z. B. im Totentempel von Sethos I. in Gourna oder im großen Tempel von Abu Simbel.1938 Diese visuell-poetische Schriftform war nach „Clemens Alexandrinus die von den ägyptischen Schriftkundigen zuletzt erlernte und vollendetste Schrift.“1939 So entstanden Texte, die sowohl als Bild verstanden als auch als Schrift gelesen werden konnten, – ein wesentliches Element der späteren Visuellen Poesie. Figurative Textformen gab es allerdings noch früher. Deren visuelle Komponente – im Gegensatz zu einer Schriftform mit reinen Bildelementen – lag in der besonderen Anordnung der Hieroglyphen, die „Figuren der Leserichtung“ bildeten. Im wesentlichen waren das Kreuzwortstrukturen, die zurück bis ins 14. Jh. v. Chr. reichten, und von denen am besten der Kreuzworthymnus auf die Göttin Mut aus dem
1936
1937
1938 1939
Morenz, a.a.O., S. 104: „Ein zentrales Charakteristikum der ägyptischen Visuellen Poesie sind die fließenden Grenzen zwischen Bild und Schrift. Dabei wurden spezielle Verbildlichungen von Schrift-Zeichen und Verschriftlichungen von Bild-Zeichen geschaffen. So wurde das ikonische Potential der Hieroglyphenschrift besonders ausgereizt, um neben dem primären Sinn des Textes bzw. Bildes noch zusätzlichen Sinn anzulagern. Dieses Phänomen zieht sich durch die gesamte Geschichte der ägyptischen Schrift. Dabei ist ein enormer Variationsraum mit Freiheiten für individuelle Schöpfungen nicht nur von einzelnen Zeichen und Zeichengruppen, sondern auch längeren Friesreihen, also ganzen Texten, zu beobachten.“ Der Gebrauch des Begriffs Visuelle Poesie bei Morenz ist nicht gleich zu setzen mit dem von mir verwendeten Gebrauch. Fr. J. Lauth, Aenigmatische Schrift. In: Zeitschrift für Aegyptische Sprache und Altertumskunde 4, Berlin 1866, S. 24 ff. Morenz, a.a.O., S. 28 f. mit Abb. 184 S. 28. Morenz, a.a.O., S. 296.
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Visuelle Poesie
Abb. 184: Inschrift/Totentempel von Sethos I, um 1279 v. Chr.
12. Jh. v. Chr. erhalten ist.1940 Die Kreuzwortstrukturen ergaben sich durch das Ineinander von zwei Textmengen, das Einfügen eines sogenannten Intextes in einen Basistext. Dieser Intext wurde durch eine optische Hervorhebung etwa durch Linien-Umrahmungen, Fettung der Buchstaben usw. markiert, er konnte allerdings auch „unsichtbar“ im Basistext „versteckt“ und durch den kalkulierten Wechsel mehrerer Leserichtungen kunstvoll verschlüsselt werden, wie in den zwischen 50 v. Chr. und 50 n. Chr. entstandenen sogenannten „Tabulae iliacae“.1941 Denn außer den Kreuzwortstrukturen ergaben Stilmittel wie Akrosticha und Permutationen weitere geometrische Ordnungen und Leserichtungen. Dieser Umgang mit dem Sprachmaterial, die Aufhebung der üblichen Leserichtung, die Permutation und die strenge Gliederung einer Textfläche sind Ansätze, die später auch in der Konkreten Poesie zu finden sind. Schließlich entwickelte sich eine dritte Form der Visualisierung von Text als Figur, die abstrakt war, wie die Weiheinschrift als Spiraltext auf dem Archaischen Diskos1942 oder die sich entweder aus der Aufschrift auf einen Gegenstand ergab, wie die Weiheinschrift auf dem Beil von
1940
1941
1942
Abb. bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 19 (Foto/Detail) u. Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., Abb. 185 S. 215 (graf. Gesamtansicht). Abb. und Erläuterungen bei: Rypson, The Labyrinth Poem, a.a.O., S. 70 ff., der sich auf eine Monografie bezieht: Anna Sadurska, Les tables iliaques. Warszawa 1964; vgl. auch Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 388 ff. Inscriptiones Graecae Septentrionalis. Pars I. Ed. Guilelmus Dittenberger. Berlin 1897, S. 141, Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 9.
Text als Figur – Text im/als Bild
Abb. 185: Kreuzworthymnus auf die Göttin Mut, 12. Jh. v. Chr.
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Visuelle Poesie
St. Agatha1943, oder als Figurengedicht, das eine Figur abbildete, wie die Technopägnien1944 der griechischen Bukolik.1945
Technopägnien Die Technopägnien1946 wurden zwischen 300 und 200 v. Chr. von Simias von Rhodos (Ei, Flügel, Beil), Theokritos von Syrakus (Syrinx) und Dosiadas von Kreta (2 Altäre) verfasst. Ihre Überlieferung ist uneinheitlich insofern als in verschiedenen Codices sowohl die Umrissformen als auch die Zeilenanordnungen differieren.1947 Dieser Befund nährte die Vermutung, dass die in der Antike von Hand geschriebenen Gedichte nicht so aussahen wie in den späteren Druckausgaben.1948 Hinzu kam, dass bis heute nicht geklärt ist, ob diese Gedichte echte Epigramme realer Gegenstände waren,1949 oder nur Buchepigramme,1950 zwar als Aufschriften gedacht, aber nicht realisiert wurden1951, oder gar Nachahmungen von Votivgaben aus alter Zeit1952. 1943
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Inscriptiones Graecae. Siciliae et Italiae. Additis Graecis Galliae Hispaniae Britanniae. Germaniae Inscriptionibus. Ed. Georgius Kaibel. Bd. XIV, Berlin 1890, S. 160. Abb. und Übersetzungen beider Weiheinschriften in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 8 f. „!Technopägnien" sind Gedichte, die durch das Schriftbild bestimmte Gegenstände wie Flügel, Beil, Syrinx usw. darstellen. Das Wort !Technopaignia" bedeutet !Spielereien, in denen sich die Kunst des Dichters zeigt". Ausonius verwendet es für Hexameter, die mit einem einsilbigen Wort anfangen und enden. Oft wurden diese Gedichte auch nur genannt. Sie waren also literarische Scherze.“ (Günter Wojaczek, Daphnis. Untersuchungen zur griechischen Bukolik. Meisenheim a. Gl. 1969, S. 56). Zur Prägung des Begriffs bei Ausonius vgl. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 145 f. Irmgard Männlein-Robert, Stimme, Schrift und Bild. Das Verhältnis der Künste in der hellenistischen Dichtung. Heidelberg 2007. Silvia Strodel, Zur Überlieferung und zum Verständnis der hellenistischen Technopaignien. Frankfurt 2002. Zur Überlieferung ausführlich: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 54 ff., Abb. 186 S. 70. P. E Legrand, Bucoliques Grecs. Bd. II. Paris 1927/1953, S. 220 ff. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Die griechischen Technopaegnia. In: Jahrbuch des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts. Bd. XIV, H. 2. Berlin 1899, S. 51 ff., u. Die Textgeschichte der griechischen Bukoliker. Berlin 1906, S. 243 (= Philologische Untersuchungen 18). Carl Haeberlin, Carmina figurata Graeca. Hannover 1887, S. 23 f. u. 34. Hermann Fränkel, De Simia Rhodio. Göttingen 1915, S. 57 ff. Dornseiff, a.a.O., S. 66.
Text als Figur – Text im/als Bild
Abb. 186: Simias von Rhodos, Beil, um 300 v. Chr.
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Wojaczek kommt zu der Auffassung, dass es sich um Weiheepigramme handelte. Dafür sprechen die religiösen Inhalte: dionysische und orphische Motive im Triptychon des Simias, orphische Motive in den Altären des Dosiadas und Theokrits Weihe der Syrinx an Pan. Sie wurden nicht auf reale Gegenstände geschrieben, sondern auf Papyrus gezeichnet und anstelle realer Gegenstände geweiht. Unter Einbeziehung der Haeberlinschen These, dass die Technopägnien reine literarische Kreationen seien, folgt auch Ernst im wesentlichen dieser Auffassung, wenn er auch nicht ausschließt, dass vielleicht die frühesten Technopägnien noch auf reale Gegenstände geschrieben wurden, bevor man sie auf Papyrus zeichnete1953: „Für den genuin poetischen Charakter dieser visuellen Sprachgebilde spricht vor allem der Musenalter des Dosiadas, in dem die Beziehung zu einem materiellen, außerhalb der dichterischen Sphäre existierenden Altar expressis verbis negiert wird. Da dieses Technopägnion nach allen chronologischen Kriterien den Abschluß der hellenistischen Gattungsgeschichte bildet, darf man indes mit einigem Recht die Ansicht vertreten, dass das griechische Figurengedicht trotz seines originär literarischen Charakters am Beginn seiner Entwicklung noch eine relative Nähe zum realen Gegenstand und damit zur Epigraphik wahrt, während es sich am Schluß endgültig als poetisch-ästhetisches Gebilde emanzipiert hat.“1954 Ein wesentliches Merkmal der Technopägnien ist ihr Rätselcharakter aufgrund der zentaurhaften und teilweise labyrinthischen Form. So spielt auch Simias in der ersten Zeile des Ei-Gedichts direkt auf ein Bilderrätsel1955 in der mythischen Erzählung von Prokne und Philomela (Töchter des Königs Pandion) an: „Nimm dies neue Gewebe der geschwätzigen reinen dorischen Tochter Pandions“.1956 Es erstaunt nicht, dass dieses Rätsel-/Rebus-Prinzip – auf das schon mehrfach hingewiesen wurde – auch hier wieder auftaucht, ja schließlich auch in der Folge genuiner Bestandteil der griechischen Zauberpapyri ist, die zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert entstanden.
1953 1954 1955 1956
Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 49. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 33. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 45 ff., bes. S. 49. Wojaczek, a.a.O., S. 76.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Zauberpapyri Die griechischen Zauberpapyri enthalten Zauberanweisungen und Zauberrezepte, deren Quellen weit vor ihr Entstehungsdatum zurückweisen1957 und aus ägyptischer Magie, jüdischer Lehre und orientalischem Kult schöpften. In diesen Anweisungen gibt es zwei Varianten der Visualisierung von Text, wobei sich die eine Variante anschließt an bereits bekannte Ansätze geometrisch-abstrakter und Figuren abbildender Textformen ägyptischer Hieroglyphik und griechischer Bukolik, die andere aber einen neuen Aspekt in die Visualisierung von Literatur einbringt. Die zur ersten Variante gehörende häufigste Form ist die Figur des Dreiecks, das durch das Weglassen oder Hinzufügen von einzelnen Buchstaben am Anfang oder Ende einer Zeile von gleichen untereinander geschriebenen Namen, Zauberworten oder einfachen Vokalreihen entsteht. Überliefert sind Dreiecke, deren Spitze nach oben oder nach unten zeigt.1958 Rechtwinklige Dreiecke, deren Spitze mit dem kleinsten Winkel nach unten zeigt, die Waagerechte und Senkrechte also den rechten Winkel bilden, wurden in den Handschriften als Flügel oder flügelförmig bezeichnet. Dies geht auf Vorschriften zurück, die eine Beschriftung von Gegenständen forderten, wie die Beschriftung von Fledermausflügeln1959 als Zauber für Schlaflosigkeit oder als Traumforderung1960. Wei1957
1958
1959 1960
Karl Preisendanz, Papyri Graecae Magicae. Die griechischen Zauberpapyri. Leipzig 2001, Bd. 1, S. 61 weist auf eine Zauberwort-Kombination, die schon in Ägypten in einem hieratischen Papyrus der 21. Dynastie (ca. 1100 v. Chr.) auftauchte. Vgl. Entsprechungen der Konkreten Poesie in: klankteksten, a.a.O., S. 52, 95, 100, 132, 136. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 30 u. 82. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 32. Wolfgang Henningsen macht in seiner sehr gründlichen Magisterarbeit (Figurentexte: Vorstudie zu einer Typologie. Universität Hamburg 1986, S. 54) – der ich viele Informationen verdanke – auf 2 Stellen in den Zauberpapyri aufmerksam, die aus heutiger Sicht geradezu als eine Vorwegnahme Akustischer Poesie erscheinen muß: „Der Berliner Papyrus P 5026 beginnt mit einigen Zauberworten, denen die Anweisung folgt: !sprich den ganzen Namen flügelförmig" (Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 21). Sie gilt noch für ein weiter unten folgendes Zauberwort, bei dem die Aufforderung detaillierter wird: ! Sprich diesen Namen, auch ihn, je einen (Buchstaben) wegnehmend, flügelförmig." (Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 21). Der !Flügel" wird überhaupt nicht mehr aufgeschrieben, seine Vorstellung soll durch das Weglassen von je einem Buchstaben von Zeile zu Zeile beim Sprechen (!) der Worte sinnfällig gemacht werden. Durch Leerstellen im Text, durch gekonntes !Schweigen", wird seine visuelle Struktur geradezu !hörbar" gemacht. Visuelles wird transportiert in Akustisches. Die scheinbare Modernität eines solchen Vorhabens ist verlockend.“.
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Visuelle Poesie
tere Vorschriften beziehen sich auf die Beschriftung von Eiern1961 als Zauber gegen den eigenen Dämon oder für gute Geschäfte, Lorbeerblättern1962 zur Anrufung der Götter und für eine Offenbarung, Muscheln1963 für Bannungen, Beschwörungen, für Schlaflosigkeit und Liebeszauber. Zu diesen mehrfach auftauchenden Gegenständen gibt es andere, die jeweils nur einmal erscheinen: Szepter1964, Schale1965, Pflanzenwurzel1966, Türpfosten1967, Lampendochte1968 und Hufe eines Rennpferdes1969. Innerhalb dieser ersten Variante kommen neben den verschiedenen Dreiecksformen noch Kreis- und Spiralformen, Umrahmungen sowie Rechtecke und Quadrate vor allem für Permutationsformen hinzu. Aber auch Palindrome, Anagramme und Akrosticha wurden als Zauberformeln benutzt.1970 Viele Beispiele dieser geometrisch-abstrakten Variante erscheinen als Buchstabenkonstellationen mit strengen Konstruktionsprinzipien, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht gleich erkennbar sind, wie im Falle der „Unterweisung“. Vokale und Wörter sind Teil einer, durch ein Rechteck stilisierten kosmischen Ordnung, in dem an allen 4 Ecken die Wörter Osten, Süden, Westen und Norden, sowie über der oberen Linie das Wort Himmel, unter der unteren Linie das Wort
1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970
Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 24 u. 64. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 15, 21, 141, Bd. 2, S. 35 und 130. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 14, 17, 21, 141 Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 163. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 179. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 83. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 29. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 27. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 18. Sprachfiguren, die insbesondere später in der Konkreten Poesie eine Rolle spielen und auf Anagrammen, Lipogrammen, Akrosticha, Palindromen und Permutationen aufbauen, wurden untersucht von: Elisabeth Kuhs, Buchstabendichtung. Zur gattungskonstituierenen Funktion von Buchstabenformationen in der französischen Literatur vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Heidelberg 1982, S. 205: „die Verwendung solcher Kompositionen in der – religiösen wie profanen – panegyrischen Dichtung lassen auf eine hohe Wertschätzung der einzelnen Konstruktionstypen in Mittelalter und Renaissance schließen, ebenso wie ihre ernsthafte Behandlung in den zeitgenössischen Poetiken, ihre Situierung in klerikaler und höfisch-aristokratischer Sphäre und nicht zuletzt die ehrfurchtsvolle, magisch-mystische Konzeption von Buchstaben überhaupt bis etwa zum Ende des 16. Jahrhunderts.“ Solche Sprachfiguren sind in der gesamten europäischen Literatur nachweisbar und entwickelten sich schließlich von kunstvoll kryptischen Rätselkonstruktionen unter der Hand durch eine Fülle poetae minores zu wenig anspruchsvollen Spielereien.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 187: Leidener Papyrus J 395, 3.–4. Jh. n. Chr.
Erde und neben der rechten senkrechten Linie das Wort Luft steht. Dieses Text-Bild wird nun durch den Unterweisungstext besonders interessant, weil es sich als Sprechschema für eine akustisch-gestische und das Bild interpretierende Aktion entpuppt.1971 Gegenüber diesen strengen Konstruktionen gibt es nun eine zweite Variante der Textvisualisierung, in der Zeichnung und Text bzw. Buchstabenkonstellationen miteinander verwoben sind: z. B. entstand ein spiralförmiger Text, in dessen Zentrum ein Ibis erscheint,1972 dann eine grob skizzierte Dämonenfigur, deren Körper ganz mit Text ausgefüllt 1971 1972
Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 124, Abb. 187. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 13 u. Taf. I, Abb. 2.
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Abb. 188: Akephalos, Berliner Papyrus P 5026, 4. Jh. n. Chr.
Text als Figur – Text im/als Bild
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ist1973 und schließlich, wesentlich differenzierter gezeichnet, der Akephalos, eine kopflose Dämonenfigur, ebenfalls mit Texten und Konstellationen ausgefüllt.1974 Diese Darstellungen korrespondieren mit Anweisungen im „Großen Pariser Zauberpapyrus“, aus Wachs hergestellte menschliche Figuren1975 oder eine aus Lorbeerbaumholz geschnitzte Götterfigur1976 zu beschriften. Sie stammen aus dem 4. Jh. n. Chr. und sind bildhafter, in der Regel1977 weniger streng und besitzen ein Pendant in den nahezu zur gleichen Zeit zwischen dem 3. und 5. Jh. n. Chr. entstandenen Fluchtafeln.1978 Auch hier gibt es Zeichnungen, eingerahmt von einem oft sehr kryptischen Zeichen- und Textensemble,1979 die häufig Dämonen darstellen und ebenfalls mit Texten, Zeichen1980 und Konstellationen ausgefüllt sind. Sie wurden hergestellt – Wünsch bezieht sich auf die Circusrennen in Rom –, um „mittels eines mächtigen Bindezaubers den Konkurrenten zum Erringen des Sieges unfähig zu machen (…) Als wirksamster derartiger Zauber gilt die Anfertigung einer Bleitafel; auf ihr wird der Gegner verflucht und den Göttern der Unterwelt geweiht, die ihn fesseln und lähmen, sodaß von seiner Nebenbuhlerschaft nicht das Geringste mehr zu fürchten ist. Dieser abergläubische Ritus ist ziemlich alt, er findet 1973 1974
1975 1976 1977
1978
1979
1980
Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 163 u. Taf. III, Abb. 14. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 30 u. Taf. I, Abb. 2; eine bessere Abbildung (Abb. 188), auf der der Akephalos in einem größeren Textzusammenhang abgebildet ist, in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 36. Vgl. auch Dencker, TextBilder, a.a.O., S. 11. Preisendanz, a.a.O., Bd. 1, S. 83 u. 147 f. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 92 u. 117. Preisendanz, a.a.O., Bd. 2, S. 211 macht auf einen christlichen Papyrus aus dem 6. Jh. n. Chr. aufmerksam, der einerseits sehr streng gebaut ist, andererseits mit einer Zeichnung kombiniert wurde. Er besteht aus fünf Text-Kreuzen, die in drei Reihen untereinander angeordnet sind, wobei die Zeichnung in der dritten Reihe das dritte Kreuz ersetzt, sich also genau in der Mitte des gesamten Textkomplexes befindet. Abb. in: The Oxyrhynchus Papyrio. Part VIII. Ed. Arthur S. Hunt. London 1911, Taf. I/No. 1077. Richard Wünsch, Sethianische Verfluchungstafeln aus Rom. Leipzig 1898, Abb. 189 S. 16, (mit vielen Abb.); Fluchtafeln. Neue Funde und neue Deutungen zum antiken Schadenzauber. Hg. Kai Brodersen/Amina Kropp. Frankfurt 2004. Wünsch führt aus, dass die zunächst volkstümlichen und sehr einfachen Darstellungen „schon früh eine Entwicklung ins Künstliche, Komplizierte genommen (haben) und zwar von dem Augenblick an, da der abergläubische Gebrauch sich in einen rituell ausgebildeten Zauberaktus umsetzte.“ (Wünsch, a.a.O., S. 73). Wie in Griechischen Zauberpapyri tauchen auch hier Zeichen auf, die denen der Himmelsschrift der Hebräer sehr gleichen (vgl. Anm. 899).
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Visuelle Poesie
Abb. 189: Fluchtafel, 3.–4. Jh. n. Chr.
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sich innerhalb des griechisch-römischen Kulturkreises bereits im Ausgange des 5. Jahrhunderts v. Chr., und zwar in Attika. Dort hatte sich die mündliche Verfluchung eines Feindes, die es zu allen Zeiten und an allen Orten gegeben hat, in eine schriftliche umgewandelt, der man die Form eines Briefes an die Unterweltsgötter gab“.1981
SATOR-Quadrat Drei Gruppen der Visualisierungsformen lassen sich also erkennen: die abstrakt-geometrische Textfigur, das Figur abbildende Figurengedicht und die Bild und Text verbindende Variante des Textbildes. Alle drei nun finden sich in gewisser Weise in dem SATOR-Quadrat wieder, dessen früheste Überlieferung seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. bekannt ist1982 und ebenfalls – und nicht nur wegen der in der Tradition von Zauber und Magie beliebten Quadratform – einen magisch-apotropäischen Funktionszusammenhang zumindest nahelegt.1983 Es handelt es sich um die Konstruktion von drei Palindromen, SATOR, OPERA und TENET in einem Quadrat von 5 × 5 Buchstaben. Die Anordnung ergibt, dass in der 1. und 5. Zeile SATOR und die Umkehrung ROTAS erscheinen, in der 2. und 4. Zeile AREPO und die Umkehrung OPERA und in der Mittelzeile TENET, was dazu führt, dass sich sowohl von oben nach unten als auch von links nach rechts die gleiche Lesung ergibt. Die Übersetzung der Wörter lautet: SATOR – Säer1984, ROTAS = Räder1985, TENET = er hält1986, AREPO = Pflug1987, OPERA = Mühe1988. Daraus ergeben sich je nach Lesemöglichkeiten 1981 1982 1983 1984 1985
1986
1987
1988
Wünsch, a.a.O., S. 71. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 430 ff. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 433 f., 441 und 458 f. Im übertragenen Sinn: Urheber, Schöpfer, Erzeuger. Rota, ae (lt) auch: Wagen, Folterrad, Töpferscheibe, Rolle, Walze, Kreisbahn, Kreislauf, Wechsel, Unbeständigkeit. Teneo (lt) besitzt eine Vielzahl von Lesungen: halten, festhalten, steuern, erlangen, erfasst haben, besitzen, beherrschen, umfassen, besetzt halten, bewahren, binden, verpflichten, fernhalten, zurückhalten, unterdrücken, – um nur einige zu nennen. Die Lesung ist unsicher. Die Herleitung erfolgt von dem keltischen Wort „arepos“, es könnte sich aber auch um einen Eigennamen handeln. Opera, ae (lt) auch: Arbeit, Tätigkeit, Hilfe, Muße, Gelegenheit. Aber auch die Herleitung von opus, operis (lt) ist möglich: opera = Werke, Bauwerke, Kunstwerke.
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Visuelle Poesie
mehrere Deutungen im Zusammenhang, die sich vervielfachen, wenn noch die „versteckten“ Lesungen berücksichtigt werden. Versteckt insofern, als es zu den linearen Lesemöglichkeiten (links/rechts, rechts/ links, oben/unten, unten/oben) zumindest theoretisch weitere nicht-lineare gibt. S
A
T
O
R
A
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E
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A
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S
Schneider1989 las bereits in den vier Sektoren jenseits des TENET-Kreuzes POR(R)O und ARAS, was ihn zu der Übersetzung „du pflügst weiter“ oder „du wiederum pflügst“ führte. In ARAS stecken aber auch die Lesungen ARA = Altar, ARS = Kunst, AS = die Einheit, das zwölftägige Ganze. In PORO die Lesungen PRO = oh! ach! wehe! leider! (in Beschwichtigungsformeln), POR = dar-, hin-, vor- und vielleicht auch eine Ableitung von ORARE = reden, bitten, beten. Weiter gibt es Intexte wie ARATOR = Pflüger, OPTAS = abgeleitet von OPTARE = wünschen, TE = du (Akk./Abl.) usw. Wie weit alle diese möglichen Lesungen einzubeziehen sind, mag der jeweiligen kulturgeschichtlichen Sinndeutung vorbehalten bleiben. Jedenfalls kann in einem so kunstvollen Textsystem, das auf dem Prinzip doppelter Lesemöglichkeit aufgebaut ist, zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass auch diese eine Rolle spielten. Die bisher gängigsten Übersetzungen sind: Der Sämann Arepo hält mit Mühe die Räder/den Wagen (eine nahezu wortwörtliche Übersetzung), Satan, dreimal bitt ich dich: gib mir mein Vermögen wieder (entstanden aus der anagrammatischen Umstellung der Buchstaben zu: SATAN TER ORO TE REPARATO OPES) oder Der Schöpfer lenkt verborgen die Räder der Welt (eine sinngemäße Übersetzung)1990. Interpretationen also, die von der 1989
1990
Wolfgang Christian Schneider, SATOR OPERA TENET – PORO ARAS, !Der Sämann erhält die Werke – du aber pflügst". Eine Deutung des SATOR-Quadrats. In: Castrum Peregrini 189/ 190. Amsterdam 1989, S. 110 ff. Eine gründliche Zusammenstellung der Forschungslage bis 1977 gibt: Heinz Hofmann, Das Satorquadrat. Zur Geschichte und Deutung eines antiken Wortquadrats. Bielefeld 1977 (= Bielefelder Papiere zur Linguistik und Literaturwissenschaft VI, 1977). Vgl. auch: Herbert Stein, Das Sator-Quadrat: Magie, Mystik und Wissenschaft. In: Archiv für Religionspsychologie, Vol. 23, Göttingen 2000, S. 209ff.
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volkstümlichen Szene über die Satansbeschwörung1991 bis zur christlichreligiösen Formel reichten, wobei insbesondere die christlich-religiöse Variante durch eine weitere anagrammatische Umstellung der Buchstaben1992 erhärtet schien. Sie ergab in Kreuzform 2 mal PATER NOSTER mit den Buchstaben A und O, das und , der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets.1993 A P A T E R APATERNOSTERO O S T E R O
Aus der Fülle der Interpretationen1994, die das SATOR-Quadrat erfahren hat1995, und zu denen auch die Zuweisung von Zahlenwerten für die Buchstaben gehörte,1996 ist jedoch eine interessant, die zugleich auch die drei bisher ausgemachten Visualisierungsformen auf sich vereinigt. Sie stammt von Schneider1997, der eine christliche Deutung als unwahr-
1991
1992
1993
1994
1995 1996
1997
Auf ein Buchstabenquadrat, das genau wie das SATOR-Quadrat mit den drei Palindromen SATAN, ADAMA und TABAT gebaut und eine Satansbeschwörung ist, weist: S. Seligmann, Die Satorformel. In: Hessische Blätter für Volkskunde, Bd. XIII, Gießen 1914, S. 154 ff.; vgl. auch Stein, a.a.O., S. 214. Zuerst durch Christian Frank, In: Deutsche Gaue. Zeitschrift für Gesellschaftswissenschaft und Landeskunde 25, Kaufbeuren 1924, S. 76; dann Felix Grosser, Ein neuer Versuch zur Deutung der Sator-Formel. In: Archiv für Religionswissenschaft XXIV. Leipzig/Berlin 1926, S. 165 ff. „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende spricht Gott.“ (Das Neue Testament, Die Offenbarung des Johannes I,8). Auch grafischer Art wie z. B. bei Josua Reichert, vgl. Werkverzeichnis, a.a.O., S. 85, 152 u. 165. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 438 ff. Schneider, a.a.O., S. 118, Anm. 4; de Cózar, Poesia e Imagen, a.a.O., S. 89 ff.; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 452. Der diesen Deutungsversuch zum ersten Mal auf der Fachkonferenz „Visuelle Poesie im historischen Wandel“ 1987 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vorstellte.
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scheinlich annimmt1998 und das Buchstabenquadrat im Zusammenhang mit den Grundprinzipien des etruskisch-römischen Auguralwesens deutete. Die auf diesem beruhende Gliederung des Kosmos, die sich in der Grundkonstellation des Buchstabenquadrats spiegelt und die sich in der Gründung einer jeden Ordnung auf der Erde vollzieht, erkannte er in der Anlage eines „templum“, einer Stadt, eines Lagers oder überhaupt in der Landvermessung1999 wieder: „Der erste Akt jeder auguralen Gründung wie jeder Abgrenzung eines auguralen Beobachtungsraumes ist die Bestimmung der beiden Achsen, zunächst des Cardo (maximus), indem der Augurierende den Gesamtraum in den Bereich vor sich (antiqua) und hinter sich (postiqua) aufteilt, dann des Decumanus (maximus), indem der Augurierende den Bereich zu seiner Linken von dem zu seiner Rechten scheidet. Die beiden entstehenden Linien werden somit vom Standpunkt des bestimmenden Augurs aus gesetzt, so daß sie sich an eben diesem Punkt, seinem Standort im rechten Winkel kreuzen, und eben dieser Kreuzungspunkt bietet dann für die Gesamtgestalt den bestimmenden Mittelpunkt (groma). Auf Cardo (maximus) und Decumanus (maximus) werden in gleichen Abständen Grenzen gesetzt, durch die parallele Linien geführt werden, wodurch ein rechteckiger Raum von zumeist annähernd quadratischer Form entsteht. Im Auguralwesen wird diese Gestalt !templum" genannt.“2000 „Einem Römer musste in diesem Sinne das gekreuzte TENET im Quadrat zwangsläufig als Cardo und Decumanus eines geordneten Raumes erscheinen, an deren semantisch bedeutsamen Schnittpunkt eben das N2001 steht, das somit das Zentrum bildet. Die durch die Arme dieses Cardo-Decumanus-Kreuzes in allen vier Ecken ausgesonderten Teilquadrate (PORO ARAS) hatten demgegenüber eine geringere Qualität, in 1998
1999 2000 2001
Schneider, a.a.O., S. 102: „Der Fund zweier früher Belege in Pompeii aber, einer davon auf einer Säule der augusteischen !großen Palästra", der die Erfindung des Buchstabenquadrates auf die Zeit vor 79 n. Chr. festlegt, als die rituelle Sprache der Christen noch das Griechische war und sie selbst noch kaum in einer italienischen Landstadt vertreten sein konnten, macht diese und ähnliche christliche Deutungen höchst unwahrscheinlich.“ Siehe auch dort unter Anm. 2 die Aufarbeitung der Deutungsversuche. Dazu Abb. bei Schneider, a.a.O., S. 104 ff. Schneider, a.a.O., S. 106. Schneider, a.a.O., S. 108: „Die antiken Quellen legen es nahe, das !N" als Abkürzung von Nous (gr.) bzw. Nus (lat.), die (Welt-)Vernunft oder die göttliche Vernunft, aufzufassen. Derartige Abkürzungen waren im alltäglichen Schriftgebrauch in Rom nichts Seltenes, es gab Schriften, die nichts anderes enthielten als Auflösungen von Abkürzungen.“
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Stadt und Lager sind diese Teile die Wohnbereiche der Menschen, bei der Landvermessung liegen dort die einzelnen Parzellen (die übrigens ebenfalls grundsätzlich mit vier Buchstaben gekennzeichnet waren). Das Satorquadrat muß daher im Sinne des Auguralwesens als Ausformung eines !templum" betrachtet werden. Mit dieser Auffassung passt nun die Deutung der textlichen Bestandteile bestens zusammen. Die !einführende" Feststellung, dass der Sämann seine Werke erhält, wird durch die bildliche Anordnung bestätigt und erläutert; die zentrale Stellung des Nus, der im Kreuzpunkt der Achsen steht, und damit das gesamte !templum" bestimmt, erweist diesen als erklärende nähere Bestimmung des SATOR: Die Wirkmacht, die die Werke und damit den Kosmos in Gang bringt und erhält, ist eben die Weltvernunft. Auf diese sichernde Feststellung folgt dann der ethische Apell an den Leser, den Menschen, in einer Wendung, die erneut auf das Bild des Sämann rückbezogen ist: Sache des Menschen ist es, dem Säen entsprechend zu !pflügen", seinerseits also an der Aufrechterhaltung von Ordnung und Kosmos mitzuwirken.“2002 Schneider erkennt in dem Satorquadrat, das zeitlich und formal zwischen den klassisch-griechischen und lateinisch-spätantiken Visualisierungsformen stehe, die „Verknüpfung traditioneller etruskisch-römischer religiöser Anschauungen und stoischer wie akademischer griechischer Philosophie“2003. In ihm vereinige sich die bei den Griechen übliche Erschließung der Texte von der Außenstruktur und die in der Spätantike übliche von der Binnenstruktur: „von außen wie von innen her ist es als !templum" gebildet“.2004 So streng und ganz auf die Materialität der Buchstaben bezogen und in ihrer kunstvollen Konstellation zueinander konstruiert das Satorquadrat ist, es könnte also neben der Figur des Kreuzes auch ein Bild vom !templum" evozieren.2005 2002
2003 2004 2005
Wolfgang Christian Schneider, Das Satorquadrat als Bildtext. (Konferenz-Paper, Wolfenbüttel 1987, S. 2). Schneider, aO., S. 116. Schneider (Paper), a.a.O., S. 2. Und auch hier ließe sich aus heutiger Sicht eines der Grundprinzipien der Konkreten Poesie erkennen: „unter konstellation verstehe ich die gruppierung von wenigen verschiedenen worten, so dass ihre gegenseitige beziehung nicht vorwiegend durch syntaktische mittel entsteht, sondern durch ihre materielle, konkrete anwesenheit im selben raum. dadurch entstehen statt der einen beziehung meist deren mehrere in verschiedenen richtungen, was dem leser erlaubt, in der vom dichter (durch die wahl der worte) bestimmten struktur, verschiedene sinndeutungen anzunehmen und auszuprobieren.“ (Eugen Gomringer, konstellation und ideogramm. In: Theoretische Positionen zur Konkreten Poesie, a.a.O., S. 93).
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Visuelle Poesie
Nach diesen frühen Visualisierungsformen bekommt in der Folgezeit der ganz von der Außenstruktur bestimmte Umrisstext, sowohl als figurale Schriftfläche, als auch als Figurengedicht schärfere Konturen.
Figurale Schriftflächen Die figurale Schriftfläche2006 war im wesentlichen ornamentaler Bestandteil der frühen Handschriften. Besonders mit der Erfindung des Buchdrucks und dem beginnenden Spiel mit dem Satzspiegel gehörte sie zum üblichen Repertoire ästhetischer Buchgestaltung. Das Spektrum reichte von geometrischen Formen bis zu Abbildungen realer Gegenstände, äußerlich den Figurengedichten zwar ähnlich, aber nicht als solche zu verstehen, da in der Regel die äußere Form keinen inhaltlichen Bezug zum Text besaß. Ein interessanter Sonderfall ist bei Niccolò Machiavelli (1459–1527) in seinem „L’art de la guerre“2007 zu finden. Machiavelli entwarf mit Buchstabenfolgen den Aufmarsch einer Armee, wobei Personen/Dienstgrade und Einheiten durch verschiedene Buchstaben gekennzeichnet wurden (G = le chef général de l’armée, q = les hommes d’armes usw.). Auf diese Weise entstanden aus Buchstabenkonstellationen bestimmte Textfiguren, die zwar ein Bild der Regimentseinheiten evozieren könnten2008, aber keine Figurengedichte sind.2009 Ebenfalls keine Figurengedichte im strengen Sinne ergab der Versuch, in alten Kirchenliedern figürliche Entsprechungen zu Gegenständen zu finden. Beckers Darstellung2010 dazu ging von einer Silbenzählung aus, d. h. mit Hilfe eines rhythmisch-akustischen Verfahrens organisierte er die Texte der Kirchenlieder Zeile für Zeile nach dem Mittelachsenprinzip, so dass sich gewisse Ähnlichkeiten mit den Formen eines Altars, Taufsteins, Leuchters oder einer Brotschale zeigten. Außer der Tatsache, 2006 2007 2008
2009 2010
Vgl. auch Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 560 ff. Entstanden 1519–1520, veröffentlicht: Paris 1546. Das Evozieren von Bildern macht aufmerksam auf eine differenzierte Betrachtung des Begriffs Bild, wie ihn die englische Sprache mit picture und image einerseits als Ikon, als Abbild, andererseits als vorstellbare Bild faßt. Abb. in: Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 51. Albert Becker, Gestalt und Gehalt in Wort und Ton, a.a.O., S. 24 ff. Dort führt er neben einer ganzen Reihe von Beispielen auch weitere Literatur an, die seine These stützt. Vgl. auch: Richard J. Eichberg, Die Beziehung zwischen Kirchenliedern und Kirchengeräten (ein vergessener Sport). Berlin 1904.
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dass es einen sehr weiten Bezug insofern zu den Kirchliedern gibt, als es sich um kirchliche Gegenstände handelt, sind aber – wenn überhaupt – inhaltliche Verknüpfungen eher zufällig, wie im Kirchenlied von Paul Gerhardt, dem die Figur eines Leuchters zugeschrieben wurde:2011 Die goldne Sonne, voll Freud’ und Wonne bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht. Mein Haupt und Glieder die lagen darnieder aber nun steh’ ich bin munter und fröhlich, schaue den Himmel mit meinem Gesicht.
Figurengedicht Das eigentliche Figurengedicht, etwa in der Nachfolge der griechischen Technopägnien und wie es vor allem im Barock und später als Calligramme eine reiche Tradition besitzt,2012 also die einen realen Gegenstand abbildene, bzw. nachahmende, Inhalt und Form verknüpfende Textfigur, dürfte in ihrer ältesten Ausformung nicht vor den griechischen Technopägnien zu finden sein. Die Verbreitung im übrigen Europa, in den slavischen, hebräischen, arabischen und asiatischen Sprachräumen erfolgte deutlich später. 2011
2012
Becker, a.a.O., S. 25. Paul Gerhardt, Geh aus, mein Herz. Sämtliche deutsche Lieder. Hg. Reinhard Mawick. Frankfurt 2006, S. 51. Vgl. die ausführlichen historischen Darstellungen und Anthologien: Bowler, The word as image, aaO; Massin, (1970) a.a.O.; Dencker, Text-Bilder, a.a.O.; Miguel D’Ors, El caligrama, de Simmias a Apollinaire. Historia y antología de una tradición clásica. Pamplona 1977; Peignot, Du Calligramme, a.a.O.; Elizabeth Cook, Figured Poetry. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 42, London 1979, S. 1 ff.; Pozzi, La parola dipinta, aaO,; Hatherly, A experiência do prodígio, a.a.O.; Visible Language Vol. XX, 1, a.a.O.; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O.; Text als Figur, a.a.O.; Nicole Marie Mosher, Le texte visualisé: le calligramme de l’époque alexandrine à l’époque cubiste. Parisn 1990; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O.; Fünfundzwanzig Figurengedichte des Barock. Hg. Karl Severin. München 1983; de Cózar, Poesía e Imagen, a.a.O.; Soroka, Visual Poetry in Ukrainian Literature, a.a.O.; Schorneck, Calligrammes, a.a.O.; Rypson, Piramidy-słon´ca-labirynty, a.a.O.; Sylvain Bazin/Pierre Gandil/Thierry Guslevic/Jérôme Villeminoz, Apollon tisserand: La poésie figurée en France à l’époque moderne. Villeurbanne cedex 2003 (= Ecole Nationale Supérieure des Sciences de l’Information et Bibliothèque (ENSSIB)/Mémoire de Recherche Juillet 2003).
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Visuelle Poesie
Abb. 190: The 2Zhi 3mä Funeral Ceremony of the 1Na-2khi of Southwest China, o. D.
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Abb. 191: Vogel- und Insektenschrift aus Ts’ai, 5. Jh. v. Chr.
Die Entwicklung in China weist zunächst Bilderschriften2013 auf, wie die der Na-khi, einer chinesischen Minderheit am Fuße des Himalaya während der Sui und Tang-Dynastie, und wie die sogenannte Vogel- und Insektenschrift (niao-ch’ung-shu), die in dem Kompendium Chuan-li wên-t tì von Hsiao Tzu-liang (479–501) erscheint und bereits auf Schwertern und Bronzegefäßen des späten 6. und frühen 5. Jh. v. Chr. gefunden wurde. Es handelte sich um Schriftzeichen, die nicht aus Strichen zusammengesetzt waren, sondern aus kleinen, der Natur nachgeahmten stilisierten Bildzeichen, wie Schildkröten, Fische, Vögel, Wellenkämme und Wolken, – eine frühe Form der sich später entwickelnden europäi-
2013
„The 2Zhi 3mä Funeral Ceremony of the 1Na-2khi of Southwest China“ (Abb. 190 in: Technicians of the Sacred, a.a.O., S. 262). Das gesamte Manuskript ist zu finden bei: Joseph F. Rock, The Zhi mä Funeral Ceremony of the Na-khi of Southwest China. Described and translated from Na-khi manuscripts. Wien 1955 (= Studia Instituti Anthropos, Vol. 9). Beispiele der Na-khi-Schrift im Original in: http://dspace.nitle.org/handle/10090/2603 und mit Übersetzungen einzelner Zeichen in: http://international.loc.gov/intldl/naxihtml/rock.html. – Hinweise zur Vogel- und Insektenschrift bei: Helmut Brinker, Bild und Schrift in der chinesischen Kunst. In: Wort und Bild. Symposium des Fachbereichs Altertumsund Kulturwissenschaften zum 500jährigen Jubiläum der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen 1977. Hg. Hellmut Brunner u. a. München 1979, S. 60 ff., Abb. 191 S. 61; vgl. dazu Carlfriedrich Claus, „Insekt-Konsonanten“ (1960) in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 53.
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Visuelle Poesie
Abb. 192: Anonym, Chinese rosary prayer, 18. Jh.
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schen Figurenalphabete und Initialenkunst. Aus dem 2. Jh. n. Chr. sind dann auch abstrakt – geometrische Textfiguren überliefert2014, – reine Figurengedichte entstanden erst wesentlich später.2015 Zugrunde lag die Auffassung, daß Schriftkunst und Malerei eins seien2016, wie der Gelehrte Wang Shih-chên (1526–1590) formulierte: „Das Malen eines Bambusstammes gleicht dem Schreiben der Siegelschrift, der Bambuszweige gleicht der Kurrentschrift, der Bambusblätter gleicht der Regelschrift und der Bambusknoten gleicht der Kanzleischrift. Die von Kuo Hsi und T’ang Ti (1296–ca. 1364) gemalten Bäume, der von Wên Yü-k’o (Wên T’ung, 1018–1079) gemalte Bambus und die von Wên Jih-kuan (13. Jh.) gemalten Weinranken sind von der Kurrentschrift herzuleiten. Diese Bilder ähneln Schriftkunstwerken. Was die Typen der Schrift angeht, so gleichen Siegel- und Kanzleischrift Dingen wie Gänseköpfen, Tigerkrallen, unter dem Wind sich beugenden Lauchstengeln, rollenden Wogen, Drachen, Phönixen, Einhörnern, Schildkröten, Fischen, Insekten, Wolken, Vögeln, Elstern, Gänsen, Kühen, Ratten, Affen, Küken, Hunden, Kaninchen und Kaulquappen. Die Methode des Schreibens mag vergleichbar sein dem Zeichnen mit einem Stock im Sand, dem Eindrücken eines Siegels in seine Stempelfarbe oder dem Zerbrechen einer Haarnadel. Man mag sie vergleichen mit den Spuren durchsickernden Wassers in einem Dach, mit Felsen, die von einem hohen Kliff herabfallen, einer alten
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Franke, Chinese Patterned Texts. In: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 152 (Abb. 74) u. 212; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 808 ff. Etwa seit dem 13. Jh. wie die Beispiele zeigen bei Brinker, a.a.O., Taf. 6 (ein in Pagodenform geschriebener Sûtra-Text, Ende des 13. Jh.) und in: Hans-Rüdiger Fluck/Liang Yong, Visuelle Poesie im Deutschen und Chinesischen. In: Literaturstraße. Chinesisch-deutsches Jahrbuch für Sprache, Literatur und Kultur. Hg. Zhang Yushu/Hans-Georg Kremper/Horst Thomé. Bd. 3, Beijing 2002, S. 3 ff. Die erste Sammlung (Hui-wen lei-chü) chinesischer Textfiguren stammte von Sang Shih-ch’ang (gest. ca. 1140) und wurde im 16. Jh. von Chang Chi-hsiang (1507–87) stark erweitert neu herausgegeben (Hui-wen lei-chü hsü-pien). Abb. von chinesischen Figurengedichten aus dem 18. und 19. Jh. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 5 (Abb. 192) u. 6, sowie bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 821; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 152; Abb. 193 (K’uei-hsing ist der Literaturgott) in: Wort und Bild, a.a.O., Taf. IV u. eine Variante bei Bowler, The word as image, a.a.O. Taf. 7. Florence Ayscough, The Connection between Chinese Calligraphy, Poetry and Painting. In: Wiener Beiträge zur Kunst und Kulturgeschichte 6, Wien 1931, S. 37 ff., vgl. auch Frankel, Poetry and Painting, a.a.O.
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Abb. 193: Ma Tê-chao, K’uei-hsing, 19. Jh.
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verwitterten Weinranke oder einer auffgeschreckten Schlange, die ins Gras davongleitet (…) So sind Schriftkunst und Malerei in der Tat eins.“2017 Abstrakt-geometrische Textfiguren – ähnlich denen in China, allerdings später – gab es auch in Japan vor dem dortigen Aufkommen der Figurengedichte. Am ältesten dürften die Waka-Gedichte von Minamoto no Shitagô (911–983) sein2018. Aufbauend auf dem Quadrat und der Form des Kreises lassen sich diese Textfiguren bis ins 19. Jh. nachweisen, wobei die Textfiguren des Fujiwara no Tamekane (1254–1332)2019 sehr strenge Zeichenkonstallationen sind, wie sie der äußeren Form nach später auch in der Konkreten Poesie erschienen. Auch in Japan gab es Zeugnisse, in denen die Zeichen zu ihrer eigentlichen Bedeutung noch eine zusätzliche visuelle und sinnfördernde Komponente erhielten. In dem überlieferten Autograph eines Haiku (Abendsonnenschein/in der Mitte der Straße/fliegt ein Schmetterlin) von Takarai Kikaku (1661–1707), einem Meisterschüler von Matsuo Bashô (1644–1694), erscheint das schräg gestellte Zeichen für Abend „in mehr als vierfacher Größe und Dicke als die anderen Zeichen des Verses, so als wollte Kikaku mit aller Deutlichkeit auf die Schräge des einfallenden Lichtes hinweisen.“2020 Sein dominierendes Schwarz gegenüber den anderen zierlich, skizzenhaft zarten Zeichen, beherrscht das gesamte Zeichenensemble, das
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Wang Shih-chên, Ku-ching shu-yüan. In: Chung-kuo hua-hsüeh ch’üan-shih. Hg. Chêng Ch’ang. Shanghai 1937, S. 415 (Übersetzung dort in der Einleitung, o. P. (S. 9). Vgl. auch Anm. 1645. Zur Geschichte der verschiedenen Schriftformen im Chinesischen: Wolfram H. Müller-Yakota, Die chinesische Schrift. In: Schrift und Schriftlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung. Hg. Hartmut Günther/Otto Ludwig. 1. Halbband, Vol. 1 Berlin 1994, S. 347 ff. (= Handbücher zur Kommunikationswissenschaft. Hg. Hugo Steger/ Herbert Ernst Wiegand. Band 10.1). Sugurokuban no uta und Goban no uta Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 823 f.; Hiroo Kamimura, Visuelle Poesie in Japan. In: Visuelle Poesie aus Japan, a.a.O., S. 14 ff. Ganz ähnliche Beispiele auch bei: Gomizunoo Tennou (1596–1680), Fujiwara no Sukeyoshi (1622–1669), Ozawa Roan (1723–1801), Santou Kyouden (1761–1816). Vgl. dazu auch: Hiroo Kamimura, Japanische Figurengedichte vom 10. bis 19. Jahrhundert. In: Studies in languages and cultures Vol. 2, Institute of Languages and Cultures, Kyusyu University 1991, S. 1 ff., Abb. 194 S. 11. Shômon I. Das Tor der Klause zur Bananenstaude. Haiku von Bashôs Meisterschülern Kikaku, Kyorai, Ransetsu. Hg. Ekkehard May. Mainz 2005, Abb. 195 S. 31.
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Abb. 194: Fujiwara no Tamekane, o. T., 13./14. Jh.
wie zufällig, die Zeilenregelmäßigkeit vermeidend, auch eine grafisch ausgewogene Textfigur ergibt, die das Bild von einer Straße in einer stilisierten Landschaft evozieren könnte. Die Verlebendigung des Schriftzeichens gewann noch bildhaftere Züge, wenn die einzelnen Striche des Zeichens zugleich kennzeichenende Bestandteile einer gezeichneten Figur wurden, wie das in der ZenKalligrafie von Sekijo Yeseiji Hakuin (1685–1708)2021 zu sehen ist, die viel Ähnlichkeit mit den chinesischen Steindrucken von Ma Tê-Chao (19. Jh.) und Tung Tse-San besitzt.2022 2021
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Abb. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 8 und noch deutlicher in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 36. Abb. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 7, Abb. 193.
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Abb. 195: Takarai Kikaku, Haiku, 1687
Eine besonders kunstvolle Variante des Figurengedichts waren mikrografische Zeichnungen von Bildern, in denen die Linien nur von Schriftzeichen gebildet wurden. Auch diese Form gab es bereits in China vor ihrem Auftauchen in Japan (Bonjisho monjubosatsu) zwischen dem 14. und 16. Jh., eine – so könnte man sagen – Frühform der Skripturalen Malerei, die z. B. der Japaner Katou Nobukiyo (1734–1810) (Gohyakurakan zu) meisterhaft beherrschte. Bei ihm kam im Gegensatz zu den strengen mikrografischen Arbeiten, in denen nur Linienverläufe in der Regel als Schriftzeichen auftauchten, die skriptural-malerische Komponente dadurch besonders zum Ausdruck, als er auch Flächen (Haaransätze, Kleidung usw.) nur mit Zeichen „malte“. Strenge Vorformen dieser mikrografischen Gebilde waren die zwischen dem 8. und 14. Jh. entstandenen Kinjihoutou Mandala, die Tempel darstellten.2023 Unsicher ist, ob der Ursprung der Mikrographie in Asien2024 oder, wie Ernst darstellt, im 9. Jh.2025 „in jüdischen Codices aus der Frühzeit des Islam“ zu suchen ist, deren Tradition von den frühen textkritischen Aus2023 2024
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Abb. in: Visuelle Poesie aus Japan, a.a.O., S. 16. Abb. 196/197 (Archiv Dencker). So sind Beispiele neben denen aus China und Japan auch aus Indien überliefert, Abb. in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 21 u. 22 (Abb. 199). So auch Colette Sirat/Leila Avrin, La Lettre hébraïque et sa Signification – Micrography as art. Paris/Jerusalem 1981 (= Etudes de Paléographie hébraïque), S. 45, wo der Moshe Ben-Asher Codex, entstanden in Tiberias 895 n. Chr., als früheste Quelle genannt wird.
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Abb. 196: Anonym, Bonjisho monjubosatsu, 14.–16. Jh.
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Abb. 197: Anonym, Bonjisho monjubosatsu, 14.–16. Jh. (Detail)
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legungen des Alten Testaments (Massora)2026 bis zur rein ornamentalen Portrait-Mikrographie2027 und Darstellung von Gegenständen2028 der Gegenwart2029 reicht und sich, ausgehend vom hebräischen Sprachraum – mit dem wohl umfangreichsten Vorkommen2030 –, in ganz Europa2031 aus-
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Textkritische Überlegungen zur Thora gaben zwischen dem 3. und 6. Jh. dem Talmud seine Grundgestalt, die sich aus mehreren Teilen zusammensetzt und auf einer Manuskriptseite und unterschiedlich in Typografie und Größe der Schrift Textflächen ineinander verschränkt. Der Talmud besteht aus der Mischna (niedergeschriebener Thora und mündlicher Lehre), ihrer Diskussion (Gemara), dem Kommentar von Raschi (Rabbi Schlomo ben Jitzchak/1040–1105) und dem seiner Schüler (Tosefta), der Halacha (den religiösen Gesetzen) und den Geschichten, Sinnsprüchen und Gleichnissen (Haggada). Abb. u. Erläuterung in: Gabriele Mandel, Gezeichnete Schöpfung. Eine Einführung in das hebräische Alphabet und die Mystik der Buchstaben. Wiesbaden 2003, S. 116 (= L’Alfabetto ebraico. Milano 2000). Ein weiteres Beispiel ist das Buch Sefer Yetsira (Book of Formation) aus der gleichen Zeit: Abb. in: Exiled in the Word, a.a.O., S. 61. Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 613; Text als Figur, a.a.O., S. 184; Schenck, Das Bilderrätsel, a.a.O., S. 350, Abb. 139; Massin, (1970) a.a.O., S. 194, Abb. 821 u. 824. Zwei besonders schöne Beispiele sind der Einblattdruck von Christian Daniel Briegleb, Doctor Martinus Lutheruss In das Glaubensbekänntniß des heiligen Bischofs Athanasii gekleidet … (1786/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 2003) u. H. P. Hicken (zu Wiefels), Mikrographie des Oldenburger Grafen Anton Günther (ca. 1835/ Abb. und Text in: Jahrbuch des Landesmuseums Oldenburg 2005. Oldenburg 2006, S. 65–68. Abb. in: Massin, (1970) a.a.O., S. 210, Abb. 888–891; Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 119, Abb. 165; Avrin, Micrography as Art, a.a.O., S. 117b. Eindrucksvoll ist: Svetlana Kopystiansky (1950) „Seascape“ (1984/ Abb. in: writing on the wall, a.a.O., S. 193), in der eine ganze Seelandschaft nur durch feine Textlinien mit unterschiedlich (hell/dunkel) hervorgehobenen Buchstaben „gemalt“ wurde. Berjouhi Barsamian Bowler, The word as ikon. In: Typographica 16, London 1967, S. 13 ff.; Peignot, Du Calligramme, aO., S. 80 ff.; Avrin, Micrography as art, a.a.O., S. 46: „The first appearance of micrography was thus a natural outgrowth of minuscule writing, the demands of the masorah, the creative instincts of the Jewish artist in an iconoclastic zeitgeist, and a humorous delight in the Hebrew script. There is no need to ascribe micrography’s origins to Byzantine figured poetry or to Islamic monumental inscriptions, even if the soferim were aware of it. Its roots were in Jewish scribal traditions. But micrography’s uniqueness as a Jewish art form lies not only in its origins, but in its continued existence.“ In Frankreich entstand im 16. Jh. eine Handschrift (Bibliothèque Nationale, Paris) mit 22 mikrografisch gezeichneten Figurengedichten: Recherches de plusieurs … portraictes et escrites par Jacques Cellier, demeurant à Reims, 1583–1587, ein herausragendes Beispiel (Cellier), das Massin, (1970) a.a.O., S. 178 ff. mit allen 22 Abb. dokumentiert.
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breitete.2032 Für die jüdische Literatur nimmt Avrin nun an, dass auch das Entstehen reiner Figurengedichte2033 durch die Mikrographie befördert sein könnte: „Calligramatic poetry asserted itself in viarous periods of Jewish literary output. One of the earliest known examples is a poem in the shape of a tree by Abraham Ibn Ezra (d. c. 1164)2034 written in honor of Rabbenu Tam. These pictorial poems, in geometric shapes or in the forms of stars and the menorah, usually appeared in periods of declining poetic activity. While they could have been influenced by their non-Jewish counterparts, their inspiration could also have come from the true Hebrew micrography.“2035 Die Geschichte des Figurengedichts in Asien und im Vorderen Orient ist bisher nicht für alle Länder zureichend erforscht worden. Vereinzelte Belege ohne Vorformen, Entwicklungen und poetologische Zeugnisse sind zwar aus vielen Ländern bekannt. Vor allem Bowler versuchte schon früh historische Belege zu sammeln, z. B. für Tibet,2036 Birma (Burma/ Myanmar),2037 Malaya,2038 Pakistan,2039 Bengalien,2040 und Armenien2041. Aber umfangreichere Kenntnisse gibt es neben China und Japan nur aus Indien, Persien/Iran2042 und der Türkei2043. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass bereits Liede Anfang der 1960er Jahre Grundinformationen zu indischen, persischen und türki-
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Auch diese Form wurde von der Werbung übernommen: Beispiel die Jaguar-Werbung im Focus 28, München 1995. Abb. und Hinweise bei: A Big Jewish Book. Poems & Other Visions of the Jews from Triobal Timmes to Present. Hg. Jerome Rothenberg. New York 1978; Exiled in the Word, aaO; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 54 ff.; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 773 ff. Abraham ben Meir ibn Ezra (1092–1167), Abb. 203. Avrin, Micrography as art, a.a.O., S. 44; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 776. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 14–17. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 12 u.13; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 162 ff. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 11. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 18, 23 u. 24. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 20. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 42 u. 43. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 28–33, Abb. 198 Taf. 33, Abb. 199 Taf. 22; u. Rückerts Grammatik, Poetik und Rhetorik der Perser (vgl. Anm. 1781); A. L. Korn, Puttenham and the oriental Pattern-Poem. In: Comparative Literature Vol. VI, No. 4, Eugene/Or. 1954, S. 289 ff.; Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 31 f., Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 165. Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 34–41.
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Abb. 198: Gebet (des Poeten Sa’di, 1258), 18. Jh. (Persien)
schen Figurengedichten veröffentlichte2044 und speziell für die indische Literatur Kalanath Jha, der in den 1970er Jahren an der Bhagalpur University lehrte, umfangreiche Untersuchungen zur Optischen Poesie in der Sanskrit-Literatur vorlegte.2045 Später entfalteten dann die Beiträge von Siegfried Lienhard die ganze Entwicklung der Text-Bild-Dichtung2046, 2044 2045
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Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, a.a.O., S. 58 ff. Vgl. Anm. 35 u. K. J., Sanskrit Citrakavjas and the Western Pattern Poem: A Critical Appraisal. In: Visible Language Vol. XX, 1, a.a.O., S. 109 ff. u. unter gleichem Titel in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 157 ff. u. 221 ff. Lienhard, Text-Bild-Modelle der klasschen indischen Dichtung, a.a.O., S. 3 ff.; vgl. auch vom selben Autor: Enigmatisk vers och carmina figurata i sanskritdiktningen. In: Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademiens Årsbok 1983, S. 79 ff.; A History of Classical Poetry: Sanskrit-Pali-Prakrit. Wiesbaden 1984, S. 150 ff.; Carmina figurata dans la poésie sanscrite. In: BEI 10 (1992), S. 203 ff.; Textes et images dans la tradition bouddhique du Népal. In: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Comptes rendus des séances de l’année 1995, Paris, S. 207 ff.; Martial Art and Poetics. Some more observations on citrakavya. In: Lex et Litterae. Studies in Honour of Professor Oscar Botto. Ed. Siegfried Lienhard/Irma Piovano. Turin 1997, S. 343 ff.
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Abb. 199: Hanuman, 19. Jh. (Indien)
_ citraka vya oder kurz citra (auffallend, wunderbar, seltsam), im Tamil2047 cittira genannt, die ca. im 7. Jh. n. Chr. begann, ihren Anfang aber mit der Verwendung von Mitteln der literarischen Rhetorik, vor allem der Alliteration, Laut- und Silbenwiederholungen und permutativer Figuren
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Sanskrit gehört zu den indogermanischen Sprachen, Tamil zu den drawidischen Sprachen. Zur Optischen Poesie auf Tamil vgl. Ruth Walldén, Notes on cittira kavi in Tamil. In: Lex et Litterae, a.a.O., S. 537 ff.
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nahm2048, – zunächst wie in China und Japan in Form von geometrischen Figuren. „Für die Textgestaltungsverfahren ausschlaggebend waren _ poetischen _ _ die s´abda -lamkara s. Aus der Alliteration, dem anupra sa, sind, in sich rasch vermehrender Anzahl, Figuren der Konsonantenbegrenzung (niyama) und aus diesen eine weitere Klasse von Strophen entstanden, die, wenn entsprechend umgeschrieben, im Zickzack2049, im Rösselsprung u. dgl. gelesen, verschiedene geometrische Figuren ergeben oder, in meist nur annähernder Weise, innerhalb einer einen bestimmten Gegenstand silhuettenmäßig umreißenden Fläche arrangiert werden können. Die in die !geometrische" Kategorie fallenden Formen werden bandha, !Bindung", genannt. Aus ihnen ergab sich, als man das Wort citra nicht mehr als !frappierend", !Staunen erregend" verstand, sondern im Sinne von !Bild" interpretierte, eine Art !Bildgedicht", dessen entsprechend angeordnete Worte aber auch kein wirkliches Bild wiedergeben, sondern, wie eben erwähnt, allein in die durch den Umriß eines bestimmten Objekts geschaffene Fläche hineingepaßt sind.2050 (…) Eine bekannte citra-Figur ist der in Gestalt von Schlangenwindungen ange_ _ ordnete _na gapa s´a (Schlangenfessel), der, weil ein bandha darstellend, auch na gabandha !Schlangenbindung", genannt wird:“2051 Lienhard fand heraus, dass viele Figuren des citrabandha dem Lehrsystem der altindischen Kriegskunst entlehnt waren: „Gleichwohl geht auch diese Gedicht-Form auf eine Technik altindischer Krieglist zurück. Wie Textstellen in Mahabharata_ und_ im Trisastis´alakapurusacarita Hemacandras erweisen, erstellte na gapa _ s´a _ eine äußerst gefährliche magische Waffe, eine Schlangenwaffe (na ga stra), die, indem sie ein Festbinden der Füße (padabandhana) bewirkt, den Feind von Kopf bis Fuß regungslos macht. Unsere Abbildung zeigt, daß das literarische Gegen_ stück des na gabandha den Text, wenn umgeschrieben, in Schlangenwin2048
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2050 2051
Im Brief an Dencker v. 31. 1. 2007 teilt Lienhard mit, dass als einer der ersten Dichter der zwischen dem 1. u. 2. Jh. n. Chr. lebende As´vaghosa zu nennen sei. Eine entsprechende Arbeit weist Walldén, a.a.O., S. 539 im Tamil aus. ZickzackFormen gab es z. B. auch im 12./13. Jh. bei Theodoros Prodromos und Manuel Philes in der byzantinischen Literatur, Nachweise bei: Wolfram Hörander, Visuelle Poesie in Byzanz. Versuch einer Bestandsaufnahme. In: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik 40, Wien 1990, S. 33 u. 39. Lienhard, a.a.O., S. 33. Lienhard, a.a.O., S. 43. Vgl. diese Beispiele im Sanskrit und Tamil (bei Walldén, a.a.O., S. 545 ff. werden weitere Bildquellen genannt) u. Abb. 170 mit den „love knots“, Abb. 169.
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dungen wiedergibt. Wie schon erwähnt, ist es möglich, daß das Wort bandha in der Bezeichnung dieser und anderer Figuren die Bedeutung von !Festbinden", !Festbannen" hat und derartigen Strophen einst eine primär magische Wirkung zuerkannt war.“2052 Und auch spätere Figurengedichte stammten aus dem Bereich des Krieges und der Kampfhandlung, wie: Schwert, Keule, Bogen, Spieß usw. Lienhards Begründung: „On the one hand, the repetitive use of certain vowels and consonat-classes as well as of words or whole passages proved an excellent means of imitating the loud tumult of battle, the shouts of the warriors, the clash of weapons and, last but notleast, the sound of drums and other musical instruments, while, on the other hand, all the bandha forms we have mentioned represent poetical correspondences to certain army arrays worked out and made use in ancient Indian warcraft.“2053 Ein weiterer Grund für die reichlich vorhandenen Kenntnisse aus Persien/Iran und der Türkei zum Figurengedicht ist wohl die umfangreiche Rezeption islamischer Kalligrafie in der abendländischen Kunst2054 bis ins 20. Jh.2055 Die populären und weit verbreiteten Dokumentationen2056 weisen eine Fülle von Belegen auf. Diese Schriftkunst, die nicht als Kompensation zum Verbot der Darstellung des menschlichen oder göttlichen Antlitzes im Islam zu werten ist, geht darauf zurück, dass einerseits der Islam die vorislamische totemistische Religion mit ihren figürlichen Darstellungen zum Verschwinden bringen mußte2057 und an-
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Lienhard, a.a.O., S. 43 f., vgl. Abb. 170. Lienhard, Martial Art and Poetics, a.a.O., S. 350. Moncef Belghagi, Schrift und Bild. Die Rezeption islamischer Kufimotive in der abendländischen Kunst vom 11. bis zum 20. Jahrhundert. Köln 1988. Vgl. Das Bild von Paul Klee „Insula Dulcamara“ (1938/Abb. in: http://www.dl. ket.org/webmuseum/wm/paint/auth/klee/index.htm), das an den Thuluth-Stil erinnert. Islam Sanatinda Türkler/The Turkish Contribution to Islamic Arts. A cultural contribution by Yapi ve Kredi Bankasi. Instanbul 1976; Die Kunst der islamischen Kalligrafie, aO.; Yasin Hamid Safadi, Islamic calligraphy. London 1978; Geschriebene Welten. Arabische Kalligraphie und Literatur im Wandel der Zeit. Hg. Deniz Erduman. Köln 2004; Kulturtage/Cultural Days: Sharjah … Töne der Vergangenheit und Segel der Zukunft/The tune of the Past & Sails of the Future. Katalog. Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt 2004, o. P. (Dokumentation einer Ausstellung arabischer Kalligrafie); Word into Art. Artists of the Modern Middle East. Ed. Venetia Porter. Katalog. The British Museum, London 2006. Abb. 200 u. Abb. 201 in: Mandel Khân, l’écriture ARABE, a.a.O., S. 154 u. 161. Khatibi/Sijelmassi, a.a.O., S. 28.
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Abb. 200: Wa Hû, ’a la kul shaya qadir, 19. Jh.
Abb. 201: Mustafa Rakim Tashmektepli, Basmala, vor 1767
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dererseits die Sprache des Koran heilig und vollkommen sei und ebenso die Schrift nach Vollkommenheit zu streben habe. Nach dem Tod des Propheten Muhammad 632 schuf der Kalif Uthman ibn Affan (574–656) eine erste geordnete schriftliche Fassung des Koran. Damit begann mit den darauf folgenden Koransammlungen die eigentliche Geschichte der islamischen Kalligrafie, die sich in vielen Schriftformen und Stilarten äußerte. „Es ist interessant zu bemerken daß die Kalligraphen ihre Werke nicht als Bilder sondern als Schrift bezeichneten. In der türkischen Sprache können die Begriffe Schrift, Zeichnung, Bild ineinander übergreifen (…) Dass die türkische Bildkunst in erster Linie als Zeichnung aufgefaßt wurde, führte dazu, Bilder als Schrift bezeichnen zu können.“2058 Für das Figurengedicht2059 waren es die vorwiegend in kufischer Schrift gebildeten Architekturen (wie Moscheen) sowie in Neshi-Schrift, im Thuluth-Stil oder in der Gulzar-Technik gebildeten Tierfiguren, deren Texte oft auf dem Grundgebot des Islams, dem Kelime-i Sehadet („Es gibt kein Gott außer Gott und Muhammad ist sein Prophet“) oder dem Basmalah2060 genannten Beginn des Korans und Anfangs jeder Sure („Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen“) basierten. Besonders die kufischen Schriftbilder waren geeignet, Ordnung und System des göttlichen Wortes sichtbar zu machen: „Über diese Erkenntnis hinaus lassen sich die Kufimotive (trotz ihres manchmal rätselhaften Charakters) als Zeichen von etwas anderem, das in den Bildern immanent ist, verstehen, also als ein Zeichen des Göttlichen selbst.“2061 „In dieser von realistischer Darstellung entfernten dekorativ-abstrakten Brüderschaft von Schrift und Bild spiegelt sich die Welt der Volkslegenden und des Volksglaubens wieder. Wie dort sind Landschaft, Blumen, Zypressen, Menschen keine Abbilder der Natur, sondern Sinnbilder einer religiösen Phantasie.“2062 2058
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Malik Aksel, Das Schrift-Bild in der türkischen Kunst. In: Anatolica 1, Leiden 1967, S. 111. Eine reiche Sammlung von Beispielen bietet Aksel, Das Schrift-Bild in der türkischen Kunst a.a.O., S. 111 ff. u. Religious Pictures in Turkish Art/Türklerde dinî resimler. Istanbul 1967. Siehe auch: Khân, l’écriture ARABE, a.a.O., S. 110 ff., bes. S. 148 ff. Von Amentü Gemisi wurde mit animierten Figurengedichten ein türkischer Film hergestellt, Abb. in: Die Kunst der islamischen Kalligrafie, a.a.O. S. 79 f. u. Mandel Khân, l’écriture ARABE, a.a.O., S. 174 f., im Internet: http:// www.youtube.com/watch?v=OTK4g7bt7j8. Lexika schreiben Basmalah (gespr. Bismillah), umgangssprachlich: Bismalah. Bei Aksel, Das Schrift-Bild in der türkischen Kunst, a.a.O., S. 155 Besmele. Belghagi, a.a.O., S. 228. Aksel, Das Schrift-Bild in der türkischen Kunst, a.a.O., S. 111.
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Doch neben der Rezeption der islamische Kalligrafie ist es wieder ein einzelner Forscher, Abdullah al-Udhari (SOAS/Centre of Islamic Studies der University of London), der für die Entdeckung des Figurengedichts von erheblicher Bedeutung war. Er machte erstmals in Wolfenbüttel 1987 auf den Unterschied im Arabischen zwischen den kalligrafisch-dekorativen Formen und der bis ins 7. Jh. n. Chr. zurückgehenden „line poetry“2063 aufmerksam und brachte damit für diesen Sprachraum „echte Zeugnisse für das Genos Figurengedicht aus dem arabischen Mittelalter ans Licht“2064: „Dick Higgin’s intimation in Pattern Poetry: Guide to an Unknown Literature that Arab line poetry is essentially a form of calligraphy rather than a distinct poetic genre reflects a misleading view widely held by western scholars. This view is not based on a study of the area in question, but on secondhand information. The truth of the matter is Arab line poetry is not related to calligraphy, it is an independent poetic genre whose origins go back to the 7th century, during which the first major attempts to write experimental poetry were made. In the poetry anthology Kitab al-Zahra (Book of Flowers), edited by the Abbasid poet, critic and theologian Muhammad ibn Da’ud (867–909), there is a section devoted to experimental poetry under the heading !Poems appreciated for their departure from the familiar". The section contains two square poems, two palindrome poems, one multiple poem (poem within a poem), one sound poem and several unusal poems some of which are based on the idiosyncratic qualities of the Arab alphabet. Apart from two well-known experimental poems one by Umar ibn Abi Rabi’a (644–711) and the other by Abu Nuwas (752–813), Ibn Da’ud does not mention the authors of the poems nor when they were written. „2065 Abdullah al-Udhari sammelte eine Reihe von Belegen vom 10. bis 14. Jh. n. Chr., Belege für eine Tradition, die bis in die Gegenwart reicht: „The writing of line poetry in the forms of tree, circles, squares, stars, crescents, chessboards, etc. has continued to the present day. It is still a living tradition.“2066 An einem Beispiel aus dem 10. Jh. n. Chr. machte er die Strukturen dieser Poesie deutlich, die bereits ganz ähnlich in ande-
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Diese figurative Zeilenführung tauchte auch in nicht-poetischen, z. B. Textbildern der Anatomie auf, vgl. Anm. 1767. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 768. Abdullah al-Udhari, Arabi Line Poetry. (Konferenzpaper) Wolffenbüttel 1987, S. 1. Konferenzpaper, a.a.O., S. 3.
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ren Kulturkreisen begegneten: „Towards the end of the 10th century AlIskandarani wrote a poem in the shape of a tree known as !Dhat alDauha" (the tall, leafy tree poem) in praise of the Fatimid Caliph AlAziz who reigned from 976 to 996. The poem, probably written to bolster the Caliph’s claim of being a descendent of the Prophet Muhammad, is a poetic illustration of a saying attributed to the Prophet Muhammad which runs: !My family is a tree with strong roots in the earth and branches in heaven". The fifteen-distiches poem makes up the trunk of the tree flanked by seven distiches on each side in the form of branches.The poem should be read in a downward manner, first from the right side of the trunk, then from the left side. The first word of the hemistich which forms the upper part of the trunk is also the first word of the first hemistiches on both sides of the trunk. The first two words of the upper part of the trunk are also the first two words of the two sequential hemistiches on both sides of the trunk, and so on. The same order is repeated for the lower part of the trunk.“2067 Ein Überblick über die weitere Verbreitung und Entwicklung des den Gegenstand abbildenden Figurengedichts2068 zeigt nun, daß diese Form nach dem ersten Aufkommen in der griechischen Antike auch in anderen Kulturkreisen mit Verzögerung erst später wieder auftauchte. So im europäischen Kulturkreis,2069 einschließlich Russlands2070 mit den angrenzenden Staaten, wie z. B. der Ukraine.2071
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Konferenzpaper, a.a.O., S. 2 f., Abb. 202 Nr. 3 u. bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 772. Vgl. dazu Abb. 203, nach Higgins das früheste hebräische Figurengedicht in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 55. Zeittafel zur Geschichte des abendländischen Figurengedichts in: Schorneck, Calligrammes, a.a.O., S. 26 f. Z. B. für Belgien (Matthijs de Castelein, De const van rhetoriken. Ghent 1555), Dänemark (Peter Kaspersen, Spurvesol. Viborg 1989; Erik Dal, Figurdigte I nutid, baroktid og middelalder. Hvordan?-Hvorfor? In: Hæfte 17, 1966, S. 3 ff.; Erik Dal, Lidt om figurdigte og expressiv typografi. In: Hæfte 4, 1971/73, S. 129 ff.; Jens Hougaard, Dansk literaturhistorie 3. Kopenhagen 1983, S. 108 u. 389), Deutschland (Robert G. Warnock/Roland Folter, The German Pattern Poem. A Study in Mannerism of the Seventeenth Century. In: Festschrift für Detlev Schumann zum 70. Geburtstag. Hg. Albert R. Schmitt. München 1970, S. 40 ff.; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 71 ff.), England (Korn, Puttenham and the Oriental Pattern-Poem, a.a.O.; Dick Higgins, George Herbert’s Pattern Poems: In Their Tradition. New York 1977; Bart Westerweel, Patterns and Patterning. A Study of Four Poems by George Herbert. Amsterdam 1984; Martin Elsky, George Herbert’s Pattern Poems and the Materiality of Language: A new Approach to Renaissance Hieroglyphics. In: ELH 50, Baltimore 1983, S. 245 ff.; Margaret
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Abb. 202: Al-Iskandarani, Dhat al-Dauha, 10. Jh.
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Abb. 203: Abraham ben Meir ibn Ezra, Baum, vor 1167
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Der Grund für die späte Wiederaufnahme in der Renaissance, die vor allem dann seit dem 16. Jahrhundert in fast allen Ländern erfolgte und mehr und mehr Kasuallyrik wurde, könnte die Überlieferungsgeschichte der Technopägnien der Griechischen Anthologie sein. Die bekannten Co2070
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Church, The First English Pattern Poems. In: Publications of the Modern Language Association of America (PMLA), Vol. 61, New York 1946, S. 636 ff.), Finnland (Melander, Suomen kirjapainotaitoa barokin vuosisadalla, a.a.O.), Frankreich (Seaman, Concrete Poetry in France, a.a.O.), Holland (David Joris de Gand, Wonderboek. Deventer 1552), Island (Hubert Seelow, Vier Gedichte für eine Hochzeit im Jahre 1738. In: Gripla 7, Reykjavik 2000, S. 131 ff.), Italien (Luciano Caruso, La poesia figurata nell’Alto Medioevo. In: Atti dell’Accademia die Scienze Morali e Politiche della Società Nazionale di Scienze/Lettre ed Arti Vol. 82. Napoli 1971, S. 313 ff.), Giovanni Pozzi, La parola dipinta, a.a.O.), Kroatien (Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 151), Polen (Piotr Rypson, Gdan´ska poezja wizualna XVII wieku. In: Rocznik Gdan´ski 47.1, Gdan´sk 1987, S. 75 ff.; Piotr Rypson, Piramidy – słon´ca – labirynty, a.a.O.), Portugal (Hatherly, A experiência do prodígio, a.a.O.), Rumänien (Repertoriul monumentelor s¸i obiectelor de arta din timpul lui Stefan ¸ cel Mare. Bukarest 1958), Schottland (The Order of Things, a.a.O., S. 89 ff.), Schweden (Sven Almquist, Johann Kankel. Pehr Brahes boktryckare på Visingsö. Stockholm 1965, S. 64 ff.; Ulf Gran, Studier i manierism (ungedruckte Fil. Lic. [Licentiatavhandling], Humanistiska Fakulteten Universiteter Lund, Oktober 1964/ Examen März 1965, Fil. Doc. h. n. 2005): Figurdikt S. 59–210); Lars Burman, Figurdikten som barock blandkonst. In: Lyrikvännen 4, Stockholm 1991, S. 191 ff.), Serbien (Milorad Pavic´, Istorija srpske knjizˇevnosti baroknog doba (XVII i XVIII vek). Beograd 1970; Dagmar Burkhart, Vom Carmen figuratum zur visuellen Poesie. An serbischen Beispielen des Barock bis zur Gegenwart. In: Zeichen zwischen Klartext und Arabeske. Hg. Susi Kotzinger/ Gabriele Rippl. Amsterdam 1994, S. 81), Spanien (Juan Diaz Rengifo, Arte poética española. Salamanca 1592; de Cózar, Poesía e Imagen, a.a.O.), Tschechische Republik (Mirjam Bohatcová, Homo ludens. In: Knizˇni kultura 10, Prag 1965, S. 397 ff.; Kulturneˇ-literární revue: Pandora 14. U´sti nad Labem/CR 2007), Ungarn (István Kilián, Figurengedichte im Spätbarock. In: Laurus Austriaco-Hungarica. Literarische Gattungen und Politik in der zweiten Hälfte de 17. Jahrhunderts. Hg. Béla Köpeczi/Andor Tarnai. Budapest/ Wien 1988, S. 119 ff. u. ders., A régi magyar képvers. Old Hugarian Pattern Poetry. Budapest 1998). Simeon Polotskij, Izbrannie sochineniia. Hg. I. P. Eremin. Moskva 1953; Dmitrij Tschizˇewskij, Formalistische Dichtung bei den Slaven. Wiesbaden 1958, S. 42ff.; Sergej Birjukov, Zevgma. Russkaja poezija ot man’erizma do postmodernizma. Moskau 1994, S. 160 f.; Tocka zrenija, a.a.O., Abb. 204 S. 104, vgl. auch Anm. 2446. Mykola Soroka, Visual Poetry in Ukrainian Literature in the End of the 17–18th Century, a.a.O., No. 16 u. Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 151, allerdings hier mit einem falschen Autor versehen, vgl. die Richtigstellung von Mykola Soroka, Visual Poetry in Ukrainian Literature. In: the UKRAINIAN review, Vol. 45, No. 1, London 1998, S. 75 f.
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Abb. 204: Simeon Polockij (Polozkij), Herz, 1629–1680
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dices2072 reichen vom 10. bis ins 18. Jahrhundert, wobei der Schwerpunkt der handschriftlichen Rezeption im 15. Jahrhundert lag.2073 Nach einem gewissen Höhepunkt im Barock, als es die Ausfüllung von gezeichneten Figuren mit Text gab2074, häufiger aber die Figurzeichnung nur mit Text, insbesondere bei Johann Helwig und Johann Rudolf Karst (1614–1682)2075 und Johann Geuder2076 und geringerem Aufkommen im 18. Jahrhundert2077, verdichten sich die Belege wieder im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, – herausragend die handschriftlichen Calligrammes von Apollinaire.2078 Seit dem 20. Jahrhundert ist das Figurengedicht dann Bestandteil des Formenrepertoires der Optischen Poesie,2079 wobei sich über die Jahrhunderte zeigt, wie bestimmte 2072 2073
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Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 54 ff. „The initial impulse came from Italy. Early in the fifteenth century Greek expatriates began to popularize the Greek Anthology; the first printed edition went to press in Florence in 1494. During the next century a number of editions of the Anthology as well as selections from the bucolic poets appeared in Italy, France and Germany.“ (Warnock/Folter, a.a.O., S. 41). Johann Michael Döler (1645–1697), Abb. 205 in: Emblemata Hamburgensia. Emblembücher und angewandte Emblematik im frühneuzeitlichen Hamburg. Hg. Antje Theise/Anja Wolkenhauer. Kiel 2009, S. 116. Zu Helwig in: Die Nymphe Noris In Zweyen Tagzeiten vorgestellet … (1650), alle Figurengedichte nachgewiesen in: Text als Figur, a.a.O., S. 152. Zu Karst in: Deutscher Dicht-Kunst Lust- und Schauplatz. Frankfurt 1667, viele Abb. in: du Calligramme, a.a.O., S. 66f., Abb. 206 S. 67. Abb. 207 Epitaph des schwedischen Dichters Samuel Petri Talenus (1646–1702) auf Brita Jacobsdotter in: Higgins, Pattern Poetry, aO., S. 91. Der Fried-Seligen Irenen Lustgarten … (1672), alle Figurengedichte nachgewiesen in: Text als Figur, a.a.O., S. 152. Liede, Dichtung als Spiel, Bd. 2, a.a.O., S. 199, spricht schon von einer Abkehr der bekannteren Dichter vom Figurengedicht im 17. Jh., ebenso Kessler, Untersuchungen zur Konkreten Dichtung, a.a.O., S. 50. Guillaume Apollinaire, Calligrammes. Poèmes de la paix et de la guerre (1913–1916). Paris 1966, weitere Calligrammes sind in den Sammlungen „Poèmes à Lou“ (Abb. 208 in: G. A., Poèmes à Lou. Paris 1969, S. 127), „Poèmes à Madeleine“, „Poèmes à la Marraine“, „Poèmes Épistolaires“ u. „Poèmes Retrouvés“ zu finden. Beispiele aus verschiedenen Ländern: Claus Bremers Figurengedichte (1968/ in: Texte und Kommentare, a.a.O., o. P., siehe: Abb. 145), die „Types of Shape“ (1969/Abb. in: Speaking Pictures, a.a.O., S. 226 f.), die Scriptoformes (1981) von Michel Beau (Beau, Scriptoformes. Argentan 2000), oder die Figurengedichte des aus Estland stammenden Autors Fagira D. Morti (in: Enam Vähem, Rühmitus Õigem Valem [Jan Kaus, Kalju Kruusa, Juku-Kalle Raid, Fagira D. Morti]. Tallinn 2003, S. 66 ff.). Vladan Radovanovic´, Portrait-Landscape (1954) Abb. 209 in: oosteuropese konkrete en visuele poëzie. Hg. G. J. de Rook. Den Haag ca. 1977/1978, Heft 2, S. 53. Noch zu entdecken ist der amerikanische Poch David Daniels (http://hyperex.co.uk/reviewdaniels.php).
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Abb. 205: Johann Michael Döler, Arboretum oder Geistlicher Baum-Garten, 1679
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Abb. 206: Johann Rudolph Karst, Ehrliches Herz, 1667
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Abb. 207: Samuel Petri Talenus, Mors Foenisex, 1675
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Abb. 208: Guillaume Apollinaire, Poème du 9 février 1915
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Abb. 209: Vladan Radovanovic´, Portrait-Landscape, 1954
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Motive2080 immer wieder aufgenommen werden, aber auch durch die Ausbeutung in Werbung2081, Gelegenheitsdichtungen2082 oder -mitteilungen2083 Verflachungen erfolgen, die vor allem auch in der TypewriterArt2084 und Teletype-Art (RTTY Art)2085 zu beobachten sind. 2080
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Häufig wiederkehrende Motive sind die Pyramide (Ulrich Ernst, Europäische Figurengedichte in Pyramidenform aus dem 16. und 17. Jahrhundert. In: U. E., Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 91ff.; Rypson, Piramidy – słon´ca – labirynty, a.a.O.; Kladderadatsch 6. Jg. Nr. 60, Berlin 25. 12. 1853, S. 238; Ernst Jandls Pyramidengedichte (1964) in: E. J., Sprechblasen. Stuttgart 1979, S. 67ff.; Arrigo Lora Totino, indecifrabile (1966), Abb. in klankteksten, a.a.O., S. 100) u. das Kreuz (Ulrich Ernst, Die neuzeitliche Rezeption des mittelalterlichen Figurengedichtes in Kreuzform. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 181ff.), Kreuzfiguren als Intexte oder als Umrißgedichte, wie sie auch als Satire in: Kikeriki! Nr. 24, Wien 1865, (Titelseite) und später dann bei Yvan Goll („Lothringisches Kreuz“ (1944/Abb. in: Goll, Dichtungen. Lyrik. Prosa. Drama. Hg. Claire Goll. Neuwied 1960, S. 366) oder Friedericke Mayröcker („Für Vladimir Kafka“ (1971/Abb. in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 155, unter dem Titel „In memoriam Vladimir Kafka“ in veränderter Form erschienen als Bogendruck 5 im Rainer Verlag, Berlin 1972) zu finden sind. Eine Sammlung von Kreuzformen (und anderer Figurengedichte) steht im Internet unter: http://www.wlb-stuttgart.de/referate/theologie/famprvi1.htm. Ein anderes Bsp. ist die Rose, für die es Belege gibt von Paschasius (1674) bis Federico Garcia Lorca (1934), siehe: Hatherly, A experiência do prodígio, a.a.O., Fig. 59; Text als Figur, a.a.O., S. 78, 105, 131, 261; Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 59, 62; Rypson, Piramidy – słon´ca – labirynty, a.a.O., S. 310; Peignot, Du Calligramme, a.a.O., S. 117; Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 74; Kilián, Figurengedichte im Spätbarock, a.a.O., S. 170. Interessant zu beobachten ist, wie sich fast gleiche Ideen völlig unabhängig voneinander entwickeln konnten: Bsp. Robert Smithson, A Heap of Language (1966/Abb. in: Smithson, a.a.O., S. 218) und Vagn Steen, Ameisenhaufen mit Spezialarbeitern (1962/ Archiv Dencker). Von Kurt Schwitters stammt ein Anzeigenentwurf für das Handarbeitshaus Buchheister „Ohne Titel /Woll-kenkratzer)“ (1926/ 28), eine Textfigur als Hochhaus, Abb. in: Aller Anfang ist Merz – von Kurt Schwitters bis heute. Hg. Susanne Meyer-Büser/Karin Orchard. Ostfildern-Ruit 2000, S. 107. Vgl. weiter: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 170 ff.; Schorneck, a.a.O., S. 306 ff.; Typografie – wann wer wie, a.a.O., S. 35. Madtail, Miniwhale and other Shape Poems. Chosen by Wes Magee. London 1989. Willi Baumeister (1889–1955) „Kykladenfigur“ (17. 3. 1940, Postkarte an Heinz Rasch/Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., S. 202). Nathan Krevolin, Art Typing. New York 1962; Alan Riddell, Typewriter Art. London 1975; Dan Carlinsky, Typewriter Art. Los Angeles 1978; Bob Neill, Typewriter Art. London 1984; Literatur im Industriezeitalter, Bd. 2, a.a.O., S. 995 ff.; McLuhan, Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 297 ff. Informationen u. Abb. in: http://www.rtty.com/gallery/gallery.htm, vgl. auch Anm. 2873.
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Abb. 210: Flora Stacey, Butterfly, 1898
Das „Malen“ mit der Schreibmaschine kann bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgt werden, wo Schreibmaschinen-Firmen Wettbewerbe für Bilder ausschrieben, die mit der Schreibmaschine hergestellt wurden. Aus dieser Zeit ist eine Arbeit der Engländerin Flora Stacey2086 erhal2086
Könnte Florence Annie (Flora) Stacey, geb. ca. 1872 in Chilham/Kent, gemeint sein. Das A in Annie passt alledings nicht zu dem von Riddell zitierten Namen: Flora F. F. Stacey. Abb. 210 in: Typewriter Art, a.a.O., Vorsatzblatt.
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ten, die in einem Rahmen einen Schmetterling sitzend auf Blüten zeigt: „It may be noted that in competitions for typewriter drawings Miss Stacey has been extremley successful (…) An outsider, or one unaccustomed to the use of the typewriter, can scarcely realise what an expenditure of time and patience is necessary in order to successfully execute one of these curious drawings. The paper has, of course, to be turned and returned, and twisted in a thousand different directions, and each character and letter must strike precisely in the right spot.“2087 Erst im 20. Jahrhundert wurde die Technik dann anspruchsvoller genutzt.2088 Im Grenzbereich solcher Verflachungen liegt ohne Zweifel auch der 1965 als Weihnachtskarte gedruckte „Apfel“ von Reinhard Döhl, eine aus den Wörtern „Apfel“ bestehende und zur Form des Apfels geschnittene Textfläche, in der einmal das Wort „Wurm“ das Wort „Apfel“ ersetzt, wodurch noch einmal das bereits aufgeworfene – und für das Figurengedicht wegen seiner abbildenden äußeren Form besonders große – Problem des Übergangs von der ikonografischen zur ideografischen Optischen Poesie verdeutlicht wird.2089 Während Ignaz Agnostowitsch2090 2 Jahre vorher eine bewußte Pa2087
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Text u. Abb. in: Typewriter Art, a.a.O., S. 11 u. (Innen)Titelseite; erschienen in: The Phonetic Journal, London 15. Oct. 1898, S. 602. Siehe vor allem Riddell, Typewriter Art, a.a.O., der auch frühe Beispiele zwischen 1923 und 1929 von Hendrik-Nicolaas Werkman S. 19 ff. abdruckt, Abb. 211 S. 19 (vgl. auch: Le Mouvement de L’Espace. Typographique années 1920 1930, a.a.O., S. 20 f.), dann Siegfried Kracauers Schreibmaschinenbilder (vgl. Kracauer, Das Schreibmaschinchen (1927) in: http://www.gingko.ch/ cdrom/Utz/schreibmaschinchen.html) und vor allem Rühms Schreibmaschinen-Ideogramme in: Rühm, Gesammelte Werke, 2.1, a.a.O., S. 7 ff. und seine Erläuterung S. 739. Vgl. dazu das „Herz“ von Burckhard Garbe (in: Garbe, STA/ATUS QUO. ANSICHTEN ZUR LAGE. visuelle texte und collagen 1972–1982. Göttingen 1982, S. 79), in dem die linke Seite mit dem Wort MANN und die rechte mit dem Wort FRAU gebildet wird und unten in der Mitte erscheint: kind. Ebenso der aus Schreibmaschinentypen bestehenden „Apfel“ von Carmen Kuhn (Abb. in: Josep M. Figueres/Manuel de Seabra, antologia da poesia visual europeia. Lisboa 1977, S. 151, Nachdruck aus: Neue Texte 10, Wien 1973), dessen Blatt aus dem Wort BLATT, dessen Stiel aus dem Wort STIEL, dessen Körper aus dem Wort APFEL und dessen Krone aus dem Wort KRONE gebildet wird, versehen mit gelegentlichen Tippfehlern, wohl die Beschädigung des Apfels andeutend, denn in der Mitte ist zwischen den APFEL-Wörtern zu lesen: SCHMECKT NICHT. Pseudonym für Karl Riha.
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Abb. 211: Hendrik-Nicolaas Werkman, à la machine à écrire, 1923–1929
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rodie auf die Figurengedichtmanie entwarf – ein Ei2091 gebildet aus den Wörtern EI, wobei in der Mitte das Wort DOTTER erscheint2092 –, ist der „Apfel“ ernst gemeint, wie Döhl nachträglich zu erläutern versuchte: 2091
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Das Ei als Figurengedicht gehörte ebenfalls zu den beliebtesten Figuren seit Simias von Rhodos bis zu parodistischen Formen im 19. Jh. („Auch ein Osterei“, in: Kikeriki! Nr. 12, Wien 1864 (Titelseite) und Nr. 16, Wien 1867, S. 2) oder Kurt Tucholskys „Fröhliche Ostern!“ (veröffentlicht unter dem Pseudonym Theobald Tiger in: Ulk, Nr. 16, Berlin 18. 4. 1919/ Tucholsky, Gesamtausgabe der Texte und Briefe. Hg. Antje Bonitz u.a. Bd. 3 „Texte 1919“. Reinbek 1999, S. 123) u. Padins „De la representation a l’action“ (Abb. in: http://letras-uruguay.espaciolatino. com/palacio_martin/con_un_aparente_juego_de_formula.htm). Siehe auch das Ei von Kurt Mautz (Abb. in. Literatur im Industriezeitalter, Bd. 2, a.a.O., S. 1020), dessen „Schreibmaschinenpoesie“ (München 1977) stellenweise sehr schlicht ist. In: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung, Jg. 13, Nr. 10, Frankfurt 1963, S. 13, Abb. in: Grimm, Poems and/as Pictures, a.a.O., S. 58. Die Wahrscheinlichkeit einer Parodie auf den Döhlschen „Apfel“ ist gering. Das Ei wurde zwar auf die gleiche Weise zur Figur geschnitten wie der Apfel von Döhl. Und 1965 ist lediglich der Druck des „Apfels“ erfolgt, der Entwurf könnte älter sein. Döhl selbst verweist im Zusammenhang mit dem „Apfel“ auf eine „fingerübung“ aus dem Jahr 1959: „ich sage herbst ist eine jahreszeit und nichts weiter: allenfalls verführte eva mit äpfeln den sommer: da war der wurm drin: böse zungen besprechen den krieg im handumdrehen die liebe“ (Döhl, Texte und Kommentare/Vortrag im Rahmenprogramm der Ausstellung „klanktexsten/ ? konkrete poëzie/ visuele teksten“ im Württembergischer Kunstverein 7. 4. 1971/im Internet unter: www.reinhard-doehl.de/pd_textkomm1.htm). Im Diskus (15. Jg., Nr. 2, Frankfurt 1965, S. 11), den Döhl gekannt hatte, gab es aber 1965 „Faulknerovo jablko“ (Faulkners Apfel) von Hirsˇal/ Grögerová (JOB-BOJ, a.a.O., S. 60), der unmittelbar vor dem Druck der Weihnachtskarte 1965 die Anregung gegeben haben könnte. Dafür spricht eine Publikation in: die sonde. zeitschrift für kunst und versuch. Jg. 4, H. 3/4, Frankfurt 1964, in der Döhl und Ian Hamilton Finlay gleichzeitig (auf dem selben Blatt, Abb. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 206) erschienen: von Finlay PAIR, eine Birne aus den Wörtern AU PAIR GIRL gebildet, von Döhl „geht und geht“. Da später kaum eine Anthologie ausließ, „Apfel“ und Birne von Döhl und Finlay gemeinsam abzudrucken, hier aber nicht, liegt die Vermutung nahe, dass der „Apfel“ von Döhl 1964 noch nicht existierte, Döhl aber von Finlay angeregt wurde, wenn nicht von Rihas EI, das auf die gleiche Weise geschnitten war wie die Birne von Finlay und der „Apfel“ von Döhl, oder eben von Hirsˇal/Grögerová. Zur Frühform der Birne als Figurengedicht vgl. Charles Philipons Birne von 1834. Philipon karikierte König Louis Philippe in Form einer Birne, wurde wegen Beleidigung verurteilt und mußte das Urteil in seinem Blatt „Le Charivari“ am 27. 2. 1834 veröffentlichen, was er ebenfalls in Form einer Birne tat (Abb. in: Schorneck, a.a.O., S. 57). Vgl. auch die Parodie von Friedrich Achleitner „späte ehrenrettung der k. poesie/ohne widmung“ erschienen in seinem „quadratroman“ (Anm. 1421), wo Achleitner aus den Wörtern BIRNE eine Birne formt und nur einmal in der unteren Mitte statt „Birne“ „Döhl“ einsetzt und auf der Gegenseite eine Birne mit den Wörtern HIRN bildet.
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„Daß keiner der Ablehner und Fürsprecher auf die Idee kam, die Paradiesgeschichte z. B. oder den Trojanischen Krieg herbeizuassoziieren, verblüffte mich. Als ehemaligem Schüler eines humanistischen Gymnasiums und aus der Lektüre waren mir natürlich der Apfel des Paris, oder die von Herakles geklauten hesperidischen Äpfel und mancherlei Anderes, auch Märchenhaftes (Schneewittchen), Sprichwörtliches und Umgangssprachliches um den Apfel durchaus vertraut, die oft folgenden Katastrophen (Trojanischer Krieg, Vertreibung aus dem Paradies etc.) geläufig (…) Die Figurata der Anthologia Graeca oder des Barock, auf die die konkret-visuelle Poesie gerne zurückverwiesen wird, spielten dabei in meinen Überlegungen keine Rolle (…) Im Falle des Apfels standen für mich dabei also wie gesagt der irrtümlich angenommene Paradiesapfel ebenso wie der Apfel des Paris wie andere mythologische Äpfel, in denen der sprichwörtliche Wurm steckte, aber auch die Äpfel des Aberglaubens oder als Liebes- und Symbol der Sexualität und Fruchtbarkeit durchaus im Hintergrund. Gleichfalls waren von mir die biblische, lutherische Bedeutung des Wurms wie der Lindwurm durchaus mitgedacht. Das Bild, den Text dachten wir uns damals als !Leerstelle", an und in denen sich Künstler/ Autor und Leser treffen, an/in denen sich die genannten Bedeutungsfelder dann erschließen sollten.“2093 Hier zeigt sich eindrucksvoll, dass die im 20. Jh. dem Autor eigene analytische Begabung und der kenntnisreiche Umgang mit der Historie nicht verhindern können, dass es am Ende um die Rezeption des Werkes ohne Hilfe des Autors geht, – und die kann im Falles des „Apfels“, entfernt von den Intentionen Döhls, darauf hinauslaufen, den „Apfel“ lediglich für einen mehr oder weniger gelungenen Gag zu halten.2094 Insofern ist Peter Weiermair zuzustimmen, der feststellte: „Der Zeichencharakter der Schrift darf aber nicht dahingehend ausgenützt werden, den Inhalt des Begriffs naturalistisch zu veranschaulichen; das Verhältnis zwischen Begriff und optischer Präsentation des begriffrepräsentierenden Zeichens sollte vielmehr notwendig ein dialektisches sein. Mißverständlich und als Verdoppelungseffekt erscheint ein naiver Begriffsimpressonismus, wenn zum Beispiel ein Apfel als ikonisches Bild aus Lettern aufgebaut wird, die den Begriff Apfel repräsentieren. Das Bild wirkt durch seine Ähnlichkeit, nicht aber durch seine Idee. Sobald die Identifikation mit dem intendierten Gegenstand erreicht ist, löst sich die Spannung des Lesers und die Aufgabe ist, wie in einem Such2093 2094
Döhl, Texte und Kommentare, a.a.O. (Beispiel 13). Nicht anders auch die filmische Animation.
620
Visuelle Poesie
spiel, gelöst. Es kommt vielmehr auf eine Durchdringung von bewußtseinsmäßigen und objektiv-materialen Gegebenheiten in dem jeweilig gegebenen Text an.“2095 Neben dieser Tradition des den Gegenstand abbildenden Figurengedichts gab es, wie bereits in den asiatischen Kulturkreisen erkannt, abstrakt-geometrische Formen, die nun die Lücke zwischen dem ersten Aufkommen des Figurengedichts in der griechischen Bukolik und seinem Wiedererscheinen in der Renaissance schloßen. Es waren Formen der mittellateinischen und parallel dazu, allerdings weniger umfangreich, der byzantinischen Optischen Poesie. Zwar gab es mit Laevius im 1. Jh. v. Chr. und Optatianus Porfyrius im 4. Jh. n. Chr. noch vereinzelt Figurengedichte,2096 und so auch später in der byzantinischen Literatur zwischen dem 9. und 11. Jh.,2097 doch vorherrschend sind geometrische Figuren, die häufig als Intexte gebildet wurden, als vertikale oder horizontale, geometrische oder als Bilder erscheinende Intexte.2098 Sie waren entweder durch Markierungen (Hervorhebung der Buchstaben, Farbmarkierung, Umrißlinien usw.) deutlich ausgewiesen oder aber als versteckte Texte in einem Basistext verborgen. Das besondere Merkmal dieser magischen und später religiösen, aber auch profanen und oft poetischen Konstruktionen ist das Verlassen der normalen Leserichtung. Der Leser muß im Basistext einen sinnvollen Pfad finden, der in alle Richtungen innerhalb einer in der Regel rechteckig oder quadratisch begrenzten Textfläche führen kann. Dieses Navigieren wurde durch die Markierungen erleichtert. Fehlten sie, um eine geheime Mitteilung zu schützen, oder ein Sprachspiel zu verbergen, waren Hintergrundwissen und Kombinationsfähigkeit des Betrachters zur Entschlüsselung gefordert.
2095
2096 2097
2098
Döhl, Texte und Kommentare, a.a.O. (Beispiel 13). Ganz ähnlich auch Peter Weiermair, Zur Geschichte der Visuellen Poesie. In: konkrete dichtung. texte und theorien. Hg. Schmidt. München 1972, S. 14. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 95 ff. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 738 ff., vgl. auch A. R. Littlewood, An „Ikon of the Soul“: the Byzantine Letter. In: Visible Language Vol. X, No. 3, Cleveland/Ohio 1976, S. 197 ff. Ernst, Text und Intext, a.a.O.
Text als Figur – Text im/als Bild
Abb. 212: Publius Optatianus Porfyrius, Wasserorgel, 4. Jh.
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622
Visuelle Poesie
Abb. 213: Publius Optatianus Porfyrius, carmen cancellatum XIX, 4. Jh.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Gittergedicht Optatianus Porfyrius entwickelte diese Form der Optischen Poesie nachdem er schon mit der Aufnahme und Erneuerung des Figurengedichts nach hellenistischem Vorbild (Altar, Syrinx) sich von dionysischen und orphischen Motiven trennte. Zahl und Maß2099 sowie poetologische Reflektion im Hinblick auf eine perfekte Konstruktion der Gedichte bestimmten Form und Inhalt, was besonders deutlich in dem WasserorgelFigurengedicht2100 zum Ausdruck kommt, in dem der Haupttext sich mit den Konstruktionsgesetzen des Gedichts, Verslängen und Metrum, und denen der Orgel und ihrer Funktionen befaßt. Er verstärkt diese Reflektions- und Zahlenkonstruktionsebene dann in der von ihm neu geschaffenen Form des Gittergedichts (carmen cancellatum) in einem variantenreichen Spektrum des Gebrauchs von Akrosticha, Telesticha, Mesosticha, Spiegel-, Verdoppelungsformen und Permutationen, in dem 3 Formen vorherrschen: das geometrisch-symmetrische Formspiel2101, der asymmetrisch inhaltliche begründete Intext2102, der bildformende Intext2103. Seine carmina wirkten bis zu den Dichtern der karolingischen Renaissance im 9. Jh., von Venantius Fortunatus (530/40–600/609), Bonifatius (672–754), Alkuin von York (730–804), Josephus Scottus (–vor 804), Theodulf von Orléans (760–820/821), Paulus Diaconus (720/725–797/799) bis Hrabanus Maurus (780–856), nach.2104 In dieser Tradition stand dann auch die byzantinische Literatur2105, und sogar im 20. Jh. schienen die Vorbilder wieder durch, was ein poetischer Text von Bohumila Grögerová „Morgensternova tajenka“ (Morgensterns Kreuz-
2099
2100 2101 2102
2103
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2105
Ernst, Zahl und Maß in den Figurengedichten der Antike und des Frühmittelalters. Beobachtungen zur Entwicklung tektonischer Bauformen. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 23 ff. Vgl. auch: Meike Rühl, Panegyrik im Quadrat: Optatian und die intermedialen Tendenzen des spätantiken Herrscherbildes. In: Millennium 3, Berlin 2006, 75–102. Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 105 u. Abb. 212 S. 110. Carmen X, Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 116. Carmen V, Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 119. Interessant ist, das Porfyrius im Text auf die Einheit von Malerei und Poesie verweist. Carmen XIX, Abb. in: Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 121, Abb. 213 in: Bowler, The word as image, a.a.O., Taf. 59 erläutert bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 129 ff. Die im einzelnen nicht besprochen werden, weil es dazu umfangreiche Studien bei Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 95 ff. bereits gibt. Hörander, a.a.O., S. 8.
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Visuelle Poesie
worträtsel)2106, die tschechische Übersetzung des Gedichtes „Der Tanz“ aus den Galgenliedern von Morgenstern, belegt.
Liniengedicht
Abb. 214: Eugenius Vulgarius, 10. Jh.
2106
Hirsˇal/Grögerová, JOB-BOJ, a.a.O., S. 60, Abb. in: Diskus. Frankfurter Studentenzeitung 15. Jg, Nr. 2, Frankfurt 1965, S. 11 u. in: buchstäblich wörtlich, a.a.O., S. 105. Der Text läuft spiralförmig von oben links nach rechts, runter, von rechts nach links, rauf, von links nach rechts usw.
Text als Figur – Text im/als Bild
625
Eine besondere Form bekam das carmen cancellatum seit dem späten 9. Jh. durch Gedichte (Liniengedichte), deren Figur aus Textbändern gebildet wurden. Eines der frühesten herrausragenden Beispiele von hoher Kunstfertigkeit ist das an den byzantinischen Kaiser Leo VI. (886–912) gerichtete Bittgedicht in Form einer Pyramide von Eugenius Vulgarius, in dem er um die Fürsprache bei Papst Sergius III. (904–911 im Amt) bat, bei dem Vulgarius in Ungnade gefallen war.2107 Vulgarius hatte dem Gedicht eine Skizze beigefügt, die als dreieckige Raumkonstruktion2108 erscheint, an dessen 4 Ecken die Buchstaben des Kaisers L E O positioniert sind. Die endgültige Gestalt hat diese Raumstruktur allerdings zugunsten einer gleichbleibenden Buchstabenzählung für alle Linien der Figur verloren. Der Aufbau des Gedichts wird von der Zahl 3 bestimmt, das im wesentlichen aus Hexametern besteht: – 3 × 36 Buchstaben bilden die Umrißlinien der Pyramide, 3 × 36 Buchstaben bilden die Senkrechte und die beiden diese kreuzenden Innenlinien. Dabei entstehen gegenüber den beiden bisherigen Formen des Figurengedichts, dem Umrißgedicht und dem carmen cancellatum, die jeweils mit Text ganz ausgefüllt sind, Freiflächen. Die einen Teil des Gedichtes ausmachende und von Text freibleibende weiße Fläche spielt hier schon im Ansatz jene mitfigurierende und inhaltsbezogene Rolle, wie sie dann später in der Optischen Poesie von großer Bedeutung ist. Aber nicht nur dies verweist auf Zukünftiges. Obwohl es Vulgarius in seinem Gedicht um eine unmißverständliche Mitteilung ging, bleibt immer noch Raum für den Leser – und dies in anderen Gedichten von ihm in noch stärkerem Maße –, eigene Entdeckungen durch Kombination des angebotenen Textmaterials zu machen, sozusagen über die Basismitteilung hinaus Koautor für neue Lesungen/Deutungen zu werden, – eine der wichtigsten Forderungen der Poesie des 20. Jahrhunderts. Für die Form des Liniengedichts gibt es weitere Beispiele bei Uffing von Werden im 10. Jh.2109, Iacobus Nicholai de Dacia im 14. Jh.2110 und
2107
2108
2109 2110
Ernst, Poesie und Geometrie. Betrachtungen zu einem visuellen Pyramidengedicht des Eugenius Vulgarius. In: Ernst, Intermedialität im europäischen Kulturzusammenhang, a.a.O., S. 45 ff., Abb. 214 in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 33. Ernst sieht in dem „stereometrisch konstruierten Pyramidengedicht“ einen dreidimensionalen „Textkörper“, der auf die Konkrete Poesie „vorausweist“ (Ernst, a.a.O., S. 55). Vgl. dazu den „Cubus Metametricus“, vgl. Anm. 579. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 495 ff. Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 715 ff.
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Visuelle Poesie
Abb. 215: Ivo Vroom, hommage à Mondriaan, 1966
Paschasius im 17. Jh.2111. Die Fortwirkung, z. B. in einem Teil der Calligrammes von Apollinaire (Il pleut, 1918) führt im 20. Jh. zu Arbeiten von Gerhard Rühm „dicht“ (1954–57)2112 und Ivo Vrooms „hommage à Mondriaan“ (1966)2113. Hier wurden die Umrißlinien eines Rechtecks aus der Vervielfachung des Wortes VICTORY gebildet, ebenso die innerhalb des Rechtecks verlaufenden waagerechten Linien. Die von außen in das Rechteck hineinlaufenden und innerhalb des Rechtecks senkrechten Linien bestehen aus den sich abwechselnden Wörtern BOOGIE und WOOGIE. So entstand ein strenges Liniengedicht, das Piet Mondrians „Victory Boogie-Woogie“ (1942–44) gewidmet ist, in dem Mondrian mit Senkrechten und Waagerechten ein Liniennetz kon-
2111 2112
2113
Text als Figur, a.a.O., S. 61. die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 470 (vgl. die formale Ähnlichkeit mit Il pleut). Abb. 215 in: klankteksten, a.a.O., S. 140. Ein ausführliche Interpretation bietet Claus Clüver, Bilder werden Worte: Zu Bildgedichten auf gegenstandslose Kunst. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 305 ff. (S. 306).
Text als Figur – Text im/als Bild
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struiert hat, dessen Farbbänder aus kleinen Quadraten besteht. „Victory Boogie-Woogie“ blieb unvollendet. Die in Vrooms „Hommage“ entstehende Diagonale, die es bei Mondrian nicht gab, und die einen nahezu textfreien Raum abtrennt vom übrigen und damit unvollständigen rechteckigen Textnetz, könnte darauf hinweisen. Mit dieser Arbeit wird eine Spielart des Figurengedichts aufgerufen, die zunächst als Gemäldegedicht (in der Romantik) dann als Bildgedicht bezeichnet und Anfang der 1970er Jahre von Gisbert Kranz2114 intensiver2115 erforscht wurde.2116 Kranz definierte das Bildgedicht2117 schlicht als „Verse, die sich auf ein Bildkunstwerk beziehen (Gemälde, Skulptur, Druckgraphik, Zeichnung, Bildteppich, Mosaik, Glasmalerei, Gemme, Vasenbild oder figurale Schmiedearbeit).“2118 Im Gegensatz zu Robert, der nachwies, wie z. B. für die griechische Kunst des Altertums das „Dichtwerk die eigentliche literarische Quelle“2119 war, entwarf Kranz umgekehrt ein Spektrum des Dichtens, das von Vorlagen der bildenden Kunst angeregt und „im europäischen Kulturbereich seit 28 Jahrhunderten üblich“ sei. Unter den 27 Arten, die er für das Bildgedicht ermittelte, hob er die Transposition2120 hervor, die Übertragung von einem Medium in ein anderes: „Bei abstrakten und gegenstandslosen Bildern bieten sich zur Transposition in ein Gedicht die verschiedenen Möglichkeiten konkreter Poesie an. Wo die Formen ohnehin schon mehr oder weniger auf einfache Linien, Flächen, Farben und Volumina reduziert sind, liegt als 2114
2115
2116
2117 2118
2119 2120
Gisbert Kranz, Das Bildgedicht in Europa. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung. Paderborn 1973; Das Bildgedicht. Bd. 1: Theorie-Lexikon, Bd. 2: Bibliografie, Bd. 3: Nachträge. Köln 1981/1987 (= Literatur und Leben, NF Bd. 23/I–III). Kranz schrieb unter dem Pseudonym Kris Tanzberg selbst Bildgedichte: 1970 auf ein Gemälde von Arcimboldo „Vertumnus“ (1591/Abb. u. Gedicht in: Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O. Bd. 1, S. 31, weitere nachgewiesen in Bd. 2, S. 1257 ff.). Vgl. auch die Dissertation von Hellmut Rosenfeld, Das deutsche Bildgedicht. Seine antiken Vorbilder und seine Entwicklung bis zur Gegenwart. Aus dem Grenzgebiet zwischen bildender Kunst und Dichtung. Leipzig 1935. Die Forschungslage bis 1973 wird bei Kranz, Das Bildgedicht in Europa, a.a.O., dargestellt. 16 000 von rund 50 000 von Kranz weltweit gesammelten Bildgedichten von der Antike bis zur Gegenwart (bis 1985) befinden sich in der Herzog August Bibliothek/Wolfenbüttel (Bildgedicht-Sammlung Kranz). Ekphratisches Gedicht. Ekphrasis = literarische Bildbeschreibung. Kranz, a.a.O., Bd. 1, S. 7; Rosenfeld, a.a.O., S. 9: „Das Bildgedicht stellt die schöpferische Übersetzung eines Bildwerkes in die Wortkunst dar, sein Reiz und seine innere Dialektik liegt gerade in dieser Synthese entgegengesetzter Formgebiete.“ Robert, Bild und Lied, a.a.O., S. 10 f. Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O., Bd. 1, S. 33 f.
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Visuelle Poesie
strukturelles Äquivalent die reduzierte Form eines Figurengedichts, eines lettristischen Textes, einer Konstellation, eines Ideogramms, Pictogramms oder Typogramms sehr nahe.“2121
Konkretes/ Konkretistisches Bildgedicht
Abb. 216: Jirˇí Kolárˇ, Mathieu, 1959–1961
Für diese Form des Bildgedichts hat sich der Begriff „konkretes/ konkretistisches Bildgedicht“ verfestigt2122. Es entstand allerdings nicht nur auf 2121
2122
Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O., Bd. 1, S. 34. Eine von Kranz revidierte Position, denn 1973 (Das Bildgedicht in Europa, a.a.O., S. 111) hieß es noch: „Ist (…) ein !konkretes" abstraktes Gedicht nicht bestens geeignet, ein !konkretes" abstraktes Bild zu deuten? Nicht im geringsten (…) Ein gegenstandsloses Gedicht, das ein Bild zum Gegenstand hätte, wäre ein Paradox.“ Hier zeigte sich das geringe Verständnis für die Konkrete Poesie 1973: „Gewiß bedarf diese esoterische, hermetische, verrätselte, unverstehbare Malerei der Interpretation; aber diese Dichtung ist ebenfalls esoterisch, hermetisch, verrätselt und unverstehbar, muß selbst interpretiert werden und kann beliebig interpretiert werden. Wie soll sie zur Erhellung abstrakter Bilder beitragen?“ Anneliese Senger, Bildgedicht und Gedichtbild – Zur semiotischen Analyse konkreter Bildgedichte. In: Probleme der Semiotik unter schulischem Aspekt. Eine Sammlung von Aufsätzen auf zeichentheoretischer Grundlage. Hg. Hans Brög. Ravensburg 1977, S. 175 ff.; Claus Clüver, Bilder werden Worte, a.a.O. S. 298 ff.; Greber, Das konkretisches Bildgedicht, a.a.O., S. 171 ff.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Grund der Vorlagen, wie sie Kranz beschrieb2123, sondern orientierte sich durchaus auch an gegenstandsbezogener Kunst2124. Zudem gab es auch ekphratische Gedichte, die Figurengedichte im traditionellen Sinn waren.2125 v gue A vague (Hokusai) Pierre Garnier, vague, 1978
Überhaupt ist der eher traditionelle Kranzsche Ansatz von der Übertragung oder Übersetzung von einem Medium ins andere inzwischen über-
2123
2124
2125
Neben Vrooms „Hommage“ gibt es über 60 Arbeiten zu Künstlern von Jirˇí Kolárˇ, die zwischen 1959 und 1964 entstanden sind, zu Albers, Brâncus¸i, DelaunayTerk, Duchamp, Kandinsky, Klee, Kupka, Malewitsch, Mondrian, Schwitters in: Gersaints Aushängeschild. Kassel 1969; vgl. auch: L’enseigne de Gersaint. In: Kolárˇ, Poèmes du Silence 1959–1964. Paris 1988, S. 79 ff. und weitere 14 Abb. in: Prˇíbeˇhy Jirˇího Kolárˇe, a.a.O., S. 68 ff., Abb. 216 S. 71, sowie den Beitrag: Erika Greber, Portrait des Künstlers als Kunstwerk: Jirˇí Kolárˇs lettristische Serie L’enseigne de Gersaint. In: Ästhetische Transgressionen, a.a.O., S. 171 ff., mit 18 Abb. Gerhard Rühms „Infinit“ (ca. 1970) ist ein Zahlengedicht zur „Endlosen Säule“ von Brâncus¸i (Abb. in: die wiener gruppe [1997], a.a.O., S. 486). Auch von Ernst Jandl gibt es Gedichte auf Arbeiten von Brâncus¸i: „der kuss“ u. „vogel im raum“ (1967, in: Jandl, Der künstliche Baum. Neuwied 1970, S. 25 f.). Vgl. auch Jirˇí Valochs „Hommage to Vasarely“ (1963, vgl. Anm. 970). Ian Hamilton Finlay Hommaga to Malevich“ (vor 1967, in: Concrete Poetry. Ed. Stephen Bann, a.a.O., S. 141). Gérard-Philippe Broutin „Mono-lettrie à P. Mondrian“ (1969, in: Sabatier, Le lettrisme, a.a.O., S. 137). Wie z. B. Pierre Garnier in seiner Gedichtsammlung „Le Jardin Japonais“ (1978), wo es ein Gedicht auf „Die große Woge“ (1830/31) von Hokusai gibt (in: Gaby Gappmayr, Sprache und Raum, a.a.O., S. 220 f.) oder Carlo Cardunas (1950–1973) Gedicht auf Breughels „Der Blindensturz“ (1568) „Breughels Blinde“ (1973, in: Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O. Bd. 1, S. 37 u. Grimm, Poems and/as Pictures, a.a.O., S. 65), vgl. auch Sabine Gross, Bild-Text-Zeit: Ekphrasis in Gert Hofmanns !Der Blindensturz". In: Bild im Text – Text im Bild. Hg. Ulla Fix/ Hans Wellmann. Heidelberg 2000, S. 105 ff., bes. S. 114 f. und Reulecke, Geschriebene Bilder, a.a.O., S. 199 ff. Bsp.: Hans-Joachim Kann, Gedicht in Form eines Schlüssels über das Marktkreuz in Trier (in: Kranz, Das Bildgedicht, a.a.O., Bd. 1, S. 40, S. 34 weitere Hinweise auf Figurengedichte von Kej Åberg und Adrian Löw). Eine Sonderform ist „Pablo Picasso“ (veröffentlicht in der Zeitschrift SIC, Nr. 17, Mai 1917/Abb. in: Massin, [1970] a.a.O., S. 208) von Apollinaire, die in einem rechteckigen Basistext abstrakte Figuren durch Aussparungen entstehen läßt.
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Visuelle Poesie
holt. „Diese Blickrichtung entspricht der uralten Ekphrasis-Tradition, die vom Primat des Bildes ausgeht. Ebensogut könnte man die Medienrelation aber von der Seite des Texts aus betrachten (…) Die mit Konkreter Poesie experimentierenden Schriftsteller werden sich nicht gefragt haben, welches Gemälde sich für ihre Sprachkunst anbietet, geschweige denn, welches Bild sich am besten durch visuelle Poesie !deuten" ließe, sondern: was das Buchstabenmaterial hergibt, welche Konstellationen (im Sinne Gomringers) machbar sind und welche Medienanalogien ihre Schrift-Stellerei begünstigen (…) Es handelt sich nicht um bloße Übersetzung vom Bildmedium ins Sprachmedium, sondern in ein plurimediales bildlich-textliches Mischmedium. Anders und pointiert formuliert, geht es um die Verfahren der Umsetzung vom rein visuellen Bildmedium der Malerei ins hybride Bildmedium der konkretistischen Letternkonstellation.“2126 Es geht also weder um Abbildung noch um Übersetzung, sondern um ein interpretierendes und sich verselbständigendes Analogon, das im Gegensatz zum traditionellen Bildgedicht des Gegenübers in der bildenden Kunst nicht mehr bedarf und aus seiner Eigenständigkeit lebt. Greber weist zurecht darauf hin, dass der Anlaß2127 für Ernst Jandls „der kuss“ (1967) zwar Constantin Brâncus¸is „Der Kuss“(1908) war, aber welche Ansicht der Plastik oder Teilplastik oder welche Version ihrer (fotografischen) Abbildung lag dem Jandlschen Gedicht zugrunde? Wenn Greber allerdings Mutmaßungen über Entsprechungen anstellt, etwa derart, ob das mittlere JA auf der Höhe der Lippen oder Genitalien sich befinde, ob es sich um eine hetero- oder homosexuelle Beziehung handele, ja welche Vorlage eigentlich Jandl haben könnte, geht es wieder nur um das Bild der Vorlage. Greber sagt aber selbst: „Dieses Bildgedicht ist eine Kontrafaktur, kein bestätigendes Remake des Vorbilds.“2128 Das heißt aber auch, dass der Ansatz der Deutung weniger im ikonografischen, denn im ideografischen Bereich zu suchen ist, im Wortmaterial selbst, in der Konstellation des Materials, in der Gesamtkonstruktion.
2126 2127
2128
Greber, Das konkretische Bildgedicht, a.a.O., S. 184 f./190 f. Vermutlich entstand die Arbeit von Jandl, wie viele anderer Kollegen auch aus Anlaß des Brâncus¸i-Symposiums, dem eine Publikation mit 61 Gedichten von Autoren aus 16 Ländern auf Werke von Brâncus¸i folgte: Masa tacerii. Simposion de metafore la Brâncus¸i. Ed. Ion Caraion. Bukarest 1970. Greber, a.a.O., S. 186.
Text als Figur – Text im/als Bild ja ja ja ja
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ja ja ja ja ja
ja ja ja ja
ja ja ja ja
Diese zeigt ein Konstruktionsprinzip, das auf der Zahl 2 aufgebaut ist. 2 Buchstaben hat das Wort JA, 2 × 2 JA-Paare oben, 2 × 2 JA-Paare unten werden von einem einzigen JA-Element getrennt. Eine strenge Symmetrie, in der genau in der Mitte ein JA-Paar zu einem JA zusammengefallen scheint. Dieses Prinzip des Eins-Seins, das zwar auch im Kuss darstellbar ist, muß hier aber nicht – wie jede andere bildliche Vorstellung sexueller Vereinigung – die Vorlage, oder gar gemeint sein. Neben dem visuellen Aspekt hat die Konkrete Poesie auch immer zugleich mit dem akustischen gespielt, und ganz besonders Jandl. Liest man dieses Gedicht laut, dann zeigt sich eine Art Geschichte, ein Dialog, der auf das mittlere JA zusteuert und nach dem JA wieder einsetzt. Aber die Qualität hat sich geändert. Das herbeiwünschende JA (?!) JA (?!) könnte nach dem Erreichten JA (Zustimmung) auch als ein JAJA (Gleichgültigkeit) interpretiert werden. Diese unterschiedlichen Qualitäten – metaphorisch gesprochen von oben und unten –, das Auf und Ab in einer Beziehung, im Leben, als Prinzip des Yin und Yang, als Erkenntnis, das im Leben zugleich auch der Tod eine Rolle spielt, dass auf das Positive immer auch das Negative folgen kann, im positiven Wort JA auch in JAJA ein Negativum mitschwingt, – hier zeigt sich, wie mit geringstem Wortmaterial, aber bei genauestem Ausloten seiner semantischen Möglichkeiten in Verbindung mit einer strengen figurativen Struktur mehr als nur ikonografische Nähe zum Vorbild – die am Ende keine Rolle mehr spielt – geleistet wird. Wie fatal der ikonografische Ansatz sein kann, zeigt sich an einem Beispiel, das Greber als Architekturgedicht erwähnt. Sie reproduziert ein Figurengedicht mit dem Titel „Architektur“ und der Unterschrift „Pagode“ von Ilse Garnier. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Gedicht um ein Blatt mit dem Titel „Tamerlan“2129 aus einer Sequenz
2129
Tamerlan ist eine andere Bezeichnung für (pers.) Timur-e Lang, ein mongolischer Eroberer, der im 14. Jahrhundert gelebt hatte. Vgl. dazu auch Seaman, Concrete Poetry in France, a.a.O., S. 269.
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Visuelle Poesie
„Othon III – Jeanne d’Arc“ (1967)2130, in der es um historische Persönlichkeiten geht.
Architekturgedicht Das Architekturgedicht hat Kranz außerhalb der Gattung Bildgedicht betrachtet. Im Unterschied zum Bildgedicht mit Vorlagen von Bildern der bildenden Kunst sind es nun Vorlagen realer Architektur („Gedichte, die sich auf Bauwerke beziehen“)2131, wobei er auch noch einen fließenden Übergang vom Architekturgedicht zum Landschaftsgedicht2132 sieht. Im Prinzip gilt für das Architekturgedicht aber dasselbe wie für das Bildgedicht. Auch hier folgt Kranz der ikonografischen Betrachtungsweise: „Mit dem Begriff Transposition (Kranz 1981, 27–46) ist notwendig der Gedanke eines Verlustes mitgedacht. Wenn etwa dreidimensionale Architektur in einem Figurengedicht typographisch-optisch durch eine aus Schrift gebildete Fläche nachgeahmt wird, geht eine Dimension verloren“,2133 und er nennt Beispiele von Figurengedichten in Form von Pyramiden, Säulen, Obelisken, Tempeln, Triumphbögen, Kirchen usw. Das Architekturgedicht ist zum einen wie das reine Bildgedicht ein Gedicht auf/über ein Bauwerk. Ähnlich wie das konkrete/konkretistische Bildgedicht kann es zum anderen als Figurengedicht das Bauwerk thematisieren und zugleich in seinen Umrissen abbilden.2134 Es kann aber auch
2130 2131 2132
2133 2134
Ilse & Pierre Garnier, Othon III – Jeanne d’Arc. Structures historiques. Paris 1967. Gisbert Kranz, Das Architekturgedicht. Köln 1988, S. 9. Aus Textcollagen hat Adolf Hoffmeister (1902–1973) Landschaftsgedichte produziert, in: Massin, (1970) a.a.O., S. 242 f. Vgl. auch die mit Schreibmaschinentypen hergestellte „Daktylographische Zeichnung“ (1961) von René Fauconnet, Abb. in: Massin, (1970) a.a.O., S. 206 f., dort auch Beispiele für Städtebilder aus Buchstaben und Wörtern. Kranz, Das Architekturgedicht; a.a.O., S. 16. Dieses Spektrum zeigen die Beispiele von: André Bougarde, Eiffelturm (1989/Abb. in: Ulrich Ernst, Text als Architektur – Architektur als Text. In: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 116); Apollinaire, Eiffelturm (1914/Abb. in: Apollinaire, Calligrammes, a.a.O., S. 76); Fortunato Depero „Grattacieli (1929/Abb. vgl. Anm. 2143); John Furnival, The EiffelTower (1965), ähnliche Arbeiten von Furnival „The Fall of the Tower of Babel“ (1963) u. „Tower of Pisa“ (1964) in: Grenzgebiete der bildenden Kunst. Katalog der Staatsgalerie, Stuttgart 1972, Taf. 28, u. „Rocket I, II“ (Empire State Building) in: Speaking Pictures, a.a.O., S. 308 f., u. „Aliquotality“ (1973) in: Letter Arts Review, Vol. 12, No. 2, Silver Springs/MD 1995, S. 4. Adolf Hoffmeister, Parˇizˇ & okolí. Praha 1967 (Titelbild
Text als Figur – Text im/als Bild
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in seinen äußeren Umrissen Architekturformen bilden, die keiner Vorlage folgen, die aber als Metapher notwendiger Bestandteil des Gedichts sind. Dies trifft auf die Funktion von Ehrenmalen, Ehrenpforten und Triumphbögen zu, für deren Ausgestaltung der Phantasie keine Grenzen gesetzt waren und deren Prunk sowie besondere ornamentale Details die oder den Geehrten in seiner Bedeutung charakterisieren sollten.2135 Strenger dagen sind die „Türme der Weisheit“ aus dem 15. und 16. Jh., die in einem regelrechten Begriffsgebäude Wertesysteme und Wissensgebiete in eine visuell schnell erfassbare Ordnung brachten.2136 Zu den gewöhnlichen Formen des Textes als Architektur, die es seit den Altären der griechischen Bukolik gab, wie Säulen und Pyramiden oder komplizierteren Darstellungen wie die von Moscheen in der islamischen Kalligrafie, kamen die besonderen Formen des Buchstabens als architektonischer, strukturgebender Bestandteil eines Bildes2137 und die Varianten der Architektur-Alphabete, deren einzelne Buchstaben aus Grundrissen2138 oder Gebäudeteilen2139 bestanden. An sie erinnert z. B.
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des Buches/Abb. in: http://knihynainternetu.cz/antikvariat/beletrie/ostatni-anezarazene/800653-Adolf-Hoffmeister-Pariz-a-okoli.html). Vgl. auch Abb. 200. Beispiele für das Ehrenmal in: Text als Figur, a.a.O., S. 122; für die Ehrenpforte in: Text als Figur, a.a.O., S. 189 u. 193; Ulrich Ernst, Textfiguren als !geronnene Rituale". Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zu intermedialen Formen im barocken Fürstenpreis. In: The Mediation of Symbol in Late Medieval and Early Modern Times/ Medien der Symbolik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hg. Rudolf Suntrup/Jan R. Veenstra/Anne Bollmann. Frankfurt 2005, S. 103; Ernst, Text als Architektur – Architektur als Text, a.a.O., S. 119; für den Triumphbogen in: Rypson, Piramidy – słon´ca – labirynty, a.a.O., S. 293 f.; Ernst, Text als Architektur – Architektur als Text, a.a.O., S. 119. Beispiele in: Ernst, Text als Architektur – Architektur als Text, a.a.O., S. 115; Ernst, Carmen figuratum, a.a.O., S. 661; Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., Abb. 217 S. 173 u. Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 43 mit Kommentar. In dem Zusammenhang auch interessant der Einblattdruck eines dreistöckigen „Physica sev natvrae theatrum in typum totivs philosophiae natvralis“ (1611/Abb. in: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Kommentierte Ausgabe. Teil 1, a.a.O., S. 16 ff.). Kristine Platz, Die littera Pythagorae in der Architektur. In: Wolkenkuckucksheim. Int. Zs. f. Theorie u. Wissenschaft d. Architektur, 2. Jg., H. 2, Cottbus 1997 (Text unter: http://www.tu-cottbus.de/theo/Wolke/deu/Themen/972/Patz/patz_t.html. Joseph Kiermeier-Debre/Fritz Franz Vogel, Johann David Steingruber: Architectonisches Alphabeth 1773. Ravensburg 1997. Steingruber entwarf auf der Basis von Buchstaben-Grundrissen Gebäude, die nie gebaut wurden. Vgl. auch in: Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., S. 437 ff. Alphabeto pittorico inventado dal professore Antonio Basoli … (1850), Abb. In: Massin, (1970) a.a.O., S. 90 f.
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Visuelle Poesie
Abb. 217: Turris sapientiae, 15. Jh.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 218: Vasilij Kamenskij, Konstantinopel, 1914
ein späteres Typogramm „London“(1969) von Paul de Vree. Seine raffinierte typografische Darstellung ergab sich aus zwei kleinen Manipulationen: jeweils auf die Senkrechten des L und des d wurde ein Dreick gesetzt, wodurch der Eindruck von Turmspitzen/Türmen und aus dem ganzen Wort eine Art Skyline von London entstand. Außerdem wurde durch das untere Drittel des Wortes London eine Horizontale gezogen, unterhalb derer die über der Horizontalen schwarz ausgefüllten Buchstaben nur noch mit gleichmäßiger Linien-Schraffur fortgesetzt wurden, so dass dies wie eine Spiegelung im Wasser (Themse) wirkte.2140 Als Sonderform des Architekturgedichts sind die Stahlbeton-Gedichte („zhelezobetonnye poemy“), des Futuristen Vasilij Kamenskij (1884–1961) zu betrachten. Es handelt sich um einen Zyklus von 9 ganzseitigen „Plänen“, die zwischen 1914 und 1917 entstanden2141. Sie sind in 2140
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Davon gibt es zwei Versionen: einmal eine normale links-rechts Lesung (in: Paul de Vree, Katalog Provinciaal Museum. Hasselt 1981, S., 2) und dann eine spiegelbildliche rechts-links Lesung (Paul de Vree, Verzamelde Gedichten. Brugge 1979, S. 348). Die ersten Stahlbeton-Gedichte (Susan P. Compton, The world backwards. Russian futurist books 1912–16. London 1978, S. 83 spricht von !ferro-concrete-poems", so sei auch der Katalogtitel der 4. Kunst-Ausstellung 1914 gewesen) erschienen in: V. K., Tango s korovami: Zhelezobetonnye poemy (Tango mit Kühen), 1914, Abb. 218 „Konstantinopel“ in: http://www.getty.edu/art/exhibitions/tan-
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Visuelle Poesie
Abb. 219: Fortunato Depero, Bücherpavillon, 1927
einzelne, unregelmäßig geformte Sektoren unterteilt, mit Wortgruppen unterschiedlicher Typografie versehen und beziehen sich auf Gebäude wie eine Villa, Rollschuhbahn, einen Zirkus oder ein Badehaus. Der Leser kann nun – ohne Vorgabe einer Leserichtung oder anderer Zuordnungselemente durch die Pläne frei navigieren: „tatsächlich kommt hier ein neues und unerwartetes Prinzip poetischer Architektonik zur Anwendung, nämlich die Zusammenfassung der Wörter und Wortfragmente zu übergeordneten Einheiten. Diese Wortflächen werden nach einem konstruktiven Prinzip zueinander in Bezug gesetzt (…) Die Gedichte wirken wie Lagepläne, wie architektonische Skizzen der im Gedicht evozierten Räume. Indem sie die Charakteristik der im Text beschriebenen Gebäude in der räumlichen Gestaltung wiedergeben, konstituieren sie sich als ikonische Zeichen.“2142 Neben den zweidimensionalen Figurengedichten entwickelten sich dann – vor allem im 20. Jh. – auch dreidimensionale Entwürfe von TextArchitekturen. So entwarf im Futurismus Fortunato Depero (1892–1960)
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go_with_cows/ (hier kann das komplette Buch betrachtet werden), vgl. dazu: Oksana Bulgakowa, Schrift und Bild: Vasilij Kamenskijs. In: Pictogrammatica, a.a.O., S. 89 ff. Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 150 ff.
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seit 1916 Visionen einer neuen Architektur,2143 die sich zwischen 1924 und 1933 in ca. 150 Werbegrafik-Entwürfen und Ideen für einen Ausstellungspavillon der Firma Campari2144 oder für einen Bücher-Pavillon2145 niederschlugen und deren Konstruktionselemente Buchstaben waren. Einfacher gestaltet waren Grete Sterns (1904–1999) Fotomontage „MADI“ (1946)2146, in der die vier Buchstaben in eine Stadtansicht montiert wurden, Bazon Brocks „Entwurf für einen Kirchenbau“ (1967)2147, der eine Kirche in Form der vier Buchstaben GOTT vorsah, Gerhard Rühms „projekt zur errichtung einer neuen stadt wien“ (1968)2148, das aus den vier in eine Landschaft eingepassten Buchstaben WIEN bestand und Claes Oldenburgs Vorschlag, ein Museum mit den Buchstaben MUSEUM zu bauen (1968). Alles gebrauchsgrafische Funktionsentwürfe, denen aber auch poetische Arbeiten gegenüberstanden, wie etwa in der bildenden Kunst mit dem aus gewaltigen Felsquadern zusammengesetzten und dem auf die davor stehenden Betrachter alptraumhaft wirkenden Gebilde in „L’art de la conversation“ (1950)2149 von René Magritte, in dessen Vordergrund gut lesbar das Wort REVE (frz. Traum) erscheint, oder mit den kompakten Textobjekten „Skulptur“ (1964/ 65) von Paul-Armand Gette2150, sowie den kryptischen typografischen Letter-Konstruktionen2151 von Hakaro (d. i. Hans Karl Rodenkirchen, 1926) der seine Konstruktive Poesie DenkArt nannte. Zu den Entwürfen kamen dann auch Objekte. „plastische lyrik“ wird von Gerhard Rühm in einer Notiz vom 12. 2. 1955 erwogen: „ich
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Heinz Brüggemann, UN FUTURISTA A NEW YORK. Deperos tavole parolibere der Hauptstadt des 20. Jahrhunderts: SUBWAY und GRATTACIELI. In: Pictogrammatica, a.a.O., S. 71 ff. Progetto per un Padiglione pubblicitario, 1928, Abb. in: Lista, Le livre futuriste de la libération du mot au poème tactile, a.a.O., S. 126; Schorneck, Calligrammes, a.a.O., S. 102 f. (Abb. eines Entwurfs von 1933). Padiglione del libro per le Edizioni Treves-Bestetti-Tuminelli alla Biennale Internazionale delle Arti Decorative aperta a Monza nel maggio 1927, Abb. in: Lista, Le livre futuriste de la libération du mot au poème tactile, a.a.O., S. 126; Futurismo&Futurismi, a.a.O., S. 419 u. Architektur wie sie im Buche steht, a.a.O., Abb. 219 S. 441. Abb. in: documenta 12. Katalog. Köln 2007, S. 46. Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 51. Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 51. Abb. in: Massin, (1970) a.a.O., S. 264. Abb. in: Tecken, a.a.O., S. 36 u. 38. Abb. in: Bartkowiaks forum book art 1995–96. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. Hamburg 1996, S. 40.
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Visuelle Poesie
glaube, dass ich hier nichts tue, was gegen das wesen der laute verstösst, was durch malerei oder plastik allein ausgedrückt oder besser: gestaltet werden könnte. es ist eben eine lautgestaltung in einer umfassenderen dimension. die laute stehen nicht nur in den beziehungen der fläche (oben, unten, rechts, links), sondern auch des raumes (hinten, vorne u.s.w.).“2152 Es entstanden Wortplastiken wie der Würfel „DU“ (1963)2153 von ihm, oder „el eco del oro“ (1961)2154 von Mathias Goeritz2155, „concrete poetry“ (1972/ 73) in Beton gegossen von Timm Ulrichs2156, die Holzobjekte „stay“ (1987), „Your Face“ (1987) und „The End“ (1988) von Nancy Dwyer2157, „Histoire D’E“ (1981ff) von Mirella Bentivoglio2158, „Fence“ (2007), eine Installation von Dmitri Gutov auf der documenta 122159, in der kalligrafische Schriftobjekte im Gitterraster eines Schrottzaunes erscheinen, aber auch Architekturen von Roman Feierstein2160 sowie fotografische Realisationen wie „schrift ist architektur“ (1967/
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In: die wiener gruppe (1997, a.a.O., S. 607. Abb. in: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 611, Erläuterung von Rühm zu seiner Wortplastik vom 7. 5. 1963 in: Kunst aus Sprache, a.a.O., o. P. (im Anschluß an die Rühm-Biografie). Abb. in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o.P. Von Goeritz gab es seit 1960 zu „oro“ auch Papierarbeiten (Abb. in: an anthology of concret poetry, a.a.O., o. P.) und das Objekt „oro“ in der Kunsthalle Nürnberg 1971 (Abb. in: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 4, Nürnberg 1972, o. P.). Abb. in: Ulrichs. Retrospektive 1960–1975. Hg. Kunstverein Braunschweig. Braunschweig 1975, S. 51, ebenso die architektonische Wortskulptur „UMRAUM“ (1986/1987/1989), Abb. in: Ulrichs, Katalog zur Ausstellung „Timm Ulrichs – unterwegs“. Madrid 1991, S. 30 f., dort auch S. 33 „ZWISCHEN DEN ZEILEN“ (1987/1988). Und im Juni 2005 wurde von Ulrichs für die Ausstellung „Betonkunst“ auf dem ehemaligen Gelände der Camera Werke Braun in Nürnberg die Arbeit STEIN-EINST als zwei Buchstabensäulen errichtet. Zu all diesen Arbeiten vgl.: Der ungläubige T. – Timm Ulrichs zu seiner Sprachkunst im Gespräch mit F. W. Block. In: Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 132 ff. (hier auch gute Abb. von „concrete poetry“, „ZWISCHEN DEN ZEILEN“ u. „UMRAUM“). Abb. in: In Other Words, a.a.O., S. 19 ff. Mirella Bentivoglio, Histoire D’E. London 1990; Gillo Dorfles, Histoire D’E. In: Territori 1 (13), Frosinone 2003, S. 9 ff. Abb. in: documenta 12. Katalog, a.a.O., S. 257. Roman Feierstein/Ljubow Simonenko/Anna Simonenko, Das grosse A. Hamburg/Moskau 2005 (Katalog anläßlich der Ausstellung „Das große A: AlphabetArchitektur zur Russischen Avantgarde“ im Museum der Arbeit, Hamburg 2005).
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1993)2161 von Peter Weibel, „Wortschwall“ (1977)2162 von Ernst Buchwalder2163 und schließlich die virtuellen Wörter-Städte von Alex Gopher und Jeffrey Shaw, sowie die 3-D-Laser-Projektionen von Kiki Seror (1970) oder die „Contexturalism“-Projekte von Beth Learn2164. Die russische Poetin Rea Nikonova (1942) bezeichnet eine der wichtigsten Werkgruppen ihrer Arbeit als „Architexte“ (arhitekstura = Architekstura)2165. In diesen Arbeiten sind aber weder Bauwerke gemeint, noch ähneln die visuellen Textblätter Figurationen, die mit der Architektur in Verbindung gebracht werden könnten. Sie sind eher vergleichbar mit einer bereits angesprochenen Netzwerk-Poesie. Es geht bei Nikonova um eine Art „architektonisches Arbeiten“, um das Konstruieren und Zusammenfügen von vorgefundenem Sprachmaterial (z.Bsp. aus ihr zugestellten Briefen) in einem Netz-Plan, der wie bei Kamenskij offen angelegt ist und den Leser zur eigenen Produktivität verleitet, so komplex und durch viele, scheinbar eindeutig einzelnen Sprachfragmenten zuordnende Verbindungslinien sich auch der Architext vordergründig geben mag. Oft werden die Arbeiten auch als „architectural treatments“ bezeichnet. Abgesehen von der wortwörtlichen Übersetzung (engl. Behandlung) gilt das Treatment im Filmbereich als Vorstufe für ein Drehbuch: – also frei übersetzt handelt es sich um das architektonische Konzept für die Realisation eines bestimmten Themas/Inhalts.
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Bei der Arbeit handelt es sich um Fotografien, nach einer Idee aus dem Jahr 1967, fotografiert von Valie Export 1970, Abb. in: werkstattaspekt 3. Hg. werkstatt. Verein zur Förderung moderner Kunst, Wien 1972., S. 19 ff. u. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 150 f. Vgl. auch: Peter Weibel, Architektur als Verwaltung. Die unsichtbare Grenze – Schrift ist Architektur. In: Bau 2–3, Wien 1971, S. 28 f. Abb. in: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 51. Gezeichnete architektonische Gedichte von Buchwalder in: das wort, 1. Zeitung. Hg. Schill & Cie AG, Luzern 1976 u. in: Ernst Buchwalder. Wörterbruch. Studien, Projekte und Realisationen mit Buchstaben, Wörtern und Begriffen (1967–1978). Hg. Toni Zwyssig. Wolhusen 1978. Zu Seror siehe: http://www.basis-wien.at/avdt/htm/156/00052380.htm. Der stereometrischen Darstellung von Musik bei Neugeboren (Abb. 20) vergleichbar stellt Beth Learn Literatur digital in Kuben dar in „Timeslide“ (1975/Abb. in: Imagining Language, a.a.O., S. 242), eine Datenübertragung der ersten acht Verse von W. B. Yeats Gedicht „The Second Coming“. Abb. 220 in: Rea Nikonova, Poetry is a boundaryline between word and noword. London 1998 o. P. (= writers forum), weitere Abb. in: Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005, a.a.O., S. 78 u. in: Nikonova., Dous todo (Poemas e marxes). Santiago de Compostela 2001.
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Visuelle Poesie
Abb. 220: Rea Nikonova, Else’s Pikes, 1972/1992
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Diese Art der Beziehung zwischen Poesie und Architektur2166, „die Vorstellung von der Dichtung als Bauwerk und vom Dichter als Architekten (durchwaltet) seit der Antike die gesamte europäische Poetik“.2167 Schon im Alten Testament zeigte sich die Verquickung von Sprache und Architektur in der Legende vom Turmbau zu Babel.2168 Sprach-, Versund Satzbau, Gedankengebäude und andere Bezeichnungen spiegeln dies wider: „Alors, quiconque naissait poète se faisait architecte“ schrieb Victor Hugo in seinem Roman „Notre-Dame de Paris“ (1831)2169 und Osip Mandelstam stellte fest: „Wenn die Arbeiter beim Bau des Turms zu Babel Konstruktivisten gewesen wären, – es hätte keine Sprachverwirrung gegeben und der Himmel wäre schon lange in unseren Händen.“2170 Allerdings könnte heute eine ganz neue Art der Sprachverwirrung angesichts einer wachsenden Urbanität festgestellt werden, und zwar in der Architektur eines Lebensraumes, einer sozialen Architektur, die aus der immer weiter wachsenden Bebauung der Umwelt und den – dem notwendigerweise folgend – zunehmenden Kommunikationssystemen besteht, und deren kaum mehr kontrollierbare Konstruktionsergebnisse so die Voraussetzung für Verwortungen und Sprachverschleiß sowie visuelle Zeichenverschmutzungen urbanistischer Zivilisationen bilden. Schon 1969 schrieb Max Bense vorausschauend: „dass die urbanistische Zivilisation uns zwingt, mit der städtebaulichen !Dingwelt" zugleich eine kommunikative !Zeichenwelt" zu bewohnen, die, wie jedermann täglich erfährt, haptischen (mechanischen), akustischen (phonetischen), optischen (visuellen) oder linguistischen (sprachlichen) Charakter besitzen kann. Man wird ferner vor allem zwischen Werbezeichen (Plakatierungen), Verkehrszeichen (Ampeln), Kennzeichen (Autonummern, Straßennamen), Angabezeichen (Uhren), Orientierungszeichen (Wegweisern), Auskunftszeichen (Tafeln an historischen Gebäuden) und Verhaltenszeichen (z. B. auf Friedhöfen) zu unterscheiden haben (…) Urbanistische Systeme sind nur dadurch bewohnbar, dass sie zugleich durch semiotische Systeme ergänzt bzw. überlagert werden (…) Ich habe frü2166
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Siehe das einschlägige Kapitel „Architek(s)tura – Poesie und Architektur“ in: Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 117 ff. Ernst, Text als Architektur – Architektur als Text, a.a.O., S. 113. AT, 1. Mose, Kap.11, V. 1–9. Vgl. auch Harsdörffer, Deliciae Mathematicae et Physicae, a.a.O., S. 557. Hugo, Notre-Dame de Paris (1482). Les Travailleurs de la mer. Paris 1975, S. 179. Osip E. Mandel’sˇtam, Sobranie socˇinenij v cˇetyrech tomach. Moskva 1991, Bd. 2, S. 325. (Übersetzung in: Schmidt, Wortmusik, Schrifttanz, Textbilder, a.a.O., S. 122).
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Visuelle Poesie
her schon mehrfach auf derartige von Straßenzügen, Hauswänden, Mauern und Schaufenstern abhebbare visuelle !Texte" struktureller oder konfigurativer, graphischer oder linearer Anordnung hingewiesen und auch darauf aufmerksam gemacht, dass ihr ästhetisches Arrangement die Affinität zu gewissen modernen experimentellen Tendenzen der Poesie und Prosa nicht verleugnen kann. Ich sprach von Textgraphik und Textdesign. Das, was Eugen Gomringer die !Konkrete Konstellation" oder was Pierre Garnier !textes dans l’espace" oder !spatialisme" nennt, wird in den Kommunikationstexten unserer urbanistischen Systeme antizipiert (…) Syntax und Grammatik sind freier gehandhabt als im konventionellen Reglement natürlicher Sprachen, hochfrequent besonders in Substantiven und in der Anordnung weniger linear als flächig, graphisch komponierter Wände, Textwände, Textgraphik, Wohnstädte als !Wortstädte".“2171
b) Sprache Die Verbindung von Bild und Text wurde nun nicht nur durch eine vom Text gebildete Figur, sondern auch durch das Einsetzen von Text im Bild hergestellt. Der Text war nicht Figur/Bild. Er war Teil eines aus Text und Bild bestehenden Ensembles, wobei er sich der Bildkonstruktion so einfügte, dass wieder figurale Elemente durch Textzeilen entstanden, die in jede Richtung und allen nur denkbaren Windungen im Bild verlaufen konnten. Es waren dies Schriftzeilen und Spruchbänder zunächst als Hinweis-, Erläuterungs- und Beschreibungstexte, später dann als Dialogtexte. Zur reinen Körpersprache der früher im Bild auftretenden Personen trat ergänzend die direkte Rede. Aus der Bild-Beschreibung wurde die Bild-Sprache, das sprechende Bild auf dem Weg zum Comic: „Aus den schwerfälligen Buchrollen der Antike entwickelten sich zunächst freiflatternde Spruchbänder, dann regelrechte Tonbänder und schließlich die Sprechblasen unseres comic-strip-Zeitalters.“2172
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Bense, Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 133 ff. Vgl. auch Michel Butor, Die Stadt als Text. Graz 1992. Clausberg, Spruchbandaussagen zum Stilcharakter, a.a.O., S. 107.
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Das sprechende Bild Die Vorläufer dieser Entwicklung sind wohl2173 in der griechischen Vasenmalerei zu suchen. Gepaart mit der Funktion der Erläuterung war in der griechischen Antike auch die Absicht, gegebene oder entstehende Räume mit Inschriften ornamental auszufüllen: „Ehe auf der Vase die Beischriften klein und fein wagrecht neben der Figur stehen, die sie erklären, ziehen sie sich längs derselben in verschiedener Richtung über das freie Feld, und in Korinth zumal haben sie offenbar auch dem Wunsche der Raumfüllung gedient, den die Maler dort so lebhaft empfanden. Und noch früher, ehe die zeilenrechte rechtsläufige Schrift durchgedrungen war, hat man in der That den gegebenen Raum in seltsamen Windungen gefüllt.“2174 Unter den Inschriften, die seit dem späten 8. Jh. v. Chr. nachweisbar sind und häufig Signaturen des Töpfers oder Malers, Namen der handelnden Personen oder erläuternde Beischriften waren, gibt es besonders seit dem ersten Viertel des 6. Jhs. dann solche, auf denen die Schriftzeichen weit mehr als ornamentale, ausfüllende Funktion besitzen. Es sind Buchstabenketten, kurze Ausrufe und Bemerkungen, die Personen zugeordnet waren und in einigen wenigen Fällen direkt aus ihrem Mund kommen. Zwei Peliken, wahrscheinlich ausgemalt von Euphronius2175, und eine Amphora von Exekias2176, sind dafür beispiel2173
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Aus einem Papyrus-Totenbuch (1300 v. Chr.) wird eine Szene „!Mundöffnung" der Mumie des Hunefer“ abgebildet (Schätze des Britischen Museums. Hg. Frank Francis. Leipzig 1983, S. 72), in der wenige Hieroglyphen auf ungewöhnliche Weise leicht geschwungen zwischen dem Gesicht der Mumie und den Trauernden zu sehen sind. Und um 1500–1350 v. Chr. ist eine „Kniefigur des Si-ese mit Stele“ überliefert. Eine knieende Figur hält vor sich eine Schrifttafel in Höhe des Mundes, die Visualisierung des Gesprochenen Wortes? (Abb. in: Das abc der Bilder. Hg. Moritz Wullen/ Andrea Müller/ Anne Schulten/Marc Wilken. Berlin 2007, S. 92). In diesen Fällen müsste die Ägyptologie weiter forschen. Wilamowitz-Moellendorff, Die griechischen Technopaegnia, a.a.O., S. 58. Beispiele Abb. in: Schätze des Britischen Museums, a.a.O., S. 135 (Abb. Amphora, ausgemalt von Exekias um 540 v. Chr.) u. British Museum Guide. London 1980, S. 66 (Abb. gegenüberliegende Seite der Amphora von Exekias u. eine Tasse, ausgemalt um 520 v. Chr. von Epiktetos, Schaffenszeit zwischen 520–490 v. Chr.). Schaffenszeit zwischen 520–470 v. Chr. Gemeint sind die schwarzfigurige Pelike aus Cerveteri/Etrurien, die „Ölhandel“-Vase (Abb. 222) und die rotfigurige Pelike aus Vulci/Etrurien, die „Schwalben“-Vase (Abb. 221). Schaffenszeit zwischen 555–520 v. Chr. Gemeint ist die schwarzfigurige Amphora aus Vulci (ca. 540/530 v. Chr.), auf der Achilles und Ajax beim Würfel(Brett?)spiel zu sehen sind.
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Visuelle Poesie
haft.2177 Auf allen drei Vasen sind Szenen dargestellt, die durch die Positionierung der Textzeilen2178 und mit ihrer Bedeutung den dialogischen Charakter und die Verlebendigung der Szene bestimmen. Auf der „Schwalben“-Vase des Euphronius sind drei Personen abgebildet: von links nach rechts sitzend ein junger Mann, im gegenüber ein älterer Mann, dann neben ihm stehend ein Kind. Über dem Kopf des älteren Mannes fliegend eine Schwalbe. Der junge Mann ruft aus „Sieh da, eine Schwalbe“, der ältere Mann „Wirklich, beim Herakles“ und das Kind „Da ist sie“. Alle Textzeilen kommen direkt aus dem Mund der Personen. Zwischen Kind und älterem Mann befindet sich noch eine senkrecht verlaufende Textzeile mit der Bedeutung „Nun ist Frühling“. Die Geschichte der Szene ist eindeutig, nicht eindeutig ist die Lesung, d. h. die zeitliche Abfolge: wer sagt was zuerst oder zugleich. Noch interessanter ist die „Ölhandel“-Vase, die aus zwei Szenen besteht. In der ersten Szene sitzen sich zwei Männer gegenüber, zwischen ihnen zwei Peliken, ein Ölbaum und ein Hund, der den mit einem Stock hantierenden Käufer betrachtet, währen der Verkäufer in einen kleinen Becher etwas abfüllt. In der zweiten Szene steht der Verkäufer mit dem Stock in der Hand, während der sitzende Käufer mit den Händen abzählend auf die inzwischen einzige Pelike weist, vor der der Hund mit stärker erhobenem Kopf steht. Die Einigkeit der ersten Szene und das Vertrauen auf einen Verkauf/Kauf der beiden unter einem Ölbaum Sitzenden wird durch eine Textzeile unterstrichen, die leicht gebogen die eine Person mit der anderen verbindet. Die Uneinigkeit der zweiten Szene wird durch die 2177
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Ausführliche Erläuterungen und Abb. in: Gesine Manuwald, Comics auf griechischen Vasen? – Strukturelle Überlegungen zur Text-Bild-Relation auf griechischen Vasenbildern. Vortrag auf der Tagung „Ikonotexte-Duale Mediensituationen“, Gießen 2006, publiziert im Internet: http://www.uni-giessen.de/cms/ fbz/fb04/institute/altertum/philologie/dokumentationen/ikonotexte-dualemediensituationen/ikonotexte_programm. Zwei weitere wichtige Vorträge der selben Tagung mit vielen Abb.: Georg Simon Gerleigner, Das Rätsel der Phinx: Zur Verwendung von Schrift in der griechischen Vasenmalerei (Internetadresse s. o.) und Celia Krause, Möglichkeiten der Interaktion von Vasenbild und Inschriften mit wörtlicher Rede auf Keramik. In: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/ propylaeumdok/frontdoor.php?source_opus=29. Siehe auch den frühen Hinweis bei: Robert, Bild und Lied, a.a.O., S. 80 ff. „Gelegentlich fügen sich die Schriftbänder gleich Bewegungs-, Betonungs-, Umrahmungs-, oder Trennlinien in die Zeichnung des Malers ein. Verlauf und Positionierung der Schrift im Bild sind dabei entscheidend. Die Beischrift übernimmt in diesem Fall Funktionen im Bild, die denen von graphischen Zusätzen in einem Comic sehr nahe kommen.“ (in: Krause, a.a.O., S. 17).
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Abb. 221: Euphronius, Schwalben-Vase, ca. 500/400 v. Chr.
aus dem Mund des Verkäufers kommende Textzeile angedeutet, die wie eine Wand in der Mitte des Bildes zwischen den beiden Personen im kurzen Bogen nahezu senkrecht zum Boden verläuft. Der Ölbaum, unter dessen Äste beide wie unter einem gemeinsamen Dach saßen, fehlt nun. Der Hinweis des Verkäufers „Das Gefäß ist schon voll“ und das Zählverhalten des Käufers deuten die unterschiedliche Auffassung über den Abschluß des Geschäftes an. Interessant ist nun, dass hier nicht nur die Sprechblasenfunktion der Comics, sondern auch deren Erzählstruktur in nuce vorhanden ist: „Die durch den Text angelegte Erwartungshaltung des Lesers/Betrachters, die die Wahrnehmung und die Interpretation einer eigentlichen Standardsituation steuert, wird in einer weiteren Szene zu einem Schlusseffekt geführt, der wiederum durch den hinzugefügten Text vermittelt wird. In diesem Spannungsbogen kann sich der Leser/Betrachter eine fortlaufende Handlung denken; d.h. die Text-Bild-Kombination ist so angelegt, dass trotz der elliptischen Fixierung der Geschichte in zwei Einzelbildern ein erzählerisches Kontinuum entsteht.“2179
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Manuwald, a.a.O., S. 11.
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Visuelle Poesie
Abb. 222: Euphronius, Ölhandel-Vase, ca 500/400 v. Chr.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Bei näherer Betrachtung der inzwischen aufgetauchten2180 und besprochenen Beispiele griechischer Vasenmalerei zeigt sich, dass hier noch sehr viel zur Text-Bild-Relation und vor allem über den Einsatz von Schrift und Sprachzeichen zu entdecken ist. So ist die Vermischung von verstehbaren und nicht-verstehbaren Beischriften zu nennen, sowie Buchstabenimitationen oder punktähnliche Reihen2181, die auch als NonsensInschriften bezeichnet werden2182, in vielen Fällen aber onomatopoetische Elemente sind,2183 oft noch gepaart mit Darstellungen des Gesangs, von Musikinstrumenten oder Tierlauten. Auf der Bandschale (ca. 560/550 v. Chr.) des Archikles und des Glaukytes2184 gibt es Sprachspiele wie das Anagramm Simon und Minos, sowie Doppelbedeutungen des scheinbar unsinnigen Wortes „eutilas“.2185 Und schließlich seien noch die Fragmente einer schwarzfigurigen Hydria (ca. 520/510 v. Chr.) erwähnt, auf der eine ungeordnete Buchstabenmenge zu sehen ist, die den Betrachter zur Entschlüsselung auffordert.2186
Spruchband Es ist nun erstaunlich, dass diese offenbar schon hochentwickelte Form des „sprechenden Bildes“ mit seinen kleinen funktionellen Besonderheiten eigentlich keine Fortsetzung gefunden hat. Eine Art Wiederaufnahme, aber unter ganz anderen Vorzeichen, fand dann erst mit der Spruchbandentwicklung2187 statt. Waren zunächst in den Darstellungen
2180
2181 2182 2183 2184 2185 2186 2187
Das Pergamon-Museum/Berlin besitzt eine Salbölflasche (Tarent 460–450 v. Chr.) auf der Herakles und Peirithoos – mit ihnen zugeordneten Schriftzeilen – in der Unterwelt Abschied nehmen. Weitere Beispiele aus der Sammlung in: Das abc der Bilder, a.a.O., S. 28 f. u. 75. Krause, a.a.O., S. 2. Gerleigner, a.a.O., S. 4 u. Krause, aao., S. 2. Krause, a.a.O., S. 3 u. Gerleigner, a.a.O., S. 7. Beide tätig Mitte des 6. Jhs. v. Chr. in Athen. Gerleigner, a.a.O., S. 4, Abb. S. 17. Gerleigner, a.a.O., S. 9 f., Abb. S. 28. Die folgende Darstellung ist der vorsichtige Versuch einer hilfsweisen Chronologie. Sie soll als grobe Orientierung dienen in einer Formenvielfalt, die sich im einzelnen nicht exakt zeitlich bestimmen lässt, weil es Überlappungen jedweder Art gibt, abhängig davon, ob z. B. die Blockbücher, die Flugblätter, Evangeliare, einzelne Holzschnitte oder Titelkupfer usw. in ihren jeweiligen unterschiedlichen Entstehungsbedingungen und Funktionen betrachtet werden.
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der christlichen Kunst noch geschlossene Schriftrollen2188 zu erkennen, öffneten die sich in der Gotik, wobei es unbeschriftete und beschriftete Formen nebeneinander2189 gab. Die unbeschriftete Schriftrolle symbolisierte das mündliche Wort, eine bestimmte Stimm(ungs)lage.2190 Die beschriftete Schriftrolle war die Botschaft, der geschriebene Text.2191 Während im Evangeliar (ca. 1188)2192 Heinrichs des Löwen die Schriftrollen noch in den Händen der dargestellten Personen oder auf andere Weise im Bild erschienen, gab es bereits in Heinrich von Veldekes „Äneïde“ (1220–1230)2193 direkt aus dem Mund kommende Schriftbänder, denen auch weitgehend die typischen Einrollungen des Rollenendes fehlten. Spätestens also seit dem 12. Jh. entwickelte sich das Spruchband als einzelne direkte und dialogische Äußerung. Von der Schrift-Rolle über das Schrift- und Spruch-Band veränderte sich zudem die Form. Schon im 13. Jh. gab es in der Trinity-Apokalypse2194 und im 14. Jh. in Thomas Le Myésiers „Breviculum“2195 Miniaturen, auf denen Textzeilen zu er2188
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2194 2195
Christus als Philosoph (ca. 530), Abb. in: Clausberg, Metamorphosen am laufenden Band, a.a.O., S. 21, oder Psalter (12. Jh.), Abb. in: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 63. Im Evangeliar/Erfurter Codex Aureus (Anfang 13. Jh.) tauchen unbeschriftete und beschriftete Schriftrollen nebeneinander auf, Abb. in: Clausberg, Spruchbandaussagen zum Stilcharakter, a.a.O., S. 88. Prophet mit Spruchband (ca. 1250), Abb. in: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 107, dort weitere S. 108, 109, 113 aus dem 13. u. 14. Jh. In einem englischen Psalter (Anfang 13. Jh.) hat Clausberg ein gutes Beispiel gefunden: Christus pariert einen Schriftrollen-Angriff des Teufels auf sein Ohr mit einem gleichen an dessen Ohr, Abb. in: Clausberg, Stimmbänder der Bildphantasie, a.a.O., S. 82. Evangelist Johannes (1240–1250), Abb. in: Glauben. Nordelbiens Schätze 800–2000, a.a.O., S. 227, zwischen der Hand mit dem Federkiel und dem Schreibpult entrollt sich die Schriftrolle. Katalog: Heinrich der Löwe und sein Evangeliar. Eine Ausstellung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. Hannover 1989. Abb. 223 in: Clausberg, Spruchbandaussagen zum Stilcharakter, a.a.O., S. 83. Eine interessante Doppelung gibt es in: Wernher „Driu liet von der maget“ (12./13. Jh./Abb. in: Lexikon der christlichen Ikonographie. Hg. Engelbert Kirschbaum. Bd. 4, Rom/Freiburg/Basel/Wien 1972, Sp. 125). Farbmikrofiche-Ed. der Hs. Berlin, Ehem. Preussische Staatsbibliothek, Ms. germ. oct. 109 (z. Zt. Kraków, Biblioteka Jagiello’nska. Depositum) /Beschreibung der Hs. und komm. Bildkatalog von Elisabeth Radaj. München 2001. Dort werden im selben Bild zwei Schriftrollen in den Händen gehalten, aber eine wird mit der Hand ganz in die Nähe des Mundes geführt. Die Trinity-Apokalypse. Hg. David McKitterick. Luzern 2004. Abb. in: http://www.ub.uni-freiburg.de/referate/04/lullus-ikonographie.htm. Es handelt sich um das „Electorium parvum“, eine Kurzfassung des „Electorium
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 223: Heinrich von Veldeke, Äneïde, 1220–1230
kennen waren, die aus dem Mund der handelnden Personen kamen und in Textblöcken endeten, bzw. diese einrahmten. Nicht nur, dass es nun im 15. Jh. auch Textzeilen ohne Band-Begrenzungen2196 waren – die im 17. Jh. zu Gebilden2197 führten, die schon auf sich im 18. Jh. ausbildende
2196
2197
magnum“ (vgl. Anm. 1772) vom „Breviculum ex Artibus Raimundi Lulli Electum“, eine Zusammenfassung des Werkes von Raimundus Lullus, die Le Myésier zwischen 1309 und 1311 vornahm: Thomas Le Myésier, Breviculum seu Electorium parvum Thomae Migerii (Le Myésier). Ed. Charles Lohr u. a. Turnhout 1990. Fra Angelico „Annunciation“ (1432/1433/Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 11; Lexikon der christlichen Ikonographie, a.a.O., Bd. 2, 1970, Sp. 348). Ein gutes Beispiel für den Übergang von der begrenzten zur unbegrenzten Dialogtextzeile ist ein altdeutsches Bildgedicht aus dem 16. Jh., das bisher in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt wurde: Joachim Telle, Sol und Luna. Literar- und alchemiegeschichtliche Studien zu einem altdeutschen Bildgedicht. Stuttgart 1980 (mit Abb. von fünf Fassungen des 16. u. 17. Jhs.). Johan Risten, Friedewünschendes Teutschland (1647), Abb. in: Gedichte des Barock. Hg. Peter Jentzsch. Stuttgart 1997, S. 57. In einem mexikanischen Codex „Pri-
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Sprechblasen2198 verwiesen –, sondern es begann auch ein anderer Übergang sich zu vollziehen, den die Textblöcke markierten, die hier zum Teil noch spielerisch ornamental innerhalb des Bildes nach allen möglichen Leserichtungen hin verteilt waren. Denn der Textanteil nahm zu. Die Schriftbänder/Spruchbänder breiteten sich über das ganze Bild gehäuft aus und zur dialogischen Funktion trat nun dominierender der Text als Information oder, wie in den Blockbüchern, als Belehrung. Formal zeigte sich das z. B. im Übergang von der Form des Bandes zu einer Buchseite ähnlichen Einfassung der Texte2199. Dem didaktischen Konzept folgend waren es nicht mehr Texte mit verschiedenen Leserichtungen auf schwer lesbaren Bändern oder sich durchs Bild windende Textzeilen, sondern nun regelrechte Textblökke aus waagerecht verlaufenden Textzeilen. Gab es zunächst noch zur Trennung von Text und Bild – unter dem Bild wurde in einem eigenen gerahmten Feld ein Textblock eingefügt – Textbänder im Bild darüber2200, vollzog sich schließlich eine strikte Trennung von Bild und
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2200
meros memoriales de Sahagún“ (1558–1560) kommen aus den Mündern von mehreren Personen kleine blasenähnliche Zeichen ohne Text (Abb. 224 in: Los códices de México, a.a.O., S. 115). Ebenfalls aus dem 16. Jh. stammen „Catecismo Gómez de Orozco“ und „Libro de Oraciones“ (ebd., S. 121ff.), in dem aus den Mündern nacheinander eine Reihe halbkreisförmiger Zeichen und auch eine einzelne Blase kommen. In einer beiliegenden Erläuterung heißt es: „The drawings are a mixture of aboriginal and European standards.“ Zudem sind diese Codices auf europäischem Papier gedruckt und in einem Fall („Libro de Oraciones“) gibt es sogar eine in der europäischen Literatur wohlbekannte Figur, die Bustrophedon-Lesung. Helmut Heißenbüttel, Die Rache der Sprechblase. Das verachtete Medium (1982) in: http://www.titel-magazin.de/modules.php?op=modload&name=News &file=article&sid=4341. In der heutigen Werbung wird wieder zurückgegriffen auf die alte Spruchbandtradition, Beispiele sind: DeTex-Werbung für Funkrufservice in: Focus 15, 1994, S. 149 oder die Viktor&Rolf-Werbung in: Magazine/Air France No. 115, Nov 2006, S. 13. Ein ganzes Repertoire möglicher Sprechblasenformen mit jeweils verschiedenen Funktionen führt Saul Steinberg vor in: Steinberg’s Labyrinth. Reinbek 1960. Im Blockbuch „Apokalypse“ (Mitte 15. Jh.), Abb. in: Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., S. 59 ff. u. Taf. 10. Im „Denfensorium immaculatae Virginitatis“ (15. Jh.), Abb. in: Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., S. 163, ebenso im Pommersfeldener Bilderzyklus zum Anticlaudianus (2. Viertel d. 14. Jhs.), Abb. in: Meier, Rezeption des Anticlaudianus Alans von Lille (Alain de Lille), a.a.O., S. 543. Und schon im 12. Jh. gibt es das Nebeneinander von Textzeilen, Textbändern und Textbblöcken im „Liber Floridus“ (ca. 1120) von Lambert von Saint-Omer, einer Art Enzyklopädie, die das Wisssen der Zeit gesammelt und auf die Erkenntnis Gottes ausgrichtet hatte. Abb. in: Albert Deroz, Liber Floridus Colloquium. Gent 1973, Fig. 11, 16, 17, 20.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 224: Primeros memoriales de Sahagún, 1558–1560
Text2201 ohne zusätzliche Textbänder wie in dem Flugblatt „Magische Figuren Der triumphirenden Löwen.“ (1632)2202. Diese strikte Trennung von Bild und Text konnte allerdings auch wieder dialogischen Charakter annehmen: „Bei Bilderbogen, wo die Einzelszenen nur zwei Bildpersonen aufwiesen wie beim !Totentanz"2203 und bei der !Minnenden Seele"2204, konnte die Rede der einen Bildperson 2201
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2203 2204
In „Die sieben Todsünden und der Teufel“ (15. Jh.), Abb. in: Blockbücher des Mittelalters, a.a.O., Taf. 7. Abb. in: Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, aaO, Bd. 2, S. 468. Das Blatt enthält 30 Einzelszenen, jeweils in einem ovalen Rahmen, der in der Mitte das Bild vom darunter stehenden Text trennt. Erzählt wird die Geschichte eines Löwen, der über das Papsttum siegt. Rosenfeld, Der mittelalterliche Totentanz. Köln 1954/1968. Rosenfeld, Christus und die Minnende Seele. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon. Hg. Wolfgang Stammler. Bd. 5, Berlin 1955, S. 140 ff.
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über, die der anderen Bildperson unter dem Bilde gegeben werden, ohne das Verständnis der Dialogverse zu erschweren (…) Das war dann der Übergang vom eigentlichen Spruchbandtitul zum versetzten Spruchbandtitul, oder noch allgemeiner gesagt, vom Spruchband zum Schriftfeld.“2205
Bilderzyklus Wie die meisten Beispiele gezeigt haben, war die Entwicklung des Schrift- und Spruchbandes bis hin zur Sprechblase eng verknüpft mit der Form des Bilderzyklus, einer Geschichte in Text und Bild. Auf der Suche nach frühen Formen dieser sequenziellen Erzählungen gehen Comic-Archäologen2206 sogar bis zu den Höhlenzeichnungen2207 zurück, z. B. zu den Phasenbildern einzelner Tierdarstellungen, die schon für die Geschichte des Films betrachtet wurden. Ob diese aber, gleichsam als Zusammenfall von Einzelszenen, als Vorstufen eines sequenziellen Erzählens zu werten sind, muß in Frage gestellt werden. Das gilt auch für das Reklamieren von Comic-Vorstufen, die – chronologisch betrachtet – mit Hinweisen auf die altsumerische Standarte von Ur beginnen, mit einem Holzkasten, der in einem Königsgrab gefunden, zwischen 2850 und 2350 v. Chr. (ca. 2500) entstanden sein mag und auf dem jeweils auf drei untereinander liegenden Friesen an den Längs-
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Rosenfeld, Bild und Schrift, a.a.O., Sp. 1661 f., hier auch die Abb. zum Totentanz-Blockbuch (1456). Ein interessanter Fall ist der Terenz-Codex (Codex Vaticanus latinus 3868) aus dem 9. Jh. Es handelt sich um die sechs Komödien des Terenz mit insgesamt 139 Miniaturen. Der Text befindet sich im oberen Teil der Seite, die Illustrationen darunter. Die Verbindung von Text und Bild ist insofern spannend, als die Bebilderung Informationen liefert, die im Text nicht vorhanden sind und umgekehrt. Es handelt sich vorwiegend um Personendarstellungen, die mit einer bestimmten gestischen Zeichensprache als zusätzliche Lese- und Verständnishilfe den z. T. dialogischen Text begleiten, vgl. Roman Müller, Aspekte der Ikonosemiotik des Terenz-Codex Vat. Lat. 3868. Vortrag auf der Tagung „Ikonotexte-Duale Mediensituationen“, Gießen 2006, im Internet: siehe Anm. 2177. Lancelot Hogben, From Cave Painting to Comic Strip. A Kaleidoscope of Human Communication. New York 1949; Günter Metken, Comics. Frankfurt 1970, S. 7; Knigge, Alles über Comics, a.a.O., S. 89 ff. u. Wolfgang J. Fuchs/Reinhold C. Reitberger, Comics. Anatomie eines Massenmediums. München 1971. In den Höhlen von Altamira und Lascaux.
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seiten szenisch auf der einen Seite der Krieg und auf der anderen der Frieden dargestellt wurden.2208 Als nächstes werden die zwischen 1500 und 1100 v. Chr. entstandenen Szenenfolgen der ägyptischen Totenbücher2209 genannt, dann die aus dem 7. Jh. v. Chr. überlieferten Steinreliefs aus dem assyrischen Königspalast von Ninive, auf denen die Stärke des Königs Assurbanipal (669–627 v. Chr. Herrscher von Assyrien) in vielen Szenen gerühmt wird2210 und die sogenannte Françoise-Vase (570–560 v. Chr.)2211 aus Chiusi, ein schwarzfiguriger Volutenkrater, mit EberjagdSzenen. Die ursprünglich 92 Metopen am Parthenon auf der Akropolis aus dem 5. Jh. v. Chr.2212, die den Kampf der Griechen mit Hilfe der Götter gegen ihre Feinde thematisieren, fehlen ebensowenig wie die von Apollodoros aus Damaskus stammende Trajanssäule, die 113 n. Chr. in Rom eingeweiht wurde und auf ihren 23 nach oben aufsteigenden spiralförmigen Windungen die Kriegserfolge Trajans (53–117 n. Chr.) gegen die Daker dokumentiert.2213 Schließlich werden auch immer wieder die
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Abb. in: http://www.fh-augsburg.de/~harsch/museum/C_a0250.html (Link: Vexillum de Ur). Z. B. aus dem 1300 v. Chr. der Totenbuch-Papyrus des Ani/Anhai und des Hunefer. Siehe auch: E. A. W. Budge, The Book of the Dead. Facsimiles of the Papyri of Hunefer, Anhai, Kerasher, and Netchemet with supplementary Text from the Papyrus of Nu. London 1899; Zahi Hawass, Bilder der Unsterblichkeit. Die Totenbücher aus den Königsgräbern in Theben. Zabern 2006; François-René Herbin, Books of Breathing: Catalogue of Books of the Dead and other funerary manuscripts in the British Museum Volume III. Oxford 2007. Abb. in: Knigge, Alles über Comics, a.a.O., S. 94. Sogenannt nach dem Finder Alessandro François. Sie wurde von Ergotimos getöpfert und von Kleitias (Schaffenszeit zwischen 580–550 v. Chr.) ausgemalt, Abb. in: http://www.hellenica.de/Griechenland/LX/Francoisvase.html. Siehe: http://www.aeria.phil.uni-erlangen.de/photo_html/bauplastik/metopen/ parthenon/ebene4.html. Abb. in: http://www.wuellenweber-genealogie.de/Rom79–2Seite.html. Werner Gauer, Untersuchungen zur Transsäule. Erster Teil: Darstellungsprogramm und künstlerischer Entwurf. Berlin 1977; Karl Reinhard Krierer, III. Ikonographie, Trajanssäule und Mark Aurel-Säule. Eine Gegenüberstellung. In: K. R. K., Antike Germanenbilder. Wien 2004 (= Archäologische Forschungen 11). Im Zusammenhang mit der Trajanssäule werden auch die Marc-Aurel-Säule (192/193 n. Chr.) mit Kriegsszenen der Markomannen-, Quaden- und Sarmatenkriege des Kaisers (Abb. in: http://flickr.com/photos/injelea/2659079074/) und die Vendôme-Säule (1810/ Abb. in: http://www.umdiewelt.de/Europa/Mittel-und-Westeuropa/Frankreich/ Reisebericht-2314/Kapitel-11.html) mit den Heldentaten Napoleons (Abb. in: June Hargrove, The Statues of Paris. Antwerpen 1989) genannt, die nach dem Vorbild der Trajanssäule entstanden.
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70 Meter lange und 50 cm hohe „Tapisserie von Bayeux“ (1070/1080)2214, die die Geschichte der Eroberung Englands (1066) durch die Normanen erzählt und die Beatus-Apokalypse (Mitte 11. Jh.)2215, eine Handschrift der Offenbarung des Johannes, in eine solche angenommene Traditionslinie eingereiht. Diese Auswahl-Liste ließe sich leicht vermehren2216 und zeigt, dass ganz unterschiedliche Muster zwar auf ein Grundprinzip hinauslaufen, nämlich die Auflösung eines Geschehens in Einzelszenen, aber nicht nur die in den meisten Fällen fehlende Verbindung von Text und Bild, sondern vor allem die ganz unterschiedlichen Erzähl- und Bildstrukturen lassen sich kaum in eine stringente Comic-Tradition pressen. Hier gilt, wie in vielen anderen Fällen in der Geschichte der Optischen Poesie, dass wohl Einzelelemente wiederkehren und im Laufe der Zeit – wie bei den Comics die Vorformen der Sprechblase – auftauchen, dass aber über das ganz vordergründige ästhetisch Formale hinaus, die kulturelle Bindung an die jeweilige Entstehungszeit mit den besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu eigenen Funktionsmerkmalen führt und eine aus heutiger Sicht sich anbietende vereinheitlichende Gattungsbestimmung problematisch ist. Kann die Entwicklung der Sprechblase noch relativ gut von der griechischen Vasenmalerei ausgehend über ihre erste Verwendung bei Thomas Rowlandson (1756–1827) bis in die Gegenwart verfolgt werden, so ist dies für die allgemeinere Form des Bilderzyklus deutlich schwieriger, weil seit dem Eindringen des Textes in das Bild fast alle nur denkbaren Medien der literarischen Tradition und der der bildenden Kunst (von Papyrusrollen, über Pergamentkonvolute, Codices, religiöse und profane Gebrauchsgegenstände, Glasfenster, Altarbilder, Fresken, Tapisserien, Flugblätter, Bilderbögen, Bilderbücher usw.) an der Entfaltung dieser Gattung beteiligt waren und zu einem sehr heterogenen Zyklen-Spektrum beitrugen. 2214
2215 2216
Der Wandteppich von Bayeux. Ein Hauptwerk mittelalterlicher Kunst. Gesamtwiedergabe auf 71 Tafeln. Mit einführenden Essays von Sir Frank Stenton, Simone Bertrand, George Wingfield Digby, C. H. Gibbs-Smith, Sir James Mann, J. L. Nevison und Francis Wormald. Köln 1957; David M. Wilson, Der Teppich von Bayeux. Köln. 2003; http://iris-kammerer.de/html/bayeux.html. Abb. in: http://beatus.saint-sever.fr/frameset/index.htm. Siehe dazu die Seiten und Forschungsforen im Internet wie: Andy’s Early Comics Archive in: http://bugpowder.com/andy u. http://bugpowder.com/andy/ e.speechballoons.html oder http://www.comicforschung.de sowie die sehr interessante Seite der Bibliothèque national de France (http://expositions.bnf.fr/ bdavbd/anglais/expo/index.htm).
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Das trifft vor allem auf den europäischen Kulturraum zu, etwa im Gegensatz zum asiatischen. Dort lässt sich z. B. in China gut begrenzt feststellen, dass es erste Belege für Geschichten in Bildern schon weit vor der Han-Dynastie (also vor 206 v. Chr.) gegeben hat2217, dass in der HanDynastie, etwa seit dem 1. Jh. n. Chr. Texterläuterungen zu den Bildern kamen und in der Song-Dynastie (960–1279) mit der zunehmenden Verquickung von Malerei und Schriftkunst daraus Text-Bild-Sequenzen wurden, bis schließlich seit der Ming- (1368–1644) und Qing-Dynastie (1644–1911) bebilderte Romane (lian-huan-hua = Kettenbilder) zum Alltag gehörten.2218 Eine weitere Quelle waren die sogenannten „Neuigkeiten-Blätter“ (hsin-wen-chih) – die unregelmäßig erschienen und Zeitereignisse in Bildfolgen brachten, wobei der Text nicht neben dem Bild, sondern schon im Bild eingefügt war2219 – sowie die diese Tradition Mitte des 19. Jhs. fortsetzenden chinesischen Illustrierten (hua-pao = Bildzeitung)2220. Die Selbständigkeit als Comic, erreichte die Gattung dann in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jhs. und wurde fester Bestandteil der politischen und kulturellen Bildung der Massen, bis Ende des 20. Jhs. die japanischen Manga-Importe eine neue Form prägten, das Katong: „Katong, die lautliche Übertragung des englischen Cartoon, oder auch xin manhua, die ‚neuen‘ manhua (die chinesische Aussprache des auch im Westen bekannten japanischen Ausdrucks für japanische Comics: Manga) bedienen mit ihrem Stil- und Themenmix die Bedürfnisse der coolen Städter. Sie sind Teil und Ausdruck einer entstehenden Jugendkultur (…) Auf der Suche nach neuen Identifikationsmöglichkeiten, neuen persönlichen Ausdrucksformen stößt die Jugend auf diese modernen Comics: Im katong bekommt sie diese gezeigt. Diese Suche nach eigener Identität, nach etwas, was sie selbst von anderen unterscheidbar macht, führt zum Teil in die Uniformität. Katong tragen ihren Teil dazu bei: sie eröffnen eine Perspektive, sich äußerlich von den Eltern abzuhe2217
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2220
Andreas Seifert, Comics in China. In: Lexikon der Comics. Teil 3: Themen und Aspekte. 39. Erg.-Lfg. Meitingen September 2001 u. http://www.uni-tuebingen.de/uni/ans/sino/personal/seifert/comic.pdf. Das Mädchen aus der Volkskommune. Chinesische Comics. Mit einer Einleitung von Gino Nebiolo und Kommentaren von Jean Chesneaux und Umberto Eco. Reinbek 1972. Chinesische Comics. Gespenster Mörder Klassenfeinde. Übersetzt und eingeleitet von Wolfgang Bauer. Düsseldorf 1976, S. 9. Fritz van Briessen, Die Shanghai-Bildzeitung 1884–1898. Eine Illustrierte aus dem China des ausgehenden Jahrhunderts. Zürich/Freiburg 1977.
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ben, und sie tragen zur Standardisierung dieses ‚Andersseins‘ als Gruppenphänomen bei.“2221 Später als in China aber durchaus vergleichbar begann die Entwicklung in Japan. Bildergeschichten buddhistischer Mönche gehen bis ins 6./7. Jh. zurück, 1935 bei Restaurierungsarbeiten im Horyu-Tempel in Nara entdeckt. Nachdem in der Heian-Zeit im 10. u. 11. Jh. das uta-e (Bildgedicht)2222 aufkam, entstanden die bekanntesten Bildergeschichten (choju giga) von Kakuyu (d. i. Sojo Toba, 1053–1140), Karikaturen mit vermenschlichten Tierdarstellungen2223 und das auf die Mitte des 12. Jhs. zu datierende „shigisan engi emaki“.2224 In der späten Edo-Zeit (1603–1868) wurden zunächst Toba-e – ineinander fließende Bilder – hergestellt, die aber selten Texte enthielten, im Gegensatz zu den folgenden Kibyoshi2225, in denen Bild und Text derart ineinander verwoben waren, dass neben einem Fließtext am oberen Bildrand noch separate Texte – entweder Äußerungen oder Beschreibungen – unmittelbar neben die betreffenden Personen gesetzt wurden, wie im „myo-kinako kogome domyoji“ von Eishosai Choki, der zwischen 1780 und 1805 tätig war. Spätestens diese Form kann als Frühform der Manga gelten. Der Begriff Manga wurde zwar von Katsushika Hokusai schon 1814 für seine Skizzen benutzt, die aber keine zusammenhängenden Sequenzen bildeten, sondern Momentaufnahmen der japanischen Gesellschaft während der Edo-Zeit waren. Der Begriff bekam seine heutige Bedeutung2226 erst durch die Wiederaufnahme am Anfang des 20. Jhs. durch Rakuten Kitazawa, der als Vermittler des amerikanischen Cartoon-Stils in Japan gilt.
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Andreas Seifert, Comic in China. Sinisierung einer Pop-Kultur. In: parapluie 10: Chinesische Gegenwarten. Frühjahr 200, in: http://parapluie.de/archiv/china/ comic/. Joshua Scott Mostow, „Uta-e“ and the Interrelations Between Poetry and Painting in the Heian Era. Ann Arbor 1988. Abb. in: http://www.kokingumi.com/ChojuGiga/index.html. Gisela Armbruster, Das Shigisan engi emaki: ein japanisches Rollbild aus dem 12. Jahrhundert. Hamburg 1959, Abb. in: http://web-japan.org/nipponia/nipponia27/en/feature/feature03.html. Adam Kern, Manga from the Floating World: Comicbook Culture and the Kibyoshi of Edo Japan. Cambridge/Mass. 2006. Kyoichi Tsuzuki / Alfred Birnbaum, Manga – Comic Strip Books from Japan. London 1991; Frederick L. Schodt, Dreamland Japan: Writings on Modern Manga. Berkeley 1996; Paul Gravett, Manga. Sechzig Jahre japanische Comics. London 2004. Ausstellung: Manga mania. Comic Kultur in Japan 1800–2008. Museum für angewandte Kunst, Frankfurt 2008.
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Die europäische Geschichte des Bilderzyklus2227, insbesondere unter Einbezug der Betrachtung möglicher Vorformen des Comics, lässt sich im weitesten Sinne zunächst in drei Gruppen zusammenfassen, die von den Grundformen der (bildenden) Kunst, Poesie und Drama(turgie) bestimmt werden: die illustrierte Dichtung, die poetisch erläuterten Bilder und die Dynamisierung der Szene durch dialogisch-sprechende Strukturelemente.
Bilderbogen Allen drei Gruppen liegt die bis ins 13. Jh. zurückgehende Tradition des Bilderbogens zugrunde2228. Es waren handschriftliche Blätter, kolorierte Einblattdrucke, Flugschriften, auf denen zunächst der Text, die Illustration von Liedern und Sprüchen im Vordergrund stand, und dann, im Gefolge der schriftlosen Heiligen- und Andachtsbildern,2229 religiöse und moralisch-didaktische Texte, die prägnant und anschaulich mit Hilfe des Bildes dem Publikum nahe gebracht wurden. Die Bilderbogen dienten der Unterhaltung, Belehrung und massenhaften Verbreitung von Nachrichten. Als im 16. Jh. ein Wechsel eintrat, und das Bild wichtiger als der Text wurde, vollzog sich auch eine Veränderung von christlich-mittelalterlichen2230 zu stärker säkularisierten Ausdrucksformen.2231 Der Übergang zeigte sich bei Sebastian Brant (1457/58–1521), der seit 1492 eine Reihe 2227
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Robert, Bild und Lied, a.a.O., S. 46 datiert die ersten Bilderzyklen auf das 4. Jh. n. Chr., wobei er Ansätze schon in hellenistischer Zeit sieht, vor allem „in die erste intimere Berührung mit dem Orient“, „in dessen Kunst ein solches chronikartiges Aneinanderreihen von Scenen seit alten Zeiten heimisch war.“ (a.a.O., S. 47). Karl Riha, Literatur in Bildern. Zur Grenzüberschreitung der Künste. In: Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 44 ff. Elke Hilscher, Die Bilderbogen im19. Jahrhundert. München 1977, S. 20. Vgl. z. B. die 19 Tafeln und 31 Bilder der Ursula-Legende, die 1456 von Jan van Scheyven geschaffen wurde (Abb. in: http://www.heilige-ursula.de/galerie/ bilderzyklus_WRM_01.html) und sich heute in St. Ursula in Köln befindet: – 2007 gab es im Wallraff-Richartz-Museum/Köln eine Aussstellung „Der Meister und der Mangaka“, die diesen Bilderzyklus einer jüngst enstandenen MangaEntsprechung des Mangaka Sascha Schätzchen (1976) gegenüberstellt. Rosenfeld, Die Rolle des Bilderbogens in der deutschen Volkskultur, a.a.O., S. 79 ff. u. Rosenfeld, Das deutsche Bildgedicht, a.a.O., S. 25 ff. Vgl. auch die Entsprechung des Volksbilderbogens Lubok in Russland.
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von Flugblättern schuf und als Hauptwerk „Das Narrenschiff “ (1494)2232, das „nur eine Ausweitung früherer Narrenbilderbogen“2233 ist, ebenso wie in den Bilderbogen von Albrecht Dürer (1471–1528) oder Hans Sachs (1494–1576)2234. Sie entstanden z. T. in der Hochburg und Hauptproduktionsstätte des Bilderbogens, in Nürnberg, wo Paulus Fürst (1608–1666) einer der ersten Großverleger für Bilderbogen – insbesondere auch für die Pegnitzschäfer2235 – einen Kunstverlag2236 betrieb. Eine weitere Hochburg gründete sich im 18. und 19. Jh. im brandenburgischen Neuruppin, als Johann Bernhard Kühn (1750–1826) später sein Sohn Gustav Kühn die Neuruppiner Bilderbogen2237 in hohen Auflagen produzierten und sich weitere Bilderbogen-Verlage ansiedelten. Im Gegensatz zu den noch moralisierenden und in der Mehrzahl pädagogischen Neuruppiner Bilderbogen begann sich im 18. Jh. und beginnenden 19. Jh. die politische Satire, die Karikatur in der Flugblattliteratur durchzusetzen. Besonders in England geschah dies früh etwa durch William Hogarth (1697–1764), Thomas Rowlandson oder James Gillray (1757–1815)2238. Zeitschriften wie „La Caricature“ (1830) und „Le Charivari“ (1832)2239 in Frankreich oder „McLeans Monthly Sheet of Carivatures“ (1832) und „Punch“ („The London Charivari“, 1841) und ab 1890 „Comic Cuts“ und „Illustrated Chips“ der Almagamated Press in England beförderten diese Richtung, denen in Deutschland dann die „Fliegenden Blätter“ (1845), „Kladderadatsch“ (1848), „Meggendorfer Blätter“ (1889) und der „Simplicissimus“ (1896) folgten, – vor allem auch 2232
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Sebastian Brant. Forschungsbeiträge zu seinem Leben, zum „Narrenschiff “ und zum übrigen Werk. Hg. Thomas Wilhelmi. Basel 2002. S. B., Das Narrenschiff, in: http://www.fh-augsburg.de/~harsch/germanica/Chronologie/15Jh/Brant/ bra_n000.html Rosenfeld, Die Rolle des Bilderbogens in der deutschen Volkskultur, a.a.O., S. 81, hier auch (S. 82) Abdruck eines Narrenbilderbogen aus dem 15. Jh. „Die 8 Schalkheiten“. Heinrich Röttinger, Die Bilderbogen des Hans Sachs, Straßburg 1927; Bernd Balzer, Bürgerliche Reformationspropaganda. Die Flugschriften des Hans Sachs in den Jahren 1523–1525, Stuttgart. 1973. Rosenfeld, Das deutsche Bildgedicht, a.a.O., S. 39. Theodor Hampe, Paulus Fürst und sein Kunstverlag. In: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg 1914/15, S. 3 ff. u. Nürnberg 1920/1921, S. 137 ff. Gertraud Zaepernick, Neuruppiner Bilderbogen der Firma Gustav Kühn. Leipzig 1972. Metken, Comics, a.a.O., S. 13. Von Charles Philipon (vgl. Anm. 2092) gegründet. Hier haben Honoré Daumier und Jean Ignace Isidore Gérard (Grandville) publiziert.
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mit Veröffentlichungen von Wilhelm Busch (1832–1908), dessen erste Bildgeschichten (1859)2240, in den „Fliegenden Blättern“ erschienen und Adolf Oberländer (1845–1923), der seit 1863 regelmäßig dort publizierte2241. Seinen Niederschlag fand diese Entwicklung z. B. in einer Abiturientenzeitschrift aus dem Jahr 1910, in der Max Ernst (1891–1976) hurmorvolle Bildergeschichten2242 zu handschriftlichen Texten zeichnete. Neben Hogarths Bildserien, die seit 1784 bereits alle Elemente des Comics aufweisen, gelten Rodolphe Töpffers (1799–1846)2243 „Komische Bildromane“ als wichtigste Vorformen des Comics.2244 1945 schrieb er in einem Essay über die Theorie der Bildserien: „Man kann Geschichten schreiben in Kapiteln, Zeilen, Wörtern: das ist Literatur im eigentlichen Sinn. Man kann Geschichten schreiben in Folgen graphisch dargestellter Szenen: das ist Literatur in Bildern (…) Die Literatur in Bildern hat Vorteile eigener Art: durch Reichtum an Details erlaubt sie eine außerordentliche Prägnanz.“2245 Und mit einem Seitenhieb auf Hogarth heißt es weiter: „Literatur in Bildern machen bedeutet nicht, sich in seiner Arbeit von einem gegebenen Vorwurf abhängig zu machen, um aus diesem, und oft bis zur letzten Neige, alles herauszuholen, was er enthält. Es bedeutet nicht, einen von Natur aus witzigen Zeichenstift ausschließlich in den Dienst einer grotesken Geschichte zu stellen. Es bedeutet auch nicht, dass man ein Sprichwort in Szene setzt oder ein Wortspiel verbildlicht. Im Gegenteil: es bedeutet, dass man wirklich irgendeine Handlung erfindet, deren Teile sich sinnvoll zu einem Ganzen zusammenfügen; es bedeutet, ein Buch verfasst zu haben, (…) und 2240
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Wilhelm Busch – Die Bildergeschichten. Historisch.-kritische Gesamtausgabe. Hg. Herwig Guratzsch/Hans Joachim Neyer. Hannover 2007. Adolf Oberländer, Schreibheft des kleinen Moritz. Mit einem Nachwort von Helmut Heißenbüttel. Hg. Karl Riha. Siegen 1985. Ernst, Aus unserem Leben an der Penne. Hg. Karl Riha. Siegen 1991 (= Vergessene Autoren der Moderne LI), S. 28 ff., 38 u. 42, wo es auch direkte Hinweise auf Wilhelm Busch (S. 13 u. 23) gibt. David Kunzle, Father of the Comic Strip: Rodolphe Töpffer. Jackson 2007; David Kunzle, The History of the Comic Strip, Vol. I: Picture Stories and Narrative Strips in the European Broadsheet c. 1450 to 1825 u. Vol. II: The Nineteenth Century. Berkely 1990. In: http://leonardodesa.interdinamica.net/comics/lds/vb/VieuxBois01.asp?p=1 ist die früheste Bildgeschichte „Histoire de Mr. Vieux Bois/ Les Amours de Monsieur Vieuy-Bois“ (1827) abgebildet. Essay zur Physiognomie / Rodolphe Toepffer. Aus d. Franz. übertr. von Wolfgang u. Dorothea Drost. Mit e. Nachw. von Wolfgang Drost u. Karl Riha. Siegen 1982, S. 7.
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nicht nur einen Witz gezeichnet oder einen Refrain in Verse gebracht zu haben.“2246 Die Verurteilung des schnellen Witzes und dieses Pladoyer für die durchkomponierte Sequenz, ist zugleich auch eine Absage an den einblättrigen Bilderbogen, an die billige Unterhaltung und die allzu durchsichtigen pädagogisch-didaktischen Bildfolgen.2247 Töpffer, der ursprünglich Maler werden wollte, unterrichtete an einer Privatschule Latein und Griechisch, schrieb kunsthistorische Essays und engagierte sich als Parlamentsmitglied im Kanton Genf seit 1934 im Kampf gegen den Liberalismus und dessen Verfechter James Fazy (1794–1878), der nach den revolutionären Aufständen (1842–1846) das altcalvinische Genf zu modernisieren versuchte. Dieses Engagement und die Figur Fazys als Vorlage spiegeln sich in Töpffers politisch-satirischem Bilderroman „Histoire d’Albert“ (1844)2248, der wiederum Johann Hermann Detmold (1807–1856) und Adolf Schroedter (1805–1875) als Vorlage für ihre Bildergeschichte „Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer, Abgeordneten zur constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main“ (1849)2249 diente. Auch Detmold war ein politisch engagiertes Mitglied der deutschen Nationalversammlung und karikierte in seiner Geschichte vom Herrn Piepmeyer die Wandlung vom Demokraten zum Oportunisten.
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Ebd., S. 11. Die Qualität der Töpfferschen Bilderromane wurde von Goethe mehrfach hervorgehoben, nachdem ihm Frédéric Soret (1795–1865) die ersten beiden Bilderromane Ende 1830 vorlegte (vgl. Goethes Briefe an Soret v. 10. 1. 1831 u. 28. 1. 1832, sowie die Bemerkung in Johann Peter Eckermanns Gesprächen mit Goethe v. 4. 1. 1831). Goethe hatte sogar vor, einen Artikel über Töpffer in seiner Zeitschrift „Über Kunst und Altertum“ zu veröffentlichen, der posthum unter Verwendung von Aufzeichnungen der Gespräche mit Goethe dann von Soret und Eckermann erschien (Über Kunst und Altertum, H. 6, Stuttgart 1832, S. 581 ff.). Abb. 225 in: http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Toepffer_Histoire_Albert.pdf. Johann Hermann Detmold, Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer, Abgeordneten zur constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main. Neu hg. und mit einem Nachwort versehen von Christoph Stoll. München 1979 (Nachdruck der Ausgabe: Frankfurt, 1849. Mit zahlr. Illustrationen von Adolf Schroedter).
Abb. 225: Rodolphe Töpffer, Histoire d’Albert, 1844
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Comic Die humoristisch und politisch-satirische Bildgeschichte bekam Ende des 19. Jh. dann ihre endgültige Comic-Strip Form in Amerika, wo es bereits eine Tradition des Cartoons2250 gab und diese durch wachsende Auflagenzahlen der Tageszeitungen wie „New York Sun“ (1833) oder Magazine wie „Puck Magazine“ (1871), „The Judge Magazine“ (1881) oder „Life“ (1883) immer populärer wurden. Als sich die beiden größten Zeitungsverleger Joseph Pulitzer (1847–1911), der die „New York World“ und William Randolph Hearst (1863–1951), der den „San Francisco Examiner“ besaß, als Konkurrenten bekämpften, Hearst in New York das „New York Journal“ übernahm und mit der farbigen Sonntagsbeilage „The American Humorist“ ab 1896 der bereits seit 1889 (und farbig seit 1893) existierenden Unterhaltungsbeilage (comic supplement) der „New York World“ den Markt streitig machte, war dies auch ein Beleg für die Popularität der Cartoons und aufkommenden Comic-Strips. Richard Felton Outcault (1863–1928), der 1894 im „Truth“ seinen ersten Cartoon, die Figur des späteren Yellow Kid, veröffentlichte, wechselte von „Truth“ zur „New York World“ und schuf die in der Sonntagsbeilage wiederkehrende „Hogan’s Alley“ 1895 mit der Figur des Yellow Kid. Den Namen bekam die Figur als zu Beginn des Jahres 1896 Yellow Kid mit einem gelben Nachthemd erschien: – der Begriff yellow press für Boulevardjournalismus war geboren. Hearst warb Outcault ab. Outcaults „Hogan’s Alley“ erschien weiterhin in der „New York World“ (gezeichnet von George B. Luks, 1867–1933) und im „New York Journal“ die Serie „The Yellow Kid“ (gezeichnet von Outcault). 1897 lancierte Hearst eine zweite Serie in den „American Humorist“. Er kannte Wilhelm Buschs „Max und Moritz“2251 und ließ den deutschen Zeichner
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Wie in England, wo der Begriff von „Punch“ geprägt wurde. Als früheste Comics gelten „Ally Sloper“, von Charles Henry Ross erfunden und zum ersten Mal am 14. 8. 1867 in der englischen Zeitschrift „Judy“ gedruckt (http://www. bugpowder.com/andy/e.ally.sloper.01.html). Vgl. auch: Horst Schröder, Die ersten Comics. Zeitungs-Comics in den USA von der Jahrhundertwende bis zu den dreißiger Jahren. Reinbek 1982; Shirrel Rhoades, A Complete History of American Comic Books. Bern/Berlin 2008. Abb. 226 in: Knigge, Comics, a.a.O., S. 138. 1871 gab es eine amerikanische Übersetzung von „Max und Moritz“, die Hearst zugeschrieben wurde (Knigge, Comics, a.a.O., S. 140) aber wohl von Charles Timothy Brooks (1813–1883) stammt: Max and Maurice: a juvenile history in seven tricks / from the German by Charles T. Brooks. Boston 1899.
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Abb. 226: Richard Felton Outcault, Yellow-Cid-Cartoon, 1896
Rudolph Dirks (1877–1968) eine ähnliche Serie entwerfen, die im Dezember 1897 unter dem Titel „The Katzenjammer Kids“ startete. Mit den beiden Serien „The Yellow Kid“ und „The Katzenjammer Kids“ erhielt der Comic-Strip nun seine endgültige Form. Er verdrängte die Cartoons mehr und mehr aus den Magazinbeilagen. Seine sich verfestigende Erzählstruktur kam durch verkappte Zeitsprünge einer be-
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stimmten Schnitt-Technik von Bild zu Bild und dem Funktionieren der Sprechblasen als dramaturgisches und zugleich verbindendes Kontinuum sich fortsetzender Sequenzen, das sowohl das Denken als auch das Sprechen – und zudem durch die unterschiedlichen Blasenfiguren – die jeweiligen Gemütslagen in verschiedenen Einstellungsgrößen verbildlicht, filmischen Abläufen2252 immer näher. Sowohl auf der Bild- als auch auf der Textebene wurden die Informationen auf einen bestimmten Effekt hin so verdichtet, dass ein schnelles Erfassen des Inhalts und Weiterlesen/sehen möglich war. Dabei genügte es zum Verständnis nicht, nur das Bild, aber auch nicht nur den Text allein zu betrachten, sondern beides hatte in einer Art Interpolation zu geschehen, aber rasch und eindeutig: „Die Aussage bringt demgemäß weder der sprachliche Bereich noch der Bildbereich, sondern ein !Dazwischen". Damit stellt sich die Comic-Kunst in die Tradition von Renaissance-Hieroglyphik und barocker Emblematik. Auch im Comic wird der Schritt vom Seienden zum Bedeutenden gemacht, wird gezeigt, !dass die Welt in all ihren Erscheinungen von verdeckten und also entdeckungsfähigen Sinnbezügen, heimlichen Verweisungen, verborgenen Bedeutungen durchzogen ist." (Schöne) Die Comics bringen keine Abbilder, sondern Sinnbilder. Hinter den Sinnbildern stehen bestimmte Haltungen, Sehweisen und Ideologien. Das !Lesen" der Sinnbilder muß trotz der verschiedenen Lesarten und Vorstellungshorizonte der Leser möglichst eindeutig sein. Der Hersteller setzt die Sinnbilder aus vorgefaßten !bedeutenden" Elementen zusammen.“2253 Zur Allgemeinverständlichkeit trug schließlich auch eine Bildgrammatik bei, die aus einer Vielzahl symbolischer Zeichen bestand (Glühbirne = Erkenntnis, Ausrufezeichen = Erstaunen, schwarze Wolke = Ärger usw.) und nahezu für alle Comic-Serien galt. Nach den amerikanischen Erfolgen in den Beilagen und der ersten täglichen Veröffentlichung von Comic-Strips 19032254 in der „Chicago 2252
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Zu Entsprechungen zwischen Comic und Film vgl. Wolfgang Kempkes, Comics und Film. Ein Vergleich. In: Comic Strips. Geschichte, Struktur, Wirkung und Verbreitung der Bildergeschichte. Hg. Hans Dieter Zimmermann. Katalog. Kunsthalle Nürnber 1970, S. 32 ff. Eine Entsprechung zum Theater hatte bereits William Hogarth 1753 gesehen: „Mein Ziel war, meinen Stoff zu behandeln wie ein Dramatiker. Mein Bild ist meine Bühne und Männer und Frauen sind meine Schauspieler, die durch gewisse Gesten und Stellungen ein stummes Spiel vorführen.“ (Hogarth, Über das Kunststudium. In: W. H., Analyse der Schönheit [1753]. Berlin 1914, S. 13). Wolfgang Faust, Über das !Lesen" von Comics. In: Comic Strips, a.a.O., S. 30. Knigge, Alles über Comics, a.a.O., S. 148.
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American“ (1900) und 1907 mit „Mutt & Jeff “ von Harry Conway „Bud“ Fisher (1885–1954) im „San Francisco Chronicle“ (1865) kamen mit Verzögerung auch die europäischen Zeitungsverleger auf den Geschmack. Am frühesten in England. 1904 erschien im „Daily Mirror“ (1903) „Tiger Tim & Co“, 1915 „Teddy Tail“ von Charles James Folkard (1878–1963) in der „Daily Mail“ (1896), 1919 „Pip, Squeak and Wilfred“ von Austin Bowen Payne (1876–1956) im „Daily Mirror“ und seit 1921 im „Daily Sketch“ (1909) „Pop“ von John Millar Watt (1895–1975). In Deutschland war „Magasin Madesen“ Anfang der 1920er Jahre im Hamburger Fremdenblatt der Vorreiter und in Schweden wurde täglich eine ganze Seite mit Comics seit 1934 im Stockholmer „Aftonbladet“ publiziert.2255 „Bulls Presstjänst“, 1929 in Norwegen gegründet und im selben Jahr nach Schweden übergesiedelt, wuchs – zunächst mit Importen aus Amerika – zum größten Comics-Syndikat in Europa, so dass der Comic-Strip sich nicht nur massenhaft ausbreiten konnte2256 und schnell zu einer eigenen sehr vielseitigen Gattung2257 fand, sondern nun auch starken Einfluß auf die Künste nahm: – auf die bildende Kunst2258, das Buch-2259 und WerbeDesign2260, die statischen und kinetischen, technischen und elektronischen Foto-, Film-2261, Internet-Realisationen2262 und schließlich auf die Visuelle Poesie2263. 2255 2256
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Comic Strips, a.a.O., S. 23. Wolfgang J. Fuchs/Reinhold C. Reitberger, Comics. Anatomie eines Massenmediums. Reinbek 1973. Dietrich Grünewald, Comics. Tübingen 2000 (= Grundlagen der Medienkommunikation 8). Shirrel Rhoades, Comic Books. How the Industry Works. Bern/ Berlin 2008. Bsp.: Raymond Pettibon (1957), Soap Opera (1991/Abb. In: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 61). Siehe auch in: Kassandra Nakas, Funny Cuts. Cartoons und Comics in der zeitgenössischen Kunst. Stuttgart 2004; Roxana Marcoci, Comic Abstraction. Image-Breaking, Image-Making. New York 2007. (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Museum of Modern Art, New York 2007). The Beatles, Yellow Submarine. London 1968. Vgl. den Poster-Katalog von Verkerke: On Wings of Colour. Verkerke Poster Collection introduced by Simon Vinkenoog. Amsterdam 1969, bes. S. 90 ff.; Auf Deutsch. Zur Werbung für Deutsch als Fremdsprache. Hg. Goethe-Institut. München 1988, S. 25, 31, 52 f., 58 ff.; Typografie – wann wer wie, a.a.O. S. 28 f. Kempkes, Comics und Film, a.a.O., Hinweise auch bei Metken, Comics, a.a.O., S. 190 f. Als erstes Web-Comic gilt „Argon Zak“ (1995, in: http://www.zark.com), vgl. Webcomic in: NetzkunstWörterBuch, a.a.O., S. 492 ff. Abb. 227 Postkarte an Dencker 1972/Archiv Dencker. So auch die vielgestaltige Verwendung der Sprechblase in Phillips, A Humument (vgl. Anm. 1399), wo-
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Abb. 227: Michele Perfetti, un’esclusiva mondiale!, 1967
In der bildenden Kunst ist die Comic-Welt wohl am intensivsten von Roy Lichtenstein (1923–1997) adaptiert worden, aber schon Lionel Feininger (1871–1956) hatte 1906–19072264 in „The Chicago Sunday Tribune“ mit seinen Serien „The Kinder-Kids“2265 und „Wee Willie Winnie’s World“ selbst Comic-Strips gezeichnet. Von Pablo Picasso ist bekannt, dass er mit den Kunstsammlerinnnen Claribel und Etta Cone in Paris einen schwungvollen Tauschhandel betrieb: – sie besorgten ihm amerikanische Comics, er überließ ihnen flüchtige Skizzen und Entwürfe seiner Arbeiten. 1937 entstand seine Serie „Sueno y mentira de Franco“, ein Protest-Strip in 14 Bildern gegen den Staatsstreich
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durch es ihm gelingt, ohne dass im Bild Personen auftreten, einen Text zum „Sprechen“ zu bringen, oder viele Arbeiten von Luciano Ori in: L. O., Poesia Visiva. Florenz 1972, S. 38 u. vgl. Anm. 389 ff., vgl. auch Brigitta Falkner (1959) in: Kritzi Kratzi. Anthologie gegenwärtiger visueller Poesie. Hg. Franzobel. Wien 1993, S. 50 f. u. in: Grenzüberschneidungen. Hg. Günter Vallaster. Wien 2006, S. o. P., sowie Ilse Kilic (1958) und Lisa Spalt (1970) a.a.O. Rosemary Gallick, The comic art of Lionel Feininger. In: Journal of Popular Cultur 10, 3 Winter 1976. Abb. in: Metken, Comics, a.a.O., S. 172.
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Francos.2266 Und als Käte Steinitz 1946 auf die Idee kam, alles was sie Kurt Schwitters aus Amerika schickte, in „funnies“ einzupacken mit dem Hinweis: „Wir haben es hier mit Gemeinplätzen zu tun, dumm, aber volksnah. Das ist der rätselhafte amerikanische Geist.“2267, fand er diese Cartoons und Comics zunächst weniger zum Lachen, aber Steinitz antwortete: „Ich kann auch nicht über die funnies lachen, und sie langweilen mich“, aber sie regte Schwitters an, sie zu vermerzen, denn „ohne Merz ist alles nur Kitsch, trivial und dumm, mit Merz wird es sozusagen cosmic.“2268
Pop-Art/-Literatur Spätestens mit seiner Collage „For Käte“ (1947)2269, in der er Schnipsel aus den „funnies“ verwendete, entstanden Arbeiten, die für die Anfänge der Pop-Art in England2270 nicht ohne Einfluß blieben. So äußerte sich jedenfalls Eduardo Paolozzi (1924–2005), der mit Richard Hamilton (1922) und John McHale (1922–1978) 1952 die Independent Group gründete: „Die Idee der Collage ist mir also nicht an der Kunsthochschule gekommen, wo ich studierte, sondern beim Anblick der Schwitterschen Collagen, die ich soweit möglich sogar im Original sah.“2271
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Abb. in: Metken, Comics, a.a.O., S. 174. Brief an Kurt Schwitters v. 15. 10. 1946 (Schwitters-Archiv der Stadtbibliothek Hannover, zit. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 292). Brief an Kurt Schwitters v. 25. 2. 1947 (Schwitters-Archiv der Stadtbibliothek Hannover, zit. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 292. Abb. in: Kurt Schwitters 1887–1948. Frankfurt/Berlin 1986, S. 211. Lawrence Alloway, Die Entwicklung von Pop in England. In: Lucy R. Lippard, Pop Art. München 1968/1970, S. 25ff „Der Ausdruck !Pop Art" wird mir zugeschrieben (…) Im übrigen meinte ich damals mit diesem Begriff auch nicht dasselbe, was er heute beinhaltet. Ich benutzte den Ausdruck, ebenso wie !Pop Culture", um die Produkte der Massenmedien zu kennzeichnen und nicht die Kunstwerke, für die Elemente dieser !Volkskultur" Verwendung finden. Auf jeden Fall kam der Ausdruck irgendwann zwischen dem Winter 1954/55 und 1957 ins Gespräch.“ (a.a.O., S. 25 f.). Daniel Abadie, Entretien avec Eduardo Paolozzi. In: Un siècle de sculpture anglaise. Galérie nationale du Jeu de Peaume. Paris 1996, S. 191 (in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 292). Vgl. die Ähnlichkeit der Collagen von Schwitters „EN MORN“ (1947/Abb. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 187) mit Paolozzis „Meet the people“ (1948/Abb. in: Pop Art in England. Hg. Uwe Schneede. Katalog. Kunstverein Hamburg 1976, S. 96).
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Abb. 228: Eduardo Paolozzi, I was a Rich Man’s Plaything, 1947
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Paolozzi begann 1947 in seiner Pariser Zeit, Bildmaterial aus amerikanischen Zeitschriften zu sammeln. Davon zeugen Collagen wie „I was a Rich Man’s Plaything“ (1947)2272, „War Artist at Work“ (1947) oder auch „Hi-Ho“ (1947), in der eine ganze Comic-Seite montiert wurde. Aber wie die Arbeiten zeigen, waren es nicht nur die Comic-Fragmente, sondern es war das gesamte Collage-Vokabular Schwitters, das mit Ausrissen aus Zeitungen und Zeitschriften, Fundstücken aus dem Popular-Journalismus und Abbildungen des Konsumgütermarktes ein Spiegelbild des trivialen Alltags bot, richtungsweisend für das Motiv-Repertoire für Paolozzi und die entstehende Pop-Art, deren Programmatik in Hamiltons „Just what is it that makes today’s homes so different, so appealing?“ (1956)2273 in nuce visualisiert wurde.2274 Wobei Schwitters keineswegs der erste Künstler war, der sich dieser Versatzstücke bediente. Unabhängig von den viel früheren Anfängen der Technik von Montage und Collage gab es diese Art des Klischeerealismus2275, z. B. im Einbezug von Werbeelementen2276, wie sie später bei Richard Hamilton, Andy Warhol (1928–1987), Tom Wesselmann (1931–2004), Wolf Vostell (1932–1998),
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Abb. 228 in: http://www.tate.org.uk/imap/imap2/pages/paolozzi.html, hier erscheint das Wort POP bereits 1947! Abb. in: Pop Art in England, a.a.O., S. 47. Neben der Begriffbildungs-Version von Alloway gibt es eine zweite auf Grund dieser Collage von Hamilton: „Die Bezeichnung !Pop Art", die selten ein Künstler, für den sie zutrifft, als sinnvoll akzeptiert, verdankt ihre Entstehung einer Collage von Richard Hamilton mit dem Titel !Was macht denn das heutige Zuhause so anders, so anziehend" (1956); in der Bildmitte erscheint ein Tennisschläger in der Hand eines Athleten, den anstelle des Netzes die drei Buchstaben POP zieren. Die Inschrift gab die Anregung für den Namen, zu dessen Legitimierung zwei Interpretationen dienlich waren, deren eine betont, mit der Bezeichnung werde der Gegenstand der Kunst, das !popular image", gekennzeichnet, während die andere die Wirkung der Werke meint, deren Inhalt – gleich dem Pop-Corn – wenn auch nicht zerplatzt, so doch in der unerwarteten Präsenz den Betrachter überrascht.“ (Jürgen Wissmann, Pop Art oder die Realität als Kunstwerk. In: Sammlung 1968 Karl Ströher. Ausstellungskatalog Berlin. Düsseldorf 1969, S. XIII, Anm. 3). Metken, Comics, a.a.O., S. 177. Wie die Pelikan-Tuben in der 1930 entstandenen Collage „Ohne Titel (elikan)“, Abb. in: Kurt Schwitters 1887–1948, a.a.O., S. 177. Die collagehafte Verwendung von Werbematerialien findet sich schon bei Alexandra Exter (1882–1949) z. B. in ihrem Bild „Stilleben“ (ca. 1913/Abb. in: Amazonen der Avantgarde. Hg. John E. Bowlt/Matthew Drutt. Berlin 1999, S. 145). Interessant ist die Wechselwirkung, d. h. der Einfluß, den die Pop-Art wieder auf die Werbung nahm, vgl. die angeführten Beispiele in: Pop-Sammlung Beck. Düsseldorf 1970, S. 204 f.
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oder Mel Ramos (1935) auftauchten,2277 bereits bei Gerald Murphy (1888–1964) in „Razor“ (1922)2278 oder bei Stuart Davis (1894–1964) in seinen Bildern „Lucky Strike“ (1921) oder „Odol“ (1924)2279. Auch in der nahezu gleichzeitig entstehenden Pop-Literatur, die ganz wesentlich von Amerika ausging und dort von den Cut-Up-Autoren um William S. Burroughs und Alan Ginsberg (1926–1997) sowie Jack Kerouac (1922–1969), den Vertretern der Beat-Generation2280, ihren Weg nach Europa nahm, lassen sich ganz ähnliche Merkmale erkennen. Sie beschrieb Leslie A. Fiedler (1917–2003) anlässlich eines Vortrags an der Universität Freiburg 1968. Seine Thesen waren: die künstlerische Moderne habe sich erschöpft und die hierarchische Trennung von E- und U-Kunst sei aufzuheben; subversiv habe Populäres das AkademischElitäre zu unterwandern und die traditionelle Repräsentationskultur der Eliten zu ersetzen; die künstlerischen Ziele hätten Traum, Vision und Ekstase zu sein und die Anregungen wären von den Massenmedien sowie von Science Fiction, Pornographie und Westernszenarien zu beziehen. Nach der Erstveröffentlichung noch im gleichen Jahr in „Christ und Welt“2281 erschien der Vortrag unter dem dann bekannt gewordenen Titel „Cross the Border – Close the Gap“ ein Jahr später – auch dies programmatisch – im amerikanischen Playboy.2282 Zur selben Zeit publizierte Rolf Dieter Brinkmann im 1. Heft der Akzente 19682283 Gedichte, die mit ihren Titeln „Populäres Gedicht“, „Comics“ und „POW“ nach dem Motto: „Man muß vergessen, dass es so
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Abb. in: Die Kunst zu werben, a.a.O., S. 268 ff. (Vostell, Schwitters, Paolozzi, Warhol). Zu Ramos: Mel Ramos. Heroines, Goddesses, Beauty Queens. Ed. Thomas Levy. Bielefeld 2002. Abb. in: Lippard, Pop Art, a.a.O., S. 12. Abb. in: Lippard, a.a.O., S. 13. Die Begriffprägung Beat im Jahr 1948 wird Kerouac zugeschrieben. John Clellon Holmes (1926–1988) veröffentlichte das Manifest „This Is The Beat Generation“ im New York Times Magazine 16. 11. 1952, S. 10, in: http://www.litkicks.com/ Texts/ThisIsBeatGen.html. Er schrieb 1952 den ersten Roman über die Beat-Generation „Go“. Ein Verzeichnis der Bücher der Beat-Generation ist: BEAT! Hg. Demian, Woolstraat 9, Antwerpen o. J. Unter dem Titel „Das Zeitalter der neuen Literatur“ in: Christ und Welt 21. Jg., Nr. 37, 13. 9. 1968, S. 9 f. u. 21. Jg., Nr. 38, 20. 9. 1968, S. 14 f. Playboy, Dezember 1969, S. 151, 230, 252–254, 256–258 und mit dem Titel: Überquert die Grenze, schließt den Graben. Über die Postmoderne (1969) in: Mammut, a.a.O., S. 673 ff. Brinkmann, Sieben Gedichte. In: Akzente 15. Jg, H. 1, München 1968, S. 59 ff.
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etwas wie Kunst gibt! Und einfach anfangen“2284 bereits signalisierten, was in den kurz darauf unter seiner Mitwirkung in den Sammelbänden „ACID“2285 und „Silverscreen“2286 an Realisierungen der Fiedlerschen Programmatik2287 in Richtung Pop-Literatur zusammengetragen wurde. Und nachdem die Pop-Art mit der Ausstellung „Nieuwe Realisten“ 1964 in Den Haag2288 nun auch endgültig das Festland des Kontinents erreicht hatte2289, mischten sich die englischen und amerikanischen Einflüsse und bereiteten so den Boden für jene Wahrnehmung der Alltagsszenarien, die Andy Warhol in der herkömmlichen Kunstszene vermisst hatte: „Pop Art macht die Innenseite zur Außenseite und die Außenseite zur Innenseite. Die Pop-Künstler machten Bilder, die jeder, der den Broadway endlang ging, im Bruchteil einer Sekunde wiedererkennen konnte – Comics, Pichnicktische, Männerhosen, Berühmtheiten, Duschvorhänge, Kühlschränke, Cola-Flaschen – all die großartigen modernen Dinge, die von den abstrakten Expressionisten so geflissentlich übersehen wurden.“2290 In der Literatur war es ebenfalls diese besondere Wahrnehmung, gepaart mit den Methoden des Zitierens, Montierens und Collagierens, die zu neuen Formen des Sprechens anstelle des Erzählens und des Benennens anstelle des Deutens führte. In der Protestbewegung gegen das literarische Establishment, gespeist von einer Jugendbewegung, die begann, sich außerhalb der bestehenden Gesellschaft ihre eigenen Lebensund Kreativräume zu schaffen, entwickelte sich ein reiches Spektrum neuer Ausdrucksmöglichkeiten von der Direktheit des gesellschaftspoli-
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Aus dem Vorwort zu dem Gedichtband: Die Piloten. Neue Gedichte. Köln 1968, aus dem die sieben Gedichte in den Akzenten vorab gedruckt wurden. ACID. Neue amerikanische Scene. Hg. Brinkmann/R. R. Rygulla. Berlin 1969. Silverscreen. Neue amerikanische Lyrik. Hg. Brinkmann. Köln 1969. Eine sehr gute Dokumentation der Pop-Literatur ist: Pop seit 1964. Hg. Kerstin Gleba & Eckhard Schumacher. Köln 2007. Leslie A. Fiedler, Die neuen Mutanten. In: ACID, a.a.O., S. 16 ff. (eine umfangreiche Erweiterung seiner Programmatik von 1968). Nieuwe Realisten. Textes by Jasia Reichardt & Pierre Restany, et. al. The Hague, Haags Gemeente-Museum 1964. Die Ausstellung wurde auch in Berlin (Akademie der Künste) u. in Wien (Museum des 20. Jhs, vgl. dazu Werner Hofmann, Zur Eröffnung der Ausstellung: „Neue Realisten des Pop-Art“. In: Akzente 12. Jg, H. 1, München 1965, S. 7 ff.) gezeigt. Eine komplette Liste internationaler Ausstellungen zur Pop-Art seit 1955 gibt es in: Pop-Sammlung Beck, a.a.O., S. 207 ff. (= Kunst und Altertum am Rhein). Zit. nach: Tilman Osterwold, Pop Art – eine konzeptionelle Kunst. In: 3 × Pop Art. Roy Lichtenstein/Robert Rauschenberg/Andy Warhol. Hg. Jürgen Knubben. Rottweil 2001, S. 10.
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tisch engagierten Undergrounds2291 bis zu den Romantizismen und Mystizismen einer Flower-Power-Bewegung sich selbst verwirklichender Hippies2292. So wie diese in allen Bereichen des täglichen Lebens ihre Bezugsquellen fanden und sie gleichsam simultan verarbeiteten, wurden auch formal die bestehenden Grenzen des künstlerischen Ausdrucks aufgehoben und unter dem Einfluß der Massenmedien Text und Bild in allen Variations- und Konstruktionsmöglichkeiten verbunden: „Wenn das Schreiben noch eine Zukunft haben soll, muß es mindestens einmal die unmittelbare Vergangenheit aufarbeiten und sich mit Techniken vertraut machen, wie sie Malerei, Musik & Film schon seit geraumer Zeit anwenden.“2293 Ein typisches Beispiel dafür ist Brinkmanns Gedicht „Vanille“2294. Die Antinomie zwischen der Bezeichnung Gedicht und dem, was folgt, – übrigens auch zwischen dem Pop(ulären) und Art(ifiziellen) in der Bezeichnung Pop-Art – war nicht nur ironisches Spiel sondern letztendlich die Erkenntnis, dass bei Aufhebung jeder Grenzen, zwar offene, aber nicht unbegrenzte Formen entstehen, dass sich zwar Wahrnehmung des Autors, Kommunikationsfunktion des Gedichts und Rezeptionsverhalten des Lesers/ Betrachters ändern, aber nicht verschwinden, sondern sich nur ein neues Relationsverhältnis bildet, wie dies Frank O’Hara (1926–1966), der Brinkmann stark beeinflußte, in dem Manifest „Personismus/Personism“ (1959)2295 andeutungsweise beschrieb. So ist es nicht verwunderlich, dass in dieser, nach der Jahrhundertwende zweiten Aufbruchbewegung fast gleichzeitig scheinbar diametral entgegengesetzte literarische Vorstellungen entstanden2296, nämlich jene der Pop-Literatur und jene der abstrakten Konkreten Poesie, und dass in der Ausstellung „Nieuwe Realisten“ der Schwede Öyvind Fahlström (1928–1976) ausstellte, der einerseits seit Ende der 1950er Jahre Comics
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Walter Hollstein, Der Untergrund. Zur Soziologie jugendlicher Protestbewegungen. Neuwied 1969; Jan Cremer, Made in USA. Darmstadt 1969. Gisela Bonn, Unter Hippies. Düsseldorf 1968. Burroughs, Die Zukunft des Romans, a.a.O., S. 145. Vgl. Anm. 1389 ff., Abb. 140. Frank O’Hara, Personismus (Personism). Ein Manifest. In: Mammut, a.a.O., S. 344 ff. Die Übersetzung stammt von Rolf Dieter Brinkmann, der auch die „Lunch Poems“ (San Francisco 1964) von ihm übersetzte: Frank O’Hara, Lunch Poems und andere Gedichte. München 1973. Entfernt auch hier mit der Jahrhundertwende zu vergleichen, wo es neben der Jugendstil-Literatur den Beginn der abstrakten Literatur gab, vgl. den Abschnitt „Abstrakte Dichtung“.
Abb. 229: Dieter Roth, bok 3b, 1961–1966
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in seinen Bildern verarbeitete2297 und nach seinem Umzug 1961 nach New York teilhatte an der sich entfaltenden Pop-Kultur, andererseits aber früh schon Konkrete Texte schrieb2298 und eins der grundlegenden Manifeste für Konkreter Poesie verfaßte. Ganz ähnliches gilt übrigens auch für Dieter Roth beim Vergleich seiner Bücher aus dem Jahr 1961.2299 Und so lassen sich programmatische Formulierungen finden2300, die einerseits für die Konkrete Poesie den Spatialismus reklamierten und andererseits für die Pop-Literatur forderten: „Die Zukunft der schriftstellerischen Tätigkeit liegt nicht in der Orientierung an der Zeit, sondern im Vorstoß in den Raum.“2301 „Löscht das Wort aus und schafft mehr Raum.“2302 2297
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In „Feast on Mad“ (1958–1959/Abb. in: Öyvind Fahlström, Die Installationen, a.a.O., S. 11) wurden Elemente aus den Comic-Illustrationen des New Yorker Magazins „Mad“ (1952) noch in abstrakten Piktogrammen dargestellt, während er später in „Sitting …“ (1962/Abb. in: Fahlström. New York 1982, S. 42 ff.) die Comic-Elemente dekontextualisiert direkter als Bausteine nutzte. In „Meatball Curtain“ (1969/Abb. in: Fahlström, Die Installationen, a.a.O., S. 54 ff.) verwendete Fahlström Figuren von Robert Crumb (1943), einem Underground-ComicKünstler von „Zap Comix“ (1968). Vgl. auch Bsp. in: Nakas, a.a.O., S. 28 ff. u. S. 36. „from Morgon“ (1952) u. „from Nyarsklockorna“ (1954), beide in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. P., oder „Bobbs inhägnad“ (aus: Fahlström, Borddikter 1952–55. Stockholm 1966) in: Concrete Poetry (Solt), a.a.O., S. 156. „bok 2 a“, bok 2 b“, Reykjavik 1960/61 (= roth, gesammelte werke, band 3. Stuttgart 1973). und „bok 3 b“ Abb. 229 in: Nakas, a.a.O., S. 38), „bok 3 d“, Reykjavik 1961 (= roth, gesammelte werke, band 7. Stuttgart 1974), Abb. in: Nakas, a.a.O., S. 38 f. Es wäre lohnend, systematisch zwischen 1950 u. 1970 die programmatischen Äußerungen aller in dieser Zeit sich entwickelnden künstlerischen Ausdrucksformen auf Gemeinsamkeiten durchzusehen. Burroughs, Die Zukunft des Romans, a.a.O., S. 147. Brion Gysin, In/Spiration. In: Cut Up, a.a.O., S. 98. In den künstlerischen Arbeiten lassen sich nahtlose Übergänge von der Pop-Art in die Visuelle Poesie verfolgen, etwa am Beispiel des Dollar-Noten-Motivs (bereits bei Victor Dubreuil „Money to Burn“ (1893), Abb. in: Pop Art, a.a.O., S. 166), in dem anstelle der Präsidenten-Bilder neue Motive eingesetzt wurden. Nach Roy Lichtensteins Lithographie „Ten Dollar Bill“ (1956/Abb. in: Pop Art, a.a.O., S. 167) zeichnete Andy Warhol 1962 eine 1-Dollar-Note (Abb. in: Text-Bilder, a.a.O., S. 77). Phillip Hefferton und Robert O’Dowd malten eine 5-Dollar-Note (Abb. in: Pop Art, a.a.O., S. 167), Allan Katzman eine 1-Dollar-Note (Abb. in: ACID, a.a.O., S. 330), Joseph Beuys montierte eine 1-Dollar-Note und überschrieb diese mit „John Dillinger“ in „Notice to Guests“ (1974/Abb. in: Edition Staeck. Heidelberg 1999, S. 4) oder überklebte damit eine Postkarten-Rheinufer-Ansicht „Rheinufer in Köln mit Dollar“ (1986/Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 80) und
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Jost Hermand, der die neuen Kunstströmungen sehr kritisch bewertete, glaubte zwar, dass bei den Vertretern der Konkreten Poesie „sich auch hier im Laufe der Zeit ein gewisses Pop-Element“2303 eingeschlichen habe. Allerdings reduzierte er die Beobachtung auf die von Heißenbüttel erwähnte „populäre“ Literatur im Zusammenhang mit Gomringers Arbeiten und Ansichten. Er übersah, dass Gomringers Intention, in einem reduzierten, sprachbewußteren und international verständlichen Zeichensystem sich konkreter auszudrücken, eine andere war. Auch Günter Metken glaubte mit dem Hinweis auf die „Sprechblasen“ von Ernst Jandl und die Sprechblasen, die bei Kriwet in „Apollo Amerika“2304 auftauchten, Einflüsse zu erkennen. Doch bei Jandl war ein wesentliches Merkmal der „Sprechblasen“ die Akustik, das Sprechen. Satzfragemente, Wörter und Begriffe wurden in den „Sprechblasen“ auf ihre akustischen und visuellen Eigenschaften hin seziert und neu zusammengesetzt, um die Mehrdeutigkeit unserer scheinbar eindeutigen Sprach-Wahrnehmung zu demonstrieren, und dies steuerte Jandl immer ganz wesentlich über eine akustische Komponente, denn die meisten Texte entfalteten ihren Bedeutungsreichtum erst durch lautes Lesen. Auch „Apollo Amerika“ war von Kriwet 1969 als Hörtext2305 konzipiert. Während eines Amerikaaufenthaltes im Juli/August 1969
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von Klaus Staeck gibt es eine Plakat „Ikarus“ mit collagierten 1-Dollar-Noten (Abb. in: staeckbrief 16. Heidelberg 1981, Nr. 11002) u. eine Postkarte „Gutschein“ mit überdruckter 1-Dollar-Note (Abb. in: staeckbrief 17. Heidelberg 1981, Nr. 77028). In der Visuellen Poesie: Decio Pignatari „One Dollar“ (1963/Abb. in: Text-Bilder, a.a.O., S. 77), Herman Damen „project !face lift"“ (ca. 1974/Abb. in: woord beeld werkelijkheid. Utrecht 1974, o. P.) u. „kinkorn“ (ca. 1976/ Abb. in: visuele poëzie. Hg. G. J. de Rook. Amsterdam [ca. 1976], Nr. 40), Manuel de Seabra „O resgaste“ (ca. 1977/Abb. in: Joseph M. Figueres/ Manuel de Seabra, antologia da poesia visual europeia. Lisboa 1977, S. 114). Weitere Beispiele folgen dann bei Cildo Mireiles „Zero Dollar“ (1978/1984/ Abb. in: Museumsbeilage/Hamburger Abendblatt v. 1. 6. 2004, S. 17) und in jüngster Zeit von Hugo Pontes „Cruzado“ (in: H. P., Poemas visuais e poesias. São Paulo 2007, S. 117), sowie diverse Gag-Varianten mit den Abbildungen von Elvis Presley, Al Pacino und Bill Clinton mit Trillerpfeife (alle im Internet unter „Dollarnote/Bilder“ zu finden) bis zur Werbung von Burger King mit der Erfindung des WHOPPER-Dollars (Abb. in: Hamburger Abendblatt, Hamburg 1./2. 12. 2007, S. 5). Jost Hermand, Pop International. Eine kritische Analyse. Frankfurt 1971, S. 57. Vgl. auch Jost Hermand, Pop oder die These vom Ende der Kunst. In: BASIS. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur 1, Frankfurt 1970, S. 94 ff. Abb. 230 in: Kriwet, Apollo Amerika. Frankfurt 1969, SUN 1. Vgl. auch Kriwet, Comic-Strips (1971), in: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 77. Studio für Akustische Kunst, WDR 1969.
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Abb. 230: Ferdinand Kriwet, Apollo Amerika, 1969
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sammelte er in den USA anläßlich des Fluges von Apollo 11 zum Mond Tonmaterial für die spätere Hörtext-Collage. In der Publikation allerdings entwickelte Kriwet ein Pop-Szenario, das neben den verwendeten Sprechblasen vor allem mit dem Cut-up-Prinzip und der Art der Ausschnitte sowie den Bedeutungsträgern einer Trivial-Mythologie zwischen Science Fiction and American Way of Life entstand. Im gleichen Jahr erschienen Horst Bieneks „Vorgefundene Gedichte“ und Peter Handkes „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“2306. In beiden Publikationen wurden von den Autoren Alltagsfunde wie Annoncen, Kursbucheintragungen, Aufstellung einer Fußballmannchaft, Abspann eines Films, eine Wettermeldung und Hitparadenliste abgedruckt und Handkes Text-Bild-Montage-Sequenz „Legenden“2307 enthielt bis zur Sprechblase alle Elemente des Pops nach dem Motto Warhols: „Out of the garbage, into The Book.“2308 Und schließlich könnte bei genauerer Betrachtung der Publikationen Ende der 1960er Jahre auch bei anderen Autoren wie Uwe Brandner (1941)2309, Vagelis Tsakiridis (1936)2310, Wolf Wondratschek (1943)2311, ja sogar in Friedericke Mayröckers (1924) „Minimonsters Traumlexikon“2312 oder in den Texten von Jürgen Becker (1932), der sich explizit in seinen Gedichten immer wieder auf Warhol berief,2313 Einflüsse der Pop-Art gefunden werden, die Günter Herburger in seinem Beitrag „Dogmatisches über Gedichte“2314 als notwendig erachtete, damit sich die Sprache endlich auf Erfahrungen des täglichen Lebens einlassen könne: „Bei uns haben Gedichte zum Beispiel kaum mit den Umgebungen von Sekretärinnen, Bauern oder der Verpackungsindustrie zu tun. Sie sollen etwas Besseres sein.“
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Ein Titel der an das Warhol-Zitat erinnert: vgl. Anm. 2290. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, a.a.O., S. 81 ff. Warhol, A., A Novel. New York 1968, S. 451. Brandner, Innerungen. Ein Abenteuer-, Liebes-, Kriminal-, Zukunfts- und Tatsachenroman. München 1968. Tsakiridis, Hallelujah! 71 Protokolle. Neuwied 1968. Herausgeber: Supergarde. Prosa der Beat- und Pop-Generation. Düsseldorf 1969. Wondratschek, Früher begann der Tag mit einer Schusswunde. München 1969. Mayröcker, Minimonsters Traumlexikon. Reinbek 1968. Becker, Momente. Ränder. Erzähltes. Zitate. In: Kursbuch 10, Frankfurt 1967, S. 172 u. Becker, Schnee. Gedichte. Berlin 1971, S. 17 u. 29. Herburger, Dogmatisches über Gedichte. In: Kursbuch 10, Frankfurt 1967, S. 150 ff.
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Text-Bild-Sequenzen Die neuen Formen der Bildergeschichte2315 entwickelten sich nun parallel zum Comic entweder direkt als Comic2316, oder als große Textcollage, aus einer Fülle Filmspot2317 ähnlicher Montageteile konstruiert, oder als Text-Bild-Sequenz der Visuellen Poesie. Obwohl in der Phase der Konkreten Poesie Ein-Blatt-Arbeiten vorherrschten, gab es zwar Sequenzen, so z. B. zur Herstellung kinetischer Textabfolgen. Mit dem Bedürfnis der Autoren über die Aussagekraft des Textmaterials hinaus, durch den Einbezug von „mehr Welt“ sich nicht nur den Inhalten der Medien, sondern auch deren Sprache zu öffnen, gewannen sie dann aber durch die Hereinnahme von Bildmaterialien komplexere Ausdrucksmöglichkeiten. Es eröffnete sich die Chance, nicht nur an einem neuen Sprachbe-
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Vgl. auch Beispiele und Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 75 ff. Maurice Lemaître, Riff-raff (1950/Abb. In Nakas, a.a.O., S. 35); Thomas A. Clark, Pierrot in search of twelve moons (found poem 1970/Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 32 f.); Rolf Dieter Brinkmann, Ohne Titel. In: Akzente 18. Jg., H. 1, München 1971, S. 8 ff.; Friederike Mayröcker, Bildergeschichte (1977). In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 17/18, Nürnberg 1978, o. P.; Tomas Schmit, Sockel zum Raufkucken und Sockel zum Runterkucken (1975). In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 383; Martin Kippenberger, Ohne Titel (1992). In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 385, oder die Beispiele von Ori (vgl. Anm. 389 ff.) und die Comic-Sequenz auf dem Titelblatt der Manifest-Sammlung (1965) der Noigandres-Gruppe (vgl. Anm. 67, Abb. 231 in: Nakas, a.a.O., S. 37), Abb. in: Kellein, „Fröhliche Wissenschaft“, a.a.O., S. 142, sowie von Álvaro de Sá „12x9“ (1967/Abb. in: Brouhaha. Ano III, No. 10, Natal 2007, S. 58). Am stärksten von allen mir bekannten Autoren der Konkreten und Visuellen Poesie zeigt sich der Comic-Einfluß bei Elis Eriksson (1906–2006) in seinen „pavan“-Heften (Nr. 1–15, Stockholm 1965–2003) und dem kanadischen Poeten Barrie Phillip Nichol (bpNichol, 1944–1988), vgl. dazu: Abb. 232 in: bpNichol, Comics. Ed. Carl Peters. Vancouver 2002, S. 157, in diesem Band sind Arbeiten von 1960 bis 1980 gesammelt. Interessant ist auch die Serie „Dailies (Rythm Mastr)“ (2007), die Kerry James Marshall (1955) auf der documenta 12 zeigte, Abb. einer Arbeit aus der Serie in: documenta 12. Katalog, a.a.O., S. 283. Vgl. auch: Toni Stoos, Das Künstler-Ich als Comic-!Held". In: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 365 (mit weiteren Beispielen). Herburger, a.a.O., S. 158: „Ein, zwei Ideen, ein paar Zeilen, die traurig, witzig, überraschend oder agressiv klingen, und schon bin ich mit meiner Montage fertig. Ich stelle mir Filmausschnitte vor, willkürlich herausgenommen und möglichst kurz wieder zusammengesetzt. Es wird mir, um die disparaten Bilder, die aparten Einfälle wieder hintereinanderkleben zu können, schon etwas einfallen, das ein Kalkül merken lässt.“
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Abb. 231: Titelseite, 1965
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Abb. 232: bpNichol, Rocky Mountain Highs, 1976
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wusstsein, an einer neuen Wortwörtlichkeit zu arbeiten, wie das die Konkrete Poesie beabsichtigte, sondern auch ein neues Kontextbewusstsein zu entdecken, Sprachbezugssysteme zu entwerfen, in denen Sprache nicht mehr nur die alphabetische Sprache war. Durch die Herausnahme und Montage von Ausschnitten aus ihren Bezugssystemen konnte ein neues, komplexeres Bezugssystem hergestellt werden, in dem sowohl die Bedeutung der alten Bezugssysteme, an die jeder einzelne Ausschnitt zurück verwies – als nun auch die des neu entstandenen in Korrespondenz zueinander gesetzt wurden. Und mit der Komplexität des einzelnen Blattes war schließlich die Möglichkeit einer inhaltlichen Entfaltung von Blatt zu Blatt gegeben, die Verschränkung und Vernetzung mehrerer semantischer Ebenen2318, – die Herstellung von Sequenzen der Visuellen Poesie.2319 In ihnen sind diverse sequentielle historische Vorläufer von den Bilderollen bis zu den experimentellen Zyklen des italienischen Futurismus und russischen Konstruktivismus2320 wiederzuerkennen.2321 Dabei ist zu beobachten, dass der Einfluß der bildenden Kunst dominant war und insofern die Visuelle Poesie wichtige Wesensmerkmale von dort bezog. Öyvind Fahlström schuf zwischen 1952 und 1957 „Opera“2322, eine fast 27 cm hohe und 12 m lange Sequenz, die aus abstrakten Piktogrammen besteht, mit Filzstift und Tusche gezeichnet. Der Entstehungsprozeß zeigt beispielhaft, wie sich – auch im Bewusstsein historischer Vorläufer – von einem Blatt aus die Idee einer kontinuierlichen Folge von Bildzeichen entwickelte, die der Betrachter als einen nicht-alphabetischen Text zu lesen hatte: „Opera began with my discovery of the felt-tip pen in 1952. With this, I could work not only with a fairly precise, even blackness like India ink, but also with gradations of gray which were not 2318
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Zur Entwicklung von Großformen der Visuellen Poesie vgl. Dencker, Textlandschaften. Nachbemerkungen zu einer Textbilder-Kassette. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 7, Nürnberg 1973, o.P., weitere Überlegungen – etwa zu einer Netzwerk-Poesie – in Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005, a.a.O., S. 76, 137, 196. Weiss, Seh-Texte, a.a.O., S. 215 ff. (Sehtext-Geschichten). Lissitzkys Geschichte von den 2 Quadraten. Eine interessante Sequenz gibt es von Jean Cocteau „Le Mystère de Jean L’Oiseleur“ (1924/ erschienen: Paris 1925), die er „graphische Poesie“ nannte, bestehend aus 33 Blättern mit handschriftlichen Text(Monologen) um und über ein sich von Blatt zu Blatt veränderndes (Selbst) Portrait. Abb. in: Fahlström, Die Installationen, a.a.O., S. 12 ff. und komplett im Internet unter: http://www.fahlstrom.com/paintings/paintings_opera_large.htm sowie in: Literally Speaking, a.a.O., S. 36 ff.
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fuzzy like pencil drawings; the felt tip also produced random textures. The pleasurable !spontanism" in that method of working felt monotonous after a while. I began to put together some sheets on which I had drawn, and could see continuity and larger schemes beginning to appear. I also saw that various diffent ideas, joined together as an entity, produced shifts: unexpected, !unnatural" events on the paper. I was interested at that time in Pre-Columbian Mexican book-paintings, which evolved from page to page in long panels, folded in concertina fashion. And in music – as a graphic artist, I lacked the temporal dimension that exists in music. I particularly liked the !impure" mixture of concert and theater to be found in opera (The Ring of the Nibelungs, for example!). I realized how, as in much primitive, oriental and medieval art, one could work with pictures which were so full and so extensive that it was not possible to take that step backwards, screw up one’s eyes and enjoy the whole (…) I wanted to get people to move not just their eyes but their whole person, along and around in the picture as if they were reading a map, or playing Monopoly or football. The idea of a game was my current interest at the time I was writing the !Manifesto for Concrete Literature". There too I expressed impatience with the monotony and private nature of pure automatism. One ought to be able to make simple rules for oneself, create frames of reference within the work of art. The simplest fundamental rule in Opera was: repetition. It felt then like a big discovery: not (merely) a continuous sequence of constantly changing motifs, but a decision – this one is important, this shall have a rule. Recurring in new contexts, and recurring altered, but recognizable.“2323 Fahlströms Entwürfe großer Formen, in denen dann auch alphabetischer Text eingearbeitet war, umfasst umfangreiche Bilder, wie z. B. die 1 m × 2 m große „World Map“2324 oder wie viele seiner Installationen. Reine Text-Bild-Sequenzen entwarf die Wiener Gruppe2325 vor allem mit
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Öyvind Fahlström, a.a.O., S. 15 ff. Abb. 233 (Ausschnitt) in: Fahlström, Die Installationen, a.a.O., S. 28 u. vgl. Anm. 1768. Friedrich Achleitner, kobylany-studie (1958). In: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 103 ff.; Gerhard Rühm, der arsch marilyn monroes, ein märchen (1958). In: rühm, bücher bilder bilder-bücher. Berlin 1976, o. P. oder rühm, anregungen zum kirchenbau (1961). In: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 575 ff.; Gemeinschaftsarbeit von Gerhard Rühm und Oswald Wiener, kind und welt (1958). In: die wiener gruppe (1997), a.a.O., S. 262 ff.
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Abb. 233: Öyvind Fahlström, World Map (Ausschnitt), 1972
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Fotomaterial wie auch Jochen Gerz2326, der in den 70er Jahren2327 Maketten mit handschriftlichen Texten in Spiegelschrift und gedruckten Texte in Normalschrift neben oder unter den Fotos herstellte, „nicht nur auf die Weise, dass der sprachliche Part sich ausdrücklich dem Foto zuwendet, sondern auf die Weise, dass die Fotos ihrerseits sprachlich syntaktische Formen annehmen.“2328 Das Foto wurde als Teil eines sprachlichen Zeichensystems verwendet und zugleich als Medium in seiner Abbildfunktion in Frage gestellt. Ein umfangreiches sequentielles Werk ganz anderer Art stammt von Pierre Garnier2329, der für jede seiner Arbeiten ein eigenes Zeichensystem entwickelte. Es sind einfach gezeichnete, bis auf wenige Striche reduzierte Symbole wie Kreuz, Sonne, Haus, Schiff, Kerze, aber auch geometrische, skizzenhaft angedeutete Formen wie Linie, Kreis und Quadrat, die durch knappe Textbeifügungen, die oft nur aus wenigen ebenso einfachen Wörtern bestehen, eine neue Bedeutung erhalten und in der Sequenz sich entweder narrativ zu einer Geschichte oder reflektierend zur Analyse eines Begriffs oder einer bestimmten Situation formen. Man könnte hier eine Nähe zur Emblematik vermuten: das Bild als
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F/t 82 (1976). In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 17/18, Nürnberg 1978, o. P., weitere Arbeiten abgeb. in: – auf ein Wort!, a.a.O., S. 116 ff. und in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 444 f. Texte (genauer: Wörter), die Fotos gegenübergestellt sind, finden sich auch in der Serie „The Bowery in two inadequate descriptive systems“ (1974) von Martha Rosler (1943), Abb. in: documenta 12, Katalog, a.a.O., S. 99. Im Krefelder, Heidelberger und Bonner Kunstverein gab es 1979 eine Ausstellung „Text-Foto-Geschichten“, zu der ein Sonderheft des Kunstforums erschien: Text-Foto-Geschichten/ Story Art/Narrative Art. Kunstforum 33, Köln 3/1979. Hier wird das Phänomen der zu Beginn der 1970er Jahre (in Amerika und Frankreich) aufkommenden Story Art behandelt. Eine Weiterführung bietet Christoph Wilhelm Aigner (1954), „Merkwürdige Erscheinungen an der tyrrhenischen Küste“ (1993/1994), 41 Polaroid-Collagen, die im Weißfeld am Fuß der Polaroids handschriftliche Einsatz-Bemerkungen aufweisen, in: *) Salz. zeitschrift für literatur, Jg. 34, H. 133, 2008, S. 19 ff. und Cover. Helmut Heißenbüttel im Nachwort zu: Gerz, Das zweite Buch. Die Zeit der Beschreibung. Spenge 1976, o. P., vgl. Anm. 1382. Beispiele sind: Garnier, A New Poetry. An Elegy, An Ode. A Ballad. Lament. Writers Forum, London 1994; Ein Kinderbuch. Poésie spatiale. Siegen 1987 (= experimentelle texte nr. 12); 33 Signale für Carlfriedrich Claus. (1990). Köln 1991; Der Puppenspieler. In: Freibord Nr. 87, Wien 1994; Livre D’École. Madrid 2002; Zeichen einer Denklandschaft – für Carlfriedrich Claus (1990/91). Annaberg 2002; vgl. die eingehenden Betrachtungen der einzelnen Sequenzen in: Gaby Gappmayr, Sprache und Raum, a.a.O., Abb. 234 S. 345.
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Abb. 234: Pierre Garnier, Epos des Quadrats, 2002
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„pictura“ und die Textbeigabe als „subscriptio“ sehen. Der Unterschied ist allerdings, dass es keine eindeutigen Sinnzuweisungen gibt. Text und Bild besitzen keine Bedeutungskorrespondenz, und ein Zeichen kann seine Bedeutung von Arbeit zu Arbeit wechseln. Garnier setzt in jeder Arbeit neu ein Regelwerk der Sprache fest, das nur für diese Arbeit gilt. Da sowohl die Zeichnung als auch die beigefügten Wörter einfach und allgemeinverständlich sind, entsteht durch die mangelnde inhaltliche Korrespondenz zwischen beiden eine Bedeutungsoffenheit, die mögliche Bedeutungszusammenhänge auf größte Einfachheit und Klarheit reduzieren, die gleichsam universale Erkenntnisse zulassen. Dieses offene und in gewisser Weise labile Verhältnis zwischen Bildzeichen und Wort/Wörtern wird nun nicht nur durch ein sequentielles Durchschreiten möglicher Bedeutungsvarianten befördert, sondern auch wesentlich durch die entstandene Bildstruktur jedes einzelnen Blattes, durch die Positionierung der Text- und Bildzeichen auf dessen Fläche, Garnier würde von Raum sprechen. Dies wird besonders deutlich in Garniers (Objekt) Buch „gedichte aus der ferne“ (Köln 2003) mit dem Untertitel „raumlyrik“. Auf der letzten Seite des Buches befindet sich eine Prägung, die einen Bildrahmen und innerhalb des Bildrahmens mit vier Linien eine Art Dach erkennen lässt. Alle Seiten vorher sind auf Bildrahmengröße ausgeschnitten, besitzen also eine Art Fenster, und lassen damit den Blick frei auf die letzte Seite. Unter jedem Fenster aber befinden sich kurze Hinweise wie: „es schneit“, „feldblumen“, „der wald“, „insektenpuppe“, „die bibel“ usw., d. h. die vier Linien der letzten Seite werden immer wieder neu definiert. Den Raum thematisiert auch Jirˇí Kolárˇ in den 10 collagierten Seiten von „Hloubková básenˇ“ (Tiefengedicht, 1964)2330 und in „hinauf und hinunter. tiefengedicht“ (Uelzen 1969). Im einen Fall wird mit dem Raum durch das Übereinandercollagieren von Papierausrissen aus alten Büchern gespielt, so dass sich Farb- und Texträume bilden, im anderen Fall wird von Blatt zu Blatt durch verschieden geschnittene Durchbrüche Textfragmente des darunter liegenden Blattes sichtbar. Schließlich gibt es eine weitere Variante von Sequenzen, die aus einer unmittelbaren Korrespondenz zu vorhandene Texten entstanden wie die „15 Bildtafeln des krimgotischen Fächers“ von Oskar Pastior2331, volle Zeichnungen mit ebensolchen Texten und Textfragmenten versehene vi2330 2331
Abb. in: Kellein, „Fröhliche Wissenschaft“, a.a.O., S. 152. Pastior, Der krimgotische Fächer. Lieder und Balladen. Mit 15 Bildtafeln des Autors. München 1978, S. 71 ff.
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suelle Gedichte, übervoll von Assoziationsmöglichkeiten beim Erfinden von Geschichten, die in ihnen verborgen sein könnten. „Eine ursprüngliche Vorlage des auf allen Tafeln erscheinenden Grundmusters (Kanevas) wurde einem Komputer mit dem Lichtgriffel d. h. manuell eingegeben. Dem einmaligen Abruf aus dem Gedächtnis der EDV-Anlage verdanken wir dann jenen Anstoß, der über einen zufälligen StorchenSchnabel erfolgte, welchem wiederum die Verstörtheit etlicher Details zu verdanken ist. Diese Vorlage wurde photomechanisch vervielfältigt. Dann erst fand erneut von Hand (Kugelschreiber) die Komplektur einzelner Kopien statt, wodurch die 15 Blätter entstanden (…) (sie) sind nicht nummeriert, obwohl sie in eine Reihenfolge gebracht wurden. Sie haben auch keine Titel. Untereinander und zu den Liedern und Balladen des krimgotischen Fächers /ANHANG 2/ stehen sie in einem ähnlich marginalen Verhältnis.“2332 Robert Massin (1925) veröffentlichte ein visuelles Treatment von „La Cantatrice Chauve“ von Eugène Ionesco.2333 Nach der Uraufführung des Stückes 1950 gab es im Théâtre de la Huchette seit 1957 mehr als 17 000 Aufführungen. Massin besuchte viele dieser Vorstellungen und machte Skizzen, Tonaufnahmen und zusammen mit dem Fotographen Henry Cohen Standfotos, nach denen er eine besondere Form der Transkription von Charakter, Diktion, Zeit und Raum mit den Mitteln des Setzkastens und eines sehr lebendigen Layouts entwickelte. Es entstand eine Symbiose aus Comic-Strip (mit abgewandelten Sprechblasenformen), Foto-Bildgeschichte und expressiver Typografie.2334 Zu diesen experimentellen Großformen der Visuellen Poesie, wie sie auch bei Tom Phillips oder Paul Zelevansky schon betrachtet wurden,2335 entstanden im Umkreis von Buchgestaltung, Design, Kalligrafie und bildender Kunst, Sequenzen, die sich in der Tradition der Bildergeschichte bewegten: – Bilder und im Bild integrierte Textfiguren interpretierten einen vorgegebenen Text wie z.B. die „Odyssee“ von Homer in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss der Autorin und Grafikerin Yah Angela
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Der krimgotische Fächer, a.a.O., S. 69, Abb. 235 S. 77. Die französische Version erschien 1964 bei Gallimard in Paris, in beiden englischen Versionen: „The Bald Soprano“ in der Grove Press in New York 1965 und „The Bald Primadonna“ bei Studio Vista in London 1966. Infos unter: http://www.sfcb.org/pdf/massincurator.pdf, bes. S. 12 ff. Vgl. auch die Sequenzen von Dencker in: Dencker, Visuelle Poesie 1965–2005, a.a.O.
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Abb. 235: Oskar Pastior, Der krimgotische Fächer (Bildtafel 4), 1978
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Paysan (1936–1992),2336 „die in der Art der Gestaltung und der Auffassung ein neues Bild von der Odyssee geben. Statt statuarischen Menschendarstellungen Bewegung, die bis in die Schrift als unterstützendes Strukturelement hineinreicht. Jede Linie, jede Bewegung hat ihren Bezug zu den auf dem Blatt zitierten Versen; der weite Raum des psychischen Spannungsfeldes ist durch den Wechsel von energiegeladenem Pinselstrich und dem die Freiheiten offenbarenden, erzählenden Federstrich herausgestellt.“2337 Eine andere Variante ist die Verbindung von Tagebuchaufzeichnung und Bildmaterial in „Chronographie Terrestre“ von Horst Haack (1940).2338 Neben Künstlerbüchern, in denen Haack auch zu vorgegebenen Texten, wie z. B. in der „Apokalypse“2339 (Offenbarung des Johannes) oder in „The Waste Land“ (T. S. Eliot) Text-Bild-Sequenzen schuf, entstehen seit 1981 Bildtafeln mit je 30 Zeichnungen pro Monat, in denen das Tagesgeschehen und die Befindlichkeit des Künstlers reflektiert wird. Die Arbeit existiert nicht nur auf Ausstellungstafeln, in Katalogund Buchdokumentationen, sondern auch als begehbare Installation „Chronographie Terrestre (Work in Progress) Schrift mal Bild hoch3“.2340 Nach dem Ausschöpfen des typografischen Gestaltungsreichtums nach Gutenberg ist zu beobachten, dass nun wieder die Handschrift, Schrift im Bild, Schrift als Kunst, sowohl von den Poeten als auch den bildenden Künstlern immer intensiver genutzt wurde2341, und dass dies keineswegs ein Rückschritt vor Gutenberg darstellte, sondern eine auf den historischen Errungenschaften aufbauende und reichere Weiterentwicklung ist, von der Kalligrafie über die Initialkunst, Bildalphabete großer Schreibmeister und der für die damalige Vervielfältigung zuständigen Kopisten in den Skriptorien und Kanzleien bis zu der phantasievollen Sprache der Graffitikünstler und den Entwürfen rätselhafter Kunstschriften der Mixed-Media-Poeten.
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24 Blätter, entstanden zwischen 1974 und 1978, erschienen als einmalige, nummerierte Ausgabe in 300 Exemplaren als Mappe, Druck Karasek, Steinheim an der Murr 1978. Paysan, in: Werbeblatt mit allen Abbildungen (1978, Archiv Dencker). Abb. in: – auf ein Wort!, a.a.O., S. 151 und in: Horst Haack, Chronographie Terrestre (Work in Progress). Heidelberg 2001. Haack, Apocalypse. Heidelberg 2004. So der Titel der Ausstellung 2004/2005 im Günter-Grass-Haus in Lübeck, Abb. 236 in: Haack, Chronographie Terrestre, a.a.O., S. 63. Was gegenwärtig wieder rückläufig erscheint, vgl. den Beitrag von Lutz Wendler, Handschrift – Warum uns die schöne Kunst des Schreibens abhanden kommt. In: Hamburger Abendblatt, 19. 5. 2007, S. 12 f.
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Abb. 236: Horst Haack, Chronographie Terrestre, 2005
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c) Schrift Fast alle poetischen Visualisierungsformen sind immer schon eng mit der geschichtlichen Entwicklung der Schrift verbunden gewesen, deren kalligrafische und kryptografische, ideografische und piktografische Elemente viele Gattungen wie die bildende Kunst beeinflussten, den Status des Bildes als Abbild radikal veränderten2342 und neue Gattungen entstehen ließen, wie die Skripturale Malerei die über die kalligrafische Ästhetik hinaus gestisch-diskursive und gattungssprengende Absichten verwirklichte. Dabei ist zu beachten, dass das Verständnis von Schrift wechselte und ihre Begriffsbestimmung im Hinblick auf unterschiedliche Erscheinungsformen sehr differenziert zu betrachten ist. So spricht Dagmar Buchwald von fünf möglichen Unterscheidungsmerkmalen: „erstens, Schrift als sekundäres Zeichen für Sprach-Zeichen oder, zweitens, Schrift als Artikulation einer In-Formations-Potenz oder, drittens, als Inkorporation einer Kraft oder, viertens, Schrift als immer schon von der Sprache unabhängiges Speichermedium, das wie Bild, Diagramm, Landkarte, Algebra, und Abakus ein Aufzeichnungs- und Verarbeitungsmedium von eigenem Rang und Wert ist und das sich nur an einigen historischen und kulturellen Schnittstellen mit dem System der gesprochenen Sprache vernetzt, oder, fünftens, Schrift als !Spur" einer différance (Derrida).“2343 Diesen Funktionsbereichen legte Buchwald sieben Schriftkonzepte zugrunde, die sich beziehen: 1. phonografisch auf einen Laut (in Alphabet- und/oder Notationsschriften); 2. piktografisch auf eine abbildende Gestalt (zu unterscheiden von der Zeichnung, „obwohl auch die Zeichnung Zeichencharakter haben kann, das heißt semiotisch lesbar ist, und obwohl Schriftzeichen als Initialen und Kalligramme in Zeichnung überzugehen !drohen".“2344) 2342
2343
2344
Vgl. dazu die Arbeit von Astrid Winter, Metamorphosen des Wortes. Der Medienwechsel im Schaffen Jirˇí Kolárˇs. Göttingen 2006. Ein gutes Beispiel ist das Werk von Shusaku Arakawa. Dagmar Buchwald, Buchstabe, Schriftbild, Bild als Schrift. In: Einführung in die Literaturwissenschaft. Hg. Miltos Pechlivanos/ Stefan Rieger/ Wolfgang Struck/ Michael Weitz. Stuttgart 1995, S. 12. Zu Derridas différance vgl. Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 44. Buchwald, a.a.O., S. 18. „Für Foucault ist das Kalligramm der Ort, an dem sich zwei Schriftsysteme begegnen: es zeigt und stellt bildlich dar wie ein Ideogramm und benennt und artikuliert wie ein Alphabet. Als figürlicher Text aus Buchstaben und Wörtern !nähert es das Ideogramm dem Alphabet an" (Foucault). In-
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3. ideografisch auf eine Idee oder einen Sachverhalt („Schrift als Semantogramm“2345); 4. logografisch auf ein Wort (als Logogramm ähnlich dem Ideogramm); 5. monografisch auf einen Namen (als individuell gestaltetes Monogramm die Spur eines Schreibenden); 6. engrafisch auf eine energetische Wirkungsweise („Denken wir an die Aura, die die Schrift als Heilige Schrift, als !Das Buch" oder als Weltschöpferin umgibt (…) somatische (physische) Inkarnation oder die ereignishafte Aktualisierung bestimmter energetischer Zustände, also ein Engramm ist. Es stellt sich die Frage nach der Energetik, nach der In-Formations-Potenz, nach der Fleischwerdung der Schrift.“2346); 7. autografisch auf eine Person (als Autogramm, als Signatur). Somit zeigt sich, dass über das Allgemeinverständnis von Schrift hinaus (lediglich als Umschrift und Aufzeichnung einer gesprochenen Sprache, die nach der Aufzeichnung durch lautes Lesen wieder Sprache wird), ein „Mehr an Schrift“2347 existiert, wobei allerdings der damit verbundenen Rücknahme der These vom Phonozentrismus keineswegs die Ausschließlichkeit einer des Graphozentrismus folgt. Wetzel faßte in einer Quadrographie der Schriften zusammen: die archaische Schrift der Spur, die klassische Schrift literaler Aufzeichnungssysteme, die ästhetische Schrift dinglicher Chiffrierungen und die transklassische Schrift medientechnischer Spurensicherung.2348 Wetzels von Derridas „Grammatologie“2349 geprägtem Ansatz lag die Vorstellung zugrunde, Schrift in erster Linie als
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dem es Buchstaben benutzt, um tatsächlich existierende Gegenstände darzustellen, !kompensiert es die Willkürlichkeit des abendländischen Alphabets" (Foucault). Das Kalligramm ist Zeichnung und Text, Ideogramm und Alphabet zugleich.“ (Jean Gérard Lapacherie, Der Text als ein Gefüge aus Schrift. [Über die Grammatextualität]. In: Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik. Hg. Volker Bohn. Frankfurt 1990, S. 69; die Zitate von Foucault stammen aus: Foucault, Dies ist keine Pfeife. München 1983). Apollinaire schrieb am 22. Juli 1914 in Paris-Midi: „In meiner Poesie bin ich einfach zu grundlegenden Prinzipien zurückgekehrt, denn das Ideogramm ist das fundamentale Prinzip des Schreibens.“ Buchwald, a.a.O., S. 22. Buchwald, a.a.O., S. 19. Michael Wetzel, Die Enden des Buches oder die Wiederkehr der Schrift. Von den literarischen zu den technischen Medien. Weinheim 1991, S. 46. Wetzel, a.a.O., S. 47. Derrida, Grammatologie, a.a.O. Es handelt sich um die Erweiterung eines Beitrags von Derrida in „Critique“ (Paris Dez. 1965/Jan. 1966), zuerst veröffentlicht als: De la grammatologie. Paris 1967.
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Spur zu begreifen, die bereits der Form gewordenen Oralität und Literalität vorausgehen würde: „Insofern geht also die Spur der Unterscheidung zwischen Oralität und Literalität immer schon voraus, die zwei Weisen der nachträglichen, medialen Übersetzung der Spur sind.“2350 Schon in Platons gewichtigem Dialog „Phaidros“ wird auf die Spannung zwischen dem Bezeichnenden und dem Bezeichneten, der schriftlichen Fixierung und der inhaltlichen Bedeutung des Fixierten hingewiesen.2351 Doch Platon billigte der Niederschrift lediglich die Funktion der Erinnerung an bereits Wahrgenommenes und Interpretiertes zu und glaubte nicht, „die geschriebenen Reden bedeuteten noch irgendetwas mehr, als den schon Wissenden an das zu erinnern, wovon das Geschriebene handelt“, was ihn folgern ließ: „Denn dies Bedenkliche, Phaidros, haftet doch an der Schrift, und darin gleicht sie in Wahrheit der Malerei. Auch deren Werke stehen doch da wie lebendige, wenn du sie aber etwas fragst, so schweigen sie stolz. Ebenso auch die geschriebenen Reden. Du könntest glauben, sie sprächen, als ob sie etwas verstünden, wenn du sie aber fragst, um das Gesagte zu begreifen, so zeigen sie immer nur ein und dasselbe an.“2352 Bei der von ihm höher eingeschätzten Bedeutung der mündlichen, sich gegenseitig befördernden Argumentation gegenüber einer unverrückbar starren Niederschrift berücksichtige Platon allerdings nicht, dass sowohl die visuellen Merkmale der Niederschrift als auch deren besondere Zeichenhaftigkeit zusätzliche Informationen, ja nicht nur „ein und dasselbe“ sondern von Rezipient zu Rezipient, abhängig von der jeweiligen individuellen Kreativität, auch durchaus verschiedene Bedeutungsaspekte liefern können. Während Platon also im wesentlichen das (auf den Inhalt bezogene) Lesen der Rede meinte, das wegen der bekannten alphabetischen Zeichen scheinbar nur gewisse dazugehörige Elemente in der Wahrnehmung zulasse, wurde von Hegel hervorgehoben, dass das Lesen auch einen phonografischen Charakter der Schrift enthüllen würde2353, und Paul Valéry hob hervor, dass der Lesende zudem die Architektonik, das visuelle Gesamtbild wahrnehme2354, also das Lesen somit auch und nicht zuletzt ein Sehen und damit ein erheblich komplexerer Vorgang ist. 2350 2351 2352 2353 2354
Wetzel, a.a.O., S. 39. Platon, Phaidros oder Vom Schönen. Stuttgart 1957, S. 82 f. (= Reclam 5789). Platon, a.a.O., S. 83. Vgl. dazu: Schenk, Medienpoesie, a.a.O., S. 16 f. Vgl. dazu: Schmitz-Emans, Die Sprache der modernen Dichtung, a.a.O., S. 191.
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Abb. 237: Aleksej Krucˇonych, Buchstaben-Gedicht, 1917
Kandinsky hatte 1912 in seinem Aufsatz „Über die Formfrage“2355 bereits paradigmatisch vorausschauend für die zukünftige Praxis der Optischen Poesie den Hinweis auf die Doppelfunktion von Information und Ausdruck des Buchstabens gegeben, der aus „so oder anders gebogenen Linien, die auch jedes Mal einen bestimmten inneren Eindruck machen“, bestehen könne und durch eine Irritation des bekannten Buchstaben(schrift)-bildes Möglichkeiten bewußterer und sinnreicher Wahrnehmung durch den Rezipienten ermögliche.2356 So kam dann auch Kriwet 2355
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Kandinsky, Essays über Kunst und Künstler, a.a.O., S. 31 ff., vgl. auch Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, a.a.O., S. 45 f. Und in seinen „Zeichenreihen“ (1931/Abb. in: Bauhaus, a.a.O., S. 266) ist die Symbiose von Buchstabe, Wort und Bild, die Nähe zur ägyptischen Hieroglyphik zu erkennen. Schon bei Novalis (Gesammelte Werke, a.a.O.) heißt es: „einen Charakter ohngefähr so darstellen, wie die Buchstaben in einer geschriebenen Zeichnung“ (S. 476) oder „Wort- und Zeichenmalerei gewährt unendliche Aussichten“ (S. 563). Chlebnikov, Krucˇonych (Abb. 237 in: Literally Speaking, a.a.O., S. 13) u. a. äußerten sich im Manifest „Richterteich“ (1913, in: Werke 2, a.a.O., S. 108): „Wir haben begonnen, den Wörtern Inhalt nach ihrer graphi-
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zu der Feststellung: „Die Wahrnehmung, Sehen und Lesen, wird somit ebenso zum Textereignis, wie der verbale, notierte Text2357 (…) Die Komposition eines SEH-TEXTES ist weniger die eines verbalen Textes, als die des SEHENS, weniger die eines Objektes, als die seines sinnlichen Erlebens. Das komponierte Sehen und Lesen bilden zusammen mit dem komponierten Text einen Erlebnisbereich, in welchem der Sehende oder Lesende (Sehen und Lesen verschmelzen hier ineinander) seine Komposition ausbildet.“2358 Und diese Sicht des Rezipienten korrespondierte mit der des Produzenten, wenn Carlfriedrich Claus feststellte: „Spontane Handschrift hält – zusammen mit den beabsichtigten verbalen Informationen – feinste unterschwellige Regungen des Schreibenden, vorsprachliche psychisch-somatische Geschehnisse, nicht mehr und noch nicht bewusste Inhalte optisch fest.“2359
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schen und phonetischen Charakteristik zu geben (…) indem wir in der Handschrift einen konstitutiven Bestandteil des poetischen Impulses sehen (…) in Moskau wurden daher Bücher (Autographen) !Selbst-Schriften" herausgegeben.“ Im gleichen Jahr heißt es in „Der Buchstabe als solcher“ (in: Werke 2, a.a.O., S. 116): „Es gibt zwei Situationen: 1) Daß die Stimmung die Handschrift beim Schreiben ändert. 2) Daß die Handschrift, eigentümlich verändert durch die Stimmung, diese Stimmung dem Leser übermittelt, unabhängig von den Wörtern.“ In einem Manifest „Poetische Prinzipien“ (1914) von Nikolaj Burljuk (in: Manifeste und Proklamationen der europäischen Aventgarde, a.a.O., S. 90) steht. „Vor allem muß man die Handschrift des Autors, die Handschrift des Kopisten und gedruckte Schriften unterscheiden. Manche Wörter kann man überhaupt nicht drucken, weil sie die Handschrift des Autors brauchen (…) Es ist verständlich, von welch riesigem Wert für wahre Liebhaber sich die Autografen der Werke erweisen (…) Über die Rolle der Schrift werde ich nicht sprechen, weil diese für alle offensichtlich ist.“ Weitere Hinweise auf die russischen Programmatiken vgl. piktogramme, a.a.O., S. 37 ff. Eine sehr interessante Passage findet sich auch bei: Walter Benjamin, Über das mimetische Vermögen. In: Benjamin, Sprache und Geschichte. Philosophische Essays. Stuttgart 2000, S. 93 f. (= Reclam 8775) und das Zitat von Benjamin in Anm. 1865. „so wollen SEHTEXTE doch keine emanzipierte Graphik darstellen, sondern Texte, die den SEH- und LESE-Vorgang gleichermaßen zu Text werden lassen, wie den verbal notierten.“ (Kriwet, Sehtexte-Hörtexte, a.a.O., S. 10). Kriwet, Sehtexte. In: Skripturale Malerei, a.a.O., o. P.; „Sehtexte“ ist eine kürzere Variante des Beitrags „Sehtexte-Hörtexte“, der wiederum Teil eines größeren Manuskripts ist, das 1961 bereits vorlag und teilweise als „Dekomposition der dynamischen Einheit – Notizen zur visuell wahrnehmbaren Literatur“ (in: Diskus Nr. 5, Frankfurt 1964, S. 24 f.) und in „leserattenfaenge“ (1965) veröffentlicht wurde. Claus, Notiz: Sa-um in Handschrift. In: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 134.
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Franz Mon, der sich wohl am intensivsten mit dem Phänomen der „Schrift als Sprache“2360 befasst hatte, ging dann noch einen Schritt weiter: „Das Element der Handschrift ist die fließende Linie, nicht mehr die isolierte Letter: Kontinuum des Schreibvorgangs an Stelle der Reihung von Elementen. Die Buchschriften der Antike und des Mittelalters bleiben zwar um der allgemeinen Lesbarkeit willen bei diskreten Lettern, doch spielen auch sie die Subjektivierung und Dynamisierung mit, ja, in ihnen vollzieht sich dieser Prozeß recht eigentlich, weil sie sich nicht völlig in der privaten Verkürzung verlieren dürfen, sondern die Schriftkonvention weitertragen müssen. Es ist Schritt für Schritt zu verfolgen, wie die Schemata in den Buchschriften ausgefüllt, überspielt, verwandelt, schließlich – vom Anfang her gesehen – !unleserlich" werden.“2361 Und an anderer Stelle heißt es noch deutlicher: „Das Schreiben nimmt eine Gestik in den Schriftzug, die weder aus dem Inhalt des Mitzuteilenden noch aus der Grundform der Buchstaben gerechtfertigt und begründet ist; die vielmehr ihrem eigenen Sinn folgt, Bewegung als Bewegung, die sich in den extremen Fällen soweit verselbständigen kann, dass die einbegriffene Buchstabenform nicht mehr eindeutig zu erkennen ist.“2362 Nach Mon ist die Alphabetschrift ein drittes System, das zwischen der Wort- und Bildsprache steht, und ein sekundäres Zeichensystem für ein primäres, lautsprachliches. Dem würde aber widersprechen, dass beim Lesen der Schriftzeichen gar nicht mehr notwendig eine vokalisierende und damit das primäre Zeichensystem aufrufende Übersetzung stattfände, weil Vorstellungen und Sinnbezüge schon aus dem Überfliegen der Schriftwortbilder wahrgenommen würden: „Zum Lesen brauchen wir nicht einmal die kompletten Zeichengestalten wahrzunehmen; sie verschwinden vielmehr bis auf bestimmte graphemische Merkmale unter dem Lesevorgang, und auch diese semiotischen Spitzen werden bereits im Moment der Nutzung wieder vergessen. Die vom System her 2360
2361 2362
So der gleichnamige Beitrag (1964) in: Mon, Texte über Texte, a.a.O., S. 48 ff. und in: Sprache im technischen Zeitalter 15, Berlin 1965, S. 1251 ff. Vgl. auch: Mon, Schrift der Kunst. In: Diskus 5/6, Frankfurt 1964, S. 27; Umsprung der Schrift. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. 8 ff. (Wiederabdruck in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 210 ff.); Wortschrift Bildschrift. In: Visuelle Poesie. Hg. Heinz Ludwig Arnold, a.a.O. S. 5 ff. Vgl. auch den umfangreichen Ausstellungskatalog der UNESCO zum Thema: Die Kunst der Schrift. Hg. Staatliche Kunsthalle BadenBaden 1964. Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 1254. Mon, Schrift als Sprache. In: Mon, Texte über Texte, a.a.O., S. 55.
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sekundäre Qualität der Schrift kann im Gebrauch zur primären werden. Im voll entwickelten visuell-mentalen Leseverlauf verschwindet die orale Sprache völlig. Der Text, der im Kopf entsteht, und erst dieser ist real, benutzt zwar die graphemischen Zeichenpartikel, springt zugleich aber über sie hinweg, hinterlässt sie wie Eierschalen.“2363
Kalligrafie Es ist dies der Weg von der Lesbarkeit über die Sichtbarkeit zu einer neuen Bildlichkeit der Schrift, die auf einer individuell-gestischen Qualität fußt. „Kalligraphische Grammatik (…) die Lesedynamik lenkt“ wurde dieser sinngebende Teil eines optisch-poetischen Instrumentariums von RolfGunter Dienst genannt, der mit Bezug auf die „Kalligramme“2364 von Klaus-Peter Dienst auf die Geschichte der Autonomie des Buchstabens seit den großen Schreibmeistern des Mittelalters und auf seine neue Rolle in der bildenden Kunst spätestens seit den Kubisten aufmerksam machte, sowie auf wichtige Einflüsse chinesischer und japanischer Kalligrafie, wie sie besonders bei Bissier2365, Dotremont2366, Masson2367, Mathieu2368, Michaux2369, Tàpies2370 oder Tobey2371 zu finden sind. „So wird wie in der Kalligrafie die Möglichkeit gegeben, das Bild des einzelnen Bedeutungszeichens gemäß den persönlichen Empfindungen des Schreibers (Malers) umzuformen, wodurch sogar eine Interpretation des Inhalts erreicht werden kann (…) Das Zeichen gebiert den Inhalt. Und ebenso entsteht eine formale Analogie zwischen Gestik und asiatischer Schrift.“2372 Die meisten Schriftsysteme basieren auf einem geometrischen Raster. Und auch die Hanzis/Kanjis der chinesischen Schrift fügen sich im Ra2363 2364
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Mon, Wort Bildschrift, a.a.O., S. 6. Rolf-Gunter Dienst, Kalligraphische Grammatik. In: Diskus 12. Jg., H. 2, Frankfurt 1962, S. 10. „nach der Befruchtung“ (1938/Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 305). „C’était imaginaire“ (1977) u. „Zigzagtime“ (1977) Abb. in: Tecken, a.a.O., S. 95 u. 98; vgl. auch die Arbeiten in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 97. „Seduction“ (1955/Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 296). „Mort de Conrad, Comte de Paris et Duc de Rétie, 882“ (1960/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. XLVIII). „Encre de Chine“ (1962/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. XLVII). „Oreille, X et Rouge“ (1975/Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 106). „China“ (1934/Abb. in: Legrand, peinture et écriture, a.a.O., S. 29), „Sumi still life“ (1957/ Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 143). Dienst, a.a.O., S. 10.
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Abb. 238: Geoffroy Tory, Champ fleury, 1529
ster eines Quadrats oder Rechtecks ein, wenn es sich um die mechanisierte Reproduktion der Zeichen – z. Bps. im Buchdruck – handelt. Während allerdings westliche Schreibmeister – Geoffroy Tory (1480–1533)2373 ist dafür ein gutes Beispiel – ihre Buchstabenentwürfe aus einem solchen Raster heraus entwarfen, gab es den genau umgekehrten Weg der Schriftentwicklung in China und Japan. Der gegen ein geometrisches System gezogene, jeweils einmalige und nicht mehr reproduzierbare Pinselstrich war mehr als nur Kalligrafie im Sinne von Schönschrift. Obwohl es eine Art Schriftsystem und die Abfolge einer historischen Abwandlung dieser Systeme wie Siegel-, Kanzlei-, Kursiv2373
Abb. 238 in: Massin, (1970) a.a.O., S. 30 u. http://geofroy.tory.free.fr/.
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oder Grasschrift gab, war und ist diese Art der Kalligrafie immer Ausdruck einer bestimmten Persönlichkeit, ihre hohe künstlerische Ausprägung das Ergebnis einer Persönlichkeitsformung sowohl körperlich als auch geistig, in der Disziplin, meditative Geduld und ästhetisches Feingefühl eine große Rolle spielen. Asiatische Kalligrafen waren häufig zugleich Poeten und bildende Künstler, deren Tradition bis in die Gegenwart unvermindert stark andauert.2374 Diese Traditionsbewahrung kommt auch in einem kleinen Buch von John Lewis „The Chinese word for Thief “ zum Ausdruck2375, in dem sich aus dem chinesischen Zeichen für „Dieb“ eine Kallligrafie-Geschichte entspinnt, begleitet von handschriftlichen Texten. Zugleich läßt es ein besonderes Charakteristikum erkennen, das die östliche von der westlichen Kalligrafie unterscheidet und auf das schon Shutaro Mukai hinwies2376. Die westliche Kalligrafie besitzt nämlich eine im wesentlichen ununterbrochene kontinuierliche Linienführung. Demgegenüber zitiert Mukai eine Bemerkung von Teiji Itoh2377: „Bei japanischen Schriftzeichen – ob Kanji, ob Kana – hat die Linienführung optisch keine Kontinuität. Was sind eigentlich Schriftzeichen der östlichen Sprachen? Geometrisch ausgedruckt sind sie !Orte", die die Spitze eines sich dreidimensional im Freien windenden Pinsels durch Berührung mit einem Bogen Papier darauf hinterlassen hat. Für die Augen sichtbar bleiben nur die Orte: die restlichen Bewegungen des Pinsels verschwinden aus dem Sichtfeld, sobald die Bewegungen zu Ende kommen, ähnlich wie bei laufenden Szenen auf dem Bildschirm des Fernsehens. Diese für die Augen unsichtbar gewordenen Bewegungen der Pinselspitze, die keine 2374
2375
2376
2377
Yingshi Yang, New Trends in Chinese Calligraphy (1898–1998). In: http://www. asiawind.com/art/callig/modern.htm#Contemporary%20Chinese%20Calligraphy. London 1978. Vgl. auch für die Bewahrung der kalligrafischen Tradition durch die Koreanerin Nahm-hee Völkel-Song (1945) mit chinesischen Zeichen: Abb. in: Bartkowiaks forum book art. 14. Ausgabe 1995–1996 B. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. Hamburg 1996, S. 632 ff.; 16. Ausgabe 1997/1998. Hamburg 1998, S. 356 ff.; 18. Ausgabe 2000/2001. Hamburg 2001, S. 436 f.; 19. Ausgabe 2001/2002. Hamburg 2002, S. 462 f.; 23. Ausgabe 2005/2006. Hamburg 2006, S. 514, oder die Arbeiten von Ben Aalbers (1916–2004), die sich an die chinesische Kalligrafie anlehnen, Abb. in: Kompendium zeitgenössischer Handpressendrucke. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 6. Ausgabe, 1/1991. Hamburg 1991, S. 439 ff.; 9. Ausgabe, 2/1992. Hamburg 1992, S. 230 ff.; Bartkowiaks forum book art. 23. Ausgabe 2005/2006, a.a.O., S. 441 ff. Mukai, Schriftzeichen, die die Kultur aufnehmen, widerspiegeln, transformieren – über die Revolution der modernen Kunst –, a.a.O., S. 15 f. Bekannt geworden durch: Itoh, Die Gärten Japans. Köln 1985/1999.
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Visuelle Poesie
Abb. 239: Hakuin Ekaku, Bambus, 18. Jh. (vor 1768)
Spur auf dem Papier hinterlassen, wird !Kuukaku" (leere Striche) genannt (…) Nachdem ein Strich gezeichnet worden ist, verlässt die Pinselspitze die Papieroberfläche, bestimmt die Richtung und den Schwung des nächsten Zeichens, wodurch zwischen den eben gezeichneten und gleich danach zu zeichnenden Strichen eine organische Verbindung entsteht (…) In der japanischen Kalligraphie ist der leere Strich von großer Bedeutung, ebenso wie in der Architektur !imaginäre Räume"“. Diese von den Japanern als Sho2378 bezeichnete und bis an die Grenze der Unlesbarkeit gehende Kunst vermochte es in ihrer höchsten Ausfor2378
Vgl. die Aufsätze zu Sho in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 280 ff. (u. a. Wiederabdruck: Morita Shiryû, Sho – japanische Schreibkunst. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. LIII ff.).
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mung aus einem einzigen Zeichen bildhafte Poesie zu entwickeln: „Das wird besonders deutlich bei dem Blatt !Bambus" des Zen-Meisters Hakuin Ekaku (1685–1768).2379 Das Regelzeichen für Bambus ist, einzeln genommen, diesem Werk sehr ähnlich: eine Senkrechte mit hakenförmiger Bekrönung. Beide sind aber auch nicht fern von der Naturvorstellung !Bambus" und auch von seiner malerischen Formel, wie sie als Vokabel in den Lehrbüchern angegeben wurde. Regelschriftzeichen und Lehrbuchvorlage sind sozusagen Muster, die dann vielfach durch die Hände der Meister geformt wurden. Hakuins Bambus dagegen ist bereits die vollendete Sublimierung seiner Bambusvorstellung, die seine Weltdeutung mit einschließt und mit diesem Bambus !an – sich" auch etwas vom Weltwesen !an – sich" meint. Die dynamische Gespanntheit der vielfach unterbrochenen, gleichwohl kräftigen Senkrechten bildet den Gegensatz zur in sich ruhenden und doch bewegten Bekrönung – Konzentration und Ausstrahlung. Für den europäischen Betrachter wirkt der Bambus gleichzeitig !geschrieben", graphisch und malerisch. Das Lineare, die Beschränkung auf eine Ebene kann man als graphisch ansprechen, während das !fliegende Weiß", die transparente Pinselführung, vor allem an der Senkrechten, sowie der tropfenförmige, leicht ausgezogene oberste Pinselstrich durchaus malerische Qualitäten haben.“2380
Initialen-/Buchmalerei Als Pendant zur fernöstlichen Kunst der Kalligrafie könnte man nun die europäische Buchmalerei, vor allem die Initialenkunst2381 in den Codices der Schreibmeister und Kopisten vom frühen Mittelalter2382 bis in 2379 2380
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Vgl. die Abb. von drei Beispielen in: Schrift und Bild, a.a.O., S. LXIII. Irmtraud Schaarschmidt-Richter, Ostasiatische Schriftzeichen – Ostasiatisches Schreiben. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. LXII ff., Abb 239 S. LXIII. Vgl. dazu auch Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 61 und Anm. 1645. Jonathan James Graham Alexander, Initialen aus großen Handschriften. München 1978; Christine Jakobi-Mirwald, Text – Buchstabe – Bild. Studien zur historisierten Initiale im 8. und 9. Jahrhundert. Berlin 1998, vgl. auch Anm. 1660. Unter Karl dem Großen wirkte der Schreibmeister Alkuin von York, Begründer der Karolingischen Renaissance. In dem von ihm geleiteten Kloster St. Martin/ Tours wurde die karolingische Minuskel (Carolina) entwickelt, eine aus Kleinbuchstaben bestehende Schrift, die zwischen dem 9. und 12. Jh. als Amtsschrift im Gebrauch war und als Vorbild für die weitere Entwicklung der Schrift (gotische Minuskel/Textura, Antiqua, Fraktur) bis zu den heute verwendeten Kleinbuchstaben diente.
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Visuelle Poesie
Abb. 240: Initialen in: The Book of Kells, 8. Jh.
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die Anfänge der Renaissance2383 betrachten. Besonders kunstvolle Werke kamen aus den Skriptorien des angelsächsischen Raums2384, in dem zwischen 500 und 1000 n. Chr. eine Fülle von sogenannten „insularen Handschriften“2385 entstanden, wobei die aus Irland stammenden Bücher „The Book of Durrow“ (7. Jh.)2386 und „The Book of Kells“ (8. Jh.)2387 wohl für die Initialenkunst am interessantesten sind. Mönche wie Willibrord2388 oder Gallus2389 trugen die Kunst dann aufs Festland und beeinflussten das Entstehen herausragender Codices z. B. in Echternach2390 und St. Gallen2391. Während die irische Initialenkunst vorwiegend Ornamente verwendete, wurden später in anderen Ländern neben figürlichen Elementen schließlich auch ganze Szenarien mit handelnden Personen zur Formgebung der Buchstaben benutzt.2392 Neben dem über das Formale hinausgehenden inhaltlichen Bezug, ist auch hier eine Bildwerdung des Buch2383
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Einer der bedeutendsten Schreibmeister seiner Zeit war Johann Neudörffer der Ältere (1497–1563). Zeitgleich gab es herausragende Beispiele natürlich auch in anderen Ländern, so z. B. in Spanien: Beatus Aemilianensis. Der ältere Beatus Codex Vitrina 14–1. León um 930–950. Biblioteca Nacional, Madrid. Ms Vitr. 14–1. Faksimile-Ausgabe: Bibliotheca Rara VG, Münster 2007. http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Hiberno-Saxon_illustrated_manuscripts. Bernard Meehan, The Book of Durrow. A medieval masterpiece at Trinity College Dublin. Dublin 1996. Vgl. Anm. 1895 u. The Book of Kells. Described by E. Sullivan. With additional commentary from en enquiry into the art of the illuminated manuscripts of the middle ages by J. A. Bruun. Erweiterter Nachdruck der Ausgabe 1920. London 1992, Abb. 240 Plate XX. 658–739, Gründer des Klosters in Echternach. 550–640, am Ort der von ihm errichteten Einsiedlerklause entstand später das Benediktinerkloster und die Stadt St. Gallen. Michele Camillo Ferrari, Sancti Willibrordi venerantes memoriam. Echternacher Schreiber und Schriftsteller von den Angelsachsen bis Johann Bertels. Ein Überblick. Luxemburg 1994 (Publications du Centre Luxembourgeois de Documentation et d’Etudes Médiévales [CLUDEM] 6). St. Galler Handschriften sind zu finden unter: http://www.cesg.unifr.ch/de/index. htm; Ernst Tremp/Karl Schmuki, Geschichte und Hagiographie in Santgaller Handschriften. St. Gallen 2003, Abb. (Gradualgesang mit Neumennotation) S. 107; Karl Schmuki/Ernst Tremp, Vom Staub und Moder im Hartmut-Turm zum Wiederaufblühen der Harfenklänge der Musen an den Wasserfällen der Steinach. Die Klosterbibliothek von St. Gallen im Spätmittelalter. St. Gallen 2001. Vgl. die Beispiele bei Massin, (1970) a.a.O. und in: Im Anfang war das Wort, a.a.O.
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Visuelle Poesie
stabens zu beobachten2393 wie in den fernöstlichen Kalligrafien, aber ohne den existenziellen, individuellen Ansatz2394, der erst in der späteren Wiederbelebung des handschriftlichen Duktus durch Künstler und Literaten sinngebendes Stilmittel wurde. Sie erfolgte zum einen um 1900 in Europa und insbesondere in Frankreich2395 durch die Einflußnahme des Japonismus2396, der dazu beigetragen hatte, die Sensibilität von Autoren wie Mallarmé und Apollinaire für das strukturgebende Verhältnis zwischen Buchstabe und Fläche, sowie die fast haikuartige Reduzierung des Textmaterials in der Poesie zu schärfen, und zum anderen durch die Visualisierungsformen im Futurismus der Italiener, vor allem aber der Russen, die die Handschrift als einen „konstitutiven Bestandteil des poetischen Impulses“2397 betrachteten und sich fast wieder fernöstlicher Praxis annäherten wie im Falle von Chlebnikovs „Slov’mo“ (1907/1908): „Als Beispiel kann man das Wort slov’mo nennen, einen Neologismus aus !Wort" (slovo) und !Schrift" (pis’mo), in dem die Linienführung kalligraphisch in eine Spirale übergeht, die schließlich in einem Kreis mit einem Punkt in der Mitte mündet. Das Wort weitet sich in derartigen Kritzeleien zu einem abstrakt-ornamentalen Bild aus, dem durch die zeichnerische Gestaltung ein doppelter Sinn verliehen wird.“2398 Die Initialenkunst lebte zwar nach der Erfindung des Buchdrucks mit anderen künstlerischen Drucktechniken wie dem Kupferstich weiter, 2393
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Oder Buchstabe und Bild (innerhalb des Buchstabens) bilden eine Einheit wie in dem Stundenbuch von Modena (14. Jh.): Libro d’oro di Modena. Biblioteca Estense Universitaria, Modena, Ms. Lat. 842-alfa R.7.3. Faksimile-Ausgabe: Bibliotheca Rara VG, Münster 2007. Morita Shiryu beschreibt in seinem Beitrag „Wie Kalligraphie entsteht“ (in: Skripturale Malerei, a.a.O., o. P.) die Suche nach seinem Ich durch die Kunstübung der Kalligrafie. Und noch Mitte des 20. Jahrhunderts entstand eine der engsten poetischen Kollaborationen der Optischen Poesie zwischen dem Franzosen Pierrre Garnier und dem Japaner Seiichi Niikuni, vgl. dazu: Seiichi Niikuni/Pierre Garnier, 3ème Manifeste du spatialisme pour une poésie supranationale (1965). In: Pierre Garnier. In: Serielle Manifeste 66. Zeitschrift für Literatur, bildende Kunst und Musik. Hg. Édition Galerie Press, St. Gallen 1966, S. 11 und Seiichi Niikuni – Pierre Garnier, Poèmes Franco-Japonais. Paris 1966. Lionel Lambourne, Japonisme. Cultural Crossings between Japan and the West. Berlin 2005; Siegfried Wichmann, Japonisme. The Japanese Influence on Western Art since 1858. London 2007. David Burljuk u. a., Richterteich (1913). In: Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde, a.a.O., S. 71, vgl. auch Anm. 2356. Piktogramme, a.a.O., Abb. 241 S. 38.
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Abb. 241: Velimir Chlebnikov, Slov’mo, 1907/1908
und erfuhr bei Chlebnikov noch einmal ein Aufflackern als er 1915 begann eine Art „ideographisches System zu entwerfen, in dem die Ikonizität des ersten Buchstabens in der Art einer illuminierten Initiale das gesamte Wort abbilden sollte“, oder bei Majakowski, der in seinem ABC-Buch „Sowjetisches ABC“ (1919) die Initialen der Gedichte nach mittelalterlichen Vorbildern aus bewegten Figuren bildete2399, führte dann aber einerseits zu nicht mehr vergleichbaren reduzierten abstrakten Zeichensystemen in der bildenden Kunst2400 sowie andererseits zu vollen, entfernt auch wieder an die mittelalterliche Buchmalerei erinnernden Figuren, wie sie Fiona Rae (1963) Ende der 1980er Jahre2401 nach dem Vorbild von Henry Michaux2402 entwarf: „I had in mind something like a film, or a cartoon strip. With the other paintings from 1989, I wanted to include bits of different paint languages, signs, symbols to make pictograms (…) Also, to put cells of painting in a row or other arrange2399 2400 2401 2402
Abb. in: piktogramme, a.a.O., S. 44. Lissitzky in „Die vier Grundrechenarten“, vgl. Anm. 1210. Abb. in: pictogramme, a.a.O., S. 119. Michaux, Signes (1954/Abb. in: http://blog.urbanomic.com/num/archives/ 2004/12/index.html, Abb. von Beispielen aus dem „Alphabet“ (1927) in: piktogramme, a.a.O., S. 96 f.; Henri Michaux, Experimentation with Signs. Amsterdam 2007.
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Visuelle Poesie
ments on the canvas was a way of framing the marks because at that time it seemed difficult to make an expressive paint mark without a clearly ironic position. Making these paintings was like learning to write an alphabet.“2403 Während es den weniger programmatisch fixierten Einbezug ästhetischer Besonderheiten der Handschrift im Schaffensprozeß bei Künstlern2404 und Poeten2405 schon immer gab, der jeweils ein Sichtbarmachen des Wahrnehmens, Denkens und Ordnens vermittelte, – ob es nun Leonardo da Vincis Entwurfs- und Skizzenblätter2406 oder in der Literatur die kryptografischen Textlandschaften in den Manuskripten der Annette von Droste-Hülshoff2407 waren, Eduard Mörikes HaushaltungsBuch2408, Gottfried Kellers bemalte Schreibunterlagen und Rathausprotokolle2409, oder Kafkas bis in die Bildlichkeit gehenden Niederschriften2410, die Gegenstand einer umfassenden Editionskritik wurden2411 –, handelte es sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Literatur um eine Bildwerdung von Text durch die Handschrift selbst – im Gegensatz zu 2403 2404
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Fiona Rae in einer Mail v. 30. 8. 2006 in: pictogramme, a.a.O., S. 118. Christophe Czwiklitzer, Die Handschrift der Maler und Bildhauer vom 15. Jahrhundert bis heute. Lettres autographes de peintres et sculpteurs du Xvw siècle à nos jours. Catalogue d’une collection d’autographs. Paris 1976. Dichterhandschriften. Von Martin Luther bis Sarah Kirsch. Hg. Jochen Meyer. Stuttgart 1999 (= Reclam HC 10517); Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur. Hg. von Davide Giuriato/ Stephan Kammer. Frankfurt/M., Basel 2006. Am besten zu studieren in: Leonardo da Vinci. Das Lebensbild eines Genies. Hg. Sandro Piantanida/Constantino Baroni. Novara 1972 /Dt. Ausgabe: Wiesbaden/ Berlin o. J.; vgl. auch Leonardo da Vinci, Tagebücher und Aufzeichnungen, a.a.O.; Robert Ammann, Die Handschrift der Künstler. Bern 1953. http://www.lwl.org/kultur-download/droste/63komplett.mittel.bmp Eduard Mörike, Haushaltungs-Buch. Wermutshausen-Hall-Mergentheim, 16. Okt. 1843–27. April 1847. Faksimile der Handschrift. Hg. Hans-Ulrich Simon. Marbach 1994. Abb. in: Süddeutsche Zeitung, Beilage 258, München 9. November 1994, S. II. http://www.gottfriedkeller.ch/FRAMES.htm. Auf einer Schreibunterlage aus dem Jahr 1855 schrieb Keller den Namen seiner Geliebten Betty in allen möglichen Variationen (Abb. in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 5). Vgl. auch das Blatt in: Skripturale Malerei, a.a.O., S. 62. www.imageandnarrative.be/…/sudakabenazeraf.htm; vgl. auch die Niederschrift von Samuel Becketts Roman „Watt“ (1945/Erstdruck 1953/Abb. einer Seite in: Friedhelm Rathjen, Samuel Beckett. Reinbek 2006, S. 6), in der figürlich-skizzenhafte Elemente den handschriftlichen Duktus ergänzen. http://www.buchladen46.de/index.php?itemid=72; http://www.edkomp.unimuenchen.de/CD1/C/Schreiben-C-DG.html.
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Skizzen oder Figurengedichten, in denen lediglich mit der Handschrift ein (Ab)Bild geformt wurde2412 –, und zugleich um einen in der bildenden Kunst feststellbaren Zuwachs an Semantik2413 im Bild. Es gab also einen sich wechselseitig befördernden Prozeß, der einerseits in der bereits angesprochenen Aufhebung der Gattungsgrenzen und andererseits in der Künstlerpersönlichkeit selbst begründet war, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert (und zunehmend bis in die Gegenwart) janusköpfig sowohl Elemente der bildenden Kunst als auch die der Literatur in einem Produktionsprozeß vereinte,2414 einen Prozeß, den Faust als Ikonisierung der Literatur und Lingualisierung der bildenden Kunst bezeichnete.2415 Das Zusammenwachsen beider Gattungen und damit die Verfügbarkeit ihres jeweiligen Instrumentariums im Hinblick auf einen Brückenschlag zwischen sinnlicher Wahrnehmung und rationalem Verstehen schuf neue Möglichkeiten der Form- und Sinngebung in der bildenden Kunst und in der Literatur, so daß sich schließlich erübrigte, „genau festzustellen, dass hier an diesem Punkt, Komma, Semikolon, Buchstaben die Literatur endet und die Graphik oder Malerei beginnt. Selbst dort noch, wo Schrift, im literarischen Kontext ebenso wie außerhalb eines solchen, als reine Graphik erscheint und je graphisch autonomer sie ist, oft vollends unlesbar und schlecht leserlich, nicht mehr sofort und eindeutig identifizierbar, hat sie Bedeutung wenn nicht gar Sinn auf dem Hintergrund aller vom jeweiligen Leser subjektiv gemachten Erfahrungen mit Schrift, Sprache, Literatur.“2416 Dieser tiefgreifende Wandel im Verhältnis, in der Zuordnung und Funktionsweise von Bild und Text zeigte sich auch in der historischen 2412
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2414 2415
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Beispiele: François Rabelais, Dive bouteille (1565/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 135); Catarina Regina von Greiffenberg, Über den gekreuzigten Jesus (1662/ Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 166); Anton Ludwig Reinhart, Canistrum Samaritanum (1678/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 200); Joseph Beaumont, Suspirem ad Amorem (17. Jh./Abb. in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 97, siehe auch weitere S. 204); Yvan Goll/Claire Goll, Lothringisches Kreuz/Cœur de France (1944/Abb.in: Text als Figur, a.a.O., S. 276); Lewis Carroll, The Mouse’s Tale (1862/63/ Abb. vgl. Anm. 1000), sowie Apollinaire, Poème du 9 février 1915 (Abb. 208) und Tristan Tzara (Calligramme, nach 1912/Abb. in: Text als Figur, a.a.O., S. 266). Werner Schreib prägte einmal den Begriff „semantische malerei“ (in: Diskus 12. Jg., H. 2, Frankfurt 1962, S. 12). Vgl. Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 115. Vgl. Anm. 4 und ausführlich in: Toni Stoos, Am Anfang. In: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 6 ff. Kriwet, leserattenfaenge, a.a.O., S. 19.
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Entwicklung der Illustration2417, die sich aus dem Korsett der Emblematik, den moralischen und didaktischen Textklammern befreite, nicht mehr nur ornamentaler Schmuck war, sondern zur selbständigen Buchillustration avancierte, die die Darstellung von Personen oder Handlungsabschnitten mehr oder weniger interpretierend oder erläuternd ergänzte, um schließlich eine vollkommen eigenständige Rolle anzunehmen. Das Bild folgte nicht mehr abbildend der Textvorgabe, sondern gab seine Funktion als Illustration auf und wurde Teil einer Ausdrucksform, in der Text und Bild gleichrangig innerhalb eines neuen gemeinsamen Sprachsystems funktionierten. Dafür bereits in mehrfacher Hinsicht beispielhaft ist das Werk von William Blake (1757–1827). In seinen illuminierten Büchern2418 ist zu erkennen, dass die handschriftlichen Texte und die Zeichnungen oft nicht mehr unmittelbar aufeinander verweisen und durch die besondere Gestaltung der Buchseite der Text so visualisiert wurde, dass das Ergebnis weniger einer Textseite als der eines Bildes glich, der Text sich als integrativer Bestandteil einer Bildsprache einfügte. Bemerkenswert ist zudem auch, wie innerhalb des Textes, z.B. in „The Marriage of Heaven and Hell“ (1790)2419, zu der alphabetischen Schrift ein neu erfundenes Zeichenrepertoire tritt, dass an die Tradition der Hieroglypik und des Rebus anknüpfte. Wenn auch oft nicht auf so verflochtene Weise wie bei Blake gibt es dann sowohl von den Schriftstellern, die entweder ihre Texte selbst illustrierten oder in Kooperation mit bildenden Künstlern illustrieren ließen, als auch von den bildenden Künstlern, die sich umgekehrt eigener oder fremder Texte bedienten, eine Vielzahl von Beispielen, die vom Einzelblatt bis zu Buchformen und bis in die Gegenwart reichen. So entstanden einerseits Textgrafiken, wie die von Heinz Ludwig Arnold in den 1980er Jahren in der L’80 Verlagsgesellschaft herausgegebenen Reihe „Textgraphik deutscher Schriftsteller“ mit Arbeiten von Dürrenmatt, Heißenbüttel, 2417
2418
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Breon Mitchell, Das Illustrierte Buch als Livre d’Artiste: Eine zeitgenössische Perspektive. In: Literatur und bildende Kunst, a.a.O., S. 102 ff. Roman Jakobson, On the Verbal Art of William Blake and Other Poet-Painters (1968). In: Linguistic Inquiry I/1, Cambridge/Mass. 1970, S. 3 ff. Vgl. Roman Jakobson, Zur Wortkunst von William Blake und anderen Dichter-Malern. Übs. v. Roger Lüdeke/ Dieter Münch/ Grete Lübbe-Grothues, komm. v. Roger Lüdeke/ Sebastian Donat. in: Roman Jakobson, Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie. Sämtliche Gedichtanalysen. Kommentierte deutsche Ausgabe, 2 Bde. Hg. v. Hendrik Birus/ Sebastian Donat, Berlin, New York: De Gruyter 2007, Bd. 2, 1–43. Blake, The Complete Illuminated Books, a.a.O., Abb. 242 S. 114.
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Abb. 242: William Blake, The Marriage of Heaven and Hell (S. 8), 1790
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Visuelle Poesie
Hildesheimer, Meckel, Rühmkorf u.a., und andererseits Malerbücher/ Künstlerbücher2420 wie die von Gauguin2421, Miró2422, Tàpies2423 oder Dine2424, Penck (d. i. Ralf Winkler)2425 und Villers2426. Während diese noch weitgehend ein Miteinander von Text und Bild, die Funktion des sich Ergänzens, Spiegelns oder Kontrastierens aufweisen, was heute noch in weiten Bereichen der Publikationen um das Forum Book Art anzutreffen ist2427, gab es seit Beginn des 20. Jahrhunderts aber schon Bestrebungen, die mit dem Funktionswechsel der Illustration und der Entwicklung neuer, der Buchform entsprechender visueller Zeichensysteme auch das Medium Buch hinsichtlich seiner Gestaltung als Zeichenträger und Objekt zum Gegenstand des Experimentierens machten. Sie waren eine, in gewisser Weise als Fortsetzung, aber mit anderen Absichten versehene Reaktion auf die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Buchkunstbewegung, die spätestens seit William Morris (1834–1896), der selbst eine Art Doppelbegabung als Schriftsteller und Designer von Tapeten- und Stoffentwürfen war, richtungsweisende Aufmerksamkeit erlangte. 2420
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Vgl. Anm. 1908. Die umfangreichste Sammlung befindet sich in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (http://www.hab.de/bibliothek/sammlungen/ bestaende/mss/malerbuecher.htm). Paul Gauguin, Noa Noa (1892–1895). Faksimile hg. Julius Meier-Graefe. München 1926, zuerst erschienen 1897. Vgl. auch „Merahi metua no Tehamana“ (1893/Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 33. Joan Miró/Jacques Prévert, Les Adonides (Paris 1975), Abb. in: Das Buch des Künstlers, a.a.O., S. 57 ff. Antoni Tàpies, Llull-Tàpies (Barcelona/Paris 1973–1985), Abb. in: Das Buch des Künstlers, a.a.O., S. 108 ff. Jim Dine, The Picture of Dorian Gray. A working script for the stage from the novel by Oscar Wilde, with orig. images & notes on the text by Jim Dine. London 1968, Abb. in: ut pictura poesis. Weltliteratur in Malerbüchern der Herzog August Bibliothek, a.a.O., S. 49; Das Buch des Künstlers, a.a.O., S. 132 ff.; Jim Dine. Hg. Wieland Schmied. Katalog 2 der Kestner Gesellschaft, Hannover 1970, Nr. 33 ff., dort auch Entwurfsblätter für „A Midsummer Night’s Dream“ (1966). Abb. in: Poetry Intermedia Künstler Bücher nach 1960, a.a.O., S. 17 f. Abb. in: Bernard Villers. Hg. Guy Schraenen. Katalog. Neues Museum Weserburg, Bremen 1992 (Band 3 – Sammlung der Künstlerbücher). Seit 1988 gibt von Heinz Stefan Bartkowiak in Hamburg herausgegebene Jahrbücher, zunächst unter dem Titel „Kompendium zeitgenössischer Handpressendrucke“, seit 1994 „Forum Book Art“ (http://www.forumbookart.com). Seit 1970 wird die Mainzer Minipressen Messe mit Pressendrucke von Kleinverlegern veranstaltet (http://www.minipresse.de/dokumentation.php). Vgl. auch: Deutsche Buchgestaltung 1960–2000. Katalog des Printing Museum/Tokyo u. GoetheInstitut/ Tokyo. Tokyo 2001.
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Buchkunst Seit 1891 wurden nämlich in der von Morris gegründeten Kelmscott Press in Hammersmith bei London bis 1898 über 50 Bücher produziert, die der „Arts & Crafts“-Bewegung folgend eine Antwort auf die durch die Industrialisierung beeinflusste billige Massenproduktion schmucklos-gewöhnlicher Bücher darstellte. Angeregt von der mittelalterlichen Buchgestaltung, die Morris 1888 während einer Ausstellung der „Arts & Crafts Exhibition Society“ kennenlernte, entstand das Bedürfnis, mit einer eigenen Presse „Schöne Bücher“ zu produzieren, was er bereits von kleineren Privatpressen, z. B. von der 1987 gegründeten Chiswick Press, kannte. In seinen 1893 dargelegten Grundsätzen für das „Ideale Buch“2428 wandte er sich gegen die Überfülle von Ornamentik und Illustrationen und verfocht eine Art von Purismus, der sich auf das klare Bild des Satzspiegels konzentrierte. Die Buchseite sollte nicht nur als einzelne Seite, sondern immer auch im Zusammenhang mit der gegenüberliegenden Seite gestaltet werden, mit gut designter Typografie und angemessen in den Proportionen der Abstände der Buchstaben und Wörter zueinander und des Satzspiegels zum Rand. Morris verwirklichte seine Vorstellungen im Entwurf von drei Schriften (Golden-Type, Troy-Type und Chaucer-Type)2429 und nach vierjähriger Arbeit im Druck der in der Buchkunst bis heute immer noch herausragenden „Canterbury Tales“2430. An diesem Werk hatte auch ein Freund von Morris und Mitarbeiter der Kelmscott Press, Thomas James Cobden-Sanderson (1840–1922), mitgewirkt, der die Bindearbeiten vornahm. Cobden-Sanderson gründete nach dem Tod von Morris 1900 die Doves Press, deren Drucke im Gegensatz zu denen der Kelmscott Press noch reduzierter und puristischer im Hinblick auf Buchschmuck und Illustrationen waren und besonderes Gewicht auf die typografische Gestaltung legten, aus der sie ihre beeindruckende Klar-
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The Ideal Book. Transactions of the Bibliographical Society 1. London 1893, S. 179–186. The Ideal Book, An Address Delivered by William Morris in 1893. New York 1899/1931. Text in: http://www.marxists.org/archive/morris/works/ tmp/ideal.htm. Dt. in: William Morris, Das Ideale Buch. Hg. William S. Peterson. Göttingen 1986, S. 69 ff. In: http://www.klingspor-museum.de/KlingsporKuenstler/Schriftdesigner/Morris/ WMorris.Pdf. The Works of Geoffrey Chaucer. Illustrations by Edward Burne-Jones, engraved on wood by William Harcourt Hooper. Hammersmith/London 1896.
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heit des Satzspiegels gewannen2431. In seiner programmatischen Schrift „The Ideal Book“2432 hob Cobden-Sanderson als Basis der Buchgestaltung insbesondere die Bedeutung der Handschrift hervor und verwies auf Morris, der bevor er Drucker wurde, Schriftkünstler und Handschriftenmaler war, denn das kalligrafische Grundwissen würde zu immer neuen Anregungen auch für die Neuschöpfung von Druckschriften führen.2433 Vor allem aber sei das zu einer Einheit Verschmelzen aller Gestaltungsmittel von zentraler Bedeutung: „Die ganze Art, wie ein geschriebenes Buch zustande kommt, besonders wenn sich in ihm die verschiedenen Arten der Illustrierung, die symbolische und die darstellende, vereinen; wie sich da Buchstabe an Buchstabe, Wort an Wort zu fügen vermag; wie das Bild dem Text und der Text dem Bild sich anschmiegen und wie das Ganze mit dem Gegenstand und der einzelnen Seite zusammenstimmen kann: all das ermöglicht hohen Reiz und Vollkommenheit. Die Schrift ist in Fluß, und Buchstaben und Worte, Bilder, Text und Seite sind als Einheit aufgefasst und sind alle von ein und derselben Hand ausgeführt oder von verschiedenen Händen, die doch unmittelbar an ein und derselben Seite in einander arbeiten auf eine und dieselbe Wirkung hin.“2434 Angesichts der Medienentwicklung um die Jahrhundertwende, der zunehmenden Dominanz von Plakat und illustrierter Zeitschrift, Fotografie und Film, wurden diese Bestrebungen allerdings schnell von lauter werdenden Infragestellungen des Mediums Buch eingeholt, nachdem sich eine gewisse Abneigung gegenüber dem anstrengenderen und langweiligem Lesen zugunsten des reizvolleren und flüchtigeren Sehens entwickelte, was mit der bereits angesprochenen Sprachkrise zusammenhing.2435 So hieß es 1910: „Das trockene Buch ist vom Publikum ad acta gelegt; die Zeitung wird flüchtig durchgeblättert, und abends wird der Bilderhunger im Kino befriedigt.“2436 Und der Verleger S. Fischer klagte: 2431
2432
2433 2434 2435 2436
Vgl. auch ganz ähnliche Äußerungen eines Literaten der Jahrhundertwende in Wien: Richard Schaukal, Vom Geschmack. München 1910 (die erste Auflage erschien 1909), S. 133–140 (Das Buch). T. J. Cobden-Sanderson, The Ideal Book or Book Beautiful: A Tract on Calligraphy, Printing & Illustration and on The Book Beautiful as a Whole. Hammersmith (London) 1900. Dt.: Das Idealbuch oder das Schöne Buch, eine Abhandlung über Kalligraphie Druck und Illustration und über das Schöne Buch als ein Ganzes. Berlin 1921. A.a.O., S. 4 f. u. S. 10. A.a.O., S. 4 f. Vgl. Anm. 1100 ff. Anonym, Neuland für Kinematographentheater. In: Lichtbild-Bühne 111, Berlin (September) 1910, S. 3, abgedr. in: Kino-Debatte, a.a.O., S. 41.
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„das Buch gehört augenblicklich zu den entbehrlichsten Gegenständen des täglichen Lebens. Man treibt Sport, man tanzt, man verbringt die Abendstunden am Radioapparat, im Kino.“2437 In der kleinen Betrachtung „Vereidigter Bücherrevisor“2438 kam Walter Benjamin zu der Auffassung, dass alles darauf hindeute, „dass das Buch in dieser überkommenen Gestalt seinem Ende entgegengeht“2439, und sah in Mallarmés „Coup de Dés“ den Beginn auf das sich verändernde Verhältnis von Buchstaben und Textzeile zur Buchseite, so wie es Malewitsch 1916 in einem Brief an Krucˇonych formulierte: „Möglicherweise gibt es neue Wege, die Lautmassen (die ehemaligen !Wörter") zu komponieren. So reißen wir den Buchstaben aus seiner Zeile, seiner Eindimensionalität, und geben ihm die Möglichkeit, sich frei zu bewegen (…) Folglich kommen wir zu einer räumlichen Verteilung der Buchstaben/Töne ganz wie in der suprematistischen Malerei.“2440 Der Ansatz zu einem Überdenken der alten Buchkultur kam von den Futuristen2441, vor allem von den russischen Kubofuturisten, die sich in Opposition zu der von Beardsley (1872-1898) und Morris beeinflussten Gruppe Mir Iskusstva (Welt der Kunst)2442 auf die Abkehr vom kostbaren Ästhetizismus aufwendiger Dekoration und wuchernder Orna2437
2438 2439
2440 2441
2442
S. Fischer, Bemerkungen zur Bücherkrise, In Die Literarische Welt 43, Berlin (22. Oktober 1926), S. 1 f. Vgl. Anm. 1865. A.a.O., S. 102. Ganz ähnlich äußerte sich schon 1912 Friedell in seinem „Ecce Poeta“ (a.a.O., S. 250 f.) und Raymond Queneau notierte noch 1944: „Man dient einer schlechten Sache, wenn man an die wesensmäßige Überlegenheit des Buches glaubt und jegliche Verbindung mit anderen Ausdrucksmitteln, die von der modernen Technik geliefert werden (Kino, Rundfunk, Fernsehen) ablehnt. Man darf sich nicht einbilden, dass es außerhalb des Buches nichts Annehmbares gibt.“ (Gelesen für eine Front. In: Queneau, Striche, Zeichen und Buchstaben. München 1990, S. 105). Die hinter diesen Äußerungen stehenden und bis heute anhaltenden Prognosen vom Ende des Buches (vgl. Dencker, Mit der Elektronik zurück in die Zukunft, a.a.O., S. 137 ff.) sind vor dem Hintergrund zu bewerten, dass schon immer mit dem Aufkommen jeweils neuer Medien die alten als in ihrer Existenz gefährdet erschienen. Malévitch. Hg. Jean-Claude Marcadé. Lausanne 1979, S. 185. Mirella Bentivoglio, Innovative Artist’s Books of Italian Futurism, a.a.O., S. 473 ff. Führende Mitglieder waren: Leon Bakst (1866–1924), Alexandre Benois (1870– 1960), Ivan Bilibin (1876–1942), Sergej Pavlovic Djagilev (1872–1929), Evgenii Lansere (1875–1946), Nicolas Roerich (1874–1947); vgl. dazu: Präprintium, a.a.O., S. 18ff. u. Russian Book Art 1904–2005. Hg. Albert Lemmens/Serge-Aljosja Stommels. Brussels 2005, S. 19ff.
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mentik verständigten. Zwar war auch für diese Gruppe die Handschrift2443 ein wichtiger Bestandteil der künstlerischen Produktion, aber er ging wesensmäßig auf eine andere, sehr weit in der Kulturgeschichte zurückreichende Traditionslinie zurück und besaß im Gegensatz zur nur ästhetisch-kalligrafischen Funktion die neue Aufgabe eines auf die Semantik zurückwirkenden freiheitlicheren Umgangs mit den Buchstaben und ihrer Loslösung aus der Klammer des Satzspiegels. Ähnlich wie die Schriftkunst in China und Japan verkörperte die Handschrift eine Form existentieller Ordnung und Zuordnung. Während sie in China und Japan zur meditativen Selbstfindung und Vervollkommnung des eigen Ich führen sollte, gab es in der russischen Kultur, die seit ihren Anfängen auf die Schrift fixiert war, eine Art Heiligkeitsprivileg der Schrift: „Das geschriebene Wort verfügt über eine besondere Aura des Sakralen, es garantiert Wahrhaftigkeit und Autorität des Texts“2444, was besonders deutlich in der Ikonenmalerei zum Ausdruck kam. Begründet war dies „in einem gewissermaßen ontologischen Privileg dieses Mediums. Der Schrift eignet eine wesensmäßige Nähe zum unsichtbaren Göttlichen, wie es aus den alttestamentarischen und neoplatonischen Monotheismen überliefert ist – !dem Sichtbaren das Unsichtbare vorziehend". In diesem Zusammenhang ist es nicht unerheblich, darauf hinzuweisen, dass die Urszene des christlichen Rußland, die Taufe Kievs im Jahr 988, begleitet wird von einer !Nachahmung" jener Urszene des alttestamentarischen Monotheismus, die Schriftdienst und Bilderdienst als antagonistische Prinzipien instituierte: So, wie der vom Sinai mit den Schrifttafeln zurückkehrende Moses die Götzenbilder zertrümmerte, so zertrümmern die am Dnepr Getauften die Götzenbilder des Perun.“2445 Im Barock veränderte sich der Status der Schrift und damit des Wortes vorübergehend. Dem Verlust der Aura und des Heiligkeitsprivilegs folgte der Glaube an die menschliche Kombinations-und Gestaltungskraft, an erlernbare Regelwerke, wie sie sich in der Emblematik oder den Figurengedichten z. B. eines Simeon Polockij (1629–1680) niederschlugen2446. Die Dominanz von Schrift schwand gegenüber Visualisierungs2443
2444 2445 2446
Charlotte Greve, Writing and the !Subject". Image-Text Relations in the Early Russian Avant-Garde and Contemporary Russian Visual Poetry. Amsterdam 2004, S. 110 ff. Präprintium, a.a.O., S. 8. Präprintium, a.a.O., S. 9. Abb. in: Higgins, Pattern Poetry, a.a.O., S. 147 (Abb. 204) u. Präprintium, a.a.O., S. 12.
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formen mit Schrift. Aber während in Westeuropa damit auch eine sprachkritische Reflexion einherging und schließlich zur Sprachkrise im Wechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert führte, blieb in Russland das Vertrauen in die Sprache. Sie gewann sogar um 1900 in einem religionsphilosophischen und mythopoetischen Symbolismus neue Kraft2447 insbesondere durch die schon in der Magisterarbeit „Die Krise der westlichen Philosophie – gegen die Positivisten“ (1874) geäußertenden Gedanken und in Büchern wie „Die geistigen Grundlagen des Lebens“ (1982–1984) und „Drei Reden zum Andenken Dostojewskis“ (1981–1983) von Vladimir Sergejevic Solovjev (1853–1900). Erst ab 1910 entstand in programmatischer Opposition dazu bei den russischen Futuristen und insbesondere den Kubofuturisten in der Zeit zwischen 1912 und 19172448 das Bewusstsein für die Selbstreferentialität der poetischen Sprache, die sich befreite von der religiös-mystischen und philosophisch-aufklärerischen Ideenhaftigkeit auf dem Weg zur Literaturtheorie des russischen Formalismus. Gegen die kostbare Bibliophilie setzten die Kubofuturisten bewußt einfache Druckerzeugnisse, schlichte Techniken und niedrige Qualitätsmaßstäbe. Vom billigen Papier über die die Bindung ersetzende Faltung bis zur absichtsvoll flüchtigen, wenig schönen und oft fehlerhaften Handschrift entwickelte sich ein Primitivismus2449, der von der traditionellen Volkskunst auf dem Lande beeinflußt war. Und auch 2447
2448
2449
Dirk Kretzschmar, Sprachkritik und literarische Moderne. Ein Vergleich zwischen Russland und Westeuropa – mit einem Seitenblick auf die polnische und serbische Avantgarde. In: Komparatistik. Jb. d. Dt. Ges. f. Allg. u. Vgl. Literaturwissenschaft 2001/2002. Heidelberg 2002, S. 54 ff. u. Aage Hansen-Löve, Der russische Symbolismus. System und Entfaltung seiner Motive. Bd. 2: Mythopoetischer Symbolismus. Kosmische Symbolik. Wien 1998. Compton, The world backwards, a.a.O.; Gail Harrison Roman, The Ins and Outs of Russian Avant-Garde Books: A History, 1910–1932. In: The AvantGarde in Russia, a.a.O., S. 102 ff. u. Greve, Writing and the !Subject", a.a.O., S. 37 ff.; Valeri Scherstjanoi, Welimir Chlebnikow und die visuelle Poesie. In: Bildende Kunst, H. 11, Berlin/DDR 1988, S. 492 ff. berichtet über die Zusammenarbeit von Chlebnikov mit Krucˇonych an kleinen Sammelbänden „knishki“ (Büchlein), die „erinnern an die Formen des !Stichowoj Lubok" (Vers-Lubok). Sie wurden von Krutschonych herausgegeben und sollten die Funktion der !Lubotschnaja literatura" (Lubok-Literatur) übernehmen. Von Hand geschrieben, oft bunt ausgemalt wirkten sie allerdings ulkig, holprig, oft fast unleserlich. Die meisten !knishki" wurden von Natalja Gontscharowa und Michael Larionow illustriert, später von Kasimir Malewitsch und Olga Rosanowa.“ (a.a.O., S. 492) vgl. Bsp. in: The world backwards, a.a.O., bes. S. 17, 77, 103 u. Russian Book Art, a.a.O., S. 45 u. 47. Präprintium, a.a.O., S. 18.
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diese Rückbesinnung auf die Tradition gab es – allerdings nicht mit den gleichen Folgen – bereits bei Mir Iskusstva, deren Motor Djagilev in der ersten Nummer der gleichnamigen Zeitschrift 1898 dazu mit Beispielen aufrief und damit auf Schriftsteller wie Chlebnikov und Künstler wie Malewitsch anregend wirkte.2450 In gewisser Weise ist diese Grundposition nun auch erkennbar und war Voraussetzung im Dienste einer effektiver in die Gesellschaft wirkenden Buchproduktion2451 der den Futuristen nachfolgenden Konstruktivisten: „Während die kubofuturistischen Bücher einen kleinen Kreis von Kunstinteressierten erreichten, richten die konstruktivistischen Künstler ihr Schaffen auf eine massenwirksame Agitation aus, wobei !handwerkliche" Arbeitsweisen (Collagen, Handschriften, Stempeldrucke, Lithografie, Holzschnitt, Linolschnitt) durch neue typografische Verfahren und den Einsatz technischer Medien (Fotografie, Fotomontage) abgelöst werden.“2452 So kam Lissitzky folgerichtig auch zu einem weitergehenden und prinzipiellen Überdenken der Buchform2453 an sich und forderte in seinem Beitrag „Unser Buch“, „solange das Buch noch als handgreiflicher Gegenstand nötig sein wird, d. h. durch selbstlautende oder kinolautende Gestaltung noch nicht verdrängt ist, wir von Tag zu Tag neue grundlegende Erfindungen auf dem Herstellungsgebiet des Buches erwarten müssen, um auch hier das Niveau der Zeit zu erreichen.“ Mit der Änderung der Kommunikation, der künstlerischen Praxis, „der Sprache, 2450
2451
2452 2453
Insofern entwickelte sich die Avantgarde in Russland gerade nicht dem westeuropäischen progressivem Experiment folgend, sondern aus einer Tradition heraus, so Noemi Smolik thesenhaft in einem Vortrag „Russische Avantgarde, eine Absage an das westliche Zentrum“ (1994/ Ms. Archiv Dencker), in veränderter und weiterentwickelter Form gedruckt im Katalog der Hamburger Kunsthalle: Smolik, Die russische Avantgarde im Spannungsverhältnis zwischen Ost und West. In: Chagall, Kandinsky, Malewitsch und die Russische Avantgarde. Hg. Uwe M. Schneede. Ostfildern-Ruit 1998, S. 19 ff. Zur Buchkunst und zum Verhältnis Schrift und Bild in der russischen Avantgarde vgl. auch: Amazonen der Avantgarde, a.a.O., insbesondere die Illustrationen von Varvara Stepanova S. 250 ff. „Das Buch wird zum monumentalsten Kunstwerk, es wird schon nicht nur mehr von den zarten Händen einiger Bibliophilen gehätschelt, sondern von den Armen Hunderttausender gepackt.“ (Lissitzky, Unser Buch. In: Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 364. „Unser Buch“ erschien zuerst in: Gutenberg-Jahrbuch 1926/27. Hg. Alois Ruppel. Mainz 1927, S. 172 ff.) Präprintium, a.a.O., S. 18. Ganz ähnlich Malewitsch, vgl. dazu: Felix Philipp Ingold, Bildkunst und Wortkunst bei Kazimir Malevic. In: Delfin X, 5. Jg., H. 2, Siegen 1988, S. 50 ff.
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in Bau und Art, ändert sich auch die visuelle Erscheinung des Buches.“ Ausgehend von der Idee eines simultanen Buches, das er in DelaunayTerks „La prose du Transsibérien et de la petite Jehanne de France“ sah und der von ihm seit 1908 wahrgenommenen Zusammenarbeit von Malern und Dichtern in Russland, die – wie er ausdrücklich formulierte – zur „visuellen Dichtung“2454 führte, habe die Revolution dazu beigetragen, dass „das traditionelle Buch in einzelne Seiten zerrissen, hundertfach vergrößert, farbig gesteigert und als Plakat auf die Straße gebracht“ und „Staatsgesetze als aufgerollte Bilderbücher und Armeebefehle als broschierte Bilderbüchlein gedruckt“ wurden. Er räumte zwar ein, dass es „heutigen Tages für das neue Buch als Körper keine neue Gestalt“ geben würde, und vielleicht sei „die neue Arbeit im Innern des Buches2455 noch nicht soweit, um sofort die traditionelle Buchform zu sprengen, aber die Tendenz muß man schon sehen lernen.“2456 Zu diesen weitergehenden Veränderungen kam es voerst nicht. Während der Stalin-Ära in den 1920er und 1930er Jahren gab es einen Wandel der ästhetischen Normen, eine Rückkehr zum Tafelbild, zur sakralen Aura des Wortes und untergeordnet-dienenden Funktion des Bildes innerhalb ideologischer Botschaften. „Die restaurative Wende in der Stalin-Ära betrifft auch das Buch. Das steht im Zusammenhang mit einer veränderten Mythologie der Sprache. Hatte die Avantgarde dem !Elementarismus" einer Ursprache gehuldigt, gipfelnd in der Erlösung der Buchstaben aus dem Sinndiktat des Worts, so wird nun dieses sinngarantierende, autoritäre Wort wieder in seine Rechte eingesetzt. Die bereits von der nachrevolutionären Avantgarde bezeugte propagandistische Kraft des Worts wird mit einer Atmosphäre des Sakralen umgeben.“2457 Auch die nach dem Tod Stalins erhofften Freiräume erwiesen sich als zu eng, so dass es zur offiziellen, gedruckten sich nun auch eine inoffizielle, ungedruckte Literaturbewegung entwickelte: Samizdat2458. Und erst hier, im Untergrund konnte wieder mit Büchern, die als Abschriften 2454 2455
2456 2457 2458
Vgl. Anm. 1860. „Topographie der Typografie“, in: Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 360, enthielt acht Thesen, die zuerst erschienen in: Merz 4, Hannover (Juli) 1923, S. 47. Vgl. auch „Typographische Tatsachen“ in: Lissitzky, a.a.O., S. 360 f., zuerst erschienen in der Gutenberg-Festschrift. Hg. Alois Ruppel. Mainz 1925, S. 152 ff. Alle Zitate aus „Unser Buch“, a.a.O. Präprintium, a.a.O., S. 20. Vgl. die vorzügliche Sammlung: Präprintium. Moskauer Bücher aus dem Samizdat, a.a.O.
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Abb. 243: Genrich Sapgir, Der Körper (Sonett), ca. 1975
oder Durchschläge in geringer Auflagenzahl im Selbstverlag hergestellt wurden, angeknüpft werden an die im Futurismus gemachten Erfahrungen und entwickelten Perspektiven, die mit einer neuen Definition der Schriftfläche bis hin zu ihrer Deformation schließlich zu einer Formenvielfalt der Konkreten und Visuellen Poesie führten. „Unter veränderten Vorzeichen wiederholt sich die für das Barockzeitalter beschriebene Konstellation. Vor diesem Hintergrund des abgestorbenen zur Textreliquie erstarrten !autoritären Worts" hat man die Schriftflächen- und Materialexperimente (die russische Version von konkreter und visueller Poesie) zu verstehen.“2459 2459
Präprintium, a.a.O., S. 30.
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Buchobjekte Die Deformation der Schriftfläche war dann auch Teil eines Ausdrucks der wiederaufgenommenen Infragestellung der Buchform. Was sich Lissitzky vorstellte und andeutungsweise z. B. mit der Einführung eines Registers in Majakowskis „Für die Stimme“,2460 begann, entwickelte sich über Formen von Leporellos, Alben und Mappen bis zu Eingriffen in die Buchform selbst (Zerschneidungen, Materialeinfügungen, Deformationen), Plastikbüchern und ganz neuen Textobjekten.2461 So entstanden Buchobjekte und sogenannte taktile Bücher, deren Sinn sich erst in Manipulationen des Betrachters entfaltete. Und damit vollzog sich eine Konvergenz der russischen Entwicklung mit den zum Teil schon früher einsetzenden künstlerischen Produktionsformen anderer Länder2462, wo2460 2461
2462
Abb. in: Präprintium, a.a.O., S. 19, siehe auch Abb. 116. Bsp. in: Präprintium, a.a.O., S. 55 (Genrich Sapgir, Sonett auf Hemd/Handschrift auf Baumwolle, o. J., Abb. 243), S. 61 (Vsevolod Nekrasov, Heute noch alles noch nichts noch/ beschriftetes Möbiusband um den Hals eines Einmachglases, o. J.), S. 85 (Francisco Infante, Anwesenheit. Widmung an das Artefakt/ Leporello, 1979), S. 111 (Dmitrij A. Prigov, Erster Sammelband herausgerissener, herausgezupfter, fortgeworfener, zerknüllter, zerriebener und beschimpfter Gedichte/Text auf bearbeiteten Blättern, 1985), S. 115 (Lev Rubinsˇtejn, Öffnen/17 Briefumschläge mit eingelegten handbeschrifteten Blättern, 1984, Abb. 244). Weitere Bsp. in: Michail Karasik, Buchgarten: Das heutige russische Künstlerbuch. In: Bartkowiaks forum book art. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 14. Ausgabe 1995–96. Hamburg, S. 114 ff. Vgl. Anm. 950 u. die Kataloge mit internationaler Übersicht: ex libris 6. Constructivism & Futurism: Russian & Other. New York 1977; Künstlerbücher. Hg. Peter Weiermair. Frankfurter Kunstverein 1981 sowie einige Spezialpublikationen für Polen: Der Raum der Worte. Polnische Avantgarde und Künstlerbücher 1919–1990. Hg. Piotr Rypson. Wolfenbüttel 1991; Piotr Rypson, Polnische Künstlerbücher in den neunziger Jahren. In: Bartkowiaks forum book art. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 18. Ausgabe 2000/2001. Hamburg 2001, S. 87 ff.; für die USA: Peter Rutledge Koch, Die Geografie der Buchkunst in den USA. In: Bartkowiaks forum book art, ebd. S. 76 ff.; für Tschechien: Blätter und Bücher. Aktuelle Papierkunst aus Tschechien. Bergisch Gladbach 2005; für die ehemalige DDR: Jens Henkel, Künstlerbücher in der DDR. Annäherung an ein Thema. In: Katalog zur 11. Mainzer Minipressen-Messe. Trier 1991, S. 37 ff.; für die Arabische Welt: contemporary Book-Art from the Arab World. Hg. Erich Paproth. Hamburg/Berlin 2004 (CD mit Booklet, hergestellt bei DOCdata/Berlin); für Spanien: Fernando Millán, Notizen für eine Geschichte des Künstlerbuchs, des Objektbuchs und des Buch-Kunstwerks in Spanien (1965–1990). In: printed in spain. Künstlerpublikationen der 60er bis 80er Jahre in Spanien. Hg. Anne Thurmann-Jajes. Bremen 2001 (auch in: http://www.nmwb.de/x_interkat/a_pris/ 3_tex1.htm). Eine sehr umfangreiche Sammlung von Buchobjekten befindet sich
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Abb. 244: Lev Rubinsˇtejn, Vskryt’ (Öffnen), 1984
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bei der heutige Begriff Buchobjekt wohl erst 1934 geprägt wurde, als der Künstler Georges Hugnet (1906–1974)2463 seine Buchbinderei unter dem Namen „Livre-Objet“ eröffnete. Im gleichen Jahr produzierte Hugnet sein erstes livre-objet mit dem Titel „Onan“ (Avec une eau-forte de Salvador Dali. Paris 1934), das im vorderen Buchdeckel zwischen Glasscheiben gefärbten Sand enthielt, wodurch bei Bewegungen Farben und Formen wechselten. 1937 nahm er für Raymond Roussels „Locus Solus“ Baumrinden als Buchdeckel, in denen verglaste Kästchen mit kleinen Würfeln, eine versteinerte Schnecke und ein Glasauge2464 eingelassen wurden. Auf dem Weg zu dem dann in den 1960er Jahren sich sehr variantenreich ausbreitenden Spektrum der Buchobjekte gab es in den 1940er und 1950er Jahren von den Surrealisten Duchamp und Breton ähnliche Versuche2465, die ihren Anfang2466 aber eigentlich schon bei den italienischen Futuristen nahmen, als 1927 das Buch „Depero Futurista“ in der Edition Dinamo-Azari/Milano mit Schraubenbolzen versehen 2463
2463
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2465
2466
im Ruth and Marvin Sackner Archive of Concrete and Visual Poetry, aufgelistet in einem Katalog, Hg. von Ruth and Marvin Sackner, Miami Beach 1986 und erschließbar mit Namen- und Sachregister im Internet: The Sackner Archive of Visual and Concrete Poetry: http://www.rediscov.com/sacknerarchives/. Pérégrinations de Georges Hugnet. Katalog. Musée d’art moderne/Centre Georges Pompidou. Paris 1978, S. 13, Abb. 245. Abb. Von Hugnets Text-BildCollagen in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 168. Zum Motiv des Glasauges vgl. Abb. 246 in: Hubertus Gojowczyk, Gutenberglabyrinth. Buchobjekte, Texte und Situationen seit 1968. Frankfurt a. M 2008, S. 27. Eine Varinate „Neue Nachrichten vom Jahr 1732 und 1733“ (1999/BV 661) in: H. G., The Book as Object. New York 2005, S. 17. Le Surrealisme en 1947. Exposition Internationale du Surrealisme presentee par Andre Breton et Marcel Duchamp. Galerie Maeght, Paris 1947. Zu dieser Ausstellung gab es einen Katalog, auf dessen Einbanddeckel ein weiblicher Busen nachgebildet war. Marcel Duchamp, Marchand du Sel. Paris 1959 (mit Montagen auf dem Buchdeckel). Im 15. Jh. gab es Bücher in Herz-, Kreis-, Dreiecks- oder Lilienformen, Abb. in: Le Livre. Katalog. Bibliothèque Nationale Paris 1976, S. 71 ff. und im 17. Jh. ein Buch, das aus Papierzungen bestand, die auf den Seiten mit Streifen gehalten wurden: R. P. Christophe Leuterbreuver. La Confession coupée ou la Méthode facile pour se préparer aux confession particulières et générales. Paris 1682 ff./ Abb. In: Le Livre, a.a.O., S. 69. Vorformen sind sicher auch die Scherzbücher, die nur äußerlich so aussahen und im Inneren Pistolen, Kartenspiele oder Getränke enthielten, oder Kinderbücher, die es seit dem 19. Jh. zum Aufklappen und Aufstellen und als Verwandlungsbücher (Pop-up Bücher), auch mit beweglichen Figuren durch Ziehstreifen, gab. Schließlich seien noch die sogenannten Materialbücher erwähnt, bei denen die Buchform z. T. gewahrt wird, aber mit Materialien versehen sind, vgl. Anm. 1396.
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Abb. 245: Raymond Roussel/Georges Hugnet, Locus Solus, 1937
wurde2467 und in Savona nach einem futuristischen Plakat (1931) auf Zinnblech 1932 ein Zinnblechbuch2468 entstand. Kalligrafie, Initialenkunst, Buchschmuck und Illustration in ihrer besonderen Verbindung mit Text, sowie Buchkunst und künstlerische Buchobjekte entstanden in den meisten Fällen als Ergebnis von Mehrfachbegabungen, wie sie besonders dann in den Werken der bildenden Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck kamen. Das Zusammentreffen gravierender Veränderungen um die Jahrhundertwende (Aufbruch der Gattungsschemata und Grenzüberschreitungen der Künste, technische Innovationen, Einflussnahme der visuellen Medien 2467 2468
Abb. 247 in: http://colophon.com/gallery/futurism/1.html. Tullio D’Albisola/Flippo Tommaso Marinetti, Parole in libertà futuriste tattili termiche olfattive. Savona 1932. Es folgte ein 2. Zinnbuch: Tullio D’Albisola, L’anguria lirica. Savona 1934. Siehe: Bentivoglio, Innovative Artist’s Books of Italian Futurism, a.a.O., S. 481 ff. mit beiden Abb.
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Abb. 246: Hubertus Gojowczyk, Buch mit zwei Augen (BV 368), 1978
Abb. 247: Fortunato Depero, Depero futurista 1913–1927, 1927
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Fotografie und Film auf die Künste, der durch die Sprachkrise ausgelöste Paradigmawechsel, Selbstreferenz) begünstigte einen Prozeß, in dem die künstlerische Praxis sich zunehmend stärker reflektierend, gesellschaftskritisch, materialbewusster, experimentierfreudiger und in einem Maße Offenheit und Vielseitigkeit in der Wahrnehmung und Produktion entwickelte, wie dies nur auf Grund eines gewandelten und von einer neuen Aufmerksamkeit für alle nur möglichen künstlerischen und nichtkünstlerischen Ausdrucksformen geprägten Selbstverständnisses von Künstler und Kunstwerk möglich war. Unter diesen Voraussetzungen waren auch die in Fragestellung des Bildes, des Bildgegenstandes und der Bildsprache, und damit zusammenhängend gegenläufige Prozesse der Visualisierung von Text und Textualisierung des Bildes, eine notwendige Folge.2469
d) Bild Lingualisierung des Bildes Obwohl sich hartnäckig noch Hinweise halten, dass das Eindringen von Schrift in Werken der bildenden Kunst im Kubismus und dort bei Braque und Picasso erstmals wieder seit der Gotik erfolgte, ist dies – wie sich auch bisher gezeigt hat – nicht nur generell2470, sondern auch im besonderen hinsichtlich der Datierung falsch, für die bisher immer Braques „Le Pyrogène“ (1910) genannt wurde: „Und im Frühjahr 1910 tauchten im Stilleben Le Pyrogène zum ersten Male Schriftzeichen in den kubistischen Bildern auf. Die Lettern bezeichneten in fragmentierter Form den Titel der Zeitung GIL B(LAS). Seit 1911/12 gehörten Schriftzeichen zum festen, charakteristischen Bestand der Gestaltungsmittel der Maler, Let-
2469
2470
„Will man das Eindringen von Sprache in den Kubismus deuten, so muß man auf seine Entwicklung Bezug nehmen. Denn es lässt sich zeigen, dass die Sprachintegration aus einer inneren Konsequenz der Umbruchsformulierungen des Kubismus resultiert. Die Aufnahme des Mediums der Gattung Literatur entstammt einem reflektierten Kunstbegriff der bildenden Kunst.“ (Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 38). „Man braucht kaum daran zu erinnern, dass die Schrift immer wieder zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen in die Werke der bildenden Kunst eingedrungen ist.“ (Paul Seylaz, Die Schrift als Thema und Formelement im Bild. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. XXXI).
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tern als Mittel der Malerei – das hatte es seit den Bildern der Gotik nicht mehr gegeben.“2471 Der Hinweis auf das Eindringen der Schrift in Form von Wortpartikeln aus Zeitungstiteln2472 für die Zeit nach der Jahrhundertwende lässt sich leicht mit dem Hinweis auf die Maler der Nabis widerlegen, die bereits vor der Jahrhundertwende z. B. in ihren Plakatentwürfen2473 mit diesen Elementen gespielt hatten, wie Maurice Denis in „La Dépêche de Toulouse“ (1892) oder Pierre Bonnard in „la revue blanche“ (1894)2474, wobei Schrift nicht nur werbeabhängig, sondern auch frei auftrat „noli me tangere“ (1895/ 96) von Maurice Denis oder in Félix Edouard Vallottons „Theatres Orientaux“ (1901). Auch außerhalb dieser Malergruppe sind Beispiele für die Schrift in der Malerei zu finden: wie die bedruckten Fahnen in „Die Übergabe der Adler auf dem Champs-de-Mars“ (1810)2475 des französischen Neoklassizisten Jacques-Louis David (1748–1825), oder 1870 bei dem Frühimpressionisten Jean Béraud (1849–1935), mit einer Litfaßsäule und lesbaren Wörtern in „Colonne Morris“2476, 1877 bei dem zur frühen praeraffaelitischen Schule gehörigen Maler-Poeten Dante Gabriel Charles Rossetti (1828–1882), der eines seiner Gedichte
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Dietrich Scheunemann, Die Schriftzeichen der Maler – Stilleben der Dichter. Grenzverwehungen zwischen den Künsten um 1910. In: Laokoon und keine Ende: Der Wettstreit der Künste, a.a.O., S. 58 u. 78: „Braque hatte mit der Einführung von Schriftzeichen in die Bilder den Anfang gemacht.“ Nahezu gleichlautend: Paul Seylaz, Die Schrift als Thema und Formelement im Bild. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. XXXI. Vgl. auch Faust, a.a.O., S. 47 u. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 8 ff. Wescher, Die Geschichte der Collage, a.a.O., S. 17: „Ab 1910 finden sich bei Braque in der abstrakten Bilderwelt auch Druckbuchstaben und Ziffern, die 1911 entschiedener und systematischer in Erscheinung treten. Auch Picasso nimmt sie bald in seine Bilder auf. Es sind meist zerstückelte Worte von Zeitungstiteln oder Plakaten, die an scheinbar beliebigen Stellen in die Bilder eingesetzt sind.“ Neben der Geschichte des Plakats wäre auch eine Betrachtung künstlerischer Buchumschläge, Schallplattenhüllen, Kofferaufkleber usw. im Hinblick auf Text/ Bild-Beziehungen interessant. Lit. dazu: Touristikplakate der Schweiz. 1880– 1940. Hg. Karl Wobmann. Aarau 1980; Buchumschläge & Schallplattenhüllen. Hg. Kurt Weidemann. Stuttgart 1969; Phonographik. Zum 100. Geburtstag der Schallplatte. Hg. Eberhard Hempel. Hamburg 1987; Helmut M. Bien/Ulrich Giersch, Reisen in die große weite Welt. Die Kulturgeschichte des Hotels im Spiegel der Kofferaufkleber von 1900 bis 1960. Dortmund 1988. Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 80. Abb. in: Michel Butor, Die Wörter in der Malerei. Frankfurt 1993, S. 136. Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 22.
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Visuelle Poesie
als ein gemaltes Blatt im Gemälde „Proserpine“2477 einfügte, 1889 bei dem Impressionisten Gustave Caillebotte (1848–1894), in dessem Bild „Interior“2478 auf der gegenüberliegenden Straßenseite fünf Buchstaben eines vom diesseitigen Fensterkreuz verdeckten Schriftzuges zu erkennen sind, 1902 bei Giacomo Balla (1871–1958) – künstlerisch seit 1910 dem italienischen Futurismus zugehörig – im Bild „Bankruptcy“2479, das Buchstaben als Graffiti auf einer Haustür zeigt, oder bei Mikhail Fedorovich Larionov (1881–1964) in seinem Soldaten-Zyklus (1908–1911)2480 mit einer Vielzahl von Schrifteinfügungen.2481 Diese Beispiele ließen sich leicht vermehren. Weniger formal betrachtet, zeigt sich allerdings für die Zeit nach der Jahrhundertwende, dass die Hereinnahme von Schrift in das Bild als weitere „Sprache“ gegenüber der früher eher dekorativ-ornamentalen und Objekte mit Schrift abbildenden additiven Funktion nun zu einer die gesamte sprachliche, innere und äußere Struktur des Bildes bestimmenden wurde. Nach der von der Literatur ausgehenden Sprachkrise um die Jahrhundertwende, die das neue Sehen und visuelle Ersatzsprachen hervorbrachte, entstand nun eine Art Bildkrise,2482 in der mit einer Wiederentdeckung des Sprachmaterials ganz neue innovative Ausdrucksformen enstehen konnten. „Die Krise der Repräsentation begann in dem historischen Moment, als die Malerei unter dem Druck der Fotografie und dem Lob ihrer vorbildlosen wahrheitsgetreuen Darstellungsweise das Interesse an der Darstellung der sichtbaren Realität verlor und stattdessen die Mittel der Repräsentation selbst – von der Farbe zum Pinsel, von der Leinwand zum Rahmen – zum Thema der Repräsentation machte. Mit van Gogh löste sich die Farbe von ihrer Bindung an das Objekt. Mit seiner reinen, absoluten suprematistischen Farbmalerei verbannte Malewitsch das Objekt aus dem Bild. Zur gleichen Zeit verschwand das repräsentative Ob-
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Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 28. Abb. in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 21. Abb. in: Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 25. Abb. Tanzende Soldaten (1909–10) in: The Avant-Garde in Russia, a.a.O., S. 179. Vgl. auch: Bodo Zelinsky, Text und Bild, Bild und Text in der russischen Avantgarde, a.a.O., S. 287 ff. Vgl. Greve, Writing and the !Subject", a.a.O., S. 51 u. John E. Malmstad, The Sacred Profaned. Image and Word in the Paintings of Mikhail Larionov. In: The Russian Avant-Garde and Cultural Experiment. Ed. John E. Bowlt/Olga Matich. Stanford/CA 1994, S. 153 ff. Vgl. zur Krise des Bildes im frühen 18. Jahrhundert: Reulecke, Geschriebene Bilder, a.a.O., S. 188 f.
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jekt, indem es durch ein reales Objekt ersetzt wurde, das Ready-Made von Marcel Duchamp. 1921 schuf Rodschenko drei monochrome Gemälde als !letzte Bilder". Diese Selbstauflösung der Malerei kann in drei Stufen erklärt werden: zunächst wird in einer Akzentverschiebung die Farbe als Medium der Malerei analysiert und zum Hauptelement vor der Form, wie beispielsweise im Impressionismus und Expressionismus. In einem zweiten Schritt wird Farbe unabhängig, lässt die Gesetze der Lokalfarbe hinter sich und erhält ihren eigenen absoluten Status, Beispiele hierfür sind der Suprematismus und die Monochromie. In einer dritten Bewegung wird die Farbe durch andere Materialien ersetzt, wie beispielsweise Weiß durch Aluminium. Die Oberflächengestaltung ohne Farbe erlaubte es, ungemalte Bilder zu schaffen, erlaubte es, reine Oberflächen aus Holz, Metall, Marmor oder Pappe als Gemälde an der Wand aufzuhängen oder anzulehnen. In dieser Dialektik der Befreiung, die darin bestand, nach und nach die historischen Elemente der Malerei für unabhängig zu erklären (von der Farbe und der Leinwand bis zum Rahmen) und diese absolut zu setzen, wurden nicht nur die Objekte vom abstrakten Bild, sondern letztendlich das Bild selbst verdrängt und vernichtet (leere Leinwände, leere Rahmen), bis zum Ausstieg aus dem Bild.“ In dieser – so Peter Weibel – ikonoklastischen Tradition „steht auch die Ersetzung gemalter Bilder durch Texte. Das materialgebundene objektorientierte Paradigma wurde durch die Einsicht in die linguistische Natur aller künstlerischen Aussagen ersetzt.“2483 So könnte man sagen, dass die durch die Visuellen Medien der Jahrhundertwende im Übermaß hervorgebrachte Dominanz des Visuellen zur Ikonisierung von Sprache/Text führte, zugleich aber dieser Prozeß zur Aufgabe des bisherigen „Sehens“ als natürliche Begründung des Bildes2484 beitrug und durch die zunehmende Form der Lingualisierung ikonoklastischen Experimenten neue Wahrnehmungsfreiräume2485 schuf. 2483
2484 2485
Peter Weibel, Das Ende für das !Ende der Kunst"? Über den Ikonoklasmus der modernen Kunst (2002). In: http://hosting.zkm.de/icon/stories/storyReader$33. Dem zugrunde liegt eine umfassendere Ausführung dieser Gedanken Weibels: Weibel, Von der Verabsolutierung der Farbe zur Selbstauflösung der Malerei. In: Nach der Destruktion des ästhetischen Scheins VAN GOGH MALEWITSCH DUCHAMP. Hg. Matthäus Bachmayer/ Dietmar Kamper/Florian Rötzer. München 1992, S. 151 ff. Faust, Bilder werden Worte, a.a.O., S. 37. Eine ganz ähnliche Entwicklung zeigt sich gegenwärtig durch die Einflussnahme der elektronischen Medien, die Virilio befürchten ließ, dass auf Grund einer zu-
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Abb. 248: Paul Klee, Himmelszeichen über dem Feld, 1924
Diese Lingualisierung läßt sich besonders gut im Zeitraum von 1916 bis 1938 im Werk von Paul Klee nachweisen. Eine chronologische Ordnung ergibt folgende Stufen: – Im Bild erscheint ein noch syntaktisch kompletter Text nahezu linear. Die Größe der Buchstaben und der Verlauf der Wörter bestimmen die Farbverteilung und die Struktur des sonst gegenstandslosen Bildes.2486
2486
nehmenden „Industrialisierung des Sehens“ die natürliche Wahrnehmung der durch Technik prothetisierten weichen müsse. Dazu Kap. VI/5 ausführlicher. „Und ach, was meinen Kummer noch viel bitterer macht“ (1916/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. XXIV), „Hoch und strahlend steht der Mond“ (1916/Abb. in: lettres et chiffres, a.a.O., Nr. 37), „Einst dem Grau der Nacht enttaucht“ (1918/Abb. in: http://german.lss.wisc.edu/~smoeders-heim/gr947/links.htm), „Er küsse mich mit seines Mundes Kuss“ (1921/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 58r).
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– Einzelne Wörter2487 oder plakative Buchstaben und Zahlen erscheinen verteilt im Bild.2488 – Eine nahezu lineare nichtalphabetische Zeichenschrift erscheint über einer Farblandschaft.2489 – Nichtalphabetische Zeichenschriften erscheinen innerhalb einer Struktur von Schreiblinien, linear.2490 – Nichtalphabetische Zeichen verteilen sich unregelmäßig2491 oder regelmäßig als Block2492 und bekommen Hieroglyphen ähnliche Formen.2493 – Es erscheint fortlaufend, linear eine Kunstschrift.2494 – Nichtalphabetische Zeichen und alphabetische Zeichen mischen sich, unregelmäßig verteilt auf koloriertem Hintergrund, wobei einzelne Zeichen erkennbare Figuren bilden.2495 – Auf dem Hintergrund einer Zeitung erscheinen Buchstaben (das ganze Alphabet mit Ausnahme von ein oder zwei Buchstaben) und Zeichen2496, oder nur Buchstaben2497, oder nur Buchstaben auf einem leeren Blatt/Karton unregelmäßig verteilt2498. 2487
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„Wo die Eier herkommen und der gute Braten“ (1921/Abb. in: Sabine Rewald, Paul Klee. London 1989, S. 127). „Schaufenster für Damenunterkleidung“ (1922/Abb. in: Rewald, a.a.O., S. 169). „Villa R“ (1919/Abb. in: Massin, a.a.O., S. 247), „Erscheinung Emils des Vierzehnten“ (1922/ Abb. in: lettres et chiffres, a.a.O., Nr. 39). „Himmelszeichen über dem Feld“ (1924/Abb. 248 in: Paul Klee – Lehrer am Bauhaus. Hg. Wulf Herzogenrath/Anne Buschhoff/Andreas Vowinckel. Bremen 2003, S. 168). „Wasserpflanzenschriftbild“ (1924/Abb. in: Carola Giedion-Welcker, Paul Klee mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek 1961, S. 66), „Figuren Schrift“ (1925/Abb. in: Kathryn Porter Aichele, Paul Klee’s Pictorial Writings. Cambridge 2002, S. 169 f.). „Zeichen verdichten sich“ (1932/Abb. in: James Smith Pierce, Pictographs, Ideograms and Alphabets in the Work of Paul Klee. In: Journal of Typographic Research, Vol. 1, No. 3, Rhode Island 1967, S. 220). „Geheim Schrift Bild“ (1934/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 127), „Schwimmfähiges“ (1938/Abb. in: http://imagesorce.allposters.com/images/mer/KLE254. jpg), „Gesetz“ (1938/ Abb. in: www.kunst-fuer-alle.de/…/18/2/index.htm). „Legende vom Nil“ (1937/Abb. in: http://users.skynet.be/pierre.bachy/klee.html). „Abstracte Schrift“ (1931/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 59), „Urkunde“ (1933/Abb. in: Aichele, Paul Klee’s Pictorial Writing, a.a.O., S. 179 f.). „Werbeblatt der Komiker“ (1938/Abb. in: Rewald, a.a.O., S. 265). „Alphabet I“ (1938/Abb. in: Rewald, a.a.O., S. 264). „Alphabet II“ (1938/Abb. in: Rewald, a.a.O., S. 264). „Anfang eines Gedichtes“ (1938/Abb. 249 in: Paul Klee, Gedichte. Hg. Felix Klee. Zürich 1960, S. 121 u. Schrift und Bild, a.a.O., S. 47), „Alphabet WE“
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Abb. 249: Paul Klee, Anfang eines Gedichtes, 1938
Schrittweise lösten sich sowohl die Linearität der Buchstabenfolgen und Wörter als auch die Syntaktik auf, Farbe und abstrakte Strukturelemte verschwanden. Einerseits entstanden neue, nichtalphabetische Schriften, andererseits nur noch einzelne alphabetische Zeichen, die in ihrer fast zufälligen Verteilung auf dem leeren/weißen Hintergrund Struktur gebend es zum „Bild“ machten. Dabei zeigt sich eine Akzentverschiebung vom Bild-Gedicht zum Gedicht-Bild, von einer vorgegebenen und damit für den Betrachter/Leser inhaltlich nachvollziehbaren geschlossenen Textstruktur, zum offenen Materialangebot nichtalphabetischer/ alphabetischer Zeichen, aus dem erst ein Text und damit ein Sinnzusammenhang erschlossen werden muß. (1938/Abb. in: Jürgen Glaesemer, Paul Klee, Handzeichnungen III. 1937–1940. Bern 1979, Nr. 59), „Alphabet AIOEK“ (1938/Abb. in: Kathryn Porter Aichele, Paul Klee, Poet/Painter. Rochester/N.Y. 2006, S. 54 ff.). Vgl. auch: Carlfriedrich Claus, Subjektive Zwischenbemerkungen zu Paul Klee. In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 216 ff.
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So scheinen zunächst in „Anfang eines Gedichtes“ Wörter, Buchstaben und Zeichen beziehungslos und ungeordnet auf dem Blatt verteilt zu sein. Bei näherer Betrachtung ergeben sich aber Zusammenhänge. Den Wörtern ist eine Nummerierung von 1 bis 5 beigegeben, die eine Reihenfolge vermuten läßt, was die Lesung „So fang es heimlich an“ ergibt. Das groß geschriebene S deutet auf einen Satz- oder Versanfang, der sich tatsächlich dann auch im Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach Nr. 37 (BWV 518)2499 findet: „Willst du dein Herz mir schenken. Aria di Giovannini“: Willst du dein Herz mir schenken, So fang es heimlich an, Daß unser beider Denken Niemand erraten kann.
Im weiteren Verlauf des Gedichts wird gewarnt vor allzu großer Offenheit, die Neid und Falschheit auszunutzen wissen. In Verbindung mit dem Sinn dieses Gedichtes und herstellbaren Konstellationen der Buchstaben, die Wörter ergeben, wie LEID, KLEID, EID, ROH u. a. sowie das von Matuschka angenommene Fehlen des J, das auch in den übrigen Alphabetbildern fehlt2500, ließe sich eine auf das Schicksal der Juden gerichtete politische Absicht erkennen. So deutete Matuschka auch die beiden großen nichtalphabetischen Zeichen als Baumstümpfe oder Stammbäume, was ihn vermuten ließ, dass der Buch(stab)enwald die Verrätselung einer Anklage der Judenverfolgung sei. Klee reduzierte also in dem Zeitraum von 1916 bis 1938 die farb- und formenreiche Visualisierung eines geschlossenen Textes. Er kam zur Konkretisierung eines offenen, puristischen Materialangebots von Zeichen, die zu einem sinnvollen (erdachten) Text erst durch die Aktivität des Rezipienten zusammengeführt werden können, eine Form der Optischen Poesie, die auch hier wieder etwas vorweggenommen hat, was sich später in der Konkreten und Visuellen Poesie ausdrücklicher zeigte. Und vieles, was Klee schon ausprobierte, lässt sich dann auch in Werken der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts wieder entdecken. So lassen sich die Arbeiten von 1916 bis 1921 mit dem „Tableau-poème“ (1923) von
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Siehe: http://www.cs.ualberta.ca/~wfb/cantatas/518.html, vermutlich 1730–1733 entstanden, der Textdichter ist unbekannt. Georg Graf von Matuschka, Zeichen und Zeichnung – Gezeichnetes und Bezeichnendes. In: http://www2.hu-berlin.de/museumspaedagogik/forschung/ matuschka/klee.html.
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Visuelle Poesie
Max Ernst2501 vergleichen, oder die Arbeiten seit 1938 mit Beispielen aus den Werken von Guiseppe Capogrossi2502, R. A. Penck oder Keith Haring. Von Robert Delaunay, dessen „L’Equipe de Cardiff “2503 entfernt an die Schrifteinfügungen der Nabis erinnert, Sonia Delaunay-Treks abstrakteren Arbeiten wie „Contrastes simultanés“ (1913)2504 über Joan Miros „tableaux-poème“ „Oh! Un de ces messieurs qui a fait tout ça“ (1925)2505, René Magrittes „Le miroir vivant“ (1926)2506 und Georges Mathieu „Entéléchie carolingienne“ (1956)2507 bis hin zu den Künstlern2508 der Gegenwart – von denen sich einige wie Cy Twombly2509 oder Marcel Broodthaers2510 sehr intensiv, kaum einer aber nicht in irgendeiner
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Vgl. Dazu die beiden Beiträge von: Renée Riese Hubert, The Tableau-Poème: Open work. In: Yale French Studies 67, New Haven/CT 1984, S. 43 ff. u. Max Ernst, Die Verdrängung des Visuellen und des Verbalen. In: Bildlichkeit, S. 192 ff. (beide mit Abb.). „Superficie No. 82“ (1955/Abb. In: Schrift und Bild, a.a.O., S. 35). Es gibt mehrere Versionen von 1912 bis 1922: http://www.museumsyndicate.com/item.php?item=1781; http://www.national galleries.org/media_collection/4/GMA%202942.jpg; http://www.globalgallery. com/enlarge/023–31316/; http://francoisquinqua.skynetblogs.be/category/954837 /1/Delaunay; http://www.sport.uni-stuttgart.de/inspo/index.php?id=1949. Abb. in: lettres et chiffres, a.a.O., Nr. 20. Hubert, The Tableau-Poème, a.a.O., S. 44 ff. Vgl. „Der Körper meiner Brünetten …“ (1925/26, Abb. in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 7). Abb. in: lettres et chiffres, a.a.O., Nr. 52. Interessante Nachwirkungen dieser Arbeit finden sich bei Zdeneˇk Marek (1905–1987) „Bez Nazvu“ (1940–1950) und Paola Levi Montalcini „Scrittura su scrittura“ (1958/Abb. in: La Biennale di Venezia 1978. Settore arti visive e architettura: materializzazione del linguaggio. Hg. Mirella Bentivoglio. Venedig 1978, S. 32). Vgl. auch zu Magritte: Sandra Koch, Die nackte Maske: Bild-Text-Beziehungen. In: Bild im Text – Text im Bild. Hg. Ulla Fix/Hans Wellmann. Heidelberg 2000, S. 409 ff. u. Laurie Edson, Das Durchbrechen der Konvention: Sprachliche und bildliche Darstellung von Alltagsobjekten bei Francis Ponge und René Magritte. In: Bildlichkeit, a.a.O., S. 254 ff. Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 303. Dies betrifft auch Schriftsteller wie z. B. Henry Miller, der sich in die japanische Sängerin Hiroko (Hoki) Tokuda verliebte und 1966 vor dem Hintergrund dieser Liebeserfahrung Aquarelle mit integrierter Schrift malte/schrieb: Henry Miller, Insomnia oder Die schönen Torheiten des Alters. Frankfurt 1975, Abb. 250 S. 47. Martina Dobbe, Buchstäblich Bild. Zur Schriftlichkeit des Bildes jenseits der Schrift – Cy Twombly, in: Über den Umgang mit der Schrift. Hg. Waltraud ‚Wara‘ Wende. Würzburg 2002, S. 276–301. Rainer Borgemeister, Marcel Broodthaers. Lesen und Sehen. Hg. Ulrike Grossarth/Tyyne Claudia Pollmann. Bonn/Berlin 2003.
Abb. 250: Henry Miller, Insomnia #5, 1966
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Weise mit Schrift beschäftigt hat2511 – gibt es ein fast unübersehbar variantenreiches Spektrum der Text-Bildbeziehung2512, die sich auch in vielen Techniken niederschlug, wie etwa in den Schadografien von Christian Schad2513, in den Foto-Montagen von Yuri Rozhkov2514, den Collagen von Kurt Schwitters2515 und Jirˇí Kolárˇ2516, den Decollagen von Wolf Vostell2517 und Mimmo Rotella (1918–2006)2518, den Alchimagen und Froissagen von Ladislav Novák2519 oder den Assemblagen von Robert Rauschenberg2520. In all diesen Fällen von Optischer oder gar Visueller Poesie zu sprechen, wäre allerdings leichtfertig und in den meisten Fällen unzutreffend. Schrift in der bildenden Kunst2521 ist formal und inhaltlich zunächst Bestandteil eines Werks der bildenden Kunst. Zur Formensprache und Farbensprache tritt eine neue Zeichensprache, die das Ausdrucksspektrum des Werks erweitert. Erst in der Grenzüberschreitung, in einer 2511
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in other Words. Wort und Schrift in Bildern. Hg. Anna Meseure. Dortmund 1989; Bilder mit Worten. In: das kunstwerk 1/XLIII. Stuttgart 1990; Wort und Weise. Hg. Kay Heymer. Köln 1999; Talking Pieces. Text und Bild in der neuen Kunst. Hg. Gerhard Finckh/Ute Riese. Leverkusen 2003 u. Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O.; vgl. auch mehrere Beiträge in: Kunstforum Bd. 102, Köln 1989. text-image. Hg. Museion – Museum für Moderne Kunst Bozen/Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto/Musée des beaux-arts, La Chaux-de-Fonds, 1999; Katalog der eindrucksvollen Ausstellung „text-image“ (1999/2000), aus den Beständen des Museum, dessen Sammlungs-Schwerpunkt die Text-Bild-Beziehung ist. Abb. 251 in: Christian Schad. Basel 1972, S. 87, hier auch weitere Bsp. u. „MOMA IN MOMA“ (1918/Abb. In: Christian Schad. Hg. Matthias Eberle. Berlin 1980, S. 236), „Die Auserwählte“ (1962/Abb. in: Schad, a.a.O., S. 237). Abb. 252 in: Mayakovsky: Twenty Years of Work, a.a.O., S. 46, vgl. Anm. 107. Bsp. „Das Undbild“ (1919/Abb. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 43), „Mzz. 62 Zeichnung teig“ (1920/Abb. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 49), „Siegbild“ (1920/25/Abb. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 54). Prˇíbeˇhy Jirˇího Kolárˇe, a.a.O., S. 97, 117, 156 u. a. „Ihr Kandidat“ (1961/Abb. in: http://hdg.de/lemo/objekte/pict/KontinuitaetUnd Wandel_decollageVostellIhrKandidat/index.html) „Cinemascope“ (1962/Abb. in: Moderne Kunst. Die Kunst des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart im Überblick. Hg. Ulrich Wilmes. Köln 2006, S. 242). „Metamorphose“ (1970/Abb. in: Anatol Brusilowsky/Ladislav Novák. Katalog, Galerie R/ Johanna Ricard. Nürnberg 1976, o. P. u. Valoch, Promeˇny Ladislava Nováka, a.a.O., Abb. 253 S. 173. „Yellow Moby Glut“ (1987/Abb. in: http://www.daylife.com/photo/Obvj5sH5 lg4XI. Eva Maltrovsky, Die Lust am Text in der bildenden Kunst. Frankfurt 2004.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 251: Christian Schad, Schadographie, 1918
Art Gattungsnegierung, bei der weder die eine noch die andere Gattungsphysiognomie mit ihren am Kunstkanon orientierten Konstituenten durchschlägt, erfolgt ein Wechselspiel2522, eine Fusion aus herkömmlichen und neuen Elementen der bildenden Kunst und denen des literarischen Entwurfs, so ineinandergreifend strukturbestimmend, dass ein Drittes, erkennbar neues, gattungs-unabhängiges poetisches Gebilde entstehen kann, wie dies z. B. vielfache Formen der Skripturalen Malerei erkennen lassen.
2522
„What is painting? Well, it is literature. What is literature then? Well, it is painting. What is the rest? The rest is demotion.“ (Marcel Broodthaers. London 1980, S. 27).
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Visuelle Poesie
Abb. 252: Yuri Rozhkov, To the workers of Kursk who extracted the first ore. A provisional memorial of the work of Vladimir Mayakovsky, 1924
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Abb. 253: Ladislav Novak, Neznámé objekty zvlásˇtního vy´znamu, 1973
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Skripturale Malerei Dabei ist nicht die Fusion an sich ausschlaggebend, sondern deren Struktur bildende Qualität. Die „Schriftstudien“2523 von Ernst Schneidler (1882–1956), die Buchstabenbilder2524 von Fernand Léger (1881–1955)2525, Otto Möller (1883–1964)2526 und Jo Lindinger (1907–1995), die „painted poems“ von Kenneth Patchen2527, die gemalten Wortbilder von Dieter Krieg (1937–2005)2528 oder die „Poesia Typographica“ von Josua Reichert (1937)2529 weisen zwar auf ganz unterschiedliche Weise eine Fusion von alphabetischen Zeichen und malerischen Elementen auf, bleiben aber Werke der bildenden Kunst, weil die Erweiterung auf der semantischen Ebene deutlich hinter der ästhetischen zurückbleibt, weil – was Mon schon für die Kubisten feststellte – Schrift ihrer Vermittlerrolle entfremdet wurde und statt auf einen Lautzusammenhang zu verweisen, bei Hinzugewinnung einer optischen Dimension als eigenes Darstellungsmittel in einen Bildzusammenhang geriet.2530 Dagegen sind die Fusion von Text und Bild z. B. in den Bildgedichten von Teige2531 einerseits und die „Schrift-Graphiken“2532 von Schneidler, besonders die Erfindung sogenannter „abstrakter Schrif-
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„Schriftstudie-Farbraster“ (1924/Abb. in: http://www.index.php?m=Kb&Kid=477. Jo Lindinger, Schrift + Bild. Hg. Curt Heigl. Nürnberg 1981. Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 43. Bsp. „Stadt“ (1921), Abb. in: Die Kunst zu werben, a.a.O., S. 264. Eckhard Hammel, Fusion Art. Anmerkungen zu einem „painted poem“ von Kenneth Patchen (1993). In: America – the other side. West Coast Art im Umfeld der 60er Jahre. Katalog. Neuss 1993, S. 67ff. u. Abb. in: http://www.concentric. net/~lndb/patchen/kpc02.htm. Vgl. http://www.dieter-krieg.de/index.php?menuid=3 und hier auch die Werkübersicht. Waltraut Pfäfflin/Klaus Maurice, Josua Reichert. Werkverzeichnis 1959–1995. Ostfildern-Ruit 1997. Poesia Typographica: „Das war der Anfang einer Poesie ohne Sprache, aber mit Schrift und Buchstaben, welche mich, den Drucker interessierte. Grieshabers Buch von 1956 mit demselben Titel gab dieser Werkgruppe ihren Namen. Mit konkreter Poesie hat meine !Poesia Typographica" nichts zu tun.“ (a.a.O., S. 12) Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 59. Vgl. dazu auch: Johannes Itten, Schriftblatt nach Jakob Böhme ‚Einatmen, ausatmen‘ (1922/Abb. in: Bauhaus, a.a.O., S. 90; Gruss und Heil den Herzen (…) [1921], S. 123 u. Alles in Einem [1922], S. 241). Vgl. Anm. 63 u. 1842 u. Abb. 5. Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 58.
Text als Figur – Text im/als Bild
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ten“2533 andererseits, auf dem Weg zu einer Optischen Poesie anders zu bewerten. Die Fusion, das Ineinanderverschränken von einzelnen Textpartikeln und form- und farbgebenden Elementen der bildenden Kunst bestand aus identifizierbaren und damit zuordnenbaren Versatzstücken, deren Symbiose aber eine semantische Einheit bildet, die weder Gedicht noch Bild, sondern in der Diktion von Teige Bildgedicht ist: „Wir setzen fort, was Mallarmé und Apollinaire angedeutet hatten, wir sind über die neue typographische Montage des Gedichts zum neuen Gebilde des Bildgedichts, des Lyrismus der Bilder und Wirklichkeiten gelangt (…) Zur Fusion der Dichtung, die von der Literatur befreit ist, und des Bildes, das durch den Kubismus von der Abbildung befreit wurde; zur Identifizierung des Dichters und Malers; durch diese Identifizierung endet die Geschichte der Malerei; der Malerei in jenem Sinn und jener Funktion, die sie im Mittelalter besaß, die Malerei als abbildendes Gewerbe wird zum Untergang verurteilt.“2534 Paralellel dazu gab es mit den bereits erwähnten Versuchen, ganz aus der Schrift, aus der Handschrift, über die Kalligrafie, die Initialenkunst und Graffiti andere Möglichkeiten der Visualisierung von Text zu entwickeln, einen Anstoß, neue bildhafte Strukturen aus lesbar-bekannten Schriftsystemen oder erfundenen Kunstschriften und Zeichenmaterialien zu erfinden. Es war das Entstehen einer transverbalen Literatur im Zwischenraum zwischen Text und Grafik, die ein neues „bildnerisches Denken“2535 erschloß. „Die Referenz dieser Texte ist die Sprache, in der Verweigerung des Als-Sprache-Funktionierens aber geschieht der Umschwung zum Ausdrucksmedium Bild. Jede Linie, jede Strichdicke, jede Krümmung, jeder Kompositionsaspekt ist Träger bestimmter, subjektiv interpretierbarer Ausdrucksqualitäten. Das Wahrnehmungsschema Sprache ist zerbrochen, das Wahrnehmungsschema Bild musste sich aus der Tradition der Malerei her entwickeln – aus den Formen einer expressiven abstrakten
2533
2534 2535
Ein Begriff der bereits von Klee (vgl. Anm. 2494) und von Mon in den 1960er Jahren sowie von Schneidler im Katalog „Schrift und Bild“ (a.a.O., S. 59) gebraucht wurde und den Valeri Scherstjanoi in den 1980er für seine Arbeiten benutzte. Zur Diskussion des nicht unumstrittenen Begriffs vgl. Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 117 ff. Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 88; vgl. auch Anm. 63. Zwischen Schrift und Bild. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 2/3, Nürnberg 1971, o.P.
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Malerei, der zweiten großen Strömung nicht-gegenständlicher Malerei neben der geometrisch-konkreten Kunst: Tachismus oder Informel einerseits und !Abstrakter Expressionismus", Gesten-Malerei andererseits.“2536 So entstanden Arbeiten, die Bowles von der Visuellen Poesie getrennt wissen wollte und language art2537 nannte, die ihre Physiognomie und innere Dynamik vor allem durch den handschriftlichen gestischen Duktus2538, bestimmt durch unterschiedliche Bewegungen etwa der Finger, der Hand, des Armes usw., erhielten, in besonderen Fällen geleitet durch das automatische Schreiben (in der Nachfolge der écriture automatique)2539, Formen der Skripturalen Malerei,2540 die in reiner Form – denn natürlich gab es auch hier Mischformen2541 – auf bildhaftes Zeichenmaterial verzichteten und die z. B. in Schneidlers Schrift-Graphiken von der „individuellen Verrätselung von Schrift“ bis zur „frei erfundenen Schrift, die unbekannte Texte ahnen lassen“2542, reichten. Von Gerhard Rühm, in dessem Werk die Schrift-Zeichnungen einen großen Raum einnehmen2543, stammt ein Katalog mit diversen Herstellungsmöglichkeiten solcher Arbeiten:
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Weiß, Seh-Texte, a.a.O., S. 185. This Book is a Movie: An Exhibition of Language Art and Visual Poetry. Ed. Jerry G. Bowles/Tony Russell. New York 1971, S. 8: „Structured language is presented under many lables, none of them completely satisfactory. Consider those areas called concrete, conceptual, visual, found; all refer to specialised areas of language-structure experimentation. But none of them describe the movement as a whole. A better label might be simply !language art", a term that seems broad enough, to cover all the activities now underway.“ „Schrift ist nicht mehr nur Zeichen für Laute, sondern Vollzug einer semantische und ästhetische Momente umgreifenden Schreibbewegung.“ (Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 55), siehe auch die Fortsetzung des Zitats Anm. 2360 ff. Dazu wichtig auch der Essay von Roland Barthes aus dem Jahr 1973: R. B., Variations sur l’écriture. Mainz 2006 (französisch-deutsche Ausgabe). Siehe die Beispiele in Tecken, a.a.O., S. 78 ff. von Hans Hartung (1904–1989) und Jean Degottex (1918–1988). Ein sehr frühes Beispiel: André Masson „Soleils furieux“ (1925/Abb. 254 in: Morley, Writing on the Wall, a.a.O., S. 90). Vgl. Anm. 1903. Die durch Einfügungen bildhafter Materialien die Grenze zum Bildgedicht (wie es Teige beschrieb), bzw. zur Visuellen Poesie überschritten. Mon, Schrift als Sprache, a.a.O., S. 58. Rühm, Visuelle Poesie, a.a.O., S. 127 ff., Abb. 255 in: Rühm, Gesammelte Werke, 2.1, a.a.O., S. 397. Eine ganz ähnliche Arbeit „überquellender brief “ (1975) in: Rühm, Visuelle Poesie, a.a.O., S. 154.
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Abb. 254: André Masson, Soleils furieux, 1925
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Abb. 255: Gerhard Rühm, ausblutender brief, 1975
„ich arbeite – mit pausen – seit 1956 an handschriftlichen bildern. das arsenal der in die arbeit eingebrachten und aus ihr entwickelten ausdrucksformen hat sich dabei ständig erweitert. um nur einige punkte zu nennen: grafische fixierungen in verschiedenen psychischen gestimmtheiten (wie erregung, müdigkeit, gelöstheit, widerstand), unter dem einfluß von rauschmitteln, bei konreten äußeren einwirkungen (gestoßen, gerüttelt werden usw.), in verschiedenen stellungen (liegend, sitzend, stehend, in bewegung), mit verschiedenen körperteilen (linke hand, beide hände gleichzeitig, füße, mund, am körper befestigte schreibgeräte), differenzierungen durch verwendung verschiedener materialien (stift, feder, kugelschreiber, kohle, kreide usw., verschiedener papiersorten, holz, gips usw.), manifestationen des unbewußten durch psychische automatismen (!mediale" produktionen), einbeziehung von zufallsprodukten,
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visuelle und semantische inbeziehungsetzung zu bestimmten bildmotiven (fotos, die emotionale und inhaltliche assoziationen auslösen), arbeiten mit handschriften anderer und mehrerer personen (!briefbilder" usw.).“2544 Auch wenn sich auf Grund eines solchen Katalogs eine gewisse Ordnung verschiedener Ausdrucksformen anzubieten scheint, ist eine darauf fußende Systematik kaum sinnvoll. Herstellungshinweise sind den Arbeiten in den seltensten Fällen beigefügt und grenzen die von solchen Arbeiten geforderte Interpretationsoffenheit des Betrachters eher ein. Am Ende ist es nicht wichtig, wie eine Linie entstanden ist, sondern was ihre besondere Existenz ausmacht: „Die Linie und deren Ablauf als Erfahrungsmitteilung des Malers hat ihren graphischen Verlauf im bisherigen Sinne eingebüßt, ihre Existenz ist nur noch die Spur, die der Maler hinterlässt, der nachzufolgen Aufgabe des Betrachters ist. Buchstaben, Chiffren, Zeichen und Schriften haben die Umgrenzung der 26 Buchstaben des Alphabets verlassen.“2545 „Jede Linie ist also die tatsächliche Erfahrung mit der ihr jeweils angeborenen Geschichte. Sie illustriert nicht – sie ist die Empfindung ihrer eigenen Verwirklichung.“2546 So führt zwar eine Unterscheidung in lesbare (alphabetische) und nicht lesbare (nicht-alphabetische) Schriften auf der einen Seite zunächst zu schneller verständlichen Arbeiten vor dem Hintergrund bekannter Schriftsysteme, berücksichtigt aber nicht die generelle Lesbarkeit – auch auf der anderen Seite jedes, auch des verrätselnden oder erfundenen Schriftsystems –, die immer gepaart ist mit der Suche nach verstehbaren Mitteilungen. „Die Schrift ist in der Malerei zur Interpretation von nicht sichtbaren Gedichten geworden, Gedichte, die überlagert sind durch Interpretationszeichen und Signale, die den Betrachter in das Bild einführen. Die Form des Buchstabens lässt sich wie ein Schwamm zu2544
2545
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Schriftzeichnungen. In: Gerhard Rühm, TEXT – BILD – MUSIK ein schau- und lesebuch. Wien 1984, S. 133f. Der Beitrag wurde 1974 für Ausstellungen in der „Galerie S. Press“ (Hattingen-Blankenstein) und „Galerie Klein“ (Bonn) geschrieben. Weitere Beiträge Rühms zu den Schriftzeichnungen siehe: Rühm, Gesammelte Werke, 2.1, a.a.O., 742ff. („schriftzeichnungen, frottagen, briefbilder“ u. „automatische schriftzeichnungen und skripturale meditationen“); Abb. „Schriftzeichnungen“ S. 297–540, „automatische schriftzeichnungen“ S. 541–580. Rolf-Gunter Dienst, Informelle Schriften. In: das kunstwerk 10/XVI. Baden-Baden/Krefeld 1963, S. 24. Cy Twombly in: Esperienza moderna 2, 1957, zit. nach: Italienische Kunst des 20. Jahrhunderts. Katalog Städtische Galerie, Bochum 1968, S. 70.
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sammendrücken, lässt sich kneten und verformen – es ist dann an dem Künstler, diese Schriften zu Bildzeichen werden zu lassen. – Durch diesen Umwandlungsprozeß entfernt der Maler den Unrat, der sich im Laufe der Zeit an den Buchstaben festgesetzt hat und entwirft gleichzeitig sein eigenes Alphabet, das seiner persönlichen Dichtung entspricht.“2547 Insofern liegt es näher, diesen Umwandlungsprozeß zu verfolgen, um dadurch neu entstehende individuelle Ausdruckswerte zu ermitteln. Dies zeigt sich schon in der Anwendung des gewohnten alphabetischen Schriftsystems durch Ben Vautier (1935) oder Dieter Rühmann (1939) in ihren Reflektions- und Mitteilungstafeln. Vautiers von der Ich- in die EsPosition gerückte Reflektion der Kunst über die Kunst und den Kunstbetrieb2548, deren handschriftliche Fixierung einer Schönschreibübung gleicht, um gerade damit gegen die das Ich ausmachende besondere handschriftliche Charakteristik die neutrale Linienführung einer Kunstfigur zu setzen, gleicht in gewisser Weise Rühmanns existentiellen Selbstbefragungen und Bekenntnissen, wenngleich hier die größere Unregelmäßigkeit der Schriftspur, Einfügungen und Streichungen stärker auf den Künstler selbst als auf eine mit einer bestimmten Funktion ausgestatteten Kunstfigur zurückverweisen. In beiden Fällen gelingt dies nicht, wenn die Texte in Druckbuchstaben gesetzt würden, „weil dann das Kommunikationssystem gestört ist“.2549 Als ein besonderes Element dieses Kommunikationssystems kann auch die von Jochen Gerz benutzte linkshändige Spiegelschrift2550 betrachtet werden. Sie ist lediglich für einen geübten Betrachter lesbar und 2547 2548 2549 2550
Dienst, Informelle Schriften, a.a.O., S. 4. Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 81 f. Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 84. „Das Manuskript entstand im Frühjahr (1976) innerhalb von 51 Tagen, die ich meist ohne jede Ablenkung (8 Stunden gleichmäßig verteilt schreibend) allein verbrachte. Es ist seitenverkehrt geschrieben. Ich bin ursprünglich linkshändig und bin damit (wie auch in den Foto/Texten seit 75 [Abb. siehe: Dencker, 4 Bildgeschichten, a.a.O.]) zu einem vorschulischen Zustand zurückgekehrt. Das Manuskript ist absolut unkorrigiert sichtbar als Teil der Arbeit im Pavillon (37. Biennale Venedig 1976/Deutscher Pavillon) („schreiben wie atmen“) auf dafür hergestellten Lesepulten. An Kettchen sind mehrere Bücher der typografischen Buchversion befestigt. Die Wärter halten allerdings auch Spiegel für besonders interessierte Betrachter bereit.“ (Brief an Dencker v. 25. 8. 1976 zur Installation „Die Schwierigkeit des Zentaurs beim vom Pferd steigen“, in: Dencker, Materialsammlung zum Gerz’ Zentaur. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 15/16, Nürnberg 1977, o. P.). Vgl. auch die umfangreiche Dokumentation zum „Zentaur“ in: Biennale 76 Venedig. Deutscher Pavillon. Beuys Gerz Ruthenbeck. Hg. Klaus Gallwitz. Frankfurt 1976, S. 69ff.
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entschlüsselt sich nur dem Lesenden jenseits des beschriebenen Blattes gegen das Licht, bzw. dieseits des Blattes über einen Spiegel. Diese und andere Spiegelschriften von Gerz2551 sind allerdings – im Gegensatz zu anderen Schriftzeichnungen von ihm2552 – nicht mit den Arbeiten von Vautier und Rühmann vergleichbar, weil es sich hier nicht um Skripturale Malerei handelt, sondern um handschriftliche Manuskripte, deren Mitteilungen zwar (oft versetzt mit Skizzen zu den Installationen) als individuelle Schreibspur Authentizität und eine noch stärkere Nähe zum Autor entwickeln als bei Vautier und Rühmann, aber jene, das Schriftbild der Skripturalen Malerei ausmachenden Elemente fehlen, die bei anderen, die Spiegelschrift einsetzenden Künstlern, wie etwa in den Löschblatt-Arbeiten von Bingemer, zu erkennen sind.2553 Dennoch gibt es neben der Verschlüsselung bei Gerz ein weiteres Element, das auch bei Künstlern der Skripturalen Malerei eine große Rolle spielt: die Wahrnehmung und Dokumentation von Zeit. „Der Ort ist die Zeit“2554 ist in einer Schriftzeichnung von Gerz zuerst blaß, kaum sichtbar, dann noch einmal klar erkennbar, etwas nach unten versetzt, darüber geschrieben, zu lesen. Dieses Wechselspiel der Verzeitlichung von Raum und Verräumlichung von Zeit gepaart mit der Divergenz von Lese-, Schreib- und realer Zeit drückt sich am deutlichsten in den Arbeiten von Hanne Darboven (1941–2009) aus, die seit den 1960er Jahren ein Konzept zur Fortschreibung von Zeit entwickelte, in Beziehungsnetzen von Ziffern und Zahlwörtern wie in „Schreibzeit“2555, oder auf wortlose Strichreihen reduziert, wie in der mehrere DIN A 4-Bände umfassenden Chronik „Jahr 70“.2556 U. G. Stikker (1925) schrieb „to think it over“ auf zwei 50 × 65 cm großen Blättern mit den Titeln „imprint“ und „black out“,2557 auf dem einen mit 2551 2552
2553
2554 2555 2556
2557
Weitere Beispiele in: Gerz, Get out of my lies. Wiesbaden 1997. Vgl. die Arbeiten in: Gerz, Die Beschreibung des Papiers. Darmstadt 1973. Vgl. dort (S. 144 ff.) die Arbeit „Schreiben mit der Hand …“ (die Aktion auch in der TV-Dokumentation: Dencker, der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O.) mit der Text-Aktion von Timm Ulrichs „in worte gekleidet“ (1980/Abb. in Ulrichs, Totalkunst: Angesammelte Werke, a.a.O., S. 14 ff.). Vgl. (Karl B.) Soleils furieux Buja Bingemer (1927–1989/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 105), Anton Heyboer (1924–2005/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 32), Germana Arcelli (1941) und Roberto Comini (1945) (Abb. in: Renato Barilli, Parlare e Scrivere. Macerata 1977, S. 30–34 u. Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 12). Gerz, Die Beschreibung des Papiers, a.a.O., S. 31. Darboven, Schreibzeit. Hg., Kunstverein in Hamburg. Hamburg 1983, Abb. 256 S. 5. Abb. in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 12 u. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 359. Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 134 f.
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Abb. 256: Hanne Darboven, Schreibzeit (1 Blatt), 1983
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Tusche, auf dem anderen mit Kugelschreiber. Beide Blätter beginnen in der ersten Zeile mit einem blassen „to think it over“, in der zweiten Zeile fogt eine einmalige Wiederholung, in der dritten Zeile eine zweimalige Wiederholung und so fort bis zur sechste Zeile. In der siebten Zeile wird nur noch an die inzwischen fünfmaligen Wiederholungen „to think“ angefügt, und dann folgen jeweils noch 56 Wiederholungen der siebten Zeile untereinander, wobei von der blassen ersten Zeile bis zur letzten Zeile die Schrift immer kräfter, intensiver, breiter, ja im zweiten Blatt fast unleserlich verschwommen wird: „There are a few major results of continually !thinking something over", one is !imprint", literally visualized here by an engraving pen, a cause of imprisoning in canalization; another is !black out", literally visualized here by a running pen.“2558 Schreib- und Lesezeit verhindern das Denken: „black out“. Einem ähnlichen Prinzip nur umgekehrt, nämlich dem des Verblassens als Metapher für die vergehende Zeit, folgt Roman Opalka (1931) noch konsequenter. Seit 1965 arbeitet er an der Serie „1965/1 – unendlich“. Er malte mit 1 beginnend fortlaufend Zahlen auf gleich große Leinwände (196 × 135 cm) und nannte die einzelnen Bilder „Details“.2559 Zunächst malte er weiße Zahlen auf schwarzem Grund.2560 Seit der Zahl 1000000 wurde der Grund mit jedem Bild um ca. 1 % Weißanteil aufgehellt. 2007 war die Zahl 5560000 erreicht und „Detail 227“ noch sehr kontrastreich, so dass nicht abzusehen ist, wann Zahlen und Grund weiß in weiß erscheinen werden. Während der Arbeit an den „Details“ dokumentiert er auf Tonband was er malt, und am Ende eines jeden Arbeitstages fotografiert er sein Gesicht mit gleich bleibend neutralem Gesichtsausdruck über eine fest installierte Kamera. „Der Ausgangspunkt dieser Idee war die verrückte Entscheidung, sich selbst mit der Zeit zu messen, eine Idee, die man auch definieren könnte als eine Geste der Determination, als der einzige Weg des vergeblichen und absurden Protestes gegen das Vergehen der Dinge, deren man sich bewusst ist (…) Der Künstler hat den Kampf gegen 2558 2559
2560
Stikker in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 134. Verschiedene „Details“ in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 42 ff.; Sprachen jenseits von Dichtung, S. 109; lettres et chiffres, a.a.O., o. P.; Tecken, a.a.O., S. 144. Als „Mental Exercise“ bezeichnete Mel Bochner (1940) seine fortlaufenden Zahlenreihen (schwarz Zahlen auf weißem Grund) von 1 ff., Abb. in: This Book is a Movie, a.a.O., S. 61 ff. Eine besondere Variante sind Zahlenreihen, die sich als Block in normaler und gespiegelter Schrift gegenüber stehen, Abb. in: http://pagesperso-orange.fr/archives.carre/Bochner%20Mel.html. Aram Saroyan (1943) schrieb die Zahlwörter one bis ten in der Mitte von zehn aufeinanderfolgenden Seiten, Abb. in: This Book is a Movie, a.a.O., S. 259 ff.
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Abb. 257: Ana Hatherly, Desigualdade dos dias, 1975
die Zeit aufgenommen und belegt ihn, indem er sein Leben einer monotonen Arbeit widmet, so monoton, wie fast jede Arbeit ist – nur in diesem Fall eben unnötig. So wird sein Werk zum Zählwerk eines persönlichen Lebens und zu einer eigenartigen Chronik, vorgetragen in einer unpersönlichen Codesprache.“2561 – und dennoch begleitet von individuellen Charakteristika, wenn das Zittern der Hand von „Detail“ zu „Detail“ zunimmt, die Farbaufträge mit dem Pinsel ungleichmäßiger werden und das Schriftbild an Geradlinigkeit verliert und ins Schwanken gerät.
2561
Bozena Kowalska, Chances and Myths of Polish Avant-garde Art 1954–1970, zit. u. übers. nach: flash art Nr. 39. Mailand 1973, S. 19 (Nachdruck in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 46); vgl. auch: Bozena Kowalska, Roman Opalka. Kraków 1976. Im Internet gibt es eine filmische Dokumentation der Bemalung von Opalka mit ausführlicher Erläuterung vom 19. 8. 2008 (http//www.youtube.com/watch?v= rqRg75O4XUI).
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Während die bisherigen Schriftbilder mehr Ausdrucksformen der Persönlichkeit des Künstlers, also des Produzenten als Kommunikationspartner, und des ihn einbindenden Produktionsprozeßes waren, verschiebt sich der Focus in einem weiteren Komplex der Skripturalen Malerei auf die Handschrift als Gestaltungsmittel des entstandenen Produkts, einer Figur, wie die filigranen „caligramas“ von Ana Hatherly (1929)2562 und die „Sprachhaufen“ von Smithson und Steen2563, der Strukturierung eines Blattes, wie „Ossip Mandelstams Gedichte“ (1979)2564 von Aleksander Julikow, einer Landschaft, wie in Contes grafischen Sprachräumen2565 und Schultzes „Schriftlandschaftlich“ (1962)2566, eines Themas, wie in der Serie der „Poème Visible“ (1956–1960) von Gaul2567 oder der Entfaltung eines bestimmten Denkens, wie in den „Denklandschaften“ von Carlfriedrich Claus, wohl dem wichtigsten Vertreter der Skripturalen Malerei.2568 Auch für Claus spielte das Element „Zeit“ eine entscheidende Rolle und zwar im Verhältnis zur „Bewegung“. „Der Begriff Zeit ist untrennbar verknüpft mit dem Begriff Bewegung. Ein Punkt setzt sich in Bewegung: die Linie entsteht. Übergang von der unbeweglichen, raum- und zeitlosen Nulldimensionalität in die bewegungserfüllte Eindimensionalität der Zeit (…) Denken: bildloses Aneinanderreihen von Gedanken durch Eigenaktivität. Bewegung im Eindimensionalen, im Element der Zeit.“2569 Claus begann 1951 Akustische und Konkrete Poesie zu schreiben.2570 Es sind Typoskripte,2571 die einerseits schon das Bewegunsgelement 2562
2563 2564
2565 2566 2567
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2570
2571
Hatherly, a reinvenção da leitura. Lisboa 1975, Abb. 257 Nr. 10; Hand Made. Obra Recente. Lisboa 2000; einige Arbeiten auch in: Tisanas. Berlin 1998, S. 63ff. Siehe Anm. 2080. Die handschriftlichen Abschriften bilden Quadrate, die in verschiedenen Leserichtungen aneinandergelegt 4 × 4 wieder ein Quadrat bilden mit zwei Lücken, die aus jeweils zwei rechtschenkligen Dreiecken bestehen; Abb. in: das kunstwerk 2/XLII. Stuttgart 1989, S. 32. Bruno Conte, testi – immagine 1959–60. Rom 1980. Abb. in Schrift und Bild, a.a.O., S. 29. U. a. zu Hölderlins Gedichten. Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 68; Schrift und Bild, a.a.O., S,. 65; Skripturale Malerei, a.a.O., S. 63; Tecken, a.a.O., S. 120, 125 u. 129. Zu Claus ausführlich siehe: Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 39 ff. u. 161 ff. Claus, Das Wesen der Zeit und die bildende Kunst (1952). In: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 75. Henry Schumann, Biographische Daten. In: Carlfriedrich Claus. Denklandschaften. Katalog. Stuttgart 1993, S. 125. Ein Konvolut besitzt noch Thomas Ranft (Amtsberg), Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 23 ff.
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akustisch und visuell simulieren, andererseits Gedichte, in denen bereits andeutungsweise das später so wichtig werdende gedankliche Sezieren auftaucht. Seit 1958 experimentierte er mit Letternfeldern2572 und den Studien zur Wortentfaltung2573, kinetische, akustische2574 und visuelle Sprachexerzitien vom „Vibrationstext“2575 bis zu den „Denklandschaften“, angeregt von den mittelalterlichen figurativen Texten, den Büchern über tibetische Kunst,2576 den Kalligrafien der arabischen Welt, der écriture automatique und Arbeiten wie die von Raymond Hains (1926–2005), „Hépérile éclaté“2577 nach einem Lautgedicht von Camille Bryen (1907–1977) „Hépérile“ entstanden. „die experimente zielen 1. auf prozessuale verwirklichung von möglichkeiten in sogenannter !natürlicher sprache" eines bestimmten strukturtyps und auf die reflexion ihrer relationen a. – zum prozess !wirklichkeit", b. – zum kommunikationsprozess selbst, c. – zu !natürlicher sprache" eines anderen strukturtyps, d. – zu künstlichen, formalisierten sprachen und zur theorie der spiele 2. auf erzeugung synthetischer informationen.“2578 Mit seinen handschriftlichen Textblättern2579 entwickelte Claus die Idee einer „spezifischen dialektik im schreibdenken“, die sich dadurch herstellt, dass die Blätter „sowohl als optische systeme wahrgenommen, vom blick erfasst, wie jedoch auch in der zeit entfaltet, als sprachliche 2572
2573
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„Letternfeld“ (1959/Abb. 46) auch in: Claus, Notizen zwischen der experimentellen Arbeit – zu ihr. Frankfurt 1964, Abb. 11 sowie „Satzfeld“ (1959/Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 44). „Studie zur Wortentfaltung“ (1960) u. „Wortstamm“ (1960), Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 36 f. u. 43. Typoskript, ca. 1954 f. Abb. 258 (Archiv Dencker). Abb. 259 in: movens, a.a.O., S. 77, siehe dazu auch den Text von Claus S. 76. Hains, Elemente der tibetischen Kunst. Leipzig 1949; Geschichte der tibetischen Kunst. Leipzig 1953. Zusammen mit Jacques Villeglé (1926): Raymond Hains/Jacques de la Villeglé, Hépérile éclaté. Paris 1953. Detail-Abb. in: Skripturale Malerei, a.a.O., S. 14 u. vollständig (Abb. 260) in: http://www.camillebryen.com/heperile.htm. Claus, zwischen-bemerkungen (1967). In: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 127. Einen sehr guten Überblick über ihr Entstehen seit den ersten Versuchen gibt das kommentierte „Werkverzeichnis 1944–1989“ in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 163 ff.
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Abb. 258: Carlfriedrich Claus, 2: Gehört, ca. 1954
information gelesen werden. durch die versuchende auflösung der beiden dialektisch verknüpften informationsebenen des blattes, der sprachlichen und der optischen, durch vergleiche und neuzusammenfügung, kann im betrachter/leser eine spezifische spannung entstehen. er nimmt vernetzungen, widersprüche, spannungen, kämpfe zwischen beiden ebenen wahr, bezieht stellung, führt sie weiter, schaltet sich in den diskurs, in dem sich das blatt befindet, aktiv ein.“2580 Jede Arbeit wurde mit einem möglichst genau formulierten Thema begonnen, das auf dem „schauplatz“ Blatt mit prozessualem „sprachdenken in seinen verschiedensten stufen und modi“ von Gedankenstufe zu Gedankenstufe und zeitweise mit Rückkoppelung zum Gedankensy2580
Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 128.
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Visuelle Poesie
Abb. 259: Carlfriedrich Claus, Vibrationstext, 1959
stem des Beginns zu Überlagerungen führte, die durch immer neue Kommentare und zusätzlich hergestellte „feed-backs zwischen vorderund rückseite und zwischen mehreren blättern“ eine höchst komplexe syntaktische und semantische Architektur ergaben, dessen Folge aber auch war: „man treibt das blatt von relativ !endgültiger" gestalt wieder in nichtgestalt. denn: der akt des schriftsprachlichen kommentierens des blattes, auf dem blatt selber, führt zwangsläufig zur zerstörung dessen,
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 260: Hains/Villeglé, Hépérile éclaté, 1953
was man kommentiert. das so immer neu, auf immer !höherer" stufe entstehende tohuwabohu entfacht seinerseits starke affekte, die nicht mehr mit dem anfänglichen denkakt zusammenhängen, sondern bereits überbau sind: aus der erinnerung an die gestalt, die erreicht war und unterging, steigend. diese !zweiten" gemütsbewegungen durchsetzen und umgeben nun die !ersten", die des themas, des sprachlichen informationsinhalts. der vorgang wiederholt sich meist mehrfach: man kommentiert auf dem urtext den urtext, den kommentar, den kommentar des kommentars, den kommentar des kommentars des kommentars, und so fort. es entstehen dadurch sozusagen zweite, dritte, vierte, fünfte semantische stufen. da der schreibende fortgang, die zerstörung erreichter gestaltstellen durch kommentierung, jedesmal ein gang in das gänz-
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Abb. 261: Carlfriedrich Claus: Allegorischer Essay für Albert Wigand. Ein kommunistisches Zukunftsproblem: Naturalisierung des Menschen, Humanisierung der Natur, 1965
lich ungewisse, mit dem risiko der völligen blattzerstörung, ist, verstärken sich die inneren spannungen im fortgang des blattes sprunghaft.“2581 Roland Barthes hat diese Form der Textherstellung in Verbindung mit einer Art Selbstauflösung des Subjekts gesehen: „Text heißt Gewebe; aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefasst hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, dass der Text duch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe – dieser Textur – verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in die konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge.“2582 2581 2582
Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 129. Barthes, Die Lust am Text, a.a.O., S. 94.
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In den auf diese Weise entstandenen „Denklandschaften“, die nicht nur innerhalb der einzelnen Blätter verwobene Strukturen aufwiesen, sondern diese sich auch zu einem Thema oft über mehrere Blätter und Jahre fortsetzten und intensivierten, gab es eine untrennbare Allianz von politischem Fragen und künstlerischem Antworten. So z. B. in „Konjunktionen. Einheit und Kampf der Gegensätze in Landschaft, bezogen auf das kommunistische Zukunftsproblem: Naturalisierung des Menschen, Humanisierung der Natur“ (1968)2583. Diese Arbeit ist gedanklich verbunden mit einer späteren Arbeit „Frage nach Naturbeziehung, die nicht mehr auf Ausbeutung, Macht, Zähmung basiert, sondern auf Solidarität auch mit der Natur“ (1976/77)2584. Ausgangspunkt für den Gedankenkreis beider Arbeiten aber war das im Jahr 1965 entstandene Sprachblatt „Allegorischer Essay für Albert Wigand. Ein Kommunistisches Zukunftsproblem: Naturalisierung des Menschen, Humanisierung der Natur“2585. Klaus Werner schrieb dazu: „Erörtert werden – ausgehend von der im „Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch erhobenen Fragestellung – die Chancen der Wiederauferstehung (Resurrektion) der Natur, die nur durch eine aktive im Bewusstsein des Menschen zu erzielende Einsicht Wirklichkeit werden wird. Claus weist darauf hin (vgl. Bloch „Naturrecht und menschliche Würde“), dass erst eine Vergesellschaftung der Eigentumsbedingungen die intendierten Besitzansprüche des Menschen an die Natur und die Bedrohung unserer Umwelt zurücknehmen kann.“2586 Trotz oft eindeutig scheinender Antworten wie dieser sollte die „Denklandschaft“ vor allem aber „Anregung sein, sich mit dem zur Diskussion gestellten Thema auseinanderzusetzen, es zu reflektieren und dann, im Widerspruch dazu oder in Übereinstimmung damit, sich selbst infrage zu stellen und eine Expedition in das Unbekannte, das man selbst ist, sowohl körperlich als auch psychisch, vorzunehmen (…) Insofern ist jedes Sprachblatt (…) Selbsterprobung.“2587 2583 2584
2585 2586
2587
Abb. in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 220. 7. Blatt der „Aurora“-Serie, Abb. in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 127 und in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 281, und Claus, Zu Konjunktionen (1967/82) in: Augen Blicke Wort Erinnern, a.a.O., S. 278 f. Abb. 261 in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 106 u. 210. Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 211. Vgl. hier auch den Text von Claus zu dieser Arbeit. Claus, Gespräch zum Aurora-Experimentalraum mit Gunar Barthel und Tobias Tetzner. In: Claus, Aurora. Sprachblätter, Experimentalraum Aurora, Briefe. Berlin 1993, S. 178.
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Visuelle Poesie
Mehrschichtig und das „Gespräch !mit sich selbst"“ führte auch Vincenzo Accame in einer Reihe von Arbeiten, die er „autobiografia“ nannte.2588 In einer Bemerkung aus dem Jahr 1984 setzte er das „bio“ in Klammern, um die Symbiose zwischen dem Autografischen und Biografischen anzudeuten. Der Künstler – so Accame – spreche immer nur über sich selbst. Dabei gäbe es zwei Schichten, die sich überlagern, das Erinnerungsgespräch und das Erfindungsgespräch. Zwischen rationalen, kontrollierten Erinnerungsversuchen und „unkontrollierter Instinktivität“ des Erfindens neuer Ausdrucksformen gelange die grafische Darstellung „zu einer Spuren- und Sinnbildzeichenreihe eines Weges der Erinnerung, der sich jeder genauen Zeitbeschränkung entzieht.“ Während bei Claus durch das Mittel der überschreibenden Kommentierung aus Lesbarem Unlesbares wird und aus diesem wieder neu zu entschlüsselnde Zeichen entstehen, bedient sich Accame der Fragmentierung, bruchstückhafter Wortbildungen, durchsetzt von Zeichen,2589 die aber direkt als Zeichen erfunden wurden. So verbindet sich der regelrechte Bau lesbarer Textstücke und Zeilenbildungen mit synthetischem Sprachmaterial und freien, unregelmäßigen grafischen Strukturelementen zu einer offenen Leselandschaft ohne Anfang und Ende. Diese entstand auch bei Valeri Scherstjanoi (1950) in seinen „Aufeinandergeschriebenen Gedichten“2590 als „Zerstörung eines Textes zur optischen Wahrnehmung der Zerstörung“, so die Bemerkung zu „Zaoum – Pismo. Viele aufeinandergeschriebene Gedichte I“ (1984). Obwohl Scherstjanoi im Vorwort zu „Zaoum – Schriften“ noch notierte: „Man kann diese Arbeiten als !Zaoum-Pismo" bezeichnen. Pismo ist der Schreibprozeß. In diesem Schreibprozeß ist das Wie wichtiger als das Was“, entwickelte sich bald über das gewonnene Bewusstmachen des prozessualen Schreibaktes hinaus eine ganz eigene Form der Schriftzeichnung, die „Scribentische Kunst“2591. 2588 2589
2590 2591
Abb. in: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 7. Vgl. die 15teilige Serie „Visioni del particolare“ (1983), von der 2 Blätter abgebildet sind in: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 8 f., Abb. 262 S. 8. Scherstjanoi, Zaoum – Schriften. Siegen 1985 (= experimentelle texte 3), o. P. Abb. 263 (Archiv Dencker), weitere Bsp. in: Kritzi Kratzi, a.a.O., S. 78 ff.; Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 138 ff.; Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 433 u. Osteuropa im internationalen Netzwerk, a.a.O., S. 6 ff. Ebenfalls ein ganz eigenes Zeichensystem hat die in Griechenland 1952 geborene und seit 1954 in Australien lebende Poetin thalia – entwickelt, Abb. 264 ist ein Teil einer dreiteiligen Arbeit (Archiv Dencker).
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Abb. 262: Vincenzo Accame, Visione del particolare, Taf. 14, 1983
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Visuelle Poesie
Abb. 263: Valeri Scherstjanoi, Scribentismen, 1995
Scherstjanoi lernte Claus 1982 kennen und beschloß, „dass ich seit jener Zeit selbst ständig meine Gedichte !zeichne".“ In einer Art Lernprozeß kopierte er Sprachblätter von Claus, und in reger Korrespondenz schickte er ihm eigene mit der Bitte um Begutachtung.2592 Im gleichen Jahr 1982 schrieb Claus die „Notiz: Sa-um in Handschrift“2593, die von 2592
2593
Scherstjanoi, All-Nächte der Kunst. Meine Begegnung mit Carlfriedrich Claus. In: Augen Blicke Wort Erinnern, a.a.O., S. 57 f. In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 234 ff.
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Abb. 264: thalia-, o. T., 1998/1999
seiner Nähe zum russischen Futurismus und dem Konzept des !Samopismo" (Selbst-Schrift)2594 zeugte.2595 Diese Beeinflussung2596 durch 2594
2595
Vgl. Anm. 2356 u. Carlfriedrich Claus, Subjektives zu Krutschonych (1986). In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 236. Dazu die Arbeiten „Sa-um Portrait Krutschonych I, II, III“ in: Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 263 f. Zum Samopismo bei Scherstjanoi siehe auch: Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 66 ff. Scherstjanoi, Carlfriedrich Claus und die russischen Futuristen. In: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 146 ff.
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Visuelle Poesie
Claus und den russischen Futurismus waren wichtige Grundlagen für das Entstehen der frühen Arbeiten von Scherstjanoi, der wie Claus sowohl die visuelle als auch die akustische Eigenschaft der Sprache in Schriftzeichnungen auszudrücken versuchte, ergänzt – und das war neu – durch eine Mischung der deutschen mit der russischen Sprache. So entwickelte sich ein besonderes Zeichensystem mit der Erfindung von „Scribentismen“. „Das scribentische Alphabet besteht aus ca. 70 Zeichen, mehr als jedes europäische Alphabet. Jedes Zeichen ist für einen bestimmten Sprachlaut und die ihm verwandten Geräusche bestimmt. Die scribentischen Zeichen sind autonom, d. h. !buchstabenfrei". Sie können an einige graphische Besonderheiten der Buchstaben erinnern, sind ja schließlich die Lautschriften. Als soche dienen sie für die Schaffung der Partituren der scribentischen Lautpoesie.“2597 Es entstand eine Symbiose aus erfundenen und Rudimenten deutscher alphabetischer Zeichen sowie aus Anleihen bei der altrussischen Schrifttradition, „Elementen der alten Kyrilliza“ und des Kirchenslawischen2598. Dies gab seinen Arbeiten ein janusköpfiges Gepräge, das inhaltlich erschließbar ist, aber erst in einem zweiten Schritt, der die zunächst irritierende und unlesbare optische Figuration mit den Vorkenntnissen zur Schriftstruktur und Sprachenzusammensetzung in einen neuen Sinnzusammenhang zu bringen vermag. Die Zusammenführung verschiedener – existierender und erfundener – „Sprachen“ erfolgt auch in den minimalistischen Arbeiten von Mira Schendel (1919–1988), in denen sie, nach Haroldo de Campos, „fast-worte“ von hohem semantischen Wert benutzt: – „eine semiotische kunst von ikons indices symbolen/ die auf dem weiss der seite ihre numinose spur hinterlässt“.2599 Ebenso erscheint diese Mehrschichtigkeit, angereichert durch einen variantenreicheren Einsatz der Handschrift in Kombination mit collagierten Bild- und gezeichneten/gemalten malerischen Elementen im Werk von Oswald Oberhuber (1931)2600, womit das bei Claus, Accame, Scherstjanoi und auch Schendel ausgewogene dialektische Spiel zwischen ästhetischem Betrachten und semanti2596
2597 2598 2599
2600
Scherstjanoi, über die schöpfung der scribentischen kunst. In: Kunst Sprache Vermittlung, a.a.O., S. 142. Scherstjanoi, 1. 12. 2000 in: Stimmen und Klänge der Lautpoesie, a.a.O., S. 272. Kaminskaja, a.a.O., S. 250 u. Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 49. H. d. Campos im Vorwort zu: Schendel, grafische reduktionen. Stuttgart 1967 (= rot 29). Oswald Oberhuber. Geschriebene Bilder. Bis heute. Hg. Peter Noever. Wien 1999.
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Abb. 265: Rudolf Englert, Nr. 7, 1965
schem Verstehen bei Oberhuber neben der reinen skripturalen Malerei sich auch zu Formen der Visuellen Poesie erweitert, die oft der bildenden Kunst näher sind als der Literatur, wie schließlich auch die Variante der Objekt-Beschriftung2601, die bei Pavel Richtr (1942) zu finden ist, auf Objekten, deren ursprüngliche Funktion einerseits durch die Beschriftung verdeckt werden, andererseits ein neues scheinbar „sprechendes Gesicht“ erhalten.2602 2601 2602
„Holzbuch“ (1977/Abb. in: buchobjekte, aaO, S. 79). Pavel Richtr, !gegenzeichen". Katalog. Studio Galerie. Hamburg 1993.
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Visuelle Poesie
Mit dem – noch zu entdeckenden – Rudolf Englert (1921–1989)2603 wird die Handschrift wieder konsequenter und puristischer experimentell eingesetzt und zwar nun fast ausnahmslos zur Entwicklung einer eigenen, nicht-alphabetischen und nicht-lesbaren Schrift. Schriftähnliche Fragmente und Kürzel treten beim ihm seit Beginn der 1960er Jahre auf, vor allem aber praefiguriert sich die „geschriebene Zeichnung“2604 durch einen fast durchgehend zeilenartigen Aufbau seiner Arbeiten. „Alles vom Schreiben her entwickeln, links oben anfangen, unten aufhören“ – notiert er 1967.2605 Dabei interessierte Englert weniger das Zeitals das Raum-Element2606: „Meine vom Grafischen, vom Schreiben her entwickelten Bilder und Blätter werden durch viele Schichten zu einer Raum-Schichten-Malerei (…) Immer das Wagnis eingehen, dass die letzte Schicht zuviel ist und man wieder von vorne oder von neuem anfangen muß. An diesem Punkt angelangt, überwindet man erst das Material, und es kann zur Poesie werden.“2607 Diese Palimpsest ähnlichen Überschreibungen gab es seit 19652608. Sie wechselten sich ab mit Blökken aus seriellen Zeichenkombinationen, die sich mit fortschreitender Entwicklung der Geschriebenen Bilder auf wenige und schließlich auf ein einzelnes Zeichen reduzierten und „Text“ suggerieren.2609 Sie erinnern entfernt an Vorläufer wie z. B. an das „Alphabet“ (1927) von Henri Michaux (1899–1984), die „Zeichenreihen“ (1931) von Wassily Kandinsky, „Figurenschrift“ (1925), „Abstracte Schrift“ (1931) und „Gedicht in
2603 2604 2605 2606
2607
2608 2609
Englert, Geschriebene Bilder. Osnabrück 2005. So benennt Englert seine Arbeiten seit 1976. Geschriebene Bilder, a.a.O., S. 48. „der Strich ist die Verräumlichung selbst“ (Derrida, Grammatologie, a.a.O., S. 358), dieses Zitat findet sich in: Geschriebene Malerei, a.a.O., S. 64. Englert in: Rudolf Englert. Bilder – Zeichnungen – Objekte 1941–1978. Katalog. Göttingen 1978, S. 16. Abb. in: Geschriebene Bilder, a.a.O., S. 62 f. Maria Linsmann, Schriftähnliche Zeichen und Strukturen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Bonn 1991 (=Beiträge zur Kunstgeschichte, Bd. 6); Abb. auch in Heinz Schütz, Pseudoschrift. In: Kunstforum Bd. 102, Köln 1989, S. 55 ff., Abb. 265 in: Geschriebene Bilder, aO., S. 62. – Text suggeriert auch das Tryptichon „Der geistige Mensch und die Technik“ (1991) von Wolfgang Kiwus (1939), der seine Arbeiten digital mit dem PC und einem Einstift-Plotter herstellt, so auch diese Arbeit, der der gleichnamige Essay von Max Bense aus dem Jahr 1947 als Vorlage diente. Abb. in: http://www.derblauereiter.de/ausg_1–10/dbr06/ dbr06_kuen.html u. in: Die Prisma Art Galerie 1993. Katalog zur Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen. Hg. Hamburgische Kulturstiftung. Hamburg 1993, o. P.
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Bilderschrift“ (1939) von Paul Klee, oder die „Logrammes“ von Christian Dotremont (1922–1979), die er 1962 zu entwerfen begann.2610 Die Herstellung solcher imaginären Texte mit erfundenen Graphemen ist sicher nicht frei von Kenntnissen der Tradition künstlicher Sprachen2611 und Geheimschriften2612. Sie sind aber miteinander deshalb nicht vergleichbar, weil keine eindeutige Übersetzung mittels eines alphabet-ähnlichen Übersetzungsschlüssels möglich und dies auch in der Regel die erklärte Absicht der Autoren und Künstler ist.2613 2003 erschien eine Anthologie „Asemic magazine 3“2614. Dort heißt es: „The word !asemic" means having no semantic content. Everything herein tends towards the asemic.“ Es sind Ideogramme, die der individuellen Interpretation durch den Betrachter/Leser bedürfen. Um – quasi erleichternd – dennoch eine Art Text/Literatur-Nähe herzustellen, wurden bekannte literarische Formen benutzt, wie z. B. die Notiz- oder Briefform2615, die schon bei Max Ernst2616, Bernard Réquichot (1921–1961)2617 und Roland Barthes (1915–1980)2618 sowie Jaroslaw Serpan (1922–1976)2619 beliebt waren. Vor allem Gedicht-2620 und Buchfor2610
2611 2612 2613
2614 2615 2616
2617
2618 2619 2620
„Zeichenreihen“-Abb. in: Linsmann, a.a.O., Abb. 2; „Gedicht in Bilderschrift“ in: Linsmann, a.a.O., S. 193; „Figurenschrift“ u. „Abstracte Schrift“ vgl. Anm. 2490 u. 2494; vgl. Michaux u. Dotremont-Abb. in: Mon, Wortschrift Bildschrift, a.a.O., S. 19 (u. Anm. 2376 ff.) mit Englerts Arbeiten a.a.O. Vgl. Anm. 1029. Vgl. Anm. 1688. Irma Blanks (1934) „Transkriptionen“ (1973–1979) unterstrichen mit der Divergenz zwischen Titel und den dazu gehörigen Schriftzeichnungen diese Absicht: Transkription vom vordergründigen Verstehen zur Anschauung, vom Text zum Bild wie in ihrem Buch „NO WORDS“ (Livorno 1994), in dem sie Passagen aus Gertrude Steins „Everybody’s Autobiography“ „transkribiert“. Vgl. auch „Silent Dialogue“ (1977/Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 23); „News“ (1976/Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 303) u. Irma Blank in: buchobjekte. Universitätsbibliothek Freiburg 1980, S. 33 ff. Asemica magazine 3. Ed. Tim Gaze. Kent Town/Australia 2003. Brion Gysin, Klaus Groh (1936). „Brief an Ertel“ (1962/Abb. in: Schrift und Bild S. 60. Vgl. auch Max Ernst „Une page de l’introduction à l’exposition d’Unica Zürn“ (1962), Detail in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 59, vollständiger in: Legrand, peinture et écriture, a.a.O., S. 36. „Lettre d’insulte“, Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 60 u. vgl. weitere „Briefe“ von Réquichot in: Les Écrits de Bernard Réquichot. Brüssel 1973. Notiz vom 1. 6. 1975, Abb. in: – auf ein Wort!, a.a.O., S. 152. „Lettre“ (1962/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 60). Genrich Sapgir (1928–1999) „Sonet“ (1995/Abb. in: Juliana W. Kaminskaja, Die Selbstreflexion der Sprache in der visuellen Poesie zeitgenössischer russisch- und deutschsprachiger Autoren. In: Poetica Bd. 34, H. 1–2, München 2002, S. 250).
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men2621 sowie Partituren2622 sollten den ideogrammatischen Zeichengebilden einen nach innen wirkenden äußeren Halt geben, insbesondere dann, wenn das Zeichenmaterial soweit reduziert und vorstellbarer Assoziationsmöglichkeiten enthoben wurde, dass nur noch wenige Striche wie bei Adamus (1943)2623 und Jandl2624 oder endlose horizontale Linien in den Büchern von Mölzer (1937–1976)2625 erschienen. Noch einen Schritt weiter ging Jirˇí Kolárˇ (1914–2002). In seiner Rückschau „Vielleicht nichts, vielleicht etwas“ wird berichtet, wie er zur Form der „Evidenten Poesie“ gelangte, in der alphabetfremde Zeichen und Objekte benutzt wurden: Duft-, Farben-, Bildgedichte, Blinden-, Knoten-, Kiesel-, Rasierklingen- und Kieselgedichte, inhaltslose Gedichte entstanden und die Idee: „ein Gedicht zu machen, wie es ein Analphabet machen würde (…) Ich erinnere mich, dass ich zu diesem Schritt die ganze Woche mir selbst Mut zusprechen musste, und als ich später meinen Ver2621
2622
2623
2624
2625
Vgl. die Beispiele von Michel Jaffrennou (1944) „Evanescence“ (1967), Roberto Altmann (1942) „Livre“ (1970), Alain de Latour „cryptogrammes“ (1966), Maggy Mauritz „Livre manuscrit“ (1966) in: Tecken, a.a.O., S. 157 ff.; Mirtha Dermisache (1940) mit der äußeren Form eines Zeitungsartikels in: Literally Speaking, a.a.O., S. 44 f. u. weitere ganz ähnliche Bsp. in: http://dbqp.blogspot.com/ 2005/02/importance-of-documental-structure-to.html, siehe auch in: Metamorphosen des Schreibens. Hg. Guy Schraenen. Bremen 1995 (= Band 11 – Sammlung der Künstlerbücher). Léon Ferrari (1920) „Musica“ (1962/Abb. Detail in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 118, vollständiger in: Legrand, peinture et écriture, a.a.O., S. 38; Paula Claire (1939) zwei Partituren für Sound-Poetry aus dem Jahr 1978 „Graphic Granite“ u. „Tracing from step of Santa Maria della Salute, Venice“ in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 30 f., vgl. auch: Paula Claire, Declarations. Poems 1961–91. Oxford 1991 u. DI-VERS-ITY. Extending the Forms of Poetry. Poems 1991–2001. Oxford 2001. „Peripatetische Gedichte“ (1983–1993) von Karel Adamus in: Katalog. Galerie Jaroslava Krále, Brno 1994; „Schönschreibgedicht“ (1984), „Schritte“ (1983), „Regen Regen …“ (1984) alle Abb. in: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 11 ff. „alphabet (1966), „bleistift“ und „Buchstabenprofile“ (1975) beide Abb. in: neue texte 16/17. Hg. Heimrad Bäcker. Linz 1976 o. P. und weitere „Buchstabenprofile“ (1977/Abb. in: Sprachen jenseits von Dichtung, a.a.O., S. 78 f.). Milan Mölzer „Reiseheft“ (1976) und „Reisetagebuch“ (1976), Abb. in: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 329. Es handelt sich in beiden Fällen um Protokolle einer Eisenbahnfahrt, die aus während der Fahrt gezogenen Bleistift- bzw. Filzstiftlinien bestehen, die Eigenwahrnehmung von Zeit und Raum/Entfernung, ähnlich wie bei Darboven das Element Zeit (vgl. Anm. 2555) und bei Annalies Klophaus (1940) in „Weg-Umweg“ (1971/Abb. in: lettres et chiffres, a.a.O., Nr. 41) das Element Raum (allerdings bei unterschiedlichen Konzepten) zu ähnlichen Linienformen führen.
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such beendete, nannte ich diese Gedichte !Analphabetogramme". Eine Nacht genügte und es beunruhigte mich die Möglichkeit des Schreibens von Gedichten eines Menschen mit Geistesstörung. Diese Gedichte nannte ich !Cvokogramy".“2626 Cvokogramme2627 oder Verrücktogramme2628 sind skripturale Zeichnungen und mit den oben beschriebenen Formen vergleichbar2629. Kolárˇs Bemerkung mag aber auch Arbeiten im Sinn gehabt haben, die in der Art Brut, der Kunst der Geisteskranken, zu finden waren. Als der Heidelberger Psychiater Hans Prinzhorn (1886–1933) in seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken“2630 auf die Phantasie und künstlerische Gestaltungskraft in diesen Arbeiten und auf überraschend früh auftauchende Techniken wie Collage, Textilobjekt, Text-Bildkombinationen usw. hinwies, war es Max Ernst, der das Buch im Erscheinungsjahr nach Paris brachte, wo es für die Surrealisten eine Art Offenbarung war.2631 Die Schlussfolgerungen Prinzhorns aufgrund des von ihm zusammengetragenen Anschauungsmaterials2632 galten ihnen als Beleg für eine erfolgreiche Ausschaltung des rational gesteuerten Bewusstsein und für die Entdeckung von Fähigkeiten, die nach Prinzhorn in jedem Menschen angelegt seien, so daß sie auf spontane Automatismen vertrauten, um die künstlerische Produktivität für neue Ausdrucksformen zu öffnen und zu erweitern. „Ungeübte Geisteskranke, besonders Schizhophrene, schaffen nicht selten Bildwerke, die weit in den Bereich ernster Kunst ragen und im einzelnen oft überraschende Ähnlichkeiten zeigen mit Bildwerken der Kinder, der primitiven und vieler Kulturzeiten. Die engste Verwandtschaft aber besteht zu der Kunst unserer Zeit und beruht darauf, dass diese in ihrem Drange nach Intuition und Inspiration seelische Einstel2626 2627
2628 2629
2630
2631
2632
Kolárˇ, Eine Monografie, a.a.O. S. 54. Abb. von Beispielen aus dem Jahr 1962 in: Kolárˇ, Eine Monografie, a.a.O., S. 31, 59 (Abb. 266), 64. In: documenta 6, Bd. 3. Kassel 1977, S. 101. Allerdings zu unterscheiden von Arbeiten, in denen Kolárˇ Hieroglyphen ähnliche handschriftliche Zeichen erfand wie in: „Kairo“ (1971/Abb. in: das kunstwerk 2/XXXI. Stuttgart 1978, S. 15). Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung. Berlin 1922. Vgl. die Bemerkungen von Breton im Ersten Manifest des Surrealismus (1924) in: Breton, Die Manifeste des Surrealismus, a.a.O., S. 12 u. die Hinweise in: Nadeau, Geschichte des Surrealismus, a.a.O., S. 61 f. u. 167 ff. sowie in: Gerd Presler, L’Art brut. Kunst zwischen Genialität und Wahnsinn. Köln 1981, S. 20 ff. Sammlung Prinzhorn der Universität Heidelberg: http://prinzhorn.uni-hd.de.
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Abb. 266: Jirˇí Kolárˇ, Cvokogramy, 1962
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lungen bewusst erstrebt und hervorzurufen sucht, die zwangsläufig in der Schizophrenie auftreten (…) Die Abgrenzung unserer Bildwerke von bildender Kunst ist heute nur auf Grund einer überlebten Dogmatik möglich. Sonst sind die Übergänge fließend. Von der These ausgehend, dass bildnerische Gestaltungskraft in jedem Menschen angelegt ist, müssen wir Tradition und Schulung als äußere kulturelle Verbrämung des primären Gestaltungsvorganges ansehen, der unter günstigen Umständen aus jedem Menschen hervorbrechen kann.“2633 So gab es neben dem eindrucksvollen Gesamtwerk von Adolf Wölfi (1864–1930)2634 – das die Verbindung von Bild, Wort und Notenschrift2635 bereits seit 1904 aufwies – und einer Reihe von oft noch früher datierbaren Einzelbeispielen, in denen Schrift im Bild spielerisch auftauchte,2636 gelegentlich Arbeiten, die kaum zu unterscheiden sind vom bisher behandelten experimentell ge- und erfundenen Formenspektrum, wie etwa die Schriftmalerei von Oskar Bernasko (1910–1979)2637, figurative2638 und von Emma Hauck serielle Schriftbilder2639, erfundene Alphabete von Francis Palanc (1928–?)2640 oder in neuerer Zeit das asemantische Textbild von Inge Wulff (1933–1997)2641 die an Twombly erinnernden Arbeiten von Willi Eggers (1935–1991)2642 oder die Nummernzeichnungen von Klara Zwick (1927)2643.
2633 2634
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2636
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2642 2643
Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken, a.a.O., S. 349 f. Adolf Wölfli. Hg. Adolf Wölfli-Stiftung. Bern 1976. Abb. 267 in: Adolf Wölfli, Geographisches Heft No. 11. Hg. Adolf-Wölfli-Stiftung. Stuttgart 1991, S. 163. Vgl. die Nähe zur Musikalischen Grafik in: Adolf Wölfli, Geographisches Heft No 11. Hg. Adolf Wölfli-Stiftung. Stuttgart 1991. hans prinzhorn und arbeiten von patienten der heidelberger klinik aus der prinzhorn sammlung. Hg. Inge u. Ferenc Jádi. Heidelberg 1986: Louis Leutz/ Inv. Nr. 1542 (1919), Johannes Saur/ Inv. Nr. 1416 (1903), oder Johann Knopf (1866–1910)/Inv. Nr. 1487. Abb. in: DIE ZEIT Nr. 22, Hamburg 22. 5. 1992, S. 83. Brief in Spiralform, in: Leo Navratil, Schizophrenie und Kunst. Ein Beitrag zur Psychologie des Gestaltens. München 1965, S. 102. Emma Hauck (1878–1920), Briefe an ihren Ehemann (1909), Abb. in: hans prinzhorn, a.a.O., o. P. u. in: http://www.prinzhorn.uni-hd.de/galerie/emma-hauck. shtml weitere Briefe in: http://www.psychiatrie-erfahrene.de/eigensinn/ museumneu/seiteemmahauck.htm. Presler, a.a.O., S. 132 u. Collection de l’Art brut. Lausanne 1976, o. P. „o. T.“ (1985/Abb. in: Die Schlumper. Kunst ohne Grenzen. Hg. Günther Gerkken/ Christoph Eissing-Christophersen. Wien 2001, S. 150). „Doppelbild. Buch“ (1987/Abb. in: Die Schlumper, a.a.O., S. 72). „Nummernzeichnung“ (1986/Abb. in: Die Schlumper, a.a.O., S. 159).
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Abb. 267: Adolf Wölfli, Illustration/Geographisches Heft No. 11, 1912/1913
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Zwar sind – hier in extrem manischer Intensitivität aber nicht vergleichbar aufgrund anderer Absichten und Vorstellungswelten – bei einem großen Teil der Skripturalen Malerei Schreibspuren und gestische Strukturen – so scheint es – unmittelbarer (physischer und psychischer) Ausdruck des produzierenden Individuums, was z.B. bei Carlfriedrich Claus noch dadurch verstärkt wird, als Finger-, Hand- und Fußabdrücke wie besondere Individualität ausmachende Signets in den Bildern auftauchen.2644 Dennoch darf eine differenzierende Unterscheidung zwischen Absicht und Herstellungsprozeß des Künstlers, sowie Wahrnehmung und Interpretation des Betrachters/Lesers nicht außer acht gelassen werden. Denn in der Rezeption offenbart sich das Gegenspiel von gegenwärtiger Abwesenheit und repräsentativer Anwesenheit des Künstlers. Jedes noch so stark auf ihn zurückweisende Charakteristikum muß nicht das das reale Künstler-Ich ausmachende sein, sondern gerade jenes dazwischengeschobene Künstler-Es, hinter dem sich das Ich zu verbergen sucht. Und genau mit diesem Phänomen spielen eine Reihe von Arbeiten der Skripturalen Malerei. So verbergen sich die Künstler z. B. hinter dem auffälligsten Kennzeichen ihrer Persönlichkeit, der Signatur,2645 indem sie diese ihrer singulären Charakteristik entheben und wie Scherstjanoi viele Varianten von Signaturen erfinden.2646 Wie von Twombly praktiziert, wird der unten rechts angestammten Platz aufgehoben, die Signatur ins Bild gezogen, vergrößert, verdoppelt, ihr Eigenwert verliehen, so dass der Paratext zum integralen formalen und inhaltlichen Bestandteil des Bildes, oder gar zur Kunstform deklariert wird, wie das bei dem auch vom Informel geprägten Georges Mathieu2647 oder dem Fluxus-Vertreter Ben Vautier2648 der Fall ist, so dass die Wahrnehmung ins Gegenteil umschlägt, was Vautier noch auf die Spitze trieb, als er die Werke anderer Künstler, seinen eigenen Körper und schließlich seine eigene Signatur signierte, bis er nach einigen Jahren 1962 eine unterschriebene Erklärung abgab, überhaupt nichts mehr signieren zu wollen: 2644
2645 2646 2647
2648
„-: ich schrieb den Satz, d. h. linkshändig schreibend entstand er plötzlich, und !siegelte" dann das Blättchen mit dem rechten tuschtriefenden Daumen“ (Tageb. v. 30. 1. 1966 zu Z 406/Abb. in: Claus, Erwachen am Augenblick, a.a.O., S. 212), vgl. weitere Arbeiten a.a.O., S. 294 (G 83), 298 ff. (G 96, G 100, G 101, G 102, G 103, G 105). Vgl. die vielen Beispiele in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 92ff. Abb. in: Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 91. „Le bon Duc Philipp rapaisé par son fils le comte de Charolais“ (1958/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 123. „tout Ben“ (1975/Abb. in: www.tobeart.com/FiArtiste/FiBen.htm).
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„Ich habe signiert den Begriff ALLES“ (1958), „Ich habe signiert die Kunst“ (1959), „Ich habe signiert die Schulaufgaben“ (1958), „Ich habe signiert Ereignisse“ (1959), „Ich habe signiert das aus dem Gleichgewicht Gebrachte“ (1959), „Ich habe signiert lebende Skulpturen“ (1959), „Ich habe signiert den Mangel“ (1959), „Ich habe signiert den Tod“ (1960), „Ich habe signiert Löcher“ (1960), „Ich habe signiert Krankheiten“ (1960), „Ich habe signiert Schachteln voller Geheimnisse“ (1960), „Ich habe signiert den Inhalt des Larousse“ (1960), „Ich habe signiert das Weltende am 7. Juni“ (1961), „Ich habe signiert die Kunstgeschichte“ (1961), „Ich habe signiert 2 Steaks und einen Salat“ (1962), „Ich habe signiert die Zeit“ (1961), „Ich habe signiert Fälschungen“ (1961), „Ich habe signiert Gott“ (1961), „Ich habe signiert Brachland“ (1961), „Ich habe signiert Gesten (Ohrfeigen)“ (1961), „Ich habe signiert die Selbstbemalung“ (1961), „Ich habe signiert das Nichtstun“ (1961), „Ich habe signiert das Universum“ (1961), „Ich habe signiert die Wahrheit zu sagen“ (1961), „Ich habe signiert Unfälle und Katastrophen (Agadir)“ (1961), „Ich habe signiert Fäulnis und Verwesung (1962), „Ich habe signiert Haufen“ (1962), „Ich habe signiert Nadelstiche“ (1962), “Ich habe signiert meine Signatur“ (1962), „Ich habe signiert lebende Schnecken“ (1962), „Ich habe signiert die Seele“ (1962), „Ich habe signiert den Papst in Rom“ (1962), „Ich habe signiert das Geld“ (1962), „Ich habe signiert Bäume“ (1962), „Ich habe signiert idiotische Gesten“ (1962), „Ich habe signiert etwas anderes“ (1962), „Ich habe signiert mich selbst“ (1962), „Ich habe signiert die Eifersucht“ (1962), „Ich habe signiert Fenster“ (1962), „Ich habe signiert die Kunst“ (1962), usw.2649
Eine ganz ähnliche Funktion weist auch die Signatur (tag) der Graffiti2650-Writer und -Sprayer auf, die ihre politischen und privaten Botschaften mit einem unverwechselbaren und immer wieder den Urheber identifizierenden Signaturzeichen versehen, das zwar einerseits Anwesenheit und Aktion signalisiert, andererseits aber soweit grafisch reduziert und neutralisiert ist, dass es in der Regel keine Verbindung zu einem Namen und damit zu einer konkreten Person zulässt,2651 solange 2649 2650
2651
In: http://www.g26.ch/art_vautier.html. Graffito, Graffiti geht auf das griechische „graphein“ (altgr. Schreiben, vgl. Anm 1643f.) zurück. Eine frühe Definition des Begriffs vgl. Karl Zangemeister, Inscriptiones Parietariae Pompeianae, Herculanenses, Stabianae. Berlin 1871, übersetzt bei Northoff, a.a.O., S. 117: „Die Wandinschriften unterscheiden sich von den in Stein oder Denkmäler eingeschnittenen Inschriften dadurch, dass sie nicht auf Grund eines öffentlichen oder privaten Auftrags verfertigt (…) , sondern nach dem Gutdünken Privater für einen bestimmten Zeitpunkt geschrieben wurden.“ Im Unterschied zu den „Anwesenheits-Graffiti“ der Touristen, vgl. das Bsp. am Schiefen Turm von Pisa/Abb. in: Schrift und Bild, a.a.O., S. 109, oder zu den „Ewigkeitsgraffiti“ der Hollywood Stars, die sich namentlich mit Fuß- und Hand- und anderen kuriosen Köperteil- und Objektabdrücken auf den Betonplatten des Vorplatzes von Grauman’s Chinese Theatre am Hollywood Boulevard 6925 verewigten (Abb. in: Public Art. Kunst im öffentlichen Raum. Hg. Florian Matzner. Ostfildern 2001, S. 259).
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dies nicht durch Dritte (übersetzt) hergestellt wird, wie es die New York Times 1971 mit ihrem allerersten Artikel über einen Graffiti-Writer versuchte.2652 Die Öffentlichkeit erfuhr, dass ein 17jähriger griechischer Botenjunge mit dem Tag „TAKI 183“ überall in der Stadt seine Anwesenheit dokumentierte. TAKI, so war weiter zu erfahren, war die Ableitung aus der Diminutivform von Demetrios, seinem Vornamen. Die Zahl 183 bezeichnete die Straße in Manhattan, in der er wohnte. Den Nachnamen gab er nicht preis. Mit „JULIO 2004“, einem Jungen aus Puerto Rico, der schon vor ihm seine Tags in New York verbreitete, war er der erste auffällige Writer, der seine Daseins-Spur2653 durch die Stadt markierte, wie es bereits der Österreicher Joseph Kyselak (1795–ca.1831) mit dem Schriftzug „Kyselak“2654 und viele amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg mit „kilroy was here“2655 ausprobierten.
e) Raum Anfang der 1980er Jahre befand sich an der Nationalstraße 32 zwischen Novara und dem Lago Maggiore ein Bauernhof an der Ecke einer Straßenkreuzung, der einem gewissen Amadeo Ravera gehörte. Er war rundherum mit Botschaften beschriftet, alltägliche Bemerkungen über die Nachbarn, die Straße, das Dorf und die große Politik, vor allem gegen Faschisten und Kommunisten gerichtete, denn Ravera war ein vereinsamter Monarchist. Aber die zentrale Botschaft in roter Farbe auf dem Eingangstor lautete: „Amadeo Ravera möchte mit niemanden sprechen.“ Die Person Ravera, – war es nun der Besitzer des Hofes selbst oder ein ganz anderer, der die Wände bemalte, oder der Besitzer, der sich nur einen anderen Namen gab –, verweigerte die persönliche Begegnung und blieb für den während der Durchreise Lesenden in der Anonymität. Aber zugleich sollten die umfänglichen Botschaften auf seine Existenz hinweisen. Sie stellten scheinbar Kommunikation her. Die Wände des Hofes wurden zu einem die Aufmerksamkeit weckenden Medium, das dafür nicht vorgesehen war. Die private inoffizielle Botschaft beschrieb, bekannte und deckte auf. Ihr Urheber verlieh seinem Anliegen Nach2652
2653 2654 2655
„!Taki 183" Spawns Pen Pals“ in: The New York Times, July 21, 1971, p. 37 (http://www.ni9e.com/blog_images/taki_183.pdf). Vgl. Beat Suter, Graffiti – Rebellion der Zeichen. Frankfurt 1994, S. 23 f. Abb. in: http://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Kyselak http://en.wikipedia.org/wiki/Kilroy_was_here.
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Abb. 268: Haus des Amadeo Ravera
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Abb. 268a: Eingangstor/Detail
druck durch die Mal-Aktion, die seine gewesene Anwesenheit dokumentierte. In nuce also eine Beschreibung für Form und Wirkungsweise vor allem der Wort-Graffiti schlechthin, wie sie mobil (auf Schildern, Transparenten, Fahnen, Verkehrsmitteln) oder dauerhaft (mit schwer zu entfernenden Farbstoffen) auf nichtbeweglichen Objekten im städtischen Raum insbesondere während der Protestbewegungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Amerika und Europa als Einbruch in den institutionalisierten Kommunikationsraum entstanden und heute weltweit2656 nachweisbar sind.
2656
Abb. 268/268a (Archiv Dencker), vgl. auch: Dencker, in: Visuelle Poesie, a.a.O., S. 44f. – Calligraphy Signs in Guangzhou Subway Stations. In: www.chinapage. com/calligraphy/sign/guangzhou/subway.html; Gute Übersicht: URBAN DISCIPLINE 2002. Graffiti-Art. Hg. Getting-up. Hamburg 2002.
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Graffiti Die Geschichte der Graffiti2657 wird unterschiedlich weit zurück verfolgt. Davon ausgehend, dass es seit den ersten bewohnbaren Höhlen für die Menschen immer Wände oder Objekte gegeben hat, auf die mit welcher Absicht und was auch immer geritzt, gezeichnet oder gemalt wurde,2658 ist das Phänomen der Veröffentlichungslust solcher Botschaften weder den Kulturräumen nach noch zeitlich kaum einzugrenzen. Zwar wird immer wieder für den eigentlichen Beginn der Geschichte auf die umfangreichen Funde in Pompeji2659 hingewiesen, die aus der Zeit zwischen 63 und 79 n. Chr. stammen, sowie auf Botschaften die in Rom oder auf der Agora in Athen gefunden wurden.2660 Aber ebenso könnten die Zeichen des religiösen Bekenntnisses in den Katakomben zur Zeit der Christenverfolgung genannt werden2661 oder die Inschriften im alten Theben Ägyptens und der Fund in der Nähe der Sakkara-Pyramiden2662 sowie die über 8000 Jahre lange Geschichte der Anwesenheits-Graffiti Durchreisender auf dem pakistanischen Karakorum-Highway zwischen dem indischen Subkontinent, Zentralasien und China2663 oder die Zeugnisse der Mayas in Mittelamerika,2664 die alle älter sind. 2657
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2663 2664
Detlev Kraack und Peter Lingens: Bibliografie zu historischen Graffiti zwischen Antike und Moderne. (= Medium Aevum Quotidianum, Sonderband XI), Krems 2001. Hinweise und Materialien zum Thema Graffiti gibt es im Internet unter: http://www.graffitieuropa.org. Eine Zeittabelle bietet: http://freenethomepage.de/graffitiforschung.de/grafdefGER.htm. Über die Ursprünge der Graffiti-Bewegung in New York berichtet: Jon Naar, The Birth of Graffiti. München 2007. Vgl. auch Anm. 1564 ff. u. 1573. „The Streets belong to the People. Walls are Newspapers of the Streets.“ (Graffito, New York, 4th Street/Abb. in: Welt aus Sprache, a.a.O., S. 192). Pompeianische Wandinschriften und Verwandtes. Hg. Ernst Diehl. Bonn 1910/Berlin 1930. Mehrere Abb., Abb. 269 in: http://www.kzu.ch/fach/as/aktuell/2000/18_gladiatoren/glad_02.htm. Martin Langner, Antike Graffitizeichnungen. Motive, Gestaltung und Bedeutung. Wiesbaden 2001 (= Palilia, Band 11). Wie z. B. das Christusmonogramm X (Chi) P (Rho), das Kreuz oder der Fisch und dessen Übersetzung ICHTHYS, die auch als Akrostichon von Iesous CHristos Theou Hyios Soter (Jesus Christus Gottes Sohn Retter) zu lesen war. Abb. des Sakkara-Funds in: http://www.dictionaryofaerosolart.net/w_sidor/arkivet.html. Living and Writing in Deir el-Medine. Socio-historical Embodiment of Deir el-Medine Texts. Hg. Andreas Dorn/Tobias Hofmann. Basel 2006. (= Aegyptiaca Helvetica, Band 19). Siehe: http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/Pakistan;art304,2373551. Helen Trik/Michael E. Kampen, The Graffiti of Tikal. Tikal Report, no. 31. University Museum Monograph 57. University of Pennsylvania, Philadephia 1983;
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Abb. 269: Wandinschrift Grab 19, Porta Nocera Pompeji, 63–79 n. Chr.
Abb. 270: Brassai, Graffiti I, 1968
Sinnvoll ist wohl, das gesamte Material bis zum Auftauchen der Writer und Sprayer zu Beginn der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts als ganz unterschiedliche Vorformen in den einzelnen Zeitperioden und Kulturen für sich zu betrachten, und von der eigentlichen Graffiti-Bewegung2665 2665
2665
Karl Herbert Mayer, Zeichnungen und Graffiti in den Maya-Ruinen von Oasion del Cristo II, Campeche. Mexiko. In: Nachrichtenblatt, Archäologische Gesellschaft Steiermark, Nr. 1. Graz 1997, S. 13 ff. „Graffiti“ in seiner heutigen Bedeutung wird benutzt nach dem Buch von Robert Reisner, Graffiti. Selected Scrawls from Bathroom Walls. New York 1967. Vgl. auch
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dieses Namens zu trennen, obwohl der generelle Themenkreis sich nur unwesentlich erweitert hat. Sinnvoll auch deshalb, weil nicht nur ein sehr vielseitiges Ausdrucksspektrum durch diverse Herstellungstechniken2666 und eine Reihe von stilistischen Varianten2667 in den Formengestaltungen,2668 sondern auch der Dreischritt vom illegalen2669, zum legalen2670 und schließlich in der Kunstszene gehandelten oder im
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2670
R. R., Two Thousand Years of Wall Writing. Chicago 1971. Eine erste Sammlung von Graffiti in Amerika erfolgte durch Allen Walker Read, Lexical Evidence from Folk Epigraphy in Western North America. A Glossarial Study of the Low Element in the English Language. Paris 1935 (Reprint: Classic American Graffiti: Lexical Evidence … Waukesha 1977). 1932 begann Brassai (Gyula Halasz 1899–1984) die Graffiti in Paris zu fotografieren: Brassai, Graffiti. Zwei Gespräche mit Picasso. Stuttgart 1960, und Brassai, Graffiti. Paris 2002. Abb. 270 in: http://www.photogra phie.com/?pubid=103997. Gute Bsp. für die gegenwärtige Graffiti-Szene sind unter „le scritte sui muri“: http://www.fotolog.com/antifa_girl/33954900 zu finden. Marker, Edding, Sprühdose, Abklebetechnik, Schablonen/Stencil, Air Brush; Scratching (kratzen/ritzen) Etching (ätzen), Reverse Graffiti (säubern schmutziger Flächen), Schnitzing (Holz-Graffiti). Das erste gesprayte Masterpiece entstand 1972 in New York durch SUPER COOL. Bubblestyle (rund gesprühte Buchstaben), Blockbuster (Blockbuchstaben), Simplestyle (Kombination aus Blockbuster und Bubblestyle), Semi-Wildstyle (mit zusätzlichen Effekten wie Pfeile, Balken usw.), Wildstyle (Kombination aller Stile bis zur Unleserlichkeit), 3-D-Letter-Style (Raum-Illusion). Die ersten stilistischen Varianten entwickelten sich nach dem Bubblestyle, den PHASE II 1972 in New York kreierte, so der 3-D-Letter-Style ebenfalls in New York von PRIEST 167 und PISTOL I. Writings (American Graffiti), Pochoirs (Schablonen-Graffiti), Murals (großflächige Wand-Graffiti) – ausführlich dazu: Harald Ecker, Graffiti in modernen Gesellschaften. In: Zeichen an der Wand, a.a.O., S. 92 ff. Seit mehr als 16 Jahren sprayt Josef Walter F. (1950), alias „OZ“, in Hamburg und musste dafür viele Haftstrafen verbüßen (Hamburger Abendblatt, 25./26. 11. 2006, S. 15); Abb. in: http://www.fotocommunity.de/pc/pc/mypics/524099/startpic/8. Ein weiteres Bsp. ist der „Sprayer von Zürich“ Harald Naegeli (1939), der seit 1977 zuerst in Zürich, später in Stuttgart, Köln und Düsseldorf seine StrichmännchenGraffiti verbreitete, Abb. in: http://www.zueri-graffiti.ch/16_harald_naeg.htm; Harald Naegeli, Der Sprayer in Venedig. Hg. Klaus Staeck. Göttingen 1991. Von Naegeli wurden 1990 in der Edition Staeck Steindrucke auf Bütten in einer Auflage von 50 Ex. angeboten (Abb. in: Edition Staeck. Heidelberg 1990, Nr. 371–373). Sascha Siebdrat (1973), alias „Vaine“, wurde 1991 noch als illegaler Sprayer verurteilt, begann dann aber legal Graffiti-Projekte zu realisieren, wie das 36 Meter hohe Graffito an der Auferstehungskirche in Hamburg-Lohbrügge (1998/Abb. in: Hamburger Abendblatt, 28./29. 7. 2007, S. 15). Seit der Zeit überbieten sich die Sprayer im legalen Auftrag von Bauträgern innerhalb des Programms „Kunst am Bau/Kunst im öffentlichen Raum“, das längste bzw. höchste Graffito zu produzieren: http://www.saga-gwg.de/opencms/opencms/saga/pages/ about/kunst-im-quartier/sport_2007.html. 2007 lud die Werbeagentur Jung von
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Kunst-Design vermarkteten Graffito2671 unvergleichbare Charakteristika hervorbrachte. Hinzu kam die besondere gesellschaftliche, politische und psychologische Situation, in der die Writer und Sprayer im Egotrip der Selbstverwirklichung, im politischen Aufbegehren gegen das Establishment, im Outen ihrer Intimsphäre und mit krimineller Wut in den Zerstörungskampagnen in Aktion traten. Vom Tag über das Throw-up zum Piece entwickelten sich komplexere Formen als das Mitteilungsund Demonstrationswesen sie in der Antike, die Karikaturformen etwa im 19. Jahrhunderts2672, die Klo-Sprüche um die Jahrhundertwende2673,
2671
2672 2673
Matt/next Graffitikünstler ein, im Hinterhof der Werbeagentur in Hamburg/ Grabenstr. 25 ein großes Graffito zu sprayen, dessen Entstehungsprozeß live im Internet verfolgt werden konnte, wobei weiterhin geplant ist, dass sich die Internet-User interaktiv mit Hilfe von Computer-Malwerkzeugen an solchen Aktionen beteiligen können: „Next-wall“ – das virtuelle Graffiti-Projekt. In: Hamburger Abendblatt, 16. 4. 2007, S. 16. Jörg Lohmann, Graffiti als Kunst und Dekor. Ein Anleitungsbuch für Einsteiger. München 2005; Graffiti-Kunst bei Sotheby’s: http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/58/101956 (Süddeutsche Zeitung, München 14. 2. 2007). Der „Aachner Wandmaler“ Thomas Paier erhielt 1987 den Aachener Kunstpreis für seine politischen Wandbilder, die illegal entstanden und jahrelang geächtet wurden. 1989 erhielt er den „neuen Preis“ des Aachener Kunstvereins, vgl. dazu die Rede: Walter Grasskamp, Wem gehört der öffentliche Raum? Der Aachener Wandmaler. In: Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre. Hg. Volker Plagemann. Köln 1989, S. 227 ff. u. http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=1479. Der Bananen-Sprayer Thomas Baumgärtel (1960) sprayte zunächst Bananen-Motive auf die Wände von Museen, Galerien, Kunstvereinen usw. mit Androhungen von Strafanzeigen (1987 durch das Museum Ludwig/Köln), – wo sie sich inzwischen als Ausstellungsstücke befinden; Abb. in: http://www.bananensprayer. de/pages/index.html. Neben frühen Graffiti ähnlichen Adaptionen etwa bei Jean Dubuffet (1901–1985), Monsieur Plume plis au pantalon, portrait d’Henri Michaux par Jean Dubuffet (1947/Abb. in: http://pslt.blogspot.com/2008_06_ 08_archive.html) sowie: Aux bons principes (1961/Abb. in: Legrand, a.a.O., S. 44) oder Robert Motherwell (1915–1991), I hate them, (1961/Abb. in: Legrand, a.a.O., S. 45) erwuchsen Künstler entweder unmittelbar aus der Graffiti-Szene wie Keith Haring (1958–1990/Alexandra Kolossa, Keith Haring. Köln 2006) u. Jean-Michel Basquiat (1960–1988/Jean-Michael Basquiat. Das zeichnerische Werk. Hg. Carl Haenlein. Hannover 1989) oder wurden durch diese direkt beeinflusst wie Antoni Tàpies (1923/Antoni Tàpies – Zeichen und Materie. Hg. Barbara Catoir u. a. Bedburg-Hau 2007) und A. R. Penck (1939/A. R. Penck. Retrospektive. Hg. Ingrid Pfeiffer. Düsseldorf 2007). Vgl. die Abb. in: Stahl, Graffiti reloaded, a.a.O., S. 3 ff. Wetti Himmlisch, Leben, Meinungen und Wirken der Witwe Wetti Himmlisch. Leipzig 1906. In diesen Memoiren wird auch eine Sammlung von Klo-Sprüchen der Wiener Toilettenfrau erwähnt und z. T. abgedruckt. Neuausgabe: Wetti
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die markigen Kurzformeln2674 oder einzelnen Zeichen, wie das durchgestrichene Hakenkreuz der „Weißen Rose“ an den Wänden der Münchner Universität im Februar 1943,2675 entstehen ließen. Eine besondere Form des Wort-Graffito ist das City-Poem. Die Poesie an öffentlichen und privaten städtischen Gebäuden geht mindestens zurück bis zur altägyptischen Dichtung auf Denksteinen, Grab- und Tempelwänden.2676 Später gab es eine Vielzahl von Gedichten an den Hauswänden in Pompeji, Zitate von Dichtern und Gelegenheitspoesie, vor allem in der Form des Distichons.2677 Bekannt ist auch jener chinesische ZenBuddhist, der sich im 7. Jahrhundert auf einen Berg des Tiantai-Gebirges im Südosten Chinas zurückzog, als Einsiedler lebte und Gedichte auf Steine, Bäume und Felswände schrieb,2678 die zur Selbstfindung aufriefen oder über den rechten Zen-Weg philosophierten. Er führte den Namen des Berges Hanshan (Kalter Berg), unter dem seine Gedichte gesammelt und
2674 2675 2676
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Himmlisch. Memoiren einer Wiener Toilettenfrau um 1900. Hg. Peter Payer. Wien 2001. Wetti Himmlisch ist möglicherweise ein Pseudonym, hinter dem sich (siehe das Nachwort von Peter Payer) der Wiener Journalist und Schriftsteller Vincenz Chiavacci (1847–1916), Autor humoristischer Werke und Schöpfer des Wiener Naschmarkt-Originals „Frau Sopherl“, versteckt. Außerdem: Wilfried Eigeltinger, Graffiti für Vespasian oder Die Kunst im Pissoir. Berliner Klappenbilder. Berlin 1983 und Wendeklo. Die besten Klosprüche zur deutschen Vereinigung. Hg. Simon Traston. Frankfurt 1998. Wortbilder. Organ zur Sprachverständigung Nr. 1. Hg. Carl Mai. Berlin 1998. Vgl. dazu den Bericht in: http://willi-graf-realschule.de/schule/willi/wgraf4.htm. Z. B. das „Poème“ zur Schlacht von Qadesch (1275 v. Chr.) an den Wänden der Tempel von Luxor, Karnak und Abu Simbel; http://www1.lib.uchicago.edu/ cgi-bin/eos/eos_title.pl?callnum=PJ1553.A1_1908_cop. Vgl. auch: Kurt Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte. Nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums … Band 1–2: Text; Band 3: Kritischer Apparat, Beschreibung, Konkordanz; Band 4: Epigraphik. Leipzig 1908–1922. Reprints: Darmstadt 1960, Hildesheim 1969; Altägyptische Dichtung. Hg. Erik Hornung. Stuttgart 1996. Vgl. auch ein Bsp. aus Babylonien (9. Jh. v. Chr./Abb. in: Jean, Writing, a.a.O., S. 19). Rudolf Wachter, „Oral Poetry“ in ungewohntem Kontext: Hinweise auf mündliche Dichtungstechnik in den pompejanischen Wandinschriften. In: Zs. f. Papyrologie u. Epigraphik 121, Bonn 1998, S. 75. „A practice reaching back nearly to the beginning of Chinese writing is the inscription or painting of poems on buildings and on the rock faces of cliffs. This latter practice united reading with the viewing of landscapes – an activity raised to a high art in China. Chinese literature is full of stories about people making long trips to read inscriptions on mountains and temples.“ (Karl Young, Notation and the Art of Reading. In: Open Letter 5 Series, No. 7, Ontario 1984, S. 11 u. http://www.thing.net/~grist/ld/young/notation/notate.htm).
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später veröffentlicht wurden.2679 Zur selben Zeit entstand am Berg Sala’ in der Nähe von Medina ein islamisches Graffito, das über die Anwesenheit und das Beten von Abu Bakr und ’Umar während einer Nacht berichtete.2680 Und spätestens seit dem 7. Jh. waren auch kunstvoll gestaltete Texte Bestandteile islamischer Architektur, vor allem Auszüge aus dem Koran an Sakralbauten.2681 In die Wände der Alhambra (13./14. Jh.) in Granada2682 wurden Gedichte der Poeten Ibn al-Yayyab (1274–1349), Ibn alJatib (1313–1375) und Ibn Zamrak (1333–1393)2683 und in die der Muhammad Ali Moschee (1830–1857) in Kairo2684 ein der armen Bevölkerung gewidmetes Gedicht geschnitten, das zur Rast und Erfrischung einlud.
Text im öffentlichen Raum In vielen Städten lassen sich weltweit Sprüche und Gedichte über die Jahrhunderte verfolgen, die – wie z. B. in Leiden – entweder an ein aktuelles Ereignis, oder an einen geschätzten Schriftsteller und seine Werke erinnern wollen. In Leiden hatte der holländische Schriftsteller Jan van Hout (1542–1609) in seinem Gedicht „Men was in groot verdriet“ die Linderung einer Hungersnot beschrieben, das 1577 an der Hausfront Rapenburg 102 eingraviert wurde.2685 Und 1995 wurde dann noch einmal mit seinem Gedicht „Vruntschap“ (1575) am Haus Buitenruststraat 12686 an ihn erinnert. Vor allem im 20. Jahrhundert intensivierte sich die Literarisierung des Straßenbildes, insbesondere in Russland. Im „Dekret No. 1 o demokratizacii iskusstv“2687 forderten Kamenskij, Burljuk und Majakovskij: „Im Namen des großen Voranschreitens der Gleichheit aller vor der Kultur soll das freie Wort der schöpferischen Persönlichkeit in allen Ecken und Enden auf die Häuserwände, Zäune, Dächer und Straßen unserer Städte 2679
2680 2681 2682
2683 2684 2685 2686 2687
Hanshan, Gedichte vom Kalten Berg. Das Lob des Lebens im Geist des Zen. Freiamt 2001. Abb. in: Safadi, Islamic calligraphy, a.a.O., S. 15. Ulya Vogt-Göknil, Die Schrift an islamischer Architektur. Tübingen 2007. Abb. in: Safadi, Islamic calligraphy, a.a.O., S. 57, 82, 102 u. 117, sowie in: http://www.menzel-hilbersdorf.de/muster. Abb. in: Islamic calligraphy, a.a.O., S. 57. http://www.erasmuspc.com/index.php?id=18251&type=article. Abb. 271 in: http://www.muurgedichten.nl/hout3.html. In: http://www.muurgedichten.nl/hout1.html. In: Gazeta futuristov 1. Moskau, 15. 8. 1918.
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Abb. 271: Jan van der Hout, Men was in groot verdriet, Vliethoek/Leiden, 1577
und Dörfer, auf die Rückseiten der Automobile, Equipagen und Straßenbahnen und auf die Kleidung aller Bürger geschrieben werden (…) Die Straßen sollen ein Fest der Kunst für alle sein (…) Der erste Anschlag von Gedichten und der Aushang von Bildern erfolgt in Moskau am Erscheinungstag unser Zeitung.“2688 Bert Brecht schrieb dazu in seinem Beitrag „Über die Verbindung von Lyrik mit der Architektur“ (1935): „Die Photographien der russischen Revolution, nicht nur der von 17 sondern auch der von 05, zeigen eine eigentümliche Literarisierung des Straßenbildes. Die Städte, ja die Dörfer sind übersät von Sprüchen wie von Symbolen. Die sich die Herrschaft erobernde Klasse schreibt mit breitem Pinsel ihre Meinungen und Losungen auf die eroberten Gebäude. Auf die Kirchen schreibt sie !Religion ist Opium fürs Volk", auf anderen Baulichkeiten stehen Gebrauchsanweisungen. In den Demonstrationen werden Schilder mit Beschriftungen getragen, nachts erschienen Filme auf Häuserwänden. Die Literarisierung hat sich in der Union eingebürgert (…) Die qualifizierte Lyrik der Union 2688
Manifeste und Proklamationen der europäischen Avantgarde (1909–1938), a.a.O., S. 140 f.
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hat mit dieser Entwicklung der Massenkunst nicht Schritt gehalten. Die neu entstehenden Baulichkeiten zeigen keine Beschriftung. Die schönen Bahnhöfe der Moskauer Untergrundbahn haben riesige Marmorwände; sie könnten sehr wohl Gedichte tragen, die ihre mit so viel Heroismus verknüpfte Herstellung durch die Moskauer Bevölkerung beschreiben. So ist es auch mit den Grabstätten großer Revolutionäre in der Kremlmauer. Und mit den wissenschaftlichen Instituten, Sportpalästen, Theatern. Ihre Beschriftung würde einen großen Aufschwung der Lyrik ergeben (…) Die Entwicklung der Sprache erhält von hierher ihre edelsten Impulse. Das in den Stein getriebene Wort muß sorgfältig gewählt sein, es wird lange gelesen werden und immer von vielen zugleich. Wettbewerbe müssten die Lyrik zu neuen Leistungen anspornen.“2689 Brechts Forderung nimmt hier schon zwischen den Zeilen vorweg, was sich erst viel später innerhalb des Programms von Kunst im öffentlichen Raum mit dem Beziehungssystem von Orts-, Wort- und Textwahl, den Mitteln der Konstruktion und Dekonstruktion von Sprache und dem Versuch, neue Formen der urbanen Literarisierung zu erfinden, in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ideenreicher entfalten konnte.2690 Das Spektrum weitete sich vom traditionellen Wandgedicht, das nahezu unberührt vom Bezugssystem „Öffentlicher Raum“ in seiner Gestalt lediglich großformatiger und öffentlicher von der Buchform zur Wandform mutierte,2691 zu einer offenen literarischen Form, die nicht nur viele Elemente aus der Entwicklung der Künste im 20. Jahrhundert aufgriff,2692 sondern auch zu neuen wechselseitigen Text-Raum: Raum2689
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Bertolt Brecht, Gesammelte Werke Bd. 19. Schriften zur Literatur und Kunst 2. Frankfurt 1967, S. 387 f. Zwei wichtige Quellen mit Abb. und Erklärungen im Internet sind der von Hans Karssenberg zusammengestellte CityPoem World-Index: http://www.erasmuspc. com/index.php?Option=com_content&task=blogsection&id=31&Itemid=81 mit Videoerklärungen von Karssenberg in: http://www.erasmuspc.com/index.php? option=com_content&task=view&id=242&Itemid=29, sowie die Dokumentation von über 100 Gedichten im öffentlichen Raum in Leiden: http://www. muurgedichten.nl, in folgendem zitiert als Karssenberg und Leiden. Karssenberg, Index 29 (Ghent), 47 (Niterói), Leiden Nr. 33 u. weitere Bsp. in beiden Slgen. Besondere Formen der Visualisierung von Literatur (Karssenberg, Index 12/Barcelona), mit Pinsel und Wasser auf die Strasse geschriebene Texte, die verwischen, vertrocknen, zertreten werden (Karssenberg, Index 13/Beijing) oder auf dem Wasser schwimmende Buchstaben, die sich je nach Leserichtung zu Wörtern und Texten verbinden lassen (Karssenberg, Index 33/Hoorn, Abb. 272 in: http://www. fotothing.com/Rissan/photo/2f3560bd2b633f902de7ca6cc1e80826/).
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Text-Interpretationen und Definitionen fand2693 und damit neue Qualitäten zur Herstellung von Öffentlichkeit bekam. Dies bedeutete nicht zuletzt auch eine Ausweitung des Themenkatalogs. Unter dem Einfluß der Graffiti-Entwicklung2694 wurden aktuelle Bezüge Anlaß zum Aufdecken von Rassismus,2695 sozialer Ungerechtigkeit,2696 politischer Unterdrückung,2697 Anklage2698 und Mahnung2699 zugleich. Texte im öffentlichen Raum entstanden als kritisches und zur Reflektion mahnendes Pendant gegenüber der Verwortung2700 der Städte durch Werbung2701 und sprachliche Reglementierungen jeder Art. Aber sie wurden auch benutzt, um das Verständnis für die eigene Tradition,2702 fremde Kulturen und andere Sprachen und Schriften, gleichgewichtig neben die Einheimischen gestellt,2703 zu wecken und um schließlich im spielerischen Umgang mit der Sprache die Aufmerksamkeit auf Bedeutung und Ausdruckskraft der Wörter zu lenken, sich auf diese Weise einem zunehmenden Sprachverschleiß zu widersetzen2704.
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Die Definition einer Stadt (Karssenberg, Index 62/Sheffield), eines Ortes, Zoo von Antwerpen (Karssenberg, Index 8/Antwerpen 7) oder im dialogischen Querverweis vom Boerentoren Hochhaus zur Kathedrale von Antwerpen (Karssenberg, Index 3/ Antwerpen 2). Karssenberg, Index 18 (Kopenhagen), 45 (Newcastle), 22 (Dublin 2), 26 (Dublin 6). Karssenberg, Index 17 (Cape Town). Karssenberg, Index 4 (Antwerpen 3). Karssenberg, Index 52 (Prag), 15 (Budapest). Gegen den Krieg und Terror/11. Sept. (Karssenberg, Index 51/Portland; 44/New York). Verkümmerung der Gesellschaft und ihrer Werte (Karssenberg, Index 27/Dublin 7). Vgl. Anm. 1930 u. 2171. Umgekehrt wurde auch das vorhandene „street lettering“ künstlerisch genutzt: vgl. Alan Bartram, Spanish street lettering. In: Typographica 15. London 1967, S. 37ff. oder die Dokumentationen von Bodo Hell (1943), z.B. „Stadtschrift Lüdenscheid“ (1984/Abb. in: Am Anfang war das Wort, a.a.O., S. 63ff.). Eine Inszenierung der Kunst mit den Mitteln der Werbung war das Projekt „Frontside“ von Klaus Littmann 2001 in Basel (http://www.gesalzen-gepfeffert. ch/basel_aktuell_11.html), die Verkleidung von 21 Fassaden mit zeitgenössischer Kunst, u. a. mit „People Speak“, 1993 von Jochen Gerz zuerst für Odessa realisiert (Abb. in: Gerz, Res Publica, a.a.O., S. 71). Karssenberg, Index 14(Bilston). Vgl. auch das Projekt der Künstlerin Sigrid Sandmann (1970) am Grindelhochhaus in Hamburg mit Erinnerungen der Erstmieter, Abb. in: Hamburger Abendblatt 2./3. 6. 2007, S. 16. Karssenberg, Index 56 (Rotterdam 2); Leiden Nr. 1, 2, 19, 25, 29, 39, 45, 48, 50, 52. Schon einfache rhetorische Figuren tauchten in den Graffiti auf wie „MAUER go home“ (Abb. in: das kunstwerk 1/XLIII, Stuttgart 1990, S. 24) nach einem Liedtext von Ernst Busch „Ami, go home“ (Internationale Arbeiterlieder. Hg.
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Abb. 272: Jan Merx (1959), Floating Poem, 1990
DE LIEFDE BEZITDE TIJD D E T I J D I S G E E N W E RK E L I J K H E I D D E W E R K E L I J K H E I D B E S T A A T A L L E E N IN D E D R O O M D E D R O O M V A N D O OD E N G E N O T V E R T EL T H E T G E L U K H E T G E L U K L E E FT I N D E L I E F D E D E L I E F D E O NS T E R F E L I J K M A A K T H E T L E V E N GELUKKIG VERGANKELIJK LOVE POSSESSES THE TIME TIME IS NOT REALITY REALITY ONLY EXISTS IN A DREAM THE DREAM OF DEATH AND PLEASURE TELLS FORTUNE FORTUNE LIVES IN LOVE L O V E, I M M O R T A L, M A K E S L I V E W E L L M O R T A L (Jan Merx) Ernst Busch. Berlin 1952, S. 142 ff.) oder das Foto einer Protesttafel mit dem Akrostichon: Act in: DIE ZEIT, Hamburg 13. 3. 2003, S. 43. Now Stop War End Racism In Leiden wurde dem alltäglichen Sprachverschleiß mit der Dokumentation von experimenteller Literatur von den Futuristen bis in die Gegenwart begegnet: Leiden Nr. 5, 13, 22, 28, 37, 49, 65, 73, 88, 94.
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Visuelle Poesie
Es entstanden zunächst temporäre Projekte, die sich bekannter Publikationsorte wie Plakatwand, Litfasssäule2705, Fahnen2706 und Himmelsschreiber2707 bedienten. Seit den 1970er Jahren entstanden auf Initiative von Kulturämtern, Literaturbüros bzw. -häusern eine Fülle von Aktionen, Gedichte in der Stadt zu plakatieren. Zu den Einzelinitiativen2708 kamen Verbundsysteme wie die Plakatierung von sechs Mörike-Gedichten des Deutschen Literaturarchivs Marbach 2004 zum 200. Geburtstag von Eduard Mörike an 1000 Litfaßsäulen in vierzehn Städten bundesweit,2709 oder das Konzept der deutschen Literaturhäuser2710, das seit einigen Jahren läuft und im Sommer 2007 auf nahezu 8000 GroßflächenPlakaten, Citylight-Postern und A1-Plakaten junge Poesie zeigte2711, und wie jenes europäische Kulturprojekt, das die Deutsche Botschaft in Bukarest vom April bis Juni 2007 unter dem Titel „1001 Gedicht. Vielfalt europäischer Lyrik“ präsentierte.2712 2705
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Claus Henneberg, Utopia (aus Grenznähe). Gedichte und Texte an Litfaßsäulen. Kulturamt Hof, März 1998. Olaf Nicolai, Tableau/Erlösung I-IV (1993/1994), 8 Fahnen am Gewandhaus Leipzig (Abb. mit Erläuterungen in: Minima Media, a.a.O., S. 122 f.). Im Juni 2007 wurden auf der Veddeler Brückenstraße in Hamburg auf einer Länge von 250 Metern Banner mit Gedichten aufgehängt (Hamburger Abendblatt, 16. 6. 2007, S. 13). Die Beschriftung des Himmels zu Werbezwecken wurde bereits 1873 von Auguste Villiers de l’Isle-Adam als Idee formuliert: „Reklame am Firmament“ (Himmelsschreiber. Dimensionen eines flüchtigen Mediums. Hg. Harald Kimpel. Marburg 1966, S. 9 f.) Zu den verschiedenen Techniken der Rauchwolkenbeschriftung und dem Wolkenschneiden mit Flugzeugen gab es auch Poesie auf Bannern, die von Flugzeugen gezogen wurden oder Poesie-Drachen wie die von Marcello Diotallevi (M. D., Fiabe al Vento. Ravenna 1996). Sogenannte Sky-Poems oder Solar-Gedichte stammen von Mark Mendel (1947), Abb. in: Ars Electronica. Katalog. Linz 1980, S. 107, Abb. 273 in: www.montereymasonry.com/ pages/public-art. Wie die in Hamburg 1999, wo an 400 Stellen der Stadt Plakatgedichte erschienen (Literatur in Hamburg. Sommer 1999. Hg. Kulturbehörde Hamburg. Hamburg 1999). Auflistung weiterer Einzelinitiativen in: Plakatgedichte. Eine Ausstellung auf den Kultursäulen der Stadt anlässlich der P.E.N.-Tagung 1984 in Erlangen. Hg. Kulturamt. Erlangen 1984, o. P. http://www.dla-marbach.de/aktuelles/pressemitteilungen/2004/index.html (PM 37/2004) Hamburg, Frankfurt, München, Berlin, Köln, Stuttgart, Leipzig in Verbindung mit dem Literaturhaus Salzburg. In: http://www.literaturhaeuser.net/projekte/index.htm. In: http://ec.europa.eu/commission_barroso/orban/news/docs/speeches/070420_ 1001_poems/070420_1001_poems_de.pdf.
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Abb. 273: Mark Mendel, Sky-Poem, Superbowl, Joe Robbe Stadium, Miami/Florida, 1989
Parallel entwickelten sich auf Dauer angelegte Projekte, die die Stadt zu einem neuen Sprechen2713 bringen sollten. Zur spontanen und emotionalen Eroberung des städtischen Raums durch die Graffiti-Writer und -Sprayer,2714 trat nun das absichtsvolle künstlerische Konzept, das in letzter Konsequenz Teilhabe und Interaktion forderte. Zu den umfangreichsten und 1992 fast zeitgleich konzipierten Projekten gehören die
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Vgl. Anm. 1926. Projekte, wie an der Berliner Mauer (Abb. in: http://www.berlinermaueronline.de/ mauerkunst/ u. http://www.pohl-projekt.de/G_M_A001.htm) u. der Lennon Wall in Prag (Karssenberg, Index 53/ Prag, Abb. 274 in: http://www.erasmuspc. com/index.php?id=18118&type=article), das seit 1985 über die ganze Stadt gezogene Netz der Stencil-Graffiti von Miss Tic (1956/ Abb. in: http://www. missticinparis.com) in Paris (Karssenberg, Index 49/Paris), oder „The Dot Masters“-Serien (http://dot.c6.org/drupal/) konnten sich auch ohne Konzept entwickeln, wie die inzwischen zur Tradition gewordene „Beschriftung“ der Statue „Il Pasquino“ in der Nähe der Piazza Navona in Rom, wo seit 500 Jahren römische Spottgedichte angeklebt werden (Abb. in: http://de.wikipedia.org/wiki/ Bild:Pasquino_1.JPG).
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Visuelle Poesie
„Muurgedichten“ in Leiden und „Das Offene Buch“ in Hünfeld mit jeweils über 100 beschrifteten Fassaden.2715 Während in Leiden das Konzept vorsah, möglichst viele verschiedene Kulturkreise und Stilrichtungen der Literatur zu dokumentieren, um eine größere Nähe der Bevölkerung zur Literatur ganz allgemein herzustellen,2716 gab es in Hünfeld ein strengeres Konzept insofern, als es sich hier auf den internationalen Bereich der Konkreten und Visuellen Poesie konzentrierte.2717 Während in der Universitätsstadt Leiden mit über 100 000 Einwohnern, stärkerer Internationalität und kultureller Vielfalt ein solches Projekt leichter zu realisieren war, wurde die Idee in der Kleinstadt Hünfeld mit 16 000 Einwohnern zunächst eher skeptisch aufgenommen. Es bedurfte der Obsession eines von den Künsten bessenen Jürgen Blum (1930)2718, der nicht nur das Museum Modern Art in Hünfeld aufbaute, sondern auch private Hauseigentümer überredete, das Projekt zu fördern, und der die Kosten niedrig hielt, weil er selbst die Schablonen schnitt und die Fassaden bemalte. In Hünfeld, wo es oft gelang, die Texte der Autoren nicht nur auf sich anbietenden freien Flächen zu veröffentlichen, – wie dies in Leiden der Fall war –, sondern sie innerhalb eines Rahmenkonzepts auch einzeln im Hinblick auf einen möglichen Kontext auszusuchen, um so einen dauer2715
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Während es sich hier um Projekte mit festen Poesie-Standorten handelt, gibt es mehrere Projekte mit mobilen Objekten, wie sie Ferdinand Kriwet schon in den 1960iger Jahren forderte: „Die Ausmaße dieser Seh-Lese-Kombinationen sind nicht nach oben, nur nach unten begrenzt; ideale Formate wären große Tafeln an Hauswänden, Bauzäune, auch die Flächen von Lastwagen, nicht sehr beladene Schiffe (Verkehrsmittel, welche Text durch die Landschaft führen und schwämmen: Poesie-Taxis).“ (In: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 41). Das Programm „Poetry in Motion“ auf U-Bahnen und Bussen startete ebenfalls 1992 in New York nach dem Vorbild von London, wo dies bereits seit 1986 realisiert wurde (http://www.mta.info/mta/pim/index.html). Ein weiteres Bsp. ist Klaus Littmans Projekt „Move for Life – Eine mobile Kunst-Intervention gegen Armut, Aids, Gewalt, Rassismus und Umweltzerstörung“, das seit 2006 auf überlangen Trucks läuft (http://www.moveforlife.org/index.html). Marleen van der Weij, Dicht op de muur. Gedichten in Leiden. Leiden 1998. Ein 2. Band erschien 2005. Das Offene Buch. Hg. Jürgen Blum. Bd. 1–3. Hünfeld 1998 ff.; Das befreite Wort im Offenen Buch der Stadt Hünfeld. 125 Textformen auf Hausfassaden und Objekten. Hg. Jürgen Blum. Hünfeld 2007. Abb. in: Gerhard Jürgen Blum Kwiatkowski. Katalog Kunststation Kleinsassen 2005, S. 67 (Übersicht), Abb. 275 S. 38, 39, 43. 1974–1994/ 20 Jahre/ Jürgen Blum/ Kunstaktivitäten in Osthessen. Hg. Jürgen Blum. Hünfeld o. J.
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Abb. 274: Lennon-Wall, Na Kampi/Prag, seit 1980
haften Bezug zur Umgebung herzustellen, wuchsen die Texte in die Stadt hinein, eroberten sich Räume, in denen Wände und Fassaden in Kongruenz und Konkurrenz zueinander Teil einer Stadtgeschichte wurden. Das gelang, weil entsprechend der Dimension von Haus, Straße und den üblichen Objekten der Stadtmöbilierung die Dimensionen der Texte sich nicht nur rein plakativ verlieren, sondern in Relation zur Umgebung eigene Ausdruckkraft entwickeln konnten. WIND von Gomringer oder ROTOR von Mon bekamen im Raumkontext zusätzliche Bedeutungen, die sich auf Plakaten oder gedruckt im Buch schwerer vermitteln. Ein städtischer Raum, der vordem sowohl von der Stadtstruktur als auch architektonisch keine besonderen Akzente besaß, definierte sich neu über das Netz der Poesie, das über die Kleinstadt gespannt wurde, und als Netz nicht nur wegen der Anzahl von 125 Texten stärker funktioniert, als die im Verhältnis kleinere Menge von 101 Texten in der größeren Stadt Leiden, sondern auch wegen des klareren Konzepts, dessen Netzfunktion durch Korrespondenzen inhaltlicher und formaler Art der Texte untereinander gefestigt wurde. Hünfelds Projekt führte zur einer Sprache des Raums, d.h. der Raum entwickelte eine eigene Sprache, im Gegensatz zu
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Abb. 275: Das Offene Buch, Hünfeld, Realisationen seit 1997
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Leiden, wo es die Wahrnehmung einer Sprache im Raum gibt. Leiden und Hünfeld folgten damit einerseits dem Jahrhunderte alten Wunsch der Literaten, ihre Texte nicht nur in Büchern zu verschließen, sondern sie auch einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen,2719 andererseits gingen sie aber mehr (Hünfeld) oder weniger (Leiden) über ein bloßes Plakatieren hinaus, das es immer schon gab.
Plakatgedicht Das Plakatieren von Gedichten mittels eines Plakats – das man u.a. in der Tradition der Einblattdrucke und Flugschriften sehen könnte –2720 besaß 2719
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„Hans Magnus Enzensberger will seine Gedichte verstanden wissen als Inschriften, Plakate, Flugblätter, in eine Mauer geritzt, auf eine Mauer geklebt, vor einer Mauer verteilt; nicht im Raum sollen sie verklingen, in den Ohren des einen, geduldigen Lesers, sondern vor den Augen vieler, und gerade der Ungeduldigen, sollen sie stehen und leben, sollen auf sie wirken wie das Inserat in der Zeitung, das Plakat auf der Litfaßsäule, die Schrift am Himmel. Sie sollen Mitteilungen sein, hier und jetzt, an uns alle.“ (zit. nach: Schenk, Medienpoesie, a.a.O., S. 296). Es handelt sich um einen mit den Initialen h. m. e. versehenen Waschzettel, der Enzensbergers „verteidigung der wölfe“ (Frankfurt 1963) beilag. Zur historischen Entwicklung öffentlicher Anschläge gehören Beispiele, die bis in die Antike zurückgehen, als in Mesopotamien Könige Stelen aufstellen ließen, die Gesetze oder Siege verkündeten, in Ägypten Bekanntmachungen auf Papyrusrollen ausgehängt und in Rom durch Cäsar auf geweißten Holztafeln amtliche Mitteilungen verbreitet wurden. Zu Beginn der Gutenberg-Ära verstärkte sich das Anschlagwesen seit William Caxton (ca. 1422–1491) in England das erste Plakat druckte, Bildplakate (zuerst von Gheraert Leeu (ca. 1445–1493) als Buchanzeige für die Übersetzung der „Schönen Melusine“ mit dem Holzschnitte „Melusine im Bade“ am 9. 2. 1491 in Antwerpen) auftauchten (http://www1. uni-hamburg.de/Bildkunde/Bildkunde/Placard-plakat.pdf) und schließlich auf Flugblättern und Einblattdrucken auch Poesie erschien. Zur sich entwickelnden Plakatierungssucht vgl. J. J. G. Bourdet „Die Plakatierungssucht“ (1836/Abb. in: Die Kunst zu werben, a.a.O., S. 51). Das künstlerische Bildplakat geht auf Jules Chéret (1836–1932) zurück: „Bal du Moulin Rouge“ (1889/Abb. in: http:// www.nga.gov/exhibitions/2005/toulouse/056–206.htm) und „Paris Cancan“ (1890/Abb. in: http://www.answers.com/topic/moulin-rouge) bevor Toulouse Lautrec sein erstes Moulin-Rouge-Plakat „Moulin Rouge – La Goulue“ (1891/ Abb. in: http://www.nga.gov/exhibitions/2005/toulouse/010–219.htm) schuf, nachdem ihm Chéret „Bal du Moulin Rouge“ gezeigt hatte (Abb. von Chéret und Lautrec vor diesem Plakat in: http://commons.wikimedia.org/wiki/ Image:CartazXIX.jpg). In der Folgezeit haben Künstler immer wieder Werbeplakate entworfen, wie Kandinsky für Schokolade (1896/Abb. in: Die Kunst zu wer-
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zwar durch die Vervielfältigungsmöglichkeiten eine stärkere Mobilität und den direkteren Zugang zu einer größeren Öffentlichkeit, als das standortgebundene und nur einmal existierende Gedicht. Aber es wurde wegen der oft fehlenden Ortsbezüge und dem damit verbundenen Ausbleiben einer mehrschichtigen Ausdrucksqualität erst dann wieder interessant, als über die Form der reinen und lediglich vergrößerten Buchseitenreproduktion hinaus, ein Visualisierungsrepertoire von der typografischen Gestaltung bis zur bildnerischen Durchformung des Textes das Lesen-Müssen in ein Sehen-Können und -Wollen verwandelte. Das entsprach zwar dem gewöhnlichen Werbemechanismus, wie ihn der Verleger Paul Steegemann ausnutzte, als er Schwitters’ Gedicht „An Anna Blume“ in Hannover plakatieren ließ,2721 führte aber zu wesentlich komplexeren literarischen Gebilden, wie sie sich aus den Arbeiten der Schriftsteller für die Werbung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts,2722
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ben, a.a.O., S. 238), Lissitzky für Pelikan-Tinte (1924/Abb. in: Die Kunst zu werben, a.a.O., S. 234 f.), Vasarely für Air France (1946/Abb. in: Die Kunst zu werben, a.a.O., S. 240), Schwitters für eine ganze Reihe von Firmen: Pelikan, Bahlsen, Norta-Tapeten, Weise Söhne (Pumpen), Philips und für die Stadt Hannover (Kurt Schwitters Merzhefte, a.a.O., Merz 11 [Pelikan-Nummer 1924] u. Kuhn, Wenn Dichter texten … a.a.O., S. 43 ff. mit vielen Abb.), Magritte für Alfa Romeo (1924/Abb. in: http://www.arteauto.com/1924alfa-romeoadvertisingposter. aspx), Warhol für Perrier und Chanel (Abb. in: Künstlerplakate von Picasso bis heute. Hg. Jürgen Döring. Hamburg 2007, S. 110) oder Beuys mit seinen Plakaten für die Partei der Grünen (Beuys, Plakate/Posters. Hg. Isabel Siben. München 2004). Im Juni 1920 erschienen in Hannover die 10 Gebote auf übergroßen Plakaten. Eine Woche nach dem Start dieser Aktion ließ Steegemann daneben in gleicher Größe das Gedicht plakatieren, um die Aufmerksamkeit auf den gerade erschienenen Band „Anna Blume. Dichtungen“ zu richten; Abb. in: http://www.weiterimtext.ch/schwitters_anna_blume.jpg. Die Beschäftigung der Schriftsteller mit der Werbung etwa von Ringelnatz in „Die Litfasssäulen“ (aus dem Gedichtband „Reisebriefe eines Artisten“ (1927) oder von Arno Holz in „Achtung! Achtung!! Achtung!!!“ (aus der großen Phantasus-Fassung von 1916), führte schon früh zu Nachahmungen und Arbeiten für die Werbung. So wurde in dem Holz-Text eine auf die Litfaßsäule zugeschnittene Figuration erkannt, u. a. „weil sich die graphische Komponente der Mittelachse auf Gestaltungsformen im Medienkontext der WerbeTypografie beziehen lässt.“ (Schenk, Medienpoesie, a.a.O., S. 77; vgl. auch Krüger, Lesebilder und Sehtexte der Avant-Garde, a.a.O., S. 176 f.). Und so arbeitete Frank Wedekind schon 1886/87 für Maggi, vgl. Kuhn, Wenn Dichter texten …, a.a.O., S. 21 ff., hier auch weitere Hinweise auf PR-Arbeiten der Schriftsteller: u. a. von Schwitters, Kästner, Ringelnatz, Zuckmayer, Brecht, Edschmid, Gomringer, Enzensberger, Biermann. Siehe auch Anm. 1930.
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vom literarischen Experiment geprägt seit dem Futurismus2723 und von politischer Programmatik bestimmt seit der russischen Agitprop-Bewegung2724, weiterentwickelten. Beispielhaft Raoul Hausmann, der berichtete, wie er im April 1918 in der Druckerei Robert Barthe/Berlin durch Zufall, indem er die „écriture automatique“ anwandte, auf die Idee kam, Plakatgedichte herzustellen. Als er in der Druckerei sein Buch „Material der Malerei, Plastik und Architektur“ setzen ließ, wurde er auf große Plakatschrifttypen aufmerksam und bat den Setzer, nach seinem Belieben Buchstaben zu kombinieren und zu setzen. „Und da man schon einmal dabei war, so wurden vier verschiedene Plakate gesetzt, dann auf ziegelrotem, auf grünem und auf gelbem Papier gedruckt – das sah wunderbar aus.“ Diese scheinbar nur ästhetische Spielerei mit dem Buchstabenmaterial bekam nun eine zusätzliche Bedeutungsebene. Für Hausmann war das der Beginn der Akustischen Poesie, seiner optophonetischen Gedichte: „Große sichtbare Lettern, also lettristische Gedichte, ja noch mehr, ich sagte mir gleich optophonetisch! Verschiedene Größen zu verschiedener Betonung! Konsonaten und Vokale, das krächzt und jodelt sehr gut! Natürlich die Buchstabenplakatgedichte mussten gesungen werden!“2725 2723
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Wie z. B. Depero für Campari (Abb. in: Futurismo & Futurismi, a.a.O., S. 331. „Marinetti schickt mir „Parole in libertà“ von ihm selbst, Cangiullo, Buzzi und Govoni. Es sind die reinen Buchstabenplakate; man kann so ein Gedicht aufrollen wie eine Landkarte. Die Syntax ist aus den Fugen gegangen. Die Lettern sind zersprengt und nur notdürftig wieder gesammelt. Es gibt keine Sprache mehr, verkünden die literarischen Sterndeuter und Oberhirten; sie muß erst wieder gefunden werden.“ (Ball, Die Flucht aus der Zeit, a.a.O., S. 42: Eintrag vom 9. 7. 1915). Abb. Russ. Plakate 1910–1942 in: ex libris 6, a.a.O., Nr. 376–114d; Abb. 276 in: Bojko, Rot schlägt Weiß, a.a.O., S. 67; P. Babajeva, Welche Art von Plakaten brauchen wir? (1931). In: „Kunst in die Produktion!“, a.a.O., Dok 18. Zur Geschichte des politischen Plakats vgl. Ruth Malhorta, Politische Plakate 1914–1945. Hamburg 1988 sowie die wichtigsten Künstler dieses Genres: John Heartfield (Der Malik-Verlag 1916–1947. Hg. Wieland Herzfelde. Berlin 1966; Eckhard Siepmann, Montage: John Heartfield. Berlin 1977) und Klaus Staeck, Die Reichen müssen noch reicher werden. Politische Plakate. Hg. Ingeborg Karst. Reinbek 1973; Staeck, Plakate. Göttingen 2000); Ohne Auftrag. Unterwegs in Sachen Kunst und Politik. Göttingen 2000, sowie die „staeckbriefe“, die seit 1977 alle Plakate dokumentieren. Hausmann, Am Anfang war Dada. Hg. Karl Riha/Günther Kämpf. Giessen 19802, S. 43; Abb. der Plakatgedichte „OFFEAH“ (1918) S. 43 u. „fmsbwtözäu“(1918) S. 67.
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Abb. 276: Michail Tscheremnych, Rosta-Fenster Nr. 635, 1920
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Im Juni 1928 berichtete Karel Teige, dass Pierre Albert-Birot für seine Bücher keinen Verleger fand und die Gedichte in seiner Hausdruckerei in einer Auflage von 200 bis 300 Exemplaren vervielfältigte: „Um sich eine breitere Publizität einzuhandeln, veranstaltete er 1922 eine Ausstellung seiner Gedichte (in der Galerie Weil)2726. Er schrieb seine lakonischen lyrischen Aufzeichnungen mit großen Buchstaben aufs Papier und stellte sie an den Wänden der Galerie aus. Manche schrieb er auf verschiedenfarbiges Papier: so wurde er auf den Gedanken des poetischen Plakats gebracht. Auf den Gedanken der plein-air-Plakatpoesie, die ihre Gedichte auf den Straßenecken, auf Parkwegen platzieren würde, wo man sonst banale Sprüche liest, und wo sie so inmitten des täglichen Lebens stehen. (In diesen plein-air-Plakatgedichten Birots kann man einen weiteren Schritt in Richtung der Bildgedichte des Poetismus erblicken).“2727 Dieser Weg wurde dann in den 1950er und 1960er Jahren beschritten. Dazu schrieb Ian Hamilton Finlay 1964: „Wir versuchen eine Reihe von Gedicht/Drucken zu machen, wie ich es nenne: das heißt, individuelle (einzelne) konkrete Gedichte, die ziemlich groß gedruckt werden sollen, und die von denen, die sie kaufen, in der gleichen Weise verwendet werden würden wie die Reproduktion eines Gemäldes. Sie könnten gerahmt werden, für die Wand. Es müssten Gedichte mit einem visuellen Gewicht sein, obwohl ich nicht meine, dass sie in der Art (häufig) von Diter Rot Wörter ausschließen sollten. Eines, zum Beispiel, wird mein poster poem, !Plakat-Gedicht"2728, sein, das die Form eines altmodichen Plakates verwendet, und eine Metapher, die daraus entspringt (…) Das K 47 !in poster poem" ist ein Fischerboot !Schmacke" – es wird mit einem ZirkusPony verglichen – backbord und steuerbord / die roten und grünen Lichter sind die bunten Scheuklappen des Pony – / – der Regenbogen und seine Spiegelung sind der Reifen durch den das Boot fährt / das Pony springt / – das Meer ist die Zirkusarena“2729 In seinem Poster Poem „Le Circus“ verteilte er über die Fläche des Blattes Wörter, die die Exis2726 2727
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Gemeint ist die Galerie Berthe Weill in Paris. Teige, Liquidierung der „Kunst“, a.a.O., S. 85. Vgl. dazu die Erinnerung von Arlette Albert-Birot an das Jahr 1922 und wie es zu der Ausstellung kam, in: concerning concrete poetry, a.a.O., S. 60. Abb. 277 in: Pierre Albert-Birot, Poesie 1916–1924. Paris 1967, S. 437 u. Weiss, Seh-Texte, a.a.O., S. 30. Ian Hamilton Finlay. Prints 1963–1997 Druckgrafik. Hg. Rosemarie E. Pahlke/ Pia Simig. Ostfildern 1997, „Poster Poem (Red Boat)„/1963, S. 9 u. „Poster Poem (Le Circus)„/1964, Abb. 278 S. 10. In: Akzente 16. Jg., H. 6, München 1969, S. 483 f. Es handelt sich um einen Brief aus dem Jahr 1964 an Ernst Jandl gerichtet.
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Visuelle Poesie
Abb. 277: Pierre Albert-Birot, Poème-Affiche, 1916–1924
tenz eines Fischerboots „K 47“ evozieren: crew, blinker, red light, green light, nets, corks usw. Der Kreis als Metapher für den Arbeitsablauf an Bord, im blitzenden Licht der Positionslampen und unter dem Regenbogen, – das Fischen als Metapher für den Erfolg, der auf einer begrenzten Aktionsfläche (wie im Zirkus) gesucht wird. Dreifarbig mit verschiedenen Schrifttypen und grafischen Elementen entwarf Finlay eine Fläche, die Text- und Bildfläche zugleich ist, d. h. das gesetzte Material ergibt in seiner semantischen Korrespondenz und grafischen Positionierung eine eigene Lesefläche zusätzlich zu der aus Hintergrund, Farben, Größenverhältnissen und anderen strukturbildenden grafischen Elementen bestehenden Bildfläche. Bense hatte dieses sich insbesondere auf Plakattexte beziehende Verhältnis2730 sehr früh schon und gleichsam als Teil der Programmatik der 2730
Vgl. Anm. 24, 76, 1493.
Text als Figur – Text im/als Bild
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Abb. 278: Ian Hamilton Finlay, Poster-Poem (Le Circus), 1964
Konkreten Poesie definiert und daher auch eine gewisse Nachbarschaft des Werbetextes zur Konkreten Poesie festgestellt. „Plakattexte müssen wahrnehmbar sein, sie sagen etwas; aber das, was gesagt wird, wird primär als Wahrnehmbares gesagt, Worte, Sätze sind hier präsentierende Flächen. Jedes Plakat stellt also im allgemeinen nicht nur eine visuelle Bildfläche, sondern auch eine visuelle Textfläche dar und diese kann ebenso gut von statistisch-konkreten wie von semantisch-inhaltlichen Mitteln Gebrauch machen, also ästhetischen Realisationen oder kommunikativen Codierungen dienen.“2731 Mit dem Aufbrechen des Satzspiegels, der Verdrängung syntaktischer linearer Strukturen durch asyntaktische nicht-lineare Textflächen bekommt „die Textgestalt nicht nur als bildhaft-gedankliches, sondern auch als sinnlich-optisches Phänomen“2732 Ausdruckswerte, die sowohl das Funktionieren von Werbung begünstigt, als auch die Aufmerksamkeit für die sinnstiftenden Textelemente mit all ihren Valenzen und Korrespondenzen befördert. 2731 2732
Bense, Programmierung des Schönen, a.a.O., S. 112. Bense, Einführung in die Informationstheoretische Ästhetik, a.a.O., S. 129.
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Visuelle Poesie
Neben dem Spiel mit der Visualisierung von Text und der Entdeckung eines neuen Publikationsmediums waren allerdings – vor allem bei Autoren der Konkreten Poesie –2733 Plakatgedichte aber vielfach auch gerade eine Auseinandersetzung mit der Werbung, ihren Formen und Mechanismen, um mit den Mitteln der Werbung Sprache und Inhalte der Werbung in Frage zu stellen.2734 beba coca babe beba coca babe cola caco cola
cola cola caco
cloaca
Décio Pignatari, beba coca cola, 1957
So konterkarierte Décio Pignatari 1957 „beba coca cola“ den amerikanischen Slogan „Drink Coca-Cola“2735, wobei „coca cola“ über Buchstabeninversionen von beba/babe (drink/slob) und coca cola/cola caco (glue/ pieces) zu „cloaca“ mutiert: „An early committed concrete poem. A kind of anti-advertisement. Against the reification of the mind through slogans, demistifying of the !artifical paradise" promised by mass-persuasion techniques. Cloaca is made out of the same letters as CocaCola“.2736 2733
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Hansjörg Mayer gab eine Sammlung (mit dem Titel: futura) von Plakatgedichten der Konkreten Poesie von 1965 bis 1968 heraus. Insgesamt 26 Faltblätter im Format 48 × 64 cm. Alle abgebildet in: buchstäblich wörtlich wörtlich buchstäblich, a.a.O., S. 133 ff. Wie es Bremer für sich formulierte, vgl. Anm. 1930. Umgekehrt hat die Werbung wieder Erfahrungen der Konkreten Poesie für sich genutzt: „Die Aura, die die Konkreten ihren Produkten zuschrieben, hat sich verflüchtigt zu einer Virulenz auf dem Gebiet des Text-Designs und der Reklame. Was die Konkrete Poesie allererst inszenierte, die Auratisierung der Materialität von poetischen Texten, wurde von der Werbebranche genutzt zu einer Auratisierung der Ware als Text.“ (Schenk, Medienpoesie, a.a.O., S. 206). Vgl. dazu auch Heinz Hartwig, Das Wort in der Werbung. München 1974. In: http://www.scripophily.net/coccolbotcom2.html. Haroldo de Campos in: an anthology of concrete poetry, a.a.O., o. p. zu Pignataris Gedicht. Vgl. dazu im dritten Teil der Textfolge „Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“ von Hilde Domin („Ich will einen Streifen Papier/ so groß wie ich/ ein Meter sechzig/ darauf ein Gedicht/ das schreit/ sowie einer vorübergeht/ schreit in schwarzen Buchstaben/ … unabweisbar/ als rufe es/ !Trink CocaCola"“) (Domin, Gesammelte Gedichte. Frankfurt 1987, S. 336 f.).
Text als Figur – Text im/als Bild
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Franz Mon veröffentlichte 1961 Plakattexte,2737 die dadurch entstanden, dass er aufgefundene Plakate in Streifen schnitt und die erhaltenen Teilstücke nach bestimmten Regeln montierte, so dass sich Interferenzen verschiedener Texte und neue Lesekontinua ergaben. Und Ferdinand Kriwet kündigte „einen !öffentlichen Text für 11 Lesesäulen" mit dem vorläufigen Titel ANTHOLOGIE“ in seinem Buch „leserattenfaenge“ an.2738 „Der öffentliche Text, sei er der Literatur zuzuordnen oder nicht, liegt heute nicht mehr waagerecht-flach vor dem Leser, er steht senkrecht gegenüber als Plakat, als Zeitung, als Schild, als Film (Kino und Fernsehen) oder als Objekt (bedruckte Flaschen, beschriebene und bemalte Lastwagen, Litfasssäulen, neonbeschriftete Häuser etc.).“2739 So wurden Strukturen und Mechanismen einer sich erweiternden Medienlandschaft genutzt, um mit diesen oder gegen sie Texten ein neues Gewicht zu geben und schließlich mit aufklärerischer Werbung Antiwerbung zu betreiben, etwa in dem Projekt beschrifteter Stadtbusse „Werbung statt Kunst“ von Monica Bonvicini2740, oder „Text/Context“ (1979) von Joseph Kosuth, der ein Großplakat von McDonald’s konfrontierte mit einem gleichgroßen, das Nachdenken anregenden Textplakat,2741 bis hin zu einem Funktionswandel in der Rezeption von H&M- und Benetton-Plakatserien, die Ammann zu der Fragestellung herausforderten, ob diese nicht selbst schon als „Kunst im öffentlichen Raum“ betrachtet werden könnten.2742
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In: Diskus 11. Jg., H. 6+7, Frankfurt 1961, o. P. u. „neue plakat texte“ in: Diskus 13. Jg., H. 7, Frankfurt 1963, o.P., Mon, Über Plakate (1962). In: Mon, Gesammelte Texte 1, a.a.O., S. 104 ff. u. S. 120 f. (Abb.). Abb. 279 in: franz mon, sehgänge. berlin 1964, S. 29 (= schritte acht). leserattenfaenge, a.a.O., S. 14; Abb. in: Kriwet, Mitmedien, a.a.O., S. 84 f. („Lesewald“/1965), S. 86 f. „3-Säulen-Text“ u. „9-Säulen-Text“, (beide 1969) sowie in: Kriwet, Kunst und Architektur, a.a.O., S. 26 f. leserattenfaenge, a.a.O., S. 14. Vgl. dazu das Benjamin-Zitat in Anm. 1865. Cay Sophie Rabinowitz, Monica Bonvicinis kultureller Materialismus – Werbung statt Kunst. In: Aussendienst. Kunstprojekte in öffentlichen Räumen Hamburgs. Hg. Achim Könneke/Stephan Schmidt-Wulffen. Freiburg 2002, S. 375 ff. (Abb. S. 366 f.). Abb. 280 in: Public Art, a.a.O., S. 300 u. eine andere Variante in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 53. Jean-Christophe Ammann, Von Claudia Schiffer (H&M) über Oliviero Toscani (Benetton) zu BILD. In: Public Art, a.a.O., S. 675 ff.
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Visuelle Poesie
Abb. 279: Franz Mon, Plakattext, 1964
Abb. 280: Joseph Kosuth, Text/Context, 1979
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Und so gab es in den 1960er Jahren nicht nur Ausstellungen in dafür vorgesehenen Ausstellungsinstituten,2743 sondern mit der Entdeckung des Raums als Textraum „graphic poems on the walls of houses, on notice boards for election posters, and in public squares“,2744 wie das vom 8. bis 18. August 1967 in dem von Adriano Spatola und Claudio Parmiggiani organisierten und von 140 Autoren unterstützen Projekt „Parole sui Muri“2745 in Fiumalbo in der Nähe von Modena/Italien zu besichtigen war, oder selbst heute noch, z. B. in Projekten wie „Poesie im Wind“ (2004) mit fünf Konstellationen zum Thema WIND von Carlfriedrich Claus, Gappmayr, Gomringer, Hirsˇal/Grögerová und Vroom auf Fahnen in Niedermehnen, gelegentlich ausprobiert wird.2746 Waren es zunächst noch geschlossene Text- und Wort-Environments wie Allan Kaprows „Words“ (1961)2747, eigens entworfene Texträume wie Franz Mons „mortuarium für zwei alphabete“2748, solche den Raumsitua2743
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Bis zur extremen Textreduktion auf zwei Zetteln, die Robert Barry für 2 Wochen im Dezember 1969 in Amsterdam an die Eingangstür der Art & Project Gallery kleben ließ. Der eine Zettel enthielt die Namen der Galerie und des Künstlers, sowie die Daten der Austellungsdauer, der zweite den Satz „during the exhibition the gallery will be closed“. „The aim was not so much to blur the boundary between the visual and the verbal as to substitute the model of the linguistic sign for that of the image. As the British artist Terry Atkinson noted, in the new art !the content of the artist’s idea is expressed through the semantic qualities of the written word".“ (In: writing on the wall, a.a.O., S. 139). Vgl. Auch den Textraum von Barry „Installation at Gallery 57“ (1991/Abb. in: writing on the wall, a.a.O., S. 206). Jacques Donguy, Jean-François Bory. A life made with words. Verona 2006, S. 7. parole sui muri. Editione Geiger, Milano 1968. LandArt Magazin. 6-wöchiges Kulturprogramm im Kreis Minden-Lübbecke. Minden 2004, S. 34. Abb. in: writing on the wall, a.a.O., S. 119; Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 48 u. William S. Rubin, Dada, Surrealism, and Their Heritage. New York 1968, S. 55. Ein oktogonaler Textraum zuerst 1970 für die Biennale in Venedig entstanden. Ein zweiter Raum wurde 1972 als 8 m lange, begehbare Raumtonne in Wilhelmsbad gebaut (Abb. in: Dencker, Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O.), dazu: Mon, Selbstdarstellung (1978). In: Gesammelte Texte 1, a.a.O., S. 154 f. Ein weiteres Beispiel ist die „Chronographie Terrestre“ (Abb. 236) ein 1981 begonnenes „work in progress“, eine Tagebuch in Text/Bild-Tafeln. Haack entwarf 1989 für die Stuttgarter Buchhandlung Wendelin Niedlich einen begehbaren Kubus, der aus 22 Text/Bild-Tafeln gebaut wurde. 1997/98 wurde das Konzept für die Ausstellung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt erweitert, indem dieser Kubus in einen größeren mit 54 Text/Bild-Tafeln gestellt wurde (Abb. in: Haack, Chronographie Terrestre. Heidelberg 2001, S. 9 ff. u. S. 35, 63). Ebenso spannend das „T.O.W-C. Book-Project“ des Dänen William Louis Sørensen (1942–2005), Abb. u. Erläuterungen in: W. L. S., Data. Copenhagen 2006, S. 376 ff.
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Visuelle Poesie
tionen in Museen2749 oder Galerien2750 angepaßte, in halböffentlichen2751 oder öffentlichen Gebäuden2752, oder als Schaufensterkunst2753 schon zum Außenraum hin geöffnete, schuf dann das Programm „Kunst im öf-
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Jochen Gerz, „Leben“ (1974/Abb. in: Gerz, Get out of my Lies, a.a.O., S. 60ff.) im Kunstmuseum Bochum; Marcel Broodthaers, „La Salle blanche“ (1975/Abb. in: S. D. Sauerbier, Wie die Bilder zur Sprache kommen. Ein Strukturmodell der Text/Bild-Beziehungen. In: Kunstforum 37, Köln 1/980, S. 27) im Centre National d’Art Contemporain/Paris; Lothar Baumgarten, „Eldorado“ (1987/Abb. In: writing on the wall, a.a.O., S. 191) in der Kunsthalle Bern; Lawrence Weiner, „ohne Rücksicht oder – or without regards“ (1994/Abb. in: Weiner, ohne Rücksicht oder – or without regards. Stuttgart 1994); Ilya Kabakov, „Der Lesesaal“ (Abb. in: Kabakov, Der Lesesaal/The Reading Room. Hamburg 1996 – Zur Verwendung von Sprache in den Installationen von Kabakov vgl. auch Kabakov, Installationen 1983–2000. Werkverzeichnis. Hg. Toni Stoss. Bd. 1 u. 2. Düsseldorf 2003) und die Texträume von Ján Mancˇusˇka Abb. 281 in: Mancˇusˇka, Chybeˇní. Prag 2007, o. P.). Joseph Beuys, „Difesa della Natura“ (1982/Abb. In: Joseph Beuys. Katalog. Oldenburger Kunstverein 1986, o. P.) in der Galerie Klein/Bonn. Im Arte Luise Kunsthotel in Berlin hatte Angela Dwyer (1961) die Wände eines Hotelzimmers mit Zitaten von Schriftstellern von Burroughs bis Wittgenstein über das Hoteldasein und das Leben an sich beschrieben, Abb. in: http:// www.luise-berlin.com/zimmer/304-angela-dwyer.htm. Vgl. auch: Joachim Propfe, SchreibKunstRäume. Kalligraphie im Raum. München 2005. Im Wartesaal des Bahnhofes von Ommen/Holland ist von Joseph Kosuth „Taxonomy Applied No.2“ (1992) zu finden, Abb. in: http://www.skor.nl/artefact1403-en.html und im Altonaer Rathaus/Hamburg „Pathosgeste“ (1984–87/1990) von Anna Oppermann (1940–1993), Abb. 282 in: Oppermann, Pathosgeste – MGSMO – Installation im Altonaer Rathaus. Hamburg/Brüssel 1991, o. P., vgl. weitere Installationen in: Oppermann, Ensembles 1968 bis 1984. Hamburg/ Brüssel 1984. Jüngst realisierte Franz Mon „Schriftfilm“ (2001) in der Verwaltungszentrale von Swiss Re/München. In 4 Fahrstuhlschächten gibt es von der Parkebene bis zum Erdgeschoß auf der Schachtwand und der Rückseite des gläsernen Fahrstuhls Buchstabenkonstellationen, die sich einerseits während der Fahrt überschneiden und andererseits beim Halt zu Wörtern verbinden, Abb. in: Swiss Re. München 2006, S. 30 u. 32. Künstlerschaufenster. Hg. Peter Pakesch/Peter Weibel. Graz 1979/80. Katalog zu „Kunst im Schaufenster“, ein Projekt anläßlich von „Kunst und Öffentlichkeit“/steirischer herbst 79, mit einem Essay von Weibel „Schaufenster-Botschaften. Ein Piktorial zur Ikonographie des Urbanismus“ und vielen Abb. zur Geschichte der Warenauslage, ebenso: Nina Schleif, SchaufensterKunst. Berlin 2004 u. Michael Emory, Windows. Chicago/Ontario 1977, ebenfalls mit historischen Beispielen. Im November 2002 entstand das City-Poem „Dialogaze“ (Karssenberg, Index 65/Tel Aviv) im Schaufenster der Tova Osman Galerie/Tel Aviv von Rivka D. Mayer als Aufforderung zum Dialog. Das Karl Ernst Osthaus-Museum/Hagen stellte 2007 eine Dokumentation zusammen „Schaufensterkunst – Kunst im Schaufenster“ von Peter Behrens’ Schaufenster für die Tapetenhandlung Klein in
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Abb. 281: Ján Mancˇusˇka, The First Minute of the Rest of a Movie (zusammen mit Jonas Dahlberg/1970), Bonner Kunstverein 2005
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Visuelle Poesie
fentlichen Raum“2754 die Voraussetzung für eine neue Qualität von Text im Raumkontext-Bezug.
Kunst im öffentlichen Raum Das Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ wurde zuerst in den Stadtstaaten Bremen (1970), Berlin (1979) und Hamburg (1981) umgesetzt, und zwar als Reaktion auf die ideologische Vereinnahmung von Kunst vor 19452755 und die überholten „Kunst am Bau“-Regelungen nach 1945, die die Autonomie des Künstlers und seiner Arbeit insofern einschränkten, als er den Vorgaben und Mitteln des Trägers der Baumaßnahme entsprechende Entwürfe vorlegen musste, was oft zu dekorativen Lösungen führte und gelegentlich Alibifunktion besaß in Bezug auf die ausgewiesenen ca. 1 % der Bausumme für künstlerische Gestaltung. Es waren Initiativen und Gegenkonzepte für die Realisierung einer emanzipatorischen Kunst im städtischen Raum als künstlerisches Aktionsfeld außerhalb der Bauhörden und unabhängig von aktuellen Baumaßnahmen, die das Bewusstsein für Objekte, Installationen und Aktionen im Kontext und Dialog zur natürlich gewachsenen und künstlich erschaffenen Umwelt schärften, wie die Idee „Das Offene Museum – die Stadt“ (1969)2756 oder das Projekt „Umwelt-Akzente“ (1970)2757, des2754
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Hagen (1905) über August Endells Fenster für Salamander in Berlin (1910) bis zu Andy Warhols Entwürfe für das Kaufhaus Bonwitt Teller in New York 1961. Kunst am Bau. Kunst im Stadtraum. Hg. Eva Krüger. Berlin 1992; Die Kunst des Öffentlichen. Projekte/Ideen/Stadtplanungsprozesse im politischen/sozialen/ öffentlichen Raum. Hg. Marius Babias/Achim Könneke. Dresden 1998; Kunst findet Stadt. Wie wird die Stadt attraktiv, reizvoll und kreativ? Verfasser: Sekretariat für Zukunftsforschung/Gelsenkirchen. Düsseldorf 2001; Kunst in der Stadt. Skulpturen in Berlin. Hg. Hans Dickel. Berlin 2003; Skulptur Projekte Münster 07. Hg. Kaspar König. Münster 2007 (das Projekt läuft seit 1977 alle 10 Jahre parallel zur documenta jeweils mit Katalog). Vgl. auch die schon erwähnten Publikationen: „Kunst im öffentlichen Raum“ und „PublicArt“. Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig. Hg. Bazon Brock/Achim Preiß. München 1990. Entwickelt von Peter F. Althaus (1931) und in einer Ausstellung der Basler Kunsthalle 1969 vorgestellt: Peter F. Althaus, Das Offene Museum. In: Über das Spiel hinaus. Freizeiträume der Zukunft. Ergebnisse des Informellen Treffens junger europäischer Künstler im Rahmen des Kunstprogramms der XX. Olympischen Spiele München 1972. Hg. Wolf Peter Schnetz. München/ Gütersloh 1973, S. 132ff. Monschau. Umweltakzente – die Expansion der Kunst. Hg. Klaus Honnef. Monschau 1970.
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Abb. 282: Anna Oppermann, Pathosgeste, Altonaer Rathaus, 1991
sen verantwortlicher Projektleiter Klaus Honnef (1939) 25 Künstler2758 beauftragte, in der Kleinstadt Monschau Arbeiten im Kontext eines von ihnen bestimmten Ortes zu realisieren.2759 Es folgten weitere Versuche mit dem von Michael Gehrke (1943–2004) etablierten „Experiment Stra2758
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Unter ihnen Ferdinand Kriwet mit der Arbeit TALK WALK, Abb. in: Kunst im öffentlichen Raum, a.a.O., S. 50. Klaus Honnef, Kunstwerke im öffentlichen Raum repräsentativer Demokratien: !Umwelt-Akzente" in Monschau, 1970. In: Kunst im öffentlichen Raum, a.a.O., S. 45 ff.
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ßenkunst“ (1970–1974)2760 in Hannover, dem von Hansfried Defet (1926) initierten „Symposion Urbanum“ (1971)2761 in Nürnberg und der „Olympischen Spielstraße“ (1972)2762 in München. Allen Projekten gemeinsam war zunächst, einerseits Kunst und Künstler vom Regelzwang des Kunstbetriebs mit seinen dafür vorgesehenen Verortungen und Verordnungen zu befreien, andererseits Wege zu suchen, um Publica zu erschließen, die bisher selten oder gar nicht erreicht wurden. In einem zweiten Schritt dann, als sich aus diesen Ansätzen ein Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ formte, als sich Künstler, Kunstsachverständige und Behörden auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten,2763 qualifizierten sich die Projekte auch stärker inhaltlich, d. h. die Arbeiten im öffentlichen Raum wurden zunehmend zum Spiegel der Schwachpunkte urbaner Gesellschaften, provozierten und forderten zum Dialog, zum Diskurs, zur Kritik heraus und versuchten, Gegenmodelle und Neudefinitionen von Lebensräumen und Formen des Zusammenlebens anzubieten, oder schufen die Voraussetzung für Wahrnehmungen des bislang nicht Wahrgenommenen. Am Beispiel Hamburgs2764 zeigte sich, wie beständig sich weiter qualifizierende Raumprojekte von einem begrenzten Innen-Raum (Halle) 19822765, über einen begrenzten Außen-Raum (Park) 19862766 und die
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Experiment Strassenkunst Hannover, Der Anfang. Photografiert von Joachim Giesel und Heinrich Riebesebl. Hannover o. J. (1970). Symposion Urbanum Nürnberg 71. Berichte, Fakten, Daten, Meinungen und Denkanstöße. Hg. Wolfgang Horn. Zirndorf 1972. Wolf Peter Schnetz, Statt Spielstraße: Agitationsbereich. In: Über das Spiel hinaus, a.a.O., S. 56 ff.; Freiheitsraum Spielstraße? In: Über das Spiel hinaus, a.a.O., S. 73 ff. Siehe die Verwaltungsanordnung über „Kunst im öffentlichen Raum“ der Freien und Hansestadt Hamburg von 1981, die erstmals die Zuständigkeit (mit Mittelüberweisung) von der Baubehörde auf die Kulturbehörde übertrug und die Beteiligung – neben den Behördenvertretern – von Vertretern der bildenden Kunst, der Architekten und kunstverständiger Bürger in einer Kunstkommission festschrieb, die darüber wachte, dass „die Verbesserung der städtischen Umwelt, die Ausprägung der urbanen Identität Hamburgs und der Eigenart seiner Stadtteile“ unter Berücksichtigung „aller Möglichkeiten der bildenden Kunst“ gewahrt blieb. In: http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/welcome.htm. Eine Link-Sammlung zu anderen Stadtprojekten ist zu finden unter: http:// www.stadtkunst.ch/0/8/. Halle 6-Objekt/Skulptur/Installation. Hg. Kulturbehörde Hamburg 1982. Jenisch-Park Skulptur. Hg. Kulturbehörde Hamburg 1986.
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Einbeziehung der ganzen Stadt (Großraum Hamburg) 19892767 bis zum Projekt „weitergehen“ (immaterieller Raum) 19972768 einen zunächst noch dominierend topografischen Raumbegriff zugunsten eines diskursiven Raumverständnisses verändern halfen und schließlich im Projekt „Außendienst“ 2000/20012769 zu künstlerischen Interventionen im Spannungsfeld öffentlicher Interessen, Ideologien und Gruppencharakteristika fanden, was sowohl zur kritischen Betrachtung der Kunst des Öffentlichen als auch zur weiteren Überprüfung von Kommunikation innerhalb der von der Medienentwicklung begünstigten Entgrenzung realer, digitaler und gedanklicher Spielräume führte. Dabei waren vor allem Schrift und Sprache im öffentlichen Raum – ausgehend und weiter unter dem Eindruck von Graffiti und Werbetexten – trotz der Veränderung des Mediums Öffentlicher Raum mit seinen neuen Attributen Virtualität, Simultanität, Ubiquität, Viabilität, Instabilität und Labilität, und vielleicht auch wegen des schwindenden Zutrauens zu gültigen Wahrnehmungsformen von Bild-Medien bezüglich ihrer nicht mehr zu kontrollierenden Manipulierbarkeit, konstante Bindeglieder und Kommunikationsbrücken des künstlerischen Ausdrucks. Und dies mit einer Vielfalt die vom einzelnen Objekt über die Aktion, den öffentlichen Textraum bis zur künstlichen Textfiguration der Natur und ganzer Landstriche reichte. Ein besonders gutes Objekt-Beispiel ist das „Harburger Mahnmal gegen Faschismus“ von Jochen Gerz & Esther Shalev-Gerz.2770 Das Mahnmal entstand innerhalb des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ in Hamburg und wurde 1986 eingeweiht. Es wurde als zwölf Meter hohe, bleiummantelte Säule mit 1 × 1 m Grundfläche und einer Oberfläche von 48 qm am Eingang eines Fußgängertunnels auf einem der belebtesten Plätze Harburgs konzipiert, oberhalb einer Backsteinkonstruktion, in die sie absenkbar war. Die Backsteinkonstruktion erhielt eine begehbare Plattform, auf der – wer immer sich von einer dort angebrachten Hinweistafel aufgefordert fühlte – „Gegen Faschismus, Krieg, Gewalt – für Frieden und Menschenrechte“ mit einem Spezialstift auf dem Bleimantel unterschreiben konnte. Vorgesehen waren mehrere Absen2767 2768
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Hamburg Projekt 1989. Hg. Kulturbehörde Hamburg 1989. „weitergehen 1“ (April) u. „weitergehen 2“ (Oktober). Hg. Kulturbehörde Hamburg 1997. Aussendienst. Kunstprojekte in öffentlichen Räumen Hamburgs. Hg. Achim Könneke/ Stephan Schmidt-Wulffen. Freiburg 2002. Jochen Gerz & Esther Shalev-Gerz, Das Harburger Mahnmal gegen Faschismus. Hg. Achim Könneke. Ostfildern 1994, Abb. 283 S. 94.
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Abb. 283: Jochen Gerz & Esther Shalev-Gerz, Harburger Mahnmal gegen Faschismus, 1986
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kungen, je nach der Menge erfolgter Beschriftungen, bis zum gänzlichen Verschwinden der Säule. So gab es von 1986 bis 1993 insgesamt acht Absenkungen. Heute ist nur noch die quadratische Abdeckplatte auf der Plattform und ein Teil der abgesenkten Säule durch ein Sichtfenster unterhalb der Plattform zu sehen. Die Konzeption war so einfach wie erfolgreich. Wäre das Mahnmal nicht angenommen worden, wäre es auf Dauer unabgesenkt ein ewiges Zeugnis der Verweigerung geblieben. So verschwand es mit all seinen ernsthaften Kommentaren und sinnlosen Kritzeleien, mit den privaten Liebeserklärungen, poetischen Versen und pornografischen Sprüchen, mit Beklebungen und Beschädigungen – als Zeugnis und Spiegelbild der ganzen Bandbreite menschlichen Befindens und Verhaltens. Ein komplexes Objekt, das in sich die Tradition des Denkmals und der Klagemauer verwandelte in ein ungeschütztes Angebot auf Zeit, das alle und zu allem herausforderte: – am Ende aber nahezu verschwand samt der über 60 000 Graffiti, kein mahnender Zeigefinger mehr, der Unruhe verursachen könnte, ein Stück abgearbeitetes Vergessen und der Archäologie späterer Jahrhunderte zu deren Überraschung überantwortet. Und dennoch: im Verschwinden2771 manifestiert sich das Imaginieren des Dagewesenen, verstärkt sich Erinnerung und Nachdenken, – Gedenken, unterstützt durch das kleine Sichtfenster, das mehr verbirgt als zeigt, aber unbegrenzt Vermutungen zulässt. „Daß Denkmäler desto weniger erinnert werden, je sichtbarer sie doch offenkundig sind, wissen wir seit Robert Musil, der diesen ketzerischen Gedanken auch noch in einem Nachlaß zu Lebzeiten2772, also einem vorweggnommenen Denkmal seiner selbst, äußerte. Tatsache ist, dass heute am meisten über nicht erkennbare Male gesprochen wird. Das von Jochen Gerz ersonnene, von Studenten der Saarbrücker Kunsthochschule verwirklichte Projekt, 2146 Pflastersteine des Schlossplatzes in Saarbrücken von unten mit dem Namen ehemaliger jüdischer Friedhöfe in Deutschland zu beschriften, hat weltweit Resonanz gefunden.2773 Die Lektüre ist nicht eindeutig. Man kann sowohl das Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit herausle2771
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Die Ästhetik des Verschwindens. Ein Gespräch zwischen Fred Forest und Paul Virilio. In: Digitaler Schein, a.a.O., S. 334 ff. Musil, Nachlaß zu Lebzeiten. Zürich 1936. Monika Steinhauser, Erinnerungsarbeit. Zu Jochen Gerz’ Mahnmalen. In: Daidalos Nr. 49, Gütersloh 1993. Das Spiel zwischen Anwesenheit und Vergessen wird in Ulrichs Grabstein perfekt vorgeführt: „Denken Sie immer daran, mich zu vergessen, Timm Ulrichs“ (1969/Abb. in: Wulf Herzogenrath, MonumenteDenkmal. In: Kunstforum international Bd. 37, 1/1980, S. 188).
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sen wie auf deren ständige, nicht mehr wegzudenkende Anwesenheit schließen.“2774 Dieses Misstrauen gegenüber dem dauerhaften Werk im Hinblick auf seine zunehmende Wirkungslosigkeit und die Furcht vor einer übergroßen und direkten Wortwörtlichkeit hatte den ursprünglich experimentellen Schriftsteller Jochen Gerz – der der Visuellen näher stand als der Konkreten Poesie – früher schon zu der Auffassung geführt: „Das beste, was man tun kann, ist das, was nicht bekannt wird, das, was restlos Teil des einzigen utopischen Projekts bleibt, das man die Literatur betreffend haben kann: keine Literatur zu machen. (…) Was allgemein als nutzlos bezeichnet wird, scheint mir das Provokanteste innerhalb einer Gesellschaft, die mehr und mehr terrorisiert ist von dem, was sie als nützlich bezeichnet. Meine Arbeiten sind dagegen nutzlos, sie suggerieren nichts als sich selbst.“2775 – wie z. B. seine Aktion „Das Buch der Gesten“, die zuerst am 17. Mai 1969 während der Intermedia in Heidelberg stattfand.2776 Er ließ 5000 Karten drucken und warf sie aus dem obersten Stockwerk eines Hauses auf die Straße.2777 329 Wenn Sie die obige Nummer auf einer blauen Karte gefunden haben, so sind Sie der Teil des Buches an dem ich schon seit langem schreibe, der mir bisher fehlte. Ich möchte Sie daher bitten, den heutigen Nachmittag in Heidelberg so zu verbringen, als wäre nichts geschehen und durch diese Mitteilung Ihr Verhalten unter keinen Umständen beeinflussen zu lassen. Nur so kann es mir gelingen, das Buch zu Ende zu schreiben, dass ich Ihnen, meiner wiedergefundenen Gegenwart, widmen möchte. Das Buch Manuskript, gefunden in Heidelberg. © 1969 – Editions Agentzia.
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Günter Metken, Die Kunst des Verschwindens. Unsichtbare Denkmäler – ein Situationsbericht. In: Merkur 6, Nr. 534. Stuttgart 1994, S. 479. Gerz, aus einem Interview mit Beatrice Parent, abgedr. in: Painting Box Post Nr. 11. Hg. Painting Box Gallery. Zürich 25. 2. 1977, S. 1. Wiederholt in Basel 1969 und in Frankfurt 1972. Abb. in: Gerz, Annoncenteil. Arbeiten auf/mit Papier (1967–1971). Neuwied 1971, o. P.; Gerz, Res Publica, a.a.O., S. 101 u. im TV-Film (Dencker, Der Weg vom Gedicht zur Aktion, a.a.O.), in dem die Aktion 1972 in Frankfurt dokumentiert ist. Diese Aktion erinnert an Postkartenabwürfe aus dem Ballon Jupiter am 27. 8. 1898 (Postkarten & Künstlerkarten. Eine kulturgeschichtliche Dokumentation. Katalog der Galerie Arkade – Staatlicher Kunsthandel der DDR. Berlin 1978,
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Die Störung des alltäglichen Vorübergehens der Menschen auf der Straße, ihre flüchtige Teilhabe und Einbezug in einen scheinbaren Sinnzusammenhang des Lesenden mit dem Geschriebenen eines anonymen Autors und schließlich das Verschwinden (mit oder ohne Karte), das dennoch nicht folgenlos blieb, denn der Versuch des Verstehens wirkte nach, obwohl in der Regel erfolglos – weil: „Am Buch der Gesten gibt es nichts zu verstehen, nur zu tun“2778 –, dies war für Gerz der Weg „zum Immateriellen, zur sozialen Plastik, also zur Meinungsbildung in der Öffentlichkeit. Für ihn wäre die Skulptur dieses: ein gemeinsames, nachwirkendes Erlebnis, das Erzählungen und Mythen bildet, die Lust am Diskurs auslöst“2779, wie es auch in der „Bremer Befragung“ (1990– 1995)2780 zum Ausdruck kam. Bremen beauftragte Gerz, ein Kunstwerk im öffentlichen Raum zu entwerfen. Darauf führte Gerz 50 000 Befragungen durch. 232 Bremer Bürger antworteten auf drei Fragen zum Thema des Kunstwerks, zur Wirksamkeit von Kunst und zur eigenen Mitarbeit an einem solchen Projekt. Nach sechs Seminaren entschieden die Teilnehmer, dass das Kunstwerk kein materielles Objekt sein müsste. Die Befragung und die Folgen waren bereits das Kunstwerk. Zu diesem in letzter Konsequenz sich gedanklich nur im Kopf des Rezipienten bildenden immateriellen Kunstwerk, gab es Varianten, die z. T. mit konkreten Markierungen im öffentlichen Raum gleichsam Knoten eines zu spannenden Gedankennetzes waren. Franz Erhard Walther (1939) realisierte 1989 die bereits 1970 konzipierten „Sieben Orte für Hamburg“.2781 Es handelte sich um sieben quadratische Stahlplatten, die an verschiedenen Orten der Stadt im Boden eingelassen wurden und auf denen jeweils sieben Begriffe standen: ORT, RICHTUNG, KOERPER, INNEN – AUSSEN, BEWEGUNG, RAUM, ZEIT. Es lag nun am Betrachter, ob er nur las und weiterging, sich auf die Platte stellte und über den Begriff nachdenkend selbst zur Skulptur wurde, oder schließlich, gezielt oder zufällig, mehrere Orte erlebte und sich daraus für ihn ein weiter zu denkendes Begriffs- und Beziehungsnetz ergab. Barbara Schmidt Heins (1949) markierte 1994 drei Orte mit einem gelben, weit-
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S. 88), oder an die Postabwürfe der Zeppelin-Luftschiffe, die mit dem ZL 3 am 25. 9. 1907 anläßlich einer Probefahrt über Romanshorn begannen. Auf den abgeworfenen Karten und Briefen wurden die Finder gebeten, für die Weiterbeförderung zu sorgen. Gerz, Annoncenteil, a.a.O. Metken, Die Kunst des Verschwindens, a.a.O., S. 490. Gerz, Die Bremer Befragung; Sine somno nihil. Ostfildern 1995. Walther, Sieben Orte für Hamburg. Hg. Kulturbehörde Hamburg 1990.
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hin sichtbaren Neon-Leuchtschriftzug „die eigene GESCHICHTE“2782 entlang der innerstädtischen Bahnlinie auf der selben Seite zwischen dem Altonaer Bahnhof und dem Hauptbahnhof Hamburg. Den Zugreisenden wird im Nacheinander der vorüberfliegenden Schriftzüge die Erinnerung an Lebenslinien, an rasch Vorübergegangenes, aber auch Ausschnitthaftes zum Gedanken- und Bilderraum: „die eigene GESCHICHTE“, die einen Anfang und ein Ende besitzt, wie die Zufahrt und der gelegentliche Blick aus dem Zugfenster, der einzelne Bilder aneinanderreiht. Markierungen, die einen Raum definieren, nimmt auch Dieter Hakker (1942) vor, der in dem „Portrait der Philharmonie anhand ihrer Parkplätze“ (1972) beschriftete Schilder aufstellte mit den Hinweisen SOLIST, INTENDANT usw.2783 Wesentlich interessanter ist allerdings der „Garten der Bedeutungen“ von Gunter Gerlach, den er im Juni 1999 in den Hamburger Wallanlagen einrichtete.2784 Auch er stellte Schilder auf, insgesamt 52. Schon Hackers Installation lebte aus der Divergenz zwischen der Bezeichnung und dem bezeichneten Gegenstand: weder das Schild war der SOLIST noch die Schilder zusammen ein Portrait der Philharmonie, und Parkplätze waren es auch nicht, auf denen die Schilder standen. Es waren Setzungen, mit denen gedanklich gespielt werden konnte, oder nicht. Gerlach ging nun einen Schritt weiter, indem er seine Schilder den Ort nicht bezeichnen, sondern kommentieren ließ und so zu „Bedeutungen“ kam, die mit großer poetischer Freiheit eine Art Lehrpfad bildeten, der zeigte, wie Sprache alles verwandelt, wie allein die Gegenwart eines Schildes Landschaft in ihrem Wesen verändert. Damit wurde von Ort zu Ort ein neuer Raum innerhalb eines vorgefundenen definiert, in dem der Betrachter nun seine eigene Raumvorstellung aus beiden zu gewinnen sucht. Beide, Hacker und Gerlach, arbeiteten gegen die im Umweltreglement geforderte Eindeutigkeit von Schildern und gaben, indem sie diese unterwanderten, dem Betrachter die Möglichkeit, seinen Wahrnehmungsspielraum zu erweitern und den Stichwörtern auf den Schildern nicht auf einer einzigen vorgegebenen Bedeutungsschiene zu folgen.
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In: http://fhh1.hamburg.de/Behoerden/Kulturbehoerde/Raum/welcome.htm (Einzelwerke). Abb. in: Sauerbier, Zwischen Kunst und Literatur, a.a.O., S. 54; Dieter Hacker, Der rechte Winkel in mir. Hg. Tobias Hoffmann. Bielefeld 2007. In: http://www.gunter-gerlach.de/texte/Visuelles.htm u. in: Licht + Visuelle Texte, a.a.O., S. 84 f., Abb. 284 (Archiv Dencker).
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Abb. 284: Gunter Gerlach, Garten der Bedeutungen, Hamburger Wall-Anlagen, 1999
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„Auf den ersten Blick erscheinen meine Tafeln wie entnervende bzw. beunruhigende Gebots- und Verbotsschilder. Oder, je nach Geisteshaltung, als wünschenswerte Orientierung in einem anderenfalls strukturlosen Chaos. Aber dann zeigt sich: Sie sind meine künstlerische Reaktion auf den gesamtdeutschen Reglementierungswust“, notierte später Nicolas Nowack (1961) anlässlich der Installation seines optopoetischen Pfads/Rundgangs 2004 durch Salzwedel, ebenfalls mit über 50 Schildern. Nowack bezog die ganze Stadt als Spielraum ein und nannte das Projekt: „Hier entsteht demnächst ein Sinn“, womit er nicht den durch die Beschilderung sich ergebenden, sondern den vom Betrachter erzeugten Sinn meinte: „Die Dreiecksbeziehung von Text, Umfeld und Rezipienten bewirkt bestimmte Assoziationsfelder, um die es mir geht.“2785 Nowack, der explizit von einem „begehbaren Buch“ sprach,2786 unterscheidet sich von dem „Offenen Buch“ in Hünfeld einerseits und dem „Garten der Bedeutungen“ andererseits, indem er eine Art Stadtführung umfunktionierte. Die relativ eindeutig beschreibbare Parklandschaft in den Wallanlagen bekam ein neues poetisches „Gesicht“, im „Offenen Buch“ wurde die Stadt im und als Leseobjekt erkennbarer, aber Salzwedel erhielt nicht nur als Leseobjekt ein neues Gesicht, sondern die Stadtführung geriet zur Infragestellung einer urbanen Struktur und ihrer bekannten Tagesabläufe durch Mitteilungen, Hinweise, Anweisungen, Erläuterungen und irritierende Sprachspiele, ja auch zur Verunsicherung des Geführten, der gezwungen wurde, aus den Wechselwirkungen der Schilder untereinander und ihrem Beziehungsnetz zur Umwelt einen für ihn gültigen „Sinn“ zu entdecken. Texträume im öffentlichen Raum, in denen der Betrachter gleichsam aktiv an der Entstehung eines besonderen Textraums „mitarbeitet“, so dass diese auch von Besucher zu Besucher sich durchaus in ihren Bedeutungen verändern konnten, wurden ergänzt von einfacheren Raumkonzeptionen mit einem bestimmten Thema, wie das 1994 gestartete TernProjekt entlang der Promenade in Morecambe/Lancashire.2787 Gedichte, Skulpturen, abstrakte Objekte und Reliefs sollten sich mit der Vogelwelt vor der Küste Morecambes befassen. Der Betrachter und Leser konnte sich so die variantenreichen Lösungsversuche erwandern und erfuhr via künstlerisch interpretierter Informationen Wissenswertes über den Ort, 2785
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Nicolas Nowack, Hier entsteht demnächst ein Sinn. Mit einer vollständigen Dokumentation von Salzwedels LiteraTour-Pfad. Anderbeck 2006, S. 14. A.a.O., S. 14. In: http://www.tern.org.uk/about.htm.
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an dem er sich gerade befand. Es handelte sich dabei um Raumgestaltungen, die ausgesuchten Orten Inhalte gaben, die mühelos und für alle Besucher nahezu unverändert eindeutig wahrnehmbar sind, womit solche Projekte eher der „Kunst am Bau“-Tradition folgen. Ganz und gar außerhalb dieser beiden Textraumkonzeptionen stehen zwei Projekte, die sich zu ähneln scheinen, von ihren Autoren aber mit grundverschiedenen Absichten realisiert wurden. Armand Schulthess, eigentlich Alfred Fernand Armand Dürig, war technischer Korrespondent verschiedener Firmen, Besitzer eines Damenkonfektionsgeschäftes und Bürogehilfe in der Sektion Ein- und Ausfuhr der Handelsabteilung des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements. Er verließ 1951 mit 50 Jahren den Dienst, um sich in ein bereits 1942 gekauftes Rustico, der Casa Reggio, mit Grundstück (18 000 qm) in Auressio/Onsernonetal zurückzuziehen, wo er am 29. September 1972 tot in seinem Garten aufgefunden wurde. Auf dem Grundstück befand sich ein großes Waldgelände, das durch Schulthess zu einer „Enzyklopädie“ wuchs, indem er Tausende von beschrifteten Papierzetteln, Blech- und Pappkartontafeln in die Bäume hängte, auf denen aus allen Wissensgebieten Hinweise, Tabellen und Mitteilungen, selbst privatester Natur zu lesen waren, die zudem beständig umgehängt und neu geordnet wurden. „Das Ineinander von Anreden an den Besucher, ChemieFormeln, Biologie-Zeichen, Astronomie-Zeichen, Astrologie-Zeichen, Lageplänen, Zahlen, Wörtern aus verschiedenen Sprachen (französisch, deutsch, italienisch, englisch, holländisch), dazu die Formzeichen der Blechsignale, der Stein-Zeichen, die Zweig-Zeichen, bis hin zu Mauern, Nischen, Sitzplätzen, Höhlen, Leitern, Brücken, Gummireifen, Frauenskulpturen – durch eine !Welt aus Sprache" ging man in diesem sprechenden Wald.“2788 Er empfing keine Besucher, aber die Texte forderten zur Kontaktaufnahme auf. Er stellte Aufgaben, z. B. aus seinen Texten, bzw. aus empfohlenen Büchern abzuschreiben, aber die Bücher gab es nicht, keiner kontrollierte die Bearbeitung der Aufgaben, die angegebene Telefonnummer zur Kontaktaufnahme war falsch und das Telefon an einem Baum im Holzkasten mit dem Hinweis „Priére de me téléphoner le soir – 8-01-78 – Bitte abends anzuläuten“ funktionierte nicht. Schulthess ging zwar jede Woche zu Fuß nach Locarno, um einzukaufen und Material für seine Enzyklopädie zu sammeln, aber er verweigerte wie Amadeo Ra2788
Walter Höllerer, Nachrichten über A. S. In: ZEITmagazin Nr. 42, Hamburg 11. 10. 1974, S. 31.
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Abb. 285: Armand Schulthess, Enzyklopädie, Auressio, seit 1951
vera die direkte Kommunikation. Und dennoch wurden Haus und Wald zu einem Medienraum, in dem Schulthess für einen erdachten Rezipienten ein großes Nachlagewerk schuf, das über außereuropäische Schriftsysteme genauso Auskunft gab wie über die Dinge der Liebe und seine persönlichen Wünsche. „Er schuf einen geschriebenen Kosmos, und das heißt: etwas Verdinglichtes, um eine Ordnung zu schaffen, die das gesprochene Wort, und das bedeutet: Unsicherheit, ersetzen sollte, so dass jede Beziehung, welche lebt, unnötig war. Diesen geschriebenen Kosmos setzte er aber in die Natur, in den Tessiner Wald voller Kastanienbäume, also in eine lebende, atmende, sich stets verändernde Welt. Doch alles das, was mit der Frau, der !weiblichen Person", zu tun hat, stapelte er im Hausin-
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Abb. 286: Casa Regio/Schlafzimmer von Armand Schulthess, 1972
nern. Die Frau, in Form der Verdinglichung (z. B. der medizinischen Fakten über Befruchtung, Schwangerschaft, Klimakterium, was verschiedenen Lebensaltern entspricht), brauchte er in seiner Nähe. Das Zeichen wurde für ihn lebendig, bedeutet Leben, ersetzte Leben. Es ist wie bei Bouvard et Pécuchet von Flaubert, dem Inbegriff eines !Zeichensüchtigen", wo der Signifikant zur Welt selbst wird. Armand Schulthess verkleinerte den Kosmos, die ganze Welt so, dass er (sie) in seinen Wald unterzubringen war. Er (…) war der Schöpfer einer im Zeichen geronnenen Welt, die die Gegensätze der Kulturen, der Rationalität/Irrationalität, Physik/Metaphysik in einer überblickbaren Ordnung aufheben sollte. Insofern war er der Schöpfer einer Gegenwelt.“2789 Diese – auch gelebte – Gegenwelt wuchs unter der Hand zu einem konzeptionellen Sprachkunstraum, ohne dass Schulthess jemals an eine künstlerische Form seiner Vision gedacht hätte.2790 2789
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Theo Kneubühler, Die Künstler und Schriftsteller und das Tessin (von 1900 bis zur Gegenwart). In: Monte Verita, a.a.O., S. 177. Kurz vor seinem Tod erschien die Dokumentation der Enzyklopädie als Buch (Ingeborg Lüscher, A. S. Der größte Vogel kann nicht fliegen. Köln 1972); Armand
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Ein zweites, diesem scheinbar ähnlichen Projekt ist die „Literatur zum Pflücken“ des Wiener Zettelpoeten Helmut Seethaler (1953).2791 Seethaler hängt seit 1974 seine Gedichte in Wien an Bäume, Laternenund Lichtmasten, Säulen, Wände – wo immer das Publikum im Vorbeigehen diese wahrnehmen und „abpflücken“ könnte. Nach mehr als 2000 Anzeigen, Vorladungen und Strafen wegen Verschmutzung, Ordnungsstörung, Sachbeschädigung, Behinderung der Fußgänger usw. und fast ebenso vielen Freisprüchen wurde inzwischen sein Projekt als Kunst anerkannt und sogar bescheiden mit Stipendien gefördert. Seethalers Projekt ist als Aktion zu verstehen, auf Flüchtigkeit und Konfrontation mit immer wieder neuen Kommunikationssituationen angelegt. War es am Anfang noch die aus der Unverkäuflichkeit seiner Gedichte durch eine Universitätszeitung sich ergebende Notwendigkeit, neue Wege in die Öffentlichkeit zu suchen, trat das durch die Stadt Gehen, Aussuchen der Orte, Kleben der Zettelgedichte, das penible Notieren, welche Gedichte wann und wo verteilt und mit welchen Bemerkungen zurückkamen, sowie das Organisieren und Ausfindigmachen bestmöglicher Umstände, allmählich in den Vordergrund. Sein Ziel wurde mehr und mehr, den Distributionsweg selbst zum Kunstwerk zu erheben. „Es geht nicht einmal mehr um den Inhalt seiner Texte, auch nicht mehr um eine literarisch eingeschränkte Vorgabe der Mitteilung, sondern nur noch um die Gestaltungs- und Verbreitungsform seines Werkes und um seinen Anklang beim Publikum: es geht schon viel weniger um die Texte, und viel mehr um das Medium: um die faszinierende Entdeckung, daß die Stadt Wien selbst seine literarische Umwelt im wörtlichen Sinne sein kann, ein ideales Verbreitungsmittel für seine Dichtung.“2792
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Schulthess (1901–1972). Hg. Markus Britschgi/S. Corinna Bille. Luzern 1996. Weitere Dokumentationen auf der documenta 5 in Kassel (Katalog) u. in der Ausstellung „Welt aus Sprache“ in Berlin (Katalog) sowie in: Tecken, a.a.O., S. 166f.; Der Hang zum Gesamtkunstwerk, a.a.O., S. 405ff.; Monte Verita, a.a.O., Abb. 285 S. 178; Visionäre Schweiz im Kunsthaus Zürich 1991. Hg. Harald Szeemann. Aarau 1991 u. in: http://www.diopter.ch/publikationen/kunst_schulthess.htm. – Im Sommer 1973 zerstörten verständnislose Erben den Textraum. Das, was noch gerettet werden konnte, ist seit 1981 im Museo Casa Anatta auf dem Monte Verità zu besichtigen. Abb. 286 in: Walter Höllerer, Nachrichten über A. S. a.a.O., S. 38. A. S. erscheint auch in Höllerers Roman „Die Elephantenuhr“ (1973). http://www.hoffnung.at/hoffnung/, Helmut Seethaler, Das Pflückbuch. Wien 1996 u. Abb. in: Karssenberg Index 69 (Vienna). Sorin Gadeanu, Helmut Seethaler – von der Zetteldichtung zur Pflückliteratur: Über das Entstehen eines neuen Wiener literarischen Genres. In: http://www.e-scoala.ro/germana/gadeanu.html.
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Abb. 287: Waterfront of Dubai
Schließlich sei ein Projekt erwähnt, das einer Raumdefinition mit Sprache im doppelten Sinn folgt: real in Orten wie Köln, Oldenburg oder auf Sylt und als Abbild im digitalen Raum des Internets. Es handelt sich um das Kunstprojekt „Remotewords“ (2008) von Achim Mohné und Uta Kopp, das sich Google Earth bedient. Auf Dächern an weit auseinander liegenden Orten (also vom Boden aus nicht sichtbar) werden poetische Botschaften mit immer gleicher Schrift und Farbe angebracht, die nur vom Flugzeug oder über Google Earth zu sehen sind. Geplant ist eine Erweiterung der Standorte über Deutschland hinaus, z.B. in China. Die spektakulärste Form einer Textvisualisierung im öffentlichen Raum, die nur von „oben“ zu sehen ist, soll allerdings in den Vereinigten Arabischen Emiraten entstehen. Verantwortlich ist die Entwicklungs- und Immobiliengesellschaft Nakheel2793 in Dubai, die vor der 2793
Nakheel (arab.: Die Palmen), Infos: http://www.nakheel.com/en/developments. Abb. 287 in: Dubai Waterfront/Info-Broschüre von Nakheel.
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Abb. 288: The Palm, Jebel Ali
Küste Dubais 2001 vier gigantische Inselgruppen als Wohnstädte zu bauen begann, drei von ihnen sollen Palmenfiguren2794 und eine die Form einer Weltkarte2795 bilden: The Palm Jumeirah, The Palm Jebel Ali, The Palm Deira und The World. Millionen Kubikmeter Sand und Fels wurden aufgeschüttet, um die Inselwelten im Meer entstehen zu lassen. Allein The Palm Deira entspricht der Fläche von Paris und die aus 300 Inseln bestehende The World umfasst eine Fläche von 9 × 6 km. Die Fertigstellung aller Projekte war für 2008 vorgesehen, hat sich aber bereits erheblich verzögert. Ein besonderes Kennzeichen soll die Inselgruppe The Palm Jebel Ali2796, mit dem 12 km langen Kranz der Water Homes erhalten, der zwischen den Palmblättern und dem äußeren Inselgruppenring vom Flugzeug aus betrachtet arabische Schriftzeichen darstellt. Es handelt sich um ein aus vier Versen bestehendes Gedicht, das der Poet, Vizepresident und Premierminister der VAE Sheik Mohammed bin Rashed Al Maktoum (1949) verfasste: 2794 2795 2796
In: http://www.thepalm.ae/ In: http://www.theworld.ae/ Deren erste Bauphase 2006 abgeschlossen war und im Jahr 2020 1,7 Millionen Bewohner haben soll. Abb. 288 in: http://www.pbase.com/bmcmorrow/image/ 34404973
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Abb. 289: Fernando Aguiar, Soneto Ecológico, 1985/2005
Es braucht einen Mann mit Visionen, um auf Wasser schreiben zu können Große Männer wachsen mit großen Herausforderungen Bediene Dich der Weisheit der Weisen Nicht jeder der ein Pferd reitet ist ein Jockey
Vom „Alphabetum Hebraeum Coeleste“ über Ulrichs EAU-NIVEAU bis zur Biopoesie von Eduardo Kac gab es diese Versuche, aus der natürlichen Umwelt Sprachzeichen zu lesen oder zu gestalten. Es waren einerseits einfachste Verfahren, wie das Aus- und Beschneiden natürlich gewachsener landwirtschaftlicher Felder, wie die sechs Hektar große und aus 20000 Kohlköpfen bestehende Deutschlandkarte in Dithmarschen 2005, in der auch die Namen der Städte Köln, Hamburg, Berlin, Dresden und München zu lesen waren,2797 oder die selektive Wahrnehmung mit Hilfe einer Kamera natürlicher, buchstabenähnlicher Formationen von Inseln, Landstrichen, Felsstrukturen, Fluß- und Straßenverläufen.2798 2797 2798
Abb. in: Hamburger Abendblatt, Hamburg 21. 9. 2005, S. 22. Abb. in: http://www.chernovik.org/main.php?nom=22&main=t_p&id_tp=8& first=21.
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Andererseits waren es künstlich angebaute oder gezüchtete organische „Skulpturen“, wie das „Soneto Ecológico“2799 von Fernando Aguiar, ein land-art Projekt, das am 20. März 2005 in Portugal aus 70 gepflanzten Bäumen bestand, die Rhythmus und Reim eines Sonetts nachbildeten, oder „Seeds Letters“ (1999) von Masumi Kobayashi (1976), der um die Form von Buchstaben auf Papier Brunnenkressesamen hinzufügte, so dass sich nach dem Aufgehen der Saat die Buchstaben veränderten.2800 Diesen bisher betrachteten Textraum-Varianten dienten die unterschiedlichsten Materialien, natürliche und künstliche Strukturen der Umwelt, um Öffentlichkeit für eine in der Regel als Gegenentwurf zum bekannten Alltagsdasein des Alphabets in der Umwelt konzipierte Wahrnehmungsänderung der Materialität oder Metaphorik von Buchstabe und Text hervorzurufen, wobei es zahlreiche Beispiele gibt, wie diese Entwürfe in die Umwelt zurück wirken, so z. B. in den Adaptionen der Werbung2801.
VI/4 Text-Bild-Kommunikation In gleicher Weise gilt dies auch für die Kommunikationsmittel im öffentlichen Raum, deren technische Möglichkeiten im Hinblick auf die Ausdruckskraft von Text-Bild-Kombination ausgetestet wurden und gleichsam als Folge davon ihre eigenen Zeichen- und Sondersprachen erhielten. Hierbei handelt es sich um die inzwischen sogenannte CorrespondenceArt, die mit dem Künstlerbrief und der Künstlerpostkarte begann und sich zur Mail-Art (per Post) und E-Mail-Art (per Internet) entwickelte, zu der aber auch Formen wie Fax- und Copy-Art, Stamp-Art oder ZeitungsArt gehören. Vorgefundene Formen der Kommunikation wurden genutzt, um das Mitteilungsspektrum – auch unter Einbezug neuer technischer Möglichkeiten der Kommunikationsmittel – zu erweitern. 2799
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Abb. 289 in: http://www.escaner.cl/escaner73/acorreo.html. Eine ausführliche Betrachtung nonverbaler Sonette, Sonett-Objekte von Erika Greber, Global Visions of the Shakespearean Sonnet. In: William Shakespeare`s Sonnets for the First Time Globally Reprinted. A Quatercentenary Anthology 1609-2009, with a DVD. Ed. Manfred Pfister/Jürgen Gutsch. Dozwil 2009, S. 705 ff. u. in: Greber, Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik. Köln 2002 (=Pictura et poesis, Bd.9). Abb. in: Triggs, Experimentelle Typografie, a.a.O., S. 47. Vgl. unter dem Stichwort „Werbung“ die angegeben Beispiele.
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Correspondence-Art Schon mit dem Aufkommen der Postkarte – als Idee 1777 im „L’Almanach de la Petite de Paris“2802 geäußert, dann 1868 in Österreich und 1870 in Deutschland mit der „Korrespondenzkarte“ eingeführt – haben sich auch Künstler dieses neuen Mediums angenommen.2803 Und gleich zu Beginn waren es beschriftete Bildpostkarten2804, denen dann erst textfreie gemalte Bildpostkarten der Künstler der „Brücke“ und des „Blauen Reiter“ folgten2805, gelegentlich auch von anderen Künstlern, wie Robert Delaunays Karte „Paris – Berlin – Sindelsdorf – New York – Moscou“ (1913)2806 beweist, auf der ein Aufkleber des „Sturm“ vom Herbstsalon (20. Sept.-1. Nov. 1913) collagiert und handschriftlich Städtenamen und weitere Wörter auf einem farbig strukturierten Untergrund erscheinen
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Postkarten & Künstlerkarten, a.a.O., S. 85, mit detailierter Chronologie der Bildpostkarte. Maler und Schriftsteller nutzten bereits den Brief, um Bild-Text-Kombinationen zu verschicken: Vincent van Gogh (Brief an Emilie Bernard, Juni 1888/Abb. in: Massin, a.a.O., S. 258), Marcel Proust (Brief an Reynoldo Hahn, 1904/Abb. in: Süddeutsche Zeitung, München 13./14. 12. 1975, S. 72 aus: Proust-Album. Leben und Werk im Bild. Hg. Pierre Clarac/André Ferrè. Frankfurt 1975), André Breton (Brief an T. Fraenkel, 1919/Abb. in: Die Sprache der Kunst, a.a.O., S. 141), Jean Cocteau (Brief an Zdenèk Macek, Januar 1929 siehe: http://www.radio.cz/fr/article/86320 hier auch der Hinweis auf die Text-Bild-Serie „Le Mystère de Jean L’Oiseleur“ /1924), El Lissitzky (Briefzeichnungen 1924 ff. /Abb. in: Lissitzky, Maler Architekt Typograf Fotograf, a.a.O., S. 41 ff.), Yves Tanguy (Brief an Paul Eluard, 28. 1. 1933/Abb. in: Dada, Surrealism, and Their Heritage, a.a.O., S. 95), Cy Twomblys Serie „Letter of Resignation“ (1959–67/Abb. in: Gilbert, Bewegung im Stillstand, a.a.O., S. 254 f.), Jean Tinguely (1969 ff./Abb. in: Briefe von Jean Tinguely an Maja Sacher. Hg. Margrit Hahnloser. Bern 1992), und Henry Millers Vorliebe für das Aquarellieren unter Einbezug von Wörtern („Durch die Worte kommt noch eine weitere Dimension hinzu“ in: Miller, Mein Leben und meine Welt, a.a.O., S. 123; vgl. Anm. 2508) übertrug sich auch auf die Briefe: „ich habe die Gewohnheit, Briefe und Umschläge zu verzieren, wenn ich in Form bin“ (a.a.O., S. 64). Eine Besonderheit ist das 63 × 49 cm große Aquarell von Hannah Höch aus dem Jahr 1957, das einen versteckten Brieftext an Marianne Carlberg enthielt, Abb. in: Rolf-Bernhard Essig/Gudrun Schury, Bilderbriefe. Illustrierte Grüße aus drei Jahrhunderten. München 2003, S. 121, hier auch weitere Beispiele seit dem 18. Jh. u. in: Gemalte Künstlerbriefe. Aus der Sammlung des Altonaer Museums in Hamburg. Hg. Gerhard Kaufmann. Hamburg 1970. Philipp Franck (1860–1944) vom 11. Juni 1880 (Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 2. Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 9 ff. Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 43.
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Abb. 290: Varvara Stepanova, Postkarte, 1919
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oder Varvara Stepanovas Postkartencollage und Giacomo Ballas Postkarten an Fortunato Depero zwischen 1929 und 19312807. Nach dem Ende dieser ersten Epoche wurde aus der Künstlerpostkarte ein Kommunikationsspiel der Dadaisten, das sowohl mit denkennzeichnenden Merkmalen wie Briefmarke, Adresse, Absender, Vorund Rückseite, als auch mit Collagen verschiedenster Bildelemente und Montagen den Sinn verändernder Wort- und Textfragmente experimentierte. Innerhalb der jeweiligen umfangreichen Korrrespondenzkonvolute nahm zwar die Postkarte nur einen geringen Raum ein, war aber als Experimentierfeld interessanter als der Brief, der oft nur kleine Zeichnungen, Vignetten oder typografische Spielereien enthielt. Beteiligt waren alle Dadaistenkreise in Zürich, Paris und Berlin.2808 Am intensivsten haben sich wohl Kurt Schwitters2809 und Georg Grosz2810 auf die Postkarte eingelassen, wobei das ironische und satirische Konterkarieren vorhandener Bildpostkarten oder Grotesken und Absurditäten im Erfinden neuer Motive und Geschichten die Mitteilungen bestimmten.2811 Nach 1945 waren es dann die Fluxus-Künstler und Konzeptualisten, die dem alten Medium Postkarte nun unter intermedialen Aspekten – oft in Fortsetzung mit Mitteln der Dadaisten – neue Möglichkeiten abgewannen und sie für das Propagieren ihrer Ideen und zur Schaffung eines internationalen imaginären Kreativraums nutzten. Das Medium Postkarte wurde wesentlicher Teil einer Kunst der Kommunikation, die George Brecht Anfang der 1960er Jahre mit der Versendung seiner „Event Cards“2812 und Ray Johnson (1927–1995)2813 mit der Gründung 2807
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Abb. Zu Balla/Depero in: Futurismi Postali. Hg. Maurizio Scudiero. Rovereto 1986. Abb. 290 in: http://www.mclink.it/n/dwpress/donnarte/3_98/donnarte. htm. Dada global.Hg. Raimund Meyer u. a. Zürich 1994, S. 24 f. Abb. in: Kurt Schwitters. Wir spielen bis uns der Tod abholt. Briefe aus fünf Jahrzehnten. Hg. Ernst Nündel. Frankfurt 1974 und Kurt Schwitters. Katalog. Galerie Gmurzynska. Köln 1980, S. 36 ff., 42 f., 46f, 54 f. Abb. in: George Grosz. Teurer Makkaroni! Briefe an Mark Neven DuMont 1922–1959. Hg. Karl Riha. Berlin 1992 und George Grosz/Hans Sahl. So long mit Händedruck. Briefe und Dokumente. Hg. Karl Riha. Hamburg 1993. Abb. zu Hausmann, Höch und Baader in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 49ff. Die „event cards“ entstanden seit 1959 und enthielten Kurzanweisungen („idea happenings“) für die Realisation von Aktionen durch den Empfänger. Die „cards“ erschienen in einer Box: G. Brecht, Water Yam. New York/Wiesbaden 1963, und dort z. B. „three chairs“ (1961) mit der Anweisung: „Sitting on a black chair/ Occurrence./ Yellow chair./ (Occurrence)/ On (or near) a white chair./ Occurrence.“
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der „New York Correspondance (sic) School (NYCS)“2814 1962 maßgeblich beförderten.2815 NYCS war keine physische Institution, sondern sie existierte als Korrespondenz-Kreis mit gelegentlichen „meetings“. Die Ideen der NYCS trugen 1967 Ben Vautier, Robert Filliou und Joseph Beuys2816 nach Europa und fanden als Mail-Art2817 seit den 1960er Jahren über Fluxus hinaus 2813
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The Name of the Game. Ray Johnson’s Postal Performance. Ed. Ina Blom. Oslo 2003. Siehe auch: http://www.rayjohnsonestate.com/biography.php. Johnson verkündete das Ende der NYCS satirisch unter Todesfälle in der New York Times am 5. 4. 1973. Dennoch lebte die NYCS unter anderen Namen wie „Buddha University“ oder „Taoist Pop Art School“ weiter. Die Idee stammt von Edward M. Plunkett (1922): http://www.artpool.hu/Ray/ Publications/Plunkett.html Im selben Jahr 1962 fand jenes denkwürdige Konzert-Happening in Wiesbaden statt, das am Anfang der Fluxus-Bewegung stand, vgl. Anm. 491. Abb. 291 in: staeckbrief Nr. 27/Juni 1987, o. P. Die gesellschaftskritischen und politischen Reflexionen von Wolf Vostell, Klaus Staeck und Joseph Beuys sowie die sprachkritischen Demonstrationen von Timm Ulrichs schlugen sich in ihrer Postkarten(versand)kunst nieder. Anders bei Dieter Roth, der seit den 1950er Jahren Postkarten übermalte, „um den Briefverkehr mir zu erleichtern, dieweil das Malen und Zeichnen mir leichter fällt als das Denken und Schreiben, übermale ich d. r. seit einem Vierteljahrhundert Postkarten, dieweil das Malen und Zeichnen auf unbemaltem oder unbezeichnetem Papier schwerer fällt als auf Papier wo schon was drauf ist.“ (1977/zitiert in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 86f., vgl. auch Roth Zeit, a.a.O., S. 122f. u. Andreas Schallhorn, Ausgelöscht und abgeschickt – Dieter Roths Postkarten als verschärfte Form der Landschaftsmalerei. In: Roth, Die Haut der Welt. Hg. Ina Conzen. Stuttgart 2000). Seit 1969 fügten Gilbert & George (Gilbert Prousch 1943/George Passmore 1941) mit ihren Postale Sculptures, wie den Serien „The Limericks“ (1971) oder „The Red Boxers“ (1975) (vgl. auch Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 81f.) sowie Peter Weibel mit seinen Tagebuchblättern als Postkarten („der intimverkehr wird zum öffentlichen verkehr“, Zitat von Weibel u. Abb. in: Neues Forum, Wien Jänner 1972, S. 55) weitere Varianten hinzu. In noch stärkerem Maße Kunstobjekt wurde die Postkarte mit den Blech-, PVC-Folie-, Filz-, Holz- (Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 89f.) u. Schwefelpostkarten (Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., Nr. 87) von Beuys, einzeln und als Multiple „Postkarten 1968–1974“ in der Edition Staeck erschienen, vgl. dazu: Franz-Joachim Verspohl, „diese Karte ist keine richtige Versandart, sagt die Post.“ Form und Norm bei Beuys. In: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., S. 38ff. Holzpostkarten wurden auch 1991 von Jenny Holzer mit kurzen Sprüchen verschickt (Abb. in: Die Künstlerpostkarte, a.a.O., S. 9). Michael Crane/Mary Stofflet, Correspondence Art. Source Book for the Network of International Postal Art Activity. San Francisco 1984; Eternal Network: A Mail Art Anthology. Ed. Chick Welch. Calgary 1995; Vittore Baroni, Arte Postale. Guida al network della corrispondenza creativa. Bertiolo 1997, sowie die 2 Bde.: Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk, a.a.O.; Géza Perneczky, Net-
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Abb. 291: Joseph Beuys, Manifest, Postkarte u. Plakat, 1985
weltweit massenhafte Verbreitung, insbesondere nachdem der 1967 der NYCS beigetretene Ken Friedman (1949) 1972 die „International Contact List of the Arts“ herausgab – eine wichtige Grundlage für die Mail-ArtProjekte der Folgejahre. Johnsons erste Kunst-Austausch-Korrespondenz gab es 1943 mit seinem Freund Arthur Secunda (1927), die er Mitte der 1950er Jahre systematisch aufgrund einer von ihm zusammengestellten Namensliste fortsetzte. Das als Kunst deklarierte Korrespondieren war zwar nicht neu, –
work Atlas. Works and Publications by the People of the First Network. Volume 1: A-N u. Volume 2: O-Z. A Historical Atlas for the Post-Fluxus-Movements as Mail Art, Visual Poetry, Copy Art, Stamp Art, & and Other Relative Trends with Addresses, Projects, Publications & Exhibition Events. Köln 2003 in: http://www. c3.hu/~perneczky/mail.art/Atlas/Letter_S/LAtlas_1.pdf (Vol. 1) u. http://www. c3.hu/~perneczky/mail.art/Atlas/Letter_S/LAtlas_2.pdf (Vol. 2).
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denn Marcel Duchamp verschickte schon 1916 vier Postkarten an das Sammlerehepaar Walter und Louise Arensberg mit dem Schreibmaschinentext „Rendezvous vom Sonntag 6. Februar 1916 um 1 Uhr ¾ Nachmittags“, und 1918 löste er eine Kunstaktion aus, als er per Post von Buenos Aires aus seine Schwester Suzanne in Paris bat, ein Geometriebuch vom Balkon ihrer Wohnung herunterhängen zu lassen,2818 – aber es bekam durch Fluxus und NYCS Impulse, die die besondere Qualität und Wirkungsweise der Mail-Art ausmachten.2819
Mail-Art Johnsons Ausgangspunkt war die Auseinandersetzung mit der Realität, die ihn zu der Auffassung führte, dass Bedeutungen erst durch Hinweise und Verweise entstehen würden, dass ein Objekt oder ein Ereignis seine Realität erst aus dem Hinweis auf andere Objekte oder Ereignisse gewinnen könne. Sinn und Bedeutungen entstünden im gegenseitigen Aufeinandertreffen. Die Korrespondenz ermögliche das Weitertragen, das Hinund Zurückverweisen auf die Inhalte der Postkarten.2820 Zu diesem Ansatz kam der Versuch, ein Netz außerhalb der offiziellen Institutionen 2818
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Vgl. J. G. Bowles, Out of the Gallery into the Mailbox. In: Art in America. New York März/ April 1972, S. 23. Bezeichnend ist, dass es, ausgehend von der NYCS seit dem 23. 4. 1971 in der Church of the Holy Trinity in New York mehrere Marcel Duchamp Fan Club Meetings gab. Z. B. die Aktion („Closed Galleries“) von Robert Barry, der Vernissageeinladungen verteilen ließ, auf denen lediglich die Schließung der Galerie während der Ausstellung mitgeteilt wurde, – als Ersatz für die Vernissage tratt die (Lese)Aktion dieser Einladungen, die er dann in Ausstellungen und Katalogen präsentierte. So verteilte die Art & Project Gallery in Amsterdam zwischen 1968 und 1989 über 100 Postwurfsendungen, sogenannte „bulletins“ – bestehend aus einem gefalteten Bogen Papier – die zu Ausstellungen einluden. Im „bulletin 17“ (1969) konnte man zu Barrys Ausstellung lesen: „during the exhibition the gallery will be closed“; vgl. Anm. 2743. Eine weitere Aktion, die praktisch schon die E-Mail-Distributionsstruktur vorwegnahm ist „Invitation Piece“ (1972/73), das ebenfalls die Funktion der Einladung konterkarierte. Acht Galeristen luden zur Ausstellung Barrys in die nächste Galerie ein: Paul Maenz/Köln lud zu der Ausstellung bei Art & Project/Amsterdam ein, Art & Project zu Jack Wendler/London, Jack Wendler zu Leo Castelli/New York, Leo Castelli zu Yvon Lambert/Paris, Yvon Lambert zur Galerie MTL/Brüssel, Galerie MTL zur Galleria Toselli/Mailand, Galleria Toselli zur Galleria Sperone/Turin, Galleria Sperone zu Paul Maenz/Köln, – ohne dass jeweils Ausstellungen stattfanden. Die Künstlerpostkarte, a.a.O., S. 31.
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und Distributionswege von Kunst aufzubauen, in dem subversiv,2821 kritisch und gegen jede vorherrschende Kunstauffassung eine Ideen- und Kommunikationskunst sich entwickeln konnte. So war es auch nicht verwunderlich, dass gerade in Osteuropa2822 und Lateinamerika in Ermangelung von Demokratisierungsprozessen Ideen und Verfahrensweisen der NYSC auf fruchtbaren Boden fielen und oppositionelle Kultur- und Gesellschaftskritik weltweit verbreiten halfen, um so auf politische Missstände aufmerksam machen zu können. Pionierarbeit leisteten vor allem die polnischen Künstler. Jaroslaw Kozlowsky (1945) und Andrzej Kostolowski schufen auf der Basis von 200 Adressen ein solches Kommunikations-Netz und legten 1972 seine Eigenschaften fest:
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Ein subversiver Charakter war vielleicht auch schon in den „Himmelsbriefen“ (auch „chain-letter“ o. „letter from heaven“ genannt, Abb. 292 in: http:// www.silcom.com/~barnowl/chain-letter/evolution.html) des Mittelalters angelegt (Abb. und viele Literaturhinweise zu den Himmelsbriefen in: Konrad Vanja, Haussegen und Himmelsbriefe als Thema der Alltags- und Sonntagsheiligung und des Schutzes. Beispiele aus der Sammlung des Museums Europäischer Kulturen, Berlin. In: Volkskunde in Sachsen, H. 10/11. Desden 2001, S. 37 ff.), von der offiziellen Kirche bekämpft, weil sie unabhängig von ihr verbreitet wurden. Sie gehen zurück auf den „Brief vom Himmel“, der zum ersten Mal erwähnt wird in einem Brief des Bischofs Liciniano von Cartagena 584 (Edgar J. Goodspeed, Modern Apocrypha. Boston 1956, S. 70 ff.; vgl. auch: Piotr Rypson, Variationen über das Netzwerk. In: Osteuropa im internationalen Netzwerk. Kongressdokumentation, a.a.O., S. 47). Der Erzengel Gabriel (andere Quellen nennen den Erzengel Michael) soll ihn direkt von Jesus Christus erhalten und in der Nähe von Iconium deponiert haben (Otto Weinreich, Antike Himmelsbriefe. In: Archiv für Religionswissenschaft X, Leipzig 1907, S. 566 f.). Die Funktion der Himmelsbriefe war die Abwendung von Unheil, so dass sie massenhaft verbreitet und insbesondere in Kriegszeiten den Soldaten als Schutz vor Verwundung dienten (Goodspeed berichtete von der Kopie eines Himmelsbriefs, den er zu Beginn des 2. Weltkriegs für wenige Cents auf der Straße kaufte: http://www.silcom.com/ ~barnowl/chain-letter/archive/he1950u_jesus_sab.htm). Auf der Synode von 745 ließ der Heilige Bonifatius einen solchen Brief verdammen, und 789 befahl die Kanzlei Karls des Großen diese Briefe zu verbrennen. Der Chronist Fritsche Closener (Straßburg 1315–1390/1396) bezeichnete die Himmelsbriefe als Propaganda- und Agitationswerkzeuge und wies damit den Himmelsbriefen ein weiteres Moment zu, das auch in der späteren Mail-Art eine Rolle spielte. Die beste Übersicht bieten die 2 Bände: Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk, a.a.O. und speziell zu Russland: http://mail-art-east.livejournal.com. Interessant ist, dass jüngst in Russland die Mail-Art in vielen Ausstellungen ganz offiziell „boomt“ so in: Collage & mixed media in the mail art. Galery of the XXI century. Moskau, Januar 2008.
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Abb. 292: Himmelsbrief, Ende 18. Jh.
NET – a NET is open and uncommercial – points of the NET are: private homes, studios and any other places, where art propositions are articulated – these propositions are presented to persons interested in them – propositions may be accompanied by editions in form of prints, tapes, slides, photographs, catalogues, books, films, handbills, letters, manuscripts etc. – NET has no central point and any coordination – points of NET are anywhere – all points of NET are in contact among themselves and exchange concepts, propositions, projects and other forms of articulation – the idea of NET is not new and in this moment it stops to be an authorised idea – NET can be arbitrarily developed and copied2823 1981 begann Ryszard Wasko (1948) das Projekt „Construction in Progress“2824, eine Ausstellungsserie, die durch weitere Einladungen eingeladener Künstler Eigendynamik und Offenheit entwickelte und in späteren Jahren an wechselnden Orten wiederholt wurde. Im Umkreis 2823 2824
Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk, a.a.O., S. 14. In: http://www.ryszardwasko.info/lillywei.shtml.
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dieses Pojekts entstand innerhalb der Lódzer Künstlergruppe das „Netzwerk“-Manifest „10 Thesen für eine !Potentielle Kultur"“, eine Art Erweiterung der „NET“-Grundsätze von 1972: 1. Das Netzwerk funktioniert außerhalb sozialer und politischer Doktrinen. 2. Das Netzwerk schafft austauschbare Laboratorien zur Wiederherstellung sozialen Bewusstseins. Seine Praxis besteht in der Schaffung einer endlosen Kette von austauschbaren Räumen für kreative Arbeit in der Gesellschaft. 3. Das Netzwerk strebt die Wiederherstellung der !grassroot"-Strukturen in der Gesellschaft an. Das Wesen seiner Tätigkeit liegt in der Durchdringung der Gesellschaft. 4. Das Netzwerk schließt den Begriff der Kultur !für die Gesellschaft" aus. Es schlägt dagegen die direkte Teilnahme der Gesellschaft am Aufbau von austauschbaren Strukturen zur Verbreitung der Kultur vor […] 8. Der Wert einer !Potentiellen Kultur" leitet sich von dem Wert der kollektiven Anstrengung ab. 9. Das Netzwerk ist keine Organisation. Es ist ein andauernder Prozeß im Aufbau austauschbarer Arbeitsräume in der Gesellschaft. 10. Ziel der Schaffung eines Netzwerkes ist der Aufbau einer !Potentiellen Kultur".2825 So konnten offiziell nicht akzeptierte Formen in den Grenzbereichen des künstlerischen Ausdrucks wie Visuelle Poesie, Konzept-Art, Fluxus usw. unterschwellig auch der Informationsverbreitung dienen, weil die ihnen eigene Verschlüsselungseigenschaft2826 von der traditionellen Kulturadministration nicht durchschaut wurde. Robert Rehfeldt (1931–1993) und Guillermo Deisler (1940–1995) nutzten dies und waren wichtige Initiatoren in der ehemaligen DDR2827. Rehfeldt2828 beteiligte sich seit Anfang der 1970er Jahre an grenzüberschreitende Kommunikationsprojekten, deren Ergebnisse er in 4 Punkten zusammenfasste: 2825
2826 2827
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Mail Art. Osteuropa im internationalen Netzwerk. Kongressdokumentation, a.a.O., S. 51. Vgl. Anm. 1688 ff. Mail Art Szene DDR 1975–1990. Hg. Friedrich Winnes/Lutz Wohlrab. Berlin 1994. Kornelia Röder, Postkarten von Robert Rehfeldt. In: Bartkowiaks forum book art. Hg. Heinz Stefan Bartkowiak. 20. Ausg. Hamburg 2002/2003, S. 74 ff.
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1. Aufhebung der teils depressiven Isolation des Künstlers durch Kontakt zu Gleichgesinnten. Bewusstmachung der Notwendigkeit seines !Seins" und seiner Wirksamkeit als fortschrittsfördernde Kraft. 2. Durch Kooperation untereinander (Artworkers United) den noch weit verbreitet egozentrischen Teil des Künstlers überwinden zu helfen (Wenn die Gesellschaft sich verändert, ändert sich auch der Künstler). 3. Die Preisgabe seiner Ideen noch beim Entstehen dieser, führt zu einer größeren Verbreitung, und was noch wichtiger ist, zur Erweiterung und Bereicherung dieser Ideen. Der Künstler humanisiert seine Arbeitswelt, entwickelt solidarisches Bewusstsein, fördert den künstlerischen Gedanken überhaupt (auch den, der seiner speziellen Materie nicht entspricht) und bewirkt unter anderem dadurch, dass seine Rolle in der Zukunftsgesellschaft besser eingeschätzt wird als bisher. 4. Die Form der Künstlermitteilungen wird immer eine seiner Kunst entsprechende sein, die Sammler von morgen sollten sehen, dass sie nicht zu kurz kommen.2829 Sein besonderes Stilmittel war die Stempelkunst.2830 Amtliche Genehmigungen wurden in der ehemaligen DDR durch zahlreiche Stempel erteilt. Rehfeldts erfundene Stempel wurden zu Gegenmitteilungen und unterliefen die Stempelfunktion als Zeichen der Autorität und Macht. Deisler schrieb 1990: „Ich meine das Zurückweisen von Kompromissen mit der Macht, egal welche sie ist, und das Zurückweisen der Benutzung der Kunst und der künstlerischen Tätigkeit als ihr Instrument.“2831 Sein wichtigstes Instrument wurde „UNI/vers (;)“, ein Portfolio, das seit 1987 bis zu seinem Tod in 35 Ausgaben erschien. Die Einladung zur ersten Ausgabe begann:
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Mail Art Szene DDR 1975–1990, a.a.O., S. 15. Abb. 293 Archiv Dencker. Herve Fischer, Art et Communication Marginale. Tampons d’Artistes/ Art and Marginal Communication. Rubber Art – Stamp Activity. Deisler, Einige Ereignisse, von denen ich denke, dass sie für meine Biografie wichtig sind. (1990). In: Deisler, Grafik/ visuelle Poesie/ Buchobjekte. Hg. Bärbel Zausch/Jörg Kowalski. Halle 1997, S. 6.
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Abb. 293: Robert Rehfeldt, Stempelkunst, 1976
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UNI – VERS (E) das internationale forum für neue tendenzen der visuellen poesie UNI – VERS (E) ist ein zeitzeichen & schafft s
s y
y
m m individuellen Bewußtseins o o l l e e S Y M B O L E
ichtbarmachen der zusammenhänge it allen mitteln der phantasie hne rücksicht auf traditionelle zwänge in akt der selbstbehauptung VISUELLE POESIE heißt sehen & verstehen
„UNI/vers(;) ist ein internationales Künstlerprojekt für Visuelle und Experimentelle Poesie. Jeder Künstler ist eingeladen, 100 Arbeiten im Format A-5 zu senden. 40 Beiträge werden zu einer Ausgabe zusammengefasst, wobei jeder Beteiligte ein Exemplar erhält. UNI/vers(;) übermittelt nicht nur Botschaften, sondern strebt kreative Kommunikation an. Kreative Kommunikation, auch unter Einsatz von Abfall, ist dabei, mit einfachen Mitteln – heraustretend aus einer Überflutung mit Informationen – poetische Inhalte zu übertragen. UNI/vers(;) bietet eine Chance, ohne Einfluß, Zensur oder Begrenzung künstlerische Originale zusammenzustellen. Im besten Falle sind diese eine Ausgabe simultaner Poesie. CO/ART oder eine kollektive poetische Form, die über Entfernungen hinweg erreicht wird.“2832 Deisler verstand sich als Visueller Poet, als Künstler, der aber ausdrücklich „mit Leuten Kontakt aufnehmen wollte, die nicht unbedingt Künstler sind, jedoch ähnliche Gedanken haben, und die es überall gibt“.2833 2832
2833
5 Jahre/5 Years/ peacedream-project UNI/vers(;) (1987–1992). Künstlerprojekte für Visuelle und Experimentelle Poesie/ Artist’s project for visual and experimental poetry. Hg. Guillermo Deisler. Halle 1992, S. 1. Flyer zum Mail Art Projekt „Federn der ganzen Welt für meinen Flug“, dessen Einsendungen 28. 8. – 22. 9. 1989 in der Galerie am Markt in Annaberg-Buchholz und 27. 3.–28. 4. 1990 in der Galerie am Hauptmarkt in Gotha ausgestellt wurden.
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Künstler, die in anderen Grenzbereichen der Kunst, insbesondere der Konkreten und Visuellen Poesie, wie etwa Miroljub Todorovic´2834 Erfahrungen sammelten und sich auch an der Mail-Art beteiligten, betrachteten diese vor allem als Distributionsweg ihrer mit ästhetischen Gestaltungsansprüchen entstandenen Arbeiten2835 im Gegensatz zu den Mail-Artisten, denen die Aktion, die Kommunikation, der Prozeß als „soziale Skulptur“ wichtiger war. Daraus allerdings unterschiedliche qualitative Wertmaßstäbe ableiten zu wollen, ist insofern gefährlich, weil beide Arbeitsbereiche ihre eigene Ästhetik und damit natürlich besondere künstlerische Ausdrucksformen entwickelten. Das wird deutlich an den Arbeiten2836 des lateinamerikanischen Visuellen Poeten und Mail-Artisten Clemente Padin (1939) aus Uruguay.2837 Bei2834
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2837
Siehe Bio-Bibliography: http://www.rastko.org.yu/knjizevnost/signalizam/delo/ 11297; und „My mailart activities from 1970–1987“: http://www.rastko.org.yu/ knjizevnost/signalizam/delo/11188. Abb. 294 (Archiv Dencker). Willkürlich herausgegriffen die Postkartensammlung: Mail 4 F. U. N., a mail art kit of the Funtastic United Nations. Hg. Vittore Baroni. Bertiolo 2002, oder eine der jüngsten Publikationen von Bernd Reichert (1960), Zum anderen Ufer. Eine collage-romaneske Parabel im Systemkreislauf der Postaldistanz. Brüssel 2007, – eine Folge von collagierten Postkarten, begleitet von Kurztexten aus drei Sprachen zusammengesetzt, die erfolglose Bemühung eines Diplomaten, chargierend zwischen einer Zweier-Beziehung und dem politischen Alltag. Geschichten jeweils auf einer Postkarte führten jüngst zur Form der Postcard-Story: Postcard-Stories. Hg. Norbert Treuheit. Cadolzburg 2005 (30 Postkarten in einer Buchbox). Oder jene Postkarten-Aktion von Martin Amstutz (1965/St. Gallen), bestehend aus einer Postkarte und beigefügtem Zeitungsblatt A1 auf A 3 gefaltet, auf dem sich in der oberen Hälfte ein textfreier Raum befindet mit der Inschrift „Die Karte für den folgenden Tag hier einkleben“. So kann auf der Ausgabe mit dem Titel „Wochenblatt“ vom 6. August 2003 die beigefügte Karte oder auch eine andere geklebt werden. Das „Wochenblatt“ erinnert in Form und Inhalt an ähnliche Mitteilungsblätter der Dadaisten, die man als frühe Zeitungskunst bezeichnen könnte. Zur Zeitungskunst/ Kunstzeitung vgl. das Ausstellungsprojekt von Guy Schraenen „Kunstzeitung/Zeitungskunst“, Neues Museum Weserburg Bremen 1996 (mit Katalog) oder „PressArt. Medien im Spiegel der Kunst“ Gruner + Jahr Forum Hamburg 2004 (mit Katalog), sowie die verwandte „Annoncen-Kunst“ (seit 1964ff.) von Ulrichs, Abb. in: Ulrichs, Die Druckgrafik, a.a.O., S. 179ff. u. 189, sowie in Ulrichs, Die Zeitungsannonce als Kunstwerk. 1964/74. Hannover 1974. Clemente Padin, visual poems 1967–1970. Madison/WI 1990; Action/ Works/ Performances 1970–1991. o.O. u. J; Poems to eye/ Selection 1972–2000. Port Charlotte/FL 2002, Abb. 295 o. P. Der erste Versuche mit Mail-Art 1967 unternahm. Während der Militärdiktatur in Uruguay organisierte er 1974 die erste lateinamerikanische Mail-Art Ausstellung in der Galerie U in Montevideo. Seine politisch-künstlerischen Arbeiten führten zur Inhaftierung 1977 bis 1979, die einen weltweiten Protest der Mail-Artisten auslöste.
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Visuelle Poesie
Abb. 294/1: Miroljub Todorovic´, Anagrams, Postkarte 1968/69
Abb. 294/2: Miroljub Todorovic´, Lunometer, Postkarte 1969/70
spielhaftes zeigte sich schon in den frühen Arbeiten, wie etwa in „signo“ (1974).2838 Die Arbeit umfasst 16 Blätter und entpuppt sich – was von hinten nach vorne betrachtet schneller erkennbar ist – als eine Folge von jeweils 2 enger zusammengehörigen Blättern. Sie beginnt mit dem Buchstabenmaterial s i g n o das so angeordnet ist, dass formal ein auf der Spitze stehendes Quadrat erscheint und auf dem zweiten Blatt auch die Lesart g n o s i s möglich ist, ein Begriff, der auf Erkenntnis verweist, auf die Lehre von den göttlichen Geheimnissen, was durch entstehende Kreuzformen in Blatt 1 und 3 zusätzlich visualisiert wird. Mit einem „Zeichen geben“ und einer „Erkenntnis haben“ zeigt sich hier schon ein wesentlicher 2838
Dencker, Clemente Padin, su „Signo“. In: Padin, La poesia experimental latinoamericana, a.a.O., S. 47 ff.
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Abb. 295: Clemente Padin, ay!, 1970er Jahre
Bestandteil von Poesie. In der weiteren Blattfolge wird sowohl mit der Form des Quadrats gespielt2839 als auch mit dem Buchstabenmaterial, das ab Blatt 8 ersetzt wird durch erfundene Zeichen, Logos und geometrische Figuren wie Rechtecke, Rauten, Kreise, und gerade Linien, immer vor dem Hintergrund des gedachten auf der Spitze stehenden Quadrats, das im letzten Blatt als ausgeschnittenes Fenster erscheint, so dass im Durchblick programmatisch der Titel der nachfolgenden Arbeit „ideograma“ (1975) sichtbar wird. Die Zeichen zu Metaphern mutieren zu lassen, wie es in der Blattfolge „signo“ geschieht, ist ein poetisches Verfahren der Visuellen Poesie analog zur traditionellen Lyrik. Die Blätter am Anfang weisen den Weg vom Schriftzeichen zum Bildzeichen, lehren das Lesen und Deuten. Padin zeigte, dass er selbst in seinen frühen Arbeiten, die sich scheinbar als purer Konkretismus, als Sprach- oder Zeichengebilde ausgeben, mehr beabsichtigt als Sprachmaterialanalysen. So erweist sich „signo – so streng die Blattfolge auch formal konstruiert ist – als spielerischer Versuch, ein 2839
Vgl. Achleitners Studien (Anm. 1421) und die umfangreiche Geschichte des Quadrats in der Visuellen Poesie (mit historischen Vorläufern) in: Matsuda Yukimasa/Shutaro Mukai, The Function of Circle and Square. Constellation. Tokyo 1998.
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vorhandenes System immer wieder zu verändern und die Aufforderung an den Betrachter/Leser, einer abstrakten (unmenschlichen) Ordnung durch ein von Kreativität geprägtes Verständnis selbst bestimmbare Erkenntnisse entgegenzusetzen: – in nuce scheint hier das kritische gesellschaftspolitische Engament Padins durch, der Kampf gegen Diktatur und Zensur, Unfreiheit und Reglementierung, was sich wie ein roter Faden durch alle seine Aktionen und Werke zieht, allerdings immer vor dem Hintergrund, den Vorstellungen von einer Visuellen Poesie zu genügen. Eine besondere künstlerische Ausdrucksform ist auch in der kontinuierlichen Arbeit des Japaners Ryosuke Cohen zu beobachten, der 1980 mit der Mail-Art in Berührung kam und sogenannte „assemblings“2840 seit 1985 verschickte, eine (gestaltete) große Montage/Collage aus vielen nicht Themen bezogenen Einzeleinsendungen.2841 DEAR FRIEND: IT IS ORIGINAL PLEASURE OF MAIL ART NETWORK WHICH WE MAKE USE OF ANOTHER PERSONS SEAL OR STAMP AT WILL. OURSELVES MAY BE LIKEND TO ONE OF THE BRAIN CELL, IT IS CROWED WITHOUT NUMBER AND COMES INTO SUPERB OBJECT. AT PRESENT ART, FACULTY OF ONLY GENIUS IS NO MORE NECESSITY. I INTEND TO COLLECT SEAL OR STAMP OF EVERYBODY INTO ONE SHEET AND SEND BACK TO EACH. PLEASE SEND YOUR SEAL OR STAMP TO ME. BEST WISHES AND REGARDS, RYOSUKE COHEN
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Diese „assemblings“ sind als Formen zu verstehen, die aus dem für die Mail Art ebenfalls wichtigen Partizipationsgedanken entstanden: am Anfang waren es Kettenbriefe, dann Kollaborationsarbeiten, mit der Bitte halbfertige Postkarten zu bearbeiten, wie in dem Projekt von Luc Fierens „Visual Writing. Cooperation Multiple“ (2004), dessen Einsendungen 19. 11.–18. 12. 2004 in der Galerie les Contemporains/Brüssel gezeigt und als Schachtel mit allen Beiträgen an die Teilnehmer verteilt wurde. Später wurden Magazine, die mit oder ohne festem Thema Beiträge von Mail-Artisten sammelten, so genannt: Networking Artists & Poets: Assemblings from the Ruth & Marvin Sackner Archive of Concrete & Visual Poetry. Curated by Craig Saper. University of Pennsylvania 1997; Géza Perneczky, Assembling Magazines 1969–2000. Budapest 2007. Abb. in: Visuelle Poesie aus Japan, a.a.O., S. 35ff. siehe auch: http://www.webbers. com/mailart/other.html u. http://www.artpool.hu/MailArt/Brain/brain_cell1.html.
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Er nannte diese Form „brain cell“2842, weil die Struktur den Nervenzellen im Gehirn gleiche, die sich überlagern und unzählig verflochten seien: „Nowadays I have come to realize that we are all part of FRACTAL, and that I can be a piece of that FRACTAL, and that I can create art, in a way that extends beyond myself as an individual, in communication with infinite mail artist’s ideas.“2843 Auffallend häufig benutzte er die spätestens seit den Dadaisten bekannte stamp-art2844 und die von der Graffitibewegung herrührende stencil-art2845, die abgewandelt auch seinen seit 1997 die „brain cell“ ergänzenden „Fractal Portraits“2846 zugrunde liegt.
Stamp-/Stencil-Art Die stamp-art umfaßt sowohl das variantenreiche Spiel der künstlerischen Verfremdung einer Briefmarkenform2847 als auch die Neuschöpfungen von Stempeln2848. Roll- und Stempelsiegel als Handdruckgeräte und Prägewerkzeuge sind seit Jahrtausenden bekannt und in ihrer Nutzung immer verbunden gewesen mit dem Zeichen der Identifikation, Beglaubigung und Kennzeichnung hierarchischer Machtentfaltung.2849
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Abb. 296 in: Visuelle Poesie aus Japan, a.a.O., S. 37 (Original Archiv Dencker). Im Juni 2007 wurde die Nummer 682 verschickt. Cohen, MAIL – ART – NETWORKING ART, Juni 2006 (Statement, 2 Seiten/ Archiv Dencker). Ein großes Archiv besitzt der Mailartist Ruud Janssen (1959, Breda/Holland): IUOMA & the TAM Rubber Stamp Archive http://www.iuoma.org/, vgl. auch Anm. 1915. Zur stencil-art gibt es eigene Festivals wie das Sidney Stencil Festival 2007 (http://www.stencilfestival.com/); Tristan Manco, Stencil Graffiti. (Street Graphics/ Street Art). London 2002. (http://www.stencilgraffiti.com). Abb. in: http://www.h5.dion.ne.jp/~cohen/info/ryosukec.htm. Das Gedicht eines Urdu-Poeten aus dem 18. Jh. auf einer indischen Briefmarke als CityPoem, Abb. in: Karssenberg, Index 34 (India), oder Baroni, Arte Postale, a.a.O., S. 41 ff. (Kapitel: Francobolli). Baroni, Arte Postale, a.a.O., S. 51 ff. (Kapitel: Timbri/Anime di gomma); Ulises Carrión, Stempelkunst. Een historisch Overzicht. Amsterdam 1980 (De Nederlandse Kunststichting). Vgl. auch Anm. 2830 u. Abb. 293. Dagmar Klar, Stempel: Symbol der Macht und Kunstmedium. In: Peter-Jörg Splettstößer, Internationaler Stempelworkshop/International Rubberstamp Workshop 1981. Bremen 2002, S. 12 ff.
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Abb. 296: Ryosuke Cohen, Brain Cell Nr. 381, 31. 12. 1996
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Als die Künstler, wie z. B. Rehfeldt oder Ulrichs2850, den Stempeldruck entdeckten, war es genau dieses Konterkarieren des bürokratischen Stempelgebrauchs2851 und das Einsetzen eines im traditionellen Sinne ganz und gar unkünstlerischen Gestaltungsmittels, das beliebig reproduzier- und montierbar war und in der Vervielfachung der Elemente zugleich mit der Aufhebung ihrer Einzelbedeutungen zu Bausteinen einer neuen (Sinn) Konstruktionsebene wurde. Früheste Beispiele sind die von 1919 bis 1923 entstandenen Stempelbilder von Kurt Schwitters2852, in denen Post-, Namens, und Adressenstempel verbunden mit Zeichnungen und kleinen Collage-Elementen, wie die Endstücke von Briefmarkenrollen, strukturgebend eingesetzt wurden. Otto Nebel schrieb im Vorwort: „In Merz-Bildern und Zeichnungen verliert Schrift begriffliche Bedeutung. In Merz-Bildern und Zeichnungen ist Schrift formale Deutlichkeit, das graphische Mittel zur Gestaltung einer Fläche. Zahlen und Buchstaben bleiben rein bildhaft. Ihre Begrifflichkeit ist künstlerisch belanglos. An sich ist Schrift graphische Spur eines Wortklangs. Im Merz-Bild wird Schrift wortloser Klang reiner Linien. Begriffliches wird ausgemerzt.“ Hier lag das Gewicht im Unterschied zur Mail-Art durchaus noch auf der Bildgestaltung, der die Stempel als strukturbestimmende Mittel dienten, wie etwa in der FigurStempelung „Der Kritiker“ (1921)2853. Weitere Beispiele sind die Stempelzeichnungen („Chachets“)2854 von Arman (Armand Pierre Fernandez, 1928–2005), die er – angeregt durch eine Schwitters-Ausstellung in der Galerie von Heinz Berggruen 1954 in Paris – seit 1955 entwarf, oder die „13 Variations on 6 Words of Gertrude Stein“ (1958/65)2855 von Emmett Williams.
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Timm Ulrichs, Stempel, zur Kunst gestempelt. In: Magazin Kunst, H. 15 (61/62), Mainz 1975, S. 66 ff. Henning Mittendorf, Künstlerstempel. Versuch über ein kreatives Medium. Teil 1. In: Numero 3. Hg. Wilfried Nold. Frankfurt 1998, S. 19 f. (Teil 2 in: Numero 4, S. 21 ff.). Interessant sind auch die seit 1986 entstandenen fingierten gestempelten „brief-sätze“ von: Christian Steinbacher, Briefstempeltexte. Siegen 1988 (= experimentelle texte nr. 16). Sturm Bilderbücher IV, Kurt Schwitters. Berlin o. J. (1920); eine spätere Stempelzeichnung, die nur aus Stempeln besteht „(Copi)“ (1938/Abb. in: Kurt Schwitters in Exile: The late work 1937–1948. London 1981, S. 86). Abb. 297 in: Dencker, Text-Bilder, a.a.O., S. 69. Abb. in: Aller Anfang ist Merz, a.a.O., S. 164. Williams, 13 Variations on 6 Words of Gertrude Stein. Köln 1965 (= Edition Mat Mot Nr. 6).
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Abb. 297: Kurt Schwitters, Der Kritiker, 1921
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Williams stempelte die 6 Worte „when this you see remember me“ mit verschiedenfarbigen Gummistempeln in 13 Stufen anwachsender Verdoppelungen über- und ineinander, bis zum Ende des Leporellos die Unleserlichkeit zunahm und in der 13. Stufe mit den (von Williams gezählten) 24576 Wörtern2856 nur noch ein abstraktes Bild entstand. „Das Bild, in das sich der Text wandelt, ist unlesbar und vermittelt die Forderung des Textes in performativer Weise: man erinnert sich an den Text, der zum Erinnern gemahnte, ganz im Sinne des Textes selbst: !when you see this remember me" (meine Hervorhebung). Das Erinnern wird vom Wort entkoppelt und durch ein abstraktes, dem Wort aber verbundenes Zeichen ausgelöst. Diese ans Ausgangszeichen gebundene Entkoppelung repräsentiert im Grunde das Modell des Erinnerns als solches: Ein Erinnern über Assoziationsketten, die mit einem Bild, wie bei Williams (…) beginnen mögen. Der intertextuelle Bezug (…) wäre, dass in Williams Falle die Lesbarkeit des Objekts mit der Zeit – bzw. mit steigender Anzahl des Erinnerns – verlorengeht und nur noch der Impuls sich zu erinnern übrig bleibt. Wenn der Ausgangstext nicht mehr entzifferbar ist, kann der eigene dessen Platz einnehmen. Williams thematisiert dieses Modell durch die vorgeführte Transformation zwischen den verschiedenen Zeichensystemen.“2857 Anders und mehr auf eine offene Semantik zielend Dieter Roth, der seine ersten Stempel 1962 herstellte,2858 nachdem er Stempelelemente in den Bildern von Paolozzi2859 in einem Katalog sah, den ihm Hamilton nach Island geschickt hatte. Im Januar 1963 schrieb er in einem Brief an Richard Hamilton „i am thinking of some pictures or a book with stamps. so I had made 4 stamps already, when it came to my mind that Paolozzi has made his metaphysicals with stamps!2860 it must be that I have picked up the idea there and without consciously doing it must have used it (the idea) for this start.“2861 Die Idee eines Buches aus Stem2856
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Williams, in: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst. Ausgabe 27, München 1994, S. 6. Roberto Simanowski, Transmedialität als Kennzeichen moderner Kunst. In: http:// www.brown.edu/Research/dichtung-digital/cv/Simanowski-Transmedialitaet. doc, S. 6. Benjamin Meyer-Krahmer, Aporien des Selbst. Selbstbeobachtung als künstlerischer Schaffensprozess bei Dieter Roth. Diss. FU-Berlin 2006, S. 49 (http://www.diss.fu-berlin.de/2007/181). Die Nähe zu Schwitters wurde bereits erwähnt: vgl. Anm. 2271. Gemeint ist: Palozzi, Metafisikal Translations. London 1960. Roth Zeit, a.a.O., Abb. 298 S. 89.
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Abb. 298: Dieter Roth, MUNDUNCULUM/Das rot’sche VIDEUM, 1967
pelbildern zu entwickeln, mag sich bereits auf das „Mundunculum“-Projekt bezogen haben, das 1967 unter dem Titel „MUNDUNCULUM – Ein tentatives Logico-Poeticum, dargestellt wie Plan und Programm oder Traum zu einem provisorischen Mytherbarium für Visionspflanzen. Band 1: Das rot’sche VIDEUM, 1967“ erschien.2862 Für das Projekt entwarf Roth ein Stempelalphabet2863, in dem Motivstempel die einzelnen Buchstaben des Alphabets ersetzten. Da Roth die Motive nicht wie Buchstaben reihte, sondern als Versatzstücke in vielen Konstellationen zu Bildern organisierte, ergaben sich offene, mehrdeutige Lesungen. „Bereits im Untertitel erklärte der Künstler sein Projekt als ironische Gegenposition zu Wittgensteins im !Tractatus logico-philosophicus" manifestierten Glauben an die Erklärbarkeit von Welt durch Sprache (…) Entsprechend fordert das komplexe, mit Symmetrie-, Spiegelungs- und Wiederholungsprinzipien operierende Ineinandergreifen von Text und Bildinformation (…) einen Leser, der sich die mannigfaltigen Querbezüge in einer Art übergreifender Gesamtschau erarbeitet.“2864 2862 2863 2864
DuMont Verlag, Köln; in überarbeiteter Ausgabe: Stuttgart 1975 (GW Bd. 16). Abb. in: Roth Zeit, a.a.O., S. 87 ff. Roth, Die Haut der Welt, a.a.O., S. 69.
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Roth erläuerte in der Einleitung: „Allerlei Texte, illustriert. Die Illustrationen mit 23 Gummistempel gemacht, die der Autor in den Jahren 1963–1965 gezeichnet hat. Jedes der 23 Bilder stellt für ihn (…) ein wichtiges Wesen dar. Wesen nicht nur im Sinn von Lebewesen, sondern auch im Sinn von Toten Wesen, wie z.B. Werkzeuge, die Elemente, Objekte, fixe Ideen, Albträume, Illusionen etc. Mit diesen Stempeln hat der Autor während der vergangenen drei Jahre etwa 300 Bilder gemacht. Der größere Teil dieser Bilder soll in dieses Buch gehn (…) Das Buch soll zweigeteilt sein: der eine Teil soll in Bildern bestehn, der andere Teil in Texten. Und das Ganze könnte man als den Versuch der Darstellung einer Welt bezeichnen (…) In jener Welt, die in diesem Buch dargestellt werden soll, soll jeder Teil jeden Teil darstellen und bedeuten können. Der Kopf soll z.B.: unter anderem auch eine Hand oder nur eine Zelle in jener Welt bedeuten können – oder sogar eine Zelle in ihm selbst – oder er soll die ganze Welt darstellen können, je nach Interpretation von seiten des Lesers. Ausserdem sollen die Stempelbilder nicht nur Wesen oder Gegenstände symbolisieren, sondern auch die Verhältnisse dieser Wesen und Gegenstände, wie. z.B. Gruppen, Familien, Verkehr, Bauten, Arbeit etc. In diesem Weltsystem soll einfach jedes alles bedeuten können.“2865 Gab es zu Beginn der Mail-Art noch direkte Berührungspunkte mit Fluxus und anderen interdisziplinären Kunstproduktionen, die aus dem Reservoir experimenteller Ausdrucksformen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts schöpften, und erfolgte auch die Kommunikation dieser Künstler noch untereinander, öffnete sich allmählich das Netz einschränkungslos. Den mit „no jury, no return, no fee“ gezeichneten Aufforderungen zur Teilnahme konnte jeder der wollte folgen, was schließlich Ende der 1980er Jahre zu einer unübersichtlichen Massenproduktion2866 mit erheblichen Verflachungstendenzen2867 führte. 2865 2866
Roth, Da drinnen vor dem Auge, a.a.O., S. 107. Allein zwischen 1970 und 1990 gab es mehr als 2000 Mail-Art-Projekte, oft mit gleichen Themenvorgaben und parallel, wie etwa Hans Braumüllers Projekt „Crosses of the Earth – Hommage To All Indigenous Poeple“ (http://www. crosses.net/2000/) und Wilfried Nolds „Das kosmische Kreuz“ 1998 (http:// www.cam.net.uk/home/aaa315/spirit/COSM_X.HTM u. Nold, Das Kosmische Kreuz. Konzepte und Aktionen. Frankfurt 2002), wobei beide auch aufeinander verweisen, keiner für sich die Urheberschaft reklamiert – auch dies ein besonderes Merkmal voraussetzungslosen demokratischen Kommunikationswillens von Mail-Art. Zu der Vielzahl von Projekten, die in der Regel aus Ausstellung und katalogartigen Heften bestanden, wie z. B. der Katalog der Mail-Art Exhibition im Street Museum Tokyo 1998 (Hg. Eiichi Matsuhashi), kamen unzählige Loseblattsammlungen wie Guy Schraenens „Libellus“, die monatlich in Antwerpen im Ok-
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Der Visuelle Poet und Mail-Art Künstler Klaus Groh versuchte 1985 dieser Einschätzung vorzubeugen, indem er feststellte: „Hier von Kunst zu reden, d. h. Kunstansprüche im tradierten Sinn zu stellen, wäre unter Mail-Art-Bedingungen sehr ungerecht. Denn die Frage nach der künstlerischen Qualität ist nirgends relativer als gerade in der Mail-Art. Wenn es um den ästhetischen Anspruch geht, können auch hier keine Grenzen festgelegt werden. Disziplinen und Techniken verwischen sich, die Gestaltung geht vom materiellen Werkstück bis zum aufgeschriebenen oder einfach gestempelten Gedanken. Eine Idee, ein Gedanke wird gezeichnet, fotografiert, collagiert, geschrieben, geknetet, angedeutet, umgeschrieben, missdeutet. Auf jeden Fall ist immer eine Idee, irgendwie sichtbar artikuliert, die Stimulanz für einen aktiven Prozeß, welcher Art auch immer. Wenn ein Ästhetikanspruch zugrunde läge, wäre es sehr schwer, ihn zu generalisieren. Ist doch der gesamte Prozeß, vom Einfall, eine Mail-Art-Aktion zu starten, bis zur dokumentierten Sammlung der Teilnehmerbeiträge, ein Gesamtprojekt, das an keiner Stelle besonders herausgehoben werden kann. Die gestaltete Gesamtzeit mit ihren vielen unterschiedlichen Resultaten ist die offene ästhetische Komponente (…) Die Resultate sind nicht als Einzelprodukte zu bewerten, wie es bei den Kunstwerken in den tradierten Ausstellungsinstitutionen der Fall ist; vielmehr muß der jeweilige Gesamtprozeß mit den sehr unterschiedlichen Teilstücken als Ganzes gesehen werden (…) Die Frage, ob Mail-Art eine alternative Kunst ist, lässt sich nicht beantworten. Sie ist zwar eine Möglichkeit, eigene schöpferische Ideen zu publizieren, aber ein gezielter, bewusster ästhetischer Gestaltungsanspruch ist lediglich zufällig zu finden.“2868
2867 2868
tober 1980 zuerst erschien, Zeitschriften wie „Numero“ (1997–1999), Hg. von Wilfried Nold (Frankfurt), in denen auch Textbeiträge zur Mail-Art abgedruckt wurden, fortgesetzt 2000 von dem Mail-Art Forum „Kairan“, hg. von Gianni Simone in Japan (2007 erschien No. 12), umfangreiche Anthologien ähnliche Dokumentationen wie: Mail Art 2003. Hommage aux fondateurs. Hg. Julien Blaine. Ventabren 2003 oder: mail art scenarios for possible futures. a mail art project by sophia martinou. Athen 1996–97, vor allem mit Textbeiträgen zur Zukunft der Mail-Art. Inzwischen gibt es umfangreiche Mail-Art Collections u. a.: The John Bennet Collection (Columbus/Ohio), The Sticker Dude Collection (New York), The Baron Collection (Cleveland/Ohio), The Luc Fierens Collection (Weerde/ Belgien), Vittore Baroni Collection (Viareggio/Italien), Archive Guy Schraenen (Antwerpen). Hinweise auch in: Baroni, Arte Postale, a.a.O., S. 212 ff. „Archivi“. Osteuropa im internationalen Netzwerk. Kongressdokumentation, a.a.O., S. 19. Groh, MAIL-ART ein soziales System. In: Mitteilungen des Instituts für moderne Kunst Nr. 34/35, Nürnberg 1985, o. P.
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Telefon/Telegrafie/Telefax/E-Mail Sicher ist die Mail-Art auch innerhalb der bereits mehrfach erkannten Entwicklung von der Kunstproduktion zur Kommunikation mit und durch Kunst zur Kunst der Kommunikation zu betrachten, die sich über den analogen Bereich hinaus fortsetzte, was im Vergleich früherer Kollaborationsstrukturen der Literaten im Netz seit Anfang der 1970er Jahre mit der Kommunikation in E-Mail- und Chat-Räumen der Gegenwart erkennbar wird. Waren es anfangs noch Versuche, mit der neuen digitalen Technik adäquate Ausdrucksformen zu erfinden, überwogen zunehmend die Eigenschaften der neuen Medienräume wie Ubiquität, Simultanität und Geschwindigkeit, die zwar interessante eigene Textsorten, spezielle Sprachkürzel der Verständigung hervorbrachten, aber auch durch Verkürzungen bedingte Banalisierungen, Einschränkung des Vokabulars wegen der Überschreitung von Sprachgrenzen, Auflösung der Schriftsprache zugunsten des rasch Hingesprochenen und vor allem Entpersönlichungselemente im Dialog, in dem die Interaktivität fast zum Selbstzweck wurde. „E-Mail ist dahingekritzeltes Telephongespräch“2869, für das Schnelligkeit und Kürze der Antwort den Mailenden ebenso wichtig wurden wie die diese noch übertreffende SMS-Nachrichtenübermittlung per Handy: Short-Message-Service. Die massenhafte Verbreitung von E-Mails und der sich vervielfachende Rücklauf, denen kreative und lang überlegte Antworten kaum folgen konnten, kehrte sich um in eine Qualitätsminderung der Kommunikation bis hin zu ihrer Zerstörung, wenn mit E-Mails Viren in Anhängen verschickt wurden, die nach ihrem Öffnen nicht nur die Dateien auf dem Rechner des Adressaten vernichteten, sondern sich zudem über alle beim Adressaten gespeicherten Adressen mit dem Ziel der Zerstörungen fortpflanzten.2870 In Verbindung mit den E-Mails spielten auch die aufkommenden Scanner für die Mail-Artisten eine besondere Rolle, wie andere technische Geräte der Kommunikation (z. B. Telefon, Telegrafie/Teletype und 2869
2870
John David Morley, Gekritzeltes Telefonat. E-Mail – Anmerkungen zu einer neuen Briefkultur. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 143, München 24. 6. 1996, S. 9. Bekannt ist jene Aktion philippinischer Informatikstudenten, die am 4. Mai 2000 eine E-Mail mit dem Titel „ILOVEYOU“ verschickten. Ein 10 Kbyte großes Visual-Basic-Skript enthielt im Datei-Anhang „LOVE-LETTER-FOR-YOU. TXT.vbs“ einen hybriden E-Mail-Wurm mit Schadens- und Virus-Funktionen. Im Mai wurden bereits 23 290 Attacken gezählt, im Oktober ein Spitzenwert von 30 678. Infos unter: http://www.tecchannel.de/index.cfm?pid=189&pk=401379. Zur Geschichte der Viren: http://www.computerviren-info.de/Geschichte.html.
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Abb. 299: Jürgen Graaff, FS-Text, 22. 2. 1965
Telefax) Möglichkeiten für weitere Kunstformen2871 innerhalb der Correspondence-Art schufen und neue Visualisierungsmöglichkeiten von 2871
Wie die Telefonkunst, die als Kommunikation außerhalb der staatlichen Kontrolle von Veit Hofmann und Otto Sander Tischbein (1949) in der ehemaligen DDR praktiziert wurde. Die Telefonpartner einigten sich auf ein Thema und arbeiteten per Telefon gemeinsam daran, oder Bilder wurden verbal diktiert: (Veit Hofmann/ Otto Sander Tischbein/Dieter Zimmermann, Telefonkunstbuch. Dresden 1989, Ergebnisse einer Telefonkunstaktion am 4. 1., 9. 1. u. 5. 11. 1988). Die Form des Diktats benutzte schon Moholy-Nagy 1922 für seine „Telefonbilder“, als er 5 Porzellanemaille-Tafeln von einer Schilderfabrik anfertigen ließ: (Abb. u. Hinweise von Moholy-Nagy in: László Moholy-Nagy. Mit Beiträgen von Wulf Herzogenrath/Tilman Osterwold/Hannah Weitemeier. Stuttgart 1974, S. 30f.). Zwei unterschiedliche Ansätze: – ging es Moholy-Nagy um die Reduzierung und Konkreti-
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Text/Bild-Kombinationen das Formenspektrum der Optischen Poesie erweiterten.2872 Das von Rudolf Hell (1901–2002) 1929 als „Hellschreiber“ erfundene und als Scanner 1963 auf den Markt gebrachte Gerät bot die Chance, nicht nur bearbeitete Blätter abzutasten und zu reproduzieren, bzw. zu speichern und den E-Mails als Anhang beizufügen, sondern der Scanner reproduzierte auch überanderliegende Materialien – stellte also Collagen her –, deren Gestaltung mittels seiner Einstellungsprogramme noch bearbeitet werden konnte, was per Telegrafie/Telex gar nicht2873 und per Telefax2874 nur beschränkt gelang.
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sierung des Individualstils mit seinen handwerklichen Eigenheiten auf exakt mitteilbare Form- und Farbelemente des Kunstwerks, lag für Veit Hofmann der Schwerpunkt auf der Kommunikationsform, die im Gegensatz zu Moholy-Nagy zu nicht vorhersehbaren Überraschungen, Erweiterungen und Modifizierungen der Ausgangsvorstellungen in der Gemeinschaftsarbeit führte. Dazu: Franz Eggenschwiler/Alfonso Hüppi/Dieter Roth, Über Telefonzeichnungen. Karlsruhe/ Stuttgart 1980 (gemeint sind hier auch Zeichnungen und Notizen, die z. T. unbewusst während eines Telefonats mit ganz anderem Thema entstanden). Vgl. auch. Eric Gidney, The Artist’s Use of Telecommunications: A Review. In: Leonardo Vol. 16, No. 4, 1983, S. 311 ff. u. Robert Adrian, Art and Telecommunication, 1979–1986: The Pioneer Years. In: http://telematic.walkerart.org/overview/ overview_ adrian.html. Wie z. B. auch Annoncen- und Zeitungskunst, vgl. Anm. 2835. So war man auf Zufälle angewiesen, Bsp. Jürgen Graaff (1940), Abb. 299: FS-Text. edition et 1/Nr. 18, Berlin 1966. Es handelte sich um Telegrafie, um einen Fernschreib-Text, aufgenommen am 22. 2. 1965, 11.34 MEZ mit einer Empfangsfrequenz von 16,373 mhz. Neben diesem Blatt gibt es eine Serie von 42 Blättern, von Graaff „Fernschreib-Zufallstexte“ genannt, die er alle am 5. 12. 1966 in Washington von einem Fernschreiber abrief, der mit einem Kurzwellenempfänger gekoppelt war. Verschiedene Frequenzen zwischen 3 und 30 mhz wurden zu verschiedenen Zeiten zwischen 11.30 und 14.14 EST abgerufen und ergaben ZufallsSchriftbilder, gelegentlich auch mit schwarzen und roten Buchstaben, in einem Fall sogar den Klartext: „the quick brown fox jumps over the back of the lazy dog“, ein Satz (Pangramm), der alle Buchstaben des Alphabets enthält und für das Testen von Fernschreibverbindungen und Schreibmaschinen benutzt wurde, bekannt seit Ende des 19. Jhs. und zuerst erschienen in Robert Baden-Powell (1857–1941), Scouting for Boys, London 1908. Zur Geschichte von Teletype-Art siehe: http://www.geocities.com/SoHo/7373/history.htm: danach sollen Textbilder bereits um 1923 gesendet worden sein. Ein weiteres Bsp. stammt von Willard S. Bain (1938) aus dem Jahr 1967 (Abb. in: Typewriter Art, a.a.O., S. 76), entnommen aus einer „teleprinter-novel“ „Informed Sources“ (in 3. Aufl. 1967, 1969 und 1970 in Amerika und England erschienen). The Order of Things (An International FAX Project). Curated by Francesca Vivenza/W. Mark Sutherland. Toronto 1993. Im März/April 1996 gab es eine FAX
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Copy-Art Mit dem Verfahren des Kopierens und Reproduzierens von diversen Materialien zu einem Bild kamen schon die Künstler der 1920er Jahre in der experimentellen, kameralosen Fotografie2875 zu erstaunlichen Ergebnissen. So z. B. Christian Schad mit seinen Schadografien2876, der „dadadistische Collagen aus Stoff, Papier und Federn 1918 auf Fotopapier legte und in der Durchleuchtung abbildete (…) Einen wesentlichen Schritt voran ging Man Ray, welcher ab 1921 vorwiegend plastische Gegenstände auf das Fotopapier plazierte und durch die Fixierung von deren Schattenprojektion sehr räumlich wirkende, teilweise an Röntgenaufnahmen erinnernde Bilder erreichte.“2877 Und diese Rayographien2878 waren auch Moholy-Nagy bekannt, als er nahezu zur gleichen Zeit seinerseits begann, ganz ähnliche, aber ungegenständliche, konstruktivistische Fotogramme2879 herzustellen. In dem Beitrag „Produktion – Reproduktion“2880 formulierte er die Absicht der damaligen Experimente, nämlich dass die bisher nur für Reproduktionszwecke angewandten Apparate nun auch für produktive Zwecke zu erweitern seien, – eine Forderung, die seit der Existenz von Fotokopiergeräten2881 wieder aufgegrif-
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ART – Ausstellung in der Vid Hamarinn Art Gallery, Hafnarfjördur (Hafnarfjrur)/Island. Paul Lindner, Photographie ohne Kamera. Berlin 1920. Wobei aber die ersten Kopier-Versuche bis ins 18. Jh. zurückreichen, zu Johann Heinrich Schulze (1727) und Georg Christoph Lichtenberg (1777). Die Experimente von Antoine Hercules Florence (1804–1979) lagen zwischen 1833 und 1837 und in seinen Aufzeichnungen vom 21. 1. und 19. 2. 1834 wurde zum ersten Mal das Wort „photographie“ verwendet. Vgl. auch: Rolf Sachsse, Bärlappsamen und Anarchie. Marginalien zur Photokopie. In: APEX, H. 6, Köln 1989, S. 6 ff. Abb. 251, Anm. 2513 u. Schadographien von 1918–1975. Photogramme von Christian Schad. Wuppertal 1975. Abb. in: Andreas Haus, Moholy-Nagy. Fotos und Fotogramme. München 1978, S. 18. Abb. in: Man Ray – Photograph. München 1982, S. 138 ff. u. Eleanor M. Hight, Moholy-Nagy: Photography and Film in Weimar Germany. Wellesley/Mass. 1985, S. 133 f. Abb. in: Haus, a.a.O., S. 19 ff.; Hight, a.a.O., S. 49; László Moholy-Nagy, The Photograms. A Catalogue Raisonné. Hg. Renate Heyne. Ostfildern 2009. In: De Stijl, Jg. 5, Nr. 7, Leiden 1922, S. 98 ff. u. (dt. Zit. in: Haus, a.a.O., S. 74). Nach den ersten Kopiergeräten wie Hektograph und Schapyrograph, deren Reproduktionsmöglichkeiten begrenzt waren, brachte die Erfindung der Elektrografie, der elektrostatischen Trockenkopie durch Chester F. Carlson und Otto Kornel am 22. 10. 1938 mit dem berühmten „Astoria“-Experiment (Abb. in: Co-
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fen und variantenreich – bis zur Nutzung des Kopiergeräts als Performance-Instrument2882 – in vielen Ausdrucksformen ihren Niederschlag fand. Die Künstler gaben diesen zahlreiche Bezeichnungen, – xerox works in den 1970er Jahren, dann Xerographica, Copy-Art, Elektro Art, Peinture à la lumière, Art Photocopy, Copygraphy und Colour Laser Copy-Art.2883 Dabei handelte es sich um Arbeiten, deren Prinzip die Reproduktion war, die ausgehend von Alltagssprache und Alltagsmaterialien mit den Mitteln der Montage, Froissage, Alchimage und Decollage gegen jedes traditionelle Regelwerk der Ästhetik, ohne Rücksicht auf einen Originalitäts- oder Ewigkeitsanspruch, über Sprachgrenzen hinweg allgemeinverständlich, massenhaft zugänglich und kollaborationsoffen sein wollten und damit paradigmatisch den Aufbruch des künstlerischen Experiments im 20. Jahrhundert spiegelten. Bei genauerer Betrachtung der damals eher beiläufigen und in einem Satz geäußerte Forderung Moholy-Nagy’s und der Art der Mediennutzung, die sich besonders für die Correspondence-Art anbot, zeigte sich aber in nuce nicht nur jene tiefgreifende Infragestellung des traditionellen Kunstbegriffs, die seit der Wende zum 20. Jahrhundert eine grundlegende Voraussetzung für das Wirken der Avantgarde war, sondern auch die das traditionelle Kommunikationsmodell radikal verändernde Kraft der „Apparate“, die auf zweifache Weise wirkte. Zum einen wurde die Vorstellung von der Einmaligkeit und Echtheit des Kunstwerks, seinem Kult- und Ausstellungswert, kurz: die Gültigkeit des Originalbegriffs aufgehoben.2884 Die dazu bahnbrechenden Ausführungen von Walter Banjamin in seinem Essay „Das Kunstwerk im Zeit-
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pie-Grafien. Bücher und Grafik. Hg. Guy Schraenen. Bremen 1995, o. P. [= Band 12 – Sammlung der Künstlerbücher] erweiterte Anwendungsmöglichkeiten, die allerdings erst mit dem Kauf des Patents durch die Haloid Company (später Xerox) 1947 zur Produktion von Kopiergeräten führte. „Xerox Performance“ von Luis Catriel (Abb. in: Copie-Grafien, a.a.O., o.P) u. „Xerox Action“ von Hudinilson Urbano Júnior (1957) vgl. dazu Alberto Beuttenmüller, „Arte em Xerox,“ Módulo, No. 67, Rio de Janeiro Oktober 1981, S. 40 ff.; Hudinilson Jr., Xerox Action, Katalog Museu de Arte Contemporânea da Universidade de São Paulo, August 1983. Zu wichtigen Ausstellungen siehe: Baroni, Arte Postale, a.a.O., S. 96 ff. (Fotocopie. La copy art, fra mail-box e Museo), dazu: Echtzeit. Copy-Art/Installation. Hg. Jürgen O. Olbrich. Katalog, Kasseler Kunstverein, Kassel 1988. Abb. 300 (Archiv Dencker). „In der Kunst, und nur in der Kunst, wird das originale Werk verkauft, und es erlangt auf diese Weise eine Art Aura. Aber mit meinen Ready-mades ist die Kopie ebenso genügend.“ (Marcel Duchamp, Ready Made!, aO., S. 52).
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Abb. 300: Michele Perfetti, poesia xerogramma, 1994
alter seiner technischen Reproduzierbarkeit“2885 waren die notwendige Folge der neuen Gewichtung von Produktion und (Eigengewichtung von) Reproduktion. „Der Vorgang ist symptomatisch; seine Bedeutung weist über den Bereich der Kunst hinaus. Die Reproduktionstechnik, so ließe sich allgemein formulieren, löst das Reproduzierte aus dem Bereich der Tradition ab. Indem sie die Reproduktion vervielfältigt, setzt sie an die Stelle seines einmaligen Vorkommens sein massenweises. Und indem sie der Reproduktion erlaubt, dem Aufnehmenden in seiner jeweiligen Situation entgegenzukommen, aktualisiert sie das Reproduzierte. Diese beiden Prozesse führen zu einer gewaltigen Erschütterung des Tradierten – einer Erschütterung der Tradition.“2886 Dafür verantwortlich war nach Benjamin der Verlust der Aura des Kunstwerks. Brecht notierte zwar am 25. 7. 1938 in seinem Arbeitsjournal nach einem Gespräch mit Benjamin: „Benjamin ist hier (…) Er geht von etwas aus, 2885
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Der Essay (1935) erschien zuerst gekürzt in frz. Sprache: L’oeuvre d’art à l’époque de sa reproduction mécanisée. In: Zeitschrift für Sozialforschung, Vol. 5, H. 1., Paris 1936, S. 40 ff. und ungekürzt in dt. Sprache: Frankfurt 1963. Frankfurt 1963, S. 16.
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was er Aura nennt (…) Alles Mystik, bei einer Haltung gegen Mystik. In solcher Form wird die materialistische Geschichtsauffassung adaptiert. Es ist ziemlich grauenhaft.“2887 Aber weit vorher schrieb er im Beitrag „Über Film“ (1922): „Diese Apparate können wie sonst kaum etwas zur Überwindung der alten untechnischen, antitechnischen, mit dem Religiösen verknüpften, !ausstrahlenden" !Kunst" verwendet werden.“2888 Und Brecht war es dann auch, der auf die zweite wichtige Funktion der „Apparate“ aufmerksam machte: „deren wir zu unserer Produktion bedürfen, denn immer weiter doch wird diese Art des Produzierens die bisherige ablösen, durch immer dichtere Medien werden wir zu sprechen, mit immer unzureichenderen Mitteln werden wir das zu Sagende auszudrücken gezwungen sein. Die alten Formen der Übermittlung nämlich bleiben durch neu auftauchenden nicht unverändert und nicht neben ihnen bestehen.“2889 Auf diese prägende Kaft der Apparate verwies Anders2890 in einer gewissen Vorwegnahme von McLuhan noch deutlicher und im Hinblick auf die in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts einsetzende Diskussion um das nicht mehr mit herkömmlichen Kriterien beschreibbare „Medien(kunst)werk“, dessen Entstehungsvoraussetzungen sich auf dem Weg vom Prinzip der Reproduktion (eine Folge der analogen techni2887
2888
2889 2890
Brecht, Arbeitsjournal. Hg. Werner Hecht. Erster Band 1938–1942. Frankfurt 1973, S. 14. Brecht, Gesammelte Werke Bd. 18, a.a.O., S. 158. Im gleichen Jahr wurde die durch Benjamin vom Film abgeleitete These noch deutlicher bereits geäußert in: Walter Bloem d. J., Seele des Lichtspiels. Ein Bekenntnis zum Film. Leipzig 1922, der feststellte „dass wir selbst bei voller Erkenntnis der mechanischen Bedeutung einer Vervielfältigung nicht imstande sind, unsere ursprüngliche, patriarchalisch-originalistische Kunstauffassung ganz zu überwinden. Wir haben den unlogischen Wunsch: wenn uns schon die mechanische Wiedergabe eines Kunstwerks vorgeführt wird, dass sie dann wenigtens die einzig existierende sei – so dass ihr doch ein gewisser Originalwert zukäme.“ (S. 40). Noch stärker wurden die Gedanken Benjamins vorweggenommen in: Otto Foulon, Die Kunst des Lichtspiels. Totenrede gehalten vor der Einäscherung des Lichtbildners Matthias Grüner am 22. Mai 2034. Aachen 1924; vgl auch Béla Balázs, Schriften zum Film. Hg. Helmut H. Diederichs/Wolfgang Gersch. Bd 2: „Der Geist des Films“/ Artikel und Aufsätze 1926–1931. München 1984, S. 203: „Es liegt im Wesen seiner Technik, dass der Film die Distanz zwischen Zuschauer und einer in sich abgeschlossenen Welt der Kunst aufgehoben hat. Es liegt eine unabwendbare revolutionäre Tendenz in dieser Zerstörung der feierlichen Ferne jener kultischen Repräsentation, die das Theater umgeben hat.“ Brecht, Gesammelte Werke Bd. 18, a.a.O., S. 156. Vgl. Anm. 830.
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schen Medien) zum Prinzip der Simulation (eine Folge der digitalen elektronischen Medien) vollkommen verändert hatten, vor allem im Hinblick auf den Realitäts-/Wirklichkeitsbegriff. Wirklich sei nur das Abgebildete, das wiederum als Vorlage für eine andere Wirklichkeitsgestaltung dienen kann, was durch die neuen Medienräume befördert wird, die Simulationen aller Art erlauben.2891 „Innerhalb dieses Medienflusses sind die höheren Werte der alten Kunst – Inhalt, Ausdruck, Wirkung, Intention – auf den zweiten Platz hinter Kontext, Zufälligkeit und Unbestimmtheit zurückgefallen“2892, so Roy Ascott und an anderer Stelle: „Wenn wir in der Vergangenheit anders dachten, wenn wir beispielsweise annahmen, Kunst sei ein Objekt, oder das Kunstwerk transportiere eine bestimmte Bedeutung, die vom Künstler geschaffen und vom Betrachter empfangen wird, dann erklärt sich dies vielleicht im Licht unseres Renaissance-Erbes. Die Ordnung des Raumes im Renaissance-Gemälde folgt absoluten Regeln der Darstellung und Betrachtung und gehorcht dem Gesetz des Fluchtpunktes. Sie ordnet auch dem Betrachter eine bestimmente Beziehung zur Welt zu und kontrolliert eine Realität, die aus einzelnen, voneinander getrennten Teilen besteht (jedes an seinem Ort und ein Ort für jedes). Der Renaissance-Raum kann als perfekte Matapher für die Ordnungsvorstellung jener Gesellschaft gelten, deren Ausdruck er war. Er wurde von vielen dieser Gesellschaften zum einzig realen Raum erklärt, in denen Information in nur einer Richtung von der Spitze zur Basis der sozialen Pyramide fließt, um dort das Denken, die Glaubensgrundsätze und die kulturellen Verhaltensregeln zu beinflussen (…) Unter diesen Umständen ließe sich das Kunstwerk ohne weiteres nicht nur als Verkörperung einer einzigen Bedeutung und der Schönheit, sondern der absoluten Wahrheit verstehen (…) Die Kunst unserer Zeit jedoch ist eine Kunst des Systems, des Prozesses, des Verhaltens, der Interaktion. Als Künstler befassen wir uns mit Ungewissheit und Mehrdeutigkeit, Diskontinuität, Fließen und Strömen. Unsere Werte sind relativ, unsere Kultur ist pluralistisch, unsere Bildwelten und Formen sind flüchtig.“2893
2891
2892
2893
Hartmann, Medienphilosophie, a.a.O., S. 214 ff. (Von der Reproduktion zur Simulation. Günther Anders Kulturapokalypse). Roy Ascott, Keine einfache Materie. Der Künstler als Medienproduzent in einem Universum der komplexen Systeme. In: Interface 1, a.a.O., S. 76. Roy Ascott, Kunst und Erziehung in der telematischen Kultur. In: Synthesis, a.a.O., S. 187 f.
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Daraus resultierten Veränderungen der Funktion und Wirkungsweise – bis hin zum Rollentausch – des Produzenten, des Mediums, der Message, und des Rezipienten, begünstigt durch die immer rascher zunehmende Technologieentwicklung, die nicht nur eine quantitative Verbesserung der Übertragungsmöglichkeiten durch Kabel- und Satellitentechnik, sondern auch eine qualitative nach der Umstellung auf digitale Technologien mit größer werdenden Datenkompressionen hervorbrachte. So hatten sich weitere Kommunikationskonstituenten innerhalb der wachsenden Netzkommunikation entwickelt, die notwendigerweise mit erheblichen Rückwirkungen auf die künstlerische Praxis eine Veränderung des bisher gültigen Kommunikationsmodell bedeuteten.2894 Und insofern muß die Correspondence-Art und ihre mögliche Weiterentwicklung im Netz auch vor dem Hintergrund der Medienkommunikation und des aus der Medienproduktion hervorgegangenen Medien(kunst)werks betrachtet werden. Ihrer weltweiten Verbreitung und der damit verbundenen vielfachen, ganz unterschiedlichen Anregungen, verdankte auch die Visuelle Poesie ein immer neues Ideen-Reservoir und einen über Jahrzehnte anhaltenden Produktionsreichtum, der sich auch als Reaktion und Auseinandersetzung mit der durch die Medien hervorgerufenen Bilderflut und der damit zusammenhängenden Veränderung der Sprache2895 darstellte. Denn das Entstehen der Visuellen Poesie war auch eng verbunden mit der schon immer existierenden Reaktion der Visualisierung von Sprache/ Schrift/Text auf die jeweils in ihrer Zeit neu zur Verfügung stehenden Medien.2896 2894 2895
2896
Vgl. Anm. 612. Heißenbüttel, Was ist das Konkrete an einem Gedicht?, a.a.O., S. 19: „Man könnte diese Spiegelung einer allgemeinen Sprachentwicklung in der Einführung neuer formaler Kriterien für das Gedicht sehen, aber auch im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Medien, der Fotografie, des Films, des Fernsehens, auch der Schallplatte, des Tonbands und des Hörfunks. Man könnte noch weitergehn und bestimmte Erscheinungen des Gedichts gerade in den letzten Jahren als Antwort auffassen auf die Schematisierung der Sprache im Bereich der neuen Medien.“ Ulrich Ernst, Optische Dichtung aus der Sicht der Gattungs- und Medientheorie. In: Architectura Poetica. Festschrift für Johannes Rathofer. Köln 1990, S. 401 ff. u. Ernst, Von der Hieroglyphe zum Hypertext. Medienumbrüche in der Evolution visueller Texte. In: Die Verschriftlichung der Welt, a.a.O., S. 213 ff. Vgl. dazu die „Tabellarische Übersicht“ Abb. 301a/b in: Matthis Kepser, Visuelle Poesie im medialen Wandel. Gattungsgeschichtliche Untersuchung und didaktische Konsequenzen. In: Medienintegration im Medienverbund im Deutschunterricht. Hg. Volker Frederking/Petra Josting, Baltmannsweiler 2004, S. 185 f. (= Diskussionsforum Deutsch. Band 18).
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Abb. 301a/b: Matthis Kepser, Tabellarische Übersicht, 2004
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VI/5 Visuelle Poesie Aus dieser wechselseitigen Beeinflussung adaptierte die Visuelle Poesie eine Reihe von Eigenschaften der Medien und die sich daraus ergebenden Verfahren für ihre Zwecke. Neben Kopier- und Montagetechniken waren es kinetische, sequenzielle Formen, dem Hypertext ähnliche hierarchische Strukturen und nicht-lineare Vernetzungen, die fast alle Mittel analoger und digitaler Medien von der Handschrift bis zum Programmieren und Generieren von Text und Bild aufwiesen. Da die Visuelle Poesie an keine Schrift- oder Zeichensprache gebunden war, entwickelte sich in der Fläche und im Raum eine eigene „Grammatik“ der aus der Umwelt zusammengetragenen und aus neu erfundenen Text-Bild-Bausteinen geformten „Sprache“. Es entstanden auf diese Weise sehr komplexe Gebilde, in denen sich mehrere Ebenen – nicht nur Text- und Bildebenen, sondern auch verschiedene semantische Ebenen – verschränkten und Assoziationsnetze aus nicht-linearen Materialkonstellationen/-konstruktionen bildeten, die in ihren konsequentesten Ausformungen auch als eine Art Netzwerk-Poesie verstanden werden konnten.2897 Damit fanden, sozusagen in neuer Gestalt und Funktion, zwei Elemente der traditionellen Literatur wieder Eingang in die Visuelle Poesie: das narrative und metaphorische Element. Beide Elemente mussten erst von der Konkreten Poesie in der Rückbesinnung auf die konkrete Bedeutung eines Sprachzeichens und seiner Funktion innerhalb einer bestimmten Konstellation und eines diese repräsentierenden Modells von ihren strapazierten traditionellen Bindungen an die Poesie befreit werden. Erst dann war es möglich, dass nicht-lineare narrative und neue metaphorische Strukturen, deren eigene Bild- und Kontextgrammatik nicht nur in der Produktion, sondern aufgrund der offenen Form der Visuellen Poesie verschieden von ihr, auch in der Rezeption entstehen konnten. Dabei erhielt der von der Konkreten Poesie zugunsten des Ideografischen zurückgedrängte ikonografische Aspekt auch wieder eine neue, aber über die bloß abbildende und illustrierende Eigenschaft hinausweisende Funktion. Das gewohnte „Sehen“, die Wahrnehmung eines scheinbar bekannten Bildes oder Zeichens, wandelte sich in eine kritische Infragestellung des Gesehenen bezüglich seines Wahrheitsgehalts und der Eindeutigkeit seiner Aussage. Es entstand eine Metasprache, in
2897
Abb. 302 in: Schrift. Zeichen. Geste., a.a.O., S. 464. Vgl. Anm. 1775.
Visuelle Poesie
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Abb. 302: Jean-Michel Basquiat. Ohne Titel, 1987
der die Metapher gleichermaßen für Bild und Zeichen als substituens2898 zur abstrakten, nicht mehr an der traditionellen Rhetorik orientierten Sprachfigur wurde. Das Bild wurde Zeichen, das Zeichen Bild, abhängig von Herkunft und neuem Kontextbezug. So ging es im Unterschied zur Konkreten Poesie nicht nur mit der Verwendung von bildhaften (Umwelt)Materialien, die aus bekannten Kontexten herausgelöst wurden, um den Einbezug von „mehr Welt“2899 an sich, sondern auch und gerade in der assoziativen Einbeziehung dieser (Herkunfts)Kontexte, die in Spannung zu den neu entstandenen (Text/Bild)Kontexten standen, um die Schärfung eines (Text/Bild)Kontextbewußtseins2900 mit der Öffnung für neue Erzählstrukturen und -perspektiven, der vergleichbar in 2898
2899 2900
Vgl. S. D. Sauerbier, Wörter, Bilder und Sachen. Grundlegung einer Bildersprachlehre. Heidelberg 1985, S. 224 ff. (Ansätze zur Metapherntheorie). Vgl. Anm. 1519. Abb. 303 (Archiv Dencker).
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der Konkrete Poesie eine solche des (Sprach)Materialbewußtseins voranging.2901 Der Kontextbegriff hatte zunächst in der Wahrnehmungspsychologie2902 und vor allem in der Sprach- und Literaturwissenschaft2903 eine Rolle gespielt, als sich zu Beginn der Hauptphase der Visuellen Poesie Anfang der 1970er Jahre2904 Peter Weibel2905 und Siegfried J. Schmidt2906 zu dem Kontext-Begriff – als „zentralen Begriff “ (Schmidt) – der Kunst des 20. Jahrhunderts äußerten. Weibel stellte fest, „Um die Sprache selbst zu steuern, um den Sprachgebrauch zu untersuchen und um einer sprachlichen Steuerung zu entkommen, hat sich die Avantgarde seit Fluxus & Co. Ltd. außersprachlicher Mittel beim Umgang mit der Sprache bedient. Dabei ist man daraufgekommen, dass die außersprachlichen Mittel selbst von sprachlichen Strukturen befallen sind. Dadurch ist das Universum der Sprache größer geworden: Strukturen der Sprache wurden erweitert und neue Sprachstrukturen entdeckt (…) Ein Dichter kann mit Steinen oder Fotos genauso gut dichten wie mit Zahlen oder Wörtern. Von Bedeutung dabei ist nur, wie sehr er und auf welche Weise er die Bedeutung der von ihm verwendeten Materialien verändert.“2907 Der dahinter stehende 2901
2902
2903
2904
2905
2906 2907
„Visuelle Poesie kann sich einerseits in viel stärkerem Maße als umweltorientiert verstehen, als Thematisierung von Sprachprozessen, indem sie die Phase der Minimalisierung der reinigenden Reduktion konkreter Poesie hinter sich gelassen hat. Auf der anderen Seite profitiert sie von dem Sprachbewusstsein konkretistischen Arbeitens gerade in der Collage, der Cut-Up-Technik, die ihren Reiz aus der Entfunktionalisierung von Sprachfertigteilen bezieht.“ (Christina Weiss, Konkrete Poesie – Visuelle Poesie – Sehtexte. In: Visuelle Poesie [1984], a.a.O., S. 27). Edward Bradford Titchener, Lectures on the Elementary Psychology of Thoughtprocesses. New York 1909. David Benjamin Kaplan, Demonstratives: An Essay on the Semantics, Logic, Metaphysics and Epistemology of Demonstratives. (1977) In: Themes from Kaplan. Hg. John Almong/ John Perry/Howard Wettstein. Oxford 1989, S. 481 ff.; Moritz Baßler, Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen 2005. Dick Higgins, Visuelle Poesie: Heute und mit eigenen Augen betrachtet. In: Visuelle Poesie (1984), a.a.O., S. 22. Arbeiten der Visuellen Poesie, die seit 1970 realisiert wurden, erschienen in: 10–5155–20 Art Contemporain Nr. 5, Québec 1983 („Verbe et image: poésie visuelle“ Hg. von Dick Higgins u. Karl Kempton). Weibel, Kontext-Theorie der Kunst (1971). In: Kritik der Kunst – Kunst der Kritik. Es says & I say. Wien/ München 1973, S. 65 ff. (später auch in: P. W., Kontext Kunst – Kunst der 90er Jahre. Köln 1994). Schmidt, Kunst Gesellschaft Kommunikation. In: der Löwe 2, a.a.O., S. 36 ff. A.a.O., S. 65 f. Vgl. auch Anm. 2626.
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Abb. 303: Klaus Peter Dencker, Die poetische Theorie Visueller Poesie, 2006
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Kontext-Gedanke führte Weibel zu der Auffassung, dass diese Veränderungen eine Sprachsteuerung – mit sprachlichen und/oder außersprachlichen Mitteln – ermögliche, die nicht nur über die Wörter im Sprachsystem, sondern mehr noch über die Rolle von „Sprachen“ in „(Medien-/ Kommunikations-)Systemen“ Aufschluß gäbe, wobei die Avantgarde sich dieser bediene, „um die Kommunikation und bisher nicht erschlossene Quellen der Kommunikation zu untersuchen. Sie erweitert die Dichtung, indem sie neue Entitäten verstärkt einsetzt, indem sie auf unbenutzte, unbekannte Kontexte und Strukturen aufmerksam macht.“2908 Indirekt hatte Weibel mit dem Hinweis auf die Erweiterung der Dichtung auch die Visuellen Poesie gemeint, die zu seinem Produktionsfeld in den 1960er und 1970er Jahren gehörte, und er machte insbesondere als Medienkünstler, der er damals schon war, auf eine neue Qualität der Kommunikation aufmerksam, die ebenso von Schmidt als Ergebnis seiner Betrachtungen in den Mittelpunkt gerückt wurde. Schmidt, ein Vertreter der von Konstruktivismus und Concept-Art geprägten Optischen Poesie, kam dem Wesen der Visuellen Poesie noch einen Schritt näher, als er „!Distanz", !Komplexität" und !Kontext" als kunsttheoretische Konzepte“2909 der Gegenwartskunst ausmachte. „Der Begriff der Distanz markiert die besonderen Bedingungen des Kommunikationssystems Kunst, er verweist darauf, dass die Kommunikationsprozesse in diesem speziellen System nur dann erfolgreich duchgeführt werden, wenn der Rezipient es lernt, zu dem ihm vorgeführten Geschehen eine bestimmte Distanz einzunehmen.“ Schmidt meinte damit den Wechsel von einer reproduktiv konsumierenden zu einer produktiv analysierenden Rezeption. Diese sei auch deshalb erforderlich, weil es die besondere Eigenschaft der neuen Entwürfe, nämlich ihre Komplexität, kreativ zu erschließen gelte, um sie ganz verstehen zu können. Der Kontext-Begriff, so Schmidt, wurde schon von Duchamp „in seiner ganzen Tragweite erfasst und material repräsentiert (…) Duchamp hat als erster das Verhältnis zwischen Kontext und Bewertungsoperation deutlich gemacht, indem er Gegenstände, die aus einem anderen Kontext stammten, also etwa Gegenstände, die im Printemps jedem Käufer zugänglich sind, ins Museum gebracht und damit das Museum als einen Ort aufgewiesen hat, in dem bestimmte kanonische Bewertungen verteilt werden. Dieser Mechanismus der Ausnutzung eines bekannten und ge2908 2909
A.a.O., S. 67. A.a.O., S. 41.
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wohnten Bewertungsschemas ist von Duchamp2910 als eine prinzipiell iterierbare Konzeption entworfen worden.“ Die Ausnutzung des Kontextmechanismus hatte nun seit der Anwendung in Literatur-Montagen, Bild-Collagen und Objekt-Assemblagen fast alle Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts bis zur Concept-Art erfasst, „indem Ideen, die anderen Kommunikationsbereichen wie etwa Philosophie und Wissenschaft ursprünglich angehören, überführt werden in den Kommunikationsbereich !Kunst" und damit eine Funktion bekommen, die sie in ihrem ursprünglichen Bereich gar nicht mehr oder noch nie gehabt haben, nämlich eine Funktion von Bewusstseinserweiterung und Kommunikationsveränderung jenseits der Schulmeinungen über Ideen, über Konzepte.“2911 Zur gleichen Zeit versuchte Jochen Gerz, schon mit direktem Bezug zur Visuellen Poesie, ihre mögliche Funktion hinsichtlich dieser Kommunikationsveränderung auszumachen, wenn er feststellte: „!Visuelle" Texte sind exemplarische Freilegungen autoritärer Kommunikationsmechanismen auf dem Niveau von Schrift und Sprache“ und „künstlerische Exempel von Kultur- und Gesellschaftskritik“.2912
2910
2911
2912
Bei Duchamp gibt es folgenden Hinweis: „Sobald wir anfangen, unsere Gedanken in Wörtern und Sätzen niederzulegen, wird alles verzerrt. Die Sprache ist eben verdammt nicht gut – ich verwende sie, weil ich muß, aber ich lege kein Vertrauen in sie. Wir verstehen einander nie. Einst bekam ich Interesse für jene Philosophengruppe in England, die nachweist, dass die ganze Sprache dazu neigt, tautologisch und deshalb bedeutungslos zu werden. Ich versuchte sogar, ihr Buch über !The Meaning of Meaning" zu lesen. Ich konnte es natürlich nicht lesen, konnte kein Wort begreifen. Aber ich stimme mit ihrer Idee überein, dass nur ein Satz, wie !der Kaffee ist schwarz", irgendeine Bedeutung hat – nur die Tatsache, die von den Sinnen direkt wahrgenommen wird. Im Augenblick, wo Sie darüber hinausgehen, in die Abstraktion, sind Sie verloren.“ (Duchamp, Ready Made!, a.a.O., S. 54 f.). Der Hinweis von Duchamp bezieht sich auf Charles K. Ogden/Ivor A. Richards, The Meaning of Meaning. London 1923 (dt. Die Bedeutung der Bedeutung. Eine Untersuchung über den Einfluß der Sprache auf das Denken und über die Wissenschaft des Symbolismus. Frankfurt 1974), vgl. dort zum Kontextbegriff S. 71 ff., S. 205 u. S. 308 ff. A.a.O., S. 42. 1994 schrieb Schmidt in einem Statement zur Visuellen Poesie: „dabei entwickelten sich auch versuche, aus der kunstgeschichte seit langem bekannte schrift-bild-verbindungen unter den bedingungen moderner (massen)mediengesellschaften neu und anders zu realisieren.“ Er bezeichnete die Arbeiten der Visuellen Poesie als „seh-denk-stücke des medienzeitalters“ (visuelle poesie [1996], a.a.O., S. 126.). Gerz, Bedingungen der !visuellen Poesie" (1972). In: Theoretische Positionen zur konkreten Poesie, a.a.O., S. 65 f.
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Diese Auseinandersetzung mit den Medien und den aus ihnen erwachsenen Kommunikationsformen wird schließlich zum zentralen Thema aller späteren Beschreibungs- und Eingrenzungsversuche des Phänomens Visuelle Poesie,2913 was sich aber als sehr schwierig herausstellte, weil es sich eben um keine einheitliche Erscheinungsform handelt, die sich auch nicht auf bestimmte Techniken, Materialien, auf bestimmte formale oder inhaltliche Programmatiken festlegen läßt: ihre Vielseitigkeit ist gleichsam das Programm.2914 Sie ist intermedial und interdisziplinär, das heißt, sie ist nicht auf bestimmte künstlerische Disziplinen wie Literatur, bildende Kunst, Film, Fotografie, Computer usw. eingrenzbar. Das Reservoir poetischer, analytischer, diskursiver und plakativer Bereiche von Sprachen und Bildern aus allen Bereichen der Wissenschaft, Werbung, Journalismus, Geschäftsverkehr usw. ist nahezu unbegrenzt. Sie führt die Wahrnehmung der Wirklichkeit im prozessualen Wechselspiel von Sehen und Ausdeuten zugleich vor. Sie realisiert sich zwischen allen Künsten und damit auch zwischen und mit allen Medien. Hinzukam, dass die Visuelle Poesie sich zwar als Kunstform verstehen konnte, aber nicht mußte. Das gab ihr die Freiheit, Ideen- und Formenlieferant für alle Bereiche der modernen Informations- und Kommunikationsgesellschaft zu sein, ohne fürchten zu müssen, gegen Poetiken oder Ästhetiken zu verstoßen. So könnte man vorsichtig zusammenfassend sagen:2915 Visuelle Poesie ist eine Form der Optischen Poesie, ausgeprägt entstanden Mitte des 20. Jahrhunderts aus einer wechselseitigen Beziehung von bildender Kunst und Literatur, von Bild und Text, von figurativen und semantischen Elementen, die Verbindung mehrerer Kunstformen in einem intermedialen Raum, die sensible Reaktion auf Medien und Mitteilungen der Umwelt jedweder Form. Sie ist in unterschiedlichen, vom jeweiligen Medium abhängigen Realisationsformen, die neue Kontextzusammen2913
2914
2915
Siehe: Luciano Ori (in: Visuelle Poesie/1984, S. 15), Gerhard Johann Lischka (in: Lischka, Splitter. Ästhetik. Ausgewählte Schriften 1980–1993. Bern 1993, S. 96/Visuelle Poesie [1985]), Guillermo Deisler (in: wortBILD., a.a.O., S. 5). Vgl. auch: Jochen Dubiel, Intermediale Spielarten der visuellen Poesie. Versuch einer deduktiven Analyse potentieller Text-Bild-Relationen. Marburg 2004. Die 1960 in Paris gegründete Groupe de Recherche d’Art Visuel formulierte bereits 1961 in einem Manifest: „Jedes Werk muß einen Anteil an offenen Möglichkeiten enthalten und eine Labilität, welche nach seiner Vollendung Mutationen des Sehens hervorruft.“ (in: Participation. À la recherche d’un nouveau spectateur. Katlaog, Museum am Ostwall, Dortmund 1968, S. 6). Vgl. Anm. 1919.
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hänge schaffen, das Sammelbecken für wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Geschichte der Optischen Textformen, aus Entwicklungen der bildenden Kunst wie Fluxus, Spurensicherung, Concept-Art, Konstruktivismus und Konkreter Kunst, Pop-Art, den verschiedenen Varianten von Realismusvorstellungen und allen nur denkbaren Spielarten logischer Sprachführung. Visuelle Poesie, das ist aber neben dem kalkulierten Spiel, dem gegen die Tradition gerichteten Experiment und dem mit ihren Erfahrungen entwickelten künstlerischen Entwurf, neue Sensibilisierungsprozesse einzuleiten, auch Spiegel und Antwort auf die Entwicklung der Medienlandschaft, auf die besonders starke wechselseitige Befruchtung und Durchdringung der Künste. Sie ist damit eine mögliche Ausdrucksform in der Entwicklung unserer Informations- und Kommunikationsgesellschaft, die auf neue Funktionsweisen der Medien (Video, Computer, Holografie, Laser usw.) reagieren und sich kritisch, kreativ und innovativ in interaktive Kommunikationsmodelle einbringen kann. Insofern ist vielleicht die Beobachtung richtig, dass die Visuelle Poesie zur Wende des 21. Jahrhunderts auf eine durch die elektronischen Medien ausgelösten Krise der bildlichen Anschauung reagierte,2916 auf eine Bildirritation, auf den Verlust einer Bildautonomie, hervorgerufen durch simultane Vervielfachungs- und Eingriffsmöglichkeiten (Entgrenzung), vor allem durch das Verschwinden von Realität zugunsten der Simulation von Realität, in der reale und künstliche Welt ununterscheidbar zusammenfallen. Dies wäre dann eine Entsprechung zum durch die technischen Medien ausgelösten Entstehen neuer visueller „Sprachen“ als Reaktion auf die Sprachkrise um die Wende zum 20. Jahrhundert.2917 Wenn es richtig ist, was Bartels sagt,2918 dass – historisch betrachtet – die visuelle Fiktion die literarische Fiktion auflöste,2919 dass das Miss-
2916
2917 2918
2919
Kritik des Sehens. Hg. Ralf Konersmann. Leipzig 1997; Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Hg. Christa Maar/Hubert Burda. Köln 2004; Iconic Worlds. Neue Bilderwelten und Wissensräume. Hg. Christa Maar/Hubert Burda. Köln 2006. Vgl. Anm. 901. Vgl. Anm. 1869. Von der Aufklärung her wurden die visuellen Lerntechniken verworfen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein bilderloses, vernünftiges Lesen postuliert, das aufgehoben wurde. Vgl. dazu auch Vilém Flusser, z. B. über die Ablösung der Schrift durch technische Bilder in: Daniela Kloock, Vilém Flusser über das Zeitalter der Telematik im Gespräch. In: medium 2, Frankfurt 1992, S. 66; V. F., Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen 1992, S. 11 ff.
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trauen gegenüber dem Wort und die neue Kraft der (Medien)Bilder von Fotografie und Film Begriff, Qualität und Leistungsvermögen von „Sprache“ erweiterte und sich daraus eine Optische Poesie entwickelte, die mit den Erfahrungen der technischen Medien sich nun auch der elektronischen bemächtigte, aber auch schnell herausfand, dass der zunehmende Bebilderungswahn und die einhergehende Verkümmerung sprachlicher Anteile in allen Medien zu einer Inflation der Bilder und zu Verschleißerscheinungen ihrer Wahrnehmung führten, dann könnte man der These nachgehen, dass sich in einem ersten Schritt die Konkrete Poesie und ihre Vorläufer sich wieder der Sprache zuwandten, um ihre Tauglichkeit zu erneuern,2920 und dass die Visuelle Poesie in einem weiteren Schritt den Versuch machte, sowohl Bild und Sprache in einer Art Symbiose vom abgenutzten, unreflektierten Alltagsgebrauch zu befreien,2921 indem die Visuelle Poesie begann, sich der audiovisuellen Medien innovativ anzunehmen, um mit ihnen vom Produzenten zum Rezipienten (und umgekehrt) interaktiv produktiv zu werden, die Gefahr der durch Bilderüberflutung, Sprachverschleiß und Wortreduktion zunehmenden Reproduktivität aufzuhalten und angesichts der raschen Technologieentwicklung der drohenden Verflachung des Rezeptionsvermögens entgegenzuwirken. Doch diese innovative Entwicklungsmöglichkeit besitzt eine Kehrseite, die Paul Virilio anläßlich der Vergabe des Medien-Kunstpreises 1992 in Karlsruhe ansprach. Er begann seine Rede: „Wenn es früher ein Kunsthandwerk des Sehens, eine !Kunst des Sehens" gab, sehen wir uns heute einem !Unternehmen sinnlich wahrnehmbarer Erscheinungen" gegenüber, das durchaus die Form einer wie ein Geschwür bösartig um sich greifenden Industrialisierung des Sehens annehmen könnte.“ Er sprach von einer Mechanisierung des Sehens, die zur Inflation und Störung, aber nicht mehr zu einer weiteren Sensibilisierung der Sinnesreize führen könnte. So fragte Virilio: „Angesichts dieser !Wahrnehmungsstörung" die jeden von uns befällt, wäre es vielleicht ratsam, die Ethik der gewöhnlichen Wahrnehmung ernsthaft zu überdenken. Werden wir 2920
2921
Stichwort: „literary turn“/„linguistic turn“ in: Richard M. Rorty, Metaphilosophical Difficulties of Linguistic Philosophy (1967). In: The Linguistic Turn. Hg. Richard M. Rorty. Chicago/London 1992, S. 1 ff. Stichwort: „pictorial turn“ in: W. J. Thomas Mitchell, The Pictorial Turn. In: Artforum 30, H. 7, New York (März) 1992, S. 89 ff.; dt. in: Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Hg. Christian Kravagna. Berlin 1997, S. 15 ff. Dazu auch: Gottfried Böhm, Die Wiederkehr der Bilder. In: Was ist ein Bild. Hg. Gottfried Böhm. München 1994, S. 11 ff.
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schon bald unsere Stellung als Augenzeugen der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit zugunsten technischer Ersatzmittel, zugunsten von Prothesen jeder Art (Video und Kameraüberwachung) verlieren, die uns zu Hilfsbedürftigen, zu Blick-Behinderten machen werden – eine Art paradoxaler Blindheit, die sich der Überbelichtung des Sichtbaren und der Entwicklung dieser blicklosen Sehmaschinen verdankt, die an dieses !indirekte Licht" der Elektrooptik angeschlossen sind, die künftig die !direkte Optik" der Sonne oder der Elektrizität ergänzt?“2922 Noch deutlicher ist dies bei Fred Forest nachzulesen: „Müssen wir, getrieben von den Zeitströmungen und Moden, heute den Nullpunkt des Bildes anerkennen, nachdem wir bereits an den Nullpunkt der Literatur gestoßen sind? (…) Mit der Ausbreitung der Medien und der explosiven Entfaltung der Technologien hört das Bild nicht auf, um uns herum zu wuchern und sich zu multiplizieren. Und eben das ist der Punkt, an dem uns der Zweifel befällt. Ist dieses Bildermeer, das uns bis zur Sättigung überschwemmt, vielleicht nichts anderes als eine letzte Zerstreuung (…) Haben wir bereits die Kultur des Bildes überschritten, die manche noch immer hoch einschätzen? Wird das Bild das Bild töten? (…) Der Hintergrund der latenten Krise des Bildes ist die Krise der Wirklichkeit, mit der wir uns unausweichlich konfrontiert sehen. Sie ist direkt mit einer neuen Form der Relation verbunden, die sich über die Vermittlung elektronischer Techniken aller Art zwischen dem Individuum und der Welt konstituiert hat. Die Bilder, so scheint es, werden intelligent (…) Gestern haben wir sie noch betrachtet, heute beobachten sie uns bereits. In einer interaktiven Relation, in der keineswegs klar ist, ob wir noch das Privileg der Initiative und der Kreativität besitzen, testen sie unsere Fähigkeit, Antworten zu geben (…) Sicher ist es wahr, daß wir gegenüber dem Bild in dem Maße mißtrauisch werden, in dem wir entdecken, daß es unsere Sinne und unsere Erkenntnis täuschen kann“.2923 Wenn nun zutrifft, was Forest sagt, haben wir dann nach den Sprachund Bildkrisen nun mit einer Wahrnehmungskrise zu rechnen, mit einer Wahrnehmungsänderung, die zugleich auch die eigenen sinnlichen 2922
2923
Paul Virilio, Achtung Augen auf! In: Medienkunstpreis 1992. Hg. ZKM. Karlsruhe 1992, S. 44 ff. Fred Forest, Die Ästhetik der Kommunikation. In: Digitaler Schein, a.a.O., S. 325 ff.; vgl. auch Anm. 479. Die Dominanz der Bilder zeigt sich inzwischen auch in der Darstellung von Geschichte, in der zweibändigen „europaweit ersten Visual History“: Das Jahrhundert der Bilder. 1949 bis heute. Hg. Gerhard Paul. Göttingen 2008 (der 2. Bd: 1900 bis 1949, erschien 2009).
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Wahrnehmungsmechanismen reflektiert, die nicht nur durch die Produkte, sondern vor allem auch durch die diese erzeugenden Medien selbst mitbestimmt wird?2924 Zumindest auf die Möglichkeit einer Wahrnehmungskrise hat Virilio bereits in der „Sehmaschine“ 1988 hingewiesen.2925 Virilio stellte fest, daß nach den „synthetischen“ Bildern nun die Zeit des „synthetischen“ Sehens angebrochen sei, die durch Stichworte wie „Automatisierung der sinnlichen Wahrnehmung“, „Motorisierung des Blicks“, „okulare Abrichtung“, „Prothetisierung des Blicks“ und „blicklose Sehmaschinen“ bestimmt würde. „Welche Auswirkungen“ – so fragt Virilio –, „welche theoretischen und praktischen Konsequenzen“ ergeben sich „für unsere eigene Anschauung der Welt?“ „Zu einem Zeitpunkt, an dem die !Automatisierung der Wahrnehmung"2926, die Erfindung eines künstlichen Sehens, die Delegierung der Analyse der objektiven Realität an eine Maschine bevorsteht, sollte man sich wieder der Beschaffenheit des virtuellen Bildes zuwenden, einer Bildwelt ohne sichtbaren Träger, deren Fortdauer nur auf einem mentalen oder instrumentalen visuellen Gedächtnis beruht. Wenn man heute von der Entwicklung der audiovisuellen Medien spricht, dann kann man dies nicht, ohne zugleich nach der Entwicklung jener virtuellen Bildwelt und ihrem Einfluß auf die Verhaltensweisen zu fragen und ohne darüber hinaus auf jene neue !Industrialisierung des Sehens" hinzuweisen, auf das Entstehen eines regelrechten Marktes der synthetischen Wahrnehmung. Daraus ergeben sich 2924
2925
2926
In diesem Zusammenhang ist eine frühe Bemerkung von Franz Kafka aus den 1920er Jahren zum Kino interessant: „Eigenlich habe ich nie darüber nachgedacht. Es ist zwar ein großartiges Spielzeug. Ich vertrage es aber nicht, weil ich vielleicht zu !optisch" veranlagt bin. Ich bin ein Augenmensch. Das Kino stört aber das Schauen. Die Raschheit der Bewegungen und der schnelle Wechsel der Bilder zwingen den Menschen zu einem ständigen Überschauen. Der Blick bemächtigt sich nicht der Bilder, sondern diese bemächtigen sich des Blickes. Sie überschwemmen das Bewusstsein. Das Kino bedeutet eine Uniformierung des Auges, das bis jetzt unbekleidet war.“ (In: Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt 1961, S. 105). Paul Virilio, Die Sehmaschine. Berlin 1989 (= Merve Bd. 149). Vgl. auch von Virilio, Sehen ohne zu sehen. Bern 1991, S. 13: „So stehen wir heute vor der unerhörten Erfindung eines Sehens, das ohne Sehen auskommt, das allmählich den Menschen in seinen Fähigkeiten, Wirklichkeiten wahrzunehmen, zu ersetzen vermag.“ Virilio, Das öffentliche Bild. Bern 1992, S. 35: „Nach den synthetischen Bildern, Produkte eines infographischen Computers, nach der Verarbeitung numerischer Bilder in einem !computerunterstützten Konzept", ist nun die Zeit des synthetischen Sehens gekommen, die Zeit der Automatisierung der Wahrnehmung.“
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ethische Fragen, die nicht nur die Kontrolle und Überwachung und den mit ihnen verbundenen Verfolgungswahn betreffen, sondern vor allem die philosophische Frage nach der !Verdoppelung des Standpunktes", nach der Aufteilung der Wahrnehmung der Umwelt in das Belebte, das lebendige Subjekt, und das Unbelebte, das Objekt, die Sehmaschine“.2927 Diese Fragestellung berührt nun schließlich eng die Bewertung und Definition von Rezeption auf der Basis veränderter Wahrnehmungsmöglichkeiten und damit zugleich die Frage nach der zukünftigen Entwicklung von Kommunikation überhaupt, in deren Gefolge sowohl die Qualität als auch die Funktion des Kommunikators und des Rezipienten vor dem Hintergrund eines völlig neuen Raum-Zeit-Gefüges zu überdenken sind, – eines Raum-Zeitgefüges, das durch perfekte Simulationsmöglichkeiten eine Entgrenzung von Realitäts- und Raumvorstellungen zur Folge haben kann. Dabei scheint ein radikales Umdenken nicht nur deswegen notwendig zu sein, weil – wie Forest sagte – der Wirklichkeitsbegriff, der Kommunikationsraum und die Message in Frage gestellt werden, sondern auch, weil einerseits durch die Auflösung der one-way-Kommunikation mit zunehmenden Formen von Interaktion das Rollenverständnis der Kommunikanten zur Disposition steht und andererseits bisher getrennte Kommunikationskanäle sich so vielgestaltig verschränken, daß ein völlig neues Kommunikationssystem einen von erweiterter Medienkompetenz geprägten Kommunikationsprozeß erzeugt, der sich kaum mehr mit dem bisherigen und ursprünglich von der Nachrichtentechnik ausgehenden Lasswellschen Kommunikationsmodell erklären lässt. Nach der Entwicklung von der Individual- zur Massenkommunikation schließt sich also ein dafür verantwortlicher Auflösungs- und Entgrenzungsmechanismus an, der eine Labilität der Systeme2928 erzeugt, die sowohl unsere Wahrnehmung, als auch unser Denken und Ausdrucksvermögen erheblich beeinflussen und verändern,2929 aber auch dazu aufruft, – so paradox es klingen mag –, immer wieder von neuem eine Zusammenschau der Entgrenzungen und eine Balance der Divergenzen in medienumfassenden Bild/Text-Konfigura2927 2928
2929
AaO, S. 136. Siehe dazu die Beiträge in der fünfbändigen Reihe „Interface“, bes. Interface 3, a.a.O. Dieses noch ausführlicher betrachtet und Gedanken zu einem Kommunikationsmodell in: Dencker, Nachwort. In: Interface 3. Labile Ordnungen: Netze denken – Kunst verkehren – Verbindlichkeiten. Hg. Dencker. Hamburg 1997, S. 316 ff. u. Dencker, Zur Zukunft der Kommunikation – Ein neues Kommunikationsmodell?, a.a.O.
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tionen wie der Visuellen Poesie zu suchen und zu realisieren, um „der Kunst bei ihrem Verschwinden behilflich zu sein, damit danach etwas noch Spannenderes kommt, vielleicht die Kunst im Umgang mit der Kunst (Ästhetizität), sozusagen Metakunst anstelle ästhetischer Überzeugungen von der Notwendigkeit ihrer Materialisierungen in Gestalt von Werken.“2930
2930
Schmidt, Glanz und Elend der Konkreten Kunst, a.a.O., S. 29, siehe Anm. 3. Was schon 1951 Gottfried Benn in seinemVortrag (Anm. 29) andeutete, wenn er Valéry erwähnt, der gemeint habe: „warum sollte man nicht die Hervorbringung eines Kunstwerks ihrerseits als Kunstwerk auffassen“ (Benn, Probleme der Lyrik, a.a.O., S. 7).
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Zeittafel 1
J. F. Bory, ONCE AGAIN. New York 1968, S. 118 f.
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Zeittafel 2
Luciano Ori, Manuskript, 1976 (Archiv Dencker)
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Zeittafel 3
Dom Sylvester Houédard, Between Poetry and Painting. London 1965/Beilage Erweiterte Fassung seiner Chronologie in Zusammenarbeit von Jeremy Adler, Dick Higgins, Bob Cobbing und Peter Mayer in: bob cobbing/peter mayer, concerning concrete poetry. london 1978, S. 63 ff.
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Anhang II Stichworte zur Typologie
Stichworte zur Typologie
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Peter Mayer, Some Remarks Concerning the Classification of the Visual in Literature. In: Dada/Surrealism No. 12, Visual Poetics. University of Iowa, Iowa City 1983, S. 8ff. (Die Kreisgrafik geht zurück auf einen Entwurf in: Peter Mayer, Framed and shaped writing. In: Studio international. Studiographic supplement. London, September 1968, S. 1110.)
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Anhang II
Stichworte zur Typologie
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Personenregister
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Personenregister Die bereits schon im Text erwähnten Lebensdaten wurden im Personenregister nicht noch einmal wiederholt. Aalbers, Ben 699 Aarssen, Rudd van 365 Abadie, Daniel 667 Abdullah, Rayan 466 Åberg, Kej 629 Abi Rabi’a, Umar ibn 602 Abramson, Nils 169 Abu Bakr (573–634) 779 Accame, Vincenzo (1932) 756 f., 760 Acconci, Vito (1940) 133 Achituv, Romy (1958) 223 Achleitner, Friederich (1930) 2, 4, 90, 421, 472, 618, 682, 835 Ackermann, Marion 30 Adam, Kamilla 56 Adamus, Karel 764 Addison, Joseph 551 Adler, Hans 58 Adler, Jeremy (1947) 6, 15, 44, 65, 122, 183, 324, 339, 357, 365, 383, 393, 881 Adler, Joseph 110 Adorno, Theodor W. (1903–1969) 341 Adrian, Marc (1930–2008) 132, 204, 221 Adrian, Robert (1935) 228 Affan, Kalif Uthmann ibn 601 Agde, Günter 152 Agnostowitsch, Ignaz (d. i. Karl Riha) 616 Agrafiotis, Demosthenes (1946) 38, 40 f. Aguiar, Fernando (1972) 264, 819 f. Aguilar, George 150 Ahlers-Hestermann, Friedrich 320 Ahmad, Mans¸ur ibn Muhammad ibn 521 Aichholzer, Gerald 307 Aigner, Christoph Wilhelm 684 Aksel, Malik 601
Al-Aziz, Fatimid Caliph 603 Al Madfai, Kahtan 272 Alan von Lille (Alain de Lille) (1128–1202) 650 Albers, Josef (1888–1976) 31, 337 f., 629 Albert-Birot, Arlette 793 Albert-Birot, Pierre 46, 793 f. Alberti, Leon Battista (1404–1472) 495, 507 f., 535 d’Albisola, Tullio 722 Alciati, Andrea 512 Aldan, Daisy (1923–2001) 4 d’Alembert, Jean le Rond 527 Alex, Jürgen 199 Alexander, Jonathan James Graham 701 Alione, Giovanni Giorgio 497 Al-Iskandarani 603 f. Alkuin von York 623, 701 Allais, Alphonse 67 Allemann, Beda 432 Allott, Robin 256 Alloway, Lawrence (1926–1990) 450, 667, 669 Almong, John 858 Almquist, Sven 606 Alpert, Richard (1931) 409 Alsleben, Kurd (1928) 160, 226, 467 Altenberg, Peter (1859–1919) 111 Altenmüller, Hartwig 483 Althaus, Peter F. 802 Altmann, René (1929–1978) 330 Altmann, Roberto 3, 764 Al-Udhari, Abdullah 602 Alvear, Carlos 88, 284 Aman, Reinhold (1936) 302 Ammann, Jean-Christophe 797 Ammann, Robert 706
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Personenregister
Amonton, Guillaume (1663–1705) 488 Amstutz, Martin 833 Anders, Günther (1902–1992) 235, 852 Andersch, Alfred 12, 207, 431 Andersch, Martin 556 Andersen, Eric (1943) 133 Andersen, Hans-Christian (1805–1875) 332 Anderson, Fortner (1955) 230 Anderson, Sherwood 431 Andre, Carl (1935) 275 André, Elisabeth 240 Andreae, Johannes 527 Andrei Palazzi, M.G. 496 Andresen, Marc 216 Andrews, Jim (1959) 238 Anger, Kenneth 146 Anhai 555 Anna, Susanne 562 Anonym, Fantasio 96, 99 Anschütz, Georg 70 Anschütz, Ottomar 114 Anselmo, Giovanni (1934) 165 Antes, Horst (1936) 414 Antonio, Jorge Luiz 179, 211 Apollinaire, Guillaume (1880–1918) 4, 22, 31, 46, 71, 272, 280, 298 f., 340, 375, 378, 391, 398, 425, 546 f., 552, 583, 608, 612, 626, 629, 632, 692, 704, 707, 739 Appolodoros (ca.65–ca.130) 653 Apollonio, Umbro 45, 52, 71, 341 Aragon, Louis (1897–1982) 4, 198 f., 372 f., 383, 408 Arakawa, Shusaku (1936) 414, 524, 691 Aratos (310–245 v. Chr.) 521 Arbizzani, Luciana (?–1991) 282 Arbouin, Gabriel 546 Arcy, Patrick Chevalier d´ (1725–1779) 115 Arcelli, Germana 745 Archikles (um 500 v. Chr.) 647 Archytas von Tarent (1596–1650) 197 Arcimboldo, Giuseppe (1526–1593) 56, 332, 627 Arens, Manfred (1957) 210 Arensberg, Louise 826 Arensberg, Walter 826
Arias-Misson, Alain (1938) 85 Aristophanes (450/444–380 v. Chr.) 50 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 57, 482 Arman 839 Armbruster, Gisela 656 Armstrong, Louis (1901–1971) 50 Arnold, Heinz Ludwig 13, 83, 262, 558, 561, 696, 708 Arnold, Paul 467 Arnold, Werner 558 Arns, Inke 132 Arp, Hans (1886–1966) 159, 191, 193, 199, 313–316, 322 f., 327, 343–345 Arp-Hagenbach, Marguerite 345 Artaud, Antonin (1896–1948) 314 Artmann, Hans Carl (1921–2000) 2, 90, 444 Aschero y A.M. Aguerre, C. 461 Ascott, Roy (1934) 141, 228, 852 Asholt, Wolfgang 22 Ashon, Dore 81 Assmann, Aleida 473 Assmann, Jan 473 Assurbanipal 653 As´vaghosa 598 Athenaios 181 Atkinson, Terry 799 Attersee, Christian Ludwig (1940) 264 Auer, Johannes 210, 249, 855 Ausonius (310–ca. 393) 568 Avaliani, Dmitrij 518 Avery-Fahlström, Sharon 522 Avrin, Leila 556, 591, 594 f. Ayscough, Florence 587 Azeredo, Ronald (1937–2006) 4, 312 Azevedo, Wilton (1957) 213 Baader, Johannes (1875–1955) 195, 823 Babajeva, P. 791 Babbage, Charles (1791–1871) 199, 216 Babias, Marius 802 Babin, Beatrice 151 Bach, Anna Magdalena (1701–1760) 101, 731 Bach, Gottfried 228 Bach, Johann Sebastian (1685–1750) 62 Bachmayer, Matthäus 727 Bacon, Francis 199, 527
Personenregister Baden-Powell, Robert 847 Bäcker, Heimrad 764 Bärmann, Georg Nikolaus (1785–1850) 188 Bäumler, Susanne 152 Bailey, R. 133 Bain, Willard S. 847 Baird, John Logie (1888–1946) 855 Bakst, Leon 713 Balász, Béla 851 Baldessari, John (1931) 149 Balestrini, Nanni (1935) 204 Ball, Harvey 306 Ball, Hugo (1886–1927) 45, 83, 199, 262, 318, 320, 322, 326 f., 340, 342–344, 791 Balla, Giacomo 47, 113, 726, 823 Ballard, Harlan H. 487 Baller, Susanne 252 Bally, Gert von 176 Balpe, Jean-Pierre (1942) 212, 220 Balthazard, Abbé 188 Balzer, Bernd 658 Banham, Rayner 450 Bann, Stephen (1942) 116, 160, 268 f., 274, 288, 629 Bar-Yosef, Ofer 455 Baranoff-Rossiné, Vladimir (1888–1944) 57, 167 Barborka, Zdeneˇk 406 Barbrook, Richard 264 Barck, Karlheinz 178 Bargagli, Scipion 496 Barilli, Renato 745 Barnes, Charles J. 487 Baroni, Constantino 706 Baroni, Vittore (1956) 36 f., 824, 833, 837, 844, 849 Barron, Stephanie 383 Barry, Robert (1936) 165, 420, 562, 799, 826 Barsotti, N. 183 Bartels, Klaus 227, 254, 549, 863 Barthel, Gunar 755 Barthel, T. S. 478 Barthes, Roland 51, 228, 740, 754, 763 Bartkowiak, Heinz Stefan 89, 195, 333, 521, 637, 699, 710, 719, 829
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Bartkowski, Peter von 527 Bartlett, Bill 228 Bartram, Alan 782 Barzun, Henri-Martin (1881–1973) 392 Baschet, Bernard 53 Baschet, François 53 Bashô, Matsuo 589 Basoli, Antonio 633 Basquiat, Jean-Michel 777, 857 Batsry, Irit (1957) 149 Battcock, Gregory 143 Baudelaire, Charles (1821–1867) 56, 340, 391, 543 Baudot, Jean A. 204 Baudrillard, Jean 550 Bauer, Barbara 484 Bauer, D. 522 Bauer, Erwin K. 306 Bauer, Josef (1934) 275 Bauer, Michael (1952) 210 Bauer, Wolfgang 655 Bauer-Funke, Cerstin 198 Baumann, Felix Andreas 32 Baumeister, Biene 450 Baumeister, Willi 31, 614 Baumgärtel, Thomas 777 Baumgärtner, Ingrid 522 Baumgarten, Lothar (1944) 800 Baumgarth, Christa 391 Baumstein, Moysés (1931–1991) 175 Baur, Joachim (1957) 141 Bausch, Tom (1970) 148 Bayer, Konrad (1932–1964) 2, 4, 160, 203, 280 Bayer, Udo 14, 316 Bayerle, Thomas (1937) 140 Bazin, Sylvain 583 Beardsley, Aubrey 713 Beatus Aemilianus 703 Beau, Michel 608 Beaulieu, Eustorg de (1495–1552) 228 Beaumont, Joseph (1616–1699) 295, 707 Bec, Louis (1936) 255 Becker, Albert 50, 582 f. Becker, Jürgen 392 f., 677 Beckett, Samuel (1906–1989) 162, 706 Bednarik, Robert G. 458
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Personenregister
Beer-Hofmann, Richard (1866–1945) 108 Beethoven, Ludwig van 62 Behrens, Franz Richard (1895–1977) 337, 340 Behrens, Peter (1868–1940) 800 Behrens-Hangeler, Herbert 44 Behring, Eva 24 Beierwaltes, Werner 318 Beiguelman, Giselle (1962) 238 Beilenhoff, Wolfgang 106, 110, 351 Beims, Johann Ernst 528 Beissner, Friedrich 540 Belghagi, Moncef 599, 601 Bell, Bill (1928) 163 Bella, Stefano della 505 Belleguie, Andre 400 Belloli, Carlo (1922) 4, 14, 337 f., 380, 383–385, 431, 445 Belot, Jean 490 Belting, Hans 551 Beltrán, Boris 477 Belyj, Andrej (1880–1934) 52 Bender, Hans 11, 198 Benedikt, Michael (1935–2007) 148 Benjamin, Walter (1892–1940) 325, 378, 491, 536, 548, 695, 713, 797, 850 f. Benn, Gottfried (1886–1956) 12, 869 Benacci, Alessandro 496 Bennet, John 844 Benning, Sadie 149 Benois, Alexandre 713 Bense, Max (1910–1990) 2, 10, 14, 24, 26, 28 f., 88, 119, 133, 189, 201–203, 206–208, 220, 313, 316, 337, 339, 369, 370, 424–426, 431–435, 438–440, 442, 563, 641 f., 762, 795 Bentivoglio, Mirella (1922) 96, 170, 185, 288, 339, 400, 468, 528, 638, 713, 722, 732 Beradt, Martin (1881–1949) 108 Béraud, Jean 725 Berend, E. 109 Berenguer, Amanda 524, 526 Berg, Hubert van den 400 Berg, Stephen 148 Berger, Wilhelm Richard 31, 394 f., 398 Berghaus, Günter 400
Bergson, Henri (1859–1941) 112, 333 Bergstraesser, Johann Andreas Benignus (1732–1812) 488 Berio, Luciano (1925–2003) 52 Berlau, Ruth 406 Bermond, Gérard 387 Bernard, Emilie 821 Bernard, Suzanne 4 Bernasko, Oskar 767 Berners-Lee, Tim 216 Berswordt-Wallrabe, Kornelia von 232 Bertels, Johann 703 Bertrand, Simone 654 Besantinus 4 Bester, Alfred 403 Betró, Maria Carmela 306 Betz, Manfred 28 f., 31, 287 Beuttenmüller, Alberto 849 Beuys, Joseph 524, 674, 744, 790, 800, 824 f. Bexte, Peter 180, 183 Bezzel, Chris (1937) 442 Bien, Helmut M. 725 Bienek, Horst (1930–1990) 330, 411, 677 Biermann, Wolf (1936) 790 Biggs, Simon (1957) 212 Bilibin, Ivan 713 Bill, Max (1908–1994) 313–315, 433–435, 542 Bille, S. Corinna 816 Bingemer, Buja 745 Birckenbusch, Johannes 394 Bírgus, Vladimír 547 Birjukov, Sergej 606 Birken, Sigmund von 4, 50, 368, 537 Birkhoff, Georg David (1884–1944) 208 Birnbaum, Alfred 656 Birot, Pierre 46, 547, 793 f. Birus, Hendrik 708 Bismarck, Beatrice von 157 Bismuth, Moïse 387 Bissier, Julius (1893–1965) 697 Björk (1965) 153 Blackwell, Lewis 350 Blaine, Julien 844 Blake, William 238, 495, 540 f., 547, 708 f. Blank, Irma 420, 763
Personenregister Blank, Joachim 232 Bleus, Guy 563 Bliss, Charles K 306. Bloch, Ernst 200, 755 Block, Friedrich W. 155, 160, 175, 179, 223 f., 241, 248, 638 Block, René 53–55, 145 Boem, Walter d. J. 851 Blom, Ina 824 Blüchel, Kurt G. 252 Blümner, Rudolf (1873–1945) 51, 318, 323, 340, 399 Blum-Kwiatkowski, Gerhard Jürgen 786 f. Boccioni, Umberto (1882–1916) 71, 112 Bochner, Mel 747 Bocskay, Georg 556 Böckmann, Paul 549 Bodding, Nicolaes 499 Bodenehr, Johann Georg (1631–1704) 491 Bodmer, Johann Jacob (1698–1783) 537 Bódy, Veruschka 57, 152 Boedecker, Sven 213 Böhler, Michael 325, 454 Boehm, Gero von 254 f. Böhm, Gottfried 864 Böhme, Jakob 738 Boehnke, Heiner 170, 220 Boettcher, Bastian (1974) 223 Boetti, Alighiero e 303 f. Bofinger, Manfred (1941–2006) 351 Bogner, Franz Josef (1934) 422 Bogulawski, Alexander 531 Bohatcová, Mirijam 606 Bohle, Jürgen F. E. 344, 348, 350 Bohn, Joseph 692 Bohn, Rainer 549 Bohn, Williard 346, 375, 377 f., 380, 383, 424, 468 Boissier, Jean-Louis (1945) 244 Bojko, Szymon 532, 791 Bok, Christian 195 Boll, Franz 475 Bolliger, Hans 373 Bollmann, Anne 633 Bollmann, Stefan 227, 255 Bolter, Jay David 266
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Bolz, Norbert 199 Bonifatius 623, 827 Bonin, Wibke von 138 Bonitz, Antje 618 Bonn, Gisela 672 Bonnard, Pierre (1867–1947) 725 Bonné, Mirko 378 Bonset, I.K. 268 Bonvicini, Monica 797 Bootz, Philippe (1957) 141, 220 Borchmeyer, Dieter 73 Borgemeister, Rainer 732 Borgius, Walter 348 Borinski, Karl 188 Born, Ernst 370 Bory, Jean-François (1938) 272, 280, 373, 392, 561, 799, 871 Bosinski, Gerhard 459, 461 Boso, Felipe (1924–1983) 299, 302 Bosseur, Jean- Yves 65 Botto, Oscar 596 Bougarde, André 632 Boulez, Pierre (1925) 73–75, 120 Bourdet, J. J. G. (1799-1869) 789 Bowler, Berjouhi 280, 293, 358, 583, 587, 590 f., 594 f., 614, 623 Bowles, Carrington 262 Bowles, Jerry G. 303, 740, 826 Bowlt, John E. 669, 726 bpNichol 13, 140, 678, 680 Brackert, Gisela 125 Bradbury, Ray 170 Braffort, Paul (1923) 220 Bragaglia, Giacomo 113 Brahes, Pehr 606 Braille, Louis (1809–1852) 467 Brakensiek, Stefan 530 Brakhage, Stan 146 Brâncus¸i, Constantin (1876–1957) 629 f. Brand, Stewart (1938) 228 Brandenburg, Dietrich 521 Brandenburg, Hans 262 Brandner, Uwe 677 Brandstetter, Gabriele 262 Brant, Sebastian 514, 657 f. Braque, Georges (1882–1963) 332, 724f Brassai 775 f. Braumüller, Hans (1966) 843
900
Personenregister
Brauner, Victor (1903–1966) 24 f., 546 Brecht, Bertold (1898–1956) 104, 108, 109 f., 226, 406, 781, 790, 850 f. Brecht, George (1926–2008) 452, 823 Bredekamp, Horst 144 Bredtsprecher, Johannes 528 Breeze, Mary Anne 249 Brefin, Daniel (1967) 147 Brehmer, KP (1938–1997) 71 Breinlinger, Gerhard 140 f. Breitinger, Johann Jacob (1701–1776) 537 Bremer, Claus 4, 26, 37, 74, 119, 290–293, 406, 442 f., 445, 450, 452, 563, 608, 796, 855 Bremer, Uwe 409 Brentano, Clemens (1778–1842) 509 f., 540 Breton, André (1896–1966) 190 f., 198 f., 226, 391, 408, 430, 721, 765, 821 Breughel, Pieter (1525/30–1569) 629 Briegleb, Christian Daniel 594 Briessen, Fritz van 655 Brilliant, Larry (1944) 228 Bringsjord, Selmer (1958) 212 Brinker, Helmut 585, 587 Brinkmann, Richard 431 f. Brinkmann, Rolf Dieter (1940–1975) 124, 392, 409–411, 414, 416, 422, 670–672, 678 Britschgi, Markus 816 Brock, Bazon (1936) 637, 802 Brodersen, Kai 575 Broderson, Moshe (1890–1956) 128 f. Broecke, Adraan Michiel van den (d. J.) 349 f. Brög, Hans 278, 628 Broodthaers, Marcel (1924–1976) 358, 365, 395, 414, 562, 732, 735, 800 Brooke-Rose, Christine 417 Brooks, Charles T. 662 Brossa, Joan (1919–1998) 297 338 f., 380 f. Broutin, Gérard-Philippe (1948) 468 f., 629 Brouwn, Stanley 557 Brown, Bob 119 Brown, Earl (1926–2002) 74–77 Browne, William (1590–1645) 501 f.
Brüggemann, Heinz 637 Brüggemann, Theodor 487 Brunken, Otto 487 Brunner, Helmut 484, 585 Brunner, Horst 37 Bruno, Giordano 9, 180, 368 Brusilowsky, Anatol 734 Bruszewski, Wojciech (1947) 149 Bruun, J. A. 703 Bryen, Camille 4, 750 Brzêkowski, Jan (1903–1983) 23 Buch, Hans Christoph (1944) 534 Buchheister, Wilhelm 614 Buchwald, Dagmar 691 f. Buchwalder, Ernst (1941) 123, 528, 560, 639 Budge, E. A. W. 653 Büchner, Karl 115 Bülow, Gustav von 318 Bünting, Heinrich 521 Bürger, Peter 33, 73 Bulatov, Dmitry (1968) 15, 43 Bulgakowa, Oksana 636 Bulkowski, Hansjürgen 400 Buno, Johannes 487 Buñuel, Luis 146 Buondelmonti, Cristoforo 505 Burchartz, Max (1887–1961) 315 Burda, Hubert 226, 481, 863 Burda, Vladimir (1934–1970) 297, 339 Burden, Chris (1946) 152 Burghard, Maren 26 Burke, Edmund (1729–1797) 534 Burkhardt, Klaus (1928–2001) 368 Burkhardt, Dagma 606 Burljuk, David (1882–1967) 335, 704, 779 Burljuk, Nikolaj 335, 369, 695 Burmann, Lars 606 Burne-Jones, Edward 711 Burnham, Jack 254 Burns, Joseph R. „ Josy“ 166 Burroughs, William S. 194, 411 f., 670, 672, 674, 800 Bury, Pol (1922–2005) 287 Busch, Ernst 782 f. Busch, Wilhelm 555, 659, 662 Buschoff, Anne 729
Personenregister Bush, Vannevar (1890–1974) 216 Busotti, Sylvano (1931) 76 Butler, Cornelia 522 Butor, Michel (1926) 398 f., 468, 549, 642, 725 Buzzi, Paolo (1874–1956) 344, 791 Byars, James Lee 194 Cabrera Infante, Guillermo (1929–2005) 357 Cäsar (100–44 v. Chr.) 789 Cage, John (1912–1992) 26, 65, 74 f., 79, 81 f., 94, 148, 452 Cagiullo, Francesco 4 Caillebotte, Gustave 726 Calder, Alexander (1898–1976) 76, 271 Calvör, Joachim (1616–1693) 490 Calzolari, Pier Paolo 150 f. Cameron, Charles 284, 286 Campos, Augusto de (1931) 4, 24, 160, 175 f., 269 f., 312 Campos, Cid 160 Campos, Haroldo de (1929–2003) 4, 24, 269, 295, 299, 312, 760, 797 Cangiullo, Francesco (1884–1977) 85, 278, 341, 344, 791 Capogrossi, Guiseppe (1900–1972) 732 Caramuel y Lobkowitz, Juan (1606–1682) 169 f., 183, 197, 373, 499 f. Cardunas, Carlo 629 Carlberg, Marianne 821 Carlinsky, Dan 614 Carlson, Chester F. 848 Carlsund, Otto (1897–1948) 313 Carmi, Eugenio (1920) 88 Carrà, Carlo (1881–1966) 341 Carrega, Ugo 468 Carrión, Ulises 837 Carroll, Lewis (1832–1898) 4, 183, 212 f., 297, 399 f., 496, 501, 707 Carus, Titus Lucretius 115 Caruso, Luciano (1944–2002) 52, 85, 138, 606 Casler, Hermann (1867–1939) 116 Cassirer, Ernst 323 Castel, Louis Bertrand 57
901
Castelein, Matthijs de (1485–1550) 499, 603 Castellin, Philippe (1948) 38, 282 Castillejo, José Luis (1930) 339 Catalani, Massimo 563 Catoir, Barbara 394, 777 Catriel, Luis 849 Catta-Preta, Fernando (1956) 174 f. Caxton, William 789 Cayley, John (1956) 250 f., 272 Celan, Paul (1920–1970) 11 Celaya, Juan de 217 Celis, Mary Carmen de (1947) 299 Cellier, Jacques (ca. 1550–ca. 1620) 594 Cendrars, Blaise (1887–1961) 128 Ceram, C. W. 114 Cerier, Nicolas 399 Chagall, Marc (1887–1985) 22, 716 Chalupecky´, Jindrˇich 9 Chamberlain, William 210 Champollion, Jean François 475, 484, 507 Champoux, Bernard 306 Ch’ang, Chêng 589 Chappe, Claude 467 Chalier, Michael 189 Chaucer, Geoffrey 430, 711 Chauvet, Jean-Marie 459 Cheang, Shu Lea (1954) 178 Chéret, Jules 789 Chesneaux, Jean 655 Chiari, Giuseppe (1926–2007) 96 Chiavacci, Vincenz 778 Chi-hsiang, Chang 587 Chladni, Ernst Florens Friedrich 58 Chlebnikov, Velimir (1885–1922) 4, 45, 52, 280, 305, 335 f., 694, 704 f., 715 f. Choki, Eishosai 656 Chopin, Henri 26, 290 Christie, John 272 Chruxin, Christian 3, 160 Chung, J. C. 237 Church, Margaret 606 Churchill, Rob 495 Cˇicˇerin, Aleksej Nikolaevicˇ 84, 355 Cicero (106–43 v. Chr.) 482 Cladi-Schmeiser, Eva (1946) 141
902
Personenregister
Claire, Paula (1939) 46, 764 Clarac, Pierre 557, 821 Clark, Thomas A. 678 Clarke, John 185 Claudel, Paul 393 Claudius, Matthias (1770–1815) 4, 84, 204 Claus, Carlfriedrich (1930–1998) 4, 46, 117 f., 121 f., 278 f., 287, 299, 303, 309 f., 358, 522, 585, 684, 695, 730, 749–752, 754–756, 758-760, 769, 799 Claus, Jürgen (1935) 140, 166, 176 f., 213, 230 f. Clausberg, Karl 58, 555, 642, 648 Clemens Alexandrinus 564 f. Clinton, Bill 675 Closener, Fritsche 827 Clottes, Jean 461 Clüver, Claus 626, 628 Clynes, Manfred C. 252 Cobbing, Bob (1920–2002) 14 f., 46, 291, 293, 369, 875, 881 Cobden-Sanderson, Thomas James 711 f. Cockburn, Ken 280 Cocteau, Jean Maurice (1889–1963) 146, 393, 681, 821 f. Cohen, Ryosuke (1948) 836–838 Cohn, Robert G. 395, 398 Coleridge, Samuel Taylor 38 Collins, Alfred (1866–1952) 104 Colonna, Francesco 505, 507 f., 511 Comanini, Gregorio (1550–1607) 56, 536 Comenius, Johann Amos 306, 487 Comino, Roberto 745 Compton, Susan P. 635, 715 Cone, Claribel (1864–1929) 666 Cone, Etta (1870–1949) 666 Conn, Peter 152 Conte, Bruno (1939) 749 Conz, Francesco 387 Conzen, Ina 825 Cook, Elizabeth 538 Cooper, Alice 167 Cooper, Waltraud (1937) 159 Copley, Alfred L. (1910–1992) 140 Cordier, Baude (1364–1400) 65
Cornelius, H. 183 Corner, Phil(ip) (1933) 44, 71 Corso, Gregory (1930–2001) 4 C´osic´, Bora (1932) 524 C´osic´, Vuk 250 Couffignal, Louis 203 Courtin, Jean 461 Cox, Kenelm (1927–1968) 272 Cozár, Rafael de 499, 579, 583, 606 Crali, Tullio C. (1910–2000) 85 Cramer, Florian 179, 250 f. Crane, Michael 824 Crecy, Herve de 153 Creed, Martin (1968) 159 Cremer, Jan 672 Cremonese, Mauro 56 Crispolti, Enrico 139 Croce, Benedetto (1866–1952) 544 Crockwell, Douglas 116 Crosby, Harry 375 Cross, Lloyd 164, 166 Crown, Peter 213 Crumb, Robert 674 Crystal, David 487 Csernik, Attila 193, 260 Cummings, Edward Estlin 4, 375, 378–380 Curjel, Hans 201, 543 Curnow, Wystan 131 Curtius, Ernst Robert 12, 325, 484 Cutting, James E. 455 Czarnek, Robert 111 Czernin, Franz Josef (1952) 210 Czurda, Elfriede 284 f. Czwiklitzer, Christophe 706 Czyzewski, Tytus 4, 201 Dahl, Roald (1916–1990) 202 Dahlhaus, Carl 318 Dal, Erik 603 Dalesio, Gabrielle 445 Dalgarno, George (1626–1687) 261, 305 Dalí, Salvador (1904–1989) 146, 167, 721 Damen, Herman (1945) 675 Danckerts, Ghiselin (1510–1567) 65, 499 Danielewski, Mark Z. 416 Daniels, David (1933–2008) 608 Daniels, Dieter 139 f., 213, 264
Personenregister Danilowa, Irina 530 Dante Alighieri (1265–1321) 17, 19, 262, 270 Darboven, Hanne 368, 744, 746, 764 Darwin, Erasmus 200 Da´ud, Muhammad ibn 602 Daumier, Honoré (1808–1879) 658 David, Jacques-Louis 725 David, Martin 306 Davidovich, Jaime 144 Davies, Peter Maxwell 85, 87 Davinio, Caterina (1957) 150 f., 211, 213, 264 Davis, Douglas (1993) 139, 160 Davis, Stuart 670 Debes, Dietmar 556 Debon, Günther 481, 483 Debord, Guy (1931–1994) 450, 524, 561 Decker, Edith 138, 144 Decristel, Georg (1937–1997) 94 Dee, John 50, 495 Defet, Hansfried 804 Defontenay, C. I. 393 Degottex, Jean 740 Dehmel, Richard (1863–1920) 330 f. Deisler, Guillermo 282, 829–831, 862 Dekeukeleire, Charles (1905–1971) 131 Delaunay, Robert (1885–1941) 732, 821 Delaunay-Terk, Sonja (1885–1979) 128, 629, 717, 732 Deleuze, Gilles (1925–1995) 219 Delluc, Gilles 459 Demandt, Alexander 527 Demetz, Peter 13 Demokleitos 488 Dencker, Klaus Peter (1941) 2 f., 5, 7–9, 16, 31, 33 f., 36–38, 42, 45, 52, 65, 73, 96, 114, 120, 124 f., 133, 136–138, 142, 146 f., 160, 164, 181, 232, 237, 246, 249, 260, 262, 272, 280, 282, 291, 297, 299, 303, 316, 321, 326, 370, 380, 408, 434, 445, 452, 472, 499, 522, 524, 528, 553, 558, 561, 566, 568, 575, 583, 591, 595, 598, 614, 639, 665, 681, 687, 689, 713, 716, 744 f., 750, 756, 773, 799, 808, 810, 830, 833 f., 837, 839, 849, 855, 857, 859, 867, 873 Denes, Agnes (1938) 468
903
Denis, Maurice (1870–1943) 725 Denisyuk, Yuri N. 166 Denk, Rudolf 109 Depero, Fortunato 632, 636, 721, 723, 791, 823 Deren, Maya 146 Dermisache, Mirtha 764 Deroz, Albert 650 Derrida, Jacques (1930–2004) 423, 691 f., 762 Descartes, René 197, 246, 305 f. Deschamps, Eliette Brunel 459 Dessoir, Max 325 Deterding, Sebastian 416 Detjen, Klaus 395, 421 Detmold, Johann Hermann 660 Devaux, Frédérique 132 Dewdney, A. K. 204, 211 f. Dias de Sa, Neide 193, 280 Dias-Pino, Wlademir (1927) 4 Dickel, Hans 802 Dickens, Charles (1812–1870) 108 Dicuil 181 Diderot, Denis (1713–1784) 527, 534 Didon, Louis 459 Diebold, Werner 67 Diederichs, Helmut H. 851 Diehl, Ernst 774 Dienst, Klaus-Peter 697 Dienst, Rolf-Gunter (1942) 4, 53 f., 697, 743 f. Dierks, Christiane 91, 94 Dießelmeier, Anke 351 Dieterich, Albrecht 372 Dillinger, John 674 Dilly, Heinrich 551 Dimitriadis, Greg 51 Dine, Jim (1935) 137, 710 Dinkla, Söke 161, 220 Diotallevi, Marcello (1942) 293, 784 Dirks, Rudolph 663 Dittenberger, Guilelmus 566 Dittmer, Peter (1962) 223 Djagilev, Sergej Pavlovic 713, 716 Dluhosch, Eric 22 Dobbe, Martina 732 Doblhofer, Ernst 280, 453, 462 f., 472 f., 475, 477, 479
904
Personenregister
Dodgson, Charles Lutwidge (siehe Lewis Caroll) 496 Döblin, Alfred (1878–1957) 110, 335, 408 Döhl, Reinhard (1934–2004) 7, 14, 28 f., 75, 188, 193, 210, 249, 316, 426, 434, 439, 442, 616, 618 f., 855 Döler, Johann Michael (1645–1697) 528, 608 f. Döring, Jürgen 790 Doesburg, Theo van (1883–1931) 63, 268, 313–315, 319 f., 323, 342, 350, 352, 354, 367, 369, 433 Dolce, Lodovico (1508/10–1568) 535 Dombois, Lorenz 53 Domin, Hilde (1909–2006) 796 Donat, Sebastian 708 Donguy, Jacques (1943) 312, 561, 799 Donien, Jürgen 512 Dora, Cornel 501 Doré, Gustave (1832–1883) 65, 412 f. Dorfles, Gillo (1910) 314, 638 Dorn, Andreas 774 Dornseiff, Franz 259 f., 339, 372, 568 Dorra, Bodo 167 Dos Passos, John (1896–1970) 110 Dosiadas von Kreta 4, 568, 570 Dossi, Ugo (1943) 219, 222 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 715 Dotremont, Christian 697, 763 Dotzler, Bernhard J. 185, 199 Douglass, Sue Nan 560 Downsbrough, Peter 420 Draper, Ronald (1928) 13, 297 Dreier, Katherine S. (1877–1952) 374 Drews, Jörg 314 Dreyer, Ernst-Jürgen 401 Drost, Dorothea 659 Drost, Wolfgang 659 Droste-Hülshoff, Annette von (1797–1848) 706 Drucker, Johanna 10, 38, 259 Druckrey, Timothy 227, 246 Drutt, Matthew 669 Dubiel, Jochen 862 Dubos, Jean-Baptiste (1670–1742) 534 Dubreuil, Victor (aktiv 1886–ca.1900) 674
Dubuffet, Jean 777 Duchamp, Marcel (1887–1968) 4, 85, 94, 96 f., 112 f., 131, 146, 193, 201, 280, 350, 374, 549, 629, 721, 727, 826, 849, 860 f. Duchamp, Suzanne 826 Dudesek, Karel 143 Duechting, Hajo 542 Dühring, Eugen 430 Dümchen, Sybill 357 Dürer, Albrecht 368, 658 Dürrenmatt, Friedrich (1921–1990) 708 Duguay, Raoul (1939) 365 Dunant, Henry 532 f. Dunford, Mike (1946) 133 Dupuis, Robin 150 Dywer, Angela 800 Dwyer, Nancy (1954) 638 Dylan, Bob (1941) 153 Eberle, Matthias 734 Eberlein, Dorothee 70 Echte, Bernhard 262 Ecker, Harald 776 Eckermann, Johann Peter (1792–1854) 540, 660 Eco, Umberto (1932) 71, 73, 88, 120, 214 f., 270 f., 307, 655 Edgeworth, Richard Lovell (1744–1817) 488 Edmonds, Ernest (1942) 226 Edmonds, Tom 170 Edschmid, Kasimir (1890–1966) 790 Edson, Laurie 732 Edwards, Brent Hayes 50 Egerer, Evelyne (1955) 422 Eggeling, Viking 128, 130 f., 323, 343 Eggenschwiler, Franz (1930–2000) 847 Eggers, Willi 767 Eglinger, Hanna 260 Eichenberg, Richard J. 582 Eichhorn, Stefan (1962) 213 Eigeltinger, Wilfried 778 Eimert, Herbert (1897–1972) 52 Einstein, Alfred 67, 111 Einstein, Carl 393
Personenregister Eisenbeis, Manfred 138, 140 Eisenstein, Sergej Michailowitsch 107–109, 114, 131, 157, 272, 337, 345 f., 472 Eissing- Christophersen, Christoph 767 Éjchenbaum, Boris 45 Ekaku, Hakuin 700 f. Ekbom, Torsten (1938) 524 Elfen, Fria 128 Eliot, T. S. (1888–1965) 313, 689 Elliott, David 36 Ellis, Bruce (1960) 211 Elluc, Brigitte 459 Elsky, Martin 603 Éluard, Paul (1895–1952) 83, 821 Emory, Michael 800 Emrich, Wilhelm 50 Endell, August (1871–1925) 802 Endre, Szkárosi 282 Engelbardt, Douglas C. (1925) 216 Engeler, Urs 50 Engels, Friedrich 430 Englert, Rudolf 557, 761–763 Enzensberger, Hans Magnus (1929) 12, 75, 170–173, 211, 789, 790 Epée, Abbé Charles Michel de l’ 467 Epiktet (520–490 v. Chr.) 643 Erduman, Deniz 556, 599 Eremin, I. P. 606 Erffa, Hans Martin von 511 Eriksson, Elis 678 Erlhoff, Michael 43, 276, 323, 356, 371 Ernst, Max 259, 333, 373, 408, 659, 732, 763, 765 Ernst, Ulrich 6, 15, 26, 31 f., 65, 181, 183, 185, 188, 214, 219, 278, 280, 297, 383, 393, 416 f., 483, 495, 499, 503, 505, 520 f., 527 f., 553, 564, 566, 568, 570, 575, 577, 579, 582 f., 587, 589, 591, 594 f., 602 f., 608, 614, 620, 623, 625, 632 f., 641, 835 Ernst, Wolfgang 463, 465 Ernst Meyer, Agnes 375 Ertl, Fedo (1952) 141 Eske, Antje 160 Esposito, Mario 181 Essig, Rolf-Bernhard 821 Etlinger, Amelia (1935–1987) 304, 365
905
Etter, Thomas 210 Euphronius 643–646 Euripides (480/486–406 v. Chr.) 262 Evans, Michael 523 f. Evers, Bernd 125 Exekias 643 Export, Valie (1940) 123, 639 Exter, Alexandra 669 F., Josef Walter (siehe: OZ) Fabian, Jo (1960) 262 Fabre, Gladys C. 71 Faecke, Peter (1940) 412 Fähnders, Walter 22, 43, 400, 425 Fahlström, Öyvind 24, 117, 280, 313, 341, 522, 672, 674, 681–683 Falb, Rudolf (1838–1903) 453 Falckner, Erhart 281 Falkner, Brigitta 666 Faraday, Michael 115 Faucheux, Pierre 401 Fauconnet, René (1934–2008) 632 Faulkner, William 618 Faulmann, Carl 454, 456, 462 f., 470, 477 Faulstich, Werner 115 Faurie, Charlotte 461 Faust, Wolfgang Max 2, 37, 189, 358, 429, 524, 664, 707, 724 f., 727 Fazy, James 660 Fazzioli, Edoardo 466 Febel, Gisela 198 Feddersen, Jakob Friedrich 491 Federman, Raymond (1928) 403, 405 f., 524 Feierabend, Peter 58 Feierstein, Roman (1926) 638 Feininger, Lionel 666 Felder, Brigitte 58 Feldman, Morton (1926–1987) 75 Felter, James Warren 560 Fendt, Kurt 214 Fenollosa, Ernest Francisco 316 f., 345, 432 f., 472 Ferdinand III., Kaiser 305, 505 f. Fernbach-Flarsheim, Caro 4, 284 Ferrando, Bartolomé (1951) 149 f., 264 Ferrari, Léon 764
906
Personenregister
Ferrari, Michele Camillo 703 Ferré, André 557, 821 Fetz, Bernhard 85 Fichte, Hubert (1935–1986) 524 Fiedler, Jeannine 58 Fiedler, Leslie A. 670 f. Fierens, Luc (1961) 836, 844 Figueiredo, César (1954) 282 Figueres, Josep M. 302, 616, 675 Filliou, Robert (1926–1987) 272, 824 Finckh, Gerhard 734 Finger, Anke 73 Fingernagel, Andreas 488 Finke, Franz 207 Finkeldey, Bernd 201 Finlay, John [Ian] Hamilton (1925–2006) 4, 10, 135 f., 157, 280, 282, 297, 299, 472, 618, 629, 793–795 Finley, Jeanne C. (1955) 149 Finsterlin, Hermann (1887–1973) 75, 193, 369 Fiore, Quentin 139 Firmage, George James 378 Fisch, Michael 371 Fischer, Herve 830 Fischer, Ottokar 56, 70 Fischer, Samuel (1859–1934) 712 f. Fischer, Theodora 287 Fischer, Walter L. (1930) 209 Fischinger, Oskar (1900–1967) 63 f., 132, 152 Fisher, Harry Conway „Bud“ 665 Fisher, Scott 244, 254 Fitzgerald, Ella (1917–1996) 50 Fix, Ulla 629, 732 Flaubert, Gustave 815 Fleischmann, Monika (1950) 247 Flohr, Udo 213 Florence, Antoine Hercules 848 Fluck, Hans-Rüdiger 587 Fludd, Robert 358 f. Flusser, Vilém (1920–1991) 549, 863 Földes-Papp, Károly 456, 458–461, 465, 473, 475, 481 Foer, Safran 417 Foix, Josep Vicenç 377 Folgore, Luciano (1888–1966) 4 Folkard, Charles James 665
Folter, Roland 603, 608 Fontana, Bill 53 Fontana, Giovanni (1946) 38, 43, 49 f., 67, 84 f., 88, 96, 173 Fontana, Lucio (1899–1968) 139 Forest, Fred (1933) 142 f., 224, 228, 807, 865, 867 Formanek, Susanne 127 Forster, Leonard 49 Foster, Stephen C. 14 Foucault, Michel (1926–1984) 178, 691 f. Foulon, Otto 851 Fournel, Paul (1947) 220 Fra Angelico (1386/1400–1455) 649 Fraenkel, Ernest 395 Fraenkel, Heinrich 114 Fränkel, Hermann 568 Fraenkel, T. 821 Francis, Frank 555, 643 Franck, Phillip 821 Franco, Francisco 667 François, Alessandro 653 Frank, Christian 579 Frank, Hilmar 200 Franke, Herbert W. 204, 209, 499, 501, 587 Frankel, Hans H. 481–483, 587 Franzobel 666 Frederking, Volker 853 Freeman, L. G. 458 Fresnel, Augustin Jean 167 Fresnoy, Charles Alphonse du 537 Freud, Sigmund 157 Freye, K. 160 Fricke, Adib (1962) 210 Fried, Erich (1921–1988) 378 Friedell, Egon (1878–1938) 111 f., 119, 178, 199, 201, 321, 326, 334, 543, 713 Friedl, Friedrich 399 Friedl, Norbert 140 Friedman, Ken 825 Friedrich, Caspar David 510 Friedrich, Ernst 406, 408 Friedrich, Hugo 12 Frieling, Rudolf 139, 264 Fries, Natalie (1969) 148 Friese-Greene, William (1855–1921) 108
Personenregister Frisch, Johann Leonhard (1666–1743) 543 Frisé, Adolf 432 Fröhlich, Fred (1968) 162 Fuchs, Günter Bruno (1928–1977) 409 Fuchs, Wolfgang J. 652, 665 Fucks, Wilhelm (1902–1990) 209 Fülleborn, Ulrich II, 316 Fürst, Paulus 658 Fuh-Hi 368 Fuhrmann, Ernst 470 Funk, Hermann 155 Funkhouser, Chris T. 173, 179, 227, 249 Furnival, John (1933) 275, 632 Gabo, Naum (1890–1977) 113, 314, 318, 432 Gabor, Dennis (1900–1979) 167–169 Gabor-Hotchkiss, Magda 494 Gadamer, Hans-Georg (1900–2002) 341 Gadeanu, Sorin 816 Gärtner, Hans 492, 493 Gärtner, Ulrike 201 Gaffarell, Jacques 259 Gallick, Rosemary 666 Galloway, David 113, 141 Galloway, Kit (1948) 227, 229 Gallus 703 Gallwitz, Klaus 744 Gramkrelidse, Thomas W. 453, 527 Gand, David Joris de 606 Grandil, Pierre 583 Gansberg, Fritz 17 Gappmayr, Gaby 268, 629, 684 Gappmayr, Heinz (1925–2010) 4, 7, 159, 249, 303, 309 f., 358, 369, 373, 393, 420, 436 f., 799 Garbe, Burckhard (1941) 104, 616 Garcia Lorca, Frederico (1898–1936) 614 Garcia Mayoraz, José E. 238 Garg, Anu (1967) 212 Garnier, Ilse (1927) 26, 268, 282, 297, 631 f. Garnier, Pierre (1928) 4, 26–28, 117, 268 f., 288, 290, 297, 302, 629, 632, 642, 684–686, 704 Gartelmann, Henri 334 Gass, William 417
907
Gaßner, Hubertus 201, 355 Gastini, Marco (1938) 159 Gauer, Werner 653 Gauguin, Paul (1848–1903) 710 Gaul, Winfried (1928–2003) 749 Gauricus, Pomponius (1482–1530) 481 f., 535 Gaze, Tim 763 Gedrim, Ronald J. 255 Geerken, Hartmut (1939) 197 Gees, Johannes 164 f. Gehl, Günther (1957) 212 f. Gehrke, Michael 803 Geiger, Benno 56 Geissmar, Christoph 515, 518 Gemisi, Amentü 601 Gemmel, Ludwig 330 Gendolla, Peter 81, 160, 179 Gensfleisch zum Laden, Johannes (siehe Gutenberg) 854 Geraldes de Melo e Castro, Ernesto Manuel (1932) 145, 302 Gerbel, Karl 234 Gerber, Gustav 44 Gercke, Hans 527 Gercken, Günther 767 Gerhardt, Paul (1607–1676) 4, 583 Gerhardt, Marlis 430 Gerigk, Horst-Jürgen 365 Gerlach, Gunter (1941) 810 f. Gerleigner, Georg Simon 644, 647 Gerling, Volker (1968) 116 Gerngroß, Heidulf (1939) 210 Gersch, Wolfgang 851 Gerstner, Karl (1930) 185, 220, 452 Gerz, Jochen (1940) 282, 369, 408, 684, 744 f., 782, 800, 805–809, 861 Gette, Paul-Armand (1927) 637 Geuder, Johann (1640–1693) 528, 608 Ghil, René (1862–1925) 339 Gianni, Eugenio 383 Gibbs, Michael 15 Gibbs-Smith, S. H. 654 Gibson, William (1948) 233 Gide, André (1869–1951) 395 Gidney, Eric 847 Giedion-Welcker, Carola 729 Giehlow, Karl 508
908
Personenregister
Giersch, Ulrich 725 Giesel, Joachim 804 Gigli, Piero 336 f. Gigon, Olof 482 Gilbert & George 824 Gilbert, Annette 279, 739, 749, 759 f., 760, 769, 821 Gillespie, Abraham Lincoln 375 Gillier, Anke 198 Gillmore, Graham (1963) 524 Gilray, James 658 Gilonis, Harry 157 Ginsberg, Alan 670 Giovio, Paolo 514 Giuriato, Davide 706 Gizewski, Paul 17 Glaesemer, Jürgen 730 Glasmeier, Michael 43, 69, 94, 558 Glaukytes (6. Jh. v. Chr.) 647 Glück, Helmut 340 Gnazzo, Anthony (1936) 88 Gnedov, Vasilisk (1890–1978) 365, 393 Godard, Jean-Luc (1930) 133 Gode-von Aesch, Alexander Gottfried Friedrich 306 Göbels, Hubert 373, 487, 492 Goebels, Franzpeter 65 Göpfert, Herbert G. 297 Goergen, Jeanpaul 84 Goeritz, Mathias (1915–1990) 122, 638 Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832) 18, 195, 295, 297, 368, 422, 534, 537, 540, 547, 660 Gogh, Vincent van (1853–1890) 726, 821 Gojowczyk, Hubertus 721, 723 Goldstein, Jean-Isidore 386 Goll, Claire 614, 707 Goll, Yvan (1891–1950) 110 f., 116, 545, 614, 707 Goller, Mirjam 132 Golyscheff, Jefim (1897–1970) 343 Gomringer, Eugen (1925) 2, 4, 7, 11, 13, 24, 26, 30 f., 33, 36, 75, 120 f., 242, 249, 278, 303–305, 307–309, 312 f., 317, 334, 369, 380, 422, 438, 440–442, 444 f., 452, 522 f., 548, 563, 581, 630, 642, 675, 787, 790, 799
Gondry, Michel 153 Gontscharowa, Natalja (1881–1962) 715 Gonzalez Echegaray, J. 458 Goodspeed, Edgar J. 827 Gopher, Alex 153, 639 Gorbach, Rudolf Paulus 399 Gosewitz, Ludwig (1936–2007) 4, 189 f., 271 f., 275, 368 Gotkowska, Wanda 282 Gottlieb, Adolph (1903–1974) 31 Govoni, Corrado (1884–1965) 4, 344, 791 Graaff, Jürgen 846 f. Gradin, C. J. 461 Graeff, Werner (1901–1978) 131, 201, 319 Graeser, Camille(1892–1980) 313 Graham, John 482 Gran, Ulf 606 Grandville (1803–1847) 65, 262, 658 Grant, Duncan (1885–1978) 128 Grass, Günter (1927) 11, 204, 417, 524 Grasshoff, Richard 372, 386, 425 Grassi, Ernesto 435 Grasskamp, Walter 777 Grau, Oliver 236 Gravett, Paul 656 Greber, Erika 554, 628–631, 820 Greenaway, Peter (1942) 147 Greene, Roland 270 Greenham, Lily (1924–2001) 44 Gregaard, Michael (1948) 365 Gregor, Joseph 114 Greiffenberg, Chatarina Regina von (1633–1694) 707 Greiner, Norbert 108 Greve, Charlotte 714 f., 726 Grien, Hans Baldung (1484/85–1545) 489 Grieshaber, Helmut Andreas Paul 738 Griffin, George 116 Griffith, David Wark 108 Grimm, Jacob 363 Grimm, Reinhold 193, 302, 618, 629 Gris, Juan (1887–1927) 429 Grögerová, Bohumila (1921) 4, 284, 297, 303 f., 309 f., 372, 441, 618, 623 f., 799 Groeneveld, Dirk 240 Groh, Klaus (1936) 763, 844
Personenregister Grohmann, Will 117, 321 Gronemeyer, Horst 237 Gropius, Walter 320 Grosenick, Uta 178 Gross, Sabine 629 Grossarth, Ulrike 732 Grosser, Felix 579 Großklaus, Götz 392, 550 Grosz, George (1893–1959) 83, 823 Grov, Stanislav 177 Grünewald, Dietrich 665 Grünewald, José Lino (1931–2000) 312 Grundner, Tom 233 Grunow, Gertrud 542 Guattari, Felix (1930–1992) 219 Gubbins, Martin (1971) 270 Guderian, Dietmar 191, 208 Günther, Hartmut 466, 589 Günther, Thomas 282 Günther, Werner 318 Guéroult, Guillaume (1507–1569) 295 Gullar, Ferreira (1930) 4 Gunzenhäuser, Rul (1933) 204, 206, 208 Guratzsch, Herwig 659 Guslevic, Thierry 583 Gutenberg, Johannes (1400–1468) 689, 854 Gutov, Dmitri (1960) 638 Gutzer, Hannes 212 Guynup, Stephen Lawrence (1967) 238 Györi, Ladislao Pablo (1963) 238, 240 Gysin, Brion 194, 674, 763 Haack, Horst 689 f., 799 Haag, Karl 20 Haarmann, Harald 280, 456, 460–463, 465 f., 473, 475, 477 Habara, Shukuro (1935) 524 Hachette, Micheline 170 Hacker, Dieter 810 Hadermann, Paul 58 Haeberlin, Carl 568 Haenlein, Carl 557, 777 Häusser, Jürgen 212, 339 Hage, Volker 333 Hagebölling, Heide 138 Hagel, Ute 144 Hager, Honor (1975) 178
909
Hagstrum, Jean H. 482 Hahn, Reynoldo 821 Hahnloser, Margit 557, 821 Hains, Raymond 4, 750, 753 Hainzl, Manfred 458 Hajek, Otto Herbert (1927–2005) 140 Hakaro (d. i. Hans Karl Rodenkirchen) 637 Hakuin, Sekijo Yeseiji 590 Halasz, Gyula 776 Halbach, Wulf R. 237 Hall, Steven (1975) 403 f. Hamburger, Käte 11, 109 Hamilton, Richard 287, 299, 450, 667, 669, 841 Hamm, Peter 12 Hammel, Eckhard 738 Hammerstein, Reinhold 49 Hampe, Theodor 658 Handke, Peter 330, 406, 412, 442, 677 Hanebutt-Benz, Eva-Maria 456 Hansen, Al (1927–1995) 137, 380 Hansen-Löwe, Aage 715 Hanshan 779 Hanson, Sten (1936) 46 Hardmeier, Christof 473 Hardt, Manfred 368 Hargrove, June 653 Harig, Ludwig 133 Haring, Keith 732, 777 Harms, Wolfgang 484 f., 490, 512 Harris, James (1709–1780) 534 Harrison, Oliver 152 Harrison, Roger 227 Harrison Roman, Gail 715 Harsdörffer, Georg Philipp (1607–1658) 4, 50 f., 70, 183 f., 188, 191, 193, 259, 368, 462, 470, 488, 498, 513, 536 f., 641 Harthan, John 512 Hartlieb, Johann 490 Hartmann, Frank 306, 852 Hartmann, Nicolai (1882–1950) 550 Hartmann, Viktor 71 Hartung, Hans 740 Hartung, Harald (1932) 426 Hartwig, Heinz 796 Haslund-Christiansen, Henning 49
910
Personenregister
Hatherly, Ana 15, 499, 557, 583, 606, 614, 748 f. Hattinger, Gottfried 142 Hauben, Jay R. 233 Haubenstock-Ramati, Roman (1919–1994) 76 Haubrichs, Wolfgang 461, 501 Hauck, Emma 767 Hauer, Josef Matthias (1883–1959) 58–60, 90 Hauptmann, Carl 326 Haus, Andreas 33, 849 Hausmann, Raoul (1886–1971) 4, 43, 45, 57, 167, 191, 195, 200, 274, 322 f., 337, 341, 343 f., 350, 380, 382, 544, 791, 823 Haussig, H. W. 472 Havekost, Hermann 276 Havel, Václav (1936) 4, 279 Hawass, Zahi 653 Hawies, H. R. 111 Hayes, Ruth 116 Hearst, William Randolph 662 Heartfield, Johnm (1891–1968) 406, 791 Heath, Royal Vale 368 Hecht, Werner 851 Hecker, Max 18 Hedin, Sven 49 Hedinger, Bärbel 557 Heemskerk, Joan (1968) 178 Hefferton, Phillip (1933) 674 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770–1831) 432 f., 435, 483, 535, 693 Heibach, Christiane 179 f., 211, 213, 220, 227, 236, 249, 256 Heider, Werner 75, 528 Heike, Georg 51 Heilig, Morton L. 237 Hein, Birgit 67 Hein, Michael 555 Heine, Carola (1966) 225 Heinicke, Samuel 467 Heinrich der Löwe (ca. 1129–1195) 648 Heinrich von Veldeke (1140/50–vor 1210) 555, 648 f.
Heintz, Kurt (1957) 51 Heißenbüttel, Helmut (1921–1996) 4, 12 f., 26, 300, 312, 334, 337, 369–371, 425 f., 428, 431 f., 440, 445, 452, 548, 650, 675, 684, 708, 853 Helck, Wolfgang 484 Heldberg, Georg Heinrich 528 Hélion, Jean (1904–1987) 313 Hell, Bodo 782 Hell, Rudolf 847 Helmlé, Eugen 83 Helms, Dietrich (1933) 358 Helms, Hans G. 4, 74 Helwig, Johann (1609–1674) 528, 608 Hempel, Eberhard 725 Henderson, Nigel 450 Henkel, Arthur 512 Henkel, Jens 719 Henneberg, Claus 784 Hennessy, Neil 212 Henningsen, Wolfgang 571 Henschel, Gerhard 524, 527 Herakles 619, 644, 647 Herbers, K. 522 Herbert, George (1593–1633) 4 f., 13, 50, 373, 603 Herbin, François-René 653 Herburger, Günter (1932) 677 f. Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 453, 534, 536 Hermand, Jost 36, 302, 433, 675 Herms, Uwe (1937) 406 Herodot 472 Hershman, Lynn (1941) 143 f. Hertling, Nele 53 Herzl Gordon, Cyrus 475 Herzogenrath, Wulf 67, 79, 138, 144, 729, 807, 846 Hesbois, Laure 280, 365 Heß, Gilbert 512 Hesse, Eva 423, 425 Hewes, Gordon Winant 454 Heyboer, Anton 745 Heymer, kay 734 Heyne, Renate 848 Heyns, Zacharius (1566–1638) 503 Hicken, H. P. 594 Hicking, Othmar 492
Personenregister Higgins, Dick 5 f., 7–9, 15, 34 f., 38 f., 49, 65, 91, 93 f., 100, 137, 148, 183, 219, 280, 288, 295, 297, 368, 373, 452, 485, 498 f., 501, 583, 587, 595 f., 603, 606, 608, 614, 625, 707, 714, 858, 881 Hight, Eleanor M. 848 Hilberseimer, Ludwig (1885–1967) 116 Hildebrandt, Volker 141 Hildegard von Bingen (1098–1179) 495 Hildesheimer, Wolfgang (1916–1991) 710 Hill, Gary (1951) 149 Hillaire, Christian 459 Hillis, Danny (1956) 254 Hilscher, Elke 657 Himmlisch, Weeti 777 f. Hinck, Walter 392 Hintze, Ide 149 Hirmer, Simone 152 Hirsˇal, Josef (1920–2003) 4, 284, 297, 303 f., 309 f., 372, 441, 618, 624, 799 Hirsch, Rudolf 325 Hirschfeld-Mack, Ludwig (1893–1965) 57, 167 Hirt, Günter 530, 532 Hirte, Werner 494 Hirth, Georg (1841–1916) 332 Hlavácek, Josef 462 Hocke, Gustav René 44, 50, 201 Hockett, Charles F. 455 Hodell, Åke (1919–2000) 339 Höch, Hannah (1889–1978) 88 f., 333, 354, 821, 823 Hoefnagel, Joris 556 Höke, Bernhard (1939) 4 Hölderlin, Friedrich (1770–1843) 13, 540, 749 Höllerer, Walter (1922–2003) 51, 203, 813, 816 Hölter, Achim 416 Horänder, Wolfram 598, 623 Hofacker, Marion von 128, 201 Hoffmann, E. T. A. (1776–1822) 509, 540 Hoffmann, Ernst 368 Hoffmann, Peter (1945) 141 Hoffmann, Tobias 810 Hoffmann, Ute 233 Hoffmeister, Adolf (1902–1973) 632
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Hofmann, Franck 33 Hofmann, Heinz 578 Hofmann, Tobias 774 Hofmann, Veit 414, 846 f. Hofmann, Werner 316, 320, 671 Hofmanns, Gert 629 Hofmannsthal, Hugo von (1874–1929) 18, 325 f., 329 Hofstadter, Douglas R. (1945) 524 f. Hogarth, William 658 f., 664 Hogben, Lancelot 652 Hokusai, Katsushika 555, 629, 656 Holeczek, Bernhard 276 Holl, Susanne 465 Hollstein, Walter 672 Holmes, John Clellon 670 Holtzwart, Mathias 536 Holz, Anita 50, 191, 328, 331 Holz, Arno (1863–1929) 4, 50, 111, 191 f., 328–335, 340, 344, 431, 790 Holzer, Jenny (1950) 149, 161 f., 165, 824 Homann, Veit 563 Homer (8. Jh. v. Chr.) 429, 488, 535, 687 Hommel, Fritz 260 Honnef, Klaus 802 f. Hooghe, Romeyn de (1645–1708) 522 Hooke, Robert (1635–1703) 488 Hooper, William Harcourt 711 Horapollo (4./5. Jh.) 505, 507 Horaz (65–8 v. Chr.) 482, 535, 537 Horn, Wolfgang 804 Horner, William George (1786–1837) 116 Hornung, Erik 778 Horrocks, Roger 131 Hosokawa, Toshio (1955) 81 Houédard, Dom Sylvester (1924–1992) 4, 15, 274, 279, 875 Hougaard, Jens 603 Houplain, Ludovic 153 Hout, Jan van der 779 f. Hrabanus Maurus 21, 503 f., 521, 623, 854 Hsi, Kuo 483, 587 Hû, Wa 600 Huber, Klaus (1924) 76, 78 Hubert, Renée Riese 732
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Personenregister
Hudinilson Urbano Junior 849 Hübler, Christian (1962) 178, 247 Hübner, Corinna 380 Hübner, Roger 466 Huelsenbeck, Richard (1892–1974) 199, 342–344 Huene, Stephan von 488, 524 Hüners, Michael 555 Hünnekens, Annette 176, 244 Hüppi, Alfonso (1935) 847 Huffman, Kathy Rae 139, 142 Hugnet, Georges 721 f. Hugo, Victor (1802–1885) 314, 332, 339, 641 Huhtamo, Erkki 220 Hui, Su 219, 221 Huidobro, Vicente (1893–1948) 4, 393 Hulme, Thomas Ernest 423 f. Hulten, Pontus 52 Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) 325, 453 f., 539, 545 Hunefer 555, 643, 653 Hunt, Arthur S. 575 Huot, Alain 306 Hutin, Serge 106 Huygens, Christiaan 167 Huyssen, Andreas 539 Hyde, Adam (1968) 178 Hyginus, Gaius Julius 521 Hylander, Einar 528 f. Hymmen, Friedrich Wilhelm 79 Iacobus Nicholai de Dacia 625 Ibn al-Jatib 779 Ibn al-Yayyab 779 Ibn Ezra, Abraham 595, 605 Ibn Zamrak 779 Idensen, heiko 214, 219 f., 225, 227 f. Igarashi, Takenobu (1944) 264 Ihmels, Tjark (1963) 162, 213 Ikonen, Teema 267 Iliazd 4, 400 Illig, Herbert 326 Ilnytzkyj, Oleh Stepan 546 Inauen, Yasmine 262 Indebetouw, Guy 111 Indiana, Robert (1928) 167, 368 Infante, Francisco 719
Infantes, Victor 170 Ingen-Housz, Timothée 306 Ingold, Felix Phillip 271, 716 Ionesco, Eugène 687 Iser, Wolfgang 71 Isgrò, Emilio (1937) 414 Ishii, Setsuko (1946) 176 Iskra, Wolfgang 108 f., 325 Isou, Isidore (1925–2007) 132, 369, 386–388, 391, 421, 450 Istomin, Karion 531 Itoh, Teiji (1922) 699 Itten, Johannes (1888–1967) 58, 315, 738 Iversen, Erik 505 Iwanow, Wjatscheslaw W. 453, 527 Jaaks, Anke 125 Jackson, K. David 38 Jackson, Rosemarie H. 166 Jackson, Willis 209 Jacob, Jürgen C. 495 Jacob, Max (1876–1944) 189 Jacobi-Mirwald, Christine 556 Jacobsdotter, Brita 608 Jacqet, Antoine-Bardou 153 Jacquet-Droz, Pierre 198 Jádi, Ferenc 767 Järneke, Michael 414 Jaffé, H. L. C. 130, 268, 314 f., 319, 323 Jaffrennou, Michel 764 Jah, Natwar 461 Jahraus, Oliver 152 Jakob, Sepp 462 Jakobi-Mirwald, Christine 701 Jakobson, Roman O. (1896–1982) 550, 708 Jamar (1897–1987) 336 f. James, William 198 Jana, Reena 178 Jandl, Ernst (1925–2000) 85 f., 135, 261, 293–295, 300, 337, 428, 614, 629–631, 675, 764, 793 Janecek, G. 84 Janouch, Gustav 866 Janssen, Ruud 837 Jaromil 249 f. Jarvis, David J. 528 Jaspert, N. 522
Personenregister Jean Paul (1763–1825) 109, 160, 198, 482, 540 Jean, Georges 458, 778 Jeep, Johann (1582–1644) 65 Jentzsch, Peter 649 Jeschke, Claudia 467 Jevon, William Stanley (1835–1882) 185 Jhã, Kalãnãth 15, 501, 596 Jih-kuan, Wên 587 Jitzchak, Rabbi Schlomo ben 594 Jochims, Raimer 121, 420, 447 Jockel, Nils 467 Jocobson (siehe: Roman Jakobson) Johannes, Evangelist 648 John, KP Ludwig (1961) 855 Johns, Jasper (1930) 75, 368 Johnson, Bryan Stanley William 193, 357, 417 Johnson, Ray 824 Johnson, Ronald 303, 310 Johnson, Steven 75 Jokinen, Osmo 420 Jong, Tung H. 177 Jorn, Asger (1914–1973) 450, 524, 561 Joseph, Robert 339 Josephus Scottus 623 Jost, Dominik 36, 312 Jost, Holger 276 Josting, Petra 853 Joyce, James (1882–1941) 79, 159, 214, 423, 425 Joyce, Michael (1945) 213 Jünger, Ernst (1895–1998) 339 Juergens, Albrecht 484 Julikow, Aleksander 749 Jung, Dieter (1941) 167, 170–174, 176 Jung-Stilling, Johann Heinrich 495 Junoy, Josep-Maria 383 f. Justesen, Kirsten 260 Kabakov, Ilya (1933) 800 Kac, Eduardo (1962) 140 f., 173–175, 177, 179, 238, 254, 255 f., 258, 260, 264, 819 Kaemmerling, Ekkat 110 Kampf, Günther 791 Kaes, Anton 111 Kästner, Erich (1899–1974) 790
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Kafka, Franz (1883–1924) 203, 205, 414, 706, 866 Kafka, Vladimir 614 Kage, Manfred 57 Kagel, Mauricio (1931–2008) 52, 74, 76 Kahlen, Wolf (1940) 149 Kahler, Erich von 12 Kahn, Gustave 391 Kaibel, Georg 18, 568 Kaiser, Heinrich 412 Kakuyu (d. i. Sojo Toba) 656 Kamensky, Vasilij 48, 635 f., 639, 779 Kamimura, Hiroo (1930) 16, 26 f., 427, 452, 467 f., 589 Kaminskaja, Juliana W. 760, 763 Kammer, Stephan 706 Kampen, Michael E. 774 Kamper, Dietmar 727 Kamphusmann, Thomas 81 Kampmann, Dirk 20, 483–485, 493, 498 f., 520 Kandinsky, Vassily (1866–1944) 14, 22, 62, 79, 312–318, 320–322, 327 f., 332, 335, 341, 423, 468, 542, 629, 694, 716, 762, 789 Kankel, Johann 606 Kann, Hans-Joachim (1943) 629 Kapeliner, Rudolf 237 Kapitzki, Herbert W. (1925–2005) 287 Kaplan, David Benjamin 858 Kapr, Albert 399 Kaprow, Allan (1927–2006) 562, 799 Karasik, Michail 719 Karfík, Vladimir 462 Karinthi, Pierre Y. 101 f. Karkoschka, Erhard (1923–2009) 63, 65, 69 Karl der Große (747/8–814) 495, 701, 827 Karsch, Stephan (1966) 212 Karschulin, Othmar 141 Karssenberg, Hans 781 f., 785, 800, 816, 837 Karst, Ingeborg 791 Karst, Johann Rudolf 608, 610 Karsunke, Yaak (1934) 499 Kaspersen, Peter 603 Kassák, Lajos 272
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Personenregister
Kastner, Angelika 527 Kastorion von Soloi 181 Katz, Steve 417 Katzman, Allan 674 Kaufhold, Enno 113, 326 Kaufmann, Gerhard 821 Kaufmann, Vincent 450 Kavanagh, James F. 455 Kawashima, Miyo 282 Kayser, Wolfgang 50 Kazakov, Vladimir 369 Kazimierza, Franciszek 498 Kean, Victor J. 475 Kehrbaum, Annegret 458 Keisersberg, Geiler von (1445–1510) 373 Keith, Bill 330 f., 380, 468 Kellein, Thomas 13, 160, 295, 557, 678, 686 Keller, Gottfried (1819–1890) 195, 314, 706 Kemp, Cornelia 484 f. Kemp, Friedhelm 510, 540 Kempelen, Wolfgang von 198, 200 Kempkes, Wolfgang 664 f. Kempkes, Alex 254 Kempton, Karl (1943) 282, 454, 858 Kendall, Robert (1958) 238 Keprt, Marek 70 Kepser, Matthis 853 ff. Kerckhove, Derrick de (1944) 232, 251 f., 254 Kerfoot, John Bartlett 377 f. Kern, Adam 656 Kern, Hermann 219, 501 Kerouac, Jacques 124, 670 Kessler, Franz (1580–1650) 121, 308, 488, 608 Keyrleber, Johann Georg (1639–1691) 65 Keyserling, Arnold (1922–2005) 339 Keyserling, Hermann von 386 Khân, Mandel 280, 599, 601 Khatibi, Abdelkébir 280, 599 Kheruef 182 Kieninger, Martina (1966) 855 Kiermeier-Debre, Joseph 633 Kikaku, Takarai 589, 591 Kilián, István 606, 614 Kilic, Ilse 666
Killy, Walther 37 Kimpel, Harald 784 Kippenberger, Martin 678 Kircher, Athanasius (1602–1680) 81, 180 f., 208, 233, 305, 505 f. Kirk, John T. 495 Kirsch, Sarah 706 Kirschbaum, Engelbert 648 Kitasono, Katue (1902–1978) 27, 468 Kitazawa, Rakuten 556, 656 Kittler, Friedrich A. 114, 199, 428 Kitzmann, Andreas 219 Kiwus, Wolfgang 762 Klaj, Johann 4, 49 f., 368 Klapisch-Zuber, Christine 527 Klar, Dagmar 837 Klee, Felix 729 Klee, Paul (1879–1940) 62, 96, 358, 468, 599, 629, 728–731, 739, 763 Klein, Adrian B. 57, 287 Klein, Ellen (1965) 148 Klein, Yves (1928–1962) 287 Kleine, Uta 503 Kleiner, Gottfried (1719–1800) 528 Kleinöder, Wolfgang 96 Kleoxenes 488 Klesel, David (1631–1687) 288 Klinger, Claudia (1954) 225 Kline, Nathan S. 252 Klinkowstein, Tom 143 Klivar, Miroslav (1932) 146 Klonsky, Milton 282 Kloock, Daniela 863 Klophaus, Annalies 764 Kloth, Nicole 483 Klotz, Heinrich 142, 147 Klotz, Volker 71, 200 Kluckhohn, Paul 119 Klüver, Billy (1927–2004) 166 Kneubühler, Tobias 815 Knigge, Andreas C. 115, 555, 652 f., 662, 664 Knilli, Friedrich 110 Knoebel, Imi 165 Knoedler, M. 167 Knopf, Johann 767 Knorr von Rosenroth, C. 219 Knowles, Alison (1933) 204, 522
Personenregister Knowlton, Kenneth C. 133 Knubben, Jürgen 671 Kobayashi, Masumi 820 Kobell, Franz 333 Koch, Christof (1956) 254 Koch, Jens Olaf 210, 855 Koch, Peter Rutledge 719 Koch, Sandra 732 Kocman, Jirˇi H. 558 f. Koebner, Thomas 51 Köhler, Johannes 512 Koehler, Reinhold (1919–1970) 330 König, Kaspar 802 Könneke, Achim 797, 802, 805 Köpeczi, Béla 606 Kohlschmidt, Hildburg 44 Kohlschmidt, Werner 44 Kok, Anthony (1882–1969) 342 Kokoschka, Oskar (1886–1980) 547 Kolárˇ, Jirˇi 193, 280, 287, 462, 464, 468, 470 f., 628 f., 686, 691, 734, 764–766 Kolossa, Alexandre 777 Konersman, Bill 153 Konersmann, Ralf 863 Konlecher, Peter 106 Kooning, Willem de (1904–1997) 75 Kopfermann, Thomas 7 Kopp, Uta (1968) 817 Koppen, Erwin 406 Kopystiansky, Svetlana 594 Kormann, Eva 198 Korn, A. L. 595, 603 Kornel, Otto 848 Korot, Beryl 144 Korte, Bernhard 458 Korte, Helmut 115 Korycˇan, Miroslav (1938) 284 Kosice, Gyula (1924) 238 Kossuth, Leonard 532 Kostelanetz, Richard (1940) 43, 65, 79, 81, 148, 159, 173 f., 214 Kostolowski, Andrzej 827 Kosuth, Joseph (1945) 157, 797 f., 800 Kotte, Wouter 560 Kotzinger, Susi 606 Kotzur, Hans-Jürgen 503 Kowalska, Bozena 748 Kowalski, Jörg 282, 830
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Kozlowsky, Jaroslaw 827 Kraack, Detlev 774 Kracauer, Siegfried (1889–1966) 616 Krahmer, Gustav 479 Kranz, Gisbert 537, 554, 627–629, 632 Kranz, Kurt (1910–1997) 128, 131, 547, 554 Krarup, Helge (1949) 16 Kratzenstein, Christian Gottlieb 200 Kraus, Karl 341 Krause, Celia 644, 647 Krause, Manfred (1937) 204, 206, 210 Krauss, Johann Ulrich 490 Krauße, J. M. 4, 195 Kravagna, Christian 864 Krempel, Ulrich 557 Kremper, Hans-Georg 587 Kretzschmar, Dirk 715 Kreuzer, Helmut 208 Krevolin, Nathan 614 Krieg, Dieter 738 Krierer, Karl Reinhard 653 Kriesche, Richard (1940) 141, 144, 159, 180 Kriwet, Ferdinand (1942) 4, 27–30, 73–75, 137, 157 f., 160 f., 165, 189, 274, 276 f., 279, 297, 408, 420, 437 f., 466, 675–677, 694 f., 707, 786, 797, 803 Krohn, Matthias 214, 219, 227 f. Krolow, Karl (1915–1999) 12 f. Kropp, Amina 575 Krucˇonych, Aleksej Jelisejevicˇ (1886–1968) 4, 45, 335–337, 355, 694, 713, 715, 759 Krüger, Eva 802 Krüger, Reinhard 210, 305, 563, 790 Krüger, Udo Michael 34 Krull, Regine 530 Krusche, Rolf 467 Kubelka, Peter 106 Kuboyama, Aikichi 52 Kuchenbuch, Ludolf 503 Küchler, Walther 544 Kühn, Gustav 494, 658 Kühn, Johann Bernhard 658 Künzel, W. 183 Kuenzli, Rudolf E. 14 Küppelholz, Werner 51
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Personenregister
Kuhangel, Sabine 71 Kuhlen, Rainer 219 Kuhlmann, Florian (1979) 176 Kuhlmann, Fritz 18 Kuhlmann, Quirinus (1651–1689) 181 Kuhn, Robert 563, 790 Kuhne, Bernd 170, 220 Kuhs, Elisabeth 487, 572 Kultermann, Udo 317 Kummer, Renate 532 Kunzle, David 659 Kupka, Frantisˇek (Frank) (1871–1957) 314, 629 Kupreyanov, Nikolai 84 Kurzweil, Raymond 198, 200, 202, 204, 211, 527 Kuz’minskij, K. 84 Kyorai, Mukai 589 Kyouden, Santou 589 Kyselak, Joseph 771 Lach, Friedhelm 119, 323, 337, 340, 348, 352, 354 Lacroix, Adon 378 Laevius 620 Lai, Maria (1919) 414 Lailach, Michael 34 Lamac, Miroslav 280 Lambert von Saint-Omer (ca. 1060–1125) 650 Lambourne, Lionel 704 Landow, George P. 219 Lancini, Dario 172 Langner Martin 774 Lanier, Jaron (1960) 237 Lansere, Evgenii 713 Lapacherie, Jean Gérard 692 Larionow, Mikhail (Mikhail Fedorovich Larionov) (1881–1964) 715, 726 Lasswell, Harold D. (1902–1978) 179, 867 László, Alexander (1895–1970) 51, 167 Lautenburg 116 Lauth, Fr. J. 565 Lautréamont, Comte de (1846–1870) 226 Lautrec, Toulouse (1864–1901) 789
Lavater, Johann Caspar (1741–1801) 255, 495 Lawrence, D. H. (1885–1930) 547 Lax, Robert (1915–2000) 380, 387 Layer, Harold A. 167 Learn, Beth 638 Leavitt, Ruth 241 Lebowitz, Michael 211 Lecoq, Sylvain 280 Lee, Ann 494 Lee, Rensselaer W. 482 Leeu, Gheraert 789 Leemans, Neil Edwin Michael (Paul) 307 Léger, Fernand (1881–1955) 109, 557, 738 Legrand, Francine Claire 96 Legrand, Jacques 393, 399, 697, 777 Legrand, Marc 339 Legrand, P. E. 568 Lehmann, Ernst 356, 553 Lehmann, Paul 325, 330 Lehnhardt, Matthias 230 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 180, 199, 216, 305 f. Leicher, P. Donautus M. 462 Leifeld, Britta 536 Leiris, Michel 420 f. Leiser, Erwin 128 Leith, Emmett 166 Leitl, Michael 231 Leitzmann, Albert 50 Leixner, Otto von 540 Lemaître, Maurice (1926) 132, 280, 282, 387, 391, 450, 467, 678 Lemay, Claudette 150 Lemieux, Annette (1957) 293 Lemmens, Albert 400, 713 Lenaerts, Engelbert 498 Lenape, Lenni 466 Lengenfelder, Helga 489 Lenowitz, Harris 259 Lentz, Michael 43 f., 46, 94, 133, 189 Leo VI, Kaiser 625 Leonardo da Vinci (1452–1514) 114, 210, 325, 482, 536, 706 Leopoldseder, Hannes 46 Leroi-Gourhan, André 456, 459
Personenregister Leskiw, Adrian 523 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 17, 483, 534 f., 537 ff., 547, 549 f. Leszczynski, Stansilaus 262 Leuppi, Leo (1893–1972) 313 Leuterbreuver, R. P. Christophe 276, 721 Leutz, Louis 767 Levi Montalcini, Paola (1909–2000) 732 Levin, Inabelle 489 Levin, S. R. 204 Levine, Les 144 Levy, Thomas 670 Lewis, John 699 Lewis, Wyndham (1882–1957) 424 Lewitscharoff, Sibylle (1945) 524 LeWitt, Sol Le (siehe Witt) 355 Lialina, Olia (1971) 178 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 50, 58, 70, 188, 195, 214, 255, 408, 848 Lichtenfeld, Monika 371 Lichtenstein, Roy 666, 671, 674 Liciniano von Cartagena 827 Liebermann, Philip 455 Liebermann, Rolf (1910–1999) 53 Liede, Alfred 44, 49, 160, 181, 262, 372, 595 f., 608 Lienhard, Siegfried 501, 596, 598 f. Lindinger, Jo 738 Lindner, Paul 848 Lingens, Peter 771 Linhart, Sepp 127 Link, Edwin L. 237 Linnett, John Barnes 116 Lino Grünewald, José 4, 312 Linschinger, Josef 249, 434 Linsmann, Maria 762 f. Lionnais, Francois Le 170, 220 Lipp, Achim (1944) 155, 230 Lipp, Nele 262 Lippard, Lucy R. 667, 670 Lippman, Andrew (1952) 244 Lischka, Georg Johann 49, 862 Lischka, Konrad 234 Lissitzki, El (1891–1953) 22, 45, 113, 129, 153, 201, 314, 350–352, 360, 400, 546, 681, 705, 716 f., 719, 790, 821
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Lissitzky-Küppers, Sophie 45 Lista, Giovanni 341, 637 Littlewood, A. R. 620 Littmann, Klaus (1951) 782, 786 Liu, Hugo (1980) 212 Lodwick, Francis 305 Loeffler, Carl Eugene (1946–2001) 230, 233 f. Löhr, Helmut (1955) 88 Löns, Hermann (1866–1914) 414 Löw, Adrian (1951) 629 Loewensberg, Verena (1912–1986) 313 Logothetis, Anestis (1921–1994) 79 f. Lohmann, Jörg 777 Lohse, Richard Paul (1902–1988) 313 Lomazzo, Giovanni Paolo (1538–1600) 536 Lombardi, Daniele 67 Lombardi, Sandro 304 Longhena, Maria 461, 479 Loos, Adolf 320 Lope de Vega (1562–1635) 482 Lora-Totino, Arrigo (1928) 268, 282, 385, 614 Lotman, Jurij M. (1922–1993) 109, 531 Lotringer, Sylvére (1938) 333 Lovink, Gert (1959) 234 Lubelskyi, Neal 174 Luca, Gherasim 49, 452 Ludwig, Otto 466, 589 Lübbe-Grotheus, Grete 708 Lübeck, Dieter 4 Lücke, Theodor 114 Lüdeke, Roger 544, 708 Lüdke, W. Martin 33 Lüscher, Ingeborg (1936) 528, 815 Lufft, Hans 489 Lukács, Georg 534 Lukian 535 Lukrez 115 Luks, George B. 662 Lullus, Raimundus 180, 183, 305, 528, 648 f. Lumiére, Auguste und Louis 855 Luo, Ling 260 Luria, Aleksander Romanovich 455 Luther, Martin (1483–1546) 4, 489, 594, 706
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Personenregister
Lutz, Theo (1932–2010) 203, 205 Lye, Len 131 Lynch, David (1946) 133 Lyotard, Jean François (1924–1998) 140, 228, 276 Maar, Christa 226, 235, 481, 863 Macatrão, Armando (1957) 365 Macek, Zdenék 821 Machalicky, Jirí 462 Machiavelli, Niccoló 582 Macho, Thomas (1952) 373, 527 Maciunas, George (1931–1971) 145, 451 f. Mack, Heinz (1931) 57, 287 Mac Low, Jackson 100, 375 Maderuelo, Javier 67 Madfai, Hahtan al 272 Mádl, Antal 510 Maele, Francis van (1947) 15 Männlein-Robert, Irmgard 568 Maffei, Giorgio 423 Magee, Wes 614 Magritte, René (1898–1967) 637, 732, 790 Mahlow, Dietrich 3, 88, 280, 287, 333, 385 Mai, Carl 778 Maillard, Claude (1937) 220 Maiman, Theodor H. 164 Mairey, Françoise 100 f. Majakowski, Vladimir (1893–1930) 36, 83, 280, 312, 351, 532, 705, 719, 734, 736 Maletzke, Gerhard (1922) 179 Malewitsch, Kasimir (1845–1902) 22, 314, 355, 358, 432, 629, 713, 715 f., 726 f. Malherbe, François 207 f. Malhorta, Ruth 791 Malina, Frank 167 Mallander, Jan-Olof (1944) 122 f., 146, 560 Mallarmé, Stéphane (1842–1898) 4, 31, 74, 120, 171, 188 f., 201, 214, 216, 242, 270 f., 339 f., 357, 375, 391 f., 394–398, 431, 437, 542 f., 704, 713, 739 Mallock, William Hurrell 412
Malloy, Judy (1942) 213, 230 Malmstad, John E. 726 Malsch, Friedemann 139 Maltrovsky, Eva 734 Manco, Tristan 837 Mancˇusˇka, Ján (1972) 522, 800 f. Mandel, Gabriele 280, 594, 599, 601 Mandelbrot, Benoit (1924) 207, 209, 333 Mandel’stam, Osip E. (1891–1938) 641 Mann, James 654 Manuwald, Gesine 644 f. Mar Aurel 653 Marcoci, Roxana (1993) 665 Marcucci, Lucia 7 Marcus, Aaron (1943) 241–243 Mardersteig, Jens Peter (1947) 274 Mare, Stefan cel 606 Marek, Zdenek 732 Marey, Etienne-Jules 113 f. Maria Hebrea 368 Maria Stuart (1542–1587) 495 Marín Sánchez, Ana 523 Marinetti, Filippo T. (1876–1944) 4, 22, 45, 109, 111 f., 138, 200, 278, 340 f., 343 f., 383, 386, 391, 425, 431, 547, 722, 791 Marino, Giambattista (1569–1625) 4 Markow, Andrei Andrejewitsch 202, 209 Marquat, Marie-Christine 401 Marshall, Kerry James 678 Martin, Charles 71 Martini, Stelio M. 52 Marx Friedrich 482 Masnata, Pino (1901–1968) 138 Massin, Robert (1925) 3, 65, 88, 261 f., 297, 299, 330, 332, 365, 373, 392, 395, 398, 487 f., 521, 583, 594, 629, 632 f., 637, 687, 698, 703, 729, 821 Masson, André (1896–1987) 697, 740 f. Masterman, Margaret (1910–1986) 204 Mathieu, Georges (1921) 628, 697, 732, 769 Matthieu, Marie-Christiane (1953) 176 Matich, Olga 726 Matsuda, Yukimasa 214, 282, 355, 835 Matsuhashi, Eiichi 843 Matthaei, Renate 38
Personenregister Matthes, Eva 250 Matthes, Franco 250 Matthew, Alfred 153 Mattsperger, Melchior 491 f. Matuschka, Georg Graf von 731 Matzner, Florian 770 Mauclair, Camille (1872–1945) 542 Maur, Katrin von 43, 157, 249, 368 Maurach, Martin 81 Maurice, Klaus 738 Mauritz, Maggy 764 Mauthner, Fritz (1849–1923) 325, 335, 432 Mautz, Kurt (1911–2000) 618 Maximilian I., Kaiser 508 May, Ekkehard 127, 589 May, Gideon (1964) 240 Mayakovsky, Vladimir 36, 312, 532, 734, 736 Maybury, Peter (1969) 405 Mayer, Hansjörg (1943) 122, 125, 399, 444, 796 Mayer, Karl Herbert 775 Mayer, Peter (1935) 15, 490, 881, 891 Mayer, Rivka D. 800 Mayröcker, Friederike (1924) 85, 614, 677 f. Mazlish, Bruce 198 McCarthy, Cavan Michael 299 McCollum, Allan 358 McHale, John 667 McKinnon Wood, Robin (1931–1945) 204 McKitterik, David 648 McLow, Jackson (1922–2004) 100, 375 McLuhan, Marshall (1911–1980) 139, 213, 225, 235–237, 409, 614, 851 Meckel, Christoph (1935) 710 Meehan, Bernhard 703 Mehring, Walter (1896–1981) 70, 214 Meier, Andreas 495 Meier, Christel 501, 524, 650 Meier-Graefe, Julius 710 Meijboom, Peter (1947) 291 Meinhold, Peter 490 Melander, Toini 527, 606 Meldau, Robert 462 Melin, Claude 100 f.
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Melo e Castro (1932) (siehe: Geraldes de …) Mencia, Maria (1960) 238 Mendel, Mark 157, 164, 784 f. Mendelssohn, Moses 534 Menezes, Philadelpho (1960–2000) 15, 150, 213, 788 Mennes, John 498 Menzer, Johannes (Johann Mentzer, 1658–1734) 4 Merian, Matthaeus d. Ä. 490 Mersenne, Marin (1588–1648) 200, 305 f. Merx, Jan 783 Merz, Gerhard (1947) 358 Merz, Mario (1925–2003) 157 Meschonnic, Henri 74, 271 Mesens, Edouard Léon Théodore 96 Meseure, Anna 734 Messager, Annette (1943) 524 Metken, Günter 652, 658, 665–667, 669, 675, 808, 809 Mettrie, Julien Offray de la 198 Metz, Christian 346 Meyer, Jerome S. 368 Meyer, Jochen 706 Meyer, Raimund 373, 554, 823 Meyer, Steven 426 Meyer, Theodor A. 325 Meyer-Büser, Susanne 348, 614 Meyer Grenne, Theodore 551 Meyer-Krahmer, Benjamin 841 Meyer-Rogge, Christiane 262 Mezey, Robert 148 Miccini, Eugenio (1925–2007) 7, 383, 445, 448, 561 Miceli, Nicola 282 Michaelsen, Throsten 555 Michaud, Joe 302 f. Michaux, Henri 365, 697, 705, 762 f., 777 Mignonneau, Laurent 255 Mignot, Dorine 138 Milde, Brigitta 358 Millán, Fernando (1944) 15, 490, 719 Miller, Edmund 4 Miller, Henry (1891–1980) 527, 557, 732 f., 821
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Personenregister
Miller, Jan Nepomucen 364 f. Miller, Norbet 160 Miller, Sharilyn 560 Minarelli, Enzo (1951) 44, 150, 264 Minor, Jacob 539 f. Minsky, Marvin (1927) 254 Mirbeau, Octave (1848–1917) 112 Mireiles, Cildo 675 Miró, Joan (1893–1983) 710, 732 Miss Tic 785 Mißfeldt, Martin (1968) 96 Mitchell Breon 708 Mitchell, Don T. 211 Mitchell, W. J. Thomas 864 Mittendorf, Henning 839 Mizumoto Posey, Sandra 560 Mjasojedov, S. 335 Mlodozeniec, Stanislaw 4 Mnatsakanjan, Elizaveta 279 Modick, Klaus (1951) 141 Möller, Otto 738 Mölzer, Milan 764 Mörike, Eduard (1804–1875) 297, 554, 706, 784 Mößer, Andeheinz 327 Mössinger, Ingrid 258 Moeyaert, Bart 165 Mohammed bin Rashed Al Maktoum, Sheik 818 Mohné, Achim (1964) 817 Moholy-Nagy, László (1895–1946) 57, 130, 167, 214 f., 323, 337, 524, 846–849 Mohr, Albert Richard 65 Moineau, Jean Claude 295 f. Moles, Abraham A. (1920–1992) 209 Moll, Andreas 416 Mon, Franz (1926) 4, 11, 26, 28, 33, 46, 51, 120, 125, 188, 274 f., 293, 299, 314, 333, 345, 383, 399, 405, 422, 434, 439, 445, 449, 468, 562, 696 f., 701, 738–740, 763, 787, 797, 798–800 Mondrian, Piet (1872–1944) 63, 130, 268, 312, 314 f., 318 f., 323, 342, 409, 432, 626 f., 629, 788 Monroy, Friedrich von 511 Moravec, Hans (1948) 252 More, Henry 106
Morenz, Ludwig D. 470, 483, 564 f. Morgan, Edwin 406 Morgenstern, Christian (1871–1914) 4, 21, 45, 314, 332, 364 f., 623f Morin, France 495 Moritz, Rainer 37 Moritz, William 57, 63 Morley, John David 845 Morley, Simon 144, 155, 157, 159, 165, 649, 710, 725 f., 740 Morpurgo, Nelson (1899–1978) 341 Morris, Charles William 433, 710–713 Morse, Samuel Finley Breese (1791–1872) 467 Morti, Fagira D. 608 Mosher, Nicole Marie 583 Mostow, Jushua Scott 656 Motherwell, Robert 777 Motte, Manfred de la (1935) 51 Motte, Warren F. Jr. 170 Motte-Haber, Helga de la 57 Mourik, Maarten (1923–2002) 302 Movin, Lars 563 Mozart, Wolfgang Amadeus (1756–1791) 81, 120, 147 Mudrak, Myroslava M. 546 Mühsam, Erich (1878–1934) 408 Müller, Boris (1973) 63 Müller, Lars 466 Müller, Lothar 539 Müller, Roman 652 Müller, Ulrich 210 Müller, Wolfgang 489 Müller-Büsching, Börries (1968) 262 Müller-Seidel, Walter 540 Müller-Stahl, Armin 414 Müller-Yakota, Wolfram H. 466, 589 Münch, Dieter 708 Münster, Sebastian 522 Münter, Gabriele (1877–1962) 332 Muhammad (Prophet) 601, 603 Muhammad, Kabul 528 Muhl, A. 524 Mukai, Shutaro (1932) 214, 249, 282, 299, 355, 699, 788, 835 Mullican, Matt (1951) 244 Muriel, Felipe 358 Murner, Thomas (1475–1537) 514
Personenregister Murphy, Gerald 670 Murphy, Peter (1945) 282 Murray, George Lord (1761–1803) 488 Musil, Robert (1880–1942) 807 Mussorgsky, Modest (1839–1881) 71 Mut 565, 567 Muybridge, Eadweard (1830–1904) 111, 113 f., 122 Myerson, Jeremy 100, 152 Myésier, Thomas Le 524, 648 f. Myona (d. i. Salomo Friedlaender) (1871–1946) 199 Naar, Jon 774 Nabakowski, Gislind 139 Naber, Hermann 52 Nachtigall, Werner 252 Nadeau, Maurice 226, 765 Nadler, Josef 339 Naegeli, Harald 776 Nagy, Paul 282 Naimark, Michael (1949) 244 f. Nakas, Kassandra 665, 674, 678 Nannuci, Maurizio (1939) 155, 875 Napier, Mark 250 Napoleon (1769–1821) 653 Natzeck, Achim (1959) 148 Naum, Gellu 490 Naumann, Bruce (1941) 157, 159, 167 Navratil, Leo 767 Neander, Joachim 4 Nebel, Otto (1892–1973) 4, 330, 340, 399, 488, 839 Nebiolo, Gino 655 Nees, Georg (1926) 133, 254 Nef, Ernst 393 Negator, Zwi 450 Neidel, Heinz 333 Neill, Bob 614 Nekrasov, Nikolai Alexejowitsch 109 Nekrassov, Wsewolod (1934–2009) 365, 719 Nelken, Dinah 412 Nelson, Ted (1937) 216 Nerdinger, Winfried 159 Nerlich, Michael 357 Neshat, Shirin 260 Neudörffer, Johann 703
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Neugeboren, Heinrich (1901–1959) 62, 639 Neuhäuser, Rudolph 365 Neumann, Eckhard 125 Neumann, Peter Horst 160 Neurath, Otto 306 Nevison, J. L. 654 Newell, Peter 194 Newman, Michael 204 Neyer, Hans Joachim 659 Nezval, Vítezslav (1900–1958) 22 Niccoló da Lucca 183 Nichol, Barrie Phillip (s. auch bpNichol) 678 Nicolai, Olaf 784 Niebel, Eckhard 435 Nieblich, Wolfgang (1948) 560 Niedlich, Wendelin 125, 799 Nieradzki, Adam 490 Nietzsche, Friedrich (1844–1900) 50 Nihoedo, Iro Wa 46 Niikuni, Seiichi (1925–1977) 26, 299, 301, 467, 704 Nikonova, Rea 639 f. Nitz, Genoveva 530 Nobukiyo, Katou 591 Noel, Ann (1944) 122 Noever, Peter 760 Nold, Wilfried 839, 843 f. Noot, Jan van der (1540–1595) 503, 505 Noris, Norbert 350 Northoff, Thomas 460, 558, 770 Novak, Ladislav (1925–1999) 4, 46, 49, 302, 522, 734, 737 Nováka, Ladislava 734 Novalis (1772–1801) 44, 51, 57, 67, 73, 119, 183, 188, 207 f., 225 f., 318, 509, 538, 540, 545 f., 557, 694 Nowack, Nicolas 812 Nündel, Ernst 159, 357, 823 Nuwas, Abu 602 Oberhuber, Oswald 760 f. Oberländer, Adolf 696 Obier, Uwe 155 Ocarte, Juan 284 Ocˇeretjanskij, A. 84 Ochsenbein, Peter 501
922
Personenregister
Ockerse, Tom (1940) 282 O’Dowd, Robert (1936–1996) 674 Offenbach, Jacques (1819–1880) 67 Ogden, Charles K. 861 O’Hara, Frank 672 Ohmer, Anja 305 Oiesteanu, Andrej 24 Oker, Eugen 477, 485, 505, 508 O’Konor, Louise 128, 130 Okopenko, Andreas (1930) 196 f., 214 Olbrich, Jürgen O. (1955) 204, 849 Oldenburg, Claes (1929) 137, 637 Oller, Nogueras (1880–1949) 297 Olsson, Jesper 15, 339, 365 Opalka, Roman 368, 747 f. Opitz, Martin (1597–1639) 200, 537 Oppermann, Anna 800, 803 Oppert, Kurt 554 Orazem, Vito 176 Orchard, Katrin 348, 424, 614 Oresmes, Nikolaus von 114 Orff, Carl 94 Orgovanyi-Hanstein, Britta 527 Ori, Luciano (1928–2007) 7, 96, 98, 123, 445, 666, 678, 862, 873, 883 Ormstad, Ottar (1947) 133 Orosz, magdolna 510 Ors, Miguel d’ 583 Osrajnik, Milan (1949) 282 f. Ostaijen, Paul van (1892–1928) 321, 337, 400 Osterwold, Tilman 671, 846 Ota, Yukio 306 Ott, Nicolaus 399 Ott, Norbert H. 456 Ott, Stephan 355 Ott, Ulrich 198 Ottenhoff, Humphrey 15, 339 Outcault, Richard Felton 662 f. Ovcˇácˇek, Eduard (1933) 280, 287, 290 Ovid 50, 200 OZ (d. i. Josef Walter F.) 776 Padin, Clemente 15, 264, 358, 618, 833–836 Paech, Joachim 107 f. Paesmans, Dirk (1965) 178 Page, Michael 244
Paget, Richard 455 Pagis, Dan 556 Pahlke, Rosemarie E. 135, 793 Paier, Thomas 777 Paik, Nam June (1932–2006) 144 f., 522, 557 Pakesch, Peter 800 Palanc, Francis 767 Palatino, Giovanni Battista (1515–1575) 497 f. Panard 4 Pandion 570 Paolozzi, Eduardo 450, 667–670, 841 Papp, Tibor (1936) 220 Paproth, Erich 719 Paracelsus (1493–1541) 4 Parant, Jean-Luc (1944) 282 Paris 619 Pariy, Johan Ayrton (1785–1856) 115 Parker, Patricia 269 Parker, Robert 236 Parmiggiani, Claudio (1943) 799 Patridge, Stephen (1953) 149 Pascal, Blaise 199 Paschasius 183 f., 614, 626 Passerini, Francesco P. (1619–1695) 499 Passmore, George 824 Pastior, Oskar (1927–2006) 84, 260, 686, 688 Patchen, Kenneth 4, 375, 401–403, 738 Paton, W. R. 482 Patrizio, Andrwe 563 Patterson, Nancy 244 Paul, Gerhard 865 Paulus Diaconus 623 Pavic´, Milorad (1929–2009) 214, 606 Payer, Peter 778 Payne, Austin Bowen 665 Paysan, Ya Angela 687, 689 Paz, Octavio (1914–1998) 113, 278, 549 Pazarkaya, Yüksel (1940) 444 Pechlivanos, Miltos 691 Pechmann, Paul (1964) 223 Peignot, Jérôme (1926) 65, 100 f., 272, 280, 282, 284, 293, 295, 302, 365, 368 f., 468, 501, 553, 582 f., 594, 614 Peil, Dietmar 512 Peirce, Charles Sanders 433
Personenregister Peirithoos 647 Peitgen, Hein-Otto 226 Penck, Albrecht Ralf (1939) 414, 468, 710, 732, 777 Pennebaker, Don Alan (1925) 153 Penrose, Roland 378 Penzkofer, Gerhard 26 Pera 4 Perec, Georges (1936–1982) 74, 183, 197, 214, 268 Perfetti, Michele (1931) 666, 850 Perlin, Ken 212 Perneczky, Géza 824 f., 836 Pernier, Luigi 475 Perry, John 858 Pertsch, Wilhelm 528 Peter I., Zar (1672–1725) 530 f. Peters, Carl 678 Petersen, Jürgen H. 318 Petersen, Nicolaus (1638–1701) 394 Peterson, William S. 711 Petri, Horst 74, 393 Petrie, Graham 297 Pétronio, Arthur 43 Petrus Hispanius 527 Pettibon, Raymond 665 Petzold, Leander 531 Pevsner, Noton (1886–1962) 113, 314 Pfäfflin, Waltraut 738 Pfeiffer, Ingrid 777 Phelps, Robert 426 Philbin, Ann 495 Philes, Manuel 598 Philipon, Charles (1800–1861) 618, 658 Phillippe, Gerard (1922–1959) 401 Phillippe, Louis 618 Phillips, Tom (1937) 101, 412, 414 f., 665, 687 Phillpot, Clive 563 Philomela 570 Piantanida, Sandro 706 Picabia, Francis (1879–1953) 356, 358, 372, 375 Picasso, Pablo (1881–1973) 71, 332 f., 425, 545, 629, 666, 725, 776, 790 Pichette, Henri 372, 401, 414, 422 Piene, Otto (1928) 57, 138, 287
923
Pignatari, Décio (1927) 4, 24, 175, 269, 295, 299, 312, 675, 796 Pignotti, Lamberto (1926) 7, 383, 445 f. Pinkl, Petra 458 Pinthus, Kurt 36, 107 Pinto, Luiz Angelo 4 Piovano 596 Plagemann, Volker 777 Plateau, Joseph Anton Ferdinand 155 f. Platon (428/427–348/347 v. Chr.) 208, 339, 368, 370, 435, 454 f., 693 Platz, Kristine 633 Plaza, Julio (1938–2003) 175 Plunkett, Edward M. 824 Plutarch (45–125) 482 Pocci, Franz 333 Poe, Edgar Allan (1809–1849) 83, 131, 210, 419, 495, 543 Pörtner, Paul 328 Pohlenz, M. 482 Pokutycki, Zdzislaw (1947) 272 Polheim, Karl Konrad 509 Pollmann, Tyyne Claudia 732 Pollock, Jackson (1912–1956) 76, 358 Polozkij (Polockij), Simeon 606 f., 714 Pomarius, Samuel 503 Pomerand, Gabriel (1926–1972) 386 Pomponius Gauricius 418 f., 585 Ponge, Francis 4, 207 f., 438, 732 Pont, Gratin du 499 Pontes, Hugo (1945) 675 Popovic´, Zoran 553 Poppe, Johann Heinrich Moritz 198 Popper, Frank (1918)167, 228, 246 Porfyrius, Publius Optatianus (260/270–333) 4, 181, 528, 620–623, 854 Porter, Venetia 556, 599 Porter Aichele, Kathryn 729 f. Pospiech, Hartmut 51 Postel, Guillaume 180 Pound, Ezra (1885–1972) 75, 312 f., 317, 378, 380, 423–425, 472 Posseur, Henri (1929–2009) 74 Pozzi, Giovanni 15, 183, 259, 288, 498 f., 583, 606 Prangel, Matthias 110
924
Personenregister
Pratella, Francesco Balilla (1880–1955) 52 Pratesi, Ludovico 563 Preisendanz, Karl 259, 571–573, 575 Preiß, Achim 802 Pesler, Gerd 765, 767 Presley, Elvis 675 Prévert, Jacques 710 Prigov, Dmitrij A. (1940–2007) 414, 719 Primus, Zdenek 22 Prince (1958) 153 Princenthal, Nancy 210, 213 Prinzhorn, Hans 765, 767 Procházka, Jindrˇich 553 Prodromos, Theodoros (1115–1166) 598 Prokne 570 Prousch, Gilbert 824 Proust, Marcel (1871–1922) 214, 557, 821 Ptolemäus, Claudius 115 Pudowkin, Wsewolod Ilanowitsch 107, 131 Pulch, Harald 152 Pulitzer, Joseph 662 Puni, Iwan Albertowitsch (1882–1956) 323 Puschkin, Alexander Sergejewitsch (1799–1837) 108 f. Putsch, Johannes 521 Puttenham, George (1529–1590) 4 Pythagoras (570–510 v. Chr.) 56, 370 Queneau, Raymond (1903–1976) 170, 185, 214, 220, 393, 399, 713 Quint, David 269 Quosdorf, Bertram (1965) 855 Rabelais, François 50, 314, 707 Rabinowitz, Cay Sophie (1965) 797 Rabinowitz, Sherrie (1950) 227, 229 Radaj, Elisabeth 648 Radin, Betty (1924) 291 Radon, Gilbert 498 Radovanovic´, Vladan (1932) 103, 608, 613 Radulphus de Longo Campo 523 f. Rae, Fiona 705 f. Rainer, Oskar 56 f., 60 f., 79, 101 Ramin Schoor, Gabriel 358
Ramm, Klaus 197 Ramon, Renaat 291 Ramos, Mel 670 Ramsden, Mel (1944) 358 Randow, Gero von 252 Ranft, Thomas (1945) 749 Ransetsu, Hattori 589 Rarisch, Klaus M. 191, 331 Rasch, Heinz 614 Rasch, Wolfdietrich 509 Rathjen, Friedhelm 706 Rathofer, Johannes 853 Ratzek, Wolfgang 232 Rauschenberg, Robert (1925–2008) 75, 166, 368, 671, 734 Ravera, Amadeo 771 f. Ray, Man (1890–1976) 280, 364 f., 374, 378, 848 Ray, Tomas S. 255, 264 Rayleigh, Lord (d. i. John William Strutt) (1842–1919) 111 Raymond, Michel 461 Read, Allen Walker 776 Reder, Christian 368 Redon, Odilon (1840–1916) 394 Rehfeldt, Robert 829 f., 832, 839 Rehm, Ulrich 525 Reichardt, Jasia (1933) 15, 133, 209, 288, 299, 671 Reichartz, Peter 442 Reichert, Bernd 833 Reichert, Josua 368, 373, 430, 579, 738 Reimann, Hans 288 f., 350, 365 Reimpell, Eduard 70 Reinhart, Anton Ludwig (1665–1707) 707 Reisner, Robert 775 Reitberger, Reinhold C. 652, 665 Reither, Saskia 133, 146, 148, 153, 179, 203 f., 211 f. Rembrandt (Harmenszoon van Rijn) 155 Réquichot, Bernard 763 Reß, Robert (1871–1935) 331 Restany, Pierre 671 Restif de Bretonne, Nicolas Edmé 392 Rettisch, Margret 487
Personenregister Reulecke, Anne-Kathrin 482, 557, 629, 726 Reuterswärd, Carl Fredrik (1934) 167, 365 Reverdy, Pierre (1889–1960) 393 Rewald, Sabine 729 Rexroth, Tillman 548 Reynaud, Charles Émile (1844–1918) 116 Rheys, Christine 151 Rhoades, Shirrel 662, 665 Rhodes, Lis (1942) 133 Ribemont-Dessaignes, Georges (1884–1974) 373 f., 528 Ricard, Johanna 734 Richards, Ivor A. 861 Richardson, Jonathan (1667–1745) 534 Riches, Martin (1942) 200 Richter, Hans (1888–1976) 110, 125, 127 f., 130 f., 152, 191, 201, 342 f., 547 Richter, Irma A. 482 Richtr, Pavel 761 Riddell, Alan (1927–1977) 284, 297, 302, 614–616 Riebesebl, Heinrich 804 Riedl, Josef Anton (1929) 44, 94 f., 133 Rieger, Stefan 691 Riese, Adam 422 Riese, Ute 734 Riha, Karl (1935) 43, 103, 191, 195, 197, 299, 339, 355, 369, 393, 616, 618, 657, 659, 791, 823, 855 Rilke, Rainer Maria 554 Rimbaud, Arthur (1854–1891) 108, 314, 339 f., 391, 543 f., 557 Rimini, Francesca da 224 Ringelnatz, Joachim (1883–1934) 790 Ripley, George (1415–1490) 128 Rippl, Gabriele 606 Risten, Johann (1607–1667) 649 Ritter, Johann Wilhelm 58 Roan, Ozawa 589 Robbe-Grillet, Alain (1922–2008) 357 Robbins, David 450 Robbins, Tim (1958) 153 Robert, Carl 555, 627, 644, 657 Roche, Juliette 378 Roche, Maurice 83, 406 f.
925
Rock, Joseph F. 585 Rockeby, David (1960) 140 Rockel, Irina 530 Rode, Edith 412 Rodschenko, Alexander (1891–1956) 22, 314, 727, Röder, Kornelia 829 Roerich, Nicolas 713 Rösch, Gertrud Maria 495 Röthlingshöfer, Bernd (1960) 213 Röttinger, Heinrich 658 Rötzer, Florian 176, 225, 228, 235, 241, 252, 255, 727 Rogala, Miroslaw (1954) 149 Roget, Marc 115 Rolf, Kirsten 557 Roob, Alexander 219, 259, 521, 523 Rook, Gerrit Jan de (1943) 15, 365, 608, 675 Rorty, Richard M. 864 Rosanowa, Olga 715 Rosart, Jacques François (1714–1777) 357, 365 f. Rose, Mike (1932–2006) 421 Rosenfeld, Hellmut 512, 522, 530, 55, 627, 651 f., 657 f. Rosler, Martha 684 Ross, Charles Henry (1835–1897) 662 Rossetti, Gabriel Charles 725 Rossi, Nicolò de 50 Rossnagel, Michael 142 Rotella, Mimmo 734 Roth, Dieter (1930–1998) 4, 132, 193, 287, 337, 365, 372, 411, 450, 452, 468, 673 f., 793, 824, 841–843, 847 Roth, Ernst 551 Rotha, Paul 306 Rothenberg, Jerome (1931) 49, 51, 121, 259, 368, 374, 378, 477, 595 Rotteken, Karl Johann Friedrich Adolf 325 Roubaud, Jacques (1932) 220 Roulet, Claude 395 Rous, Jan 462 Roussell, Raymond (1877–1933) 185, 214, 721 f. Rovinskij, D. A. 531 Rowlandson, Thomas 654, 658
926
Personenregister
Rozhkov, Yuri 36, 734, 736 Ruberg, Uwe 501, 522 Rubin, William S. 799 Rubinstein, Lew (1947) 195, 719 f. Rudolf 11 (1552–1612) 56, 495 Rückert, Friedrich 528, 595 Rüdiger, Horst 482 Rühl, Meike 623 Rühm, Gerhard (1930) 2, 4, 30–32, 53, 90–92, 94, 123, 133, 185, 189, 199, 260, 271, 337, 357, 365, 368 f., 371 f., 405, 414, 422, 447, 450, 616, 626, 629, 682, 740, 742 f., 855 Rühmann, Dieter 744 f. Rühmkorf, Peter (1929–2008) 12, 204, 710 Rumbaugh, Duane M. 454 Rumney, Ralph (1934–2002) 450 Runge, Holger 522 Runge, Philipp Otto 510 f., 540 Ruppel, Alois 5, 716 f. Ruscha, Ed (1937) 176 Rusiñol, Santiago 377 Russell, Bertrand 425 f. Russel, Tony 303, 740 Russolo, Luigi (1885–1947) 52 f. Ruthenbeck, Reiner 744 Rutschky, Michael (1943) 189 Ruttmann, Walter (1887–1941) 84, 108, 131, 152 Ruutsalo, Eino (1921–2001) 133–135, 137, 287, 855 Ryncher, Max 11 Rygulla, R. R. 124, 671 Rypson, Piotr 14 f., 23, 185, 490, 498 f., 566, 583, 606, 614, 633, 719, 827 Sá, Àlvaro de 678 Sa, Neide Dias de 193, 280 Sabaneyeff, Leonid 70 Sabatier, Roland (1942) 132, 369, 386 f., 389, 391, 468, 629 Sacher, Maja 557, 821 Sachs, Hans 658 Sachs-Hombach, Klaus 399 Sachsse, Rolf 560, 848 Sackner, Marvin 721, 836 Sackner, Ruth 721, 836
Sadurska, Anna 566 Safadi, Yasin Hamid 599, 779 Sahl, Hans 823 Saint Phalle, Niki de (1930–2002) 557 Samsonow, Elisabeth von 368 Samuel, Richard 51, 119 Sánchez, Ana Marin 523 Sandbichler, Peter (1964) 178 Sander (Tischbein), Otto 563, 846 Sandmann, Sigrid 782 Sandqvist, Tom 24 Sanguinetti, Edoardo (1930) 189 Saper, Craig 836 Sapgir, Genrich (1928) 718 f., 763 Saporta, Marc (1923) 193 f., 197 Sarnoff, David 139 Saroyan, Aram 747 Sarracino von Abelda 499 Sartorius, Joachim 194 Sartre, Jena Paul (1905–1980) 430 Satié, Alain (1944) 387 Satie, Erik 70–72 Saturno, William A. 477 Sauerbier, S. D. 4, 32, 121, 260, 275, 277 f., 299, 452, 562, 637, 678, 749, 769, 797, 799 f., 810, 857 Saur, Johannes 767 Sautermeister, Gert 51 Sbordone, Francesco 507 Scala, Eduardo 358 Schaarschmidt-Richter, Irmtraud 701 Schad, Christian (1894–1982) 734 f., 848 Schade, Sigrid 179 Schäfer, Erwin (1906–?) 204 Schäfer, Hans Dieter 13 Schäfer, Jörgen 160, 179 Schäffer, Boguslav (1929) 76 Schaeffer, Pierre (1910–1995) 52 Schätzchen, Sascha 657 Schäuffelen, Konrad Balder (1929) 195–197, 282, 518 f. Schallhorn,´Andreas 824 Schamoni, Peter 259 Schaub, Gerhard 342, 348, 351 f. Schaudt, Götz F. (1940) 204, 206, 210 Schaukal, Richard 712
Personenregister Schawlow, Arthur 164 Schedel, Hartmann 422 Scheel, Susanne 57 Scheerbart, Paul (1863–1915) 45 f., 314 Scheffel, Michael 416 Scheffel, Bernd 34, 45, 132, 138, 323, 328, 348, 360, 363, 367, 372, 432 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854) 318, 539 Schellong, Marcel 138, 152 Schenck, Eva-Maria 20, 262, 472 f., 484, 497–499, 491 f., 503, 508, 515, 520, 594 Schendel, Mira 339, 760 Schenk, Klaus 354, 392, 693, 789 f., 796 Schenkel, Wolfgang 473 Schenzinger, Alois 119 Scheper-Berkenkamp, Lou (1901–1976) 523 Scherstjanoi, Valeri 84, 279, 715, 739, 756, 758–760, 769 Scheugl, Hans 104, 114, 116, 130–132, 198 Scheunemann, Dietrich 547, 725 Scheyven, Jan van 657 Schickard, Wilhelm 199 Schidlowsky, Leon (1931) 83 Schiffer, Claudia 797 Schifferli, Peter 345 Schill, Johann Heinrich (1615–1645) 288 Schiller, Friedrich (1759–1805) 318, 431, 534, 538 Schiller, Walter 399 Schilling, Alfonse 185 Schilling, Johannes 532 Schilling, Michael 484 f. Schindehütte, Ali 409 Schirmer, Michael (1606–1673) 4 Schlaf, Johannes (1862–1941) 111 Schlegel, August Wilhelm (1767–1845) 207, 509, 539 Schlegel, Friedrich (1772–1829) 509, 538 f. Schlegel, Hans-Joachim 107 Schleif, Nina 800 Schleyer, Johann Martin 306 Schlich, Thomas 252
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Schlimmer, Angelika 198 Schloss, Arleen (1943) 264 Schlüter, Wolfgang 197 Schmandt-Besserat, Denise 454, 456, 458, 463, 465 Schmatz, Ferdinand (1953) 210 Schmeiser, Werner (1940) 141 Schmid, Joachim 210 Schmidkunz, Walter 485 Schmidt, Arno (1914–1979) 214, 409, 419 f., 524 Schmidt, Dave 166 Schmidt, Ernst (1938–1988) 104, 114, 116, 130–132, 198 Schmidt, Henrike 43, 84, 335, 369, 393, 398, 468, 518, 638, 641 Schmidt, Johann Ludwig 488 Schmidt, Jürgen 422 Schmidt, Siegfried J. (1940) 2, 7, 14, 31 f., 37, 103, 117, 204, 304, 443 f., 440, 445, 447–449, 620, 858, 860 f., 868 Schmidt, Wolfgang (1929–1995) 122, 125 f. Schmidt Heins, Barbara 809 Schmidt-Wulffen, Stephan 797, 805 Schmidthenner, Hansjörg 6 Schmied, Wieland 424 f., 710 Schmit, Tomas (1943–2006) 4, 121, 124, 277–279, 678 Schmitt, Albert T. 603 Schmitz-Emans, Monika 28, 85, 200 Schmuki, Karl 65, 501, 703 Schnalke, Thomas 521 Schnauber, Cornelius 440 Schnebel, Dieter (1930) 52, 65, 76 Schneede, Uwe 667, 716 Schneeman, Carolee (1939) 149 Schneider, Hansjakob 394 Schneider, Helmut J. 12, 536 Schneider, Ira 144 Schneider, Johann Nikolaus 50 Schneider, Peter 433 Schneider, Urs Peter 69 Schneider, Wolfgang Christian 512, 578, 581 Schneidler, Ernst 738–740 Schnell, Eva 208 Schnetz, Wolf Peter 802, 804
928
Personenregister
Schnorr von Carolsfelf, Julius Veit Hans 490 Schodt, Frederick L. 656 Schöffer, Nicolas (1912–1992) 164 Schöne, Albrecht 512 Schönherr, Klaus 121 Schöning, Klaus 52, 74, 76, 85 Scholz, Bernhard F. 514 Scholz, Christian 43 f., 50 Scholz, Dieter 468 Schopenhauer, Arthur 432 Schorneck, Ute 271, 274, 280, 282, 302, 395, 397, 552, 583, 603, 614, 618, 637 Schott, Ben 159 Schrader, H. D. (1945) 422 Schrader, Ludwig 70 Schrader, Monika 534 Schraenen, Guy 392, 395, 710, 764, 833, 843 f., 849 Schreib, Werner (1925–1969) 369, 707 Schreiber, Mark 233, 235 Schreiner, Klaus 454, 487 Schröder, Horst 662 Schröder, Jörg 409 Schroeder, Manfred R. (1926) 221 Schroedter, Adolf 660 Schrott, Raoul (1964) 262, 434, 448 Schütz, Erhard 203 Schütz, Heinz 762 Schug, A. 128 Schuldt, Herbert (1941) 4, 189, 275–277, 395 Schulten, Anne 643 Schulthess, Armand 528, 813–816 Schultz, Wolfgang 181 Schultze, Bernard (1915–2005) 749 Schulz, Bernd 94 Schulz, Gerhard 332, 598 Schulz, Lavinia (1896–1924) 467 Schulze, Holger 81, 188 Schulze, Johann Heinrich 848 Schum, Gerry (1938–1973) 148 Schumann, Clara (1819–1896) 101 Schumann, Detlev 603 Schumann, Henry 749 Schumann, Robert (1810–1856) 101 Schumann, Wolfgang (1887–1964) 330, 344
Schury, Gudrun 821 Schvey, Henry 1. 547 Schwarz, Linda (1963) 101 Schwarz, Martin 414 Schwarz, Michael 557 Schweikle, Günter 188 Schweikle, Irmgard 188 Schweitzer, Dan (1946–2001) 170 Schwenter, Daniel 484 Schwerdtfeger, Kurt (1897–1966) 57, 167 Schwind, Moritz von (1804–1871) 67 f., 96 Schwitters, Kurt (1887–1948) 4, 45, 53, 84, 119, 159, 314, 318, 322 f., 328, 336 f. 339 f., 348, 350–358, 360–363, 367–369, 371 f., 374, 399 f., 431, 488, 547, 614, 629, 667, 669 f., 734, 790, 823, 839–841, 854 Scott, Walter Sir (1771–1832) 185, 199 Scottus, Josephus 623 Scudiero, Maurizio 823 Seabra, Manuel de (1932) 302, 616, 675 Seaman, Bill (1965) 149, 247 f., 271, 288, 297, 387, 391, 394 f., 398 Seaman, David W. 14, 339, 606, 631 Secunda, Arthur 825 See, Henry 230 See, Klaus von 433 Seeber, Guido 318 Seelow, Hubert 606 Seethaler, Helmut 816 Segalen, Victor 544 Segler-Messner, Silke 383 f. Seide, Adam (1929–2004) 211 Seifert, Andreas 655 f. Selenitsch, Axel (1946) 290, 293 Seligman, S. 579 Sel’vinsky, Ilya 84 Selwood, Sara 57 Semenko, Mykhailo 546 Seneca 378 Senefelder 854 Senger, Anneliese 554, 628 Sengmüller, Gebhard (1967) 140 Sequoya 466 Serexhe, Bernhard 198 Serius III., Papst 625
Personenregister Sermon, Paul (1966) 162 Serner, Walter (1889–1942) 199, 342 Seror, Kiki 639 Serpan, Jaroslaw 763 Serra, Richard (1939) 144 Sethe, Kurt 778 Sethos I. (1323–1279 v. Chr.) 565 f. Seuphor, Michel (1901–1999) 409 Severin, Karl 583 Severini, Gino (1883–1966) 112 Seylaz, Paul 724 f. Seyppel, Carl Maria 555 Seyrl, Hanns Rudolph 501 Shakespeare, William (1564–1616) 63, 73, 820 Shalev-Gerz, Esther 805 f. Shan, Ben 288 Shanes, Eric 468 Shannon, Claude E. (1916–2001) 179 Sharits, Paul (1943–1993) 133, 146 Sharkey, John J. 490 Shaw, Jeffrey (1944) 153, 240 f., 244–246, 639 Shaw, Joyce Cuttler 488 Shea, Geoffrey 141 Sherman, William R. 238 Shih, Su 482 Shih-chan, Sang 587 Shi-chên, Wang 587, 589 Shimamoto, Shozo (1928) 452 Shiomi, Mieko (1938) 100 Shiryû, Morita 700, 704 Shitagô, Minamoto no 589 Siben, Isabel 790 Si-ese 643 Siebdrat, Sascha 776 Siepmann, Eckhard 791 Sievers, Rolf A. 350 Siffert, Curd 224 Sigej, Sergej (1947) 305 Sijelmassi, Mohammed 280, 599 Sikorski, Marian (1920–1988) 498 Sikwayi 466 Silbermann, Marc 131 Silbermann, Peter 328 Simanowski, Roberto 160, 211, 225, 266, 841 Simias von Rhodos 4, 568–570, 618, 854
929
Simig, Pia 135, 793 Simmen, Jeannot 358 Simmons, Allison 139 Simon, Hans-Ulrich 706 Simon, Ralf 536 Simone, Gianni 844 Simonenko, Anna 638 Simonenko, Ljubow 638 Simonides von Keos 482, 535 f., 539, 543 Sims, Karl 264 Sindreu i Pons, Carles (1891–1963) 377 Singh, Pushpinde (1972–2006) 212 Sirat, Colette 591 Skrjabin, Alexander (1871/72–1914/15) 57, 70 Slagter, Erik 7, 339 Smith, Georg Albert (1864–1959) 104 Smith, James 498 Smith, Thomas 180 Smith Pierce, James 729 Smithson, Alison (1928–1993) 450 Smithson, Peter (1923–2003) 450 Smithson, Robert 522, 614, 749 Smolik, Noemi 314, 716 Snow, Michael (1929) 133, 146 Sobolewski, Klaus (1962–2006) 522 Söll, Änne 33 Sørensen, William Louis 799 Soffici, Ardgengo (1879–1964) 4 Sohm, Hanns 145, 160 Solé i de Sojo, Vicenç 377 Solf, Sabine 557 Solovjef, Sergejevic 715 Solt, John 27 Solt, Mary Ellen 15, 46, 85, 122, 135 f., 149, 267, 278, 282, 378, 380, 383–385, 399, 430 Soltész, Elisabeth 489 Sommerer, Christa 255 Sondheim, Alan (1943) 248 f. Sophokles (496–406/405 v. Chr.) 262 Soret, Frédéric 660 Sorkaja, Neja 106 Soroka, Mykola 14, 583, 606 Soto, Jesús Rafael (1923–2005) 287 Soul, Rubber 560 Soupault, Philippe (1897–1990) 4, 226
930
Personenregister
Souriau, Etienne 395, 551 Spalt, Lisa 666 Spanudis, Théon (1915–1986) 4 Sparrow, John 512 Spatola, Adriano (1941–1988) 339, 799 Spencer, J. R. 535 Sperl, Dieter (1966) 223 Sperling, Heike 152 Spies, Werner 333 Spitzweg, Carl (1808–1885) 332 Splettstößer, Peter-Jörg 560, 837 Spoerri, Daniel (1930) 185, 272, 287, 450, 452 Spuler, Bertold 484 Srp, Karl 547 Stacey, Flora 615 Staeck, Klaus (1938) 675, 776, 791, 824 Stahl, Johannes 460, 777 Stalin, Josef (1878–1953) 717 Stammler, Wolfgang 651 Stamp, J. 133 Stampfer, Simon Ritter von 115 Standysh, James (16. Jh.) 128 Stassow, Wladimir Wassilijewitsch 71 Stauffer, Serge 112 Steckner, Cornelius 542 Steegemann, Paul (1894–1956) 790 Steen, Vagn 193, 272, 614, 749 Stefanidis, Manos 38 Stefans, Brian Kim (1969) 238 Steffen, Hans 432 Steger, Hugo 589 Steichen, Edward (1879–1973) 255 Stein, Bernhard 399 Stein, Gertrude (1874–1946) 83, 198, 207, 272, 314, 378, 380, 423, 425 f., 428–431, 763, 839 Stein, Herbert 578 Steinbacher, Christian 839 Steinberg, Saul (1919–1999) 650 Steiner, André 26 Steiner, Henry 563 Steiner, Herbert 326 Steingruber, Johann David 633 Steinhauser, Monika 807 Steinitz, Käte (1889–1975) 350, 352, 357, 667
Steinwachs, Ginka (1942) 490 Stelarc (1946) 254, 260 Stelzer, Otto 314, 318 Stempel, Wolf-Dieter 106 Stenton, Frank 654 Stenzer, Christine 138 Stepanova, Varvara (1894–1958) 314, 716, 822 f. Stephens, Anait Arutunoff (1922–1998) 170, 173 Stern, Anatol (1899–1968) 327 Stern, Grete 637 Sternberg (siehe: Ungern-Sternberg) Sterne, Laurence (1713–1768) 214, 297, 357 f., 372, 399, 425 Stevenson, Robert Louis (1850–1894) 108 Stickel, Gerhard (1937) 204, 206 Sticker Dude(d. i. Joel S. Cohen) 844 Stieg, Gerald 433 Stieglitz, Alfred (1864–1946) 356, 545 Stifter, Adalbert (1805–1868) 314 Stikker, U. G. 745, 747 Stock, Martin 34 Stockhausen, Karlheinz (1928–2007) 52, 63, 65, 74, 76 Stöckemann, Patricia 467 Stofflet, Mary 824 Stoll, Christoph 660 Stolzenberg, Daniel 305 Stommels, Serge-Aljosja 400, 713 Stooss, Toni 678, 707, 800 Stowitsch, Agno (d. i. Karl Riha) 299 Straebel, Volker 101 Strätling, Susanne 132 Stramm, August (1874–1915) 323 f., 328, 337, 545 Strasser, Gerhard F. 307 Strauß, Johann (Vater) (1804–1849) 61 Strauss, Wolfgang (1951) 247 Striedter, Jurij 45, 106 Strindberg, August (1854–1891) 314 Strodel, Silvia 568 Ströher, Karl 669 Struck, Wolfgang 691 Struve, P. H. 854 Strzemin´ski, Władyslaw (1893–1952) 4, 22 f., 546
Personenregister Stuart, David 477 Stuckenschmidt, Hans Heinz 58 Stücken, Eduard 260 Stümpke, Harald 255 Stündel, Dieter H. 214 Stürner, Miriam 203, 207 Stuhlmann, Andreas 52 Sudre, Jean Francˇois 306 Suiseth, Ricardus 180 Sukenick, Ronald (1932–2004) 405 Sukeyoshi, Fujiwara no 589 Sullivan, E. 703 Sulowski, Jan 524 Sulzer, Johann Georg (1700–1779) 538, 540 Suntrup, Rudolf 633 Sutcliffe, Alan 221 Suter, Beat 771 Sutherland, Mark (1955) 146, 195, 847 Sutton, Valerie (1951) 467 Sutton-Smith, Lady 194 Svácha, Rostislav 22 Swento, Yo von 138 Swift, Jonathan (1667–1745) 185 f. Sylvan 399 Szczechura, Daniel (1930) 132 Szeemann, Harald 71, 73, 527, 816 Szewczyk, Andrzei 22 Szymborska, Wisława 162 Tablada, José Juan 377 Tacitus (58–116) 462 Taglinger, Harald 34 Takahashi, Shohachiro (1933) 346 f. TAKI 183 771 Talenus, Samuel Petri 608, 611 Tam, Rabbenu 595 Tambellini, Aldo (1930) 138 Tamekane, Fujiwara no 589 f. Tanabu, Hiroshi 249 Tanguy, Ives (1900–1955) 821 Tanikawa, Shuntaro (1931) 240 Tanzberg, Kris (d. i. Gisbert Kranz) (1921) 627 Tàpies, Antoni (1923) 697, 710, 777 Tarnai, Andor 606 Tashmektepli, Mustafa Rakim 600 Tatlin, Wladimir (1885–1953) 113
931
Taubert, Karl Heinz 81 Tausk, Petr 114 Tê-chao, Ma 588, 590 te Heesen, Anke 191 Teige, Karel (1900–1951) 22 f., 43, 52, 57, 201, 262, 393, 397 f., 542 f., 547, 738–740, 793 Telemann, Georg Philipp 57 Telle, Joachim 649 Temmel, Wolfgang (1953) 141 Tennou, Gomizunoo 589 Tesar, Heinz (1939) 159 Tetzner, Tobias 755 Teubner, Ernst 343 -thalia (1952) 16, 756, 759 Thalmayr, Andreas 280, 297 Theile, Johann (1646–1724) 65 f., 528 Theise, Antje 608 Themerson, Stefan 31, 263, 299, 400 f. Themerson, Francziska 400 Theodulf von Orléans 623 Theokritos von Syrakus 568, 570 Thissen, Heinz Josef 507 Tholen, Georg Christoph 179, 199 Thomas von Aquin 424 Thomas, Dylan (1914–1953) 4 Thomas, Karin 113 Thomé, Horst 587 Thomkins, André (1930–1985) 4, 185, 187, 208, 272 Thurmann-Jajes, Anne 408, 719 Ti, T’ang 587 Tieck, Ludwig (1773–1853) 70, 188, 509 f., 540 Tiedemann, Rolf 325 Tiger, Theobald 618 Till, Wolfgang 530 Timm, Torsten 475 f. Timmermann, Waltraud 484 f. Timoschenko, Semen Alexeevich (1899–1958) 131 Timur-e Lang (1336–1405) 631 Tinguely, Jean (1925–1991) 176, 272, 287, 557, 821 Tischbein, Otto Sander (siehe: Sander) Titchener, Edward Bradford 858 Titsema, Rudolf 394 Tobey, Mark (1890–1976) 697
932
Personenregister
Todorovic, Miroljub (1940) 297, 833 f. Töpffer, Rodolphe 399, 659–661 Toklas, Alice B. (1877–1967) 378, 425 f., 429 Tokuda, Hiroko Hoki (1939/40?) 732 Tone, Yasuanao (1935) 100 Toulouse-Lautrec, Henri de 789 Torma, Julien 4 Toroni, Niele 420 Torriano, Gianello 198 Tory, Geoffroy (1480–1533) 339, 484, 514 f., 556, 698 Tosa, Naoko (1961) 252 f. Toscani, Oliviero 797 Totino, Arrigo Lora (1928) 268, 282, 385, 614 Touma, Micha (1956) 213 Townes, Charles 164 Trahndorff, Karl Friedrich Eusebius 73 Trajan 653 Traston, Simon 778 Tremp, Ernst 65, 703 Treuheit, Norbert 833 Trew, Christoph Jacob 521 Tribe, Mark 178 Triggs, Teal 405, 409, 820 Trik, Helen 774 Trinkewitz, Karel (1931) 524 Trithemius, Johannes (1462–1516) 288, 373 Troesser, Michael 140 Truant, Johnny 416 Trubshaw, Roy (1959) 227 Truck, Fred (1946) 230 Tsai, Eugenie 522 Tsai, Wen-Yin (1928) 113 Tsakiridis, Vagelis 677 Tscheremnych, Michail 792 Tschizˇewskij, Dmitrij 606 Tse-San, Tung 590 Tsuzuki, Kyoichi 656 Tuchacek, Alexander (1962) 178 Tuchman, Maurice 383 Tucholsky, Kurt (1890–1935) 199, 406, 618 Tübke, Werner (1929–2004) 236 Türkler, Islam Sanatinda 599 Turing, Alan M. 199 f.
Turnbull, William 450 Turner, Scott R. 212 Tutundjian, Léon (1905–1968) 313 Twombly, Cy (1928) 279, 732, 743, 767, 769, 821 Tyndall, John 115 Tynjanow, Jurij Nikolajewitsch 106 Tzara, Tristan (1896–1963) 4, 22, 185, 189, 274, 280, 322, 337, 342 ff., 391, 546, 707 Tzu-liang, Hsiao 585 Übel, Tina 51 Uffing von Werden 625 Uhlig, Ludwig 534 Uhse, Erdmann (1677–1830) 528 Ujvary, Liesl (1939) 52 Ulreich, Alois 368, 545 Ulrichs, Timm (1940) 122, 124, 147, 155 f., 160 f., 189, 274–276, 284, 287, 295, 369, 393, 430, 445, 490, 560, 562, 638, 745, 807, 819, 824, 833, 839, 855 ’Umar (592–644) 799 Umard, Ralph 166 Ungern-Sternberg, Alexander Freiherr von (1806–1868) 399 Unruh, Fritz von 63 Upatnieks, Juris 166 Urban, Peter 335 Uribe, Ana Maria (1951–2004) 238 Utterback, Camille (1970) 223 Vähem, Enam 608 Vaine (siehe: Sascha Siebdraht) Valeriano, Giovanni Piero 4, 507 f., 515 Valéry, Paul (1871–1945) 325, 391, 693, 868 Vallaster, günter 666 Vallés i Rovira, Isidre 297 Vallias, André 160 Vallotton, Félix Edouard (1865–1925) 725 Valoch, Jirˇi (1946) 287, 365, 522, 629, 734 Vanderlinde, Frans (1940) 4, 304 Vandermeersch, Bernard 455 Vanechkina, Irina L. 101
Personenregister Vanja, Konrad 827 Vardea, Chryssa 154 f. Varèse, Edgar (1883–1965) 75 Vasarely, Victor (1908–1997) 287, 629, 790 Vassilakis, Nico (1963) 238 f. Vasulka, Steina (1940) 144 Vasulka, Woody (1937) 144 Vatsella, Katerina 452 Vaucanson, Jacques de 198 Vautier, Ben (1935) 140 f., 744 f., 769, 824 Veen, Otto van 422, 515–518 Veenstra, Jan R. 633 Vegetius Renatus, Flavius 488 Velde, Henry van de (1863–1957) 201, 320 f., 543 Veldhuis, Dirk H. 456 Venantius Fortunatus 462, 623 Venna, Lucio (1897–1974) 341 Verkauf, Willy 343 f. Verkerke, Engel 665 Verlaine, Paul 391 Verne, Jules (1828–1905) 111 Verspohl, Franz-Joachim 824 Vertov, Dziga 106, 110 f., 146 Vickens, Graham 152 Viejo, Colemenar 15 Vietta, Silvio 509 Vigilán 499 Vigo, Edgardo Antonio (1928–1997) 272 Viladot, Guillem (1922–1999) 358 Villeglé, Jacques de la 4, 750, 753 Villeminoz, Jérôme 583 Villers, Bernard (1939) 710 Vinkenoog, Simon 665 Virilio, Paul (1932) 333, 727, 807, 864–866 Vischer, Friedrich Theodor (1807–1887) 535 Vivenza, Francesca 847 Völkel, Eva 479 Völkel-Song, Nahm-hee 699 Vogel, Fritz Franz 633 Vogel, Sigismund 527 Vogt-Göknil, Ulya 779 Voigt, Johann Gottfried 58
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Volkelt, Johannes 325 Volkmann, Barbara 53 Volkmann, Johannes 412 Volkmann, Ludwig 17–22, 306, 481, 489, 505, 507 f., 510, 514 f. Volkwein, Peter 191 Voronca, Ilarie (1903–1946) 24 f., 546 Vos, Eric 38 Voss, Jan 337 Voss, Johann Heinrich 687 Vossler, Karl 551 Vostell, Wolf 4, 144 f., 412, 669 f., 824 Vowinckel, Andreas 729 Vree, Paul de (1909–1982) 37, 46, 280, 282, 430, 444 f., 635 Vroom, Ivo (1935–1987) 303 f., 309 f., 626 f., 629, 799 Vsekh, Mena 84 Vulgarius, Eugenius (887–928) 624 f. Wachter, Rudolf 778 Wackenroder, Wilhelm Heinrich (1773–1798) 510 Wade, Nicholas 111 Wagenknecht, Christian 181 Wagner, Max 328 Wagner, Richard (1812–1883) 56, 70, 73, 541 f. Wagner Garcia, José (1956) 175 f. Wais, Kurt 551 Wakeling, Edward 496 Walden, Herwarth (1878–1941) 328, 337 Waldmann, Diane 161 Waldmann, Werner 461 Waldschmidt, Arno 409 Walldén, Ruth 597 f. Wallraff, Günter (1942) 408 Walsh, William S. 12 Walter, Bernadette 287 Walter, Jutta-Maria (1947) 88 f. Walther, Elisabeth 14, 88, 133, 206, 316, 431, 433, 438 Walther, Franz Erhard 809 Walz, Henry 412 Walzel, Oskar (1864–1944) 551 Wang, Andreas 484 Wantz, Marcel 313
934
Personenregister
Wardrip-Fruin, Noah 179 Warhol, Andy (1928–1987) 146, 468, 669, 670 f., 674, 677, 790, 802 Warmuth, Klaus (1930) 282 Warnock, Robert G. 603, 608 Warschauer, Frank 545 Wartwig, Helmut 433 Wasko, Ryszard 828 Wat, Aleksander (1900–1967) 327 Watanabe, Juan 152 Watson, Georgina „Ina“ 496 Watson, James Sibley 131 Watt, John Millar 665 Watts, Robert (1923) 155 Weaver, Mike 116 f., 267, 269 Weaver, Warren (1894–1978) 180 Webb, Daniel (1719–1798) 534 Webber, Melville 131 Weber, Rolf 4 Webster, John 176 Wedekind, Frank (1864–1918) 790 Wegehaupt J. 482 Wegener, Paul (1874–1948) 130 Wehmeyer, Grete 70 Weibel, Peter (1944) 49, 57, 90, 123 f., 138, 142, 145, 147, 152, 189, 198, 203, 211, 216, 228, 233 f., 271, 304, 368, 370, 447, 450, 452, 639, 727, 800, 824, 858, 860, 861 Weidemann, Kurt 725 Weiermair, Peter 7, 14, 104, 303, 309, 557, 619 f., 719 Weigel, Harald 237 Weij, Marleen van der 786 Weil-Alvaron, Hans 167, 169 Weiner, Lawrence (1942) 562, 800 Weinheber, Hedwig 339 Weinheber, Josef (1892–1945) 339 Weinreich, Otto 827 Weis, Hans 262, 487, 498 Weiske, Christian 233 Weisner, Carl 194 Weiss, Christina 7, 10, 32, 303 f., 372, 383, 385, 445,562, 681, 793, 858 Weißbrich, Thomas 485 Weissenberger, Klaus 13 Weisstein, Ulrich 7, 535, 551 f. Weitemeier, Hannah 57, 846
Weitz, Michael 691 Welch, Chick 824 Wellek, Albert 57 Wellmann, Hans 629, 732 Wells, Herbert George (1866–1946) 111, 199 Wende, Waltraud „Wara“ 732 Wendelberger, Axel 282 Wenderholm, Iris 468 Wendler, Lutz 689 Wenz, Karin 179 Wenzel, Horst 481, 487, 522 Werkman, Hendrik-Nicolaas 400, 616 f. Werner, Anton von (1843–1915) 236 Werner, Klaus 755 Wernher 648 Wescher, Herta 96, 272, 333, 725 Wesselmann, Tom 140, 669 West, Rosemary 212 Westerweel, Bart 603 Wettstein, Howard 858 Wetzel, Michael 692 f. Whitehead, Alfred North (1861–1947) 207, 424–426 Whitman, Walt 148 Wichmann, Siegfried 704 Wiedemann, Christoph 159 Wiegand, Albert 755 Wiegand, Herbert Ernst 589 Wiener, Norbert 202 f. Wiener, Oswald (1935) 2, 4, 203, 447, 682 Wiering, Thomas von 492 Willamowitz-Moellendorff, Urlich von 568, 643 Wilder, Thornton (1897–1975) 428 f., 431 Wilding, Ludwig (1927–2010) 111 Wildung, Dietrich 468 Wilhelm, Jean-Pierre 144 Wilhelm, Yvonne (1962) 178 Wilhelmi, Thomas 658 Wilken, Marc 643 Wilker, Erich (1929–1999) 297 Wilkins, John 305 Will, Johann Martin (1727–1800) 492 Willberg, Hans Peter 414
Personenregister Williams, Emmett (1925–2007) 4, 122, 135, 148, 204, 272 f., 278, 282, 295, 369, 373, 378, 383, 405, 452, 839, 841 Williams, William Carlos 4, 374 f., 424 f. Willibrord 703 Wills, Franz Hermann 306, 490 Wilmes, Ulrich 734 Wilson, Colin St. John 450 Wilson, David M. 654 Winckelmann, Johann Joachim (1717–1768) 534, 537 Winderlich, Kirsten 562 Wingfield Digby, George 654 Wingler, H. M. 313 Winkler, Gerd 125 Winkler, Hartmut 224 Winkler, Ralf 710 Winnes, Friedrich 829 Winter, Astrid 691 Winzentsen, Franz (1939) 488 Wirth, Andrzej 429 Wirth, Uwe 225 Wirtz, Thomas 536 Wissmann, Jürgen 669 Witt, Sol Le (1928–2007) 355 Witte, Georg 132 Wittgenstein, Ludwig von (1889–1951) 157, 426, 441, 800, 842 Wobmann, Karl 725 Wölfflin, Heinrich (1864–1945) 17, 119, 551 Wölfli, Adolf 767 f. Wohlleben, Robert 331 Wohlrab, Lutz 829 Wojaczek, Günter 568, 570 Wolf, Johannes 65 Wolf, Reinhard W. 233 Wolfegger, Georg 521 Wolff, Christian (1934) 75 Wolkenhauer, Anja 608 Wolman, Gil J. (1929–1995) 132 Wonders, Sascha 530, 532 Wondratschek, Wolf 677 Wormald, Francis 654 Worringer, Wilhelm (1881–1965) 73, 130, 314 Wright, Edward (1912–1988) 365 Wright, Karen 237
935
Wühr, Paul 403 Wünsch, Richard 575, 577 Wünsche, Konrad 542 Wulff, Inge 767 Wulff, Michael 405 Wullen, Moritz 468, 643 Wurtzel, W. 133 Xisto, Pedro (1901–1987) 4 Yamanaka, Ryojiro (1920) 282 Yang, Yingshi 669 Yankovic, Alfred Matthew (1959) 153 Yeats, W. B. (1865–1939) 639 Yong, Liang 587 Yoshihara, Jiro (1905–1972) 452 Young, Karl (1947) 16, 27, 167, 374 f., 401, 467, 778 Youngblood, Gene (1942) 227, 230 Youngs, Amy M. 256 Yü-k’o, Wên 587 Yukimasa, Matsuda 214, 282, 355, 835 Yushu, Zhang 587 Zacharias, Wolfgang 527 Zaepernick, Gertraud 658 Zamenhof, Ludwig L. 306 Zangemeister, Karl 770 Zapp, Andrea (1964) 162 f. Zausch, Bärbel 830 Zayas, Marius de 375–378 Zdanevitch, Ilia (1894–1975) 322 Zec, Peter 155 Zegher, Catherine de 495 Zelevansky, Paul (1946) 124, 213, 417 f., 687 Zeleznikar, Jaka (1971) 212 Zelinsky, Bodo 84, 365, 726 Zeller, Hans Rudolf 94 Zemenkov, Boris 84 Zender, Hans 81 Zerbst, Marion 461 Zervos, Kominos (1950) 238, 264 Zesen, Phillip von (1619–1689) 4, 193, 527, 854 Zetsching, Johann Casparus 284 Ziel, Wulfhild 530 f.
936
Personenregister
Zielinski, Siegfried 81, 115, 233 Zielke, Ottfried 282 Zima, Peter V. 551 Zimmer, Dieter E. 454 Zimmermann, Hans Dieter 664, 846 Zipp, Friedrich 453 Zˇirmunskij, Viktor (1891–1971) 328 Zmegac, Viktor 73 Zobel von Zabeltitz, Max 5
Zoche, P. 246 Zopfi, Emil 210 Zuckmayer, Carl (1896–1977) 790 Zürn, Unica 763 Zurbrugg, Nicholas 13 f. Zuse, Konrad 199 Zwick, Klara 767 Zwyssig, Toni 528, 639 Zymner, Rüdgier 495
Sachregister
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Sachregister 3-D Concrete Poetry 167 3D-LED-Installation 162 A-Life-Art 264 A.L.A.M.O. 264 A.R.T.A. 220 Abbild 303, 419, 435, 583, 584, 691, 817 Ablätterbuch 116 ABC-Gedicht 406 Abecedarium 372, 374 Abri Blanchard 459 absolute Dichtung 51, 318 absolute Lyrik 318 absolute Malerei 318 absolute Musik 318 absolute Poesie 318 absoluter Film 318 abstrakte Bildmusik 63 abstrakte Dichtung 315, 317, 319, 321 ff., 325, 327, 432, 672 abstrakte Lyrik 432 abstrakte Poesie 43, 322 abstrakte Prosa 431 abstrakte Schriften 467 abstrakter Film 57, 130 abstrakter Text 431 Abzeichen 19, 514 ACEN 230 Action Music 39 f. Ad C. Herrennium 482 Advanced Research Projects Agency Network 226 f. aenigmatisch 484, 565 Aesthetic Pattern Programme 125 Agent 234, 264 Agitation 485, 487, 532, 716 Agitprop 791 Agroverbalia 258 Akephalos 574 f. Akrostichon 566, 572, 623, 774, 783 Aktionspoesie 32, 34, 260
Aktionsschrift 63, 69 Aktionstext 145 Aktivität der Mitarbeit 270 Aktivität des Lesers 149 Albertischeibe 508 Albertitafel 530 Albumblatt 503 Alchemie 219, 522 Alchimage 734, 849 aleatorisch 81, 180, 188 f., 191, 196, 271, 309, 553 f. Algebra 208, 691 ALGOL 204 Allbuch 70, 214 Allegorese 520 Allegorie 19, 207, 507 f. Alliteration 597 f. Allkunst 70 alphabet music 44 alphabet of bones 488 Alphabet-Verschlüsselung 495 Alphabetbild 731 Alphabetgedicht 371–374, 383 Alphabetreihe 371 Alphabetschrift 696 Alphabetum Hebraeum Coeleste 259, 261, 819 Alvão 461 Amphora 643 Amsterdam Version 153, 245 Anagramm 131, 212, 262, 354, 430, 572, 579, 647, 835 Anagramm-Ballett 262 Analogie 56, 106, 148, 308 f., 312, 697 Analphabetogramme 765 Andachtsbild 492 f., 657 Androide 198 Anémic Cinéma 113 Animation 122, 145 f., 152, 172, 177, 210, 223 f., 240, 265 f., 619
938
Sachregister
Animationsfilm Animation Cinema 67, 122, 488 Annonce 330, 355, 408, 677, 833, 847 Annoncen-Kunst 833, 847 anorganisch 254 Anschauungsbild 20 Anschauungsliteratur 22 Anschauungsschwäche 325 anthologia graeca 619 Anti-Zufall 191 Antiwerbung 797 Apfel 210, 249, 470, 616, 618 f. Aphorismus 50, 188, 214, 225, 518 arbor 527 f. arca musarithmica 81 architectural treatment 639 Architek(s)tura/Architext 639, 641 Architektur-Alphabet 633 Architekturgedicht 554, 631 f., 635 Aristotelische Poetik 73, 482 Arithmetik 199, 208, 330, 369 Armen-Bibel/Armenbibel 489, 514 Arpaden 191 ARPANET 226 f. ars acustica 52, 69, 560 ars combinatoria 1, 180 Ars Electronica 53, 142, 152, 224, 228, 230, 249, 264, 272 ars magna 180 f., 183, 305 ars permutandi 181 ars sermonis 226 Art & Language 157 Art Acces 140 Art Brut 765 Art Com Electronic Network 230 art photocopy 849 art ware 113, 141, 161 ARTBOX 228 ARTEX 228 artistamp 560 Artists' Electronic Exchange Network 228 Arts & Crafts 711 arts in fusion 548 ASA-Gruppe 26 f., 282, 299, 467 ASCII 249 ff., 307 ASCII Art 249, 251 ASCII Poetry 249
asemic 763 Aspen Moviemap 244 f. Assemblage 190, 547, 734, 861 assembling 836 Assonanzenzier 329 Assoziation 20, 63, 90, 135, 157, 214, 230, 316, 348, 430, 743 Assoziations-Blaster 225 Assoziationsfeld 812 Assoziationskette 219, 222, 225, 247, 841 Assoziationsmöglichkeit 30, 216, 687, 764 Assoziationsnetz 856 Assoziationsprozess 137 assoziativ-kombinatorische 213 Ästhetik der Kommunikation 142 f., 865 Ästhetik des Verschwindens 807 Atelier de Littérature Assistée par la Mathématique et les Ordinateurs 220 Augen-Clavicimbel 57 Augen-Kino 147 Augen-Orgel 57 Augendienerei 331 Augenmusik 65, 67 Augentext 124, 147 Augentheater 278 Aura 692, 714, 717, 796, 849, 850 f. Ausdruckstanz 262, 326 AusXung 417 Autografie 399, 692, 695 Automatenmenschen 252 automatische Texte/Dichtung 199, 207 automatische Zeichnung 199 automatisches Lesen 428 automatisches Schreiben 198, 211, 428, 740 Automatisierung 198 ff., 866 Automatismus 198, 202, 742, 765 autonom 65, 266, 321, 548, 760, 803 Autopoem 204, 206 avantgarde poetry 38, 267, 374 Avantgardefilm 104, 130 Avatar 252, 264 avian 257
Sachregister Babel Poesie 212 Balkentelegraph 488 Baltic Interface Net (BIN) 232 Bandha 598 f. Basmalah 601 Bauhaus 57 f., 62, 177, 315, 320, 363, 450, 523, 542, 694, 729, 738 Baumfigur 527 Baumgedicht 528 Baumsymbolik 527 Beat-Generation 670, 677 Beatus-Apokalypse 49, 654 Bedeutungskorrespondenz 686 Bedeutungsnetz 430 Bedeutungsoffenheit 686 Bedeutungswandel 248, 288, 508 Befreiung der Künste 73, 262, 321 Befreiung der Wörter 340 begehbares Buch 812 Beil von St. Agatha 566, 855 Beischrift 643 f. Beschlussgedicht 491 Beschwörungsschale 280 Bewegungsführung des Auges 449 Bewegungshologram 166, 172 Bewegungskunst 130 Bewegungsschrift 262 Bewegungssimulation 290, 299 Bhagavatapurana 555 Bibel-Illustration 488 Bibelorakel 454, 487 biblia pauperum 489 Bibliophilie 715 Bild-Collage 354, 721, 861 Bild-Fläche/Bildfläche 392, 794 f. Bild-System 125 Bild-Text 1, 33, 357, 400, 487, 489, 503, 521, 558, 581, 629, 689, 732, 821 Bildalphabet 3, 21, 262, 332, 456, 487, 556, 689 Bildautonomie 863 Bildepigramm 512, 514 Bilder-Bibel/Bilderbibel 22, 485, 487, 490, 492–494 Bilderbogen 409, 485, 494, 528, 530, 532, 555, 651, 654, 657 f., 660 Bilderbrief 821 Bilderbuch 360, 408, 654, 682, 717, 839
939
Bilderflut 536, 853 Bildergedicht/Bilderlyrik 3, 21, 135, 160, 512, 530 Bildergeschichte 32, 399, 555, 656, 659, 660, 662, 664, 678, 687, Bilderkarte 522 Bilderlesen 487 Bilderrätsel 20, 262, 473, 477, 484f., 492, 497 ff., 505, 507 f., 515, 520, 570, 594 Bilderrolle 681 Bilderschreiben 17 f. Bilderschrift 14, 18-20 f., 50, 452, 460, 465–468, 472 f., 481, 484, 505, 507 f., 515, 518, 548, 585, 696, 763 Bildersprache 507, 510 f., 520 Bildersprachenlehre 857 Bildertext 29 Bildertrommel 115 Bilderzählung/Bildererzählung/ Bildergeschichte 123, 399, 477, 555, 660, 664, 678, 687 Bilderzyklus 650, 652, 654, 657 Bildfolge 655, 660 Bildgedicht 22, 32, 36, 352–354, 512, 530, 547, 554, 598, 627 ff., 630, 632, 649, 656 ff., 738–740, 793 Bildgrammatik 664, 857 Bildirritation 863 Bildkomposition 358, 477 Bildkonkretismus 313 Bildkrise 726, 865 Bildmusik 63 Bildplakat 789 Bildplatte 213 Bildpostkarte 821 f., 823 Bildrahmenfunktion 356 Bildraum 141, 238 Bildroman 659 Bildscheibe 131 Bildschirmtext BXT 140 ff., 560 Bildsequenz 555 Bildserie 659 Bildsprache 348, 642, 696, 708, 724 Bildsymbol 314 Bildüberflutung 865 Bildzeichen 406, 456, 465 f., 472 ff., 474 f., 479, 482, 511, 518, 565, 585, 681, 686, 744, 835
940
Sachregister
Bildzeitung 655 Billboard-Text 562 binär 199 binokulares Lesen 175 Bio-Utopie 256 Bioinformatik 255 biokybernetisch 264 Bionik 237, 252, 266 Biopoesie 252 ff., 256, 264, 819 Biotechnologie 255 f. Biotelematik 256 Birne 470, 618 Blätterbewegungssystem 117 Blattfläche 268, 553 Blattfolge 121, 518, 835 Blechpostkarte 825 Bleistiftmusik 90 Blindenschrift 416, 467 BLISS 306 BLIX 140 Blockbuch 489 f., 555, 633, 647, 650–652 Blockbuster 776 Blue-Box 138 Body Art 260 Bohnenschrift 461 book art (siehe Buchkunst) 89, 195, 400, 521, 710, 713, 715, 719 Book of Kells 556, 702 f. Book of Lindisfarne 556 book painting 682 Botenstab 462 Boulevardjournalismus 662 Brahmischrift 490 brain cell 836 f., 838 f. Brief 479 f., 496, 557, 577, 740, 742, 763, 767, 821, 823, 827, 839 Brief vom Himmel 827 ff. Briefbild 743 Briefform 495, 763 Briefschrift 564 Brieftext 821 British Pop 450 broken music 43, 71 Brutismus 344 bubblestyle 776 Buch-Modell 276 Buchauge 194
Buchenstab 462 Buchepigramm 568 Buchfilm 121 Buchform 121, 422, 710, 716, 717, 719, 721, 781 Buchgestaltung 10, 582, 687, 710–712 Buchkonstruktion 276 Buchkultur 713 Buchkunst 22, 401, 710 f., 716, 719, 722 Buchmalerei 556, 701, 705, 855 Buchobjekt 128, 276, 414, 422, 555, 558, 560 f., 719, 721 f., 761, 763, 830 Buchrolle 555, 642 Buchschmuck 711, 722 BuchSkulptur 560 Buchstaben(schrift)bild 694 Buchstabenauto 153 Buchstabenballett 262 Buchstabenbaum 528 Buchstabenbild 3, 28, 738 Buchstabenblatt 272 Buchstabencode 262 Buchstabendichtung 487, 572 Buchstabenfeld 13, 189 Buchstabenfolge 124, 582, 730 Buchstabeninformation 487, 572 Buchstabengestaltung 350 Buchstabenkette 159 f., 555, 643 Buchstabenkomposition 155 Buchstabenkonstellation 30, 356, 360, 401, 421, 439, 499, 553, 572 f., 582, 800 Buchstabenkunst 132 Buchstabenmystik 372, 387 Buchstabenobjekt 264 Buchstabenplakat 791 Buchstabenplakatgedicht 791, 793 Buchstabenpoem 155 Buchstabenprothese 264 Buchstabenquadrat 579 f. Buchstabensäule 638 Buchstabenscharade 262 Buchstabenschrift 28, 456, 475, 539, 545 Buchstabenskelett 372 Buchstabensprache 488 Buchstabensymbolik 454, 487 Buchstabentanz 262
Sachregister Buchstabenwechsel 193 Buchstabenzählung 625 Buchstabenzeichen 135, 488 Buchstabwürffel 188 Bukolik 14, 35, 568, 571, 620, 633 bustrophisch 297 Cabaret Voltaire 22, 343, 546 CAILS 306 Calculi 199, 458, 461 Calligramme 31, 271, 280, 282, 295, 340, 391, 501, 552, 582 f., 594, 608, 626, 707 CALTECH 254 camera obscura 115 Camera Work 356, 375, 545 canntaireachd 49 CAPTAIN 141 carmen cancellatum 622 f., 625 carmen figuratum 6, 552, 564, 606 carmen infinitum 181, 185 Carousel Theater 262 cartesianisch 434, 439 Cartoon 655 f., 662 f., 667, 705 Cassiterografie 399 CD-i/CD-ROM 213 CD-ROM 151, 210, 213, 264 f., 311 CD-ROM-Poesie 151 CERN 216 characteristica universalis 305 Chain-Letter 827 Chalcografie 399 Chaos 191, 370, 548, 812 Chat 226 f., 233, 845 Chauvet 115, 459, 461 Chiffre 368, 495 f., 558, 743 Chiffrenschrift 546 Chiffriermaschine 508 chimera 256 Chirographie 399 Chiromantie 490 choju giga 656 Chronofotografie 113 cine-poem 295 Cinemascope 236, 734 Cinematismus 113 Cinerama 236 circulating art 226, 467
941
citra 597 f. citrabandha 598 citrakavya 596 f. cittira kavi 597 City-Poem 778, 781, 785, 800, 802, 837 Clavecin 57 Cleveland Free Net 233 clone 256 closed circuit 246 Co-Autor 199, 220, 370 Code 248–251, 255, 257, 266, 368, 495, 549 Code-Poetry 250 Codesprache 748 codework 249 Codex 65, 83, 114, 242, 406, 467, 477 f., 499, 503 f., 591, 648 f., 652, 703 Codex Dresdensis/Dresdener Codex 467, 477 f. Codex Vindobonensis 467, 503 f. COEX-System 177 collaborative 160, 224 Collage 96, 125, 128, 140, 146f., 151, 200, 260, 272, 276, 282, 323 f., 350, 354, 360, 408, 411, 416, 439, 449, 547, 552, 558, 667, 669 ff., 677, 716, 725, 734, 760, 765, 822, 827, 833, 836, 839, 858 Collage-Buch 276 Collage-Malerei 128 Collage-Roman 408 colour laser copy art 849 colour music 57 Comic 115, 123, 193, 532, 555, 642, 644 f., 652–659, 662–667, 669, 671 f., 674, 678, 687 Comic-Archäologe 652 Comic-Einfluss 678 Comic-Sequenz 664, 678 Comic-Tradition 654 Community 140, 225, 233, 266 computer animated and generated 133, 224, 238 Computer Holopoetry 177 Computer-Dichtung 133, 150, 179, 203 f., 206 Computer-Systemsprache 249 Computerfilm 133 Computerinstallation 223
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Sachregister
Computerkryptologie 495 Computerkunst 46, 69, 199, 209, 221, 230, 254 Computertheorie 183 COMTECart 224 connection machine 254 Conversationskunst 226 Copie-Grafie 560, 849 copy-art 291, 560, 820, 825, 848 f. copygraphy 849 correspondence art 560, 562 f., 820 f., 824, 846, 849, 853 Cosquer 461 Coup de dés 31, 172, 188, 365, 392, 394–396, 398, 437, 713 Cox Box 138 cross-cutting 108 cross-talking 195 cross-reading 195, 332 Cryptogramm 764 Cubus-Text 499 cue cards 153 Cueva de las Manos 461 Curieuse Bilder-Bibel 492 f. cut-up 194 f., 239, 332, 411 f., 670, 674, 677, 858 Cvokogramm 765 cybernetic organism 252 cybernetic serendipity 133, 164, 209 cyberpoetry 179, 238, 265 cyberspace 179, 228, 233 f., 238, 240 f., 247, 252, 254 f., 265 cybertown 234 cyborg 252 cyptopoetological 259 Dadaismus 12, 14, 43, 45, 71, 84, 178, 189, 191 f., 199, 210, 312, 322, 333, 337, 339, 340–344, 350, 373 f., 375, 378, 443, 549 f., 563, 823, 833, 839, 854, 891 daktylographisch 632 Darmstädter Gruppe 450 data-glove 237, 252 data-suit 252 datamining 264 Datenhelm 237 f. Datenkompression 853
Datenkunst 230 Daumenkino 116, 122 De Digitale Stad 234 De Stijl 130, 268, 312, 314 f., 317–319, 323, 340, 342, 352, 355, 367 Decollage 734, 849 Deformation 718 f. Dekomposition 74, 386, 695 Dekonstruktion 178, 781 DenkArt 637 Denkbild 536 Denklandschaft 684, 749 f., 755 Denkmaschine 180, 203 Der Blaue Reiter 821 Deskriptivpoesie 44 Destruktion 268, 439, 727 Devise 485, 514 f., 520 Dialektgedicht 30, 90 Dichotomie 549 Dichter-Maler 708 Dichtungsmaschine 203 Dichtungsprogramm 210 Die Brücke 821 différance 691 Digital City Amsterdam 234 digitale Natur 255 digitale Poesie 159 f., 179 digitale Städte 233 Dingbild 508 Dinggedicht 554 Dingwelt 641 Disk 131, 224, 282 Diskontinuität 852 Diskos 280 Diskos von Phaistos 280, 282, 474–476, 564, 855 Distichon 778 Distribution 226, 816, 827, 833 Dollar-Noten-Motiv 674 f. Doppelbegabung 547, 710 Drehbuchform 124 f., 639 Drehscheibe 181 f., 183 Dreiton-Artikulation 49 Dubai 817 f. Durchstreichung 417 E-Mail-Art 820 E-Mail-Programm 228
Sachregister E-Mail-System 227 E-Mail-Wurm 845 E.A.T. 166 Ebstorfer Weltkarte 522 ECI 227 écriture automatique 198 f., 740, 750, 791 Ego-Futurist 393 Ehrenmal 633 Ehrenpforte 498, 508, 633 Ei 568, 570, 618 Eidophonie 43 Eigentumsmarke 461 Ein-Blatt-Arbeit 678 Ein-Buchstaben-Text 406 Einblattdruck 503, 528, 530, 594, 633, 657, 789 Einblattholzschnitt 489 Einheit der Künste 73, 333, 360, 439, 481, 509 f., 623, 704, 712, 739 Einheit von Kunst und Leben 441 Einwort-Begriff 440 Ekphrasis 627, 629 f. El Castillo 461 Electronic Café 227 Electronic-Mail-Art/E-Mail-Art 563 Elektrobibliothek 201 Elektrograf 849 elektronische Literatur 179 Elektronischer Lexikon Roman 197 elektronisches Laufband 159 Elektrooptik 866 elementar 320, 323, 348, 352, 361 Elementarismus 320, 717 Elementarzeichen 460 emanzipatorische Kunst 802 Emblem 12, 127, 490, 511–514, 518–520, 536, 554 emblematical scrawle/scroll 127 Emblematik 1, 21 f., 511 f., 514, 518, 520, 608, 664, 684, 708, 714 Emblembuch 511 f., 515, 608 EMN 230 Ende des Buches 713 endloses Band 208 EndoHolografie 176 Energetik 692 engagierende Texte 442
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Engelsmusik 49 Engramm 692 Enigmatik 1 Enkodierung 493 Entgrenzung 22, 178 ff., 266 f., 270, 805, 863, 867 Entindividualisierung 321, 434 Entität 860 Enträtselung 487 Entschlüsselung 225, 396, 430, 461, 499, 503, 505, 620, 647, 756 Entwurfsschrift 63 Environment 53, 213, 234, 242, 256, 384, 441 Enzyklopädik 386 Epigramm 512 ff., 530, 554, 568, 570 Epistemologie 252 Erkenntniskunst 435 Erneuerungsbewegung 73, 320, 549 Ersatzschrift 520 Erzählkontinuum 398 Erzählmaschine 212 Erzählperspektive 858 Escriture 3 Espace Communicant 228 Esperanto 306 Ethnopoetics 49 Europa-Karte 521 ff. European Museums Network 230 Evangliar 647 f. Evokation 397, 406 Evolution 133, 240, 255 f., 390, 454 ff., 465, 553, 853 expanded cinema 241 Experimentalfilm 104, 130 ff., 139 f., 152, 400 experiments in art and technology 166 Expressionismus 36, 312, 343, 432, 727, 740 expressionistische Lyrik 36 Extensible Markup Language 238 eye-phone 237, 252 Face-to-Face-Kommunikation 232 Fackeltelegraphie 488 Fahne 275, 725, 773, 784, 799 Faltbuch 477 Farb-Klang-Kreis 101
944
Sachregister
Farbempfindung 56 Farbharmonie 56 f. Farbenhören 70 Farbenklavier 57 Farbenmusik 57 Farbensprache 734 Farbklang 56 Farbkombinationsexperiment 314 Farblichtspiel 57 Farbraum 686 Farbspiel 57 Farbstimme 70 Farbsymphonie 57 Fax 563, 820, 847 Felsmalerei 456–460 Fernschreib-Text 847 Fernseh-Gedicht (siehe TV-Poesie) 145 Fernsehkunst 139 Fibeldichten 18 figurale Schriftfläche 330, 553, 582 figurative Textfläche 421 Figurenalphabet 487, 556, 587 Figurendichtung 331 Figurengedicht 1, 5 f., 21, 35 f., 170, 331, 341, 394, 403, 490, 498 f., 501, 503, 505, 520 f., 528, 552–554, 560, 568, 570, 577, 582 f., 587, 589, 591, 94–596, 599, 601–603, 606, 608, 614, 616, 618, 620, 623, 625, 627–629, 631 f., 636, 707, 714, 855 Figurenspruchbuch 491–493 Figurentext 271, 495, 520, 552, 571 Figurstempelung 839 Fiktion 109, 224, 549, 863 Film in Worten 124 Film-Poesie 33 Film-Syntaktik 110 Filmdichter 106 Filmfiktion 109 filmische Optik 108 filmische Schreibweise 107, 110 filmisches Sehen 104 Filmkunst 106 f., 109, 130 Filmsequenz 132, 295 Filmsprache 104, 106, 131, 348 Filzpostkarte 824 Fin de Copenhague 561 Fin de Siècle 320
Finger-Alphabet 261 Fingerritzung 458 f. Fingertext 278 f. Flächenkunst 549 Flächenpoesie 28 Flächenraum 268 f. Flaggenalphabet 488 Flatus Vocis Trio 150 Flimmereffekt 287 f. flip-book 116 Flower-Power-Bewegung 672 Fluchtafel 575 f. Flugblatt 45, 343, 485, 489, 490, 493, 521, 530, 647, 651, 654, 658, 789 f. Flügeltelegraph 488 Flugschrift 657 f., 789 Fluxus 5, 38–40, 91, 96, 100, 137, 144 f., 221, 452, 522, 557, 769, 823 ff., 826, 829, 843, 858, 863 Fluxus Island 522 Fluxus-Chronologie 145 Fluxus-Festival 145 Fluxus-Gruppe 452 Fluxus-Performance 137 fold-in 194, 411 Formalismus 146, 148, 280, 313 f., 434, 715 Formant 73 Formenkanon 180 Formenkatalog 403, 440, 552 Formenspektrum 18, 36, 311, 406, 422, 485, 767, 847 Formensprache 734 Foto-Bildergeschichte 687 Foto-Text 408, 744 Foto-Text-Collage 36 Foto-Text-Montage 406 fotodinamismo futurista 113 Fotoepigramm 406 Fotogramm 400, 848 Fotokopie 411, 560, 848 Fotomontage 125, 637, 716, 734 Fotopoesie 33 Fotosequenz 123 f., 146 f., 417, 560 fraktal 333, 837 fraktale Geometrie 333 free-net 233 Fresken 654
Sachregister Froissage 734, 849 Frottage 743 FS-Text 846 f. Fundsache 408, 412 Funny 665, 667 Fusion 22, 38, 543, 547 f., 551, 735, 738 f. Future Cinema 241 Futurismus 14, 45, 52, 71, 84, 96, 111–114, 116, 151, 278, 280, 312, 327, 329, 333, 335, 341, 343 f., 355, 375, 383, 391, 400, 425, 443, 545, 635 f., 681, 704, 713, 716, 718, 726, 759 f., 783, 791 Fylkingen-Gruppe 46 Gag 619, 675 Gargas 461 Gattungsbestimmung 654 Gattungsbezeichnung 35 Gattungseinteilung 11 Gattungsgeschichte 570 Gattungsgrenze 11, 13 f., 90, 151, 321 f., 707 Gattungsmischform 11, 550 Gattungsnegierung 735 Gattungsphysiognomie 735 Gattungsschema 180, 546, 550, 722 gattungssprengend 691 Gattungsverständnis 544 Gebärde 326, 455 Gebärdenkunst 326 Gebärdenrepertoire 455 Gebärdenschrift 467 Gebärdensprache 455, 467 Gedächtnisbild 20 Gedächtniskunst 20 Gedankennetz 810 Gedankenorchester 401 Gedankenraum 810 Gedichtbild 554, 628 Gedichtgenerator 212 Gegenstandsbild 511 Gegenstandsbrief 463, 472 Gegenstandspoesie 462 Gegenstandsschrift 19 f., 456, 462, 468, 472 Geheimalphabet 508
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Geheimschrift 20, 488, 494 f., 520, 553, 763 Geisteskranke 765, 767 Gelegenheitsdichtung 614 Gemäldegedicht 627 Gemälpoesy 536 Gemara 594 Gemeinschaftsarbeit 2, 378, 563, 682, 847 Gemeinschaftsdichtung 304, 344, 441 Gemeinschaftssprache 305 Generalbaß 116 Generator 63, 212, 247 f., 251, 265 Gentechnologie 255 f. Geografie-Entwurf 522 f. geometrisch-konkret 740 Georgeschule 342 Geräuschekunst 52 Gesamtdatenwerk 141 Gesamtkünstler 193 Gesamtkunstwerk 71, 73, 79, 223, 228, 267, 510, 532, 538, 541, 562, 816 Gesamtschrift 60 Geschichtsbaum 527 geschlossen 30, 71, 73, 119, 409, 414, 437, 498, 511, 557, 648, 731, 762, 799 geschlossene Form 71, 119, 437 geschriebene Bilder 482, 557, 629, 726, 760, 762 geschriebener Film 135 geschriebener Kosmos 814 geschriebener Rhythmus 135 Geschwindigkeit 73, 111 f., 845 Gesellschaftskritik 827, 861 Gesellschaftsspiel 188, 191 gesetztes Bildgedicht 352 f. Gesprächsspiel 193, 536 Gestaltschreiben 28 Geltungsanspruch 844 Gestaltungselement 330, 438 Gesten-Malerei 740 Gestik 67, 439, 531, 696 f. Gittergedicht 1, 520 f., 553, 623, 854 Gleichnis 18 Gleichzeitigkeit 110, 271 Global Sign Writing System 467 Globale Vernetzung 235 Globales Dorf/ Global Village 225
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Sachregister
Glossolalie 52 Goldkäfer-Geheimschrift 495 Golem 252 Gotik 648, 724 f. Gradualgesang 65, 703 Graffiti 458, 460, 558, 726, 739, 770, 773–778, 782 f., 785, 786, 805 f., 807, 837 Graffiti-Art 558, 773 Graffiti-Projekt 777 Graffiti-Sprayer 770 Graffiti-Szene 776 f. Graffiti-Writer 771, 785 Graffitikünstler 689, 777 Graffitizeichnung 774 Graffito 770, 774, 776 f., 779 grafische Musik 90 Grafismus 208 Grammatextualität 692 Grammatik 207, 340, 344, 642, 697, 708, 856 Grammatologie 432, 473, 691 f., 762 Graphein 481 f., 770 Graphem 345, 438, 478, 763 Graphem-Ebene 345, 438 graphic music nations 39, 40 graphics 101, 152, 238, 242, 837 graphische Mathematik 208 graphische Poesie 601 Graphozentrismus 692 Grasschrift 699 Grenzbereich 11, 548, 616, 832 Grenze 17, 30, 260, 318, 370 f., 439, 534, 538, 540, 544, 548, 740, 845 Grenzen auflösen 223 Grenzen der Kunstarten 360 Grenzenlosigkeit 227 Grenzgänger 380 Grenzgebiet 7, 18, 69, 76, 627, 632 Grenzüberschneidung 666 Grenzüberschreitung 34, 39, 76, 85, 90, 103, 180, 360, 420, 440, 657, 722, 734, 830 Grenzverwehung 725 Grenzverwischung 151 f. Grenzziehung 422, 534, 549 Groupe de Recherche d’Art Visuel 167, 862
groupe lettriste 421 Gruppo 70, 561 Gulzar-Technik 601 GUTAI 452 Gutenberg-Galaxis 549 gyaru moji 307 Haggada 594 Haikai 107 Haiku 204, 300, 589, 591, 704 Han-Dynastie 655 Hand 460 f., 488 ff., 769 f. Handabdruck 461, 769 f. Handfläche 489 f. Handlungsspielraum 180 Handlungsträger 350 Handschrift 21, 191, 411, 490, 548, 689, 695 f., 704, 706 f., 712, 714 f., 716, 719, 739, 749, 760, 762, 856 Handschriftenmaler 712 handschriftlich 354, 387, 400, 512, 708, 740, 742, 750, 765, 821 Handschriftschuhe 490 Handy-Kommunikation 307 Handzeichnung 260 Happening 38–40, 145, 221, 450, 824 Hasen-Signal-Alphabet 488 Head Mounted Display 237 Heian 127, 656 Heiligenbild 657 Heilsspiegel 489, 514 Hektograph 848 Hell-Dunkel-Spiel 287 Hellschreiber 847 Heraldik 514 Hexameter 181, 185, 568 hieratisch 470, 564 f., 571 Hieroglyphe 306, 331, 387, 456, 467 f., 470, 472 f., 475, 477–479, 484, 495, 503, 505, 507 f., 509 ff., 514, 538, 553, 564 f., 643, 729, 740, 750, 765, 853 Hieroglyphen-Pyramide 503 Hieroglyphenbuch 507 Hieroglyphendiskurs 473 Hieroglyphenkunde 508 Hieroglyphenschrift 473, 475–477, 479, 503, 510, 564 f. Hieroglyphensystem 473
Sachregister Hieroglyphica 484, 492, 505, 507 f., 515 Hieroglyphik 1, 21 f., 479, 484, 495, 505, 507–509, 511 ff., 515, 520, 571, 664, 708 hieroglyphisch 306, 342, 467, 468, 470, 475, 481, 484, 491 f., 507 ff., 510, 514, 565 hieroglyphisches Bilden 510 hieroglyphisches Schreiben 508 Hilfsbegriff 511 Himmelsbrief 827–829 Himmelsschreiber 562, 784 Himmelsschrift 259, 575 Himmlisches Alphabet 259 Hip Hop 51 Hippies 672 HMD 237 Höhlen-Projektion 358 Höhlenbild 115 Höhlenmalerei Höhlenzeichnung 458, 460, 652 Holografie/Holography 166 f., 169, 170, 173–177, 236, 256, 267, 863 Holografieexperiment 153 Hologramm 166 ff., 170 ff., 172–177 holographisches Fernsehen 176 Holopoetry/Holopoem 33, 173–175, 177, 560 Holzkarteikasten 195 Holzpostkarte 824 homonym 483 Homunkulus 252 Hörheft 69 Hörpartitur 69 Hörspiel 52 f., 69, 74, 76, 79, 81, 83 ff., 125, 408, 560 Hörtext 28, 74, 408, 675, 677, 695 Hörtext-Collage 677 Hotel Pompino 142 hsin-wen-chih 655 HTML-Skripte 178 HTML-Tag 256 hua-pao 482, 589, 655 Hünfeld 786, 788 f., 812 hybrid 146, 152 Hypercard 219, 230, 265 Hyperfiction 219, 251 Hypergraphie 387, 389, 468
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Hypermedia 233 f., 241, 264 ff. Hypermedia Poetry 265 Hypermedia-Kommunikation 266 Hypermedia-Struktur 224 Hypermedium 231 Hypertext 179, 214, 216, 219 f., 223 f., 231, 251, 265 f., 524, 553, 853, 856 Hypertext Markup Language (html) 216 Hypertext Poetry 265 Hypertext Transfer Protocoll (http) 216 Hypertext-Fiktion 224 Hypertext-Kommunikation 266 Hypertext-System 216 Hyperthinking 232 Hypnerotomachia Poliphili 505, 507, 515 I-Ching 394 i-Gedicht 336–339 I-Ging 394 i-Zeichnung 350 IBM Poem 204 Icelandic Educational Network 232 Icon 151, 466, 513, 727 iconic turn 226, 473, 863 idea happenings 823 Idealbuch 712 Ideenkunst 32, 435, 827 Ideenschrift 460, 465, 479 Ideografie 346, 453, 459, 497 ideografisch 311, 317, 346, 467, 475, 479, 546, 630, 691 f., 705, 856 Ideogramm 20–22, 30 f., 274, 304, 337, 346, 406, 424 f., 460, 462, 465, 472, 581, 628, 691 f., 763, 835 ideogrammatisch 394, 764 Ikon 133, 155 f., 295, 448, 582, 594, 620 Ikonenmalerei 530, 714 ikonisch 306, 346, 553, 565, 619, 636 Ikonisierung 2, 297, 707, 727 Ikonizität 705 Ikonograph 648 f., 653, 800 ikonografisch 22, 274, 304, 309, 630–632, 856 Ikonoklasmus 727 illuminiert 705, 708 Image 146, 151, 164 f., 242, 394, 423, 458, 562, 582, 714
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Sachregister
imaginäres Bauhaus 450 imagining language 46 Imagisme 424 Imagismus 313, 423 f. Imago 282, 513 IMAX-3-D-Projektionstechnik 236 imganinäre Räume 700 imitatio naturae 547 Immaterialität 452, 550 immateriell 174, 805, 809 Immersion 236, 266 immersiv-interaktive Kunst 264 immitativ 207 Implantat 256 Imprese 485, 514, 520 Impressionismus 726 f. Improvisation 452 Impulse 70, 199, 313, 608, 781, 826 Impulsivisten 319 in progress 137, 214, 414, 689, 799, 828 Independent Group 450, 667 Individualkommunikation 868 Indus-Schrift 461 Industrialisierung des Sehens 728, 864 ff. Ineinander der Künste 534 Inflation 864 informales Schreiben 135 Informationsästhetik 209, 433 Informationsgesellschaft 227, 863 f. Informationssystem 216 Informationstechnologie 251 informationstheoretisch 12, 206, 337 Informel 740, 769 informelle 120, 743, 744 Infragestellung 179, 363, 719, 812, 849, 856 Ingenieur 200 f. Initiale 556, 701 f., 705 Initialenkunst 556, 587, 689, 701, 703 f., 722, 739 Initalienmalerei 701 Inkompabilität 251 Innovation 141, 179, 220, 226, 232, 726, 863 f. Inschrift 19, 474, 489, 548, 566, 669, 833 inscriptio 513 Insektenschrift 585
Instabilität 175, 193, 266, 805 Installation 33, 53, 140, 144 f., 149, 153, 157, 159, 162, 223, 236, 240, 244 f., 254, 266, 358, 395, 488, 518, 562, 638, 682, 689, 744 f., 799, 800, 802, 810, 812 instinctivistes 391 Integral-Hologramm 171 integrale Poesie 23 intelligent cities 233 Inter-Relationship 124 Inter/Acces 140 Interaction 226, 257 Interaktion 140, 220, 236, 246, 254, 644, 785, 852, 867 Interaktionsmodell 236 Interaktionstext 266 interaktiv 33, 139, 142 ff., 152, 176, 211, 220, 223 f., 230, 233, 240, 244, 264, 527, 777, 856, 863 ff. interaktive Benutzeroberfläche 142 interaktives Fernsehen 142 Interaktivität 117, 138, 220, 266, 550, 845 interdisziplinär 11, 843, 862 Interface 114, 141, 180, 216, 232, 234, 244, 248, 524, 867 interlingua 306 Intermedia 13, 34 f., 38 f., 40–42, 103, 808 Intermedia Chart 38 ff. Intermedialität 11, 26, 31, 38, 151, 183, 219, 280, 414, 416, 499, 505, 512, 862 Internationale Situationniste 450, 561 internationale Wandelschrift 548 Internationalität 5, 27, 267, 304 f., 675, 786, 825, 847 Internet 152, 178, 210, 226, 265, 665, 777, 817, 820 Internet-Realisation 665 Interpoesia 213 Interpretationsoffenheit 743 Interpreationstext 32 Interpunktionsgedicht 364 f. Intertextualität 183, 216, 841 Intervention 247, 786, 805 Intext 503, 553, 566, 578, 614, 620, 623 Irritation 288, 371, 406, 694
Sachregister ISDN 230 f. ISO 306 f. ISOTYPE 306 Iteration 212, 439 Jabberwocky 212, 400 Jahrhundertwende 17, 73, 108, 111, 194, 262, 314, 320, 325, 332 ff., 485, 540, 542 f., 549, 672, 712, 722, 725 ff. Japonismus 704 Jodi.org 178 Jugendstil 36, 312, 320, 672 Jugendstil-Literatur 672 Jukagiren 479, 495 JULIO 2004 771 Kabbala 219 kabbalistisch 354, 387 kabbalistische Kombinatorik 387 Kabelpilotprojekt 139 Kalligrafie 19, 21, 53, 81, 173, 333, 483, 556, 590, 599, 601 f., 633, 687, 689, 697–699, 700 f., 704, 712, 722, 739, 750, 800 kalligrafisch 556, 602, 638, 691, 704, 712, 714 kalligrafisch-dekorativ 602 Kalligramm 65, 304, 383, 691 f., 697 kalligraphische Grammatik 697 Kanzleischrift 587, 698 f. Karlsruhe Version 153, 245 Karteikärtchen 195 Karteikasten 195 Kartenbild 522 Kartenspiel 193 f., 197 Kartographie 522 Kasuallyrik 183, 606 Katong 655 Katzensymphonie 67 f. Kebara-Höhle 455 Kehlkopf-Artikulation 49, 455 Keilschrift 176, 456, 465, 477 Kerbstock 462 Ketjak 49 Kettenbild 655 Kettenbrief 836 Kibyoshi 656 Kilroy 771
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Kinderspiel 185 Kinegram 169 kinematografischer Text 133 Kineograph 116 Kinesis 132 kinetic art 104, 116 kinetic poetry 212, 267 kinetic writing 148 kinetische Konstruktionsebene 113, 278 kinetische Literatur 214, 300 kinetische Lyrik 130, 278 kinetische Plastik 113 Kinetische Poesie 1, 34, 39, 104 ff., 561 kinetischer Rhythmus 113 kinetisches Lichtspiel 164 Kinetismus 104 Kinetographie 132 KINKON 267 Kinodram 111 Kinoglas 110 Kinostil 110 Kirchenlied 582 f. Klang-Aktion 84 Klang-Kalligrafie 81 Klangbrücke 53 Klangexperiment 50, 79 Klangfarbe 53, 56, 58, 543 Klangfigur 49, 58 Klanginstallation 53 Klangkörper 91 Klangmalerei 50 Klangobjekt 76 Klangpoesie 43, 50 Klangpunkt 62 Klangskulptur 53, 57 Klangwert 367 Klebebild 332 Kleinbuchstaben 701 Kleinschreibung 363, 492 Kleinzeichen 477 f. Knishki 715 Knotenschrift 462 Knowbotic Research 178, 246 f. Koautor 625 Kofferaufkleber 725 Kollaboration 174, 178, 220, 225, 563, 704, 836 Kollaborationsstruktur 845
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Sachregister
Kollaborationstext 266 kollektiv 225, 831 Kollektivarbeit 32 Kombination 30, 79, 81, 107, 137, 185, 193 f., 214, 219, 276, 290, 345, 360, 370, 372, 394, 499, 512, 561, 571, 625, 645, 760, 776, 820 Kombinationsfähigkeit 138, 620 Kombinationskunst 44 Kombinationsmöglichkeit 10, 183, 185, 197 Kombinatorik 1, 180, 185, 211, 271, 386 f., 820 kombinatorisch 180 f., 553 kobinatorisch-aleatorisch 553 Kommandostab 463 Kommunikation 13, 112, 142 f., 178, 194, 220, 227, 232, 236, 266, 307, 342, 421, 453, 455, 466, 473, 562, 716, 771, 805, 814, 820 f., 831, 833, 843, 845 ff., 860 f. Kommunikationsapparat 226 Kommunikationsautomat 143 Kommunikationsbrücke 152, 805 Kommunikationsform 454, 563, 847, 862 Kommunikationsfunktion 672 Kommunikationsgesellschaft 143, 862 f. Kommunikationshaltung 385 Kommunikationskanal 867 Kommunikationskunst 827 Kommunikationsmechanismus 178, 861 Kommunikationsmedien 112, 250 Kommunikationsmittel 138, 142, 820 Kommunikationsmodell 152, 178, 550, 849, 853, 863, 867 Kommunikationsnetz 230, 827 Kommunikationsplattform 178, 230 Kommunikationsportal 225 Kommunikationsprojekt 143, 829 Kommunikationsprozess 233, 750, 860, 867 Kommunikationsraum 773, 867 Kommunikationsschema 441 Kommunikationssituation 275, 816 Kommunikationsspiel 449, 823 Kommunikationssprache 306
Kommunikationssystem 10, 112, 641, 744, 860, 867 Kommunikationstechnologie 251 Kommunikationstext 642 Kommunikationsveränderung 861 Kommunikationswillen 843 Kommunikator 178, 867 Komplexität 224, 437, 449, 681, 860 Komposition 53, 61, 71, 79, 90, 96, 130, 210, 280, 314, 333, 340, 358, 421, 695 Kompositionsapparat 81 Kompositionsform 432 Kompositionsweise 74 Konzept Art 37 f., 557, 829 f., 860 f., 863 Konfiguration 179, 250, 406 konkrete Dichtung 7, 119, 270, 299, 304, 313, 433, 434, 441, 445, 447, 449 konkrete Kunst 2, 31, 221, 278, 315 f., 433 ff., 447, 599 Konkrete Poesie 1, 3, 6 f., 10 f., 13, 24, 26, 28, 30 ff., 36, 37, 69, 133, 169, 221, 270, 304, 311, 312 ff., 548, 554, 563, 625, 628, 631, 674, 681, 749, 796, 858, 864 konkrete Poeten 3, 6, 31, 104, 120, 133, 317, 363, 373, 406, 411 konkreter Dichter 313 Konkretion 371, 431 Konkretisierung 11, 731 Konkretismus 305, 430, 440, 835 konkretistisches Bildgedicht 554, 628 ff. Konnex 20 konsequent 322 f., 337, 348 Konsonantenalphabet 473 Konstellation 24, 30 f., 120–122, 135, 242, 271 f., 275, 282, 288, 303–305, 308 f., 313, 334, 339, 344, 356, 395 f., 403, 406, 440, 444 f., 449, 470, 553, 575, 581, 628, 630, 642, 718, 731, 799, 842, 856 Konstruktion 88, 113, 287, 299 f., 308, 321, 327, 334, 342, 344, 398, 439, 441, 450, 545, 548, 554, 557, 561, 577, 623, 781 Konstruktionsbestandteil 348 Konstruktionsebene 117, 278, 487, 839 Konstruktionsprinzip 572, 631 Konstruktionsweise 433
Sachregister konstruktiv 317, 438, 637 Konstruktivismus 113, 201, 317, 319, 355, 432, 641, 716, 860, 863 konstruktivistisch 201, 319, 354, 716, 848 Konsumzwang 445 Kontext 244, 248, 266, 431, 438, 487, 707, 778, 799, 802 f., 804, 852, 858, 860 Kontextbegriff 858, 860 f. Kontextbewußtsein 681 Kontextbezug 857 Kontextgrammatik 856 Kontextmechanismus 861 Kontextsound 15, 44 f., 49 kontextuell 260, 437 Kontextzusammenhang 862 f. Kontinuum 122, 645, 664, 696 Kontur 13, 149, 321, 478 Konvergenz 34, 219, 550, 719 Konzept 53, 57, 153, 220, 248, 452, 639, 650, 745, 784 ff., 799, 866 Konzept-Poesie 34 Konzeption 189, 341, 421, 438, 572, 807, 861 konzeptionell 37, 214, 447 f., 449, 562, 815 Konzeptkünstler 420 Konzeptualist 823 Kooperation 117, 220, 226, 708, 830 Kooperationsnetzwerk 5 Kooperator 117 Kopf des Betrachters 90, 117, 697, 809 kopieren 848 ff. Kopiertechnik 856 Kopist 689, 695, 701 koproduzieren 228 Koran 601, 779 Körperkalligrafie 260, 556 Korrelat 18 Korrespondenz 358, 495, 681, 686, 758, 794, 824 ff. Korrespondenz-Sprache 495 Korrespondenzkarte 821 Korrespondenzkonvolut 823 Kosmos 125, 271, 580 f., 814 f. Kreationsinstrument 143 Kreativitätshilfe 200
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Kreativraum 823 Kreisform 525, 572 Kreisscheiben 203, 280 Kreuz 274, 373, 503, 575, 614, 684, 707, 774, 843 Kreuzgedicht 501, 503 f. Kreuzworthymnus 565, 567 Kreuzwortlabyrinth 183, 499, 501 Kreuzwortstruktur 483, 565 f. Krise 326, 715, 726, 863, 865 Krumauer Bildercodex 489 kryptisch 520, 572, 575, 637 Kryptographie 483, 495, 520 kryptografisch 554, 691, 706 Kryptographisierung 520 Kryptologie 307, 484, 508 Kryptosystem 495 Kryptotext 495, 520 Kubismus 2, 96, 112, 272, 333, 340, 343, 369, 697, 724, 738 f. Kubofuturismus 45, 335, 713, 715 f. Kubus 172, 189, 499, 799 Kufimotiv 599, 601 Kulturapokalypse 852 Kulturkreis 6, 475, 603 Kulturkritik 864 Kulturnetz 232 Kultwert 850 Kunst als Verkehr 226, 467 Kunst am Bau 776, 802, 813 Kunst der Geisteskranken 765 Kunst der Kommunikation 823, 845 Kunst des Verschwindens 808 f. Kunst im Netzwerk 230 Kunst im öffentlichen Raum 770, 776 f., 781, 797, 802 ff. Kunst und Leben 441 Kunst-Austauch-Korrespondenz 825 Kunst-BTX/MUPID 140 Kunst-Code-Sprachen 249 Kunstanspruch 844 Kunstart 18, 360, 548 Kunstauffassung 537, 827, 851 Kunstbegriff 262, 323, 724, 849 Kunstform 96, 107, 256, 452, 510, 554, 769, 862 Kunstgattung 3, 17, 44 Kunsthandwerk des Sehens 864
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Sachregister
Kunstkanon 735 Künstler-Ingenieur 200 f. Künstlerbrief 557, 562, 820 f. Künstlerbuch 23, 89, 276, 420, 557 f., 710, 719 Künstlerhologramm 155 Künstlermitteilung 830 Künstlerplakat 790 Künstlerpostkarte 557, 614, 820 f., 823 Künstlerschaufenster 800 Künstliche Intelligenz 198 f., 204 künstliche Poesie 207 künstliche Sprache 49 Kunstnetz 524 Kunstpoesie 207, 539 Kunstschrift 467, 488, 520, 553, 556, 689, 729, 739 Kunstsprache 249 f., 488 Kunsttypus 548 Kunstzeitung 560, 833 Kurrentschrift 587 Kursivschrift 698 f. Kurzschrift 326, 545 Kuukaku 700 Kybernetik 164, 202 f., 209 Kybernetisch/cybernetic 27 f., 113, 164, 204, 209, 241–243 Kybernetische Poesie 28 Kyselak 771 L.A.I.R.E. 220 La Lipo 170 La Plissure du Texte 228 Labilität 266, 805, 862, 867 Labordichtung 11 Labyrinth 219, 246, 280, 416 f., 419, 430, 499, 501, 518, 527, 566, 570, 650 Labyrinth Poem 566 Labyrinth-Text 219, 246, 341, 501, 520 Labyrinthgedicht 1, 499, 501, 521 Laien-Bibel 489 Laien-Schrift 19 land-art 820 Landschaftsgedicht 632 Laokoon 17, 51, 483, 534 f., 537, 540 f., 547, 549, 725 Lascaux 459, 461, 652 Laser 164 ff., 639, 849, 863
Laserstrahlenexperiment 153 laterna magica 114 f. Laufband 159, 161 Laufschrift 162, 430 Lautalphabet 456 Lautbild 331 Lautgedicht 11, 43–45 f., 49 f., 53, 84, 94, 155, 322, 361, 364 f., 367, 374, 750 Lautmalerei (siehe Onomatopoie) Lautmusik 43 f., 46, 94 Lautrebus 20 f., 472, 474 Lautschrift 19, 21 Lautsprache 454 Lauttext 33, 43 f. Lautzeichen 117, 455 Le Livre 74, 120, 214, 271, 398 Le Plaisir du Texte 228 Lebensbaum 528 f. Lebensrad 115 Lecture, Art, Innovation, Recherche, Écriture 220 LED 153, 162–164 Leere 12, 122, 355–358, 365, 393 f., 555, 700, 727 Leerraum 270, 405 f. Leerzeile 372, 398 Legible City 153, 240 f., 244, 246 Lehrbild 20, 514 Leiden 779 ff., 781, 782 ff., 786 f., 789, 781 Leipziger Künstlergruppe 162 f. Leporello 122, 125, 128, 295, 719, 841 Les Immatériaux 140, 228 Lesbarkeit 85, 466, 696 f., 743, 841 Lese-Aktion 826 Leseablauf 284 Leseanweisung 503 Lesebild 12, 563, 790 Lesbilderbuch 487 Lesefläche 794 Lesekontinuum 797 Leselandschaft 756 Leselied 90 Lesemaschine 185 Lesemöglichkeit 181, 274, 304, 308, 499, 577 f. Leseplastik 32 Leseprozess 278
Sachregister Leserichtung 10, 149, 219, 277, 280, 284, 300, 308, 565 f., 620, 781 Lesesystem 405 Leseverhalten 125, 277, 282, 293, 300 Lesevorgang 137, 277, 309, 360, 437, 696 Lesezeit 745, 747 Letter-Konstruktion 637 Letterhäufelung 50 Letternfeld 117 f., 750 Letternobjekt 32 Lettrismus 12, 46, 132, 386 f., 391, 450, 467 f., 628, 793 Lettristische Internationale 450 Leuchtbildtafel 162 Leuchtfeuertelegrafie 488 Leuchtschrift 153, 162 Lexikonroman 214 lian-huan-hua 655 Licht-Raum-Modulator 57 Licht-Text 31, 157 f. Licht-Vision 57 Licht-Bild-Objekt 155 Lichtenberg-Figur 58 Lichtinstallation 153 Lichtkunst 157, 159 Lichtobjekt 155 Liechtspiel 164 Lichtzeitung 161 Liederbilder 90 f. Ligatur 468 Light Reading 133 Lightstick 164 f. line poetry 602 linear 151 f., 175, 177 f., 265, 269, 308, 421, 438, 460, 550, 642, 728 f., 795, 856 Linear A 473, 475 Linear B 473 Linearität 173, 438, 730 lingua ignota 495 lingua universalis 305, 307 lingual music 44 Lingualisierung 2, 707, 724 ff., 727 f. linguistisch 309, 311, 452, 532, 554, 641, 727 lingustische Wende 452 Linie 10, 79, 293, 315, 319, 321, 684, 689, 696, 739, 743, 749
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Linien-Netz 279, 626 Liniengebärde 61 Liniengebilde 21 Liniengedicht 521, 553, 624 ff. Liniensprache 208 Lipogramm 572 Lippen-Artikulations-Alphabet 488 Lippengedicht 261 literally speaking 45 Literarischer Jugendstil 36, 312, 672 Literarisierung 779 ff. literary holography 173 literary turn 864 LiteraTour-Pfad 812 Literatur zum Pflücken 816 Literaturmaschine 199 Literaturmetaphysik 202 Litfasssäule 725, 784, 790, 797 liturgische Texte 428 livre-objet 721 LoCos 306 Logografie 465, 475 logografisch 465, 470, 475, 692 Logogramm 466, 508, 692 Londoner Psychogeographische Gesellschaft 450 Lord-Chandos-Brief 326 Löschblatt-Arbeit 337, 745 Loseblattsammlung 204, 409, 843 Lotterie 195 f., 197 Lotterie-Roman 195 f. love knot 501 f., 598 Lubok 530 f., 657, 715 ludisch 485 Ludismus 386 lyrisme visuel 546 M.A.C. 314 Madrigal 67 Magie 157, 259, 368, 398, 458, 571, 577 f., 599, 651 magisches Quadrat 368 Mail Art 33, 39 f., 232, 562 f., 824–831, 833, 836, 839, 843–846 Mail Art Collection 844 Mailbox 228, 826, 849 Mailinglist 226 Makette 684
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Sachregister
malende Poesie 510 Maler-Poet 725 Malerbuch 557 f., 710 Mandala 233, 591 Manga 155, 555 f., 655 ff. Manhattan Version 153, 245 Manierismus 12, 14, 44 manifeste du spatialisme 26, 268, 704 manifeste de la poésie lettriste 386 f. manifeste du surréalisme 190 f., 198, 765 manifesti futuristi 45, 52, 109, 111 f., 138 Manifesto for Concrete Literature 682 Manipulation 180, 183, 204, 220, 240, 264 f., 271, 278, 291, 311, 403 manuelle Bewegung 311 Map 244, 522, 682 f. Marke 461 f. Markowsche Kette 202, 209, 211 Mas d' Azil 461 Maschinen-Mann 198 Maschinen-Poesie 200 maschinengeschriebener Film 135 Maschinenorchester 53 Massenkommunikation 867 Massenkommunikationssystem 176 Massenmedium 139, 144, 166, 237, 530, 667, 670, 672 Massora 594 Materialbegrenzung 440 Materialbegriff 449 Materialbewusstsein 169, 321, 327 Materialbuch 411 f., 721 Materialcharakter 334, 363, 445 materiale Kunst 433 materiale Poesie 28 Materialkonkretisierung 368 Materialqualität 311, 327 Materialsammlung 419 Materialsaspekt 328 Mathematik 119, 207 ff., 313, 330, 339, 368, 433 f., 543 Mathématique et les Ordinateurs 220 mathematisch 67, 117, 132, 183, 208 f., 369, 403, 433 f. Mathematisierung der Philosophie/der Literatur 180, 208
mathesis universalis 208 MATRIX 106, 140, 246 Maulkonzert 45 Maultrommelklangbildgedicht 94 Maulwerk 52 mechanisches Kunstwerk 198 Mechanisierung des Sehens 864 Medaille 508 media art 139, 142, 178 f. Media-Lab 227, 232, 234 Mediale 142, 224 Medien Kunst 14, 33, 137, 139, 176, 264, 312, 456, 851, 853 Medien-Partitur 560 Medien-Textbild 560 Medienarchäologie 465 Medienbiennale 140, 149, 162, 213 Medienentwicklung 14, 450, 712, 805 Mediengeschichte 465 Medieninstallation 33 Medienlandschaft 797, 863 Medienphilosophie 306, 852 Medienpoesie 354, 392, 693, 790, 796 Medienproduzent 228, 852 Medienraum 814 Medienspektrum 311 Mediensystem 860 Medientechnologie 34, 176 Medienumbruch 553, 853 Medienwechsel 549, 691 Medienwerkstatt 227 Medium 179, 235, 266, 317, 416, 441, 443, 447, 550, 558 ff., 627, 629, 684, 712, 853, 862 Mehrdeutigkeit 394, 675, 842, 852 Mehrfachbegabung 722 Mehrfachlesung 173 Melogramm 91 f. Memex 216 Memorialblatt 522 Mensch-Maschine 198, 202, 236 Menschenkonstruktion 198 MERZ 348, 356, 360, 667, 839 Merzgesamtkunstwerk 360 Mesostich 623 Message 122, 198, 209, 375, 494, 845, 853, 867 Meta Wien 235
Sachregister meta text 246 Metacode 549 métagraphie 387 Metakunst 868 Metapher 233 f., 298, 431, 511, 633, 747, 793 f., 857 Metaphernspiel 94 Metaphorik 131, 303, 345, 497, 503, 520, 560, 820 metaphorisch 36, 202, 248, 309, 430, 510, 631, 856 Metaphysik 112, 368 f., 815 Metapoesie/Metapoetry 2, 34 Metasprache 856 Metatechnik 202 metrische Poesie 28 mezangelle 249 Microsoft 216 Mikrographie 556, 591, 594 f. Mimesis 432 mimetisch 7, 251, 309, 334, 434, 553, 695 Mind-Machine 237, 252 minimalistisch 250 f., 760 MINITEL 140, 256 Mir Iskusstva 713, 716 MIRACLE 307 Mischform 7, 29, 34, 417, 439, 739 Mischna 594 Mischung 75, 136, 408, 470, 521, 532, 540, 547, 760 MIT 164, 204, 244, 254, 455 Mit-Künstler 220 Mitarbeit 76, 270, 809 Mitautor 197 Mitmedien 74 Mitproduzent 173 Mitschreibeprojekt 160, 224 Mitspiel 189, 370 Mittelachse 330 f., 582, 790 Mittelkunst 44 mixed media 38, 103, 137, 689, 827 mixed realities 264 Mnemonik 19 f. mnemotechnisches Alphabet 488 Mobile 74, 76, 299, 398 f. mobile 120, 271, 276, 786 Möbius 223, 275, 719
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Moche 461 Modul 73 Möglichkeitstopos 447 Moiré-Effekt 111 monochrom 727 Monogenese 453 monografisch 692 Monogramm 514, 692 Montage 107–110, 114, 146, 171, 200, 332 ff., 345, 348, 350, 406, 409, 547, 552, 669, 677 f., 681, 739, 791, 822, 836, 849 Montage-Text 191 Montageprinzip 138, 421 Montagetechnik 108, 110, 856 Montagetheorie 107, 131 Montageverfahren 332 Monte-Carlo-Text 204 monumentale Kunst 542 Morphem 345, 438 Morsealphabet 467 Motion Graphic Design 140, 152 motion poem 304 Motorisierung des Blicks 866 Motto 513, 554 mouvement international 27 movimento arte concreta 314 moving objects 115 Multi User Dungeon/MUD 227 Multimedia 103, 150 f., 155, 223, 251, 264 f., 307, 856 multimedia poetry 264 Multimedia-Netzliteratur 251 Multimedia-Performance 264 Multimediale 147 Mural 776 musica visiva 96 Musicalische Poetetey 70 Musik zum Sehen 94 Musikalische Grafik 1, 32, 34, 39, 55 ff. musikalische Poesie 546 musikalischer Lettrismus 44 musikalisches Sprachabenteuer 79 Musikalisierung des Sehens 65 Musikalismus 71 Musiktabulatur 65 Musikvideo 57, 150, 152 Musikvisualisierung 57
956
Sachregister
musique concrète 52, 221 Mutation 117, 208, 250 f., 256 f., 862 Mutoskop 116 Muurgedicht 779, 781, 786 Mythos 73, 163, 456, 468 Nabis 725, 732 Nachahmung 195, 320, 334, 534, 714 Nachbarkunst 13, 36, 322, 551 Nachbildeffekt 164 Nachbildwirkung 115 Nagabandha 502, 598 Nagapas´a 598 NAMAC 232 Nanopoetry 258 narrativ 127, 146, 398, 465, 684, 856 Narrenbilderbogen 658 National Alliance for Media Arts and Culture 232 National Center for Supercomputing Applications 216 Naturalismus 334 natürliche Poesie 207 Naturpoesie 207, 539 navigieren 117, 197, 240, 242, 244 f., 620, 636 NCSA 216 Nebeneinander der Künste 470, 477, 489, 531, 534, 540, 545, 650 Neo-Avantgarde 26, 31 f. Neologismus 704 Neon-Gedicht 157 Neon-Leuchtschrift 153, 810 Neon-Lichtinstallation 153 Neon-Schrift-Installation 155 Neon-Skulptur 155 Neonistallation 155, 159 Neontext 157 Neschi-Schrift/Neshi-Schrift 280, 601 Net-Poesie 151 Network 140, 177, 226, 228, 230, 232, 386, 563, 824 f., 836 f. Network Atlas 825 Netzkommunikation 853 Netzkunst 232, 264, 665 NetzkunstWörterBuch 160 Netzliteratur 160, 179, 189, 251 Netzprojekt 247
Netzwerk 140, 230, 232, 317, 524 f., 825, 827–829 Netzwerk-Poesie 524, 639, 681, 856 f. Neue Innerlichkeit 221 Neues Hörspiel 53, 74, 85 Neumennotation 65, 703 Neurobionik 252 Neurotechnologie 255 Neuruppiner Bilderbogen 530, 532, 658 New Media Poetry 141, 145, 174, 179, 272 New York Avant-Garde 375 New York Correspondance School (NYCS) 824–826 nichtlinear 152, 174, 177, 213, 219, 284, 438, 559, 578, 795, 856 Nieuwe Realisten 671 f. Noigandres-Gruppe 24, 26, 30, 117, 270, 312 f., 317, 380, 423, 440, 678 Nonsense 38, 49, 212 Normalschrift 565, 684 Notation 52 f., 55, 63, 67, 69, 74 f., 81, 83–85, 91, 100, 132, 276, 560, 778 Notationsexperiment 76 Notationsform 85, 90 Notationsschrift 691 Notationssymbol 63 Notationsversuch 84 Notationsweg 42 Notenschrift 55 f., 63, 69, 767 Notenzeichen 101, 369 Nouveau Roman 398 numeracy 465 Nummernzeichnung 767 Obelisk 503, 505, 507 f., 513, 632 Oberdada 195 Oberton-Artikulation 49 object music 39 f. object poem 34, 39 f. Objekt-Beschriftung 470, 761 Objekt-Musik 150 Objektbuch 686, 719 ff. Objektgedicht 32 Objektmontage 560 objet trouvé 125 Oblatenbildchen 333 Ode 170, 302, 339, 684
Sachregister offen 686, 731, 756 offene (Form) 26, 71, 73 f., 76, 119 f., 197, 270 f., 392, 396, 409, 437, 511, 547, 563, 639, 786, 788, 813, 857 Offene Buch 786, 788 offene Partitur 76 offene Schreibweise 392 offenes Kunstwerk 71, 120, 270 f. Offenheit 71, 120, 302, 394, 409, 411, 447, 724, 828 Ohrbild 50, 331 Ohrbrücke 53 one-way-Kommunikation 867 Online-Interaktion 140 Onomatopoie 49, 322, 361, 448, 454, 647 Op-Art 2, 111, 650 opera aperta 71, 73, 120 optical moiré 111 optische Musik 57 Optische Poesie 1, 36, 38 f., 63, 331, 375, 520, 864 optische Semantik 221 optisches Lautgedicht 94 Optisierung der Poesie 547 Opto-Phonetik 43 Optophon 43 optophonetisch 791 optophonetisches Gedicht 43 f. optopoetisch 812 oral poetry 265, 778 Oralität 693 organisch 254, 271, 321, 352, 511, 530 organisches Kunstwerk 73 Originalbegriff 849 Originaltyposkript 411 orphisch 71, 398, 570, 623 OuLiPo 170, 220 OZ 776 painted poems 738 painter-poet 543, 708, 730 Palimpsest 260, 520, 762 Palindrom 30, 83, 145, 172, 284, 330, 406, 572, 577, 579, 602 Palm Poetry 261, 490 Pangramm 847 pantheistisch 508
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Paper as Poetry 558 f. paper music 133 Papierfläche 304, 393 Papierobjekt 191, 558 Papierschöpfung 558 Papyrus 127, 555, 570 f., 573, 575, 643, 653 f., 789, 854 Paradigmenwechsel 2, 152, 452, 549, 724 Paragone 534, 536 Paraphrase 211, 430 Paratext 769 Paris Dada 350 Pariser Salon 226 Parodie 49, 96, 255, 288, 339, 365, 618 parole in libertà 335 ff., 340 f., 344, 722, 791 Partitur 52, 55, 60, 63, 65, 67, 69, 71, 74 ff., 79, 83 ff., 88, 94, 96, 101, 130, 393, 398, 401, 406, 449, 560, 760, 764 Partizipation 197, 220, 836, 862 Partizipationskunst 220 Pasiega 460 Pasigraphie 20 Pattern Poetry 5, 65, 219, 280, 295, 297, 596, 602 f., 606 Paulini-Alphabet 488 PC-Poesie 33, 151 Pegnitzschäfer 50, 226, 368, 658 Peinture à la lumière 849 Pelike 643 f. Pennybook 116 perception 146, 209, 237, 452 Performance 39, 40, 45, 51, 53, 79, 146, 149–151, 252, 254, 256, 262, 264 ff., 531, 824, 849 Performance Poetry 265 Perl 249 Permutation 13, 30, 79, 125, 132, 137, 181, 183, 185, 194, 271, 278, 287 f., 290, 293, 373, 406, 439, 444, 499, 566, 572, 597, 623 Permutationsstruktur 483 Persiflage 406 Petroglife 462 Pflückbuch 816 f. Phainomena 521 Phantasie 23, 109, 112, 191, 601, 633, 765, 831
958
Sachregister
Phasenbild 116, 652 Phellografie 399 Phenakistikop 115 Phonem 345, 438 phonetisch 21 f., 26, 28, 43, 214, 267, 302, 336, 340 f., 369, 387, 439, 449, 470, 473, 479, 611, 695 Phonetische Poesie 11, 26, 28, 43 f. phonografisch 475 ff., 691, 693, 725 Phonogramm 470 Phonozentrismus 692 Phontext 44 Photo-Literatur 123 photocopier 291 photogenisches Gedicht 57 Photogramm 400, 848 photographische Bewegungsreihen 114 f. piano optophonique 57 Piazza Virtuale 142 f. Pictograph 31 Pictopoezie 24 f., 546 Pictura 482, 513, 515 f., 518, 520, 686 Piece 558, 777 Piktografie 453, 459, 465, 497 piktografisch 465, 470, 475 f., 479, 691 Piktogramm 20, 22, 30, 52, 303 f., 306, 346, 406, 408, 456, 459, 463, 465 ff., 468, 470, 556, 628, 674 Piktogramm-Sprachensystem 306 Pismo 756 Plakat 125, 162, 532, 675, 712, 717, 722, 725, 785, 789–791, 793 f., 795, 797 f., 825 Plakatgedicht 2, 45, 350, 562, 784, 789, 791, 793 f., 796 Plakatierung 641, 784, 789–791 plakativ 441, 729, 787 Plakatpoesie 793 Plakattext 53, 191, 795, 797 ff. plano-pilóto 24, 317 Plastikbuch 719 Platonismus 435 Pochoirs 776 POE 210 poem art 210 Poem Generator 212 poem-machine 274
poem-object 385 poem-video 151 poème-affiche 794 poesia sonora 44 poesia tipogràfica 339 poesia visiva 7, 96, 123, 282, 383, 445, 561 poesia visuale 7, 302, 445, 561 poésie cinétique 116, 268 poésie concrète 27 f., 117, 269 poésie cybernétiques 27 poésie objective 27 poésie phonétique 27 poésie phonique 27 poésie spatiale 26, 268 Poesie-Animation 210, 240 Poesie-Automat 197, 203, 211 Poesie(-Bild)-Generator 63, 212, 265 Poesie-Hologramm 176 Poesie-Performance 45, 264 Poesie-Taxis 786 Poesie-Uhr 272 f. Poesiemaschine 197, 200, 202, 210, 274, 276 Poesieraum 238 Poesiewald 528 Poesiographie 23, 546 Poetic Oriented Evaluation 210 Poetics of Performance 51 Poetik 7, 11, 26, 33, 73, 106, 152, 251, 328, 403, 482, 503, 537, 572, 641, 692, 862 poetisch-bildhaft 527 poetische Malerei 546 poetische Musik 546 poetisches Kunstwerk 73 Poetismus 43, 262, 393, 397, 543, 547, 793 poetree 528 POETRONICS 157 poetry in motion 311, 786 Poetry Intermedia 34 f. Poetry Slam 51 poezo-painting 546 Pogrammiersprachen-Lyrik 250 f. Polaroid-Collage 684 Polipoesia 44, 150 Polygenese 453
Sachregister polyphone Struktur 74 Polytypografie 399 Ponton European Medie Art Lab 142 f. Pop 2, 37 f., 221, 411, 450, 556 f., 656, 665, 667, 669 f., 671 f., 674 f., 677, 824, 863 Pop-Literatur 411, 667, 670–672, 674 Pop-Up 721 popular image 669 Portrait-Mikrographie 594 Post Versand Roman 412 Post-Fluxus-Art 825 Postabwürfe 809 Postcard-Story 833 Poster (Poem) 34, 237, 527, 665, 790, 793, 795 Postkarten-Aktion 833 Postkartencollage 823 Postkartenkunst 824 Postmoderne 495, 670 Poststrukturalismus 146 Präraffaeliten 543, 725 Praxinoskop 116 PRESTEL 141 Primitivismus 715 Produktivistenmanifest 314 Produktivität 33, 227, 309, 437, 639, 765 Produzent 117, 266, 550, 695, 749, 853, 864 Programmatik 24, 46, 106, 120, 130, 139, 198, 278, 309, 311, 327, 401, 423, 431 ff., 445, 520, 669, 670 f., 674, 706, 791, 794, 835 Programmiersprachen 249 ff. Programmiersprachen-Lyrik 251 Programmierung 10, 69, 125, 157, 164, 193, 197, 199, 204, 207, 856 Programmtitulus 512 Progression 121, 125, 419 Projektion 162, 165, 170 f., 358, 639 Proletkunst 355 Prosagedicht 316 Protestbewegung 671 f. Proteus 181 Prothese 350, 865 Prothetisierung 199, 237, 252, 728, 866 Proun 314
959
Prozess 33, 110, 119 f., 161, 166, 178, 180, 220, 223, 225, 227, 247 ff., 250, 255, 271, 437, 449, 452, 470, 750, 830, 834, 845, 853 prozessual 33, 220, 224, 227, 271, 278, 750 f., 756, 862 prozessualer Text 33, 278 Pseudoschrift 762 public domain 247 PublicArt 802 puirt-a-beul 49 Purifikation 327 Purismus 341, 711, 762 PVC-Folie-Postkarte 824 Pyramide 477, 503, 505, 554, 614, 625, 632 f., 852 Pyramidengedicht 614, 625 Quadrat 121, 274, 284, 287, 304, 308 f., 352, 354 f., 358, 368, 372, 416, 420 f., 499, 501, 522, 572, 577 ff., 580, 589, 623, 627, 684 f., 698, 749, 834 f. Quadratroman 421, 618 Qualität (künsterische) 151, 178, 213, 302, 437, 548, 660, 826, 844 Quedlinburger Itala-Fragment 488 f. Quipu 462 f. Quodlibet 333 radiogene Poesie 43 Radiopoesie 52 Radioqualia 178 Radiotheorie 226 random 265, 284, 439, 682 rap 51, 153 Rasierklingengedicht 462 Rätsel 181, 397, 483, 487, 499, 510, 513, 515, 554, 564 f., 570, 644 Rätselkanon 65 Rästelkonstruktion 572 Rätselpyramide 505 Rätselschrift 508 Rauchwolkenbeschriftung 784 Raum-Zeitgefüge 237, 270, 392, 550, 867 Raumbegriff 805 Raumdefinition 817 Raumerweiterung 177
960
Sachregister
Raumgedicht 32 Raumkonstruktion 432, 625 Raumkontext 787, 802 Raumkonzeption 812 Raumpoesie 26, 28, 686 Raumvorstellung 810, 867 Rayographie 848 Readymade 125, 193, 350, 454, 727, 850 reale Kunst 318 reale Zeit 113 Realistisches Manifest 314 Realitätsbegriff 852 Realitätsvorstellung 868 Rebus 19 f., 22, 36, 403, 406, 472 f., 477, 479, 483 f., 485, 491 f., 494–499, 503, 505, 508, 514 f., 518, 520, 554, 570, 708 Rebusbrief 497 Rebusflugblatt 20, 483 f. Rebusschrift 470, 473 f., 476, 479 Rechenmaschine 199 Recherches d’art visuel 167 recombinant poetics 248 redendes Signet 515 redendes Wappen 508 Reduktion 250, 287, 317, 321, 345, 384, 420, 439 f., 449, 465, 470, 497 f., 514, 518, 548, 554, 558, 859 Reflection Hologram 176 Reflektorische Farblichtspiele 57 Regelschrift 587 Regenbogen-Transmissions-Hologramm 166 Reklame 152, 155, 350, 352, 548, 784, 796 Relativitätstheorie 111 Renaissance-Hieroglyphik 21, 484, 505, 511 ff., 664 Renga 226 Renshi 226 Repräsentation 428, 726, 851 Reproduktion 32, 124, 698, 793, 848–852 Reproduktivität 860, 864 Reproduzierbarkeit 847 ff., 850 Reverse Graffiti 776 Revolution 45, 299, 328, 334, 363, 374, 442–444, 450, 468, 532, 717, 780
Revolution der Lyrik 328 f., 335, 374 Rezeption 28 f., 45, 230, 348, 358, 367, 370, 437, 503, 505, 531, 599, 619, 769, 856, 860, 867 Rezeptionsverhalten 36, 672 Rezepzionsvermögen 864 Rezipient 117, 178, 189, 227, 270 f., 266, 276, 311, 348, 370, 385, 421, 437, 455, 562, 693, 694 f., 731, 809, 812, 814, 853, 864, 867, Rhetorik 32, 110, 131, 528, 539, 597, 857 Rhizom 219, 246 Robotik 198, 252, 264, 266 Rojo 150, 249 Rollenbild 125, 127 f., 130, 656 Rollenbuch 128 Rollhandschrift 555 Rollsiegel 837 Romanform 188 Rose 274, 280, 282, 421, 429, 614, 778 Rösselsprung 598 ROSTA 532, 792 rota 577 Rotation 115, 131, 274, 287, 297 RTTY Art 614 Rubber Stamp 560, 830, 837 Rundscheibe 274, 279, 420 Rune 462, 488 Russische Schule 131 Sa-um 695, 758 f. Sakkara 774 Samizdat 530, 717 Samopismo 759 Sanghjang 49 Sanskrit 15, 501, 555, 596 ff. Satelliten Projekt 53, 142 SATOR 83, 354, 577–79, 581 Satzspiegel 10, 297, 358, 392, 399, 403, 417, 420–422, 582, 711 f., 714, 795 Satzzeichen 341, 405 Säule 158, 508, 580, 629, 653, 805, 807 Scat(-Gesang) 50, 52 Schach 181, 183, 284, 499 Schachgedicht 499 Schadographie 734 f., 848 Schallplattenhülle 725
Sachregister Schapyrograph 848 Schaufensterkunst 562, 800 Schedelsche Weltchronik 422 scheinpartitur 91 Schemabild 32 Schepperwocki 212 Scherz-Rebus 498 Scherzbuch 721 Schizophrenie 219, 765, 767 Schlangenbindung 598 Schlangenlinie 214 Schlangenwindung 598 Schlüsselgedicht 462 Schlüsselroman 520 Schlusssequenz 147 Schnell-Kunst 112 Schnitzing Graffiti 776 Schönschreibgedicht 764 Schönschrift 698 Schöpfungsbildsequenz 422 Schöpfungshieroglyphe 536 Schöpfungsmythen 453 Schreib-Text 29 Schreibakt 756 Schreibbewegung 468, 740 Schreibbild 29 Schreibexperiment 226 Schreibkunst 481, 483 f., 556, 700 SchreibKunstRaum 800 Schreibmaschine 53, 123, 445, 615 f., 632, 847, 856 Schreibmaschinengedicht 124 Schreibmaschinenideogramm 31, 616 Schreibmaschinenpoesie 618 Schreibmeister 13, 689, 697 f., 701, 703 Schreibprozess 421, 756 Schreibspur 125, 745, 769 Schreibvorgang 696 Schreibzeit 745–747 Schrift-Bild 10 f., 18 f., 21, 28, 29, 37, 43, 63, 86, 360, 511, 568, 601, 691, 745, 748 f., 767, 847, Schrift-Bild-Verbindung 861 Schrift-Grafik 738, 740 Schrift-Musik 94 Schriftband 489, 555, 644, 648, 650, 652 Schriftbegriff 449
961
Schriftcollage 32, 333 Schrifteinfügung 726, 732 Schriftentwicklung 462 f., 465, 698 Schriftfeld 652 Schriftfilm 132, 138 f., 275, 800 Schriftkunst 481, 556, 587, 589, 599, 655, 712, 714 Schriftmagie 454, 487 Schriftmalerei 767 Schriftobjekt 638 Schriftrolle 295, 489, 648 Schriftscheibe 131, 275 Schriftspur 744 Schriftsymbol 477 Schriftsystem 453, 456, 470, 473 ff., 477 ff., 483 f., 518, 697 f., 739, 743 f. Schrifttafel 475, 643 Schrifttanz 43 Schrifttheorie 481 Schriftwortbild 696 Schriftzeichen 208, 299, 317, 346, 369, 461, 465, 470, 479, 481 f., 547, 553, 565, 585, 591, 642 f., 691, 696, 699, 701, 724 f., 760, 818, 835 Schriftzeichnung 743, 745, 756, 760, 763 Schule von Brighton 104 schwarz 94, 101, 121, 173, 288, 393, 420, 543, 589, 635, 747 Schwarzes Quadrat 355, 358, 416 Schwarzfeld 417 Schwefelpostkarte 824 Schwesterkünste 543 science art 39, 40 scrawle 127, 555 scribentisch 756, 760 Scriptogenesis 259 scroll 127 Sefiroth-Baum 218 f. Seh-Denk-Stück 861 Seh-Text 28 f., 32, 53, 563, 695, 790, 858 Sehmaschine 866 f. Sehtext-Geschichte 681 Sehtextkommentar 74 Sekundenstil 111 Selbst-Schrift 695, 759 Selbstreferentialität 715, 724 semantische Poesie 401
962
Sachregister
semantisches Netzwerk 525 Semantogramm 692 Semaphore 488 Semi-Wildstyle 776 semiotisch 30, 311, 340, 431, 444, 532, 554, 641, 691, 696, 760 Sender-Empfänger-System 550 Sensibilisierung 29, 864 f. Sequenz/sequentiell 73, 96, 121 ff., 147, 223, 242, 414, 417, 518, 524, 555, 631, 652, 656, 660, 664, 677 f., 681, 684, 686 f., 857 Serendiptity 133, 209 Serienfotografie 111 sesquipedalia verba 159 Setzkasten 350, 351, 356, 399–401, 406, 521 Shaker 494 f. Shikakushi 561 Shishi 561 Sho 700 sichtbare Musik 67, 546 Siegelschrift 587, 698 f. Sigel 467, 473 Sigelstein 461 Signal-Alphabet 488 Signalismus 561 Signalsprache 21 Signatur 32, 155, 357, 373, 643, 692, 769 f. Signaturenlehre 520 Signet 515, 769 Silbenschrift 19, 21, 465, 473, 475 f., 477 Simplestyle 776 Simulation 152, 202, 274, 852, 863, 867 Simultanität 71, 74, 128, 138, 152, 175, 177 f., 247, 266, 344, 393, 448, 545, 648, 806, 846, 863 Simultanwirkungen 271 Sinnbild 354, 356, 358, 512 f., 536, 601, 664 Sinnbildzeichenreihe 756 Sinnrebus 20 Sinnschrift 20 Sinnverborgenheit 394 Sinnverrätselung 558 Situationistische Internationale 450 Skriptorium 689, 703, 854
skriptural 29, 32 f., 69, 279, 557, 581, 591, 691, 735, 738, 740, 743, 745, 749, 761, 765, 769 Sky-Poem 164, 784 f. Slam-Poetry 33, 51 Slogantexter 213 Smiley 306 SMS 164, 250, 718, 845 Société Anonyme 374 Solar-Gedicht 784 SOLRESOL 306 Sondersprache 820 Sonett 185, 204, 497 f., 718 f., 820 Sonett-Maschine 185 Song-Dynastie 555, 655 Song-Transkription 477 Sonochromatoskop 57 Sonogramm 94 Sound Manipulation Poetry 264 f. Sound Poetry 11, 15, 39 f., 43 ff., 149 f., 212, 257, 259, 265, 602, 764 sound-Performance 85 Soundtext-Partitur 83 Space Art 264 Space-Time 146, 269 f. Spatialismus 26 ff., 268 f., 561, 642, 674, 704 Speaking Clock 272 Speaking Picture 282, 378 Spährenmusik 453 Siegelschrift 684, 744 f. Spiel 13, 44, 49, 79, 81, 88, 91, 137, 188 f., 287, 293, 295, 304, 311, 362, 368, 399, 421, 439, 442, 445, 472, 483, 486 f., 545, 564, 582, 620, 643, 664, 672, 750, 760, 796, 804, 807, 837, 863 Spielanweisung 63, 94 spielerisch 13, 36, 235, 238, 380, 417, 421, 485, 505, 558, 650, 767 Spielregel 147, 284 Spielstraße 804 Spieltext 406, 524 Spiralform 572, 767 Spiralgedicht 378 Spiralscheibe 284 Spiraltext 475, 566 spontaneous automatic writing 198 Sprache-Alchimie 44
Sachregister Sprach-Bild 511 Sprachbewusstsein 208, 311, 401, 678, 681, 858 Sprachblatt 117, 299, 755, 758 Sprachen-Ursprung 453 f. Sprachensystem 306 Spracherzeugung 200 Sprachexerzitien 750 Sprachexperiment 147 Sprachfilm 132 Sprachgrenze 20, 563, 845, 849 Sprachkrise 262, 510, 712, 715, 724, 726, 863, 865 Sprachkritik 433, 447, 715 Sprachkunstraum 815 Sprachmaterial 3, 10, 31, 137, 269, 300, 332, 340, 345, 348, 360, 363, 370, 403, 409, 421, 560 f., 563, 566, 639, 726, 756, 835 Sprachmaterialbewusstsein 401, 554, 858 Sprachmusik 44, 83 Sprachobjekt 421 Sprachprozess 320, 858 Sprachreflexion 157, 246, 509 Sprachskepsis 262, 325 Sprachspiel 120, 226, 247, 262, 403, 443, 487, 498, 510, 537, 620, 647, 812 Sprachsystem 52, 306, 860 Sprachverschleiß 408, 641, 782 f., 864 Sprachverwirrung 641 Sprachwerk im öffentlichen Raum 562 Sprachzeichen 288, 311, 327, 334, 518, 647, 819, 856 Sprayer 770, 775 ff., 785 Sprayer von Zürich 776 Sprechblase 96, 193, 555, 557, 614, 642, 650, 652, 654, 664 f., 675, 677, 687 Sprechblasenfunktion 645 sprechendes Bild 482 Sprechgedicht 30 Sprechmaschine 200 Spruchband 19, 22, 520, 555, 642, 647 f., 650, 652 Spruchbandentwicklung 647 Spruchbandvorlage 514 Spruchbuch 490 Spurensicherung 692, 863
963
Spurensystem Sprache 449 Stadtmöbilierung 787 Stadtraum 241, 246, 802 Stadtschrift Lüdenscheidt 782 Stadtstruktur 787 Stahlbeton-Gedicht 635 Stammbaum 457, 527 stamp art 260, 560, 820, 825, 830, 837 Stamp Body Art 260 Steganografie 484, 495, 520, 533 Steganologia 484 Stein von Rosette 474 Stellvertreterkonfiguration 254 Stemma 523 Stempelalphabet 842 Stempelbild 360, 839, 843 Stempeldruck 557, 716, 839 Stempelfunktion 830 Stempelkunst 830, 832, 837 Stempelsiegel 837 Stempelzeichnung 839 Stencil-Art 776, 785 f., 837 Stenogramm 112 stereometrisch 62, 625, 639 Stereoskopie 167, 236 Steuerungszeichen 455 Stijl (De) 312, 314, 317 f., 323, 340, 342, 352, 355, 367 stilus obscurus 520 stochastisch 28, 203, 205 stochastische Poesie 28 story art 684 Steckvers 160 street lettering 782 Strichcode 249 String 159 Stroboskop 115, 274 f. Strukturalismus 146 Strukturelement 327, 355, 514, 689 Studio für Akustische Kunst 52, 79, 675 Studio für elektronische Musik 94 Stummfilm 130 f. Sturm-Kreis 318, 328, 821, 839 Stuttgarter Schule 2, 188, 220 subscriptio 513, 686 Substanzbegriff 323 subversiv 670, 827 Suchspiel 619 f.
964
Sachregister
Suggestion 148, 258, 397 Superposition 346 Superzeichen 107, 157, 345 Suprematismus 314, 355, 726 f. Surrealismus 13, 190 f., 198, 226, 420, 430, 549, 721, 765 Syllabographie 465, 470, 479 Symbiose 306, 387, 455, 467, 477, 508, 545, 551 f., 687, 694, 739, 756, 760, 864 Symbiose der Künste 545, 511 Symbol 19, 147, 339, 429, 449, 456, 461 f., 512, 619, 633, 837 Symbolik 67, 483, 494, 507, 510, 520, 633, 715 symbolisch 207, 455, 470, 712 Symbolismus 70, 543, 715, 861 Symbolsprache 307 Synästhesie 57 f., 67, 70, 73, 89, 101, 103, 483, 542 f. Syncinéma 132 synkretistisch 531 Synmedialität 512 Syntax 22, 45, 50, 175, 190, 268, 275 f., 337, 339 ff., 420, 581, 642, 684, 728, 752, 791 Synthematograf 488 Synthese 24, 58, 70 f., 112, 121, 138, 140, 166, 200 f., 204, 344, 387, 483, 540, 542 f., 545 f., 627 synthetisch 207, 256, 434, 546 synthetische Kunst 542 Systemschrift 348 Tableau-poème 409, 731 f. tabulae iliacae 566 Tachismus 740 Tachygraph 488 Tachygrafie 399 Tafelbild 717 tag 558, 772 f., 777 TAKI 771 taktile Bücher 719 taktile Poesie 275 Taller de Música Moderna 150 Talmud 223, 594 Tamil 597 f. Tanka 107
Tanz 70, 116, 262, 538 f., 624 Tanzschrift 467 Taoist Pop Art School 824 Taubstummenalphabet 96, 488 Tautologie 160, 429 f. Technisches Manifest 52, 138 technoliterature 238, 264 f. Technologieentwicklung 14, 63, 176, 333, 853, 864 technologische Poesie 207 Technopägnien 568, 570, 583, 606 technopoetisch 248 Technopolis 235 Telecomputing 230, 233 Telefax 845 ff. Telefon 142 ff., 228, 563, 813, 845 ff. Telefonkunst 563, 846 f. Telegrafie 845 ff. Telegrammstil 111 Telekommunikation 34, 138, 228, 408 telematisch 264, 852, 863 Telepolis 234 f. Teleport 235 Telepräsenz 238, 254, 264 Telepresence Art 264 Teleprinter-Novel 847 Teleskulptur 142, 254 Telestich 623 Teletext 137 Teletopia 235 Teletown 235 Teletype 614, 845, 847 Telex 847 TELIDON 141 TEVAT 238 Text als Prozeß 33, 120 Text im öffentlichen Raum 275, 779 ff. Text-Architektur 636 Text-Bild-Beziehung 734, 800 Text-Bild-Collage 721 Text-Bild-Dichtung 596 Text-Bild-Entsprechung 32, 487 Text-Bild-Kombination 489, 512, 521, 560, 645, 765, 820, 847 Text-Bild-Kommunikation 820 ff. Text-Bild-Kontext 857 Text-Bild-Kontextbewusstsein 857 Text-Bild-Modell 501, 596
Sachregister Text-Bild-Montage-Sequenz 677 Text-Bild-Notation 560 Text-Bild-Relation 644, 647, 862 Text-Bild-Sequenz 655, 678, 682, 689 Text-Foto-Geschichte 684 Text-Hologramm 170, 173, 176 Text-Installation 33, 145 Text-Übermalung 412 Textaktion 145, 745 Textband 501, 625, 650 f. Textbild 1 f., 5, 28, 43, 63, 84, 133, 135, 140, 272, 309, 341, 355, 357, 395, 406, 417, 439, 468, 496, 518, 540, 554, 557, 560, 573, 577, 681, 767, 847 Textbild-Motiv 272 Textcollage 36, 128, 378, 399, 400, 632, 678 Textdesign 642, 796 Textenvironment 799 Textfigur 170, 499, 577, 582 f., 587, 589 f., 614, 633, 805 Textfilm 2, 124, 132 f., 137–139, 287 Textfläche 10, 345 ff., 392, 438 f., 553, 566, 594, 616, 620, 795 Textfrottage 31 Textgenerierung 183, 197, 212, 265 Textgrafik 558, 642, 708 Textilobjekt 765 Textkarte 153 Textkasten 189 Textkomposition 74 Textkonstellation 271, 284, 309 Textkontinuum 428 Textkörper 189, 275–277, 625 Textlandschaft 2, 242, 681, 706 Textmanipulation 180 Textmobile 271, 274 Textmontage 191 Textmusik 75 Textobjekt 33, 189, 271 f., 274–276, 384 f., 445, 560 f., 637, 719 Textpartitur 331 Textproduktionsmaschine 185 Textraum 236 ff., 384, 558, 560, 562, 686, 782, 799 f., 805, 812, 816, 820 Textsäule 380, 387, 414 Textscheibe 183, 274, 278, 280 Textsequenz 223
965
Texttheorie 206, 433 Textualisierung 175, 251, 724 textuelle Instabilität 175 Textvisualisierung 573, 817 Textwand 642 Thaumatrop 115, 236 The Kitchen 144 the medium is the massage 139, 213, 225, 235, 409 The Palm 818 f. Thinking Machines Corporation 254 Thora 594 Throw-up 778 Thuluth 599, 601 Tiefengedicht 193, 686 Tierfresko 114 Tissuetext 257 Titulus 512, 514, 530 toba-e 555, 530 token 458, 461, 463, 465 Tonmalerei 57 Tonnentelegraph 488 Töpferzeichen 461 Topologie 28, 209, 405 topologische Poesie 28 Toronto Community Videotex 140 totale Buch 214 Totaleffekt 540 Totalkunst 155, 430 Totenbuch 467, 555, 643, 653 Totentanz 514, 651 f. tractatus logico-philosophicus 426, 842 Transfiguration 170 transgene Kunst 255 f. Transkription 477, 554, 687, 763 Transmissions-Hologramm 166 Transposition 627, 632 Trash-Poesie 212 Treatment 639, 687 Trennung der Künste 33, 535, 650 f., 670 triadisch 546 Trickmöglichkeit 139, 179 Tristram Shandy 214, 297, 356, 358, 372, 425 Triumphbogen 632 f. Trompe-l’œil-Stilleben 333 Tropus 18 Turing-Galaxis 241, 549
966
Sachregister
Turing-Test 199, 202 Turm 113, 368, 641, 633 f., 776 turn 226, 473, 863 f. TV-PC-Telefon 142 TV-Poesie 33, 137–140, 147 txt lingo 250 Typeface Book 133 Typenarrangement 28 Typewriter Art 284, 614, 616, 847 Typocollage 31, 337 Typoéme 272, 365, 468, 553 Typoésie 100 f., 249, 272, 293, 468, 553 Typografie 7, 10, 54 f., 125, 153, 178, 191, 201, 274, 288, 331, 350–352, 363, 393, 395, 398 ff., 405, 409, 421 f., 438, 445, 544, 553, 594, 636, 687, 711, 717, 790, 820, 823 typografisch 350, 711, 716 f., 854 Typogramm 30, 365, 406, 445, 628, 635 Typologie 1, 5, 10, 17 ff., 26, 29, 32, 35, 39 ff., 43, 266, 552, 571, 889 ff. Typos-Verlag 125 Typoskript 419, 749 f., 855 ü-Gedicht 339 Übermalung 96, 358, 412, 414 Überschreibung 290 f., 417, 762 Ubiquität 138, 152, 178, 266, 550, 805, 845 Ulmer Hochschule für Gestaltung 312 f. Umblättereffekt 121, 277 f. Umrissgedicht 553, 614, 625 Umrisstext 582 Umschrift 520, 692 Umwelttext 563 Un-Begrenztheit 127 Unbestimmtheit 852 Unicode 307 Uniformierung des Auges 866 universale Gemeinschaftsdichtung 304, 344, 441 universale Gemeinschaftssprache 305 ff., 467 Universalpoesie 537 f. Unix-System 250 Unsagbarkeitstopos 325 Unsinnspoesie 44 Untergrund 124, 291, 672, 674, 717, 821
Urbanismus 233, 641, 800 Urklang 453 Urschriftsystem 456 Ursonate 45, 84, 323, 360 f., 399 Urwort 323 ut pictura poesis 482, 534 f., 537, 549, 557, 710 uta-e 656 V.A.N.-Projekt 140 Vaine 776 Van Gogh TV 142f variabel 152 Vase 643 ff., 653 Verbalpartitur 69 Verbophonie 27, 43 Verbundsystem 784 Verflachung 614, 616, 864 Verflachungstendenz 843 Verfluchungstafel 575 Vermischung (der Künste) 17 f., 32, 73, 90, 221, 509 f., 520, 531, 534, 536 f., 539, 540, 542, 543 ff., 547, 548, 550, 551 Vernetzung 216, 219, 220, 228, 235, 251, 266, 681, 751, 856 Verrätselung 370, 406, 487, 493, 731, 740, 743 Verräumlichung 393, 405, 745, 762 Verrücktogramm 765 vers-libre 329 Versatzstück 449, 669, 842 Verschleiß 311, 864 Verschlüsselung 249, 370, 483, 495, 513 f., 520, 745, 829 Verschlüsselungstechnik 508 Verschmelzung 483, 512, 542 f., 556 Verschränkung 3, 39, 71, 681 Verschriftlichung 191, 454, 477, 648 Verschwinden 138, 175, 549, 696, 699, 807–809, 863, 868 Versprachlichung 563 vertex 424 Verwandlungsbuch 721 Verwischung der Grenzen 125 Verwortung 563 Verzeitlichung 745 viabel 152, 805
Sachregister VIATEL 141 Vibration 268, 284, 287 Vibrationstext 287, 750, 752 Video Art Network 140 Video Poem 33, 1454 ff., 148, 150 f. Video-Story 148 Video-Künstler 149 Video-Skulptur 144 Video-Text-Installation 145 Video-Type-Collage 148 Video-Visual Poetry 150 f. Videoclip 160 Videodisc 144, 244 Videogalerie 138 Videokunst 138, 140, 143 ff., 149 f., 166 Videoperformance 150 Videotextseite 141 Vielheit 73 VIL 307 Virtual Poetry 238, 240 Virtual Polis 233 f. Virtual Reality Modeling Language 238 Virtual Reality System 237 virtual world 220, 240 Virtualität 138, 152, 171, 227, 233, 236, 241, 251, 550, 777, 805 virtuelle Kunst 236, 264 visie-poezie 7, 291 Visualisierung 2, 17, 104, 128, 133, 137, 151 f., 220, 223, 246, 293, 360, 365, 401, 406, 409, 412, 470, 554, 566, 571, 643, 724, 731, 739, 781, 796, 853 Visualisierungsform 2, 10, 35, 125, 130, 341, 380, 417, 452, 577, 579, 581 ff., 691, 704 visuelle Dichtung 30, 546 visuelle Musik 90 Visuelle Poesie 1 ff., 6 f., 10, 12, 14 f., 22, 26 ff., 34, 36 ff., 90, 124, 136 ff., 150, 160, 219, 238, 240 f., 282, 305, 312, 399, 401, 409, 449, 452, 453 ff., 472, 483, 561, 564 f., 587, 598, 619, 630, 674, 715, 829, 853, 856 ff., 861 ff. visuelles Lippengedicht 261 VocoVisual 103 Vogelschrift 585 Voice Box 195 Vokalkreisung 121
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VOLAPÜK 306 Volksbilderbogen 530–532, 657 Volkstelegraphie 488 Vollzugstext 32 Vorschrift 63 Vortex 424 Vortizismus 423 f. Votivgabe 568 VOU-Gruppe 27 Voyager Company 213, 311 voyelles 339, 387 Voynich-Code 495 ff. VRML 235, 238 Wabenstruktur 219 Wahrnehmung 113 ff., 175, 178 ff., 247, 251, 256, 269, 277, 293, 302, 311, 333, 392, 408, 434 f., 437 f., 447, 452, 467, 531, 550, 645, 671 f., 675, 693 ff., 706 f., 724, 728, 745, 756, 769, 789, 805, 819, 821, 856, 862, 864 ff. Wahrnehmungskrise 865 ff. Waka-Gedicht 589 Walam Olum 466 Wampungürtel 463 Wandelschrift 548 Wandgedicht 781 Wandinschrift 770, 774 f., 778 Wandtext 558 Warenzeichen 462 Web-Comic 665 Wechselbeziehung 56, 69 ff., 107, 143, 235, 299, 312, 455, 509, 551 f. Wechselsatz 181 wechselseitig 13, 56, 73, 235, 262, 269, 321, 334, 438, 543, 551, 707, 863 Weiheepigramm 570 Weiheinschrift 566, 568 Weimarer Bauhaus 315, 320 Weimarer Kunstgewerbeschule 320 weiß 288, 341, 393, 405, 412, 414, 420, 543, 625, 701, 727, 730, 747 Weltkarte 522 Weltsprache 305 Werbefilm 152 Werbespot 152, 163 Werbetext 369, 441, 795, 805 WerbeTypografie 790
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Sachregister
Werbung 13, 100, 162 f., 261, 282, 299, 350, 441, 445, 488, 490, 520, 523, 563, 595, 614, 650, 665, 669, 675, 782, 790, 795 ff., 820, 862 Wettstreit der Künste 51, 534, 536, 725 Whole Earth ’Lectronic Link 228 Whole Person Paradigm 237 Wiedervereinigung der Künste 70 Wiener Gruppe 2, 30, 46, 90, 160, 271, 421, 444, 447, 450, 682 Wildstyle 776 Wind 121, 303–310, 365, 787, 799 Winker-Alphabet 488 Wirklichkeitsbegriff 852, 867 Wissenschafsnetz 226, 524 Word Clock 272 Word Movie 133 word-sign 386 Worded Music 44 work in progress 137, 214, 414, 689, 799 World Wide Web 142, 213, 216 Wort-Environment 799 Wort-Komposition 340 Wort-Lichtspiel 155 Wortbegriff 304 Wortbewegung 121, 447 Wortbild 282, 472, 515, 738 Wortbildschrift 470 Wörter-Stadt 639, 642 Wortfeld 185 Wortfilm 110 Wortfläche 636 Wortkette 159 f., 429 f. Wort-Komposition 411 Wortkrise 326 Wortkunst 50, 107, 328–330, 334, 335 f., 340, 342, 345, 627, 708, 716 Wortlandschaft 429 Wortlautschrift 470, 472 Wortmalerei 694 Wortmaschine 185 Wortmusik 43 f. Wortplastik 638 Wortreduktion 864 Wortreihe 387 Wortskulptur 638 Wortspiel 50, 131, 454, 659
Wortungeheuer 160 Wortwelt 431 Wortwörtlichkeit 554, 681, 808 Wortzwischenraum 405 Würfel 31, 171, 188 f., 193, 276, 638, 643 Würfelwurf 31, 188 f., 392, 395, 398 Wurftext 189 f., 275 Xanadu 216 Xenographics 257 Xerogramma 851 Xerographica 849 Xerox Action 849 Xerox Work 849 xin manhua 655 XML 238 Xylografie 399 Yang 631 Yin 631 Zahlenarchitektonik 330 Zahlenbild 368 Zahlengedicht 367–369, 371 f., 374, 406, 629, 747 Zahlenkonstruktionsebene 623 Zahlenkunde 368 Zahlenpyramide 368 Zahlenreihe 371, 747 Zahlensymbolik 370 Zahlentext 369 Zählstein 463, 465 Zahlzeichen 368 Zaoum 400, 756 Zauberformel 373 Zauberpapyrus 259, 570 f., 575 Zeichencharakter 437, 449, 619, 691 zeichenhaft 36, 467, 479, 561 Zeichenkombination 762 Zeichenkonstellation 589 Zeichenkonzert 125 f. Zeichenmalerei 694 Zeichenrepertoire 406, 518, 708 Zeichenscheibe 280 Zeichenschrift 466, 518, 729 Zeichensprache 96, 250, 346, 455, 466, 505, 652, 734, 820, 856
Sachregister Zeichensystem 36, 67, 443, 488, 675, 684, 696, 705, 710, 756, 760, 841 Zeichentheorie 433 Zeichenwelt 641 Zeilenbruch 330, 398, 417 Zeilenfall 392, 417 Zeitbeschränkung 756 Zeitbezug 266 Zeitkunst 549 Zeitmaschine 111, 199 Zeitphänomen 111 Zeitungsannonce 833 Zeitungskunst 560, 821, 833, 847 Zen 590, 701, 778 f. Zen-Kalligrafie 590 ZERO 57, 104, 167 Zerschneidung 719 Zerstörung 45, 123, 309, 340, 752 f., 756, 845, 851
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Zetteldichtung 816 Zifferant 495 Zinnblechbuch 722 Zitat 185, 195, 200, 405, 419, 513, 515, 671, 778, 800 Zoetrop 115 f. Zootrop 116 Zufall 31, 81, 120, 180, 185, 188, 190 f., 197, 343, 398, 546, 742, 791, 847, 852 Zufallsgenerator 203, 210 zufallsgesteuert 149, 180, 188 f. Zufallsprinzip 101, 191, 276 Zufallsproduktion 193 Zufallsschriftbild 847 Zürcher Allianz 313 f., 434 Zürich-Dada 199, 343 f., 375 Zusammenarbeit des Lesers 397 Zyklus 71, 74, 90, 162, 191, 635, 726
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KLAUS PETER DENCKER geb. 1941 in Lübeck. Studium der deutschen Literaturwissenschaft, Japanologie und Philosophie an der Universität Hamburg bis 1965. Assistent und Lehrbeauftragter an der Universität Erlangen-Nürnberg (Lehrstuhl Prof. Dr. Ulrich Fülleborn) für dt. Literaturwissenschaft und Film- und Fernsehkunde bis 1974. Freier Autor und Filmemacher bis 1975. Beim SR/Fernsehen im Bereich Kultur 1. Redakteur und Filmemacher bis 1985. Lehrbeauftragter an den Universitäten Saarbrücken und Trier seit 1981. Professur im Fach „Medientheorie und Medienpraxis“ an der Universität Trier 1985–2000. Leitender Regierungsdirektor der Kulturbehörde Hamburg 1985–2002. Als Autor arbeitet Dencker im Bereich zwischen Literatur und bildender Kunst: „Als Fortsetzer der visuellen konkreten Poesie hat Dencker, als einer der wenigen in Deutschland, Theorien und Praktiken entwickelt, die international Beachtung gefunden haben“ (aus der Begründung der Jury zur Verleihung des Förderpreises zum Kunstpreis Berlin, Akademie der Künste 1982). Er ist seit 1970 an internationalen Ausstellungen der Visuellen Poesie beteiligt. Er hat die erste deutschsprachige Anthologie zur Visuellen Poesie veröffentlicht (Text-Bilder. Visuelle Poesie international. DuMont Dokumente, Köln 1972) u. im gleichen Jahr die erste TV-Dokumentation (Visuelle Poesie. Der Weg vom Gedicht zum Objekt. HR 3, 1972). Die wichtigste Einzelausstellung fand anlässlich des 60. Geburtstags 2001 im Hamburger Bahnhof/Berlin mit über 200 Blättern aus dem Bestand der Kunstbibliothek/Staatliche Museen zu Berlin statt. In der Kunstbibliothek wurden seit 1997 Publikationen und Arbeiten (im Original) der Visuellen Poesie Denckers gesammelt. Arbeitsproben und Statements in: VISUELLE POESIE (Reclam Verlag, Stuttgart 1996) sowie in: VISUELLE POESIE (edition text+kritik/München 1997). Über Dencker in: Christina Weiss, Sehtexte (Dissertation Universität Saarbrücken), Zirndorf 1984; im Internet: http://de. wikipedia.org/wiki/Klaus_Peter_Dencker u. http://www.lyrikline.org ; in den Lexika: Kürschners Deutscher Literatur-Kalender. 66. Jg., De Gruyter Saur, München 2008/2009 ff. u. Allgemeines Künstlerlexikon Bd. 65, De Gruyter Saur, München 2009 ff. Dencker wurde mit mehreren Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u. a. als jüngster Kulturpreisträger der Stadt Erlangen 1972.
*** KLAUS PETER DENCKER Visuelle Poesie 1965 – 2005 Hg. Kunstbibliothek Berlin/Stiftung Preußischer Kulturbesitz Weitra/A 2006 ([email protected]) 29 x 24 cm, 318 Seiten, 40 € (69 sfr) Vorzugsausgabe 99 Stück in blauem Leinen, blindgeprägt, mit einer Grafik „Poème tr. vis.“,nummeriert und signiert: 99 € (170 sfr) ISBN 3-85252-646-9 Mit Beiträgen von Hans Peter Althaus, Bernd Evers, Ulrich Fülleborn, Anselm Glück, Eugen Gomringer, Ludwig Harig, Ernst Jandl, Franz Mon, Shutaro Mukai, Friederike Mayröcker, Rea Nikonova, Thomas Ring, Eino Ruutsalo, Gerhard Schmidt-Henkel, Timm Ulrichs, Christina Weiss, Karl Young. Zum 65. Geburtstag von Klaus Peter Dencker wurde mit dieser Publikation die erste umfassende Monographie, ein Überblick über sein Werk von 1965 bis 2005, vorgelegt. Sie enthält außer den frühen Texten im Stil des Phantastischen Realismus und der Konkreten Poesie die wichtigsten Sequenzen Visueller Poesie in farbiger Reproduktion. Die Publikation enthält eine komplette Bibliographie aller Bücher, Aufsätze, Texte, Textbilder, Sequenzen, Schallplatten/CD-, Hörfunk- und Fernseharbeiten sowie Ausstellungen und Literatur über Dencker seit 1960. In der Bibliographie ist zugleich auch der Bestand theoretischer und künstlerischer Arbeiten Denckers markiert, der sich in Besitz der Kunstbibliothek Berlin befindet.