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German Pages 200 Year 2014
Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer Occupy
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Peter Mörtenböck, Helge Mooshammer
Occupy Räume des Protests
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
1 Von der ökonomischen Krise zur rebellischen Stadt | 7 2 Besetzungen des öffentlichen Raums: Parks, Plätze und andere Freiräume | 33 3 Zeltlager, Volksküchen, Universitäten: Die globalen Dörfer der Occupy-Bewegung | 49 4 Räumung der Blockaden: Der Streit um die Symbole der Macht | 67 5 Onsite/Online: Netzwerke und die unfassbare Dimension des Protests | 89 6 Initiative Kunst: Eingriffe, Aufführungen, Archivierungen | 105 7 Versammlungen: Bauproben der Zukunft | 139 Anmerkungen | 161 Register | 183
1 Von der ökonomischen Krise zur rebellischen Stadt There is no such thing as society. Margaret Thatcher 1 It’s easy to imagine the end of the world. But you cannot imagine the end of capitalism. Slavoj Žižek 2
E RSTE A K TIONEN Das erste Lager der amerikanischen Anti-Wall-Street-Aktivisten wurde am 17. September 2011 im Zuccotti Park in Lower Manhattan, New York aufgeschlagen. Unter dem neuen Platznamen Liberty Square manifestierte sich damit erstmals räumlich eine weltweit wachsende Bewegung, die wir heute unter dem Begriff »Occupy« kennen. Das erste Lager, jenes von Occupy Wall Street (kurz OWS), ist bereits Geschichte. Nach zwei Monaten der Besetzung, in denen Occupy in den allgemeinen Wortschatz rund um die Welt einging und aus einer Protestkundgebung einiger weniger eine Demonstration des Lebensgefühls einer sich betrogen fühlenden Generation wurde, räumte das New Yorker Police Department (NYPD) in der Nacht auf den 15. November 2011 um ein Uhr früh die in der Zwischenzeit zu einer komplexen urbanen Infrastruktur angewachsene Zeltstadt des Zuccotti Parks. Viel wurde in der Zwischenzeit darüber spekuliert, ob Occupy eine Gezeitenwende im vorherrschenden System der Geldherrschaft
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signalisiert, wurde über die Belanglosigkeit der Festivalkultur von Protestcamps geschrieben, die Mobilisierung eines neuen Klassenbewusstseins der 99 % propagiert und die revolutionäre Bedeutung von Pizzaschachteln belächelt. Wollen wir Occupy in seinen Entwicklungen, Funktionen und Effekten verstehen – in dem also, was es aufzeigt, als auch in dem, was es verdeckt – so ist das Wechselspiel an Konstruktion und Dekonstruktion, die laufende Ansteckung zwischen dem, was innerhalb und außerhalb des eigentlichen Schauplatzes geschieht, von besonderer Bedeutung. Die räumliche Dimension ist hier nicht nur eine zwangsläufige Begleiterscheinung, sondern Programmatik des Geschehens. Occupy artikuliert sich durch seine Verräumlichung. Und das in doppelter Hinsicht: Es ist die räumliche Aufführung der Besetzung, über die zum einen der Protest seinen Auslöser und Adressaten formuliert (»wir protestieren gegen die politischen und wirtschaftlichen Manipulationen der ›Wall Street‹«) und die zum anderen die Grundlage für das Schaffen einer alternativen Bewegung bildet (»wir glauben nicht an eine Lösung durch das System, sondern müssen zusammenkommen, um selbst eine Alternative entwickeln zu können«). Jede Debatte über die Bedeutung von Occupy muss sich daher mit den Beziehungen zwischen der Occupy-Bewegung und ihren Räumen auseinandersetzen. Welche Räume haben die Besetzungen gewonnen und was ist ihnen abhanden gekommen? Bedeuten die Räumungen der Zeltlager zugleich auch eine Auflösung von Occupy oder kann eine räumlich geborene Idee über verschiedene Zeiträume hinweg unterschiedliche Zustände annehmen – weil eine Idee nicht einfach geräumt werden kann? Der Nachmittag des 17. September 2011 in New York schien jedenfalls unauffällig zu beginnen. Nach den Berichten jener, die dem Aufruf zur Besetzung der Wall Street gefolgt waren, fand sich ab Mittag eine Gruppe von etwa 300 Personen am Bowling Green in Lower Manhattan ein. Manche von ihnen beteiligten sich singend und tanzend am Karneval der New York Fun Exchange, der in der Tradition der Antiglobalisierungsproteste für eine sinnliche Ausnahmesituation sorgen sollte. Bowling Green ist ein kleiner Dreiecksplatz am südlichen Ende des Broadways, Ecke Beaver Street und als Standort
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des Raging Bull3 ein beliebtes Touristenziel. Für diese Demonstration war keine offizielle Genehmigung eingeholt worden, das NYPD hatte jedoch ›vorsorglich‹, wie es sagte, den Raging Bull vor der protestierenden Menge mit mobilen Gittersperren abgeschirmt und mit etwa zehn Mann umstellt.4 Um 14 Uhr 30 hatten sich etwa 1000 Menschen bei der ebenfalls von der Polizei abgeriegelten One Chase Manhattan Plaza nördlich der Wall Street versammelt, um an der für 15 Uhr angekündigten »General Assembly« teilzunehmen. Kopien einer Stadtkarte, auf denen acht mögliche Treffpunkte für politische Versammlungen in Lower Manhattan markiert waren (davon fünf öffentliche Parks und drei öffentlich zugängliche, in Privatbesitz befindliche Plätze), begannen die Runde zu machen.5 Dazu der Aufruf »General Assembly bei der Location 2 – Zuccotti Park – in 30 Minuten«. An die 2000 Personen kamen schließlich auf dem schmalen, vom Broadway westwärts Richtung Ground Zero verlaufenden Streifen zusammen, um öffentlich darüber zu diskutieren, was zu tun sei. Die Diskussionen gingen weit in die Nacht und endeten mit dem Beschluss, den Zuccotti Park nach dem Vorbild des Tahrir-Platzes in Kairo zu besetzen. Der Zuccotti Park ist weniger ein Park als ein mit Granitplatten versiegeltes Grundstück, dessen geometrisch-ornamentale gärtnerische Ausgestaltung typisch für die privat kontrollierten Plazas in New York ist und das vor allem dem Einnehmen einer schnellen Mittagsjause dient. Dass es sich beim Zuccotti Park nicht um einen städtischen Park, sondern um ein öffentlich zugängliches Privatgrundstück handelt, war für die weitere Entwicklung von OWS nicht unerheblich. Die meisten Berichte und Erzählungen stimmen darin überein, dass es in den ersten zwei Wochen relativ ruhig rund um die Besetzung des Zuccotti Parks blieb. Kaum jemand wusste davon, dass OWS begonnen hatte und eine kleine Gruppe an ausharrenden Aktivisten im Zuccotti Park campierte, dort kochte, diskutierte und übernachtete. Es gab so gut wie keine Berichte in den größeren Fernsehkanälen oder wichtigeren Printmedien. Viele Aktivisten beklagten ein gezieltes ›Blackout‹ seitens CNN, NPR (National Public
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Radio) oder der New York Times.6 Den Zuwachs an Popularität ›verdankt‹ OWS der Dokumentation eines Polizeiübergriffs während einer der vom Basislager des Zuccotti Parks aus gestarteten, unangemeldeten Demonstrationszüge. Die Protestierenden waren den Broadway gegen die Fahrtrichtung stadtaufwärts gezogen, bis sie von der Polizei auf Höhe Union Square aufgehalten und kleinere Gruppen verhaftet wurden. Dabei attackierte ein später als Deputy Officer Anthony Bologna identifizierter Polizist eine Gruppe von protestierenden Frauen mit Pfefferspray, obwohl diese bereits mit vom NYPD für polizeiliche Absperrungen verwendeten orangefarbenen Plastiknetzen festgehalten wurden. Das Video des pfeffersprayenden Polizisten ging um die Welt.7 Berichte nicht nur in US-amerikanischen, sondern auch in internationalen Mainstream-Medien folgten. In den Tagen darauf erhielt die Besetzung im Zuccotti Park wachsenden Zustrom und fand Zuspruch von immer größeren Kreisen der New Yorker Bevölkerung. Waren in der ersten Nacht etwa 60 Menschen im Park verblieben, so war das Lager vierzehn Tage später auf über 600 Dauergäste angewachsen. Wenn Occupy als Platzbewegung mit dem Arabischen Frühling verglichen wird, Occupy Wall Street einen Amerikanischen Herbst nach einem Europäischen Sommer einläutet, hängt dann der Beginn von Occupy als weltweiter Bewegung weniger an der Besetzung eines Stückchen Lands in Lower Manhattan als vielmehr am Besetzen der virtuellen Informationskanäle sozialer Netzwerke? Der Einsatz hier sind Aufsehen erregende Videoaufnahmen, entscheidend die Reichweite und Geschwindigkeit ihrer Verbreitung. Der Pfefferspray-Vorfall markierte den Beginn der internationalen Aufmerksamkeit für Occupy. Tatsächlich aber hatte Occupy – gerade über diese Kanäle – schon lange vor dem Lager von OWS begonnen. Die Flugzettel mit dem Zuccotti Park als möglichem Versammlungsort, die am 17. September 2011 unter den vor One Chase Manhattan Plaza Versammelten verteilt wurden, kamen nicht von irgendwo. Sie waren das Ergebnis wochenlanger Vorbereitungen des »Tactical Committee« der New York City General Assembly (NYCGA). Die Aktivitäten dieser Arbeitsgruppe wiederum gehen auf ein anderes Ereignis mehrere
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Monate vor der Besetzung des Zuccotti Parks zurück, das als eigentliches Signal für die Occupy-Bewegung ausgemacht wird. #OCCUPYWALLSTREET Are you ready for a Tahrir moment? On Sept 17, flood into lower Manhattan, set up tents, kitchens, peaceful barricades and occupy Wall Street.8 Mit »Are you ready for a Tahrir moment« rief der konsumkritische kanadische Blog Adbusters in einem Posting vom 13. Juli 2011 seine 90.000 Leser dazu auf, sich in der Wall Street von New York zu versammeln und – in Anlehnung an die wochenlange Besetzung des Kairoer Tahrir-Platzes bis zur Ablöse von Präsident Hosni Mubarak – nicht eher wieder zu weichen, bis ihre Forderung erfüllt ist. Nämlich, dass Präsident Barack Obama eine präsidiale Kommission zur Beendigung des Einflusses, den das Geld auf die Vertretungen in Washington ausübt, einsetze. Es war dieser Aufruf von Adbusters – dessen Veröffentlichung als Fotocollage mit einer im Tränengasnebel auf dem Raging Bull tanzenden Ballerina mittlerweile ikonischen Status erreicht hat9 –, der eine Gruppe New Yorker Aktivisten zusammenbrachte, sich um die Vorbereitung einer solchen Aktion zu kümmern. Insbesondere darum, den im Aufruf ausgeführten Wechsel der revolutionären Taktiken von einem »Rudel an attackierenden Wölfen« zu einem »Schwarm an Menschen«10 zu ermöglichen – um die Organisation und Handhabung von offenen Versammlungen als Formen einer radikalen Demokratie. Den Anfang machte eine von New Yorkers Against Budget Cuts (NYABC) am Bowling Green für den 2. August 2011 einberufene »People’s General Assembly«.11 Adbusters hatte im Vorfeld der ursprünglich in einem konventionellen Protestformat geplanten Antiausteritätskundgebung NYABC kontaktiert, und man war übereingekommen, einen Block der Ansprachen als offenes Mikrofon der öffentlichen Diskussion und Planung weiterer Aktionen zu widmen.12 Eine Vermischung von Zielen und Formaten, die zu der viel beschworenen Rebellion führte, am Rande der Kundgebung ad hoc
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eine ›echte‹ Vollversammlung im Stil der Direkte-Demokratie-Bewegungen abzuhalten.13 Bei diesen ersten horizontal organisierten Diskussionen wurde ein weiteres Zusammentreffen für den 9. August 2011 bei der Gedenkstätte an die irische Hungersnot im Battery Park vereinbart. Ab dem 13. August 2011 folgten wöchentlich abgehaltene Versammlungen der New York City General Assembly (NYCGA)14 im Tompkins Park, bei denen zahlreiche Arbeits- und Untergruppen gegründet wurden. Diese über den gesamten Sommer 2011 hinweg laufenden Absprachen New Yorker Aktivisten schufen den organisatorischen Rahmen, dass in OWS unterschiedlichste Interessen und Befindlichkeiten aufeinandertreffen und in gemeinsamer Entrüstung zu einer weltweiten Bewegung anschwellen konnten.
S AISONS DES P ROTESTS »Are you ready for a Tahrir moment?« spielte mit dem Momentum des Arabischen Frühlings in Nordafrika und dem Nahen Osten. Von vielen Aktivisten wird für die Aktionen von Occupy Wall Street die Bezeichnung ›Amerikanischer Herbst‹ bemüht, um der Besetzung des Zuccotti Parks politische Relevanz zu verleihen und sie als eine quasinatürliche, saisonale Nachfolge von Arabischem Frühling und Europäischem Sommer darzustellen. Als auslösender Impuls für den Arabischen Frühling gilt die Selbstverbrennung des 26-jährigen Straßenhändlers Mohamed Bouazizi in der tunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid am 17. Dezember 2010.15 Bouazizi arbeitete ohne Lizenz, in ständiger Gefahr, dass seine Waren und Arbeitsmittel von der Polizei konfisziert werden. Die Motive für diesen Verzweiflungsakt sind im nachträglichen Dunst aus staatlicher Propaganda und religiös-familiären Befindlichkeiten nicht mehr genau auszumachen.16 Ungeachtet dessen wirkten die Bilder, in denen Bouazizi als zu Boden stürzende Menschenfackel zu sehen ist, als buchstäblicher Zündfunke für den Flächenbrand an Aufständen quer über den gesamten arabischen Raum. Für die schwelende Unzufriedenheit einer arbeits- und aussichtslosen jungen Generation repräsentiert seine Geschichte die
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Unmöglichkeit einer selbständigen Existenz in einem System der Willkür und Verachtung für die Würde des Einzelnen. Mohamed Bouazizi erlag am 4. Januar 2011 seinen schweren Verbrennungen. Zehn Tage später verließ der 23 Jahre an der Macht gewesene Präsident Zine el-Abidine Ben Ali nach landesweiten Protestkundgebungen fluchtartig das Land. In Ägypten führte die am 25. Januar 2011 begonnene Besetzung des Kairoer Tahrir-Platzes mit Hunderttausenden Demonstranten nach 18 Tagen zum Sturz von Präsident Hosni Mubarak und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den Obersten Rat der Streitkräfte.17 Im benachbarten Libyen kosteten die blutigen Auseinandersetzungen über den Sommer 2011 geschätzten 30.000 Menschen das Leben. Die militärische Intervention der NATO verhalf den Milizen der Aufständischen schließlich zum Sieg über die Einheiten von Präsident Muammar alGaddafi. Gaddafi selbst wurde bei seiner Festnahme am 20. Oktober 2011 getötet. Die Entwicklungen der postrevolutionären Situation in Tunesien, Ägypten und Libyen als auch der im Frühjahr 2012 fortlaufenden Auseinandersetzungen in Syrien, Bahrain und anderen angrenzenden Staaten sind komplex und widersprüchlich. Die von jugendlichen Demonstranten getragenen Bewegungen erfahren eine Überlagerung mit lokalspezifischen sozialen Gruppenformationen und historischen Segregationsbestrebungen als auch mit globalen politisch-ökonomischen Interessen in einem ständigen Rollentausch von Nährboden und Auslöser. Unser Augenmerk richtet sich auf das Wirken dieser Dynamik zwischen oft unmerklichen Verschiebungen und dem Durchbruch neuer Vorstellungskräfte über ikonische Figuren und Schauplätze. Wie kommt es zu dem – so plötzlichen, wie es scheint – Impuls, sich mit seiner eigenen körperlichen Existenz in das Getriebe der Welt zu werfen? Während die Sprengkraft des Arabischen Frühlings in einem jahrzehntelangen Anwachsen von Unzufriedenheit über die Ohnmacht gegenüber einem in gleichem Maße totalitären wie korrupten System ausgemacht wird, werden die Ereignisse des Europäischen Sommers und Amerikanischen Herbsts in unmittelbaren Zusam-
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menhang mit den Entwicklungen rund um die globale Kreditkrise von 2008 gebracht. Als inspirationsgebender Träger des Europäischen Sommers wird in vielen Occupy-eigenen Medien die Bewegung des 15. Mais in Spanien genannt, die neben den Metropolen von Madrid und Barcelona rasch zahlreiche weitere Städte im gesamten Land erfasste. In Madrid waren die Versammlungen auf der Puerta del Sol von einem anfangs kleinen Häufchen von 40 Zeltlern (Los Acampados) am Morgen des 15. Mai 2011 innerhalb weniger Tage zu einer Menge von über 25.000 Menschen angewachsen. Die beiden auf der Website take the square von Mitgliedern der 15.-Mai-Bewegung geposteten Dokumente »How to Cook a Non-Violent #Revolution«18 und »Quick Guide on Group Dynamics in People’s Assemblies«19 werden als Meilensteine im Aufbau einer internationalen Protestkommunikation und als entscheidende Handlungsanleitungen für die Architektur der Occupy-Bewegung hochgehalten. Während Ersteres erklärt, warum die ›aufgebrachten Bürger‹ (Los Indignados) auf die Straße gehen und öffentliche Plätze besetzen (»weil wir nicht verstehen können, warum wir für die Kosten der Krise bezahlen sollen, wenn die Urheber weiterhin Rekord-Profite verbuchen«), liefert Zweiteres eine Art Manual, wie diese Besetzungen über das Abhalten öffentlicher Bürgerversammlungen zu einer Form der direkten Demokratie werden und so alternative Gesellschaftsmodelle entwickeln können. Das in diese revolutionäre Heroik eingebettete Reklamieren eines kausalen, quasievolutionären Ablaufs der Geschehnisse wirft eine Reihe an Fragen auf, welche die Interessen dieser Identifikationen sowohl von Seiten der Besetzer als auch der politischen Kommentatoren und berichtenden Medien ansprechen. Einzelne Solidaritätsbekundungen aus Ägypten, China und anderen Teilen der Welt mit OWS werden als Beleg für die Verwandtschaft im Kampf angeführt.20 Es ist ein verständlicher Wunsch, trotz Anerkennung der fundamentalen, historisch über Jahrhunderte eingeschriebenen sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen der Not in Nordafrika und der Unzufriedenheit amerikanischer College-Studenten, nach Unterstützung in den Mühsalen der eigenen lokalen Beset-
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zung zu suchen, indem eine weltumspannende, weltverändernde Gemeinschaft an Brüdern und Schwestern eingebunden wird. Störungen, die dieses Begehren unterlaufen, gründen zum einen auf der Unmöglichkeit, die Dramatik von Massakern in eine Reihe mit Inszenierungen der Selbstlosigkeit zu stellen. Zum anderen sind sie Teil der perversen Logik, dass Akte des Protests und Widerstands immer auch eine Stärkung jener Macht mit sich bringen, gegen die sie antreten, weil diese durch den Akt des Protests als Macht institutionalisiert wird. Nicht selten resultiert die Zunahme an Aufmerksamkeit so in verstärkten Investitionen in materielle, gesetzliche und ideologische Apparate. Hier kommt ein Kooptierungsmechanismus zum Tragen, dem zu entkommen fast unmöglich ist, weil wir immer selbst bereits Teil des Systems sind und unsere Bedürfnisse sich daher aus dem Begehren des Systems heraus entwickeln. Kann es also sein, dass der von Occupy so leidenschaftlich vorgebrachte Wunsch nach einem Wiedererlangen der eigenen persönlichen Handlungsfähigkeit letztlich aus den Verlustängsten der westlichen Welt, politisch als auch wirtschaftlich an den Rand gedrängt zu werden, entspringt? Artikuliert OWS so auch den, dem Leiden der amerikanischen Mittelschichten entsprungenen, unbewussten Wunsch, den auf Asien und die arabische Welt gerichteten Fokus zu verschieben und die Wall Street erneut zum Zentrum der Macht zu erklären? Verspricht die Ankunft von Occupy Tahrir in Kairo im November 2011, auch was die intellektuelle Vorherrschaft betrifft, eine zumindest vorläufige Wiederherstellung der alten Machtkonstellationen? Diese für die weitere Entwicklung von Occupy so entscheidende Auseinandersetzung um die Kooptierung der eigenen Wünsche und Ziele durch das kritisierte System wird sowohl vor Ort in den Lagern als auch in der medialen Geschichtsschreibung ausgetragen: über die Auswahl von einzelnen Ereignissen, einzelnen Bildern als Signifikanten einer Richtungsänderung im Lauf der Dinge. Es ist daher für eine produktive Kritik von Occupy unausweichlich, dieses Dilemma der Kooptierung über die Realitäten seiner Repräsentation aufzugreifen. In der vielgestaltigen Medienpräsenz, die Occupy pro-
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duziert, ist die Bewegung zugleich immer auch schon Geschichte im Werden. Die Ausbildung bestimmter Erzählstränge stützt sich dabei auf Darstellungen jener, die unmittelbar dabei sind – ›inside Occupy‹21 – und sich durch diese Authentizität als Stimmen von Occupy autorisiert sehen. Die bekannte Problematik einer Geschichtsschreibung der Helden, Taten und Fakten, der Verschwörungen, Tricks und erfolgreichen Coups erfährt im Fall von Occupy eine nochmalige Zuspitzung. Einer Bewegung mit dem Slogan und Anspruch, unrepräsentierbar zu sein, steht gleichzeitig eine Flut an medialen Dokumenten gegenüber. Hier tritt eine Diskrepanz zutage, die Occupy im Kern betrifft. Occupy ist Ausdruck von Bruchlinien in der gesellschaftlichen Erfahrung. Occupy ist auch ein Versuch, die Gräben zwischen den Erwartungen einer auf ein erfülltes Leben hin erzogenen Generation und einer plötzlich anders gelagerten sozialen Realität zu besetzen. Risse im Weltbild, die ihren Ursprung in der zunehmenden Kluft zwischen dem immer reicher werdenden, oberen 1 Prozent und den restlichen 99 Prozent zu haben scheinen. Im vielzitierten Aufsatz »Of the 1 %, by the 1 %, for the 1 %« in der Zeitschrift Vanity Fair im Mai 2011 weist der Ökonom Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 2001, einen Anstieg des Anteils des oberen 1 Prozent an den Einkommen in den USA von 12 Prozent auf beinahe 25 Prozent innerhalb der letzten 25 Jahre aus, ihr Anteil am landesweiten Vermögen stieg im gleichen Zeitraum von 33 Prozent auf 40 Prozent.22 Dieses Erlebnis der Spaltung wiederholt sich im Auseinanderklaffen der Realitäten der Lager und Occupys Anspruch, eine Modellgesellschaft aufzubauen, und drückt sich nicht zuletzt in der unausgesprochenen Unterscheidung zwischen den Rollen der Angelockten und den strategisch im Hintergrund agierenden Organisatoren aus. All diese Spannungen verbinden sich mit den vielen Bruchlinien in den Räumen unserer Städte selbst, werden durch diese verdichtet oder auch diffundiert. Wie sich im Aufbrechen und Verschwinden dieser Risse neue Räume des Spekulierens und Handelns, des Imaginierens und Experimentierens auftun, bildet den Fokus der Überlegungen dieses Buches.
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Raum bildet die Grundlage von Occupy. Die Besetzung von Raum ist Ausgangspunkt und Ziel zugleich – um Protest zu artikulieren und um Alternativen zu praktizieren. Dabei existiert Occupy nicht für sich alleine, als eine ungerichtete, objektlose Besetzung. Jede konkrete Aktion trägt in ihrem Namen als Ergänzung den Ort ihres Handelns: Occupy Wall Street, Occupy Philadelphia, Occupy DC, Occupy Oakland, Occupy London Stock Exchange, Occupy Frankfurt, Occupy Central bis zu Occupy Everything, Occupy Together, Occupy Time. Den Begriff »Occupy« verwenden wir nicht, um eine spezifische Aktion zu benennen, sondern das weltweite Phänomen dieser Aktionen – sein Ansteckungsvermögen, im Aufschlagen eines Lagers in der eigenen Gemeinde einen Weg zum kollektiven Ausdruck des Protests gegen die herrschende wirtschaftliche und politische Misere zu sehen. Occupy existiert so als ein ideeller Bund der Identifikation mit einer Unzufriedenheit und dem Druck, sich für eine Veränderung persönlich einsetzen zu müssen. Dass Occupy nicht nur eine Aktion, sondern zuallererst eine Idee ist, genau darin liegt seine Stärke. Occupy ist nicht bloß eine Idee zu einer Aktion, sondern ein Aufruf zu einer neuen Sicht auf die Dinge und Verhältnisse unserer Gesellschaft. Bis zum Frühjahr 2012 wurden beinahe alle Lager von Occupy geräumt, und dennoch konnte mit der Beseitigung der physischen Manifestationen die Ausbreitung des Widerstands gegen die offizielle Politik der Krisenbewältigung nicht gestoppt werden. »You can evict tents, but you cannot evict an idea«, so die einhellige Reaktion auf die Räumungen. Dass die Idee von Occupy nicht eingedämmt werden kann, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Krise selbst keine Anzeichen des Verschwindens zeigt. Sie erzeugt weiterhin Effekte, weil sich der Herd des Konflikts unaufhörlich ausbreitet. Der Protest von Occupy ist keine Irritation, die durch einfache Maßnahmen isoliert werden könnte, er ist Symptom tektonischer Verschiebungen im weltweiten sozioökonomischen Gefüge. Es handelt sich nicht um einen rasch lokalisierbaren Bruch, der gekittet und überdeckt werden könnte. Occupy ist die Erkenntnis eines Systems, das – um bei diesem Bild zu bleiben – auf der Herstellung von Brüchen als seine eigentliche
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Struktur selbst beruht. Die Stabilität dieses System beruht nicht auf einem belastbaren Aufbau von Substanz, sondern auf einem Balanceakt des ständigen Auftrennens und Auseinandernehmens. Der Moment, den wir in der jetzigen ›Krise‹ erfahren, ist also jener, wo sich selbständig fortpflanzende Brüche zu einer Leere führen und sich Objekt und Grund ins Gegenteil verkehren. Jeder dieser durch spekulative Transaktionen erzeugten Verschiebungen in den Bilanzen steht im Realen ein weiterer Akt der Enteignung gegenüber, und so wie sich die Spekulationen in einem Nichts auflösen, scheinen sich die Einschreibungen von Ungerechtigkeit im Realen zu einer kritischen Masse an Betroffenheit zu verdichten.
Ö KONOMISCHE I NTERESSEN , POLITISCHE O HNMACHT Die so unterschiedlich gelagerten Schauplätze der Ereignisse des Jahres 2011 verlangen nach einer differenzierten Betrachtung. Was in den zahlreichen Erfahrungsberichten beansprucht wird, muss nicht unbedingt mit den tatsächlichen Vorgängen und Effekten übereinstimmen. Darüber hinaus ist die Entfaltung der Ereignisse durch eine Überlagerung von Einmischungen, Reaktionen und Gegenreaktionen interner wie externer Akteure geprägt. Und dennoch liegt Occupy etwas zugrunde, dass sich nicht allein über eine Analyse der orts- und geschichtsbedingten Spezifika der Handlungsabläufe erschließen lässt, eine allgemeinere Bedingung, in der Occupy nicht bloß als eine Aktion, sondern stärker noch als eine Idee hervortritt. Was zeichnet diesen Systemzustand aus, dass es eine solche Idee rund um die Welt geschafft hat, Menschen in unzähligen Orten dazu zu animieren, auf zentralen städtischen Plätzen Zeltlager aufzuschlagen, dort nächtelang auszuharren und Wind und Wetter zu trotzen, um in öffentlichen Vollversammlungen gemeinsam über die Lage unserer Gesellschaft zu debattieren und mögliche Szenarien zukünftiger wirtschaftlicher und politischer Organisation durchzuspielen? Die räumlichen Aufführungen der Besetzung erzeugen ein Set an Versatzstücken, über deren Einsatz Occupy eine Gestalt verlie-
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hen wird, die über die konkreten Begrenzungen des ursprünglichen Schauplatzes hinaustreten und auch an anderer Stelle wirksam werden kann. Das Aufnehmen der performativen Qualitäten von Occupy erlaubt es, an vielen unterschiedlichen Orten die Erfahrung ökonomischer Betroffenheit mit der Suche nach politischen Handlungsräumen zusammenzuführen. Der Kraftakt der Idee besteht also darin, einen konkreten Schauplatz immer wieder neu zu etablieren, durch den gleichzeitig eine Auseinandersetzung jenseits der Limitierungen desselben eröffnet werden kann. Raum agiert in diesem Prozess als ein Produktionsmechanismus der symbolischen Sphäre von Politik. Die weltweite Zirkulation der von Occupy besetzten Fragen hat so ein weit über die Kreise der unmittelbar Beteiligten hinausreichendes Moment entstehen lassen, in dem sich auch die Vertreter der institutionellen Gewalten gedrängt sahen, sich zur Lage der Protestierenden zu äußern. Den choreographischen Rahmen für die globale Ausbreitung von Occupy bot ein für den 15. Oktober 2011 ausgerufener Internationaler Aktionstag. Eine von der britischen Zeitung The Guardian am 18. Oktober 2011 erstellte interaktive Weltkarte zeigt dabei eine auffallende, wenn auch nicht überraschende Häufung von Kundgebungen in Nordamerika und Europa neben vereinzelten Hotspots in Rio de Janeiro, Sydney oder Hong Kong.23 In Nordamerika war in den vier Wochen seit Beginn der Besetzung des Zuccotti Parks die Zahl der Folge-Camps auf mehrere Hundert angewachsen. Von oft nur wenige Personen zählenden Versammlungen in Städten wie Anchorage in Alaska24 oder Albuquerque in New Mexico25 bis zu den großen Lagern in den Metropolen der USA, wie Occupy Oakland26, Occupy Boston27 oder Occupy D.C.28 In Europa fungierte der von der spanischen Echte-Demokratie-Jetzt-Bewegung29 aufgesetzte Blog united for #globalchange30 als Sammelpunkt der weltweiten Aktionen. Neben dem in 18 Sprachen übersetzten Aufruf »15. Oktober 2011 – Vereinigt für einen weltweiten Wandel – 951 Städte – 82 Länder« und zahlreichem Agitationsmaterial zum Herunterladen, wie Postern, Stickern oder Bildschirmschonern, listet der Blog für den Zeitraum vom 5. bis 15. Oktober
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2011 Aufrufe und Berichte von 1065 Occupy-Aktionen weltweit.31 Von Auckland in Neuseeland32 bis Tijuana in Mexiko33, von Marburg in Slowenien34 bis Freiburg in Deutschland35, von Sao Paulo in Brasilien36 bis Manila in den Philippinen37. Die von The Guardian erstellte und nach einem Aufruf zur Mithilfe bei der Datensammlung wesentlich erweiterte Liste umfasste einen Monat später, am 14. November 2011, insgesamt 745 Schauplätze von Versammlungen im Rahmen des internationalen Protesttags.38 Aus diesen Hunderten Kundgebungen und Versammlungen mit in die Millionen gehenden Teilnehmern weltweit gingen vor allem in den Zentren des globalen Finanzhandels sich für einen längeren Protest einrichtende Lager nach dem Vorbild von Occupy Wall Street hervor. In London errichteten Aktivisten von Occupy London Stock Exchange39 ihr Lager vor den Stufen der St.-Pauls-Kathedrale, nachdem ihnen zuvor der Zugang zur nahe gelegenen Börse von der Polizei verwehrt worden war. In Frankfurt schlug Occupy Frankfurt40 seine Zelte neben der Euro-Skulptur vor dem Gebäude der Europäischen Zentralbank auf. In Hong Kong besetzte Occupy Central41 mit Transparenten wie »H.K. financial center is dead« die südliche Hälfte des HSBC-Atriums. Diese und andere Lager von Europa bis Australien schlossen sich so einer immer länger werdenden Liste von Occupy-Lagern in den USA an, die dort besonders in den Universitätsstädten beachtlichen Zulauf erhielten. Im Frühjahr 2012 listete die Online-Plattform Occupy Directory 1484 Einträge zu Occupy-Initiativen auf, 1054 davon in den USA.42 Die weltweite Ausbreitung von Occupy machte möglich, was kurz zuvor noch undenkbar schien. Die Kenntnisnahme des Protests bedingte auch die Anerkennung, dass quer durch die westliche Welt Linien des Verteilungskampfes laufen. In dieser Konfliktgeographie ist Occupy ein Kampf um die Macht, der aus der Erfahrung von Ohnmacht entspringt. Zu einer lang ertragenen politischen Ohnmacht gesellt sich der Druck einer überwältigenden ökonomischen Ausweglosigkeit. Diese Kombination von ökonomischen Zwängen und politischem Vertrauensverlust ist sowohl für die Formierung und Entwicklung als auch für die Handlungsmöglichkeiten von Occupy
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und verwandten Bewegungen von entscheidender Bedeutung. So wie der Tod von Mohamed Bouazizi unter dem Zeichen einer verunmöglichten ökonomischen Existenz steht, gilt der Unmut über gestiegene Brotpreise als eigentlicher Hintergrund für die rasante Ausbreitung der damit ausgelösten Unruhen. Sowohl in Ägypten als auch in Spanien wird die Bereitschaft zum radikalen Protest auf das dramatische Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern zurückgeführt. Und auch im populären Zuspruch zu Occupy übertönen die Stimmen ökonomischer Betroffenheit über weite Strecken die von manchen Organisatoren anvisierte Ausrichtung der Bewegung auf explizit revolutionäre Ziele. Die unter dem Kampfslogan »We are the 99 %« versammelten Ressentiments bezeugen eine ideologische Streuung weit über das anarchistische Spektrum hinaus. Gerade bei der gutausgebildeten, jungen Generation in den Städten Nordamerikas taucht als zentrales Beteiligungsmotiv weniger die Absage an das kapitalistische System per se auf als die Frustration darüber, sich trotz intensiver Anstrengungen aus dem Amerikanischen Traum von Wohlstand durch Leistung ausgeschlossen zu sehen: »The one thing that the protesters all seem to agree on is that the middle class way of life is moving out of reach.«43 Viele der Tausenden Bezeugungen auf dem Tumblr-Blog We Are the 99 Percent betonen: »I have worked hard, played by the rules.«44 Der Zugriff von Marktinteressen der Schuldenwirtschaft auf immer mehr Lebensbereiche, vom Wohnen bis zur Ausbildung, schafft eine finanzielle Belastung des Einzelnen, die angesichts schwindender Jobaussichten immer unbewältigbarer wird.45 Was diese unterschiedlichen Hintergründe eint, ist die Einsicht, diese existenziellen Schwierigkeiten nicht innerhalb des eigenen persönlichen Handlungsrahmens bewältigen zu können. Für immer mehr Personen bietet sich keine individuell beschreitbare Perspektive, der Spirale der Schuldendynamik zu entkommen, weder durch die Investition in eine hochqualifizierte Ausbildung, die einen fit für veränderte Karriere-Märkte machen sollte, noch durch ein vermehrtes Aufopfern, Sparen und Entsagen. In einem stürmischer werdenden ökonomischen Klima scheint auch die Aussicht darauf, eine institu-
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tionelle Anlaufstelle für das Deponieren persönlicher Forderungen ausfindig zu machen, immer mehr zu schwinden.
W IDERSTAND WO? An wen kann dieser Zorn über das Entrücken der Zukunft und die Enttäuschung über das eigene Scheitern gerichtet werden? Anders als weite Teile der 1968er-Bewegung, die bloß im Namen der Arbeiterschaft demonstrierte, fühlen viele Beteiligte von Occupy selbst die Bürden ökonomischer Zwänge. Die 1968er besetzten Streikposten vor den Toren der Fabriken. Schulden werden aber nicht von Arbeitern in Fabriken produziert. Was müsste besetzt und materiell angeeignet werden, um eine Umverteilung von virtuell gehandelten Werten zu erwirken? Gibt es einen physischen Ort, an dem eine solche Umverteilung zumindest sinnvoll gefordert werden kann? In der Identifizierung von »Occupy Wall Street« und »We are the 99 %« scheint Occupy eine Adresse für den Unmut und die Verzweiflung ausgemacht zu haben. Von manchen Kommentatoren wird in Zusammenhang damit die Bildung eines neuen Klassenbewusstseins als eine der folgenreichsten Errungenschaften von Occupy angeführt. Der unwiderstehliche Slogan »Wir, die 99 %« habe es geschafft, den unzähligen Opfern der Schuldenwirtschaft ein neues Verständnis für ihre kollektive Lage zu vermitteln. Nicht sie persönlich, in ihrer individuellen Unfähigkeit, seien schuld an der finanziellen wie emotionalen Misere, sondern die unersättliche Gier anderer – die des oberen 1 %, das alle materiellen wie immateriellen Ressourcen des Planeten ohne Rücksicht auf Verluste ausbeute. Wenn es darum geht, die Leistungen und Schwierigkeiten von Occupy zu verstehen, dann bilden diese hervorstechenden Errungenschaften zugleich die heiklen Stellen. So gilt es bei diesem Coup der Bewegung – dem Fokussieren auf die 1 % – neben den erzielten Effekten auch danach zu fragen, welche Dynamiken dazu geführt haben, gerade diesen Aspekt hervorzuheben und welche anderen
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möglichen Ausrichtungen des Protests in dessen Schatten keine Beachtung gefunden haben. Zur Entwicklung eines neuen Klassenbewusstseins, das sich auch als vereinigte politische Kraft formiere, zeichnen die auf dem Tumblr-Blog We Are the 99 Percent geposteten Beichten ein durchaus ambivalentes Bild. Es ist nicht immer schlüssig, wie sich der unsanfte Verlust von Ansprüchen der Wohlstandsgesellschaft in einen selbstlosen Einsatz gegen die Bedrohungen des Allgemeinwohls übersetzt. Die Problematik der Personifizierung betrifft aber nicht nur die 99 %, sondern vor allem auch das Gegenstück, die sogenannten 1 %, und damit einen zentralen Kern des Protests, nämlich den Kampf gegen die Vorherrschaft der Geldwirtschaft. Im dem zweiten von OWS veröffentlichten Dokument, der am 29. September 2011 von einer Vollversammlung im Zuccotti Park beschlossenen »Erklärung der Besetzung der Stadt New York«46, werden ›die Konzerne‹ als Urheber und Vollstrecker des Unrechts auf der Welt an den Pranger gestellt. Niedergeschrieben, »damit alle Menschen, denen von Konzernen Unrecht angetan wird, wissen, dass wir ihre Verbündeten sind«, widmet die Deklaration den Großteil des Textes einer »nicht vollständigen« Aufzählung von Missetaten: »Sie haben uns unsere Häuser in illegalen Zwangsversteigerungen geraubt, obwohl ihnen die ursprünglichen Hypotheken nicht gehörten. Sie haben sich ungestraft Rettungsgelder von Steuerzahlern geholt und bezahlen trotzdem immer noch exorbitante Boni an die Vorstände. […] Sie haben Studenten mit vielen zehntausenden Dollar Verschuldung für Bildung als Geiseln genommen, obwohl Bildung an sich ein Menschenrecht ist. Sie haben kontinuierlich Arbeit ausgegliedert und die Ausgliederungen als Mittel genutzt, um Löhne zu drücken und die Gesundheitsversorgung zu reduzieren. […] Sie haben Privatverträge akzeptiert, um Gefangene hinzurichten, selbst wenn ernsthafte Zweifel an ihrer Schuld erhoben wurden.
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Sie haben Kolonialismus hier und im Ausland fortgesetzt. Sie haben an der Tötung und Folter von unschuldigen Zivilisten im Ausland teilgenommen. Sie stellen immer noch Massenvernichtungswaffen her, um Regierungsaufträge zu erhalten.«
Wer genau sind sie, und wo sind sie? Läuft Occupy Gefahr, sich mit dem PR-Coup der 99 % die eigene Sicht sowohl auf den Ort der Auseinandersetzung als auch auf die inhaltliche Ausrichtung des Widerstands zu verstellen? Die Klassenrhetorik der 99 % mag manchen die trügerische Genugtuung bereiten, die Massen hätten nun endlich das Klassenwesen des kapitalistischen Systems erkannt. Inwiefern kann dieses Bild aber auch den Weg zu einer Alternative weisen? Die Frage ist also, ob diese Personalisierung des Konflikts nicht nur eine Errungenschaft, sondern gleichzeitig auch ein Handicap der Bewegung darstellt. Inwiefern ist das kapitalistische System am individuellen Handeln einzelner Personen festzumachen? Oder haben wir es hier vielmehr mit einer abstrakten Figur zu tun, deren Macht gerade in ihrer Fähigkeit der Dezentralisierung besteht, in der Kapazität, sich immer wieder neuer Körper zur Ausführung ihrer Logik zu bemächtigen? Diese Frage ist nicht bloß eine rhetorische, sondern ihre Beantwortung bestimmt, welche Richtung ein Widerstand gegen das System einschlagen kann. »Das Kapital ist kein Subjekt«, stellt Mark Fisher in Capitalist Realism fest und verweist auf Slavoj Žižeks Argument, dass die Versuchung der ethischen Schuldzuweisung gerade im kapitalistischen System selbst als Mittel eingesetzt werde, um die Verantwortung für die Finanzkrise vom Systemhaften auf das irrationale Tun Einzelner und deren ›Missbrauch‹ des Systems abzulenken.47 Konzerne seien keine im Untergrund operierenden Agenten, die alle Fäden ziehen, sondern selbst nur Ausdruck und Gefangene der ultimativen Ursache-die-kein-Subjekt-ist. Jeder Versuch, ein Register des Zu-Verurteilenden und Zu-Bestrafenden analog von Individuen auf Konzerne zu übertragen, könne daher nur armselige Resultate bringen. Viel wurde über das Kultig-Religiöse von Occupy und die rituellen Op-
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ferbezeugungen der 99 % – dass Menschen ihr Schicksal auf Tafeln malen und wie Votivkarten an gemeinsamen Orten anbringen – geschrieben. Die kollektive Wahlfahrt zu Occupy ziele auf einen kompensatorischen Glauben, der helfe, eine klare Ordnung von Gut und Böse wiederherzustellen, und zugleich Absolution von eigenem Verschulden verspreche. Politische Mobilisierung operiert immer auch auf einer emotionalen Ebene. Es heißt, wachsam zu bleiben, ob in der Benennung des 1 % bloß ein einfach zu fassender Sündenbock für das individuelle und allgemeine Leiden gefunden wurde, demgegenüber die All-inclusive-Formel der 99 % eine bequeme Route zur Identifizierung als Opfer anbietet. Die letztliche Austauschbarkeit des 1 % nicht anzuerkennen, birgt die Gefahr, dass der Protest an der Arbeitsweise des Kapitals vorbei und damit ins Leere zielt. Worauf müssen wir achten, damit der 99-%-Slogan nicht nur eine therapeutische Funktion erfüllt, sondern eine tatsächliche politische Währung erlangt? Wie kann vermieden werden, dass Occupy hier einem verhängnisvollen Vater-Syndrom verfällt, das Jacques Lacan und andere bereits früheren Protesten, wie den 1968er Studentenbewegungen, attestiert haben? Der fehlgeleiteten Annahme, dass ›da oben‹ jemand sitze, der über alles verfüge, freien Zugang zu allen Ressourcen habe, aber aus reiner Willkür und Blindheit gegenüber seinen ureigensten Interessen diese nicht gerecht verteilen wolle und grob fahrlässig damit umgehe. Ein böswilliger Vater, der einem auf grausame Weise das ›Recht‹ auf den Genuss des Lebens verwehre.48 Die Voraussetzung für das Überwinden dieser Fixierung auf ein väterliches Über-Ich und das Wiedererlangen einer echten politischen Handlungsfähigkeit besteht für Mark Fisher in der Anerkennung unserer eigenen Hingabe an die Mühlen des Kapitals auf der Ebene des Begehrens. Anstelle einer Projektion des Bösen auf phantasmatische Andere gelte es, zwei Dinge im Auge zu behalten: Der Kapitalismus ist eine hyperabstrakte, apersonale Struktur, und er ist nichts ohne unsere Kooperation.49
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D IE WALL S TREE T UND DER L ANGE A RM DES K APITALS Das Wechselspiel von Bestätigung und Verwerfung umreißt die Herausforderungen des zeitgenössischen Aufstands gegen Vorherrschaft. Jede aufgemachte Linie der Auseinandersetzung läuft nicht nur durch uns selbst hindurch, sondern eröffnet einen Ersatzschauplatz für ein Neuformieren und Verdrängen. Die Anstrengung liegt nicht allein im Besetzen einer Handlungsplattform, sondern im Offenhalten einer neuen Sicht auf die Dinge. Dieser Konflikt ist prägend für das, was Occupy zu erreichen versucht und womit die Bewegung konfrontiert wird. Occupy hat die Verwicklung von kapitalistischem System und gesellschaftlicher Ordnung aufgezeigt und demgegenüber den Handlungsraum des Individuums postuliert. Als Antwort kam die Umleitung der gesellschaftlichen Gewalten auf die Ebene des Individuums. Eine der entscheidenden Fragen über die Wirkmacht von Occupy richtet sich dementsprechend darauf, wie sich über Formen direkter Demokratie das Begehren nach einer faireren Gesellschaft artikuliert und auf die Dualität von ökonomischem System und politischer Gewalt reagieren kann. Das Kapital ist kein Subjekt. Damit das System greifen kann, muss der Glaube an seine Wirksamkeit ausgeübt und in wiederholten Handlungen bestätigt werden. Die Wall Street ist zugleich Symbol als auch Ort der Huldigung. Als einer der Knoten im Netz der globalen Städte generiert sie eine Dichte an ›Finanzdiensten‹, die stets neue Systemanwendungen hervorbringt. Als Teil eines wachsenden Repertoires an menschlichen und materiellen Ressourcen werden die realen Effekte der Geldschöpfung in der zeitgenössischen Schuldenwirtschaft in immer neue Bereiche ausgelagert. Die Abschiebung in stets ausgeklügeltere, in den Raum der Zeit projizierte Abhängigkeiten garantiert die Eigendynamik des Systems. Unter dem Gesichtspunkt, dass die ›Vernünftigkeit‹ des vorherrschenden Systems durch das Auftreten seiner Platzhalter abgesichert werden muss, scheint die Wall Street als physisches wie symbolisches Ziel der Besetzung in einem ersten Schritt Sinn zu machen.
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Aber Occupy Wall Street hat die Wall Street nicht erreicht, stattdessen die Antwort des Staates erhalten. Nicht, weil Banker und Spekulanten die Protestierenden daran gehindert hätten. Es war das New Yorker Police Department, das am 17. September 2011 die Wall Street sperrte und die Skulptur des Raging Bull abzäunte, am Zuccotti Park eine militärisch aufgerüstete Überwachungsstation einrichtete und am 15. November 2011 dafür sorgte, dass das Lager unter Ausschluss der Öffentlichkeit geräumt wurde. Der vehemente Einsatz von militarisierten Polizeieinheiten und Antiterrormaßnahmen zur Eindämmung von Occupy in den USA lässt zivilen Protest als eine Bedrohung der nationalen Sicherheit erscheinen. Die in diesen Aktionen sichtbar gewordene Handlangerschaft des Staates beschränkt sich nicht auf die polizeiliche Kontrolle ›öffentlicher Ordnung‹.50 Der Kapitalismus arbeitet direkt durch den Staat: Die Schmutzarbeit für die sauberen Deals der Wall Street, die Vollstreckung und die Kosten für die Implementierung der Schuldenwirtschaft werden vom Staat und seinen Organen übernommen. Seine Gerichte verordnen Pfändungen und Zwangsversteigerungen, die öffentlichen Haushalte garantieren die Risiken. Das Prinzip der Geldschöpfung durch das Auferlegen von Schulden befindet sich potenziell immer in der Krise. Ein Schaffen von Werten, das nicht durch Produktion gestützt wird, sondern auf der Spirale von Zinsen und Gebühren beruht, bedarf zur Aufrechterhaltung dieser Krise einer ständigen Weiterschreibung dieser Auslagerungen.51 Mit dem Druckmittel der Alternativlosigkeit hat es der kapitalistische Realismus geschafft, die vermeintliche Schwächung der Kreditkrise von 2007/2008 zum Ausweiten seines Zugriffs auf den Staat zu nutzen und die Verluste fauler Kredite auf die öffentlichen Haushalte abzuwälzen. Im Bann von Korruption und Geiselhaft adaptieren die politischen Institutionen des Staates die sozialen und rechtlichen Regelwerke, um neue Märkte zu erschließen. Nach der Erschöpfung der Immobilienblasen des vergangenen Jahrzehnts weicht die Krise der Schuldenwirtschaft nun auf den informellen Sektor des globalen Südens aus. Anstelle der Hypotheken einer aufstrebenden Mittelschicht wird die Ausgabe von Mikrokrediten an die
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am meisten Benachteiligten als neu zu erobernder Markt entdeckt. Nachdem die Hälfte aller ökonomischen Aktivitäten weltweit dem informellen Sektor zuzurechnen ist, werden aus den Millionen der Ärmsten der Welt unschätzbare Assets für globale Spekulationen.52 Der Coup besteht in einer immer weiterreichenden Externalisierung der Kosten des Profits, materieller wie menschlicher Art. Die Mächtigkeit der Geldwirtschaft resultiert nicht aus einer physischen Ballung von Macht in der Wall Street, sondern aus dem Eingriff in immer neue Zonen und Bereiche unseres Seins – die Organisation unserer Gesellschaft, unser Zusammenkommen als Gemeinschaft oder die Pflege unseres mentalen Wohlbefindens. Wir erfahren hier eine doppelte Strategie der Enteignung unserer Existenz als Mensch: In einem ununterbrochenen Prozess der Deterritorialisierung und Reterritoralisierung greift das kapitalistische System nach unseren Subjektivitäten, um uns als Arbeiter und Konsument, Schuldner und Exekutor zu verwerten und zugleich zu entwerten. Seine Instrumente nehmen Rechtspersönlichkeit an, die in einen direkten Wettstreit um die Räume und Formen unseres sozialen Zusammenlebens eintritt. In diesem Klima der Krise dienen Angst und Bedrohung zum Durchsetzen und zugleich Verdecken einer Allianz von Ökonomie und Politik. Die von Occupy angesprochene mentale Krise unserer Zeit betrifft die schizophrene Erfahrung, mit der Formel »Der Staat sind wir, das Volk« für die Befriedigung ökonomischer Systeme in Anspruch genommen zu werden, wenngleich das staatliche Wirken bereits von diesen Systemen übernommen wurde. Die für Occupy bestimmende Geste, die Ablehnung des Wirtschaftssystems mit einem Aufruf zur Erneuerung des politischen Prozesses zu verbinden, reflektiert, wie Machtkonzentrationen in der Ökonomie auch auf die Repräsentationen unseres Zusammenlebens zugreifen. Occupy Wall Street ist zugleich Occupy USA, Occupy Together, Occupy Everywhere, Occupy Everything. »Wir, das Volk« als konstituierendes Element des Gemeinwesens zurückzuverlangen, richtet sich auf die doppelte Besetzung eines vom Kapitalismus übernommenen Staats und einer das gesamte Leben übernehmenden Ökonomie. Occupy – Wir, das Volk
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bestreitet diesen symbolischen Machtraum über das Konstituieren des Sozialen: Auf die Dezentralisierung der ökonomischen Effekte kontert Occupy mit der Mobilisierung sich verweigernder Subjekte, der Besetzung von uns selbst. Noch vor der oben zitierten »Erklärung anlässlich der Besetzung von New York City« vom 29. September 2011 wurden am 23. September 2011 von der Vollversammlung im Zuccotti Park »Die Prinzipien der Solidarität« verabschiedet.53 Das kurze Statement zur Einheit der Bewegung erklärt, dass die Besetzer des Zuccotti Parks sich als autonome politische Subjekte verstehen und sich in gewaltfreiem, zivilem Ungehorsam und dem Aufbau von Solidarität üben, auf der Basis von gegenseitiger Achtung, Anerkennung und Liebe. Die in einem Prozess direkter Demokratie entwickelten acht Punkte reichen von der Ausübung persönlicher und kollektiver Verantwortung über die wechselseitige Unterstützung im Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung bis zur Unantastbarkeit der individuellen Privatsphäre. Das Dokument schließt damit, dass nach dem Abklären weiterer Solidaritätsprinzipien OWS mit Forderungen an die Öffentlichkeit treten werde. Die Frage nach der zeitlichen und inhaltlichen Abfolge der beiden Dokumente von OWS – zuerst zur sozialen Organisation des Widerstands und erst danach zur ökonomischen und politisch-institutionellen Ausgangslage – erscheint in Hinblick auf die Bedeutung von Occupy zunächst zweitrangig zu sein. Brisanter wird die Frage, wenn es darum geht, ob die doppelte Forderung von Occupy nach verändertem Wirtschaften und direkter Demokratie der inhaltlichen Ausrichtung des Protests entspringt oder dessen Form – der Notwendigkeit, den Protest auch formal zu organisieren. Inwiefern wirkt sich eine unterschiedliche Gewichtung darauf aus, ob diese Dualität in der Bewegung aufrechterhalten werden kann? Ist die mit den zwei Dokumenten vollzogene Aufteilung des Protests – in Fragen der sozialen Organisation des Widerstands und in Forderungen an das System – bereits Vorbote einer sowohl von innen keimenden als auch von außen aufgezwungenen Abkoppelung der Botschaft von den Überbringern?
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Der Kampf um die Behauptung der Zeltlager zeitigte eine Dynamik, mit der die übergeordneten Linien der Auseinandersetzung durch das Verschieben des Konflikts auf die Befindlichkeiten der Besetzer ausgeblendet wurden – eine Problematik, die nicht unbedingt Occupy-spezifisch ist. Es gehört zu den traditionellen Mitteln der Abwehr von Protest, diesen zu diskreditieren, indem die Aufmerksamkeit vom Gegenstand des Protests auf die Aufmachung der Protestierenden gelenkt und ihre moralische Legitimität generell in Frage gestellt wird. Im Fall von Occupy hat diese Strategie besondere Konsequenzen, weil für Occupy die Manifestation des Protests eine unabdingbare Grundlage für die Entwicklung von Alternativen darstellt. Die Kreditkrise 2008 und die darauf folgenden Turbulenzen der Austeritätspolitik zerrissen den Schleier der Unfehlbarkeit des Finanzkapitalismus: die alternativlose Vorgabe, der ›Freie Markt‹ wäre das einzig funktionsfähige System. Die Enthüllung dieser Fehlbarkeit und die offensichtliche Geiselhaft der Politik ermächtigte gewöhnliche Bürger, sich am Finden von Lösungen des Konflikts zwischen den Interessen des Systems und der Würde des einzelnen Lebens zu beteiligen. Wachgerüttelt wurde damit auch der moralische Appell, für das Gemeinwohl Sorge zu tragen, ein naiver Augenblick, in dem Occupy als eine revolutionäre Destabilisierung gefeiert wurde. Dieser Moment ist nicht wiederholbar und hinterlässt dennoch ein Vermächtnis. Der Protest von Occupy richtet sich gegen die beschleunigte Zunahme von Reichtum und Macht der sogenannten 1 %. In dieser Ablehnung der laufenden Systementwicklung findet die Occupy-Bewegung Zustimmung und Unterstützung bei den verbleibenden 99 %, so auch für die Besetzung öffentlicher Räume, um diese Missstände über symbolisch-politische Aktionen anzuprangern und eine Diskussion darüber in Gang zu bringen. Die Aktivisten von Occupy sehen im Errichten von Zeltlagern aber mehr als nur die Herstellung mediengerechter Repräsentationen der Unzufriedenheit. Für sie ist die Organisation des Lagerbetriebs, die Koordination des Zusammenlebens in Foren direkter Demokratie bereits das Experiment, dessen Ergebnisse
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das herrschende System in seiner politischen Arbeitsweise ablösen sollen. Die 99 % mögen die Gründe des Protests und auch die Wahl seiner Adressaten für legitim erachten. Ob sie zum revolutionären Schritt der Systemablöse bereit sind, ist eine andere Frage. Nicht selten richtet sich die Entrüstung dagegen, den Zugang zu eigenem Wohlstand blockiert zu sehen, und entspringt weniger einer grundsätzlichen ethischen Ablehnung. Im Taumel des Zustroms der Massen wähnten sich manche Aktivisten bereits auf der Vorstufe einer gerechteren Welt, die 99 % an ihrer Seite. Occupy hat das System nicht aus den Angeln gehoben, keine Börsenspekulationen aus der Bahn geworfen, keine Diktatoren gestürzt und dennoch viel verändert. Es hat nicht zum Sturm auf die Wall Street und zu einer freihändigen Umverteilung von Geld und Schulden geführt und dennoch Werte verschoben. Die Gleichzeitigkeit von Symbolik und Experiment erzeugt Widersprüche und Spannungen, die das Wesentliche und Besondere an Occupy ausmachen. Im Herzen vieler Besetzungen war der Wunsch einer gemeinsamen Suche nach Antworten in einer egalitären Umgebung – das Lager als ›freie Universität‹. Was können wir also von Occupy lernen? Occupy war eine einzigartige Konstellation, die sich nicht auf gleiche Weise wiederholen wird; aber die daran beteiligten Elemente wirken weiter: die Netzwerke von Schuldenwirtschaft und staatlicher Gewalt, die politischen Glaubenshaltungen zu ihrer Rechtfertigung oder Herausforderung. Und nicht zuletzt die räumlichen Gebilde, in die sich die Erfahrungen und Erzählungen von Occupy (wie jene von anderen politischen Kämpfen zuvor) eingeschrieben haben. Die Auseinandersetzung um die Manifestationen von Occupy – die Lager und Besetzungen – hat reichhaltiges Material hervorgebracht, aus dem Einsichten für das Fortführen politischen Widerstands gewonnen werden können, Erfahrungen darüber, wie Protest aufgenommen und untergebracht werden kann. Occupy geschah nicht irgendwo – und doch überall. Die Bewegung ist nicht nur aufgetreten, sondern hat Orte in Anspruch genommen. Sie hat Raum besetzt, um ihn zu bewohnen, ihn politisch und sozial urbar zu machen. Occupy hat Platz bezogen.
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2 Besetzungen des öffentlichen Raums Parks, Plätze und andere Freiräume The primacy of the spiritual and of ethics needs to be restored and, with them, the primacy of politics – which is responsible for the common good – over the economy and finance. Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden1
O CCUPY E VERY WHERE An dem zum internationalen Aktionstag ausgerufenen 15. Oktober 2011 breitete sich Occupy weltweit aus. Von Rom bis Rio de Janeiro, von Madrid bis Manila gingen die Menschen unter dem Banner von »Wir, die 99 %« auf die Straßen, um gegen die übermächtige »Habgier der Banken« zu protestieren und »ein Ende des Spekulierens mit unserem Leben« zu verlangen. Nach einem Monat des Campierens im Zuccotti Park war das Protestlager von Occupy Wall Street (OWS) für hunderttausende Menschen – über ihre unterschiedlichen Umstände hinweg – zum Vorbild politischen Handelns geworden. In Occupy sahen sie sich vereint. Auch in der Stadt New York suchte OWS nach Allianzen zur Ausweitung des Protests. Tags zuvor, in den frühen Morgenstunden des 14. Oktobers 2011, war es erfolgreich gelungen, die angedrohte Räumung des Lagers im Zuccotti Park zur »Säuberung des Parks« abzuwenden. Tausende waren einem Solidaritätsaufruf gefolgt und
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hatten eine Menschenkette zur bürgerlichen Kontrolle von staatlicher Gewalt rund um das Lager gebildet. Die stattdessen von den Besetzern selbst durchgeführte nächtliche Reinigungsaktion verstärkte das kollektive Gefühl, Stadträume in Selbstorganisation übernehmen zu können. Davon angespornt machten im Vorfeld des internationalen Aktionstags zahlreiche Gerüchte über bevorstehende weitere Besetzungen in der Stadt die Runde. Ziel der Demonstrationen am 15. Oktober 2011, zu denen Studentennetzwerke, lokale Gewerkschaften und andere politische Initiativen aufgerufenen hatten, war zunächst der etwa sechs Kilometer nördlich vom Zuccotti Park gelegene Times Square in Midtown Manhattan. Dort angekommen wurden die Demonstrierenden jedoch rasch von der Polizei, die das Aufrechterhalten eines ungehinderten Verkehrsflusses zur Priorität erklärte, in ihre Schranken verwiesen. Die beinahe 10.000 Teilnehmer fanden sich in einzelne auf Verkehrsinseln festgehaltene Kleingruppen isoliert, ohne Möglichkeit, sich zu einer großen Versammlung zusammenzuschließen. Angesichts der Drohgebärden der Polizei, die mit berittenen Einheiten Demonstrierende in Seitenstraßen abdrängte, löste sich die Demonstration am Times Square gegen späteren Nachmittag ohne größere Ergebnisse wieder auf. Bei der für den Abend einberufenen Vollversammlung auf dem auf halber Wegstrecke zwischen Times Square und Zuccotti Park gelegenen Washington Square versuchten einzelne Aktivisten noch einmal unter den etwa 1000 Anwesenden für eine Ausweitung der Platzbesetzungen mobilzumachen. Eine Besetzung des Washington Square könne wegen seiner Lage im Zentrum des Campus der New York University auf zahlreiche Unterstützung durch die in den umliegenden Gebäuden arbeitenden Studenten zählen. Der Konsens der Vollversammlung war jedoch, dass der Washington Square in seiner räumlichen Konfiguration zu groß sei, um effektiv besetzt gehalten zu werden. Gegen Mitternacht schließlich zogen sich die meisten verbliebenen Aktivisten Richtung Zuccotti Park in Lower Manhattan zurück, da dieser im Privateigentum befindliche Platz nicht unter die mitternächtliche Sperrstunde öffentlicher Parks fällt. Mit Verweis auf diese Verordnung hatte die anwesende Polizei vor
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einer allfälligen Besetzung des Washington Square gewarnt. 14 Personen, die in einem trockenen Brunnenbecken ausgeharrt hatten, wurden am Ende verhaftet.2 Tags darauf wurde noch einmal versucht, die Besetzungen in die Stadt hinauszutragen. Das von BMW gesponserte GuggenheimLab,3 eine temporäre Raum-Installation mit kuratiertem Programm auf einem brachliegenden Grundstück in der Houston Street, näherte sich dem Ende seiner zehnwöchigen Laufzeit, und es schien eine indirekte Einladung dortiger Mitarbeiter an OWS zu geben, den Standort nach Ende der offiziellen Abschlussfeierlichkeiten zu besetzen und so auch im Streit um ein Weiterlaufen der Aktivitäten mitzuhelfen. Das Angebot witterungsgeschützter Räumlichkeiten samt Küchen- und Sanitärausstattung versprach so etwas wie ein Sprungbrett auf die nächste Stufe gesellschaftlicher Selbstverwaltung durch Formen direkter Demokratie. Nach dem Vorbild der 2001 während des Kollaps des argentinischen Staates entwickelten ›Politik der Affektion‹ könnte das Etablieren eines Netzwerks an Nachbarschaftsversammlungen den Boden für eine ›horizontale‹ Übernahme in einer wahren Demokratie bereiten. Über die eher symbolträchtige Besetzung des Zuccotti Parks hinaus würden diese Nachbarschaftsversammlungen die Ausbildung von vertrauten politischen Beziehungen ermöglichen und so auf der Basis des täglichen Praktizierens von kollektiven Entscheidungen eine gelebte Kultur der Achtung von individuellen Rechten und Freiheiten hervorbringen.4 Der Plan schlug allerdings fehl. Als die Aktivisten zum angesetzten Ende der Party in der Houston Street erschienen, waren die Tore bereits verschlossen und nur noch ein paar Putz- und Sicherheitskräfte mit dem letzten Aufräumen beschäftigt.5 Die Errichtung von Occupy-Lagern in internationalen Finanzzentren wie London, Frankfurt oder Hongkong rund um den internationalen Aktionstag des 15. Oktobers 2011 markierte den Anfang der weltweiten Ausbreitung von Occupy. Zugleich begannen sich in New York die Grenzen der politischen Reichweite in der Besetzung öffentlicher Plätze zu zeigen. Auf der ganzen Welt wurde unter dem Banner von Occupy marschiert, aber in New York selbst konnte kein
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Platz zur wirklichen Verortung des Protests, zur Verknüpfung mit den Realitäten lokaler Situationen gefunden werden. Während OWS auf der Suche nach potenziellen Partner-Plätzen durch die Straßen streifte, wurde am selben Wochenende im subterranen Auditorium der Cooper Union, dem Fels des sozialen Fortschritts in der Brandung der geschäftigen Metropole, über einen Anfang anderer Natur spekuliert: Zeitgleich mit den internationalen Protesten gegen die Auswüchse der Finanz- und Schuldenwirtschaft diskutierten Étienne Balibar, Jodi Dean, Susan Buck-Morss, Slavoj Žižek und andere über »Kommunismus: Ein Neubeginn?«. Gleich im ersten Beitrag, »Politics and State, Mass Movement and Terror«, widmete sich Alain Badiou dem problematischen Verhältnis von Systemwechsel und Gewalt. Der historische Vorwurf an den Kommunismus, intrinsisch gewalttätig zu sein, so Badiou, richte sich nicht nur auf die kriegerischen Auseinandersetzungen von Revolutionen, sondern behaupte eine grundsätzliche Abhängigkeit des Kommunismus von staatlichem Terror, ohne den die ›unnatürliche‹ Ordnung einer egalitären Gesellschaft nicht aufrechtzuerhalten sei.6 Über die historischen Ereignisse hinaus macht diese Diskussion deutlich, dass Widerstandsbewegungen immer mit verdoppelten Schauplätzen konfrontiert sind: dem realen Schauplatz der Auseinandersetzung um die Verfügungsgewalt über materielle wie immaterielle Güter – der Verteilung des Bodens, der Wertung der Arbeitskraft, der Teilnahme und Mitbestimmung in gesellschaftlichen Prozessen sowie dem ideologischen Schauplatz des Streits um die Rechtmäßigkeit und Angemessenheit der Mittel. Die Reaktion des vorherrschenden Systems zielt neben einer konkreten Verteidigung der Gewalthoheit immer auch auf eine Diskreditierung des widerständigen Handelns an sich. Aus diesem politischen Szenario ergeben sich zwei zentrale Fragen. Erstens die Frage nach der Bewertung der Mittel: Was wird als Gewalt bezeichnet? Wie Slavoj Žižek, der als Moderator für die von Verso Books organisierte Konferenzreihe agiert, in seiner Replik auf Badiou ausführte, sei die gewaltfreie Besetzung des Tahrir-Platzes extrem gewalttätig gewesen: gegenüber einem System, dessen Ordnung sie durcheinanderbrachte.7 Und
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zweitens die Frage nach den Formationskräften hinter dem Bezugsrahmen für die ideologische Legitimierung: Worauf gründen sich die Anweisungen, was angemessenes, weil naturgemäßes Handeln sei? Mehr noch, was begründet die Annahme selbst, nur naturgemäßes Handeln sei legitim?
B ESE T ZUNG DER M OR AL Occupy ist so nicht nur mit den konkreten Lagen der politischen Kultur in den Finanzzentren und mit der globalen Schuldenwirtschaft konfrontiert, sondern auch mit einer jahrhundertelangen Geschichte des Umgangs mit Widerstand und den Bewegungen, die sich daraus geformt haben. Über den konkreten Streit um eine Sache hinaus wirkt so immer auch der jeweils herangezogene Diskursrahmen mit, der die vorgebrachten Argumente, konkreter wie ideeller Natur, erst zu Argumenten werden lässt. »Wir sind die 99 %« impliziert nur dann eine Handlungsaufforderung, wenn die gültige Referenz eine Einheit von 100 Prozent vorgibt. Je ungreifbarer die umstrittene Sache wird und je abstrakter sich der darüber geführte Verteilungskampf gestaltet, umso bedeutsamer wird der ersatzweise in Anspruch genommene Diskursrahmen legitimen Handelns. Je mehr Handlungsräume von etwas Äußerem abhängen und sich einem direkten Zugriff entziehen, ihre Inanspruchnahme also nicht auf direktem Weg verhindert werden kann, umso mehr müssen andere Mittel herangezogen werden. Jede transterritoriale Herrschaft beruht so auf dem Einsatz einer Kombination verschiedener Formen der Gewalt und ideeller Verbindlichkeiten. Um die Handlungsmöglichkeiten von Occupy verstehen zu können, ist daher eine Analyse der aktuellen Dynamiken im Zusammenkommen dieser Kräfte von entscheidender Bedeutung. Von frühen Widerstandsbewegungen in Europa, wie den Sklavenaufständen zur Zeit der Römer oder den Bauernkriegen zu Beginn der Neuzeit, kennen wir vor allem ihre blutigen Niederschlagungen. Im Falle Letzterer, der ›Revolution des gemeinen Manns‹,
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zeigen sich bereits Verwandtschaften mit zeitgenössischen Bewegungen, etwa in der Zusammenkunft in Versammlungen und der Postulierung von politischen Manifesten wie der »12 Artikel«,8 deren rasche Verbreitung maßgeblich für die flächenbrandartige Ausweitung des Aufstands war. Parallelen zeigen sich auch in einer daraus resultierenden, dezentralen, lokal initiierten Organisationsstruktur und den damit verbundenen Stärken und Schwächen im Wachsen der Bewegung bzw. der Abwehr von Gegenschlägen. Einer der folgenreichsten Systemwechsel, das Ende der absolutistischen Herrschaft König Ludwig XVI. von Frankreich durch die Französische Revolution im Jahr 1789 und ihre wechselvollen Folgejahre, markiert auch den Aufstieg des Kapitalismus zum dominierenden System – eine fortschreitende Trennung von Besitz und Arbeit, wo der gewinnbringende Handel von Besitz zum alles bestimmenden Faktor wird und die ›Kräfte des Markts‹ eine stetige Steigerung der ›Wertschöpfung‹ durch Erhöhung des Ausbeutungsgrads oder eine Eroberung neuer Märkte erfordern. In den letzten 250 Jahren haben die damit einhergehende Industrialisierung und Technologisierung unsere Lebenswelten immer weiter aufgesplittert. Ob die Produktion von Gütern, die Teilnahme an kulturellen Gemeinschaften, die Festsetzung ökonomischer oder sozialer Werte, immer weniger findet vor Ort statt oder ist an einen Ort gebunden und somit für unsere eigene ortsgebundene Existenz greifbar. Das reale Leben wird in einem globalen Markt zu einer immer abstrakteren Einheit von übergeordneten Massen. Diesem im Kapitalismus zunehmenden Abstraktionsgrad in der wirtschaftlichen und sozialen Organisation steht eine wachsende Betonung von Fragen der Ethik gegenüber, sowohl als Mittel der Unterdrückung als auch im sich dagegen richtenden Widerstand. Das Anlegen von Maßstäben einer sittlichen Lebensführung wird zum zentralen Steuerungsmittel in der Disziplinierung der Massen in einer entfremdeten Arbeitswelt. Moralische Argumente liefern die Rechtfertigung für eine ›fordistische‹ Aufspaltung in Klasse, Geschlecht oder Rasse. Es ist deren zwanghafte Erfahrung, gegen die in den modernen Widerstandsbewegungen rebelliert wird. Je un-
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greifbarer der Gegenstand der Auseinandersetzung wird – je mehr er räumlich ausgelagert oder von einer Übermacht verteidigt wird, je weniger er ein materielles Gut an sich darstellt –, umso mehr verschiebt sich diese Auseinandersetzung auf die Ebene der ethischen Begründung. An die Stelle des Sturms auf das Waffenlager und der Besetzung der Fabriken tritt das Einfordern der Ethik, die Besetzung der Moral. Am Höhepunkt der imperialistischen Ausprägung des Kapitalismus um 1900 entstehen neue Formen des modernen zivilen Protests, die auch heute noch die Grundzüge politischen Widerstands prägen. Die Frauenrechtsbewegungen vor dem Ersten Weltkrieg etwa entwickelten eine Vielfalt an Formen des Protests im öffentlichen Raum, um auf die öffentliche Meinung zum ›unmoralischen‹ Ausschluss von Frauen einzuwirken und so ihre Anliegen an die politischen Instanzen zu bringen. Sowohl die vor allem in den USA und in Großbritannien ab 1910 spektakulär inszenierten Paraden mit allegorischen Wagenzügen9 als auch die Betonung eines respektierlichen öffentlichen Auftretens, um die Tadellosigkeit der eigenen Moral zu unterstreichen, finden ein Echo in den von Occupy eingesetzten Mitteln: Auch hier dient die Kombination von karnevalesken Auftritten in Zombie-Kostümen und Guy-Fawkes-Masken mit der Betonung, der anständigen Mehrheit anzugehören – dem Branding des unwiderstehlichen Slogans »Wir, die 99 %« oder dem Entsenden von Mediensprechern, die nicht in den Lagern übernachten, um so schön frisiert und in frisch gebügelten Hemden vor die Kameras treten zu können – der doppelten Strategie, zuerst auf der sinnlichen Ebene die öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen und diese sodann von der moralischen Berechtigung der Forderung zu überzeugen. In Folge der Entrückung materieller Zugriffsmöglichkeiten haben sich so die Formen des Widerstands von bewaffneten Aufständen über die physischen Zerstörungen der Maschinenstürmer und die Sabotageakte der Untergrundkämpfer zum Einsatz zivilen Ungehorsams gegenüber systemischem Unrecht verschoben. An der aktuellen Spitze dieser Entwicklungen finden wir Occupy, den Protest
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gegen die Unmoral der Finanzspekulationen. Die Veränderungen in der Ausrichtung von Widerstand zeichnen eine Parallele zum weltanschaulichen Wandel vom Naturrecht zu einer daraus hervorgehenden ethischen Handlungsanleitung. Dieser Bezugsrahmen der Ethik existiert nicht außerhalb der Situation einer Auseinandersetzung, den Umständen des umstrittenen Guts, der Betroffenen und Beteiligten, ja, des Zustandekommens des Konflikts selbst. Welche Interessenlagen und Bündnisse stehen hinter dem Behaupten ethischer Positionen? Welche Kraftflüsse liegen der Formation von Ethik an sich zugrunde?
E THIK ALS POLITISCHE K ATEGORIE Wider Erwarten ist zu Beginn unseres Jahrhunderts Ethik als zentrale Denkfigur in das politische Geschehen zurückgekehrt und findet heute mehr denn je Platz im akademischen und gesellschaftlichen Diskurs. Das damit einhergehende Interesse an Wahrheitsprozessen, Treuebezügen und der Überwindung des beinahe unüberwindbar gewordenen Alltags scheint in Zeiten der Krise und speziell in der heutigen Veränderung der Handlungsspielräume des Individuums in Gesellschaft und Geschichte eine wichtige Rolle zu spielen. Parallel zum wiederaufgeflammten Interesse an Fragen der politischen Philosophie, an Zivilgesellschaft und Verfassung, Bürgerschaftsmodellen und Bürgertugenden, bildet sich auch rund um die Auseinandersetzung mit Ethik ein neuer Narrativ, der im späten 18. Jahrhundert ansetzt und die Entwicklung der Moderne als soziales Ideal imitierend umschwärmt.10 Unklar bleibt vorerst, was genau die Frage ist, auf die sich Ethik nun als Antwort aufdrängt – die Frage nach der kommenden Gemeinschaft, die dem historischen Zusammenbruch der Kollektivsubjekte folgt, wie es Alain Badiou konstatiert hat,11 die Frage nach einer gerechten Ressourcenverteilung in der Gesellschaft oder die Frage nach probaten Mitteln, um jenen Konflikten beizukommen, die durch die Krise hervorgerufen werden. Von einer solchen Art von Orientierungslosigkeit, die zwar Antworten hat, aber keine Einigkeit
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in Bezug auf die dazu passenden Fragen, sehen sich die Protestbewegungen der Gegenwart umgeben. Als Mittel der Verhandlung gesellschaftlicher Konfliktsituationen ist Ethik bereits in der rationalistischen Naturrechtslehre des 17. und 18. Jahrhunderts, also etwa in den philosophischen Arbeiten von Samuel von Pufendorf, Hugo Grotius und Christian Wolff, präsent. An Prinzipien der Universalität, Autonomie und Rationalität orientiert, sind diese Arbeiten Vorreiter des aufklärerischen Bemühens, Herrschaftswillkür durch Prinzipien der Vernunft und Ordnung stiftende Handlungsgesetze zu ersetzen. Mit der Schaffung demokratischer Rechtsstaaten, der Begründung von Menschenrechten und den darauf folgenden politischen Verfassungen, in denen diese Rechte festgeschrieben sind, wurde die ethische Reflexion darüber, wie in bestimmten Situationen zum Wohl aller betroffenen Personen gehandelt werden soll, staatlich institutionalisiert. Im späten 18. Jahrhundert ließ Kants handlungsorientierte Pflichtethik Gerechtigkeit schließlich zu einer normativen Aufgabe der Gesellschaft werden: »Was soll ich tun?« ist zur handlungsleitenden Frage der westlichen Moderne geworden, die nicht nur verschiedene Vorstellungen von Sittlichkeit und Moral geprägt, sondern rund um diese Interpretationen auch unterschiedliche Machträume hervorgebracht hat. Die Inanspruchnahme von Ethik als Instrument des Regierens im 19. und 20. Jahrhundert, etwa im Propagieren von Bürgerpflichten oder in der Inszenierung kirchlicher Machteinflüsse, verbindet den individuellen Imperativ der Moral mit dem Raum des Politischen, mit dem Entstehen eines kollektiven Körpers, der institutionelle Macht als Mittler der Moral anerkennt. Gesellschaftliche Teilbereiche wie Kirche, Universitäten oder Unternehmen, aber auch die zivilgesellschaftliche Organisation selbst tragen auf diese Weise zur Bildung des ethischen Empfindens in der Gesellschaft bei. Genau an diesem Punkt setzt die weltweite »Bewegung der Plätze«, wie die 2011 begonnenen Demonstrationen, Aufstände und Besetzungen städtischer Plätze – von Tahrir und Puerta del Sol bis zu Syntagma und Liberty Square – gelegentlich genannt werden, nun an, um den politischen Machtanspruch der Ethik für sich zu reklamieren. Das
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Auftreten einer neuen Form von Kollektivität in weltweiten Massenaktionen richtet sich nicht bloß gegen eine konkrete Verfehlung innerhalb der vorhandenen Ordnung. Ihr Auftreten im städtischen Raum, die Besetzung von Plätzen, Straßen und anderen Freiräumen, verlangt gegenüber der Macht des Finanzkapitals auch einen neuen sittlichen Anspruch, in dessen Zeichen sich auf vielen Plätzen der Welt ein neuer kollektiver Körper versammelt und seine eigenen Repräsentationen und Signifikanten entwickelt. Die entscheidende Frage ist daher, wie sich dieser Anspruch auf Sittlichkeit zusammen mit dem Anspruch auf politische Emanzipation zu einer tragfähigen Form von Kollektivität verbinden lässt. Als Teil der »Bewegung der Plätze« ist Occupy mehr als ein Protest, der sich gegen ein konkretes Übel richtet, dieses abwenden will und mit diesem Schritt bereits sein Ziel erreicht. Occupy ist für viele Beteiligte ein Insistieren auf dem Umbruch und ein Drängen auf die Zerstreuung der tradierten Ordnung, sodass eine neue Ordnung hergestellt werden kann. Ausdruck und Instrument dafür sind die allerorts wiederkehrenden Versammlungen auf städtischen Plätzen, in denen Deklarationen und Manifeste erarbeitet wurden, die reflektieren, was getan werden soll.12 So ist es nicht einfach nur eine allgemeine ›Rückkehr der Ethik‹ (parallel zur Rückkehr von Ästhetik, Theologie und Marktdiskurs), die sich auch in Occupy niederschlägt, sondern eine Form von Ethik, die das Politische betrifft und mit ihrem Eingriff in die politische Ordnung über eine bloße Einsicht in die konfliktuale Gestalt des Politischen hinausgeht. Ähnlich wie sich in Alain Badious »Ethik des Realen« im revolutionären Prozess jene zu politischen Akteuren erheben, die zuvor keinen legitimen Platz im Gefüge des Politischen beanspruchen konnten,13 spricht auch die »Erklärung anlässlich der Besetzung von New York City« der Occupy Wall Street Bewegung von einer »Anerkennung der Realität als ein vereintes Volk«, mit der die ethische Einstellung der als »99 %« bezeichneten Mitstreiter der Bewegung mit legitimen politischen Ansprüchen außerhalb der abgesteckten Grenzen verbunden werden soll. Den Bruch im Bestehenden herbeizuführen, städtischen Raum also zu besetzen, damit dieser als politisches Gemeinwesen und
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als Inkubator einer neuen Ordnung wirken kann, ist so zu einem wichtigen Charakterzug der Occupy-Bewegung geworden. Die Parallelen dieser Art der Besetzung städtischen Raums zur politischen Ethik Badious setzen sich in weiteren Bereichen fort, etwa in der prinzipiellen Nichtanerkennung der ›Spielregeln‹ vorgefundener Situationen, im Konstituieren eines Subjekts der Bewegung oder in der für alle offenen Teilnahme am Ereignis, das sich auf vielen Ebenen zuträgt: in Form von Vollversammlungen, in den gemeinsamen Demonstrationszügen durch die Stadt, in der Organisation von Lagern der Bewegung oder in der Produktion und Verbreitung von Informationen mithilfe sozialer Medien. Als Ausdruck einer Ethik der Tat wird die Besetzung des öffentlichen Raums zum politischen Instrument jener, die aus dem System der politischen Ordnung und dem Kreis der angestammten Akteure ausgeschlossen sind. In diesem Sinn stellt die Besetzung den Ort von Gleichheit und Gerechtigkeit her, indem sie örtlich eingreift und eine vorhandene Ordnung durch etwas ersetzt, das außerhalb dieser Ordnung liegt. Wie instabil und durchlässig diese Orte des Aufstands notwendigerweise sind, zeigt sich immer wieder im Verlauf der Besetzung von städtischen Räumen: So hatte Occupy Wall Street, wie viele andere besetzte Orte der Occupy-Bewegung auch, häufig Mühe damit, die politische Qualität des Aufstands auf dem besetzten Platz fortzuführen und dabei deutlich zu machen, dass die Inanspruchnahme städtischen Raums zwar eine Notwendigkeit, aber nicht der alleinige Maßstab ist, um die moralische Qualität der angestrebten politischen Ordnung und jene ihrer Akteure zu beurteilen. Um das politische Bestreben der Occupy-Bewegung zu diskreditieren, wurde dennoch sehr oft die Miniaturwelt des Lageralltags herangezogen, vom ›politischem Theater‹ der Vollversammlungen gesprochen und die gelegentlich versagende Modellgemeinschaft des Camps als Anlassfall gesehen, eine Reproduktion der gesellschaftlichen Klassen im Kleinen festzustellen, allen voran die in manchen Berichten als segregierte Viertel charakterisierte Topographie des Lagers im Zuccotti Park, mit einem ›Ghetto‹ von Obdachlosen und radikalen Gruppen auf der Westseite
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des Platzes und den gesellschaftlich privilegierten »Upper East Side Sacks« auf der gegenüberliegenden Platzseite.14 Tatsächlich gibt es aber einen Zusammenhang zwischen der Frage nach politischer Ethik und der stattfindenden Urbanisierung von Territorien. Dieser Zusammenhang leitet sich aus den jeweiligen Prozessen der Inanspruchnahme und Veränderung der Bestimmung von Territorien ab. Ein aktuelles Beispiel ist die Bewegung der Landlosen (Movimento dos Sem Terra) in Brasilien, die sich in ihren Aktionen nicht an politische Instanzen wendet und nach Bodenreform verlangt, sondern weit darüber hinausgehende politische und soziale Forderungen stellt und unproduktives Land besetzt, um es bewirtschaften zu können. Anders als im Fall der Occupy-Bewegung geschieht das in der Regel in zwei voneinander getrennten Schritten: zum einen in der symbolischen Aneignung von Ländereien besonderer Bedeutung oder von Grundstücken in zentraler städtischer Lage, um so als politischer Akteur sichtbar zu werden; zum anderen in der Aneignung von Land in der Peripherie von Städten, um diese Grundstücke tatsächlich produktiv nutzen zu können. Bewusst wird hier die Äußerung eines symbolisch-politischen Anspruchs von der Schaffung eines realräumlichen Aktionsfeldes getrennt. Denn was die Integration beider Komponenten im selben Raum häufig mit sich bringt, ist die Beurteilung der politischen Moral eines Anliegens anhand des zur Schau gestellten Benehmens, mit dem ein Protest vor Ort in Erscheinung tritt. Auf diese Weise wurde auch der OccupyBewegung abverlangt, bei der Anrufung der Moral diese gleichzeitig immer unter Beweis zu stellen, sich also in einer ›gesitteten‹ Form zu üben, die es der angerufenen Autorität möglich macht, das inhaltliche Anliegen anzuerkennen. Anders gesagt kann die Anrufung der Moral auch zum Mittel der Unterdrückung werden, indem die Moralisierung individuellen Verhaltens zum Brennpunkt wird, an dem Veränderung anzusetzen hat. Selbst der Papst, die oberste kirchliche Instanz um das Gute vom Bösen zu unterscheiden, hat sich kurz vor dem G20-Gipfel in Cannes im November 2011 der Kritik am Treiben der internationalen Finanzmärkte angeschlossen und eine Abkehr von Gier und Habsucht gefordert. Aber nicht der Finanzkapi-
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talismus, sondern die Verfehlungen einzelner ›Sündenböcke‹ seien Schuld an der heutigen Krise, die eine neue politische Weltautorität zur Wiederherstellung der Moral verlangt. Was politische Ethik im Licht solcher Aussagen und im Unterschied zur ›Rückkehr zur Ethik‹ erfordert, ist daher nicht das Verlangen nach mehr Sittlichkeit, sondern der Kampf um die Besetzung der Moral.
S UCHE NACH A LLIANZEN Für Occupy stellt sich so die grundlegende Herausforderung, dass eine wirksame Systemkritik über rein moralische Einwände hinausgehen muss. Was kann – nach der Ethik – Argument und Handlungsanleitung für eine tatsächliche Erneuerung bieten? Als Möglichkeit bietet sich der Akt des Suchens an sich an. In New York ziehen in den ersten Wochen fast täglich Gruppen in spontanen Demonstrationen einmal stadtaufwärts, ein anderes Mal stadtabwärts vom Lager im Zuccotti Park los. Das eine Mal bleiben sie fast unbemerkt, ein anderes Mal lösen sie weitreichende Effekte aus, wie am 1. Oktober 2011, als die New Yorker Polizei über 700 Teilnehmer auf der Brooklyn-Brücke einschließt und festnimmt. Nicht immer ist klar, was oder wer das Ziel dieser Bewegungen in der Stadt ist. Gilt die Suche einem Foucault’schen Ansprechpartner der Parrhesia, demgegenüber es gewagt werden kann, die Wahrheit über die reale Lage der Schuldenwirtschaft zu sprechen? Und wer könnte dies sein? Die Banker in der Wall Street? Oder geht es um die Suche nach Anerkennung und um eine ›hysterische Provokation‹ eines neuen Meisters, wie Slavoj Žižek mit Bezug auf Lacans Charakterisierung der 1968er-Proteste in Paris der spanischen Platzbewegung der Indignados vorhält: »Als Revolutionäre seid ihr nur Hysteriker, die nach einem neuen Herrscher verlangen. Ihr werdet einen bekommen.«15 Die Streifzüge von OWS durch die Straßen von Manhattan verfolgen vor allem ein dérive durch die Landschaften politischen Protests. Eine zunächst ungerichtete Suche nach einem erkenntnisbringenden Erlebnis über die Fragen von Mittel und Ziel der Bewe-
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gung, die sich zunehmend auf die Lebensräume der Besetzungen selbst bezieht: Wie verhält sich die Besetzung von Plätzen zu den Ansprüchen auf ein anderes System? Das unermüdliche Investment von Zeit und Energie in die Entwicklung der Praktiken und Prinzipien der Versammlungen richtet sich auf die Hoffnung, innerhalb der Psychogeographie der Besetzungen selbst diese Erkenntnis über neue Formen des Zusammenlebens gewinnen zu können. Um die Versammlungen zu solchen schöpferischen Quellen einer echten Demokratie werden zu lassen, wird eine Vielzahl von Werkzeugen herangezogen. Das berühmte »Mic-Check«, das Rufen nach Aufnahme eines eigenen Statements durch das Menschenmikrofon und das Testen von Zustimmung oder Ablehnung durch Handzeichen (twinkling16), all diese Mittel sollen ermöglichen, einer sich im Lauf der Debatte wandelnden Atmosphäre Raum zu geben und diese ungesteuerten Ereignisse als Weg zur Entscheidungsfindung nutzbar zu machen. Was das Insistieren auf ein Befolgen dieser Rituale enthüllt, ist weniger ein hysterisches Begehren nach einem neuen Meister als die Angst vor den Abgründen einer kollektiven Spontaneität. Der Ausbau der Versammlungen als auch der Einrichtungen der Lager zu bürokratischen Apparaten liefert ein kompensatorisches System, das in der ›moralischen‹ Phase der Bewegung den populären Anreiz bot und den Abstand zu hässlicheren Erscheinungen von Revolten sicherte. In der Mitte der Saisons der Platzbewegungen, im August 2011, kam es in London zu mehrtägigen gewalttätigen Krawallen mit Brandstiftungen und Plünderungen, die in einigen Vierteln gesetzlose Zustände brachten und mehreren Menschen das Leben kosteten. Während insbesondere die von den Brandstiftungen – den intensivsten Stadtbränden seit dem Zweiten Weltkrieg – betroffenen Bewohner in diesen kriegsähnlichen Nächten schwere Traumata erlitten, gaben sich manche der Plünderer einem beglückendem dérive durch die Läden der Konsumgesellschaft hin. Die Reaktion der staatlichen Gewalten auf dieses Außer-Kontrolle-Geraten war eine einhellige Verurteilung der plündernden Jugendlichen als »verwilderte Ratten«. Es folgte eine kompromisslose Disziplinierung auf dem Boden
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dieser moralischen Verdammung und unter Verleugnung jeglichen sozioökonomischen Kontexts. Die Erfahrungen von Zukunftslosigkeit in einem System der wirtschaftlichen Aushöhlung individueller und sozialer Lebensbereiche sind trotz unterschiedlicher Ausgangslagen (jugendliche Unterschicht in London, junge Gebildete in New York) miteinander verwandt. Im Versuch, einen Auslass für die Unzufriedenheit zu finden, besteht immer eine prekäre Nähe zwischen ›anständigem Protest‹ und ›verwerflichen Störungen‹. Die Besetzung der Moral formt einen der wirksamsten Handlungsbereiche von Occupy, zugleich dienen moralische Anrufungen als eine der wichtigsten Selbstdisziplinierungsmittel des Systems, die letztlich zur Erreichung einer tatsächlichen Erneuerung überwunden werden müssen. Ein Dilemma, das sich in der ›realen‹ Phase von Occupy zuspitzt, wenn neben einer moralischen Verdammung der Konflikt auch über juristische Angriffe auf die konkreten Notwendigkeiten der räumlichen Existenz des Protests ausgedehnt wird. Bis zum Sommer 2012 wurden bzw. haben sich die meisten Lager von Occupy unter dem Druck der aus moralischer Delegitimierung und juristisch-logistischer Gewalt gebildeten Zwangslage aufgelöst. Nur in London zog noch eine kleine Gruppe von Fahrenden als »Nomadic Occupy« von Park zu Park, ihre Bewegungen gelenkt von einem Rhythmus an polizeilichen Räumungen und den Bitten der lokalen Bevölkerung, das Weite zu suchen. Mit dem rhizomartigen Wachsen und Mäandern der Platzbesetzungen hat Occupy Raum und Zeit gefüllt und damit eine der wichtigsten Ressourcen besetzt. Die Verbindung dieser realen Manifestationen mit moralischen Argumenten bildete die Sperspitze der Bewegung, um öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen. In Raum und Zeit körperlich präsent zu sein, operiert aber nicht nur auf symbolischer Ebene, sondern bedeutet auch eine konkrete soziale Praxis. Wenn nach einem nachhaltigen Vermächtnis von Occupy gefragt wird, umschließt dies auch die Frage, wie ernsthaft es der sozialen Praxis von Occupy ist. Eine Kultur des dérive ist immer auch dem Vorwurf ausgesetzt, vorrangig genussorientiert zu sein, aber wenig Interesse an kräfteraubender Arbeit zu zeigen. Streift Occupy wie ein
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Flaneur durch die politische Landschaft – interessiert, aber letztlich distanziert – und will nicht wirklich mit dem Leben des Realen in Berührung kommen? Hat sich Occupy aus Angst vor dessen Schmutz und Schmerz nicht radikal genug für ein echtes dérive durch die Erkenntnisräume der kapitalistischen Brutalität geöffnet, die nicht mit dem Teilen organischer Kekse und der akademischen Betreuung von Büchern erreicht werden kann? Oder gibt es eine sehr viel grundlegendere Verwirrung, weil sich das Begehren viel mehr auf das Vermögen einer Ersatzwelt als auf die echte Schaffung eines anderen Systems richtet?
3 Zeltlager, Volksküchen, Universitäten Die globalen Dörfer der Occupy-Bewegung Because between us we have all the resources we need. Tent City University, Occupy London1
C AMPIEREN UND DIE F R AGE DES G EMEINGUTS Ob Occupy Wall Street, Occupy London, Occupy Frankfurt oder Occupy Central, eine Taktik politischen Widerstands breitete sich im Herbst 2011 wie ein Lauffeuer rund um die Welt aus: die Transformation öffentlichen Raums in ein politisches Commons. Mittel der Wahl war die kollektive Macht von Körpern, die Parks oder Plätze nahe der Zentren der Macht besetzt hatten und eine Dynamik fortzusetzen schienen, die in den Monaten zuvor bereits auf Madrids Puerta del Sol, Athens Syntagma-Platz oder Kairos Tahrir-Platz zu einer offenen Debatte über das Wirken der ökonomischen und politischen Macht im Land geführt hatte. Die tausenden Körper, die solche zentralen Plätze füllen, demonstrieren Einigkeit in ihrer Sache und einen gemeinsamen Willen, den besetzten Raum nicht wieder freizugeben, solange sich kein politischer Handlungsraum für sie gebildet hat. Die Besetzung nimmt Raum in Anspruch, den sie öffnet, indem sie ihn gleichzeitig buchstäblich verschließt. Es handelt sich so um eine paradoxe Figur, die das politische Commons produziert und in der Zelte, Küchen und Klassenräume eine mitunter nachvollziehbare, aber zugleich auch überraschend zentrale Rolle spielen. Wenngleich das temporäre Besetzen von Plätzen oder Parks im Grunde genommen nicht mehr verlangt als eine konzertierte Aktion
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menschlicher Körper, die sich zu einem festgelegten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort versammeln, macht es einen Unterschied, ob sich das Anliegen der Besetzung bereits in ihrer Ausführung allein erschöpft, wie das in der Regel bei Flashmobs der Fall ist, oder ob die Besetzung ein langfristiges Anliegen mit sich führt. »The Purpose of Occupy Wall Street Is to Occupy Wall Street«, titelte der Regisseur Michael Moore im März 2012 einen Kommentar in The Nation2 und betonte darin die zwingende Verbindung der Besetzung des Zuccotti Parks sowie aller anderen Occupy-Besetzungen mit dem symbolischen Raum der weltweiten Finanzmacht, die in der Wall Street verkörpert ist. Die langfristige Zielsetzung von Occupy richtet sich auf ein globales Netzwerk an miteinander verbundenen Räumen, dessen Spannung weit über den Akt der physischen Besetzung hinausgeht und dessen Veränderung nicht allein eine Frage des Eingriffs in materielle Anordnungen sein kann. Die physische Besetzung an sich aber – das Animieren und Organisieren der Architektur eines Raums – ist eine Frage der konkreten Anordnung von Körpern und damit auch eine der Technologien, die diese Körper schützen, nähren und versorgen. Denn nachdem es Occupy nicht nur um das Demonstrieren von Stärke durch den Akt des Versammelns, sondern um das politische Potenzial des Insistierens auf den Verbleib der Versammlung geht, sind diese Technologien unverzichtbarer Bestandteil der Aktion. Zelte tauchten schon vor Beginn der eigentlichen Besetzungen, im vielzitierten Aufruf des konsumkritischen kanadischen Magazins und Blogs Adbusters vom 13. Juli 2011, als zentrales Werkzeug der Platzbesetzung auf. Wie von selbst verknüpften sich die beiden Appelle: »Are you ready for a Tahrir moment?« und »Bring a tent«.3 Mehr als nur ein Objekt zum temporären Behausen von Körpern manifestiert das Zelt die Absicht des Verweilens, sowohl als eine Gebärde, mit der die unbestimmte Zeitspanne einer Aktion signalisiert wird, als auch als mobiler Raum, der Teil der Errichtung eines Lagers ist. Beide Aspekte zusammen spannen eine Handlungsstruktur auf, in der das Zeltlager als eine Kombination von Feld und Ereignis, Aktion und Gemeinschaft auftritt. Offen und geschlossen, dauerhaft
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und flüchtig, kontrollierend und befreiend zugleich, stellt das Lager eine Form von räumlicher Praxis dar, deren bestimmendes Merkmal ihre eigene Unbestimmtheit ist – ihre Ambivalenz in Bezug auf das, was sie hervorbringt, und das, was sie selbst bereits ist. Diese Unbestimmtheit auf der Ebene räumlicher Produktion setzt sich in der Unbestimmtheit des Lagers als ein sozialer und politischer Mechanismus fort. Die Camps der Occupy-Bewegung, mit ihren improvisierten Foren, Ritualen, Rhythmen und Architekturen, gleichen in dieser Linie einer Politik, in der das Produzierte stets ein Potenzial für eine Reihe weiterer Bewegungen und Erscheinungen ist. Die kollektive Artikulation des Lagers in den vielen Versammlungen, Hilfeleistungen, gemeinsam organisierten Events und Planungen der Occupy-Bewegung ist so ein fortlaufender Prozess, in dem die Möglichkeit einer sozialen und politischen Bewegung des 21. Jahrhunderts ergründet wird.4 Camps, seien es jene der Protestbewegungen unserer Zeit oder andere Lager, die zum Zweck von Widerstand, Gegenaktion und autonomer Organisation errichtet wurden, sind damit nicht nur Orte zum Diskutieren und Beratschlagen, sondern rund um die Uhr stattfindende Experimente eines neu arrangierten Zusammenlebens, das auf Gemeinschaft und Vertrauen basiert. Um aus den vorhandenen Verbänden herauszutreten, sollen Lager auch in räumlicher Hinsicht ein Anderswo markieren, sei es historisch betrachtet das Andere der Stadt und ihrer Bürger in Form der außerhalb der Stadtmauern verorteten Militärlager und Soldaten oder im politisch-rechtlichen Sinn ein Raum außerhalb der bestehenden Rechtsordnung, in dem andere Formen von Souveränität, etwa durch militärische, polizeiliche, fremdstaatliche oder autonome Macht, ausgeübt werden.5 Entortung und Verortung greifen so ineinander und machen die Bewohner des Lagers zu den im Ausschluss Eingeschlossenen. Lager vertiefen auf diese Weise den Unterschied von vorhandenen Ordnungslogiken, sie inspirieren aber auch, wie historische Schauplätze belegen, zum Übergreifen von einem Ordnungsprinzip auf ein anderes: Im antiken Rom diente der Campus Martius zunächst als Feld und militärischer Exerzierplatz, später als Ort der Volksversammlung, als Stätte von Theateraufführungen und
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Triumphzügen und auch als Platz für die Errichtung von Badeanlagen, Monumenten und Obelisken. Das antike Marsfeld ist so ein Ort, an dem verschiedene Ordnungen und Programme eingeschrieben sind, ein Ort der Überlagerungen, Kontaminierungen und Verwerfungen, an dem unterschiedliche Einflüsse ihre jeweils eigenen Aktionsräume hervorbringen. Ein anderes Feld der Interaktion von Stadt und Lager entstand mit Leon Battista Alberti, der im 15. Jahrhundert die Vorstellung prägte, Militärlager als »Pflanzschulen der Städte« zu verstehen. Die daraus hervorgegangenen Leitbilder der urbanen Ordnung und Kontrolle führten zum Bau von kolonialen Planstädten, zeigten sich aber nicht zuletzt auch im vergangenen Jahrhundert in der militärischen Struktur von Flüchtlingsstädten, Durchgangswohnheimen oder Barackensiedlungen. Dieser militärische Ursprung des Lagers, seine ambivalente Natur und der umfangreiche Einfluss räumlicher Ordnungsprinzipien hatten unübersehbare Konsequenzen für die Entwicklung von Protestcamps im 20. Jahrhundert, für ihre territoriale und strategische Organisation von Protest, für ihre Art, Widerstand zu leisten, und für die Sicherung und Ausweitung der Kontrolle über selbstorganisierte Strukturen. Das zeigte sich auch im Lauf der Besetzungsmonate bei den zahlreich etablierten Occupy-Camps und deren jeweiligen Handlungsspielräumen. An allen wichtigen Standorten der OccupyBewegung wurden Camps mit den für eine Besetzung typischen Infrastrukturen, Zelten und Küchen errichtet, um für eine dauerhafte Auseinandersetzung gerüstet zu sein. Während aber in der modernen Kriegsführung Lager meist auf sicherer Seite hinter der Frontlinie eingesetzt werden, um das Schlachtfeld von der Ferne aus zu unterstützen, für Nachschub zu sorgen, neues Material für die Front bereitzuhalten und der Pflege und Versorgung von Soldaten zu dienen, bildeten die Zelte der Occupy-Bewegung selbst die Frontlinie im Kampf um das Verbleiben vor Ort. Nicht der Protest an sich, auch nicht jener auf der Straße vor Banken, Rathäusern oder Konzerngebäuden, sondern Zelte, Planen und andere Materialien, die ein Verbleiben der Bewegung sichern konnten, wurden am vehementesten von Polizei und Behörden angefochten.
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Das hat zum einen mit der örtlichen Verlagerung der Frontlinie zu tun, nachdem der Ort, gegen den sich der Protest richtete – New Yorks Wall Street – von Occupy Wall Street nicht physisch besetzt werden konnte und mit dem Zuccotti Park daher ein Platz in der Nähe der Wall Street gewählt wurde, von dem aus immer wieder Protestzüge der Bewegung Richtung Wall Street ausschwärmten. Zum anderen aber ging es der Bewegung in ihren Versammlungen im öffentlichen Raum um die Bildung einer neuen gesellschaftlichen Verfassung, um das Entwickeln neuer ökonomischer Prinzipien und das Ergründen von Mechanismen direkter Demokratie. Der Ort, an dem dies stattfinden und sich eine solidarische Gemeinschaft für ein kollektives politisches Bestreben bilden konnte, war folglich nicht die Wall Street, sondern das Lager der Bewegung selbst. Nicht die allerorts durchgeführten Feldzüge, Proteste und Demonstrationen gegen die 1 %, sondern die Lager der Occupy-Bewegung stellten das entscheidende Mittel im Kampf gegen das angefeindete System dar. Sie boten sich als Versuchsgelände an, um aus einer Versammlung grundverschiedener Individuen eine neue Gemeinschaft entstehen zu lassen, unbeeinflusst von gesellschaftlichen Institutionen. Indem in diesen Camps das Vertrauen zwischen ungleichen Personen und Gruppen hergestellt wurde, interne Beziehungen aufgebaut und kollektive Strukturen ausgehandelt wurden, gemeinsame Beschlüsse gefällt und im Geist der neu gebildeten Gemeinschaft vorgegangen wurde, waren sie mehr als nur ein Stützpunkt für einen Einsatz. Sie waren Ausbildungslager, politisches Theater und Inkubator einer sich entfaltenden Organisationskultur zugleich.6 Den Rahmen dafür bildete das Zusammenspiel der politischen Foren, Arbeitsgruppen und Aktionen mit einer improvisierten Infrastruktur an Schildern und Transparenten, Laptops und Generatoren, Küchen und Bibliotheken, sanitären Anlagen und Zelten. Wie dieses urbane ›Ökosystem‹ der Occupy-Bewegung operiert, versuchte Anfang Oktober 2011 unter anderem eine Gruppe von »forschenden Bürgern«, denen das New Yorker BMW Guggenheim Lab7 im Rahmen seines Kulturprogramms angeboten hatte, durch die Stadt zu streifen, um Orte des politischen Engagements in der Stadt zu stu-
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dieren, genau zu bestimmen. Die der Tour gestellte Aufgabe bestand darin, Elinor Ostroms acht Grundprinzipien der Verwaltung von Gemeingütern, die kurz zuvor in YES! Magazine erschienen waren,8 im Camp auszumachen und dadurch die Struktur der Occupy-Bewegung zu beschreiben. Die Nobelpreisträgerin gilt mit ihrer Arbeit zur »Verfassung der Allmende«9 oft als politische Galionsfigur für einen kooperativen Umgang mit Ressourcen, deren Nutzen allen gleichermaßen zustehen soll. So waren die »forschenden Bürger« des BMW Guggenheim Labs auch bemüht, im besetzten Zuccotti Park festzustellen, ob etwa klare Grenzen zwischen unterschiedlichen Gruppen im Camp gezogen werden, ob die von den Regeln im Camp Betroffenen auch selbst einen Einfluss auf diese Regeln haben oder ob es ein von allen getragenes System gibt, mit dem das regelkonforme Verhalten im Camp kontrolliert wird. Eigenen Berichten zufolge wurde den Forschungsbürgern bei ihren Erkundungen im Zuccotti Park schnell klar, dass sich der besetzte Raum durch eine selbstregulierte Struktur auszeichnet und das Wachstum dieser Struktur den Bedürfnissen der Gemeinschaft Rechnung trägt. Der kapitalistische Warencharakter von Nahrung, Bildung und Politik wird in ein Allmendemodell verwandelt, bei dem Speisen und Dienstleistungen von der Gemeinschaft selbst geschaffen und frei zur Verfügung gestellt werden. Nicht nur der Gebrauch von Techniken der Essenszubereitung oder der politischen Teilnahme wird dabei von allen selbst erlernt, sondern auch die Gemeinschaftsbildung an sich wird im Camp als wichtige Technik kultiviert. In der Summe stellte die im Park herumstreifende Exkursionsgruppe daher fest, dass hier ein gewisser Dialog mit Ostroms Grundprinzipien vorzufinden ist, wobei die in Ostroms Modell zentrale Rolle von Regeln aber keine allzu große Bedeutung hat, weil sich die Richtlinien und Verhaltensnormen im Camp immer wieder auf organische Weise verändern. So attestierten die Forschungsbürger des BMW Guggenheim Lab dem besetzten Zuccotti Park am Ende ihrer Erkundungstour, dass Occupy Wall Street im Grunde genommen kein Protest, aber sehr wohl ein inspirierendes Modell für Zukunftsalternativen sei. Dass die Gruppe beim Abzug aus dem Camp aber unerwartet Schwierigkeiten bekam,
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ihre Eindrücke und Erkenntnisse miteinander zu diskutieren, weil auch ihre eigene ›Versammlung‹, einen Häuserblock von der Besetzung entfernt, von der Polizei aufgelöst wurde, findet sich nicht in ihren Berichten … So ist die Erfahrung der Struktur eines kollektiv gestalteten Raums immer davon abhängig, was als Rahmen dieser Erfahrung vorausgesetzt wird. Die Erkenntnis, dass jedes öffentliche Zusammentreten und Reden die Materialität eines Raums neu konfiguriert, indem es den öffentlichen Charakter einer materiellen Umgebung herstellt, stößt damit an die Grenzen ihrer Gültigkeit. Wenngleich sich die erwähnte Exkursionsgruppe an Forschungsbürgern ihrem Empfinden nach beim Verlassen des Zuccotti Parks aus dem Raum der Besetzung verabschiedet hatte, um nun diesen Raum von außen zu betrachten, wurde sie von der Polizei wieder rasch zu einem Teil der kollektiven Erfahrung des umkämpften New Yorker Stadtraums gemacht. Ordnungsprinzipien, egal welcher Natur, mögen zwar ihre jeweilige Gültigkeit in klar definierten Räumen besitzen, aber diese Räume sind keineswegs sauber nebeneinander angeordnet. Sie sind oft ineinandergreifend, einander überlagernd, widersprechend und verzerrend. Diese konfliktreiche Kondition wurde im Herbst 2011 zur dominanten Erfahrungskulisse in Occupy-Camps weltweit.
C AMPS UND DER PERMANENTE A USNAHME ZUSTAND Dass mit der Permanenz von räumlichen Strukturen des OccupyProtests vorhandene Ordnungsprinzipien in Frage gestellt und durch neue ersetzt werden, schien den meisten städtischen Institutionen und Behörden von vornherein klar zu sein, fallen doch das Errichten dauerhafter baulicher Anlagen oder das Anbringen ortsfester Installationen in Räumen, die der Öffentlichkeit zur Benutzung zur Verfügung stehen, fast immer ausdrücklich unter die an diesen Orten verbotenen Handlungen. Als wie dauerhaft und ortsfest in dieser Hinsicht Zelte zu beurteilen sind, ist aber eine Sache, die in der Regel einen breiten Interpretationsspielraum zulässt und
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daher immer wieder die Hoffnung mit sich bringt, auf das Wohlwollen der Behörden zu stoßen. Im Fall der Occupy-Camps spielten Zelte noch dazu eine besondere strategische Rolle: Sie markierten nicht nur weithin sichtbar das Feld des Verweilens und den Ort der Versammlung im Stadtraum, sondern waren oft auch ein gezielt eingesetztes Instrument im Ausloten der Grenzen des Machbaren. Werden zeltartige Strukturen von der Polizei prinzipiell toleriert? Wie viele Zelte dürfen errichtet werden? Wie weit kann das Wachstum einer Zeltstadt gehen? Zelte stellten so speziell im Fall des Zuccotti Parks ein Sondierungs- und Erkundungsinstrument dar, mit dem sich ermitteln ließ, welcher Raum in Anspruch genommen werden kann, ohne die politische Macht zu einem Eingriff zu bewegen oder das öffentliche Empfinden für die Rechtmäßigkeit des Lagers zum Kippen zu bringen. Aber nicht nur die Zelte selbst, auch alle anderen Komponenten und Mechanismen der Errichtung des Lagers waren stets der genauen Prüfung durch Inspektoren der städtischen Verwaltung unterworfen. So beschlagnahmten Feuerwehr und Polizei nicht nur einmal die Gas- und Dieselgeneratoren, die in verschiedenen Camps zum Erzeugen von Wärme und elektrischem Strom verwendet wurden, oder die von Aktivisten herbeigeschafften Veranstaltungstoiletten, Mikrophone und Verstärker. Der kollektive Erfindungsreichtum brachte aber rasch praktikable Alternativen hervor: Beschlagnahmte Dieselgeneratoren wurden oft durch fahrradbetriebene Generatoren ersetzt, Tonanlagen durch »menschliche Mikrophone«, Dixi-Klos durch Öko-Toiletten und auf Stangen befestigte Banner durch Slogans auf Pizzakarton. Fluchtwege für den Brandfall mussten häufig nachträglich freigemacht werden, und auch die genauen Sicherheitsbestimmungen für Rettungseinsätze führten immer wieder zu räumlichen Umbauten in den Camps der Occupy-Bewegung. Aus diesem Dialog von Maßnahmen und Gegenmaßnahmen heraus entwickelte sich eine spezielle Architektur des Widerstands, mit der die Grenzlinien der Konfrontation laufend ausgemacht und ihre Rahmensetzungen räumlich nachmodelliert wurden. Die mikrourbanen Strukturen der Occupy-Camps formten so ein Referenzbild
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der jeweiligen Umgebung mit einer einzigartigen Komposition von Körpern, Materialien, Strukturen, Intensitäten, Geräuschen, Bewegungen, Rhythmen und Ausdehnungen – eine Schritt-für-SchrittUrbanisierung des Geländes, in der spontane Einfälle, Zusammenstöße, Vereinbarungen, Interventionen und Tricks das Vorgehen leiten und dabei immer wieder neue Szenarien schaffen. Besonders anschaulich lässt sich diese Veränderung von Grenzlinien in den Occupy-Camps anhand des Konfliktverlaufs rund um das Aufstellen von Zelten verfolgen. Bei der Besetzung des Zuccotti Parks im September 2011 wurden Zelte, fest verspannte Planen und dergleichen von der Polizei anfänglich untersagt. Selbst von den Besetzern mit Händen hochgehaltene Planen zum Schutz von Laptops und anderem technischen Gerät bei Regen wurden zunächst von der Polizei konfisziert. Das Camp begnügte sich daher in den ersten Wochen der Besetzung mit Schlafsäcken, Luftmatratzen, Schirmen und Bodenmatten zum Errichten einer Schlafstatt, was den Zuccotti Park über Nacht in ein Schlafsack-Dorf verwandelte. In allen Parks, die im Eigentum der Stadt New York stehen, ist das Aufstellen von Zeltstrukturen ohne polizeiliche Genehmigung zwar grundsätzlich untersagt, doch der Zuccotti Park – weder öffentlicher Park noch abgeschlossenes Privatgrundstück – nimmt eine rechtliche Sonderstellung ein, der zufolge die Details der Benutzung des Platzes durch die speziellen Richtlinien des privaten Parkbesitzers Brookfield Office Properties geregelt sind. Bei Überschreitung dieser Richtlinien kann sich der Besitzer gegebenenfalls um Unterstützung an die New Yorker Polizei wenden, was als Reaktion auf das Errichten von Zelten im Occupy-Camp letztlich auch geschah. Am 17. Oktober 2011 schritt die Polizei ein, um ein Sanitätszelt zu entfernen, das gegen die von Brookfield Office Properties erlassenen Richtlinien verstieß, wenngleich es zur medizinischen Versorgung der Besetzer errichtet worden war und rein humanitären Charakter hatte. Mit Unterstützung des prominenten US-Bürgerrechtlers Jesse Jackson konnte dieser Eingriff in die Lagerstruktur für das Erste abgewehrt werden, was in der Folge auch den im Lager stetig anwachsenden Drang verstärkte, eine Zeltstadt zu errichten. Der Gedanke, aus der Duldung von Sani-
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tätszelten auch eine Duldung anderer Formen der sicheren Beherbergung im Lager abzuleiten, scheint nicht weit hergeholt zu sein, war doch das Hospitium, von dem sich der Begriff »Hospital« ableitet, im Mittelalter eine gemeinsame Bezeichnung für Herbergen zur Aufnahme von Bedürftigen, Fremden, Pilgern oder Kranken. Der Gedanke derart umfassender Gastfreundschaft, wie er sich in Gestalt des Hospitium ausdrückt, verbindet sich mit der Geschichte von Zeltlagern zur Linderung der Not in Krisensituationen, sei es in Form von humanitärer Hilfe im Katastrophenfall oder zur Notversorgung von Verwundeten bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Feldlazarette agieren so nicht nur im Sinne von karitativer Beherbergung, sondern auch im Geiste von militärischer Kriegsführung. Indem sie sowohl elementaren Schutz als auch elementare Kontrolle gewährleisten, geben sie Raum für einen doppelgleisigen Zugriff souveräner Macht auf das nackte Leben.10 Diese Doppelgesichtigkeit des Feldlazaretts und ihr Fortbestand im modernen Sanitätszelt begann sich auch im Zuccotti Park im Laufe der Besetzung von Zelt zu Zelt auszubreiten. Denn der Kälteeinbruch Ende Oktober und die immer wieder geäußerte Sorge um die nächtliche Sicherheit im Camp von Occupy Wall Street trieben zur schrittweisen Transformation des anfänglichen Schlafsack-Dorfs in eine Zeltstadt, bei der sich Fragen von Sicherheit, Gesundheit und Hygiene sowohl auf Seite der Besetzung als auch auf Seite der politischen Entscheidungsträger zu tragenden Argumenten entwickelten. Während es der einen Seite um die Sicherung des Camps vor Wintereinbruch durch verbesserte und dauerhafte Infrastrukturen ging, spielten der anderen Seite immer wieder kriminelle Vorfälle im Camp und Berichte über mangelnde Sicherheit und Hygiene in die Hände, um Schritt für Schritt politisches Terrain zu gewinnen. Neben kleineren Zwei- und Drei-Personen-Zelten wurden von der Arbeitsgruppe Stadtplanung im Zuccotti Park Anfang November schließlich mehrere große Steilwandzelte ins Lager geschafft, die speziellen Zwecken dienen sollten, wie etwa ein Frauenzelt, das als sicherer Schlaf- und Diskussionsraum ausschließlich Frauen vorbehalten war und dessen Errichtung sich nicht zuletzt durch sexuelle
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Übergriffe im Park legitimiert sah. Bürgermeister Bloomberg äußerte sich zu den neu errichteten Mannschaftszelten in den Medien zu diesem Zeitpunkt noch abwartend, nachdem auch Brookfield Office Properties noch nicht darauf drängte, die im Verlauf der Besetzung verschärften Richtlinien zum Benutzen des Parks geltend zu machen. So ist im Lauf der Besetzung des Zuccotti Parks mit Einbruch der kalten Jahreszeit aus einem Minimalraum zur medizinisch notwendigen Versorgung eine minutiös verhandelte und komplex aufeinander abgestimmte Lagerarchitektur entstanden, die von einem Informationsbereich und Sakralraum an der nordwestlichen Kante, über das eigentliche Zeltlager der Besetzung, einem Küchen- und Sanitätsbereich in der Mitte des Platzes, bis zur Bibliothek, Kunst- und Medienzone im Osten des Lagers reicht. Mit dieser akzentuierten Verräumlichung des Protests wurde nicht nur mehr Schutz für alle am Protest Beteiligten geschaffen, sondern zugleich auch die symbolische und physische Präsenz des Protests selbst deutlich lesbar gemacht.11 Genauso lesbar wurde aber auch das gegnerische Lager, das die Polizei am Rand der Parkbesetzung für ihre Zwecke eingerichtet hatte, mit der Operationsplattform SkyWatch, einem mit verspiegelten Glasscheiben, Scheinwerfern und Kameras ausgestatteten, mobilen und bis zu acht Meter Höhe ausfahrbaren Wachturm, als Kernstück des polizeilichen Einsatzes.12 Mehrere dieser monströsen Geräte wurden vom New York Police Department 2006 zur Verbrechensbekämpfung und Terrorismusabwehr angeschafft und werden beispielsweise zur Überwachung der Baustelle des World Trade Center in Lower Manhattan eingesetzt. Die panoptische Gestalt dieser Überwachungsmaschine lässt unweigerlich an Foucaults Begriff der Disziplinargesellschaft und an den Mechanismus der Selbstdisziplinierung denken, der im Verinnerlichen von Verhaltensnormen besteht, wenn wir nicht wissen, wann wir beobachtet werden. Denken wir dabei an die im November begonnenen Aufräumaktionen im Lager, an die zahlreichen selbst gesetzten Ordnungsmaßnahmen und an die vielen Regeln, die von der Besetzung selbst identifiziert und mit den Behörden geklärt wurden, fällt es nicht schwer, diese Situation in ein größeres Bild der
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Lagerhaltung einzufügen, zu dem auch die Wachtürme der Polizei und die im Verlauf der Besetzung rund um das Lager angebrachte Umzäunung des Parks mit Metallgittern und polizeilich kontrollierten Ein- und Ausgängen beitragen. In dieses größere, von der Polizei gebildete und von ihr kontrollierte Lager hat sich Occupy Wall Street somit selbst gesetzt. Nach innen gerichtete Aktivitäten, wie die Fürsorge, Vermittlung und Disziplinierung im Inneren des Lagers, wurden der Besetzung weitgehend überlassen, und selbst die Dekoration der Umzäunung mit schmückenden Objekten und Plakaten wurde von den Besetzern dienstbeflissen erledigt. Während es der Besetzung dank der komplexen Rechtslage also gelang, sich beinahe regelkonform räumlich zu manifestieren und ein Lager auszubilden, hat sie sich gleichzeitig für die externe Lageraufsicht greifbar gemacht. Sie verinnerlichte Schritt für Schritt die von außen herangetragene Kontrolle, von der sie schließlich eingefasst, destabilisiert und eingenommen werden konnte. Diese elastische Geographie der Lagerbildung, die es möglich macht, dass sich der Autonomiegedanke des Protestlagers so nahtlos in das Kontrollbestreben der staatlichen Macht und deren Sicherheitskräfte fügt, hat weniger mit der speziellen Entwicklung der Besetzung des Zuccotti Parks zu tun als mit der topologischen Bedingung des Lagers an sich. Dass aus dem Protestlager unversehens ein Polizeilager wurde, zeigt auf, wie einfach der von der Besetzung erstrebte Ausnahmezustand auf die Besetzung selbst angewendet werden konnte. Einen städtischen Raum zur Besetzung aufzusuchen, in dem die Rechtsgültigkeit öffentlicher Räume weitgehend aufgehoben ist, und darin ein Lager aufzuschlagen, also eine Art Raum, in deren Typologie die Konditionen des Ausnahmezustands bereits eingeschrieben sind, ermöglicht es eben, rasch zu jenem Punkt zu kommen, wo der Zugriff politischer Souveränität besonders leicht fällt – dort, wo die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat aufgehoben ist und, wie Giorgio Agamben rechtstheoretisch argumentiert hat, eine »Gesetzeskraft ohne Gesetz« zum Einsatz kommen kann.13 In dieser Weise ist das geräumte Camp von Occupy Wall Street, so wie die vielen anderen von der Polizei geräumten Camps
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der Occupy-Bewegung, ein Kristallisationspunkt der vorhandenen Regierungsmacht, deren Bestreben sich nicht auf die Kontrolle definierter Territorien, sondern auf die Permanenz des Ausnahmezustands richtet. Denn nicht die territoriale Kontrolle von Plätzen oder Parks, sondern die Aufrechterhaltung des Ausnahmezustands als Ordnungsprinzip einer allgegenwärtig erscheinenden gesellschaftlichen Krisensituation, sei es in der mikrourbanen Struktur der Occupy-Camps oder in der Struktur urbaner Entwicklung insgesamt, war das verdeckte Anliegen vieler institutioneller Operationen.
W ISSEN ALS W IDERSTAND Einen Zustand der Besetzung einzunehmen, sei es physisch, rechtlich oder intellektuell, ist ohne Zweifel eine Frage des Raums, der besetzt wird. Räume verbieten oder erlauben es, eingenommen zu werden, so wie sie es handelnden Subjekten erleichtern oder erschweren, den Zustand der Besetzung selbst einzunehmen. Das subjektive Einnehmen eines solchen Zustands ist aber nicht nur eine räumliche Frage, sondern vor allem eine Frage der Dauer, der Beständigkeit und des Verharrens, und nicht zuletzt eine Frage der Erneuerung, der Veränderung, des Aufkeimens, Wachsens und Katalysierens. Die Dauerhaftigkeit des Ausnahmezustands herauszufordern, so Walter Benjamin in seinen geschichtsphilosophischen Thesen, verlangt eine Einsicht in das Vorhandensein multipler, parallel existierender Zeiten.14 Eine solche geschichtete, nichthomogene Zeitlichkeit, durch die wir eine Vielfalt affektiver Bindungen eingehen, konfrontiert die kollektive Situation der Besetzung mit zeitlichen Trennungen, das heißt mit Trennungen, die Erfahrungen unterschiedlich organisieren. In diese Struktur einzubrechen, Erfahrungen neu zu organisieren und eine gemeinsame Orientierung zu erlangen stand daher von Beginn an im Zentrum der sich Stück für Stück selbst ermächtigenden Occupy-Bewegung. Diese voranschreitende Selbstermächtigung war aber mehr als nur ein Prozess, sie war eine Art kollektiver Handlung, deren flüchtige Konturen sich
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weniger am tatsächlich Wahrnehmbaren orientierten als an einer Vielzahl unwahrnehmbarer Qualitäten und Potenziale. Genau hier, am Punkt der Ermächtigung von Körpern und Subjekten, in der Realität ihres Potenzials, kommt, wie Brian Massumi argumentiert, die entscheidende Kraft einer Bewegung zum Ausdruck – in einer relational aktivierten Bereitschaft für das, was sich ereignen mag.15 Allein die zeitliche Qualität des Moments, in dem sich die OccupyBewegung zu entfalten begann und Stadt für Stadt von der Idee einer neuen kulturellen Dynamik angesteckt wurde, zeigt bereits, welche Kraft mobilisiert werden kann, wenn sich eine Bewegung vom statischen Bild löst, das von ihr gezeichnet wird, wenn sie also beginnt, die erstarrten Beziehungsmuster von Wahrnehmung, Affekt und Handeln zu durchbrechen und durch ein gemeinsames Entwerfen der Bedingungen für zukünftige Möglichkeiten und Bewegungen zu ersetzen.16 Die Entfaltung sozialer und kultureller Beziehungen in den Occupy-Camps war so auch jene Bewegung, die es möglich machen sollte, den Ausnahmezustand zu besetzen, ihn, wie Walter Benjamin das ausdrückte, wirklich hervorzubringen, indem eine Wahrnehmung dafür geschaffen wird, wie der Ausnahmezustand als eine um sich greifende Regierungsform alle – oder zumindest die von Occupy versammelten 99 % – gleichermaßen betroffen macht, unabhängig von der jeweils eigenen Position. Die Idee der Zeltstadt und das schrittweise Weiterspinnen dieser Idee in immer mehr differenzierte Einrichtungen der Camps, ihre Verzweigungen in andere Bereiche gesellschaftlicher Organisation und das Verbinden dieser Potenziale mit immer neuen Möglichkeiten und Utopien fungierte als Vermittler dieses Anliegens. Es schaffte einen Raum, der spontane Rede und Versammlung unterstützt, fokussiert und ausdrückt. Damit ist nicht in erster Linie die territoriale Dimension des besetzten Raums gemeint, sondern die räumliche Praxis der Camps, die half, immer wieder neue Mittel zu erfinden, die der Bewegung dienlich waren. Auf diese Weise lassen sich die vielen spezialisierten Bereiche in den Camps – Küchen, Bibliotheken, Sanitätsdienste oder Medientreffpunkte – als kollektiv strukturierte Handlungsfelder beschreiben, die
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eine miteinander vernetzte Form von kultureller Praxis bilden und für deren Tun sich jeweils selbsterwählte Arbeitsgruppen zuständig fühlen konnten. Buchstäblich im Zentrum vieler Occupy-Camps, so auch im Camp von Occupy Wall Street, stand die Versorgung des Lagers mit Nahrungsmitteln. Die in den Camps eingerichteten Volksküchen fanden sich meist an einem zentralen Ort im Lager, von wo aus sie die ringsum stattfindenden Aktivitäten mit Essen unterstützten, aber auch ein informeller Treffpunkt für alle im Lager waren. Zu Beginn der Besetzung des Zuccotti Parks bestanden die Speisen vor allem aus mitgebrachten Aufläufen, vor Ort zubereiteten Salaten, als Sachspenden angelieferten Pizzas oder anderen Gerichten, die Leute individuell vorbeigebracht hatten. Das Unterstützen von besetzten Parks und Plätzen mit jeder Art von selbst zubereitetem Essen war vor allem in den Anfangswochen der Besetzung für viele Personen ein wichtiger Kontaktpunkt, eine Solidaritätserklärung mit dem Anliegen der Occupy-Camps. Die Volksküche im Zuccotti Park begann aber bereits im Oktober die aufwändige Zubereitung des Essens in eine Suppenküche im Osten von New York zu verlagern, wo Occupy Wall Street täglich Hunderte Gerichte herstellen konnte, ohne dafür auf den besetzten Raum angewiesen zu sein. Diese Netzwerkbildung des Küchenbetriebs hat entscheidende Auswirkungen auf die Situation nach der Räumung des Zuccotti Parks, denn noch Monate danach liefert die Küche bis zu 300 Gerichte am Tag nach Manhattan, wo jeden Abend auf dem Union Square die Occupy-Volksküche aufgebaut wird, um Essen auszuschenken. Die Zählebigkeit der Küche repräsentiert die Fähigkeit der Occupy-Bewegung, trotz schwankendem Medieninteresse und polizeilichem Einschreiten weiterzumachen; sie hält – im übertragenen wie im wörtlichen Sinne – die Flamme am Brennen. Hunderte ›Kunden‹, egal ob Sympathisanten, Neugierige, Reisende oder Argwöhnische, werden von der Küche auf dem Union Square täglich bedient und versammeln sich dabei spontan, wie etwa bei einem Open-Air-Vortrag von Nicholas Mirzoeff über den Zusammenhang von Schulden und Sklaverei.17 So wie die Küche zu Beginn der Besetzung ein Mittel war, um durch die Zu-
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lieferung von Essen entfernt an der Besetzung teilzunehmen, ist sie auch ein Jahr danach noch ein Ankerpunkt der Bewegung, um mit immer neuen Personen in Kontakt zu kommen. Kommunikation und ›Repräsentation‹ der Bewegung nach außen spielten sich in den Camps der Occupy-Bewegung auch an anderer Stelle ab. Medien- und Öffentlichkeitsarbeit wurde in den größeren Camps meist in speziellen Infobereichen betrieben, wo in unmittelbarer räumlicher Nähe oft auch Rechtsberatungen angeboten wurden und ganze Bibliotheken entstanden. Der umfassendste mit Occupy in Verbindung gebrachte Bestand an Büchern und Zeitschriften fand sich an der Nordost-Ecke des Zuccotti Parks, wo im November 2011 bis zu 9000 Bände von meist professionellen Bibliothekaren betreut wurden. Gerade in einer Zeit des Verschwindens von Bibliotheken aus dem öffentlichen Stadtleben signalisieren die Bibliotheken der Occupy-Bewegung die Dringlichkeit dieses wichtigen öffentlichen Raums. Denn das Motiv dieser spontan aus dem Boden schießenden ›Volksbibliotheken‹ liegt weniger im Propagieren eines zweckgebundenen Lesens als in der Bildung einer Gemeinschaft von Lesenden, die mit ihren Lektüren, Überlegungen, Diskussionen und Gesprächen einen sozialen Verband bilden. Nicht als Raum von spezialisierten Büchersammlungen, sondern als offener, geselliger Raum von Lesern bildeten die Occupy-Bibliotheken eine Möglichkeit der direkten Intervention – die Möglichkeit, die Eigenschaften von Text und Ort neu aufzuteilen und sie im Hier und Jetzt der Besetzung zu lokalisieren. Der kommunikative Fokus der Occupy-Bibliotheken unterstreicht so die Rolle der Bibliothek als Baustein der Gemeinschaft. Er bezeugt nicht nur die Notwendigkeit des Kampfs gegen das Verschwinden öffentlicher Bibliotheken, sondern situiert die Bibliothek auch als wichtigen Raum im Kampf der Occupy-Bewegung gegen das Verschwinden von Alternativen zum rein Ökonomischen. Als mobile Bibliothek samt Online-Katalog trägt die People’s Library des Zuccotti Parks diesen Gedanken weiter und unterstützt mit den nach der Räumung des Parks verbliebenen Beständen nach wie vor verschiedene Occupy-Versammlungen und Events.18
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Neben dem offenen Programmangebot solcher Volksbibliotheken manifestierten sich die Bildungsanliegen der Occupy-Bewegung vor allem auch in den zahlreichen Kursen, Workshops und Seminaren, die in verschiedenen selbstgegründeten, freien Universitäten abgehalten wurden. Die weltweiten Studentenproteste im Vorfeld der Occupy-Bewegung hatten bereits aus der anfänglichen Auseinandersetzung um Studiengebühren in den Jahren 2009 und 2010 eine breitere Diskussion über den Zusammenhang von Bildung, Privatisierung, Spekulation und Schuldenwirtschaft entstehen lassen. Die eigene Betroffenheit vieler Studierenden von finanzieller Belastung und Verschuldung brachte so viele dazu, sich bei Occupy zu engagieren und sich speziell mit der Frage von Bildungsalternativen auseinanderzusetzen. Rasch entstanden daraus Blogs und E-Zines, Treffpunkte und Netzwerke, in denen Informationen verbreitet und Diskussionen gestartet wurden. Initiativen wie New Yorks Occupy University, Bostons Free School University, Londons Tent City University und The Art School in the Art School führten diese Diskussion einen Schritt weiter, indem sie – als Bildungsarm der Occupy-Bewegung – alternative Formate entwickelten, in denen freie Bildung für alle verfügbar ist. Mit einem Themenspektrum von Dichtkunst bis zu radikaler Ökonomie hielten einige dieser Universitäten bis zu 500 Veranstaltungen ab, sei es im Versammlungszelt eines Occupy-Camps, auf öffentlichen Plätzen, in privaten Wohnungen oder in besetzten Bank- und Schulgebäuden. Jeder konnte hier unterrichten, es stellten sich aber auch zahlreiche Universitätslehrende für dieses politische Anliegen von Occupy zur Verfügung. Mit Vortragenden wie Manuel Castells (Finanzkrise, Steuerkrise, politische Krise), David Harvey (kapitalistische Krise) oder Vivienne Westwood (Klimawandel und Wirtschaftskrise) im Camp vor der Londoner St.-Pauls-Kathedrale stellte die Tent City University von Occupy London eines der radikalsten Experimente dar, Bildungsformate nicht nur zu imitieren, sondern immer wieder Alternativen zu entwickeln, die andere Inhalte mit neuen Formaten zusammenzubringen versuchten: Der Funke sprang zur Gründung einer Ideenschmiede in einem besetzten Gebäude der Schweizer Großbank UBS (»Bank of Ideas«) unweit
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des zweiten Londoner Occupy-Camps am Finsbury Square über und setzte sich dann ein paar Hundert Meter entfernt in einer leerstehenden Schule (»School of Ideas«) fort, wo für die Nachbarschaftskinder Kurse in alternativer Staatsbürgerschaftskunde abgehalten wurden. Alle drei der hier herausgegriffenen ›Handlungsräume‹ der Occupy-Camps – Küchen, Bibliotheken, Universitäten – führen vor, wie in oszillierenden Bewegungen zwischen Idee und räumlicher Praxis ein politisches Commons hervorgebracht wurde – nicht als ein Ding oder Aktivposten und auch nicht als ein quantifizierbarer Prozess, sondern als eine formbare soziale Beziehung zwischen einer sozialen Gruppe und der von ihr in Anspruch genommenen Umgebung.19 Geistige und körperliche Nahrung, selbst erfundene Rezepte, gut vernetzte Zubereitungen und alternative Genussformen dienten als Katalysatoren einer global verstreuten, experimentellen Sozialität. Die Frage, wer für die Gemeinschaft Sorge trägt, wurde durch eine Diskussion darüber ersetzt, wie Sorge getragen wird und wer Sorge braucht. Weder ein abstraktes Bild von Öffentlichkeit noch die klare Kontur eines besetzten Raums, sondern die konkrete Erfahrung von miteinander geteilten und immer wieder neu gefassten Situationen spielte so im globalen Dorf der Occupy-Bewegung die tragende Rolle.
4 Räumung der Blockaden Der Streit um die Symbole der Macht The constitution doesn’t protect tents. Michael R. Bloomberg, Bürgermeister der Stadt New York1
O BDACHLOSIGKEIT : M ENSCHEN UND G EDANKEN Als das New Yorker Time Magazine im Dezember 2011 in seiner jährlichen Wahl der einflussreichsten Figur im Weltgeschehen nicht wie üblich eine bestimmte Persönlichkeit, sondern die anonyme Gestalt »The Protester« zur Person des Jahres machte, waren viele der von Demonstranten 2011 besetzten Plätze und Straßen längst geräumt. Die Summe derer, die mit ihrem Protest lautstarken Einspruch gegen die herrschende politische und ökonomische Ordnung erhoben hatten, war aber im Verlauf des Jahres zum Synonym einer weltweiten Widerstandsbewegung geworden, die keinen festen Ort mehr zu benötigen schien, um weithin wahrgenommen zu werden. Als »Person des Jahres« soll die bemüht geschlechts-, klassen-, alters- und nationalitätslos gehaltene Figur des Time Magazine2 viele globale Protestbewegungen repräsentieren, vom Arabischen Frühling, der spanischen Indignados-Bewegung und den Protesten in Städten wie Athen, Moskau oder Tel Aviv bis zur amerikanischen Tea Party und nicht zuletzt der weltweit aktiven Occupy-Bewegung. Im Hintergrund einer vermummten Person zeigt die Titelseite der Time-Ausgabe vom 14. Dezember 2011 verschiedene Demonstranten mit hochgehaltenen Schildern, johlende Menschenmengen und
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eine unscharfe Collage von Land- und Stadtkarten. Die Territorialität des Protests, die mit diesen Karten festgehalten wird, vermengt sich mit einer symbolischen und maskenhaften Präsenz, der die Eindeutigkeit konkreter Attribute fehlt. Die hier dargestellte Spannung zwischen der Besetzung physischer Orte und der ansteckenden Ungreifbarkeit des Protests unterstreicht die Komplexität der Frage, wie politischer Einspruch heute wirksam erhoben werden kann und welche Kräfte ihn behindern – wie die spektrale Gestalt des Protests Körper bekommt und wie der Körper sie erdrückt. Die Abstraktion des Protests zu einer symbolischen Figur, deren konkrete Lebensform sich nicht zu erkennen gibt, die Unzugänglichkeit dieser Erscheinung und die schwelende, diskontinuierliche Natur des gegenwärtigen Protests bilden nicht nur einen paradoxen Gegensatz zur klar lesbaren Form von besetzten Territorien. Sie benutzen diesen Gegensatz auch, um eine weiträumige Ökologie von Protestbewegungen herzustellen, in der sich lokal ausgetragene Schattenkämpfe, wie jener der Occupy-Bewegung um das Aufstellen von Zelten in Parkanlagen, mit globalen politischen Auseinandersetzungen um Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ökonomische Alternativen zu einer gemeinsamen Politik des Widerstands verbinden. Anspruch auf physischen Raum zu erheben, etwa in Form von selbst errichteten Zeltstädten, bildet einen Ausgangspunkt für das kollektive Anliegen, der Idee, die den Protest motiviert, einen Körper zu verschaffen, nicht aber um einen unverrückbaren Ort herzustellen. Wie David Harvey betont: »Claiming the right to the city […] can never be an end in itself, even if it increasingly looks to be one of the most propitious paths to take.«3 Dennoch braucht es diese Orte als territorialer Moment, als eindeutig indizierte Symbolik und als räumliches Experiment zugleich, um eine Reihe anderer Prozesse in Gang zu bringen. Die sichtbare Erfahrung von Protest im städtischen Raum kann so mit dem Modellieren einer weltweit zirkulierenden Vorstellung von politischer Erneuerung in Übereinstimmung gebracht werden. Ideen können sich durch diesen Spannungsbogen rasch ausbreiten, in anderen Städten Platz greifen und den Kampf weit voneinander entfernter Bewegungen in eine gemeinsame Ökologie
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einbetten. Wirkungsvolle Rituale und Techniken des Protests, seien es Techniken der internen Kommunikation, der Beschlussfassung in Versammlungen, der effektiven Artikulation von Anliegen, der internationalen Vernetzung oder des Aufbaus einer lokalen Infrastruktur mit Unterkünften, Nahrungsvorräten, Rechtsbeistand und Medienpräsenz, fanden so schnell Imitation in anderen Städten. Die physische Inanspruchnahme des Rechts auf Stadt und die symbolische Inanspruchnahme von Machträumen agieren hier als wechselseitige Wegbereiter, ohne zwingend in direkte Kommunikation miteinander verstrickt zu sein. Die Kehrseite dieser zunehmend flexibleren Verbindung von symbolischer und physischer Logik ist allerdings, dass dieser Mechanismus lokal auch gegen die Politik des Widerstands selbst gerichtet werden kann, was sich nicht zuletzt bei den Räumungen der von der globalen Protestbewegung besetzten Plätze und Straßenzüge in oft verheerender Weise gezeigt hat. Um diese Dynamik anhand der Occupy-Bewegung zu erörtern, wird es nötig sein, sowohl einige der Figuren zu benennen, die ein sichtbarer Teil des Protests sind oder jedenfalls zu einem solchen gemacht wurden, als auch die Krisenmomente, in denen Bruchlinien der Sichtbarkeit von verschiedenen Seiten für ihre eigenen Zwecke benutzt wurden. Nicht ohne Grund stellt uneingeschränkte Sichtkontrolle ein wichtiges Anliegen von Institutionen dar, die für die Wahrung öffentlicher Ordnung zuständig sind, insbesondere von Justizwesen, Polizeiapparat und staatlichen Behörden. Wie sehr sich der erhöhte Druck zu mehr Sichtbarkeit im urbanen Raum im Fall der Occupy-Bewegung auch in die Politik lokaler Ämter eingeschrieben hat, zeigt die Veränderung städtischer Richtlinien im 2012 zugespitzten Streit um die selbsterrichteten Zeltstädte der Occupy-Bewegung: Der scheinbar ›blickdichte‹ Akt der symbolischen Besetzung wurde oft mit rechtlichen Instrumenten bekämpft, die den Behörden einen möglichst umfassenden Einblick in die physische Struktur des Protests gewähren sollten. Besonders deutlich wurde das im Fall des Rathausparks in Los Angeles, der lange Zeit das Zentrum der lokalen Occupy-Bewegung bildete. Nachdem das mit Hunderten Zelten besetzte Parkgelände vor dem Rathaus Ende
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November 2011 von der Polizei geräumt worden war, blieb der Park aufgrund von Sanierungsarbeiten ein halbes Jahr geschlossen. In dieser Zeit erarbeitete der Stadtrat eine neue Parkordnung, in der die Öffnungszeiten des Parks um etliche Stunden verkürzt und das Verbot von zeltartigen Strukturen im Park ausführlich präzisiert wurden. Unerlaubtes Campieren wird nun als das Errichten, Aufrechterhalten oder Bewohnen jeglicher Art von Zelt definiert. Unzulässig gehandelt wird insbesondere dann, wenn im Park »Zelte, Unterschlüpfe oder andere Gebilde« errichtet werden, bei denen kein »unbehinderter Einblick von außen« gegeben ist.4 In der voyeuristischen Neugierde, zu sehen zu bekommen, was sich im Zelt verbirgt, drückt sich zum einen das unvermittelte Begehren aus, hinter die Kulissen der Occupy-Bewegung zu blicken, zu deren deutlichstem Referenzbild das Zelt avanciert ist. Welche Welt verbirgt sich hinter dem Vorhang des Zelts, hinter diesem ambivalenten Schwellenbereich, der zugleich einlädt, aber auch den Eintritt verwehrt? Zum anderen stößt diese Neugierde aber auch auf ein anderes Verborgenes der Stadt – die zahlreichen städtischen Obdachlosen, die als untrennbarer Teil der Besetzung gerade in den Wintermonaten immer mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten sind. Denn mit ihrer sozialen Infrastruktur an kostenlosen Mahlzeiten, medizinischer Versorgung und Gelegenheiten zur Körperpflege haben die Camps der Occupy-Bewegung in vielen Städten auch zahlreiche Obdachlose angezogen. Nachdem diese soziale Gruppe unbestritten zu den Leidtragenden der Missstände zählt, gegen die sich der Protest von Occupy richtet, fand sie in den Lagern zumeist Schutz und ein vorübergehendes, wenn auch nicht gerade konfliktfreies Zuhause. Speziell in Los Angeles, wo seit Beginn der Wirtschaftskrise die Obdachlosigkeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat, mischte sich eine große Zahl von Obdachlosen unter die Protestierenden im Rathauspark. Von der sogenannten Skid Row in Downtown Los Angeles oder aus anderen Stadtquartieren vertrieben, wurde der Park zu einem wichtigen Ort, um Unterschlupf zu finden, und in einigen Fällen auch, um im Sog der Occupy-Bewegung das eigene Anliegen wirkungsvoll kundzutun. Je länger der
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Protest in einigen Städten anhielt und je mehr die Temperaturen in den Wintermonaten zu sinken begannen, umso mehr wurde in vielen Occupy-Camps offenbar, dass viele der Protestierenden, die auch ein anderes Zuhause hatten, das Schlafen in den Zelten aufgaben, während die Obdachlosen weiterhin im Camp verblieben. Aus dieser Entwicklung zu schließen, dass die Camps fortan allein als Behausung genutzt wurden, verkennt den Zusammenhang von Obdachlosigkeit mit der politischen Manifestation von Zeltstädten im urbanen Raum. Obdachlose bildeten bereits in den späten 1960er Jahren verstreute Zellen sozialer und politischer Radikalisierung, zunächst in den verschiedenen Quartieren, die ihnen von der Stadtregierung zugewiesenen wurden, und später dann in selbstorganisierten Lagern und Zeltstädten, die oft in der städtischen Peripherie oder außerhalb der Stadtgrenzen entstanden sind.5 In vielen Fällen hatten solche von Obdachlosen geschaffenen Gemeinschaften, wie etwa Justiceville in Los Angeles (1985), Camp Agnos in San Francisco (1989-1990), Dinkinsville in New Yorks Lower East Side (1991) oder Reaganville in Washington (1982), dichte soziale Geflechte mit stark politischem Charakter hervorgebracht und übten zu ihrer Zeit einen unmittelbaren Einfluss auf die Wahrnehmung städtischer Ordnung aus.6 Ungeachtet dieser historischen Line von politisch-aktivistischen Obdachlosen-Camps und der aktuellen Entwicklungen in US-Städten wie Detroit, Newark, Seattle, Sacramento oder Ontario, wo die Zeltstädte der Obdachlosen immer mehr in Zusammenhang mit Fragen sozialer Selbstorganisation gesehen werden, ist durch das Sichtbarwerden der Obdachlosigkeit in den Zeltstädten der Occupy-Bewegung eine völlig neue Wahrnehmung dieser Camps entstanden: als Auffanglager für Stadtstreicher und als Hort von Ausschreitung und Gewalt.
G L ÄNZENDE S YMBOLIK , SCHMUT ZIGE M ATERIALITÄT In Folge dieses Wahrnehmungswandels erschienen die getroffenen Regierungsmaßnahmen, so wie in vielen anderen Fällen, lediglich
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als Bemühen, unsachgemäße Parknutzungen zu untersagen und in der Frage der städtischen Wohnraumnot nach neuen Ansätzen zu suchen. Obwohl gerade Occupy L.A. bei seinen Protesten darum bemüht war, den Zusammenhang von Obdachlosigkeit mit anderen gesellschaftlichen Missständen deutlich zu machen, wurde also nach der Räumung des Camps eine Parkordnung erlassen, die keinen Unterschied zwischen dem physischen Schutz, den Zelte bieten, und der Artikulation von Protest, den Zelte manifestieren, macht. Das in der Öffentlichkeit erzeugte Bild von Obdachlosigkeit als reiner Beherbergungsfrage half auf diese Weise mit, Zelte prinzipiell aus dem Park zu verbannen, selbst wenn sie symbolischer Ausdruck eines Protests sein könnten. Einen wichtigen Punkt machen hier Bürgerrechtsanwälte, die argumentieren, dass diese Rechtspraxis das Urteil des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten verletzt, wonach zu differenzieren ist, ob ein Zelt als Behausung dient oder für eine Aktivität, mit der etwas ausgedrückt wird.7 Letzteres fällt unter die Bestimmungen des Ersten Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten8, in dem das Recht auf Versammlungsfreiheit festgehalten ist, und kann Staatsbürgern nicht prinzipiell verwehrt werden. Auf Basis dieses Urteils war zuvor obdachlosen Aktivisten in Washington gestattet worden, Zelte im Lafayette-Park nördlich des Weißen Hauses zu errichten. Die obdachlosen Protestierenden aus dem Rathauspark in Los Angeles aber sind längst weitergezogen, viele von ihnen zurück in die Skid Row im Osten von Downtown, wo auf den Gehsteigen Dutzende neue Zelte errichtet wurden.9 Klar zu unterscheiden, ob es sich beim Zelten in der Stadt um einen rein symbolischen Akt handelt, um eine einfache Notbleibe oder um ein sommerliches Lifestyle-Unternehmen, wie das in den Zwischennutzungsarealen westlicher Großstädte immer mehr Anhänger findende urbane Campen, fällt nicht wirklich leicht. Zu vermischt sind oft die Anliegen, die hinter der Übernachtung in einem Zelt in städtischer Umgebung stehen. In Paris logierten im Winter 2006/2007 beispielsweise eine Reihe wohluntergebrachter Bürger gemeinsam mit Obdachlosen in 250 knallroten Zelten am Kanal Saint Martin, um auf diese Weise ein staatlich garantiertes Recht auf
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Unterbringung zu erwirken. Die Solidarität von Nichtobdachlosen mit den Anliegen der Obdachlosen und die geschickte Medienpräsenz der Pariser Bürgerinitiative Les Enfants de Don Quichotte, die dieses Zeltlager in der Vorweihnachtszeit in einer von vielen Touristen frequentierten Flaniermeile errichtet hatte, vermengten sich zu einem Gesamtgefüge, das sowohl mit einer inszenierten Demonstration sozialen Zusammenhalts zu tun hat als auch mit tatsächlicher räumlicher Begegnung von Wohluntergebrachten und Personen ohne festem Domizil im Lagerleben am Kanal. Dieser Aufstand gegen die eingeschliffene Ordnung im städtischen Raum griff in Frankreich rasch auf andere Regionen über, darunter auch die Stadtzentren von Lyon, Marseille, Lille und Toulouse, wo ebenfalls Zelte auftauchten, in denen Obdachlose und Nichtobdachlose zusammen übernachteten. Was bei solchen Aktionen Druck auf die Politik auslöst, ist in erster Linie die Macht der Symbolik – internationale Medienberichte und Fernsehbilder über das Versagen der Politik gegenüber einer breiten sozialen Allianz; was für die Personen im Zelt aber viel mehr ins Gewicht fällt, sind die Stunden der Auseinandersetzung mit anderen konkreten Personen im Innenraum eines Zelts. Dieses Auseinanderklaffen von Erfahrungswelten symbolischer und physischer Natur und die Unvereinbarkeit dieser Dimensionen bedeutet aber nicht, dass Zelte entweder nur als symbolisches Instrument oder nur als Unterkunftsform zu verstehen sind. Sie sind immer beides zugleich: Ausdruck von urbaner Armut und Obdachlosenbleibe, Bekundung des Protests und Ort des gemeinsamen Übernachtens. Die den Stadtraum in Beschlag nehmenden Zelte von Protestbewegungen sind sowohl Zeichen der Besetzung als auch besetzter Raum. Sie bringen die Artikulation politischer Forderungen in Bewegung und ermöglichen zugleich die räumliche Exekution eines kollektiven Anliegens. Ohne physische Verankerung einer Protestbewegung kann kaum eine greifbare Wahrnehmung der Stärke und Brisanz ihres Anliegens entstehen. Der physische Schauplatz des Protests ist daher eine notwendige, aber zugleich auch unzureichende Bedingung.10 Denn ohne eine konsequente Bedeutungszufuhr aus dem
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Bereich symbolischer Ökonomien verliert der Protest oft an Boden, selbst wenn der von ihm besetzte Boden in territorialer Hinsicht erhalten bleibt. Welche dieser beiden Erfahrungswelten die unterschiedlichen Seiten einer politischer Auseinandersetzung zur Argumentation und Durchsetzung ihrer Sache forcieren, ist selten eine Frage absoluter Positionen, sondern eine fortlaufend adaptierte Wahl von taktischen Manövern, die sich aus den Möglichkeiten und Verbindlichkeiten einer vorhandenen Situation ergeben. In dieser Hinsicht sind urbane Obdachlosigkeit, Ausgrenzung oder Protest schwankende semantische Figuren, die in ein Kräftefeld eingezeichnet sind, das im Verlauf einer Auseinandersetzung immer erst an Deutlichkeit gewinnt. So auch im Fall der Obdachlosen der Occupy-Bewegung, gilt der von der Occupy-Bewegung geführte Kampf doch tatsächlich einer um sich greifenden Obdachlosigkeit, die in unterschiedlichen Formen von Ausschluss und Verbannung spürbar wird, sei es für eine verschuldete und ökonomisch scheinbar überflüssig gewordene Generation von Studierenden oder in Form von untilgbaren Kreditschulden, Zwangsversteigerungen und sozialen Deklassierungen. Eine bereits nominell als obdachlos gebrandmarkte Gruppe traf so in den Lagern der Occupy-Bewegung auf das kollektive Bemühen, die eigene kulturelle und soziale Obdachlosigkeit im Camp zu beherbergen – auf den Versuch, als gemeinsamer Verband dagegen anzukämpfen, dass einen die Kultur, die einen geprägt hat, nun nicht länger aufnimmt. Trotz dieser gemeinsamen Betroffenheit in einem Feld sozialer und ökonomischer Ausgrenzung tauchten in den Occupy-Camps schon früh erste Gräben zwischen Obdachlosen und Nichtobdachlosen auf. Für einige der Protestierenden begannen die psychischen Erkrankungen und das von den Konventionen der Protestbewegung abweichende Kommunikationsverhalten vieler Obdachloser einer gemeinsamen Sache im Wege zu stehen; andere fühlten sich von ihnen physisch bedroht und zweifelten an der sozialen Integration Obdachloser im Camp. Insbesondere aber die Frage, wieweit Obdachlose etwas zum Protest beitragen oder zum Ballast für die Bewegung
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werden könnten, rief zahlreiche Debatten hervor. Manche sprachen von einem Gewinn an Glaubwürdigkeit und Kompetenz für die Occupy-Bewegung, andere von Trittbrettfahrern und Störenfrieden, die von den Hauptanliegen der Bewegung ablenken und Occupy in Verruf bringen würden. Asset oder Risiko – inmitten eines aus der Bankenwelt entlehnten Sprachinventars fanden sich die Obdachlosen in den Camps der Occupy-Bewegung wieder. Auf der einen Seite wurde gelegentlich das Argument ins Treffen geführt, dass in den ›schwachen‹ Wintermonaten Obdachlose den Lagern eine kontinuierliche Population bringen würden. Auf der anderen Seite war auch davon zu hören, dass durch Obdachlose eine verzerrte Wahrnehmung der Occupy-Camps entstehen würde, in der Protestierende mit Stadtstreichern gleichgesetzt werden und die penible Ordnung mancher Camps einem Bild von Schmutz und Elend weicht. Mit dem Vorschlag einer strikten Trennlinie im Occupy-Lager zwischen jenen, die Dissens artikulieren und jenen, die Obdach suchen, heizte die New York Times in ihrer Ausgabe vom 31. Oktober 2011 diese Diskussion weiter an.11 Die immer wieder vorgetragene Idee der Unterscheidung von Lagergruppen – egal, ob die Trennlinie zwischen unterschiedlich motivierten Teilnahmen am Lagerleben oder zwischen den zum Protest beitragenden und den nicht zum Protest beitragenden Personen gesetzt werden soll – macht darauf aufmerksam, wie der von ungleichen Ansprüchen durchwirkte urbane Raum die von allen Beteiligten erfahrene Ohnmacht in eine komplexe und krisenhafte Situation transformiert. An Gewinn und Effizienz orientierte Maßstäbe einiger Besetzer prallen unvermittelt auf den Wunsch nach sozialer Einbindung und elementarste Bedürfnisse wie Nahrung, Pflege und Unterkunft. Wenngleich so zweifellos mehr Energie in die Auseinandersetzung um das Lager des Protests zu fließen scheint als in den Protest selbst, eröffnet die Komplexität dieser Situation zugleich einen wichtigen politischen Raum. Denn die konfliktreiche Auseinandersetzung um den Raum des Lagers ist ein Prozess, der geradezu die Bedingungen schafft, um in den symbolischen Raum, auf den der Protest abzielt, eingreifen zu können. Teile der mit den
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Occupy-Protesten angesprochenen 99 % im physischen Raum aus dem Anliegen des Protests auszuschließen, würde daher nicht nur die neoliberale Ausschlusspolitik, gegen die sich der Protest selbst richtet, wiederholen. Ein solcher Ausschluss untergräbt auch die von der Bewegung geschaffenen Möglichkeiten, Zugang zu Räumen symbolischer Macht zu erlangen. Vor diesem Hintergrund tauchten gemeinsam mit Personen, die ein komplexeres Anliegen mit sich brachten, in den Camps der Occupy-Bewegung auch bald Gerüchte auf, dass die Polizei gezielt psychisch Kranke und Obdachlose in die Occupy-Camps verweist oder, wie im Fall von New York von Aktivisten oft berichtet, in anderen Stadtgebieten einsammelt und gezielt bei den Zeltstädten der Occupy-Bewegung ablädt. Obdachlose Personen und verurteilte Straftäter unter die Protestierenden zu mischen sei ein strategisches Mittel der Polizei im Kampf gegen die Besetzung. »At Zuccotti Park the homeless are said to be ›occupying the occupation‹ and are portrayed as ›freeloaders‹ or ›loonies‹, a danger to the community, a threat to ›health and safety‹ and ›quality of life‹.«12 Obdachlosigkeit (jene der nominell Obdachlosen und jene der potenziell obdachlosen 99 %) und Gesetzlosigkeit (jene von Straftätern und jene von Besetzern) in einem gemeinsamen Rahmen zu sehen, spiegelte sich zwar in gewisser Weise auch im eigenen Versuch der Occupy-Bewegung, in den besetzten Camps Obdach für politischen, kulturellen und sozialen Dissens zu bieten. Dennoch war für große Teile der Öffentlichkeit in dieser Verklammerung eher ein Bild abzuwehrender Gefahr als eine Logik des Systems zu erkennen. Die im Laufe der Besetzung aufgekommenen Gerüchte um Diebstahl, körperliche Gewalt und Vergewaltigungen in einigen Occupy-Camps boten zusammen mit vermehrten Klagen über Lärm, Verschmutzungen und Beschädigungen zusätzlichen Anlass zu Skepsis gegenüber den von Occupy hervorgebrachten Perspektiven. Das Dilemma der Besetzung besteht also darin, den Ort der physischen Besetzung aufrechterhalten zu müssen, obwohl dieser Ort weder das wirkliche Ziel der Besetzung darstellt noch auf Dauer in Anspruch genommen werden kann. Anders als bei der Besetzung
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strategischer Infrastrukturen, wie etwa der von Fernsehstationen, Strom- oder Wasserverteilern, wird aus der Besetzung städtischer Grünflächen und Parkanlagen kein direkter Gewinn erzielt. Es werden keine technischen oder materiellen Ressourcen angeeignet, die als Kampfmittel in Einsatz gebracht werden könnten. Im Unterschied zur Sabotage an Infrastrukturen, zu Terroranschlägen oder Guerillakriegen richtet eine ›symbolische‹ Besetzung also keinerlei direkten Schaden an. Im Gegensatz zu Demonstrationen bewirken derlei Besetzungen auch keine unmittelbar spürbaren Behinderungen von urbanen Abläufen oder Produktionen. Straßenverkehr und Arbeitsleben bleiben weitaus ungestört. Die Intervention dieser Besetzungen liegt vielmehr auf der Ebene von Affekten. Indem sie nicht nur Raum, sondern oft auch ein gutes Maß an Zeit beanspruchen, gehen sie kaum mehr ›aus dem Sinn‹. Sie halten auf und entziehen der neoliberalen Ökonomie die von ihr besetzte Zeit. Besetzungen intervenieren wirksam in vorhandene Sinnzusammenhänge und bleiben so als politische Erinnerung dauerhaft erhalten. Die von ihnen nutzbar gemachte Ressource ist kein stabiler Gegenstand, sondern ein mentaler, politischer Raum, der zwischen Besetzern, Mitstreitern, Unterstützern, Sympathisanten und vielen anderen Institutionen und Personen hergestellt wird. Um diesen komplex orientierten Raum der politischen Diskussion zu erhalten, muss allerdings auch für den Ort der Besetzung im Stadtraum kontinuierlich Sorge getragen werden. Dass aber ausgerechnet die Sorgeleistung im physischen Raum zum Stolperstein vieler Besetzungen werden sollte, kann als eine der zentralen Ironien der Occupy-Bewegung und anderer Protestbewegungen unserer Zeit gesehen werden. Zum einen nahmen oft interne Prozesse im Lager, insbesondere die Aushandlung von miteinander in Konflikt stehenden Interessen, viel Kraft in Anspruch; zum anderen kostete auch der rechtliche Kampf um die Aufrechterhaltung besetzter Lager viel Zeit und Energie. Mit diesen Anstrengungen wurde deutlich, dass es einen doppelten Kampf zu führen gilt – ein Ringen um mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie und ein Ringen um eine bleibende Aufmerksamkeit für dieses politische
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Anliegen. Denn je mehr sich die Aufmerksamkeit auf die rechtliche Legitimität der Platzbesetzungen, auf die Missachtung von Benutzungsrichtlinien und auf den Verfall von Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit im Lager lenken ließ, umso mehr verschwand die politische Idee der Besetzung aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Nachdem der physische Raum der Occupy-Camps in vielen Medien zum Thema der Betrachtung geworden war, schien sich zunächst sogar zu erfüllen, was viele an den Besetzungen vor Ort beteiligte Personen als ihr Ziel sahen: temporäre Gemeinschaften zu bilden, die Prinzipien von Offenheit, Gleichberechtigung und Solidarität im Camp selbst vorleben. Nachdem diese Prinzipien aber in konkreten räumlichen Gegebenheiten mitsamt den Regeln, die den Gebrauch dieser Räume definieren, zur Anwendung kommen sollten, waren die Besetzungen unweigerlich mit Konflikten konfrontiert. Wenngleich viele Occupy-Camps eine ideologische Gemeinschaft mit Besetzungen wie jener des Kairoer Tahrir-Platzes zu bilden glaubten, hinkte der Vergleich in Hinblick auf die territoriale Situation: Während sich wohl kaum jemand darüber Gedanken machte, ob die Besetzung des Tahrir-Platzes eine Genehmigung hatte, waren im öffentlichen Bewusstsein zu den Occupy-Camps stets Fragen zu behördlichen Bewilligungen, zur Einhaltung von korrekten Raumdimensionen und geregelten Abläufen oder zur Betriebssicherheit der verwendeten Geräte präsent. Nachdem diese Diskussionsebene als Maßstab zur Beurteilung der Besetzungen etabliert worden war, konnten auf derselben Ebene eine ganze Reihe weiterer Faktoren als Argument herangezogen werden: Lärmbelästigungen, Flurschäden, Behinderungen und vor allem die Höhe der Kosten von Polizeiarbeit, Reparaturen, Räumungen und der schlussendlichen Verstärkung der öffentlichen Sicherheit. Zwar zeigten sich einige Stadtregierungen, Institutionen und Behörden anfangs bemüht solidarisch mit dem Anliegen der Occupy-Bewegung und tolerierten die Besetzungen, selbst wenn sie bestimmte Richtlinien verletzten. Ab einem gewissen Punkt wurde, vor allem in den USA, aber die Frage laut, wieweit die Anwesenheit einer bestimmten Gruppe von Personen anderen Personen die Nutzung
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öffentlicher Räume versagt und wieweit in den Budgethaushalten Platz für die Occupy-Bewegung sein soll. Als es dann ab Spätherbst 2011 nach und nach zu Räumungen kam, wurden für diese Maßnahmen nie politische Gründe, sondern immer nur die Verletzung von vorhandenen oder im Verlauf der Besetzung verschärften Gesetzesregeln ins Treffen geführt. Wie auch immer die Anschuldigungen im Detail lauteten, stets richtete sich die Klage der Obrigkeit gegen unlautere Benutzung, Lärm, Vandalismus, Sicherheitsverletzungen, hygienische Missstände, Drogen oder Gewalt. Diese Domestizierung des Protests, vor allem die immer wiederkehrenden Muster der Entrüstung über Lärm, Krawall und Gestank, ließ die Besetzer bald wie rebellische Teenager aussehen, die im Streit mit der elterlichen Autorität ein Stück zu weit gegangen sind.13 Die elterliche Verantwortung schien damit aufgerufen, in die zunächst geduldete Autonomie eines nach und nach vergammelten Jugendzimmers einzugreifen. Vom Schwarzen Block und der Masken tragenden Anonymous-Gruppe bis zu den lärmenden Trommlern, Studierenden und Obdachlosen – im Namen einer Sorge tragenden Elternfigur wurden immer wieder einzelne Gruppen im Geflecht der führungslosen 99 % ausfindig gemacht, deren Verhalten einen Grund zur Beanstandung und zu vermehrter Fürsorge bot. So wurde der häuslich-familiäre Charakter des Besetzens, den die vielen Zeltlager manifestieren halfen, schließlich zur Fallgrube der Bewegung. Die vielen Übertretungen der ›Hausordnung‹ kamen wie gerufen, um einen moralisch gerecht erscheinenden Zugriff der Regierung auf die Camps in die Wege zu leiten.
R ÄUMUNGEN : D ER L ANGE W INTER VOR S T P AUL’S Die in territorialen Auseinandersetzungen erzielten Gewinne haben ebenso wie die dabei erlittenen Niederlagen einen in mehrfacher Hinsicht kurzfristigen Charakter: Zum einen täuschen sie über die Instabilität der geschaffenen Situationen hinweg, zum anderen verfälschen sie die Perspektiven, um die es beiden Seiten geht. Aus diesem Grund hat auch Gayatri Spivak in ihrem Diskussionsbeitrag
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zur Occupy-Bewegung sehr früh schon das Bild des Generalstreiks ins Spiel gebracht. Sie sieht in der Occupy-Bewegung den Geist des Generalstreiks – eine Aktion, die nicht von moralischer Entrüstung, sondern von täglich erfahrener Ungerechtigkeit ausgeht – mit der amerikanischen Tradition zivilen Ungehorsams vereint. Denn das im Zentrum der Bewegung stehende Beharren auf rechtliche Veränderung zielt nicht auf die Durchsetzung punktueller Rechtsreformen, sondern auf das Schaffen einer grundsätzlichen sozialen und ökonomischen Gerechtigkeit.14 In den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung konnten umstrittene Regelungen und Gesetze stets mit direkten Aktionen, etwa mit Lunch-Sit-ins und Freedom Rides gegen die diskriminierende Rassentrennung in Restaurants und Bussen, angefochten werden.15 Die Gesetzesdoktrin der Banken und Finanzmärkte ist dagegen im Alltagsleben nicht direkt angreifbar, obwohl sie alltägliche Erfahrungen berührt. Anders als im Kampf der frühen 1960er Jahre kann den Verboten und Geboten dieses ›Gesetzes‹ nicht unmittelbar zuwidergehandelt werden. Die Occupy-Bewegung schließt in ihrem Kampf gegen das Finanzkapital daher nicht nur an die direkten Interventionen der Bürgerrechtsbewegung an, sondern bezieht sich in ihren Aktionen auch auf den politischen Ungehorsam des Generalstreiks: Im Gegensatz zum zivilen Ungehorsam, der sich zwar gegen die moralische Autorität der Gesetze wendet, aber die Macht politischer Institutionen akzeptiert, richtet sich, wie Bernard Harcourt argumentiert, der politische Ungehorsam direkt gegen die Art des Regierens.16 Diese kombinierte Gestalt von Ungehorsam hat die OccupyBewegung vor allem in der Auseinandersetzung mit einer anderen moralischen Autorität, nämlich jener der Kirche, auf entscheidende Weise geprägt. Nachdem die staatliche Macht von Anfang an die Rolle der elterlichen Autorität übernommen und sich ausnahmslos schützend vor Banken und Börsen gestellt hatte, wandten sich zahlreiche Occupy-Initiativen in ihrem Kampf gegen das Unwesen der Finanzmärkte an die Kirche als eine andersgerichtete Macht im Staat. Dieser Schritt war zunächst dadurch motiviert, dass Kirchen aufgrund der Natur ihrer gesellschaftlichen Rolle eine wichtige mo-
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ralische Instanz darstellen. Gerechtigkeit, soziales Engagement und Fürsorge sind beinahe allen Glaubensgemeinschaften ein wichtiges Anliegen, aber auch Teil ihrer gesellschaftlichen Legitimation. Diese Übereinstimmung wesentlicher nach außen getragener Interessen wurde daher von Occupy-Gruppen in London, New York und vielen anderen Städten als Möglichkeit erkannt, Rückendeckung im anerkannten Mainstream der Gesellschaft zu erlangen. Neben dem Besitz von moralischer Autorität sind Kirchengemeinschaften aber auch im Besitz von Grundrechten und können so dem territorialen Anliegen einer Besetzung unmittelbar dienlich sein. Sie haben also entweder das Recht, Besetzungen auf eigenem Grund zu dulden, oder zumindest das moralische Gewicht, um Druck auf andere Institutionen auszuüben. Deshalb ist es nicht als Zufall zu sehen, dass nicht nur die Plätze rund um Bankgebäude, sondern auch kirchlicher Besitz und die Vorplätze von Kirchen von der Occupy-Bewegung besetzt wurden. Im Fall von Occupy Wall Street kam es bereits im November 2011, zur Zeit der drohenden Räumung des Zuccotti Parks, zu einem Drängen gegenüber der Trinity Church, ein Grundstück für die Wintermonate zur Verfügung zu stellen. Die episkopalische Gemeinde ist der drittgrößte Grundbesitzer der Stadt New York und hatte die Occupy-Bewegung seit Beginn des Protests in vielerlei Hinsicht mit Infrastruktur unterstützt, lediglich den Wunsch nach ›Besetzung‹ eines ihrer Grundstücke wollte sie ihr nicht erfüllen. Gegenstand der Diskussion war ein großes, ungenütztes Stück Land nahe dem Duarte Square, das nur einen Block vom Zuccotti Park entfernt liegt. Gegen den Willen der Kirchenführung entschloss sich eine Gruppe von Hunderten Occupy-Aktivisten nach der Räumung des Zuccotti Parks am 15. November 2011, dieses Grundstück zum neuen Ort der Bewegung zu machen. Nach langem Ringen kam es am 17. Dezember 2011 schließlich zur Aufsehen erregenden Invasion des Geländes: Hunderte Personen, allen voran der episkopalische Bischof George E. Packard, ein katholischer Priester und eine Nonne, verschaffen sich Zutritt über Leitern oder kletterten durch in den Geländezaun geschnittene Löcher.17 Dies änderte jedoch nichts an der Linie der
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New Yorker Trinity Church, die nicht nur Obdachlosen und sozial Schwachen verpflichtet ist, sondern zu ihren Mitgliedern und Unterstützern vor allem Wall-Street-Banker, Unternehmer und einflussreiche Politiker zählt. Während also Aktivisten über eine taktische Allianz mit einer in der Gesellschaft fest verankerten kirchlichen Autorität räsonierten, ging es dieser letztlich auch um die Sicherung der eigenen Privilegien, die aus dieser Verankerung hervorgehen. So wurde aus dieser Nachfolge-Besetzung ebenso wenig, wie aus den in der Nähe des geräumten Zuccotti Parks zuvor gestarteten Versuchen, die nichtkommerzielle Galerie Artists Space und danach das Studentenzentrum der New School University zu besetzen. Der von der Trinity Church herbeigerufene Polizeieinsatz ließ sich – unter Betonung des gemeinsamen Anliegens um soziale und ökonomische Gerechtigkeit – recht bequem damit rechtfertigen, dass die Errichtung einer Zeltstadt auf dem Duarte Square weder die Mission von Occupy noch jene der Trinity Church voranbringen hilft.18 Den intensivsten Schauplatz der Interaktion der Occupy-Bewegung mit kirchlicher Macht stellte das von Occupy London errichtete Camp neben der St.-Pauls-Kathedrale dar. Da der ursprünglich geplante Ort der Besetzung, der in Privatbesitz stehende PaternosterPlatz vor der Londoner Börse, am 15. Oktober 2011 von der Polizei abgesperrt worden war, versammelten sich die rund 3000 Demonstranten auf den Stufen vor der St.-Pauls-Kathedrale, einem weltweit bekannten Symbol kirchlichen Establishments. Nachdem sich einer der Domherren von St Paul’s, Pastor Giles Fraser, schützend vor die Occupy-Bewegung stellte und ihren friedvollen Protest offiziell willkommen hieß, entstand hier innerhalb weniger Tage ein Lager von zirka 200 Zelten, in dem neben einer Küche zur Versorgung der mehr als 300 Bewohner dieser Zeltstadt unter anderem auch eine selbstorganisierte Universität, ein Recycling-Center und ein Gebetsraum eingerichtet waren. Dieser Schulterschluss von lokaler Glaubensgemeinschaft und Protestbewegung führte schon nach wenigen Tagen zu heftigen Zerwürfnissen in der anglikanischen Kirche, die den kurzfristigen symbolischen Gewinn der Protestierenden mit einer anderen symbolischen Handlung überbot: Der Dekan der
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Kathedrale, Graeme Knowles, kündigte am 21. Oktober 2011 aus ›Sicherheitsgründen‹ die Schließung der Kirche an und ersuchte die Besetzer, den Platz vor dem Gebäude frei zu machen, sodass die Kathedrale bald wieder geöffnet werden kann. Die Boulevard-Medien verstanden aus dieser Aktion Kapital zu schlagen und berichteten über Occupy London als Ereignis, das furchterregender sei als die Bombardierung Londons im Zweiten Weltkrieg, während der die Kathedrale nie geschlossen und so zu einem Symbol des britischen Widerstandsgeists geworden war.19 Schaden nahm aber auch die Reputation von St Paul’s, da die Kirchengemeinschaft den Medien gegenüber nicht ihre geistige Führungsrolle ausspielte, sondern lautstark den Verlust an Eintrittsgeldern durch das Schließen ihrer Pforten in den Vordergrund stellte.20 In ein schiefes Licht gerieten so alle Beteiligten – der gegen den Protest wetternde Klerus, jene Kirchenfunktionäre, die sich für die Besetzung stark gemacht hatten und die Occupy-Bewegung selbst. Sowohl die übertriebene Aktion als auch die Uneinigkeit in der Englischen Kirche zeigten Folgen für das öffentliche Ansehen der Kirchengemeinschaft und führten zum Rücktritt von Domherr und Dekan. Der Bischof von London übernahm die Amtsführung der Kathedrale, und selbst das geistliche Oberhaupt der Kirche von England, der Erzbischof von Canterbury, musste zögernd einräumen, dass die Schließung des Gebäudes wohl nicht der beste Schritt im Umgang mit der Besetzung war. Im Hintergrund fanden bereits Überlegungen zur Räumung des Lagers rund um St Paul’s statt, entweder aufgrund von kriminellem Vergehen nach Artikel 14 des Gesetzes über öffentliche Ordnung, aufgrund eines Antrags der Grundbesitzer oder als Kombination von beidem.21 Nachdem die Kathedrale, die Verwaltungsbehörde und der Bürgermeister der Londoner City, der Bischof von London und auch der Londoner Oberbürgermeister die Besetzer aufgefordert hatten, das Camp vor St Paul’s aufzugeben, zogen die Bewohner des Camps mit eigenen Autoritätsfiguren nach, darunter nicht nur prominente Wissenschaftler aus der ganzen Welt, die in der ›Tent University‹ von Occupy London Vorträge hielten, sondern auch der amerikanische Bürgerrechtsaktivist und Pastor Jesse Jackson, der in seiner Rede vor
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St Paul’s im Dezember 2011 verkündete, dass auch Jesus Christus, Gandhi und Martin Luther King Besetzer waren. Gleichzeitig wurde das Camp von Occupy London durch zusätzlich besetzte Standorte im Stadtzentrum erweitert, zunächst um das auf dem Finsbury Square errichtete Protestlager und dann um einige besetzte Gebäude, die spezialisiertere Anliegen der Bewegung verfolgten. Die Angst vor einer Räumung war aber seit der ersten Woche der Besetzung ein immanenter Charakterzug der Londoner Occupy-Camps. In ihrer räumlichen Struktur und in der Logik ihres territorialen Operierens begannen die Besetzer von Beginn an, weitaus mehr als Occupy Wall Street in New York, viel Energie in die Erhaltung der Lager zu stecken – vom Barrikadenbau zum Schutz gegen die eingreifende Polizei bis zu den penibel beachteten Arrangements mit Kirche und staatlichen Behörden, um deren Sicherheitsvorgaben zu entsprechen.22 So wurden auf dem Boden vor der St.-Pauls-Kathedrale Fluchtwege und Feuerwehrzugänge genau mit Sicherheitsklebebändern markiert, um deutlich sichtbar zu machen, wo die Grenzlinien des Camps zu verlaufen haben. Das zwang zum Freihalten von Korridoren zwischen den Zelten und zu einer Umsiedelung der Lagerküche und der für die Stromerzeugung verwendeten Generatoren. Mobile Toiletten und nächtliche Lagerpatrouillen sorgten weitgehend für sanitäre und soziale Sicherheit; und Wärmebildmessungen der Boulevardpresse, die zeigen sollten, dass 90 Prozent der Zelte in der Nacht unbelegt sind, wurden eigene Messungen gegenübergestellt, die eine weitaus höhere Übernachtungsrate ergaben.23 Für die Räumung des Camps waren aber auch noch andere Grenzziehungen von Bedeutung: die Eigentumsgrenzen des besetzten Geländes, das zum einen Teil der anglikanischen Kirche und zum anderen Teil der Stadt London gehörte. Beide Teile mussten sich also einig werden, wann und wie die angestrebte Räumung stattfinden sollte, nachdem bereits am 16. November 2011 der Räumungsbescheid kunstvoll an die zahlreichen Zelte vor der Kathedrale geheftet worden war:24 »Through the erection of tents and other structures, you and others involved in the Protest Camp have taken possession and control of the Red Land from the City of London Corporation without its con-
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sent. The Protest Camp is therefore a trespass. It is also an unreasonable obstruction of the highway. […] The Protest Camp does not have planning permission and causes significant harm to the area.«25 In den frühen Morgenstunden des 28. Februar 2012 war es soweit: »Besetzt für 137 Tage, geräumt in 137 Minuten«, titelte der englische Evening Standard seinen Bericht über den nächtlichen Einsatz von Hunderten Polizisten und Gerichtsvollziehern vor der St.-PaulsKathedrale. Wenngleich die Medien in ihren Schlagzeilen mit solchen symbolischen Vergleichen operierten, basierte die gerichtliche Entscheidung über den von der Verwaltungsbehörde der Stadt London gestellten Räumungsantrag rein auf physischen Missständen: Behinderung öffentlicher Verkehrswege, unzureichende sanitäre Anlagen, andauernde Verschmutzung, Sicherheitsgefährdung und Vandalismus. Keineswegs berührt wurde im richterlichen Beschluss die symbolische Ebene des Protests. Zwar erteilte St Paul’s der Polizei die Erlaubnis, Demonstranten während der Räumungsaktion auch vom Grund der Kathedrale zu entfernen, aber Kirche und Stadtbehörde betonten einhellig, dass es ihnen nicht um die Beseitigung des Protests, sondern lediglich um das »Entfernen von Campinggegenständen« gehe. Nicht der Protest an sich, sondern die Art des Protestierens sei ein Störungsfall. Der im Richterspruch konstatierten »vorsätzlichen und unangemessenen« Störung des öffentlichen Stadtlebens durch das Occupy-Camp wurde gegenübergehalten, dass die Räumung »gesetzmäßig, notwendig und angemessen« sei und eine Inanspruchnahme der in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgehaltenen Grundrechte »geringstmöglich behindere«.26 Ähnlich wie zuvor in den USA stellte sich auch in London die Boulevardpresse hinter das Vorgehen der Stadtverwaltung und untermauerte die Notwendigkeit der Räumung mit angeblichem O-Ton, der bekundete, dass es »so einfach nicht mehr weitergehen konnte« und dass es für die Demonstranten »an der Zeit war, weiterzuziehen«. Eine wichtige Rolle in diesem Meinungsbildungsprozess spielten, gerade angesichts der angeschlagenen öffentlichen Haushalte, nicht zuletzt auch die Räumungskosten, die im Fall des Occupy-Camps vor der St.-Pauls-Kathedrale zusammen mit den Kosten
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für Instandsetzungs- und Polizeiarbeiten bei kolportierten 1,06 Millionen Britischen Pfund (1,6 Millionen US-Dollar) lagen. Immerhin aber fielen sie geringer aus als die Vergleichskosten in US-amerikanischen Städten wie Oakland (2,4 Millionen US-Dollar), Los Angeles (4,7 Millionen US-Dollar) oder New York (13 Millionen US-Dollar). Je mehr also die öffentlichen Diskussionen über den Protest auf den territorialen Aspekt der Besetzung gelenkt wurden, umso leichter fiel das gegnerische Vorgehen. Denn im Verlauf der Besetzungen wurde zwar ein starkes soziales Gefüge vor Ort errichtet, die Bewegung dabei aber Schritt für Schritt verloren. Während Occupy London auf diese Weise der symbolische Raum des Protests schon lange vor dem physischen Raum des Camps abhanden gekommen war, hatte Occupy Wall Street das ›Glück‹, geräumt zu werden, ehe die breite Sympathie für den Protest verschwinden konnte. So wurde der amerikanische Protest zwar daran gehindert, der von Slavoj Žižek am 9. Oktober 2011 im Zuccotti Park geäußerten Aufforderung nachzukommen, tatsächlich zu wollen, wonach es einem verlangt27 – die Idee dieser Aufforderung blieb aber unbeschadet. Nach den ersten gescheiterten Versuchen Mitte Oktober, die Besetzung des New Yorker Zuccotti Parks zu beenden, räumte die Polizei am 15. November 2011 in einer landesweit konzentrierten Aktion Occupy-Camps in 18 US-amerikanischen Großstädten, darunter Denver, Oakland, Salt Lake City, Portland und das der Bewegung zugrunde liegende Camp im New Yorker Zuccotti Park.28 Wie einige Monate später in London begründeten die Behörden auch hier ihr Vorgehen mit hygienischen Missständen und in den Lagern begangenen Straftaten. Trotz dieser Anschuldigungen hinterließen die Räumungsaktionen, allen voran jene in New York, aber den Eindruck, dass mit unangemessenen Mitteln gegen eine Bewegung vorgegangen worden war, deren Anliegen breite Unterstützung in der Bevölkerung genoss. Der Einsatz von Tränengas, Bilder von verletzten Demonstranten, Berichte über von der Polizei abgedrängte Kamerateams von Journalisten, zerstörte Infrastrukturen, verwüstete Bibliotheken und Volksküchen führten zu einem vermehrten Sympathiegewinn für Occupy Wall Street und zu einem Fortbestand von zur Verwirklichung drängenden Ideen.
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So haben die Camps der Occupy-Bewegung selbst oft nicht jene Veränderungen herbeigeführt, an die zahlreiche Besetzer glaubten. Demonstrationen und Besetzungen verändern nicht direkt, sie sind der performative Ausdruck des Veränderungswunschs. Trotz der vielen Mühen im Errichten von Zeltstädten, alternativen Bildungsformen, Ökologien und Gemeinschaften zeigte sich die wahre Stärke von Occupy im Zusammenspiel von ideellem Erfindungsreichtum und territorialer Taktik. Die um die Welt gehenden Bilder der verschwörerisch anonymen Guy-Fawkes-Masken, die rasch zirkulierenden Slogans und Plakate der Bewegung, die Zeltstädte als neu belebtes Emblem nomadischen Daseins und die in unzähligen Webforen wiedererzählten Rituale von Vollversammlungen, »menschlichen Mikrophonen« und direkter Demokratie wurden gemeinsam zu einem lokal adaptierbaren Mechanismus der Selbstermächtigung vieler Personen. Um diesen Mechanismus tatsächlich in Anspruch zu nehmen und mit ihm experimentieren zu können, brauchte es physische Versammlungsorte, an denen sich höchst unterschiedliche Menschen treffen, Netzwerke bilden und Ideen austauschen konnten, und zwar nicht nur einen, sondern viele Orte zugleich. Die symbolische Artikulation des Protests und die damit verbundene Flut an Erkennungszeichen halfen mit, die Verbindung zwischen den global verstreuten Orten des Protests herzustellen. Sie versprachen aber auch ein Gegengewicht zur abstrakten, ungreifbaren Figur des Finanzkapitalismus zu schaffen, indem sie sich ihrer Ausdrucksmittel bemächtigten. Mit dem vereinenden Slogan »We are the 99 %« wurde der von dieser Figur propagierte Unterschied von Wall Street und Main Street, Macht und Ohnmacht, Reichtum und Ruin gezielt unterlaufen. Die unterschiedlichen Schicksale und Perspektiven konkreter Personen, die sich zu den benachteiligten 99 Prozent zählen, politisierten eine nüchterne Finanzstatistik. So konnte der in der kapitalistischen Buchhaltung des Profits selbst immer wieder herausgestrichene Unterschied als Begriff einer neuen Form von Kollektivität angeeignet und in Kampagnen, Medienberichten und Straßenprotesten für das Anliegen der Occupy-Bewegung verwendet werden. Dass im Gegenzug fast immer nur ›realräumliche‹ Argu-
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mente – hygienische Mängel, Verkehrsbehinderungen, Lärmbelästigungen oder physische Gewalt – zur Schwächung der explosiven Kraft der Occupy-Bewegung vorgebracht wurden, zeugt weniger von Gefahr erregenden Entgleisungen des Protests als vom Versuch, ihn territorial zu beherrschen.
5 Onsite/Online Netzwerke und die unfassbare Dimension des Protests New York is Oakland. Oakland is New York. Sarah Resnick 1
TWIT TER -R E VOLUTION Eine der Paradoxien technologischer Entwicklung unserer Zeit besteht darin, dass wir die entscheidende Veränderung des Stellenwerts neuer Technologie nicht den der Entwicklung zugrunde liegenden ökonomischen Bedingungen verdanken, sondern dem Entstehen neuer sozialer und politischer Bewegungen. Der schlagkräftige Einsatz verschiedener Informationstechnologien in den aktuellen Protestbewegungen Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens, im Kampf der spanischen Indignados oder in der Informationspolitik der weltweiten Occupy-Bewegung hat zu einer veränderten Sicht auf die vorhandenen politischen, ökonomischen und kulturellen Logiken geführt. Mehr aber noch ist im Zuge dieser Entwicklung ein neues politisches Handlungsfeld entstanden, mit dem wie nie zuvor politische Schauplätze rund um die Welt miteinander in Verbindung gesetzt wurden. Anders als in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder in den Aufständen von Industriearbeitern im 20. Jahrhundert ist aus den Protesten der letzten Jahre eine führungslose, dezentral und netzwerkartig agierende Bewegung hervorgegangen, deren Markenzeichen nicht nur eine Verweigerung klar formulierter Ziele ist, sondern auch eine radikale Weigerung, die eigenen Forde-
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rungen und Bedingungen in der Sprache traditioneller Proteste zu formulieren. Ihre ›Unverständlichkeit‹ und Inkompatibilität mit den Bezugssystemen der herrschenden Klasse geht nicht nur, wie Slavoj Žižek schreibt, auf die rhetorische Inszenierung der archetypischen Autoritätssituation zwischen männlichem Herrn und hysterischer Frau zurück,2 sondern auch auf Kernveränderungen im sozialen Gefüge, der mit heute nicht mehr aktuellen Fragestellungen begegnet wird. Die Schwierigkeit liegt anders gesagt im Unterfangen, eine der ersten globalen Bewegungen des 21. Jahrhunderts zu verstehen, indem wir sie aus der Medien-, Politik- und Wirtschaftsperspektive des 20. Jahrhunderts, in der unser Denken nach wie vor verhaftet ist, betrachten.3 Woran es einer zeitgenössischen Protestbewegung wie Occupy also mangelt, ist nicht, wie immer wieder behauptet, die Formulierung einer zentralen Forderung, sondern ein Inventar an Fragen, für die sie selbst die Antwort ist. Als erste global aktiv gewordene Bewegung des Internetzeitalters präsentiert Occupy keine Erzählung im traditionellen Sinne, wie ein Buch, das mit eindeutigem Beginn und klarem Ende versehen ist, sondern aktiviert die Netzwerkstruktur des Internets, das sich an Prinzipien der strukturellen Unbestimmtheit, Erweiterung, Nachhaltigkeit und Verteilung von Intensitäten ebenso ausrichtet wie an der Absenz jeglicher Form von Zentrum. Multiplikation ist folglich das Produktionsprinzip dieser Bewegung, nicht Reduktion und Klärung. Anstelle der fordistischen Doktrin von Arbeitsteilung, Normierung und Klassifizierung Treue zu schwören, nutzt sie die unspezialisierte Produktionsweise eines weltweiten Archipels von Schauplätzen, die mithilfe neuer Informations- und Kommunikationsmedien Antworten auf noch unbekannte Fragen generieren. Diese Form von Technologiegebrauch ist aber weniger nur die besondere Eigenart einer zeitgenössischen Graswurzelbewegung als vielmehr Folge veränderter Lebensformen, denen die vorhandenen politischen und institutionellen Strukturen nicht mehr entsprechen. Sie ist sowohl Spiegelung der vielen Inkonsistenzen, Widersprüchlichkeiten und Schwerfälligkeiten der Welt, aus der sie hervorgeht, als auch der Versuch, neue Verankerungen zu finden.
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Einer der wichtigsten Kristallisationspunkte dieser Veränderung sind die mit dem Sammelbegriff »Twitter-Revolution« bezeichneten Proteste, Aufstände und Revolutionen der letzten Jahre, in denen großangelegte politische Aktionen mithilfe von Twitter koordiniert wurden, sei es 2009 bei den Bürgerunruhen in Moldawien und den Protesten im Iran infolge der manipulierten Präsidentschaftswahl oder bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten, die 2010/2011 den Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings markierten. Blogs, YouTube, Twitter, Facebook und WikiLeaks boten sich bei all diesen Ereignissen als offene Plattformen an, um Informationen zu erlangen, Meinungen auszutauschen, Zusammenhänge herzustellen, Aufrufe zu versenden und Menschenmassen zu mobilisieren. Als unmittelbarer Feedback-Mechanismus ermöglichten Social Media Sites Teilnehmern der Proteste aber auch selbst und in Echtzeit zu beurteilen, wie Geschichte geschrieben wird. In dieser Hinsicht bilden soziale Medien ein passendes Pendant zu den horizontalen Netzwerkstrukturen und demokratischen Experimenten der verschiedenen Bewegungen.4 In Kombination mit Smartphones haben die in den neuen Protestbewegungen verwendeten sozialen Medien so die Beziehung zwischen dem Individuellen und Kollektiven entscheidend verändert und zu einer Verlagerung der Öffentlichkeit aus dem institutionellen Bereich in eine neue Art von Kommunikationsraum geführt.5 Im Fall der politischen Proteste der letzten Jahre wird dieser Raum von dynamischen Kreisläufen aufgespannt, in denen Demonstrationen und Besetzungen, selbstproduzierte Livestreams, deren Ausstrahlung in Mainstream-Medien, politische Zensuren und weitere Proteste einander wechselseitig beeinflussen. Anstatt den Kampf nur auf dem Terrain der alten Ordnung auszutragen, eröffnet dieser erweiterte Kommunikationsraum die Möglichkeit, gemeinsam mit vielen anderen Mitstreitern neue Bedeutungen und Sichtweisen zu entwickeln. In einem ehemals von profitorientierten Unternehmen und staatlichen Apparaten besetzten Bereich beginnen nun horizontale Kommunikationsnetzwerke und Massenmedien in direkten Kontakt miteinander zu treten.
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Occupy Wall Street oder #ows, wie sich die Urzelle der OccupyBewegung im gebräuchlichen Twitter-Jargon nennt, ist eines der treffendsten Phänomene, die zeigen, wie diese neuen und direkten Eingriffsmöglichkeiten in das politische Geschehen den Funken vom spontanen Zusammenschluss im virtuellen Raum zur weltweit koordinierten Besetzung von Stadträumen überspringen ließen. Denn jeder Schritt der Bewegung hatte von Beginn an eine doppelte Präsenz – jene im Stadtraum von New York und jene in den unzähligen Online-Schauplätzen sozialer Medien, die als virtuelles Megaphon die Botschaften der Bewegung auf Twitter, YouTube und Livestream-Websites verbreiteten. Von dem am 13. Juli 2011 auf der Website des kanadischen Magazins Adbusters veröffentlichten Aufruf zur Besetzung der Wall Street6 und dem Ende August 2011 als Tumblr-Blog gestarteten Slogan »We Are the 99 Percent«7, dem am 10. September 2011 auf YouTube platzierten Anonymous-Aufruf zur »Operation Wall Street«8 und den von Millionen Menschen online mitverfolgten Szenen der brutalen Pfefferspray-Einsätze bei OccupyProtesten in New York am 24. September 20119 und auf dem Campus der University of California in Davis am 18. November 201110, bis zum millionenfach getwitterten Aufruf zu einem Global Day of Action am 15. Oktober 2011, bei dem sich in mehr als 900 Städten weltweit Occupy-Initiativen bildeten. Das Platzgreifen der Bewegung im Stadtraum ging Hand in Hand mit diesen viralen, prozessanstoßenden Kommunikationen. Infolge der gesendeten Blog-Einträge und Twitter-Feeds versammelten sich Tausende Menschen auf den Straßen, protestierten, besetzten Plätze, Parks und andere Freiräume in der Stadt und richteten sich im öffentlichen Raum auf Dauer ein. Diese vor Ort aufgebauten Lager wurden zu wichtigen Stützpunkten der lokalen Bewegungen, zur Anlaufstelle für persönliche und öffentliche Kontakte und zur internen Kommunikationsdrehscheibe für weitere Mobilisierungen im jeweiligen Stadtraum.
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V ERSAMMLUNGSLOGIKEN Die Aneignung öffentlicher und privater Stadträume durch Protestbewegungen ist Teil einer komplex strukturierten Architektur des Protests, in der ›Online‹ und ›Onsite‹ einander nicht nur strategisch ergänzen, sondern Schauplätze bilden, deren jeweiliges Zusammenspiel unterschiedliche Formen von Beteiligung, Anhängerschaft und Sympathie hervorzurufen vermag. Denken wir im Fall von Occupy an die unterschiedlichen Qualitäten von Vollversammlungen (Asambleas bzw. General Assemblies) auf Stadtplätzen, wochenlangen Übernachtungen in Zeltlagern, Diskussionen der sogenannten Spokes Councils der Bewegung, Meinungsäußerungen in Online-Foren, Stimmungsbildern auf YouTube oder Instant-Impulsen durch das Senden und Empfangen von Tweets, wird klar, dass in dieser Gesamtökologie unterschiedliche Angebote vorhanden sind, individuell an Occupy ›teilzunehmen‹. Die von jedem selbst zusammengestellten, individuellen Profile der Beteiligung produzieren eine Form von Gleichzeitigkeit, die keine unmittelbare Nähe der verschiedenen Komponenten verlangt:11 Die Bewohner der einzelnen Occupy-Camps müssen sich nicht mit den Initiatoren der Bewegung absprechen, um bei ihren lokalen Besetzungsaktionen legitimiert zu werden. Umgekehrt können lokal stattfindende Proteste durch die Berichterstattung in sozialen Medien weltweit Beachtung und Unterstützung finden, ohne von einem global orientierten Aktivismus abhängig zu sein. Auf diese Weise können sich die einzelnen Proteste auf lokale Situationen konzentrieren und dennoch wechselseitig voneinander profitieren. Sie sind alle Teil einer globalen Bewegung, ohne direkt miteinander zu kommunizieren. Diese besondere Beziehung zwischen dem Virtuellen und dem Physischen, zwischen Online-Welt und Stadtplatz, beruht, wie der Anthropologe Jeffrey S. Juris argumentiert hat, auf der Kombination von sozialen Medien mit Anhäufungs- bzw. Versammlungslogiken.12 Das zeigt sich darin, dass die elektronischen Werkzeuge sozialer Vernetzung zwar durchaus nützlich sind, um Informationen zu zirkulieren und Bewegungen im physischen Raum zu koordinieren, ihr
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wirksamster Effekt aber darin besteht, eine große Zahl von Personen an einem konkreten Ort zusammenkommen zu lassen. Hinter diesem Prozess stehen Handlungslogiken, die Personen anleiten, indem diese die Absichten, Einstellungen und Motivationen anderer in einer kollektiven Situation reflektieren, um im Abgleich mit der getroffenen Einschätzung Raum für eigenes Handeln zu entwickeln. Versammlungslogiken, wie jene der stark von sozialen Medien geprägten Occupy-Bewegung, unterscheiden sich in dieser Hinsicht deutlich von den Netzwerklogiken früherer Protestbewegungen, weil sie andere Muster sozialer Interaktion erzeugen. Anstelle der Entwicklung langfristiger und komplex strukturierter Bindungen geht es bei Logiken der Anhäufung um die Bildung kollektiver Formationen, die punktuell und kurzfristig agieren. Dies unterscheidet etwa die Proteste der Antiglobalisierungsbewegung, in denen verschiedene Aktivismus-Netzwerke zusammengebracht und gemeinsam mobilisiert wurden, von jenen der Occupy-Bewegung und anderen Protestbewegungen des frühen 21. Jahrhunderts, die mithilfe von Twitter und Facebook ein weitaus breiteres Maß an Beteiligungen erzielt haben. Niedrige Zugangsschwellen und der Gebrauch weit verbreiteter Technologien ermöglichten es, unterschiedlichste sozialer Netzwerke in diese Diskussions- und Versammlungsprozesse einzubeziehen. Ideen, Taktiken und Zielsetzungen eines Protests konnten parallel zur dynamischen Gestalt der jeweiligen Formation der Protestbewegung entwickelt werden. Physischer Raum wird von den neuen Protestbewegungen unserer Zeit daher nicht nur benötigt, um Formen direkter Demokratie zu praktizieren oder um Gelegenheit für Austausch und Zusammenarbeit zu bieten, sondern auch, um ihre stets von Auflösung bedrohte kollektive Subjektivität zu bewahren. Versammlungen im physischen Raum verdichten den mit sozialen Medien geschaffenen Sinn für Verbundenheit und Kopräsenz, indem sie Infrastrukturen schaffen, die über die virtuelle Sphäre hinausgehen; der Fortbestand von Besetzungen, physische Interaktionen und die selbstgeschaffenen Rituale der Kommunikation und Gemeinschaftsbildung in den Camps helfen die entworfene
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Subjektivität in der Folge zu stabilisieren. So verhilft die Errichtung von Protestcamps und Zeltstädten der spontanen Versammlung zu einem dauerhaften Charakter, ohne lediglich auf physische Präsenz ausgerichtet zu sein. Dass sich trotz dieser bleibenden Präsenz von Versammlungen im physischen Raum nicht alles an der territorialen Situation orientiert, zeigt schon allein der oftmals angeklagte Kommunikationsmangel von Occupy-Gruppen mit jenen, die nahe den Protestcamps selbst temporär Räume besetzt hatten und Teil der gemeinsamen Interessen zu sein schienen, seien es Obdachlose oder gesellschaftlich ausgegrenzte Minderheiten. Der deutlichste Fall dafür ist Occupy Central in Hongkong, eine der beständigsten Occupy-Initiativen, die erst Mitte Juni 2012, nach acht Monaten der Besetzung, mit Räumungsklagen bedroht wurde. Der von Occupy Central besetzte Ort ist das offene Foyer des von Norman Foster errichteten Hauptquartiers der Hong Kong and Shanghai Banking Corporation (HSBC), einem aufgrund seiner spektakulären Architektur ikonischen Bankgebäude im Stadtgebiet Central. Hier im Finanz-, Geschäfts- und Kulturzentrum von Hongkong teilte sich die Zeltstadt der OccupyBewegung seit Mitte Oktober 2011 den öffentlichen Durchgang im Erdgeschoss des Gebäudes mit Hunderten philippinischen Dienstmädchen, die dort seit Jahren jeden Sonntag zusammenkommen, um selbstgemachtes Essen zu konsumieren, sich zu unterhalten und den Nachmittag miteinander zu verbringen. In Hongkong leben mehr als 150.000 philippinische Einwanderer, von denen viele als Hausangestellte beschäftigt sind. Üblicherweise haben sie am Sonntag frei und verbringen den Tag gemeinsam im Victoria Park, auf den Plätzen rund um das Hong Kong Cultural Centre in Tsim Sha Tsui, im Erdgeschossbereich des HSBC-Gebäudes oder an anderen öffentlich-privaten Orten, wie den für Central typischen Personenstegen und Plazas. Aufgrund der Dichte der Stadt und des Mangels an großen öffentlichen Plätzen und Parks bietet sich die sonntägliche Rast in den vielen Passagen und Durchgängen des Hongkonger Finanzviertels den Hausangestellten nicht nur als eine willkommene Gelegenheit an; sie ist auch prinzipiell nötig, um in einer größe-
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ren Gruppe im städtischen Raum zusammenzukommen.13 So bietet auch der witterungsgeschützte Platz unter dem HSBC-Gebäude einen idealen Aufenthaltsort, um gemeinsam zu essen, Karten zu spielen, Dinge zu tauschen oder einfach nur miteinander zu plaudern. Nachdem aber die Occupy-Bewegung genau diesen Platz am Samstag, den 15. Oktober 2011 mit Zelten, Plakaten und Infotischen besetzt hatte, mussten sich die am darauffolgenden Tag eintreffenden philippinischen Hausangestellten an den Rändern rund um die Zeltstadt versammeln. Sie blieben auf Distanz und beobachteten aus der Ferne, wie sich die Protestierenden auf dem Platz einrichteten. Als wir selbst an einem Sonntagnachmittag eine Woche nach Beginn der Besetzung den Platz besuchten, war eine räumlich und sozial genau ausverhandelte Situation entstanden: Das Camp fand sich an zentraler Stelle neben den Rolltreppen, die hinauf ins Innere des Gebäudes führen, während sich rund um die außenliegenden Säulen des Bauwerks und an den vorbeiführenden Straßenzügen Gruppen von philippinischen Dienstmädchen temporär niedergelassen hatten. Die eine Gruppe war in rege politische Diskussionen vertieft oder mit Laptops und Smartphones beschäftigt, die andere Gruppe genoss singend und lachend den Ausklang des freien Tages. Sonntag für Sonntag fanden sich im Durchgang der Hongkonger HSBC-Bank monatelang zwei getrennte Versammlungen ein, denen es beiden darum ging, Freundschaft und Solidarität zu finden, alternative Gemeinschaften herzustellen und ihren Platz im Stadtleben zu behaupten. Im Grunde genommen decken sich die autonome Selbstorganisation und der ›stille‹ Aktivismus der philippinischen Dienstmädchen – die sonntägliche Besetzung von Stadtraum im Finanzzentrum Hongkongs für gemeinsames Essen, Spaß und Entspannung – auch mit den organisatorischen und aktivistischen Strukturen der Occupy-Bewegung. Beide Versammlungen verweigerten die Anerkennung des besetzten Raums als abstrakter Zone des Kapitals und konfrontierten ihn mit einer konkreten Gestalt von räumlicher Benutzung. Dennoch schienen sich die beiden Gruppen kaum füreinander zu interessieren, weder in der Online-Welt der sozialen Medien noch auf dem städtischen Platz, den sie sich teilten.
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So traten diese zwei Formen aktivistischer Besetzung eher in eigenwillige räumliche Konkurrenz zueinander, als einander zu verstärken. Audrea Lim, Mitherausgeberin von Verso Books in New York, hat eine ähnliche Feststellung für das Verhältnis der chinesischen Zuwanderergemeinschaft zu Occupy Wall Street getroffen.14 Sie beschreibt, wie es trotz der räumlichen Nähe der chinesischen Community zum besetzten Zuccotti Park im Stadtraum von New York im Verlauf der Besetzung keine wirklich relevanten Begegnungen beider Gruppierungen gegeben hat. Chinatown ist die letzte arm gebliebene Gemeinschaft von Einwanderern in Lower Manhattan, mit einer reichen Tradition von Selbstorganisation gegen ethnische Diskriminierung und einem beharrlichen Kampf für soziale und ökonomische Gerechtigkeit. Aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung scheint es für diese Gemeinschaft schwer nachvollziehbar, wie ein universelles Verlangen nach Gerechtigkeit und Demokratie zu Veränderungen führen kann, die bis auf ihre Ebene durchsickern würden. Umgekehrt findet sich aber auch unter den Besetzern des Zuccotti Parks keine besonders ausgeprägte Kenntnis der Lebensweise chinesischer Zuwanderer in Manhattan, geschweige denn eine besondere Nähe zu den spezifischen Anliegen der einkommensschwachen Arbeiter und Bewohner Chinatowns. Nicht zuletzt aus diesen Gründen fiel es Occupy Wall Street schwer, die Distanz zwischen beiden Gruppen zu überwinden, wenngleich ihre Anliegen durch die von Occupy geschaffene Situation erstmals füreinander sichtbar wurden. Was trotz der stadträumlichen Nähe fehlte, war ein Dialog darüber, wie sich die Interessen der Occupy-Bewegung mit jenen von Einwanderer-Communitys und anderen marginalisierten Gruppen im Stadtraum überschneiden und wie sich daraus eine ernsthafte Wechselseitigkeit von Unterstützungsaktionen entwickeln kann. Soziale Medien, deren kulturelle Logik und Stärke es ist, Menschenmassen spontan zu mobilisieren und zu versammeln, können diese Auseinandersetzung nicht leisten. In gewissem Sinne sind sie Ausdruck und Mittel der von Manuel Castells beschriebenen Verzerrungen unseres sozialen Daseins im heutigen Raum der Ströme: Damit gemeint sind Dynamiken der Verstreuung, Segmentierung und
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Zersplitterung, die zum Entstehen dicht nebeneinander liegender Parallelwelten führen, denen die Gemeinsamkeit kultureller Codes abhandengekommen ist. Auch wenn die jeweiligen Welten einander implizieren, treiben sie dennoch nebeneinander her, ohne nachhaltige Verbindungen untereinander entwickeln zu können.15 Wie die miteinander konkurrierenden ›Raumprodukte‹ von global agierenden Konzernen, Institutionen oder Religionsgemeinschaften16 bilden sie unterschiedliche Glaubenssysteme aus, die durch spezielle Lebensstile, Gemeinschaftsmodelle, Versammlungsformen, ritualisierte Handlungen und Visualisierungen gestützt und im Innenbereich des jeweiligen Systems homogenisiert werden. Soziale Medien wie Twitter und Facebook sind entscheidende technologische Mechanismen, um solche voneinander abgekoppelten Interessengruppen entlang von genau bestimmbaren Profilen zu produzieren und im Stadtraum kurzfristig sichtbar zu machen – in Form von spontanen Events, Flashmobs oder Massenkundgebungen.
A BSTR AK TE TERRITORIEN In welchem Zusammenhang stehen diese Phänomene aber mit der Zielrichtung der sogenannten neuen Protestbewegungen und mit jener von Occupy? Orientiert sich der Protest wirklich an einem Zusammenfügen von Akteuren im Stadtraum, um intensive Gefühle von Solidarität zu erzeugen und alternative Gemeinschaften zu bilden, oder richtet er sich gegen die Macht globaler Finanzspekulationen und gegen die damit zusammenhängende wachsende Ungleichheit? Kann es somit als Versagen gelten, wenn die Occupy-Bewegung in vielen der von ihr errichteten Camps nicht in der Lage war, alle Gruppen unter ein Dach zu bringen, für die sie scheinbar Verantwortung übernommen hat – Obdachlose, Einkommensschwache, Zuwanderer, psychisch kranke und auffällige Personen, marginalisierte Minderheiten und andere gefährdete Gruppen? Oder sollte sie eher danach beurteilt werden, wie sehr sie es geschafft hat, den Glauben an die Unumgänglichkeit deregulierter Kapitalströme nachhal-
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tig zu brechen und ein Umdenken in Hinblick auf das spekulative Treiben von Banken und Kapitalfonds herbeizuführen? Dass diese beiden Richtmaße so weit auseinanderliegen, zeugt von der Diskrepanz zwischen den in virtuellen Ökonomien geschaffenen Werten und den sozialen Realitäten, die diesen Werten als Referenzmittel dienen. Es zeugt aber auch davon, wie sehr die Verwendung sozialer Netzwerktechnologien in den neuen Protestbewegungen der Gegenwart bereits selbst ein Spiegelbild der globalen Ungleichheiten ist, gegen die sich der Protest richtet. Für die von der Globalisierung des Kapitals Ausgestoßenen Sorge zu tragen und sie in ein separat bewirtschaftetes Subsistenzsystem – im bildlichen Sinne in ein Schutz bietendes Zeltlager in der von Ungeistern besetzten Stadt – zu integrieren, würde für die Occupy-Bewegung bedeuten, genau jene Rolle zu übernehmen, die zuvor staatlichen Apparaten und anderen gesellschaftlichen Institutionen, von der Kirche bis zur Kunstwelt, zugeschoben wurde: die Folgen künstlicher Finanzprodukte, fauler Aktien und betrügerischer Börsenmanöver auszugleichen und die damit einhergehenden sozialen Konflikte zu lösen. Obdachlosigkeit und Ausschluss aus den normativen Bezugssystemen der neoliberalen Gesellschaft sind aber die Symptome des Versagens einer immer mehr auf spekulative Gewinne setzenden Weltwirtschaft und können daher nicht jenen zur Last gelegt werden, deren Engagement sich gegen dieses Treiben richtet.17 Das ›Randgruppen-Problem‹ der Occupy-Camps ist anders gesagt nicht ein Problem der Protestbewegung selbst, sondern eines des ökonomischen Systems, gegen das sich Occupy so wie viele andere Bewegungen unserer Zeit wendet. Ähnlich verhält es sich im Streit um die fortschreitende Transformation sozialen Raums in ein abstraktes Territorium – in Hinblick auf die Produktion städtischer Räume, die lediglich dem Zweck dienen, das in sie investierte Kapital aufzuwerten. Denken wir an die betont unwirtliche Gestaltung urbaner Plätze in der Nähe von Finanzzentren, etwa an jene von Londons Canary Wharf oder die des New Yorker Zuccotti Parks, oder denken wir an die räumliche Inszenierung von rein spekulativen Werten in vielen Urlaubsdestinatio-
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nen während des bis 2007 anhaltenden Immobilienbooms – keiner der so geschaffenen Räume sollte soziales Zusammensein verbessern oder utopische Gesellschaftsmodelle ermöglichen helfen. Erst im Zuge von Aneignungen und Besetzungen konnten diese Räume eine gesellschaftlich produktive Funktion als Arena für öffentliches Zusammenkommen und demokratische Willensäußerung erlangen. Das Problem wurde aber auch hier der Besetzung zugeschoben, indem die Behörden oftmals bestürzt auf die entstandene ›Unordnung‹ reagierten und Bedenken in Hinblick auf die Einhaltung der öffentlichen Hygiene anmeldeten. Als Mittel gegen die empfundene ›Verschmutzung‹ und ›Kontaminierung‹ wurden Reinigung und Abstraktion eingesetzt. Die durchgeführten Säuberungsmaßnahmen verwandelten so die betroffenen Plätze rasch wieder in Orte, deren Kapitalwert sich, wie in der Metropolenpolitik der neoliberalen Stadt gewohnt, mit der zunehmenden Abstraktion von Erfahrung erhöht. Die Erfahrung von Abstraktion ist aber wiederum die Sphäre, in der die Protestaktionen im Stadtraum zuhause sind. Der Protest ist dieser Erfahrung immer ausgesetzt und muss sich damit gegen seine eigene Kondition wenden: gegen die Abstraktion der am Protest beteiligten 99 % der Gesellschaft zu geläufigen Schablonen gesellschaftlicher Akteure, gegen die Abstraktion der Protestcamps zur Staffage für coole Werbeaufnahmen, gegen die Abstraktion der öffentlichen Auseinandersetzung zu einer schicken jugendlichen Posse und schließlich gegen die Reduktion des Protests auf Zielsetzungen, die mit der dominanten Sprache ökonomischer Macht kompatibel sind. Wichtig zu verstehen ist dabei, dass das Camp in dieser Erfahrung, gleichgültig, wie gut es organisiert ist, keine schützenden Grenzen bieten kann. Denn die Erfahrung der Abstraktion wird durch die Akteure der Camps selbst wirksam – in ihren Einstellungen, in ihrem Verhalten, in ihren Handlungen und Interaktionen und in ihrer dauerhaften städtischen Präsenz. Viele Protestcamps der Occupy-Bewegung, die über Monate hinweg Plätze oder Grünzonen besetzt hielten, gerieten in Gefahr, als skurriles und zugleich überflüssiges Inventar im Stadtraum wahrgenommen zu werden,
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ähnlich einer Wanderbühne, die nach dem Ende ihrer Tourneevorstellung versehentlich nicht weitergezogen ist. Ginge es bei den Besetzungen nicht immer auch um öffentliches Image, die Klärung von Besitzfragen und alternative Nutzungsansprüche des besetzten Geländes, wären diese Camps vermutlich nie geräumt worden. So stellt sich die Frage, wie der zunehmenden Abstraktion von stadträumlich manifestem Protest begegnet werden kann, wenn die Besetzung physischen Raums dem Protest doch zugleich die Möglichkeit eröffnet, die Flüchtigkeit des rein spontanen Versammelns aufzugeben, eine dauerhafte kollektive Gestalt zu entwickeln und nachhaltig wirksam zu werden. Um diese Frage zu diskutieren, müssen wir unsere Blickrichtung ein wenig ändern: Nicht das nach anarchistischen Anleitungen formalisierte Experiment direkter Demokratie, der Aufbau alternativer Gemeinschaftsformen oder das kollektive Campieren auf öffentlichen Plätzen, sondern die Inanspruchnahme von Zeit – jenes abstrakt quantifizierbaren Faktors, den es braucht, um ökonomische Prozesse zu steuern, von Kursveränderungen profitieren und finanzielle Gewinne erzielen zu können – stellt die effektivste Intervention in den Rhythmen der physischen Stadt und in den Strömungen von Online-Welten dar. Der wirkliche Eingriff in die virtuelle Ökonomie der unregulierten Finanzmärkte, gegen die sich Occupy Wall Street richtet, ist die Besetzung von Zeit, die der Spekulation mit fiktiven ökonomischen Werten entzogen wird, um andere Aufmerksamkeiten zu erzeugen. Bei einem Eingriff dieser Art stellt die weltweite Sichtbarkeit des ›Platzgreifens‹ einer Idee etwas dar, an dem sich das gewohnte Denken neu zu orientieren beginnen kann. So wie traditionelle Arbeitsniederlegungen in besetzten Fabriken dadurch wirksam werden, indem sie die Produktion von Gütern für eine bestimmte Zeitdauer stilllegen, unterbrechen die mit sozialen Medien koordinierten Stadtraum-Besetzungen die immaterielle Produktion der postindustriellen Ökonomie, indem sie die in zahlreicher Wissensarbeit weltweit produzierten Gedanken in andere Bahnen lenken. Dieser plötzliche Umschwung unterbricht die vorhandene zeitliche Ordnung und bietet eine Alternative zu je-
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ner Zeit, die der beschleunigten Produktion kapitalistischer Werte gewidmet war. Ähnlich dem Geschehen an der Börse, wo Aktienkurse weniger von der tatsächlichen Leistung eines Unternehmens abhängig sind, als von der Selbstdarstellung des Gewinns, orientieren sich auch bei Occupy die öffentlichen Wertzuweisungen an der fortlaufenden Repräsentation des Protests sowie an Prognosen über seine zukünftige Performance.18 Die immer wiederkehrende Frage danach, wie es mit den Protesten weitergehen wird, hat in diesem Licht einen interessanten doppelten Charakter: Zum einen meint sie die tatsächliche Ausübung des Protests, also das Durchhaltevermögen der Besetzer, das Verschwinden vieler Protestcamps oder das Entstehen neuer Protestformen; zum anderen bezieht sie sich aber auch direkt auf die wahrgenommene Anziehungskraft der Protestbewegung, also auf die symbolische Ökonomie, die den Protest aufrechterhält und sichert. Zeitliche und räumliche Barrikaden, symbolische und physische Besetzungen wirken so als die aufeinander referierenden Schauplätze einer kollektiven Kraft, die jeweils einen Schauplatz benutzt, um den anderen zu stärken. Besonders in der Zeit rund um die Räumung vieler Camps der Occupy-Bewegung zeigten sich diese verlagerten Effekte: Konzentrierte sich die öffentliche Diskussion unmittelbar vor der Räumung der Camps auf die ›besorgniserregende‹ territoriale Situation der Besetzung, wurden die aus den Stadträumen verschwundenen Camps bereits kurz nach der Räumung als physische Verkörperung einer virtuellen Menge von Individuen angesprochen, deren stadträumliche Präsenz deaktiviert ist. Aus dem Stadtraum verdrängt zu werden, bedeutete für die Occupy-Bewegung also nicht nur einen Verlust an unmittelbarer Sichtbarkeit, sondern oft auch einen Zugewinn an Sympathie und Anhängerschaft und damit verbunden eine nachhaltige Vergrößerung ihres Wirkungsbereichs durch voranschreitende Netzwerkbildungen im virtuellen Raum. Dafür sorgen nicht zuletzt die vielen Online-Instrumente, Foren, Initiativen und die über Blogs und soziale Medien gut vernetzten Arbeitsgruppen der Occupy-Bewegung, die das statische Bild von be-
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setztem Raum durch eine neue Komplexität ersetzen und nachhaltige Strukturen jenseits der konventionellen Trennung von On- und Offline-Welten schaffen. Ein Teil dieser Entwicklung ist die globale Vernetzung von Akteuren über Webplattformen wie InterOccupy, OccupyTogether oder Occupy with Art.19 Die Initiative InterOccupy fördert die weltweite Kommunikation zwischen Personen, Arbeitsgruppen und lokalen Versammlungen der Occupy-Bewegung, indem die Website sowohl als Informationskanal für das weltweite Protestgeschehen dient als auch Konferenzgespräche von bis zu 500 Personen moderiert. Einen ähnlichen Zweck erfüllt die im Herbst 2011 von Occupy selbst ins Leben gerufene Alternative zu Facebook und anderen sozialen Medien OCCUPII, eine Webplattform, die Foren, Chats, uStream und Livestream-Kanäle, BlogRadio, Videos, weltweite Roundtables und Ideenbörsen rund um Occupy anbietet.20 Als Reaktion auf die Einschränkungen von Occupy-Kommunikationen durch Anbieter wie Yahoo oder Google entstanden, ermöglichen solche selbst geschaffenen Medien eine weitgehend unkontrollierte und breit gestreute Teilnahme an jenem politischen Veränderungsprozess, den Occupy ausgelöst hat. Uneingeweihten bieten sie einen Einstieg in die Mannigfaltigkeit und Innovationskraft der Protestformen, mit denen Occupy bisher in Erscheinung getreten ist – von Occupy Wall Streets leitbildgebender Rolle über Occupy Oaklands unbeugsamer Radikalität21 bis zu den vielen Eigenarten der OccupyBewegung in Städten wie Berlin, Hongkong, Toronto, Zagreb oder Lagos. So hat die Besetzung von zahlreichen konkreten Stadträumen die Voraussetzung dafür geschaffen, dass völlig neue Kanäle und Möglichkeiten der digitalen Informationsverbreitung, Interaktion und Koordination von Protestteilnehmern entstanden sind. Je mehr Zeltlager verschwanden, umso mehr zeigten sich diese paradoxen Effekte der physischen Besetzung.
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6 Initiative Kunst Eingriffe, Aufführungen, Archivierungen Die wirkliche Demokratisierung bemisst sich stets an diesem essentiellen Kriterium: an der Partizipation am und dem Zugang zum Archiv, zu seiner Konstitution und zu seiner Interpretation. Jacques Derrida1
K UNST DER K OMPLIZENSCHAF T Another World is Possible lautete der offensive Titel des zweiten USamerikanischen Sozialforums, das im Juni 2010 in Detroit stattfand, in einer Stadt mit einer langen Tradition von Aktivismus, Arbeitskämpfen, Nischenkulturen und Raumbesetzungen. Ziel des US-amerikanischen Sozialforums ist die Bildung einer starken zivilgesellschaftlichen Bewegung, um in die ökonomische und ökologische Krise unserer Zeit grundlegend eingreifen zu können. Dementsprechend breit sind auch die Allianzen, die bei diesen mehrtägigen Events gebildet werden und von politisch engagierten Individuen und Kooperativen bis hin zu aktivistischen Organisationen und Kunstkollektiven reichen. Eine der Gruppen, die sich am zweiten US-amerikanischen Sozialforum beteiligte, waren And And And, eine Kunstinitiative, die mit einer Reihe an Interventionen im Vorfeld der Documenta 13 auszuloten versuchte, welche Rolle Kunst und Kultur angesichts der heutigen politischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen spielen können und welche neue Öf-
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fentlichkeiten sich rund um dieses Gefüge entwickeln. Wann und auf welche Weise treffen künstlerische Initiativen mit sozialen Bewegungen zusammen und welche Verbindungen können aus diesem Zusammentreffen entstehen? Wie kann das forschende und kreative Schaffen, das sich im gemeinsamen Ringen entwickelt, längerfristig Relevanz behalten? Und in welcher Beziehung stehen hier Kunst, soziale Institutionen und politisches Engagement? Für das US-amerikanische Sozialforum in Detroit hatten And And And die Gruppe 16 Beaver aus New York eingeladen, die erste Veranstaltung zur Documenta 13 zu gestalten. 16 Beaver wurde nicht zufällig ins Boot geholt, um in öffentlichem Rahmen über die Zusammenhänge von kulturellen Praxen und politischen Bewegungen nachzudenken, noch dazu, wo es um einen Rahmen ging, der eine der bedeutsamsten Kunstausstellungen der Gegenwart mit einer der weitreichendsten sozialen Bewegungen unserer Zeit zusammenführen sollte. Als ein von Kunstschaffenden initiierter Diskursraum nahe der New Yorker Wall Street gilt 16 Beaver schon seit Längerem als wichtiger Knotenpunkt für nichtinstitutionellen internationalen Austausch und politische Diskursbildung. Prominent besetzte Seminare, informelle Gesprächsrunden, Protestkundgebungen, Filmabende, Leserunden und spontaner Austausch zu aktuellen politischen, künstlerischen und ökonomischen Fragen gehören gleichberechtigt zu den Aktivitäten dieses Raums. Im Geist dieses Zugangs zu politischer und künstlerischer Kommunikation bestand der für das zweite US-amerikanische Sozialforum entwickelte Beitrag in der Organisation einer offenen Debatte über das Potenzial von Kunst in der Entwicklung von sozialen Bewegungen und über die Beziehungen zwischen kultureller und künstlerischer Arbeit, Institutionen und politischer Auseinandersetzung. Diese Diskussionen sollten später, im Sommer 2011, in den Räumlichkeiten im vierten Stockwerk von 16 Beaver Street ihre Fortsetzung finden: Künstler, Aktivisten, Studenten und Organisatoren aus New York, aber auch federführende Personen der aktuellen Protestbewegungen in Europa und Beteiligte des Arabischen Frühlings kamen hier in mehreren Treffen zusammen, um über Möglichkeiten nachzudenken, wie sich eine weltweite
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Bewegung bilden lässt.2 Der Bogen der bei diesen Treffen Anwesenden spannte sich von Protestteilnehmern aus Kairo, Athen und Madrid bis hin zu Studierenden und Gewerkschaftsaktivisten der New Yorkers Against Budget Cuts, die gerade erst Bloombergville errichtet hatten – ein mehrwöchiges Protestlager direkt vor dem New Yorker Rathaus. Gemeinsam entwickelten sie Pläne, wie sich die dauerhafte Besetzung eines öffentlichen Platzes mitten im Zentrum New Yorks organisieren lässt. 16 Beaver wurde so nicht nur zu einer wichtigen Triebfeder für Occupy Wall Street, sondern auch maßgebend für konkrete Formen der Überschneidung von künstlerischer Kreativität und politischem Engagement innerhalb der sich weltweit entwickelnden Occupy-Bewegung. Als wir selbst einige Zeit zuvor 16 Beaver für ein Treffen aufgesucht hatten, war bereits klar, dass die Lage dieses Raums mitten im Finanzviertel New Yorks ein hohes Maß an Sprengkraft in sich birgt. Der Kontrast zwischen den geschäftigen Markttransaktionen des Finanzkapitals und der kooperativen Produktion von Gegenwelten eines unautorisierten Kunstraums könnte nicht stärker sein als hier in direkter Nähe zur Wall Street. Denn was in diesem speziellen Milieu so sehr irritiert, ist die Existenz eines Treffpunkts außerhalb der an Gewinn und Karriere orientierten Normen, die sonst diesen Raum bestimmen. Als stadträumliche Enklave im vierten Stockwerk eines Gebäudes in einer durch und durch dem Handel immaterieller Güter gewidmeten Umgebung betreibt die Gruppe 16 Beaver Produktion und Tausch alternativer symbolischer Werte. Mit einer einzigartigen Form von spontaner Kommunikation und Versammlung entwickelte sie sich rasch zur globalen Drehscheibe künstlerischer Gegenkultur. Jedes kleine Treffen und jede Arbeitssitzung, die hier abseits der ehrgeizigen Bemühungen institutioneller Kultureliten stattfindet, birgt so in sich ein Moment der Verdichtung jener selbstgesteuerten Prozesse, die zur Formierung einer global verteilen Öffentlichkeit und eines neuartigen Gefühls von öffentlichem Raum heute führen.3 Vieles davon lässt an Rosalyn Deutsches einflussreiche Arbeit zur räumlichen und ästhetischen Politik der Gentrifizierung im New York der 1970er und 1980er Jahre und an die Rolle
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künstlerischer Präsenz als ökonomischer Motor dieser klassenorientierten Veränderung des Stadtraums denken.4 Aber hier, im Herzen des New Yorker Finanzviertels, scheint eine unerschütterliche Resilienz vorhanden zu sein, die davon abhält von diesem Potenzial tatsächlich Gebrauch zu machen. Denn die hier verhandelten immateriellen Güter liegen so weit entfernt vom Gedanken, Kunst für eine gewinnbringende Neuinterpretation des urbanen Raums einzusetzen, dass die kulturbewusst-gebildete Mittelschicht – Richard Floridas Creative Class – einmal nicht als Komplize urbaner Eliten in Betracht gezogen wird. Und auch der Stadtraum selbst ist in diesem Zentrum der Finanzmacht so weit abstrahiert, dass seine räumliche Konkretheit kaum über das routinierte Verrichten der Geschäfte von Bankern, Börsenspekulanten und Finanziers hinausgeht. Diese lebensweltlich abgeflachte Umgebung bietet also ungewollt Schutz vor Vereinnahmung und ist gleichzeitig doch eine unübersehbare Provokation, ein Stachel im Fleisch des menschlichen Kapitals. Allein der Konflikt, den diese spezielle Situation stadträumlich darstellt, legt nahe, dass die Art und Weise, wie Kunst als ein wesentlicher Teil der Occupy-Bewegung auftritt und wie sich die OccupyBewegung selbst wiederum zu den bestehenden Institutionen des Kunstbetriebs verhält, nicht aus den sich wandelnden Bedingungen künstlerischer Tätigkeit allein hergeleitet werden kann. Die bestehende Tendenz, einfach nur die spezifischen sozialen und institutionellen Determinanten von Museen und Kunsträumen auf Situationen zu übertragen, in denen kollaborative und aktivistische Kunstpraxen in den Stadtraum eingreifen, verschleiert die unterschiedlichen Interessenlagen, Erfahrungsdimensionen und Handlungsrepertoires, die in der Gestaltung urbaner Lebenszusammenhänge im Spiel sind.5 Nicht zuletzt verunklärt eine solche Herangehensweise an die neuen Allianzen von Kunst, Protest, Institution und Aktivismus im urbanen Gefüge auch die unterschiedlichen Handlungspotenziale, mit denen künstlerische Tätigkeit in den Stadtraum eingreift. Gerade der Umstand, dass im Zentrum der Occupy-Bewegung die Besetzung von konkretem Stadtraum steht, regt an, bei einer Diskussion der aktuellen Beziehung von Kunst und urbanen Bewegungen
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zunächst darüber nachzudenken, wie stadträumliche und künstlerische Milieus heute ineinandergreifen und einander wechselseitig konstituieren. Die Verstrickung der Occupy-Bewegung als dezidiert urbane Protestform mit künstlerischem Schaffen lässt sich in dieser Weise als Ausdruck jener Spannung begreifen, die aus der aktuellen Beziehung von kreativen Kräften und der Stadt, die diese Kräfte gezielt in Anspruch nimmt oder aber bewusst ignoriert, erwächst. In ihrer Auseinandersetzung mit der Occupy-Bewegung hat Martha Rosler darauf hingewiesen, dass sich mit dem Wiedererstarken des Interesses am urbanen Lebensstil in den USA der 1970er Jahre eine dauerhafte Komplizenschaft von Kunst, Geschäftsleben und Stadtregierung entwickelt hat, deren Auswüchse sich nun in einer durchgängigen institutionellen Einbindung von Kunst in Bereiche des sozialen Managements zeigen. Dies beginne bei Aufrufen von Stadtbehörden und elitären Institutionen zu kreativen Entwürfen für eine innovative, lebensfrohe Stadt und ende bei spezialisierter Kunstausbildung in neuen Berufssparten wie »soziale Kreativpraxis«, »öffentliche und communityorientierte Praxis« oder »urbaner Aktivismus«.6 Die Professionalisierung und Institutionalisierung des Zugangs von Kunst zu urbanen Schauplätzen und insbesondere zur damit verbundenen Frage des Sozialen hat zu einer problematischen Einbettung künstlerischer Tätigkeit in einen umfassenden Regierungsapparat mit vielen fein verästelten Nebensträngen geführt. Während Kunst in den Gentrifizierungswellen der 1970er und 1980er Jahre noch einen großteils unangeleiteten und unvermittelten Einfluss auf Stadtteile wie New Yorks Soho oder East Village ausgeübt hat, ist sie heute oft Teil von Programmentwürfen, die als Vermittler auftreten und vorgeben, welches Stadtgebiet mit künstlerischer Kreativität überzogen werden soll, sei es in den Stadterneuerungsplänen von Regierungsstellen, in den mit öffentlichen Geldern geförderten Projekten von Architektur- und Kunstinstituten oder in den neuerdings immer stärker marktorientierten Masterstudienprogrammen der Kunstakademien. Derart geregelte künstlerische Kreativität greift nicht mehr direkt in den Stadtraum ein, sondern nur noch dann, wenn ein autorisierter Appell vorliegt und eine
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entsprechende Förderschiene vorhanden ist, mit der sich nicht nur etwaige Ausgaben, sondern auch der eigene Lebensunterhalt finanzieren lässt. Der künstlerischen Interventionen offene Stadtraum hat sich dadurch zunehmend zu einem professionellen Betätigungsort für eine selbstbewusste, künstlerisch-kreative Schicht gewandelt, die zugleich Teil jener jungen, gebildeten Mittelklasse ist, die Florida als ›superkreativen Kern‹ der Kreativen Klasse identifiziert hat – Wissenschaftler, Designer, Unternehmer, Lehrende oder eben auch Künstler. Die Professionalisierung der Dienste dieser Schicht hat innerhalb des kollektiven Selbstverständnisses dieser Gruppe freilich in den letzten Jahren auch dazu geführt, die Stadt immer mehr als eigenen Anspruchsort zu sehen, als Ort der zivilgesellschaftlichen Einmischung und der Inszenierung von Lebensstilen, die zwar in großen Zügen den Ritualen der Kommodifizierung städtischer Umwelt verpflichtet sein mögen, in letzter Konsequenz aber nicht immer dem entsprechen, was sich die Nutznießer der kreativen Innovatoren als urbane Hintergrundkulisse vorstellen. Was Florida in seiner Theorie der Kreativen Klasse nämlich übersehen hat, so argumentiert Rosler, ist die Fähigkeit der Akteure, in den vorgedachten Szenarien urbaner Transformation selbstbestimmt zu handeln.7 Und diese Handlungsfähigkeit kommt vor allem in Zeiten andauernder ökonomischer Krise zum Tragen, wo das Schmuckwerk rund um den Servicebetrieb der Kreativindustrie zu dürr geworden ist, um ungleiche Entfaltungsmöglichkeiten und Chancenarmut zu überdecken. Das theoretische Modell der Kreativen Klasse scheitert hier genau an jenem Punkt, auf den seine Allmacht zu beruhen schien: in der illusorischen Annahme einer einzig gültigen Perspektive – der umfassenden Weltsicht kapitalistischer Ideenbildung – auf das, wie sich städtisches Leben mithilfe kreativer Innovation entfalten soll und wie alle Einzelhandlungen dem Geist des Gesamtunternehmens zu entsprechen haben. Die Innovation künstlerischer Vorstellungskraft lässt sich durch derlei intellektuelle Engführung aber nicht davon abbringen, Zonen des Widerspruchs zu artikulieren und den Stadtraum mit dissidenten
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Entwürfen zu konfrontieren, ungeachtet der geforderten Anwendbarkeit von erfinderischen Fähigkeiten zum Vorteil einer wohlhabenden Schicht. Kunst trägt in sich das Verlangen, in die Geschichte eingreifen zu können – uninstruiert einzugreifen in das, was geschieht, und in dieser Hinsicht eine autonome Politik zu betreiben. Kunst agiert, wie Jacques Rancière festgestellt hat, also nicht für die Politik, sondern im Rahmen ihrer eigenen Politik, die darin besteht, Wirklichkeit neu zu fassen.8 Die Fiktionen, die Kunst dazu entwirft, setzen neue Bezüge zwischen dem Wahrnehmbaren und dessen Bedeutung, Schein und Wirklichkeit, Einzelnem und Gemeinsamem.9 Indem Kunst eine neue Ordnung des Sinnlichen herzustellen versucht, verändert sie die Dramaturgie, in der Dinge in Erscheinung treten. Damit gemeint sind nicht einfach nur erfundene Geschichten, nicht nur Ideen innerhalb der vorgegebenen institutionellen Schablonen, sondern ein Neudenken der Parameter, an denen sich unsere Erfahrung orientiert. Die Frage nach der Fiktion ist, so Rancière, zunächst eine Frage nach der Verteilung von Orten.10 Dies wird deutlich, wenn künstlerische Praxis die vorhandene Anordnung von Identitäten, Tätigkeiten und Räumen durcheinanderbringt und dadurch die Erfahrungsgewohnheiten, Zugangscodes und Sichtbarkeitsformen von Orten hinterfragt. Dass es sich bei solchen Orte heute vermehrt um öffentliche Plätze, Grenzgebiete, Stadtbrachen oder andere Übergangsräume handelt, ist angesichts der aktuellen Konzentration von Fragen der Macht und kollektiven Inanspruchnahme an diesen Orten wenig überraschend.11 Wenngleich das Modell der kreativen Stadt Kunst nicht in diesem Sinne versteht, hat es dennoch in den letzten Jahren Kunst als ein populäres Motiv der urbanen Beteiligung etabliert und dadurch ein vergrößertes Publikum für künstlerische Aktivitäten geschaffen. Diese vermehrte Aufmerksamkeit gegenüber Kunst hat zu einer wechselseitigen Sichtbarkeit von Künstlern und anderen ökonomisch benachteiligten Gruppen aus unterschiedlichen Bildungsschichten im Stadtraum geführt. Ging es im Credo der kreativen Stadt um das Schaffen eines klassenlosen Wirgefühls im Dienst der erfolgreichen Mittelschicht, lässt sich diese Erfahrung urbanen Zu-
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sammenschlusses in den heutigen Protestbewegungen nun ebenfalls mittels Kunst aktivieren, um gemeinsam politischen Dissens auszudrücken. Curricula an Universitäten und Hochschulen sprechen nicht umsonst von übertragbaren Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnissen, die ein Studium vermitteln soll. Ganz im Sinne dieses Gedankens können die technologischen Werkzeuge der Kreativen Klasse, die an den Universitäten gelehrten kritischen Diskurse und die professionelle Erfahrung mit Branding, Performance und Gestaltung auch in Allianz mit Graswurzelaktivisten und anderen Gruppen benutzt werden, um Stadtraum eigenmächtig zu besetzen. Die radikale Unbestimmbarkeit dieses Handlungspotenzials zeigt sich also bezeichnenderweise gerade am Punkt der Anwendung des komplex strukturierten Rüstzeugs der als Kreative Klasse bezeichneten demographischen Gruppe, die gemeinsam mit anderen politisch und künstlerisch kreativen Kräften die Occupy-Bewegung in Gang gesetzt und strategisch aktiviert hat. Hier, auf der Ebene der konkreten räumlichen Praxis, überschneiden sich der Raum, den künstlerische Produktion entwirft, und der Raum, in dem sie stattfindet. Dieses Zusammentreffen ist gerade im Fall der Occupy-Bewegung häufig Anlass kontroverser Einschätzungen zu den Qualitäten künstlerischer Äußerungen, die rund um die Besetzung öffentlicher Räume entstanden sind, und zugleich Nährstoff einer prinzipiellen Skepsis gegenüber der Ästhetik des Protests. Dass es dabei um verschiedene Ebenen geht, auf denen Kunst in Erscheinung treten und Effekte erzeugen kann, wird meist unterschlagen. Da sind zum einen die direkten künstlerischen Beiträge zu den Besetzungen – von Plakatsujets prominenter Künstler wie Shepard Fairey, dem Urheber des ikonischen Hope-Posters für Barack Obamas Präsidentschaftskampagne im Jahr 2008, Colin Smiths ikonischem Tortendiagramm-Poster Occupy Everything und Banksys übergroßem Monopoly-Spielbrett mit einem um Almosen bittenden Rich Uncle Pennybag im OccupyCamp vor der Londoner St.-Pauls-Kathedrale, bis zur weitgehend anonymen Gestaltung von Schildern, Transparenten, Zelten oder Kleidungsstücken und zu den unzähligen Performances, Videos, Essays, Anekdoten und Klangkompositionen, die im Rahmen von Occupy
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produziert wurden. Zum anderen spielen hier auch die verschiedenen Formen und Prozesse eine Rolle, die entwickelt wurden, um die Organisation des Protests selbst zu modellieren, darunter die Sprechchortaktik des »menschlichen Mikrofons« (Human Mic), die rituelle Konsensfindung im Rahmen von Vollversammlungen (General Assembly/Asamblea) oder die prinzipielle Intervention, die darin besteht, jenseits des von der Regierungspolitik vorgegebenen Rahmens eine öffentlich-politische Sphäre zu erzeugen. In dieser Hinsicht fällt es nicht schwer, die verschiedenen Besetzungen der Occupy-Bewegung selbst auch als großmaßstäblich angelegte Werke einer Prozesskunst zu sehen, an der Tausende Menschen beteiligt sind. Dies wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die vielen künstlerischen Interventionen, Beiträge und Performances an verschiedenen Schauplätzen der Occupy-Bewegung zur ästhetischen Form der Besetzung selbst stehen, zur weltweiten Besetzung öffentlichen Raums und zu den Dialogen, Netzwerken, Ritualen, Bildwelten und Kommunikationsformen, die dazu entwickelt wurden. Bei Letzterer geht es um die gesamte Architektur des Protests als künstlerisches Werk, dessen Interaktion mit anderen Werken, Plattformen und kuratorischen Bestrebungen des Kunstbetriebs nun wie kaum je zuvor im Brennpunkt steht. Keine ernstzunehmende Kunstbiennale und kein internationales Kulturevent im Jahr 2012, die nicht irgendeine Ausdrucksform von Protest in ihre Programmgestaltung aufgenommen hätten: Demonstrationszüge, Kundgebungen, Aufstände, Besetzungen, Camps. »Occupy geht immer«, titelte die Süddeutsche denn auch im April 2012 einen Bericht zur damals anlaufenden Berlin Biennale, in dem die Nähe zwischen der symbolischen Besetzung durch die Occupy-Bewegung und pathetischem Kitsch sondiert wird.12
Ä STHE TIK DES P ROTESTS Es herrscht eine ästhetische Affinität zwischen vieler der auf dem Tumblr-Blog We Are the 99 Percent geposteten Bekenntnisse persönli-
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cher Miseren mit den von Straßenbettlern bekannten Bittstellungen um milde Gaben: mit der Hand auf Zetteln geschriebene Beichten eines besonders schweren Schicksals, mehr oder weniger schützend vor den betroffenen Körper gehalten.13 Während die reine Sammlung dieser Zeugnisse, das Archiv, selbst noch nicht notwendigerweise einen Akt des Widerstands formuliert, markiert dieses exponierte Leiden auch Sprechakte eines neuen Selbstverständnisses. Die Grenze wird nicht mehr zwischen der Masse an normalen Bürgern und einem asozialen Rand gezogen, sondern zwischen allen 99 Prozent der von ökonomischer Beschleunigung Betroffenen und einem profitschöpfenden oberen 1 Prozent. Obdachlose und Akademiker sitzen so im gleichen Boot – ein sinnstiftendes, ästhetisch unterstütztes Neuarrangieren von Zusammengehörigkeit, das im realen Raum der Occupy-Camps konfliktreich erfahren wird. Ähnlich verhält es sich im Fall von Mark di Suveros 20 Meter hoher Metallskulptur Joie de Vivre, die sich nahe des Broadways am östlichen Ende des Zuccotti Parks befindet. In Gestalt zweier ineinander gesteckter Tetraeder erfüllte diese hoch aufragende, minimalistische Figur einige Zeit zuvor bereits andernorts, nämlich am Eingang des Holland Tunnels, die Aufgabe, den Stadtraum dekorativ zu markieren. Seit 2006 schmückt sie nun den Zuccotti Park, wo sie zu Beginn der Besetzung meist nur als »schräges rotes Ding« wahrgenommen wurde. Im Schatten dieser Ignoranz begann sich der Charakter der Skulptur aber rasch von der rein formal orientierten konservativ-modernistischen Ästhetik zu einem Symbol politischen Protests zu wandeln. Das lag weniger an der biomorphen Gestalt der Figur selbst als an der Art und Weise, wie sie in der Frühphase der Besetzung spontan einer ganzen Reihe von Nutzungen zugeführt wurde: Manche der Besetzer klebten Zettel, Flugblätter und Plakate auf die Metallstangen, andere verwendeten sie als Treffpunkt für Events oder als Hintergrundkulisse für Reden, und wiederum andere kletterten die Beine der Skulptur hoch, um eine bessere Sicht auf das Geschehen bei den Vollversammlungen zu haben. Was diese Bedeutungsverschiebung am meisten verstärkte, so Yates McKee in ihrem Aufsatz zur Verschneidung von di Suveros
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Joie de Vivre mit Occupy Wall Street, ist die Dekonstruktion der vertikalen, unverrückbaren Monumentalität der Skulptur durch die unzähligen Fotoaufnahmen der Besetzung, die auf Websites hochgeladen wurden und im Internet zirkulieren. Auf vielen dieser Fotos sind Fragmente von di Suveros Skulptur zu sehen – Stangen, Balken, Knotenpunkte – ohne wirklich Gegenstand der Aufnahmen zu sein. So ist Joie de Vivre heute eines der meistphotographierten Werke moderner Kunst. Als »optisches Unbewusstes« der Besetzung markieren diese Bilder die Transformation des Platzes von Zuccotti Park in Liberty Square.14 Mehr noch aber ist Joie de Vivre eine jener künstlerischen Äußerungen der Occupy-Bewegung, die unbeabsichtigt und erst in Verbindung mit äußeren Kräften thematisiert haben, was Kunst im Stadtraum möglich macht und was sie unterbindet, welche Begegnungen mit ihr gefällig und welche unerwünscht sind, was zu schützen ist und was des Schutzes entbehrt. Denn Ende Oktober 2011 wurde die Skulptur von Polizeikräften mit Gitterzäunen abgeschirmt und rund um die Uhr bewacht, um etwaige Verunstaltungen oder Beschädigungen des Kunstwerks zu verhindern. Auf der Absperrung waren Aufschriften des Metropolitan Museum of Art zu lesen, die Joie de Vivre als schützenswertes Objekt ausweisen. Dieser institutionelle Eingriff von Museum, Stadtverwaltung und Polizei zum ›Schutz‹ der Kunst macht den Rahmen deutlich, in dem die gebotene Erfahrung von Kunst im öffentlichen Raum stattfinden soll. Er macht umgekehrt auch deutlich, welcher Dimension von künstlerischer Äußerung institutioneller Schutz entsagt wird. Die Auseinandersetzung um di Suveros Joie de Vivre legt also den Konflikt offen, der zwischen verschiedenen ästhetischen Erfahrungswelten und den damit verbundenen Inanspruchnahmen der Stadt besteht. So wie der Zustand der Obdachlosigkeit – der Ausschluss aus den angepriesenen gesellschaftlichen Sicherheitsversprechen wie Bildung, Arbeit oder Wohnungseigentum – erst durch die Ankunft der nominell Obdachlosen im Occupy-Lager als gemeinsamer Rahmen der Besetzung erfahren werden konnte, bringt auch der um Joie de Vivre entstandene Konflikt das zutage, was Rancière als die »Aufteilung des Sinnlichen« (partage du sensible) bezeichnet hat – die Fest-
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legung eines Horizonts, der bestimmt, was als Äußerung zählt und so der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist. Die Aufteilung des Sinnlichen legt dadurch fest, was Teil jener Wirklichkeit ist, die sich als ›natürliche‹ Ordnung präsentiert, und was keine Berechtigung innerhalb dieser Erfahrungswelt hat. Gerade der so oft geäußerte Vorwurf an die Occupy-Bewegung, keine bedeutsamen Forderungen zu haben oder aber Unmögliches zu fordern, macht deutlich, wie eng der Rahmen ist, in dem eine Forderung als real gilt.15 Herausgefordert werden kann diese Aufteilung nach Rancière mittels einer Politik, die sich als Dissens definiert. Dissens erlaubt den Konflikt zu benennen, der zwischen dem besteht, was den Sinnen zugänglich ist, und dem, wie daraus Sinn gemacht wird. Dissens interveniert also in die scheinbar ›natürliche‹ Ordnung des Erfahrbaren, indem er offen legt, wie manche Dinge erfahrbar gemacht werden, während andere der Erfahrung versperrt bleiben. In dieser Weise lassen sich die mit der Occupy-Bewegung in Zusammenhang stehenden Ästhetiken nicht lediglich in ihrer zweckgerichteten Form als visuelle Repräsentation des Protests sehen, sondern als global verteilte Interventionen in den Bereich der Erfahrbarkeit, als Demonstration der Pluralität wirklicher Welten. Sie stellen, wie Rancière formuliert, Formen der Neugestaltung von Erfahrung her,16 ohne aber eine davon als Wahrheit zu benennen. Diese ›Gleichgültigkeit‹ der Kunst gegenüber möglichen Welten, ihre Ignoranz gegenüber dem Verhältnis von Ursache und Wirkung, ihre Ambivalenz und fehlende Zielrichtung verhindern, dass ihr seitens der Politik die Rolle eines sozialen Heilmittels zugeschrieben werden kann. Stattdessen bleibt sie in der Lage, gleichermaßen wahrnehmbare Tatsachen darzulegen.17 Ästhetik stellt sich so als Teilnahme an einer kollektiven Form von Praxis dar, deren politische Implikation auf eine Anfechtung der Aufteilung des Sinnlichen hinausläuft. Parallel dazu besteht Politik nicht einfach in der Aufnahme der Ausgeschlossenen in unsere Gesellschaft, sondern im Verständlichmachen der Natur des Ausschlusses, auf dem die bestehende Ordnung basiert. Als Voraussetzung dazu dient die Erfahrung des Ausgeschlossenseins, das sich in Form eines Konflikts zwischen ver-
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schiedenen Welten offenbart, jener der gegenwärtigen Aufteilung des Sinnlichen und den vielen möglichen Alternativen dazu.18 Denn den in der räumlichen Praxis des zeitgenössischen Stadtlebens laufend manifestierten Ausschlüssen lässt sich, wie Judith Butler das ausgedrückt hat, nicht wirkungsvoll begegnen, indem wir bloß fordern, allem Ausgeschlossenen Einlass in eine vorhandene Ontologie zu gewähren. Wo ein Aufstand wirksam ansetzen kann, ist vielmehr die ontologische Ebene selbst, auf der sich fragen lässt, was als wirklich gilt und wessen Leben Teil dieser Wirklichkeit ist.19 Butler betont deshalb in ihrer Auseinandersetzung mit der Politik der Straße, wie sie in den neuen politischen Bewegungen in Nordafrika und im Nahen Osten, aber auch in der weltweiten Occupy-Bewegung zum Ausdruck kommt, die entscheidende Rolle von Körpern im Ausüben von Rechten, die in der staatlichen Rechtsprechung nicht kodifiziert sind und daher auch nicht gewährt werden – Körpern wie jenen, die im Januar 2011 erstmals den Kairoer Tahrir-Platz besetzt haben, oder jenen, die im Rahmen der Occupy-Bewegung im Herbst 2011 eine Unzahl städtischer Plätze temporär eingenommen haben. Zwar haben die Besetzer ihre Opposition auch mit Worten zum Ausdruck gebracht, aber ihr grundsätzlicher Anspruch auf Rechte drückt sich in ihrem hartnäckigen körperlichen Verweilen aus, in der Beharrlichkeit von Körpern gegenüber den Kräften, die ein Monopol auf Legitimität beanspruchen.20 Das gemeinsame In-Erscheinung-Treten von Körpern, ihr gemeinsames Herstellen des von Hannah Arendt als Erscheinungsraum titulierten politischen Raums, ist, so Butler, unabdingbarer Teil dessen, wie politische Forderungen gestellt werden können. Gleichzeitig führt uns Butler in ihrer Argumentation aber auch vor Augen, dass für die Mobilisierung von Körpern neben dieser grundlegenden performativen Produktivität und Wirksamkeit immer auch ein Rückgriff auf Unterstützung nötig ist. Solche Unterstützung können die eigene Lebenswelt und deren Komponenten – soziale und institutionelle Zuwendung, Arbeit, Versorgung und dergleichen – bieten, oder die Prozesse selbst, in denen Räume des Rückhalts in einer Allianz mit anderen geschaffen werden. Die Alli-
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anz des Protests selbst wird dabei zur sozialen Form, zu einer sozialen Ordnung, die sie zum einen zu erwirken sucht und zum anderen durch das, was sich im gemeinsamen Handeln zwischen den Körpern formiert, selbst auch bereits demonstriert. Um das zu tun, braucht es keine Übersetzung von Handlungen und Gesten in gesprochenes Wort und in Sprache gekleidete Forderungen. Die Beständigkeit, mit der sich Körper im Zuge der Occupy-Bewegung ebenso wie in den Aufständen des Arabischen Frühlings oder in den neuen politischen Bewegungen in Europa immer wieder versammeln und gemeinsam auf Gerechtigkeit, Anerkennung und Wertschätzung beharren, ist nach Butler ihre Art, politisch zu ›sprechen‹, auch wenn sie keine präzisen Forderungen kundtun, die im Rahmen der dominanten politischen Ordnung verständlich wären. Die Performanz des Körpers durchquert die Sprache, ohne in der Sprache aufzugehen.21 Diesen Gedanken präzisiert Butler auch in der von ihr am 23. Oktober 2011 im Zucotti Park gehaltenen Rede: »Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz der Körper. Als Körper leiden wir, benötigen wir Nahrung und ein Dach über dem Kopf; und als Körper sind wir aufeinander angewiesen und begehren einander. Daher ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegung und seiner Stimme.«22 Das Performative, Theatralische und Karnevaleske der OccupyBesetzungen, die spielerische Inszenierung von Körpern in gemeinsamen Aktionen, ist so nicht einfach nur Beiwerk einer politischen Handlung, sondern wichtiges Vehikel einer Entstellung vorhandener Codes und der Beginn einer Neufassung des Sozialen, auf dem die Politik der Besetzung aufbauen kann. Die künstlerischen Initiativen der Occupy-Bewegung haben in dieser Unterwanderung normativer Ordnungen als kreative Stimme beigetragen, herrschende Ordnungen aber auch mit eigenen performativen Strategien der Kunst in Unordnung gebracht. Sei es mit den von den Kunst- und Kulturkomitees der Bewegung organisierten Performances, wie dem New
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York Fun Exchange am 17. September 2011, dem Tag der Besetzung des Zuccotti Parks, mit den Dichterlesungen im Zuccotti Park, mit dem bei Protestversammlungen offenbar unerlässlichen Trommelkreis, mit dem Schauspiel der Vollversammlungen, mit dem Tragen von Guy-Fawkes-Masken23, mit den Protestzügen im Banker-, Billionär- und Zombie-Outfit oder mit den zahlreichen künstlerischen Performances, die sich der Occupy-Besetzung aus eigener Initiative angeschlossen haben. Diese taktische Neubestimmung von sozialer Ordnung, politischer Kultur und öffentlichem Raum in den karnevalesken Protestformen der Occupy-Bewegung knüpft mit ihrer Ästhetik unmittelbar an bei den Stop the City-Protesten der 1980er Jahre und den Protestkundgebungen der Antiglobalisierungsbewegung, wie der Global Street Party 1998, den Anti-WTO-Protesten von Seattle 1999, dem von der Aktivismusgruppe Reclaim the Streets im Juni 1999 organisierten Global Carnival Against Capitalism oder den G8-Protesten zu Beginn unseres Jahrhunderts. Protestformen wie diese setzten in ihrer Artikulation von Kritik nicht auf erbitterten Arbeitskampf, sondern auf eine grundlegende Uneindeutigkeit, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass alles das, was die gewöhnliche Lebensordnung prägt, temporär aufgehoben ist – karnevaleske Umzüge, spontanes Lachen, Spott und lustvolle Freude ersetzen die normativen Rituale von Ehrfurcht, Autorität und Etikette; die Welt wird auf den Kopf gestellt. Anstatt ernsthafte Gegenautoritäten und politische Gegenentwürfe anzubieten, bringt die Abwesenheit klarer Grenzziehungen eine Ambivalenz hervor, mit der die vorhandene Ordnung unterwandert wird, ohne sie in direkter Konfrontation anzugreifen. Vielmehr macht die Störung deutlich, auf welchen verschrobenen und fragilen Annahmen die bestehende Ordnung selbst besteht. Die jüngere Zuwendung zu Michail Bachtins Texten über das Potenzial des Karnevalesken, etwa zu seinen Büchern Literatur und Karneval24 und Rabelais und seine Welt25, hat zu einer verstärkten Bezugnahme auf Elemente des Karnevalesken innerhalb der politischen und sozialen Bewegungen der Gegenwart und zu einem großen Interesse an Karneval als Katalysator für zivilen Ungehorsam geführt.26 Auch
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in Michael Hardt und Antonio Negris Rückgriff auf Bachtins Begriff des Karnevals, dessen theatralische Aufführungen, Anfeuerungsrufe und humoresken Gesänge sie als Modell der Protestbewegung der Multitude sehen, tritt Karneval als widerständige Praxis und als Medium der politischen Emanzipation unserer Zeit auf. Vor allem Vielstimmigkeit und Dialogizität bilden wichtige Brücken zwischen karnevalesker Erzählkultur und der politischen Kultur des Protests.27
D ISSIDENTE A USSTELLUNGEN Wie tragfähig das Prinzip des Karnevalesken in Bezug auf breite soziale Allianzen tatsächlich ist, lässt sich – so wie das etwa Claire Tancons in Bezug auf das fehlende Zusammenfinden von weißer und schwarzer Karnevalstradition zu einer gemeinsamen Allianz in der amerikanischen Occupy-Bewegung getan hat – aber fragen. Zu einer der wenigen Annäherungen afroamerikanischer, westindischer und weißer Karnevalstraditionen kam es bei Occupy Wall Street, als die Künstlerin Laura Anderson Barbata die Performance Intervention: Wall Street am 18. November 2011 im New Yorker Börsendistrikt aufführte: In übergroßen Banker-Anzügen und auf Stelzen gehend inszenierte die Gruppe der Brooklyn Jumbies in der spirituellen Tradition afrokaribischer Moko Jumbies mit Lust und Humor die Monstrosität von Wall Streets Finanzkultur. Zwei Tage später gab das Council of Elders, ein Zusammenschluss der wichtigsten Bewegungen für soziale Gerechtigkeit des 20. Jahrhunderts, eine Solidaritätserklärung ab, in der es die gewaltfreie, demokratische und ethnisch gemischte Natur von Occupy Wall Street betonte.28 Doch diese wenigen radikalen generationen- und ethnienübergreifenden Zusammenschlüsse täuschen nicht über die Frage hinweg, welche Interessen berührt und welche Gesellschaftsverträge geschlossen werden, wenn sich Körper auch in der ästhetischen Inszenierung von Protest in subtil getrennter Form versammeln, anstatt gemeinsame Politik zu betreiben. Im Licht der zum Teil exklusiven Ausgelassenheit der karnevalesken Proteste hat Slavoj Žižek die Occupy-Bewegung im
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Zuccotti Park davor gewarnt, dass Karnevalsfeiern billig zu haben sind. Entscheidend sei, was auch am Morgen danach noch vorhanden ist, um unseren Alltag zu verändern.29 Denn worum es bei den karnevalesken Inszenierungen des Protests letzten Endes geht, ist weder ein Beharren auf den Wurzeln ethnisierter Karnevalstraditionen noch ein selbstgefälliges Schwelgen in der Gefühlskulisse des karnevalesken Rituals. Ziel der gemeinsamen symbolischen Aktion ist ein Eingriff in die Logik ökonomischer Organisation, die nicht mehr nur die immer schon benachteiligten ethnischen Gruppen aus Häusern, Universitäten und Banken vertreibt, sondern zunehmend auch die bisher privilegierte weiße Mittelschicht. Gerade dieser Moment könnte auf eine gemeinsame Art der Selbstdarstellung hoffen lassen, auf eine gemeinsame Inszenierung des Sozialen, in der sich breite Gesellschaftsallianzen gegen die tiefgreifende Transformation und Verschlechterung unserer Lebensbedingungen wenden. Ein Teil dieser Transformation betrifft die Frage von Performance selbst, genauer genommen die durchgängige Transformation von Arbeit in Richtung eines von uns überall geforderten Leistungsverhaltens. Denn als Teil neuer und zunehmend immaterieller Arbeitsformen bezieht sich der Begriff der Performance, wie Sven Lütticken argumentiert, auch auf eine generelle Performance in der Ökonomie.30 Im Zusammenhang mit der Kulturalisierung der Ökonomie hat sich in den vergangenen Dekaden eine Verbindlichkeit zu ununterbrochener Leistungsbereitschaft entwickelt, die immer mehr das Leben der gebildeten Mittelschicht einnimmt und sich an den ökonomischen Parametern der Optimierung und Effizienz unserer Verhaltensformen ausrichtet. Dieses Gebot der generellen Performance – all die Dinge, die wir wie selbstverständlich tun, um gut vernetzt selbstunternehmerisch tätig zu sein – durchbricht die Grenzen der spezifischen Domäne von Performance-Kunst und lässt uns alle zu Spielern des globalen Ensembles der Wissensindustrie werden. Die Komplexität dieser neuen Bühne und die (im Karnevalesken stets als Vehikel des Widerstands zelebrierte) ambivalente Undurchsichtigkeit von Akteuren, Aktionsbahnen und Beziehungsformen der postfordistischen Arbeitsregulation machen es heute mitunter
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schwierig, eine neue diskursive Gemeinschaft aufzubauen, die sich nicht nur in individualistischer Manier selbst frönt. Auf der Suche nach neuen und vor allem selbstbestimmten Sinnzusammenhängen in dieser Uneindeutigkeit des Ökonomisch-Sozialen bietet sich Kunst als ein wichtiges Sondierungsfeld an: zum einen durch die Möglichkeit des experimentellen Entkommens aus den geforderten Rhythmen, Wertschöpfungen und Beziehungsmustern der uns abverlangten Beschäftigung; und zum anderen durch das Herstellen alternativer Bedeutungsfelder und neuer Maßstäbe, an denen sich die Performance des Selbst und dessen Bezugnahme auf andere Interessen, Einstellungen und Körper orientieren kann. Das komplexe Terrain der Rekonfiguration unserer Beziehung zu Differenz in all ihren Ausdrucksweisen und Verkleidungen wird in der künstlerischen Produktion der Gegenwart oft in direkter Weise mit demonstrativen Gemeinschaftsaktionen angesprochen. Für die Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst Manifesta 5 etwa organisierte Jeremy Deller 2004 eine ›soziale Parade‹ durch die Straßen von Donostia-San Sebastián in Spanien. Die Parade sollte einen Querschnitt der Bevölkerung darstellen und die meist in den Hintergrund gedrängten sozialen Gruppen und Gemeinschaften in den Vordergrund bringen. Dazu gehörten unter anderem schwule und lesbische Aktivismusgruppen, ein lokaler Kampfsportverein, Taube und Blinde, Mitglieder der Traveller-Gemeinde, Rentner und viele andere am Stadtleben beteiligte Personen. Das offizielle Video der Kundgebung wurde von Mitgliedern eines lokalen Jugendklubs produziert und zeigt nicht nur die Parade selbst, sondern auch VorOrt-Dialoge mit teilnehmenden Personen, Zuschauern und Biennale-Veranstaltern. Die Parade löste so, wenn auch nur temporär, die dominanten Sinnzusammenhänge auf, die durch starre Identitäten wie Klasse, Sexualität, Nationalität oder Ethnie gegeben sind, und ließ eine neue, utopische Gemeinschaft im Stadtraum entstehen. Eine in dieser Hinsicht weitaus größere Herausforderung für künstlerische Initiative liegt in der Frage der Begegnung solcher sozialen und politischen Entwürfe mit den vorhandenen Institutionen der Gesellschaft, vor allem mit den Institutionen künstlerischer
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Produktion und Vermittlung selbst. Ein wegbereitendes Experiment dazu führte der englische Künstler Mark Wallinger aus, als er 2007 das 40 Meter lange Camp des Friedensaktivisten Brian Haw in der Tate Britain akribisch rekonstruierte, nachdem die Polizei das ursprüngliche Camp auf drei Meter Länge reduzieren ließ. Haw hatte 2001 aus Protest gegen Tony Blairs kriegerische Außenpolitik auf der Grünanlage gegenüber dem britischen Parlament ein Friedenscamp errichtet und wurde mit seiner hartnäckigen Präsenz im öffentlichen Raum zum Sammelpunkt für Dutzende andere Protestveranstaltungen in London gegen den Krieg in Afghanistan und Irak. Mit seinen Hunderten handgemalten Plakaten und Bannern – die meisten davon heute in Besitz der englischen Polizei –, seiner improvisierten Planenbehausung und Kochnische, den vielen Beistandsbekundungen für das Lager und seiner dauerhaften Anwesenheit im politisch relevanten Stadtraum gilt Haws Protestcamp als maßgeblicher Vorbote der aktuellen Besetzung öffentlicher Räume durch Occupy London. Die internationale Jury des Turner-Preises, mit dem Wallinger für seine Nachbildung des Lagers in der Tate Britain ausgezeichnet wurde, urteilte über diese künstlerische Arbeit mit dem Titel State Britain, sie sei »historisch bedeutsam« und verbinde eine »mutige politische Botschaft mit der Fähigkeit der Kunst, grundlegende Menschenrechte auszudrücken«.31 Wenn die Integration des politischen Protests in den Kunst- und Bildungsbetrieb so leicht wie hier vonstatten geht, dürfte es wohl daran liegen, dass sich ein klar konturierter Ein-Mann-Protest leichter in die bekannten Denkschablonen dieser Institutionen einbetten lässt, als jener der anonymen 99 %, die sich die Occupy-Bewegung als Stimme des Protests auf die Fahne heftet. Dennoch kam es auch im Zuge der Besetzungen durch die Occupy-Bewegung zu zahlreichen, recht unterschiedlich verlaufenden Versuchen, eine produktive Form der Interaktion von Kunst- und Bildungsinstitutionen mit den Kräften und Schauplätzen der Besetzung zu finden. In Zusammenhang mit der deutschen Occupy-Bewegung traten vor allem zwei internationale Ausstellungen hervor, durch die sich deutlich zeigte, welche unterschiedlichen Dimensionen die Be-
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gegnung von Kunstinstitutionen mit zeitgenössischem Protest einnehmen kann: die im Frühjahr 2012 stattfindende 7. Berlin Biennale zeitgenössischer Kunst/Politik und die unmittelbar davor im Frankfurter Kunstverein gezeigte Ausstellung »Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen«. Letztere war aus einer Kooperation mit 180 beteiligten Forschern des Frankfurter Exzellenzclusters »Die Herausbildung normativer Ordnungen« entstanden und richtete sich auf ästhetische Ausdrucksformen von Demonstrationen. Dabei sollte es vor allem um einen Dialog historischer Ereignisse, wie der Protestbewegungen des Vormärz oder der Revolution von 1848 und der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche mit den aktuellen Aufbrüchen gesellschaftlicher Ordnung gehen. Die Ausstellung präsentierte zahlreiche internationale Werke und wurde von einer Diskussionsreihe und einem Performance-Programm begleitet, darunter das karnevalesk anmutende Amt für Umbruchsbewältigung, das den direkten Kontakt zwischen Publikum und wissenschaftlichen Experten herstellen sollte. Katalog und Programmheft dieser Ausstellung betonen den Umstand, dass im Rahmen der Ausstellung »zahlreiche Performances im Frankfurter Kunstverein oder im Stadtraum von Frankfurt stattfinden, die Rituale, Verhaltenscodices und Demonstrationsformen erkunden oder ungewohnte Bewegungen im Stadtraum erzeugen«32. So sehr sich die Präsentationsstrategien der Ausstellung auch in die Denk- und Redeweise der gleichzeitig auf dem Platz vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt campierenden Occupy-Bewegung einzufügen schienen, bekam diese zeitgleich stattfindende Demonstration selbst keinen Platz in der Ausstellung. Obwohl sich Frankfurt zum Zentrum der Occupy-Proteste in Deutschland entwickelt hatte, begnügt sich der umfangreiche Katalog der Ausstellung mit einem knappen Verweis auf die Occupy-Bewegung, in dem festgehalten wird, dass dieser Bewegung mehr Sorge um Individualität als um Gemeinschaft zukomme.33 Die einzige Begegnung der Ausstellung mit Occupy Frankfurt fand am Tag der Eröffnung statt, als Besetzungsaktivisten vor dem Frankfurter Kunstverein Flugblätter verteilten, auf denen sie das
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Musealisieren und Einsperren des Protests anklagten sowie das »scheinbar bloß theoretische Interesse, diesen lebendigen Momenten des Aushandelns und der kommunikativen Auseinandersetzung um normative Ordnungen«34 nachzuspüren. Der Dissens mit dem Bestehenden werde identitätslogisch in den Kulturbetrieb integriert und damit seiner Effekte beraubt. Die Occupy-Aktivisten forderten den Kunstverein Frankfurt auf, gemeinsam darüber zu beraten, wie sich eine »ungewohnte Verantwortung für die Allgemeinheit« übernehmen lässt. Diese Forderung führte schlussendlich nur dazu, dass eine kleine Gruppe von Aktivisten am Eröffnungsabend der Ausstellung ganz unpathetisch einige Worte an das Publikum richten und im Eingangsbereich der Ausstellung vorübergehend ein paar Banner abstellen durften. Das weitgehend unvorhergesehene und unberechenbare Zusammentreffen von Kunst und Protest, das implizit Gegenstand der Ausstellung war, wurde so in jene Bahnen gebracht, die alle vorhandenen Identitäten, Räume, Sichtbarkeitsformen und Narrative intakt hielt. Selbst wenn, wie die Zeit Online argumentiert, der radikale Wandel ästhetischer Radikalität in dieser Ausstellung darin zum Ausdruck kommt, dass Kunst weniger Revolution als Intervention ist,35 blieb eine Intervention in der Aufteilung unserer Erfahrungswelt – sei es ästhetischer, politischer oder kombinierter Natur – hier aus. In gänzlich anderer Weise trat die Berlin Biennale 2012 der Occupy-Bewegung gegenüber. Programmatisch als Biennale für zeitgenössische Politik bezeichnet, ging es in dieser Ausstellung um Experimente und Reflexionen zur politischen Wirksamkeit von Kunst. Als »Un-Projekt« der Biennale waren Mitglieder von Protestbewegungen wie Occupy und Movimiento 15-M in der Biennale selbst vertreten, besetzten und bespielten eine 400 Quadratmeter große Ausstellungshalle, richteten eine autonome Universität ein, präsentierten Plakate und andere Bildmedien des Protests und veranstalteten ein dichtes Programm an Vorträgen, Vollversammlungen und politisch-gesellschaftlichen Diskussionen. Für die letzte Woche der Biennale wurde schließlich im Einvernehmen zwischen Kuratoren und Aktivisten der Versuch gestartet, die gesamte Führungsverant-
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wortung in einem Prozess basisdemokratischer Umgestaltung an das Projekt Occupy Biennale zu übertragen. Artur Żmijewski, der gemeinsam mit Joanna Warsza und dem russischen Kollektiv Voina diese Biennale kuratierte, beurteilt dieses kollektive Experiment, das seitens der Gastgeber weder kuratiert noch beaufsichtigt oder bewertet wurde, als wichtige Überschreitung der Ausstellungslogik. Radikale Demokratie zwischen Aktivisten und Biennale-Besuchern sollte das vorhandene Experiment im öffentlichen Raum fortsetzen und es mit neuen Konfrontationen und Ideen bereichern. »Diese außergewöhnlichen sozialen Bewegungen sind nicht nur deshalb wichtig, weil sie Demokratie und Politik tatsächlich neu erfinden, sondern auch, weil sie als ›schwach‹ gelten. Haben doch viele von uns genug von den archetypischen Führerfiguren – harte und starke Politiker, allzu oft unfähig, gesellschaftlichen Veränderungen zu begegnen, geschweige denn zur Abgabe von Macht. Brauchen wir heute nicht vielmehr Schwäche als Stärke?«36 Diese von Żmijewski ins Spiel gebrachte Charakterisierung der neuen sozialen Bewegungen – die ihnen bei jeder Gelegenheit entgegengehaltene Schwäche im Formulieren eigener Forderungen – bezieht sich auch auf eine von dieser Schwäche geleistete Bloßlegung der wechselweisen Kontaminierung und grundsätzlichen Porosität von Anliegen ästhetischer und politischer, aktivistischer und institutioneller Natur. Die uneindeutige Gestalt der ›Schwäche/ Stärke‹ macht die fundamentale Ambivalenz der Identitätslogiken von Institutionen und politischen Bewegungen deutlich: Zum einen forciert die Etikette der Kunstbiennale den Glauben an diese Identität und an die Macht der damit verbundenen Programme, Artefakte und Performances, so wie auch die Etikette der Protestbewegung eine klar identifizierbare Gegnerschaft heraufbeschwört; zum anderen wird durch die ausgesprochene Einladung zu einer selbstbestimmten Rahmengebung aber auch klar, wie konstruiert und durchlässig die Identitätsentwürfe von politischen Bewegungen und Kunstinstitutionen in der Praxis prinzipiell sind. Was sichtbar wird, ist ein Bogen an politischen und kulturellen Möglichkeiten, die in Angriff genommen werden können, in Zusammenwirkung mit der
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gesellschaftlichen Realität, in der diese Möglichkeiten sowohl bereits geformt als auch formgebend vorhanden sind. Aus diesen Bewegungen geht weniger eine uniforme Politik hervor als die Erfahrung der eigenen Verstrickung in ein breites Feld von Grenzziehungen und Rahmengebungen, in das sich politische und ästhetische Praxis einschreibt und dabei eigene Räume schafft. Im Licht dieser Situation lassen sich viele der zwischen internationalen Kulturinstitutionen und der Occupy-Bewegung entstandenen Verflechtungen und die gemeinsam entwickelten Strategien und Programme als zwiespältige Unternehmungen sehen, innerhalb der Bedingungen des institutionellen Kulturapparats, aber auch wider und jenseits seiner Rechtfertigungsnarrative zu denken und zu operieren. So reagierte das Centre for Contemporary Art, Lagos (CCA) mit einem Schulterschluss mit Occupy Nigeria, als die Regierung des ölreichen Landes im Januar 2012 die bisherigen Ölsubventionen über Nacht einstellte und Benzin für viele unerschwinglich wurde. Nachdem sich in landesweiten Protesten gegen diese Politik Occupy Nigeria gebildet hatte, organisierte das CCA anstelle des geplanten Ausstellungsprogramms eine Reihe von offenen Diskussionen, Projekten und Performance-Events, bei denen es um Inhalte und Mechanismen der Occupy-Bewegung, ihre unmittelbaren Effekte und politischen Langzeitstrategien ging. In Amsterdam traf die OccupyBewegung mit ihrem improvisierten Zeltlager nahe der Amsterdamer Börse auf ein anderes Zeltlager, das die beiden Künstler Hans van Houwelingen und Jonas Staal im Rahmen ihres Projekts Allegories of Good and Bad Government im Kunstraum W139 eingerichtet hatten, um Künstler und Politiker in einem Raum zusammenkommen zu lassen, der ein wenig an die für das Fernsehen inszenierten Überlebenscamps und an Formate wie Big Brother erinnern sollte. Nachdem also Alternativen zum ideologischen Vakuum von Kunst und Politik, um die es in diesem Projekt ging, nicht nur im Zeltlager von W139, sondern auch unmittelbar daneben bei Occupy Amsterdam diskutiert wurden, entschieden sich die Künstler zu einer Beteiligung an beiden Versammlungen und damit zu einer Anerkennung der Porosität von institutionellen und nichtinstitutionellen Räumen.
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In dieser besonderen Art von Wechselseitigkeit geht es weniger um eine Frage der Verkettung von Ursache und Effekt, Vorbild und Imitation, Einsatz und Nutznießung, als um die Frage der Öffnung vorhandener Räume für das, was ihnen fremd ist – als Körper, Stimme, Geste oder Ritual. An die Stelle isolierter Opposition tritt so ein Verständnis von Occupy als Phänomen, das mit anderen Phänomenen unserer Zeit in loser Verbindung steht, wie das etwa auch Lo Chunyip’s Dokumentarfilm Days After n Coming (2011) aufzeigt, der eine Einordnung von Occupy in die Protestkultur der Gegenwart anhand unterschiedlicher politischer Proteste in Hongkong vornimmt: von Protesten gegen den High-Speed-Express Rail Link und die Zerstörung des Choi Yuen Village bis zum aktuellen Sparpaket der Regierung und dem Einfluss der internationalen Occupy-Bewegung auf die lokale Protestkultur. Dass aber auch der Eingriff in institutionelle Politiken selbst notwendiger Teil dieser Auseinandersetzung ist, zeigen die verschiedenen Aktionen zum Besetzen von Museen, wie etwa jene der Gruppe Occupy Museums, die auch von den Kuratoren der Berlin Biennale 2012 im Rahmen der Occupy Biennale eingeladen wurden und seit Oktober 2011 eine Reihe von höchstrangigen Museen und Kunstevents in New York mit ihren Aktionen besetzt hatten, darunter das Museum of Modern Art, das American Museum of Natural History, das New Museum und die Frieze Art Fair (»Un-Frieze Our Culture«). Occupy Museums Beitrag zur Diskussion über ökonomische Ungerechtigkeit richtet sich vor allem auf den Missbrauch von Museen und deren Infrastruktur als profitorientierte Unternehmen, auf die Folgen dieser Kunst- und Kulturpolitik für künstlerische Produktion und den Zugang der Öffentlichkeit zu kulturellen Gütern. Mit dem von Occupy Museums bereits vollzogenen Schauplatzwechsel des Protests von der unangekündigten Intervention im Ausstellungsbetrieb in das öffentliche Programm von Kunstevents stellt sich nun die Frage, wie politischer Protest innerhalb des Kultur- und Wissensbetriebs Effekte erzielen kann und wie hier die Kraftfelder von Kollaboration und Vereinnahmung gestaltet sind.
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D AS E RBE VON O CCUPY In New York und vielen anderen US-Städten setzten kritische Intellektuelle an Universitäten und Hochschulen rasch auf einen produktiven Austausch mit der Besetzung und begannen schon im Herbst 2011, Seminare zu den ethnologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Dimensionen des neuen Protestphänomens anzubieten. Die unmittelbare Nähe der Occupy-Bewegung zu den Studentenprotesten der Jahre zuvor hat aber auch einige sehr direkte Formen von Begegnung und Beteiligung angeregt, angefangen bei der Organisation von Diskussionsrunden an Universitäten und in anderen öffentlichen Einrichtungen über das zum Teil ungehinderte Besetzen von Universitätsräumen bis hin zum Kuratieren von Ausstellungen und Teach-ins vor Ort als Teil des Bildungsprogramms auf den besetzten Plätzen im öffentlichen Stadtraum.37 Überall dort, wo Universitätsgelände selbst bereits Ort der Besetzung waren, eröffnete sich aus dem Schulterschluss zwischen protestierenden Studierenden und Lehrenden, die ihre Solidarität kundtun wollten, eine Allianz, die sowohl politische Stärke versprach als auch eine stärkere Verwicklung mit eigenen Interessen zum Ausdruck brachte. Einen besonderen Fall der Balance zwischen Solidarität, Inkorporation und politischer Bodenhaftung stellt die New Yorker New School University dar, die schon bei den Studentenprotesten im Dezember 2008 im Zentrum der Aktionen stand und nun im Zuge von Occupy Wall Street im November 2011 erneut von einigen Hundert Personen besetzt wurde. Viele der Lehrenden und Studierenden der New School University waren selbst bereits aktiv an Occupy Wall Street beteiligt und schlossen sich der Besetzung der Universität zum Teil an, und auch seitens der Universitätsleitung kamen diesmal anfänglich Zeichen der Toleranz. Mit der Dauer der Besetzung, insbesondere aus Anlass von Beschädigungen und aufkeimenden Spannungen zwischen Besetzern und Universitätsangehörigen, entwickelte sich aber eine andere Linie im Umgang mit dem Protest: Zum einen wurde die Besetzung in Räumlichkeiten außerhalb des unmittelbaren Universitätsbetriebs
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verwiesen, zum anderen begannen sich verschiedene Universitätsinitiativen selbst immer mehr für jene Aspekte der Besetzung zu interessieren, die nicht menschliche Körper, sondern Bilder, Materialien und Archive des Protests in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückten. Der Schwerpunkt des Engagements verlagerte sich von der Performance zum Archiv, vom Live-Moment der unkontrollierten Auseinandersetzung zur Sicherung von Gegenständen, die instrumenteller Teil der Auseinandersetzung waren. In dieser Diskussion bekam der Streit um den Stellenwert von physisch manifesten Objekten der Besetzung – Zelte, Tafeln, Kleidung, Bücher, Kochgeschirr oder andere Artefakte – eine völlig neue und zugleich politisch zugespitzte Bedeutung: Die schwer lenkbare, flüchtige Vollversammlung von menschlichen Körpern entwickelte sich rasch zu einer mit Sorge bedachten und heiß umkämpften Versammlung von Objekten, zu einer Trennung von Fleisch und Knochen. Waren aber nicht bereits zu Beginn der Occupy-Bewegung dauerhafte Artefakte wie Zelte, Küchen oder technische Anlagen der Zankapfel des Streits um die Besetzung und nicht die Besetzung selbst? Hatten also Dinge von Bestand – Dinge, mit denen sich die Bewegung räumlich einschreiben und eine Hinterlassenschaft im Raum produzieren konnte – nicht von vornherein eine stärkere Präsenz in der Wachsamkeit der Hüter der Geschichtsschreibung? #searchunderoccupy ist eine im November 2011 begonnene Initiative von verschiedenen Fakultäten der New Yorker New School, um die Möglichkeiten und Spannungen zu untersuchen, die in der Produktion eines »lebenden Archivs« der Occupy-Bewegung liegen. Die Suche gipfelte in einer Ausstellung der unterschiedlichen Reaktionen von Studierenden und Lehrenden der Universität auf die Occupy-Bewegung und deren Dialog mit der New School.38 Das verbleibende Webarchiv dieser Ausstellung und anderer Dokumente rund um die Besetzungen zeichnet nicht nur die gemeinsamen Linien von Occupy Wall Street und der New School nach, sondern verschafft mit seiner eigenen widersprüchlichen Natur auch einen Einblick in die Ambivalenzen rund um den Archivierungsprozess von Occupy. Es ist eine von vielen ambitionierten Bemühungen, die Prozesse und
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Artefakte der Occupy-Bewegung dokumentarisch zu sichern und für die Zukunft zu bewahren. Als »lebendes Archiv« deutet #searchunderoccupy aber auch an, dass jede Archivierung ein Ereignis nicht nur aufzeichnet, sondern dieses in gleichem Maß auch hervorbringt. Die Idee eines lebenden Archivs besteht darin, Ereignisse nicht einfach unter Verschluss bringen zu wollen, indem sie als Objekte, Aufzeichnungen oder Dokumente gesichert werden, sondern den Ereigniswert selbst in Form eines Archivs zu manifestieren. Damit wird der Prozess des Archivierens als jene Technologie verstanden, die Vieles (als Ereignis) zum Verschwinden bringt, indem sie den Fortbestand des Wenigen (als Objekt) sichert, gleichzeitig aber auch die Matrix des Verschwindens/Verbleibens herausfordert, indem sie diesen Eingriff selbst, das heißt den Ereignischarakter des Archivierungsprozesses und damit den Fortbestand des Ereignisses, das archiviert werden soll, in den Vordergrund rückt. In ihrem mittlerweile kanonischen Text Performance Remains hat Rebecca Schneider diese Wechselwirkung von Performance und Archiv als Effekt von miteinander verbundenen Handlungsformen erörtert und damit die alleinige Autorität des Archivs über das Bewahrte radikal in Frage gestellt: »When we approach performance not as that which disappears (as the archive expects), but as both the act [Hervorhebung im Original] of remaining and a means of reappearance (though not a metaphysics of presence) we almost immediately are forced to admit that remains do not have to be isolated to the document, to the object, to bone versus flesh.«39 Verbleiben und Wiedererscheinen stellten für Occupy von Beginn an eine der größten Herausforderungen dar, sei es das Verbleiben als eine Besetzung physischen Raums oder das unaufhörliche Wiedererscheinen als eine Kraft, die gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen nachhaltig herbeiführen kann. Überlegungen zum Archivieren der vielen Artefakte, Texte und Geschehnisse, mit denen sich die Bewegung öffentlich manifestierte, waren daher von Anfang an Begleitmusik der vielen Versammlungen, Diskussionen und Konferenzen. In diesem Klima ist innerhalb von Occupy Wall Street selbst eine spezielle Arbeitsgruppe entstanden, die sich mit dem Archivieren
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der Bewegung beschäftigte. Diese Archiv-Gruppe40 begann bereits Anfang Oktober 2011 im besetzten Zuccotti Park in New York physisches Material der Bewegung, wie etwa Schilder, Flugblätter, GuyFawkes-Masken oder andere Ephemera, zu sammeln, daneben aber auch mündliche Erzählungen und digitales Material. Bei Treffen im nahegelegenen Atrium des US-Hauptquartiers der Deutsche Bank an der Wall Street wurde regelmäßig über Strategien zur Sicherung dieser Dokumente beraten und darüber diskutiert, wer als unterstützender Partner in dieser Sache dienen könnte. Als solche boten sich rasch zahlreiche Individuen und Institutionen an, von fachkundigen Wissenschaftlern verschiedener New Yorker Universitäten bis zu Instituten, die über eine besondere Expertise für die Archivierung spezifischer Komponenten der Occupy-Bewegung verfügten. Andere wiederum, wie etwa das Smithsonian National Museum of American History, die New York Historical Society oder das Roy Rosenzweig Center for History and New Media an der George Mason University41, hatten bereits auf eigene Faust mit dem Sammeln und Aufbewahren von Gegenständen aus dem Zuccotti Park begonnen. So wurde der Zugriff auf Artefakte der Occupy-Bewegung binnen kurzer Zeit zu einer Angelegenheit konkurrierender Unternehmen, die alle ihren Anspruch auf die Sicherung des kulturellen Erbes von Occupy geltend zu machen versuchten. Gleichzeitig, speziell aber nach der Räumung des Occupy-Wall-Street-Camps am 15. November 2011, wuchs innerhalb der Bewegung die Sorge darüber, wie durch diese konkurrierenden Archive ein Skript des Verschwindens der OccupyBewegung entsteht, in dem die soziale Performance der Besetzung durch Objekte verdrängt wird, die das Verschwinden indizieren und herbeiführen. Dieser Bahn hat die im Universitätsdiskurs in jüngster Zeit wiederentdeckte Materialität des Sozialen, mit der eine Eigenmacht der Dingwelt betont wird, intellektuellen Vorschub geleistet. Jane Bennetts einflussreiches Buch Vibrant Matter,42 das eine fundamentale Lebendigkeit nichtmenschlicher Materialität reklamiert, übte starken Einfluss auf Lesarten der Occupy-Bewegung aus, in denen Abstraktion und Dinghaftigkeit in der Welt des Sozialen als entscheidende
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Kräfte verstanden werden. Das Schwarm-Archiv, das etwa Gregory Sholette in der Occupy-Wall-Street-Besetzung verkörpert sieht, verbindet die im Raum unmittelbar gegebenen konzeptuellen, biologischen und materiellen Texturen mit den schattenhaften Archiven anderer Zeiten und anderer Versuche der Selbstrealisierung, mit Residuen unterschiedlicher Zeiten, die sich im Gemenge des Protests materialisieren. Der Zuccotti Park stellt sich so als eine Sammlung von Materialien, biopolitischen Praktiken und Alltagsdokumenten dar, die alle darauf warten, als interpretierbarer Text erkannt zu werden.43 Diese Abwanderung in den Raum des Archivs geht einher mit einem Gewinn an Symbolhaftigkeit und Beweiskraft, mit dem Wachstum einer Zone der Evidenz, in der Fundstücke, Spuren und Überreste auf ein Tribunal von Interpreten treffen. Sie erzwingt aber auch eine Verlagerung der Biographien des Protests von den beteiligten menschlichen Akteuren auf die Gebrauchsobjekte des Protests – auf Zelte, Banner, Plakate und andere Artefakte, deren Tauschwert durch ihren Eintritt in das Archiv steigt, während der zuvor noch unberechenbare Wert der menschlichen Körper schlichtweg sinkt. Durch diese museale Epiphanie der Dinge wird der Beitrag der Protestierenden zum Protest im monetären Sinn, und damit im Sinne der vorhandenen Werthegemonien, entwertet. Zwar geht selbst Rancière in seiner Darstellung der »Aufteilung des Sinnlichen« von der »Macht der Bedeutung, die jedem stummen Ding inhärent ist« als einem der beiden Pole der Fiktionalität unseres Zeitalters aus. Die fiktionalen Anordnungen und miteinander konkurrierenden Erzählungen unserer Erfahrungswelt erwachsen aber nicht aus dem Eigenleben der Dingwelt, sondern aus der Art und Weise, wie wir »undurchsichtige Handlungen und unscheinbare Gegenstände« mit Sinn und Wert beladen.44 Vor diesem Hintergrund ist auch die Auseinandersetzung um den Besitz des Occupy-Archivs als ein politischer Streit zu sehen, der weltweit entbrannt und nur vordergründig ein Expertenstreit um fachkundiges Sammeln und dauerhaftes Aufbewahren von Artefakten ist. Der Streit wirft auf einer weitaus interessanteren Ebene nämlich die Frage nach der Interpretationsmacht auf, die das archivierte Material mit dem Anspruch der Occupy-Bewegung verbindet, selbst-
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bestimmte Interpretationen des Realen zu entwickeln. Aufgrund dieser Verbindung war es den »Anarchivisten« – so die Selbstbezeichnung der Archiv-Gruppe von Occupy Wall Street – auch ein wichtiges Anliegen, unbeeinflusst von der Interessenpolitik etablierter Institutionen und unbeeindruckt vom Fachkanon bestehender Archive eine nachhaltige Präsenz des Protests mithilfe eines eigenen Archivs zu gewährleisten. Um weitestgehend Kontrolle über die Gestalt der Sammlung und über den zukünftigen Zugang zum gesammelten Material zu behalten, wurde darauf Bedacht genommen, keine übereilten Allianzen mit Institutionen, die sich als Partner anboten, zu schließen. Einige wenige Kooperationen, wie jene mit der auf die Geschichte der Arbeiterbewegung und radikaler politischer Bewegungen spezialisierten Tamiment-Bibliothek und dem Moving Image Archive Program45 der New York University, bildeten die Ausnahme. Dabei wuchs mit der Größe der Sammlung aber auch der Druck, geeignete Räumlichkeiten zum Aufbewahren des Occupy-WallStreet-Archivs zu finden. Tausende gesammelte Artefakte konnten nicht länger in privaten Wohnungen allein untergebracht werden. Als Raum des OWS-Archivs diente letztlich eine Ladenfront im Gebäude der United Federation of Teachers, die kurz als SIS (Shipping, Inventory, Storage) bezeichnet wird und nach der Räumung des Zuccotti Parks begann, nach und nach auch andere Occupy-Initiativen, wie die OWS-Volksbibliothek und eine aus der Besetzung hervorgegangene Druckerei-Kooperative, zu behausen. Digitaler Speicher für Videomaterial, akustische Aufzeichnungen und Online-Manifestationen des Protests wurde von Gruppen wie dem Internet Archive46 oder der Tamiment-Bibliothek zur Verfügung gestellt. Um die Aktivitäten von Occupy in sozialen Medien zu archivieren, wurden OnlineInitiativen wie das Occupy Wall Street Screenprinting Lab auf flickr oder Occupy Wall St. Care Packages auf tumblr gestartet. Gerade die intensive Verflechtung der Occupy-Bewegung mit den Kommunikationsmöglichkeiten sozialer Medien und digitaler Netzwerke macht die Autorität und Kontrolle über diese Aufzeichnungen zu einer politisch bedeutsamen Angelegenheit, geht es doch um die Sicherung
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des freien Zugangs zu den Diskussionen, Protokollen, Resolutionen und Manifesten einer weltweit aktiven Bewegung. Eine der oftmals geäußerten Schwierigkeiten im Umgang mit dem Material der Occupy-Bewegung, speziell im Fall von New York, liegt darin, dass aufgrund der führungslosen, horizontalen Struktur der Bewegung oft keine Rechtspersönlichkeit vorhanden ist, um über ein bestimmtes Archiv zu verfügen und rechtlich bindende Verträge abzuschließen. Wer sollte auch als Repräsentant jener gelten, die sich als die 99 % begreifen und ihr Anliegen als den Willen der Allgemeinheit sehen? Wer kann diese Allgemeinheit für sich beanspruchen, wenn nicht jeder zu gleichen Teilen? Im Licht dieser Fragen veranstaltete das Museum of London Ende März 2012 eine öffentliche Diskussion zur Frage, wie Protestbewegungen dokumentiert werden sollen. Britische Künstler wie Jeremy Deller, aber auch Aktivisten der Londoner Occupy-Bewegung beteiligten sich an dieser Debatte, die nicht zuletzt durch die Räumung des Londoner Occupy-Camps vor der St.-Pauls-Kathedrale in der Nacht zum 28. Februar 2012 losgetreten worden war. Kuratoren sprachen von der nun anstehenden Aufgabe, im Sinne des Museums darüber zu urteilen, ob die Besetzung ein wichtiges historisches Ereignis sei, und dass zur Klärung dieser Frage jenes Material beitragen soll, das vom Museum of London bei der Räumung des Occupy-Camps vor Ort eingesammelt worden war. Bei der Auswahl von Objekten für das Museum würden Lagerfähigkeit und Einzigartigkeit eine gewisse Rolle spielen, handgefertigte Objekte jedenfalls bevorzugt und auch deren Herstellungsgeschichte mit aufgezeichnet werden. Dieser Eingriff in das Archiv der Besetzung macht deutlich, wie hier räumliche und rechtliche Verschiebungen zusammenwirken und so das Phänomen Occupy in eine neue Logik kleiden. Der Wert des OccupyArchivs wird nicht länger über die selbstverfasste »Deklaration der Besetzung« oder über die von der Besetzung formulierten »Prinzipien der Solidarität« bemessen, sondern in Einklang mit den museumseigenen »Richtlinien zum Erwerb und zur Veräußerung von Objekten«, die den historischen Wert von Artefakten als Kriterium zur Beurteilung potenzieller Neuerwerbungen heranziehen. Der
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Raum, den die gesammelten Objekte im Museum einnehmen, ist nicht länger der unbeständige Ort des Protests, sondern der streng kontrollierte Lagerraum einer städtischen Institution, der nicht nur mit Schenkungen von Occupy-Aktivisten und selbstgesammeltem Material gefüllt worden ist, sondern auch mit zahlreichen jener Objekte, die von der Polizei freigegeben wurden, nachdem sie bei der Räumung des Geländes in Beschlag genommen worden waren. Die Ironie des weltweit verstreuten Occupy-Archivs besteht so darin, dass weder Aktivisten noch Museen, sondern die Ordnungsmacht der Polizei über die bedeutsamsten Sammlungen der Bewegung verfügt und einen entscheidenden Einfluss darauf hat, wessen Autorität mit diesen Verwahrstücken die Geschichte der Occupy-Bewegung schildern kann. Die Asservatenkammer der Polizei ist jener Ort, an dem die Archive der Occupy-Bewegung domiziliert werden, der Ort also, an dem ihre Bestandteile zusammengetragen, eingeräumt, gekennzeichnet, in einem Verwahrbuch registriert, gegebenenfalls in Rechtsverfahren verwendet und an befugte Adressen weitergegeben werden. Mit der Asservatenkammer setzt sich eine polizeiliche Logik fort, die schon in den ersten Tagen der Besetzung bestimmt hat, welche ästhetischen und künstlerischen Äußerungen erlaubt sind, welche Materialien und Technologien verwendet werden dürfen, um dem Protest Ausdruck zu verleihen, welche Räume besetzbar sind und welche Nutzungen den Verordnungen entsprechen.47 Jacques Derrida hat in diesem Zusammenhang auf den etymologischen Ursprung von Archiv im griechischen Wort arkheion, mit dem das häusliche Domizil führender Amtsträger bezeichnet wurde, hingewiesen. Im Versammeln der Dokumente im Raum des Archivs und in der damit verbundenen Interpretation der Dokumente kommt die archontische Macht der Gesetzgebung zum Ausdruck.48 Als »Hausarrest« bezeichnet Derrida den institutionellen Wechsel vom Privaten zum Öffentlichen – den Eingriff von Amtsträgern, mit dem vorhandener Wert solidifiziert wird, sei es durch die Verwahrung in einem Gebäude oder, im erweiterten Sinn, in einer Architektur sozialer Erinnerung, die verlangt, soziale Macht im materiellen Ver-
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bleib von Ereignissen zu instituieren. An der damit hergestellten Überschneidung von Ort und Gesetz, Raum und Rechtsprechung findet das Archiv statt. Die daraus hervorgehende Frage richtet sich nicht nur an die Materialität der gesammelten Dinge, sondern stellt sich als eine politische Frage dar, als Frage nach den Logiken der Versammlung, dient doch das Archiv, wie Derrida schreibt, der Konsignation, dem Versammeln: »Unter Konsignation verstehen wir nicht nur im geläufigen Sinne des Wortes die Tatsache, dass ein Wohnort zugewiesen wird, oder dass etwas zur Aufbewahrung an einem Ort oder auf einem Träger anvertraut wird, sondern hier verstehen wir darunter den Akt des Konsignierens im Versammeln der Zeichen. Die Konsignation strebt an, ein einziges Korpus zu einem System oder einer Synchronie zusammenzufügen, in dem alle Elemente die Einheit einer idealen Konfiguration bilden. […] Das archontische Prinzip ist auch ein Prinzip der Versammlung.«49 In dieser Form des Archivs trifft die Versammlung der Zeichen, die das Archiv vollzieht, auf die Spuren der Versammlung, die ein grundlegender Gedanke der Occupy-Bewegung ist – auf das Zusammenkommen und gemeinsame In-Erscheinung-Treten der Besetzung in Vollversammlungen. Die Versammlung der Occupy-Besetzung wird im Zeichen des Archivs wiederholt und dabei an einen anderen Ort und an eine andere Stimme übertragen. In dieser Wiederholung und Übertragung der Versammlung im Zeichen des Archivs – im Zusammenfließen der archontischen Macht der Gesetzgebung und der damit verbundenen Konsignationsmacht – liegt die besondere Macht des Archivierens der Occupy-Bewegung. Die Summe der kreativen, künstlerischen und ordnungspolitischen Eingriffe, die von Anfang an Teil der Occupy-Bewegung waren, skizziert so eine Bahn vom Eindringen ins Archiv zu einer Archivierung des Eindringens.
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7 Versammlungen Bauproben der Zukunft Der Parrhesiast offenbart seinem Gesprächspartner nicht, was der Fall ist. Er enthüllt ihm oder hilft ihm zu erkennen, was er selbst ist. Michel Foucault 1
B RUCHLINIEN SYMBOLISCHER M ACHT Am Wochenende des diamantenen Kronjubiläums von Elizabeth II. Anfang Juni 2012 lud Occupy London zum »Occupy Democracy«Picknick vor den Stufen der St.-Pauls-Kathedrale, dem einstigen Lagerplatz von Occupy London Stock Exchange. Gezählte 20 Personen, die Redner mit eingeschlossen, folgten den Ansprachen, während zur gleichen Zeit mehr als eine Million Menschen im strömenden Regen der Bootsfahrt einer Königin beiwohnten.2 Gegen die für wenige Tage später angesetzte Räumung des letzten der 2011 in London errichteten Camps, Occupy Finsbury Square, konnte zunächst noch ein Aufschub bis 15. Juni 2012 erwirkt werden.3 In der Nacht auf den 14. Juni, um ein Uhr früh, wurde schließlich auch dieses Camp von der Polizei geräumt. In Hongkong ließ zur gleichen Zeit HSBC der Gruppe von Occupy Central, die seit Oktober 2011 ihr Lager im Atrium des HSBC-Hauptquartiers aufgeschlagen hatten, die Aufforderung ausrichten, für andere im Laufe des Sommers geplante Community-Events Platz zu machen.4 Der vielfach angekündigte
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»Spring of Action« entpuppte sich, zumindest was seine öffentliche Reichweite betraf, als überraschend sprungschwach. In Frankfurt wiederum einigte man sich zunächst bei Gesprächen zwischen dem Frankfurter Ordnungsamt und Occupy-Vertretern auf einen geordneten Abbau des nach der Sperre während der Blockupy-Tage im Mai 2012 wieder bezogenen Lagers auf dem Willy-Brandt-Platz bis zum 15. August 2012, weil, so die Occupy-Vertreter, »[wir] unsere Kritik an einem von Banken bestimmten Gesellschaftssystem […] in der öffentlichen Diskussion verankert [haben]« und eine Präsenz vor der Europäischen Zentralbank vielleicht nicht mehr nötig sei.5 Im Gegenzug für das Ausbleiben von Gewalt während der Blockupy-Tage wollte Occupy Frankfurt von der Stadt ein Gebäude zum Beziehen zur Verfügung gestellt bekommen, um das »Theater« um die wochenweisen Verlängerungsfristen beenden zu können. Am 6. August 2012 wurde Occupy Frankfurt von der Polizei geräumt, wenige Minuten nach dem Beschluss des Frankfurter Verwaltungsgerichts, dass »es für die Mehrheit der das Camp nutzenden Personen ersichtlich um die Befriedigung individueller Bedürfnisse [...] gehe, nicht jedoch um ein gemeinsames kommunikatives Anliegen mit dem Ziel der Einwirkung auf die Öffentlichkeit«.6 Ein knappes Jahr nach dem am 13. Juli 2011 auf Adbusters gebloggten Aufruf »Occupy Wall Street« und der ab dem 17. September 2011 mit dem »Liberty Square« im New Yorker Zuccotti Park begonnenen Errichtung von Zeltlagern und dem Erproben basisdemokratischer Alternativen zur Krise der Schuldenwirtschaft präsentierte sich Occupy weltweit mit widersprüchlichen Realitäten. Fast alle der im Herbst 2011 aufgeschlagenen Lager waren in der Zwischenzeit von den Behörden mittels Polizeieinsatz geräumt worden. Wie schon zu Beginn der ersten Auseinandersetzungen wurden auch dabei wieder Polizisten beim Einsatz der berüchtigten Pfeffersprays gefilmt. Auch das Video der Pfefferspray-Attacke auf eine Sitzblockade am Campus der University of California in Davis durch universitätseigene Polizeikräfte im Zuge der Räumung des dortigen Occupy-Camps am 18. November 2011 ging um die Welt.7 Zwar befand eine von der Universitätsleitung eingesetzte Untersuchungskommission die Aktion
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der Campus-Polizei für »sachlich unangemessen«8, außerhalb der Universität beschränkten sich die Reaktionen jedoch auf eine wechselseitige Diffamierung in den Kommentaren zu den online veröffentlichten Videoaufzeichnungen des Vorfalls. Nach einigen herbstlichen Wochen der Euphorie, die etwas von der Aufregung eines neuen Studienbeginns mit ins Freie nahmen, und dem darauf folgenden langen Winter der kräfteraubenden Verteidigung von Zeltlagern scheint sich aus der Perspektive der Bewegung eine ernüchternde Bilanz zu ergeben. Was haben die vielen Stunden der mühevollen Konsensbildung, des Tauglich-Machens der Lager, des körperlichen Einsatzes in zivilem Ungehorsam letztlich gebracht? In den USA hat Präsident Barack Obama nicht – wie im anfänglichen Adbusters-Posting gefordert – eine präsidiale Kommission zur Beendigung des Einflusses der Geldwirtschaft auf die Regierung eingesetzt. Die von Occupy eingeschlagene Route, mit einer Inanspruchnahme demokratischer Grundrechte die Verantwortlichkeit des Staats herauszufordern – darauf zu pochen, dass eine Demokratie durch ihre Bürger konstituiert wird – ist vielmehr auf eine reaktionäre Gewalt getroffen. In den USA haben die staatlichen Organe mit einer verschärften Regelung öffentlicher Räume reagiert, die eine tatsächliche Inanspruchnahme des im ersten Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung gewährten Rechts auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung de facto verunmöglicht oder jedenfalls maßgeblich behindert. So wie in Los Angeles haben zahlreiche Stadtregierungen und Verwaltungsbehörden die Art und Zeit der Benutzung öffentlicher Räume drastisch eingeschränkt. Das neu formulierte Verbot der Errichtung von Strukturen, die keinen allumfassenden Einblick gewähren, zielt direkt auf das von Occupy verfolgte Modell, politischem Protest durch das Einrichten einer permanenten Versammlung Aus- und Nachdruck zu verleihen. Demgegenüber spitzt sich die wirtschaftliche Lage immer weiter zu. In den USA fällt zu Beginn 2012 die hinsichtlich verdeckter Arbeitslosigkeit aussagekräftigere Erwerbsquote auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren.9 In den Mittelmeerländern Spanien und Grie-
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chenland erreicht der Anteil der Unter-25-Jährigen ohne Erwerbseinkommen die 50-Prozent-Marke.10 In Spanien, wo die OccupyBewegung in den Indignados einen ideenstiftenden und zugleich zahlenstarken Verbündeten hat, wird die Regierung im Juni 2012 dazu gezwungen, für die vom Platzen der Immobilienblase besonders betroffenen Banken beim sogenannten Euro-Rettungsfonds um Stützungsmittel in der Höhe von 100 Milliarden anzusuchen. Der Dank für das neuerliche Einspringen des Staates für die Banken folgt postwendend im Herabstufen seiner Kreditwürdigkeit durch die alles beherrschenden Ratingagenturen, weil »sich damit die Schuldenlast des Landes weiter erhöhe«11. Die Spirale der Kostenabwälzung auf die Allgemeinheit dreht sich, unbeirrbar ihrer eigenen Logik verpflichtet, Stück für Stück weiter. Mit diesem Szenario, dessen Eigendynamik unaufhaltsam wirkt, breitet sich ein Gefühl der zunehmenden Ohnmacht aus. Der im Herbst 2011 so ansteckende Impuls von Occupy, gegen diese Machenschaften auftreten zu müssen und eine alternative Organisation unserer Gesellschaft selbst in die Hand zu nehmen, scheint ein Jahr später nur mehr ferne Erinnerung zu sein. In der Tat sind es gerade diese Zuspitzungen der wirtschaftlichen Lage, die, ungeachtet einer langen Liste an Einwänden, die OccupyBewegung zu einer wichtigen politischen Referenz machen. Es mag so scheinen, dass Occupy überwunden und ein sachverständiges Einvernehmen wieder hergestellt worden wäre, so, als ob der Common Sense wieder Platz greift. Tatsächlich ist die Rückkehr zur vorherigen Ordnung keineswegs gesichert. Die von Occupy gestellten und an Occupy gerichteten Fragen sind vielmehr dringlicher denn je. Inwiefern Occupy für politisches Engagement richtungsweisend sein kann, hängt davon ab, wie die oft widersprüchlichen Einsichten aus Occupy zusammengebracht werden können, wie wir eine Handlungsfähigkeit entwickeln können, welche die komplexen Beziehungen zwischen der Systemhaftigkeit des Finanzkapitalismus und dem von Occupy angerufenen Individuum jenseits von fixierten Oppositionen aufnehmen kann. Dies bedeutet etwa eine Sprache jenseits von ›sie und wir‹ zu finden und anzuerkennen, in jedem Geschehen auch selbst impliziert zu sein.
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Der erste wichtige Punkt betrifft die Modalität der Zusammenhänge und die Wirksamkeit von psychosozialen Ereignissen an sich: das für das Zusammenspiel realer Abläufe so kritische Moment der Nachträglichkeit. Es wäre falsch, politische Mobilisierung auf eine linear-kausale Abfolge von Auslöser und Reaktion zu reduzieren. Protest und Aufruhr lassen sich nicht Eins zu Eins auf die unmittelbaren Umstände zurückführen. Das aus dem psychoanalytischen Denken entwickelte Modell der Nachträglichkeit erfasst das Ereignis und die Bedeutungsverleihung als sowohl eigenständige als auch in sich gefaltete Wirkungsbereiche. Ereignis und Bedeutung unterliegen so einer wechselseitigen Formung, ohne idente Abdrücke voneinander zu bilden. Die transformierende Kraft der Nachträglichkeit hat über die gesamte zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zeitgenössische Denker von Jacques Lacan über Jean Laplanche bis zu Gilles Deleuze und Félix Guattari auf unterschiedliche Weise beschäftigt. Aus diesen Arbeiten resultiert ein Fundus an Werkzeugen, unser soziales Handeln als ein dynamisches In-Beziehung-Setzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erfassen. An die Stelle einer starren Opposition zwischen einem inneren Selbst und einer äußeren Welt tritt ein Prozess des bedeutungsgebenden Begehrens. Das Denkmodell der Nachträglichkeit bricht nicht nur mit einer direkten Kausalität zwischen Ereignis und Bedeutungsgebung, sondern auch mit der Vorstellung einer linearen Abfolge an Zeit-Räumen. Für die Einschätzung der Ausgangslage und Wirkung unseres politischen Handelns ist so ein multidimensionales Feld an Kräften einzubeziehen. In ihren Kritiken an einer allzu mechanisch verstandenen Dialektik von Motiv und Motor politischen Engagements haben unter anderem Hal Foster und Jean-François Lyotard das ermächtigende Moment nachträglicher Bedeutungsgebung hervorgehoben. Jede Avantgarde-Bewegung verarbeitet immer auch Spuren früherer Bewegungen, während sie bereits die Saat für die Traumata der Nachkommenden legt. Damit ist auch Occupy nicht mit einem Erfolg oder einem Scheitern abzuschließen. Vielmehr gilt es, die jeder Bewegung inhärente Widersprüchlichkeit aus den Rückbezügen und Vorgriffen auf ein unentwirrbares Geflecht an verlagerten Räu-
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men und Zeiten zu verstehen. Die postmoderne Diskussion um die Wirkmacht der Nachträglichkeit entspringt einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von künstlerischer Avantgarde und sozialer und politischer Kritik, künstlerischer Erkenntnis und ästhetischer Urteilskraft. In der Politik der Ästhetik, aber auch in der zeitgenössischen Ästhetik der Politik, werden die Raum und Zeit verschiebenden Effekte der Nachträglichkeit deutlich erkennbar. In diesem Sinne richtet sich ein wesentlicher Teil des Wirkens von Occupy auf eine ästhetische Einmischung in die Verteilung des Sinnlichen und der Erneuerung eines Common Sense. Die Konsensbildung in den Vollversammlungen, eine der Kernfiguren von Occupy, ist ein Beispiel solcher ästhetischer Rückgriffe. In den 1970er Jahren wurde diese Praxis direkter Demokratie von der feministischen Bewegung als ein Weg zur Herstellung gruppenbezogener Verantwortlichkeit anstelle vorgeblich freier, selbstherrlicher Willkür erarbeitet. Die ästhetischen Rahmungen für solcherart egalitärer Entscheidungsfindungen wurden immer wieder von verschiedenen Gruppierungen in ganz unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen und weiterentwickelt. Andere Spuren der Rückführung beziehen sich auf die seit 300 Jahren praktizierten Methoden der Quäker. Aus der jüngeren Geschichte wirken die in Argentinien während des institutionellen Zusammenbruchs im Jahr 2001 gesammelten Erfahrungen mit improvisierten Nachbarschaftsversammlungen als Bauproben kollektiver Selbstverwaltung. Das für den Charakter der Vollversammlungen von Occupy Wall Street identitätsstiftende Menschenmikrofon wiederum rief körperliche Erinnerungen an frühere Proteste der Antiglobalisierungsbewegung zur Zeit der Jahrtausendwende wach. Das Zelten selbst ist ein komplexer Topos von Notlagen und Sehnsüchten: Bilder verlorengegangener Jugendkulturen, Vorstellungen von ›wahrer‹ Freiheit, vermischen sich mit Szenarien des Aussteigens und zwangsweiser Obdachlosigkeit. Ähnlich wie bei anderen Besetzungsbewegungen (Hausbesetzungen, Wagenburgen usw.) konkurriert das Idyll der völligen Loslösung mit dem Verlangen, Ansprüche an die Gesellschaft zu stellen. Das Zelten ist kei-
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ne politische Qualifikation, es ist Ausdruck gleichzeitiger Wünsche nach innerer Genügsamkeit und einer Eroberung der Welt. Unter der Krafteinwirkung der Nachträglichkeit erscheint, einem konventionellen Diktus nach, Occupy als zugleich progressiv und reaktionär. Der den Protest hervorrufende Leidensdruck erzeugt immer auch ein Bedürfnis nach rückgreifender Kompensation. Fast jeder Widerstand gegen die ›feindliche Übernahme‹ des Staates durch die marktgetriebenen Interessen des Neoliberalismus sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, im Kampf um den Erhalt von Institutionen des sozialen Ausgleichs letztlich rückschrittliche Forderungen zu stellen. Genauso berechtigt wie die Frage nach der tatsächlichen Radikalität und Fortschrittlichkeit von Bewegungen, die sich für den Erhalt eines vermeintlichen ›Status quo‹ einsetzen, ist ein In-FrageStellen des Wertes von ›Neuheit‹ an sich: Versteckt sich hinter einem solchen Fortschrittsdogma nicht selbst eine verkappte Marktmentalität – das Verlangen nach einem ständigen Neuerschließen verwertbarer Ressourcen? Das Konzept der Nachträglichkeit hilft uns so, den Handlungsrahmen von politischen Bewegungen über ihre konkreten örtlichen und zeitlichen Manifestationen hinaus aufgespannt zu sehen. Ein ›Scheitern‹ in einer bestimmten Situation muss so nicht als absolut gelten – die an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit gewonnenen Erfahrungen können den entscheidenden Schub in einer anders gelagerten Konstellation bringen. Die in den einzelnen von Occupy aufgeschlagenen Lagern zusammengekommenen Subjekte entstammen nicht einem einheitlichen Umfeld mit eindeutigem Ursprung. Occupy ist nicht nur eine Reaktion auf die Finanzkrise von 2008, sondern lebt auch die kollektive Erinnerung an die Campusbesetzungen der 1968er-Studentenbewegung, die Hoffnungen und Frustrationen der alternativen Kommunen der 1970er und 1980er wie auch die Ängste vor einer Welt der knappen Ressourcen aus. Aus dieser Dynamik ergibt sich der zweite dringliche Punkt für das Weiterdenken von Occupy, die Frage nach Zusammenkommen und Platzgreifen dieser Nachträglichkeiten, das heißt nach der politischen Bedeutsamkeit von Anordnungen. Die an einem Ort und zu
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einer bestimmten Zeit zusammentreffenden Kräfte können nicht nur verschiedene Ursprünge haben und von gegensätzlichen Nachträglichkeiten geleitet worden sein, ihr Aufeinandertreffen an einem konkreten Schauplatz selbst kann nicht in einen eindeutig sinnvollen Zusammenhang gebracht werden. Das stetige Überformen von Motiven bewirkt, dass ihr Erscheinungsbild nicht notwendigerweise die zugrunde liegenden Kräfte repräsentiert. Die kolportierten Wahrnehmungen können sowohl einer bewussten Manipulation zur Konstruktion gewünschter Realitäten entsprechen als auch der Effekt von gänzlich anders gerichteten Intentionen sein. Für politisches Handeln ergibt sich daraus die Situation, dass sich ein Konflikt nicht als klare Lagerbildung von Gegnerschaften darstellt, sondern als eine flüchtige Anordnung sich überlagernder Effekte, die über eine konkrete Lage hinausreichen – eine Anordnung, die immer auch hochgradig instabil ist. Der ›Gegner‹ von politischen Bewegungen wie Occupy ist nicht der zentrale Wille eines bösartigen Systems. Die Macht des Kapitals gründet sich nicht auf ein Subjekt, sondern auf eine Anordnung von Teilnahmen. Die Macht des Systems beruht so auf der Aufrechterhaltung des Glaubens an seine Unerschütterlichkeit und Unabwendbarkeit. Die ›revolutionäre‹ Errungenschaft liegt demnach im Greifbarmachen der Instabilität von Systemen. Eine oftmals paradoxe Aufgabe, sind revolutionäre Momente doch nicht selten von einem Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit ausgelöst bzw. werden selbst wieder Auslöser davon. Die in einer solchen Situation bereits angelegte ›konterrevolutionäre‹ Gegenbewegung einzubeziehen, verlangt danach, die systeminhärente Instabilität nicht als beliebig und willkürlich misszuverstehen und deshalb politisches Engagement als obsolet abzutun, weil es nie ein Ziel erreichen kann. Auch in instabilen Gefügen kommen kontingente Praktiken und Dingwelten zum Wirken, die erkannt werden und Handlungsplattformen hervorbringen können. Die Herausforderung an politische Bewegungen liegt somit darin, die eigene Verwicklung in die Begehrensbahnen dieser Anordnungen und die damit verbundene Unendlichkeit von Affekten anzuerkennen. Auch die in sich selbst instabile Anordnung von Occupy zeitigt somit af-
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firmative wie subversive, destruktive wie produktive, ästhetische wie ethische Effekte. Aus diesen ersten beiden Aspekten resultiert der dritte und für viele Bewegungen besonders schmerzliche Punkt: Politische Proteste können Ausdruck einer systemischen Veränderung sein, ohne diese selbst vollziehen zu müssen. Eine tektonische Verschiebung im gesellschaftlichen Kraftgefüge kann in einer Protestbewegung einen Auslass finden, dieser nachträgliche Effekt muss aber nicht zwangsläufig in einen damit zusammenhängenden politischen Umbau eingehen. Dieses Schicksal politischer Bewegungen zieht sich quer durch fast alle ›Revolutionen‹ der jüngeren Geschichte. Die Exponenten der ›samtenen‹ und auch weniger sanften Revolutionen in Osteuropa 1989 hatten sich gegen einen übermächtig wirkenden Staats- und Polizeiapparat auf die Straßen gewagt. Ihr Rufe »Wir sind das Volk« trafen auf ähnlich breite Unterstützung wie »Wir, die 99 %«. Nach dem vollbrachten Sturz der alten Regierungen kam das Trauma des erneuten Ausschlusses. Die Demonstranten auf den Straßen und die Besetzer von Universitäten und Fernsehsendern hatten die Wende Kraft ihrer Körper eingeläutet. Vorstellungen vom kollektiven Erarbeiten einer alternativen Gesellschaftsordnung wurden jedoch rasch von der Koppelung des Aufbaus einer repräsentativen Demokratie an das Übernehmen der Marktwirtschaft abgedrängt. Die Bürgerrechtler drückten den Wunsch nach Veränderung aus, verkörperten aber nicht die Veränderung an sich. In Ägypten hat der berühmte »Tahrir-Moment« im Februar 2011 zum Sturz von Präsident Mubarak geführt, den faktischen Umbau der Machtstrukturen hat jedoch der zwischenzeitlich die Regierungsgeschäfte führende Oberste Rat der Streitkräfte übernommen. Die Macht des Präsidenten wurde eingeschränkt – zugunsten des Militärrats. Eine von den Generälen wenige Stunden nach der Präsidentenstichwahl am 17. Juni 2012 verfügte Interims-Verfassung übertrug die Gesetzgebungshoheit und das Budgetrecht an den Militärrat, nachdem bereits zuvor das Parlament durch den Verfassungsgerichtshof aufgelöst worden war und der Justizminister die Zugriffsrechte von Militär und Armeegeheimdienst auf Zivilisten er-
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heblich ausgeweitet hatte, etwa auf die Befugnis, Zivilisten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder Blockierens des Verkehrs zu verhaften. Alles zusammen Maßnahmen, die jede Hoffnung auf ein frühlingshaftes Erwachen einer demokratischen Gesellschaft im Keim ersticken lassen haben. Noch Ende Oktober 2011 hatten jugendliche Aktivisten an die missionarische Stärke ihrer Errungenschaften geglaubt und Solidaritätsbotschaften an die weltweit verstreuten Besetzungen von Occupy geschickt.12 Dabei waren aber bereits damals, als das von Occupy Wall Street inspirierte Camp von Occupy Kairo vor dem ägyptischen Innenministerium gewaltsam geräumt wurde, die Bahnen für ein neues System der Repression gelegt. Auch wenn die Demonstrierenden im November 2011 immer noch um den Tahrir-Platz kreisten, war damals schon lange nicht mehr Frühling. Das Moment der Handlung war längst von anderen Interessen besetzt worden. Solche die Kinder der Revolution überrollenden Prozesse sind besonders in jenen Revolten angelegt, bei denen ökonomische Verunsicherungen einen wesentlichen Teil der Verstimmung gegenüber dem System ausmachen. Die revolutionäre Haltung (»so kann es nicht weitergehen«) entspringt hier einer Frustration über das Verfehlen persönlicher ökonomischer Ziele und nicht einer grundsätzlichen Ablehnung des Systems. Die politische Bühne dient als Ersatzschauplatz für die Austragung ökonomischer Konflikte, deren eigentliche Kampflinien nicht erreichbar sind. In einer solchen Dynamik, die aus einer Anordnung widersprüchlicher Interessen herrührt, sind politische Ziele, unter deren Banner sich ein revolutionäres Moment einfindet, ständiger Erosion ausgesetzt und über das Moment hinaus schwer aufrechtzuerhalten. Gerade Occupy ist davon geprägt, dass eine am Ökonomischen orientierte Auseinandersetzung über die Herstellung politisch-symbolischer Räume ausgetragen wird. Im Unterschied zu anderen Bewegungen, wo es der Besetzung sowohl um die Aneignung eines gefährdeten Guts (die Rettung eines abbruchgefährdeten Objekts, die Schaffung von Unterkunft, die Ermöglichung von alternativen Kulturräumen und gemeinschaftlichen Lebensformen etc.) als auch um eine Plattform zur Artikulation
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übergeordneter Anliegen geht, bilden bei Occupy fast ausschließlich ideelle Ziele (die Überwindung der unsozialen Dynamik der Schuldenwirtschaft) den Bezugspunkt für breitere Unterstützung. Das Fehlen einer materiellen Errungenschaft der Besetzung macht es schwer, über die Kreise der unmittelbar Beteiligten hinaus für eine dauerhafte Notwendigkeit der Lager zu argumentieren. Ist für die Besetzer das Lager der Ort, um durch gruppenkollektive Entscheidungsfindung und Inanspruchnahme individueller Freiräume in die sozio-urbane Ordnung einzugreifen, so ergibt sich im Verlauf der Besetzung stattdessen eine Anordnung, die das Zelten auf öffentlichen Plätzen als parasitäre Praxis erscheinen lässt. Die Erkenntnis, dass der revolutionäre Einsatz nicht belohnt wird, ist besonders dann schmerzlich, wenn ein persönlich erfahrenes Leiden den Impuls zum Aufstand gegeben hat. Was hier zum Ausdruck kommt, ist das Dilemma der Herstellung symbolischer Räume: Gerade weil die Ebene der Repräsentation das Ziel ist, kann die Bedeutung dieser Räume nicht stabil gehalten werden, ungeachtet dessen, ob für die Beteiligten das Konstituieren von symbolischen Räumen zugleich auch das Schaffen von Lebensräumen bedeutet.
D IE E NTFREMDE TEN Zusammen ergeben diese drei Dynamiken – die Nachträglichkeit von Effekten, die Instabilität von systemischen Anordnungen und die Inkongruenz von Ausdruck und Verkörperung – einen praxisnahen Bezugsrahmen, die Motive und Bedeutungen der Occupy-Bewegung nicht zu überschätzen, aber auch nicht zu unterschätzen. Das oft sisyphusartige Scheitern von Besetzungen mag den Schluss nahelegen, Aufstände wären unfähig, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. In der Tat gibt es ein unheimliches Echo zwischen Occupy und vorangegangenen Generationen jugendlichen Protests. Als würde einem Skript gefolgt, das die Abfolge der einzelnen Akte vorgibt, scheinen die Versuche, unabhängige Räume einer Alternativkultur zu schaffen, immer wieder auf den ewig gleichen, vorprogrammier-
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ten Kollaps zuzusteuern. Dass diese Konflikterfahrung von jeder Protestbewegung immer wieder aufs Neue gemacht werden muss, macht diese deswegen nicht weniger wichtig oder notwendig. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, prinzipiell eine Konstellation zu ermöglichen, in der wir diese Erfahrungen machen können. Hier zeigt sich unsere Handlungsmöglichkeit über die Effekte der Nachträglichkeit: Die konkrete Begegnung mit Konflikten kann nicht abgenommen werden, aber wir können einen Rahmen von Erinnerungen anbieten. Darum sind Projekte wie das Occupy-Archiv und die damit verbundenen Fragen von Wer, Was, Wie, Wo wichtig und bedeuten mehr als nur ein selbstbezügliches Schwelgen in Nostalgie. In seiner Ansprache im Zuccotti Park am 9. Oktober 2011 hat Slavoj Žižek gleich zu Beginn eindringlich, und zu Recht, vor der Gefahr gewarnt, sich zu schnell mit dem vorausgreifenden Schaffen einer Occupy-Nostalgie »Oh, we were young, it was beautiful …« zu begnügen.13 Unabhängig davon kann die Pflege ästhetischer Formen (die Sammlung von künstlerischen Artefakten, aber auch die Tradierung bestimmter performativer Praktiken) eine wichtige Rolle im Herstellen eines sozialen Gedächtnisses spielen. Auch wenn manche der heute von Occupy-Aktivisten hergestellten ästhetischen Repräsentationen vordergründig unzeitgemäß erscheinen mögen, liegt in der Produktion solcher mnemischen Rahmungen eine wesentliche Qualität oppositioneller Bewegungen. In der Tat berührt die Frage nach der Wirkung dieser Repräsentationen, nach dem Verhältnis zwischen Dingwelt und menschlicher Interaktion einen besonders empfindlichen Punkt der von Occupy ausgedrückten Verunsicherung. Wenn das anthropozentrische Weltbild scheinbar unbeirrt auf die Zerstörung des Planeten Erde zusteuert, wird es immer dringlicher, unseren Umgang mit materiellen und immateriellen Gütern zu überdenken. Wie kann ein Leben aussehen, in dem der menschliche Konsumbedarf nicht der Maßstab aller Dinge ist? Den Spekulationen der Schuldenwirtschaft, die keine Rücksicht auf unabschätzbare ökologische Folgen nehmen, stellen Occupy und verwandte Bewegungen, wie die Camps for Climate Action, eine Rückbesinnung auf die Eigenwürde unserer Umwelt gegenüber. In
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dieser Suche sind sie Zeitgenossen einer Debatte über die Neubesetzung menschlicher Erkenntniskraft und Handlungsfähigkeit. Diese Abkehr von einer Menschzentriertheit findet ein Echo in den Rufen von Occupy, die Befindlichkeiten der Wall Street nicht als alleiniges Richtmaß gesellschaftlicher Wertigkeiten anzusehen. Das zeitgleiche Auftreten einer Diskurswende im Betrachten menschlicher Subjektivität und der Ausbreitung der Occupy-Bewegung mit ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung ist nicht nur symptomatisch dafür, dass der systemischen Krise auch eine ideelle Krise zugrunde liegt und entspringt, sondern skizziert auch die Konfliktlinien, die sich durch die Praxis von Occupy selbst ziehen. Die aktuelle Krise der Wachstumsideologie impliziert nicht nur selbstlose, auf die Rettung der Welt ausgerichtete Motivationen hinter dem wiedererwachten Interesse an der Handlungsmacht der Dingwelt. Der Wunsch nach Ablöse einer anthropozentrischen Ausrichtung ist nicht bloß eine Antwort auf die Krise, sondern aus der Krise geboren und trägt somit selbst der Mentalität der Krise immanente Züge. Mit dem Plädoyer für ein unabhängiges Leben der Dinge schleicht sich oft auch eine Abwehr menschlicher Verantwortung ein, sowohl hinsichtlich des Raubbaus an den materiellen Ressourcen als auch der Missachtung von Qualitäten menschlicher Sozialität. Unabhängig vom Gedanken, belebten und unbelebten Elementen gleiche Ansprüche zuzugestehen, erlaubt die Ästhetisierung von Objekten eine Rückkehr zur Fetischisierung von handelbaren Objektwerten. Unter dem Vorwand von krisenbedingten Sachzwängen wird so ein ›bereinigter‹ Markt durchgesetzt, der unliebsame Externalitäten, etwa menschliche Folgekosten, noch radikaler aus seinen Kalkulationen auszuschließen vermag. Die Erkenntnis solcher widersprüchlichen Dynamiken bedeutet nicht, jeden Versuch, gleichberechtigte Verhältnisse zwischen sozialer und ökologischer Organisation zu schaffen, als von vornherein aussichtslos abzutun. Gefragt ist vielmehr, das Mitwirken der eigenen Begehrensstruktur in diesen Prozessen der Kooptierung anzuerkennen. Am Beginn fast aller jüngeren Protestbewegungen steht die Erfahrung der Entfremdung – die Erfahrung einer unüberbrückbaren
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Kluft zwischen den eigenen Ansprüchen an die Welt und dem von ihr zuerkannten Handlungsraum. Der Protest richtet sich gegen jene Instanzen, die diese Kluft zu produzieren, zu verstärken oder aufrechtzuerhalten scheinen. Viele Occupy-Aktivisten sehen sich in ihrer Selbstfindung als Gefangene einer alle Lebensbereiche durchdringenden Marktdoktrin. Auch früher behütete Klassen der westlichen Wohlstandsgesellschaften erfahren immer deutlicher, wie systematische Diskriminierung das Grundprinzip finanzkapitalistischer Operationen bildet. Einer wahren Entfremdungsmaschine gleich, richten sich hier alle Investitionen auf die Erhaltung und Ausweitung unterschiedlicher Zugänge zu Ressourcen jeglicher Art, um damit zukünftige Wettbewerbsvorteile zu generieren und auf den Profit der damit hergestellten Differenz zu spekulieren. Dieser Kampf um die Eroberung neuer Märkte wird an mehreren Fronten zugleich geführt: in der Sicherung des Gewaltmonopols, im Einsatz immer neuer Technologien zur Ausbeutung von Ressourcen und im Zugriff auf die Bedeutungshoheit, die all diese Handlungen legitimiert und absichert. Im Zeichen der Krise gerät diese Methode zu einem alles vereinnahmenden Prozess: Staaten eilen zur Übergabe ihrer Mittel für die Erhaltung des Systems, die Schutzbestimmungen gefährdeter Ökologien fallen, und im Bann des angedrohten Zusammenbruchs kann sich das Dogma der Alternativlosigkeit immer weiter ausbreiten. Die fortwährende Erfahrung dieser schrankenlosen Entfremdung prägt die Form und Ausrichtung der Besetzungsbewegungen der letzten Jahrzehnte. Der Protest gegen das hegemoniale System verbindet sich mit dem Erproben von alternativen Lebensräumen, um damit auch die Erkenntnismacht von Gemeinschaften zurückzugewinnen. Im Mittelpunkt dieser Experimente steht der Versuch, die erfahrene Entfremdung zwischen Individuum und Kollektiv, Selbst und Welt zu überwinden. Der persönliche Einsatz für die Schaffung echter demokratischer Räume zielt auf eine Delegitimierung des vorherrschenden Machtsystems. Nicht von ungefähr wird in der Organisation des Alltags von Besetzungen die Wichtigkeit gemeinschaftlicher Entscheidungsprozesse bei gleichzeitiger Garantie indi-
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vidueller Freiräume betont. Über die Herstellung eines Konsenses, einer Figur der Einheit, könne es gelingen, die Kluft zwischen Individuum und Gesellschaft zu schließen, in Einklang mit sich selbst und den Dingen dieser Welt zu kommen. Gegenüber einer Politik des Ausschlusses werden Zufluchtsorte des Einschlusses entworfen – eine Inklusiv-Welt mit Küche und Bibliothek, zum Diskutieren und Meditieren, für alle und jeden. Die Ausgangslage scheint klar zu sein: Um wahren Widerstand gegen die Entfremdungspraxis des Kapitalismus leisten zu können, gilt es nicht nur, dagegen zu protestieren, sondern sich dem Zugriff durch das System zu entziehen und stattdessen gemeinschaftlich an einer Alternative zu bauen. Je isolierender die Diskriminierungsmechanismen wirken, umso dringlicher das Bedürfnis nach Gleichheit durch Gemeinsamkeit. Das Schicksal vieler Besetzungen mag allerdings wenig Hoffnung auf eine nachhaltige Errichtung von Räumen egalitären Zusammenlebens geben. Wenn diese Versuchsanordnungen der Selbstbestimmung nicht auf äußere Anweisung hin mit Bulldozern niedergewalzt wurden, konnten sie oft dem langfristigen Druck nicht standhalten und haben sie sich durch innere Zerrüttung aufgelöst. Daran ist nicht die Unfähigkeit der Besetzer schuld. Trotz aller Anstrengungen können wir der Tatsache nicht entkommen, dass wir immer auch selbst durch das System impliziert sind. Immer Schuldner und Schuldeneintreiber, Sklave und Meister zugleich, gibt es keine Lösung durch die Wahl richtiger Produkte oder optimaler Procedere. Auch die zigtausend Occupy-Tweets wurden auf im Schweiße der Ausbeutung zusammengebauten Geräten verfasst und mit unsauberem Strom verschickt. Auch der Genuss der freien Liebe kann anderen den Schlaf rauben. Die Lager von Occupy haben Raum genommen, Stellung bezogen und sich in den Vordergrund gedrängt. Sie haben aber auch Einsichten gewonnen, Blickwinkel verschoben und neue Praktiken hervorgebracht.
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W AHRHEITEN VON O CCUPY Auch wenn es ein unmögliches Projekt zu sein scheint, das Ziel eines nachhaltigen Lebens in der Welt über eine in sich selbst nachhaltige Praxis des Widerstands zu erreichen, liegt in der Erfahrung dieses Konflikts selbst das vielleicht wichtigste Projekt. Die Manifestationen von Protestbewegungen, sowohl Demonstrationen als auch Besetzungen, haben immer eine Außenwirkung wie auch eine Innenwirkung. Nach außen geben sie einem Anliegen Gesicht, helfen Unbehagen zu artikulieren und dessen Bedeutung zu unterstreichen. Nach innen bieten sie Gelegenheit zur Konzentration des Widerstands, zur Weiterbildung von Argumenten und zur Organisation von Allianzen. In dieser Hinsicht kann eine gewaltsame Auflösung oder ein langsames Zerbröckeln von Besetzungen als Verlust der operativen Plattform und damit als Schwächung des Widerstands gesehen werden. Die technologische Verfeinerung des kapitalistischen Systems hat jedoch eine Situation geschaffen, in der nicht nur der Konflikt selbst, sondern zuallererst das Herstellen von Möglichkeiten zur Artikulierung dieses Konflikts die Stoßrichtung des Widerstands vorgeben muss. Maßnahmen zur Absicherung des Systems beschränken sich nicht rein auf Kontrollapparate zur Sicherstellung eines reibungsfreien Ablaufs. Sie erzielen ihre Wirkung auch über eine Diffundierung räumlicher und sozialer Ordnungen, indem uns bestimmte Rollen der Beteiligung angeboten werden. Der Pfefferspray-Vorfall vom 24. September 2011, bei dem der New Yorker Polizist Anthony Bologna am New Yorker Union Square eine Gruppe bereits festgehaltener junger Frauen in scheinbar ›sinnloser‹ Weise attackierte, brachte der Occupy-Bewegung nicht bloß wegen der Gier der Medien weltweite Aufmerksamkeit. Dieser ›unmenschliche‹ Auftritt von Gewalt gegen Angehörige der privilegierten, weißen Bildungsklasse hatte schlagartig sichtbar gemacht, wie die Aggression der Wettbewerbsgesellschaft längst nicht mehr vor ihren eigenen Exekutoren halt macht. Welche Projekte lassen sich in den Erfahrungen von Occupy für einen produktiven Umgang mit diesen Logiken ausmachen? Wie
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können experimentelle Strukturen geschaffen werden, die den vorherrschenden Wertekanon entkräften und stattdessen andere Wertigkeiten hervortreten lassen? Welche anderen Bezugssysteme jenseits der Marktideologie sind nicht nur vorstellbar, sondern in der Welt um uns wirksam? Das erste Projekt in dieser Suche hat mit dem grundsätzlichen Aufwerfen solcher Fragestellungen zu tun – mit dem Erweitern unserer Handlungsräume über den vorgegebenen Bedeutungsrahmen hinaus. Bereits 1985 skizzierte Félix Guattari in seinem Entwurf einer »Ökosophie« die gegenseitige Abhängigkeit der drei Ökologien von Umwelt, sozialen Beziehungen und menschlicher Subjektivität.14 Die aktuellen Erfahrungen der hemmungslosen Ausbeutung der Umwelt, Vermarktung des Sozialen und Privatisierung der mentalen Sphäre, all diese Effekte der permanenten Krisenhaftigkeit des von Guattari so bezeichneten »integrierten Weltkapitalismus« gründen auf Operationen stetiger Absonderung und Entsorgung nicht sofort verwertbarer Eigenschaften. Politisches Handeln bedeutet heute, sich dieser Verwertungsobsession zu entziehen und Psyche, soziale Struktur und Umwelt als ein gemeinsames Feld zu behandeln. Die Frage der Umweltzerstörung kann so nicht von jener der systematischen medialen Vereinnahmung der Gesellschaft und der Krankmachung des Individuums getrennt werden. In der von Guattari skizzierten transversalen Denkweise öffnen sich unterschiedliche Lebensbereiche für eine wechselseitige Kontaminierung. Eine öko-logische Praxis entsteht so über die Suche, in all den einzelnen Partikeln unserer Existenz die »potenziellen Vektoren für Singularisierung und Subjektivierung« ausfindig zu machen – eine Öko-Logik, die der »Bewegung und Intensität von evolutionären Prozessen« folgt.15 Occupy vollzieht in dieser Hinsicht einen Bruch mit dem Zwang zur Einordnung. Was die Handlungsräume von Occupy aufgespannt hat, waren nicht nur Zeltplanen und Spruchbänder, sondern dissidente Vektoren der Subjektivierung, die einem ständigen Austausch von Bedeutung zwischen Guattaris drei Ökologien entstammen. Als elementare Bausteine der Versammlungsorte von Occupy dienen so
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Experimente mit Formen der Wissenskultur, Soziabilität und Empfindsamkeit, die Suche nach Beschäftigung (occupation) jenseits von rein ökonomischen Zielvorgaben. Im Kultivieren von Dissens und Singularität kann den Effekten des Kapitalismus auf der Ebene einer mentalen Ökologie des Alltags begegnet werden. Ein produktiver Umgang mit dem Unbehagen am System bezieht seine Stärke damit aus einer Anerkennung der Ambivalenz des eigenen Begehrens. Eine wahre Auseinandersetzung mit den entfremdenden Mechanismen des Systems beginnt dort, wo die immer schon vorhandene Unordnung der Dinge in uns selbst Einzug gehalten hat. Das Insistieren auf Prozessen der Subjektivierung als Instrument und Voraussetzung des Verweigerns der eigenen Enteignung skizziert das zweite wichtige Projekt für ein Weiterleben der Ideen von Occupy. Der Aufruf von Occupy artikuliert sich nicht nur als Occupy Wall Street oder Occupy Everything. Sein breitestes Echo findet er in ›Occupy Ourselves‹. Veränderung wird nicht durch die Übernahme der Wall Street oder der Besetzung von allem und jedem erreicht. Veränderung beginnt im Verlangen nach uns selbst. Noam Chomsky ist nicht der einzige Kommentator, der in der Aufforderung zur Besetzung von uns selbst die radikalste Botschaft der Occupy-Bewegung sieht.16 Die Inanspruchnahme unserer eigenen Subjektivierung eröffnet deshalb einen der wirksamsten Schauplätze des Widerstands, weil wir selbst primäres Objekt der Begierde im System sind. Nur durch uns kann das System agieren. Damit eröffnet sich eine Instabilität, die auch auf Occupy selbst einwirkt. Weil der Anreiz von Occupy auch ein ›feindliches‹ Besetzen, eine Inanspruchnahme ›fremder‹ Territorien umfasst, bleibt die Behauptung der Besetzungen immer auch prekär. Der Wahl des Begriffs »Occupy« als Zeichengeber kommt eine bestimmte Bedeutung zu, gleichzeitig kann die Bewegung nicht auf dieses Zeichen reduziert werden. Um und neben, vor und nach dem Aufbruch dieses kollektiven Moments passiert viel mehr, als mit der Beschreibung der physischen Besetzung von Plätzen erfasst werden kann. Im Durchleben dieses Aufeinandertreffens von Ort und Ordnung, Zeit und Vorstellung entstehen eine ganze Reihe von Umschreibungen, mit
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denen wir uns einer Wiederaneignung von Prozessen der Subjektivierung nähern können. Gegenüber dem vordergründig einseitigen ›Besetzen‹ postuliert das von Irit Rogoff vorgeschlagene Denkbild des ›Beziehens‹ (inhabitation) einen Weg der Erkenntnis, dessen einzigartige Logik gerade aus der Begegnung von subjektiver Erfahrung und Umfeld entspringt – ein Umfeld, dessen Konturen von einer metonymischen Beziehung zwischen räumlichen Ordnungen und tradiertem Wissen gezeichnet werden.17 Die ordnungspolitische Gewalt von räumlichen Grenzziehungen wirkt so disziplinierend auf den Horizont des Wissens. Die Emanzipationsbewegungen der letzten Jahrzehnte sind vehement gegen diesen doppelten Ausschluss aufgetreten. Viele konkrete Diskriminierungen konnten beseitigt werden und dennoch stellt sich immer wieder die ernüchternde Erfahrung ein, dass sich auf das erfolgreiche Überwinden der einen Grenzmacht eine andere in Stellung bringt. In Ägypten haben die Tausenden Demonstranten des Tahrir-Platzes im Arabischen Frühling den Rücktritt von Präsident Mubarak gebracht, eineinhalb Jahre danach hat der Militärrat an seiner Stelle die Staatshoheit übernommen. Die Sinnhaftigkeit eines auf konkrete Ziele ausgerichteten Protests schwindet nicht nur durch das ständig wiederholte Aufziehen neuer Grenzsicherungen. Die Platzierung von Grenzen selbst ist unter der Maxime einer deregulierten Zirkulation bestimmter Güter und Subjekte immer mobiler geworden. Ein allein auf einzelne diskriminierende Grenzziehungen gerichteter Protest kann so keine wirkungsvolle Kritik am System mehr hervorbringen. Der eigentliche Schauplatz des Widerstands gegen räumliche wie mentale Ausgrenzung muss stattdessen im Verunmöglichen der Trennung selbst ausgemacht werden. Hier wird ›Occupy Ourselves‹ zum bestimmenden Topos der Bewegung. Der Akt des Widerstands gegen die Ordnungsmacht des Systems zielt auf ein Besetzen der Grenzziehung selbst. Im Beharren auf Raum für Singularität treten Prozesse der Subjektivierung an die Stelle eines Sturms auf Schaufenster und andere kommodifizierte Werte. Die Nichtteilbarkeit unserer Subjektivität zu behaupten, artikuliert die radikalste Opposition zum Funktionieren eines spekulati-
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ven Systems. Eine derart öko-logische Form des Besetzens hilft uns zum einen, das Projekt von Occupy zu konkretisieren. Zum anderen erklärt es Occupy zu einem stets andauernden Projekt, das immer wieder aufs Neue begonnen werden muss. Der Schritt, eine Kritik des Systems über die widerständigen Prozesse der Subjektivierung zu formulieren, lässt ein drittes Zukunftsprojekt von Occupy, das imaginäre Ziel der Besetzung der Wahrheit, näher rücken. Auch wenn die Erfassung einer Wahrheit über Occupy niemals endgültig ist, kann ein gemeinschaftlicher Dialog darüber dennoch konkretes Handeln ermöglichen. Dies ist nicht eine Wahrheit als kontrollierende Handlungsanordnung, weil sie sagt, was der Fall ist. Vielmehr gründet sie auf einem Akt des Wahrsprechens, über den wir uns als Subjekt konstituieren, auf dem Adressieren unserer eigenen persönlichen Wahrheit an andere. Nach Foucault umfasst dieser »Mut zur Wahrheit«18 nicht nur das Risiko desjenigen, der spricht, »trotz allem die ganze Wahrheit zu sagen, die er denkt«. Dieser Mut verlangt auch die Seelengröße des Angesprochenen, »die verletzende Wahrheit, die er hört, als wahr zu akzeptieren«19. Damit Wahrheit konkret wird, muss sie ausgesprochen und gehört werden, braucht es die Öffentlichkeit von Sprechenden und Zuhörern. Dabei liegt die Wahrheit nicht im Gesprochenen an sich, sondern fußt auf der Bereitschaft, sich im Spiel des Wahrsprechens selbst zu erkennen. Die Versammlungen von Occupy, ob auf den besetzten Plätzen im Herzen der Finanzzentren oder in verstreuten Online-Foren, geben solcherart den Mut für ein risikoreiches Versammeln persönlicher Wahrheiten im Öffentlichen. Occupy ist ein Experiment, das eine Vielzahl an Schauplätzen, von der Straße der Stadt und dem Raum der Theorie bis zum Feld der Kunst, einbezieht. Weil eine rein ökonomische Antwort auf die Krisenpraxis des Kapitalismus nicht genügen kann, geht es bei der experimentellen Sozialität der Besetzungen tatsächlich um die Findung neuer Weltanschauungen. Ein solches Projekt ist immer auch ein ›unmögliches‹ Projekt, weil Konflikt nicht über eine Besetzung in einem Raum eingeschlossen werden kann. Die unermüdliche Annäherung an eine Besetzung von uns selbst bringt so als wichtigs-
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tes politisches Werkzeug die Besetzung von Zeit hervor. Anstatt nur ein Mittel der Spekulation auf Schulden und Gewinne zu sein, wird Zeit zu einem offenen Feld von Möglichkeiten. Protestbewegungen sind Seismographen des Unbehagens einer Gesellschaft. Dabei erweisen sich vermeintlich ›gescheiterte‹ Bewegungen oft darin erfolgreich, dass sie ein großes Repertoire nachträglicher Effekte erzielen. »Jetzt müssen sie den Platz mit der Kraft ihrer Argumente besetzen«, gab sich der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg nach der Räumung des Zuccotti Parks am 15. November 2011 siegessicher und meinte die konkrete Wahrheit in der Gewalt der Fakten auszumachen.20 Es ist Ausdruck einer selbstbezüglichen Ignoranz, wenn nach abgeschlossenen Ergebnissen von Occupy gefragt wird. Die Antwort liegt gerade darin, nicht auf kurzfristigen Output fixiert zu sein. Zur Diskussion stehen vielmehr die Effekte einer Politik der Ansteckung. Die Errungenschaft von Occupy liegt in der Besetzung der Option auf Zukunft.
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Anmerkungen
Alle zitierten Online-Quellen wurden zuletzt am 8. August 2012 aufgerufen.
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Von der ökonomischen Krise zur rebellischen Stadt
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Margaret Thatcher in einem Interview mit Douglas Keay, Woman’s Own, 31. Oktober 1987. Aus der Rede von Slavoj Žižek bei Occupy Wall Street, Zuccotti Park, New York, 9. Oktober 2011. Raging Bull ist die 3200 Kilogramm schwere Bronzeskulptur eines angriffsbereiten Bullen, die von seinem Schöpfer Arturo di Modica als Symbol für die ›Kraft und Leistungsstärke des amerikanischen Volkes‹ gedacht ist. Sie gilt heutzutage vor allem als Gallionsfigur der nahen Wall Street und als Symbol für einen aggressiven Finanzhandel. »The NYPD is aware of various protests and we have planned accordingly«, so Deputy Commissioner Paul Browne am Vortag der Aktion. In: Julianne Pepitone: »Hundreds of Protesters Descend to ›Occupy Wall Street‹«, CNNMoney, 17. September 2011. Online: http://money.cnn.com/2011/09/17/technology/occupy_ wall_street/index.htm. Eine Abbildung dieser Karte findet sich in einem Newsdesk-Bericht in The New Yorker. Mattathias Schwartz: »How Occupy Wall Street Chose Zuccotti Park«, The New Yorker, 21. November 2011. Online:http://www.newyorker.com/online/blogs/newsdesk /2011/11/occupy-wall-street-map.html.
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Siehe etwa: http://www.nationofchange.org/occupy-wall-streetmedia-blackout-1317615506. 7 Originalaufnahme: http://www.youtube.com/watch?v=moD2Jn GTToA&feature=youtu.be. Slow-Motion-Analyse von USLAW: http://www.youtube.com/watch?v=TZ05rWx1pig. Das Video der Slow-Motion-Analyse wurde in der Folge auch von The New York Times, MSNBC, CBS, NPR, NY Observer, Tech Dirt, The Atlantic, The Guardian, TIME, UPI, Village Voice gebracht, siehe online: http://occupy.uslaw.com/post/11068650072/pepper-spray-vi deo-strengthens-occupy-wall-streeet. Anthony Bologna wurde in der Folge mit der Streichung von zehn Urlaubstagen diszipliniert und Ende Oktober 2011 als Special Projects Coordinator nach Staten Island versetzt. 8 Siehe online: http://www.adbusters.org/blogs/adbusters-blog/ occupywallstreet.html. 9 Adbusters #97: Post-Anarchism – How to Live Without Dead Time. Online: http://www.adbusters.org/magazine/97. 10 »The antiglobalization movement was the first step on the road. Back then our model was to attack the system like a pack of wolves. There was an alpha male, a wolf who led the pack, and those who followed behind. Now the model has evolved. Today we are one big swarm of people.« Raimundo Viejo, Pompeu Fabra Universität Barcelona, Spanien. Zitiert auf: http://www. adbusters.org/blogs/adbusters-blog/occupywallstreet.html. 11 »Debt Ceiling Deadline – A PEOPLE’S GENERAL ASSEMBLY ON WALL ST«. Online: http://nocutsny.wordpress.com/2011/07 /28/debt-ceiling-deadline-peoples-general-assembly-on-wallstreet/. Geposted am 28. Juli 2011. Anmerkung: Für den 2. August 2011 war die Abstimmung im US-Senat über die Erhöhung des Limits der US-Staatsverschuldung anberaumt. Eine Mehrheit von 74 zu 26 stimmte für die kurz- und mittelfristige Erhöhung um 2,4 Billionen Dollar. 12 Mattathias Schwartz: »Pre-Occupied. The Origins and Future of Occupy Wall Street«, The New Yorker, 28. November 2011, S. 2. On-
Anmerkungen
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line: http://www.newyorker.com/reporting/2011/11/28/111128fa_ fact_schwartz?currentPage=2. Siehe: Jeszp: »REPORT: First General Assembly of New York Established; Preparations for Wall St Occupation Begin«. This__close to solipsism-Blog: http://thisclosetosolipsism.blogspot.co.uk/2011 /08/report-first-general-assembly-of-new.html. Gepostet am 3. August 2011. Online: http://www.nycga.net/. Das Europäische Parlament verlieh Mohamed Bouazizi (neben vier weiteren Preisträgern aus der arabischen Welt) posthum den Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2011. In der Begründung heißt es: »Mohamed Bouazizi steckte sich aus Protest über Demütigungen durch tunesische Behörden in Brand. Sein Tod löste die Proteste des Arabischen Frühlings aus.« Online: http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/de/0023 98d833/Sakharov-Prize-for-Freedom-of-Thought.html Vgl. Ulrike Putz: »Was vor Mohammeds Martyrium geschah«, Spiegel online, 23. Januar 2011. Online: http://www.spiegel.de/ politik/ausland/selbstverbrennung-in-tunesien-was-vor-mo hammeds-martyrium-geschah-a-740901.html. Siehe hierzu auch die offizielle Informationswebsite des ägyptischen Staats: Online: http://www.sis.gov.eg/En/LastPage.aspx ?Category_ID=1135. Ursprünglich: »How to Cook a Pacific #Revolution«. Online: http://takethesquare.net/2011/07/15/how-to-cook-a-pacific-revo lution/. Gepostet am 15. Juli 2011. Online: https://n-1.cc/pg/file/read/344945/quick-guide-to-dyna mics-of-peoples-assemblies-13_6_2011. Gepostet am 20. Juni 2011. Vgl. Jack Shenker und Adam Gabbatt: »Tahrir Square Protesters Send Message of Solidarity to Occupy Wall Street«, The Guardian, 25. Oktober 2011. Online: http://www.guardian.co.uk/ world/2011/oct/25/egyptian-protesters-occupy-wall-street. Vgl. Writers for the 99 %: Occupying Wall Street. The Inside Story of an Action that Changed America. Chicago, IL: Haymarket
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Books 2011; David Graeber: Inside Occupy. Frankfurt a.M.: Campus, 2012. Joseph E. Stiglitz: »Of the 1 %, by the 1 %, for the 1 %«, Vanity Fair, Mai 2011. Online: http://www.vanityfair.com/society/ features/2011/05/top-one-percent-201105. Deutsch: »›E pluribus unum‹. Von dem einen Prozent durch das eine Prozent für das eine Prozent«, in: Carla Blumenkranz et al. (Hg.): OCCUPY! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation. Berlin: Suhrkamp, 2011, S. 44-50. »Occupy Protests Mapped Around the World«, The Guardian Data Blog, 18. Oktober 2011. Online: http://www.guardian.co.uk/ news/datablog/interactive/2011/oct/18/occupy-protests-mapworld. Ähnliches gilt für die Weltkarte des Occupy Directory: http://directory.occupy.net/. Online: http://www.facebook.com/OccupyAnchorage. »Camp Coyote« am Campus der University of New Mexico, 1. Oktober 2011 bis 25. Oktober 2011. Online: http://unoccupyabq. org/. »Oscar Grant Plaza« auf der Frank H. Ogawa Plaza, 10. Oktober 2011 bis 14. November 2011. Online: http://occupyoakland.org/. Dewey Square, 30. September 2011 bis 10. Dezember 2011. Online: http://www.occupyboston.org/. McPherson Square, 1. Oktober 2011 bis 4. Februar 2012. Online: http://occupydc.org/. Online: http://www.democraciarealya.es/. Auf Facebook: http:// www.facebook.com/democraciarealya. Online: http://15october.net/bzw. »United for Global Change #15oct« auf Facebook: http://www.facebook.com/15octobernet. Online: http://map.15october.net/reports. Online: http://map.15october.net/reports/view/267. Online: http://map.15october.net/reports/view/498. Online: http://map.15october.net/reports/view/642. Online: http://map.15october.net/reports/view/629. Online: http://map.15october.net/reports/view/29. Online: http://map.15october.net/reports/view/243.
Anmerkungen
38 »Occupy Protests Around the World: Full List Visualised«, The Guardian Data Blog, 14. November 2011. Online: http://www.gu ardian.co.uk/news/datablog/2011/oct/17/occupy-protests-worldlist-map. Daten auf: https://docs.google.com/spreadsheet/ccc? key=0AonYZs4MzlZbdGhwWGhTUXphUkw3RldHWUlK ZmI5NEE&hl=en_GB#gid=6. 39 St Paul’s Churchyard, 15. Oktober 2011 bis 28. Februar 2012. Online: http://occupylsx.org/. 40 Willy-Brandt-Platz, 15. Oktober 2011 bis 16. Mai 2012 und seit 20. Mai 2012. Online: http://www.occupyfrankfurt.de/. 41 HSBC Plaza, Hong Kong Central. Seit 15. Oktober 2011. Online: http://occupycentralhk.com/. 42 Online: http://directory.occupy.net/occupations. 43 Sarah Van Gelder: »How Occupy Wall Street Changes Everything«, in: Dies. et al. (Hg.): This Changes Everything. Occupy Wall Street and the 99 % Movement. San Francisco, CA: BerretKoehler, 2011, S. 4. 44 Siehe: http://wearethe99percent.tumblr.com/archive. 45 Siehe etwa folgendes Posting: »I worked hard, played by the rules, got good grades, never got into trouble…and I’m SCARED for my future. I have a MASTERS DEGREE…why can’t I get a job??? I am 24 years old. I have $100,000 in student debt (and growing). I have a Masters Degree, but no one will hire me. I am either over qualified or don’t have enough experience… How can you get experience if no one will give it to you? I live with my boyfriend who is barely paying our bills. We can’t afford to get married. I will be kicked off my father’s health insurance soon. When that happens I hope I don’t get pregnant from the lack of birth control since we won’t be able to afford it. If I don’t get a job in the next few months paying more than $8/hr we will have to move in with my in-laws. My father has always worked 12-14 hour days, sometimes with two jobs at a time to make ends meet. He is currently working 12-14 hours a day, 6-7 days a week at a physically demanding job. His body is wearing down and he is showing Parkinsons like symptoms. Over my dead body
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will he ever go into a nursing home. Sometimes I get physically sick from anxiety. I am TERRIFIED for the future. I AM THE 99 %.« Online: http://wearethe99percent.tumblr.com/ post/11122269063/i-worked-hard-played-by-the-rules-got-good. Gepostet am 6. Oktober 2011. Online: http://www.nycga.net/resources/declaration/. Deutsch: http://www.nycga.net/files/2011/10/GermanOccupyNewYorkde claration.pdf. Mark Fisher: Capitalist Realism. Is There No Alternative?. Winchester und Washington, DC: Zero Books, 2009, S. 69f. Ebd., S. 14. Ebd., S. 15. Vgl. Saskia Sassen: »The Global Street Comes to Wall Street«, Possible Futures, A Project of the Social Sciences Research Council (SSRC), 22. November 2011. Online: http://www.possible-fu tures.org/2011/11/22/the-global-street-comes-to-wall-street/. Als ein Beispiel dafür kann die US-amerikanische Automobilindustrie gesehen werden, die heute ihren Profit nicht mehr primär aus der Differenz zwischen Herstellungskosten und Verkaufspreis des Produkts an sich, sondern aus den mitverkauften ›Finanzprodukten‹ erzielt. Vgl. Ananya Roy: Poverty Capital: Microfinance and the Making of Development. London und New York: Routledge, 2010. Online: http://www.nycga.net/resources/principles-of-solidarity/.
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Besetzungen des öffentlichen Raums: Parks, Plätze und andere Freiräume
1
Aussendung des Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden: »Für eine Reform des internationalen Finanz- und Währungssystems in Hinblick auf eine öffentliche Autorität mit universalen Kompetenzen«, 24. Oktober 2011. Online: http://www.nytimes.com/2011/10/16/world/occupy-wall -street-protests-worldwide.html?pagewanted=all.
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Anmerkungen
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Im Sommer 2011 gründeten das Autounternehmen BMW und das Guggenheim Museum gemeinsam ein »mobiles Laboratorium«, das rund um die Welt reisen und dabei »innovative Ideen für städtisches Leben« testen und entwickeln soll. Räumlicher Ausgangspunkt dieser Reise war eine vom Tokioer Architekturbüro Atelier Bow-Wow entwickelte Baustruktur in einem großen Gemeinschaftsgarten an der Houston Street in New York, wo im Herbst 2011 erste Ideen aus den Bereichen von Kunst, Architektur, Design, Bildung und Nachhaltigkeit zu neuen Lösungsansätzen für das Stadtleben verdichtet werden sollten. Das BWW Guggenheim Lab präsentiert sich selbst als eine Mischung von urbanem Think Tank, Community Center und öffentlichem Treffpunkt mit einer Reihe von offenen Programmen. Online: http://www.bmwguggenheimlab.org. Vgl. Marina Sitrin (Hg.): Horizontalism. Voices of Popular Power in Argentina. Oakland, CA: AK Press, 2006. Siehe: Astra Taylor, Keith Gessen und die Herausgeber von n+1 (Hg.): Occupy! Scenes from Occupied America. New York und London: Verso, 2011, S. 96ff. Siehe Videoaufzeichnung der Konferenz: http://www.versobooks. com/blogs/1032-communism-a-new-beginning-conference-nowonline sowie auch http://www.youtube.com/watch?feature=play er_embedded&v=JEuV7DMKess. Ebd. Die nach mehrmaligen beratenden Versammlungen im schwäbischen Memmingen von Vertretern der aufständischen Bauern im März 1525 verabschiedeten »12 Artikel« gelten als eine der ersten Niederschriften von Menschenrechten. Abschrift des Originaltexts der »12 Artikel«: http://stadtarchiv.memmingen. de/918.html. Siehe: Birgitta Bader-Zaar: »Women’s Suffrage Demonstrations, 1906-14«, in: Matthias Reiss (Hg.): The Street as Stage. Protest Marches and Public Rallies since the Nineteenth Century. Oxford: Oxford University Press, 2007, S. 105-124.
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10 Fredric Jameson: A Singular Modernity. Essay on the Ontology of the Present. New York und London: Verso, 2002, S. 2ff. 11 Alain Badiou: »Die gegenwärtige Welt und das Begehren der Philosophie«, in: Rado Riha (Hg.): Alain Badiou, Jacques Rancière: Politik der Wahrheit. Wien: Turia und Kant, 1997, S. 21. 12 Als bekannteste dieser Deklarationen gilt die von der Vollversammlung im besetzten Zuccotti Park am 29. September 2011 verfasste »Erklärung anlässlich der Besetzung von New York City«. Online: http://www.nycga.net/resources/declaration/ bzw. in deutscher Übersetzung http://www.nycga.net/files/2011/10/ GermanOccupyNewYorkdeclaration.pdf. 13 Alain Badiou: Ethik. Versuch über das Bewusstsein des Bösen. Wien: Turia und Kant, 2003. 14 Writers for the 99 % (Hg.): Occupying Wall Street. The Inside Story of an Action that Changed America. Chicago, IL: Haymarket Books, 2012, S. 90. 15 Slavoj Žižek: »Occupy Wall Street: What Is to Be Done Next?«, The Guardian, 24. April 2012. Online: http://www.guardian.co. uk/commentisfree/cifamerica/2012/apr/24/occupy-wall-streetwhat-is-to-be-done-next. 16 Twinkling umfasst eine Reihe an performativen, ›stillen‹ Sprechgesten: hochgestreckte Arme mit vorwärts gerichteten Handflächen und winkenden Fingern formen etwa einen stillen Applaus, drücken eine zustimmende Haltung aus; verschränkte Arme signalisieren ein ›Blockieren‹, einen Einspruch bzw. eine ablehnende Haltung.
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Zeltlager, Volksküchen, Universitäten: Die globalen Dörfer der Occupy-Bewegung
1
»Welcome to Tent City University«, Tent City University, Occupy London. Online: http://tentcityuniversity.org. Michael Moore: »The Purpose of Occupy Wall Street Is to Occupy Wall Street«, The Nation, 14. März 2012, http://www.the
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Anmerkungen
nation.com/article/166827/purpose-occupy-wall-street-occupywall-street 3 Adbusters, Nr. 97, Post Anarchism – #OccupyWallStreet, September/Oktober 2011. 4 Richard Grusin: »Premediation and the Virtual Occupation of Wall Street«, Theory and Event, Bd. 14, Nr. 4, Beiheft. 5 Axel Droßmann, Jan Wenzel und Kai Wenzel: Architektur auf Zeit. Baracken, Pavillons, Container. Berlin: b_books, 2006, S. 161ff. 6 Gwen Snyder: »Campaign vs. Encampment«, Occupy! An OWSInspired Gazette, Nr. 3, 15. Dezember 2011. Online: http://nplus onemag.com/occupy-issue-3. 7 Siehe auch Anmerkung 2 (Kap. 2). 8 Elinor Ostrom: »8 Keys to a Successful Commons«, YES! Magazine, Nr. 53 (America: The Remix), Frühjahr 2010. Online: http:// www.yesmagazine.org/issues/america-the-remix/8-keys-to-asuccessful-commons. 9 Elinor Ostrom: Die Verfassung der Allmende. Jenseits von Staat und Markt. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999. 10 Im Lichte dieses doppelten Einflusses sind nicht zuletzt auch die Entwicklung von Feldlazaretten zu stabileren Krankenbaracken und das Gefangenhalten von Kranken und Flüchtlingen in Barackenlagern zu sehen. 11 Charlie Hailey: Camps. A Guide to 21st Century Space. Cambridge, MA: MIT Press, 2007, S. 25. 12 Connor Adams Sheets: »Occupy Wall Street Latest Target of Controversial NYPD Surveillance Units«, International Business Times, 9. November 2011. Online: http://www.ibtimes.com/arti cles/246357/20111109/occupy-wall-street-latest-target-controver sial-nypd.htm. 13 Giorgio Agamben: Ausnahmezustand (Homo sacer II.I). Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2004. 14 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte (Werke und Nachlass, kritische Gesamtausgabe, Band 19). Berlin: Suhrkamp, 2010.
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Brian Massumi: Semblance and Event. Activist Philosophy and the Occurrent Arts. Cambridge, MA: MIT Press, 2011, S. 43. 16 Jason Adams: Occupy Time. Immediacy and Resistance After Occupy Wall Street. New York: Palgrave Macmillan, 2012. Siehe dazu auch online: Jason Adams: »Occupy Time«, Critical Inquiry, 16. November 2011. Online: http://critinq.wordpress.com/ 2011/11/16/occupy-time/. 17 Rachel Signer: »The Occupy Wall Street People’s Kitchen«, Occupy! An OWS-Inspired Gazette, Nr. 4, 1. Mai 2012. Online: http:// nplusonemag.com/occupy-issue-4, S. 4ff. 18 Bei der Räumung des Zuccotti Parks am 15. November 2011 wurden von der Polizei etwa 5000 Bücher in Müllwagen abtransportiert. 1275 Bücher, von denen 839 wiederverwendbar sind, konnten später zurückgeholt werden. Siehe online: http://peo pleslibrary.wordpress.com/2011/11/23/packed-press-conferencedocuments-ruins-of-over-3000-books/. 19 David Harvey: Rebel Cities: From the Right to the City to the Urban Revolution. London und New York: Verso, 2012, S. 73. 15
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Räumung der Blockaden: Der Streit um die Symbole der Macht
1
Pressekonferenz des New Yorker Bürgermeisters Michael R. Bloomberg, 17. Oktober 2011. Das Titelbild des Time Magazine vom 14. Dezember 2011 ist eine Zeichnung des kalifornischen Streetart-Künstlers Shepard Fairey auf Basis eines Fotos, das die 25-jährige Occupy-L.A.-Aktivistin Sarah Mason zeigt und das der Photograph Ted Soqui ursprünglich für LA Weekly aufgenommen hatte. Shepard Fairey war zuvor durch die Gestaltung des patriotischen HOPE-Posters für Barack Obamas Präsidentschaftskampagne 2008 und die Neuinterpretation dieses Sujets durch das Occupy-HOPE-Plakat der Occupy-Bewegung weltweit bekannt geworden.
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Anmerkungen
David Harvey: Rebel Cities: From the Right to the City to the Urban Revolution. London und New York: Verso, 2012, S. xviii. 4 Online: http://clkrep.lacity.org/onlinedocs/2012/12-0605_misc_ 06-06-2012.pdf?tw_p=twt. Viele amerikanische Städte, darunter auch Los Angeles, hatten zuvor einige Zeit das Aufstellen von Zelten der Occupy-Bewegung in öffentlichen Parks mit gewissen Einschränkungen toleriert, manche bestanden allerdings strikt darauf, dass in den Zelten nicht geschlafen werden durfte. 5 Don Mitchell: The Right to the City. Social Justice and the Fight for Public Space. New York: Guildford, 2003. 6 Neil Smith: The New Urban Frontier. Gentrification and the Revanchist City. New York und London: Routledge, 1996, S. 225f. 7 Frank Stoltze: »L.A. City Council Considers Banning Tents in City Parks«, Southern California Public Radio, 9. Mai 2012. Online: http://www.scpr.org/news/2012/05/09/32351/la-occupy-lano-more-tents-parks/?tw_p=twt. 8 Verfassung der USA, Zusatzartikel I: »Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Redeoder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen« (Die Zusatzartikel I-X bilden die sogenannte Bill of Rights und sind 1791 in Kraft getreten). Online: http://usa.usembassy.de/etexts/gov/gov-constituti ond.pdf. 9 David Zahniser: »Council Aims to Thwart New Occupy Protest at L.A. City Hall«, Los Angeles Times, 7. Juni 2012. Online: http:// articles.latimes.com/2012/jun/07/local/la-me-0607-occupytent-ban-20120607. 10 Yates McKee: »The Weird Red Thing: #OccupyWallStreet, SiteSpecificity, and di Suvero’s Joie de Vivre«, in: Julieta Aranda und Carlos Motta (Hg.): Broken English, Performa 11, New Visual Art Performance Biennial New York, 1.-21. November 2011. Online: http://11.performa-arts.org/event/broken-english.
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Adam Nagourney: »Dissenting, or Seeking Shelter? Homeless Stake a Claim at Protests«, New York Times, 31. Oktober 2011. Online: http://www.nytimes.com/2011/11/01/us/dissenting-or-see king-shelter-homeless-stake-a-claim-at-protests.html?pagewan ted=1&_r=1&hp. Astra Taylor und Sarah Resnick: »Rumors«, in: Astra Taylor, Keith Gessen und die Herausgeber von n+1 (Hg.): Occupy! Scenes from Occupied America. New York und London: Verso, 2011, S. 185f. Nicholas Mirzoeff: »Occupy Theory«, Critical Inquiry Blog, In the Moment, 26. Oktober 2011. Online: http://critinq.wordpress. com/2011/10/26/occupy-theory/. Gayatri Chakravorty Spivak: »General Strike!«, tidal – Occupy Theory, Occupy Strategy, Nr. 1, Dezember 2011, S. 9. Nathan Schneider: »No Leaders, No Violence: What Diversity of Tactics Means for Occupy Wall Street«, in: Sarah van Gelder and the staff of YES! Magazine (Hg.): This Changes Everything: Occupy Wall Street and the 99 % Movement. San Francisco, CA: BerrettKoehler Publishers, S. 42. Bernard Harcourt: »Occupy’s New Grammar of Political Disobedience«, The Guardian, 30. November 2011. Online: http:// www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2011/nov/30/ occupy-new-grammar-political-disobedience. Nathan Schneider: »No Revolution without Religion«, Occupy! An OWS-Inspired Gazette, Nr. 4, 1. Mai 2012. Online: http://nplus onemag.com/occupy-issue-4, S. 14f. Al Baker und Colin Moynihan: »Arrests as Occupy Protest Turns to Church«, The New York Times, 17. Dezember 2011. Online: http://www.nytimes.com/2011/12/18/nyregion/occupy-wallstreet-protesters-march-against-trinity-church.html. Siehe z.B. Kerry Mcqueeney: »Anti-Capitalist Protesters Could Do What the Nazis Couldn’t and Force St Paul’s Cathedral to Close its Doors«, Daily Mail, 20. Oktober 2011. Online: http:// www.dailymail.co.uk/news/article-2051246/Occupy-LondonStock-Exchange-Protesters-force-St-Pauls-Cathedral-close.html.
Anmerkungen
20 »City and Cathedral: The Whited Sepulchre – The Dean and Chapter of St Paul’s Risk Playing the Villains in a National Pantomime«, The Guardian, 25. Oktober 2011. Online: http://www. guardian.co.uk/commentisfree/2011/oct/25/leader-st-pauls-cath edral-occupy-london?intcmp=239. 21 Riazat Butt, Sandra Laville und Shiv Malik: »Giles Fraser Resignation: ›I Couldn’t Face Dale Farm on the Steps of St Paul’s‹«, The Guardian, 27. Oktober 2011. Online: http://www. guardian.co.uk/uk/2011/oct/27/giles-fraser-resignation-dalefarm?INTCMP=ILCNETTXT3487. 22 Steven MacLean: »Transcending Liberalism«, The Occupied Times of London, Nr. 14, Juni 2012, S. 7. 23 Mike Sabbagh: »Occupied Tents, Vacant Media«, The Occupied Times of London, Nr. 14, Juni 2012, S. 3. 24 Riazat Butt: »Occupy London: Eviction Notices Attached to Tents Outside St Paul’s«, The Guardian, 16. November 2011. Online: http://www.guardian.co.uk/uk/2011/nov/16/occupy-londoneviction-notices-tents. 25 City of London: »Notice to Remove all Tents and Other Structures from the Protest Camp at St Paul’s Churchyard, London EC4«, Räumungsbescheid des Occupy-Camps vor der St.-PaulsKathedrale vom 16. November 2011, siehe online: http://occu pylsx.org/wp-content/uploads/2011/11/COLC-transcript.pdf. Für die im Räumungsbescheid angeführte widerrechtliche Besitznahme von Grundstücken siehe auch die von den Behörden erstellte Kartographie von Occupy London Stock Exchange, die einen wesentlichen Teil des Rechtsdokuments bildete. Veröffentlicht u.a. in: Paul Owen: »Occupy London: Eviction Deadline for St Paul’s Protesters Passes«, The Guardian, 17. November 2011. Online: http://www.guardian.co.uk/uk/blog/2011/nov/17/occupylondon-st-paul-s-protesters-face-eviction. 26 Martin Eiermann und Mark Kauri: »Judge Rules Against Occupy LSX«, The Occupied Times of London, Nr. 9, 20. Januar 2012, S. 1. 27 Slavoj Žižek: »Don’t Fall in Love with Yourselves«, in: Astra Taylor, Keith Gessen und die Herausgeber von n+1 (Hg.): Occupy!
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Scenes from Occupied America. New York und London: Verso, 2011, S. 69. 28 Die stattgefundene Planung eines landesweit koordinierten Vorgehens gegen die Occupy-Bewegung in den USA wurde von der Bürgermeisterin der Stadt Oakland Jean Quan in einem Interview mit der BBC am 15. November 2011 angedeutet. Vgl. Writers for the 99 % (Hg.): Occupying Wall Street. The Inside Story of an Action that Changed America. Chicago, IL: Haymarket Books, 2012, S. 188.
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Onsite/Online: Netzwerke und die unfassbare Dimension des Protests
1
Astra Taylor und Sarah Resnick: »Rumors«, Occupy! An OWSInspired Gazette, Nr. 2, 14. November 2011. Online: http://www. nplusonemag.com/occupy-issue-2, S. 3. Slavoj Žižek: »Das gewaltsame Schweigen eines Neubeginns«, in: Carla Blumenkranz et al. (Hg.): Occupy! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation. Berlin: Suhrkamp, 2011, S. 75. Žižek schreibt hier: »Im psychoanalytischen Sinne sind die Proteste sozusagen ein hysterischer Akt, um den Herren zu provozieren und seine Autorität zu untergraben, und die Frage ›Was wollt ihr denn?‹ zielt exakt darauf ab, die wahre Antwort unmöglich zu machen – im Grunde steckt dahinter der Satz: ›Sprecht meine Sprache oder haltet den Mund!‹.« Douglas Rushkoff: »Think Occupy Wall St. Is a Phase? You Don’t Get It«, CNN, 5. Oktober 2011. Online: http://edition.cnn. com/2011/10/05/opinion/rushkoff-occupy-wall-street/index. html. Michael Hardt und Antonio Negri: »The Fight for ›Real Democracy‹ at the Heart of Occupy Wall Street«, Foreign Affairs (Council on Foreign Relations), 11. Oktober 2011. Online: http://www. foreignaffairs.com/articles/136399/michael-hardt-and-antonio-
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Anmerkungen
negri/the-fight-for-real-democracy-at-the-heart-of-occupy-wallstreet#. 5 Manuel Castells: »Communication, Power and Counter-Power in the Network Society«, International Journal of Communication, Bd. 1, Februar 2007. 6 Dieser Aufruf lautete: »#OCCUPYWALLSTREET. Are you ready for a Tahrir moment? On Sept 17, flood into lower Manhattan, set up tents, kitchens, peaceful barricades and occupy Wall Street.« Online: http://www.adbusters.org/blogs/adbusters-blog/occupy wallstreet.html. 7 Online: http://wearethe99percent.tumblr.com/. 8 Online: http://www.youtube.com/watch?v=l6jdkpQjueo&fea ture=endscreen&NR=1. 9 Online: http://www.youtube.com/watch?v=TZ05rWx1pig. 10 Online: http://www.youtube.com/watch?v=6AdDLhPwpp4. 11 Manuel Castells: »Of Walls and Flows«, Interview mit Manuel Castells, Occupied London, Nr. 4, Juli 2009. Online: http://www. occupiedlondon.org/castells/. 12 Jeffrey S. Juris: »Reflections on #Occupy Everywhere: Social Media, Public Space, and Emerging Logics of Aggregation«, American Ethnologist, Bd. 39, Nr. 2, 2012, S. 266f. 13 Jonathan D. Solomon: »It Makes a Village«, in: Gregory Bracken (Hg.): Aspects of Urbanization in China. Shanghai, Hong Kong, Guangzhou. Amsterdam: Amsterdam University Press, 2012, S. 179f. 14 Audrea Lim: »Chinatown is Nowhere«, in: Astra Taylor, Keith Gessen und die Herausgeber von n+1 (Hg.): Occupy! Scenes from Occupied America. New York und London: Verso, 2011, S. 100ff. 15 Manuel Castells: The Information Age: Economy, Society and Culture, Band 1, 2. Ausgabe. Oxford und Hoboken, NJ: Wiley-Blackwell, 2000, S. 458f. 16 Keller Easterling: Enduring Innocence: Global Architecture and Its Political Masquerades. Cambridge, MA: MIT Press, 2005.
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Christopher Herring und Zoltan Gluck: »The Homeless Question«, Occupy! An OWS-Inspired Gazette, Nr. 2, 14. November 2011. Online: http://nplusonemag.com/occupy-issue-2, S. 24. 18 Mark Fisher: Capitalist Realism. Is There No Alternative?. Winchester und Washington, DC: Zero Books, 2009, S. 44. 19 Online: http://interoccupy.org, http://occupytogether.org, http: //occupywithart.com. 20 Online: http://occupii.org. 21 Nathan Brown: »Occupy Oakland«, Radical Philosophy, 171, Januar/Februar 2012, S. 53.
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Initiative Kunst: Eingriffe, Aufführungen, Archivierungen
1
Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Berlin: Brinkmann und Bose, 1997, S. 13. Andy Kroll: »How Occupy Wall Street Really Got Started«, in: Sarah van Gelder and the staff of YES! Magazine (Hg.): This Changes Everything: Occupy Wall Street and the 99 % Movement. San Francisco, CA: Berrett-Koehler Publishers, 2011, S. 16f. Brian Holmes: »Articulating the Cracks in the Worlds of Power: 16 Beaver Group Talking with Brian Holmes«, in: Ders.: Escape the Overcode: Activist Art in the Control Society. Eindhoven: Van Abbemuseum in Zusammenarbeit mit WHW, 2009. Rosalyn Deutsche: Evictions: Art and Spatial Politics. Cambridge, MA: MIT Press, 1996. Grant Kester: »The Sound of Breaking Glass, Part II: Agonism and the Taming of Dissent«, e-flux journal 31 (01/2012), S. 13. Martha Rosler: »The Artistic Mode of Revolution: From Gentrification to Occupation«, e-flux journal 33 (03/2012). Ebd., S. 14f. Jacques Rancière: Dissensus: On Politics and Aesthetics. London und New York: Continuum, 2010, S. 141.
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Anmerkungen
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Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Berlin: b_books, 2006, S. 89. Ebd., S. 27. Jacques Rancière, 2010, S. 149. Catrin Lorch: »Occupy geht immer«, Süddeutsche.de, 26. April 2012. Online: http://www.sueddeutsche.de/kultur/berlin-bien nale-occupy-geht-immer-1.1342990. Vgl. Marco Roth: »Letters of Resignation from the American Dream«, in: Astra Taylor, Keith Gessen und die Herausgeber von n+1 (Hg.): Occupy! Scenes from Occupied America. New York und London: Verso, 2011, S. 27. Yates McKee: »The Weird Red Thing: #OccupyWallStreet, SiteSpecificity, and di Suvero’s Joie de Vivre«, in: Julieta Aranda und Carlos Motta (Hg.): Broken English, Performa 11, New Visual Art Performance Biennial New York, 1.-21. November 2011. Online: http://11.performa-arts.org/event/broken-english. Für eine genaue Diskussion der Politik, die von diesen Vorwürfen vorausgesetzt und gefördert wird, siehe u.a. Judith Butler: »So, What Are the Demands? And Where Do They Go From Here?«, tidal – Occupy Theory, Occupy Strategy, Nr. 2, März 2012, S. 8-11. Rancière, 2006, S. 90. Ebd., S. 87. Jacques Rancière: »Entsorgung der Demokratie«, in: documenta (Hg.): documenta Magazine, No.1-3, 2007, Reader. Köln: Taschen, 2007, S. 459. Judith Butler: Gefährdetes Leben. Politische Essays. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2008. Judith Butler: »Bodies in Alliance and the Politics of the Street«, Vortrag im Rahmen der Reihe The State of Things, Office for Contemporary Art Norway (OCA), Venedig, 7. September 2011. Online: http://eipcp.net/transversal/1011/butler/en. Judith Butler: »For and Against Precarity«, tidal – Occupy Theory, Occupy Strategy, Nr. 1, Dezember 2011, S. 12. Von Judith Butler autorisierte Fassung der Rede, die sie im Zuccotti Park gehalten hat. In: Carla Blumenkranz et al. (Hg.): Oc-
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cupy! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation. Berlin: Suhrkamp, 2011, S. 35. Die durch Occupy omnipräsent gewordenen Guy-Fawkes-Masken entstammen dem vom Zeichner David Lloyd mit Alan Moore verfassten Comicroman V wie Vendetta (1985) und wurden zuerst als Maskierung der Internetaktivisten-Gruppe Anonymous populär. Michail Bachtin: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990. Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1995. Vgl. Sönke Gau und Katharina Schlieben: Spektakel, Lustprinzip oder das Karnevaleske? Ein Reader über Möglichkeiten, Differenzerfahrungen und Strategien des Karnevalesken in kultureller/politischer Praxis, Berlin: b_books, 2008. Michael Hardt und Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt a.M.: Campus, 2004, S. 234ff. Claire Tancons: »Occupy Wall Steet: Carnival Against Capital? Carnivalesque as Protest Sensibility«, e-flux journal 30 (12/2011), S. 13. Slavoj Žižek: »Das gewaltsame Schweigen eines Neubeginns«, in: Carla Blumenkranz et al. (Hg.): Occupy! Die ersten Wochen in New York. Eine Dokumentation. Berlin: Suhrkamp, 2011, S. 68. Sven Lütticken: »General Performance«, e-flux journal 31 (01/2012). Charlotte Higgins: »Wallinger Takes Turner Prize with Recreation of Parliament Protest«. The Guardian, 4. Dezember 2007. Online: http://www.guardian.co.uk/uk/2007/dec/04/art.artnews. Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen. Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, 20. Januar-25. März 2012, Programmheft der Ausstellung, S. 2. Sabine Witt, Britta Peters und Fanti Baum: »Veröffentlichte Unruhe«, in: Frankfurter Kunstverein und Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« der Goethe-Universität Frankfurt a.M. (Hg.): Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen. Ausstellungskatalog. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 2012, S. 47f.
Anmerkungen
34 Online: http://occupy-public-space.com/2012/02/19/zur-eroff nung-der-ausstellung-demonstrationen-vom-werden-normati ver-ordnungen-im-frankfurter-kunstverein-am-19-01-2012/. 35 Thomas Assheuer: »Protest ohne Pathos«, Zeit Online, 26. Januar 2012. Online: http://www.zeit.de/2012/05/Frankfurter-Kunst verein. 36 Online: http://www.berlinbiennale.de/blog/kuratoren/%e2%80 %9e7-berlin-biennale-fur-zeitgenossische-politik%e2%80%9dvon-artur-zmijewski-27712. 37 Richard Schechner: »Occupy Solidarity«, The Drama Review, Bd. 56, Nr. 1, Frühjahr 2012, S. 8. 38 Diese Ausstellung ist nun Teil der Website des Projekts: http:// searchunderoccupy.parsons.edu/gallery/. 39 Rebecca Schneider: »Performance Remains«, in: Performance Research, Bd. 6, Nr. 2, S. 103. 40 Online: http://archives.nycga.net/. 41 Online: http://occupyarchive.org/. 42 Jane Bennett: Vibrant Matter: A Political Ecology of Things. Durham, NC: Duke University Press, 2010. 43 Gregory Sholette: »Occupology, Swarmology, Whateverology: The City of (Dis)order Versus the People’s Archive«, Art Journal, Winter 2011. Online: http://artjournal.collegeart.org/ ?p=2395. 44 Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen: Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Berlin: b_books, 2006, S. 58f. 45 Online: http://activist-archivists.org/wp/. 46 Online: http://archive.org/details/occupywallstreet. 47 Das Schreiben von Parolen auf Pizzaschachteln – von Touristen später oft als Souvenir aus dem Zuccotti Park mitgenommen – etwa hatte seinen Ursprung darin, dass das NYPD konventionelle, mit Stangen hochgehaltene Transparente untersagte. 48 Jacques Derrida, 1997, S. 14f. 49 Ebd., S. 13.
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Versammlungen: Bauproben der Zukunft
1
Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit [Le courage de la vérité. Le gouvernement de soi et des autres II. Cours au Collège de France (1983-1984) 2009]. Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 37. Siehe: http://london.indymedia.org/articles/12336. Einladung zu »Occupy Democracy«: http://occupylsx.org/?p=4141, gepostet am 1. Juni 2012. Online: http://occupylsx.org/?p=4160. »HSBC Asks Occupy Hong Kong Protesters to Leave Premises in City«, Bloomberg, 8. Juni 2012. Online: http://www.bloomb erg.com/news/2012-06-08/hsbc-asks-occupy-hong-kong-pro testers-to-leave-premises-1-.html. »Occupy-Camp wird Ende Juli geräumt«, Spiegel, 21. Mai 2012. Online: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/occupy-frank furter-camp-wird-ende-juli-geraeumt-a-834313.html. Beschluss 5-L-2558/12F des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main, 6. August 2012. Online: http://www.vg-frankfurt.justiz. hessen.de/irj/VG_Frankfurt_am_Main_Internet?rid=HMdJ_15/ VG_Frankfurt_am_Main_Internet/sub/f4d/f4d2d592-8fbd831f-012f-312b417c0cf4,,,11111111-2222-3333-4444-10000000 5003%26overview=true.htm. Zahlreiche Clips auf YouTube zeigen Lieutenant John Pikes Einsatz eines MK-9-Pfeffersprays, u.a.: http://www.youtube.com/ watch?v=WmJmmnMkuEM und http://www.youtube.com/wat ch?v=6AdDLhPwpp4. Siehe dazu den unter der Leitung von Cruz Reynoso, Professor Emeritus der School of Law, UC Davis und ehemaliger Associate Justice des California Supreme Court, verfassten Bericht: http:// reynosoreport.ucdavis.edu/reynoso-report.pdf. United States Department of Labor, Bureau of Labor Statistics: »Employment Status of the Civilian Population by Sex and Age«. Online: http://www.bls.gov/news.release/empsit.t01.htm#cps_ empsit_a01.f.1.
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8
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Anmerkungen
10 European Commission, eurostat: »Youth Unemployment, 2011 Q4«. Online: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explai ned/index.php?title=File:Youth_unemployment,_2011Q4_ (%25).png&filetimestamp=20120502094632. 11 Siehe: Moody’s: »Moody’s Downgrades Spain’s Government Bond Rating to Baa3 from A3, on Review for Further Downgrade«. Online: http://www.moodys.com/page/viewresearchdoc .aspx?docid=PR_248236. 12 »To the Occupy Movement – The Occupiers of Tahrir Square Are With You«, siehe dazu auch folgenden Auszug: »To all those across the world currently occupying parks, squares and other spaces, your comrades in Cairo are watching you in solidarity. Having received so much advice from you about transitioning to democracy, we thought it’s our turn to pass on some advice.« Zahlreich online gepostet u.a. auf der Website von The Guardian, 25. Oktober 2011: http://www.guardian.co.uk/commentis free/2011/oct/25/occupy-movement-tahrir-square-cairo. 13 Zahlreiche Online-Veröffentlichungen. Vollständige Transkription u.a. auf: http://carlygsdrafts.wordpress.com/2011/10/10/sla voj-zizeks-speech-at-liberty-square/. 14 Félix Guattari: Die drei Ökologien [Les trois écologies, 1985]. Wien: Passagen Verlag, 1994. 15 Ebd. 16 Noam Chomsky: Occupy. London: Penguin, 2012. 17 Irit Rogoff: »Unbounded«, in: Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer: Networked Cultures. Parallel Architectures and the Politics of Space. Rotterdam: NAi Publishers, 2008, S. 46ff. 18 Michel Foucault, 2010. 19 Ebd., S. 29. 20 Pressekonferenz des New Yorker Bürgermeisters Michael R. Bloomberg, 15. November 2011.
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Register 16 Beaver
106-107
Acampados
14 Adbusters 11, 50, 92, 140-141 Agamben, Giorgio 60 Aktivismus 11-12, 30-31, 34-35, 72, 81-83, 93-97, 105-109, 119, 122-126, 136, 152, 170 Anm. 2, 178 Anm. 23 Alberti, Leon Battista 52 American Museum of Natural History, New York 128 And And And 105-106 Anderson Barbata, Laura 120 Anonymous 79, 92, 178 Anm. 23 Arabischer Frühling 10, 12-13, 67, 91, 106, 118, 157, 163 Anm. 15 Archiv 105, 114, 130-137, 150 Arendt, Hannah 117 Asservatenkammer 136 Atelier Bow-Wow 167 Anm. 3 Ausnahmezustand 60-62 Austeritätspolitik 11, 30
Autonomie (Selbstorganisation) 29, 34, 41, 51-52, 60, 71, 79, 82, 96-97, 111, 125 Ästhetik 42, 107, 113-116, 119, 144, 147, 150 des Protests 112-113, 120, 124-126 Politik der 144
Bachtin, Michail 119-120 Badiou, Alain 36, 40, 42-43 Balibar, Étienne 36 Banksy 112 Bauernkriege 37 Ben Ali, Zine el-Abidine 13 Benjamin, Walter 61-62 Bennett, Jane 132 Berlin Biennale, 2012 113, 124125, 128 Bewegung 15. Mai- (Movimiento 15M) 14, 125 1968er- 22, 25, 45, 145 Antiglobalisierungs- 8, 94, 119, 144 Bürgerrechts- 80, 89
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Occupy. Räume des Protests
der Landlosen (Movimento dos Sem Terra), Brasilien 44 der Plätze 10, 34, 41-42, 45-47, 50 Direkte-Demokratie- 12 Frauenrechts- 39 Graswurzel- 90, 112 Widerstands- 36-38, 67 Bibliothek 64-66, 86 Tamiment-Bibliothek, New York 134 Volksbibliothek (People’s Library) 64-65, 134 Blair, Tony 123 Bloomberg, Michael R. 59, 67, 159 BMW Guggenheim Lab 35, 5354, 167 Anm. 3 Bologna, Anthony 10, 154, 162 Anm. 7 Bouazizi, Mohamed 12-13, 21, 163 Anm. 15 Brookfield Office Properties 57, 59 Brooklyn Jumbies 120 Buck-Morss, Susan 36 Butler, Judith 117-118, 177 Anm. 15
Camp siehe Lager Campus Martius (Marsfeld) 5152 Castells, Manuel 65, 97 Centre for Contemporary Art (CCA), Lagos 127
Chomsky, Noam 156 Commons siehe Gemeingüter Cooper Union, New York 36-37 Council of Elders 120
Dean, Jodi
36 Deleuze, Gilles 143 Deller, Jeremy 122, 135 Demonstrationen 9-10, 34, 41, 43, 45, 77, 113, 124, 154 dérive 45-48 Derrida, Jacques 105, 136-137 Deutsche, Rosalyn 107-108 direkte Demokratie 14, 26, 2930, 35, 53, 87, 94, 101, 144 Dissens 75-76, 112, 116, 125, 156 Disziplinierung 38, 46-47, 59-60 Documenta 13 105-106
Elizabeth II.
139 »Erklärung der Besetzung der Stadt New York« 23-24, 29, 42, 168 Anm. 12 Ethik 38-45 des Realen 42 der Tat 43 Pflicht- 41 Europäische Zentralbank, Frankfurt 20, 124, 140
Fairey, Shepard
112, 170 Anm. 2 Fisher, Mark 24-25 Flashmob 50, 98 Florida, Richard 108, 110
Register
Foster, Hal 143 Foster, Norman 95 Foucault, Michel 45, 59, 139, 158 Frankfurt 20, 35, 124-125, 140 Willy-Brandt-Platz 140 Frankfurter Kunstverein 124-125 Fraser, Giles 82 Frieze Art Fair 128
G20-Gipfel, Cannes, 2011
44 Gaddafi, Muammar al- 13 Gemeingüter (Commons) 49, 54, 66 Generalstreik 80 Gerechtigkeit 33, 41, 43, 80-81 97, 118 soziale 68, 77, 80, 82, 97, 120 ökonomische 80, 82, 97, 128 Gewalt 29, 36-37, 46, 71, 79, 120, 140-141, 154, 159 institutionelle 19, 47 körperliche 76, 88 politische 26, 157 staatliche 31, 34, 46, 148 Gewalthoheit 36 Gewaltmonopol 152 Gewerkschaften 34, 107 globaler Süden 27 Grotius, Hugo 41 Guattari, Félix 143, 155 Guy-Fawkes-Maske 39, 79, 87, 119, 132, 178 Anm. 23
Harcourt, Bernard 80 Hardt, Michael 119-120 Harvey, David 65, 68 Haw, Brian 123 Hongkong 95-96, 128, 139 Central 95 HSBC 95-96, 139 philippinische Hausangestellte 95-97 Hospitium 58 Houwelingen, Hans van 127 humanitäre Hilfe 57-58 Immobilienboom
27, 100, 142 Indignados 14, 45, 67, 89, 142 Industrialisierung 38, 89 informeller Sektor 27-28 Internationaler Aktionstag (Global Day of Action) 15. Oktober 2011 19, 33-35, 92 InterOccupy siehe Occupy
Jackson, Jesse
57, 83-84 Joie de Vivre 114-115 Juris, Jeffrey S. 93
Kant, Immanuel 41 Kapitalismus 21, 24-28, 38-39, 48, 54, 65, 87, 102, 110, 153158 Finanz- 30, 87, 142, 152 kapitalistischer Realismus 27 Karneval 8, 39, 118-121, 124
185
186
Occupy. Räume des Protests
Kirche 80-81, 99 Englische 82-85 Trinity Church 81-82 Knowles, Graeme 82-83 Kommunismus 36-37 Konflikt 17, 20, 24, 26, 30, 4042, 47, 55-57, 75-78, 99, 108, 114-116, 146-151, 154, 158 Konsens 34, 113, 141, 144, 153 Konsignation 137 Körper 13, 24, 47, 49-50, 57, 62, 68, 70, 114, 117-122, 128, 130, 133, 144, 147 kollektiver 41-42 Kreative Klasse (Creative Class) 108-112 Krise 14, 17-18, 27-28, 40, 45, 58, 61, 69-70, 75, 105, 110, 151-152, 155, 158 Finanz- 14, 24, 27, 30, 65, 140, 145 mentale 28 Küchen siehe Volksküchen
Lacan, Jacques 25, 45, 143 Lager (Camp) 7, 10, 15-20, 27, 31, 35, 43-47, 50-66, 70-79, 8287, 93-102, 112-114, 123-124, 132, 135, 139-141, 148-150, 153, 169 Anm. 10 Ausbildungs- 53 Camps for Climate Action 150 Friedenscamp, Parliament Square, London siehe London
Militär- 51-52 Protest- 8, 33, 52, 60, 84-85, 95, 100, 102, 107, 123, 173 Anm. 25 Überlebens- 127 Zelt- 8, 18, 30, 50, 58-59, 73, 93, 99, 103, 127, 140-141 Lageralltag 30, 43, 73 Laplanche, Jean 143 Les Enfants de Don Quichotte, Paris 73 Lim, Audrea 97 Lo, Chun-yip 128 London 20, 35, 47, 65-66, 8186, 123, 135, 139, 173 Anm. 25 Canary Wharf 99 Friedenscamp, Parliament Square 123 St.-Pauls-Kathedrale 20, 65, 82-86, 112, 135, 139, 173 Anm. 25 Unruhen in (London Riots), August 2011 46-47 Los Angeles 70, 141, 171 Anm. 4 Justiceville 71 Rathauspark 69-70, 72, 86 Skid Row 70, 72 Ludwig XVI. 38 Lütticken, Sven 121 Lyotard, Jean-François 143
Macht
15, 20, 24, 28-30, 41-42, 49-51, 56, 58, 60-61, 80, 82,
Register
87, 98, 100, 108, 111, 126, 133, 136-137, 146-147, 152, 157 symbolische 69, 73, 76 Madrid Puerta del Sol 14, 41, 49 Manifesta 5, Donostia-San Sebastián, 2004 122 Massumi, Brian 62 McKee, Yates 114-115 Menschenrechte 23, 41, 85, 123, 167 Anm. 8 menschliches Mikrofon (Human Mic) 46, 56, 87, 113, 144 Metropolitan Museum of Art, New York 115 »Mic-Check« 46 Mikrokredite 27-28 Mirzoeff, Nicholas 63 Modica, Arturo di 161 Anm. 3 Moore, Michael 50 Moral 30, 38-47, 79-81 Moving Image Archive Program, New York University 134 Mubarak, Hosni 11, 13 Museum of London 135-136 Museum of Modern Art, New York 128
Nachträglichkeit
143-147, 150, 159 Naturrechtslehre 41 Negri, Antonio 119-120 New Museum, New York 128
New York 7-12, 33-35, 45, 47, 5355, 57, 63, 67, 76, 81, 86, 92, 97, 106-109, 128-135, 140, 154, 159, 167 Anm. 3 Bloombergville 107 Bowling Green 8, 11 Brooklyn-Brücke 45 Chinatown 97 Dinkinsville 71 Duarte Square 81-82 Ground Zero 9 »Liberty Square« 7, 41, 115, 140 Times Square 34 Union Square 10, 63, 154 Wall Street 8-9, 11, 15, 26-28, 45, 50, 53, 87, 92, 106-107, 120, 132, 151, 161 Anm. 3 Washington Square 34-35 World Trade Center 59 Zuccotti Park 7, 9-12, 19, 23, 27, 29, 33-35, 43, 45, 50, 5364, 76, 81-86, 97, 99, 114-115, 119, 121, 132-134, 140, 150, 159, 168 Anm. 12, 170 Anm. 18, 177 Anm. 22, 179 Anm. 47 New York City General Assembly (NYCGA) 10, 12 New York Fun Exchange 8 New York Historical Society 132 New York Police Department (NYPD) 7, 9-10, 27, 45, 57, 59, 161 Anm. 4, 179 Anm. 47 New Yorkers Against Budget Cuts (NYABC) 11
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Occupy. Räume des Protests
Obama, Barack
11, 112, 141, 170 Anm. 2 Obdachlosigkeit 43, 70-76, 79, 95, 98-99, 114-115, 144 OCCUPII 103 Occupy #searchunderoccupy 130-131 InterOccupy 103 Nomadic Occupy 47 Occupy Biennale 126, 128 Occupy Boston 19 Occupy Central (Hongkong) 17, 20, 49, 95, 139 Occupy DC 17, 19 Occupy Democracy 139 Occupy Directory 20, 164 Anm. 23 Occupy Everything 17, 28, 112, 156 Occupy Frankfurt 17, 20, 49, 124, 140 Occupy Kairo 148 Occupy London Finsbury Square 66, 84, 139 Occupy London Stock Exchange 17, 20, 49, 65, 8286, 123, 139, 173 Anm. 25 Occupy Los Angeles 72, 170 Anm. 2 Occupy Museums 128 Occupy Nigeria 127 Occupy Oakland 17, 19, 103 Occupy Ourselves 156-157 Occupy Philadelphia 17 Occupy Time 17
Occupy Wall Street (OWS) 7-12, 14-15, 17, 20, 22-23, 27-29, 3336, 42-45, 49-50, 53-54, 58, 60, 63, 81, 84, 86, 92, 97, 101-103, 107, 115, 120, 129-134, 140, 144, 148, 156 Occupy with Art 103 OccupyTogether 17, 28 Ostrom, Elinor 54 öffentliche Ordnung 27, 69, 83 Ökonomie 19-22, 26-29, 53, 64-65, 99-101, 108-111, 121-122, 148 globale 13 Kulturalisierung der 121 neoliberale 77 postindustrielle 101 symbolische 74, 102 virtuelle 99, 101 Ökosophie 155
Packard, George E.
81 Panoptikum 59 Paris 45 Kanal Saint Martin 72-73 Parrhesia 45, 139, 158 Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden 33, 44-45 Pfefferspray 10, 92, 140, 154, 180 Anm. 7 Politik der Affektion 35 der Straße 117 politische Philosophie 40
Register
Polizei 9-10, 12, 20, 27, 34, 47, 52, 55-60, 69-70, 76, 78, 82, 84-86, 115, 123, 136, 139-141, 147, 170 Anm. 18 Protest Anti-WTO-Proteste, Seattle, 1999 119 Antiglobalisierungsbewegung siehe Bewegung G8-Proteste 119 Global Carnival Against Capitalism 119 Global Street Party, 1998 119 Reclaim the Streets 119 Studenten- 65, 129 ziviler 27, 39, 80, 119 Psychoanalyse 143, 174 Anm. 2 Pufendorf, Samuel von 41
Quan, Jean
174 Anm. 28
Quäker 144
Raging Bull
9, 11, 27, 161 Anm. 3 Rancière, Jacques 111, 115-116, 133 Raum öffentlicher 30, 39, 43, 49, 53, 60, 64, 78-79, 92, 107, 112-115, 119, 123, 126, 141 symbolischer 50, 75, 86, 148-149 Räumung 8, 17, 33, 47, 63-64, 69, 72, 78-86, 95, 102, 132136, 139-140, 159, 170 Anm. 18, 173 Anm. 25 Räumungskosten 85-86
Resnick, Sarah 89 Revolution 11-14, 21, 30-31, 36-38, 42, 45, 91, 124-125, 146-149 Französische 38 Konter- 146 Samtene 147 Twitter- 91 Rogoff, Irit 157 Rosler, Martha 109-110 Roy Rosenzweig Center, George Mason University 132
San Francisco Camp Agnos 71 Schneider, Rebecca 131 Schuldenwirtschaft 21-22, 26-27, 31, 36-37, 45, 65, 140, 149-150 Schwarzer Block 79 Sholette, Gregory 133 Sicherheit 56-58, 83-85 nationale 127 öffentliche 78 Sklavenaufstände 37 SkyWatch 59 Smartphones 91, 96 Smith, Colin 112 Smithsonian National Museum of American History 132 Solidarität 14, 29, 33, 53, 63, 73, 78, 96, 98, 120, 129, 135, 148 »Die Prinzipien der Solidarität« 29, 135
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190
Occupy. Räume des Protests
soziale Medien (social media) 43, 91-94, 96-97, 101102, 134 Facebook 91, 94, 98, 103 Twitter 91-92, 94, 98 WikiLeaks 91 YouTube 91-93, 180 Anm. 7 Spivak, Gayatri 79-80 Spokes Council 93 Staal, Jonas 127 Stiglitz, Joseph 16 Suvero, Mark di 114-115 Syntagma-Platz, Athen 41, 49
Tahrir-Platz, Kairo
9, 11-15, 36, 41, 49-50, 78, 117, 147-148, 157, 181 Anm. 12 Tea Party 67 Terrorismus 27, 59, 77 Antiterrormaßnahmen 27 Thatcher, Margaret 7 Turner-Preis, Tate Britain 123 twinkling 46, 168 Anm. 16
Universitäten
20, 65-66, 112, 125, 129-132, 147 Art School in the Art School, New York 65 Bank of Ideas, London 65 Free School University, Boston 65 freie 31 Occupy University, New York 65 School of Ideas, London 66
Tent City University, London 49, 65, 83 The New School, New York 82, 129-130 University of California Davis 92, 140-141 US-amerikanisches Sozialforum, Detroit, 2010 105-106
Vanity Fair
16 Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika 72, 141, 171 Anm. 8 Versammlung Vollversammlung (Asamblea/General Assembly) 9-12, 18, 23, 29, 34, 43, 87, 93, 113-114, 119, 125, 130, 137, 144, 168 Anm. 12 Versammlungslogiken 93-95 Versammlungsrecht 72, 171 Anm. 8 Volksküchen 63-64, 66, 82, 84, 86
W139, Amsterdam
127 Wahrheit 40, 45, 116, 158-159 Wallinger, Mark 123 Warsza, Joanna 126 Washington 11 Lafayette-Park 72 Reaganville 71 We Are the 99 Percent, TumblrBlog 21-23, 92, 113
Register
Westwood, Vivienne 65 Wolff, Christian 41
Zeit
26, 47, 61-62, 77, 101-102, 133, 143-146, 156, 159 Zelte 20, 49-59, 68-73, 82, 84, 96, 112, 130, 133, 144, 149, 171 Anm. 4 Sanitäts- 57-59, 62 Zivilgesellschaft 40-41, 105, 110 Žižek, Slavoj 7, 24, 36, 45, 86, 90, 120-121, 150, 174 Anm. 2 Żmijewski, Artur 126 Zuccotti Park siehe New York
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X-Texte bei transcript Christoph Bieber, Claus Leggewie (Hg.)
Unter Piraten Erkundungen in einer neuen politischen Arena
2012, 248 S., kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2071-9 Piratenpartei – Hype oder echte Erneuerung der Politik? Werden der digitale Wertekanon der Piraten und ihre politischen Stilmittel wie radikale Transparenz und ›liquid democracy‹ die Politik verändern? Namhafte Wissenschaftler und Publizisten versuchen eine erste echte Analyse. »Der Verdienst [des Bandes] besteht darin, die Piraten in den bereits länger andauernden Prozess ›digitaler Demokratie‹ einzuordnen, mit Vorurteilen aufzuräumen und eine demokratische – oder besser gesagt: postdemokratische – Perspektive aufzuzeigen.« (Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton, 26.06.2012) »Erstmals wagen sich Publizisten und Forscher unterschiedlichster Disziplinen an eine fundierte Analyse.« (Cicero, 5/2012)
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Sozialtheorie bei transcript Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.)
Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat
2012, 528 S., Hardcover, 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2036-8 Commons – die Welt gehört uns allen! Die nicht enden wollende globale Finanzkrise zeigt: Markt und Staat haben versagt. Deshalb verwundert es nicht, dass die Commons, die Idee der gemeinschaftlichen Organisation und Nutzung von Gemeingütern und Ressourcen, starken Zuspruch erfahren – nicht erst seit dem Wirtschaftsnobelpreis für Elinor Ostrom. Commons sind wichtiger denn je. Sie beruhen nicht auf der Idee der Knappheit, sondern schöpfen aus der Fülle. Dieser Band mit Beiträgen von 90 internationalen Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft stellt ein modernes Konzept der Commons vor, das klassische Grundannahmen der Wirtschafts- und Gütertheorie radikal in Frage stellt und ein Wegweiser für eine neue Politik sein kann. »Obwohl ihre Formel im Grunde recht simpel ist, trifft die Commons-Bewegung einen Nerv.« (Süddeutsche Zeitung, 22.05.2012)
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X-Texte bei transcript Werner Rügemer
RatingAgenturen Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart (2. unveränderte Auflage)
2012, 200 S., kart., 18,80 €, ISBN 978-3-8376-1977-5 Wer steckt hinter den Rating-Agenturen, die die Welt in eine beispiellose Schuldenkrise gestürzt haben? Dieser sehr gut recherchierte Band entlarvt erstmals, dass die größten Hedge- und Investmentfonds die Eigentümer der Rating-Agenturen sind. Die Schulden der Welt sind ihr Geschäft. »Das Buch gibt eine sehr gute, äußerst kritische sowie leicht lesbare Einführung in die Ratingagenturen, deren Macht sowie die Ursachen ihrer Macht, und unterzieht sie insbesondere einer politischen Analyse.« (Contraste, 7/8 (2012)) »Werner Rügemers Buch gibt Einblicke in das organisierte Verbrechen mit dem feinen Image.« (NachDenkSeiten, 08.06.2012)
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X-Texte bei transcript Harald Lemke
Politik des Essens Wovon die Welt von morgen lebt
2012, 344 S., kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1845-7 Nahrungskrisen, Hungerunruhen, Klimakatastrophen, Discountgiganten, Gentechnik-Industrie, Lebensmittelskandale, Fettsuchtpandemie – das Unbehagen in der globalen Esskultur wächst täglich und überall. Und immer mehr Menschen haben diese Verhältnisse offenbar satt. Harald Lemke beleuchtet zentrale Welt- und Selbstbezüge des Essens, die mit zeitgenössischen Fragen des Politischen in Verbindung stehen. Dabei zeigt er: Ob der Welthunger oder die Klimagerechtigkeit, ob der soziale Kampf um Ernährungssouveränität und das Recht auf Städte aus Gärten – die Zukunft der Menschheit hängt ganz entscheidend vom gesellschaftlichen Umgang mit der Nahrungsfrage ab.
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Global Studies bei transcript Fernand Kreff, Eva-Maria Knoll, Andre Gingrich (Hg.)
Lexikon der Globalisierung
2011, 536 S., kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1822-8 Das erste umfassende Lexikon zur Globalisierung mit Perspektiven aus Anthropologie und Sozialwissenschaften: Begriffe für ein Zeitalter kultureller Vielfalt in Theorie und Alltag und ein unverzichtbarer Wegweiser im Dickicht der Globalisierungsdebatten. »[E]in wissenspralles, seinen Subjektivismus nicht verbergendes, ethisch wertvolles Kompendium, das der Moderation der diskursiven Analyse unserer Gegenwart einen wertvollen Dienst erweist.« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.04.2012) »Seinen besonderen Wert gewinnt dieses hervorragende Lexikon aus den Querverweisen. Die Beiträge eröffnen [hierdurch] mitunter überraschende Perspektiven. Der Erkenntnisgewinn durch ständig neue Blickwinkel ist beträchtlich.« (Süddeutsche Zeitung, 15./16.10.2011)
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Sozialtheorie bei transcript Michael Heinlein, Cordula Kropp, Judith Neumer, Angelika Poferl, Regina Römhild (eds.)
Futures of Modernity Challenges for Cosmopolitical Thought and Practice
2012, 238 S., kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2076-4 Global risks, mobilities and interdependencies transnationalize local life and working worlds. These processes lead to an inner globalization of societies in which worldwide constellations of »reflexive« (Ulrich Beck), »multiple« (Shmuel N. Eisenstadt), »entangled« (Shalini Randeria) and »global« (Arjun Appadurai) modernities simultaneously and immediately clash in social action: a process of cosmopolitanization in which »the global« is localized and »the local« is globalized in radical new ways. In this book, an international selection of prominent critical thinkers address this premise and provide their interpretations of imminent challenges, concomitant social dynamics and political implications. With contributions by Arjun Appadurai, Zygmunt Bauman, Ulrich Beck, Elisabeth Beck-Gernsheim, Edgar Grande, Maarten Hajer, Ronald Hitzler, Wolf Lepenies, Anna Lowenhaupt Tsing, Angela McRobbie, Bruno Latour, Ted Nordhaus & Michael Shellenberger, Hans-Georg Soeffner, Natan Sznaider, Anja Weiß and Yunxiang Yan.
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Sozialtheorie bei transcript Herbert Kalthoff, Uwe Vormbusch (Hg.)
Soziologie der Finanzmärkte
2012, 376 S., kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1806-8 Spätestens mit der Schuldenkrise sind Finanzmärkte ins Zentrum der Forschung und des öffentlichen Diskurses gerückt. Dieser Band eröffnet neue und profunde Einblicke in ein gesellschaftlich relevantes und komplexes Phänomen der Gegenwart, das durch die Gleichzeitigkeit von formaler Rationalität und kommunikativer Mythenbildung, hoher Technisierung und impulsiver Körperlichkeit geprägt ist. Die sozial- und kulturwissenschaftlichen Beiträge stellen Forschungen zu unterschiedlichen Aspekten der Finanzmärkte vor – vereint durch das Interesse, ökonomischen Wissenspraktiken und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung auf die Spur zu kommen.
www.transcript-verlag.de
Die Vernichtung von Finanztiteln im Wert von hunderten Milliarden Euro mündet in der Zerstörung der Existenzgrundlagen von Millionen Menschen. Leider gilt immer noch: „Die Männer in den Konjunkturfoschungsinstituten … zeigten ihren Kopf nur dadurch, dass sie ihn schüttelten.“ Bertolt Brecht
Lunapark21 nimmt die usual suspects des globalen Kapitalismus unter die Lupe und widerlegt die scheinbare Ohnmacht durch praktische Beispiele. Gerne servieren wir Ihnen unsere gesammelten Erkenntnisse und Indizien, schön aufbereitet, in Form eines komfortablen Jahresabos. Dieses kann auch zwei mal jährlich mit einem Extra-Heft zu Schwerpunktthemen ergänzt werden. Bisher erschienene Extra-Hefte: Europäische Verkehrswende JETZT! // Weltwirtschaftskrise & Krise der Autoindustrie // Globalisierung. Flugverkehr. Gegenwehr // Daseinsvorsorge & Demokratie // Alternativer Geschäftsbericht Deutsche Bahn 2011 // S-Bahn-Krimi Berlin. Die Extra-Hefte kosten 2 Euro plus Porto. Bestellung per Email an luna@luna park21.net.
Lunapark21 erscheint vier Mal im Jahr mit 72 Seiten. In jeder Ausabe ein umfangreiches Spezial – Nr. 18: Neue & alte Jagd nach Rohstoffen // Nr. 17: Kriegsgeschäfte – war sells // Nr. 16: occupied society · Das Reicherwerden der Reichen fördert Krisen // Nr. 15: Griechenland & die EuroKrise // Nr. 14: Fukushima · Das atomare Weltsystem // Nr. 13: Indien: Wachstum von Elend & Widersprüchen. In jedem Heft vier Seiten Lun Art: Künstlerinnen und Künstler beziehen Stellung. Einzelheft: 5,90 Euro. Erhältlich im Bahnhofsbuchhandel oder im Abo. Abo BRD/ Österreich: Normalabo: 24 Euro (4 Hefte/ Jahr) Abo-Plus: 32 Euro (4 Hefte + 2 Extrahefte/ Jahr)
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