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German Pages 372 [373] Year 2010
JUS PRIVAT UM Beiträge zum Privatrecht Band 146
Susanne Hähnchen
Obliegenheiten und Nebenpflichten Eine Untersuchung dieser besonderen Verhaltensanforderungen im Privatversicherungsrecht und im allgemeinen Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung der Dogmengeschichte
Mohr Siebeck
Susanne Hähnchen, geboren 1969 in Berlin-Pankow; Studium der Rechtswissenschaft von 1990–1995 an der Freien Universität Berlin; nach dem Referendariat am KG Berlin und Zweitem Staatsexamen 2001 Promotion mit der Arbeit „Die causa conditionis. Ein Beitrag zum klassischen römischen Kondiktionenrecht“; die Habilitation erfolgte mit der vorliegenden Untersuchung; seit 2007 Lehrstuhlvertretung in Bielefeld, Münster und Göttingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-151223-0 ISBN 978-3-16-149640-0 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde ursprünglich abgeschlossen im November 2006 und im Sommersemester 2007 unter dem Titel „Obliegenheiten und Nebenpflichten. Eine Untersuchung dieser besonderen Verhaltenspflichten im BGB, VVG und HGB“ als Habilitationsschrift am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin angenommen. Wegen der VVG-Reform, die zum 1. 1. 2008 in Kraft trat, erschien es sinnvoll, die Arbeit nicht sofort zu veröffentlichen. Das geänderte Gesetz mit seinen Materialien sowie Literatur und Rechtsprechung bis Ende Juli 2009 konnten daher berücksichtigt werden. Betreut wurde die Arbeit ursprünglich von Prof. Dr. Friedrich Ebel, der am 11. 12. 2005 überraschend starb. Ich danke Herrn Prof. Dr. Helmut Schirmer, dass er daraufhin die Mühe des Erstgutachtens mit großer Selbstverständlichkeit und Freundlichkeit übernommen und erledigt hat. Für die Erstellung des Zweitgutachtens und ihre allgemeine Unterstützung danke ich Frau Prof. Dr. Cosima Möller. Dass Herr Prof. Dr. Jürgen Prölss die Arbeit von Anfang an kritisch begleitet hat, war für mich ebenfalls sehr nützlich. Wenn ich nicht zwei Kinder mit ausgesprochen guter Gesundheit, einen großartigen Mann sowie viele freundliche, motivierende und hilfreiche Geister gehabt hätte, wäre ich nie fertig geworden. Dank an alle. Dem Verlag Mohr Siebeck danke ich für die Aufnahme in die Reihe „Jus Privatum“ und die gute Betreuung. Der Druck des Buches wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss aus den Frauenfördermitteln unterstützt. Auch dafür danke ich. Panketal, im September 2009
Susanne Hähnchen
Inhaltsverzeichnis Verwendete Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIX
§ 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
I. Gegenstand der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Historische Entwicklung des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung . . . .
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I. Die Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die große Synthese zwischen Versicherungsrecht und allgemeinem Zivilrecht: Reimer Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Terminologie R. Schmidts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hintergrund und Nutzen der Unterscheidungen . . . . . . . . . c) Kritische Stellungnahme zu R. Schmidt. . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsätzliche Ignoranz der direkten Vorgänger . . . . . . . (2) Angeblich schwächere Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rechtspsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Rechtspflicht und Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . d) Resümee zu R. Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der heutige Stand der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Terminologische“ Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die vermittelnde Obliegenheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . c) Die überwiegende Ansicht: Voraussetzungstheorie . . . . . . . . d) Die Verbindlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einheitstheorienfeindliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII
Inhaltsverzeichnis
II. Die Rechtsprechung – (Selbst-)Darstellung und Inhalt . . . . . . 1. Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH vom 13. 6. 1957 (BGHZ 24, 378). . . . . . . . . . . b) BGH vom 7. 11. 1966 (NJW 1967, 202) . . . . . . . . . . c) BGH vom 26. 2. 1969 (VersR 1969, 507) . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) BGH vom 26. 1. 2005 (NJW 2005, 1185) – kein „Selbstvollstreckungselement“ der Obliegenheiten 2. Allgemeines Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGHZ 11, 80 und BGHZ 50, 175 . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidungen der Instanzgerichte . . . . . . . . . . . .
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III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände . . . . . . . . . . . . .
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I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht. . . . . . . . . . . .
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1. Die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers . . . . . . . . . . . . a) Die vorvertragliche Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Obliegenheiten nach Abschluss des Vertrages bis zum Versicherungsfall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Obliegenheiten aus Vertrag (§ 6 VVG a. F./§ 28 VVG 2008) . . . d) Gesetzliche Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls (1) Anzeige des Versicherungsfalls und Auskunftspflicht . . . . (2) Abwendung und Minderung des Schadens . . . . . . . . . . . (3) Weitere Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalles . . . . . . . . . . . . . . e) Zweifelhafte Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versichererobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Risikoprüfungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Obliegenheiten des Versicherers aus dem VVG. . . . . . . . . . . c) Weitere Nebenpflichten aus Treu und Glauben. . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts . . . . . . . . . 1. § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich und Regelungsgehalt der Norm . . . (1) Rechtspflicht zur Vermeidung eigener Schäden? . . . . (2) Konsequenz der überwiegenden Ansicht: Annahme von Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Folgen des Mitverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . b) Historische Entwicklung des Mitverschuldens. . . . . . . c) Rechtfertigung für die Anrechnung von Mitverschulden .
40 42 42 43 44 46 46 47 47 49 50 51 52
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52 53 53
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d) Verhältnis der Obliegenheitstheorien zu § 254 BGB. . . . . . . . 2. Obliegenheiten mit Relevanz der Theorien . . . . . . . . . . . . . . a) „Ehemalige“ Obliegenheiten der Banken . . . . . . . . . . . . . . (1) Widerrufsbelehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorvertragliche Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . b) Mitwirkungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Annahme der Leistung durch den Gläubiger . . . . . . . . . . aa) Die Herausbildung der heute herrschenden Ansicht . . . bb) Eigene Ansicht: Annahmepflicht – nur kein Verschuldenserfordernis für Rechtsfolgen der §§ 300 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Hauptfälle des Annahmeverzuges . . . . . . . . . b) Verschulden und Interessenlage beim Annahmeverzug und bei Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . g) Der Schadensersatzanspruch des Schuldners . . . . . d) Heranziehung der Rechtsvergleichung. . . . . . . . . (2) Die Mitwirkung des Bestellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) BGH vom 13. 11. 1953 (BGHZ 11, 80) . . . . . . . . . . . bb) BGH vom 16. 5. 1968 (BGHZ 50, 175) . . . . . . . . . . . cc) Die Entwicklungstendenz zur Mitwirkung des Bestellers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erklärungs- oder Klarstellungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . (1) Die typischen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Obliegenheit zur unverzüglichen Anfechtung (§ 121 Abs. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Obliegenheit zur Anzeige der Verspätung (§ 149 BGB) cc) Untersuchungs- und Rügeobliegenheit (§ 377 HGB). . . dd) Obliegenheit zur Untersuchung von Gebrauchtwagen? ee) Obliegenheit zur Nachfristsetzung . . . . . . . . . . . . (2) Atypische Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Obliegenheit zur Anzeige der Ablehnung eines Geschäftsbesorgungsvertragsangebotes (§ 362 HGB) . . bb) Obliegenheiten zur Nichtduldung von Vertreterhandeln und zur Richtigstellung von kaufmännischen Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erkundigungs- oder Nachforschungsobliegenheiten . . . . . . . (1) Nachforschungsobliegenheit des Erklärungsempfängers . . . (2) Sachenrechtliche Erkundigungsobliegenheit (§ 932 BGB) . . c) Dokumentationsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Obliegenheiten des insolventen Schuldners . . . . . . . . . . e) Obliegenheiten im Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . .
IX 60 62 62 62 63 64 64 64
68 68 68 70 71 71 72 74 75 77 77 78 78 78 79 80 81 82 82
83 83 85 85 86 87 88 89
X
Inhaltsverzeichnis
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90 90 92 93 93 95 96 97 98 98 99 99 100 100 101
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit (Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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f) g) h) i)
j)
(1) Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Obliegenheiten des Unterhaltspflichtigen . . . . . . . bb) Obliegenheiten des Unterhaltsberechtigten . . . . . . cc) Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Obliegenheiten zur Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . (3) Aufklärungsobliegenheiten bei Eingehung der Ehe . . . . (4) Die Inventarerrichtung durch den Erben . . . . . . . . . . Weitere Obliegenheiten im Arbeits- und Sozialrecht . . . . . Providerobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwaltsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere materiell-rechtliche Obliegenheiten . . . . . . . . . . (1) Wahlrecht als Mitwirkungsobliegenheit? . . . . . . . . . . (2) Obliegenheit zur Nutzung vergeblicher Aufwendungen? (3) Deliktsrechtliche Obliegenheiten?. . . . . . . . . . . . . . Prozessrechtliche Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Interesse an der Auferlegung und an der Erfüllung von Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Theorienrelevanz nur bei Interesse an Erfüllung . . 3. Zusammenhang mit dem Verschuldenserfordernis . 4. Zusammenhang zur Darlegungs- und Beweislast . . 5. Konsequenz: Unterschiedliche Terminologie . . . . 6. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Obliegenheiten im Insolvenzverfahren . . . . . . b) § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kurze Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113
I. Allgemeine Verwendung von „Obliegenheit/obliegen“ . . . . . .
114
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen . . . . . . . . . . .
115
1. Älteste Nachweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Obliegenheiten“ im Versicherungsrecht . . . . . . . a) Älteste Verwendungen . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB). . c) Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) . . . . . d) Die aktuelle Fassung des VVG nach der Reform . 3. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). . . . . . . . . . 4. Weitere Gesetze: Obliegenheit i. S. v. Rechtspflicht . 5. Die Verwendung in Urteilen . . . . . . . . . . . . . .
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III. Zwischenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
§ 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
1. Wozu Dogmengeschichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der große Zusammenhang des konkreten Themas . . . . . . a) Erfüllungsgehilfenhaftung (§ 278 BGB) . . . . . . . . . . b) „Schuldverhältnis“, „Rechtspflicht“, klagbare Obligation. c) Besondere Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Ausgrenzung: Die ursprüngliche Entstehung der heute herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
137
1. „Verschulden gegen sich selbst“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Ansicht Zitelmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Problem des Rechtszwanges (Siber) / Schuld und Haftung / „Gebote des eigenen Interesses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die „unechte Verbindlichkeit“ (Nussbaum) . . . . . . . . . . . . . . 4. „Voraussetzung zum eigenen Rechtserhalt“ . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entwicklung der Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Rolle der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung . . . . . (1) Exkurs: Die Herbeiführung des Versicherungsfalles und die Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) RG vom 26. 5. 1883 (RGZ 9, 118) – kein Vorläufer . . . . bb) RG vom 22. 10. 1895 (RGZ 37, 149) . . . . . . . . . . . . . cc) RG vom 18. 10. 1901 (RGZ 51, 20) . . . . . . . . . . . . . dd) RG vom 22. 4. 1903 (Gruchots Beitr. 47, 991) . . . . . . . ee) RG vom 4. 6. 1913 (RGZ 83, 43). . . . . . . . . . . . . . . ff) Zwischenbilanz: Das unsolide Rechtsprechungsfundament der heute herrschenden Meinung zur Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Wesentlicher Inhalt des § 61 VVG a. F.: Wille des Gesetzgebers und Auffassungen in früher Literatur und OLG-Rechtsprechung zur Anwendung des § 278 BGB (2) Die Verletzung von Anzeige- und Mitteilungspfl ichten in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . aa) RG vom 17. 12. 1898 (RGZ 43, 142) . . . . . . . . . . . . . bb) RG vom 30. 12. 1901 (RGZ 50, 295) . . . . . . . . . . . . cc) RG vom 28. 6. 1904 (RGZ 58, 342) . . . . . . . . . . . . . dd) RG vom 21. 12. 1905 (RGZ 62, 190) . . . . . . . . . . . .
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XII
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ee) RG vom 29. 1. 1909 (LZ 3, Sp. 403) . . . . . . . . . . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Verallgemeinerung der Voraussetzungstheorie (Bedingungstheorie) für das Versicherungsvertragsrecht. . . . . . . a) Hintergrund der allgemeinen Voraussetzungslehre: Ursprüngliche Gemeinsamkeit mit der Verbindlichkeitstheorie b) Theoretische Grundlage (Schneider) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insbesondere: Das Prinzip der Selbstverschuldung . . . . . . . . d) Die Entwicklung zur h. M. im Versicherungsrecht. . . . . . . . . (1) Widersprüche bei Bruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Weitere Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Resümee zur Entwicklung der Voraussetzungstheorie . . . . . .
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III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . .
169
1. Der Hintergrund des Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) vom 30. 5. 1908. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Wortlautargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Wille des historischen Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haltung des VVG-Gesetzgebers (bis 1908). . . . . . . . . . . . . b) Die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19. 12. 1939. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Heutige Bedeutung des historischen Gesetzgeberwillens . . . . . 4. Schadensersatzpflicht als Folge der Verletzung von Obliegenheiten a) VVG-Entwurfsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 818 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die praktische Relevanz eines Schadensersatzanspruches des Versicherers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das „Vergessen“ des Schadensersatzanspruchs durch die herrschende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Konsequenzen der Verbindlichkeitstheorie: § 278 BGB und Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behandlung des § 61 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit des § 278 BGB im Übrigen . . . . . . . . . . . . . c) Repräsentantenhaftung als Haftungsmilderung . . . . . . . . . . 6. Die Verbindlichkeitstheorie in der Rechtsprechung. . . . . . . . . . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IV. Vermittelnde Ansichten: Die Vorläufer R. Schmidts . . . . . . . . 1. Die indirekte Obligation . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die theoretische Basis (v. Buchka) . . . . . . . . . . . b) Die praktische Umsetzung und Anwendung auf das Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtspflichten, die kein Schuldverhältnis sind . . . . .
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V. Resümee der historischen Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . .
188
XIII
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§ 6. Versicherungsvertragsrecht und allgemeines bürgerliches Recht in der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . .
191
I. Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191
1. Erforderlichkeit der grundsätzlichen Herangehensweise . . . . . 2. Versicherungsvertrag und Versicherungswissenschaft . . . . . . 3. Die Besonderheiten des Versicherungsvertragsrechts . . . . . . . a) Insbesondere: Treueerfordernis (Assekuranztreue) . . . . . . b) Genauer: Risikotragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Nochmals: Funktionen der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Abspaltung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers oder Einheit der Zivilrechtsordnung – Das weitere Vorgehen . .
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§ 7. Kritik der heute im Versicherungsvertragsrecht herrschenden Voraussetzungstheorie . . . . . . . . . . . . . . .
203
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“ . . . . . . . .
204
1. Obliegenheit als Tatbestandvoraussetzung? . . . . . . . . . . 2. Keine klare Abgrenzung von der Hauptleistungspflicht (Prämienzahlung) des Versicherungsvertrages. . . . . . . . . 3. „Voraussetzung für den Rechtserhalt“ . . . . . . . . . . . . . a) Unzutreffende Verallgemeinerung der Rechtsfolge – kein „Selbstvollstreckungselement“ . . . . . . . . . . . . . b) Genauer: Andere Rechtsfolgen (als Rechtsverlust) . . . . . (1) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Versicherungstechnische Korrektur . . . . . . . . . . . (3) Vereinbarung von Vertragsstrafen . . . . . . . . . . . . (4) Zugangsfiktion in § 10 VVG a. F. (§ 13 VVG 2008) . . c) Weitere Voraussetzungen für einen Rechtsverlust bei Obliegenheiten aus Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Voraussetzungen bei Obliegenheiten aus Gesetz .
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205
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207 208 208 209 210 210
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211 212
II. Gebote/Pflichten im eigenen Interesse? . . . . . . . . . . . . . . . .
213
1. Ursprung der These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktuelle Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schaden im versicherungstechnischen Sinne . . . . . . . . . b) Notwendige Unterscheidung zwischen der Interessenlage vor Auferlegung von Obliegenheiten und danach . . . . . . (1) Ursprüngliche Interessenlage bei Obliegenheiten i. e. S.. (2) Situation nach Auferlegung der Obliegenheit i. e. S. . . .
. . . . . .
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213 214 215
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216 216 217
XIV
Inhaltsverzeichnis
(3) Andere Interessenlage bei Obliegenheiten i. w. S. . . . . . . . c) Inkonsequenz der h.L. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Resümee zum Thema Interesse und Exkurs zu Argumentationsmustern (Interessen- und Begriffsjurisprudenz). . . . . . . . . . . .
218 219
III. Angeblich schwächere Sanktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
IV. „Nicht widerrechtlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
V. „Erfüllung im Belieben des Verpflichteten“ . . . . . . . . . . . . . .
224
VI. Die Belastung Dritter durch Obliegenheiten – Verträge zu Lasten Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
219
1. Wechsel einer Vertragspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. §§ 79, 179 VVG a. F. (§§ 47, 179 VVG 2008) – Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Obliegenheiten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
VII. Zusammenfassung der Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i. e. S. als Nebenpflichten
233
226 228
I. Die Unterscheidung Haupt-/Nebenpflichten . . . . . . . . . . . .
234
II. Die Abgrenzung Rechtspflicht/Naturalobligation . . . . . . . . . .
237
1. Tatbestände der Naturalobligation . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinsamkeit Naturalobligationen/Obliegenheiten . . 3. Die historische Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemein: Naturalerfüllungszwang . . . . . . . . . . b) Insbesondere: Die Entwicklung der Naturalobligation c) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterschied Obliegenheiten – Naturalobligationen. . . .
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III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
1. Herkömmliche Auffassung – die Rechtsfolge als Ordnungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagbarkeit und Schadensersatz erforderlich . . . . . . . . . b) Klagbarkeit nicht zwingend erforderlich . . . . . . . . . . . 2. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsschutzbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Relevanz des Kriteriums Klagbarkeit? . . . . . . . . . . . . c) Allgemein: Rechtsgeschäfte und ihre Rechtsfolgen . . . . . d) Konkret: Obliegenheiten und Erfüllungszwang . . . . . . . (1) Veränderungen bei der Klagbarkeit von Nebenpflichten
242 243 243 244 244 245 246 247 247
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XV
Inhaltsverzeichnis
(2) Zwar kein Abgrenzungskriterium – Obliegenheitserfüllung kann aber klagbar sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung, insbesondere Schadensersatz als Abgrenzungskriterium der Rechtspfl icht . . . . . . . . (1) Schadensersatz allgemein ungeeignet als „Grenzstein“ . . . . (2) Nochmals: Das Vergessen des Schadensersatzanspruchs durch die Versicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Exkurs: Anspruch und Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Überreste aktionenrechtlichen Denkens . . . . . . . . . . (2) Begriffsjurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
248 249 250 250 251 252 252 254
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S. . . . . . . . . . .
255
1. Das Schuldverhältnis i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Obliegenheiten i. e. S. als Neben- oder Verhaltenspflichten. . . . a) Bedeutung und Folgen einer (Neben-)Pflichtverletzung . . . b) Belastung mit Nachteilen aufgrund der allgemeinen Risikoverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „Definition“ der Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verhältnis der hier vertretenen Ansicht zu früheren Theorien e) Besonderheit der Obliegenheiten i. e. S. . . . . . . . . . . . . . f) Terminologisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Obliegenheiten i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264
§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht . . . . . . .
267
I. Allgemeine Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht . . . . . .
267
1. Grundsätzliche Anwendung der §§ 241 ff. BGB . . . . . . . . . . . a) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragsstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsätzliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonderfall: Weiche Tarifmerkmale in der Kfz-Haftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Weitere Ausnahme: ärztliche Untersuchung in der Lebensversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Insbesondere: Vorvertragliche Anzeigepflicht und culpa in contrahendo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dogmengeschichtlicher Hintergrund der Regelungen. . . . . . b) Die aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sanktionen abschließend? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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267 267 269 269 269
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XVI
Inhaltsverzeichnis
(2) Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278
II. Regeln über die Zurechnung des Verhaltens Dritter . . . . . . . .
278
1. Die Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 61 VVG a. F. / § 81 VVG 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Historisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aktuelle Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Besserstellung des Versicherungsnehmers? . . . . . . . bb) Der Mieter/Pächter als Repräsentant. . . . . . . . . . . cc) Argumente für die Schlechterstellung des Versicherungsnehmers im Rahmen der Herbeiführung des Versicherungsfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ökonomischer Hintergrund der Repräsentantenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Repräsentantenhaftung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles als Entwertung des Versicherungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtsvergleichendes Argument . . . . . . . . . . . . . gg) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Anwendung der Repräsentantenhaftung auf wirkliche Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehlen positiver Argumente für h. M. . . . . . . . . . . . . . (2) Der funktionsbedingte Erfüllungsgehilfe . . . . . . . . . . 2. Wissens- und Wissenserklärungsvertreter . . . . . . . . . . . . . .
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278 279 279 282 282 284
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III. „Verhüllte“ Obliegenheiten – Risikobeschreibungen . . . . . . . .
294
1. Näheres zur Abgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderfall: Herbeiführung des Versicherungsfalles – tatsächlich Risikoausschluss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendung des Gedankens der Obliegenheiten i. e. S. . . . . . . . .
294
IV. Begrenzung und Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips . .
297
§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände . . . . .
301
I. Weitere Obliegenheiten i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
1. Widerrufsbelehrungsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301 302
II. Obliegenheiten i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302
1. Familienrechtliche Obliegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten . . . . . . . . . . . . . 3. Obliegenheiten im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .
303 303 304
295 297
Inhaltsverzeichnis
XVII
III. § 254 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
IV. Ergänzende Argumente für die hier vertretene Ansicht . . . . . .
307
1. Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das „unbewusste Wirken des Gesetzgebers“: Schuldrechtsreform und VVG-Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzesmaterialien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
319 319 320
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
308
Verwendete Abkürzungen a. A. AbR AcP a. E. a. F. AG Anm. AnwBl AVB BB Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ DAR ders. dies. Diss. DÖV DVZ FG Fn. FPR FS GmbHG Gruchots Beitr. Grünhuts Z. HansRGZ HdV HGB HWB RWiss. Hrsg. i. e. S. InsO i. S. v. i. w. S. JA Jh. Jb. JR
am Anfang bzw. anderer Ansicht Archiv für bürgerliches Recht Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Amtsgericht Anmerkung Anwaltsblatt Allgemeine Versicherungsbedingungen Betriebsberater (Zeitschrift) Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Deutsches Autorecht (Zeitschrift) derselbe dieselbe Dissertation Deutsche öffentlich-rechtliche Versicherung (Zeitschrift) Deutsche VersicherungsZeitung Festgabe Fußnote Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift) Festschrift Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von I. A. Gruchot Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (ab 1928, vorher HansGZ bzw. HansRZ) Handwörterbuch der Versicherung Handelsgesetzbuch Handwörterbuch der Rechtswissenschaft Herausgeber im engen (eigentlichen) Sinne Insolvenzordnung im Sinne von im weiten Sinne Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau
XX JRPV Jura JurPC JurPR JuS JW JZ LG LZ
Verwendete Abkürzungen
Juristische Rundschau für die Privatversicherung Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Internetzeitschrift für Rechtsinformatik und Informationsrecht Juris Praxisreport Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Landgericht Leipziger Zeitschrift (bis 1914 LZ für Handels-, Konkurs- und Versicherungsrecht, danach LZ für Deutsches Recht) Malß Z. Zeitschrift für Versicherungsrecht, herausgegeben von Conrad Malß (1866/68) MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MünchKomm Münchener Kommentar (je nach kommentiertem Gesetz angefügt BGB, HGB, InsO, ZPO) mwN mit weiteren Nachweisen n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NVersZ Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht o. ä. oder ähnlich(e) ÖffV Die öffentlichrechtliche Versicherung (Zeitschrift) OLG Oberlandesgericht OLGRspr OLG-Rechtsprechung: Rechtsprechung der OLG und LG zum Zivilrecht o. V. Verfassername ohne Angabe des Vornamens im Werk ÖVVG Österreichisches Versicherungsvertragsgesetz RdK Recht des Kraftfahrers (Zeitschrift) RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungen des RG in Zivilsachen Rn. Randnummer r+s Recht und Schaden (Zeitschrift) RWB Rechtswörterbuch S. Seite Seuff. Arch. Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte, hrsg. v. J. A. Seuffert s. o. siehe oben sog. sogenannte(r) Sp. Spalte u. a. unter anderem/und andere VA Veröffentlichungen des Reichsaufsichtsamtes für Privatversicherung VersArch Versicherungsarchiv (Zeitschrift) VersR Versicherungsrecht (auch die Zeitschrift) VersW Versicherungswirtschaft (Zeitschrift) VN Versicherungsnehmer VP Versicherungspraxis (Zeitschrift) VR Die Versicherungsrundschau (österreichische Zeischrift) VVG Versicherungsvertragsgesetz VVR Versicherungsvertragsrecht WallmZ. Wallmanns Versicherungs-Zeitschrift WB Wörterbuch WM Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilung ZAP Zeitschrift für die Anwaltspraxis ZfV Zeitschrift für Versicherungswesen
Verwendete Abkürzungen ZHR ZNR ZPO ZRG ZVW ZZP
Zeitschrift für Handelsrecht Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
XXI
§ 1. Einleitung I. Gegenstand der Arbeit Obliegenheiten gibt es in erster Linie im Versicherungsvertragsrecht. Aber auch in anderen Gebieten, etwa im Insolvenzrecht und vor allem im Bürgerlichen Gesetzbuch finden sich Verhaltensanforderungen, die diese Bezeichnung erhalten haben. Heutzutage ist vor allem umstritten, ob im Einzelfall eine Obliegenheit anzunehmen ist oder nicht. Die rechtliche Natur von Obliegenheiten, ihr Pflichtgehalt und welche Rechtsfolgen aus ihrer Nichterfüllung entstehen – dies alles scheint geklärt zu sein. Die Untersuchung dieser Fragen lohnt sich dennoch, um dogmatische Klärung zu erzielen, um zu wissen, ob die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts Anwendung finden, aber auch, um im Hinblick auf eine mögliche europäische Rechtsvereinheitlichung Vorarbeit zu leisten. Obliegenheiten sind nämlich eine weitgehend auf die deutsche Dogmatik beschränkte Besonderheit. Obliegenheiten sind jedenfalls sanktionierte Verhaltensregeln, die dem Belasteten durch Gesetz oder Vertrag auferlegt werden. Nach heute klar überwiegender Ansicht handelt es sich bei Obliegenheiten um Pflichten minderer (Zwangs-) Intensität1 oder Voraussetzungen für den Erhalt eigener Rechtspositionen 2 , vor allem im Rahmen des § 254 BGB aber auch darüber hinaus oft als
1 In der gesamten Arbeit wird in den Fußnoten die Literatur grundsätzlich in der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens zitiert, um die sich vollziehendenen Entwicklungen deutlicher zu machen. Die Bezeichnung der Obliegenheiten als Pfl ichten minderer (Zwangs-)Intensität erfolgt (u. a.) bei: R. Schmidt, Obliegenheiten (1953), passim; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 241 BGB, Rn. 8; Schürmann (1972) S. 31 ff.; Schaer (1972) S. 47 f.; Th. Honsell, in: HdV (1988) S. 1197; Soergel12/Teichmann (1990) vor § 241 BGB, Rn. 7; Sieg, VVR3 (1994) S. 510; Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 76; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl vor § 241 BGB, Rn. 49; Erman11/Westermann (2004) Einl § 241 BGB, Rn. 24. 2 Schneider, ZVW 5 (1905) S. 264; ders., Jh. Jb. 53 (1908) S. 9; Hercher (1912) S. 27; Lenné (1912) S. 1232; Kisch II (1920) S. 179 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 190 f.; ders., PrivatversR (1930) S. 282 ff.; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 10; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138, Rn. 1; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15; van Bühren (20032) S. 55, Rn. 223.
2
§ 1. Einleitung
Verschulden gegen sich selbst 3 oder generell als Gebote bzw. Pflichten im eigenen Interesse4 bezeichnet. Werden bestehende Obliegenheiten verletzt, so hat dies nach h. M. nie die für „echte“ Rechtspflichten typischen Rechtsfolgen der Erzwingbarkeit durch Klage und Zwangsvollstreckung oder mindestens der Verpflichtung zum Schadensersatz, sondern lediglich andere Rechtsnachteile für den Obliegenheitsbelasteten als Konsequenz. Meist ist die Rede davon, dass diesen „nur“ ein eigener Rechtsverlust treffe5 . Außerdem ist nach h. M. insbesondere § 278 BGB nicht anwendbar6 . Das Verhalten Dritter könne nicht nach dieser Vorschrift dem Obliegenheitsbelasteten zugerechnet werden, sondern nur über die Repräsentantenhaftung oder die Figur des Wissens- oder Willenserklärungsvertreters. Seltener wird hingegen vertreten, dass es sich auch bei Obliegenheiten um wirkliche Rechtspflichten mit den entsprechenden allgemeinen Rechtsfolgen handele7. Vereinzelt findet sich als anderes Extrem die fragwürdige Definition der Obliegenheiten als „Anordnungen, die einer Partei auferlegt werden, ohne dass ihnen verbindliche Wirkung zukommt“8 . Wenn man sich dem Thema nähert, sollte man sich nach dem Wert der vielthematisierten „Rechtsnatur“ fragen bzw. ob es zulässig sein kann, daraus irgendwelche Ableitungen vorzunehmen. Im Zweifel handelt es sich hier um fragwürdige Begriffsjurisprudenz, die eine bestimmte Natur behauptet um zu gewünschten Ergebnissen zu gelangen. Besser ist es daher, nicht die „Rechtsnatur“ zu suchen, sondern offen zu klären, welche Rechtsfolgen Obliegenheiten 3 Kisch II (1920) S. 183; MünchKommBGB3/Grunsky (1994) § 254 BGB, Rn. 3; BK/ Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15; MünchKommBGB4/Oetker (2001) § 254 BGB, Rn. 4; Larenz/Wolf, AT (2004) S. 235, Rn. 37; BGH vom 6. 10. 2005, NJW 2006, 288 f., insb. Rn. 12; BGH vom 14. 3. 2006, NJW-RR 2006, 965 ff., Rn. 12. 4 Planck/Siber (1914) S. 27; Bruck, PrivatversR (1930) S. 282; Stoll, AcP 16 (1932) S. 289; Esser, SchR4 (1970) § 5, S. 32; Neumann (1989) S. 3; Kampmann (1996) S. 38; Knappmann (1997) S. 262; Erman/O. Werner (2000) Einl. § 241 BGB, Rn. 32; Jauernig11/Mansel (2004) § 241 BGB, Rn. 13; Larenz/Wolf, AT (2004) S. 234 f., Rn. 36; Schulze (2008) S. 4; jurisPK4/ Toussaint (2008) § 241 BGB, Rn. 17; HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 8. Ähnlich auch Wieling, AcP 176 (1976) S. 346 „Verhaltensanforderungen, denen nachzukommen im eigenen Interesse des Belasteten liegt“; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16: „Verhaltensanforderungen in eigener Sache“; Jauernig12/Mansel (2007) § 241 BGB Rn. 13: „Erfüllung liegt im wohlverstandenen eigenen Interesse“; BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25: „Befolgung steht im eigenen Interesse“. Der BGH benennt (auch) in jüngsten Entscheidungen die Schadensminderungspfl ichten nach § 254 Abs. 2 BGB als „Gebote des eigenen Interesses“ – vgl. BGH vom 24. 5. 2005, NJW-RR 2005, 1435; ähnlich BGH vom 7. 4. 2005, NJW-RR 2005, 1146 f.: „im eigenen Interesse gebotene Obliegenheit“. 5 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 189; Möller, Verantwortlichkeit (1939) S. 12; H. Schmitt (1939) S. 34; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346; Esser8/Schmidt (1995) S. 113; Schirmer, r+s 1999, S. 2; E. Lorenz, FG 50 Jahre BGH (2000) S. 343. 6 A. A. aber jetzt MünchKommBGB5/Grundmann (2007) § 278 BGB, Rn. 24 und diesem folgend BeckOK Bamberger/Roth/Unberath (Stand: 1. 2. 2007) § 278 BGB Rn. 23. 7 In erster Linie heute noch von J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 8 Staudinger/Olzen (Neubearb. 2005) § 241 BGB, Rn. 121.
II. Historische Entwicklung des Themas
3
haben können. Das ist letztlich die zentrale Frage derer gewesen, die sich mit der „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten beschäftigt haben. Nur sollte man heute andere Wege zur Beantwortung wählen.
II. Historische Entwicklung des Themas9 Vorliegend handelt es sich nicht um eine rechtshistorische Arbeit, auch wenn manche Teile auf den ersten Blick so anmuten könnten. Der Ausgangspunkt war vielmehr ein dogmatischer. Jedoch können rechtshistorische Erkenntnisse auch für die heutige zivilrechtliche Dogmatik nutzbringend eingesetzt werden. Alles was ist, kann nur verstanden werden, wenn man weiß, wie es geworden ist10 . Dabei kann sich zeigen, dass die äußeren Umstände, unter denen sich eine juristische Meinung herausgebildet hat, nicht mehr gegeben sind, die Meinung aber aus bloßem Traditionalismus aufrecht erhalten wird. Dieses Risiko gilt in besonderem Maße für Themen des allgemeinen Schuldrechts, dessen Grundlehren sich seit der Entstehung des BGB entscheidend verändert haben. Drastischer noch formulierte Gernhuber: „Von den Grundlehren, die zu Beginn des Jahrhunderts die Schuldrechtsdogmatik beherrschten, hat schließlich keine standzuhalten vermocht: die Beschränkung des Schuldverhältnisses auf Gläubiger und Schuldner, die Skelettierung des Schuldverhältnisses bis auf die Leistungspflichten, die sorgfältige Analyse, die jedes Schuldverhältnis aus dem sozialen Kraftfeld löst, in dem es wirkt, das alles ist Vergangenheit“11. Gerade für die hier zu untersuchende Thematik werden viele Zusammenhänge erst klar, wenn die Rechtsprechung und die Schriften vor R. Schmidt12 intensiver betrachtet wird. Danach hat sich einfach kaum noch etwas getan, davor hingegen sehr viel. Bereits vor Entstehung des BGB wurden in der allgemeinen zivilrechtlichen Literatur einige Tatbestände hinsichtlich ihres Pfl ichtengrades diskutiert. Siber behandelte dann 1903 diese und andere Verhaltensanforderungen genauer, die dadurch auffielen, dass sie für ein bestimmtes, nicht mit einer Klage erzwingbares Verhalten (andere) rechtliche Nachteile androhen. Das Problem sah man darin, dass nach damaliger Ansicht nur dann eine Obligation vorlag, wenn die Verbindlichkeit auch (naturaliter) erzwingbar war. Der Begriff der Obliegenheit wurde für diese als andersartig empfundenen Pflichten damals nicht verwendet. Auch war man sich nicht über die Behandlung derjenigen Fälle im Kla9
Zu allem Folgenden genauer in § 5 dieser Untersuchung. W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 54. Allgemein zum Wert der Dogmengeschichte auch s. u., S. 131. 11 Gernhuber, Einleitung zu Lange, Schadensersatzrecht (1979) S. V. 12 R. Schmidt, Die Obliegenheiten. Studien auf dem Gebiet des Rechtszwanges im Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung des Privatversicherungsrechts (1953). 10
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§ 1. Einleitung
ren, in denen bei Verletzung der Verhaltensanforderung (nur) ein Schadensersatzanspruch gewährt wird und die heute allgemein als Rechtspfl ichten angesehen werden. Die Frage nach der „Rechtsnatur“ bestimmter Verhaltensanforderungen wurde dann von der versicherungsrechtlichen Literatur aufgegriffen und zur Lösung des bereits im gemeinen Recht und über das Versicherungsrecht hinaus umstrittenen Problems eines Einstehens für Dritte herangezogen. Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) enthält bis heute keine allgemeine Regelung hierfür. Daher bezweifelte man schon bei seinem Erlass im Jahre 1908, ob der damals ebenfalls neue und in Details sehr umstrittene § 278 BGB auf die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten anzuwenden sei. Als unbillig wurde dessen Anwendung vor allem wegen der harten Folgen des Alles-oder-NichtsPrinzips empfunden. Eine nachhaltige Verbindung der versicherungsrechtlichen Diskussion mit den allgemeinen zivilrechtlichen Fragen stellte R. Schmidt her. Er sprach bei in Aussicht gestellten Vorteilen von Anreizungstatbeständen und bei angedrohten Nachteilen von Nötigungstatbeständen13 . Seiner Terminologie, insbesondere der weiteren Einteilung jeweils in funktionelle und teleologische Anreizungsbzw. Nötigungstatbestände, wurde weitgehend nicht gefolgt. Allerdings hat R. Schmidt deutlicher gemacht, welche Gruppe von Verhaltensanforderungen überhaupt zu betrachten sei und den versicherungsrechtlichen Obliegenheitsbegriff auch für ähnliche Pflichten des allgemeinen Zivilrechts etabliert. Seine Definition der Obliegenheiten als „Pflichten minderer Zwangswirkung“ wurde zwar weitgehend rezipiert. Inhaltlich siegte im Versicherungsrecht jedoch dauerhaft die Voraussetzungstheorie, welche R. Schmidt in seiner Untersuchung ausdrücklich abgelehnt hatte.
III. Praktische Bedeutung In den letzten Jahrzehnten diskutiert man Obliegenheiten im Wesentlichen im modernisierten Schuldrecht und im Versicherungsvertragsrecht. Aber auch in den verschiedensten anderen Zusammenhängen wird von Obliegenheiten gesprochen, was in § 3 dieser Untersuchung ausführlich dargestellt werden soll. Die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten sind trotz oder gerade wegen der jüngst erfolgten Reform des VVG 14 hochaktuell. Diese hat zwar keine Stel13 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) insb. S. 53 ff.; genauer zu dieser grundlegenden Schrift s. u. S. 9 ff. 14 Das bisher geltende Gesetz wird in dieser Arbeit als VVG a. F., das neue, welches zum 1. 1. 2008 in Kraft getreten ist, als VVG 2008 bezeichnet. Die Literatur wird generell mit Erscheinungsjahr zitiert, sodass sich Kommentare zu Paragraphen des VVG ab 2008 auf das reformierte Gesetz beziehen.
III. Praktische Bedeutung
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lungnahme des Gesetzgebers zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten gebracht, aber doch in der Literatur zu Einzelfragen einige Ansätze zum Umdenken15 . Das „Wesen“ dieser Verhaltenspflichten, also ihre Behandlung als „bloße Obliegenheit“ oder als „echte“ Nebenpflicht, ist nämlich in verschiedenen versicherungsrechtlichen Zusammenhängen von Bedeutung. Dies gilt vor allem für die Zurechnung fremden Verhaltens, nicht nur im Rahmen der sogenannten Repräsentantenhaftung, sondern auch bei den Obliegenheiten „zu Lasten Dritter“. Weitere Probleme, wie die Vereinbarung von Vertragsstrafen in der Kfz-Haftpflichtversicherung oder Schadensersatzansprüche der Versicherer wegen Obliegenheitsverletzungen, hängen mit der meist nicht mehr ernsthaft hinterfragten Einordnung der Obliegenheiten zusammen. Aber auch im allgemeinen Zivilrecht gehören die Obliegenheiten, die eine deutsche „Erfindung“ sind, angesichts fortschreitender Rechtsvereinheitlichungsbemühungen auf den Prüfstand. Kötz schreibt in seinem Lehrbuch zum europäischen Vertragsrecht treffend: „Denn das europäische Privatrecht wird nur für solche juristischen Begriffe, Konzepte und Institute offen sein, für die sich im Säurebad des internationalen Diskurses der Beweis führen läßt, daß sie das praktische Handeln der Juristen zu fördern vermögen“16 . Der große Zusammenhang des Versicherungsvertragsrechts mit dem allgemeinen Zivilrecht und dessen verschiedenen Obliegenheitstatbeständen ist in den letzten Jahrzehnten aus dem Blick geraten. Das mag seine Gründe, vielleicht auch Berechtigung haben. Es ist jedoch fraglich, ob die speziell für die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten entwickelten Regeln und beanspruchten Wirkungen tatsächlich mit denjenigen anderer Obliegenheiten übereinstimmen, wie man seit R. Schmidt weithin glaubt. Anders kann man die Problematik auch so formulieren, dass es fraglich ist, ob im Versicherungsvertragsrecht eine durch das VVG oder allgemeine Versicherungsbedingungen aufgestellte Verhaltensregel nur mit den dort angegebenen Sanktionen versehen ist oder darüber hinaus auch mit denjenigen des allgemeinen Schuldrechts. Teilweise wird dem Obliegenheitsbegriff und dem Streit um die Rechtsnatur der darunter gefassten Pflichten die praktische Bedeutung abgesprochen, ohne dass jedoch das dahinterstehende Problem übersehen würde. Denn letztlich geht es nach wie vor um die allgemeinen Fragen, welche Rechtsfolgen Obliegenheitsverletzungen haben und ob bestimmte Vorschriften Anwendung finden oder nicht. Das betrifft nicht nur die vorrangig für das Versicherungsrecht the15 Deutlich sich gegen die bisher h. M. positionierend etwa Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 47; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 9 ff., 20 ff. 16 Kötz, Europäisches Vertragsrecht, Bd. I (1996) S. VII. Ähnlich Stürner, JZ 1996, S. 752, der von einer „Schlankheitskur“ spricht. Ausführlich zur Vereinheitlichungsfunktion aufgrund des institutionellen und des Ideenwettbewerbs der europäischen Rechtsordnungen Kieninger (2002) passim, insb. S. 18 ff., 38 ff., 350 ff., 381 ff. Zum Gedanken einer integrativen europäischen Rechtswissenschaft vgl. Jansen (2004) S. 72 ff.
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§ 1. Einleitung
matisierte Anwendbarkeit des § 278 BGB, sondern auch die aller anderen allgemeinen, für „echte“ zivilrechtliche Pflichten geltenden Vorschriften, wie insbesondere die Verpflichtung zum Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§ 280 ff. BGB), den Rücktritt wegen Pflichtverletzung (§ 324 BGB) und die Möglichkeit, Vertragsstrafen zu vereinbaren (§§ 339, 340 BGB).
IV. Gang der Untersuchung Grundsätzliche, dogmatische Arbeiten zu den Obliegenheiten sind in den letzten Jahrzehnten selten geworden und beschränkten sich entweder auf das allgemeine Zivilrecht oder auf das Versicherungsvertragsrecht. Henß (1988) schließt das Versicherungsrecht ausdrücklich von seiner Untersuchung aus17 und ist für das allgemeine Zivilrecht stark an den speziellen Lehren seines Lehrers Schapp orientiert. Looschelders (1999) untersucht primär § 254 BGB, was sich in recht einseitig orientierten Ausführungen zu Obliegenheiten im Allgemeinen und seiner Auswahl von § 254 BGB ähnlichen Obliegenheitstatbeständen manifestiert18 . Die jüngsten umfassenderen Untersuchungen zu den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten hingegen, von Buck (2003), Rühl (2004) und Mi´stal (2006) 19 sind rechtsvergleichend orientiert und streifen dogmatische Grundlagen (bewusst) nur am Rande. Dieses Vorgehen ist durchaus mit der Komplexität des Themas erklärbar, steht aber allgemein brauchbaren, dogmatischen Aussagen entgegen. In Rechtsprechung und Literatur bemüht man sich – meist auf der Basis der herrschenden Meinung – nur noch darum, Einzelprobleme wie die Repräsentantenhaftung im Versicherungsvertragsrecht oder die Mitwirkungsobliegenheiten des Gläubigers in den Griff zu bekommen. Im Folgenden sollen nun diese eigenartigen Verhaltensanforderungen einer erneuten Untersuchung unterzogen werden, wobei nicht nur Aussagen für das Versicherungsvertragsrecht angestrebt sind – das würde den Zugang auf das Problem zu stark verengen. Vielmehr müssen die Obliegenheiten des allgemeinen Zivilrechts im Blick behalten werden, will man eine wirklich allgemeine 17
Henß, Obliegenheit und Pflicht im Bürgerlichen Recht (1988) S. 18. Looschelders, Die Mitverantwortung des Geschädigten im Privatrecht (1999) insbesondere S. 216 ff. Allerdings hat er sich in den letzten Jahren verstärkt dem Privatversicherungsrecht zugewendet und sieht eine Ähnlichkeit zwischen Obliegenheiten und Schutzpfl ichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB, verharrt jedoch auf der h. M., dass Obliegenheiten nur dem Schutz der eigenen Rechtsgüter und Interessen dienen würden, vgl. Looschelders, VersR 2008, S. 4. 19 Buck, Die Obliegenheit im spanischen Versicherungsvertragsrecht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zwischen deutschem und spanischem Recht (2003); Rühl, Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht. Auf dem Weg zum Europäischen Binnenmarkt für Versicherungen (2004); Mi´stal, Rechtsfolgen der Verletzung von Pflichten und Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach deutschem und polnischem Recht (2006). 18
IV. Gang der Untersuchung
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Lösung finden. Es sind dabei Tendenzen und Entwicklungen auszumachen, die Vereinbarkeit von Ergebnissen und Konstruktionen des Versicherungsvertragsrechts mit dem allgemeinen Zivilrecht zu thematisieren sowie wirtschaftliche und rechtspolitische Zusammenhänge herauszustellen. Um für die Frage nach der Anwendbarkeit der allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen auf Obliegenheiten eine zufriedenstellende Antwort zu finden, wird zunächst eine Art Allgemeiner Teil „vor die Klammer gezogen“. Hierin werden nach einer Darstellung des heutigen Meinungsspektrums (§ 2) zunächst als Obliegenheiten bezeichnete Tatbestände aufgeführt und analysiert (§ 3), sodann der Begriff „Obliegenheit“ selbst untersucht (§ 4). Dies dient nicht der Ableitung von Ergebnissen, was als (leider bei diesem Thema erstaunlich häufig anzutreffende) Begriffsjurisprudenz im negativen Sinne abzulehnen ist, sondern soll die bisherige Verwendung beleuchten. Es wird grundsätzlich der allgemein eingebürgerte Begriff „Obliegenheiten“ beibehalten, da es nicht um die Schaffung neuer Terminologien geht. Dennoch lassen sich gewisse terminologische Unterscheidungen nicht vermeiden (vgl. § 3 III.5.) Danach wird in einem wissenschaftsgeschichtlichen Abschnitt (§ 5) ein Überblick über die Entstehung und Entwicklung der vorhandenen Auffassungen zu den Obliegenheiten gegeben. Es ist nämlich mit der Zeit vollkommen aus dem Blick geraten, vor welchem Hintergrund und zu welchem Zweck die heute herrschende Meinung sich herausgebildet hat. Es wurde daher auch nicht bemerkt, dass diese Zusammenhänge sich grundlegend verändert haben. Es folgt eine genauere Behandlung des Versicherungsvertragsrechts, welches das Gebiet ist, in dem die Theorien über Obliegenheiten die größte praktische Relevanz haben (§§ 6 und 7). Der dogmatische Schwerpunkt der Arbeit liegt in § 8. Hier wird die eigene Ansicht zu den theoretischen Grundlagen der Obliegenheiten dargestellt. Danach werden die gefundenen Ergebnisse auf das Versicherungsvertragsrecht und dort schwerpunktmäßig auf die vorvertragliche Anzeigepflicht und das Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für Dritte angewendet (§ 9). Abschließend wird in § 10 der Bogen zurück zum allgemeinen Zivilrecht gezogen, soweit es nicht schon in den §§ 8 und 9 erörtert wurde. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Untersuchung. Ohne die weitere Untersuchung vorwegzunehmen, sei hier schon darauf hingewiesen, dass sich in den letzten Jahrzehnten in Literatur und Rechtsprechung zu Einzelproblemen wie der Gläubigermitwirkung Tendenzen erkennen lassen, sogenannte Obliegenheiten wie „echte“ Rechtspflichten zu behandeln. Das gilt beispielsweise auch für verbraucherrechtliche Obliegenheiten, wie die Informations- und Belehrungspflichten durch Unternehmer, die jüngst große Aufmerksamkeit erhalten haben. Selbst im Versicherungsvertragsrecht nimmt man bei den sogenannten weichen Tarifmerkmalen in der Kfz-Versicherung teilweise „echte“ Rechtspflichten an, um die aus den besonderen Obliegenheitstheorien
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§ 1. Einleitung
resultierenden Probleme auszuschalten. Diese und viele weitere Einzelprobleme zusammenzuführen und zu analysieren, um daraus Konsequenzen für oder gegen die Anwendung der allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts ableiten zu können, ist – neben der Beseitigung dogmatischer Unklarheiten – das Ziel der vorliegenden Untersuchung. Begonnen wurde die Arbeit, während die Reform des VVG im Gange war. Zwischenzeitlich ist am 1. 1. 2008 das neue VVG in Kraft getreten. Tatsächlich hat sich dadurch hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes bzw. der hier vertretenen Ansicht nur wenig verändert. Die bisher zum VVG 2008 erschienene, umfangreiche Literatur ist meist mit anderen Themen befasst, oft erst einmal mit der Erfassung bzw. Durchdringung der neuen Regelungen, und wird daher nur partiell berücksichtigt. Die zum alten VVG entstandene Literatur bezog sich auf – jedenfalls nach der Zählung – andere Vorschriften. Daher werden im Text grundsätzlich die alte (zitiert VVG a. F.) und die entsprechende neue Vorschrift (zitiert VVG 2008) angegeben und soweit es relevante Änderungen gab, wird selbstverständlich darauf eingegangen. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass zur Zeit des In-Kraft-Tretens des VVG 1908 die Rechtsnatur der Obliegenheiten intensiv diskutiert wurde und sich in dieser Zeit die Theorien entwickelt und festgesetzt haben. Vielleicht ist jetzt mit der großen Reform die Gelegenheit gekommen, sich auch einmal von überflüssigem Ballast zu verabschieden.
§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung I. Die Literaturmeinungen Die heutigen Meinungen berufen sich grundsätzlich auf die Schrift R. Schmidts1 – zustimmend, kritisch und manchmal auch kaum nachvollziehbar. Daher soll bei der Darstellung der aktuellen Auffassungen mit ihm begonnen werden. Tatsächlich ist hinsichtlich der Obliegenheitstheorien nach seiner Untersuchung auch nicht mehr viel passiert. Weniger bekannt ist hingegen die Entwicklung vor R. Schmidt. Die in der Zeit zwischen Entstehung des BGB und Entstehung des VVG sich herausbildene Diskussion um die Obliegenheiten soll aber erst in einem späteren, dogmengeschichtlichen Abschnitt (§ 5) geschildert werden. Dadurch entstehen zwar im Folgenden gelegentliche Verweise nach unten. Dies wird jedoch im Interesse besserer Lesbarkeit im Übrigen hingenommen, da nicht davon ausgegangen wird, dass jeder Leser die Begeisterung der Verfasserin für dogmengeschichtliche Entwicklungen teilt. Diese bieten jedoch – auch und insbesondere im vorliegenden Zusammenhang – entscheidende Erkenntnismöglichkeiten.
1. Die große Synthese zwischen Versicherungsrecht und allgemeinem Zivilrecht: Reimer Schmidt R. Schmidts Habilitationsschrift ist die am häufigsten im Zusammenhang mit Obliegenheiten genannte Untersuchung, deren wesentliche Aussagen zunächst dargestellt und kritisch beleuchtet werden sollen. Spätere Beiträge von ihm wurden ebenfalls berücksichtigt, im Vordergrund staht aber diese bekannte Schrift. Obliegenheiten gehören nach R. Schmidt zu den teleologischen Nötigungstatbeständen. Er grenzt sie ab gegenüber sogenannten Anreizungstatbeständen und funktionellen Nötigungstatbeständen. Diese nicht Allgemeingut gewordene Terminologie ist erläuterungsbedürftig, bevor zur inhaltlichen Aussage R. Schmidts übergegangen werden kann. 1 R. Schmidt, Die Obliegenheiten. Studien auf dem Gebiet des Rechtszwanges im Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung des Privatversicherungsrechts, 1953
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
a) Die Terminologie R. Schmidts Funktionelle Nötigungstatbestände arbeiten wie die teleologischen Nötigungstatbestände mit Nachteilen bei Nichtbeachtung von Geboten, ohne dass es bei ersteren jedoch irgendeine Form von rechtlichem Zwang geben soll. Es handele sich dann bei den Konsequenzen eines Verbotsverstoßes um „bloß logisch kausale Wirkungen“. Als ein Beispiel nennt R. Schmidt dingliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche vor tatsächlicher Störung 2 . Bei den teleologischen Nötigungstatbeständen hingegen liege ein rechtliches Sollen vor, welches sanktionsbewehrt ist 3 . Hierher zählt R. Schmidt Obliegenheiten und echte Rechtspflichten (Verbindlichkeiten). Teleologische Anreizungstatbestände seien hingegen anzunehmen, wenn für ein bestimmtes Handeln Vorteile in Aussicht gestellt werden, auf die der Handelnde erst durch sein Tätigwerden, zu welchem er gerade bewegt werden soll, einen Anspruch erwirbt4 . Beispielhaft werden neben anderen § 652 Abs. 1 BGB für den Mäklerlohn (Anspruch entsteht erst nach Vermittlung) oder der Trödelvertrag (Gewinnanspruch entsteht nur bei erfolgreichem Tätigwerden) genannt. Funktionelle Anreizungstatbestände wiederum wirkten über ein rein logisch-kausales Verhältnis von Tatbestand und Rechtsfolge, ohne dass ein rechtliches Sollen vorliege, so z. B. beim Eigentumserwerb durch Verbindung, Vermischung und Verarbeitung5 . Eine sehr ähnliche Trennung der Vorteile und Nachteile unter dem Gesichtspunkt, ob ein Verhalten „vom Gesetz“ erwünscht sei oder diesem gleichgültig, gab es schon bei Siber6 . Für R. Schmidt war es dann „die Rechtsordnung“, die das Verhalten wünsche oder nicht, überwiegend mit den gleichen Beispielen wie bei Siber. Allerdings ging es Siber vor allem darum, ob direkte, d. h. klag- und vollstreckbare, oder indirekte, mittelbar sanktionierte Verpflichtungen vorlägen. Diese Unterscheidung ist – obwohl man dies gelegentlich liest – nicht deckungsgleich mit der zwischen Rechtspflichten und Obliegenheiten, da für Siber die Verletzungsrechtsfolge Schadensersatz (noch) nicht zur Annahme einer „echten“ Rechtspflicht führte7.
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R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 76 ff. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 58 ff., 101 ff. 4 Vgl. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 84 ff. 5 Genauer R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 67 ff. 6 Siber, Rechtszwang (1903) S. 17 f., 66 f. und ders., Jh. Jb. 50 (1906) S. 66–69: aus der Reaktion der Staatsgewalt könne nicht mit Sicherheit auf das Bestehen einer Rechtspfl icht geschlossen werden. 7 Genauer dazu und allgemein zu Siber s. u., S. 139 ff. 3
I. Die Literaturmeinungen
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b) Hintergrund und Nutzen der Unterscheidungen Die funktionellen Nötigungstatbestände führte R. Schmidt ebenso wie die funktionellen Anreizungstatbestände im Zusammenhang mit seinen psychologischen Ausführungen8 in die Thematik ein, um die Obliegenheiten sodann davon abgrenzen zu können. Letztlich ist es nicht verwunderlich, dass ihm in dieser rechtstheoretischen Terminologie weitestgehend nicht gefolgt wurde, da die Differenzierung keinen echten Nutzen für die Obliegenheitsproblematik bringt, wie R. Schmidt ansatzweise sogar selbst einräumte 9. Nur die Abgrenzung zu den sog. teleologischen Anreizungstatbeständen ist für eine Untersuchung der Obliegenheiten von Bedeutung. Insbesondere Siber hatte nämlich diese Tatbestände aufgrund seiner allgemeineren Fragestellung zum Rechtszwang und dessen Verhältnis zur Rechtspflicht noch umfänglich einbezogen10 . Diese andere Fragestellung verbunden mit einer anderen Definition der Rechtspflicht durch Siber macht aber die direkte Umsetzung seiner Ergebnisse auf die Obliegenheiten problematisch. Jedenfalls sprach auch Siber nur zusammenfassend von in Aussicht gestellten Vor- und Nachteilen, was die wesentlichere, im Folgenden allein erforderliche Unterscheidung ist. Die als Obliegenheiten in Betracht kommenden Tatbestände sind nun also nach R. Schmidt eine Untergruppe der sog. teleologischen Nötigungstatbestände11, zu denen auch die „echten“ Rechtspflichten gehören. Die Erfüllung von Obliegenheiten liege zwar im Interesse des Berechtigten, dieser habe aber keinerlei Mittel, sie zu erzwingen. Es handele sich daher zwar auch um Rechtspflichten, jedoch um solche minderer Zwangswirkung, da den Obliegenheiten eben die Klagbarkeit fehle und bei ihrer Verletzung auch kein Schadensersatz zu leisten sei. Ihre Erfüllung sei jedoch (auch) im Interesse des Obliegenheitsberechtigten, weshalb sie „Pflichten im eigenen und im fremden Interesse“ seien und anderweitig, wenn auch nicht durch Klage oder Schadensersatz bei Nichterfüllung, sanktioniert würden.12
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Dagegen sogleich, S. 15 ff. Vgl. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 314. 10 Siber, Rechtszwang (1903) S. 66–67; ders., Jh. Jb. 50 (1906) S. 66–69. 11 Insoweit R. Schmidts Terminologie folgend z. B. Bischoff, VersR 1972, S. 801 und Schürmann (1972) S. 31. 12 Am deutlichsten werden alle diese Gedanken in der Zusammenfassung: R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 312 ff. 9
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
c) Kritische Stellungnahme zu R. Schmidt (1) Grundsätzliche Ignoranz der direkten Vorgänger Die Ähnlichkeit mit den Arbeiten Sibers – die R. Schmidt immerhin schon in seiner Einleitung bedeutend nennt – wurde schon beschrieben. Zugleich liegt R. Schmidt mit seiner zwischen Verbindlichkeits- und Voraussetzungstheorie vermittelnden Ansicht stark in der Nähe früherer Meinungen, welche die Obliegenheitstatbestände als indirekte Obligationen oder Schuldverhältnisse, die keine Rechtspflichten sind, bezeichneten13 . Diese Nähe wurde allerdings von ihm selbst nicht so gesehen oder eingestanden, sondern er hat die Unterschiede betont14 , soweit er seine Vorgänger überhaupt erwähnte. Wie R. Schmidt lehnten diese Vorgänger sowohl die Voraussetzungs- als auch die Verbindlichkeitstheorie ab. Dazu zogen sie ebenfalls schon rechtsphilosophische und rechtspsychologische Erwägungen heran15 . Auch der von R. Schmidt stark betonte Gedanke der geteilten Interessenlage – dass Obliegenheiten also entgegen der h. M. nicht nur im eigenen Interesse zu erfüllen sind – fand sich schon bei seinen Vorgängern16 . Viele Gedanken R. Schmidts sind also schon früher zu finden, ohne dass dies jedoch in seiner eigenen Untersuchung ausreichend deutlich wird. Die Ansicht Herchers beispielsweise wird von R. Schmidt nur in einem knappen Absatz auf S. 285 und sehr verkürzt bis missverständlich widergegeben. Die teilweise auffällig ähnlichen Ausführungen H. Schmitts werden inhaltlich gar nicht wiedergegeben und auch nicht erörtert. Bei der Theoriendarstellung erscheint dieser nur in Fußnote 1577 als angeblich „Abw. Ans.“ und ansonsten z. B. in Fußnote 482 als eine der Quellen für die Ausarbeitung zur Geschichte des Begriffs „Obliegenheit“ im Versicherungsrecht. Allerdings gab es einige Unterschiede zu den Vorgängern. So bezog etwa v. Buchka17 noch in Aussicht gestellte Vorteile in seinen Begriff der indirekten Obligationen ein – wohl unter dem Einfluss der damals kurz zuvor erschienenen Untersuchung Sibers18 . Auch hinsichtlich einer direkten oder analogen Anwendung des § 278 BGB zogen die verschiedenen Befürworter vermittelnder Theorien uneinheitliche Konsequenzen. Jedenfalls muss R. Schmidt hier der Vorwurf gemacht werden, seine Vorgänger nicht ausreichend gewürdigt zu haben19. 13
Genauer s. u., S. 185 ff. Zu allen Theorien später näher S. 20 ff., 137 ff., 203 ff. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 295 f. ganz knapp: „Bisherige rechtstheoretische Erklärungsversuche“. 15 Dazu gleich, unter (4) und (5). 16 Höxter (1934) S. 9 und H. Schmitt (1939) S. 12–14. 17 S. u., S. 185. 18 Welcher selbst v. Buchka aber später kritisierte, s. u. S. 186 Fn. 286. 19 Ansätze des Vorwurfs auch bei Henß (1988) S. 40 ff., der allerdings als frühere Autoren 14
I. Die Literaturmeinungen
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(2) Angeblich schwächere Sanktion Relativ neu bei R. Schmidt war die Behauptung, Obliegenheiten hätten gegenüber „echten“ Rechtspflichten nur minder schwere Rechtsfolgen 20 . In der früheren Literatur wurde hingegen ganz überwiegend kein grundsätzlicher Unterschied hinsichtlich der Intensität von heute sogenannten Obliegenheiten und anderen Pflichten angenommen. Selbst Siber, der wohl die grundsätzlichste Vorarbeit für die Theorie R. Schmidts geliefert hatte, lehnte hier einen Unterschied explizit ab, allerdings bezogen auf die Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Pflichten. Letztere bezogen wie erwähnt auch in Aussicht gestellte Vorteile ein und die Grenzziehung – direkte Pflichten nur bei Klagbarkeit oder einschließlich „nur“ Schadensersatz – wird nicht ganz klar21. Eine Ausnahme machte beispielsweise der Begründer der Voraussetzungstheorie Schneider22 , der von „minderen Rechtsnachteilen“ sprach und im gleichen Zusammenhang behauptete, die Obliegenheiten seien Schutzvorschriften, die dem Gläubiger oder Versicherer nichts einbringen, sondern „nur“ dem Eintritt der Gefahr und damit seiner Leistungspflicht vorbeugen würden 23 . Dagegen wurde sonst vor R. Schmidt – sofern überhaupt die Schwere der Sanktion thematisiert wurde – ganz überwiegend betont, dass der Anspruchsverlust den Versicherungsnehmer viel härter treffe, als etwa ein Schadensersatzanspruch es könnte24 . Der Rechtsverlust erfolge nicht, weil er dem Interesse des Versicherers genüge, sondern weil die gewöhnlichen Rechtsfolgen nicht genügend wären 25 . Die Verwirkungsklauseln dienen ja auch gerade dazu, die auferlegten Verhaltenspflichten zu verstärken 26 . Jedenfalls stellen sie deren Erfüllung besser sicher, als eine Klage es könnte27 bzw. versetzen den Versicherer in die Zitelmann, Siber, v. Buchka und v. Tuhr nennt. Diese vertraten aber nur teilweise die Linie R. Schmidts. Hercher, Höxter und H. Schmitt hingegen kommen in Henß’ schmalen Literaturverzeichnis nicht vor. Zwar klammerte er das Versicherungsrecht explizit aus seiner Untersuchung aus. Inwiefern man dann die Untersuchung R. Schmidts wirklich einordnen kann, erscheint jedoch mehr als fraglich. Weniger kritisch aber mit Verweis auf den Vorgänger H. Schmitt bereits Schünemann (1972) S. 16. 20 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) insb. S. 312 ff. (317). 21 Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 78 f. Vgl. dazu auch s. u. S. 134 und S. 139 ff. 22 Genauer zu diesem S. 162 ff. 23 Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 17 f. 24 Hillebrecht (1910) S. 100. Vgl. auch Weyermann (1929) S. 91: Verwirkung sei „schwerster der angedrohten Rechtsnachteile“ (vor Schadensersatz); Rabel, VersArch 1937/38, S. 730: „sehr viel schneidigere Behelfe“ und S. 731: Verwirkungsrechtsfolge ist „nicht abgeschwächt, sondern eher verstärkt“; Bischoff, DÖV 1939, S. 162: „außerordentlich schwerwiegende Folge“. 25 Ritter, Seeversicherung (1919) S. 36; H. Schmitt (1939) S. 34 explizit gegen Kisch, der die Verwirkungsrechtsfolge als „ausreichend“ bezeichnet hatte. 26 So bereits Josef, Komm. (1908) S. 16 f. und Jh. Jb. 55 (1909) S. 266. Ähnlich für die vorvertragliche Anzeigepflicht nach schweizerischem Recht Roelli, Kommentar (1914) S. 58. 27 Vgl. schon Ritter, Komm.§ (1932) § 377 HGB, Anm. 12 c dd), S. 556.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
gegenüber einer Erfüllungsklage günstigere Position. Denn er kann so den Anspruch des Versicherungsnehmers auf die Versicherungssumme ablehnen, während nun dieser den Klageweg beschreiten muss. Die Verwirkungsklauseln stellen somit die denkbar effizientesten Regelungen dar – die nicht zufällig von den Versicherern gewählt wurden und werden. Das ist sicherlich ein entscheidender Gesichtspunkt: Obliegenheiten werden im Versicherungsrecht auferlegt, weil die Versicherer das wollen. Warum sollten sie sich mit weniger starken Pflichten begnügen? Nach der Schrift von R. Schmidt setzte jedoch ein deutlicher Umschwung in der Literatur ein. Heute wird zumindest sehr häufig, wenn nicht überwiegend angenommen, Obliegenheitsverletzungen hätten schwächere Sanktionen, als Pflichtverletzungen. Auf die Problematik wird noch näher einzugehen sein 28 . (3) Venire contra factum proprium Im Unterschied zu den meisten Autoren vor ihm 29 hat für R. Schmidt das Verbot des venire contra factum proprium (v.c.f.p.) eine zentrale Bedeutung für den Problemkreis der Obliegenheiten. Obliegenheitsverletzungen seien nicht rechtswidrig, sondern verstoßen gegen diese allgemeine, auf § 242 BGB basierende Rechtsregel des Verbots widersprüchlichen Handelns30 . Zwar ist aus diesem Prinzip kein direkter Nutzen für die Behandlung der Obliegenheiten zu ziehen, wie bereits mehrfach in der kritischen Literatur betont wurde: Ballerstedt bemerkte in seiner sonst so lobenden Besprechung, dass sich der Kreis der Anwendung dieses Prinzips nicht mit dem der Obliegenheiten deckt 31. Auch Esser sprach von einer „Überschätzung des Gedankens“ und kritisierte die Unterscheidung zwischen rechtswidrig und rechtlich missbilligt32 . Andere betonten, dass der Begriff des widersprüchlichen Verhaltens in R. Schmidts Verwendung konturenlos werde und dieses „widerspruchsvolle Verhalten im weiteren Sinne“ nicht mehr Gegenstand der Lehre vom widerspruchsvollen Verhalten im Sinne eines v.c.f.p. sei33 . Auch ist es wenig hilfreich, insbesondere § 254 BGB als Sonderfall des Verbotes eines v.c.f.p. anzusehen, jedenfalls wird damit nichts für die Auslegung gewonnen 34 . 28
Genauer mit neuerer Literatur s. u., S. 221 ff. Ausführlich behandelt wurde der Gedanke jedoch von einem der Vorläufer R. Schmidts, nämlich Höxter (1934) S. 27 ff. 30 Das durchzieht die ganze Arbeit, vgl. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 110–112, 122, 130 f., 142 f., usw., 317. 31 Ballerstedt, Besprechung (1958) S. 86. 32 Esser, Besprechung (1955) S. 51 f. Genauer dazu s. u., S. 223 ff. 33 Staudinger11/Weber (1967) Einl vor § 241 BGB, Rn. M 20; Henß, Obliegenheit (1988), S. 64. Ähnlich auch Harke, ZVW 95 (2006) S. 392 f., speziell für die versicherungsrechtliche vorvertragliche Anzeigpflicht. 34 MünchKommBGB3/Grunsky (1994) § 254 BGB, Rn. 2 und MünchKommBGB4/Oetker 29
I. Die Literaturmeinungen
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Dennoch wurde dieser Gedanke gerade in der späteren Literatur zum Gläubigerhandeln mehrfach (wieder-)verwendet 35 , allerdings ebenfalls ohne Konsequenzen daraus abzuleiten 36 . Im Versicherungsvertragsrecht wurde erfolglos versucht, mit diesem Prinzip die Drittzurechnung zu begründen 37. Der Verstoß etwa gegen Anzeige- oder Aufklärungspflichten ist kaum mit widersprüchlichem Verhalten gleichzusetzen 38 . Geradezu absurd wirkt die Behauptung, die Obliegenheitsverletzung erscheine generell als Aufgabe des Rechts durch den Berechtigten, was unwiderlegliche gesetzliche Vermutung sei39. Weder ist diese Vermutung im Gesetz nachvollziehbar, noch käme ein seine Obliegenheiten verletzender Versicherungsnehmer auf diesen Gedanken. Der wesentliche dogmatische Unterschied zum Prinzip des venire contra factum proprium ist jedoch, dass bei Obliegenheitsverletzungen eben nicht die Ausübung eines subjektiven Rechts wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unzulässig wird, sondern das Recht aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder gesetzlicher Regelung gänzlich verloren gehen kann oder aber auch gänzlich andere Sanktionen eintreten40 . (4) Rechtspsychologie Im 19. Jahrhundert war es allgemein „in Mode“ gekommen, auch rechtliche Vorgänge zu psychologisieren41. Für ihre Untersuchungen zum Wesen der Rechtspflicht hatten bereits einige Vorläufer R. Schmidts den psychologischen Zwang auf den Verpflichteten betont, der dadurch zu einem bestimmten Verhalten angehalten werden solle42 . (2001) § 254 BGB, Rn. 4. Vgl. auch Lange/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 548 und v. Sonntag (2003) S. 42 f. Unklar in diesem Zusammenhang Erman11/Westermann (2004) Einl § 241 BGB, Rn. 24: die Einordnung der „Schadensminderungspflicht“ gem. § 254 Abs. 2 BGB als Obliegenheit sei „nicht ganz unzweifelhaft, weil dabei der Gedanke des Verbots eines venire contra factum proprium im Vordergrund steht; hinsichtlich der Rechtsfolgen paßt aber eine Einordnung als Obliegenheitsverletzung durchaus“. Genauer zum Verhältnis § 242 BGB – § 254 BGB s. u., S. 58 ff. Kritisch zum Gedanken des v.c.f.p. speziell im Rahmen des § 362 HGB auch Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 199 Fn. 19. 35 Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 230 f., MünchKommBGB3/Thode, § 284, Rn. 86 und diesem folgend Hartmann, Mitwirkung (1997) S. 88. 36 Das taten auch diejenigen nicht, die R. Schmidt generell für die Obliegenheiten darin folgen: Hanau, AcP 165 (1965) S. 239 und Wieling, AcP 176 (1976) S. 334 ff., insb. 349 ff. 37 Behrens, Drittzurechnung (1980) passim, der jedoch wenig Beachtung gefunden hat. 38 Deshalb folgt Bischoff, VersR 1972, S. 801 f. der Ansicht R. Schmidts nur eingeschränkt. 39 So aber Wieling, AcP 176 (1976) S. 352. 40 Zu diesen anderen Sanktionen genauer s. u., S. 207 ff. 41 Vgl. dazu Ebel/Thielmann3 (2003) S. 353, Rn. 560. Im Strafrecht kann man dies noch weiter zurück verfolgen, vgl. Kette, Rechtspsychologie (1987) S. 11 ff. Zum Gegenstand der Rechtspsychologie heute auch der gleichnamige Beitrag von Hommers (1991) S. 1 ff. 42 Hercher (1912) S. 27; Höxter (1934) S. 3; Heukeshoven (1938) S. 40; H. Schmitt (1939) S. 100; ebenso Marohn (1929) S. 85 f., der mehr, aber nicht voll der Verbindlichkeitstheorie zuzurechnen ist. Genauer zu allen diesen Vorgängern s. u., S. 185 ff.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
Damit bezog man sich meist ausdrücklich auf die allgemeinen, rechtstheoretischen Ausführungen v. Tuhrs zur Rechtspflicht, die auf der psychologischen Tatsache des Willens basiere: wenn das Gesetz eine Pflicht aufstelle, so wirke es motivsetzend auf den Willen des Menschen ein. Statt durch eigene Organe das gewünschte Resultat herbeizuführen, wende sich der Staat an den Willen des Subjekts, auf dessen Kosten und zu dessen Nachteil die Veränderung stattfinden solle. Bevor die Rechtsordnung Zwang einsetze, lasse sie dem Rechtssubjekt also die Möglichkeit freier Willensbetätigung43 . Vor ihm betonte schon Siber speziell für die sogenannten Gebote des eigenen Interesses (unter Einbeziehung von Tatbeständen, die einen Vorteil in Aussicht stellen und heute nicht als Obliegenheiten gelten), dass sie nur „innere psychische Antriebe“ seien44 . Kennzeichnend für die Obliegenheiten ist daher nach den vermittelnden Theorien, dass bei diesen Verhaltensanforderungen keinerlei staatlicher Zwang wirke, da der Berechtigte den Erfolg nicht im Wege des Zivilprozesses herbeiführen könne, sondern dem Belasteten andere Rechtsnachteile angedroht würden45 . Diese psychologisierende Beschreibung wird auch heute noch benutzt, allerdings immer mit Bezug nur auf R. Schmidt46 . Dieser hatte in seiner Untersuchung psychologischen Erwägungen einen breiteren Raum gegeben47. In diesem Teil entwickelte er auch die oben beschriebene terminologische Unterscheidung in funktionelle und teleologische Anreizungs- und Nötigungstatbestände. Der Nutzen dieser „Rechtspsychologie“ ist aber nicht recht ersichtlich48 – auch wenn schon bei v. Tuhr in diesem Zusammenhang bestimmte Schlagworte (Pflicht, Zwang, Nachteil) auftauchten. Tatsächlich ist es denn bei v. Tuhr auch nur ein rechtsphilosophischer Erklärungsversuch gewesen, warum der Mensch bestimmten rechtlichen Forderungen folgen sollte. Inhaltlich ist aber bei der Umsetzung auf Obliegenheiten kein Unterschied festzustellen zu der Abgrenzung nach „echten“ Pflichten (Klagbarkeit oder mindestens Schadensersatz als Verletzungsrechtsfolge) und sonstigen, „min43
Vgl. v. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 96 f. Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 196. Vgl. auch dessen Ausführungen a.a.O., S. 78. 45 Hercher (1912) S. 27; Marohn (1929) S. 86. Ansätze in diese Richtung lassen sich bereits bei Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 64, 79 finden, allerdings zu den Stichworten „Schuld ohne Haftung“ und direkte bzw. indirekte Pflichten – was eine etwas andere Unterscheidung ist, vgl. oben S. 10. Später sah Oberbach, AVB II (1947) S. 45 in der Beteiligung des Versicherungsaufsichtsamtes durchaus auch die Beteiligung staatlicher Stellen. 46 Vgl. die Nachweise bei Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff., Rn. 280 und außerdem Deutsch, VVR4 (2000) S. 146. 47 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) insb. S. 21 ff., 24 ff., 312 f. Kritisch diesbezüglich vor allem Esser, Besprechung (1955) S. 50 und Ballerstedt, Besprechung, ZHR 121 (1958) S. 85. 48 Kritisch auch Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 46 f., 73; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 227, der treffend feststellt, dass Recht und Psychologie unterschiedliche Erkenntnisinteressen haben. 44
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der“ sanktionierten bzw. der Behauptung, der Obliegenheitsbelastete handele nur seinen eigenen Interessen entsprechend, nicht weil er solle49. Vollkommen überflüssig bis skurril mutet daher die breite Erörterung von Henß an, worin er versucht, R. Schmidt einem psychologischen Ansatz zuzuordnen 50 . Das hat nichts mehr mit dem hier zu behandelnden Thema zu tun. (5) Rechtspflicht und Rechtsphilosophie Im Zusammenhang mit rechtstheoretischen und rechtspsychologischen Ausführungen wurden auch schon vor R. Schmidt gelegentlich philosophische zur Rechtspflicht gemacht51. R. Schmidt widmete auch diesem Punkt einen umfangreichen Abschnitt 52 . Zwar handelt es sich bei der Rechtspflicht in der Philosophie scheinbar um den gleichen Untersuchungsgegenstand, inhaltlich geht es aber beim ethischen Pflichtenbegriff um Fragen wie das Verhältnis Recht-Sittlichkeit-Moral, RechtMacht und Recht-Staat, d. h. um Grundprobleme der Rechtsphilosophie, selten jedoch um die Ausprägungen des Pflichtbegriffs im Zivilrecht und die damit verbundenen dogmatischen und praktischen Fragen 53 . Die Rechtsordnung als Sollensordnung hat zwar die Regelung des Verhaltens der Bürger zum Gegenstand und befiehlt zur Meidung von Sanktionen, durch Inaussichtstellen von Rechtsvorteilen und Nachteilen, ein Tun oder Unterlassen, stellt also ebenfalls Verhaltensanforderungen 54 , jedoch in einem wesentlich größeren Rahmen als bei den zivilrechtlichen Pflichten und insbesondere Obliegenheiten. Die zahlreichen rechtsphilosophischen Untersuchungen zur Rechtspflicht55 , obwohl in ihnen auch die Durchsetzbarkeit der Pflichten thematisiert und beispielsweise auch „Pflichten im eigenen Interesse“56 behandelt
49 Darin sieht Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 280 die Kernaussage. Allerdings passt diese nicht ganz zu der tatsächlichen Meinung R. Schmidts, dass Obliegenheiten gerade im beidseitigen Interesse liegen sollen. 50 Henß (1988) S. 36 ff. (Kognitivismus, Tiefenpsychologie oder Behaviorismus). 51 So bei Höxter (1934) S. 4 f. und H. Schmitt (1939) S. 100. 52 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 8 ff. Eine Zusammenfassung bringt Henß (1988) S. 31–33, der dann S. 39 f. ähnlich wie bei den psychologischen Ausführungen eine Einordnung R. Schmidts versucht. Der Sinn des Ganzen erschließt sich nicht. Zuletzt ähnlich R. Schmidt noch Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 224–226. 53 So nennt Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen (1994) S. 51 als Beispiel für direkte und indirekte Regelungen durch Verhaltensnormen § 433 BGB. 54 Schilling (1994) S. 49–50; Rüthers, Rechtstheorie4 (2008) § 4 Die Rechtsnorm, Rn. 111– 112 a. 55 Ausführliche Überblicke über die Ausführungen zur Rechtspfl icht bei Kant, Hegel, Jhering, Binder, Radbruch, Kelsen usw. z. B. bei Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht (1966) passim; Kubes, Die Rechtspflicht (1988) S. 7 ff. 56 Vgl. Laun, Recht und Sittlichkeit 3 (1935) S. 28 ff., 60 ff., den R. Schmidt als besonders förderlich für den Gegenstand seiner Untersuchung bezeichnet.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
werden, können für die vorliegend zu klärende Frage, welche Rechtsfolgen Obliegenheitsverletzungen haben, wenig weiter helfen. Die rechtsphilosophischen Ausführungen bei R. Schmidt stehen entsprechend isoliert bis zusammenhangslos neben dem eigentlichen Thema. Zwar begründet er sie damit, dass es „eines Überblicks über die Ergebnisse der Wertethik [bedürfe] um festzustellen, ob der Versuch, verschiedene Stufen der Pflichtigkeit auf dem Gebiet der Zivilrechtspflichten zu erkennen, dem Gegenstand adäquat“ sei, was er dann letztendlich bejaht57. Genauso gut hätte er aber auch die abgestufte Pflichtigkeit im Islam 58 heranziehen können – nur wäre dann die fehlende Vergleichbarkeit der Untersuchungsgegenstände noch auffälliger geworden. Rechtsphilosophisch interessanter ist hingegen die naturrechtliche Diskussion der Pflicht im Sinne von Verbindlichkeit. Gemeint ist die zunächst moraltheoretische Entwicklung, d. h. der Schritt von der nicht in natura durchsetzbaren römischrechtlichen obligatio, über ein „natürliches“, zunächst nur moralisches Sollen hin zur rechtlich erzwingbaren Pflicht59.
d) Resümee zu R. Schmidt Zusammenfassend fällt auf, dass R. Schmidts Schrift von 1953 auch von der heute herrschenden Voraussetzungstheorie oft als die zentrale Untersuchung zu den Obliegenheiten angegeben wird, er jedoch inhaltlich etwas ganz anderes vertrat und die Voraussetzungstheorie sogar ausdrücklich ablehnte und bekämpfte 60 . Später scheint er allerdings selbst nicht mehr so recht von allen Thesen überzeugt gewesen zu sein61. Daher beziehen sich die vorhergehenden und folgenden Ausführungen prinzipiell auf seine große, grundsätzliche Untersuchung.
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R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 8, 20, 312. Dazu (in religiöser und rechtlicher Hinsicht) Oberauer, Religiöse Verpflichtung im Islam (2004) passim. 59 Dazu s. u., S. 239 ff. Die knappen naturrechtlichen Ausführungen R. Schmidts, Obliegenheiten (1953) S. 11 f. geben dazu nichts her. Sie dienen nur der Untermauerung seiner behaupteten Pflichtenstufen. 60 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 63 ff., 283 f., 317. Etwas verfrüht frohlockte jedoch E. Prölss, VersW 1953, S. 476 in seiner Besprechung, R. Schmidt habe „der Voraussetzungslehre den Gnadenstoß gegeben“. 61 Vgl. R. Schmidt, Mündl. Generalreferat (1967) S. 4: beim Komplex der Obliegenheiten gehe es nicht primär um deduktive Fragestellungen, „ob wir Verbindlichkeiten oder Voraussetzungen vor uns haben“, sondern um „ganz bestimmte Interessen, Macht- und Vertrauensstrukturen“. Auch in anderen späteren Arbeiten, erwähnt er frühere Thesen kaum, vgl. etwa R. Schmidt, HdV (1988) S. 1115 ff. und NVersZ 1999, S. 401 ff. 58
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R. Schmidt wurde sowohl in die Nähe der Voraussetzungstheorie62 als auch der Verbindlichkeitstheorie 63 gestellt. Die Unterschiede zu beiden Theorien sind aber deutlich, wie noch zu zeigen sein wird, auch wenn R. Schmidt selbst schrieb, man könne – „allerdings ohne Gewinn – mit dem Wort Voraussetzung arbeiten“64 . Er betonte für die Obliegenheiten, dass sie „Pflichten im eigenen und fremden Interesse“65 seien – die heute h.L. bezeichnet Obliegenheiten meist als „Pflichten (nur) im eigenen Interesse“66 . Allerdings trat R. Schmidt der Formulierung „Pflichten im eigenen Interesse“ nicht ausdrücklich genug entgegen – mit der Konsequenz, dass er entsprechend von der schon vorher herrschenden Voraussetzungslehre missverstanden und einvernahmt wurde. Die Beschreibung der Obliegenheiten als Pflichten „minderer Zwangswirkung“ wurde zwar rein terminologisch integriert, nicht jedoch die von R. Schmidt betonte Nähe zu „echten“ Rechtspflichten und die daraus gezogene Konsequenz einer analogen Anwendung des § 278 BGB 67. R. Schmidt lobte nämlich den Grundgedanken der von der Rechtsprechung entwickelten Repräsentantenhaftung, versuchte jedoch, den Zusammenhang der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten zur allgemeinen Zivilrechtsdogmatik wiederherzustellen – ein Anliegen, welches allgemein auch von der VVGReform 2008 verfolgt wurde. Dies wird nicht nur im Rahmen der Drittzurechnung deutlich, sondern auch an seinem generellen, auf Tatbestände des Versicherungsvertragsrechts, des BGB und des HGB bezogenen Ansatz. Später ließ R. Schmidt jedoch davon ab, war stärker praktischer Versicherungsrechtler68 und nannte die Repräsentantenhaftung des Versicherungsvertragsrechts nur noch „Gewohnheitsrecht“ und „Faktum der Rechtsordnung“69. Im Hinblick auf das Einstehenmüssen des Obliegenheitsbelasteten für Hilfspersonen stand R. Schmidt ursprünglich dem heutigen Hauptvertreter der Verbindlichkeitstheorie J. Prölss und dessen funktionsbedingten Erfüllungsgehilfen 62
Von Siebeck (1963) S. 8 und Esser, SchR4 (1970) S. 32. Von Stiefel 8 /Wussow (1971) § 2 AKB, Anm. 12 und Wieling, AcP 176 (1976) S. 347. 64 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 65. 65 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 109, 314 f. Dass er S. 314 f. inhaltlich das genaue Gegenteil behaupten würde, steht leider bei Hartwig (1993) S. 258. 66 Esser, SchR4 (1970) S. 32; Knappmann, VersR 48 (1997) S. 262; Esser/Schmidt 8 (1995) S. 113; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145, Rn. 195; Grunewald, BR7 (2006) S. 59 Rn. 6; Schimikowski, VVR3 (2004) S. 111, Rn. 176. Genauer dazu s. u. § 3 I., § 6 I.4. und § 7 II.2.b). 67 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 290, 319. 68 Neben den vielfältigen Betätigungen auch im Versicherungsaufsichtsrecht und im internationalen Recht, vgl. die Würdigungen seines Werkes anlässlich eines Colloquiums zu seinen Ehren, Berichte in ZVW 80 (1991) S. 2 ff. 69 R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 85. Später stellte Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 17 im Zusammenhang mit der Repräsentantenhaftung des VN in der heutigen Rechtsprechung treffend fest, dass „der rechtstheoretische Ansatz Reimer Schmidts [gemeint ist die Schrift von 1953] verschüttet“ worden sei. 63
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
deutlich näher, als der herrschenden Voraussetzungstheorie. Er nannte diesen Ausdruck im vorliegenden Zusammenhang sogar selbst und bezog sich dazu auf Esser 70 , welcher allerdings später 71 die Anwendung des § 278 BGB auf Obliegenheitsverletzungen ausdrücklich ablehnte, da es sich hierbei nach h. M. nicht um Rechtspflichten handele. Außerdem wurde R. Schmidt von Esser dann sogar als Vertreter der herrschenden Voraussetzungstheorie zitiert 72 . Später wollte allerdings auch R. Schmidt selbst nichts mehr von einer entsprechenden Anwendung des § 278 BGB wissen und bevorzugte ausdrücklich die Repräsentantenhaftung wegen ihres Vorzuges größerer („gewohnheitsrechtlich gewonnener“) Rechtssicherheit73 . Allein dieses Beispiel zeigt wohl recht deutlich die Verworrenheit der Obliegenheitsproblematik. Bewirkt hat R. Schmidt mit seiner Obliegenheitstheorie jedenfalls für das Versicherungsvertragsrecht nicht viel. Das mag zum einen daran liegen, dass die herrschende Voraussetzungstheorie relativ diskussionsresistent ist, aber wohl auch daran, dass R. Schmidt vermutlich öfter zitiert als gelesen wurde. Inwiefern die wirklich neue Übertragung der versicherungsrechtlichen Obliegenheitslehre auf das allgemeine Zivilrecht74 glücklich war, muss später noch genauer thematisiert werden.
2. Der heutige Stand der Literatur Neue Ideen oder echte Auseinandersetzungen mit den vorhandenen Auffassungen, sind in den letzten Jahrzehnten kaum mehr zu beobachten. Daher sol70 Ohne Nennung einer konkreten Fundstelle – gemeint ist wohl dessen Lehrbuch zum Schuldrecht in der 1. Auflage (1949) oder Esser, JZ 1952, S. 257. 71 Esser, SchR4 (1970) S. 258. 72 Esser, SchR4 (1970) S. 32. 73 R. Schmidt, NVersZ 1999, S. 403 mit Fn. 13. Die Ausführungen lassen allerdings Klarheit vermissen: einerseits lehnt R. Schmidt die „(restriktiv) analoge“ Anwendung des „§ 276“ [gemeint muss § 278 BGB sein] durch J. Prölss ab, andererseits bezeichnet er Repräsentanten als „gegenüber § 278 eingeschränkte Gruppe von Hilfspersonen“ – wo dabei der eigentliche Unterschied sein soll, wird nicht deutlich. Außerdem will J. Prölss ja gerade § 278 BGB direkt, wenn auch restriktiv, anwenden. 74 Diese Haupt-Leistung R. Schmidts betonten schon Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 14 und Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 121. Vorläufer auch dieser Verbindung von Versicherungsrecht und allgemeinem Zivilrecht war allerdings Planck/Siber (1914) S. 27, der sowohl mit Blick auf versicherungsrechtliche Anzeigepflichten als auch für bestimmte heute als Obliegenheiten bekannte Tatbestände (z. B. für den Annahmeverzug des Gläubigers und § 377 HGB) von „Geboten des eigenen Interesses“ sprach. Ähnlich und mit Bezug auf Siber auch Heerbach (1930) S. 20, der als einiger der Wenigen im Versicherungsrecht Querverbindungen zum allgemeinen Zivilrecht suchte. Ähnliche, allerdings dogmatisch unklare Ansätze (weil nach Darstellung der Theorie zur indirekten Rechtspflicht und der Auffassungen u. a. von Siber dann ohne einleuchtende Begründung für das Versicherungsrecht die Verbindlichkeitstheorie vertreten wird) bei Arens (1940) S. 38 ff.
I. Die Literaturmeinungen
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len hier die aktuellen Positionen nur kurz aufgezeigt werden. Ihre Inhalte werden aber noch genauer behandelt75 .
a) „Terminologische“ Schwierigkeiten Wenn man in die neuere Literatur vor der VVG-Reform schaut, entsteht der Eindruck, es gebe eine monolithische herrschende Meinung, die R. Schmidt folgt, und einen rückständigen Außenseiter 76 : J. Prölss, der im VVG-Kommentar wie früher sein Vater die Verbindlichkeitstheorie vertritt. Diese beiden Autoren, R. Schmidt und J. Prölss, sind die häufigsten Belege zum vorliegenden Thema. Betrachtet man aber diese h. M. genauer, so folgt sie gar nicht so sehr der vermittelnden Ansicht R. Schmidts, sondern ist vielmehr die alte, von R. Schmidt bekämpfte Voraussetzungstheorie. Andererseits steht auch Prölss mit seiner Meinung nicht ganz so einsam da, wie es manchmal dargestellt wird77. Heute wird die Voraussetzungslehre gelegentlich – ebenso wie R. Schmidts wirkliche, aber im Übrigen nicht so häufig vertretene Ansicht – Obliegenheitstheorie genannt, was durchaus zu Verwirrungen führt78 . Ein grundsätzliches Problem besteht also darin, dass man bei diesem Thema keiner Behauptung, Bezeichnung oder Beschreibung trauen darf, sondern immer genau hinschauen muss, was gemeint ist, wenn von Obliegenheiten und Theorien über ihre Pflichtigkeit die Rede ist und was ein Autor wirklich geschrieben hat. Wenn im Folgenden der Terminus „Obliegenheitstheorie“ verwendet wird, so ist die tatsächliche, vermittelnde Ansicht R. Schmidts gemeint, während die 75
Insbesondere in §§ 5 und 7. Vgl. etwa BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 18: Prölss mwN „aus vergangener Zeit“ – der aber neuerdings selbst „echte“ Nebenpflichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB bejaht!, vgl. Schwintowski in: Schwintowski/Brömmelmeyer (2008) § 28 VVG, Rn. 25 – oder Stiefel/Hofmann17 (2000) § 6 VVG, Rn. 7: die Verbindlichkeitstheorie werde heute praktisch nur noch von J. Prölss vertreten – zugleich wird an dieser Stelle ein Inhalt (Möglichkeit der Vereinbarung von Obliegenheiten als „echte“ Rechtspfl icht) der von Prölss nur wiedergegebenen h. M. als einzig „überzeugender Punkt“ der Verbindlichkeitstheorie behauptet. Sogar ohne Nennung einer anderen Ansicht kommt Dorn, HKK II/1 (2007) § 241 BGB, Rn. 51: „heute wohl allgemeine Ansicht“ aus. 77 Dazu gleich S. 24 f. 78 Vgl. Siebeck (1963) S. 8 der den Inhalt der Voraussetzungslehre und R. Schmidt zusammenfassend als herrschende Obliegenheitstheorie bezeichnet. Wieling, AcP 176 (1976) S. 347, bei dem die inhaltlich korrekte Ansicht Schmidts als Verbindlichkeitstheorie benannt wird und die eigentliche Verbindlichkeitstheorie gar nicht mehr existiert. Huesmann (1998) S. 11 f. und Leonhardt (1999) S. 58 ff. dagegen fassen Voraussetzungs- und Rechtszwangtheorie unter dem Oberbegriff Obliegenheitstheorie(n) zusammen. Ähnlich, allerdings deutlich differenzierter Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 9–11, der im Zweifel den Zuvorgenannten als „Vorlage“ gedient hat. 76
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
heute herrschende Meinung ihrem wahren Inhalt entsprechend als Voraussetzungstheorie bezeichnet wird, welche sich in den Argumenten, nicht in den Ergebnissen, teilweise mit der Obliegenheitstheorie vermischt hat. Ein weiteres Problem besteht darin, dass gelegentlich die wirkliche Obliegenheitstheorie als h. M. ausgegeben wird79. Das hat sogar einen richtigen Aspekt: nimmt doch die tatsächlich überwiegende Ansicht R. Schmidt als Hauptnachweis in Anspruch – jedoch wie geschildert inhaltlich zu Unrecht. Selbst wenn dies explizit nicht so behauptet wird, entsteht zumindest missverständlich („grundlegend zu den Obliegenheiten R. Schmidt“ u. ä.) oft dieser Eindruck. Das mag auch daran liegen, dass zwischenzeitlich die Untersuchung R. Schmidts tatsächlich meinungsbildend war80 . Jedenfalls heute entspricht sie inhaltlich nicht der überwiegenden Ansicht. Man wird sogar sagen dürfen, dass in den letzten 20–30 Jahren kaum jemand sich die Mühe gemacht hat, R. Schmidt wirklich zu lesen81. Mitunter wird den Theorien selbst, nicht nur R. Schmidts Untersuchung, ein falscher Inhalt nachgesagt82 oder einzelnen Autoren werden Theorien zugerechnet, die sie nicht selbst vertreten83 . Zusammenfassend ist jedenfalls festzuhalten, dass das Obliegenheits-Thema nicht nur von dogmatischer Schwierigkeit ist.
b) Die vermittelnde Obliegenheitstheorie Teilweise, jedoch nicht überwiegend, wird tatsächlich auch inhaltlich der Ansicht R. Schmidts gefolgt, wonach die Obliegenheiten keine echten Rechtspflichten, diesen jedoch sehr ähnlich seien und § 278 BGB auf sie zumindest entsprechend Anwendung finden müsse 84 . Diese wirkliche Obliegenheitstheo79
So von Deutsch, VVR4 (2000) S. 146, Rn. 198. Er selbst sprach tatsächlich später von der Voraussetzungslehre als h. M. der Vergangenheit: R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 85: „zu einer Zeit, als man die Obliegenheiten in Praxis und Wissenschaft noch als bloße Voraussetzungen zur Erhaltung des Versicherungsanspruchs betrachtete“. 81 Als offenkundige Ausnahme ist etwa Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) zu nennen. 82 So etwa Staudinger/Olzen (2005) § 241, Rn. 128, der behauptet, dass „alle Ansichten zu . . . dem Schluss gelangen, dass jedenfalls die Durchsetzung von Obliegenheiten gegen den Willen des Verletzers ausgeschlossen ist“ – dagegen J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 83 So nennt z. B. Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 224, Fn. 229 (u. a.) Fikentscher, Schuldrecht9 (1997) Rn. 56 als Vertreter der allgemeinen Verbindlichkeitstheorie. Richtigerweise muss Fikentscher entsprechend seinen Äußerungen a.a.O., S. 56 Rn. 56 (man ist verpflichtet . . . gleichwohl kann Erfüllung nicht erzwungen werden und kein Schadensersatzanspruch) der Obliegenheitstheorie zugerechnet werden. 84 So explizit Schürmann (1972) S. 103 ff., 106 f.; Soergel12/Teichmann (1990) vor § 241, Rn. 7 f.; E. Lorenz, FG 50 Jahre BGH (2000) S. 343 f. und Erman11/Westermann (2004) Einl 80
I. Die Literaturmeinungen
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rie, also die von R. Schmidt in seiner Grundsatzuntersuchung 1953 vertretene Theorie, wird vor allem in den letzten Jahren gelegentlich auch als Rechtszwangtheorie 85 bezeichnet, da sie zur Klassifizierung der Obliegenheiten bei deren angeblichen Rechtsfolgen, dem möglichen Rechtszwang ansetzt. Die (analoge) Anwendung des § 278 BGB wird aber dabei nicht immer thematisiert.
c) Die überwiegende Ansicht: Voraussetzungstheorie Heute findet man meist – im Versicherungsrecht fast ausschließlich – die Auffassung, Obliegenheiten seien Voraussetzungen, die der damit Belastete, insbesondere der Versicherungsnehmer erfüllen müsse, um seinen (Versicherungs-) Anspruch zu erhalten86 . Oft wird dies auch mit Aspekten der Rechtszwangtheorie verbunden, d. h. es wird beispielsweise – ohne Konsequenzen – von minderer Zwangswirkung gesprochen. Überwiegend werden nur noch die Schlagworte „Verschulden gegen sich selbst“87 oder Gebote bzw. Pflichten „im eigenen Interesse“88 genannt, ohne nähere Ausführungen. Die genaueren Nachweise für die überwiegende Meinung und ihre Argumente sowie eine ausführliche Kritik folgen in einem späteren Abschnitt dieser Untersuchung (§ 7). § 241, Rn. 25. Daneben Anli (1967) S. 120 ff., allerdings mit gewissen Ungereimtheiten. Wenn auch nicht sehr ausführliche Ansätze bei BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25, der die §§ 241 ff. BGB „allenfalls analog anwenden“ will. 85 Die Bezeichnung steht bei Theda, MDR 1970, S. 476 und Trölsch (1998) S. 34 (allerdings mit z.T. unkorrekten Nachweisen der Rechtszwangtheorie), ohne dass der Theorie gefolgt wird. Vertreter sind z. B. auch Schmidt-Hollburg (1991) S. 11 ff.; Leonhardt (1999) S. 63 f. und Deutsch, VVR4 (2000) S. 146 f., Rn. 198. Wohl auch hierhin einzuordnen sind Schirmer in: FS für R. Schmidt (1976) S. 821 ff. und Fikentscher, SchR9 (1997) S. 52; Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 45 – der die Rechtszwangstheorie zwar als vorzugswürdig bezeichnet, jedoch gegen die angeblich mindere Zwangsintensität argumentiert und tatsächlich selbst mehr der Verbindlichkeitstheorie zuneigt (a.a.O. Rn. 47), jedenfalls die Obliegenheiten als Nebenpflichten ansieht – wenn auch mit angeblich abschließend im VVG geregelten Sanktionen. 86 Kisch II (1920) S. 179 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 190 f.; ders., PrivatversR (1930) S. 282 ff.; Bruck/Möller/Sieg (1961) § 6 VVG, Anm. 10; Menzel, Risikoausschlüsse (1991) S. 8 f.; Stange (1995) S. 10; Kampmann (1996) S. 38; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138, Rn. 1; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241, Rn. 49; van Bühren, HB§ (2003) S. 55, Rn. 223. 87 MünchKommBGB3/Grunsky (1994) § 254, Rn. 3; MünchKommBGB4/Oetker (2001) § 254, Rn. 4. 88 Neumann (1989) S. 3; Erman/O. Werner (2000) Einl. § 241, Rn. 32; JurisPK-BGB§/ Toussaint (2004) § 241, Rn. 17; Handkommentar4/Schulze (2005) vor §§ 241–853, Rn. 20. Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16 sprach zwar von „Verhaltensanforderungen in eigener Sache“, hielt aber zugleich (a.a.O., Fn. 29) den „Begriff der Obliegenheit nicht für sonderlich ergiebig“.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
d) Die Verbindlichkeitstheorie Nach dieser (ältesten) Ansicht handelt es sich bei Obliegenheiten grundsätzlich um „echte“ Rechtspflichten. Jedoch werden gar nicht alle als Obliegenheiten bezeichnete Verhaltensanforderungen konkret thematisiert. Insbesondere die familien- und insolvenzrechtlichen „Obliegenheiten“, aber auch andere – wie die relativ neuen Obliegenheiten im Verbraucherschutz – werden in der Regel gar nicht erwähnt. Die Entwicklung der Verbindlichkeitstheorie im Versicherungsvertragsrecht sowie ihre zentralen Inhalte werden später ausführlich behandelt (§ 5 III.). Auch wenn manchmal von der Gegenauffassung der Eindruck erweckt wird, J. Prölss89 sei der einzige mit dieser Meinung, gibt es gerade auch in den letzten Jahren einige Autoren, die ihm darin folgen bzw. die auch diese Theorie vertreten90 . Im schweizerischen Versicherungsvertragsrecht, welches durch die Entstehungsgeschichte und den Inhalt seines Versicherungsvertragsgesetzes dem deutschen Recht eng verwandt ist91, lassen sich ebenfalls Vertreter der Verbindlichkeitstheorie finden92 . Gemeinsam ist den meisten vorgenannten Autoren, dass sie sich auf das Versicherungsvertragsrecht konzentrieren und keine oder wenige Aussagen für andere, spezielle Rechtsgebiete oder das allgemeine Schuldrecht machen. Im aktuellen Versicherungsvertragsrecht ist als Unterschied zur älteren Verbindlichkeitstheorie vor allem aufzuführen, dass § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG 2008 heute auch von den meisten Vertretern der Verbindlichkeitstheorie mit der allgemeinen Ansicht nicht (mehr) als Rechtspflicht, sondern als subjektiver Risikoausschluss angesehen wird93 . Als Konsequenz wird zumindest von J. Prölss gegen die Repräsentantenhaftung der h. M. eine Haftung des Versicherungs89 Insbesondere in FG 50 Jahre BGH (2000) S. 606 und in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30–31. 90 Richter (1980) S. 148; Hartwig (1993) S. 253 ff., 260 ff.; Sackhoff (1994) S. 110 ff.; BK/ Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3 und § 34 VVG, Rn. 2; Buck (2003) S. 42 ff.; PWW/SchmidtKessel (2006) § 241 BGB, Rn. 28 mit dem Verweis auf seine (noch) nicht veröffentlichte Habilitationsschrift zum Gläubigerfehlverhalten (dort § 15) und jüngst Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25 und Looschelders/Pohlmann/SchmidtKessel (2009) § 81 VVG, Rn. 9 ff., 20 ff. Wohl auch hierher zu zählen ist D. Schwab, Einführung16 (2005) S. 85, Rn. 179. Mindestens starke Sympathien bei Eichler 2 (1976) S. 44 (der die Verbindlichkeitstheorie – zu optimistisch – als im Vordringen bezeichnete); Theda, Aktuelle Fragen (1988) S. 399 ff., 406 f. (während ders., MDR 1970, S. 476 noch die Voraussetzungslehre vertrat) und Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 47. 91 Roellis Entwurf des schweizerischen VVG war die Grundlage für das deutsche VVG, vgl. auch s. u., S. 119 ff. 92 Z. B. Kern, Rechtsnatur (1949); Frank, Anzeigepflicht (1952) S. 15 ff.; Koenig, PrivatversR3 (1967) S. 136 ff. mwN; Roelli/Jaeger, Kommentar2 (1968) Bd. IV, S. 216. 93 A. A. Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 9 ff., 20 ff. Zur früher umstrittenen Rechtsnatur des § 61 VVG s. u., S. 151 f. und S. 181 f. Kritisch gegenüber der Annahme eines subjektiven Risikoausschlusses auch hier, S. 295 f.
I. Die Literaturmeinungen
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nehmers für den Versicherungsfall herbeiführende Dritte abgelehnt94 . Außerdem ist der Begriff des funktionsbedingten Erfüllungsgehilfen95 im Rahmen einer Anwendung des § 278 BGB auf die Verletzung von Obliegenheiten durch Dritte erwähnenswert. Dieser wird – ähnlich wie es v. Gierke mit seinem Repräsentantenbegriff ursprünglich meinte96 – als sachgerechte Einschränkung des § 278 BGB verstanden.
e) Einheitstheorienfeindliche Ansätze Einige wenige Autoren greifen alle zuvor beschriebenen Theorien an. Diese Ablehnung generalisierender Theorien wird meist damit begründet, dass eine einheitliche Beurteilung der Obliegenheiten nicht möglich sei. Teilweise wurde hierfür die Bezeichnung als „gemischte Theorie“ verwendet97. Dies provoziert aber Verwechslungen mit der vermittelnden Ansicht98 . Außerdem ist als Kernaussage so bezeichneter Ansichten wichtiger, dass es keine einheitliche Theorie geben könne, wenn auch zum Teil verschiedene Theorien inhaltlich je nach Tatbestand angewendet, „gemischt“ werden. Früher wollte man gelegentlich von Fall zu Fall unterscheiden, ob eine „echte“ Rechtspflicht oder „nur“ eine Obliegenheit bzw. Voraussetzung vorliege. Ansätze in diese Richtung sind bei denjenigen Autoren zu sehen, die der Verbindlichkeits- oder der Voraussetzungstheorie nur für einzelne Obliegenheiten folgten und für andere nicht, ohne jedoch einen Zusammenhang zwischen ihren Stellungnahmen herzustellen99. Nicht hierher zu rechnen sind dagegen jene Autoren, die sich nur für einzelne Obliegenheiten äußerten und für andere keine Position bezogen100 .
94 J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 3, der insofern das Selbstverschuldungsprinzip vertritt. Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 45 f. hingegen für Anwendung des § 278 BGB statt Repräsentantenhaftung der h. M. 95 J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 48. Genauer dazu s. u., S. 291 f. 96 S. u., S. 182. 97 Z. B. bei Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 31, 89. 98 So geschehen bei Sackhoff (1994) S. 114, der die gerade zu behandelnde Ansicht als „vermittelnde Theorie“ bezeichnet. 99 Vgl. Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1239 ff.: Anzeige- und Auskunftspflichten (mit Ausnahme der vorvertraglichen) sowie die Schadensminderungspflicht des § 62 VVG seien „wahre Verbindlichkeiten“, sonstige Obliegenheiten meist „nur positive oder negative condiciones iuris“ – ähnlich auch Sommer (1913) S. 19 ff., 55 ff.; Gerhardt in Gerhardt/Hagen (1908) § 6 VVG, Anm. 1, S. 46 und Hagen a.a.O., §§ 62, 63 VVG, Anm. 1, S. 292 werden üblicherweise zur Voraussetzungstheorie gerechnet, jedoch vertritt Hagen a.a.O., § 55 VVG, Zusatz I, S. 260 f. eher die Verbindlichkeitstheorie. 100 Beispielsweise für Anzeigepflichten im Allgemeinen: Hillebrecht (1910) S. 96 ff.; für die vorvertragliche Anzeigepflicht: Künneth (1912) S. 115 ff., insbesondere S. 120 f.; Eberle (1913) S. 6, 80 ff.; ausschließlich für § 61 VVG Marohn (1929) S. 86, 93
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
Später gab es dann einige Autoren, die sich bewusst und offen gegen eine einheitliche, also gleiche Behandlung aller Obliegenheitstatbestände aussprachen101. Grundsätzliche Systematisierungsversuche gab es innerhalb dieser Ansicht kaum. Heukeshoven etwa rückte nur (wie es auch Vertreter anderer Theorien üblicherweise taten) die Interessenlage in den Vordergrund, wobei er aber als einer der Wenigen überhaupt konsequent zwischen „ursprünglicher“ Interessenlage und „sekundärer“ nach Auferlegung der Obliegenheit unterschied102 . Heute wird meist die ganze Fragestellung als sinnlos abgelehnt, da im Zweifel bei akut praktisch werdenden Fällen alle Theorien zum gleichen Ergebnis kommen würden103 . Nach einer ähnlichen Auffassung wird dem Theorienstreit zwar tatsächliche Bedeutung zugestanden, die Frage nach der Rechtsnatur der versicherungsrechtlichen Verhaltensnormen helfe dennoch nicht weiter104 . Gelegentlich wird verlangt, jeweils zu untersuchen, welche Konsequenzen die Verletzung einer Verhaltenspflicht im konkreten Fall habe105 . Dies weist zwar gewisse Ähnlichkeiten auf mit dem Vorgehen, zwischen „echten“ und „unechten“ Pflichten zu unterscheiden, versucht aber den Zirkelschluss der herrschenden Meinung zu vermeiden, die einerseits aus den Rechtsfolgen auf Obliegenheiten schließt und wegen der Qualifizierung als Obliegenheit andere Rechtsfolgen für ausgeschlossen hält. In die Richtung der vorgenannten Auffassungen ging auch schon R. Schmidt (allerdings ohne Konsequenzen für seine eigene Theorie und daher eigentlich sich selbst widersprechend), indem er in der Zusammenfassung seiner Untersuchung feststellte: „Da der Gesetzgeber die Obliegenheiten nicht einheitlich be101 Ansätze schon bei Hagen, JRPV 1932, S. 34; Haymann, VersArch 1933–34, S. 946, 963; Loppuch, JRPV 1937, S. 134 f. Konsequent dann Heukeshoven (1938) insbesondere S. 41 ff.; Oberbach, AVB II (1947), S. 42 ff.; Weichselbaumer (1959) S. 84. Ähnlich auch Ehrenzweig, VVR 2 (1952) S. 151 mit Fn. 10; Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 42 ff., 60, 90 ff.; Eichler 2 (1976) S. 43 f. und jüngst Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) insb. S. 229 mit Fn. 258. 102 Heukeshoven (1938) S. 14 ff., 37 f., 41 ff. Genauer dazu s. u., S. 216 ff. 103 So Weyers (1974) S. 460. In diesem Sinne auch Richter (1980) S. 149. Die genauere Untersuchung der theoretischen Frage ablehnend auch Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 286, der jedoch zugesteht, dass jedenfalls die praktische Frage bleibe, ob Regeln des Allgemeinen Schuldrechts gelten (a.a.O., Rn. 287). Im Anschluss an diesen (in der Vorauflage des Staudinger) hielt auch Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16 Fn. 29 den „Begriff der Obliegenheit nicht für sonderlich ergiebig“. Fragend aber ohne jede Antwort Remé, VersR 1989, S. 122. Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 128 behauptet, dass „alle Ansichten zu . . . dem Schluss gelangen, dass jedenfalls die Durchsetzung von Obliegenheiten gegen den Willen des Verletzers ausgeschlossen ist“ – vgl. dagegen nur J. Prölss in Prölss27/ Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. Völlige inhaltliche Verkennung des für nebensächlich gehaltenen Theorienstreits in der Dissertation von Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 21: es sei unumstritten, dass die Rechtsfolgen versicherungsrechtlicher Obliegenheiten anders seien und „ausschließlich der Regelung des VVG und in keinem Fall den allgemeinen Regeln“ des BGB unterlägen. Das genaue Gegenteil wird aber von der Verbindlichkeitstheorie vertreten. 104 So Looschelders, VersR 1999, S. 669. 105 Vor allem von Weyers (1974) S. 460. Ähnlich auch Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 287.
I. Die Literaturmeinungen
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handelt hat, und zwar auch deshalb nicht, weil er nicht von einer klaren Vorstellung über „Rechtspflichten minderer Wirkung“ ausging, bilden die Obliegenheitstatbestände eine uneinheitliche Sammelgruppe.“106 Später verstärkte sich diese theorienfeindliche Tendenz bei ihm107.
f) Zwischenstand Der nach wie vor bestehende Streit über die theoretische Einordnung der Obliegenheiten lässt Zweifel aufkommen, ob eine einzelne Theorie tatsächlich alle Obliegenheitstatbestände erklären und alle bestehenden Probleme zufriedenstellend lösen kann. Eine zu vermutende Gemeinsamkeit der bisherigen Autoren, die allgemeine Theorien ablehnten, ist das berechtigte Unbehagen an der typisch begriffsjuristischen Fragestellung nach dem „Wesen“ oder der „Rechtsnatur“ der besonderen Verhaltensanforderungen. Denn dies ist allen diesen Theorien gemeinsam: sie bewegen sich auf einer hohen Abstraktionsebene, entwickeln dort ihre Begriffe („Voraussetzung“, „Rechtspflicht“, „Obliegenheit“ usw.), aus denen sie dann Konsequenzen ableiten108 , meist ohne Rücksicht auf zugrunde liegende Wertungsmaßstäbe109. Dieses Vorgehen wird zwar heute theoretisch als abzulehnende Begriffsjurisprudenz gebrandmarkt, jedoch (nicht nur) im Zusammenhang mit den Obliegenheiten dennoch überwiegend praktiziert. Trotz alledem ist es erforderlich, auch auf einer abstrakten Ebene rechtliche Zusammenhänge deutlich zu machen, d. h. nicht unbedingt, einer „Rechtsnatur“ nachzuspüren, sondern zu überprüfen, wie sich Obliegenheiten gegenüber geltenden Rechtsnormen, anderen Pflichten und anerkannten Rechtsprinzipien verhalten. Dabei sollte man aber die Möglichkeit berücksichtigen, dass sich vielleicht nicht allgemein gültige Regeln für alle Obliegenheiten aufstellen lassen110 . Terminologisch ist noch einmal klarzustellen, dass wenn im Folgenden von der heute h. M. die Rede ist, die mit Elementen der Obliegenheitstheorie
106
R. Schmidt (1953) S. 317 (kursive Hervorhebung im Original). S. o., S. 18 ff. 108 Explizit gegen diese deduktive Methode für die Obliegenheiten schon Haymann, VersArch 1933–34, S. 946. 109 Zur Faszination dieses abstrakt-begriffl ichen Systems und der Kritik daran vgl. Larenz, Methodenlehre 6 (1991) S. 437 ff. 110 Daher legt sich Sackhoff (1994) S. 114 zu früh fest, wenn er gegen die hier theorienfeindlich genannte Ansicht (bei ihm irreführend „vermittelnde Theorie“) anführt, dass die „rechtsdogmatische Einordnung der Obliegenheiten eine Festlegung grundsätzlicher Art“ erfordere. 107
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
R. Schmidts versehene Voraussetzungstheorie gemeint ist, die der Einfachheit halber nur als Voraussetzungstheorie bezeichnet wird.
II. Die Rechtsprechung – (Selbst-)Darstellung und Inhalt Auch in der Rechtsprechung tauchen selbstverständlich die Schlagworte der Voraussetzungstheorie auf. Das heißt aber nicht, dass die Rechtsprechung immer inhaltlich konsequent die Voraussetzungslehre vertritt. Das soll im Folgenden an Beispielen aus der Rechtsprechung des BGH deutlich gemacht werden.
1. Versicherungsvertragsrecht Wenn von Vertretern der Voraussetzungstheorie überhaupt Rechtsprechung zu ihren Gunsten angegeben wird, dann sind es neben den später genauer zu erörternden Reichsgerichtsentscheidungen zur Verletzung von Anzeige- und Mitteilungspflichten111 insbesondere die im Folgenden unter a)-c) dargestellten Entscheidungen des BGH.
a) BGH vom 13. 6. 1957 (BGHZ 24, 378) Die Kläger, zwei Brüder, betrieben gemeinsam eine Metallschleiferei. Sie waren beide Eigentümer eines Kraftfahrzeugs und hatten dafür eine gemeinsame Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Der Kläger zu 2) verursachte unter Alkoholeinfluss einen Unfall, bei dem ein Radfahrer ums Leben kam. In der gemeinsam erstatteten Schadensanzeige wurde angegeben, der Fahrer habe nur einige Glas Bier getrunken, tatsächlich war es deutlich mehr Alkohol. Die beklagte Versicherung verweigerte die Deckung des Haftpflichtschadens unter Berufung auf § 7 Ziff. I 2, V AKB. Die Revision des Klägers zu 1) führte zur Aufhebung des die Klage abweisenden Urteils des OLG Hamm und zur Zurückverweisung112 . Zur Begründung führt der BGH zunächst aus, dass grundsätzlich jeder Bruder gegen die Versicherung einen selbständigen Anspruch auf Befreiung von der gegen ihn begründeten Haftpflichtschuld habe. Der Kläger zu 2) habe nur seinen eigenen Anspruch vernichtet, nicht auch ohne weiteres den des Klägers zu 1), „es sei denn, daß er dessen Repräsentant war oder der Kläger zu 1) sein Ver111 112
S. u., S. 154 ff. BGHZ 24, 378 ff. = BGH VersR 1957, 458.
II. Die Rechtsprechung – (Selbst-)Darstellung und Inhalt
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halten gekannt und sich zu eigen gemacht hat“. In der weiteren Begründung stellt der BGH fest, „daß nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 133, 117; 58, 342 uam) die Obliegenheiten (anders als die Prämienzahlungspflicht) keine echten, unmittelbar erzwingbaren Verbindlichkeiten darstellen, für deren Erfüllung alle Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner haften würden, sondern bloße Verhaltensnormen sind, die jeder Versicherungsnehmer selbständig beachten muß, wenn er seinen eigenen Versicherungsanspruch erhalten will“113 . Hier handelt es sich zwar um eine grundsätzliche und scheinbar für die Entscheidung wichtige Befürwortung der Voraussetzungstheorie. Tatsächlich werden aber die Reichsgerichtsentscheidungen geschickt in einen Zusammenhang gestellt, zu dem sie gar nichts aussagen! Denn in beiden zitierten Entscheidungen geht es jeweils nur um einen einzelnen Versicherungsnehmer114 . Im Kern handelt es sich bei der vorliegenden Entscheidung um die Frage, ob ein Versicherungsnehmer sich das obliegenheitsverletzende Verhalten des anderen zurechnen lassen muss. Dies wurde von Vertretern der Voraussetzungstheorie für die Gesamthandsgemeinschaft aber gerade bejaht115 . Der BGH differenziert daher weiter, dass es sich hier trotz Eigentums zur gesamten Hand an dem versicherten Wagen um verschiedene versicherte Interessen, nämlich als Halter oder Fahrer des Kfz, handele. Deshalb sei eine Anspruchsverwirkung für den Kläger zu 1) durch das obliegenheitsverletzende Verhalten des Klägers zu 2) zu verneinen. Mit erheblichem Argumentationsaufwand – über 6 Seiten in der amtlichen Entscheidungssammlung – kommt der BGH zu seinem Ergebnis. Die grundsätzliche Stellungnahme für die Voraussetzungstheorie trägt die Entscheidung keineswegs. Wäre vom BGH stattdessen der Verbindlichkeitstheorie der Vorzug gegeben worden, hätte er zum gleichen Ergebnis kommen können. Das zeigt sich insbesondere daran, dass diese Entscheidung für das Kernproblem, also das Verhältnis der beiden Versicherungsnehmer untereinander, auch vom Hauptvertreter der Verbindlichkeitstheorie unproblematisch in Anspruch genommen wird116 .
113
BGHZ 24, 382. Zu den Entscheidungen genauer s. u., S. 156 ff. und S. 1 59 Fn. 144. 115 Die älteren Nachweise in der Entscheidung selbst. Das Gleiche gilt für einige Vertreter der Voraussetzungstheorie noch nach dieser Entscheidung, z. B. Theda, MDR 1970, S. 475 f. – dieser zitiert allerdings S. 476 Fn. 14 BGH VersR 1957, 458 [das ist die vorliegende Entscheidung!] als Beleg zur Bruchteilsgemeinschaft (!) – und Stiefel8/Wussow (1971), § 7 AKB Ans. 4 mwN; a. A. seit 1974 aber Stiefel9/Hofmann, § 7 AKB, Rn. 4 (= Rn. 12 in der 17. Aufl. 2000). 116 Vgl. J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 39. 114
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
b) BGH vom 7. 11. 1966 (NJW 1967, 202) Wegen Verstoßes gegen die Führerscheinklausel117 verweigerte der Versicherer bereits im Vorfeld des Haftpflichtprozesses die Deckung eines vom Fahrer des Versicherungsnehmers verursachten Kfz-Haftpflichtschadens. Dennoch bestand der Versicherer darauf, diesen Prozess zu führen, in dem es um die Frage ging, ob der Versicherungsnehmer für seinen Fahrer nach § 831 BGB einstehen müsse oder sich entlasten könne. Nach verlorenem Erstprozess klagte der Versicherungsnehmer nun gegen den Versicherer auf den Anspruch aus der Versicherung, den der Versicherer ablehnte, weil der Versicherungsnehmer ihm nicht die Führung des Haftpflichtprozesses übertragen habe. Der BGH verneinte im Anschluss an das Berufungsgericht die Verletzung einer Obliegenheit, da es dem Versicherungsnehmer nicht zumutbar gewesen sei, den Haftpflichtprozess durch den Versicherer führen zu lassen. Vielmehr sei zu befürchten gewesen, dass dieser aufgrund der bereits abgelehnten Deckung die Interessen des Versicherungsnehmers nicht sachgerecht vertreten hätte118 . In seiner Begründung führt der BGH dem Berufungsgericht folgend zunächst aus, „die Überlassung der Prozeßführung könne der Versicherer nur verlangen, wenn er selbst seine Pflichten erfülle“. Später setzt er sich mit Rechtsprechung und Literatur auseinander, wonach der Versicherungsnehmer, der bei unberechtigter Ablehnung seines Deckungsanspruchs diesen weiterverfolge, trotzdem seinerseits alle Obliegenheiten erfüllen müsse. Diese Ansicht lehnt der BGH mit der Begründung ab, dass die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nur „Voraussetzungen“ für die Leistung des Versicherers seien. Selbstverständlich ist es dem Versicherungsnehmer unzumutbar, sich von einem Versicherer, der seine zuwiderlaufenden Interessen schon klar hat erkennen lassen, im Haftpflichtprozess vertreten zu lassen. Aber das hat nichts mit der „Rechtsnatur“ der Obliegenheit zu tun, sondern mit dem (vom BGH im Folgenden auch herangezogenen) Grundsatz von Treu und Glauben! Es handelt sich insofern wie im vorhergehenden Fall um Billigkeitsrechtsprechung. Wiederum trägt nicht die Voraussetzungstheorie die Entscheidung. Ihre Erwähnung ist vielmehr ebenso entbehrlich bis überflüssig, wie in der ersten Entscheidung.
117 Die sog. Fahrerlaubnisobliegenheit ist in § 2 b Nr. 1 c AKB enthalten. Danach wird der Versicherer von der Leistungspflicht befreit, wenn der Fahrer auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis hat. 118 BGH NJW 1967, 202 f. = VersR 1967, 27 f.
II. Die Rechtsprechung – (Selbst-)Darstellung und Inhalt
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c) BGH vom 26. 2. 1969 (VersR 1969, 507) Der Kläger hatte eine Juwelenversicherung abgeschlossen, bei der eine Verschlussklausel in den AVB enthalten war. Als er im Jahre 1962 mit seiner Ehefrau in Südtirol im Hotel abstieg und sie einen Spaziergang unternahmen, wurde eine Kassette mit dem darin befindlichen versicherten Schmuck aus dem Zimmer gestohlen. Der Versicherer lehnte die Deckung des Schadens ab, weil die Kassette nicht weggeschlossen war und damit gar kein Versicherungsschutz bestanden habe und weil der Kläger versucht hätte, über diesen Umstand zu täuschen. Der BGH gab dem Berufungsgericht Recht, das der Klage stattgegeben hatte, weil der Versicherer trotz Obliegenheitsverletzung den Versicherungsvertrag nicht gekündigt habe119. In dieser Entscheidung ging es zentral um die Fragen, ob die Juwelenversicherung eine Transportversicherung sei und ob der Versicherer dem Kläger hätte kündigen müssen. Zur Rechtsnatur der Obliegenheiten findet sich keine Stellungnahme. Lediglich bei der Begründung dazu, dass die AVB keine Risikobegrenzung sondern eine („verhüllte“) Obliegenheit enthalten, stellte der BGH fest: das „dem VN obliegende Tun oder Unterlassen bezieht sich bei den Obliegenheiten immer auf die versicherte Gefahr, vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalles“, weshalb der Versicherungsnehmer die darin normierte Sorgfalt zu beachten habe, „um den bestehenden Versicherungsschutz nicht zu verlieren“120 . Somit gibt auch diese Entscheidung nichts zur „Rechtsnatur“ oder dem Pflichtengrad der Obliegenheiten her.
d) Zwischenergebnis Alle drei von der Voraussetzungstheorie als Belege angeführten BGH-Entscheidungen – die im Übrigen allesamt schon lange zurück liegen – taugen nicht zum beabsichtigten Zweck. Die Voraussetzungslehre findet zwar in den ersten beiden Entscheidungen Erwähnung, trägt diese aber nicht. In der dritten Entscheidung wird der Begriff oder Inhalt der Voraussetzung gar nicht erwähnt, sondern nur eine Beschreibung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gegeben, die auch von Vertretern der Verbindlichkeitstheorie stammen könnte. Ähnliches gilt übrigens für die deutlich seltener zitierte Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1959, in welcher definiert wurde, dass das „Wesen der Obliegenheiten darin [bestehe], daß sie dem VN bestimmte Verhaltensweisen zur Erhaltung seines Versicherungsanspruches vorschreiben, ihm 119 120
BGH VersR 1969, 507. Zustimmend Möller, JR 1970, S. 337 f.; Bischoff, VersR 1972, S. 806.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
also Handlungs- oder Unterlassungspflichten auferlegen, die er beachten muß, wenn er seinen Versicherungsanspruch erhalten will“121. In der älteren BGH-Rechtsprechung findet die Voraussetzungstheorie also bei näherem Hinsehen keine hilfreiche Stütze. Dagegen liefert eine aktuelle versicherungsrechtliche Entscheidung Argumente gegen die Voraussetzungstheorie:
e) BGH vom 26. 1. 2005 (NJW 2005, 1185122) – kein „Selbstvollstreckungselement“ der Obliegenheiten Der klagende Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung hatte seinen PKW der beklagten Versicherung per Telefon als gestohlen gemeldet. Aufgrund der telefonischen Angaben füllte ein Mitarbeiter der Versicherung den Fragebogen aus, schickte ihn per Fax dem Kläger zu, dieser setzte seine Unterschrift darunter und faxte zurück. Bei der Frage nach früheren Unfallschäden war „nein“ angekreuzt, dabei hatte die Versicherung wenige Monate zuvor einen Unfallschaden reguliert. Die beklagte Versicherung hielt aufgrund gewisser Umstände den Diebstahl für vorgetäuscht und führte zum Beleg für die Unglaubwürdigkeit des Klägers die erhebliche Verletzung des Versicherungsvertrages durch Verschweigen des Vorschadens an. Die Klage des Versicherungsnehmers wurde von den Vorinstanzen abgewiesen. Der BGH verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, welches von Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung durch Verschweigen des Vorschadens ausgegangen war. In seiner Begründung führt der BGH dazu aus, „dass bei einer Obliegenheitsverletzung Leistungsfreiheit des Versicherers nur dann eintritt, wenn er sich gegenüber dem Versicherungsnehmer darauf beruft“. Der Versicherer könne „über die Rechte aus einer Obliegenheitsverletzung disponieren“, was darauf beruhe, dass die Verwirkungsregelung „allein in seinem Interesse geschaffen worden“ sei. Eine von selbst eintretende Leistungsfreiheit erscheine auch aus wirtschaftlichen Erwägungen als undurchführbar123 . In der Literatur wird allerdings – nicht nur an der vom BGH zitierten Stelle – auch entgegengesetzt vertreten, dass die Leistungsfreiheit des Versicherers von selbst eintrete124 . 121 BGH vom 1. 6. 1959, VersR 1959, 533 im Zusammenhang der Abgrenzung zwischen Obliegenheiten und Risikobeschränkungen. 122 VersR 2005, 493 = r+s 2005, 143. 123 BGH NJW 2005, 1186. 124 Neben J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 86 auch Weyers/Wandt, VVR3 (2003) S. 109, Fn. 11 und Schimikowski, VVR3 (2004) S. 111, Rn. 176. Für die ältere Literatur R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 265, 271 mwN (auch a. A.).
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Für diese Ansicht vom „Selbstvollstreckungselement“ der Obliegenheitsverletzung könnte eine ökonomische Überlegung sprechen: wenn die Leistungsfreiheit nicht automatisch eintritt, sondern in das Belieben des Versicherers gestellt ist, wird möglicherweise ein Grundgedanke der Versicherung, die Belastungen auf alle Versicherungsnehmer gleichmäßig und korrekt umzulegen125 , betroffen. Allerdings muss man dem Versicherer so verantwortungsbewusstes Verhalten zutrauen, dass er nicht die Masse der Versicherungsnehmer zugunsten Einzelner benachteiligt, was der BGH wohl auch mit „verständiger Handhabung der Verwirkungsregelung“ meint. Im Gegenteil kann es ja auch im Interesse der Versichertengemeinschaft sein, einen potenten Versicherungsnehmer durch gelegentliches (nicht systematisches!) Entgegenkommen zu halten. Dieser Aspekt genügt also nicht zur Annahme des unmittelbaren Eintritts der Rechtsnachteile von Obliegenheitsverletzungen. Im Übrigen kommt nach der Auffassung des BGH Leistungsfreiheit wegen Verletzung von Aufklärungspflichten von vornherein nicht in Betracht, wenn die Versicherung Kenntnis vom anzuzeigenden Umstand gehabt hatte, da dann keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers diese Sanktion rechtfertigen126 . Dies dürfte die wesentliche Erwägung sein. Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass diese BGH-Entscheidung zwar keine explizite Aussage zur „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten enthält. Sie widerspricht jedoch inhaltlich der Behauptung, Obliegenheiten seien Voraussetzungen für den eigenen Rechtserhalt – denn ihre Verletzung führt eben nicht automatisch und nicht grundsätzlich zum Rechtsverlust127. Mehrfach und deutlich wird auch dem von der Voraussetzungstheorie behaupteten angeblichen alleinigen Interesse des Versicherungsnehmers an der Erfüllung seiner Obliegenheiten widersprochen.
2. Allgemeines Zivilrecht Es gibt einige Entscheidungen, die seinerzeit als der Voraussetzungs- bzw. Obliegenheitstheorie widersprechend große Diskussionen ausgelöst haben. Denn es wurde bei Verletzung der jeweils fraglichen „Obliegenheiten“ ein Schadensersatzanspruch zugebilligt, was mit der Voraussetzungs- oder Rechtszwangtheorie nicht zu vereinbaren ist. Zur Begründung wurden wie in den oben be-
125 Vgl. zur „Gefahrengemeinschaft“ und insbesondere gegen die Sonderbehandlungen einzelner VN durch marktorientierte (tarifwidrige) verhüllte Rabatte in Gestalt systematisch „großzügiger“ Behandlung von Erstattungsanträgen einzelner Kunden Weyers (1974) S. 433 ff. (436). 126 BGH NJW 2005, 1186. 127 Vgl. dazu auch s. u. § 7 I.3.
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§ 2. Der Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung
handelten versicherungsrechtlichen Entscheidungen Billigkeitserwägungen herangezogen.
a) BGHZ 11, 80 und BGHZ 50, 175 Die beiden Entscheidungen des BGH sowie weitere zur werkvertraglichen Mitwirkungsobliegenheit des Bestellers werden bei der Darstellung der Obliegenheitstatbestände näher behandelt128 . Hier soll daher nur festgehalten werden, dass der BGH in den beiden in die amtliche Sammlung aufgenommenen Entscheidungen Schadensersatz gewährte und auch eine Erfüllungsklage für möglich hielt129. Hüffer stellte zutreffend fest, dass der BGH sich zwar ausdrücklich des Begriffs der Obliegenheit bediente, sich aber nicht an die „sonst übliche Begrenzung“ der Rechtsfolgen hielt130 .
b) Entscheidungen der Instanzgerichte Interessant aber im Rahmen dieser Untersuchung zu weit führend wäre es, die Rechtsprechung unterer Gerichte ausführlich zu analysieren. Wenigstens einige bekanntere und zum Teil von der Verpflichtungstheorie in Anspruch genommene Urteile der letzten Jahrzehnte sollen aber hier kurz betrachtet werden. Zu einer gewissen Berühmtheit gelangte eine Entscheidung des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen131. In dem Urteil aus dem Jahre 1968 billigte das Gericht entgegen der Voraussetzungslehre dem Versicherer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Kommentar von Prölss grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch zu. Im konkreten Fall wurde dieser Anspruch jedoch als verjährt angesehen. Es dürfte sich somit um eine bewusste Stellungnahme im Theorienstreit handeln, denn wäre das Gericht der h. M. gefolgt, hätte es schon den Anspruch selbst negieren können und müssen. In diesem konkreten Fall kommen also beide Theorien zum gleichen Ergebnis. Besonders interessant ist die auf zwei EuGH-Urteilen basierende jüngste Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu Verbraucherwiderrufsrechten, die gerade eine kopernikanische Wende hinsichtlich dieser früher als Obliegen-
128
S. u., S. 71 ff. BGH vom 13. 11. 1953, BGHZ 11, 80 (83); BGH vom 16. 5. 1968, BGHZ 50, 175 (179). 130 Hüffer (1976) S. 225. 131 AG Garmisch-Partenkirchen vom 3. 7. 1968, VersR 1969 S. 148 f., zitiert insbesondere von J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 129
III. Zusammenfassung
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heiten bezeichneten Verhaltensanforderungen herbeigeführt hat. Darauf wird noch genauer einzugehen sein132 .
III. Zusammenfassung Die heutigen, grundsätzlichen Auffassungen zu den Obliegenheiten sind vielfältig und nicht immer widerspruchsfrei. Die Widersprüche betreffen sowohl die Inhalte der Theorien als auch die Zuordnung der Rechtsprechung oder einzelner Literaturstimmen zu einer Theorie. Überwiegend vertreten wird die Voraussetzungstheorie, aber auch R. Schmidts wirkliche Obliegenheits- oder Rechtszwangtheorie hat Anhänger. Daneben gibt es Vertreter der Verbindlichkeitstheorie, wonach es sich bei den Obliegenheiten um „normale“ Rechtspflichten (Verbindlichkeiten) handelt. Andere lehnen jede einheitliche Obliegenheitstheorie ab. Dass der Streit um die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten endgültig geklärt wäre, kann man jedenfalls nicht behaupten. Die Unübersichtlichkeit des Themas ist auch dadurch bedingt, dass die meisten Autoren sich – sofern sie eigene Untersuchungen vornehmen und sich nicht einfach anderen anschließen – auf einzelne Gebiete (insbesondere das Versicherungsrecht oder die Gläubigermitwirkung) beschränken, dennoch aber für ihre Aussagen allgemeine Gültigkeit beanspruchen oder jedenfalls später häufig so zitiert werden. Dies ist die Konsequenz der Untersuchung R. Schmidts – ihm folgend wird heute überwiegend versucht, alle Obliegenheitstatbestände gleichen Regeln zu unterstellen. Außerdem hat er den vorher für versicherungsrechtliche Verhaltensanforderungen besonders typischen Ausdruck „Obliegenheiten“ auf Tatbestände des allgemeinen Zivilrechts ausgedehnt. Die Tendenz zur Ausweitung hält bis heute an – es kommen immer wieder neue Obliegenheiten auf. Im Folgenden wird daher versucht, einen Überblick über die verschiedensten Tatbestände zu geben, die derzeit als Obliegenheiten bezeichnet werden. Dabei geht es vor allem darum herauszufinden, ob es sich um eine einigermaßen homogene Gruppe von Verhaltensanforderungen handelt, was die Voraussetzung für eine einheitliche Behandlung sein sollte.
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S. u., S. 62 f.
§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände Als Obliegenheiten werden die verschiedensten Verhaltensanforderungen bezeichnet und es kommen immer neue hinzu. „Jüngere“ Obliegenheiten stammen z. B. aus dem Arbeits-, Familien- Insolvenz- und Verbraucherrecht. Diese Tatbestände sollen zusammen mit den „älteren“ des Versicherungsvertragsrechts, des BGB sowie des HGB aufgeführt werden, um das zu bearbeitende Feld genauer abzustecken. Obliegenheiten und die entsprechenden Theorien erfahren in den meisten anderen Gebieten keine so große Beachtung, wie im Versicherungsvertragsrecht. Dennoch wirken sich die vertretenen Theorien gelegentlich auch anderenorts aus. Etwa bei der Frage, ob der Werkunternehmer bei der Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten des Bestellers von diesem Schadensersatz verlangen kann. Diese Frage lag zwei Entscheidungen des BGH zugrunde1. Nach der h. M. wäre sie zu verneinen und entsprechend wurden die Entscheidungsbegründungen kritisiert. Mit der Verbindlichkeitstheorie hingen, also der Annahme, dass Obliegenheiten „normale“ Nebenpflichten sind, wäre das allseits als billig empfundene Ergebnis leichter zu erklären. In anderen Gebieten, wie dem Unterhaltsrecht oder dem Insolvenzrecht, ist hingegen zwar von Obliegenheiten die Rede und die üblichen Theorien werden gern erwähnt, inhaltlich ist es jedoch fraglich, ob verschiedene Ergebnisse herauskommen, wenn man verschiedene Theorien „durchspielt“. Auch ein Vertreter der Verbindlichkeitstheorie würde hier wohl weder Erfüllungsklage noch Schadensersatz in Betracht ziehen. Es fehlen jedoch Äußerungen. Und gerade bei diesen „Obliegenheiten“ sind die Gemeinsamkeiten mit den „typischen“ Obliegenheiten (des Versicherungsnehmers und im allgemeinen Schuldrecht) sehr fraglich. In den letzten Jahren wird zunehmend behauptet, die Theorien würden sowieso zu den gleichen Ergebnissen kommen bzw. seien ohne echte Relevanz2 . Das ist jedoch sehr pauschal. Bei manchen Obliegenheiten sind sich die Vertreter verschiedener Theorien nämlich insgesamt einig, bei anderen nur hinsicht1
BGHZ 11, 80 und BGHZ 50, 175. Genauer zu den Entscheidungen s. u., S. 71 ff. Mehr oder weniger stark in diese Richtung Richter, PrivatversR (1980) S. 149; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16, Fn. 29; Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 319; Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 286; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138; Looschelders, VersR 1999, S. 669; Staudinger/Olzen (Neubearb. 2005) § 241 BGB, Rn. 128, 133. 2
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
lich des Ergebnisses mit verschiedenen dogmatischen Konstruktionen. Bei wieder anderen bestehen jedoch wirkliche Unterschiede bzw. Erklärungsprobleme der herrschenden Voraussetzungstheorie. Daher wird im Folgenden – anders als in bisherigen Untersuchungen üblich – zwischen Obliegenheiten mit und solchen ohne Relevanz der Theorien unterschieden. Zunächst aber gibt es die grobe Unterteilung nach versicherungsrechtlichen und anderen Obliegenheiten.
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht Unstreitig gibt es im Versicherungvertragsrecht Obliegenheiten des Versicherungsnehmers (unter 1.). Diese können sich aus vertraglicher Vereinbarung, aus dem Gesetz oder auch aus ergänzender Vertragsauslegung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ergeben 3 . Nicht ganz so einig war man sich in der Vergangenheit, ob auch der Versicherer Obliegenheiten habe. Zunehmend wird aber vertreten, dass auch den Versicherer Obliegenheiten treffen (dazu unter 2.). Wegen der zum 1. 1. 2008 in Kraft getretenen Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes werden im Folgenden bei der Nennung von Paragraphen des alten VVG auch die entsprechenden neuen „Hausnummern“ des VVG 2008 angegeben. Nur soweit eine inhaltliche Änderung für den vorliegenden Zusammenhang relevant ist, wird darauf eingegangen.
1. Die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Typischerweise werden im Versicherungsrecht die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach dem Zeitpunkt unterschieden, zu dem sie erfüllt werden müssen.
a) Die vorvertragliche Anzeigepflicht Die vorvertragliche Anzeigepflicht wird dem Versicherungsnehmer durch das Gesetz auferlegt, § 16 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 19 Abs. 1 VVG 2008. Danach muss der Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände anzeigen.
3 Zu Nebenpflichten aus Treu und Glauben im Allgemeinen Teichmann, JA 1984, S. 545 ff. und S. 709 ff.
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht
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Seit 2008 neu ist vor allem die Beschränkung auf die vom Versicherer in Textform erfragten Gefahrumstände (§ 19 Abs. 1 VVG 2008) 4 . Entsprechende Fragebögen und Antragsformulare gab es zwar schon sehr lange, selbst vor dem Inkrafttreten des alten VVG5 , nur dass nach der alten Rechtslage vor der jetzigen Reform der Versicherungsnehmer darüberhinaus auch nicht erfragte Umstände anzeigen musste. Nach dem neuen VVG 2008 müsste daher wohl eher von einer Antwortobliegenheit gesprochen werden oder – da die Nichtbeantwortung von Fragen weiterhin grundsätzlich6 nicht sanktioniert wird7 – noch enger vom Verbot der Lüge. Macht der Versicherungsnehmer schuldhaft keine oder unrichtige Angaben, so kann der Versicherer grundsätzlich gemäß §§ 16 Abs. 2–3, 17, 18, 20 VVG a. F. bzw. §§ 19 Abs. 2–5, 21 VVG 2008 vom Vertrag zurücktreten. In der Folge wird das Vertragsverhältnis rückabgewickelt, allerdings mit der bis zur VVGReform geltenden Besonderheit des § 40 Abs. 1 S. 1 VVG a. F., dass dem Versicherer die Prämie bis zum Ende der Versicherungsperiode gebührte. Dieser Grundsatz der „Unteilbarkeit der Prämie“ ist nicht mehr enthalten in § 39 VVG 2008. Hinter der vorvertraglichen Anzeige- oder Antwortpflicht steht das ökonomische Grundprinzip des Versicherungsvertragsrechts, dass gleiche Risiken vom Versicherer zusammengefasst und von der Gefahrengemeinschaft getragen werden sollen8 . Deshalb hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer alle ihm bekannten Umstände anzuzeigen, die für die Übernahme einer Gefahr erheblich sind, d. h. insbesondere für die Frage, ob überhaupt eine Versicherung und zu welchen Bedingungen diese abgeschlossen wird9. Bedenken gegen die herrschende Ansicht, die vorvertragliche Anzeigepflicht sei bloße Voraussetzung für den Anspruch aus der Versicherung, werden schon dadurch geweckt, dass danach das gesetzlich gewährte Rücktrittsrecht an sich überflüssig ist10 . Es dürfte nach dieser Auffassung an sich gar keine Versiche-
4 Der andere wesentliche Unterschied der Neuregelung besteht darin, dass nun der Versicherer, nicht mehr der Versicherungsnehmer das Risiko einer Fehleinschätzung trägt, vgl. Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 7. 5 Vgl. Begründung (1906) zu §§ 16–22, S. 31 und § 18 VVG a. F. 6 Umstritten ist allerdings die Frage, ob einer Nichtbeantwortung von Fragen durch Auslegung der Sinn einer Verneinung entnommen oder dieser Sinn durch AVB vereinbart werden könne, vgl. dazu mwN Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 82. 7 Dafür J. Prölss, ZVW 90 (2001) S. 493 mwN. 8 Uhlenbrock (2005) S. 5 f. mwN in Fn. 8–11; Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 6; Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle (2008) § 19 VVG, Rn. 1. 9 Vgl. schon v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 2 (1947) S. 159. Weyers/Wandt, VVR3 (2003) S. 107, Rn. 401: Der Versicherer soll in die Lage versetzt werden, das zu übernehmende Risiko richtig zu kalkulieren. Vgl. auch Barg (2008) S. 4 und allgemein für Informationsobliegenheiten des VN HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 3. 10 So schon treffend Oertmann, DVZ 66 (1925) S. 116; H. Schmitt (1939) S. 50 mwN.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
rung zustande kommen11. Aber auch dass es sich um ein „Gebot im eigenen Interesse“ des Versicherungsnehmers handeln soll, erscheint fraglich. Denn es entspricht wohl kaum seinen Belangen, einen Antrag zu stellen und gleichzeitig Umstände anzuzeigen, die den Empfänger möglicherweise vom Vertragsschluss abhalten oder jedenfalls die Prämie betreffen können12 . Folgt man der h. M. wird außerdem nicht klar, welcher Zusammenhang zwischen den §§ 16 ff. VVG a. F. bzw. §§ 19 ff. VVG 2008 und der culpa in contrahendo besteht. Dies soll später näher behandelt werden13 . Jedenfalls ist die vorvertragliche Anzeigepflicht eine Obliegenheit, bei der sich die Auffassungen hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen deutlich unterscheiden. Denn entgegen der heute h. M. wird gelegentlich ein Schadensersatzanspruch des Versicherers bejaht14 . Allerdings dürfte die Erzwingbarkeit der Erfüllung dieser Obliegenheit grundsätzlich wenig Sinn machen. Diese Erzwingbarkeit wird aber auch – soweit ersichtlich15 – gar nicht gefordert, sondern nur als argumentum ad absurdum von der h. M. repetiert. Wenn der Versicherer Zweifel an der Erfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht hat, sollte er besser keinen Vertrag schließen wollen. Eine Ausnahme (und mehr nicht) ist aber durchaus denkbar, wenn diese Zweifel erst nach Vertragsschluss aufkommen und er die korrekten Informationen etwa zur Prämienneuberechnung benötigt.
b) Gesetzliche Obliegenheiten nach Abschluss des Vertrages bis zum Versicherungsfall Die sich aus dem Gesetz ergebenden Obliegenheiten des Versicherungsnehmers vor Eintritt des Versicherungsfalles sind allgemein die Gefahrstandspflicht (§ 23 Abs. 1 VVG a. F. und VVG 2008), die Pflichten zur Anzeige der Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 2 VVG a. F. und VVG 2008), sowie speziell für die Schadens11 Tatsächlich schrieb Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 378, dass bei §§ 16 ff. VVG trotz Befehlsnorm des Gesetzes überhaupt kein Schuldverhältnis zustande komme. Gemeint war damit allerdings Schuldverhältnis i. e. S., Manigk wollte nur eine Rechtspflicht ablehnen. 12 Darauf wies schon Heukeshoven (1938) S. 42 hin. Zum Interesse des Versicherers für den Sonderfall der Rückwärtsversicherung vgl. differenzierend Klimke, VersR 2004, S. 287 ff. 13 Dazu s. u., S. 272 ff. 14 Mit ausführlicher dogmengeschichtlicher Begründung für einen Schadensersatzanspruch Köbler, VersR 1969, S. 778. Vgl. auch J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) §§ 16, 17 VVG, Rn. 47. Ausdrücklich dagegen seit Kisch, HB II (1920) S. 180 und R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 133 f. die h. M., vgl. Schürmann (1972) S. 39; Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 114 f. mit aktuelleren Nachweisen. H. Schmitt (1939) S. 118 f. vertrat zwar die Ansicht, es handele sich um eine „echte“ Pfl icht, lehnte jedoch einen Schadensersatzanspruch ab – nur die im Gesetz (gemeint: VVG) genannten Rechte würden zustehen. 15 Vgl. etwa den Hauptvertreter der Verbindlichkeitstheorie J. Prölss, ZVW 90 (2001) S. 492–494 und J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) Kommentierung zu §§ 16, 17 VVG.
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht
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versicherung die Pflicht zur Mitteilung der Mehrfachversicherung (§ 58 VVG a. F. bzw. § 77 VVG 2008) und zur Anzeige der Veräußerung (§ 71 VVG a. F. bzw. § 97 VVG 2008) 16 . Als Rechtsfolgen einer Verletzung stehen dem Versicherer laut Gesetz ein Kündigungsrecht (§§ 24, 27 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 24 VVG 2008) oder sogar unmittelbare Leistungsfreiheit (§§ 25, 28, 71 VVG a. F. bzw. §§ 26 und 97 VVG 2008) zu. Bei Doppelversicherung haften die Versicherer zwar als Gesamtschuldner bis zur Höhe der jeweiligen Versicherungssumme, jedoch werden die Versicherungsleistungen im Innenverhältnis entsprechend gekürzt (§ 59 VVG a. F. = § 78 VVG 2008). Daneben hatte der historische VVG-Gesetzgeber von 1906 für den Fall der Nichtanzeige einer Doppelversicherung einen Schadensersatzanspruch des Versicherers vorgesehen17. Vor Erlass des alten VVG im Jahre 1908 waren diese Obliegenheiten ebenfalls bekannt, allerdings wurden sie durch den einzelnen Versicherungsvertrag auferlegt. Der Gesetzgeber hielt hier ein Einschreiten für besonders wichtig und ließ die doch sehr harten Rechtsfolgen einer Anspruchsverwirkung nur unter genau beschriebenen Voraussetzungen zu18 . Heute würde man in diesem Zusammenhang von Verbraucherschutz sprechen19. Nach dem neuen VVG 2008 kommt dem Versicherer bei (mindestens fahrlässigem) Verstoß gegen die Gefahrstandspflicht ein Wahlrecht zu, ob er Prämienanpassung oder Kündigung möchte (§ 25 VVG 2008). Das umstrittene Allesoder-Nichts-Prinzip20 wird durch eine Quotenregelung für grobe Fahrlässigkeit abgelöst 21. Diese neuen Rechtsfolgen stellen die h. M. immerhin insofern in Frage, als bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung nur noch von partiellem Verlust der eigenen Rechtsposition als Obliegenheitssanktion die Rede sein kann. Wählt der Versicherer Prämienanpassung, hat die Erfüllung der Obliegenheit fast gar nichts mehr mit einer Voraussetzung zum eigenen Rechtser16 Für einzelne Versicherungszweige gab es darüber hinaus speziellere Obliegenheiten, die vor dem Versicherungsfall zu erfüllen waren, vgl. §§ 90, 114 Abs. 2, 115 VVG, 146 VVG. Nach der neuen Fassung des Gesetzes sind diese in den allgemeinen Teil gezogen worden. 17 Begründung (1906) zu § 58 VVG, S. 65. So übrigens auch noch Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 58 VVG, Anm. 1, S. 192 und Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 58 VVG, Anm. 4. IV.a), S. 210. 18 Vgl. dazu Weyers (1974) S. 440. Für das schweizer VVG, dessen Entwurf dem deutschen als Grundlage diente, das Roelli-Zitat aus der Botschaft des Bundesrates von 1904 bei Duvinage (1987) S. 68. 19 Neugebauer (1990) S. 8 stellt sich die Frage, ob das VVG als „frühes Zeugnis einer Konsumentenschutzgesetzgebung angesehen werden kann“ und übersieht dabei, dass der Gedanke des Schutzes Schwächerer durch Gesetze deutlich älter ist. 20 Dazu u. a. Raiser (1967) S. 265 ff.; Präve, AnwBl. 2000, S. 593 ff.; Römer, NVersZ 2000, S. 259 ff.; Kurzka, VersR 2001, S. 698 ff.; Terbille, r+s 2001, S. 1 ff.; Armbrüster (2003) passim; J. Prölss, VersR 2003, S. 669 ff. und s. u., S. 297 ff. 21 §§ 26 Abs. 1 S. 2, 28 Abs. 2 S. 2 VVG 2008.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
halt zu tun, die Verletzungsrechtsfolge hat vielmehr Ähnlichkeit mit Schadensersatz22 . Es sei denn, man bezieht diese „Voraussetzung“ auf die Versicherung gegen bestimmte Prämie, was doch sehr künstlich wirkt.
c) Obliegenheiten aus Vertrag (§ 6 VVG a. F./§ 28 VVG 2008) Neben den gesetzlich geregelten Obliegenheiten werden dem Versicherungsnehmer zahlreiche vertragliche Obliegenheiten vom Versicherer auferlegt. Hierfür ist der Rahmen des § 6 VVG a. F. bzw. § 28 VVG 2008 zu beachten. Typisch für diese Gruppe von Obliegenheiten ist, dass sie im Interesse des Versicherers auferlegt werden – sonst würde ihre Auferlegung auch keinen Sinn machen, wollte man nicht böswillig unterstellen, dass sie nur zur Vermeidung der Leistungspflicht auferlegt werden. Der Versicherer hat also nicht nur ein Interesse an der Auferlegung, sondern auch an der Erfüllung dieser Obliegenheiten. Sie dienen meist der Verminderung oder Verhinderung der Gefahr bzw. nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der Schadensminderung oder schnellen Schadensfeststellung sowie der Abwicklung der Versicherungsleistung. Für die Nichterfüllung der vertraglichen Obliegenheiten wird in der Regel Leistungsfreiheit vereinbart. Die Begründung des VVG-Entwurfs von 1906 sah für den Fall, dass § 6 VVG der Vereinbarung von Verwirkung entgegensteht vor, dass „ihm [dem Versicherer] kraft Gesetzes ein Schadensersatzanspruch [erwächst], den er nötigenfalls im Wege der Aufrechnung geltend zu machen vermag“23 . Die Voraussetzungstheorie leugnet einen solchen Anspruch ihrer Natur gemäß. Auffällig ist das Umdenken in der Literatur nach der VVG-Reform 24 . Zur Frage, ob eine Klage auf Erfüllung dieser Obliegenheiten überhaupt Sinn machen und in Betracht kommen kann, wird später ausführlich Stellung genommen 25 .
d) Gesetzliche Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls Neben den im vorhergehenden Abschnitt schon kurz erwähnten vertraglichen Obliegenheiten hat der Versicherungsnehmer bei Eintritt bzw. nach dem Eintritt des Versicherungsfalles auch verschiedene gesetzliche Obliegenheiten.
22
Vgl. S. 40, zur vorvertraglichen Anzeigepflicht. Begründung (1906) zu § 6 VVG, S. 22. 24 Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 47; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25. 25 S. u., S. 242 ff. 23
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht
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(1) Anzeige des Versicherungsfalls und Auskunftspflicht Allgemein formuliert zunächst § 33 VVG a. F. bzw. § 30 VVG 2008, dass der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall unverzüglich anzuzeigen habe, wenn er Kenntnis davon erlangt. Hierin wird im Allgemeinen eine Obliegenheit gesehen, die dem Versicherer schnelle Information, die Möglichkeit zu eigenen Untersuchungen sowie unter Umständen Schadensbegrenzung geben soll 26 . Darüber hinaus hat der Versicherungsnehmer Auskunfts- und Belegpflichten (§ 34 VVG a. F./§ 31 VVG 2008). Die Erfüllung dieser Obliegenheiten soll den Versicherer in die Lage versetzen, die Voraussetzungen seiner Einstandspflicht sachgerecht zu prüfen 27. Man kann zur Begründung außerdem anführen, der Versicherungsnehmer sei an den entsprechenden, den Versicherer interessierenden Informationen näher dran 28 . Zugleich liegt die Erfüllung dieser Obliegenheiten aber auch im Interesse des Versicherungsnehmers selbst, um die Versicherungssumme zu bekommen 29. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Unterschied: Während die Anzeige des Versicherungsfalles sich auf ein klar umgrenztes Ereignis und die daraus drohende Inanspruchnahme des Versicherers bezieht, ist Gegenstand der Aufklärungsobliegenheit ein wesentlich komplexerer Sachverhalt. Verschweigt der Versicherungsnehmer hier das eine oder andere „Datum“, das der Versicherer aus anderer Quelle kennt, ist das Vertrauensverhältnis grundsätzlich gestört 30 . § 33 VVG a. F. bzw. § 30 VVG 2008 enthalten selbst keine Rechtsfolge, wenn die Anzeige des Versicherungsfalles unterbleibt, und werden deshalb als lex imperfecta bezeichnet 31. Der historische VVG-Gesetzgeber hatte den Wortlaut bewusst so gewählt, weil er die Geltung der allgemeinen Vorschriften, insbesondere Ersatz des dem Versicherer entstandenen Schadens vorsah 32 .
26 Dieser Gedanke lag schon dem Dresdener Entwurf des Obligationenrechts von 1866 zu Grunde, vgl. Kübel, Malß Z. 2 (1868) S. 55. Vgl. auch § 153 VVG bzw. § 104 VVG 2008, wonach der VN in der Haftpflichtversicherung dem VR innerhalb einer Woche Tatsachen anzuzeigen hat, die seine Verantwortlichkeit gegenüber Dritten zur Folge haben könnten. 27 Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25. 28 So schon H. Schmitt (1939) S. 14. 29 Von einer rechtlichen Doppelnatur spricht deshalb BK/Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3 und diesem folgend Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25. 30 Vgl. dazu Rixecker, FS Schirmer (2005) S. 518 f., der treffend darauf hinweist, dass dies angesichts heutiger Datenverwaltung immer häufiger vorkommt. 31 So insbesondere Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 33 VVG, Anm. 21: die Rechtsfolgen müssten vereinbart werden; fehle es an einer Vereinbarung, bringe die Verletzung der Anzeigepflicht für den VN keinen Nachteil. Dagegen BK/Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3: da die gesetzlichen Rechtsfolgen für Nebenpfl ichtverletzungen eintreten, sei § 33 VVG gerade keine lex imperfecta. 32 Begründung (1906) zu § 33 VVG, S. 42.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
In der Praxis wird in der Regel Leistungsfreiheit als Verletzungsrechtsfolge ausbedungen, hierfür gelten die Grenzen des § 6 Abs. 3 VVG bzw. § 30 Abs. 2 VVG 2008. In diesem Zusammenhang von „Voraussetzungen für den Erhalt der eigenen Rechtsposition“ zu sprechen, ist mindestens irritierend. Die Anzeige des Versicherungsfalles dient aus Sicht des Versicherungsnehmers vor allem dazu, dass er die Versicherungssumme erhält. Hinsichtlich der Auskunfts- und Belegobliegenheiten wird das entsprechende Verhalten des Versicherungsnehmers erst mit Anforderung durch den Versicherer erforderlich 33 und kann daher jedenfalls keine grundsätzliche Voraussetzung sein. Außerdem kann ein Verlust der Rechte des Versicherungsnehmers ohnehin nur bei vereinbarter Leistungsfreiheit in Betracht kommen 34 . Nach Entstehung des VVG von 1908 war eine Schadensersatzpflicht des Versicherungsnehmers bei Verletzung seiner Anzeige- oder Auskunftspflicht noch allgemein anerkannt 35 , heute wird sie als der Voraussetzungstheorie widersprechend überwiegend36 , aber nicht durchgehend37 abgelehnt. Zumindest bei ausbedungener Leistungsfreiheit, aber nur leicht fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ist wegen § 6 Abs. 3 VVG bzw. § 28 Abs. 3 VVG 2008 ein Schadensersatzanspruch für den Versicherer interessant 38 . (2) Abwendung und Minderung des Schadens Weiter treffen den Versicherungsnehmer einer Schadensversicherung bei Eintritt des Versicherungsfalles sogenannte Rettungsobliegenheiten, genauer Schadensabwendungs- und Minderungsobliegenheiten (§ 62 VVG/§ 82 VVG 2008). Diese Obliegenheiten haben große Gemeinsamkeiten mit denen des § 254 BGB39. Ein Unterschied liegt allerdings darin, dass die Schadensversicherung 33
So übrigens schon Bruck, PrivatversR (1930) S. 288. Darauf wies schon Eberle (1913) S. 6 hin. 35 Vgl. Hager/Bruck, Kommentar§ (1910) § 33 VVG, Anm. 1, S. 124; Eberle (1913) S. 80 mwN; Bornmann, JRPV 1934, S. 66. Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1241 befürwortete sogar die Klagbarkeit! 36 Insbesondere seit Bruck, PrivatversR (1930) S. 281. Dagegen noch für einen Schadensersatzanspruch des Versicherers Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 33 VVG, Anm. 2, S. 128 (hier: im Wege der Aufrechnung geltend zu machender Schadensersatzanspruch). 37 A. A. als Vertreter der Verbindlichkeitstheorie naturgemäß BK/Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3, 34; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 34 VVG, Rn. 15 allerdings (u. a.) mit dem Hinweis auf OLG Köln vom 2. 12. 1982, VersR 1983, 1045, wo es um ein ganz anderes Problem geht (Schadensersatzanspruch gegen den Versicherer aus c.i.c., der zudem abgelehnt wird). 38 Genau für diesen Fall einen Schadensersatzanspruch bejahend Raiser, Kommentar2 (1937) § 14 AFB, Anm. 38. 39 So etwa auch R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 219; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 217; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 82 VVG, Rn. 1: Die 34
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht
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genau die Absicherung des möglichen Schadenseintritts bezweckt und der Versicherungsnehmer sich also von vornherein auf gewisse Obliegenheiten einstellen kann. Bei § 254 BGB und seinen Schadensabwendungs- und Schadensminderungsobliegenheiten hingegen kann sich der spätere Geschädigte, bevor die Schädigung absehbar ist, auf gar nichts einstellen. Während also die Verhaltensanforderungen des § 62 VVG (§ 82 VVG 2008) mit Abschluss der Schadensversicherung latent vorhanden sind, entstehen die des § 254 BGB spontan mit der Schadensentstehung bzw. mit der Erkennbarkeit einer solchen (§ 254 Abs. 2 BGB). Der Hintergrund für § 62 VVG bzw. § 82 VVG 2008 ist – neben dem Interesse am Rettungskostenersatz 40 –, dass sich der Versicherungsnehmer nicht aufgrund der Beruhigung durch die Versicherung um nichts mehr kümmern41, sondern alles ihm Mögliche unternehmen soll, um den Schaden zu verhindern oder wenigstens gering zu halten und dabei – soweit vorhanden – den Weisungen des Versicherers folgen (§ 62 Abs. 1 S. 1 VVG bzw. § 82 Abs. 2 VVG 2008). Tut er das vorsätzlich, mit kausal verursachtem Schaden nicht, so wird der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit (§ 62 Abs. 2 VVG bzw. § 82 Abs. 3 VVG 2008). Bei grober Fahrlässigkeit gilt das Gleiche (noch) nach § 62 Abs. 2 VVG bzw. nach § 82 Abs. 3 S. 2 VVG 2008 ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung nach der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers proportional zu mindern. Zur Begründung dieser Obliegenheit wurde darauf verwiesen, dass das abzuwendene Risiko jedenfalls eher in der Sphäre des Versicherungsnehmers liege, als in der des Versicherers 42 . Bei Inkrafttreten des VVG im Jahre 1910 enthielt § 62 VVG noch keine Sanktion als Rechtsfolge, es sollten (auch hier) die allgemeinen Vorschriften gelten, vor allem eine Schadensersatzpflicht wird in der Begründung zum VVG-Entwurf explizit erwähnt43 . Erst 1939 wurde Absatz 2 und damit die Leistungsfreiheit in § 62 VVG eingefügt44 . Auch hier könnte man – insbesondere bei leicht Vorschrift spiegele das allgemeine zivilrechtliche Prinzip, das sich auch in § 254 BGB niedergeschlagen habe. Zu § 254 BGB genauer s. u., S. 52 ff., 305 f. 40 Dazu unter Einbeziehung des Urteils BGH vom 25. 6. 2003, VersR 2003, 1250, Langheid, FS Schirmer (2005) S. 357 ff. 41 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 219: die wirtschaftliche Absicherung durch den Versicherungsvertrag berechtige nicht zu Untätigkeit. Noch differenzierter R. Schmidt, NVerZ 1999, S. 404: Der VN befinde sich in einem Interessenkonflikt: die Verwirklichung des Risikos, für dessen Tragung die Prämie gezahlt wurde, soll nun vom VN im Rahmen des Zumutbaren abgewendet und die Folgen minimiert werden. In einem ähnlichen Spannungsverhältnis stehe auch der Versicherer. Vgl. auch Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 82 VVG, Rn. 1 mwN. 42 Schmitt (1939) S. 14; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 220 ff. 43 Vgl. Begründung (1906) zu § 62 VVG, S. 72. 44 Durch die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19. 12. 1939, RGBl. I, S. 2443 ff. (2446). Der Hintergrund dafür war die umstrittene Frage, ob
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
fahrlässiger Obliegenheitsverletzung – der Vorstellung des historischen Gesetzgebers folgend an einen Schadensersatzanspruch des Versicherers denken. (3) Weitere Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Versicherungsfalles Nur kurz und beispielhaft erwähnt werden sollen die folgenden Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles: In der Feuer- oder Hagelversicherung gilt das Veränderungsverbot (§§ 93, 111 VVG a. F.). Es besteht die Obliegenheit zur Wiederherstellung eines Gebäudes in der Feuerversicherung (die Wiederaufbauklausel des § 97 VVG a. F./§ 93 VVG 2008). Die Hinzuziehung eines Tierarztes und die Einholung der Einwilligung des Versicherers zur Nottötung fordern §§ 122 und 126 VVG a. F. für die Tierversicherung. Zahlreiche weitere Obliegenheiten stellen die Versicherungsbedingungen der verschiedenen Versicherungszweige auf.
e) Zweifelhafte Obliegenheiten Bisher nicht erwähnt wurden die Tatbestände des § 10 VVG a. F. (Anzeige der Wohnungsänderung, § 13 VVG 2008) und § 12 Abs. 3 VVG a. F. (Geltendmachung des Anspruches innerhalb kurzer Klagefrist). Tatsächlich fi ndet man hier selbst bei Vertretern der herrschenden Voraussetzungstheorie kaum noch die Bezeichnung als Obliegenheit. Das war früher anders – beide Tatbestände wurden als Obliegenheiten des Versicherungsnehmers angesehen45 . Für § 10 VVG a. F. fällt auf, dass die Rechtsfolge der Zugangsfiktion nicht zur Voraussetzungstheorie passt46 . Auf diesen Tatbestand wird noch zurück zu kommen sein47. Die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG a. F. ist hingegen nach der im Anschluss an Bruck heute überwiegenden Ansicht keine Obliegenheit, sondern eine AusLeistungsfreiheit auch dann eintreten könne, wenn sie nicht ausdrücklich vereinbart war, vgl. dazu s. u., S. 174 f. 45 Für § 10 VVG vgl. Bruck, ZVW 26 (1926) S. 182; E. Prölss, Kommentar (1935) § 6 VVG, Anm. 4; Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 318. Gegen die Einordnung als Obliegenheit durch Bruck aber schon H. Schmitt (1939) S. 45. Für § 12 Abs. 3 VVG (früher Abs. 2!) differierten die Bezeichnungen als Obliegenheit, Pfl icht oder Bedingung vgl. Josef, Kommentar (1908) S. 48 und ZVW 11 (1911) S. 224; v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 721, 739, 743; Hercher (1912) S. 55; Kleinschmidt (1914) S. 51. 46 Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 108, Rn. 404. Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 157 merkt nur an, dass die Obliegenheit mangels Verschuldenserfordernis nicht § 6 VVG unterfällt. 47 S. u., S. 104, 210.
I. Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht
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schlussfrist48 . § 12 VVG a. F. wird daher nur noch im Rahmen der Versichererobliegenheiten thematisiert49. Im Übrigen wurde diese Klagefrist durch die VVG-Reform abgeschafft und interessiert daher für die Zukunft nicht mehr50 .
2. Versichererobliegenheiten Die typische Diskussion zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten spielt nur bei den Versicherungsnehmerobliegenheiten, nicht jedoch bei denjenigen des Versicherers eine Rolle. R. Schmidt führte hierfür die Bezeichnung als Obliegenheiten erst ein 51. Die verschiedenen Theorien werden jedoch in diesem Zusammenhang in der Regel gar nicht erwähnt 52 . Das liegt daran, dass Rechtsprobleme als Konsequenz einer Zuordnung von Verhaltenspflichten zu (echten) Rechtspflichten oder zu Obliegenheiten bzw. Voraussetzungen überhaupt nur auf der Seite des Versicherungsnehmers auftauchen 53 . Es handelt sich somit bei den Versichererobliegenheiten um eine Gruppe von Obliegenheiten, bei der die verschiedenen Theorien tatsächlich keine Relevanz haben. Dennoch sollen diese Obliegenheiten kurz aufgeführt und untersucht werden.
a) Die Risikoprüfungsobliegenheit Ob den Versicherer eine Obliegenheit zur Prüfung des übernommenen Risikos bei unvollständigen oder unklaren Angaben treffe, ist umstritten 54 . Bejaht man 48 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 195; Heerbach (1930) S. 23 f.; Hagen, JRPV 1932, S. 36; Frank (1933) S. 37; H. Schmitt (1939) S. 139 f.; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 12 VVG, Anm. 21; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 12 VVG, Rn. 45 und 50 mwN. Aber beispielweise die explizit vom Gesetzgeber so bezeichnete Ausschlussfrist des Reiserechts in § 651 g Abs. 1 BGB wird dennoch gelegentlich als Obliegenheit bezeichnet, vgl. BGH vom 9. 6. 2009, Az.: Xa ZR 74/08, Rn. 10. 49 Dazu s. u., S. 49 f. 50 Vgl. nur Römer, VersR 2006, S. 742: „gravierende Unzuträglichkeiten“, die § 12 Abs. 3 VVG mit sich brachte. Zur Übergangszeit nach § 1 Abs. 4 EGVVG 2008 und zur (abgelehnten) vertraglichen Fortgeltung des § 12 Abs. 3 VVG a. F. vgl. Muschner, VersR 2008, S. 317 ff.; Uyanik, VersR 2008, S. 468 ff. 51 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 260 f. 52 Ausnahme: Messerschmidt (1986) S. 80, der grundsätzlich die Voraussetzungstheorie befürwortet und für die Belehrungsobliegenheiten des Versicherers feststellt, sie seien Voraussetzung für die Leistungsfreiheit desselben – das wirkt doch sehr wie ein Missverständnis oder zumindest eine völlige Umkehrung der für die VN-Obliegenheiten herrschenden Voraussetzungstheorie. 53 So treffend Schirmer, r+s 1999, S. 4. 54 Vgl. Lorenz, VersR 1993, S. 513 ff.; Huesmann (1998) S. 104 ff.; J. Prölss, FG 50 Jahre BGH (2000) S. 564; v. Koppenfeld-Spies, ZfS 2004, S. 489 ff.; Mi´stal (2006) S. 193 ff. – jeweils mwN.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
diese, wie der BGH, so soll die Konsequenz der nicht erfolgten Risikoprüfung sein, dass dem Versicherer weder ein Anfechtungsrecht noch ein Rücktrittsrecht wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheiten durch den Versicherungsnehmer zustehe55 . In diesem Zusammenhang der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers ist vor allem seit der VVG-Reform 2008 für § 19 Abs. 1 VVG 2008 auch von der Nachfrageobliegenheit des Versicherers die Rede. Inhaltlich geht es jedoch weitgehend um das Gleiche wie bei der älteren Risikoprüfungsobliegenheit56 . Der Unterschied zu den oben behandelten Versicherungsnehmerobliegenheiten liegt darin, dass dort der Versicherer das Hauptinteresse an der Erfüllung derselben hat. Ihm kommen die Informationen, die der Versicherungsnehmer zu geben hat, oder das Verhalten desselben zu Gute, weil das von ihm zu übernehmende oder bereits getragene Risiko überhaupt erst deutlich oder begrenzt wird. Die Nachfrage- oder Risikoprüfungsobliegenheit des Versicherers hingegen dient nicht den Interessen des anderen, also des Versicherungsnehmers, sondern der Versicherer nimmt ausschließlich eigene Interessen wahr57. Mit anderen Worten: hier passt tatsächlich die Beschreibung der Obliegenheiten durch die Voraussetzungstheorie eher, ohne dass es jedoch überhaupt Streit über die „Rechtsnatur“ gibt. Umstritten ist lediglich, ob eine solche Risikoprüfungsobliegenheit zu bejahen ist. Es wäre auch unsinnig, einen Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers, der ja gerade aufgrund fehlerhafter Risikoprüfung die erstrebte Versicherung erhält, gegen den Versicherer zu fordern. Entsprechend absurd ist die Vorstellung, der Versicherungsnehmer wollte auf Erfüllung dieser Obliegenheit klagen. Der Hintergrund dafür ist, dass diese angebliche „Versichererobliegenheit“ nur die Grenzen der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit des Versicherungsnehmers näher bestimmt. Die Erklärung liegt wiederum in den umfangreichen, für den Versicherungsnehmer teilweise schwer durchschaubaren Fragenkatalogen der Versicherer. Wie der BGH treffend feststellte, kann der potentielle Versicherungsnehmer nicht mehr selbst entscheiden, wie er seiner Anzeigepflicht nachkommt58 . Man könnte ergänzen: ihm ist unter Umständen auch 55 BGH vom 25. 3. 1992, r+s 1992, S. 213 f. = BGHZ 117, 385 (387 f.) = NJW 1992, 1506; BGH vom 2. 11. 1994, r+s 1995, S. 82 ff. = NJW 1995, S. 401 ff. = VersR 1995, 80 – hier auch genauer dazu, dass es sich um eine „Obliegenheit“, nicht um eine „Pflicht“ handeln soll. 56 v. Koppenfeld-Spies, ZfS 2004, S. 494 plädiert dafür, die Nachfrage- von der Risikoprüfungsobliegenheit zu trennen, da sich erstere nur aus letzterer ergeben könne. Allgemeine Bezeichnung als Nachfrageobliegenheit bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Härle (2008) § 19 VVG, Rn. 76–81; Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 91–93. 57 So treffend BGH vom 2. 11. 1994, r+s 1995, S. 82 und 83; vgl. auch Lorenz, VersR 1993, S. 516. 58 BGH vom 25. 3. 1992, r+s 1992, S. 214 = BGHZ 117, 385 (387 f.).
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nicht deutlich, wann er ihr ausreichend nachgekommen ist. Um dem Versicherungsnehmer entgegen zu kommen, hat die Rechtsprechung daher dem Versicherer das Risiko auferlegt, wenn er aus seiner Sicht unvollständige oder unklare Angaben des Versicherungsnehmers nicht weiter hinterfragt. Die Risikoprüfung ist somit keine wirkliche, eigene Verhaltensanforderung an den Versicherer, die selbständig sanktioniert wäre wie bei den Versicherungsnehmerobliegenheiten, sondern nur eine inhaltliche Begrenzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherten.
b) Obliegenheiten des Versicherers aus dem VVG Auch andere Obliegenheiten werden – zumindest gelegentlich – dem Versicherer unterstellt. So soll ihn nach § 5 Abs. 2 VVG a. F. (auch VVG 2008) eine Obliegenheit zur Mitteilung von Abweichungen des Versicherungsscheins gegenüber dem Antrag oder anderen Vereinbarungen treffen 59. Kommt er dieser nicht nach, gelten die Abweichungen als vom Versicherungsnehmer nicht genehmigt und sind nicht verbindlich (§ 5 Abs. 3 VVG a. F. und VVG 2008). Der Vertrag gilt als ohne die Abweichungen geschlossen. Man könnte also sagen, diese Mitteilung derselben sei „Voraussetzung“ für eine wirksame Vereinbarung60 . Tatsächlich ist § 5 VVG (2008) aber nur lex specialis gegenüber den allgemeinen Regeln für das Zustandekommen von Verträgen, vgl. insbesondere §§ 150 Abs. 2, 155 BGB. „Voraussetzung“ kann also höchstens im Sinne von Tatbestandsvoraussetzung verwendet werden. Dies entspricht aber nicht der heutigen Voraussetzungstheorie 61. Nach § 6 Abs. 1 S. 2 und 3 VVG a. F. (§ 28 VVG 2008 hat ähnliche Formulierungen) soll der Versicherer eine Obliegenheit zur Ausübung eines Gestaltungsrechts, nämlich zur Kündigung haben62 – das lässt sich tatsächlich als „Voraussetzung“, allerdings wiederum i. S. v. Tatbestandsvoraussetzung für die Leistungsverweigerung erklären. Aus § 12 Abs. 3 S. 2 VVG a. F. soll der Versicherer eine Obliegenheit zum Hinweis auf die mit dem Fristablauf verbundene Rechtsfolge der Leistungsfreiheit haben63 . Abgesehen davon, dass diese Regelung mit der VVG-Reform ent59 Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 3; Schürmann (1972) S. 6; Sieg, VersR 1992, S. 1, der weitere Obliegenheiten zur „Willensäußerung“ in §§ 8 Abs. 4 und 39 Abs. 1 (i. V. m. § 175 Abs. 3) VVG a. F. aufführt. 60 Sieg, VersR 1992, S. 1 spricht von ein er „Voraussetzung für eine bestimmte Gestaltung des Versicherungsvertrages als Ganzem“. 61 Dazu s. u., S. 205 f. genauer. 62 Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 3; Sieg, VersR 1992, S. 1. 63 Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 3; Schürmann (1972) S. 6. Sieg, VersR 1992, S. 1 zählt diese zu den Belehrungsobliegenheiten.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
fallen ist64 , entspricht die Verletzungssanktion ebenfalls nicht derjenigen für verletzte Versicherungsnehmerobliegenheiten – weder nach der Voraussetzungs- noch nach der Verbindlichkeitstheorie. Vielmehr beginnt die für den Versicherer günstige Frist bei fehlendem Hinweis nicht zu laufen (§ 12 Abs. 3 S. 2 VVG a. F.).
c) Weitere Nebenpflichten aus Treu und Glauben Außerdem können den Versicherer Auskunfts-, Hinweis- und Belehrungspflichten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) treffen, die gelegentlich als Obliegenheiten bezeichnet werden 65 . Sofern der Versicherer erkennt, dass der Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen über den Umfang des Versicherungsschutzes hat, ist er zur Aufklärung verpflichtet und haftet in diesem Zusammenhang gemäß § 278 BGB für seine Agenten als Erfüllungsgehilfen66 . Der Versicherer soll zudem mit größtmöglicher Klarheit und Bestimmtheit seine Erklärungen abgeben und dabei die Belange des Versicherungsnehmers berücksichtigen67. Außerdem kann es dem Versicherer nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf eine unterlassene Einreichung einer Stehlgutliste bei der Polizei (vgl. § 21 Nr. 1 lit. c VHB 92) zu 64 Nebenbei bemerkt wäre eine solche Klausel als Beschränkung der gesetzlichen Verjährungsfrist im 19. Jahrhundert nach wohl allg. Ansicht wirkungslos gewesen, vgl. Wolff, Malß Z. 2 (1868) S. 368, der nicht annahm, „daß solche von vornherein wirkungslose Bestimmung in die bekanntlich stets unter juristischem Beirat entworfenen Versicherungsbedingungen Aufnahme gefunden haben dürfte“ – anders später der VVG-Gesetzgeber. 65 Dazu mwN Fischer, VersR 1965, S. 199, ohne die Bezeichnung als „Obliegenheiten“, sondern ausschließlich als „Nebenpflichten“. Vgl. für die Belehrungspflichten auch v. Hippel, NJW 1969, S. 1695, der nur von Pflichten spricht, mwN der diese entwickelnden Rechtsprechung und Möller, VVR3 (1977) S. 114, der von „übergesetzlichen Hinweispfl ichten aus Treu und Glauben“ spricht, die den Versicherer treffen und den Versicherungsnehmer vor den harten Folgen des Alles-oder-Nichts-Prinzips bewahren sollen. Mit weiteren Nachweisen zu Belehrungspflichten des Versicherers R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 447. Auch der spätere Hauptvertreter der Voraussetzungstheorie Bruck, PrivatversR (1930) S. 364 nahm eine Rechtsverbindlichkeit des Versicherers zur Belehrung an. Von Versichererobliegenheiten sprechen allgemeiner vor allem Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 3; Eichler 2 (1976) S. 38 f. mit Fn. 170. Ausdrücklich eine Belehrungsobliegenheit des Versicherers nimmt Sieg, ZVW 62 (1973) S. 444 und ders., VersR 1992, S. 1 an; gemischte Verwendung bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 106 f., der allerdings die Obliegenheiten des VN als Nebenpfl ichten i. S. d. § 241 Abs. 2 BGB sieht. 66 BGH vom 16. 4. 1959, VersR 59, 361; BGH vom 20. 6. 1963, BGHZ 40, 22 ff. (24 f.) – Rechtsfolge der fehlenden Aufklärung ist (u. a.) ein Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers (S. 27). Nachweise für eine weitergehende Anwendung des § 278 BGB bei Eichler, FS Möller (1972) S. 199, Fn. 95. Das gilt auch nach der VVG-Reform, §§ 59 ff. VVG 2008 enthalten keine diesbezügliche Vorschrift. 67 RG vom 28. 11. 1941, RGZ 169, 24 ff. (35 f.). Ob dieser Anforderung durch die vielfachen neuen (nicht gerade übersichtlichen) Informationspfl ichten entsprochen werden kann, erscheint fraglich, ist hier aber irrelevant.
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berufen, wenn er beim Versicherungsnehmer, der den Schaden zeitnah gemeldet hat, zwar nähere Angaben anfordert, aber nicht über die Folgen einer Obliegenheitsverletzung belehrt hat 68 . Teilweise wurde sogar vertreten, dass der Versicherungsnehmer darauf aufmerksam gemacht werden müsse, dass eine von ihm ausgesprochene Kündigung bestimmter Voraussetzungen ermangele 69. Selbst nach der herrschenden Ansicht über die „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten ist es sinnvoller, wie es wohl ohnehin überwiegend geschieht, in diesem Zusammenhang den Ausdruck Obliegenheiten gar nicht zu verwenden, da es sich grundsätzlich um gewöhnliche Nebenpflichten des Versicherers handelt.
d) Zwischenergebnis Die sogenannten Obliegenheiten des Versicherers können allenfalls einem sehr weiten Obliegenheitsbegriff zugeordnet werden. Die häufig anzutreffende Sicht, ausschließliche Sanktion einer Obliegenheitsverletzung sei der „Verlust einer vorteilhaften Rechtsposition“70 passt hierfür nicht. Denn sowohl bei der Risikoprüfungsobliegenheit, als auch bei den weiteren sogenannten Versichererobliegenheiten des VVG ist es typisch, dass der Versicherer eine ihm günstige Position gar nicht erst erreicht. Daher kann auch die herrschende Voraussetzungstheorie schwerlich wie sonst behaupten, die Erfüllung dieser Obliegenheiten sei „Voraussetzung“ für den Erhalt einer günstigen Rechtsposition, was nur eine andere, hier aber auch nicht zutreffende Sichtweise auf das Problem darstellt. Die Belehrungsobliegenheiten des Versicherers hingegen werden nicht zufällig meistens als Pflichten bezeichnet, denn genau darum handelt es sich auch, nämlich um Nebenpflichten. Wollte man nun alle Obliegenheiten des Versicherungsrechts zusammenfassend beschreiben, so wären es Verhaltensanforderungen im weitesten Sinne, für deren Erfüllung entweder Vorteile oder die Vermeidung von Nachteilen in Aussicht gestellt werden. Zwar ist auch der versagte Vorteil ein Nachteil, jedoch passen dann die Behauptungen der herrschenden Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorie nicht wirklich. Außerdem würde man die Abgrenzung der Obliegenheiten durch R. Schmidt – der allerdings selbst hier nicht sauber subsumierte, da von ihm gerade die Bezeichnung als Versichererobliegenheiten
68 BGH vom 17. 9. 2008, NJW 2008, 3643 f. = VersR 2008, 1491 f. mit der im genannten Literatur gegen die bis dahin eher ablehnende Rechtsprechung der OLG. 69 OLG Hamm vom 29. 6. 1977, VersR 1977, 999. 70 Vgl. etwa v. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 99 f.; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 189; H. Schmitt (1939) S. 34; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346; Schirmer, r+s 1999, S. 2; Lorenz/Wandt, Einführung zur VVG-Textausgabe2 (2002) S. XXX; Staudinger/Olzen (Neubearb. 2005) § 241 BGB, Rn. 124.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
stammt71 – vernachlässigen, wonach nur Nötigungs-, nicht aber Anreizungstatbestände zu den Obliegenheiten zählen72 . Vielmehr handelt es sich – wie oben beschrieben – bei den „Versichererobliegenheiten“ um „Voraussetzungen“73 in einem viel weiteren Sinne. Man steht somit vor der Entscheidung, die Versichererobliegenheiten generell abzulehnen, mindestens die Bezeichnung als Obliegenheiten oder die Theorien zu den Obliegenheiten generell revidieren zu müssen.
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf den Tatbeständen des BGB. Aber auch andere als Obliegenheiten bezeichnete Verhaltensanforderungen sollen herangezogen werden. Vollständigkeit ist kaum zu erreichen – zu sehr hat sich der Begriff „Obliegenheit“ verbreitet. Auffällig ist – außerhalb des Versicherungsvertragsrechts – eine viel größere Heterogenität der Verhaltensanforderungen, die als Obliegenheiten bezeichnet werden. Eine besonders wichtige Vorschrift, um welche sich auch die Argumente der verschiedenen Theorien ranken, ist § 254 BGB. Sie soll hier vorab behandelt werden. Danach wird zwischen Verhaltensanforderungen mit und solchen ohne Relevanz der Theorien unterschieden.
1. § 254 BGB Seit Inkrafttreten des BGB und verstärkt seit „Erfindung“ der Obliegenheiten74 werden die Verhaltensanforderungen des § 254 BGB thematisiert. Vor allem ist für das Verschulden in § 254 BGB umstritten, ob es sich um ein bloßes Verschulden gegen sich selbst75 oder doch um „echtes“ Verschulden 76 handele. 71 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 260 ff.; er betont sogar selbst, dass nicht einmal die Vertreter der Verbindlichkeitstheorie hier einen Schadensersatzanspruch des VN fordern (a.a.O., S. 261 mit Fn. 1383). 72 Dazu genauer s. o., S. 10 f. 73 So auch schon der Vertreter der Verbindlichkeitstheorie Ehrenzweig, VVR (1935) S. 332 f. 74 Genauer zur Entwicklung s. u. § 5, S. 137 ff. 75 So Zitelmann, AT (1900) S. 166 ff.; v. Tuhr, AT Bd. 1 (1910) S. 93; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 116; Ennecerus15/Lehmann (1958) S. 77; Frohn (1959) S. 17. Esser, SchR4 (1970) S. 33 spricht davon, dass der Terminus „Mitverschulden“ in § 254 BGB nicht im dogmatischen Sinne zu verstehen sei, sondern in „vorrechtlichem“. Ähnlich Larenz, SchR I (1987) S. 540; Soergel12/Mertens (1990) § 254 BGB, Rn. 2–4 („Verschulden im untechnischen Sinne“); Henke, JuS 1991, S. 269, 273; Lange/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 549 f., 553 (der Laie würde sagen „selbst schuld“); E. Schmidt, Schuldverhältnis (2004) S. 170, Rn. 410; Fikent-
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
a) Anwendungsbereich und Regelungsgehalt der Norm
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§ 254 BGB ist gegenüber allen vertraglichen und deliktischen Schadensersatzansprüchen, sowie solchen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen anwendbar, sofern es keine lex specialis gibt77. Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt die Entstehung einer Verpflichtung zum Schadensersatz grundsätzlich und in ihrem Umfang davon ab, inwiefern ein Verschulden des Geschädigten (mit)ursächlich geworden ist und insbesondere welcher Teil den Schaden vorwiegend verursacht hat. Entsprechendes gilt für das schuldhafte Unterlassen eines Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (§ 254 Abs. 2 S. 1 1. Fall BGB). Bei grundsätzlich gegebener Schadensersatzpflicht führt das unterlassene Abwenden (§ 254 Abs. 2 S. 1 2. Fall) oder Mindern des Schadens (3. Fall) zu einer Reduzierung des Anspruches des Geschädigten. Ob und inwiefern die beiden Absätze des § 254 BGB verschieden zu behandeln sind, insbesondere ob § 278 BGB auch auf die Verhaltensanforderungen nach Absatz 1 Anwendung findet, ist umstritten78 . Dieser Streit kann jedoch zunächst dahinstehen. (1) Rechtspflicht zur Vermeidung eigener Schäden? Es wird überwiegend angenommen, dass es keine Pflicht zum sorgfältigen Umgang mit eigenen Rechtsgütern bzw. Vermeidung der Selbstschädigung gebe79. scher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 347, Rn. 711 („Verschulden . . . in einem erweiterten Sinne“. Henß (1988) S. 98 spricht zudem von „Verschulden im bloß römischrechtlichen Sinne“, ohne dies weiter zu erklären. Beispielhaft aus der Rechtsprechung BGH vom 26. 5. 1994, NJW 1994, 3102 ff. (3105); BGH vom 7. 4. 2005, VersR 2005, 1241 f., Rn. 18; OLG Düsseldorf vom 12. 2. 2007, DAR 2007, 458 ff., Rn. 49; LAG Rheinland-Pfalz vom 20. 1. 2009, Az.: 3 Sa 548/08, Rn. 45. 76 Echtes Verschulden im regelmäßigen Sprachgebrauch bejahend Gottschalk, Verschulden (1903) § 5, S. 27 ff. (ausführlich mwN gegen Zitelmann); Venzmer, Mitverursachung (1960) S. 92 ff., 102; Schünemann, VersR 1978, S. 118; Greger, NJW 1985, S. 1132 f.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 216; v. Sonntag (2003) S. 54 f. 77 Statt Vieler vgl. Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 537 ff., dort auch genauer zu einzelnen Ansprüchen aus dem BGB und anderen Gesetzen sowie zur analogen Anwendung des § 254 BGB bei sonstigen Verschuldensabwägungen. 78 Anders Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 346, Rn. 711: Es bestehe Einigkeit darüber, „dass § 254 II 2 auch für Abs. 1 gilt“ – wie hier im Folgenden aber S. 347, Rn. 713. Reduzierung auf die Fälle, in denen schon vorher ein Schuldverhältnis bestand hingegen in der Rechtsprechung und etwa bei Staudinger/Löwisch (2001) § 278 BGB, Rn. 38. Gegen eine differenzierende Behandlung, jeweils mwN und guten Argumenten Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 162 ff.; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 535 f. Die Frage war im Übrigen seit Entstehung des BGB umstritten, vgl. Gottschalk, Verschulden (1903) S. 77 ff.; Böhmer, MDR 1961, S. 1 ff.; Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 58–62 – jeweils mwN. 79 Gottschalk (1903) S. 28 f.; v. Tuhr, AT Bd. 1 (1910) S. 93; Enneccerus15/Lehmann (1958)
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
Nach einer anderen Ansicht gibt es hingegen auch Rechtszwang zum Selbstschutz, weshalb § 254 BGB eine Pflicht zugrunde liegen soll80 . Zur Begründung werden beispielsweise verkehrsrechtliche Vorschriften (Geschwindigkeitsbegrenzungen u. ä.) herangezogen, die neben anderen Zwecken auch dem Schutz des Betroffenen dienen. Das Verbot der Selbstschädigung wurde aber auch aus der Gliedstellung des Rechtsgenossen in der Volksgemeinschaft abgeleitet 81. Ein Kommentar hierzu dürfte entbehrlich sein. Gegen die Annahme einer allgemeinen Pflicht zur Vermeidung der Selbstschädigung spricht aber das Prinzip der Privatautonomie. Das Recht greift grundsätzlich nur dann ein, wenn zugleich Interessen Anderer betroffen sind82 . Diese wären betroffen, wenn als Konsequenz der Selbstschädigung Andere Schadensersatz leisten müssten, was wohl ein Grundgedanke des § 254 BGB ist. Nur Öffentlich-rechtlich wird man ausnahmsweise auch (ausschließlich) vor sich selbst beschützt, beispielsweise für den Fall eines Selbstmordversuches durch Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB 83 . Voraussetzung hierfür ist aber eine psychische Krankheit oder seelische Behinderung, die die Einsichtsfähigkeit behindert. In der Regel sind aber auch bei den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Rechtszwang zur Vermeidung der Selbstschädigung einsetzen, Dritte (mit-)betroffen. Straßenverkehrsrechtliche Vorschriften dienen in erster Linie dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. Auch die Strafbarkeit des § 306 StGB, wenn man sein eigenes Haus in Brand setzt, liegt in der Gemeingefährlichkeit dieses Handelns begründet, weniger im Selbstschutz des Hauseigentümers. S. 77; Venzmer, Mitverursachung (1960) S. 73; Böhmer, MDR 1961, S. 2; Soergel10 /R. Schmidt (1967) § 254 BGB, Rn. 13; Weidner, Mitverursachung (1970) S. 7; Lorenz, Lehre (1979) S. 38: vielmehr schließen subjektive Rechte das Recht zur Beschädigung eigener Güter ein; Larenz, SchR I (1987) S. 540 mit Fn. 2, allerdings komme die Schadensminderungsobliegenheit einer Pflicht „doch sehr nahe“ (a.a.O. S. 543). In diese Richtung auch Dunz, NJW 1986, S. 2235, der meint, die Rechtsprechung solle das Unterlassen der Selbstgefährdung in § 254 Abs. 1 BGB nicht als Obliegenheit bezeichnen. Vgl. auch Schäfer/Ott 3 (2000) S. 209, Fn. 12. 80 Als einer der ersten eine Pflicht annehmend: Palandt9/Danckelmann (1951) § 254 BGB, Anm. 2.a). Explizit für § 254 Abs. 2 BGB eine echte Verbindlichkeit bejahend Esser, JZ 1952, S. 257. Vgl. auch Greger, NJW 1982, S. 1133 f.; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 550. Staudinger/Schiemann (2005) § 254 BGB, Rn. 30 spricht von einer außerhalb des Schadensrechts nicht bestehenden Rechtspflicht zum sorgfältigen Umgang mit den eigenen Rechtsgütern. Vgl. auch Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 38–39 mwN. 81 Larenz, Vertrag und Unrecht Bd. II (1937) S. 100 f., der damals allerdings auch noch eine echte Pflicht annahm. 82 Weidner, Mitverursachung (1970) S. 7. Ähnlich im allgemeinen Zusammenhang der historischen Entwicklung der Rechtspflicht („einer der Grundbegriffe der neueren Privatrechtswissenschaft“) Hägerström, Rechtspflicht (1934/1965) S. 13. 83 Auch wenn diese Norm im BGB steht, bietet sie doch die Grundlage für einen hoheitlichen Eingriff in Grundrechte.
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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(2) Konsequenz der überwiegenden Ansicht: Annahme von Obliegenheiten Die scheinbar logische Folgerung aus der Ablehnung einer Pflicht zum Selbstschutz ist dann die Behauptung, dass § 254 BGB keine „echten“ Rechtspflichten, sondern „bloße“ Obliegenheiten aufstelle. Erstmals tritt dieser Gedanke wohl bei Leonhard auf84 . Heute wird – im Anschluss an R. Schmidt – von Warnungs-, Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflichten85 oder Schadensfernhaltungs- und Schadensminderungsobliegenheiten86 gesprochen, wobei auch mit „Pflichten“ oft „Obliegenheiten“ i. S. d. herrschenden Ansicht gemeint sind87. Auf die Frage, ob § 254 BGB eine Pflicht auferlegt oder zumindest wiederholt, wird später zurück zu kommen sein88 . (3) Folgen des Mitverschuldens Als Verletzungsrechtsfolge dieser Pflichten oder Obliegenheiten gilt gerade nicht das bis zur VVG-Reform für die Versicherungsnehmerobliegenheiten so typische Alles-oder-Nichts-Prinzip. Man spricht vielmehr vom schadensrechtlichen „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, das nach dem BGB im Wesentlichen (nur) dann gemildert oder durchbrochen sei, wenn der Geschädigte verantwortlich an der Schadensentstehung mitgewirkt hat (§ 254 BGB) 89. Dieses „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ des § 249 BGB90 , wonach der Schädiger (grundsätzlich) den ganzen Schaden zu ersetzen hat, ist nicht identisch mit dem 84
Leonhard, SchR I (1929) S. 184 ff. Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 241 BGB, Rn. 8 und § 254 BGB, Rn. 14, 44 ff.; Staudinger12/Medicus (1983) § 254 BGB, Rn. 34 ff.; Theda, DAR 55 (1986) S. 273; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 535. 86 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 105 ff. 87 Vgl. etwa BGH vom 24. 5. 2005, VersR 2006, 510 ff. = NJW-RR 2005, 1762 ff., der Obliegenheit und Pflicht im Zusammenhang der Rechtsanwaltshaftung synonym verwendet. Greger, NJW 1982, S. 1133 hingegen meint, es sei eine reine Frage der Terminologie, ob man von Pflichten oder Obliegenheiten sprechen wolle, jedenfalls handele es sich bei dem Verschulden i. S. d. § 254 BGB um eine vorwerfbare Pfl ichtverletzung. Stärker noch v. Sonntag (2003) S. 46, 54 f., der von der „Schadenstragungspflicht“ spricht. Explizit für eine „echte“ Rechtspflicht schon Palandt9/Danckelmann (1951) § 254 BGB, Anm. 2.a); Esser, Besprechung R. Schmidt, AcP 154 (1955) S. 51; weniger klar Esser, SchR4 (1970) S. 32 f., 329. Eine „rechtliche Verpflichtung“, sofern vorher vertragliche Beziehungen bestanden, nimmt auch Böhmer, MDR 1961, S. 2 an. Kritisch gegenüber der h. M. auch Soergel12/Mertens (1990) § 254 BGB, Rn. 4 (mit dem Begriff der Obliegenheitsverletzung sei „nichts gewonnen“) der aber widersprüchlich dann a.a.O., Rn. 62 von „Verpflichtungen minderer Intensität“ spricht. 88 S. u., S. 305 ff. 89 Vgl. etwa R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 115; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 56, 547; Medicus, SchR I16 (2005) § 53, Rn. 585. 90 Weil er abweichend von der überwiegenden Ansicht das Alles-oder-Nichts-Prinzip unter § 242 BGB zieht, lehnt Theda, DAR 55 (1986) S. 273 auch die überwiegende Begründung der Schadensminderungspfl icht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ab – genauer dazu sogleich unter c), S. 59. 85
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
versicherungsrechtlichen „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, wonach der Versicherungsnehmer bei Obliegenheitsverletzung die ganze Versicherungsleistung verliert. Denn im Versicherungsrecht besteht bei unkorrigierter Anwendung des Alles-oder-Nichts-Prinzips gerade kein adäquates Verhältnis zwischen der Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers und seinem eigenen Rechtsverlust91.
b) Historische Entwicklung des Mitverschuldens Im gemeinen Recht, welches bis 1900 in weiten Teilen Deutschlands gesetzesähnlich galt, führte ein Mitverschulden des Geschädigten wegen sog. CulpaKompensation grundsätzlich92 zu einem Verlust des gesamten Schadensersatzanspruches93 . Eine entsprechende Regelung enthielt auch § 688 des Sächsischen BGB. Als Begründung wurde abgestellt vor allem auf Pomponius D. 50, 17, 203: Quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intellegitur damnum sentire. Das, was jemand aus eigenem (Mit-)Verschulden als Schaden erleidet, wird nicht als ersatzfähiger Schaden angesehen.
Eine quotenmäßige Teilung war jedenfalls dem klassischen römischen Recht fremd und wurde auch im gemeinen Recht überwiegend abgelehnt 94 . 91 Zu den Einschränkungen des AoN-Prinzips im Versicherungsrecht und der VVG-Reform s. u., S. 297 ff. 92 Sofern nicht der Schädiger arglistig oder vorsätzlich handelte. Zu weiteren, nicht sicher belegten Ausnahmen vgl. die knappe Zusammenfassung mwN bei E. Lorenz, JuS 1972, S. 312. 93 Die dieser Ansicht zugrunde liegenden Quellen des römischen Rechts sowie Literatur und Rechtsprechung zum gemeinen Recht führt Windscheid/Kipp, PandektenR II9 (1906) § 258, N. 17, S. 64 f. auf. Überblicke zur Culpa- (oder eingedeutscht Kulpa-) Kompensation auch bei Gottschalk, Verschulden (1903) S. 11 ff.; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 105 f.; Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 76; E. Lorenz, JuS 1972, S. 312; ders., Lehre (1979) S. 35 f. mit dem Hinweis und mwN, dass die Theorie noch heute in einigen Staaten der USA gelte; Henke, JuS 1988, S. 756 f.; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 20 ff.; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 534 f.; Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 12–14; Ranieri, Europ. Obligationenrecht 3 (2009) S. 699. Fragwürdig hingegen erscheint die Behauptung, diese harte Rechtsfolge beruhe darauf, dass es bei Mitverschulden grundsätzlich in der Macht des Geschädigten stände, den gesamten Schaden zu verhindern, so aber Dunz, NJW 1986, S. 2234 unter Berufung auf Venzmer, Mitverursachung (1960) passim – eine entsprechende Aussage konnte von der Verfasserin bei Venzmer jedoch nicht gefunden werden. 94 So auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 6, 20 ff. mwN. Die römischrechtlichen Wurzeln und zum gemeinen Recht genauer ausführend Aumann (1964) S. 4 ff., 80 ff., teilweise allerdings mit zu unkritischer Verwendung des modernen Vokabulars. Beispielsweise S. 14, Fn. 1: in Ulpian D. 17, 1, 8, 6 werde „von einer Obliegenheit . . . nicht gesprochen“ – dagegen ist einzuwenden, dass die Römer gar keine „Obliegenheiten“ kannten, weder begrifflich noch inhaltlich. Ähnlich auch S. 176, wo Aumann spekuliert, ob der BGB-Gesetzgeber
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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Anders als das gemeine Recht war die detailversessene Regelung des ebenfalls bis zum Inkrafttreten des BGB in Teilen Deutschlands geltenden preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR) von 1794. §§ 18–21 I 6 ALR enthielten zwar Abwägungen des jeweiligen Verschuldensanteils, jedoch stark kasuistisch und eher im Sinne von Ausnahmeregelungen95 . Die 1900 für Deutschland einheitlich kodifizierte Lösung des BGB entsprach einem wieder anderen Ansatz, nämlich der quotenmäßigen Teilung, die von dem Naturrechtler Wolff bereits im 18. Jahrhundert entwickelt worden war 96 . Dieser Gedanke fand schon Aufnahme in Art. 51 Abs. 2 (heute Art. 44) Schweizer Obligationenrecht und im französischen sowie österreichischen Recht. Die Motive zum BGB von 1888 beziehen sich ausdrücklich nicht nur auf das ALR, sondern gerade auch auf diese Regelungen, wobei man zunächst dem Richter weitgehende Freiheit bei der Beurteilung des Einzelfalles lassen wollte97. Die heutige Regelung wurde dann erst allmählich herausgearbeitet98 . Insbesondere der Verweis auf § 278 BGB (heute § 254 Abs. 2 S. 2 BGB) kam erst verhältnismäßig spät und ohne ersichtliche Begründung dazu99. Unzutreffend ist jedenfalls die Behauptung, die Regelung des BGB zum Mitverschulden habe mit „eher hilfloser Formulierung“ „rechtliches Neuland“ betreten100 . Aus dem Naturrecht stammt übrigens auch der Gedanke von „Pflichten gegen sich selbst“101.
für die Regelung des Mitverschuldens „eine echte Rechtspflicht oder nur eine Obliegenheit“ begründen wollte. Er übersieht, dass auch damals noch eine solche Unterscheidung unbekannt war (genauer dazu s. u. § 5) – daher ist es auch nicht verwunderlich, dass das „aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht hervor“ geht. Offenbar konnte man sich schon wenige Jahre nach R. Schmidts Untersuchung nicht mehr vorstellen, dass es dessen „Obliegenheiten“ nicht schon immer gegeben hat. 95 Vgl. dazu Aumann (1964) S. 60 ff., 192; Staudinger12/Medicus (1983) § 254 BGB, Rn. 1; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 24 ff. 96 Wolff, Jus Naturae methodo scientifica pertractum, Pars IV, cap. III, § 588. Dazu Aumann (1964) S. 42 f.; E. Lorenz, JuS 1972, S. 312; Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 22– 23 und Rn. 20 zu früheren Ansätzen, etwa in der spanischen Spätscholastik; Ranieri, Europ. Obligationenrecht3 (2009) S. 698 ff. auch rechtsvergleichend. 97 Motive II, S. 23 f. = Mugdan II, S. 13. 98 Vgl. die Materialien in Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 114 ff. und Aumann (1964) S. 180; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 17 ff., 29 f. – dort auch genauer zur Entstehung des § 254 BGB und zu Reformversuchen (a.a.O., S. 41 ff.). 99 Er taucht erstmals im revidierten Entwurf bzw. der Reichstagsvorlage 1895/96 auf, vgl. Mugdan II, S. IV und den Kommissionsbericht S. 60 = Mugdan II, S. 1273 f. 100 So aber Dunz, NJW 1986, S. 2234. 101 Dazu s. u., S. 138 f.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
c) Rechtfertigung für die Anrechnung von Mitverschulden Gerade weil die Regelung des § 254 BGB keineswegs selbstverständlich ist102 , sucht man seit der Existenz dieser Norm nach einer „richtigen“ Begründung für die entsprechende Anrechnung des Mitverschuldens103 . Zitelmann entwickelte für § 254 BGB und einige weitere Tatbestände des damals neuen BGB – vermutlich ohne Kenntnis der erwähnten naturrechtlichen Pflichtvorstellung104 – die Vorstellung eines „Verschulden gegen sich selbst“, welche bis heute viele Anhänger gefunden hat105 . Dazu wird später noch Stellung bezogen106 . Der später für das Versicherungsrecht die Verbindlichkeitstheorie vertretende Gottschalk hingegen führte in seiner Dissertation § 254 BGB – wie schon die Culpa-Kompensation des Gemeinen Rechts – auf den Gedanken der Abwägung zurück107. Damit wird nicht viel mehr ausgesagt, als dass der Richter den beiderseitigen Verursachungsanteil abwägen solle. R. Schmidt meinte, die Selbstschädigung widerspräche der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs. Die Beobachtung der Obliegenheiten des § 254 BGB sei die Voraussetzung für die Entstehung oder Erhaltung eines ungeminderten Schadensersatzanspruchs des Gläubigers und die Obliegenheit selbst ein Sonderfall des verbotenen venire contra factum proprium (v.c.f.p.), also des gem. § 242 BGB verbotenen widersprüchlichen Verhaltens108 . Das findet man zumindest sinngemäß, meist sehr verkürzt, auch heute noch häufig109. 102
Auch rechtsvergleichend Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 65 ff. Für die im Zusammenhang mit den Obliegenheitstheorien nicht herangezogene und daher hier nicht erörterte Begründung mit der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges vgl. Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 42 mwN. 104 Mayer-Maly (1989) S. 271 hielt es wohl zu Recht für unwahrscheinlich, dass „dem scharfsinnigen Dogmatiker Zitelmann“ bei seiner Konzeption die naturrechtliche Lehre gegenwärtig war. 105 Diese Begründung fällt zwar in der Regel mit der Ablehnung eines „echten“ Verschuldens des Geschädigten zusammen (vgl. s. o., II.1. a. E.), ist aber damit nicht identisch. Vertreten wurde sie von Zitelmann, AT (1900) S. 152 f., 166 ff.; Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 196 ff. „Gebot des eigenen Interesses“; Kisch, HB II (1920) S. 183; Heck, SchR (1929) S. 46 „Verletzung der Gebote der eigenen Interessen“; R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 85 „Rechtsgrundgedanke“ des § 254 BGB sei „Verschulden gegen sich selbst und gegen den anderen Teil“; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346 f. „Verhaltensanforderung im eigenen Interesse“; Larenz, SchR I (1987) S. 540; Dunz, NJW 1991, S. 1527; MünchKommBGB3/Grunsky (1994) § 254, Rn. 2; Fikentscher, SchR9 (1997) S. 52 „Sorgfaltspflicht gegen sich selbst“; MünchKommBGB5/Oetker (2007) § 254 BGB, Rn. 3; Handkommentar5/Schulze (2007) § 254 BGB, Rn. 1. Vgl. beispielhaft für die Rechtsprechung BGH vom 3. 7. 1953, BGHZ 3, 46 „Verschulden in eigenen Angelegenheiten“. 106 S. u., S. 138 f. Jedenfalls nennt Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 43 diesen Erklärungsansatz zu Recht unklar, missverständlich und irreführend. 107 Gottschalk, Verschulden (1903) S. 12 ff., 18. 108 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 110 f.; vgl. auch Soergel10 /R. Schmidt (1967) § 254 BGB, Rn. 13. 109 BGH vom 14. 3. 1961, NJW 1961, S. 655 = BGHZ 34, 355; BGH vom 22. 9. 1981, NJW 103
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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Gegen die Erklärung von Obliegenheiten mittels des Verbotes eines v.c.f.p. wurde bereits in einem früheren Teil dieser Untersuchung Stellung bezogen110 . Gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und speziell das Verbot eines v.c.f.p. als Grundlage für die Anrechnung eines Mitverschuldens nach § 254 Abs. 1 BGB spricht zudem konkret bei den deliktischen Schadensersatzansprüchen, dass hier vor der Schädigung keinerlei Sonderbeziehung besteht, aus der sich Verhaltensanforderungen an den Geschädigten aus Treu und Glauben ableiten ließen111. Die Erklärung des § 254 BGB mit § 242 BGB ist auch deswegen nutzlos, weil – wäre sie richtig – eine dem § 254 BGB entsprechende Bestimmung im BGB überflüssig wäre. Denn dann müsste man allein über § 242 BGB zu den gleichen Lösungen kommen112 . Dass die Regelung des § 254 BGB erforderlich ist, zeigt aber schon die zu ganz anderen Ergebnissen führende Culpa-Kompensationsregel113 , die zu ihrer Zeit auch als billig empfunden wurde. Vermutlich will diese Ansicht aber auch nicht viel mehr sagen, als dass man die Anrechnung von Mitverursachung und Mitverschulden heute als billig empfindet – in dieser (wenig weiterführenden114) Form ist ihr zuzustimmen. In Erwägung gezogen wird weiter der Satz casum sentit dominus, nicht immer dahingehend präzisiert, dass es sich um einen Erst-recht-Schluss handeln soll115 . Danach soll jeder für die Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter grundsätzlich selbst dann aufkommen, wenn diese ohne seine Mitwirkung erfolgt ist – was erst recht gelten soll, wenn der Betroffene oder seine Hilfspersonen zu der
1982, S. 168; BGH vom 18. 4. 1997, NJW 1997, S. 2235; Frohn (1959) S. 17; Staudinger12/Medicus (1983) § 254 BGB, Rn. 2 f.; Henke, JuS 1988, S. 753 f.; Dunz, NJW 1986, S. 2235 f. (aber gegen den Bezug zu § 242 BGB); Häublein, VersR 1999, S. 165; Deutsch, VVR4 (2000) S. 154, Rn. 195; Palandt65/Heinrichs (2006) § 254 BGB, Rn. 1; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 347, Rn. 711. 110 S. o., S. 14 f. 111 Gegen eine besondere Beziehung zwischen § 254 BGB und § 242 BGB (insbesondere in Gestalt des Verbots eines venire contra factum proprium) auch Flume, JZ 1961, S. 605; Greger, NJW 1982, S. 1131 f.; Soergel12/Mertens (1990) § 254 BGB, Rn. 4 (Heranziehung des Verbots eines v.c.f.p. könne „nichts leisten“, aber § 242 BGB sei „die allgemeine Grundlage für die Anerkennung der rechtlichen Relevanz solcher Normen“); MünchKommBGB3/Grunsky (1994) § 254 BGB, Rn. 2; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 145 ff.; 640; MünchKommBGB4/Oetker (2001) § 254 BGB, Rn. 4; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 548 f.; v. Sonntag (2003) S. 42 f.; Staudinger/Schiemann (2005) § 254 BGB, Rn. 4. 112 So Venzmer, Mitverursachung (1960) S. 71. 113 S. o., S. 56. 114 Ähnlich Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 45. 115 Gernhuber, AcP 152 (1952/53) S. 77 (sinngemäß); R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 114 f.; Soergel10 /R. Schmidt (1967) § 254 BGB, Rn. 8 f. (präzisiert als „Prinzip des Einstehenmüssens für selbst gesetzte Schäden“); Weidner, Mitverursachung (1970) S. 11 und 25 (auch „Prinzip der Sachzuständigkeit“); E. Schmidt, AcP 170 (1970) S. 505; Greger, NJW 1982, S. 1132; Soergel12/Mertens (1990) § 254 BGB, Rn. 2 („ansatzweise“ Erklärung); Lange 3/ Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 547 f.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
Schadensentstehung oder Ausweitung in zurechenbarer Weise beigetragen haben116 . Der Gedanke, dass der Eigentümer einen Schaden selbst trägt, bezieht sich aber im römischen Recht nur auf zufällige Schäden117. Casus bedeutet in diesem Zusammenhang Zufall und für diesen hat niemand einzustehen118 – außer in tatsächlicher Hinsicht derjenige, dem die beschädigte Sache gehört, an dem der Schaden sozusagen „hängen“ bleibt. Daher ist nicht klar, welcher Zusammenhang zwischen dieser Zufallsregel und der verhältnismäßigen Schadenszurechnung bestehen soll. In der Literatur wird diese Regel auch gern als (ebenso fragwürdiges) Prinzip des Schadensrechts genannt. Jedenfalls trägt casum sentit dominus (ebenso) wenig zur Erklärung des § 254 BGB bei. Ein interessanter Gedanke ist das sog. Verursacher- oder Verantwortlichkeitsprinzip auch Prinzip der Gleichbehandlung genannt119, welches auch besonders gut zur Lösung von Nebentäterfällen herangezogen werden kann. Danach sollen Schädiger und mitverantwortlicher Selbstschädiger grundsätzlich nach den gleichen Regeln behandelt werden. Hätte der Geschädigte sich selbst schadensersatzpflichtig gemacht, sofern sein Verhalten einen anderen geschädigt hätte, so führt dies auch bei Selbstschädigung zu einem Schadensersatzanspruch – nämlich gegen sich selbst. Der Geschädigte wird somit quasi Gesamtschuldner zusammen mit dem oder den Schädigern120 . Zur Begründung werden der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und die dogmengeschichtliche Entwicklung herangezogen121. Problematisch erscheint jedoch, dass die Formulierung „Verantwortlichkeit für selbstgefährdendes Verhalten“ nur einen zu kleinen Schritt vom „Verschulden gegen sich selbst“ entfernt ist.
d) Verhältnis der Obliegenheitstheorien zu § 254 BGB Von Interesse im Zusammenhang mit der Obliegenheitsproblematik ist vor allem die in § 254 Abs. 2 S. 2 BGB enthaltene Anordnung, dass § 278 BGB entsprechend anzuwenden sei. Diese lässt sich nämlich für beide Theorien in An116
Soergel12/Mertens (1990) § 254, Rn. 2. Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 118 bezieht sich (etwas irritierend) auf § 1311 S. 1 ABGB. 118 Ulpian (29 Sab.) D. 50, 17, 23: . . . casus . . . a nullo praestatur. 119 Ansätze bereits bei Gernhuber, AcP 152 (1952/53) S. 76. Genauer dazu Lorenz, JuS 1972, S. 312; Greger, NJW 1982, S. 1132; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 118 f., 143, 639 f.; Lange 3/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 549 ; v. Sonntag (2003) S. 45 ff., 125. 120 Der Gedanke stammt wohl in erster Linie von E. Lorenz, Lehre (1979) S. 26 ff., 34 ff.; genauer dazu Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 141 ff.; v. Sonntag (2003) S. 52 ff., 60 ff. 121 Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 6 ff.; 461 f.; 640; v. Sonntag (2003) S. 45 ff., 125. 117
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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spruch nehmen. Für die Verbindlichkeitstheorie ist es der Beleg, dass die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden122 . Für die Voraussetzungslehre hingegen ist die besondere Anordnung der Beweis, dass die allgemeinen Vorschriften sonst gerade nicht gelten würden123 . Eine andere, für die Verbindlichkeitstheorie sprechende Deutungsmöglichkeit der Rechtsfolgen des § 254 BGB ist die als pauschalisierter Schadensersatz. Das Besondere (das aber anscheinend noch nicht recht bemerkt wurde) an § 254 BGB ist, dass sich hier genau genommen die verschiedenen Theorien über den Charakter von Obliegenheiten gar nicht auswirken können, weil es „nur“ um die dogmatische Erklärung einer gesetzlichen Regelung geht. Aber selbst wenn man die gesetzliche Sanktion wegdenkt, so könnte man mit der Verbindlichkeitstheorie sagen, es müsse Schadensersatz wegen Pflichtverletzung geben. Mit der Voraussetzungs- und auch mit der Obliegenheitstheorie hingegen könnte man einen Rechtsverlust des Geschädigten fordern. Nur die Frage der Anwendung des § 278 BGB würde sich dann noch stellen. Ein Unterschied zwischen den Theorien würde nur bestehen, wenn man die gesetzliche Regelung wegdenkt und bei wörtlicher Anwendung der Voraussetzungstheorie einen kompletten Rechtsverlust forderte, also entsprechend der oben beschriebenen gemeinrechtlichen Culpa-Kompensation den gesamten Schadenersatzanspruch bei eigenem Mitverschulden entfallen lassen wollte. Tatsächlich führt übrigens Terbille das Alles-oder-Nichts-Prinzip im Versicherungsrecht auf genau diese dogmatische Grundlage zurück124 , was allerdings zweifelhaft erscheint. So bleibt es letztlich eine rechtspolitische Frage125 , welche Folgen man an ein Mitverschulden des Geschädigten knüpfen will, die der Gesetzgeber entscheiden musste und längst entschieden hat. Anders ausgedrückt: man braucht hier keine Theorien über die „Rechtsnatur“ dieser „Obliegenheiten“. Daher erscheint es auch nicht sinnvoll, gerade § 254 BGB für oder gegen eine Theorie ins Feld zu führen. Es wird erst abschließend auf § 254 BGB zurück zu kommen sein126 . 122
V. Gierke, Versicherungsrecht, Bd. 2 (1947) S. 151; E. Lorenz (2000) S. 344. Nussbaum (1898) S. 55 ff. Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 33378 f.; Höxter (1934) S. 34; Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 197 f.; Esser, SchR4 (1970) S. 258; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 51. 124 Terbille, r+s 2001, S. 1. 125 Ähnlich Staudinger12/Medicus (1983) § 254, Rn. 3, dem allerdings Greger, NJW 1982, S. 1132 (für die Vorauflage) entgegen hielt, dass die Heranziehung des § 242 zur Erklärung des § 254 BGB nicht rein rechtspolitisch ist, da der BGH in der Konsequenz Billigkeitserwägungen über die Anrechnung eines Mitverschuldens entscheiden lässt. Dies stellt allerdings eine Vermengung zwischen der richtigen Aussage, dass es sich um eine rechtspolitische Entscheidung handelt und dem – auch hier abgelehnten – Erklärungsversuch für diese Entscheidung dar. 126 S. 305 ff. Vgl. aber auch S. 138 f. 123
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
2. Obliegenheiten mit Relevanz der Theorien a) „Ehemalige“ Obliegenheiten der Banken (1) Widerrufsbelehrungspflicht Ein aktuell besonders spannender Fall ist die Pflicht der Banken zur Belehrung über Verbraucherwiderrufsrechte. Bis vor kurzem ging man überwiegend davon aus, dass es sich dabei „bloß“ um eine Obliegenheit handele127. Seit aber 2005 der EuGH in zwei Entscheidungen128 ausführlich zu den Belehrungspflichten Stellung bezog, nehmen Rechtsprechung129 und Literatur130 ganz überwiegend131 eine „echte“ Pflicht an.132 Inhaltlich hat sich an den an die Bank gestellten Verhaltensanforderungen selbst nichts geändert. Geändert haben sich (ohne Gesetzesänderung) allein die 127 BGH vom 25. 10. 1989, BGHZ 109, 127 ff. (130); MünchKommBGB3/Ulmer (1993) § 2 HWiG, Rn. 1 bzw. MünchKomm4/Ulmer (2003) § 355 BGB, Rn. 44; Staudinger12/Werner § 2 HWiG, Rn. 27 – jeweils mwN. Anderer Auffassung (also „echte“ schadensersatzbewehrte Rechtspflicht) schon vor der EuGH-Entscheidung Palandt61/Heinrichs (2001) § 361 a BGB, Rn. 10; Handkommentar4/Staudinger (2005) § 485 BGB, Rn. 17. 128 EuGH vom 25. 10. 2005, NJW 2005, 3551 ff. (Schulte) und S. 3555 (Crailsheimer Volksbank). 129 OLG Bremen vom 2.3.06, NJW 2006, 1210 ff., welches unter Berufung auf die EuGHEntscheidungen als erstes Gericht ausdrücklich eine „echte Verpflichtung . . ., deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann“ bejahte; ähnlich OLG München vom 27. 4. 2006, NJW 2006, 1811 ff.; OLG Celle, Beschluss vom 3. 4. 2006, NJW 2006, 1817 ff.; noch offen gelassen in der Entscheidung des BGH vom 16. 5. 2006, NJW 2006, 2099 ff., insbesondere Abs. 35 ff.; vgl. auch BGH vom 19. 9. 2006, NJW 2007, 357 ff., 2. LS: Rechtspflicht, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht aus Verschulden bei Vertragsschluss zur Folge haben kann. 130 Staudinger, NJW 2005, S. 3522 (die Vorgabe des EuGH lasse sich ohne methodischen Bruch in das nationale Recht hineinlesen) und S. 3524 (echte Rechtspflicht); Habersack, JZ 2006, S. 92–94 (S. 93: kein „sonderlich schwerwiegender Eingriff in das gewachsene System des deutschen Verbraucherschutzrechts“); Wielsch, ZBB 2006, S. 22; Häublein, NJW 2006, S. 1553 (ein Umdenken sei ohne weiteres möglich) und S. 1554 (zur Pflichtverletzung und ihren Rechtsfolgen); Kulke, NJW 2007, S. 360; MünchKommBGB5/Masuch (2007) § 355 BGB, Rn. 44. 131 Anderer Ansicht, dass es sich um eine „bloße Obliegenheit“ handele, aber danach noch BeckOK Bamberger/Roth/Grothe (Stand 1. 2. 2007) § 355 BGB, Rn. 6 ohne erkennbare Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung und Lang/Rösler, WM 2006, S. 516 und 522, allerdings mit der fragwürdigen Argumentation, dass eine Umqualifizierung „aufgrund eines gewandelten Verständnisses . . . nicht unproblematisch“ erscheine. Mindestens genauso problematisch ist das Abstellen auf die bisherige h. M. und die angeblich weniger gravierenden Rechtsfolgen der Obliegenheiten, wie es Lang/Rösler tun, ohne die grundsätzliche Problematik zu überschauen. 132 Zur in diesem Zusammenhang thematisierten prozessrechtlichen „Beschleunigungsobliegenheit“ des Verbrauchers hinsichtlich der Ausübung des Widerrufsrechts vor Rechtskraft, da eine spätere Vollstreckungsabwehrklage widersprüchlich wäre, vgl. M. Schwab, JZ 2006, S. 172 ff.
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Rechtsfolgen. Hier wirkt es sich also nicht nur aus, welche Theorie man zur „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten vertritt, sondern es hat zudem ein ganz erheblicher und rascher Meinungsumschwung stattgefunden. Weil die herrschenden Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorien nicht mehr „passten“, wurde aus der Obliegenheit eine Pflicht gemacht. An eine grundsätzliche Überprüfung der Theorien wurde hingegen kaum gedacht133 . Man konzentriert sich vielmehr auf die (auch wichtige) Frage, ob die aus den EuGH-Entscheidungen folgende Risikoverteilung sachgerecht ist. Beides hängt aber eng miteinander zusammen134 . (2) Vorvertragliche Aufklärungspfl ichten Ein weiteres aktuell viel thematisiertes Beispiel einer „ehemaligen“ Obliegenheit ist die vorvertragliche Informationspflicht der Banken im Bereich der Anlage- und Darlehensgeschäfte135 . Auch hier hat – ähnlich wie bei der verbraucherrechtlichen Widerrufsbelehrung – ein erheblicher Umschwung von ursprünglich überwiegender Annahme einer Obliegenheit hin zur Pflicht stattgefunden136 . Wie bei der vorvertraglichen Anzeige- und Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer soll auch die Bank den Kunden über alle erheblichen Umstände informieren, um ihm eine sachgerechte Entscheidung über die Anlage zu ermöglichen. Verletzt sie diese Pflicht, kommt ein Schadensersatzanspruch in Betracht137. Wie für die Widerrufsbelehrungspflicht ist auch hier deutlich, dass die Theorien über die „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten eine grundsätzliche Rolle spielen. Nach den herrschenden Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorien ist der Schadensersatzanspruch nicht zu erklären – weshalb man ja auch nicht mehr von einer Obliegenheit zu sprechen pflegt. Man geht dem Theorienstreit aus dem Weg und bejaht eine Pflicht.
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Vage Ansätze bei Lauer, ZAP Fach 8, S. 413. Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer Pflicht s. u., S. 242 ff. (261). 135 Erwähnt im Zusammenhang mit der „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten (mit Annahme einer „echten“, schadensersatzbewehrten Pflicht) schon von Ritter, Seeversicherung (1922) S. 33 f. 136 Dazu Lang/Rösler, WM 2006, S. 516 mwN in Fn. 50–58. 137 Ablehnend noch OLG Stuttgart vom 12. 1. 2000, WM 2000, 292 ff., insb. Rn. 62; OLG Oldenburg vom 27. 3. 2002, OLGR Oldenburg 2002, 253 ff.; für die heute h. M. OLG Düsseldorf vom 30. 12. 2004, Az.: I-15 U 14/01, 15 U 14/01, insb. Rn. 52; KG Berlin vom 27. 7. 2007, Az.: 13 U 36/06; BGH vom 23. 6. 2009, Az.: XI ZR 171/08. 134
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b) Mitwirkungsobliegenheiten Ob Verhaltensanforderungen, die auf Mitwirkung gerichtet sind, überhaupt als Obliegenheiten angesehen werden, hängt – wie allgemein beim Thema – meist nur von der jeweils typischen Rechtsfolge ab. Als Beispiele „echter“, schadensersatzbewehrter Pflichten seien die mitwirkungspflichtigen Verwaltungsregeln der Erben (§ 2038 Abs. 1 S. 2 BGB) 138 und die Abnahmepflichten des Käufers (§ 433 Abs. 2 BGB) und des Werkbestellers (§ 640 Abs. 1 S. 1 BGB) genannt. Beim Blick in das Gesetz ist zunächst kein Unterschied zu den sogenannten Mitwirkungsobliegenheiten festzustellen. Als wichtigste sogenannte Mitwirkungsobliegenheiten sollen im Folgenden die Annahme der geschuldeten Leistung durch den Gläubiger und die Mitwirkung des Werkbestellers näher ausgeführt werden139. (1) Annahme der Leistung durch den Gläubiger aa) Die Herausbildung der heute herrschenden Ansicht Nach R. Schmidt wird eine Mitwirkungsobliegenheit verletzt, wenn der Gläubiger – abgesehen vom Kauf- und Werkvertrag, wo gesetzliche Mitwirkungspflichten statuiert sind – mit der Annahme der angebotenen Leistung in Verzug kommt140 . In den Jahren vor der Arbeit von R. Schmidt hatte man die Frage, ob es eine klagbare und schadensersatzbewehrte Annahmeverpflichtung gebe, schon viel diskutiert und überwiegend141 ablehnend beantwortet142 . Allerdings wurde grundsätzlich (noch) nicht der Ausdruck „Obliegenheit“ verwendet wurde. Diese Begrifflichkeit findet sich nur gelegentlich143 . Bereits vor dem Inkrafttreten des BGB waren die Auffassungen über die Mitwirkung des Gläubigers geteilt. Die damals noch überwiegende Ansicht nahm an, dass die Mitwirkung eine Pflicht des Gläubigers und dass der Verzug des Schuldners und der Gläubigerverzug Unterarten eines allgemeinen Instituts
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Dazu jüngst BGH vom 28. 9. 2005, NJW 2006, S. 439 ff. Zu den Obliegenheiten des Gläubigers einer Bürgschaft nach verschiedenen europäischen Rechtsordnungen vgl. Drobnig, Recht der Kreditsicherheiten (1999) S. 59 ff. 140 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 146 ff.; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 293 BGB, Rn. 1. 141 Anderer Ansicht v. Tuhr, AT (1910) S. 93, Fn. 1: Der Gläubiger habe das Recht und die Pflicht zur Annahme, da ein entsprechender Befehl der Rechtsordnung vorliege. 142 Siber, Rechtszwang (1903) S. 47 f.; v. Buchka (1904) S. 444 f.; Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 378 f.; Heck, SchR (1929) S. 116; Höxter (1934) S. 32 f.; H. Schmitt (1939) S. 114. 143 Stoll (1943) S. 180: Die Annahme oder Mitwirkung des Gläubigers sei „keine Leistungspflicht, sondern Voraussetzung des Leistungserfolges, eine Obliegenheit im eigenen Interesse“. 139
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seien, wobei Voraussetzung dieses allgemeinen Verzuges Verschulden sei144 . Basierend auf dem römischen Recht wurde auch eine Klage auf Abnahme jedenfalls für möglich gehalten145 . Noch weiter ging die juristische Germanistik, die ausdrücklich eine Pflicht des Gläubigers zur Abnahme betonte146 . Den ursprünglichen Anstoß für die heute herrschende Meinung hatten im 19. Jahrhundert nach Vorarbeiten von Schoemann147 insbesondere Mommsen und Kohler gegeben148 . Nach Mommsen konnte der Schuldner nicht die Annahme verlangen, er habe keine diesbezügliche Klage, sondern werde vielmehr durch andere Mittel geschützt149. Diese Mittel, d. h. die den heutigen §§ 300 ff. BGB schon weitgehend ähnlichen Rechtsfolgen des Gläubigerverzuges, führte Mommsen dann in einem späteren Teil seines Werkes näher aus150 . Aber auch ein Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger (neben dem Aufwendungsersatz) wurde von ihm bejaht, der jedoch eine „willkürliche“ Nichtannahme voraussetze151, also Verschulden des Gläubigers. Wichtig für die spätere Ansicht, vor allem wegen der größeren zeitlichen Nähe zur Entstehung des BGB, waren wohl die Ausführungen Kohlers152 . Der Gläubiger könne „ruhig das Weite suchen und unter Wilden leben, kein Band eines rechtlichen oder sittlichen Sollens“ halte ihn zurück153 . Dieses Bild war nicht zufällig gewählt, interessierte Kohler selbst sich doch im Rahmen der Rechtsethnologie sehr für diese „Wilden“.
144 Insbesondere Windscheid, Pandekten II5 (1879) § 345, S. 311 ff. Vgl. auch die Motive II, S. 68 f. = Mugdan II, S. 37 f. Ausführlicher Klees, La demeure (1968) S. 201 ff. (unter Einbeziehung der französischen Entwicklung); Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 7 ff.; Kreuzer/ Stehle, JA 1984, S. 70; Hartmann, Mitwirkung (1997) S. 38 ff.; Pennitz, HKK II/1 (2007) §§ 293–304, Rn. 4 ff. – jeweils mwN. 145 Grundlage in den Quellen war dafür Pomponius D. 19, 1, 9: Si is, qui lapides ex fundo emerit, tollere eos nolit, ex vendito agi potest, ut eos tollat. (Wenn derjenige, der von einem Grundstück Steine gekauft hat, diese nicht abnimmt, kann der Verkäufer aus Verkauf klagen, dass der Käufer sie abnimmt.) 146 Ausführlich dazu Blomeyer, Art. Schuldverhältnis (1938) S. 308; vgl. auch Pennitz, HKK II/1 (2007) §§ 293–304, Rn. 15. 147 Schoemann, Lehre vom Schadensersatze (1806) 2. Teil, S. 12 ff., 15 ff., insbesondere mit Bezug auf Venuleius (1 stip.) D. 45, 1, 137, 4 – S. 18 ff. Die Rechtsfolgen für den „morosen Creditor“ entwickelte Schoemann dann S. 56 ff.; Schadensersatz findet keine Erwähnung. 148 So auch Zimmermann, The Law of Obligations (1990) S. 819. 149 Mommsen, Mora (1855) S. 133 ff.: Natur und Begründung der Mora des Gläubigers, S. 134. 150 Mommsen, Mora (1855) S. 284 ff. Nicht richtig ist allerdings die Behauptung von Klees, La demeure (1968) S. 202 f., dass Mommsen im Gegensatz zu Kohler noch allgemein Verschulden des Gläubigers verlangt habe. Dagegen ausdrücklich Mommsen, Mora (1855) S. 134. 151 Mommsen, Mora (1855) S. 287, 296 ff. 152 Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 261 ff. mit dem Hinweis auf einen früheren Aufsatz in den badischen Annalen 1875, die mir leider nicht zugänglich waren. Vgl. auch Kohler, AbR 6 (1892) S. 182 sowie ders., Kohler, AbR 13 (1897) S. 149 ff. 153 Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 271.
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Allerdings – und das ist der Kern seiner Ausführungen – müsse das Gesetz, d. h. die Rechtsordnung, nicht der Gläubiger, dem Schuldner behilflich sein, sich von seinen Verpflichtungen zu befreien154 . Der eigentliche Grund (Schuldnerschutz) für die Entwicklung des Annahmeverzuges ohne Verschulden tritt durch die ständige Betonung, dass die Annahme ein Recht, keine Pflicht des Gläubigers sei155 , in den Hintergrund. Diese Unterscheidung entspricht auch dem generellen Ansatz Kohlers, der eine allgemeine Pfl icht zur Verteidigung des eigenen Rechts156 ebenso ablehnte wie den Rechtsschutzanspruch157. Ähnlich Mommsen entwickelte Kohler aus Quellen des gemeinen und des deutschen Privatrechts eine Lehre vom Annahmeverzug des Gläubigers, wofür kein Verschulden erforderlich sei, sowie die heute bekannten Rechtsfolgen158 . Nur der Schadensersatz kam bei Kohler nicht mehr so ausführlich wie bei Mommsen vor. Das BGB schloss sich der Lehre Kohlers grundsätzlich an159 und regelte in §§ 300 ff. BGB die Folgen des (schuldlosen) Annahmeverzugs. Allerdings ging Kohlers Lehre weiter, da er in allen Fällen des Annahmeverzugs, also auch beim Kauf- und Werkvertrag, eine Pflicht verneinte160 . Die entsprechenden Handlungen des Gläubigers seien nur „Voraussetzungen“ (!) für eventuelle andere Leistungen desselben161. Jedoch gebe es gewisse Ausnahmen, wo man gerichtlich die Mitwirkung des Gläubigers verlangen könne162 . Beim Werkvertrag sollte danach die Nichtabnahme zwar zu Verzug und Entschädigungszahlung füh154
Ausführlich Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 272, 281 ff. Insbesondere Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 265 ff. 156 Vgl. Kohler, AbR 6 (1892) S. 181 ff., mit dem familienrechtlichen Beispiel (S. 183) des „edelmütigen Ehemannes“ der von seinen „Zwangsmitteln gegen die widerspänstige Ehefrau“ keinen Gebrauch mache. 157 Dazu näher s. u., S. 244 ff. 158 Insbesondere Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 375 ff., wobei er sich vorher ausführlich mit Erfüllungssurrogaten beschäftigte, u. a. mit der im französischen Code civil als Annahmeverzugsfolge geregelten Hinterlegung (a.a.O., S. 281 ff.) 159 Motive II, S. 68 = Mugdan II, S. 38. Stolz darauf Kohler, AbR 13 (1897) S. 150, obwohl er namentlich in den Motiven nicht genannt wurde und vorher meinte, die Definition des Annahmeverzuges und die Entwicklung seiner Voraussetzungen gehörten nicht in das zu schaffende Gesetzbuch, sondern müssten der Rechtswissenschaft überlassen bleiben, vgl. Kohler, Jh. Jb. 17 (1879) S. 421 f. Zu Differenzen zwischen Kohlers Ansicht und der des Gesetzgebers genauer Soergel12/Wiedemann (1990) Vor § 293 BGB, Rn. 2. 160 Kohler, AbR 13 (1897) S. 179 ff., 183, 252 f. 161 Kohler, AbR 13 (1897) S. 179: mit den Beispielen der Verpfl ichtung zu einer Theateroder Buchrezension – hierbei sei man nicht verpflichtet, das Buch oder das Stück über sich ergehen zu lassen. Die Beispiele sind allerdings wenig überzeugend. 162 Kohler, AbR 13 (1897) S. 180: Jemand hat sich zur Abfuhr von verschiedener Dinge verpflichtet und hat zugleich ein Interesse an diesen Dingen bzw. ihrer Verwertung. Hier bestehe eine klagbare Pfl icht des Auftraggebers, die Sachen herauszugeben. Angeknüpft wird dabei aber nur an das besondere Interesse des Beauftragten. Ein weiterer Ausnahmefall (a.a.O., S. 181) liege vor, wenn man ein Bild von sich selbst in Auftrag gebe und der Maler sich zugleich ausbedinge, dass eine Gruppe das Modell abzeichnen dürfe. Auch hier besteht ein besonderes Interesse des Schuldners an Mitwirkung. 155
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ren, aber nur gegen einen entsprechenden Abzug vom Werklohn, wie bei einer Kündigung durch den Besteller163 . Das entspricht eher § 649 BGB, nicht jedoch der Regelung des § 640 Abs. 1 BGB. Zu Recht wandte sich daher Siber für den Kauf- und Werkvertrag gegen die Ansicht Kohlers164 . Das wohl überzeugendste Argument dafür, dass (jedenfalls) hier die Annahme wirklich geschuldet sei, war und ist, dass sich der nachweisbare Wille des Gesetzgebers165 im Wortlaut der §§ 433 Abs. 2, 640 Abs. 1 BGB niedergeschlagen hat und die Abnahme ausdrücklich als Pflicht bezeichnet wird. Die in der Praxis häufigsten Abnahmeverpflichtungen sind deshalb nach heute einhelliger Ansicht einklagbar und schadensersatzbewehrt. Für den im allgemeinen Teil des Schuldrechts geregelten Annahmeverzug des Gläubigers hingegen ist es heute überwiegende Ansicht, dass es sich bei der zugrundeliegenden Verhaltensanforderung nicht um eine „echte“ Rechtspfl icht sondern um eine Obliegenheit handele, womit andere als die in §§ 300 ff. BGB geregelten Rechtsfolgen ausgeschlossen seien166 . Hingegen hatte noch Siber nur die Klagbarkeit verneint167, jedoch eine „indirekte Rechtspflicht“ für möglich gehalten. Nach seiner Terminologie168 heißt „indirekt“ aber eben nur „nicht klagbar“, nicht auch, dass ein Schadensersatzanspruch ausscheidet – insoweit lag er noch auf einer Linie mit dem Gesetzgeber. Auch R. Schmidt hatte zugestanden, dass „von logisch-konstruktiver Seite her keine Bedenken gegen die Schaffung einer Verbindlichkeit“ bestünden169.
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Kohler, AbR 13 (1897) S. 253. Siber, Rechtszwang (1903) S. 42. 165 Vgl. schon den ersten Entwurf des BGB, Motive II, S. 318 und 490 = Mugdan II; S. 176 und 273: die Regelungen (spätere §§ 433 Abs. 2 a. E. und 640 Abs. 1 BGB) seien ausdrücklich notwendig, da die entsprechenden Verpflichtungen in Theorie und Praxis umstritten seien. Ein Bezug zur allgemeinen Vorschrift des Gläubigerverzuges wird aber nicht hergestellt. 166 Ballerstedt, Besprechung R. Schmidt, in: ZHR 121 (1958) S. 84; Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 250 f.; Larenz, SchR I (1987) S. 359, 389; Henß (1988) S. 17 mit Fn. 21; Wertheimer, JuS 1993, S. 648; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50; MünchKommBGB4/Thode (2001) § 293 BGB, Rn. 1; Erman11/Hager (2004) Vor § 293 BGB, Rn. 1; Handkommentar5/Schulze (2007) § 293 BGB, Rn. 1; MünchKommBGB5/Ernst (2007) § 293 BGB, Rn. 1. Keine Obliegenheit erwähnte RGRK12/Alff (1976) § 293 BGB, Rn. 1 – wie Kohler meinte er nur, dass der Gläubiger „zur Annahme der Leistung zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet sei“. Für §§ 293 ff. BGB wie für bestimmte andere Obliegenheiten hingegen Annahme von „Pflichten im Rechtssinne, denen aufgrund ihres besonderen Schutzzwecks besondere Rechtsfolgen zugeordnet sind“ hingegen PWW2/Schmidt-Kessel (2007) § 241 BGB Rn. 28. 167 Vgl. Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 69, wo er eine indirekte Rechtspflicht für möglich hielt, wenn der Schuldner ein Interesse daran habe, den geschuldeten Gegenstand loszuwerden. Planck/Siber (1914) S. 27 nennt den Annahmeverzug schon ausdrücklich als Beispiel einer indirekten Pflicht. 168 Genauer dazu s. u., S. 139 ff. 169 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 147. 164
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bb) Eigene Ansicht: Annahmepfl icht – nur kein Verschuldenserfordernis für Rechtsfolgen der §§ 300 ff. BGB Die soeben beschriebene Entwicklung verlief – bis zur Behandlung seit R. Schmidt, die aber keine inhaltliche Veränderung brachte – unabhängig von der Entwicklung der Theorien zur „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten. Zur Frage des Annahmeverzugs durch den Gläubiger kann daher auch unabhängig vom großen Rahmen der Obliegenheiten Stellung bezogen werden170 . a) Die Hauptfälle des Annahmeverzuges. Mit den Regelungen der Abnahme beim Kauf- und Werkvertrag (§ 433 Abs. 2, 640 Abs. 1 BGB) sind die wichtigsten oder jedenfalls typischsten und häufigsten Fälle der Gläubigermitwirkung als „echte“ Pflichten geregelt. Es ist kein Zufall, dass gerade hierfür schon vor Inkrafttreten des BGB die Ansicht erstarkte, es müsse sich um einklagbare Pflichten handeln. Dieses Bedürfnis war in der ökonomischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts bereits sichtbar geworden und sollte durch die Regelungen im BGB befriedigt werden. Wenig einleuchtend ist es aber, warum bei anderen Vertragstypen nicht ggf. das gleiche (sanktionierte) Interesse des Schuldners an einer Pflicht des Gläubigers zur Annahme der Leistung gegeben sein sollte. b) Verschulden und Interessenlage beim Annahmeverzug und bei Obliegenheiten. Es wird nicht deutlich, warum man heute überhaupt von einer Obliegenheit des Gläubigers ausgeht, außer um a priori, also ohne inhaltliche Argumente, bestimmte Rechtsfolgen auszuschließen. Der Nutzen dieses Vorgehens bleibt aber unklar. Man gewinnt nicht einmal den Eindruck, dass darüber überhaupt jemals nachgedacht wurde. Mommsen und Kohler171 hingegen ging es ganz klar um einen damals grundsätzlich neuen Schutz der Schuldnerinteressen auch gegenüber einem schuldlos handelnden Gläubiger. Denn bei dem allgemeinen Institut der Mora war der Schuldner bei Fehlen des Gläubigerverschuldens schutzlos. Daher wurden ihm nach der bereits beschriebenen Diskussion die heute in den §§ 300 ff. BGB enthaltenen Rechtsfolgen des Annahmeverzuges zugestanden. Dass Mommsen und Kohler bei der Begründung ihrer Lehre eine Pflicht des Gläubigers als Voraussetzung des Annahmeverzuges ablehnten, lag (nur) darin begründet, dass Verschulden und Pflicht so eng zusammen hängen172 . Ihnen ging es aber nicht zentral um die Pflicht des Gläubigers, sondern eben um den Schutz des Schuld-
170 Für irrelevant hielten die Einordnung als Obliegenheit bereits Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 19 f.; U. Huber (1999) S. 185 f., 198 und Staudinger/Löwisch (2001) Vorbem zu §§ 293–304 BGB, Rn. 1. 171 S. o., S. 65 ff. 172 Vgl. Mommsen, Mora (1855) S. 14 und 134.
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ners. Um diesen auch bei schuldlosem Annahmeverzug zu erreichen, verneinten sie die Annahmepflicht. Der Umstand, dass nach geltendem Recht für den Gläubigerverzug in den §§ 293 ff. BGB kein Verschulden erwähnt wird und auch nicht erforderlich ist, qualifiziert die zugrundeliegende Verhaltensanforderung jedoch entgegen der herrschenden Ansicht nicht zur Obliegenheit. Diese Verbindung wird zwar oft nicht ausdrücklich ausgesprochen, ist aber der eigentliche Grund für die Behauptung einer Obliegenheit173 . Das fehlende Verschuldenserfordernis für den allgemeinen Gläubigerverzug dient wie beschrieben dem Schuldnerschutz174 , denn die Interessen des Schuldners können durch den Verzug des Gläubigers erheblich betroffen werden175 . Die Annahme ist in der Regel eine Voraussetzung für die Leistungserbringung durch den Schuldner und ihre Unterlassung oder nicht ordnungsgemäße Vornahme blockiert die Leistung und damit den Vertragsvollzug im Übrigen176 . Dies spricht zugleich gegen die Annahme einer „Pflicht im eigenen Interesse“ bzw. gegen das angebliche alleinige Interesse des Gläubigers an der Erfüllung seiner „Obliegenheit“. Denn diese Sicht vernachlässigt die – aufgrund eben dieser Interesselage – bereits geregelten Rechtsfolgen177. Die seit Kohler immer wiederholte Behauptung, dass die Annahme der Leistung ein Recht, keine Pflicht des Gläubigers sei, ist grundsätzlich schon richtig und wichtig. Man sollte darüber aber nicht vergessen, dass die ganz überwiegende Zahl von Leistungen wegen einer Gegenleistung versprochen wird, deren Erhalt von der Leistung des Schuldners und damit von der Annahme durch den Gläubiger abhängt. Die Fokussierung auf das Recht des Gläubigers überdeckt also das synallagmatische Verhältnis der Rechte und Pflichten. Es gibt verschiedene gesetzliche Mechanismen, die versuchen, im Falle der Leistungsstörung durch oder während Gläubigerverzug einen Interessenausgleich herbeizuführen. Allgemein anerkannt sind die §§ 300 ff., 372 ff., 326 Abs. 2 BGB. Es ist nicht ersichtlich, warum Klagbarkeit und Schadensersatz bei
173 Explizit bei Wertheimer, JuS 1993, S. 650. Ähnlich schon Kreuzer/Stehle, JA 1983, S. 70, die dann a.a.O., S. 73 auch genau aus der Behauptung, es handele sich um eine Obliegenheit, die Verletzungsrechtsfolgen ableiten. Gegen ein solches Vorgehen ausführlich s. u. §§ 7 und 8. 174 So auch Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 293 BGB, Rn. 2; U. Huber (1999) S. 186, 197 f. 175 Kreuzer/Stehle, JA 1983, S. 70 – die allerdings gegen eine Pfl icht des Gläubigers argumentieren, er nehme lediglich sein Recht nicht wahr. 176 Darauf weist Hartmann, Mitwirkung (1997) S. 16 hin. Konkret berührt werden danach das Gefahrtragungs-, das Vertragsdurchführungs-, das Schadloshaltungs- und das Liquidationsinteresse des Schuldners, vgl. Hartmann, a.a.O. S. 16 f. Voraussetzung für diese Blockadesituation ist natürlich, dass es sich nicht um eine hinterlegungsfähige Sache i. S. d. § 372 BGB handelt. 177 Ausführlicher zum Zusammenhang von Rechtsfolgen und Interesselage s. u., S. 244 ff.
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schuldhaftem Gläubigerverzug nicht zu den möglichen Rechtsfolgen gehören sollten, nur weil sie in den meisten Fällen nicht erforderlich sind178 . g) Der Schadensersatzanspruch des Schuldners. Die in §§ 300 ff., 372 ff. BGB aufgeführten Rechtsfolgen sollen im Interesse des Schuldners in jedem Fall, also auch ohne Verschulden des Gläubigers eintreten. Das schließt aber nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes nicht aus, dass bei Verschulden des Gläubigers ein Schadensersatzanspruch des leistungswilligen Schuldners gem. § 280 Abs. 1 BGB möglich wäre. Das sieht die herrschende Meinung – naturgemäß, d. h. bei Annahme einer Obliegenheit konsequent – anders179. Es gab aber schon immer Gegenstimmen180 . Teilweise wurde auch eine Gesetzesänderung gefordert, um den bei schuldhaftem Verzug als billig empfundenen Schadensersatz gewähren zu können181. Vor der Schuldrechtsmodernisierung musste nämlich gemäß §§ 286, 326 BGB a. F. als Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches Schuldnerverzug vorliegen und die Verfechter einer Gesetzesänderung lehnten eine analoge Anwendung dieser Vorschriften (also letztlich pVV als Anspruchsgrundlage) ab. Dem Anspruch der geforderten gesetzlichen Grundlage genügt aber heute der viel weiter formulierte § 280 BGB (n. F.) 182 . 178 Ähnlich im Zusammenhang des Annahmeverzuges auch Schwarze (2008) S. 449, Rn. 13, allerdings systematisch fragwürdig mit den speziellen Mitwirkungspfl ichten als zu Klage und Schadensersatz berechtigtigenden Ausnahmen (a.a.O., S. 492 ff., Rn. 76 ff.) Leider nicht vertiefte Ansätze einer Differenzierung zwischen dem schuldlosen Annahmeverzug i. S. d. §§ 293 ff. BGB und einem Vertretenmüssen des Gläubigers bei Oertmann, AcP 116 (1918) S. 7. Dieser löst das Schadensproblem aber (speziell Nichtannahme bei Arbeitsverträgen und Nichtmitwirkung bei Werkverträgen) über die vom Gläubiger zu vertretende Unmöglichkeit, die durch die Nichtannahme bzw. fehlende Mitwirkung herbeigeführt wird (a.a.O., S. 27 f.). 179 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 150; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 293 BGB, Rn. 4; Staudinger/Löwisch (2001) Vorbem zu §§ 293–304 BGB, Rn. 1, unabhängig von der Einordnung als Obliegenheit, der allerdings im Einzelfall – wenn die Nichtannahme zugleich als Lossagung vom Vertrag zu werten sei – Schadensersatz wegen Nichterfüllung bejaht, a.a.O, Rn. 11; Erman11/Hager (2004) Vor § 293 BGB, Rn. 1; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 252, Rn. 494 (ebenfalls ohne Einordnung als Obliegenheit). 180 Vgl. Klees, La demeure (1968) S. 207 ff., 211 ff., 219, allerdings mit falschem Beleg (Esser § 76 6d) S. 329 – daran stimmt rein gar nichts), Bezug auf BGHZ 11, 80 – zu dieser Entscheidung hier S. 72 ff. – und bei gleichzeitiger Annahme einer Obliegenheit. Vorzugswürdiger ist die genaue Argumentation von Soergel12/Wiedemann (1990) Vor § 293 BGB, Rn. 2, 7, 17, 21, 22 ff. Deutliche Zweifel an der h. M. mit Verweis auf die Schuldrechtsmodernisierung und das damit etablierte System der Pflichtverletzung Schlechtriehm/Schmidt-Kessel, SchR AT6 (2005) S. 309. Vgl. auch Pennitz, HKK II/1 (2007) §§ 293–304, Rn. 23: „unvollständiges Bild der Verzugsfolgen“. 181 Palandt/Danckelmann, Einf. vor § 293 BGB bis zur 42. Auflage 1983 – danach ist die Bemerkung ohne ersichtlichen Grund weggefallen. Erwähnenswert ist, dass derselbe als einer der ersten (auch) für § 254 BGB eine „echte“ Pfl icht annahmen, vgl. Palandt9/Danckelmann (1951) § 254 BGB, Anm. 2.a). 182 Umdenken aufgrund der Schuldrechtsmodernisierung fordert auch AnwK/SchmidtKessel (2005) § 293 BGB, Rn. 1; explizit dagegen MünchKommBGB5/Ernst (2007) § 293 BGB,
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Die Nichtannahme (Pflichtverletzung) indiziert danach das Verschulden des Gläubigers. Mangelndes Verschulden muss der Gläubiger demnach selbst darlegen und beweisen (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). d) Heranziehung der Rechtsvergleichung. Für die hier vertretene Ansicht und für die Überflüssigkeit der Obliegenheitstheorien im vorliegenden Zusammenhang, sprechen neben der dogmengeschichtlichen Analyse auch rechtsvergleichende Überlegungen. Der Gläubigerverzug ohne Verschuldenserfordernis mit den Folgen der §§ 300 ff. BGB ist etwa dem französischen Code civil und im angelsächsischen Rechtskreis, aber auch im internationalen Vertragsrecht so nicht bekannt183 . Zwar gibt es Überlegungen zum Schuldnerschutz, die sich jedoch in Frankreich auf das Hinterlegungsverfahren zur Leistungsbefreiung konzentrieren. Die Artikel 1257 ff. Cc regeln nur Angebot und Hinterlegung (offre et consignation) 184 . Ebenso wird im angelsächsischen Rechtskreis der Gläubigerverzug nur im Rahmen des richtigen Leistungsangebots und der Hinterlegung gestreift. Auch im deutschen Recht wird ja die Hinterlegung nicht unmittelbar mit dem allgemeinen Annahmeverzug zusammen abgehandelt, vgl. §§ 372 ff. BGB. Neben der Hinterlegung ist aber im französischen und englischen Recht (bei Verschulden des Gläubigers) auch ein Schadensersatzanspruch des Schuldners anerkannt185 , wie er hier auch für das deutsche Recht bejaht wurde. Die Figur der Obliegenheit spielt in den genannten Rechtsordnungen keine Rolle. Sie für das deutsche Recht der Leistungsstörungen damit zu rechtfertigen, dass es beim Gläubigerverzug neben der Hinterlegung zusätzliche, speziell geregelte Rechtsfolgen gibt, überzeugt nicht. (2) Die Mitwirkung des Bestellers Zu einer besonderen Frage im Bereich des Gläubigerhandelns, nämlich der Mitwirkung des Bestellers beim Werkvertrag186 , gibt es ebenfalls sowohl die AufRn. 1 a, weil die Schuldrechtsmodernisierung das Recht des Gläubigerverzugs weitgehend unverändert gelassen habe. Man muss aber doch wohl das Gesamtgefüge betrachten. 183 Blomeyer, Art. Schuldverhältnis (1938) S. 308; Klees, La demeure (1968) S. 225; Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 5, 134 f.; Zimmermann, The Law of Obligations (1990) S. 818. Die Principles of European Contract Law behandeln nur die Hinterlegung, vgl. Artt.7:110–112; in den UNIDROIT-Prinzipien gibt es hingegen überhaupt keine Regelung des Gläubigerverzuges. 184 Vgl. dazu Klees, La demeure (1968) S. 148 ff. und über die Hinterlegung hinaus S. 155 ff.; Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 134, 139 ff. 185 Hüffer, Gläubigerhandeln (1976) S. 88 für das französische, S. 141 für das englische Recht, jeweils mwN. Für das englische commom law z. B. auch Zimmermann, The Law of Obligations (1990) S. 818. 186 Speziell die VOB/B werden hier nicht behandelt, zu diesen vgl. Scheube, Die Auftraggebermitwirkung im VOB/B-Bauvertrag – Obliegenheit oder Pflicht?, 2003; Maxem, Rechts-
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fassung als Obliegenheit als auch die als „echte“ Rechtspflicht. Grundlegend für die letztere Ansicht waren zwei BGH-Entscheidungen, die von Vertretern der ersteren Ansicht teils heftig kritisiert wurden. Daraus, wie die Jurisprudenz eine Nebenpflicht sanktioniert, erweist sich – wie Esser treffend bemerkte – (ex post) tatsächlich mehr für ihren Charakter als Pflicht, als aus „hochherzigen Grundsätzlichkeiten“ 187. aa) BGH vom 13. 11. 1953 (BGHZ 11, 80) Zwischen den Beteiligten war ein Frachtvertrag geschlossen worden. In New York hatte der Beklagte keine Ablader, woraufhin die Klägerin nach (kurzer) Fristsetzung das Schiff188 zurückzog und Schadensersatz verlangte189. Der I. Senat des BGH verneinte zwar eine Pflicht des Bestellers, die nach dem Vertrag zu befördernden Güter zu liefern und sprach von „sog. reinen ‚Gläubigerobliegenheiten‘“ zur Mitwirkung, bejahte aber dennoch eine positive Forderungsverletzung und gab – dem OLG Hamburg folgend – der Klage statt. Die Mitwirkung sei „Sache des Gläubigers“, ohne dass jedoch insoweit eine echte „Verpflichtung“ entstehe. Bei Verletzung dieser im weitesten Sinne aufzufassenden „Vertragspflichten“ sei eine Verpflichtung zum Schadensersatz begründet190 . Die Beklagte habe sich als unzuverlässig erwiesen und ein Verhalten gezeigt, dass geeignet gewesen sei, das Misstrauen der Klägerin in einem solchem Maße zu erregen, dass es ihr nicht zumutbar war, ihrerseits den Vertrag zu erfüllen, obwohl sie an sich vorleistungspflichtig war191. Zur Begründung des Schadensersatzanspruchs bezog sich der BGH unter anderem auf eine Entscheidung des Reichsgerichts. Dort hatte das Gericht ebenfalls Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung gewährt, weil die beklagte Bestellerin dem Unternehmer, der zum Holztransport verpflichtet war, die richtige Holzliste vorenthielt und den Weitertransport schuldhaft verhinderte192 . Widersprüchlich ist an der Entscheidung des BGH nur scheinbar, dass er einerseits meinte, die Gläubigerobliegenheit sei „von der Verbindlichkeit mitumfaßt“, andererseits sollte es sich dabei aber nicht um eine „echte“ Verbindlichkeit folgen der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch den Besteller beim (Bau-)Werkvertrag, in: BauR 2003, S. 952 ff., der allerdings die Frage, ob es sich um Obliegenheiten oder Nebenleistungspflichten handelt, dahinstehen lässt – jedoch mit einer erkennbaren Tendenz zu Letzterem. 187 Esser, Besprechung R. Schmidt, AcP 154 (1955) S. 50. 188 Die „Quistreham“, danach wird die Entscheidung oft benannt. 189 BGH vom 13. 11. 1953, BGHZ 11, 80 = BGH JZ 1954, 238 = NJW 1954, 229 = MDR 1954, 158 = BB 1954, 8. 190 BGHZ 11, 83. 191 BGHZ 11, 82. 192 RG vom 27. 1. 1922, RGZ 104, 15 f.
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handeln, wörtlich: „In diesem weiten Sinne umfaßt die Verbindlichkeit nicht nur alle Haupt- und Nebenpflichten, wie Vorbereitungs- und Obhutspflichten, Auskunfts- und Anzeigepflichten, Mitwirkungspflichten usw., sondern auch die sogenannten reinen „Gläubigerobliegenheiten“, zu denen z. B. beim Werkvertrag die zur Herstellung des Werkes erforderlichen Handlungen des Gläubigers (§ 642 BGB) zu zählen sind“193 . Götz warf deshalb dem BGH vor, durch „Aufweichung des Begriffs der Verbindlichkeit“ zu der „unzutreffenden Schlußfolgerung, daß die ‚schuldhafte‘ Verletzung einer Obliegenheit als pFV zu qualifizieren sei“ gekommen zu sein194 . Setzt man hingegen an die Stelle von „Verbindlichkeit“ „Schuldverhältnis i. w. S.“, so löst sich der Widerspruch auf195 und der Vorwurf von Götz geht ins Leere. Es bleibt allerdings die Frage, ob die Verletzung einer Obliegenheit schadensersatzpflichtig machen kann. Ballerstedt meinte, der Sinn der Ausführungen des BGH sei „nicht ganz klar“196 . Wieling fand die Entscheidung „bedenklich“197. Einwände gegen die Begründung des BGH hatte ursprünglich auch Lehmann198 . Dem als billig empfundenen Ergebnis – also der Schadensersatzpflicht des Gläubigers – wollte man aber nicht widersprechen199. Richtigerweise sei jedoch eine die Obliegenheit „überlagernde“ Schutz-, Neben- oder Treuepflicht anzunehmen, deren Verletzung dann zum Schadensersatz wegen pVV/ pFV führen könnte200 . Das wirkt jedoch sehr gezwungen und dient lediglich der Abstützung der Voraussetzungs- oder Obliegenheitstheorie. Der Sinn ist ebenso fraglich wie bei der Annahmepflicht des Gläubigers. Es ist zudem nicht zu erkennen, wo der Unterschied zwischen der Mitwirkungsobliegenheit und der behaupteten Treuepflicht liegen sollte. Diese sind vielmehr deckungsgleich! Oder anders formuliert: die angebliche Treuepflicht wurde hier nur erfunden, um die von Voraussetzungs- und Rechtszwangtheorie als unmöglich für Obliegenheitsverletzungen behauptete Rechtsfolge des Schadensersatzes doch zu erreichen. 193
BGHZ 11, 83. Götz, JuS 1961, S. 57. Ähnlich auch der Vorwurf bei Henß (1988) S. 82. 195 Ausführlich zur Stellung der Obliegenheiten im Schuldverhältnis i. w. S. s. u., S. 255 ff. 196 Ballerstedt, Besprechung von R. Schmidt, in: ZHR 121 (1958) S. 84 Fn. 1. 197 Wieling, AcP 176 (1976) S. 346, Fn. 47. 198 Lehmann, JZ 1954, S. 240, u. a. mit dem Argument, es würde die vom Gesetz vorgenommene Unterscheidung zwischen Schuldner- und Gläubigerverzug verwischt. Das ist aber irreführend, denn hinsichtlich der laut Lehmann verletzten Treuepflicht ist der Gläubiger der Leistung ja gerade selbst Schuldner. Die Bedenken scheinen denn auch verflogen zu sein, vgl. Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 655 mit ausdrücklichem Bezug auf BGHZ 11, 83. 199 So ausdrücklich Götz, JuS 1961, S. 59. Vgl. auch Hüffer, Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln (1976) S. 55. 200 Lehmann, JZ 1954, S. 240; Götz, JuS 1961, S. 58. Im Ergebnis so auch Armbrüster/Bickert, NZBau 2006, S. 154 und Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 31, Rn. 44. Kritik hierzu bei Soergel12/Wiedemann (1990) Vor § 293, Rn. 21. 194
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Andere Autoren nahmen daher im Anschluss an den BGH an, dass auch bei Verletzung von Obliegenheiten ein Schadensersatzanspruch entstehen könne 201. Diese eher ergebnisorientierte Herangehensweise ähnelt der oben beschriebenen zur Widerrufsbelehrungspflicht 202 . bb) BGH vom 16. 5. 1968 (BGHZ 50, 175) Die Beklagte bestellte 1963 bei der Klägerin eine Abrechnungsanlage. Die Maschinen sollten von der Klägerin hergestellt werden, jedoch musste hierzu die Beklagte Daten erarbeiten und der Klägerin mitteilen. Die Klägerin stellte die Geräte im Wesentlichen fertig, konnte die Arbeit jedoch nicht beenden, weil die Beklagte die zugesagten Daten nicht übermittelte. Nach erfolgloser Fristsetzung forderte die Klägerin Zahlung des „Kaufpreises“. Der BGH stellte fest, dass die Klägerin zwar grundsätzlich vorleistungsverpflichtet gewesen sei. Ihr sei jedoch nach Treu und Glauben eine Vorleistung gegenüber einem Schuldner nicht zuzumuten, der sich als so unzuverlässig erwiesen habe. Auch die Einrede des nicht erfüllten Vertrages müsse der Beklagten aus den angegebenen Gründen verschlossen bleiben 203 . Unter ausdrücklicher Berufung auf BGHZ 11, 80 entschied der BGH, die Verletzung der „Gläubigerobliegenheiten . . . gewährt dem Unternehmer alle Rechtsbehelfe, die ihm bei Zuwiderhandeln des Vertragsgegners gegen sonstige Verbindlichkeiten zustehen“204 . Denkbar sei auch ein Anspruch auf Erfüllung205 . Dieses Ergebnis, zu dem der BGH kam, wurde wiederum für durchaus richtig gehalten. Es wurde jedoch wie zuvor kritisiert, dass die Mitwirkung des Bestellers eine bloße Gläubigerobliegenheit sei, die keinen Schadensersatzanspruch auslösen könne206 . Unter anderen, hier nicht weiter auszuführenden Gesichtspunkten bezüglich des Problems der Vorleistungspflicht kritisiert auch Hüffer sowohl die Begründung als auch das Ergebnis der Entscheidung: diese 201 So Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 655 (Forderung bestehe nicht, sondern sog. Gläubigerobliegenheit, die schadensersatzpflichtig mache); Klees, La demeure (1968) S. 210 Fn. 3; Soergel10 /Ballerstedt (1969) § 642 BGB, Rn. 3, § 643, Rn. 5; Handkommentar4/Ebert (2005) §§ 642, 643 BGB, Rn. 2 (ohne Nennung der BGH-Entscheidung), die auch Rn. 1 von „Obliegenheiten wenn nicht sogar . . . Pflichten des Bestellers“ spricht. 202 S. o., S. 62 f. 203 BGH vom 16. 5. 1968, BGHZ 50, 175 (178) = NJW 1968, 1873. Unverständlich ist daher die Kritik Essers, der AcP 172 (1972) S. 122 meinte, der BGH hätte richtigerweise die Einreden mit § 242 BGB abschneiden müssen, „was man verbatim ablehnte“. Fragwürdig erscheint auch seine Ansicht, dass der Weg „indessen wenig [zähle], wenn ein klares Gerechtigkeitsziel imponiert“ (a.a.O., S. 122 f.). Dogmatisch konsequenter ist der Umweg über die konstruierte Treuepflicht zur Stützung der – im vorliegenden Zusammenhang ohne erkennbaren Nutzen vertretenen h. M. – keinesfalls. 204 BGHZ 50, 179. 205 BGH a.a.O. 206 Larenz, SchR I (1987) S. 389 Fn. 3.
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sei falsch 207. Hüffer meinte, der BGH hätte nur Zug-um-Zug verurteilen dürfen 208 – damit wäre aber die Lage des Klägers nicht besser geworden, weil ihm ja eben ohne die Mitwirkung des Gläubigers seine Leistung nicht möglich war, er sie also auch nicht anbieten konnte. Die Patt-Situation hätte sich fortgesetzt. Zuzustimmen ist aber Hüffers Bemerkung, dass der Obliegenheitsbegriff und der damit verbundene Theorienstreit zur Lösung entsprechender Fälle nichts beitragen, da es darum gehe, wie die sachgerechten Rechtsfolgen aus dem Gesetz abgeleitet werden können 209. cc) Die Entwicklungstendenz zur Mitwirkung des Bestellers Zwischen den beiden gerade ausgeführten Entscheidungen hatte sich der BGH in zwei Entscheidungen 210 – als ausdrückliche Folge der Kritik – von der beschriebenen Ansicht distanziert und selbst angenommen, dass in der Obliegenheitsverletzung zugleich eine Treuepflichtverletzung liegen könne. Die Tatsache, welche beiden Entscheidungen zur Mitwirkungsobliegenheit des Bestellers in die amtliche Sammlung aufgenommen wurden, ist immerhin bemerkenswert. Später bestätigte der BGH diese Rechtsprechung zu den Gläubigerobliegenheiten mehrfach 211 und bejahte unter anderem in einem ähnlich gelagerten mietrechtlichen Fall eine Rechtspflicht zur Mitwirkung, ohne sich weiter mit der Problematik auseinander zu setzen 212 . In der (allgemein-zivilrechtlichen) Literatur gibt es dementsprechend Stimmen, die entweder unproblematisch von einer Rechtspflicht zur Mitwirkung ausgehen 213 oder die ausdrücklich die Anerkennung einer „echten“ Rechts207
Hüffer, Leistungsstörungen durch Gläubigerhandeln (1976) S. 216. Hüffer (1976) S. 207 ff. (216). 209 Hüffer (1976) S. 224 f. Ähnlich auch Staudinger/Löwisch (2001) Vorbem zu §§ 293–304 BGB, Rn. 1. 210 BGH vom 20. 6. 1960, VersR 1960, 693 (694) „Erzverladungsfall“: Der Sachverhalt war ähnlich der „Quistreham“-Entscheidung, aber hier war die Verladeanlage vor Ort beschädigt; die Begründung erfolgte unter Hinweis auf die o.g. Urteilsanmerkung von Lehmann, JZ 1954, S. 238 ff.; im Ergebnis wurde aber die tatsächliche Verletzung der Treuepfl icht verneint. BGH vom 15. 11. 1962, BB 1963, 160 = Betr. 1963, 198 – hier ging es um das Kündigungsrecht des Unternehmers wegen unterlassener Mitwirkung des Bestellers; es wurde auch ein Erfüllungsanspruch thematisiert. 211 BGH vom 30. 9. 1971, NJW 1972, 99 (100); BGH vom 29. 10. 1985, NJW-RR 1986, 211 (212); BGH vom 15. 5. 1990, NJW 1990, 3008 (3009); BGH vom 24. 2. 2005, NZBau 2005, 335 (336). 212 BGH vom 13. 7. 1988, NJW-RR 1988, 1396 = LM Nr. 46 zu § 305 BGB „Registrierkassenfall“: Die Beklagte hatte sich verpfl ichtet, einem Gastronomen von ihr zu programmierende Registrierkassen zu vermieten, für die der Mieter die Programmunterlagen liefern sollte, was er nicht tat. Der Mieter klagte nun gegen die Zwangsvollstreckung aus einem früheren Prozessvergleich, in welchem der Mietzahlungsanspruch anerkannt worden war. Der BGH bestätigte den Vergleich. Es ist ausschließlich die Rede von der Mitwirkungspflicht. 213 Handkommentar4/Ebert (2005) §§ 642, 643 BGB, Rn. 1: Obliegenheiten, wenn nicht sogar . . . Pflichten des Bestellers“; Palandt67/Heinrichs (2008) § 242 BGB, Rn. 32: Mitwir208
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pflicht fordern 214 . Wohl noch überwiegend wird aber vertreten, es handele sich um eine Obliegenheit, ohne jedoch damit die Rechtsprechung des BGH in Frage zu stellen 215 . Teilweise sieht man jedoch Tendenzen des BGH zurück zu der einschränkenden Ansicht, die zugleich eine verletzte Treuepflicht fordere216 . Das ist jedoch nicht nachvollziehbar. Zwar zitiert der BGH eine diesbezügliche Entscheidung217, jedoch ohne jegliche Differenzierung zusammen mit BGHZ 11, 80 und er lässt er gerade dahinstehen, ob es sich im konkreten Fall um einen Schadensersatzanspruch aus pVV oder aus § 324 BGB a. F. wegen Vertretenmüssen, weil der Auftragnehmer die Leistung nicht mehr erbringen konnte, handele. Jedenfalls sei der geltend gemachte Anspruch auf Vergütung gegeben. Ein Statement zur Frage Obliegenheit oder Pflicht kann hier beim besten Willen nicht herausgelesen werden. Dogmatisch unkomplizierter und gegenüber der Konstruktion zusätzlicher Treuepflichten vorzugswürdig erscheint jedenfalls – hier wie in ähnlichen Fällen 218 – die Verbindlichkeitstheorie, die mit den Mitwirkungsobliegenheiten des Bestellers keine Probleme hat. Man kann jedenfalls zusammenfassend feststellen, dass der BGH und ihm folgend die überwiegende Literatur (sofern diese nicht ohnehin von einer „echten“ Rechtspflicht ausgeht) bei der Mitwirkung des Bestellers andere Rechtsfolgen für die Verletzung von Obliegenheiten anerkennt als es der herrschenden Voraussetzungs- und die Obliegenheitstheorie entspräche. Es handelt es sich bei der Mitwirkung des Bestellers um eine Obliegenheit, bei der die Theorien kungspflichten dienen Erreichung des Vertragszwecks und sind selbstständig einklagbare Nebenpflichten. 214 Hüffer (1976) S. 61 ff., 182 ff., 192 ff. (u. a.) mit rechtsvergleichenden Argumenten; Stürner, JZ 1976, S. 390; Soergel12/Wiedemann (1990) Vor § 293 BGB, Rn. 21 insbesondere mit historischen Argumenten; Hartmann, Mitwirkung (1997) S. 43 ff., 67 ff., 91. Allgemein für die hier aufgeführten und für weitere Beispiele unter dem Oberbegriff Mitwirkungspflichten mit ausdrücklichem Bezug auf die durch die Schuldrechtsmodernisierung geschaffenen Normen (u. a. §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB) Emmerich, Leistungsstörungen6 (2005) § 22, Rn. 38–43, wenn auch unter der ausdrücklichen Voraussetzung, dass den Gläubiger nach den Abreden der Parteien „ausnahmsweise eine echte Pflicht zur Mitwirkung“ trifft. Ähnlich auch Schwarze (2008) S. 492 ff., Rn. 76 ff. 215 PWW/Wirth (2006) § 642 BGB, Rn. 2; Palandt67/Sprau (2008) § 642 BGB, Rn. 2. Ähnlich widersprüchlich schon Larenz, SchR II/1 (1986) S. 371 f., der einerseits feststellt, der Besteller habe eine schadensersatzbewehrte Nebenpflicht zur Mitwirkung, andererseits aber festhält, dass die Mitwirkung lediglich „Obliegenheit“ sei; vgl. auch JurisPK-BGB2/Rösch (2004) § 631 BGB, Rn. 109, 115. 216 So Armbrüster/Bickert, NZBau 2006, S. 154, 157, die sich auf BGH NZBau 2005, 335 (336) berufen und jedenfalls für den Bau- und Architektenvertrag eine Gefährdung des Vertragszwecks zur Annahme einer „echten“ Pflicht fordern. 217 BGH VersR 1960, 693, den erwähnten „Erzverladungsfall“. 218 Vgl. die (wenn auch aus ganz anderen Gründen erfolgende) Konstruktion bei Klimke, VersR 2004, S. 296 einer „echten“ Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers aus Treu und Glauben (§ 242 BGB), die auch einen Schadensersatzanspruch auslösen könne.
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zu deren „Rechtsnatur“ bzw. Rechtsfolgen eine erhebliche Rolle spielen 219 – allerdings nur hinsichtlich der Konstruktion, nicht hinsichtlich des Ergebnisses.
3. Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz Es gibt auch als Obliegenheiten bezeichnete Verhaltensanforderungen, bei deren Verletzung niemand Klage oder Schadensersatz fordert und über deren „Natur“ daher kein wirklicher Streit besteht. Man könnte daher sagen, dass weder die Theorien Bedeutung für die Verhaltensanforderungen haben, noch umgekehrt, dass diese Rückschlüsse auf die Theorien erlauben. Der hier behaupteten fehlenden Theorienrelevanz soll im Folgenden – ohne Anspruch auf vollständige Aufzählung aller diesbezüglichen Obliegenheiten – genauer nachgegangen werden.
a) Erklärungs- oder Klarstellungsobliegenheiten Sog. Erklärungs- oder Klarstellungsobliegenheiten 220 verlangen von dem damit Belasteten ein Tätigwerden zur eigenen Rechtswahrung im weitesten Sinne. Sie ergeben sich unter anderem aus den §§ 121, 149 BGB, §§ 362, 377 HGB, bei der Duldungsvollmacht und beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Durch die Schuldrechtsmodernisierung 2002 neu hinzugekommene Obliegenheiten sind diejenige im Rahmen eines Aufwendungsersatzanspruches und die zur Nachfristsetzung im Kaufrecht. Interessant an diesen Verhaltensanforderungen ist, dass sie neben den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers besonders häufig als Beispiele aufgeführt werden, wenn es allgemein um die Obliegenheitsthematik geht. Daher sollen sie im Folgenden etwas genauer betrachtet werden. Als typische Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten werden hier die am häufigsten so bezeichneten Verhaltensanforderungen erfasst, bei denen die Bezeichnung entsprechend der h. M. auch am ehesten passt, da ihre Erfüllung tatsächlich einem Rechtserhalt dient. Atypische Tatbestände sind hingegen im Folgenden solche, die zwar ebenfalls vom Belasteten ein Tätigwerden verlangen, sich jedoch in der Sanktion von den als typisch bezeichneten unterscheiden, indem sie beispielsweise vertragliche Bindung begründen. Diese Unterscheidung ist soweit ersichtlich so bisher nicht gemacht worden 221. 219
Ähnlich schon Henß (1988) S. 81. Der Ausdruck ist insbesondere zu finden bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121 ff., 130 ff., 165 f., 185 ff.; Hanau, AcP 165 (1965) S. 236 ff. 221 Auch Scherrer (1992) S. 49 ff. unterscheidet typische und atypische Obliegenheiten, bezieht dies allerdings auf alle Obliegenheiten (also nicht nur auf Erklärungs- und Klarstel220
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(1) Die typischen Tatbestände aa) Obliegenheit zur unverzüglichen Anfechtung (§ 121 Abs. 1 BGB) Die Anfechtung muss gem. § 121 Abs. 1 BGB unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern erfolgen, sonst verliert man dieses Gestaltungsrecht. Ob es sich bei der unverzüglichen Anfechtung um eine Pflicht handele, wurde bereits seit Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 diskutiert und stets abgelehnt 222 . Seit R. Schmidt wird der Tatbestand oft als typisches Beispiel einer Obliegenheit genannt 223 . bb) Obliegenheit zur Anzeige der Verspätung (§ 149 BGB) Geht eine Willenserklärung, durch die eine Annahme des Vertragsangebotes erklärt wird, aufgrund unregelmäßiger Beförderung verspätet zu, so gilt sie als rechtzeitigt erfolgt, wenn nicht der dies erkennende Antragende unverzüglich die Verspätung anzeigt (vgl. § 149 S. 1 und 2 BGB). Der erste, der hier eine sogenannte indirekte Verpflichtung annahm, war v. Buchka 224 . Aber auch sonst fiel die Rechtsfolge auf225 . Seit R. Schmidt wird meist von einer Obliegenheit gesprochen 226 . Als Rechtsfolge der unterlassenen Anzeige verliert also der Erklärungsempfänger das Recht, sich auf die Verspätung der Annahme zu berufen. Man könnte hierin allerdings auch einen atypischen Tatbestand erblicken, wenn man bedenkt, dass in Folge der Obliegenheitsverletzung ein Vertrag zustande kommt, lungsobliegenheiten) und die Frage Leistungsfreiheit (im Versicherungsrecht = atypisch) und andere Rechtsfolgen (außerhalb des Versicherungsrechts = typisch). 222 Bereits bei Zitelmann, AT (1900) S. 166 ff., der § 121 BGB als ein Beispiel des von ihm sog. „Verschulden gegen sich selbst“ nannte. Auch Siber, Rechtszwang (1903) S. 39 erwähnt § 121 BGB kurz im Zusammenhang mit Nachteilsandrohung ohne erzwingbare Verpfl ichtung. Vgl. weiter Haymann, VersArch 1933–34, S. 960, der ebenfalls eine Pfl icht ablehnte. 223 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 130 ff.; Staudinger11/Weber (1965) Einl. vor § 241 BGB, Anm. M4, M35; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346; Soergel12/Teichmann (1990) Vor § 241 BGB, Rn. 7; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 218 f.; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145, Rn. 195; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50; Medicus, BGB AT8 (2002) Rn. 373; JurisPK-BGB2/Toussaint (2004) § 241 BGB, Rn. 17; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 121; Schulze (2008) S. 345; BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25. 224 V. Buchka (1904) S. 14 ff. 225 Herholz, AcP 129 (1929) S. 290: Sie sei aber „nur dem Anschein nach eigenartig“, „in Wahrheit wird der Zustand wiederhergestellt, als habe die Gefahr [eines Schadens für den Annehmenden, der von der Verspätung keine Kenntnis hat] garnicht bestanden“, mit ausdrücklichem Bezug zu § 249 BGB in Fn. 64. 226 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121 ff.; Staudinger11/Weber (1965) Einl. vor § 241 BGB, Anm. M4, M33; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 241 BGB, Rn. 8; MünchKommBGB4/ Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50; JurisPK-BGB2/Toussaint (2004) § 241 BGB, Rn. 17; Faust, BGB AT2 (2007) § 3 Rn. 16 f.; BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25.
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obwohl die Annahme nicht fristgerecht war und der Erklärende grundsätzlich das Risiko der Beförderung trägt. Die Einordnung als typisch oder atypisch ist aber nur insofern von Interesse, als die atypischen Tatbestände die so häufige Behauptung widerlegen, Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen sei „nur“ ein Rechtsverlust. Das faktische Zustandekommen eines Vertrages wegen versagter Möglichkeit, sich auf die Verspätung zu berufen ist aber kein Rechtsverlust im eigentlichen Sinne, höchstens eine Beschränkung der Dispositionsfreiheit, die zudem wirtschaftlich auch vorteilhaft sein kann. cc) Untersuchungs- und Rügeobliegenheit (§ 377 HGB) § 377 HGB soll für den Handelskauf eine sog. Untersuchungs- und Rügeobliegenheit 227 begründen. Die Pflicht des Käufers, die Ware sofort zu untersuchen und etwaige Mängel dem Verkäufer unverzüglich anzuzeigen, entspricht der Tradition des deutschen und österreichischen Handelsrecht und hat sich in allen modernen Zivilrechtskodifikationen durchgesetzt 228 . Bis zur deutschen Schuldrechtsreform wurden in diesem Zusammenhang auch immer § 378 HGB und §§ 464, 485 BGB genannt, die jedoch mit Wirkung zum 1. 1. 2002 alle aufgehoben wurden. Nach § 378 HGB musste man auch bei aliud-Lieferung rügen. Dass die Lieferung einer anderen Sache oder einer zu geringen Menge dem Sachmangel gleichgestellt wird, regelt schon allgemein der neue § 434 Abs. 3 BGB, daher ist eine besondere Vorschrift im Handelskauf entbehrlich. § 464 BGB a. F. betraf die Annahme einer mangelhaften Sache. Geschah diese in Kenntnis des Mangels ohne Vorbehalt der Mängelgewährleistungsrechte, so verlor man diese Rechte. § 485 BGB a. F. regelte die Mängelanzeige beim Viehkauf. Zeigt ein Kaufmann einen erkennbaren Mangel nicht unverzüglich nach Ablieferung der Sache an, so gilt die Ware gem. § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt. Der Käufer verliert damit seine Gewährleistungsrechte. Eine entsprechende Regelung enthielt schon vor dem Inkrafttreten des HGB von 1900 der Art. 347 des ADHGB von 1861. Hintergrund ist die unter Kaufleuten besonders wichtige, zügige Abwicklung des Geschäfts. Die Regelung des § 377 HGB dient dabei in erster Linie den Interessen des Verkäufers229. Dass aber der Käufer weniger schutzbedürftig sei 230 , leuchtet nicht zwingend ein. Auch hier wurde schon seit langem, also schon vor R. Schmidt, über die Stärke der Pflicht diskutiert. Bereits Siber hatte auf diesen Tatbestand hingewiesen, 227 Terminologie seit R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 180, 187 ff. Vgl. aktuell dazu etwa Mankowski, NJW 2006, S. 865 ff.; Lettl, Jura 2006, S. 721 ff.; BeckOK Bamberger/Roth/ Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25. 228 Ranieri, Europ. Obligationenrecht 3 (2009) S. 867 mwN. 229 MünchKommHGB/Grunewald (2004) § 377 HGB, Rn. 3; Lettl, Jura 2006, S. 721 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung in Fn. 1. 230 So Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 10.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
bei welchem andere Nachteile angedroht seien, als bei Rechtspflichten 231. Seit R. Schmidt geht man ganz überwiegend von einer Obliegenheit (im Sinne einer minderen Pflicht) zur Untersuchung und Rüge aus232 . Genauer müsste man eigentlich differenzieren – wie es teilweise in der Literatur auch geschieht 233 –, dass die Untersuchung selbst keine Obliegenheit sein kann, weil es umgekehrt keine Rechtsfolgen hat, wenn ohne Untersuchung gerügt wird. Übrigens wurde diese Differenzierung und damit verbunden der Verzicht auf eine Untersuchungspflicht schon bei der Entstehung des ADHGB (1861) – jedenfalls was die Fassung des Gesetzes betraf erfolglos – gefordert 234 . Aktivwerden soll der Käufer nämlich nur hinsichtlich der Rüge und an deren Unterlassen sind die Rechtsfolgen geknüpft. Hinsichtlich der durch das Gesetz geregelten Rechtsfolge gibt es jedenfalls keine Diskussionen. dd) Obliegenheit zur Untersuchung von Gebrauchtwagen? Eine weitere Untersuchungsobliegenheit wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade abgelehnt: Den Verkäufer eines Gebrauchtwagens „trifft . . . nicht die Obliegenheit, das zum Verkauf angebotene Fahrzeug auf Unfallschäden zu untersuchen“235 . Wenn der Verkäufer keine Untersuchung vorgenommen hat, darf er jedoch nur dann Unfallfreiheit zusichern, wenn er die „Begrenztheit seines Kenntnisstandes deutlich“ macht 236 .
231 Siber, Rechtszwang (1903) S. 38, 40. Später dann Planck/Siber (1914) S. 27: nur Gebot im eigenen Interesse. Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 378 f. und H. Schmitt (1939) S. 114 bezeichneten diese Verhaltensanforderung als „Rechtspflicht, die kein Schuldverhältnis“ sei – genauer dazu s. u., S. 187 f. 232 BGH vom 16. 9. 1987, NJW 1988, S. 52; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 180, 187 ff.; Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 16; Hanau, AcP 165 (1965) S. 238; Staudinger11/Weber (1965) Einl. vor § 241 BGB, Anm. M4; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346; Staub4/Brüggemann (Stand: 1983) § 377 HGB, Rn. 2, 59 ff.; Larenz, SchR II/1 (1986) S. 49, 95 und 185; Staudinger/Löwisch (2001) § 278 BGB, Rn. 38; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50; Handkommentar4/Schulze (2005) vor §§ 241–853 BGB, Rn. 20; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 121; Lettl, Jura 2006, S. 723; Grunewald, BR7 (2006) S. 59, Rn. 6. 233 Baumbach/Hopt 32 (2006) § 377 HGB, Rn. 20: die Untersuchung sei zwar der Normfall, aber auch ohne Untersuchung werden die Rechte gewahrt, z. B. bei Rüge aufgrund anderweitig erlangter Kenntnis oder einem entsprechenden Verdacht. Zwar betont Staub 4/Brüggemann (Stand 1983) § 377 HGB, Rn. 81, dass die Untersuchung einen gewissen Umfang haben müsse. Die Konsequenz einer unterbliebenen Untersuchung ist aber nicht der Verlust des Rügerechts selbst, sondern der Einwendung, der Mangel sei auch bei Untersuchung nicht zu entdecken gewesen, vgl. Staub4/Brüggemann (Stand 1983) § 377 HGB, Rn. 83. 234 Schubert (Hrsg.) Protokolle ADHGB, Bd. 2 S. 642 f. (zu Art. 257 des preußischen Vorentwurfes). 235 BGH vom 7. 6. 2006, NJW 2006, 2839 ff. (2840) Abs. 15 = BB 2006, 1984 ff. (mwN). 236 BGH a.a.O.
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Dass hier keine Obliegenheit zur Untersuchung vorliegt, ergibt sich ähnlich wie bei § 377 HGB daraus, dass es keinerlei Rechtsfolgen hat, wenn der Verkäufer die Untersuchung unterlässt. Rechtsfolgen knüpfen hingegen an die Zusicherung an, die keine Obliegenheit ist. ee) Obliegenheit zur Nachfristsetzung Die jüngste, durch das neue Schuldrecht hinzugekommene typische Erklärungsobliegenheit ist die des Käufers einer mangelhaften Sache zur Nachfristsetzung bzw. zur Gewährung der Gelegenheit zur Nacherfüllung237, insbesondere bevor er selbst eine Reparatur vornehmen lässt. Die Obliegenheit wird auch allgemeiner im Gesetz so bezeichnet, allerdings im Zusammenhang mit Geschäftsbedingungen: § 309 Nr. 4 BGB erklärt eine Klausel in AGB für unwirksam, die den Verwender von gesetzlichen Obliegenheiten zur Mahnung oder Nacherfüllungsfristsetzung befreit. Verwandt damit ist auch die Anzeigeobliegenheit wegen Mängeln bei einem Gastschulaufenthalt im Ausland, die jüngst das LG Frankenthal annahm 238 . Auch das hier geforderte Verhalten sowohl des minderjährigen Gastkindes als auch seiner Eltern soll dem Veranstalter die Chance der Nachbesserung geben. Die Obliegenheit zur Nachfristsetzung soll Voraussetzung für den Erhalt der „günstigen“ Position des Käufers sein, dem gegenüber nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde. Über die Rechtsfolgen der Verletzung ist man sich allerdings nicht einig, vielmehr handelt es sich um eine der bekanntesten Streitigkeiten seit der Schuldrechtsreform. Während die Rechtsprechung von einem völligen Verlust aller Gewährleistungsrechte bei Nichterfüllung ausgeht 239, will die wohl überwiegende Literatur dem Käufer (zumindest) den Ersatz der Aufwendungen geben, die der Verkäufer durch eine Selbstvornahme erspart hat 240 . Letztere Ansicht passt allerdings nur begrenzt zur Voraussetzungstheorie, wonach Rechtsfolge einer Obliegenheitsverletzung der eigene Rechtsverlust sei. In jedem Fall geht es aber nie um eine Erfüllungsklage für den Verkäufer oder einen Schadensersatzanspruch desselben wegen Obliegenheitsverletzung, weshalb hier die Theorien zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten gar keine Rolle spielen. 237 Noch ohne ausdrückliche Bezeichnung als Obliegenheit BGH vom 23. 2. 2005, NJW 2005, 1348 ff. (1350); mehrfach „Obliegenheit“ dann BGH vom 21. 12. 2005, NJW 2006, 1195 ff. Vgl. auch Soergel13/Gsell (2005) § 326 BGB, Rn. 42. Lorenz, NJW 2006, S. 1176 präzisiert die Obliegenheit des Käufers, dem Verkäufer die Nacherfüllung zu ermöglichen als Ausprägung der Schadensminderungsobliegenheit gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. 238 LG Frankenthal vom 11. 2. 2009 – Az. 2 S 295/08: Folge der Verletzung sei Verlust des Schadensersatzanspruchs wegen Reisemängeln. 239 BGH NJW 2005, 1348 ff. (1349) und BGH NJW 2006, 1195 ff. (1196). 240 S. Lorenz, NJW 2005, S. 1321 ff.; Herresthal/Riehm, NJW 2005, S. 1457 ff. – jeweils mwN der verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
(2) Atypische Tatbestände aa) Obliegenheit zur Anzeige der Ablehnung eines Geschäftsbesorgungsvertragsangebotes (§ 362 HGB) § 362 HGB gehört zu den schon seit über 100 Jahren problematisierten Tatbeständen 241, die aber (auch) erst seit R. Schmidt mit der Obliegenheitsdiskussion verbunden wurden 242 . Die auch Beantwortungsobliegenheit 243 genannte Anforderung des § 362 Abs. 1 HGB besteht darin, dass derjenige, der als Kaufmann geschäftsmäßig fremde Angelegenheiten besorgt, auf einen diesbezüglichen Antrag unverzüglich reagieren muss, sofern er mit dem Antragenden in Geschäftsbeziehungen steht und den Antrag nicht annehmen möchte. Schweigt er, so gilt der Vertrag als geschlossen. Durch die im Schweigen des Verpflichteten angeblich liegende Obliegenheitsverletzung244 kommt also wie bei § 149 BGB ein Vertrag zustande, hier zur Geschäftsbesorgung. Das Schweigen wird als Annahme interpretiert. Inwiefern dies eine „mindere Wirkung“ als Obliegenheitsfolge sein soll, insbesondere weil der Obliegenheitsbelastete weniger schutzwürdig sei 245 , ist allerdings nicht ersichtlich 246 . Die Vorgängervorschrift des Art. 323 ADHGB war gerade deshalb umstritten, weil es eine „Zumutung“ für den Kaufmann sei, dass er für den Schaden wegen Nichterfüllung aufkommen müsse, wenn er nicht sofort den Antrag ablehne247. Eine dem Tatbestand des § 362 HGB entsprechende Situation unter Nichtkaufleuten regelt übrigens § 663 BGB ganz anders. Hier wird als Rechtsfolge einer unterlassenen Anzeige der Ablehnung Schadensersatz aus culpa in contrahendo gewährt 248 und nur deshalb (!) nicht von einer Obliegenheit gesprochen. Ein wirklicher Unterschied zwischen den Verhaltensanforderungen in § 362 241
Siber, Rechtszwang (1903) S. 39; V. Buchka (1904) S. 14 ff. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121. Ihm darin folgend z. B. Staudinger11/Weber (1965) Einl. vor § 241 BGB, Anm. M4; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 121. 243 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 122; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 241 BGB, Rn. 8; Soergel12/Teichmann (1990) Vor § 241 BGB, Rn. 7. 244 MünchKommHGB/Welter (2001) § 362 HGB, Rn. 8. 245 So Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 10. 246 So auch Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 199 und Staub4/Canaris (Stand: 2003) § 362 HGB, Rn. 3. MünchKommHGB/Welter (2001) § 362 HGB, Rn. 15 meint denn auch, die Rechtsfolge passe nicht zur Einordnung als Obliegenheit. Das Schweigen sei eher ein Tatbestandsmerkmal, das die allgemeine Voraussetzung der Willenserklärung ersetzte. 247 Schubert (Hrsg.) Protokolle ADHGB, Bd. 2, S. 581 (zu Art. 240 des preußischen Entwurfs, aus dem später Art. 323 ADHGB wurde). 248 Vgl. bereits Siber, Rechtszwang (1903) S. 38, der auch die Rechtsfolge des § 362 HGB keineswegs als „schwach“ ansieht (a.a.O. S. 39); Herholz, AcP 129 (1929) S. 291 „rechtliche Pflicht“; Höxter (1934) S. 20. V. Buchka (1904) S. 15 hingegen nahm ohne genauere Betrachtung der Rechtsfolgen auch für § 663 BGB eine sog. indirekte Rechtspfl icht an. Für Schadens242
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HGB und § 663 BGB ist hingegen nicht ersichtlich 249. Man muss § 362 HGB nur deshalb nicht zu den Tatbeständen mit Theorienrelevanz rechnen, weil das Gesetz bereits eine (abschließende) Rechtsfolgenbestimmung enthält. Im Übrigen ist die Obliegenheit nach § 362 HGB zusammen betrachtet mit der Pflicht aus § 663 BGB einer der Tatbestände, der geeignet ist, besondere Zweifel an der herrschenden Meinung zu wecken. bb) Obliegenheiten zur Nichtduldung von Vertreterhandeln und zur Richtigstellung von kaufmännischen Bestätigungsschreiben Gelegentlich wurden auch die Duldungsvollmacht und das kaufmännische Bestätigungsschreiben als Obliegenheiten bezeichnet 250 . Die Duldungsvollmacht und das kaufmännische Bestätigungsschreiben sind grundsätzlich anerkannte, im Detail aber sehr umstrittene Institute 251, nach welchen ähnlich wie bei den anderen Erklärungsobliegenheiten, bestimmte Formen des Untätigseins sanktioniert werden. Aus dem Gedanken von Treu und Glauben wird jeweils die Rechtsfolge begründet, dass jemand, der zumutbar tätig werden konnte, sich ähnlich wie in § 362 HGB (Rechtsfolge: fingierte Annahme) so behandeln lassen muss, als hätte er eine bestimmte Erklärung abgegeben, also hier konkret: eine Vollmacht bzw. die Zustimmung zur Vertragsänderung. Rechtsfolge der Nichterfüllung der Obliegenheit ist damit ein (im Zweifel) so nicht gewolltes Rechtsgeschäft. Ein unmittelbarer Rechtsverlust ist dies hingegen nicht, höchstens eine tatsächliche Schlechterstellung, wenn die Rechtsfolgen des Rechtsgeschäfts nachteilig sind. (3) Stellungnahme Bei den zuerst als typische Erklärungsobliegenheiten behandelten Tatbeständen geht es ganz allgemein um die konkrete Geltendmachung von Rechten. Derjenige, dem ein Recht zusteht, muss dieses meist unverzüglich ausüben. Bei den atypischen Tatbeständen geht es eher um die Abwehr von Ansprüchen. Die Aufstellung aller dieser Anforderungen geschieht nicht zu dem Zweck, dass sie erfüllt werden sollen. Vielmehr liegt ihre Funktion meist darin, Verträersatz wegen c.i.c. aktueller etwa JurisPK-BGB§/Hönn (2004) § 663 BGB, Rn. 1, 11; BeckOK Bamberger/Roth/Czub (Stand 1. 10. 2007) § 663 BGB, Rn. 1, 4. 249 So schon Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 199. 250 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121 ff., 124 ff.; Staudinger11/Weber (1965) Einl. vor § 241 BGB, M34 („Anscheinsvollmacht“); Hanau, AcP 165 (1965) S. 240; Soergel10 /R. Schmidt (1967) Vor § 241 BGB, Rn. 8. 251 Vgl. dazu Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 42; Soergel12/Teichmann (1990) Vor § 241 BGB, Rn. 7; Medicus, AT8 (2002) S. 174 f., Rn. 440 ff. und S. 369 f., Rn. 930; Faust, BGB AT2 (2007) § 2 Rn. 9 und § 26 Rn. 39 f. mwN.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
ge oder Leistungsstörungen schnell und effektiv abzuwickeln 252 . Der Begünstige soll schnell Klarheit und damit Rechtssicherheit erlangen 253 , ob und gegebenenfalls welchen Ansprüchen er ausgesetzt ist (so bei § 121 BGB, §§ 362, 377 HGB und der Nachfristsetzung) bzw. welche ihm sicher zustehen (Sinn von § 149 BGB, der Duldungsvollmacht und dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben). Besonderheiten der Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten gelten vor allem hinsichtlich der Interessenlage. Bei allen diesen Verhaltensanforderungen liegt ihre Erfüllung – anders als etwa bei denjenigen an den Versicherungsnehmer – überhaupt nicht im Interesse des anderen Teils254 . Der Begünstigte profitiert gerade von der Nichterfüllung dieser Obliegenheiten. Dass es sich um schadensersatzbewehrte oder klagbare Pflichten handele, wird grundsätzlich nicht vertreten 255 . Somit haben die Theorien hier keine Bedeutung. Daher ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet die meisten Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten 256 – neben denjenigen des Versicherungsrechts, die doch hiervon gerade so sehr verschieden sind – am häufigsten als typische Beispiele für Obliegenheiten genannt werden. Gemeinsamkeiten mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers sind für die Erklärungsobliegenheiten nicht ohne weiteres erkennbar – insbesondere nicht bei den Obliegenheiten im Rahmen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens und bei der Duldungsvollmacht. Wenn überhaupt, dann ist es der 252 Ausdrücklich für die Rügepflicht Horn 2/Emmerich/Hoffmann (2005) § 377 HGB, Rn. 4; Lettl, Jura 2006, S. 721, 723. Für § 362 HGB Baumbach/Hopt32 (2006) § 362 HGB, Rn. 3; Regelungsgrund sei der Schutz des Handels- und Berufsverkehrs. 253 Das gestehen auch zu R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121, 130; Hanau, AcP 165 (1965) S. 238. Vgl. auch MünchKommHGB/Grunewald (2004) § 377 HGB, Rn. 3: es geht ausschließlich um den Schutz des Verkäufers. 254 Ähnlich schon H. Schmitt (1939) S. 117 und Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 219 für § 121 BGB. Dagegen meinte R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 130, bei § 121 BGB habe der Verpflichtete ein Interesse daran, seine Willenserklärung zu beseitigen – dieses ist jedoch ohne Zusammenhang zu der behaupteten Obliegenheit. 255 Beispielsweise Josef, Kommentar (1908) Zusatz I. B. zu § 1 VVG, S. 17, der wohl erste Vertreter der Verbindlichkeitstheorie (zu diesem näher s. u., S. 170), nannte § 377 HGB als Beispiel einer Pfl icht, aber nur mit Verwirkungsrechtsfolge. Auch Ritter, Kommentar2 (1932) zu § 377 HGB, S. 552, 556 lehnte zwar jegliche Untersuchungspfl icht ab, bejaht aber eine Anzeigepflicht, für die er jedoch lediglich die Anwendung der §§ 242, 276, 278 BGB fordert. Ähnlich auch Horn 2/Emmerich/Hoffmann (2005) § 377 HGB, Rn. 45 f., die (ohne Theorienerwähnung und Konsequenzen) ausschließlich von einer Rügepfl icht sprechen. Hartwig, Eigenverantwortung (1993), S. 261 hingegen, der sonst die Verbindlichkeitstheorie vertritt (vgl. a.a.O., S. 250 ff.), spricht für §§ 464 BGB a. F., 377 HGB von Gegenbeispielen zu Verbindlichkeiten, nämlich „Verhaltenslasten“. Eine Ausnahme findet sich bei Medicus, AT8 (2002) § 26 Rn. 373 für die schuldhafte Verletzung der „Obliegenheit in § 149“, der Vertrauensschadensersatz aus c.i.c. gibt. 256 Mit Ausnahme der Duldungsvollmacht und des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, für welche seltener vertreten wird, dass es überhaupt Obliegenheiten seien.
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angebliche Rechtsverlust – der aber nur für die typischen Tatbestände als Rechtsfolge passt. Wegen der fehlenden Vergleichbarkeit mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers wurde gegen R. Schmidt selbst von seinen Anhängern schon oft die Einordnung dieser Verhaltensanforderungen als Obliegenheiten abgelehnt 257. Zusammenfassend kommt man zu dem verblüffenden Befund, dass die angeblich für Obliegenheiten grundsätzlich so typischen Eigenschaften durch die herrschende Ansicht gerade an denjenigen Tatbeständen demonstriert werden, bei denen das nur teilweise stimmt und wo zudem die verschiedenen Theorien gerade keine Auswirkungen haben.
b) Erkundigungs- oder Nachforschungsobliegenheiten In verschiedenen Zusammenhängen, in denen diskutiert wird, ob jemanden eine Informationspflicht treffe oder nicht, wird gelegentlich auch von einer Obliegenheit gesprochen, manchmal genauer von einer Erkundigungs- oder Nachforschungsobliegenheit. Zwei Beispiele sollen hier näher behandelt werden 258 . (1) Nachforschungsobliegenheit des Erklärungsempfängers Vereinzelt wird von einer Nachforschungsobliegenheit des Erklärungsempfängers bei elektronischer Post gesprochen 259. Wer seine E-Mail-Adresse im Geschäftsverkehr angibt, müsse eingehende Post auch regelmäßig abrufen, da diese als zugegangen gilt, wenn sie beim Provider zugehe. Nachteile würden aufgrund möglicher Verfristung der Antwort drohen. Dann müsste man aber konsequenterweise auch von einer Nachforschungsobliegenheit, seinen Briefkasten zu leeren und die Post auch zu lesen sprechen, was soweit ersichtlich aber nicht getan 257 Allgemein ablehnend Ballerstedt, ZHR 121 (1958) S. 85, in seiner sonst sehr lobenden Besprechung zu R. Schmidt. Für § 121 BGB Esser, SchR4 (1970) S. 32. Ablehnend für § 377 HGB Schürmann (1972) S. 37, der sonst R. Schmidt sehr kritiklos folgt. Vgl. außerdem Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 198 ff. (zu § 362 HGB); K. Schmidt, HandelsR 5 (1999) S. 405 und Staub4/Canaris (Stand: 2003) § 362 HGB, Rn. 3. 258 Erwähnt sei weiter die vom BGH (vom 29. 11. 1994, NJW 1995, 776) abgelehnte, aber dort nicht als solche bezeichnete Obliegenheit des Patienten, sich genauerer Kenntnisse hinsichtlich einer deliktischen Schädigung durch einen Arzt zu verschaffen bei BeckOK Bamberger/Roth/Spindler (Stand 1. 10. 2007) § 823 BGB, Rn. 779: „Obliegenheit“. Zum durch das MoMiG vom 26. 6. 2008 entstanden Spezialfall der sog. Prüfungsobliegenheit nach § 40 Abs. 2 GmbHG n. F. als Voraussetzung eines gutgläubigen Erwerbs von Gesellschaftsanteilen vgl. Bednarz, BB 2008, S. 1854 ff. In diesem Zusammenhang auch für eine Obliegenheit des Geschäftsführers oder Notars zur Erstellung einer richtigen Gesellschafterliste der GmbH Apfelbaum, BB 2008, S. 2470 ff., wo allerdings auch oft die Bezeichnung als „Pflicht oder Obliegenheit“ vorkommt. 259 Ultsch, NJW 1997, S. 3007.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
wird. Letztlich geht es auch nur um die Frage, was der Herrschaftsbereich des Erklärungsempfängers ist, d. h. wann der Zugang einer Willenserklärung erfolgt ist. (2) Sachenrechtliche Erkundigungsobliegenheit (§ 932 BGB) Ein Erwerb beweglicher Sachen von Nichteigentümer ist grundsätzlich gem. § 932 BGB bei Gutgläubigkeit des Erwerbers möglich. Allerdings trifft diesen Erwerber gelegentlich eine sogenannte Nachforschungsobliegenheit 260 – wenn diese auch grundsätzlich eher abgelehnt wird 261. Bei Vorliegen besonderer Umstände und Anhaltspunkte, die – analog dem Missbrauch der Vertretungsmacht – Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, soll der Erwerber im Einzelfall die wirkliche Eigentumslage genauer klären. Ein Beispiel lieferte die Entscheidung des OLG München, wo eine wertvolle Gragnani-Geige in einem Lokal in Bahnhofsnähe deutlich unter dem Verkehrswert verkauft und übereignet wurde262 . Dem Erwerber wird bei Vorliegen solcher besonderer Umstände grob fahrlässige Unkenntnis vorgehalten, die nach der Definition des § 932 Abs. 2 BGB der Gutgläubigkeit entgegen steht. Die an den Erwerber gestellte Verhaltensanforderung („Nachforschungsoder Erkundigungsobliegenheit“) dient also wie beim Missbrauch der Vertretungsmacht dazu, den Sorgfaltsmaßstab genauer zu klären, den der Erwerber für einen gutgläubigen Erwerb erfüllen muss. Es geht um einen Verschuldensgrad und nicht etwa um ein konkret gewünschtes Verhalten zum Erhalt einer Rechtsposition. Den Erwerber trifft bei Nichterfüllung der Obliegenheit kein Rechtsverlust. Aber er kann eben nicht gutgläubig erwerben, weil ihm vorgeworfen wird, grob fahrlässig keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass der Veräußerer nicht Eigentümer ist.
260 So explizit gegen die sonst häufige Bezeichnung als Pflicht R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 307; MünchKommBGB4/Quack (2004) § 932 BGB, Rn. 41; Vieweg/Werner, Sachenrecht 2 (2005) § 5, Rn. 24. Bezeichnung ohne Differenzierung sowohl als Pflicht als auch als Obliegenheit bei BeckOK Bamberger/Roth/Kindl (Stand 1. 5. 2009) § 932 BGB, Rn. 20. Entsprechend auch hinsichtlich der Gutgläubigkeit im Rahmen der Ersitzung MünchKommBGB4/Baldus (2004) § 937 BGB, Rn. 24. Ähnlich nimmt MünchKomm4/Wacke (2004) Vor § 873 BGB, Rn. 14 für Immobilien eine (allgemeine?) „Obliegenheit zur Einsicht in das Grundbuch“ als Voraussetzung für dessen Publizitätswirkung an. 261 Seit BGH vom 5. 2. 1975, NJW 1975, 735 (736). Vereinzelt wird in der Literatur ohne konkreten Verdacht die Nachforschung für erforderlich gehalten, allerdings auch nur in Ausnahmefällen, vgl. MünchKommBGB4/Quack (2004) § 932 BGB, Rn. 45 mwN Fn. 104. 262 OLG München vom 12. 12. 2002, NJW 2003, 673 – allerdings ohne die Bezeichnung als Obliegenheit. Weiteres Beispiel BGH vom 9. 2. 2005, Az. VIII ZR 82/03 mit Besprechung Ebert in: jurisPR-BGHZivilR 14/2005 Anm. 2: Obliegenheit von Leasinggebern, sich Informationen über die üblichen Abreden zwischen Hersteller und Händler zu verschaffen.
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c) Dokumentationsobliegenheiten In einer neuen BGH-Entscheidung diskutierte das Gericht, ob Kreditinstitute eine „Pflicht oder Obliegenheit zur schriftlichen Dokumentation der Erfüllung ihrer Beratungs- und Aufklärungspflichten“ haben 263 . Diese wurde im Ergebnis abgelehnt. Rechtsfolge einer gegenteiligen Annahme wäre eine Beweislastumkehr oder Beweislasterleichterungen gewesen 264 . Im gleichen Zusammenhang der Beweislastverteilung steht die ebenfalls neue (bejahte) Dokumentationsobliegenheit des Arbeitgebers hinsichtlich seiner Entscheidungsfindung bei der Personalauswahl. Verletzt er sie, wird er nicht mit seinen Einwendungen gegen die eine Beweislastumkehr auslösenden Indizien des § 22 AGG gehört 265 . Vergleichbare Dokumentationsanforderungen eines Vertragspartners werden – sofern dies überhaupt geschieht – mit § 242 BGB begründet, weshalb sie an dieser Stelle behandelt werden sollen. Wie gleich zu zeigen ist, handelt es sich aber um prozessrechtliche „Obliegenheiten“266 . Der eine Vertragspartner habe die Belange des anderen wahrzunehmen; diese oft auch „Pfl ichten“ genannten „Obliegenheiten“ werden etwa für Ärzte und Rechtsanwälte angenommen 267. Irritierend ist, dass diese „Obliegenheit oder Pflicht“ stets im Rahmen eines Schadensersatzanspruches thematisiert wird. Jedoch geht es gar nicht um einen Anspruch aus Verletzung der Dokumentationsanforderung, sondern jeweils umstritten ist die Erfüllung von Beratungs- und Aufklärungspflichten. Die Dokumentation kann dabei nur dem Beweis der erfüllten Beratungs- und Aufklärungspflichten dienen, den Schadensersatzanspruch also abwehren, und ist also keine selbständige Verpflichtung. Auch die Rechtsfolge entspricht nicht dem, was die herrschende Ansicht für Obliegenheiten behauptet, dass nämlich ihre Verletzung zu einem materiellen Rechtsverlust führe. Das wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber grundsätzlich so gemeint, wie sich an den typischen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers unschwer erkennen lässt. Es käme wohl niemand auf die Idee, andere, für Pflichtverletzungen typische Rechtsfolgen wie Schadensersatz für die Verletzung der Dokumentationsobliegenheit selbst zu fordern. Insofern spielt es auch keine Rolle, welche Theorie man im Allgemeinen vertritt. Dokumentationspflichten haben keine Theorienrelevanz. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich bei den sog. Doku263
BGH vom 24. 1. 2006, BGHZ 166, 56 = NJW 2006, 1429 ff. BGH, NJW 2006, S. 1430. 265 LAG Berlin-Brandenburg vom 26. 11. 2008, Az.: 15 Sa 517/08, Leitsatz 5 und Rn. 119. Zwiespältig an der Entscheidung ist, dass schon die Beweislastumkehr des § 22 AGG als solche umstritten ist und die Position des Arbeitgebers nun weiter verschlechtert wird. 266 Zu diesen allgemein s. u., S. 101 f. 267 BGH vom 3. 12. 1976, BGHZ 72, 132 (138); BGH vom 12. 2. 1992, NJW 1992, 1695 (für Steuerberater und Rechtsanwälte). 264
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
mentationsobliegenheiten nur um prozessrechtliche Beweislastregeln handelt, nicht um materielle Verhaltensanforderungen.
d) Die Obliegenheiten des insolventen Schuldners In § 295 der Insolvenzordnung (InsO) sind die „Obliegenheiten des Schuldners“ aufgeführt. Nach der Literatur soll es sich hier um „Rechtsgebote im eigenen Interesse“ und „Verhaltensanforderungen in eigener Sache“ handeln 268 . Die Erfüllung der insolvenzrechtlichen Verhaltensanforderungen ist sowohl im Interesse des Schuldners, da er ja gerade die Restschuldbefreiung erlangen will, als auch im Interesse der Gläubiger, um deren Befriedigung sich der Schuldner intensiv bemühen muss. Nach der Definition R. Schmidts sind „Obliegenheiten“ nur teleologische Nötigungstatbestände269, also solche Verhaltensanforderungen, bei deren Nichtbefolgung ein Nachteil angedroht wird, um zu dem entsprechenden Verhalten anzuhalten. Auch die Verfechter der herrschenden Voraussetzungstheorie bestreiten nicht die von Obliegenheiten intendierte Wirkung, dass der Belastete zur Meidung des angedrohten Nachteils zu dem entsprechenden Tun oder Unterlassen angehalten werden soll. In der Insolvenzordnung wird aber gerade ein Vorteil, nämlich die Restschuldbefreiung, für die Erfüllung der „Obliegenheiten“ in Aussicht gestellt. „Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.“ (§ 1 S. 3 InsO) Noch deutlicher ergibt sich der Zusammenhang zwischen Verhaltensanforderungen und Vorteilserlangung aus § 291 InsO, wonach „der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 nachkommt“. Nun könnte man zwar meinen, dass auch der nicht erlangte Vorteil ein Nachteil sei. Das würde zur Formulierung des § 296 Abs. 1 S. 1 InsO passen, wonach das Gericht die Restschuldbefreiung bei Obliegenheitsverstößen versagt. Teilweise wird denn auch davon gesprochen, dass ein Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 295 InsO „die Minderung oder Vernichtung der eigenen Rechtsposition“ zur Folge habe270 . Das ist aber nicht richtig. Vielmehr wird die günstige Rechtsposition nur in Aussicht gestellt271. Damit handelt es sich hier um eine 268 Wimmer3/Ahrens (2002) § 295 InsO, Rn. 8; MünchKommInsO/Ehricke (2003) § 295 InsO, Rn. 11. Smid 2/Haarmeyer (2001) § 295 InsO, Rn. 1 spricht hingegen unbefangen von „Verpflichtungen“ und „auferlegten Pflichten“. Vgl. allgemein zu den Obliegenheiten im Insolvenzverfahren auch Pape, NJW 2006, S. 2748 f. mwN. 269 Genauer s. o., S. 10. 270 MünchKommInsO/Ehricke (2003) § 295 InsO, Rn. 11. 271 So spricht Braun/Buck, InsO (2002) § 295 InsO zutreffend davon, dass der Schuldner es während der Wohlverhaltensperiode in der Hand habe, „ob er die Restschuldbefreiung erreicht“ [eigene Hervorhebung].
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ganz andere rechtliche Konstruktion als beispielsweise bei versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles oder der Anrechnung von Mitverschulden nach § 254 BGB, wo ein Anspruch wegen der Obliegenheitsverletzung gemindert wird oder verloren geht. Nach R. Schmidts Terminologie und Theorie würde es sich bei den „Obliegenheiten“ der Insolvenzordnung um teleologische Anreizungstatbestände272 handeln, also gerade nicht um Obliegenheiten. Diese sind weder Obliegenheiten im Sinne der überwiegend üblichen Begriffsverwendung noch andere, „echte“ Pflichten. Denn der Schuldner ist zu gar nichts verpflichtet, außer durch seine (alten) Verbindlichkeiten, von denen er sich ja gerade durch das Insolvenzverfahren befreien will. Die Formulierung des § 296 InsO („Verstoß gegen Obliegenheiten“), dem Schuldner werde die Restschuldbefreiung „versagt“, ändert wenig an dem beschriebenen rechtstechnischen Mechanismus. Insofern benutzen die Insolvenzordnung und ihr folgend Literatur und Rechtsprechung den Begriff „Obliegenheit“ tatsächlich im Sinne von „Voraussetzung“273 , ohne jedoch damit der Voraussetzungslehre zu entsprechen 274 , da ja keine günstige Rechtsposition erhalten bleiben, sondern erst noch erworben werden soll. Noch weniger ist die Begriffsverwendung mit der Verbindlichkeitstheorie kompatibel. Darauf kommt es aber auch nicht an, weil es wegen der gesetzlich vorgegebenen Rechtsfolge irrelevant ist, welche Theorie man zur „Rechtsnatur“ vertritt.
e) Obliegenheiten im Familien- und Erbrecht Im Familienrecht, welches trotz schuldrechtlicher Elemente deutlich vom allgemeinen Schuldrecht entfernt ist, findet sich der Begriff Obliegenheiten erstaunlich häufig – allerdings nicht im Gesetz. Zwei Ausnahmen stehen nur in § 1499 Nr. 1 BGB (der „Gütergemeinschaft obliegenden Gesamthandverbindlichkeiten“ nach dem Tode des einen Ehegatten) und § 1817 BGB (die dem Vormund „obliegenden Verpflichtungen“), wobei es sich klar um „echte“ Rechtspflichten handelt 275 .
272 Vgl. auch Wimmer3/Ahrens (2002) § 295 InsO, Rn. 2, der ausdrücklich von „Anreizen“ für den Schuldner spricht. Zur Terminologie R. Schmidts s. o., S. 10. 273 Korrekt daher Smid 2/Haarmeyer, InsO (2001) § 291 InsO, Rn. 1: Die Vorschrift (welche u. a. aufführt, dass der Schuldner den Obliegenheiten des § 295 InsO nachkommen müsse) bestimme die „Voraussetzungen, unter denen der Schuldner Restschuldbefreiung erlangen kann“ [eigene Hervorhebung]. 274 Genauer zu deren Voraussetzungsbegriff sowie Kritik dazu s. u., § 7, S. 203 ff. 275 Vgl. auch s. u., S. 124.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
(1) Unterhaltsrecht Insbesondere im Unterhaltsrecht finden sich viele von der Rechtsprechung entwickelte „Obliegenheiten“, die rechtstechnisch nur wenig mit denen des Versicherungsnehmers oder des Gläubigers zu tun haben. aa) Obliegenheiten des Unterhaltspflichtigen Es gibt beispielsweise die „Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen zum Einsatz seines Stammvermögens“276 . Dabei kann man schwerlich sagen, diese sei eine „Verhaltensanforderung zum Erhalt einer positiven Rechtsposition“ oder ein „Gebot des eigenen Interesses“277 – denn dem Unterhaltspflichtigen wird gerade durch die Annahme der Obliegenheit etwas weggenommen! Nur der Unterhaltsberechtigte hat ein Interesse an dieser Obliegenheit, durch die das (noch) vorhandene Vermögen des Verpflichteten – gegen dessen Interessen – zum Unterhalt herangezogen wird. Auch von „minderer Sanktion“ bei Verletzung dieser Obliegenheit als „Rechtsfolge“ kann schwerlich die Rede sein. Vielmehr handelt es sich um eine Verhaltensanforderung, die nur zu dem Zweck aufgestellt wurde, um eben auch das Stammvermögen in die Berechnung der Leistungsfähigkeit einbeziehen zu können. Ein weiterer Unterschied zu anderen Obliegenheiten liegt darin, dass diese oft demjenigen auferlegt sind, der (zumindest auch) Gläubiger ist. Denn genau diese Gläubigerposition wird häufig als Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung geschmälert. So wird bei der Verletzung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers meist der Anspruch auf die Versicherungsleistung gefährdet. Ein Mitverschulden des Geschädigten, also des Gläubigers einer Schadensersatzforderung, mindert seinen Anspruch usw. Bei der Obliegenheit, sein Vermögen einzusetzen, handelt es sich jedoch um eine Verhaltensanforderung an den (bloßen) Schuldner. Ähnliches gilt auch für die Obliegenheiten des Unterhaltsverpflichteten zur Einleitung einer Verbraucherinsolvenz278 oder für die gesteigerten Erwerbsobliegenheiten von Unterhaltsverpflichteten 279. 276 Ausführlich dazu jüngst der BGH vom 21. 4. 2004, NJW 2004, S. 2306 ff. = MDR 2004, S. 1000 ff. mwN. 277 So aber beispielsweise Staudinger/Engler (2000) § 1602 BGB, Rn. 103. 278 Dazu BGH vom 23. 2. 2005, NJW 2005, 1279 ff. = NZI 2005, 342 oder OLG Koblenz vom 28. 7. 2005, 7 UF 773/04 – letzteres auch zur „Obliegenheit, sich auf den Pfändungsschutz der §§ 850 Abs. 2, 850 i ZPO zu berufen“; zu beiden Obliegenheiten auch BGH vom 12. 12. 2007, NJW 2008, 851 (852). Vgl. zu diesen Obliegenheiten Hohloch, FPR 2006, S. 77 ff.; Pape, NJW 2006, S. 2745; Melchers, NJW 2008, 806 ff.; Rauscher, JR 2009, S. 65 ff. 279 In jüngerer Zeit z. B. OLG Dresden, Beschluss vom 16. 2. 2005 (Az. 21 UF 22/05), NJW-aktuell 17/2005, S. XII: Obliegenheit zum Hinzuverdienen am Wochenende trotz arbeitsvertraglichem Nebentätigkeitsverbot; BVerfG vom 29. 12. 2005, NJW 2006, 2317 f.: Obliegenheit zu bundesweiter Arbeitssuche; BGH vom 12. 4. 2006, NJW 2006, 2404 (2406) Erwerbsobliegenheit zur Aufnahme eines Nebenerwerbs. Näheres zu den Erwerbsobliegen-
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Alle diese „Obliegenheiten“ sind nicht einklagbar. Dies würde auch keinen Sinn machen, denn sie beschreiben nur das vom Schuldner für die Erfüllung seiner Unterhaltsschuld geforderte Verhalten genauer, d. h. sie konkretisieren die eigentliche, schon vorher bestehende Leistungspflicht. Der Unterhaltsschuldner muss nicht mehr, sondern nur das Gleiche erbringen, wie wenn er die „Obliegenheiten“ erfüllt hätte. Auch das ist ein entscheidender Unterschied gegenüber anderen Obliegenheiten: für den damit Belasteten ändert sich rechtlich (insbesondere im Verhältnis zum Berechtigten) nichts, unabhängig davon, ob er seine Obliegenheiten erfüllt oder nicht. Die Verschlechterung der Schuldnersituation entsteht also nicht aufgrund der Nichterfüllung, sondern schon mit der bloßen Annahme der „Obliegenheit“ und ist somit keine Sanktion ihrer Verletzung. Man könnte allerdings behaupten, dem Schuldner stehe die Erfüllung dieser „Obliegenheiten“ frei 280 , d. h. sie sei nur in seinem wohlverstandenen Interesse. Denn wenn er die Obliegenheiten erfüllt, wird ihm kein fiktives Einkommen angerechnet, sondern er hat es tatsächlich (und muss es allerdings dennoch „abliefern“). Er ist also bei Erfüllung der „Obliegenheiten“ tatsächlich zur Leistung des Unterhalts in der Lage. Im Unterschied zu anderen Obliegenheiten geht es aber hier um eine Hauptleistungspflicht bzw. um deren Bestimmung und Erfüllung. Bei den „typischen“ (sonstigen) Obliegenheiten besteht die Verknüpfung zur Hauptleistungspflicht zwar auch, etwa weil vorvertragliche Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers der Bestimmung der Hauptleistungspflichten (Prämienzahlung und Versicherungssumme) dienen oder weil als Verletzungsrechtsfolge die Leistungspflicht des Obliegenheitsgläubigers gemindert wird oder wegfällt. Das ist aber ein lockerer und anderer Zusammenhang als bei den unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten 281. Folglich wird hier zu Unrecht ein Pflichtbegriff verwendet. Aber auch von einer Voraussetzung kann keine Rede sein, da es wie beschrieben im Ergebnis für die Unterhaltsverpflichtung bzw. den Anspruch des Berechtigten keinen Unterschied macht, ob diese Verhaltensanforderungen erfüllt werden oder nicht. Diese „Obliegenheiten“ des Unterhaltsverpflichteten dienen vielmehr in erster Linie der Ermittlung des geschuldeten Unterhalts. heiten z. B. Staudinger/Engler/Kaiser (2000) § 1603 BGB, Rn. 149 ff. Weitere (ältere) Rechtsprechungsnachweise auch bei MünchKomm4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 50, der diese allerdings in einem inhaltlichen Zusammenhang mit versicherungsrechtlichen Obliegenheiten nennt. Ausführlich zur Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Büttner/Niepmann, NJW 2007, S. 2379 f. Erwerbsobliegenheiten werden im Übrigen auch gegenüber einem Versorgungsanspruch der Hinterbliebenen gegen den deliktisch Handelnden gemäß § 844 Abs. 2 BGB als Ausprägung der Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB angenommen, vgl. BGH vom 26. 9. 2006, NJW 2007, 64 ff. 280 Grundsätzlich gegen dieses Argument s. u., S. 224. 281 Genauer zum Verhältnis Haupt-/Nebenpfl icht und Obliegenheit s. u., S. 233 ff.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
Allenfalls könnte man also sagen, die unterhaltsrechtlichen „Obliegenheiten“ sind Voraussetzungen für die (fiktive) Leistungsfähigkeit des Schuldners und damit seine Unterhaltspflicht. Das hat aber nun wirklich nichts mehr mit der Voraussetzungslehre für Obliegenheiten zu tun. bb) Obliegenheiten des Unterhaltsberechtigten Entsprechendes gilt auch für die Erwerbsobliegenheiten von Unterhaltsberechtigten 282 und andere diese treffende, als Obliegenheiten bezeichnete Verhaltensanforderungen. Beispielsweise gibt es nach der Rechtsprechung „Obliegenheiten zur ungefragten Information über spätere Einkommensänderungen“ und zur „Vermögensumschichtung“283 , etwa durch Verkauf von Immobilien oder auch dazu, ein zurzeit nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehendes Vermögen als Kreditgrundlage zu verwenden 284 . Der Unterhaltsberechtigte ist zwar Gläubiger der eigentlichen Leistung und es ist – außer für ihn selbst – rechtlich unerheblich, ob er seine Obliegenheiten erfüllt, d. h. die Erfüllung liegt tatsächlich allein in seinem Interesse. Aber auch hier wird nur scheinbar als Sanktion einer Verletzung der Unterhaltsanspruch gemindert. Denn bei Erfüllung dieser Verhaltensanforderung ist der Unterhaltsanspruch der Höhe nach gleich, d. h. diese „Obliegenheit“ dient auch nur der genaueren Bestimmung der Bedürftigkeit und damit des Unterhaltsanspruchs und es bleibt dem Obliegenheitsbelasteten danach überlassen, ob er sich etwas „dazu verdient“ oder nicht. Werden hingegen alle Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer erfüllt, so ist der entscheidende Unterschied gegenüber ihrer Nichterfüllung, dass der volle Anspruch auf die Versicherungsleistung erhalten bleibt, sofern Leistungsfreiheit oder Rücktritt als Sanktionsfolgen vorgesehen sind. Entsprechendes gilt für andere Rechtsfolgen. Das gleiche gilt für die Schadensminderungsobliegenheit des § 254 Abs. 2 BGB: wird sie erfüllt, bleibt der volle Schadensersatzanspruch erhalten. Der Schädiger muss also dadurch mehr zahlen 285 . 282 Grundsätzlich dazu Staudinger/Engler (2000) § 1602 BGB, Rn. 104 ff.; MünchKommBGB5/Born (2008) § 1602 BGB, Rn. 6 ff. Speziell für den Obliegenheiten des geschiedenen Ehegatten (i.d.R. ist es die Gattin) nach § 1574 BGB vgl. Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 219 mwN, der eine große Nähe zu den Obliegenheiten des § 254 BGB sieht. Zu dem im seit dem 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Unterhaltsrecht enthaltenen neuen Grundsatz der nachehelichen Eigenverantwortung im Zusammenhang mit Erwerbsobliegenheiten OLG Düsseldorf Beschluss vom 16. 10. 2008, NJW 2009, 60 ff. Zur Erwerbsobliegenheit bei befristetem Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB OLG Köln vom 27. 5. 2008, Az. 4 UF 159/07 und dazu Viefhues, jurisPR-FamR 1/2009 Anm. 4. Zur Obliegenheit zur Inanspruchnahme einer kindgerechten Betreuungsmöglichkeit BGH vom 18. 3. 2009, Az.: XII ZR 74/08, Rn. 25 ff. und BGH vom 17. 6. 2009, Az.: XII ZR 102/08, insb. Rn. 22. 283 Zu beidem BGH vom 16. 4. 2008, NJW 2008, 2581 (2582 ff.). 284 BGH vom 23. 11. 2005, NJW 2006, 2037 (2039). 285 Daher ist die von Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 219 gezogene Parallele zwischen § 254 BGB und § 1574 BGB nicht überzeugend.
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Mit anderen Worten: der Unterhaltsberechtigte ist nur bedürftig und damit anspruchsberechtigt, soweit er trotz zumutbarer eigener Bemühungen, d. h. beispielsweise Erfüllung von Erwerbsobliegenheiten, nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten. Von einem Rechtsverlust als Sanktion nichterfüllter Obliegenheiten sollte also auch hier keine Rede sein. cc) Zwischenergebnis Die untersuchten unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten haben ganz andere Konsequenzen, als die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, Gläubigerobliegenheiten oder die Verhaltensanforderungen des § 254 BGB. Den typischen Obliegenheiten vergleichbarer ist hingegen die Ausbildungsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten 286 ; hier geht tatsächlich ein schon bestehender Anspruch (auf Ausbildungsunterhalt) verloren, wenn diese Obliegenheit nicht erfüllt wird. Ein Einstehen für das Verhalten Dritter bei Erfüllung der typischen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten kann hier schon aufgrund der besonderen familienrechtlichen Bindungen, die zu Unterhaltspflichten führen können, zu deren konkreter Bestimmung wiederum die genannten Obliegenheiten beider Seiten dienen, kein Thema sein. Ein weiteres Argument für die gänzlich andere Struktur dieser Verhaltensanforderungen liefert die Tatsache, dass die Folgen einer Zurechnung fiktiven Einkommens nachträglich wieder wegfallen können, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen 287. Auch dies zeigt, dass die harten Rechtsfolgen an die Leistungsfähigkeit (bzw. umgekehrt an die Bedürftigkeit) anknüpfen, und nicht in erster Linie an die Obliegenheitsverletzung. Es handelt sich somit um deutlich andere Verhaltensanforderungen, als diejenigen, die typischerweise außerhalb des Unterhaltsrechts als Obliegenheiten bezeichnet werden. Es ist daher auch kein Zufall, dass sie in der Untersuchung R. Schmidts noch keine Erwähnung fanden. Erst später wurde der Begriff „Obliegenheit“ auf sie ausgedehnt. (2) Obliegenheiten zur Rücksichtnahme Familiäre und familienrechtliche Bindungen machen besondere Rücksicht untereinander erforderlich, was auch im Gesetz Erwähnung findet. So sind die 286
Vgl. dazu Staudinger/Engler/Kaiser (2000) § 1610 BGB, Rn. 91 ff. (94). Vgl. OLG Hamm vom 24. 5. 2006, 11 UF 237/05, NJW-aktuell, Heft 42/2006, S. XII: Hier war ursprünglich fiktives Einkommen angerechnet worden, später hatte der Unterhaltsverpflichtete einen Unfall, der zu mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit führte. Die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit führte (über weitere Fiktionen) im Ergebnis zur Beendigung der Einkommensfiktion. 287
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
Ehegatten gem. § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB „einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet“ und „tragen füreinander Verantwortung“. Daraus werden wechselseitige „Obliegenheiten“ zur Rücksichtnahme und zum Konsens abgeleitet 288 . Das besondere an diesen Verhaltensanforderungen ist, dass sie nicht vollstreckbar sind (§ 888 Abs. 3 ZPO). Überwiegend wird aber von der „Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft“ (einschließlich geschlechtlicher Gemeinschaft) gesprochen und betont, diese sei echte Verbindlichkeit und klagbar289. Selbst Siber – auf den so viele der Zweifelstatbestände zurückgehen 290 – bejahte hier eine echte Rechtspflicht 291, allerdings im Zusammenhang mit Ausführungen zur „Schuld ohne Haftung“, was zumindest mitursächlich für die Diskussion zu den ehelichen Pflichten gewesen sein dürfte. Der Wortgebrauch „Obliegenheit“ passt also höchstens zur Verbindlichkeitstheorie. Allerdings scheint auch allgemein ein gewisses Unbehagen vorhanden zu sein, was angesichts des Themas nicht verwundert. Es zeigt sich u. a. darin, dass in den Kommentaren diese Frage so breite Erörterung erfährt. Wie Ehegatten sind auch Eltern und Kinder sich gegenseitig Beistand und Rücksicht schuldig (§ 1618 a BGB). Im Zusammenhang mit dieser Parallelvorschrift, deren amtliche Überschrift immerhin von einer Pflicht spricht, wird ebenfalls ausführlich die rechtliche Qualität der daraus abzuleitenden Verhaltensanforderungen thematisiert 292 . Ganz überwiegend werden auch sie als „echte“ Rechtspflichten, wenn auch ohne unmittelbaren Rechtszwang, angesehen 293 . Umstritten ist dagegen, ob aus § 1618 a BGB konkrete Ansprüche abzuleiten sind 294 . Damit ist man bei den Fragen, welche Bedeutung der Rechtszwang für die Annahme einer Rechtspflicht bzw. eines Anspruchs hat und in welchem Verhältnis Rechtspflicht und Anspruch stehen, welchen später genauer nachgegangen werden soll 295 . Hier ist nur zu konstatieren, dass auch für familiäre Rücksichtnahmepflichten, also für weitere familienrechtliche Verhaltensanforderungen neben 288
Brudermüller, NJW 2004, S. 2267; Wörlen, Familienrecht (2008) S. 44 Rn. 124. Staudinger13/Hübner/Voppel (2000) § 1353 BGB, Rn. 17 ff. (19–20); MünchKommBGB4/Wacke (2000) § 1353 BGB, Rn. 14, der jedoch auch Gemeinsamkeiten mit Obliegenheiten sieht; Palandt67/Brudermüller (2008) § 1353 BGB, Rn. 2, 14–16; Ermann12/Gamillscheg (2008) § 1353 BGB, Rn. 3. 290 S. u., S. 139 ff. 291 Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 64. 292 Z. B. Staudinger13/Coester (2000) § 1618 a BGB, Rn. 10; MünchKommBGB4/v. Sachsen Gessaphe (2002) § 1618 a BGB, Rn. 2. 293 Neben den in der vorhergehenden Fußnote Genannten auch Eidenmüller, JuS 1998, S. 790; Palandt67/Diederichsen (2008) § 1618 a BGB, Rn. 2; D. Schwab, Familienrecht16 (2008) S. 269 f., Rn. 573; Wörlen, Familienrecht (2008) S. 153, Rn. 262. Vgl. auch BGH vom 24. 2. 1994, BGHZ 125, 206 ff. (214). 294 Vgl. Staudinger13/Coester (2000) § 1618 a BGB, Rn. 11–16. 295 S. u., S. 242 ff. 289
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den unterhaltsrechtlichen, gelegentlich der Begriff „Obliegenheit“ benutzt wird, obwohl das nicht mit der überwiegenden Ansicht konform geht, die eine echte Rechtspflicht bejaht. (3) Aufklärungsobliegenheiten bei Eingehung der Ehe Arglistige Täuschungen bei Eingehung einer Ehe können zur Aufhebung der Ehe gemäß § 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB führen. Im Rahmen des Tatbestandmerkmals der Täuschung gibt es ähnlich wie bei § 123 Abs. 1 BGB das Erfordernis einer Aufklärungspflicht, sofern ein Täuschen durch Unterlassen vorliegt. Soweit ersichtlich ist im Zusammenhang mit § 123 BGB die Bezeichnung als Obliegenheit nicht üblich, im Rahmen des § 1314 BGB findet sich die Begriffsverwendung jedoch neuerdings in der Rechtsprechung296 . Gegenstand der Täuschung kann jeder Gegenstand sein, der den Ehegatten bei Kenntnis der Sachlage und richtiger (verständiger) Würdigung des Wesens der Ehe von deren Eingehung abgehalten hätte297. Eine Aufklärungspflicht besteht (unabhängig von der Bezeichnung derselben) immer dann, wenn der Partner ein erkennbares, besonderes Interesse an der Offenbarung hat 298 . Auch wenn scheinbare Rechtsfolge der unterlassenen Aufklärung ein Rechtsverlust, nämlich die Aufhebung der Ehe ist, handelt es sich hier – wie bei einer Aufklärungspflicht im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB und etwa auch bei den unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten 299 – nicht um selbständige Verhaltensanforderungen, sondern lediglich um nähere Ausgestaltungen anderer Tatbestandmerkmale. Bei den unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten geht es um die Voraussetzung der Bedürftigkeit oder Leistungsfähigkeit, bei § 123 und § 1314 BGB jeweils um die Frage, wann eine Täuschung vorliegt. Die verschiedenen Theorien zu den Obliegenheiten spielen daher keine Rolle. Man könnte zwar an einen Schadensersatzanspruch als Folge der fehlenden Aufklärung denken. Jedoch würde dieser (ebenfalls) an die Täuschung, nicht an die unterlassene Aufklärung anknüpfen.
296 OLG Stuttgart vom 22. 3. 2005, FamRZ 2005, 158 f. (Obliegenheit der Schwangeren zur Offenbarung des Mehrverkehrs, aber nur auf Nachfrage); Brandenburgisches OLG vom 10. 5. 2006, NJW 2006, 2861 f. (Obliegenheit, ungefragt eine längere Prostitution zu offenbaren). 297 MünchKommBGB4/Müller-Gindullis (2000) § 1314 BGB Rn. 16; Beck OK Bamberger/Roth/Hahn (Stand 1. 5. 2009) § 1314 BGB, Rn. 4. 298 Mit weiteren Beispielen Palandt67/Brudermüller (2006) § 1314 BGB, Rn. 11, allerdings ohne Bezeichnung als Obliegenheit, sondern als „Offenbarungspflicht“. 299 S. o., S. 90 ff.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
(4) Die Inventarerrichtung durch den Erben Die Errichtung eines Inventars i. S. d. §§ 1993 ff. BGB ist die Einreichung einer Aufstellung des Nachlasses beim zuständigen Nachlassgericht. Der Zweck eines solchen Inventars liegt darin, den Gläubigern einen Überblick über den Stand des Nachlasses zu geben. Hierin wird oft eine Obliegenheit des Erben gesehen, weil der Erbe dazu nicht verpflichtet ist 300 . Es handelt sich um eine schon sehr lange wegen ihrer Pflichtigkeit thematisierte Verhaltensanforderung301. Die Inventarerrichtung ist grundsätzlich freiwillig302 . Sie hat nicht die Wirkung einer Haftungsbeschränkung. Anders war das noch im gemeinen Recht, wo durch die Inventarerrichtung die Haftungsbeschränkung eintrat; abgeleitet wurde dies aus dem Codex Justinians (C. 6, 30, 22). Unterbleibt die Inventarerrichtung heute, so geschieht zunächst einmal gar nichts. Es gibt nur die Vermutung des § 2009 BGB, das Inventar sei richtig, wenn es fristgerecht errichtet wurde, was Bedeutung im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage des § 767 ZPO hat303 . Sind die Angaben im Inventar jedoch absichtlich falsch, um die Nachlassgläubiger zu benachteiligen, so verliert der Erbe nach § 2005 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, die Haftung für bestehende Verbindlichkeiten auf den Nachlass zu beschränken. Die gleiche Wirkung tritt gem. § 1994 Abs. 1 S. 2 BGB ein, sofern das Gericht dem Erben auf Antrag eines Nachlassgläubigers eine Frist zur Errichtung des Inventars gesetzt hat und der Erbe diese fruchtlos verstreichen lässt. In diesen beiden Konstellationen kann man von einem Rechtsverlust in Folge einer nichterfüllten Verhaltensanforderung sprechen. Würde es allerdings die gesetzlich geregelte Rechtsfolge nicht geben, würde man den Gläubigern typischerweise einen Schadensersatzspruch gewähren. Die spezielle Rechtsfolge der unbeschränkten Erbenhaftung ist jedoch im Rahmen der allgemeinen erbrechtlichen Regelungen passgenauer. Daher ist die Rechtsfolge auch nicht umstritten, weshalb auch hier die Obliegenheitstheorien keine Auswirkungen haben.
300 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 308 ff.; Wieling, AcP 176 (1976) S. 346; Staudinger/ Olzen (Neubearb. 2005) § 241 BGB, Rn. 121. Enneccerus/Lehmann (1958) S. 9 sprach von einer Bedingung; MünchKomm4/Siegmann (2004) § 1994 BGB, Rn. 15 spricht von einer „nicht erzwingbare(n) Last“. 301 Siber, Rechtszwang (1903) S. 40, 67, vgl. auch v. Buchka (1904) S. 35–39; Planck/Siber (1914) S. 27; Höxter (1934) S. 33; H. Schmitt (1939) S. 115. 302 Vgl. §§ 1993 („Der Erbe ist berechtigt, . . .“), 1994 Abs. 1 S. 2, 2001, 2005 BGB. 303 Vgl. JurisPK-BGB2/Hartig (2004) § 2009 BGB, Rn. 12.
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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f) Weitere Obliegenheiten im Arbeits- und Sozialrecht Neben der schon kurz angesprochenen Dokumentationsobliegenheit 304 ist im Arbeits- und Sozialrecht noch von weiteren Obliegenheiten die Rede. Das soll im Folgenden zumindest angedeutet werden 305 . Es gibt etwa die sozialrechtliche Meldeobliegenheit nach § 37 b SGB III. Arbeitnehmer müssen sich danach unmittelbar nach Beendigung eines Versicherungspflichtverhältnisses, insbesondere nach Erhalt einer Kündigung beim Arbeitsamt (heute: Agentur für Arbeit) melden. Das Bundesarbeitsgericht lehnt allerdings diese „Obliegenheit“ jedenfalls gegenüber dem alten Arbeitgeber (gegen den eine Kündigungsschutzklage erhoben wird) ebenso ab, wie die Obliegenheit, sich von der Bundesanstalt für Arbeit beraten zu lassen 306 . Das Gesetz selbst spricht hier von einer „Pflicht“. Tatsächlich könnte man aber argumentieren, dass es hier um den Erhalt des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. die Vermeidung einer Sperrfrist 307 geht und damit die Bezeichnung als „Obliegenheit“ jedenfalls nicht untypisch ist. Schadensersatz oder Erfüllungsklage kommen nicht in Betracht, daher sind die Theorien hier ohne Bedeutung. Weiter wird im Arbeitsrecht diskutiert, ob es eine „Obliegenheit“ des Arbeitnehmers zum Widerspruch gegen eine unrichtige Kündigung geben würde. Die überwiegende Ansicht lehnt eine solche Obliegenheit allerdings ab, da die Unrichtigkeit der Abmahnung noch im späteren Kündigungsschutzprozess geltend gemacht werden kann 308 . § 1 Abs. 2 S. 3 KSchG soll eine Fortbildungsobliegenheit des Arbeitgebers begründen, deren Verletzung die Sozialwidrigkeit einer Kündigung bedingt. Umgekehrt kann die Verletzung von Loyalitätsobliegenheiten zur Kündigung des Arbeitnehmers führen 309. Auch sollen den Arbeitgeber Obliegenheiten zum Abschluss von bestimmten Versicherungen für seine Arbeitnehmer, Geschäftsführer und leitenden Angestellten treffen. In allen diesen Fällen kann man nur von Obliegenheiten im weitesten Sinne sprechen. Die typischen Probleme (Anwendbarkeit der allgemeinen Vor304
S. o., S. 87. Ansätze schon bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 178 f.; grundsätzlich und zu einzelnen Obliegenheiten des Sozialversicherungsrechts Rolfs (2000) S. 347 ff., 363 ff., 514 ff. 306 BAG vom 16. 5. 2000, BAGE 94, 343 ff., insb. Rn. 13, 18, 20. Es ging um die Anrechnung eines hypothetischen Verdienstes im Rahmen eines angeblich böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes. Die Parallele zu den Erwerbsobliegenheiten der Unterhaltsberechtigten (s. o., S. 92) liegt auf der Hand. 307 Vgl. dazu Giesen, NJW 2006, S. 726. 308 BAG vom 13. 3.1987, Az.: 7 AZR 601/85, 1. LS; BAG vom 24. 3. 1988, Az.: 2 AZR 680/87, Rn. 46; vgl. auch §§ 1, 4 KSchG. 309 Vgl. dazu im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Joussen, NJW 2006, S. 1853 mwN. 305
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
schriften) stellen sich hier nicht. Dementsprechend werden diese Obliegenheiten im Rahmen der Voraussetzungs-, Obliegenheits- oder Verbindlichkeitstheorien nicht einmal erwähnt.
g) Providerobliegenheit Es kommen ständig neue Tatbestände hinzu, in denen man meint, die Bezeichnung „Obliegenheit“ sinnvoll einzusetzen. So sprach der BGH jüngst von der Obliegenheit eines Providers, Maßnahmen zur Sperrung von Nutzern eines abgelaufenen Vertrages bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Internetzugangs für andere Kunden, selbst durchzuführen 310 . Diese Obliegenheit diente zur Ablehnung eines Anspruches auf Aufwendungsersatz. Genau genommen hielt man dem klagenden Provider entgegen, dass er keinen vertraglichen Anspruch darauf habe, sich seinen nach Ende des Vertrages zur Beendigung von Nutzungsmöglichkeiten erforderlichen technischen Aufwand vergüten zu lassen. Eine angebliche Obliegenheit hätte dazu nicht behauptet werden müssen.
h) Anwaltsobliegenheiten Ein „weites Feld“ sind die sogenannten Anwaltsobliegenheiten 311. Bei diesen anwaltlichen Sorgfaltspflichten wird ohne zu problematisieren von „Obliegenheiten“ gesprochen, obwohl es doch gerade um Anwaltshaftung geht, also um Pflichtverletzung. „Hierbei handelt es sich um vertragliche außerdeliktische Nebenpflichten gem. § 241 II BGB, die dem Anwalt gegenüber seinem Mandanten obliegen“312 . Praktisch handelt es sich bei den „Anwaltsobliegenheiten“ um ein hoch brisantes Thema, dem hier leider nicht weiter nachgegangen werden kann 313 , weil es sich selbst aus Sicht der h. M. um eine Falschbezeichnung handelt und die hier vertretene Ansicht schlicht bestätigt wird. Die Theorien spielen dementsprechend keine Rolle. Niemand würde die Schadensersatzpflicht als Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung hier ernsthaft in Zweifel ziehen.
310
BGH vom 23. 3. 2005, NJW 2005, S. 2076 f. Vgl. z. B. BGH vom 24. 5. 2005, BB 2005, 1762 ff. = VersR 2006, 510 („Obliegenheiten“ des Zweitanwalts). 312 Slobodenjuk, NJW 2006, S. 113. 313 Zu den Obliegenheiten im Prozess kurz s. u., S. 101 f. 311
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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i) Weitere materiell-rechtliche Obliegenheiten Es gibt weitere, meist neuere Tatbestände, in denen Verhaltensanforderungen (gelegentlich) als Obliegenheiten bezeichnet werden, die sich aber schwer in die oben gebildeten Kategorien einordnen lassen. Auffällig ist an diesen, dass sie nicht besonders häufig so bezeichnet werden, die Existenz der Verhaltensanforderung als solche umstritten oder aus anderen Gründen die Bezeichnung problematisch ist. Einige dieser „Obliegenheiten“ sollen hier exemplarisch aufgeführt werden. (1) Wahlrecht als Mitwirkungsobliegenheit? Das Wahlrecht des Schuldners einer Wahlschuld wird gelegentlich als Obliegenheit bezeichnet, da es keine Pflicht desselben zur Wahl gebe und diese nicht erzwungen werden könne314 . Wohl aber könne diese Pflicht rechtsgeschäftlich vereinbart werden; dann handele es sich um eine Nebenpflicht des Gläubigers315 . Gerät der Schuldner mit der Wahl in Verzug, kann der Gläubiger gemäß § 264 Abs. 1 1. HS BGB nach seiner Wahl die Zwangsvollstreckung auf die eine oder andere Leistung richten. Diese angebliche Obliegenheit wurde bewusst hierher gestellt, nicht zu theorienrelevanten Mitwirkungsobliegenheiten, weil hinsichtlich der Rechtsfolgen kein Streit besteht. Das Gesetz hat diese nämlich ausreichend und vor allem im Interesse des Gläubigers, dem dadurch kein dem Schuldner zurechenbarer Schaden mehr entstehen kann, geregelt. Im Übrigen verliert der Schuldner seine günstige Rechtsposition (Wahlrecht) auch gar nicht, denn gemäß § 264 Abs. 1 2. HS BGB kann er sich – solange der Gläubiger die gewählte Leistung ganz oder zum Teil noch nicht erhalten hat, durch eine der übrigen Leistungen befreien, wenn auch durch tatsächliche Leistung, nicht mehr durch Erklärung nach § 263 BGB. Hier wird also nur von einer Obliegenheit gesprochen, weil es keine Pflicht aber doch irgendwie ein Verhalten des Schuldners gibt. Dieses ist aber gerade sein eigenes Recht, keine im eigenen oder im Interesse des Gläubigers auferlegte oder zu erfüllende Pflicht. Die Bezeichnung als Obliegenheit ist also nur irreführend.
314 BeckOK Bamberger/Roth/Unberath (Stand 1. 2. 2007) § 264 BGB, Rn. 2, führt u. a. als Beleg MünchKommBGB5/Krüger (2007) § 264 BGB, Rn. 1 auf, der aber gar nicht von einer Obliegenheit spricht, sondern nur von der fehlenden Wahlpfl icht. 315 MünchKommBGB5/Krüger (2007) § 264 BGB, Rn. 14; BeckOK Bamberger/Roth/Unberath (Stand 1. 2. 2007) § 264 BGB, Rn. 2.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
(2) Obliegenheit zur Nutzung vergeblicher Aufwendungen? Eine Sanktion für Untätigkeit, wenn auch nicht für eine fehlende Erklärung wie bei den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten, ist die „neue“, seit der Schuldrechtsmodernisierung für § 284 BGB behauptete Obliegenheit des Gläubigers, das Beste aus vergeblichen Aufwendungen zu machen, d. h. die „Frustration der Aufwendungen zu vermeiden“316 . Der Unterschied zu den Erklärungsund Klarstellungsobliegenheiten ist jedoch nicht groß, insofern könnte man das dazu (insbesondere zu den atypischen Tatbeständen) Gesagte auch auf diese Obliegenheit beziehen 317. Es ist jedoch schon umstritten, ob es eine solche Obliegenheit überhaupt gibt – insbesondere der BGH hat sie abgelehnt318 . Nach beiden Ansichten würde es sich – sofern man das Verhalten für erforderlich hielte – lediglich um eine Ausprägung der Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB handeln 319. Zweifel an einer solchen Verhaltensanforderung ergeben sich daraus, dass der Gläubiger des Aufwendungsersatzanspruches dadurch quasi doppelt schlecht behandelt wird: Sein Anspruch entstand wegen einer Pflichtverletzung des Schuldners und nun soll er auch noch selbst tätig werden, um seine an sich berechtigten Aufwendungen anderweitig zu nutzen. Ob die Voraussetzungen des § 284 BGB tatsächlich so weit gehen, dass der Gläubiger Schadensminderung betreiben müsste, sagt jedenfalls nichts über § 254 BGB Hinausgehendes zur Dogmatik der Obliegenheiten aus und kann deshalb hier dahinstehen. (3) Deliktsrechtliche Obliegenheiten? Von Looschelders wird angenommen, es gebe „Obliegenheiten“ zum Schutz von fremden Rechtsgütern vor deliktischer Gefährdung 320 . Insbesondere der Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB sollen Verhaltensnormen zugrunde liegen, die jedem die Pflicht auferlegen, die geschützten Rechte und Rechtsgüter anderer nicht zu gefährden. Tatsächlich kann man diesen Verhaltensnormen – die allerdings typischerweise als Verbote formuliert werden – nur zustimmen. Für ihre
316 Huber/Faust (2002) Kap. 4 Rn. 34 ff. (35); Reim, NJW 2003, S. 3666 f.; Ellers, Jura 2006, S. 207. 317 S. o., S. 83 ff. 318 BGH vom 20. 7. 2005, NJW 2005, 2850 und diesem in ihrer Besprechung folgend Gsell, NJW 2006, S. 126, insbesondere Fn. 16. Auch Huber/Faust (2002) Kap. 4, Rn. 35 f. geben zu, dass die Entscheidung im Einzelfall mindestens schwierig sei, halten jedoch die Darlegungsund Beweislast des Schuldners für ausreichend zum Schutz des Gläubigers. 319 So etwa Huber/Faust (2002) Kap. 4, Rn. 34 mit Fn. 39. 320 Die Bezeichnung bei Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 221 f. mit Nachweisen, die bei Überprüfung gar nicht von „Obliegenheiten“ sprachen. Allerdings das RG vom 8. 7. 1920, RGZ 99, 263 ff. (264) verwendete die Bezeichnung.
II. Obliegenheiten außerhalb des Versicherungsrechts
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Verletzung sieht § 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz als Rechtsfolge vor. Es sind also gerade schadensersatzbewehrte Pflichten! Der geschilderte Ansatz Looschelders ist daher nur eine singuläre, noch weitere Ausdehnung des Obliegenheitsbegriffes, die im Folgenden außer Betracht bleiben kann. Sie entspringt Looschelders Konzentration auf die Untersuchung des § 254 BGB und seinem Wunsch, diesem ähnliche Obliegenheitstatbestände zu finden 321. Frühe Ansätze zu dieser Auffassung gab es übrigens (wie so oft) bereits bei Siber, der §§ 823, 826 BGB ebenfalls als Beispiele für „nur“ nachteilsbewertes Leistensollen ohne Klagemöglichkeit nannte322 . Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass für Siber „nur“ Schadensersatz als Verletzungsrechtsfolge noch nicht zur Annahme einer „echten“ Rechtspflicht genügte; damals verlangte man noch Klagbarkeit 323 . Nach heute ganz allgemeiner Ansicht zur Rechtspflicht kann man wegen des Schadensersatzanspruchs hier – unabhängig davon, welcher Theorie zur Rechtsnatur der Obliegenheiten man folgt – nicht von Obliegenheiten sprechen. Abgesehen davon ist heute sogar durch analoge Anwendung des § 1004 BGB auch eine Klagemöglichkeit für die Pflicht, die absoluten Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB nicht zu verletzen, anerkannt.
j) Prozessrechtliche Obliegenheiten Gerade im Prozessrecht finden Obliegenheiten häufig Erwähnung. Die besonders oft so genannten Dokumentationsobliegenheiten wurden bereits behandelt 324 . Es gibt außerdem eine allgemeine, aus § 254 BGB folgende „Obliegenheit, unter zwei Arten der Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten die kostengünstigere zu wählen“325 . Beauftragt insbesondere der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung zuerst einen Rechtsanwalt zur außergerichtlichen Wahrnehmung seiner Interessen und erteilt erst danach die gerichtliche Vollmacht, wodurch Gebühren nach Nr. 2300 und 3100 RVG anfallen, so ist das nach Ansicht der Rechtsschutzversicherer ein Verstoß gegen die Obliegenheit aus § 17 V lit. c cc ARB 2000326 . Weiter soll den Kläger bzw. seinen Prozessbevollmächtigten die Obliegenheit treffen, Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes soweit als möglich zu beeinflussen, um eine Zustellung „demnächst“ im Sinne des
321 322 323 324 325 326
Vgl. insbesondere Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 222. Siber, Rechtszwang (1903) S. 68. Ausführlicher und mwN s. u., S. 139 ff. S. o., S. 87 f. Für das neue RVG AG Bremervörde vom 16. 12. 2008, NJW 2009, 1615 (1617). Vgl. dazu mwN der Rechtsprechung Bauer, NJW 2009, 1567.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
§ 167 ZPO zu erreichen 327. Dabei soll den Rechtsanwalt insbesondere auch eine Nachfrageobliegenheit treffen 328 . Die Darlegungslast wird gelegentlich auch als Obliegenheit des damit Belasteten bezeichnet329. Tatsächlich handelt es sich aber bei Beweislastregelungen nicht um Verhaltensnormen, sondern um Anweisungen an den Rechtsanwender, das Gericht. Sie treten dann in Funktion, wenn sich Tatbestandsvoraussetzungen eines entscheidungserheblichen Rechtssatzes nicht aufklären lassen 330 . Weitere Obliegenheiten werden thematisiert, beispielsweise die sogenannte Einlassungsobliegenheit331. Auch hinsichtlich der prozessrechtlichen Verhaltensanforderungen wurde schon früh über den Grad der entsprechenden Pflichten bzw. Lasten diskutiert332 . R. Schmidt widmete ihnen in seiner Untersuchung der Obliegenheiten einen eigenen Abschnitt333 und nannte sie „Gebote des eigenen Interesses“ im Sinne Zitelmanns334 . Zutreffend stellte er aber fest, dass hier nicht die Korrelation des materiellen Rechts gelte, dass es nämlich hier keine Pflicht ohne entsprechendes Recht gebe. Dagegen fallen Pflicht und Möglichkeiten („Rechte“) bei den Lasten des Prozessrechts zusammen 335 . Jedenfalls spielen die verschiedenen Theorien über die „Rechtsnatur“ der materiellen Obliegenheiten im Prozessrecht keine Rolle. Wenn überhaupt etwas problematisch ist, dann dass im Einzelfall umstritten ist, ob ein entsprechendes Verhaltens („Obliegenheit“) zu fordern ist oder nicht. Es wirkt sich aber dabei nicht aus, welcher Theorie man folgt bzw. die Theorien werden auch gar nicht diskutiert. Das zeigt sich u. a. daran, dass oft von „Verpflichtung oder Obliegenheit“ gesprochen wird 336 .
327 328 329 330 331
BGH vom 12. 7. 2006, NJW 2006, 3206 ff. – mit zahlreichen Nachweisen. So auch schon OLG Düsseldorf vom 28. 6. 2005, VersR 2006, 349. BGH vom 3. 3. 2005, NJW-RR 2005, 908 f. Fleck (2004) S. 221 f. BGH vom 5. 3. 2003, NJW 2003, 3626 ff. und BGH vom 4. 3. 2004, BGHReport 2004,
1281. 332
Vgl. v. Tuhr, AT I (1910) S. 93 Fn. 23. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) Achter Abschnitt: Die Last als Rechtsinstitut des Zivilprozessrechts, S. 89 ff. 334 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 95. Zu Zitelmann genauer s. u., S. 137. 335 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 95. 336 BGH vom 24. 1. 2006, NJW 2006, 1429 ff. und BGH vom 12. 7. 2006, NJW 2006, 3206 ff. (3207). 333
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit
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III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begrifflichkeit (Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S.) 1. Interesse an der Auferlegung und an der Erfüllung von Obliegenheiten Es hat sich zunächst gezeigt, dass zwischen den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und den meisten sonstigen ein erheblicher Unterschied besteht. An der Erfüllung der Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer hat der Versicherer ein wirkliches Interesse – anderenfalls ließe sich deren Auferlegung kaum rechtfertigen, sondern würde umgekehrt den Versicherer in einem ausgesprochen schlechten Licht dastehen lassen. Es würde sich insbesondere für die zahlreichen vertraglichen Obliegenheiten die Frage einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers und damit der Unwirksamkeit der entsprechenden Klauseln stellen (§ 307 BGB). Der Versicherer erhält durch die Erfüllung der Obliegenheiten Informationen oder ihm wird sonst die Abwicklung des Vertrages erleichtert. Bei den Versichererobliegenheiten hingegen genügt deren Auferlegung, ein Interesse des Versicherungsnehmers an ihrer Erfüllung ist nicht festzustellen. Das bedeutet noch nicht zwingend dogmatische Unterschiede zwischen Versicherer- und Versicherungsnehmerobliegenheiten, denn dem Interesse des Begünstigten ist in allen Fällen durch die Auferlegung einer Obliegenheit gedient. Der entscheidende Unterschied liegt tatsächlich beim Interesse an der Erfüllung, welches bei den Versichererobliegenheiten ausschließlich der Versicherer allein hat, nicht der Versicherungsnehmer. Dieses Interesse des Versicherers an der Erfüllung seiner eigenen Obliegenheiten liegt darin begründet, dass er die negativen Rechtsfolgen vermeiden will. Zwar hat auch bei den Versicherungsnehmerobliegenheiten und allen anderen Pflichten der Verpflichtete ein Interesse daran, seinen Pflichten nachzukommen, um negative Sanktionen zu vermeiden. Bei Hauptleistungspflichten im Synallagma tritt noch das Interesse am Erhalt der Gegenleistung hinzu. Bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers dient aber – anders als bei den Versichererobliegenheiten – auch die Erfüllung selbst dem Berechtigten, dem Versicherer, wie aus ihrer Funktion 337 deutlich wird. Das ist das Verbindende der Versicherungsnehmerobliegenheiten zu Schutz- und sonstigen Verhaltenspflichten, aber auch zu Hauptleistungspflichten: In erster Linie sollen sie erfüllt werden, dies dient den Interessen des Berechtigten am meisten. Nur wenn sie verletzt werden, muss es auch Sanktionsmittel bzw. Ausgleich geben. Bei der überwiegenden Zahl anderer Obliegenheiten ist dem Interesse des Berechtigten abschließend damit gedient, dass die Verhaltenspflicht überhaupt 337
Genauer zur Funktion der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers s. u., S. 197 f.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
auferlegt wird338 . Dies gilt für die sogenannten Versichererobliegenheiten 339, die Erklärungs-, Erkundigungs- und Dokumentationsobliegenheiten, sowie Obliegenheiten im Familien- und Insolvenzrecht 340 . Hierher ist auch der Tatbestand des § 13 Abs. 1 VVG 2008 (§ 10 Abs. 1 VVG a. F.) zu rechnen, wonach bei Nichtanzeige des Wohnungswechsels dennoch zugunsten des Versicherers der Zugang von Erklärungen fingiert wird 341. Dabei handelt es sich genau genommen um eine atypische Erklärungsobliegenheit 342 . Die Auferlegung einer solchen Obliegenheit trägt die Sanktion in sich, weitergehende Interessen des Begünstigten bestehen nicht. Das wird beispielsweise bei den unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten deutlich. In dem Moment, in dem diese Obliegenheiten auferlegt (oder besser: von der Rechtsprechung behauptet) werden, verschlechtert sich bereits die Position des Belasteten. Die Erfüllung der Verhaltensanforderungen hingegen ist manchmal sogar gegen die Interessen des Berechtigten, wie schon zu den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten ausgeführt. Etwas anderes gilt für die Mitwirkung des Gläubigers. Sowohl die Annahme einer Leistung als auch die Mitwirkung des Bestellers liegen im ursprünglichen Interesse des Schuldners, dem damit die Erbringung seiner eigenen Leistung erleichtert oder überhaupt ermöglicht wird. Wie ausführlich dargelegt, kommt bei schuldhafter Nichtannahme oder Nichtmitwirkung des Gläubigers auch ein Schadensersatzanspruch desselben in Betracht 343 . Auch die bis vor kurzem als Obliegenheit angesehene Widerrufsbelehrungspflicht 344 hat mehr Gemeinsamkeiten mit den Anforderungen an den Versicherungsnehmer und den Gläubiger, als beispielsweise mit den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten.
2. Theorienrelevanz nur bei Interesse an Erfüllung Es gibt aber noch eine zweite wichtige Beobachtung: Die Theorien zur Frage, ob Obliegenheiten „echte“ Rechtspflichten, solche „minderer Zwangswirkung“ oder „bloße Voraussetzungen“ sind, wirken sich nur dort aus, wo es wirklich um ein Interesse an der Erfüllung oder Nichterfüllung der Obliegenheiten geht und nicht nur um ihre bloße Existenz. Nur dann kann es für die Rechtsfolgen 338 Genauer noch zur Interessenlage bei der Auferlegung von Obliegenheiten und danach s. u., S. 216 ff. 339 S. o., S. 47 ff. 340 Ausführlich zu diesen Tatbeständen s. o., S. 77–96. 341 S. o., S. 82 f. 342 Vgl. die anderen Tatbestände s. o. S. 82 f. Wenn im Folgenden von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers die Rede ist, dann ist dieser Tatbestand nicht mit gemeint. 343 S. o., S. 70 f. 344 Dazu s. o., S. 62.
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit
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einen Unterschied machen, welche Auffassung man vertritt. Hier wird dann beispielsweise die Anwendung des § 278 BGB interessant. Anders hingegen, wenn bereits mit der Annahme der Obliegenheit die Sanktion verhängt ist, so wie zum Beispiel bei einer unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit unabhängig von deren Erfüllung das (hypothetische) Einkommen angerechnet wird. Hier gibt es keinen Streit um die „Rechtsnatur“ dieser angeblichen Obliegenheiten und auch nicht um die Rechtsfolgen.
3. Zusammenhang mit dem Verschuldenserfordernis Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen Obliegenheiten mit und ohne Theorienrelevanz spiegelt sich auch im Verschuldenserfordernis wieder345 . Ob es im Wesen der Obliegenheiten liege, dass deren Verletzung nur bei Verschulden Rechtswirkungen auslöse, war bisher unklar346 . Das liegt schlicht daran, dass eben so verschiedene Erscheinungen unter den einen Begriff zusammengefasst wurden. Ein Verschulden des Obliegenheitsbelasteten ist auffälligerweise immer dort erforderlich, wo die Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, z. B. bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Werden diese aber schuldlos verletzt, kann insbesondere Schadensersatz als Rechtsfolge schon grundsätzlich nicht in Betracht kommen. Zwar gibt es im allgemeinen Haftungsrecht auch eine verschuldensunabhängige Haftung, die echte Gefährdungshaftung. Vergleichbare Tatbestände, wo also ohne Verschulden eine Schadensersatzpflicht gefordert würde, lassen sich jedoch unter den Obliegenheiten nicht ausmachen. Die Erklärung liegt darin, dass es sich gerade um Verhaltensanforderungen innerhalb bestehender schuldrechtlicher Beziehungen handelt, nicht um Schädigungen, deren Risiko gesetzlich einem Haftenden zugewiesen wurde. Die wohl wichtigste Vorschrift für die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten, § 28 VVG 2008 (ebenso der alte § 6 VVG a. F.), knüpft (wie auch die anderen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers) gerade an das Verschulden 345
Zum Verschulden im Zusammenhang des Annahmeverzugs schon s. o., S. 68 ff. Dagegen R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 318 (Zusammenfassung): teilweise Verschuldenserfordernis, teilweise nicht – mit Vergleich zur Verschuldens-/Gefährdungshaftung (auch schon a.a.O., S. 257 f.); Wieling, AcP 176 (1976) S. 343, 347, 357; Sieg, VersR 1992, S. 3. Dafür Klingmüller, Materialien (1967) S. 78. Kritisch gegenüber der Bejahung von Rechtsfolgen ohne Verschulden in R. Schmidts Habilitationsschrift auch Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 15. Selbst schwankend R. Schmidt, Mündl. Generalreferat (1967) S. 12, mit der Forderung, dass grundsätzlich Verschulden Voraussetzung sein sollte und ders., ZVW 57 (1968) S. 83 dann für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers das Verschuldenserfordernis grundsätzlich bejahend. 346
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
an! Abzulehnen ist die Ansicht, dabei handele es sich um Verschulden „freilich nicht im technischen Sinne“347. Die Sanktionen der Verletzung einer Obliegenheit des Versicherungsnehmers setzen grundsätzlich „normales“ Verschulden voraus348 . Zu dieser dogmatischen Verwirrung hat nur die Formel des „Verschulden gegen sich selbst“ geführt 349. Eine nur scheinbare Ausnahme des Verschuldenserfordernisses für Obliegenheiten des Versicherungsnehmers war § 24 Abs. 1 VVG a. F., welcher dem Versicherer ein Kündigungsrecht auch dann einräumte, wenn den Versicherungsnehmer kein Verschulden an der Gefahrerhöhung traf – dann verletzte dieser aber gerade auch keine Obliegenheit! Nicht zuletzt deshalb hat der Versicherer heute nach § 24 VVG 2008 nur bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers ein Kündigungsrecht. Etwas anderes hinsichtlich des Verschuldenserfordernisses gilt nur für die Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz, beispielsweise für die Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten 350 . Bei diesen Obliegenheiten ist das Verhältnis zwischen Verhaltensanforderung und Verschulden ein viel differenzierteres. Getrennt werden muss (auch) beim Gläubigerverzug: solange es nur um die Rechtsfolgen der §§ 300 ff. BGB geht, besteht weder ein Verschuldenserfordernis noch Streit. Erst wenn es um die Frage geht, ob der Gläubiger unter Umständen Schadensersatz leisten muss, wird ein Verschulden erforderlich und es besteht Streit351. Einige Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz sind hinsichtlich der Bejahung der jeweiligen Verhaltensanforderung ohne Verschuldenserfordernis gleich. Die Obliegenheiten des Versicherers beispielsweise sind bezüglich des Eintritts ihrer Folgen ganz verschuldensunabhängig. Unterbleibt eine Risikoprüfung, so kann der Versicherer sich nicht auf fehlendes Verschulden berufen, d. h. es entlastet ihn nicht. Entsprechendes gilt auch für die Obliegenheit zum Hinweis auf Abweichungen des Versicherungsscheins gem. § 5 Abs. 2 VVG (a. F. und VVG 2008). Bei vielen Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten hingegen, auf die sich die Verbindlichkeitstheorie grundsätzlich nicht explizit bezieht, also kein Streit besteht, kommt das Verschuldenserfordernis über das Wort „unverzüg347
So etwa MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl vor § 241 BGB, Rn. 51. Vgl. z. B. Deutsch, VVR4 (2000) S. 145, Rn. 195: Verschulden ist Voraussetzung der Rechtsfolgen. Im Versicherungsvertragsrecht findet man die Behauptung, es handele sich um „unechtes“ Verschulden jedenfalls heute nicht mehr. Vgl. auch die folgende Anmerkung. 349 Gebraucht im Zusammenhang mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers etwa von Kisch II (1920) S. 183, der auch noch meinte, dass die versicherungsrechtliche Verwirkung auch bei schuldloser Verletzung von Obliegenheiten eintrete – das wird aber heute nicht mehr vertreten. Näher zum „Verschulden gegen sich selbst“ im Zusammenhang mit § 254 BGB s. o., S. 52 ff. und s. u., S. 137 ff. 350 S. o., S. 77 ff. 351 Zu dieser Frage genauer s. o., S. 68 ff. 348
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit
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lich“ in den Tatbestand, vgl. §§ 121, 149 BGB, 362, 377 HGB. Anscheinend kann man diese Obliegenheiten nur schuldhaft verletzen. Denn solange man nicht schuldhaft zögert, handelt man noch unverzüglich. Tatsächlich besteht hier eine Ähnlichkeit zur Nachforschungsobliegenheit des § 932 BGB. Bei beiden Gruppen von Obliegenheiten geht es ja gerade um die Definition eines vorwerfbaren Verhaltens und die daraus folgenden Konsequenzen. Keine andere Funktion haben diese Obliegenheiten. Wieder etwas anders sind die unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten, die auch ohne Theorienrelevanz sind. Hier spielt Verschulden nur so lange eine Rolle, wie es um die Begründung der entsprechenden Obliegenheit geht. Ist einmal eine Obliegenheit und damit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten bzw. fehlende Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten fiktiv bejaht worden, wird nicht mehr viel nach der Verletzung bzw. dem Verschulden dabei gefragt. Werden beispielsweise Erwerbsobliegenheiten bejaht, so treten rechtliche Konsequenzen sofort ein, nämlich hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs. Tatsächlich spürbare negative Folgen für den Obliegenheitsbelasteten treten aber nur dann ein, wenn er keinem Erwerb nachgeht, also die Obliegenheit wirklich verletzt. Die Folgen treten dann unabhängig davon ein, ob diese „Obliegenheitsverletzung“ schuldhaft oder unverschuldet geschieht. Zwar kann der Belastete bei unverschuldeter Erwerbslosigkeit eine Abänderungsklage erheben. Diese führt aber (bestenfalls) nur dazu, die Obliegenheit zu verneinen. Die Anwendung des § 278 BGB auf Obliegenheitsverletzungen kommt nur in Betracht, wo es um ein Verschulden gerade bei der Verletzung geht. Bei Obliegenheiten (ohne Theorienrelevanz) hingegen, bei denen nur entscheidend ist, ob sie erfüllt wurden oder nicht, kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Belastete selbst oder ein Dritter sie nicht erfüllt hat. Dementsprechend wird hier die Anwendung des § 278 BGB gar nicht thematisiert. Die letzte Beobachtung im Zusammenhang mit dem Verschulden des Obliegenheitsbelasteten bezieht sich auf die Herkunft der Obliegenheit. Vertraglich auferlegte Obliegenheiten erfordern als Voraussetzung ihrer Sanktionen immer ein bestimmtes Verschulden, das macht insbesondere § 6 VVG a. F. (§ 28 VVG 2008) deutlich 352 . Auch generell ist seit der VVG-Reform das Verschuldenserfordernis deutlicher im Gesetz erkennbar. Das gleiche Erfordernis gilt für Obliegenheiten, die nach § 242 BGB anzunehmen sind, denn wer schuldlos handelt, kann auch nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Hingegen können gesetzlich festgelegte, als Obliegenheiten bezeichnete Tatbestände auch ohne Verschulden Rechtsfolgen auferlegen, wie vor allem §§ 300 ff. BGB oder die sogenannten Versichererobliegenheiten aus dem VVG353 zeigen. 352 Zur manchmal schwierigen Abgrenzung zwischen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und (verschuldensunabhängigen) Risikoausschlüssen s. u., S. 294 ff. 353 S. o., S. 49.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
Dabei handelt es sich jeweils um gesetzgeberische Entscheidungen, die aufgrund von Interessenabwägungen auf das Verschuldenserfordernis verzichten. Gleichzeitig sind die entsprechenden „Obliegenheiten“ solche, um die man sich (theoretisch, d. h. hinsichtlich ihrer Qualität als Rechtspflicht) nicht streitet.
4. Zusammenhang zur Darlegungs- und Beweislast Eine weitere Beobachtung betrifft die zivilprozessuale Seite der Obliegenheiten. Denn Verletzungen von Obliegenheiten mit Theorienrelevanz sind vom Begünstigten im Prozess darzulegen und ggf. zu beweisen. Die Verletzung von Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz ist hingegen grundsätzlich 354 vom Belasteten darzulegen und zu beweisen. Das objektive Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer beispielsweise ist grundsätzlich vom Versicherer darzulegen und zu beweisen 355 . Speziell für die Verletzung von Anzeigeobliegenheiten enthält jetzt § 69 Abs. 3 S. 2 VVG 2008 sogar eine ausdrückliche Regelung 356 . Wenn also der Versicherungsnehmer auf die Versicherungssumme klagt, so muss er zunächst nichts zur Erfüllung aller seiner Obliegenheiten ausführen. Wendet der Versicherer Obliegenheitsverletzungen (z. B. verletzte Mitteilungspflichten oder Mitverschulden bei der Schadenshöhe) ein, so muss er selbst diese ihm günstigen Umstände darlegen und beweisen 357. Gerade die für den Versicherer schwierige Beweissituation lässt diese entgegenkommend bzw. vergleichsbereit sein 358 und dadurch Obliegenheitsverletzungen folgenlos bleiben. Ein krasses Beispiel lieferte jüngst das Urteil des OLG Karlsruhe. Danach muss der Versicherer sogar die Behauptung eines Nachtrunks des Versicherungsnehmers in der Kaskoversicherung widerlegen – was faktisch unmöglich ist. Der Versicherer wollte in dem Fall nicht leisten, weil 354
Eine Ausnahme sogleich S. 111. Vgl. Sieg, VersR 1963, S. 1089 (mit interessanten Zweifeln wegen § 345 BGB – zur Vereinbarkeit von Vertragsstrafen aber s. u., S. 269 ff.; BK/Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3, 34; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 124 mwN; Beckmann/Matuschke-Beckmann/ Marlow (2004) S. 653, Rn. 39; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 82 VVG, Rn. 29. Eine Ausnahme (anders auch als S. 111) bildet die Anzeige des Versicherungsfalles gem. § 33 VVG a. F. (§ 30 VVG 2008), wo aufgrund des kaum möglichen Negativbeweises mehrfach für eine Beweislast des Versicherungsnehmers eingetreten wird, vgl. BK/Dörner (1999) § 33 VVG, Rn. 3, 34; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 33 VVG, Rn. 18 Rn. 3, 34. 356 Zur Beweislastverteilung bei Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten Fricke, VersR 2007, S. 1614 ff. 357 Vgl. etwa für Kenntnis der Umstände, die zum objektiven Tatbestand einer Aufklärungsobliegenheitsverletzung gehört BGH vom 13. 12. 2006, NJW 2007, 1126 = VersR 2007, 389 und Beschluss vom 12. 12. 2007, VersR 2008, 484, mit Anmerkung zu beiden Entscheidungen von J. Prölss, VersR 2008, S. 674, der aber zumindest eine Erkundigungspflicht des VN annimmt. 358 Interessant dazu Neumann (2004) S. 36 ff., der selbst bei Versicherern recherchierte. 355
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit
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der Fahrer den Unfall alkoholbedingt und damit grob fahrlässig herbeigeführt habe. Das Gericht meinte, ein Nachtrunk könnte die Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers verletzen, was eben vom Versicherer zu beweisen sei. Das verkennt m. E., dass die Schutzbehauptung des Nachtrunks vom Versicherungsnehmer im eigenen Interesse erhoben wurde und daher von ihm selbst hätte bewiesen werden müssen. Der auf die Versicherungsleistung klagende Versicherungsnehmer konnte sich nach bisheriger Rechtslage zudem entlasten, dass er z. B. nicht schuldhaft gehandelt hat 359. Nach der VVG-Reform muss sogar der Versicherer das Verschulden beweisen und der Versicherungsnehmer sich nur noch von grober Fahrlässigkeit entlasten 360 . Entsprechendes gilt auch für die Schadensminderungspflicht des § 254 BGB. Das Mitverschulden des Geschädigten muss der Schädiger vortragen und ggf. beweisen 361. Bezüglich unterhaltsrechtlicher Obliegenheiten hingegen muss der Obliegenheitsbelastete selbst darlegen, dass er seinen Obliegenheiten nachgekommen sei362 . Bei den Obliegenheiten des Unterhaltsverpflichteten bzw. Unterhaltsberechtigten handelt es sich aber wie oben beschrieben 363 nur um die Frage, wann man schuldhaft nicht leistungsfähig bzw. bedürftig ist. Es sind keine selbständigen Verhaltensanforderungen und die Theorien spielen hier keine Rolle. Der Versicherer ist beweislastig dafür, dass er seine Obliegenheiten erfüllt hat; misslingt der Beweis, so wird vermutet, dass beispielsweise eine Belehrung zum Erfolg geführt hätte364 . Werden Erklärungs- und Klarstellungobliegenheiten verletzt, so spielt das im Prozess ebenfalls für den Belasteten eine Rolle. Denn er muss die Erfüllung seiner Obliegenheiten als Voraussetzungen bei der Geltendmachung von Rechten (typische Tatbestände365) oder bei der Abwehr von Ansprüchen (atypische Tatbestände366) als ihm günstige Umstände darlegen und beweisen.
359 Ausführlicher dazu und zu weiteren Entlastungsmomenten vgl. Sieg, VersR 1963, S. 1090 f. Zur sekundären Darlegungslast des Versicherungsnehmers, wenn er objektiv falsche Angaben gemacht hat, BGH Beschluss vom 7. 11. 2007, NJW-RR 2008, 343 = VersR 2008, 242 und Beschluss vom 12. 3. 2008, NJW-RR 2008, 1649 = VersR 2008, 809. 360 Genauer dazu Looschelders, VersR 2008, S. 3 f.; Pohlmann, VersR 2008, S. 437 ff., die kritisiert, dass die VVG-Reform entgegen der Gesetzesbegründung keine klare, einheitliche Regelung gebracht habe (a.a.O. S. 443). 361 BGH NJW 1994, 3102 ff. (3105) = BGHZ 126, 138 ff., allerdings in der amtlichen Sammlung ohne die wesentliche Stelle. 362 Büttner/Niepmann, NJW 2007, 2380 mwN der aktuellen OLG-Rechtsprechung. 363 S. o., S. 90 ff., 107. 364 Sieg, VersR 1992, S. 4. 365 S. u., S. 78 ff. 366 S. o., S. 82 f.
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
5. Konsequenz: Unterschiedliche Terminologie Im Folgenden soll daher von Obliegenheiten im eigentlichen Sinne 367 gesprochen werden, wenn es sich auswirkt, welche Theorie man vertritt bzw. wenn überhaupt ernsthaft verschiedene Theorien vertreten werden und Schadensersatz als Rechtsfolge zumindest denkbar, wenn auch nicht unumstritten ist. Dies gilt konkret für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, für die Mitwirkungspflichten des Gläubigers und die Aufklärungs- und Widerrufsbelehrungspflichten der Banken. Die Anwaltsobliegenheiten wurden zwar zunächst den Tatbeständen ohne Theorienrelevanz zugeordnet, weil kein Streit um ihre Rechtsnatur besteht. Jedoch handelt es sich hierbei auch nach h. M. um „echte“, schadensersatzbewehrte Nebenpflichten 368 und nicht um Obliegenheiten. Obliegenheiten im weiten Sinne liegen hingegen vor, wenn es gleichgültig ist, welche Auffassung man vertritt und wenn es keine oder kaum erkennbare Gegenstimmen zur herrschenden Ansicht gibt. Dies ist konkret der Fall vor allem bei den Versichererobliegenheiten, den Erklärungs-, Klarstellungs-, Dokumentationsobliegenheiten und den unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten. Die Behauptung, dass sich die Auffassungen in ihren Ergebnissen angepasst hätten, gilt – außer für die „echte“ Mitwirkungspflicht des Bestellers – auch in erster Linie für die Obliegenheiten i. w. S., die insbesondere in der Kommentarliteratur gern als angeblich typische Obliegenheiten aufgeführt werden. Nur hier passt auch die gängige Behauptung, die Erfüllung von Obliegenheiten sei nur „im eigenen Interesse“ des Belasteten. Das ist vor allem dort richtig, wo er seine Position nur noch (tatsächlich oder rechtlich) verbessern kann (Insolvenzund Unterhaltsrecht, Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten). Und (nur) hier passt die Aussage, dass man „allerdings ohne Gewinn – mit dem Wort Voraussetzung arbeiten“369 könnte.
367 Ähnlich sprach allerdings schon Scherrer (1992) S. 51 f. von den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als solchen i. e. S., wobei zumindest die von ihm näher untersuchte versicherungsrechtliche Schadensminderungspfl icht „der Figur der Verbindlichkeit bereits sehr nahe steht“ (a.a.O., S. 148), hielt sie aber für atypisch gegenüber den zivilrechtlichen Obliegenheiten i. w. S., die er weder untersuchte noch gar weiter differenzierte, nicht einmal die allgemeine Schadensminderungspfl icht gemäß § 254 Abs. 2 BGB bzw. § 1304 ABGB, die er nur knapp streift, z. B. S. 76 f. Fn. 105. 368 S. o. S. 98. 369 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 65.
III. Zusammenfassende Beobachtungen und weitere Begriffl ichkeit
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6. Sonderfälle a) Obliegenheiten im Insolvenzverfahren Eine Sonderstellung nehmen die „Obliegenheiten“ des Schuldners im Insolvenzverfahren ein. Wie oben beschrieben handelt es sich hier nach der Unterscheidung R. Schmidts gar nicht um Obliegenheiten, weil für ein gefordertes Verhalten kein Nachteil angedroht, sondern ein Vorteil in Aussicht gestellt wird, nämlich die Restschuldbefreiung370 . Das geforderte Verhalten ist zwar im Interesse der Gläubiger, der Schuldner ist jedoch nicht dazu verpflichtet, sondern in erster Linie zur Begleichung seiner (alten) Schulden. Nur wenn er alle Voraussetzungen des Insolvenzverfahrens und insbesondere die Obliegenheiten erfüllt, erreicht er eine bessere Position als ohne das Verfahren. Die Darlegungs- und Beweislast für Obliegenheitsverletzungen des Schuldners im Insolvenzverfahren trägt erstaunlicherweise der Gläubiger, der auch glaubhaft machen muss, dass seine Befriedigung durch das Verhalten des Schuldners messbar beeinträchtigt wurde371. Der Schuldner kann sich hingegen entlasten, dass ihm kein Verschulden vorzuwerfen sei. Das ist an sich die Konstruktion wie bei einer typischen Pflicht, wie der simple Vergleich zu § 280 Abs. 1 BGB zeigt. Ob diese Beweislastverteilung sachgerecht ist, erscheint fragwürdig, da ja der Schuldner eine Verbesserung seiner Lage anstrebt. Erklären lässt sich die Konstruktion wohl nur mit der schuldnerfreundlichen Intention des Gesetzgebers. Jedoch kommen aufgrund des in Aussicht gestellten Vorteils für den Schuldner Schadensersatzansprüche oder eine Anwendung des § 278 BGB nicht in Betracht. Bei Missachtung der an ihn gerichteten Anforderungen erlangt er eben den Vorteil nicht. Selbst wenn diese Rechtsfolge nicht gesetzlich geregelt wäre, bliebe es bei seinen alten Schulden. Alles in allem handelt es sich jedenfalls um einen als Obliegenheit bezeichneten Tatbestand, aus welchem man keine allgemeinen Schlüsse ableiten sollte. Die Theorien spielen zwar keine Rolle, dafür gelten Abweichungen gegenüber anderen Obliegenheiten i. w. S. hinsichtlich rechtstheoretischer Konstruktion (Vorteil) sowie Verschulden und Beweislast.
370
S. o., S. 88 f. BGH vom 5. 4. 2006, NJW-RR 2006, 1138 f.; vgl. auch BGH Beschluss vom 25. 1. 2007, NZI 2007, 534. Deutlich zurückhaltender jetzt BGH Beschluss vom 24. 9. 2009, Az. IX ZB 288/08, Rn. 6. 371
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§ 3. Die typischen Obliegenheitstatbestände
b) § 254 BGB Eine besondere Position nehmen außerdem die Schadensminderungs- und Schadensabwendungsobliegenheiten des § 254 BGB ein. Wie beschrieben spielt es im Ergebnis keine Rolle, welche Theorie zur „Rechtsnatur“ dieser Obliegenheiten man vertritt. Die Rechtsfolge ist gesetzlich vorgegeben. Dennoch herrscht gerade hier enormer Streit. Dieser Obliegenheitstatbestand soll daher später nochmals behandelt werden 372 , nachdem die Haltung zu den Obliegenheiten grundsätzlich geklärt ist 373 .
7. Kurze Stellungnahme Gerade die Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten führten zusammen mit § 254 BGB zur Entwicklung des sogenannten „Verschulden gegen sich selbst“, welches später mit der Obliegenheitstheorie vermischt wurde374 . Die Vereinigung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers mit anderen Tatbeständen und die damit verbundene Ausdehnung des Obliegenheitsbegriffes durch R. Schmidt erscheint schon an dieser Stelle als fragwürdig, da seither sehr Ungleiches als gleich behandelt wird. Die unter 1. bis 4. deutlich gemachten Unterschiede rechtfertigen eine Einteilung in Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S. Außerdem gibt es aufgrund der ungeklärten Bedeutung der Obliegenheiten gelegentlich noch weitere, selbst wenn man der h. M. folgt, falsche Verwendungen des Begriffs „Obliegenheit“, so in § 264 Abs. 1 BGB (Wahlrecht des Schuldners) und im Deliktsrecht 375 .
372 373 374 375
S. u., S. 137 ff. und vor allem S. 305 ff. Insbesondere § 8, S. 233 ff. Dazu näher s. u., S. 137 f. Genauer s. o., S. 99 f.
§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“ Wenn heute der Ausdruck „Obliegenheit“ verwendet wird, so geschieht dies meist mehr oder weniger bewusst vor dem Hintergrund der Obliegenheitsbzw. Voraussetzungstheorie. Manchmal scheint es fast, als könne das Wort keine andere, als diese spezielle Bedeutung haben. Es gibt aber bis heute auch interessante andere Verwendungen. Wenig sinnvoll erscheint es, für die Zeit seit Entstehung der Theorien die Literatur zum Thema darzustellen, da „Obliegenheit“ sowieso im Sinne der jeweils vertretenen „Rechtsnatur“ verwendet wird. Nachweise für die bewusste und parteiliche Verwendung im Sinne der einen oder anderen Theorie erscheinen entbehrlich, da sie höchstens die Ansicht des jeweiligen Autors belegen können. Hier werden nun Beispiele einerseits für die Bedeutung von „Obliegenheit“ zeitlich vor Ausbildung der heute herrschenden Meinung und andererseits aktuelle Verwendungen in diesem ursprünglichen und anderen Sinne, unabhängig von einem Zusammenhang zum Theorienstreit, aufgeführt. Das hat nicht den Sinn, eine Definition des Obliegenheitsbegriffes zu liefern, sondern dem Wort, seinem Sinn und der bisherigen Verwendung möglichst unvoreingenommen nachzugehen. Es wird in diesem Zusammenhang versucht, den einen bestimmten Bedeutungsinhalt implizierenden Ausdruck „Begriff“ weitestgehend zu vermeiden, der zudem durch die Begriffsjurisprudenz bzw. ihre Gegner zu sehr in Misskredit geraten ist. Sofern er hier doch eingesetzt wird, dann weil er tatsächlich in dem geschilderten Zusammenhang im Sinne einer Inhaltsbestimmung oder Definition zu finden ist. Allerdings ist es manchmal schwierig, eine genaue Grenze zwischen Analyse der Verwendung und Theoriendiskussion zu finden – wie im Folgenden zu sehen sein wird. Dieser Abschnitt erscheint auch deshalb erforderlich, weil in früheren Beiträgen zu Obliegenheiten erstaunlich unzutreffende Aussagen zur Verwendung von „Obliegenheit/obliegen“ auftauchen, welche zu Verzerrungen geführt haben. Außerdem lassen sich zahlreiche Verwendungen finden, die klar gegen Obliegenheits- und Voraussetzungslehre sprechen. Auf Vollständigkeit kann dieser Abschnitt nicht angelegt sein. Es geht nicht darum, alle möglichen Verwendungen von „Obliegenheit“ zu belegen und zu
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
untersuchen, sondern prägnante Beispiele für die Vergangenheit und für die Gegenwart zu geben.
I. Allgemeine Verwendung von „Obliegenheit/obliegen“ Das Wort „Obliegenheit“ bedeutet nach allgemeinem, nicht speziell juristischem Sprachgebrauch so viel wie „Verbindlichkeit“, „Aufgabe“ und ähnliches1, es bezeichnet dasselbe wie „Pflicht“2 . Etymologisch könnte man das lateinische obligatio (von ligare = binden, verbindlich machen) als Ursprung vermuten, was die inhaltliche Verwandtschaft nur verstärken würde. Möglich ist aber auch eine Herkunft vom gemeingermanischen Wort „ob“, was soviel wie „über, oben“ bedeutet 3 und im heute noch üblichen Gebrauch von „es liegt dem Kläger ob“ u. ä. vorkommt. Illustrierend für den nicht explizit juristischen Gebrauch seien hier einige Beispiele aufgeführt: So schrieb Goethe an Schiller, dass er froh sei, „daß wir wegen jener Obliegenheiten einer Meinung sind“, Wieland sprach von „sittlichen und technischen Obliegenheiten“ und davon, dass etwas „auf Unkosten . . . ihrer häuslichen Obliegenheiten“ geschehe. „Akademische Obliegenheiten und Leistungen“ finden sich bei J. Grimm. Ähnlich anschaulich ist auch „Seiner Königlichen Majestät gnädige Verordnung betreffend die Obliegenheit der auf den Akademieen Studirenden, ihre erworbenen Kenntnisse in der Unterweisungs-Lehre gehörig zu beglaubigen“4 . R. Schmidt meinte, dass aus dem Wortsinn im allgemeinen Sprachgebrauch kein Schluss möglich sei, dass „es sich um eine Pflicht im Sinne eines technischen Begriffs der Rechtswissenschaft handeln müsse“5 . Das Gegenteil wäre allerdings auch erstaunlich, da der allgemeine Sprachgebrauch nur in den seltensten Fällen ausschließlich eine einzige, juristisch exakte Verwendung kennt. Daher lassen sich aus der nichtjuristischen Verwendung generell keine zwingenden 1 Vgl. Grimm, Deutsches WB (1889) Bd. 7, Sp. 1113, dort auch die folgenden Beispiele. Zu „obliegen“ in verschiedensten Bedeutungen Sp. 1110–1112, insb. zu 5). Siehe auch Eisler, WB der philosophischen Begriffe (1904) s.v. Pflicht; Kirchner WB der philosophischen Grundbegriffe (1907) s.v. Pflicht („heißt allgemein soviel als Obliegenheit“). 2 Zum gleichen Ergebnis kommt auch H. Schmitt (1939) S. 5, obwohl er letztlich – ähnlich wie später R. Schmidt – eine vermittelnde Meinung hinsichtlich der „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten vertritt. 3 Duden Bd. 7, Etymologie (2. Aufl. 1989) s.v. ‚obliegen‘ und ‚ob‘. Vgl. in diese Richtung auch Kluge, Etymologisches Wörterbuch (22. Aufl. 1989) s.v. ‚obliegen‘ und Köbler, Etymolog. RWB (1995) s.v. ‚obliegen‘, der allerdings s.v. ‚Obliegenheit‘ nur die heute überwiegende Ansicht wiedergibt. 4 1804 aus dem Schwedischen übersetzt. Selbstverständlich ist das kein Beleg für eine „amtliche“ Begriffsverwendung, aber immerhin für die durch den Übersetzer. 5 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 102.
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen
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Konsequenzen für die juristische Bedeutung eines Ausdrucks ziehen. Es handelt sich beim allgemeinen Sprachgebrauch vielmehr nur um eine erste Orientierung für die Ermittlung des Wortsinnes.
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen 1. Älteste Nachweise Im Zusammenhang mit rechtlichen Ausführungen ist der Ausdruck „Obliegenheit“ mindestens seit dem 16. Jahrhundert im Sinne von „Pflicht“ belegt 6 , das Verb und das Adjektiv lassen sich sogar noch weiter zurück verfolgen 7. Die älteren Belege stammen vor allem aus dem süddeutschen und schweizerischen Raum. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es auch Wortverbindungen wie Amts-, Inspektions-, Kameral- oder Kammerobliegenheiten8 . Dazu ein zeitlich eher spätes Beispiel: In einer „Kreisordnung vom 13. Dezember 1872“ werden die „Obliegenheiten des Amtsvorstehers“ ausgeführt, der gem. § 14 „nicht königlicher, sondern nur mittelbarer Beamter ist“ und zu dessen „Obliegenheiten“ die „Geschäfte der Polizeibehörde im Amtsbezirk“ gehören9. „Obliegenheiten“ von Amtsträgern, Beamten, Behördenmitarbeitern und auch Sachverständigen werden – nebenbei bemerkt – bis heute in diesem verbindlichen Sinne in deutschen Gesetzen10 und Urteilen11, sowie in den deutschen Fassungen europäischer Dokumente12 verwendet. Das preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794 verwendete den Ausdruck ebenfalls. So lautet etwa § 200 im Abschnitt über Kautionen und Bürg6
Vgl. Deutsches RWB (2001), s.v. ‚Obliegenheit‘. Deutsches RWB (2001) s.v. ‚obliegen‘, unter IV. 8 Nachweise zu den Verbindungen ebenfalls im Deutschen RWB. 9 Der Text steht in einem Praktikerhandbuch: v. Rohr, Anleitung für die Obliegenheiten des Amtsvorstehers im Bereich der Kreisordnung vom 13. Dezember 1872 (2. Aufl. 1908) S. 15 und dazu S. 16: „Vor allem hat der Amtsvorsteher das Recht und die Pfl icht, überall da einzugreifen, wo die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung es nötig macht. K. O. (Kreisordnung) § 60“. 10 §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 VerpflG und § 7 Abs. 1 AZV sowie §§ 11 Abs. 1 Nr. 4, 203 Abs. 2 Nr. 5 StGB. Ähnlich auch § 70 AO 1977. 11 So nennt der BGH vom 16. 9. 2004, BGHZ 160, 216 ff. Amtspflichten auch Obliegenheiten. Ähnlich BGH vom 10. 1. 1979, NJW 1979, 714 (715): „dienstliche Obliegenheiten“ einer Bürovorsteherin in einer Rechtsanwaltskanzlei. 12 Die Verordnung (EG) Nr. 160/2009 des Rates vom 23. 2. 2009 zur Änderung der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften, ABl. L 55 vom 27. 2. 2009, S. 1–8, Erwägungsgrund 6 spricht von „Pfl ichten und Obliegenheiten“ der akkreditierten parlamentarischen Assistenten. Ähnlich auch das Urteil des EuGH vom 13. 12. 2006, Az. T-138/03, Rn. 58 bezogen auf das Verhalten des Rates und der Kommission im Zusammenhang mit der BSE-Krise. 7
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
schaften (1. Buch, 14. Titel, 3. Abschnitt): „Wird die Sicherheit dadurch verschafft, daß ein Dritter gegen den Berechtigten, zur Erfüllung der Obliegenheiten des Verpflichteten auf den Fall, wenn dieser denselben nicht nachleben würde, sich verbindet, so ist ein Bürgschaftsvertrag vorhanden.“ Mit den „Obliegenheiten des Verpflichteten“ ist in dieser für Bürgschaften zentralen Vorschrift ganz offensichtlich die Hauptverbindlichkeit des Schuldners gemeint. Auch § 23 I 16 ALR verwendet „Obliegenheit“ synonym mit Verbindlichkeit im Zusammenhang mit dem Zurückbehaltungsrecht bei Vorleistungspflicht des anderen Vertragspartners. Weitere Beispiele ließen sich finden13 . Eine einschränkende Bedeutung von „Obliegenheit“, im Sinne einer „Voraussetzung“, geringerer Pflichtigkeit oder ähnliches lässt sich in allen diesen juristischen Verwendungen nicht feststellen. Am interessantesten erscheint noch die Erwähnung im Zusammenhang mit der Entstehung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches (ADHGB) von 1861. In den Protokollen zum preußischen Entwurf, genauer zu Art. 264, später Art. 347 ADHGB, der die Untersuchungs- und Anzeigepflicht des Kaufmannes enthält, heute in § 377 HGB tatsächlich als Obliegenheit gesehen14 , wird einmal der Ausdruck „Obliegenheit“ verwendet15 . Ansonsten ist aber stets von „Pflicht“ die Rede16 und ein Infragestellen des Pflichtengrades ist nicht zu finden, sondern vielmehr werden „Pflicht“ und „Obliegenheit“ synonym verwendet.
2. „Obliegenheiten“ im Versicherungsrecht Der Anfang der mehr oder weniger aktuellen Verwendung in der juristischen Terminologie soll hier, wegen der in diesem Gebiet überragenden Bedeutung der Obliegenheiten, beim Versicherungsvertragsrecht gemacht werden. Dabei wird noch einmal zeitlich weiter ausgeholt, bevor die Wortverwendung in Versicherungsbedingungen seit dem 19. Jahrhundert, im VVG von 1908, sowie kurz in Urteilen des Reichsgerichts dargestellt wird.
13
Vgl. auch unter 4., S. 125 f. Genauer dazu s. o., S. 79 f. 15 Schubert (Hrsg.) Protokolle ADHGB Bd. 2, S. 643: Die „Annahme einer solchen Obliegenheit sei so allgemein“ – gegen den Vorschlag, keine Untersuchungspfl icht, sondern nur eine Anzeigepflicht zu statuieren. 16 Vgl. Schubert (Hrsg.) Protokolle ADHGB Bd. 2, S. 642 ff. und Bd. 3 S. 1383. 14
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen
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a) Älteste Verwendungen Die frühesten versicherungsrechtlichen Kodifikationen im deutschen Rechtskreis waren das königlich-preußische Seerecht von 1727 und die Assecuranzund Haverey-Ordnung der Stadt Hamburg von 173117. Das preußische Allgemeine Landrecht (ALR) von 1794 war die erste allgemeine zivilrechtliche Kodifikation, die eine systematische Regelung des Versicherungsrechts enthielt18 . In diesem Gesetzbuch wurde der Ausdruck „Obliegenheit“ zwar mehrfach verwendet19. Gerade in den ausführlichen Regelungen für Versicherungen (§§ 1934–2358 II 8, insbesondere in §§ 2024 ff., 2104 ff.) wurde jedoch ausschließlich von Pflichten, von „müssen“, „sollen“ und ähnlichem gesprochen 20 . Die früheste speziell für das Versicherungsrecht bekannte, jedoch zunächst vereinzelt gebliebene Verwendung des Ausdrucks „Obliegenheiten“ stammt aus der Verfassung der Feuerversicherungsbank in Gotha von 1820, wo die Pflichten beider Vertragsparteien, einschließlich Versicherungsleistung und Prämienzahlungspflicht, damit bezeichnet wurden 21. Es wurde also bei der Bezeichnung kein Unterschied zwischen Haupt- und Nebenleistungspflichten gemacht. Der Dresdner Entwurf zum Schuldrecht von 1866 enthielt in seinen Bestimmungen über den Versicherungsvertrag (Art. 894–921) ausschließlich Formulierungen wie „ist verpflichtet . . . anzuzeigen“22 . Hingegen lautete Art. 280: „Erfüllt der Schuldner die ihm obliegende Verbindlichkeit aus Verschulden nicht, so hat er . . . Schadensersatz zu leisten.“ Das zeigt, dass auch die Verfasser des Dresdner Entwurfs die heute als Obliegenheiten angesehenen Verhaltenspflichten nicht von anderen Pflichten unterschieden. Im Folgenden näher untersucht werden sollen ältere Allgemeine Versicherungsbedingungen und das Versicherungsvertragsgesetz von 1908.
b) Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) Bereits vor Inkrafttreten des Versicherungsvertragsgesetzes statuierten die AVB zahlreiche heute Obliegenheiten des Versicherungsnehmers genannte Ver17
Vgl. F. Ebel, HdV (1988) S. 618 f. und Koch, FS Schmidt (1976) S. 301 f. Dazu allgemein W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 57 f.; Koch, FS Schmidt (1976) S. 303 ff.; Duvinage (1987) S. 3 ff. 19 S. o., S. 115 f. 20 Vgl. zur in der Literatur vertretenen a. A. sowie Argumente dagegen s. u., S. 132. 21 Abschnitt IV.: Versicherungsbedingungen und Pflichten der Bank und ihrer Teilnehmer, in: DVfVW (Hrsg.) Sammlung von Versicherungsbedingungen (1908) S. 9. 22 Vgl. den Entwurf in Malß Z. 2 (1868) S. 104–112. Allgemein zum Versicherungsrecht im Dresdner Entwurf Duvinage (1987) S. 28 ff. 18
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
haltenspflichten. Der Hauptzweck des VVG war es, die Möglichkeiten der Versicherer zu beschränken, durch ihre AVB den Versicherungsvertrag einseitig zu diktieren 23 . Man könnte nun vermuten, dass die älteren AVB bereits den für das heutige Versicherungsrecht so geläufigen Ausdruck „Obliegenheiten“ verwendeten. Tatsächlich ist dies grundsätzlich gerade nicht so. Ganz ohne den Ausdruck „Obliegenheit“ kommen die meisten frühen AVB aus, so die Feuerversicherungsbedingungen von 187524 . Hier ist im Zusammenhang mit Anzeigen bei Vertragsschluss (§ 4) und Rettungshandlungen im Falle des Brandes (§ 6) nur davon die Rede, wozu der Versicherte „verpflichtet“ ist. Besonders deutlich zeigt § 4 Abs. 2, dass kein Unterschied zu anderen Pflichten gemacht wird, indem er formuliert: „Ist diese Verpflichtung [die Anzeigepflicht] nicht erfüllt, so hat die Gesellschaft keine Entschädigungsverpflichtung.“ Ähnlich sind auch die §§ 3, 6 und 8 der Feuerversicherungsbedingungen von 1886/1887 gefasst 25 . Nur das Adjektiv kommt einmal vor, und zwar zur Verstärkung von Pflicht: § 13 der Fassung von 1875 spricht vom Verlust des Entschädigungsanspruches bei nicht vollständiger Erfüllung der „nach § 6 a und b obliegenden Pflichten“. Diese bzw. ähnliche Verbindungen hat auch das BGB bevorzugt 26 . In den AVB für die Feuerversicherung von 190927 ist zwar noch in §§ 4 und 11 von Anzeigepflichten die Rede und § 6 regelt die Gefahrerhöhung ohne Pflichtbegriffe zu verwenden. § 12 spricht dann aber erstmals von „Verletzung einer Obliegenheit“, allerdings ohne dass ersichtlich inhaltliche Änderungen daran geknüpft gewesen wären. 1930 28 ist dann wieder ausschließlich von „Pflichten“ die Rede. So statuiert § 5 die „Pflicht“ zur Anzeige von Gefahrumständen bei Vertragsschluss, § 6 spricht von „Pflichten“ nach Nr. 1, d. h. bzgl. der Gefahrerhöhung und § 14 heißt „Pflichten des Versicherungsnehmers im Schadenfall“. Auch die AVB für die Unfallversicherung sprachen ursprünglich nur von Pflichten. So führt § 5 der AVB von 190429 auf, wozu der „Versicherte verpflichtet“ ist, wenn ein Unfall stattgefunden hat und § 11 gibt der Gesellschaft das Recht, die Entschädigung abzulehnen, „wenn der Versicherte oder seine Rechtsnachfolger die ihnen nach § 5 der Bedingungen obliegenden Pflichten nicht oder
23
Dazu im Zusammenhang mit der Entstehung des VVG 1908 mwN s. u., S. 171. AVB des Verbandes Deutscher Privat-Feuerversicherungsgesellschaften von 1875, bei Prang (2003) Anhang I, S. 193 ff. Vgl. für die hier und im Folgenden genannten Feuerversicherungsbedingungen auch die Sammlung des DVfVW (1908). 25 AVB für die Feuerversicherung von 1886/1887, bei Prang (2003) Anhang I, S. 198 ff. 26 Dazu gleich S. 121 ff. 27 AVB für die Feuerversicherung von 1909, Prang (2003) Anhang I, S. S. 202 ff. 28 AVB für die Feuerversicherung von 1930, bei Prang (2003) Anhang I, S. 212 ff. 29 AVB des Verbandes der in Deutschland arbeitenden Unfallversicherungsgesellschaften von 1904, bei Prang (2003) Anhang I, S. 219 ff. 24
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen
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nicht rechtzeitig erfüllt haben“. Noch 1910 30 heißt § 9 „Pflichten nach Eintritt des Unfalls“. Ähnlich den Feuerversicherungsbedingungen von 1909 spricht allerdings auch hier § 15 vom Rechtsverlust, wenn „eine Obliegenheit verletzt“ wird. In den Unfallversicherungsbedingungen seit 1920 ist dann vermehrt von „Obliegenheiten“ die Rede, zu denen der Versicherungsnehmer „verpflichtet“ ist 31. Der Befund, dass in AVB zunächst nur von „Pflichten“ gesprochen wurde und erst allmählich, nämlich seit dem Inkrafttreten des VVG das Wort „Obliegenheiten“ immer häufiger eingesetzt wurde, gilt nicht nur für die Feuerversicherung und die Unfallversicherung, sondern auch für die Lebensversicherung32 , die Haftpflichtversicherung33 sowie die Kraftfahrzeughaftpflicht 34 . Die AVB übernehmen also den Ausdruck „Obliegenheiten“ nur aus dem VVG. Eine Ausnahme gilt nur für die Seeversicherungsbedingungen. Hier kam tatsächlich schon sehr früh das Wort „Obliegenheiten“ häufiger vor. Zuerst wurde es in § 114 des Allgemeinen Plan hamburgischer Seeversicherungen (1847) verwendet, dann in § 136 Abs. 2 der Allgemeinen Seeversicherungsbedingungen (1867) 35 .
c) Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) Es sieht demnach so aus, als ob die Verwendung von „Obliegenheiten“ als verallgemeinernde Bezeichnung für Verhaltenspflichten des Versicherungsnehmers durch das schweizerische36 und das deutsche Versicherungsvertragsgesetz 30
AVB für die Einzel-Unfallversicherung von 1910, bei Prang (2003) Anhang I, S. 225 ff. Vgl. §§ 9, 10, 16 der AVB für die Unfallversicherung von 1920, bei Prang (2003) Anhang I, S. 233 ff. sowie die §§ 9, 10 der AVB von 1937, bei Prang (2003) Anhang I, S. 243 ff. 32 Insbesondere § 7 („Verletzung der Anzeigepflicht“) der AVB für die Lebensversicherung von 1909, bei Prang (2003) Anhang I, S. 262 ff. und die entsprechende Formulierung in § 8 der AVB von 1930, bei Prang (2003) Anhang I, S. 269 ff. 33 Das Recht, die Entschädigung abzulehnen bei Verletzung der „nach § 4 und § 6 obliegenden Pflichten“ in § 12 der AVB für die Haftpfl ichtversicherung von 1905, bei Prang (2003) Anhang I, S. 275 ff. und § 12 („Anzeige- und Auskunftspfl icht“) und § 18 (Rechtsverlust bei Verletzung einer „Obliegenheit“, obwohl vorher nur von „Pflichten“ und „verpflichtet“ sein gesprochen wurde) der AVB von 1910, bei Prang (2003) Anhang I, S. 281 ff.; 1921 und 1941 ist dann in §§ 5, 6 der jeweiligen AVB von „Obliegenheiten des Versicherungsnehmers“ die Rede, zu denen dieser aber „verpflichtet“ ist, vgl. bei Prang (2003) Anhang I, S. 289 ff. bzw. S. 296 ff. 34 Insbesondere § 5 („Obliegenheiten im Schadenfalle“) und § 6 („Wird eine Obliegenheit verletzt . . .“) der AVB für die Kraftfahrversicherungen von 1929, bei Prang (2003) Anhang I, S. 304 ff. 35 Vgl. Amthor (1923) S. 17 ff.; Bruck, PrivatversR (1930) S. 276 mit Anm. 1. 36 Das schweizer VVG trat zwar zeitgleich mit dem deutschen in Kraft am 1. 1. 1910, der Roelli-Entwurf war aber älter und die Grundlage auch des deutschen Gesetzes, vgl. W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 62; Duvinage (1987) S. 66 f., 134. Jüngst ausführlich zur Entstehung des schweizer Gesetzes und zu Roellis Beitrag Suter, Herbeiführung (Zürich 1999) S. 6 ff. 31
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
und eher zufällig zur Anwendung gekommen ist. Was den Gesetzgeber dazu gebracht hat, ist nicht zu ermitteln37. Dabei überrascht es angesichts der heute selbstverständlichen und allgemeinen Wortverwendung festzustellen, dass im Gesetz selbst ursprünglich nur §§ 6 und 32 VVG diese Bezeichnung verwendeten, und zwar ausgerechnet bezüglich der in den AVB vereinbarten Verhaltensanforderungen, obwohl – wie zuvor geschildert – in den AVB selbst grundsätzlich nicht von „Obliegenheiten“, sondern „Pflichten“ die Rede war. § 62 Abs. 2 („Hat der Versicherungsnehmer diese Obliegenheiten verletzt . . .“) wurde erst 1939 in das VVG eingefügt38 . Dass die Verfasser des VVG „Obliegenheit“ ausschließlich im Sinne einer Verbindlichkeit oder Rechtspflicht verstanden, wird im Zusammenhang der dogmatischen Entwicklung genauer ausgeführt 39. Der Befund zum VVG und dem Willen seiner Verfasser ist jedenfalls eindeutig: es sollte kein neuer „Begriff“ geschaffen werden40 . Ehrenzweig formulierte etwas polemisch, aber in der Sache treffend, dass dem Gesetzgeber „jede böse Absicht“ fern gelegen habe41. Es entbehrt jeder Grundlage, wenn Manigk – nicht zufällig ohne Beleg – behauptet, das Gesetz nehme in § 6 VVG eine Würdigung der besonderen Rechtsnatur durch die Bezeichnung als „Obliegenheiten“ vor42 . Nicht zutreffend ist es auch, dass der „Begriff“ ein spezifisch versicherungsrechtlicher Terminus wäre, der allein dem VVG bekannt sei43 , wie sich aus den vorhergehenden, aber auch aus den noch folgenden Ausführungen ergibt. Dass hingegen ältere Vertreter der versicherungsrechtlichen Voraussetzungstheorie vor der Ausdehnung des „Begriffes“ durch R. Schmidt meinten, Obliegenheiten seien eine Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts44 , ist nicht verwunderlich. Denn allerdings wurde der materielle Obliegenheitsbegriff der Voraussetzungslehre, im Sinne 37 Genauer zur Vorstellung des historischen Gesetzgebers, dass Obliegenheiten „normale“, nach den allgemeinen Vorschriften zu behandelnde Pflichten sind, s. u., S. 173 ff. 38 VO vom 19. Dezember 1939, RGBl I (1939) S. 2443 ff. 39 S. u., S. 173 ff. mit Beispielen aus dem Gesetz und zum Willen des historischen Gesetzgebers. Laut Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30 soll die Begründung zum VVG die Prämienzahlungspfl icht als „eine der wichtigsten Obliegenheiten“ bezeichnen – dies konnte leider nicht in der Begründung (1906) aufgefunden werden. 40 Im Ergebnis wie hier – wenn auch meist apodiktischer – schon Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1239; Frank (1933) S. 33; H. Schmitt (1939) S. 5; Oberbach, AVB II (1947) S. 29 ff.; Weyers (1974) S. 460; Richter (1980) S. 148; Sackhoff (1994) S. 113; Prölss, zuletzt in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 41 Ehrenzweig, ZVW 31 (1931) S. 362. 42 Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 379. Anders hinsichtlich des Gesetzgeberwillens (mit Belegen der schweizerischen Gesetzgebung) Roelli, Kommentar (1914) S. 530 f.: der deutsche Gesetzgeber habe diesen „neugeschaffenen“ Begriff verwendet, um damit Verpfl ichtungen und andere „Pfl ichten“ des Versicherungsnehmers, deren Nichterfüllung einen Rechtsverlust zur Folge habe, zu erfassen. 43 So aber Esser/Schmidt (1995) S. 113. 44 Etwa Bruck, ZVW 26 (1926) S. 190; Hagen, JRPV 1932, S. 34.
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eines von „echten“ Rechtspflichten abweichenden Inhalts, im Versicherungsvertragsrecht entwickelt45 . Hier soll es aber eben nicht um solche Umdeutungen oder eigene Definitionsversuche gehen, sondern um bisherige Verwendungen und den damit gemeinten Sinn.
d) Die aktuelle Fassung des VVG nach der Reform Die Kommission zur Reform des VVG hatte erwogen, eine Definition des „Begriffs Obliegenheit“ in das VVG aufzunehmen. Davon wurde dann jedoch „Abstand genommen, weil die Weiterentwicklung der Rechtsprechung beeinträchtigt werden könnte und das Abgrenzungsproblem der verdeckten Obliegenheiten nicht gelöst würde“46 . Das entspricht einer früher vorherrschenden, heute nicht mehr so häufigen Haltung, wonach der Gesetzgeber Begriffsbestimmungen vermeiden sollte, da nicht das Gesetz Rechtsinstitute schaffe, sondern die Wissenschaft47. Jedenfalls bieten bis heute weder das Versicherungsvertragsgesetz noch seine Materialien Argumente für eine besondere Bedeutung des Ausdrucks „Obliegenheit“. Diese ergibt sich auch nicht aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern erst aufgrund der Theorien.
3. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) Eine ähnliche Verwendung, wie durch den VVG-Gesetzgeber, gilt grundsätzlich48 auch für das BGB49. Ein „minderer“ Pflichtigkeitsgrad oder sonstige inhaltliche Unterscheidungen zu anderen Pflichten sind damit bis auf eine Ausnahme nicht verbunden. R. Schmidt versuchte allerdings auch hier, sich Optionen für seine Auffassung zu eröffnen. Er zählte die Vorschriften nur knapp auf, führte inhaltlich nichts aus und behauptete dennoch, dass in diesen Normen „das Verbum . . . obliegen . . . in einem untechnischen Sinne verpflichtet sein“ bedeute50 . Man
45
Genauer dazu s. u., S. 143 ff., 161 ff. Zwischenbericht der Kommission vom 30. 5. 2002, unter 6.1.2.1; Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, unter 1.2.2.10.4.; Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 68. 47 Genauer und mwN aus der Zeit der Entstehung des BGB Ebel, Legaldefinitionen (1974) S. 170. 48 Eine Ausnahme ist § 309 Nr. 4 BGB-Fassung seit der Schuldrechtsmodernisierung, dazu sogleich im Text genauer. 49 Die Stellen sind auffindbar über Gradenwitz, Wort-Verzeichnis (1902), s.v. obliegen/ Obliegenheit. 50 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 102 mit Fn. 479. Dieser angeblich „genauere(n) In46
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
braucht nur die Vorschriften anzuschauen, um die Unlauterkeit dieses Vorgehens zu erkennen. Dies wird im Folgenden so knapp wie möglich getan. Das BGB erwähnt bereits in seiner ursprünglichen Fassung das Substantiv einmal in § 2217 Abs. 1, nämlich die „Obliegenheiten“ des Testamentsvollstreckers und spricht bis heute auch in § 2219 Abs. 1 von der Verletzung der diesem „obliegenden Verpflichtungen“, für welche er zum Schadensersatz (!) verpflichtet ist. Niemand hat hierfür das Vorliegen einer „echten“ Rechtspfl icht bezweifelt. Seit der Schuldrechtsmodernisierung 2002 enthält auch § 309 Nr. 4 BGB das Substantiv, nämlich „die gesetzliche Obliegenheit . . ., den anderen Vertragsteil zu mahnen oder ihm eine Frist . . . zu setzen“51. Diese (seltene) Verwendung durch den BGB-Gesetzgeber erfolgte vor dem Hintergrund der Theorien, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen werden soll52 . Falsch ist jedenfalls die immer wieder zu findende Behauptung, der Ausdruck „Obliegenheit“ komme im BGB nicht vor53 . Die adjektivische Form wird hingegen immer im Zusammenhang unbestrittener, echter Pflichtigkeit verwendet. So sprechen §§ 274 Abs. 2, 320 Abs. 1 S. 1 und § 387 von einer (dem Schuldner bzw. Gläubiger) „obliegenden Leistung“. Vor der Schuldrechtsreform war diese Formulierung auch noch in §§ 323 Abs. 1, 324 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 325 Abs. 1 S. 1 und 326 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. zu finden. Auch § 321 BGB a. F. enthielt diese Formulierung, die erstaunlicherweise in der verbesserten Fassung der Vorschrift nach der Schuldrechtsmodernisierung nunmehr als Abs. 1 vorkommt. Da es sich hier unzweifelhaft um „echte“ Rechtspflichten, nämlich sogar um im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende bzw. bei § 387 BGB aufrechenbare und in § 274 BGB zurückzubehaltende Leistung handelt, entspricht die Wortverwendung folglich derjenigen in § 2217 BGB. Die Änderungen der §§ 323–326 BGB fanden bekanntlich aus anderen Gründen statt. Auch § 53 BGB ist eindeutig. Danach sind Liquidatoren, welche ihnen „obliegende Verpflichtungen“ verletzen, schadensersatzpflichtig. Nach der h. M. wäre allein die Rechtsfolge schon ein Indiz für „echte“ Rechtspflichten und auch wenn man sich die Pflichten im Einzelnen ansieht, bestehen diesbezüglich keine Zweifel. Ähnlich sprachen §§ 440 Abs. 1 S. 1 und 443 BGB a. F. von den dem Verkäufer „obliegenden Verpflichtungen“, womit seine Hauptleistungspflicht bzw. seine Mängelgewährleistungspflicht gemeint waren.
terpretation“ folgte Staudinger11/Weber (1967) Einl. vor § 241, M 3, S. 180. Ebenso mit ausdrücklichem Bezug auf R. Schmidt BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15. 51 Vorher war dies schon der Wortlaut des § 11 Nr. 4 AGBG. 52 Zur Einordnung als Erklärungsobliegenheiten vgl. oben, § 3 II.3.a). 53 So bei JurisPK-BGB§/Toussaint (2004) § 241 BGB, Rn. 17; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 122.
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen
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Dem Schenker „obliegende Unterhaltspflichten“ (§§ 519 Abs. 1, 528 Abs. 1, 529 Abs. 2 BGB) sind normale, einklagbare Verpflichtungen desselben. Vor der Mietrechtsreform von 2001 war in § 553 BGB a. F. das (fristlose) Kündigungsrecht des Vermieters bei vertragswidrigem Gebrauch, u. a. bei Gefährdung der Mietsache durch Vernachlässigung „der dem Mieter obliegenden Sorgfalt“ enthalten. Das erinnert von der Rechtsfolge her an die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Tatsächlich wird der vertragsgemäße Gebrauch durch den Mieter aber als dessen Nebenpflicht angesehen, wobei dem Vermieter Unterlassungsklage (§ 550 BGB a. F. bzw. § 541 BGB n. F.) und ein Schadensersatzanspruch zustehen. Selbst die Voraussetzungslehre bejaht hier also die „echte“ Rechtspflicht zur entsprechenden Sorgfalt. Die derzeit geltende Norm ist § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB, allerdings ohne die genannte Formulierung. Die Begründung des Regierungsentwurfes von 2000 zu § 543 enthält diesbezüglich keine Aussage 54 . Die Änderung ist also hinsichtlich des alten Wortlauts eher zufällig erfolgt, da als Ziel vor allem eine einheitliche Vorschrift zur außerordentlichen fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund geschaffen werden sollte. Die parallele Vorschrift für das Pachtrecht (§ 605 Nr. 2 BGB), ebenfalls mit der Formulierung („Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt“) gilt bis heute. In § 586 Abs. 1 BGB a. F. war für die Landpacht samt Inventar bestimmt, dass dem Pächter die Erhaltung der einzelnen Inventarstücke „obliegt“. Hier wurde ausnahmsweise einmal die Verbform verwendet 55 . Die gleiche Formulierung hat § 582 Abs. 1 BGB n. F. übernommen. Gem. § 618 Abs. 3 BGB ist der Dienstberechtigte zum Schadensersatz verpflichtet. Erfüllt er „die ihm in Ansehung des Lebens und der Gesundheit des Verpflichteten obliegenden Verpflichtungen nicht, so finden auf seine Verpflichtung zum Schadensersatz die für unerlaubte Handlungen geltenden Vorschriften der §§ 842 bis 846 entsprechende Anwendung“. Hinsichtlich des Pflichtengrades kommt kein Zweifel auf. § 619 BGB spricht im gleichen Zusammenhang nochmals von „obliegenden Verpfl ichtungen“. Nach § 708 BGB hat der Gesellschafter „bei der Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen“ für die diligentia quam in suis einzustehen und § 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB gibt ein Kündigungsrecht für die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung einer „nach dem Gesellschaftsvertrag obliegenden wesentlichen Verpflichtung“. Der Anweisende kann die Anweisung, solange der Angewiesene sie nicht gegenüber dem Anweisungsempfänger angenommen, und sich damit selbst ver-
54 55
Vgl. BT-Ds. 14/4553, S. 43 f. Neben §§ 844 und 1041 BGB – dazu siehe sogleich im Text.
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
pflichtet hat 56 , gem. § 790 S. 2 BGB auch dann widerrufen, wenn er dadurch „einer ihm gegen den Anweisungsempfänger obliegenden Verpflichtung“ zuwiderhandelt. Gemeint sind damit Fälle, in denen eine Verbindlichkeit übernommen wurde, die Anweisung aufrecht zu erhalten und dem Angewiesenen eine eigene Nachprüfung erspart werden soll 57. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB enthält die Schadensersatzpflicht des Beamten bei Verletzung seiner „ihm Dritten gegenüber obliegende(n) Amtspflicht“58 . § 844 Abs. 1 BGB verwendet die Verbform und bestimmt eine Ersatzpflicht gegenüber demjenigen, „welchem die Verpflichtung obliegt“, die Kosten der Beerdigung zu tragen (gemäß § 1968 BGB ist dies der Erbe). Ähnlich formuliert auch § 1041 S. 2 BGB für die Pflicht des Nießbrauchers zur Unterhaltung der Sache. Weitere, inhaltlich den bisher aufgezählten entsprechende Formulierungen enthielten ältere Fassungen der familienrechtlichen Vorschriften 59. Wegen der umfangreichen Reformen des Familienrechts erscheint hier das detaillierte Eingehen auf die alten Regelungen müßig. Erwähnt sei aber der noch immer in leicht veränderter Form geltende § 1499 Nr. 1 BGB, der die der „Gütergemeinschaft obliegenden Gesamthandverbindlichkeiten“ nach dem Tode des einen Ehegatten dem anderen allein aufbürdet. Ebenfalls in veränderter Gestalt spricht § 1817 BGB noch heute von dem Vormund „obliegenden Verpflichtungen“. Im Erbrecht regelt § 1974 Abs. 2 BGB die „dem Erben nach § 1973 Abs. 1 S. 2 obliegende Verpflichtung“, womit die Befriedigung des im Aufgebotsverfahren ausgeschlossenen Gläubigers gemeint ist – die Verpflichtung ist also eine einklagbare. Nach §§ 2219 Abs. 1, 2220 BGB haftet der Testamentsvollstrecker für die schuldhafte Verletzung der „ihm obliegenden Verpflichtungen“. Diese Regelung ist zwingend. § 2261 S. 1 BGB bestimmt, dass die Eröffnung des amtlich verwahrten Testaments dem Gericht obliegt. Und § 2333 Nr. 4 BGB führt die böswillige Verletzung der „dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht“ als Grund für die Entziehung des Pflichtteils auf. Die Beweis-
56
Vgl. § 784 BGB. Vgl. dazu Palandt65/Sprau (2006) § 790 BGB, Rn. 6. 58 Zu „Amtsobliegenheiten“ auch s. o., S. 115. 59 § 1314 Abs. 1 und 2 BGB a. F. „Verpfl ichtungen erfüllt . . . oder nicht obliegen“; § 1385 Ziff. 1 BGB a. F. „Die der Frau obliegenden öffentlichen Lasten . . .“; § 1534 BGB a. F. „Das Gesammtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die ihr auf Grund der gesetzlichen Unterhaltspflicht obliegen.“; § 1657 S. 1 BGB a. F. „ihm dem Kinde gegenüber obliegende Verbindlichkeit . . . sofort zu erfüllen“; § 1667 Abs. 2 BGB wurde zwar erheblich verändert, aber auch die aktuelle Fassung spricht noch von „Verpflichtungen“, die dem „Vormund obliegen“; ähnlich auch § 1670 S. 1 BGB a. F.: die dem Vater „obliegenden Verpfl ichtungen“ und § 1674 BGB a. F. für den Vormundschaftsrichter und § 1760 Abs. 1 S. 1 BGB a. F. den (an Kindesstatt) Annehmenden; vgl. auch §§ 1845, 1845, 1872 BGB a. F. 57
II. Gesetze und sonstige juristische Verwendungen
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führung hierfür „liegt“ gemäß § 2336 Abs. 3 BGB „demjenigen ob, welcher die Entziehung geltend macht“. Von „in einem untechnischen Sinne verpflichtet sein“ – wie R. Schmidt behauptete60 – war also an keiner der Stellen die Rede. Vielmehr verwendete der BGB-Gesetzgeber gerade das Adjektiv unbefangen zur sprachlichen Verstärkung von „Verpflichtung“ oder „Verbindlichkeit“. Sofern ursprüngliche Vorschriften, die den Ausdruck „obliegen“ enthielten, aufgehoben oder im Wortlaut geändert wurden, geschah dies nie aus Erwägungen zur „Rechtsnatur“ oder zum Pflichtigkeitsgrad von Obliegenheiten, sondern eindeutig aus anderen Gründen. Eine Ausnahme gilt wie beschrieben nur seit 2002 für § 309 Nr. 4 BGB.
4. Weitere Gesetze: Obliegenheit i. S. v. Rechtspfl icht Das Handelsgesetzbuch enthielt in seiner ursprünglichen Fassung Formulierungen, die „Obliegenheit“/“obliegen“ immer im Sinne von Verbindlichkeiten verwendeten. Diese Vorschriften sind allerdings im Laufe der Zeit durch verschiedene Gesetzesänderungen verschwunden61, weshalb hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll62 . Es gibt zahlreiche andere, noch immer geltende Vorschriften außerhalb des HGB, von denen hier nur einige genannt werden. Ein prominentes Beispiel ist Art. 6 Abs. 2 GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Interessanterweise sprach schon das preußische ALR von 1794 im Zusammenhang mit den Rechten und Pflichten der Eltern von einer „Obliegenheit“ zu Aufsicht und Pflege 63 . Ein weiteres aktuelles Beispiel ist § 19 Abs. 1 S. 3 AtomG, wonach auf die „Befugnisse und Obliegenheiten“ der Aufsichtsbehörden § 139 b GewO Anwendung findet. Die Verwendung entspricht jedenfalls der bereits beschriebenen zu anderen sog. Amtsobliegenheiten64 , sie ist also ohne Unterschied zu anderen Pflichten. Nach § 43 Abs. 2 GmbHG „haften“ Geschäftsführer, die ihre „Obliegenheiten“ verletzen, „der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden“. § 52 Abs. 3 GmbHG legt die Verjährungsfrist für „Schadensersatzansprüche gegen die Mitglieder des Aufsichtsrates wegen Verletzung ihrer Obliegenheiten“
60 61 62 63 64
R. Schmidt, Obliegenheiten (1953), S. 102. §§ 221, 246, 249 HGB wurden 1937 a.K. gesetzt, § 486 I Nr. 2 HGB später geändert. Näher dazu Frank (1933) S. 7 und 33. Vgl. §§ 64, 70, 71 II 2 ALR. S. o., S. 115.
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§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
auf fünf Jahre fest. In beiden Fällen lässt sich der Wortgebrauch nur mit der Annahme von „echten“ Verbindlichkeiten erklären. Weitere ähnliche Beispiele, die hier nicht näher ausgeführt werden sollen, liefern § 22 Abs. 5 StBerG, §§ 75, 133 VAG, § 70 AO 1977.
5. Die Verwendung in Urteilen Auch in der Rechtsprechung wurden „Obliegenheit“ bzw. „obliegen“ wiederholt gebraucht, wenn es um „echte“ Pflichten geht. Dazu einige wenige Beispiele: So stellte der BGH 2004 fest, dass ein Unternehmen, welches eine Internetplattform für Fremdversteigerungen betreibt, nicht ohne konkrete Kenntnis der Inhalte nach § 11 TDG für die eingestellten Angebote Dritter in Anspruch genommen werden kann, da es ihm nicht zuzumuten sei, jedes Angebot vor der Veröffentlichung auf mögliche Rechtsverletzungen hin zu untersuchen65 . „Eine solche Obliegenheit würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen“66 . Dabei ging es um Auskunfts-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, die typischen Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen. Mit der h. M. ist hier die Bezeichnung nicht zu erklären. Auch die Instanzgerichte erschaffen neue Obliegenheiten, so zum Beispiel zur Frage des Mitverschuldens nach § 254 BGB eine „Markterkundungsobliegenheit“67. Hier handelt es sich um einen offenen Sprachgebrauch, der sowohl im Sinne der h. M. gemeint sein könnte, als auch im Sinne einer „echten“ Pflicht. Besonders häufig wird in der Rechtsprechung aber „obliegen“ verwendet. Bemerkenswert spricht der BGH in einer älteren Entscheidung kurz vor Erscheinen der Schrift R. Schmidts im Zusammenhang mit § 254 BGB, der ja nach überwiegender Ansicht eine Schadensabwendungs- und Minderungsobliegenheit enthalten soll, davon, „dass es sich bei dem Verschulden des Geschädigten im Sinne von § 254 nicht um eine Verletzung einer ihm gegenüber einem anderen obliegenden Leistungspflicht, sondern um ein Verschulden in eigenen Angelegenheiten handelt“68 . Obwohl also inhaltlich entsprechend der Voraussetzungstheorie argumentiert wird, verwendet der BGH als klarstellenden Gegensatz die „obliegende Leistungspflicht“. 65 Konkret ging es um eBay. Zu der Entscheidung und § 11 TDG vgl. Gramespacher, JurPC-Dok. 131/2005, www.jurpc.de/aufsatz/20050131.htm. 66 BGH vom 11. 3. 2004, BGHZ 158, 236 (251 f.). Dem hat sich das LG München, K&R 2004, S. 184 (184 und 189) fast wörtlich für einen Fall angeschlossen, in welchem es um die Verlinkung auf Seiten ging, mit welchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen verbunden waren (Playboy-Fotos). 67 LG Aschaffenburg vom 20. 1. 1994, ZfSch 1994, 167 f. 68 BGH vom 3. 7. 1951, BGHZ 3, 46 ff. (49).
III. Zwischenstand
127
Ähnlich benutzt ein späterer Leitsatz „obliegend“ zur näheren Beschreibung einer Pflicht: „Erfüllungsgehilfe ist, wer . . . bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird“69. Im Jahre 2005 entschied der BGH über einen geltend gemachten Schadensersatzanspruch70 . Dabei bezeichnete das Gericht die vorvertraglichen Aufklärungspflichten eines Maklers als „typische Schuldnerverpfl ichtungen“, die diesem „obliegen“. Auch hier meint „obliegen“ also die Verpflichtung im konkretjuristischen Sinne.
III. Zwischenstand Die Untersuchung der Verwendung von „Obliegenheit/obliegen“ bestätigt die aus der Untersuchung der einzelnen Tatbestände (§ 3) entstandenen Vorbehalte gegen die Voraussetzungstheorie. In der allgemeinen Sprache und ursprünglich auch in der juristischen Terminologie bedeutete „Obliegenheit“ nichts anderes als „Pflicht“71. Der Ausdruck ist also keineswegs „unbestimmt“ gewesen 72 . Die „obliegende Pflicht“ oder „obliegende Verbindlichkeit“ sind in der Gesetzgebung 73 und in der Rechtsprechung74 sehr häufig verwendete Wortverbindungen. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Tautologie, denn „obliegend“ heißt hier schlicht „verpflichtet sein“. Eine besondere Beurteilung der Verhaltenspflichten des Versicherungsnehmers ist zuerst mit der Voraussetzungstheorie im Versicherungsvertragsrecht seit Beginn des 20. Jahrhunderts aufgekommen. Das soll im folgenden Abschnitt (§ 5) genauer beschrieben werden. Nur scheinbar einen „Begriff“ dazu lieferte unbeabsichtigt das VVG75 . Im allgemeinen bürgerlichen Recht wurde der Ausdruck „Obliegenheit“ bis zu der Schrift von R. Schmidt eher vereinzelt und zufällig verwendet 76 . Seither 69
BGH vom 21. 4. 1954, BGHZ 13, 111 (Leitsatz). BGH vom 22. 9. 2005, NJW 2005, S. 3778 f. 71 S. o., S. 144 ff. 72 So aber Hagen, JRPV 1932, S. 34 f. Nach Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1239 und Roelli, Kommentar (1914) S. 531, die den Ausdruck zwar für neu, aber auch neutral hielten, fielen darunter auch „eigentliche Rechtsverbindlichkeiten“. Ehrenzweig, ZVW 31 (1931) S. 362 dagegen spricht von einem (nur) schwerfälligeren und daher minder gebräuchlichen Ausdruck. 73 Am deutlichsten sind die S. 121 ff. ausgeführten Beispiele des BGB. 74 Außer den S. 126 f. genannten Beispielen noch BGH vom 28. 6. 2006, NJW 2006, 2619, Rn. 15 und BGH vom 3. 3. 2009, Az. XI ZR 41/08 Rn. 24 („Verpfl ichtung oder Obliegenheit“ im Zusammenhang mit geltend gemachtem Schadensersatz). 75 Zum tatsächlichen Willen des historischen VVG-Gesetzgebers s. u., S. 173 ff. 76 Vgl. etwa Stoll (1943) S. 180: Die Annahme oder Mitwirkung des Gläubigers sei „keine Leistungspflicht, sondern Voraussetzung des Leistungserfolges, eine Obliegenheit im eigenen Interesse“ und Palandt9/Danckelmann (1951) § 254 BGB, Anm. 2, der auch (schon) von einer Obliegenheit sprach. 70
128
§ 4. Der Ausdruck „Obliegenheit“
hat der Ausdruck aber eine geradezu inflationäre Verwendung in der Rechtswissenschaft erfahren, wie schon die Darstellung der Tatbestände gezeigt hat 77. Auch die Rechtsprechung war wenig differenziert78 . Heute werden als „Obliegenheiten“ sehr verschiedene Erscheinungen bezeichnet. Dies geschieht meist nur scheinbar als Konsequenz der herrschenden Ansicht über die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten. Die Benennung erfolgt vor allem für Tatbestände, die irgendein Verhalten fordern. Streit über die Rechtsfolgen dieses Verhaltens besteht jedoch – im Gegensatz zu den älteren Tatbeständen – nicht. Die neueren sind also in der Regel Obliegenheiten ohne Theorienrelevanz, welche in der vorliegenden Untersuchung als Obliegenheiten i. w. S. bezeichnet werden79. Durch sie entstand der weit verbreitete Eindruck, dass man an der (minderen) Pflichtigkeit von Obliegenheiten gar nicht zweifeln könne. Die andererseits noch immer aktuelle Verwendung des Ausdrucks „Obliegenheit“ im Sinne von „Pflicht“ liegt wohl in erster Linie daran, dass dies die ältere, ursprüngliche Bedeutung ist und daher das Wort immer dann bedenkenlos benutzt wird, wenn es nicht speziell um die Probleme geht, die man mit den verschiedenen Theorien zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten zu lösen versuchte. Den kleinsten gemeinsamen Nenner für alle juristischen Verwendungen des Wortes „Obliegenheit“ bildet jedenfalls die Erklärung als „Verhaltenserwartung/Verhaltensanforderung im weitesten Sinne“. Nun sagen die Ergebnisse der sprachlichen Analyse vielleicht nicht mehr aus, als dass die Wortwahl R. Schmidts nicht ideal war, weil er zu sehr auf das Versicherungsrecht und zu wenig auf die allgemeine Wortbedeutung geachtet hat. Gelegentlich wurde daher die Verwendung des Wortes „Last“ vorgeschlagen80 , was sich aber nicht durchgesetzt hat und auch keine Verbesserung der dogmatischen Probleme bringen würde. Die Untersuchung des Wortes „Obliegenheit“ verstärkt den bereits geäußerten Verdacht, dass die Verbindung von versicherungsrechtlichen Obliegenheiten mit anderen Erscheinungen, anderen Verhaltenserwartungen, grundsätzlich unglücklich war81. Problematisch ist nun, was Gegenstand der weiteren Untersuchung sein soll: Alle Verhaltenserwartungen, die als Obliegenheiten bezeichnet werden, aber sehr verschiedene Funktionen, Interessenlagen und Rechtsfolgen haben, oder nur ein bestimmter Kreis von Verhaltenspflichten, die wirklich mit denen struk77
S. o., S. 47 ff., 52 ff. Vgl. die Beispiele s. o., S. 126 f. 79 S. o., S. 77 ff. und S. 110. 80 Hanau, AcP 165 (1965) S. 239. 81 Ähnlich schon Henß (1988) S. 119: die Terminologie R. Schmidts habe „eher zur Verwirrung beigetragen“. 78
III. Zwischenstand
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turell konform gehen, für die die verschiedenen Theorien ursprünglich entwickelt wurden und die sich beispielsweise durch gemeinsame Interessenlagen auszeichnen. Dabei steht man allerdings vor dem Problem, dass die weitere Verwendung des Ausdrucks nun einmal existiert. Gerade weil unter „Obliegenheiten“ gänzlich verschiedene Verhaltensanforderungen zu finden sind, ist jedenfalls dogmatische Klarheit wünschenswert. Darauf wird in § 8 dieser Untersuchung zurück zu kommen sein, nachdem die historische Entwicklung (§ 5), das Verhältnis von Versicherungsvertragsrecht zu den allgemeinen Vorschriften des BGB (§ 6) und die Argumente der heute herrschenden Meinung (§ 7) genauer betrachtet wurden.
§ 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien I. Grundsätzliches 1. Wozu Dogmengeschichte? Die Rechtsprechung und vor allem die Literatur zum Problemkreis der Rechtspflichten und zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten im allgemeinen sowie zu Einzelfragen wie der Frage der Repräsentantenhaftung im Versicherungsvertragsrecht im speziellen, sind in über 100 Jahren zu einer beträchtlichen und bedrückenden Menge angewachsen. Die „richtige“ Auffassung von der „Rechtsnatur“ bestimmter Verhaltensanforderungen, also die Frage, ob es sich um „echte“ Pflichten handele oder nicht, war in der Vergangenheit, vor der Untersuchung R. Schmidts, vor allem im Versicherungsvertragsrecht viel härter umkämpft als heute. Mit der vorliegenden Untersuchung soll eine praktikable und dogmatisch befriedigende Lösung für die aktuelle Rechtslage gefunden werden. Das Gesetz selbst hat sich dabei – im Gegensatz zur Dogmatik – im letzten Jahrhundert nur in relativ wenigen Details verändert. Die Obliegenheitsproblematik kann aber nur dann sinnvoll beurteilt werden, wenn man die dazu vertretenen Auffassungen und ihre Begründung auch in ihrer historischen Entwicklung genauer kennt und versteht1. Selbst wenn sich die Diskussion von Jahrzehnten als vollkommen überflüssig erweisen sollte – wie es gelegentlich vertreten wird – kann man das nicht a priori statuieren, ohne sie näher durchzusehen. Der Wunsch, dies zu vermeiden, ist allerdings angesichts der Fülle der Literatur verständlich. Zudem ist gerade die Dogmengeschichte – wie sich zeigen wird – ausgesprochen aufschlussreich für Kritik an der heute herrschenden Ansicht.
1 Allgemein zur Bedeutung der historischen Forschung für die moderne Dogmatik (gerade auch im Zusammenhang mit europäischer Rechtsvereinheitlichung) jüngst die von Jansen, ZNR 27 (2005) S. 202 ff. angestoßene anregende Diskussion: Grigoleit, ZNR 30 (2008) S. 259 ff.; Haferkamp, ZNR 30 (2008) S. 273 ff. Looschelders, ZNR 30 (2008) S. 282 ff.; Schwintowski, ZNR 30 (2008) S. 289 ff. (mit dem schönen Gegensatz des Geschichtsbewusstseins eines Bankenrechtlers einerseits und eines Mathematikers andererseits).
132 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Die Konzentration liegt im Folgenden auf der Zeit zwischen 1895 und 1939. Diese Zeit steht deshalb im Mittelpunkt, weil einerseits hier das VVG entstand und in Literatur und Rechtsprechung die Basis für alle späteren Ansichten gelegt wurde und diese Phase andererseits – sehr zu Unrecht – vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Außer für die in § 4 behandelte Wortverwendung weiter zurück zu gehen, erscheint nicht notwendig, weil wenig ertragreich. Mindestens missverständlich ist die Behauptung, die „Theorie der Obliegenheiten“ sei bereits „rudimentär im ALR angelegt“ gewesen 2 . Dies ist anhand dieses preußischen Gesetzes von 1794 nicht nachvollziehbar. § 2104 II 8 ALR spricht lediglich davon, dass der „Versicherte hauptsächlich zur Entrichtung der versprochenen Prämie verbunden“ sei. Im übrigen werden andere „Pflichten“ detailliert beschrieben, ohne dass man aus dieser Scheidung in (nach moderner Terminologie) Hauptund Nebenpflichten eine „Obliegenheitstheorie“, also eine Stellungnahme zu geringerer Pflichtigkeit, fehlender Klagbarkeit etc. entnehmen könnte.
2. Der große Zusammenhang des konkreten Themas Der vorliegend zu untersuchende Problemkreis und damit die Herausbildung der heute herrschenden Ansichten zu den Obliegenheiten hat zwei Wurzeln. Zum einen eine allgemeine zivilrechtliche3 , zum anderen die speziell versicherungsrechtliche4 Wurzel. Für den allgemeinen Rahmen, in welchem sich das Thema entwickelte, muss man aber zunächst etwas weiter ausholen. Zum Verständnis der eigentümlichen, heute „Obliegenheiten“ genannten Verhaltensanforderungen und ihrer Entwicklung soll vorab kurz auf die folgenden wichtigen Aspekte hingewiesen werden.
2 So widersprüchlich (weil er selbst in der Kommentierung zu §§ 33, 34 VVG die Verbindlichkeitstheorie vertritt) BK/Dörner (1999) Einleitung, Rn. 1 unter Hinweis auf Eichler, FS Möller (1971) S. 178, der die Obliegenheiten überhaupt nicht erwähnt, sondern nur das ALR, und Duvinage (1987) S. 9 f. Letztere zitiert ohne eigenen Blick in das ALR und ohne primäres Interesse an den Obliegenheiten Koch, FS Schmidt (1976) S. 308, der wie Eichler und Duvinage allgemeine Kodifikationsgeschichte schreibt, nicht aber die Obliegenheiten näher behandelt. Die Behauptung von Koch bzw. Duvinage, die sich übrigens sinngemäß auch schon bei Heerbach (1930) S. 3 (ebenfalls ohne Blick ins ALR) finden lässt, dass bereits 1794 eine Abgrenzung der Prämienzahlungspflicht „als einzige echte Rechtspfl icht im Gegensatz zu den Obliegenheiten“ vor und nach dem Abschluss des Vertrages „erkannt“ worden sei, entbehrt jeder Grundlage. Vgl. im Übrigen zum ALR s. o., S. 115 ff. 3 Dazu s. u., S. 137 ff. 4 Ausführlich s. u., S. 143 ff., 161 ff.
I. Grundsätzliches
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a) Erfüllungsgehilfenhaftung (§ 278 BGB) Von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklung der Obliegenheitstheorien ist § 278 BGB gewesen. So wie es bei den erst nach Entstehung des BGB genauer untersuchten vertraglichen Schutzpflichten das Ziel war, die Anwendung dieser (gegenüber § 831 BGB für den Anspruchsteller günstigeren) Norm zu erreichen 5 , so spielte deren „Ausschaltung“ bei den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten bzw. für die Entstehung der Voraussetzungstheorie (ursprünglich) die Hauptrolle 6 . Hintergrund für diese versicherungsnehmerfreundliche Rechtsprechung war zum einen, dass man einen weitreichenden Versicherungsschutz sicherstellen wollte, aber auch, dass man über den genauen Anwendungsbereich des § 278 BGB bei seiner Entstehung noch keine klaren Vorstellungen hatte. Im gemeinen Recht, also vor Inkrafttreten des BGB, war nämlich selbst das Einstehenmüssen für Delikte von Hilfspersonen noch überwiegend abgelehnt worden, weil man – im Konflikt zu dem Verkehrsbedürfnis einer sich rasant entwickelnden arbeitsteiligen Wirtschaft – an dem Grundsatz festhielt, dass nur der unmittelbare Schädiger haftpflichtig zu machen sei7. Die Frage einer Dritthaftung war aber auch für die Verletzung vertraglicher Pflichten, für deren Erfüllung die Arbeitsteilung im 19. Jahrhundert zunehmend erforderlich wurde, zur Zeit der Entstehung des BGB sehr umstritten8 . Der 1. Entwurf des BGB enthielt noch keine Regelung dafür. Erst in einem späteren Stadium der Gesetzgebung wurde der Vorschlag gemacht, eine diesbezügliche Regelung (letztlich dann § 278 BGB) in das Gesetz aufzunehmen, da man inzwischen überwiegend
5 Dazu E. Schmidt, AcP 170 (1970) S. 507 ff. (509); Larenz, SchR I (1987) S. 121; Fundel, Haftung (1999) S. 89 ff., 147 ff.; Lorenz, FG 50 Jahre BGH (2000) S. 356 f. Vgl. auch Kupisch, JuS 1983, S. 822 f. Zu den Schutzpfl ichten auch s. u., S. 234 ff., 236 f., 259. 6 Ausführlich dazu s. u. S. 145 ff., 161 ff. 7 Dazu dogmengeschichtlich interessant Ogorek (1975) S. 68 ff. Im antiken römischen Recht hingegen haftete der pater familias sehr umfänglich für Hilfspersonen, nämlich für seine Sklaven und Hauskinder, oder auch für das Verschulden eines Dritten, dessen er sich bei seiner Vertragserfüllung bediente, vgl. Gaius D. 19, 2, 25, 7. 8 Zu diesem Streit und zur Ausgangssituation im römischen Recht ausführlich und mwN Knütel, ZRG RA 100 (1983) S. 340 ff. Zu den in Deutschland vor Inkrafttreten des BGB geltenden Regelungen des gemeinen, preußischen, sächsischen und badischen Rechts, sowie zum schweizerischen, österreichischen und französischen Recht auch Delmere, Erfüllungsgehilfe (1989) S. 42 ff. und diesem recht ähnlich Fundel, Haftung (1999) S. 32 ff. Vgl. auch Schermaier, HKK II/1 (2007) §§ 276–278 BGB, Rn. 82.
134 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien die Haltung des gemeinen Rechts für nicht mehr zeitgemäß hielt9. Das galt in besonderem Maße im Versicherungsvertragsrecht10 . Der genaue Anwendungsbereich des § 278 BGB wurde daher erst nach seinem Inkrafttreten ganz allmählich entwickelt. So war etwa die bis heute mehr aus Tradition erörterte (weil einheitlich verneinte) Frage eines Einstehens für „bei Gelegenheit der Erfüllung“ ausgeübte Delikte der Gehilfen noch lange nach Entstehung des Gesetzes ernsthaft umstritten11.
b) „Schuldverhältnis“, „Rechtspflicht“, klagbare Obligation § 278 BGB begründet die Haftung des Schuldners unter anderem für „Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient“. Da die Norm also an eine Verbindlichkeit des Schuldners anknüpft, hatte dieser Begriff und auch der des Schuldverhältnisses bzw. die Frage nach den Rechtspflichten große Bedeutung. Im 19. Jahrhundert, deutlich vor Entstehung des BGB, wurde der damals neue Ausdruck „Schuldverhältnis“ als deutscher Ersatz der gemeinrechtlichen „Obligation“ eingeführt. Die ausführlichste Begründung liefert die Redaktorenvorlage von v. Kübel12 . Nicht ganz richtig war aber die dortige Aussage, die deutsche Sprache kenne keinen der römischen Obligatio ähnlichen Ausdruck. Die Bezeichnung „Schuldverhältnis“ findet sich nämlich schon vorher13 . 9 Die Gesetzgebungsmaterialien bei Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 242 ff. (mit dem Hinweis des Herausgebers, dass erstmals am 18. 9. 1882 die Frage einer Gehilfenhaftung thematisiert wurde, also nachdem man bereits 8 Jahre gearbeitet hatte) sowie die Motive II, S. 29 f. = Mugdan II, S. 16 f. Zum nach der Entstehung des BGB weiter geführten Streit beispielsweise Nussbaum, Haftung (1898) (zu dessen Theorie genauer s. u., S. 142 f.); Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 270 f.; weitere Nachweise bei Oertmann, Kommentar (1928) § 278 BGB, Anm. 1, S. 162; Knütel, ZRG RA 100 (1983) S. 355; Schermaier, HKK II/1 (2007) §§ 276–278 BGB, Rn. 101 ff. 10 Dazu genauer s. u., S. 145 ff. 11 Vgl. dazu z. B. Oertmann, Kommentar (1928) § 278 BGB, Anm. 3 e b, S. 167 f.; Leonhard, SchR I (1929) S. 461 – jeweils mwN. Gegen diese Differenzierung hingegen noch E. Schmidt, AcP 170 (1970) S. 511. 12 v. Kübel, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Nachdruck der Manuskripte aus den Jahren 1876–1883 (1980) S. 3, Fn. 1. Siehe auch das Protokoll der 62. Sitzung vom 24. 2. 1882 – Prot I 465, in: Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 40: „Der Ausdruck „Schuldverhältniß“ zur Bezeichnung desjenigen Rechtsverhältnisses, welches in dem Sprachgebrauch der Juristen Obligation genannt zu werden pflegt, ist im wesentlichen aus den in den Motiven entwickelten Gründen für das Gesetzbuch zu billigen und in diesem durchzuführen.“ 13 Vgl. z. B. „Unterholzners quellenmäßige Zusammenstellung der Lehre des römischen Rechts von den Schuldverhältnissen mit Berücksichtigung der heutigen Anwendung“ (1840), wo die allgemeine Bedeutung des Wortes auf S. 1 f. ausgeführt wird. Auch wenn Bucher dem entgegen behauptet, den Begriff „Schuldverhältnis“ finde man nicht in der Literatur des 19. Jahrhunderts, sondern erstmals im Entwurf eines BGB für Bayern von 1861, ist ihm grund-
I. Grundsätzliches
135
„Schuldverhältnis“ wurde im Gesetz zunächst im engen Sinne verstanden14 , also als Leistensollen des Schuldners verbunden mit dem Forderndürfen des Gläubigers. Die Verfasser des BGB waren – wenn auch erst nach einer kontroversen Diskussion mit Abstimmung – der Auffassung, unter einem Schuldverhältnis im Sinne der §§ 241 ff. BGB sei nur die klagbare Obligation zu verstehen15 . Das wurde noch lange so vertreten16 . Spätestens seit R. Schmidt genügt aber nach überwiegender Auffassung die Verpflichtung zum Schadensersatz17. Die Unterscheidung des Schuldverhältnisses im weiten Sinne von dem im engen Sinne wurde erst nach Inkrafttreten des BGB voll entwickelt18 . Zunächst verstand man darunter eben nur das Einzelrecht, die Forderung (heute Schuldverhältnis i. e. S. genannt), später auch eine Summe von Forderungen und Rechten (Schuldverhältnis i. w. S.) 19. Ein Zusammenhang vom Schuldverhältnis i. w. S. zu den heute als Obliegenheiten bezeichneten Tatbeständen bzw. der Standort der Obliegenheiten innerhalb des Schuldverhältnisses i. w. S. wurde jedenfalls nicht ernsthaft thematisiert 20 .
c) Besondere Pflichten Außerdem gab es schon im 19. Jahrhundert bestimmte Tatbestände, bei denen diskutiert wurde, ob es sich wirklich um Pflichten handele. Beispielhaft genannt seien hier die Annahme der geschuldeten Leistung durch den Gläubiger21 und sätzlich zuzustimmen, dass es sich um einen Neologismus handelt, der Eigendynamik entwickelte, vgl. dazu ausführlich jüngst Bucher, FS Wiegand (2005) S. 95 ff., 108 ff. 14 Vgl. § 241 BGB a. F., heute § 241 Abs. 1 BGB und § 242 BGB, sowie dazu Hüffer (1976) S. 220; Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 198; Bucher, FS Wiegand (2005) S. 116. 15 Protokoll der Sitzung der 2. Kommission vom 3. 10. 1877, in: Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 46. Dazu auch Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 25. 16 Vgl. z. B. Leonhard, SchR I (1929) S. 20. 17 R. Schmidt, Obliegenheiten, S. 36 – wobei seine Nachweise in Fn. 173 nur teilweise korrekt sind. Vgl. für die heutige Ansicht Soergel12/Teichmann (1990) vor § 241 BGB, Rn. 7; MünchKomm4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 49 mwN. 18 Vgl. Staudinger/Kuhlenbeck (1908) Vorbem. vor § 241 BGB, S. 4 mwN für die ersten Ansätze vor dem BGB, auch für die Auffassung des Schuldverhältnisses als „lebende Kraft“. Außerdem Siber, Rechtszwang (1903) S. 92; Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 57; Planck/Siber (1914) Vorbem. I 1 a, S. 3. Urheber der Differenzierung ist also nicht – wie z. B. Neumann (1989) S. 1 behauptet – Planck/Siber (1914), auch wenn dieser für die Verbreitung durch die Beschreibung als „Organismus“ wesentlich beigetragen haben dürfte. Herholz, AcP 129 (1929) S. 260, 264, 276 f. meinte dann, die „selbständige Natur“ des Schuldverhältnisses als vor (c.i.c.) und über einem Vertrag stehende Rahmen- oder Mantelbeziehung, die auch „das Bestehen eines Vertrags zur Voraussetzung“ haben, neu zu entdecken. 19 Vgl. Neumann (1989) S. 1; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 37 ff. mwN. 20 Dazu genauer s. u., S. 255 ff. 21 Dogmengeschichtliche Ausführungen dazu sowie die Begründung, warum hier die Obliegenheitstheorien wenig weiter helfen, s. o., S. 64 ff.
136 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien die Naturalobligationen 22 . Bei der Entstehung des BGB wurden zwar der Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) und die Naturalobligationen (u. a. §§ 565, 762, 763, 814 BGB) geregelt. Nicht ausdrücklich geregelt wurden jedoch die Schutz- und andere Nebenpflichten, was jedoch nicht bedeutet, dass man diese im 19. Jahrhundert nicht gekannt hätte23 . Hier würde aber eine Klage auf Erfüllung oftmals keinen Sinn machen, etwa bei den Schutzpflichten des Schuldners24 . Nach Entstehung des BGB machte Staub dann seine „Erfindung“ der positiven Vertragsverletzung (pVV) 25 . Der Hintergrund für die zunehmende separate Behandlung und Anerkennung der Schutzpflichten liegt aber letztlich im auch durch Windscheid herbeigeführten Wechsel der Sichtweise: Nicht mehr die durch Streitbefestigung im Prozess begründete konkrete Klage bzw. die aus der Verurteilung resultierende neue obligatio war maßgeblich, sondern das schon zeitlich früher bestehende (materielle) subjektive Recht und das Schuldverhältnis26 . Diejenigen Verhaltensanforderungen, die wir heute Obliegenheiten nennen, erhielten ebenfalls (noch) keine besondere Behandlung oder nur ernsthafte Beachtung, weder vom BGB- noch vom VVG-Gesetzgeber. Aber der Ausdruck selbst, „Obliegenheit“, wurde nicht in einem von „Pflicht“ verschiedenen Sinne verwendet 27. 22 Vgl. insbesondere die Regelungen zur Heiratsvermittlung (§ 656 BGB) und zur Spielschuld (§ 762 BGB). Genauer zu den Naturalobligationen s. u., S. 237 ff. 23 Ausführlich gegen die von Coing und Wieacker begründete h. M., der BGB-Gesetzgeber habe nur die Vertragsverletzung in Form von Verzug und verschuldeter Unmöglichkeit gekannt, Würthwein (1990) passim; Huber, Leistungsstörungen I (1999) S. 79 ff., 89 ff. Präzise auch Ranieri, Europ. Obligationenrecht 3 (2009) S. 676: die allgemeine Kontraktsklage erfasste aus Sicht der gemeinrechtlichen Praxis alle Fallkonstellationen einer unzureichenden Leistungserbringung; erst die begriffsdogmatische Konstruktion der „Unmöglichkeit“ versperrte im deutschen Recht das Verständnis für die traditionelle Sicht. 24 Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 9, 16, 18 und insbesondere S. 17: „über die Leistungspflichten etwa des Verkäufers ist mehr als zweitausend Jahre lang nachgedacht worden, bis man die jetzt mögliche Klarheit erlangt hat; auch die Konkretisierung der Schutzpfl ichten wird – soweit sie überhaupt möglich ist – daher erhebliche Zeit brauchen“. Im Anschluss daran auch Krebs (2000) S. 2 ff. 25 Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, 1902, erweitert 1904. Auch Stoll, AcP 16 (1932) S. 276 ff. betonte, dass die „Staubschen Rechtsfälle“, die zu dessen Ausarbeitung der pVV geführt hatten, vom Gesetzgeber vernachlässigt worden seien. Kritisch dagegen Würthwein (1990) S. 254 ff. (264) und U. Huber (1999) S. 80: „selbstgeschaffene Lücke“. Ähnlich der Schweizer Bucher, FS Wiegand (2005) S. 123: Die Verletzung von Unterlassungs- und Nebenpflichten angemessen zu sanktionieren „sei gewiss sinnvoll und, was Staub zu erwähnen unterlässt, ausserhalb Deutschlands seit je geltendes Recht“ mwN Fn. 47. Weiter a.a.O. S. 123 f.: „Der dieser These zuteil gewordene Beifall und das von ihr ausgelöste grosse Echo kann dort nur müdes Lächeln auslösen.“ Ausführlicher zu Staub und der pVV die Beiträge in Henne u. a., FS Staub 2006. 26 Flume, Rechtsakt (1990) S. 9 ff.; U. Huber (1999) S. 84; Schlinker (2008) S. 4 ff. 27 Genauer zur Wortverwendung in § 4 dieser Untersuchung. Als Beispiel aus der Entste-
II. Ausgrenzung
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Die Entwicklung unserer heutigen „Obliegenheiten“ ging in der Theorie und Rechtsprechung schrittweise voran. Dies soll nun genauer beschrieben und analysiert werden.
II. Ausgrenzung: Die ursprüngliche Entstehung der heute herrschenden Meinung 1. „Verschulden gegen sich selbst“ a) Die Ansicht Zitelmanns Die heute herrschende Ansicht zu den Obliegenheiten bezieht sich zunächst mehr oder weniger ausgesprochen auf die Ausführungen Zitelmanns. Teilweise wird ihm sogar – zu Unrecht – die Verwendung des Ausdrucks „Obliegenheit“ in den Mund gelegt 28 . Zitelmann fasste als erster Fälle unter einen Begriff zusammen, in denen das Recht Vorteile oder Nachteile an ein Verhalten knüpfe, ohne dass nach seiner Ansicht das gegenteilige Verhalten befohlen werde. Dabei handele es sich um „Verschulden gegen sich selbst“29, da nur der Schädiger selbst geschädigt sei. Von einem Befehl sei hingegen dann auszugehen, wenn eine Rechtspflicht auferlegt werde, ein Schuldverhältnis vorliege30 . Wann dies jedoch konkret der Fall sei, führte Zitelmann nicht aus. Auch fasste er unter das Verschulden gegen sich selbst Fälle, in denen der Handelnde an seinem eigenen Körper oder an eigenen Sachen einen Schaden verursacht, da es eine (ethische) Pflicht des Menschen gegen sich gebe, sich nicht selbst Nachteile zuzufügen und daher das beschriebene Verhalten vom eigenen Interessenstandpunkt aus zu missbilligen sei31. Als Folgen eines Verschuldens gegen sich selbst benannte Zitelmann beim Mitverschulden i. S. d. § 254 BGB den Ausschluss oder die Minderung des Schadensersatzanspruchs gegen einen anderen, im Übrigen würden andere Rechts-
hungszeit des BGB: Bernhardi, HWB (1898) S. 205 enthält keinen Eintrag für den Ausdruck „Obliegenheit“. 28 So bei Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 347, Rn. 711. 29 Zitelmann, Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches: Allgemeiner Teil (1900) S. 152 f.; vgl. auch v. Tuhr, AT Bd. 1 (1910) S. 93; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 116; Ennecerus15/ Lehmann (1958) S. 77; Frohn (1959) S. 17; Esser, SchR4 (1970) S. 33; Larenz, SchR I (1987) S. 540; Henß (1988) S. 98; Henke, JuS 1991, S. 269, 273; Lange/Schiemann, Schadensersatz (2003) S. 549 f., 553 (der Laie würde sagen „selbst schuld“); E. Schmidt, Schuldverhältnis (2004) S. 170, Rn. 410. 30 Zitelmann, AT (1900) S. 152 f. 31 Zitelmann, AT (1900) S. 167.
138 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien nachteile eintreten oder Rechtsvorteile ausgeschlossen werden 32 . Als besonders häufiges Beispiel hierfür brachte er das fahrlässige Nichtkennen eines Umstandes, obwohl durch den Mangel an Aufmerksamkeit keine rechtliche Pflicht verletzt sei. Die meisten Beispiele Zitelmanns – wie etwa auch § 68 S. 2 BGB und § 169 BGB – haben wenig mit den heute als Obliegenheiten verstandenen Tatbeständen zu tun 33 .
b) Stellungnahme Das Problem an den Ausführungen Zitelmanns ist, das damit eine andere Tradition, welcher die Verfasser des BGB viel eher folgten, übergangen und in der Folgezeit vergessen wurde. Der Gedanke eines „Verschuldens gegen sich selbst“ müsste eigentlich in engem Zusammenhang mit dem der moralischen Kategorie der „Pflichten gegen sich selbst“ stehen (zu denen es auch gehört, empfangene Begabungen zu nutzen und den Selbstmord zu unterlassen), welcher aus dem Naturrecht stammt und dort eine ganz andere Bedeutung hatte34 . Bereits Thomasius machte deutlich, dass Pflichten des Menschen gegen sich selbst in Wahrheit immer gegenüber Gott oder anderen Menschen bestehen 35 . „Pflichten des Menschen gegen andere“ seien „mit den Pflichten gegen sich selbst einerley“ schrieb auch Wolff36 . An späterer Stelle stellt er übrigens sinngemäß fest, dass bei Mitverschulden des Geschädigten der „Schade nach Proportion der Schuld“ zu tragen sei 37. Gerade auch auf seine Vorarbeit kann man die Regelung des § 254 BGB – auf dem Weg über das französische Recht, das sächsische BGB und das schweizerische Obligationenrecht – zurückführen38 . Die Vorstellung, dass diese „Pflichten gegen sich selbst“ mit anderen gleichwertige Pflichten seien, spiegelt sich noch im Wortlaut des § 254 BGB wieder, 32
Zitelmann, AT (1900) S. 169 f. Zu weit geht daher Hanau, AcP 165 (1965) S. 236, wenn er den „Ursprung des Obliegenheitsbegriffs“ bei Zitelmann sieht. 34 Allgemein zu den Pflichten gegen sich selbst bei den Naturrechtlern und in der Pflichtenlehre Kants vgl. Mayer-Maly (1989) S. 269 ff. mwN, der es auch S. 271 für unwahrscheinlich hält, dass „dem scharfsinnigen Dogmatiker Zitelmann“ bei seiner Konzeption die naturrechtliche Lehre gegenwärtig war. Bei v. Jhering, Kampf (1872, Nachdr. 1989) S. 28 findet sich die „Pflicht des Berechtigten gegen sich selbst . . . (und) gegen das Gemeinwesen“ zur Verteidigung eines konkret angegriffenen Rechts. Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 18 sieht zwar zunächst einen engen Zusammenhang zwischen Behandlung des Mitverschuldens und Pflichtenlehre bei Wolff. Genauer geht er dann auf die „Pflichten gegen sich selbst“ ein, a.a.O., S. 180 ff., jedoch verbunden mit Ablehnung der Lehre eines „Verschuldens gegen sich selbst“, a.a.O., S. 190 ff. Vgl. auch Jansen, HKK II/1 (2007) § 254 BGB, Rn. 39, 43 mwN. 35 Thomasius, Inst. (1720) I 4, S. 76. 36 Wolff, Grundsätze (1754) § 133, S. 87, § 134, S. 88, vgl. auch § 57, S. 36. 37 Wolff, Grundsätze (1754) § 283, S. 176. 38 Vgl. insbesondere Motive II, S. 23 = Mugdan II, S. 13 und Aumann (1964) S. 42 ff., 164 ff., 191, 195, sowie s. o., S. 56 f. 33
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der ausdrücklich von „Verschulden“ spricht 39 – erst die Späteren hatten dann aufgrund der Sinnveränderung in der Literatur Probleme zu erklären, dass Verschulden i. S. d. § 254 BGB kein „Verschulden im eigentlichen Sinne“ sei. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Zitelmann mit dem „Verschulden gegen sich selbst“ einen den „Pflichten gegen sich selbst“ ähnlichen Begriff schuf, diesen aber mit einem anderen Inhalt erfüllte, was insbesondere für die Dogmatik zu § 254 BGB Auswirkungen hatte40 .
2. Das Problem des Rechtszwanges (Siber) / Schuld und Haftung / „Gebote des eigenen Interesses“ Die Rechtspflichten und ihre Rechtsfolgen wurden nach Inkrafttreten des BGB von Siber erstmals systematisch behandelt. Ihm fiel im Zusammenhang mit dem Leistensollen im Schuldverhältnis auf, dass das Gesetz in manchen Fällen Vorteile für ein Verhalten in Aussicht stellt oder Nachteile androht, ohne dass dieses Verhalten durch einen Prozess oder Selbsthilfe erzwungen werden könne41. Dieser Gedanke wurde später von R. Schmidt bei der Entwicklung seiner Obliegenheitstheorie verwendet, allerdings terminologisch verkompliziert in Anreizungs- und Nötigungstatbestände, verbunden mit der Unterscheidung in funktionelle und teleologische Tatbestände42 . Siber hatte nicht nur allgemein großen Einfluss auf die Entwicklung des Schuldrechts seit Inkrafttreten des BGB, auch für das hier zu untersuchende Thema waren seine Äußerungen in vielerlei Hinsicht wegbestimmend. Deshalb muss ein wenig ausgeholt werden. Siber beschäftigte sich in seiner Untersuchung zum Rechtszwang intensiv mit den Naturalobligationen, aber auch mit denjenigen Fällen, in denen zwar keine Klage, wohl aber andere rechtliche Sanktionen gegeben sind. Beispiele sind unter anderem die vereinbarte Vertragsstrafe ohne Hauptverpflichtung, der Verlust von Ansprüchen bei Nichtanzeige oder verspäteter Anzeige eines Mangels (§ 377 HGB, §§ 485, 545 BGB a. F.), der Annahmeverzug (außer bei vertraglich oder gesetzlich geregelter Annahmepflicht) und der Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung bei Nichterrichtung eines Inventars (§§ 1993 ff. BGB).
39 Darauf weist auch v. Sonntag (2003) S. 48 f. hin. Ähnlich schon Palandt9/Danckelmann (1951) § 254 BGB, Anm. 2a. 40 Zu § 254 BGB schon s. o., S. 52 ff. und s. u., S. 305 ff. 41 Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach Deutschem Reichsrecht (1903) insb. S. 17 f., 66 f. 42 S. o., S. 10 f.
140 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Später43 spielte für Siber die damals aktuelle Diskussion um Schuld und Haftung, die seit den 1930er Jahren eher als von rechtshistorischem Interesse dargestellt wird44 , eine große Rolle. Inhaltlich geht es dabei um die Unterscheidung zwischen einer rechtlichen Pflicht oder Verbindlichkeit, dem Leistenmüssen (Schuld) und dem Rechtszwang zu deren Durchsetzung, dem Forderndürfen des Gläubigers bzw. Ersatz wegen Nichterfüllung (Haftung). Nach Inkrafttreten des BGB wurde die Frage gestellt, ob es auch nach neuem Recht die Unterscheidung zwischen Schuld und Haftung noch gebe 45 . Siber nahm diese Frage auf, allerdings war für ihn als Romanisten mit dem „Begriff“ der Schuld nach dem BGB auch deren Erfüllung verbunden, während Haftung (bloßen) Ersatz bot für die (nicht freiwillige) Erfüllung und damit etwas anderes als Erfüllung sei46 . Das römische Recht kannte in seiner klassischen Zeit nur die Geldkondemnation (condemnatio pecuniaria). Es wurde zwar auf Erfüllung der eigentlich geschuldeten Leistung geklagt, aber die Verurteilung richtete sich auf einen Wertersatz, sofern die Schuld nicht sowieso auf certa pecunia, also eine ziffernmäßig bestimmte Geldsumme, ging47. Das geltende Recht jedoch sei „gelenkig genug, um jeden Schuldinhalt durch Zwang zu realisieren“48 . Dass für die Annahme einer Verbindlichkeit oder Schuld im Sinne des BGB nach seiner Auffassung die Erfüllung – notfalls durch Zwang – essentiell sei, formulierte Siber nur gelegentlich klar49. Der Gedanke ist aber ganz wesentlich zum Verständnis seiner Ansichten und deren Folgen. Denn er führte dazu, dass Siber behauptete, Klagbarkeit gehöre zwingend zur Schuld (Verbindlichkeit) 50 . Nur die klagbare Pflicht sei „echte“ Rechtspflicht, mit anderen Nachteilen
43 Siber, Zur Theorie von Schuld und Haftung nach Reichsrecht, in Jh. Jb. 50 (1906) S. 55 ff. 44 Z. B. Blomeyer, Art. Schuldverhältnisse (1938) S. 284 ff.; R. Schmidt (1953) Obliegenheiten, S. 30 ff.; Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 175 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 63 ff.; Dorn, HKK II/1 (2007) § 241 BGB, Rn. 40 ff. (51). 45 Zuerst ausführlich und bejahend von Isay, Jh. Jb. 48 (1904) S. 187 ff.; zustimmend auch Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 51 ff. Vgl. zur heutigen Auffassung Larenz, SchR I (1987) S. 23: „Wer schuldet haftet auch.“ 46 Siber, Jh. Jb. 50 (1906) insb. S. 183 f. 47 Kaser/Hackl (1996) S. 308 ff., insb. S. 316 f. mit Fn. 31 und S. 372 f. – dort Fn. 27 der Hinweis, dass diese Eigentümlichkeit noch heute im englischen Recht besteht; Kaser/Knütel18 (2005) S. 380 Rn. 7. Vgl. auch Larenz, SchR I (1987) S. 20. Den Gedanken, dass im römischen Recht nur bei geschuldeter certa res diese selbst durch Prozess erzwungen werden konnte, spricht schon Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 55 aus. Vgl. auch Medicus, SchR I16 (2005) S. 7, Rn. 18. 48 Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 89. 49 Ansätze dazu Siber, Rechtszwang (1903) S. 34 und 255, deutlicher dann Siber, Jh. Jb. 50 (1906) insb. S. 61, 84 ff., 92, nicht mehr klar bei Planck/Siber (1914) Vorbem. III, S. 16 ff. 50 Vgl. Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 77, 88 f., in Rechtszwang (1903) S. 83 f. steht diese Gedanke nur für den Anspruch.
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sanktionierte Anforderungen hingegen nicht, da sie eben nicht der Realisierung der Erfüllung, sondern nur dem Ersatz dienten 51. Siber meinte auch, dass überhaupt von Pflichten im Sinne eines Unterlassenoder Handelnsollens nur gesprochen werden könne, wenn der Verstoß zu Schadensersatz verpflichte, nicht aber bei anderen Nachteilen 52 . Allerdings müsse man sich bei den Fällen mit Schadensersatzpflicht ohne klagbare Verpflichtung vergegenwärtigen, „dass solche Pflichten nicht Inhalt von Schuldverhältnissen, Forderungen, Verpflichtungen, Verbindlichkeiten im technischen Sinne“ seien 53 . R. Schmidt führte genau diese Stelle daher zu Unrecht als Beleg dafür auf, dass die Einräumung eines Schadensersatzanspruches ein Kriterium dafür bilde, dass die verletzte Pflicht eine Rechtspflicht sei54 . Wie Siber dachten aber auch noch andere nach ihm 55 . Siber zog also – wie schon der BGB-Gesetzgeber56 – die Grenze noch enger, als sie von der heute herrschenden Meinung gezogen wird und lehnte im übrigen für die später von R. Schmidt als Obliegenheiten bezeichneten Tatbestände des allgemeinen Zivilrechts selbst einen untechnischen Pflichtenbegriff, von ihm als „klagloses Sollen“ bezeichnet, ab57. Schon bald wurde jedoch – ohne dass eine ausdrückliche Erklärung für diese Erweiterung zu finden ist – insbesondere in der versicherungsrechtlichen Literatur vertreten, dass auch bei (bloßer) Schadensersatzpflicht als Verletzungsrechtsfolge die zugrundeliegende Pflicht eine Verbindlichkeit sei58 . Diese
51
Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 86. So schon Siber, Rechtszwang (1903) S. 40. 53 Siber, Rechtszwang (1903) S. 41. 54 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 36 Fn. 173; der gleiche Fehler findet sich ansatzweise schon bei Frank (1933) S. 30 mit Fn. 10. 55 Vgl. Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 12 und v. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 97 ff., der einen Schadensersatzanspruch jedenfalls nicht grundsätzlich zur Annahme einer echten Rechtspflicht genügen ließ. 56 S. o., S. 134 f. 57 Damit schwierig in Einklang zu bringen sind andere, eher beiläufige Äußerungen, vgl. Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 64: Im Zusammenhang mit „Schuld ohne Haftung“ nimmt er auch für ein Leistensollen, dass weder klagbar ist noch Schadensersatzpflichten begründet, eine Rechtspflicht an, sofern diese Schuld auf der Rechtsordnung (nicht auf Sitte oder Moral) beruht und staatliche Mittel die Befolgung des Leistensollens gewährleisten. Die Beispiele (Eheverbot für Eheunmündige und die Pflicht zur ehelichen Gemeinschaft) haben recht wenig mit typischen Verbindlichkeiten oder Obliegenheiten gemeinsam. A.a.O., S. 85 meint Siber, auch indirekte Pflichten könnten, weil sie im Gegensatz zu Naturalobligationen eine rechtliche Sanktion haben, als Rechtspflichten gelten. 58 So Behrend, ZHR 55 (1904) S. 60; v. Buchka (1904) S. 1; Josef, Kommentar (1908) Zusatz I. B. zu § 1, S. 16; v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 736; Hercher (1912) S. 27, 37; Kisch, HB II (1920) S. 180; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 187 ff., 189. Unklar Ritter, Seeversicherung (1919) S. 33, ob Klage und Schadensersatz zur Annahme von Ansprüchen und Verbindlichkeiten erforderlich sind oder ob „nur“ Schadensersatz ausreichend ist. 52
142 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Grenzziehung für die Annahme von Rechtspflichten gilt noch heute. Darauf soll noch eingegangen werden 59. Viele Gedanken, die später R. Schmidt ausführlich behandelte, finden sich bereits in der Untersuchung Sibers zum Rechtszwang, deutlicher aber noch in dem Aufsatz von 1906. Seither ist jedenfalls die Frage des rechtlichen Zwanges, also der Rechtsfolgen, untrennbar mit der Bejahung oder Ablehnung einer Rechtspflicht verbunden. In seiner späteren Kommentierung zum Schuldrecht verwendete Siber dann für die von v. Buchka60 als indirekte Pflichten herausgearbeiteten und heute oft als Obliegenheiten bezeichneten Tatbestände den Begriff eines „Gebotes des eigenen Interesse“61. Allerdings – und das ist der entscheidende Unterschied zur heute überwiegenden Ansicht – meinte Siber, § 278 BGB sei entsprechend anwendbar, „namentlich bei zahlreichen ‚Pflichten‘ des Versicherungsrechts“62 .
3. Die „unechte Verbindlichkeit“ (Nussbaum) Den extremsten Ansatz zur Qualifizierung von Rechtspflichten hatte bereits 1898 Nussbaum vertreten, indem er eine Unterteilung in echte und unechte Verbindlichkeiten vornahm63 . Seine Ansicht wurde zwar ganz überwiegend abgelehnt 64 , jedoch verwendete der früheste Vertreter der Voraussetzungstheorie (Schneider) sie ausdrücklich als Grundlage, weshalb sie hier kurz darzustellen ist. Nussbaum definierte in begriffsjuristischer Manier zunächst das „Schuldverhältnis“ im Sinne des neuen BGB „unter Anlehnung an den § 241“ als „eine Beziehung zwischen zwei Personen, kraft deren die eine (der Gläubiger) von der anderen (dem Schuldner) eine Leistung zu fordern berechtigt und mithin den Anspruch auf die Leistung als ihr Privatrecht gerichtlich durchzusetzen befugt ist“. Bis hierhin geht Nussbaum durchaus noch mit den BGB-Gesetzgebern konform, für die „Gegenstand eines jeden Schuldverhältnisses . . . die vom Schuldner
59
S. u., § 8, insbesondere S. 242 ff. S. u., S. 185 f. 61 Planck/Siber (1914) Vorbem. III c 3 b, S. 27. Die Bezeichnung kommt auch schon vor bei Siber Jh. Jb. 50 (1906) S. 196 ff. 62 Planck/Siber (1914) § 278 BGB, Erl. 1 d), S. 228. 63 Nussbaum, Haftung für Hülfspersonen nach § 278 B. G. B. (1898) insbesondere S. 52 ff. 64 Vgl. v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 723; Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 190, 240 ff.; Planck/Siber (1914) S. 226; Ritter, Seeversicherung (1919) S. 33; H. Schmitt (1939) S. 22; Nussbaum bzgl. des von ihm behaupteten Anwendungsgebietes des § 278 BGB allerdings folgend Wagenmann (1914) S. 61 f., Fn. 1, der im Übrigen aber eine vermittelnde Position zwischen Verbindlichkeits- und Voraussetzungstheorie vertrat, s. u., S. 187. 60
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zu bewirkende Leistung und nur diese Leistung“65 war, welche einklagbar sein musste 66 . Er leitete daraus die „Verbindlichkeit“ ab, die „danach die gemäss den Regeln des Cicilprozesses erzwingbare Verpflichtung zur Leistung“ sei67. Weiter definierte Nussbaum „Leistung“ als „Übertragung eines Guts an eine Person“, wobei das Gut in einer körperlichen Sache, jedem Wert oder Vorteil, der Gegenstand des Rechtsverkehrs ist, bestehen könne. Darauf gestützt stellte er sodann fest, dass nicht jede Verpflichtung eine Verbindlichkeit wäre und dass diejenigen, die keine Leistung enthalten, „unechte Verbindlichkeiten“ seien, auf die „also § 278 nicht zur Anwendung“ komme 68 . Als Gegensatz zur Leistung benannte Nussbaum verschiedene „Handlungen, die dem Destinär kein Gut zuführen, sondern vor allem den Handelnden vor Schaden bewahren sollen“ bzw. ihm Vorteil bringen, wie z. B. den Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme 69. Genau dieses Beispiel und der Ausschluss des § 278 BGB machten Nussbaum wenige Jahre später für den Versicherungsrechtler Schneider interessant70 . Tatsächlich war bei Entstehung des BGB ausgesprochen umstritten, ob eine Leistung einen Geldwert haben müsse oder ob jedes berechtigte, rechtlich schutzwürdige Interesse genüge. Das Merkmal des Vermögenswertes der Leistung wurde nach längerer Diskussion bewusst nicht in das Gesetz aufgenommen71. Nussbaums noch vor Inkrafttreten des BGB entwickelte Theorie widersprach damit dem Willen des Gesetzgebers.
4. „Voraussetzung zum eigenen Rechtserhalt“ a) Die Entwicklung der Bezeichnung Der Ausdruck „Voraussetzung“ in einer mit den heutigen „Obliegenheiten“ zusammenhängenden Verwendung findet sich zuerst im Versicherungsvertragsrecht noch deutlich vor Inkrafttreten des VVG bei Ehrenberg. Dieser stellte 1893 fest, man könne die Erfüllung der Pflichten des Versicherungsnehmers auch „zu den Voraussetzungen der Ersatzverpflichtung des Versicherers zäh-
65
Motive II, S. 5 = Mugdan II, S. 3. Dazu schon s. o., S. 134 f. 67 Nussbaum (1898) S. 52. 68 Nussbaum (1898) S. 54. 69 Nussbaum (1898) S. 54 f. 70 Genauer dazu s. u., S. 162 ff. 71 Nachweise der Gesetzesmaterialien bei Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 40 f. Vgl. auch Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 14 ff. mwN der Literatur. 66
144 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien len“72 . Dabei zog er allerdings keine der später üblicherweise an den Voraussetzungsbegriff geknüpften Konsequenzen. Weiter ging dann Behrend, als er für die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers behauptete, sie sei „rechtlich nicht als Verpflichtung des Versicherten zu denken; ihre Beobachtung [sei] nur ein Erfordernis des Vertragsschlusses oder genauer, ihre Verletzung eine Voraussetzung des Rücktrittsrechts des Versicherers“73 . Der Gedanke Behrends ist teilweise richtig, erscheint jedoch für die Beurteilung der vorvertraglichen Anzeigepflicht problematisch74 . Er wurde aber in der Folgezeit stark überspannt und damit verdreht 75 . Auch sollte erwähnt werden, dass Behrend durchaus eine Schadensersatzpflicht des Versicherungsnehmers bei Verletzung seiner Anzeigepflicht annahm76 , was der heutigen Voraussetzungslehre klar widerspricht. Den entscheidensten Anstoß für die Verwendung des Ausdrucks „Voraussetzung“ im Versicherungsvertragsrecht gab jedoch zur gleichen Zeit die noch zu beschreibende Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten77. Im allgemeinen Zivilrecht benannte v. Tuhr als erster bestimmte Tatbestände als „Voraussetzungen“ für einen dem Verpflichteten vorteilhaften Zustand78 , weshalb er oft in die Nähe der Voraussetzungstheorie gestellt wurde79. Er unterschied – wie damals allgemein üblich80 – noch nicht klar zwischen in Aussicht gestellten Vorteilen und Nachteilen, d. h. zwischen Bedingungen eines Rechtserwerbs und den heutigen sog. Obliegenheiten. Allerdings wandte er sich ausdrücklich gegen Zitelmann und betonte, dass es Pflichten gegen sich selbst nicht gebe 81. Ob man ihn als Vertreter der Voraussetzungstheorie ansehen darf, ist aber auch deshalb fraglich, weil er eine entsprechende Anwendung des § 278 BGB auf Voraussetzungen, bei denen ein subjektives Verhalten entscheidend sei, bejahte 82 , was der Absicht der frühen Voraussetzungstheorie 83 , der er auch
72 Ehrenberg, Versicherungsrecht (1893) S. 432 f.; ähnlich auch Schneider, ZVW 5 (1905) S. 264. 73 Behrend, ZHR 55 (1904) S. 66. 74 Vgl. s. o., S. 38 ff. und s. u., S. 272 ff. 75 Auf diesen Gedanken wird in § 7, S. 204 ff. zurückzukommen sein. 76 Behrend, ZHR 55 (1904) S. 60. 77 Dazu sogleich S. 154 ff. 78 V. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 99 f. 79 So von H. Schmitt (1939) S. 74 und R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 64 f. 80 Vgl. nur Siber, Rechtszwang (1903), s. o., S. 139 ff. und v. Buchka (1904), zu dessen Theorie genauer s. u., S. 185 f. 81 V. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 93 Fn. 2. 82 V. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 101 f. – ausdrücklich auch für versicherungsrechtliche Anzeigepflichten. 83 Dazu gleich S. 154 ff. und S. 161 ff. näher.
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ausdrücklich entgegentrat 84 , gerade entgegenstand. Außerdem nahm er einen Schadensersatzanspruch bei Verletzung der §§ 23 ff. VVG an85 . Wenn man dies alles zusammenfasst, so hat v. Tuhr zwar den Ausdruck „Voraussetzung“ im allgemeinen Zivilrecht zuerst gebraucht, jedoch im genau entgegengesetzten Sinne wie die kurz zuvor entwickelte versicherungsrechtliche Voraussetzungstheorie. Nur ergänzend sei auch festgehalten, dass Voraussetzung in diesem Sinne und nach der entsprechenden Theorie selbstverständlich nicht die von Windscheid86 entwickelte, jedoch nicht ins BGB übernommene Lehre von der Voraussetzung als zu berücksichtigendes, qualifiziertes Motiv außerhalb des Rechtsgeschäfts meint, wie bereits mehrfach klargestellt wurde 87.
b) Die Rolle der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zwischen 1895 und 1910 ist besonders interessant. Sie hat sowohl zur Weiterentwicklung des Begriffs der Voraussetzung als auch zur Entwicklung der Repräsentantenhaftung, die wiederum für die Herausbildung der allgemeinen Voraussetzungslehre mit entscheidend war, wesentlich beigetragen. Entsprechend der heute herrschenden Meinung könnte man vermuten, dass diese beiden Figuren bereits von Anfang an in einen Zusammenhang gestellt wurden. Dies war jedoch nicht der Fall. Die Frage einer Haftung für Repräsentanten wird hier auch noch nicht abschließend behandelt 88 , sondern nur die Entstehung dieser Rechtsfigur dargestellt. (1) Exkurs: Die Herbeiführung des Versicherungsfalles und die Repräsentantenhaftung Im allgemeinen Zivilrecht war die Haftung des Schuldners für seine Gehilfen aufgrund der Rechtszersplitterung vor Inkrafttreten des BGB nicht einheitlich geregelt und bei der Entstehung des Gesetzes eine der umstrittensten Fragen89. 84 V. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 101 f. gegen Schneiders Selbstverschuldungsprinzip mit explizitem Verweis auf den Vertreter der Verbindlichkeitstheorie Josef. 85 V. Tuhr, AT Bd. II/1 (1914) S. 488 f. – vgl. aber dazu die frühen und späteren Auffassungen von Vertretern der Voraussetzungstheorie, s. u., S. 164. 86 Windscheid, Die Voraussetzung, in: AcP 78 (1892) S. 161 ff., und Pandektenrecht 9 (1906) Bd. 2, §§ 97–100. 87 Vgl. schon Bruck, PrivatversR (1930) S. 283; H. Schmitt (1939) S. 19 und R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 64 f. 88 Stellungnahme s. u.,S. 278 ff. 89 S. o., S. 133 f.
146 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn man im Versicherungsrecht – zunächst für die Herbeiführung des Versicherungsfalles, wofür § 278 BGB nach Ansicht des historischen Gesetzgebers zudem nicht anwendbar war90 – nach eigenen, passenden Lösungen suchte. Dabei war die Seite der Versicherer sicherlich besser vertreten, als die der Versicherungsnehmer. Zuerst vollzog sich die Entwicklung zur heutigen Repräsentantenhaftung in der Feuerversicherung. Hier hatte sich bereits vor dem BGB und dem VVG die Rechtsüberzeugung gebildet, dass der Versicherungsnehmer in einem gewissen Maße für Dritte einstehen müsse, die den Versicherungsfall herbeigeführt hatten91. Grundlage dafür war (zumindest dort, wo es galt) das preußische ALR von 1794, welches eine ausdrückliche Regelung für das Einstehen des Versicherungsnehmers einer Feuerversicherung für nahe Verwandte und Hausgenossen enthielt92 . Darüber hinaus musste der Versicherer auch dann nicht leisten, wenn der Versicherungsnehmer selbst oder „sein Commissionair“ den Versicherungsfall schuldhaft herbeigeführt hatten93 . In der Seeversicherung hingegen waren Schäden zu ersetzen, die „durch Schuld der Rheder, oder eines Dritten, der nicht die Stelle des Versicherten vertritt, ohne des letztern Zuthun“ entstanden waren94 . Im ALR war allerdings die Versicherungsleistung auf das beschränkt, was der Versicherungsnehmer vom Verursacher nicht erlangen konnte 95 . Es bestand jedoch noch nie grundsätzliche Einigkeit über den Kreis der Dritten, für welche ein Versicherungsnehmer einzustehen habe. Der Ausdruck „Repräsentant“ wurde erst später benutzt. Gegen eine Haftung für Dritte in diesem Zusammenhang spricht an sich, dass der Versicherungsnehmer mit einer Schadensversicherung gerade für den Fall der Verursachung des Versicherungsfalles durch Dritte abgesichert sein will96 . Dieses Argument korrespondiert mit der Entwicklung der Versicherung im 19. Jahrhundert und deren wirtschaftlicher Bedeutung97. 90 Kommissionsbericht (1905) S. 61 (= S. 329 in den Motiven zum VVG); vgl. allgemeiner dazu s. u., S. 173 ff. 91 Vgl. zur Auffassung im Versicherungsrecht Marohn (1929) S. 78 f., 94 f. und E. Prölss, Repräsentantendämmerung (1936) S. 33 f. – letzterem in der Darstellung im Wesentlichen folgend auch Cyrus (1998) S. 5 ff. und Leonhardt (1999) S. 21 f. 92 §§ 2156–2161 und 2235–2238 II 8 ALR. 93 § 2119 II 8 ALR. 94 § 2215 II 8 ALR. Vgl. auch Framheim (1927) S. 10 mit weiteren älteren Nachweisen und noch heute § 820 Nr. 6 HGB. 95 §§ 2216 ff. II 8 ALR. 96 In diesem Sinne die erste Entscheidung nach Inkrafttreten von BGB und VVG, RG vom 4. 6. 1913, RGZ 83, 44 – dazu s. u., S. 150. Ähnlich auch Kohler, Versicherungsrecht (1910) S. 414, der aber dennoch (S. 415) ein Einstehenmüssen des VNs für gesetzliche Vertreter und diejenigen, denen er „die oberste Leitung überlassen“ hat, annimmt. 97 Vgl. schon Framheim (1927) S. 11. Zu dieser Entwicklung Ebel, HdV (1988) S. 621 ff. und Koch, HdV (1988) S. 227.
II. Ausgrenzung
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Dafür spricht andererseits, dass der Versicherer an einer Begrenzung des übernommenen Risikos interessiert ist. Dazu gibt es zwei sich ähnelnde Hauptargumente: Zum einen dürfe es dem Versicherungsnehmer nicht frei stehen, durch Einschaltung eines Dritten das vom Versicherer zu tragende Risiko zu erhöhen98 . Zum anderen wurde auch das Schlagwort von der Arbeitsteilung wiederholt gebracht: Wer sich die Vorteile der Arbeitsteilung zunutze mache, müsse auch die damit verbundenen Nachteile in Form einer erweiterten Verantwortlichkeit für das Handeln der eingesetzten Dritten tragen99. Das Reichsgericht sprach in drei Entscheidungen100 , die sich alle auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Dritte bezogen, jeweils von „Repräsentanten“ des Versicherungsnehmers. Eine Haftung desselben für solche Personen sei theoretisch nicht von vornherein ausgeschlossen. In einer weiteren Entscheidung ging es inhaltlich um das gleiche Problem. Alle diese – in den Details sehr verschiedenen – Entscheidungen werden in chronologischer Reihenfolge dargestellt: aa) RG vom 26. 5. 1883 (RGZ 9, 118) – kein Vorläufer Diese vom Sachverhalt her etwas komplizierte Entscheidung des Reichsgerichts wird in der Literatur E. Prölss folgend101 als erste für die Repräsentantenhaftung aufgeführt. Das erscheint aber sehr fragwürdig. In jenem Fall ging es darum, dass der Warenempfänger von Speditionsgut in London mit dem Schadensverursacher eine Klausel vereinbart hatte, die letztlich dazu führte, dass die deutsche Versicherungsgesellschaft mit ihrer Klage auf Rückgriff gegen den Schadensverursacher vor den englischen Gerichten unterlag. Nunmehr klagte die Versicherungsgesellschaft gegen den deutschen Spediteur und Versicherungsnehmer einer „Police für Rechnung wen es angeht“ auf Rückzahlung der Versicherungssumme sowie Schadensersatz wegen der Prozesskosten in England.
98
So insbesondere seit RG vom 22. 4. 1903, Gruch. Beitr. 47, S. 991 – dazu S. 149. Das Argument wurde ursprünglich im allgemeinen Zusammenhang von § 278 BGB entwickelt, also nicht im Versicherungsrecht, vgl. in diesem Zusammenhang etwa v. Caemmerer, FS Hauß (1973) S. 34 ff. und ausführlichere Nachweise s. u., S. 286 Fn. 102. Es fi ndet sich im Zusammenhang mit § 61 VVG z. B. bei Möller (1939) S. 27, 67 und im etwas allgemeineren Zusammenhang mit § 278 BGB bzw. einer Repräsentantenhaftung bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 171, 318 f.; Schürmann (1972) S. 103; Looschelders (1999) S. 670; Lorenz (2000) S. 332. 100 Diese Entscheidungen werden behandelt unter bb), cc) und ee). 101 E. Prölss, Repräsentantendämmerung (1936) S. 34. Vgl. etwa Frohn (1959) S. 30; Wussow, VersR 1993, S. 1454 und Cyrus (1998) S. 19 f., die den Sachverhalt nicht bzw. zu verkürzt wiedergeben. Vgl. auch Remé, VersR 1989, S. 117, der die Entscheidung im besonderen Zusammenhang der Repräsentantenhaftung in der Seeversicherung behandelt, den Sachverhalt aber auch nicht korrekt darstellt. 99
148 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Im Ergebnis nahm das Reichsgericht kein Vertretungsverhältnis im technischen Sinne zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Warenempfänger bei Vereinbarung der Klausel an102 , sondern stützte die Entscheidung auf eine entsprechende Anwendung des § 70 Nr. 4 der AVB. Dieser war identisch mit Art. 825 Nr. 4 ADHGB (heute § 821 Nr. 5 HGB), wonach bei der Güterversicherung dem Versicherungsnehmer auch das Verschulden des Abladers oder Empfängers zur Last fällt. Der Fall betraf somit keine der heute für die Repräsentantenhaftung typischen Konstellationen, denn es handelte sich um mehrere Beteiligte: der Versicherungsnehmer musste sozusagen für den Warenempfänger einstehen, welcher wiederum für den eigentlichen Schädiger einstand. Der Ausdruck „Repräsentant“ wurde nicht gebraucht – und auch sonst ist hier kaum ein Ausgangspunkt der späteren Entwicklung zu sehen. bb) RG vom 22. 10. 1895 (RGZ 37, 149) Der ersten, für die Entwicklung der Repräsentantenhaftung tatsächlich konstitutiven Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Versicherungsnehmer einer Feuerversicherung hatte die versicherte Maschine unter Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts einem anderen verkauft und übergeben. Der Sohn des Käufers benutzte sie und verursachte den Schadensfall grob fahrlässig, woraufhin die Versicherung die Deckung des Schadens verweigerte. Nach Ansicht des Reichsgerichts bestand kein Versicherungsanspruch, weil trotz Eigentumsvorbehaltes die „materielle Ausübung des Eigentums“ durch den „Repräsentanten“ des Versicherungsnehmers erfolgt sei103 . Hier wurde also (vor Inkrafttreten des VVG) für die Herbeiführung des Versicherungsfalles ein Einstehen des Versicherungsnehmers für einen Dritten angenommen. Eine Erwähnung des § 278 BGB kam schon deswegen nicht in Betracht, weil das BGB noch nicht galt. cc) RG vom 18. 10. 1901 (RGZ 51, 20) In einer weiteren vor Inkrafttreten des VVG ergangenen Entscheidung des Reichsgerichts ging es um die Feuerversicherung für ein Tabakgeschäft. Die Ehefrau des kurzzeitig verreisten Ladeninhabers und Versicherungsnehmers hatte das Geschäft während seiner Abwesenheit geführt, nach Ladenschluss Streichhölzer in noch glimmendem Zustand auf eine Stelle geworfen, wo leicht 102 Daher ist es unzutreffend, wenn Frohn (1959) S. 30 behauptete, „das Reichsgericht [habe] es für eine Selbstverständlichkeit erklärt, daß der Versicherungsnehmer für ein Verschulden seines Stellvertreters einstehen müsse“. 103 RGZ 37, 149 (151). Prang (2003) S. 191 konstatiert generell für frühe Entscheidungen des Reichsgerichts zur Feuerversicherung, dass dem Versicherungsschutz weniger Bedeutung zugemessen worden sei als später.
II. Ausgrenzung
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entzündbare Gegenstände lagen, und damit einen Brand verursacht. Nunmehr klagte der Versicherungsnehmer, dessen Existenz auf dem Spiel stand, gegen den Versicherer. Das Gericht bezog sich ausdrücklich auf die zuvor genannte Entscheidung RGZ 37, 149, ließ jedoch offen, ob der dort aufgestellte Grundsatz einer Haftung des Versicherungsnehmers in dieser Allgemeinheit das anzuwendende preußische Recht (ALR) beherrsche104 und nahm eher keine Haftung des Versicherungsnehmers für das Verhalten seiner Ehefrau an, da sie wohl nur als nach § 56 HGB bevollmächtigt anzusehen sei. In der Sache kam es zur Zurückverweisung. Dass man die Frau heute als Repräsentantin ansehen würde, ist ebenfalls unwahrscheinlich, wie ein fast identischer späterer Fall zeigt. Dort hatte eine Frau (Versicherungsnehmerin) ihrem Ehemann die Leitung des Einzelhandelsgeschäfts übertragen – nur deswegen wurde er als Repräsentant angesehen. Beim Erledigen von Büroarbeiten hatte er eine Zigarre geraucht, welche vermutlich das Ladengeschäft in Brand setzte105 . Dass die Differenzierung, wer Repräsentant sei, und damit der Ausschluss der Leistungspflicht des Versicherers oftmals von Zufällen (ausdrückliche Übertragung der Leitung oder nicht) abhängt, bemerkt auch Martin106 . dd) RG vom 22. 4. 1903 (Gruchots Beitr. 47, 991) In einer weiteren Entscheidung, die ebenfalls einen vor Inkrafttreten des BGB liegenden Sachverhalt betraf, weshalb die Anwendung des § 278 BGB nicht thematisiert wurde, benutzte das Reichsgericht zwar nicht den Ausdruck „Repräsentant“, kam im Ergebnis aber auch zu einer Haftung des Versicherungsnehmers für denjenigen, den er „an seine Stelle [hatte] treten lassen“107. Der Versicherungsnehmer hatte die Verwaltung seines Gutes einem allgemein als unzuverlässig bekannten Inspektor übertragen. Dieser ließ feuchten Kleehafer in eine Scheune packen, der sich selbst entzündete. Weder der Inspektor noch der herbeigerufene Versicherungsnehmer sollen nach dem Tatbestand der Entscheidung die erforderlichen Löschmaßnahmen ergriffen haben. Das Reichsgericht nahm die Haftung des Versicherungsnehmers wegen „Übertragung seiner Vertretung“ entsprechend dem für die Feuerversicherung im Gebiete des gemeinen Rechts angeblich geltenden Grundsatz unter Bezug auf die beiden zuvor behandelten Entscheidungen (RGZ 37, 149 und RGZ 51, 20) an. 104
RGZ 51, 20 (22). OLG Hamm vom 27. 6. 1986, VersR 1988, 26 f. – aus anderen Gründen aufgehoben durch BGH vom 23. 3. 1988, VersR 1988, 506 f. = NJW-RR 1988, 920 f., nochmals BGH vom 4. 7. 1990, NJW-RR 1990, 1305 f. 106 Martin, Sachversicherungsrecht 3 (1992) Rn. 50 f. 107 RG Gruchots Beitr. 47 (1903) S. 991 (994) = JW 1903, 251 f. 105
150 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Aus heutiger Sicht wäre es dogmatisch überzeugender gewesen, den Versicherer für eigenes Verschulden bei der Auswahl des Gehilfen (und eventuell bezüglich einer vertraglich vereinbarten Schadensminderungspflicht) haften zu lassen. Bemerkenswert ist zudem, dass man mit der Begründung dieser Entscheidung – es dürfe dem Versicherungsnehmer nicht freistehen, die Lage des Versicherers dadurch zu verschlechtern, dass er die versicherte Sache aus der Hand gebe – auch in dem vom gleichen Senat 18 Monate zuvor entschiedenen Fall108 zu einer Haftung des Versicherungsnehmers und damit Ablehnung des Anspruchs auf die Versicherungssumme hätte kommen müssen. Nicht wirklich erstaunlich ist es daher, dass aber genau die vorherige Entscheidung in der vorliegenden – vorsichtig ausgedrückt – inhaltlich ungenau zitiert wird. ee) RG vom 4. 6. 1913 (RGZ 83, 43) Die vierte für die Entwicklung der Repräsentantenhaftung wichtige Entscheidung des Reichsgerichts war zugleich die erste, die nach Inkrafttreten von BGB und VVG erging. Sie betraf eine Versicherung für im Hafen liegenden Reis. Der Versicherungsfall war durch fahrlässig handelnde Angestellte des Versicherungsnehmers herbeigeführt worden. Dennoch nahm das Reichsgericht keine Haftung des Versicherungsnehmers für diese an. Das Gericht stellte zunächst fest, dass in § 61 VVG keine Rede von Fahrlässigkeit Dritter sei und setzte sich dann mit der in der Literatur umstrittenen Anwendung des § 278 BGB auf § 61 VVG auseinander. Keinesfalls habe der Versicherungsnehmer das Verschulden seiner Angestellten nach § 278 BGB zu vertreten, da es nicht zu den Verbindlichkeiten des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer gehöre, Fahrlässigkeit in Bezug auf das versicherte Risiko zu vermeiden und der Versicherungsnehmer sich der Hilfspersonen also nicht i. S. d. § 278 BGB bedient habe. Zwar sei nach angeblich damals h. M. eigenem Verschulden dasjenige solcher Personen gleichzuachten, welche in dem Betriebe, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder sonstigen Verhältnisses an Stelle des Versicherungsnehmers treten (oft ausgedrückt als „Repräsentanten“). Da der konkrete Vertrag nach seinem Sinn und Zweck aber gerade auch gegen solche Risiken, wie das tatsächlich verwirklichte, absichern sollte, müsse jedoch die Versicherungssumme gezahlt werden109. Damit folgt die Entscheidung einer Argumentation in der VVG-Kommission, die das Gericht vermutlich kannte, aber nicht zitierte110 . 108 109 110
RGZ 51, 20, s. o. unter cc). RGZ 83, 43 (44 f.) = JW 1913, 1111. Die Argumentation selbst gleich auf S. 152 f.
II. Ausgrenzung
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Die Ansicht des Reichsgerichts entspricht der heutigen Auffassung nur insofern, als § 61 VVG111 nach dieser Ansicht einen Risikoausschluss und keine Verhaltenspflicht enthält112 . Im Übrigen ist die Entscheidung der heute h. M. in ihrem zentralen Punkt gerade entgegengesetzt, da sie die Haftung des Versicherungsnehmers für seine den Versicherungsfall schuldhaft verursachenden Gehilfen gerade verneint. Sie sollte daher nicht im Sinne einer angeblich bejahten Repräsentantenhaftung im Rahmen des § 61 VVG aufgeführt werden113 – auch so kann eine h. M. entstehen. ff) Zwischenbilanz: Das unsolide Rechtsprechungsfundament der heute herrschenden Meinung zur Repräsentantenhaftung In dem unter bb) behandelten Fall, der noch vor Inkrafttreten des BGB lag, wurde immerhin mittels der Figur des Repräsentanten die Haftung des Versicherungsnehmers für den Schadensverursacher begründet. Im zu dd) ausgeführten Fall gelangte das Reichsgericht zum gleichen Ergebnis, jedoch dogmatisch fragwürdig und im Widerspruch zu einer kurz zuvor ergangenen Entscheidung des gleichen Senates sowie unter Zuhilfenahme ungenauer Zitierung dieser Entscheidung. Die beiden anderen Entscheidungen, cc) und ee), führen den sich entwickelnden Begriff des Repräsentanten zwar auf, setzen sich jedoch nicht wirklich mit dieser Figur auseinander und lehnen jedenfalls im konkreten Fall ein Einstehen des Versicherungsnehmers für die den Versicherungsfall herbeiführenden Dritten gerade ab. Spätere Entscheidungen des Reichsgerichts stützten sich dann auf die soeben beschriebenen, als sei es eine eindeutige, gefestigte Rechtsprechung114 . Diese die Haftung für Dritte nicht grundsätzlich bejahende, sondern die jeweilige Entscheidung sehr von Billigkeitserwägungen abhängig machende Rechtsprechung115 war somit die wesentliche Basis für die Entwicklung der Repräsentantenhaftung im Versicherungsrecht! 111 § 81 VVG 2008 wird hier in § 5 der Untersuchung zur besseren Übersichtlichkeit grundsätzlich weggelassen. 112 Vgl. nur BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 12; Armbrüster, ZVW 90 (2001) S. 501; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 2 – jeweils mwN auch der Rechtsprechung. 113 So aber üblich seit Bruck, ZVW 26 (1926) S. 210 und H. Schmitt (1939) S. 83. 114 Vgl. z. B. RG vom 12. 12. 1919, RGZ 97, 279 ff. (281); RG vom 28. 6. 1927, RGZ 117, 327 ff. (329): Das Reichsgericht habe sich in diesen Entscheidungen zur herrschenden Meinung bekannt; RG vom 15. 3. 1932, RGZ 135, 370 ff. (371); RG vom 15. 10. 1935, RGZ 149, 69 ff. (71), wobei hier für eine starke Einschränkung des „von der Rechtsprechung aus den Bedürfnissen des Versicherungswesens heraus geschaffene(n) Begriff(s)“ eingetreten wurde. 115 So schon Pott (1933) S. 2. E. Prölss, Repräsentantendämmerung (1936) S. 35 ff. sprach von Billigkeitsrecht, Müllereisert (1936) S. 246 von Fallrecht. Zillmer (1930) S. 34 fand es allerdings in diesem Zusammenhang „gar nicht immer erwünscht, dass eine starre Regel keinen Raum für die Prüfung und Entscheidung des Einzelfalles läßt“. Auch Wussow, VersR 1993,
152 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Die Berücksichtigung der Billigkeit im Einzelfall ist grundsätzlich wünschenswert, bringt allerdings das Problem der Rechtsunsicherheit mit sich – dieses Spannungsverhältnis ist ein grundsätzliches, in allen Rechtsgebieten auftretendes Problem. Davon getrennt und verneint werden sollte die Frage, ob aus solchen Billigkeitsentscheidungen eine neue Rechtsfigur abgeleitet werden darf. Genau dies ist aber bei der Repräsentantenhaftung passiert. Für die Entwicklung der Repräsentantenhaftung dürfte die später häufig vorkommende, missverständliche bis falsche Inhaltswiedergabe der Entscheidung unter ee) – ebenso wie das ungenaue Zitat der Entscheidung zu cc) durch die Entscheidung zu dd) und die Literatur116 – mindestens mitursächlich gewesen sein, obwohl die Zitate nicht unbedingt von denjenigen stammten, die eine Repräsentantenhaftung befürworteten. gg) Wesentlicher Inhalt des § 61 VVG a. F.: Wille des Gesetzgebers und Auffassungen in früher Literatur und OLG-Rechtsprechung zur Anwendung des § 278 BGB Nach heute ganz überwiegender Meinung handelt es sich bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG 2008 nicht um eine Verhaltensanforderung im Sinne einer Obliegenheit, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss117. Man hat aber auch gesehen, dass es Zweck der Vorschrift ist, den Versicherungsnehmer zu sorgfältigem Verhalten anzuhalten118 , was einer Obliegenheit mindestens nahe kommt. Die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer ist jedenfalls gerade von der Versicherung ausgeschlossen. Damit scheidet jedenfalls die direkte Anwendung des § 278 BGB auf diesen Fall aus, da der Versicherungsnehmer eben keine „Verbindlichkeit“ im Sinne dieser Vorschrift habe, zu deren Erfüllung er sich anderer Personen bedienen könnte. So sah es auch schon die Kommission zur Beratung des VVG, in welcher die Frage einer Dritthaftung im Rahmen des § 61 VVG a. F. umfangreich diskutiert wurde. Dabei wies man ausdrücklich darauf hin, dass die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur früheren Rechtslage, insbesondere vor Inkrafttreten des § 278 BGB, ergangen sei. Ein Mitglied der Reichstagskommission stellte bei der S. 1454 sieht die Einführung der Repräsentantenhaftung durch das RG als auf „Gründen der Billigkeit“ beruhend. 116 Zillmer (1930) S. 17 behauptete z. B., dass RG habe in beiden Entscheidungen seine Repräsentantenhaftung aufrecht erhalten. Vgl. auch Bruck, Kommentar7 (1932) § 61 VVG, Rn. 10; E. Prölss, Repräsentantendämmerung (1936) S. 33 mit Fn. 5. 117 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 243 f. mwN der älteren Literatur; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 12; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 2 – jeweils mwN der neueren Literatur. Zweifel s. u., S. 295 ff. 118 Canaris, Übermaßverbot, JZ 1987, S. 1004.
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Vorberatung fest, die in den Urteilen ausgesprochenen Rechtsgrundsätze widersprächen dem allgemeinen Rechtsbewusstsein. Der Versicherungsnehmer wolle gedeckt sein nicht nur gegen Naturereignisse, sondern auch gegen das Verschulden Dritter. Damit scheide auch die analoge Anwendung des § 278 BGB aus. Ein ausdrücklicher Ausschluss des § 278 BGB wurde dennoch nicht ins Gesetz aufgenommen, nachdem ein Regierungsvertreter Folgendes erläuterte: § 278 BGB betreffe Fälle, wo jemand sich anderer zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit bediene. Da aber § 61 VVG-E nicht etwa eine besondere Vertragspflicht zur Nichtherbeiführung des Versicherungsfalls festsetze, so könne auch nicht von der Erfüllung einer durch § 61 begründeten Verbindlichkeit die Rede sein. Der Antrag, die Anwendung des § 278 BGB auf § 61 VVG auszuschließen, sei daher gegenstandslos. Allerdings wurde in der Beratung mehrfach betont, dass in Versicherungsangelegenheiten allgemein der § 278 BGB zur Anwendung komme, soweit es sich um vertraglich oder gesetzlich begründete Verbindlichkeiten und deren Erfüllung handele, z. B. wenn eine besondere Pflicht zur Schadensminderung/-abwendung bestehe119. Die Ausführungen im Kommissionsbericht zum Charakter des § 61 VVG (a. F.) und zur Anwendbarkeit des § 278 BGB im Versicherungsrecht im Allgemeinen wurden jedoch in Rechtsprechung und Literatur damals wie heute nur ausnahmsweise zur Kenntnis genommen120 . Immerhin lehnten anfangs einige Oberlandesgerichte eine Haftung des Versicherungsnehmers für den Versicherungsfall verursachende Dritte mit ausdrücklichem Verweis auf die Gesetzesmaterialien ab121. In der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte wurde hingegen entgegen dem erklärten Willen des Gesetzgebers – wie auch von Teilen der Literatur122 – die Haftung des Versicherungsnehmers für einen den Versicherungsfall herbeiführenden Dritten über § 278 BGB konstruiert123 . 119
Kommissionsbericht, S. 59–61, in den Motiven zum VVG abgedruckt auf S. 327–329. Mehr als missverständlich etwa die Formulierung bei Remé, VersR 1989, S. 119, das VVG habe „die vom RG eingeleitete Entwicklung nicht geändert“ – gewollt hat es dies schon. Auf die Kommissionsverhandlungen zu § 61 VVG verwies vor allem Josef, LZ 1 (1907) Sp. 484 f. und ZVW 11 (1911) S. 214 und diesem folgend Vatke (1911) S. 110 ff. sowie Zillmer (1930) S. 31. Einen Risikoausschluss und damit Nichtanwendbarkeit des § 278 BGB bejahten aus diesem Grund auch Vertreter der Verbindlichkeitstheorie, vgl. etwa Gottschalk, JRPV 1927, S. 267. Weitere Literaturnachweise bei den hier folgenden Ausführungen zur Voraussetzungs- bzw. Verbindlichkeitstheorie. 121 So zitiert etwa OLG Stuttgart vom 25. 10. 1912, VA 12 (1913)*, Nr. 755, 91 ff. (93) ausdrücklich die Verhandlungen zum VVG. Vgl. auch KG vom 5. 4. 1919, VA 1919*, 65. 122 Dazu s. u., S. 181. 123 Vgl. OLG Naumburg vom 16. 12. 1913, OLGRspr Bd. 32 (1916) 203 f.: Geld wurde aus einem feuerfestem Geldschrank durch den 17jährigen Lehrling des Versicherungsnehmers gestohlen, der den richtigen Schlüssel für die Außentür und einen nachgemachten für die In120
154 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Sofern § 61 VVG (a. F.) schon als Risikoausschluss bezeichnet wurde, wollte man teilweise die Repräsentantenhaftung als entsprechende Anwendung des § 278 BGB erklären, wobei man jedoch gleichzeitig versuchte, den Kreis der Dritten einzuschränken124 . Die Missachtung der Gesetzesmaterialien trieb auch methodische Stilblüten: Um die Repräsentantenhaftung zu rechtfertigen behauptete Zillmer, wenn die gesetzliche Regelung von der Rechtsprechung des Reichsgerichts hätte abweichen sollen, wäre ein Hinweis erforderlich gewesen125 . Dieser Hinweis für die ausdrückliche Ablehnung der Repräsentantenhaftung des Reichsgerichts fi ndet sich aber gerade im Kommissionsbericht126 ! Die Entwicklung einer Dritthaftung im Rahmen des § 61 VVG (a. F.) hat im Interesse (nur) der Versicherer ihren Sinn. Sie war jedoch vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollt und stellte jedenfalls keine Milderung oder Einschränkung der Haftung des Versicherungsnehmers dar, wie es teilweise undifferenziert behauptet wird, sondern ist – jedenfalls auf dem Gebiet, für das sie entwickelt wurde – vielmehr eine klare Haftungserweiterung! 127 (2) Die Verletzung von Anzeige- und Mitteilungspflichten in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts, auf welche die Voraussetzungstheorie sich zu ihrer Begründung ursprünglich primär bezog und selbst heute noch gelegentlich bezieht128 , betraf Fälle, in denen es um die Frage eines Einstehens für Dritte ging. Allerdings handelte es sich jeweils um verletzte Anzeigenentür hatte. Das Gericht lehnte ein Einstehenmüssen der Versicherung wegen groben Verschuldens des Versicherungsnehmers ab – § 61 VVG befreie den Versicherer, da der Versicherungsnehmer gem. § 278 BGB für Hilfspersonen hafte. Es handelt sich um eine überflüssige Heranziehung des § 278 BGB, da doch eigenes Verschulden des Versicherungsnehmers durch die Überlassung des Schlüssels zu bejahen wäre. Zumindest grundsätzlich auch OLG Stuttgart Beschluss vom 11. 9. 1931, JRPV 1932, 75: Der Antrag auf Bewilligung des Armenrechts wurde zurückgewiesen; der Sohn der Versicherungsnehmerin hatte Brand gelegt und wurde auch strafrechtlich belangt; da die Versicherungsnehmerin und der Sohn Erben in Gütergemeinschaft waren, d. h. Eigentümer zur gesamten Hand an den versicherten Gegenständen, sei der Sohn Mitversicherter. Im letzten Satz heißt es: „Eventuell muß die Antragstellerin für O. Kl. nach § 278 BGB einstehen“. 124 v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 738 – allerdings auch für Obliegenheiten des Versicherungsnehmer; darauf gestützt Zillmer (1930) S. 16 ff. (37), aber nur bzgl. § 61 VVG und diesem auffällig ähnlich Pott (1933) S. 21 ff. (25). 125 Zillmer (1930) S. 18. 126 Kommissionsbericht S. 69 = S. 327 f. der Motive. 127 So auch R. Schmidt, Schriftl. Generalreferat (1967) S. 47. Genauer zur Repräsentantenhaftung, der angeblichen Besserstellung des Versicherungsnehmers und der damit tatsächlich verbundenen Haftungserweiterung s. u., S. 282 ff. 128 Z. B. Römer/Langheid 2/Römer (2003) § 6 VVG, Rn. 2 zitiert „BGHZ 24, 378, 382 m. Hinw. auf die Rspr des RG“. Ausführlicher noch Möller, VVR 3 (1977) S. 110.
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und Mitteilungspflichten. Das Reichsgericht lehnte hier – anders als zur Herbeiführung des Versicherungsfalles und trotz zunächst gegenteiliger eigener Rechtsprechung – meistens die Haftung des Versicherungsnehmers für das Verschulden Dritter ab und sprach ihm die Versicherungssumme zu. Als Hintergrund dieser Rechtsprechung muss auf das harte Alles-oderNichts-Prinzip hingewiesen werden. Die Versicherer hatten sich als Folge der Verletzung von Anzeige- und Mitteilungspflichten ohne Rücksicht auf den dadurch kausal verursachten Schaden grundsätzlich Leistungsfreiheit ausbedungen. Das Alles-oder-Nichts-Prinzip bedeutete bis zur VVG-Reform 2008, dass entweder die ganze Versicherungssumme zustand oder gar nichts, also volle Verwirkung der Versicherungsleistung eintrat129. Die im Folgenden zu beschreibenden Entscheidungen entsprechen der seit mehr als hundert Jahren zu beobachtenden Tendenz der Rechtsprechung, den Versicherungsschutz zu verbessern130 . Das Reichsgericht bezeichnete zuerst die verletzten Obliegenheiten als bloße Voraussetzungen für den Anspruch bzw. Bedingungen des Anspruchs gegen die Versicherungsgesellschaft. Später wurde daraus abgeleitet, dass es sich nicht um eigentliche Verbindlichkeiten handele, daher sei § 278 BGB nicht anwendbar. Die ersten beiden Entscheidungen des Gerichts zu den Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers fielen aber noch anders aus, als die meisten danach folgenden. Die wesentlichen Entscheidungen im Einzelnen: aa) RG vom 17. 12. 1898 (RGZ 43, 142) In der ältesten Reichsgerichtsentscheidung zur (vorvertraglichen) Anzeigepflicht erfolgte der Vertragsschluss für eine Seeversicherung in Unkenntnis des Versicherungsnehmers davon, dass die zu versichernde Sache tatsächlich bereits untergegangen war. Der Versicherungsnehmer müsse sich das unredliche Verhalten seines Beauftragten, der den Untergang verschwiegen hatte, zurechnen lassen, meinte das Reichsgericht unter Verweis unter anderem auf den damals noch nicht geltenden § 278 BGB (!) und englisches Seeversicherungsrecht131. 129
Dazu genauer s. u., S. 297 ff. Schon Loppuch, JRPV 1937, S. 134 hielt dem Vorwurf der „versicherungsfeindlichen Rechtsprechung“ entgegen, dass die Starrheit des Alles-oder-Nichts-Prinzips dazu zwinge. Vgl. auch v. Hippel, NJW 1969, S. 1695, der von einer „Tendenz der Rechtsprechung, den Schutz des Versicherungsnehmers vor der Verwirkung mit ihren oft katastrophalen Folgen zu verstärken“ spricht; Möller, JR 1970, S. 330 ff.; ähnlich Hüffer, VersR 1980, S. 790; Klaiber (1966) S. 715 bezog auf derartige Fälle den angeblichen Grundsatz der Rechtsprechung in dubio contra assecuratorem. Zur grundsätzlich versicherungsnehmerfreundlichen Rechtsprechung des Reichsgerichts ausführlich jüngst Prang (2003), insbesondere S. 190 f. 131 RGZ 43, 142 (146 f.). 130
156 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Heute würde die h. M. diesen Fall über die Figur des Wissensvertreters lösen. Wissensvertreter ist dementsprechend jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten hat132 . In der Konsequenz würde die h. M. also heute dem Versicherungsnehmer genauso wenig die Versicherungssumme zusprechen, aber die Zurechnung des Verhaltens seines Beauftragten statt mit § 278 BGB analog § 166 BGB begründen. Gerade diese und die folgende Entscheidung des Reichsgerichts, die beide noch der Verbindlichkeitstheorie entsprechen, wurden aber später als korrekturbedürftig empfunden und deshalb hat das Reichsgericht die Figur der Voraussetzung eingeführt. Mit anderen Worten: Der BGH ist heute der älteren, vom Reichsgericht selbst aufgegebenen Rechtsprechung näher, als der späteren. bb) RG vom 30. 12. 1901 (RGZ 50, 295) Bei einer Unfallversicherung hatten die Erben des tödlich verunglückten Versicherungsnehmers den Agenten der Versicherungsgesellschaft mit der Benachrichtigung des Versicherers, also der Todesanzeige, beauftragt. Der Versicherungsagent gab diese schuldhaft verspätet weiter. Nach der Ansicht des Reichsgerichts müsse der Erbe für den Agenten (des Versicherers!) als Stellvertreter oder Boten haften133 . Seit 1908 würde dieser Fall gem. § 43 Nr. 2 VVG (§ 69 Abs. 1 Nr. 2 a. E. VVG 2008) entgegengesetzt zu entscheiden sein, weil danach der Agent gesetzlich als zum Empfang von während der Versicherung zu machender Anzeigen bevollmächtigt gilt. cc) RG vom 28. 6. 1904 (RGZ 58, 342) Als Korrektur der beiden zuvor genannten Entscheidungen wurde später die folgende betrachtet, welche zugleich erstmals mit einem neuen Begriff, dem der „Voraussetzung“, arbeitete: Die Ehefrau des Versicherungsnehmers einer Feuerversicherung hatte in seinem Auftrag eine Aufstellung der verbrannten Sachen angefertigt. Nach den Entscheidungsgründen war ihm nicht bekannt, dass seine Frau dabei auch wissentlich falsche Angaben machte. Das Reichsgericht sah die Anfertigung der Aufstellung als bloße Voraussetzung für den Anspruch aus der Versicherung an 132 BGH vom 24. 1. 1992, BGHZ 117, 104 (106 f.). Ausdrücklich in diesem Sinne geregelt ist heute in § 2 VVG der ähnliche Fall, dass die Rückwirkung der Versicherung vereinbart wurde und der zum Vertragsschluss Bevollmächtigte oder der Versicherungsnehmer Kenntnis vom bereits eingetretenen Versicherungsfall hatte. 133 RGZ 50, 295 ff. (297).
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und verneinte deshalb ein Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Handeln seiner Frau134 . Eine erstaunliche Entscheidung, wie sie heute methodisch kaum mehr akzeptiert werden würde. In scheinbar begriffsjuristischer Manier benutzte man einen in diesem Zusammenhang neuen Terminus, nämlich „Voraussetzung“. Dieser Begriff bekam dann einen Inhalt, aus dem das angestrebte Ergebnis abgeleitet werden konnte. Polemisch formuliert: erst manövrierte man das Kaninchen in den Hut, aus welchem es sodann kunstvoll hervor „gezaubert“ wurde. Offenbar wollte das Reichsgericht dem Versicherungsnehmer die harten Folgen des Alles-oder-Nichts-Prinzips ersparen. Der BGH entschied übrigens einen vergleichbaren Fall, in dem der der Brandstiftung verdächtige Versicherungsnehmer selbst eine falsche Schadensaufstellung für die Feuerversicherung angefertigt hatte, im Ergebnis genau so135 . Die Motivation des BGH bei der Entscheidung dieses hochdramatischen Falles wurde später ausdrücklich genannt: Ein Richter des II. Senats schrieb, dass der Fall „eine Existenzbedrohung für eine größere Familie“ dargestellt habe136 . Dieses Abstellen auf eher nichtjuristische Aspekte, dürfte zwar der wahre Hintergrund der Entscheidung gewesen sein und der Familie konkret geholfen haben, jedoch nicht der dogmatischen Entwicklung. Hätte das Reichsgericht im damaligen Fall hingegen die „Voraussetzung“ nicht erfunden und stattdessen § 278 BGB angewendet, so wäre es zwar seinerzeit zum entgegengesetzten Ergebnis gekommen, aber doch zu dem gleichen Ergebnis, wie die heute herrschende Meinung! Diese würde den Versicherungsnehmer nämlich – außer in dem gerade geschilderten Ausnahmefall – analog § 166 Abs. 1 BGB für seine Ehefrau als Wissenserklärungsvertreter haften lassen. Wissenserklärungsvertreter ist, wer vom Versicherungsnehmer mit der Erfüllung von dessen Obliegenheiten und zur Abgabe von Erklärungen anstelle des Versicherungsnehmers betraut worden ist137. Ein Ehegatte ist zwar nicht von vornherein Wissenserklärungsvertreter, sondern nur dann, wenn auch er explizit mit den entsprechenden Aufgaben betraut wurde138 . Das entspricht jedoch nur dem Tatbestandsmerkmal „sich bedienen“ in § 278 BGB. Nach dem
134
RGZ 58, 342 (346). BGH vom 28. 11. 1963, VersR 1964, 154 ff. – konkret kam es zur Aufhebung der Vorinstanz und Zurückverweisung. 136 Fischer, VersR 1965, S. 202. Tatsächlich hatte sich der Versicherungsnehmer, ein Vater von fünf Kindern in der Untersuchungshaft (wegen des Verdachts der Brandstiftung) umgebracht, vgl. den Sachverhalt des Urteils, VersR 1964, 154. Der Vorwurf der Brandstiftung wurde später als nicht erwiesen betrachtet (!), obwohl der Versicherungsnehmer einen Zettel hinterlassen hatte, „Niman sagen das ich angezündet hab“. Es ging in der Entscheidung nur noch um die sicher (arglistig) falsche Schadensaufstellung. 137 BGH vom 2. 6. 1993, BGHZ 122, 388 ff. = VersR 1993, 960 f. mwN. 138 BGH a.a.O. 135
158 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Sachverhalt, der der Entscheidung des Reichsgerichts zugrunde lag, hatte der Versicherungsnehmer seine Frau beauftragt. Dieser Fall, der konstituierend für die Voraussetzungslehre war139, zeigt also sehr deutlich, dass ursprüngliche und heutige Voraussetzungstheorie nur wenig miteinander zu tun haben. Die heute herrschende Lehre stützt sich rein begrifflich auf eine Entscheidung, deren Inhalt sie sich nicht mehr zu eigen machen würde. Einschränkungen des Alles-oder-Nichts-Prinzips durch die Relevanzrechtsprechung des BGH wurden bis zur VVG-Reform 2008 nur bei Nichtgefährdung der Versichererinteressen und nur leichtem Verschulden des Versicherungsnehmers vorgenommen werden140 . Ob die Probleme des Alles-oderNichts-Prinzip durch die VVG-Reform entschärft wurden, muss sich in Zukunft zeigen. Zumindest erscheint eine gesetzliche Grundlage gegenüber Billigkeitsentscheidungen vorzugswürdig. dd) RG vom 21. 12. 1905 (RGZ 62, 190) Bei einer Unfallversicherung war ein Dritter vom Versicherungsnehmer mit der Anzeige des Unfalls beauftragt worden. Da er sie schuldhaft nicht rechtzeitig abgeschickt hatte, berief sich der Versicherer auf die vertraglich für diesen Fall vereinbarte Leistungsfreiheit. Nunmehr klagte der Versicherungsnehmer gegen den Beauftragten auf Schadensersatz wegen der verspäteten Anzeige. Das Reichsgericht wies – anders als die Vorinstanzen – die Schadensersatzklage ab. Als Begründung führte es aus, dass die Anzeigepflicht keine „eigentliche Verbindlichkeit“ sei, sondern eine „Bedingung“ für den Anspruch gegen die Versicherungsgesellschaft, weshalb § 278 BGB keine Anwendung finde und der Versicherer zu Unrecht die Leistung verweigert habe. Folglich könne sich der Versicherungsnehmer nicht an den Beauftragten halten141. Dabei bezog sich das Reichsgericht ausdrücklich auf die gerade unter cc) wiedergegebene Entscheidung. Wie in dieser würde man aber mit der heute herrschenden Meinung grundsätzlich eine Haftung für den Dritten als Wissenserklärungsvertreter analog § 166 BGB annehmen. Allerdings läge in diesem Fall eine Einschränkung durch die Relevanzrechtsprechung nahe, da vermutlich die 139 Vgl. insbesondere Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 11 – allerdings noch mit der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs bei Obliegenheitsverletzung; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 185 und DÖV 1931, S. 242. Kritisch hingegen Josef, Kommentar (1908) S. 16 f. und Hercher (1912) S. 48, für den diese Entscheidung klar gegen die VVG-Begründung verstieß, sowie später Oberbach, AVB II (1947) S. 25. Ursache und Wirkung verkannte Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 24, der mit Bezug auf RGZ 58, 342 behauptete, die Voraussetzungstheorie habe „insbesondere dadurch Bedeutung erlangt, daß sich ihr fast ausschließlich die gesamte Rechtsprechung angeschlossen“ habe. 140 Vgl. dazu Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 163; Römer, NVersZ 2000, S. 260 f. mwN; Armbrüster (2003) S. 10. Mindestens missverständlich: Terbille, r+s 2001, S. 2–3. 141 RGZ 62, 190 (192).
II. Ausgrenzung
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Interessen des Versicherers nicht von der Verspätung betroffen und das Verschulden gering war. Genaue Anhaltspunkte dafür sind im vorliegenden Sachverhalt naturgemäß nicht ausgeführt. Das Reichsgericht bevorzugte im konkreten Fall offenbar ein Einstehen der Versicherung, als dass den Beauftragten oder den Versicherungsnehmer selbst die harten Folgen des Alles-oder-Nichts-Prinzips treffen würden. Die Begründung des Reichsgerichts ist jedoch methodisch auch hinsichtlich der folgenden Feststellung fragwürdig. Das Gericht führte aus, da die Anzeigepflicht keine Schuldverbindlichkeit sei, könne die Bestimmung des § 278 BGB nicht eingreifen, denn es würde eine gesetzliche Grundlage fehlen, sie auf eine bloße Bedingung eines Anspruchs „etwa entsprechend“ anzuwenden142 . Dies unterstellt, dass es gesetzliche Grundlagen für Gesetzeslücken füllende Analogien geben könnte und müsste! ee) RG vom 29. 1. 1909 (LZ 3, Sp. 403) Die Witwe des tödlich verunglückten Versicherungsnehmers einer Unfallversicherung hatte ihren Neffen mit der Übersendung einer Todesanzeige beauftragt. Dieser telegrafierte zu spät an die Versicherung. Wiederum lehnte das Reichsgericht die Verwirkung des Versicherungsanspruchs mit der Begründung ab, dass es sich bei der Todesanzeige nur um eine Voraussetzung für die Versicherungsleistung handeln würde143 . Vermutlich sah man es als unbillig an, wegen einer geringfügigen Verspätung die Witwe unversorgt dastehen zu lassen. Heute würde wohl das gleiche Ergebnis über die Relevanzrechtsprechung des BGH erreicht, d. h. die Obliegenheitsverletzung hatte im Zweifel für den Versicherer keine Nachteile zur Folge und wäre deshalb irrelevant gewesen. Das lässt sich zwar heute nicht mehr sicher klären, liegt aber angesichts der Entscheidung nahe. Das Reichsgericht hätte vermutlich anders entschieden, wenn die Obliegenheitsverletzung beispielsweise die Aufklärung der Todesumstände für die Versicherung verhindert hätte, was zu vermeiden ja ein möglicher Sinn der rechtzeitigen Anzeige ist. ff) Zusammenfassung In der Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten des Versicherungsnehmers144 fand also – durch Abqualifi zierung dieser Pflichten zu bloßen Voraussetzungen – in tatsächlicher Hinsicht meist eine Begünstigung des Versicherungsnehmers statt. Der Hintergrund dieser Ent142
RGZ 62, 190 (192). RG LZ 3 (1909) Sp. 403 (404). 144 Allgemein die vorhergehenden Entscheidungen bestätigend auch RG vom 12. 12. 1919, RGZ 97, 279 (281) und RG vom 19. 6. 1931, RGZ 133, 117 (122). 143
160 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien scheidungen ist wie bei der Repräsentantenhaftung in (nur) auf den Einzelfall blickender Billigkeitsrechtsprechung zu sehen. Allerdings wollte man bei den Anzeigepflichten – anders als bei der schwerwiegenderen Herbeiführung des Versicherungsfalles – vor allem die harten Rechtsfolgen des Alles-oder-Nichts einer durch den Versicherer aufoktroyierten Leistungsbefreiung bei (wirtschaftlich betrachtet) verhältnismäßig geringen Obliegenheitsverletzungen vermeiden. Später sprach man diese Absicht klarer aus und hatte das Alles-oder-Nichts-Prinzip durch Kausalitätserfordernisse und Relevanzrechtsprechung beträchtlich eingeschränkt bzw. durch die VVG-Reform 2008 grundsätzlich abgeschafft145 . Aber auch früher gab es schon andere Versuche, dieses Prinzip abzumildern146 . Inhaltlich würde die herrschende Meinung heute in den meisten beschriebenen Fällen verletzter Anzeige- und Mitteilungspflichten mit gänzlich anderen Argumenten arbeiten und teilweise sogar zu anderen, für den Versicherungsnehmer unangenehmeren Ergebnissen kommen. Insofern ist die „Erfindung“ der Voraussetzung in den konkreten Entscheidungen aus heutiger Sicht dogmatisch überflüssig. Dennoch bilden diese überholten Reichsgerichtsentscheidungen die Grundlage der heute herrschenden Voraussetzungstheorie, obwohl sie genau genommen wenig dafür hergeben147. Erst später entwickelte dann das Reichsgericht – wieder für einen Einzelfall, aber mit der Argumentationslinie der bis heute herrschenden Meinung – auch für durch Dritte verletzte Verhaltenspflichten eine Haftung über die analoge Anwendung der Stellvertretungsregeln. Im konkreten Fall148 hatte die Feuerversicherung bereits die Leistung für einen zerstörten Wagen abgelehnt und fragte später nach dem Kaufpreis für denselben. Diese Frage wurde durch einen Angestellten des Versicherungsnehmers beantwortet, der zu hohe Beträge angab. Das Reichsgericht bejahte grobe Fahrlässigkeit, weil der Prokurist sich nicht genügend um den Angestellten gekümmert oder sogar die Antwort angeordnet habe. Vermutlich war genau dieser Verdacht entscheidungsrelevant149. 145
Genauer zu diesem Prinzip s. u., S. 297 ff. Vgl. insbesondere Bischoff, DÖV 1939, S. 184 ff. und ihm folgend Scheunert, DÖV 1939, S. 301 ff., 321 ff., die die für sinnvoll angesehene RG-Rechtsprechung zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten des Versicherungsnehmers zu rechtfertigen versuchten. Die Leistungsfreiheit sei letztlich nichts anderes, als eine Vertragsstrafe i. S. d. § 339 BGB, weshalb in unverhältnismäßigen Fällen der Richter gem. § 343 BGB Einschränkungen des Alles-oder-NichtsPrinzips vornehmen dürfe. Das hat sich aber als Begründung nicht durchgesetzt. 147 Ähnlich bereits H. Schmitt (1939) S. 51. 148 RG vom 8. 10. 1926, JRPV 1926, 307 f. 149 Gottschalk, ZVW 27 (1927) S. 157 nannte die Entscheidung „stark konstruktive Jurisprudenz, die den Lebensverhältnissen nicht gerecht wird“. Letzteres erscheint dann aber doch übertrieben, zumal Gottschalk, der in ZVW 17 (1917) S. 204 selbst die Verbindlichkeitstheorie vertrat, über § 278 BGB – dessen Anwendung das RG unter Verweis auf RGZ 58, 346; 62, 190 usw. ablehnte – zum gleichen Ergebnis hätte kommen müssen. Widersprüchlich ist in erster Linie, dass sich das RG auf § 166 BGB analog bezog. 146
II. Ausgrenzung
161
5. Die Verallgemeinerung der Voraussetzungstheorie (Bedingungstheorie) für das Versicherungsvertragsrecht Im Anschluss an die aufgeführte Reichsgerichtsrechtsprechung zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten und ausdrücklich auch darauf gestützt setzte sich allmählich die „Voraussetzungstheorie“ als Oberbegriff für diejenigen durch, die für einzelne oder alle Obliegenheiten des Versicherungsnehmers den Charakter einer Rechtspflicht ablehnten. Teilweise wurde auch die Bezeichnung als Bedingungstheorie verwendet150 . Die Bezeichnung von versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als Bedingung der Versicherungsleistung ist zwar die ältere151, aber wegen §§ 158 ff. BGB heute kaum noch vorkommende. Ein ganz anderer Ansatz war es dagegen, für die Herbeiführung des Versicherungsfalles mit den Vorschriften über die Bedingung i. S. d. §§ 158 ff. BGB zu arbeiten152 . Dieser Lösungsversuch stammt – wie die Behandlung als Obliegenheit (i. S. v. „echte“ Pflicht oder Voraussetzung) und als Risikoausschluss – ebenfalls aus der Zeit der Herausbildung der Voraussetzungstheorie. Danach stehe die Leistung des Versicherers unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts des Versicherungsfalles153 . Sofern der Versicherungsnehmer selbst diese Bedingung herbeiführt, gelte diese gem. § 162 Abs. 2 BGB als nicht eingetreten und er erhalte die Versicherungsleistung nicht. Für das Verhalten Dritter müsse er nur ausnahmsweise einstehen154 . Die Behandlung des § 61 VVG a. F. (§ 81 VVG 2008) als Bedingung der Versicherungsleistung wurde aber zu Recht überwiegend abgelehnt155 , weil nicht der Versicherungsvertrag bedingt geschlossen wird, sondern nur die Versicherungsleistung durch den Eintritt des Versicherungsfalles bedingt ist. Die §§ 158 ff. BGB gelten aber gerade für bedingte Rechtsgeschäfte. Eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 2 BGB wurde hingegen nicht erwogen.
150 Etwa bei v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 729 bezogen auf die Ansicht Schneiders. Ähnlich auch H. Schmitt (1939) S. 20, 112 und Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 284. 151 Sie findet sich bereits im Entwurf des HGB für die Preußischen Staaten von 1857 und in den Protokollen der Nürnberger Kommission zur Beratung eines ADHGB. Da diese Materialien nicht so leicht zugänglich sind vgl. die Nachweise bei Bruck, ZVW 26 (1926) S. 184 und H. Schmitt (1939) S. 16. 152 So Amthor (1923) S. 162; Framheim (1927) S. 53 ff. 153 Framheim (1927) S. 56. 154 Framheim (1927) S. 85: sofern ihn ein eigenes Verschulden daran treffe oder eine positive Vorschrift das Verhalten des Dritten dem des Versicherungsnehmers gleichstelle. 155 Grundlegend: Oertmann, Rechtsbedingung (1924), S. 4 und 48; vgl. auch Gottschalk, JRPR 1927, S. 267; Zillmer (1930) S. 24 ff. (31); Frank (1933) S. 35.
162 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien
a) Hintergrund der allgemeinen Voraussetzungslehre: Ursprüngliche Gemeinsamkeit mit der Verbindlichkeitstheorie Das Hauptziel der Voraussetzungslehre mit allgemeinem Geltungsanspruch bestand zunächst darin, ihre ablehnende Haltung gegenüber der durch die Rechtsprechung entwickelten Repräsentantenhaftung für die Herbeiführung des Versicherungsverfalles zu fundieren. Darin waren sich die damaligen Hauptvertreter der Voraussetzungs- und Verbindlichkeitstheorie einig156 . Der Begründer der allgemeinen Voraussetzungstheorie war Schneider, zu ihm und seinen Theorien im Folgenden genauer. Auf der Gegenseite stand Josef. Beide lieferten sich vor allem zwischen 1907 und 1909 ausführliche Gefechte. Die Übereinstimmung im Ergebnis jedoch sprach Josef klar aus: Schneider sei für die Herbeiführung des Versicherungsfalles zu seiner dogmatisch entgegengesetzten Auffassung gekommen, weil er darauf seine Ansicht stütze, der Versicherungsnehmer hafte nicht schlechthin für Verschulden seiner Vertreter und Erfüllungsgehilfen, durch welches der Brand verursacht wurde. Dieser Ansicht Schneiders sei durchaus zuzustimmen – nur bedürfe es zu ihrer Begründung nicht einer einschränkenden Auslegung des § 278 BGB157. Über dieses gemeinsame Ziel hinaus lehnte aber die frühe Voraussetzungslehre im Anschluss an die beschriebene Reichsgerichtsrechtsprechung zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten158 auch allgemein ein als ungerecht empfundenes Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für Dritte weitgehend ab.
b) Theoretische Grundlage (Schneider) Den dogmatischen Unterbau für eine allgemeine Voraussetzungslehre entwickelte ebenfalls Schneider. Die Ansicht Nussbaums über die unechten Verbindlichkeiten war auf breite Ablehnung gestoßen, vor allem wegen ihres Ansatzes in einer zu engen Definition der Leistung159. Dennoch stützte sich Schneider – neben der soeben aufgeführten Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten – für die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten und auch für die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG) darauf160 und nicht etwa auf die dogmatisch überzeugendere Arbeit Sibers zum Rechtszwang. Ob dies aus Unkenntnis derselben geschah oder weil 156 Ursache und Wirkung verdrehte daher Frohn (1959) S. 21, der meinte, die Frage eines Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter sei erst dadurch problematisch geworden, dass man sich über den Charakter der Obliegenheiten nicht einig war. 157 Josef, Jh. Jb. 55 (1909) S. 273. Auch Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 263 f., 270 kritisierte die Umgehung des § 278 BGB. 158 S. o., S. 154 ff. 159 S. o., S. 142 mwN. 160 Expliziter Bezug auf Nussbaum insb. bei Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 1, 5, 8.
II. Ausgrenzung
163
von Siber das Schneider beschäftigende Problem der Anwendung des § 278 BGB zunächst noch nicht thematisiert wurde161, ist nicht festzustellen. Es dauerte lange, bis sich Rechtsprechung und Literatur im allgemeinen Zivilrecht über den genaueren Inhalt des § 278 BGB verständigten162 . Insofern kann es nicht verwundern, dass es entsprechende Versuche gab, sich dem alten Rechtszustand des gemeinen Rechts – der im Wesentlichen nur Haftung für eigenes Verschulden vorsah – wieder anzunähern163 . Den Ausführungen Nussbaums folgend behauptete Schneider (nach anfänglich anderer Ansicht164), § 278 BGB fände lediglich auf Leistungen i. S. d. § 362 Abs. 1 BGB Anwendung und nicht auf alles, wozu der Schuldner verpflichtet sei. Zu diesem Ergebnis kam er, indem er aus dem Wortlaut des § 278 BGB Erfüllung „seiner Verbindlichkeit“ quasi herausstrich und außerdem das Gesetz ergänzte. Man müsse sich hinzuzudenken: „haftet, nämlich in Betreff der Erfüllungshandlungen“. Erfüllung umfasse „also alles das nicht, was nicht als Leistung an den Gläubiger gelangt – mithin nicht alle unechten Verbindlichkeiten“165 . Versicherungsrechtliche Obliegenheiten (einschließlich der Herbeiführung des Versicherungsfalles, § 61 VVG a. F.) seien keine echten Verbindlichkeiten, sondern bloße die Rechte des Schuldners bedingende Voraussetzungen166 . Bei der Schadensversicherung bestünde zudem die Eigentümlichkeit, dass der „böse Wille des Versicherungsnehmers“ sich gegen die eigene, regelmäßig in seiner Hand verbleibende Sache richte167. Hier „vergaß“ Schneider allerdings kurzzeitig, dass dieser Fall unproblematisch von § 61 VVG a. F. erfasst war (jetzt § 81 VVG 2008) und dass das von ihm zu lösende Hauptproblem gerade in der Haftung für Dritte bestand. Auch sonst enthalten die Beiträge Schneiders viele Ungereimtheiten. Wenn er meistens die Obliegenheiten als Voraussetzungen bezeichnet, so benutzt er doch auch ganz andere Bezeichnungen mit anderem Inhalt, wie Bedingung oder unechte Verbindlichkeit168 . Unvereinbar mit seiner eigenen Theorie erscheint vor allem, dass er bei Verletzung von Obliegenheiten zunächst einen 161 Siber, Rechtszwang (1903) beschäftigte sich zunächst nicht mit § 278 BGB. Später vertrat Planck/Siber (1914) § 278 BGB, Anm. 1 d, S. 228 die analoge Anwendung des § 278 auf die „indirekten Rechtspflichten“! 162 Vgl. s. o., S. 133. 163 Zu den entsprechenden Bemühungen in der Rechtsprechung s. o., S. 154 ff. 164 Ursprünglich hatte Schneider, ZVW 5 (1905) S. 260 jedenfalls bezüglich der vertraglich vereinbarten und der Gefahrminderungsobliegenheiten des Versicherten nach dem Entwurf des VVG noch die Haftung für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB angenommen. 165 Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 5, vgl. auch ders., ZVW 9 (1909) S. 797 f. 166 Schneider, ZVW 5 (1905) S. 264 und ders., Jh. Jb. 53 (1908) S. 9 f. 167 Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 16. 168 Schneider, ZVW 9 (1909) S. 798.
164 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Schadensersatzanspruch des Versicherers anerkennen wollte169. Dies muss ihm selbst klar geworden sein, jedenfalls bezeichnet er wenig später die Begründung eines Schadensersatzanspruches als unklar und diesen selbst als von geringer Bedeutung170 .
c) Insbesondere: Das Prinzip der Selbstverschuldung Durch die beschriebene Umformulierung des § 278 BGB versuchte Schneider, das von ihm für das Versicherungsrecht generell, also nicht etwa nur für die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F.), behauptete Selbstverschuldungsprinzip zu stützen. Dieses gelte „kraft der Selbständigkeit“ des Versicherungsrechts, welches es „nur auf eigene Verschuldung des Versicherungsnehmers ankommen lassen“ wolle171. Damit entspricht dieses Prinzip dem beschriebenen Ziel Schneiders, dass der Versicherungsnehmer also allgemein nur für eigenes Verschulden haften soll, auch bei der Auswahl und Überwachung von Hilfspersonen. Eine vertragliche Vereinbarung der Haftung für Dritte wurde von Schneider hingegen ausdrücklich für zulässig gehalten172 . Damals fand die Voraussetzungstheorie Schneiders in der Ausgestaltung mit dem Selbstverschuldensprinzip durchaus Gefolgschaft173 . Heute wird das Selbstverschuldungs- oder Selbstverschuldensprinzip in Deutschland grundsätzlich – auch und gerade von den Vertretern der Voraussetzungstheorie – abgelehnt, sofern man eine solche Haftungsreduzierung überhaupt noch thematisiert174 . Meist geht es heute im Gegenteil nur um die Konstruktion der Dritthaftung bzw. um Detailfragen. Dogmatisch naheliegender wäre es jedoch, im Rahmen des ursprünglich fokussierten § 61 VVG a. F. (bzw. jetzt § 81 VVG 2008), welcher doch heute nach ganz überwiegender Meinung als subjektiver 169
Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 12. Schneider, ZVW 09 (1909) S. 799. Der Vorwurf der Widersprüchlichkeit schon bei v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 726 und Heukeshoven (1938) S. 25. 171 Schneider, LZ 1 (1907) Sp. 269; vgl. auch ders., Kommentar (1908) zu § 6 VVG, S. 103 f. und Jh. Jb. 53 (1908) S. 1 ff., 20 f. Ihm ausdrücklich für das schweizerische Recht zustimmend Roelli, Kommentar (1914) S. 202. 172 So später auch Bruck, ZVW 26 (1926) S. 211. 173 Für § 61 VVG: Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 61 VVG, Anm. 1. Für die vorvertragliche Anzeigepflicht: Kisch II (1920) S. 185 f., 299 ff. und Müller-Erzbach, Handelsrecht, 2. Teil (1924) S. 722 f. Generell Amthor (1923) S. 172; Bruck, PrivatversR (1930) S. 291 ff. und Kommentar7 (1932) zu § 6 VVG, Anm. 13–15 – zwar gerade nicht für die Anzeigepfl ichten, aber für die weiteren Verhaltenspflichten – zu den Widersprüchen bei Bruck aber sogleich unter d)(1). 174 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 319; Frohn (1959) S. 28; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 72; Schürmann (1972) S. 60 ff.; Möller, VVR 3 (1977) S. 124; Bruck/ Möller/Sieg, Kommentar8 (1980) § 61 VVG, Anm. 59; Theda, Aktuelle Fragen (1988) S. 399; Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 8; Looschelders, VersR 1999, S. 669. 170
II. Ausgrenzung
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Risikoausschluss gesehen wird, den Versicherungsnehmer nur für sein eigenes Verschulden einstehen zu lassen175 .
d) Die Entwicklung zur h. M. im Versicherungsrecht Neben dem Begründer Schneider war insbesondere Bruck176 der Hauptvertreter der Voraussetzungstheorie in der Zeit ihres Durchbruchs zur herrschenden Meinung. (1) Widersprüche bei Bruck Bruck bekundete sehr verschiedene Ansichten sowohl zur Frage des Schadensersatzes bei Obliegenheitsverletzungen177 als auch zu der für die Entstehung der Theorie essentiellen Frage eines Einstehenmüssens des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter. Diese widersprüchlichen Aussagen lassen sich nicht miteinander vereinbaren. Er selbst machte jedoch keine Meinungsänderung o.ä. deutlich. Auch von anderen wurden diese Widersprüche nicht wahrgenommen oder jedenfalls nicht thematisiert. Konkret hatte Bruck fast zeitgleich einerseits angenommen, dass der Versicherungsnehmer bezüglich seiner Anzeigepflichten für Wissenserklärungsvertreter – jedoch nicht analog § 166 Abs. 1 BGB – und für weitere Verhaltenspflichten „unbestritten“ für seine gesetzlichen Vertreter hafte (Beispiel: Einlagerung von Benzin im feuerversicherten Haus des Mündels durch den Vormund), nicht jedoch für sog. „Repräsentanten“178 . Dabei hatte er allerdings einen Hauptbeweggrund Schneiders bei der Entwicklung der Voraussetzungstheorie, nämlich die weitergehende Vermeidung der Haftung für Dritte, mindestens aus den Augen verloren. Andererseits behauptete Bruck, dass zwar bei allen Anzeigepflichten eine Wissensvertretung möglich sei, im Übrigen der Versicherungsnehmer aber nur für eigenes Verhalten aufzukommen habe. Der Versicherungsnehmer hafte bezüglich seiner „Verhaltungsmaßregeln“ demnach nicht (!) für seinen gesetz-
175 So noch heute Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 3. Genauer zu § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG 2008 und zur Repräsentantenhaftung, insbesondere auch rechtsvergleichend zum Selbstverschuldensprinzip s. u., S. 278 ff. (289). 176 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 209 ff., PrivatversichR (1930) S. 282 ff., Art. Obliegenheit (1930) Sp. 1106 f. und Kommentar7 (1932) § 6 VVG, Rn. 3–4. 177 Dazu s. u., S. 177 f. 178 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 206 ff., 208 ff. mit dem Beispiel auf S. 210, und ders., Art. Obliegenheit (1930) Sp. 1108.
166 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien lichen Vertreter179. Insbesondere hafte das Mündel nicht (!) für gefahrerhöhende Handlungen seines Vormundes – mit dem gleichen Beispiel wie oben180 ! Vor allem durch Bruck und auch durch die von Möller aufgepflanzte allgemeine Repräsentantenhaftung veränderte die Voraussetzungstheorie sich grundsätzlich von der ursprünglichen Reichsgerichtsrechtsprechung weg. (2) Weitere Probleme Die Voraussetzungstheorie fand – zunächst für die Anzeigepflichten, denen ja auch die diesbezügliche Rechtsprechung des Reichsgerichts gegolten hatte – zunehmend Anklang181. Die Argumente in der Literatur, vielfach Dissertationen, waren aber oft fragwürdig. So zitierte beispielsweise Unfried die Begründung zum VVG-Entwurf von 1906 als Beleg der Voraussetzungstheorie – dort steht aber genau das Gegenteil des Behaupteten182 . Auch von der Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde eine allgemeine Voraussetzungstheorie gefördert, indem man – dogmatisch fragwürdig – Entscheidungen zur Herbeiführung des Versicherungsfalles und zu den Anzeigepflichten vermischte183 . Spätestens in den 1930er Jahren wurde diese Lehre – von ihren Befürwortern184 und Gegnern185 – als „h. M.“ bezeichnet, was in der darin enthaltenen 179 Bruck, PrivatversR (1930) S. 293, 359, 653 und ders., Kommentar7 (1932) § 6 VVG, Anm. 15. 180 Bruck, PrivatversR (1930) S. 294. Noch verdrehter wird das Ganze bei Halbreiter (1934), einem Vertreter der Voraussetzungstheorie (S. 38 ff.) S. 65: der Vormund hafte für das Mündel (!), weil sonst der Versicherer den Nachteil der Handlungsunfähigkeit des Versicherungsnehmers tragen müsste – ebenfalls mit dem Beispiel des durch den Vormund eingelagerten Benzins. 181 Weitere Vertreter aus der frühesten Zeit sind: Unfried, ZVW 9 (1909) S. 275; Lederle, Lebensversicherung (1913) S. 50 f.; Kisch II (1920) S. 178 ff.; Amthor (1923) S. 121; Müller-Erzbach, Handelsrecht, 2. Teil (1924) S. 722 f.; Bruck/Dörstling, Lebensversicherung (1924) S. 145 ff., 148; Heerbach (1930) S. 18 ff.; Hagen, JRPV 1932, S. 34. 182 Unfried, ZVW 9 (1909) S. 275. Zum Willen des historischen Gesetzgebers genauer gleich S. 173 ff. 183 Beispielsweise RG vom 12. 12. 1919, RGZ 97, 279 ff. (280 f.), eine Entscheidung zur Repräsentantenhaftung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles (s. o. S. 151 mit Fn. 114) zitiert zwei Entscheidungen zu den Anzeigepflichten, RGZ 58, 342 (s. o., S. 156 ff.) und RGZ 62, 190 (s. o., S. 158 f.) zum Beleg, dass § 278 BGB im Versicherungsrecht keine Anwendung finde. 184 Bruck/Dörstling, Lebensversicherung (1924) Bem. 93, S. 148; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 190, Fn. 39 sowie Art. Obliegenheit (1930) Sp. 1106 und Kommentar (1932) § 6, Rn. 4 mwN; Berliner, ZVW 27 (1927) S. 445; Heerbach (1930) S. 4; Möller (1939) S. 68. Vgl. auch RG vom 28. 6. 1927, RGZ 117, 327, 329: das Reichsgericht habe sich zur herrschenden Meinung bekannt. 185 Sprinz, Komm. (1926) § 6 VVG, S. 40; Gottschalk, JW 1927, S. 147; E. Prölss, Kommentar (1935) § 6 VVG, Anm. 4; Arens (1940) S. 11.
II. Ausgrenzung
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Verallgemeinerung von den Anzeigepflichten auf alle Obliegenheiten des Versicherungsnehmers mehr als nur fragwürdig erscheint186 . Außerdem hatte die Voraussetzungstheorie für die Anzeigepflichten ursprünglich die Rechtsprechung des Reichsgerichts187 als Argument auf ihrer Seite. Diese Rechtsprechung führte aber zu gerade entgegengesetzten Ergebnissen hinsichtlich des Einstehens für Dritte und ist also kein Argument dafür, dass die Voraussetzungstheorie mit ihrem späteren Inhalt, also mit Einstehen für Dritte, herrschende Meinung gewesen sei188 . Es dürfte daher vielmehr so sein, dass die (unrichtige) Behauptung als „h. M.“ entscheidend dafür war, dass die Ansicht tatsächlich h. M. wurde. Es erstaunt nach intensiverer Recherche, wie viele Autoren – wenn es nicht sogar die zahlenmäßige Mehrheit war – und zumindest auch Instanzgerichte die Verbindlichkeitstheorie bevorzugten189. Außerdem vertraten manche Autoren auch je nach Art der Obliegenheit die Verbindlichkeits- oder die Voraussetzungstheorie190 , was aber bei ihrer Anführung als Beleg meist nicht angegeben, sondern nur dasjenige wiedergegeben wurde, was gerade zur eigenen Ansicht des Zitierenden passte. Diesen Vorwurf muss man allerdings Vertretern der Voraussetzungs- und Verbindlichkeitstheorie gleichermaßen machen. Der eigentliche Umschwung hinsichtlich einer ursprünglich ja gerade abgelehnten Haftung für Dritte setzte mit den beschriebenen Selbst-Widersprüchen
186 Kritisch zu der Behauptung, die Voraussetzungstheorie sei bereits damals h. M. gewesen, schon Haymann, VersArch 1933–34, S. 963 und Oberbach, AVB II (1947) S. 28, die dazu beide beeindruckende Namen der Gegenauffassung aufzählten. Der Vorwurf, zu Unrecht das „Herrschen“ der Voraussetzungstheorie zu behaupten, ging damals in erster Linie an Bruck und seinen VVG-Kommentar. 187 S. o., S. 154 ff. 188 So aber Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 24. 189 Nachweise sogleich im nächsten Abschnitt, S. 169 ff., 183 f. 190 Der VVG-Kommentar von Gerhard/Hagen (1908) wird üblicherweise zur Voraussetzungstheorie gerechnet, jedoch vertritt Hagen, § 55 VVG, Zusatz I, S. 260 f. eher die Verbindlichkeitstheorie, vgl. auch Gerhard, § 34 VVG, Anm. 3, S. 152 (kein Klagerecht, aber Schadensersatzanspruch) und ders., § 23 VVG, Anm. 6 (§ 23 VVG erlege dem VN eine Pflicht auf, aber ein Schadensersatzanspruch sei nicht gegeben); Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1239 ff. vertrat für die Anzeige- und Auskunftspfl ichten (mit Ausnahme der vorvertraglichen) sowie die Schadensminderungspflicht des § 62 VVG, sie seien „wahre Verbindlichkeiten“, sonstige Obliegenheiten meist „nur positive oder negative condiciones iuris“. Ähnlich auch Sommer (1913) S. 19 ff., 55 ff.; Roelli, Kommentar (1914) S. 57 ff. hat dies grundlegend für das schweizer Versicherungsvertragsrecht getan: gesetzliche Obliegenheiten seien echte Verbindlichkeiten, aber bei vertraglichen Obliegenheiten liege, sofern ein Rechtsverlust vereinbart sei, eine „sg. Pflicht“ (a.a.O., S. 531) „im eigenen Interesse, lediglich zur Abwendung eines Rechtsnachteils“ vor (a.a.O., S. 532) wobei jedoch unter Rechtsnachteilen u. a. die Schadensersatzpflicht und die Konventionalstrafe genannt werden (a.a.O., S. 534). Weiter in der Annahme von Pflichten ging dann Weyermann (1929) S. 26 f., der allerdings der grundsätzlichen Unterscheidung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten durch Roelli folgte.
168 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien bei Bruck ein191. Möller hingegen war – ebenfalls entgegen früheren eigenen Äußerungen – grundlegend für die bejahte Repräsentantenhaftung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles und damit für die später herrschende Meinung zu § 61 VVG 1908, die zu § 81 VVG 2008 fortgeführt wird192 .
e) Resümee zur Entwicklung der Voraussetzungstheorie Zusammenfassend muss man also konstatieren, dass die Voraussetzungstheorie des Versicherungsvertragsrechts von ihren Anfängen bis in die 1930er Jahre hinein keinesfalls als homogene Auffassung angesehen werden kann. Sie machte vielmehr erhebliche Veränderungen durch. Der Ausdruck „Voraussetzung“ taucht noch vor Inkrafttreten des VVG an verschiedenen Stellen auf193 . Wo ganz genau der Ursprung der Voraussetzungstheorie liegt, lässt sich nicht ausmachen. Im Jahre 1904 gibt es sowohl die beschriebene Ansicht von Behrend194 , als auch die erste Entscheidung des Reichsgerichts, die mit dem Begriff arbeitet195 . Beide gehen nicht aufeinander ein, d. h. weder zitiert Behrend die Entscheidung noch umgekehrt. Aber auch andere, ältere Quellen werden nicht angegeben. Ursprünglich ging es der Theorie – wie schon der sie verursachenden Rechtsprechung des Reichsgerichts – darum, ein Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Verschulden Dritter im Rahmen von Anzeigepflichten zu vermeiden. Später wurde das besser zur Verbindlichkeitstheorie passende Gegenteil dann auch von der Voraussetzungstheorie bejaht, womit sie sich selbst ad absurdum führte. Besonders deutlich wird das in der die Voraussetzungslehre konstituierenden Reichsgerichtsentscheidung: das Gericht lehnte ausdrücklich die Ansicht des Berufungsgerichts ab, dass der Versicherungsnehmer über § 166 BGB (!) für seine Frau hafte196 . Ab Mitte der 1930er Jahre, zeitlich zusammenfallend mit dem Umschwenken hinsichtlich der Dritthaftung, die nun plötzlich doch bejaht wird, behauptet man die Voraussetzungstheorie plötzlich als „h. M.“, wobei seither hauptsächlich Bruck und Möller als Vertreter zitiert wurden und werden. Der eigentliche Begründer einer allgemein für das Versicherungsrecht geltenden Vorausset191 S. o., S. 145 ff. Aber auch schon Heerbach (1930) S. 57 ff. wollte § 278 BGB analog anwenden und nahm ansonsten Zurechnung nach den Figuren des Wissensvertreters an. 192 Möller, Verantwortlichkeit (1939) insb. S. 11 f., 90 ff. – ausdrücklich anders noch ders., HansRGZ 1929, Sp. 560. Genauer zur heute h. M. einer Repräsentantenhaftung s. u., § 9 II.1. 193 Zur versicherungsrechtlichen Literatur vgl. s. o., S. 143 ff., zur Rechtsprechung S. 154 ff. 194 Behrend, ZHR 55 (1904) S. 66 (Besprechung des VVG-Entwurfs). 195 RG vom 28. 6. 1904, RGZ 58, 342 (346), ausführlich dazu s. o., S. 156 ff. 196 RGZ 58, 345: das Berufungsgericht setzte sich auch mit einer Anwendung des § 278 BGB und der Ansicht des gemeinen Rechts auseinander. Die Entscheidung ist wirklich lesenswert! Vgl. dazu s. o., S. 156 f.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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zungstheorie aber, nämlich Schneider197, der ganz andere Ziele verfolgte als die Späteren, wurde mitsamt seinen nicht mehr passenden, d. h. nunmehr störenden Thesen schnell vergessen.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie Im allgemeinen Zivilrecht wurde die Verbindlichkeitstheorie für die besonderen Verhaltenspflichten allgemein soweit ersichtlich nicht vertreten. Zwar war für einzelne Tatbestände umstritten, ob es „echte“ Pflichten seien oder nicht198 . Eine zusammenfassende Stellungnahme zugunsten der Annahme von „echten“ Rechtspflichten fehlt jedoch. Allerdings gab es davon unabhängig im Allgemeinen Zivilrecht die Diskussion, ob für einen Anspruch die Klagbarkeit zwingend erforderlich sei. Die ablehnende Auffassung199, dass also Anspruch und Klagerecht nicht zwingend zusammen gehören, soll hier nur kurz erwähnt und die Frage im späteren Teil der Untersuchung200 näher betrachtet werden. In der Literatur zum Versicherungsvertragsrecht hingegen war bezüglich der dortigen Obliegenheiten die Annahme von Rechtspflichten zunächst deutlich vorherrschend! In älteren versicherungsrechtlichen Veröffentlichungen (vor dem VVG) wurde von den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers noch ohne zu problematisieren von Verpflichtungen gesprochen 201. Aber auch nach Inkrafttreten des VVG überwog zunächst die Verbindlichkeitstheorie klar202 . Selbst im Kommentar des späteren Hauptvertreters der 197 Er galt jedenfalls bis in die 1930er Jahre als Begründer der Voraussetzungstheorie, vgl. Frank (1933) S. 9 und Heukeshoven (1938) S. 25. 198 S. o., S. 137 ff. mwN. 199 Vertreter der neueren Auffassung, dass ein Anspruch auch ohne Klagerecht möglich sei, waren vor allem Zitelmann, AT (1900) S. 24; Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 57; Reichel, Jh. Jb. 59 (1911) S. 415 ff., 423 ff.; Hellwig, System I (1912) S. 291 ff. 200 S. u., § 8 dieser Untersuchung, insb. S. 242 ff. 201 Z. B. Kübel, Malß Z. 2 (1868) insb. S. 7 ff.; Wolff, Malß Z. 2 (1868) S. 337 ff.; Lewis, Versicherungsrecht (1889) S. 199. 202 Vertreter der Verbindlichkeitstheorie im Allgemeinen: v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 721, 735 ff.; Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 271 ff.; Vatke (1911) S. 116 f.; Heine, LZ 1912, Sp. 303 f.; Kleinschmidt (1914) insb. S. 23 ff.; Gottschalk, ZVW 17 (1917) S. 195 ff., 203 f. und ders., ZVW 27 (1927) S. 157; Moschel (1919) S. 30 ff.; Drube, WallmZ. 55 (1921) S. 53 f. für die Viehversicherung; Sprinz, Kommentar (1926) § 6 VVG, S. 40; Ritter, JW 1926, S. 1969 f.; Frank (1933) S. 30 ff.; Ehrenzweig, VVR (1935) Bd. 1, S. 274 ff. und noch in der 2. Aufl. 1952, S. 147 ff.; E. Prölss, Kommentar (1935) § 6 VVG, Anm. 4; Rabel, VersArch 1937/38, S. 710 ff. (wenn auch teilweise etwas vage); Heukeshoven (1938) S. 41 ff., der allerdings für die Gefahrstandspflicht eine Verbindlichkeit ablehnte (a.a.O., S. 47); Bischoff, DÖV 1939, S. 184, begründet im Wesentlichen mit der wenig stichhaltigen Behauptung, dass allein die Verbindlichkeitstheorie „der nationalsozialistischen Auffassung vom Gemeinschaftsleben“ entspreche. Eine ähnliche Argumentation findet sich (allerdings eher nebenbei) auch bei dem weiteren Vertreter der
170 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Voraussetzungstheorie (Bruck) konnte man 1910 noch lesen: „Der ganz allgemeine Ausdruck Obliegenheit umfaßt Verpflichtungen jeder Art, mögen sie auf ein Tun oder Unterlassen des Versicherungsnehmers . . . gehen“203 . Manche Autoren behandelten nur einzelne Obliegenheiten, für welche sie die Verbindlichkeitstheorie vertraten 204 . Teilweise wurde etwas einschränkend von „Verbindlichkeiten nicht im engsten Sinne“205 gesprochen, was bereits in Richtung der später darzustellenden, vermittelnden Theorien ging206 . Ein besonders eifriger Vertreter der Verbindlichkeitstheorie im Versicherungsrecht war Josef207, der sich auch eine ausdauernde, von Wiederholungen auf beiden Seiten nicht freie Auseinandersetzung mit der oben geschilderten 208 Auffassung Schneiders lieferte. Gelegentlich wurden die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als „vertragliche Leistungen, und zwar Vorausleistungen des Versicherungsnehmers gegenüber der Leistungspflicht des Versicherers“ bezeichnet 209. Auch dabei wurde jedoch grundsätzlich die Verbindlichkeitstheorie vertreten und mit dieser Klassifizierung der Obliegenheiten nur eine nähere Beschreibung des Abhängigkeitsverhältnisses der Pflichten von Versicherungsnehmer und Versicherer bezweckt. Die Verbindlichkeitstheorie betonte nicht nur die Unklarheit des Begriffs „Voraussetzung“ – schließlich ist auch die unbestrittene Hauptleistungspfl icht der Prämienzahlung eine Voraussetzung für den Anspruch des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag210 . Sie konnte sich vor allem auf den Wortlaut des damals neuen Versicherungsvertragsgesetzes und die Begründung dazu aus dem Jahre 1906, insbesondere zu §§ 6, 33, 58 und 62 VVG, stützen. Die Verbindlichkeitstheorie Arens (1940) S. 5 f., 25 ff., 44 ff., sie scheint typisch für die Zeit, vgl. dazu s. u., S. 220. 203 Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 6 VVG, Anm. 3, S. 53. 204 Für Anzeigepflichten im Allgemeinen: Hillebrecht (1910) S. 96 ff.; Bornmann, JRPV 1934, S. 66. Für die vorvertragliche Anzeigepfl icht: Falk (1911) S. 37; Künneth (1912) S. 115 ff., insb. S. 120 f.; Eberle (1913) S. 6, 80 ff.; Pflicht zur Anzeige des Versicherungsfalles: Eule (1912) S. 9 ff.; Fernbach (1914) S. 21 ff. (31); für gesetzliche Obliegenheiten Roelli, Kommentar (1914) S. 57 ff., der für vertraglich vereinbarte Obliegenheiten aber die Voraussetzungstheorie vertrat. Für die Gefahrstandspflicht und §§ 61, 62 VVG Ritter, LZ 4 (1914) Sp. 354 ff. Die Frage ausschließlich für die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG) behandelte Marohn (1929) S. 86, 93 – allerdings spielte letzterer auch für viele der genannten grundsätzlichen Vertreter der Verbindlichkeitstheorie die zentrale Rolle – dazu auch s. u., S. 181 f. 205 v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 737. 206 S. u., unter IV, S. 185 ff. 207 Josef, LZ 1 (1907) Sp. 483 ff.; Kommentar (1908) § 1 VVG, Zusatz I. B., S. 15–18; Gruchots Beitr. 52 (1908) S. 268 ff.; Jh. Jb. 55 (1909) 260 ff.; ZHR 65 (1909) S. 191 ff.; ZVW 11 (1911) S. 201 ff. 208 S. o., S. 162 f. 209 Gottschalk, ZVW 17 (1917) S. 204. Ihm darin folgend Frank (1933) S. 30. 210 Vgl. §§ 38, 39 VVG bzw. §§ 37, 38 VVG 2008. Dieses Argument brachte bereits Gottschalk, ZVW 17 (1917) S. 195 und JW 1927, S. 147 gegen die Voraussetzungstheorie in Stellung.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
171
damalige Argumentation soll im Folgenden näher ausgeführt werden. Sie ist sehr überzeugend und wird hier durch den Blick auf das VVG 2008 ergänzt.
1. Der Hintergrund des Reichsgesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) vom 30. 5. 1908 Das Versicherungsvertragsgesetz von 1908211 wurde vor allem deshalb ausgearbeitet, um die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Versicherer einzuschränken und allgemein, um den Versicherungsnehmer zu schützen 212 . Eine andere Situation bestehe hingegen für die im HGB und vor allem vertraglich geregelte Seeversicherung, bei der sich Kaufleute gegenüberstehen 213 . Den beabsichtigten Zweck des Gesetzes brachte die Entwurfsbegründung von 1906 auch klar zum Ausdruck: Eine „angemessene Ausgleichung zwischen den Interessen der Versicherer und der Versicherungsnehmer läßt sich nur erreichen, wenn der Versicherungsvertrag durch die Gesetzgebung geregelt wird“, wobei der „Versicherungsnehmer im Allgemeinen [als] der schwächere Teil“ angesehen wurde214 . Grundlage für gesetzgeberische Weichenstellungen bei der Entstehung des VVG waren häufig gerichtliche Entscheidungen zu eben diesen AVB, die jedoch als nicht ausreichend angesehen wurden 215 . Später erfolgten weitere versicherungsnehmerfreundliche Ergänzungen, am grundsätzlichsten durch die Novellierung des VVG durch die Verordnung von 1939216 .
211 RGBl I (1908) S. 263 ff., in Kraft getreten am 1. 1. 1910. Vgl. zum Zusammenhang mit dem Roelli-Entwurf s. o., S. 119 ff. Ausführlich (allgemein) zur Entstehung des VVG vgl. Duvinage, Vorgeschichte und die Entstehung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag, 1987 und Neugebauer, Versicherungsrecht vor dem Versicherungsvertragsgesetz. Zur Entwicklung des modernen Binnenversicherungsrechts im 19. Jahrhundert, 1990. 212 Ehrenzweig, VVR (1935) S. 19 (und S. 23 die interessante Bemerkung, dass die sog. Kartellierung der Versicherungsanstalten zur Aufstellung von Verband-Bedingungen geführt habe); Koenig, FS Möller (1972) S. 363; Weyers (1974) S. 440. Vgl. auch Schirmer, Kontrolle (1989) S. 35, der die Rechtsprechung zu den AVB untersucht und Prang (2003) S. 22, 37, der sich auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts konzentriert. Kritisch zu dieser Rechtsprechung Hagen, JRPV 1932, S. 40, der von einer „einseitigen Begünstigung des VNs zu Lasten der Erfordernisse eines geordneten Versicherungsbetriebes, d. h. zu Lasten der Versichertengesamtheit“ spricht. 213 Allerdings schützten die frühen AGB-Kontrollen in der Rechtsprechung hinsichtlich Transportbedingungen auch Kaufleute, wenn auf der anderen Seite ein Monopolist stand. 214 Begründung (1906) S. 4 f. 215 Begründung (1906) S. 4: „Die Bedingungen enthalten auch jetzt noch hin und wieder Bestimmungen von übermäßiger Strenge.“ Vgl. auch Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 36, Rn. 124. 216 Zu dieser s. u., S. 174 f.
172 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien
2. Das Wortlautargument Von der Voraussetzungstheorie wurde angeführt, schon die Verwendung eines besonderen „Begriffs“ im VVG zeige, dass Obliegenheiten eben etwas anderes seien, als „echte“ Rechtspflichten bzw. Verbindlichkeiten 217. Dem wurde zu Recht entgegengehalten, dass man nicht aus der Bezeichnung auf die Rechtsnatur der Verhaltenspflichten schließen könne218 . Abgesehen davon wurde der Ausdruck „Obliegenheit“ nicht neu oder absichtsvoll durch das VVG eingeführt, wie bereits hier ausgeführt wurde 219. Tatsächlich spricht der Wortlaut sowohl des VVG 1908 als auch des VVG 2008 aus den nachfolgenden Gründen eher für die Verbindlichkeitstheorie: Obliegenheiten hat der Versicherungsnehmer zu „erfüllen“ (§ 6 Abs. 1 und 2 VVG a.F. bzw. § 28 Abs. 1 und 2 VVG 2008). Der 2. Titel des VVG alter Fassung bzw. Teil 1 Kapitel 1 Abschnitt 2 des VVG 2008 handelt ausdrücklich von der „Anzeigepflicht“, auch §§ 171 Abs. 1 S. 2, 182 VVG a. F. (im VVG 2008 entfallen) benutzen diesen Terminus. § 143 Abs. 2 VVG a.F. spricht von der „Verpflichtung“ des Versicherers zur Leistung und der des Versicherungsnehmers zur Anzeige (nicht mehr im Wortlaut des § 132 VVG 2008). § 16 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. (§ 19 Abs. 1 S. 1 VVG 2008) statuiert, dass der Versicherungsnehmer anzuzeigen „hat“. Ähnlich imperativisch drückt sich auch § 23 VVG aus: der Versicherungsnehmer „darf“ eine Gefahrerhöhung nicht ohne Einwilligung des Versicherers vornehmen (Abs. 1) und „hat“ eine Gefahrerhöhung unverzüglich anzuzeigen (§ 23 Abs. 2 VVG alte und neue Fassung, vgl. auch § 27 Abs. 2 VVG a.F. bzw. § 23 Abs. 3 VVG 2008). Gleiches gilt für die Schadensanzeige (§ 33 Abs. 1 VVG a.F. bzw. § 30 Abs. 1 VVG 2008) und die Mitteilung der Mehrfachversicherung (§ 58 Abs. 1 VVG a.F., verstärkt in § 77 Abs. 1 VVG 2008 „ist verpflichtet“). Gemäß § 62 Abs. 1 VVG a.F. (Wortlaut aber anders in § 82 VVG 2008) ist der Versicherungsnehmer „verpflichtet“, für Abwendung bzw. Minderung des Schadens zu sorgen. Weitere Beispiele lassen sich problemlos finden 220 . 217 In diese Richtung Roelli, Kommentar (1914) S. 531 für vertragliche Obliegenheiten, der aber für gesetzliche Obliegenheiten der Verbindlichkeitstheorie folgte, vgl. a.a.O., S. 57 ff.; deutlicher Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 379. 218 Etwa von Gottschalk, JW 1927, S. 147. Ähnlich auch v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 2 (1947) S. 150. 219 Für die Begriffsverwendung vor Inkrafttreten des VVG s. o., S. 114 ff. 220 Vgl. in der alten Gesetzesfassung §§ 71 Abs. 1, 90 Abs. 1, 121, 146, 183 VVG; negativ formuliert es § 142 S. 2 VVG a. F.: „Der VN ist nicht verpfl ichtet . . . anzuzeigen“. Im VVG 2008 gibt es nicht nur die im Text aufgeführten Abmilderungen sowie die schon aufgeführte Verstärkung, sondern weitere: § 24 Abs. 1 VVG 2008: „Verletzt der VN seine Verpfl ichtung nach § 23 Abs. 1 . . .“ statt „Verletzt der VN die Vorschrift des § 23 Abs. 1 . . .“ in der alten Fassung. Die amtliche Überschrift des § 31 VVG 2008 lautet „Auskunftspflicht des VN“, bei § 34 VVG a. F. lautete nur die nichtamtliche Überschrift „Auskunfts- und Belegpflicht“.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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3. Der Wille des historischen Gesetzgebers a) Haltung des VVG-Gesetzgebers (bis 1908) Die Verbindlichkeitstheorie entspricht der Vorstellung des historischen Gesetzgebers. Die Begründung zum VVG-Entwurf spricht wie das Gesetz selbst ausdrücklich und durchgehend von Pflichten des Versicherungsnehmers, auf welche – mangels besonderer Regelungen – bei schuldhafter Verletzung die allgemeinen Grundsätze des Bürgerlichen Rechts Anwendung finden 221. Es wird dabei deutlich, dass es sich bei den Obliegenheiten nicht um eine besondere Form von Pflichten oder gar um „unechte“ Rechtspflichten handeln sollte. Vom Standpunkt der Voraussetzungstheorie aus wurde die Begründung zum VVG-Entwurf 1906 hinsichtlich des Charakters der Obliegenheiten als lückenund fehlerhaft angesehen und daher die darauf gestützte Argumentation abgelehnt 222 . Teilweise wurden auch dem Wunsch folgend, die Theorie würde dem Gesetz entsprechen, Unwahrheiten behauptet 223 . Jedoch erscheinen beide Vorgehensweisen mehr als nur fragwürdig. Dem Willen derjenigen, die das VVG 1906 ausarbeiteten, entsprach eben die Vorstellung, dass versicherungsrechtliche Verhaltensanforderungen an den Versicherungsnehmer „normale“ Pflichten sind. Obwohl in die Zeit der Gesetzesentstehung die Entwicklung der Voraussetzungslehre für die Anzeigepflichten fiel 224 und deshalb auch in der Literatur Widerspruch gegen die geplante Fassung des VVG laut geworden war225 , blieb der Gesetzgeber beim gewählten Wortlaut des Gesetzes. Auch das ist eine klare Aussage. Verhaltensanforderungen, die nur „Voraussetzungen“ für einen Rechtserhalt des Verpflichteten sein sollten, kannte die Jurisprudenz vor Inkrafttreten des VVG – außer in der umstrittenen Rechtsprechung des Reichsgerichts, die auch in der Begründung zum VVG-Entwurf keinerlei Erwähnung findet – nicht. Wenn hier also eine so grundsätzliche Neuerung – nicht klagbare Pflichten, 221 Begründung (1906) zu §§ 16–22 VVG, S. 34 f., zu § 33 VVG, S. 42, zu § 58 VVG, S. 65 und zu § 62 VVG, S. 70. Vgl. auch allgemein für die Anwendung des BGB die Begründung (1906) S. 7. 222 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 186. Ähnlich bereits Bruck/Dörstling, Lebensversicherung (1924) Bem. 86, S. 146: „Ausdrucksweise der Begründung . . . kann nicht zu wissenschaftlicher Begriffsfindung verwendet werden“. 223 Abwegig Unfried, ZVW 9 (1909) S. 275 Fn. 1, der die Begründung zum VVG als Beleg für die Voraussetzungstheorie aufführte; Menzel, Risikoausschlüsse (1991) S. 9: die gesetzliche Wertung spreche für Bevorzugung der Voraussetzungstheorie, allein mit dem Hinweis auf die „Obliegenheiten zu Lasten Dritter“ – hiergegen s. u., S. 225 ff. 224 S. o., S. 143 ff., 156 f. sowie S. 162 ff. 225 Behrend, ZHR 55 (1904) S. 66; Schneider, LZ 1 (1907) Sp. 259 ff., 267, der allerdings wenig vorher den Entwurf noch als „außerordentlich gelungen“ gelobt hatte, vgl. ZVW 5 (1905) S. 267.
174 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien deren Nichterfüllung nicht zu Schadensersatz verpflichtete – vorliegen sollte, würde man schon einen Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut erwarten und nicht die wiederholte (!) Betonung, es handele sich um Pflichten, auf welche die Regelungen des BGB Anwendung finden. Eine Ausnahmestellung wurde in den Vorberatungen zum VVG 1908 allerdings für § 61 VVG betont, bei dem es sich nicht um eine Rechtspflicht handele, weshalb § 278 BGB keine Anwendung finden könne226 . Es hat jedoch Jahrzehnte gedauert, bis sich diese Erkenntnis in Literatur und Rechtsprechung dauerhaft und verbindlich durchsetzte227. Nicht anerkannt wurde hingegen die Ablehnung einer Repräsentantenhaftung durch den Gesetzgeber228 .
b) Die Verordnung zur Vereinheitlichung des Rechts der Vertragsversicherung vom 19. 12. 1939 Mit der Gesetzesnovellierung wurde (u. a.) § 62 Abs. 2 VVG und damit die Leistungsfreiheit bei Verletzung der gesetzlichen Obliegenheit zur Schadensabwendung und -minderung, eingefügt 229. Daraus kann man jedoch keine Stellungnahme für die Voraussetzungstheorie folgern, weil dies die typische Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen und damit die ursprüngliche Begründung zum VVG-Entwurf obsolet geworden sei 230 . Diese Argumentation verkennt die dogmatischen Zusammenhänge! Vielmehr war die ausdrückliche Nennung dieser Rechtsfolge erforderlich, weil sie sich gerade nicht aus den allgemeinen Vorschriften – über deren parallele Geltung damit nichts ausgesagt wird – ergibt. Vor 1939 war nämlich diskutiert und grundsätzlich abgelehnt worden, ob auch ohne Verwirkungsabrede der Anspruchsverlust möglich sei 231. Die Novellierung zog daraus Konsequenzen, ohne dabei eine Theorie zu bevorzugen. Die Amtliche Begründung zur Änderung des § 62 VVG geht nur darauf ein, dass es sich bis dato um eine unvollkommene Norm handelte, ohne 226 Kommissionsbericht (1905) S. 61 (= S. 329 in den Motiven zum VVG), vgl. ausführlicher schon s. o., S. 152 f. 227 Insgesamt dazu s. o., S. 145 ff. 228 Ausnahmen waren Josef, LZ 1 (1907) Sp. 484 f. und ZVW 11 (1911) S. 214; Vatke (1911) S. 110 ff.; Gottschalk, JRPV 1927, S. 267; Zillmer (1930) S. 31. Vgl. in jüngerer Zeit zum diesbezüglichen Willen des Gesetzgebers auch Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 7 f. und hier Zweifel s. u., S. 295 ff. 229 VO vom 19. 12. 1939, RGBl I (1939) S. 2443 ff. (2446). 230 So aber Stange (1995) S. 9–11. 231 Vgl. dazu etwa RG vom 30. 5. 1908, RGZ 157, 67 (74 f.) und RG vom 24. 2. 1939, RGZ 160, 3 (6) sowie aus der Literatur Eberle (1913) S. 6; Bruck, PrivatversR (1930) S. 359; Ehrenzweig ZVW 31 (1931) S. 371 und ders., VVR (1935) S. 278 (warf der Voraussetzungstheorie in diesem Zusammenhang „babylonische Sprachverwirrung“ vor); H. Schmitt (1939) S. 45. Zur heutigen h. M. bzgl. Ausnahmen (Anspruchsverwirkung gem. § 242 BGB) s. u., S. 211.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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irgendeine Theorie zu erwähnen. Allerdings spielten wie bei Entstehung des VVG den Versicherungsnehmer schützende Erwägungen eine Rolle, weil – entgegen der bisherigen Vertragspraxis – nur noch bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Schadensabwendungspflicht Leistungsfreiheit eintreten sollte232 .
c) Heutige Bedeutung des historischen Gesetzgeberwillens Der aktuelle Gesetzgeber der jüngsten VVG-Reform bzw. die ihm vorarbeitende Kommission hat sich bewusst einer Stellungnahme zu den Obliegenheiten enthalten 233 . Man kann also für eine historische Auslegung nur auf den älteren Gesetzgeberwillen abstellen. Eine andere Frage ist es allerdings, welche Konsequenzen überhaupt aus dem Willen des historischen Gesetzgebers abgeleitet werden können. Oftmals wird im Zusammenhang mit den Obliegenheiten dieser Wille für nicht verbindlich für eine spätere Auslegung gehalten. Die Autoren sind die wenigen Vertreter der Voraussetzungstheorie, die sich überhaupt mit dem Willen des Gesetzgebers „aufhalten“, deren Theorie aber gerade nicht damit zu vereinbaren ist 234 . Dass ein Vertreter der Verbindlichkeitstheorie sich auf den historischen Gesetzgeber berufen wird, ist dagegen (ebenfalls) naheliegend. Es ist aber ein ganz grundsätzliches, methodisches Problem, welches Gewicht der Wille des Gesetzgebers für die Gesetzesanwendung hat oder haben sollte235 . Dahinter steht der Streit zwischen subjektiver und objektiver Theorie, ob also Ziel der Auslegung der Wille des historischen Gesetzgebers oder der normative Gesetzessinn sei; in der Praxis werden beide Methoden meist kombi232 Zu allem vgl. die Amtliche Begründung (1939) zu Nr. 24 der VO v. 19. 12. 1939 (Ergänzung des § 62 Abs. 2 VVG) S. 13. 233 Vgl. den Zwischenbericht zur VVG-Reform (2002) unter 6.1.2.1 (Definition des Begriffs „Obliegenheit“) „Die Kommission hat erwogen, eine gesetzliche Definition des Begriffs der Obliegenheit vorzuschlagen. Sie hat davon Abstand genommen, weil die Weiterentwicklung der Rechtsprechung beeinträchtigt werden könnte und das Abgrenzungsproblem der verdeckten Obliegenheiten nicht gelöst würde.“ Ähnlich auch der Abschlussbericht der Kommission (2004) unter 1.2.2.10.4. und der Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 68. 234 Besonders rüde sich über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzend Bruck, DÖV 1931, S. 241: dieser sei zusammen mit dem Gesetzeswortlaut nur ein „mageres Argument“. Röhr (1980) S. 11 unter Bezug auf die Methodenlehre von Larenz. Vgl. auch schon Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 99. 235 Vgl. etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre3 (1995) S. 137 ff.; Rüthers, Rechtstheorie4 (2008) § 22 F., S. 481 ff.; Looschelders/Roth, Methodik (1996) S. 45 f. Zum Willen des historischen Gesetzgebers und der nachträglichen Änderung der Verhältnisse genauer Coing/ Honsell in Staudinger/Eckpfeiler (2005) S. 28. In der rechtshistorischen Literatur positiv (mit einer ausführlicheren methodenkritischen Stellungnahme) jüngst Sticherling, Schenkungen in fraudem testamenti (2005) S. 21–32.
176 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien niert. Ein Argument für die subjektive Theorie sind die Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG, wonach die Rechtsprechung an das Gesetz gebunden ist, wobei nicht nur dessen Wortlaut relevant sei, sondern auch die dahinter stehende Wertung und Absicht des Gesetzgebers. Vertreter der objektiven Theorie (welche besonders dafür anfällig ist, subjektive Ansichten des Auslegenden in den Zweck der Norm hineinzuinterpretieren) berufen sich für die Nachrangigkeit der historischen Auslegung u. a. auch gern auf das BVerfG, welches in einer Entscheidung von 1974 die bekannte Formulierung prägte, dass das Gesetz eben klüger sein könne als die Väter des Gesetzes236 . Dagegen wird aber angeführt, dass die sorgfältige Analyse ein anderes Bild ergebe, nämlich sehr wohl die grundsätzliche Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers237. Der Streit soll nicht entschieden werden. Zu auffällig wäre auch hier die Übereinstimmung zwischen Parteinahme und nützlichem Ergebnis, die oft zu beobachten ist 238 . Jedenfalls aber muss festgehalten werden, dass die Voraussetzungstheorie sich gegen den gesetzgeberischen Willen und auf vor (!) dem Inkrafttreten des VVG ergangene Reichsgerichtsentscheidungen gestützt entwickelte, was ihre Legitimation sehr in Frage stellt. Die Verbindlichkeitstheorie hingegen entspricht neben dem Gesetzeswortlaut auch dem Willen des historischen Gesetzgebers.
4. Schadensersatzpflicht als Folge der Verletzung von Obliegenheiten Ein weiteres, schon früh verwendetes und überzeugendes Argument der Verbindlichkeitstheorie gegen die Voraussetzungstheorie war die am Anfang und bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts überwiegend anerkannte Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz bei Verletzung von Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer239. 236 BVerfG vom 29. 1. 1974, BVerfGE 36, 342 (362) = NJW 1974, 1181 (1182). Vgl. auch schon BVerfG vom 21. 5. 1952, BVerfGE 1, 299 (312) der „objektivierte Wille des Gesetzgebers, nicht die subjektive Vorstellung“ sei ausschlaggebend. 237 Gegen die Inanspruchnahme des BVerfG für die objektive Theorie MünchKommBGB4/ Säcker (2001) Einl., Rn. 106: In der überwiegenden Zahl der Entscheidungen argumentiere das Gericht ganz wesentlich mit den Gesetzgebungsmaterialien. 238 Oder wie es Haferkamp, ZNR 30 (2008) S. 273 ausdrückt: Manches hochfliegende Methodenproblem wird erst „am Fall“ virulent. 239 Behrend, ZHR 55 (1904) S. 60; der auch die Leistungsfreiheit als eine Art Schadensersatz ansah; v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 736; ders. noch in Versicherungsrecht, Bd. 2 (1947) S. 150; Josef, Jh. Jb. 55 (1909) 263 ff.; Hillebrecht (1910) S. 99 f.; Hercher (1912) S. 27, 37, 41; Eberle (1913) S. 80; v. Tuhr, AT II/1 (1914) S. 488 f.; Wolff, PrivatVersR 7 (1914) S. 437; Gottschalk, ZVW 17 (1917) S. 205; ders., JW 1927, S. 147; Oertmann, DVZ 66 (1925) S. 117; Frank (1933) S. 32; Höxter (1934) S. 19; Oberbauer, AVB II (1947) S. 37 ff.; für das schweizer Recht
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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a) VVG-Entwurfsbegründung Eine Schadensersatzpflicht war nach der Begründung zum VVG-Entwurf (1906) explizit vorgesehen. Da dies allerdings heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, hier ein näherer Blick in die Begründung zum VVG-Entwurf: Für den Fall, dass § 6 VVG (a. F.) der Vereinbarung von Verwirkung entgegenstehe „erwächst ihm [dem Versicherer] kraft Gesetzes ein Schadensersatzanspruch, den er nötigenfalls im Wege der Aufrechnung geltend zu machen vermag“240 . Bei verspäteter Anzeige des Versicherungsfalls gem. § 33 VVG (a. F.) „erwirbt [der Versicherer] seinerseits einen Entschädigungsanspruch“241. Ähnliche Formulierungen enthält die Begründung auch zu §§ 58 und 62 VVG (a. F.) 242 . Eine ausdrückliche Erwähnung dieses Anspruchs im Gesetz wurde wegen der mehrfach betonten Geltung der allgemeinen Vorschriften 243 jedoch zu Recht für entbehrlich gehalten. Wenn aber nach dem Willen des Gesetzgebers das allgemeine Zivilrecht gelten sollte, ist es unsinnig, die nicht vorhandene Wiederholung des Schadensersatzanspruches im VVG als Argument für die Voraussetzungstheorie anzuführen 244 . Die Gewährung von Schadensersatz lässt sich hingegen nicht erklären, wenn man der Voraussetzungstheorie folgt, da ein diesbezüglicher Anspruch nur als Folge einer verletzten Pflicht und nicht einer Voraussetzung in Betracht kommt. Deshalb änderten einige Vertreter der Voraussetzungstheorie ihre Meinung und lehnten (immerhin konsequent) den Schadensersatzanspruch (neben der Anwendbarkeit des § 278 BGB auch) ab245 . Frühere Versuche, die Voraussetzungslehre und Schadensersatzanspruch miteinander zu vereinbaren suchten 246 , noch König, Schweiz. PrivatVR 3 (1967) S. 138 f. und bis heute Prölss in Prölss27/Martin, § 6 VVG, Rn. 30. 240 Begründung (1906) zu § 6, S. 22. 241 Begründung (1906) zu § 33, S. 42. 242 Begründung (1906) zu § 58, S. 65 und § 62, S. 72 243 S. o., S. 173 mit Fn. 221. 244 So aber Bruck, PrivatversR (1930) S. 281 – und das, obwohl noch der Kommentar von Hager/Bruck den Schadensersatzanspruch problemlos anerkannte, vgl. Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 6 VVG, Anm. 1 b), S. 52; § 33 VVG, Anm. 1, S. 124; § 58 VVG, Anm. 1, S. 192 und Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 6 VVG, Anm. 7, S. 53; § 33 VVG, Anm. 2, S. 128; § 58 VVG, Anm. 4.IV.a), S. 210. Ebenso widersprüchlich bzw. ahnungslos Schmidt-Hollburg (1991) S. 10, der zuerst meint, es spräche zwar für die Verbindlichkeitstheorie, dass sie die Obliegenheiten auf die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zurückführe, dann aber gegen diese Theorie argumentiert, eine Schadensersatzpflicht sei „im VVG nirgends geregelt und von der Rechtsprechung bisher auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden“. 245 Schneider, ZVW 09 (1909) S. 799; Kisch II (1920) S. 180; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 188 f., PrivatversR (1930) S. 281 und Kommentar7 (1932) § 6 VVG, Rn. 3; Heerbach (1930) S. 33; Möller (1939) S. 12. 246 Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 11 f.; Gerhard in Gerhard/Hagen (1908) § 34, Anm. 3,
178 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien waren hingegen widersprüchlich. Beim Wegbereiter der späteren h. M. Bruck ist dabei zu beobachten, dass er die Voraussetzungstheorie konsequent erst später, nämlich seit ca. 1926 vertreten hat, auch wenn es beispielsweise schon 1910 im Kommentar heißt, eine Haftung über § 278 BGB sei „nur begründet, soweit es sich um die Erfüllung wirklicher Verbindlichkeiten handelt. Die übrigen dem VN auferlegten Obliegenheiten sind nicht selbständige Verpflichtungen, sondern Voraussetzungen des Anspruchs gegen den Versicherer“247. Komplett umgearbeitet hat Bruck den Kommentar dann, als er ihn allein bearbeitete 248 .
b) § 818 HGB In § 818 des Handelsgesetzbuches, welches bereits vor dem BGB in Kraft trat, wird für die Seeversicherung bestimmt, dass bei Nichtanzeige eines Unfalls der „Versicherer befugt ist, von der Entschädigungssumme den Betrag abzuziehen, um den sie sich bei rechtzeitiger Anzeige gemindert hätte“. Es handelt sich hier um eine gesetzlich festgelegte Rechtsfolge für das Zuwiderhandeln gegen eine sogenannte Obliegenheit. Wenn man den dem Versicherer zugebilligten Abzug als im Wege der Aufrechnung geltend zu machenden Schadensersatz ansieht 249 – wie es auch der historische VVG-Gesetzgeber für die entsprechenden Schadensersatzansprüche nach dem VVG tat 250 – so ist die Vorschrift des § 818 HGB ein weiteres Argument für grundsätzlich auch bei Obliegenheitsverletzungen mögliche Schadensersatzansprüche.
c) Die praktische Relevanz eines Schadensersatzanspruches des Versicherers In der Praxis ist die Schadensersatzpflicht des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer nur selten relevant geworden. Die Versicherer behielten sich, vor dem Inkrafttreten des VVG sogar weitgehender als es danach noch möglich war, in den Versicherungsbedingungen Freiheit von der Leistungspflicht oder ein Rücktrittsrecht bei Obliegenheitsverletzungen, insbesondere bei verletzten Anzeigepflichten, vor. Immerhin kam es schon vor 1908 gelegentlich zum Streit S. 152; Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 6 VVG, Anm. 1 b), S. 52; § 33 VVG, Anm. 1, S. 124; § 58 VVG, Anm. 1, S. 192 und Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 6 VVG, Anm. 7, S. 53; § 33 VVG, Anm. 2, S. 128; § 58 VVG, Anm. 4.IV.a), S. 210. 247 Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 6 VVG, Anm. 6, S. 54. 248 Vgl. Bruck, Kommentar6 (1929) a.a.O., die 5. Auflage war mir leider nicht zugänglich. 249 So Josef, Kommentar (1908) § 1 VVG, Zusatz I. B., S. 16; Oberbach, AVB II (1947) S. 41. Den Charakter als Schadensersatz bestritt dagegen (jedenfalls nach seiner späteren Ansicht folgerichtig) Bruck, ZVW 26 (1926) S. 188. 250 Vgl. Begründung (1906) zu § 6, S. 22.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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darüber, ob der Versicherer vom Versicherungsnehmer Schadensersatz bei Obliegenheitsverletzungen verlangen könne251. Fällt die Leistungspflicht des Versicherers aber fort, hat er meist keinen Schaden. Daraus die häufig von der Voraussetzungstheorie behauptete Konsequenz zu ziehen, die Obliegenheitserfüllung sei nicht im Interesse des Versicherers, da er ja keinen Schaden habe252 , ist jedoch ein Zirkel. Denn ohne einen gesetzlich oder vertraglich bestimmten Wegfall seiner Leistungspflicht, würde ihm genau der Schaden in Höhe der – eventuell verminderten Versicherungsleistung – entstehen. Die gesetzlich oder vertraglich bestimmte Rechtsfolge gleicht das Interesse des Versicherers also gerade aus. Die Regulierungskosten wurden bis zur VVG-Reform in der Regel durch die Prämie, die der Versicherer gem. § 40 VVG a. F. behalten durfte, abgedeckt. Etwas anderes gilt allerdings jetzt nach § 39 VVG 2008. Zu kurz greift aber die Ansicht, der tatsächliche Schaden bestehe grundsätzlich nur darin, dass der Versicherer keine der durch das Verhalten des Versicherungsnehmers ausgelösten Gefahrerhöhung angemessene Prämie erhalten habe253 . Die Prämie orientiert sich zwar an der bekannten Gefahr, und insbesondere Anzeigepflichten stehen meist in diesem Zusammenhang. Die Obliegenheit zur Verhütung von Gefahrerhöhungen (§ 23 Abs. 1 VVG a. F. und VVG 2008) hingegen dient gerade nicht der Prämienberechnung, sondern der Gefahrvorbeugung, d. h. der Vermeidung einer Herbeiführung des Versicherungsfalles. Mit anderen Worten: dem Versicherer geht es nicht um eine höhere Prämie, sondern darum, die Versicherungsleistung nicht erbringen zu müssen. Tatsächlich sind andere Konstellationen durchaus möglich. Der Versicherer hat gerade den in der Leistungspflicht bestehenden Schaden, sofern nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllende, vertraglich auferlegte Obliegenheiten nicht mindestens grob fahrlässig verletzt wurden, da wegen § 6 Abs. 3 VVG a. F. für diesen Fall keine Leistungsfreiheit vereinbart werden darf (vgl. jetzt noch differenzierter § 28 Abs. 2 VVG 2008). Ein solcher Fall gelangte 1913, also nach Inkrafttreten des VVG, tatsächlich bis zum Reichsgericht, welches ausdrücklich von der Verletzung von „Verpflichtungen“ sprach und hierfür unter den beschriebenen Voraussetzungen einen Schadensersatzanspruch und die Anwendung des § 254 BGB für möglich hielt 254 . Etwas zu einfach machte es sich damals die Voraussetzungstheorie, indem sie nicht nur die VVG-Begründung vollkommen ignorierte, sondern auch noch 251
Bejahend RG vom 4. 5. 1889, RGZ 25, 92 (100). Ausführlicher dazu s. u., S. 214 ff. 253 So aber Hartwig (1993) S. 258. 254 RG vom 21. 2. 1913, Warneyers Rechtsprechung 1913 Nr. 270, S. 515 (516). Zu der Entscheidung Oberbach, AVB II (1947) S. 25 f. mwN älterer zustimmender und ablehnender Literatur. 252
180 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien diese Reichsgerichtsentscheidung schlicht für die Voraussetzungstheorie verkennend und daher falsch erklärte255 . Auch das KG bejahte übrigens in einer ähnlichen Konstellation noch 1925 bei (nicht grob fahrlässiger) Verletzung einer vertraglich vereinbarten Pflicht zur Anzeige der Inanspruchnahme durch den Geschädigten einen Schadensersatzanspruch des Versicherers256 .
d) Das „Vergessen“ des Schadensersatzanspruchs durch die herrschende Meinung Heute wird – außer von den Vertretern der Verbindlichkeitstheorie – stets betont, dass Obliegenheitsverletzungen keine Schadensersatzpflicht nach sich ziehen könnten. Beispielhaft für die den Willen des historischen Gesetzgebers gar nicht mehr zur Kenntnis nehmende h. M. sei hier Möller aufgeführt: Eine „solche Sanktion kennt das deutsche Versicherungsvertragsrecht nicht, es kennt nur eine Reihe von Obliegenheiten, Verhaltensnormen minderer Zwangsintensität, mit spezifischen Verletzungsfolgen“257. Man muss sich fragen, wie die Versicherer und die überwiegende versicherungsrechtliche Literatur den an sich dem Versicherer zustehenden und doch als etwas rechtlich Positives anzusehenden Schadensersatzanspruch im Laufe der Zeit „vergessen“ konnten. Vermutlich war dieser Anspruch praktisch zu wenig relevant. Das „Vergessen“ ist theoretisch nur konsequent, da nach der herrschenden Voraussetzungstheorie Obliegenheiten ja keine Rechtspflichten sind und das „Wesen“ der Rechtspflicht nach heute auch im allgemeinen Zivilrecht überwiegender Ansicht darin besteht, dass ihre Verletzungsrechtsfolge mindestens Schadensersatz sei. Dieses „mindestens“ korreliert mit der insbesondere von Siber (allgemein) und R. Schmidt (speziell für Obliegenheiten) propagierten Abschwächung von Sanktionen: Erfüllungszwang, Schadensersatz oder „nur“ andere Rechtsfolgen 258 . Dass man die Grenze zwischen „echten“ Rechtspflichten und anderen Pflichten nicht immer zwischen Schadensersatz und anderen Sanktionen gezogen hat, ist bereits geschildert worden 259. Diese Frage betrifft insgesamt den Kern des 255 Bruck, Kommentar7 (1932) § 6 VVG, Rn. 3: die Nichterfüllung einer Obliegenheit löse keinen Schadensersatz aus, sofern nicht gleichzeitig der Tatbestand der unerlaubten Handlung (§§ 823 II, 826 BGB) gegeben ist – allerdings seien Obliegenheiten keine Schutznormen i. S. d. § 823 II BGB! Ähnlich bereits ders., ZVW 26 (1926) S. 188 f. 256 KG vom 24. 10. 1925, VA 25 (1927), S. 35 f. (nicht ganz korrekt wiedergegeben bei Gottschalk, JW 1927, S. 147 mit Fn. 6). 257 Möller, ZVW 57 (1968) S. 68. 258 Dagegen bereits s. o., S. 13 f. und ausführlich s. u., S. 221 f. 259 S. o., S. 134 f.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
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Problems, welcher noch näher behandelt werden soll 260 Auch dem Hintergrund für das „Vergessen“ wird noch genauer nachgegangen 261.
5. Weitere Konsequenzen der Verbindlichkeitstheorie: § 278 BGB und Repräsentantenhaftung a) Behandlung des § 61 VVG Uneinigkeit bezüglich der Anwendung des § 278 BGB im Versicherungsrecht herrschte auch innerhalb der Verbindlichkeitstheorie. Besonders hinsichtlich der Anwendung auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG damaliger Fassung) bestand Streit, da damals auch unter Vertretern der Verbindlichkeitstheorie noch umstritten war, ob es überhaupt eine Verpflichtung geben würde, den Versicherungsfall nicht schuldhaft herbeizuführen. Nach heute fast einhelliger Meinung handelt es sich bei § 61 VVG a. F. (§ 81 VVG 2008) nicht um eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, sondern um einen subjektiven Risikoausschluss262 . Unabhängig davon, ob die Vertreter der Verbindlichkeitstheorie hier eine Verpflichtung bejahten, fielen die Antworten auf die Frage einer Dritthaftung des Versicherungsnehmers im Rahmen des § 61 VVG (a. F.) teils positiv263 , teils negativ264 aus. Letztlich schieden sich hier die Geister. Ob jemand der Verbindlichkeitsoder der Voraussetzungstheorie zugehörig war, sagte also wenig darüber aus, 260
S. u., S. 242 ff. S. u., S. 251 ff. 262 BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 12; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 2 – jeweils mwN der neueren Literatur. So auch schon Ehrenzweig, VVR (1935) S. 318, der aber sonst die Verbindlichkeitstheorie vertrat. Vgl. dazu aber auch s. u., S. 279, 295 ff. 263 Hagen in Gerhard/Hagen (1908) S. 286; v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 738 bei Ablehnung einer Rechtspflicht unter Verwendung des § 254 Abs. 2 S. 2 BGB; ähnlich noch ders., Versicherungsrecht, Bd. 2 (1947) S. 203 f.; E. Prölss, Kommentar (1935) § 61 VVG, Anm. 1 und 3, bei Bejahung einer Pflicht und ders., Repräsentantendämmerung (1936) S. 33, 38 etwas vager; Heukeshoven (1938) S. 63. 264 Josef, LZ 1 (1907) Sp. 483 ff., 489; ders., Kommentar (1908) § 1 VVG, Zusatz I. B., S. 18 und ZVW 11 (1911) S. 214 – zuletzt allerdings doch eine Haftung für gesetzliche Vertreter bejahend; Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 274 ff.; Kleinschmidt (1914) S. 87 ff. bei deutlicher Ablehnung einer Pflicht zur Nichtherbeiführung des Versicherungsfalles, jedoch Bejahung der Haftung (nur) für den gesetzlichen Vertreter, sofern die Erfüllung des Versicherungsvertrages in dessen Pfl ichtenkreis fällt (S. 96 ff.). Umgekehrt Marohn (1929) S. 86 ff., 93–96 der zwar für § 61 VVG eine Verbindlichkeit und die Haftung für gesetzliche Vertreter bejaht, jedoch die für Hilfspersonen nach § 278 BGB ablehnte, da der VN sich dieser nicht bediene, und der im Übrigen auch die Rechtsprechung des RG zur Repräsentantenhaftung ablehnte. Eine entsprechende Verpflichtung des Versicherungsnehmers ablehnend auch Frank (1933) S. 38. Für das schweizerische Recht Roelli, Kommentar (1914) S. 202. 261
182 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien welche Haltung er zur Dritthaftung des Versicherungsnehmers im Rahmen des § 61 VVG (a. F.) vertrat.
b) Anwendbarkeit des § 278 BGB im Übrigen Die Vertreter der versicherungsrechtlichen Verbindlichkeitstheorie waren sich jedoch auch sonst in ihrer Haltung zu dem damals vor allem im allgemeinen Zivilrecht heftig umstrittenen § 278 BGB nicht einig. Dies hatte – wie auch die Entstehung der Voraussetzungstheorie – seine allgemeine Ursache darin, dass mit § 278 BGB der zuvor bestehende Streit über die Haftung für Dritte gelöst werden sollte, aber noch eine längere Auseinandersetzung erforderlich war, um den genauen Anwendungsbereich dieser Vorschrift herauszuarbeiten. Speziell für das Versicherungsrecht wurde damals ein Einstehenmüssen für Dritte zunehmend als den Zwecken der Versicherung zuwiderlaufend und ungerecht angesehen 265 . Meist wurde von den Vertretern der Verbindlichkeitstheorie § 278 BGB für grundsätzlich uneingeschränkt anwendbar auf die Pflichten des Versicherungsnehmers erklärt 266 oder es wurde je nach Art der Obliegenheit differenziert267 oder auch generell die Anwendung des § 278 BGB „gemildert“268 .
c) Repräsentantenhaftung als Haftungsmilderung In diesem Zusammenhang einer „gemilderten“ Anwendung des § 278 BGB taucht der tatsächlich von der Rechtsprechung als Haftungsverschärfung269 im Rahmen der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F.) entwickelte Begriff „Repräsentant“ zuerst verallgemeinert auf alle Obliegenheiten des Versicherungsnehmers auf270 , und nicht etwa wie man entsprechend der heute 265 Das spricht vor allem Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 189 ff. deutlich aus. Vgl. auch Kleinschmidt (1914) S. 3. 266 Josef, LZ 1 (1907) Sp. 483 ff., 490; Kommentar (1908) § 1 VVG, Zusatz I. B., S. 16; Jh. Jb. 55 (1909) S. 260 ff., 266, 275 f.; ZHR 65 (1909) S. 192 und ZVW 11 (1911) S. 201 ff.; Hagen in: Gerhard/Hagen (1908) S. 260 f.; Kleinschmidt (1914) S. 52 ff.; Ritter, Seeversicherung (1919) S. 38 ff.; Sprinz, Kommentar (1926) § 6 VVG, S. 40; Gottschalk, ZVW 27 (1927) S. 157 und JW 1927 S. 148 sowie Frank (1933) S. 43 ff., (47 ff.); Ehrenzweig, VVR (1935) S. 283 f.; Arens (1940) S. 53. Nur für die in der jeweiligen Dissertation genauer untersuchten Anzeigepfl ichten Hillebrecht (1910) S. 96 ff.; Eule (1912) S. 61 f.; Künneth (1912) S. 115 ff., 123; Fernbach (1914) S. 77 ff. (80). 267 Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 271 ff. 268 v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 729 ff., 740, 742. 269 Gegen die angebliche Besserstellung des Versicherungsnehmers durch Anwendung der Repräsentantenhaftung ausführlich s. u., § 9 II.1.a)(2)aa). 270 v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 734, 741 ff.
III. Gegenmeinung: Verbindlichkeitstheorie
183
h. M. erwarten dürfte, bei den Vertretern der Voraussetzungstheorie. Vielmehr lehnten die frühen Vertreter der Voraussetzungstheorie eine Haftung für Repräsentanten ja gerade grundsätzlich ab271. Basis der Repräsentantenhaftung waren die bereits erwähnten Entscheidungen des Reichsgerichts zur Herbeiführung des Versicherungsfalles durch Dritte, in denen eine solche Haftung jedenfalls grundsätzlich für möglich gehalten wurde272 . Nach der frühen Verbindlichkeitstheorie bedeutete die Repräsentantenhaftung in der verallgemeinernden Form, dass der Versicherungsnehmer – § 278 BGB einschränkend – eben nur für bestimmte „Repräsentanten“ oder „Platzhalter“ einstehen sollte. Das ähnelt inhaltlich dem von der späteren Verbindlichkeitstheorie – wohl in Abgrenzung zur Repräsentantenhaftung der h. M. – benutzten Begriff des funktionsbedingten Erfüllungsgehilfen 273 . Wegen des damals noch herrschenden Streites, ob § 61 VVG (a. F.) überhaupt eine Rechtspflicht enthalte274 , wurde nicht deutlich, dass jedenfalls im Ergebnis durch die Repräsentantenhaftung für § 61 VVG die Haftung des Versicherungsnehmers verschärft wurde und nicht gemildert 275 . Die weitere Entwicklung der Repräsentantenhaftung führte dann dazu, dass heute kaum noch ein Zusammenhang zum § 278 BGB behauptet wird. Die Unsicherheiten bei der genaueren Bestimmung, wer Repräsentant sein soll, sind aber bis heute nicht wirklich beseitigt.
6. Die Verbindlichkeitstheorie in der Rechtsprechung In versicherungsrechtlichen Entscheidungen gab es – wenn auch nur auf der Ebene der Instanzgerichte und teilweise dogmatisch sehr fragwürdig 276 – durchaus Unterstützung für die Verbindlichkeitstheorie. So nahm das Kammergericht 1907 in einer Entscheidung eine Haftung des Versicherungsnehmers für seinen Prokuristen gem. § 278 BGB an 277. Auch das OLG Darmstadt bejahte in einer Entscheidung von 1920 den Charakter einer 271
S. o., S. 161 ff. (164). Genauer dazu s. o., S. 145 ff. 273 Insbesondere Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 48. Inhaltlich dazu s. u., S. 291 f. genauer. 274 S. o., S. 181. 275 Ausführlicher dazu s. u., S. 282 ff. 276 S. o., S. 153 f. die Nachweise zur Anwendung des § 278 BGB auf § 61 VVG. 277 KG vom 25. 10. 1907, VA 7 (1908)*, Nr. 370, S. 33 f.: Laut Sachverhalt wurde ein Einbruchsdiebstahl in einen Geldschrank mittels des richtigen Schlüssels durchgeführt. Der Versicherungsnehmer hatte nach Ansicht des Gerichts schuldhaft die Pfl icht verletzt, die Schlüssel gehörig zu sichern. Die Aufbewahrung der Schlüssel durch den Prokuristen im gleichen Raum wie der Geldschrank müsse der Versicherungsnehmer gegen sich gelten lassen, da er sich des Prokuristen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit i. S. d. § 278 BGB bedient habe. 272
184 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Verbindlichkeit hinsichtlich der Obliegenheit, einen tierärztlichen Bericht einzureichen 278 . Das OLG Kiel entschied 1926 über die Anwendung des § 278 BGB auf die Verletzung von Auskunftspflichten. Obwohl das Gericht mit der Ansicht des Reichsgerichts – wie es selbst ausführlich geprüft hatte (!) – zum gleichen Ergebnis gekommen wäre, lehnte es die Rechtsprechung des Reichsgerichts ausdrücklich ab279. Entgegen der Auffassung des Reichsgerichts handele es sich bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nicht um bloße Voraussetzungen, sondern § 278 BGB sei anwendbar und auch ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung möglich. Auf Schadensersatz kam es im konkreten Fall aber überhaupt nicht an! Die ganze Entscheidungsbegründung war also vor allem eine engagierte Stellungnahme gegen das Reichsgericht und für die Verbindlichkeitstheorie. Noch 1930 entschied das OLG Köln, dass § 278 BGB auf nach dem Versicherungsfall zu erfüllende Obliegenheiten anzuwenden sei. Im konkreten Fall ließ es die Versicherung aber dennoch zahlen, da kein grobes Verschulden gegeben war280 . Somit liegt auch hier ein bewusstes Bekenntnis zur Verbindlichkeitstheorie vor, denn auch bei Annahme einer „bloßen Voraussetzung“ hätte man damals, d. h. bevor die Repräsentantenhaftung etabliert war, zum gleichen Ergebnis kommen können. Es lassen sich weitere Beispiele aufführen, was hier jedoch nicht erforderlich erscheint 281.
7. Zwischenergebnis Die Verbindlichkeitstheorie passt wesentlich besser als die Voraussetzungstheorie zum Wortlaut des Versicherungsvertragsgesetzes und zum Willen des historischen Gesetzgebers. Allerdings sind auch die Stellungnahmen ihrer Vertreter nicht frei von Widersprüchen geblieben, am deutlichsten bei der Behandlung des § 61 VVG 278
OLG Darmstadt vom 15. 3. 1920, HansRZ 1920, 711 ff. OLG Kiel vom 12. 2. 1926, JRPV 1926, S. 106 (107): Es ging um eine Kfz-Versicherung und der Angestellte der Versicherungsnehmerin (der Klägerin) hatte auf Nachfrage der nunmehr beklagten Versicherung den Ankaufspreis des PKW falsch angegeben. 280 OLG Köln vom 17. 10. 1930, JRPV 1931, S. 131 f.: Der Ehemann der Versicherungsnehmerin hatte nach einem Autounfall nicht die Berufsfeuerwehr, sondern die freiwillige Feuerwehr gerufen, die mit großer Verzögerung kam. Zudem wurde die baldige Bergung der Trümmer unterlassen, was jedoch bei dem völlig wertlosen Wrack ohnehin keinen Sinn gehabt hätte. Die heutige Rechtsprechung würde bei diesem Sachverhalt vermutlich die Relevanz der Obliegenheitsverletzung verneinen. 281 Zahlreiche weitere bzw. andere ältere Entscheidungen verschiedener Land- und Oberlandesgerichte sowohl im Sinne der Verbindlichkeits-, als auch der Voraussetzungstheorie bei Oberbach, AVB II (1947) S. 27 f. Fn. 88. 279
IV. Vermittelnde Ansichten: Die Vorläufer R. Schmidts
185
(a. F.), den man lange als Verbindlichkeit ansah und § 278 BGB darauf anwenden wollte. Dahinter stand letztlich die gleiche Absicht, wie bei der Repräsentantenhaftung der heute herrschenden Meinung.
IV. Vermittelnde Ansichten: Die Vorläufer R. Schmidts R. Schmidts Untersuchung war gar nicht so originell, wie viele seiner Zeitgenossen annahmen. Sowohl für das allgemeine Zivilrecht, als insbesondere auch für das Versicherungsvertragsrecht gab es vorher schon zwischen Voraussetzungs- und Verbindlichkeitstheorie vermittelnde Meinungen – allerdings kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, der hier als Zäsur gewirkt haben dürfte. Aber auch das mehr oder weniger bewusste Verschweigen der Vorgänger hat zu ihrem Vergessen beigetragen. Sie waren in ihren Auffassungen R. Schmidt nicht unähnlich und werden daher im Folgenden als seine „Vorläufer“ beschrieben 282 .
1. Die indirekte Obligation a) Die theoretische Basis (v. Buchka) Eine Theorie, welche der von den unechten Verbindlichkeiten Nussbaums283 teilweise durchaus ähnelt, entwickelte v. Buchka, nämlich die der indirekten Obligationen. Nach v. Buchkas Auffassung lag eine direkte Obligation vor, wenn ein Leistensollen durch Klage und Zwangsvollstreckung erzwungen werden konnte und eine Klage auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gegeben sei. Eine indirekte Obligation hingegen sei anzunehmen, wenn weder Leistensollen, noch eine Forderung auf die Leistung gegeben sind. Das Interesse des Berechtigten an der Leistung sei dennoch gesichert durch das Inaussichtstellen von Vorteilen bzw. die Androhung von Nachteilen 284 . Nicht klar wird bei v. Buchka, wie Fälle einzuordnen sind, in denen zwar keine Leistungsklage aber ein Schadensersatzanspruch gegeben ist. Innerhalb der indirekten, also nicht klagbaren Verpflichtungen unterschied v. Buchka solche Fälle, die nach den Vorschriften der Bedingung zu behandeln seien, und solche, bei denen eine selbständige Behandlung eintrete. Bei letzteren handele es sich um die eigentliche besondere Rechtsform der indirekten Ver282
Kritik an dem Verschweigen durch R. Schmidt s. o., § 2 I.1.c) (1). S. o., S. 142. 284 v. Buchka, Die indirekte Verpflichtung zur Leistung. Ein Beitrag zur Technik des bürgerlichen Rechts (1904) S. 1 f. 283
186 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien pflichtung285 . Wirkliche Konsequenzen zog v. Buchka aus seiner Klassifizierung nicht. Insbesondere äußerte er sich insgesamt nicht zur direkten oder entsprechenden Anwendbarkeit des § 278 BGB auf die sog. indirekten Obligationen. Ihm war es anscheinend nur wichtig, diese besondere Gruppe herauszuarbeiten und gewisse Ähnlichkeiten zu den sog. direkten Obligationen zu zeigen. Die Untersuchung v. Buchkas fand interessierte Aufnahme 286 und ging den ersten echten, wenn auch kleinen Schritt in Richtung der Obliegenheitstheorie R. Schmidts.
b) Die praktische Umsetzung und Anwendung auf das Versicherungsvertragsrecht Deutlich weiter als v. Buchka ging Hercher287, allerdings ohne v. Buchka überhaupt zu erwähnen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass er ihn nicht selbst gelesen hat, sondern sich auf Siber stützte. Hercher nahm auch für indirekte Rechtspflichten ein Leistensollen an. Eine indirekte Rechtspflicht sei eine solche Rechtspflicht, durch die der Verpflichtete zwar zu einem bestimmten Verhalten angehalten werde, ohne dass aber der Berechtigte den Erfolg, der durch das Verhalten herbeigeführt werden soll, durch Zwangsgewalt des Staates im Wege des Zivilprozesses herbeiführen könnte; es werde nur psychischer Zwang auf den Verpflichteten ausgeübt 288 . Hercher setzte sich nicht nur mit der Frage einer Anwendung des § 278 BGB auf indirekte Rechtspflichten, sondern auch mit der Schadensersatzpfl icht bei deren Verletzung auseinander und behandelte vor allem die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten ausführlich. Inhaltlich kam er dabei zu verschiedenen Ergebnissen: (1) Die Anwendung des § 278 BGB auf indirekte Rechtspflichten, zu welchen er auch einige Obliegenheiten des Versicherungsrechts zählte, lehnte er unter Hinweis auf den seiner Meinung nach § 278 BGB zugrundeliegenden Gedanken ab289. Bediene sich der Verpflichtete berechtigterweise zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit einer anderen Person, so solle der Gläubiger dadurch nicht schlechter gestellt werden. Die Haftung für Hilfspersonen sei jedoch nur inso285
v. Buchka (1904) S. 3, 47. Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 68 Anm. 1 nennt sie eine „fördernde und verdienstliche Schrift“. Später bezeichnete Siber die durch v. Buchka behandelten Fälle, in denen heute oft Obliegenheiten angenommen werden, in direkter Kritik dessen Auffassung als „nur Gebote des eigenen Interesses“, vgl. Planck/Siber (1914) S. 27. 287 Hercher, Die Anwendung des § 278 BGB auf das Verhältnis des Versicherungsnehmers zum Versicherer nach dem Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag (1912). 288 Hercher (1912) S. 27. 289 Hercher (1912) S. 31 f., 42. 286
IV. Vermittelnde Ansichten: Die Vorläufer R. Schmidts
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weit gerechtfertigt, als der Schuldner für die Erreichung des Obligationszwecks hafte; solle hingegen der Verpflichtete nur zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden (wie in der Regel bei indirekten Rechtspflichten), dann liege keine Veranlassung vor, ihn auch dann noch haften zu lassen, wenn er das getan hat, was man von ihm billigerweise verlangen könne290 . Auch Wagenmann vertrat im Ergebnis diese Auffassung291, sowohl hinsichtlich der vermittelnden Position zwischen den „großen“ Theorien, als auch was die Nichtanwendung des § 278 BGB betraf. Allerdings folgte er der dogmatischen Begründung, die Nussbaum gegeben hatte und die – wie bereits geschildert 292 – ganz überwiegend auf Ablehnung stieß. (2) Die Verpflichtung zum Schadensersatz war nach Herchers Meinung grundsätzliche Rechtsfolge der Verletzung jeder Rechtspflicht, auch der indirekten 293 . Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Ansicht Wolffs, der die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als „mittelbare Pflichten“ bezeichnet, die zwar keine klagbaren Erfüllungsansprüche erzeugten, jedoch solche auf Schadensersatz. Darüberhinaus hielt Wolff aber auch § 278 BGB für unmittelbar anwendbar294 .
2. Rechtspflichten, die kein Schuldverhältnis sind Einige Jahre später gab es eine zwar terminologisch andere, inhaltlich jedoch der Theorie der indirekten Rechtspflichten sehr ähnliche vermittelnde Ansicht. Man sprach jetzt von „Rechtspflichten, die keine Schuldverhältnisse sind“. Der Begriff „Schuldverhältnis“ wurde in diesem Zusammenhang im engen Sinne verstanden, also als Leistensollen des Schuldners, welchem ein Forderungsrecht des Gläubigers gegenübersteht. Da bestimmten Verhaltensanforderungen das Forderungsrecht bzw. die Erzwingbarkeit durch den Gläubiger fehle, dennoch aber ein vom Leistensollen abweichendes Verhalten des Schuldners sanktioniert werde, müsse es sich hier um Rechtspflichten handeln, die keine Schuldverhältnisse (i. e. S.) sind 295 . Mit 290
Hercher (1912) S. 31 f. Wagenmann, Grund und rechtliche Struktur der Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers beim Abschluß des Versicherungsvertrages nach dem VVG (1914) S. 57 ff. mit Fn. 1 auf S. 61 f. 292 S. o., S. 142 und S. 164 f. 293 Hercher (1912) S. 37 f. 294 Wolff, PrivatversR (1914) S. 437. 295 Zuerst die knappe Darstellung bei Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 378 f. – breiter, aber recht theoretisch dann sein Schüler Höxter, Rechtspflichten des bürgerlichen Rechts, die keine Schuldverhältnisse sind (1934), insb. S. 3 ff. und später wieder (ähnlich wie Hercher auf v. Buchka aufbaute) die praktische Umsetzung bei H. Schmitt, Die Rechtsnatur 291
188 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien anderen Worten sind nach dieser Ansicht Rechtspflichten, die kein Schuldverhältnis sind, Pflichten ohne korrespondierenden Erfüllungsanspruch. In diesem Sinne sind alle Befehle der Rechtsordnung, bei welchen eine Sanktion als Reaktion auf ein Zuwiderhandeln folgt, Rechtspflichten 296 . Dabei kommen als Sanktionen nicht nur gerichtlicher Zwang und Schadensersatzpflicht in Betracht, sondern genauso jeder andere Nachteil. Jedenfalls eine analoge Anwendung des § 278 BGB auf Rechtspflichten, die keine Schuldverhältnisse sind, komme in Betracht 297. Insgesamt ist bei dieser Theorie für uns eigentlich nur die Bezeichnung als „Rechtspflichten, die kein Schuldverhältnis sind“ befremdlich. Im Übrigen entspricht sie inhaltlich stark dem, was dann auch R. Schmidt wenig später vertrat. Der entscheidende Unterschied ist, dass man damals noch – anders als die heute h. M. – Klagbarkeit für die Bejahung eines Schuldverhältnisses i. e. S. verlangte298 .
V. Resümee der historischen Betrachtungen Seit der ersten Entdeckung besonderer Verhaltensanforderungen, die später Obliegenheiten genannt wurden, hat sich Einiges, um nicht zu sagen Erstaunliches getan. Die allgemeinen, von den Obliegenheiten unabhängigen Ansichten zu den Fragen, wann eine Rechtspflicht vorliegen soll (Erzwingbarkeit oder „nur“ Schadensersatz) und wann § 278 BGB Anwendung findet, haben sich grundsätzlich verändert. Die klareren Unterscheidungen von Haupt- und Nebenpflichten sowie zwischen dem Schuldverhältnis i. e. S. und i. w. S. wurden etabliert 299. Außerdem hat sich auch die Menge der betrachten Tatbestände verändert. Ursprünglich gab es mindestens zwei grundsätzlich getrennte Teilgebiete, zum einen im allgemeinen bürgerlichen Recht und zum anderen im Versicherungsvertragsrecht. In der versicherungsrechtlichen Literatur wurden zuerst Aussagen des allgemeinen Zivilrechts ohne Berücksichtigung der anderen tatbestandlichen Basis der Obliegenheiten im Privatversicherungsrecht (1939) S. 105 f. Vgl. auch Leonhard, SchR I (1929) S. 20, 453. 296 Höxter (1934) S. 7 f.; H. Schmitt (1939) S. 102 f. 297 Ansätze bei Manigk, Art. Schuldverhältnisse (1928) S. 379; deutlicher Leonhard, SchR I (1929) S. 453 f.; H. Schmitt (1939) S. 122 (analog). Anderer Ansicht Enneccerus10, Schuldverhältnisse (1928) S. 144, Fn. 12 mit Verweis auf RG vom 8. 7. 1920, RGZ 99, 263 ff. (264), allerdings behandelte das RG dort eine rein deliktische Schädigung und lehnte die Anwendung des § 278 BGB auf die Rechtspflichten des § 823 BGB, welche eben keine Schuldverhältnisse i. S. d. § 278 BGB seien, ab. 298 S. o., S. 134 f., 139 ff. 299 Ausführlicher s. o., S. 134 f.
V. Resümee der historischen Betrachtungen
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auf den engeren Kreis der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten bezogen, um bestimmte gewünschte Ergebnisse begründen zu können. Nur der zweite Entwicklungsschritt war dann die Verallgemeinerung der versicherungsrechtlichen Diskussion für das allgemeine Zivilrecht durch R Schmidt. Er arbeitete für das allgemeine Zivilrecht diejenigen Tatbestände heraus, die nur mit Nachteilen arbeiten, auf die er dann im Gegenzug den versicherungsrechtlichen Obliegenheitsbegriff und die entsprechende Diskussion ausdehnte. R. Schmidt hat also die Teilmengen zusammen geführt und für das allgemeine bürgerliche Recht diejenigen Tatbestände ausgesondert, die Vorteile für ein Verhalten in Aussicht stellen 300 . Seither haben viele neue Tatbestände die Bezeichnung „Obliegenheit“ erhalten 301. Was heute mit diesem Ausdruck bezeichnet wird, hat jedenfalls in der Summe wenig mit dem zu tun, worüber man sich vor 70 bis 100 Jahren unterhielt. Alle diese Veränderungen fanden jedoch keinen Niederschlag in den Diskussionen um die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten! Die am Anfang dieses Kapitels beschriebenen allgemeinen Entwicklungen, insbesondere bei den Nebenpflichten, nahm man im Versicherungsvertragsrecht gar nicht wahr. Bei der Lektüre der ersten Schriften zur versicherungsrechtlichen Voraussetzungstheorie hat man vielfach den Eindruck, dass deren Verfasser wenig Interesse für das allgemeine Zivilrecht bzw. das Verhältnis des Versicherungsrechts dazu hatten. Sie hatten vielmehr Einzelprobleme des Versicherungsrechts vor Augen, die sie lösen wollten. Aber gerade auf das allgemeine Zivilrecht wendete dann R. Schmidt diese für Spezialfragen im Versicherungsrecht entwickelte, zwischen Voraussetzungs- und Verbindlichkeitstheorie vermittelnde Meinung an. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: An sich müssten auch ältere allgemein-zivilrechtliche Ansichten für das vorliegende Thema mit größter Vorsicht zu behandeln sein. Dies wurde aber in der Vergangenheit nicht berücksichtigt, sondern beispielsweise wurde ältere Literatur für Aussagen herangezogen, die sich so aufgrund des beschriebenen anderen Untersuchungsgegenstandes nicht entnehmen lassen. Das gilt vor allem für R. Schmidt, der in weiten Teilen seiner Untersuchung den von Siber302 vorgegebenen Themen folgt. Siber behandelte aber noch die Fälle von Nachteilsandrohung und Inaussichtstellen von Vorteilen einheitlich, d. h. es ging ihm nicht speziell um die heute sog. Obliegenheiten, sondern er untersuchte gewisse Erscheinungen auf ihre Pflichtigkeit hin, rein von der Rechtsfolgenseite her – ein bis heute weit verbreiteter Ansatz für die Behandlung der Obliegenheiten. 300 301 302
Zur Untersuchung R. Schmidts ausführlich s. o., S. 9 ff. Vgl. § 3, vor allem die unter I.2. und II.3. beschriebenen Tatbestände, S. 47 ff., 77 ff. Siber, Rechtszwang (1903), dazu s. o., S. 139 ff.
190 § 5. Die historische Herausbildung und Entwicklung der Obliegenheitstheorien Zudem hat sich im Versicherungsvertragsrecht die Haltung hinsichtlich eines Einstehenmüssens des Versicherungsnehmers für Dritte grundlegend gewandelt. Während der VVG-Gesetzgeber diese im Rahmen der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F.) ablehnte, für die Verhaltenspflichten jedoch die Anwendung des § 278 BGB bejahte, verhielt sich die Rechtsprechung des Reichsgerichts zunächst genau umgekehrt. Heute gilt hingegen nach ganz überwiegender Meinung in beiden Gebieten eine Zurechnung über die Repräsentantenhaftung bzw. Einstehenmüssen für Wissens- und Wissenserklärungsvertreter303 . In den Jahrzehnten vor R. Schmidt hatte sich die Lehre von den Obliegenheiten auf das Versicherungsvertragsrecht beschränkt, um hier schwerwiegende, praktisch hochrelevante Folgerungen hinsichtlich des Einstehenmüssens des Versicherungsnehmers für Dritte aus der jeweils behaupteten Rechtsnatur der Obliegenheiten zu ziehen. Später war das dann zwar schwerpunktmäßig auch wieder der Fall, aber es gab noch vereinzelte Arbeiten, die den Fokus auf das allgemeine Zivilrecht legten 304 . Es erscheint allerdings sehr fraglich, ob man zu richtigen Ergebnissen kommen kann, wenn man immer nur eine Teilmenge der Obliegenheiten betrachtet. Vielmehr muss man sich nach dem Bisherigen fragen, wie das Verhältnis zwischen dem Versicherungsvertragsrecht und dem allgemeinen bürgerlichen Recht heute ist – bevor man über eine getrennte Behandlung entscheidet. Die soll im folgenden § 6 geschehen.
303
Genauer dazu s. u., § 9 II, S. 278 ff. Insbesondere Henß (1988), der inhaltlich sehr stark den Ansichten seines Lehrers Schapp (Stichwort: Anspruch) anhängt und darüber hinaus wenig Eigenes bringt. 304
§ 6. Versicherungsvertragsrecht und allgemeines bürgerliches Recht in der weiteren Untersuchung I. Gemeinsamkeiten und Unterschiede 1. Erforderlichkeit der grundsätzlichen Herangehensweise Wie gezeigt verlief die theoretische Entwicklung der Obliegenheiten im allgemeinen Zivilrecht und im Versicherungsvertragsrecht bis zu der Schrift von R. Schmidt weitgehend voneinander getrennt. Ob die von R. Schmidt vorgenommene Zusammenführung verschiedenster Tatbestände unter seine einheitliche Obliegenheitstheorie sinnvoll war, erscheint nach dem zuvor Ausgeführten1 sehr fraglich. Möglicherweise bestehen zwischen Versicherungsvertragsrecht und den allgemeinen Regelungen des BGB grundsätzliche Unterschiede, die es vorzugswürdig erscheinen lassen, beide Gebiete getrennt zu behandeln. Die spätere Erweiterung von als Obliegenheiten bezeichneten Tatbeständen, beispielsweise im Familien- oder Insolvenzrecht könnte jedenfalls vermuten lassen, dass der Begriff bzw. die Definition der Obliegenheit zu unscharf ist.
2. Versicherungsvertrag und Versicherungswissenschaft Der Versicherungsvertrag ist ein Vertragstyp, der theoretisch – wie Kauf- oder Werkvertrag – im besonderen Schuldrecht des BGB behandelt werden könnte2 . Die allgemeinen Regeln des BGB sind der „bürgerlich-rechtliche Unterbau der speziellen Regeln des Versicherungsvertragsrechts“3 . Die Ursache dafür, dass es ein gesondertes Gesetz für diesen Vertragstyp gibt und zudem eine eigene Versicherungswissenschaft, ist zunächst in deren frühen 1
Vgl. insbesondere § 3 und § 5. Vgl. auch Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 37 Rn. 129: grundlegende Unterschiede, die eine Isolierung vom übrigen Schuldrecht rechtfertigen würden, bestehen nicht. Im Übrigen war der Versicherungsvertrag ganz „normal“ für Deutschland bis zum Inkrafttreten des BGB im preußischen ALR (1794) bzw. im in den linksrheinischen Gebieten geltenden Code civil (1804) und im österreichischen ABGB (1811) geregelt. 3 R. Schmidt, HdV (1988) S. 1117. 2
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§ 6. Versicherungsvertragsrecht und allgemeines bürgerliches Recht
eigenständigen Entwicklung zu sehen4 . Außerdem kann man das VVG in den Zusammenhang einer „zweiten Privatrechtsordnung“ stellen, deren Entwicklung ebenfalls historische Gründe hat und welche der im BGB herrschenden Ethik persönlicher Freiheit und Verantwortung erst nachträglich Missbrauchsgrenzen zog5 . Für die versicherungsvertragliche Gesetzgebung spielte der Verbraucherschutz eine grundsätzliche Rolle, sowohl für das VVG 1908 6 , das vielfach eine Kodifikation der versicherungsnehmerfreundlichen Rechtsprechung war, als auch für das VVG 2008 mit seinen europäischen Vorgaben 7. Der historische VVG-Gesetzgeber sah natürlich die enge Verbindung zum BGB, auch wenn im Gesetzestext der (selbstverständliche) Bezug fehlt. Das lässt sich mit den verschiedensten Äußerungen auch außerhalb der Obliegenheitsthematik belegen8 . Beispielsweise wurde im Zusammenhang mit der Frage, was „unverzüglich“ i. S. d. § 27 VVG bedeute, auf § 122 BGB verwiesen9. Ganz allgemein wurde das VVG als Bestandteil des Bürgerlichen Rechts betrachtet, auf welchen die Vorschriften des BGB Anwendung finden10 . In der Literatur wurden und werden sowohl die Besonderheiten oder Eigenarten des Versicherungsrechts11, welches sich allgemein zu einer Spezialdisziplin 4 Ausführlich dazu W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 60 ff. Vgl. auch Eichler, FS Möller (1972) S. 177 ff.; Duvinage (1987) S. 45 ff.; Neugebauer (1990) S. 113 ff.; Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 36 f. Rn. 127, 131. Vgl. allgemein, nicht nur auf das Privatversicherungsrecht bezogen, auch Nörr (1998) S. 201: „. . . so ist neben das abstrakte Privatrecht der Pandektistik und des BGB oder sogar an seine Stelle ein Vielerlei von konkreten Privatrechten getreten, in ihrer Konkretheit dann freilich überaus undeutlich und diffus und mit der Neigung zur Aufl ösung des Privatrechtsbegriffes selbst behaftet.“ 5 Vgl. dazu grundsätzlich Stürner, JZ 1996, S. 742 f., der das VVG zwar nicht nennt, aber den Verbraucherschutz im Rahmen von Massengeschäften und u. a. das (alte) AGBG. Stürner lobt die Zurückhaltung des ursprünglichen BGB-Gesetzgebers und konstatiert noch heute rasche Veränderungen in der zweiten Rechtsordnung, was für eine vom BGB getrennte Regelung spreche. Im Gegensatz dazu steht die gesetzgeberische Tendenz seit der Schuldrechtsreform. Vorliegend geht es jedoch letztlich um eine andere Frage: nicht das VVG sollte in das BGB integriert werden, sondern die gleiche zivilrechtliche Dogmatik auf beide Gesetze angewendet werden. 6 S. o., S. 171 f. mwN. Unklar ist deshalb, warum BK/Dörner (1999) Einleitung S. 3 den Verbraucherschutz sich „vornehmlich außerhalb des VVG“ entwickeln sieht. Sonst wird eigentlich immer betont, dass das VVG Vorsorge getroffen habe, den wirtschaftlich schwächeren VN zu schützen, vgl. etwa Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 65. 7 Die Begriffe „Verbraucher“ und „Verbraucherschutz“ durchziehen beispielsweise den Abschlussbericht vom 19. 4. 2004 und den Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945. 8 Beispiele im Zusammenhang mit Obliegenheiten bereits s. o., S. 172 ff. 9 Begründung (1906) zu §§ 23–29, S. 38. 10 Begründung (1906) S. 7. 11 Vgl. etwa Künneth (1912) S. 30; Frank (1933) S. 30; Fischer, VersR 1965, S. 198; Klingmüller, Materialien (1967) S. 76; Looschelders, VersR 1999, S. 666 mit Fn. 1; Römer, NVersZ 2000, S. 259; Stiefel17/Hofmann (2000) § 2 b AKB, Rn. 3; Lorenz/Wandt, Einleitung (2001) S. XXVIII; Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 110 f., Rn. 175 f. Zu weitgehend sicher Schneider, Jh. Jb. 53 (1908) S. 16 f., der von der „Selbständigkeit des Versicherungsrechts“ im Sinne völliger Losgelöstheit von den Regelungen des BGB, ausgeht.
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entwickelt hat12 , als auch die grundsätzlich wünschenswerte Einheit mit dem Schuldrecht des BGB13 betont. Tatsächlich unterscheiden sich aber verschiedene Einzelheiten des Versicherungsvertragsrechts und des allgemeinen Schuldrechts allgemein und speziell für die Obliegenheiten. Beispielhaft sei hier die dem Versicherungsrecht eigentümliche Repräsentantenhaftung zu nennen14 . Weyers sprach davon, dass heute kaum noch zu überprüfen sei, inwieweit die Sonderregelungen zwingend durch Eigenarten des zu regelnden Sachgebietes gefordert würden oder historisch zufällig seien und umgekehrt diese Eigenarten (mit-)geschaffen hätten. Lehre und Rechtsprechung hätten Sonderfiguren geschaffen, während mit großer Wahrscheinlichkeit die dogmatischen Hilfsmittel des allgemeinen bürgerlichen Rechts mit ihrer gewiss nicht geringen Flexibilität ebenso befriedigende Lösungen ermöglicht und damit ein Stück Einheit der Rechtsordnung gewahrt hätten15 . Diese Vermutung konnte hier in § 5, in der dogmengeschichtlichen Untersuchung der Obliegenheiten, bestätigt werden.
3. Die Besonderheiten des Versicherungsvertragsrechts Grundsätzlich gilt auch im Versicherungsvertragsrecht das BGB, sofern keine besonderen Vorschriften vorhanden sind16 . Es gibt in dem vor dem VVG in Kraft getretenen BGB sogar einzelne Regelungen, die speziell für Versicherungsverträge gelten17. Aber auch wenn man versucht, den Zusammenhalt des Versicherungsrechts mit dem allgemeinen Zivilrecht zu stärken, so muss man sich doch die Besonderheiten des Versicherungsvertrages bewusst machen. Das Versicherungsvertragsrecht hat einerseits eine besonders große wirtschaftliche Bedeutung und andererseits bei rechtlichen Entwicklungen oftmals 12 Gärtner, FS Lorenz (1994) S. 248 weist darauf hin, dass diese Entwicklung in Rechtsprechung und Wissenschaft weltweit zu beobachten ist. Sehr kritisch ders., a.a.O, S. 246, 255 zum wissenschaftlichen Engagement und Anspruch der versicherungsrechtlichen Literatur. Auf die Gefahr, dass durch eine sich selbst genügende Versicherungswissenschaft (mit besonderer Betonung der lehrbuchmäßigen Darstellung) der Zusammenhang zum allgemeinen Privatrecht verloren gehen könnte, wies auch schon W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 75 hin. Vgl. auch Kramer, NJW 1972, S. 1979; Eichler, FS Möller (1972) S. 177 (der von einer „Zeit gefahrvoller Spezialisierung“ spricht). 13 Möller, Diskussionsbeitrag (1954) S. 137; Hellner, FS Prölss (1967) S. 219; Weyers (1974) S. 431 betont sowohl die Einheit als auch die Besonderheiten, spricht aber S. 441 von einer „unguten Sonderentwicklung“; vgl. auch Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 37 f. Rn. 134 f. 14 Genauer zur Entwicklung derselben S. 145 ff. und zur heutigen Behandlung S. 278 ff. 15 Weyers (1974) S. 441. 16 Eichler, FS Möller (1972) S. 183: Trotz der sondergesetzlichen Regelung sei die rechtsdogmatische Beziehung zwischen dem bürgerlichen Recht und dem Versicherungsvertragsrecht der Sache nach selbstverständlich nicht unterbrochen worden. 17 Vgl. §§ 330, 394, 1045, 1127–1130 BGB.
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eine Vorreiterrolle übernommen18 . Außerdem spielte wie erwähnt der Verbraucherschutz eine große Rolle19. Bei Versicherungen handelt es sich um standardisierte Massengeschäfte. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) sind die ersten Allgemeinen Geschäftsbedingungen gewesen und hieran hat sich das AGB-Recht entwickelt 20 . Die einzelne Produktbeschreibung enthält zugleich die vertraglichen Pflichten des jeweiligen Versicherungsnehmers, insbesondere seine Obliegenheiten. Ihm bleiben damit nicht unerhebliche Risiken, obwohl das Ziel der Versicherung gerade in der Risikoübertragung liegt. Zwar sind auch andere Verbraucherverträge (z. B. über chemische Reinigung) auf Masse gerichtet und enthalten Freizeichnungen. Dort ist aber das für Versicherungsverträge typische Problem ohne Relevanz, nämlich die für die Versicherung typische Risikotragung21.
a) Insbesondere: Treueerfordernis (Assekuranztreue) Eine weitere Besonderheit des Versicherungsvertrages liegt in der oft betonten, in besonders hohem Maße erforderlichen Treuebeziehung zwischen den Vertragspartnern 22 , manchmal noch uberrima fides23 genannt. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde in Deutschland viel über die Rechtsnatur des Versicherungsvertrages nachgedacht, um ihn innerhalb des Schuldrechts einzuordnen 24 , aber auch, um verschiedene Pflichten, insbesondere die vorvertraglichen Anzeigepflichten, erklären zu können. Dabei kam es neben 18 Arens (1940) S. 5 (wenn auch in der für die Zeit typischen Rhetorik); Neugebauer (1990) S. 47; Gärtner, FS Lorenz (1994) S. 249. Speziell für die vorvertragliche Anzeigepflicht s. u., § 9 I.2. 19 S. o., S. 192. 20 F. Ebel, HdV (1988) S. 623: „Die AVB sind die Mütter der AGB schlechthin“; Weyers/ Wandt, VVR 3 (2003) S. 29 Rn. 98 und S. 36 Rn. 124 f. 21 Dazu gleich unter b). 22 RG vom 28. 11. 1941, RGZ 169, 24 ff. (35) mwN; BGH vom 8. 7. 1991, VersR 1991, 1129. Vgl. auch Heine, LZ 1912, Sp. 303; Bornmann, JRPV 1934, S. 69; Bischoff, DÖV 1939, S. 161; v. Gierke, VersR Bd. 2 (1947) S. 150; Fischer, VersR 1965, insb. S. 199; Weyers (1974) S. 434 f.; Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 37 f. Rn. 131 ff. Interessant auch Hartwig (1993) S. 249: da Versicherungsverträgen in weitaus größerem Maße als sog. normalen Schuldverhältnissen partnerschaftliche bzw. gemeinschaftsbezogene Elemente immanent seien, müsse sich der Versicherer immer die Frage stellen, ob er redlich handele, wenn er vom VN ein bestimmtes Verhalten verlange. 23 Vgl. rechtsvergleichend Buck (2004) S. 57 mwN für die spanische und deutsche Literatur. Für das aktuelle englische Recht vgl. Schneider, Uberrima Fides. Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspfl ichten im englischen Recht (2004). 24 Zur historischen Entwicklung dieser Bestimmungsversuche ausführlich W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 53 ff.
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der Konsensualtheorie und aleatorischen Erklärungsversuchen auch zur Einordnung als contractus bonae fidei bzw. contractus uberrimae fidei, sinngemäß also „Vertrag mit besonderem Maß an gutem Glauben“25 . Heute sieht man den Versicherungsvertrag als Vertragstyp sui generis an. Gelegentlich versuchte man früher, die Begründung von Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gerade aus dem besonderen Treueerfordernis abzuleiten 26 . Die beschriebene allgemeine Zuordnung wurde aber auch mit dem Argument kritisiert, dass nach dem BGB alle Verträge auf dem Prinzip von Treu und Glauben basieren und daher die romanistische Einteilung von Verträgen in contractus bonae fidei und contractus stricti iuris überwunden sei 27. Der Grundsatz von Treu und Glauben könne nicht dazu verwendet werden, neue Pflichten in einem Vertrag zu schaffen, sondern nur dazu, die Norm zu liefern, wie vorhandene Pflichten zu erfüllen sind 28 . Teilweise kam es auch zu ausgesprochen deutschtümelnder Kritik 29. Heute meint die Betonung besonderer Treueerfordernisse dagegen meist die leider nicht ganz unberechtigte Sorge der Versicherer, Versicherungsnehmer könnten aufgrund des Versicherungsschutzes zu leichtsinnig mit den versicherten Sachen umgehen 30 oder den Versicherungsfall in betrügerischer Absicht herbeiführen bzw. bei der Angabe der Schäden vorsätzlich falsche Angaben machen 31. Bei den beschriebenen Verhaltensweisen handelt es sich um ein besonde-
25 Gegen die Romanisten polemisierend und darin für die damalige Zeit typisch v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 1 (1937) S. 114: da man die vielfachen Besonderheiten des Versicherungsvertrags nicht aus dem römischen Recht herleiten konnte, aber doch mit römisch-rechtlicher „Verbrämung“ arbeiten wollte, sei man auf den Gedanken gekommen, ihn als Vertrag zu bezeichnen, bei dem die bona fi des die höchste Rolle spiele. Bei Wyeth, Landesreferat Großbritannien, in: Materialien (1967) S. 112 wird uberrima fides mit „äußerste Treue“ (englisch „utmost good faith“) übersetzt. In Polen sieht man den Versicherungsvertrag noch immer als contractus uberrimae fi dei an, vgl. Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 30 f. mwN. 26 Ältere Nachweise und Kritik bei Roelli, Kommentar (1914) S. 57. Vgl. auch (kritisch) Heukeshoven (1938) S. 34 ff. mwN. Die Treuepfl icht für maßgeblich für die Rechtsnatur der Obliegenheiten hielt hingegen Arens (1940) S. 25 ff. (27). Zuletzt kurze Erwähnung derartiger Theorien bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 299. 27 So zu Recht Wagenmann (1914) S. 40. 28 Anders R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 299 mwN: § 242 BGB begründe nicht nur Verbindlichkeiten, sondern auch Pflichten minderer Intensität. 29 v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 1 (1937) S. 114: es sei nicht zu viel verlangt, wenn man das Verschwinden der fremdländischen Bezeichnung fordere; „höchste Treue“ bedeute aber nach deutscher Auffassung die volle Hingabe der Person – hiervon könne im Versicherungsrecht keine Rede sein. Vgl. auch schon hier Fn. 25. 30 Basedow, VVR (1999) S. 34 f. 31 Nach einer 2003 durchgeführten Untersuchung eines Kölner Marktforschungs- und Beratungsinstituts (psychonomics AG) gaben 7 Prozent der Befragten an, ihre Versicherung bei der letzten Schadensmeldung betrogen zu haben. Im Zweifel liegt die Zahl noch höher, weil selbst bei einer anonymen Befragung nicht alle die Wahrheit gesagt haben werden.
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res, versicherungsspezifisches Problem, welches bei anderen Vertragstypen in diesem Maße nicht auftreten kann 32 . Eine Ursache dieses Verhaltens mancher Versicherungsnehmer ist der weit verbreitete Verdacht, der Versicherer drücke sich wo er könne um seine Einstandspflicht herum 33 . Man fühlt sich moralisch im Recht. Die andere Erklärung liegt im Informationsvorsprung des Versicherungsnehmers, verbunden mit der eher geringen Wahrscheinlichkeit, „erwischt“ und bestraft zu werden 34 . Dies sind Probleme, wie sie bei Kauf- oder Werkverträgen nicht in vergleichbarer Form bestehen, aber gerade im Zusammenhang mit dem versicherungsrechtlichen Alles-oder-Nichts-Prinzip mitbedacht werden müssen.
b) Genauer: Risikotragung Privatrechtliche Versicherungen können grundsätzlich nur dann funktionieren, wenn das übernommene Risiko auf eine Vielzahl von Personen („Risikogemeinschaft“) verteilt wird, die von der gleichen Gefahr bedroht sind. Der Risikoübernahme durch den Versicherer liegt das Gesetz der großen Zahl zugrunde35 . Alle gleichartigen Versicherungsverträge eines Unternehmens bilden also technisch und wirtschaftlich eine Einheit 36 . Obliegenheiten und Risikoausschlüsse bestimmen nun stark mit, welches Risiko der Versicherer genau trägt, wann also die Leistungspflicht desselben begründet ist. Das erklärt die herausragende wirtschaftliche Bedeutung der Obliegenheiten im Versicherungsvertragsrecht.
32 Vgl. dazu Eberle (1913) S. 83 f.; Wagenmann (1914) S. 52; Haidinger, FS Prölss (1967) S. 203 f.; Hellner, FS Prölss (1967) S. 213 f., 217; Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 38 Rn. 131; Schiller, Versicherungsbetrug, ZVW 2004, S. 835 ff.; Ebert, Pönale Elemente (2004) S. 267, 275. Hingegen meinte Raiser, FS Prölss (1967) S. 265, dass mit fortschreitendem durchschnittlichen Wohlstand die Versichertenmoral gehoben worden sei. 33 Römer, NVersZ 2000, S. 260 sieht das Alles-oder-Nichts-Prinzip als Bestärkung dieses Verdachts. Im Zusammenhang mit der „Neigung der Praxis“, den VN zu schützen, sprach schon Rabel, VersArch 1937/38, S. 717 vom „nicht immer als fair zu bezeichnenden Verhalten gegenüber den Versicherten“. 34 Ausführlich dazu Schiller, Versicherungsbetrug, ZVW 2004, insbesondere S. 838, 841 ff., 846 f. der den Versicherungen ein verstärktes Vorgehen gegen Versicherungsbetrug auch aus gesamtwirtschaftlichen Überlegungen mit konkreten Vorschlägen empfiehlt. 35 Vgl. die Definition der Versicherung, z. B. BVerwG vom 12. 5. 1992, NJW 1992, 2978 mwN; ausführlicher dazu Siebert, Risikogedanke (1954) insb. S. 129; Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 25 ff. Rn. 84 ff. und S. 29 Rn. 97. 36 So schon Bruck, ZVW 26 (1926) S. 190 und ders., PrivatversR (1930) S. 282.
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4. Nochmals: Funktionen der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Die Interessenlage für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers wurde schon beschrieben 37. Der Versicherer ist also nicht nur an ihrer Auferlegung, sondern auch an ihrer Erfüllung interessiert. Schon in der Begründung zum VVG hieß es: „das Interesse aller Beteiligten verlangt, daß behufs Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes der Versicherungsnehmer in nachdrücklicher Weise dazu angehalten wird, seinen Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer gewissenhaft nachzukommen“38 . Als Grund für die Auferlegung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten wird oft angegeben, dass die damit zu beherrschenden Risiken in der Sphäre des Versicherungsnehmers liegen 39. Sie haben aber genauere Funktionen, die hier kurz dargestellt werden sollen. Von Interesse ist dabei, ob sich Besonderheiten gegenüber anderen Obliegenheiten oder Pflichten entdecken lassen. Die vorvertraglichen Anzeigepflichten (§§ 16 ff. VVG a. F. bzw. §§ 19 ff. VVG 2008) dienen dem Versicherer dazu, abzuschätzen, ob er überhaupt eine Versicherung abschließen möchte und zu welchen Bedingungen40 . Der Versicherer ist auf vollständige und wahrheitsgemäße Angaben des Antragstellers angewiesen41. Schon vom Reichsgericht wurde der Versicherungsantrag mit den darin enthaltenen Fragen als „Stützpunkt [des] ganzen Betriebes“ bezeichnet 42 . Wie im späteren Vertragsverlauf ist der Versicherer auch schon bei Vertragsschluss auf die Mitwirkung des Versicherungsnehmers angewiesen43 . Arens meinte in diesem Zusammenhang, dass ohne die vorvertragliche Anzeigepflicht der Versicherer sich selbst die Kenntnis der von Fall zu Fall verschiedenen Gefahrumstände verschaffen müsste44 – genau das wird allerdings durch die Voraussetzung des § 19 Abs. 1 S. 1 VVG 2008, also das Erfordernis einer Frage des Versicherer, forciert – ohne dass es etwas an der Funktion der Obliegenheit zur korrekten Antwort ändert. Die vorvertraglichen Anzeigepflichten liegen letztlich sowohl im Interesse des Versicherers – er soll das zu übernehmende Risiko kalkulieren können – als auch des Versicherungsnehmers (eine angemessene Prämie zu zahlen) sowie der
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Vgl. s. o., S. 37 ff., 103 ff. Begründung (1906) zu § 6 VVG, S. 80. 39 Buck (2003) S. 2. Ähnlich aber schon früher, z. B. Bornmann, JRPV 1934, S. 66. 40 Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 102 f.; R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 445 sprach von einer versicherungstechnischen „Aufnahmeuntersuchung“ des Risikos. Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 30 f. spricht von der Informationsfunktion. 41 Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 6, 82. 42 RG vom 30. 3. 1900, RGZ 46, 189. 43 H. Schmitt (1939) S. 12; Th. Honsell, HdV (1988) S. 1197. 44 Arens (1940) S. 45. 38
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Versichertengemeinschaft, welche fehlerhafte Kalkulationen und überhöhte Risiken abfangen muss45 . Die Gefahrstands- und Anzeigepflicht (§§ 23 ff. VVG a. F. und VVG 2008) sollen im Interesse derer, die Versicherungsschutz suchen, den Versicherer davon befreien, alle möglichen Gefahrerhöhungen von vornherein als Schätzungen einzuplanen46 . Der Versicherer soll Aufklärung über eine neue Gefahrenlage erhalten47 und wird vor unangenehmen Überraschungen in Schutz genommen48 . Auch hier könnte man also sagen, die Vorschriften erleichtern dem Versicherer die korrekte Prämienkalkulation. Die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers gem. § 33 VVG a. F. bzw. § 30 VVG 2008 nach Kenntnis vom Versicherungsfall soll den Versicherer schnell informieren, um ihm die Möglichkeit zu eigenen Untersuchungen sowie unter Umständen Schadensbegrenzung zu geben49. Ihre Erfüllung ist in der Regel schon deshalb Voraussetzung (im tatsächlichen Sinne) der Leistung des Versicherers, weil er zunächst einmal vom Versicherungsfall erfahren muss, bevor er leisten kann 50 . Die Auskunfts- und die Belegpflichten (§ 34 VVG a. F. bzw. § 31 VVG 2008) ermöglichen dem Versicherer die Feststellung des konkreten Versicherungsfalles und vor allem des Umfangs seiner Leistungspflicht. Er soll in die Lage versetzt werden, sachgemäße Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalles zu treffen 51. Wichtig sind vor allem auch die Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflichten des § 62 VVG a. F. bzw. § 82 VVG 2008. Sie haben wie diejenigen des § 254 BGB die Funktion, nur zurechenbare Leistungspflichten des Schädigers bzw. Versicherers entstehen zu lassen. Konkret die Rettungsbemühungen durch den Versicherungsnehmer liegen daher im Interesse des Versicherers, was 45 Weyers 3/Wandt (2003) Rn. 401. So auch schon Künneth (1912) S. 31; Bruck, PrivatversR (1930) S. 282 f.; Bischoff, DÖV 1939, S. 161: „richtige Beurteilung und Einordnung des Wagnisses in das Beitragssystem“; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 133. Noch deutlicher R. Schmidt, Mündl. Generalreferat (1967) S. 6: die vorvertragliche Anzeigepflicht sei letzten Endes nur ein juristisches Instrument zur Verhinderung eines ungerechten Preises für die vom Versicherer zu gewährenden Dienstleistungen. Für erhebliche Interessen des Versicherers auch Schürmann (1972) S. 40. Vgl. auch Uhlenbrock (2005) S. 5 f. 46 Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 23 VVG, Rn. 1. Vgl. auch Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 31 f.: Präventionsfunktion. 47 Arens (1940) S. 48. 48 Vgl. auch Bischoff, DÖV 1939, S. 161: der Vertrag bedürfe ständiger Beobachtung. 49 Dieser Gedanke lag schon dem Dresdener Entwurf von 1866 klar erkennbar zugrunde, vgl. Kübel, Malß Z. 2 (1868) S. 55. Später wird er geäußert z. B. von Bornmann, JRPV 1934, S. 65; Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 71. 50 Darauf wies auch Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 318 hin. 51 Prölss in Prölss27/Martin (2004) 34 VVG, Rn. 4. Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 32: „Abwicklungsfunktion“; Bischoff, DÖV 1939, S. 161 meinte, die Gemeinschaft der Versicherten habe „ein gutes Recht zu prüfen, ob die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Gemeinschaftshilfe . . . vorliegen“.
II. Abspaltung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers
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zugleich die Begründung seines Weisungsrechtes darstellt, durch welches er die Rettung steuern können soll 52 . Vertraglich auferlegte Obliegenheiten haben vielfach den Zweck, einen sorgfältigen Umgang mit der versicherten Sache sicherzustellen und damit Gefahrerhöhungen zu vermeiden 53 . Daneben bestehende, vertragliche Anzeigeund Mitteilungspflichten dienen wie die gesetzlich auferlegten der Vermittlung der für den Versicherer zur Risikoeinschätzung oder zur Vertragsabwicklung notwendigen Informationen 54 . Nicht nur Obliegenheiten, auch „echte“ Nebenpflichten, die zu Schadensersatz verpflichten, haben genau diese Funktionen. Hier kann man entsprechende vorvertragliche Informationspflichten und Nebenpflichten nach Vertragsschluss finden. Aufgrund der vorvertraglichen Informationspflicht im Bereich der Anlageund Darlehensgeschäfte55 soll die Bank den Kunden über alle erheblichen Umstände informieren, um ihm eine sachgerechte Entscheidung über die Anlage zu ermöglichen. Ein Beispiel für eine den Anzeigeobliegenheiten des Versicherungsnehmers ähnliche gesetzliche Nebenpflicht nach Vertragsschluss ist diejenige des Mieters zur Anzeige von Mängeln (§ 536 c BGB). Unterlässt er die Anzeige, so ist er gem. § 536 c Abs. 2 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Eine Klage auf Erfüllung scheitert wie bei den meisten Obliegenheiten in der Regel am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis. Viele weitere Pflichten mit entsprechenden Funktionen wie die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers lassen sich aufführen.
II. Abspaltung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers oder Einheit der Zivilrechtsordnung – Das weitere Vorgehen Die Funktionen der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers bieten somit auch keine Argumente für eine theoretische Sonderbehandlung dieser Verhaltensanforderungen gegenüber anderen Nebenpflichten. Auch ihre besondere wirtschaftliche Bedeutung rechtfertigt diese nicht, sondert fordert eher eine Gleichbehandlung. Entsprechendes gilt für den im Versicherungsvertragsrecht starken Verbraucherschutz.
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Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 82 VVG, Rn. 2. Bruck, PrivatversR (1930) S. 283; Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 67; Bach, VersR 1990, S. 236; Basedow, VVR (1999) S. 38; Ebert, Pönale Elemente (2004) S. 267 mwN. 54 Vgl. Werber/Winter (1986) S. 118 f., Rn. 280; Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 107 Rn. 401; Prang (2003) S. 67; Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 115, Rn. 182. 55 Dazu schon s. o., S. 62. 53
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Zwar scheint es auf den ersten Blick für den Versicherungsnehmer günstiger, dass ihn keine „echten“ Pflichten, sondern „bloße“ Obliegenheiten treffen. Die Rechtsfolgen sind jedoch im Versicherungsvertragsrecht nicht „schwächer“, sondern vielmehr härter56 , als wenn die allgemeinen Regeln gelten würden! Diese harten Rechtsfolgen versuchte die VVG-Reform für die Zukunft durch die weitere Abschwächung des Alles-oder-Nichts-Prinzips zu vermeiden. Die Behandlung als „normale“ Pflichten würde jedoch die Frage aufwerfen, ob AVB, die Leistungsfreiheit des Versicherers als Rechtsfolge vorsehen, gegen § 308 Nr. 5 BGB (Pauschalisierung von Schadensersatzansprüchen) verstoßen und daher unwirksam sind. Das wäre jedenfalls eine weniger umständliche, verbraucherfreundlichere Lösung. Aber hier soll noch nicht der weiteren Untersuchung vorgegriffen werden 57. Inhaltliche Unterschiede der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten bestehen allerdings zu vielen für das allgemeine bürgerliche Recht angeblich so typischen Obliegenheitstatbeständen, insbesondere zu den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten. Wie bereits beschrieben kann man die Obliegenheiten in zwei Gruppen mit verschiedenen Eigenschaften, insbesondere auch unterschiedlichen Interessenlage hinsichtlich der Auferlegung und Erfüllung dieser Verhaltensanforderungen unterscheiden. Diese wurden Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S. genannt 58 . Die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers haben nur mit den Gläubigerobliegenheiten (bei schuldhafter Verletzung) und den „ehemaligen“ Obliegenheiten der Banken 59 wirkliche Gemeinsamkeiten. Es entspricht nun zwar der überwiegenden Auffassung, dass sich einheitliche Theorien für alle Obliegenheitstatbestände aufstellen ließen. Dennoch soll im Folgenden wegen der beobachteten Unterschiede eine – vorläufige – Trennung erfolgen. Eine generelle Trennung der Rechtsgebiete hingegen, wie in den meisten Untersuchungen vor und nach R. Schmidt, würde wenig bringen. Denn dabei besteht das permanente und für die Vergangenheit zu beobachtende Problem, dass für einzelne Obliegenheiten treffende Aussagen verallgemeinert werden, ohne wirklich auf andere, nicht beleuchtete Tatbestände zu passen. Hier dürfte auch die Ursache für den immer noch bestehenden Streit um die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten zu suchen sein. Letztlich geht es bei dem zu untersuchenden Thema, den Obliegenheiten, aber auch um das Verhältnis des Versicherungsvertragsrechts zum allgemeinen Zivilrecht bzw. die Einstellung dazu. Es ist kein Zufall, dass sich die grundsätz-
56 Vgl. zur angeblich schwächeren Sanktion s. o., S. 13 und s. u., S. 221 f.; zur Anwendung des § 278 BGB vgl. s. u., S. 282 ff. 57 Zur Frage des Schadensersatzes s. u., S. 250 ff. und S. 267 f. 58 Ausführlich dazu s. o., S. 103 ff. 59 Zu diesen Tatbeständen genauer s. o., S. 62 ff.
II. Abspaltung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers
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liche Haltung zu diesem Verhältnis auch in der Sicht einiger Versicherungsrechtler zu den Obliegenheiten wiederfinden lässt. Man kann im Versicherungsrecht unterscheiden zwischen Generalisten, die den Zusammenhang zu allgemeinen Rechtsgedanken zu halten suchten, wie z. B. Ehrenzweig und E. Prölss, und Spezialisten mit besonderen versicherungsvertraglichen Regeln und Ansätzen, z. B. Bruck und Möller60 . Während erstere wohl nicht zufällig die Verbindlichkeitstheorie vertraten, sondern damit eine versicherungsrechtliche Spezialität der Obliegenheiten verhindern wollten, sind letztere wohl ebenso wenig zufällig die Hauptvertreter der Voraussetzungslehre geworden. Wie oben ausführlich beschrieben, war die Entwicklung einer besonderen Theorie für Obliegenheiten zunächst ein Sonderweg innerhalb des Versicherungsvertragsrechts, der selbst vom Gesetzgeber nicht vorgesehen war61. Erst durch die Schrift R. Schmidts wurden die Theorien, die vorher keinen so allgemeinen Anspruch erhoben hatten, auf BGB und HGB ausgedehnt und dabei mit einer kleinen Gruppe von Sondertatbeständen gleich gestellt. Es ist hier bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass dadurch sehr verschiedene Erscheinungen miteinander verbunden wurden. Geradezu erstaunlich ist, wie die Obliegenheitstheorie R. Schmidts im Ergebnis eine Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts, nämlich eine Rechtsprechung und herrschende Lehre contra legem, als Prinzip auf das allgemeine Zivilrecht ausdehnen konnte – auch wenn das Ziel R. Schmidts sicherlich umgekehrt die Re-Integration des Versicherungsrechts in das allgemeine Vertragsrecht war. Die Erklärung auch hierfür ist die getrennte Beschäftigung in den dogmatischen Untersuchungen, also die Beschäftigung immer nur mit Teilbereichen. Außerdem passen Obliegenheits- und Voraussetzungstheorie auf die Sondertatbestände außerhalb des VVG beinahe besser als auf die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Unabhängig davon, dass hier der Zusammenhang des Versicherungsvertragsrechts zum Schuldrecht des BGB gestärkt werden soll und zunächst keine funktionalen Unterschiede versicherungsrechtlicher Obliegenheiten ersichtlich sind, erscheint es dennoch sinnvoll, die Ausdehnung der Obliegenheitstheorien durch R. Schmidt wenigstens vorläufig rückgängig zu machen und zunächst nur die Versicherungsnehmerobliegenheiten theoretisch zu behandeln. Eine Vorabbehandlung erscheint vor allem deshalb erfolgversprechend, weil es sich bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers um ein in sich geschlossenes Gebiet handelt 62 . Dabei muss man die im Versicherungsrecht wich60 Vgl. R. Schmidt, HdV (1988) S. 1117, wenn auch ohne Zusammenhang zu den Obliegenheiten. 61 S. o., S. 161 ff., 173 ff. 62 Bereits Enneccerus15/Lehmann (1958) S. 16 wies darauf hin, dass es sich bei den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten um eine „Sondergruppe“ handelt, deren Vorschriften nicht
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§ 6. Versicherungsvertragsrecht und allgemeines bürgerliches Recht
tigen Konsequenzen, insbesondere für das Einstehenmüssen für schuldhaftes Handeln Dritter im Blick behalten63 . Erst danach werden die gefundenen Ergebnisse auf ihre Brauchbarkeit mit anderen Obliegenheitstatbeständen abgeglichen64 . Ob es sich bei den Obliegenheiten tatsächlich um eine versicherungsrechtliche Spezialität 65 handelt, wird sich zeigen.
ohne eingehende Prüfung verallgemeinert werden dürften. Ähnlich auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 199. Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 109 Rn. 174 spricht davon, dass Rechtsnatur und Funktion der Obliegenheiten eine versicherungsrechtliche „Spezialität“ seien. Selbst R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 295 bezeichnete die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als historisch gewachsener Sondergruppe, um sie dann dennoch in den Rahmen der zivilrechtlichen Obliegenheitstatbestände einzustellen, obwohl er selbst zu „großer Vorsicht“ bei der „Verallgemeinerung der Regelungen des Versicherungsrechts“ mahnte (a.a.O., S. 321). Dagegen hielt Staudinger11/Weber (1965) Einl vor § 241 BGB, Anm. M2 eine Verallgemeinerung der im Versicherungsrecht gewonnenen Ergebnisse ausdrücklich für zulässig. 63 Genauer dazu s. u., S. 278 ff. 64 S. u., S. 301 ff. 65 So z. B. auch Schimikowski, VVR4 (2009) Rn. 194.
§ 7. Kritik der heute im Versicherungsvertragsrecht herrschenden Voraussetzungstheorie1 Was ist das nun für eine herrschende Meinung, die historisch betrachtet auf einem so wackeligen Fundament steht? Zumindest eine, die ihre Wurzeln nicht (mehr) kennt oder nicht kennen will. Warum und wie sich die Voraussetzungstheorie gegen den Wortlaut des Gesetzes und gegen den Willen des historischen Gesetzgebers entwickelt hat, wurde in § 5 dieser Untersuchung gezeigt. Gelegentlich wurde diese Tatsache sogar von Vertretern dieser Theorie zugegeben. So von Bruck, als er in einem Beitrag zu RGZ 133, 117 jubelte, das Reichsgericht habe sich rechtsschöpferisch über den Wortlaut und die amtliche Begründung des VVG hinweggesetzt 2 . Um die Voraussetzungstheorie aus der heutigen Selbstverständlichkeit, mit der sie vertreten wird, herauszuholen, erscheint es nun erforderlich, ihre wesentlichen Schlagworte genauer anzusprechen, denn diese sind viel problematischer, als es in der sie benutzenden Literatur den Anschein hat. Hier seien beispielhaft die unten näher zu behandelnden Probleme der Vereinbarung von Vertragsstrafen oder der Erklärung von tatsächlich von der Rechtsprechung gewährten Schadensersatzansprüchen genannt. Die verschiedenen Theorien werden heute vor allem im Versicherungsvertragsrecht noch thematisiert, weil sie hier die praktischsten Konsequenzen haben. Im allgemeinen Zivilrecht, wo es sich meist um Obliegenheiten i. w. S. handelt, werden diese Konsequenzen seltener auffällig, weshalb es nicht ganz so erstaunt, mit welcher Diskussionsresistenz die Voraussetzungstheorie – in der Regel unter dem Namen Obliegenheitstheorie – vertreten wird. Bei genauerer Untersuchung fällt auf, dass die verschiedenen Behauptungen und Begründungen der Voraussetzungstheorie meist nur verschiedene Aspekte bzw. sich wiederholende Argumente sind. Um das deutlich zu machen, muss jedoch genauer darauf eingegangen werden. Es wird versucht, dies so knapp wie möglich, aber so detailliert wie nötig durchzuführen. Dabei liegt der Schwer-
1 Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorie sind nach R. Schmidts Untersuchung (1953) untrennbar verschmolzen (s. o., S. 20 ff.) und werden zur Vereinfachung zusammenfassend als Voraussetzungstheorie bezeichnet. 2 Bruck, DÖV 1931, S. 241. Kritischer in diesem Zusammenhang hingegen Hagen, JRPV 1932, S. 35, der dennoch die Voraussetzungstheorie vertrat.
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
punkt bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, aber auch andere Obliegenheiten bzw. Ansichten dazu werden gelegentlich einbezogen.
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“ Die Erfüllung einer Obliegenheit soll Voraussetzung für die Bewirkung oder den Umfang der Leistung des Versicherers3 oder den Erhalt der Rechtsposition des Obliegenheitsbelasteten4 sein 5 . Heute nicht mehr zu finden ist die Formulierung, dass die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Voraussetzungen für eine rechtswirksame Versicherung seien6 . Auch finden sich keine Differenzierungen mehr zwischen „Obliegenheit“ und „Voraussetzung“7. Allerdings wird meist nicht genauer unterschieden, was „erhalten“ bleiben soll: bei Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall kann das nur der abstrakte Versicherungsschutz sein, nach dem Versicherungsfall der konkrete Anspruch aus der Versicherung. Korrekter wäre es zu sagen, dass die Verletzung von Obliegenheiten Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherers sein kann – was so von der herrschenden Meinung nicht vertreten und von ihren anderen Thesen eher verschleiert wird, z. B. dem behaupteten alleinigen Interesse des Obliegenheitsbelasteten an der Erfüllung seiner Obliegenheiten8 . Eine Ausnahme bildet Messerschmidt9, der grundsätzlich die Voraussetzungstheorie befürwortet und für die Belehrungsobliegenheiten des Versicherers (!) feststellt, sie seien Voraussetzung für die Leistungsfreiheit desselben – das hat insgesamt wenig mit der herr-
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Bruck, PrivatversR (1930) S. 284; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 10. RGZ 133, 117; BGHZ 24, 382; Stange (1995) S. 10; Kampmann (1996) S. 38; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138, Rn. 1; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15; MünchKomm4/ Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 49; van Bühren, HB2 (2003) S. 55, Rn. 223; Terbille/ Terbille MAH VR 2 (2008) § 2, Rn. 248. 5 Negativ (aber inhaltlich ähnlich) formulierte Wolf, SchR I (1978) S. 23: Obliegenheiten seien (neben den Erwerbsgründen) schuldrechtliche Ausschlussgründe, d. h. schuldrechtliche Verhältnisse mit dem Inhalt, für einen Beteiligten den Ausschluss eines rechtlichen Verhältnisses oder einer Rechtswirkung zu bewirken. Obliegenheiten seien daher keine Pfl ichten. Basedow, VVR (1999) S. 35 spricht von „Einbuße von Vorteilen“ als Rechtsfolge. 6 Gegen diese Ansicht schon Gerhardt in Gerhardt/Hagen (1908) § 6 VVG, Rn. 1, S. 46. 7 Hagen, JRPV 1932, S. 35 hatte immerhin festgehalten, dass Voraussetzung ein viel weiterer Begriff als Obliegenheit sei. 8 Dazu s. u., S. 213 ff. Korrekter war hingegen noch die Aussage bei Behrend, ZHR 55 (1904) S. 66, dass die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers „rechtlich nicht als Verpflichtung des Versicherten zu denken [sei]; ihre Beobachtung [sei] nur ein Erfordernis des Vertragsschlusses oder genauer, ihre Verletzung eine Voraussetzung des Rücktrittsrechts des Versicherers“. Ähnlich auch Bruck, PrivatversR (1930) S. 283. 9 Messerschmidt (1986) S. 80. 4
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“
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schenden Voraussetzungstheorie zu tun, ist aber (in diesem einen Punkt) zutreffend10 . Der Begriff „Voraussetzung“ wurde wiederholt detailliert angegriffen11 und nie wirklich verteidigt – dennoch findet er sich bis heute immer wieder explizit und unkritisch verwendet12 . Einigkeit besteht nur insoweit, als dass es sich nicht um den Begriff im Sinne Windscheids13 handelt, sondern eher um eine untechnische Verwendung.
1. Obliegenheit als Tatbestandvoraussetzung? Gelegentlich wird auch von Obliegenheiten als Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch des Verpflichteten gesprochen14 . Nach heute herrschender Meinung ist aber das objektive Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer vom Versicherer genauso wie etwa für die Schadensminderungspflicht des § 254 BGB das Mitverschulden des Geschädigten vom Schädiger zu beweisen15 . Wenn also der Versicherungsnehmer auf die Versicherungssumme klagt oder ein in seinen Rechten Verletzter Schadensersatz einfordert, so muss er zunächst nichts zur Erfüllung aller seiner (eigenen) Obliegenheiten ausführen. Wenn der Beklagte (Versicherer/Schädiger) Obliegenheitsverletzungen (z. B. verletzte Mitteilungspflichten oder Mitverschulden bei der Schadenshöhe) einwendet, so muss er selbst diese ihm günstigen Umstände darlegen und beweisen. Der Kläger kann sich hingegen entlasten, dass er z. B. nicht schuldhaft gehandelt hat. Das Gericht fällt dann – als Vorfrage, nicht als Tatbestandsvoraussetzung des Anspruchs – das Werturteil über die Obliegenheitsverletzung16 .
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Vgl. zu den Versichererobliegenheiten s. o., S. 47 ff. Besonders von Ehrenzweig, in: ZVW 31 (1931) S. 371 ff.; H. Schmitt (1939) S. 19 und R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 64 f., aber auch in jüngerer Zeit, z. B. von Deutsch, VVR4 (2000) S. 146, Rn. 197. 12 Etwa bei Esser, SchR4 (1970) S. 32; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 18; van Bühren, HB§ (2003) S. 55, Rn. 223; van Bühren/Tietgens (2003) S. 447, Rn. 264; 13 Dazu s. o., S. 145. 14 Bruck, PrivatversR, S. 283. Ansätze in diese Richtung auch bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 65. 15 Vgl. Bruck, PrivatversR (1930) S. 289 und aktuell Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 124 mwN. Für § 254 BGB BGH NJW 1994, 3102 ff. (3105) = BGHZ 126, 138 ff., allerdings in der amtlichen Sammlung ohne die wesentliche Stelle. Vgl. auch hier, S. 108 ff. 16 Ein weiteres treffendes Beispiel (= § 377 HGB) für die Verwirrung stiftende Vermengung von Darlegungs- und Beweislast von Tatsachen mit richterlicher Bewertung bei Fabricius (1965) S. 271 ff., 274; sehr interessant auch S. 273, wo er ausführt, dass die kaufmännische Mängelrüge des Art. 347 ADHGB tatsächlich (noch) als Anspruchsvoraussetzung konstruiert war. 11
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
Die Erfüllung eigener Obliegenheiten ist hier also keine Tatbestandsvoraussetzung eines geltend gemachten Anspruches17. Man muss sich höchstens fragen, ob Obliegenheitsverletzungen als rechtshindernde Einwendungen von Amts wegen zu berücksichtigen sind18 . Dagegen dürfte mit wohl überwiegender Literaturansicht19 und nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH20 von einem Leistungsverweigerungsrecht auszugehen sein.
2. Keine klare Abgrenzung von der Hauptleistungspflicht (Prämienzahlung) des Versicherungsvertrages Der Begriff und auch der Gedanke der Voraussetzung für Obliegenheiten ist nicht nur untechnisch und irreführend, sondern auch unbrauchbar zur Abgrenzung der angeblich „echten“ Rechtspflichten zu den Obliegenheiten. Denn auch die Erfüllung der unstreitigen Hauptleistungspflicht des Versicherungsnehmers (Prämienzahlung), ist gem. §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 2 VVG (§§ 37 Abs. 2, 38 Abs. 2 VVG 2008) „Voraussetzung“ für den Anspruch aus dem Versicherungsvertrag21. Außerdem weichen die nach Erst- und Folgeprämie differenzierten Rechtsfolgen der nicht gezahlten Prämie zu Gunsten des Versicherers deutlich von den Regelungen des allgemeinen Zivilrechts für die Nichterfüllung von Hauptleistungspflichten ab22 . Während im allgemeinen Zivilrecht bei Verletzung der Hauptleistungspflichten grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch und ein Rücktrittsrecht nach Fristsetzung entstehen, kann der Versicherer bei nicht fristgerecht gezahlter Erstprämie ohne jede Mahnung zurücktreten und wird sogar ohne Rücktritt ganz von der Leistungspflicht befreit, falls der Versicherungsfall während dieser Zeit eintritt (§ 38 Abs. 2 VVG a. F. bzw. § 37 Abs. 2 VVG 2008 mit Einschränkungen). Diese Regelung beizubehalten wurde auch von der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts ausdrücklich
17 Mit anderer Begründung gegen die Auffassung der Obliegenheiten als Anspruchsvoraussetzungen auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 229 f. Zu den Obliegenheiten i. e. S., für die diese Bezeichnung als Tatbestandsvoraussetzungen eher passen würde aber hier vermieden wird s. o., § 3 III.5. 18 So Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 86. 19 Stiefel17/Hofmann (2000) § 2 b AKB, Rn. 8 mwN. 20 BGH vom 26. 1. 2005, NJW 2005, 1186 mwN – genauer zu der Entscheidung s. o., S. 32. 21 Das Argument findet sich schon bei Gottschalk, ZVW 17 (1917) S. 195 und JW 1927, S. 147; Heukeshoven (1938) S. 45; Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 62; Hartwig (1993) S. 255. Ähnlich stellt Schirmer, r+s 1999, S. 2 fest, dass die Sanktion der Leistungsfreiheit den Obliegenheiten und den „echten Rechtspfl ichten“ gemeinsam ist. 22 Vgl. dazu etwa Gärtner, PrivatVersR 2 (1980) S. 283, 294 ff.; Hofmann, VVR4 (1998) S. 139.
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“
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befürwortet 23 . Bei verspäteter Folgeprämie wird immerhin das Erfordernis einer qualifizierten Mahnung statuiert (§ 39 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 38 Abs. 1 VVG 2008). Die Begründung zum ursprünglichen VVG-Entwurf führt dazu aus: „die allgemeinen Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 326, 327) über die Folgen des Verzuges bei gegenseitigen Verträgen reichen für die Verhältnisse des Versicherungsvertrages nicht aus“24 . Wenn also eine Rechtsfolge bei Pflichtverletzung im Versicherungsvertragsrecht vom Gesetzgeber bewusst neu und anders geregelt wurde, so ist es die des Verzugs bei der Prämienzahlung und nicht die der Obliegenheiten 25 .
3. „Voraussetzung für den Rechtserhalt“ a) Unzutreffende Verallgemeinerung der Rechtsfolge – kein „Selbstvollstreckungselement“ Man kann auch nicht einfach behaupten, dass die Erfüllung von Obliegenheiten typischerweise Voraussetzung für den eigenen Rechtserhalt sei 26 , weil nämlich der Rechtsverlust nicht prinzipiell und automatisch die Rechtsfolge einer Obliegenheitsverletzung ist. Anders ausgedrückt: es gibt zahlreiche Fälle, wo eine bestehende Obliegenheit nicht erfüllt wurde und dennoch der Verpflichtete seine eigene Rechtsposition behalten kann. Dann kann aber obliegenheitsgerechtes Verhalten nicht die Voraussetzung dafür gewesen sein. Dieser Gedanke findet sich ähnlich bereits bei Oberbach 27, der auch zu Recht beklagte, dass die nur leicht fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen bei der Beurteilung der Folgen von Obliegenheitsverletzungen meist nicht genügend berücksichtigt würden – daran hat sich leider bis heute nichts geändert. R. Schmidt nannte noch 1999 als offenen Fragenkreis innerhalb der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten u. a. die Fallgruppe der für den Versicherer folgenlosen Obliegenheitsverletzungen 28 . Jedenfalls bei nach dem Versicherungsfall zu erfüllenden Obliegenheiten bleibt eine für den Versicherer folgenlose leicht fahr-
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Vgl. Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, unter 1.2.2.9 und §§ 40, 41 VVG-E. Begründung (1906) zu §§ 38, 39, S. 46. 25 Vgl. zur Vorstellung des historischen Gesetzgebers bzgl. der Obliegenheiten s. o., S. 173 ff. 26 So aber z. B. Stange (1995) S. 10; Kampmann (1996) S. 38; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138, Rn. 1; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15; MünchKomm4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 49; van Bühren, HB2 (2003) S. 55, Rn. 223; Schulze (2008) S. 345. 27 Oberbach, AVB II (1947) S. 27, Fn. 87 und für das Folgende S. 35 und stark an Oberbach orientiert, auch bei diesem Argument: Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 63. 28 R. Schmidt, NVersZ 1999, S. 403. 24
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
lässige Verletzung nach § 6 Abs. 3 VVG a. F. (bzw. § 28 Abs. 2 VVG 2008) auch für den Versicherungsnehmer folgenlos. Das Freiwerden des Versicherers von seiner Leistungspflicht oder ein sonstiger Rechtsverlust des Obliegenheitsbelasteten sind nicht die einzigen möglichen Sanktionen 29. Und selbst wenn Leistungsfreiheit bzw. Rechtsverlust vereinbart oder gesetzlich vorgesehen ist, muss sich jedenfalls der Versicherer erst ausdrücklich darauf berufen, sonst tritt die Rechtsfolge gar nicht ein. Wie der BGH feststellte, erscheint von selbst eintretende Leistungsfreiheit – entgegen der Auffassung vom Selbstvollstreckungselement der Obliegenheiten – schon aus wirtschaftlichen Erwägungen als nicht sachgerecht 30 . Im Abschlussbericht der Kommission zur Reform des VVG bzw. im neuen VVG 2008 werden die weiteren Voraussetzungen für einen Rechtsverlust (wie das Kausalitäts- und Relevanzerfordernis) noch deutlicher, als ohnehin schon durch die bisherige Rechtsprechung31.
b) Genauer: Andere Rechtsfolgen (als Rechtsverlust) Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Obliegenheitsverletzungen nicht nur andere Sanktionsfolgen als den von der Voraussetzungstheorie überbetonten Verlust der eigenen Rechtsposition haben oder haben können, sondern dass es dafür auch berechtigte wirtschaftliche Interessen gibt. (1) Schadensersatz Besonders unterschiedlich sehen die Theorien – neben der Anwendbarkeit des § 278 BGB – die Frage, ob Obliegenheitsverletzungen Schadensersatzansprüche nach sich ziehen können 32 . Wenn man mit der Verbindlichkeitstheorie diese 29 Anders die meisten aktuellen, das Thema stark verkürzenden Darstellungen, so etwa Toussaint in jurisPK-BGB2 (2004) § 241 BGB, Rn. 17. 30 BGH vom 26. 1. 2005, NJW 2005, 1186 mwN. Ältere Nachweise für „automatischen“ Eintritt der Rechtsfolgen oder Leistungsverweigerungsrecht bei Hüffer, VersR 1980, S. 785 mit Fn. 7, der auch ein Tätigwerden des Versicherers verlangte. Ausführlich zum Kündigungserfordernis und der analogen Rechtsprechung Schirmer, r+s 1990, S. 219 f. 31 Dennoch spricht etwa Schimikowski, VVR4 (2009) Rn. 176 weiter vom „Selbstvollstreckungselement“ als Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts – wenn auch (wohl) mit der Voraussetzung, dass der Versicherer die Leistung verweigern muss. Die Selbstvollstreckung sieht er darin, dass der Versicherer nicht „vor Gericht ziehen müsse“. 32 Vgl. bereits s. o., S. 176 ff. In jüngerer Zeit Schadensersatzansprüche bei Obliegenheitsverletzung explizit und allgemein ablehnend z. B. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 36, 315 sowie ders., ZVW 57 (1968) S. 83; Knappmann (1997) S. 262; van Bühren/Tietgens (2003) S. 401, Rn. 44; unter inhaltlich unzutreffendem Rekurs auf die angeblich vom Gesetzgeber nicht genutzte Möglichkeit, Obliegenheiten im Versicherungsrecht wie andere schuldrechtliche Nebenpflichten zu behandeln Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) Rn. 408; Beckmann/Ma-
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“
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Ansprüche bejaht, ist das selbstverständlich eine erheblich andere Rechtsfolge als der Rechtsverlust. Folgt man hingegen den Darstellungen der Voraussetzungstheorie, so entsteht der dennoch falsche Eindruck, als ob Obliegenheiten gar keine anderen Rechtsfolgen als den Rechtsverlust haben könnten 33 . An dieser Stelle soll die Frage, ob Obliegenheitsverletzungen Schadensersatzansprüche nach sich ziehen (können), jedoch noch nicht abschließend behandelt werden 34 . Es sei jedoch daran erinnert, dass die allgemein-zivilrechtliche Rechtsprechung im Einzelfall relativ unproblematisch derartige Ansprüche bejaht 35 . Unabhängig von der so zentralen und daher zwangsläufig umstrittenen Frage der Schadensersatzansprüche gibt es jedoch genügend andere anerkannte oder jedenfalls befürwortete Rechtsfolgen für Obliegenheitsverletzungen, um die Einseitigkeit der Voraussetzungstheorie aufzuzeigen. (2) Versicherungstechnische Korrektur Gern übersehen werden im theoretischen Zusammenhang der Rechtsfolgen § 41 Abs. 1 und § 162 S. 1 VVG (vgl. § 19 Abs. 4 S. 2 und § 157 S. 1 VVG 2008). R. Schmidt sprach – allerdings erst nach seiner grundlegenden Schrift und kaum beachtet – vom „kümmerlichen § 41“ und regte eine erweiterte Verwendung der Prämienanpassung an; der Leistungsfreiheitstatbestand sei nämlich problematischer geworden 36 . Die Vorschriften enthalten das Prinzip der versicherungstechnischen Korrektur. Dabei wird unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die Prämienhöhe oder die Leistung des Versicherers angepasst, wenn der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages ihm obliegende Anzeigepflichten verletzt (§ 41 Abs. 1 VVG bzw. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG 2008) oder in der Lebens- und Krankenversicherung das Alter des Versicherten nicht zutreffend angegeben wurde (§ 162 S. 1 VVG bzw. § 157 S. 1 VVG 2008). Diese Regelungstechnik könnte man problemlos für alle Obliegenheiten vorsehen, deren Erfüllung dem Versicherer gerade zur Risikoabschätzung dienen sollte. Wenn diese Vorschriften auch im theoretischen Zusammenhang der Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen übersehen werden, bei konkreten Rechtsfragen werden sie durchaus in die Argumentation einbezogen 37. tuschke-Beckmann/Marlow (2004) S. 655, Rn. 49. Schadensersatzansprüche bejahend dagegen insbesondere Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 33 Das beklagte ebenfalls schon Oberbach, AVB II (1947) S. 35 Fn. 138. 34 S. u., S. 250 ff. 35 Genauer dazu s. o., S. 33 ff., 62 ff. 36 R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 92 f. und vgl. auch ders., FS Möller (1972) S. 450 37 Vgl. den Bezug auf § 41 VVG im Zusammenhang mit der Frage einer Abdingbarkeit der §§ 16 ff. beispielsweise bei Schirmer/Marlow, VersR 1997, S. 784; Klimke, VersR 2004, S. 287 ff.
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
(3) Vereinbarung von Vertragsstrafen Außerdem ist auch ohne theoretische Positionierung die Vereinbarung von Vertragsstrafen als Folge von Obliegenheitsverletzungen denkbar 38 . Selbst von frühen Vertretern der Voraussetzungstheorie wurde diese Möglichkeit noch zwanglos bejaht 39. Eine Vertragsstrafe ist allerdings nach §§ 339–341 BGB typischerweise an eine Verbindlichkeit geknüpft. Daher sieht sich die heute herrschende Ansicht ge-zwungen, gegen die Zulässigkeit einer derartigen Sanktion Stellung zu beziehen40 . Gewünscht wird diese Sanktionsmöglichkeit aber jedenfalls von den Versicherern, insbesondere für die Fälle, in denen Leistungsfreiheit ausscheidet. Beispielsweise in der Kfz-Haftpflichtversicherung, in der die Vereinbarung von Leistungsfreiheit nur eingeschränkt möglich ist (vgl. § 5 KfzPflVV), erscheint ein entsprechendes Interesse der Versicherer nicht verwunderlich41. In Zukunft, also unter der Geltung des VVG 2008, werden diese Wünsche eher zunehmen, da die Versicherer oft nur noch bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers von ihrer Leistungspfl icht befreit werden bzw. zurücktreten können. Dem steht aber die bisher h. M. entgegen, ein lösbares Dilemma. (4) Zugangsfiktion in § 10 VVG a. F. (§ 13 VVG 2008) Eine gänzlich andere Rechtsfolge hat die Obliegenheit des § 10 VVG a. F. (§ 13 VVG 2008) 42 . Teilt der Versicherungsnehmer eine Änderung seiner Wohnung dem Versicherer nicht mit, so erfolgt eine Fiktion des Zugangs von Erklärungen des Versicherers. Daher wurde gelegentlich der aus § 10 VVG a. F. entnommenen Pflicht zur Mitteilung einer Wohnungsänderung – wegen ihrer nicht zu der gegen das Gesetz entwickelten h.L. passenden Sanktion (!) – denn auch der Obliegenheitscharakter abgesprochen43 . Die „Väter“ der Voraussetzungstheorie hingegen sahen hierin durchaus eine Obliegenheit44 . 38 Ehrenzweig, VVG§ (1952) S. 151 und in Fn. 11 als konkretes Beispiel der damalige § 8 Abs. 2 Nr. 1 HPVB. Vgl. in der neueren Literatur Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 27 VVG, Rn. 3 a und Schwintowski, Bericht bei Lier, VersW 2001, S. 198 f. 39 Vgl. Bruck, PrivatversR (1930) S. 281 („wenn sie überhaupt vorkommt“); Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 23. 40 Vgl. dazu jeweils mwN Sieg, VersR 1963, S. 1089, 1094; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16 und 85; Knappmann, VersR 1996, S. 407 f.; Schirmer/Marlow, VersR 1997, S. 792 f.; Gebauer, NVersZ 2000, S. 9 f. 41 Näher dazu s. u., S. 269 ff. 42 Dazu bereits s. o., S. 46. 43 So Weyers/Wandt, VVR 3 (2003) S. 108, Rn. 404, anders noch die Vorauflage: Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 318. 44 Vgl. etwa Bruck, PrivatversR (1930) S. 279; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 10 VVG, Anm. 10 ff.; Möller, VVR 3 (1977) S. 112.
I. Allgemeiner Begriff und Inhalt der „Voraussetzung“
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Zwar handelt es sich nach der hier vorgenommenen Unterscheidung nur um eine Obliegenheit i. w. S.45 . Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Voraussetzungstheorie Probleme hat, diese Rechtsfolge einer angeblichen Obliegenheit mit ihrer Lehre zu vereinbaren.
c) Weitere Voraussetzungen für einen Rechtsverlust bei Obliegenheiten aus Vertrag Im Versicherungsvertrag ist zunächst grundsätzlich eine ausdrückliche Abrede über die Rechtsfolge des Anspruchsverlustes erforderlich – fehlt sie, tritt auch keine Verwirkung ein46 . Anderenfalls bedient sich der Versicherer eines „Schwertes mit stumpfer Klinge“47. Eine Ausnahme (nämlich Anspruchsverlust gem. § 242 BGB bei nicht vereinbarter Verwirkungsfolge) gilt nach h. M., wenn dem Versicherungsnehmer eine grobe Vernachlässigung tragender Obliegenheiten anzulasten ist, die das vertragliche Vertrauensverhältnis erheblich stört48 . Sähe man die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers hingegen als Nebenpflichten an, so stünde dem Versicherer bei erheblicher Obliegenheitsverletzung gem. § 324 BGB ein Rücktrittsrecht zu – die wohl elegantere Lösung. Aber auch bei heutzutage meist vorhandenen „Abrede“ in den AVB des Versicherers gibt es neben dem obliegenheitswidrigen Verhalten des Versicherungsnehmers oft weitere Erfordernisse, bevor ein Rechtsverlust eintritt, d. h. das obliegenheitsgerechte Verhalten ist in diesen Fällen jedenfalls nicht die einzige „Voraussetzung“. Beim Fehlen des jeweils erforderlichen Verschuldens bei der Verletzung von vor dem Versicherungsfall zu erfüllender Obliegenheiten49 bzw. geringem Verschulden bei nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden 50 oder fehlender Kausalität der Verletzung von Obliegenheiten zur Gefahrenverhütung und -minderung51 bleibt trotz objektiver Obliegenheitsverletzung der Anspruch aus der Versicherung erhalten 52 . 45
S. o., S. 46 f. und S. 110. Das betonten mit Bezug auf die Obliegenheitstheorien schon Eberle (1913) S. 6 und Ehrenzweig, in: ZVW 31 (1931) S. 371. 47 Möller, VVR 3 (1977) S. 111. 48 RG vom 30. 5. 1908, RGZ 157, 67 (74 f.) und RG vom 24. 2. 1939, RGZ 160, 3 (6); aktueller BGH vom 14. 10. 1987, VersR 1987, 1182 = NJW-RR 1988, 87; BGH vom 8. 7. 1991, VersR 1991, 1129 f. = NJW-RR 1991, 1370 ff. – dazu die Besprechung von Lücke, VersR 1992, S. 182 f. 49 § 6 Abs. 1 S. 1 VVG a. F. bzw. § 28 Abs. 1 VVG 2008. 50 § 6 Abs. 3 VVG a. F. bzw. § 28 Abs. 2 VVG 2008. 51 § 6 Abs. 2 VVG a. F. bzw. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG 2008. Zu den Ausweitungen auf sonstige Obliegenheiten durch die Rechtsprechung vgl. Schirmer, r+s 1990, S. 220 f. und 253. 52 Ähnlich schon Ehrenzweig, VVG2 (1952) S. 151. 46
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
Mithin ist nicht jede Verletzung einer vertraglich auferlegten Obliegenheit mit einem Rechtsverlust verbunden. Mit diesem Widerspruch setzt sich die h. M. nicht auseinander.
d) Weitere Voraussetzungen bei Obliegenheiten aus Gesetz Auch bei gesetzlich auferlegten Obliegenheiten führt nicht jede Verletzung zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Leistungsfreiheit ist vorgesehen z. B. in § 25 Abs. 1 VVG a. F. (§ 26 Abs. 1 VVG 2008) und für die Schadensversicherung § 62 Abs. 2 VVG a. F. (§ 82 Abs. 3 VVG 2008, aber nur noch bei Vorsatz des VN). Voraussetzung ist aber jeweils ein bestimmtes Verschulden des Versicherungsnehmers und Kausalität der Obliegenheitsverletzung für den Versicherungsfall bzw. die Schadenshöhe. Meist wird dem Versicherer (nur) ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht gewährt53 , welches er aber erst tatsächlich ausüben muss. Das Erfordernis der Ausübung des Kündigungsrechtes spricht an sich schon gegen die angebliche Konstruktion der Obliegenheiten als Voraussetzungen. Der Versicherer kann aber auch wegen verschiedenen Erwägungen die Kündigung unterlassen. Nicht unwahrscheinlich ist dies, wenn ein besonders guter Kunde viele verschiedene Versicherungen hat und nur ein wirtschaftlich geringer Nachteil durch die Obliegenheitsverletzung entstanden ist54 . Zusätzlich gibt es Ausschlussfristen für die Gestaltungsrechte des Versicherers55 , nach deren Ablauf die Obliegenheitsverletzung folgenlos bleibt. Und auch hier kann geringes oder fehlendes Verschulden oder mangelnde Kausalität zur Unschädlichkeit der Verletzung führen 56 . Es ist somit in allen soeben beschriebenen Fällen unsinnig, von der zu erfüllenden Obliegenheit als der Voraussetzung für den Erhalt der Versicherungsleistung oder anderer günstiger Rechtspositionen zu sprechen, denn diese bleiben (zunächst oder endgültig) erhalten – trotz Obliegenheitsverletzungen.
53 So gem. §§ 16 Abs. 2, 17 Abs. 1 VVG a. F. (vgl. § 19 Abs. 2 VVG 2008, allerdings mit abweichenden Voraussetzungen), § 24 Abs. 1 VVG a. F. (§ 24 Abs. 1 VVG 2008), § 163 VVG a. F. (im VVG 2008 entfallen, vgl. § 21 Abs. 3 VVG 2008). 54 Zur Problematik dieser Abwägungen bei Klein- und Groß-Kunden, auch hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes, ausführlich Clauß, DRiZ 36 (1958) S. 172. 55 Z. B. in § 20 Abs. 1 VVG a. F. (§ 21 Abs. 1 VVG 2008), § 24 Abs. 2 VVG a. F. (§ 24 Abs. 3 VVG 2008). 56 Vgl. insb. § 16 Abs. 3 VVG a. F. (§ 19 Abs. 5 VVG 2008), § 17 Abs. 2 VVG a. F. (§ 19 Abs. 5 S. 2 VVG 2008), § 18 Abs. 2 VVG a. F. (so nicht mehr im VVG 2008), § 21 VVG a. F. (§ 21 S. 1 VVG 2008).
II. Gebote/Pfl ichten im eigenen Interesse?
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II. Gebote/Pflichten im eigenen Interesse? Hier wurde bereits festgehalten, welche Interessen der Versicherer nicht nur an der Auferlegung sondern auch an der Erfüllung der Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer hat 57. Die Erfüllung oder Befolgung soll hingegen nach heute überwiegender Ansicht in der Literatur im alleinigen 58 oder doch mindestens im überwiegenden 59 Interesse des damit Belasteten liegen, weshalb Obliegenheiten oft als Gebote oder Pflichten des eigenen Interesses bezeichnet werden60 .
1. Ursprung der These Der eigentliche Ausgangspunkt hierfür ist – neben dem Begriff des „Verschuldens gegen sich selbst“ bei Zitelmann und dem Begriff der „Voraussetzung für einen dem Verpflichteten vorteilhaften Zustand“ bei v. Tuhr – letztlich schon bei Siber zu finden, obwohl er Obliegenheiten zunächst nicht explizit als solche behandelte 61. Siber nahm in seiner Untersuchung zum Rechtszwang an, dass man von Pflichten (bereits nur im untechnischen Sinne) lediglich dann sprechen dürfe, wenn ihre Verletzung zu Schadensersatz verpflichte, nicht auch bei anderen Nachteilen, z. B. Verwirkung (vgl. § 777 S. 1 BGB, § 377 HGB) oder dem Eintritt der unbeschränkten Erbenhaftung bei Nichterrichtung des Inventars (gem. 57
S. o., S. 37 ff., 197 ff. Möller (1939) S. 11; Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 6; Theda, MDR 1970, S. 476; Möller, VVR 3 (1977) S. 109; Messerschmidt (1986) S. 78; Larenz, SchR I14 (1987) S. 540; Neumann (1989) S. 3; Sieg, VVR 3 (1994) S. 510; MünchKomm 3/Grunsky (1994) § 254 BGB, Rn. 3; Hofmann, VVR4 (1998) S. 138; MünchKomm4/Kramer (2001) Einleitung vor § 241 BGB, Rn. 49; MünchKomm4/Oetker (2001) § 254 BGB, Rn. 4; Prang (2003) S. 66; JurisPK-BGB2/Toussaint (2004) § 241 BGB, Rn. 17; Jauernig12/Mansel (2007) § 241 BGB Rn. 13; Terbille/Terbille MAH VR 2 (2008) § 2, Rn. 201; BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25; HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 8. 59 So z.B. Klingmüller, Landesreferat Deutschland, in Materialien (1967) S. 76; SchmidtHollburg (1991) S. 10, der allerdings grundsätzlich die Rechtszwangtheorie befürwortet; Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 111, Rn. 176. Deutlich differenzierter – wenn auch nicht voll überzeugend – Bischoff, VersR 1972, S. 799 f.: für Anzeige- und Aufklärungspfl ichten sieht er ein alleiniges Interesse des Versicherers, hingegen für andere Obliegenheiten das alleinige Interesse des VNs, da er „als vernünftiger Mensch das . . . geforderte Verhalten zum eigenen Schutz und im besonderen Maße beobachten würde, wenn er nicht versichert wäre“ – er ist aber nun einmal versichert und mindestens dadurch entsteht (wenigstens auch) ein Interesse des Versicherers an Einhaltung der Obliegenheiten. 60 Z. B. Esser, SchR4 (1970) § 5, S. 32; Esser/Schmidt (1995) S. 113; Knappmann (1997) S. 262; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145; Erman/Werner (2000) Einl. § 241 BGB, Rn. 32; Larenz/ Wolf, AT (2004) S. 234 f., Rn. 36; Huber in Staudinger/Eckpfeiler (2005) S. 120; Grunewald, BR7 (2006) S. 59, Rn. 6. 61 Zu Zitelmann, v. Tuhr und Siber genauer s. o., S. 137 ff. 58
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§§ 1993 ff. BGB). Der Gesetzgeber wie das Interesse des anderen (des Bürgen, Verkäufers, Nachlassgläubigers) verlangten ein entsprechendes Handeln nicht. Sogar wäre ihnen häufig die Versäumnis viel lieber, weil dann die Rechtsfolge – Bürgen-, Sachmängelhaftung bzw. beschränkte Erbenhaftung – nicht eintrete 62 . Für die bis heute hinsichtlich ihres Pflichtengrades thematisierten und überwiegend als Obliegenheiten angesehenen Beispiele bei Siber mag dieser Gedanke gerade noch akzeptabel sein63 . Keinesfalls aber für die von Siber nicht behandelten versicherungsrechtlichen Obliegenheiten. Ein Versicherer schließt Verträge (hoffentlich) nicht in der vordergründigen Erwartung, der Versicherungsnehmer werde Obliegenheiten verletzen, die zur Leistungsfreiheit führen! Schon Ehrenzweig meinte mit Bezug auf die Behauptung Brucks, die Stellung des Versicherers werde durch Obliegenheitsverletzungen verbessert, zu Recht, dass „eine solche ‚Verbesserung‘ seiner Stellung dem Versicherer geschäftspolitisch unmöglich erwünscht sein“ könne 64 . Wie allgemein für die Voraussetzungstheorie gilt auch im speziellen für ihr Hauptschlagwort vom (alleinigen) Interesse des Obliegenheitsbelasteten, dass bereits dessen Ursprung und die heutige Ansicht schlecht zueinander passen.
2. Aktuelle Widersprüche Die heute herrschende Lehre behauptet also, die Erfüllung von Obliegenheiten liege im Interesse des damit Belasteten, insbesondere des Versicherungsnehmers. Mindestens überwiegend in seinem Interesse soll die Befolgung der Obliegenheiten liegen, da nur ihm bei Verletzung dieser Verhaltensnormen ein Nachteil drohe 65 . Wie bereits geschildert sah hingegen R. Schmidt die Obliegenheiten als grundsätzlich im Interesse beider Seiten auferlegte Pflichten an und ihm sind 62
Siber, Rechtszwang (1903) S. 40 ff., 66 ff.; verkürzt Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 68. Dass der andere Teil sehr wohl ein Interesse an der Erfüllung der jeweiligen Pflichten habe, hat bereits R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 185, 187 ff., 193, 195 f., 203 usw. detailliert ausgeführt. 64 Ehrenzweig, VVG§ (1952) S. 152 Fn. 152. Vgl. hingegen Arndt, NJW 1965, S. 28 und Kramer, NJW 1972, S. 1974: Die Regelung des § 7 Abs. 5 AKB verleite den Versicherer dazu, nach falschen Angaben des VN zu suchen, um sich der Erfüllung von an sich berechtigten Forderungen zu entziehen. 65 Für die ältere Literatur insb. Planck/Siber (1914) S. 27; Kisch II (1920) S. 179 und Bruck, ZVW 26 (1926) S. 189 und ders., PrivatversR (1930) S. 282; Heck, SchR (1929) S. 46; Möller (1939) S. 11 – heftig gegen Bruck polemisierend dagegen Ehrenzweig, ZVW 31 (1931) S. 368 f.; kritisch auch Frank (1933) S. 31. Die neuere überwiegende Literaturmeinung bereits s. o., Fn. 58 und 59. 63
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darin einige gewichtige Stimmen im allgemeinen Zivilrecht gefolgt 66 . Teilweise wird durchaus vertreten, dass Obliegenheiten – wie „echte“ Pflichten – nur im überwiegenden Interesse des anderen Teils auferlegt werden67.
a) Schaden im versicherungstechnischen Sinne Betrachtet man die Interessenlage hinsichtlich der Erfüllung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, so kann man nur scheinbar glauben, diese läge nicht im Interesse des Versicherers, da seine Interessen durch die Leistungsfreiheit gewahrt seien bzw. er keinen Schaden habe68 . Dies ist schon dann nicht korrekt, wenn im konkreten Fall trotz Obliegenheitsverletzung kein Rechtsverlust eintritt 69. Letztlich handelt es sich bei diesem Argument um das Gegenstück zu dem Grundgedanken der Schadensversicherung, dass also der Versicherungsnehmer aufgrund der Versicherung (letztlich) keinen Schaden haben soll. Dabei verwendet man jedoch einen versicherungstechnischen Schadensbegriff, der mit dem natürlichen vorrechtlichen Schadensbegriff 70 der §§ 249 ff. BGB nur teilweise kompatibel ist. Versicherungsschaden ist nur das, was man versichert hat71. Dieser muss mit dem tatsächlich entstandenen Schaden nicht identisch sein.
66 Vor ihm für das Versicherungsvertragsrecht schon Höxter (1934) S. 9 und H. Schmitt (1939) S. 12–14. Nach R. Schmidt nahmen eine geteilte Interessenlage ebenfalls an: Ballerstedt, Besprechung R. Schmidt (1958) S. 81 ff.; Enneccerus/Lehmann (1958) S. 14; Eichler 2 (1976) S. 39; Soergel12/Teichmann (1990) § 241 BGB, Rn. 8; Hartwig (1993) S. 258 f.; Fikentscher, SchR9 (1997) S. 52; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 31, Rn. 44. Vgl. auch noch R. Schmidt, NVersZ 1999, S. 404 zu § 62 VVG. 67 Ausdrücklich gegen die h.L. und selbst gegen R. Schmidt z. B. Bischoff, VersR 1972, S. 801 f.; Schürmann (1972) S. 21–23; Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 37. So vor R. Schmidt auch schon Haymann, VersArch 1933–34, S. 965 ff. 68 In diesem Sinne bereits Kisch II (1920) S. 181; Bruck, PrivatversR (1930) S. 280; Heerbach (1930) S. 26. Ähnlich auch Schmidt-Hollburg (1991) S. 10; Hartmann (1997) S. 92. Differenzierter, aber letztlich ebenfalls als widersprüchlich abzulehnen: Stange (1995) S. 11, der zwar das gemeinsame Interesse von VN und Versicherer an der Schadensabwendung und -minderung zugesteht, jedoch habe der Versicherer kein Interesse an der klagweisen Geltendmachung, da er ja leistungsfrei werde und ihm kein Schaden entstehe. 69 S. o., S. 207 ff. 70 Vgl. zu diesem Lange/Schiemann, Schadensersatz3 (2003) S. 38. 71 Statt Vieler Weyers, VVR 2 (1995) S. 167 f. mwN.
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b) Notwendige Unterscheidung zwischen der Interessenlage vor Auferlegung von Obliegenheiten und danach Es ist sehr künstlich, für die Beurteilung der Interessenlage ausschließlich die Situation bei Erfüllung oder Nichterfüllung der Obliegenheit in den Vordergrund zu stellen, was aber genau in der Literatur und Rechtsprechung geschieht. Dabei wird das eigentliche, ursprüngliche Interesse, welchem durch gesetzliche oder vereinbarte Rechtsfolgen entsprochen werden soll, zu Lasten desjenigen Interesses vernachlässigt, welches erst durch die Rechtsfolgen geweckt wird. Dieses Problem wird erstaunlich selten gesehen 72 . Gleichzeitig wird der Unterschied zwischen den Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S. verdeckt. Wie bereits in § 3 dargelegt wurde, bestehen ganz erhebliche Unterschiede zwischen den dort differenzierten Tatbeständen. (1) Ursprüngliche Interessenlage bei Obliegenheiten i. e. S. Es fragt sich, wie die Auferlegung einer Verhaltenspflicht mit so gravierenden Rechtsfolgen wie beispielsweise dem Anspruchsverlust bei ihrer Nichtbefolgung zu rechtfertigen sein sollte, wenn es kein mindestens erhebliches, wenn nicht überwiegendes Interesse der anderen Seite, insbesondere des Versicherers, daran gäbe. Ähnlich hat diesen Gedanken schon Leonhardt im Zusammenhang mit der Haftung des Versicherungsnehmers für Dritte ausgesprochen: wo es an einem Interesse des Versicherers an der Erfüllung von Verhaltensnormen fehlt, besteht auch kein Bedürfnis nach einer Haftungserweiterung auf seine sog. Repräsentanten73 . Außerdem darf man schon deshalb nicht immer nur die Erfüllung der Obliegenheiten im Blick haben, da durch deren vertragliche Auferlegung auch weitere, insbesondere verhaltenssteuernde Ziele verfolgt werden können. Man muss sich aber auch fragen, welches Interesse der Obliegenheitsbelastete selbst an der Auferlegung von seine Bewegungsfreiheit, insbesondere seinen wirtschaftlichen Spielraum oftmals empfindlich einschränkenden Verhaltensnormen haben sollte74 . Der Belastete hat doch in der Regel erst nach der Auferlegung der Verhaltensanforderung ein Interesse an deren Erfüllung, weil ihm nun die Sanktion für die Nichterfüllung droht.
72 Wohl aber etwa von Heukeshoven (1938) S. 38; Bischoff, VersR 1972, S. 801 f. und Röhr (1980) S. 12 speziell für die vorvertragliche Anzeigepfl icht. 73 Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 52. 74 So treffend Schürmann (1972) S. 22. Ähnlich bereits Oberbach, AVB II (1949) S. 43 und jüngst nun auch Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 37.
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Ganz deutlich sprach es jüngst auch der BGH aus: „die den Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung innewohnende Verwirkungsregelung [ist] allein in seinem [= des Versicherers] Interesse geschaffen worden“75 ! Wenn aber die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten im mindestens grundsätzlichen Interesse des Versicherers auferlegt werden und es neben dem Gesetz auch gerade seine Versicherungsbedingungen sind, die überhaupt diese Verhaltensregeln fordern, dann fragt es sich, warum er sich mit „unechten“ oder „minderen“ Pflichten begnügen sollte. Gesetz oder Vertrag legen die Verletzungsrechtsfolgen sowohl bei „echten“ Pflichten, als auch bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers fest, um in erster Linie zur Erfüllung der Pflichten anzuhalten. Es erscheint unlogisch, die Interessen des Versicherers zu negieren. In erster Linie geht es doch darum, dass der Vertrag durchgeführt, die Gleichgewichtslage des Versicherungsverhältnisses hergestellt und nicht gestört wird76 . Für die Rechtsfolge Leistungsfreiheit wurde im Übrigen darauf hingewiesen, dass dieses Druckmittel nicht nur typischerweise als Sanktion von Obliegenheiten, sondern auch bei Nichterfüllung von Rechtspflichten eingesetzt werde – worin sollte dann aber eine unterschiedliche Interessenlage begründet sein77? Das Interesse der Versicherer ist auch überdeutlich – wenn man nicht zynisch davon ausgeht, dass sie Verträge (über die AVB) nur zu dem Zweck mit vielen Obliegenheiten versehen, dass sie nach Möglichkeit die Versicherungsleistung nicht erbringen müssen78 . Jedenfalls wird in der versicherungsrechtlichen Literatur die Auferlegung von Obliegenheiten nie so begründet79. (2) Situation nach Auferlegung der Obliegenheit i. e. S. Der andere Teil hat also durchaus auch ein Interesse an der Erfüllung von Obliegenheiten, aber eben nur bei den Obliegenheiten i. e. S., die in erster Linie wegen genau dieses Interesses auferlegt werden. So hat bei Informationspfl ichten 75
BGH vom 26. 1. 2005, NJW 2005, 1186. So schon Frank (1933) S. 31. 77 Schirmer, r+s 1999, S. 2. 78 Bereits Heukeshoven (1938) S. 21 meinte treffend, die Behauptung Kischs und Brucks, dass der Versicherer kein Interesse an der Erfüllung habe, weil seine Stellung durch Nichterfüllung verbessert werde, sei eine „sonderliche Auffassung vom Wesen eines Vertrages und insbesondere eines Versicherungsvertrages.“ Gegen diese Auffassung auch schon Ehrenzweig, VVR (1935) S. 281. Oberbach, AVB II (1947) S. 40 und Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 70 betonten, dass der Versicherer aufgrund kaufmännischer Notwendigkeiten vielmehr Wert auf dauerhafte Geschäftsbeziehungen legen muss. 79 Allerdings erwähnte schon Loppuch, JRPV 1937, S. 134 die „in Laienkreisen verbreitete und nicht selten auch bei Juristen anzutreffende Ansicht“, dass diese Obliegenheiten „nur ein System von Fallstricken“ seien. Zu Recht betont er aber im Anschluss daran die wichtigen Funktionen dieser Verhaltensanforderungen, die vor allem auch im Interesse der Versichertengemeinschaft auferlegt werden. 76
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der andere Teil ein großes Interesse an deren Erfüllung, denn (nur) für ihn sind ja die Informationen von Bedeutung. Hier ist auch durchaus daran zu denken, dass ein Rechtsschutzinteresse und damit eine Klage in einzelnen Fällen denkbar sind80 . Im Versicherungsvertragsrecht sollte man sicher die Interessen der Gefahrengemeinschaft an der Erfüllung der Obliegenheiten durch den einzelnen Versicherungsnehmer bedenken – auch wenn der Gedanke aus einer finsteren Zeit stammt81. Selbstverständlich kann auch der Obliegenheitsbelastete, unabhängig von der angedrohten Sanktion, selbst ein Interesse an der Erfüllung einzelner Obliegenheiten haben. So ist die Anzeige des Versicherungsfalles (§ 33 VVG a. F. bzw. § 30 VVG 2008) grundsätzlich im Interesse des Versicherungsnehmers, will er überhaupt die Versicherungsleistung erlangen; im Interesse des Versicherers dagegen ist es, dass diese Anzeige unverzüglich geschieht. (3) Andere Interessenlage bei Obliegenheiten i. w. S. Hingegen bei Obliegenheiten i. w. S., wie §§ 10 und 12 VVG a. F. 82 sowie den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten oder den Obliegenheiten des Unterhaltsrechts, hat der Begünstigte nur ein Interesse an der Auferlegung der entsprechenden Verhaltensanforderungen. Die Erfüllung wird ihm hingegen mindestens gleichgültig (Unterhaltsrecht) oder sogar die Nichterfüllung lieber sein (§ 12 VVG a. F.; Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten). Das Argument der herrschenden Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorien vom „eigenen Interesse“ trifft also nur begrenzt für die Obliegenheiten i. w. S., nicht jedoch für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und die Mitwirkungsobliegenheiten des Gläubigers zu.
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Genauer dazu s. u., S. 244 ff., 248 f. Vgl. Bornmann, JRPV 1934, S. 65. Für die Zeit, in der er schrieb, beachtlich Heukeshoven (1938) S. 35, der darauf hinwies, dass die Interessen der Versichertengemeinschaft ihre Schranken aber in den Belangen des einzelnen Versicherungsnehmers finden – danach folgt allerdings eine stramm nationalsozialistische Stellungnahme zum grundsätzlichen Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Volksgemeinschaft (entsprechend der „heutigen geläuterten Rechtsauffassung“). Abwegig dann sein Argument, dass dennoch nicht jedem Angehörigen dieser Gemeinschaft ein schuldrechtlicher Erfüllungsanspruch gegeben sei, weshalb der Versicherer nicht die Erfüllung fordern könne, a.a.O., S. 36. Später betonten die Interessen der Gefahrengemeinschaft auch Staudinger11/Weber (1967) Einl vor § 241 BGB, Rn. M 5; Sackmüller (1994) S. 113. 82 Dazu schon s. o., S. 46 und 49. 81
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c) Inkonsequenz der h.L. Trotz des von der Literatur behaupteten, zumindest überwiegenden Interesses des Belasteten an der Erfüllung seiner Obliegenheiten wird denn auch von Vertretern der Voraussetzungstheorie im Versicherungsrecht an anderer Stelle ihrer Darstellungen feinsäuberlich differenziert, ob auferlegte Obliegenheiten der Information des Versicherers über gefahrerhebliche Umstände, seiner Einschätzung des zu versichernden Risikos oder insbesondere der Gefahrverhütung83 dienen. Wodurch aber sollten die Interessen des Versicherers – auch an deren Erfüllung – noch deutlicher werden? Tatsächlich gebrauchte schon R. Schmidt genau diese Erwägung, um die Interessen des Versicherers und damit die beidseitigen Interessen zu bejahen84 . Der Widerspruch, einerseits alleiniges Interesse des Obliegenheitsbelasteten zu behaupten und andererseits Interessen des anderen Teils selbst zuzugeben, scheint der herrschenden Lehre des Versicherungsrechts bisher nicht recht aufgefallen zu sein85 .
3. Resümee zum Thema Interesse und Exkurs zu Argumentationsmustern (Interessen- und Begriffsjurisprudenz) Nach alledem ist die Behauptung abzulehnen, dass die alleinigen oder überwiegenden Interessen des Belasteten typisch für Obliegenheiten seien. Es ist irreführend, von „Pflichten im eigenen Interesse“ zu sprechen. Die Interessenlage ist vielmehr bei Obliegenheiten i. e. S. und anderen, „echten“ Nebenpflichten grundsätzlich gleich. Das Herumgeistern des Interessenargumentes, die gebetsmühlenartig wiederholte, selten ernsthaft begründete und vor allem falsche Behauptung, dass es im Wesen der Obliegenheit liegen würde, eine Pflicht (nur) im eigenen Interesse zu sein, existiert auffälligerweise etwa seit der „Erfindung“ der Interessenjurisprudenz durch Heck86 . Daher ist es nicht ohne Ironie, dass dagegen von Vertre83 Nachweise s. o., S. 38 ff. und S. 197 ff. Für Gefahrverhütung z. B. Möller, ZVW 57 (1968) S. 60 und S. 68: die meisten Gefahrverhütungsmaßnahmen ergreife der Privatversicherer im eigenen Interesse – das geschieht aber in der Regel gerade durch die Auferlegung von Obliegenheiten. 84 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 132 f. 85 Vorgehalten wurde es aber ähnlich schon von Hartwig (1993) S. 258 f., der selbst die Verbindlichkeitstheorie vertritt. Für ein „Handeln im Fremdinteresse“ auch Schulze (2008) S. 347. 86 Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung (1912); Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz (1914); Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1934); basierend insbesondere auf v. Jhering, Geist des römischen Rechts III/1 (1865) und ders., Der Zweck im Recht Bd. 1 (1877), Bd. 2 (1883). Auf Heck bezieht sich im Zusammenhang mit den Obliegenheiten sogar ausdrücklich Heukeshoven (1938) S. 14 Fn. 1.
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
tern der Verbindlichkeitstheorie wiederholt der – wie sich gezeigt hat – treffende Vorwurf erhoben worden ist, dass der Umgang der Voraussetzungstheorie mit den Obliegenheiten Begriffsjurisprudenz (!) sei87 Der Vorwurf wurde auch gelegentlich (von Bruck) an die Verbindlichkeitstheorie zurückgegeben 88 , Henß hingegen teilt das „Urteil“ Begriffsjurisprudenz an alle Theorien zum Pflichtencharakter der Obliegenheiten aus89, entgeht seinerseits aber dem Vorwurf auch nicht90 . Unabhängig davon, wie man zu diesen beiden allgemeinen Rechtstheorien steht91 – die Voraussetzungstheorie baut eines ihrer Hauptargumente jedenfalls nur scheinbar bzw. rein terminologisch auf der Interessenjurisprudenz auf, jedoch nicht inhaltlich. Eine Erklärung dafür ist wohl der Anfang des 20. Jahrhunderts nicht gerade gute Ruf der Pandektenwissenschaft – die sich aktuellen Problemen oftmals entzog92 – und ihrer sog. Begriffsjurisprudenz. Insofern hatte eine dagegen gerichtete Berufung auf die Interessen der Parteien besonders leichtes Spiel. Gleichzeitig waren aber eben auch die Vertreter der Voraussetzungslehre ihrer juristischen Ausbildung verhaftet, sodass sie letztlich Begriffsjurisprudenz im schlechten Sinne betrieben. Ein nur scheinbar anderer Vorwurf, der der Voraussetzungstheorie von Vertretern der Verbindlichkeitstheorie gemacht wurde, ist der der Unvereinbarkeit der Voraussetzungstheorie mit „der nationalsozialistischen Auffassung“93 . Gemeint ist damit aber fast das Gleiche, da im sog. Dritten Reich generell die „pandektistische Begriffsjurisprudenz“ zugunsten der Interessenjurisprudenz (im Sinne von Interessen des deutschen Volkes etc.) verteufelt wurde. Man sollte nun aber nicht die Vertreter der Verbindlichkeitstheorie als besonders schlimme Nazis ansehen. Vielmehr sind sowohl die Argumentation der Voraussetzungstheorie mit den angeblich nur eigenen Interessen, als auch beide gegen diese Theorie erhobenen Vorwürfe, bezeichnende Versuche, jeweils mit „modernen“ Argumenten gegen eine übermächtige „alte“ h. M. anzugehen.
87 Sinngemäß wurde der Vorwurf schon von Künneth (1912) S. 30 erhoben; noch deutlicher Rabel, VersArch 1937/38, S. 716; v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 1 (1937) S. 31 Fn. 4 und S. 117; Bd. 2 (1947) S. 151; Weyers (1974) S. 447. 88 Zitiert bei Arens (1940) S. 23. 89 Henß (1988) S. 66. 90 Staudinger13/J. Schmidt, Einl. vor § 241 BGB, Rn. 287. 91 Dazu wurde schon Einiges geschrieben. Scharf kritisch noch jüngst Rittner, FS Nörr (2003) S. 813: Heck habe „seinen Popanz der Begriffsjurisprudenz i. S. eines ‚deduktiven Systems‘“ aufgebaut, der Generationen von Juristen irreleitete. Deutlich positiver zu Heck und der Interessenjurisprudenz fällt etwa das Urteil von Schapp, JuS 1992, S. 538 aus. Ausführlich Haferkamp (2004) insb. S. 26 ff., 78 ff. 92 Vgl. Ogorek (1975) S. 69 und auch Rückert, ZRG GA 125 (2008) S. 208: die „Kritiker verwerfen damit den Stolz der deutschen und europäischen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts“ und zwar mit einem „Zerrbild“, der „Begriffsjurisprudenz“. 93 Vgl. Arens (1940) S. 9 mwN in Fn. 20.
III. Angeblich schwächere Sanktion
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III. Angeblich schwächere Sanktion Im Anschluss an R. Schmidt94 und meist ausdrücklich auf ihn gestützt wurde von Vertretern seiner Obliegenheitstheorie aber auch von Vertretern der herrschenden Voraussetzungslehre wiederholt betont, die Obliegenheiten hätten eine gegenüber den echten Verbindlichkeiten oder Rechtspflichten mindere (Zwangs-)Intensität95 bzw. abgeschwächte Sanktion, da die Verletzungsrechtsfolge nicht in Klagbarkeit oder Schadensersatz bestünde96 . Der Anspruchsverlust als mindere Sanktion genüge insbesondere den Interessen des Versicherers und der Versichertengemeinschaft. Weitergehende Rechtsfolgen eines Obliegenheitsverstoßes des Versicherungsnehmers seien nicht erforderlich97. Auch mache es einen erheblichen Unterschied, ob „lediglich ein bestehender Anspruch des Obliegenheitsbelasteten erlischt oder ob gegen den Obliegenheitsbelasteten ein Schadensersatzanspruch neu begründet wird, auch wenn die wirtschaftlichen Auswirkungen ähnlich sein mögen“98 . Diese Argumentation ist allerdings mehr als fraglich und hier bereits im Zusammenhang mit der Darstellung R. Schmidts kritisiert worden99. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob bei Obliegenheitsverletzung wirklich nie Klagbarkeit oder ein Schadensersatzanspruch gegeben ist100 – welche Rechtsfolge sollte für einen Versicherungsnehmer denn noch stärker sein, als der Verlust des ihm an sich zustehenden Versicherungsanspruchs? Würde es umgekehrt dem Versicherer mehr nützen, wenn er auf Einhaltung der Obliegenheiten klagen könnte bzw. einen Schadensersatzanspruch hätte oder ist ihm mit dieser angeblich minderen Rechtsfolge nicht viel besser gedient? Mit anderen Worten: Der Versicherer ist nicht wie sonst bei Regelverletzungen des Vertragspartners darauf angewiesen, Schadensersatz zu verlangen und notfalls sein Recht bei Gericht zu suchen, sondern er kann es unmittelbar durchsetzen101. 94
Vgl. neben der großen Untersuchung z. B. auch R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 83. Klingmüller, Landesreferat Deutschland, in: Materialien (1967) S. 76 f.; Möller, ZVW 57 (1968) S. 68; Möller, VVR 3 (1977) S. 109; Soergel12/Teichmann (1990) vor § 241 BGB, Rn. 7; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145; Erman11/Westermann (2004) Einl § 241 BGB, Rn. 24; BeckOK Bamberger/Roth/Sutschet (Stand 1. 2. 2009) § 241 BGB, Rn. 25; Schulze (2008) S. 4, 288, 346. 96 Enneccerus/Lehmann (1958) S. 14; Schürmann (1972) S. 31 ff.; Schaer (1972) S. 47 f.; Wieling, in: AcP 176 (1976) S. 346, Fn. 48; Th. Honsell, in: HdV (1988) S. 1197; Sieg, VVR 3 (1994) S. 510; Leonhardt (1999) S. 76; MünchKomm4/Kramer (2001) Einleitung vor § 241 BGB, Rn. 49; Larenz/Wolf, AT (2004) S. 235, Rn. 36; Terbille/Terbille MAH VR 2 (2008) § 2, Rn. 201 („nur Verlust bzw. . . . Verschlechterung der eigenen Rechtsposition“). 97 So Klingmüller, Landesreferat Deutschland, in: Materialien (1967) S. 77. 98 Schmidt-Hollburg (1991) S. 12. Dass die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung sogar nachteiliger als eine Schadensersatzpflicht sein können, gesteht für die Versichererobliegenheiten auch Sieg, VersR 1992, S. 2 zu. 99 S. o., S. 13 f. 100 Dazu später genauer, s. u., S. 242 ff. 101 So treffend Weyers, VVR 3 (1995) Rn. 315. 95
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
Der Gedanke, dass sich Versicherer freiwillig mit „minderen“ Pflichten begnügen würden, ist wenig überzeugend – denn gerade ihre AVB erlegen doch die meisten Obliegenheiten auf. Im Übrigen erhöht schon prinzipiell, also bei anderen, sog. „echten“ Rechtspflichten ein Schadensersatzanspruch nicht unbedingt und immer die gegenüber dem Verpflichtenden intendierte Zwangswirkung102 . Auch aus diesem Grunde ist das Fehlen eines Schadensersatzanspruchs kein Gradmesser für die Schwere der Sanktion. Die Rechtsprechung hat im Zusammenhang mit der Einschränkung des Alles-oder-Nichts-Prinzips mehrfach festgestellt, dass es sich bei der Leistungsfreiheit des Versicherers um die „einschneidenste Sanktion . . ., die den Umständen nach überhaupt denkbar ist“103 handelt, um eine „Strafbestimmung von außerordentlicher Schärfe“104 . Auch in der Literatur wird seit R. Schmidt105 mit den verschiedensten Erwägungen die unsinnige Einordnung der Rechtsfolge als weniger schwerwiegend zunehmend in Frage gestellt bzw. abgelehnt: Zum Teil fand man die Bezeichnung als mindere Sanktion „mindestens problematisch“106 . Andere sahen die Nachteile gegenüber einem Schadensersatzanspruch sogar als schwerwiegender an107. Hartwig nennt das Abgrenzungskriterium der Sanktionsschwere „nicht aus sich heraus verständlich“ und stellt fest, dass die verschiedenen Sanktionsarten „letztlich zum gleichen Ergebnis“ führen108 . Schirmer meint, dass der drohende Verlust des Leistungsanspruchs ein hervorragendes Druckmittel sei, um den Versicherungsnehmer zu dem gesetzlich oder vertraglich geschuldeten Verhalten anzuhalten109. Deutsch weist zu Recht darauf hin, dass auch der psychologische Zwang erheblich sein kann110 . Lorenz/Wandt sprechen von Nachteilen 102 In anderem Zusammenhang, nämlich mit Schutzpfl ichten überzeugend Stürner, JZ 1976, S. 389. Ähnlich für die Obliegenheiten Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 57 und S. 74, 77. 103 BGH vom 13. 11. 1980, BGHZ 79, 6 (11); BGH vom 19. 9. 1995, VersR 1996, 835 (836) – wo die Leistungsfreiheit als zu einschneidende Sanktion bei nur fahrlässiger, nicht kausaler Obliegenheitsverletzung abgelehnt wurde. 104 BGH vom 11. 2. 1987, BGHZ 100, 60 (63) zur Anzeigepflicht bei Veräußerung der versicherten Sache; vgl. auch schon BGH vom 5. 5. 1969, NJW 1969, 1385 (1386) bei nicht relevanter Obliegenheitsverletzung zur Aufklärung nach Eintritt des Versicherungsfalles sei die vertraglich vorgesehene Strafbestimmung (!) der Verwirkung im krassen Missverhältnis zum Verstoß. 105 Nachweise der älteren Auffassung s. o., S. 13 f. 106 Hanau, AcP 165 (1965) S. 238. 107 Schürmann (1972) S. 117; ähnlich auch Messerschmidt (1986) S. 79 und Bruck/Möller/ Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 45 im Anschluss an Prölss/Martin4/Prölss (2004) § 6 VVG, Rn. 30 a. 108 Hartwig (1993) S. 257, vgl. auch S. 262. 109 Schirmer, r+s 1999, S. 2. Ähnlich auch Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 196 und Rolfs (2000), S. 514 f. 110 Deutsch, VVR4 (2000) S. 145, Rn. 195. Ähnlich schon Staudinger11/Weber (1967) Einl. vor § 241 BGB, Rn. M 1, S. 179: „für den ‚Verpflichteten‘ aber uU sehr spürbar“.
IV. „Nicht widerrechtlich“
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„bis hin zum Verlust des Versicherungsschutzes“111 und Bukow sogar „bis zur Vernichtung der Existenz des VN“112 . Schimikowski vergleicht die „normale“ privatrechtliche Konfliktlösung mit der versicherungsrechtlichen, welche im Gegensatz zur ersteren besonders gravierende Folgen bereit halte113 . Die aufgeführten Überlegungen derer, die sich näher mit der Behauptung angeblich schwächerer Sanktion auseinandergesetzt haben, sind an sich einleuchtend, werden dennoch nicht überall zur Kenntnis genommen. Die angeblich „schwächere“ Sanktion brauchte R. Schmidt aber nur, um die Obliegenheiten, welche er zwar als Rechtspflichten ansah, aber eben doch nicht als „echte“, irgendwie von den „echten“ Rechtspflichten abzugrenzen. Eine weitere Funktion hat diese (falsche) Behauptung nie gehabt.
IV. „Nicht widerrechtlich“ Seit R. Schmidt wird teilweise unterschieden, dass Obliegenheitsverletzungen nur „rechtlich missbilligt“ oder „analog rechtswidrig“ seien, im Gegensatz zu „rechtswidrigen“ Pflichtverletzungen114 . Bei R. Schmidt stand dies im Zusammenhang mit seiner bereits oben abgelehnten, exzessiven Heranziehung des Prinzips eines venire contra factum proprium115 . Beispielsweise bei einem nach § 254 BGB zu berücksichtigenden Mitverschulden sei nicht die Selbstschädigung rechtswidrig, sondern die Geltendmachung des vollen Schadensersatzanspruches rechtlich missbilligt116 . Diese Unterscheidung wurde aber von Anfang an auch in der Literatur kritisiert117. Teilweise wird heute festgestellt, dass die Obliegenheitswidrigkeit der Rechtswidrigkeit „entspreche“118 .
111 Lorenz/Wandt, Einleitung (2001) S. XXX. Vgl. auch Weyers 3 /Wandt (2003) S. 111 Rn. 420, wo im Zusammenhang mit dem Alles-oder-Nichts-Prinzip darauf hingewiesen wird, das die „scharfe Sanktion außer Verhältnis zum Unrechtsgehalt der Obliegenheitsverletzung“ stehe. 112 Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 73. 113 Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 110. Die gravierenden Folgen sind auch das Hauptargument bei Sackhoff (1994) S. 114. 114 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) insb. S. 318; Ballerstedt, Besprechung R. Schmidt (1958) S. 84; Staudinger11/Weber (1967) Einl vor § 241 BGB, Rn. M 24; Wieling, AcP 176 (1976) S. 345; Wolf, SchR I (1978) S. 24 f.; Medicus, FS Niederländer (1991) S. 330; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 194 ff.; MünchKommBGB4/Kramer (2001) Einl § 241 BGB, Rn. 49; Erman11/Westermann (2004) Einl § 241 BGB, Rn. 24. 115 Vgl. dazu s. o., S. 14 f. 116 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 109. 117 Esser, Besprechung (1955) S. 52. 118 Deutsch, VVR4 (2000) S. 146. Ähnlich schon Medicus, FS Niederländer (1991) S. 330: es könne keinen Unterschied machen, ob eine Verletzung rechtswidrig oder „bloß obliegenheitswidrig“ sei.
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Tatsächlich ist nicht ersichtlich, dass die Differenzierung zwischen Widerrechtlichkeit von Pflichtverletzungen und Obliegenheitswidrigkeit inhaltlich von Bedeutung wäre. In der Praxis hat sie keine Konsequenzen. Vielmehr ging und geht es nur darum, angebliche Unterschiede zwischen Obliegenheiten und „echten“ Rechtspflichten zu konstruieren. Daher wird hier auf eine genauere Auseinandersetzung verzichtet.
V. „Erfüllung im Belieben des Verpflichteten“ Wiederholt wurde als weiteres Abgrenzungskriterium zwischen Rechtspflichten und Obliegenheiten als bloßen Voraussetzungen zum Anspruchserhalt angeführt, die Erfüllung von Obliegenheiten stünde ja im freien Belieben des Verpflichteten, während Rechtspflichten erfüllt werden müssten. Dem Obliegenheitsbelasteten stünde es hingegen frei, ob er seinen Anspruch behalten, oder als Verletzungsrechtsfolge diesen verlieren wolle119. Ähnlich ist auch die Argumentation Looschelders, Obliegenheiten würden auferlegt, weil es ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des „Berechtigten“ [gemeint ist der Obliegenheitsverpflichtete] zur Ausgestaltung seines eigenen Rechtskreises wäre, ihm ein Verhalten „unbedingt (kategorisch) zu gebieten oder verbieten“. Es müsse daher der eigenen Entscheidung des Berechtigten überlassen bleiben, ob er die in Frage stehenden Verhaltensnormen befolgen oder die angedrohten rechtlichen Nachteile in Kauf nehmen wolle120 . Letztlich ist dies nur eine Kombination der Behauptungen, dass die Nachteile der Obliegenheitsverletzung „schwächer“ seien121 und dass allein den Belasteten die Folgen träfen122 , weshalb es keine „echten“ Rechtspflichten seien. Da diese Annahmen bereits widerlegt wurden, soll hier nicht noch einmal detailliert darauf eingegangen werden. Die Erfüllung von Obliegenheiten steht genauso sehr oder genauso wenig im Belieben des Belasteten, wie die Erfüllung „echter“ Rechtspflichten – je nachdem, ob er sich den jedenfalls unangenehmen Rechtsfolgen aussetzen will oder nicht.
119 V. Buchka (1904) S. 47 f.; v. Tuhr, AT Bd. 1 (1910) S. 100; Enneccerus/Lehmann (1958) S. 14; Anli (1967) S. 123; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145; dagegen bereits Siber, Jh. Jb. 50 (1906) S. 85 Fn. 3. 120 Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 223. 121 Dazu s. o., S. 221 ff. 122 S. o., S. 214 ff.
VI. Die Belastung Dritter durch Obliegenheiten
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VI. Die Belastung Dritter durch Obliegenheiten – Verträge zu Lasten Dritter? Von Vertretern der Voraussetzungstheorie wird behauptet, es spräche gegen den Charakter versicherungsrechtlicher Obliegenheiten als echte Pflichten und damit für ihre eigene Lehre, dass es keine Verträge zu Lasten Dritter geben dürfte, es nach dem VVG aber dennoch Obliegenheiten zu Lasten Dritter gebe123 . Dagegen wird gelegentlich angeführt, die Vorschriften des VVG hätten Ausnahmecharakter und würden nicht als Belege für eine Theorie über den generellen Charakter der Obliegenheiten taugen124 . Manche Vertreter der Verbindlichkeitstheorie folgten sogar, um dem behaupteten Problem eines Vertrages zu Lasten Dritter zu entgehen, für die Obliegenheiten des mittels einer Versicherung auf fremde Rechnung Versicherten (ausnahmsweise) der herrschenden Voraussetzungslehre125 . Genau genommen handelt es sich bei dem Hinweis auf einen Vertrag zu Lasten Dritter, würde man der Verbindlichkeitstheorie folgen, um das einzige einigermaßen neue und auf den ersten Blick beeindruckende Argument der herrschenden Ansicht. Im Folgenden werden daher die typischen Vorschriften, die in diesem Zusammenhang genannt werden, näher untersucht.
1. Wechsel einer Vertragspartei Tatsächlich erlegte das Gesetz in § 71 Abs. 1 S. 1 VVG a. F., ohne einen konkreten Adressaten zu nennen, die Pflicht zur Anzeige der Veräußerung auf und bestimmt das Freiwerden des Versicherers von der Leistungspflicht (neben weiteren Voraussetzungen), wenn „die Anzeige weder von dem Erwerber noch von dem Veräußerer gemacht“ wurde. Es wurde wegen § 69 Abs. 1 VVG a. F., wonach der Erwerber in die Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers eintritt, zutreffend davon ausgegangen, dass auch der Erwerber zu dieser Anzeige verpflichtet sei. Präziser formuliert ist die neue Regelung in § 97 Abs. 1 VVG 2008. Der Sinn der Anzeigepflicht ist es, dem Versicherer das veränderte subjektive Risiko mitzuteilen und ihm die Möglichkeit der Kündigung zu eröffnen. Ihm 123 Bruck/Möller, Kommentar (1961) § 6 VVG, Anm. 8 a. E. und Anm. 11; Möller, VVR 3 (1977) S. 121 f.; Messerschmidt (1986) S. 77 f.; Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 15; Schmidt-Hollburg (1990) S. 10 f.; Menzel, Risikoausschlüsse (1991) S. 9; Ansätze bereits bei Bruck, PrivatversR (1930) S. 286 mit Fn. 35. 124 Weyers (1974) S. 460 f.; Sackhoff (1994) S. 111 f. 125 E. Prölss, VersR 1951, S. 119. Anders aber J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30.
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
soll nicht zugemutet werden, einen Vertragspartner zu haben, den er sich nicht selbst ausgesucht hat. Allerdings muss er sich innerhalb eines Monats nach Kenntnis der Veräußerung entscheiden (§ 70 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 96 Abs. 1 VVG 2008). Das gleiche Kündigungsrecht – aus entsprechenden Erwägungen, allerdings mit anderen Fristen – steht auch dem Erwerber zu (§ 70 Abs. 2 VVG a. F. bzw. § 96 Abs. 2 VVG 2008). Von einem „Vertrag“ zu Lasten Dritter kann jedoch schwerlich die Rede sein, denn es handelt sich um den gesetzlich bestimmten Wechsel einer Vertragspartei! Mit dem Eintritt des Erwerbers endet gerade das Vertragsverhältnis des ursprünglichen Versicherungsnehmers (§ 69 Abs. 2 VVG). Diesem werden nur einige weiter wirkende Pflichten durch das Gesetz auferlegt (vgl. §§ 69 Abs. 2, 71 Abs. 1 VVG a. F. bzw. §§ 95 Abs. 2, 97 Abs. 1 S. 1 VVG 2008). Der Erwerber wird hingegen – auf Grund der gesetzgeberischen Entscheidung – selbst Vertragspartei und ist somit nicht (belasteter) Dritter.
2. §§ 79, 179 VVG a. F. (§§ 47, 179 VVG 2008) – Vertrag zugunsten Dritter Als weitere, angeblich gegen die Verbindlichkeitstheorie und damit für die Voraussetzungstheorie sprechenden Beispiele werden Vorschriften aufgeführt, die Kenntnis und Verhalten des Versicherten dem des Versicherungsnehmers gleichstellen. Das sind z. B. bei Versicherungen auf fremde Rechnung § 79 Abs. 1 VVG a. F. (§ 47 Abs. 1 VVG 2008) und für die Unfallversicherung eines anderen auf eigene Rechnung des Versicherungsnehmers § 179 Abs. 4 VVG a. F. (§ 179 Abs. 3 VVG 2008), der u. a. auf § 79 VVG a. F. (§ 47 VVG 2008) verweist. Hierin sind weniger auferlegte Pflichten, als eher Zurechnungsvorschriften zu erkennen126 . Mit dieser Feststellung soll jedoch nicht zugunsten der Voraussetzungstheorie Stellung genommen werden, die entgegen ihren eigenen Ursprüngen127 die Figur des Wissenserklärungsvertreters entwickelte128 um zu einer Zurechnung im Rahmen von Anzeige- und Mitteilungsobliegenheiten zu kommen129. Denn auch in anderen Zusammenhängen sind Zurechnungsvorschriften bekannt, auch wenn es nicht immer Wissenszurechnung ist130 . 126 Auch R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 280 sah in § 79 Abs. 1 und 2 – neben dem gesetzlichen „Gesamtschuldtatbestand“ – eine Wissenszurechnungsbestimmung. 127 S. o., S. 161 ff. 128 Vgl. vor allem Möller, Verantwortlichkeit (1939) S. 25 ff. 129 In diesem Sinne aber Gruneke (1965) S. 114 f., der jede Verpfl ichtung des Versicherten ablehnt. Klingmüller, der eher der Voraussetzungstheorie zuneigt, nennt §§ 79 Abs. 1, 161 und 179 VVG als Beispiele für „gesetzliche Wissenszurechnung“, wobei nicht klar wird, ob zwischen grundsätzlicher Haltung und der Einordnung der genannten Vorschriften ein Zusammenhang besteht, vgl. Klingmüller, Landesreferat Deutschland, in Materialien (1967) S. 92. 130 Vgl. etwa § 39 AO oder § 51 Abs. 2 ZPO.
VI. Die Belastung Dritter durch Obliegenheiten
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Der Hintergrund für die gesetzliche Wissenszurechnung in § 79 VVG a. F. bzw. § 47 VVG 2008 ist darin zu sehen, dass dem Versicherer verschiedene Personen gegenüberstehen: der vertragsschließende Versicherungsnehmer sowie der im Versicherungsfall begünstigte Versicherte. Um den Versicherer dadurch nicht zu benachteiligen, macht es Sinn, auch das Verhalten des Versicherten zu berücksichtigen. Selbst wenn man das nicht so sehen will131, handelt es sich bei der Versicherung für fremde Rechnung jedenfalls um einen Vertrag zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) 132 . Dem Versicherten stehen gem. § 75 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 44 Abs. 1 VVG 2008 die Rechte aus dem Vertrag zu. Man kann – anstelle von Zurechnungsvorschriften – auch vertreten, dass das Gesetz (in § 79 Abs. 1 VVG a. F. bzw. § 47 Abs. 1 VVG 2008) dem Dritten bestimmte Pflichten auferlege133 , ohne damit für die Voraussetzungstheorie zu argumentieren. Denn es besteht zwar Einigkeit, dass durch Verträge einem unbeteiligten Dritten keine Verpflichtungen auferlegt werden dürfen134 . Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Lehren ist es aber durchaus zulässig, die Rechte eines aus einem Vertrag zugunsten Dritter Begünstigten aufgrund von Zweckmäßigkeitserwägungen von gewissen Voraussetzungen (! 135) abhängig zu machen136 . Unzulässig sind lediglich Verträge, die in eine bereits vorhandene, rechtlich geschützte Position des Dritten eingreifen137. Auf die Versicherung für fremde Rechnung bezogen heißt das, dass der Begünstigte den Versicherungsanspruch nur erwirbt, wenn (auch) er gewisse Obliegenheiten erfüllt, d. h. es wird nur die dem Versicherten zustehende Berechti-
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Wie Schirmer, FS R. Schmidt (1976) S. 826. Vgl. auch R. Schmidt, Schriftl. Generalreferat (1967) S. 47. Ausdrücklich für die Lebensversicherung (als einer gesetzlich geregelten Form der Versicherung auf fremde Rechnung) Larenz, SchR I (1987) S. 220 ff. und Medicus, SchR I16 (2005) Rn. 766. Prölss in Prölss27/ Martin (2004) § 75 VVG, Rn. 1 spricht von der Versicherung für fremde Rechnung als einer „eigenartigen Abwandlung des Vertrages zugunsten Dritter“. 133 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 280 spricht sehr anschaulich von „gesetzlichen Nebenwirkungen des Versicherungsvertrages“. Vgl. auch Schirmer, FS R. Schmidt (1976) S. 826. 134 Grundsätzlich und mit ähnlichem Ergebnis wie hier vertreten, wenn auch zum entsprechenden Problem der gesellschaftsrechtlichen Nachfolgeklausel (aber auch mit weiteren Beispielen) Säcker (1970) S. 49 ff. 135 Voraussetzung wird hier nicht entsprechend der Voraussetzungstheorie, sondern dem Wortlaut des § 328 Abs. 2 BGB folgend verwendet. 136 Vgl. Larenz, SchR I (1987) S. 233 mit Fn. 42. Ähnlich auch schon Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 85 ff.; Weyers (1974) S. 461 und diesem folgend Sackhoff (1994) S. 112. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 75 VVG, Rn. 6 formuliert etwas ungenau, dass zwar die Obliegenheiten auch den Versicherten treffen, dies als Ausnahme vom Verbot des Vertrages zu Lasten Dritter aber zulässig sei. 137 So auch Schirmer, FS R. Schmidt (1976) S. 832, 834. 132
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gung von vornherein beschränkt138 . Nichts anderes bedeutet es aber im Ergebnis, wenn ein Verhalten des Begünstigten nachteilig zugerechnet wird. In dieser Konstellation könnte man – nebenbei bemerkt – eher sagen, es stehe dem Begünstigten frei, ob er die Obliegenheiten erfüllt (und sich damit den Anspruch aus der Versicherung erhält) als allgemein beim Versicherungsnehmer, der bei Nichterfüllung der Obliegenheiten den von ihm selbst teuer erkauften Versicherungsschutz verlieren kann.
3. Sonstige Obliegenheiten Dritter Auf die weiteren älteren Vorschriften139, die von der Voraussetzungstheorie herangezogen wurden und auch auf die „Obliegenheiten des Dritten“ nach der VVG-Reform140 , soll hier nicht eingegangen werden – für sie gilt Entsprechendes wie für die zuvor ausgeführten. Jedenfalls liegen keine unzulässigen Verträge zu Lasten Dritter vor – unabhängig davon, wie man die aufgeführten Regelungen verstehen will und im Übrigen auch unabhängig davon, welcher Theorie man folgt141. Ein über den gesetzlich vorgesehenen Verlust der Versicherungsleistung hinausgehender Schadensersatzanspruch ist schwer vorstellbar.
VII. Zusammenfassung der Kritik Warum ausgerechnet die Untersuchung von R. Schmidt so bekannt bzw. viel zitiert wurde, ist in gewissem Sinne überraschend, auch wenn sie sicher die komplexeste Schrift zum Thema ist. Die gerade von R. Schmidt bekämpfte Voraussetzungstheorie ist heute (wenn auch oft unter dem Namen Obliegenheitstheorie) die klar herrschende Lehre, obwohl andere Auffassungen, wie die Verbindlichkeitstheorie oder eben vermittelnde Ansichten vielfach genauer und dogmatisch überzeugender begründet sind. Ein bezeichnendes Beispiel lieferte schon Hagen, der es für ausreichend hielt, die scharfe Kritik Ehrenzweigs an der Voraussetzungstheorie Brucks als „auf rein terminologischem und abstrakt-theoretischen Gebiete“ zu bezeichnen und eine weitere, inhaltliche Auseinandersetzung für überflüssig zu erklären142 . 138 Ähnlich schon R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 280; Schirmer, FS R. Schmidt (1976) S. 843; entsprechend für das schweizerische Recht Koenig, PrivatversR 3 (1967) S. 140. 139 §§ 158 d und e, 161, 171 Abs. 2, 182 VVG a. F. 140 Vgl. §§ 115, 116 VVG 2008 für Direktansprüche des Geschädigten bei Pfl ichtversicherung und §§ 30 Abs. 1 S. 2, 31 Abs. 2 VVG 2008 für die Anzeige- und Auskunftsobliegenheiten des Dritten, zu dessen Gunsten der Versicherungsvertrag geschlossen wurde. 141 Das betont auch Schirmer, FS R. Schmidt (1976) S. 843. 142 Hagen, JRPV 1932, S. 34.
VII. Zusammenfassung der Kritik
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Fast genauso erstaunlich ist es daher, dass diese Voraussetzungslehre die vorherrschende Ansicht ist. Lediglich die Macht der Gewohnheit bzw. die Namen von Bruck und Möller scheinen diese Ansicht zu tragen. Echte inhaltliche Verteidigung gab es für die Voraussetzungslehre seit den 1940er Jahren nämlich nicht mehr. Nachdem nun hier in § 7 die Argumente der herrschenden Meinung im Einzelnen betrachtet und abgelehnt wurden, soll noch einmal auf das bereits in § 5 entwickelte historische Argument zurückgekommen werden: Die Begründer der Voraussetzungstheorie bauten ihre Lehre auf Reichsgerichtsentscheidungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des VVG auf, die von den Gesetzesvätern abgelehnt wurden. Dazu, dass die Voraussetzungslehre zur herrschenden wurde, hat auch beigetragen, dass sie bereits als „h. M.“ bezeichnet wurde, als sie es noch gar nicht war143 . Am problematischsten ist aber der Wechsel der Intention. Bei ihrer Entwicklung setzte sich die Voraussetzungstheorie für den Versicherungsnehmer ein – heute würde man sagen: sie war verbraucherfreundlich. Den Anfang machten die ausführlich beschriebenen Urteile des Reichsgerichts zur Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, in welchen trotz Verletzung der jeweiligen Obliegenheiten durch zu ihrer Erfüllung herangezogene Dritte die Versicherungssumme zugebilligt wurde. Auch der „Vater der Voraussetzungstheorie“ Schneider versuchte ein Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für Dritte weitgehend zu vermeiden, vor allem aber bezüglich der Verursachung des Versicherungsfalls und gegen die ausgeführten Urteile des Reichsgerichts zur sogenannten Repräsentantenhaftung im Rahmen des § 61 VVG (1908). Das Reichsgericht selbst setzte später in einer von der Voraussetzungslehre heute noch als grundlegend angesehenen und gern zitierten Entscheidung ebendiese Theorie versicherungsnehmerfreundlich ein144 . Mit dieser, in ihren Anfängen „verbraucherfreundlichen“ Rechtsprechung und Literatur verband aber die später und bis heute herrschende Lehre den Bedürfnissen der Versicherungswirtschaft folgend145 die Repräsentantenhaftung bzw. Haftung für Wissens- und Wissenserklärungsvertreter. Damit war das ursprüngliche Hauptziel der Voraussetzungstheorie146 , nämlich die Vermeidung einer Anwendung des § 278 BGB im Versicherungsrecht nicht nur erledigt, sondern ad absurdum geführt. 143
Zu allem und dem Folgenden genauer s. o., S. 131 ff., 143 ff., 165 ff. RGZ 133, 117 – zur wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen wenig erfreuten Reaktion der Feuerversicherer vgl. etwa Hagen, JRPV 1932, S. 33. 145 RGZ 149, S. 69 (71) = JW 1936, S. 319–322, 320 sagt sogar ausdrücklich, dass der Begriff des Repräsentanten „aus den Bedürfnissen des Versicherungswesens heraus“ geschaffen wurde. 146 Dieses Ziel wird deutlich bei Müller-Erzbach, Handelsrecht, 2. Teil (1924) S. 722 f. und überdeutlich in der sehr mäßigen Dissertation von Halbreiter (1934) insbesondere S. 40 ff., 65 ff., 68. 144
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§ 7. Kritik der Voraussetzungstheorie
Die Ansichten der früheren Vertreter der Voraussetzungstheorie widersprechen in weiteren Details als nur beim Ausschluss der Dritthaftung denjenigen späterer Vertreter. Das gilt beispielsweise auch für die Behauptung Brucks, das die Kausalität der Obliegenheitsverletzung bezüglich (u. a.) der Anzeige- und Auskunftspflichten für Eintritt und Umfang des Versicherungsfalls nicht relevant sei, eine Ausnahme mache nur der „gründlichst verfehlte“ § 21 VVG147 – zu Recht ganz anders die heute herrschende Meinung148 . Viele Argumente der Voraussetzungstheorie werden bis heute einfach nur immer und immer wieder genannt und überhaupt nicht hinterfragt. Besonders abwegig ist die nach wie vor geäußerte Behauptung, dass die Erfüllung von Obliegenheiten im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Belasteten sei149. Hintergrund dafür ist, dass nicht klar zwischen Auferlegung und Erfüllung der Obliegenheiten unterschieden bzw. nur eine der beiden Situationen isoliert betrachtet wird. Welche Blüten die Begründung mit dem angeblichen eigenen Interesse treiben kann, zeigt eine nicht versicherungsrechtliche Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1937: Eine Witwe klagte gegen den Kraftwagenfahrer, der ihren Mann getötet hatte auf Unterhalt (Rentenzahlung). Das Gericht thematisierte ausführlich, ob ihr im Rahmen eines „Vorteilsausgleiches“ (sie habe ja jetzt freie Zeit gewonnen) oder nach § 254 Abs. 2 BGB die Aufnahme einer Arbeit zuzumuten sei. Letzteres wurde dann mit folgenden „schönen“ Worten begründet: „In solchem Fall fordert es geradezu das eigene Interesse der kinderlosen Witwe, ihr, nachdem ihr durch den Tod des Mannes ihre bisherige Lebensaufgabe und ihr wesentlichster Lebensinhalt genommen worden ist, nicht den Segen der Arbeit vorzuenthalten, sondern sie zu einer ihren Kräften, ihrem Alter und ihrer Lebensstellung entsprechenden Arbeit zu nötigen.“150 Gelegentlich wurde die Voraussetzungstheorie – ohne inhaltliche Begründung – in der Rechtsprechung herangezogen, weil sie scheinbar eine Entscheidungsbegründung erleichterte. Tatsächlich waren für diese Entscheidungen ganz andere Gründe tragend151. In der jüngsten Vergangenheit finden sich sogar deutlich entgegengesetzte Ansätze in der BGH-Rechtsprechung152 . Auch schon 147
Bruck, ZVW 26 (1926) S. 205 f. Vgl. nur BGH vom 17. 4. 2002 bei Müller, Entscheidungen zum VersR, Nr. 34 zu § 6 VVG: bei Obliegenheitsverletzung stets erforderlich ist der innere Zusammenhang zwischen geschaffener Gefahrenlage und Schadensfolge, der die Obliegenheit gerade vorbeugen soll. Nach der VVG-Reform § 21 Abs. 2 VVG 2008. 149 Dagegen ausführlich s. o., S. 213 ff. 150 RG vom 5. 4. 1937, RGZ 154, 236 ff. (241). Im Ergebnis ist das bis heute Stand der Rechtsprechung, aber unter Annahme einer Erwerbsobliegenheit, zuletzt BGH vom 26. 9. 2006, NJW 2007, 64 (65). Das Ergebnis mag richtig sein, die Begründung mit „eigenen Interessen“ ist aber zynisch. 151 Dazu s. o., S. 28 ff. 152 BGH NJW 2005, 1185, dazu hier S. 32 f. 148
VII. Zusammenfassung der Kritik
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in älteren Entscheidungen zum Werkvertragsrecht hat der BGH klare Tendenzen zur Verbindlichkeitstheorie erkennen lassen, indem er Mitwirkungsobliegenheiten im Ergebnis, nämlich hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches, wie „echte“ Rechtspflichten behandelte153 , während er in einer anderen Entscheidung eine Treuepflicht als Hilfskonstruktion heranzog154 . Das zeigt, dass es Fälle von Obliegenheitsverletzungen gibt, in welchen es ein nicht zu leugnendes Bedürfnis für eine Schadensersatzpflicht des Obliegenheitsbelasteten bei Pflichtverletzung gibt. Auch von den Kritikern der ersteren Entscheidungen wurde dies inhaltlich nicht bestritten, jedoch begründete man das Ergebnis – wie auch in der letztgenannten Entscheidung – wenig überzeugend mit einer der Obliegenheit deckungsgleichen Schutzpfl icht. Zusammenfassend kann man nur festhalten, dass die Voraussetzungstheorie sowohl hinsichtlich ihrer Entstehung, als auch bezüglich ihrer heutigen Argumente, die eingehend untersucht wurden, nicht überzeugt.
153 154
BGHZ 11, 80; BGHZ 50, 173 und BGH VersR 1960, 693, dazu s. o., S. 71 ff. BGH VersR 1960, 693 (694); BGH BB 1963, 160 = Betr. 1963, 198 – hier S. 75 f.
§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i. e. S. als Nebenpflichten Seit etwa 100 Jahren wird über die „Rechtsnatur“ der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten diskutiert. Die hierzu vertretenen Theorien – Rechtspflicht, Voraussetzung oder mindere Pflicht – wurden beschrieben. Der Maßstab, an dem die Obliegenheiten (und ähnliche Tatbestände außerhalb des Versicherungsrechts) dabei immer gemessen wurden, war der der „echten“ Rechtspflicht, die sich durch Erzwingbarkeit und Schadensersatz für Nichterfüllung auszeichnen soll. Dass schon dieser Maßstab nicht stets so war, sondern sich allmählich erweiterte, wurde bereits ausgeführt1. Wirklich gelöst ist die Behandlung der Obliegenheiten nicht, auch wenn es eine vorherrschende Ansicht gibt, denn es bleiben die beschriebenen Probleme2 . Um diese überzeugend zu lösen, muss nicht unbedingt eine gänzlich neue Theorie entwickelt, aber jedenfalls eine andere, hoffentlich überzeugendere Begründung gesucht werden. Ein Fehler der Vergangenheit liegt darin, dass die allgemeinen zivilrechtlichen Entwicklungen, insbesondere die Lehren von den Rechtsfiguren des Schuldverhältnisses i. e. S. und i. w. S., des § 278 BGB, aber auch die Nebenpflichten viel zu wenig für die Obliegenheiten, insbesondere für die des Versicherungsnehmers berücksichtigt wurden. Ein weiterer Fehler war es, dass diese Obliegenheiten hinsichtlich ihres „Pflichtengrades“ stets unausgesprochen mit den Hauptleistungspflichten verglichen wurden, von denen sie sich tatsächlich grundsätzlich – insbesondere in ihrer Funktion – unterscheiden. Es wurde primär gefragt, ob ein Anspruch auf ihre Erfüllung bestehe bzw. ob sie in natura erzwingbar seien. Vor allem im Versicherungsvertragsrecht werden Obliegenheiten zum „Beweis“ ihrer Andersartigkeit gern der Hauptleistungspflicht des Versicherungsnehmers (Prämienzahlungspflicht gem. § 1 Abs. 2 VVG a. F. bzw. § 1 S. 2 VVG 2008 VVG) gegenüber gestellt3 . Aber auch Autoren, die Obliegenheiten letztlich als „echte“ Nebenpflichten ansahen, sind von diesem Vergleich von „Äpfeln“ (Hauptleis1
S. o., S. 134 f., 139 ff. Stichworte: Repräsentantenhaftung, Gewährung von Schadensersatz bei Nichterfüllung, Vereinbarung von Vertragsstrafen und verhüllte Obliegenheiten. 3 Beispielsweise van Bühren 2/Tietgens (2003) S. 447 Rn. 264: anders als die Hauptleistungspflichten des Versicherungsvertrages seien Obliegenheiten keine erzwingbaren Rechtspflichten, sondern Voraussetzungen. 2
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
tungspflichten) und „Birnen“ (Obliegenheiten) selten abgegangen4 . Das Abstellen auf die Klagbarkeit einer Pflicht zu ihrer Definition als solche ist nicht nur aktionenrechtliches Denken, es ist der Erkenntnisstand vom Anfang des 20. Jahrhunderts, als man sich in das damals neue BGB hineinfand5 . Außerdem ist der generelle Ansatz zur Klassifikation einer Rechtspflicht bei deren Rechtsfolgen, insbesondere bei der Klagbarkeit zu kritisieren (dazu unter III.). Welchen Sinn hat überhaupt der Begriff der „Rechtspflicht“? Ist es nicht Begriffsjurisprudenz in ihrer negativen Ausformung, einen wie auch immer behaupteten Begriff zu ermitteln und zu definieren, um dann sagen zu können, welche Rechtsfolgen die Verletzung einer ihm entsprechenden (oder nicht unter ihn passenden) „Pflicht“ habe? Auf die Klagbarkeit von Verhaltensanforderungen kommt es (u. a.) für die Anwendung des § 278 BGB nicht an, da dieser auch auf nicht erzwingbare, aber schadensersatzbewehrte Schutzpflichten des Schuldners angewendet wird6 . Aber auch hinsichtlich dieser Schutzpflichten wurde lange um ihre volle Anerkennung gerungen7. Im Gesetz ausdrücklich fixiert sind sie erst seit der Schuldrechtsmodernisierung in § 241 Abs. 2 BGB. Das Thema „Obliegenheiten“ lässt sich nur dann grundsätzlich behandeln, wenn man diese Verhaltensanforderungen ins Verhältnis zu anderen Pflichten setzt (dazu unter I.-II.). Dabei werden zuerst allgemein geltende Überlegungen angestellt, die dann auf die Obliegenheiten i. e. S. übertragen werden (dazu unter IV.2). Welche praktischen Konsequenzen daraus abzuleiten sind, wird für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers in § 9, für die weiteren Obliegenheitstatbestände (i. e. S. und i. w. S.) in § 10 ausgeführt.
I. Die Unterscheidung Haupt-/Nebenpflichten In jeder allgemeinen Darstellung zum Schuldrecht findet sich heute eine Abgrenzung zwischen Haupt- und Nebenpflichten. Im Detail unterscheiden sich die Bezeichnungen insbesondere innerhalb der Nebenpflichten, aber die grund-
4 So etwa Henß (1988) S. 21, 110, 112 f. in seiner Untersuchung nur des allgemeinen Zivilrechts, der einerseits wegen fehlender Erzwingbarkeit den Charakter der Obliegenheiten als Pflichten ablehnt, dann aber letztlich doch etwas den Nebenpflichten Nahekommendes bejaht. 5 Ähnlich, wenn auch nicht im Zusammenhang mit den Obliegenheiten, sondern mit der Sonderentwicklung des Versicherungsrechts Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 126: Man hatte im Versicherungsrecht bereits eigene Begriffl ichkeit und Dogmatik entwickelt, bevor sich auf der Grundlage des BGB die Anfänge der heutigen Schuldrechtsdogmatik ausformten. 6 Vgl. nur Larenz, SchR I14 (1987) S. 368. 7 S. o., S. 136.
I. Die Unterscheidung Haupt-/Nebenpfl ichten
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sätzliche Kategorisierung ist selbstverständlich8 . Der BGB-Gesetzgeber hingegen hatte sich für die Nebenpflichten wenig interessiert9. Verstärkte Systematisierungsbestrebungen entwickelten sich dann in den 1960er Jahren10 . Möglicherweise war die Untersuchung R. Schmidts zu den Obliegenheiten mit der Forderung nach einem System von Rechtspflichten11 dafür ein Auslöser. Der praktische Nutzen der zahlreichen verschiedenen Bezeichnungen für Nebenpflichten ist allerdings fraglich12 . Man kann die vertraglichen Pflichten nach vielen verschiedenen Gesichtspunkten unterteilen. Larenz beispielsweise unterschied zwischen Leistungspflichten und sonstigen Verhaltenspflichten, wobei unter letztere vor allem die Schutzpflichten des Schuldners fallen13 . Die Leistungspflichten unterteilte er weiter in für das Schuldverhältnis kennzeichnende primäre (z. B. Zahlung des Kaufpreises) und sekundäre Pflichten (z. B. Schadensersatz wegen Nichterfüllung) 14 . Man kann die Leistungspflichten aber auch in Haupt- und Nebenleistungspflichten trennen, wobei letztere im Verhältnis zu den Hauptleistungspflichten zwar von geringerer Bedeutung sind, aber dennoch das Schuldverhältnis mitbestimmen15 . Eine allgemein anerkannte Nebenleistungspflicht ist die des Käufers zur Abnahme der gekauften Sache, vgl. § 433 Abs. 2 BGB. Ob es sich im Zweifel um eine klagbare Nebenleistungspflicht oder eine „bloße“ nicht 8 Vgl. schon Heck, SchR (1929) S. 120. Zur verwirrenden, unsystematischen Vielfalt der Bezeichnungen mwN Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 310. Vgl. etwa auch Larenz, SchR I14 (1987) § 2, S. 6 ff., S. 10 f. mit Fn 5; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 25 ff. Rn. 36 ff. und S. 29 f. Rn. 41 f.; Medicus, BR 21 (2007) S. 147 ff., Rn. 206 ff. 9 Ausführlicher zur Situation bei Inkrafttreten des BGB mwN s. o.,S. 132 ff. 10 Canaris, Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung“ und „Schutzwirkungen für Dritte“ bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, S. 475 ff.; Köpcke, Typen der positiven Vertragsverletzung (1965); Thiele, Leistungsstörungen und Schutzpflichtverletzungen – Zur Einordnung der Schutzpflichtverletzungen in das Haftungssystem des Zivilrechts, in: JZ 1967, S. 649 ff.; Ruhig, Die Nebenpflichten im Schuldrecht. Versuch einer Einordnung in das Schuldverhältnis (1968). Vgl. auch Stürner, Der Anspruch auf Erfüllung von Treue- und Sorgfaltspfl ichten, in: JZ 1976, S. 384 ff.; Neumann, Leistungsbezogene Verhaltenspflichten. Zur Durchsetzung sogenannter vertraglicher Nebenpfl ichten (1989); Krebs, Sonderverbindung und außerdeliktische Schutzpflichten (2000). 11 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 8 ff., 25. 12 Vgl. MünchKomm4/Kramer (2001) § 241 BGB, Rn. 17, 19 und 21; Medicus, BR 21 (2007) S. 149, Rn. 207. Auch Larenz nannte beispielsweise die Abnahmepfl icht des Käufers später nur Nebenpflicht, vgl. Larenz, SchR II/113 (1986) S. 94. Dass etwa die Unterscheidung in Nebenleistungs- und andere Nebenpflichten wenig praktische Bedeutung hat, betonen auch Palandt67/Heinrichs (2008) § 241 BGB, Rn. 8 und jurisPK/Alpmann (2006) § 282 BGB, Rn. 9. Kritisch auch – gerade wegen der Verknüpfung von Erfüllungsanspruch und Qualifikation als Pflicht – PWW/Schmidt-Kessel (2006) § 241 BGB, Rn. 16. 13 Larenz, SchR I14 (1987) § 2, S. 6 ff. Ihm ausdrücklich folgend Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 23. Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 153 ff., 157 ff. unterscheidet Leistungs- und Rücksichtpflichten. 14 Vgl. z. B. auch Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 25 f. Rn. 36 15 Larenz, SchR I14 (1987) S. 8.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
klagbare Nebenpflicht handelt, hänge von der Vereinbarung der Parteien ab, wobei die Grenzziehung ausgesprochen schwierig sei16 . Die sonstigen Verhaltenspflichten beziehen sich nach Larenz auf „alles Verhalten, das zu ihr [der Leistung] hinführt oder im Zusammenhang mit ihr steht“17. Zu diesen zählen neben den Schutzpflichten vor allem die auf die Leistung bezogenen Verhaltenspflichten18 . Leistungsbezogene Neben- oder Verhaltenspflichten19 dienen im weitesten Sinne der Erfüllung der Hauptverpflichtung, soweit dies erforderlich ist, sie bereiten vor, fördern und sichern diese 20 . Der Schuldner soll den schnellsten und sichersten Weg einschlagen und der Gläubiger will darauf Einfluß haben – andererseits liegt es im Interesse des Schuldners, selbst zu entscheiden, wie er seine Pflichten erfüllt 21. Hierher werden typischerweise Auskunfts-, Aufklärungs-, Beratungs- und Mitwirkungsaber auch Unterlassungspflichten gerechnet 22 . Die Schutzpfl ichten hingegen schützen meist nicht das Leistungs-, sondern das Integritätsinteresse23 . Sie sollen den Gläubiger vor möglichem Schaden bewahren und dienen der „Erhaltung des für die Durchführung eines länger währenden Schuldverhältnisses . . . unentbehrlichen Vertrauensverhältnisses“, beispielsweise durch schadensverhütende Maßnahmen, Aufklärung über Gefahren oder Unterlassung von den Vertragszweck gefährdenden Handlungen 24 . Umstritten ist wie für die Schutzpflichten 25 auch für die leistungsbezogenen Nebenpflichten, ob sie – bei einem entsprechenden Interesse des Gläubigers – selbstständig einklagbare Ansprüche begründen, wie es zunehmend vertreten wird 26 oder ob die auf die Hauptleistungsansprüche zugeschnittenen Regeln zwar „zu schweres Geschütz“27 seien, der Gläubiger aber vor ihrer Verletzung 16
V. Bar, AcP 179 (1979) S. 464. Larenz, SchR I14 (1987) S. 9. 18 Esser, SchR4 (1970) S. 27 spricht hier nur von Nebenpflichten (im Unterschied zu Leistungs- und Schutzpflichten). 19 Ausführlich dazu Neumann, Leistungsbezogene Nebenpflichten (1989). Henß (1988) S. 110 spricht von vertragszielbezogenen Nebenpfl ichten, Hartwig, Eigenverantwortung (1993) S. 256 von unselbständigen Nebenpflichten, Hartmann (1997) S. 47 ff. von Nebenleistungspflichten – darunter wird allerdings üblicherweise etwas anderes verstanden, vgl. im Text. 20 Teichmann, JA 1984, S. 711. 21 Neumann (1989) S. 2. 22 Teichmann, JA 1984, S. 711. Beispiele bei Neumann (1989) S. 2 f. 23 Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 26 Rn. 37. 24 Vgl. Frost (1981) S. 13; Larenz, SchR I14 (1987) S. 10 f.; Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 15. 25 Wobei man hier inzwischen von einer die Klagbarkeit bejahenden h. M. ausgehen kann, Nachweise Fn. 79. 26 So Götz, JuS 1961, S. 58; Teichmann, JA 1984, S. 711; Neumann (1989) S. 135 ff.; Soergel12/Teichmann (1990) § 242 BGB, Rn. 134 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 24 ff.; Medicus SchR I16 (2005) S. 157 f. Rn. 423 ff. 27 Esser, SchR4 (1970) S. 27. 17
II. Die Abgrenzung Rechtspfl icht/Naturalobligation
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dennoch geschützt werde, indem er Schadensersatz verlangen oder vom Vertrag zurücktreten könne28 . Mit der Schuldrechtsmodernisierung ist Einiges in Bewegung geraten, beispielsweise dass die Unterscheidung nach einseitigen und im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Pflichten an Bedeutung verloren hat 29, oder dass Nebenpflichten, insbesondere Schutzpflichten allgemeine gesetzliche Regelungen bekamen (§§ 241 Abs. 2, 282, 311 Abs. 2 und 3, 324 BGB n. F.). Zu hart war m. E. das Urteils Hubers, der den Diskussionsentwurf des § 241 Abs. 2 BGB-E für „viel Worte um nichts“ erklärte30 . So einfach wie Huber es darstellt, dass „das Phänomen der „Schutzpflichten“ als solches . . . zur Zeit der Abfassung des BGB natürlich bekannt (war)“ und die „Praxis . . . eine ausdrückliche Regelung im Gesetz nie vermisst“ habe31, war es mit den Schutzpflichten dann doch nicht – dabei wird zumindest die von Staub hervorgerufene Diskussion 32 übergangen. Es ist fraglich, ob § 241 Abs. 2 BGB weitere Nebenpflichten, außer den Schutzpflichten, erfasst 33 . Die Obliegenheiten wurden jedenfalls explizit nicht im Rahmen der Schuldrechtsreform berücksichtigt. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert nur die grobe Einteilung in Haupt- und Nebenpflichten, welche generell die größte Bedeutung hat. Es ist wichtig festzuhalten, dass die Obliegenheiten jedenfalls nie in die Nähe von Hauptpflichten kommen. Daher sollten an sie auch nicht die gleichen Maßstäbe (insbesondere Klagbarkeit) gesetzt werden. Darauf wird unter III. zurück zu kommen sein.
II. Die Abgrenzung Rechtspflicht/Naturalobligation Die „natürliche“ Verbindlichkeit oder auch Naturalobligation scheint auf den ersten Blick wenig mit den Obliegenheiten gemeinsam zu haben. Die entsprechenden Tatbestände werden heute überwiegend als „unvollkommene“ oder „uneigentliche Verbindlichkeiten“ bezeichnet, weil ihnen die Klagbarkeit fehle34 . Insofern besteht aber zumindest nach der Voraussetzungstheorie eine Gemeinsamkeit mit den Obliegenheiten und nach einem Teil der Literatur auch 28 Eichler 2 (1976) S. 41; Evans-von Krbek, AcP 179 (1979) insb. S. 102 f.; MünchKomm4/ Kramer (2001) § 241 BGB, Rn. 21 für die bei ihm sogenannten „unselbständigen Nebenpflichten“. 29 Medicus, BR 21 (2007) S. 149, Rn. 207. 30 U. Huber (2001) S. 140. 31 U. Huber (2001) S. 140. 32 Ausführlicher zur Entwicklung der Schutzpflichten s. o., S. 133, 135 f. 33 Dazu s. u., S. 308 f. 34 Zutreffend weist aber Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 85 darauf hin, dass der Begriff „unvollkommene Verbindlichkeiten“ solange der Bedeutungsgehalt bzw. die darunter zu fassenden Tatbestände nicht außer Streit stehe(n) nur eine geringe Leistungsfähigkeit habe. Leider bietet er keine eigene Lösung dieses Problems an.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
mit den echten Nebenpflichten 35 . Somit wird das umstrittene Merkmal der Durchsetzbarkeit einer Verbindlichkeit auch hier zur Begriffsbildung herangezogen. Naturalobligationen kommen historisch betrachtet aus dem römischen Recht und werden bis heute als eine Sondergruppe der Rechtspflichten behandelt. Ihre „Natur“ ist problematisch; mindestens das haben sie mit den Obliegenheiten gemeinsam.
1. Tatbestände der Naturalobligation Typischerweise werden Tatbestände wie das Versprechen des Ehemäklerlohnes (§ 656 BGB), Spiel und Wette (§ 762 BGB) sowie die staatlich nicht genehmigte Lotterie oder Ausspielung (§ 763 BGB) hierher gezogen. Dabei soll es sich um Pflichten kraft Sitte, nicht um rechtliche Pflichten handeln 36 . Das Gesetz sagt in diesen Fällen ausdrücklich, dass eine „Verbindlichkeit nicht begründet“ werde37. Wird jedoch zum Zwecke der Erfüllung geleistet, so versagt § 814 BGB die Rückforderung. Aber auch die verjährte Forderung wird als unvollkommene Verbindlichkeit bezeichnet 38 . Richtiger ist es, darin einen vollkommenen Anspruch zu sehen, dem ein Leistungsverweigerungsrecht entgegen gesetzt werden kann 39. 35 Auf diese Gemeinsamkeit weisen auch Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 273 und ihm folgend Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 196 mit Fn. 97 hin. Wenig überzeugend v. Buchka (1904) S. 47, der meinte, die Gemeinsamkeit (der fehlenden Klage) zwischen naturalis obligatio und „indirekter Verpflichtung“ sei eine „rein äußerliche“, da bei Naturalobligationen eine direkte Verpflichtung bestehe – das widerspricht seiner eigenen Definition (a.a.O., S. 1 f.). Ausführlich zur Naturalobligation jüngst Schulze (2008). 36 Blomeyer, Art. Schuldverhältnis (1938) S. 285 ff.; Larenz, SchR I (1987) S. 21. 37 Daher ging E. Prölss (1935) § 6 VVG, Anm. 4 zu weit mit der Parallele Obliegenheit – Naturalobligation, indem er behauptete, Naturalobligationen hätten den Charakter von Verbindlichkeiten, obwohl sie nicht einklagbar sind. Ähnlich auch Heukeshoven (1938) S. 40: Naturalobligationen seien „wahre Forderungen“, bei denen die „übrigen regelmäßigen Wirkungen der Forderung mehr oder weniger stark einzutreten pflegen“. 38 Weitere unvollkommene Verbindlichkeiten bei Stech, Unklagbare Ansprüche, ZZP 77 (1964) S. 170 ff. Siber, Rechtszwang (1903) S. 18 ff. (20) lehnte nach ausführlicherer Diskussion beim Mäklervertrag eine Pflicht des Maklers, tätig zu werden, ab. Er bejahte aber eine Nebenpflicht des Maklers, nämlich eine Verschwiegenheitspfl icht: „In den die Praxis am meisten beschäftigenden Grundstücksmäklersachen giebt schon die Zweifelhaftigkeit der Personen, die sich mit diesem leicht in’s Parasitäre ausartenden Gewerbe befassen, dem Auftraggeber den Anlass, sich dem Mäkler gegenüber die stärkste Zurückhaltung aufzuerlegen . . .“, Siber, a.a.O., S. 19. 39 Vgl. Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 85 mit treffender Kritik an dem Ausdruck „unvollkommene Verbindlichkeit“ (mwN). Larenz, SchR I (1987) S. 21 hingegen wollte allgemein die Bezeichnung als „Naturalobligation“ wegen der Mehrdeutigkeit vermeiden, ohne jedoch eine andere vorzuschlagen.
II. Die Abgrenzung Rechtspfl icht/Naturalobligation
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2. Gemeinsamkeit Naturalobligationen/Obliegenheiten Es besteht also eine Ähnlichkeit zu den Obliegenheiten insofern, als bei Nichterfüllung andere Sanktionen als Klage und Schadensersatz typisch sind. Aber auch bei Naturalobligationen kann ein Schadensersatzanspruch ausnahmsweise möglich sein40 . Wegen der Ähnlichkeit wurden die Naturalobligationen von Siber – dem Schadensersatz für die Annahme einer Rechtspflicht im Gegensatz zur heute herrschenden Meinung noch nicht genügte41 – in seiner Untersuchung zum Rechtszwang zunächst auch u. a. mit denjenigen Tatbeständen, die man heute Obliegenheiten nennt, zusammen unter der Überschrift „Das Leistensollen im Schuldverhältnis“ behandelt42 . Dahinter steht letztlich die damalige Diskussion um Schuld und Haftung43 . Für Siber war ursprünglich der entscheidende Unterschied der Naturalobligationen gegenüber anderen Pflichten, dass sie eben nur sittlich binden, dass kein „Leistensollen . . . kraft Rechtens, sondern kraft Sittlichkeit“ vorliege. Für ein freiwilliges Leisten werde kein Vorteil in Aussicht gestellt und für ein Nichtleisten kein Nachteil angedroht44 . In einer späteren Untersuchung beschrieb Siber die Naturalobligationen aber als Schuld ohne Haftung45 , dass also letztlich doch eine Rechtspflicht zur Erfüllung bestehe, nur keine mit Zwang durchsetzbare46 . V. Tuhr hingegen meinte, dass bei Naturalobligationen nicht nur die Klagbarkeit ausgeschlossen sei, sondern auch die materiellrechtliche Befugnis47.
3. Die historische Entwicklung Auch wenn die Naturalobligationen nur ein thematisches Randproblem, nämlich innerhalb des Systems von zivilrechtlichen Pflichten darstellen, sind sie doch eben wegen ihrer genannten Gemeinsamkeit mit vielen Obliegenheitstat40 Vgl. Larenz, SchR I (1987) S. 21, Fn. 29; jurisPK/ Jäger (2006) § 656 BGB, Rn. 6: beim Ehemäklervertrag entsteht immerhin ein Schuldverhältnis mit Schutzpfl ichten, dessen Verletzung nach § 280 BGB schadensersatzpflichtig macht. Grund hierfür war die BGH-Entscheidung vom 8. 7. 1957, BGHZ 25, 124, die für die Naturalobligationen der Bedeutung von BGHZ 11, 80 für die Obliegenheiten ähnelt – zu letzterer Entscheidung s. o., S. 72 ff. 41 S. o., S. 134, 139 ff. 42 Vgl. Siber, Rechtszwang (1903) S. 17 ff.; 48 ff. 43 Dazu bereits s. o., S. 140. 44 Siber, Rechtszwang (1903) S. 68. 45 Siber, Nat. Obl. (1926) S. 83 ff.; Ähnlich auch Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 85; Staudinger/Olzen (2005) Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 244 ff. 46 Ähnlich auch Blomeyer, Art. Schuldverhältnis (1938) S. 286. 47 V. Tuhr, AT Bd. I (1910) S. 94 f.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
beständen von Interesse. Ein wesentliches Argument, auch die Behandlung der Naturalobligationen zu überdenken, ergibt sich aus der historischen Entwicklung der in natura erzwingbaren Pflicht.
a) Allgemein: Naturalerfüllungszwang Für das klassische römische Recht galt der Grundsatz der Geldkondemnation. Wenn also eine Schuld nicht (ohnehin schon) auf Geld gerichtet war, so erfolgte eine Verurteilung nie in die Erfüllung, sondern in den Geldwert derselben. Die tatsächliche Erzwingbarkeit der Leistung ergab sich erst viel später, nämlich nach Ansätzen im justinianischen Recht und langen Streitigkeiten im ius commune über die naturrechtliche Entwicklung, in der Rechtsprechung des 19. Jahrhunderts sowie der Reichsgesetzgebung am Ende jenes Jahrhunderts48 . Der entscheidende, naturrechtliche Gedanke liegt darin, dass ein Inhaber souveräner Herrschergewalt über sich selbst (Rechtssubjekt), sich willentlich bindet und dabei – ähnlich wie beim Gedanken des Gesellschaftsvertrags – einen Teil seiner Freiheit aufgibt, verbunden mit der Möglichkeit des anderen Teils, bei Bedarf Zwang auszuüben49. Die allgemeine zivilrechtliche Entwicklung verlief quasi in drei (groben) Schritten: von der römischen Auffassung der Nichterzwingbarkeit (stattdessen Geldkondemnation) über ein „natürliches“, moralisches Sollen zur heutigen, rechtlich (in natura) erzwingbaren Pflicht. Diese Entwicklung hat große Bedeutung, sowohl für die heute sog. unvollkommenen Verbindlichkeiten, als auch für die Obliegenheiten. Denn sie macht bewusst, dass die Erzwingung einer Forderung oder Pflicht durch Klage und Vollstreckung erst relativ jung ist.
b) Insbesondere: Die Entwicklung der Naturalobligation Zur Naturalobligation wird in jüngerer Zeit – wenn überhaupt historische Erklärungen erfolgen – meistens nur gesagt, dass es sie im römischen Recht gegeben habe. Wichtig ist jedoch für den vorliegenden Zusammenhang, dass und wie sie sich erst innerhalb der klassischen Zeit des römischen Rechts (1.-3. Jh. 48 Ausführlich zur Entwicklung, jeweils mit zahlreichen Nachweisen Zimmermann, The Law of Obligations (1990) S. 7 ff., 771 ff.; Nehlsen-v. Stryk, AcP 193 (1993) S. 529 ff.; Münch (unveröffentl. Habil. 1996) S. 108 ff. zur Prozesspraxis und S. 126 ff. zum Dresdner Schuldrechtsentwurf, sowie zur ZPO- und BGB-Gesetzgebung. Für die freundliche Überlassung des bisher unveröffentlichten Manuskriptes sei dem Verfasser an dieser Stelle herzlich gedankt. Vgl. auch Ernst, FS Nörr (2003) S. 219 ff. auch mit rechtsvergleichenden Nachweisen. 49 Sehr klar entwickelte diesen Gedanken schon Hägerström (1934/1965) S. 14, 44 ff., 84. Vgl. zur naturrechtlichen Entwicklung auch Münch (Habil. 1996) S. 87 ff.
II. Die Abgrenzung Rechtspfl icht/Naturalobligation
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n. Chr.) entwickelte. Zunächst handelte es sich tatsächlich um rein moralische „Schulden“, die erst allmählich überhaupt gewisse rechtliche Konsequenzen erhielten. Typische Konstellationen waren u. a. nicht als (Real-)Darlehen verbindlich machende bzw. umgekehrt nicht befreiende Zahlungen an einen Unmündigen (pupillus) ohne Einwilligung seines Vormundes (sine tutoris auctoritate). Ebenfalls häufig waren (unwirksame) Leistungen an oder Leistungsversprechen durch einen Sklaven (opera libertorum) 50 . In diesen Fällen konnte der Leistende (Darlehensgeber, Schuldner, Sklave, Freigelassene) keine Rückforderungsklage (condictio indebiti) erheben. Jedoch wurde dem Schuldner des Unmündigen mit der Zeit gegen eine erneute Forderung eine Einrede (exceptio) zugestanden und umgekehrt, wenn der Pupillus nach Eintritt seiner Mündigkeit eine Naturalobligation erfüllt hatte, diesem die Rückforderung verweigert, weil er „natürlich schulde“. Später wurde (u. a.) für unwirksame Zahlungen an einen Pupillus eine auf die vorhandene Bereicherung gehende Klage gewährt, die das Vorbild unseres heutigen Bereicherungsrechtes wurde51. Das heißt: ganz allmählich wurden die Naturalobligationen im Zusammenhang mit dem sogenannten Bereicherungsrecht 52 nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich relevant.
c) Schlussfolgerungen Sowohl die Entwicklung der Naturalobligation im klassischen römischen Recht, als auch die Herausbildung des Naturalerfüllungszwanges haben moralphilosophische Wurzeln 53 . Die vorstehenden, bewusst knapp gehaltenen Ausführungen erklären einerseits die Gemeinsamkeit zwischen Naturalobligationen und Obliegenheiten, lassen aber andererseits erhebliche Zweifel an dem historisch betrachtet recht neuen Abgrenzungskriterium der Klagbarkeit aufkommen. Ob es aber letztlich auf dieses fragwürdige Kriterium überhaupt ankommt, soll gleich (unter III.) näher behandelt werden.
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Vgl. z. B. Paulus (10 Sab.) D. 12, 6, 13 und Ulpian (26 ed.) D. 12, 6, 26, 12. Zu allem genauer Hähnchen, Causa condictionis (2003) S. 53 ff., 60 f., 93. 52 Im klassischen römischen Recht war die condictio gerade keine Bereicherungsklage im heutigen Sinne, weil sie auf das Erlangte ging und eine Entreicherung nicht berücksichtigte. Dieser Gedanke erlangte gerade über die Berücksichtigung von Naturalobligationen Bedeutung, aber im Rahmen von neuen Klagen, die wahrscheinlich erst im ius commune mit der condictio verschmolzen wurden. 53 Neben den bisherigen Nachweisen vgl. auch Kaser, Ius gentium (1993) S. 157 mwN für die Naturalobligation; Schulze (2008) S. 50 ff., 91 ff. 51
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
4. Unterschied Obliegenheiten – Naturalobligationen Selbstverständlich unterscheiden sich Obliegenheiten und Naturalobligationen aber an einem ganz anderen Punkt: während es bei letzteren sinngemäß um Hauptleistungspflichten, aber – mangels Verbindlichkeit – eben nicht einklagbare geht, sind Obliegenheiten andere, weitere Verhaltensanforderungen innerhalb eines Schuldverhältnisses. Beispielsweise ist die Zahlung eines „Lohnes für den Nachweis der Gelegenheit zur Eingehung einer Ehe“ (§ 656 BGB) eine Leistung, deren Erlangung das Hauptmotiv für den Abschluss derartiger Verträge und das Tätigwerden des Maklers ist. Eine ganz andere Rolle spielen hingegen die Obliegenheiten, seien es die Mitwirkungspflichten des Gläubigers beim Werkvertrag (§ 642 BGB) oder versicherungsrechtliche Obliegenheiten. Wenn etwas unumstritten ist bei den Obliegenheiten, dann dass sie keine Hauptleistungspflichten sind.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? Wie bereits erwähnt wird, seit etwa 100 Jahren bei der Behandlung der Obliegenheiten die Frage aufgeworfen: sind sie („echte“) Rechtspflichten oder nicht. Dabei ist nicht einmal wirklich geklärt, wodurch eine „echte“ Rechtspflicht gekennzeichnet ist. Das gleiche gilt für die analoge Frage, ob die Obliegenheiten „echte“ Verbindlichkeiten begründen. Wohl zu einfach machte es sich Friedrich Karl Rabel, der die Frage, wann eine Rechtspflicht vorliege, insgesamt als (überflüssige) Begriffsjurisprudenz überging54 .
1. Herkömmliche Auffassung – die Rechtsfolge als Ordnungskriterium In der Literatur zu den Obliegenheiten steht die Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen im Mittelpunkt. Es wird daher zunächst ganz entscheidend auf die Frage abgestellt, ob es zum „Wesen“ einer Rechtspflicht (bzw. der Verbindlichkeit) gehöre, dass sie erzwingbar sei. Wie gerade ausgeführt (II.3.), ist aber die Erzwingbarkeit historisch und auch rechtsvergleichend betrachtet etwas relativ Neues.
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Rabel, VersArch 1937/38, S. 716, 725 f.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 243
a) Klagbarkeit und Schadensersatz erforderlich In der deutschen Dogmatik wird oft angenommen, dass nur dann eine „echte“ Rechtspflicht/Verbindlichkeit vorliege, wenn diese mit Klage durchgesetzt oder doch wenigstens Schadensersatz bei Nichterfüllung verlangt werden könne, was für die Obliegenheiten gerade nicht gelte55 . Teilweise wird dafür die kurzsichtige Begründung gegeben, dass zwar die Rückführung der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten auf ein allgemeines zivilrechtliches Institut wünschenswert, nur leider im VVG kein Schadensersatzanspruch geregelt und auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden sei56 . Abgesehen davon, dass dabei der Wille des historischen Gesetzgebers57 komplett übersehen wird: Seit wann müsste für Verbindlichkeiten jeder Schadensersatzanspruch separat geregelt sein? Das ist ja gerade der Vorzug allgemeiner Teile! Außerdem wird von Vertretern der h. M. aus der Einordnung als Obliegenheit auch umgekehrt das Fehlen von Klagbarkeit und Schadensersatzanspruch geschlussfolgert 58 . Beides ist als Zirkel sehr fragwürdig.
b) Klagbarkeit nicht zwingend erforderlich Bereits seit Beginn der Diskussion um die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten und bis heute wird aber auch vertreten, dass die Klagbarkeit (bzw. Schadensersatz) nicht generell erforderlich sei, um eine Rechtspflicht/Verbindlichkeit59 oder einen Anspruch/eine Forderung60 zu bejahen. Eine Klage scheitere 55 So vor allem seit Siber, Rechtszwang (1903) S. 40 f. (noch unter Ausschluss von „nur“ Schadensersatz, vgl. s. o., S. 139 ff.) S. 83 f. und ders., Jh. Jb. 50 (1906) S. 80 ff. – relativierend aber Planck/Siber (1914) Vorbem. III C 3 b, S. 26; H. Schmitt (1939) S. 70 ff. (anders allerdings S. 97 für den Anspruch, zu dessen „Wesen“ die Klagbarkeit nicht gehöre); R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 34 ff., 37; Deutsch, VVR4 (2000) S. 145; Huber in Staudinger/Eckpfeiler (2005) S. 120. 56 So Schmidt-Hollburg (1991) S. 10. 57 Zu diesem s. o., S. 173. 58 Kisch, HB II (1920) S. 180; Bruck, ZVW 26 (1926) S. 187; Hanau, AcP 165 (1965) S. 237. Für den Gläubigerverzug Kreuzer/Stehle, JA 1983, S. 73. Stark in diese Richtung auch Fikentscher, SchR9 (1997) S. 52 und Beckmann/Matuschke-Beckmann/Marlow (2004) Rn. 1, 17 und 49. 59 v. Buchka (1904) S. 1 ff.; Ritter, Seeversicherung (1922) S. 33; Gottschalk, JW 1927, S. 147; Weyermann (1929) S. 22; Ehrenzweig, ZVW 31 (1931) S. 366; Frank (1933) S. 28 ff.; Höxter (1934) S. 5; Heukeshoven (1938) S. 40; Arens (1940) S. 46 f.; Oberbach, AVB II (1948) S. 32 (mit dem interessanten Hinweis auf § 75 c Abs. 2 HGB); Richter, PrivatversR (1980) S. 148; Sackhoff (1994) S. 111; Weyers, VVR 2 (1995) Rn. 322; Staudinger13/Coester (2000) § 1618 a BGB, Rn. 10; Buck (2003) S. 43; J. Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. 60 Ritter, Komm. 2 (1932) S. 556, § 377 HGB, Anm. 12 c dd); Henß (1988) S. 79 ff.; Hartmann (1997) S. 55 f.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
meist nur am Rechtsschutzbedürfnis, nicht an ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit.
2. Eigener Ansatz Üblicherweise arbeitete man sich in den letzten Jahrzehnten an genau dieser Frage, also an der Klagbarkeit von Rechtspflichten ab. Je nach bevorzugter, zu beweisender Theorie für die Obliegenheiten, hat man sich entweder der einen oder der anderen Meinung angeschlossen. Vertreter der Voraussetzungs- und auch der Obliegenheitstheorie forderten Klagbarkeit für die Annahme „echter“ Rechtspflichten, Vertreter der Verbindlichkeitstheorie und früher vermittelnder Theorien nicht zwingend Klagbarkeit. Zu selten oder jedenfalls zu folgenlos wurde der Ansatz bei den Rechtsfolgen grundsätzlich in Frage gestellt 61. Zur Begründung wird dabei vor allem auf die unselbständigen Nebenpflichten verwiesen.
a) Rechtsschutzbedürfnis Zentral ist in diesem Zusammenhang aber der meist vernachlässigte Gedanke, dass in unserem Staatswesen grundsätzlich nicht die Klagbarkeit des Beweises bedarf, sondern der Ausschluss derselben62 . Das Rechtsschutzbedürfnis begründet einen Anspruch gegen den Staat auf Mithilfe bei der Rechtsdurchsetzung und ist grundsätzlich gegeben63 . Wenn dieser Anspruch ausnahmsweise einmal nicht gegeben sein sollte, muss diese Ausnahme deutlich gemacht werden, nicht die Regel64 . Die Voraussetzungs- und die Obliegenheitstheorien verhalten sich so, als sei es umgekehrt. 61 In diese Richtung Pott (1933) S. 4; Rabel, VersArch 1937/38, S. 711, 725 ff.; E. Prölss (1935) Anm. 4 zu § 6 VVG. Kritisch auch Esser, Besprechung R. Schmidt, AcP 154 (1955) S. 51; Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 43 f., 58 f.; Henß (1988) S. 96. Mindestens Bedenken bei Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 15 und Hartwig, Eigenverantwortung (1993) S. 256. Ansätze auch bei Buck (2003) S. 44 und schon Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 196, 226 und 230, der dann aber doch (a.a.O., S. 217 ff., 228) in den Rechtsfolgen ein wichtiges Abgrenzungskriterium zwischen Obliegenheiten und Pflichten sieht. Ohne Überblick hingegen die Behauptung von Mi´stal, Rechtsfolgen (2006) S. 21: es sei unumstritten, dass die Rechtsfolgen versicherungsrechtlicher Obliegenheiten anders seien und „ausschließlich der Regelung des VVG und in keinem Fall den allgemeinen Regeln“ des BGB unterlägen. 62 So treffend Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 25 im Zusammenhang der „weiteren Verhaltenspflichten“. Früher aber auch schon im Zusammenhang mit Obliegenheiten Oertmann, DVZ 66 (1925) S. 117; Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 65. 63 MünchKommZPO2/Lüke (2000) vor § 253 ZPO, Rn. 10, 24; Baumbach64/Hartmann (2006) Grundz § 253 ZPO, Rn. 33 f. 64 Zöller27/Greger (2009) Vor § 253 ZPO, Rn. 18.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 245
Bezeichnend ist die andere, heute nicht mehr vertretene Ansicht Kohlers (der grundlegend für die heute herrschende und hier kritisierte Meinung zum Annahmeverzug war65). In der nach Entstehung des BGB regen Diskussion um den Rechtsschutzanspruch, leugnete er die Existenz eines solchen Anspruchs 66 . Diesen könnte man nur annehmen, wenn man auf die Unfehlbarkeit staatlicher Urteile vertraue. Man habe ebensowenig einen Anspruch auf Rechtsschutz, wie der Fähige („auch wenn er die volle Jurisprudenz im Leibe hätte“) einen Anspruch auf Bestehen des Examens. Höchstens ein Anspruch auf Zulassung bestehe, so wie auch nur ein abstraktes Klagerecht 67. Aber auch das abstrakte Klagerecht bestreitet Kohler dann: es bestehe kein „Recht auf die beihelfende Tätigkeit des staatlichen Organs“, nur ein Schadensersatzanspruch (!) gegen den Staat wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts 68 . Auch hier gießt Kohler das „Kind mit dem Bade“ aus, so wie er die Annahmepflicht des Gläubigers bestritt, um einen Schutz des Schuldners auch bei schuldloser Nichtannahme zu erreichen.
b) Relevanz des Kriteriums Klagbarkeit? Allgemein wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Klagbarkeit eine hohe Bedeutung für die Obliegenheiten habe. Das erklärt sich historisch dadurch, dass – schon bevor die Obliegenheiten umstritten waren – ein logischer Zusammenhang zwischen Klage, Verbindlichkeit/Rechtspflicht und Anwendbarkeit des § 278 BGB behauptet wurde. Zwar ist eine Verbindlichkeit Tatbestandsvoraussetzung für die (direkte) Anwendung des § 278 BGB („zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“). Die zwingende Verbindung zwischen dieser Verbindlichkeit und einer Klagbarkeit derselben leuchtet jedoch nicht ein. Es gab und gibt gewichtige Stellungnahmen, die heute überwiegen, auch im allgemeinen Zivilrecht, also losgelöst von der (verengten) Sicht auf die Obliegenheiten, die für eine mögliche Trennung von Rechtspflicht bzw. Anspruch und Klagerecht sprechen69. 65
S. o., S. 64 ff. Kohler, ZZP 33 (1904) S. 211 ff. gegen (u. a.) Wach und Jellinek. 67 Kohler, ZZP 33 (1904) S. 213 f., zur Begründung u. a. (S. 216) mit dem mindestens für den heutigen Prozess abwegigen Argument aus dem Zwangsbeweis, wonach der Richter den Anspruch abweisen müsse, auch wenn er von der vorsätzlichen Lüge des dieses Urteil begründenen Eides überzeugt sei. 68 Kohler, ZZP 33 (1904) S. 220 ff. (222). 69 Zitelmann, AT (1900) S. 24; Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 57; Hellwig, LB I (1903) S. 143 ff.; LB II (1907) S. 12 ff. und System I (1912) S. 291 ff.; Reichel, Unklagbare Ansprüche, Jh. Jb. 59 (1911) S. 409 ff. und Jh. Jb. 60 (1912) S. 38 ff.; Reuss, AcP 154 (1955) S. 514 f.; Wolf, FS Herrfahrdt (1961) S. 205; Stech, Unklagbare Ansprüche, ZZP 77 (1964) S. 161 ff.; Stürner, JZ 1965, S. 389 f.; Wolf, SchR I (1978) S. 19 ff. (S. 21 mit dem Hinweis, dass auch das Klagerecht durch prozessrechtlichen Vertrag ausgeschlossen werden könne, ohne dass sich an dem zugrundeliegenden Anspruch etwas ändere); Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 76 ff.; Staudinger13/ 66
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
Warum sollte es aber für einen Schadensersatzanspruch als Sanktionsfolge, die Möglichkeit, Vertragsstrafen zu vereinbaren oder die Anwendbarkeit des § 278 BGB überhaupt auf die Klagbarkeit einer Pflicht oder Obliegenheiten ankommen? Müsste das nicht sogar umgekehrt bedeuten, dass nach h. M. der Versicherer, der den Versicherungsnehmer zur Erfüllung seiner Obliegenheiten auffordert, rechtswidrig handelt, weil er dies nicht erzwingen dürfte? Wie kann man für eine Klassifizierung der Obliegenheiten bei den Rechtsfolgen ansetzen, wenn man letztlich eine Antwort auf die Frage sucht, welche Vorschriften auf Obliegenheiten Anwendung finden – also welche Rechtsfolgen ihre Verletzung hat?
c) Allgemein: Rechtsgeschäfte und ihre Rechtsfolgen Rechtsfolgen ergeben sich bei Rechtsgeschäften grundsätzlich daraus, dass sie von den Parteien gewollt sind70 . Sie werden entweder ausdrücklich vereinbart oder man stützt sich auf dispositives Gesetzesrecht, welches diese Folgen benennt. Es sei denn, das Gesetz setzt der Privatautonomie bestimmte Grenzen, indem es selbst zwingende Rechtsfolgen vorgibt. Letzteres ist im Versicherungsrecht wie beschrieben71 durch das VVG geschehen. Als Sonderfall für den Zusammenhang von Parteiwillen und Rechtsfolge sei hier das Gefälligkeitsverhältnis72 genannt: hier besteht eben gerade kein wirklicher Rechtsbindungswille. Die gefällige Partei will nicht für die Erfüllung einstehen bzw. Schadensersatz leisten müssen oder sonst irgendwie verbindlich sein. Bei zweifelsfreien Gefälligkeiten wird dementsprechend eine rechtsgeschäftliche Bindung abgelehnt73 . Es entsteht allenfalls ein deliktischer Schadensersatzanspruch, bei welchem jedoch Haftungsmilderungen erwogen werden müssen74 . In Grenzfällen ist zwar in der Regel auch kein wirklicher Rechtsbindungswille vorhanden, dennoch wird unter Umständen die rechtliche Verbindlichkeit jedenfalls mit Schutzpflichten bejaht, wobei auf die Interessenlage der Parteien unter Berücksichtigung des Gedankens von Treu und Glauben abgestellt wird75 .
J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 141. Im allgemeinen Zusammenhang entsprechend für die Forderung Larenz, SchR I (1987) S. 20; Schulze (2008) S. 411 mwN. 70 Vgl. nur Flume, AT (1975) Bd. 2, S. 3 ff. 71 S. o., S. 171 f. 72 Zu verschiedenen „Intensitätsstufen“ von Abreden, insbesondere auch von Gefälligkeitsverhältnissen Reuss, AcP 154 (1955) S. 485 ff., 496 ff. 73 Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 77. 74 Medicus, AT8 (2002) S. 79 ff., Rn. 185 ff. 75 Vgl. vor allem BGH vom 16. 5. 1974, NJW 1994, 1705 ff. (1706) und dazu Faust, BGB AT2 (2007) § 2, Rn. 2; Medicus, AT8 (2002) S. 81 ff., Rn. 190 ff.; Handkommentar4/Schulze (2005)
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 247
Anders ist die Situation bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, die ausdrücklich vereinbart werden und wo ein Rechtsbindungswille der Parteien vorliegt. An ihre Verletzung sind erhebliche Rechtsfolgen geknüpft. Genau diese Rechtsfolgen herbeizuführen ist der Sinn vieler Regelungen in AVB. Daher sollte es gleichgültig sein, ob Obliegenheiten (außerdem) klagbar sind. Das schließt nicht aus, dass sie es sein können.
d) Konkret: Obliegenheiten und Erfüllungszwang Obliegenheiten sind wohl auch nach allgemeiner Ansicht – trotz des oben kritisierten, immer wieder anzutreffenden Vergleichs von Äpfeln und Birnen76 – den Nebenpflichten näher als den Hauptpflichten. Selbst von Vertretern der herrschenden Meinung werden Obliegenheiten sogar gelegentlich als Nebenpflichten bezeichnet77. (1) Veränderungen bei der Klagbarkeit von Nebenpfl ichten Viele allgemein anerkannte Neben- insbesondere Schutzpflichten zeichnen sich dadurch aus, dass sie in der Regel nicht einklagbar sein müssen, sondern anders ihre Funktion erfüllen. In der Regel ist ein Schadensersatzanspruch die einzig sinnvolle und erforderliche Rechtsfolge ihrer Verletzung 78 . Hintergrund der Diskussion ist aber oftmals die Frage, ob für die (vorbeugende) Unterlassungsklage ein materieller Anspruch erforderlich ist. In jüngerer Zeit steht man der Frage einer Klagbarkeit von Neben- und Schutzpflichten im allgemeinen Zivilrecht entspannter gegenüber und schaut primär darauf, ob die Pflicht konkretisierbar ist und ein entsprechendes Rechts-
vor §§ 241–853 BGB, Rn. 23; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 78 ff. Kritisch zur Annahme rechtlicher Bindungen vor allem Flume, AT (1975) Bd. 2, S. 90 f. 76 S. o., S. 233 f. 77 Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 138. BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 15 sprach von Verhaltenspflichten; neuerdings sogar mit Bezug zu § 241 Abs. 2 BGB und entgegen der h. M. als Pflicht auch gegenüber dem VR, aber gegen Klagbarkeit Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25 f. 78 Ähnlich schon Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 16: der Erfüllungsanspruch spielt praktisch keine Rolle, weshalb die Frage, ob er rechtlich gegeben sei oder nicht, offen bleiben könne. Vielmehr dominiere der auf die Pfl ichtverletzung gestützte Schadensersatzanspruch.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
schutzbedürfnis besteht 79. Ähnliches gilt – wie bereits ausgeführt – für die Nebenleistungspflichten80 . (2) Zwar kein Abgrenzungskriterium – Obliegenheitserfüllung kann aber klagbar sein Auch innerhalb des „Bestandes“ der Obliegenheiten sind wichtige Veränderungen zu beobachten. Plastisches Beispiel einer Nebenpfl icht außerhalb des Versicherungsvertragsrechts, die noch vor kurzem ganz überwiegend als Obliegenheit galt, ist die der Kreditinstitute zur Belehrung über verbraucherrechtliche Widerrufsrechte 81. Neuerdings kann ihre Verletzung nach wohl überwiegender Ansicht Schadensersatzansprüche auslösen und es wird von einer Belehrungspflicht gesprochen. Wer käme aber auf den Gedanken zu fordern, der Verbraucher müsse einen klagbaren Anspruch auf Erfüllung dieser Pfl icht haben? Daher ist es – wie bereits unter a) ausgeführt – widersinnig, für die Obliegenheiten, die ja nach überwiegender Ansicht „weniger“ stark als Nebenpflichten sein sollen, genau dieses Abgrenzungskriterium der Klagbarkeit zu bemühen. Das für die Hauptleistungspflichten entwickelte Sanktionensystem82 passt nur begrenzt auf Nebenpflichten83 . Es kann also nicht auf die Klagbarkeit für die Frage der auf Nebenpflichten anzuwendenden Vorschriften ankommen. Meist besteht keine Notwendigkeit, dass der Obliegenheitsberechtigte eine Klage anstellt, da er durch die (anderen) Sanktionen für Obliegenheitsverletzungen in der Regel besser geschützt ist84 . Das schließt jedoch nicht aus, dass auch die zwangsweise Durchsetzung von Obliegenheiten im Einzelfall von Interesse für den anderen Teil und damit ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein 79 Stürner, JZ 1965, S. 389 f.; Henckel, AcP 174 (1974) S. 111 („unabhängige Nebenpflichten“); Motzer, JZ 1983, S. 886 f.; Larenz, SchR I (1987) S. 10 Fn. 3 a; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 25; Soergel12/Teichmann (1990) § 242 BGB, Rn. 189; Hartmann (1997) S. 55 f.; Madaus, Jura 2003, S. 290; Medicus, SchR I16 (2005) S. 157 f., Rn. 423–425; Staudinger/ Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 161; Grunewald, BR 7 (2006) S. 60 Rn. 9; Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 28 Rn. 40. Dagegen stellte V. Bar, AcP 179 (1979) S. 464 ausschließlich darauf ab, was die Parteien ausdrücklich oder konkludent vereinbart hatten. Gegen eine grundsätzliche Erzwingbarkeit jüngst noch Krebs (2000) S. 547 ff., der allerdings in Ausnahmefällen, bei Vorliegen eines besonderen Präventionsinteresses, die Klagbarkeit bejaht und damit weniger weit von der von ihm als herrschend bezeichneten Meinung entfernt ist, als er vorgibt. MünchKomm4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 17 will ausschließlich einen Schadensersatzanspruch zulassen. 80 Nachweise s. o., S. 236 Fn. 26. 81 Vgl. dazu S. 62 mwN. 82 So auch Esser, SchR4 (1970) S. 27, der allerdings daraus die Konsequenz einer Nichtanwendung auf Nebenpflichten zieht. 83 Wie hier Medicus, Schuldverhältnis (1987) S. 15 f. 84 Gegen die Ansicht einer „schwächeren Sanktion“ ausführlich und mwN aber s. o., S. 13 f., 221 f.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 249
kann85 . Umgekehrt ist das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses keine materielle Frage der „Pflichtigkeit“, sondern nur prozessrechtliche und damit öffentlich-rechtliche Voraussetzung der Klage 86 . (3) Beispiele Wenn dem Versicherer Hinweise vorliegen, dass sich die Gefahrumstände erhöht haben sollen und der Versicherungsnehmer keine Angaben macht und damit seiner Anzeigeobliegenheit nach § 23 Abs. 2 VVG a. F. bzw. § 23 Abs. 2 und 3 VVG 2008 nicht nachkommt, dann braucht der Versicherer genauere Informationen, um zu entscheiden, ob er ggf. von einem Kündigungsrecht Gebrauch macht oder eine entsprechende Prämienanpassung fordert. Es erschiene unbillig, sein Rechtsschutzinteresse mit dem Argument zu verneinen, dass er ja gem. § 25 Abs. 1 und 2 VVG a. F. (§ 26 Ab. 2 und 3 VVG 2008) leistungsfrei werde, wenn der Versicherungsfall nach Gefahrerhöhung eintrete und den Versicherungsnehmer entweder Verschulden trifft oder er seiner Anzeigeobliegenheit nicht nachgekommen ist. Denn der Versicherer müsste zunächst die Kausalität zwischen Gefahrerhöhung und Versicherungsfall beweisen können (vgl. § 25 Abs. 3 VVG a. F. bzw. § 26 Abs. 3 VVG 2008). Außerdem entginge ihm – insbesondere wenn der Versicherungsfall nicht eintritt – die möglicherweise höher vereinbarte Prämie. § 34 VVG a. F. bzw. § 31 VVG 2008 spricht ganz ausdrücklich davon, dass der Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalles Auskünfte vom Versicherungsnehmer verlangen kann. Warum sollte das nicht auch ggf. einklagbar sein? Ein Rechtsschutzanspruch ist auch zu bejahen, wenn der Versicherer erfährt, dass der Versicherungsnehmer eine weitere Versicherung abgeschlossen hat, aber entgegen § 58 VVG a. F. bzw. § 77 VVG 2008 weder Namen des Versicherers noch die Versicherungssumme angibt87. Ähnlich liegt der Fall, wenn der Versicherungsnehmer der vorvertraglichen Anzeigepfl icht nicht vollständig nachkommt, der Versicherer aber das Vertragsangebot schon angenommen hat 85 So schon Ehrenzweig, ZVW 31 (1931) S. 366; Haymann, VersArch 1933–34, S. 969 f.; Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. Zu weit ging allerdings Weyermann (1929) S. 28, der zwar für das schweizerische Recht viele Obliegenheiten für Rechtspflichten hielt, als Voraussetzung der Klagbarkeit aber verlangte, dass dies expressis verbis vereinbart worden sei. 86 So schon Hellwig, System I (1912) S. 296. Aktueller Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 51; Stein/Jonas/Schumann, ZPO-Kommentar21 (1997) vor § 253 ZPO, Rn. 102 b-c; MünchKommZPO2/Lüke (2000) vor § 253 ZPO, Rn. 10; Baumbach/Hartmann, ZPO-Kommentar64 (2006) Grundz § 253 ZPO, Rn. 33 ff. Zum verwandten Problem der Rechtsschutzfähigkeit eines Anspruchs und der Verhinderung innovativer Klagen durch vorschnelle Aussonderungen vgl. Röhl, Allgemeine RLehre2 (2001) S. 370 f. 87 Das Beispiel stammt von Ehrenzweig, VVR (1935) S. 276, gebracht auch von Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 66.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
– auch dann könnte man eine Klage des Versicherers auf Vervollständigung der Angaben erwägen88 . Ein anderes Beispiel: Ein Haftpflichtversicherer könnte vom Versicherungsnehmer (klageweise) verlangen, sich vom Verletzten verklagen zu lassen und mit ihm streitig zu verhandeln und wäre es nur, um vor Gericht eine günstige Vergleichsposition zu erreichen und den „Schaden“ zu mindern, der im entstandenem Haftpflichtanspruch besteht 89. Man sollte vom Abgrenzungskriterium der Klagbarkeit endgültig Abschied nehmen, ohne deshalb gleich grundsätzlich davon auszugehen, dass Obliegenheitserfüllung immer einklagbar sei.
e) Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung, insbesondere Schadensersatz als Abgrenzungskriterium der Rechtspflicht Schon im dogmengeschichtlichen Teil wurden viele wichtige Argumente dafür, dass es auch bei Obliegenheitsverletzungen Schadensersatz geben kann, genauer ausgeführt. Vor allem der Wortlaut des Gesetzes und der Wille des historischen Gesetzgebers tragen diese Ansicht90 . Es soll nun aber nicht doch anhand der Rechtsfolgen das „Wesen“ der Obliegenheiten bestimmt werden. Es erscheint jedoch wichtig, noch einmal grundsätzlich zu hinterfragen, wie und warum es zur überwiegenden Ansicht kam, dass Klagbarkeit oder insbesondere ein Anspruch auf Schadensersatz kennzeichnend (nur) für „echte“ Rechtspflichten seien. (1) Schadensersatz allgemein ungeeignet als „Grenzstein“ Wie undurchsichtig – und gegen den Willen des VVG-Gesetzgebers zu den Obliegenheiten – es zur Abgrenzung der Rechtspflichten mittels des Kriteriums „mindestens Schadensersatz als Rechtsfolge“ kam, wurde bereits im dogmengeschichtlichen Teil ausgeführt91. Dabei hatte auch die falsche Zitierung angeblicher Befürworter einer solchen Grenzziehung eine nicht unerhebliche Bedeutung92 .
88 So ausdrücklich noch Oertmann, DVZ 1925, S. 117. Vgl. zu Schadensersatz und Erfüllungszwang bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht auch Ehrenzweig, VVR (1935) S. 181 f. 89 Das Beispiel stammt von Lenné, ZVW 12 (1912) S. 1241. 90 S. o., S. 172 ff., 176 ff. 91 S. o., S. 134 f., 139 ff. zu Siber, Rechtszwang (1903) dem Schadensersatz für die Bejahung einer echten Rechtspflicht noch nicht genügte. 92 So (falsch) insbesondere bei Frank (1933) S. 30 mit Fn. 10 und R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 36, dessen Nachweise in Fn. 173 nur teilweise korrekt waren, der dann aber dennoch von anderen (ohne Überprüfung?) zitiert wurde.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 251
(2) Nochmals: Das Vergessen des Schadensersatzanspruchs durch die Versicherer Die wichtigste Rolle spielen Obliegenheiten nun einmal im Versicherungsrecht. Daher ist auch hier die Ursache dafür zu suchen, warum so lange behauptet wurde, dass bei Obliegenheitsverletzungen kein Schadensersatzanspruch zustehen könne. Eigentlich müssten die Versicherer doch ein Interesse am Gegenteil haben. Der Hintergrund für das bisherige Desinteresse der Versicherer wird klarer, wenn man in diesem Zusammenhang die Diskussion um die Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips heranzieht93 . Hier wurde nämlich von Seiten der Versicherer eingewandt, dass durch Obliegenheitsverletzungen verursachte Mehraufwendungen ziffernmäßig schwer erfassbar seien94 . Zwar mag auch Streit über einzelne Schadensposten ähnlich wie bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles über den Grad des Verschuldens nicht zu vermeiden sein95 . Die langen Erfahrungen in der Schweiz zeigen jedoch, dass viel weniger Prozesse geführt werden müssen, als die Versicherer auch dort (prophylaktisch) meinten96 . Im Übrigen liefert dieser Einwand – zusammen mit der Tatsache, dass (eben auch aus diesem Grunde) in der Regel Leistungsfreiheit des Versicherers als Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen vereinbart wird, was eventuelle Schäden des Versicherers meist überreichlich abdeckt – nur die ökonomische, keine juristische Erklärung für die Bevorzugung der Leistungsfreiheit. Das Problem liegt also sowohl bei abgestuften Entschädigungen als auch bei Schadensersatzansprüchen darin, einen dem Verschulden entsprechenden bzw. kausalen Schaden zu ermitteln und zu belegen97 bzw. dass unter Umständen ein solcher gar nicht vorhanden ist98 . Dieses Problem sprach schon das Reichsge-
93
Zum Alles-oder-Nichts-Prinzip genauer s. u., S. 297 ff. Vgl. etwa schon Haidinger in: Geburtstagsschrift Prölss (1967) S. 204. Sinngemäß auch Armbrüster, ZVW 90 (2001) S. 503. 95 Vgl. Armbrüster, ZVW 90 (2001) S. 503; Kurzka, VersR 2001, S. 700. Zuversichtlich im Zusammenhang mit der Feststellung des Verschuldensgrades bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles, wo in Zukunft bei groben Verschulden eine Quotelung gilt, auch der Abschlussbericht der VVG-Kommission vom 19. 4. 2004, unter 1.2.2.3., S. 70. 96 Ausführlich zur Situation bei Entstehung des schweizerischen VVG, welches eine Abstufung der Versicherungsleistung nach der Schwere des Verschuldens bei Herbeiführung des Versicherungsfalles (Art. 14) vorsieht, und zu Erfahrungen, dass die Zahl der Prozesse sich in Grenzen hält, vgl. Suter, Herbeiführung (Zürich 1999) S. 14 f., 35. Die Versicherungsgesellschaften sollen tatsächlich sogar freiwilligen Empfehlungen nachkommen, selbst bei grober Fahrlässigkeit (u. a.) auf finanzielle Notlagen Rücksicht zu nehmen, vgl. a.a.O., S. 154. 97 Rabel, VersArch 1937/38, S. 730: Um seinen Schaden zu beweisen, müsste der Versicherer „so viel innere Umstände seines Betriebes offenbaren, daß er auf Schadensersatzklagen begreiflicherweise verzichtet“. 98 So auch schon Bischoff, DÖV 1939, S. 184; Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 78; Schiller, Versicherungsbetrug, ZVW 2004, S. 835, 847. 94
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
richt im Jahre 1930 klar aus99. Auffälligerweise wird seither in der Literatur ein Schadensersatzanspruch des Versicherers kaum mehr thematisiert. Die weitgehende Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips auch für Obliegenheitsverletzungen ist nun mit der VVG-Reform geschehen. Dadurch könnte das Interesse der Versicherer an der Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen, erheblich steigen100 . Ein ähnliches Interesse ist ja bereits im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Vertragsstrafen zu beobachten101.
f) Exkurs: Anspruch und Rechtspflicht (1) Die Überreste aktionenrechtlichen Denkens Die Vorstellung, dass zur Annahme einer Rechtspflicht, ob Haupt- oder Nebenpflicht, ihre Klagbarkeit gehöre, ist letztendlich ein Nachklang aktionenrechtlichen Denkens. Dieses war typisch für das klassische römische Recht. Es war ein langer Weg zur heutigen Trennung von materiellem Privatrecht und Zivilprozessrecht. Parallel dazu bildete sich die Vorstellung eines materiellen Anspruchs heraus. Die Struktur des römischen Privatrechts wurde hingegen durch den Zivilprozess bestimmt102 . Das Recht wurde also nicht wie heute als ein System von Rechten und Rechtsverhältnissen, sondern als ein System von Klagen (actiones) begriffen103 . Die römische obligatio war dabei – wie bereits ausgeführt104 – nicht mit einem Leistensollen des Schuldners im heutigen Sinne verbunden. Bereits im Mittelalter gab es gewisse Ansätze einer Trennung von materiellem und prozessualem Recht105 . Im 17. Jahrhundert wurde von den Juristen des Usus modernus die Auflösung des Aktionensystems eingeleitet, indem man
99 RG vom 11. 3. 1930, RGZ 127, 367 (369). Es ging um die Frage, ob die Berufung der Versicherung auf Leistungsfreiheit wegen verspäteter Anzeige des Versicherungsfalles nur dann zulässig sei, wenn ihr daraus tatsächlich ein Schaden entstanden ist, was damals abgelehnt wurde. Dazu wörtlich: „Der Nachweis eines solchen Schadens würde wohl auch meistens nach Lage der Dinge unmöglich sein.“ 100 Ganz allgemein zum Risiko als Kriterium der Zurechnung (mit der Folge Schadensersatz) vgl. Meder, JZ 1993, S. 542 f. 101 Dazu s. o., S. 210 und s. u., S. 269 ff. 102 Wesel, Geschichte (2006) Rn. 135, S. 178. 103 Vgl. auch Medicus, AcP 174 (1974) S. 314 f. der von einer „Ausrichtung des Denkens auf den Prozeß überhaupt“ spricht. Allerdings gab es zumindest bei dem didaktisch orientierten Juristen Gaius klare Systematisierungsversuche. Wie stark das römische Recht von einem System durchdrungen war, ist unter Romanisten umstritten. Für eine von der griechischen Philosophie beeinflusste durchgehende Konzeption vor allem Behrends in vielen Aufsätzen zu „Institut und Prinzip“, zusammengefasst bei Kaser/Knütel, § 1, Rn. 11. 104 S. o., S. 140. 105 Vgl. dazu Kaufmann, JZ 1964, S. 484 ff.
III. Klagbarkeit und Schadensersatz als Abgrenzungskriterien von Obliegenheiten? 253
darauf verzichtete, in der Klageschrift den Namen der actio zu nennen106 . Der von den Naturrechtlern entwickelte, neue Gedanke des subjektiven Rechts führte später zum ebenfalls neuen Anspruch und damit zum erzwingbaren Leistensollen107. Die Trennung von materiellem Recht und Prozessrecht ist in den naturrechtlichen Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts dokumentiert, welche erstmals separate Gesetzbücher für beide Gebiete hatten. Auf Windscheid wird allgemein die Ausarbeitung des Anspruchs108 als materielles, der Klage zugrunde liegendes Recht, und damit der wissenschaftliche Ansatz zur Überwindung des aktionenrechtlichen Denkens zurückgeführt109. Windscheid schlug zwar zunächst noch Widerspruch entgegen110 . Die Regelungen des BGB, dessen 1. Entwurf „der kleine Windscheid“ genannt wurde, sind jedoch Ausdruck des heute selbstverständlichen Denkens in Ansprüchen111. Aus der ehemaligen actio entspringt neben dem materiellen Anspruch die Lehre vom Rechtsschutzanspruch (Rechtsschutzbedürfnis/-interesse) 112 . Letztere bezieht sich auf die Frage der missbräuchlichen Rechtsdurchsetzung und ist in manchen Details umstritten113 . Es war allerdings nach Inkrafttreten des BGB wie für die Rechtspflicht umstritten, ob Klagbarkeit und zwangsweise Durchsetzung „wesensnotwendig“ für einen Anspruch seien114 . Dennoch behandelte schon Siber115 und diesem fol106
Kaufmann, JZ 1964, S. 487 f. Ausführlich Hägerström (1934/1965) S. 16 ff., 44 ff. 108 Zur Geschichte des Ausdruckes „Anspruch“ vgl. Bolze, Anspruch (1902) S. 753 ff., der ihn auf die gerichtliche Geltendmachung von Rechten, d. h. die tatsächliche Verfolgung von Befugnissen zurückführt. Danach deckte sich die Wortbedeutung ursprünglich in etwa mit dem, was die Römer als actio bezeichneten, a.a.O, S. 757. 109 Windscheid, Actio (1856) passim, insb. S. 221 ff.; eine Kurzfassung in seinem Lehrbuch Windscheid/Kipp, PandektenR I9, § 43, S. 182 ff. Vgl. zum „Anspruch“ aber z. B. auch schon Unterholzner, Schuldverhältnis Bd. 1 (1840) S. 1 und v. Savigny, System V (1841) S. 5 f., 142 ff. 110 Beispielsweise Dernburg, Pandekten I4 (1894) § 39 S. 89 N. 6.: „Windscheid, die Aktio des römischen Civilrechts 1856, hat den Begriff des „Anspruchs“ zuerst eingehender zu bestimmen versucht und in der Wissenschaft eingebürgert. Zum Vorteil des deutschen Rechts war das nicht.“ Kritisch noch nach Inkrafttreten des BGB z. B. Bolze, Anspruch (1902) S. 753 ff.; Dernburg, Pandekten I8 (1911) § 33 S. 66 N. 2. 111 J. Schmidt in FS Jahr (1993) S. 401 spricht vom Anspruch als Zentralbegriff des heutigen Zivilrechtssystems, Schapp, JuS 1992, S. 538, 542 ff. vom Zivilrecht als Anspruchssystem, jedenfalls für die ersten drei Bücher des BGB. 112 Hellwig, System I (1912) S. 295 f.; Kaufmann, JZ 1964, S. 488. Zur exakten Trennung zwischen Prozessrecht und materiellen Recht auch Fleck (2004) S. 220 ff.: Jeder Rechtssatz, der den Parteien eine Verhaltenspflicht auferlegt, ist materielles Recht (a.a.O., S. 220). 113 Vgl. dazu aktuell Stein/Jonas21/Schumann (1997) vor § 253 ZPO, Rn. 100 ff.; MünchKommZPO2/Lüke (2000) vor § 253 ZPO, Rn. 10, 24; Baumbach64/Hartmann (2006) Grundz § 253 ZPO, Rn. 25 ff., 33 ff. 114 Für (zwingende) Klagbarkeit des Anspruchs insbesondere Siber, Rechtszwang (1903) S. 70 f. Dagegen: Bekker, Jh. Jb. 49 (1905) S. 57; Staudinger3/4/Kuhlenbeck (1908) Vorbem. vor § 241 BGB, S. 4 f.; Reichel, Jh. Jb. 59 (1911) S. 415, 423 f.; Hellwig, LB I (1903) S. 143 ff.; LB II (1907) S. 12 ff. und System I (1912) S. 291 ff. 115 Siber, Rechtszwang (1903) S. 17 ff. zum „Leistensollen“, d. h. den Rechtspflichten und S. 69 ff. zum Anspruch. 107
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gend die spätere Literatur die Fragen, was eine „echte“ Rechtspflicht sei und ob ein Anspruch klagbar, d. h. in natura erzwingbar sein müsse, getrennt, obwohl es sich doch aus heutiger Sicht nur um die zwei Seiten einer Medaille handelt, also einmal um die Sicht des Schuldners und einmal die des Gläubigers. Grundsätzlich ist der Anspruch des Gläubigers nichts anderes, als das Gegenstück zur Rechtspflicht des Schuldners116 . Die Legaldefinition des Anspruchs, dass er das Recht ist, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB), sagt nichts darüber aus, ob dieses Recht zwangsweise durchsetzbar sein muss, oder ob eine andere Sanktion, insbesondere Schadensersatz, genügt. Gerade wenn man an die Entwicklung des Schuldverhältnisses (i. e. S.) denkt, das nach dem Willen des BGBGesetzgebers nur bei Klagbarkeit vorlag, nach heute h. M. aber auch bei „bloßer“ Sanktionierung durch Schadensersatz117, dann fragt es sich, warum für Ansprüche etwas anderes gelten soll. (2) Begriffsjurisprudenz Es ist also genauso wie beim „Begriff“ der Rechtspflicht Begriffsjurisprudenz (im negativen Sinne) 118 in Verbindung mit aktionenrechtlichem Denken zu behaupten, zum „Wesen“ des Anspruchs gehöre zwingend eine Klage auf Erfüllung. Die „fatale Neigung“ schlechter Begriffsjurisprudenz, „die Bewährung ihrer Begriffe am extremen oder ungewöhnlichen Fall zu erproben“119 findet sich in den häufig als angeblich typisch aufgeführten Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten (u. a. §§ 362, 377 HGB, §§ 121, 149 BGB) 120 wieder. Gerade für diese Beispiele haben die verschiedenen Theorien zur „Rechtsnatur“ aber wie gezeigt gar keine Relevanz. Inzwischen hat man nun – von den Vertretern der Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorie unbemerkt – festgestellt bzw. deutlicher wahrgenommen, dass es durchaus vorübergehend oder dauerhaft klaglose Ansprüche gibt121. In 116 So schon Reichel, Jh. Jb. 59 (1911) S. 409; Hägerström (1934/1965) S. 13; Henckel, AcP 174 (1974) S. 127: „Die dogmatische Funktion des materiellen Anspruchs läßt sich umschreiben als die Verknüpfung einer Pflicht mit der Person eines Rechtsträgers, dem mit der Gewährung des Anspruchs das Fordernkönnen als eigenes materielles Innehaben zugewiesen ist.“; Larenz, SchR I (1987) S. 15; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 30; Neumann (1989) S. 43, 147; Hartwig, Verantwortlichkeit (1993) S. 260; Hartmann (1997) S. 54; Larenz/Wolf, AT (2004) S. 233 Rn. 32; Schwab, Einführung16 (2005) S. 84 Rn. 177; grundsätzlich auch Huber in Staudinger/Eckpfeiler (2005) S. 120, der jedoch die Obliegenheiten hiervon ausdrücklich ausnimmt. 117 Vgl. s. o., S. 134 ff., 139 ff. 118 Allgemein zur Argumentation mit diesem Vorwurf s. o., S. 219 f. 119 W. Ebel, ZVW 51 (1962) S. 65. 120 Zu den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten s. o., S. 77 ff. 121 Vgl. dazu etwa Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 76 ff.
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S.
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den letzten Jahrzehnten wird dementsprechend in der Literatur überwiegend zwar grundsätzliche, aber nicht zwingende Klagbarkeit des Anspruchs vertreten122 . Als Unterfall dieser Ansicht wird dabei der Anspruch in die durch ihn verliehene Rechtsposition und die Rechtsbehelfe zur Durchsetzung, d. h. die daraus resultierenden sogenannten Einzelbefugnisse123 , wozu der Naturalerfüllungszwang gehören kann, aber nicht muss, unterschieden. Gegen das zwingende Erfordernis der Klagbarkeit spricht auch, dass der Anspruch (jedenfalls in der Regel) ohne Klage und gerichtliche Mitwirkung befriedigt wird und erlischt. Wohl auch deshalb kam man historisch so lange und in manchen Rechtsordnungen noch heute ohne Naturalerfüllungszwang aus. Die Frage der „echten“ Rechtspflicht hingegen hat mit zunehmender Konzentration auf den Anspruch – außer für die Nebenpflichten, die gerade nicht im Mittelpunkt des Schuldverhältnisses stehen – an Interesse verloren und ist in den Hintergrund getreten. Sinnvoll wäre es, endlich beide Aspekte wieder zu verbinden. Vorzugswürdig ist dabei die Ansicht, die zwischen Annahme eines Anspruchs bzw. einer Rechtspflicht und den Sanktionsfolgen für Nichterfüllung bzw. Pflichtverletzung differenziert. Damit ist allerdings noch nichts gewonnen für die Frage, welche Vorschriften denn nun auf Obliegenheiten Anwendung finden.
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S. Wenn man die übliche Unterscheidung zwischen „echten“ Rechtspflichten und Obliegenheiten anhand der Rechtsfolgen als untauglich ansieht, bleibt erst nur die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenpflichten als Orientierung, wobei Obliegenheiten nach dem heutigen Sprachgebrauch124 jedenfalls keine Hauptpflichten sind. Die Argumente der überwiegenden Ansicht zur Besonderheit der Obliegenheiten konnten nicht überzeugen, daher muss man sich nun fragen, was zur Unterscheidung zwischen Nebenpflichten und Obliegenheiten bleiben könnte.
122 Henß (1988) S. 82 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 76 ff.; Hartmann (1997) S. 56; Grunewald, BR 7 (2006) S. 60, Rn. 9. 123 Rimmelspacher (1970), S. 107 ff., 168 ff.; Henckel, AcP 174 (1974) S. 134; Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl. zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 118 ff., 125, 141. Vgl. auch Medicus, SchR I16 (2005) S. 7 ff., Rn. 18–23. 124 Vgl. zum ursprünglichen allgemeinen Sprachgebrauch i. S. v. Pfl icht s. o., § 4.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
1. Das Schuldverhältnis i. w. S. Heute ist es selbstverständlich, vom Schuldverhältnis nicht nur als der einzelnen Leistungsbeziehung, sondern auch in einem weiteren Sinne als „Organismus“125 , „Quelle“ oder „Gefüge“ zu sprechen126 . Durch das Schuldverhältnis i. w. S. wird also zwischen den Parteien eine Beziehung geschaffen, die nicht nur die Verwirklichung eines Leistungszieles, sondern auch die Erfüllung von Nebenpflichten verlangt127. Das Schuldverhältnis i. w. S. umfasst somit alle Rechtsverhältnisse, die relative Rechte und Pflichten zwischen mindestens zwei Personen begründen, sofern eine Pflicht zur Leistung von vornherein vorhanden ist oder später entstehen kann128 . Die römischen Juristen kannten kein „Schuldverhältnis als Ganzes“, dieses entspricht modernrechtlichem Denken129. Nach Entstehung des BGB setzte sich erst sehr allmählich die Meinung durch, dass es neben dem Schuldverhältnis i. S. d. § 241 BGB auch eine weiter aufzufassende Bindung zwischen den Parteien eines Vertrages gibt130 . Die Nebenpflichten waren bei der Gesetzgebung – wie zuvor im gemeinen Recht – vernachlässigt worden131. Blomeyer feierte die Erkenntnis, dass das Schuldverhältnis sich nicht in einer bestimmten Leistungspflicht erschöpft, sondern das Lebensverhältnis umspannt, dessen „Abwicklung zahlreiche Obliegenheiten [sic! gemeint aber allgemein als Nebenpflichten] und Befugnisse“ auslösen kann, als „Errungenschaft der deutschen Theorie“132 . Es scheint für die Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorie jedoch noch heute ausgesprochen schwierig zu sein, die Obliegenheiten in diesem Schuldverhältnis i. w. S. wirklich aufzunehmen und einzuordnen133 . 125
Planck/Siber (1914) Vorbem. I 1 a, S. 3. Ausführliche Darstellung der verschiedenen Bezeichnungen (mwN) vgl. Larenz, SchR I (1987) S. 26 ff.; Staudinger13/J. Schmidt (1995) Einl zu §§ 241 ff. BGB, Rn. 201 ff.; Staudinger/ Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 39; Dorn, HKK II/1 (2007) § 241 BGB, Rn. 71. 127 Stoll, AcP 136 (1932) S. 288 meinte deshalb, dass jedes Schuldverhältnis heute ein bonae fidei iudicium sei, weil es von Treu und Glauben beherrscht sei. 128 So die Definition von Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 12. 129 Flume, Rechtsakt (1990) S. 11. 130 Dazu schon (mwN) s. o., S. 134 f. Zur Entwicklung der verschiedenen Bedeutungen von „Schuldverhältnis“ mit dem kritischen Blick des Schweizers Bucher, FS Wiegand (2005) S. 93 ff., 116. Vgl. auch Dorn, HKK II/1 (2007) § 241 BGB, Rn. 71. 131 S. o., S. 135 f. 132 Blomeyer, Art. Schuldverhältnis (1938) Sp. 279. 133 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 316: „Im Schuldrecht gehört sie [d. h. die Obliegenheitsbeziehung] zum Schuldverhältnis im weiten Sinne“ – das ist jedoch ein ganz vereinzelter Satz aus seiner Zusammenfassung. Vgl. auch Esser8/E.Schmidt (1995) S. 113: beide, Pflichten und Obliegenheiten, „resultieren aus der Obligation“ – das verdreht aber, dass zwar „Schuldverhältnis“ ein neuer Begriff für „Obligation“ war, aber die Obligation gerade selbst aus Vertrag oder Delikt entsteht (vgl. schon Gaius Inst. 3, 88) und daher die Forderung oder Schuld bezeichnet und nicht der Oberbegriff sein kann. 126
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S.
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Den Gedanken, dass Obliegenheiten „vertragszielbezogene Nebenpflichten“ des Gläubigers seien, deren Bindungswirkung aus dem Schuldverhältnis i. w. S. resultiere, hatte bereits Henß134 . Allerdings konnte er sich mit seiner inhaltlich recht schmalen, das Versicherungsrecht ausschließenden Untersuchung nicht durchsetzen. Das liegt vielleicht auch daran, dass er den „klassischen“, hier bereits kritisierten Begründungsweg genommen hat: Es gebe auch nicht klagbare Pflichten bzw. Ansprüche und deswegen seien Obliegenheiten Pflichten135 . Auch Looschelders zieht eine Verbindung zwischen Obliegenheiten (die er aber gerade nicht für Pflichten hält) und dem Schuldverhältnis i. w. S., leider ohne nähere Ausführungen136 . Gerade im Versicherungsvertragsrecht ist der Zusammenhang zwischen den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und dem Vertragsziel offensichtlich137. Dennoch ist das Schuldverhältnis i. w. S. nicht geeignet, die Begründung für Pflichten oder Obliegenheiten zu liefern, da es nicht aus sich selbst heraus diese erzeugt138 . Sie finden dennoch ihrem Platz innerhalb dieser Rahmenbeziehung. Im Folgenden geht es daher um eine beschreibende Einordnung der Obliegenheiten in das Schuldverhältnis i. w. S.
2. Obliegenheiten i. e. S. als Neben- oder Verhaltenspflichten Der einzige Unterschied zwischen Obliegenheiten i. e. S.139 und „echten“ Nebenpflichten liegt wie beschrieben nur in der behaupteten Rechtsfolge, dass Obliegenheitsverletzungen angeblich nicht mit einem Schadensersatzanspruch sanktioniert werden könnten140 . Eine solche Unterscheidung zu den anerkannten („echten“) Nebenpflichten, kann sich wie gezeigt weder auf den Willen des Gesetzgebers noch auf andere Argumente stützen141. Daher muss sich die Rechtsfolge wie allgemein bei Pflichtverletzungen nach dem richten, was den Interessen des Verletzten entspricht142 , also konkret desjenigen, zu dessen Guns134
Henß (1988) S. 21, 101 ff. Henß (1988) S. 84 ff. 136 Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 221. 137 Vgl. s. o., S. 197 ff. 138 Vgl. auch Larenz, SchR I (1987) S. 27 Fn. 39; Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 7 ff.; Staudinger/Olzen (2005) § 241 BGB, Rn. 44. Anderer Ansicht Schapp, JuS 1992, S. 540. 139 Zur hier entwickelten Terminologie vgl. S. 103 ff. (110). Dazu gehören in erster Linie die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers sowie die des Gläubigers zur Annahme und zur Mitwirkung. 140 Ähnlich auch Canaris, Vertrauenshaftung (1971) S. 199; Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 46–47. 141 Vgl. S. 173 ff., 203 ff., 242 ff. 142 So Stoll, AcP 136 (1932) S. 284, 286, 290 mwN, insbesondere in Bezug auf die damals noch problematischen, heute allgemein anerkannten Schutzpfl ichten. 135
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ten eine Obliegenheit auferlegt wurde. Gleichzeitig sollte man sich aber der allgemeinen Gefahren einer Argumentation mit Interessen bewusst sein143 .
a) Bedeutung und Folgen einer (Neben-)Pflichtverletzung Die Charakterisierung der Obliegenheiten als nach den allgemeinen Vorschriften sanktionierte Pflicht kann man jedenfalls besser als von der Rechtsfolge von der Pflicht bzw. der Pflichtverletzung her verstehen144 . Die Schuldrechtsmodernisierung hat hier wenig geändert, obwohl oft behauptet wird, dadurch sei die Pflichtverletzung „der zentrale Begriff“ im Recht der Leistungsstörungen geworden. Denn die Pflichtverletzung war schon immer ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, insbesondere für Schadensersatzansprüche, welches nur anders formuliert war. Typisch für jede rechtlich relevante Pflichtverletzung ist es, dass diese für den Verpflichteten nachteilige Konsequenzen hat. Das muss nach dem bisher Gesagten kein angeblich „schwerer“ Zwang zur Pflichterfüllung sein. Auch bei „echten“ Rechtspflichten wird man in der Regel nur bei den Hauptleistungspflichten zur Erfüllung gezwungen, selten bei den Nebenpflichten145 . Diese haben vielmehr begleitende Funktionen. Die Schutzpflichten dienen dem Erhalt der Rechtsgüter des Gläubigers bzw. der Abwehr von Schädigungen, die sonstigen Verhaltenspflichten eher der Erfüllung der Leistungspflichten und damit der Vertragsdurchführung146 . Die Besonderheit der Obliegenheiten i. e. S. ist nun, dass sie dem Begünstigten (nicht dem Verpflichteten) zur Begrenzung oder Erfüllung seiner Leistungspflichten dienen. Das wird insbesondere an den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers und den Mitwirkungspflichten des Gläubigers deutlich. Insofern könnte man von leistungsbezogenen Nebenpflichten des Vertragspartners (Versicherungsnehmer, Besteller, Gläubiger bei Annahme) sprechen. Allerdings besteht auch eine große Nähe zu den Nebenleistungspflichten. Das zeigt sich klar bei der Abnahmepflicht, welche beim Kauf ausdrückliche Nebenleistungspflicht ist, allgemein aber „bloß“ Obliegenheit sein soll147. Alle Neben- oder Verhaltenspflichten genannten Anforderungen werden im Interesse des jeweils Begünstigten angenommen. Werden sie schuldhaft verletzt, muss vorrangig durch Schadensersatz das Interesse an der Erhaltung von 143
Dazu s. o., S. 219 f. Ähnlich schon Esser, Besprechung R. Schmidt, AcP 154 (1954) S. 50. 145 Etwas anderes gilt bei den Nebenleistungspflichten, bei denen Klagbarkeit auch grundsätzlich bejaht wird, vgl. MünchKomm4/Kramer (2001) § 241 BGB, Rn. 19 und 21; Medicus, BR 21 (2007) S. 149, Rn. 207. 146 Genauer s. o., S. 236. 147 Vgl. dazu s. o., S. 64. 144
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S.
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Rechtsgütern (Schutzpflichten) oder an der Erfüllung der weiteren Verhaltenspflichten ausgeglichen werden148 . Das gilt grundsätzlich auch für die Obliegenheiten, nur dass sich hier vielfach speziellere, passgenauere Rechtsfolgen eingebürgert haben. Außerdem muss der (Neben-)Verpflichtete für seine Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB einstehen. Im Unterschied zu den Obliegenheiten, bei deren „Erfindung“ es ursprünglich gerade um die Ausschaltung des § 278 BGB ging, wurden die Schutzpflichten gerade entwickelt, um § 278 BGB (statt § 831 BGB) anwenden zu können149. Das ändert aber nichts daran, dass die so bezeichneten Verhaltensanforderungen allesamt Verhaltenspflichten in vorvertraglichen oder vertraglichen Schuldverhältnissen sein können. Gemeinsam ist ihnen, dass sie demjenigen, in dessen Interesse sie auferlegt sind, bei ihrer Verletzung einen Schadensersatzanspruch geben sollen150 .
b) Belastung mit Nachteilen aufgrund der allgemeinen Risikoverteilung Der Grundsatz, dass jeder für seinen Rechts- und Gefahrenkreis einzustehen hat, durchzieht das ganze Recht. Diesbezüglich gilt für Obliegenheiten keine Besonderheit151. Bei Zuwiderhandeln gegen typische Verbindlichkeiten, insbesondere Hauptleistungspflichten, trifft der daraus resultierende Nachteil letztendlich, d. h. wenn man die sekundären Ansprüche in die Betrachtung einbezieht, den ursprünglich Verpflichteten. Darin liegt gerade der Sinn aller Leistungsstörungsregeln: Risiken und Nachteile demjenigen aufzuerlegen, der sie (eher) zu vertreten hat! Schon R. Schmidt arbeitete für die Obliegenheiten mit dem Gedanken der Rechtssphären. Er stellte für versicherungsrechtliche Obliegenheiten fest, dass sie gerade deshalb ein Verhalten des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder bestimmter Dritter betreffen, weil das versicherte Risiko grundsätzlich zur persönlichen Rechtssphäre dieser Personen gehört152 . 148
Larenz, SchR I (1987) S. 112 f. Für den Zusammenhang der Schutzpflichten mit § 278 BGB schon s. o., S. 133 ff., 135 mwN; allgemein zu Schutzpfl ichten auch s. o., S. 234 ff., 246 f. 150 Das war auch bei der Entwicklung der Lehre von der culpa in contrahendo der leitende Gesichtspunkt, vgl. Jhering, Jh. Jb. 4 (1861) vgl. insbesondere S. 4 f., 7. 151 So auch Staudinger/Weber 11 (1967) Einl vor § 241 BGB, Rn. M 21 und 25, der aber dennoch hierin die Rechtfertigung für die nachteiligen Folgen von Obliegenheitsverletzungen findet und im übrigen eher der Voraussetzungstheorie zuneigt, wenn er auch in einigen Punkten R. Schmidt zustimmt. 152 R. Schmidt, ZVW 57 (1968) S. 83; ähnlich schon ders., Obliegenheiten (1953) S. 220 und ders., Schriftliches Generalreferat, in Materialien (1968) S. 13. Frühe Ansätze für die Obliegenheiten i. w. S. im BGB ebenso wie für die c.i.c. allgemein bei Herholz, AcP 129 (1929) S. 314 149
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
Dennoch ist es nicht nur für versicherungsrechtliche Obliegenheiten typisch, dass der eine Teil in besonderem Maße Herr des Geschehens ist153 . Wenn etwa der Gläubiger seine Mitwirkung verweigert, so kann es allein an ihm liegen, dass der Schuldner seine Leistung nicht erbringen kann154 . Und die Verantwortlichkeit für die eigene Rechtssphäre stellt, wie schon anfangs festgehalten, nicht einmal einen auf die Obliegenheiten beschränkten Gedanken dar155 . Der Versicherungsnehmer muss, wie andere Obliegenheitsbelastete und Verpflichtete, seine gesetzlichen oder vertraglichen Verhaltenspflichten erfüllen, um seinen Teil zur Abwicklung bestimmter Risiken beizutragen. Tut er das nicht, treffen ihn Nachteile. Als weitere Verletzungen von Obliegenheiten i. e. S. seien die Schadensmitverursachung, und die unterlassene Mitwirkung des Gläubigers genannt. Das ist aber keine Besonderheit der Obliegenheiten. Der gleiche Gedanke gilt beispielsweise auch für die verspätete Leistung des Schuldners. Der infolge einer Mitverursachung entstehende Schaden trifft denjenigen, der ihn zu verantworten hat. Dem nicht mitwirkenden Gläubiger wird ein erhöhtes Risiko übertragen und der schuldhaft säumige Schuldner muss beim Gläubiger resultierende Schäden übernehmen. Der andere Teil ist vor Obliegenheits- und anderen Pflichtverletzungen, die gerade nicht seine Risikosphäre betreffen, jeweils vergleichbar geschützt bzw. erhält mindestens einen „billigen“ Ausgleich (Schadensersatz, Rücktrittsrecht, Leistungsfreiheit). Daher ist es auch zu kurz gedacht, dass der Versicherer „angesichts der vorgesehenen Verletzungsfolgen“156 kein Interesse an der Erfüllung der Obliegenheiten habe157. Die wirkliche Interessenlage kann man nur erkennen, wenn man sich die gesetzlich oder vertraglich angeordnete Rechtsfolge wegdenkt. Den „Schaden“ im untechnischen Sinne hat am Ende der Abwicklung also immer derjenige, der seine Pflichten verletzt hat bzw. dessen Sphäre ein realisiertes Risiko zuzurechnen ist und nicht der andere Teil.
(der aber alle als der Rahmenbeziehung Schuldverhältnis entspringende Pfl ichten ansah und § 278 BGB „mindestens analog“ anwendete, a.a.O, S. 316 f.). 153 Anders aber Buck (2003) S. 2 f.: das sei die essentielle Besonderheit des Versicherungsvertragsrechts und deshalb würden Obliegenheiten dem Versicherungsnehmer auferlegt. 154 Vgl. die Sachverhalte von BGHZ 11, 80 und 50, 175 – s. o., S. 72 ff. 155 Irritierend ist es, wenn BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG einerseits (Rn. 7) bezweifelt, ob § 6 VVG überhaupt noch zeitgemäß sei, weil Vertragsstörungen außerhalb dieser Norm durch c.i.c., pVV, §§ 61, 62 VVG sowie § 254 BGB kompensiert werden und insgesamt ein „flexibles und hinreichendes Instrumentarium“ gegeben sei, andererseits aber (Rn. 18) meint, §§ 241 ff. BGB würden den Anforderungen einer sachgerechten Risikoverteilung nicht gerecht, wie dies § 6 VVG anstrebe. 156 So Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 6 VVG, Anm. 6. 157 Ausführlich dagegen s. o., S. 213 ff.
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S.
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c) „Definition“ der Pflicht Es wird nun versucht, die Pflicht allgemein zu bestimmen. Dies soll nicht der Ableitung von Rechtsfolgen dienen, was als Begriffsjurisprudenz bereits abgelehnt wurde. Eher wird versucht, aus den vorhergehenden Beobachtungen und Untersuchungen eine Regel abzuleiten158 . Im Folgenden handelt es sich also eher um eine Inhaltsbeschreibung der rechtlichen Pflicht. Allerdings ist nicht abzustreiten, dass nun einmal mit der Pflicht bzw. der Pflichtverletzung bestimmte Rechtsfolgen verbunden werden. Eine Pflicht ist also dann anzunehmen, wenn derjenige, zu dessen Gunsten die Pflicht einem anderen durch Vertrag oder Gesetz auferlegt ist, ein Interesse an dem (pflichtgemäßen) Verhalten hat und die allgemeine Risikoverteilung Konsequenzen für Pflichtverletzungen fordert159. Ähnlich aber enger formuliert auch Looschelders, der jedoch im Gegensatz zur hier vertretenen Ansicht ein Interesse an „strikter Befolgung“ zur Annahme einer Rechtspflicht für erforderlich hält und Obliegenheiten dahingehend abgrenzt, dass bei ihnen den Interessen schon damit gedient sei, „daß der Normadressat bei abweichendem Verhalten die angedrohten rechtlichen Nachteile hinnehmen muß“160 . Ob jede gemeinhin als Pflicht angesehene Verhaltensanforderung, z. B. § 343 Abs. 2 BGB, aber auch viele vertragliche Pfl ichten, für die Schadensersatz das Interesse problemlos ausgleicht, diese hohen Standards erfüllt, erscheint jedoch sehr fraglich. Umgekehrt muss Looschelders – entgegen seiner grundsätzlichen Haltung – einigen versicherungsrechtlichen Obliegenheiten Pflichtcharakter zugestehen161. Aber jedenfalls stellt auch Looschelders fest, dass es bei den Obliegenheiten um eine „Abstimmung der jeweiligen Risikosphären“ geht, namentlich im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer162 . Warum es dabei aber 158 Schon die römischen Juristen waren bei der Regelbildung vorsichtig, vgl. Honsell, Röm. Recht6 (2006) S. 8 mit Bezug auf Paulus D. 50,17,1: regula est, quae rem quae est breviter enarrat. non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est regula fit (Eine Regel ist eine kurz gefasste Aussage. Aus der Regel wird nicht das Recht abgeleitet, sondern umgekehrt wird aus dem vorhandenen Recht die Regel gebildet.) und Javolen D. 50, 17, 202: omnis defi nitio in iure civili periculosa est: rarum est enim, ut non subverti posset (Jede Definition im Zivilrecht ist gefährlich; denn es ist selten, dass sie nicht entkräftet werden kann.). 159 Allgemein in diese Richtung schon Hägerström, Rechtspflicht (1934/1965) S. 13. Speziell für § 254 BGB Gottschalk (1903) S. 29; im Zusammenhang mit versicherungsrechtlichen Obliegenheiten Amthor (1923) S. 82; Rabel, VersArch 1937/38, S. 731; Heukeshoven (1938) S. 37. 160 Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 229. 161 Looschelders, a.a.O., Fn. 258. Ders., VersR 2008, S. 4 sieht sogar „eine gewisse Verwandtschaft [der Obliegenheiten] mit den Schutzpflichten des § 241 Abs. 2 BGB“, folgt aber (noch) der h. M., dass der Unterschied darin bestünde, dass Obliegenheiten nur dem Schutz der eigenen Rechtsgüter und Interessen dienen würden. 162 Looschelders, a.a.O., S. 220.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
einer abgestuften Pflichtigkeit bedürfte, ist nicht einzusehen und wurde weder von R. Schmidt noch von Looschelders begründet163 . Auf die Art der Verletzungssanktionen, insbesondere auf einen Schadensersatzanspruch, kann es für die Qualifikation als Pflicht nicht ankommen, da gerade diese Qualifikation die Anwendbarkeit bestimmter Sanktionen eröffnet. Welche konkrete Rechtsfolge im Einzelfall als angemessen in Betracht kommt, muss nicht allgemein vorhergesagt werden. Das gilt insbesondere auch für die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers.
d) Verhältnis der hier vertretenen Ansicht zu früheren Theorien Letztlich waren sowohl die frühe Verbindlichkeitstheorie, als auch die vermittelnden Ansichten zur „Rechtsnatur“ versicherungsrechtlicher Obliegenheiten vor R. Schmidt schon nahe an der Erklärung dieser Verhaltensanforderungen gewesen. Die Ursache dafür, dass diese Theorien sich nicht durchsetzen konnten, muss man wohl darin sehen, dass sich die Obliegenheitsdiskussion des Versicherungsrechts früh von der Entwicklung des allgemeinen Schuldrechts abgekoppelt hatte. Wenn von „indirekten Obligationen“ oder „Rechtspflichten, die kein Schuldverhältnis sind“ die Rede war164 , so muss man sich zum Verständnis eigentlich nur die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts im Schuldrecht bewusst machen, insbesondere die heutige Unterscheidung zwischen dem Schuldverhältnis im engen und im weiten Sinne165 . Heute gehen wir – anders als der BGB-Gesetzgeber – auch bei der Rechtsfolge Schadensersatz von einer Verbindlichkeit (Schuldverhältnis i. e. S.) aus. Wir unterscheiden zudem deutlich zwischen Haupt- und Nebenpflichten. Inhaltlich wollten die alten Ansätze mit unseren heutigen Worten aber Folgendes sagen: Versicherungsrechtliche Obliegenheiten können in der Regel nicht i. S. v. § 241 Abs. 1 BGB eingefordert werden, sind aber eben trotzdem Pflichten, nämlich Nebenpflichten i. S. v. § 241 Abs. 2 BGB166 . Diesen naheliegenden Schritt ist auch R. Schmidt, der die Voraussetzungslehre mit Argumenten eben dieser vermittelnden Ansichten bekämpfte, nicht gegangen. Im Gegenteil hat er die Tatbestände des BGB in die Diskussion vermengt und dadurch auf lange Zeit dogmatische Klärung verhindert.
163 Zweifel am Nutzen einer Abstufung oder Skala von Rechtspflichten schon bei Kalka, Nebenpflichten (1964) S. 72. 164 S. o., S. 185 ff. 165 Vgl. zu den Veränderungen s. o., S. 134 f. 166 So neuerdings auch Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 26, der aber mit der Rechtsprechung die Möglichkeit der Vereinbarung als einklagbare Rechtspflicht bejaht (a.a.O., Rn. 247).
IV. Obliegenheiten und das Schuldverhältnis i. w. S.
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e) Besonderheit der Obliegenheiten i. e. S. Gegenüber den anderen, anerkannten Neben- oder Verhaltenspflichten sind die Obliegenheiten i. e. S. Verhaltensanforderungen, deren Verletzung oft die Beeinträchtigung der eigenen Gläubigerstellung als Rechtsfolge hat167. Der Versicherungsnehmer ist Gläubiger der Versicherungsleistung und wenn er seine Obliegenheiten verletzt, kann das die ihm sonst zustehende Leistung beeinträchtigen. Der Besteller beim Werkvertrag ist Gläubiger der Werkleistung und ihn treffen Mitwirkungsobliegenheiten. Erfüllt er diese nicht, muss er unter Umständen sogar den Werklohn zahlen, ohne das Werk erhalten zu haben168 . Der Geschädigte ist Gläubiger des Schadensersatzanspruches und dennoch nach § 254 Abs. 2 BGB zur Schadensminderung verpflichtet, will er nicht Nachteile hinsichtlich seines eigenen Anspruchs erleiden. Diese für Obliegenheiten typische Rechtsfolge schließt jedoch die allgemeinen Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen nicht aus. Der Gläubiger wird also dadurch, dass ihm vertraglich, gesetzlich (im VVG oder anderen Regelungen) oder nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) bestimmte Verhaltensanforderungen auferlegt werden, ähnlich wie der Schuldner mit zusätzlichen Pflichten neben den Leistungspflichten ausgestattet. Nur betreffen diese Obliegenheiten i. e. S. eben nicht seine eigene Leistungspflicht, sondern andere Interessen des Vertragspartners.
f) Terminologisches Da Obliegenheiten i. e. S. immer ein bestimmtes Verhalten fordern, trifft hier Larenz’ Begriff der Verhaltenspflichten, den er allerdings gerade nicht auf die Obliegenheiten bezog, besonders gut. Obliegenheiten i. e. S. sind also Nebenpflichten, genauer Verhaltenspflichten des damit Belasteten. Das Besondere gegenüber anderen Nebenpflichten ist, dass Sie dem Begünstigten zur Begrenzung oder Erfüllung seiner Leistungspflicht dienen169.
167 Ungenau daher Henß (1988) S. 21, 110, der die bürgerlichrechtlichen Obliegenheiten als spezifische Bindungen des Gläubigers bezeichnete – dieser ist ja zugleich auch immer Schuldner und insbesondere hinsichtlich der Erfüllung seiner Nebenpflichten, auch der Obliegenheiten. Die Beschreibung von Henß passt noch am ehesten für das Mitverschulden und beim Gläubigerverzug, wo aber gerade andere Rechtsfolgen eintreten. Gottschalk, Verschulden (1903) S. 29 sprach (für § 254 BGB) schon eher passend von einer Beeinträchtigung der eigenen Rechtssphäre. 168 BGH vom 16. 5. 1968, BGHZ 50, 175 (178) = NJW 1968, 1873, dazu s. o., S. 72 ff. 169 S. o., S. 258.
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§ 8. Eigene Ansicht: Obliegenheiten i.e.S. als Nebenpflichten
3. Obliegenheiten i. w. S. Die hier als Obliegenheiten i. w. S. bezeichneten Tatbestände waren – wie in § 3 dieser Untersuchung beschrieben – zwar auch schon früh hinsichtlich ihres „Pflichtgehaltes“ umstritten. Tatsächlich passten gerade hier die Argumente der von R. Schmidt angegriffenen Voraussetzungstheorie (dienen oft dem Rechtserhalt, „eigenes Interesse“) besonders gut und wurden auch teilweise genannt. Gerade deshalb wurde R. Schmidt auf sie aufmerksam und vermengte sie mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Damit hat er jedoch seiner eigenen Theorie einen Bärendienst erwiesen. Bei den Obliegenheiten i. w. S. handelt es sich gerade nicht um Nebenpflichten. Diese Tatbestände haben zwar in weitestem Sinne etwas mit einem Verhalten zu tun, erfüllen aber ganz andere Funktionen als Nebenpflichten170 .
V. Zusammenfassung Bereits im Versicherungsrecht gibt es Unterschiede zwischen den als Obliegenheiten bezeichneten Verhaltensanforderungen an den Versicherungsnehmer und denjenigen an den Versicherer. Während es sich bei ersteren um „echte“ Nebenpflichten, besser: Verhaltenspflichten des Versicherungsnehmers handelt, deren Verletzung nach den allgemeinen Regeln sanktioniert werden kann, sind die letzteren als Obliegenheiten nur in einem weiten Sinne zu verstehen. Der Unterschied zwischen Versicherungsnehmer- und Versichererobliegenheiten liegt im Interesse an ihrer Einhaltung. Bei den Versicherungsnehmerobliegenheiten existiert durchaus auch ein Interesse des Versicherers an der Erfüllung, welches durch die Auferlegung der Obliegenheit nebst Sanktion gesichert wird. Dieses Interesse wird in der Funktion der Versicherungsnehmerobliegenheiten deutlich171. Hingegen hat bei der Versichererobliegenheit der Versicherungsnehmer kein Erfüllungsinteresse – die bloße Auferlegung genügt seinen Interessen. Die Erfüllung hingegen widerspricht seinen Interessen sogar oftmals. Das wird beispielhaft an der Risikoprüfungsobliegenheit deutlich: Dem Versicherungsnehmer wird es im Zweifel angenehmer sein, wenn er einen Standardtarif erhält und keine Risikozuschläge bezahlen muss. Dennoch ist die Annahme einer Risikoprüfungsobliegenheit in seinem Interesse, weil deren Nichterfüllung dem Versicherer die spätere Berufung auf das Risiko und damit vor allem den Rücktritt wegen Nichterfüllung der vorvertraglichen Anzeigepflicht abschneidet. Damit wird auch deutlich, was diese Risikoprüfungsobliegenheit eigentlich ist: sie be170 171
Genauer dazu schon s. o., S. 77 ff. S. o., S. 197 ff.
V. Zusammenfassung
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grenzt nämlich die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers172 . Die Konsequenzen der Einordnung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten, insbesondere auch die Frage der Repräsentantenhaftung sollen im folgenden § 9 näher behandelt werden. Vorrangig ging und geht es im Versicherungsrecht bei der Frage nach der „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten um die (Nicht-)Anwendung des § 278 BGB. Um die Haftung für den Erfüllungsgehilfen – sofern wirklich gewünscht – einzuschränken, gäbe es aber andere Wege, als die im letzten Jahrhundert üblicherweise gegangenen173 . Es wird von den versicherungsrechtlich orientierten Verfassern zu sehr in Einzelproblemen und zu wenig im Zusammenhang des allgemeinen Schuldrechts gedacht. Mit anderen Worten: Die im Versicherungsrecht immer gleich gebliebene, an der Schrift Sibers von 1903 orientierte Fragestellung – ist die Klagbarkeit für die Annahme einer Pflicht erforderlich oder nicht – hat es verhindert, die sich erst nach Inkrafttreten des BGB differenzierende Idee des Schuldverhältnisses im weiten Sinne und die ebenfalls neue Behandlung der Nebenpflichten mit der Obliegenheitsproblematik zu verbinden. Umgekehrt konnten (allgemeine) Zivilrechtler wie Henß oder gar solche Verfasser, die sich nur mit Einzelproblemen beschäftigten174 , bei den Versicherungsrechtlern nicht viel ausrichten. Hier liegt auch die bereits kritisch hinterfragte, bleibende Bedeutung der Schrift R. Schmidts: er hat versucht, allgemeines Zivilrecht und Versicherungsrecht gemeinsam zu behandeln. Möglicherweise liegt aber genau darin auch der Schaden, denn durch die bewirkte Verallgemeinerung der versicherungsrechtlichen Theorien passt keine der Theorien (mehr) auf alles, was als Obliegenheit bezeichnet wird.
172 173 174
Genauer s. o., S. 47 ff. Dazu gleich, s. u., S. 291. Hartmann, Mitwirkung (1997) S. 47 ff., 91 ff.
§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht I. Allgemeine Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht 1. Grundsätzliche Anwendung der §§ 241 ff. BGB Wenn man – wie hier vertreten – die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als „normale“ Nebenpflichten des Versicherungsnehmers betrachtet, so finden die allgemeinen Vorschriften Anwendung1. Damit wird der Zusammenhalt zwischen allgemeinem Zivilrecht und Versicherungsvertragsrecht gestärkt. Gleichzeitig wird die europäische Rechtsvereinheitlichung erleichtert. Die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als „Voraussetzungen“ sind nämlich eine speziell deutsche Erfindung, die sich allerdings teilweise ausbreiten konnte2 . Solche Sonderkonstruktionen stehen einer Rechtsvereinheitlichung im Wege. Ein besonderes Problemfeld ist das Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter. Dieses soll unter II. näher behandelt werden.
a) Schadensersatz Die grundsätzliche Bejahung von Schadensersatz als Rechtsfolge von Obliegenheitsverletzungen 3 bedeutet nicht, dass bei jeder Obliegenheitsverletzung der Versicherungsnehmer Schadensersatz leisten müsste. Es müssen selbstverständlich die allgemeinen Voraussetzungen des § 280 BGB vorliegen. Und nur bei Vorliegen eines kausalen Schadens kann ein auszugleichendes Interesse des Versicherers verletzt sein.
1 Falsch ist daher die von Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 42 ohne Argumente oder Belege, mit pauschalem Bezug auf den Willen des Gesetzgebers vertretene andere Ansicht, was deshalb besonders bedauerlich ist, weil Heiss selbst die Obliegenheiten als Nebenpflichten ansieht (a.a.O. Rn. 46 f.). Allenfalls zu § 19 VVG 2008 lässt sich ein solcher Wille des Gesetzgebers finden, dazu s. u., S. 275 ff. Nicht nachvollziehbare Pauschalisierung bei Schwintowski/Brömmelmeyer/Neuhaus (2008) § 81 VVG, Rn. 10: die Rechtsfolgen für Obliegenheiten regele § 28 VVG. 2 Kurze Rechtsvergleichung s. u., S. 307 f. 3 Ausführlich dazu s. o., S. 250 ff.
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
Vor dem Hintergrund der dogmenhistorischen Untersuchungen in § 5 dieser Arbeit überrascht es nicht, dass selbst einer der wichtigsten Vertreter der Voraussetzungstheorie Bruck in den frühesten Auflagen seines Kommentars noch einen Schadensersatzanspruch des Versicherers bejaht hat 4 . Mit der erheblichen Einschränkung des Alles-oder-Nichts-Prinzips und erhöhten Verschuldensanforderungen durch die Reform des VVG werden die Versicherer ein entsprechendes Interesse möglicherweise wieder feststellen und geltend machen. Die bisher geltende Regelung hingegen war für die Versicherer bequemer, da wie beschrieben der Nachweis des entsprechenden Schadens nicht einfach ist 5 . Immerhin wurde das „Türchen“ Schadensersatz auch schon früher von Möller offengehalten, der meinte, es sei trotz Voraussetzungslehre denkbar, die Obliegenheiten – sofern sie der Prävention dienen – als vertragliche Nebenpflichten mit Schadensersatzpflicht bei Verletzung auszugestalten6 . Aber auch in der neueren Literatur wird das Thema Schadensersatz bei Obliegenheitsverletzung nicht nur ablehnend behandelt. Aufgrund der hiesigen Untersuchungen nicht überzeugend ist dabei die Ansicht, man könne die Obliegenheiten (nur) de lege ferenda mit einem Schadensersatzanspruch als Schutzpflichten ausgestalten7 bzw. die Rechtsfolgen der Obliegenheiten seien abschließend geregelt8 . Wie in § 5 ausgeführt entsprachen der Schadensersatzanspruch und die Anwendung des allgemeinen Schuldrechts den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers und der aktuelle VVG-Gesetzgeber hat sich nicht geäußert. Außerdem haben Schutzpflichten – anders als Obliegenheiten – eher deliktischen, nicht vertraglichen Charakter. Für einen Schadensersatzanspruch des Versicherers im Rahmen eines einheitlichen europäischen Modells spricht sich neuerdings (auch) Rühl aus9 und Schmidt-Kessel gibt diesen (de lege lata) für die schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles10 .
4 Hager/Bruck, Kommentar2 (1910) § 6 VVG, Anm. 1 b) (S. 52), § 33 VVG, Anm. 1 (S. 124), § 58 VVG, Anm. 1 (S. 192) und Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 6 VVG, Anm. 7 (S. 53), § 33 VVG, Anm. 2 (S. 128), § 58 VVG, Anm. 4.IV.a) (S. 210) und noch entsprechend in der 5. Auflage 1926. 5 S. o., S. 251 f. 6 Möller, ZVW 57 (1968) S. 69. 7 Armbrüster, ZVW 90 (2001) S. 502. 8 Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 42, der ohne Belege behauptet, die im VVG vorgesehenen Sanktionen für Obliegenheiten wären vom Gesetzgeber abschließend geregelt worden, immerhin aber zugesteht, dass die Rechtsfolgen einem Schadensersatz nahe kommen und selbst auch die Obliegenheiten als Nebenpflichten ansieht, nur eben mit speziellen, angeblich abschließenden Sanktionen (a.a.O. Rn. 46 f.). 9 Rühl (2004) S. 373. 10 Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 62.
I. Allgemeine Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht
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b) Rücktritt Der Rücktritt vom Vertrag wegen Verletzung einer Pflicht nach § 241 Abs. 2 BGB ist grundsätzlich nur möglich, wenn er ausdrücklich ausbedungen ist oder wenn die Pflichtverletzung so erheblich ist, dass dem anderen Teil ein Festhalten am Vertrag nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist, vgl. § 324 BGB. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass das VVG spezielle Vorschriften zum Rücktritt und zur Kündigung des Vertrages bei Obliegenheitspflichtverletzungen enthält11, die hier vorgehen. Völlige Leistungsfreiheit als Rechtsfolge muss zudem gesetzlich vorgesehen oder ausdrücklich und zulässig vereinbart sein und der Versicherer muss sich ausdrücklich darauf berufen, damit diese als Verletzungsrechtsfolge eintritt12 .
c) Vertragsstrafen (1) Grundsätzliche Zulässigkeit Die Vereinbarung von Vertragsstrafen ist – entgegen einer heute oft vertretenen (nach der Voraussetzungstheorie wohl konsequenten) Ansicht13 – auch für Obliegenheiten unproblematisch möglich14 . Exemplarisch als Vertreter der h. M. sei hier Gernhuber kurz ausgeführt, der zwar im Zusammenhang mit der Klagbarkeit von Ansprüchen und Nebenpflichten große Flexibilität zeigt, sich aber leider weder mit den Obliegenheiten noch mit den Naturalobligationen näher auseinandersetzt15 . Dass auch letztere zum Verständnis der Obliegenheiten wichtig sind, wurde gezeigt16 . Nach Gernhuber17 sind die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers „eine Folge des Versicherungsvertrages“. In der Verfallklausel werde das Eigeninteresse des Schuldners an der Erfüllung nur besonders deutlich. Daher sei die analoge Anwendung der §§ 339 ff. BGB „zumindest zweifelhaft“. Diese Argumentation übersieht die 11
Z. B. §§ 24, 28 Abs. 1 VVG 2008. Vgl. BGH vom 26. 1. 2005, NJW 2005, 1186; dazu schon s. o., S. 32, 208. 13 Sieg, VersR 1963, S. 1089, 1094; Knappmann, VersR 1996, S. 407; Gebauer, NVersZ 2000, S. 9 f. Kritisch mwN aber im Ergebnis eher offen Schirmer/Marlow, VersR 1997, S. 783 ff., 792 f. 14 Selbstverständlich so Vertreter der Verbindlichkeitstheorie: Bischoff, DÖV 1939, S. 184 f.; Ehrenzweig, VVG§ (1952) S. 151 und in Fn. 11 als konkretes Beispiel der damalige § 8 Abs. 2 Nr. 1 HPVB; Buck (2003) S. 3; Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 27 VVG, Rn. 3 a. Auch Schwintowski hält neuerdings die „klassische(n) Antwort des Zivilrechts“, insbesondere auch Vertragsstrafen als Sanktion für Obliegenheitsverletzungen für sinnvoll, vgl. den Bericht über einen Vortrag bei Lier, VersW 2001, S. 198 f., die auch die Kritik berichtet (mangelnde Praktikabilität etc.). Vgl. zur Zulässigkeit von Vertragstrafen auch schon s. o., S. 210. 15 Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 16 und 85. 16 S. o.,S. 237 ff. 17 Gernhuber, Schuldverhältnis (1989) S. 760. 12
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
Fragwürdigkeit des „eigenen Interesses“ und vor allem den Hintergrund für die Auferlegung dieser Obliegenheiten18 . Dass Vertragsstrafen für die Nichterfüllung von Obliegenheiten zulässig sind, wurde früher im Übrigen auch von einigen Vertretern der herrschenden Meinung mehrfach bejaht19 und entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers. In der Entwurfsbegründung (1906) zu § 6 VVG heißt es ausdrücklich: „Die vertragsmäßige Festsetzung anderer Rechtsnachteile wird durch den § 6 nicht berührt; dies gilt namentlich von Bestimmungen, nach welchen der Versicherer befugt sein soll . . . oder die Bezahlung einer Vertragsstrafe zu fordern“20 . Entgegen der – offenbar in Unkenntnis des Gesetzgeberwillens aufgestellten – Behauptung von R. Schmidt 21, ist § 6 VVG (a. F.) also gerade nicht lex specialis zu §§ 339 ff. BGB. Auch der BGH wendete gelegentlich zur Einschränkung des Alles-oderNichts-Prinzips Überlegungen „ähnlich wie bei der richterlichen Herabsetzung einer Vertragsstrafe (§ 343 BGB)“ auf die Verletzung der Obliegenheit des § 16 AFB an 22 . (2) Sonderfall: Weiche Tarifmerkmale in der Kfz-Haftpfl ichtversicherung In der Kfz-Haftpflichtversicherung existiert seit 1995 mit § 5 Abs. 1 KfzPflVV ein abschließender Katalog von zulässig zu vereinbarenden Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Seither haben sich sogenannte weiche Tarifmerkmale entwickelt 23 . Dazu gehören persönliche Eigenschaften des Versicherungsnehmers, wie das Geschlecht („Ladytarif“) oder der Besitz einer Bahncard, aber auch auf die versicherte Gefahr bezogene „Merkmale“ wie das Vorhandensein einer Garage. Bei Vorliegen bestimmter Merkmale werden Rabatte gewährt und teilweise „echte“ Pflichten anstelle der Obliegenheiten der §§ 16 ff. VVG a. F. (§§ 19 ff. VVG 2008) vereinbart, welche mit Vertragsstrafen verbunden sind. Auch von der Voraussetzungstheorie werden solche Vereinbarungen grundsätzlich für zulässig gehalten 24 . 18
S. o., S. 197 ff., 213 ff. Bruck, PrivatversR (1930) S. 281; Bruck 8/Möller (1961) § 6 VVG, Anm. 23; der sog. „gemischten Theorie“ (vgl. s. o., S. 25) zuneigend Loppuch, JRPV 1937, S. 134 f. 20 Begründung (1906) S. 22. 21 R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 301. 22 BGH vom 28. 11. 1963, VersR 1964, 154 ff. (155). Zu dieser Entscheidung näher s. o., S. 157. 23 Dazu ausführlich Knappmann, VersR 1996, S. 407; Schirmer/Marlow, VersR 1997, S. 782 ff. mwN; Gebauer, NVersZ 2000, S. 7 ff.; Wigger, ZfSch 2003, S. 578 ff. 24 Vgl. Stiefel/Hofmann17 (2000) § 6 VVG, Rn. 7 und Nachweise bei Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 30. Für die Verbindlichkeitstheorie besteht erst recht kein Problem, da Obliegenheiten sowieso als „echte“ Nebenpfl ichten angesehen werden. 19
I. Allgemeine Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht
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Tatsächlich könnte aber mit dieser Konstruktion „weicher Tarifmerkmale“ § 5 Abs. 1 KfzPflVV umgangen werden. Dieser Sondervorschrift zugunsten des Versicherungsnehmers ist eben wegen ihres Schutzgedankens die „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten gleichgültig. Die sogenannten weichen Tarifmerkmale können also den Charakter von „verhüllten Obliegenheiten“25 annehmen, nämlich dann, wenn sie ein bestimmtes Verhalten in Bezug auf die versicherte Gefahr fördern oder verhindern wollen. Daher kann die Vereinbarung von weichen Tarifmerkmalen bzw. den damit verbundenen Pflichten nur insoweit zulässig sein, als sie nicht gegen die versicherungsnehmerschützenden Vorschriften (§ 5 KfzPflVV und § 34 a VVG a. F. bzw. § 32 VVG 2008) verstoßen bzw. diese zu umgehen suchen. Für den Wegfall eines gewährten Nachlasses bestehen dabei weit weniger Probleme als für die Vereinbarung von Vertragsstrafen 26 . (3) Weitere Ausnahme: ärztliche Untersuchung in der Lebensversicherung Gemäß § 160 VVG a. F. 27 bzw. § 151 VVG 2008 wird durch die Vereinbarung, dass die auf ihr Leben zu versichernde Person sich vorher einer ärztlichen Untersuchung unterziehen soll, ein Recht des Versicherers nicht begründet. Eine mit Vertragsstrafe (einfache oder doppelte Jahresprämie) bewehrte Pfl icht hatten aber vor Inkrafttreten des VVG viele Versicherer in ihren Bedingungen für die Lebensversicherung vorgesehen. Gerade weil die Versicherungsnehmer oftmals „auf das Zureden eines Agenten“ hin das Antragsformular unterschrieben, ohne wirklich einen Vertrag zu wollen, wurde die Vertragsstrafe für das Abstandnehmen vom Vertrag vom Gesetzgeber als Härte und dem Zwecke einer Strafbedingung zuwiderlaufend angesehen 28 . Die Interessen des Versicherers erfordern die Annahme einer Pflicht des Versicherungsnehmers auch nicht, denn es steht dem Versicherer frei, den Vertrag nicht abzuschließen, wenn der potentielle Versicherungsnehmer sich nicht untersuchen lässt. Daher handelt es sich hier tatsächlich um keine „echte“ Nebenpflicht des Versicherungsnehmers. Folglich kommt eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften, insbesondere die Zahlung einer Vertragsstrafe nicht in Betracht.
25
Zu diesen s. u., S. 294 ff. Dieses Spezialproblem soll hier nicht vertieft werden. Genauer dazu Knappmann, VersR 1996, S. 407; Schirmer/Marlow, VersR 1997, S. 782 ff. mwN; Gebauer, NVersZ 2000, S. 7 ff.; Wigger, ZfSch 2003, S. 578 ff. 27 Bei Inkrafttreten des Gesetzes (1908) § 157 VVG. 28 Vgl. Begründung (1906) zu § 157, S. 149 f. 26
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
2. Insbesondere: Vorvertragliche Anzeigepflicht und culpa in contrahendo Im Versicherungsvertragsrecht ging man vielfach eigene Wege29, speziell auch bei der culpa in contrahendo (c.i.c.) 30 , die später nicht mehr mit den Entwicklungen im allgemeinen Schuldrecht abgestimmt wurden. Dadurch und wegen der Klassifizierung als „bloße“ Obliegenheit werden bestimmte Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung für unmöglich gehalten. Eine Abstimmung mit dem allgemeinen Schuldrecht ist aber sinnvoll, wenn man den Zusammenhalt des Versicherungsvertragsrechts damit nicht aufgeben will. Ein Schaden des Versicherers aufgrund der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten 31 ist etwa vorhanden, wenn ein Vertrag nicht geschlossen wird, aber zeit- und geldraubende Nachforschungen erst genau dazu geführt haben 32 . In der Praxis sind solche Kosten im Zweifel bereits „eingepreist“, d. h. sie werden als Vertragskosten auf alle abgeschlossenen Versicherungen umgelegt und müssen von allen Versicherungsnehmern getragen werden. Dies ist offenbar eine für die Versicherer wirtschaftlich sinnvollere Lösung: Es ist effizienter, teurere Produkte anzubieten, als einzelne Schädiger zu verfolgen. Das sollte aber nicht dazu führen, dass ein Schadensersatzanspruch a priori ausgeschlossen ist. Faktische Lösungen sollten von dogmatischen Argumenten getrennt betrachtet werden. Außerdem gab es nach bisherigem Recht, wenn auch ein wenig versteckt (§ 40 Abs. 1 S. 1 VVG a. F., anders jetzt § 39 VVG 2008) eine Art (Straf-)Schadensersatz33 . Nach dem Grundsatz der „Unteilbarkeit der Prämie“ konnte der Versicherer trotz der grundsätzlich von § 20 Abs. 2 S. 2 VVG a. F. angeordneten Rückabwicklung des Vertrages einschließlich Rückgabe der empfangenen Leistungen, die Prämie bis zum Schluss der Versicherungsperiode behalten. Er war zwar auch für einen bereits eingetretenen Versicherungsfall nach § 21 VVG a. F. leistungspflichtig, sofern dieser nicht mit der verletzten Anzeigepflicht im Zusammenhang stand. Dies gilt allerdings auch noch nach § 21 Abs. 2 VVG 2008 und zeigt daher, dass ein Zusammenhang zur Prämie nicht zwingend ist.
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Genauer dazu im dogmengeschichtlichen Teil dieser Untersuchung, § 5 sowie in § 6. Köbler, VersR 1969, S. 775: Das VVG „ist nun bekanntlich in einer der schwärzesten Stunden in der Geschichte der c.i.c. geschaffen worden“. 31 Zu den §§ 16 ff. VVG a. F. bzw. §§ 19 ff. VVG 2008 schon s. o., S. 38 ff. 32 Dieses Beispiel brachte schon Haymann, VersArch 1933–34, Bd. 2, S. 1084. 33 In diese Richtung wohl auch Harke, ZVW 95 (2006) S. 393: die Leistungsfreiheit bedürfe der Rechtfertigung durch ein überindividuelles Strafbedürfnis, welches eher kritisch gesehen wird. Allerdings neigt Harke etwas unklar einerseits der Annahme „nur“ einer Obliegenheit, „nicht echte Rechtspfl icht“ zu (S. 392 mwN in Fn. 3), hält aber dennoch die allgemeinen Vorschriften für anwendbar (S. 393, 409 f.). 30
I. Allgemeine Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht
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a) Dogmengeschichtlicher Hintergrund der Regelungen Die Probleme mit der „Rechtsnatur“ der vorvertraglichen Anzeigepflicht – die umstrittene Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften, insbesondere des § 278 BGB – sollte man nicht unterschätzen34 . Ursprünglich sind diese Probleme und der damit verbundene Theorienstreit entstanden, weil die c.i.c. erst allmählich als allgemeiner Gedanke anerkannt und § 278 BGB zunächst nicht darauf angewendet wurde, da man für diese Zurechnungsnorm ein bereits bestehendes Schuldverhältnis verlangte35 . Dieses hat man dann aber später bejaht und 2002 sogar ausdrücklich in § 311 Abs. 2 BGB normiert. Das BGB von 1896 enthielt jedoch keine allgemeine Regelung der c.i.c.36 , obwohl dieses Institut bereits 1861 durch Jhering entwickelt wurde37. Dass das BGB Jhering überwiegend nicht direkt folgte, ist allerdings nicht verwunderlich, da er die c.i.c. in erster Linie anhand von Beispielen entwickelte, die nach dem BGB zur Anfechtung berechtigten, hingegen vorher (im Gemeinen Recht) gar keinen Vertrag zustande kommen ließen 38 . Zu einem Teil, nämlich in § 307 BGB a. F., entsprach das BGB der Idee Jherings: es wurde das negative Interesse bei Kenntnis einer anfänglich unmöglichen Leistung gewährt, die gemäß § 306 BGB nicht wirksam versprochen werden konnte. Durch die Schuldrechtsreform besteht zwar eine grundsätzlich andere Lage: der Vertrag ist gem. § 311 a Abs. 1 BGB wirksam. Aber eine § 307
34 Uhlenbrock (2005) S. 7 hält eine Stellungnahme zu den verschiedenen Theorien für nicht erforderlich und geht dann bei der Erörterung des Anzeigepflichtigen ohne jedes Problembewusstsein zu einer direkten (!) Anwendung der §§ 164 ff. BGB über (a.a.O., S. 46 f.). Dabei vergisst sie zugleich, dass es sich nicht um die Abgabe einer Willenserklärung handelt, sondern um eine Tatsachenmitteilung (so sie selbst, a.a.O., S. 5 Fn. 7). 35 Vgl. v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 734; Vatke (1911) S. 108; Künneth (1912) S. 120; Oertmann, DVZ 66 (1925) S. 117. 36 Sehr kritisch hierzu Köbler, VersR 1969, S. 773, der auf die Regelungen des preußischen ALR und v. Jherings Aufsatz hinweist. Dass dem BGB-Gesetzgeber kein so großer Vorwurf gemacht werden muss liegt daran, dass dieser die von Jhering behandelten Fälle ganz anders regelte – dazu sogleich im Text. Dennoch hat sich die Vorstellung, bei der vorvertraglichen Anzeigepflicht handele sich um einen Fall der c.i.c., durchgesetzt. Zu anderen Konstruktionsversuchen und den Vorgängerregelungen im ALR, ADHGB und im Dresdner Entwurf eines allgemeinen Obligationenrechts sowie zur Rechtsprechung vor dem VVG ausführlich auch Harke, ZVW 95 (2006) S. 392 ff., 395 ff., 400 ff., der die Ansicht Köblers grundsätzlich teilt (a.a.O., S. 409 mit Fn. 73) und in der Regelung des VVG aber eine Privilegierung des Versicherers sieht. 37 Jhering, Jh. Jb. 4 (1861) S. 1 ff. – den Adelstitel erhielt er erst 1872 verliehen – ich danke Cosima Möller für den Hinweis. 38 Jhering ging aus von der Frage, ob der Irrende dem Anderen zum Ersatz eines aus dem Irrtum (der nach Gemeinem Recht den Vertrag gar nicht erst zustande kommen ließ!) entstehenden Schadens verpflichtet sei – vergleichbar u. a. den heutigen §§ 122, 179, 663 BGB, die eher in dieser Abhandlung eine Wurzel haben. Vgl. dazu auch Medicus, SchR I16 (2005) S. 46, Rn. 103.
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BGB a. F. entsprechende bzw. sogar weitergehende Regelung enthält heute § 311 a Abs. 2 BGB. Die c.i.c. wurde im allgemeinen Zivilrecht erst später – nach Entstehung des VVG – auf deliktische Schädigungen ausgedehnt, insbesondere mit dem Ziel, § 278 BGB anwenden zu können39 und als unbillig empfundene Härten des Deliktsrechts auszugleichen40 . Das VVG von 1906 bekam daher wegen des noch vorhandenen Klärungsbedarfes im allgemeinen Zivilrecht seine eigene gesetzliche Regelung. Nach §§ 16 Abs. 2, 17 VVG a. F. (§ 19 Abs. 2 VVG 2008) kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten, wenn ihm erhebliche Umstände nicht oder nicht richtig angezeigt wurden. Außerdem wird das Rücktrittsrecht an bestimmte weitere Voraussetzungen geknüpft (§§ 16 Abs. 3, 18 Abs. 2, 19 ff. VVG a. F. bzw. §§ 19 Abs. 3 und 5, 20 f. VVG 2008).
b) Die aktuelle Situation Typischerweise führt die Verletzung vorvertraglicher Anzeige- oder Aufklärungspflichten außerhalb des Versicherungsrechts zu einem Schadensersatzanspruch aus c.i.c., was früher auch für §§ 16 ff. VVG a. F. vielfach anerkannt war und teilweise noch heute, jedenfalls bis zur VVG-Reform, vertreten wird41. 39 Grundlegend Leonhard, Verschulden bei Vertragsschluss (1910) insbesondere S. 42 ff. (der übrigens auch die vorvertragliche Anzeigepfl icht des Versicherungsnehmers vor und nach dem VVG erwähnt, a.a.O., S. 21 f.) und RG vom 7. 12. 1911, RGZ 78, 239 ff. („Linoleumrollen-Fall“, S. 240: „es entstand ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, das einen vertragsähnlichen Charakter trägt und insofern rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten erzeugt hat“ was dann auch zur Anwendung des § 278 BGB führte). Andeutungen für solche Schädigungen im Stadium des Vertragsschlusses bei v. Jhering, Jh. Jb. 4 (1861) S. 19, für den dies jedoch „ohne sonderliches Interesse“ war, weil er die Fälle für selten und die Deliktsklage meist für ausreichend hielt. 40 Vgl. Medicus, SchR I16 (2005) S. 47 Rn. 104 der daran Kritik übt. Auch Jhering war eine vertragliche Klage wichtig, allerdings aus anderen Gründen: diese befriedige auch das Erfüllungsinteresse, von ihm ausdrücklich „positives Interesse“ genannt, vgl. Jhering, Jh. Jb. 4 (1861) S. 13, 15 ff. (16). 41 Für den Zusammenhang zwischen c.i.c. und vorvertraglicher Anzeigepfl icht des Versicherungsnehmers bereits Oertmann, DVZ 66 (1925) S. 116 (wobei seine hübsche Bemerkung, dass die nicht aufgeführten Belege für die Entwicklung im allgemeinen bürgerlichen Recht „billig wie Brombeeren“ seien, bei den heutigen Preisen für dieses Obst als Bild nicht mehr recht taugt); Haymann, VersArch 1933/34, S. 945 ff., 1061 ff.; Ehrenzweig, VVR (1935) S. 181 f.; Rabel, VersArch 1937/38, S. 726 ff.; Heukeshoven (1938) S. 43; Bischoff, DÖV 1939, S. 184. Auch R. Schmidt, Obliegenheiten, S. 133 sprach von einem gesetzlich besonders geregelten Fall der c.i.c., schloss aber für den Fall der Kenntnis des Versicherers (§ 16 Abs. 3 VVG a. F.) jegliche Pflicht aus (a.a.O., S. 135) und im Anschluss daran Bruck/Möller, Kommentar8 (1961) § 16 VVG, Anm. 55. Für einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. explizit auch Köbler, VersR 1969, S. 778 und Prölss in Prölss27/Martin (2004) §§ 16, 17 VVG, Rn. 47; Harke, ZVW 95 (2006) S. 409 f. allerdings – ohne nähere Begründung – anscheinend beschränkt auf die Prämiendifferenz für die Vergangenheit, sofern vom Prämienanpassungsrecht des § 41 Abs. 1 VVG
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(1) Sanktionen abschließend? Jedoch meinte der BGH – gestützt auf den auch hier maßgeblichen Kommentar von Bruck und Möller42 –, dass das System der versicherungsrechtlichen Sanktionen für die Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten durch Rücktritt, Kündigung oder Prämienerhöhung abschließend geregelt sei und ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der c.i.c. nicht daneben treten könne43 . Begründet wird dies damit, dass die ausgewogene Entscheidung des Gesetzgebers durch die Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs aus c.i.c. unterlaufen würde44 . Leider ist dieses Lob für den Gesetzgeber eine Ohrfeige, denn es wird gerade seiner – offenbar unbekannten – Entscheidung zuwider gehandelt. Dass ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch das Gesetz versagt werde – wie es schon vorher auch von anderen Vertretern der Voraussetzungs- und der Obliegenheitstheorie für das alte VVG behauptet wurde45 – ist weder den Gesetzgebungsmaterialien noch anderen Umständen zu entnehmen. Vielmehr sollte nach den Vorstellungen des VVG-Gesetzgebers von 1906 dem Versicherer an Stelle46 des Rücktrittsrechts auch ein Schadensersatzanspruch zustehen. Die Begründung zum VVG-Entwurf verweist nämlich darauf, dass im Allgemeinen und auch im Speziellen für die vorvertragliche Anzeigepflicht die allgemeinen Grundsätze des Bürgerlichen Rechts Anwendung finden47. Mit dem seit 2002 neuen § 325 BGB waren daher Rücktritt und Schadensersatz kumulativ möglich. a. F. Gebrauch gemacht wurde. Nach Harke sind zwar die Rechtsfolgen im VVG nicht abschließend geregelt, aber wenn der Versicherer die Fristen für Rücktritt und Anfechtung versäume, dürfe er nicht die Leistungsfreiheit über die gewöhnliche Haftung für c.i.c. herbeiführen. 42 Bruck 8/Möller (1961) § 1 VVG, Anm. 90 und § 16 VVG, Anm. 5. 43 BGH vom 22. 2. 1984, VersR 1984, 630 (631) mit weiteren Belegen: J. Prölss in Prölss/ Martin, §§ 16, 17 VVG, Rn. 10, der aber selbst gerade den Schadensersatzanspruch aus c.i.c. bejaht und Röhr (1980) S. 275, der aber schon tatbestandlich die c.i.c. ablehnt (a.a.O., S. 22 ff., 31 ff.); BGH vom 18. 9. 1991, VersR 1991, 1404 (1405); BGH vom 7. 2. 2007, VersR 2007, 630 (631) – die beiden letzteren Entscheidungen ohne neue Gesichtspunkte unter Zitierung der vorhergehenden. 44 So ausdrücklich BGH VersR 1984, 630 (631); BGH VersR 2007, 630 (631). 45 Ausdrücklich gegen einen Schadensersatzanspruch auch schon Kisch, HB II (1920) S. 180; v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 2 (1947) S. 162 f.; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 133 f.; Röhr (1980) S. 10 f. mit rein teleologischen Erwägungen gegen den (ihm immerhin bekannten) Willen des Gesetzgebers, den er aber nur als allgemeinen angibt und für die vorvertragliche Anzeigepflicht unterdrückt sowie sicherheitshalber auch noch für irrelevant erklärt. Vgl. auch Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 114 f. mit aktuellen Nachweisen. H. Schmitt (1939) S. 118 f. vertrat zwar die Ansicht, es handele sich um eine „echte“ Pfl icht, lehnte jedoch einen Schadensersatzanspruch ebenso ab – nur die im Gesetz (gemeint war damit nur das VVG) genannten Rechte würden zustehen. Die gleiche Argumentation später bei Schürmann (1972) S. 39. 46 Vgl. §§ 325 Abs. 1 S. 1, 326 Abs. 1 S. 2 BGB a. F., wonach im BGB Rücktritt und Schadensersatz in einem Alternativverhältnis standen. 47 Begründung (1906) S. 7 und zu §§ 16–22 VVG, insbesondere S. 34.
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
Der geschädigte Versicherer konnte also – bei bloßer Anwendung des Gesetzes, ohne Berücksichtigung der hier bekämpften, fragwürdigen Theorien – seit der Schuldrechtsmodernisierung48 im Jahre 2002 nach §§ 280 Abs. 1, 311, 241 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen bzw. gem. §§ 16 Abs. 2, 17, 20, 21 VVG a. F. (§§ 19 Abs. 2, 21 VVG 2008) vom Vertrag zurücktreten. Letzere Vorschriften sind lex specialis gegenüber §§ 324, 311, 241 Abs. 2 BGB. Problematisch könnte zwar gewesen sein, dass der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung unter § 241 Abs. 2 BGB lediglich die Schutzpflichten regeln wollte49. Aber insoweit bestünde eine planwidrige Lücke, da der Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung gar nicht daran gedacht hat, eine Regelung für die Obliegenheiten zu treffen. Und selbst wenn man in §§ 16–17 VVG a. F. einen besonders geregelten Fall der Irrtumsanfechtung durch den Versicherer sah 50 , so war dies kein Widerspruch zur hier vertretenen Meinung. Ein Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB besteht grundsätzlich neben demjenigen aus c.i.c.51. Ausgeschlossen war nur eine Anfechtung nach § 119 BGB, soweit sich der Irrtum auf gefahrerhebliche Umstände bezog52 . Nun steht allerdings im Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 20. 12. 2006, dass die §§ 19–21 VVG-E hinsichtlich der getroffenen Rechtsfolgen abschließend seien 53 . Wirklich begründet wird dies nicht, aber eingeleitet mit dem Hinweis, dass es sich „wie im geltenden Recht allgemein anerkannt“ sei, „bei der Anzeigepflicht um eine besondere Obliegenheit“ handele. Zuvor heißt es allerdings – was die Begründung sein wird – dass der Versicherungsnehmer besser als zuvor geschützt werden solle. Diese Passagen finden sich so nicht im Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts54 . Deren Entwurf der Norm (damals war der spätere § 19 VVG 2008 noch § 21 VVG-E) wurde im Gesetzgebungsverfahren – anders als die meisten Vorschläge – ganz grundsätzlich zugunsten der Versicherungsnehmer überarbeitet. 48 Dieser Bezug explizit auch bei Harke, ZVW 95 (2006) S. 410 mit Fn. 76, der allerdings Schadensersatz – ohne nähere Begründung – nur alternativ zum Rücktritt nach § 16 Abs. 2 VVG a. F. für zulässig hält. 49 S. u., S. 309. 50 Hofmann 4 (1998) S. 157, der die allgemeine Einordnung als Obliegenheit durch die h. M. bezweifelt. Der Gedanke einer Anfechtung findet sich ansatzweise schon bei Künneth (1912) S. 124. Für die Ähnlichkeit mit der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB spricht auch § 22 VVG, der das Recht des Versicherers zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unberührt lässt. Damit ist explizit § 123 Abs. 1 BGB gemeint, vgl. die Begründung (1906) zu §§ 16–22, S. 35. 51 Statt Vieler Palandt65/Heinrichs (2006) § 311 BGB, Rn. 24. 52 Vgl. schon die Begründung (1906) zu §§ 16–22, S. 35 und aktuell Prölss in Prölss27/Martin (2004) §§ 16, 17 VVG, Rn. 47 mwN, der auch einen Schadensersatzanspruch bejaht. Dass es sich um verschiedene Anfechtungsgründe handelt übersieht Schubach, AnwBl 2000, S. 591 ff., der die generelle Berechtigung der §§ 16 ff. (nur) neben § 123 BGB in Frage stellt. 53 BT-Drs. 16/3945, S. 64. 54 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, S. 307–310.
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Daraus auf eine dogmatische Grundsatzentscheidung für die Obliegenheiten zu schlussfolgern 55 , widerspräche dem gleichen Dokument, wo es auf S. 68 im Rahmen der Begründung des § 28 VVG 2008 – und insoweit wieder dem Abschlussbericht der VVG-Kommission 56 folgend – heißt: „Auf eine Definition des Begriffes der Obliegenheit wird dabei weiterhin verzichtet, weil sonst dessen Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung erschwert würde; im übrigen könnte das schwierige Abgrenzungsproblem der sog. verdeckten Obliegenheiten damit nicht gelöst werden.“ Dogmatisch besonders überlegt scheint die Äußerung zu §§ 19–21 VVG 2008 in der Begründung des Regierungsentwurfs nicht zu sein, sollte aber doch insoweit als rechtspolitische Entscheidung akzeptiert werden. Gefährdet ist diese versicherungsnehmerfreundliche Entscheidung allerdings, wenn beim neuen VVG ebenso wenig Rücksicht auf die Gesetzesmaterialien genommen wird, wie es bei der Entstehung der Voraussetzungstheorie und der Repräsentantenhaftung sowie der Behauptung (für das alte VVG), die Regelungen seien abschließend, der Fall war. Eine an dem durch die Pflichtverletzung herbeigeführten Schaden orientierte Regelung des Problems verletzter vorvertraglicher Anzeigepflichten bieten übrigens andere Rechtsordnungen. Etwa in Italien und Frankreich bleibt der Versicherungsschutz trotzdem erhalten, der Versicherungsnehmer muss aber eine entsprechend höhere Prämie zahlen, so wie wenn er seinen Anzeigepfl ichten nachgekommen wäre57. Dieser Mechanismus wurde in die neue Regelung des § 19 Abs. 4 VVG 2008 übernommen, wonach das Rücktrittsrecht wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht ausgeschlossen ist, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Die ähnliche, aber im Ergebnis entgegengesetzte Lösung, also eine entsprechend verminderte Leistungspflicht des Versicherers kannte schon das alte VVG bei falscher Altersangabe in der Lebensversicherung (§ 162 VVG a. F.). Letztlich ist auch dies nur eine Form des Schadensersatzes – es wird der Zustand hergestellt, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (§ 249 BGB). Auch dies zeigt die dogmatische Fragwürdigkeit einer abschließenden Regelung der Rechtsfolgen in § 19 VVG 2008.
55 Wie es anscheinend (aber ohne Belege, deshalb hier nur eine Vermutung) Bruck/Möller/ Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 42 tut. Selbst die Darstellung von Schwintowski/ Brömmelmeyer/Härle (2008) § 19 VVG, Rn. 13, dem Regierungsentwurf sei zu entnehmen, dass es sich bei der Anzeigepflicht des § 19 Abs. 1 VVG 2008 nicht um eine „echte Rechtspflicht“, sondern um einen Obliegenheit handele, interpretiert etwas in diesen hinein, was dort so nicht steht. 56 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004 zu § 30 VVG-E = jetzt § 28 VVG 2008, S. 316. 57 Vgl. R. Schmidt, Mündl. Generalreferat (1967) S. 6; Basedow, VVR (1999) S. 37 f.
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(2) Zurechnung Ein Fall des Einstehens des Versicherungsnehmers für von ihm beim Vertragsschluss eingeschaltete Dritte ist in § 19 VVG a. F. (§ 20 VVG 2008) spezialgesetzlich geregelt. Im Umkehrschluss wurde daraus gefolgert, dass er über die darin genannten Voraussetzungen hinaus nicht für etwaige Erfüllungsgehilfen, Repräsentanten oder Wissenserklärungsvertreter hafte 58 . Der Sinn dieser Regelung besteht jedoch gerade darin, zu vermeiden, dass durch Mitwirken dieser Dritten das Risiko des Versicherers erhöht würde 59. Eine Anwendung des § 278 BGB kam bei Entstehung des VVG wie bereits beschrieben nicht in Betracht, weil diese Norm nach damals h. M. gerade eine schon bestehende Verbindlichkeit voraussetzte 60 . Die heute h. M. lehnt wegen der „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten die Anwendung des § 278 BGB ab, rechnet aber analog § 166 BGB Erklärungen des Wissenserklärungsvertreters zu61, was letztlich – auf Umwegen – zum gleichen Ergebnis führt 62 . Jedenfalls der Anwendung des § 278 BGB auf die vorvertragliche Anzeigepflicht steht die oben ausgeführte Äußerung in den Gesetzesmaterialien nicht entgegen.
II. Regeln über die Zurechnung des Verhaltens Dritter 1. Die Repräsentantenhaftung Repräsentant war nach der langjährigen Rechtsprechung des BGH, wer vom Versicherungsnehmer nicht nur die Obhut an der versicherten Sache übertragen bekommen hatte, sondern auch bei der Risikoverwaltung eingesetzt und in einem gewissen Umfang befugt war, für den Versicherungsnehmer zu handeln und dessen Rechte und Pflichten als Versicherungsnehmer wahrzunehmen63 . Das letzte Erfordernis wurde später aufgrund der Kritik in der Literatur64 fallen gelassen und stärker auf die Risikoverwaltung abgestellt 65 . 58
So schon v. Gierke, VersicherungsR Bd. 2 (1947) S. 162. Vgl. Begründung (1906) zu §§ 16–22 VVG, S. 33 f. 60 S. o., S. 273 mwN. 61 Bruck/Möller/Rolfs, Kommentar 9 (2008) § 19 VVG, Rn. 21 mwN der h. M.; a. A. (Anwendung des § 278 BGB) LG Stuttgart vom 30. 12. 1998, r+s 1999, 298 f. (und Rekurs auf § 19 VVG a. F.) und vor allem Prölss in Prölss/Martin 27 (2004) §§ 16, 17 VVG, Rn. 18. 62 Näher dazu sogleich und insbesondere S. 282 ff. 63 Vgl. BGH vom 26. 4. 1989, BGHZ 107, 229 (230 f.) = VersR 1989, 737 = NJW 1989, 1861; BGH vom 7. 6. 1989, VersR 1989, 909 = NJW 1989, 2474; BGH vom 25. 3. 1992, VersR 1992, 865; BGH vom 21. 4. 1993, BGHZ 122, 250 ff. = VersR 1993, 828 ff. = NJW 1993, 1862 ff. 64 Bach, VersR 1990, S. 235; Wussow, VersR 1993, S. 1455. 65 BGH vom 10. 7. 1996, VersR 1996, 1229 ff. = NJW 1996, 2935 f.; BGH vom 14. 3. 2007, NJW 2007, 2038 ff. 59
II. Regeln über die Zurechnung des Verhaltens Dritter
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Der Versicherungsnehmer hat für das Verhalten seiner Repräsentanten im Rahmen von Obliegenheiten (§§ 6, 23, 62 VVG a. F. = §§ 23, 28, 82 VVG 2008) und vor allem bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F. = § 81 VVG 2008) einzustehen. Dabei wird oft nicht weiter zwischen diesen grundsätzlich verschiedenen Tatbeständen (Obliegenheiten/subjektiver Risikoausschluss) unterschieden66 . Dies ist jedoch erforderlich, weil hier sowohl bei der Entstehung der Repräsentantenhaftung als auch in der aktuellen Dogmatik erhebliche Unterschiede bestehen.
a) § 61 VVG a. F. / § 81 VVG 2008 (1) Historisches Argument Im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Theorien über die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten wurde bereits auf die Entstehung der Repräsentantenhaftung eingegangen67. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass diese ursprünglich entgegen dem Willen des Gesetzgebers durch die Rechtsprechung im Rahmen einer Drittzurechnung bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a.F / § 81 VVG 2008) entwickelt wurde. Nach h. M. handelt es sich um eine subjektive Risikobeschränkung und auch eine analoge Anwendung des § 278 BGB wäre insofern schwer zu begründen68 . Die Repräsentantenhaftung entstand in der Reichsgerichtsrechtsprechung, weil es vor 1900 keine passende gesetzliche Zurechnungsregel gab69 bzw. nach Inkrafttreten des BGB die Anwendung des § 278 BGB auf § 61 VVG a. F. überwiegend und damit dem Willen des Gesetzgebers folgend noch abgelehnt wurde70 . Dennoch setzte sich das Bedürfnis der Versicherungswirtschaft, den Ver66 Ein Beispiel statt Vieler: Terbille/Terbille MAH VR 2 (2008) § 2, Rn. 249, der einfach die verschiedenen Normen des neuen VVG auflistet, innerhalb derer die h. M. die Repräsentantenhaftung anwendet. Immerhin zwischen § 61 VVG a. F. und § 6 VVG a. F. unterscheiden Remé, VersR 1989, S. 118, der aber im Folgenden dann nur die Herbeiführung des Versicherungsfalles behandelt und Bach, VersR 1990, S. 237, der verschiedene Repräsentantenbegriffe vorschlägt. 67 S. o., S. 145 ff. – dort auch die Nachweise für die nachfolgende Zusammenfassung. 68 Insoweit genauso Kampmann, Repräsentantenhaftung (1996) S. 26, 40 f., 217 und Cyrus (1998) S. 8, die aber dennoch die Repräsentantenhaftung unterstützen. Eine analoge Anwendung des § 278 BGB auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles befürwortet Jabornegg, JR 1975, S. 103 ff. 69 S. o., S. 133 f., S. 155 ff. Ungenau daher Remé, VersR 1989, S. 118: Die Entscheidungen vor dem VVG von 1908 hätten auf das gemeine oder preußische Recht zurückgreifen müssen. Außerdem übersieht er das BGB. Tatsächlich gab es aber keinen Sachverhalt zur sogenannten Repräsentantenhaftung, der zwischen Inkrafttreten des BGB (1900) und des VVG (1910) spielte, sodass aus rein faktischen Gründen eine Anwendung des § 278 BGB vor dem VVG nicht in Betracht kam. 70 Falsch ist daher die Behauptung von R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 446, das Reichsge-
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
sicherungsnehmer für bestimmte, den Versicherungsfall herbeiführende Dritte einstehen zu lassen, durch71. Bei diesen Dritten handelte es sich häufig um nahe Angehörige, insbesondere auch Ehegatten des Versicherungsnehmers72 . Gegen die Repräsentantenhaftung bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles kann aber neben dem Willen des Gesetzgebers73 auch der Grundgedanke der Versicherung ins Feld geführt werden: Der Versicherungsnehmer will gerade (auch) gegen das Verhalten Dritter abgesichert sein. Anders als in Deutschland gibt es daher in einigen anderen Ländern seit längerer Zeit die Tendenz, dem Versicherungsnehmer auch gegen von Hilfspersonen drohende Gefahren, für deren Verhalten er sonst zivilrechtlich verantwortlich wäre, Versicherungsschutz zu gewähren74 . Dieser Tendenz ursprünglich entsprechend entstand auch die deutsche allgemeine Voraussetzungstheorie im Schrifttum, insbesondere durch Schneider und Bruck 75 . Sie wandte sich gegen die zu Recht als fragwürdig empfundene Entwicklung der Repräsentantenhaftung durch die Rechtsprechung. Dazu bediente man sich der inhaltlich anderen Rechtsprechung zu den Anzeige- und Mitteilungspflichten, wo Billigkeitserwägungen zur Vermeidung des Allesoder-Nichts-Prinzips zu einer Ablehnung des Einstehenmüssens für Dritte geführt hatten. Die spätere herrschende Meinung hat aber die Notwendigkeit einer Repräsentantenhaftung letztlich mit der Voraussetzungstheorie erklärt, ohne zwischen Herbeiführung des Versicherungsfalles und Obliegenheiten zu unterscheiden und ohne dass man sich jedenfalls heute über die tatsächliche Entwicklung im Klaren ist. Nie thematisierte Meinungsumschwünge bzw. Widersprüche
richt habe „Ende der zwanziger Jahre das Rechtsinstitut der Repräsentantenhaftung“ „insbesondere gegen Erich R. Prölss“ geschaffen. 71 Deutlich: RG vom 15. 10. 1935, RGZ 149, 69 ff. (71), wobei hier für eine starke Einschränkung des „von der Rechtsprechung aus den Bedürfnissen des Versicherungswesens heraus geschaffene(n) Begriff(s)“ des Repräsentanten eingetreten wurde. Ähnlich auch Heukeshoven (1938) S. 63, der allerdings die Gesetzesbegründung ignorierte. 72 Vgl. schon Rabel, VersArch 1937/38, S. 948 ff. und die ausführliche Analyse der Rechtsprechung des Reichsgerichts bis in die 1930er Jahre bei Möller (1939) S. 33 ff. Aktuellere Rechtsprechung zum Einstehenmüssen für nahe Angehörige zusammenfassend Römer, Haftung (1993) S. 51. Speziell zu Ehegatten als Repräsentanten vgl. Wenzel, VersR 1993, S. 1310 ff. – bei aller Wertschätzung für historische Argumentationen erscheint mir allerdings die Heranziehung der Gesetzbegründung zu § 67 Abs. 2 VVG (a. F.) zur Einengung der Repräsentanteneigenschaft von Ehegatten fragwürdig. Der Blick in die Begründung zu § 61 VVG (a. F.) hätte gezeigt, dass es insgesamt an einer gesetzlichen Grundlage für die Repräsentantenhaftung fehlt, vgl. hier s. o. § 5 II.4.b)(1)gg). 73 Den übrigens Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 61 VVG, Anm. 1 noch betonten. 74 Vgl. R. Schmidt, Schriftl. Generalreferat (1967) S. 47 mwN. 75 Ausführlich dazu s. o., § 5 II.4.-5.
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finden sich vor allem bei den prominentesten Vertretern der h. M., bei Bruck76 und Möller 77. Die historische Analyse der Rechtsprechung in § 5 dieser Untersuchung hat gezeigt, dass heute mit einer Begründung der Repräsentantenhaftung gearbeitet wird, die ursprünglich gerade das Gegenteil wollte: das Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für Dritte zu vermeiden. Die Ursache dafür, dass dies nicht längst gesehen wurde, liegt darin, dass in der Literatur die Rechtsprechung des Reichsgerichts entweder nur im Zusammenhang mit der Repräsentantenhaftung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles oder nur für die Entwicklung der Voraussetzungstheorie analysiert wurde, nicht jedoch zusammenhängend78 . Die weiteren „Stufen“, in welchen Reichsgericht und Bundesgerichtshof Einschränkungen und Erweiterungen der einmal entwickelten Repräsentantenhaftung vorgenommen haben, interessieren hier nicht weiter. Es geht an dieser Stelle „nur“ um das sehr fragwürdige Fundament der heute herrschenden Meinung, weniger um die später permanent erforderlichen Korrekturen zur Repräsentantenhaftung. Außerdem wurden diese Stufen – einschließlich der hier behandelten Reichsgerichtsentscheidungen79 – wiederholt in der neueren Literatur ausführlich dargestellt80 . 76
Zu den Widersprüchen bei Bruck s. o.,S. 165 f. Möller, HansRGZ 1929, Sp. 560: „Insbesondere ist [im Rahmen des § 61 VVG] kein Raum für die unmittelbare oder analoge Anwendung des § 278 BGB . . . der Versicherungsnehmer . . . (hat) für . . . Repräsentanten . . . nicht einzustehen.“ Ganz anders dann Möller, Verantwortlichkeit (1939) z. B. S. 92: Wer auch gegen ein Verschulden des Repräsentanten versicherungsmäßig gedeckt sein will, möge – gegen entsprechende Prämie – eine besondere Klausel vereinbaren. Allerdings gelte eine Ausnahme in der Kfz-Kasko-Versicherung, (ausgerechnet!) das Verschulden des Chauffeurs sei dem des Versicherungsnehmers nicht ohne Weiteres gleichzustellen (a.a.O., S. 105). Gleichzeitig ist Möller einer derjenigen, die die Auffassung geprägt haben, die Anwendung des § 278 BGB auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles würde den Versicherungsschutz entwerten, Bruck/Möller/Sieg/Möller (1980) § 61 VVG, Anm. 74 – dazu gleich im Text. 78 Jabornegg, JR 1975, S. 100 ff. behandelt zwar beide Themen, jedoch überwiegend mit Sekundärliteratur und versteht die inhaltlichen Unterschiede zwischen der Herbeiführung des Versicherungsfalles und den Obliegenheiten nicht – das wird besonders deutlich a.a.O., S. 106 und S. 116. Eine weitere Ausnahme ist Behrens, Drittzurechnung (1980), der wie hier zunächst die Repräsentantenhaftung im Rahmen des § 61 VVG a. F. ablehnte, a.a.O., S. 69. Für die Obliegenheiten des VNs forderte er die Anwendung der allgemeinen Vorschriften, vgl. die Zusammenfassung a.a.O., S. 119, allerdings nicht direkt, sondern analog. Hintergrund dafür ist seine (andere) rechtstheoretische Einordnung der Obliegenheiten. Im Rahmen des § 61 VVG a. F. stützte er dann die Drittzurechnung auf ein Verbot des venire contra factum proprium, obwohl er vorher feststellte, dass eine (analoge) Anwendung des § 278 BGB „mit dem Schutzzweck des Versicherungsvertrages“ nicht vereinbar sei (a.a.O., S. 86) – das ist dann aber inkonsequent. 79 S. o., S. 147 ff. 80 Die Einteilung in Stufen beruht auf Prölss, JRPV 1936, S. 33 ff. und Möller, Verantwortlichkeit (1939) S. 70 ff. Vgl. danach Heukeshoven (1938) S. 67 ff.; Frohn (1959) S. 30 ff.; Schürmann (1972) S. 72 ff.; Möller in Bruck8/Möller/Sieg (1980) § 61 VVG, Anm. 74 ff.; Behrens, 77
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
(2) Aktuelle Stellungnahme Der VVG-Gesetzgeber hat zuletzt zur Repräsentantenhaftung nur insoweit Stellung genommen, als er die Entscheidung der Frage, inwieweit sich der Versicherungsnehmer das Verhalten Dritter, durch das der Versicherungsfall herbeigeführt worden ist, zurechnen lassen müsse, weiterhin der Rechtsprechung überlassen wolle, „da durch eine gesetzliche Regelung den vielfältigen Kriterien des Einzelfalles, die für die Zuordnung zur Repräsentation des Versicherungsnehmers maßgeblich sein können, nicht entsprochen werden könnte“81. Da sich der Gesetzgeber also einer eigenen Meinung enthält, soll nun die h. M. mit ihren aktuellen Argumenten genauer betrachtet werden. aa) Besserstellung des Versicherungsnehmers? Die Repräsentantenhaftung im Rahmen der Herbeiführung des Versicherungsfalles passt nicht zu den heutigen verbraucher-, d. h. versicherungsnehmerfreundlichen Tendenzen der Rechtsprechung82 . Insofern ist es fraglich, ob man zu ihrer Begründung § 242 BGB bemühen sollte83 . Dass diese Rechtsfigur dennoch ganz überwiegend84 nicht angezweifelt wird, liegt vor allem an dem unrichtigen und wie gesehen ahistorischen Argument, sie sei eine Begünstigung des Versicherungsnehmers gegenüber einer Anwendung des § 278 BGB85 . Hier wird nämlich wieder vergessen, zwischen der Herbeiführung des Versicherungsfalles und den Obliegenheiten zu unterscheiden86 !
Drittzurechnung (1980) S. 7 f.; Kampmann (1996) S. 43 ff.; Cyrus (1998) S. 19 ff.; Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 21 ff. Nur die jüngsten BGH-Entscheidungen hingegen bei Winter, Repräsentantenhaftung, in: FS Lorenz (1994) S. 724 ff. 81 Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 79. 82 Vgl. zur grundsätzlichen Tendenz der Rechtsprechung bereits s. o., S. 154 ff. 83 So aber Staudinger, NJW 2007, S. 2040. 84 Ausnahmen stellen aus verschiedenen Gründen dar: Schirmer, ZVW 80 (1991) S. 17 mit Bezug auf R. Schmidts wirkliche Obliegenheitstheorie von 1953, der aber nicht zwischen § 6 VVG a. F. und § 61 VVG a. F. unterscheidet; Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 61 VVG, Rn. 3, der für die Herbeiführung des Versicherungsfalles sowohl die Repräsentantenhaftung als auch die Anwendung des § 278 BGB ablehnt. Diesen zwar zitierend, aber dann doch widersprüchlich die Repräsentantenhaftung für maßgeblich und günstiger haltend Armbrüster, NJW 2006, S. 3684. Kritisch jüngst auch Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 443: die Repräsentantenhaftung ist eine zweifelhafte, von Rechtsunsicherheit geprägte Rechtsfortbildung. 85 So schon v. Gierke, LZ 3 (1909) Sp. 729 ff., 740, 742; Fischer, VersR 1965, S. 200; R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 447: die Repräsentantenhaftung gehöre in den „geistigen Trend der ‚Milderungsideologie‘“; Wussow, VersR 1993, S. 1454: Repräsentantenhaftung sei Begrenzung der Haftung des VN für seine Hilfspersonen, dann (a.a.O., S. 1456) widersprüchliche bis unverständliche Ausführungen; Kampmann (1996) S. 4; Holzhauser (1999) S. 80; Terbille, r+s 2001, S. 4; Looschelders, VersR 2008, S. 4 für § 81 VVG 2008. 86 Korrekt hingegen Hager/Bruck, Kommentar4 (1920) § 61 VVG, Anm. 1 und später Möller in Bruck/Möller/Sieg, Kommentar8 (1980) § 61 VVG, Anm. 74 a. E.; Jabornegg, JR 1975,
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Die Repräsentantenhaftung der heutigen h. M. geht jedenfalls im Rahmen des § 61 VVG a. F. / § 81 VVG 2008 zum Nachteil des Versicherungsnehmers über eine bloße Anwendung des § 278 BGB auf Obliegenheiten hinaus. Hier stellt die Repräsentantenhaftung eine Haftungsverschärfung gegenüber der eigentlichen gesetzlichen Regelung dar. Denn § 61 VVG a. F. / § 81 VVG 2008 enthält nach heute fast allgemeiner Ansicht keine – wie auch immer zu qualifizierende – Obliegenheit oder Pflicht des Versicherungsnehmers, sondern einen subjektiven Risikoausschluss87 und wäre 88 damit einer Anwendung des § 278 BGB ebenso wenig zugänglich, wie jeder anderen Art von „Haftung“. Konsequent nach h. M. wäre daher die Fragestellung, ob das Gesetz (§ 61 VVG a. F./§ 81 VVG 2008) bzw. die textidentischen AVB gleichermaßen das Risiko ausschließen, dass ein Repräsentant des Versicherungsnehmers den Versicherungsfall herbeiführt89. Auch der BGH sah – wenn auch nur partiell richtig – die gegen das Gesetz entwickelte Haftungsverschärfung: „Nach dem VVG hat der Versicherungsnehmer weder im Rahmen des § 6 VVG [a. F.] 90 noch im Rahmen des § 61 VVG [a. F.] für das Verschulden Dritter einzustehen“91. Dennoch wird meist ganz allgemein von einer Entwertung des Versicherungsschutzes bei Anwendung des § 278 BGB gesprochen92 . „Die Anwendung des § 278 BGB . . . würde . . . den Versicherungsschutz stark entwerten, wenn dem VersNehmer das Verschulden sämtlicher Personen zuzurechnen wäre, die sich mit seinem Wissen und Wollen im geschäftlichen oder privaten Lebensbereich aufhalten und durch ihr Verhalten das versicherte Risiko beeinflussen können.“93 Gelegentlich ist auch die Rede davon, „jeder beliebige Dritte“ könne S. 102; Bundschuh, ZVW 82 (1993) S. 47 – allerdings nicht speziell mit Blick auf § 61 VVG und ähnlich allgemein Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 18. 87 Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 38; Cyrus (1998) S. 11 f.; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 12; Prölss in: FG 50 Jahre BGH (2000) S. 599; E. Lorenz, VersR 2000, S. 4; Armbrüster (2003) S. 62. Ablehnend hingegen Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 65 ff., 70 ff., der einen teleologischen Nötigungstatbestand, also eine Obliegenheit im Sinne R. Schmidts bejaht. Zum neuen § 81 VVG 2008 Looschelders, VersR 2008, S. 2; Rokas, VersR 2008, S. 1457 f.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Neuhaus (2008) § 81 VVG, Rn. 7: Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG Rn. 9 mwN, der aber selbst kritisch ist. 88 Zweifel an der Einordnung durch die h. M. als subjektiven Risikoausschluss s. u., S. 295 ff. 89 E. Lorenz, VersR 2000, S. 5; Staudinger, NJW 2007, S. 2040. 90 Ob dies für § 6 VVG a. F. so zutrifft, ist nach den Ausführungen zur Ansicht des historischen Gesetzgebers mehr als fraglich, s. o., S. 173 f. 91 BGH vom 26. 4. 1989, BGHZ 107, 229 (232). 92 Fischer, VersR 1965, S. 200; R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 447; Wieling, AcP 176 (1976) S. 354; Möller, VVR 3 (1977) S. 124; Schütte (1991) S. 10; Wussow, VersR 1993, S. 1454; Winter, Repräsentantenhaftung, in: FS Lorenz (1994) S. 723; Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 5 f.; Kampmann (1996) S. 4; Knappmann, VersR 48 (1997) S. 262; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 168 ff., Rn. 74, 80; Holzhauser, VVR (1999) S. 80; Terbille, r+s 2001, S. 4; Staudinger/ Löwisch (2001) § 278 BGB, Rn. 40; MünchKomm4/Kramer (2001) Einl. vor § 241 BGB, Rn. 51 mit Fn. 228; Looschelders, VersR 2008, S. 4 für § 81 VVG 2008. 93 So etwas präziser Schirmer, r+s 1990, S. 254 mwN. Ähnlich Leonhardt, Repräsentanten-
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Hilfsperson i. S. d. § 278 BGB sein, was nicht sachgerecht sei94 . Das entspricht aber keinesfalls einer Anwendung des § 278 BGB! Denn nach § 278 BGB muss der Schuldner für diejenigen Personen einstehen, „deren er sich bei Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient“, womit (nur) alle konkreten Pflichten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger gemeint sind95 . bb) Der Mieter/Pächter als Repräsentant Als Beispiel dafür, dass § 278 BGB nicht im Versicherungsrecht passen würde, wird gelegentlich der Mieter (bzw. Pächter) angeführt96 . Während er selbst gegenüber dem Vermieter (Verpächter) zur pfleglichen Behandlung der gemieteten (gepachteten) Sache verpflichtet werde und für Angehörige als Erfüllungsgehilfen einzustehen habe97, ist weder er selbst noch sind seine Angehörigen Repräsentanten in der Schadensversicherung98 . Hier werden aber unterschiedliche Problemkreise miteinander verglichen. Denn der Mieter hat gegenüber seinem Vertragspartner eine entsprechende Nebenpflicht aus dem Mietvertrag. Hier macht die Anwendung des § 278 BGB Sinn. § 61 VVG a. F. / § 81 VVG 2008 (Herbeiführung des Versicherungsfalls) hingegen enthält nach heute fast einhelliger Ansicht wie schon beschrieben einen subjektiven Risikoausschluss, keine wie auch immer geartete Pflicht. Vor doktrin (1999) S. 18: es würde zur Entwertung des Versicherungsschutzes führen, ließe man den Versicherungsnehmer für alle Mitarbeiter haften, „die mit dem versicherten Risiko in Berührung“ kommen. 94 Wussow, VersR 1993, S. 1456 und 1457. 95 Vgl. E. Schmidt, AcP 170 (1970) S. 505 ff.; Delmere, Erfüllungsgehilfe (1989) S. 21 mwN älterer Literatur in Fn. 21; Fundel, Haftung (1999) S. 113 ff.; Staudinger/Löwisch (2001) § 278 BGB, Rn. 30 ff.; Medicus, SchR I16 (2005) S. 124 ff., Rn. 324 ff.; Palandt65/Heinrichs (2006) § 278 BGB, Rn. 12 ff. 96 Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 6. Zu der Problematik, ob der Mieter Repräsentant ist vgl. auch Römer, Haftung (1993) S. 52 und Breitkreutz (1993) S. 60 ff.; Armbrüster, NJW 2006, S. 3683 (3684). 97 Vgl. nur Palandt65/Weidenkaff (2006) § 536 c BGB, Rn. 4 und Palandt65/Heinrichs (2006) § 278 BGB, Rn. 18. 98 BGH vom 26. 4. 1989, BGHZ 107, 229 ff. = NJW 1989, 1861 f. = VersR 1989, 737 f. für einen feuerversicherten Verpächter, dessen Pächter Dritte mit einer Brandstiftung beauftragt hatte. Dort auch schon das Argument, dass es für die Annahme der Repräsentanteneigenschaft nicht ausreiche, dass der Pächter vertraglich die Instandhaltung und Verkehrssicherungspflichten übernommen habe. Vorher war diese Frage umstritten, vgl. Zierke, VersR 1987, S. 132; sehr ähnlich ders. MDR 1989, S. 872 ff., jeweils mwN, aber offensichtlich in Unkenntnis der o.g., etwa zeitgleich veröffentlichten BGH-Entscheidung, der vertrat, dass der Mieter/Pächter Repräsentant des Vermieters/Verpächters sei. Zu der BGH-Entscheidung vgl. Bach, VersR 1990, S. 235 ff.; Kalischko, MDR 1990, S. 215 und Römer, NVZ 1993, S. 253. Außerdem BGH vom 7. 6. 1989, VersR 1989, 909 ff. = NJW 1989, 2474 f.: hier hatte ein Liebhaber der Mieterin ebenfalls die persönliche Haftung für die Mietzahlung, die Verpflichtung zu Schönheitsreparaturen und zur Instandsetzung übernommen. Später setzte ein Dritter mit Kenntnis und Billigung dieses Liebhabers das Haus in Brand. Auch hier wurde vom BGH eine Repräsentantenhaftung abgelehnt.
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allem aber widerspräche es dem Sinn der Feuerversicherung, wenn der Versicherungsnehmer für die Schadensverursachung derjenigen Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den Versicherungsfall herbeiführen könnten, gerade nicht versichert wäre. Besonders unsinnig erscheint es, eine Repräsentantenhaftung daran zu knüpfen, ob vertragliche Sorgfaltspflichten auferlegt wurden99. Zwar kann der Vermieter/Verpächter dann gegebenenfalls Rückgriff beim Schadensverursacher nehmen, er würde aber für die entsprechende Regelung im Hinblick auf seinen Versicherungsschutz bestraft. Gleichzeitig wird damit ihm das Insolvenzrisiko des Schadensverursachers aufgebürdet. Umgekehrt ist nicht einzusehen, warum der Versicherer im Verhältnis zu seinem Versicherungsnehmer bei dessen Vereinbarung einer entsprechenden Sorgfaltspflicht des Mieters/Pächters besser dastehen sollte, als ohne eine solche Vereinbarung. cc) Argumente für die Schlechterstellung des Versicherungsnehmers im Rahmen der Herbeiführung des Versicherungsfalles Die Repräsentantenhaftung soll nach herrschender Ansicht gerade bei der sog. Risikoverwaltung Billigkeitserwägungen entsprechen. In diesem Zusammenhang wird oftmals das Argument gebracht, dass es dem Versicherungsnehmer nicht freistehen dürfe, sich durch Einschaltung eines Dritten seiner Verantwortung zu entziehen100 . Ähnlich ist der Verweis auf die Arbeitsteilung: wer sich deren Vorteile zunutze mache, müsse auch die damit verbundenen Nachteile in Form einer erweiterten Verantwortlichkeit für das Handeln der eingesetzten Dritten tragen101.
99 So aber Zierke, VersR 1987, S. 133. Ders., MDR 1989, S. 872 stellt dagegen auf den Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen Unmöglichkeit der Rückgabe der Mietsache nach Beendigung der Miete ab – dafür gilt das hier im Text Gesagte entsprechend. Zierke, MDR 1989, S. 874 sieht immerhin, dass nach seiner Ansicht die Bonität des Mieters das Problem des Vermieters ist. Eine Rechtfertigung dafür könnte man in der Tatsache sehen, dass der Vermieter sich den Mieter aussucht. Andererseits wird die Schadensversicherung überflüssig, wenn man ausgerechnet die Hauptschadensverursacher davon ausschließt. 100 Meist mit Bezugnahme auf (u. a.) RG vom 22. 4. 1903, Gruch. Beitr. 47, S. 991 und BGH vom 23. 3. 1988, NJW-RR 88, 920 f. = VersR 1988, 506. Jüngst etwa Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 78. 101 Heukeshoven (1938) S. 63; Möller (1939) S. 27, 67 und im etwas allgemeineren Zusammenhang mit § 278 BGB bzw. einer Repräsentantenhaftung bei R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 171, 318 f.; Schürmann (1972) S. 153; Looschelders (1999) S. 670; Lorenz (2000) S. 332. Widersprüchlich insofern Römer, Haftung (1993), der einerseits (S. 43) meint, dass der VN nicht die Lage des Versicherers verschlechtern dürfe, indem er die Sache aus der Hand gibt usw., andererseits (S. 53) es aber unbillig findet, den Versicherungsschutz zu versagen, nur weil der VN Teilbereiche seines Betriebes delegiere.
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Beide Gedanken wurden aber allgemein für die Zurechnung des Verhaltens Dritter im Rahmen des heutigen § 278 BGB, also unabhängig vom Versicherungsvertragsrecht, entwickelt und angewendet102 . Seltener gebracht, aber sehr interessant ist auch der Hinweis, dass heute in der Kfz-Haftpflicht oftmals Versicherungsnehmer und ständiger Fahrer nicht identisch sind, weil es üblich geworden ist, dass das Familienmitglied die Versicherung nimmt, welches beispielsweise den höchsten Schadensfreiheitsrabatt erhält103 . dd) Ökonomischer Hintergrund der Repräsentantenhaftung Letztlich geht es aber bei der Repräsentantenhaftung im Rahmen des § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG 2008 nicht um allgemeine Billigkeitserwägungen, sondern um die Frage, wer das Risiko desjenigen tragen soll, der den Versicherungsfall schuldhaft herbeiführt. Solange der Schädiger zahlungsfähig ist, kann sich der Versicherungsnehmer, der in der Regel Eigentümer ist, an diesen halten und die h. M. ist letztlich für ihn „unschädlich“. Es sei denn, intern ist ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen, etwa wegen gefahrgeneigter Arbeit. Gerade diese Fälle will der Versicherungsnehmer aber in der Regel von der Versicherung abgedeckt wissen. Ist der Schadensverursacher hingegen entweder intern vor einer Haftung geschützt oder insolvent und wird als Repräsentant betrachtet, nützt die ganze Versicherung nichts. Das kann existenzielle Probleme für den Versicherungsnehmer auslösen, ohne dass ihm notwendig ein eigenes Verschulden vorzuwerfen wäre. Dieser Gedanke wurde übrigens schon in der Regelung des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 für die Seeversicherung deutlich: danach war die Versicherungsleistung auf das beschränkt, was der Versicherungsnehmer vom Verursacher nicht erlangen konnte104 . Das gleiche Problem, also wer das Risiko des Schadensverursachers tragen soll, ist auch der Hintergrund für die Anwendung des § 278 BGB auf eigentlich 102 Delmere, Erfüllungsgehilfe (1989) S. 64, 95 schreibt den Gedanken der Arbeitsteilung zuerst V. Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkte der Nationalökonomie (1888) zu. Vgl. auch die Motive II, S. 30 = Mugdan, S. 16, wo ausgedrückt wird, dass eine Gehilfenhaftung den Bedürfnissen des Verkehrs angemessener sei als die Haltung des gemeinen Rechts. Aktueller für den Zusammenhang von Arbeitsteilung und Gehilfenhaftung, insbesondere im Rahmen des § 278 BGB: Westermann, JuS 1961, S. 333; Kupisch, JuS 1983, S. 819 f.; Schreiber, Jura 1987, S. 647; Soergel12/Wolf (1990) § 278 BGB, Rn. 1; MünchKomm4/Grundmann (2001) § 278 BGB, Rn. 3; Palandt65/Heinrichs (2006)§ 278 BGB, Rn. 1; PWW2/SchmidtKessel (2007) § 278 BGB Rn. 1. Das Argument, dass die Lage des Gläubigers nicht verschlechtert werden dürfe (u. a.) für die Haftung des Mieters für seine Angehörigen bei Kupisch, JuS 1983, S. 820. 103 Breitkreutz (1993) S. 59 f. Ähnlich auch Römer, NVZ 1993, S. 253. 104 §§ 2216 ff. II 8 ALR.
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deliktische Schädigungen (c.i.c. und Schutzpflichtverletzung) 105 . Allerdings sollte § 278 BGB nach h. M. und nach dem Willen des historischen Gesetzgebers ja gerade nicht im Rahmen des § 61 VVG (a. F.) Anwendung finden106 . Insofern erscheint für die Herbeiführung des Versicherungsfalles die österreichische Lösung als gesetzeskonform und vorzugswürdig, die bei grundsätzlich gleicher Gesetzeslage eine Repräsentantenhaftung nur dann bejaht, wenn dem Versicherungsnehmer eigenes Verschulden, insbesondere ein Organisations- oder Überwachungsverschulden zur Last fällt107. Dass es um die Frage des Rückgriffs auf den Schadensverursacher geht, zeigt auch das Beispiel, welches Römer zur Untermauerung der Repräsentantenhaftung bringt108 : A geht für ein Studienjahr in die USA und überlässt sein kaskoversichertes Cabrio dem F, der es sich grob fahrlässig entwenden lässt. Die Regelungen des BGB seien nicht anwendbar, aber dennoch wäre es „nicht richtig“, den Versicherer zu Lasten der Versichertengemeinschaft zahlen zu lassen, argumentiert Römer109. Deutlich wird an diesem Beispiel ganz nebenbei, dass die Repräsentantenhaftung eine Haftungserweiterung bezweckt. Außerdem vernachlässigt die auf den ersten Blick einleuchtende Argumentation, dass doch A gegen F einen Schadensersatzanspruch hat, der gemäß § 67 Abs. 1 VVG a. F. (§ 86 Abs. 1 VVG 2008) auf den Versicherer übergeht. Es verbleibt also tatsächlich nur das Insolvenzrisiko, welches der Versicherer tragen müsste und genau dieses dürfte durchaus ein Sinn der Versicherung sein. Es sei denn, der A wusste, dass F leichtsinnig ist, wenn er z. B. schon mehrfach grob fahrlässig gehandelt hat. Dann handelt es sich um ein eigenes Auswahlverschulden des A und der Versicherer muss nicht leisten. Diese Lösung erscheint mir durchaus angemessen. Nichts anderes gilt auch für die oben erwähnte Konstellation, dass ein Familienmitglied mit niedrigem Schadensfreiheitsrabatt die Versicherung nimmt und der Pkw überwiegend von einem anderen Familienmitglied gefahren wird. Dem Versicherer steht es frei, eine nach § 5 Abs. 1 KfzPflVV zulässige Obliegenheit zu vereinbaren, dass der Pkw grundsätzlich nur vom Versicherungsnehmer zu nutzen ist. Tut er dies nicht, ist er wohl mit dem einverstanden, was geschieht.
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Vgl. Schreiber, Jura 1987, S. 647 f. Dazu s. o., S. 152 ff. 107 Ausführlich dazu z. B. Cyrus (1998) S. 151 ff. Das Gleiche gilt nach Art. 14 schweizer VVG. Dazu gleich S. 288 f. genauer. 108 Römer, Haftung (1993) S. 42–43, 50–51 und ders., NVZ 1993, S. 249. 109 Ähnlich argumentiert für die Reisegepäckversicherung Wussow, VersR 1993, S. 1454, der aber auch ein berechtigtes Interesse des Versicherungsnehmers sieht, das Gepäck für kurze Zeit der Obhut eines Dritten zu überlassen. 106
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
ee) Die Repräsentantenhaftung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles als Entwertung des Versicherungsschutzes Selbst wenn man einmal unterstellt, dass bei den wirklichen Obliegenheiten die Repräsentantenhaftung milder wäre, als eine Anwendung des § 278 BGB110 , so wird die Repräsentantenhaftung auf Obliegenheiten oft gar nicht angewendet. Denn es gibt die weiteren, für das Versicherungsrecht entwickelten Figuren des Wissens- und des Wissenserklärungsvertreters111. Es bleibt also nur die verhältnismäßig kleine Gruppe von Obliegenheiten, die ein tatsächliches Verhalten fordern, wo das Argument milderer Haftung aufgrund Repräsentantenhaftung überhaupt stimmen könnte. Das Hauptanwendungsfeld der Repräsentantenhaftung ist nun einmal der § 61 VVG – das kann man bei der Argumentation nicht einfach ausblenden. Korrekt wäre das Argument einer Entwertung des Versicherungsschutzes also nur, wollte man den § 278 BGB eben auf die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F./§ 81 VVG 2008) anwenden112 – was seit der h. M. vom Charakter dieser Vorschrift als subjektiver Risikoausschluss aber kaum jemand mehr fordert113 . Besser könnte man dieses Argument eines entwerteten Versicherungsschutzes allerdings gerade gegen die nach heute herrschender Meinung im Rahmen des § 61 VGG geltende Repräsentantenhaftung verwenden! Hinzu kommt, dass es oft von Zufällen abhängig ist, wer Repräsentant ist114 . Die Rechtsprechung erscheint hier weniger konstant, als zum Begriff des Erfüllungsgehilfen i. S. d. § 278 BGB. ff) Rechtsvergleichendes Argument In der Schweiz enthält Art. 14 des schweizerischen VVG für die Herbeiführung des Versicherungsfalles ein sogenanntes „umfassendes Selbstverschuldungsprinzip“115 . Für Dritte muss der Versicherungsnehmer nur dann einstehen, 110
Genauer dazu aber S. 290 f. Dazu s. u., S. 292 f. 112 So korrekt dargestellt von Möller in Bruck/Möller/Sieg, Kommentar8 (1980) § 61 VVG, Anm. 74. 113 Wie geschildert haben das nur einige frühe Vertreter der Verbindlichkeitstheorie getan, dazu s. o., S. 181. Allerdings behauptet noch Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 71 ff., 76 – gegen die ganz überwiegende Ansicht – § 61 VVG (a. F.) enthalte eine Verhaltenspfl icht minderer Zwangsintensität und will § 278 BGB analog anwenden (a.a.O., S. 159 ff., 200) und setzt an die Stelle einer Beschränkung auf „funktionsbedingte Erfüllungsgehilfen“ die Begrenzung durch die „verminderte Pfl ichtigkeit“ von Obliegenheiten (a.a.O., S. 164). Ähnlich schon Schürmann (1972) S. 106 f., 122 ff. 114 Martin, Sachversicherung (1992) Rn. 50 f. 115 Vgl. Roelli, Kommentar (1914) S. 202; Zumbach (1946) S. 47 ff. (mit Kritik an dem Begriff); schweizer Bundesgericht vom 18. 3. 1965, BGE 91 II 226, Erwägung 3; Koenig, PrivatversR 3 (1967) S. 137 spricht für Art. 14 schweizer VVG von negativen Haftungsvorausset111
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wenn diese mindestens grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt haben und ihm selbst entsprechendes Verschulden bei Auswahl, Überwachung oder bei Aufnahme in die häusliche Gemeinschaft vorzuwerfen ist116 . Auch im österreichischen Recht gilt heute noch das Selbstverschuldungsprinzip. Die Rechtsprechung zu der § 61 des deutschen VVG gleichlautenden Bestimmung des ÖVVG stellt ebenfalls auf das Auswahl- und Überwachungsverschulden des Versicherungsnehmers bei Hinzuziehung Dritter ab117. Offenbar ist also die Ablehnung des Selbstverschuldungsprinzip118 bei Herbeiführung des Versicherungsfalles keineswegs zwingend. gg) Schlussfolgerung Als Konsequenz aller vorhergehenden Überlegungen wäre eine eindeutige Äußerung des Gesetzes zur Bejahung eines Einstehenmüssens des Versicherungsnehmers für den Versicherungsfall herbeiführende Dritte wünschenswert. Mindestens aber ist eine nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit – allerdings wohl nur in den Grenzen der bisherigen Rechtsprechung – mögliche119 Verankerung der Repräsentantenhaftung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen erforderlich. Im Gegenteil ist es aber heute in industriellen Versicherungszweigen vielfach üblich (und wegen der Rechtsprechung sinnvoll), die Repräsentantenhaftung abzubedingen120 . Solange es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Regelung gibt, kann man im Einzelfall die Repräsentantenhaftung für die Herbeiführung des Versicherungsfalles nur als gesetzeswidrig ablehnen oder als contra legem entwickeltes Richter- bzw. Gewohnheitsrecht121 anerkennen. Angesichts ihrer weitreichenden Konsequenzen und des fortdauernden Streits im Detail122 sollte man zungen. Vgl. vor allem Suter, Herbeiführung (Zürich 1999) S. 11, 34 ff.; Römer, NVersZ 2000, S. 261 meinte, das schweizerische VVG könne zur Änderung des § 61 VVG als Vorbild dienen. Rechtsvergleichend, wenn auch ohne die Frage der Drittzurechnung neben dem schweizer auch zum französischen Recht Hübner/Schmid, FS Schirmer (2005) S. 240 ff. 116 Vgl. Art. 14 Abs. 3 schweizer VVG. 117 Dazu Jabornegg, JR 1975, S. 115 ff.; Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 158 ff. und s. u. S. 307 f. 118 Dazu s. o., S. 164 f. 119 Vgl. dazu Schirmer, r+s 1990, S. 255 unter b); Bach, VersR 1990, S. 237 f.; Römer, Haftung (1993) S. 54; Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 169 ff. Die Rechtsprechung setzt für die Zulässigkeit von Klauseln die Grenzen des „Leitbildes“ der Repräsentantenhaftung, vgl. BGH vom 21. 4. 1993, VersR 1993, 830 ff. = NJW-RR 1993, 1049 ff. 120 Winter, Repräsentantenhaftung, in: FS Lorenz (1994) S. 729 ff. 121 Sehr kritisch auch Bruck/Möller/Heiss, Kommentar 9 (2008) § 28 VVG, Rn. 43, 78–81. 122 Z. B. Zierke, VersR 1987, S. 133 zum Repräsentantenbegriff der Rechtsprechung: „sicherlich keine eindeutige Definition. Eine solche wird es auch vermutlich nie geben.“ Vgl. etwa auch den Vorschlag von Bach, VersR 1990, S. 237, für § 61 VVG und § 6 VVG verschiedene Repräsentantenbegriffe anzuwenden. Römer, Haftung (1993) S. 44: „Mit zunehmender Entwicklung ist die Definition des Repräsentanten auch etwas kompliziert geworden.“
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jedoch an eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung höhere Anforderungen stellen, als dies derzeit überwiegend geschieht123 .
b) Keine Anwendung der Repräsentantenhaftung auf wirkliche Obliegenheiten Für tatsächliche Obliegenheiten des Versicherungsnehmers findet die Repräsentantenhaftung in der Praxis nur selten Anwendung124 , zumal nur Obliegenheiten in Betracht kommen, die nicht auf Anzeigen, Mitteilungen oder Auskunft an den Versicherer gerichtet sind. Für letztere wurden die Figuren des Wissens- und des Wissenserklärungsvertreters erfunden. Es bleiben also die Gefahrstandspflicht (§ 23 VVG a. F. und 2008), die Rettungspflicht (§ 62 VVG a. F. bzw. § 82 VVG 2008) sowie die sonstigen vertraglich vereinbarten Obliegenheiten. Hier muss man – sieht man diese Verhaltensanforderungen als Nebenpflichten an – die Anwendung des § 278 BGB fordern125 . Die Repräsentantenhaftung außer bei Herbeiführung des Versicherungsfalles ist nur die Konsequenz der heutigen Voraussetzungstheorie, die ein Äquivalent für die Anwendung des § 278 BGB suchte. (1) Fehlen positiver Argumente für h. M. Es bleibt die Behauptung der h. L., eine Anwendung des § 278 BGB würde für den Versicherungsnehmer eine Verschlechterung gegenüber der Repräsentantenhaftung bedeuten. Durch die fehlende Differenzierung zwischen Repräsentantenhaftung im Rahmen des § 61 VVG a. F. bzw. § 81 VVG 2008 und für Obliegenheiten wird diesem Argument (scheinbar) mehr Gewicht verliehen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die behauptete Besserstellung des Versiche123 Zweifel am Vorliegen von Gewohnheitsrecht bzw. eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes bei Bach, VersR 1990, S. 238. Gegen das Vorliegen insbesondere einer allgemeinen Überzeugung Behrens, Drittzurechnung (1980) S. 65 ff., 68; Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 133 ff., 139. Looschelders, VersR 1999, S. 673 hingegen spricht von „geglückter Rechtsfortbildung“. Möller in Bruck/Möller/Sieg (1980) § 61 VVG, Anm. 74 a. E.; Zierke, MDR 1989, S. 873; Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 46 und R. Schmidt, NVersZ 1999, S. 403 behaupten gewohnheitsrechtliche Begründung. Differenzierend Kampmann, Repräsentantenhaftung (1996) S. 83 ff., 217: nur das Rechtsinstitut der Repräsentantenhaftung sei gewohnheitsrechtlich anerkannt, nicht die einzelnen Merkmale des Repräsentantenbegriffes. 124 Diese Feststellung machte schon Möller, Verantwortlichkeit (1939) S. 33 f. im Rahmen seiner Rechtsprechungsanalyse zur Repräsentantenhaftung. 125 So bisher vor allem J. Prölss in Prölss/Martin 27 (2004) § 6 VVG, Rn. 47 f. Sehr kritisch zur Repräsentantenhaftung für vertragliche Obliegenheiten jüngst auch Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 77 ff., der § 278 BGB jedenfalls beschränkt für anwendbar hält (a.a.O., Rn. 81).
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rungsnehmers bei Anwendung der Repräsentantenhaftung mag noch vorhanden gewesen sein, solange die Rechtsprechung und mit ihr die h. M. die Selbständigkeit des Repräsentanten bei der Ausübung der Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag gefordert hatte – was aber wie beschrieben heute nicht mehr der Fall ist. Zunächst einmal wäre aber die h.L. für diese Behauptung beweispfl ichtig – eine genauere Untersuchung hierzu fehlt jedoch. Der vorliegende Rahmen würde durch eine derartige Analyse nicht nur gesprengt, es müsste überhaupt erst einmal überzeugend dargelegt werden, dass eine Anwendung des § 278 BGB nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen würde, bevor man sich an die Widerlegung dessen macht. Die Beweisbarkeit der Behauptung erscheint allerdings angesichts des geschilderten Entstehungszusammenhangs der heute herrschenden Voraussetzungstheorie126 kaum wahrscheinlich. Als man sich gegen § 278 BGB entschied, war der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zudem noch bei weitem nicht so klar herausgearbeitet wie heute127. Später hat man aber für Obliegenheiten das Bedürfnis nach Dritthaftung anerkannt. Nicht umsonst wird heute oft behauptet, die Theorien kämen überwiegend zu den gleichen Ergebnissen128 – das spricht klar gegen die angebliche Entwertung des Versicherungsschutzes. (2) Der funktionsbedingte Erfüllungsgehilfe Abgesehen von den vorstehenden Zweifeln existiert bereits ein Lösungsansatz, sollte sich hier wirklich ein Problem ergeben. Es ist die durch E. Prölss ursprünglich für § 61 VVG a. F. entwickelte129 und heute noch von seinem Sohn J. Prölss allgemein (aber gerade nicht für § 61 VVG a. F., bei dem de lege lata keine Dritthaftung greift) vertretene Einschränkung der Haftung für einen Erfüllungsgehilfen unter dem Gesichtspunkt der Funktion desselben, die in der Literatur gelegentlich zustimmend diskutiert wird130 . 126
Ausführlich s. o., S. 143 ff. S. o., S. 133 f. Vgl. für die Zeit Brodmann, Jh. Jb. 58 (1911) S. 270 f.: es gebe ein Unbehagen bei der Haftung für Hilfspersonen im Rahmen des Versicherungsvertrages, welches nicht vorher zu beseitigen sei, als bis man Klarheit über den „vielumstrittenen § 278 BGB“ gewonnen habe. 128 So etwa jüngst PWW3/Schmidt-Kessel (2008) § 278 BGB, Rn. 2 a; Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 81. 129 E. Prölss, JRPV 1936, S. 38. Ähnlich auch Heukeshoven (1938) S. 77. 130 Dazu bereits oben S. 19 f. (zur Verwendung bei Esser und R. Schmidt) und S. 182 f. Für eine Beschränkung des Begriffs des Erfüllungsgehilfen ebenso v. Gierke, Versicherungsrecht Bd. 2 (1947) S. 154: § 278 BGB sei anzuwenden, aber mit dem Zweck der Versicherung in Einklang zu bringen; Oberbach, AVB II (1947) S. 56. Leonhardt, Repräsentantendoktrin (1999) S. 167 spricht vom „funktionsorientierten“ Erfüllungsgehilfenbegriff. Jüngst Bruck/Möller/ Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 81: vorsichtige, teleologisch reduzierte Anwendung des § 278 BGB; für die Anwendung auf § 81 VVG 2008 mit „Orientierung des Begriffs des 127
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Teilweise zeigt die Figur des funktionsbedingten Erfüllungsgehilfen auffällige Ähnlichkeiten mit dem Repräsentantenbegriff131 bzw. dem obliegenheitsbezogenen Repräsentantenbegriff132 . Das liegt am gemeinsamen Problem, welches diese Figuren lösen wollen und müssen133 . Da die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Nebenpflichten desselben sind, kann er sich zu ihrer Erfüllung auch eines Dritten im Sinne des § 278 BGB bedienen134 . Der objektive Tatbestand des § 278 BGB verlangt dabei einen Übertragungs- und einen Ausführungstatbestand. Subjektive Voraussetzung ist die Einbeziehung in die Pflichterfüllung durch den Schuldner135 . Sofern sich wirklich in der Praxis erweist, dass diese Haftung für die Anforderungen eines effektiven Versicherungsschutzes zu weit ist, kann man entsprechend erforderliche Einschränkungen vornehmen. Jedenfalls ist es vorzugswürdig, gegebenenfalls an der Anwendung des § 278 BGB gewisse Korrekturen vorzunehmen, als den dogmatisch fragwürdigen Weg der h. M. zu gehen, die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten in Frage zu stellen, um dann frei rechtsschöpferisch eine Repräsentantenhaftung zu entwickeln. Dass dieses Vorgehen keine dauerhaft zufriedenstellende Lösung liefert, haben die letzten Jahrzehnte gezeigt136 . Fast jeder Einzelfall hat zu Korrekturen dessen, was man unter der Figur des Repräsentanten verstehen soll, geführt.
2. Wissens- und Wissenserklärungsvertreter Entsprechendes wie schon für die Repräsentantenhaftung ausgeführt, gilt auch für die Anwendung der Regeln über Wissens- und Wissenserklärungsvertreter auf die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Auch hier bietet der „direkte“ Weg über § 278 BGB die überzeugendere Lösung. Erfüllungsgehilfen am Schutzzweck der jeweiligen Pflicht“ Looschelders/Pohlmann/ Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 45. 131 Delmere, Erfüllungsgehilfe (1989) S. 165 f. mwN. 132 Langheid, zuletzt FS Schirmer (2005) S. 353 ff., 359 ff. 133 Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 46: „Zweck der Figur der Repräsentantenhaftung ist – wie bei § 278 BGB – die Vermeidung der Haftungsentlastung durch Delegation.“ 134 Auch wenn Bach, VersR 1990, S. 237 zwischen § 61 VVG und § 6 VVG unterscheidet und für letzteren einen einheitlichen „obliegenheitsbezogenen Repräsentantenbegriff“ (bei Wahrnehmung der Obliegenheiten nur von dem Dritten) sowie unter Aufgabe der Figuren des Wissens- und des Wissenserklärungsvertreters eine einheitliche Behandlung aller Obliegenheiten fordert, so ist dies auch nur eine Umschreibung der Anwendung des § 278 BGB. Die Kritik von Römer, NZV 1993, S. 253 f. daran überzeugt nicht, da sie schon die Auffassung Bachs nicht zutreffend wiedergibt. 135 Vgl. Delmere, Erfüllungsgehilfe (1989) S. 193 f., 216. Vgl. auch ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen des § 278 BGB Fundel, Haftung (1999) S. 113 ff. 136 So auch Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 48 und Kampmann (1996) S. 94.
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Wissensvertreter ist nach der allgemeinen Definition der Rechtsprechung jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie ggf. weiterzuleiten137. Tut dieser das nicht und verletzt der Versicherungsnehmer dadurch seine Obliegenheiten, so muss er sich analog § 166 BGB das Verhalten seines Wissensvertreters zurechnen lassen. Vom Wissenserklärungsvertreter hingegen wird gesprochen, wenn sich der Versicherungsnehmer zur Erfüllung von Anzeige-, Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten Dritter bedient – auch hier muss sich der Versicherungsnehmer deren Verhalten oder Unterlassen nach h. M. analog § 166 BGB zurechnen lassen138 . Gerade wenn man als Versicherungsnehmer die Obliegenheit hat, etwas dem Versicherer gegenüber zu erklären und damit einen Dritten betraut, so bedient man sich des Dritten „zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit“ im Sinne des § 278 BGB139. Denn unter Erfüllung wird auch nach heute h. M. alles verstanden, was der Gläubiger überhaupt vom Schuldner verlangen kann140 . Die Konstruktion über eine analoge Anwendung des § 166 BGB hingegen wirkt gezwungen und dient nur der Verteidigung der Voraussetzungslehre141. Die heute h. M. wendet – entgegen der ursprünglichen Voraussetzungslehre – Zurechnungsvorschriften an und zwar allein nach der Art der Obliegenheiten (Anzeigen/Auskünfte/sonstige Verhaltensvorschriften), um das gleiche Ergebnis zu erzielen, als wenn man von vornherein von Nebenpflichten ausgehen würde. Die von Rechtsprechung und Literatur entwickelte Zurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB sollte auf die Fälle beschränkt bleiben, wo die Heranziehung des Dritten gerade nicht im Rahmen einer bestehenden schuldrechtlichen Verbindung i. S. d. § 311 BGB geschieht. 137 BGH vom 24. 1. 1992, BGHZ 117, 104 (106 f.) für einen nichtversicherungsrechtlichen Zusammenhang. 138 Vgl. etwa BGH vom 2. 6. 1993, BGHZ 122, 388 = VersR 1993, 960 f. mwN; OLG Dresden, Beschluss vom 31. 1. 2006, VersR 2006, 1526 f. (Wissenserklärungsvertreter des VN und zugleich Agent des VR). 139 So jetzt grundsätzlich MünchKommBGB5/Grundmann (2007) § 278 BGB, Rn. 24 und diesem folgend BeckOK Bamberger/Roth/Unberath (Stand: 1. 2. 2007) § 278 BGB Rn. 23, die explizit gegen die h. M. § 278 BGB auf Obliegenheiten für anwendbar halten. Zumindest für einzelne Obliegenheiten (ggf. analog) auch Handkommentar5/Schulze (2007) § 278 BGB, Rn. 9. 140 Fundel, Haftung (1999) S. 113 ff.; Staudinger/Löwisch (2001) § 278 BGB, Rn. 30 ff.; Medicus, SchR I16 (2005) S. 124 ff., Rn. 324 ff.; Palandt65/Heinrichs (2006) § 278 BGB, Rn. 12 ff. Beim selteneren Fall des Wissensvertreters ist es wohl eher ein Organisationsverschulden, das sich der Versicherungsnehmer ggf. vorhalten lassen muss. 141 Vom Wissensvertreter als „Behelfskonstruktion“ (S. 917) bzw. „unnötige Konstruktion“ (S. 919) sprach schon Rabel, VersArch 1937/38. Jetzt MünchKommBGB5/Grundmann (2007) § 278 BGB, Rn. 24: die h. M. ist „zu sehr einem alten Wortlaut verpfl ichtet“.
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III. „Verhüllte“ Obliegenheiten – Risikobeschreibungen Obliegenheiten stehen ebenso wie Risikoausschlüsse im Zusammenhang mit der versicherten Gefahr. Eine vertraglich aufzuerlegende Obliegenheit des Versicherungsnehmers kann man nun so formulieren, dass es sich nach dem Wortlaut um die Beschreibung eines auszuschließenden Risikos handeln würde (sog. „verhüllte“ oder „verdeckte“ Obliegenheit). Die zur Unterscheidung erforderliche Auslegung von Vertragsbestimmungen ist wegen der verschiedenen Konsequenzen ein wichtiges Problem des Versicherungsvertragsrechts. Dabei ist nicht auf den Wortlaut, sondern auf den Inhalt der Vereinbarung abzustellen142 . Vertragliche Obliegenheiten haben in § 6 VVG a. F. bzw. § 28 VVG 2008 eine wichtige gesetzliche Regelung erfahren, für Risikoausschlüsse gibt es eine vergleichbare Vorschrift jedoch nicht. Bei der jüngsten Reform des VVG wurde sogar gerade auch deshalb auf eine Definition dessen, was (vertragliche) Obliegenheiten sind, verzichtet, weil damit das „schwierige Abgrenzungsproblem der sog. verdeckten Obliegenheiten nicht gelöst werden könnte“143 . Im Folgenden wird nun versucht, die für die versicherungsvertraglichen Obliegenheiten gefundene Lösung auf dieses Problem umzusetzen.
1. Näheres zur Abgrenzung Während die Ausschlussklauseln von vornherein Gefahren von der Haftung des Versicherers ausschließen sollen, verbieten Obliegenheiten eine unvorhersehbare Verschlechterung der bei Vertragsschluss bestehenden Gefahrenlage144 . Die Abgrenzung zwischen beiden ist entscheidend für die Frage, ob den Versicherungsnehmer ein Verschulden an bestimmten Umständen treffen muss, damit der Versicherer von der Leistung befreit wird145 . Im Interesse des Versicherungsnehmers vorteilhafter ist die Annahme von Obliegenheiten146 . 142 Möller, VVR 3 (1977) S. 120; Schütte (1991) S. 81 ff., 176 mwN; Schmidt-Hollburg (1991) S. 167; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 28 mwN der ständigen Rechtsprechung. 143 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, S. 42; Begründung zum Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 68. 144 So schon Bruck, ZVW 26 (1926) S. 194. Aktueller z. B. BGH vom 14. 12. 1994, VersR 1995, 328 f. (329). 145 Ausführlich dazu Schütte (1991) S. 6 ff., der allerdings anführt, die Annahme einer Obliegenheit sei gegenüber einer objektiven Risikobegrenzung auch deshalb für den Versicherungsnehmer günstiger, weil er dann „nur“ für Repräsentanten, nicht nach § 278 BGB hafte (a.a.O., S. 10) – das ist als Begründung nicht nachvollziehbar. 146 Schmidt-Hollburg (1991) S. 163. Umgehungsversuche des § 34 a VVG (gemeint ist die alte Fassung, vgl. auch § 32 VVG 2008) durch Versicherer müssten daher rechtsfortbildend ausgeschlossen werden, so Fischer, VersR 1965, S. 199; ähnlich auch Möller, JR 1970, S. 333
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Früher nahm man an, die Obliegenheit grenze das Risiko „von innen“ ab, während der Risikoausschluss eine Abgrenzung „von außen“ darstelle 147. Diese und andere Unterscheidungen waren jedoch nicht hinreichend148 . Nach heute wohl überwiegender Ansicht (Verhaltenstheorie) handelt es sich bei einer Klausel in den Versicherungsbedingungen dann um eine Obliegenheit, wenn ein bestimmtes vorbeugendes Verhalten des Versicherungsnehmers gefordert ist149. Hingegen liegt eine Risikobeschränkung oder Gefahrumstandsklausel vor, wenn bestimmte, nicht vom Verhalten des Versicherungsnehmers abhängige Umstände von vornherein von der Versicherung ausgeschlossen sein sollen. Verhaltensunabhängige Risikoausschlüsse sind wirksam, soweit sie sich nach den Regelungen zur Geltung von AGB nicht als unwirksam erweisen 150 .
2. Sonderfall: Herbeiführung des Versicherungsfalles – tatsächlich Risikoausschluss? Nicht zu dieser üblichen Unterscheidung passt die Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 61 VVG a. F./ § 81 VVG 2008), die nach h. M. ein sog. subjektiver Risikoausschluss sein soll151. Für diesen Tatbestand war es wegen der Anknüpfung der Rechtsfolgen an das Verhalten des Versicherungsnehmers früher nicht zufällig umstritten, ob es eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers gebe, den Versicherungsfall nicht schuldhaft herbeizuführen152 . R. Schmidt äußerte in einer gegenüber seiner Habilitationsschrift späteren Untersuchung interessante Zweifel an der längst üblich gewordenen Einordnung des § 61 VVG a. F. als Risikoausschluss: „Es ist im Grunde ein intellektuelles Kunststück, das wir vollziehen, wenn wir die Vorschriften über die Herbeiführung des Versicherungsfalles weitaus überwiegend für einen subjektiven Risikoausschluß (subjektive Gefahrumstandausschlußklausel), also eine negaund ders., VVR 3 (1977) S. 120. Anders noch Hagen, JRPV 1932, S. 40, der nur die „offensichtliche“ Umgehung des Gesetzes für unzulässig (wenn auch selten) hielt. Das Problem ist offenbar etwas jünger, als die Diskussion um die „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten. 147 Bruck, ZVW 26 (1926) S. 194 und diesem folgend Frank (1933) S. 36. Ähnlich neuerdings auch Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 16. 148 Vgl. zu weiteren Abgrenzungsversuchen Prölss in Prölss27/Martin (2004) § 6 VVG, Rn. 8–14 mwN. 149 BGH vom 1. 6. 1959, VersR 1959, 533; BGH vom 14. 12. 1994, VersR 1995, 328 f.; BGH vom 24. 5. 2000, VersR 2000, 969 f. Vgl. auch Möller, JR 1970, S. 334; Schütte (1991) S. 81 ff., 179; BK/Schwintowski (1999) § 6 VVG, Rn. 23; Prölss in Prölss27/Martin/Prölss (2004) § 6 VVG, Rn. 9; Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 28; Schimikowski, VVR4 (2009) Rn. 179; HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 17 – jeweils mwN. Kritisch hingegen Bertsch (1964) S. 33 f., 61 („undurchführbare“ Theorie). 150 Ausführlich dazu Menzel, Risikoausschlüsse (1991) 72 ff.; vgl. auch Schütte (1991) S. 123 f. 151 Vgl. schon mwN s. o., S. 283. 152 Nachweise zu beiden Positionen s. o., S. 152 f., 181 f.
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tive Haftungsvoraussetzung halten und davon ausgehen, daß . . . [dieses Risiko] nicht vom Versicherungsschutz umfaßt ist. Es bedarf indessen einer delikaten Abwägung desjenigen Grades von Verschulden, der gegeben sein muß, um diesen Risikoausschluß im Einzelfall auszulösen“153 . Tatsächlich ist nun aber das Verschuldenserfordernis gerade für Obliegenheiten i. e. S. typisch und nicht für Risikoausschlüsse. Bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles wird also an ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers angeknüpft. Man kann sogar noch weitergehen: es wird gleichzeitig mit der Norm ein bestimmtes (sorgfältiges) Verhalten bezweckt bzw. vor sorglosem Verhalten soll abgeschreckt werden154 . Auffällig ist allerdings, dass die Verteilung der Beweislast stärker zu Lasten des Versicherers geregelt ist, als grundsätzlich bei Obliegenheiten i. e. S. 155 : Der Versicherer muss nicht nur die Herbeiführung des Versicherungsfalles beweisen, sondern außerdem die Kausalität der Pflichtverletzung für den Eintritt desselben und das Verschulden des Versicherungsnehmers hierbei. Als Begründung hierfür wird in der Literatur angeführt, dass – anders als bei den sonstigen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers – die auferlegten Verhaltensweisen vorab nicht ausdrücklich auferlegt sind, sondern es im Falle des § 81 VVG 2008 erst der Konkretisierung dieser Generalklausel bedarf156 . Einleuchtend wäre die Einordnung des § 81 VVG 2008 als subjektiver Risikoausschluss nur, wenn man sie als rechtspolitische Entscheidung akzeptierte. Diese diente jedoch bei § 61 VVG a. F. nach dem Willen des historischen Gesetzgebers157 der Nichtanwendung des § 278 BGB, während heute über die Repräsentantenhaftung faktisch (durch Rechtsfortbildung contra legem, gewohnheitsrechtlich? 158 ) das Gegenteil, also Dritthaftung, erreicht wird. Insofern wäre es letztlich dogmatisch konsequenter, eine Obliegenheit anzunehmen und § 278 BGB anzuwenden, auch wenn das nicht im Sinne des ursprünglichen versicherungsnehmerfreundlichen VVG-Gesetzgebers war. Zwar liegt auch dem heutigen Gesetzgeber – nicht zuletzt aufgrund der europäischen Vorgaben – der Schutz des Versicherungsnehmers sehr am Herzen. Aber gerade für das Pro153
R. Schmidt, Mündl. Generalreferat (1967) S. 9 f. Canaris, JZ 1987, S. 1004; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 2. Letzterer bejaht (a.a.O., Rn. 10) dann auch zumindest bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 81 Abs. 2 VVG 2008) das Vorliegen eines Versicherungsfalls und stellt (in Rn. 11) fest, dass die Ablehnung einer Obliegenheit „einem Mangel an dogmatischer Phantasie geschuldet“ und der eigentliche Vorwurf als Pflichtverletzung zu qualifizieren sei, vgl. auch a.a.O., Rn. 20 f., 25. Gegen einen subjektiven Risikoausschluss in § 81 Abs. 2 VVG 2008 auch Rokas, VersR 2008, S. 1458. 155 Dazu s. o., S. 108 ff. 156 Looschelders, VersR 2008, S. 4; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 63 ff. 157 S. o., S. 151. 158 S. o., S. 289 f. 154
IV. Begrenzung und Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips
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blem der Drittzurechnung bei Herbeiführung des Versicherungsfalles hat er sich nicht geäußert. Vorzugswürdig wäre eine ausdrückliche Stellungnahme, wenigstens im Sinne der Anerkennung als Gewohnheitsrecht, gewesen.
3. Anwendung des Gedankens der Obliegenheiten i. e. S. Man kann für die Abgrenzung zwischen Obliegenheiten und Risikoausschlüssen die hier entwickelte Unterscheidung zwischen Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S. fruchtbar machen. Wie bei den Obliegenheiten i. w. S. ist dem Versicherer nämlich bei den Risikobeschränkungen mit deren reiner Existenz abschließend gedient. Hingegen besteht bei „echten“ Obliegenheiten des Versicherungsnehmers auch ein Interesse des Versicherers an ihrer Erfüllung. Die Einhaltung dieser Obliegenheiten hat also eine bestimmte Funktion im Rahmen des bestehenden Vertrages159. Es genügt dabei allerdings nicht, allgemein auf die Interessenlage abzustellen, dass also der Versicherungsnehmer an möglichst weitem Versicherungsschutz und der Versicherer an Gestaltungsfreiheit bzw. ihm für eine bestimmte Prämie „zumutbaren Versicherungsschutz“160 interessiert ist. Das ist nur eine Umschreibung des grundsätzlichen Abgrenzungsproblems. Eine „verhüllte“ oder „verdeckte“ Obliegenheit ist vielmehr immer dann anzunehmen, wenn es nicht ausschließlich ein Interesse des Versicherers daran gibt, dass ein bestimmtes Risiko nicht versichert ist, sondern auch ein Interesse daran vorhanden ist, dass sich der Versicherungsnehmer innerhalb des bestehenden Vertrages in einer bestimmten Art und Weise verhält, die entsprechende Obliegenheit also erfüllt.
IV. Begrenzung und Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips Ehrenzweig meinte, dass die AVB vor Inkrafttreten des ursprünglichen VVG von 1908 zum 1. 1. 1910, mit ihrer ohne Weiteres eintretenden Anspruchsverwirkung, eine versicherungspolitisch gebotene Maßnahme gegen den Versicherungsbetrug im weitesten Sinne gewesen seien161. Das Alles-oder-Nichts-Prin-
159 Vgl. im Einzelnen zu den Funktionen von versicherungsrechtlichen Obliegenheiten i. e. S. s. o., S. 197 ff. In diese Richtung („Schutz des Vertragszwecks steuern“) auch HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 17. 160 So aber Bertsch (1964) S. 61 ff. 161 Ehrenzweig, VVR 2 (1952) S. 25.
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
zip diente daher zur Zeit seiner umfassenden Geltung insbesondere der Generalprävention, also der Abschreckung162 . Dagegen wurde gelegentlich eingewendet, dass es nicht ersichtlich sei, warum die Rechtstreue der Bevölkerung nicht auch bei angemessenen Sanktionen erhalten bliebe163 . Zum Teil meinte man früher in der Literatur, die Rechtfertigungen des Alles-oder-Nichts-Prinzips seien nur vorgeschoben164 . Das Allesoder-Nichts-Prinzip165 war aber vor der VVG-Reform (2008) vor allem deshalb stark kritisiert worden, weil es gegen das Übermaßverbot verstoßen und den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligen kann166 . Teilweise wurde aber umgekehrt auch vor mangelnder Praktikabilität der von der Reform-Kommission geplanten flexibleren Lösung, vor der Gefährdung der Rechtssicherheit und dem Verlust der Präventionswirkung gewarnt167. Eines der Hauptziele der VVG-Reform war es, die bereits in der Rechtsprechung168 vorgenommenen Einschränkungen dieses Prinzips zu systematisieren und einer sinnvollen Kodifikation zu unterziehen169. Das Versicherungsver162 Vgl. BGH vom 30. 4. 1969, NJW 1969, 1385; BGH vom 22. 12. 1976, VersR 1977, 272 ff. (274); Fischer, VersR 1965, S. 202; Raiser, FS Prölss (1967) S. 271; v. Hippel, NJW 1969, S. 1694; Hofmann, PrivatVersR4 (1998) S. 163; Präve, AnwBl 2000, S. 593; Terbille, r+s 2001, S. 5; Schimikowski, VVR 3 (2004) S. 110 f. Rn. 175; Ebert, Pönale Elemente (2004) S. 265 ff. Dagegen Sieg, ZVW 62 (1973) S. 447, der ausschließlich „Gemeinschaftswidrigkeit“ als Rechtfertigung des AoN-Prinzips annahm. 163 Kramer, NJW 1972, S. 1974. 164 Loppuch, JRPV 1937, S. 134 sprach von „einer durchaus primitiven Versicherungstechnik, die der Förderung des Versicherungsgedankens und dem Ansehen des Wirtschaftszweiges keineswegs zuträglich“ sei. Kramer, NJW 1972, S. 1974 meinte zum Argument der Funktionsfähigkeit der Versicherung im Interesse der Gesamtheit: „Ersichtlich sollen solche Formeln nur handfeste Geschäftsinteressen der Versicherungsunternehmen in das Gewand unabdingbarer öffentlicher Erfordernisse kleiden“. 165 Dazu schon (u. a.) S. 154 ff. 166 Vgl. etwa Haidinger, FS Prölss (1967) S. 200; v. Hippel, NJW 1969, S. 1694 ff.; Kramer, NJW 1972, S. 1974 ff. („drakonische Härte“, allerdings fragwürdige Heranziehung verfassungsrechtlicher Argumente); R. Schmidt, FS Möller (1972) S. 446 sprach von der „Milderungsideologie“, die er aber nicht grundsätzlich kritisieren wolle; Katzwinkel (1994) passim; Canaris, JZ 1987, S. 1003 f. zu §§ 61, 152 VVG (a. F.) für die Einschränkung des Alles-oderNichts-Prinzips im Wege der verfassungskonformen Einschränkung über § 242 BGB; ausführlich und kritisch dazu wiederum E. Lorenz, VersR 2000, S. 8 f. Im Zusammenhang mit der damals kurz bevorstehenden VVG-Reform vgl. auch van Bühren, NVersZ 2000, S. 417 f.; Präve, AnwBl. 2000, S. 593 ff.; Kurzka, VersR 2001, S. 698 ff.; Neumann (2004) S. 48 ff. umfangreiche Darstellung und eigene Stellungnahme ab S. 83 ff. 167 E. Lorenz, VersR 2000, S. 11; Armbrüster, VersR 2003, S. 676 ff.; Herrmann, VersR 2003, S. 1341; Prölss, VersR 2003, S. 670 f.; Marlow, VersR 2007, S. 43. Dass auf den Erhalt der Präventionswirkung besonders zu achten ist, gesteht auch der grundsätzlich positiver der Änderung gegenüber stehende Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 6 zu. Kritisch gegenüber einer Abschaffung des AoN-Prinzips und der Quotelung auch Hübner/Schmid, FS Schirmer (2005) S. 261. 168 Dazu etwa Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 74 ff.; Neumann (2004) S. 38 ff., 55 ff. 169 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, S. 37; Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 49.
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tragsrecht sollte zudem grundsätzlich durch die Reform wieder näher an das allgemeine Zivilrecht herangeführt werden170 . Dies geschah speziell für die Beschränkung des Alles-oder-Nichts-Prinzips durch eine konsequente Berücksichtigung der Kausalität bei grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen, in Anlehnung an das allgemeine Haftungsrecht171 und die durch die VVG-Reform erfolgte grundsätzliche Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips. Seither ist auch der überwiegende Teil der neuen Literatur von den Vorzügen der neuen Regelung überzeugt172 . Umstritten ist allerdings die Abdingbarkeit des grundsätzlich für dispositiv gehaltenen § 81 VVG 2008, bezogen auf die Frage, ob in den AVB weiterhin Leistungsfreiheit für grobe Fahrlässigkeit wirksam vereinbart werden könne173 . Akzeptierte man die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten als „echte“ Nebenpflichten, ergäbe sich auch aus dem allgemeinen Zivilrecht eine gesetzliche Grundlage für die Unwirksamkeit von zu harten, pauschal die Leistungsfreiheit vorsehenden Klauseln: § 309 Nr. 5 BGB. Danach sind Vereinbarungen in AGB unwirksam, die eine Pauschalisierung von Schadensersatzansprüchen des Verwenders vorsehen und dabei entweder unverhältnismäßig gegenüber dem zu erwartenden Schaden sind oder dem anderen Vertragsteil die Möglichkeit des Nachweises nehmen, dass ein Schaden nicht oder nicht so hoch entstanden ist. Die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers ist nämlich letztlich nichts anderes als ein pauschalisierter Schadensersatz174 , mit zusätzlichen pönalen Elementen175 . 170 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, S. 2; Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 47. 171 Vgl. dazu Schwarz (1995) S. 13; Schlöpke (2005) S. 88. 172 Looschelders, VersR 2008, S. 1 mwN Fn. 7; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 5. Skeptischer noch Rokas, VersR 2008, S. 1462 ff., 1464. 173 Dafür etwa Rokas, VersR 2008, S. 1464, dagegen Looschelders, VersR 2008, S. 7, jeweils mwN und Bezug zum schweizer Recht, die sich beide auf § 307 BGB als Prüfungsmaßstab beziehen, was angesichts ihrer Meinung zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten konsequent ist. Eine Vereinbarung des AoN-Prinzips in AVB jedenfalls gegenüber Verbrauchern lehnt auch Staudinger, NJW 2007, S. 2041 ab. 174 Ähnlich schon Heukeshoven (1938) S. 41; R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 208; Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 46: die Verwirkungsrechtsfolgen seien einem Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution sehr nahe. BGH vom 5. 5. 1969, NJW 1969, 1385 (1386) spricht von der „in den Versicherungsvertrag aufgenommene Strafbestimmung“ der Verwirkung, BGH vom 20. 12. 1972, NJW 1973, 365 davon, dass der „Anspruchsverlust für den Versicherungsnehmer oft eine unverhältnismäßig harte Strafe bedeuten kann“. 175 So schon Bornmann, JRPV 1934, S. 68. Ähnlich auch Raiser, FS Prölss (1967) S. 269 und Bukow, Rechtsprechung (1975) S. 73: die Sanktionsregelung der Obliegenheitsverletzungen sei pönaler Natur. Ausführlicher zu diesem Aspekt mwN der neueren Literatur Ebert, Pönale Elemente (2004) S. 265 ff. Anders dagegen die wohl noch h. M.: Terbille/Terbille MAH VR 2 (2008) § 2, Rn. 201: Strafe werde im Versicherungsrecht typischerweise nicht mit schuldhaften Obliegenheitsverletzungen verbunden; Schimikowski, VVR4 (2009) Rn. 175 bejaht zwar die Abschreckung, bestreitet jedoch die Straffunktion, die aufgrund systematischer Er-
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§ 9. Folgerungen für das Versicherungsvertragsrecht
Die – nicht beim Namen genannte – Pauschalisierung des Schadensersatzes durch Leistungsfreiheit war in der Vergangenheit für den Versicherer schon deswegen günstiger, weil es im Einzelfall schwierig sein kann, einen konkreten Schaden zu berechnen und nachzuweisen176 . Außerdem ist es in der Vergangenheit für die Versicherer leicht möglich gewesen, sich gegenüber Versicherungsnehmern eben Leistungsfreiheit für Obliegenheitsverletzungen auszubedingen – auch das ist eine Erklärung für diese häufige Rechtsfolge177. Mit dem neuen VVG 2008 wurde nun also das Alles-oder-Nichts-Prinzip durch Relevanz-, Kausalitäts- und Verschuldenserfordernisse stärker als bisher eingeschränkt. Zur Leistungsfreiheit führen danach grundsätzlich nur noch für den Versicherungsfall bzw. die Leistungspflicht des Versicherers kausale Obliegenheitsverletzungen. Ausnahmen werden aber gerade für betrügerisches Verhalten des Versicherungsnehmers gemacht (beispielsweise in § 28 Abs. 3 S. 2 VVG 2008). Nur noch vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen begründen Leistungsfreiheit, bei grober Fahrlässigkeit wird hingegen entsprechend der Schwere des Verschuldens gekürzt (z. B. § 26 Abs. 2 S. VVG 2008). Hinzu kommen Belehrungspflichten des Versicherers, die den Versicherungsnehmer auf ihn treffende Rechtsfolgen hinweisen. Einen anderen Weg ist man beispielsweise in Österreich gegangen, wo zwar auch pauschalisierter Schadensersatz vereinbart wird, aber entsprechend den durchschnittlichen Mehraufwendungen der Versicherer178 . Dies wäre auch in Deutschland mit § 309 Nr. 5 BGB vereinbar, sofern dem Versicherungsnehmer der Nachweis eines nicht oder niedriger entstandenen Schadens möglich bleibt. Abschließend ist festzustellen, dass die tatsächlichen Änderungen des Allesoder-Nichts-Prinzips durch die VVG-Reform jedenfalls eine Variabilität der Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen zeigt, die – wie so vieles andere – gegen die herrschende Voraussetzungs- und Obliegenheitstheorie sprechen.
wägungen nicht sein dürfe und wegen des Kausalitätsprinzips auch nicht vorhanden sei. Ähnlich auch HK/Felsch (2009) § 28 VVG, Rn. 5. 176 Dazu schon s. o., S. 251 f. 177 Vgl. Hellner, FS Prölss (1967) S. 219. 178 Vgl. Haidinger, FS Prölss (1967) S. 204; Terbille, r+s 2001, S. 4. Zur Regelung in der Schweiz (Quotelung nach Verschulden) vgl. Basedow, VVR (1999) S. 38; Römer, NVersZ 2000, S. 261; Terbille, r+s 2001, S. 5; Armbrüster (2003) S. 49 ff.; Schlöpke (2005) S. 94 ff. Zur spanischen Pro-Rata-Regelung Buck (2003) S. 37 f., zur schwedischen Basedow, VVR (1999) S. 37 und S. 37 f. zu anderen Rechtsordnungen, die Obliegenheitsverletzungen wie Unterversicherung behandeln; kurzer rechtsvergleichender Überblick auch bei Schlöpke (2005) S. 108. Umfassend in diese Richtung der Reformvorschlag von Katzwinkel (1994) passim.
§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände Bisher konzentrierte sich die Untersuchung stark auf die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten, welche als Obliegenheiten i. e. S. und damit als „echte“ Nebenpflichten oder genauer weitere Verhaltenspflichten beschrieben wurden1. Der Schwerpunkt war erforderlich, weil gerade diese Obliegenheiten die größte praktische und dogmatische Relevanz haben. Bei ihnen macht es – anders als bei zahlreichen Obliegenheiten i. w. S. außerhalb des Versicherungsvertragsrechts – einen Unterschied, welcher Theorie man folgt. Aus der in § 3 der vorliegenden Untersuchung entwickelten Unterscheidung zwischen Obliegenheiten i. e. S. und i. w. S. ergeben sich die nachfolgend noch einmal genauer aufgeführten Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht für die anderen Obliegenheiten im allgemeinen Zivilrecht.
I. Weitere Obliegenheiten i. e. S. Außerhalb des Versicherungsvertragsrechts sind Obliegenheiten i. e. S. allerdings seltener. Es sind diejenigen, bei denen es überhaupt Streit über ihre Zuordnung als „echte“ (Neben-)Pflicht oder „bloße“ Obliegenheiten gibt und die deshalb in § 3 als solche mit Theorienrelevanz bezeichnet wurden.
1. Widerrufsbelehrungsobliegenheit Der – dogmatisch weitgehend unreflektierte – Umschwung zur Annahme einer „echten“, schadensersatzbewehrten Rechtspflicht hat wie beschrieben aufgrund der EuGH-Rechtsprechung bereits stattgefunden 2 . Soweit in Zukunft in Literatur oder Rechtsprechung weiter von einer entsprechenden Obliegenheit die Rede sein sollte, muss man diese als Obliegenheit i. e. S. einordnen, also als „echte“ Nebenpflicht.
1 2
Vgl. s. o., S. 257 ff. S. o., S. 62.
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§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände
2. Mitwirkungsobliegenheiten Auch bei diesen Verhaltensanforderungen an den Gläubiger, die dem Schuldner die Erbringung seiner Leistung erleichtern sollen, gab es schon bisher sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung Tendenzen, sie als „echte“ Nebenpflichten zu behandeln und Schadensersatz bei ihrer Verletzung zu gewähren. Es handelt sich konkret um die Annahme der geschuldeten Leistung und um die spezielle Mitwirkungspflicht des Bestellers3 . Hinderlich für die dogmatische Klarheit war jedoch die Obliegenheitstheorie R. Schmidts. Wie bereits ausgeführt, kann man die Annahme der Leistung durch den Gläubiger auch unabhängig von den verschiedenen Obliegenheitstheorien als Pflicht bejahen, ohne mit dem Gesetz in Widerspruch zu geraten4 . Der hier entwickelte Ansatz der Obliegenheiten i. e. S. bestätigt diese bisher vereinzelte Auffassung. Ein Schadensersatzanspruch des Schuldners kommt aber nur ausnahmsweise wegen schuldhafter Nichtannahme der geschuldeten Leistung in Betracht5 . Speziell für die Mitwirkungspflicht des Bestellers beseitigt die Annahme einer Obliegenheit i. e. S., also einer echten Nebenpflicht des Bestellers, das Dilemma der h. M., dass es Fälle gibt, in denen die Ablehnung eines Schadensersatzanspruches nicht zu begründen wäre, nämlich soweit der Unternehmer zur Erbringung der Werkleistung auf die Mitwirkung angewiesen ist 6 .
II. Obliegenheiten i. w. S. Die seit R. Schmidt inflationäre Ausweitung der Bezeichnung „Obliegenheiten“ bezieht sich meist auf Verhaltensanforderungen im weitesten Sinne, die wenige Ähnlichkeiten mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers oder denen zur Mitwirkung des Gläubigers haben. Bei der Verwendung des Begriffs wurde nur auf die Rechtsfolge geschaut. Wenn Klage oder Schadensersatz nicht in Betracht kommen, spricht man gern von „Obliegenheiten im eigenen Interesse“, ohne genauer zu unterscheiden, ob sich dieses Interesse nur auf die Auferlegung oder auch auf die Erfüllung dieser angeblichen Obliegenheiten bezieht. Diese Tatbestände werden auffällig oft von Vertretern der Voraussetzungsoder Obliegenheitstheorie als typische Beispiele hervorgehoben, ohne dass sich hiergegen ein konkreter Widerspruch von Seiten der Verbindlichkeitstheorie geregt hätte. Deshalb wurden sie in § 3 dieser Untersuchung als solche ohne Theorienrelevanz bezeichnet. 3 4 5 6
Genauer zu beidem s. o., S. 64 ff. Vgl. S. 68 ff. S. o., S. 70 f. Vgl. insbesondere BGHZ 11, 80 und 50, 175 – s. o., S. 71 ff.
II. Obliegenheiten i. w. S.
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Bei genauerem Hinsehen haben diese Obliegenheiten tatsächlich nur konkretisierende Funktionen, die man auch als Voraussetzungen bezeichnen könnte – ohne Nutzen allerdings, weshalb man es im Sinne größerer Klarheit besser vermeiden sollte. Es handelt sich um die nachfolgend zusammengefasst noch einmal aufgeführten Obliegenheiten.
1. Familienrechtliche Obliegenheiten7 Für die unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten besteht keinerlei Streit über anzuwendende Vorschriften. Ihre Annahme dient auch nur der genaueren Bestimmung einer grundsätzlich bestehenden Unterhaltspflicht oder eines entsprechenden Anspruches. Bereits an dieser Stelle, also mit Bejahung der jeweiligen Obliegenheit, treten alle rechtlichen Wirkungen ein, insbesondere die Anrechnung eines Einkommens oder Vermögens. Ob dann beispielsweise die Erwerbsobliegenheiten erfüllt werden oder nicht, hat keine rechtlichen, nur tatsächliche Konsequenzen. Daher handelt es sich nicht um selbständige Verhaltenspflichten. Die Pflicht liegt nämlich darin, Unterhalt zu leisten bzw. die eigene Bedürftigkeit nicht schuldhaft herbeizuführen. Was hierzu konkret zu tun oder zu unterlassen ist, kann höchstens als Obliegenheit i. w. S. bezeichnet werden – gegen den nun einmal existierenden Sprachgebrauch anzurennen erscheint sinnlos. Etwas anderes gilt hingegen für die gegenseitige Beistandspflicht. Entsprechend der wohl überwiegenden Ansicht ist hier eine echte Pflicht anzunehmen8 .
2. Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten Am gefährlichsten für die theoretische, also dogmatische Klarheit sind die Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten, da sie bevorzugt von der herrschenden Meinung zitiert werden, wenn es um die „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten geht9. Sie werden bedenkenlos in einem Atemzug mit den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers genannt und scheinen zu beweisen, dass bei Obliegenheiten die Anwendung der allgemeinen Vorschriften ausgeschlossen ist. Hier zeigen sich am deutlichsten die Folgen von R. Schmidts Vereinigung der versicherungsrechtlichen Obliegenheitsdiskussion mit den allgemein-zivilrechtlichen Tatbeständen mit besonderen Rechtsfolgen: Ganz gegen seine eige7 8 9
S. o., S. 89 ff. Dazu mwN s. o., S. 94 f. Nachweise s. o., S. 77 ff.
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§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände
ne Absicht10 hat er damit der Voraussetzungstheorie die besten Argumente geliefert und ihr auch im allgemeinen Zivilrecht zum vollen Durchbruch verholfen. Tatsächlich haben diese von R. Schmidt sogenannten Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten11 nur dann gewisse Ähnlichkeiten mit den versicherungsrechtlichen Obliegenheiten, wenn man ausschließlich auf ihre Rechtsfolge und nicht auf ihre Funktion schaut. Wie bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers macht bei den Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten zwar (in der Regel) eine Erfüllungsklage keinen Sinn. Der Unterschied liegt aber darin, dass erstere zu dem Zweck auferlegt werden, dass der Versicherungsnehmer sie erfüllen soll, weil das im Interesse des Versicherers erforderlich ist. Letztere hingegen sollen dem Begünstigten Klarheit über die Rechtslage verschaffen. So geht es bei den in dieser Untersuchung als typisch bezeichneten Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten um die (meist unverzüglich erforderliche) Geltendmachung von Rechten, während die atypischen der Abwehr von Ansprüchen dienen12 . Ein Interesse des Begünstigten an ihrer Erfüllung besteht gerade nicht, sondern vielmehr an ihrer Nichterfüllung, weil dadurch seine Rechtsposition verbessert wird. Die Rechtsfolge ist also gerade nicht Ausdruck eines verletzten Interesses des Begünstigten, wie bei den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Wieder handelt es sich nicht um selbständige Pflichten im Sinne von eigenständigen Verhaltensanforderungen, sondern eher um Voraussetzungen, nämlich für die Geltendmachung von Rechten oder die erfolgreiche Abwehr von Ansprüchen.
3. Obliegenheiten im Insolvenzverfahren Bei den Obliegenheiten des Schuldner im Insolvenzverfahren handelt es sich um Verhaltensanforderungen, die weder eindeutige Gemeinsamkeiten mit den Obliegenheiten i. e. S. noch mit den Obliegenheiten i. w. S. aufweisen. Das liegt vor allem an ihrer Konstruktion über den in Aussicht gestellten Vorteil der Restschuldbefreiung und der besonderen Beweislage13 . 10
S. o., S. 19. R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 121 ff., 130 ff., 165 f., 185 ff. Konkret handelt es sich um Verhaltensanforderungen im Rahmen von §§ 121, 149 BGB, 362, 377 HGB, der Duldungsvollmacht, des kaufmännischen Bestätigungsschreibens und die Obliegenheit des Käufers zur Setzung einer Frist zur Nacherfüllung. Zur umstrittenen Obliegenheit des Schadensersatzberechtigten, vergebliche Aufwendungen optimal zu nutzen, s. o., S. 100. Diese enthält zwar kein erklärendes oder klarstellendes Tätigwerden, funktioniert aber im Übrigen wie die entsprechenden anderen Obliegenheiten. 12 Genauer zu dieser Unterscheidung s. o., S. 78, 82 f. 13 S. o., S. 88 f., 111. 11
III. § 254 BGB
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Es wird keine (neue) Pflicht des Schuldners begründet, sondern es geht um die Befreiung von alten Verbindlichkeiten. Die Bezeichnung als „Obliegenheiten des Schuldners“ ist nun aber einmal in der Welt. Daher macht es Sinn, sie den Obliegenheiten i. w. S. zuzuordnen. Die eigentliche Pflicht besteht in der Erfüllung der (alten) Verbindlichkeiten, was durch die Insolvenz nicht mehr in vollem Umfang möglich ist. Hier besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu den Obliegenheiten des Unterhaltsverpflichteten.
III. § 254 BGB Bei der Entwicklung der Terminologie Obliegenheiten i. e. S. bzw. i. w. S. in § 3 wurde den Schadensminderungs- und Schadensabwendungsobliegenheiten des § 254 BGB eine Sonderposition eingeräumt14 . Es besteht, wie schon beschrieben, ein Zusammenhang des § 254 Abs. 2 BGB zur Schadensabwendungsobliegenheit des Versicherungsnehmers15 , weniger allerdings zu anderen versicherungsrechtlichen Obliegenheiten. Die Verhaltensanforderungen werden im Interesse des anderen auferlegt, dessen Schadensersatzpflicht sie begrenzen. Ihm könnte es daher gleichgültig sein, ob der Geschädigte sie erfüllt, da ihn dies nicht trifft16 . Jedoch muss man die Rechtsfolge wegdenken, um die wirkliche Interessenlage zu erkennen. Die Rechtsfolge des Mitverschuldens ist im BGB gerade deshalb so geregelt, weil man damit meinte, den Interessen beider Seiten am besten gerecht zu werden. Selbstverständlich ist diese Lösung keineswegs17. Die heutige Lösung entspricht wohl auch am besten dem Gedanken der ökonomischen Analyse des Rechts, dass jeder für seine Risikosphäre selbst einzustehen hat18 . Derjenige soll den Vermeidungsaufwand tragen, der es besser kann. 14
S. o., S. 52, 60 f. So auch R. Schmidt, Obliegenheiten (1953) S. 219; Looschelders, Mitverantwortlichkeit (1999) S. 217, vgl. auch hier S. 44 f. – dort auch zu den Differenzen. 16 Allgemein gegen dieses Argument s. o., S. 213 ff. 17 Dazu schon s. o. S. 56 ff. und die umfangreiche Diskussion bei Herausarbeitung dieser Vorschrift, die das Ringen um einen Interessenausgleich zeigt: Motive II, S. 23 f., Protokolle II, S. 601 ff., Kommissionsbericht, S. 59 f., Stenoberichte der Reichstagsberatungen = Mugdan II, S. 13, 519, 1273, 1311 f., 1403 f. sowie die Materialien bei Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, S. 114 ff. Europäische Bezüge bei Jansen, HKK II/1 (2007) § 254, Rn. 8, 19, 68. 18 Vgl. allgemein dazu s. o., S. 259 f.; speziell für § 254 BGB so schon Leonhard, SchR I (1929) S. 185 ff.; Schäfer/Ott, Ökon. Analyse3 (2000) S. 209; ähnlich Esser/Schmidt (1995) S. 111 ff. – ohne jedoch zu erkennen, dass darin gerade keine Besonderheit der Obliegenheiten liegt. Ansätze bereits bei Gottschalk (1903) S. 54: es könne dem Schädiger nicht zugemutet werden, einen Schaden zu ersetzen, welchen der Geschädigte selbst mitverschuldet hat. Umgekehrt wurde aber auch die Culpa-Kompensation nicht (mehr) für angemessen gehalten. Ansätze auch bei Soergel10 /R. Schmidt (1967) Rn. 9 zu § 254 BGB, der – wenn auch im unpassenden Rahmen des casum sentit dominus – vom „Prinzip des Einstehenmüssens für selbst gesetzte Schäden“ spricht. 15
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§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände
Der Regelung des § 254 BGB liegt eine echte Pflicht des Geschädigten zugrunde, eben weil das Interesse des Schädigers dies erfordert. Wie bereits dargestellt, wird als Voraussetzung einer Pflicht zur Vermeidung der Selbstschädigung verlangt, dass die Interessen Dritter betroffen seien. Genau dies ist aber der Fall, denn ohne § 254 BGB müsste der Schädiger vollen Schadensersatz leisten. Seinem Interesse entspricht es daher, dass der Geschädigte keine zusätzliche Selbstschädigung vornimmt bzw. dass er jedenfalls – wie es § 254 BGB bestimmt – die Konsequenz daraus selbst tragen muss. Die Pflicht des Geschädigten ist jedoch keine allgemeine, schon vorab bestehende, welche sich gegen den Geschädigten („im eigenen Interesse“), also auf Selbstschutz richtet19. Nicht zutreffend ist auch die Begründung der eine Pflicht ablehnenden Ansicht, diese Pflicht hätte in Wahrheit den Inhalt, andere vor Schadensersatzverpflichtungen zu bewahren 20 . Der rechtliche Befehl lautet vielmehr, im konkreten Schadensfalle unnötige Schäden abzuwenden – sofern man seinen vollen Schaden ersetzt erhalten möchte. Das dem Geschädigten zugemutete Handeln soll dabei einen bestimmten Erfolg verhindern 21. Eine zivilrechtliche Pflicht ist also nur insoweit vorhanden, als die Interessen eines Dritten, nämlich des Schädigers, betroffen sind 22 . Weitergehende (allgemeine) Pflichten zur sorgfältigen Behandlung eigener Rechtsgüter oder zur Vermeidung der Selbstschädigung sind als der Privatautonomie widersprechend abzulehnen. Eine Klage auf Erfüllung ist wegen der besonderen Umstände der Pflicht in der Regel sinnlos und damit unzulässig, es sei denn, dass dadurch ausnahmsweise (noch) eine Schadensminderung zu erreichen ist. Praktisch relevante Fälle sind schwer vorstellbar – diese Tatsache kann aber nichts an der dogmatischen Beurteilung ändern. Schadensersatz kommt als Rechtsfolge nur dann in Betracht, wenn man die Anrechnung des Mitverschuldens als eine Art des Schadensersatzes ansieht. § 254 Abs. 2 S. 2 BGB regelt außerdem die Rechtsfolgen des Mitverschuldens dahingehend, dass § 278 BGB ausdrücklich für entsprechend anwendbar erklärt wird. Ob dies konstitutiv (laut Voraussetzungslehre) oder deklaratorisch (so die Verbindlichkeitstheorie) gemeint ist, kann den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden und im Übrigen auch dahinstehen, wenn man daraus keine 19
Vgl. s. o., S. 53 f. So aber Weidner, Mitverursachung (1970) S. 9. 21 Venzmer, Mitverursachung (1960) S. 113. 22 Ansätze in diese Richtung bereits bei Gottschalk (1903) S. 29, 31. Auch Venzmer, Mitverursachung (1960), lehnte zwar eine Pfl icht zur Vermeidung der Selbstschädigung ab (S. 73), bejahte aber dennoch Pflichten im Rahmen des § 254 BGB (besonders deutlich a.a.O., S. 125) – diese Vorschrift begründe nur keine selbständigen Verpflichtungen, sondern diese beruhten auf vorhergehender vertraglicher Bindung oder bei unerlaubten Handlungen auf allgemeinem Rechtsbefehl (vgl. a.a.O., S. 102 f.). Zum Schutz vor sich selbst als öffentlich-rechtliche Aufgabe vgl. s. o., S. 54. 20
IV. Ergänzende Argumente für die hier vertretene Ansicht
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Schlussfolgerungen für andere Obliegenheiten oder gar ihre „Rechtsnatur“ ableiten will. Die Erklärung für die nur „entsprechende Anwendung“ des § 278 BGB dürfte darin zu sehen sein, dass der Beschädigte nicht Schuldner i. S. d. § 278 BGB ist, sondern man an die Stelle von „Schuldner“ „Gläubiger“ oder „Beschädigter“ setzen muss23 . Verallgemeinerungen aus dieser Norm sollte man aufgrund der beschriebenen Besonderheiten des § 254 BGB unterlassen. Die Bezeichnung als Obliegenheiten sowie die damit verbundenen Theorien haben umgekehrt auch wenig zur Klärung der Probleme des § 254 BGB beitragen können 24 .
IV. Ergänzende Argumente für die hier vertretene Ansicht Die bisherige Argumentation stützte sich im Wesentlichen auf die historische Entwicklung und die heutige Dogmatik des deutschen Zivilrechts. Es gibt aber weitere Überlegungen, die sich aus dem Vergleich mit anderen Rechtsordnungen (dazu unter 1.) und der Schuldrechtsmodernisierung (dazu unter 2.) ergeben, die für sich genommen keine Schlüsse erlauben würden, als Unterstützung jedoch interessant sind.
1. Rechtsvergleichung Die Rechtsvergleichung hat aktuell im Rahmen von Rechtsvereinheitlichungsbestrebungen eine wichtige, wohl die führende Rolle. Aber auch umgekehrt sollte man daraus Anregungen für unser nationales Recht ziehen. Auffälligerweise neigen gerade die Autoren jüngerer rechtsvergleichender Untersuchungen zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers der Verbindlichkeitstheorie zu 25 . Das könnte daran liegen, dass es sich bei der deutschen herrschenden Auffassung von „Geboten des eigenen Interesses“ oder „Pflichten minderen Grades“ um ungewöhnliche, jedenfalls für andere Rechtsordnungen entbehrliche Konstruktionen zu handeln. Nicht ganz richtig ist allerdings die zu allgemeine Behauptung Rühls, dass die Obliegenheiten im Sinne des deutschen Rechts in anderen Ländern gar nicht bekannt seien 26 . Beispielhaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, seien hier die Haltungen einiger anderer Rechtsordnungen aufgeführt. Die deutsche „Erfindung“ der versicherungsrechtlichen Obliegenheiten hat man theoretisch in Polen, Italien 23 So schon Planck, Kommentar (1900) § 254 BGB Ziffer 4; das dürfte heute h. M. sein, statt Vieler Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht10 (2006) S. 347, Rn. 713. 24 Vgl. auch s. o., S. 60 f. 25 Sackhoff (1994) S. 110 ff.; Buck (2003) S. 42 ff. 26 So Rühl (2004) S. 11 Fn. 50.
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§ 10. Die wichtigsten anderen Obliegenheitstatbestände
und Spanien in das dortige Versicherungsrecht übernommen. In der Praxis ergeben sich dort aber keine Konsequenzen daraus, da man dennoch die allgemeinen Regeln des Zivilrechts anwendet 27. Österreich hat zwar grundsätzlich die gleiche gesetzliche Grundlage für das Versicherungsvertragsrecht wie Deutschland 28 . Ursprünglich vertrat man auch hier eine Repräsentantenhaftung, folgt aber heute im Rahmen des § 61 ÖVVG (Herbeiführung des Versicherungsfalles) dem Selbstverschuldungsprinzip, d. h. der Versicherungsnehmer hat grundsätzlich nur für eigenes Verschulden einzustehen 29. Für Anzeigepflichten hingegen rechnet man bei Bevollmächtigung eines Dritten „in allen Versicherungsangelegenheiten zu handeln“ durchaus das Verschulden des Dritten zu 30 . Das entspricht in etwa der Anwendung des § 278 BGB im deutschen Recht. Dennoch wurde aber festgestellt, dass man in Österreich weitgehend zu den gleichen Ergebnissen kommt, wie mit der deutschen herrschenden Ansicht zur Drittzurechnung31. Beispielsweise im angelsächsischen, italienischen und im französischen Recht fehlen der deutschen Obliegenheits- und Voraussetzungstheorie vergleichbare Ideen ganz grundsätzlich 32 .
2. Das „unbewusste Wirken des Gesetzgebers“: Schuldrechtsreform und VVG-Reform Dem historischen Gesetzgeber des VVG von 1908 wurde teilweise zu Unrecht unterstellt, er habe mehr oder weniger unbewusst mit dem Begriff der Obliegenheiten deren besonderer Rechtsnatur Rechnung getragen 33 . Schon eher 27
Ausführlicher zu Italien und Spanien Bruck (2003) S. 37 ff.; zu Polen Mi´stal (2006) S. 17,
22 ff. 28
Vgl. für die Details Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 151 ff. Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 158 ff. mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 30 OGH vom 30. 6. 1980, VersR 1981, 1166 (konkret ging es um eine Doppelversicherung – die deutsche Repräsentantenhaftung wurde in der Entscheidung ausdrücklich abgelehnt und zur Begründung insbesondere Prölss/Martin zitiert) und OGH vom 9. 7. 1987, VersRdsch 1988, 107 – dazu Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 176 ff., der allerdings kaum Literatur ausgewertet hat und zu ungenau zwischen der Herbeiführung des Versicherungsfalles und Anzeigepflichten unterscheidet. 31 Schirmer, Repräsentantenbegriff (1995) S. 8 mwN und Cyrus, Repräsentantenhaftung (1998) S. 182: „teilweise . . . vergleichbare Ergebnisse“, weil viel weniger Fallgruppen. Einzelne Übereinstimmungen dann a.a.O., S. 182–186 und Unterschiede S. 187–188. 32 Speziell für den angelsächsischen Rechtskreis vgl. die Untersuchung von Rühl (2004) insbesondere S. 11, Fn. 50. Darüber hinaus Eichler 2 (1976) und Sackhoff (1994) S. 110, 115. 33 Zum sehr konkret feststellbaren Willen des Gesetzgebers ausführlich s. o., S. 173 f. Ein ähnlicher Gedanke – wenn auch in dem anderem Zusammenhang der Rechtsgeschäftslehre – dass also der Gesetzgeber auch unbewusst dogmatisch brilliant sein kann, findet sich bei Leenen, FS Canaris (2007) S. 721. 29
IV. Ergänzende Argumente für die hier vertretene Ansicht
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könnte man dem Gesetzgeber der Schuldrechtsmodernisierung unterstellen, er habe unbewusst die Sonderentwicklung der Obliegenheitstheorien korrigiert. Als eine wesentliche Änderung der 2002 in Kraft getretenen Reform wird meist aufgeführt, dass die Pflicht zum Zentralbegriff des Schuldrechts wurde, genauer: die Pflichtverletzung – vor allem in den §§ 280 ff. BGB. Daraus kann man aber beispielsweise als Konsequenz auch Schadensersatz für den schuldhaften Gläubigerverzug ableiten. Denn das Gesetz selbst sagt nirgends, dass durch den Verzug des Gläubigers keine Pflicht verletzt werde – es gab nur vor der Schuldrechtsreform keine passende Anspruchsgrundlage im Gesetz34 . Durch die Einfügung des neuen Absatz 2 in § 241 BGB ist zudem die Bedeutung auch der Nebenpflichten – viel klarer als bei Entstehung des BGB, als man sich auf die Hauptleistungspflichten konzentrierte35 – ausgesprochen. § 241 Abs. 2 BGB lautet: „Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.“ Gedacht war dabei zwar in erster Linie an die Schutzpflichten und damit die Beendigung des Streites um eine Gesetzeslücke sowie deren Schließung durch die positive Vertragsverletzung (pVV) 36 . Jedenfalls wird § 241 Abs. 2 BGB auch auf andere Nebenpflichten angewendet 37. Man kann zwanglos auch die Obliegenheiten i. e. S. („Interessen“) hier mitlesen, deren Verletzung dann über §§ 280, 282 BGB grundsätzlich schadensersatzbewehrt ist. Erstaunlicherweise hielt sich auch der Gesetzgeber der jüngsten, umfassenden VVG-Reform in der Frage der Obliegenheiten mit einer Stellungnahme zu ihrer „Rechtsnatur“ sehr zurück. „Die Kommission hat erwogen, eine gesetzliche Definition des Begriffs der Obliegenheit vorzuschlagen. Sie hat davon Abstand genommen, weil die Weiterentwicklung der Rechtsprechung beeinträchtigt werden könnte und das Abgrenzungsproblem der verdeckten Obliegenheiten nicht gelöst würde“38 .
34
Dazu s. o., S. 70. Genauer s. o., S. 135 f. 36 Vgl. den Entwurf SchRMod vom 14. 5. 2001, BT-Drs. 6040, S. 15 f., wo vorrangig von Schutzpflichten, aber auch allgemeiner von vertraglichen Nebenpfl ichten die Rede ist und auch explizit die Anwendbarkeit des § 278 BGB erwähnt wird. 37 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. 3. 2007, AnwBl 2008, 145 ff., Rn. 21: aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende „Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange des Klägers und die daraus folgende Obliegenheit [!]“ zur Forderungsbeitreibung des Rechtsanwalts; BGH vom 16. 1. 2009, BGHZ 179, 238, 1. LS: Verletzung einer vertraglichen Pfl icht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB durch Ausübung eines nicht zustehenden Gestaltungsrechts. Die genaue Abgrenzung, ob Leistungs- oder Rücksichtspflichten verletzt werden, ist hier wie oft auch allgemein schwierig, vgl. statt Vieler Palandt67/Heinrichs (2008) § 241 BGB, Rn. 8. 38 Vgl. schon s. o., S. 175; Zwischenbericht zur VVG-Reform (2002) unter 6.1.2.1 (Definition des Begriffs „Obliegenheit“). Ähnlich auch der Abschlussbericht der Kommission (2004) S. 42 und Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 68. 35
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Explizit sollte aber eine Annäherung des Versicherungsvertragsrechts an das allgemeine Schuldrecht erzielt werden, sofern es keine Rechtfertigung für eine Sonderstellung gibt 39. Dazu wäre ein ernsthaftes Überdenken der h. M. zur „Rechtsnatur“ der Obliegenheiten ein großer Schritt. Außerdem zeigt die in der VVG-Reform erfolgte Korrektur bei den Rechtsfolgen noch deutlicher, dass Obliegenheitsverletzungen entgegen der h.M eben nicht immer zu einem Rechtsverlust führen40 . Zunehmend werden jedenfalls in der neueren Literatur nach der Reform die versicherungsrechtlichen Obliegenheiten den Nebenpflichten angenähert41.
39 Abschlussbericht vom 19. 4. 2004, S. 2; Regierungsentwurf vom 20. 12. 2006, BT-Drs. 16/3945, S. 47. 40 Vgl. aber auch schon oben S. 207 ff. 41 Bruck/Möller/Heiss, Kommentar9 (2008) § 28 VVG, Rn. 46, der allerdings – sich zu Unrecht auf den Gesetzgeber berufend, vgl. hier S. 173 f. – die im VVG vorgesehenen Sanktionen für abschließend hält (a.a.O. Rn. 42, 47); Schwintowski/Brömmelmeyer/Schwintowski (2008) § 28 VVG, Rn. 25; Looschelders/Pohlmann/Schmidt-Kessel (2009) § 81 VVG, Rn. 9 ff., 20 ff.
Zusammenfassende Thesen 1. Will man alles einbeziehen, was heute als „Obliegenheiten“ bezeichnet wird, kann man nur feststellen, dass es sich um verschiedenste Verhaltensanforderungen handelt. Durch ständige Ausweitungen der so bezeichneten Tatbestände1 ist der Ausdruck dogmatisch unscharf geworden. Insbesondere hat man bisher nicht bemerkt, dass sich dahinter mindestens zwei grundsätzlich verschiedene Erscheinungen verbergen. 2. Die theoretische Grundlage der heute herrschenden Meinung zu den Obliegenheiten wurde vor allem im Privatversicherungsrecht erarbeitet 2 . Durch die Nichtanwendung der allgemeinen Vorschriften wurde das Verhältnis zwischen Versicherungsvertragsrecht und dem Schuldrecht des BGB in Frage gestellt 3 . Es ist aber – auch im Hinblick auf die europäische Rechtsvereinheitlichung – eine Rückbesinnung auf die Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts wünschenswert. Nicht im Sinne einer bedingungslosen Anpassung des deutschen Rechts, sondern als Chance, „das tradierte dogmatische Instrumentarium auf den Prüfstand der Geschichte zu stellen“4 . Hintergrund der „Entdeckung“ von Obliegenheiten, die „bloße Voraussetzungen“ seien, war in erster Linie das Ziel, die Anwendbarkeit des § 278 BGB auf versicherungsrechtliche Obliegenheiten zu einem Zeitpunkt auszuschließen, als es noch keine gefestigte Auffassung zu dieser Norm gab5 . Durch R. Schmidt wurde das eigenwillige versicherungsrechtliche Konzept leicht modifiziert und auf verschiedene, im allgemeinen Zivilrecht diskutierte, aber meist nicht als Obliegenheiten bezeichnete Verhaltensanforderungen übertragen6 . Es ist aber mehr als fraglich, ob ein so zweckorientiertes Konzept – das zudem
1
Die wichtigsten Tatbestände wurden in § 3 dargestellt und untersucht. Die ursprüngliche Entstehung der heute h. M. sowohl im Versicherungsvertragsrecht als auch im allgemeinen bürgerlichen Recht, wurde in § 5 II. insbesondere S. 143 ff., 161 ff., beschrieben. Die Nachweise aktuellerer Vertreter sowie aus der Rechtsprechung s. o., § 2. 3 Dazu s. o., § 6. 4 Jansen, ZNR 27 (2005) S. 226 im allgemeinen Zusammenhang. 5 § 278 BGB war nach Entstehung des BGB sehr umstritten, vor allem weil es im Gemeinen Recht keine vergleichbare Regelung gab, vgl. S. 133 f. 6 Ausführlich zu seiner Untersuchung s. o., S. 9 ff. 2
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Zusammenfassende Thesen
längst in sein genaues Gegenteil umgeschlagen war 7 – wirklich für andere Tatbestände passt oder ob nicht heute eine „ererbte Begrifflichkeit zur Gefängniszelle des modernen Rechts (wird)“8 . 3. Es gibt keine tragfähige Begründung für die noch immer verbreitete Ansicht, dass „echte“ Pflichten (bzw. auf der Gegenseite Ansprüche) nur dann vorliegen sollen, wenn Klagbarkeit und/oder Schadensersatz als Verletzungsfolge derselben vorgesehen sind9. Die Auffassung, dass Schadensersatz die Grenze zu „echten“ Pflichten ziehe, beruht im Wesentlichen auf einer (nicht einmal in sich widerspruchsfreien) Tradition10 . Andere Sanktionen, wie beispielsweise der eigene Rechtsverlust, sind keinesfalls weniger schwerwiegend für den Belasteten11. Man muss umgekehrt diesen Gedanken sogar insofern zuspitzen, als in vielen Fällen der Rechtsverlust nicht deshalb eintritt, weil er im Interesse des anderen Teils genügt, sondern weil die gewöhnlichen Rechtsfolgen seinen Interessen nicht genügen würden. Die Beurteilung des Pflichtigkeitsgrades einer Verhaltensnorm von ihrer Rechtsfolge her und damit einhergehende Konsequenzen (insbesondere für die Rechtsfolgen) sind als Zirkelschluss abzulehnen, weil so die – als ausschließlich behauptete12 – Folge eines Verstoßes gegen eine Norm zu ihrer Definition führt13 . Für die Schutzpflichten und die leistungsbezogenen Nebenpflichten hat sich diese Erkenntnis schon weitestgehend durchgesetzt14 . Für die Obliegenheiten ist sie bisher nicht durchgedrungen. Die Ursachen dafür sind in der Abspaltung des Versicherungsvertragsrechts von den Entwicklungen des allgemeinen Zivilrechts sowie in der geringeren Bedeutung der anderen Obliegenheitstatbestände zu suchen. 4. a) Viele als „Obliegenheiten“ bezeichnete Tatbestände sind „normale“ Nebenpflichten. Dazu gehören vor allem diejenigen des Versicherungsnehmers, aber auch die des schuldhaft nicht annehmenden Gläubigers und insbesondere 7 Vgl. auch s. u., unter 8. und s. o., S. 168 f. Zu den Figuren des Repräsentanten, des Wissens- und des Erklärungsvertreters s. o., S. 278 ff. 8 So die prägnante Formulierung von Jansen, ZNR 27 (2005) S. 216 im allgemeinen dogmengeschichtlichen Zusammenhang. 9 Vgl. s. o., § 8, insbesondere S. 242 ff. 10 S. o., S. 134 f., S. 139 ff. 11 Gegen die angeblich schwächere Sanktion von Obliegenheiten s. o., S. 13 f., 221 f. 12 Zu anderen Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen s. o., S. 207 ff. 13 Insbesondere tritt im Versicherungsrecht die angeblich für Obliegenheiten so typische Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers auch bei der echten (Haupt-)Verbindlichkeit der Prämienzahlungspflicht ein (§ 38 Abs. 2 VVG a. F. bzw. etwas eingeschränkt in § 37 Abs. 2 VVG 2008) – sie ist also keine zur Abgrenzung taugliche „besondere“ Rechtsfolge. 14 Zu diesen mwN s. o., § 8, insbesondere S. 234 ff., 258 f.
Zusammenfassende Thesen
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die Mitwirkungspflichten des Bestellers beim Werkvertrag15 . Hierfür wurde anknüpfend an die ursprüngliche Bedeutung des Ausdrucks16 und den Willen des historischen Gesetzgebers17 die Bezeichnung Obliegenheiten i. e. S. gewählt18 . Auffällig ist an dieser Gruppe von Obliegenheiten, dass seit R. Schmidt nur hier noch ernsthaft diskutiert wird, ob es sich um „echte“ Pflichten oder „nur“ um Obliegenheiten handele. Daher wurde die Unterteilung in Obliegenheiten mit und ohne Theorienrelevanz gewählt bzw. im eigentlichen und im weiten Sinne19. Obliegenheiten i. e. S. existieren im Schuldverhältnis i. w. S. und erfüllen darin ähnlich den allgemein anerkannten Nebenpflichten des Schuldners bestimmte Funktionen. Das Besondere an diesen Obliegenheiten ist, dass oft – aber nicht ausschließlich – die eigene Position als Gläubiger als Folge der Verletzung einer Obliegenheit betroffen ist 20 . b) Bisher wurde bei den angeblichen „Geboten des eigenen Interesses“ nicht ausreichend zwischen der Interessenlage bei Auferlegung und derjenigen bei Erfüllung von Obliegenheiten unterschieden. Obliegenheiten i. e. S. dienen der Durchführung des Schuldverhältnisses. Ihre Erfüllung und deshalb auch ihre Auferlegung entspricht den Interessen des anderen Teils21. Das zeigt sich deutlich an den vertraglich auferlegten Obliegenheiten des Versicherungsnehmers – warum sonst sollte der Versicherer sie ihm auferlegen, wenn man nicht (böswillig) unterstellte, dass er nur Fallen in den Versicherungsvertrag einbaut, die seine Leistung verhindern sollen? Vielmehr liegt das Interesse des Versicherungsgebers unter anderem in der Abschätzung und Begrenzung des Risikos oder in der Abwicklung der Versicherungsleistung22 . Für den Versicherer werden durch die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers die von ihm selbst zu tragenden Risiken kalkulierbarer und damit seine geschäftliche Grundlage stabiler. Außerdem erhält er weitere wichtige Informationen. Die Erfüllung der Obliegenheiten i. e. S. ist auch außerhalb des Versicherungsvertragsrechts für den anderen Teil von Interesse, weil auch sonst seine Position verbessert wird. So erleichtert die Mitwirkung des Gläubigers dem Schuldner die Erbringung seiner eigenen Leistung und führt damit in der Regel 15
Ausführlich zu diesen Obliegenheiten S. 38 ff., 64 ff. sowie §§ 8–10. Zur ursprünglichen Bedeutung von „Obliegenheit“ = „Pflicht“ in Vergangenheit und Gegenwart s. o., § 4. 17 Vgl. S. 173 f. 18 S. o., S. 110. Vgl. aber auch s. u., unter 6. 19 S. o., S. 62 ff., 77 ff. 20 Vgl. S. 263. 21 Vgl. zur Interessenlage und vor allem zum erst sekundären Interesse des Versicherungsnehmers s. o., S. 216 ff. 22 Genauer dazu s. o., S. 197 ff. 16
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Zusammenfassende Thesen
zum Vergütungsanspruch. Ähnliches gilt für die Annahmepflichten des Gläubigers23 . c) Das Interesse des damit Belasteten entsteht hingegen erst nach der Auferlegung einer Obliegenheit und liegt „nur“, also ganz überwiegend darin, dass er die negativen Verletzungsrechtsfolgen vermeiden will – ein typisches Phänomen aller Nebenpflichten, auch z. B. von Schutzpflichten. Bei Hauptleistungspflichten im Synallagma hingegen tritt das Interesse am Erhalt der Gegenleistung hinzu. d) Generell sind auf Nebenpflichten – soweit dies den Interessen des anderen Teils dient – die allgemeinen Vorschriften anzuwenden. Dazu gehören insbesondere § 278 BGB24 und neben §§ 280, 282, 241 Abs. 225 BGB (Schadensersatz wegen Pflichtverletzung) und § 324 BGB (Rücktritt) auch die §§ 339 ff. BGB (Vereinbarung einer Vertragsstrafe). Weil Obliegenheiten i. e. S. primär im Interesse des anderen Teils liegen, ist eine Schadensersatzpflicht als Sanktion (aber nur bei Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses) und gelegentlich sogar Erzwingbarkeit erforderlich. Der apodiktische Ausschluss dieser Rechtsfolgen ist mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren. Insbesondere ist von grundsätzlicher Klagbarkeit aller Pflichten auszugehen 26 . 5. a) Bei anderen allgemein als Obliegenheiten bezeichneten Tatbeständen (hier Obliegenheiten i. w. S. genannt) hat der andere Teil nur ein Interesse an deren Auferlegung. Die Erfüllung ist dann ausschließlich im (eigenen) Interesse des Belasteten, zur Vermeidung der negativen Verletzungsrechtsfolgen. Die Position des Belasteten verschlechtert sich rechtlich schon mit der Annahme der Obliegenheit, nicht erst mit ihrer Verletzung. Der Begünstigte hingegen hat eher ein Interesse an deren Nichterfüllung, welche in der Regel eine ihm günstigere Lage als die Erfüllung zur Folge hat. b) Hierher zählen auffälligerweise gerade diejenigen Obliegenheiten, die neben denen des Versicherungsnehmers besonders häufig als typische Obliegenheiten aufgeführt werden, nämlich die Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten (§§ 121, 149 BGB, §§ 362, 377 HGB u. a.). Obliegenheiten i. w. S. sind
23 Hier ist als Besonderheit anzumerken, dass es sich zwar grundsätzlich um eine Pflicht handelt, deren Verletzung schuldhaft sein muss, um beispielsweise einen Schadensersatzanspruch entstehen zu lassen. Die Rechtsfolgen der §§ 300 ff. BGB treten hingegen auch ohne Verschulden ein, vgl. dazu s. o., S. 68 ff. 24 Gegen die dogmatische Begründung der Repräsentantenhaftung, vor allem gegen die angebliche Begünstigung des Versicherungsnehmers gegenüber einer Anwendung des § 278 BGB sowie gegen die Anwendung der Figuren des Wissens- und Wissenserklärungsvertreters und zum funktionsbedingten Erfüllungsgehilfen vgl. § 9 II., S. 278 ff. 25 Zur Anwendung des § 241 Abs. 2 BGB auf andere Nebenpfl ichten als die Schutzpflichten, s. o., S. 309. 26 Vgl. s. o., S. 244 f.
Zusammenfassende Thesen
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außerdem die typischen Versichererobliegenheiten aus dem VVG 27, die Obliegenheiten des Familien- und Erbrechts28 sowie des Schuldners im Insolvenzverfahren 29. Hier ist oft kein Verschulden erforderlich, damit die Rechtsfolge eintritt – auch dies ist ein Unterschied zu den Obliegenheiten i. e. S.30 . c) Gemeinsam ist diesen Tatbeständen, dass sie eine Lösung für ein bereits vorhandenes Problem in einem Rechtsverhältnis bzw. dessen Abwicklung bezwecken. Ihre Funktion liegt somit nicht darin, dass ihre Erfüllung erwartet wird. Für den Obliegenheitsbegünstigten ist es z. B. wichtig, schnell Klarheit zu erlangen, ob bzw. welche Ansprüche gegen ihn noch geltend gemacht werden können. Diesem Zweck dienen die als typisch bezeichneten Erklärungs- und Klarstellungsobliegenheiten 31. Man könnte hier zwar von „Voraussetzungen“ sprechen, nämlich zur Erhaltung einer günstigen Rechtsposition oder – bei den atypischen Tatbeständen 32 – zur Vermeidung einer für den anderen günstigen Position. Das bringt allerdings wenig Erkenntnisgewinn. d) Obliegenheiten i. w. S. sind keine Pflichten mit den „üblichen“ Rechtsfolgen. Eine Klage auf Erfüllung oder ein Schadensersatzanspruch sind von vornherein (und nur deshalb!) unsinnig, weil sie den Interessen desjenigen, zu dessen Gunsten die Obliegenheit auferlegt wurde, nicht dienen. Daher, weil nur bestimmte Rechtsfolgen geeignet sind, die Interessenlage auszugleichen, sind die verschiedenen Theorien zur „Rechtsnatur“ von Obliegenheiten hier ohne Relevanz. 6. Das Problem besteht nun darin, dass die wichtigsten Verhaltensanforderungen, die „echte“ Nebenpflichten sind, traditionell Obliegenheiten heißen, nämlich eben im Versicherungsrecht. Dagegen hat R. Schmidt für diejenigen Verhaltensanforderungen, zu denen die Voraussetzungstheorie noch am besten passt (Erklärungsobliegenheiten u. a.), die Bezeichnung als Obliegenheiten überhaupt erst eingeführt und damit das ganze Tohuwabohu verursacht. Es fragt sich, wie man diese jetzt nennen soll. Das ist das eigentliche Dilemma. Hier wurde dies wie beschrieben mit der Unterscheidung von Obliegenheiten im eigentlichen („echte“ Pflichten) und im weiten Sinne zu lösen versucht. Vorzugswürdig wäre zwar die Bezeichnung der Obliegenheiten i. e. S. als Nebenbzw. Verhaltenspflichten. Jedoch hat gerade im Versicherungvertragsrecht der Ausdruck „Obliegenheit“ eine lebendige Tradition.
27 Eine Ausnahme sind aber nach wohl schon jetzt überwiegender Ansicht die Belehrungsobliegenheiten, die „normale“ Nebenpflichten aus Treu und Glauben sind, vgl. s. o., S. 50. 28 Bis auf die Pflichten der §§ 1353 Abs. 1 S. 2 und 1618 a BGB. 29 Ausführlicher zu allen diesen Tatbeständen s. o., § 3 II.3, S. 77 ff. 30 Näher dazu s. o., S. 105 ff. 31 S. o., S. 78 ff. 32 Zu diesen s. o., S. 82 ff.
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7. Eine besondere Rolle innerhalb der Obliegenheiten ist für die Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflichten des § 254 BGB (Mitverschulden des Geschädigten) festgestellt worden 33 . An diesen lassen sich wegen des Verweises in § 254 Abs. 2 S. 2 BGB auf § 278 BGB besonders viele Argumente der verschiedenen Obliegenheitstheorien entwickeln. Dabei wird aber übersehen, dass die Theorien zur „Rechtsnatur“ gerade für diese Obliegenheiten gar keine Rolle spielen. Die Rechtsfolgen des Mitverschuldens sind umfassend im Gesetz geregelt. Sie basieren auf der rechtspolitischen Entscheidung, wie man ein entsprechendes Verschulden des Geschädigten behandelt wissen wollte. Diese Entscheidung ist keinesfalls zwingend. Beispielsweise im gemeinen Recht fiel sie noch ganz anders aus34 . Eine weitere Besonderheit der Schadensminderungs- und Abwendungspflichten ist es, dass sie erst im Schadensfall entstehen (können). Dagegen werden dem Versicherungsnehmer seine Obliegenheiten durch Vertrag oder Gesetz auferlegt und existieren damit schon bei Vertragsschluss oder sogar davor, auch wenn sie erst in einer späteren Phase des Vertrages relevant werden (können). Es gibt hingegen keine vor dem Schadensfall bestehenden Schadensverhütungs- und Minderungspflichten des Geschädigten und erst recht keine allgemeine Pflicht, die eigenen Rechtsgüter vor Schaden zu bewahren35 . Etwas anderes gilt hingegen, wenn man einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, nur bestehen die entsprechenden Schadensminderungs- und Abwehrpflichten (§ 62 VVG a. F. bzw. § 82 VVG 2008) dann dem Versicherer, nicht dem Schädiger gegenüber. 8. In der Dogmengeschichte ist es allgemein nicht selten zu beobachten, dass Rechtsentwicklungen nach vielen Umwegen wieder zum Ausgangspunkt und den ursprünglichen Rechtsfiguren und Lösungen zurückkehren 36 . Dies gilt im Kleinen auch für das beschriebene Einstehenmüssen des Versicherungsnehmers für Hilfspersonen. Die Voraussetzungstheorie entstand, um eine Haftungsmilderung zu erreichen. Als jedoch durch Rechtsfortbildung contra legem37 die Repräsentantenhaftung sowie das Einstehen für Wissens- und Wissenserklärungsvertreter auf diese Theorie aufgepfropft wurden, kehrte man zu den ursprünglichen Ergebnissen zurück, die man einmal mittels Nichtanwendung des § 278 BGB hatte vermeiden wollen. 33
S. o.,S. 52 ff., 305 f. Vgl. s. o., S. 56 ff. 35 Ausführlicher dazu S. 53 f., 306. 36 Honsell, Röm. Recht6 (2006) S. 3, mit Hinweis auf Mayer-Maly, JZ 1971, S. 1 ff. – dieser wiederum wies im Zusammenhang mit dem Beitrag der Rechtsgeschichte zur Juristenausbildung auf die dem asiatischen Denken stärker als dem okzidentalen vertraute Permanenz der Wiederkehr hin. 37 Dazu S. 145 ff., 278 ff. 34
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Für die Obliegenheiten sollte die über einhundert Jahre währende Sonderbehandlung, die zu bestimmten Zeiten ihre Berechtigung gehabt haben mag, ein Ende haben.
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Stichwortverzeichnis ADHGB 116, 148, 27336 aktionenrechtliches Denken 234, 252 ff. Alles-oder-Nichts-Prinzip 41, 55 f., 61, 155, 157 ff., 160, 200, 222, 251, 268, 270, 297 ff. – im Schadensrecht 55 f. – Übermaßverbot 298 ALR (Preußen) 57, 115 ff., 125, 132, 146, 149, 27336 , 286 Amtsobliegenheit 115, 124, 125 Annahmeobliegenheit (s. Gläubiger) 64 ff., 258, 302 Annahmeverzug 64 ff., 106, 139, 245 Anreizungstatbestand 9 ff., 89, 111 Anspruch 252 ff. Antwortobliegenheit 39, 197 Anzeige (s. Mitteilung) 154 ff., 226, 229, 308 – der Ablehnung (§ 362 HGB) 82 f., 84, 107 – der Gefahrerhöhung (s. dort) – von Mängeln 81 – der Veräußerung 41, 225 f. – des Versicherungsfalles 43 f., 198, 218, 230 – der Verspätung (§ 149 BGB) 78 f., 82, 107 – der Wohnungsänderung 46, 104, 210 Anzeigepflicht, vorvertragliche 38 ff., 48, 63, 144, 197, 209, 249, 264, 272 ff. Arbeitsteilung 147, 285 f. Assekuranztreue 194 ff. Aufklärungsobliegenheit 43, 95, 110 Auskunftspflicht 43 f., 198, 230, 249 AVB 117 ff., 171, 194, 211, 217, 222, 247, 271, 283, 289, 297 Beantwortungsobliegenheit 82 Bedingungstheorie 161, 185
Begriffsjurisprudenz 27, 113, 157, 219 f., 234, 242, 254 f., 261 Belehrungsobliegenheiten 4963, 50 65, 51, 104, 31527 Beschleunigungsobliegenheit 62132 Beweislast für Obliegenheiten 108 ff., 205 Beweislastregelung 87, 102 Billigkeitsrechtsprechung 30, 34, 158, 160 casum sentit dominus 59 f., 18 culpa in contrahendo 82, 84255, 272 ff., 287 Culpa-Kompensation 56, 58, 59, 61 Dogmengeschichte 131 ff., 273 f., 316 Dokumentationsobliegenheiten 87 f., 104, 110 Ehemäklerlohn 238 Entwertung des Versicherungsschutzes 28177, 282 ff., 288 ff. Erfüllung in freiem Ermessen 91, 224 Erfüllungsanspruch (s. Klagbarkeit, Rechtszwang) 74, 199 Erfüllungsgehilfe, funktionsbedingter 19 f., 25, 183, 288113, 291 f. Erfüllungsgehilfenhaftung (§ 278 BGB) 4, 22, 105, 107, 111, 133 f., 142 ff., 145 ff., 154 ff., 160, 165, 181 ff., 186 ff., 229, 234, 245 f., 259, 265, 273 f., 278 ff., 292 ff., 306 f., 311, 314, 316 – analoge Anwendung 19, 22, 142 Erhalt eigener Rechtsposition (s. Rechtsverlust) 1, 90, 264 Erklärungs- oder Klarstellungsobliegenheiten 77 ff., 100, 104, 106, 109, 110, 200, 218, 254 f., 303 f., 314
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Stichwortverzeichnis
Erkundigungs- und Nachforschungsobliegenheiten 85 ff., 104 Fahrlässigkeit 207 Feuerversicherung 46, 146, 148 ff., 156 f., 28498, 285 Gebote im eigenen Interesse 139 ff., 186286 , 213 ff., 302, 313 Gefälligkeitsverhältnis 246 Gefahrengemeinschaft 33, 218 Gefahrerhöhung 40 f., 106, 198, 249, 290 Gewohnheitsrecht 290, 296 f. Gläubigermitwirkung, -handeln 7, 15, 34, 37, 64 ff., 71 ff. 104, 106, 110, 200, 218, 258, 260, 302, 309, 312 f. Gleichbehandlungsgrundsatz (Versicherungskunden) 21254 Haftungsverschärfung 283, 287 Hauptleistungspflichten 233 ff. Herbeiführung des Versicherungsfalles 145 ff., 161, 181 f., 190, 229, 278 ff., 295 ff. Hilfsperson, Einstehen für (s. Erfüllungsgehilfe, Repräsentant) Informationspflichten 217 f. Insolvenzrisiko 285 ff. Interesse (s. auch Pflichten) 84, 88, 92, 110, 111, 129, 197, 264, 271, 312 – an der Auferlegung 42, 103 f., 200, 213, 216 ff., 264, 313 f. – beider Seiten 219, 305 – an Erfüllung 103 f., 197, 200, 213, 215 ff., 260, 264, 297, 304, 313 f. – des Schuldners 88, 90 Interessenjurisprudenz 219 f. Kausalität 160, 212, 230, 296, 299 f. Klagbarkeit (s. Rechtszwang) 101, 124, 134 ff., 140 f., 169, 218, 221, 236 f., 242 ff., 247 ff., 265, 304, 306, 312, 314 f. Klagefrist (§ 12 Abs. 3 VVG a. F.) 46 f., 49 f. Kündigung, Erfordernis der 31 Lebensversicherung 209, 227132, 271
Leistungsfreiheit 299 f. Mäklerlohn 10 Mitteilung – der Mehrfachversicherung 41, 249 – der Abweichung des Versicherungsscheins 49 Mitverschulden (§ 254 BGB) 52 ff., 109, 112, 126, 137 ff., 260, 305 ff., 316 Mitwirkung (s. Gläubiger) – des Bestellers 34, 37, 71 ff., 110, 231, 263, 302, 313 Nachforschungsobliegenheit im Sachenrecht 85 f., 107 Nachfrageobliegenheit des Versicherers 48, 197 Naturalerfüllungszwang 2, 18, 240 f., 255 Naturalobligation 139, 14157, 237 ff. Nebenleistungspflichten 235 ff., 258, 312 Nebenpflichten, „echte“ 110, 136, 199, 211, 219, 233 ff., 257 ff., 270, 293, 309 f., 312, 314 f. Nötigungstatbestand 9 ff., 88 Obliegenheit(en) – unverzügliche Anfechtung (§ 121 Abs. 1 BGB) 78, 84, 107 – Annahmeverzug (s. dort) – Anzeigen (s. dort) – Arbeitsrecht 97 – Aufklärung (s. dort) – Ärzte 87 – Aufwendungsersatz 77 – Ausübung eines Gestaltungsrechts 49 – Begriff der ~ 113 ff., 116 ff., 315 – Bestätigungsschreiben 83 – Deliktsrecht 100 f. – Dokumentation 87 f., 97 – Einsicht in das Grundbuch 86260 – Erbrecht 96, 139, 315 – Erklärung und Klarstellung (s. dort) – Erkundigung 85 ff. – Erstellung Gesellschafterliste 85258 – Erwerbsobliegenheit 230150 – Familienrecht 89 ff., 104, 303, 315 – Feuerversicherung (s. dort) – Funktionen 197 ff.
Stichwortverzeichnis
– – – – –
aus Gesetz 212 Gläubiger (s. dort) Hinweis auf Rechtsfolge 49 Inventarerrichtung 96, 139, 315 Insolvenzrecht 37, 88 f., 104, 110, 111, 304 f. – Kaskoversicherung 32, 287 – Kfz-Haftpflicht 28, 30, 210, 270 – Krankenversicherung 209 – zu Lasten Dritter 5, 225 ff. – Lebensversicherung 209 – Mitteilungen (s. dort) – Mitwirkung (s. Gläubiger) – Nachfrage / Nachforschung (s. dort) – Nachfristsetzung 77, 81, 84 – Nichtduldung von Vertreterhandeln 83 – Nutzung vergeblicher Aufwendungen 100 – Provider 98 – Prozessrecht 87, 101 f. – Rechtsanwälte 87, 98, 110 – Rechtsnatur der ~ 2 ff., 113 – Riskoprüfung (s. dort) – zur Rücksichtnahme 93 ff. – Rüge (s. dort) – Sachenrecht 86, 107 – Schadensabwendung/ -minderung (s. dort) – Sozialrecht 97 – Tierversicherung 46 – Transportversicherung 31 – Unterhaltsrecht 37, 90 ff., 95, 107, 109, 110, 218 – des Unterhaltsberechtigten 92 f. – des Unterhaltspflichtigen 90 ff. – Untersuchung von Gebrauchtwagen 80 f. – Untersuchung und Rüge (§ 377 HGB) 79 f., 84, 107 – verhüllte ~ 31, 271, 294 ff. – des Versicherers (s. dort) – des Versicherungsnehmers (s. dort) – aus Vertrag 42, 199, 211 f. – Wahlrecht des Schuldners 99 – wirtschaftliche Bedeutung 196 Obliegenheiten i. e. S. 103 ff., 110, 200,
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217 ff., 233 ff., 257 ff., 296 f., 301 f., 309, 312 ff. Obliegenheiten i. w. S. 103 ff., 110, 128, 200, 203, 218, 264, 271, 297, 302 ff., 314 f. Obliegenheiten zu Lasten Dritter 5, 225 ff. Obliegenheitstheorie 20 ff., 113, 201, 203 ff., 221, 228, 300 – typische Beispiele 302 Pflichtengrad 3, 116, 128, 132, 135, 233 ff., 262, 312 Pflichten (s. Rechtspfl icht) – gegen sich selbst (Naturrecht) 57 f., 138, 144 – im eigenen Interesse 2, 17 ff., 23 – und im fremden Interesse 19 – indirekte ~ (s. Verbindlichkeit) 14157, 142, 262 – System von ~ 235, 239 Pflichtverletzung 258, 261, 263, 308, 314 Prämie 297 – Anpassung 209, 274 41 – Unteilbarkeit 39, 272 – Zahlung 206 f. Prozessführung 30 Prüfungsobliegenheit (§ 40 Abs. 2 GmbHG n. F.) 85258 Quotenregelung 41 Rechtsanwaltshaftung 5587, 87, 98 Rechtsfolgen 189, 200, 207 ff., 242 ff., 275 ff., 300, 302, 312 Rechtspflicht (s. Pflicht, Verbindlichkeit) 134 ff., 235, 252 ff. – Definition 261 f. – indirekte ~ (s. Verbindlichkeit) – ~, die kein Schuldverhältnis ist 80 231, 187 f., 262 Rechtsphilosophie 17 f. Rechtspsychologie 15 ff. Rechtsschutzanspruch/-bedürfnis/interesse 66, 199, 218, 244 f., 247 ff., 253, 314 Rechtssphäre 259 f. Rechtsvereinheitlichung 5, 267
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Rechtsvergleichung 119 f., 277, 280, 287, 288 f., 300, 307 f. Rechtsverlust (s. Erhalt) 83, 86, 93, 95 f. Rechtszwang (s. Klagbarkeit) 94, 139 ff., 240 Rechtszwangtheorie (s. Obliegenheitstheorie) Relevanz 158, 160, 300 Repräsentantenbegriff (bei v. Gierke) 25, 154, 182 f. Repräsentantenhaftung 5, 19 f., 131, 165, 181 ff., 193, 278 ff., 296, 308, 316 – Angehörige 284, 286 f. – Entwicklung 145 ff., 162, 229, 316 Rettungskostenersatz 45 Rettungsobliegenheit (s. Schadensabwendung) Risikoausschluss/-begrenzung 196 – objektive 31 – subjektiver 24, 288, 278 ff., 294 ff. Risikoprüfungsobliegenheit 47 ff., 51, 106, 264 Risikotragung 196 f., 209, 259 ff., 305 Rücktritt 211, 269 Rügeobliegenheit (§ 377 HGB) 79 f., 84, 139 Sanktion – abschließende 275 ff. – allgemein (s. Rechtsfolgen) – schwächere (s. Zwangsintensität) 13 f., 82, 90, 180, 200, 217, 221 ff. Schaden im versicherungstechnischen Sinne 215 Schadensabwendungsobliegenheit 44 ff., 112, 198, 290 Schadensersatz 33 ff., 42 ff., 48, 65, 70 ff., 87, 95 f., 98, 101, 110, 111, 122, 125 ff., 141, 144 f., 167190, 176 ff., 186 f., 203, 208 f., 221, 228, 231, 239, 242 ff., 250 ff., 267 f., 272, 274 ff., 302, 306, 309, 312, 314 f. – Pauschalisierung 200, 299 f. – praktische Relevanz 178 ff. Schadensfeststellung 42 Schadensminderungspflicht 42, 44 f., 53 ff., 92, 112, 198, 263, 316
Schuldrechtsmodernisierung (2002) 122, 237, 258, 273, 276, 308 ff. Schuld und Haftung 139 ff. Schuldverhältnis 134 ff., 233, 262 – i. e. S. 142, 187 f. – i. w. S. 135, 188, 255 ff., 265, 313 Schutzpflichten 133, 136, 222102, 231, 234 ff., 246 f.,258 f., 261161, 268, 287, 309, 312, 314 Seeversicherung 155 f. – Nichtanzeige eines Unfalls (§ 818 HGB) 178 Selbstschädigung, Vermeidung der 53 f., 58 Selbstverschuldungsprinzip 164 f., 288 f., 308 Selbstvollstreckungselement 32 f., 207 f. Spiel und Wette 238 Tarifmerkmale, weiche 7, 270 f. Tatbestandsvoraussetzung 49, 205 f. Textform 39 Theorienrelevanz (fehlende) 38, 47, 52, 61, 62 ff., 77 ff., 104 ff., 110, 128, 254, 301 f., 313, 315 Theorienstreit, Ursache 200 Todesanzeige 156 Treu und Glauben 30, 83, 87, 211, 282 Treueerfordernis 194 ff. Treuepflicht 73, 75 f., 231 Trödelvertrag 10 uberrima fides 194 Unfallversicherung 156, 159, 226 venire contra factum proprium 14 f., 58 f., 223 f. Verbindlichkeit (s. Rechtspflicht) – indirekte 10, 67, 78, 185 ff. – unechte 142 f., 185 Verbindlichkeitstheorie 24 f., 34, 94, 156, 169 ff., 201, 228, 302, 306, 307 Verbraucherschutz 7, 24, 104, 133, 192, 194, 199 f., 229, 248, 282 Verbraucherwiderrufsrecht 34, 62 f. Verhaltensanforderungen 128, 136, 21779, 311 Verhaltenspflichten 257 ff., 263, 315
Stichwortverzeichnis
Verhaltenssteuerung 216, 296 Verhaltenstheorie 295 vermittelnde Theorien 185 ff. Verschlussklausel (Juwelenversicherung) 31 Verschulden gegen sich selbst 2, 23, 52, 58, 78222, 126, 137 ff., Verschuldenserfordernis 68, 105 ff., 286 f., 294, 296, 300, 315 Versichererobliegenheiten 47 ff., 103 f., 106, 109, 110, 218, 264, 315 Versicherung auf fremde Rechnung 226 ff. Versicherungsagent 156 Versicherungsbetrug 195 f., 297 Versicherungsnehmerobliegenheiten 1 ff., 38 ff., 84, 110, 218, 258, 263 f., 267 ff., 307, 312 f. Versicherungsschutz (s. Entwertung) versicherungstechnische Korrektur 209 Versicherungsvertrag 191 ff. – Rechtsnatur 194 f. Versicherungswissenschaft 191 ff., 201 Vertrag zu Lasten Dritter 225 ff. Vertragsstrafen 5, 160146 , 203, 210, 246, 269 ff., 314 Verursacher-/Verantwortlichkeitsprinzip 60
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Voraussetzung (Begriff) 89, 110, 143 ff., 156, 204 ff. Voraussetzungstheorie 20 ff., 113, 144 f., 161 ff., 201, 203 ff., 264, 270, 280, 291, 293, 300, 306, 316 Vorschaden 32 Vorteile, Inaussichtstellen von 189 VVG 119 ff., 171 ff. – Reform (2008) 8, 19, 38, 160, 200, 206 f., 252, 268, 294, 298 ff., 308 ff. – Wille des historischen Gesetzgebers 173, 270, 275 f., 278 f., 313 Widerrechtlichkeit 223 f. Widerrufsbelehrungspflicht 62 f., 74, 110, 248, 301 Widersprüche – bei Bruck 165 ff., 177244 – bei Möller 281 Wissens(erklärungs)vertreter 156 ff., 160, 165, 229, 290, 292 f. Wissenszurechnung 226 Zugangsfiktion 46, 210 f. Zwang, psychischer 186, 222 Zwangsintensität (s. Sanktion) 1, 19, 23