Neue Wege der Frühmittelalterforschung: Bilanz und Perspektiven 9783700181552

Wien ist heute ein Knotenpunkt der internationalen Frühmittelalterforschung, wo auf quellennahe Weise über Identitäten u

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German Pages 467 [470] Year 2018

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung
Political Identity, Ethnic Identity, Genetic Identity
„Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“
Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma
A Byzantine Commonwealth, 476–553
Die Vandalen. Skythen, Goten oder Römer?
Kingdoms of the Empire, AD 608–616
Anmerkungen zur Aussagekraft paariger Schulterfibeln im östlichen Barbaricum (4. bis 7. Jahrhundert)
Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?
Die Franken und ihre Geschichten
Ancient History at Carolingian Tours
Staging integration in Bavaria, 791–793
Drei Aspekte räumlicher Ordnungsvorstellungen in Bayern um 800
Karl der Große und seine Vision – Archäologische und historische Schlaglichter
Charlemagne in the margin: a new testimony to his reputation from a Carolingian schoolroom
Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum
Romanische, langobardische, transalpine und hybride Personennamen im regnum Italiae des 9. Jahrhunderts
Sprache als Quelle historischer Forschung
Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann
Die Umgestaltung der karolingischen Welt
Nach 887/888: Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionenin der sogenannten Collectio Sangallensis
Die Salbung bei den ostfränkischen Königen
Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen, Erstes Testament‘
Quellenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Personennamenregister
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Neue Wege der Frühmittelalterforschung: Bilanz und Perspektiven
 9783700181552

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Walter Pohl/Maximilian Diesenberger/Bernhard Zeller (Hg.) NEUE WEGE DER FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG – BILANZ UND PERSPEKTIVEN

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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN P HILOS OP HIS C H-HIS TOR IS C HE KL AS S E DE NKS C HR IF T E N. 5 0 7 . B AND

FORSCHUNGEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS BAND 22

HERAUSGEGEBEN VOM INSTITUT FÜR MITTELALTERFORSCHUNG

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NEUE WEGE DER FRÜHMITTELALTERFORSCHUNG – BILANZ UND PERSPEKTIVEN

HERAUSGEGEBEN VON WALTER POHL/MAXIMILIAN DIESENBERGER/BERNHARD ZELLER

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Angenommen durch die Publikationskommission der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW: Michael Alram, Bert Fragner, Hermann Hunger, Sigrid Jalkotzy-Deger, Brigitte Mazohl, Franz Rainer, Oliver Jens Schmitt, Peter Wiesinger und Waldemar Zacharasiewicz

Diese Publikation wurde einem anonymen, internationalen Peer-Review-Verfahren unterzogen. This publication has undergone the process of anonymous, international peer review.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlaggestaltung: Dagmar Giesriegl Titelbild: Goldbienen aus dem Grab König Childerichs I. public domain – CC: Romain0 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Abeilles_de_Child%C3%A9ric_Ier.jpg download am 28.6.2018

Die verwendete Papiersorte ist aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff hergestellt, frei von säurebildenden Bestandteilen und alterungsbeständig.

Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-7001-8155-2 Copyright © 2018 by Österreichische Akademie der Wissenschaften Wien

Satz: Andrea Rostorfer, 1030 Wien Druck: Prime Rate kft., Budapest https://epub.oeaw.ac.at/8155-2 https://verlag.oeaw.ac.at

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Inhaltsverzeichnis Vorwort............................................................................................................................................ 7 Walter Pohl Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung.................................................................................. 9 Patrick J. Geary Political Identity, Ethnic Identity, Genetic Identity: The Dangers of Conceptual Confusion.......... 35 Evangelos Chrysos „Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“................................................. 43 Andreas Schwarcz Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma................................................................................................... 59 Ian N. Wood A Byzantine Commonwealth, 476–553........................................................................................... 65 Roland Steinacher Die Vandalen. Skythen, Goten oder Römer? Anmerkungen und Überlegungen zum vandalischen Königstitel rex Vandalorum et Alanorum........................................................... 75 Stefan Esders Kingdoms of the Empire, AD 608–616. Mediterrane Konnektivität, Synchronität und Kausalität als analytisches und darstellerisches Problem der Frühmittelalterforschung................. 93 Volker Bierbrauer Anmerkungen zur Aussagekraft paariger Schulterfibeln im östlichen Barbaricum (4. bis 7. Jahrhundert)...................................................................................................................... 137 Hans-Werner Goetz Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen? Zu Kontinuität und Wandel des Barbarenkonzepts in der fränkischen Historiographie................................................. 187 Helmut Reimitz Die Franken und ihre Geschichten................................................................................................... 201 Rosamond McKitterick Ancient History at Carolingian Tours.............................................................................................. 217 Janet L. Nelson Staging integration in Bavaria, 791–793......................................................................................... 225 Maximilian Diesenberger Drei Aspekte räumlicher Ordnungsvorstellungen in Bayern um 800.............................................. 239 Falko Daim, Stefan Albrecht, Jérémie Chameroy, Peter Ettel, Dominik Heher, Péter Prohászka, Lukas Werther Karl der Große und seine Vision – Archäologische und historische Schlaglichter......................... 253

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Inhaltsverzeichnis

David Ganz Charlemagne in the margin: a new testimony to his reputation from a Carolingian schoolroom................................................................................................................ 279 Richard Corradini Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum.................................................................................................... 287 Wolfgang Haubrichs Romanische, langobardische, transalpine und hybride Personennamen im regnum Italiae des 9. Jahrhunderts. Onomastische und historische Reflexionen zu oberitalienischen Namenbeständen............................................................................................. 309 Christian Lübke Sprache als Quelle historischer Forschung. Überlegungen zur Aneignung des Raumes in der slavischen Frühgeschichte..................................................................................................... 323 Peter Štih Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann. Zu den Hintergründen der Christianisierung in Karantanien und Pannonien...................................................................... 339 Herwig Wolfram Die Umgestaltung der karolingischen Welt..................................................................................... 357 Bernhard Zeller Nach 887/888: Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionen in der sogenannten Collectio Sangallensis................................................................................................. 373 Anton Scharer Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch............................................................ 383 Martina Pippal Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag..................................................................................................................... 391 Anhang Abkürzungsverzeichnis.................................................................................................................... 399 Abbildungsnachweis........................................................................................................................ 401 Quellenverzeichnis........................................................................................................................... 403 Literaturverzeichnis......................................................................................................................... 413 Personennamenregister.................................................................................................................... 463

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Vorwort Wien ist heute ein Knotenpunkt der internationalen Frühmittelalterforschung, wo auf quellennahe ­Weise über Identitäten und die Entwicklung von Völkern, über die Umwandlung der römischen Welt oder über das karolingerzeitliche Mitteleuropa gearbeitet wird. Der Aufbau dieser Forschungsrichtung ist vor ­allem Herwig Wolfram zu verdanken, der in der Behandlung dieser Themen neue Ansätze ent­wickelt hat, sodass international öfters von einer ‚Wiener Schule‘ der Frühmittelalterforschung gesprochen wurde – auch wenn diese Ansätze immer im internationalen und interdisziplinären Dialog fortgeführt wurden. Viele der Autoren und Autorinnen dieses Bandes waren daran beteiligt, und ihre Anregungen haben unsere Forschungen entscheidend weitergebracht. Institutionell war diese Forschungsrichtung am Institut für Österreichische Geschichtsforschung verankert und hat zunehmend eine Heimat am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefunden. Wohin haben diese ‚neuen Wege‘ geführt, und wie kann die Frühmittelalterforschung weiter vorankommen? Herwig Wolframs 80. Geburtstag im Februar 2014 bildete den willkommenen Anlass, im Rahmen einer internationalen Tagung in Wien über Stand und Perspektiven der Frühmittelalterforschung zu reflektieren. Die Beiträge dieses Bandes drehen sich um Fragestellungen, die Herwig Wolfram entwickelt hat und die in Wien seither im Zentrum des Interesses standen. Oft hat sich dabei der Horizont erweitert: von der Ethnogenese zur Identitätsforschung; vom karolingerzeitlichen Salzburg und Bayern zu einer breiteren Untersuchung der Karolingerzeit und ihrer Transformation; oder von der Diplomatik zu einer breiten sozialgeschichtlichen Einbettung der Urkundenforschung. Einige Beiträge stammen von Kolleg/inn/en aus benachbarten Wissenschaften wie der Philologie, der Archäologie und der Kunstgeschichte und unterstreichen die Bedeutung einer von Herwig Wolfram stets verfochtenen reflektierten interdisziplinären Frühmittelalterforschung. Insgesamt bietet der Band einen Überblick über zentrale Fragen der Grundlegung des mittelalterlichen Europas zwischen 400 und 1000, die hier vor allem aus der Sicht einer grenzüberschreitenden Geschichte Mitteleuropas thematisiert werden. Die Organisation der Tagung ,Neue Wege der Frühmittelalterforschung‘ wie auch die Redaktion des vorliegenden Tagungsbandes wären ohne die bewährte Hilfe aus dem Team am Institut für Mittel­ alterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nicht möglich gewesen. Besonderen Anteil am Gelingen der Tagung hatte Michaela Simovich. Bei der Bandredaktion haben Lisa Mantovan und vor allem Lena Kornprobst und Peter Fraundorfer sehr geholfen. Unser Dank geht aber auch an Dagmar Giesriegl, die wieder für das Cover-Layout verantwortlich zeichnet, und schließlich an Robert Püringer vom Verlag der Akademie der Wissenschaften, der die Drucklegung des Bandes betreut hat. Die Herausgeber

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Vorwort

Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung

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W a lt e r P o h l 1

Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung Der folgende Beitrag versucht einen Überblick über mehr als ein halbes Jahrhundert Erforschung der ethnischen Prozesse in Spätantike und Frühmittelalter zu geben. Dabei soll besonders die Rolle hervor­ gehoben werden, die Herwig Wolfram dabei gespielt hat; aus Anlass seines 80. Geburtstages wurde eine erste Fassung dieses Artikels ursprünglich vorgetragen. Seine Rolle in dieser Forschungsrichtung war eine doppelte. Einerseits hat er selbst die Erforschung frühmittelalterlicher Ethnogenesen in vielfacher Weise vorangetrieben; diesen Begriff hatte er in der Frühmittelalterforschung eingeführt. Andererseits hat er in breitem Rahmen Forschungen angeregt und mitgetragen, die in verschiedener Weise über die­ sen Rahmen hinausgingen. Schon 1994 bot der Band ,Ethnogenese und Überlieferung – Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung‘, herausgegeben von Karl Brunner und Brigitte Merta, eine Zwischenbilanz. Der „Dialog über Generationen hinweg, den ein Forscher seit vielen Jahren betreut und befruchtet: Herwig Wolfram“, wie die Herausgeber damals schrieben, hat inzwischen weitere Genera­ tionen einbezogen und ist noch internationaler geworden.2 Herwig Wolframs Forscherdrang hat sich nie mit dem Erreichten begnügt. Sein Gotenbuch von 1979, das seither in mehreren, immer wieder überarbeiteten Auflagen erschienen ist und in manche Sprachen übersetzt wurde, beruhte auf einer Serie von Vorstudien.3 2005 erschienen seine ‚Gotischen Studien‘, für die Wolfram diese älteren Aufsätze neu bearbeitete und damit sein Bild der gotischen Geschichte nochmals modifizierte. „Diese Beiträge“, so schreibt er im Vorwort, „sind stets nur Versuche gewesen, sich einem Thema zu nähern, sodaß der Verfasser keinen Anspruch erhebt, ein Thema ein für alle Mal behandelt zu haben. Daraus folgt, daß sich auch die Auffassungen des Autors im Laufe der Zeit ändern konnten, ja mußten.“4 STAMMESBILDUNG Die kritische Beschäftigung mit den Völkern des Frühmittelalters begann in Wien mit Erich Zöllner und mit seinem Buch ‚Die politische Stellung der Völker im Frankenreich‘. Das Buch des damals erst 24-jährigen Zöllner war im Manuskript schon 1940 abgeschlossen, als Zöllner wegen seiner jüdischen Großmutter keine Chance auf eine Anstellung als Historiker oder auf Veröffentlichung seiner Arbeit Diese Forschungen wurden vom Fonds zur wissenschaftlichen Forschung in Österreich (FWF) im Rahmen des SFB F 42 ,VISCOM‘ gefördert. Ich danke Maximilian Diesenberger, Patrick Geary, Helmut Reimitz und Herwig Wolfram für wert­ volle Hinweise. 2 Karl Brunner/Brigitte Merta, Vorbemerkung, in: Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittel­ alterforschung, ed. Karl Brunner/Brigitte Merta (VIÖG 31, Wien 1994) 7: „Ein aktueller Anlass dafür [den Band] tritt bald zurück“, schrieben die Herausgeber in ihrer Vorbemerkung, und nichts im Band deutete darauf hin, dass dieser Anlass der 60. Geburtstag von Herwig Wolfram war. 3 Herwig Wolfram, Geschichte der Goten. Entwurf einer historischen Ethnographie (München 1979); aktuelle Auflage: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Versuch einer historischen Ethnographie (München 5 2009); siehe auch u.a. ders., Gotisches Königtum und römisches Kaisertum von Theodosius dem Großen bis Justinian I., in: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979) 1–28, vgl. jetzt ders., Gotische Studien: Volk und Herrschaft im frühen Mittel­ alter (München 2005) 139–173; ders., Gotische Studien II. Die terwingische Stammesverfassung und das Bibelgotische, in: MIÖG 83 (1976) 289–324; ders., Gotische Studien III. Die terwingische Stammesverfassung und das Bibelgotische, in: MIÖG 84 (1976) 239–261; vgl. jetzt das Kapitel ,Die terwingisch-vesische Verfassung und das Bibelgotische‘ in ders., ­Gotische Studien, 66–112; ders., Athanaric the Visigoth. Monarchy or judgeship. A study in comparative history, in: Jour­ nal of Medieval History 1 (1975) 259–278; ders., Methodische Fragen zur Kritik am ,sakralen‘ Königtum germanischer Stämme, in: FS für Otto Höfler zum 65. Geburtstag 2, ed. Helmut Birkhan/Otto Gschwantler (Wien 1968) 473–490. 4 Wolfram, Gotische Studien 9. 1



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Walter Pohl

hatte; sie erschien erst 1950.5 Das Werk reagierte auf die Herausforderung durch völkische Ideologie be­ sonnen, aber unzweideutig. Ebenso wie später Wenskus wies Zöllner jeden biologischen Determinismus zurück, „da sich die politische Haltung eines Volkes aus geographisch-biologischen Bedingtheiten nicht ablesen läßt; sie ist ein Ergebnis der Geschichte, die oft den Stammverwandten zum Feind, den Fremden aber zum Verbündeten, ja zum Gliede der Volksgemeinschaft werden läßt.“ Wie später Wenskus vertrat auch Zöllner einen subjektiven Volksbegriff: „Die geistige Haltung eines Volkes, nicht Rasse oder Zahl, ist das wesentliche (…) damit ist die Bedeutung geistes- und ideengeschichtlicher Untersuchungen im Rahmen unserer Fragestellungen gegeben.“6 In ähnliche Richtung wie später Wenskus ging die kritische Übersicht über die „Kriterien des Volkstums im Frühmittelalter“, bei Wenskus als „Aspekte des Stam­ mesbegriffs“7 viel ausführlicher entwickelt, aber ähnlich in der kritischen Wertung von verschiedenen Merkmalen wie Herkunft, Sprache, Recht und Sitten. Zöllners methodische Prämisse nahm die erst viel später nachhaltig geäußerte Forderung nach einer Historisierung des Volksbegriffes vorweg: „Ein Be­ griff, der wie jener des Volkes unter anderem auch historisch bedingt ist, läßt sich nicht in den Rahmen einer allgemeinen, zeitlos gültigen Definition fassen. Ein konsequent durchgeführter Versuch in dieser Richtung muß zur Inhaltlosigkeit führen, denn keines der für wesentlich gehaltenen Merkmale gilt für jedes Volk und jede Stufe volklicher Entwicklung.“8 Es ist schade, dass Zöllners zwei Jahrzehnte später erschienene ,Geschichte der Franken‘9 diese Ansätze nicht weiter verfolgt hat; im übrigen hat sich der Autor anderen Themen zugewandt. Seine frühe Auseinandersetzung mit den Völkern im Frankenreich ist daher recht wenig rezipiert worden. Wesentlich einflussreicher war das grundlegende Werk ‚Stammesbildung von Verfassung‘ von ­Reinhard Wenskus (1916–2002), das 1961 erschien.10 Reinhard Wenskus hat, gestützt auf umfassende Quellenkenntnis aus dem Bereich der ‚Germanischen Altertumskunde‘, eine systematische Kritik des essentialistischen Stammesbegriffes geleistet. Der Gedanke, dass das subjektive Bekenntnis entschei­ dend für die Volkszugehörigkeit sei, war selbstverständlich nicht neu. Max Weber (den Wenskus nicht zitierte) hatte in einer posthum veröffentlichten Abhandlung „Entstehung ethnischen Gemeinsamkeits­ glaubens“ den „subjektiven Glauben an die Abstammungsgemeinsamkeit“ als wesentliches Kriterium hervorgehoben.11 Doch die jahrtausendealte Vorstellung von einer im Wesentlichen biologischen Zu­ sammengehörigkeit von Völkern war in der Forschung bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts explizit oder implizit vorherrschend. Wenskus setzte sich mit dem Definitionsmerkmal Abstammungsgemeinschaft und mit allen anderen objektiven Bestimmungen wie Rechtsgemeinschaft, Siedlungsgemeinschaft, politische Gemeinschaft und Sprach- und Kulturgemeinschaft im ersten Teil von ,Stammesbildung und Verfassung‘ detailliert auseinander, um zu zeigen, dass keines dieser Merkmale allgemeingültig war. Entscheidend war nicht die tatsächliche Abstammung, sondern der Glaube daran. Das subjektive Bewusstsein der Zugehörigkeit, so meinte Wenskus, war vermittelt durch eine Tradition, die Abstam­ mungsmythen und Erzählungen vom gemeinsamen Schicksal sowie Lebensnormen enthielt. Wechsel der Stammeszugehörigkeit bedeutete also zunächst Übernahme von Tradition und Verfassung. Gerade in einer bewegten Zeit wie der ‚Völkerwanderung‘ konnten sich wandernde Verbände leicht erfolg­ reichen und traditionsbewussten Führungsgruppen anschließen, die Wenskus ‚Traditionskerne‘ nennt.12 „Dementsprechend“, so schrieb er, „verstehen wir unter Stammesbildung vor allem den Vorgang, der zu einem Stammesbewusstsein führt“.13 Die „besondere völkerwanderungszeitliche germanische Form des ethnischen Bewusstseins“ nannte Wenskus ‚Gentilismus‘.14 Das hier skizzierte Modell lässt sich

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Erich Zöllner, Die politische Stellung der Völker im Frankenreich (VIÖG 13, Wien 1950). Zöllner, Politische Stellung 29f. Siehe dazu Walter Pohl, Erich Zöllner als Pionier der Frühmittelalterforschung, in: MIÖG 125 (2017) 141–145. Reinhard Wenkus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961) 14–87. Zöllner, Politische Stellung 35. Erich Zöllner, Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts (München 1970). Wenkus, Stammesbildung. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Tübingen 51976) 235–240. Wenskus, Stammesbildung 75, schließt aus einer längeren Erörterung von Beispielen, „daß in allen diesen Fällen ein klei­ ner traditionstragender Kern zum Kristallisationspunkt einer Großstammbildung wurde.“ Wenskus, Stammesbildung 13. Wenskus, Stammesbildung 2. Siehe dazu Walter Pohl, Gentilismus, in: RGA, 2. Aufl. 11 (Berlin/New York 1998) 91–101.

Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung

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aus den über 600 Seiten von ‚Stammesbildung und Verfassung‘ ableiten, wird aber nirgends konzis zu­ sammengefasst. Das Buch wurde in Deutschland in den verschiedenen betroffenen Disziplinen nachhaltig rezipiert und galt bald als bahnbrechend. 2002 hat Alexander C. Murray in einem gut recherchierten, wenn auch teils recht gehässig geschriebenen Aufsatz argumentiert, dass Wenskus nicht so innovativ war wie oft behauptet: „It is correct, I think, to point out that Wenskus’s work came at the end of an historiographical development, not the beginning, encapsulating and systematizing half a century of scholarly revisionism in the areas of ethnology and Germanic antiquity“.15 Dieser Satz überrascht von einem Autor, der das ungebrochene Weiterwirken des Ansatzes von Wenskus in der sogenannten ‚Ethnogenesis theory‘ stark überzeichnet hat. Doch stimmt es natürlich, dass die Arbeit von Wenskus in vielfacher Weise eingebet­ tet war in die Forschungslandschaft seiner Zeit und dabei neben zukunftsfähigen auch problematische Ansätze transportiert hat. ‚Stammesbildung und Verfassung‘ beruht vor allem auf den vielfältigen Arbeiten im Bereich der ‚Germanischen Altertumskunde‘. Diese Forschungsrichtung bearbeitete seit dem 19. Jahrhundert die ‚alten Germanen‘, unter Einschluss der altnordischen Quellen. Sie hatte immer schon einen interdis­ ziplinären Ansatz, bei dem die germanistische Philologie eine Schlüsselrolle spielte und mit Alter und Mittelalterlicher Geschichte sowie zunehmend der Archäologie zusammenarbeitete. Doch neigte sie dazu, ihren Gegenstand als gegeben anzunehmen und ihm auf methodisch sehr fragwürdige Weise Be­ funde zuzuordnen, die den räumlich und chronologisch gesicherten Rahmen des antiken Germanenbe­ griffes weit überschritten, von bronzezeitlichen Grabungsfunden bis zu spätmittelalterlich überlieferten nordischen Sagas. Daraus ergab sich ein nur scheinbar kohärentes Bild von ‚germanischem Wesen‘, das auf romantischen Vorstellungen von einer germanischen ‚Volksseele‘ aufbaute und zunehmend ­affektiv und ideologisch aufgeladen wurde. Die wissenschaftspolitische Bedeutung der ‚Germanischen Altertumskunde‘ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entsprang unzweifelhaft ihrer politischen Brauchbarkeit für nationale und nationalsozialistische Ideologien.16 Freilich gab es auch in diesem Feld kritischere Stimmen, und ihnen verdankte Wenskus manche Grundlage seines Werkes. Doch herrschten insgesamt in der Germanenforschung vor Wenskus (und teils auch noch lange nach ,Stammesbildung und Verfassung‘) Positionen vor, gegenüber denen Wenskus wesentliche Erneuerungen bot. Das noch lange Zeit grundlegende Handbuch ,Die Ostgermanen‘ von Ludwig Schmidt, das im Übrigen trotz des Erscheinungsdatums 1941 recht wenig in den NS-Jargon verfällt, geht aber selbstverständlich davon aus, dass die germanischen Völker „an die Verhältnisse der Urzeit“ anknüpften und sich „die Struktur der ostgermanischen Einzelvölker“ während ihrer Wanderungen kaum geändert hätte.17 Richtig ist allerdings, dass rechte und nationalsozialistische Ideologien nicht unbedingt einen bio­ logischen Volksbegriff voraussetzten; die rassische Zuordnung war unverrückbar biologisch bestimmt, in Völkern konnten sich Rassen aber mischen (was dann allerdings ihre Minderwertigkeit begründete). Die Frage der Bildung und Vermischung von Völkern war daher bereits unter dem Nazi-Regime For­ schungsthema. Die ‚Volkwerdung‘ wurde in den 1930er Jahren im Kreis der ‚konservativen Revolution‘ erörtert, worauf Hubert Fehr hingewiesen hat.18 Das lag daran, dass die Bildung eines einheitlichen deutschen Volkes so lange gedauert hatte und gerade im Nationalsozialismus immer noch als Aufgabe für die Zukunft empfunden wurde: „Das Volk ist ein Werdewesen (…) da der Vorgang der Volkwerdung als solcher überhaupt niemals abgeschlossenen zu sein braucht, wird der Übergang zwischen Volksent­ stehung und Volksumgestaltung fließend”.19

Alexander Callander Murray, Wenskus on ‚Ethnogenesis‘, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 39–68, hier 52. 16 Cf. Klaus von See, Deutsche Germanenideologie vom Humanismus bis zur Gegenwart (Frankfurt/M. 1970). 17 Ludwig Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen (München 1934/ 21941) 85. 18 Hubert Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen (Berlin 2010) 149–59. 19 Max Hildebert Böhm, Das eigenständige Volk. Volkstheoretische Grundlagen der Ethnopolitik und Geisteswissenschaften (Göttingen 1932) 43. Siehe auch Hans Freyer, Volkwerdung: Gedanken über den Standort und über die Aufgabe der Sozio­ logie, in: Volksspiegel 1 (1934) 3–9. 15

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Walter Pohl

Aus etwas anderer Sicht vertrat der Sozialanthropologe Wilhelm Mühlmann, den Wenskus mehrfach zitierte, einen dynamischen Volksbegriff.20 Mühlmann gehörte einer funktionalistischen Schule an und kam nach 1933 zunächst unter Druck, weil Vertreter der rivalisierenden kulturhistorisch-diffusionisti­ schen Forschungsrichtung den Funktionalismus als jüdisch und anti-deutsch abzuwerten versuchten; im folgenden Schulenstreit ging es vor allem darum, die Brauchbarkeit für die nationalsozialistische Ideologie zu erweisen.21 Opportunismus und Überzeugung waren dabei eng verbunden. Mühlmann, nach dem Urteil von Andre Gingrich „the most influential and intelligent Nazi ideologist of acade­ mic ,Völkerkunde‘“, war auch durch die Breite seiner Interessen dabei besonders erfolgreich; er ver­ knüpfte die ethnologische Tradition mit Soziologie, Phänomenologie und Rassenanthropologie.22 Sein ‚Ethnos‘-Begriff verband rassische und davon abgeleitete soziokulturelle Merkmale. Im engen Zusam­ menhang mit den nationalsozialistischen Bemühungen zur dauerhaften Eindeutschung großer Teile Ost­ europas ent­wickelte Mühlmann seine Lehre von Umvolkung, Überfremdung und den dadurch ausgelös­ ten Prozessen der Volkwerdung. Freilich erforderte das ziemlich komplizierte Konstrukte, da ethnische Veränderungen letztlich auf Wandel der rassischen Zugehörigkeit zurückgeführt werden mussten. Unter anderem unterschied Mühlmann zwischen verschiedenen „ethnischen Reifegraden“, von den ‚echten‘ Völkern, die ihre Reinrassigkeit bewahrt hatten (darunter die Deutschen), bis zu ethnischen Schichtun­ gen, Schwebezuständen, Misch- oder Scheinvölkern (wie Juden und Roma).23 Trotz seiner ideologisch geprägten Vergangenheit gelang es Mühlmann nach dem Krieg, seine akade­ mische Karriere fast bruchlos fortzusetzen. Ute Michel hat Mühlmanns Entnazifizierung als Beispielfall deutscher „Amnesie und Amnestie“ nach 1945 dargestellt.24 Mühlmann selbst hat rasch die Zentra­ lität des Rassenbegriffs fallengelassen; schon 1948 schrieb er: „Volkstum ist niemals naturgegebene Tat­sache, sondern stets politische Leistung”.25 Die Vorstellung von der Überlegenheit mancher Völker blieb, nur ihre rassische Fundierung verschwand. Die ursprünglich zutiefst rassistischen Zusammen­ hänge der Lehre von der ‚Volkwerdung‘ wurden verdrängt; das gelang auch deshalb fast spurlos, weil der rassisch fundierten Volksbegriff einer dynamischen Auffassung von der Entstehung und Verände­ rung von Völkern letztlich widersprach. Wenskus verwendete ziemlich unbekümmert, was ihm von Mühlmanns Überlegungen brauchbar erschien, ohne sich um den ideologischen Kontext zu kümmern. Er verzichtete auf das belastete Vokabular von ‚Umvolkung‘, ‚Überfremdung‘ usw., weitgehend auch auf den Volksbegriff selbst. Die entscheidenden Schritte weg von der Nazi-Ideologie waren, keine rassi­ sche Grundlage ethnischer Gemeinschaften mehr anzunehmen, sowie auch und gerade die germanischen Völker als Produkte stetiger Assimilation zu betrachten, und zwar nicht nur unter germanischen Grup­ pen. Die Wenskus’sche Kritik an einem biologischen Stammesbegriff ist gerade heute wieder aktuell, da die Ergebnisse der Genetik bei manchen die Illusion erzeugt haben, dass damit nach dem Scheitern der Rassenlehre nun doch die biologische Grundlage ethnischer Gemeinschaften belegt werden könnte.26 Seit ‚Stammesbildung und Verfassung‘ war Wenskus an einer allmählichen Neuorientierung der ‚Germanischen Altertumskunde‘ beteiligt.27 Es wurde deutlich, dass die Germanenbegriffe der Sprach­ wissenschaften, der auf den Schriftquellen beruhenden Geschichtsforschung und der Archäologie sich Wilhelm E. Mühlmann, Assimilation, Umvolkung, Volkwerdung. Ein globaler Überblick und ein Programm (Stuttgart 1944). Wenskus zitierte allerdings nur Mühlmanns bereits 1938 erschienene ‚Methodik der Völkerkunde‘. 21 Andre Gingrich, Ruptures, Schools, and Nontraditions: Reassessing the History of Sociocultural Anthropology in ­Germany, in: One Discipline, Four Ways: British, German, French and American Anthropology – The Halle Lectures, ed. Fredrik Barth/Andre Gingrich/Robert Parkin/Sydel Silverman (Chicago 2005) 61–153, bes. 118–120. 22 Gingrich, Ruptures, Schools, and Nontraditions 131f. 23 Fehr, Germanen und Romanen, 149–59. 24 Ute Michel, Wilhelm Emil Mühlmann (1904–1988). Ein deutscher Professor. Amnesie und Amnestie. Zum Verhältnis von Ethnologie und Politik im Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Soziologiegeschichte 1991, ed. Carsten Klingemann/ Michael Neumann/Karl-Siegbert Rehberg/Ilja Srubar/Erhard Stölting (Opladen 1992) 69–119; siehe auch Ute Michel, Neue ethnologische Forschungsansätze im Nationalsozialismus? Aus der Biographie von Wilhelm Emil Mühlmann (1904– 1988), in: Lebenslust und Fremdenfeindlichkeit. Ethnologie im Nationalsozialismus, ed. Thomas Hauschild (Frankfurt am Main 1995) 163. 25 Wilhelm E. Mühlmann, Geschichte der Anthropologie (Frankfurt/Bonn 31984) 236f. 26 Siehe Genetic History as a Challenge. Themed Issue, Medieval Worlds 4 (2016), und darin vor allem den Beitrag von ­Patrick J. Geary/Krishna Veeramah, Mapping European population movement through genomic research, S. 65–78. 27 Siehe Altertumskunde – Altertumswissenschaft – Kulturwissenschaft, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer (RGA Erg. Bd. 77, Berlin/New York 2012). 20

Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung

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nicht deckten, sondern dass die Vorstellung von den Germanen als einheitliches Volk mit einheitlicher Kultur nur durch Zirkelschlüsse auf Grund von ‚vermischter Argumentation‘ entstanden war.28 In seinen späteren Arbeiten war Wenskus bestrebt, den umfassenden Germanenbegriff, der noch den Rahmen für ,Stammesbildung und Verfassung‘ bot, in Frage zu stellen. Er unterschied den in den Quellen ge­ brauchten ‚Gemeinnamen‘ Germanen von dem wissenschaftlichen Germanenbegriff und kritisierte die „seit der Rezeption der taciteischen Germania“ gängig gewordene „Bezeichnung der Germanen als der ‚Alten Deutschen‘“.29 Zugleich arbeiteten Althistoriker die zeitgebundene Verwendung des Ger­ manennamens in der Antike heraus, den Julius Caesar als Fremdbezeichnung geprägt, ja ‚erfunden‘ hatte.30 Dieser römische Germanenbegriff wurde dann im Lauf des 4./5. Jahrhunderts zur Beschreibung zeitgenössischer Gruppen weitgehend aufgegeben und erst ab dem 8. Jahrhundert in anderen Kontexten wieder aufgegriffen.31 Überhaupt mussten die detailreich ausgemalten Vorstellungen von germanischer Kultur und Religion schrittweise zurückgenommen werden. Als unhaltbar erwiesen hat sich die Über­ tragung altnordischer Befunde auf die kontinentalen Germanen und die Suche nach ‚Urgermanen‘ lange vor dem ersten Beleg dieses Namens. Die 2. Auflage des Referenzwerkes der ‚Germanischen Alter­ tumskunde‘, des ,Reallexikons der Germanischen Altertumskunde‘‚ dessen 35 Bände von 1973 bis 2008 erschienen, lässt diesen Wandel deutlich erkennen.32 Es umfasst, wie Wenskus es ausdrückte, „alles das (…), was im Laufe der Forschungsgeschichte einmal als ‚germanisch‘ angesehen wurde oder in einem wesentlichen Verhältnis dazu stand.“33 In den ersten Bänden sind viele Lemmata noch sehr kon­ servativ geprägt. In späteren Bänden des Lexikons wurden manche Stichworte dazu genützt, um die Grundlagen und Positionen der ‚Germanischen Altertumskunde‘ selbst kritisch zu reflektieren.34 Wenskus hat diese kritische Auseinandersetzung mit der ‚Germanischen Altertumskunde‘ wesentlich mitgeprägt. Zum Unterschied von späteren Arbeiten steht ,Stammesbildung und Verfassung‘ bei aller kritischen Haltung aber noch stark auf dem Boden der traditionellen ‚Germanischen Altertumskunde‘ und definierte dementsprechend auch seinen Gegenstand. Das führte zu mehreren methodischen Pro­ blemen.35 Erstens hatten seine Untersuchungen explizit die Germanen zum Gegenstand: die Gedan­ kenwelt ihres „gentilen Bewusstseins“, den „Gentilismus als die besondere völkerwanderungszeitliche ­germanische Form des ethnischen Bewusstseins“.36 Diese Beschränkung brachte eine an sich sinnvolle Zur ‚vermischten Argumentation‘ siehe z.B. Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Österrei­ chische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 322, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 45–84. 29 Reinhard Wenskus, Über die Möglichkeit eines allgemeinen interdisziplinären Germanenbegriffs, in: Germanenprobleme in heutiger Sicht, ed. Heinrich Beck (RGA Erg. Bd. 1, Berlin/New York 1986) 1–21, 8 und 16f. 30 Forschungsüberblick: Germanenprobleme in heutiger Sicht, ed. Heinrich Beck (RGA Erg. Bd. 1, Berlin/New York 1986); Walter Pohl, Die Germanen (Oldenbourgs Enzyklopädie der deutschen Geschichte 57, München 2000) 46–64. 31 Walter Pohl, Der Germanenbegriff vom 3. bis 8. Jahrhundert – Identifikationen und Abgrenzungen, in: Zur Geschichte der Gleichung ‚germanisch – deutsch‘, ed. Heinrich Beck/Dieter Geuenich/Heiko Steuer/Dietrich Hakelberg (RGA Erg. Bd. 34, Berlin/New York 2004) 163–183; ders., Vom Nutzen des Germanenbegriffes zwischen Antike und Mittelalter: eine forschungsgeschichtliche Perspektive, in: Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, ed. Dieter Hägermann/Wolfgang Haubrichs/Jörg Jarnut (RGA Erg. Bd. 41, Berlin/New York 2004) 1–17. Siehe auch Rolf Hachmann, Der Begriff des Germanischen, in: Jahrbuch für Internationale Germanistik 7 (1975) 113–44; Jörg Jarnut, Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffes der Frühmittel­ alterforschung, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschun­ gen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 107–113. 32 Siehe auch die ergänzte Online-Version: http://www.degruyter.com/databasecontent?dbid=gao&dbsource=%2Fdb%2Fgao. 33 Wenskus, Über die Möglichkeit 1. 34 Z.B. Heinrich Beck/Thorsten Capelle/Karl Kroeschell/Bernhard Maier/Rosemarie Müller/Helmut Roth/Ernst Seebold/ Heiko Steuer/Dieter Timpe, Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde, in: RGA, 2. Aufl. 11 (Berlin/New York 1998) 181–483 (auch als Einzelpublikation erschienen); Walter Pohl, Herrschaft, in: RGA, 2. Aufl. 14 (Berlin/New York 1999) 443–457; ders., Gentilismus; Herwig Wolfram/Ian Wood/Walter Pohl et al., Origo gentis, in: RGA, 2. Aufl. 22 (­Berlin/New York 2003) 174–210. 35 Das folgende hatte ich bereits 1994 in ähnlichem Sinn ausgeführt: Walter Pohl, Tradition, Ethnogenese und literarische ­Gestaltung: eine Zwischenbilanz, in: Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterfor­ schung, ed. Karl Brunner/Brigitte Merta (VIÖG 31, Wien 1994) 9–26, 12–14; siehe auch Walter Pohl, Ethnicity, theory and tradition: a response, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 221–240. 36 Wenskus, Stammesbildung 2. 28

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Histori­sierung, der Begriff war aber ethnisch definiert; er beruhte also auf der Annahme einer volks­ spezifischen Bewusstseinsform, letztlich also des romantischen Volksgeistes. Das klammerte zunächst ­Alanen, Hunnen, Awaren, Basken, Mauren, Briten, Iren, Slawen und andere nicht-‚germanische‘ Völker der Zeit aus, auf die Wenskus‘ Befunde durchaus produktiv anwendbar gewesen wären. Ferner betrach­ tete Wenskus den germanischen Gentilismus geradezu als Antithese zum „römische[n] Reichsbewusst­ sein der Provinzialen“37. Damit war nicht nur die Behandlung der Rolle römischer Bevölkerungsgruppen bei den frühmittelalterlichen Stammesbildungen erschwert; der Einfluss Roms auf die ‚germanischen‘ Ethnogenesen wurde dadurch ganz ausgeblendet. Die Stammes- und Reichsbildungen von Vandalen, Goten oder Franken wurden weitgehend als Selbstläufer verstanden, die in der Konfrontation mit Rom ihrer eigenen Logik folgen. Zweitens ist die stark ideengeschichtliche Ausrichtung des Werkes problematisch. „Nichts kann die Bedeutung politischer Ideen im Geschichtsprozeß besser beleuchten als die Zertrümmerung des römi­ schen Reiches“, beginnt das Buch.38 Das ist nicht so sehr deswegen fragwürdig, weil durch die idealisti­ sche Position die Praxis nicht genügend berücksichtigt würde. In den Einzelanalysen geht es ja durchaus um Durchsetzung und (militärischen) Erfolg von ‚Stämmen‘ und ihren Anführern, also um ein Krite­ rium der Praxis. Vor allem liegt das Problem darin, wie die Rolle von Ideen bei Wenskus ausgestaltet wird. Sie sind es, die letztlich überzeitliche Bindungskraft entfalten, wie es im Begriff der ‚Tradition‘ ausgedrückt wird. Das aber führt dazu, dass diesen Ideen, Mythen, Traditionen eine Unveränderlichkeit zugeschrieben wird, die sie notwendiger Weise enthistorisiert. Das war auch der zentrale Kritikpunkt von František Graus in seiner sonst wohlwollenden Rezension des Werkes: „Stammesbewußtsein = Stammestradition = Herkunftssage. Die logische Folge dieser Annahme ist dann, daß die Herkunfts­ sagen, die in den überlieferten Quellen auftauchen, in ihrem Kern als ‚uralt‘ angesehen werden müs­ sen.“39 Graus wies auch darauf hin, dass das zu seiner Zeit eine intellektuelle Mode war. Tatsächlich herrschte um die Mitte des 20. Jahrhunderts ein großes Interesse daran, in Mythen, Sagen, mündlichen Überlieferungen ‚authentische‘ Spuren alter Zeiten zu entdecken, von Georges Dumézil bis zu Mircea Eliade. Dieses irrationalistische Interesse an urtümlicher Geistigkeit ging oft Hand in Hand mit rechts­ extremen Weltbildern und spielte auch im Nationalsozialismus eine große Rolle. Ein wichtiger Exponent dieser Richtung in der Germanenforschung war der Germanist Otto Höfler, der sich mit seiner Lehre von der staatsbildenden Kraft germanischer Geheimbünde in der SS viele Freunde machte.40 Seine germanische Kontinuitätsthese, präsentiert 1937 am Deutschen Historikertag, postulierte Kontinuität von Kult, Norm, Herrschaft und Rasse als Grundpfeiler unveränderlichen germa­ nischen Wesens. Bei den Germanen habe es eine „jahrtausendealte Kontinuität der politischen Souverä­ nität“ gegeben, die „ihresgleichen weder im europäischen Osten, Südosten noch Westen hat“, bestimmt durch ihre rassische Grundlage und die „kultische Bindung ihrer Gemeinschaftsformen“.41 Dement­ sprechend unterschied Höfler auch sehr scharf zwischen authentischen Abstammungstraditionen (wie der skandinavischen Herkunft der Goten und Langobarden) und gelehrter Spekulation wie der fränki­ schen Trojasage.42 Wenskus hat weder Höflers Lehre von den Geheimbünden noch dessen Vorstellungen von „völkische[r] Substanz“ als „eigenlebige[r] Wesenheit“ übernommen.43 Sein Traditionsbegriff ist ­weniger irrationalistisch aufgeladen, aber ähnlich zeitresistent wie in Höflers Vorstellungen.

Wenskus, Stammesbildung 2. Wenskus, Stammesbildung 3. 39 František Graus, Rezension von Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, in Historica 7 (Prag 1963) 185–191, auf 188. 40 Otto Höfler, Kultische Geheimbünde der Germanen (Frankfurt 1934). 41 Otto Höfler, Das germanische Kontinuitätsproblem, in: Historische Zeitschrift 157 (1938) 1–26, bes. 5 und 24. Vgl. ­Heinrich Beck, Höfler, Otto, in: RGA, 2. Aufl. 15 (Berlin/New York 2000) 30–34. Siehe auch Otto Höfler, Vorwort, in: Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen 1 (Darmstadt 1954) 5–16, 5: „Es ist fest ausgeformten alten Kultu­ ren zu eigen, daß ein System von anerkannten Wertungen über dem einzelnen steht und daß auch starke und selbständige Charaktere sich in einem unverbrüchlichen Gefüge von Normen und Gesetzen bewegen.“ Zum Kontext Pohl, Vom Nutzen des Germanenbegriffes; Murray, Wenskus on ‚Ethnogenesis‘. 42 Otto Höfler, Abstammungstraditionen, in: RGA, 2. Aufl. 1 (Berlin/New York 1969) 18–29. Siehe dazu auch Wolfram et al., Origo gentis. 43 Höfler, Kontinuitätsproblem 2. 37 38

Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung

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Die dritte Beschränkung im Modell von Wenskus ist dementsprechend die statische und elitäre Vor­ stellung, die der Begriff ‚Traditionskern‘ suggeriert. Das, und die Betonung der Rolle des Königtums bei der Vermittlung der Traditionen, hat Graus ebenfalls kritisiert.44 Auch die Führungsgruppen und ihre Beziehungen zueinander verändern sich ja, ebenso wie die Traditionen selbst. Der elitäre Ansatz stand im Zusammenhang mit der sogenannten ‚Neuen deutschen Verfassungsgeschichte‘, einer von Otto ­Brunner, Heinrich Dannenbauer, Walter Schlesinger und anderen getragenen Strömung, die in den 1930er Jahren entstanden war und beanspruchte, das Mittelalter in seiner eigenen Begrifflichkeit darzu­ stellen, was ein sehr hierarchisches Bild ergab.45 Als Kriterium für die Durchsetzung dieser konkurrie­ renden Traditionskerne spielt bei Wenskus der militärische Erfolg eine große Rolle, was für die Epoche des Zerfalls Roms einige Evidenz besitzt, aber kaum zu verallgemeinern ist. Bei der Erörterung der Weiter­gabe von Traditionen klammerte Wenskus zudem weitgehend die Rolle von Frauen aus, die aber bei der Identitätsbildung eine wesentliche Rolle spielen.46 Allerdings ist der Traditionskern als Kern einer ‚Ethnogenesis theory‘ überschätzt worden; der Index von Wolframs Gotenbuch weist nur drei Stellen aus, wo überhaupt davon die Rede ist. Viertens schnitt Wenskus die von ihm beschriebenen ethnischen Prozesse auch von der weiteren Ent­ wicklung der frühmittelalterlichen Königreiche ab. Das drückte sich auch darin aus, dass er konsequent den Stammesbegriff verwendete, nicht zuletzt um den ideologisch belasteten Volksbegriff zu vermeiden. Dahinter aber stand wiederum die alte Vorstellung, das deutsche Volk habe sich aus seinen ‚Stämmen‘ gebildet. Diesen Prozess der „Volksbildung“ wollte Wenskus deutlich von den von ihm untersuchten Stammesbildungen abgehoben wissen: „Sicher werden manche im Laufe dieser Arbeit aufgezeigten Kräfte auch hier wirksam gewesen sein, doch ist davor zu warnen, unsere Ergebnisse schematisch auf diese Vorgänge zu übertragen.“47 Die neuen deutschen Stämme des Hochmittelalters entstanden, so meinte er, bereits als „Teile eines [deutschen] Volkes, nicht [als] ursprüngliche und unabhängige ­gentes.“48 An dieses Zwei-Stufen-Modell konnte der deutsche Nationes-Kreis der 1970er und 1980er Jahre anknüpfen. Auch hier wurde der Volksbegriff eher vermieden: die Stämme (später ‚Groß­stämme‘) der germanischen Frühzeit, so meinte diese Gruppe, wurden beim Zerfall des Karolinger­reiches abge­ löst von den mittelalterlichen Nationen, in erster Linie Frankreich und Deutschland.49 Zwischen dem Frankenreich des 7./8. und des 10./11. Jahrhunderts musste daher ein Qualitätssprung angenommen werden, ebenso wie zwischen den rechtsrheinischen Dukaten der Merowingerzeit und denen unter ­Ottonen und Saliern.50 Diese Sichtweise erlaubte es, die ideologisch kompromittierte Germanenzeit deutlich von der Epoche der werdenden deutschen Nation seit dem späten 9. Jahrhundert zu unterschei­ den, die eher in der imperialen karolingischen Tradition stand als in jener der post-römischen König­ Graus, Rezension 187. Zur Kritik siehe Walter Pohl, Staat und Herrschaft im Frühmittelalter. Überlegungen zum Forschungsstand, in: Staat im Frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie/Helmut Reimitz/Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11, Wien 2006) 9–38, 11–13. Siehe auch Murray, Wenskus on Ethnogenesis 53f. 46 Walter Pohl, Gender and ethnicity in the early middle ages, in: Gender in the Early Medieval World: East and West, 300–900, ed. Leslie Brubaker/Julia Smith (Cambridge 2004) 23–43. Wiederveröffentlicht in: From Roman Provinces to Medieval Kingdoms, ed. Thomas F.X. Noble (Rewriting History, London/New York 2006) 168–188; Patrick J. Geary, Women at the Beginning. Origin Myths from the Amazons to the Virgin Mary (Princeton/Oxford 2006). 47 Wenskus, Stammesbildung 575. Der Begriff ,Volksbildung‘ wurde in diesem Sinn später noch gelegentlich verwendet, etwa bei Matthias Becher, Volksbildung und Herzogtum in Sachsen während des 9. und 10. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 108 (2000) 67–84. 48 Wenskus, Stammesbildung 573. 49 Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, ed. Almut Bues/Rex ­Rexheuser (Quellen und Studien 2, Wiesbaden 1995); Carlrichard Brühl/Bernd Schneidmüller, Beiträge zur mittelalterlichen Reichsund Nationsbildung in Deutschland und Frankreich (Historische Zeitschrift Beiheft NF 24, München 1997); Joachim ­Ehlers, Die Entstehung des Deutschen Reiches (Enzyklopädie deutscher Geschichte 31, München 1994, 42010). 50 Oder man versucht, wie Joachim Ehlers, auch die Nationenbildung analog zu Wenskus und der Ethnogeneseforschung als „politisch-zivilisatorischen Bewußtseinsprozeß“ zu verstehen und einander überlagernde postkarolingische Ethnogenesen der Deutschen sowie der Sachsen, Bayern oder Schwaben zu beschreiben. Joachim Ehlers, Was sind und wie bilden sich ­nationes im mittelalterlichen Europa (10.–15. Jahrhundert)? Begriff und allgemeine Konturen, in: Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, ed. Almut Bues/Rex Rexheuser (Quellen und S ­ tudien 2, Wiesbaden 1995) 7–26, 13. Siehe auch Reinhard Wenskus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel (Ab­ handlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Phil.-histor. Klasse. 3. Folge 93, Göttingen 1976) 464f. („Tra­ ditionsverband“). 44 45

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reiche. Die verhängnisvolle völkische Kontinuität zwischen Germanen und Deutschen abzuschneiden, war ein Verdienst von Wenskus und in seinem Gefolge der Nationes-Gruppe. Zunehmend wurde die mittelalterliche Nationsbildung als jahrhundertelanger Prozess konzipiert. Freilich rückten damit auch strukturelle Ähnlichkeiten und durchgehende Entwicklungslinien zwischen dem Merowingerreich und den nachkarolingischen Regna aus dem Blickfeld.51 International wurde Wenskus (mit Ausnahme von Michael Wallace-Hadrill in Oxford52) zunächst wenig rezipiert. Wie Ian Wood in seinem Buch „The Modern Origins of the Early Middle Ages“ fest­ stellt: „It would only be with the publication of Herwig Wolfram’s ‚Geschichte der Goten‘ in 1979 that the notion of ,Traditionskern‘ began to attract regular attention.“53 Mit Wolfram fand Wenskus verstärkt Eingang in die internationale Forschung zur Völkerwanderungszeit. Mit großer Verspätung wurde das Modell von Wenskus schließlich seit den 1990er Jahren zum Angelpunkt heftiger Polemik von Seiten der Schule Walter Goffarts; auch das hängt mit Herwig Wolfram zusammen und soll daher weiter unten erörtert werden. ETHNOGENESE Für Herwig Wolframs Gotenbuch54 bot der Ansatz von Wenskus eine Möglichkeit, den verfestigten Gotenbegriff zu öffnen und in jedem Abschnitt seiner Erzählung die Frage zu stellen, wer diese ‚­Goten‘ eigentlich waren. Diese Frage führte zur weiteren, wer aus welcher Perspektive über die G ­ oten berichtet hatte. Wolfram hat keineswegs die Quellen einfach als Steinbruch für die Rekonstruktion historischer Tatsachen benützt. Er hat die Geschichte der Goten zunächst aus der Perspektive der Texte als retrospek­ tiven Sinnzusammenhang erschlossen. Das warf das quellenkritische Problem auf, wie viel von der ver­ lorenen Gotengeschichte des Cassiodor noch in der Getica des Jordanes steckt. Wolfram hielt sich an die Information der Getica, dass der Text auf einem rasch hergestellten Exzerpt aus der Ge­schichte ­Cassiodors beruhte; dafür sprach unter anderem die Übereinstimmung, dass sowohl in C ­ assiodors ­Variae als auch in der Getica Athanarich der siebzehnte in der Genealogie der Amaler ist.55 Beide Geschichten waren aus einem unterschiedlich gebrochenen Amalgam von gotischer Innen- und römischer Außenperspektive geschrieben, boten eine Apologie der Goten und Amaler, wenn auch aus unterschiedlicher Interessen­ lage und aus der Sicht von Höhepunkt bzw. Ende ostgotischer Macht. Wolfram führte den Entwurf der Getica im Wesentlichen auf Cassiodor zurück, fasste aber das gesamte komplexe ethno­historische Konstrukt in den Worten der Variae als ‚Origo Gothica‘ zusammen. Diese hatte aus der Perspek­tive des 6. Jahrhunderts die Gotengeschichte in der römischen Geschichte ‚aufgehoben‘. Wolframs Ansatz einer ‚historischen Ethnographie‘ (der Untertitel des Buches) stellte dieses „Geschichtsgebäude auf den Kopf und sucht[e] aus der Historia Romana die Origo Gothica, die partikulare Herkunft der Goten, wieder­ erstehen zu lassen.“56 Er hat dieses Unternehmen mit dem Wenskus’schen Traditionsbegriff verknüpft, doch bedeutete das nicht, dass er die Authentizität oder Unveränderlichkeit der gotischen Herkunftser­ zählung betonen wollte. Ihn interessierte die Historisierung dessen, was Gote zu sein jeweils bedeuten mochte. Daraus ergab sich eine vielschichtige Erzählung von gotischer Geschichte (oder eher gotischen Geschichten), die es dem Leser nicht leichtmacht, trotz der litera­rischen Qualitäten, die das Buch hat. Das Buch bietet also nicht einfach ein Exempel für das Modell von Wenskus. Es setzt sich aber auch nicht kritisch mit dessen Schwächen auseinander. Dadurch konnte es offenbar gründlich missverstanden werden. Walter Pohl, Social Cohesion, Ethnicity and the Nation in the Early Middle Ages, in: Social Cohesion and its Limits, ed. Walter Pohl/Andreas Fischer (Wien, im Druck). 52 John Michael Wallace-Hadrill, Review of Wenskus, Stammesbildung, in: English Historical Review 79 (1964) 137–139. 53 Ian Wood, The Modern Origins of the Early Middle Ages (Oxford 2013) 301. 54 Wolfram, Goten. 55 Siehe dazu Wolfram, Goten 15–17; anders Goffart, Narrators 20–111; Andrew Gillett, The mirror of Jordanes: concepts of the barbarian, then and now, in: A Companion to Late Antiquity, ed. Philip Rousseau/Jutta Raithel (Blackwell Companions to the Ancient World, Oxford 2009) 392–408; siehe auch Arne Søby Christensen, Cassiodorus Jordanes and the History of the Goths. Studies in a Migration Myth (Kopenhagen 2002). Ein kritischer Zugang zu Jordanes bei Magalie Coumert, Origines des peuples. Les récits du Haut Moyen Âge occidental (550–850) (Paris 2007) 61–101 und 125–39. 56 Wolfram, Goten 15. 51

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Es war Herwig Wolfram, der an Stelle von Zöllners doppeldeutigem Begriff ‚Volksbildung‘ und von Wenskus‘ ‚Stammesbildung‘ den Begriff ‚Ethnogenese‘ in der Frühmittelalterforschung einführte.57 Das Wort war zu der Zeit in der Ethnologie recht gebräuchlich.58 In der Sowjetunion diente der Ethnoge­ nese-Begriff dazu, ein dynamisches Element in eine im Übrigen sehr essentialistisch gedachte Kategorie des Ethnos einzuführen.59 In der Frühmittelalterforschung, und nicht nur dort, konnte die Übernahme der Begriffe Ethnos, ethnisch, Ethnogenese helfen, die durch die jüngere Vergangenheit stark belasteten Termini Volk, völkisch, Stamm etc. wenn schon nicht zu vermeiden, so doch durch von der Wissenschaft geprägte Begriffe im Gebrauch einzuschränken. Dass ebendiese für den wissenschaftlichen Gebrauch entworfenen Begriffe schließlich wiederum als schwammig und ideologisch gefärbt in die Kritik gerie­ ten, zeigt die ungebrochene gesellschaftliche Bedeutung des Forschungsgebietes. Die Begriffe und die Erforschung der damit gemeinten Prozesse und Phänomene aufzugeben, wäre nicht die richtige Reakti­ on auf den gesellschaftlichen Druck, unter dem dieses Forschungsfeld eben steht. Demgemäß hat Herwig Wolfram immer wieder betont, dass Frühmittelalterforschung eine zeitge­ schichtliche Dimension hat, derer man sich bewusst sein muss. Das ist einer der Punkte, in dem er über Wenskus’ ,Stammesbildung und Verfassung‘ hinausgegangen ist. Das Gotenbuch beginnt mit einer Erörterung des modernen Gotizismus, und in ,Das Reich und die Germanen‘ ist mehrfach von „dem Thema und seiner Last“ die Rede.60 Zweitens war Wolfram immer bemüht, Begriffe zu historisieren und sowohl Quellen- wie auch Forschungstermini nach ihrer jeweiligen Bedeutung zu befragen. Das begann bei einer ausführlichen Erörterung über die Namen der Goten und schloss sowohl die lateinischen als auch die gotischen Begriffe und Titel ein, die für das soziale Leben der Goten relevant waren.61 Mit his­ torischer Semantik und der frühmittelalterlichen Herrschertitulatur hatte sich Wolfram schon vor seinem Gotenbuch ausführlich befasst.62 Drittens hat Wolfram stärker als Wenskus auf einer Kritik seiner Quellen aufgebaut. Die Germa­ nische Altertumsforschung hatte sich daran gewöhnt, in quellenarmer Zeit vereinzelte Textstellen als Hinweise auf die Sache selbst zu nehmen, auch wenn es dazu immer wieder skeptische Stimmen gab. Wenn zum Beispiel in der gotischen Wandersage bei Jordanes die Herkunft der Goten aus Skandza, Skandinavien, behauptet wird, galt das lange als historische Tatsache, da es zudem durch Namensähn­ lichkeiten mit Gotland und Götaland gestützt werden konnte. Wenskus neigte nach einiger Abwägung ebenfalls zur Historizität der skandinavischen Herkunft.63 Rolf Hachmann hat wenig später die Lehre von den gotischen Ursprüngen in Skandinavien nachhaltig erschüttert.64 Herwig Wolfram versuchte hier Wenskus mit Hilfe von Wenskus zu differenzieren: „Nicht ganze Völker, sondern Träger von er­ folgreichen Traditionen wandern aus und werden zu Gründern neuer Ethnika.“65 Den Wenskus’schen Wenskus hat das Wort allerdings peripher verwendet, siehe Stammesbildung 246 über „Ethnogenese“ der Germanen. Z.B. Studien zur Ethnogenese (Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften 72, Opladen 1985). 59 Siehe z.B. Julian Vladmirović Bromlej, The term ethnos and its definition, in: Soviet Anthropology and Ethnology ­Today, ed. Julian Vladmirović Bromlej (Den Haag/Paris 1974) 55–72. In der Sowjetunion wurde ein recht essentialistischer ­Ethnos-Begriff gebraucht, besonders bei Lev Gumilev; siehe z.B. Lev N. Gumilev, Ethnogenesis and the ­Ethnosphere (­Priroda 1970). Ein knapper Rückblick auf die sowjetische Ethnologie und ihre Begrifflichkeit bei Valery Tishkov, ­Ethnicity, Nationalism and Conflict in and after the Soviet Union (London/Thousand Oaks/New Delhi 1997) 1–23. 60 Wolfram, Goten 13–15; Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Berlin ²1992) 35–38; 230; 278. 61 Wolfram, Goten 30–46; 99–124. 62 Herwig Wolfram, Splendor Imperii. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich (MIÖG, Erg. Bd. 20, 3, Wien 1963); ders., Fortuna in mittelalterlichen Stammesgeschichten, in: MIÖG 72 (1964) 1–33; ders., Intitulatio I. Latei­ nische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des achten Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien 1967). 63 Wenskus, Stammesbildung 463–467. Das hier verwendete quellenkritische Argument für die skandinavische Herkunft scheint doch etwas kurzschlüssig: „Bei der Suche nach den Gründen, die einen Chronisten des 6. Jahrhunderts dazu veran­ lassen könnten, entgegen den historischen Tatsachen die Abkunft seines Stammes aus Skandinavien zu behaupten, kommt man zum Ergebnis, dass es schlechterdings keine gibt (…) Die Behauptung des Jordanes ist für seine Zeit ganz untypisch und beruht daher mit recht großer Sicherheit auf Überlieferungen, die einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit besitzen.“ (464). 64 Rolf Hachmann, Die Goten und Skandinavien (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germani­ schen Völker 158 = NF 34, Berlin 1970). 65 Wolfram, Goten 50. Eine gutische Gruppe aus Skandinavien „könnte (…) an der gutonischen Ethnogenese im ost­ pommersch-masowischen Raum mitgewirkt haben.“ 57 58

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Traditionsbegriff wollte Wolfram (in diesem Fall gegen Wenskus) jedenfalls nicht so verstanden wissen, dass seine jeweiligen Inhalte historisch korrekt wären. Freilich hat Wolfram später noch eine weitere Erklärungsmöglichkeit für den Bericht von der skandinavischen Herkunft angeboten: „Skandinavien war das Auswanderungsland der antiken Ethnographie“.66 Zudem berichtete die Getica, ein König ­Roduulf sei aus Skandinavien zu Theoderich nach Ravenna gekommen; auf ihn könnte die Nachricht von skandinavischen Goten/Gauten zurückgehen.67 Wolfram ging es vor allem um eine sorgfältige Hermeneutik unserer Textzeugen und ihrer histo­ risch-ethnographischen Konstruktionen. Daraus ließen sich dann vereinzelt ‚vor-ethnographische‘ ­Daten68 herauslösen, die in der umfassenden skythisch-getisch-dakisch-gotischen Konstruktion der Getica querlagen. Zum Beispiel passt die Amalergenealogie weder in den dakischen Kontext, in den sie eingebaut ist, noch überhaupt in das große ethnographische Konstrukt der Getica. Solche Nachrichten konnten dann an den Quellen der jeweiligen Zeit gemessen werden. Natürlich bürgen sie nicht für die Authentizität der jeweiligen Information; sie sind aber auch nicht pauschal als Erfindungen des 6. Jahr­ hunderts abzutun. Das zeigt sich nun durch den Fund der neuen Dexippos-Fragmente mit dem Bericht über die Gotenzüge unter Ostrogotha im 3. Jahrhundert. Sie belegen die Historizität des Sechsten im Amalerstammbaum, aber auch, dass die Genealogie nicht einfach retrospektiv aus den bekanntesten und erfolgreichsten Gotenkönigen zusammengestellt wurde: Ostrogotha wird bei Dexippos als geschei­ terter Konkurrent des viel erfolgreicheren Gotenkönigs Kniva dargestellt, der nicht in der Genealogie vorkommt.69 Aus derart plausibel gemachten nicht-ethnographischen Informationen versuchte Wolfram wiederum Aufschlüsse über gotische Ethnogenesen zu bekommen. Dass es bei einer Deutung der Her­ kunftssagen um Hypothesen ging, war ihm bewusst: „Selbstverständlich hatte František Graus schon 1963 völlig recht, daß eine solche Herkunftsgeschichte keine 1:1 Verschriftlichung der oralen Tradition noch der Träger ‚uralter‘ ethnischer Identitäten sein konnte, sondern erst mit ihrem Erscheinen neue ­ethnische Identitäten stiftete.“70 Die Origo gentis kann Spuren früherer Identitäten transportieren, ist aber in erster Linie eine Quelle für die Zeit ihrer Niederschrift: „Mit der Verschriftung ihrer Herkunft erhielten die Goten eine ethnographische Identität.“ Viertens sah Wolfram daher, zum Unterschied von Vertretern eines essentialistischen Volksbegriffes in Ost und West, das Wesen eines Volkes nicht in seinem Ursprung angelegt.71 ‚Ethnogenese‘ verstand er nicht als Entstehungsphase eines danach in seinem Wesen konstituierten Volkes, sondern seinen Quellen gemäß als Abfolge von Spaltungen und neuen Zusammenschlüssen: als offene Prozesse mit mehrfachen Brüchen und Neuansätzen. „Die völkerwanderungszeitliche Gens war keine fertige politisch-territo­ riale Einheit; sie war auch keine abgeschlossene nationale Identität, kein Zustand, sondern ein offener Prozess.“72 Erst in der retrospektiven Sicht durch Cassiodor, Jordanes und Isidor von Sevilla lief die Geschichte der Goten zielgerichtet auf eins der beiden großen Gotenreiche in Italien und Spanien zu. Die Geschichte der erfolgreichen Völker der Völkerwanderungszeit, Goten, Vandalen, Burgunder oder Langobarden, ließ sich daher als Abfolge von Ethnogenesen darstellen, zwischen denen meist recht ­kurze Konsolidierungsphasen lagen. In der 1980ern, nach dem Erscheinen des Gotenbuches, erschien diese Perspektive sehr anregend.73 Manchen mag sie auch verwirrend vorgekommen sein. 68 69 66 67

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Wolfram, Gotische Studien 224. Jordanes, Getica 24 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 5,1, Berlin 1882) 53–138, 60; Wolfram, Gotische Studien 223. Wolfram, Gotische Studien 215–221. Jana Grusková/Gunther Martin, Ein neues Textstück aus den ‚Scythica Vindobonensia‘ zu den Ereignissen nach der Eroberung von Philippopolis, in: Tyche 29 (2014) 29–44; Gunther Martin/Jana Grusková, ‚Scythica Vindobonensia‘ by Dexippus (?): New Fragments on Decius’ Gothic Wars, in: Greek, Roman, and Byzantine Studies 54 (2014) 728–754. Peter Heather, The Goths (Oxford 1996) 116, hatte noch angenommen, dass „legendary heroes“ wie Ostrogotha „cannot be taken as historical kings”. Wolfram, Gotische Studien 215, nach Graus, Rezension 188, und mit Verweis auf Johannes Fried, Der Schleier der Erinne­ rung. Grundzüge einer historischen Memorik (München 2004) 259f. Cf. Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Ge­ schichte des Mittelalters 8, Wien 2004). Wolfram, Goten 22. Siehe etwa Herwig Wolfram, Ethnogenesen im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum (6. bis 10. Jahrhundert), in: Frühmittelalterliche Ethnogenesen im Alpenraum (Nationes 5, Sigmaringen 1985) 97–151; Walter Pohl, Die Gepiden und die Gentes an der mittleren Donau nach dem Zerfall des Attilareiches, in: Die Völker an der mittleren und unteren Donau im 5. und 6. Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram/Falko Daim (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

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Die Aufgabe einer ethnischen Teleologie bedeutete fünftens, dass sich die historische Erzählung von der Entwicklung der Völker nicht nur an der Geschichte dieser Völker orientieren konnte, wie das aus nationalgeschichtlicher Sicht lange geschehen war. Wolfram erweiterte daher in seinen folgenden Büchern die im Gotenbuch entworfene Perspektive um zwei weitere wesentliche Gesichtspunkte. Ei­ nerseits ergänzte er den Aspekt der Volksgeschichte um die Frage nach ,Grenzen und Räumen‘. Diesen Titel trug sein Band der 15-bändigen ,Geschichte Österreichs‘, die er herausgab, und in der Einleitung begründete er seinen Ansatz: „Zwei Fragestellungen, die einander bedingen oder ergänzen, stehen dabei im Vordergrund: man kann entweder fragen nach der Geschichte von Völkern, oder genauer, von Trä­ gern bestimmter Volksnamen, die (…) auf römischem Boden Staaten gründeten. Oder man behandelt die Geschichte eines Raums, der aus einem Bestandteil des Römerreichs zur Heimat von ‚Königen und Völkern‘, und damit zu einer neuen, politisch gegliederten Region wurde. Der vorliegende Band stellt sich die zweite Aufgabe.“74 Andererseits entwarf Wolfram in seinem Buch ,Das Reich und die Germa­ nen‘ ein übergreifendes Bild von den Beziehungen zwischen Rom und den Barbaren (der Titel war wie meist, wenn es um ‚die Germanen‘ geht, vom Verlag vorgegeben; in der englischen Übersetzung modi­ fizierte Wolfram ihn auf ,The Roman Empire and its Germanic Peoples‘).75 Schon im Gotenbuch hatte er das alte Konfrontationsmuster zwischen Römern und Germanen überwunden; darauf baute er nun auf, um eine im Wesentlichen relationale Geschichte zu schreiben. Das bedeutete sechstens, dass die Geschichte der Goten und anderer Gentes der Spätantike nur aus ihrer Einbettung in die Römische Welt verständlich zu machen war. Eine erste Skizze dazu erschien 1970 auf Englisch in der ersten Nummer der Zeitschrift Viator.76 Für Wolfram waren die Nachfolgestaa­ ten des Weströmischen Reiches nicht ‚Germanenreiche‘, sondern ‚lateinische Königreiche‘; so steht es bereits im Skriptum zu seiner Vorlesung an der Universität Wien aus dem Wintersemester 1974/75 unter dem Kapitel ,Frühmittelalterliches Königtum in der Nachfolge römischer Staatlichkeit‘.77 Später entwi­ ckelte er den Gedanken weiter in seiner Arbeit über ‚Rom und das frühe Königtum nördlich der Alpen‘, in der die römische Grundlage des ‚germanischen‘ Königtums von Ariovist an nachgezeichnet wird: vis et potentia regibus ex auctoritate Romana, wie es Tacitus erklärt.78 Wolframs römische Perspektive auf die Regna ist in der Rezeption seiner Werke oft übersehen worden, weil er sie nirgends programmatisch überhöht oder polemisch zugespitzt als Leitidee formuliert hat. Der Vergleich der ,Goten‘ mit ,Stam­ mesbildung und Verfassung‘ macht den entscheidenden Fortschritt deutlich, der darin lag. Er bedeutete eine Abwendung vom Modell eines grundlegenden römisch-germanischen Gegensatzes, das noch den Ansatz von Wenskus bestimmte.79 Wolfram ging es um die Integration von ‚Barbaren‘ in der Römischen

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145, Wien 1980) 240–305; Typen der Ethnogenese 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Denkschriften der Österreichi­ schen Akademie der Wissenschaften 201, Wien 1990); darin u.a. Jörg Jarnut, Die langobardische Ethnogenese, 97–113. Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. 378–907 (Österreichische Ge­ schichte, Wien 1995) 13. Eine frühere Fassung des Bandes war 1987 unter dem Titel ‚Die Geburt Mitteleuropas‘ erschie­ nen. Siehe auch Wolfram, Ethnogenesen; diese und eine Reihe anderer vorbereitender Arbeiten erschien 1995 in überarbei­ teter Form als Monographie: Herwig Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien 1995). Wolfram, Reich; engl. The Roman Empire and its Germanic Peoples (Berkeley/Los Angeles/London 1997). Herwig Wolfram, The shaping of the early medieval kingdom, in: Viator 1 (1970) 1–20. Die Völkerwanderung. Skriptum der Hochschülerschaft der Universität Wien, Fakultätsvertretung Philosophie, WS 1974/75, zusammengestellt von Falko Daim, Ulrike Rosenkranz und Karl Weinberger unter Mithilfe von Herwig Wolfram, 28–32. Tacitus, Germania c. 42, 2; Wolfram, Gotische Studien 15–65; siehe auch Stefanie Dick, Mythos vom ‚germanischen‘ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungs­ zeit (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 60, Berlin 2008). Der römische Charakter des germanischen Königtums war, wie Wolfram, Gotische Studien 62f., zeigt, in der Germanenforschung lange erwogen worden, weil nach Tacitus die Freiheitsliebe germanisches Wesensmerkmal war. Der germanische Charakter der Könige war aber nicht zuletzt von Walter Schlesinger, Über germanisches Heerkönigtum, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, ed. Theodor Mayer (Lindau/Konstanz 1956) 105–141, und auch von Wenskus, Stammesbildung 300–346, betont worden. Die von Otto Höfler, Germanisches Sakralkönigtum, 1: Der Runenstein von Rök und die ger­ manische Individualweihe (Tübingen 1952), und von Schlesinger propagierte Unterscheidung zwischen (germanischem) Heer- und Sakralkönigtum hat Wolfram zunächst übernommen, aber zunehmend kritisch betrachtet; cf. Wolfram, Gotische Studien 65. Auch Wenskus hat sich von diesem Gegensatz allmählich entfernt, bis hin zu den radikalen Spekulationen in Reinhard Wenskus, Religion abâtardie. Materialien zum Synkretismus in der vorchristlichen politischen Theologie der Franken, in:

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Welt, die ihre Geschichte erst als ‚historische Ethnographie‘ darstellbar machte.80 Die Barbaren waren nicht Auslöser, sondern Teil der ‚Transformation of the Roman World‘, und veränderten sich auch selbst dabei grundlegend.81 Schließlich hat Herwig Wolfram siebentens die germanische Beschränkung des Modells von ‚Stam­ mesbildung und Verfassung‘ auch noch auf andere Weise überschritten, nämlich indem er den Unter­ suchungsbereich auf ethnische Prozesse bei den nicht-germanischen Völkern des Frühmittelalters er­ weiterte. In ‚Das Reich und die Germanen‘ behandelte er die ‚hunnische Alternative‘.82 Das Werk von František Graus zur Nationenbildung der Westslawen zitierte er immer wieder als methodisch beispiel­ gebend, und beschäftigte sich auch selbst mit der Entstehung von Böhmen, Polen und Ungarn.83 Und er regte seinen Schüler an, ein Buch über die Awaren zu schreiben.84 Die Untersuchung slawischer Identi­ tätsbildung in diesem Buch ergab, dass bei den frühen Slawen das Modell von Wenskus nicht anwend­ bar war, da Königtum, Eliten, Herkunftssagen und Traditionen erst Jahrhunderte später bezeugt sind.85 Awaren, Bulgaren, Slawen, Byzantiner verkörperten im 7. Jahrhundert sehr unterschiedliche Identitäts­ modelle: „Ethnicity meant something different for each of them; and they were all tied to each other in a complicated pattern of interdependence.“86 Wolfram hat immer sehr quellennahe gearbeitet und in der Interpretation der Texte hermeneutische Meisterschaft entwickelt. Die Konstruktion eines allgemeingültigen Modells der Ethnogenese oder ­Ethnizität war ihm kein Anliegen, und er hat nur selten theoretische Literatur dazu rezipiert. Das mag zu manchen Missverständnissen beigetragen haben. Derjenige, der Wolframs Zugänge zum Thema zu­ erst mit neueren theoretischen Ansätzen zur Ethnizität verband, war Patrick Geary, den Wolfram schon als Studierenden auf einem Seminar in den USA kennengelernt hatte. Gearys bereits 1983 publizierter Aufsatz über ‚Ethnicity as a situational construct‘ führte neue soziologische und sozialanthropologische Theorien aus dem englischsprachigen Raum in der Frühmittelalterforschung ein.87 In seinem Buch ,Be­ fore France and Germany‘ spitzte Geary den ‚romanistischen‘ Zugang zur Germanenforschung in der seither vielzitierten Formulierung zu: „The Germanic world was perhaps the greatest and most enduring

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Iconologia sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. FS für Karl Hauck zum 75. Geburtstag, ed. Hagen Keller/Nikolaus Staubach (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 23, Berlin/New York 1994) 179–248. Allgemein zur Problematik einer an Gegensatzpaaren orientierten Frühmittelalterforschung siehe Walter Pohl, Die Anfänge des Mittelalters – alte Probleme, neue Perspektiven, in: Mediävistik im 21. Jahrhundert. Stand und Per­ spektiven der internationalen und interdisziplinären Mittelalterforschung, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut (München 2003) 361–378. Anerkennung und Integration. Zu den wirtschaftlichen Grundlagen der Völkerwanderungszeit. 400–600, ed. Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Denkschriften der Österr. Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 193, Wien 1988). Den von Lynn T. White, The Transformation of the Roman World: Gibbon’s Problem After Two Centuries (Berkeley/ Los Angeles London 1966), übernommenen Titel hatte Wolfram für das Programm der European Science Foundation in den 1990er Jahren vorgeschlagen. Siehe Ian N. Wood, Transformation of the Roman World, in: RGA, 2. Aufl. 31 (Berlin/ New York 2006) 232–234; Kingdoms of the Empire. The Integration of Barbarians in Late Antiquity, ed. Walter Pohl (The Transformation of the Roman World 1, Leiden/New York/Köln 1997); Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 2, Leiden/New York/ Köln 1998). Wolfram, Reich 183–210. František Graus, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter (Nationes 3, Sigmaringen 1980); Wolfram, Gotische Studien 263–279. Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567–822 n. Chr. (München ³2015). Walter Pohl, Conceptions of ethnicity in early medieval studies, in: Archaeologia Polona 29 (1991) 39–49; wieder abge­ druckt in: Debating the Middle Ages. Issues and readings, ed. Lester K. Little/Barbara Rosenwein (Oxford 1998) 15–24; ders., Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart/Berlin/Köln ²2005) 206–212; vgl. Florin Curta, The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower Danube Region (Cambridge 2001). Für die späteren slawi­ schen Einzelvölker lassen sich durchaus analoge Prozesse feststellen; siehe Graus, Nationenbildung; Jacek Banaszkiewicz, Slawische Sagen ,De origine gentis‘ (al-Masudi, Nestor, Kadłubek, Kosmas) – dioskurische Matrizen der Überlieferungen, in: Medievalia Historica Bohemica 3 (Prag 1993) 29–58. Pohl, Conceptions of ethnicity 17f. Patrick J. Geary, Ethnic identity as a situational construct in the early Middle Ages, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 113 (1983) 15–26. Wichtige Überlegungen auf Grund neuerer Theorien der Ethnizität auch bei Guy Halsall, Barbarian Migrations and the Roman West, 376–568 (Cambridge 2007) 35–61.

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creation of Roman political and military genius“.88 Schließlich bot das 2002 erschienene Werk ,The Myth of Nations‘ eine Synthese, die viele der Gedanken Wolframs auf kreative Weise weiterführte. Geary widmete ein Kapitel den von Wolfram immer wieder angesprochenen, aber nie ausführlicher behandelten antiken Wahrnehmungen der Barbaren, die unsere Quellen formten. Er setzte sich auch aus­ führlich mit den ideologischen Fallstricken in der Erforschung der Völkerwanderungszeit aus­einander, die seit der Entwicklung der romantischen Philologien und der Archäologie zu nationalistischen Recht­ fertigungsgebäuden im 19. Jahrhundert „a poisoned landscape“ hinterlassen hatten.89 Das Ergebnis ist, dass „popular understandings of European peoples (…) have penetrated so deeply into European ­consciousness that they no longer are understood as historical reconstructions but rather as self-evident and essential components of national identity.“ Sie hatten auch die Wahrnehmung der Europäer von den ethnischen und nationalen Strukturen anderer Kontinente geformt, was wiederum die Allgemein­ gültigkeit des europäischen Modells zu belegen schien. Das zeigte Geary am Beispiel der kolonialen Wahrnehmungen von der Entstehung der Zulus.90 Zuletzt hat Patrick Geary ein interdisziplinäres Pro­ jekt mit Genetikern aufgebaut, in dem die Spielräume historischer Interpretation genetischer Befunde gemeinsam mit Archäologen und Historikern in methodisch kontrollierter Weise ausgelotet werden.91 POLEMIK GEGEN ETHNOGENESE Das Werk Wolframs wurde international und vor allem in der angelsächsischen Welt breit rezipiert, was gerade seine Kritiker bestätigen.92 Der Ethnogenese-Begriff, verbunden mit einem mehr oder ­weniger von Wolframs Werk geprägten Ansatz, brachte in verschiedenen Bereichen der Frühmittel­ alterforschung einen Erkenntnisgewinn.93 Begriff und Modell wurden auch produktiv auf vormoderne

Patrick J. Geary, Before France and Germany. The Creation and Transformation of the Merovingian World (New York/ Oxford 1988) vi; dt.: Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen (München ³2007) 1. Zustimmend zitiert von Wolfram in Gotische Studien, 63. 89 Patrick J. Geary, The Myth of Nations. The Medieval Origins of Europe (Princeton 2003) 15–40; dt.: Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen (Frankfurt am Main 2002) 53–76. 90 Geary, Myth of Nations 157–171 (dt. 177–190), aufbauend auf Alfred T. Bryant, Olden Times in Zululand (London 1929). 91 Siehe den Beitrag von Patrick Geary, in diesem Band; sowie Carolos E. G. Amorim/Patrick J. Geary/Krishna R. Veeranah et. al, Using Paleogenomic Data to Understand the Sixth Century. Barbarian social Organization and the Longobard Migra­ tion, submitted to Nature Communications (2018). 92 The ethnogenesis approach „has arguably achieved the highest profile of current approaches to ethnicity in the early Middle Ages, certainly in English-language studies“: Andrew Gillett, Ethnogenesis: A contested model of Early Medieval Europe, in: History Compass 4, 2 (2006) 241–260, 242. 93 Siehe z.B. Jörg Jarnut, Geschichte der Langobarden (Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1982); ders., Herrschaft und Ethno­ genese im Frühmittelalter. Gesammelte Aufsätze von Jörg Jarnut, ed. Matthias Becher (Münster 2002); Frühmittelalter­ liche Ethnogenese im Alpenraum, ed. Helmut Beumann/Werner Schröder (Nationes. Historische und philologische Unter­ suchungen zur Entstehung der europäischen Nationen im Mittelalter 5, Sigmaringen 1985); Ethnogenesen europäischer Völker. Aus der Sicht der Anthropologie und Vor- und Frühgeschichte, ed. Wolfram Bernhard/Anneliese Kandler-Pálsson (Stuttgart/New York 1986); Ian N. Wood, Ethnicity and the ethnogenesis of the Burgundians, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Österr. Akademie der Wissenschaf­ ten, phil.-hist. Kl., Denkschriften 201, Veröffentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung 12, Wien 1990) 53–69; Stefano Gasparri, Prima delle nazioni. Populi, etnie e regni fra Antichità e Medioevo (Roma 1997); Allen A. Lund, Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese (Heidelberg 1998); Matthias Becher, Non enim habent reges idem ­Antiqui Saxones – Verfassung und Ethnogenese in Sachsen während des 8. Jahrhunderts, in: Studien zur Sachsenfor­ schung 12 (1999) 1–32; Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze 1 = Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese 1, ed. Rajko Bratož (Ljubljana 2000); Hans-Werner Goetz, Gentes in der Wahrnehmung frühmittelalterlicher Autoren und moderner Ethnogeneseforschung. Zur Problematik einer gentilen Zuordnung von Personennamen, in: Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuches des Frühmittelalters, ed. Dieter Geuenich/Wolfgang ­Haubrichs/Jörg Jarnut (RGA Erg. Bd. 32, Berlin/New York 2002) 204–220; Wolf Liebeschuetz, The debate about the ethno­ gensis of the Germanic tribes, in: From Rome to Constantinople. Studies in Honour of Averil Cameron, ed. Hagit Amirav/ Bas ter Haar Romeny (Leuven/Paris/Dudley, MA 2007) 341–57; Wolf Liebeschuetz, East and West in Late Antiquity: Invasion, Settlement, Ethnogenesis and Conflicts of Religion (Leiden 2015). 88

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Identitätsbildung an anderen Weltgegenden angewandt.94 Doch „anyone concerned with the history of the Goths must be resigned to being misunderstood, falsely praised, or rejected“, hatte Wolfram schon 1981 vorausgesehen.95 Die Goten blieben seither im Zentrum des Interesses, sozusagen der Testfall, an dem das ganze Geflecht der Debatten über die Übergangszeit vom Imperium zu den Regna immer wie­ der aufgerollt wurde.96 Freilich begannen, bis auf einzelnen Widerspruch von konservativer Seite, die Debatten seltsam zeitverzögert. Das hatte mit mehreren langfristigen Veränderungen des intellektuellen Klimas zu tun, die auch die Frühmittelalterforschung betrafen. Erstens verblasste die Erinnerung an die deutschnationale Germanenforschung und ihre letzte Blüte in einem unmenschlichen Regime; es war leicht geworden, ihre Positionen zu ignorieren und zugleich pauschal zu verdammen. Die Generationen von Wenskus und Wolfram hatten sich an der Auseinander­ setzung mit der ‚Germanischen Altertumskunde‘ in einer zuletzt vom Nationalsozialismus geprägten Epoche abgearbeitet, aber bis zu einem gewissen Grad auch an ihren Ergebnissen anknüpfen müssen. Sie hatten alternative Positionen entwickelt, die aber noch Zeitgebundenes enthielten. Erst die zeit­liche Distanz ermöglichte es, sich ganz von der älteren Germanenforschung zu lösen. In solchen Phasen wird die Kritik leicht zum Reflex, der bestimmte Begriffe und Argumentationsweisen pauschal anlehnt. Zwei­ tens betrafen die seit den 1980er Jahren in der Geschichtswissenschaft virulenten ‚turns‘ – l­ iterary turn, cultural turn, Postmoderne, Dekonstruktion – in besonderer Weise ein quellenarmes Forschungsfeld, das weitgehend auf der Auswertung einzelner Textpassagen beruhte. Dieser dekonstruktive ­Impetus war gerade auf diesem Gebiet außerordentlich wichtig und löste produktive Denkprozesse aus.97 ­Jedoch herrschte bald ein recht pauschaler Gestus vor, der reflexhaft die Quellen als undurchsichtigen ‚­smokescreen‘ und soziale Gruppen als ‚socially constructed‘ (und daher nicht Teil der gesellschaft­ lichen Realität) abqualifizierte.98 Drittens stieg ganz allgemein die Abneigung gegen Themen der Identität und Ethnizität; darin konvergierten ganz unterschiedliche Haltungen, unter anderem positivistische Theoriefeindlichkeit, ­marxistische Kritik an falschem Bewusstsein, der Abbau nationaler Identitätsbindungen, Hoffnungen in die europäischen Einigung oder postkoloniale Abneigung gegen Identitätspolitik zur soziale Kontrolle von ‚Minderheiten‘. Paradoxer Weise konnten sich daher konservative historische Positivisten, post­ moderne Dekonstruktivisten und marxistische Intellektuelle darauf einigen, dass Identität und Ethnizität ein unpassendes Thema voller ideologischer Risiken war.99 Viertens, und das war eine spezifische Ent­ wicklung in einem fachnahen Bereich, wurde die Anwendung ethnischer Kategorien bei der Deutung archäologischer Befunde zum Thema, das zeitweise sehr kontroversiell diskutiert wurde.100 Insgesamt Z.B. Bas ter Haar Romeny, Ethnicity, ethnogenesis and the identity of the Syriac Orthodox Christians, in: Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, 300–1100, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Richard Payne (Farnham/Burlington 2012) 183–204; Peter B. Golden, Ethnogenesis in the tribal zone: the shaping of the Turks, in: Archivum Eurasiae Medii Aevi 16 (2008/09) 73–112; History, Power and Identity: Ethnogenesis in the Americas, 1492–1992, ed. Jonathan Hill (Iowa City 1996). 95 Herwig Wolfram, Gothic history and historical ethnography, in: Journal of Medieval History 7 (1981) 309–319, 309. 96 Siehe u.a. Peter Heather, Goths and Romans 332–489 (Oxford 1991); Heather, The Goths; Roger Collins, Visigothic Spain 409–711 (Oxford 2004); John Moorhead, Theoderic in Italy (Oxford 1992); Patrick Amory, People and Identity in Ostro­ gothic Italy, 489–554 (Cambridge 1997); Michael Kulikowski, Rome’s Gothic Wars from the Third Century to Alaric (New York/Cambridge 2008); The Ostrogoths from the Migration Period to the Sixth Century: An Ethnographic Perspective, ed. Samuel Barnish/Federico Marazzi (Woodbridge/Rochester 2007); Frank M. Ausbüttel, Theoderich der Große (Darmstadt 2003); Jonathan J. Arnold, Theoderic and the Roman Imperial Restoration (New York 2014); A Companion to Ostrogothic Italy, ed. Jonathan J. Arnold/M. Shane Bjornlie/Kristina Sessa (Leiden 2016). 97 Grundlegend Gabrielle M. Spiegel, history, historicism and the social logic of the text in the Middle ages, in: Speculum 65 (1990) 59–86. 98 Zur Debatte siehe Walter Pohl, Comparing communities – the limits of typology, in: Visions of Community. Comparative Approaches to Medieval Forms of Identity in Europe and Asia, ed. Andre Gingrich/Christina Lutter (History and Anthro­ pology 26/1, 2016) 18–35. 99 Zur Kritik des Identitätsbegriffs siehe u.a. Lutz Niethammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur (Reinbek 2000); Rogers Brubaker/Frederick Cooper, Beyond ‚Identity‘, in: Theory and Society 29 (2000) 1–47. 100 Guy Halsall, Early Medieval Cemeteries. An Introduction to Burial Archaeology in the Post-Roman West (New Light on the Dark Ages 1, Skelmorlie 1995); Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen (RGA Erg. Bd. 42, Berlin/New York 2004); Philipp von Rummel, Habitus bar­ barus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert (RGA Erg. Bd. 55, Berlin/New York 2007). 94

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verstärkten diese Tendenzen weniger die Diskussionsbereitschaft als den Unwillen, sich mit dem Thema frühmittelalterlicher Ethnizität genauer auseinanderzusetzen. Ein gewisser pauschaler Gestus charakterisierte auch die Polemik, die Walter Goffart gegen das führte, was er ‚Ethnogenesis theory‘ nannte. Goffart hatte zunächst Wolframs Gotenbuch positiv aufge­ nommen: „it is now the necessary point of departure for advanced study of the Goths.” Er warf die durchaus diskussionswürdige Frage auf: „Can these events be narrated as Gothic history rather than from an imperial perspective?”, nannte aber Wolframs Zugang innovativ.101 Wolfram nahm seinerseits die Thesen Goffarts zur Barbarenansiedlung mit großem Interesse zur Kenntnis.102 Grundlegende Mei­ nungsverschiedenheiten wurden erst in Goffarts 1988 publizierten ‚Narrators of Barbarian History‘ sichtbar.103 Das Buch war zweifellos ein großer Wurf und hatte das Verdienst, einige lange mit ober­ lehrerhaftem Gestus als eher zufällige Kompilationen unterschiedlichen Materials in schlechtem Latein abqualifizierte Hauptwerke frühmittelalterlicher Historiographie als bewusst gestaltete Texte ernst zu nehmen und mit literaturwissenschaftlichen Ansätzen zu analysieren. Goffart hat die Autoren und ihre Texte, darunter die Getica des Jordanes, eingehend in ihrem historischen Umfeld diskutiert, wenn auch manche seiner Schlussfolgerungen überzogen sein mochten – die Getica als „love story“.104 Die litera­ rische Analyse wurde aber aus Wiener Sicht auf Kosten der historischen Quellenkritik überbetont, der Quellenwert der frühmittelalterlichen Historiographie insgesamt sehr gering eingeschätzt: Von Jordanes hieß es, „truthful history survived the passage through his hands only by accident.“105 Auf einer großen Zwettler Tagung über Historiographie im Jahr 1993 wurde viel über, leider nicht mit Walter Goffart diskutiert und die Besorgnis geäußert, dass durch seinen Ansatz Geschichte von Geschichtsschreibung getrennt zu werden drohte.106 1995 veröffentlichte Walter Goffart einen Aufsatz mit dem unauffälligen Titel ‚Two notes on ger­ manic antiquity today‘. Die erste dieser kleinen Abhandlungen, „How damaging was the Nazi period to ­studies of the Early Germans?“, kritisierte, dass Wenskus und Wolfram sich zwar von der Nazi-Ideologie distanziert, aber unreflektiert deren Grundlagen übernommen hätten: die deutsche Altertumskunde, die seit Grimm auf methodisch unzulässige Weise eine Kontinuität der germanischen Vergangenheit mit der deutschen Gegenwart verfochten hatte.107 Der zweite Teil warf am Beispiel der Getica das grundlegende Problem auf, wie weit aus Herkunftsgeschichten wie denen der Goten überhaupt historische Schluss­ folgerungen über die entferntere Vergangenheit gezogen werden können; da vertrat Goffart eine sehr skeptische Position: „The early Germans are disadvantaged: Vast tracts of their past are unknowable for lack of evidence. Never mind. Only let what there is be as solidly founded as possible [...]“.108 Wolframs optimistischere Rekonstruktion einer „gentilen Memoria“ stand gegen eine grundsätzlich skeptische Position, nämlich dass die ‚fiction of fact‘ der ‚Narrators of Barbarian History‘ „may […] tell us more

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Anders Volker Bierbrauer, Zur ethnischen Interpretation in der frühgeschichtlichen Archäologie, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 322, Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 45–84. Walter Goffart Review of Herwig Wolfram, Geschichte der Goten, in: Speculum 57 (1982) 444–447. Walter Goffart, Barbarians and Romans, AD 418–584. The Techniques of Accommodation (Princeton 1980); Herwig Wolfram, Zur Ansiedlung reichsangehöriger Föderaten. Erklärungsversuche und Forschungsziele, in: MIÖG 91 (1983) 5–35; Anerkennung und Integration. Wolframs Reaktion darauf war nicht zuletzt der Aufsatz Herwig Wolfram, Origo et Religio. Ethnic traditions and literature in early medieval texts, in: Early Medieval Europe 3 (1994) 19–38. Ebd. 26 geht er davon aus, dass das Material durch die mündliche Überlieferung „deeply transformed“ wurde, besteht aber darauf, dass in der lateinischen Historiographie Spuren germanischer Traditionen enthalten sind. Walter Goffart, The Narrators of Barbarian History, AD 550–880. Jordanes, Gregory of Tours, Bede and Paul the Deacon (Princeton 1988) 109. Goffart, Narrators 108. Patrick. J. Geary, Frühmittelalterliche Historiographie. Zusammenfassung, in Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien 1994) 539–542, hier 542: „The spider’s web that Walter Goffart spins for us, threatening to detach historiography from history.“ Geary versuchte hier die Herausforderung von Goffarts Thesen an die Forschung und die dadurch entstandene Verunsicherung herauszuarbeiten, nicht dagegen zu polemisieren; in der Verknappung auf vier Seiten mag das so missverstanden worden sein. „The idea that the defects of ‚germanische Altertumskunde‘ stem from something as recent and reprehensible as Nazism is wishful thinking.“ Walter Goffart, Two notes on Germanic antiquity today, in: Traditio 50 (1995) 9–30, hier 19. Goffart, Two notes 29.

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about the age they lived in than the information wrested from their pages.“109 Goffarts Zugang passte gut in jene Jahre, als der Impuls der Dekonstruktion und (Inter-)textualität die Geschichtswissenschaft erfasste, auch wenn er selbst kaum postmodern, sondern literaturwissenschaftlich inspiriert war. Seine Kritik war durchaus diskussionswürdig. Freilich ließ der fundamentale Vorwurf, wesentliche Teile von Wolframs Gotengeschichte seien schlicht „unknowable“, wenig Raum für eine Debatte. Goffart und einige seiner Schüler (Alexander C. Murray, Andrew Gillett) blieben beim Thema; auf einen Sammelband ,On Barbarian Identity‘ folgte Goffarts Buch ,Barbarian Tides‘ nebst zahlreichen Aufsätzen.110 Wenskus, Wolfram und weitere damit verbundene Autoren wurden mit dem Etikett ‚Ethno­ genesis theory‘ charakterisiert. Aus welchen Gründen auch immer, die Töne wurden schriller. Auf diese eher denunziatorische als sachliche Kritik war schwer zu antworten, da sie vorwiegend auf Missver­ ständnissen und Fehlinterpretationen beruhte; Wolfram hat darauf nicht reagiert und ich selbst nur in einer Response in ‚On Barbarian Identity‘.111 Das hat dazu geführt, dass Wolframs und bald auch mein Werk zunehmend durch die verzerrende Brille der ‚Ethnogenesis theory‘ wahrgenommen wurde. Hier kann ich nur einige Punkte skizzieren, in denen die Wiener Positionen falsch dargestellt worden sind. „A funny thing happened to the Later Roman Empire on its way to the twenty-first century: it ran into a wave of ‚ethnicity‘ and ‚ethnogenesis‘“, so begann Walter Goffart 2006 sein Buch ‚Barbarian Tides‘.112 ‚Ethnogenesis theory‘ wird als universeller Erklärungsansatz des Wandels von der antiken zur mittel­ alterlichen Welt hingestellt: ein „current explanatory model of the post-imperial West, one that l­ocates the engine of change in the past of the Germanic World, rather than in Roman or Christian ­Antiquity (…) [it] interprets the transition from classical to medieval culture as driven not by e­ conomics, religion or warfare, but by ethnicity.“113 Es wäre sicherlich niemandem von den damit Gemeinten eingefallen, ein so simples Erklärungsmuster für die ‚Transformation of the Roman World‘ anzubieten. Das könnte man allenfalls aus dem Beginn von ,Stammesbildung und Verfassung‘ herauslesen, wo der germanische Gentilismus das römische Reichsbewusstsein der Provinzialen ablöst; Wolfram hat die Germanische Welt nie als die „engine of change“ verstanden.114 Die Idee des von Herwig Wolfram mitinitiierten Forschungsprogramms ‚Transformation of the ­Roman World‘ der European Science Foundation in den 1990er Jahre war es ja, von monokausalen Erklärungen für den Wandel der Römischen Welt wegzukommen und vor allem die Rolle der Barbaren in diesem Prozess zu hinterfragen.115 Das ist uns, und dem Programm, auch von Bryan Ward-Perkins und Peter Heather vorgeworfen worden, als sie 2005 für eine Rückkehr zum Modell der barbarischen Invasionen als Grund für den Fall Roms und den Untergang einer Zivilisation plädierten.116 Zu dem Band ‚Kingdoms of the Empire‘, der aus dem Projekt hervorging, bemerkte Ward-Perkins: „There is no hint here of invasion or force, nor even that the Roman empire came to an end; instead, there is a strong ­suggestion that the incomers fitted easily into a continuing and evolving Roman world.“117 Noch kritischer wurden die Arbeiten der ‚scuola di Vienna‘ von einer Gruppe italienischer Archäologen auf­ genommen: „Pohl leugnet die Existenz biologisch kompakter Völker, die stattdessen als viel fluider und veränderlicher als die heutigen verstanden werden sollten, und deren Zusammensetzung von kontin­ Goffart, Narrators 437; cf. Hayden White, Die Bedeutung der Form. Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung (Frank­ furt/Main 1990). 110 On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002); Walter Goffart, Barbarian Tides. The Migration Age and the Later Roman Empire (­Philadelphia 2006). 111 Pohl, Ethnicity, theory and tradition. 112 Goffart, Barbarian Tides 1. 113 Gillett, Ethnogenesis 242. Siehe auch ebd. 251: „Early medieval history is, in its essence, a continuation of Northern ­European proto-history, not of the Roman state that preceded the medieval kingdoms.“ Das, und der ganze folgende Ab­ schnitt, mag als Kritik an Höflers germanischer Kontinuitätslehre zutreffen. Besondere Aktualität besaß er 2006 nicht mehr. 114 Siehe Pohl, Gentilismus, mit Kritik an diesem Wenskus’schen Begriff. Cf. auch Walter Pohl, Rome and the barbarians in the fifth century, in: Antiquité Tardive 16 (2008) 93–101. 115 Siehe Wood, Transformation; Walter Pohl, The construction of communities and the persistence of paradox: an introduc­ tion, in: The Construction of Communities in the Early Middle Ages. Texts, Resources and Artefacts, ed. Richard Corradini/ Maximilian Diesenberger/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 12, Leiden/Boston 2003) 1–15. 116 Bryan Ward-Perkins, The Fall of Rome and the End of Civilization (Oxford 2005); Peter J. Heather, The Fall of the Roman Empire: a New History of Rome and the Barbarians (Oxford 2005). 117 Ward-Perkins, The Fall of Rome 9. 109

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genten und logischen Entscheidungen beeinflusst war [...] Nachdem er das Konzept einer germanischen Nation und von germanischen Völkern zerstört hat, [...] verlagert sich die Analyse auf die Probleme der kulturellen Kontakte zwischen Barbaren und Römern [...] Praktisch schufen die sozialen und poli­ tischen Strukturen der Spätantike die Bedingungen für den Prozess der Ethnogenese der europäischen ­Völker.“118 Eigentlich könnte das eine Kritik an Goffarts Position sein; jedenfalls beschreibt sie die ­meine besser als die Goffart-Gruppe das getan hat, auch wenn ich die Rolle der Barbaren und den Zerfall des westlichen Imperiums keineswegs leugnen würde. Der zweite Vorwurf Goffarts und seiner Schüler lautet, ‚Ethnizität‘ und ‚Ethnogenese‘ würden immer noch so wie der ‚Gentilismus‘ von Reinhard Wenskus ganz auf die Germanen eingeschränkt verstanden. „What distinguishes ethnogenesis models from those proposed by the social sciences (…) is its specific template for Germanic group formation.“119 Die Begriffe seien daher Chiffren für eine kontinuierliche außer- und anti-römische Tradition und dienten als Embleme eines essentialistisch verstandenen Germa­ nentums.120 Das entspricht den traditionellen Ansätzen der ‚Germanischen Altertumskunde‘, und auch das Konzept des Gentilismus in ,Stammesbildung und Verfassung‘ kann so verstanden werden. Doch Wolfram überschritt den germanischen Horizont; dass er die Bildung der poströmischen Regna wesent­ lich auf römischer Grundlage verstanden hat, wurde oben bereits skizziert. Man kann über Elemente ge­ sellschaftlicher Kontinuität und Veränderung bei den außerrömischen Gesellschaften diskutieren; bejaht man im Einzelnen solche Kontinuitäten, muss das nicht heißen, dass man sie für eine uralte ‚partikuläre Dynamik‘ hält, die ausschlaggebend bei der ‚Umwandlung der römischen Welt‘ war. Dadurch, dass die ‚Ethnogenesis‘-Kritiker Ethnizität ausschließlich im längst überholten Sinn der Volkstumslehre der einstigen ‚Germanischen Altertumskunde‘ auffassen, wird der Begriff unbrauchbar gemacht: es kann nur mehr darum gehen, nachzuweisen, dass Ethnizität damals bedeutungslos war. In diesem Sinn wurde drittens die Rede von Tradition als Versuch gedeutet, die Vorstellung von germanischer Kontinuität im Sinne Höflers zu bewahren. Wenn schon keine Kontinuität des Blutes be­ hauptet werden konnte, dann wenigstens eine der Kultur und Tradition sowie von adeligen ‚Traditions­ kernen‘. Diese Kritik an Wenskus ist durchaus vertretbar; aus neueren Wiener Publikationen ist ein sol­ cher Ansatz aber nicht mehr herauszulesen. Deshalb wird hier mit einer Entlarvungsstrategie gearbeitet. Neue Ideen werden als bloße Maskerade der ewiggleichen ‚Ethnogenesis theory‘ abgetan. Zum Beispiel wird behauptet, dass der Begriff ‚ethnic discourse‘ nichts anderes bedeutet als Wenskus‘ ‚Gentilismus‘. „The Ethnogenesis approach regularly homogenizes work of (…) diverse genre and provenance into a single body of evidence for ethnic beliefs, in order to search for underlying, northern European ‚ethnic discourses‘.“ Gillett’s Beleg dafür waren aber meine Überlegungen, warum spätantike Autoren kämp­ fende Gotinnen mit den Amazonen in der klassischen Mythologie und Ethnographie identifizieren. Es ging dabei um den griechisch-römischen ‚ethnic discourse‘ über Nordeuropa, nicht um einen vorrömi­ schen nordeuropäischen Diskurs.121 Die Grundannahme der Goffart-Schule, nicht-römische Traditionen könne es in der Spätantike gar nicht gegeben haben, zwang sie zu scharfer Polemik: sie erforderte ja den Nachweis, dass jeder Hinweis in den Quellen auf außerrömische Memoria oder ‚vor-ethnographische‘ Spuren nicht nur substanzlos Marco Valenti, Ma i barbari sono veramente arrivati in Italia?, in: Atti del V Congresso Nazionale di Archeologia ­Medievale, ed. Pasquale Faria/Giuliano Volpe (Firenze 2009) 25–30, 26 (meine Übersetzung aus dem Italienischen). Siehe auch ­Amalia Rossi, Antropologia sociale e storia dei processi etnogenetici nell’alto medioevo (secoli V–X), in: Achab, rivista di antro­ pologia 4 (2005) 4–9. 119 Gillett, Ethnogenesis 245. 120 „This model proposes that particular dynamics of ethnic identity-formation predated the hegemony of Roman imperialism and Hellenistic culture; they served as the dominant ideological bond for societal cohesion in proto-historical European cultures. Muted by Roman domination, these ethnic dynamics revived in the course of the late antique/early medieval period, [...] becoming the basis for the formation and maintenance of both ‚peoples‘ and ‚states‘ in early Europe.“ Gillett, Ethnogenesis 243. 121 Gillett, Ethnogenesis 246; Pohl, Gender and ethnicity. Meine Schlussfolgerung (ebd. 143) lautete: „The examples demon­ strate the power of ethnic narrative: If fighting women existed, they were likely to be Amazons.“ Ethnische Kategorisierun­ gen waren in der spätrömischen Welt virulent, selbst wo sie so paradox waren wie die Vorstellung von einem Volk, das nur aus Frauen besteht. Ebd. 140: „This paradox can tell us much about the way in which barbarian identities were perceived in the Late Roman Empire, and in which this otherness served to reinforce Roman self-perception.“ Daraus die Suche nach einem „underlying Northern European discourse“ machen, erfordert schon eine gute Dosis Voreingenommenheit. 118

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war: sie als Quellen ernst zu nehmen, war bereits ein Beweis eines ewig gestrigen Zuganges.122 Es konnte nur am Glauben an eine ungebrochene germanische Kontinuität von der Urzeit bis heute liegen: „the vision of an unbroken, millennial, tradition-rich development of the Germanic/German peoples is conjured up“.123 In ,Barbarian Tides’ charakterisierte Goffart mein Buch ,Die Germanen’ so: „It shows extreme reluctance to sever ties with older scholarship. Pohl is, of course, committed to the existence of his subject, a coherent ‚Germanic‘ people foreshadowing the ‚Deutsche‘ of today.“124 Der erste Satz des so kritisierten Buches lautete: „Ein Volk, das sich Germanen nannte, hat es vielleicht nie gegeben.“125 Es ging nicht um ein Verständnis der Argumentation der Gegenseite und ihrer Veränderungen, sondern nur um den Nachweis, dass hinter all den neuen Ideen immer noch die anrüchige ‚Germanische Alter­ tumskunde‘ stand. Charles Bowlus schrieb im Band ,On Barbarian Identity‘ eine Response zu meiner ­Response unter dem düsteren Titel ,Ethnogenesis: The Tyranny of a Concept‘. Er machte sich allerdings nicht die Mühe, nachzusehen, wer den Begriff Ethnogenese (oder auch Traditionskern) damals über­ haupt noch verwendete und wozu.126 Paradoxer Weise taten die Kritiker genau das, was sie als Vorwurf vor sich hertrugen: sie suchten in den kritisierten Texten nach Passagen, die ihre vorgefasste Meinung zu bestätigten schienen, ohne Rücksicht auf den Zusammenhang.127 Ein alternativer Zugang zu ­Problemen der Ethnizität wurde nicht vorgeschlagen; es blieb nur die Option, sich damit gar nicht mehr zu beschäf­ tigen. Eine produktive Debatte konnte so nicht entstehen.128 Das ist schade. Es gab ja viel mehr common ground, als die Polemiker wahrhaben wollten. Die Gruppe der Kritiker der ‚Ethnogenesis theory‘ hat immerhin auch durchaus bedenkenswerte Kritikpunkte vorgebracht. Erstens hat Gillett recht, dass der Anschluss von neuen (Krieger-)Gruppen an erfolgreiche gentes nicht notwendiger Weise zur Assimi­ lation und Ethnogenese führte.129 Unterscheidbare Gruppen wie die der Alanen im Vandalenreich, der ­Rugier im Ostgotenreich, der Gepiden unter awarischer Herrschaft oder der Bulgaren im langobardi­ schen Dukat von Benevent konnten offenbar teils jahrhundertelang ihre Differenz aufrecht erhalten. Das musste kein Widerspruch zur allmählichen Übernahme der herrschenden Identität sein. Das Edikt ­Rotharis regelte die Aufnahme zuwandernder Soldaten, waregang, die nach langobardischem Gesetz leben mussten, wenn ihnen der König keine Ausnahme gestattete. Aus der Zugehörigkeit zum exercitus Langobardorum und aus dem Bekenntnis zu den leges Langobardorum ergab sich zunächst Äquivalenz mit dem Status der Langobarden, aber auch ein Rest von sozialer Distanz, die noch in die nächsten ­Generation übertragen wurde: Si filius legitimus habuerint, heredes eorum existant sicut et filii lango­ bardorum – wie die Söhne der Langobarden, noch nicht als Langobarden.130 In der Regel wird die ­Differenz dann verblasst sein. Positive Zeugnisse für Assimilation sind allerdings selten, weil Diffe­ renz in den Quellen eher zum Thema wird als ihre Überwindung. Das Verschwinden von Minderheiten (­Goten oder Gepiden im Langobardenreich, Sachsen oder Alanen im Merowingerreich) aus den Quellen ist im Einzelfall noch kein Beweis für ihre erfolgreiche Assimilation, deutet aber doch auf allgemeine Tendenzen. Jedenfalls wurden in Frankreich die Nachkommen der Römer letztlich zu Franzosen, in der Cf. Walter Goffart, Does the distant past impinge on the migration age Germans?, in: On Barbarian Identity. Critical ­Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 21–37. 123 Goffart, Does the distant past 36. 124 Goffart, Barbarian Tides 274. 125 Walter Pohl, Die Germanen (Oldenbourgs Enzyklopädie der deutschen Geschichte 57, München 2000) 1. Der Titel ,Die Germanen‘ war vom Verlag vorgegeben und wird im Text problematisiert. 126 Charles Bowlus, Ethnogenesis: the tyranny of a concept, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 241–256. 127 „Traditionskern theory operates at a distance from its sources“: Andrew Gillett, Introduction: ethnicity, history, and methodo­logy, in: On Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 1–18, 15; vgl. ders., Ethnogenesis 249. 128 Einen ausführlichen Überblick über die Debatte aus seiner Sicht bietet Peter Heather, Ethnicity, group identity and s­ ocial status in the migration period, in: Franks, Northmen and Slavs. Identities and State Formation in Early Medieval ­Europe, ed. Ildar H. Garipzanov/Patrick J. Geary/Przemysław Urbańczyk (Turnhout 2008) 17–50; see also Liebeschuetz, The ­debate; Audrey Becker, Ethnicité, identité ethnique. Quelques remarques pour l’antiquité tardive, in: Gerión 32 (2014) 289–305. 129 Gillett, Ethnogenesis 248. 130 Edictus Rothari 367 (ed. Friedrich Bluhme, MGH LL 4, Hannover 1868) 3–90, 85. In Ermangelung legitimer Söhne musste allerdings die Zustimmung des Königs zum Testament eingeholt werden.

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Lombardei zu Lombarden, und nahmen dabei jeweils den Namen der herrschenden Minderheitsbevöl­ kerung an. Massenhafte Assimilation war also möglich, wurde aber von den Quellen kaum registriert. Der Begriff Ethnogenese sollte nicht dazu verleiteten, den unterschiedlichen Verlauf von Assimilie­ rungsprozessen einzuebnen. Ein zweiter Punkt betrifft die ethnischen Selbstaussagen in Herrschertiteln. Herwig Wolfram hatte in den Intitulatio-Bänden das Material bereits gesammelt; Andrew Gillett hat es nochmals übersichtlich zusammengefasst und daraus statistische Schlüsse gezogen. Der absolute Herrschertitel ist in den Regna vor allem im 5./6. Jahrhundert wesentlich häufiger als der ethnische.131 Wie schon Wolfram gezeigt hat, ist es naheliegend, dass Theoderich als Herr über Italien den absoluten Königstitel rex bevorzugte, da er ja nicht nur König seiner Goten war.132 Dass ‚ethnische‘ Königstitel in der poströmischen Zeit irre­ levant waren, ergibt sich daraus aber nicht; beim Vandalenkönig Hunerich oder beim Westgotenkönig Alarich II. sind sie ja bezeugt. Welcher Titel gebraucht wurde, hing offenbar vom Adressaten ab: Bei den Langobarden verwenden die Königsurkunden, meist für kirchliche Institutionen, den absoluten Titel, während in den Prologen der Leges, die sich an die Langobarden wandten, rex gentis Langobardorum steht.133 Was aber deutlich wird, ist, dass der ethnische Titel nicht am Anfang am häufigsten verwendet wird, sondern tendenziell zunimmt – im Frankenreich erst seit dem späten 6. Jahrhundert. Das bedeutet, dass die ethnische Legitimierung der Herrschaft erst allmählich in der lateinischen Staatssprache an Bedeutung gewann. Das kann mehrere Gründe haben; es erfordert jedenfalls, die Bedeutung ethnischer Identitäten jeweils zeitgebunden zu untersuchen und nicht als Konstante vorauszusetzen.134 Ein dritter Punkt, der sich daraus ergibt, ist zentral für die Argumentation der ‚Ethnogenesis‘-Kriti­ ker: wie weit lässt sich, in der Diktion von Wenskus, anhand der Quellen ein Zusammenhang zwischen Tradition und Stammesbewusstsein zeigen – oder, offener formuliert, zwischen Text und Identität? Dieser Punkt war in der Argumentation der Goffart-Schule so sehr mit ideologischen Unterstellungen durchsetzt, dass er sich einer sachlichen Diskussion entzog.135 Ich möchte ihn daher aus der abgewoge­ neren neuen Darstellung von Shami Ghosh rekapitulieren: „A small corpus of texts“ – Jordanes, Isidor, Fredegar, Paulus Diaconus etc. – „show a concern with establishing a continuity between a distant past that was not Christian and not Roman in any sense, and the present, which was both Christian and in many respects Roman too [...] all these stories of the distant past draw to a significant extent on material not contained within earlier written historical narratives.“ Dieses Material, vermutet Ghosh, stammte aber aus „informal reports and/or relatively recent material: there is no evidence for an ancient, authen­ tic, and purely barbarian ‚oral tradition‘“. Die untersuchten Geschichtswerke „might be understood as intending to create, cultivate, or reflect some sort of notion of collective identity or ‚Wir-Gefühl‘“. Ob sie aber tatsächlich diese Funktion erfüllten, bleibt ungewiss: „We have little evidence on which any serious argument can be based. We cannot really use these texts as the basis for generalisations regarding ‚barbarian‘ or early medieval ‚ethnic‘ identity.“136 Mit Generalisierungen müssen wir sicher vorsichtig sein; eine ebensolche ist aber die Behauptung, wir hätten „no evidence“ für alte mündliche Überlieferung. Herwig Wolfram hat einige ‚serious argu­ ments‘ für die identitätsstiftende Bedeutung von Texten über die Vergangenheit zusammengetragen, die Andrew Gillett, Was ethnicity politicized in the earliest Medieval kingdoms?, in: On Barbarian Identity. Critical ­Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 85–121. 132 Wolfram, Intitulatio, 76–79. 133 Walter Pohl, Christian and barbarian identities in the early medieval West: introduction, in: Post-Roman Transitions. ­Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Turnhout 2013) 1–46, 15. 134 Walter Pohl, Introduction: Strategies of identification. A methodological profile, in: Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Turnhout 2013) 1–64. 135 Gillett, Ethnogenesis 249: „Critics of the ethnogenesis model insist that written sources need to be analysed as texts using traditional means of textual analysis (e.g. genre criticism, historical contextualisation) and current theoretical approaches to literary analysis (e.g. narratology) in order to establish cultural context and to analyse authorial purpose. The Ethnogenesis model assesses texts according to the extent of information they yield on identity forming processes“; ähnlich ebd. 251: „Twenty years of vigorous Classicist scholarship on the construct of ‚the barbarian‘ in Greco-Roman ethnographic thought [...] have not permeated Ethnogenesis or other early medievalist discussion“. Siehe jedoch z.B. Walter Pohl, Paulus Dia­ conus und die ‚Historia Langobardorum‘: Text und Tradition, in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/ Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien 1994) 375–405; ders., Germanen 45–65. 136 Shami Ghosh, Writing the Barbarian Past. Studies in Early Medieval Historical Narrative (Leiden/Boston 2016) 257–260. 131

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es verdienen, im Einzelnen geprüft zu werden, ohne dass man sich gleich um den gewaltig aufgeblase­ nen Popanz der ‚Ethnogenesis theory‘ kümmern muss. Nur ein Beispiel: Brüderpaare mit allitterieren­ den germanischen Namen kommen in verschiedensten Zusammenhängen vor, von den vandalischen Raos und Raptos im 2. Jahrhundert bei Cassius Dio137 über die Langobarden Ibor und A(g)io und ihre vandalischen Gegner Ambri und Assi in der Origo gentis Langobardorum des 7. Jahrhunderts138 bis zu Hengist und Horsa, den duces der Angeln.139 Jedes dieser Brüderpaare ist gemeinsam Anführer ­einer Wanderung und trägt stabreimende eingliedrige Namen mit (soweit eine Etymologie möglich ist) ­expressiven Bedeutungen (Hengst, Pferd, Eber, Schrecken).140 Es ist sicher diskutabel, ob die Namen auf Mythen über dioskurische Halbgötter verweisen oder nicht. Wer meint, dass dahinter nur „informal ­reports“ und „relatively recent material“ stecken, müsste bei der großen zeitlichen und räumlichen ­Streuung der Belege plausibel machen, wie das übereinstimmende Konstruktionsprinzip der Geschich­ ten sich sonst verbreiten konnte – hat der ein sehr simples Latein schreibende Autor der Origo g­ entis Langobardorum sich durch das voluminöse griechische Werk Cassius Dios durchgekämpft? Die Vorstel­ lung von ‚kulturellem Gedächtnis‘ an eine entfernte Vergangenheit ist ja keine verschrobene Besonder­ heit einer längst überholten ‚Germanischen Altertumskunde‘, sondern in den Kulturwissenschaften weit verbreitet.141 Man mag, wie es kürzlich Gadi Algazi getan hat, die Banalität der Dichotomie ­Erinnern/ Vergessen kritisieren und an die „manifold ways for reshaping representations of the past“ erinnern, die der Forschung zugänglich sind.142 ‚Fundierende Vergangenheit‘ ist dennoch in den meisten Gesellschaf­ ten wichtig. Um die Vorstellung von identitätsstiftender Vergangenheit als Interpretations­hypothese an Texte heranzutragen, ist wohl kein lückenloser Nachweis des tatsächlich verbreiteten Glaubens an Her­ kunftslegenden nötig. Bei viel besserer Quellenlage können wir, wie Paul Veyne gezeigt hat, auch die Frage „Glaubten die Griechen an ihre Mythen?“ nicht einfach beantworten.143 Die identitätsstiftende Wirkung von Herkunftserzählungen war wohl unterschiedlich; sie werden aber zu häufig wiederholt, um als belanglos gelten zu können. Klar ist jedenfalls, dass solche Narrative veränderlich sind und zumeist in verschiedensten Varianten kursieren, wie das in vielen anthropologischen Studien nachge­ wiesen ­wurde.144 Vieles spricht dafür, dass im 6. bis 8. Jahrhundert, in den Worten von Peter Brown, ‚the creation of a usable past happened all over the Christian world“, bis nach Armenien, ergänzt durch „the sheer verve and sense of urgency with which the Muslims of the late 7th century strove to preserve their own identity.”145 In diesem Sinn bemühten sich, wie Ghosh zeigt, christliche Geschichtsschreiber dieser Zeit darum, Kontinuitäten zu einer nichtchristlichen und nichtrömischen Vergangenheit herzustellen. Der Diskussionsspielraum bei der Beurteilung mündlicher Überlieferung und der Identitätswirksam­ keit von Texten sollte also nicht dem Dogma ihrer Unerforschlichkeit geopfert werden. Jeder Text und jeder Hinweis muss einzeln beurteilt werden, seine Gültigkeit kann nicht aus einem allgemeingültigen Prinzip (authentisch-germanische Tradition vs. reine literarische Fiktion) abgeleitet werden. Ghosh be­ tont auch richtig, dass unsere Texte gerade in dem Bestreben geschrieben wurden, eine Kontinuität Cassius Dio 71,12; zum Kontext Roland Steinacher, Die Vandalen, Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs (Stuttgart 2016) 23. 138 Origo gentis Langobardorum 1 (ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878) 2; siehe Wolfgang Haubrichs, Amalgamierung und Identität. Langobardische Personennamen in Mythos und Herrschaft, in: Die Langobarden. Herrschaft und Identität, ed. Walter Pohl/Peter Erhart (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2005) 67–102, hier 75f. 139 Beda, Historia Ecclesiastica gentis Anglorum 1,17, ed. J.E. King (Loeb Classical Library 246, London 1930) 1, 70. 140 Haubrichs, Amalgamierung 76, mit Literatur. Siehe auch Wolfram, Gotische Studien 117–19. 141 Siehe z.B. Jan Assmann, Kulturelles Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München 72013); Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (München ³2006); Chris Wickham/James Fentress, Social Memory. New Perspectives on the Past (Oxford 1992). 142 Gadi Algazi, Some critical remarks on memory, forgetting and history, in: Damnatio in Memoria. Deformation und Gegen­ konstruktionen in der Geschichte, ed. Sebastian Scholz/Gerald Schwedler/Kai-Michael Sprenger (Köln/Weimar/Wien 2014) 25–34. Vgl. Patrick J. Geary, Phantoms of Remembrance. Memory and Oblivion at the End of the First Millennium (Princeton/Chichester 1994). 143 Vgl. Paul Veyne, Glaubten die Griechen an ihre Mythen? (Frankfurt am Main 1987). 144 Siehe z.B. Jack Goody, The Power of the Written Tradition (Washington/London 2000), bes. 35–41; Toni Huber, Relating to Tibet. Narratives of origin & migration among highlanders of the far eastern Himalaya, in: Tibetan Studies. An ­Anthology, ed. Saadet Arslan/Peter Schwieger (International Association for Tibetan Studies, Königswinter 2010) 297–335; Narratives of Ethnic and Tribal Origins. A Eurasian Perspective, ed. Walter Pohl/Daniel Mahoney, in: Medieval History Journal, ­Special Issue (2018, im Druck). 145 Peter Brown, The Rise of Western Christendom (Malden/Oxford, 32013) 8f. 137

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zwischen der ‚barbarischen‘ Vergangenheit und der christlichen und in vielfacher Hinsicht römischen Gegenwart herzustellen; die Grenzen zwischen ‚römisch‘ und ‚barbarisch‘ wurden verwischt.146 Eine binäre Unterscheidung zwischen Römern und Germanen/Barbaren hat hier nur begrenzten heuristi­ schen Wert. Der verbreitete Ausgriff christlicher Gesellschaften auf eine wie immer ausgemalte heidni­ sche Vergangenheit zeigt gerade, dass sie offenbar für Autoren und Leser von Belang war. Gerade dass ge­legentlich Distanzbewusstsein sichtbar wird – Paulus Diaconus beurteilt die langobardische Origo ­zweifach als ridicula fabula – verrät, dass ein Autor solche Mythen nicht einfach weglassen konnte, auch wenn er sie selbst nicht ernst nahm.147 Aus diesen Überlegungen ergibt sich ein vierter diskussionswürdiger Punkt. Aus der richtigen Ein­ sicht, dass alle objektiven Faktoren ethnischer Zugehörigkeit nur beschränkte Gültigkeit haben, hatte Wenskus wie viele Autoren vor und nach ihm das subjektive Kriterium für ausschlaggebend gehalten. Das führt jedoch zu einem Quellenproblem, da wir ja Selbstaussagen von ‚Barbaren‘ nur in Ausnahme­ fällen haben. Vor allem für die Wanderzeit trifft das zu, aber auch in den Regna ist das Material begrenzt. Das muss nicht heißen, dass etwa im Ostgotenreiche gotische Identität keine Bedeutung hatte, wie Patrick Amory meinte: es wäre nur eine ‚ethnographic ideology‘ gewesen, die Zugang zu Privilegien verschaffte.148 Seine Unterscheidung zwischen ethnischer Identität und ethnographischer Ideologie geht aber von einer wenig hilfreichen Vorstellung von ‚eigentlicher‘ Ethnizität aus, die er sehr traditionell versteht. So lässt sich leicht nachzuweisen, dass die Ostgoten keine besaßen.149 Daraus, dass Grab­ inschriften keinen Hinweis auf die gotische Identität des Verstorbenen enthielten, lässt sich aber nicht deren Bedeutungslosigkeit ableiten. Wie Ralph Mathisen betont hat, finden sich seit dem 3. Jahrhun­ dert auf römischen Grabinschriften fast keine Hinweise mehr darauf, dass jemand Römer oder cives ­Romanus gewesen sei – das heißt bekanntlich nicht, dass römisches Bürgertum belanglos war.150 Identi­ fikation mit Völkern findet sich in Texten oft dort, wo sie problematisch ist (etwa die Selbstzuordnung des Jordanes als Gote in seiner Getica). Es ist aber richtig, dass bei der gegebenen Quellenlage im Frühmittelalter das Kriterium des sub­ jektiven Bekenntnisses unergiebig ist. De facto hatten Wenskus und umso mehr Wolfram politischen Erfolg und geschichtliche Wirkmächtigkeit als wesentliche Faktoren ethnischer Prozesse betrachtet. Die Selbstverortung durch gemeinsames Handeln lässt sich in unseren Quellen viel leichter nachvollziehen als ein ‚Wir-Gefühl‘. In der Historiographie der Zeit wird kollektives Handeln ziemlich konsequent ethnischen Gruppen zugeschrieben.151 Über ethnische Zugehörigkeit entschied also auch die soziale und politische Praxis. Das subjektive Kriterium sollte daher durch die Beurteilung von Hinweisen auf ge­ meinsames Handeln und konsistente Fremdwahrnehmung ergänzt werden.152 Das muss selbstverständ­ lich im Rahmen einer genauen Textkritik geschehen, wie das Helmut Reimitz am Beispiel der fränki­ schen Historiographie beispielhaft vorgeführt hat.153 Seit Wenskus haben sich mehrere Generationen von Kulturtheoretikern daran abgearbeitet, die Schei­ dung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissen und Handeln zu überwinden.154 Vorstellungen und Handlungsmuster sollten gemeinsam untersucht werden. Die Vorstellung, dass bestimmte Haltungen die Handlungen beeinflussen, war schon Zeitgenossen geläufig. Prokop geht an zentraler Stelle darauf ein, nämlich in der Rede Totilas zu seinen Truppen vor der verhängnisvollen Schlacht an den Busta Ghosh, Writing the Barbarian Past 258. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum 1, 8 (ed. Ludwig Bethmann/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878) 12–187, hier 52; Pohl, Paulus Diaconus. 148 Amory, People and Identity, bes. 314–321. 149 Zur Kritik einer solchen Vorstellung von ‚eigentlicher‘ Identität Richard Jenkins, Social Identity (London/New York ³2008) 1–15. 150 Ralph Mathisen, Romanness in Late Antique Gaul, in: Transformations of Romanness in the Early Middle Ages. Regions and Identities, ed. Clemens Gantner/Cinzia Grifoni/Walter Pohl/Marianne Pollheimer (Berlin/New York, im Druck). 151 Gillett, Ethnogenesis 252, versucht dieses sehr dichte historiographische Material als „Roman use of ‚umbrella‘ ethnic categories, employed to simplify diversity“ abzuwerten. In der Regel führen aber nicht „umbrella ethnic categories“ Krieg, erheben einen König oder setzen ihn ab, sondern soziale Gruppen, die gerade dadurch ‚real‘ werden. 152 Pohl, Strategies of identification. 153 Helmut Reimitz, History, Frankish Identity and the Framing of Western Ethnicity, 550–850 (Cambridge Studies in M ­ edieval Life and Thought: Fourth Series 101, Cambridge 2015). 154 Ausführlicher Überblick: Andreas Reckwitz, Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theoriepro­ gramms (Weilerswist 2000). 146 147

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Gallorum 552. Die Armee der Römer, so heißt es hier, ist aus einer außerordentlich großen Anzahl von Völkern (ethnē) zusammengesetzt. Man könne sich auf ihre pistis, die fides, dieses schwer übersetz­ bare Konglomerat von Treue, Glauben und persönlicher Bindung, nicht verlassen. Wer in der Herkunft (­genesis) gespalten ist, hat auch keine gemeinsamen Ziele.155 Was die Goten von den römischen Heeren unterschied, war nach Prokop die ethnische Loyalität, die zum Kampf motivierte. Prokops Intention der Kritik an Justinian und an einer Zeit, in der römische Heere fast nur aus Barbaren bestanden, ist deutlich, doch das Gegenbild ist nicht wie sonst oft in stilisierten Ansprachen an spätantike Heere altrömische Tugend, sondern die ethnische Kohäsion der Barbaren. Das entspricht der Beobachtung, wie hartnäckig die Ostgoten den Heeren Justinians Widerstand leisteten, auch wenn er aussichtslos schien.156 Auch die Goten Alarichs I. und seiner Nachfolger blieben trotz zahlreicher Misserfolge beisammen, während die Heere charismatischer römischer Generäle wie Bonifatius und Aetius nach deren Tod zerfielen. Es war also nicht einfach der Sieg, der ethnischen Zusammenhalt begründete; auch der umgekehrte Zusam­ menhang lässt sich herstellen. Die Frage, warum wandernde Barbarenheere zusammenblieben, hatte Wolfram übrigens schon in seinem Viator-Artikel über ,The shaping of the early medieval kingdom‘ von 1970 aufgeworfen.157 Unbestritten ist, dass wir viel weniger über die barbarischen Zuwanderer auf römischem Boden, ihr Bewusstsein und ihre Traditionen wissen, als man noch zur Zeit von Wenskus glaubte. Aber aussichts­ los ist es nicht, diesen Spuren nachzugehen. Die römische Matrix der postimperialen Reichsbildungen ist viel deutlicher geworden, und mit gutem Grund sprechen wir nicht mehr von ‚Germanenreichen‘, ‚Germanenrechten‘ oder gar germanischer Kultur in den Regna. Das muss allerdings nicht heißen, dass die Zuwanderer gar keine eigenen Traditionen hatten oder sie auf Reichsboden umgehend verloren, wie Goffart meinte.158 Goten oder Langobarden kamen sicher nicht ohne eigene Vorstellungswelt ins Römische Reich, auch wenn vieles davon wohl schon von jahrhundertelanger Nähe zu Rom geprägt war. Unter Sinologen wird derzeit debattiert, ob es korrekt ist, den benachbarten Steppenvölkern und den ‚barbarischen‘ Eroberern chinesischer Gebiete kaum eine eigene Kultur zuzubilligen außer herab­ gesunkenem chinesischem Kulturgut.159 Das sei eine sehr ethnozentrische Position, heißt es. Riskieren wir mit der ausschließlichen Betonung des Römischen nicht in eine ähnliche Haltung zu verfallen? So sehr wir die wissenschaftlichen Begleiterscheinungen der ideologischen Glorifizierung germanischen Herrenmenschentums überwinden müssen (und wenige Historiker haben dazu so viel beigetragen wie Herwig Wolfram), sollten wir die Barbaren nicht auf ihr mehr oder weniger misslungenes Römertum reduzieren. Die römischen Fremdwahrnehmungen waren keine reinen Phantasien. Dass die Römer sich bemühten, die Zuwanderer einigermaßen adäquat zu charakterisieren, zeigt sich etwa daran, dass sie in der Spätantike den Germanenbegriff für die eigene Epoche aufgaben; offenbar hatten diese ‚Germanen‘, wie wir sie nennen würden, nicht mehr genügend gemeinsam, um dem Namen Evidenz zu verleihen.160 Besonders dort, wo in unseren Texten Begriffe oder Motive auftauchen, die nicht aus der antiken Ethno­graphie stammen, können solche ‚vor-ethnographischen Daten‘, wie sie Wolfram genannt hat, als ­Spuren indigener kultureller Erinnerung ernst genommen werden. Solche Fragmente reichen nicht aus, um den ‚gentilen Traditionen‘ die Schlüsselstellung einzuräumen, die sie im Modell von Wenskus hatten. Völker ohne Vergangenheit sind es aber wohl nicht gewesen, die in römischen Provinzen die Macht ergriffen.

Prokop, De bello gothico VIII, 30, 17–18 (ed. und trans. Henry B. Dewing, History of the Wars 5, London/New York 1914) 366–369. Walter Pohl, ‚Pistis‘ e potere. Coesione etnica negli eserciti barbarici nel periodo delle migrazioni, in: ­Archeologia e storia delle migrazioni: Europa, Italia, Mediterraneo fra tarda età romana e alto medioevo, ed. Carlo Ebanista/Marcello Rotili (Cimitile 2011) 55–64. 156 Amory, People and identity 149–52 und 321–25, bringt das sehr interessante Beispiel des Gundila, der während des Goten­ krieges mehrfach die Seiten wechselt. Überlaufen von Armeeeinheiten nach ihrer Kapitulation kam ebenfalls wiederholt vor. Doch hätte solcher Opportunismus vorgeherrscht, hätte der Krieg kaum fast 20 Jahre gedauert. 157 Wolfram, Shaping of the early medieval kingdom. 158 Goffart, Does the distant past; ders., Rome’s final conquest. The barbarians, in: History Compass 6, 3 (2008) 855–883. 159 Vgl. Empires and Exchanges in Eurasian Late Antiquity. Rome, China, Iran and the Steppe, ca. 250–750, ed. Michael Maas/ Nicola di Cosmo (im Druck). Die Diskussion wurde auf der diesem Band zugrundeliegenden Tagung ,Worlds in Motion‘ am Institute for Advanced Study, Princeton, im Mai 2014 geführt. 160 Pohl, Germanenbegriff. 155

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NEUE WEGE Ethnizität ist heute ein kontroversielles Thema, gerade weil es unliebsame Aktualität besitzt. Als Wolfram das Gotenbuch schrieb, musste er weder rechtfertigen, warum er ethnische Kategorien ver­ wendete, noch erklären, was sie bedeuteten. Das hat sich inzwischen geändert. Ob wir die Goten über­ haupt als ethnische Gruppe verstehen können und ob sie sich selbst so verstanden, wird vielfach in Frage gestellt. Zum Teil liegt das an dem Unbehagen, das aufgeklärte Mitglieder der westlichen Kultur gegenüber den immer noch als naturhaft, ja atavistisch empfundenen ethnischen und nationalen Bin­ dungen und der daran anknüpfenden Identitätspolitik verspüren. Doch sollte dieses Unbehagen gerade ein Grund sein, Ethnizität und ihre Missbräuche besser zu erforschen.161 Wir bewegen uns in einem For­ schungsbereich, dessen Grundbegriffe – Volk, Stamm, Nation, Ethnizität, Identität – alle durch diffusen wissenschaftlichen Gebrauch ebenso wie durch ideologische und politische Aneignungen problematisch geworden sind. Das zeigt aber gerade, dass in diesem Feld wesentlicher Klärungs- und Orientierungs­ bedarf besteht, dem sich die Wissenschaft stellen muss. Das muss behutsam und ohne überzogene Er­ wartungen geschehen. ‚Identität‘ ist nicht die Antwort, sondern die Frage. Sie umschreibt einen weiten Kernbereich menschlicher Existenz, den wir noch unzureichend verstehen: Schnittstellen zwischen ­Individuum und Gemeinschaft, zwischen Selbstverortung und Kategorisierung von außen, zwischen Denken und Handeln, zwischen Prozessen und Zuständen, zwischen gesellschaftlichen Codes und Spielräumen der Veränderung, zwischen ‚native knowledge‘ und heutigen wissenschaftlichen Konzep­ ten. Diese Spannungsfelder gilt es produktiv zu machen. Die Frage, wieviel Ethnizität (in unserem Sinn) hinter den Völkernamen in den Quellen des Frühmittelalters steckt, erlaubt es, herkömmliche Katego­rien zu historisieren und ihre Bedeutung jeweils aus dem spezifischen historischen Kontext zu entwickeln. Das ist auch die Triebkraft dabei, neue Konzepte für Ethnizität zu entwickeln, die unserem spätantiken und frühmittelalterlichen Material angemessen sind. Ethnizität, das hat sich aus jüngeren Forschungen ergeben, ist nicht so sehr eine Qualität bestimmter Gruppen, sondern ein Einteilungsprinzip der sozialen Welt in Verbände, die mit Ethnonymen bezeichnet werden.162 Die ethnische Kontinuität zwischen der Römerzeit und dem Frühmittelalter ergibt sich also zunächst daraus, dass ein ausdifferenziertes und mit ethnographischem Wissen aufgeladenes römisches Einteilungsmuster selbstverständlich weiterbenützt wurde. Zunehmend diente es dazu, auch innerhalb des zerfallenden Imperiums zwischen politisch handelnden Gruppen zu unterscheiden. Das ist zunächst die wesentliche Quellengrundlage, um über die Rolle der Ethnizität in der poströmischen Zeit zu ur­ teilen: Kollektives Handeln wird fast durchgehend ethnisch benannten Gruppen zugeschrieben. Das entspricht zunächst römischen Fremdwahrnehmungen, die sich aber jahrhundertelang im Umgang mit Barbaren in Krieg und Frieden bewährt hatten. Nichts deutet darauf hin, dass die Barbaren eine grund­ legend andere Art hatten, kollektive Akteure zu benennen, auch wenn in später überlieferten volks­ sprachlichen Sagen teils Namen von Verwandtschaftsgruppen wie ‚Nibelungen‘ oder ‚Amelungen‘ eine wichtige Rolle spielten. Ethnizität als kognitives System der Unterscheidung sagt freilich noch wenig über die ethnischen Identitäten dieser Gruppen selbst aus, außer dass sie von den Autoren allgemein als handlungsleitend vorausgesetzt wurden. Die Bildung ethnischer Identitäten lässt sich besser als Er­ gebnis von Kommunikation und Interaktion begreifen. Sie ist das Resultat einer Abfolge von Akten der Identifikation.163 Dazu gehört die Selbstzuordnung von Individuen und kleineren Gruppen zu einer größeren ethnischen Einheit, die von anderen Mitgliedern der Gruppe akzeptiert werden muss. Weiters setzt Identitätsbildung die Selbstdarstellung dieser Einheit durch ihre Vertreter, in kollektiven Ritualen oder in wiederholtem gemeinsamem Handeln voraus. Auf diese Weise kann die Gruppe für die Fremd­ wahrnehmung durch Außenstehende fassbar werden. Das ist die Ebene der Identifikation, die uns in überlieferten Texten am leichtesten zugänglich ist. Unsere Quellen sind nicht nur Abbilder, sondern oft auch Spuren dieser Serie von Identifikationen, und konnten sie ihrerseits beeinflussen, natürlich abhän­ gig von der Distanz des Autors und dem jeweiligen Kommunikationszusammenhang.

„Ethnic Identities, whilst mutable, are among the most powerful means by which people organise their world.“ Halsall, Barbarian Migrations 45. 162 Pohl, Strategies of identification 2. 163 Siehe ausführlicher in Pohl, Strategies of identification 2f. 161

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Diese drei Formen der Identifikation – Selbstzuordnung, kollektive Repräsentation und Außen­ wahrnehmung – kommen selten völlig zur Deckung; doch setzt erfolgreiche Identitätsbildung alle drei voraus. Dabei kann es zu einer beträchtlichen Verfestigung von Identität kommen. Akte der Identifi­ kation werden routinisiert, Zugehörigkeiten können als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Das kann zum Paradox führen, dass gerade verfestigte Identitäten in unseren Quellen weniger Spuren hinter­ lassen, da sie als gegeben angenommen werden. Konsistente Außenwahrnehmung deutet daher in der Regel auf erfolgreiche Identitätsbildung im Inneren. Dabei ist es wenig zielführend, zu diskutieren, ‚ob‘ es jetzt ethnische Identitäten oder doch politische, militärische oder territoriale Zugehörigkeiten waren. Akte der Identifikation mit Großgruppen sind selten allein ethnisch bestimmt (in dem Sinn, dass als wesentliches Merkmal der Zusammengehörigkeit die gemeinsame Herkunft und innere Verbundenheit betrachtet wird). Politische, territoriale, soziale, religiöse und persönliche Identifikation waren mit­ einander in je unterschiedlicher Weise vermischt. Dabei schwankte die Virulenz ethnischer Identitäten (auf englisch ‚salience‘), nicht nur nach Zeit und Ort, sondern auch zwischen einzelnen Autoren oder Akteuren. Ein Indiz dafür ist der jeweilige Gebrauch ethnischer Terminologie in der Beschreibung von Großgruppen und politischen Gemeinschaften. Ethnizität lässt sich also am besten in engem Zusam­ menhang mit anderen Identitäten untersuchen. Das Forschungsfeld zu frühmittelalterlicher Ethnizität ist in Wien im Lauf der Zeit daher gewachsen; neue Fragen wurden aufgegriffen. Von den ‚Germanen‘ dehnte sich das Interesse schrittweise auf andere Völker, Steppenvölker, Slawen und nicht zuletzt Romanen aus.164 Über die Ethnogenese als formative Periode hinaus wurde die Entwicklung ethnischer Gruppen insgesamt untersucht. Wie schon erwähnt, erweiterte sich der Horizont auf die Frage von Identitätsbildung insgesamt, wobei auch das Problem des Identitätsbegriffes erörtert wurde. Das schließt auch den Aspekt individueller Identität ein; nach verbreitetem Verständnis können wir ja im Mittelalter (zumindest vor dem 12. Jahrhundert) nicht von ‚Individuen‘ sprechen, was einer verbreiteten Tendenz der Archaisierung des Frühmittelalters entspricht und weiter diskutiert werden sollte.165 Im Umgang mit den Quellen wurde methodisch wie pragmatisch die Frage nach dem Verhältnis von ,Texts and Identities‘ gestellt.166 Was konnte die Rolle der überliefer­ ten Texte für Identifikationen, Kategorisierungen oder auch Delegitimierung sozialer Gruppen gewesen sein? Dabei hat sich vor allem die handschriftliche Überlieferung, ihre Niederschrift und Wiederschrift als sehr wertvolles Untersuchungsgebiet erwiesen.167 Das Buch von Helmut Reimitz über die fränkische Historiographie als Quelle für die vielfältige und wechselvolle Geschichte der fränkischen Identitäten im Frühmittelalter stellt dabei einen methodischen Durchbruch dar.168 In diesem Zusammenhang wurde auch das Verhältnis von ,Sprache und Identität‘ problematisiert, ebenso wie die kontroversiellen Pro­ bleme einer ,Archäologie der Identität‘.169 Neben Studien über die Entwicklung eines einzelnen Volkes oder einer Gruppe von Völkern170 ­wurde immer stärker die Bedeutung von Ethnizität in der Zeit insgesamt zum Problem. Dabei stellte sich die Frage, wieso die neuen Staaten im poströmischen Europa eigentlich vorwiegend mit Volksnamen Pohl, Awaren; Early Medieval Europe 22, 4, themed issue Being Roman after Rome, ed. Rosamond McKitterick (2014); Transformations of Romanness in the Early Middle Ages: Regions and Identities, ed. Clemens Gantner/Cinzia Grifoni/ Walter Pohl/Marianne Pollheimer (Berlin/New York, im Druck). 165 Ego Trouble. Authors and Their Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Matthew Gillis/Rosamond McKitterick/Irene van Renswoude (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15, Wien 2010), bes. Walter Pohl, In­ troduction: Ego trouble?, ebd. 9–22; ders., Ursprungserzählungen und Gegenbilder. Das archaische Frühmittelalter, in: Meistererzählungen vom Mittelalter, ed. Frank Rexroth (Historische Zeitschrift, Beiheft 46, München 2007) 23–41. 166 Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philipp Shaw (Forschun­ gen zur Geschichte des Mittelalters 12, Wien 2006); Historiographies of Identity, 1: Ancient and Early Christian Narratives of Community, ed. Walter Pohl/Veronika Wieser (Turnhout, im Druck). 167 Vgl. Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendien­ überlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn-Bruck (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 18, Wien 2010). 168 Reimitz, History, Frankish Identity. 169 Sprache und Identität, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012); Archaeology of Identity/Archäologie der Identität, ed. Walter Pohl/Mathias Mehofer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 17, Wien 2010). 170 Z.B. Steinacher, Vandalen; Die Langobarden – Herrschaft und Identität, ed. Walter Pohl/Peter Erhart (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9, Wien 2005). 164

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bezeichnet wurden – auch wenn dieser Gebrauch nicht durchgehend war, so war er doch nachhaltig genug, dass heute noch Staaten und Regionen Frankreich, England, Burgund, Sachsen oder Lombardei heißen. Im islamischen Osten war das bekanntlich anders. Diese Beobachtung führte zum weit­räumigen Vergleich, vor allem im Projekt ‚Visions of Community‘.171 Warum entstand aus dem Zerfall des Han-Reiches oder des abbasidischen Kalifats kein ähnlich stabiles System von Staaten und Regionen mit vorwiegend ethnischen Bezeichnungen wie in Europa?172 Warum konnte z.B. der Name des Burgunder­ reiches, das nicht einmal ein Jahrhundert lang bestanden hatte, danach das ganze Mittelalter als prestige­ reiche Bezeichnung verschiedenster Reiche und Territorien dienen, während die Herrschaftsbereiche von Persern, Kurden oder Türken nicht ethnisch bezeichnet wurden, sondern meist nach den Dynastien? In diesem Zusammenhang ist das Verhältnis von Religion und Ethnizität ein wichtiges Thema gewor­ den. Was war die Rolle des Christentums bei der Stabilisierung der frühmittelalterlichen Regna und der entsprechenden ethnisch-politischen Identitäten? Schon 1970 hatte Wolfram unterstrichen: „The holy scriptures stressed the non-Roman concepts of king, nation, and the god-chosen state.“173 Besonders das Alte Testament konnte als Vorbild für die Identifikation mit einem Volk dienen, das Gott besonders ver­ bunden war.174 Aber auch aus der neutestamentarischen Aufforderung ‚Gehet hin und lehret alle Völker‘ ließ sich die heilsgeschichtliche Rolle der Gentes begründen. Vielleicht hilft das zu erklären, wieso aus Gallien ein Frank-Reich wurde oder aus dem Großteil Britanniens England, das Land der ­Angeln. ­Bedas Historia Ecclesiastica gentis Anglorum, ebenso wie die Historiae Gregors von Tours, sind zunächst Kirchengeschichten postimperialer Regna. Gregor war sogar bestrebt, die Rolle der Franken als Gens in seinem Werk möglichst gering zu halten; dennoch trugen diese Geschichten längerfristig zur Fixie­ rung und Legitimierung des ethnischen Bezugs der jeweiligen Regna bei.175 Die Frage ist letztlich, wie ­sozialer Zusammenhalt in überregionalen Herrschaftsbereichen hergestellt wurde. Ethnizität ist sicher nicht die simple Antwort auf diese schwierige Frage, aber sie kann zur Erklärung beitragen. Das ERCGrant-Projekt ‚Social Cohesion, Identity and Religion in Europe, 400–1200 (SCIRE)‘ hat Antworten auf diese Fragen gesucht.176 In Zukunft soll der an der poströmischen Zeit entwickelte Ansatz verstärkt an späteren Perioden des europäischen Mittelalters erprobt werden, zum Beispiel im Kontext des inter­ nationalen Forschungsnetzwerkes ‚The Transformation of the Carolingian World‘. Die Fragen, die Herwig Wolfram auf der Grundlage des großen, aber zeitgebundenen Entwurfs von Reinhard Wenskus über die Entwicklung der Völker des Frühmittelalters gestellt hat, sind also pro­ duktiv geblieben. Das Modell vom Traditionskern, das sich erst durch seine Kritiker als ‚Ethnogenesis theory‘ verfestigt hat, ist heute in vielem überholt. Das Bild der Goten oder der ethnischen Prozesse in Mitteleuropa, das Wolfram gezeichnet hat, ist im Übrigen aber weiter gültig. Seine Arbeiten bieten eine Vielfalt von Einsichten und Beobachtungen, die nicht auf ein simples Modell zu reduzieren sind. Es Siehe https://viscom.ac.at/home/; Visions of Community in the Post-Roman World. The West, Byzantium and the Islamic World, 300–1100, ed. Walter Pohl/Clemens Gantner/Richard Payne (Farnham/Burlington 2012); Meanings of Community in Medieval Eurasia, ed. Walter Pohl/Christina Lutter/Eirik Hovden (Leiden/New York 2016). 172 Siehe künftig Walter Pohl, Why did the break-up of the Western Roman Empire lead to the development of Kingdoms with ethnic names? sowie Hugh Kennedy, Why did the break-up of the Abbasid Calyphate in the tenth century not lead to the development of ethnically-based polities in the Middle East?, beide in: Empires and Communities in the Post-Roman and Islamic World, c. 400 –1000 CE, ed. Walter Pohl/Rutger Kramer (Oxford, im Druck); Shadows of Empire. Imperial Peri­ pheries in Early Medieval Eurasia, ed. Walter Pohl (Cambridge, im Druck). 173 Wolfram, Shaping of the early medieval kingdom 17. 174 Walter Pohl, Disputed identifications: The Jews and the use of Biblical models in the barbarian kingdoms, in: Jews and Barbarians, ed. Yitzhak Hen (Turnhout, forthcoming); ders./Gerda Heydemann, The rhetoric of election – 1 Peter 2.9 and the Franks, in: Religion and power in the Frankish kingdoms: Studies in Honour of Mayke de Jong, ed. Rob Meens/Dorine van Espelo/Bram van den Hoven van Genderen/Janneke Raaijmakers/Irene van Renswoude/Carine van Rhijn (Manchester 2016) 13–31. 175 Walter Goffart, From Historiae to Historia Francorum and back again. Aspects of the textual history of Gregory of Tours, in: Religion, Culture and Society in the Early Middle Ages. Studies in Honour of Richard Sullivan, ed. Thomas F. X. Noble/ John J. Contreni (Kalamazoo 1987) 55–76; Reimitz, History, Frankish Identity; Patrick Wormald, Engla Lond: the making of an allegiance, in: Journal of Historical Sociology 7 (1994) 1–24. 176 Siehe die Abschlussbroschüre ‚Social Cohesion, Identity and religion in Europe, 400–1200‘, zum Download unter http:// www.univie.ac.at/scire/index.php?seite=ressourcen&lang=de; Social Cohesion and its Limits, ed. Walter Pohl/Andreas Fischer (Wien, in Vorbereitung). The research leading to these results has received funding from the European Research Council in the Seventh Framework Programme (FP7/2007–13) under the ERC grant agreement No. 269591. 171

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braucht nicht zu verwundern, dass sich in einem halben Jahrhundert an den verwendeten Zugängen und Konzepten vieles geändert hat. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst Herwig Wolframs selbst, der an der Entwicklung neuer Zugänge bis heute gestaltend beteiligt ist. Das zeigt wiederum die Lebendigkeit der Geisteswissenschaften und die großen Fortschritte, die sie bei beharrlicher Forschung erzielen können.

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Political Identity, Ethnic Identity, Genetic Identity: The Dangers of Conceptual Confusion Herwig Wolfram launched the study of identity in early medieval history, but he did so with a nuance and insight that has too often been forgotten in recent years. In Vienna we have become so accustomed to think about ethnic identity, ethnicity, and ethnogenesis, that we forget that before Die Goten took him and three subsequent generations of Viennese medievalists down the path of ethnic identity, he wrote another book that launched an equally important search for identity in late Antiquity and the Early ­Middle Ages but he did so with a greater emphasis on agency, on context, and on situating what appear to be identities in complex matrices than has unfortunately characterized too many subsequent debates about identity. At the beginning of his Intitulatio 1, he quotes John 1: 19–22, the exchange between John the Baptist and those sent by the Priests and Levites to question him: Quid dicis de teipso? “What do you say about yourself?”1 From this starting point, he went on to examine how rulers formulated themselves in their official titulature, primarily in diplomas, by which they expressed not only a title but a program. The volumes of Intitulatio ultimately covered a wide chronological and geographical terrain, examining the subtle rhythms of royal and lordly self-representation and identity. We will return to Intitulatio, the self-identification programs it explores, and the problems and contradictions of other studies of political, ethnic, archaeological, and genetic studies, particularly when these very different disciplines use the same terminology to mean very different things, but we must begin first with a critique of that which these categories have in common: identity, for it is this term, rather than political, ethnic, or genetic, that is the most confusing of all.2 The term has become so ubiquitous, both in scholarly and in everyday discourse, that in the words of Rogers Burbaker and Frederick Cooper, “Identity tends to mean too much (when understood in a strong sense), too little (when understood in a weak sense), or nothing at all (because of its sheer ambiguity).3” This is indeed a fundamental problem with any project that attempts to grapple with identity: we think that we know what we mean when we use the term but, as Philip Gleason points out in a semantic history of the word some thirty years ago, “most of us would find it difficult to explain just what we do mean by identity.”4 Although it has deep European roots, the contemporary fascination with identity is largely an American invention and export commodity. It does, however, have a pre-history and one that bears considering, however briefly, because traces of its origins and early usages continue to haunt the term today. Identity appears already in Latin, first in the Latin translation of the writings of Eusebius of Nicomedia, a supporter of Arius, quoted by his supporter Candidus in his fourth century debate with Marius Victorinus.5 Candidus, probably the first Latin Christian neo-Platonist, introduces identitas, tellingly, in debates on the Trinity. Victorinus picks up and develops the term in his Adversus Arium.6 He asks Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien/Köln/Graz 1967) 9. 2 For a recent reflection on the problem of identity see Sydney Shoemaker, Identity & identities, in: Daedalus 135/4 (2006) 40–48. 3 Rogers Brubaker/Frederick Cooper, Beyond ‘identity’, in: Theory and Society 29 (2000) 1–47, at 1. 4 Philip Gleason, Identifying identity: A semantic history, in: The Journal of American History 69/4 (1983) 910–931, at 910. 5 Candidi Ariani Epistola ad Marium Victorinum rhetorem, in: Marius Victorinus. Traités théologiques sur la trinité 1 (ed. Paul Henry/Pierre Hadot, Sources Chrétiennes 68, Paris 1960) 180–182. On the use of the term see Jonathan Barlow, The emergence of identity/Alterity in late Roman ideology, in: Historia. Zeitschrift für Alte Geschichte 53/4 (2004) 501–502. 6 On Victorinus as an eclectic and independent neo-Platonic thinker see Marcia Colish, The Neoplatonic tradition: The ­contribution of Marius Victorinus, in: The Fathers and Beyond: Church Fathers between Ancient and Medieval Thought, ed. Marcia Colish (Variorum Collected Studies Series, 896, Aldershot-Eng./Burlington-Vt. 2008) 57–71. 1



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Patrick J. Geary

whether spiritus, λόγος, νοῦς, sapientia, and substantia are one or if they differ from each other, and he thus considers the paradox that if they are different from each other, what is common to them, and if they are different, then how can they be said to be the same.7 The essential question of course is whether one can say that God and the Logos, that is the Father and the son, are two or one. How can two be one being and yet different? In his discussion, he invents the term identitas, essentially his attempt to translate the Greek philosophical term ταυτότης, to argue that: “Two beings, even if they are not the same, and differ from each other, can nevertheless be the same according to a certain common character and according to this mode either they are different in ­identitate or in alteritate. And if they are the same in alteritate, they tend more toward alterity, but if they are different in identitate, it is this identitas that is more manifest.”8 This somewhat torturous birth of the term identity derives ultimately from Plato’s Timaeus via Porphyry and allows sameness even of things that contain alterity.9 As an analytical term, therefore, it depends on a neo-Platonic understanding of being and participation, without which the possibility of being the same and yet different is insoluble. This genesis of the term would continue to haunt it until today. The philosophical problem identity posed within Trinitarian discussions of sameness and distinction has a long history not only in theology but, ultimately, in the development of identity as it appeared in French and English before being transferred into German as Identität. Particularly significant in the English tradition was John Locke’s Essay on Human Understanding, chapter 27 of which is devoted to “Identity and Diversity.”10 Here he considers the meaning of identity for three types of beings: God, finite intelligences, and finally bodies. In matter he argues, “identity consists of every particle of matter, to which no addition or subtraction of matter being made, it is the same.” For animate beings, however, identity is not absolute and consists in the continuity of organization of construction of parts to a certain end. Likewise for humans, identity consists “in nothing but a participation of the same continued life, by constantly fleeting particles of matter, in succession vitally united to the same organized body.” What is the same is not the physical body but the individual living soul with its consciousness of itself and of its continuity. For Locke, as for other Christians, human identity is guaranteed by the conscious soul: “Consciousness alone unites actions into the same person.” This Lockean sense of human identity with its emphasis on consciousness is related both to the ­common use of the term in normal discourse and, ultimately, to the ways that it has developed as a technical term in social scientific studies. This decisive change is most closely associated with psychology and in particular that of American interpreters of Freud and especially in the process whereby indivi­ duals are transformed in whole or in part by the model provided by others. Freud however, and this is not trivial, does not write about Identity but rather about identification, that is a process, not a fixed state. The most influential figure to emphasize not identification but identity was Erik Erikson, the ­German-born developmental psychologist who, in his work with children in America, both highlighted and complicated identity, moving it to the center of psychological and, most importantly for us as historians, sociological study. Identity for Erikson is “a process ‘located’ in the core of the individual and yet also in the core of his communal culture, a process which establishes, in fact, the identity of these two identities.”11 This rather enigmatic description, as opaque as that of Victorinus, emphasizes not only the individual consciousness of selfhood but posits that this consciousness develops through the stages of life (considerably developed by Erikson) in dynamic relationship to participation in society. Although he describes identity as a process, he also, by the end of this convoluted definition, has established ­identity Marius Victorinus, Adversus Arium I, 48 (ed. Paul Henry/Pierre Hadot, CSEL 83/1, Wien 1971) 54–277 at 340. Si igitur quae sunt, etiam differentia sint et altera, quadam tamen communione eadem sunt, et secundum istum modum et eadem et altera sunt, et istud duobus modis, sive altera in identitate, sive eadem in alteritate. Sed si eadem in alteritate, magis in alteritatem vergunt: si autem altera in identitate, maxime identitas apparet. 8 Marius Victorianus, Adversus Arium I, 48, ed. Henry/ Hadot 340. See the commentary by Pierre Hadot, Marius Victorinus, Traités théologiques sur la trinité 2 (Sources Chrétiennes 69, Paris 1960) esp. 841–844. 9 Hadot, Marius Victorinus 841–42. 10 John Locke, An Essay Concerning Human Understanding (First published 1690) (ed. Jim Manis, The Electronic Classics Series, Hazleton, PA-1999) 311 sqq. For an introduction to the large and controversial literature on Locke’s discussion of identity see Harold Noonan, Locke on personal identity, in: Philosophy 53/205 (1978) 343–351; Vere Chappell, Locke and relative identity, in: History of Philosophy Quarterly 6,1(1989) 69–83. 11 Erik H. Erikson, Identity, Youth, and Crisis (New York 1968) 22, quoted in Gleason, Identifying identity 914.

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as a thing in itself, or perhaps two, one the identity of the individual, one the identity of communal ­culture. Thus conceived, identity is not simply personal and psychological but necessarily posits an engagement of the individual with a social and cultural identity existing apart from the individual from which the individual acquired norms, status, and roles that are an integral part of his or her identity. As Erik Erikson’s psychological work with children and adolescents began to reach a wider public following the 1963 second edition of his Childhood and Society, his notion of identity became confused with another notion of identity also derived from Freudian identification. As developed by the American psychologist Gordon Allport, identification conveyed “the sense of emotional merging of oneself with others,”12 a concept that he illustrated by suggesting that in this way a child came to know its membership in a social, religious, or ethnic community “and the ready-made attitudes that go with it.”13 Such an approach to identity connected well with sociologists such as Erving Goffman and Peter L. Berger who, as part of the symbolic interactionist school, explored how, in Philip Gleason’s formulation “social interaction, mediated through shared symbolic systems, shaped the self-consciousness of the individual.”14 The 1960s and 1970s saw an explosion of identity studies, not only in psychology but particularly in sociology, anthropology, and in the public sphere. Identity politics became fundamental to the American civil rights movement and to the mobilization of ethnic groups within the American electorate. Within sociology and anthropology, the understanding that individuals draw their identities from their societies shifted the focus from the individual’s identity to that of the community that generated this identity. Within American society, these communities were lumped into the trinity of race, class, gender. In a European context, particularly from the 1980s, ethnicity, outside of Britain, largely replaced race, which carried too many overtones of the 1930s and 1940s, while class studies declined with the triumph of liberalism in the academy and gender remained until recently marginal to mainstream male-­dominated scholarship.15 Ethnic and national identity, not simply as processes but as entities, either imagined or real, entered the mainstream of historical and sociological debate. At the same time, discussions of i­dentity have become increasingly influenced by the apparent disintegration of the stable ­consciousness that Locke posited as the hallmark of human identity. Stuart Hall, for example, has written of the “­disruption of identity,” the destabilization of identity which, he argues has taken place as a result of four i­ ntellectual turns. Marx pointed out that people make history but not under conditions that they have chosen; Freud’s analysis of the importance of the unconscious makes full self-knowledge impossible; Saussure showed that self-identification takes place within a language, that is, within a system we do not control; and finally, Hall argues, the relativization of the Western world with its rationalism suggests that western thought is not Truth, but, “in Foucault’s words, just another regime of truth.” 16 The result, he argues, is a displacement and fragmentation of the very notion of identity. In place of identity, he argues for a ­constant process of identification, a process that is never complete and also never fully capable of ­capture by language. Part of the impasse in such identity studies, Brubaker and Cooper argue, is that after a half century of identity studies, the term has lost whatever analytic value it might have had: the confusions, present from its inception, have become such that the term no longer can do the work demanded of it. These sociologists begin by pointing out that identity is at once a category of practice and of analysis. That is, it is used by ordinary people to make sense of their activities as well as by politicians to persuade Cited by Gleason, Identifying identity 916. Ibid. 14 Ibid. 17. 15 The political and ideological implications of identity and identity studies have been particularly a focus of the movement in Britain and North America termed Cultural Studies. See in particular the essays in the volume edited by Stuart Hall and Paul du Gay: Questions of Cultural Identity, ed. Stuart Hall/Paul du Gay (Los Angeles 1996), and in particular the introduction by Stuart Hall, Who Needs Identity, in: ibid. 1–17 and chapter six, Lawrence Grossberg, Identity and Cultural Studies – Is That All There Is?, in: ibid. 87–107. Grossberg is particularly concerned with identity and power, offering a critique of prevailing approaches to cultural identity because, in his terms, “they are ultimately unable to contest the formations of modern power at their deepest levels because they remain within the strategic forms of modern logic: difference, individuality, and temporality.” (Grossberg, Identity 93) Whatever the value of the critique within cultural studies or contemporary politics, the failure to historicize modernity limits its value as an analytical concept. 16 Stuart Hall, Ethnicity: identity and difference, in: Becoming National: A Reader, ed. Geoff Eley/Ronald Grigor Suny (New York 1996) 339–349. 12 13

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people that for certain purposes they are “identical” with others and thus must act collectively along ­certain lines.17 At the same time, it is used by social scientists as an analytical category. Of course, ­ideally one could say that social scientists are analyzing “identity talk” without positing the reality of these identities, but perhaps because many scholars are both analysts and protagonists of identity politics, the categories are constantly confused. This is equally true of those who might be classified as premordialists and those who are constructionalists, since the latter, no less than the former, accept that however multiple, fragmented, or fluid, there is a res that is represented by the nomen “identity.” Their bold suggestion is that we abandon the substantive “identity” altogether as an analytic ­category, employing a series of terms that better disaggregate and clarify the specific work that this overused noun has been asked to do. The first such cluster is identification and categorization. They suggest that rather than reifying identity, these alternative terms imply agency, whether or not the one doing the identification is explicitly named. This identification process, they point out, may be done by an individual in the Freudian tradition identifying himself or herself in terms of wider relations, but it may be done by states or other powerful organizations that attempt to exercise symbolic force including the power “to name, to state, and to categorize what is what and who is who.”18 A person’s “identity card” does not really indicate his or her self- identity: it indicates how the state identifies them. The second cluster is “self-understanding and social location.” Such terminology, they suggest, designates one’s sense of who one is, of one’s social location, and how, (given the first two) one is ­prepared to act. At the same time, they are aware that while self-understanding is a subjective, auto-­ referential term, it may be overridden by coercive external categorizations. To do the work of “identity” as understood as a collectivity existing to some extent outside of an individual’s self-understanding, they suggest a third set of terms, commonality, connectedness, and groupness. They propose that the principal advantage of this cluster of terms is that it allows some sense of connectedness to others or to groups without demanding a sense of overriding oneness implied by identity. In terms of groups as ethnicity, race, or religion, such terms denote a sharing of some common attributes without thereby demanding total identification with those sharing these attributes. The subjective aspect of this cluster of terms corresponds to Max Weber’s Zusammengehörigkeitsgefühl, which is not a necessary result of commonality or connectedness but can arise from particular events and the discourses and narratives in which these events are placed. Do the very real problems identified by Brubaker and Cooper mean that scholars really should ­banish identity, Identität, and the like from our professional vocabulary? The possibility of constructing a new and entirely unambiguous scientific language with which to discuss the real world is a chimera. As ­Sydney Shoemaker has pointed out, the bundle of meanings of the term identity are, in ­Wittgenstein’s terms, family resemblances, but this is no more true than for most words whose meaning is to be ­defined by use, not by some formal process of abstraction.19 In his critique of Brubaker, Richard Jenkins s­ uggests that he “pushes a broadly sensible argument to its logical extremity and winds up somewhere less ­sensible.”20 The fundamental issue is well known to medievalists: do universals (in this case groups) have ontological existence or mere nominal existence? We are once more, if not in the Trinitarian theo­ logy of Victorinus, in the nominalist philosophy of Ockham. We would do best to acknowledge that the use of identity which Brubaker would call “groupness” is indeed imagined, called into being through human agency, not simply discovered, however this does not make them less real or less worthy of study. The danger of studying such identities arises only if we forget agency or misidentify the agents of identification that produce these identities. If we attempt to relate these reflections on the term identity to historical questions we must first ­recognize that even if we believe ourselves to be constructionalists, trapped in terminology as we are, we tend to assume that the construction does build something with an independent existence that can be called identity, of whatever kind, rather than focusing on the processes of identification, self-understanding, and connectedness. Second, discussing identity as a noun rather than as a verb allows us to mask 19 20 17 18

Brubaker/Cooper, Beyond ‘identity’ 5. Brubaker/Cooper, Beyond ‘identity’ 15. Shoemaker, Identity & Identities 48. Richard Jenkins, Social identity (London/New York 22013) 9. For a further critique of the Brubaker and Cooper thesis see Martin Sökefeld, Reconsidering Identity, in: Anthropos 96/2 (2001) 527–544.

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or confuse who is identifying—ourselves or the people we are attempting to understand. Fortunately, Herwig Wolfram has already traced a way to do this. In his Intitulatio, Herwig Wolfram does not fall into the trap of assuming that identity exists or that titulature is identity. If the formulas consisted of a name, a legitimization or devotional formula, and a functional title, each element provided space for the careful construction of components of identification, identification that as he pointed out included all of the spheres of political and theological theory, one might indeed say that the political was the theological and the theological the political. We would do well to read (or perhaps to re-read) these volumes on Intitulatio, and in particular the introduction, in which he explains with great clarity and insight the importance of the self-expression contained in titulature and in particular how, in his words, “the Intitulation implies a multitude of possibilities: These are often politically effective even if they are not based on historical reality.”21 By this he means that titulature does not simply reflect reality but is rather a claim, and as such must be understood as a theoretical construct. Moreover, he reminds us that we must distinguish between those claims issuing from the holder of the titulature and those assigned by some other party or power. In the terms suggested by Brubaker and Cooper, it is in the first instance an identification and categorization, a strategy either ­engaged in by the titulature holder, or, as in the case of barbarian reges, by the Roman senate. The same analysis is implicit in his discussion of the gentile element in many titulatures of the ­early middle ages. While we may have today more complete catalogues of royal titulature as in Andrew ­Gillett’s article, “Was Ethnicity Politicized in the Earliest Medieval Kingdoms?,”22 mere catalogues completely miss Wolfram’s point that both absolute and limited royal titulatures are primarily historical and theological, making claims on the past but at the same time inventing and structuring this past through a complex intellectual process that cannot be reduced to claims about a reified ethnicity or ethnic identity. Of course ethnic identity, largely separated from titulature and applied to wider social and political groups, looms larger in the flood of literature unleashed by Herwig’s Geschichte der Goten, but here too much of the debate has missed the subtlety of his analysis as well as that of his successors in the Vienna school. I doubt that we can altogether abandon research into ethnic identity, either as the “ethnic construct” I termed it years ago,23 or as the “signs of ethnic identity” in Walter Pohl’s classic article in Strategies of Distinction.24 But we do need to constantly remind ourselves and our readers that, to use Brubaker’s terminology, instead of asking what an identity was we should concentrate on the agent who, within a specific historical context, was attempting to identify. In this way we avoid, I think, many of the problems that have bedeviled the less polemical disagreements about the nature of late ancient and early medieval categorizing. In particular, we can distinguish self-localizing, in the sense of individuals or groups making claims about how to locate themselves within an ethnic, legal, religious or political landscape, and the efforts of others to make these locations on their behalf. The work of the American medieval historian Helmut Reimitz is perhaps here most significant. When he looks at Frankish ethnicity in Gregory of Tours, he is able to present how this episcopal historian is using strategies to deny, or at least to denigrate, the possibility of localizing people within an ethnic construct in favor of other forms of commonalities, especially religious.25 Things get even worse when we move out of textual history to archaeology, particularly if we maintain identity as though it were a condition or state residing in the material that archaeologists study rather than an activity, a process of identification, undertaken by an archaeologist. In a sense, archaeologists who attempt to discover identities of cultural complexes risk confusing two processes of identification „Ein Selbstaussage in Bezug auf die Intitulatio impliziert eine Vielfalt von Möglichkeiten: Diese sind oftmals politisch wirklich, ohne sich auf historische Realitäten stützen zu können.” Wolfram, Intitulatio 12. 22 Andrew Gillett, Was ethnicity politicized in the earliest Medieval kingdoms?, in: On Barbarian Identity: Critical ­Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Turnhout 2002) 85–121. 23 Patrick Geary, Ethnic Identity as a Situational Construct in the Early Middle Ages, in: Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 113 (1983) 15–26. 24 Walter Pohl, Telling the Difference: Signs of ethnic identity, in: Strategies of Distinction: The Construction of Ethnic Communities, 300–800, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 2, Leiden/Boston/Köln 1998) 17–69. 25 Helmut Reimitz, History, Frankish Identity and the Framing of Western Ethnicity, 550–850 (Cambridge Studies in ­Medieval Life and Thought: Fourth Series 101, Cambridge 2015). 21

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with radically different agents and thus radically different meanings. The first is the possibility that some aspects of material culture may be evidence of strategies of identification employed by people in the past, attempts to locate themselves socially, to claim commonality (or status distinction), or, perhaps, as in the case of funerary complexes, the attempts of survivors to make such statements about the dead. However the ability to read such intentionality is not explicit in the material itself. Medieval graves do not contain passports or identity cards. What passes for identity in archaeology is emphatically not the discovery of self-understanding or social location, the second alternative vocabulary offered by Brubaker. It is merely categorization and connectivity conceived and imposed by the scientist.26 There is nothing wrong with this in itself, and to the extent that collective labels serve as short hand for such categorization this is necessary. But if a term of self-identification or self-understanding, such as an ethnic label, is used for such scientific categorization, then serious problems and confusion arise. Obviously I am speaking of the move from material cultural complexes to ethnic labels, to ethnic identity. Prehistoric archaeology is generally free of such problems: the Bell Beaker Culture or the Wielbark Culture are immediately recognized as short hand for material culture complexes. Categories such as social status, gender, age, and occupation may well be inferred from such complexes as well. However once one takes vocabulary from other strategies of identification, as Goth, Longobard, Frank, or Celt, the result is inevitably confusion. As Sebastian Brather suggests, archaeology needs to concentrate on those questions that its sources might reasonably be able to answer such as social structure and economic history: “We need alternative explanations, a new paradigm, for things traditionally interpreted as ethnic groups, because this can be only one (and not the only) possible explanation.”27 Things get still worse with the latest trend in identity studies: genetics. If archaeologists and h­ istorians forget that the study of identity is inseparable from the story of who is doing the work of identifying, a wider public and unfortunately even some geneticists and historians forget that just as ­historians and ­archaeologists are involved in very different processes of identification, so too are gene­ticists. ­Geneticists are not and cannot study either self-understanding or even categorization. They simply study, in ­Victorinus’s terms, alterity, here meaning genetic distance. Unfortunately, this is often for­gotten in the current fascination with the search for identity through biology. As Keith Wailoo, a historian of science and public affairs at Princeton University has written recently, “A fundamental conundrum at the heart of the new genetics is the question ‘Who am I?’” “Genetics today,” he writes, “has become a standard for shaping how we think about our collective past: at the same time, this politics of genetics has real effects in the present, for example, by impinging concretely upon the rights of groups within a nation-state or redefining the very boundaries of kinship and nationality.”28 And certainly, the temptation to use genetics in order to essentialize social and cultural groups is very strong: a general public too often assumes that genetics will cut through the ambiguous written evidence and speculative argumentation of historians to tell us who we “really” are: the ultimate solution to the historical question of identity. If archaeologists spread confusion by adopting language of self-identification as analytic tools by which to label material culture complexes, geneticists too often compound the error by taking these categories still further to label groups that they have actually created. Geneticists can identify ancestry, understood not simply in terms of individual lineages but of the totality of inherited biological markers. These are not identities however, and the identification of populations is a purely statistical process in which a certain very few of the over three billion genetic markers in the human genome are privileged over others to define haplogroups, groups sharing a most recent common ancestor, or genomic regions See especially the work of Sebastian Brather, Ethnic identities as constructions of archaeology: The case of the Alamanni, in: On Barbarian Identity: Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Turnhout 2002) 149–175; and that of Florin Curta, From Kossinna to Bromley: Ethnogenesis in Slavic archaeology, in: ibid. 201–218. Detailed discussions of the problem of communication between archaeologists and historians are presented with a perceptive introduction in Walter Pohl and Mathias Mehofer, Archaeology of Identity/Archäologie der Identität, ed. Walter Pohl/ Mathias Mehofer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 17, Wien 2010). 27 Brather, Ethnic Identities 150. For a further development of Brather’s approach see id., Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie: Geschichte, Grundlagen und Alternativen (RGA Erg. Bd. 42, Berlin/New York 2004). 28 Keith Wailoo, Who am I? Genes and the problem of historical identity, in: Genetics and the Unsettled Past: The Collision of DNA, Race, and History, ed. Keith Wailoo/Alondra Nelson/Catherine Lee (New Brunswick 2012) 13–19, at 13. 26

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that are identical by descent.29 As long as one stays with such vocabulary, just as an archaeologist might continue to talk about beaker people, there is no problem. To paraphrase Victorinus, in both cases the geneticist and the archaeologist is privileging certain similarities over alterities in order not to discover an identity but to create one. But such groups remain the invention of the scientist, they are in­commensurate with the other uses of the word identity that imply either social or cultural commonalities or self-understanding. Once one tries to label such groups with terminology derived from historical sources, to claim that these analytic groups are the same as historical groups, serious confusions arise: there is no Gothic or Lombard gene. Should we, historians, archaeologists, sociologists, or geneticists abandon the word identity in favor of a more precise and illuminating vocabulary? No. Another set of cumbersome nouns could be even more confusing and opaque than identity, properly analyzed and historicized. The Academy of Sciences need not change the name of the Abteilung Historische Identitätsforschung. But I think that we need to be ever conscious about what we are doing when we employ this term, we need to distinguish rigidly between the incommensurate senses in the hands of psychologists, political and social historians, in archaeology, in ethnography, and in genetics. We need to take to heart the lesson that Herwig Wolfram has been showing us for over four decades, namely not to take the words of our sources or the words of our analysis as self-evident but to practice the kind of double reflection, on the historically, theologically, and culturally imbedded programs that the use of language both masks and advances. “Quid dicis de teipso.” Remember John did not answer the question by revealing his identity: he answered with a call to action.

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On the processes by which geneticists develop models to identify most recent common ancestors, see Julian Hofrichter/ Jürgen Jost/Tat Dat Tran, An introduction to the mathematical structure of the Wright-Fisher model of population genetics, in: Theory in Biosciences 132 (2013) 73–82. Peter Ralph and Graham Coop propose the identification of populations that are identical by descent based on common segments of recombinant DNA in Peter Ralph/Graham Coop, The Geography of Recent Genetic Ancestry across Europe, in: PLOS Biology 11(5): e1001555. doi:10.1371/journal.pbio.1001555.

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„Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“

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E va n g e l o s C h r y s o s

„Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“ Im Jahr 2012 erschien ein Aufsatz von Charalampos Bouras, dem renommierten Architekturhistoriker in Athen, unter dem Titel ,Alaric in Athens‘1. In diesem Aufsatz ist erneut die These aufgestellt worden, wonach Alarich und seine Westgoten bei ihrem Einfall in und durch Griechenland im Jahr 396 auch Athen zum Ziel ihrer Wut und Wucht machten und dabei die Akropolis verwüsteten. Sie sollen sogar den Parthenon gezielt und mit großem technischen Aufwand in Brand gesetzt und außerdem die meisten der 92 Metopen des Tempels und dazu etliche Statuen verstümmelt haben. Diese Verwüstungen sollen nun das Werk des fanatischen Eifers der frisch zu arianischen Christen konvertierten Westgoten gewesen sein.2 Auf die Frage, warum die Metopen an der Südseite des Tempels von der Zerstörung verschont ­blieben, lautet die Antwort: „The metopes of the Parthenon’s south side remained intact possibly ­because the invaders had run out of means or time for destruction that had been available to them.“3 Die Vermutung, dass der Brand und die Verstümmelung der Metopen gleichzeitig erfolgten, lässt jedoch berechtigte Zweifel aufkommen. Denn das sinnvolle Aussuchen der Skulpturen, die wegen ihres heidnischen Inhalts durch die Christen zu verstümmeln gewesen wären,4 und die ganze technische Vorbereitung für ihre Zerstörung setzen eine vollkommen andersartige mentale wie technische Einstellung voraus, als die Vorbereitung und Durchführung der Brandstiftung, welche sogar das Dach erreichte und zum Zusammensturz des Gebäudes führte. Gleichzeitige Arbeit an den zwei Vorhaben wäre meines Erachtens sehr gefährlich für alle Beteiligten gewesen. Andererseits wäre die sorgsame und mühevolle Verstümmelung der Metopen als erstes Unternehmen, gleich vor der geplanten, alles vernichtenden Brandstiftung, unsinnig und die Mutilation der Metopen als nachfolgendes Unternehmen, d.h. nach dem durch Brand zerstörten Tempel, erst recht sinnlos. Die eigentlichen Ausführenden der Zerstörungsarbeit sollen nicht die einfallenden Goten gewesen sein, sondern fanatische Mönche, die der einfallenden Streitkraft der frisch zu arianischen Christen bekehrten Goten gefolgt waren, mit dem Ziel, Griechenland von und aus seiner heidnischen Vergangenheit zu erlösen: „Groups of disorderly monks followed the Visigothic army with the sole purpose of ­plundering and destroying any and all pagan elements in Greece“.5 Die Beteiligung der Mönche am Werk der Katastrophe entnimmt Bouras aus einer Stelle in der Vita Maximi des Eunapius. An dieser S ­ telle sagt Eunapius folgendes: „Alarich kam mit den Barbarenhorden durch die Thermopylen und rannte mit

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Charalambos Bouras, Alaric in Athens, in: Δελτίον της Χριστιανικής Αρχαιολογικής Εταιρίας (DXAE) 33 (2012) 1–6. Der inzwischen (2016) verstorbene Bouras ist unter anderem Vorstand des langjährigen Konservationsprojektes der ­Akropolis gewesen, hat also bestens alle Bauten auf der Akropolis untersucht. Siehe jetzt https://www.ajaonline.org/online-­ necrology/3410. Dieser kleine Beitrag mag den Eindruck erwecken, dass ich mich von dem bewährten Vorsatz entferne, mich als Historiker grundsätzlich nicht an archäologischen (und architekturhistorischen) Auseinandersetzungen zu beteiligen. Wie es sich aber zeigen wird, geht es mir hier primär um die Auslegung der schriftlichen Quellen; was den archäologischen Befund betrifft, versuche ich dem Stand der Forschung zu folgen. Die Option, ob vielleicht nicht die Westgoten, sondern fanatische Athener den Brand verursacht haben könnten, wie John Pollini, Christian destruction and mutilation of the Parthenon, in: Athenische Mitteilungen 122 (2007) 207–228, meint, schließt Bouras aus: „All the accounts making reference to the Athens of approximately 400 verify in the most convincing manner that the destruction of the Great Temple was not the work of a handful of Athenians-turned-Christian. A destruction of such magnitude and terrorist overtones could only happen in the hands of foreigners. Thus the theory of Alison Frantz, that the fire may have been set by Alarich’s Visigoths, acquires significant weight“. Siehe Bouras, Alaric in Athens 4. Bouras, Alaric in Athens 5. Eine Metope an der Nordseite wurde ebenfalls verschont, angeblich weil sie eine christlich interpretierbare Szene darstellte. Vgl. Angelos Delovorrias, Interpretatio Christiana, in: Εὐφρόσυνον. Ἀφιέρωμα στον Μανόλη Χατζηδάκη 1 (Athen 1991) 107–123. Bouras, Alaric in Athens 5.

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Evangelos Chrysos

ihnen wie durch ein Stadion oder ein offenes Feld, wo Pferde mit ihren Hufen ungehindert stampfen können. Was Alarich die Möglichkeit verschaffte, wie durch weit geöffnete Tore nach Griechen­land einzudringen, das war die Gottlosigkeit derer, die sich dunkle Kutten umwarfen und ungehindert gleich mit nach Griechenland eindrangen.“6 Diese Stelle, die sich im Bericht über den Durchzug der Goten durch die Thermophylen befindet, verbindet Bouras mit den angeblichen Katastrophen auf der Akropolis von Athen und lässt dieselben Mönche auf dem Parthenon toben.7 Die Menschen „in dunklen Kutten“ identifiziert man gewöhnlich und in Anlehnung an die Terminologie des Libanius8 zu Recht mit Mönchen. Die an sich völlig unglaubliche Nachricht, dass gerade Mönche Alarich bei dem Einzug in Hellas begleitet haben sollen – wobei lediglich gestritten wird, ob es sich um lokale oder vielleicht fremde Mönche gehandelt haben kann – hat als weitere Folge zu der Hypothese geführt, dass eben diese Mönche die Westgoten über Jahre auf der ganzen Invasion begleitet haben und – als Höhepunkt ihrer Leistung – ein 14 Meter hohes Gerüst am Parthenon errichtet haben sollen,9 um den Tempel in Brand zu setzen und um mit akribischer Kleinarbeit die Metopen zu verstümmeln und außerdem gezielt einige der bedeutendsten Skulpturen der Giebel zu zerstören! Nun hat Martin Wallraff jüngst nachgewiesen, dass die Mönche – anders als die Bischöfe – in den Quellen an der Zerstörung von heidnischen Tempeln im Osten kaum in Erscheinung treten10, und von Scharen von Mönchen, die sich an ein Heer anschließen, um gemeinsame oder parallele Kriegsziele zu verfolgen, hören wir überhaupt nichts. Wichtiger scheint mir jedoch darauf hinzuweisen, dass es nach allem, was wir über das frühe Mönchtum wissen, in Griechenland und auch in Thrakien im 4. Jahrhundert, noch nicht von einem etablierten Mönchtum oder sogar von einem Mönchtum von Girovaganten Eunapius, Vitae Sophistarum 7, 3, 4 (ed. Giuseppe Giangrande, Roma 1956) 46 bzw. 7, 31 (ed. Richard Goulet, Paris 2016) 47f.: Ὅτε Ἀλάριχος ἔχων τοὺς βαρβάρους διὰ τῶν Πυλῶν παρῆλθεν, ὥσπερ διὰ σταδίου καὶ ἱπποκρότου πεδίου τρέχων∙τοιαύτας αὐτῷ τὰς πύλας ἀπέδειξε τῆς Ἑλλάδος ἥ τε τῶν φαιὰ ἰμάτια ἐχόντων ἀκωλύτως προσπαρεισελευσάντων ἀσέβεια. Die Übersetzung entstammt Matthias Becker, Eunapios aus Sardes. Biographien über Philosophen und Sophisten, Einleitung, Übersetzung, Kommentar (Stuttgart 2013). 7 Wie man sich ,cinematica licentia‘ den Vorgang vorstellt hat, kann im Film des bekannten griechischen Regisseurs Costa Gavras bestaunt werden, der bereits 2003 der Öffentlichkeit gezeigt wurde: online zu finden unter . Es wird ,gezeigt‘, wie angeblich anno 438 (sic!) Christen im Mönchsgewand die Skulpturen zerstörten. Die musikalische Begleitung zum Film wird mit der Rezitation aus dem Gedicht ,The Curse of Minerva‘ von Lord Byron aus dem Jahre 1811 bereichert, wo bekanntlich Alarich zusammen mit Lord Elgin in demselben Vers von der Göttin Athena als Zerstörer genannt werden, wie bereits auch schon im Gedicht Childe Harold’s Pilgrimage geschehen war. Byrons folgende Notiz zum Vers ist von Bedeutung: „According to Zosimus, Minerva and Achilles frightened Alaric from the Acropolis; but others relate that the Gothic king was nearly as mischievous as the Scottish peer.– See ­CHANDLER“. Damit verweist Byron auf den Reisebericht von Richard Chandler, Travels in Greece or an Account of a Tour Made at the Expence of the Society of Dilettanti (London 1776) 35, wo unter anderem Folgendes steht: „Athens was about to experience a conquer more savage even than Sylla. This was Alaric, king of the Goths, who under the emperors Arcadius and Honorius, overran Greece and Italy, sacking, pillaging and destroying. Then the Peloponnesian towns were overturned, Arcadia and Lacedaemon were laid waste, the two seas by the Isthmus were burnished with the flame of Corinth and the Athenian matrons were dragged in chains by barbarians. The invaluable treasures of antiquity, it is related, were removed; the stately and magnificent structures converted into piles of ruin; and Athens was stripped of everything splendid or remarkable. Synesius, a writer of that age, compares the city to a victim, of which the body had been consumed, and the hide only remained.“ Man kann gut verstehen, wie Byron aus dieser Beschreibung Chandlers und besonders aus seinem eigenen Erlebnis vom mutilierten Parthenon durch Lord Elgin um 1802, eine Tat, die er Zeit seines Lebens am schärfsten verurteilte, das lyrische Bild von der Zerstörung durch die Goten in Versen konzipiert hat. Er hat sogar eine Entschuldigung für Alarich gesucht, wohl damit er Elgin noch schwerer beschuldigen konnte. Er meint, Alarich habe sich immerhin nach dem Kriegsrecht verhalten: „The Gothic monarch and the Pictish peer: / Arms gave the first his right, the last had none“. Dementsprechend hat ein unbekannter Besucher der Akropolis an einer Wand des Erechtheiumtempels ein Graffito folgenden Inhalts eingraviert: QUOD NON FECERUNT GOTI, HOC FECERUNT SCOTI. 8 Libanius, Oratio 30, 8 und 30, 46 (ed. A. F. Norman, in: Libanius Selected Orations 2, LCL 452, Cambridge–Mass. 1977) 106f., 142f. 9 Im mündlichen Gespräch meinte Manolis Korres, der das Monument am eingehendsten studiert hat, es könnte vielleicht geeignetere Kletterhilfen gegeben haben. Bouras spricht von „scaffolding“; im Gavras-Film werden allerdings Leitern gezeigt. 10 Martin Wallraff, Rabiate Diener Gottes? Das spätantike Mönchtum und seine Rolle bei der Zurückdrängung paganer Kulte, in: Für Religionsfreiheit, Frieden und Toleranz. Libaniosʼ Rede für den Erhalt der heidnischen Tempel. Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von Heinz-Günther Nesselrath et al. (Tübingen 2011) 159–177. Vgl. Michael Gaddis, There Is No Crime for Those Who Have Christ. Religious Violence in the Christian Roman Empire (Berkeley 2005) 208–250, wo jedoch dieser vermeintliche Verzicht der Mönche auf Gewaltanwendung nicht behauptet wird. 6



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die Rede sein kann. Sowohl die asketische Bewegung hatte sich zwar am Ende des 4. Jahrhunderts in Ägypten, in Palästina und in Syrien entwickelt, auch in Konstantinopel hatten sich bereits Mönche etabliert, aber Regionen wie Griechenland und Thrakien, wo die Goti minores ansässig waren, waren noch lange nicht von Mönchsgruppen als Niederlassungsorte ausgesucht worden. Man kann natürlich nicht gänzlich ausschließen, dass auch in Griechenland oder in Thrakien einzelne Menschen dem asketischen Ideal nachgingen, auch wenn es von keiner historischen Quelle oder durch archäologische Reste zu belegen ist,11 ausschließen muss man aber doch, dass sie sich bereits so weit institutionalisiert hatten, dass sie sich auch bei einer Invasion instrumentalisieren lassen hätten.12 Das gilt auch für die nördlichen Gebiete, wo die Goten ihre Niederlassungen hatten bzw. wo sie sich bewegten und die sie durchzogen.13 Nur Eunapius bringt die höchst zweifelhafte Geschichte von Männern „in dunklen Kutten“, die den gotischen Einfall in Griechenland begleitet haben sollen. Der Autor folgt damit seiner Tendenz, die zweifellos historische Bekehrung der Goten zum Christentum, die beim Übergang über die Donau 376 registriert worden war, als vorgetäuscht darzustellen.14 Die These von Herrn Bouras ist eine aktualisierte und umfassendere Version der These von Alison Frantz aus dem Archäologen-Team der American School of Classical Studies, welche die Ausgrabungen auf der alten Agora Athens über Jahrzehnte durchgeführt hat. Frantz hatte im Jahr 1979 an die Stelle der Heruler, die früher schon für die Verwüstungen verantwortlich gemacht worden waren,15 die Goten gesetzt. 16 Carolyn S. Snively, Cemetery churches in the Early Byzantine period in Eastern Illyricum, in: Greek Orthodox Theological Review 29 (1984) 117–124. Die antimonastischen Stellen der heidnischen Autoren sind zusammengestellt aber ohne weiterführenden Kommentar abgedruckt in der unveröffentlichten Dissertation von Konstantinos Papageorgiou, Μοναχισμός και κοινωνία κατά την Πρωτοβυζαντινή περίοδο, (Diss., Aristoteles Universität Thessaloniki, Thessaloniki 2013) 136–150 online: [http://thesis.ekt.gr/thesisBookReader/id/29049#page/1/mode/2up]. 12 Die Identifizierung der Männer „in dunklen Kutten“ mit Mönchen ist von David Woods durch die kühne Vermutung in Frage gestellt worden, dass mit dieser Bezeichnung die seit Herodot bekannten Melanchlänen (μελάγχαινοι, Melanchlaenae [= Menschen mit schwarzen Mänteln]) gemeint seien, die nach Ammianus Marcellinus in den Sumpfgewässern der Mäotis lebten: David Woods, ,Some Eunapiana‘, in: Eklogai: Studies in Honour of Thomas Finanand Gerard Watson, ed. Kieran McGroarty (Maynooth 2001) 123–132. Andererseits hat Radislav Hošek die Gleichsetzung mit einem thraki­schen Volk vorgeschlagen, das von Plutarch [in der Biographie von Paulus Aemilius 18, 3] erwähnt wird (μαίλανας ὑπενδεδυμένοι χιτῶνας), vgl. ders. ,Locorum ad Historiam aevi resentiosis antiquitatis classicae spectantium explanationes tres‘, in: ­Signum gratiae in honorem Bohumilae Monchová (Acta Universitatis Carolinae Graecolatina Pragensia 20, Prag 2004) 69–72. ­Beide Deutungsversuche sind zu verwerfen. Der Zusammenhang, in dem die dunkle Kleider Tragenden sowohl bei ­Eunapius wie auch bei Libanius genannt werden, ist religiös und ihr Benehmen wird als pietätslos präsentiert. Vgl. Ivan Prchník, Who Guided Alaric through Thermopylae? Note on Eunapius, Vitae sophistarum VII, 3, 5 [476 Didot], in: Eirene 47 (2011) 171–174. 13 François Paschoud, wie auch andere Forscher, schließt anscheinend nicht aus, dass es sich um Soldaten gehandelt ­haben könnte, die als Mönche verkleidet waren: Zosimus, Historia Nova (ed. François Paschoud, Zosime, Histoire ­Nouvelle, ´3 Bde., Paris 1971–1986), Bd. 3, 93: „moines – authentiques ou déguisés“. Mir scheint, dass sich dieser Verdacht auf Eunapius, Fragment 55, anlehnt, wonach die Goten bei ihrer ersten Überquerung der Donau mit falschen Bischöfen und Mönchen den Anschein vermitteln wollten, als ob sie bereits Christen waren. Vgl. Heinz-Eberhard Giesecke, Die Ost­ germanen und der Arianismus (Leipzig 1939) 70. Vgl. Evangelos Chrysos (wie Anm. 31) 126ff. 14 Eunapius, Fragment 48, 2 (ed. Roger C. Blockley, in: The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman ­Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus, Liverpool 1981–1983) 74–76: εἶχε δὲ ἑκάστη φυλὴ ἱερά τε οἴκοθεν τὰ πάτρια συνεφελκομένη καὶ ἱερέας τούτων καὶ ἱερείας· ἀλλὰ στεγανή τις ἦν λίαν καὶ ἀδαμάντινος ἡ περὶ ταῦτα σιωπὴ καὶ τῶν ἀπορρήτων ἐχεμυθία. ἡ δὲ ἐς τὸ φανερὸν προσποίησις καὶ πλάσις ἐς τὴν τῶν πολεμίων ἀπάτην διηρτυμένη καὶ συντεθειμένη. Χριστιανοί τε εἶναι πάντες ἔλεγον καί τινας ὡς ἐπισκόπους αὐτῶν ἐς τὸ θαυμαζόμενον σχῆμα καταστολίσαντες καὶ περικρύψαντες, καὶ πολλῆς αὐτοῖς τῆς ἀλώπεκος ἐπιχέαντες, ἐς τὸ μέσον προηφίεσαν, πανταχοῦ τὸ ἀφύλακτον διὰ τῶν καταφρονουμένων ὅρκων παρ᾽ ἐκείνοις, παρὰ δὲ τοῖς βασιλεῦσι σφόδρα φυλαττομένων, ὑποτρέχοντες καὶ κατασκευάζοντες. Ἦν δὲ καὶ τῶν καλουμένων μοναχῶν παρ’ αὐτοῖς γένος, κατὰ μίμησιν τῶν παρὰ τοῖς πολεμίοις ἐπιτετηδευμένον, οὐδὲν ἐχούσης τῆς μιμήσεως πραγματῶδες καὶ δύσκολον, ἀλλὰ ἐξήρκει φαιὰ ἱμάτια σύρουσι καὶ χιτώνια, πονηροῖς τε εἶναι καὶ πιστεύεσθαι. Vgl. Evangelos Chrysos (wie Anm. 31) 126ff. Für eine andere Bewertung siehe Peter J. Heather, The crossing of the Danube and the Gothic conversion, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 27/3 (1986) 289–318. (Siehe auch Anm. 13). Man sollte sie getrost völlig ignorieren. 15 I. Travlos, Ἡ πυρπόλησις τοῦ Παρθενῶνος ὑπὸ τῶν Ἑρούλων καὶ ἡ ἐπισκευή του κατὰ τοὺς χρόνους τοῦ αὐτοκράτορος Ἰουλιανοῦ in: AE (1973) 218-236; Glee Everitt Wilson, The Herulian Sack of Athens, AD 267 (Phil. Diss. Univ. of ­Washington, Seattle 1971). 16 Alison Frantz, Did Julian the Apostate rebuild the Parthenon? in: American Journal of Archaeology 83 (1979) 395–401. Frantz hat in ihrer monumentalen Monographie, Athenian Agora vol. XXIV, Late Antiquity A.D. 267–700 (Princeton 11

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Bevor wir diese These anhand der historischen Quellen überprüfen, ist es ratsam, die Präsenz der Goten in Griechenland als Unternehmen in seinem breiteren Zusammenhang zu betrachten, um sich nach Möglichkeit den Erwartungen und Optionen zu nähern, welche die Handlungen der Protagonisten bestimmten. Dieser Zusammenhang ist mehrmals in der Geschichtsschreibung der Völkerwanderung präsentiert worden, aber die publizierten Darstellungen bleiben notgedrungen Konstrukte der einzelnen Autoren, weil die Quellenlage unsicher ist. Denn von den zwei wichtigsten Quellen, die wir zur Ver­ fügung haben, machte Claudius Claudianus, obwohl er Zeitgenosse war, einen zu bunten und verklausulierten Gebrauch der poetica licentia. Der Autor borgte von den klassischen Dichtern und schrieb als ­engagierter Propagandist Stilichos. Beides ging auf Kosten der historischen Wahrheit. Die andere ­Quelle ist Zosimus, der jedoch sein Werk viel später verfasste, seine Informationen aus zweiter Hand vom Rhetor Eunapius bezog und seine offenkundig einseitige Darstellung gegen das christlich ge­wordene Imperium richtete. Sein Ziel war es, dessen Verfall und Zusammenbruch als vollzogen darzustellen, um damit seine eigene Weltanschauung zu bestätigen. Aus Gründen, die sich nur vermuten lassen, hatte sich die gotische Streitmacht unter Alarich, die mit Kaiser Theodosius im Westen gegen den Usurpator Eugenius erfolgreich, aber mit schweren Verlusten gekämpft hatte, nach dem Tod des Kaisers im Januar 395 vom römischen Heeresverband losgelöst und war auf eigene Faust zurück in den Osten marschiert. Dass der Rückmarsch logistisch nur durch Requirierung von Proviant aus den Durchzugsgebieten (Südpannonien, Dalmatien und Obermösien) möglich war, liegt auf der Hand. Die negativen Gefühle der gotischen Mannschaft gegen die Reichsführung, weil sie sich als benachteiligt betrachtete, waren groß. So scheint es, dass der Nordbalkan wieder einmal Opfer von Plünderungen wurde. Ob wir aber deswegen berechtigt sind, von einer ­Rebellion der Goten zu sprechen, wie es gewöhnlich heißt, hängt von der rechtlichen Stellung ab, in der sie sich befanden. Für die Zeit nach dem Tod des Kaisers Theodosius können wir mit Herwig Wolfram das foedus von 382 als nicht mehr gültig bzw. als einer Bestätigung oder Erneuerung bedürftig betrachten. Insofern müssen wir von einem rechtlichen Vakuum sprechen, dessen Füllung zusätz­ liche diplomatische Schwierigkeiten behinderten. Eine Vertragserneuerung konnte nicht der in Mailand residierende minderjährige Kaiser Honorius (faktisch Stilicho) vornehmen, sondern nur der gerade erst volljährig gewordene Arcadius, der in Konstantinopel residierende senior Augustus (faktisch der praefectus praetorio per Orientem Rufinus) unterschreiben, zumal in dessen Reichsgebiet auch die Siedlungen der befriedeten Goten lagen.17 Die Goten, die sich in einem vertragslosen Zustand befanden, zogen weiter durch Thrakien und kamen bis vor die Mauern Konstantinopels. Dort wollten sie einen verbindlichen Vertrag erzwingen und scheuten unterwegs nicht vor Plünderungen zurück, um Druck auf die Reichsregierung auszuüben. Als der Prätorianer­präfekt Rufinus freundlich und in friedlicher Absicht in ihrem Lager erschien, dürfte man sich über den Rahmen eines Vertrages einig geworden sein.18 Wenn dies zutrifft, muss der Marsch nach Thessalien, von dem wir als nächsten Schritt hören, im Einvernehmen mit der Reichsregierung erfolgt sein.19 Die poetischen Andeutungen Claudians lassen vermuten, dass die Westgoten unter ihrem Heerführer Alarich zwar in militärischer Formation, aber zusammen mit ihren Familien eine ,Volks­wanderung‘ unternahmen.20 Sie dachten nicht mehr an eine

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1988), in der sie alle für die Spätantike relevanten Ergebnisse der langjährigen Ausgrabungen in der Athener Agora systematisch zusammengestellt hat, ihre Hypothese von 1979 nicht mehr erwähnt. An Alarich als möglichen Gewalttäter auf der Akropolis hatte schon William Bell Dinsmoor Jr. im Jahr 1974 gedacht, meinte aber, dass nach der Aussage der Quellen die Westgoten sich der Akropolis doch nicht bemächtigt hätten. Vgl. ders., New Fragments of the Parthenon in the Athenian Agora, in: Hesperia 43 (1974) 132–155, hier 132: „Although the date of Alaric and his Gothic invaders in A.D. 395/6 is tempting, it is commonly believed that he never attacked Athens“. Johannes Straub, Parens principum. Stilichos Reichspolitik und das Testament des Kaisers Theodosius, in: ders., R ­ egeneratio Imperii. Aufsätze über Roms Kaisertum und Reich im Spiegel der heidnischen und christlichen Publizistik (Darmstadt 1972) 220–239. Claudianus, In Rufinum II, 74-75 (ed. Theodor Birt, MGH AA 10, Berlin 1892) 36f., spricht von sermones und von foedus und erwähnt eine anschließende Volksfeier im Gotenlager, mit der die getroffene Vereinbarung demonstrativ zur Schau gestellt wurde. Herwig Wolfram, Die Goten von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts (München 1990) 145 f. Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen zwischen Antike und Mittelalter (Berlin 1990) 150: „Die Föderatenkrieger dürften die daheim gebliebenen Stammesgenossen aus Mösien gleichsam abgeholt haben.“ Siehe auch Peter J. Heather, Goths and Romans, 332–489 (Oxford 1991) 194.

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Rückkehr in ihre mösischen Siedlungsgebiete, sondern suchten neue, ökonomisch besser abgesicherte Orte für eine dauerhafte Niederlassung. Nach einer poetisch sehr gelungenen, aber historisch problematischen Schilderung Claudians sollen die Goten, als sie den Norden Thessaliens erreicht und ihre Wagenburg errichtet hatten, von der Reichsarmee unter der Führung Stilichos aufgehalten worden sein.21 Mit beeindruckenden, wie auch selbstgefälligen Hinweisen auf antike Namen von Bergen und Flüssen der Gegend, die einem gelehrten Griechen aus Homer und der Mythologie bekannt sein dürften,22 entwirft Claudianus den Schauplatz, wo eine entscheidende Schlacht gegen die Goten zur Rettung Griechenlands und des Reiches hätte stattfinden sollen. Die Schlachtformation war gerade auf den Angriff vorbereitet,23 als Stilicho ein nach Verrat riechender Befehl aus Konstantinopel erreichte, der den fast gewonnenen Sieg vereitelte.24 Denn der Reichsarmee war befohlen worden, sich sofort zurückzuziehen, worauf der loyale und gehorsame Stilicho unverrichteter Dinge nach Italien zurückkehrte. Vieles an diesem Unternehmen Stilichos, das einzig von Claudianus erwähnt wird, scheint unglaubhaft zu sein.25 Die Pflicht des Historikers, auch diejenigen Quellenaussagen zu respektieren, denen er kein Vertrauen entgegenzubringen vermag, hindert mich davor, das Unternehmen gänzlich aus den Annalen zu tilgen und als fabelhafte Dichtung zu bezeichnen.26 Sollte aber Stilicho tatsächlich nach Thessalien geeilt sein, wie uns Claudianus glauben machen will, um die Goten vor dem Durchzug Griechenlands abzuhalten, müssten wir annehmen, dass dies eine eigenmächtige Initiative von ihm war, die theoretisch im Rahmen der Rivalität zwischen den Regierungen der zwei Reichsteile zu verstehen ist und auf jeden Fall gegen die zwischen Rufinus und Alarich vor den Mauern Konstantinopels getroffene Vereinbarung stieß, die den Goten den gewünschten Bewegungsfreiraum in Griechenland garantiert hatte. Claudianus setzt den Einfall der Goten mit dem Ende des antiken Griechenlands gleich. Denn er sagt, dass Stilicho, niedergeschlagen nach dem Erhalt des verdächtigen Befehls, sich dem Himmel zugewandt und gerufen habe: „Soll nach Eurem [der Götter, E.Ch.] Beschluss ein Schlag Jahrhunderte ver­ nichten?“27 Damit wollte Claudianus bei seinen Hörern den Eindruck einer Geschichtswende erwecken, und dieser Eindruck ist vom in Palästina lebenden Hieronymus ohne Verzug übernommen und durch ihn in die Annalen der Geschichte des Abendlandes eingemeißelt worden. Denn Hieronymus, der nachge-

Nach James Harold E. Crees, Claudian as an Historical Authority (Cambridge 1906) 62, war Alarichs Militärlager am Fluss Peneios aufgestellt. Nach der unveröffentlichten Dissertation von Olga Karagiorgou, Urbanism and economy in late antique Thessaly (3rd–7th century A.D.) (Diss., Oxford 2001) 20, hat die verhinderte Konfrontation im Westen Thessaliens stattgefunden. Offensichtlich bezieht sie die Angabe Eunaps, dass Alarich διὰ τῶν Πυλῶν παρῆλθεν, auf Pyle (heute Porta Panagia), südwestlich von Trikala. Johannes Koder, Tabula Imperii Byzantini 1: Hellas und Thessalia (Wien 1976) 245. Auch die geographischen Angaben bei Claudianus lassen meines Erachtens eher an das Gebiet um den Fluß Titarēsios denken, einen Nebenfluss des Pēneios (darüber Koder, ebd. 276). Das würde aber bedeuten, dass die Goten von Mazedonien aus nach Thessalien nicht direkt, sondern über Epirus und das Pindosgebirge marschiert wären. 22 In Rufinum II, 175–184, ed. Birt 40f., hier in der Übersetzung von Georg von Wedekind, Dichtungen des Claudius ­Claudianus, (Darmstadt 1868) 36: „Drohende Drachen umziehen den Himmel in irrendem Fluge, / Glanz von Eisen erfüllt Thessalien’s Flur und des weisen / Roßmanns Grotte, den Fluß, des Achilles windlichen Spielplatz, / Oeta’s Bergwald leuchtet im Blitz vom Lärmen erdonnert / Ossa’s Schnee, vom Olymp hallt zweifach wider das Krachen“; alles [mit Ausnahme des Oeta(gebirges), das eher für die Thermopylen geographisch relevant sein dürfte], dichterisches Dekor, das auf den nordöstlichen Teil Thessaliens hinweist. 23 Claudianus, In Rufinum II, 171–177, ed. Birt 40, in der Übersetzung von Wedekind: „Stilicho naht indessen dem Feind mit wachsendem Frohmuth. / Nur noch weniger ebener Raum trennt beider Verschanzung. / Da entflammt sein Wort zur Kampfesbegierde die Scharen, / stellt Armenier links in Front und weist an den rechten / Flügel die Gallier hin. Nun glühen im Schaume die Zügel, / Staub entsteigt in dichtem Gewölk. Sieh! Rings in der Breite / Recken sich Lanzen empor, von Purpurschlangen umflattert.“ 24 Claudianus, In Rufinum II, 195–196, ed. Birt 41, in der Übersetzung von Wedekind: „Mitten im Hörner- und Waffengetös, da kommt des Gebieters / strenger Befehl [regia mandata] und dringt zum Ohr des bewaffneten Feldherrn [Wedekind].“ 25 Thomas Burns, Barbarians within the Gates of Rome. A study of Roman military policy and the Barbarians, ca. 375–425 AD (Bloomington 1994) 154 sagt: „The battle in 395 in Thessaly as reported in Claudian is preposterous.“ 26 Alan Cameron, Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius (Oxford 1970) 159, findet bei der Schilderung der verhinderten Schlacht in Thessalien, obwohl sie von Koryphäen des Faches wie Mommsen, Seeck, Stein und Bury als wirklichkeitstreu angenommen wurde, viele Angaben als paradox. Kritisch dagegen die Rezension von Christian Gnilka, in: Gnomon 49 (1977) 26–51, hier 31ff. 27 Claudianus, In Rufinum II, 208, ed. Birt 41: uno si placuit deleri saecula lapsu? 21

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wiesenmaßen die Gedichte des Claudianus ohne Verzögerung erhielt und verwendete,28 hat anscheinend die ,Nachricht‘ sofort per Brief an seinen Freund Heliodorus mit der erschreckenden Botschaft weitergeleitet, dass die römische Welt zusammenbreche.29 Die Wirkung der Botschaft wurde nicht durch die Tatsache gemindert, dass sie in auffallender Anlehnung an Vergil formuliert war/worden war.30 Die schriftlichen Quellen beklagen, dass die zuständigen Reichsbeamten den Durchzug der G ­ oten nach Thessalien und weiter nach Böotien über die Thermopylen toleriert hätten. Und diese ­Politik Konstantinopels soll sich wiederholt haben, als Alarich mit seinem Volk den Isthmus Richtung ­ ­Peloponnes passierte. Wenn man diese Aussagen der Quellen ernst nimmt, muss man diese Politik als Folge der Verabredung mit der östlichen Reichsregierung erklären: Rufinus wünschte, dass die Goten sich in der Peloponnes ansiedelten. Darüber, was das Reich mit den Goten vorhatte, schweigen jedoch die Quellen. Daher können wir nur Vermutungen anstellen, die sich allerdings auf die bewährte Föderatenpolitik des 4. Jahrhunderts und der späteren Jahre stützen. So können wir annehmen, dass sich die Reichsregierung wünschte, dass die Goten wieder auf Reichsboden sesshaft würden, um das übernommene Land zu beackern und – auf Geheiß – militärisch zur Verfügung zu stehen. Darin sah das Reich nur Vorteile,31 obgleich die entgegengesetzte Meinung nicht unausgesprochen blieb, wie die Abhandlung De Regno von Synesius von ­Kyrene zeigt, die höchstwahrscheinlich als Reaktion auf die aktuelle Politik gegenüber den Goten ­Alarichs entstanden ist.32 Auf der anderen Seite war es für die Goten erstrebenswert, ein Land zur Ansiedlung zu erhalten33 und dazu – mindestens in den ersten Jahren – finanzielle Unterstützung für ihren Lebensunterhalt als Subvention zu bekommen. Außerdem lag es nahe, dass ihre Offiziere, vor allem aber ihr Führer Alarich, als Verdienst für geleisteten bzw. für erhofften Soldatendienst vom Reich mit hohen militärischen Ämtern und Gehalt ausgezeichnet würden. Von allem müssen wir jedoch annehmen, dass ihnen im Jahr 395 diese Ehren vorenthalten wurden. Deshalb kann ihre Entscheidung für den Zug nach Griechenland durchaus mit der Enttäuschung Alarichs zusammenhängen, dass seine Aspira­tionen nicht in Erfüllung gegangen waren.34 Man kann also mit Herwig Wolfram schließen: „[Die Goten] kämpften

Harry L. Levy, Claudian’s In Rufinum and an epistle of St. Jerome, in: American Journal of Philology 69 (1948) 62–68. Levy hat alle antiken Testimonien in den Gedichten Claudianus in seinem Kommentar eingetragen: Ders., Claudian’s In Rufinum: An Exegetical Commentary (Philological monographs of the American Philological Association 30, Cleveland 1971). 29 Romanus orbis ruit. Die Abhängigkeit des Hieronymus von Claudianus in seinem 60. Brief setzt aus Zeitgründen in Zweifel J. H. David Scourfield, Consoling Heliodorus. A Commentary on Jerome Letter 60 (Oxford 1993) 209 ff. Siehe die Besprechung von Marc Kleijwegt, ,Iuvenes‘ and Roman Imperial Society, in: Acta Classica 37 (1994) 118–24 und die Erwiderung: J. H. David Scourfield, Consoling Heliodorus: A Reply to Marc Kleijwegt’s Review, in: Acta Classica 38 (1995) 107–111. 30 Vergil, Aeneis II, 363: urbs antiqua ruit multos dominata per annos. Vgl. Pierre Courcelle, Les lecteurs de l’Énéide devant les grandes invasions germaniques, in: Romano-Barbarica 1 (1976) 25–56. 31 Siehe die klassische Formulierung dieser Politik bei Themistius, Oratio 16, 211 (ed. Heinrich Schenkl/Glanville Downey, in: Themistii orationes que super sunt, Leipzig 1965) 301, wo in prägnanter rhetorischer Wendung unter anderem gefragt wird, ob es besser sei, das Land mit toten Menschen oder mit Bauern zu füllen, ob es besser sei, durch wildverwachsene oder durch bearbeitete Felder zu gehen. Vgl. Evangelos Chrysos, Τὸ Βυζάντιον καιὶ οἱ Γότθοι (Thessaloniki 1972) 152f. 32 Synesius, De Regno (ed. Alan Cameron/Jacqueline Long, in: Barbarians and Politics at the Court of Arcadius, Berkeley 1993); Tassilo Schmitt, Die Bekehrung des Synesios von Kyrene. Politik und Philosophie, Hof und Provinz als Handlungsräume eines Aristokraten bis zu seiner Wahl zum Metropoliten von Ptolemaïs (Beiträge zur Altertumskunde 146, Leipzig 2001); Hartwin Brandt, Die Rede peribasileias des Synesios von Kyrene – ein ungewöhnlicher Fürstenspiegel, in: ­Consuetudinis amor. Fragments d’histoire romaine (2e–6e siècles) offerts a Jean-Pierre Callu, ed. Francois Chausson/ Etienne Wolff (Saggi di storia antica 19, Rom 2003) 57–70. 33 Bereits Ludwig Schmidt (aber auch schon Gregorovius) hat als wahrscheinlich die Vermutung geäußert, dass „Alarich den Plan gehabt hat, sich in Griechenland, speziell im Peloponnes, wo ihm die Natur die Mittel bot, sich gegen feindliche Angriffe wenigstens zu Lande ausreichend zu schützen, dauernd einzurichten und eine selbständige Herrschaft zu begründen.“ Ludwig Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen (München 1934/ 21941/ND 1969) 431. 34 Nach Peter J. Heather, Empires and Barbarians. Migration, Development and the Birth of Europe (London 2009) 196: „The Grecian holiday that Alaric took in 395–7 was an attempt to force the eastern Empire to negotiate, and eventually he succeeded.“ Auf S. 190 spricht er von Alarichs „Greek odyssey“. 28

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um eine Heimat, die in gleicher Weise militärisch vor den Hunnen sicher wie wirtschaftlich gesund war.“35 Eine wichtige und durch den mageren bzw. widersprüchlichen Informationsbestand kaum zu klärende Frage ist, welches völkerrechtliche Verhältnis die Goten dem Reich gegenüber besaßen, als sie Griechenland durchzogen, zumal am 27. November 395 Rufinus von den Soldaten der zurückkehrenden Reichsarmee vor den Mauern der Hauptstadt umgebracht wurde, also dort, wo er nur Monate zuvor ­Alarich freundlich begrüßt hatte. Herwig Wolfram hat dieses Verhältnis zu rekonstruieren versucht. Demnach kamen zwar die Goten nach Thessalien im Rahmen eines Vertrages mit Rufinus, wie wir ge­ sehen haben. Sie blieben aber nach seiner Ermordung in einem rechtlosen Zustand, weil der Vertrag auto­matisch mit dem Tod eines Vertragspartners erlosch, sofern er nicht von seinem legitimen Nachfolger erneuert wurde. Eine solche Deutung schließt aus, dass die Goten ein gültiges foedus begleitete. Demnach ist die Konstruktion Wolframs durchaus treffend, wenn wir uns eher die politische Bedeutung und nicht die rechtliche Bindung der ohnehin inoffiziellen Vereinbarung vor Auge halten. Die Vereinbarung Alarichs mit Rufinus war vermutlich mündlich getroffen worden. Demnach scheint es mir durchaus angebracht, von einem politisch vereinbarten, wenn auch begrenzt rechtlosen Zustand zu sprechen, in dem sich die Goten während des Durchzugs durch Griechenland fast ein ganzes Jahr lang befanden. Dieser Zustand brachte beiden Seiten Vorteile. Denn das Reich konnte sich darauf berufen, noch nicht vertraglich verpflichtet zu sein und die endgültige Regelung auf die Zukunft verschoben zu haben. Anderer­seits hätten die Goten den Vorteil gehabt, sich frei nach ihren Wünschen bewegen zu können. Alles, was wir den historischen Quellen und dem archäologischen Befund entnehmen können, d­ eutet darauf hin, dass die Bewegung der Goten durch das Land und ihr Benehmen darauf abzielten, mit ­allen Mitteln ein Land zur Ansiedlung zu erkämpfen. Als plausibles Szenario lässt sich annehmen, dass das Reich bzw. die Regierung in Konstantinopel, nun unter Eutropius, zunächst mit den Plänen der ­Goten nicht unzufrieden war, weil die Goten fern von der Hauptstadt und von strategisch empfindlichen Gebieten verbleiben würden, wo sie sich ungefährlich, ja sogar vorteilhaft für das Reich hätten etablieren können. Die Goten scheinen als einen solchen Platz das Gebiet nordöstlich von Olympia mit dem Bergplateau von Pholoe ausgesucht zu haben.36 Vielleicht wären sie auch dort schadlos für das Reich geblieben, wenn nicht Stilicho mit einer römischen Streitkraft auf dem Seeweg in die Peloponnes gekommen wäre, um ihre Pläne zu vereiteln und sie von dort zu vertreiben. Die Reaktion der östlichen Reichsregierung lässt sich daran ablesen, dass Stilicho zum Staatsfeind (hostis publicus) erklärt wurde und wieder unverrichteter Dinge abziehen musste.37 Ihrerseits haben die Goten aus der Konfrontation mit Stilichos Armee die Lehre gezogen, dass eine Ansiedlung in Meeresnähe überraschende Angriffe aus dem anderen Reichsteil erleichterte. Außerdem war das Plateau von Pholoe wegen Wassermangels nicht besonders fruchtbar. Sie nahmen deswegen ihre Wanderung wieder auf und setzten mit ihren geraubten Schätzen nach Epirus über,38 bis sie in der Emathia tellus für vier Jahre eine Heimstätte fanden.39 Die Aussicht auf eine friedliche Niederlassung – im offiziellen Einvernehmen mit der Reichsregierung oder mit ihrer stillschweigenden Duldung – besagt nicht, dass dieses Ziel ohne Gewalt zu erreichen gewesen wäre. Die wandernden Goten mussten sich selbst um ihren Unterhalt kümmern. Deswegen waren Plünderungen eine Lebensnotwendigkeit, die sich schließlich als gängige Lebensform etablierte.

Wolfram, Goten 146. Wolfram versäumt es nicht, wie es sonst in der neueren Goten-Literatur geschieht, als signifikantes Ereignis, das die Entscheidungen beeinflusst hat, einen Einfall der Hunnen in den Blick zu nehmen, der zur gleichen Zeit stattfand und sicherlich die Reichsregierung wie auch die Goten zu Bedenken veranlasst haben dürfte. 36 Zosimus, Historia Nova 5, 7, 1, ed. Paschoud, Bd. 3, 13. 37 Julian Reynolds, Defending Rome: The Masters of the Soldiers (Xlibris 2012) 49. Nach Cameron, Claudian 172 „it surely passes belief that Stilico went to all the trouble and expense of transporting an army by sea to the Peloponnese, running Alaric to earth, blockading him – and then let him go to continue his devastation elsewhere.“ 38 Zosimus, Historia Nova 5, 7, 2, ed. Paschoud, Bd. 3, 13: μετὰ πάσης τῆς λείας. Die Überquerung des Korinthischen Golfes durch die ganze Gotenschar und das Volk muss als Unternehmen eigens unterstrichen werden. 39 Wolfram, Goten 149 und 424 mit Anm. 15; Evangelos Chrysos, ‘Συμβολή στην Ιστορία της Ηπείρου’, in: Ηπειρωτικά Χρονικά 23 (1981) 6–111, bes. 43 ff. Efterpi Marki, The archaeological find as historical evidence: The settlement of Goths in the plain of Central Macedonia and the establishment of the episcopal complex at Louloudies, in: Δελτίον της Χριστιανικής Αρχαιολογικής Εταιρίας (DXAE) 34 (2013) 1–10. 35

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Tempel und öffentliche Bauten, die als Tresore von Schätzen vermutet wurden, waren sicherlich bevorzugte Angriffsziele. Dabei wurden Schäden an Bauten als Kollateralschäden in Kauf genommen. Brandstiftung öffnete am leichtesten die Tore und konnte unberechenbare, wenn auch unbeabsichtigte Folgen an den Bauten haben. Auch Männer zum Nutzen der wandernden Streitmacht als Dienstpersonal jeder Art, aber auch Frauen als Lust- bzw. Dienstobjekte, müssen Opfer der typischen Überheblichkeit und Habsucht der vorbeiziehenden Waffenträger gegenüber der Landbevölkerung gewesen sein. Ebenso war Schmuck und jede Art von tragbarem Privatbesitz nicht zu verachten. Die lokale Bevölkerung muss demnach sehr viel Schaden und Leid erfahren haben.40 Insofern ist es nicht übertrieben, mit Alan ­Cameron die Erschütterung der Bevölkerung Griechenlands wegen der verursachten Schäden als „the worst invasion Greece had sustained for a millennium“ zu bewerten41. Doch das alles bedeutet noch lange nicht, dass die Zerstörung der Städte oder der Kultur und der Infrastruktur des Landes das Ziel war, wie bereits von Claudianus tendenziell und auch in der neueren Zeit behauptet wurde. Der archäologische Befund für die in den Quellen namentlich genannten Städte Megara, Korinth, Argos, Tegea und Sparta bestätigt zwar, dass sie Opfer von Heimsuchungen durch die Goten gewesen sind, dass aber an keiner dieser Städte der Schaden so schwerwiegend war, dass von einer gewaltigen Katastrophe die Rede sein konnte,42 wie Claudianus und Zosimus ihren Lesern suggerieren wollten.43 Die verall­gemeinernden Schilderungen, geschmückt mit antikisierenden geographischen Namen, die eine ,totale‘ Katastrophe nahelegen, offenbaren bloß die Tendenz der Berichterstatter. Keine der genannten Städte scheint Opfer einer Eroberung von vernichtenden Ausmaßen gewesen zu sein. Deswegen waren die Städte kurz darauf wieder in der Lage, die Schäden zu beheben. Das archäologische Profil der Peloponnes am Anfang des fünften Jahrhunderts zwingt uns dazu, eine ,totale‘ Katastrophe gänzlich auszuschließen. Ebenso ist meines Erachtens jeder Verdacht grundsätzlich auszuschließen, dass die Goten, als frisch und daher angeblich fanatisch handelnde Christen oder von fanatischen Christen am Kaiserhof (etwa vom als

In diesem Sinne sind die übertriebenen Angaben zu verstehen und zu verorten, die Claudianus in dichterischen Farben mit antiken Reminiszenzen und in Anlehnung an klassische Vorbilder über den ausgedehnten Raub auf der Peloponnes macht: Vgl. Evangelos Chrysos, Οἱ Βησιγότθοι στὴν Πελοπόννησο (396-7 μ. Χ.), in: Akten der 2. Tagung der peloponnesischen Studien 2 (Athen 1981) 181–191. Siehe das sehr gelungene Bild, das Amelia Robertson Brown nach dem literarischen und dem archäologischen Befund über Korinth, aber auch über die ganze Peloponnes in ihrer leider noch nicht veröffentlichten Dissertation gezeichnet hat: Amelia Robertson Brown, The City of Corinth and Urbanism in Late Antique Greece (Diss. Berkeley 2008), online unter http://romangreece.com/Brown2008_CorinthDissUS.pdf. 41 Cameron, Claudian 168. Erkki Sironen, Inscriptiones Atticae Aetatis Quae Est Inter Herulorum Incursionem Et Imp. Mauricii Tempora (Berlin 2008). Siehe auch seine Dissertation: ders., The Late Roman and Early Byzantine Inscriptions of Athens and Attica (Diss., Helsinki 1997). Sironen verbindet manche Milliaria, die auf der Straße von Athen nach Patras aufgestellt worden waren, mit Sanierungsarbeiten an der Straße, die unmittelbar nach 397 vorgenommen worden sein könnten. Vgl. ders., Life and Administration of Late Roman Attica in the Light of Public Inscriptions, in: Post-Herulian Athens. Aspects of Life and Culture in Athens A.D. 267–529, ed. Paavo Castrén (Helsinki 1994) 15–62, hier 38f. 42 Hauptsächlich für Korinth, aber auch für die anderen Städte der Halbinsel siehe Amelia Robertson Brown, The City of Corinth and Urbanism in Late Antique Greece (Berkeley 2008) 76–94; online unter [http://romangreece.com/Brown2008_CorinthDissUS.pdf]. Manche Archäologen sind verständlicherweise froh, wenn sie ein verfallenes oder geplündertes Gebäude mit einer schriftlichen Quelle, wie eben Zosimus, in Verbindung bringen können, als wäre dies ein Beweis für die Chronologie Nach diesem Verfahren gilt beispielsweise das Jahr 396 in der Fachliteratur als das offizielle Ende der Stadt Sparta, weil sie eben von Zosimus im Zusammenhang mit Alarichs Invasion erwähnt wird. Alfred S. Bradford, A Prosopography of Lacedaemonians from the death of Alexander the Great, 323 B.C. to the sack of Sparta by Alaric, A.D. 396 (München 1977). Aber im Friedhof der Stadt sind Gräber ausgegraben worden, die eindeutig ins 5. Jahrhundert zu datieren sind, also ist Sparta trotz der vermeintlichen Plünderung nicht zerstört worden. Das ist nur ein Beispiel. Nach Überprüfung der archäologischen Befunde aus Böotien, Attika, und der Peloponnes, ist einwandfrei zu belegen, dass die Städte, aber auch die Landschaft, nicht in solchen Maßen zerstört worden war, dass man darin das Ende der Antike sehen dürfte. 43 Nach Zosimus 5, 6, 3, ed. Paschoud, Bd. 3, 13: Ἀλάριχος δὲ τὴν Ἀττικὴν πᾶσαν ἀπόρθητον ἀπολιπὼν δέει τῶν φανέντων φασμάτων ἐπὶ τὴν Μεγαρίδα παρῄει, καὶ ταύτην ἑλὼν ἐξ ἐπιδρομῆς τῆς ἐπὶ τὴν Πελοπόννησον ἐλάσεως εἴχετο, μηδεμιᾶς πειρώμενος ἀντιστάσεως. 5, 6, 4, ed. Paschoud, Bd. 3, 13: Ἐνδόντος δὲ αὐτῷ Γεροντίου τὸν Ἰσθμὸν διαβῆναι, πάντα λοιπὸν ἦν αὐτῷ δίχα πόνου καὶ μάχης ἁλώσιμα, τῶν πόλεων σχεδὸν ἁπασῶν διὰ τὴν ἀσφάλειαν ἣν ὁ Ἰσθμὸς παρεῖχεν αὐταῖς ἀτειχίστων οὐσῶν·εὐθέως οὖν ἡ Κόρινθος πρώτη κατὰ κράτος ἡλίσκετο καὶ πρόσοικα ταύτῃ πολίχνια καὶ ἐπὶ ταύτῃ τὸ Ἄργος καὶ ὅσα ἦν αὐτῆς τε καὶ Λακεδαίμονος ἐν μέσῳ χωρία. 5, 6, 5, ed. Paschoud, Bd. 3, 13: Καὶ αὐτὴ δὲ ἡ Σπάρτη συναπήγετο τῇ κοινῇ τῆς Ἑλλάδος ἁλώσει, μήτε ὅπλοις ἔτι μήτε ἀνδράσι μαχίμοις τετειχισμένη διὰ τὴν τῶν Ῥωμαίων πλεονεξίαν, ἀλλ᾽ ἄρχουσιν ἐκδεδομένη προδόταις καὶ τῇ τῶν κρατούντων ἡδονῇ προθύμως ὑπηρε- τουμένοις εἰς ἅπαντα τὰ πρὸς κοινὸν ὄλεθρον φέροντα. 40

„Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“

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fromm geltenden Prätorianerpräfekten Rufinus44) angestachelt, es sich zur Aufgabe gemacht hätten, die (heidnischen) Nationalgötter Griechenlands systematisch zu vertilgen.45 Kehren wir nun zu dem vermeintlichen Schicksal Athens in den Händen der Goten zurück. Ihre Präsenz auf der Akropolis ist durch keine schriftliche Quelle belegt. Aber auch die archäologischen Denkmäler liefern keine sichere Stütze für eine solche Auslegung. Bisher gibt es keine Möglichkeit, die Beschädigungen und Verstümmelungen des Parthenon und der anderen Bauten annähernd zu datieren. Die These von der gotischen Zerstörung ist also einerseits aus dem durchaus verständlichen Bedürfnis heraus entstanden, eine plausible Erklärung der zweifelsohne gezielt ausgeführten Verstümmelung der Metopen zu bieten, wovon man sich im Neuen Museum der Akropolis bequem ein Bild machen kann. Andererseits ist von einem Monument die Rede, dessen Geschichte immens schwierig zu deuten ist, weil sie, wie Robert Ousterhout sagt, „with the appropriation of the Parthenon as a national symbol“ zusammenhängt.46 Bevor wir die Stelle bei Zosimus ausführlich besprechen, in der er die Goten mit Athen in direkten Bezug bringt, sollen die anderen, weniger präzisen Angaben bei Autoren behandelt werden, die den Marsch der Goten durch Griechenland und auch Athen erwähnen. Claudianus erzählt, dass „grausame Fesseln athenische Mütter verschleppt hätten“.47 Dagegen schreibt Hieronymus: Romanus orbis ruit et tamen cervix nostra erecta non flectitur. Quid putas nunc animi habere Corinthios, ­Athenienses, ­Lacedaemonios, Arcadas, cunctamque Graeciam, quibus imperant barbari?48 Ähnlich liest man beim arianischen Kirchenhistoriker Philostorgios, dass Alarich mit seinen Kriegern aus Thrakien gegen Griechen­land vorstieß und Athen einnahm.49 Dies würde bedeuten, dass die Goten nicht nur durch das Land zogen und es mit Plünderungen heimsuchten, sondern dass sie es regelrecht eroberten. Diese Vorstellung, die bei Claudianus und später bei Philostorgios zu finden ist, dass nämlich der Durchzug der Goten gleichbedeutend mit einer Besetzung bzw. Eroberung gewesen sei, ist unsachgemäß, denn die Goten haben keine eigene Herrschaft in der Peloponnes errichtet und wohl keine Besatzungen in den Städten und über das Land verstreut zurückgelassen. Von diesen verallgemeinernden Schilderungen der Katastrophe Griechenlands abgesehen, sind ­Zosimus – bzw. seine nicht mehr erhaltene Vorlage Eunapius – die einzigen Quellen, die Alarich und die The Prosopography of the Later Roman Empire 1: 260-395 (Cambridge 1971), ed. Arnold Hugh Martin Jones/John ­Martindale, 778-781 s.v. Flavius Rufinus 18. Rufinus soll auf seinem eigenen Landbesitz Rufiniana ein Kloster mit ägyptischen Mönchen gegründet haben. 45 Sehr eindringlich und aufklärend sind die Ausführungen von Amelia Robertson Brown, Banditry or Catastrophe? ­History, Archaeology, and Barbarian Raids on Roman Greece, in: Romans, Barbarians, and the Transformation of the Roman World: Cultural Interaction and the Creation of Identity in Late Antiquity, ed. Ralph W. Mathisen/Danuta R. Shanzer (­Farnham 2011) 79–96. 46 Robert Ousterhout, Bestride the Very Peak of Heaven: The Parthenon in the Byzantine and Ottoman Periods, in: The Parthenon: From Antiquity to the Present, ed. Jenifer Neils (Cambridge 2005) 293–329. Siehe auch seine Rezension des Buches von Kaldellis (Anm. 88): Robert Ousterhout, The Christian Parthenon: Classicism and Pilgrimage in Byzantine Athens (review), in: Journal of Early Christian Studies 18, 1 (2010) 156–158. 47 Claudianus, In Rufinum 191, ed. Birt 41: nec fera Cecropiae traxissent vincula matres. Harry L. Levy, Claudian’s ,In ­Rufinum‘: An Exegetical Commentary (American Philological Association Philological Monographs 30, Philadelphia 1972). Man hat sich in der Forschung ernsthaft gefragt, ob es sich um Frauen aus der Stadt Athen oder aus der attischen Umgebung handeln soll. Diejenigen Gelehrten, die Zosimus Glauben schenken, deuten diese Angabe als Verweis auf die Verwüstung und Plünderung der Umgebung von Athen in Attika. Nach Edward Gibbon, Decline and Fall of the Roman Empire 5, 30 (Paris 1787): „The whole territory of Attica, from the promontory of Sunium to the town of Megara, was blasted by his baleful presence; and we may use the comparison of a contemporary philosopher, Athens itself resembled the bleeding and empty skin of a slaughtered victim.“ Wir haben jedoch keinen Anlass, den enttäuschenden Eindruck, den die Stadt Athen auf Synesius von Kyrene machte (ep. 136), als er sie kurze Zeit danach besuchte, als Ergebnis der vermeint­ lichen Präsenz der Goten in der Stadt zu verstehen. 48 Hieronymus, Epistula 60, 16 (ed. Migne, PL 22, Paris 1854) 600. Die Anlehnung an Claudianus und Vergil ist evident. 49 Philostorgios, Kirchengeschichte 12, 2 (ed. Joseph Bidez, in: Philostorgius. Kirchengeschichte. Mit dem Leben des ­Lucian von Antiochien und den Fragmenten eines arianischen Historiographen, 3. Auflage, ed. Friedhelm Winkelmann, ­Berlin 1981) 140f.: Ἀλάριχος Γότθος τὸ γένος, περὶ τὰ τῆς Θρᾴκης ἄνω μέρη δύναμιν ἀθροίσας, ἐπῆλθεν τῇ Ἑλλάδι καὶ τὰς Ἀθήνας εἷλεν. John Bagnell Bury, History of the Later Roman Empire, Band 1 (New York 1958) 119, glaubt, dass ­Philostorgius zwar von Athen spricht, „but he meant Piraeus“. Ähnlich bereits Albert Guldenpenning, Geschichte des Oströmischen Reiches unter den Kaisern Arcadius und Theodosius II. (Halle 1885) 67. Interessant ist, dass die drei Kirchenhistoriker Sokrates, Sozomenus und Theodoretus den Einfall der Goten in Griechenland ignorieren. 44

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Goten mit Athen in Verbindung bringen. Die Glaubwürdigkeit dieser Autoren ist bereits, insbesondere von François Paschoud, dem kritischen Herausgeber des Zosimus,50 in Frage gestellt bzw. nachgewiesen worden. Eunapius war ein heidnischer Sophist am Ende des 4. Jahrhunderts, und Zosimus ein heidnischer Historiker am Anfang des 6. Jahrhunderts, der von Eunapius getreulich abschrieb. Beide heidnischen Autoren haben polemisch gegen die ,Konstantinische Wende‘ geschrieben, um den Untergang des Römischen Reiches einzig und allein den christlichen Kaisern seit Konstantin dem Großen zu Last zu legen.51 In diesem Sinne behandeln Eunapius und Zosimus den Einfall der Goten in Griechenland als eine göttliche Strafe für die Pietätlosigkeit des christlich gewordenen Reiches.52 Insofern kann man im Sinne von Eunapius und Zosimus mit Richard Goulet sagen, „l’invasion barbare de l’Empire romain est donc une invasion chrétienne“.53 Deswegen ist man gut beraten, alle ihre historischen Aussagen im Rahmen dieser Zielsetzung zu verstehen. Im 5. Buch des Zosimus heißt es folgendermaßen: „Bei dem Einfall der Westgoten in Griechenland konnten sich lediglich (5, 7) die Thebaner dank der starken Befestigung ihrer Stadt retten und außerdem, weil Alarich, den es drängte, Athen einzunehmen, sich mit ihrer Belagerung nicht aufhalten wollte. (5, 8) Nachdem die Thebaner aus dem genannten Grunde heil davon gekommen waren, rückte Alarich Richtung Athen vor. Er meinte nämlich, die Stadt ganz leicht erobern zu können, da sie wegen ihrer Ausdehnung von den Einwohnern nicht zu schützen sei und außerdem nach Besetzung des Piraeus die Belagerten sich aus Lebensmittelmangel alsbald ergeben müssten. Solchen Hoffnungen gab sich ­Alarich hin, die altehrwürdige Stadt sollte jedoch auch in derart fürchterlichen Augenblicken eine gewisse göttliche Vorsehung auf sich lenken und unzerstört bleiben. (6, 1) Man darf auch den Grund, dem die Stadt ihre Rettung verdankte, nicht mit Stillschweigen übergehen; es handelt sich dabei in gewissem Sinne um ein göttliches Eingreifen, das die Hörer zur Ehrfurcht aufruft: Als nämlich Alarich mit seiner gesamten Streitmacht an die Stadt heranrückte, sah er, wie Athene Promachos, bewaffnet und gleichsam entschlossen, die Angreifer abzuwehren, so wie man sie abgebildet findet, die Mauer umwandelte und der Heros Achilleus davor stand, in einer Erscheinung, wie ihn Homer den Troern zeigte, als er zornerfüllt, den Tod des Patroklos rächend, kämpfte. (6, 2) Diesen Anblick vermochte Alarich nicht zu ertragen, er verzichtete auf jeden Anschlag gegen die Stadt, trat vielmehr in Unterhandlungen … Man nahm die Vorschläge an und tauschte Eide, dann betrat Alarich mit kleinem Gefolge Athen, wo er jedwede Art von Höflichkeit erfuhr. Nachdem er ein Bad genommen, zusammen mit den Notabeln der Stadt einem Gastmahl beigewohnt und außerdem noch Geschenke empfangen hatte, zog er ab und ließ die Stadt und ganz Attika unversehrt hinter sich. (6, 3) Die Stadt der Athener war schon bei dem Erdbeben unter der Regierung des Valens, das ganz Griechenland erschütterte, allein verschont geblieben – ich erwähne dies bereits im vorausgehenden Buch – und kam auch damals wieder trotz äußerster Gefährdung unversehrt davon. Alarich aber, der aus Angst vor den Geistererscheinungen ganz Attika unberührt verlassen hatte, wandte sich gegen Megara, erstürmte die Stadt und setzte, ohne auf Widerstand zu stoßen, seinen Marsch in die Peloponnes fort.“54 François Paschoud, Zosime, Histoire nouvelle (3 Bde., Paris 1971–1986). Udo Hartmann hat mit akribischer Kleinarbeit herausgearbeitet, wie Eunapius und Zosimus mindestens in einem Punkt voneinander abweichen, trotz der sonst nicht anzuzweifelnden Abhängigkeit des Zosimus von Eunapius: „[...] und die Pronoia hat die Menschheit noch nicht verlassen“. Udo Hartmann, Die Konstruktion der Geistesgeschichte als pagane Gegen­welt in Eunaps Philosophenviten, in: Griechische Profanhistoriker des fünften nachchristlichen Jahrhunderts, ed. Bruno Bleckmann/Timo Stickler (Stuttgart 2014) 51–84. 52 Richard Goulet, Eunape de Sardes: Vies de philosophes et de sophistes (Collection des universités de France. Série grecque 508, Paris 2014) 324. 53 Ebd., 326. 54 Zosimus, Historia Nova 5, 5, 5, ed. Paschoud, Bd. 3, 11: Ἐπὶ τούτοις Ἀλάριχος τῶν Θρᾴκης ἀπανίστατο τόπων, καὶ ἐπὶ Μακεδονίαν προῄει καὶ Θεσσαλίαν, πάντα καταστρεφόμενος τὰ ἐν μέσῳ· γενόμενος δὲ Θερμοπυλῶν πλησίον ἔπεμπε λάθρᾳ πρὸς Ἀντίοχον τὸν ἀνθύπατον καὶ Γερόντιον τὸν ἐφεστηκότα τῇ Θερμοπυλῶν φυλακῇ τοὺς τὴν ἔφοδον ἀγγελοῦντας. 5.5.6: Καὶ ὃ μὲν ἀπεχώρει μετὰ τῶν φυλάκων, ἐνδιδοὺς ἐλευθέραν καὶ ἀκώλυτον τὴν ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα πάροδον τοῖς βαρβάροις· οἳ δὲ ἐπὶ λείαν ἕτοιμον τῶν ἀγρῶν καὶ παντελῆ τῶν πόλεων ἀπώλειαν ἐχώρουν, τοὺς μὲν ἄνδρας ἡβηδὸν ἀποσφάττοντες, παιδάρια δὲ καὶ γυναῖκας ἀγεληδὸν ἅμα τῷ πλούτῳ παντὶ λῃζόμενοι. 5, 5, 7: Καὶ ἡ μὲν Βοιωτία πᾶσα, καὶ ὅσα μετὰ τὴν ἀπὸ Θερμοπυλῶν εἴσοδον Ἑλληνικὰ ἔθνη διῆλθον οἱ βάρβαροι, ἔκειντο τὴν ἐξ ἐκείνου μέχρι τοῦ νῦν καταστροφὴν διδόντα τοῖς θεωμένοις ὁρᾶν, μόνων Θηβαίων διὰ τὸ τῆς πόλεως ὀχυρὸν περισωθέντων, καὶ ὅτι σπεύδων τὰς Ἀθήνας ἑλεῖν Ἀλάριχος οὐκ ἐπέμεινε τῇ τούτων πολιορκίᾳ. 5, 5, 8: Θηβαίων τοίνυν διὰ τοῦτο ἐκπεφευγότων ἐπὶ τὰς Ἀθήνας ἐχώρει, ῥᾷστα τὴν πόλιν οἰόμενος ἑλεῖν διὰ τὸ μέγεθος παρὰ τῶν ἔνδον φυλαχθῆναι οὐ δυναμένην, καὶ προσέτι τοῦ Πειραιῶς 50 51

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Nach einem verfehlten Versuch, Theben einzunehmen, eilte also Alarich nach Athen im Glauben, die Stadt ohne größere Anstrengung zu erobern, weil sie wegen ihrer Größe und den langen Mauern schwierig zu verteidigen gewesen sei. Zosimus versteht als Kriegsziel die Eroberung [οἰόμενος ἑλεῖν]. Gibt diese Formulierung das strategische Ziel wieder? Der Ausdruck διὰ τὸ μέγεθος in Bezug auf die Mauer offenbart den antikisierenden Charakter der Angabe, denn er verweist wohl auf die antike Ausdehnung der Stadtmauer und schließt entsprechend aus, dass das strategische Ziel nur der kleine Stadtkern innerhalb der sogenannten ,Post-Herulian Wall‘ nördlich der Akropolis gewesen sei, wie von Bouras angenommen wurde.55 Die Annahme, Athen würde sich „nach Besetzung des Piräus alsbald ergeben“,56 setzt eine auf längere Dauer geplante Belagerung Athens voraus, was dem Wesen des westgotischen Einfalls widerspricht. Ohnehin wären im Ernstfall die Lebensmittel nicht von Piräus sondern eher aus den Feldern Attikas gekommen.57 Die Erwähnung von Piräus versteht sich meines Erachtens im Sinne der Aussage des Eunapius [VS 10, 7, 4–5]58, dass der Sophist und Rhetor Prohaeresius erfolgreich für die Bevölkerung Athens interveniert haben soll, um Getreidelieferungen aus den naheliegenden Inseln zu erhalten. Nach dem Bericht des Zosimus kam es jedoch nicht so, wie es angeblich von Alarich geplant war. Denn Athen wurde durch Eingreifen der Göttin Athene Promachos gerettet. Die Einleitung „es handelt sich dabei in gewissem Sinne um ein göttliches Eingreifen, das die Hörer zur Ehrfurcht aufruft“, zeigt

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ἐχομένου σπάνει τῶν ἐπιτηδείων μετ᾽ οὐ πολὺ τοὺς πολιορκουμένους ἐνδώσειν· ἀλλ᾽ ὁ μὲν Ἀλάριχος ἐν ταύταις ἦν ταῖς ἐλπίσιν, ἔμελλε δὲ ἡ τῆς πόλεως ἀρχαιότης καὶ ἐν οὕτω δυσσεβέσι καιροῖς θείαν τινὰ πρόνοιαν ὑπὲρ ἑαυτῆς ἐπισπᾶσθαι καὶ μένειν ἀπόρθητος. 5, 6, 1: Ἄξιον δὲ μηδὲ τὴν αἰτίαν δι᾽ ἣν ἡ πόλις περιε σώθη, θεοπρεπῆ τινα οὖσαν καὶ εἰς εὐσέβειαν τοὺς ἀκούον τας ἐπικαλουμένην, σιωπῇ διελθεῖν· ἐπιὼν Ἀλάριχος πανστρατιᾷ τῇ πόλει τὸ μὲν τεῖχος ἑώρα περινοστοῦσαν τὴν πρόμαχον Ἀθηνᾶν, ὡς ἔστιν αὐτὴν ὁρᾶν ἐν τοῖς ἀγάλμασιν, ὡπλισμένην καὶ οἷον τοῖς ἐπιοῦσιν ἀνθίστα σθαι μέλλουσαν, τοῖς δὲ τείχεσι παρεστῶτα τὸν Ἀχιλλέα τὸν ἥρω τοιοῦτον οἷον αὐτὸν τοῖς Τρωσὶν ἔδειξεν Ὅμηρος, ὅτε κατ᾽ ὀργὴν τῷ θανάτῳ τοῦ Πατρόκλου τιμωρῶν ἐπο λέμει. 5, 6, 2: Ταύτην Ἀλάριχος τὴν ὄψιν οὐκ ἐνεγκὼν πάσης μὲν ἀπέστη κατὰ τῆς πόλεως ἐγχειρήσεως, ἐπεκηρυκεύετο δέ· τοὺς λόγους προσδεξαμένων ὅρκους τε λαβόντων καὶ δόντων, εἰσῄει σὺν ὀλίγοις Ἀλάριχος εἰς τὰς Ἀθήνας· τυχὼν δὲ φιλοφροσύνης ἁπάσης, λουσά μενός τε καὶ κοινωνήσας ἑστιάσεως τοῖς ἐν τῇ πόλει λογάσι, καὶ προσέτι γε δῶρα λαβών, ἀπεχώρει τήν τε πόλιν ἀβλαβῆ καὶ τὴν Ἀττικὴν πᾶσαν καταλιπών. Die zitierte deutsche Übersetzung ist aus: Zosimos, ,Neue Geschichte‘, übersetzt und eingeleitet von Otto Veh, durchgesehen und erläutert von Stefan Rebenich [Bibliothek der griechischen Literatur, 31] (Stuttgart 1990), 212 f. Bouras, Alaric in Athens 4: „The city, which apparently Alaric did not destroy, was confined to the north of the Acropolis well protected by its post-Roman fortifications known as the post-Herulian wall.“ Die Angabe über Piräus verstehen Bury und viele andere nach ihm als Verweis auf eine tatsächliche Einnahme: „They occupied Piraeus but Athens was spared“. Siehe Bury, History 119. So auch Frantz, Did Julian the Apostate rebuild the Parthenon 49: „Alaric arrived in Attica in 396 and promptly captured the Piraeus in order to cut off supplies for Athens.“ Aus dieser Stelle herzuleiten, dass Piräus – im Gegensatz zu Athen – wirklich erobert wurde, ist aber sehr verwunderlich. Denn Zosimus spricht lediglich vom Plan Alarichs und nicht von erfolgter Eroberung. Außerdem war die Hafensiedlung seit längerer Zeit ein wesentlich kleinerer Ort gewesen als früher – Strabo nennt ihn ja „eine kleine Siedlung“, die sogenannten Langen Mauern waren längst verfallen und deswegen ist die von Zosimus bezweckte Gleichsetzung des Hafens im Zustand des 4. Jahrhunderts mit dem Hafen der klassischen Zeit anachronistisch. Genauso anachronistisch ist die Ansicht von Zosimus, ohne den Hafen von Piräus wäre die Zufuhr der Nahrungsmittel in Athen schwer beeinträchtig. Denn die Lebensmittel kamen seit langem nicht mehr auf dem Seeweg. Dimitris Grigoropoulos, After Sulla: Study in the Settlement and Material Culture of the Piraeus Peninsula in the Roman and Late Roman Period (Diss., Durham, Durham University 2005) 205, online unter: http://etheses.dur.ac.uk/2630/, bemerkt dazu: „Textual sources speak of a troublesome time for southern Greece and Attica at the time after the supposed invasion of Alaric in the late 4th century AD, but for Athens, archaeological evidence suggests some moderate prosperity“. In der detaillierten Analyse des archäologischen Materials bleiben mit Recht das Jahr 396 und die Goten unerwähnt. Vgl. auch ders., Tablewares and amphorae in Late Roman ­Piraeus: General trends in ceramic supply between the 3rd and 6th centuries AD, in: Κεραμική της Ύστερης Αρχαιότητας από τον ελλαδικό χώρο (3ος-7ος αι. μ.Χ.) (Thessaloniki 2010) 671–688, hier 683, wo er die Vermutung äußert, dass die Schiffe, die seit dem 4. Jahrhundert Getreide von Nordafrika nach Konstantinopel brachten, Zwischenstation am Hafen von Piräus machten. Dimitris Grigoropoulos, Kaiserzeitliche und spätantike Keramik aus Attika in der Sammlung des Deutschen Archäologischen Instituts Athen, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 124 (2009) 403–494, belegt durch die Keramik das aktive Agrarleben Attikas in der Spätantike. Siehe auch die unveröffentlichte Disserta­tion an der Universität Birmingham von Elissavet Tzavella, Urban and Rural Landscape in early and middle Byzantine Attica (4th–12th C. AD) (2012): Ihr Ergebnis ist, dass trotz der gelegentlichen Verweise einzelner Ausgrabungen auf vermeint­ liche Zerstörungen durch die Goten kein klarer Befund vorliegt, der an eine Heimsuchung Attikas denken lassen würde. Eunapius, Vitae Sophistarum 10, 7, 4–5, ed. Goulet 80.

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sehr deutlich, dass es sich um eine sagenhafte Geschichte handelt, die keine historische Darstellung sein will, sondern der religiösen Frömmigkeit einer heidnischen Hörerschaft dient. Als nämlich Alarich mit seiner gesamten Streitmacht an die Stadt heranrückte, soll er gesehen haben, wie Athene Promachos, bewaffnet und gleichsam entschlossen, die Angreifer abzuwehren, also in der Gestalt, wie sie in ihrem berühmten Standbild dargestellt war, auf der Mauer entlang ging. In ihrer Begleitung marschierte Achilles, wie ihn Homer beschreibt, als er sich den Troern zeigte, wie er zornerfüllt kämpfte, um den Tod des Patroklos zu rächen.59 Es ist offensichtlich, dass Zosimus nicht eine reale Göttin Athene und den wirklichen Heros Achilles präsentieren wollte. Vielmehr bezog er sich stereotyp auf die Statue der Athene (die einschließlich der Basis immerhin 12 Meter groß war) [ὡς ἔστιν αὐτὴν ὁρᾶν ἐν τοῖς ἀγάλμασιν] und zitiert Homers „Zorn des Achilles“. So wurde aus Alarichs vermeintlichem Aufenthalt in Athen eine erhoffte Wiederbelebung der heidnischen Götterwelt.60 Zosimus will ferner den Eindruck erwecken, Alarich und die westgotische Streitmacht hätten aufgrund des Anblicks der göttlichen Verteidiger Athens gänzlich auf den Angriff gegen die Stadt verzichtet. Vielmehr wurde eine friedliche, mit Eid bestätigte Vereinbarung getroffen, die auch von den (wohl noch heidnischen) Stadtbewohnern beschworen wurde. Darauf wurde Alarich mit wenigen Begleitern in die Stadt eingelassen. Hier soll er freundlich aufgenommen worden sein, er genoss sogar ein Bad, wohnte einem Gastmahl mit den Notabeln der Stadt bei und erhielt Geschenke, bevor er die Stadt und ganz Attika in Ruhe und Sicherheit verließ. Offensichtlich wollte Zosimus Athen nicht als eine freiwillig unterjochte Stadt präsentieren.61 Der Verweis auf das Bad in der Stadt könnte wohl als eine sarkastische Reflexion den Barbaren gegenüber verstanden werden, die auf die hellenische bürgerliche Voreingenommenheit des Zosimus bzw. des Eunapius zurückgeht. Das Gastmahl verweist meines Erachtens auf den heidnisch-bürgerlichen Brauch, in den nun der Westgote eingeweiht wurde. Es ist alles in allem wohl eine unzeitgemäße und irreale, daher anekdotenhafte Schilderung.62 An einer Stelle der Vitae Philosophorum et Sophistarum bringt Eunapius eine Nachricht, die gewöhnlich auf die Eroberung Athens durch die Goten im Jahre 396 bezogen wird. Der Autor erwähnt den Tod des Neoplatonikers Priskus, der mehrere Jahrzehnte lang Leiter der Athener Philosophenschule und mit über 90 Jahren just zu dem Zeitpunkt gestorben ist, als das ,Ende der Heiligtümer‘ erfolgt sei. Die Formulierung des Eunapius ist sehr charakteristisch: „Im hohen Alter von über 90 Jahren nahm sein Leben zusammen mit den Heiligtümern Griechenlands ein Ende.“63 Damit wird sehr deutlich, dass Eunapius, wie vor ihm Claudianus und Hieronymus, im Zusammenhang mit der gotischen Invasion das Ende des Reiches beschwören wollte. Demnach folgt der Schluss, dass es keine glaubwürdige Angabe einer schriftlichen Quelle gibt, welche die Einnahme Athens belegen würde. Was sagt nun die Archäologie dazu? Athen ist in jüngerer Zeit über mehrere Jahrzehnte von ver­ schiedenen Forschergruppen ausgegraben und untersucht worden. Die Ergebnisse der Arbeit der ­American School of Classical Studies vor allem in der Agora, fasste Alison Frantz in ihrem Band über

Vgl. Paschoud, Zosime, Bd. 3, 96. Otto Seeck hat mit Recht diese Schilderung „ein Tendenzmärchen“ genannt: Otto Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt 5 (Stuttgart 1921) 552 (zu 280, 5) Der kritische Herausgeber des Zosimus, François Paschoud, Zosime 97, hat in seinem Kommentar diese Schilderung lapidar beurteilt. Sie sei parfaitement incroyable. 61 Mit Recht sagt Bury, History 119: „Alaric was entertained as a guest in the city of Athens“. 62 Nach Edward Gibbon war Alarich „affected to show that he was not ignorant of the manners of civilized nations“; Edward Gibbon, Decline and Fall 175. 63 Eunapius, 8, 10, ed. Giangrande 58; ed. Goulet 60: Toῑς τῆς Ἑλλάδος ἱεροῑς εἰς μακρόν τι γῆρας ἀνύσας, ὅς γε ἦν ὑπὲρ τὰ ἐνενήκοντα, συναπώλετο. Die Übersetzung von Becker, Eunapios 114, der die Stelle ebd. 415 folgenderweise kommentiert: „Der Kontext weist mit Sicherheit auf die Griechenlandinvasion Alarichs im Jahre 395 n.Chr.“ hin. In einem Brief vom 30. März 2015 teilt mir Herr Becker mit: „Indem Eunapios diesen Konnex zwischen dem Tod des Priskos und dem Untergang der Heiligtümer herstellt, möchte er – denke ich – auch eine inhaltliche Aussage machen dahingehend, dass pagane Religion und neuplatonische Philosophie nicht nur beide bedroht sind, sondern auch sehr eng zusammen ge­ hören. [­Allerdings] ein Kausalzusammenhang ginge aber meinem Gefühl nach wohl an dieser Stelle zu weit.“ Vgl. Richard ­Goulet, Dictionnaire des philosophes antiques 5b (Paris 2012) 1538: „Priscus mourut à l’époque de la destruction des temples de la Grèce qui marqua la fin tragique des paϊens.“ Siehe auch ders.,Mais qui était donc le gendre de la sœur de Priscus? Enquête sur les philosophes d’Athènes au IVe siècle après J.-Chr., in: Studia graeco-arabica 2, The Journal of the ERC, Greek into Arabic. Philosophical Concepts and Linguistic Bridges 2 (2012) 33–77, hier 49. 59 60

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The ­Athenian Agora64 zusammen: „It now seems certain that Alaric did succeed in entering the city with his soldiers, at least as far as the Agora, where he destroyed a number of buildings […] and struck terror into the minds of whatever inhabitants had not been able to take refuge within the Post-Herulian Wall, before going into the city to strike a bargain for the ransom of the city.“65 Dieses Ergebnis ist allerdings bei weitem nicht von allen Archäologen akzeptiert worden. Alex Rügler,66 B. Böttger67 aber auch viele andere68 haben mit ihrem archäologischem Befund gezeigt, dass sie einen konkreten Nachweis für die Präsenz der Goten in Athen nicht zu erbringen vermögen. Lange bevor die moderne Historiographie und die Archäologie die uns geläufige Aufmerksamkeit der Präsenz der Goten und ihrer katastrophalen Folgen widmete,69 wurde das Thema aktuell, als Jacob Philipp Fallmerayer das Konzept einer vollständigen Slawisierung Griechenlands im frühen Mittelalter entwickelte und im Jahre 1830 sein Buch Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters veröffentlichte. Die Slawen hatten deshalb so großen Erfolg, weil das Land völlig entvölkert war und sie in ein leeres Land vorstoßen konnten. Deswegen erwies sich auch der Bericht des Zosimus als sehr willkommen, so dass Fallmerayer schreiben konnte: „Die Gothen und ihr Feldherr waren – wohl im Jahre 395 – eben neubekehrte Christen Arianischen Bekenntnisses. Und zu der angeborenen Wildheit, Raubsucht, Raserei und Blutgierde dieser Nord­ männer ward in solcher Weise auch noch die Gluth fanatischer Religionsschwärmerei beigesellet, damit ja durch Austilgung jedes Funkens menschlicher Gefühle durch die doppelten Stachel natürlicher Wildheit und eingeimpften Glaubens eine Art höllischer Geister entstünde, um sie gegen die Götter Griechenlands loszulassen.“70 Fallmerayer hat bekanntlich die These aufgestellt, dass kein Tropfen griechischen Blutes in den Adern der Neugriechen fließe, weil die Bevölkerung des Landes zu seiner Zeit aus Slawen und ­Albanesen bestand, denn die wirklichen Griechen seien bereits ausgerottet worden71. Wie in der Forschung seit ­längerem festgestellt worden ist, war Fallmerayer auch publizistisch für den weiteren Bestand des Osmani­schen Reiches eingetreten und hatte sich folglich gegen den griechischen Freiheitskrieg und ­gegen die philhellenische Bewegung gestellt, weil er eine große Furcht vor den Slawen hatte – dies betraf vor allem Deutschland (!) – und daher sollten die Russen als Repräsentanten des Slawentums auf alle Fälle nicht als Verbündete der slawischen „Neugriechen“ geduldet werden. Insofern bekämpfte er nicht die Griechen, sondern die Slawen von Griechenland.72 Wie Baron Joseph Ow bereits in 1848 Frantz, The Athenian Agora. Ebd. 52. Vgl. Paavo Castrén, General aspects of life in post-Herculian Athens, in: Post-Herulian Athens. Aspects of Life and Culture in Athens A.D. 267–529, ed. Paavo Castrén (Helsinki 1994) 1–14, hier 9. Auch andere Aufsätze in dem­selben Band weisen in diese Richtung. Als jüngste einschlägige Stimme verweise ich auf den offiziösen Führer des Akropolis-­ Museums: Dimitrios Pandermalis/Stamatia Eleftheratou/Christina Vlassopoulou, Acropolis Museum. Guide (Athen 2015) 300: „The invading Visigoths, led by Alaric, arrived in the city in A.D. 396 and caused considerable ruin.” 66 Alex Rügler, Die Datierung der ,Hallenstrasse‘ und des ,Festtores‘ im Kerameikos und Alarichs Besetzung Athens, in: Mitteilungen des deutschen archäologischen Instituts. Athenische Abteilung 105 (1990) 279–294. 67 Burkhard Böttger, Die kaiserzeitlichen Tonlampen vom Kerameikos. Kerameikos. Ergebnisse der Ausgrabungen 16 (­München 2002). 68 So früher schon Homer A. Thompson, Athenian Twilight: AD 267–600, in: Journal of Roman Studies 49 (1959) 61–72. 69 Im Zeitalter Winckelmanns war man bekanntlich nur der Klassik zugewandt. Erst im Reisebericht Richard Chandlers (wie Anm. 7), der übrigens als erster Olympia vor Ort identifizierte, finden wir folgende Schilderung: „Athens was about to experience a conquest more savage even than Sylla. This was Alaric, king of the Goths, who under the emperors Arcadius and Honorius, overran Greece and Italy, sacking, pillaging and destroying. Then the Peloponnesian towns were overturned, Arcadia and Lacedaemon were laid waste, the two seas by the Isthmus were burnished with the flame of Corinth and the Athenian matrons were dragged in chains by barbarians. The invaluable treasures of antiquity, it is related, were removed; the stately and magnificent structures converted into piles of ruin; and Athens was stripped of everything splendid or ­remarkable. Synesius, a writer of that age, compares the city to a victim, of which the body had been consumed, and the hide only remained.“ Die Abhängigkeit von Zosimus, aber auch von Claudianus und Synesius von Kyrene ist evident. 70 Jakob Philipp Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters. Ein historischer Versuch. Erster Teil: Untergang der peloponnesischen Hellenen und Wiederbevölkerung des leeren Bodens durch slavische Volksstämme (Stuttgart/Tübingen 1830). 71 Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel 4: „Denn nicht ein Tropfen ächten und ungemischten Hellenenblutes fließet in den Adern der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlands.“ 72 Georg Veloudis, Jakob Philipp Fallmerayer und die Entstehung des neugriechischen Historismus, in: Südostforschungen 29 (1970) 43–90. Jüngst erschien der Sammelband: Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1861): Der Gelehrte und seine 64 65

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schrieb: „Er (Fallmerayer) ermahnt das germanische Europa zur Einheit und zum Widerstand gegen die drohende Weltherrschaft der Russen noch bevor es zu spät wird!“73 Um seine These der vollständigen Slawisierung Griechenlands zu untermauern, musste also Fallmerayer das Land von seiner antiken Bevölkerung vollkommen entleeren. Und für diesen Zweck waren Alarich und seine Westgoten als ,Landbereiniger‘ ausgewählt worden. Liest man Fallmerayer aus dieser Perspektive, so wird man sich nicht über den Exzess in der Darstellung der gotischen Präsenz in Griechenland wundern: „Alle Städte und Dörfer wurden angezündet, alle erwachsenen Personen männlichen Geschlechts getödtet, Kinder und Weiber als Sclaven weggeführt, die Tempel der alten Götter geschleift, die Bilder verhöhnt und zertrümmert, besonders aber die Mauern und Castelle der befestigten Städte vom Grunde aus niedergerissen, und das Land, so weit die feindlichen Fluthen drangen, in eine Wüste verwandelt. Alarich, von einer uns beinahe unbegreiflichen Wuth fortgerissen, hatte auch das Mauerwerk besonders an Citadellen, Ringmauern, solide Tempelwände womöglich aus dem Fundamente herausgerissen und zermalmen lassen.“74 Diese These wird sogar als Untertitel des Buches geführt: „Untergang der peloponnesischen Hellenen und Wiederbevölkerung des leeren Bodens durch slavische Volksstämme“. Bereits im Vorwort heißt es entsprechend: „Das Geschlecht der Hellenen ist in Europa ausgerottet [wohl von den West­goten]. […] Denn auch nicht ein Tropfen echten und ungemischten Hellenenblutes fließet in den Adern der christ­ lichen Bevölkerung des heutigen Griechenlands.“75 Zosimus folgend lässt Fallmerayer Alarich zwar die Stadt Athen schonen, aber mit einer sehr interessanten Bemerkung: „Wäre Alarich nicht Barbar allein, wäre er auch stupid gewesen, so hätte ohne Zweifel schon damals auch die Propyläen, das P ­ arthenon und die kolossale Schutzgöttin der Akropolis das Loos der Vernichtung getroffen. Starke Mauern, Muth und Schmeichelei dieser alten Athenäer erwirkten aber Schonung von Seiten eines Fürsten, den seine Bestimmung, die alte Welt zu zerstören, rastlos durch die Länder trieb.“76 Diese Bewertung der westgotischen Invasion hat natürlich großen Eindruck auf die Menschen des 19. Jahrhunderts gemacht. Sogar Johann Wilhelm Zinkeisen, der als erster eine ernste fachliche Er­ widerung der These Fallmerayers über das angeblich slawisierte Griechenland entgegenstellte, hat den Einfall von 395–396 in ähnlicher Weise wie Fallmerayer beschrieben,77 wenn auch ohne sich die unkritischen Übertreibungen von der angeblich völligen Vernichtung der Bevölkerung zu eigen zu machen: „Die Barbaren fielen mit Feuer und Schwerdt in die offenen Weiler, Dörfer und Städte ein, mordeten ohne Unterschied Männer und Jünglinge schleppten Frauen und Kinder mit Hab und Gut als Sklaven hinweg, und zerstörten mit blinder Wuth heidnische Tempel, christliche Kirchen, befestigte Bergschlösser und unbeschützte Wohnungen an den Ufern der Flüsse und am Gestade des Meeres. Vor ihnen her aber zogen Schaare schmutziger Mönche, welche die wilde Lust der Zerstörer bis zum ungezügelten Fanatismus steigerten, indem sie Untergang predigten Heiden und Rechtgläubigen und durch Verrath und thätige Hülfe das Werk der Vernichtung förderten, wo es Noth that.“78

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­ ktualität im 21. Jahrhundert, ed. Claudia Märtl/Peter Schreiner (München 2013). Zur umfangreichen Bibliographie siehe A Michael Grünbart, Jakob Philipp Fallmerayer – Bibliographie der Sekundärliteratur 1900–2011 (Wien 2011) und zu seiner Biographie siehe Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1861). Annäherungen an seine Biographie, ed. Ellen Hastaba (Innsbruck 2009). Joseph von Ow, Die Abstammung der Griechen und die Irrtümer und Täuschungen des Dr. Ph. Fallmerayer (München 1848). Fallmerayer, Geschichte der Halbinsel Morea 122. Interessant wäre, die unmittelbaren Vorgänger Fallmerayers zu verifizieren. Er hatte natürlich Gibbon gelesen, aber auch Lord Byron gekannt (Ellen Hastaba). Ob er auch Richard Chandler gelesen hatte, ist nicht zu eruieren. Ebd. Aus seinem gelehrten Jugendwerk, Geschichte des Kaisertums von Trapezunt (München 1827, ND Darmstadt 1964), ist offensichtlich, dass 1827 seine These noch nicht entwickelt war. Denn im Prolog auf S. VIII ist, noch in der hergebrachten Vorstellung, von den Neugriechen als den „Enkeln eben jener Männer, die einst bei Platäa und Salamis gleichsam für die Freiheit des menschlichen Geschlechtes gestritten haben“ die Rede. Ebd. 123. In seiner bereits 1832 veröffentlichten Geschichte Griechenlands. Vgl. Johann Wilhelm Zinkeisen, Geschichte Griechenlands vom Anfange geschichtlicher Kunde bis auf unsere Tage 1 (Leipzig 1832) 626ff. Interessant ist, dass auch Konstantinos Paparrhegopoulos, der sich als Vater der neugriechischen Geschichtsidentität und als wichtigster Kritiker Fallmerayers unter den Griechen des 19. Jahrhunderts ausweisen sollte, den Einfall der Goten in Griechenland in ähnlicher Schärfe geschildert hat. Vgl. Konstantinos Paparrhegopoulos, Geschichte der griechischen Nation 2 (Athen 1865) 699–704. Zinkeisen, Geschichte Griechenlands 633.

„Haben die Barbaren die Nationalgötter Griechenlands zerstört?“

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Es ist interessant zu sehen, dass der einzige Punkt, in dem Zinkeisen von Fallmerayer abwich, die herumlaufenden Mönche betrifft, die keine hellenischen Christen sein konnten, sondern dass es sich um arianische Mönche gehandelt haben muss: „Mir scheint es natürlicher anzunehmen, dass diese Mönche sich ursprünglich beim Heere des Alarich befanden, vielleicht selbst als Werkzeuge des Rufinus, als dass sich hellenische Christen und Mönche, welche letzteren wohl überhaupt um diese Zeit in Hellas noch nicht sehr zahlreich seyn konnten, erst während des Zuges von allen Seiten den Barbaren angeschlossen haben sollten, wie Fallmerayer annimmt. Diese Ansicht setzt eine Feindschaft zwischen hellenischen Christen und Heiden voraus, wie sie sich mit geschichtlichen Zeugnissen kaum erweisen lassen möchte.“79 Auch der wissenschaftlich sehr gründlich arbeitende und daher sehr ernst zu nehmende Karl Hopf, der nach eigenen Archivforschungen das Wissen über das mittelalterliche Griechenland wesentlich gefördert hat, folgt der Darstellung Fallmerayers vom gotischen Einfall, ohne zu ahnen, dass diese Darstellung zwangsweise zur These über die Slaven führt, gegen die er selbst scharf polemisierte80. So schrieb Hopf in Anlehnung an Fallmerayer: „Schon Alarichs Horden hatten die Nationalgötter der ­Hellenen zerstört“81. Die Erwiderung kam im Jahre 1886 aus der Feder von Ferdinand Gregorovius, der eine ,kleine Schrift‘ schrieb unter dem Titel ,Hat Alarich die Nationalgötter Griechenlands zerstört?‘82 Gregorovius, der Stadthistoriker von Rom und Athen, hat trotz des großen Respekts vor Fallmerayer einen gelungenen Versuch unternommen, die Übertreibungen in dessen Thesen zurechtzurücken, ohne sich vom ihm ganz zu entfernen. So meint er, dass „in der Geschichte Altgriechenlands die gothischen Völker mehr als einmal verheerend aufgetreten sind, und es lässt sich nicht leugnen, dass sie dort mit Feuer und Schwert dem Christenthum Bahn gemacht und den Hellenismus, wenigstens von außen, stark erschüttert ­haben“.83 Des Weiteren ist die Rede von „dem bisher friedlichen, vom Wohlstand blühenden griechischen Festlande [...]“ „Man hat“ – er meint wohl Fallmerayer – „den Zusammenbruch der antiken griechischen Welt von der Invasion Alarichs hergeleitet und diesen Westgothen als den Verbündenden des Christenthums bei dem grausamen Werk der Vernichtung der hellenischen Kultur betrachtet“.84 Dagegen versuchte Gregorovius das Bild des angeblich gezielt und systematisch zerstörten Landes zu korrigieren. Er hat zum einen die These von der Ausrottung der männlichen und der Versklavung der weiblichen Bevölkerung und der Kinder als Topos erkannt. Zum andern hat er den Verfall der klassischen Gebäude auf natürliche Gründe und nicht zuletzt auf die verheerenden Folgen der vielen durch die Quellen belegten Erdbeben zurückgeführt. Allerdings kann das von Gregorovius entworfene Bild noch weiter revidiert werden,85 wenn man die schriftlichen Quellen erneut befragt, die archäologischen Hinweise sorgfältig überprüft und die möglichen Ziele der einfallenden Germanen im Lichte des heutigen Standes der Völkerwanderungsforschung hinterfragt. In Hinblick auf das Schicksal Athens kommt Gregorovius zum Ergebnis, dass „Alarich am Ende kein ganz so brutaler Barbar gewesen ist und die Nationalgötter und die Tempel Athens ebenso unberührt gelassen hat.“86 Es handelte sich also um eine größere Invasion, die unerwartet war und die die weitere Entwicklung der Region bestimmte, aber nicht ihr Ende bedeutete. Wenn wir abschließend die Frage stellen, wann die Metopen verstümmelt wurden, kann ich nur ­darauf hinweisen, dass der Parthenon als Tempel nie gezielt zerstört worden ist und dass er in seiner ­späteren Geschichte dreimal baulichen Veränderungen unterworfen war: Vielleicht erst um die ­Mitte des 6. Jahrhunderts als Kirche ,Panagia Atheniotissa‘,87 dann unter der fränkischen Herrschaft im Ebd. Karl Hopf, Geschichte Griechenlands vom Beginn des Mittelalters bis auf unsere Zeit (Leipzig 1870, ND New York 1960) 34-53. 81 Ebd. 19. 82 Ferdinand Gregorovius, Kleine Schriften zur Geschichte und Cultur (Leipzig 1887) 49–72. 83 Ebd. 51. 84 Ebd. 52. 85 Vgl. auch Bury, History 119, Anm. 2, wo die korrigierende Einstellung des Gregorovius gelebt wird, mit dem Verweis auf die Appendix 13 im Band 3 der von ihm besorgten Auflage von Edward Gibbon, Decline and Fall of the Roman Empire (London 1909). 86 Ebd. 60. 87 Der Zeitpunkt der Umbauten am Parthenon, um ihn für die christliche Funktion vorzubereiten, ist nicht mit Sicherheit zu datieren. Paavo Castrén, Paganism and christianity in Athens and vicinity during the fourth to sixth centuries A.D., in: The 79 80

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13. Jahrhundert als römisch-katholische Kirche und schließlich als Moschee, als die Osmanen die ­Herren Athens wurden.88 Zumindest für den ersten und dritten Umbau blieb jeweils genügend Zeit, die technischen Arbeiten vorzunehmen, die nach religiösen Kriterien erfolgen sollten.89 Zusammenfassend ist zu sagen, dass in der römischen Zeit und besonders in der Spätantike Griechen­ land einen langen Prozess eines demographischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verfalls erlebt hat, und dass auch die alte Religion in ihrer öffentlichen Ausübung von diesem Verfall stark betroffen war. Die Einfälle der Barbaren, der Heruler im 3., der Goten im 4. und der Vandalen im 5. Jahrhundert, haben diesen Verfall beschleunigt; sie haben sicher die Infrastruktur auf dem Land und in den Städten empfindlich geschädigt. Es waren aber nicht die Barbaren, ob Heiden (die Heruler) oder Christen (die Goten und die Vandalen), die die ,Nationalgötter‘ der Hellenen zerstörten.90

Idea and Ideal of the Town between Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Gian P. Brogiolo/Bryan Ward-Perkins, (Leiden 1999) 211–223, und Bryan Ward-Perkins, Reusing the architectural legacy of the past, entre idéologieet pragmatisme in: The Idea and Ideal of the Town between Late Antiquity and the Early Middle Ages, ed. Gian P. Brogiolo/Bryan Ward-Perkins (Leiden 1999) 225–244; Helen Saradi, Late Paganism and Christianisation in Greece, in: The Archaeology of Late Antique ‘Paganism’, ed. Luke Lavan/Michael Mulryan (Leiden 2011) 261–301, bes. 267ff. 88 Anthony Kaldellis, The Christian Parthenon. Classicism and Pilgrimage in Byzantine Athens (Cambridge 2009); Garth Fowden, The Parthenon between antiquity, barbarism and Europe, in: Journal of Roman Archaeology 23 (2010) 802– 810. Zu den Metopen vgl. Katerine Schwab, A Celebration of Victory: The Parthenon Metopes, in: The Parthenon: From ­Antiquity to the Present, ed. Jenifer Neils (Cambridge 2005) 159–197; Ousterhout, Bestride the Very Peak of Heaven. Siehe auch seine Rezension des Buches von Kaldellis: Ousterhout, The Christian Parthenon. 89 Über die Überlegungen technischer Art, die gegen eine Gleichsetzung der Verstümmelung der Metopen mit dem Umbau des Tempels zu einer Kirche sprechen, auf die Bouras, Alaric in Athens, verweist, zu urteilen, überlasse ich der fachmännischen Kompetenz der Archäologen. 90 Bei der Entstehung dieses Beitrags stand ich mit vielen Kollegen im digitalen Austausch. Mein besonderer Dank gilt Matthias Becker, Tübingen; Amalia Brown, Brisbane; Charalampos Bouras (†), Athen; Siegmar Döpp, Göttingen; Hans Eideneier, Köln; Dimitris Grigoropoulos, Athen; Udo Hartmann, Jena; Ellen Hastaba, Innsbruck; Anthony Kaldellis, Ohio; Manolis Korres, Athen; Robert Ousterhout, Philadelphia; Francois Paschoud, Genf; Ivan Prchlík, Prag; John Pollini, Los Angeles; Stefan Rebenich, Bern; Betsey Robinson, Nashville; Georg Steinhauer, Athen; Katherine Schwab, Fairfield; ­Tassos Tanulas, Athen; Dimitris Triantaphyllopoulos, Nikosia; Herwig Wolfram, Wien; David Woods, Corke; Bernhard Zeller, Wien.

Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma

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A n d r e a s S c h wa r c z

Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma Das Jahr 476 n. Chr. war gekennzeichnet von zwei entscheidenden Änderungen in der Regierung der beiden Reichsteile des Imperium Romanum: Am 23. August dieses Jahres erhoben die barbarischen Soldaten der Präsentalarmee in Italien ihren Anführer Odovacar zum König, der Anfang September dann den letzten Kaiser des Westens, den minderjährigen Romulus, absetzte, nachdem er dessen Vater Orestes besiegt und hingerichtet hatte. Ebenfalls im August übernahm der oströmische Kaiser Zenon wieder die Herrschaft in Konstantinopel, die er Anfang 475 an seinen Widersacher und Konkurrenten Basiliscus, der jetzt den Tod fand, verloren hatte. Bei dieser Gelegenheit ersetzte der oströmische Kaiser auch den gotischen Magister utriusque militiae praesentalis Theoderich Strabo, den König der thraki­ schen Goten, durch seinen Namensvetter und gentilen Konkurrenten, den Sohn des Thiudimir. Dieser erhielt auch den Titel eines Patricius und die Anerkennung als König der Goten, formalisiert durch die Bezeichnung als amicus populi romani und die Adoptio per arma durch den Kaiser nach barbarischer Sitte. Diese scheint nach den Worten des Jordanes etwas später erfolgt zu sein, war aber jedenfalls 478 bereits gegeben, denn nach Malchus kommentierte damals Theoderich Strabo die Plünderungen seines Konkurrenten in den Rhodopen mit den Worten, „dies täte einer, den die Römer als ,Freundʻ und ,Sohnʻ bezeichneten.“1 484 wurde der Thiudimirsohn dann auch noch Consul Ordinarius. Theoderich selbst hat dann als Herrscher des Regnum Hesperiae die Adoptio per arma ebenfalls als politisches Instrument benutzt. Der politisch wichtigste Anlass, bei dem sie auch eingesetzt wurde, war die Sicherung von Theoderichs eigener Nachfolge. Da der Gotenkönig keine Söhne hatte, ­regelte er diese 515 n. Chr. mit der Heirat seiner Tochter Amalasuntha mit dem ebenfalls der amalischen ­Familie angehörenden Eutharicus Cilliga. Dieser war ein direkter Nachkomme des legendären Goten­königs ­Ermanarich. Sein Großvater Beremod war mit seinem Sohn Viterich, dem Vater Eutharichs, nach ­Jordanes kurz nach der Königserhebung des Westgotenkönigs Theoderich I. in Gallien eingetroffen, also etwa um 420 n. Chr., und wir haben keinen Anlass, diese Angaben zu bezweifeln, denn Viterich ist zum Jahr 439 als erfolgreicher militärischer Anführer und römischer Foederatenführer bei Prosper Tiro belegt. Cassiodors Chronik gibt Eutharich jedenfalls anlässlich der Hochzeit bereits den Titel vir gloriosus.2 Die Nachrichten über sein Alter sind widersprüchlich. Jordanes berichtet, Theoderich habe seinen Schwiegersohn aus Spanien geholt und nennt ihn „von jugendlichem Alter“, also unter 33 Jahre alt, „und Klugheit, Tapferkeit und einen gesunden Körper versprechend.“3 Die Bemerkung Cassiodors, in einem Brief im Namen des Königs Athalarich an Kaiser Justinus I. anlässlich seiner Thronbesteigung, der Vater wäre annis vobis paene …aequaevus, erschienen, also nahezu gleichalt wie der damals ca. 70 1



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Malchus, frg. 18, 4 (ed. Roger C. Blockley, The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus, 1‒2, ARCA 6 und 10, Leeds 1981/1983) hier Bd. 2, 434f.: Et post aliquod tempus ad ampliandum honorem eius in arma sibi eum filium adoptavit […] Jordanes, Getica 289 (ed. Theodor Mommsen, Jordanis Romana et Getica. MGH AA 5, 1 Berlin 1882) 132; Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie (München 31990) 270; Andreas Schwarcz, Die Goten in Pannonien und auf dem Balkan nach dem Ende des Hunnenreiches bis zum Italienzug Theoderichs des Großen, in: MIÖG 100 (1992) 50‒83, hier 69. Cassiodor, Chronica 1358 s.a. 515 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora 2, Berlin 1894) 109‒161, hier 160; Jordanes, Getica 81, 251, 298, ed. Mommsen, 77 f., 122 f. und 134 f.; Prosper Tiro, Epitoma Chronicon 1337 s.a. 439 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica Minora 1, Berlin 1892) 341‒499, hier 477; Frank M. Ausbüttel, Theoderich der Große (Darmstadt 2003) 129f. bezweifelt den Stammbaum und hält Eutharich für den Sohn von Theoderichs Cousin Vidimir. Jordanes, Getica 298, ed. Mommsen 134f.

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Jahre alte Justinus, muss dagegen verblüffen, und soll wohl ausdrücken, dass beide im Gegensatz zum unmündigen Athalarich, voll handlungsfähige erwachsene Männer, viri eben, waren. Stillschweigend wird damit der bereits greise Justinus wieder verjüngt.4 Wenn man in Betracht zieht, dass Eutharich dann drei Jahre später, 518 n. Chr., auf Wunsch Theoderichs vom Senat und Volk von Rom als Consul ordina­ rius für das Westreich für das kommende Jahr designiert wurde, ist man eher geneigt, anzunehmen, dass Eutharich erst in diesem Jahr das vorgeschriebene Alter für den Konsulat erreichte.5 Die Designation des Eutharich erfolgte wohl bereits nach dem Herrschaftswechsel in Konstantinopel am 10. Juli 518, als dem greisen Anastasius I., der im Alter von 88 Jahren gestorben war, der Comes Excubitorum Justinus, ein überzeugter Vertreter der Orthodoxie, nachfolgte. Dessen erste Ziele waren die Bereinigung des akazianischen Schismas und der Ausgleich mit der orthodoxen Opposition gegen Anastasius im Ostreich. Es traf sich günstig, dass der seit 17. April amtierende neue Patriarch von ­Konstantinopel Johannes II. ebenfalls sofort diese neue Politik aufgriff, am 15. und 16. Juli feierlich das Konzil von Chalkedon anerkannte, Papst Leo wieder in die Dyptichen aufnahm und nach einer Synode in einer von 50 Archimandriten unterschriebenen Bittschrift den Kaiser ersuchte, den chalkedonischen Glauben und damit die Kommunion mit Rom im Reich wiederherzustellen. Synoden in Jerusalem und Tyrus nahmen diese Forderungen auf.6 Im Dezember 518 traf die Gesandtschaft des neuen Kaisers unter Führung des Magister scrinii Gratus in Italien ein. Sie brachte nicht nur Briefe an den Papst ­Hormisdas, sondern informierte auch in Ravenna über die geänderten Verhältnisse im Osten. Die Gelegen­heit ­nützte Theoderich unzweifelhaft auch für die Sicherung seiner Nachfolge und ihre Anerkennung durch ­Konstantinopel. 7 Das erste Signal dafür war natürlich die Akzeptanz der westlichen Konsulatsnominierung durch den neuen Kaiser. Dies war umso bedeutsamer, weil damit Eutharich den eponymen Konsulat gemeinsam mit dem Kaiser selbst in dessen ersten Konsulatsjahr ausübte. Gratus nahm wohl auch den weiteren Wunsch des Gotenkönigs in dieser Angelegenheit bereits bei seiner Rückkehr nach Konstantinopel mit. Die päpstliche Gegengesandtschaft unter Führung des alexandrinischen Diakons Dioscurus wurde am 25. März 519 in Konstantinopel vom Neffen und Erben, des Kaisers, Justinian, feierlich mit dem ­Introitus 10 Meilen vor der Stadt begrüßt. Die Verhandlungen führten zu einer vollen Einigung zwischen den beiden Patriarchaten und damit zu einer Beendigung des akazianischen Schismas. Rom erreichte die Verurteilung des Akakios und seiner vier Nachfolger als Patriarchen sowie der Kaiser Zenon und Anastasius als Ketzer. Die Kommunion war wieder hergestellt, aber Konstantinopel bestand auf der Gleichrangigkeit mit Rom.8 Gleichzeitig schloss Justinus auch Frieden mit dem Anführer der ortho­ doxen Kirchenpartei im Osten, dem Comes Vitalianus, der zum Magister militum praesentalis ernannt wurde und für 520 als Konsul designiert wurde.9 Auch Theoderich erreichte das Ziel seiner Forderungen: Seine Nachfolgeregelung wurde vom K ­ aiser nochmals bestätigt, indem der Kaiser seinen Erben anerkannte und ihm außerdem die Adoptio per arma gewährte.10 Der Gotenkönig feierte diesen Erfolg mit Triumphzügen in Rom und Ravenna, bei denen Goten und Römer reich beschenkt wurden. Den Processus consularis vollzog der neue Konsul in Rom. Nach der Schilderung Cassiodors, der auch die Festrede auf das Konsulat des Fl. Eutharicus Cilliga vor dem Senat hielt, feierte dieser seinerseits die Erhebung mit den traditionellen und äußerst aufwendigen Zirkusspielen in Rom, für die Tiere aus Afrika importiert wurden. Cassiodors Weltchronik, für d­ iesen

Cassiodor, Variae 8, 1, 3 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894) 231 bezieht sich aber auch auf Theoderich als Waffensohn eines oströmischen Kaisers und für ihn stimmt die Gleichaltrigkeit mit Justinus ja. 5 Cassiodor, Chronica 1362 s.a. 518, ed. Mommsen 161. 6 Erich Caspar, Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, 1‒2 (Tübingen 1930/1933) hier Bd. 2, 149f. 7 Ausbüttel, Theoderich 106f; Caspar, Geschichte des Papsttums 2, 150. 8 Ausbüttel, Theoderich 107. 9 John B. Bury, History of the Later Roman Empire from the Death of Theodosius I. to the Death of Justinian, 1‒2 (London 1923, ND New York 1958) hier 2, 20f.; siehe auch Andreas Schwarcz, Die Erhebung des Vitalianus, die Protobulgaren und das Konzil von Heraclea 515, in: Bulgarian Historical Review 4 (1992), 3‒10, hier 9 f., und ders., Beato Petro devotissimus ac si catholicus. Überlegungen zur Religionspolitik Theoderichs des Grossen, in: MIÖG 112 (2004) 37‒52, hier 52. 10 Cassiodor, Variae 8, 1, 3, ed. Mommsen 231. 4



Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma

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Anlass verfasst, schließt mit der Schilderung dieser Festivitäten, die auch Ausdruck der Concordia ­zwischen den beiden Reichsteilen des Imperiums waren.11 Da Eutharich bereits 523 verstarb, blieb von dieser Verankerung der Nachfolge Theoderichs nur ein minderjähriger Enkel, der Sohn des Eutharich und der Amalasuntha, die nach dem Tod des Goten­königs am 30. August 526 die Regentschaft für den wohl 516 geborenen Athalarich übernahm.12 Der Groß­ vater hatte ihn kurz vorher zum Erben designiert und bemerkenswerterweise ging der Herrschaftsüber­ gang ­ruhig über die Bühne. Dabei spielte sicher auch eine Rolle, dass neben der Regentin ein bewähr­ ter ­General in der Person des Tuluin, mit einer Amalerin verheiratet, die Armeeführung als ­Patricius ­praesentalis übernahm und mit der Aufnahme in den Senat auch eine Verankerung als römischer Bürger ­ assiodor und Patrizier erhielt.13 Tuluin wird interessanterweise wegen dieser Rolle für Athalarich von C auch mit Gensimund verglichen, der unmündigen amalischen Erben – nach Wolfram wohl die Vater­ generation Theoderichs des Großen, sein Vater Thiudimir und seine Onkel Vidimir und ­Valamir – als Waffensohn ihres ungenannten Vaters, das Erbe gesichert habe.14 Aber realpolitisch ebenso wichtig ist auch die Anerkennung der Nachfolge seitens des Kaisers. Der Anfang von Buch acht der Variae ist diesem Herrschaftsübergang gewidmet und beginnt mit dem offiziellen Schreiben im Namen des ­Athalarich an den Kaiser Justinus. Cassiodor betont dort im Namen des Königs vor allem zwei Grundlagen der Legitimität der ­neuen Regierung und der Ostgotenherrschaft in Italien: zunächst einmal den Konsulat des Großvaters im Ostreich von 484 n. Chr. und den Konsulat des Vaters in Italien von 519 n. Chr.15 Dann folgt die ­Adoptio per arma, die Athalarich einerseits für sich ebenfalls wünscht, und damit den gleichen Status wie sein Vater (und auch sein Großvater),16 die aber andererseits durch die Adoption des Vaters ihm selbst gleich­ sam den Status eines Enkels des Kaisers verleiht. Als solcher begehrt er Frieden, die Anerkennung und die kaiserliche Zuneigung.17 Für ein eigenes Konsulat kam er als unmündiger Knabe nicht in Frage. Die Adoptio per arma scheint Athalarich 526 noch vom greisen Justinus erhalten zu haben, denn sonst hätte Cassiodor dieses Schreiben nicht an die Spitze von Buch acht gestellt. Ostrom stellte jedenfalls bis zu seinem Tod 534 die Legitimität seiner Herrschaft und der Regentschaft seiner Mutter nicht in Frage. Theoderich war aber nicht nur selbst der Waffensohn eines römischen Kaisers. Als Herrscher des Regnum Hesperiae hat er dieses politische Instrument auch selbst in seiner Außenpolitik eingesetzt. Das ist aber auch bereits von seinem Vater Thiudimir bezeugt: Dieser hatte als römischer Foederatenführer die in der Savia stationierten Sueben unter ihrem König Hunimund um 467 n. Chr.18, als die Ostgoten noch in Pannonien saßen, nach einem Angriff auf Dalmatien auf ihrem Rückzug gestellt und besiegt und Hunimund gefangen genommen. Die Freilassung des Suebenkönigs nach einer Adoptio per arma sei­ tens Thiudimund drückte auch die Anerkennung der Oberhoheit des siegreichen Gotenkönigs aus. Das hinderte allerdings die Sueben wenige Jahre später nicht daran, gemeinsam mit den anderen Völkern im pannonischen Raum ab Ende 468 oder Anfang 469 n. Chr. die Ostgoten erneut anzugreifen.19

Anonymus Valesianus 80 (ed. Ingomar König, Aus der Zeit Theoderichs. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar einer anonymen Quelle. Texte zur Forschung 69, Darmstadt 1997) 88f. und 184‒189; Cassiodor, Chronica 1362‒1364, ed. Mommsen, 160 f.; dazu Ausbüttel, Theoderich der Große 131. 12 Ingomar König, Aus der Zeit Theoderichs 184. 13 Cassiodor, Variae 8, 9 und 10, ed. Mommsen 237‒241; John R. Martindale, The Prosopography of the Later Roman Empire 2: A. D. 395–527 (Cambridge/London/New York/New Rochelle/Melbourne/Sydney 1980) 1131f. 14 Cassiodor, Variae 8, 9, 8, ed. Mommsen 239; dazu Wolfram, Goten 255. 15 Cassiodor, Variae 8, 1, 3, ed. Mommsen 231: Vos avum nostrum in vestra civitate celsis curulibus extulistis, vos genitorem meum in Italia palmatae claritate decorastis. 16 Cassiodor, Variae 8, 1, 3, ed. Mommsen 231. 17 Cassiodor Variae 8, 1, 4, ed. Mommsen 231: Atque ideo pacem non longinquus, sed proximus peto, quia tunc mihi dedistis gratiam nepotis, quando meo parenti adoptionis gaudia praestititis. 18 Friedrich Lotter/Rajko Bratož/Helmut Castritius, Völkerverschiebungen im Ostalpen-Mitteldonauraum zwischen Antike und Mittelalter, 375‒600 (RGA Erg. Bd. 39, Berlin/New York 2003) 110. 19 Jordanes, Getica 274, ed. Mommsen 129: [...] etiam ipsum regem Hunimundum captum omnem exercitum eius, qui gladio evadissent, Gothorum subderet servituti. Et dum multum esset amator misericordiae, facta ultione veniam condonavit reconciliatusque cum Suavis eundem, quem ceperat, adoptans sibi filium, remisit cum suis in Suavia. Schwarcz, Goten in Pannonien 60; Wolfram, Goten 265. 11

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Auch im Fall von Theoderichs Adoptionsakt drückt das Verhältnis zwischen dem Adoptivvater und seinem Waffensohn unterschiedlichen Rang und Unterordnung aus: Cassiodor, Variae, 4,2, ein diplomatisches Schreiben Theoderichs des Großen, ist an einen nament­ lich nicht genannten rex Erulorum gerichtet, der wohl zu Recht mit dem letzten Herulerkönig dieses ­Gebiets, dem aus Prokopios und Paulus Diaconus bekannten Rodulfus identifiziert wird. In diesem Schreiben und mit der Gesandtschaft, die es überbringen sollte, sprach der italische Gotenkönig die Adoptio per arma, die Adoption durch Waffenleihe nach barbarischer Sitte aus und übersandte dem so Geehrten Pferde, Schilde, Schwerter und anderes Kriegsgerät als Geschenke, aber auch Ratschläge. Die Datierung ergibt sich aus der Einordnung am Beginn des 4. Buchs der Variae, da Cassiodor in den ersten 4 Büchern relativ genau chronologisch einordnet und alle Dokumente im Wesentlichen aus den vier Amtsjahren seiner Quästur, also 507-511, stammen.20 Dem Schreiben geht ein Brief an den Thüringer­ könig Herminafrid voran, das die Vermählung des Königs mit einer Amalerprinzessin, der im Brief nicht namentlich genannten Nichte Theoderichs Amalaberga, behandelt und der Gesandtschaft mit der Braut mitgegeben wurde.21 Dem folgenden Schreiben entnehmen wir die Erhebung des Senarius zum Comes Patrimonii für den Beginn der dritten Indiktion, also für den ersten September 509,22 und das ist der Terminus ante quem für die beiden vorangegangenen Briefe. Senarius, den Theoderich oft für diplo­ matische Missionen verwendete,23 hat wahrscheinlich an einer oder gar an beiden erwähnten Missionen teilgenommen.24 Die diplomatischen Schritte Theoderichs sind wohl im Zuge seiner weitgespannten Bündnispolitik nach dem Angriff der Franken Chlodwigs auf das Westgotenreich 507 im Zuge der Vorbereitung des militärischen Eingreifens in Gallien und der Abwehr der byzantinischen Bedrohung von Osten erfolgt, jedenfalls bevor sich am 24. Juni 508 das Ostgotenheer zum Gegenangriff in der Liguria sammelte. Theoderich hatte den Hof zur Vorbereitung des Angriffs nach Mailand verlegt.25 Theoderichs Brief an den Herulerkönig könnte man als Aufforderung zu koordiniertem Vorgehen gegen gemeinsame Feinde verstehen. Der Wortlaut des Schreibens lässt keinen Zweifel daran, wer der überlegene Partner in dieser Be­ ziehung ist: Es ist der Gotenkönig, dessen Ratschlägen der Herulerkönig folgen soll. Er schenkt dem Waffen­sohn nicht nur Waffen, sondern auch guten Rat und Anleitung. Und die Waffen soll der Be­ schenkte für den Nutzen beider gebrauchen.26 Der Krieg mit den Franken und Burgundern hinderte um­ gekehrt dann den Ostgotenkönig an einer Waffenhilfe für den Waffensohn, als die Langobarden wenig später, vielleicht noch 508, spätestens 509, das Herulerreich an der Donau vernichteten. Als weiteres Beispiel kennen wir noch den Fall einer nicht zustande gekommenen Adoptio per arma. Wie Prokopios, Bellum Persicum 1,11 berichtet, wollte der Perserkönig Kavad seinem drittgeborenen Sohn Husrav unter Übergehung von zwei älteren Söhnen die Nachfolge sichern. Angesichts des kurz da­ vor erfolgten Herrschaftsantritts des Justinus 518 in Konstantinopel unter Übergehung der Ver­wandten des Anastasius I. befürchtete er, dass Ähnliches nach seinem Tod in Persien passieren könnte. Die ­Stellung des designierten Thronfolgers sollte eine Adoption durch den römischen Kaiser sichern. Eine persische Gesandtschaft bot im Austausch dafür einen umfassenden Friedensvertrag, der den Kriegs­ zustand beenden sollte, der seit dem Auslaufen des siebenjährigen Waffenstillstands von 505 n. Chr. Vgl. Stefan Krautschick, Cassiodor und die Politik seiner Zeit (Bonn 1983) 111, der das Schreiben 76 auf 507 datiert;. John Moorhead, Theodoric in Italy (Oxford 1992) 193, erachtet das als zu früh. Andreas Schwarcz, Die Heruler an der Donau, in: Sprache als System und Prozess. FS für Günter Lipold zum 60. Geburtstag, ed. Christiane M. Pabst (Wien 2005) 504‒512, hier 510f. 21 Cassiodor, Variae 4, 1, ed. Mommsen 114. 22 Cassiodor, Variae 4, 3, ed. Mommsen 115 f. 23 Vgl. Martindale, The Prosopography 2, 988 f.; Schwarcz, Heruler an der Donau 510 f. 24 Schwarcz, Heruler an der Donau 510 f., siehe dazu auch Andrew Gillet, Envoys and political communication in the late antique West, 411–533 (Cambridge/New York/Port Melbourne/Madrid/Cape Town 2003) 212f. 25 Cassiodor, Variae 1, 24 und 2, 20, ed. Mommsen 27f. und 57; Andreas Schwarcz, Die Restitutio Galliarum des Theoderich, in: Teoderico il Grande e i Goti d’Italia (Atti del XIII Congresso internazionale di studi sull’Alto Medioevo. Milano 2‒6 novembre 1992, Spoleto 1993) 787‒798, hier 790. 26 Cassiodor, Variae 4, 2, 2f., ed. Mommsen 115: damus tibi quidem equos enses clipeos et reliqua instrumenta bellorum: sed quae sunt omnimodis fortiora, largimur tibi nostra iudicia. summus enim inter gentes esse crederis, qui Theoderici ­sententia comprobaris. [3] Sume itaque arma mihi tibique profutura. 20

Herrschaftsanerkennung und Nachfolgesicherung im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel der Adoptio per arma

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de facto zwischen den beiden antiken Großmächten bestand. Die Perser beriefen sich dabei auf die – in der Historiographie umstrittene – Vormundschaft, die angeblich Yazgird I. für den unmündigen ­Theodosius II. ausgeübt hatte, um diesem den Thron nach dem Tod seines Vaters Arcadius 408 n. Chr. zu sichern. Der Kaiser und sein Neffe Justinian waren schon bereit, auf das Angebot einzugehen, als der Quaestor sacri palatii Proklos/Proculus eindringlich vor der Annahme des Angebots warnte. Nach römischen Recht seien nämlich Adoptivsöhne voll erbberechtigt und damit würde nach dem Tod des Justinus der Perserprinz die Herrschaft im Imperium beanspruchen. Man beschloss daher, wohl auch nach Beratungen im Senat von Konstantinopel, den Persern nur eine Adoptio per arma, „nach Art, wie sie einem Barbaren zukommt“27 anzubieten.28 Die Verhandlungen fanden nach einem weiteren Austausch von Briefen wie üblich an der Grenze zwischen den beiden Großmächten statt, vermutlich in der Nähe von Daras oder Nisibis. 29 Die Delega­ tionen waren hochrangig besetzt. Die römische leiteten der Magister militum per Orientem Hypatios, ein Neffe des Kaisers Anastasius, und der ehemalige Magister militum per Thracias Rufinos, ein alter Bekannter des Perserkönigs Kavad.30 Die Perser waren vertreten durch den arteštaran salar Seoses/ Siyavuxš, einen engen Vertrauten Kavads, und den General (Magister) Mebodes/Mehbod. Husrav hielt sich zwei Tagesreisen entfernt am Tigris auf, um sofort nach Byzanz weiterreisen zu können, und rech­ nete offenbar mit einem positiven Ausgang der Gespräche.31 Diese scheiterten aber an zwei Verhand­ lungspunkten, die wechselseitig unannehmbar waren. Seoses warf den Römern vor, Lazika gewaltsam an sich gebracht zu haben. Tatsächlich hatte der Lazenkönig Tzath um 522 n. Chr. die Seiten gewechselt, war in Konstantinopel Christ geworden und von Justinus mit einer Dame aus bester Familie verheiratet worden. Dazu kam die offizielle Anerkennung als Rex socius mit entsprechenden Ehrengeschenken.32 Da über diese Affäre auch ein ergebnisloser diplomatischer Schriftwechsel geführt worden war, fanden jedenfalls die nun laufenden Verhandlungen nicht am Beginn der Regierungszeit des Justinus statt, son­ dern nach 522. Dies empörte die römische Delegation.33 Die Perser fanden ihrerseits den römischen Vorschlag einer Adoptio per arma und die Gleichstellung mit Barbaren als unzumutbar und so wurden die Verhandlungen ergebnislos abgebrochen. Besonders erbittert war auch der persische Kronprinz Husrav.34 Bemerkenswerterweise wurden beide Delegationen wegen des Scheiterns nach ihrer Rückkehr am eigenen Hof scharf kritisiert. Sowohl Rufinus wie auch Mebodes warfen ihren Mitverhandlern Hypatios und Seoses vor, aus Feindschaft gegen den eigenen Herrscher und als Friedensgegner sich verabredet zu haben, um die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Seoses wurde von Kavad hingerichtet, Hypatios als Magister militum per Orientem abgesetzt und einer offiziellen Untersuchung unterzogen, in deren Verlauf Angehörige seiner Familie, als der des Anastasius, unter der Folter aussagen mussten. Die Untersuchung verlief ergebnislos, im Gegensatz zu Seoses blieb Hypatios am Leben.35 Tatsächlich könnte Hypatios den Persern unverblümt und beleidigend die mindere Qualität der ­Adoptio per arma im Vergleich mit der gewünschten echten römischen Adoption verdeutlicht haben.36 Schon der Vergleich mit Barbaren musste auf die Perser als Provokation wirken. Jedenfalls hatten sich bei den Verhandlungen die Falken auf beiden Seiten gegen den Willen ihrer Monarchen durchgesetzt. Prokopios von Caesarea, Bellum Persicum 1, 11, 20 (ed. Otto Veh, Prokop. Perserkriege. Prokop, Werke 3, München 1970) 72 f. 28 Prokopios, Bellum Persicum 1,11,1‒20, ed. Veh 66‒73. Theophanes, Chronographia AM 6013 (ed. Johannes Classen/­ Immanuel Bekker, Theophanis Chronographia, Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae 26, 1‒2, Bonn 1838/1839) hier Bd. 1, 257‒259; Dazu Henning Börm, Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sassanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike (Oriens et Occidens. Studien zu antiken Kulturkontakten und ihrem Nachleben 16, Stuttgart 2007) 312 f. 29 So Börm, Prokop und die Perser 313. 30 So Prokopios, Bellum Persicum 1, 11, 24, ed. Veh 72f. 31 Prokopios, Bellum Persicum 1, 11, 25‒27, ed. Veh 74f. 32 Valeriana, die Enkelin des Patricius Nomos. Johannes Malalas, Chronographia XVIII, 134‒137 (ed. Ludwig August ­Dindorf, Joannis Malalae Chronographia. Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae 6, Bonn 1831) 412‒414; dazu Bury, History of the Later Roman Empire 2, 80. Zur Person Martindale, The Prosopography 2, 1141, s.v. Valeriana 2. 33 Prokopios, Bellum Persicum 1, 11, 28f., ed. Veh 74f. 34 Prokopios, Bellum Persicum 1, 11, 30, ed. Veh 74f. 35 Prokopios, Bellum Persicum 1, 11, 32‒37, ed Veh 74‒77. Dazu Börm, Prokop und die Perser 313f. 36 So Börm, Prokop und die Perser 314 n.1. 27

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527 wurde dann aus dem jahrelangen kalten Krieg ein offener Konflikt, der erst mit dem sogenannten ,Ewigen Friedenʻ von Frühling 532 endete.37 Manchmal wird auch noch eine Adoptio per arma im Fall des Avarenkhagans Baian angenommen,38 weil sein Gesandter Targitios ihn nach 567 n. Chr. bei den ergebnislosen Friedensverhandlungen mit Kaiser Justinus II. als ,Sohnʻ des Kaisers bezeichneten und diesen als ,Vaterʻ des Baian.39 Dabei han­ delt es sich aber nur um die im diplomatischen Verkehr dem Kaiser gegenüber übliche ehrende Unter­ ordnung. Eine vorhergehende Adoptio per arma wurde auch von Targitios nicht angesprochen und ist angesichts des völligen Mangels an Belegen in diesem Fall nicht anzunehmen, auch nicht, wie Claude vermutet hat,40 für die Endzeit Justinians I., auf die es auch keinerlei Hinweise gibt. Wenn wir nun abschließend nach dem Rechtscharakter der Adoptio per arma fragen, so können wir feststellen, dass sie, vor allem in Verbindung mit der Verleihung des Status als Amicus populi Romani, wie im Fall der Adoptio Theoderichs des Großen durch Kaiser Zenon eine Anerkennung seitens Roms als Rex socius bedeutete. Die Ehrengeschenke unterstrichen diesen Status. Zu diesen Ehrengeschenken, die mit der politischen Anerkennung des Königtums des Vertragspartners verbunden waren, gehörten seit der späten Republik üblicherweise auch Waffen.41 Die Waffenleihe bzw. Waffen als Ehrengeschenke waren auch durchaus im diplomatischen Umgang unter den gentilen Königen üblich, ohne dass man in jedem dieser Fälle gleich eine Adoptio per arma postulieren muss, wie es manchmal geschieht. So ist die Übersendung von Waffen an den Suebenkönig Remismund durch den Westgotenkönig Theoderich II. 465 n. Chr. eine klassische Anerkennung als Rex, aber nicht eine Adoptio per arma.42 Aber sowohl im Fall der Verwendung dieses Rechtsinstruments seitens des Kaisers wie auch im Fall gentiler Bezie­ hungen unter Foederatenkönigen drückt die Waffenleihe auch eine politische Unterordnung und eine Kampfverpflichtung des Waffensohns für den Adoptivvater aus. Darin hat sie Ähnlichkeiten mit den Verpflichtungen der Gefolgschaft, bei denen in der Regel der Gefolgschaftsherr die Gefolgschaft auch mit Waffen ausstattete. Spätere Zeiten haben dann in der Adoptio per arma durchaus auch ein Vorbild für den Ritterschlag gesehen. Eine derartige Annahme findet sich jedenfalls bereits bei Du Cange, der die Bezeichnung für den Ritterschlag, ,adouber chevalierʻ von ,adopterʻ ableitete und sie auf gotische Sitten zurückführte.43 Doch die Ursprünge des Rittertums liegen weit jenseits unseres Themas. Die von uns behandelten Beispiele stellen die Adoptio per arma in den Konnex eines spätantiken Rechtsinstru­ ments im Umgang mit gentilen Verbündeten. Eine lange Tradition verbindet sie sowohl mit den U ­ sancen im Zusammenhang mit der Anerkennung von Reges Socii und Amicos populi Romani aber auch, wie bereits Du Cange vermutet hat, besonders mit dem ebenfalls über lange Zeit entwickelten Umgang mit den Gentes externae, insbesondere den Goten. Über ihre Häufigkeit können wir nur Vermutungen an­ stellen, aber tatsächlich belegt ist sie nur in ganz wenigen Fällen und wird jedes Mal expressis verbis er­ wähnt. Daher sollte sie auch nicht allzu oft postuliert werden. Die Adoptio per arma war eine Ausnahme­ regelung in speziellen Fällen, aber nicht die Regel im Umgang sowohl der römischen Diplomatie mit gentilen Königen wie auch in den Beziehungen derselben untereinander.

Bury, History of the Later Roman Empire 2, 79‒89. So bei Dietrich Claude, Familiäre Beziehungen zwischen dem Kaiser und barbarischen Herrschern, in: Das Reich und die Barbaren, ed. Evangelos Chrysos und Andreas Schwarcz (VIÖG 29, Wien/Köln 1989) 25‒56, hier 31f., und zuletzt bei Wolfram Brandes, Die ,Familie der Königeʻ im Mittelalter. Ein Diskussionsbeitrag zur Kritik eines vermeintlichen Erkenntnismodells, in: Rechtsgeschichte. Legal History 21 (2013) 262‒284, hier 267. 39 Menander, Historia frg. 12, 6 (ed. Roger C. Blockley, The history of Menander the Guardsman. Introductionary essay, text, translation and notes, ARCA 17, ND Leeds 2006) 138‒143; entspricht Menander frg. 28M bei Ernst Doblhofer, Byzantinische Diplomaten und östliche Barbaren. Aus den Excerpta de legationibus des Konstantinos Porphyrogennetos ausgewählte Abschnitte des Priskos und Menander Protektor (Byzantinische Geschichtsschreiber 4, Graz/Wien/Köln 1955) 148‒152; Siehe dazu Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567‒822 n. Chr. (München 22002) 62f., der in Hinblick auf eine Adoptio per arma zu Recht skeptisch ist. 40 Claude, Familiäre Beziehungen 31f. 41 Percy Cooper Sands, The Client Princes of the Roman Empire under the Republic (Cambridge Historical Essays 16, ­Cambrige 1908) 75; Andreas Schwarcz, foederati, in: RGA 9 (Berlin/New York 21995) 291‒299, hier 291. 42 Jordanes, Getica 234, ed. Mommsen 117f., so interpretiert bei Claude, Familiäre Beziehungen, 44 n.29. 43 Charles Du Fresne Seigneur Du Cange, De Imperatorum Constantinopolitorum seu Inferioris Aevi vel Imperii ubi vocant Numismatibus Dissertatio (Rom 1755) 21. 37 38

A Byzantine Commonwealth, 476–553

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A Byzantine Commonwealth, 476–5531 Historians of the Later Roman Empire talk happily of the Mediterranean and Western Europe as a whole: certainly there are numerous modern accounts of individual provinces, but they are probably outnumbered by studies of the totality of the Roman World. When we move beyond 476, however, there is a distinct change in geographical coverage: Byzantium is considered as a single unit, but discussion of the history of the post-Roman West usually turns into a set of parallel discussions of individual ­kingdoms.2 We follow the histories of the Ostrogoths, the Franks, the Visigoths, the Burgundians and the Vandals separately, except in so far as they were in conflict one with another. This, of course, reflects our documentation, dominated as it is by texts that focus on one single political area. Histories of the early medieval West tend to consider it region by region, even when the approach is comparative. The relations of the Western regions with Byzantium have certainly attracted attention,3 but for the most part Byzantine relations with each kingdom have been considered separately. A more inclusive reading of Constantinopolitan western policy returns once one reaches Justinian’s wars of the mid sixth century. This is partly, of course, a reflection of the nature of our evidence: we know little of the ­policies of Zeno, Anastasius and Justin towards the West, certainly not enough to write a general ­history of ­Byzantine dealings with the successor states. With the reign of Justinian, however, we have the e­ xtremely rich documentation provided by Procopius, but even the History of the Wars deals with two western kingdoms in turn, offering no general account of the emperor’s western policy. Moreover, in so far as a general policy has been reconstructed, it is one suffused with the rhetoric of the Reconquest: it may, therefore, reflect views of the period after 533,4 and not give us a particularly reliable view of Byzantine attitudes towards the West in the first decades after 476, or even of the first years of Justinian’s reign.5 Yet, it may be possible to reconstruct something of the policy of Byzantium towards the West in the decades following 476 if we integrate the material relating to imperial dealings with Ostrogothic Italy, the Gibichung Rhône valley, Francia, and Vandal Africa, and most especially if, following in Herwig Wolfram’s footsteps,6 we look at the titles and honours given to barbarian rulers. The majority of this material is well known: in particular there are well-established debates relating to Theodoric’s title and to the so-called consulship of Clovis7 – and while Byzantine dealings with the Gibichungs and Hasdings are rather less discussed, they are not entirely unconsidered.8 What has been lacking to my knowledge is a study of ‘international politics’ of the immediately post-Roman period as a self-contained phase. Taken 1



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This expanded version of the paper delivered in Vienna is essentially the text given to the 1 Encontro Internacional de História Antigua e Medieval na Amazônia in April 2014. I would like to thank those present at both conferences (especially Herwig Wolfram, Andreas Schwarcz and Evangelos Chrysos) for their comments. But, for a comparative approach, see Herwig Wolfram, The Roman Empire and its Germanic Peoples (Berkeley 1990), and Chris Wickham, Framing the Early Middle Ages. Europe and the Mediterranean, 400–800 (Oxford 2005). Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (Graz 1967); Michael McCormick, Eternal victory: Triumphal Rulership in Late Antiquity, Byzantium and the Early Medieval West (Cambridge 1986). Pragmatic Sanction, Appendix vii, in: Justinian, Novellae (ed. Rudolf Schöll/Wilhelm Kroll, Berlin 1928) 799–802. See, however, Peter Brown, The World of Late Antiquity. AD 150–750 (London 1971) 153–154. Wolfram, Intitulatio I; Paul S. Barnwell, Emperor, Prefects and Kings. The Roman West, 395–565 (London 1992). Michael McCormick, Clovis at Tours, Byzantine public ritual, and the origins of medieval ruler symbolism, in: Das Reich und die Barbaren, ed. Evangelos Chrysos/Andreas Schwarcz (Wien 1989) 155–180; Ralph Mathisen, Clovis, Anastasius, and political status in 508 CE, in: The Battle of Vouillé, 507 CE, ed. Ralph Mathisen/Danuta Shanzer (Berlin 2012) 79–110. Ian N. Wood, Royal succession and legitimation in the Roman West, 419–536, in: Staat im frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalter 11, Vienna 2006) 59–72; Andy Merrills, The secrets of my succession: dynasty and crisis in Vandal North Africa, in: Early Medieval Europe 18 (2010) 135–159.

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together, I think the evidence suggests a distinctive Byzantine policy from 476 to 533, and even ­lingering slightly thereafter – a policy that might be usefully understood as the creation of a Commonwealth: and of course my use of language relating to the end of the British Empire and its transformation is ­deliberate, although it might be justified simply by noting that Commonwealth is a reasonable trans­ lation of the Roman term res publica. To pursue this line quickly takes us into the realms of hypothesis, above all because our evidence is so patchy. Yet, while we lack a detailed, year-by-year narrative of diplomatic history, we do have clusters of information for Byzantine relations with the majority of the kingdoms of the West relating to certain years, most notably 507–508 and 515–519, and these short periods will form the core of our discussion. Certainly imperial dealings with what would turn into the successor states long antedated 476. In the case of the Visigoths we have a history of treaties beginning with their settlement in Toulouse in 418 or more probably 419, and continuing on to the negotiations between Euric and Julius Nepos in 474, in which Clermont, among other cities, was conveyed to the barbarians, much to Sidonius’ disgust.9 Thereafter we hear nothing more about imperial attitudes to the Visigoths until we come to Justinian’s intervention in southern Spain at the request of Athanagild. The history of relations between the emperors and the Vandals begins with the recognition of their rule first in Numidia in 435 and then in the proconsular province of Carthaginiensis in 442.10 There­ after there are the complications surrounding Huneric’s time as a hostage in Rome, and then, following the sack of the imperial city in 455, the prince’s marriage to Eudocia, the daughter of Valentinian III11 – a union that would have significance for the future, since it resulted in the birth of a Vandal prince, ­Hilderic, who could claim to be descended from an emperor.12 Most of the dealings between Gaiseric and the emperors, both eastern and western, in the following decades were hostile: however, s­ hortly ­after his accession in 474, but perhaps as late as 476, Zeno concluded a Perpetual Peace with the ­Vandals, which would endure up until 533.13 Byzantine attitudes towards the successor states of the West directly after the deposition of Romulus Augustulus are largely unknown, despite the almost contemporary comment of Marcellinus Comes: “With this Augustulus perished the Western Empire of the Roman people, which the first Augustus, ­Octavian, began to rule in the seven hundred and ninth year from the foundation of the city. This ­occurred in the five hundred and twenty-second year of the kingdom of the departed emperors, with Gothic kings thereafter holding Rome”14 – confusingly Marcellinus presents both Odoacer and Theodoric as Gothic. Zeno’s attitude towards Odoacer has to be deduced from his sending Theodoric and the Ostrogoths against him.15 Our real starting point, therefore, must be the situation after Theodoric’s take-over of Italy. Initially, and most especially after his acclamation as king by his followers in 493, his position was not ratified by the emperor.16 Even in the mid sixth century Procopius could comment: “although in name ­Theodoric was a usurper, yet in fact he was truly an emperor as any who have distinguished themselves in this office from the beginning”.17 Despite the praise, Procopius does not admit that Theodoric’s position was ever regularised, although according to Jordanes Zeno did give Italy to Theodoric,18 while Malalas claims that Theodoric and the emperor were reconciled.19 These differing comments, of course, only

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Jill Harries, Sidonius Apollinaris and the Fall of Rome (Oxford 1994) 222–242. Christian Courtois, Les Vandales et l’Afrique (Paris 1955) 155–175. Courtois, Les Vandales et l’Afrique 396–397. Merrills, The secrets 152–156. Courtois, Les Vandales et l’Afrique 204. Marcellinus Comes, Chronicle s.a. 476 (ed. Brian Croke, The Chronicle of Marcellinus, Sidney 1995) 27. Procopius, Wars V, 1, 9–11 (ed. Henry Bronson Dewing, Procopius, History of the Wars, volume 3, Loeb Classical Library 107, Cambridge-Mass. 1914–1928) 4–7. Anonymus Valesianus 57 (ed. John C. Rolfe, Ammianus Marcellinus, History, volume 3, Loeb Classical Library 331, ­Cambridge-Mass. 1939) 542–545. Procopius, Wars V, 1, 29, ed. Dewing 12–13. Jordanes, Getica LVII, 295 (ed. Franceso Giunta/Antonino Grillone, Rome 1991) 121–122. John Malalas, Chronicle 15, 9 (ed. Ludwig August Dindorf, Bonn 1831) 383–384, trans. Elizabeth Jeffreys/Michael ­Jeffreys/Roger Scott, The Chronicle of John Malalas: a translation, Melbourne 1986) 212–213.

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r­ eflect the perceptions of the historians. We are on safer ground with the Pragmatic sanction of 554, where Justinian accepts the legal validity of the governmental acts of Theodoric and Amalasuntha.20 To return to the late fifth century, in the year after Theodoric’s elevation as king we have our first glimpse of relations between the Ostrogoths and Burgundians, when Epiphanius of Pavia was sent to Gundobad to negotiate the return of captives taken in the course of a Burgundian raid on Italy.21 In ­Ennodius’ account Gundobad is very much Theodoric’s equal: indeed the Ostrogoth is essentially the suitor. Moreover, Ennodius offers full recognition that the Gibichung had previously held office in Italy, though he stresses only the barbarian’s knowledge of Liguria,22 and does not explain that in addition to being the son of the Burgundian Gundioc, Gundobad was closely related to Ricimer, magister ­praesentalis from 457 to 472, and became his protégé around the time of the death of Majorian.23 In Italy Gundobad held the title of patricius and, following the death of his patron in 472, he was probably appointed to his position of magister militum praesentalis.24 As such, having already killed Olybrius, he was responsible for the appointment of Glycerius as emperor.25 When in 474 Julius Nepos was sent from the East to replace Glycerius, however, Gundobad left the peninsula and returned to his kinsmen in the Rhône valley.26 He may, at that point have abandoned the post of magister militum praesentalis. Certainly three magistri militum are known in Italy during Odoacer’s period of rule.27 If, however, Gundobad gave up this precise office, he must have taken over the post of magister militum per Gallias, which both his father Gundioc and his uncle Chilperic held in turn.28 The circumstances in which he did so are totally obscure, as indeed is the transfer of leadership in the Rhône valley from ­Chilperic to Gundobad, which must have occurred between 474 and the early 490s. All that is clear about ­Gundobad’s position of magister militum in Gaul is that by 515 he was negotiating with the emperor Anastasius for his son Sigismund to take over the title.29 In considering the relative status of Gundobad in 494, we should note that Theodoric had also obtained the post of magister militum praesentalis in the East, in 476/477, and again in 483–487,30 although it may have been the title he held when he invaded ­Italy.31 Thus, even though he also held the consulship in 484,32 the Ostrogoth’s career as magister ­militum was equivalent to, but more recent than that of his Burgundian rival, and was eastern rather than western. The image of equality presented by Ennodius is important because it contrasts somewhat with the slightly demeaning tone of Cassiodorus in one of the letters addressed to Gundobad in 506.33 Either ­Cassiodorus was being derogatory about Gundobad’s followers or the letters to Theodoric’s ­contemporary rulers in the Variae were reworked in Constantinople around 550, to elevate the image of the Goths and denigrate their neighbours. This is most probably the correct interpretation.34 In 506 Theodoric was ­angling for the Burgundian’s support in a situation which would soon escalate into a crisis between

Pragmatic Sanction, ed. Schöll/Kroll 799–802. Ennodius, Vita Epifani 136–77 (ed. Friedrich Vogel, MGH AA 7, Berlin 1885) 101–106; John Moorhead, Theoderic in Italy (Oxford 1992) 52–54. 22 Ennodius, Vita Epifani 162, ed. Vogel 104. 23 John of Antioch, fragments 209, 1-2 (ed. Roger Charles Blockley, in: The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire 2, Liverpool 1983) 372–375. 24 John Robert Martindale, The Prosopography of the Late Roman Empire 2 (Cambridge, 1980) 524–525. 25 John of Antioch, fragment 209, 2, ed. Blockley 374–375. 26 Ian N. Wood, The political structure of the Burgundian kingdom, in: Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500, ed. Mischa Meier/Steffen Patzold (Stuttgart 2014) 383–396, at 389–390. 27 Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 138, 217, n. 35. 28 Martindale, The Prosopography 2, 286–287 (Martindale’s division of the material for Chilperic I and II is flawed) 523–525. 29 Avitus, epp. 78, 93, 94 (ed. Rudolf Peiper, MGH AA 6, 2, Berlin 1883) 93, 100–102; Danuta Shanzer/Ian N. Wood, Avitus of Vienne, Letters and Selected Prose (Liverpool 2002) 143–153. 30 Marcellinus Comes, Chronicle s.a. 483, ed. Croke 28. For Theodoric’s titles, see Martindale, The Prosopography 2, 1077– 1084 (who extends his holding to the office of magister militum praesentalis to 487); see also Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 134–139. 31 For Theodoric as magister militum in Italy, see Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 134–139. 32 Marcellinus Comes, Chronicle s.a. 484, ed. Croke 28; Herwig Wolfram, History of the Goths (Berkeley 1988) 277. 33 Cassiodorus, Variae I, 46 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894) 42. 34 M. Shane Bjornlie, Politics and Tradition. Between Rome, Ravenna and Constantinople. A Study of Cassiodorus and the Variae, 527–554 (Cambridge 2013). 20 21

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Clovis and Alaric:35 he is unlikely to have wished to cause any offense. We have to be cautious in ­considering the detail of the Variae for an understanding of the relative position of the rulers of the West. It is, nevertheless, true that Theodoric’s position had been enhanced in 497, when, after a series of unhappy embassies the senator Festus returned to Italy with the ornamenta palatii, the regalia of the Western Empire, which Odoacer had once sent to Constantinople.36 Thus, at the very end of the fifth century Theodoric was unquestionably the senior ruler in the West, at least in Byzantine eyes. How the court in Constantinople regarded Alaric, Clovis, or the newly elevated Thrasamund in Vandal Africa is unclear. Equally obscure are Byzantine attitudes towards Gundobad. The latter’s position must have been called into question in 500, when Clovis and Godegisel (­Gundobad’s brother) allied to drive the Burgundian ruler out of his power base in Lyon and Vienne37 (I deliberately avoid saying out of his kingdom, because although he was a rex, we are not here dealing with a regnum).38 Gundobad did return, but apparently having become tributary to Clovis. It is highly unlikely that news of this did not reach Constantinople: certainly it must have reached Ravenna, for Gundobad’s son Sigismund was married to Theodoric’s daughter, and about this time he made a visit to Rome,39 the implications of which deserve to be noted. Official visits to Rome by leading barbarians – Theodoric included – were relatively rare: the only documented visit of the Ostrogothic king occured during the occasion of his Decennalia,40 and it may have been in this context, and in his retinue, that Sigismund was in Rome. Not only did Sigismund visit the imperial city: he also made contact with the papacy, and as a result converted from the Arianism of both his father and his father-in-law.41 Although Gundobad was defeated and rendered tributary to Clovis in 500, as we have seen he did not give up his position of magister militum: he still claimed the title in 515/516, as we discover in a series of letters written to the emperor Anastasius by Avitus of Vienne.42 Equally important for his presentation of himself as a Roman official, beginning in 500 Gundobad embarked on a programme of legislation,43 about which Gregory of Tours knew, referring to the promulgation of leges mitiores, to deal with the ill treatment of Romans by Burgundians.44 We can identify some of these leges mitiores among the dated edicts of the Liber Constitutionum. Although the surviving manuscripts of this lawbook derive from a recension of the text issued by Sigismund in 517, it is clear that the collection went through a series of versions (and indeed that of 517 was probably not the last): Gundobad may well have ordered the ­original version, containing laws which he, his father and uncle had issued. Among the laws of G ­ undobad are a handful issued in or shortly after 500, addressing problems which had clearly ­aggravated the R ­ omans: these surely are some of the leges mitiores mentioned by Gregory of Tours.45 One should note that these edicts contained in the Liber Constitutionum are not described as leges, for to issue those was the ­prerogative of the emperor,46 but as constitutions. In addition, there is some reason for thinking that the so-called Lex Romana Burgundionum, whose original title would seem to have been ‘Forma et Expositio Legum’, should be dated to the period shortly after 500.47 Here the word Wolfram, History of the Goths 313–515; Moorhead, Theoderic in Italy 177–178. Anonymus Valesianus 64, ed. Rolfe 548–549; N.B. the implications of Procopius, Wars, VI 6, 22–26, ed. Dewing, volume 3, 342–345, on Theodoric as τυραννος, suggests that there were those who did not regard this as the concession of a permanent title. 37 Marius of Avenches, Chronicle s.a. 500 (ed. J. Favrod, La Chronique de Marius d’Avenches [455-581] Lausanne 1991) 68–69; Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum II 32–33 (ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, 1 Hannover 1951) 78–81. 38 Wood, The political structure. 39 Avitus, epp. 8, 29, ed. Peiper 40–43, 59; Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 220–227. 40 Anonymus Valesianus 67, ed. Rolfe 550–551 (the text speaks about a tricennalia); Cassiodorus, Chronicle s.a. 500 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora 2, Berlin 1894) 160; Moorhead, Theoderic in Italy 60. 41 Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 220–227. 42 Avitus, epp. 78, 93, 94, ed. Peiper 93, 100–102; Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 143–153. 43 Ian N. Wood, The legislation of magistri militum: the laws of Gundobad and Sigismund, in: The legal roots of Europe (clio@themis 10, 2016). 44 Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum II, 33, ed. Krusch/Levison 81. 45 Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum II, 33, ed. Krusch/Levison 81. 46 See Sean Lafferty, Law and Society in the Age of Theoderic the Great. A Study of the Edictum Theoderici (Cambridge 2013) 28–29, on Cassiodorus’ use of the words edicta and iura, rather than lex. 47 Wood, Legislation of Magistri Militum. 35 36

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lex is appropriate, for this was a collection of laws derived from imperial legislation, albeit both edited and ­interpreted. Gundobad, in other words, was publicly demonstrating the continuation of his Roman ­office, even after his defeat by Clovis.48 The prime context for such a collection may well have been the ­aftermath of the ­Burgundian’s return to power in the Rhône valley in 500. One might also note, in addition, that Sean Laferty has produced a number of reasons for thinking that the so-called Edictum Theoderici was issued by Theodoric in Rome on or close to the occasion of his decennalia, which fell in the same year.49 It is possible that Gundobad’s collection of Roman law inspired Alaric’s decision to commission and issue his Breviary in 506.50 Certainly all this legislation needs to be considered to­gether: it is almost unthinkable that Theodoric, Gundobad, Alaric, and Clovis for that matter, were entirely unaware of the legislative activity of their neighbours and rivals. A further, and much more significant shift in the relative status of the barbarian rulers of the West, comes in the run-up to the war between Clovis and Alaric. One should remember that at this moment in time Theodoric was on poor terms with the emperor Anastasius, whose fleet was harrying the coast of Italy – an action of which Marcellinus disapproved, calling it “a shameful victory, which Romans snatched from Romans with piratical daring”.51 Moreover, this raid on the Italian coast was carried out with at least tacit support from Vandal Africa: Thrasamund, who was married to Theodoric’s sister Amalfrida, could easily have supplied a fleet to support his brother-in-law had be wished.52 Byzantium would seem to have been closer politically to Thrasamund at this moment, than it was to Theodoric. With the victory of Clovis and the death of Alaric at Vouillé in 507, the hierarchy of rulers in the West had surely been thrown into question. Anastasius does not appear to have made any attempt to demote Theodoric and Gundobad – and he may well have been astute enough to realise that it was in his best interest to keep as many of the barbarian leaders on his side at any one time as he possibly could. Yet if Theodoric and Gundobad were not to be demoted, that necessarily caused problems for any recognition of Clovis. It strikes me that in all the modern discussions of Gregory of Tours’ famous description of the elevation of the Frankish king as consul aut augustus at Tours in 508, comparison with Gundobad and Theodoric has been too much overlooked.53 Exactly what Anastasius offered is unclear, and it may well have been misremembered in Francia, but it is striking that Clovis was remembered as having been elevated to the consulship.54 Historians have long noted that he is not in the consular lists. Perhaps they should have recalled in this context that Theodoric had been allowed to nominate (if not to appoint) ­consuls since the mid 490s – as John Malalas comments, Theodoric “also received the codicils of his chief magistrates from the emperor Zeno, notifying Zeno who he wanted to be appointed.”55 For ­Anastasius to appoint a western consul (of whatever sort) was to go over the head of Theodoric: this may be the point of the title – an insistence that the Ostrogoth’s nomination could be eclipsed. And the honour must have been intended as a slight to Theodoric, who earlier in the year had entered the war against Gundobad and Clovis, to shore up the Visigoths: Anastasius was openly backing the other side. Equally, while we may well not accept that Clovis really was acknowledged as augustus, the point is surely that whatever dignity he was given his status was meant to be higher than that of Gundobad, as magister militum, and of Theodoric as holder of the West Roman regalia. Whatever the actual titles conveyed by Anastasius on Clovis in 508, the intent must have been to imply that at this moment in time the Frankish king was the most favoured of the barbarian rulers in the West.

Wood, Legislation of Magistri Militum. Lafferty, Law and Society in the Age of Theoderic the Great 39–41. 50 Ian N. Wood, Le Bréviaire chez les Burgondes, in: Le Bréviaire d’Alaric. Aux origins du Code civil, ed. Michel Rouche/ Bruno Dumézil (Paris 2009) 151–160. 51 Marcellinus Comes, Chronicle s.a. 508, ed. Croke 34–35. Wolfram, History of the Goths 322; Moorhead, Theoderic in Italy 182. 52 Moorhead, Theoderic in Italy 182–183. 53 But see McCormick, Clovis at Tours; also Karl Ferdinand Werner, La ‘conquête franque’ de la Gaule: Itineraires historiographiques d’une erreur, in: Bibliothèque de l’École des Chartes 41 (1997) 7–45, at 29, n. 73. 54 Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum, II, 38, ed. Krusch/Levison 88–89. 55 Malalas 15, 9, ed. Dindorf 383–384, trans. Jeffreys/Jeffreys/Scott, The Chronicle 212–213; Evangelos Chrysos, Amaler-Herrschaft in Italien und das Imperium Romanum: Der Vertragsentwurf des Jahres 535, in: Byzantion 51 (1981) 430– 477; Moorhead, Theoderic in Italy 147–154. 48 49

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Exactly how the elevation of Clovis was greeted by Gundobad and Theodoric is not recorded in any surviving text, though Moorhead has noted an inscription set up to Theodoric semper Augustus in Terracina, at some point between 507 and 511,56 and has also placed the Senigalla medallion of the Ostrogoth, with its inscription of Theodericus pius princeps invictus semper in the same context.57 We may have a clue as to the Burgundian reaction in the famous letter of Avitus of Vienne addressed to ­Clovis on his baptism. All the indications in the letter point to a date of composition shortly after ­Christmas 508.58 Among them is the astonishing statement “Therefore let Greece, to be sure, rejoice in having an orthodox ruler. Now her bright glory adorns your part of the world also, and in the West, in the person of a new king, the ray of an age-old light shines forth.”59 This is a remarkable admission from one of Gundobad’s leading bishops: indeed, so remarkable is it, that some nineteenth-century historians regarded it as treasonable. In fact it admits what it must: if Gundobad were going to take a stance on his Roman office, as he seems to have done, he could scarcely deny the grant of office by a Byzantine emperor to another ruler. Yet Avitus is, I think, being clever here, for while Byzantine approval is noted, the only office mentioned is that of rex – this is a title that Gundobad held as well, but made remarkably little of.60 Clovis is merely a novus rex: another addition to the ranks. Theodoric would come to terms with Anastasius in 508:61 he would also intervene in Gaul, shoring up the Visigothic state as far as he could, appointing the patricius Liberius as praetorian ­praefect of the ­ yzantines Gauls, and indeed seizing some land to the south of the Durance from Gundobad.62 What the B made of that we do not know. It certainly did not lead to Gundobad losing his title of m ­ agister militum, as we can deduce from the letters written to Anastasius by Avitus in the name of S ­ igismund. Whether Clovis lost any status, we do not know: though if he held a consular position of any kind it would have only been short-term. By the next moment for which we have relatively good information, however, Clovis was dead. From the Byzantine point of view the Franks were no longer a new power in the West: it would be a few years before the sons of Clovis established themselves on the international stage. The Burgundians, however, were attracting the attention of the Byzantine emperor once again. In 511, and while Clovis was still alive, Anastasius seems remarkably to have sounded out the Arian Gundobad over his response to the Trishagion riots, or at least so much is implied by Avitus in the Contra Eutychianam haeresim written for the Burgundian ruler.63 No doubt the Acacian schism (of which the bishops of the Rhône valley were poorly informed) meant that the Byzantines did not regard Rome as a good sounding board. This is ­important not just for what it reveals about ecclesiastical history, but also because it shows Gundobad to be in close contact with the Constantinopolitan court at the time. From our point of view more important, however, is the fact that by 515 Gundobad’s son Sigismund had been appointed patricius64 – unfortunately we do not know how early he acquired the title, but we should perhaps bear in mind the fact that it raised him to the same honorary position as held by Liberius, Theodoric’s leading administrator in what had been Visigothic Gaul:65 it was also a title that had been held by Gundobad, and by the Burgundian Chilperic,66 as well as by Theodoric himself.67 Exactly what is implied by the title patricius is unclear: it seems to have been a rank conveyed by the emperor, rather Moorhead, Theoderic in Italy 186. Moorhead, Theoderic in Italy 187–188. 58 Ian N. Wood, Gregory of Tours and Clovis, in: Revue belge de philologie et d’histoire 63 (1985) 249–272; Danuta Shanzer, Dating the baptism of Clovis: the bishop of Vienne vs. the bishop of Tours, in: Early Medieval Europe 7 (1998) 29–57; Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 362–373. 59 Avitus, ep. 46, ed. Peiper 75–76; Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 370. 60 Ian N. Wood, Gentes, kings and kingdoms – the emergence of states: the Kingdom of the Gibichungs, in: Regna and Gentes, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (Leiden 2003) 243–269, at 246, n. 61; Wood, The legislation of Magistri Militum. 61 Wolfram, History of the Goths 322–323; Moorhead, Theoderic in Italy 186–187. 62 Wolfram, History of the Goths 309–313; Moorhead, Theoderic in Italy 188. 63 Avitus, Contra Eutychianam Haeresim, ed. Peiper 15–29; Ian N. Wood, The Burgundians and Byzantium, in: Western ­Perspectives on the Mediterranean, ed. Andreas Fischer/Ian N. Wood (London 2014) 1–22. 64 Avitus, ep. 9, ed. Peiper 42–44; Martindale, The Prosopography 2, 1009–1010. 65 Martindale, The Prosopography 2, 677–681. 66 Martindale, The Prosopography 2, 286–287, 524–525; Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 82–83. 67 Martindale, The Prosopography 2, 1079. Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 135, 216, n. 11. 56 57

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than an office, but it would also appear that patricii could be expected to carry out specific tasks, among them short term administrative and ambassadorial duties.68 The letters of Avitus that present Sigismund as patricius also reveal that Byzantium had been using Gundobad’s province as a place to send political exiles, perhaps following the revolt of Vitalian in 514 – that at least is the easiest way to understand the references to the enforced presence in the Rhône valley of the sons of certain leading Byzantine senators.69 Exactly what this tells us about imperial rela­tions with Italy is unclear: letters contained in the Collectio Avellana show strong contacts between the ­emperor, the senate and the papacy in the last years of Anastasius, as attempts were made to broker the end of the Acacian schism.70 Perhaps there were particular reasons for sending suspect persons to the Rhône valley rather than to Italy – family ties certainly spring to mind: Byzantine senatorial families may have had fewer relatives in Gaul than in Italy. However we understand this, Gundobad and S ­ igismund were very much part of Anastasius’ western policy at the end of his reign. This becomes particularly clear when we consider the evidence for the transfer of Gundobad’s title of magister militum to his son. As Avitus of Vienne reveals, this was already being negotiated before the Burgundian king’s death in early 516.71 These negotiations, however, came to nothing. Subsequently Sigismund sent a further embassy, to inform the emperor of Gundobad’s death, and again to request his father’s official title.72 The embassy, however, was intercepted by Theodoric, and never reached its destination. Sigismund attributed the Ostrogothic intervention to invidia, jealousy, and we should perhaps see Theodoric as deliberately trying to sabotage the transfer of Gundobad’s title to his son: Avitus’ account suggests that the Ostrogoth was intent on undermining good relations between Constantinople and the Rhône valley. In the event Anastasius did convey an official title, probably that of magister ­militum per Gallias, since in a further letter written to the emperor by Avitus on behalf of the Burgundian ruler there is reference to the reception of the fasces militiae.73 As the bishop of Vienne would seem to have died on 5th February 518,74 the title is likely to have been granted in the summer or autumn of the previous year. It is worth putting these events, and especially Theodoric’s attempt to prevent the appointment of Sigismund as magister militum, alongside ensuing diplomatic developments following the death of ­Anastasius and the elevation of Justin. In 519 Eutharic would be appointed consul, an honour all the more notable given that Justin, the new emperor, was the eastern consul for the year.75 In addition we hear from Cassiodorus’ Chronicle that the Byzantine envoy Symmachus was astounded by Eutharic’s consular games (which involved another official visit to Rome)76 – an annal entry all the more striking in that it concludes Cassiodorus’ historical work, and was apparently intended to do so. As husband of Amalasuntha Eutharic was presumably being designated as Theodoric’s heir – or as the father of the young Athalaric, who was perhaps the intended heir, were Theodoric to live long enough. It may be that this was the moment that Justin adopted Eutharic as son at arms: as Cassiodorus, in the person of ­Athalaric, wrote to Justin in 526, “in Italy you distinguished my father with the consul’s robe of office. And through desire for concord, he was adopted as your son by arms, although he was almost your equal in age.”77 Juxtaposition of the elevation of Sigismund and of Eutharic can perhaps be read as marking an interesting shift in Byzantine politics. Sigismund was, after all, appointed magister militum by ­ ­Anastasius, while Eutharic’s consulship was approved, if not granted, by Anastasius’ successor Justin. Since the office was held in 519 it must have been negotiated a year earlier: preparation for Eutharic’s consulship must have been underway from the earliest months of Justin’s reign. While we have no Barnwell, Emperors, Prefects and Kings 44–47. Avitus, epp. 46a, 47, 48, 49, ed. Peiper 76–78; Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 137–143. 70 Collectio Avellana, epp. 105–116, 125–35, 138 (ed. Otto Günther, CSEL 35/1-2, Vienna 1895–1898), volume 2, 495–522, 537–558, 564–565. 71 Avitus, ep. 93, ed. Peiper 100–101. 72 Avitus, ep. 94, ed. Peiper 101–102. 73 Avitus, ep. 78, ed. Peiper 93. 74 Shanzer/Wood, Avitus of Vienne 10. 75 Cassiodorus, Variae VIII, 1, 3, ed. Mommsen 231. 76 Cassiodorus, Chronicle s.a. 519, ed. Mommsen 161. 77 Cassiodorus, Variae VIII, 1, 3, ed. Mommsen 231. 68 69

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d­ ocumentation for this political shift, we can see something of the intensification of Byzantine links with Rome, ­associated above all with the ending of the Acacian schism, in the Collectio Avellana.78 But we are not just dealing with Byzantine dealings with Italy and the Rhône valley, and an ­apparent switch to an increasingly pro-Ostrogothic policy, for Constantinople was very much aware of the ­Vandals. Procopius tells us that Thrasamund had been much favoured by Anastasius,79 and this may help account for failure of the Vandals to help Theodoric during the crisis of 508, when the Byzantine fleet ravaged southern Italy. That the Byzantines were in direct contact with Thrasamund in 519 is, moreover, clear from a reference in a letter sent by Justin to pope Hormisdas in that year.80 At the same time Justinian was close to Thrasamund’s cousin and successor Hilderic. Procopius’ information of this is un­fortunately rather vague chronologically, but since Hilderic is described as Justinian’s guest (ξενος),81 and since the Vandal prince ascended the throne following Thrasamund’s death in 523,82 he would ­appear to have been at the Byzantine court around the time of Eutharic’s consulship.83 He was on good enough terms with Justinian for Gelimer to accuse him of intending to hand Africa over to the ­Byzantines, or at least so Procopius claimed.84 In other words, while it may be that Anastasius at the very end of his life was favouring the Burgundians rather more than the Ostrogoths, and that Justin and Justinian were making more of contacts with Italy, both emperors had good relations with the Vandal kingdom until Gelimer’s usurpation. This certainly initiated a change, which is not just recorded by ­Procopius. Malalas states that Justinian instructed Athalaric not to recognise Gelimer, after the deposition of Hilderic.85 Moreover, the deposed king was remembered to be the grandson of a Roman emperor, Valentinian III, or at least he was so remembered after his deposition in 530.86 Anastasius had clearly found an accommodation with the barbarian rulers of the West. He shows no signs of having wished to embark on a policy of reconquest. Rather, he found place for the Gundobad, Theodoric, Clovis, Thrasamund and Sigismund within his view of the post-imperial West. All received some form of recognition within an overarching imperial scheme: the phrase Byzantine commonwealth, although created by Dimitri Obolensky for a later period,87 would seem to be a reasonable description of what he envisaged. When we reach Justinian’s reign the case is not so simple. Certainly, once the wars of reconquest were under way the view was expressed that the emperor was reclaiming what was rightfully his. According to Procopius, in an exchange between Justinian’s legate Peter and the Ostrogoth Theodohad, the former explained that ‘your great interest is to philosophize, while Justinian’s is to be a worthy emperor of the Romans … for him it is not at all inappropriate to seek to acquire a land which has belonged from of old to the realm which is his own.’88 The implication is that the res publica could be thought to have continued even if the western Empire had failed.89 Yet we should not assume that Justinian’s attitude was entirely different from that of Anastasius, ­despite the growing rhetoric of the reconquest. It is worth noting that when Gelimer deposed H ­ ilderic Justinian’s initial reaction, again according to Procopius, was to tell the usurper that he should be a­ biding by the dictates of Gaiseric’s will, which would in time allow him to inherit the throne.90 Procopius ­clearly regarded the will as an important document, and one that had legal validity, for he pauses on it at the end of his account of the reign of the Vandal king.91 Here he relates the endless peace concluded Collectio Avellana, epp. 105–116, 125–135, 138, ed. Günther, volume 2, 495–522, 537–558, 564–565. Procopius, Procopius, Wars III, 8, 14 (ed. Henry Bronson Dewing, Procopius, History of the Wars, volume 2, Loeb ­Classical Library 81, Cambridge-Mass. 1914–1928) 76–77; Marcellinus Comes, Chronicle s.a. 508, ed. Croke 34–35. 80 Collectio Avellana, ep. 212, ed. Günther, volume 2, 670–671. 81 Procopius, Wars III, 9, 5, ed. Dewing, volume 2, 84–85. 82 Courtois, Les Vandales et l’Afrique 304. 83 Jonathan Conant, Staying Roman. Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean, 439–700 (Cambridge 2012) 34. 84 Procopius, Wars III, 9, 8-9, ed. Dewing, volume 2, 84–87; Merrills, The secrets 148–152. 85 Malalas,18, 57, ed. Dindorf 459–560; Jeffreys/Jeffreys/Scott, The Chronicle 269. 86 Procopius, Wars IV, 9, 13, ed. Dewing, volume 2, 282–283; Conant, Staying Roman 34; Merrills, The secrets of my ­succession 152–156. 87 Dimitri Obolensky, The Byzantine Commonwealth: Eastern Europe, 500–1453 (London 1971). 88 Procopius, Wars V, 6, 10, ed. Dewing, volume 3, 52–53. 89 Wolfram, The Roman Empire and its Germanic Peoples 189. 90 Procopius, Wars III, 9, 10, ed. Dewing, volume 2, 86–87. 91 Procopius, Wars III, 16, 13, ed. Dewing, volume 2, 146–147. 78 79

A Byzantine Commonwealth, 476–553

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between Gaiseric and the emperor Zeno, which he notes was observed down to the reign of Justin: he then looks forward to the coming war, before explaining that in his will Gaiseric ordered that his heirs should succeed to the throne following the order in which they were born92 – an instruction that would have serious consequences, once it came to the generations of the king’s grandsons and great-grandsons, for it was the cause of bitter rivalry.93 The will is also central to Procopius’ account of Justinian’s declaration of war: “Neither have we decided to make war upon the Vandals, nor are we breaking the treaty of Gaiseric, but we are attempting to dethrone your tyrant, who, making light of the testament of Gaiseric, has imprisoned your king …”94 At least in 533, or so Procopius would have us believe, ­Justinian recognised the agreements made with the Vandals by Zeno, and also acknowledged the validity of Gaiseric’s legal pronouncements. Moreover, there are other reasons for thinking that the claims to the land in the West once held by the empire that are set out in Peter’s discussion with Theodohad were less absolute than they might appear. Once he had conquered Africa, Justinian laid claim to the fortress of Lilybaeum in Sicily, on the grounds that it had been given to Amalfrida by her brother, Theodoric, when she married Thrasamund, a claim ­rejected outright by the Goths.95 The claim was clearly a diplomatic ploy, but it nevertheless hinged on the legality of Amalfrida’s ownership of the Sicilian promontory. And in the Pragmatic sanction ­Justinian accepted the validity of Theodoric’s government.96 In addition, Justinian himself was prepared to allocate territory that had been part of the empire to barbarian groups. Belisarius famously offered Britain, which was known to have once been part of the empire, to the Goths,97 and the emperor granted what Procopius describes as the city of Noricum as well as fortresses in Pannonia to the Lombards.98 He even seems to have offered territory to the Avars in 558.99 But perhaps the most important of Justinian’s grants, and one which arguably marked a ­significant development in Byzantine relations with the West, was the recognition of the cession of Provence made by the Ostrogoths to the Franks, in order to keep them neutral in the war with Byzantium.100 ­Having ­described at length the deal struck between the Goths and the Franks, Procopius subsequently recounts, in a rather shorthand manner, the Frankish take-over of what he describes as Gaul – meaning the ­southern parts of France, and adds: “This act the Romans were not only unable to prevent, but the emperor Justinian even encouraged it, in order that no obstacle might confront him through having these particular barbarians roused to war (for the Franks never considered that their possession of Gaul was secure except when the emperor had put the seal of his approval upon their title). And consequently the rulers of the Germans occupied Massilia, the colony of Phocaea, and all the sea-coast towns and gained control of that part of the sea.”101 Procopius would seem not to have approved of the recognition of the Frankish take-over of Provence: he goes on to complain that not only are the aristocracy watching horse races in Arles, but their rulers have actually minted gold coin with their own image, which not even the Persian rulers are allowed to do.102 Theudebert’s coinage has been much discussed, as have the claims made in his letters addressed to the emperor.103 The grant of Provence, however, has attracted little attention, at least not since it was made central to his reading of Frankish history by the abbé Du Bos in the eighteenth century.104 Du Bos 94 95 96 97 98 92 93

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Procopius, Wars III, 7, 26-30, ed. Dewing, volume 2, 70–73. Courtois, Les Vandales et l’Afrique 238–242. Procopius, Wars III, 16, 13, ed. Dewing, volume 2, 146–147. Procopius, Wars III, 8, 13, ed. Dewing, volume 2, 76–77; id. IV, 5, 11, 12, 18–25, ed. Dewing, volume 2, 250–255. Pragmatic Sanction, ed. Schöll/Kroll 799–802. Procopius, Wars VI, 6, 28, ed. Dewing, volume 3, 344–345; id. III, 1, 18; III 2, 31, 38, volume 2, ed. Dewing 8–9, 18–21. Procopius, Wars VII, 33, 10, (ed. Henry Bronson Dewing, Procopius, History of the Wars, volume 4, Loeb Classical Library 173, Cambridge-Mass. 1914–1928) 440–441. Menander, fragment 5 (ed. Roger C. Blockley, The History of Menander the Guardsman, Liverpool 1985) 50–53. Procopius, Wars V, 13, 14-29, ed. Dewing, volume 3, 136–141. Procopius, Wars VII, 33, 3-4, ed. Dewing, volume 4, 436–439. Procopius, Wars VII, 33, 5-6, ed. Dewing, volume 4, 438–439. Roger Collins, Theudebert I, Rex Magnus Francorum, in: Ideal and Reality in Frankish and Anglo-Saxon Society, ed. Patrick Wormald (Oxford 1983) 7–33; Epistolae Austrasiacae 19–20 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE Merowingici et Karolini Aevi 1, Berlin 1902) 132–133. Jean-Baptiste Dubos, Histoire critique de l’établissement de la monarchie françoise dans les Gaules 3 (Amsterdam 1735) 220–254.

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certainly overinterpreted the significance of the grant, seeing it as a concession which gave the Bourbons greater legitimacy than that of the Habsburgs,105 yet he may have been right to see Justinian’s concession as significant, and not least because it pained Procopius. In acknowledging Frankish rule in Provence Justinian was not just recognising a grant made originally by Witigis: he was also noting the Frankish take-over of territory once held by the Burgundian Gibichungs, the legitimists par excellence among the rulers of the successor states, as Anastasius had apparently recognised. Byzantine relations with the Ostrogoths, Vandals, Burgundians, and even with the Franks, tend to be treated in isolation, as part of the histories of the individual western kingdoms. A rather more c­ omplex picture emerges, however, when we look at those relations synchronically, and think of relations ­between Constantinople and the western successor states as a unit. We then see the Byzantines making choices as to which of the barbarian groups merited the most favoured status at particular moments. With the recognition of Theodoric in 497, it would seem that the Byzantines were looking to him as the leader of the West. This was something that was never likely to lie easily with Gundobad, who had been the heir to Ricimer, and had deposed one emperor and appointed another. And if the Gibichung’s defeat by Clovis rather diminished his status, his legislative activity after 500 was a clear reminder that he was still a Roman official. Clovis, of course, upset the apple cart badly in 507, and his position had to be acknowledged in 508, but his death reopened the question of the relative status of the kings of the West. For a brief moment at the end of the reign of Anastasius Gundobad and Sigismund in the Rhône valley and Thrasamund in North Africa seem to have attracted more attention than did Theodoric. Justin and Justinian, however, threw their weight behind the Ostrogothic ruler and the Vandal Hilderic. Ultimately, of course, Byzantine policy had to respond to events in the West as much as individual emperors pushed their own policies: Justinian reacted first to the deposition of Hilderic, and then to the murder of Amalasuntha, with invasions of Africa and Italy. But already Anastasius had reacted to Clovis’ defeat of Alaric at Vouillé. Justinian’s recognition of Frankish rule in Provence recognised the action of Witigis, but it marked the end of Byzantine links with the Burgundians. Sigismund’s murder of his son (arguably the best placed of Theodoric’s grandsons to inherit the Italian throne), had led to his own abdication and death,106 and, despite ten years of resistence by Godomar, to the Frankish take-over of the valleys of the Rhône and Saône.107 Frankish success in taking over most of Gaul coincided with the beginning of Justinian’s Ostrogothic wars. As we have noted, shortly after the outbreak of war the Byzantines made one of the most overlooked, but arguably most important, of concessions to any barbarian king. In order to keep the Franks from joining the Ostrogoths Justinian ratified the Ostrogothic concession of Provence – itself a diplomatic action to win Frankish support. The significance of this period for the end of the empire seems to be confirmed in a somewhat unexpected source. In his Life of John of Réomé, Jonas of Bobbio sets the end of the Roman state (imperii ius and rei publice dominatio) in Gaul in the days of the sons of Clovis, in terms which seem to echo Procopius’ account of the transfer of Provence, and the subsequent behaviour of the Merovingians.108 Of course the Franks still looked up to Constantinople after the 530s, even if the Epistolae Austrasicae show an increasing sense of independence. But looked at from the other direction, by the late 530s or early 540s there were no longer a plethora of polities between which the Byzantines could choose in deciding their Western policies. Yet for more than fifty years there had been real choices: choices which a tendency to emphasise the relations of Constantinople with ­Theodoric and Italy over those with Gaul and Africa have rather obscured. The western Empire had come to an end, but for half a century the successor states that had been established in its place were still part of the Roman res publica, as the barbarian rulers recognised. Not surprisingly, as Herwig Wolfram showed in Intitulatio, the titles bestowed on them by the court of Constantinople still mattered.

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Ian N. Wood, The Modern Origins of the Early Middle Ages (Oxford 2013) 33. Gregory of Tours, Decem Libri Historiarum III, 5-6, ed. Krusch/Levison 100–103; Marius, Chronicle s.a. 523, ed. 70–71. Justin Favrod, Histoire politique du royaume burgonde (443–534) (Lausanne 1997) 450–570. Jonas, Vita Iohannis 15 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 37, Hannover/Leipzig 1905) 337–338; ­compare Procopius, Wars V, 13, 14-29, ed. Dewing, volume 3, 136–141, VII, 33, 3–4, volume 4, 436–439.

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Die Vandalen. Skythen, Goten oder Römer? Anmerkungen und Überlegungen zum vandalischen Königstitel rex Vandalorum et Alanorum.1 Herwig Wolfram hat mit seiner 1967 erschienenen ,Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts‘ Grundlagen geschaffen, auf denen die Generation seiner Enkelschüler aufbauen kann.2 In diesem Beitrag werden die uns bekannten Königstitulaturen aus Nordafrika zwischen 429 und 533 diskutiert. Zunächst muss die so genannte Gelimerschale, die in ihrer Umschrift den Doppeltitel rex Vandalorum et Alanorum trägt, besprochen und in ihren Kontext spätantiker Largitionsschalen und Herrschertitulaturen auch anderer Nachfolgereiche barbarischer Militäreliten in den ehemaligen westlichen Provinzen des römischen Reichs eingeordnet werden. In einem zweiten Abschnitt sollen jene Titel der vandalischen Könige vorgestellt werden, die regulär auf Münzen, Inschriften und in den bekannten Urkunden Verwendung fanden. Es handelt sich dabei um Varianten von dominus noster und kaiserliche oder senatorische Rangattribute. Im dritten Abschnitt ist ein Sonderfall zu behandeln: Geiserich sei von Theophanes „See- und Meerkönig“ genannt worden. Diese scheinbare Titulatur aus der Chronik des Theophanes aus dem späten 8. Jahrhundert lässt sich jedoch als biblisches Exemplum und altorientalisches Motiv eines „Herrn über Erde und Wasser“ deuten. Nach diesem Exkurs kommen verschiedene historiographische und hagiographische Werke, die in der einen oder anderen Art einen Titel mit ethnischer Spezifizierung der hasdingischen Könige überliefern, zur Sprache. Die letzten beiden Abschnitte werden schließlich den Königstitel Rex Vandalorum et Alanorum bei Victor von Vita zum Inhalt haben. In dessen „Verfolgungsgeschichte“ sind zwei von der Diplomatik als authentisch ausgewiesene Mandate des Königs Hunerich (regierte 477–484) nach dem Vorbild kaiserlicher Edikte überliefert. Diese werden detailliert besprochen und vor dem Hintergrund der Machtkämpfe innerhalb der vandalischen Elite historisch eingeordnet. DIE SCHALE GELIMERS UND IHR KONTEXT UND DIE PROBLEMATIK ETHNISCHER HERRSCHERTITEL 1875 wurde in den Ruinen des Kastells von Artèn bei Fonzaso in der Provinz Belluno im Veneto eine Schale gefunden. Die Inschrift in ihrem Inneren nennt den letzten afrikanischen Vandalenkönig Gelimer (530–533). Die runde Schale liegt auf einer eigens gefertigten Basis auf. Am Boden der Schale ist eine Rosette graviert, und rund um diese läuft zwischen zwei Kreisen die Inschrift Geilamir Rex Vandalorum et Alanorum +. Gemeinsam mit diesem Stück enthielt der Hortfund noch Kupferfibeln und eine zweite Schale, auf der eine Frau, ein Mann und ein Kind um einen Altar gruppiert dargestellt sind.3 Verschriftlichte Fassung des Vortrags ,Die Vandalen. Skythen, Goten, Römer‘ auf dem Internationalen Symposion ,Neue Wege der Frühmittelalterforschung. Bilanz und Perspektiven. Symposion aus Anlass des 80. Geburtstages von em. Univ. Prof. Dr. Herwig Wolfram‘ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 30. Jänner 2014. Die Erstellung dieser Textfassung wurde durch ein Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ermöglicht. 2 Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien/Köln/Graz 1967). 3 Paris, Bibliothèque nationale de France, Cabinet des Médailles et Antiques, Inv. n. BB 849: Gewicht: 3030 Gramm, Höhe 7 cm, Umfang 49 cm. Vgl. Roland Steinacher, Who is the barbarian? Considerations on the Vandal Royal Title, in: Post-­ Roman Transitions: Christian and Barbarian Identities in the Early Medieval West, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 14, Turnhout 2013) 437–486, hier 445–448; Cécile Morrisson/ 1

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Gelimers Schale ist ein Beispiel für spätantike Prunkschalen, so genannte missoria, die im Rahmen der largitio, der zu den Herrscherpflichten zählenden Freigiebigkeit und Großzügigkeit, innerhalb eines engeren Kreises von Gefolgsleuten oder Beamten verteilt wurden. Ein römischer Kaiser gab seinen Getreuen oder auch ausländischen Besuchern solche wertvollen Objekte, nicht zuletzt wegen des Metall­ werts. Ähnliche Stücke mit Namen und Titeln des Schenkenden sind sowohl als archäologische Funde als auch aus den Quellen bekannt. Neben Schalen wurden bei feierlichen Anlässen wie der Thronbesteigung oder dem Thronjubiläum des Imperators auch Becher oder anderes Tafelgeschirr, Ringe, Fibeln und Gürtelschnallen verschenkt. Bekannt sind derartige Missorien etwa von Licinus (308–324), Valentinian (364–375) und Theodosius (379–395). Manche tragen Inschriften mit Namen und Titeln des Herrschers.4 Aber nicht nur die Kaiser ließen solche Stücke anfertigen. Zum Antritt seines Konsulats im Jahr 434 in Karthago spendete Flavius Ardaburius Aspar eine Schale mit der Gravur Fl(avius) Ardabur Aspar vir inlustris com(es) et Mag(ister) Militum et Consul Ordinarius. Dieses Objekt ist wie die Gelimerschale eine Ausnahme, denn nur wenige erhaltene Missorien stammen nicht von einem regierenden Kaiser.5 Gregor von Tours berichtet jedoch von einer angeblich fünfzig Pfund schweren Schale aus Gold und Juwelen, die auf Geheiß des neustrischen Königs Chilperic I (561–584) gefertigt worden sei. Nach Gregor habe die Inschrift gelautet: „Ich habe dies veranlasst zum Schmuck und zur Ehre der gens der Franken.“ (Ego haec ad exornandam atque nobilitandam Francorum gentem feci.) Der Franke habe die Schale dem oströmischen Kaiser Tiberios I. (574–582) geschenkt.6 Könige oder hochrangige Militärs barbarischer Herkunft bedachten ausländische Herrscher und Männer aus ihrer Umgebung mit prestige­ trächtigen und wertvollen Largitionsgaben. Im Falle der Schale Aspars entspricht der auf die Schale gravierte Titel dem aus den Schriftquellen bekannten offiziellen. Darf man solches nun ohne weiteres auch für den Titel rex Vandalorum et Alanorum annehmen? Oder anders formuliert: Welche Bedeutung hatte dieser Titel im vandalischen Afrika? Ähnlich intensiv wie die Schale Gelimers aus Fonzaso wurde ein gravierter Saphir aus dem westgotischen Spanien diskutiert. Der Stein zeigt ein stilisiertes Porträt und die Umschrift Alaricus Rex Gothorum. Man darf eine Parallele zu den bekannten merowingischen Siegelringen, wie jenem aus dem Claude Brenot/Jean-Noël Barrandon, L’argent chez les Vandales: Plats et monnaies, in: Argenterie romaine et byzantine. Actes de la Table Ronde Paris 11–13 octobre 1983, ed. François Barrate (Paris 1988) 123–133; Badisches Landes­museum Karlsruhe/Redaktion Claus Hattler, Erben des Imperiums in Nordafrika. Das Königreich der Vandalen. Ausstellung Badisches Landesmuseum Karlsruhe 2009 (Mainz 2009) 379, Kat. n. 329; Christoph Eger, Silbergeschirr und goldene Fibeln. Die vandalische Oberschicht im Spiegel der Schatz- und Grabfunde in Nordafrika, in: Antike Welt 35 (2004) 71–76, hier 72–73; Otto Fiebiger, Inschriftensammlung zur Geschichte der Ostgermanen (Akademie der Wissenschaften, philhist. Klasse, Denkschriften 70/3, Leipzig/Wien 1939) 37, n. 51; Leonid A. Maculevič, Byzantinische Antike. Studien auf Grund der Silbergefässe der Eremitage (Archäologische Mitteilungen aus russischen Sammlungen 2, Berlin 1929) 52; Carlo ­Calvi, Il piatto dʼargento di Castelvint, in: Aquileia nostra 50 (1979) 354–360; Adrien de Longpérier, Le ‚missorium‘ de Geilamir, roi des Vandales, et les monuments analogues, in: Gazette archéologique 5 (1879) 53–59; Giuseppe Fiocco, Ultime voci delle Via Altinate, in: Anthemon. Scritti di archeologia e di antichità classiche in onore di Carlo Anti (Firenze 1955) 373–376 mit einer Abb. der zweiten Schale aus dem Hort von Fonzaso auf Tafel LI. 4 Vgl. allgemein zur largitio Wilhelm Enßlin, Largitio, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 12/1 (Stuttgart 1924) 835–836; Franz Alto Bauer, Prestigegüter und Kaisernähe in der Spätantike, in: Der Wert der Dinge – ­Güter im Prestigediskurs, ed. Berit Hildebrandt/Caroline Veit (Münchner Studien zur Alten Welt 6, München 2009) 373– 398; ­Jocelyn M.C. Toynbee/Kenneth S. Painter, Silver Picture Plates of Late Antiquity: AD 300–700, in: Archaeologia 108 (1986) 15–65; Claudia Wölfel, Mythos und politische Allegorie auf Tafelsilber der römischen Kaiserzeit (Dissertation, Freie Universität Berlin 1996) 18–19 und Anm. 88, online: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/ FUDISS_derivate_000000000838/04_kap4.pdf?hosts= [21 Feber 2015]. 5 Florenz, Museo Archeologico, Inv. 2588: Durchmesser 42 cm, Gewicht 1900 Gramm, wobei der rechte Rand und die Basis verloren sind. Vgl. Toynbee/Painter, Silver Plates 28, n. 17; Wölfel, Mythos 23–25; Richard Delbrueck, Die Consulardiptychen und verwandte Denkmäler 1 (Studien zur spätantiken Kunstgeschichte 2, Berlin 1929) 154–156, n. 35; Jan W. ­Salomonson, Kunstgeschichtliche und ikonographische Untersuchungen zu einem Tonfragment der Sammlung Benaki in Athen, in: Babesch: Bulletin Antieke Beschaving = Annual Papers on Classical Archaeology 48 (1973) 5–82, hier 66– 68); Luisa Musso, Manifattura suntuaria e committenza pagana nella Roma del IV secolo: Indagine sulla lanx di Parabiago (Studi e materiali del Museo della Civiltà Romana 10, Roma 1983) 19–20. 6 Gregorius Turonensis, Historiae 6, 2 (ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, 1, Hannover 1951) 266–267; vgl. Matthias Hardt, Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend (Europa im Mittelalter 6, Berlin 2004) 102–103.

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Grab Childerichs, annehmen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Stück dem Gotenkönig Alarich II. (484–507) zuzuweisen.7 Warum aber war das Interesse an Stein und Titel so groß? Vor dem späten 6. und dem 7. Jahrhundert stellt das Stück den einzigen Beleg für die Variante rex Gothorum dar. Im westgotischen Spanien fand der Königstitel in der Regel ohne ethnische Bezeichnung Verwendung. Entweder erscheint auf Münzen und Inschriften der Namenszusatz Flavius, oder ein einfaches rex mit dem Herrschernamen. Häufiger ist dominus (noster, meus) speziell auf Münzen, manchmal dominus rex. Weder die Herrscher des tolossanischen Reichs, noch der Gesetzgeber Eurich (466–484) bedienten sich ethnischer Bezeichnungen in ihren politischen Selbstaussagen. In den von barbarischen Militäreliten regierten ehemaligen Diözesen und Provinzen des römischen Westens bedienten sich die Herrschenden vor dem 6. Jahrhundert häufiger sozusagen neutraler Titel. Daraus kann man jedoch nicht schließen, wie das etwa von Andrew Gillett versucht wurde, dass ethnische Affiliationen in der Sprache der Macht keine Rolle gespielt hätten.8 Generell lässt sich sagen, dass barbarische Herrscher und Heermeister sich einer Terminologie bedienten, die ihren Ursprung in der Titulatur der spätantiken Kaiser hatte. So lange sie nicht mit dem ­Kaiser gemeinsam genannt wurden, sprach man die Könige meist mit dominus noster (rex) an. Rikimer und Theoderich der Große konnten im 5. Jahrhundert auch den Titel princeps tragen. Beide vertraten den Anspruch als princeps des Westens die Sache der res publica zu vertreten. Zuvor exklusiv dem ­Kaiser vorbehaltene Bezeichnungen wurden nun von hochrangigen ,Barbaren‘ verwendet. Theoderich und sein Vorgänger Odoaker nannten sich als Herrscher Italiens auch Flavius rex.9 Sprachen diese Männer unterschiedliche Gruppen an? Wann und warum griff man auf ethnische Bezeichnungen zurück? In manchen, allerdings wenigen, Fällen unterscheiden sich die Titel jedoch von den auf In­schriften, Münzen und Urkunden gebrauchten. Abgesehen von den genannten Beispielen – der Schale ­Gelimers und dem Saphir Alarichs – sind hier burgundische und langobardische Beispiele anzuführen. In den Praefationes ihrer Gesetzgebungen tragen die Burgunderkönige Gundobad (etwa 480–516) und ­ ­Sigismund (516–523/524) den Titel rex Burgundionum. Gundobad und sein Sohn Sigismund konnten auch Varianten des patrizischen Rangprädikats vir glorisosissimus führen, denn Gundobad war ein Neffe Rikimers und Erbe der Funktion seines Onkels als italischer Patrizius.10 Walter Pohl konnte zeigen, dass die langobardischen Kanzleien in den meisten Urkunden Flavius rex verwendeten, in den Legessammlungen aber rex gentis Langobardorum. Beide Fälle weisen auf einen bewussten Gebrauch ethnischer Titel und einen bestimmten Adressatenkreis. Ging es um die Privilegien und die Sonderrolle

Otto Fiebiger/Ludwig Schmidt, Inschriftensammlung zur Geschichte der Ostgermanen (Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, phil-hist. Klasse, Denkschriften 60, 3, Wien 1917) 120, n. 250; Genevra Kornbluth, The seal of Alaric, rex Gothorum, in: Early Medieval Europe 16 (2008) 299–332; Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert 1 (MGH Schriften 13, Stuttgart 1954) 217–219; Wolfram, Intitulatio I. 77–78; Ludwig Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen (München 1934/ 21941/ND 1969) 426 und Anm. 2. 8 Vgl. die einschlägigen Aufstellungen bei Andrew Gillett, Was ethnicity politicized in the earliest Medieval kingdoms?, in: On Barbarian Identity. Critical approaches to ethnicity in the early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 85–122, hier 91–105; Wolfram, Intitulatio I. 56–75, und v. a. 69–70; Schramm, Herrschaftszeichen 213–234; Donald Bullough, Imagines regum and their Significance in the Early Medieval West, in: Studies in Memory of David Talbot Rice, ed. Giles Robertson/George Henderson (Edinburgh 1975) 223–276, hier 228– 236; für das vandalische Afrika: Konrad Vössing, Das Königreich der Vandalen. Geiserichs Herrschaft und das ­Imperium Romanum (Darmstadt 2014) 27–31; Helmut Castritius, Das vandalische Doppelkönigtum und seine ideell-religiösen Grundlagen, in: Das Reich der Vandalen und seine (Vor-)Geschichten, ed. Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13, Wien 2008) 79–86. 9 Herwig Wolfram, Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter (München 2005) 160, 166 (Flavius rex), 141, 143, 163, 166 und Anm. 133 (patricius, mag. militum); zu Anspruch und Wirklichkeit der Herrschaft Theoderichs: Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethno­graphie (München 52009) 288–290; princeps: Karl Ferdinand Werner, Völker und Regna, in: Beiträge zur mittelalter­lichen Reichsund Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, ed. Carlrichard Brühl/Bernd Schneidmüller (Historische Zeitschrift. Beihefte NS 24, Oldenbourg, 1997) 15–43; Walter A. Goffart, Barbarians and Romans A.D. 418–584. The Techniques of Accommodation (Princeton-N.J., 1980) 58–102 (Italien unter Theoderich); principalis potestas: Karl Hauck, Von einer spätantiken Randkultur zum karolingischen Europa, in: Frühmittelalterliche Studien 1 (1967) 3–93; Wolfram, Intitulatio I. 148–151 (princeps bei den Merowingern). 10 Wolfram, Intitulatio I. 87–89 mit Anm. 58–79. 7



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Roland Steinacher

der burgundischen bzw. der langobardischen Elite, oder wurde diese direkt von ihrem König angesprochen, legte man Wert auf eine klare Betonung von Ethnizität.11 Es ist somit von unterschiedlichen Möglichkeiten, oder besser gesagt verschiedenen Sprachen der Macht, sowie einem von Adressaten und Situation abhängigen Gebrauch ethnischer Herrschertitel in Spätantike und Frühmittelalter auszugehen. Jenen, die die Seltenheit ethnischer Titel betonen, darf man dahingehend rechtgeben, dass die ältere Forschung die wenigen Belege oftmals überinterpretiert hat.12 Das bedeutet aber keineswegs, dass ethnische Bezeichnungen in Königstiteln ignoriert werden sollten. Sie wurden unter bestimmten Umständen verwendet und überliefert, verstanden und gebraucht. DER NORMALFALL UND SEINE VARIANTEN: DER KÖNIG IN AFRIKA ALS DOMINUS NOSTER UND DIE VERWENDUNG KAISERLICHER ODER SENATORISCHER ATTRIBUTE Wenden wir uns der einschlägigen Überlieferung aus dem vandalisch-alanischen Afrika zu. Die ­hasdingischen Monarchen bezeichneten sich nur in wenigen Ausnahmefällen als „König der Vandalen und Alanen“. Geiserich und seine Nachfolger bedienten sich meist – ganz wie ihre barbarischen Kon­ kurrenten in Spanien, Italien oder Gallien – der Titulatur dominus oder rex bzw. einer Kombination dieser Termini. Auf einer Inschrift aus Henchir Koréiba nahe Ain Mlîla in der antiken Numidia wird K ­ önig Gelimer als Domn(us) Gei/lime/r angesprochen. Die Inschrift ist repräsentativ für den Großteil der Über­ unerich (477– lieferung.13 Außer den genannten und noch zu nennenden Fällen, nämlich zweimal für H 484) bei Victor von Vita und einmal für Gelimer (530–533) auf der Largitions­schale, ist kein weiteres epigraphisches, numismatisches oder diplomatisches Zeugnis für einen Titel mit ­einer Hervorhebung der vandalischen und alanischen Ethnizität bekannt. Der seltene Gebrauch von rex ­Vandalorum oder Βανδίλων τε καὶ Ἀλανῶν βασιλεύς in der historiographischen Überlieferung wird unten be­sprochen. Seit der Regierungszeit Gunthamunds (484–496) trugen die Silberprägungen der Hasdingen den Personen­namen des Königs mit verschiedenen Varianten von dominus noster rex. Das afrikanische ­System aus Silber- und Bronzemünzen beruhte bis zum Ende der vandalischen Herrschaft auf dem Solidus. Nie wurden eigene Goldmünzen geprägt. Die Herren Afrikas fühlten sich für ihre Provinzen zuständig und garantierten durch Bronze und Silber den täglichen Warenumlauf und Handel. Der Kaiser in Konstantinopel gab das Gold aus, auf dem das Währungssystem beruhte.14

Walter Pohl, Geschichte und Identität im Langobardenreich, in: Die Langobarden – Herrschaft und Identität, ed. ­Walter Pohl/Peter Erhart (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9, Wien 2005) 555–566, hier 564–565; Walter Pohl, ­Memory, identity and power in Lombard Italy, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, ed. Yitzhak Hen/­Matthew Innes (Cambridge 2000) 9–28; Wolfram, Intitulatio I. 90–107; für die Franken vgl. Helmut Reimitz, Die Konkurrenz der Ursprünge in der fränkischen Historiographie, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittel­alters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 191–209; allgemeine Über­ legungen zum situativen Gebrauch ethnischer Herrschertitel: Walter Pohl, Ethnicity, theory and tradition: a response, in: On ­Barbarian Identity. Critical Approaches to Ethnicity in the Early Middle Ages, ed. Andrew Gillett (Studies in the Early Middle Ages 4, Turnhout 2002) 221–240. 12 Gillett, Ethnicity. 13 CIL VIII 10862; CIL VIII 19210 = Fiebiger/Schmidt, Inschriftensammlung 37, n. 50 und 34, n. 42 = CIL VIII 2013 und 16516 mit Anmerkungen zum Gebrauch von dominus; vgl. Ludwig Traube, Nomina sacra. Versuch einer Geschichte der christlichen Kürzung (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 2, München 1907) 192. Ein weiteres Beispiel für Hilderich: Fiebiger/Schmidt, Inschriftensammlung 36, n. 48 = CIL VIII 10516: anno IIII d(omini) n(ostri) regis Ildirix. 14 Cécile Morrisson, Caratteristiche ed uso della moneta protovandalica e vandalica, in: Le invasioni barbariche nel ­meridione dell’impero: Visigoti, Vandali, Ostrogoti. Atti del Convegno svoltosi alla Casa delle Culture di Cosenza dal 24 al 26 l­uglio 1998, ed. Paolo Delogu (Rubbettino 2001) 151–180; Guido M. Berndt/Roland Steinacher, Die Münzprägung im vandalen­ zeitlichen Nordafrika. Ein Sonderweg?, in: Altertum und Mittelmeerraum: Die antike Welt diesseits und jenseits der ­Levante. FS für Peter Haider zum 60. Geburtstag, ed. Robert Rollinger/Brigitte Truschnegg (Oriens et Occidens 12, Stuttgart 2006) 599–622; Guido M. Berndt/Roland Steinacher, Minting in Vandal North Africa: Coins of the Vandal period in the Coin Cabinet of Vienna’s Kunsthistorisches Museum, in: Early Medieval Europe 16/3 (2008) 252–298, hier 255–258. 11

Die Vandalen. Skythen, Goten oder Römer?

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Aus der Zeit Gunthamunds (484–496) stammen auf Holztäfelchen geschriebene Kaufverträge. Auf einer dieser so genannten Tablettes Albertini wird nach dem Regierungsjahr des rex invictissimus ­datiert.15 Als im Jahr 525 unter Hilderich (523–530) ein Konzil in Karthago abgehalten wurde, gab man das Datum in den Akten mit anno secundo gloriosissisimi regis Hilderici an.16 Fulgentius von Ruspe führte einen Disput mit König Thrasamund (496–523). Im Gegensatz zu den verlorenen Zeugnissen des arianischen Klerus ist die Auseinandersetzung des katholischen Bischofs mit dem häretischen König und seinen Priestern überliefert. Angesprochen wird Thrasamund als rex clementissimus oder ­piissimus.17 Die Attribute invictissimus, gloriosissisimus, clementissimus und piissimus stammen ­wiederum aus ursprünglich dem Kaiser vorbehaltenen Titeln oder aus der Terminologie des senatorischen cursus ­honorum. Man kennt sie auch von anderen barbarischen Königen.18 GEISERICH ALS SEE- UND MEERKÖNIG? EINE ANSPIELUNG AUF BIBLISCHE EXEMPLA UND EIN ALTORIENTALISCHES MOTIV DES HERRN ÜBER ERDE UND WASSER Bereits 1967 hat Herwig Wolfram darauf hingewiesen, dass ein weiterer scheinbar geläufiger vandalischer Königstitel „bloß nach traditionellen Mustern die dem Imperium abgerungene Souveränität des Vandalenkönigs ausdrücken soll“ und eine „ad hoc formulierte Fremdaussage“ sein dürfte.19 Damit trat Wolfram weitreichenden Spekulationen der älteren Forschung entgegen. Es handelt sich bei diesem scheinbaren Titel um eine von Theophanes gebrauchte Bezeichnung Geiserichs als „König des Landes und des Meeres“. Theophanes schrieb im 8. und exzerpierte für das 5. Jahrhundert Prokop und Priskos. Liest man die Stelle genau, meinte Theophanes nicht mehr, als dass Geiserich König geworden war bzw.

Tablettes Albertini 1, 1 (ed. Christian Courtois/Louis Leschi/Charles Perrat/Charles Saumagne, Tablettes Albertini. Actes privés de l’epoque vandale (Fin du Ve siècle) 1–2, Paris 1952) 1, 215: [Ann]o nono d(omi)n(i) invictissimi regis XV k(a) l(endas) octob(res) tab(ella) [...]. Vgl. dort die Liste ,Titulature royale‘ auf 315. Nur einmal erscheint rex invictissimus. Auf allen anderen Tablettes findet sich domini (nostri) regis. 16 Concilium Carthaginense a. 525 (ed. Charles Munier, Concilia Africae A. 345–525, CC SL 149, Turnhout 1974) 245–282, hier 255: Anno secundo gloriosissimi regis Hilderici, nonas februarias Kartagine in secretario basilicae sancti martyris Agilei. Vgl. Christian Courtois, Les Vandales et l’Afrique (Paris 1955) 304–309; René Massigli, Primat de Carthage et métropolitaine de Byzacène: un conflit dans l’église africaine au VIe siècle, in: Mélanges René Cagnat (1912) 427–440. 17 Claudius Gordianus Fulgentius (Fulgentius von Ruspe), Ad Trasamundum libri tres 1, 1 und 2 (ed. Johannes Fraipont, ­Sancti Fulgentii episcopi Ruspensis opera, CCSL 91, Turnhout 1968) 97–185, hier 97 und 102. Vgl. Yves Modéran, L’établissement territorial des Vandales en Afrique, in: Antiquité Tardive 10 (2002) 87–122, hier 96 und Anm. 61–63. 18 In Cassiodorus, Variae (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894) 10–11, 297–298, 303, 310 wird der Kaiser in Konstantinopel mit einschlägigen Titeln angesprochen. 1, 1, 1; 1, 1, 2: Theoderich an Kaiser Anastasius: clementissime und pissime imperator; 10, 19, 3: Theodahad an Justinian: piissime imperator; 10, 9, 1: Theodahad an Justinian: sapientissime imperator; 10, 1, 1; 10, 2, 1: Athalarich und Amalaswintha an Justin I. und Justinian: clementissime principum. Vgl. zum cursus honorum: Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284–565 n. Chr. (Handbuch der Altertumswissenschaft, Abt. 3/6, München 2007) 333–336; Konrad Vössing, ,Barbaren‘ und Katholiken. Die Fiktion der Collatio sancti Augustini cum Pascentio Arriano und die Parteien des vandalischen Kirchenkampfes, in: Collatio Augustini cum Pascentio. Einleitung, Text. Übersetzung, ed. Hildegund Müller/Dorothea Weber/Clemens Weidmann (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der lateinischen Kirchenväter 24, Wien 2008) 173–206, hier 189–191; Wolfram, Intitulatio I. 63–65, Anm. 46, 48; ‚gloriosus’, Thesaurus Linguae Latinae 6, 2 (1933) 2099–2107; Paul Koch, Die byzantinischen Beamtentitel von 400 bis 700 (Diss., Jena 1903) 58–62, 90–93; Ludo Moritz Hartmann, Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in Italien (Leipzig 1889) 44, 47. Belege für den Gebrauch solcher Titel bei den gotischen Königen selbst finden sich: Epistulae Theodericianae Variae 4, 5 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894, ND 1981) 389–392, hier 390: Ereleuva, die Mutter Theoderichs an Papst G ­ elasius: Qui pro victu pauperum domino filio meo excellentissimo regi… Cassiodorus, Variae 10, 2, 1, ed. Mommsen 298: ­Theodahad spricht Justinian als piissime imperator an. Amalaswintha ist praecellentissima domna. Epistulae Romanorum Pontificum Genuianae. Et quae ad eos scriptae sunt a S. Hilario usque ad Pelagium 2, 12 (ed. Andreas Thiel, Braunsberg 1868, ND 1974) 266: Anastasius nennt Theoderich gloriosissimus rex und Papst Hormisdas beatissimus papa. Vgl. Rudolf Helm, Unter­suchungen über den auswärtigen diplomatischen Verkehr des römischen Reiches im Zeitalter der Spätantike, in: Archiv für Urkundenforschung 12 (1932) 375–436, hier 384–386 mit weiteren Beispielen in den Anmerkungen. 19 Wolfram, Intitulatio I 84; zur älteren Forschung und ihren Nachwirkungen vgl. die übernächste Anm. 15

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sich König nannte, ῥῆγα καλέσας, und den Römern Erde, Meer und viele Inseln genommen hatte.20 Der Gebrauch einer gräzisierten Form von rex ist dabei nicht ungewöhnlich. In der römischen Literatur und Epigraphik finden sich Analogien, die die Macht eines Herrschers durch seine Kontrolle über Land und Meer ausdrücken wollten. Römische Kaiser konnten als „Herrscher des Landes und des Meeres“ bezeichnet werden. In Inschriften wird beispielsweise Aurelian als „Herrscher der Erde, des Meeres und der ganzen Oikumene“, ὁ γῆς καὶ θαλάσσης καὶ πάσες οἰκουμένης δεσπότες, angesprochen. Ähnliches ist für Probus belegt, ὁ γῆς καὶ θαλάσσης δεσπότες. Vespasian erscheint in einer Inschrift als ἐπιφανὴς θεὸς γῆς καὶ θαλάσσης, „erscheinender Gottes der Erde und des Meeres“. Schließlich zitiert Ammianus Marcellinus einen Brief des Constantius I. an den Perserkönig Sapor. In dessen Einleitung ist der römische Kaiser Sieger auf Land und Meer, Victor terra marique.21 Insofern könnte man bei Theophanes einen indirekten Bezug zu selten gebrauchten, aber doch bekannten und geläufigen, antiken Herrscherakklamation feststellen, allerdings in polemischer Form.22 Gut denkbar nämlich, dass Theophanes oder seine Quelle Priskos Geiserich als rex titulierten und gleich­ zeitig einen ironisierenden Vergleich mit den großen Kaisern im Hinterkopf hatten. Vielleicht dachten die christlichen Autoren aber auch anders. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass bereits bei Herodot die persischen Großkönige Dareios und Xerxes die symbolische Übergabe von Erde und Wasser, γῆ τε καὶ ὕδωρ, als Unterwerfungsgeste deuteten bzw. forderten. Das Motiv ist allerdings auch in einem biblischen Kontext zu finden, nämlich im Buch Judith und für den neubabylonischen Herrscher Nabû-kudurrī-uṣur II. (Nebukadnezar).23 Die Metapher von der Herrschaft über Theophanes Confessor, Chronographia a. m. 5941 (ed. Karl de Boor, CSHB 2, Hildesheim/New York 1980) 325: Τῷ δ’ αὐτῷ ἔτει Γιζέριχος τῷ Οὐανδαλικῷ πλήθει πολὺς γενόμενος καὶ ῥῆγα καλέσας ἑαυτὸν γῆς τε καὶ θαλάσσης καὶ νήσων πολλῶν τοῖς Ῥωμαίοις ὑποτελῶν κατασχὼν ἐλύπει τὸν Θεοδόσιον. „Im selben Jahr wurde Geiserich bei der Vandalenschar mächtig. Er nannte sich rex. Er nahm Land, Meer und viele Inseln, die den Römern tributpflichtig gewesen waren, in Besitz. Das bekümmerte den Theodosius.“ Vgl. die ersten Überlegungen zu möglichen Hintergründen in der antiken Kaisertitulatur bei Roland Steinacher, Der vandalische Königshof als Ort der öffentlichen religiösen Auseinandersetzung, in: Streit am Hof im frühen Mittelalter, ed. Matthias Becher (Super alta perennis. Studien zur Wirkung der klassischen Antike 11, Bonn 2011) 45–73, hier 64–66; zur Stelle: Frank M. Clover, Timekeeping and Dyarchy in Vandal Africa, in: Antiquité Tardive 11 (2003) 45–63, hier S. 59–61. Im 19. Jahrhundert schrieb Felix Dahn Geiserich den Titel eines „Meerkönigs“ zu. Vgl. Felix Dahn, Genserich, in: Allgemeine Deutsche Biographie 8 (1878) 569–573: „See- oder Meerkönig“; Ludwig Schmidt, Geschichte der Wandalen (Leipzig/München 1942) 96: „Es klingt überspannt, wenn er sich, wie Theophanes angibt, König des Landes und des Meeres genannt hat.“ Für den Titel: Felix Papencordt, Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika (Berlin 1837) 75; Franz Miltner, Vandalen, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 8,1 A (Stuttgart 1955) 298–335, hier 317; Helmut Castritius, Wandalen § 1, in: RGA 33 (Berlin/New York ²2006) 168–209, hier 198. 21 Vgl. ausführlicher Steinacher, Der vandalische Königshof 64–66; Ammianus Marcellinus, Res Gestae 17, 6, 10 (ed. Wolfgang Seyfarth, Ammiani Marcellini Rerum gestarum libri qui supersunt 1–4, Bibliotheca scriptorum Graecorum et ­Romanorum Teubneriana, Leipzig 1978) vol. 1, 224–225; Bülent İplİkçİoğlu, Zwei Statthalter vespasianischer Zeit und die ,Große‘ Therme in Inschriften von Olympos (Lykien), in: Anzeiger der Phil.-Hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 141 (2006) 75–81, hier 75–76, 80 mit dem inschriftlichen Beleg aus Olympos in Lykien für Vespasian. Wolfram, Intitulatio I. 84 und Anm. 43: „Die Titulatur Geiserichs steht jedoch [...] in der Tradition der antiken Herrscherakklamation. Darum muß Geiserichs literarisch überlieferte Appellation nicht falsch sein; aber sie ist keine Selbstaussage.” 22 Die so genannten ,inoffiziellen Titulaturen‘ römischer Herrscher stammen meist von Inschriften und unterlagen keinen bestimmten Regeln, sind oft selten oder gar singulär belegt und nicht in ihrer Gesamtheit erfasst. Ob und in welcher Weise Bezüge zur literarischen Überlieferung vorliegen ist im Einzelfall zu klären. Vgl. Leo Berlinger, Beiträge zur inoffiziellen Titulatur der römischen Kaiser. Eine Untersuchung ihres ideengeschichtlichen Gehaltes und ihrer Entwicklung (Breslau 1935); Christian Witschel, Der Kaiser und die Inschriften, in: Zwischen Strukturgeschichte und Biographie. Probleme und Perspektiven einer neuen römischen Kaisergeschichte 31 v. Chr.–192 n. Chr., ed. Aloys Winterling (Schriften des Historischen Kollegs Kolloquien 75, Oldenbourg 2011) 45–113; Andreas Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (Darmstadt 31980) 204–213; Regula Frei-Stolba, Inoffizielle Kaisertitulaturen im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., in: Museum Helveticum 26 (1969) 18–39. 23 Herodot, Historien 4, 132: Geschenke der Skythen interpretiert Dareios als Übergabe von Erde und Wasser, γῆ τε καὶ ὕδωρ, und damit als Unterwerfung. 5, 17: Gesandte fordern γῆ τε καὶ ὕδωρ für Dareios. 7, 32: In Sardes schickt Xerxes zunächst Herolde nach Griechenland, außer nach Athen und Sparta. Diese fordern Erde und Wasser, γῆ τε καὶ ὕδωρ. (ed. und dt. Übers. Josef Feix, Herodot Historien, Sammlung Tusculum, Düsseldorf 62004) 598–599, 662–663, 904–905. Der Autor bereitet eine Publikation vor, die dieses Motiv breiter untersuchen soll. Aldo Corcella, Dare terra e acqua: da Erodoto a Giuditta, in: Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell’Università degli studi della Basilicata 1993–1994 (1996) 41–56 dachte in eine ähnliche Richtung. Ich danke Birgit Gufler und Henning Börm für Hinweise auf Herodot. Jdt. 2, 7 berichtet, Nebukadnezar, der Herr der ganzen Erde, habe seinem Feldherrn Holofernes befohlen, seinen Feinden auszurichten, sie sollten Erde und Wasser für ihn bereithalten. Hier wären die Textvarianten zwischen dem hebräischen Text, der Septuaginta 20

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Erde und Wasser wäre dann aus dem Nahen Osten über die griechische Literatur des 5. Jahrhunderts in die römische Antike vermittelt worden, um im Prinzipat ihre oben beschriebene Rolle als „inoffizielle Titulatur“ zu spielen. Möglich also, dass wir es erstens mit einem altorientalischen über das Buch Judith und Herodot vermittelten Motiv zu tun haben, und zweitens Theophanes Geiserich mit der Anspielung auf Nebukadnezar in eine Reihe mit biblischen Despoten stellen wollte. Das wäre keineswegs überraschend, denn wir kennen Ähnliches von Victor von Vita und Quodvultdeus von Karthago. Der afrikanische Bischof Victor berichtet, Geiserich habe verboten, die biblischen Verfolger Nebukadnezar, Holofernes, Herodes und Ihresgleichen auch nur zu erwähnen, um jeden aktuellen Vergleich mit ihm selbst zu verhindern. Victor reagierte geschickt darauf, indem er die Katholiken mit den bedrängten Israeliten gleichsetzte und so ihren Verfolgern doch nicht die Identifikation mit den bösen Exempla ersparte.24 Ein lediglich aus einer Beschreibung des 9. Jahrhunderts bekanntes Mosaik dürfte eine ikonographische Parallele darstellen, in der ein barbarischer König allerdings tatsächlich und ganz unpolemisch mit der Herrschaft über Land und Meer in Verbindung gebracht wird. Das durch Agnellus in seiner Bistumsgeschichte Ravennas (Liber Pontificalis) beschriebene Mosaik habe sich in der Apsis des triclinium ad mare im Palast befunden. Den patricius Theoderich sah man zu Pferd, wobei er ein Bein über dem Meer, ein anderes über dem Land hatte.25 DIE HISTORIOGRAPHISCHE ÜBERLIEFERUNG DER TITEL REX VANDALORUM (ET ALANORUM) UND ΒΑΝΔÍΛΩΝ ΤΕ ΚΑÌ ἈΛΑΝΩΝ ΒΑΣΙΛΕỲΣ Bevor wir uns den bekannten Mandaten aus Victor von Vita zuwenden, ist noch die historiographische Überlieferung für die Titel der Vandalenkönige zu diskutieren. In der Chronik Prosper Tiros wird Geiserich meist als König der Vandalen, Gisiricus rex Wandalorum, bezeichnet.26 Der von Theodor und den lateinischen Varianten zu untersuchen. Die Vulgata gibt den Wortlaut nicht wieder, die Vetus Latina Ausgabe 7/2 zu Jdt. liegt noch nicht vor. Zum Motiv bei Herodot vgl. Matthew W. Waters, Earth, water, and friendship with the King: Argos and Persia in the Mid-fifth century, in: Extraction & Control: Studies in Honor of Matthew W. Stolper, ed. Michael Kozuh/ Wouter F. M. Henkelman/Charles E. Jones/Christopher Woods (Studies in Ancient Oriental Civilization 68, Chicago 2014) 331–336; Hartmut Erbse, Studien zum Verständnis Herodots (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 38, Berlin 1992) 66; Amélie Kuhrt, Earth and Water, in: Achaemenid History 3: Method and Theory. Proceedings of the ­achaemenid History Workshop London 1985, ed. Amélie Kuhrt/Heleen Sancisi Weerdenburg (Nederlands instituut voor het nabije Oosten, Leiden 1988) 87–99. 24 Victor Vitensis, Historia persecutionis Africanae provinciae 1, 23 (ed. Serge Lancel, Histoire de la persécution vandale en Afrique suivie de La passion des sept martyrs, Registre des provinces et des cités d’Afrique. Textes établis, traduits et ­commentés, Collection des Universités de France. Série latine 368, Paris 2002) 107: Quanto eos affligebant, tanto magis multiplicabantur et invalescebant nimis. Vgl. Ex 1, 12 (Vulgata): Quantoque opprimebant eos tanto magis multiplicabantur et crescebant. Vgl. Roland Steinacher, Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreiches (Stuttgart 2016) Kapitel „Erste Konflikte mit der katholischen Kirche“. Bei Victor wird vor dieser Passage das Gottesvolk mit einem Bienenschwarm verglichen, der durch die honigsüßen Bausteine des Glaubens für seine Emsigkeit belohnt wird. Vgl. dazu Konrad Vössing, Victor von Vita. Kirchenkampf und Verfolgung unter den Vandalen in Africa. Lateinisch und deutsch. Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt (Texte zur Forschung 96, Darmstadt 2011) 162, Anm. 54–55, 60; Pierre Courcelle, Histoire littéraire des grandes invasions germaniques (Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 19, Paris 1964) 137 und Anm. 1; Courtois, Vandales 286. Quodvultdeus, Liber Promissionum 32, 36 und 37 spielen auf die Unterdrückung ­Israels durch Pharao an. In Quodvultdeus, Liber Promissionum 70–71 wird ähnliches mit Nebukadnezar (Nabuchodonosor) versucht. Vielleicht ist auch De cataclysmo 3, 4 ähnlich zu verstehen. Quodvultdeus, Liber Promissionum (ed. René Braun, Opera Qvodvultdeo Carthaginiensi episcopo tributa, CCSL 60, Turnhout 1976) 101–102, 105–107, 136–138, 411. 25 Agnellus Ravennatis, Liber Pontificalis Ecclesiae Ravennatis 94 (ed. Deborah Mauskopf-Deliyannis, CCCM 199, ­Turnhout 2006) 258–259: Unde vero telum tenensque fuit, Ravenna tessellis figurata, pedem dextrum super mare, sinistrum super terram ad regem properans. Vgl. Andreas Goltz, Barbar – König – Tyrann. Das Bild Theoderichs des Großen in der Überlieferung des 5. bis 9. Jahrhunderts (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 12, ­Berlin/New York 2008) 533–534; Friedrich W. Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes 1. Geschichte und Monumente (Wiesbaden 1969) 120; ders., Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes 2, 3. Kommentar. Geschichte, Topographie, Kunst und Kultur (Stuttgart 1989) 51–53 und S. 74–75. 26 Prosper Tiro, Epitoma Chronicon 1327 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica Minora 1, Berlin 1892, ND 1981) 341–499, hier 475: In Africa Gisiricus rex Wandalorum, intra habitationis suae limites volens catholicam fidem Arriana impietate subvertere (…).

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Mommsen so genannte Laterculus Regum Wandalorum et Alanorum zeigt in einer Reichenauer Handschrift des 9. Jahrhunderts Geisericus UUandalorum rex. In einem Kodex aus Madrid des 13. und einer Augsburger Handschrift des 15. Jahrhunderts findet sich ein einfaches rex.27 Im Anonymus Valesianus wird anlässlich der Hochzeit Thrasamunds mit Amalafrida, der Schwester Theoderichs des Großen, der Hasdinge Vandalenkönig genannt. Ebenso ordnet in den Consularia Italica der rex Wandalorum die Schließung katholischer Kirchen an.28 Bei Jordanes erscheinen die Hasdingen als reges Vandalorum29 und ebenso in mehreren Überschriften der Variae Cassiodors.30 Jedoch ist es in diesem Fall denkbar, dass die Titel der Briefe von späterer Hand stammen.31 Aus den genannten Beispielen lässt sich schwerlich ein Argument für den Gebrauch offizieller Titulatur gewinnen. Eher hat man an eine einfache geographische, historische und dynastische Zuordnung zu denken. Wie verhält es sich aber mit dem sehr spezifischen Doppeltitel eines „Königs der Vandalen und Alanen“? Außer in den Mandaten Victors sind zwei Belege bekannt: In einer Ergänzung der Prosperchronik aus dem späten 5. Jahrhundert, der Continuatio des Codex Alobaciensis, erscheint Rex Wandalorum et Alanorum Geisericus. Die Fortsetzung der Chronik wurde zeitnah zu Victors Verfolgungsgeschichte in Italien oder Spanien geschrieben. Gut möglich, dass der Schreiber Victors Text kannte und benutzte, war dieser doch relativ weit verbreitet. Heute sind beinahe 40 Handschriften der Historia persecutionis bekannt. Das Skriptorium hätte dann den für Hunerich bekannten Titel auf seinen Vater und Vorgänger übertragen.32 Einmal verwendet Prokop in seiner Geschichte des Vandalenkriegs eine griechische Übersetzung des Doppeltitels. Auf Sardinien hatte sich 533 der vandalische Statthalter Godas gegen seinen König erhoben und wollte mit den Byzantinern gemeinsame Sache machen. Tzazon, ein vandalischer General und Bruder Gelimers, war daraufhin von Afrika nach Sardinien gesegelt und hatte die Rebellion niedergeschlagen. In Prokops Erzählung wandte sich nun Tzazon an seinen Bruder und sprach diesen mit ὦ Βανδίλων τε καὶ Ἀλανῶν βασιλεῦ, oh König der Vandalen und Alanen an.33 Laterculus Regum Wandalorum et Alanorum (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 13, Chronica Minora 3, Berlin 1898, ND 1981) 456–460, hier 458; (ed. Roland Steinacher, The Laterculus Regum Vandalorum et Alanorum. A part of Prosper Tiro’s chronicle, in: Vandals, Romans and Berbers. New Perspectives on Late Antique North Africa, ed. Andrew H. Merrills [­Aldershot 2004]) 163–180, hier 165, 167. 28 Anonymi Valesiani pars posterior 68 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica Minora 1, Berlin 1892, ND 1981) 306–328, hier 324: Item Amalafrigdam germanam suam in matrimonium tradens regi Wandalorum Trasimundo. Consularia Italica 21 ad a. 492 post consules (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica Minora 1, Berlin 1892, ND 1981) 249–336, hier 269: Inter Africam Trasemundus rex Wandalorum catholicas ecclesias clausit et CXX episcopos exilio ­Sardiniam mittit. 29 Jordanes, De origine actibusque Getarum/Getica 153, 167, 184, 235, 244, 299 (Thrasamund) (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 5, Berlin 1882, ND 1982) 53–138, hier 98, 101, 106, 118, 120, 135. 30 Cassiodorus, Variae 5, 43; 5, 44 (Transimundo regi VVandalorum Theodericus rex); 9, 1 (Hilderico regi VVandalorum Athalaricus rex), ed. Mommsen 170, 267. 31 Wolfram, Intitulatio I. 81 und Anm. 31: „Doch bleibt die authentische Form der ‚superscriptio‘ in den ,Variae‘ epistolae ­wegen ihrer starken Stilisierung unklar.“ Vgl. Peter Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde. Diplomatische Studien zum römisch-germanischen Kontinuitätsproblem, in: Archiv für Diplomatik 2 (1956) 1–115; Richard Heuberger, ­Vandalische Reichskanzlei und Königsurkunden. Mit Ausblicken auf die Gesamtentwicklung der frühgermanischen Herrscherurkunde, in: FS Oswald Redlich zum 70. Geburtstag, ed. Wilhelm Bauer (MIÖG, Erg. Bd. 11, Innsbruck 1929) 76–113, hier 97; Theodor Mommsen, Ostgotische Studien, in: NA 14 (1889) 223–249, 451–544, hier 476, 536. 32 Prosper Tiro, Epitoma Chronicon, Continuatio Cod. Alcobaciensis 455 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica ­Minora 1, Berlin 1892, ND 1981) 341–499, hier 487: Rex Wandalorum et Alanorum Geisericus regn(avit) post ­mortem ­Valentiniani imperatoris annis XXI. Vgl. Wolfram, Intitulatio I. 81 und Anm. 31; Courtois, Les Vandales 237, Anm. 7. Überlieferungsgeschichte: Andreas Schwarcz, Bedeutung und Textüberlieferung der Historia Persecutionis Africanae P ­ rovinciae des Victor von Vita, in: Historiographie im Frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien 1994) 115–140. 33 Procopius Caesarensis, Bella 3, 24, 3 (ed. Otto Veh, Prokop von Caesarea, Vandalenkriege/Gotenkriege/De aedificiis, griech.-deut., Sammlung Tusculum, München 1961–1971) 158–159: βασιλεῖ Γώδαν ἀπολωλέναι τὸν τύραννον, ὑπὸ ταῖς ἡμετέραις γεγονότα χερσὶ, καὶ τὴν νῆσον αὖθις ὑπὸ τῇ σῇ βασιλείᾳ εἶναι, ὦ Βανδίλων τε καὶ Ἀλανῶν βασιλεῦ, ἴσθι καὶ τὴν ἐπινίκιον ἑορτὴν ἄγε. [...] Übersetzung nach Otto Veh: „Wisse, König der Vandalen und Alanen, dass der unrechtmäßige Herrscher Godas in unsere Hände gefallen und tot ist, die Insel aber wieder Deiner königlichen Gewalt untersteht. Feiere Deinen Sieg! [...]“ Procopius Caesarensis, Bella 3, 9, 20, ed. Veh 72–73 zitiert einen Brief, den Gelimer an Justinian geschrieben haben soll und dessen Anrede Βασιλεὺς Γελίμερ Ἰουστινιανῶ̣ gelautet habe. Die meisten Übersetzer übersetzten die Passage mit 27

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Herwig Wolfram interpretierte diese Verwendung des Titels als literarische Strategie Prokops, der ­damit die verschiedenen barbarischen Gruppen in Afrika sichtbar machen wollte. Schließlich galt es, Kaiser Justinian in alter römischer Tradition als Sieger über verschiedene Barbarenvölker zu feiern. Bereits vor der Schlacht bei Tricamarum im November 533 hatte Justinian anlässlich der Eroberung Karthagos durch Belisar den Triumphalnamen „Sieger über Alanen, Vandalen und in Afrika“, Alanicus, Vandalicus, Africanus, angenommen. Karthago erhielt den Beinamen Iustiniana. Die Botschaft an die Bevölkerung war einfach: Rom regierte wie schon seit Jahrhunderten die Welt, und alle Völker waren ihr unterworfen und tributpflichtig.34 Das nach König Hunerich Huniricopolis benannte Hadrumetum (Sousse) hieß von nun an Justinianopolis.35 Ein Deckengemälde im kaiserlichen Palast in Konstan­ tinopel bildete Theodora und Justinian ab, wie sie die Huldigung des besiegten Vandalenkönigs ent­ gegen­nahmen.36 DIE EDIKTE KÖNIG HUNERICHS BEI VICTOR VON VITA UND IHR HISTORISCHER HINTERGRUND Und trotzdem steckt mehr hinter dem von Prokop zitierten Doppeltitel als die Ermöglichung ­triumphaler Barbarenrhetorik für den siegreichen Kaiser. Beide genannten Stellen bestätigen die Verwendung und Geläufigkeit des Doppeltitels, wie wir ihn aus Victor von Vita und von der Schale ­Gelimers kennen. Jedoch bedürfen die beiden Verwendungen bei Victor einer historischen Einordnung. Zunächst seien die fraglichen Edikte zitiert. Am Himmelfahrtstag 483 erließ der Vandalenkönig Hunerich eine Verfügung, die öffentlich ver­lesen und durch Kuriere in den Provinzen verbreitet wurde. Das Edikt aus Victors Verfolgungs­geschichte ­lautet: „Hunerich, König der Vandalen und Alanen, an sämtliche homoousianischen Bischöfe, Rex ­Hunirix Wandalorum et Alanorum universis episcopis omousianis. Nicht nur einmal wurde untersagt, dass Eure Priester innerhalb der Vandalenlose, in sortibus Wandalorum, die Messe feiern. Die christ­ lichen Seelen sollen nicht durch ihre Verführung zugrunde gerichtet werden. Nun hat sich aber gezeigt, dass viele diese Bestimmung missachteten und entgegen diesem Verbot innerhalb der sortes Vanda„­König Gelimer an Kaiser Justinian“, was Prokops Text nicht richtig wiedergibt. Der Vandalenkönig setzt sich ja unverfroren dem Kaiser gleich und lässt sich ebenfalls Βασιλεὺς nennen. Vgl. zum historischen Hintergrund Andrew H. Merrills, The secret of my succession: dynasty and crisis in Vandal North Africa, in: Early Medieval Europe 18/2 (2010) 135–159, hier 150–152. Yves Modéran, L’établissement territorial des Vandales en Afrique 97 gab zu bedenken, dass in Briefen dieser Zeit meist keine Titel erwähnt wurden, was wieder in Richtung einer literarischen Zuspitzung bei Prokop deuten würde. Vgl. weiter Roland Steinacher, Gruppen und Identitäten. Gedanken zur Bezeichnung ‚vandalisch’, in: Das Reich der Vandalen und seine (Vor-)Geschichten, ed. Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13, Wien 2008) 243–260, hier 257–258; Wolfram, Intitulatio I. 81–82, 134–135; Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde 5 und Anm. 20. 34 Codex Justinianus 1, 1 (ed. Theodor Mommsen/Paul Krüger, Corpus Iuris Civilis 2, Berlin 1887, ND Hildesheim 1988) 4: In nomine Domini nostri Jhesu Christi Imperator Caesar Flavius Iustinianus Alamannicus Gothicus Francicus ­Germanicus Anticus Alanicus Vandalicus Africanus pius felix inclitus victor ac triumphator semper Augustus. Karthago Iustiniana: Procopius Caesarensis, De aedificiis 6, 5, 8 (ed. Otto Veh, Prokop von Caesarea, Vandalenkriege/Gotenkriege/De aedificiis, griech.-deut., Sammlung Tusculum, München 1961–1971) 294–295. Vgl. Steinacher, Vandalen, Kapitel „Die justinianische Neuordnung der Provinzen“; Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und ihrem Nachleben 147, Göttingen 2003) 150–182, 309–320; Agustí Alemany, Sources on the Alans. A critical compilation (Handbook of Oriental Studies/ Handbuch der Orientalistik Section 8, Central Asia 5, Leiden/Boston/Köln 2000) 192–193; Gillett Ethnicity 109, Anm. 30; Walter Pohl, Justinian and the barbarian kingdoms, in: The Cambridge Companion to the Age of Justinian, ed. Michael Maas (Cambridge 2005) 448–476, hier 448–476; Andrew H. Merrills/Richard Miles, The Vandals (The Peoples of Europe, Chichester 2010) 233; Schmidt, Wandalen 135. Auch die Inschriften CIG IV 8636 und CIL III 13673 (Milet, heute Akkoy/ Balat nahe Söke, Provinz Aydın, Türkei) führen Triumphalnamen: Iustinianus Alaman(icus) Gothicus Fragicus G ­ ermanicus, Gallic(us A)lanicus Euandalicus Africanus. Vgl. Fiebiger/ Schmidt, Inschriftensammlung 38–39, n. 54; 39–40, n. 55. Jordanes Getica 316, ed. Mommsen 138: Sed victor ac triumphator Iustinianus imperator et consul Belesarius Vandalici Africani Geticique dicentur. 35 Wolfram, Gotische Studien 159 mit Anm. 102; Hans-Joachim Diesner, Vandalen, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, Suppl. 10, Stuttgart 1965) 957–992, hier 958. 36 Procopius Caesarensis, De aedificiis 1, 10, 15–20, ed. Veh 70–72; Merrills/Miles, Vandals 232; Michael McCormick, Eternal victory. Triumphal rulership in late antiquity, Byzantium, and the early medieval West (Cambridge/Paris 1986) 65, Anm. 105.

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lorum Messen gehalten haben, wobei die Priester behaupteten, sie würden an der vollständigen Lehre des christlichen Glaubens festhalten. Und weil wir in den uns von Gott verliehenen Provinzen kein Ärgernis dulden, et quia in provinciis a Deo nobis concessis scandalum esse nolumus, das vom rechten Weg abbringt, so nehmt zur Kenntnis, was wir nach Gottes Ratschluss und im Einklang mit unseren heiligen Bischöfen angeordnet haben: Am folgenden 1. Februar sollt Ihr, ohne Euch durch Furcht zu entschuldigen, alle nach Karthago kommen, um mit unseren ehrwürdigen Bischöfen in ein Streitgespräch über die Glaubenslehre einzutreten und den Glauben der Homoousianer, den Ihr verteidigt, ausschließlich aus den heiligen Schriften zu erweisen, so dass man danach erkennen kann, ob Ihr den vollständigen Glauben habt. Den Wortlaut dieses Ediktes haben wir allen deinen Mitbischöfen in ganz Africa zustellen lassen. Gegeben am 17. Mai im siebten Regierungsjahr [483] Hunerichs.“37 Die vom König angeordnete Synode fand zum vorgegebenen Datum statt. Die katholischen Bischöfe waren laut Victor in der Hauptstadt Angriffen und Schikanen ausgesetzt.38 Gerade wie die Donatisten Jahrzehnte zuvor, wurden nun die Vertreter der nicäanischen Theologie behandelt. Die katholischen Geistlichen wussten was ihnen bevorstand, sie waren in der schwächeren Position in Opposition zur politischen Macht und hätten gleichzeitig selbst nicht davor zurückgescheut, ihre arianischen Gegner ganz ähnlich zu bekämpfen.39 Während der Synode in Karthago wurde wenig diskutiert, dafür umso mehr demonstriert. Wer nun in den afrikanischen Provinzen das Sagen hatte, verdeutlichten die Homöer dadurch, dass der arianische Patriarch Cyrila auf einem Thron Platz nahm, während die katholischen Bischöfe stehen mussten. ­Cyrila weigerte sich während des Disputs in einer viel diskutierten Passage Latein zu sprechen. Auch die jüngere Forschung möchte hierin gerne einen Beweis für die germanische Muttersprache des Vandalen Cyrila sehen und überhaupt für die kulturelle Fremdheit der Eroberer in den afrikanischen Provinzen. Dies ist nicht der Fall. Der ranghöchste Arianer hatte ganz anderes im Sinn. Es ging ihm vielmehr um die liturgische Praxis. Ein zwischen Nicäanern und Arianern strittiger Punkt war die in der arianischen Kirche gängige gotische Liturgiesprache.40 Cyrila bestand auf dieser für die Ostkirchen unproblematischen, im lateinischen Westen aber an­ gefeindeten Praxis, und gleichzeitig provozierte er. Victor sagt ja selbst, Cyrila habe stets Latein ge­ sprochen, und natürlich beherrschte der Bischof die Sprache der theologischen Basis. „Unsere Leute ­änderten ihre Taktik und sagten zu Cyrila, conversique nostri Cyrilae dixerunt: ‚Argumentiere, was Du zu tun gedenkst, propone quod disponis.’ Cyrila antwortete: ‚Ich spreche kein Latein, Cyrila ­dixit: ­Nescio latine.’ Unsere Bischöfe sagten, nostri episcopi dixerunt: ‚Wir wissen ganz genau, dass Du ­immer Latein gesprochen hast, semper te latine esse locutum manifesto novimus, nun solltest Du Dich nicht so herausreden, gerade weil Du dieses Feuer angezündet hast, modo excusare non debes, praesertim quia tu huius rei incendium suscitasti.’“ Cyrila soll mit seiner schnell entlarvbaren Ausrede als der Dumme dastehen, wie an so vielen Stellen in Victors Text.41 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 39, ed. Lancel 139–140; Übersetzung nach: Vössing, Victor von Vita 87; Datum: Schmidt, Wandalen 102, Anm. 6 emendiert XVIII Kal. Junias anno septimo Hunerici zu XVI Kal. Jun., also vom 20. auf den 17. Mai 483. Da der Himmelfahrtstag in diesem Jahr auf den 19. Mai fiel, muss das Edikt vorher erlassen worden sein. So auch Vössing, Victor von Vita 175, Anm. 185; Lancel, Histoire de la persécution vandale 304–305, Anm. 192; anders Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde 4, Anm. 10 und Heuberger, Vandalische Reichskanzlei 103; nach diesen Cinzia Vismara, Gli editti dei re vandali, in: Studi in onore di Gaetano Scherillo 2 (Milano 1972) 849–878, hier 858–856 auf den 19. Mai. Diplomatik und historische Einschätzung: Wolfram, Intitulatio I. 79–80; Courtois, Vandales 237, Anm. 7, 243, 296, Anm. 1; Christian Courtois, Victor de Vita et son oeuvre (Algier 1954) 11–15. 38 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 46, ed. Lancel 143; vgl. Yves Modéran, L’Église d›Afrique et la reconquista byzantine, in: Histoire du Christianisme des origines à nos jours, 3: Les Églises d’Orient et d’Occident, ed. Jean-Marie Mayeur/Charles Piétri/André Vauchez/Marc Venard (Paris 1998) 699–717, hier 277–278; Yves Modéran, Une guerre de religion. Les deux Églises d’Afrique à l’époque vandale, in: Antiquité Tardive 11 (2003) 21–44. 39 Vgl. Steinacher, Vandalen, Kapitel „Afrika soll arianisch werden: Das Religionsgespräch in Karthago und die königliche Gesetzgebung von 484“; Chris Wickham, The Inheritance of Rome. A History of Europe from 400 to 1000 (The Penguin History of Europe 2, London 2009) 76–77. 40 Knut Schäferdiek, Ulfila und der sogenannte gotische Arianismus, in: Arianism: Roman Heresy and Barbarian Creed, ed. Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Farnham 2014) 21–44; Hanns Christof Brennecke, Framing the historical and theological problems, in: ebd. 1–20. 41 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 53–55, ed. Lancel 146–147; Vgl. Herwig Wolfram, Sprache und Identität im Frühmittelalter mit Grenzüberschreitungen, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller 37

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Die Katholiken hatten eine Abhandlung zur Darlegung ihres Standpunktes zur Christologie vorbereitet. Dieses Buch vom katholischen Glauben, Liber fidei catholicae, sollte die nicäanische Trinitätslehre argumentativ untermauern. Möglicherweise war der katholische Metropolit Karthagos Eugenius selbst der Verfasser. Abgehandelt wird die Wesensgleichheit des Sohnes mit dem Vater sowie die Göttlichkeit des Heiligen Geistes und damit die Einheit der drei göttlichen Personen, unitas trinitatis, betont.42 Der Text ist in voller Länge in Victors Geschichte inseriert, es ist der zentrale und wesentliche Teil der Verfolgungsgeschichte. So sehr nun die Forschung seit den Editionen Karl Halms und Michael ­Petschenigs 1879 bzw. 1881 die Historia persecutionis als relativ verlässliche Quelle bearbeitete und problematisierte, für den entscheidenden Teil des Texts konnte sich die Geschichtswissenschaft nie so recht begeistern. Entweder man ignorierte den theologischen Kern der Geschichte Victors gänzlich, oder man begnügte sich mit antiklerikalen Seitenhieben.43 Was Victors Niederschrift maßgeblich bedingt haben dürfte war gerade der Misserfolg der katholischen Bemühungen. In der Kanzlei des Königs zu Karthago dürfte man schon während der Synode von 483 eine ausführliche Verfügung vorbereitet ­haben, die gezielt gegen die katholische Liturgie gerichtet war. Am 24. Februar 484 folgte das zweite bei Victor im Wortlaut wiedergegebene Edikt Hunerichs. „­Hunerich, König der Vandalen und Alanen an alle unserer Herrschaft unterworfenen Völker. Rex ­Hunirix Wandalorum et Alanorum universis populis nostro regno subiectis.44 Von triumphaler Leistung und königlicher Majestät zeugt es bekanntlich, böse Pläne auf ihre Urheber zurückzulenken; ­Triumphalis et maiestatis regiae probatur esse virtutis, mala in auctores consilia retorquere.“45 Den katholischen Geistlichen warf der König vor, innerhalb der Gebiete mit besonderem Rechtsstatut unter königlicher Kontrolle, sortes Vandalorum, trotz seines Verbots Versammlungen und die Liturgie mit den heiligen Handlungen abgehalten zu haben. Als Konsequenz habe der König zum Disput in Karthago geladen. Dort sei es die Pflicht der Katholiken gewesen, ihre Sicht der Trinität mit biblischen Referenzen zu be­legen. Hunerichs Edikt beruft sich im Folgenden auf die Reichssynoden von Rimini und Seleukia des Jahres 359. Die dort verurteilte Lehre werde von den Katholiken, den Homoousianern, in Afrika vertreten. Tausende Bischöfe des ganzen Erdkreises aber haben in Rimini und Seleukia die rechte Lehre eindeutig festgelegt. Aut certe quod a mille et quot excurrunt pontificibus de toto orbe in Ariminensi concilio vel apud Seleuciam.46 In dieser Einleitung wird der überregionale und universale



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(Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 39–60, hier 46 mit Anm. 62; Courtois, Vandales 222, Anm. 6, 296. Betonung einer vandalischen Muttersprache: Wolfgang Haubrichs, Nescio latine! Volkssprache und Latein im Konflikt zwischen Arianern und Katholiken im wandalischen Afrika nach der Historia persecutionis des Victor von Vita, in: Geschichtsvorstellungen: Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. FS für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, ed. Steffen Patzold/Anja Rathmann-Lutz/Volker Scior (Köln 2012) 13–42, hier passim und 44 mit einer ausführlichen Besprechung der Stelle. Vössing, ,Barbaren‘ und Katholiken 202 und Anm. 127: „Die Aufforderung, seinen Standpunkt darzulegen, kam ja nicht überraschend; er [Cyrila] reagierte darauf mit Vorbedacht und mit königlichem Einverständnis, zudem in der Gewissheit, damit keineswegs als ungebildeter Tölpel dazustehen. Die Weigerung hatte also programmatischen Charakter: Sie sollte die kulturelle Grenze betonen, die Vandalen und Katholiken dauerhaft trennte und trennen sollte, auch wenn in der Praxis manche Vandalen Latein lernten (etwa Vorsteher der Zivilverwaltung oder Kleriker mit Missionsabsichten).“ Ähnliche Argumente finden sich in Vössing, Victor von Vita 178, Anm. 220, und Vössing, Königreich der Vandalen 99–101. Vgl. zu den theologischen Hintergründen Uta Heil, Avitus von Vienne und die homöische Kirche der Burgunder (Patristische Texte und Studien 66, Berlin/Boston 2011) 251–277; Modéran, L‘Église d‘Afrique 278, Anm. 45. Victor Vitensis, Historia persecutionis Africanae provinciae sub Geiserico et Hunirico regibus Wandalorum (ed. Karl Halm, MGH AA 3, 1, Berlin 1879, ND 1993) 1–58; (ed. Michael Petschenig, Historia persecutionis Africanae provinciae, CSEL 7, Wien 1881). Scharfe Verurteilungen der katholischen Akteure wie Parteinahmen finden sich immer wieder in der Forschung. So konstatiert etwa Modéran, Une guerre de religion 22–23 mit den Anm. 8–16 , einen „véritable anticléricalisme personnel“ bezugnehmend auf Courtois, Vandales, 166, 291. Schmidt, Wandalen, 103, 107 spricht von einem Verbot, „katholischer Propaganda“ in den Vandalenlosen, das die katholischen Geistlichen wiederholt und willentlich übertreten hätten. Der katholische Klerus habe „Aufhetzung“ betrieben und den königlichen Befehlen sei man „vielfach mit offenem Trotz begegnet“, und dadurch habe man die Vandalen zu den „Gewalttätigkeiten regelrecht gereizt“. In Anspielung an den Aufruf Kaiser Franz Josephs 1914 nannte Wolfram dieses Stück im Gespräch mit dem Autor „an seine Völker“. Victor Vitensis, Historia persecutionis 3, 3, ed. Lancel 175. Das Edikt von 3, 3 bis 15, ed. Lancel 175–181. Vgl. zum Folgenden Steinacher, Vandalen, Kapitel „Afrika soll arianisch werden: Das Religionsgespräch in Karthago und die königliche Gesetzgebung von 484“. Victor Vitensis, Historia persecutionis 3, 5, ed. Lancel 176.

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Machtanspruch der Hasdingenkönige wie des arianischen Klerus deutlich. Schließlich verfügte der ­König die Enteignung der katholischen Kirche. Das Edikt, so Victor selbst, wandte die Häretikergesetze verschiedener Kaiser gegen die katholische Kirche an. Mechthild Overbeck konnte durch detaillierte Vergleiche die Entsprechungen zwischen den Verfügungen Hunerichs und jenen im Abschnitts 16, 5 des Codex Theodosianus (De haereticis) nachweisen. Tatsächlich handelt es sich um eine wohlüberlegte und für Afrika ausgearbeitete Adaptierung der Kaisergesetze. Zu denken hat man etwa an die Verfügungen gegen die Donatisten Afrikas, die in den Archiven Karthagos sicherlich leicht zugänglich waren.47 Herwig Wolfram hat betont, dass dieses in die Erzählung Victors eingebaute Edikt gemeinsam mit dem zweiten von 484 in diplomatischer Hinsicht bemerkenswert ist. „Der älteste der erhaltenen germanischen Königstitel stammt aus der vandalischen ‚Reichskanzlei‘. Man liest ihn heute noch in zwei ­Königsurkunden Hunerichs, die nach Art und Glaubwürdigkeit ihrer Überlieferung unter den königlichen ‚Akten‘ der Völkerwanderung nur von der Schenkungsurkunde Odoakers von 489 übertroffen werden. (…) Die beiden Dokumente zeigen wie keine Königsurkunde der Zeit den Einbruch eines rex gentium in die materiellen wie formalen Vorrechte des Kaisers, was sich besonders in der Promulgation einer ‚lex‘ äußert. Die Urkunden Hunerichs sind getreue Kopien der kaiserlichen Urkundenform. Als Neuerung gegenüber der römischen Kaiserurkunde tritt hier sinngemäß nur die Datierung nach Königsjahren auf, die mit der neuen Ära zusammenhängt, die die Einnahme von Karthago der vandalischen Politik setzte.“48 KÖNIG DER VANDALEN UND ALANEN: DIE HERVORHEBUNG EINER STARKEN IDENTITÄT VOR DEM HINTERGRUND EINES MACHTKAMPFS DER MILITÄRISCHEN UND ARIANISCHEN ELITEN IN AFRIKA 484 UNTER HUNERICH UND WIEDER 530 UNTER GELIMER Um nun den Gebrauch des Doppeltitels rex Wandalorum et Alanorum in den beiden Edikten Hunerichs und schließlich auf Gelimers Schale historisch einordnen zu können, muss man die Jahrzehnte vor ­Hunerichs Thronbesteigung betrachten. Geiserich konnte nach der Eroberung Afrikas zwischen 429 und 439 die Vormachtstellung seines Hauses sichern, musste aber auch die vandalischen Großen und die arianische Kirche zufrieden stellen. Zunächst einige Überlegungen zur homöischen Geistlichkeit, die im vandalischen Afrika eine bedeutende Rolle spielen konnte: Mit den vandalischen Truppen waren arianische Kleriker nach Afrika gekommen, die in den Militärs ihre Patrone gefunden hatten. Mitte des 4. Jahrhunderts konnte sich eine von Nicäa abweichende Lehrmeinung jedoch noch einmal durchsetzen, und Anhänger der arianischen Christologie hatten relativ freie Hand. Kaiser Constantius II. (337–360) versuchte nämlich, kirchliche Einheit über einen neuen Kompromiss herzustellen. Auf den Konzilien von Ariminium (Rimini) und Seleukia des Jahres 359 wurden die unbiblischen Begriffe Ousia/­Hypostasis aufgegeben und der Sohn als ὅμοιος κατὰ τὰς γραφάς/ similis secundum scripturas [ähnlich nach den Schriften, also der Bibel] bezeichnet. Die Verwendung des Begriffs ,Arianismus‘ für den „gotischen oder vandalischen Glauben“ ist deshalb problematisch, weil dieser aus der katholischen Polemik stammt und unpräzise gebraucht wurde.49 Victor Vitensis, Historia persecutionis 3, 2, ed. Lancel 174: Legem, quam dudum christiani imperatores nostri contra eos et contra alios hereticos pro honorificentia ecclesiae catholicae dederant, adversum nos illi proponere non eruberunt. ­Mechthild Overbeck, Untersuchungen zum afrikanischen Senatsadel in der Spätantike (Frankfurter althistorische ­Studien 7, Frankfurt/Main 1973) 74–82. Vössing, Victor von Vita 183, Anm. 257–259 dagegen ist der Überzeugung, die vandalische Kanzlei sei gar nicht imstande gewesen mit den kaiserlichen Gesetzen umzugehen und habe die Römer sozusagen nur erschrecken wollen. 48 Wolfram, Intitulatio I. 79–80; vgl. Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde 16–22; zur Datierung nach dem Jahr der Eroberung Karthagos: Clover, Timekeeping and Dyarchy; Steinacher, Vandalen, Kapitel „439: Die Besetzung Karthagos und eine politische Datierung“. 49 Hanns Christof Brennecke, Lateinischer oder germanischer ,Arianismus‘? Zur Frage einer Definition am Beispiel der religiösen Konflikte im nordafrikanischen Vandalenreich, in: Collatio Augustini cum Pascentio. Einleitung, Text. Übersetzung, ed. Hildegund Müller/Dorothea Weber/Clemens Weidmann (Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse 779, Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der lateinischen Kirchenväter 24, Wien 2008) 125–144, hier 129–130; Hanns Christof Brennecke, Studien zur Geschichte der Homöer (Beiträge zur historischen Theologie 73, Tübingen 1988) 5–22; Christoph Markschies, Alta trinità beata. Gesammelte Studien zur altkirchlichen Trinitätstheologie (Tübingen 2000) 290; 47

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Nach 381, als Theodosius in Konstantinopel eine Kirchenversammlung einberufen hatte, die als das zweite ökumenische Konzil gilt, verloren die homöischen Priester, Bischöfe und Theologen rasch ihren Einfluss, ihre Pfründe und ihre Chancen. Die Beschlüsse der Synoden von Rimini und Seleukia des Jahres 359 waren 381 als häretisch verurteilt worden. Gerade diese Entwicklungen wollte man im vandalischen Afrika wieder rückgängig machen, man denke an oben genannte Berufung auf die Doppelsynode von 359. Ambrosius, der einflussreiche Bischof von Mailand, hatte ebenfalls 381 in Aquileia eine westliche Synode einberufen. Nach dieser wurden auch die lateinischen Homöer als „arianische“ Häretiker aus der Kirche ausgeschlossen. Genau diese Kreise schlossen sich im Folgenden den Föderatenverbänden der Goten, Vandalen und Burgunder an. Diese Männer wussten, wie man kirchliche Strukturen organisiert und forderten die materiellen und politischen Grundlagen dazu von ihrem König. Gleichzeitig sahen sie in Afrika die Chance gekommen, sich an der katholischen Konkurrenz zu rächen. In den auf 429 folgenden Jahren wurde die Kirche der Arianer jedenfalls zulasten der katholischen und einzelner Grundbesitzer mit Pfründen und Besitz versorgt.50 Die zweite bedeutende Herausforderung für die Monarchie der Hasdingen war die Verteilung des enormen Besitzes in Afrika. Neben kaiserlichem und senatorischem Besitz hatte Geiserich sich nach 429 die Güter Gildos angeeignet. Alleine die Ländereien dieses afrikanischen Rebellen des 4. Jahrhunderts müssen sehr umfangreich gewesen sein. Schließlich war nach 398 ein eigener comes, ein Beamter der höchsten Hierarchiestufe, direkt dem Kaiser unterstellt, nur für die Verwaltung von Gildos Besitz eingesetzt worden.51 Vor der vandalischen Eroberung war der Kaiser selbst der größte Grundbesitzer in Afrika. Im Laufe der Jahrhunderte römischer Herrschaft in den Provinzen hatte sich der kaiserliche Domänenbesitz stark vergrößert. So lagen etwa im nördlichen Bereich des fruchtbaren Tals des Bagradas um Bulla Regia (Hammam Daradji, Tunesien) ausgedehnte Güter. Nachdem Nero sechs reiche Senatoren enteignet hatte, meint Plinius, der Kaiser kontrolliere nun die Hälfte der afrikanischen Provinzen. Die Angabe mag übertrieben sein, aber alleine in der Proconsularis und der Byzacena umfasste am Beginn des 5. Jahrhunderts der kaiserliche Besitz 15.000 Quadratkilometer, was einem Sechstel der gesamten Landfläche entspricht.52 Die Versorgung der Soldaten fiel in eine eigene Kategorie. Die zur Bezahlung, Ernährung und Ausstattung der Kampfverbände vorgesehenen und in den Edikten genannten sortes Vandalorum waren nach Victor von Vita und Prokop auf die Proconsularis beschränkt. Beide Autoren betonen zwei Kategorien von Landbesitz: Geiserich nahm für sich und seine Familie den größeren Teil des landwirtschaftlich nutzbaren Fruchtlandes.53 Jeder der drei Söhne Geiserichs, Hunerich, Theoderich und Gento, war mit einer eigenen Hofhaltung und herrschaftlicher Autorität ausgestattet, die auf der Verfügbarkeit von Grundbesitz beruhte. Die Unterscheidung zwischen der hasdingischen Königsfamilie, Geiserich und den

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Peter J. Heather, Christianity and the Vandals in the reign of Geiseric, in: Wolf Liebeschuetz reflected: Essays ­presented by Colleagues, Friends & Pupils, ed. John F. Drinkwater/Benet Salway (Bulletin of the Institute of Classical Studies. Supplement 91, London 2007) 137–146. Steinacher, Vandalen, Kapitel „Der vandalische Arianismus als politische Religion“; Hanns Christof Brennecke, Deconstruction of the so-called Germanic Arianism, in: Arianism: Roman Heresy and Barbarian Creed, ed. Guido M. Berndt/ Roland Steinacher (Farnham 2014) 117–130; Brennecke, Lateinischer oder germanischer ,Arianismus‘? 125–144. Codex Theodosianus 7, 8, 7; 9, 42, 16; 19 (ed. Theodor Mommsen/Paul Krüger/Paul M. Meyer, Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes 1. 2. Textus cum apparatu, Berlin 1905, ND 1990) 399, 400, 405: Konfiszierung der Güter; Notitia dignitatum occidentis 12, 5 (ed. Otto Seeck, Notitia dignitatum. Accedunt notitia urbis Constantinopolitanae et laterculi provinciarum, Berlin 1876, ND Frankfurt/Main 1962) 154: comes Gildoniaci patrimonii; vgl. Demandt, Die Spätantike 174; Yves Modéran, Gildon, les Maures, et lʼAfrique, in: Mélanges de l’École Française de Rome 101 (1989) 821–872; Hans-Joachim Diesner, Gildos Herrschaft und die Niederlage bei ­Theueste, in: Klio 40 (1962) 178–186; Hans-Joachim Diesner, Der Untergang der römischen Herrschaft in Nordafrika (Weimar 1964) 8–27. Plinius, Naturalis Historia 18, 35 (ed. Roderich König, C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturalis historia / Naturkunde 1–37, Zürich 1973–2004) 5, 89; David J. Mattingly, Africa: A landscape of opportunity, inDialogues in Roman Imperialism. ­Power, Discourse, and Discrepant Experience in the Roman Empire, ed. David J. Mattingly (Journal of Roman ­Arachaeology Suppl. 23, Oxford 1997) 117–142, hier 122; Dennis P. Kehoe, The economics of agriculture on Roman imperial estates in North Africa (Hypomnemata. Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben 89, Göttingen 1988) 11, 49; Domenico Vera, Enfiteusi, colonato e trasformazioni agrarie nell’Africa Proconsolare del tardo impero, in: L’Africa Romana 4 (1986) 267–293. Victor Vitensis, Historia persecutionis 1, 12–14, ed. Lancel 88–90; Procopius Caesarensis, Bella 3, 5, 11–17, ed. Veh 42–45.

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Prinzen, und den niederrangigeren Vandalen ist entscheidend. Eine zahlenmäßig kleine Spitzengruppe, die führende militärische Funktionen ausübte und mittels der ihnen übereigneten Fruchtgenuss- oder Besitzrechte Männer zu versorgen und kampfbereit zu halten hatte, hatte die sortes genannten Einheiten inne. Eine ausgeprägte Geschenks- und Repräsentationskultur verhandelte stetig die Beziehungen, Abhängigkeiten und Verpflichtungen innerhalb dieser Elite und zum Königshaus. Ein Beispiel dafür wäre die in diesem Beitrag besprochene Silberschale Gelimers, die in Italien bei Fonzaso gefunden ­wurde. Gleichzeitig wissen wir von römischen Besitzern in Afrika, die ihre Machtstellung kontinuierlich fortführten. Ihre Beziehungen zur vandalischen Elite sind mannigfaltig belegt. Freilich stammten diese Grundherren aus niederrangigeren senatorischen Familien.54 442 kam es aber zu einem Aufstand gegen den Vandalenkönig aus den eigenen Reihen. Geiserichs Erfolg hatte ihn, so meint Prosper, machtgierig gemacht, das Teilen hatte er verlernt. Als Geiserich die Verschwörung entdeckte, ließ er viele der Beteiligten foltern und töten. Nach diesem Verrat war G ­ eiserich derart misstrauisch, dass er mehr Männer durch interne Verfolgungen als im Krieg verlor.55 Frau und Kinder seines Bruders Gunderich sollen auf Befehl des Königs ermordet worden sein. ­Geiserich ließ seine Verwandten im Fluss Ampsaga (Oued el-Kebir, Algerien) ertränken. Ziel des Königs war es, die Ansprüche möglicher Erben von Anfang an zu beschränken und die Macht auf die eigenen Nachkommen zu fokussieren. Ähnlich ging Hunerich im Jahr 484 gegen seine Brüder vor.56 Gut möglich, dass auch die Verstümmelung und Verbannung der Tochter des Westgotenkönigs Theoderich II. im Zusammenhang mit den Ereignissen von 442 steht. Die namenlose westgotische Prinzessin war mit Hunerich verlobt. Ihr wurde vorgeworfen, Geiserich vergiften zu wollen.57 Was waren die Hintergründe der Adelsrevolte? Insgesamt sind die Informationen über den Aufstand von 442 spärlich. Nach den großen Erfolgen der Vandalen in Afrika kam es zu Interessenskonflikten bei der Verteilung von Macht und Besitz. Verdienstvolle Anführer und Mitkämpfer erwarteten ein größeres Stück des Kuchens. Geiserich dachte aber in anderen Dimensionen als seine Militärs. Nur mit einem erheblichen Hausgut als Hintergrund ließ sich eine Politik finanzieren, die über die afrikanischen Provinzen hinaus wirken konnte. Dass der Vandalenkönig solche Ziele verfolgte, wird aus der Geschichte der folgenden Jahrzehnte nur zu deutlich. Die Heirat seines Sohnes Hunerich mit der Kaisertochter Eudocia, und der stetige militärische Druck auf Italien bis zum Ende des weströmischen Kaisertums sprechen für sich. Vandalische Anführer setzten sich gegen Geiserichs Verteilungspolitik und Neuorganisation zur Wehr. Die Führung in Karthago musste jedoch mit Ravenna Frieden halten, denn ein weiterer Krieg hätte zu diesem Zeitpunkt die vandalischen Möglichkeiten überstiegen. Eine weitere Expansion fand zunächst nicht statt. Das Erreichte war zu verteilen. Geiserich bevorzugte seine unmittelbare Umgebung und seine Familie, auch um im Wettbewerb um die Vormachtstellung im römischen Westen bewegungs-

Die Debatte um Besitz oder Abgabe von Steueranteilen ist umfangreich, im Detail kann hier nicht darauf eingegangen werden. Vgl. jüngst mit sehr gegensätzlichen Standpunkten Walter Goffart, Le début (et la fin) des sortes Vandalorum, in: Expropriations et confiscations dans les royaumes barbares: une approche régionale, ed. Pierfrancesco Porena/Yann Rivière (Collection de l’École Française de Rome 470, Rom 2012) 115–128; Yves Modéran, Confiscations, expropriations et redistributions foncières dans l’Afrique vandale, in: ebd. 129–156; Paolo Tedesco, Sortes Vandalorum: forme di insediamento nell’Africa post-romana, in: ebd. 157–224; Yves Modéran, L’établissement territorial des Vandales en Afrique 87–122. Die hier vorgebrachte Deutung: Steinacher, Vandalen, Kapitel „Die ,sortes Vandalorum‘ und die Organisation der Provinzen“. 55 Prosper Tiro, Epitoma Chronicon 1348 (s. a. 442), ed. Mommsen 479: In Gisiricum de successu rerum etiam apud suos ­superbientem quidam optimates ipsius conspiraverunt. Sed molitione detecta multis ab eo suppliciis excruciati atque ­extincti sunt. Cumque idem audendum etiam ab aliis videretur, tam multis regis suspicio exitio fuit, ut hac sui cura plus virium perderet quam si bello superaretur. Schmidt, Wandalen 74–76; Ernst Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches 1 (Wien 1928) 485 mit einem romantischen Bild germanischer Volksfreiheit: „Die Art, wie er die Herrscherrechte auffaßte und übte, führte im selben Jahr 442, in dem er mit den Römern Frieden schloß, zu Verschwörungen unter dem vandalischen Adel, deren Aufdeckung es dem König ermöglichte, durch zielbewußtes, auch das Königsgeschlecht nicht verschonendes Wüten jede Opposition im Blute zu ersticken und mit der alten germanischen Volksfreiheit bei den Vandalen vollends aufzuräumen.“ 56 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 14, ed. Lancel 128; Dietrich Claude, Probleme der vandalischen Herrschaftsnachfolge, in: DA 30 (1974) 329–355, hier 334. Ein Stammbaum zur Übersicht über die hasdingische Königsfamilie: PLRE 2, 1333, Stemma 41 und Helmut Castritius, Die Vandalen. Etappen einer Spurensuche (Stuttgart 2007) 177. 57 Jordanes, Getica 184, ed. Mommsen 106; Schmidt, Wandalen 76; Miltner, Vandalen 323; Courtois, Vandales 120–122; Merrills/Miles, The Vandals 70, 113. 54

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fähig und flexibel zu bleiben. Schnell hätten eine zu flache Hierarchie innerhalb der Vandalen oder eine zu großzügige Verteilung die Sieger von 442 zu einer regionalen Macht degradiert. In diese Zusammenhänge lässt sich auch das so genannte Testament Geiserichs einordnen. Laut ­Jordanes und Prokop habe der König verordnet, dass die Nachfolge immer auf den jeweils ältesten lebenden seiner Nachkommen kommen solle. Nach den beiden Autoren hätte Geiserich erst kurz vor seinem Tod im Jahre 477 seine Nachfolgeordnung erlassen. Dieser späte Zeitpunkt scheint aber unwahrscheinlich; vielmehr dürfte Ostrom schon im ,Ewigen Frieden‘ von 474/76 die Nachfolgeordnung anerkannt haben, weil ihre Verletzung durch Gelimer Kaiser Justinian als Kriegsgrund galt. Ein möglicher früher Zeitpunkt für deren Erlassung könnte die Verheiratung Hunerichs mit Eudocia oder die Geburt von deren ältesten Sohn Hilderich gewesen sein. Denkbar wäre auch, dass Geiserich, der nach seines Bruders Gunderich unverhofftem Tod 428 zur Herrschaft kam, die Ordnung 442 verfügte, nachdem er dessen Familie beseitigt hatte. Geiserichs Thronfolgeordnung spielt in ihrer Verfremdung auch eine bemerkenswerte Rolle in der Verfolgungsgeschichte Victors von Vita. Der Bischof beschuldigte ­Geiserichs Sohn Hunerich, seinen Bruder Theoderich und dessen Familie aus dem Weg geräumt zu haben. Nach Geiserichs Willen sei nämlich diesem Bruder die Thronfolge zugestanden. Das heißt, der Verfasser setzte eine von Geiserich erlassene verbindliche Nachfolgeregelung voraus.58 Für Geiserichs Herrschaft hatte die constitutio unmittelbare Folgen. Seine gesamte Regierungszeit ist geprägt von einer stetigen Neudefinition vandalischer Identität. Bereits 442 hatte der König die Grund­ lagen seiner Macht mit Gewalt klar und zweifelsfrei definiert. Prokop deutet indirekt eine Reorganisa­tion der vandalischen Armee in diesen Jahren an. Gleichzeitig schlossen die Vandalen 442 mit der Regierung in Ravenna einen Friedensvertrag und die afrikanischen Domänen wurden neuerlich oder erst jetzt aufgeteilt. Der Vertrag von 442 fixierte die sozialen und ökonomischen Grundlagen der Vormachtstellung des hasdingischen Hauses innerhalb des vandalischen Militärs. Die constitutio sicherte den Status der Prinzen zur Lebenszeit des Gründerkönigs und über seinen Tod hinaus. Nach dem Adelsaufstand von 442 kam nie wieder eine Bedrohung der hasdingischen Herrschaft von außerhalb der Königsfamilie. Kein vandalischer Großer konnte sich an Status und Besitz mehr mit den Hasdingenprinzen messen. Dagegen wogte der Machtkampf innerhalb der hasdingischen Verwandtschaft umso heftiger.59 Hunerich verfügte bei seiner Thronbesteigung 477 noch über eine zweite Legitimationsmöglichkeit, um seine Herrschaft zu sichern. Neben seiner hasdingischen Herkunft und der Anerkennung als ­Erstem der Vandalen, für die sein Vater ja gesorgt hatte, war es durch Geiserichs Außenpolitik und d­ essen Er­folge möglich geworden, dass sein Sprössling der Schwiegersohn eines Kaisers werden konnte. ­Hunerich hatte Eudocia, eine Tochter Valentinians III., geheiratet. Diese Eheverbindung zum theodosianischen Haus ist bedeutsam für die nur auf den ersten Blick widersprüchlichen Versuche Hunerichs, die afrikanischen Provinzen in den 80er Jahren des 5. Jahrhunderts neu zu organisieren.60 Hunerichs Sohn Hilderich war gleichzeitig Hasdingenprinz und Enkel Valentinians III. Hunerich konnte eben – und auch das war ein Erbe Geiserichs überregionaler Bestrebungen – in der Person Hilderichs gewissermaßen auch eine kaiserliche Legitimation in die Waagschale werfen. Das unterschied ihn von allen anderen privilegierten Militärs und Hasdingen in Afrika. Dieser Trumpf dürfte für viele in den Provinzen von Bedeutung gewesen sein. Nicht nur römische Stadtbewohner, auch Mauren und Militärs, seien es Goten, Sueben, Vandalen, Alanen oder andere Barbaren, sahen vielleicht ihre Chance auf weitere Macht und mehr Reichtum auch außerhalb Afrikas. Nach 476 war ein solcher Anspruch umso realistischer, fehlte doch dem Westen ein legitimer Kaiser. Diese Potenziale konnten jedoch nicht genutzt werden. Letztlich setzte sich schon während Hunerichs Herrschaft und endgültig nach seinem Tod eine vandalische ­Gruppe durch, die auf überregionale Politik, das Prestige des theodosianischen Hauses und einen Ausgleich mit der katholischen Kirche weniger oder gar keinen Wert legte.

Procopius Caesarensis, Bella 3, 7, 29–30: diathekas/διαθήκας; Jordanes, Getica 169–170, ed. Mommsen 102; vgl. Schmidt, Wandalen, 157–158; Merrills, The secret of my succession 135–140; Courtois, Vandales, 237–240. 59 Merrills, The secret of my succession 142; Reorganisation der Armee: Procopius Caesarensis, Bella 3, 5, 18–20, ed. Veh 44–45; vgl. María Elvira Gil Egea, Africa en tiempos de los vándalos: continuidad y mutaciones de las estructuras sociopolíticas romanas (Memorias del Seminario de Historia Antigua 7, Alcalá de Henares 1999) 333–334. 60 Wolfram, Gotische Studien 152 betont allerdings – unter Verweis auf Athaulf und Galla Placidia, Matasuntha und Germanus – die „geringe politische Bedeutung die selbst Ansippung und Einheirat in die theodosianische Dynastie besaßen.“ 58

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Hunerich hatte zu Beginn seiner Herrschaft in Byzanz und Italien auf alle eventuellen Erbansprüche aus dem Besitz seines Schwiegervaters Valentinians III. verzichtet. Zumindest finanziell kam er den ­Römern einen Schritt entgegen. Mit Ostrom wurde ein Frieden geschlossen.61 In Afrika versuchte ­Hunerich zu Beginn seiner Herrschaft mit der katholischen Kirche zu regieren. Denkbar, dass ­gerade wegen der innervandalischen Machtkämpfe der neue König versuchte, die immer noch mächtige katho­ lische Kirche in Afrika zunächst zu einer Anerkennung seiner Herrschaft zu bewegen. Hunerich verlangte kurz nach seiner Thronbesteigung von den katholischen Bischöfen die Zustimmung zu einer Änderung von Geiserichs Thronfolgeordnung zugunsten seines Sohnes Hilderich. Die katholische Kirche war sich jedoch ihrer Macht durchaus bewusst und stellte wohl Bedingungen, auf die Hunerich nicht einzugehen bereit oder imstande war. Die Weigerung der Bischöfe soll jedenfalls der Hauptgrund für die anschließende Verfolgung gewesen sein. Die Rolle der katholischen Kirche bleibt bei Victor ausgesprochen unscharf, der Bischof bemühte sich, dem Hasdingenkönig allein den schwarzen Peter zuzuspielen.62 Gegen diese Versuche Hunerichs, die Basis seiner Herrschaft zu erweitern – was natürlich mit politischen und finanziellen Zugeständnissen verbunden gewesen wäre – leisteten andere Zweige der Königsfamilie, vandalische Große und einflussreiche Vertreter der arianischen Kirche in Afrika Widerstand. Die Großen wollten keine Konkurrenz durch alteingesessene römische Familien oder einfach ein größeres Stück vom Kuchen in Form von Landgütern. Die homöischen Geistlichen dagegen stellten den Anspruch, die einzig wahre Kirche zu sein. Für die Gegner Hunerichs war viel zu gewinnen. Die Konflikte eskalierten und ähnlich wie schon sein Vater ließ Hunerich Säuberungen in der eigenen hasdingischen Königsfamilie durchführen. Hunerichs Bruder Theoderich und dessen Söhne, wie auch die Söhne des bereits verstorbenen zweiten Bruders Gento wurden ausgeschaltet.63 Die Frau Theoderichs kam als erste zu Tode. Ihr warf man vor, ihren Mann und ihren Sohn gegen Hunerich aufgehetzt zu haben. Das nächste Opfer des neuen Königs war sein nicht namentlich genannter Neffe, ein Hasdingenprinz von hoher Bildung und mit bemerkenswerten Fähigkeiten. Im Falle einer baldigen Thronfolge wäre dieser Mann als ältester Enkel Geiserichs gemäß der Nachfolgeregelung der größte Konkurrent Hilderichs gewesen. Die Säuberungen in der Königsfamilie erstreckten sich auch auf andere Zweige der Familie. Godagis, der Sohn von Hunerichs jüngstem Bruder Gento, wurde mit seiner Frau des Landes verwiesen. Theoderich selbst starb nach der Hinrichtung seiner Frau und seines Sohnes im Exil. Der arianische Patriarch Jucundus wurde öffentlich verbrannt.64 All diese Gewalt will Victor auf den einen Grund reduzieren, Hilderichs Erbfolge zu sichern und damit die Verfügung Geiserichs zu durchbrechen. Dies betont er am Anfang des Berichts und dann noch einmal bei der Ermordung von Theoderichs ältestem Sohn. Die Nachfolgefrage war bedeutend. Nur ist Victors Bericht reduziert und einseitig. Die tatsächlichen Hintergründe bleiben hinter der erzählerischen Fassade verborgen.65 Hilderichs gewünschte Erbfolge erklärt weder hinreichend die schrittweise Ermordung und Exilierung der nächsten königlichen Verwandtschaft, noch die Aktionen gegen bestimmte führende weltliche und geistliche Vandalen. Selbst wenn man Victors Argument, der getötete Cousin Hilderichs hätte vor diesem den Thron besteigen müssen, akzeptiert, hätte die brutale Exekution Hilderich kaum gegenüber der vandalischen Elite legitimiert. Folgt man der Logik der Verfügung Geiserichs, hätte zuerst einmal Theoderich als ältester lebender Hasdinge das Erbfolgerecht in Anspruch nehmen können. Gento, der jüngere Bruder Hunerichs, starb offenbar vor 477. Er hatte aber vier Söhne, von denen drei älter als Malch. frg. 17 (ed. Roger C. Blockley, The Fragmentary Classicising Historians of the Later Roman Empire. Eunapius, Olympiodorus, Priscus and Malchus, ARCA Classical and Medieval Texts, Papers and Monographs 10, Liverpool 1983) 424–427; Stein, Geschichte des spätrömischen Reiches I 59–60; Merrills/Miles, Vandals 124. 62 Victor Vitensis, Historia persecutionis, 2, 12–16; 3, 17–20, ed. Lancel 127, 182–184. 63 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 12, ed. Lancel 127. Vgl. zu Theoderich und den Namensvarianten Martin Schönfeld, Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen (Heidelberg 1911) 232–234. 64 Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 13, ed. Lancel 127; vgl. Vössing, Victor von Vita 170, Anm. 137; Merrills, The secret of my succession 144, Anm. 31. 65 Hier folge ich Merrills, The secret of my succession 145–148. Bisher wurde meist nach Victor von Vita die Erbfolgefrage als alleiniger Grund für die Gewaltausbrüche gesehen. Vgl. Lancel 297, Anm. 137; Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Siedler deutsche Geschichte 1, Berlin 21998) 174; Claude, Herrschaftsnachfolge 338–342; Schmidt, Wandalen 104–106; Courtois, Vandales 241–242 merkt allerdings an, hinter Victors Berichten stehe wohl mehr als die Erzählung vorgebe. 61

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Hilderich waren. Aus diesem Zweig der Familie findet nur Godagis als Ältester der Linie Erwähnung. Godagis wurde aber lediglich verbannt und nicht exekutiert. Die tatsächlichen Nachfolger Hunerichs – seine Neffen Gunthamund (König 484–496) und Thrasamund (496–523) – kommen gar nicht vor. Diese Prinzen verfügten ja aber über eigene Höfe und eine entsprechende Machtposition. Auch Geilarith, der jüngste der vier Brüder dieser Linie, fehlt in den blutigen Geschichten aus dem zweiten Buch der ­Historia persecutionis. Geilarith könnte ebenso älter als Hilderich gewesen sein. Von den fünf Hasdingen, die vor Hilderich den Thron hätten besteigen müssen, ließ Hunerich also nur einen töten und zwei exilieren. Von Maßnahmen gegen die anderen ist nichts bekannt. Außerdem kennen wir keine Bemerkung über tatsächliche Erbfolgestreitigkeiten nach Hunerichs Tod. Hier fehlt Victors Bericht die Logik.66 Hunerich war es nun zwar gelungen, die Konkurrenz in der eigenen Familie auszuschalten, nicht aber seine großen politischen Pläne zu verwirklichen. Ein Ausgleich mit den Katholiken in Afrika – oder gar darüber hinaus gehende Ansprüche – ließen sich nicht mehr verwirklichen, zu groß war der Widerstand in den eigenen Reihen. Der König sah sich nun gezwungen, der vandalischen Elite und der arianischen Geistlichkeit entgegen zu kommen. In dieser Situation war es den arianischen Bischöfen möglich, Maßnahmen gegen die katholische Konkurrenz durchzusetzen. Vor eben diesem Hintergrund haben wir die beiden Edikte bei Victor zu verstehen.67 Papst Felix III. intervenierte nach ersten antikatholischen Maßnahmen bei Kaiser Zeno in Konstantinopel. Alles deutet darauf hin, dass Hunerich in den letzten Jahren seiner Herrschaft tatsächlich mit dem Kaiser zu brechen wagte und versuchte, die arianische als einzige afrikanische Kirche zu etablieren. Und so wurde am Himmelfahrtstag 483 die erste Verfügung erlassen, der neun Monate eine detailliert ausgearbeitete folgte, die detaillierte Strafbestimmungen für eine Übertretung der erlassenen Verbote der Ausübung des katholischen Ritus enthielt. Der königliche Titel Rex Hunirix Wandalorum et Alanorum ist bemerkenswert, erscheint er doch bei dieser Gelegenheit erstmalig in den Quellen. Hunerich wollte und musste seine vandalisch-alanische, seine gentile und barbarische Legitimation betonen. Der Gebrauch des Titels „König der Vandalen und Alanen“ garantierte den Großen, den Kindern und Enkeln der Eroberer Afrikas, ihre Stellung, ihren Besitz und ihre Privilegien. Insgesamt verdeutlicht der parallele Gebrauch verschiedener Königstitel die Bruchlinien in den afrikanischen Provinzen. Der hasdingische Monarch konnte und musste mit verschiedenen Sprachen der Macht operieren. Hunerichs Nachfolger Gunthamund (484–496) konnte es sich leisten, den Katholiken wieder mehr Spielraum zu geben. Er war ein Enkel Geiserichs und Sohn Gentos, entstammte also einer parallelen Linie des hasdingischen Hauses, die offenbar unter geringerem Legitimationsdruck stand. Weder für Gunthamund noch seinen Nachfolger Thrasamund (496–523) ist der doppelte Königstitel eines rex ­Vandalorum et Alanorum überliefert. Diese Monarchen mussten wohl ihr ‚Vandalentum‘ nicht eigens betonen. Die unter Hunerich erreichte Position der arianischen Kirche und die von Geiserich durchgesetzten Besitzverteilungsverhältnisse scheinen die vandalischen und arianischen Eliten zufrieden gestellt zu haben. Von Verfolgungsmaßnahmen gegen die katholische Kirche des Ausmaßes wie in den Jahren vor 484 ist jedenfalls nichts bekannt. Erst nach der Thronbesteigung Hilderichs im Jahre 523 brachen die Konflikte wieder auf. Hilderich war bereits verhältnismäßig alt, als er König wurde. Dieser Monarch verfügte als Enkel Valentinians III. über eine dynastische Legitimation, die ihm die Möglichkeit gab, weit außerhalb der afrikanischen Grenzen Anerkennung in der römischen Welt zu finden. Zu Beginn seiner Herrschaft nahm er offenbar die gescheiterte Politik des Ausgleichs, die sein Vater Hunerich zunächst verfolgt hatte, wieder auf. Ähnlich wie die spanisch-westgotischen Könige nach 589 versuchte Hilderich, den arianischen Sonder Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 12, ed. Lancel 127: Der Sohn Theoderichs als ein hoffnungsvoller und kluger Mann: Primo sciens uxorem Theuderici fratris astutam, credo, ne forte maritum aut maiorem filium, qui prudens et sapiens videbatur, consiliis acrioribus adversus tyrannum armasset, crimine adposito gladio eam intercipi iubet. Merrills, The secret of my succession 146–147; Merrills/Miles, Vandals 75. 67 Ein Beispiel für diese Maßnahmen ist die ebenfalls oft diskutierte Stelle Victor Vitensis, Historia persecutionis 2, 8–9, ed. Lancel 125–126: Männer und Frauen, die am Hof tätig und durch ihre ‚barbarische’ Kleidung erkenntlich sind, wollen den katholischen Gottesdienst besuchen und werden von Häschern des Königs drangsaliert: (…) Mares vel feminas in habitu barbaro incedentes in ecclesia. (…) Vgl. zum kontroversiell diskutierten habitus barbarus als Tracht oder soziale Kennzeichnung: Volker Bierbrauer, Wandalen § 2. Archäologisch, in: RGA 33 (Berlin/New York ²2006) 209–217, hier 214–215; Philipp von Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert (RGA Erg. Bd. 55, Berlin/New York 2007) 376–406. 66

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weg aufzugeben und die katholische Reichskirche auch in seinem Herrschaftsgebiet zur alleinigen zu machen. Mit großer Wahrscheinlichkeit stellten sich genau jene Kreise, die sich schon 484 hatten durchsetzen können, gegen die Politik Hilderichs. Dieses Mal gelang es dem hasdingischen König nicht, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Hilderich scheiterte und starb schließlich im Kerker. Was war geschehen? Gelimer, ein Enkel von Hilderichs Bruder Gento und somit Geiserichs Ur­ enkel, stammte aus genau jenem Teil des hasdingischen Hauses, aus der auch seine Onkel Gunthamund und Thrasamund hervorgegangen waren. Schon nach dem Tod Hunerichs 484 hatte diese Linie sich durchsetzen können. Prokop berichtet, der kriegstüchtige, aber gewalttätige und hinterlistige Gelimer, „habe sich auf Umsturz und Aneignung fremden Besitzes verstanden“ und die angesehensten Vandalen von der Unfähigkeit Hilderichs überzeugt. Nicht nur habe Hilderich den Krieg gegen die Mauren des ­Antalas verloren, auch plane Hilderich das Vandalenreich an den Kaiser in Konstantinopel zu verraten. Das Ziel des regierenden Königs sei zu verhindern, dass an „ihn [Gelimer] als den Spross der anderen Linie die königliche Würde falle“. Hilderich hatte eventuell auch einige Jahre in Konstantinopel gelebt. Zumindest bezeichnet ihn Prokop als persönlichen Freund Justinians. Die beiden müssten ihre Beziehung vor der Thronbesteigung des Kaisers begonnen haben.68 Malalas kennt eine Variante, nach der Gelimer in Tripolitanien die Mauren besiegen konnte. Nach diesem Triumph soll er sich mit diesen verbündet haben, nach Karthago gezogen sein und Hilderich und dessen Familie gefangen gesetzt haben. Die ­Senatoren Afrikas habe er töten lassen.69 Dieser Putsch, die neuerlichen Machtkämpfe innerhalb der vandalischen Königsdynastie, erklären die neuerliche Verwendung des doppelten Königstitels, in diesem Fall auf der eingangs besprochenen Schale Gelimers.

Procopius Caesarensis, Bella 3, 9, 5–9, ed. Veh 67–69; Theophanes Confessor a. m. 6026, ed. de Boor 188; vgl. Castritius, Wandalen 203; Diesner, Vandalen 57; Courtois, Vandales 397–398. 69 Johannes Malalas, Chronographia 18, 57 (ed. Johannes Thurn, Ioannis Malalae Chronographia, CFHB 35, Berlin 2000) 89–92; vgl. Schmidt, Wandalen 121. 68

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Kingdoms of the Empire, AD 608–616 Mediterrane Konnektivität, Synchronität und Kausalität als analytisches und darstellerisches Problem der Frühmittelalterforschung* Allzu häufig kommt es nicht vor, dass der Titel eines bedeutenden Buches durch seine Übersetzung in eine andere Sprache förderlich weiterentwickelt wird. Herwig Wolframs erstmals 1990 er­schienene ­Gesamtdarstellung ,Das Reich und die Germanen‘, in der er die Entstehung der frühmittelalterlichen Reiche als Teil der spätrömischen Geschichte bis zur ,Umgestaltung der römischen Welt‘ erzählte, scheint ein solcher Fall zu sein.1 Die sieben Jahre später publizierte englische Übertragung hieß ,The Roman Empire and its Germanic peoples‘ und charakterisierte die Beziehung der westlichen regna zum römischen Imperium relational als eine Form von Zugehörigkeit, in deren Veränderung die eigentliche ,Transformation of the Roman World‘ greifbar würde.2 Dieser glücklichen Wortschöpfung ist es wohl zu verdanken, dass heute viele Forscher die Barbarenreiche des Westens als ,kingdoms of the Empire‘ bezeichnen.3 Deutschsprachige Leser dürfte dabei überraschen, dass sich diese bündige Formel kaum mehr unmissverständlich in ihr Mutteridiom rückübertragen lässt, in der doch jedes halbwegs große ­politische Gebilde unterschiedslos als ,Reich‘ oder ,Teilreich‘ bezeichnet zu werden pflegt. Doch eignet der prägnanten Formel ,Kingdoms of the Empire‘ gegenüber sonst gebräuchlichen Wendungen wie ,Reiche der Völkerwanderungszeit‘ oder ,frühmittelalterliche Reiche‘ ein zweifacher heuristischer Mehrwert: Zum einen setzt sie die Stabilität und Legitimität der im spätrömischen Westen entstandenen politischen Gebilde nicht einfach voraus oder sieht sie als eine ,interne‘ Angelegenheit, sondern thematisiert sie als Teil einer ,Fernbeziehung‘, zwingt somit zu einer Weitung der Perspektive. Zum anderen berücksichtigt die Formel, dass die Herrscher im Westen mit dem Anspruch auftraten, das römische Imperium, dessen Ansprüche sie weder vollständig negieren konnten noch wollten, begrenzt für ihr Gebiet fortzusetzen.4 Die frühmittelalterlichen Reiche als weiterhin irgendwie zum römischen Imperium gehörig zu begreifen impliziert daher, dass die neuen Herrscher im Westen mit den Kaisern in Konstantinopel, in der M ­ etapher des Spiels ausgedrückt, eine permanente Hängepartie stetiger Neuverhandlung auszutragen hatten – sichtbar insbesondere beim Herrscherwechsel sowie in Zeiten militärischer und kirchenpolitischer Veränderungen. Die westlichen regna befanden sich in einem eigenartigen Schwebezustand, der ihre ­Souveränität begrenzte, und ihnen doch zugleich ermöglichte, ja sie sogar dazu nötigte, eigene Identitäten zu entwickeln, und zwar gerade nicht auf imperialer Ebene, sondern in einem regionaleren Kontext, *



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Die folgenden Überlegungen konnte ich konzeptionell während eines Forschungsaufenthaltes am Institute for Advanced Study in ­Princeton im Jahr 2013 entwickeln, der dankenswerterweise durch den Fund for Historical Studies des IAS ermöglicht wurde. Besonderen Dank schulde ich Patrick Geary für die Möglichkeit, die vorliegende Studie erstmals im Rahmen seines Medieval History Seminar zur Diskussion zu stellen. Gespräche mit Peter Brown und Helmut Reimitz haben mir sehr dabei geholfen, das hier behandelte Thema perspektivisch zu weiten und methodisch auszuloten. Andreas Fischer hat das Manuskript kritisch durchgesehen und mir durch zahlreiche weiterführende Hinweise geholfen, Konzeption und Heran­gehensweise zu präzisieren. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Berlin 1990, 21992). Herwig Wolfram, The Roman Empire and Its Germanic Peoples, translated by Thomas J. Dunlap (Berkeley 1997, 22005). Kingdoms of the Empire: The Integration of Barbarians in Late Antiquity, ed. Walter Pohl (The Transformation of the Roman World 1, Leiden/New York/Köln 1997), erschienen als erster Band der Reihe ,The Transformation of the Roman Worldʻ. Georg Scheibelreiter, ,Vester est populus meus‘. Byzantinische Reichsideologie und germanisches Selbstverständnis, in: Das Reich und die Barbaren, ed. Evangelos K. Chrysos/Andreas Schwarcz (VIÖG 29, Wien 1989) 203–220.

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angesiedelt irgendwo im Bescheidenheitsspektrum zwischen ,Barbaren‘ und ,auserwähltem Volk‘.5 Ein Imperium wie das römische ließ sich nun einmal nicht von heute auf morgen für beendet erklären, und in Konstantinopel würde man noch Jahrhunderte später die Auffassung vertreten, die einstigen Provinzterritorien Italiens, Galliens, Spaniens, Nordafrikas, ja vielleicht sogar Britanniens seien, um einmal in den politischen Jargon des 20. Jahrhunderts zu verfallen, die ,vorübergehend unter fremder Verwaltung stehenden römischen Westgebiete‘. Man mag hierin sogar Definitionsmerkmale eines ,wahren‘ Imperiums6 sehen, dass es zum einen ein Elefantengedächtnis besitzt, was seine maximale Ausdehnung anbetrifft (selbst wenn diese schon lange zurückliegen sollte), und zum anderen nicht alles nur vom Zentrum her denkt, sondern sich stets auch für seine Peripherien interessiert. Schon der von Konstantinopel erhobene Anspruch verrät jedenfalls die besondere Fähigkeit des römischen bzw. byzantinischen Imperiums, an seiner einstigen Größe gleichsam kontrafaktisch festzuhalten und in den Gebieten seiner Peripherie selbst dort auf die politischen Geschehnisse Einfluss zu nehmen, wo es keine direkte Verwaltung mehr ausübte und auch nicht ohne weiteres militärisch intervenieren konnte. Eine solche Befähigung hatte viele Voraussetzungen und Gründe, darunter als wichtigste, dass das römische Imperium über maßgebliche Legitimitätsressourcen verfügte, die uns an verschiedenen Stellen offen entgegentreten und für die neuen Herrscher im Westen für die Konsolidierung ihrer Herrschaft unverzichtbar schienen: in Ostroms Verträgen mit Barbaren­ königen und ihren Dynastien etwa, im Geltungsanspruch der imperialen Münzprägung;7 in der christlichen Reichsreligion, welche die regna des Westens für sich übernommen hatten; in der Übertragung von Titeln und Ämtern8 oder dem Konzept der ,Familie der Könige‘ 9. Andere Legitimitätsressourcen treten dagegen weniger offen zu Tage, werden eher implizit vorausgesetzt und daher auch leicht unterschätzt – die Reichseschatalogie beispielsweise.10 Von den Königen im Westen verlangte dieser Umstand, eine vielschichtige Sprache der Legitimität zu beherrschen, und diplomatiegeschichtliche Fragestellungen besitzen allein schon aufgrund der Bedeutung, die man diesen Dingen in Byzanz beimaß, ihre Berechtigung.11 Dabei galt es, gegenüber ­Konstantinopel bestimmte Frechheiten zu unterlassen, die sich für einen rex nicht gehörten, und im ­Inneren auf die Sensibilitäten der über den Horizont ihres jeweiligen regnum hinausblickenden kirchlichen und weltlichen Eliten einzugehen, die sich zudem als Exponenten breiter romanischer Bevölkerungsmehrheiten verstehen durften. Geschicktes Taktieren war nötig, um nicht schon bei kleineren Krisen vom scheinbar unwiderstehlichen Magnetismus des römischen Imperiums angezogen zu werden – die

Arnold Angenendt, Der eine Adam und die vielen Stammväter. Idee und Wirklichkeit der ,Origo gentis‘ im Mittelalter, in: Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation, ed. Peter Wunderli (Sigmaringen 1994) 27–52; Walter Pohl, Die ethnische Wende des Frühmittelalters und ihre Auswirkungen auf Ostmitteleuropa (Leipzig 2008); ders., Christian and Barbarian identities in the Early Medieval West: Introduction, in: Post-Roman Transitions: Christian and Barbarian Identities in the early Medieval West, ed. ders./Gerda Heydemann (Turnhout 2013) 1–46; Gerda Heydemann, Biblical Israel and the Christian ,gentes‘: Social metaphors and the language of identity in Cassiodorus’s ,Expositio psalmarum‘, in: Strategies of Identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/dies. ­(Turnhout 2013) 143–208. 6 Vgl. etwa Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten (Berlin 32005). 7 Vgl. Jörg Drauschke, Diplomatie und Wahrnehmung im 6. und 7. Jahrhundert: Konstantinopel und die merowingischen Könige, in: Byzanz in Europa. Europas östliches Erbe, ed. Michael Altripp (Turnhout 2011) 244–275. 8 Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien/Köln/Graz 1967). 9 Vgl. Franz Dölger, Die ,Familie der Könige‘ im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 60 (1940) 397–420. An einzelnen Studien vgl. Dietrich Claude, Zur Begründung familiärer Beziehungen zwischen dem Kaiser und barbarischen Herrschern, in: Das Reich und die Barbaren, ed. Evangelos K. Chrysos/Andreas Schwarcz (VIÖG 29, Wien 1989) 25–56; Stefan ­Krautschick, Die Familie der Könige in Spätantike und Frühmittelalter, ebd. 109–142. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund des Konstruktes vgl. jedoch Wolfram Brandes, Die ,Familie der Könige‘ im Mittelalter. Ein Diskussionsbeitrag zur Kritik eines vermeintlichen Erkenntnismodells, in: Rechtsgeschichte. Legal History 21 (2013) 262–284. 10 Endre von Ivánka, Rhomäerreich und Gottesvolk. Das Glaubens-, Staats- und Volksbewusstsein der Byzantiner und seine Auswirkung auf die ostkirchlich-osteuropäische Geisteshaltung (Freiburg i. Br. 1968) 13–61 u. ö. 11 Evangelos Chrysos, Byzantine Diplomacy, A.D. 300–800: Means and Ends, in: Byzantine Diplomacy, ed. Jonathan ­Shephard/Simon Franklin (Aldershot 1992) 25–39. 5

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von Konstantinopel unterstützten Usurpationen der Thronprätendenten Gundowald und ­Hermenegild im Franken- und im Westgotenreich zeigen dies im späteren 6. Jahrhundert in aller Deutlichkeit.12 Jeder Versuch, diese Beziehungen mit den Kategorien der klassischen Verfassungs- oder auch Völker­rechtsgeschichte in den Griff zu bekommen, stößt daher schnell an seine Grenzen.13 Eher macht es bis zum ausgehenden 7. Jahrhundert, wenn nicht sogar darüber hinaus bis zum Jahr 800 Sinn, auf diese Konstellation je nach Perspektive als ,Byzantine commonwealth‘ zu blicken14 oder die westlichen regna eben wie erwähnt als ,kingdoms of the Empire‘ zu verstehen. Doch stellt sich angesichts der zwischen 500 und 800 zu beobachtenden dramatischen Veränderungen auf der politischen Landkarte des Mittemeerraumes und der angrenzenden Gebiete die Frage, wie systematisierbar die Konstellation nach dem Ende des weströmischen Kaisertums überhaupt ist und wie man sich dieser am besten darstellerisch und analytisch nähert.15 1. KONNEKTIVITÄT, SYNCHRONITÄT UND KAUSALITÄT: EIN NEUER ZUGANG Angeregt durch die Studien Herwig Wolframs und in der Absicht, „neue Wege der Frühmittelalterforschung“ auszukundschaften, soll im folgenden Beitrag ein Zugang erprobt werden, die Beziehungen zwischen dem römischen Imperium und seinen Königreichen im Westen besser zu verstehen, ohne sie allzu statisch zu betrachten oder sie anachronistisch zu systematisieren. Es geht dabei nicht darum, den einzelnen Germanenreichen jeweils eine eigene Geschichte zu widmen, wie dies verschiedentlich bereits getan wurde, oder sie miteinander zu vergleichen, sondern zu zeigen, wie deren Geschichte unter­ einander zusammenhing, welche Verbindungen es zum Imperium gab und welchen Dynamiken diese unterlagen. Dabei darf im Einklang mit der jüngeren Forschung, die im Anschluss an Michael McCormick16 den vielfältigen, keineswegs nur diplomatisch-politischen Erscheinungsformen mediterraner Verflechtung zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert vermehrt Beachtung geschenkt hat,17 vorausgesetzt werden, dass trotz gewisser Schwankungen die Konnektivität zwischen den westlichen Reichen und Ostrom, aber auch untereinander als weiterhin hoch eingeschätzt werden muss.18 Der allgemein gehaltene Begriff der ,Konnektivität‘ umfasst dabei eine Vielzahl kommunikativer Verbindungen politischer, wirtschaftlicher, religiöser und kultureller Art und vermeidet bewusst eine künstliche Segmentierung, da z. B. ,religiöse‘ und ,wirtschaftliche‘ Austauschbeziehungen durchaus politischer Natur sein konnten, wenn man etwa an Reliquientransfers und Tributzahlungen denkt. Große Bedeutung kommt dabei der Frage zu, wie weit das römische Imperium bzw. der Mittelmeerraum, um es mit Reinhart Koselleck zu formulieren, einen weiterbestehenden gemeinsamen ,Erfahrungsraum‘ und ,Erwartungshorizont‘ bildeten,19 den z. B. die Bewohner des merowingischen Gallien oder des westgotischen Spanien mit dem in Konstantinopel Walter Goffart, Byzantine policy in the West under Tiberius II. and Maurice: the pretenders Hermenegild and Gundowald 579‒585, in: Traditio 13 (1957) 73–117. 13 Vgl. etwa Hans Constantin Faussner, Die staatsrechtliche Grundlage des ,Rex Francorum‘, in: Zeitschrift der Savigny-­ Stifung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 103 (1986) 42–103; Heinhard Steiger, Die Ordnung der Welt. Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741 bis 840) (Köln/Wien 2010). 14 Garth Fowden, Empire to Commonwealth. Consequences of Monotheism in Late Antiquity (Princeton 1994) 100–136. 15 Zahlreiche Gesamtdarstellungen verfolgen ausgehend von der Spätantike die Entstehung der ,drei mittelalterlichen Kulturen‘ in diachroner Perspektive, vgl. Franz G. Maier, Die Verwandlung der Mittelmeerwelt (Frankfurt/M. 1968) 249–359; Judith Herrin, The Formation of Christendom (Princeton 1989) 291–481; Ernst Pitz, Die griechisch-römische Ökumene und die drei Kulturen des Mittelalters (Berlin 2001); zuletzt Reinhold Kaiser, Die Mittelmeerwelt und Europa in Spätantike und Frühmittelalter (Frankfurt/M. 2014) 33–108, mit deutlicher Ausrichtung auf den Westen. Eine balancierte Darstellung bei chronologischer Eingrenzung bietet Peter Sarris, Empires of Faith. The Fall of Rome to the Rise of Islam, 500‒700 (Oxford 2011). 16 Michael McCormick, Origins of the European Economy. Communications and Commerce, AD 300‒900 (Cambridge 2001). 17 Vgl. etwa die Diskussion: Origins of the European economy: A debate, in: Early Medieval Europe 12 (2003) 259–323. 18 Sichtbar wird dies auch an der Ausbreitung und Wahrnehmung von Epidemien wie der Pest, die naturgemäß die politischen Grenzen überschritt, vgl. Mischa Meier, Von Prokop zu Gregor von Tours. Kultur- und mentalitätengeschichtlich relevante Folgen der ,Pest‘ im 6. Jahrhundert, in: Gesundheit – Krankheit. Kulturtransfer medizinischen Wissens von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit, ed. Kay-Peter Jankrift/Florian Steger (Köln u. a. 2004) 19–40. 19 Reinhart Koselleck, ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten (Frankfurt/M. 31984) 349–375. 12

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ansässigen Kaiser teilten. Diese Frage ist darüber hinaus auch durchaus im politischen Sinne zu verstehen, wenn sie identitär als Teil einer ,Sinngeschichte‘ gestellt wird:20 „Der Sinn, die Bedeutung, die dem historischen Geschehen gegeben wurde, gehört wiederum zu den Voraussetzungen des historischen Geschehens“, so hat es Walter Pohl einmal formuliert.21 Dieser Gedanke lässt sich gut auf das Problem der ,postimperialen‘ Zugehörigkeit zum Imperium beziehen: In welchem Umfang wirkte die historische Tatsache, dass die Gebiete der westlichen regna einst unmittelbar zum römischen Reich gehört hatten, im Bewusstsein der Zeitgenossen weiter? In welchen Situationen konnte die geschichtlich vermittelte Vorstellung wirksam werden, dass beispielsweise die Gebiete Galliens und der iberischen Halbinsel nicht nur der Herrschaft eines fränkischen oder gotischen rex unterstanden, sondern für deren ,Untertanen‘ daneben auch weiterhin oder erneut das Imperium zum Referenzrahmen der Selbstzuordnung wurde? Und wo sich solches beobachten lässt: wer waren die hieran hauptsächlich beteiligten Trägergruppen? Welche sozialen Eliten besaßen weiträumige Interessen und hatten einen entsprechenden Aktionsradius, dass sie weiterhin an das Imperium dachten, dieses einen Bezugsrahmen für ihr Handeln bildete? Die Frage nach spezifischen Situationen, in denen das Bewusstsein historischer Verbundenheit aktualisiert wird, gibt dem Gesichtspunkt der Konnektvität eine Wendung ins Situative und Prozesshafte. Denn die fortbestehende Konnektivität bildet gleichsam die Folie, vor deren Hintergrund im Folgenden der Gesichtspunkt der mediterranen ,Synchronität‘ von Ereignissen in das Zentrum des vorzustellenden Ansatzes gerückt werden soll. In jüngerer Zeit sind in den historisch ausgerichteten Wissenschaften mehrere Versuche unternommen worden, die historische Vielfalt eines großen Raumes in ihrer ganzen Breite querschnittartig einzufangen, indem sich die Untersuchung zeitlich nur auf ein einziges Jahr beschränkte. Es ging in diesen Ansätzen darum, den Aspekt der – nur über einen längeren Zeitraum feststellbaren – Kausalität historischer Prozesse sowie die Sequentialität von Entwicklungen bewusst auszublenden,22 um stattdessen eine ,Topographie historischer Gleichzeitigkeit‘ zu entwerfen.23 Die ,Synchronität‘ von Ereignissen in den Blick zu nehmen diente dabei einer bewussten Begrenzung des Blicks, um in Detailaufnahmen alternative Handlungsmöglichkeiten in einer gegebenen Situation zu ergründen und sich der Deutungsmacht von Entwicklungsmodellen zu entziehen, die längerfristige Verläufe im Blick haben. Diese Herangehensweise war ursprünglich erwachsen aus der Skepsis gegenüber der Deutungsdominanz historischer Meistererzählungen und mühte sich, angesichts des postulierten ,Endes der Geschichte‘ ein Kontinuum zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu negieren. Zugleich sollte sie dazu dienen, eine räumliche Entgrenzung vorzunehmen und in geographischer Weitung eine Art ,globales‘ Panorama zu geben.24 Dies verband sich mit der Forderung, auch den Blick in der Sache zu weiten, indem neben der politischen Geschichte möglichst verschiedene Aspekte der zeitgenössischen Kultur miteingefangen und möglichst dicht beschrieben werden. Freilich sind der geographischen Weitung des Horizonts und der zeitlichen Engführung bei einer solchen Vorgehensweise auch gewisse Gefahren und Fallstricke inhärent, etwa ein eher pointillistischer, bisweilen episodenhafter Gesamteindruck, das Verblassen kausaler Zusammenhänge, die manchmal allzu starke Gewichtung des Lokalen gegenüber der Frage, was alles zusammenhielt. Den nach meiner Einschätzung gelungensten Versuch, Geschichte in dieser Art zu schreiben, stellt für den hier interes-

Zu Begriff und Konzept vgl. Jan Assmann, Ägypten – eine Sinngeschichte (Frankfurt/M. 1999). Walter Pohl, Identität und Widerspruch. Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. ders. (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 23–35, hier 28. 22 Am konsequentesten in dieser Hinsicht Hans Ulrich Gumbrecht, In 1926. Living on the Edge of Time (Cambridge/Mass. 1998) (dt. 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit, Frankfurt/M. 2001; siehe jüngst auch Heinz Schilling, 1517. Weltgeschichte eines Jahres (München 2017). 23 Exemplarisch für das Spätmittelalter: 1308: Eine Topographie historischer Gleichzeitigkeit, ed. Andreas Speer/David ­Wirmer (Berlin/New York 2010). ‒ Eine ähnliche Herangehensweise, den Fokus auf ein bestimmtes Jahr zu legen, um von dort aus eine je eigene Welt einzufangen, bestimmt auch die Beiträge in: Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, ed. Bernhard Jussen (München 2005); vgl. neuerdings mit diesem Zugang auch Ludolf Kuchenbuch, Versilberte Verhältnisse. Der Denar in seiner ersten Epoche, 700‒1000 (Göttingen 2016). 24 In diesem Sinne etwa John E. Wills, 1688 – A Global History (New York 2001); dt.: 1688, Bergisch Gladbach 2002. 20 21

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sierenden Zeitraum Giusto Trainas erstmals 2007 erschienenes Buch über das Jahr 428 dar.25 Es nimmt bewusst für ein ,gewöhnliches‘ Jahr nahezu sämtliche Teile des römischen Imperiums in den Blick, um die Mobilität und den Austausch der Funktionseliten und Pilger zwischen den Provinzen zu behandeln, Randvölker und ihre Christianisierung ebenso wie den kaiserlichen Hof in Konstantinopel. Diese Vorgehensweise bedingt die Heranziehung einer großen Vielfalt an Quellen ‒ Papyri, Briefe, Gesetzestexte, Heiligenviten, Hymnen ebenso wie Geschichtswerke und Inschriften. Besondere Bedeutung kommt ­dabei sicher datierbaren Quellen zu oder aber Quellenberichten, die sich verlässlich einem konkreten historischen Kontext zuordnen lassen. Nicht von ungefähr ist der englischsprachigen Ausgabe das Motto des armenischen Geschichtsschreibers Moses Khorenats‘i vorangestellt, das da lautet „There is no true history without chronology“.26 In manchen Kapiteln wie etwa demjenigen über ,Easter in Jersualem‘ gelingt ihm eine außergewöhnliche narrative Verdichtung,27 ebenso in demjenigen über das Perserreich, mit dem Traina seine Rundreise abschließt.28 Und auch die Frage, was die Kohärenz des römischen ­Imperiums in spätrömischer Zeit ausmachte, wird immer wieder behandelt.29 Traina kann und will sich nicht jeglichen über das Jahr 428 hinausreichenden Blickes enthalten, etwa wenn er über „Italy in Transition“ handelt, von Probeläufen für die folgende Epoche („Trial runs for the Middle Ages“) oder das Kapitel über Nordafrika mit „Waiting for the Vandals“ überschreibt.30 Denn die Beschränkung auf ein Jahr genügt meist nicht, um die kurz- und mittelfristig wirksamen Dynamiken der Veränderung aufzuzeigen, zudem kommt manchen Vorgängen in seiner Deutung eine exemplarische Bedeutung zu. Indem sie den Raum festlegt und ein Jahr vorgibt, stellt diese Art von Geschichtsdarstellung und -erzählung nicht nur die Zeitgleichheit von Vorgängen dar, sondern synchronisiert diese auch selbst, insbesondere dort, wo Zusammenhänge hergestellt werden sollen, die bis hin zu Kausalitäten reichen. Insofern ist ein zeitliches Ausgreifen sinnvoll, wenn es darum geht, über dem Querschnitt das Prozesshafte nicht vollkommen auszublenden. Dem Modell des synchronen Querschnitts folgt auch der Ansatz des folgenden Beitrages, der zugleich als – weiterer – Baustein für eine umfassendere Darstellung solcher mediterraner Verflechtungen innerhalb des frühmittelalterlichen Zeitraumes gedacht ist.31 Entgegen der Beschränkung auf ein ­einzelnes Jahr, das die Dynamiken historischer Prozesse nicht einzufangen vermag, aber doch in ­synchroner Betrachtung stehen dabei kürzere Zeiträume von fünf bis acht Jahren (manchmal auch ­etwas länger) im Zentrum, in denen wichtige politische Entscheidungen, militärische Auseinandersetzungen und andere Ereignisse in den verschiedenen Regionen und ,Reichen‘ des Mittelmeerraumes (und teilweise auch darüber hinaus) zeitgleich stattfanden. Solche Zeiträume gab es zwischen dem 5. und dem frühen 9. Jahrhundert wiederholt. Beispielsweise in den Jahren 565‒569, 585‒589, 608‒616, 626‒634, 658‒663, 678‒687, 711‒717, 737‒742, 750‒754, 798‒803 und 806‒812 lassen sich dramatische militärische Veränderungen wie die langobardische Invasion Italiens, awarische und slawische Einfälle in den Balkan, die persischen und arabischen Eroberungen des Nahen Ostens, Nordafrikas und ­Spaniens beobachten, aber auch verschiedene oströmische Interventionen im Westen und schließlich das Aus­ greifen der Franken in den Mittelmeerraum. Solche Vorgänge verursachten Kriegszüge und Migra­tion in großem Maße, hatten zugleich aber auch zahlreiche Rückwirkungen diplomatischer und administrativer Art – Bündnisse und Verträge, Militär- und Finanzreformen beispielsweise. Ebenso lassen sich aber auch, wenn wir die ,Kirchen- und Dogmengeschichte‘ betrachten, Zeiträume intensivierten Austausches feststellen, in denen kontroverse Glaubensmeinungen über den gesamten Mittelmeerraum diskutiert wurden – das Konzil von Konstantinopel (553) im Dreikapitelstreit, das Laterankonzil zum Mono­ theletismus (649), das VI. ökumenische Konzil (680/81), die Synoden von Hiereia (754) und ­Nicaea (787) in der Bilderfrage und das Aachener Konzil zum Filioque (809). Diese Konzilien bildeten Höhe Giusto Traina, 428 dopo Cristo. Storia di un anno (Roma 2007); die englische Fassung (nach der im Folgenden zitiert wird): 428 AD: An Ordinary Year at the End of the Roman Empire (Princeton 2009); seitdem wurde das Buch auch ins Spanische, Französische und Griechische übersetzt. 26 Traina, 428 AD (wie Anm. 25) S. V. 27 Traina, 428 AD (wie Anm. 25) 105–114. 28 Traina, 428 AD (wie Anm. 25) 117–127. 29 Traina, 428 AD (wie Anm. 25) 42f. 30 Traina, 428 AD (wie Anm. 25) 51–92. 31 Siehe dazu die in Anm. 23, 35, 38, 39, 82 und 336 aufgeführten Beiträge. 25

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punkte religiöser Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, die sich über die politischen Grenzen hinweg vollzogen und dabei von einer gesamtkirchlich, d. h. die Grenzen des eigenen Reiches trans­ zendierenden episkopalen Elite vorbereitet wurden, welche sich dazu zugleich auch im Verbund mit ­ihren jeweiligen Herrschern zu positionieren hatte. In nicht wenigen Fällen lässt sich beobachten, dass die Intensivierungen militärischer und religiöser bzw. kirchenpolitischer Art nicht nur aufeinander folgten, sondern sich zeitgleich miteinander verschränkten. Der Begriff der ,Synchronität‘ betont den Gesichtspunkt der Gleichzeitigkeit von Geschehnissen, lässt jedoch offen, ob die Zeitgleichheit auch durch jene Faktoren verursacht ist,32 die zuvor unter dem Begriff der ,Konnektivität‘ gefasst wurden. Als drittes Element, um konkrete Prozesse in ihrer Zeitgleichheit und Verbundenheit zu verstehen, tritt daher der Aspekt der ,Kausalität‘ hinzu. Art und Ausmaß politischer, militärischer und kirchlicher Handlungen haben mich zu der Annahme geführt, solche Zeitgleichheiten in vielen Fällen nicht für zufällig zu halten, sondern sie als kausale Folge einer „­mediterranen“, die Gebiete des einstigen Imperium Romanum vernetzenden Konnektivität zu deuten, die historische Prozesse an verschiedenen Orten und Regionen innerhalb solcher Zeitphasen der Beschleunigung und Intensivierung miteinander verband – diese gleichsam synchronisierte. In einigen Fällen ist dies offensichtlich, etwa in den 580er Jahren, als Konstantinopel wie erwähnt westliche Herrschaftsusurpationen in scheinbar ,inneren‘ Konflikten der fränkischen und westgotischen Dynastien unterstützte,33 oder in den 660er Jahren, als der oströmische Kaiser Konstans II. die Hauptstadt des Imperiums ins sizilische Syrakus verlegte,34 oder um 680 im Zuge der Vorbereitung des VI. ökumenischen Konzils:35 in allen drei Fällen geben schon zeitgenössische Quellen zu erkennen, wie unmittelbar das Geschehen in den verschiedenen Teilen des Mittelmeerraums und darüber plötzlich miteinander in Wechselwirkung trat. Freilich gestaltet sich der Nachweis kausaler Zusammenhänge weitaus schwieriger: In welchem Ausmaß erfolgten Entwicklungen an verschiedenen Orten nicht einfach nur zeitgleich, sondern waren miteinander verknüpft? Vermochten wichtige politische Entwicklungen, gleich wo sie erfolgten, den Mittelmeerraum insgesamt zu erschüttern? Für eine Geschichte der Beziehungen des ­Imperium Romanum zu seinen Königreichen im Westen erscheinen daher vor allem die folgenden Fragen als heuristisch bedeutsam: Welche bereits bestehenden Strukturen, Funktionen und Kontakte sorgten dafür, dass Ereignisse und Entwicklungen mit solchen an anderen Orten miteinander in Wechselwirkung treten konnten? Welche Akteure traten als die Träger solcher Vernetzungen in Erscheinung? Wie griffen lokale und überregionale Entwicklungen ineinander? Je mehr solche Fragen gestellt werden, umso notwendiger erscheint es, die Perspektive weit über militärische und diplomatische Themen hinausgehend zu weiten: Welche Rolle spielte Religionspolitik, um eine disparate Welt zu einen, Regionalismus zu fördern bzw. politische Entzweiung zu beschleu­ nigen?36 Welche Auswirkungen hatten beispielsweise zu erzielende oder bereits erfolgte Konzilsbe-

Im Gebrauch dieser Begrifflichkeit im Bereich der Psychologie werden ,Synchronizität‘ und ,Kausalität‘ strikt voneinander getrennt, so dass zeitgleiche Ereignisse erst für den menschlichen Betrachter in eine sinnhafte Beziehung treten, vgl. Carl Gustav Jung, Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge (1952), in: ders., Die Dynamik des Unbewussten (Gesammelte Werke 8, Olten/Freiburg i. Br. 1971) 457–553. – Zur Anwendung in diesem Sinne im Kontext der Interpretation frühmittelalterlicher Texte vgl. Giselle De Nie, Poetics of Wonder: Testimonies of the New Christian Miracles in the Late Antique Latin World (Turnhout 2012) 27f. 33 Siehe oben Anm. 12. Für die unmittelbar darauffolgende Zeit vgl. insbesondere Paul Goubert, Byzance avant l’Islam, 1: Byzance et l’Orient sous les successeurs de Justinien. L’empereur Maurice (Paris 1951); 2: Byzance et l’Occident sous les successeurs de Justinien; 2, 1: Byzance et les Francs (Paris 1956); 2, 2: Rome, Byzance et Carthage (Paris 1965), dessen bedeutende Studie insbesondere aus der Auswertung von Briefsammlungen wie den Epistulae Austrasicae großen Gewinn für die Darstellung der mediterranenen Geschichte bis um 600 gezogen hat. 34 Stefan Esders, Konstans II. (641–668), die Sarazenen und die Reiche des Westens. Ein Versuch über politisch-militärische und ökonomisch-finanzielle Verflechtungen im Zeitalter eines mediterranen Weltkrieges, in: Die Merowingischen Monetar­münzen als Quelle zum Verständnis des 7. Jahrhunderts in Gallien, ed. Jörg Jarnut/Jürgen Strothmann (München 2013) 189–241. 35 Stefan Esders, ,Great security prevailed in both East and Westʻ: The Merovingian kingdoms and the 6th Ecumenical Council (680/81), in: East and West in the Early Middle Ages: The Merovingian kingdoms in Mediterranean perspective, ed. ders./ Yaniv Fox/Yitzhak Hen/Laury Sarti (im Druck). 36 Peter Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity, A.D. 200‒1000. Tenth anniversary revised edition (Oxford 2013). 32

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schlüsse?37 Welche Identitäten galt es zu berücksichtigen, wie wurden diese in einer gegebenen Situation aktualisiert und ins Bewusstsein gerufen? Ist es Zufall, dass wir wiederholt zeitgleich in verschiedenen Teilen des Mittelmeerraumes religiöse Minderheiten verfolgt finden?38 War beispielsweise die Ausbreitung fremder Heiligenkulte ein ,gewöhnlicher‘ Vorgang, oder sollten wir doch eher annehmen, dass der Transfer vieler Reliquien politisch bedingt war und vorzugsweise in solchen Situationen stattfand, in denen zeitgenössische Akteure nach Legitimität suchten, die sie nur aus entfernten Gegenden beziehen konnten?39 Der Wahrnehmung der Zeitgenossen fällt besonderes Gewicht zu, weshalb es die Quellen wo immer möglich einer ,mediterranen‘ Lesart zu unterziehen gilt: Welche Rolle hatten die auf römischem Provinzboden errichteten Barbarenreiche im Westen aus der Perspektive von Konstantinopel zu spielen?40 Und wie nahm man umgekehrt im Westen oströmische Politik wahr? Wie schnell wurden in großer Entfernung stattfindende Vorgänge wahrgenommen und eingeordnet?41 Antworten auf solche Fragen zu finden verlangt nach einem integrativen, ,mediterranen‘ Blick auf die Politik dieser Zeit und zugleich nach einer kulturellen Einbettung solcher Prozesse. Vor allem aber scheint die Geltendmachung imperialer Ansprüche, ihre Anerkennung oder auch Abwehr seitens der Könige im Westen in hohem Maße situativ bedingt gewesen zu sein. Die Komplexität ,post-imperialer‘ Konstellationen erschließt sich daher gerade nicht in der longue durée, sondern in der Begrenzung auf Situationen der Zuspitzung – auf wenige Jahre, in denen sich Gleichzeitigkeit und Verflechtung bedeutender Vorgänge in ,Ost‘ und ,West‘ offenbaren.42 2. DAS IMPERIUM, DER NAHE OSTEN UND DIE REGNA DES WESTENS, 608‒616: POLITISCHE-RELIGIÖSE EREIGNISGESCHICHTE IN IHREN VERFLECHTUNGEN Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, für die Jahre zwischen 608 und 616 Synchronizität und Konnektivität des im weitesten Sinne ,politischen‘ Geschehens im römischen ­Imperium und ­seinen westlichen regna darzustellen und hinsichtlich möglicher kausaler Zusammenhänge zu analysieren. Ziel ist es dabei zu ermessen, inwieweit sich bedeutende Geschehnisse im Westen durch zeitgleiche Vorgänge erklären lassen, die das Imperium Romanum betrafen – oder in welchem Umfang dies vielleicht gerade nicht der Fall gewesen zu sein scheint. Der ,Versuchsaufbau‘ impliziert die Konzentration auf einen relativ eng umgrenzten Zeitraum von nur wenigen Jahren, der dann geographisch und politisch mit maximalem Aufwand kontextualisiert, d. h. für verschiedene Regionen des Mittelmeerraumes anhand des verstreuten Quellenmaterials untersucht wird. Eine solche Vorgehensweise stößt freilich auf das quellenkritische Problem, dass sich manche Ereignisse, da über sie in (z. T. später entstandenen) ­historiographischen Quellen berichtet wird, nicht so sicher datieren lassen, wie dies angesichts der Frage­stellung eigentlich wünschenswert wäre. Zudem muss, um die Zusammenhänge deutlich zu machen, immer wieder zeitlich etwas weiter ausgeholt werden. Insofern haftet den nachfolgenden Überlegungen notgedrungen etwas Experimentelles und auch Spekulatives an. Ziel ist es zu zeigen, wie der Bezugsrahmen des Imperiums wieder in das Bewusstsein der in den westlichen regna ansässigen Bevölkerung und ihrer Akteure rücken konnte. Phil Booth, Crisis of Empire: Doctrine and Dissent at the End of Late Antiquity (Berkeley-CA 2013). Stefan Esders, Herakleios, Dagobert und die ,beschnittenen Völker‘. Die Umwälzungen des Mittelmeerraums im 7. Jahrhundert in der fränkischen Chronik des sog. Fredegar, in: Jenseits der Grenzen. Studien zur spätantiken und frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung, ed. Andreas Goltz/Hartmut Leppin/Heinrich Schlange-Schöningen (Berlin u. a. 2009) 239–311. 39 Stefan Esders, ,Avenger of all perjury’ in Constantinople, Ravenna and Metz. St Polyeuctus, Sigibert I and the Division of Charibert’s Kingdom in 568, in: Western Perspectives on the Mediterranean. Cultural Transfer in Late Antiquity and the Early Middle Ages (400–800), ed. Andreas Fischer/Ian N. Wood (London 2014) 17–40 und 111–129. 40 Chrysos, Byzantine diplomacy (wie Anm. 11). 41 Dazu etwa für die Perzeption der arabischen Expansion Robert G. Hoyland, Seeing Islam as Others saw it. A Survey and Evaluation of Christian, Jewish and Zoroastrian Writings on Early Islam (Princeton/N.J. 1998). 42 Zu dieser schablonenhaften und häufig nicht besonders hilfreichen Dichothomie vgl. Osten und Westen 400‒600 n. Chr. Kommunikation, Kooperation und Konflikt, ed. Carola Föller/Fabian Schulz (Stuttgart 2016); East and West in the Early Middle Ages, ed. Esders et al. (wie Anm. 35). Siehe auch unten Abschnitt 3. 37 38

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Kaiser Phokas, die Perser und der jüdische Aufstand des Jahres 608 Den Ausgangspunkt, um die imperialen Hintergründe des politischen Geschehens im westlichen ­Mediterraneum der Jahre 608‒616 zu verstehen, bildet das Jahr 602.43 In diesem Jahr bestieg in ­Konstantinopel nach einer blutigen Rebellion der von thrakischen Truppen des Maurikiosheeres er­ hobene Usurpator Phokas den Thron und ließ seinen Vorgänger Maurikios mitsamt dessen Dynastie auf grausame Weise auslöschen.44 Damit fand zugleich die imperiale Politik an der Donau ihr Ende, denn Phokas zog alsbald römische Truppen vom Balkan ab, zahlte stattdessen den Awaren vertragliche ­Tribute, während diese im Verbund mit slawischen Gruppen erhebliche Teile des Illyricum und Griechenlands unter ihre Kontrolle bringen konnten.45 Der Grund dieser Maßnahmen lag darin, dass der Thronwechsel die Wiederaufnahme jenes Krieges bedingte, den Ostrom mit der Großmacht Persien führte. Kaiser Maurikios hatte den Sassaniden Chosrau II. dabei unterstützt, den Thron im Perserreich zu besteigen, die römisch-persischen Beziehungen hatten sich seither friedlich entwickelt.46 Phokas’ Usurpation führte daher unverzüglich zum Wiederausbruch des römisch-persischen Krieges,47 und obwohl Phokas selbst nur acht Jahre regierte, setzte dies eine Dynamik in Gang, die sich auch nach seiner Absetzung nicht mehr stoppen ließ und schließlich in der persischen Eroberung der nahöstlichen Provinzen zwischen 614 und 619 gipfeln sollte.48 Paul Goubert sprach daher in diesem Zusammenhang treffend von der „révolution byzantine de 602“.49 Von diesen Vorgängen ausgehende Wellen der Erschütterung griffen unversehens auf den weiteren Mittelmeerraum über, beginnend mit dem Nahen Osten. Bereits 603 hatten die Perser Teile Armeniens erobert und marschierten von dort zunächst in Richtung Süden, was die nahöstlichen Provinzen des römischen Imperiums unter erheblichen Druck setzte. Die genaue Chronologie und Einordnung sind zwar umstritten, da auch die übrige Quellenüberlieferung z. T. widersprüchlich ist.50 Als sicher darf jedoch angenommen werden, dass das Vorrücken der Perser gravierende Auswirkungen auf die der oströmischen Herrschaft unterstehende jüdische Bevölkerung hatte.51 Sie wurde seitens der Reichs­ regierung dem Generalverdacht ausgesetzt, als fünfte Kolonne der Perser zu agieren. Aus dem noch im 7. Jahrhundert entstandenen armenischen Geschichtswerk des Sebeos erfahren wir, dass Kaiser ­Phokas einen gewissen Bonos (womit der comes Orientis Bonosus gemeint ist)52 mit einem Heer gegen ­Antiocheia und Jerusalem und die gesamte Region entsandte, wo er große Teile der städtischen Bevölkerung töten ließ.53 Der später entstandenen, hierfür auf ältere Quellen zurückgreifenden Weltchronik Clive Foss, The Persians in the Roman Near East (602–630 AD), in: Journal of the Royal Asiatic Society ser. 3, 13/2 (2003) 149–170; Glen W. Bowersock, The Persian Capture of Jerusalem, in: Ders., Empires in Collision in Late Antiquity (Waltham-Mass. 2012) 29–52, hier 33. 44 Vgl. Otto Veh, Zur Geschichte des Kaisers Phokas, 602‒610, in: Wissenschaftliche Beilage zum Jahresbericht 1953/54 des Humanistischen Gymnasiums Fürth in Bayern (Fürth 1954) 1–23; David M. Olster, The Politics of Usurpation in the Seventh Century. Rhetoric and Revolution in Byzantium (Amsterdam 1993) 49–65. 45 Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567‒822 n. Chr. (München 22002) 159–162, 237f. und 240–244. 46 Franziska E. Shlosser, The Reign of the Emperor Maurikios (582–602). A reassessment (Athen 1994) 66–70; ausführlich Geoffrey Greatrex/Samuel N. C. Lieu, The Roman Eastern Frontier and the Persian Wars, 2: AD 363‒630. A Narrative Sourcebook (London/New York 2002) 167–181. ‒ Zur Legende von der Christianisierung der Perser in dieser Zeit, die in den Quellen viele Spuren hinterlassen und ihren Weg auch in die Fredegarchronik (Fredegar, Chronicon IV, 9 [ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888] 1–193, hier 125f.), gefunden hat, vgl. Alexander Markus Schilling, Die Anbetung der Magier und die Taufe der Sāsāniden. Zur Geistesgeschichte des iranischen Christentums in der Spätantike (Louvain 2008) 268–283 u. ö. 47 Vgl. Olster, The Politics of Usurpation (wie Anm. 44) 81–100. 48 Michele Piccirillo, The province of Arabia during the Persian invasion (613–629/630), in: Shaping the Middle East. Jews, Christians, and Muslims in an age of transition 400–800 C.E., ed. Kenneth G. Holum/Hyim Lapin (Bethesda–Md. 2011) 99–114. 49 Paul Goubert, Autour de la révolution de 602, in: Orientalia christiana periodica 33 (1967) 604–619, hier 619. 50 Greatrex/Lieu, The Roman Eastern frontier (wie Anm. 46) 187f. und 300 (mit weiteren Angaben zu Quellen und Literatur). 51 Olster, The Politics of Usurpation (wie Anm. 44) 101–115. 52 The Prosopography of the Later Roman Empire 3: A.D. 527‒641, 2 Bde., ed. John R. Martindale (Cambridge 1992), s. v. Bonosus II, 239–240. 53 Ps.-Sebeos, Armenische Geschichte (7. Jh.) 31 (trans. Robert W. Thomson,The Armenian History attributed to Sebeos, 1: Translation and notes, Liverpool 1999) 106: „The King Phocas ordered all the rebels who were disloyal to his reign to be slaughtered. Many were put to the sword in the royal capital. He sent a certain prince Bonos with an army against Antioch 43

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des Theophanes ist zu entnehmen,54 dass es im Jahr 608 in Antiocheia zu einem gewalttätigen Aufstand ­jüdischer Bevölkerungsgruppen gegen Christen kam, in dessen Verlauf viele Grundbesitzer ge­ tötet und verbrannt worden sein sollen; die Revolte habe in der Ermordung des christlichen Patriarchen ­Anastasius II. gegipfelt, dessen Leichnam von Juden geschändet worden sei. Phokas habe daraufhin Bonosus zum comes Orientis und Cottanas55 zum militärischen Befehlshaber ernannt und beide gegen die jüdische Bevölkerung entsandt, von der diese viele getötet und aus der Stadt verbannt hätten – freilich ohne in der Lage zu sein, den Aufstand völlig niederzuschlagen.56 Möglicherweise lässt sich mit diesen Vorgängen eine Nachricht in der westsyrischen Chronik von Zuqnīn (= Ps.-Dionysius von Tel-Mahrē, 8. Jh.) in Verbindung bringen,57 derzufolge Phokas im gesamten Gebiet Palästinas die Zwangstaufe der Juden angeordnet habe, um deren Loyalität als Untertanen des römischen Kaisers zu erzwingen. Zu diesem Zweck habe Phokas den Präfekten Georgios nach ­Jerusalem und durch ganz Palästina geschickt, um alle dort leben Juden zu zwingen, sich zum Christen­ tum zu bekehren. Bei seiner Ankunft habe er die Juden von Jerusalem und Umgebung versammelt und die anwesenden Rabbiner gefragt, ob sie Untertanen des Kaisers seien. In einem sich daraus entwickelnden Dialog sei ihnen als kaiserlichen Untertanen der Empfang der Taufe anbefohlen worden. Als ein Jude namens Jonah dem widersprach, habe der Präfekt diesem ins Gesicht geschlagen und anschließend die Anweisung gegeben, alle Anwesenden, notfalls auch gegen ihren Willen, taufen zu lassen.58 Der Text fällt seinem Umfang und der sprachlichen Gestalt nach aus den sonst zumeist knapper gehaltenen, jahrweise angeordneten Einträgen der Chronik heraus, was dafür spricht, dass der syrische Verfasser die Textvorlage relativ unselbständig in die Chronik übernommen hat.59 Interessanterweise ist der ­Dialog zwischen dem Statthalter und einem nicht konversionswilligen Juden fast wortgleich auch in der ,­Doctrina Jacobi nuper baptizati‘ zu finden, einem spät überlieferten antijüdischen griechischen Text, in dem die Vorgänge der Zwangstaufe jedoch nicht auf Palästina, sondern auf Nordafrika unter

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and Jerusalem and all regions of that land. He came, attacked Antioch and Jerusalem with the sword, and exterminated the large population of the cities of that land.“ Zur gegenwärtig hochumstrittenen Frage nach den Quellen des Theophanes für die Geschichte des Nahen Ostens (­Theophilus von Edessa?) vgl. die Beiträge von Robert G. Hoyland, Muriel Debié, Maria Conterno und Andy Hilkens, in: Studies in Theophanes, ed. Marek Jankowiak/Federico Montinaro (Paris 2015) 353–414. The Prosopography of the Later Roman Empire 3 (wie Anm. 52), s. v. Cottanas, 360. Theophanes, Chronographia, Annus mundi 6101 (ed. Karl de Boor, Bd. 1, Leipzig 1883) 296: Τούτῳ τῷ ἔτει ἀτακτήσαντες οἳ Ἀντιοχεῖς Ἑβραῖοι στάσιν ἐποιήσαντο κατὰ Χριστιανῶν καὶ ἀποσφάττουσιν Ἀνανστάσιον, τὸν μέγαν πατριάρχην Ἀντιοχείας, βαλόντες τὴν φύσιν αὐτοῦ ἐν τῷ στόματι αὐτοῦ· καὶ μετὰ τοῦτο σύραντες αὐτὸν ἐπὶ Μέσην ἐφόνευσαν καὶ πολλοὺς τῶν κτητόρων καὶ ἔκαυσαν αὐτούς. ὁ δὲ Φωκᾶς ἐποίησε κόμητα Βώνοσον καὶ Κοττανᾶν στρατηλάτην καὶ ἀπέστειλεν αὐτοὺς κατ`αὐτῶν . ἐπισυνάξαντες δὲ στρατόπεδα ἐπῆλθον αὐτοῖς καὶ πολλοὺς ἐφόνευσαν καὶ ἠκρωτηρίασαν καὶ τῆς πόλεως ἐξώρισαν. Vgl. Theophanes, Chronographia (trans. Cyril Mango/Roger Scott, The Chronicle of Theophanes Confessor. Byzantine and Near Eastern History AD 284–813, translated with introduction and commentary, Oxford 1997) 426: „The Jews of Antioch, becoming disorderly, staged an uprising against the Christians and murdered Anastasius, the great patriarch of Antioch, whose genitals they put in his mouth. After this they dragged him along the main street and they killed many landowners and burned them. Phocas appointed Bonosus chief governor of the East and Cottanas military commander and sent them against the Jews (but they were unable to stop the uprising). So they gathered troops and attacked them, and many of them they killed and maimed and banished from the city.“ So bereits Carl H. Kraehling, The Jewish Community at Antioch, in: Journal of Biblical Literature 51 (1932) 130–160, hier 159f. Chronik von of Zuqnīn (8. Jh.), AG 928 (= 616/617 n. Chr.) (trans. Andrew Palmer, The Seventh Century in the West-Syrian Chronicles, with added annotation and an historical introduction by Robert Hoyland, Liverpool 1993) 55f.: „King Phocas ordered that all the Jews under his rule should receive baptism. He sent the prefect George to Jerusalem and all of Palestine to compel all the Jews to receive baptism. On arrival this man assembled all the Jews who were in Jerusalem and its vicinity. When their rabbis had entered his presence he asked them: ‘Are you the king’s servants?’ to which they replied: ‘Yes’. He went on: ‘The lord of the earth bids you receive baptism’. They, however, were silent and did not give him any reply at all. ‘Why do you not answer?’ he asked. One of the leaders among them, whose name was Jonah, replied, saying: ‘everything the lord of the earth commands we will do but this particular command we cannot carry out, for the day of holy baptism has not yet arrived’. On hearing this, the prefect became extremely angry. Getting up he struck Jonah on the face and said: ‘If you are servants, will you not obey your lord?’ Thereupon he gave orders that they be baptized. Thus he had them all baptized, whether they wanted it or not. At this time the following were famous: Jacob the Jew, Athanasius patriarch of Antioch, John, bishop of the (Christian) Arabs, Simeon of Harrān and Cyriac of Amida.” Vgl. dazu die Bemerkungen von Robert Hoyland, in: The Seventh Century (wie Anm. 58) S. XXXI.

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Herakleios um das Jahr 632 bezogen werden.60 Das Verhältnis beider Fassungen zueinander ist nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen, da die handschriftliche Überlieferung der Doctrina Jacobi erst spät einsetzt.61 Es kann zwar ausgeschlossen werden, dass der syrische Text dem Verfasser der Doctrina als Vorlage diente, da dieser allem Anschein nach die syrische Sprache nicht beherrschte, doch erscheint es umgekehrt auch nicht sehr wahrscheinlich, dass die syrische Chronik von dem griechischen Dialog abhängt und dabei die Ereignisse auf Phokas zurückdatiert, nach Jerusalem und Palästina verlegt und in die Perspektive des Außenbetrachters umformuliert hat.62 Am meisten spricht vielmehr dafür, dass ein bereits als Dialog stilisierter Text beiden Quellen als Vorlage diente und vor allem vom Verfasser der Doctrina Jacobi umgearbeitet worden ist.63 Trifft diese Vermutung zu, dann ist davon auszugehen, dass dieser Text wie in der syrischen Chronik ursprünglich auf Palästina unter Phokas bezogen war.64 Zu klären ist in diesem Zusammenhang zudem eine chronologische Unsicherheit, da die west­syrische Chronik die Vorgänge in das Jahr 616 einordnet und den Taufbefehl von Phokas autorisiert sein lässt, der zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits sechs Jahre tot war. Da umgekehrt im Jahr 616 P ­ alästina schon unter persischer Kontrolle stand, ein oströmischer Taufbefehl damit nicht in Frage kommt, spricht mehr dafür, dass es tatsächlich Phokas war, der diese Maßnahmen im Vorfeld oder Gefolge des jüdischen Aufstandes in Antiocheia ergriff, über den wir dank Sebeos und Theophanes unterrichtet sind. Als wahrscheinlichster zeitlicher Kontext würde sich hieraus das Jahr 608 oder 609 ergeben, kurz bevor ihn Herakleios von der Macht verdrängte, der seinerseits Phokas der persischen Expansion und dem jüdischen Aufstand zugewandte Aufmerksamkeit dazu nutzte, sich von Afrika aus seit 608 gegen den Kaiser zu erheben.65 Doctrina Jacobi nuper baptizati I, 2 (ed. und übers. von Vincent Déroche, in: Travaux et mémoires 11, Paris 1991) 47–219, hier 72: „L’empereur Héraclius avait ordonné que partout et en tout lieu les Juifs se fassent baptiser. Lorsque Georges, alors éparque, se rendit en Afrique, il nous ordonna de nous réunir devant lui, à nous tous les premiers des Juifs. Et quand nous fûmes réunis auprès de lui, il nous dit: ‘Êtes-vous les serviteurs de l’empereur?’ Et nous, en réponse, nous dîmes: ‘Oui, Seigneur, nous sommes les serviteurs de l’empereur’. Il dit: ‘Le très pieux a ordonné que vous vous fassiez baptiser‘. En entendant cela nous trembâmes et fûmes pris d’une grande frayeur, et personne d’entre nous n’osa se prononcer. Lui de dire: ‘Ne répondez-vous rien?’ L’un de nous, qui se nommait Jonas, répondit en disant: ‚Nous ne ferons rien de tel; l’heure n’est pas venue du saint baptême’. Pris de colère, l’éparque se leva et se frappa le visage avec les mains en disant: ‘Vous sêtes ses serviteurs, et vous n’obéiriez pas à l’ordre de notre seigneur?’ Quant à nous, nous étions pétrifiés d’effroi. Il ­ordonna que nous soyon baptisés, et nous le fumes, bon gré mal gré, et nous nous trouvâmes dans un grand doute et dans une profonde affliction.” Vgl. ebd. 50 die Bemerkungen des Herausgebers. In der weitgehend wortgleichen arabischen Fassung heißt der Präfekt nicht Georgios, sondern Sergios. Die griechische Fassung der ersten Kapitel der Doctrina ist nicht mehr erhalten. 61 Skeptisch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit etwa Günter Stemberger, Zwangstaufen von Juden im 4. bis 7. Jahrhundert. Mythos oder Wirklichkeit?, in: Judentum – Ausblicke und Einsichten. FS Kurt Schubert zum siebzigsten Geburtstag, ed. Clemens Thoma/ders./Johann Maier (Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1993) 81–114, hier 104–106. 62 Die Abhängigkeiten und Vorlagen sind nicht abschließend geklärt. Paul Speck, Die ,Doctrina Iacobi nuper baptizati‘, in: ders., Beiträge zum Thema ,Byzantinische Feindseligkeit gegen die Juden im frühen siebten Jahrhundert‘, nebst einer Unter­suchung zu Anastasios dem Perser (Bonn 1997) 267–439, hier 437, betont dem kompilatorischen Charakter des Textes und hält den Bericht über die Zwangstaufe für eine spätere Zutat; ders., Maximos der Bekenner und die Zwangs­ taufe durch Kaiser Herakleios, ebd., 441–467, hier 463 Anm. 56 sieht den Usprung des Narrativs (das er für fiktiv hält) im Heiligen Land („Karthago ist wirklich sekundär“); vgl. Franz Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des Oströmischen Reiches von 565–1453, 1, 1: Regesten 565–867, 2. Aufl. bearb, von Andreas E. Müller (München 2009) 57, n. 160, sowie zuletzt Sean W. Anthony, Muḥammad, the Keys to Paradise, and the ,Doctrina Iacobi‘: A Late Antique Puzzle, in: Der ­Islam 91/2 (2014) 243–265, hier 246 Anm. 8 mit weiterer Literatur. Zur Verlässlichkeit der Doctrina Jacobi vgl. auch James ­Howard-Johnston, Witnesses to a world crisis. Historians and Histories of the Middle East in the Seventh Century (Oxford 2010) 155–157. 63 Speck, Maximos der Bekenner (wie Anm. 62) 463 hält die Version der syrischen Chronik für die ursprüngliche (die dann in der Doctrina Jacobi einfach nach Nordafrika übertragen und literarisch angepasst worden sei), betrachtet letztlich jedoch beide Berichte als fiktiv. 64 Der Verfasser der Doctrina hat demnach die Erzählung an die nordafrikanischen Verhältnisse nach der von Herakleios angeordneten Zwangstaufe angepasst und seinen Bericht dem Gesamtwerk entsprechend aus der Wir-Perspektive erzählt. ‒ Dass die Taufproblematik in dieser Phase eine große Rolle spielte, belegt auch die Legende von der Taufe Chosraus II. und des gesamten Perservolkes unter Maurikios, die wahrscheinlich über sinaitische Mönche verbreitet wurde, zu denen auch vor den römisch-persischen Kämpfen in den Jahren 604 bis 609 dorthin geflohene Mönche gehörten. Vgl. dazu Schilling, Die Anbetung der Magier (wie Anm. 46) 283. 65 Walter E. Kaegi, Heraclius. Emperor of Byzantium (Cambridge 2003) 39–41. 60

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Fast zeitgleich mit diesen Bedrohungen im Osten bemühte sich Kaiser Phokas erfolgreich um die Anerkennung und Festigung seiner Herrschaft in Italien. Sein Vorgänger Maurikios hatte in einem um 597 verfügten Testament das römische Imperium unter seinen vier Söhnen aufgeteilt; seinen zweitältesten Sohn Tiberius, der bezeichnenderweise den Beinamen Theodosius trug, „bestimmte er zum Kaiser im Alten Rom und gab ihm Italien und die Inseln im Tyrrhenischen Meer“, führt Theophylakt Simokates aus.66 Sein Bericht zeigt, dass Maurikios offenbar erwogen hatte, das westliche Kaisertum wieder zu errichten und seinen Sitz in Rom zu fixieren.67 Die Ermordung des Maurikios und seiner Söhne ver­ eitelte diesen Plan, doch ist auch bei Phokas eine auffällige West- bzw. Rom-Orientierung zu erkennen. In Rom ließ der von Phokas ins Amt zurückgeholte Exarch und patricius Smaragdus am 1. August 608 dem Kaiser zu Ehren auf dem Forum die bekannte, noch heute erhaltene Ehrensäule errichten, auf deren Kapitell eine goldene Statue des Kaisers prangte.68 Im Mai des folgenden Jahres konnte Papst Bonifatius IV. (608‒615) mit der Einwilligung des Kaisers und mit Hilfe von diesem über­gebener (­Reliquien-)Geschenke in Rom das Pantheon in ein Marienheiligtum umwandeln69 und damit erstmals in der Stadtgeschichte Roms einen paganen Tempel in eine christliche Kirche transformieren. Die An­ gaben des Liber pontificalis zum Pontifikat des Bonifatius sind äußerst knapp, doch immerhin erfahren wir aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus, dass Phokas schon dessen Vorgänger, Bonifatius III., im Jahr 607 die Anerkennung des päpstlichen Primates zugesichert hatte, obwohl die Kirche von K ­ onstantinopel für sich in Anspruch nahm, die ranghöchste aller Kirchen zu sein.70 Eine Annäherung des Papsttums an Kaiser Phokas zeigt sich wohl auch darin, dass der erwähnte Exarch Smaragd um 606/607 als energischer Gegner der „Drei Kapitel“ auftrat und dafür ein Schisma in Ober­ italien ­riskierte.71 Aus dem Liber pontificalis ist nicht zu erfahren, ob Bonifatius IV. sich auch die beschriebene ­Judenpolitik des Phokas zu Eigen machte. Erst ein wesentlich später entstandenes hexametrisches ­Gedicht lässt ein Streitgespräch zwischen einem Juden und einem blinden Christen über die Jung­ fräulichkeit Mariens vor dem Hintergrund der Umwandlung des Pantheons in eine Marienkirche unter Phokas stattfinden. Im Verlauf des Gesprächs gewinnt der Blinde anlässlich des dort gefeierten Festes der ,Reinigung Mariens‘ (Mariä Lichtmess) sein Augenlicht zurück und bringt damit 5000 von Papst Bonifatius IV. vorgeladene Juden dazu, sich zum Christentum zu bekehren, während alle übrigen Juden, die die Taufe verweigerten, die Stadt verlassen mussten.72 Auch wenn wegen der Entstehungszeit des Theophylaktos Simokattes, Historiae VIII, 11, 7-10 (ed. Karl de Boor, Leipzig 1887, Neuauflage Peter Wirth, Stuttgart 1972) 303. 67 Vgl. dazu Shlosser, The reign of the emperor Maurikios (wie Anm. 46) 70–72; Ralph-Johannes Lilie, Byzantinische Kaiser­ testamente, in: Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, ed. Brigitte Kasten (Köln/Wien 2008) 667–686, hier 668f. 68 Die Weiheinschrift CIL VI, 1200: Optimo clementissimo piissimoque principi domino nostro Focae imperatori perpetuo a deo coronato triumphatori semper augusto Smaragdus ex praeposito sacri palatii ac patricius et exarchus Italiae devotus eius clementiae pro innumerabilibus pietatis eius beneficiis et pro quiete procurata Italiae ac conservata libertate hanc statuam maiestatis eius auri splendore fulgentem huic sublimi columnae ad perennem ipsius gloriam imposuit ac dedicavit die prima mensis Augusti indictione undecima post consulatum pietatis eius anno quinto (Textwiedergabe unter Auflösung der Abkürzungen). ‒ Zahlreiche spätere Quellen setzen die Weihe in das Jahr 609, vgl. Dölger, Regesten (wie Anm. 62) 55f., n. 156. 69 Liber pontificalis 69 (Bonifatius IV.) (ed. Louis Duchesne, Le Liber Pontificalis: texte, introduction et commentaire, Bd. 1, Paris 1886) 317: eodem tempore petiit a Focate principe templum qui appellatur Pantheum, in quo fecit ecclesiam beatae Mariae semper virginis et omnium martyrum; in qua eccelsia princeps dona multa optulit 70 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 36 (ed. Ludwig Bethmann/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob. et Ital. sec. VI–IX, Hannover 1878) 12–187, hier 128: Focas igitur, ut praemissum est, extincto Mauricio eiusque filius, Romanorum regnum invadens, per octo annorum curricula principatus est. Hic rogante papa Bonifacio statuit sedem Romanae et apostolicae ecclesiae caput esse omnium ecclesiarum, quia ecclesia Constantinopolitana prima se omnium ecclesiarum scribebat. Erich Caspar, Geschichte des Papsttums. Von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, 2: Das Papsttum unter byzantinischer Herrschaft (Tübingen 1933) 464f. 71 Rudolf Schieffer, Zur Beurteilung des norditalienischen Dreikapitel-Schismas. Eine überlieferungsgeschichtliche Studie, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 87 (1976) 167–201, hier 171f.; Walter Pohl, Heresy in Secundus and Paul the Deacon, in: The Crisis of the ,Oikoumene‘. The Three Chapters and Failed Quest for unity in the Sixth-Century Mediterranean, ed. Celia Chazelle/Catherine Cubitt (Turnhout 2007) 243–264, hier 257. Siehe unten Anm. 272. 72 Edition: Hans Walther, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters (München 1920) 230–232; vgl. dazu auch Heinz Schreckenberg, Die christlichen ,Adversus-Judaeos‘-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld 66

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Gedichtes (wohl 11. Jahrhundert)73 und der Zahlensymbolik Vorsicht angebracht erscheint, ist es doch bemerkenswert, dass die Dichtung die hier thematisierte Judenbekehrung nicht nur mit der Umwandlung des Pantheons in eine Marienkirche, sondern auch mit der Feier des Festes Mariä Lichtmess in Verbindung bringt, das nachweislich im 7. Jahrhundert in Rom eingeführt wurde74 und im Gedicht durch das Wunder seine Rechtfertigung erhielt.75 Auch weitere im Text enthaltene Informationen erscheinen historisch stimmig, so dass sich möglicherweise in dieser späten dichterischen Tradition ein historischer Kern verbirgt. Ihre in Prosa verfassten Vorbilder sind zudem deutlich älter und verweisen ebenfalls auf Bonifatius IV. und die Umwandlung des Pantheons.76 Sollten also judenfeindliche Maßnahmen des Phokas im Jahr 609 auch in Rom umgesetzt worden sein, so würde sich dies zu Bonifatius’ Bemühungen fügen, das Pantheon zum Zentrum des von ihm neu eingeführten Allerheiligenkultes zu machen.77 Die Umwandlung des Pantheons in eine christliche Kirche wird zwar zumeist als Konsequenz der bekannten Vorschläge Gregors des Großen zur ,didaktischen‘ Bekehrung der Angelsachsen gedeutet,78 doch lässt der in Rom etablierte Kult mit seinem Streben nach möglichst vollständiger Erfassung aller Heiligen auch eine weitergehende Absicht erkennen: „Die kirchenpolitische Absicht war es dabei offensichtlich, durch diese aufsehenerregende Kirchweihe das Allerheiligenfest in Rom zu etablieren, das bislang nur im christlichen Osten verbreitet war.“79 Die im Pantheon mit dessen Umwandlung in eine Maria und allen Heiligen gewidmete Kirche etablierte jährliche Liturgie der Kirchweihe transformierte, wie Susan Rankin gezeigt hat, Gedanken der Universalität und kosmischen Einheit in den christlichen Kontext.80 Die Gesänge mit ihren Anklängen an biblische Motive wie die Jakobsleiter (Gen 28:17-22), die Weihe von Salomons Tempel (Bücher der Chronik) und die Vertreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel (Mt 21,13)81 ließen sich nicht nur im Sinne der Vertreibung der Dämonen und der Kirchweihe interpretieren – was zweifellos ihr primärer Bezugspunkt war –, sondern eröffneten auch die Möglichkeit, dies mit dem Gedanken der Universalmission82 zu verknüpfen und gegebenenfalls konkret auf die

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(1.‒11. Jh.) (Frankfurt/M. u.a. 1982) 555; Jean-Claude Schmitt, Die Bekehrung Hermanns des Juden. Autobiographie, Geschichte und Fiktion (Stuttgart 2006) 209. Walther, Das Streitgedicht (wie Anm. 72) 101–103. Vgl. Marina Warner, ‚Alone of all her sex‘. The myth and cult of the Virgin Mary (Oxford 1976) 66f. Zur Diskussion um christlichen Heiligenkult und Wunderglaube in dieser Zeit vgl. Matthew Dal Santo, Debating the Saints‘ Cult in the Age of Gregory the Great (Oxford 2012), der 330–332 auf die jüdische Kritik daran eingeht. Walther, Das Streitgedicht (wie Anm. 72) 102f. In den älteren Prosafassungen findet sich allerdings die Judenthematik weitaus kürzer behandelt. Sehr deutlich betont dies Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 36, ed. Bethmann/Waitz 128: Idem alio papa ­Bonifacio petente iussit, in veteri fano quod Pantheum vocabatur, ablatis idolatriae sordibus, ecclesiam beatae semper virginis Mariae et omnium martyrum fieri, ut, ubi quondam omnium non deorum, sed demoniorum cultus agebatur, ibi deinceps omnium fieret memoria sanctorum; ähnlich bereits Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica II, 4 (ed. Bertram Colgrave/R. A. B. Mynors, Oxford 1969) 147f. Vgl. Pierre Jounel, Le culte collectif des saints à Rome du VIIe au IXe siècle, in: Ecclesia orans 6 (1989) 285–300; Sible De Blaauw, Das Pantheon als christlicher Tempel, in: Boreas 17 (1994) 13–26. Gregor der Große, Reg. ep. XI, 56 (ed. Dag Norberg, Registrum epistularium, Bd. 1, CCSL 140A, Turnhout 1982) 961f. Vgl. dazu Bruno Judic, Le corbeau et la sautelle. L’application des instructions de Grégoire le Grand pour la transformation des temples païens en églises. Études des cas, in: Impies et païens entre Antiquité et Moyen Âge, ed. Lionel Mary/Michel Sot (Paris 2002) 97–125. Martin Wallraff, Pantheon und Allerheiligen. Einheit und Vielfalt des Göttlichen in der Spätantike, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 47 (2004) 128–143, hier 140. Zum Hintergrund vgl. auch Gisbert Knopp, ,Sanctorum nomina seriatim‘. Die Anfänge der Allerheiligenlitanei und ihre Verbindung mit den ,Laudes regiae‘, in: Römische Quartalschrift 65 (1970) 185–231. Susan Rankin, ,Terribilis est locus iste‘. The Pantheon in 609, in: Rhetoric Beyond Words: Delight and Persuasion in the Art of the Middle Ages, ed. Mary Carruthers (Cambridge 2010) 281–310, hier 285: „That Boniface IV and other Church officials recognized the complexities of the situation is suggested by the new dedication, to Mary and all the martyrs. It is not so much that the decision to include ‘all the martyrs’ might be explained as an attempt to mirror the previous dedication to all the gods, as that it should have the strength – through multiplicity of resonances, especially in Rome – to com­prehensively replace the older meaning: the themes of universality and cosmological unity designed into the building would respond equally well to the new dedication.“ Rankin, ebd. 292–300. Dazu Wolfgang Fritze, ,Universalis gentium confessio‘. Formeln, Träger und Wege universalmissionarischen Denkens im 7. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 3 (1969) 78–130, sowie zuletzt, im Sinne einer stärkeren imperialen Deutung frühmittelalterlichen universalmissionarischen Denkens, Stefan Esders, ,Nationes quam plures conquiri‘. Amandus of Maastricht, Compulsory Baptism and ,Christian Universal Mission‘ in 7th century Gaul, in: Motions of Late Antiquity:

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Konversion der Juden zu beziehen.83 Insofern manifestierte sich in der Transformation des Pantheon auch die römische Reichseschatologie. Herakleios, Ägypten und Nordafrika (608‒616) Eine von Smaragdus, dem erwähnten Exarchen Italiens, verantwortete Widmungsinschrift, wie sie die Basis der Phokas-Säule in Rom trägt, ist uns in einer stark verknappten, ebenfalls durch Smaragdus ­autorisierten Fassung auch aus Karthago erhalten,84 was man so gedeutet hat, dass der Phokas loyal er­gebene Smaragdus von Ravenna aus zeitweise beide Exarchate befohlen hat.85 Wie sich eine solche Erklärung zu der Tatsache, dass zu dieser Zeit Herakleios Exarch von Karthago war, verhält, ist nicht klar,86 zumindest könnte es die in Karthago gefassten Pläne beflügelt haben, den Kaiserthron in ­Konstantinopel zu usurpieren. Herakleios’ gleichnamiger Sohn nahm im Jahr 608 von seiner nord­ afrikanischen Machtbasis aus den Kampf um das Kaisertum auf, an dessen Ende es ihm im Jahr 610 schließlich gelang, Phokas in Konstantinopel zu eliminieren und selbst den Kaiserthron zu besteigen.87 Den mit der Niederschlagung des Aufstandes in Antiocheia beauftragten comes Orientis Bonosus hatte Phokas im Jahr 609 nach Alexandria abkommandiert, um dort gegen die von Herakleios’ Neffen Niketas angeführten Truppen vorzugehen.88 Johannes von Nikiu ist zu entnehmen, dass Herakleios und seine Truppen nach dem Sieg über Bonosus von Afrika und Ägypten aus nach Konstantinopel übersetzten, wo sie den Herrscher auf grausame Weise verstümmelten und hinrichteten, bevor sie die Leichname von Phokas, seinem Kämmerer Leontios und Bonosus öffentlich verbrannten.89 Phokas und Leontios sollen

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Essays on Religion, Politics, and Society in Honor of Peter Brown, ed. Jamie Kreiner/Helmut Reimitz (Turnhout 2016) 201–229. Der während der Gabenbereitung gesungene Offertoriumsgesang etwa vergegenwärtigte den Bau von Salomos Tempel: Maiestas Domini aedificauit templum: uidebant omnes filii Israel gloriam Domini descendentem super domum et ­adorauerunt et collaudauerunt Dominum dicentes: [Deus Israel custodi hanc uoluntatem, Domine Deus.] (zitiert nach Rankin, ,Terribilis est locus iste‘, wie Anm. 80, S. 298f.). Optimo clementissimo felicissimo principi domino nostro Focae imperatori Smaragdus exarchus Italiae devotus eius ­clementiae hanc statuam maiestati eius dedicavit. Text nach: Charles Tissot, Note sur une inscription du règne de Phocas, in: Comptes rendus de séances de l’Academie des inscriptions et belles-lettres 24,3 (1880) 233–234. Vgl. dazu Goubert, Byzance avant l’Islam (wie Anm. 33) Bd. 2, 2, 215–218. ‒ Freilich sind unter Gregor dem Großen auch Probleme erkennbar, den päpstlichen Patriachtananspruches gegenüber den afrikanischen Bischöfen durchzusetzen, da diese vom Exarchen daran gehindert wurden, nach Rom zu reisen: vgl. Jeffrey Richards, Gregor der Große. Sein Leben – seine Zeit (Graz 1983) 206f.; Wolfgang Kaiser, Authentizität und Geltung spätantiker Kaisergesetze: Studien zu den ,Sacra privilegia concilii Vizaceni‘ (München 2007) 111–113. Aus dem Fundort, der Widmung an Phokas und dem Beginn der Usurpation des Herakleios ergibt sich ein Entstehungs­ datum zwischen 602 und 609. Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 19–57; zu Herakleiosʼ afrikanischen Netzwerken vgl. auch Jonathan B. Conant, Staying Roman. Conquest and Identity in Africa and the Mediterranean, 439‒700 (Cambridge 2012) 242f. Johannes von Nikiu, Chronik 105-110 (ed. Robert Henry Charles, The Chronicle of John, c. 690 A.D., Coptic bishop of Nikiu, being a History of Egypt before and during the Arab conquest. Translated from Hermann Zotenberg’s edition of the Ethiopic version, London 1916), 166-178; Dölger, Regesten (wie Anm. 62) 56 n. 158; Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 44f. Johannes von Nikiu, Chronik 110, (transl. Charles, wie Anm. 88) 177f.: „And thereupon they began an engagement on the seashore, and the men of the chariots slew Bonosus. And they all with one voice in the Greek language cried aloud in praise of Heraclius the younger, the son of Heraclius the elder, and abused Phocas and Bonosus. […] But when Phocas and ­Leontius the chamberlain became aware that they sought with evil intent to slay them as they had slain the depraved Bonosus, the two arose and seized all the money that was in the imperial treasury which had been amassed by Maurice, and likewise that which had been amassed by (Phocas) himself from the Roman nobles whom he had put to death, and whose property he had confiscated, and likewise the money of Bonosus, and they cast it into the waves of the sea, and so thoroughly impoverished the Roman empire. And thereupon the senators and the officers and soldiers went in and seized Phocas, and took the imperial crown from his head, and (they seized) Leontius the chamberlain likewise, and conducted them in chains to Heraclius to the church of S. Thomas the Apostle, and they put both of them to death in his presence. And they cut off the privy parts of Phocas, and tore off his skin right down to his legs because of the dishonour and shame he had brought on the wife of because she was consecrated to the service of God, for he had taken her by force and violated her, although she was of an illustrious family. And next they took the bodies of Phocas and Leontius and Bonosus and they conveyed them to the city of Constantinople, and they burnt them with fire, and scattered the ashes of their bodies to the winds; for they were detested by all men. And thus the vision was accomplished which Benjamin of the city of ­Antinoe had received from God, and the inhabitants of Byzantium did not slight a detail in it.“

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derselben Quelle zufolge noch zuvor versucht haben, den römischen Staatsschatz im Meer zu ver­senken ‒ eine legendenhafte Erzählung, von der sich ein fernes Echo sogar in der westlichen Überlieferung erhalten hat und die auf eine wohl nicht zuletzt kriegsbedingte, in jedem Fall äußerst rigorose Finanz­ politik des Phokas schließen lässt.90 Die ohnehin schon ungünstige Situation gegenüber den Persern verkomplizierte sich durch den römi­ schen Machtkampf erheblich. Nachdem Herakleios an die Macht gelangt war, spitzte sich die Situation mit dem persischen Ausgreifen nach Kleinasien,91 im Süden mit dem oströmischen Verlust Antiocheias, wo der jüdische Aufstand nicht hatte niedergeschlagen werden können, und der persischen Eroberung von Damaskus im Jahr 613 erheblich zu.92 Der weitere persische Vormarsch in die nahöstlichen Provinzen gipfelte in der Eroberung Jerusalems im darauffolgenden Jahr 614.93 Sie verkehrte nicht nur die politischen, sondern auch die religiösen Machtverhältnisse im Nahen Osten vollkommen,94 löste Fluchtbewegungen aus95 und schien manchen das unmittelbar bevorstehende Ende des römischen ­Reiches zu signalisieren. Der persische Raub des Wahren Kreuzes aus Jerusalem verdeutlicht dabei, welchen Stellenwert die Identifikation des Kriegsgegners als religiösen Kontrahenten mittlerweile gewonnen hatte.96 Jüdische Gruppen, denen man Kooperation mit den Persern vorwarf, scheinen diese als Befreier begrüßt zu haben,97 möglicherweise trifft dies auch für miaphysistische Christen zu.98 Die hochpolemischen christlichen und jüdischen Quellen lassen in jedem Fall eine extrem aufgeheizte religiöse Stimmung erkennen.99 Jüdische Gruppierungen suchten unter der persischen Herrschaft ihre Stellung zu verbessern, wie auch an in dieser Zeit entstandenen apokalyptischen Texten erkennbar ist,100 die einen Endkampf zwischen Ost und West, das Ende der Römerherrschaft und die Hoffnung auf Wieder­ errichtung des Tempels verkündeten.101 Die christlichen Quellen – vor allem ein nach 630 ent­standener

Zu Leontios als kaiserlichem Kämmerer vgl. Wolfram Brandes, Finanzverwaltung in Krisenzeiten. Untersuchungen zur byzantinischen Administration im 6.‒9. Jahrhundert (Frankfurt/M. 2002) 456f. Zur Finanzpolitik des Phokas in Ägypten, vgl. ferner Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 45. Die zweifellos östliche Legende, Phokas habe das Staatsvermögen Neptun weihen wollen und ins Meer geworfen, findet sich interessanterweise auch bei Fredegar, Chronicon IV, 63, ed. Krusch (wie Anm. 46) 151f. 91 Dazu Jörg Drauschke, Bemerkungen zu den Auswirkungen der Perser- und Arabereinfälle des 7. Jahrhunderts in Klein­ asien, in: Rauben – Plündern – Morden. Nachweis von Zerstörung und kriegerischer Gewalt im archäologischen Befund, ed. Orsolya Heinrich-Tamaska (Hamburg 2013) 117–159. 92 Bowersock, Empires in Collision (wie Anm. 43) 33f. 93 Greatrex/Lieu, The Roman Eastern frontier (wie Anm. 46) 187–193. 94 Bowersock, Empires in Collision (wie Anm. 43) 29–52. 95 Insbesondere innerhalb des höheren Klerus löste die persische Eroberung des Nahen Ostens eine erhebliche Mobilität aus, insofern prominente Vertreter wie Sophronius von Jerusalem oder Johannes Moschus vorübergehend in Rom Zuflucht suchten, vgl. Booth, Crisis of Empire (wie Anm. 37) 89 u. ö. 96 Jan Willem Drijvers, Heraclius and the ,Restitutio crucis‘. Notes on symbolism and ideology, in: The Reign of Heraclius (610–641). Crisis and Confrontation, ed. Gerrit J. Reinink/Bernard H. Stolte (Leuven 2002) 175–190; Yuri Stoyanov, ­Defenders and Enemies of the True Cross. The Sasanian Conquest of Jerusalem in 614 and Byzantine Ideology of Anti-­ Persian Warfare (Vienna 2011) 45–75. 97 Vgl. Averil Cameron, Blaming the Jews: The Seventh Century Invasions of Palestine in Context, in: Mélanges Gilbert Dagron (= Travaux et mémoires 14, Paris 2002) 57–78, hier 62; Bowersock, Empires in Collision (wie Anm. 43) 35f. und 40. 98 Bowersock, Empires in Collision (wie Anm. 43) 46–48. 99 David M. Olster, Roman Defeat, Christian Response, and the Literary Construction of the Jew (Philadelphia 1994); ­Brannon M. Wheeler, Imagining the Sasanian capture of Jerusalem. The ,Prophecy and Dream of Zerubbabel‘ and ­Antiochus ­Strategos’ ,Capture of Jerusalem‘, in: Orientalia christiana periodica 57 (1991) 69–85; Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 79f.; Esders, Herakleios (wie Anm. 38) 265–270 (Lit.); Stoyanov, Defenders and enemies (wie Anm. 96) 52–65. 100 Hagith Sivan, From Byzantine to Persian Jerusalem: Jewish perspectives and Jewish/Christian polemics, in: Greek, Roman and Byzantine Studies 41 (2000) 277–306. Wout J. Van Bekkum, Jewish Messianic Expectations in the Age of ­Heraclius, in: The Reign of Heraclius, ed. Reinink/Stolte (wie Anm. 96) 95–112; Lutz Greisiger, Messianische versus politische ­Theokratie. Kaiser Herakleios und die ,Restitutio Crucis‘ in imperialer Propaganda und nahöstlicher Apokalyptik, in: ­Theokratie und theokratischer Diskurs. Die Rede von der Gottesherrschaft und ihre politisch-sozialen Auswirkungen im interkulturellen Vergleich, ed. Kai Trampedach/Andreas Pecar (Tübingen 2013) 211–234. 101 Fergus Millar, Rebuilding the Jerusalem temple: Pagan, Jewish and Christian conceptions, in: Vestnik Drevnei Istorii 2008, 1 (264) 19–37, hier 35f. 90

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p­ redigtartiger Augenzeugenbericht eines Mönches des Mar Saba Klosters (Strategos)102 sowie eine ­Passage der Weltchronik des Theophanes103 ‒ berichten über unerhörte Greueltaten, die den Christen von ortsansässigen Juden angetan worden sein sollen.104 Ihnen zufolge deportierten die Perser Tausende Christen und mit ihnen das Wahre Kreuz nach Persien, während sie den Juden als ihren Verbündeten gestatteten, unter der christlichen Bevölkerung Jerusalems und Palästinas ein furchtbares Massaker anzurichten, bei dem zwischen 60,000 und 90,000 Christen den Tod gefunden hätten. Trotz der unverkennbar scharfen Polemik nehmen die meisten Historiker heute an, dass die Aussagen zumindest einen wahren Kern enthalten.105 Herakleios’ Position war gegenüber den Persern insofern prekär, als diese ihn nicht als römischen Kaiser anerkannten.106 Seine aufgrund der Usurpation auch im Inneren noch zweifelhafte Legitimität suchte Herakleios dadurch zu erhöhen, dass er seinen Vorgänger Phokas in allen denkbaren Formen ­diffamieren ließ.107 Auch wenn Herakleios ebenso wie Phokas mit dem Vormarsch der Perser zu kämpfen hatte, ergriff er präventive Maßnahmen. Hatte Phokas im ägyptischen Alexandria nach 605 den

Hier zitiert nach einer verkürzenden englischen Übersetzung aus dem Georgischen: „The beginning of the struggle of the Persians with the Christians of Jerusalem was on the 15th April, in the second indiction, in the fourth year of the Emperor Heraclius. They spent twenty days in the struggle. [...] Thereupon the vile Jews, enemies of the truth and haters of Christ, when they perceived that the Christians were given over into the hands of the enemy, rejoiced exceedingly, because they detested the Christians. [...] When the people were carried into Persia, and the Jews were left in Jerusalem, they began with their own hands to demolish and burn such of the holy churches as were left standing. [...] How many souls were slain in the reservoir of Mamel! How many perished of hunger and thirst! How many priests and monks were massacred by the sword! How many infants were crushed under foot, or perished by hunger and thirst, or languished through fear and horror of the foe! How many maidens, refusing their abominable outrages, were given over to death by the enemy! How many parents perished on top of their own children! How many of the people were bought up by the Jews and butchered, and became confessors of Christ! How many persons, fathers, mothers, and tender infants, having concealed themselves in fosses and cisterns, perished of darkness and hunger! How many fled into the Church of Anastasius, into that of Sion and other churches, and were therein massacred and consumed with fire! Who can count the multitude of the corpses of those who were massacred in Jerusalem! Listen, and I will acquaint you with the number of all the slain, for the blessed Thomas informed us of the following: After the departure of the Persians, he said, I remained in Jerusalem, and began to search out the corpses of the slain that had died by the hands of the evil foe. And I found in the church of the holy martyr George, which is outside the town, and I began from this spot to search for corpses and to bury them in the grottos. We found at the altar of the holy church seven persons lying. The Lord and Saint George gave us strength and we buried them. Next we set about to seek for all the dead and to bury them. Some we collected in the grottos, others we buried in sepulchres and graves. [...] For we found in the court of the government 28 (18) persons. In the cisterns we found of the slain 275 (250) persons. In front of the gates of Holy Sion we found 2270 persons. At the altar of the Holy New we found 600 (290) souls. In the church of St. Sophia we found 477 (369) souls. In the church of Saints Cosmas and Damian we found 2212 (2112) souls [...] And in Jerusalem we buried many others in addition that were massacred by the Persians beside these saints. The total number of all was 66,509 souls [...]“, Frederick C. Conybeare, Antiochus Strategos’ Account of the Sack of Jerusalem in A. D. 614, in: English Historical Review 25 (1910) 502–516, hier 508f. Vgl. zu dieser Quelle etwa Paul Speck, Die Predigt des Strategios, in: ders., Beiträge (wie Anm. 62) 37–129 (mit negativer Einschätzung des Aussagewertes); Bowersock, Empires in Collision (wie Anm. 43) 36–39. 103 Theophanes, Chronographia, Annus mundi 6106, ed. De Boor (wie Anm. 56) 300f.: Τούτῳ τῷ ἔτει παρέλαβον οἳ Πέρσαι τὸν Ἰορδάνην καὶ Παλαιστίνην καὶ τὴν ἁγίαν πόλιν πολέμῳ καὶ πολλοὺς ἀπέκτειναν ἐν αὐτῇ διὰ χειρὸς τῶν Ἰοθδαίων, ὤς φασί τινες, μυριάδας ἐννέα. οὗτοι γὰρ ὠνούμενοι τοὺς Χριστιανοὺς καθὰ εθ᾿πόρει ἕκαστος ἀπέκτεινον αὐτούς. Ζαχαρίαν δέ, τὸν πατιάρχην Ἱεροσολύμων, καὶ τὰ τίμια καὶ ζωοποιὰ ξύλα λαβόντες σὺν αἰχμαλωσίᾳ πολλῇ ἐν Περσίδι ἀπήγαγον. Vgl. Theophanes, Chronographia, trans. Mango/Scott (wie Anm. 56) 431: „In this year the Persians took [the region of] the Jordan, Palestine and the Holy City by force of arms and killed many people therein through the agency of the Jews, some say it was 90,000. For the Jews bought the Christians, each man according to his means, and killed them. As for Zacharias, patriarch of Jerusalem, and the holy and life-giving cross, the Persians took them, along with many captives, and carried them off to Persia.“ 104 Elliott Horowitz, ‚The Vengeance of the Jews was Stronger than their Avarice‘: Modern historians and the Persian ­conquest of Jerusalem in 614, in: Jewish Social Studies 4/2 (1998) 1–39; Cameron, Blaming the Jews (wie Anm. 97); Kaegi, ­Heraclius (wie Anm. 65) 77f. 105 So Horowitz‚ ,The Vengeance of the Jews‘ (wie Anm. 104); Cameron, Blaming the Jews (wie Anm. 97); Foss, The Persians in the Roman Near East (wie Anm. 43) 153. ‒ Dass der archäologische Befund die in den schriftlichen Quellen beschriebenen Zerstörungen nicht bestätigt, betont Stoyanov, Defenders and enemies (wie Anm. 96) 11–23. 106 Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 83–86. 107 Vgl. Mischa Meier, Kaiser Phokas (602‒610) als Erinnerungsproblem, in: Byzantinische Zeitschrift 107 (2014) 139–174. 102

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chalkedonischen Patriarchen zuungunsten des miaphysistischen gefördert,108 so zeichnen sich unter ­Herakleios schon früh Ansätze zu einer neuen, den Miaphysiten entgegenkommenden Religionspolitik ab, deren Anfänge auch vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Bedrohung zu sehen sind.109 ­Hatte der Perserkönig Chosrau II. im Jahr 612 eine Versammlung von Vertretern der christlichen Kirchen unter seiner Herrschaft zusammentreten lassen, die ein Glaubensbekenntnis der ,Kirche des Ostens‘ verfasste, welches auf den Widerstand der Miaphysiten im Perserreich traf,110 so gingen Herakleios bzw. der Patriarch Sergius von Konstantantinopel im Jahr 616 oder 617 auf Chalekedonier und Severianer zu,111 während sie zeitgleich erfolgreich eine miaphysitische Union der Patriarchate von Antiocheia und Alexandria vermittelten, was wohl auch als Teil einer Strategie zu deuten ist, die Bevölkerung Ägyptens möglichst geschlossen gegen die Perser zu mobilisieren.112 Sichtbar wird an all diesen Bemühungen, welche Rolle das christologische Dogma spielte, um die christlichen Gruppen der nahöstlichen Provinzen und ihre Eliten für die Sache des Reiches zu gewinnen und ihre innere Aufsplitterung zu verhindern.113 Interessanterweise agierte bei dem Gespräch als Schlichter der sogenannte Pseudo-Strategius III., seines Zeichens Pagarch, Ehrenkonsul und Patrikios und ein Angehörger der bedeutenden, in Ägypten reich begüterten, hoch dekorierten, mit dem römischen Senatorenadel (Anicii) verbandelten und teilweise in Konstantinopel ansässigen Apionenfamilie.114 Dass uns manche Informationen zu dieser Familie nicht nur aus Papyri, sondern auch aus Briefen Papst Gregors des Großen bekannt sind,115 mag noch einmal den sozialgeschichtlichen Befund unterstreichen, dass weiträumig agierende Eliten eine wichtige Rolle spielten, um solcher Krisensituationen Herr zu werden und über das christliche Bekenntnis eine reli­ giöse Integration zu erreichen.116 Die Jahre 610 bis 616 erscheinen im numismatischen Befund als eine Phase, in der Hortfunde zunehmen117 und in der die Regierung durch Neuemissionen von Münzen Anstrengungen unternahm, mit Blick auf die Streitkräfte Geld in die lokalen Wirtschaften der Gebiete zu pumpen, auf welche die Perser zu dieser Zeit gerade vorrückten. Dies ist für kürzlich bei Ausgrabungen in Jerusalem entdeckte Goldmünzen anzunehmen, die zwischen 610 und 613 im Rahmen einer Sonderprägung ausgebracht wurden,118 aber auch für kleinasiatische Kupferprägungen aus den Jahren zwischen 610 und 615.119 Ungefähr zeitgleich mit diesen Bemühungen erscheint im Jahr 615/616 auch eine neue, in großer Stückzahl aufgelegte Silbermünzprägung mit der rückseitigen Umschrift Deus adiuta Romanis, die das erhöhte Kreuz auf der Rückseite umrahmte.120 Das Kreuz als Siegeszeichen gewann vor dem Hintergrund der [Severus ibn al-Mukaffa] History of the Patriarchs of the Coptic Church of Alexandria, 2: Peter I to Benjamin I (661) (ed. und übers. Basil T. A. Evetts, Patrologia Orientalis 1, Paris 1904) 383–518, hier 479f. 109 Christian Lange, ,Mia Energeia‘. Untersuchungen zur Einigungspolitik des Kaisers Heraclius und des Patriarchen Sergius von Konstantinopel (Tübingen 2012) 531–549, zum politischen Hintergrund bes. 537–540. 110 Lange, ,Mia Energeia‘(wie Anm. 109) 510–513. 111 Lange, ,Mia Energeia‘(wie Anm. 109) 540–542 und 544f. 112 Friedhelm Winkelmann, Ägypten und Byzanz vor der arabischen Eroberung, in: Byzantinoslavica 40 (1979) 161–182, hier 168–170; David M. Olster, Chalcedonian and Monophysite: The Union of 616, in: Bulletin de la Société d’Archéologie Copte 27 (1985) 93–108; Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 89f.; Pauline Allen, Religious Conflict between Antioch and Alexandria c. 565‒630 C.E., in: Religious Conflict from Early Christianity to the Rise of Islam, ed. Wenda Mayer/­Bronwen Neil (Berlin/New York 2013) 187–200, hier 197f. Offenbar haben die Perser ihrerseits im heiligen Land versucht, die ­Miaphysiten zu begünstigen, vgl. Foss, The Persians in the Roman Near East (wie Anm. 43) 155. 113 Wolfgang Hage, Athanasios Gammala und sein Treffen mit Kaiser Herakleios in Mabbug, in: Syriaca II. Beiträge zum 3. deutschen Syrologen-Symposium in Vierzehnheiligen 2002, ed. Martin Tamcke (Münster 2004) 165–174. 114 Peter Sarris, Economy and Society in the Age of Justinian (Cambridge 2006) 81–95; Giovanni Roberto Ruffini, Social Networks in Byzantine Egypt (Cambridge 2008) 94–146. 115 Gregor der Große, Reg. ep. VIII, 22 (598) und XIII, 35 (603), ed. Norberg (wie Anm. 78) Bd. 2, 541f. und 1037–1039. 116 Umso aussagekräftiger ist daher der Befund, dass sich die Spuren der Apionenfamilie im Zuge der persischen Okkupation Ägyptens (619‒628) verlieren, vgl. Ruffini, Social Networks in Byzantine Egypt (wie Anm. 114) 98f. 117 Vgl. Florin Curta, South-Eastern Europe in the Middle Ages, 500‒1250 (Cambridge 2006) 74f. 118 Gabriela Bijovsky, A Single die solidi hoard of Heraclius from Jersualem, in: Mélanges Cécile Morrisson (=Travaux et mémoires 16, Paris 2010) 55–92. Vgl. auch Bowersock, Empires in collision (wie Anm. 43) 44f. 119 Vgl. dazu Brandes, Finanzverwaltung in Krisenzeiten (wie Anm. 90) 327 sowie die Diskussion bei Drauschke, Bemerkungen (wie Anm. 91) 135–138, bes. 136: „nicht nur der Hiatus nach ca. 616 ist signifikant, sondern überhaupt erst der Anstieg von Kupferprägungen mit dem Regierungsantritt von Herakleios 610.“ 120 Vgl. dazu Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 90f.; ders., Muslim Expansion and Byzantine Collapse in North Africa (­Cambridge 2010) 81. 108

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Ereignisse in Jersualem eine herausragende Aktualität. Auffallend ist neben dem religiösen Appell an die Romanitas, dass hier eigens eine neue lateinische Aufschrift für die Münzen ersonnen wurde, was nicht zuletzt für einen westlichen, möglicherweise auf Nordafrika zielenden Adressatenkreis spricht. Zeitgleich besetzten im Jahr 615 awarische und slawische Verbände große Teile des Balkans und belagerten Thessaloniki.121 Obwohl ein 619/620 geschlossener Vertrag, in dem Herakleios dem Khagan die Zahlung immenser Tribute zusicherte, Ostrom den Rücken gegen die Perser freihalten sollte,122 erlag Ägypten im Jahr 619 dem Ansturm der Perser.123 Nach einer späteren Überlieferung soll Herakleios um diese Zeit aufgrund des Ausfalls von Getreidelieferungen bzw. der annona sogar überlegt haben, den Sitz der Reichsregierung nach Libyen (bzw. Karthago) zu verlegen, wovon ihn nur der Patriarch von Konstantinopel abhalten konnte, indem er ihm einen feierlichen Eid abnahm, niemals die Hauptstadt zu verlassen.124 Hintergrund dürfte auch die Sorge des Kaisers vor einem weiteren Vordringen der Perser gewesen sein. Seit Herakleios’ Usurpation griffen die dramatischen Ereignisse im Nahen Osten auf die nordafrikanischen Provinzgebiete über, der Fall Jerusalems und die mit ihm assoziierten Vorstellungen wurden rasch auch im Westen rezipiert.125 König Sisebut und die Zwangstaufe der Juden im Westgotenreich (615) Nordafrika blieb auch nach der Usurpation des Kaiserthrons im Jahr 610 für Herakleios wichtig. Zu den nordafrikanischen Provinzgebieten gehörte seit der Mitte des 6. Jahrhunderts auch das südliche Spanien, das administrativ dem Exarchat von Karthago unterstand.126 Die Beziehungen der römischen Gebiete auf der iberischen Halbinsel zum größeren Teil Nord- und Mittelspaniens, die seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert der westgotischen Herrschaft unterstanden, waren wechselhaft und phasenweise von Spannungen und militärischen Auseinandersetzungen geprägt.127 Dies gilt besonders für das frühe 7. Jahrhundert unter den westgotischen Königen Witterich (603‒610) und Gundomar (610‒612), die jeweils gegen die oströmischen Truppen in Südspanien Krieg führten.128 Dieser Konflikt hatte vielfältige Folgen. Um 610 wurde die Reichshauptstadt Toledo zum Erzbistum aufgewertet,129 da der alte Metropolit­ansitz ­Cartagena nunmehr unter oströmischer Herrschaft stand.130 Diese Maßnahme ließ Pohl, Die Awaren (wie Anm. 45) 240–243; Curta, South-Eastern Europe (wie Anm. 117) 70–73. Theophanes, Chronographia, Annus mundi 6111 u. 6113, ed. De Boor (wie Anm. 56) 302f. Zur Datierung vgl. Pohl, Die Awaren (wie Anm. 45) 247. 123 Vgl. Ruth Altheim-Stiehl, The Sasanians in Egypt, in: Bulletin de la Société d’Archéologie Copte 31 (1992) 87–96; Foss, The Persians in the Roman Near East (wie Anm. 43) 153f. 124 Nikephoros, Historia syntomos 8 (ed. und übers. Cyril Mango, CFHB 13, Washington-D.C. 1990) 48–49; vgl. Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 88. Zur Bedeutung der annona-Lieferungen aus Ägypten und zu ihrem Ende nach 617 vgl. auch McCormick, Origins of the European Economy (wie Anm. 16) 110 und 852. 125 Margerita Vallejo Girvéz, Sensaciones bizantinas: las dos caídas de Jerusalén en la literatura del siglo VII, in: Erytheia 27 (2006) 43–72. 126 Vgl. Margerita Vallejo Girvéz, Byzantine Spain and the African Exarchate: An administrative Perspective, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 49 (1999) 3–23. Zu den spätrömischen Grundlagen dieser Verbindung vgl. vor allem Javier Arce, Spain and the African Provinces in Late Antiquity, in: Hispania in Late Antiquity. Current Perspectives, ed. Kim Bowes/Michael Kulikowski (Leiden 2005) 341–361. – Zu religiös-kulturellen Verbindungen vgl. Jonathan B. Conant, ­Europe and the African Cult of Saints, circa 350‒900: An Essay in Mediterranean Communications, in: Speculum 85 (2010) 1–46. 127 Karl Friedrich Stroheker, Das spanische Westgotenreich und Byzanz, in: Bonner Jahrbücher 163 (1963) 252–274; in: ders., Germanentum und Spätantike (Zürich 1965) 207–245; Margerita Vallejo Girvéz, The Treaties between Justinian and Athanagild and the Legality of the Byzantine Possessions on the Iberian Peninsula, in: Byzantion 66 (1996) 208–218. 128 Isidor von Sevilla, Historia Gothorum 38 (ed. C. Rodríguez Alonso, Léon 1975) 180–182. Vgl. Edward Arthur Thompson, The Goths in Spain (Oxford 1969) 157–161. 129 Vgl. dazu die Akten des XII. Konzils von Toledo von 681, in denen der Brief Gundomars zitiert wird: Concilios ­visigóticos e hispano-romanos (ed. José Vives, Madrid 1963) 405. Zum Hintergrund vgl. Gerd Kampers, Zum Ursprung der Metropolit­ anstellung Toledos, in: Historisches Jahrbuch 99 (1979) 1–27. 130 Dies geht aus dem Bestätigungsschreiben König Gundomars hervor. Vgl. Concilios visigóticos, ed. Vives (wie Anm. 129) 405. Nonnulli enim in disciplinis ecclesiasticis, contra canonum auctoritatem, per moras praecedentium temporum, ­licentiam sibi de usurpatione praeteriti prinicipis fecerunt: ita ut quidam episcoporum Carthaginensis provinciae non revereantur, contra canonicae auctoritatis sententiam, passim ac libere, contra metropolitanae ecclesiae potestatem, 121 122

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die Königsstadt zum Veranstaltungsort künftiger Reichskonzilien werden,131 auf denen sich der enge Zusammenhang zwischen königlicher und bischöflicher Gesetzgebung für das Westgotenreich mani­ festierte. Das Nebeneinander oströmischer und westgotischer Münzprägung in den nördlichen und südlichen Teilen Spaniens zeigt wechselseitige Beeinflussungen, diente aber auch der Abgrenzung.132 Mit Recht wird betont, dass die Grenze zwischen den oströmischen und westgotischen Teilen der iberischen Halbinsel durchlässig gewesen sein muss und vielfältige Interaktionen ermöglichte.133 Das ist auch für die Deutung der nachfolgenden Ereignisse von erheblicher Bedeutung. Im Jahr 612, zwei Jahre nach der Machtübernahme des Herakleios in Konstantinopel, kam im Westgotenreich der hoch gebildete König Sisebut an die Macht.134 Sisebut suchte zunächst in zwei Feldzügen gegenüber der oströmischen Besatzung in Südspanien erhebliche militärische Gebietsgewinne zu erzielen, darin dem Vorbild seiner Vorgänger folgend, die Ostroms Beschäftigung mit den Persern und der Usurpation des Herakleios auszunutzen verstanden hatten.135 Sisebuts Herrschaft ist vor allem dafür in Erinnerung geblieben, dass er im westgotischen Spanien erstmals die Zwangstaufe aller Juden anordnete.136 Schon bald nach seinem Regierungsantritt hatte er ältere antijüdische Gesetze erneuert.137 Möglicherweise kam es in dieser Zeit zu einem ernsthaften politisch-religiösen Konflikt, als in Toledo ein comes namens Froga vom örtlichen Bischof Aurasius exkommuniziert wurde, weil er zum Judentum übergetreten war und sich vor dem versammelten Königshof in Gegenwart von Katholiken und Juden abfällig über das Christentum äußerte.138 Sisebuts – nicht mehr erhaltene – Anordnung, dass alle Juden des Westgotenreiches sich taufen lassen sollten, scheint der König jedoch erst etwas später getroffen zu haben. Isidor von Sevilla setzt die Maßnahme in der 626 erstellten zweiten Redaktion seiner ursprünglich um 615/616, also noch unter Sisebut entstandenen Chronik139 etwas unbestimmt in die Anfänge von dessen Regierungszeit.140 Mit überzeugenden Argumenten wurde von verschiedenen Forschern dar-



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per quasdam fratrias et conspirationes, inexploratae vitae omnes episcopali officio provehi atque hanc ipsam praefatae ­ecclesiae dignitatem imperii nostri solio sublimatam contemnere; perturbantes ecclesiastici ordinis veritatem, eiusque sedis auctoritate, quam prisca canonum declarat sententia, abutentes. Quod nos ultra modo usque in perpetuum fieri nequaquam permittimus. Vgl. Dietrich Claude, Geschichte der Westgoten (Stuttgart u. a. 1970) 104. – Auffällig ist hier der Gebrauch des griechischen Begriffs der Phratrie, um eine verschworene und daher illegitime Bruderschaft zu bezeichnen. Vgl. Gerd Kampers, Geschichte der Westgoten (Paderborn u. a. 2008) 189. Peter Bartlett/Gonzalo Cores, The coinage of the Visigothic king Sisebut (612‒621) from the mint of Barbi, in: Gaceta numismática 158/159 (2005) 13–22; Peter Bartlett/Andrew Oddy/Cécile Morrisson, The Byzantine gold coinage of ,Spania‘ (Justinian I to Heraclius), in: Revue Numismatique (2011) 351–401; Peter Bartlett/Gonzalo Cores Uría/María Cruz Cores Gomendio, The use of dots as control marks in the coin legends at the Visigothic mint of Ispali during the reign of Sisebut (612‒621), in: Congreso Internacional de Numismática. Actas–Proceedings–Actes, ed. Carmen Alfaro/Carmen Marcos/ Paloma Otero (Madrid 2005) Bd. 2, 1127–1133. Jamie Wood, Defending Byzantine Spain: frontiers and diplomacy, in: Early Medieval Europe 18 (2010) 292–319. Zu Sisebut vgl. zusammenfassend Alexander Pierre Bronisch, Sisebut, in: RGA, 2. Aufl. (Berlin/New York 2005) 503–506. Isidor, Historia Gothorum 59, ed. Rodríguez Alonso (wie Anm. 128) 268–270. Vgl. Roger Collins, Visigothic Spain 409‒711 (Oxford 2004) 75; Margarita Vallejo Girvés, Hispania y Bizancio. Una relación desconocida (Madrid 2012) 334–344. Alexander Pierre Bronisch, Die Judengesetzgebung im katholischen Westgotenreich von Toledo (Hannover 2005) 34–60. Lex Visigothorum XII, 2 13 (De mancipiis christianis, que a Iudeis aut vendita aut libertati tradita esse noscuntur) und XII, 2, 14 (Ut nullis modis Iudeis mancipia adhereant christiana, et ne in sectam eorum modo quocumque ducantur) (ed. Karl Zeumer, MGH LL nat. Germ. 1, 1, Hannover 1902) 418-420 bzw. 420-423. Epistolae Wisigoticae 20 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE 3, 1 Berlin 1892) 658–690, hier 689f. Vgl. dazu auch Thompson, The Goths in Spain (wie Anm. 128) 167. Rachel L. Stocking, Bishops, Councils, and Consensus in the Visigothic kingdom, 589‒633 (Ann Arbor 2000) 138 Anm. 76 datiert die Vorkommnisse in die ersten Regierungsjahre König Sisebuts. Die gesamte Einordnung der Vorgänge ist hoch umstritten, vgl. dazu Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 29–33. Vgl. Jamie Wood, The politics of identity in Visigothic Spain: Religion and power in the Histories of Isidore of Seville (Leiden/Boston 2012) 70–72. Isidor, Historia Gothorum 60, ed. Rodríguez Alonso (wie Anm. 128) 270–272: Aera DCL, anno imperii Heraclii II, Sisebut post Gundemarum regali fastigio evocatur, regnans annis VIII, mensibus VI. Qui initio regni Iudaeos ad fidem Christianam permovens aemulationem quidem habuit, sed non secundum scientiam; potestate enim conpulit, quos provocare fidei ratione oportuit. Sed, sicut scriptum est, sive per occasionem sive per veritatem Christus adnuntietur. „In der Aera 650, im zweiten Jahr der Kaiserherrschaft des Herakleios, wurde in der Nachfolge des Gundomar Sisebut auf die königliche Würde befördert, in der er acht Jahre und sechs Monate regierte. Darin, dass dieser zu Beginn seiner Königsherrschaft die Juden zum christlichen Glauben bewegte, zeigte er Nacheifer, aber nicht gemäß der Erkenntnis; durch amtliche Gewalt

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getan, dass der von Sisebut verfügte Taufbefehl in das Jahr 615 datiert werden muss.141 Dies fügt sich nahtlos zur mediterranen Chronologie mit der persischen Eroberung Jerusalems im Jahr zuvor, die ein Ereignis von ungeheurer Außenwirkung war.142 Angesichts der beschriebenen Zusammenhänge spricht daher viel dafür, dass Sisebuts Taufbefehl indirekt mit den antijüdischen Maßnahmen des Phokas zusammenhängt, oder entsprechende, uns allerdings nicht näher bezeugte Maßnahmen des Herakleios aufnahm. Diese Erklärung favorisieren die meisten Forscher143 gegenüber Versuchen, die Radikalität dieser Maßnahme vor allem aus dem besonderen religiösen Sendungsbewusstsein Sisebuts,144 der Wirkmächtigkeit alttestamentlicher Vorstellungen145 oder der Haltung von Teilen des westgotischen Episkopates zu erklären.146 Der Nachweis, dass hier – zumal nach der Eroberung Jerusalems – Endzeitvorstellungen eine Rolle gespielt haben könnten,147 ist, so gut sich eine solche Annahme grundsätzlich mit dem Gedanken der Judentaufe verknüpfen lässt,148 aufgrund der wenigen erhaltenen Quellen allerdings nicht sicher zu erbringen.149 Mit dem Datum 615 lässt sich jedoch ein diplomatischer Briefwechsel verbinden, der zeigt, wie zeitgleich König Sisebut und Kaiser Herakleios nach den vorangegangenen militärischen Konflikten einen Frieden schlossen.150 So forderte der oströmische, in Cartagena residierende patricius Caesarius, den Frieden zwischen Kaiser und König wiederherzustellen und durch die Eingebung Gottes zu stärken (inspiratio Dei), auf dass der Boden Spaniens nicht weiter mit dem Blut von Katholiken getränkt würde (cruore catholicorum).151 In seiner Antwort betonte auch Sisebut den gemeinsamen christlichen Glauben als Voraussetzung verlässlicher Vertragsbeziehungen.152 Alsbald fuhren ein kaiserlicher Offizieller und ein westgotischer Gesandter gemeinsam nach Konstantinopel, die bei ihrer Rückkehr nach Spanien ein von Herakleios unterzeichnetes Dokument mitbrachten, eine divalis sanctio,153 über deren Inhalt zu spekulieren erlaubt ist. Wahrscheinlich anerkannte Konstantinopel darin westgotische

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nämlich zwang er diejenigen, die es durch Vernunft für den Glauben zu erregen gilt. Aber, wie geschrieben steht, ‚Christus soll verkündet werden, sei es durch die Gelegenheit oder durch die Wahrheit‘ [Phil. I, 18].“ (dt. Übers.: S. E.). Vgl. die Diskussion bei Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 34–43. Entscheidend ist der Hinweis einer späteren, auf der Basis Isidors entstandenen chronikalischen Nachricht, dass Sisebut dies im 4. Jahr seiner Regierung angeordnet habe, siehe dazu unten Anm. 181. Vgl. Vallejo Girvéz, Sensaciones bizantinas (wie Anm. 125). Vgl. Juan Gil Fernández, Judíos y cristianos en la Hispania del siglo VII, in: Hispania sacra 30 (1977) 9–110; Raúl González Salinero, Las conversiones forzosas de los judíos en el reino visigodo (Roma 2000); Luis Agustín García ­Moreno, ­Relaciones internacionales del Reino godo de Toledo en el siglo VII: de la faida gótica a la obsesión bizantina, in: Le ­relazioni internazionali nell’alto medioevo (Settimane di Studio della fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto ­Medioevo 58, Spoleto 2011) 481–560, hier 509–515; Vallejo Girvés, Hispania y Bizancio (wie Anm. 135) 350. Vgl. Thompson, The Goths in Spain (wie Anm. 128) 165. Vgl. auch Wolfram Drews, Juden und Judentum bei Isidor von Sevilla. Studien zum Traktat ,De fide catholica contra Iudaeos‘ (Berlin 2001) 75–82. Yitzhak Hen hat betont, dass Sisebuts antijüdische Politik auch vor dem Hintergrund des in seinen Briefen geäußerten Gedankens zu sehen ist, den Katholizismus und die Unterdrückung jeglicher Häresie als seinen Regierungsauftrag zu verstehen: Yitzhak Hen, A Visigothic king in search of an identity – ,Sisebutus Gothorum gloriosissimus princeps‘, in: Ego Trouble: Authors and their Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Matthew Bryan Gillis/Rosamond McKitterick/Irene van Reenswoude (Forschungen zur Geschichte des Mittealters 15, Wien 2010) 89–100, hier 93. Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 34–43. Vgl. dazu differenzierend Drews, Juden und Judentum (wie Anm. 144) 82–84. ‒ Nicht überzeugend erscheinen mir Versuche, den Taufbefehl pauschal mit den Integrationsproblemen des Westgotenreiches und mit wirtschaftlichen Interessen gegenüber den Juden zu erklären, wie Bernard S. Bachrach, Early Medieval Jewish Policy in Western Europe (Minneapolis 1977) 7–11, annahm. Gil Fernández, Judíos y cristianos (wie Anm. 143) 37–40; García Moreno, Relaciones intemacionales (wie Anm. 143) 514; Vallejo Girvés, Hispania y Bizancio (wie Anm. 135) 350f.; Kampers, Geschichte der Westgoten (wie Anm. 131) 190. Esders, Herakleios (wie Anm. 38) 267f. u. 290. Vgl. Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 49f. Epistolae Wisigothicae 3-6, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 663–668; englische Übersetzung der Briefe 3, 4 und 6: King Sisebut and the Culture of Visigothic Spain, with Translations of the Lives of Saint Desiderius of Vienne and Saint Masona of Mérida: ,Vita vel Passio Sancti Desiderii a Sisebuto Rege composita‘ and ,Vita Sancti Masonae Emeretensis‘. Trans­ lated, with Introduction and Notes by John R. C. Martyn (Lewiston-N.Y. 2008) 71–83. Zu den Friedensverhandlungen vgl. Dietrich Claude, Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Westgotenreich und Ostrom (475‒615), in: MIÖG 104 (1996) 13–25, bes. 23–25, sowie insbesondere Vallejo Girvés, Hispania y Bizancio (wie Anm. 135) 344–351. Epistolae Wisigothicae 3, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 663f. Epistolae Wisigothicae 4, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 664–666. Epistolae Wisigothicae 6, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 667–668.

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Gebietsgewinne in Katalonien,154 denkbar erscheint aber auch, wie bereits García Moreno erwog, dass Sisebut damit auch die Einleitung antijüdischer Maßnahmen zusicherte.155 Die Betonung des gemein­ samen christlichen Glaubens fügt sich gut in eine Situation, in der das römische Imperium Schwierigkeiten mit nicht-christlichen Gruppen hatte und es offenbar auch religiöse Spannungen im Westgotenreich gab.156 Und auch die Darstellung des Geschehens durch Isidor von Sevilla lässt sich so verstehen:157 Sein Bericht stellt Sisebuts Vorgehen schon durch die chronologische Rahmung in einen imperialen Zusammenhang,158 indem er Herakleios’ und Sisebuts Regierungsjahre bewusst miteinander synchronisierte159 – was ihn gleichwohl nicht davon abhielt, aus einer lokalen Perspektive deutliche Kritik an der Zwangstaufe zu äußern und Sisebuts aemulatio zu kritisieren.160 Dass Konstantinopel im frühen 7. Jahrhundert daran gelegen war, jüdische Bevölkerungsgruppen innerhalb des Imperium und in den unter barbarischer Herrschaft stehenden Gebieten zwangsweise zur Annahme des Christentums zu bewegen, wird man kaum bezweifeln können.161 Schwieriger ist allerdings zu erklären, warum Sisebut einem solchen Ansinnen glaubte Folge leisten zu müssen. Die zuletzt von Alexander Bronisch gegebene Erklärung, Sisebut sei von der Kirche zur Bekehrung der Juden aufgefordert worden und habe damit letztlich dem Vorbild Rekkareds und des von ihm eingeleiteten Konfessionswechsel entsprechen wollen,162 erscheint mir nicht überzeugend.163 Es ist zwar anzunehmen, dass ihn auch Teile des westgotischen Episkopates dazu ermutigt hatten, spätere Reaktionen dagegen – vor allem die bischöfliche Distanzierung auf dem IV. Konzil von Toledo (633)164 – sprechen jedoch gegen Bronischs Annahme, und der gedankliche und praktische Schritt vom innerchristlichen west­gotischen Konfessionswechsel zur Zwangsbekehrung der Juden ist insofern nicht plausibel, als ersterer ja über ein Konzil begründet wurde und, soweit wir wissen, nicht mit derselben Form von Zwang verbunden war wie im Fall der Juden.165 Auch Sisebuts besondere Religiosität wird man nicht als eigentlichen Beweggrund und Auslöser seines Zwangstaufbefehls einschätzen, sondern eher zu dessen Voraussetzungen rechnen wollen. Zu diesen Voraussetzungen gehört jedoch auch, dass die westgotischen Könige bei aller ,Unabhängigkeit‘ und territorialem Zuwachs, den sie für sich beanspruchten, für sich keine völlige Trennung vom Imperium erstrebten, dessen christliche Konfession sie ja erst spät angenommen hatten und von dem sie sich eine vertragliche Zusicherung ihrer Stellung erwünschten. Umso aussagekräftiger erscheint vor diesem Hintergrund das Argument des gemeinsamen Glaubens als Voraussetzung politischer Beziehungen. Sisebut bemühte dieses nicht nur gegenüber Konstantinopel, Ein Reflex dieses versöhnlichen Tons scheint Sisebuts Trauer um die gefallenen römischen Soldaten zu sein, über die ­Fredegar, Chronicon IV, 33, ed. Krusch (wie Anm. 46) 133, berichtet und die an Sisebuts Propaganda vom möglichst nicht zu vergießenden ,Katholikenblut‘ (siehe oben Anm. 141) erinnert. 155 Vgl. Luis Agustín García Moreno, Los Judíos de la España Antigua. Del primer encuentro al primer repudio (Madrid 1993) 147f. 156 Wood, Defending Byzantine Spain (wie Anm. 133) 314–316 und 319. 157 Siehe oben Anm. 135 und 140. 158 Helmut Reimitz, The historian as cultural broker in the late and post-Roman West, in: Western perspectives on the ­Mediterranean, ed. Fischer/Wood (wie Anm. 39) 41–54 und 129–135, hier 48–54. 159 Siehe oben Anm. 140. 160 Isidors bewusst allgemein und anspielend formulierte Darstellung lässt sich als Nachahmung imperialer Vorbilder ver­ stehen, wenn man, wie oben geschehen, Sisebuts in der Judenbekehrung sichtbare aemulatio nicht einfach mit ,Eifer‘, sondern mit ,Nacheifer‘ übersetzt, was dessen Motivation als imitatio imperii zu deuten erlaubt und einen Bezug zum zuvor genannten Kaiser Herakleios ergibt. 161 Vgl. bereits Michel Rouche, Les baptêmes forcés de Juifs en Gaule mérovingienne et dans l’Empire d’Orient, in: De ­l’antijudaisme antique à l’antisémitisme contemporain, ed. Valentin Nikiprowetzky (Lille 1979) 105–124; Esders, ­Herakleios (wie Anm. 38) 263–268. Hinzuweisen ist zudem auf den in vielen Quellen unterstellten oströmischen Bekehrungseifer gegenüber Persern, vgl. Esders, ebd. 268, sowie Schilling, Die Anbetung der Magier (wie Anm. 46) 272–298. 162 Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 49–51 und 132. 163 Dagegen verweist Jamie Wood, Elites and baptism: Religious ‚strategies of distinction‘ in Visigothic Spain, in: Elite and Popular Religion, ed. Kate Cooper (Woodbridge 2006) 3–17, hier 5 mit Recht auf den Widerspruch zu den Auffassungen Isidors von Sevilla. Eine Entwicklung im Denken Isidors konstatiert Drews, Juden und Judentum (wie Anm. 144) 415–455. 164 IV. Konzil von Toledo a. 633, 57, ed. Vives (wie Anm. 129) 210f.; vgl. dazu Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) 61–68. 165 Seinen Versuch, den Arianismus zur christlichen Gesamtreligion im Westgotenreich zu erheben, suchte Leovigild über das Mittel eines Konzils zu erreichen. Vgl. dazu Markus Mülke, ,Romana religio‘ oder ,Catholica fides‘? Der Westgotenkönig Leovigild und das arianische Reichskonzil von 580 n. Chr. in Toledo, in: Frühmittelalterliche Studien 43 (2009) 53–69. 154

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sondern auch gegenüber den Langobarden, deren unmündigen König Adaloald und dessen baiuwarische Mutter Theodelinde, die dem katholischen Glauben anhingen, er in einem zwischen 616 und 620 verfassten Brief dazu aufforderte, dafür zu sorgen, dass der Arianismus bei den Langobarden völlig aufgegeben werde: den katholischen Glauben und die Überwindung des Arianismus rühmte Sisebut darin als beide Völker verbindendes Element und würdigte in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Taufe als einheitsstiftendes Element.166 Von hier zur zwangsweisen Anordnung der Taufe gegenüber den Juden war es jedoch noch ein großer gedanklicher Schritt.167 Mit seinem Befehl, die Juden zu taufen, ordnete Sisebut sich jedoch deutlicher, als meistens wahrgenommen wird, selbst in eine imperiale Tradition ein.168 Die ,Verstaatlichung der Taufe‘ folgte in gewisser Weise einem seitens des römischen Kaisertums wiederholt geübten Brauch, in krisenhaften Situationen die Frage des individuellen religiösen Bekenntnisses zum unerbittlichen Loyalitätstest gegenüber Staat und Kaiser zu machen. Es bedurfte zudem administrativer Voraussetzungen, um reichsweit eine solche Art von Bekehrungszwang ausüben zu können.169 Denn ,Zwangstaufe‘ bedeutete in den meisten Fällen ja nicht die direkte physische Erzwingung des Sakramentes – was wohl eher selten vorkam –,170 sondern die Anwendung scharfen Rechtszwanges, d. h. die Bedrohung der betroffenen Personen mit existentiellen Sanktionen für den Fall, dass sie es ablehnten sich taufen zu lassen. Justinian hatte solches erstmals im Jahr 529 angeordnet, um das Heidentum zu unterdrücken, und auch hier scheinen die zeitgleichen Kriege gegen die Perser eine Rolle gespielt zu haben:171 Jeder Epistolae Wisigothicae 9, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 672: Loquutus est dominus discipulis suis dicens: ,Euntes baptizate gentes in nomine patris et filii et spiritus sanctiʻ [Mt 28:19] — non in nominibus ait, sed in nomine, ut distinctio trinitatis in tribus personis appareat et unius substantiae deitas ineffabilis clareat. Unde et doctor gentium, currens per magistri vestigia, his verbis enuntiat: ,Unus Deus, una fides, unum baptismum.ʻ [Ephes.4:5]. Clare lucideque permonuit, unam ad cultum venerationis esse confessionem credentium, quam sequax ecclesia ab apostolis traditam Romana suscepit et recte petentibus, haereticorum segitibus extirpatis, maternis effectibus tradidit. Zur Datierung des Briefes vgl. Hermann Fröhlich, Studien zur langobardischen Thronfolge von den Anfängen bis zur Eroberung des italienischen Reiches durch Karl den Großen (774) (Diss., Tübingen 1980) Bd. 1, 120. 167 Die Zwangstaufe war eine solch ungeheure Maßnahme, dass die Bischöfe nicht erst nach ihrer Durchführung wissen konnten, welcher Zerreißprobe sie die christliche Gesellschaft des Westgotenreiches aussetzen würde. Ein externer Auslöser erklärt eher, warum sich für den Moment die Bedenken vieler Bischöfe und Gläubiger beiseiteschieben ließen und eine derart radikale Maßnahme vertretbar erscheinen konnte. Die Zwangstaufe stellt sich auch innerhalb der Geschichte der Taufe im westgotischen Spanien als Sonderfall dar, der sich nicht aus der kirchlichen Tradition entwickeln lässt, vgl. Paul Glaue, Zur Geschichte der Taufe in Spanien (II): Nachrichten über die Taufsitten bis 711. Konzilsbestimmungen und Schriftstellerzeugnisse (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. 1927/1928, 2 Heidelberg 1927) 32f. 168 Vgl. dazu, allerdings zeitlich erst mit der späteren Regierungszeit des Herakleios einsetzend, Paul Magdalino, ‚All Israel will be saved‘? The forced baptism of the Jews and imperial eschatology, in: Jews in Early Christian Law: Byzantium and the Latin West, 6th‒11th centuries, ed. John Tolan/Nicholas de Lange/Laurence Foschia/Capucine Nemo-Pekelman (Religion and Law in Medieval Christian and Muslim Societies 2, Turnhout 2013) 231–242. 169 Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen vgl. auch Bruno Dumézil, Les marqueurs juridiques de la conversion en Occident: IVe‒VIIe siècles, in: Le problème de la ‘christianisation’ du monde antique, ed. Hervé Inglebert/Sylvain Destephen/Bruno Dumézil (Paris 2010) 307–318. 170 Gregor von Tours berichtet dies in seinen Historien nur für die Vandalen, vgl. Liber historiarum II, 2-3 (ed. Bruno Krusch/ Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, 1, Hannover 21951) 39–45. 171 Codex Iustinianus I, 11, 10 (De paganis sacrificiis et templis) (ed. Paul Krüger, Berlin u. a. 91915) 63f.: Ὅσοι δὲ μήτω τοῦ προσκυνητοῦ βαπτίσματος ἠξιώθησαν, τούτοις προσήκει καταδήλους ἑαυτοὺς ποιεῖν, ἢ κατὰ τὴν βασιλέυουνσαν ταύτην πόλιν ἢ ἐν ἐπαρχίαις διάγοντας, καὶ προσιέναι ταῖς ἁγιωτάταις ἐκκλησίαις ἅμα γαμεταῖς καὶ παισὶ καὶ παντὶ τῷ κατ̣`αὐτοὺς οἴκῳ καὶ διδάσκεσθαι τὴν ἀληθινὴν τῶν Χριστιανῶν πίστιν, οὕτω δὲ ἐκδιδαχθέντας καὶ καθαρῶς ἀποβαλόντας τὴν προστέραν πλάνην ἀξιοῦσθαι τοῦ σωτηριώδους βαπτίσματος, ἢ τούτων ὀλιγωροῦτας εἰδέναι, ὡς οὔτε μεθέξουσί τινος τῶν τῆς ἡμετέρας πολιτείας οὔτε οὐσίας κινητῆς ἢ ἀκινήτου κύριοι εἶναι συγχωρηθήσονται, ἀλλὰ παντὸς ἀφαιρεθέντες πράγματος ἐν ἐνδεία καταλειφθήσονται πρὸς τῷ καὶ ταῖς ἀρμοδίαις ὑποβληθῆναι ποιναῖς. [...] Εἴτε γὰρ ἐνταῦθά τις εἴτε κατὰ χώραν φανείη τοιοῦτος ὢν καὶ μὴ προσδραμὼν ταῖς ἁγιωτάταις ἡμῶν ἐκκλησίαις μετὰ τῶν οἰκείων, ὠς εἴρηται, παίδων καὶ γαμετῶν, ταῖς προδηλουμέναις ὑποπεσεῖται ποιναῖς καὶ τὰς μέν αὐτῶν οὐσίας ἐκδικήσει τὸ δημόσιον, αὐτοὶ δὲ ἐξορίᾳ παραδοθήσονται. „Diejenigen, die noch nicht getauft wurden, müssen sich offenbaren, ganz gleich, ob sie sich in der Hauptstadt oder in den Provinzen aufhalten, und sie sollen die heiligen Kirchen mit ihren Frauen, Kindern und Gesinde aufsuchen, im wahren Glauben der Christen unterrichtet werden, und zwar so, dass sie nach ihrer Belehrung und nach völliger Verwerfung ihres früheren Irrtums die heilbringende Taufe empfangen. Anderenfalls sollen sie wissen, dass sie von allen Dingen, die sich auf unser Gemeinwesen beziehen, ausgeschlossen sind und es ihnen nicht erlaubt ist, Eigentümer irgendeiner Sache zu sein. […] Wem nachgewiesen wird, dass er nicht mit seinen Kindern und seiner Frau zu den heiligen 166

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heidnische Bürger sollte sich und seine Kinder taufen lassen, um Gottes Zorn zu besänftigen und den Kaiser seiner Loyalität zu versichern; wer dies nicht tat, musste mit Exil und Vermögenskonfiskation rechnen, jener typisch römischen Doppelsanktion, die jeden Denunzianten zum Nutznießer machen und damit eine Verfahrenslawine lostreten konnte.172 Der Erlass Sisebuts zur Zwangsbekehrung der spanischen Juden ist uns zwar nicht erhalten, doch wissen wir aus einem späteren Gesetz des westgotischen Königs Ervig, der selbst Sohn eines oströmischen Migranten war, dass die westgotischen Zwangsbekehrungserlasse ziemlich genau dem justinianischen Vorbild folgten.173 Konkret bedeutete das: Meldepflicht für Familien,174 Exil und Konfiskation als Sanktionen bei Zuwiderhandeln. Dass man nicht nur in den oströmischen Gebieten Südspaniens, sondern auch weiter nördlich im westgotischen Reich den Codex Justinianus mit dem zitierten Zwangsbekehrungserlass kannte, erscheint insofern alles andere als ab­ wegig.175 Die Zuspitzung religiöser Konflikte machte nicht an den politischen Trennlinien Halt, sondern konnte immer wieder auf die regna des Westens übergreifen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, für welche Option Sisebut sich mit dem Abschluss des Vertrages mit Herakleios entschied: für die im westlichen und östlichen Rom verankerte grenzüberschreitende christliche Religion, bei gleichzeitiger Unterdrückung jüdischer Identitäten. Wenn Sisebut für seine Maßnahme gerade nicht den Konsens mit den Bischöfen suchte, sondern sie aus herrscherlicher Machtvollkommenheit dekretierte, folgte er daher ganz imperialer Tradition.176 Auch die von ihm im Jahr 618 in Toledo zu Ehren der heiligen ­Leocadia errichtete Palastkirche war, wie schon Zeitgenossen feststellten, ganz nach dem Vorbild S. Sophias in Konstantinopel gestaltet.177 Die christliche Transformation des damit verbundenen Anspruches wird

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Kirchen eilt, der soll den erwähnten Strafen unterliegen und sein Vermögen soll der Fiskus einziehen, während die Personen selbst ins Exil geschickt werden.“ (dt. Übers.: S. E.). Simon Corcoran, Anastasius, Justinian and the pagans: a tale of two law codes and a papyrus, in: Journal of Late Antiquity 2 (2009) 183–208. Lex Visigothorum XII, 3, 3 vom Jahr 681, ed. Zeumer (wie Anm. 137) 432f.: Flavius gloriosus Ervigius rex. Ne Iudaei aut se aut suos filios aut a baptismi gratia subtrahant. Cum veritas ipsa petere, querere et pulsare nos doceat, premonens quod „regnorum celorum violenti diripiant“, in nullo est dubium, quod ille indulte gratie munus abhorreat, qui ad eam accedere ardenti animo non festinet. Proinde si quis Iudeorum, de his scilicet, qui adhuc non sunt baptizati, aut se ­baptizare distulerunt, aut filios suos vel famulos nullo modo ad sacerdotem baptizandos remiserit, vel se suosque de baptismo subtraxerit, et vel unius anni spatium post legem hanc editam quispiam illorum sine gratia baptismi transierit, horum omnium transgressor, quisquis ille reperus extiterit, et centum flagellos decalvatus suscipiat et debita multetur exilii pena. Res tamen eius ad principis potestatem pertineant; qualiter, si incorrigilem durior eum ostenderit vita, perpetua in eius, cui eas princeps largiri voluerit, poestate persistant. „Wenn irgendein Jude, das heißt einer von denen, die noch nicht getauft sind, seine Taufe hinauszögert oder seine Söhne oder Diener nicht einem Priester zur Taufe übergibt oder sich und die Seinigen der Taufe entzieht oder wenn jemand binnen Jahresfrist nach Erlass des Gesetzes noch immer ohne die Gnade der Taufe einhergeht, soll er kahlgeschoren werden, 100 Peitschenhiebe erhalten und unausweichlich mit der Strafe der Verbannung belegt werden, während seine Besitztümer zu konfiszieren sind.“ (Übers. S. E.). Zur Einbeziehung der Familien vgl. Rachel L. Stocking, Forced converts, ‚crypto-Judaism‘, and children: Religious identification in Visigothic Spain, in: Jews in early Christian law, ed. Tolan/de Lange/Foschia/Nemo-Pekelman (wie Anm. 168) 243–265; Wolfram Drews, Jews as Pagans? Polemical definitions of identity in visigothic Spain, in: Early Medieval Europe 11 (2002) 189–207; Bruno Dumézil, Une source méconnu sur les conversions forcées du roi Sisebut: le canon 10 du concile de Séville, in: Juifs et chrétiens. Sources pour la recherche d’une relation permanente, ed. Flocel Sabaté/Claude Denjean (Milenio 2006) 21–35; Raúl González Salinero, Isidoro y los judíos en el único canon conservado del desaparecido Concilio III de Sevilla, in: Guerra y rebelión en la Antigüedad tardía. El siglo VII en España y su contexto mediterráneo, ed. Luis Agustín García Moreno/Sebastián Rascón Marqués (Alcalá de Henares 2005) 201–211. Vgl. dazu den wenig beachteten Beitrag von Gerhart B. Ladner, Justinian’s theory of law and the renewal ideology of the ,Leges Barbarorum’, in: Proceedings of the American Philosophical Society 119 (1975) 191–200, hier 195f. Auch für die Digesten ist eine zeitgenössische westgotische Rezeption über Südspanien nicht ausgeschlossen, vgl. Stefan Esders, Reisende soll man nicht aufhalten? Über erlaubte und unerlaubte Mobilität im westgotischen Spanien, in: Wege – Wasser – Wissen auf der iberischen Halbinsel vom Römischen Imperium bis zur muselmanischen Herrschaft / Agua, vías, conocimientos en la península Iberica desde el impero romano hasta el poder musulmán, ed. Ignacio Czeguhn/José Antonio Pérez Juan/Cosima Möller/Yolanda Quesada Morillas (Baden-Baden 2016) 151–181, hier 160 u. 179. Vgl. die Beobachtung von Drews, Juden und Judentum (wie Anm. 144) 76: „Bedeutsam ist, dass es Sisebut nicht für nötig hielt, seine antijüdischen Maßnahmen kirchlicherseits sanktionieren zu lassen.“ – Ob der Herrscher hierfür jemals einen einmütigen Konzilsbeschluss hätte erwirken können, erscheint fraglich. Isidor von Sevilla, Chronica 416a (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Berlin 1894) 480. Vgl. Jacques Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desideriiʻ and the political function of Visigothic hagiography, in: Visigothic Spain. New Approaches, ed. Edward James (Oxford 1980) 93–129, hier 93 Anm. 2.

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darin erkennbar, dass im 7. Jahrhundert Toledo die Vorstellung eines „neuen Jerusalem“ evozierte.178 Durch die Identifikation der Westgoten mit dem „auserwählten Volk“ bestritt auch Isidor von Sevilla den Anspruch der Juden, das Volk Israel zu sein.179 Die Flucht spanischer Juden ins merowingische Gallien (615) Mit dem von Sisebut verhängten Bekehrungszwang wurden die Juden des Westgotenreiches vor die Alternative gestellt, entweder die christliche Mehrheitsreligion für sich zu übernehmen180 oder ihrer Enteignung zuzustimmen und das Land zu verlassen. Dass sich viele dazu entschlossen, ins benachbarte Frankenreich zu flüchten, erwähnt eine im Frankenreich enstandene chronikalische Notiz, die in bewusster Synchronisierung einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Ostroms Verlust Jerusalems und seiner nahöstlichen Provinzen und Sisebuts Kriegen gegen die römischen Besitzungen in Südspanien sowie seinem Taufbefehl gegen die Juden suggeriert.181 Die Anzahl derjenigen ­Juden, die ins fränkische Gallien flüchteten, scheint demnach beträchtlich gewesen sein. Der Tauferlass Sisebuts ließ ihnen offenbar keine andere Wahl.182 Im geographisch nähergelegenen Südspanien, den unter römischer Herrschaft stehenden Territorien, oder im römischen Nordafrika, wo es bedeutende jüdische Gemeinden gab,183 hätte sie womöglich Ähnliches erwartet wie im westgotischen Herr­schafts­ Isabel Velázquez/Gisela Ripoll, ,Toletumʻ, la construcción de una ,sedes regiaʻ, in: Sedes regiae (ann. 400‒800), ed. Gisela Ripoll/Joseph M. Gurt (Barcelona 2000) 521–578, hier 554–557 u. ö. (zu Leocadia) und 565. 179 Grundlegend dazu Jamie Wood, ,Religionesʻ and ,gentesʻ in Isidore of Seville’s ,Chronica maioraʻ. The Visigoths as a chosen people, in: Post-Roman transitions, ed. Pohl/Heydemann (wie Anm. 5) 125–168, hier 135–139, der auch Isidors Vorstellung von Jerusalem behandelt. Zur Bedeutung Jerusalems im Denken Isidors vgl. auch Drews, Juden und Judentum (wie Anm. 144) 211–215. 180 Schon der in den westgotischen Quellen häufig anzutreffende Begriff der ,getauften Judenʻ zeigt allerdings, dass es hier letztlich zur Formierung einer Zwischengruppe kam, wie dies später auch anderswo, etwa bei den süditalienischen ,neofitiʻ zu beobachten ist, vgl. dazu Benjamin Scheller, Die Stadt der Neuchristen – Konvertierte Juden und ihre Nachkommen im Trani des Spätmittelalters zwischen Inklusion und Exklusion (Berlin 2013). 181 Fortsetzung der Chronik des Marius von Avenches, basierend auf Exzerpten aus der Chronik Isidors von Sevilla, mit Ergänzungen, überliefert in einer nordfranzösischen Handschrift des 9. Jahrhunderts: London, British Library, Ms. Add. 16974 (9. Jh., nordöstliches Frankreich), fol. 113r. Vgl. Ian N. Wood, Chains of chronicles: The example of London, British library ms. add. 16974, in: Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn-Bruck (Wien 2010) 67–78, hier 77f.: Praelia quoque Persarum gravissima adversus rem publicam excitantur, a quibus Romani fortiter debellati, plurimas provincias et ipsam Hierosolymam amiserunt. Heraclius quinto imperii sui dum fungitur anno, Sisebotus Gothorum rex in Spania plurimas Romanae militiae urbes, quarto regni sui sibi bellando subjicit; et Iudaeos sui regni subditos, praeter eos qui fuga lapsi sunt ad Francos, ad Christi fidem convertit. „Auch erschütterten damals den Staat (res publica) äußerst heftige Gefechte mit den Persern, von denen die Römer dramatisch besiegt wurden und die meisten Provinzen und Jerusalem selbst verloren. Als Herakleios im fünften Jahr seines Kaisertums (imperium) regierte, unterwarf sich Sisebut, der König der Goten (rex Gotorum), in Spanien kriegerisch die meisten Städte der römischen Streitkräfte (urbes Romanae militiae) im vierten Jahr seiner Königsherrschaft (regnum); und die Juden seines Königreiches (regnum) bekehrte er zum Glauben an Christus – mit Ausnahme derjenigen, die durch Flucht zu den Franken entkamen (praeter eos qui fuga lapsi sunt ad Francos).“ (dt. Übersetzung: S.E.). ‒ Der Text ist, wie Wood gezeigt hat, dadurch entstanden, dass sein Verfasser drei Sätze aus verschiedenen Teilen der Chronik Isidors genommen und miteinander verbunden hat. Doch fehlte bei Isidor in Zusammenhang mit der Judentaufe der wichtige Zusatz „mit Ausnahme derjenigen, die durch Flucht zu den Franken entkamen“. 182 Einer späten Überlieferung zufolge sollten viele Juden erst unter König Swinthila ins Westgotenreich zurückkehren, vgl. dazu Drews, Juden und Judentum (wie Anm. 144) 86 mit Anm. 260. 183 Haim Zeev Hirschberg, A History of the Jews in North Africa, 1: From Antiquity tot he Sixteenth Century (Leiden 1974) 80–83. Entgegen der häufig anzutreffenden Vereinnahmung des afrikanischen Judentums für eine ,östliche‘ Orientierung weist dieses durchaus vielfältige eigene Züge auf, beispielsweise im Gebrauch der lateinischen Sprache, vgl. Karen B. Stern, Inscribing devotion and death: Archaeological evidence for Jewish populations of North Africa (Leiden 2008). ‒ In der französischen Forschung wurde (vor allem mit Blick auf die spätere islamische Eroberung) diskutiert, ob in Nordafrika viele Berber dem Judentum nahestanden oder zum Judentum übergetreten waren, vgl. Marcel Simon, Le judaïsme berbère dans l‘Afrique ancienne, in: Revue d‘histoire et de philosophie religieuses 26 (1946) 1–145, doch wird mittlerweile mit Recht darauf hingewiesen, dass sich kein kohärentes Bild ergibt und mit einer Vielzahl von Differenzierungen zu rechnen ist, vgl. Claudia Setzer, Jews, Jewish Christians and Judaizers in North Africa, in: Putting Body and Soul Together: Essays in Honor of Robin Scroggs, ed. Graydon F. Snyder/Alexandra Brown/Virginia Wiles (Philadelphia 1997) 185–202, sowie 178

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gebiet.184 Insofern war die Flucht über die Pyrenäen bzw. ins fränkische Gallien für viele Juden wohl die nächstliegende Alternative zur erzwungenen Konversion. Aussagekräftig ist an diesem Passus daher vor allem, dass im Jahr 615 die fränkischen Könige augenscheinlich die Maßnahmen der oströmischen Religionspolitik für ihre Gebiete nicht in voller Schärfe übernommen haben können. Hintergrund hierfür dürfte der blutige Herrschaftswechsel des Jahres 613 gewesen sein, der mit dem Triumph der neustrischen Linie der merowingischen Könige Chilperich (561‒584) und Chlothar II. (584‒613) den austrasischen Zweig der Dynastie auslöschte, der unter der Regentschaft der Königin ­Brunichilde enge Beziehungen zum Imperium und zum Papsttum in Rom unterhalten hatte.185 Papst Gregor I. hatte von Brunichilde die Abhaltung einer Synode zur Bekämpfung der Simonie gefordert und interessanterweise ihren Versuch gebilligt, die Kirchenreform mittels der Übertragung von pallium und päpstlicher Stellvertreterschaft an den Bischof Syagrius von Autun zu regeln, was die Metropoliten von Arles, Vienne und Lyon gleichermaßen brüskierte.186 Kurze Zeit später, wohl im Jahr 602, strebte ­Brunichilde den Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Kaiser Maurikios und dem frankoburgundischen König Theuderich II. an,187 der möglicherweise aufgrund der Usurpation des Phokas nicht mehr zustandekam. Brunichildes herkunftsbedingte enge Verbindung zum Westgotenreich illustriert für die Zeit um 600 das kunstvolle Barberini-Elfenbein, jene oströmische Kaiserdarstellung, die wohl im 6. Jahrhundert als Geschenk ins fränkische Gallien kam und auf dessen Rückseite zu memorialen ­Zwecken mehr als 150 Personennamen eingeritzt wurden, darunter mehrere Angehörige der miteinander verwandten austrasischen und westgotischen Königsfamilien.188 Das Vorspiel des Katastrophen­ szenarios von 613 bildete die Entzweiung Theudeberts II. und Theuderichs II., der beiden ‒ mög­ licherweise von verschiedenen Müttern geborenen189 ‒ Söhne Childeberts II. um das Jahr 604, die zur Vertreibung ­Brunichildes vom austrasischen Königshof in Metz führte, woraufhin diese mit ihrem Enkel Theuderich II. von Burgund aus regierte.190 Dies förderte die Suche nach externen Verbindungen. Der Versuch, Ermenberga, die Tochter des westgotischen Königs Witterich (603‒610), des erst spät legitimierten Sohnes des westgotischen Königs Liuva II., mit dem im burgundischen Chalon-sur-Saône residierenden Theuderich II. zu verheiraten, scheiterte, wenn wir Fredegar trauen dürfen, an der ­brüsken Zurückweisung des burgundischen Hofes, der das Verlobungsgeld behielt, aber die Verlobte nach ­Spanien zurückschickte.191 Dieser offenbar letzte Anlauf, eine fränkisch-westgotische ­Eheverbindung



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Karen B. Stern, Limitations of Jewish as a label in Roman North Africa, in: Journal for the Study of Judaism in the Persian, Hellenistic and Roman Worlds 39 (2008) 1–34. ‒ Zu den antijüdischen Maßnahmen Justinians vgl. Raúl González ­Salinero, Presiones políticas sobre una incómoda minoría: Los Judíos en el África bizantina, in: Erytheia 31 (2010) 9–34. Diese Maßnahmen hatten möglicherweise viele nordafrikanische Juden zur Auswanderung auf die iberische Halbinsel bewogen, vgl. Friedrich Lotter, Die Juden und die städtische Kontinuität von der Spätantike zum Mittelalter im lateinischen Westen, in: Juden in der Stadt, ed. Fritz Mayrhofer/Ferdinand Opll (Linz 1999) 21–79, hier 45. Hirschberg, A History of the Jews (wie Anm. 183) 57f. betont, dass die Flucht spanischer Juden unter Sisebut in die ­Mauretania Tingitana bezeugt ist, wo der staatliche Zugriff weniger scharf war. Goubert, Byzance avant l’Islam (wie Anm. 33) t. 2, 1, 86–88 und 95–202. Vgl. Richards, Gregor der Große (wie Anm. 85) 220–223; Bruno Dumézil, La reine Brunehaut (Paris 2008) 329–341. Gregor der Große, Reg. ep. VIII, 4 sowie XIII, 5 und 7, ed. Norberg (wie Anm. 78) 518–521, 997–1000 u. 1002f. Vgl. dazu Richards, Gregor der Große (wie Anm. 85) 223; Dumézil, La reine Brunehaut (wie Anm. 186) 315f. Spalte V, Z. 27-35: Heldeberti, Theudeberti, Theuderici, Clothari, Sygisberti, Childeberti, Atanagildi, Fachileuuae, ­Ingundae; zitiert nach: Rolf Bergmann, Die Trierer Namenliste des Diptychons Barberini im Musée du Louvre, in: Namenforschung. FS für Adolf Bach zum 75. Geburtstag, ed. Rudolf Schützeichel/Matthias Zender (Heidelberg 1965) 38–48, hier 43. Entgegen der manchmal zu findenden Datierung der Linie in die Zeit um 660 (vgl. etwa Heinz Thomas, Die Namenliste des Diptychon Barberini und der Sturz des Hausmeiers Grimoald, in: DA 25 (1969) 17–63), die m. E. wegen der Nichterwähnung der Könige Dagobert I., Chlodwig II. und Charibert II. völlig unwahrscheinlich ist und daher außer Betracht bleiben kann, erscheint mir die frühe Datierung um 600 am plausibelsten, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Liste keine ,Genealogie‘ darstellt, sondern die – möglicherweise in mehreren Schüben vollzogene – Eintragung der Namen sich vor allem kommemorativen Zwecken verdankt. Vgl. dazu Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter (Stuttgart 2009) 77. Dumézil, La reine Brunehaut (wie Anm. 186) 317–328. Fredegar, Chronicon IV, 30, ed. Krusch (wie Anm. 46) 132. Für den Eheplan dürfte eine Rolle gespielt haben, dass mit der Ermordung Liuvas zunächst Brunichildes letzte verwandtschaftliche Verbindung zur westgotischen Königsdynastie abgeschnitten worden war, vgl. Janet L. Nelson, Queens as Jezebels. The careers of Brunhild and Balthild in Merovingian history, in: Medieval Women, ed. Derek Baker (Oxford 1978) 31–77, hier 39.

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zu knüpfen,192 führte letztlich dazu, dass Witterich sich mit dem Neustrier Chlothar II., Theuderichs Bruder Theudebert II. sowie dem Langobardenkönig Agilulf gegen Theuderich II. und Brunichilde verband, wohl um 607/608.193 Die innerfränkischen bella civilia, vielleicht auch eine noch zu behandelnde langobardisch-austrasische Allianz,194 ließen es der Königin sogar angeraten erscheinen, für den franko­ burgundischen Hof die Awaren als militärische Verbündete zu gewinnen;195 einem westgotischen, von dem septimanischen Grafen Bulgar verfassten Brief ist die Information zu entnehmen, dass die innerfränkischen, in der Suche nach externen Allianzen eskalierenden Konflikte zwischen Austrasien und Burgund in Toledo vom westgotischen König Gundomar (610‒612) sorgsam registriert wurden;196 dieser versprach König Theudebert II. finanzielle Unterstützung gegen seinen Bruder,197 wobei die gemein­ same christliche Unterstützung gegen die heidnischen Awaren betont und auch Gebetshilfe in Aussicht gestellt wurde.198 Mit der Ermordung Theudeberts II. durch seinen Bruder Theuderich II. (612) und dem im selben Jahr vollzogenen westgotischen Thronwechsel durch die Erhebung Sisebuts in Spanien waren jedenfalls sämtliche Voraussetzungen für eine westgotisch-austrasische Allianz entfallen199 – und damit zugleich Brunichildes Katastrophe im folgenden Jahr vorbereitet. Bald nach 613 verfasste König Sisebut eine Leidensgeschichte des Bischofs Desiderius von Vienne, der im Jahr 604 mit Theuderich II. und Brunichilde in Konflikt geraten und 607 ermordet worden war.200 Über die vernichtende Darstellung Brunichildes und Theuderichs, deren Tod als göttliche Strafe gedeutet wurde, betrieb er grenzüberschreitend politisch-religiöse Propaganda.201 Jacques Fontaine hat darauf hingewiesen, dass es nach 613 so etwas wie eine verschwiegene Interessensgemeinschaft zwischen Sisebut und Chlothar II. gegeben habe202 und die Passio auch vor dem Hintergrund der belasteten Beziehungen zwischen dem fränkischen Burgund und dem Westgotenreich zu sehen sei. Sie kann an die Franken adressiert, doch ebenso auch gegen westgotische Gruppen gerichtet gewesen sein, die es mit Brunichilde gehalten hatten.203 Chlothar II. feierte seinen Sieg des Jahres 613, dem das Überlaufen austrasischer und burgundischer Großer vorausgegangen war,204 im imperialen Gestus der Bestrafung eines Hochverräters, indem er die verhasste Königin vor ihrer Hinrichtung zuerst auf ein Kamel setzen und im Heer zur Verspottung herumführen ließ.205 Auf den provencalischen Goldmünzen ersetzte Chlothar daraufhin das Konterfei 194 195 192 193

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Vgl. Hartmann, Die Königin (wie Anm. 189) 23. Fredegar Chronica IV, 30, ed. Krusch (wie Anm. 46) 132. Siehe unten Anm. 241. Möglicherweise hatten fränkisch-awarische Bündnisse schon vorher eine Rolle gespielt, um Druck auf die Langobarden auszuüben, vgl. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 24, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 125 (zum Jahr 602): Hac tempestate legati Agilulfi regressi a cacano, pacem perpetuam factam cum Avaribus nuntiarunt. Legatus quoque ­cacani cum eis adveniens, ad Gallias perrexit, denuntians Francorum regibus, ut sicut cum Avaribus, ita pacem habeant cum Langobardis. Epistolae Wisigothicae 11, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 677f. Es geht um das Gerücht, dass Theuderich II. sich gegen seinen Bruder mit den Awaren verbündet haben könnte. Vgl. dazu Pohl, Die Awaren (wie Anm. 45) S. 239; Dumézil, La reine Brunehaut (wie Anm. 186) 372f. Epistolae Wisigothicae 12, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 678f.; dazu Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desiderii‘ (wie Anm. 177) 121f. Vgl. Thompsons, The Goths in Spain (wie Anm. 128) 160, der die Frontstellung gegen Burgund betont. Ebd. Vgl. auch Eugen Ewig, Die Merowinger und das Imperium (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 261, Opladen 1983) 50 Anm. 220: „Auffällig ist die starke Betonung der christlichen Solidarität gegen die Awaren.“ ‒ Gundomar ließ auch Brunichilde von König Rekkared überlassene Güter in Septimanien wieder entziehen, vgl. Epistolae Wisigothicae 13, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 679–681. Dass die Westgoten in den fränkischen Auseinandersetzungen der Jahre 612‒613 neutral blieben, betont Dumézil, La reine Brunehaut (wie Anm. 186) 373. Sisebut, Vita vel Passio Desiderii (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 3, Hannover 1896) 630–637. Vgl. Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desiderii‘ (wie Anm. 177) 101. Die Passio ist z. T. sogar zusammen mit den Epistolae Wisigothicae überliefert. Vgl. Fontaine, King Sisebut’s ,Vita ­Desiderii‘ (wie Anm. 177) 121 zur Handschrift von Oviedo. Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desiderii‘ (wie Anm. 177) 124f. Vgl. Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desiderii‘ (wie Anm. 177) 96, sowie Georg Scheibelreiter, Der fromme König und die böse Königin. Sisebut und seine ,Passio Desiderii‘, in: MIÖG 118 (2010) 8–26. Stefan Esders, Römische Rechtstradition und merowingisches Königtum. Zum Rechtscharakter politischer Herrschaft in Burgund im 6. und 7. Jahrhundert (Göttingen 1997) 374–380. Fredegar Chronica IV, 42, ed. Krusch (wie Anm. 46) 141f. Zum römischen Vorbild dieses Bestrafungs- und Verspottungs­ rituals für Hochverräter, das Chlothar II. bis in das Detail des Kamelrittes kopiert zu haben scheint, vgl. Michael ­McCormick,

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des Herakleios durch sein eigenes,206 um damit eine gewisse Eigenständigkeit zu demonstrieren.207 ­Chlothars II. ostentative imitatio imperii – zu der auch die Rezeption justinianischen Novellenrechts in seiner Gesetzgebung zu rechnen ist208 ‒ ist möglicherweise auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Sieg der neustrischen Linie gleichbedeutend war mit einem einstweiligen Bruch der fränkischen Beziehungen nach Konstantinopel, die aus politisch-strategischen Gründen, welche mit dem langobardischen Italien zu tun hatten, bis dahin vor allem auf den austrasischen Hof fixiert gewesen waren.209 Dies wird auch an der Judengesetzgebung Chlothars II. deutlich, die sich von der westgotischen unter­ schied und die erwähnte Flucht der spanischen Juden nach Gallien nahezulegen schien. Yaniv Fox hat gezeigt, dass die Verfechter einer härteren Gangart gegenüber den Juden im Frankenreich nach 613 auch in jenen Kreisen zu suchen sind, die als Protagonisten und Förderer des columbanischen Mönchtums in Erscheinung traten.210 Columban selbst hingegen war im von Theuderich II. beherrschten ­Burgund bereits im Jahr 603 auf einem Konzil in Chalon-sur Saône von den anwesenden Bischöfen, um ihn der ­bischöflichen Autorität zu unterwerfen, des Judaisierens bezichtigt worden, da seine Osterberechnung teilweise mit dem jüdischen Paschahfest zusammenfiel211 – ein Vorwurf, der ihm angesichts der starken Verpflichtung des irischen Mönchtums auf das Alte Testament lächerlich anmuten musste.212 Dahinter vermutete Fox mit guten Gründen den Erzbischof Aetherius von Lyon, der wohl auch die Erstellung der ältesten systematischen Kirchenrechtssammlung Galliens (Collectio vetus Gallica) verantwortet ­hatte,213 in der – im Unterschied zur Collectio Hibernensis – Distanz zum jüdischen Brauchtum des ­Alten Testaments gesucht wurde.214 Sein Nachfolger Aridius führte den Vorsitz auf dem von Chlothar II. im Oktober 614 einberufenen Konzil von Paris, auf dem die Konzilsväter im Einklang mit älteren Forderungen bestimmten, dass kein Jude es wagen sollte, vom König ein Amt oder eine Funktion zu erbitten, in deren Wahrnehmung er Christen Anweisungen zu geben habe. Neu war allerdings die Sanktion: Wer dem zuwiderhandelte, sollte vom Bischof seiner Stadt gemeinsam mit seiner Familie getauft werden.215 Die Bestimmung, die offenbar auf jüdische Führungsgruppen zielte, fußte wahrscheinlich auf einer

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Eternal Victory. Triumphal Rulership in Late Antiquity, Byzantium, and the Early Medieval West (Cambridge 1986) 49f. und 339f. Edward James, The Franks (Oxford 1988) 195; Stuart Eborall Rigold, An Imperial Coinage in Southern Gaul in the sixth and seventh Centuries? In: Numismatic Chronicle 6. ser. 14 (1954) 93–133, hier 119. Hatte man ein solches Vorgehen Theudeberts I. in den 540er Jahren in Konstantinopel noch als ungeheure Provokation empfunden (vgl. Martha Jenks, ,Romanitas‘ and ,christianitas‘ in the coinage of Theodebert I of Metz, in: Zeitschrift für antikes Christentum 4 [2000] 338–368), so wissen wir nichts über Reaktionen auf die Anmaßung Chlothars II., der sich allerdings auch nicht als augustus, sondern lediglich als rex titulieren ließ. Alexander Callander Murray, Immunity, Nobility, and the Edict of Paris, in: Speculum 69 (1994) 18–39; Esders, Römische Rechtstradition (wie Anm. 204) 176–190. Georg Löhlein, Die Alpen- und Italienpolitik der Merowinger im VI. Jahrhundert (Erlangen 1932) 62–74; Walter Goffart, Byzantine policy in the West under Tiberius II. and Maurice: the pretenders Hermenegild and Gundowald 579-585, in: Traditio 13 (1957) 73–117; Roger Collins, Theodebert I, ,Rex Magnus Francorum’, in: Ideal and Reality in Frankish and Anglo-Saxon Society. Studies presented to John Michael Wallace-Hadrill, ed. Patrick Wormald/Donald Bullough/ders. (Oxford 1983) 7–33; Ewig, Die Merowinger und das Imperium (wie Anm. 198) 27–42. Dem widerspricht nicht, dass auch neustrische Könige wie Chilperich den diplomatischen Kontakt nach Konstantinopel suchten. Yaniv Fox, Ego, Bar-Iona: Jews and the language of forced conversion in Columbanian circles, in: Barbarians and Jews. Jews and Judaism in the Early Medieval West, ed. Yitzhak Hen/Ora Limor/Thomas F. X. Noble (im Druck). Für die Überlassung des Manuskripts danke ich dem Verfasser herzlich. Claire Stancliffe, Columbanus and the Gallic bishops, in: ,Auctoritas‘: Mélanges offerts à Olivier Guillot, ed. Giles ­Constable/Michel Rouche (Paris 2006) 205–215, hier 210–212. Columban, Epistula 1, 4 (ed. and trans. George Stuart Murdoch Walker, Columbani Opera, Scriptores Latini Hiberniae II, Dublin 1957) 2–12, hier 6. Vgl. Michael Herren, The Judaizing Tendencies of the Early Irish Church, in: Filologia Mediolatina 3 (1996) 73–80. Vgl. Hubert Mordek, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien. Studien und Edition (Berlin u. a. 1975) 79–82. Rob Meens, The uses of the Old Testament in early medieval canon law: the ,Collectio Vetus Gallica‘ and the ,Collectio Hibernensis‘, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, ed. Yitzhak Hen/Matthew Innes (Cambridge 2000) 67–77. Concilium Parisiense (614), 17 (15) (ed. Friedrich Maassen, MGH LL Concilia 1, Hannover 1893) 190: Ut nullus ­Iudaeorum qualemcumque militia aut actione puplica super Christianos aut adpetere a principe aut agere presumat. Quod si tempta­ verit, ab episcopo civitatis illius, ubi actionem contra canonum statute conpetiit, cum omni familia sua baptismi gratia consequatur.

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Adaption der 6. Sirmondianischen Konstitution, die man im Lyon kannte.216 Chlothar II. hat in ­seinem bald nach dem Konzil beratenen und publizierten Pariser Edikt diese Forderung in einer nicht ­sicher überlieferten Bestimmung augenscheinlich bestätigt und christliche Unterstützer von Juden mit dem „strengsten Schuldspruch des kirchlichen Rechts“ bedroht.217 Der Taufzwang stand also auch im Franken­reich im Dienste politischer Erwägungen, jedoch handelte es sich hier nicht um einen allgemeinen, gegen alle Juden gerichteten Bekehrungszwang – dieser ist erst für die Zeit Dagoberts I. um 630 bezeugt, als die Bindung zwischen dem Frankenreich und Ostrom wieder in Form eines mit Kaiser Herakleios geschlossenen ewigen ­Friedens erneuert wurde, der die Zwangstaufe der Juden im Frankenreich vorsah218 –, sondern als Verschärfung des Integrationsdrucks gegenüber jüdischen Führungsgruppen. Aus den begrenzteren Vorschriften der Gesetzgebung des Jahres 614 und aus der Tatsache, dass im folgenden Jahr 615 zahlreiche Juden aus dem Westgotenreich ins Frankenreich flüchteten, um der Zwangstaufe zu entgehen, wird man mit ziemlicher Sicherheit schließen dürfen, dass Chlothar II. nicht dem westgotischen Vorbild folgte, durch die zwangsweise Bekehrung sämtlicher Juden im Reich die Religionspolitik so drastisch zu verschärfen. Franken und Angelsachsen, 613‒616 Dem Pariser Edikt Chlothars II. ist zu entnehmen, dass in den bella civilia der Zeit davor wiederholt an der Steuerschraube gedreht worden war, um den steigenden Finanzbedarf zu decken.219 Das am 27. März 616 aufgesetzte Testament des Bischofs Berthram von Le Mans zeigt, wie breitgestreut die Besitz­ interessen der gallo-fränkischen Aristokratie waren und zu welchen Erschütterungen die ­bella civilia hier geführt hatten.220 Die Machtübernahme Chlothars II. im Jahr 613 führte zu zahlreichen Erschütterungen. Während loyale Gefolgsleute wie Bischof Berthram vom König für ihre Treue belohnt ­wurden,221 zog der blutige Thronwechsel in vielen Bereichen Ämterrevirements und Hochverrats­prozesse nach sich.222 Das Pariser Edikt trug in vielen Hinsichten restaurative Züge, indem es Maßnahmen früherer Könige zurücknahm und Rechtssicherheit versprach.223 Für das Teilreich Burgund, dessen Große und Haus­ meier beim Thronwechsel eine wichtige Rolle gespielt hatten, ließ Chlothar u. a. durch seinen dux Farulf politische und fiskalische Maßnahmen in Form von Dekreten verkünden.224 Doch im Jahr 614 oder 615 kam es im Gebiet des einstigen regnum Burgundiae in der Stadt Sitten zu einem Usurpationsversuch des patricius Aletheus, an dem sich zwei hohe Funktionsträger beteiligten, indem sie das Gerücht lancierten, der baldige Tod Chlothars II. sei prophezeit worden und Aletheus würde die Königsgattin Bertetrude heiraten, weil er (oder sie?) vom burgundischen Königsgeschlecht abstammte (regio genere esset de Burgundionibus).225 Die offenbar prekäre Situation bedingte hier, dass die Tradition des burgundischen Königtums zum Bezugspunkt politischer Identitätsbildungsprozesse aktualisiert werden konnte. Dieser Gefahr suchte Chlothar II. entgegenzuwirken, indem er noch im Jahr 616 den burgundischen Constitutiones Sirmondianae (ed. Theodor Mommsen/Paul M. Meyer, Theodosiani libri XVI cum Constitutionibus ­Sirmondianis et Leges Novellae ad Theodosianum pertinentes, 2 Bde., Berlin 1905) 911f.; Clyde Pharr, The Theodosian Code and Novels and the Sirmondian Constitutions. A Translation with Commentary, Glossary, and Bibliography (New York 1952) 479f. Vgl. Paul Mikat, Die Judengesetzgebung der merowingisch-fränkischen Konzilien (Opladen 1995) 30f. 217 Edictum Chlotharii II. (614), 10 (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia 1, Hannover 1883) 22: Iudaei super christianus ­actionis publicas agere non debeant. Quicumque se …. tuos … dine sociare praesumpserit, severissimam legem ex ­canonica incurrat sententia. 218 Fredegar, Chronicon IV, 65, ed. Krusch (wie Anm. 46) 153; Esders, Herakleios (wie Anm. 38) 247 u. 306–308. 219 Esders, Römische Rechtstradition (wie Anm. 204) 347 u. ö. 220 Margarete Weidemann, Das Testament des Bischofs Berthramn von Le Mans vom 27. März 616. Untersuchungen zu Besitz und Geschichte einer fränkischen Familie im 6. und 7. Jahrhundert (Mainz 1986). 221 Esders, Römische Rechtstradition (wie Anm. 204) 243–252. 222 Esders, Römische Rechtstradition (wie Anm. 204) 377–379. 223 Vgl. dazu zusammenfassend Stefan Esders, Pariser Edikt, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte2 4 (2018). 224 Vita Lupi episcopi Senonici 10 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902) 176–187, hier 182: ­Obtento itaque Chlotharius regno Burgundiae praecepit cuidam viro potenti, dignitate saeculi in magna gloria praepollenti, Farulfo nomine duci, regalia negotia explicare. Qui progressus a latere regio, cum in eius specie decreta regis studeret. 225 Fredegar, Chronicon IV, 44, ed. Krusch (wie Anm. 46) 142f. Nach Vereitelung des Plans erlangte der beteiligte Bischof von Sitten die königliche Gnade, während der König Aletheus als Hochverräter hinrichten ließ. 216

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Führungsschichten und ihren Interessen auf einer Versammlung in Bonneuil-sur-Marne entgegenkam226 und die regionalen Rechtstraditionen garantierte.227 Fortan bildeten die tria regna Burgund, Austrasien und Neustrien, jeweils einem eigenen Hausmeier unterstehend, wichtige Zwischeninstanzen, die Zentralisierungstendenzen infolge der unter Chlothar II. erreichten politischen Einheit entgegenwirkten. Die Ereignisse des Jahres 613 veränderten die Positionierung des merowingischen Frankenreiches auch insofern, als sich dessen politisches Gravitationszentrum nun stärker nach Norden zu verlagern begann. Auf dem Reichskonzil, das Chlothar II. im Herbst 614 nach Paris einberief, nahmen neben 68 Metropoliten und Bischöfen aus ganz Gallien auch Vertreter der angelsächsischen Kirche teil. Unter den Subskribenten der Akten des Pariser Konzils von 614 erscheinen als einzige ,externe‘ Teilnehmer Bischof Justus von Rochester, der später (624) Erzbischof von Canterbury werden sollte, und Peter von Dover, künftiger erster Abt des als Königsgrablege errichteten Peter- und Paulsklosters in Canterbury,228 den Beda Venerabilis auch als legatus Galliam missus bezeichnete.229 Ihre Anwesenheit war zweifellos Folge der von Papst Gregor I. eingeleiteten Rechristianisierung Britanniens, die auch unter dessen Nachfolgern, vor allem Bonifatius IV. (608‒615), Bonifatius V. (619‒625) und Honorius (625‒638) fortgesetzt werden sollte. An diesem Unternehmen waren die fränkischen Königshöfe, wie die Kor­ respondenz Gregors des Großen zeigt,230 keineswegs nur als Aussteller von Passierscheinen für Missionare beteiligt gewesen. Die fränkisch-angelsächsische Eheverbindung zwischen Bertha, der Tochter des fränkischen Königs Chariberts I. (gest. ca. 567), und Æthelberht I. von Kent (580/593‒616/618) scheint das Rückgrat solcher Bestrebungen gebildet zu haben.231 Aus den Briefen Gregors des Großen geht zudem hervor, dass Brunichilde und ihre Austrasien bzw. Burgund regierenden Enkel Theudebert II. und Theuderich II. eine wichtige Rolle spielten, um die Mission des Augustinus von Canterbury einen Erfolg werden zu lassen, wobei sie damit auch eine Zurückdrängung des neustrischen Hofes unter Chlothar II. bezweckt haben mögen.232 Der Übertritt zum Christentum legitimierte in Kent die sächsische Eroberung,233 ähnlich wie auch auf der anderen Seite des Kanals die Rechristianisierung Nordgalliens die dort unter Chlothar II. und Dagobert I. konzentrierte Herrschaft des merowingischen Königtums stützen half.234 Peter Brown hat freilich darauf hingewiesen, dass Æthelbert, indem er den Weg der ihm von Papst Gregor nahegelegten imitatio Constantini einschlug, zugleich ausdrückte, zwar mit Hilfe der Franken, aber letztlich doch von Rom aus bekehrt werden zu wollen – was ihm auch die Möglichkeit eröffnete, dadurch die Anerkennung des Kaisers zu erlangen.235 Im Fall der angelsächsischen Königreiche bedingte das Christentum also deren erneute Einbindung in den Orbit des Imperium und seiner Königreiche.236 Der Einfluss Ostroms erscheint hier freilich zunächst als ein mittelbarer, vor allem über den Papst als westlichen Patriarchen zu realisierender. Angesichts der engen Verbindungen, die Gregor der Große nach Konstantinopel ­pflegte,237 erscheint es zwar als recht unwahrscheinlich, dass das oströmische Kaisertum nicht in irgend­

Fredegar, Chronicon IV, 44, ed. Krusch (wie Anm. 46) 142: Anno 33. regni Chlotariae Warnacharium maioris domus cum universis pontificibus Burgundiae seo et Burgundaefaronis Bonogillo villa ad se venire precepit; ibique cunctis illorum peticionibus annuens, preceptionibus roboravit. 227 Diese Versammlung sehe ich als Anlass der – burgundischen – Praeceptio Chlotharii, vgl. Esders, Römische Rechtstradition (wie Anm. 204) 105–108. 228 Synode von Paris (614), ed. Maassen (wie Anm. 215) 192, Z. 34 u. 36: Ex civitate Castro ultra mare Iustus episcopus. […] Peter abba de Dorouerno. Vgl. dazu auch Ian Wood, The continental connections of Anglo-Saxon courts from Æthelberht to Offa, in: Le relazioni internazionali nell’alto medioevo (wie Anm. 143) 443–477, hier 453f. 229 Beda, Historia ecclesiastica I, 33, ed. Colgrave/Mynors (wie Anm. 77) 114. 230 Richards, Gregor der Große (wie Anm. 85) 248–256. 231 Wood, The continental connections (wie Anm. 228) 446f. und 451–453. 232 Wood, The continental connections (wie Anm. 228) 453; vgl. auch Dumézil, La reine Brunehaut (wie Anm. 186) 343–347. 233 Brown, The Rise of Western Christendom (wie Anm. 36) 342. 234 Charles Mériaux, ,Qui verus christianus vult esse‘: christianisme et ,paganisme‘ en Gaul du Nord à l’époque ­mérovingienne, in: Le problème de la christianisation du monde antique, ed. Hervé Inglebert/Sylvain Destephen /Bruno Dumézil (Paris 2010) 359–374; Esders, ,Nationes quam plures conquiri‘ (wie Anm. 82) 278–282. 235 Brown, The Rise of Western Christendom (wie Anm. 36) 345. 236 Oströmisch-angelsächsische Kontakte sind in der Quellenüberlieferung davor vor allem für die Zeit um 550 bezeugt. 237 Eugen Heinrich Fischer, Gregor der Große und Byzanz. Ein Beitrag zur Geschichte der päpstlichen Politik, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 36 (1950) 15–144. 226

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einer Weise in die Rechristianisierung des einst zum Imperium gehörigen Britannien238 involviert gewesen ist – doch gibt die erhaltene Korrespondenz Gregors des Großen darüber keinen Aufschluss.239 Ungeachtet dessen war die Rechristianisierung Britanniens ein imperiales Projekt, das nicht allein aus missionsstrategischen Gründen die Christianisierung der angelsächsischen Königtümer verfolgte. Die Maßnahmen der Päpste Gregor I. und Bonifatius IV. (sowie später Honorius I.), in die die katholischen Franken einbezogen werden sollten, lassen vielmehr weiterreichende Pläne vermuten, die sich am ­einstigen Maximalterritorium des Imperium Romanum orientierten, für das sich der Papst als Patriarch des Westens zuständig fühlte. Den auf der Pariser Synode anwesenden angelsächsischen Klerikern, bedeutenden kirchlichen Führungspersönlichkeiten im Königreich Kent, kam, wie Patrick Wormald betont hat, dabei eine wichtige Mittlerfunktion zu, die auch den in der Gesetzgebung König Æthelberhts sichtbaren Einfluss merowingischer Rechtsetzungstätigkeit erklärt: „The Bishop of Rochester and the Abbot of Sts Peter and Paul attended Chlothar II’s seminal Council of Paris held in the ‚basilica of the blessed Apostle Peter‘ in the year when he restored unitary rule to the Frankish kingdom, and when Isidore of Seville for one knew that Jerusalem fell to the Persians and that the Balkans too were lost to Byzantium; held, in other words, at a time when thoughts of a new (Frankish) Rome may have been as much in suitably sensitized minds as they were 185 years later. The year 614 would have been a highly symbolic moment to give written law to subject peoples who were as yet without it, and the council produced one piece of secular legislation, that is thought to have influenced south German codes. Now, Kent of course was not (or no longer) subject to the Franks. Unlike the Alamans and Bavarians, but like the Lombards, its king was in a position to make selections that really reflected its own law.“240 Das vom König veranlasste eigene Schriftrecht folgte, wie schon Beda in seinem Resumée der Regierungszeit Æthelberts betonte,241 dem römischen Vorbild und eröffnete dem kentischen Königtum zugleich eine biblische Legitimität.242 Im Jahr 616 kam es freilich in den Königreichen Kent und Essex jeweils nach dem Thronwechsel zu einer paganen Reaktion,243 die, da die vertriebenen Missionsbischöfe Mellitus von London und ­Justus von Rochester sich zwischenzeitlich nach Gallien flüchten mussten,244 auch als Reaktion auf die ­unter fränkischem Einfluss agierenden Christianisierungskräfte zu verstehen ist. Offenbar kehrte König ­Eadbald von Kent zum Heidentum zurück, um die inzestuöse, dem eigenen Machterhalt dienende Ehe mit seiner Stiefmutter beibehalten zu können.245 Obwohl unmittelbarer Auslöser der paganen Reak­ tion also offenbar die Situation des Thronwechsels war, ist doch bezeichnend, dass die Zurückweisung Das Ostrom im 6. Jahrhundert trotz fehlender direkter Interventionsmöglichkeiten den Herrschaftsanspruch über ­Britannien nie aufgab, betont Evangelos K. Chrysos, Die Römerherrschaft in Britannien und ihr Ende, in: Bonner Jahrbücher 191 (1991) 247–276, hier 272f. 239 Zu dieser Zeit scheinen die Rolle des Papsttums und des Frankenreiches entscheidend gewesen zu sein, während d­ irekte angelsächsisch-oströmische Verbindungen vor allem seit der Mitte des 7. Jahrhunderts greifbar werden. Vgl. Robert S. Lopez, Le problème des relations anglo-byzantines du septième au dixième siècle, in: Byzantion 18 (1946/1948) 139– 162; ­Archbishop Theodore. Commemorative studies on his life and influence, ed. Michael Lapidge (Cambridge 1995); Esders, Konstans II. (wie Anm. 34) 189f. und 211–215. 240 Patrick Wormald, The Making of English Law: King Alfred to the Twelfth Century, 1: Legislation and its limits (Oxford 1999) 96–101, hier 100. 241 Beda, Historia ecclesiastica II, 5, ed. Colgrave/Mynors (wie Anm. 77) 150: Defunctus uero rex Aedilberct die XXIIII mensis Frebuarii post XX et unum annos acceptae fidei, atque in portico sancti Martini intro ecclesiam beatorum apostolorum ­Petri et Pauli sepultus, ubi et Berctae regina condita est. Qui inter cetera bona, que genti suae consulendo conferebat, etiam decreta illi iudiciorum iuxta exempla Romanorum cum consilio sapientium constituit; quae conscripta Anglorum ­sermone hactenus habentur et obseruantur ab ea. In quibus primitus posuit, qualiter id emendare deberet, qui aliquid rerum uel ecclesiae uel episcopi uel reliquorum ordinum furto auferret, uolens scilicet tuitionem eis, quos et quorum ­doctrinam susceperat, praestare. Es folgt im Text die Herleitung der Herkunft Æthelberts von Hengist, den Vortigern nach Britannien eingeladen haben soll. 242 Patrick Wormald, ,Inter cetera bona genti suaeʻ: Law-making and peace-keeping in the earliest English kingdoms, in: La giustizia nell’alto medioevo (secoli V‒VIII) 1 (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 42/1, Spoleto 1995) 963–993; ders., ,Exempla Romanorum‘. The earliest English legislation in context, in: Rome and the North, ed. Alvar Ellegård/Gunilla Åkerström-Hougen (Jonsered 1996) 15–27. 243 Beda, Historia ecclesiastica II, 5, ed. Colgrave/Mynors (wie Anm. 77) 150–154. Barbara Yorke, The Conversion of Britain: Religion, Politics and Society in Britain, 600‒800 (Abingdon 2006) 122f. und 225. 244 Beda, Historia ecclesiastica II, 5, ed. Colgrave/Mynors (wie Anm. 77) 152. 245 Brown, The Rise of Western Christendom (wie Anm. 36) 347. 238

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des Christentums und diejenige fränkischen Einflusses zusammen erfolgten.246 Vor diesem Hintergrund erscheint die etwas später getroffene Entscheidung König Eadbalds, die Ehe mit seiner Stiefmutter aufzugeben und doch das Christentum anzunehmen, folgerichtig auch als Erneuerung der fränkischangelsächsischen Verbindung, die über eine Eheschließung mit dem neustrischen Königshaus besiegelt wurde und zur Rückholung der nach Gallien geflüchteten Kleriker führte.247 Ian Wood hat zudem darauf hingewiesen, dass auch eine von Eadbald später, nach seiner Taufe verfügte Goldmünzprägung mit dem Kreuz auf dem Revers auf fränkische Vorbilder zurückgehen dürfte248 ‒ deren Verwendung des auf einer Weltkugel plazierten Kreuzes ihrerseits oströmischen Modellen verpflichtet war. Langobarden, Franken und Ostrom, 603‒616 Als fränkischer Gesamtherrscher hielt König Chlothar II., wie Fredegar betonte, mit allen benachbarten Völkern Frieden.249 Den 613 besiegelten Übergang von der austrasischen zur neustrischen Linie der Merowinger mussten innerhalb dieses Zeitraumes daher auch die fränkisch-langobardischen Beziehungen vollziehen. Als der langobardische König Agilulf im Jahr 604 seinen im Jahr zuvor katholisch getauften Sohn Adaloald nach oströmischem Vorbild zum Mitkönig krönen ließ, waren noch Gesandte des austrasischen Königs Theudebert II. von Metz zugegen gewesen, mit dessen Tochter Agilulf seinen Sohn verlobte und dabei einen ewigen Frieden schloss.250 Die über die Verlobung der erst wenige Jahre alten Königskinder zu Wege gebrachte Allianz kam zum Tragen, als der westgotische König Witterich nach dem Scheitern des Eheprojektes mit dem burgundischen König Theuderich II. sich um 607/608 gegen diesen mit Chlothar II., Theudebert II. und Agilulf verbündete – der Vierfrontenangriff gegen Theuderich II. wurde jedoch nicht ausgeführt.251 Wohl im Jahr 611 schloss Agilulf erneut einen Frieden mit dem austrasischen Königshof.252 Es spricht viel dafür, dass die langobardische Politik gegenüber den Franken während dieser Zeit auch von sich wandelnden Beziehungen zum Imperium mitbestimmt war. Der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus ist zu entnehmen, dass König Agilulf (590‒615) die Anerkennung von Kaiser Phokas zu erlangen suchte: Agilulf habe zunächst in stürmischen Zeiten seinen Notar Stablicianus nach Konstantinopel entsandt, der dort mit Phokas einen einjährigen Frieden ausgehandelt habe; oströmische Gesandte seien daraufhin mit Geschenken nach Italien gekommen.253 Das genaue Datum des Kontaktes ist nicht bezeugt, da Paulus’ Bericht einige chronologische Ungenauigkeiten aufweist. An späterer Stelle berichtet er, dass Agilulf den Frieden mit Ostrom noch zweimal um jeweils ein Jahr verlängert sowie eine mit den Franken geschlossene Friedensvereinbarung erneuert habe.254 Nimmt man den Hinweis auf stürmische Zeiten ernst und geht von einer jahrweisen Zu den fränkisch-angelsächsischen Eheverbindungen nach 616, die zunächst Kent und später Northumbria betreffen, vgl. auch Wood, The continental connections (wie Anm. 228) 447–450 sowie das Resumée 477. 247 Wood, The continental connections (wie Anm. 228) 454: „That the Franks were in some way involved in Eadbald’s final acceptance of Christianity may be indicated by the fact that, having eschewed paganism, he also rejected his ‚unlawful‘ wife, and instead took as his queen Ymme, who […] was probably related to the man who would become mayor of the Merovingian palace, Erchinoald, and was thus connected by marriage with the Frankish royal family.“ 248 Wood, The continental connections (wie Anm. 228) 454. 249 Fredegar, Chronicon IV, 42, ed. Krusch (wie Anm. 46) 142: Firmatum est omnem regnum Francorum, sicut a priorem Chlotharium fuerat dominatum, cunctis thinsauris dicione Chlothariae iunioris subiecitur, quod feliciter post sedecem annis tenuit, pacem habens cum universas gentes vicinas. 250 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 30, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 127: Igitur sequenti estate mense iulio levatus est Adaloaldus rex super Langobardos apud Mediolanum in circo, in praesentia patris sui Agilulfi regis, ­adstantibus legatis Teudeperti regis Francorum, et disponsata est eidem regio puero filia regis Teudeperti, et firmata est pax perpetua cum Francis. Vgl. Jörg Jarnut, Geschichte der Langobarden (Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1982) 46. 251 Fredegar Chronicon IV, 31, ed. Krusch (wie Anm. 46) 132. 252 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 40, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 133. Siehe unten Anm. 254. 253 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 35, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 128: Hac etiam tempestate misit rex Agilulf Stablicianum notarium suum Constantinopolim ad Focatem imperatorem. Qui rediens cum legatis imperatoris, facta pace annuali, Agilulfo regi idem legati imperialia munera optulere. 254 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 40, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 133: Rex vero Agilulf pacem cum imperatore in annum unum itemque in alterum faciens, cum Francis quoque iterato pacis concordiam renovavit. Hoc nihilominus anno Sclavi Histriam, interfectis militibus, lacrimabiliter depraedati sunt. Sequenti quoque mense martio defunctus est aput Tridentum Secundus servus Christi, de quo saepe iam diximus, qui usque ad sua tempora succinctam 246

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Verlängerung des Friedens mit Ostrom aus, dann erscheint es gut denkbar, dass die Friedensschlüsse zu einem Zeitpunkt erfolgten, als Kaiser Phokas aufgrund seines Einsatzes gegen die Perser den Rücken im Westen frei haben musste und deswegen jahrweise in etwas einwilligte, was man im 6. Jahrhundert den Langobarden konsequent verweigert hatte: direkte Friedensverhandlungen mit dem Kaiser, nicht nur mit dem Exarchen von Ravenna.255 Konstantinos Christou hat daher den ersten Friedensvertrag zwischen Phokas und Agilulf in die Zeit um das Jahr 609 gesetzt,256 was sich auch schlüssig mit Phokas’ Politik gegenüber dem Papsttum vereinbaren lässt,257 dem sich auch Agilulf seit 603 angenähert hatte.258 Dies fügt sich auch dazu, dass Paulus im selben Kapitel von der Ermordung den fränkischen Königs Theudeberts II. berichtet, die in das Jahr 612 fällt. Wie erwähnt, hatte Agilulf sich um 607/608 mit dem Westgotenkönig Witterich, Theudebert II. und Chlothar II. gegen Theuderich II. und Brunichilde verbündet.259 Dies unterstreicht noch einmal, dass der fränkische Machtwechsel von 613 nicht nur durch eine Verschiebung innerer – austrasischer, neustrischer und burgundischer – Machtkonstellationen und Allianzen herbeigeführt wurde, sondern dabei auch die äußeren Beziehungen ins westgotische Spanien und ins langobardische Italien eine wichtige Rolle spielten. Während Agilulf zu einem Ausgleich mit Konstantinopel zu gelangen suchte, kam es im Jahr 610 oder 611 zu einem Angriff der Awaren auf Friaul mit der Eroberung Cividales.260 Die zeitgleich von Königin Brunichilde und ihrem Enkel Theuderich II. geknüpfte frankoburgundische Allianz mit den Awaren stand derjenigen zwischen Austrasien (­Theudebert II.) und seinen Verbündeten, darunter auch den Langobarden, offenbar entgegen.261 Mit Chlothars Sieg löste sich auch das frankoburgundische Bündnis mit den Awaren auf, was diesen wie­ derum erlaubte, gegen Ostrom zu ziehen.262 Agilulf ließ sich als rex totius Italiae sowie als rex gloriosissimus bezeichnen, führte den Namen Flavius und ließ sich im römischen Triumphatorgestus darstellen, was sein Selbstverständnis und seine politische Vision deutlich hervortreten ließ.263 Das Verhalten Agilulfs, dem auf dem Höhepunkt ­seiner Machtentfaltung nicht an weiterer territorialer Ausdehnung, sondern an seiner rechtlichen Anerkennung durch das in die Defensive geratene Konstantinopel gelegen war, erschien bereits Christou erklärungsbedürftig: „Bis zum Tode Agilulfs (616) sind die Feindseligkeiten nicht wieder ausgebrochen. Der ­König nutzte nicht die enormen Schwierigkeiten des Reiches im Osten und auf der Hämushalbinsel aus. Begnügte er sich etwa mit dem Gewonnenen, oder wollte er die byzantinische Unterstützung für eine unbehinderte Thronbesteigung seines Sohnes Adaloald sicherstellen?“264 Es ist zwar davon auszugehen, dass Agilulf die Regelung der Thronfolge seines ganz nach oströmischem Modell aufgebauten, katholisch getauften Sohnes sichern wollte, doch drängt sich gerade im synchronen Vergleich die auffällige Parallele auf, dass der westgotische König Sisebut, als er im Jahr 615 den erwähnten Frieden mit Herakleios schloss, ebenfalls darauf verzichtete, die Schwierigkeiten Ostroms zu weiteren eigenen territorialen Zugewinnen zu nutzen, sondern stattdessen – erfolgreich – die rechtliche Anerkennung



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de Langobardorum gestis conposuit historiolam. Eo tempore rex Agilulf cum imperatore iterato pacem conposuit. Occisus quoque est his diebus Theudepertus rex Francorum, et facta est pugna gravissima inter eos. Gunduald etiam, germanus Theudelindae reginae, qui erat dux in civitate Astensi, nemine sciente auctorem mortis ipsius, hoc ipso in tempore sagitta ictus interiit. Walter Pohl, The Empire and the Lombards: treaties and negotiations in the sixth century, in: Kingdoms of the Empire. The Integration of Barbarians in Late Antiquity, ed. ders. (Leiden u. a. 1997) 75–134. Konstantinos P. Christou, Byzanz und die Langobarden: Von der Ansiedlung in Pannonien bis zur endgültigen Anerkennung (500‒680) (Athen 1991) 158–160. Vgl. auch Dölger, Regesten (wie Anm. 62) 56 n. 157. Siehe oben Anm. 69. Vgl. zusammenfassend Jarnut, Geschichte der Langobarden (wie Anm. 250) 45. Siehe oben Anm. 251. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 37, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 130. Vgl. dazu Ewig, Die ­Merowinger und das Imperium (wie Anm. 198) 50f.; Pohl, Die Awaren (wie Anm. 45) 239. Siehe oben Anm. 196. Dass Agilulf 602 mit den Awaren einen „ewigen Frieden“ geschlossen hatte, betont Wolfram, Das Reich und die Germanen (wie Anm. 1) 411f. Vgl. Ewig, Die Merowinger und das Imperium (wie Anm. 198) 122; Pohl, Die Awaren (wie Anm. 45) 239f. Dies hängt auch mit Chlothars II. Politik gegenüber den Langobarden zusammen, siehe dazu unten Anm. 281. Vgl. dazu Wolfram, Das Reich und die Germanen (wie Anm. 1) 412f. Christou, Byzanz und die Langobarden (wie Anm. 256) 161; ähnlich Jarnut, Geschichte der Langobarden (wie Anm. 250) 56.

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des Erreichten zu erstreben suchte.265 Dies haben Historiker des Westgotenreiches für nicht minder erklärungsbedürftig gehalten.266 Man wird es wohl nicht monokausal erklären können. Die formale Anerkennung durch einen Friedensvertrag mit Ostrom stellte für beide Herrscher offenbar einen hohen Wert dar; beide, Agilulf wie Sisebut, hatten die Imperialisierung ihres Königtums forciert, während die Truppen des oströmischen Feindes nicht weit entfernt hinter der Grenze standen. In beiden Fällen spielte auch das katholische Christentum eine nicht unerhebliche Rolle: Sisebut hatte, nachdem ­Witterich womöglich eine Rückkehr zum Arianismus anvisiert hatte,267 einen deutlichen katholischen Kurs verfolgt und genau dieses Argument in seinem diplomatischen Briefverkehr gegenüber Herakleios und Agilulfs ­Gattin Theodelinde stark gemacht.268 Agilulf selbst, der noch Arianer war, hatte bereits mit der katholischen Taufe seines Sohnes Adaloald im Jahr 603 erkennbar die Weichen für einen absehbaren Konfessionswechsel des langobardischen Königtums gestellt.269 Thomas Brown hat festgestellt, „that Lombard religious history … has to be interpretated in con­ junction with relations with the Roman population, the Byzantine Empire and the papacy“.270 Dies ist gerade für den hier interessierenden Zeitraum zu beobachten. Zunächst hatte König Agilulf die Dreikapitelfrage dazu benutzt, um die schismatische Kirche Istriens auf seine Seite zu bringen.271 Als im Jahr 607 der in Grado residierende Erzbischof Candidianus die Gemeinschaft mit Rom suchte und hierin auch vom Exarchen Smaragdus unterstützt wurde, förderte Agilulf das Bemühen des Domkapitels, im der langobardischen Herrschaft unterstehenden Aquileia mit Johannes einen eigenen Erzbischof zu wählen. Um gemeinsam mit den Bischöfen Istriens, die sich ihm unterstellten, zum Reichsdogma auf Distanz zu gehen, gab man diesem den Titel eines Patriarchen.272 Diese Politik wird auf Bischof ­Secundus von Trient zurückgeführt, der im Jahr 603 den Königssohn Adaloald in Monza getauft hatte273 und als kirchenpolitischer Berater der Königin Theodelinde den Schriftverkehr mit Papst Gregor dem Großen führte.274 Secundus starb im März 612, kurz nachdem Agilulf direkte Friedensverhandlungen mit Ostrom aufgenommen hatte,275 und wahrscheinlich ließ dies den langobardischen Königshof in der Dreikapitelfrage einen anderen Ton anschlagen.276 Wie Patrick Grey und Michael Herren gezeigt ­haben, gehört in den Kontext dieses Bemühens wahrscheinlich ein wohl 613 verfasster Brief Columbans, der im Jahr zuvor im langobardischen Bobbio ein Kloster gegründet hatte. Columban hielt darin Papst Bonifatius IV. vor, ein haereticorum receptor zu sein, weil er die Beschlüsse des II. Konzils von ­Konstantinopel zur Dreikapitelfrage anerkannt hatte, und forderte ihn auf, sich von diesem Vorwurf auf einem Konzil zu reinigen.277 Die Unterstützung der katholischen Langobardenkönigin Theodelinde, die

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Siehe oben Anm. 154. Vgl. etwa Kampers, Geschichte der Westgoten (wie Anm. 131) 190. Paul Goubert, Byzance et l’Espagne wisigothique (554‒711), in: Études byzantines 2 (1944) 5–78, hier 66–69. Siehe oben Anm. 152 und 166. Jarnut, Geschichte der Langobarden (wie Anm. 250) 45. Thomas S. Brown, Lombard religious policy in the late sixth and seventh centuries: The Roman dimension, in: The ­Langobards before the Frankish Conquest. An Ethnographic Perspective, ed. Giorgio Ausenda/Paolo Delogu/Chris ­Wickham (Woodbridge 2009) 289–299, hier 290 (unter Bezugnahme auf Gian Piero Bognetti). Siehe oben Anm. 71. Wilhelm Meyer, Die Spaltung des Patriarchats Aquileja (Berlin 1898) 8; Ludo Moritz Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter, 2,1: Römer und Langobarden bis zur Theilung Italiens (Leipzig 1900) 201; Schieffer, Zur Beurteilung (wie Anm. 71). Zur Aneignung der Markustradition in diesem Zusammenhang vgl. Claire Sotinel, The Three Chapters and the transformations of Italy, in: The Crisis of the ‘Oikoumene’ (wie Anm. 71) 85–120, hier 118. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 27, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 125. Pohl, Heresy in Secundus (wie Anm. 71) 247. Siehe oben Anm. 253. Patrick T. R. Gray/Michael W. Herren, Columbanus and the Three Chapters Controversy: A new approach, in: Journal of Theological Studies NS 45 (1994) 160–170, hier 169. Columban, Epistola 5, 10, ed. Walker (wie Anm. 212) 36–56, hier 46; Jean Rivière, St. Colomban et le jugement du pape hérétique, in: Revue des sciences religieuses 3 (1923) 277–282; Gray/Herren, Columbanus and the Three Chapters ­Controversy (wie Anm. 276); ferner Bruno Dumézil, Les racines chrétiennes de l’Europe. Conversion et liberté dans les royaumes barbares Ve‒VIIIe siècle (Paris 2005) 341 u. 343. Ähnlich hatten sich langobardische Bischöfe bereits gegenüber Papst Gregor dem Großen verhalten, als sie ihm einen Eid abzunötigen suchten, dass er die drei Kapitel nicht verurteile, was Gregor unter Hinweis auf die vier ökumenischen Konzilien allerdings ablehnte; vgl. Richards, Gregor der Große (wie Anm. 85) 200.

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dahinter zu vermuten ist, und ihres Mannes Agilulf zielte offenbar auf die religiöse Einheit Italiens,278 indem man das Schisma beendete ‒ wofür sogar die Bekehrung eines Arianers zum Katholizismus in Aussicht gestellt wurde, d. h. wohl König Agilulfs selbst.279 Mit Agilulfs Tod im Jahr 615 scheint die langobardische Annäherung an Ostrom das Königtum in ein schwer zu kontrollierendes Kräftefeld geraten zu haben. Bereits hingewiesen wurde auf ein Schreiben des westgotischen Königs Sisebut, der zwischen 616 und 620 den unmündigen König Adaloald und dessen Mutter Theodelinde, beide dem katholischen Glauben verbunden, dazu riet, den Arianismus im Langobardenreich gänzlich zu beseitigen, da die katholische Taufe beide Völker eine.280 Man wird diese Forderung auch vor dem Hintergrund zu sehen haben, dass Sisebut selbst wie gezeigt eine mit Ostrom abgestimmte Politik adaptiert hatte, in der das religiöse Bekenntnis eine wichtige Rolle spielte. Eine antijüdische Politik des langobardischen Königshofes ist für diese Zeit jedoch nicht bezeugt. Mit dem fränkischen König Chlothar II. schloss Adaloald im Jahr 616/617 einen ewigen Freundschaftsvertrag, in dem er gegen eine einmalige Zahlung von 36000 solidi und hohe Bestechungsgelder (jeweils 1000 solidi) an die drei Hausmeier Austriens, Neustriens und Burgunds den bis dahin jährlich gezahlten Tribut von 12000 solidi ablöste.281 Die Regelung, die einer mehrere Jahrzehnte dauernden Phase langobardischer Tributabhängigkeit von den Franken sowie fränkischer Ansprüche auf Oberitalien ein Ende setzte,282 zeigt nicht nur den Willen Chlothars II. zu einem grundsätzlichen Frieden,283 sondern auch den dringenden Bedarf des langobardischen Königtums, den Rücken langfristig frei zu haben, sowie zum Erreichen dieses Ziels offenbar vorhandene, beträchtliche finanzielle Handlungsspielräume. Der historische Hintergrund für dieses Bemühen könnte in einer befürchteten Allianz der Franken mit langobardenfeindlichen Kräften in Italien zu suchen sein, wo es spätestens seit dem Tod Agilulfs zu erheblichen Spannungen kam, die jedoch, da sie von den oströmischen Gebieten Italiens ausgingen, wohl ursächlich damit zusammenhingen, dass die Aufmerksamkeit der kaiserlichen Gewalt durch die ­ xarch Abwehr der Perser nahezu absorbiert war.284 Im Jahr 615 wurde im Verlauf einer Art Revolte der E von Ravenna, Johannes, zusammen mit weiteren Funktionären ermordet.285 Der noch von Phokas eingesetzte dux von Neapel, Johannes von Compsa, schloss sich dieser Rebellion an und wurde erst 617 von dem von Kaiser Herakleios eingesetzten neuen Exarchen Eleutherius, dessen Truppen Neapel nach mehrwöchiger Belagerung einnehmen konnten, als Hochverräter enthauptet.286 Eleutherius hatte vom Kaiser die Aufgabe erhalten, die noch nicht von den Langobarden besetzten Gebiete Italiens zu beschützen.287 Um diese Zeit, also während des langobardischen Thronwechsels von Agilulf zu Adaloald, zwischen 616 und 619, vereinbarte der langobardische dux Sundrarit mit dem wieder ins Amt gelangten Exarchen einen Frieden, der einen hohen Tribut an die Langobarden vorsah,288 während Eleutherius sich 280 281 278 279

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Pohl, Heresy in Secundus (wie Anm. 71) 251. Gray/Herren, Columbanus (wie Anm. 276) 169. Epistolae Wisigothicae 9, ed. Gundlach (wie Anm. 138) 672, siehe oben Anm. 166. Fredegar Chronicon IV, 45, ed. Krusch (wie Anm. 46) 143f. Fredegar behauptet, König Agilulf habe diesen Vertrag geschlossen, doch war dieser bereits 615 gestorben. Vgl. Fröhlich, Studien zur langobardischen Thronfolge (wie Anm. 166) 120–123. Robert Holtzmann, Die Italienpolitik der Merowinger und des Königs Pippin (Darmstadt 21962) 32. Differenzierend, insbesondere zu Chlothar II., Löhlein, Die Alpen- und Italienpolitik (wie Anm. 209) 75f. Ebenso ist hervorzuheben, dass Chlothar II. noch Mitte der 620er Jahre zugunsten der von König Arioald verdammten Gattin Gundeberga intervenierte, die als Tochter Agilulfs und Theodelindes auch eine Schwester Adaloalds war und offenbar dynastische Interessen der Merowinger berührte, vgl. Fredegar, Chronicon IV, 51 u. 70-71, ed. Krusch (wie Anm. 46) 145f. und 156f. Vgl. dazu auch Ian N. Wood, Frankish hegemony in England, in: The Age of Sutton Hoo The Seventh Century in North-Western Europe, ed. Martin O. H. Carver (Woodbridge 1992) 235–241, hier 237 und 239. Siehe oben Anm. 259. Vgl. Holtzmann, Die Italienpolitik der Merowinger (wie Anm. 282) 31f., der dies für eine übertriebene Friedfertigkeit Chlothars hielt. Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 93. Liber pontificalis 70 (Deusdedit), ed. Duchesne (wie Anm. 69) 319: Eodem tempore veniens Eleutherius patricius et ­cubicularius Ravenna, et occidit omnes qui in nece Iohanni exarchi et iudicibus reipublicae fuerant mixti. Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 93; García Moreno, Relaciones internacionales (wie Anm. 143) 515f. sucht den Brief des Westgotenkönigs Sisebuts an die langobardische Königin Theodelinde in diesen Kontext einzuordnen. Auctarii Havniensis extrema 21 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Berlin 1892) 337–339, hier 339: Eraclius ­Eleutherium ad tuendam partem Italiae, quam nondum Langobardi occupaverant, mittit. Auctarii Havniensis extrema 22, ed. Mommsen (wie Anm. 287) 339: Eleutherius adversus Langobardos saepe inito bello vincitur per Sundrarium maxime Langobardorum ducem, qui apud Agilulfum bellicis rebus instructus erat. [animum]

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nach Abschluss dieses Friedens selbst zum Kaiser ausrufen ließ und mit seiner Usurpation noch vor dem Erreichen Roms scheiterte.289 Ein solcher Plan290 war zuletzt im erwähnten Testament des ­Maurikios enthalten gewesen, dessen Entdeckung und Eröffnung zu Beginn der Herrschaft des Herakleios die Diskussion um Rom als Sitz eines westlichen Kaisers zusätzlich befeuert haben dürfte.291 Die Gefahr, in den Sog eines sich reformierenden westlichen Kaisertums zu kommen, war für das langobardische Königtum nach dem Tod Agilulfs anscheinend groß.292 Schon der fränkische Chronist Fredegar führte den Niedergang der Herrschaft des – 625 vergifteten – Adaloald auf den Einfluss eines oströmischen Gesandten namens Eusebius zurück, der sich den Langobardenkönig hörig gemacht und ihn schließlich davon überzeugt habe, den langobardischen Adel umzubringen und sich anschließend mit dem gesamten Volk der Langobarden dem Imperium zu unterwerfen.293 Unterstellungen dieser Art zeigen, entlang welcher Linien Stärke und Schwäche des langobardischen Königtums diskutiert wurde. 3. KINGDOMS OF THE EMPIRE, AD 608‒616: GESAMTPERSPEKTIVEN Nach diesem synchronen „Rundgang“ durch die politisch-religiöse „Ereignisgeschichte“ des römischen Imperium und der westlichen Königreiche und durch deren Verflechtungen untereinander sollen im Folgenden einige Gesamtperspektiven auf das imperial-regnale Beziehungsgeflecht in den Jahren 608 bis 616 entworfen werden. Zwei Krisenherde als „Epizentren“ ausgreifender Entwicklungsdynamiken Was hat am meisten dazu beigetragen, dass sich in den nicht einmal 10 Jahren, die im Zentrum der Beobachtung standen, das politische Geschehen an verschiedenen Orten des römischen Imperium und im Gebiet der westlichen regna intensivierte und politische Grenzen überschreiten ließ? In den Blick getreten sind vor allem zwei Krisenherde, welche zahlreiche weitere Prozesse teilweise auslösten und zeitweise verstärkten: (1) Der Konflikt Ostroms mit den Persern, der, veranlasst durch die Herrschafts­ usurpation des Phokas im Jahr 602, angesichts des persischen Vormarsches und des jüdischen Aufstandes zu einer dramatischen Verschärfung der Situation im Nahen Osten in den Jahren 607/608 führte. Ohne diesen Konflikt wird Phokas’ Politik auf dem Balkan und in Italien ebensowenig verständlich wie

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amiserat Eleutherius et cum saepe suorum ruinam cerneret, pacem cum Langobardis facit, ea tamen condicione, ut ­quinque centenaria, quae dudum, cum ad obsidendam Romam Agilulfus rex venisset, per singulos annos dare Langobardis ­statuerant, persolverent Romani. Zum Hintergrund vgl. Thomas S. Brown, Gentlemen and officers. Imperial administration and aristocratic power in Byzantine Italy A.D. 554‒800 (London 1984) 52. Auctarii Havniensis extrema 23, ed. Mommsen (wie Anm. 287) 339: Eleutherius cum erga se Longobardorum gentem ­pacatam videret, imperium conatur suscipere. Sed cum iam purpuram induisset atque coronam sibi dari poposceret, ­venerabilis viri Iohannis interventu adhortatur, ut ad Romam pergeret, atque ibi, ubi imperii solium maneret, coronam sumeret. Quod consilium ratum iudicans obaudivit. Sed temerae usurpationis audacia non diu potitus est. Nam cum a Ravenna profectus pergeret Romam, apud castrum Luciolis paucis iam suo itinere comitantibus a militibus interficitur. Vgl. Paulus Diaconus, Historia Langobardorum IV, 34, ed. Bethmann/Waitz (wie Anm. 70) 128, sowie Liber pontificalis 70 (Deusdedit ‒ mit der Erwähnung, dass Eleutherius zunächst für Frieden gesorgt habe: facta est pax in tota Italia) und 71 (Bonifatius V.), ed. Duchesne (wie Anm. 69) 319 und 321. Vgl. dazu Ludo Moritz Hartmann, Geschichte Italiens im Mittelalter (wie Anm. 272) 203, mit den Korrekturen von Peter Classen, Der erste Römerzug in der Weltgeschichte. Zur Geschichte des Kaisertums im Westen und der Kaiserkrönung in Rom zwischen Theodosius d. Gr. und Karl d. Gr., in: Historische Forschungen für Walter Schlesinger, ed. Helmut Beumann (Köln u. a. 1974) 325–347 (zu Eleutherius S. 325f., 331 u. 341f.). Siehe oben Anm. 72. In diesem Sinne auch Anton Thanner, Papst Honorius I., 625‒638 (St. Ottilien 1989) 80–84. Nach Classen, Der erste ­Römerzug (wie Anm. 290) 342 beabsichtigte Eleutherius „das westliche Kaisertum zu erneuern, vielleicht mit dem Ziel, den Langobarden-Krieg nachhaltiger aufzunehmen und ganz Italien wieder vereinen zu können“. Fredegar Chronicon IV, 49, ed. Krusch (wie Anm. 46) 145: Persuasos ab ipso (sc. Eusebio), primatis et nobiliores cunctis in regno Langobardorum interficere ordinarit; eiusdem stinctis, se cum omni gente Langobardorum imperio tradiderit. Ein solches Vorgehen wird in der Fredegarchronik (IV, 45, ebd. 143) einem dux namens Authari (nicht mit dem gleichnamigen dux bzw. König identisch) unterstellt, dessen zeitliche und regionale Einordnung jedoch unsicher ist. Vgl. Hartmann, Die Königin (wie Anm. 189) 46f.

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die von Afrika aus seit 608 erfolgende Usurpation des Herakleios und dessen Politik bis in die 620er Jahre. Das Potential dieses Konfliktes, geradezu globale Dimensionen anzunehmen, würde schon bald in der unter Herakleios erfolgten Einbeziehung der transkaukasischen Köktürken sichtbar, deren Einflusssphäre zeitweise bis nach China reichte, aber auch in dem Anfang der 620er Jahre gegen Konstantinopel geschlossenen Bündnis zwischen Awaren und Persern. (2) Als zweiter, sich hiervon unabhängig entwickelnder Krisenherd ist der nur scheinbar ,innerfränkische‘ Konflikt zwischen den merowingischen Teilreichen Austrasien und Burgund zu nennen. Hinter ihm steckte zweifellos kein nationaler Gegensatz, vielmehr sorgten die Konkurrenz der Königssöhne Theuderich II. und Theudebert II. und ihrer Großmutter Brunichilde und die sich entlang dieser Linien neu positionierenden Adelsfraktionen und Bündnisse dafür, dass der sich seit 604 abzeichnende Konflikt alsbald weit ausgreifende Allianzen mit den Königreichen der Langobarden und Westgoten sowie dem Khaganat der Awaren generierte, die sich möglicherweise auch über den Kanal erstreckten. Das Überlaufen aristokratischer Fraktionen zu den Neustriern, die Ausrottung der austrasischen Merowingerlinie und der Triumph Chlothars II. bedingten eine vollkommen neue Austarierung der Kräfteverhältnisse innerhalb des Frankenreiches sowie in seinen Beziehungen nach Außen, die mit dem Pariser Edikt von 614 eine wichtige Grundlage erhielt und eine Verbindung zur Christianisierung des angelsächsischen Königtums von Kent erkennen ließ. Die Folgen dieser doppelten Zuspitzung waren drastisch und vielfältig. Die von Sisebut im imperialen Gestus verfügte Zwangstaufe der Juden im Westgotenreich (615), die den Anschluss an die kaiserliche Politik suchte, und die anschließende Flucht zahlreicher Juden ins merowingische Gallien zeigen, dass die beiden Konfliktherde nicht in unmittelbare Wechselwirkung miteinander traten – die Verbindung zwischen dem Imperium und dem merowingischen Frankenreich, bis dahin vor allem repräsentiert durch die in Metz residierende austrasische Dynastielinie, war mit deren Auslöschung im Jahr 613 vorerst gekappt. Auch ist für die folgenden Jahre keine über Verträge, Eheverbindungen gestaltete eigenständige ,Außenpolitik‘ der fränkischen Teilreiche mehr bezeugt, während sich das politische Zentrum des Frankenreiches weiter nach Norden verlagerte. Nach 614 wurden keine Eheverbindungen zwischen der merowingischen Dynastie und den westgotischen Königsfamilien mehr geschlossen, die Awaren lösten sich aus dem Bündnis mit fränkischen Gruppen, Ansprüche auf Italien wurden gegenüber den Langobarden aufgegeben, während sich beispielsweise über die Alpen hinweg die bayrische Herzogsfamilie der Agilolfinger mit dem langobardischen Königtum verband.294 Das Handeln wurde also nicht nur von Konstantinopel aus bestimmt ‒ und man mag darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn sich im Frankenreich im Jahr 613 die austrasische Linie durchgesetzt hätte. Obwohl sich also zwischen der persischen Eroberung Jerusalems im Jahr 614 und dem annähernd zeitgleich erfolgten Machtwechsel im Frankenreich (613/614) kein unmittelbarer Zusammenhang herstellen lässt, konnten diese Veränderungen sich so auswirken, dass in bestimmten Regionen wie im Langobardenreich in Italien, im spanischen Westgotenreich oder auf dem Balkan wichtige politische Akteure von beiden Entwicklungen mittelbar betroffen sein konnten – als tatsächliche oder potentielle Bündnispartner des Kaisers und der fränkischen Könige. Veränderte Raumwahrnehmungen Die Betrachtung derartiger Krisenherde rät davon ab, die Geschehnisse in den Kategorien von ,­Zentrum‘ und ,Peripherie‘ zu beschreiben. Zweifellos bildete für das Imperium Konstantinopel als Kaisersitz das politische Zentrum, doch demonstrierten Karthago und Ravenna, deren Neukonstituierung als ­Exarchate im späteren 6. Jahrhundert militärischen Erfordernissen entsprungen war, im Jahr 610 und um 615 ihr Veränderungspotential als Ausgangspunkte der Usurpation des östlichen bzw. westlichen Kaiserthrones; dass Rom und Karthago plötzlich (wieder) als Kaisersitze in Betracht kamen, fügt sich in dieses Bild. Betrachtet man das Geschehen von den beiden genannten Polen oder Krisenherden der Veränderung aus, so wird auch besser nachvollziehbar, warum Italien und Rom zu Beginn des 7. Jahrhunderts eine neuerlich gewachsene Bedeutung zukam – als Bezugspunkt der Legitimität eines Usurpators bzw. zur Wiedererrichtung des westlichen Kaisertums. Freilich zeigen Herakleiosʼ Pläne für Karthago, dass auch andere Lösungen für den in seiner Bedeutung gestiegenen Westen denkbar erschienen. Zudem er­öffnete 294

Vgl. dazu Jarnut, Die Langobarden (wie Anm. 250) 55–66.

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die Entwicklung vorübergehend auch günstige Voraussetzungen für eine Anerkennung des politischen Status des Langobardenreiches in Italien durch Ostrom, selbst wenn diese Entwicklung letztlich nicht zum Abschluss geführt werden konnte. Auch die häufig verwendete Dichothomie von ,Ost‘ und ,West‘ ergibt angesichts der beobachteten Veränderungen wenig Sinn, wo sich in deren ,Mitte‘ neue Möglichkeiten zu ergeben schienen. Im ­persischen Vormarsch in den Nahen Osten, der wie eine Vorwegnahme der arabischen Eroberung zwanzig Jahre später erscheint295 und eine Herauslösung der nahöstlichen Provinzen (Arabia, Palästina, Ägypten) mit ihren miaphysitischen Bevölkerungsmehrheiten aus dem römischen Imperium andeutet,296 wird man allenfalls den Ansatz zu einem stärkeren Nord-Süd-Gegensatz feststellen können. Dieser ließ der iberischen Halbinsel als Grenzgebiet zwischen oströmischem und westgotischem Reich eine besondere Bedeutung zukommen. Interessanterweise wird auch Britannien wichtiger, das seit der Mitte des 6. Jahrhunderts wiederholt unter den Einfluss fränkischen Hegemoniestrebens geraten war, insofern um 600 mit dem Wiederaufbau kirchlicher Strukturen und der Christianisierung des Königtums die Voraussetzungen dafür gelegt wurden, dass es im Laufe des 7. Jahrhunderts wieder zu direkten Verbindungen angelsächsischer Königreiche mit Ostrom kommen konnte. Trägergruppen grenzüberschreitender Austauschprozesse Das vielschichtige Ineinandergreifen lokaler und überregionaler Prozesse ist nur erklärlich, wenn ermittelt wird, welche Akteure häufig oder sogar regelmäßig Grund hatten, in überregionalen Zusammen­ hängen zu denken und zugleich Teil von Gruppen und Netzwerken waren, die grenzüberschreitend dachten und agierten. Sicherlich wird man hier zu unterscheiden haben zwischen Gruppen, die ins­ besondere innerhalb des römischen Imperium agierten, solchen, die ihr Wirkungsfeld zwischen dem Imperium und den Reichen des Westens hatten, und wiederum solchen, deren Interaktion vornehmlich zwischen den Barbarenreichen erfolgte. Während die Errichtung der Exarchate von Ravenna und ­Karthago eine erhebliche Mobilität militärischer Eliten innerhalb des Reiches förderte, bildeten das Imperium und die westlichen regna keinen gemeinsamen Bezugsrahmen militärischer Eliten mehr; Waffen­hilfe, die beispielsweise fränkische Truppen nach Italien führte, basierte auf besonderen Vereinbarungen. Der Aktions­radius der römischen Reichsaristokratie konnte im Einzelfall weit reichen. Hingewiesen wurde auf das Beispiel der Apionenfamilie, die man als zur Reichsaristokratie gehörig rechnen darf und deren Wirkungsfelder sich potentiell über große Teile des Imperiums erstreckt zu ­haben scheinen. Dass die Aristokratien der westlichen regna um 600 nur auf den Rahmen ihres jeweiligen Königreiches beschränkt waren, wird man nicht anzunehmen haben. So ist davon auszugehen, dass beispielsweise der gallorömische Senatorenadel Verbindungen nach Italien unterhielt, während die in Burgund und im nördlichen Frankenreich verankerte Aristokratie Kontakte zu Gruppen jenseits des ­Kanals pflegte; kirchliche Netzwerke, die gleich zu behandeln sind, mögen solche Verbindungen eher sogar verstärkt haben. Üblicherweise findet in Grenzgebieten ein besonders reger grenzüberschreitender Austausch statt, und entsprechende Verkoppelungen sind etwa für Aquitanien und Septimanien, zwischen Burgund, der Provence und Oberitalien, Bayern und Oberitalien, dem nördlichen Frankenreich und Kent feststellbar, aber auch zwischen Nord- und Südspanien, zwischen Syrien, Ägypten und Nordafrika sowie zwischen Nordafrika und der iberischen Halbinsel. Auch grenzüberschreitende Eheverbindungen zwischen Angehörigen regionaler Eliten konnten dabei, soweit erkennbar, eine Rolle spielen. Das, was man stark vergröbernd als ,die christliche Kirche‘ bezeichnet, bestand bei näherer Betrachtung aus verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen, die in unterschiedlicher Weise und auch in divergierendem Maße überregional bzw. ,transregnal‘ dachten. Häufig ergab sich dies aus ihrer Funktion, doch nicht selten wurzelte es in ihrem persönlichen und familiären Erfahrungshintergrund. Um 600 besaßen, wie etwa die Beispiele Papst Gregors des Großen und Leanders von Sevilla zeigen, einige bedeutende kirchliche Exponenten aus persönlicher Erfahrung einen imperialen Hintergrund, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Der Episkopat der westlichen Reiche war zweifellos die wich­ tigste kirchliche Elite, die nicht nur auf der Ebene von Diözese, Kirchenprovinz, Teil- bzw. Gesamtreich 295 296

Bowersock, Empires in collision (wie Anm. 43) 53–77. Brown, The Rise of Western Christendom (wie Anm. 36) 267–294.

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dachte und handelte, sondern wenigstens in ihrer Unterstellung unter den Patriarchen von Rom noch auf einer höheren Ebene, vor allem in dogmatischen und rechtlichen Fragen. Dass viele Bischöfe im ­Merowingerreich aufgrund ihrer familiären Herkunft außerdem überregional verortet waren und ­äußeren Einflüssen offen gegenüberstanden,297 unterstreicht dies nur. Umgekehrt suchte das Papsttum, das ja weiterhin direkt dem oströmischen Herrschaftsbereich unterstand, kirchliche Interessen, soweit sie allgemeiner Regelung bedurften (Dogma, Mission), in den verschiedenen regna mit Hilfe des Episkopates und der jeweiligen Könige durchzusetzen, wie das Beispiel der Königin Brunichilde zeigte. Auch in oströmischer Sicht führte dies zu einer Aufwertung des Papsttums, das in Verbindung mit den Franken das entscheidende „Instrument“ verkörperte, die nordwestliche Peripherie des Imperiums kirchenpolitisch zu kontrollieren oder erneut der Kontrolle zu unterwerfen. Mit Blick auf das Franken- und Langobardenreich des frühen 7. Jahrhunderts erscheint das grenz­ überschreitende Wirken Columbans als besonders aussagekräftig, insofern es sich mit weitgespannten aristokratischen und kirchlichen Netzwerken verband, die über die Klostergründungen im fränkischen Nordburgund, im Bodenseegebiet, Bayern und Oberitalien vernetzt waren.298 Überlappungen kirchlicher und politischer Raumordnungen begegneten an zahlreichen Stellen, besonders gut sichtbar im Fall der Spaltung des Patriachates von Aquileia, aber auch als Grund, im Westgotenreich Toledo zum Erzbistum aufzuwerten. Aus solchen Versuchen, eine Kongruenz politischer und kirchlicher Grenzen herzustellen, wird man wohl umgekehrt auf die Fluidität solcher Grenzen schließen dürfen. Auch grenzüberschrei­ tende religiöse Minderheiten spielten eine große Rolle: Hier ist vor allem das Judentum zu nennen, das in der christlichen Wahrnehmung immer wieder als grenzüberschreitendes Netzwerk gebrandmarkt wurde, dem man Komplizenschaft mit dem politischen Gegner unterstellte. Aber auch miaphysitische Gruppen unterschiedlicher römischer Provinzen konnten grenzüberschreitend agieren, wie an den von Herakleios forcierten Unionsbemühungen im Vorfeld der persischen Expansion sichtbar wurde, oder wie dies Gemeinden von (miaphysitischen) Syrern zeigen, die im Westen im besser dokumentierten 6. Jahrhundert in erheblicher Zahl nachweisbar sind.299 Es gab also nicht nur innerhalb des römischen Imperiums, sondern zwischen den verschiedenen regna und zwischen dem Imperium und einzelnen Reichen verschiedene soziale und funktionale Eliten, die ihr Dasein und Handeln nicht nur über ihren lokalen oder regionalen Lebensbereich und ihre Zugehörigkeit zum jeweiligen Reich definierten, sondern darüber hinaus noch auf einer imperialen bzw. ,transregnalen‘ Ebene gedacht haben. Ökonomische und finanzpolitische Aspekte einer Krise Weniger leicht messbar ist hingegen die Bedeutung ökonomischer Faktoren in den beschriebenen Prozessen. Dass militärische Auseinandersetzungen über Rüstungsausgaben und Tribute einen großen Bedarf an finanziellen Ressourcen generierten, darf vorausgesetzt werden. Intensität und Länge der militärischen Auseinandersetzungen hatten zum Teil dramatische finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen und konnten unterschiedliche Verkoppelungseffekte nach sich ziehen. Oströmische Münzprägungen zwischen 610 und 614 sollten gegen die Perser vorbauen und die Bevölkerung und ihre militärischen Eliten für die römische Sache einnehmen.300 Natürlich bediente auch das militärische Ausgreifen der Perser handfeste ökonomische Interessen, wie aus Ägypten erhaltene Papyri aus der Zeit der persischen Okkupation (619‒629) zeigen, welche den persischen Zugriff auf die reichen Steuererträge der ägyptischen Provinzen bezeugen.301 Der Persereinfall konfrontierte Herakleios’ Regierung insofern Ian N. Wood, Reform and the Merovingian church, in: Religious Franks. Religion and Power in the Frankish Kingdoms: Studies in Honour of Mayke de Jong, ed. Rob Meens/Dorine van Espelo/Bram van den Hoven van Genderen/Janneke Raaijmakers/Irene van Renswoude/Carine Rhijn (Manchester 2016) 95–111. 298 Fox, Power and Religion (wie Anm. 210) 50–135. 299 Paul Scheffer-Boichorst, Kleinere Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 4: Zur Geschichte der Syrer im Abend­ lande, in: MIÖG 6 (1885) 521–550; Ingrid Heidrich, Syrische Kirchengemeinden im Frankenreich des 6. Jahrhunderts, in: Aus Archiven und Bibliotheken. FS für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag, ed. Hubert Mordek (Frankfurt/M. u. a. 1992) 21–32. 300 Bowersock, Empires in collision (wie Anm. 43) 44f. 301 Vgl. Foss, The Persians in the Roman Near East (wie Anm. 43) 167 mit Hinweis auf einen Brief des Jahres 623. 297

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mit erheblichen Steuerausfällen,302 die das oströmische Kriegsfinanzierungsproblem so verschärften, dass der Kaiser bald zu außerordentlichen Maßnahmen wie der Heranziehung kirchlichen Vermögens und dem Einschmelzen von kirchlichen Kultgegenständen greifen musste.303 Die Zahlung von Steuern und Tributen setzte erhebliche Dynamiken in Gang.304 Dass etwa die Langobarden die Konsolidierung der eigenen Position dazu nutzen konnten, um die Tributabhängigkeit gegenüber den Franken abzuschütteln, bezeugt nicht nur ein offenbar solides langobardisches „Staatsvermögen“, sondern auch den Bedarf der Gegenseite an rasch verfügbaren finanziellen Ressourcen. Münzen, insbesondere die für die Regionalökonomie weniger geeigneten Goldmünzen, dienten als Medium großräumigen Austausches, welches bestimmten Wertrelationen gehorchte. Darüber hinaus verkörperte die Münzprägung ein wichtiges Medium der Selbstdarstellung und Reichsideologie nicht nur des Kaisers, wie an den Deus adiuva Romanis-Prägungen zu sehen war, sondern auch der Könige im Westen. Das Gros der Bevölkerung in den regna des Westens konnte im Alltag des 6. Jahrhunderts vor allem an der Münzprägung mit dem Kaiserbildnis erfahren, in einem ,Kingdom of the Empire‘ zu leben. Dass die Münzstätten in der Provence, die bis dahin pseudo-imperiale Goldmünzen von hoher Qualität ausgebracht hatten, nach 613 das Konterfei Chlothars II. auf dem Obvers abbildeten, zeugt hier von einem Bewusstseinswandel.305 Die Königsherrschaft schob sich gegenüber dem römischen Kaisertum in den Vordergrund, wie dies bei den Westgoten in der Goldprägung bereits seit Leovigild in Abgrenzumg vom südspanischen Währungsraum der Fall gewesen war. Das auf der Rückseite der Münzen befindliche Kreuz fungierte als Selbstverortung innerhalb der Christenheit, deren religiöse Zentren sich überwiegend in den direkt unter römischer Herrschaft befindlichen Gebieten befanden. Die langobardischen Könige sollten erst später ihr Bildnis auf die Goldmünzen setzten, nachdem sie noch bis weit ins 7. Jahrhundert imperiale Imitativprägungen veranlasst hatten.306 Reichseschatalogie, religiöse Zugehörigkeit und politische Loyalität Die Problematik religiöser Einheit und Vielfalt wurde in ihren politischen Implikationen in synchroner Betrachtung besonders deutlich erkennbar, denn im behandelten Zeitraum nahmen religiöse Spannungen in allen untersuchten Regionen erheblich zu. Die persische Expansion in den Nahen Osten mit dem Raub des Wahren Kreuzes und die seitens der Reichsregierung dagegen ergriffenen Maßnahmen zeigen, wie dieser imperiale Konflikt zunehmend als Konflikt zweier Religionen gedeutet wurde. Die vorhandenen religiösen Grenzziehungen und Gruppendefinitionen galt es dabei jeweils für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren, während betroffene Gruppen umgekehrt die Gunst der Stunde zu nutzen versuchten, sich aus den Zwängen der imperialen Religionspolitik zu befreien. Der jüdische Aufstand und die antichristlichen Maßnahmen im Zuge der persischen Eroberung Jerusalems lassen erkennen, welchen Stellenwert solche innere Verwerfungen gerade in einer Situation der politischen und militärischen Zuspitzung erlangen konnten, so dass die Reichsregierung sogar den Schulterschluss mit den christlichen Reichen des Westens suchte. Die persische Eroberung Jerusalems im Jahr 614 führte zur Intensivierung der religiösen Hochstimmung und mündete in apokalyptische Vorstellungen, Zwangsbekehrungen und eine Reichseschatologie (Deus adiuva Romanis). Auch die von Herakleios vermittelte, durch Synodalversammlungen beschlossene Union zwischen dem Patriarchat von Antiocheia und dem koptischen Patriarchat von Alexandria im Jahr 616 suchte die miaphysitischen Bevölkerungsmehrheiten für die Sache des Imperium zu gewinnen, auch wenn diese aufgrund der persischen Eroberung Ägyptens 619 nur kurzen Bestand haben und sich beide Gruppen letztlich beim Arabereinfall teilweise sogar gegen die Reichs­politik wenden sollten. Die gegen Juden gerichteten Zwangsmaßnahmen des westgotischen Königs ­Sisebut sind als Adaptation einer imperialen Religionspolitik zu verstehen, die seit Vgl. Kaegi, Heraclius (wie Anm. 65) 87f. Vgl. Brandes, Finanzverwaltung in Krisenzeiten (wie Anm. 90) 327 und 438f. 304 Vgl. dazu den Neuansatz von Andreas Fischer, Money for nothing? Franks, Byzantines and Lombards in the sixth and seventh century, in: East and West in the Early Middle Ages, ed. Esders et al. (wie Anm. 35, im Druck). 305 Vgl. dazu Rigold, An Imperial Coinage (wie Anm. 206) 102, 117 und 119; ferner James, The Franks (wie Anm. 206) 195. 306 Jörg Jarnut, Münzbilder als Zeugnisse langobardischer Herrschaftsvorstellungen, in: Iconologia sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Religions- und Sozialgeschichte Alteuropas. FS für Karl Hauck zum 75., Geburtstag, ed. Hagen Keller/ Nikolaus Staubach (Berlin/New York 1994) 283–290, hier 283. 302 303

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dem 6. Jahrhundert situativ gegenüber bestimmten Gruppen Bekehrungszwang ausgeübt hatte, indem sie diese zwang, sich entweder taufen zu lassen oder das Land zu verlassen. Obwohl von Teilen des Episkopates getragen, wäre sie wohl kaum konsensual gegen den gesamten Episkopat durchzusetzen gewesen, sondern muss als Versuch des Königs Sisebut verstanden werden, in Anbetracht der Situation im Imperium und aufgrund des mit Herakleios im Jahr 615 geschlossenen Vertrages den politischen Integrationsdruck auf die jüdische Minderheit dramatisch zu erhöhen. Erst die persische Eroberung Jerusalems scheint daher die Imperialisierung des westgotischen Königtums in die Richtung gelenkt zu haben, dass man bereit war, mit Ostrom Frieden zu schließen und die Zwangstaufe von Juden als Maßnahme zu übernehmen. Der von Sisebut angestrebte Schulterschluss sollte folgerichtig bald von Isidor von Sevilla als aemulatio kritisiert werden. Für das Franken- und das Langobardenreich sind im untersuchten Zeitraum keine vergleichbaren Maßnahmen bezeugt, sondern erst im weiteren Verlauf des 7. Jahrhunderts. Im Gefolge des Machtwechsels von 613 sind antijüdische Ressentiments auch in der Gesetzgebung des Frankenreichs zu finden, doch auf einem niedrigeren Niveau, das vielen westgotischen Juden die Flucht nach Gallien als sinnvoll erscheinen ließ. Für das sich in seinem politischen Zentrum nach Norden orientierende Frankenreich eröffneten sich dagegen neue Möglichkeiten durch die Bekehrung des Königsreiches Kent zum Christen­ tum. Die Zugehörigkeit der Angelsachsen zur christlichen Religion wurde über die Franken und Rom hergestellt, konnte aber bald zu direkten Kontakten mit dem Imperium führen. In Italien dokumentiert die Spaltung des Patriarchates von Aquileia zunächst das Interesse des lango­ bardischen Königtums, die norditalische Kirche im dogmatischen Gegensatz zum Reichsbekenntnis zu halten. In diese Politik scheint sich auf den ersten Blick auch das Verhalten Columbans einzuordnen, während es womöglich auch einen Versuch zu einer religiösen Einigung dokumentiert, die sich p­ arallel zu der schrittweisen Katholisierung des langobardischen Königtums und seiner Aufnahme direkter diplo­matischer Kontakte nach Konstantinopel vollzog. Während der behandelten Zeit wurden herausragende Reliquien wie etwa die Kreuzreliquie zum Symbol politisch-religiöser Zugehörigkeit,307 doch zeigen sich gerade in der Heiligen- und Reliquien­ politik auch gegenläufige Tendenzen, etwa in Chlothars II. Förderung neuer Märtyrerkulte in Burgund zu Ehren derjenigen, die mit Theuderich II. und Brunichilde in Konflikt geraten und zu Tode gekommen waren,308 in König Sisebuts bewusst grenzüberschreitender hagiographischer Verklärung des Desiderius von Vienne,309 oder in der Etablierung des Kultes der hl. Laodicaea im Umfeld des imperial ausgestalteten westgotischen Königspalastes von Toledo, durch dessen Erhebung zum Erzbistum kurz zuvor die Überlappung kirchlicher und politischer Grenzen zwischen dem oströmischen und dem westgotischen Teil beendet worden war. Die Suche nach religiöser Ordnung und das Bedürfnis christlicher Kohärenz in Anbetracht einer sich politisch zergliedernden Welt des Imperiums und mehrerer regna spiegelt sich auch in der 609 erfolgten Umwandlung des römischen Pantheon in eine Maria und allen Heiligen gewidmete Kirche. Sie ist wohl auch zu sehen vor dem zeitlichen Hintergrund mehrerer um 600 unternommener Versuche, den ,Heiligenhimmel‘ zu systematisieren, etwa in Gregors von Tours Schrift ,De gloria martyrum‘,310 in den Dialogi Papst Gregors des Großen311 und der kurze Zeit später im südlichen Gallien erfolgten Bearbeitung des Martyrologium Hieronymianum.312 Sie alle stehen für unterschiedliche Ansätze, die Heiligen geographisch, theologisch und kalendarisch zu ordnen, die Reliquienverehrung zu strukturieren und theologisch zu legitimieren und die religiöse Kohärenz politisch auseinanderdriftender Reiche systematisch neu zu begründen. Die Umwandlung des Pantheon und die westliche Rezeption des Stoyanov, Defenders and Enemies (wie Anm. 96). Vgl. Ian N. Wood, Forgery in Merovingian hagiography, in: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der ­Monumenta Germaniae Historica, 5: Fingierte Briefe. Frömmigkeit und Fälschung. Realienfälschungen (MGH Schriften 33/5, Hannover 1988) 369–384, hier 374f. 309 Siehe oben Anm. 200. 310 Vgl. dazu demnächst Pia Bockius, Mapping divine power – Heilige in Ost und West bei Gregor von Tours (Diss. Phil. Freie Universität Berlin, in Vorbereitung). 311 Dal Santo, Debating the Saints’ Cult (wie Anm. 75). 312 Vgl. Felice Lifshitz, The Name of the Saint. The Martyrology of Jerome and Access to the Sacred in Francia, 627‒827 (­Notre Dame-Indiana 2006) 13–29, bes. 18, die im Gefolge von Bruno Krusch die in den 620er Jahren entstandene gallische Rezension des Martyrologiums mit Auseinandersetzungen innerhalb des columbanischen Klosters Luxeuil in der Drei­kapitel­frage in Verbindung bringt. 307 308

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oströmischen Allerheiligenfestes ordnen sich hier ein, freilich bei einem deutlich erkennbaren, auch ­politisch motivierten Bemühen, die monotheistische Spitze klarer zu betonen. Solche Versuche sind auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Bewohner des Imperiums wie seiner westlichen Reiche als Christen in einer Landkarte verortet sahen, deren Zentrum im Imperium und seinen heiligen Stätten lag und dem man auch im Westen weiterhin bis zu einem gewissen Grad angehören wollte. Der Kontakt mit Mönchen und Pilgern, vor allem jedoch die Vergegenwärtigung von Christi Leben in Schrift und Liturgie sowie die Verehrung von Reliquien entfernter Heiliger dürften dazu beigetragen haben, dass diese ,mental map‘ im Bewusstsein erhalten blieb und schließlich auch den Zerfall der römischen Herrschaft im Nahen Osten überdauerte. Krisenerfahrung, historisches Ereignis und geschichtliche Selbstverortung Im synchronen Querschnitt werden vor allem die Dynamisierung des historischen Bewusstseins und ­seine Aktualisierung vor dem Hintergrund aktueller Krisenerfahrungen deutlich. Die Auseinandersetzung mit den Persern als Gegnern, die einer anderen Religion angehörten, dem Christentum keinen ­Respekt entgegenbrachten und schließlich sogar das wahre Kreuz raubten, konnte dazu führen, dass man sich des Imperiums als einen verbindlichen religiösen Bezugsrahmen auch im Westen bewusst wurde. Zu einem Zeitpunkt, als im Westen Langobarden, Westgoten und Franken wenn auch nicht durchgängig katholisch waren, aber doch mit dem katholischen Christentum sympathisierende Herrscher hatten, mochte dies in den Vordergrund treten. In der zeitgenössischen Herrschertitulatur des Herakleios fehlt das Epitheton des Persersiegers, während der Kaiser christgläubig (πιστὸς ἐν Χριστῷ) als friedensstiftender (εἰρηνικός) Sieger über zahlreiche westliche gentes erscheint, unter ihnen die Franken und Goten.313 Der Gedanke, dass im Zeichen der persischen Bedrohung die Christenheit ,enger zusammenrückte‘, ließ sich in der politischen Kommunikation innerhalb des Imperiums (Deus adiuva Romanis) und zwischen diesem und den westlichen regna (,Katholikenblut‘) offenbar gut verwenden. Das schloss selbstredend in keiner Weise aus, dass man die eigene Position zu verbessern suchte. Aber interessanterweise scheinen westgotische und langobardische Könige es angesichts der Schwäche des Imperiums ab einem gewissen Punkt für wichtiger gehalten zu haben, die Legitimität der eigenen Position durch Ostrom anerkennen zu lassen als weiter zu expandieren und Ostrom völlig zu eliminieren. Man darf also den Barbarenkönigen durchaus auch ein gewisses Bewusstsein dafür unterstellen, warum und zu welchem Zweck der Fortbestand des Imperiums auch ihnen nützte. Dass krisenhafte Erfahrungen häufig zur Neuordnung der Vergangenheit führen,314 ist auch im Fall der hier beschriebenen Ereignisabläufe deutlich zu beobachten. In der persischen Eroberung J­ erusalems im Jahr 614 schien sich manchen das Ende des römischen Reiches anzukündigen, apokalyptische Verkündigungen einer finalen Auseinandersetzung unterstreichen diesen Eindruck. Während in jüdischen Prophezeiungen der Zeit das Ende der Römerherrschaft erhofft und als in ferner Vergangenheit offenbartes Szenario auf die Jetztzeit bezogen wurde, für die der Wiederaufbau des Tempels verheißen war,315 gaben die Geschehnisse der griechischsprachigen Adversus-Iudaeos-Literatur großen Auftrieb, von der aus dem 7. Jahrhundert zahlreiche Zeugnisse vorliegen,316 die, wie zu sehen war, auch bald einander rezipierten. In griechischsprachigen Texten der Zeit wird ein Bemühen greifbar, den Juden ihre Rolle als auserwähltes Volk streitig zu machen und sie für das eigene Volk zu reklamieren.317 So in einer an den Patriarchen von Konstantinopel gerichteten Novelle des Jahres 619 (Text nach Johannes ­Konidaris, Die Novellen des Kaisers Herakleios, in: Fontes Minores 5 (ed. Dieter Simon, Frankfurt am Main 1982) 33–106, hier 62: Ἐν ὀνόματι τοῦ δεσπότου Ἰησοῦ Χριστοῦ τοῦ Θεοῦ ἡμῶν Αὐτοκράτωρ Καῖσαρ Φλάβιος Ἡράκλειος, πιστὸς ἐν Χριστῷ ἡμερώτατος, μέγιστος, εὐεργέτης, εἰρηνικός, Ἀλαμανικός, Γοτθικός, Φραγγικός, Γερμανικός, Ἀντικός, Ἀλανικός, Οὐανδαλικός, Ἀφρικός, Ἐρουλικός, Γηπεδικός, εὐσεβής, εὐτυχής, ἔνδοξος, νικητής, τροπαιοῦχος, ἀεισέβαστος, Αὔγουστος. Ebenfalls unerwähnt bleiben die Langobarden. 314 Vgl. Rudolf Vierhaus, Zum Problem historischer Krisen, in: Theorie der Geschichte, Bd. 2: Historische Prozesse, ed. Karl-Georg Faber/Christian Meier (München 1978) 313–329. 315 Sivan, From Byzantine to Persian Jerusalem (wie Anm. 100); dies., Palestine between Byzantium and Persia (CE 614–618), in: La Persia e Bisanzio (Roma 2004) 77–92. 316 Andreas Külzer, ,Disputationes Graecae contra Iudaeosʻ. Untersuchungen zur byzantinischen antijüdischen Dialogliteratur und ihrem Judenbild (Stuttgart u. a. 1999). 317 Vgl. Olster, Roman Defeat (wie Anm. 99) 73 und 77. 313

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Im Westgotenreich wurde der 615 unter Sisebut verfügte Zwangstaufbefehl zum Auslöser des ­Problems der Apostasie jüdischer Zwangskonvertierter, welches kirchliche und weltliche Gesetzgebung des Westgotenreiches bis zu seinem Ende immer wieder beschäftigen sollte.318 Auch die Westgoten beanspruchten für sich, das auserwählte Volk zu verkörpern.319 In der westlichen Wahrnehmung, so scheint es, stellten der Verlust des Heiligen Landes und die Eroberung Jersualems ein Trauma dar, das sich direkt mit biblisch offenbarten apokalyptischen Szenarien verbinden ließ und zugleich Anlass geben konnte, seine überregionale Verortung als Christ zu reflektieren und sich als Anhänger einer elementar an die Fortexistenz des römischen Reiches gebundenen Religion zu verstehen. Christliche Selbstprojektionen wie das auserwählte Volk zu sein oder das neue Jerusalem zu schaffen ließen sich vor diesem Hintergrund noch schärfer gegen die Juden als religiöse Minderheit richten, drückten jedoch auch eine gentil definierte politische Vision aus. Wurde in Ostrom vor allem Kaiser Phokas zum „Erinnerungsproblem“,320 so rissen im Frankenreich Chlothars II. Sieg von 613 und die Auslöschung des austrasischen Zweiges der merowingischen ­Dynastie eine tiefe Zäsur in das Geschichtsbewusstsein,321 wie u. a. in der Komposition der Fredegarchronik,322 in hagiographischen Texten323 und späteren Königskatalogen324 greifbar wird,325 welche die Dynastie nurmehr über Chlothar II. und seinen Vater Chilperich bis zu ihren Anfängen zurückver­folgten.326 SCHLUSS: GESCHICHTSSCHREIBUNG ZWISCHEN SYNCHRONITÄT UND SYNCHRONIZITÄT Eine komputistische Berechnung des 7. Jahrhunderts, welche Herakleios’ und Sisebuts Regierungs­ jahre mit einer Berechnung derjenigen Chlothars II. verknüpfte, nahm das Jahr 615 zum Fixpunkt ihres Bemühens um Synchronisierung.327 Auch wenn hier in der vorangegangenen Studie anstelle eines einzelnen Jahres ein begrenzter Zeitraum von acht Jahren gewählt wurde, um die Dynamik des Geschehens einzufangen, rückte auch sie die Bedeutung historischer Ereignisse in den Mittelpunkt, in denen sich strukturelle Zusammenhänge manifestierten. Grundsätzlich erscheinen weder Ereignis noch Struktur ohne die jeweils andere Komponente denkbar,328 denn „Bedeutung und Funktion eines Ereignisses Kampers, Geschichte der Westgoten (wie Anm. 131) S. 191 u. 300-304; Bronisch, Die Judengesetzgebung (wie Anm. 136) passim; Bruno Dumézil, Juifs et convertis en Espagne wisigothique dans le premier tiers du VIIe siècle, in: Cristianos y ­Judíos en contacto en la Edad Media. Polémica, conversión, Dinero y convivencia, ed. Flocel Sabate i Curull/Claude ­Denjean (Lledia 2009) 327–345. 319 Vgl. Wood, ,Religiones‘ and ,gentes‘ (wie Anm. 179). 320 Meier, Kaiser Phokas (wie Anm. 107). 321 Gerda Heydemann, Zur Gestaltung der Rolle Brunhildes in merowingischer Historiographie, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philipp Shaw (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15, Wien 2006) 73–86. 322 Gustav Schnürer, Der Verfasser der sogenannten Fredegarchronik (Freiburg i. Ue. 1900) 83 u. ö.; Roger Collins, Fredegar (Aldershot 1996) 11–16. 323 Fontaine, King Sisebut’s ,Vita Desiderii‘ (wie Anm. 177). 324 Dass die Hinrichtung Brunichildes und der Erfolg der neustrischen Linie einen tiefen Bruch bedeutete, wird auch in der späteren Erinnerung der in karolingischer Zeit entstandenen Königskataloge sichtbar, die nicht über Chlothar II. zurückreichen. Vgl. dazu Thomas, Die Namenliste (wie Anm. 188) 21–23. 325 In größerem Zusammenhang jetzt Helmut Reimitz, History, Frankish Identity and the Framing of Western Ethnicity, 550‒850 (Cambridge 2015) 174–180 u. ö. 326 Zum späteren Bild Chlothars vgl. Sabine Savoye, Clotaire II, prince idéal des hagiographes mérovingiens et carolingiens (VIIe‒IXe siècles), in: Revue Bénédictine 116 (2006) 316–351. 327 Vatikanstadt, Reg. Vat. 294 (11. Jh.): Fiunt igitur ab exordio mundi usque in presentam eram, hoc est in annum quintum imperatoris Eraclii et quartum annum Siseboti prinicpis gentis Gothroum anni VDCCCXII. Post completionem huius ­temporis fluxerunt anni LX, scilicet a tempore Chlodoarii usque ad XVtum regni itemque Chlodoarii ac nepotism ipsius quo ipse cum ingenti exercito contra Danos abiit [...] (Additamenta ad Chronica minora [ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora 2, Berlin 1894] 505f.). Vgl. dazu und den darin enthaltenen Fehlkalkulationen Margarete Weidemann, Zur Chronologie der Merowinger im 7. und 8. Jahrhundert, in: Francia 25/1 (1998) 177–230, hier 216f. 328 Zum methodischen Problem von ,Ereignis‘ und ,Struktur‘ vgl. auch Reinhart Koselleck, Darstellung, Ereignis und Struktur (1973), in:Vergangene Zukunft, ed. ders. (wie Anm. 19) 144–157; vgl. auch Struktur und Ereignis, ed. Manfred Hettling/ Andreas Suter (Göttingen 2001). 318

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sind“, wie betont wurde, „deshalb strikt beobachterabhängig, weil sie diese erst innerhalb einer Struktur bzw. eines Wissenssystems erhalten, in dem sich kein Vorgang jemals streng wiederholen wird“.329 Die Synchronität von Ereignissen dürfe daher nicht mit deren Kausalität verwechselt werden, vielmehr gewönnen Ereignisse „ihre Bedeutung stets durch die Symbolstrukturen und die Medien, innerhalb derer sie verhandelt werden“. Die Aufgabe, vergangenes, sich zeitgleich ereignet habendes Geschehen zu synchronisieren, ist also bereits ein Akt der Deutung, der begrifflich den Unterschied zwischen Synchronität und ­Synchronizität ausmacht. Durch Synchronisierung von zeitgleichem Geschehen faktische und potentielle Kausalität herzustellen erweist sich bereits als Problem der zeitgenössischen Beobachter und Interpreten der ­jüngsten Geschehnisse. Die einfachste Form erscheint in synchronen Datierungen nach den Regierungsjahren mehrerer Herrscher, wie sie etwa die westgotische Chronistik Isidors von Sevilla charakterisiert, aber auch beispielsweise in den Postkonsulatsdatierungen südgallischer Inschriften zu finden ist, von denen die jüngsten in die Jahre 618/619 und 629 datieren und daneben z.T. auch Indiktionen und Regierungs­jahre fränkischer Herrscher als Datierungselemente aufweisen.330 Am konsequentesten hat man sich in der fränkischen Fredegarchronik dem darstellerischen Problem gestellt, eine synchronisierte mediterrane Sicht auf die Geschichte zu geben und das Frankenreich inmitten verschiedener Machtfaktoren in seinen Verflechtungen mit der res bzw. manus publica und den angrenzenden regna darzustellen. ­Anders als Gregor von Tours, dessen Berichte über die Kaiser in Konstantinopel anderen narratologischen ­Mustern folgen,331 finden sich in der Fredegarchronik zahlreiche Ansätze, das Geschehen in verschiedenen Regionen des Mittelmeerraumes über Geschichten, Anekdoten und narrative Arrangements miteinander zu synchronisieren332 und so die fränkische Geschichte des 7. Jahrhunderts eingebettet in e­ inen mediterranen Rahmen zu erzählen. Neben den klassischen Ingredienzien einer politischen Verflechtungsgeschichte – Diplomatie und Verträge, politische Eheschließungen usw. – werden in der Chronik weitere Faktoren wie die Religionspolitik, Besteuerungsmaßnahmen und Tributzahlungen in ihrer potentiell grenzüberschreitenden Kraft erkennbar.333 Regionale und überregionale Veränderungen konnten ineinandergreifen, lang- und kurzfristige Prozesse miteinander in Wechselwirkung treten, inso­ fern nutzte Fredegar das Instrument der Synchronisierung zeitgleicher Ereignisse, um sie in ihren Auswirkungen auf die ,Struktur-‚ und ,Sinngeschichte‘ zu thematisieren. Jedem Versuch, auf der Grundlage der lückenhaften Quellenlage und der chronologisch nicht ­immer voll abgesicherten Ereignisabläufe eine ,mediterrane‘ Deutung des Geschehens zu geben, muss ­etwas Hypothetisches anhaften. Dennoch, so war zu zeigen, lohnt es sich, im synchronen Schnitt über weiter­gehende Zusammenhänge nachzudenken. Im vorliegenden Fall vermochte der Blick auf die ­Dynamisierungsprozesse einiger weniger Jahre zumindest zu erhellen, welches Potential die christliche ­Reichseschatologie in der besonderen Situation zu entfalten vermochte, wie sie in der Wendung gegen das Judentum auch einige unter fremder Herrschaft stehende ehemaligen Provinzgebiete des Westens erreichen konnte und wie sie in den Gebieten des Nahen Osterns auch gegenteilige apokalyptische Reaktionen hervorzurufen imstande war, die das Ende des Imperium Romanum für gekommen hielten. Das verdankte sich einer einmaligen historischen Situation und der Deutung damit einhergehender Ereignisse, die man im Rahmen unterschiedlicher, häufig durch Texte geschaffener Sinnkonstruktionen einzuordnen und zu verstehen suchte. Die sich unter dem Eindruck der Entwicklungen im Nahen Osten und in Gallien entwickelnde ,­mediterrane‘ politische Konstellation der Jahre 608 bis 616, um die es hier ging, sollte sich erst mit Christian Kassung, Struktur und Ereignis: Ein Synchronisationsproblem, in: Internetbeiträge zur Ägyptologie und Sudan­ archäologie (IBAES) 10 (2009) (Das Ereignis. Geschichtsschreibung zwischen Vorfall und Befund) 163–168 (http:// www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes10/publikation/kassung_ibaes10.pdf; Zugriff am 29.1.2017). 330 Ingrid Heidrich, Südgallische Inschriften des 5.‒7. Jahrhunderts als historische Quellen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 32 (1968) 167–184; Françoise Descombes/Jean-François Reynaud, Épitaphes chrétiennes récemment découvertes à Lyon, in: Rivista di archeologia cristiana 54 (1978) 265–302. 331 Vgl. dazu Pia Bockius, ,Magnus et verus Christianusʻ: The portrayal of Emperor Tiberius II in Gregory of Tours, in: The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World: Revisiting the Sources, ed. Pia Bockius et al. (im Druck). 332 Andreas Fischer, Rewriting history: Fredegar’s perspectives on the Mediterranean, in: Western perspectives on the ­Mediterranean. Cultural transfer in late antiquity and the early middle ages, 400‒800 AD, ed. ders./Ian N. Wood (London u. a. 2014) 55–76. 333 Fischer, Rewriting history (wie Anm. 332). 329

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­ erakleios’ Sieg über die Perser Endes des Jahres 627 wieder entscheidend ändern.334 Im Jahr 629 H oder 630 schloss Kaiser Herakleios einen Vertrag mit dem Sohn und Nachfolger Chlothars II., dem fränkischen König Dagobert I., und beendete damit die „Funkstille“ in den fränkisch-oströmischen Beziehungen. Dagobert soll, wie Fredegar berichtet, auf Wunsch des Kaisers nun auch die gallischen ­Juden zwangsweise zum Christentum bekehrt haben.335 In der Zwischenzeit, Mitte der 620er Jahre, hatte Ostrom seine Besitzungen auf der iberischen Halbinsel vollständig verloren. Im Jahr 633, auf dem vierten Konzil von Toledo, lehnten die versammelten Bischöfe des Westgotenreiches unter der Leitung Isidors von Sevilla eine erneute Zwangstaufe von Juden ab. Doch dabei blieb es nicht. Weitere fünf Jahre später ordnete der neue König Chintila auf dem VI. Konzil von Toledo an, das gesamte Judentum in seinem Reich auszurotten, so dass in Spanien fortan nur noch katholischen Christen zu leben erlaubt sei; die zwangsbekehrten Juden, die zu ihrem alten Glauben zurückgekehrt waren, mussten ihre heiligen Schriften ausliefern und sich feierlich dazu verpflichten, künftig nicht mehr ihre jüdischen Riten und Feste zu praktizieren. Zeitgleich ermahnte Papst Honorius in imperialer Diktion den westgotischen ­Bischof Braulio von Saragossa, in der Bekehrung der spanischen Juden rigoroser vorzugehen als bisher. Das ereignete sich im Januar des Jahres 638, im Zeichen einer neuerlich dramatisch veränderten mediterranen Konstellation, 21 Monate nach dem Tod Isidors von Sevilla, 17 Monate nach der Schlacht am Yarmuk, acht Monate nach der arabischen Eroberung Jerusalems.336

Esders, Herakleios (wie Anm. 38) 244 und 303f. Fredegar, Chronicon IV, 65, ed. Krusch (wie Anm. 46) 153. 336 Stefan Esders, ,Getaufte Juden‘ im westgotischen Spanien. Die antijüdische Politik König Chintilas zum Jahreswechsel 637/638 und ihre Hintergründe, in: Jüdische Lebenswelten. Von der Antike bis zur Gegenwart, ed. Ernst Baltrusch/Uwe Puschner (Frankfurt/M. u. a. 2016) 53–96. 334 335

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Anmerkungen zur Aussagekraft paariger Schulterfibeln im östlichen Barbaricum (4. bis 7. Jahrhundert) 1. EINLEITUNG ,Habitus barbarus‘ ist die Monographie von Philipp von Rummel, überschrieben mit dem schon präzisierenden Untertitel: Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert.1 Gemeint ist „eine ,neue Elite‘ des sich wandelnden römischen Reiches“: „Traditionell mit hoher symbolischer Bedeutung aufgeladen, erlaubt die Kleidung einen der wichtigsten, die Spätantike charakterisierenden Konflikte in Bilder zu fassen: die Ablösung der traditionell zivilen, städtischen und senatorischen Eliten durch homines novi, deren Macht meist militärischer Art war. Ihre Kleidung war ,unrömisch‘ in dem Sinn, dass sie nicht der Repräsentationskultur der traditionellen senatorischen Elite entsprach, die den habitus romanus für sich beanspruchte. Der habitus barbarus, so das Ergebnis dieser Arbeit, war die äußere Erscheinung ihrer Gegner“.2 Die entscheidende Argumentationsebene ist also die Kontextualität mit dem Militärischen, eben „die Kleidung der militärischen Führungsebene“3 bzw. : „,Barbarisch‘ war das Aussehen […] also vornehmlich deswegen, weil es militärisch war“.4 In einer jüngst erschienenen Studie hat von Rummel dies nochmals pointiert herausgestellt, wobei bereits die Betitelung wiederum seine oben kurz skizzierte Sichtweise erkennen lässt: Unrömische Römer und römische ­Barbaren.5 Dabei wird der Gegensatz zur „gängigen Forschungsmeinung“ nochmals klar betont, d. h. weg von den beiden sich gegenüberstehenden ,Kulturmodellen‘, „einerseits das einheimische romanische und andererseits das zugewanderte“, auch mit Bezug auf mich,6 d. h.: „Die Schnittmenge zwischen der ,­römischen‘ und der ,barbarischen‘ Betrachtungsweise ist der militärische Aspekt, der in dieser Zeit auch in anderen Bereichen immer schwerer von dem Barbarischen zu trennen ist“. „Als heuristisches Mittel der ­modernen [sic] Forschung dienen die Begriffe jedoch nur, wenn sie klar abzugrenzen sind. Die Schwierigkeit liegt demnach nicht in der Frage nach der Existenz [sic] von Unterschieden, sondern im Erkennen [sic] ­dieser Unterschiede“.7 Auch wenn die Dichotomie Römer versus Barbaren nicht grundsätzlich be­zweifelt wird, plädiert der Autor ganz im Sinne des habitus barbarus (s. o.) folglich 1



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Philipp von Rummel, Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert (RGA Erg. Bd. 55, Berlin/New York 2007). Um den Anmerkungsapparat so gering wie möglich zu halten, verweise ich immer wieder auf meine beiden in den Anmerkungen 6 und 10 genannten Arbeiten, ferner für die Sântana de Mureş-­ČernjachovKultur auf meine Studie in Anm. 52 (jeweils mit Bezug auf die ukrainische und russische Literatur). Von Rummel, Habitus 406. Von Rummel, Habitus 390. Von Rummel, Habitus 393f. Philipp von Rummel, Unrömische Römer und römische Barbaren. Die Fluidität vermeintlich präziser Leitbegriffe zum spätantiken Gallien, in: Gallien in Spätantike und Frühmittelalter. Kulturgeschichte einer Region, ed. Steffen Dieffenbach/ Gernot Müller (Millenium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 43, Berlin/Boston 2013) 277–293. Von Rummel, Unrömische Römer 298; der Hinweis auf Bierbrauer bezieht sich auf einen kurzen essayartigen Beitrag in dem bekannten Ausstellungskatalog „Franken – Wegbereiter Europas“ von 1996, der, für mich überraschend, ständig in der Debatte zur ethnischen Interpretation zitiert wird. – Zur neuerdings aufgekommenen Kritik am Romanenbegriff vgl. zuletzt Volker Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet bis nach Pannonien. Ethnische Interpretationsprobleme am Ende des 4. und in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, in: The Frontier World. Romans, Barbarians and Military Culture.Proceedings of the International Conference at the Eötvös Loránd University, Budapest, 1–2 October 2010, ed. Tivadar Vida (Romania Gothica 2, Budapest 2015) 365–475, hier 372. Vgl. z. B. auch Dieter Quast, Völkerwanderungszeitliche Frauengräber aus Hippo Regius (Annaba/Bône) in Algerien, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz 52 (2005) 237–315, hier 284, Anm. 183. Von Rummel, Unrömische Römer 285f. (Zitate) und 277.

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dann doch „für eine Aufgabe des Primats des dichotomen, römisch-barbarischen Erklärungsmodells zugunsten flexiblerer und differenzierterer Modelle“,8 was er sowohl hier als auch besonders in seiner Monographie näher darlegt. Soweit in aller Kürze der grundsätzliche Hintergrund zum habitus barbarus (= habitus militaris), bei dem die Kleidung die entscheidende Bezugsgröße ist, eben die der „militärischen Führungsebene“. Ganz gleich ob man von Rummels Grundaussagen zum habitus barbarus mit vielen klugen und an­ regenden Reflektionen teilt oder nicht,9 auch zur Debatte um die ethnische Interpretation,10 interessiert hier nur das, was er zur Frauentracht, konkret zu paarigen Schulterfibeln (,Zweifibeltracht‘), im Rahmen des habitus barbarus ausführt. Nach von Rummel lassen sich die paarigen Schulterfibeln (zur Funk­tion: S. 142f.) mehr oder minder problemlos in diesen einordnen: „In der weiblichen Kleidung mit paarigen Schulterfibeln ist möglicherweise sogar eine Gewandform zu fassen, die sich im Besonderen unter den reichen Frauen des Militäradels [sic] ausbreitete und vielleicht ganz bewusst auf Vorlagen aus den Grenzregionen […] rekurrierte. Diese Mode war durchaus ,unrömisch‘, da sie nicht der traditionellen Repräsentationskultur der konservativen senatorischen Elite entsprach. Als Mode des spätrömischen Militäradels war sie aber gleichsam vollkommen römisch [sic], je nach der Perspektive des Betrachters vielleicht sogar römischer [sic] als jene Gewänder, die offiziell als solche galten“11 oder: „Eine Ausdehnung des habitus barbarus auf Männer und Frauen stellt daher auch bei einer näheren Verbindung der Männerkleidung mit dem habitus militaris kein Problem dar.“12 Wie aus ,unrömisch‘ dann ,römisch‘ wird, wird auch bei von Rummel durchaus als Problem verstanden,13 und die diesbezüglichen Beweisführungen ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Monographie, vor allem in der Auseinandersetzung mit bisherigen Forschungsmeinungen zur ,Zweifibeltracht‘. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie diese im Römischen Reich zu erklären ist. Immer wieder sorgsam abgewogen wird dies u. a. in folgendem Zitat auf den Punkt gebracht: Einige Vorbedingungen mitbedenkend, „stellt nicht nur die Zurückführung einzelner Typen auf Funde außerhalb [sic] des Reiches ein methodisches Problem dar, sondern vor allem auch die Übertragung solcher partieller Erkenntnisse auf ganze Gewandformen. Die wahrscheinlich viel zu einfach gestellte Frage nach dem römischen oder barbarischen Ursprung der paarigen Schulterfibeln sollte daher offen gelassen werden [sic]. Es gilt viel eher festzuhalten, dass Kleidung mit zwei oder mehreren Fibeln durchaus in Teilen des Römischen Reiches getragen wurde“.14 Gleichwohl wurden zu Recht mögliche Herkunftsräume im Barbaricum in Erwägung gezogen, so insbesondere die Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur, dann aber wieder verworfen.15 Dabei wird hinsichtlich der Herkunftsgebiete außerhalb des Römischen Reiches stets abgewogen zwischen Migrationen von dort, verbunden eben mit Mobilität größerer und kleinerer Personengruppen einerseits, und andererseits der „Ausbreitung eines Modephänomens“, und so kommt von Rummel zu dem Schluss: „Da sich Symbole meist auf spezifische Kontexte [sic] beziehen [mit Bezug auf P. Heather], ist die Annahme, ,Trachten‘ hätten sich im Laufe der zeitlichen und räumlichen Bewegung von gentes nicht verändert, keine wirk8 9



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Von Rummel, Unrömische Römer 277. Vgl. etwa die Rezension von Jochen Haas in: Trierer Zeitschrift 71/72 (2008/09) 502–504. Auf diese Diskussion gehe ich nicht mehr ein, weil die unterschiedlichen Positionen hinreichend ausgetauscht wurden. Auch wenn Sebastian Brather sich weiterhin an mir ,reibt‘, so kann ich dies hinnehmen, so z. B. kürzlich in seiner Rezension zu meiner Akademie-Abhandlung von 2008 mit seiner Behauptung, dass es die „These Bierbrauers“ sei, „die Aufgabe der Archäologie liege lediglich darin, die Sicht der zeitgenössischen Texte und damit diejenige der Historiker zu bestätigen“: Sebastian Brather in: Bonner Jahrbücher 209 (2009) 438–443, hier 440, so auch 443: Volker Bierbrauer, Ethnos und Mobilität im 5. Jahrhundert aus archäologischer Sicht: Vom Kaukasus bis nach Niederösterreich (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Abhandlungen. Neue Folge, Heft 131, München 2008); meine Arbeiten der letzten Jahre haben hinreichend das Gegenteil bewiesen. Gleichwohl – und diese Bemerkung ist mir wichtig: Es macht für mich keinen Sinn, diese Kontroversen weiterzuführen, sondern auf den selbstverständlichen Austausch von unterschiedlichen Ansichten zurückzuführen, zumal es auch an gemeinsamen Schnittmengen – schaut man genauer hin – nicht mangelt; auch hiervon wird in diesem Beitrag die Rede sein. Von Rummel, Habitus 400. – Bei der Gegenüberstellung von gänzlich unterschiedlichem Kleidungszubehör bei Ost­ germanen und Steppennomaden einerseits sowie bei Romanen, insbesondere bei Frauen, andererseits, spreche ich weiterhin von ,Tracht‘ bzw. ,Trachtzubehör‘: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet, 375f. mit Anm. 28. Von Rummel, Habitus 390. Von Rummel, Habitus 394. Von Rummel, Habitus 284f. (Zitat), ferner z.B. 256. Von Rummel, Habitus 279f., 282, 292.

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lich plausible Deutung der Schulterfibeln. Verändert hat sich weibliche Kleidung in der Spätantike sehr wohl und auch die Ausbreitung von Moden war kein in dieser Zeit unbekanntes Phänomen“. Im Folge­ satz ist nun eine der wichtigsten Aussagen von Rummels untergebracht: „Daher scheint es im Lichte der anderen Quellen überzeugender, die paarigen Schulterfibeln zwar als soziales Distinktionsmerkmal anzusehen, aber nicht als Teil einer konservativen ,Stammestracht‘“.16 Hierüber lässt sich jedoch trefflich streiten, vor allem darüber, ob die eine Deutungsebene die andere zwangsläufig ausschließt. Dass dies prinzipiell der Fall ist, wird die Betrachtung im östlichen Barbaricum bzw. im reichsexternen Osten erweisen. Bevor ich mich diesem zuwende, ist es sinnvoll, außer kurzen Annotationen zur ‚Funktion paariger Schulterfibeln‘ und zur ‚Bewertung der Kleidung in der jüngeren Forschung‘ einen Exkurs über zwei Nekropolen im reichsinternen Westen einzuschieben. Bei meinen folgenden Ausführungen geht es mir also nicht um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Philipp von Rummel, sondern allein um die Frage, wie die paarig getragenen Schulterfibeln zu bewerten sind: Sind Merkmale für eine ,Stammes­tracht‘ definitiv auszuschließen? Paarige Schulterfibeln und ihre Funktion Über die Zuordnung der paarigen Schulterfibeln zu einem bestimmten Gewandungsteil kann man unter­ schiedlicher Meinung sein: Dienten sie zum Verschluss eines peplosartigen Gewandes (Abb. 1A, 1) oder zum Heften eines Mantels oder mantelartigem Umhangs auf diesem (Abb. 1B)? Diese Unsicherheit, jeweils mit Bevorzugung einer der beiden Möglichkeiten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Forschung. Textiluntersuchungen fehlen in der Regel oder sind nicht aussagekräftig (s. u.). So hat von ­Rummel Recht, wenn er darauf verweist, dass eine gesicherte funktionale Verbindung zu einem der beiden Gewandungen nicht möglich ist.17 Gleichwohl folgte man seit den Forschungen von Max ­Martin in der Regel seiner Auffassung einer Zuordnung zur Peplostracht, so auch ich: Bei der Peplostracht bzw. dem Peplos(-gewand) handelt es sich um ein „zylindrisches, unter die Arme hochgezogenes Kleid […], das keine Ärmel besaß und dessen oberer Saum durch zwei (in der Regel paarige) Fibeln über den Schultern zusammengehalten wurde“ (Abb. 1A, 1–6).18 Beim Abfassen dieser Studie wurde ich mir zunehmend unsicher, ob ein ausschließlicher Bezug auf Max Martin richtig ist. So erinnerte ich mich wieder an meine Ausführungen von 1971 zu dem Frauengrab von Hochfelden (Elsaß) aus der ­ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, bei denen ich mich für eine Heftfunktion der Silberblechfibeln auf ­einem mantelartigen Umhang entschied:19 Ausschlaggebend waren zum einen der mit Goldflitter besetzte Halsausschnitt des (Ober-)Gewandes, wenig wahrscheinlich für ein an den Schultern gefibeltes Gewand, und zum anderen die Goldflitterbesätze als Bordüren an den Oberarmen desselben Gewandes, das also keine Ärmel aufwies (Abb. 2).20 Wie schon vermerkt, bevorzugt die Forschung mal die eine oder andere Zuordnung, zum Beispiel für die Krim die Heftfunktion (Abb. 1B; s. u.) und für die ­Černjachov-Kultur die Schließfunktion (Abb. 14; s. u.). Welche Konsequenzen hat dies für meinen Beitrag? Grundsätzlich keine, so bedauerlich die Nichtfestlegung auf einen Gewandungsteil auch ist. Entscheidend bleibt aber nach wie vor der archäologisch objektiv feststellbare Befund einer ,Zweifibeltracht‘, also die Tragweise von zwei meist gleichen Fibeln an den Schultern bzw. im Bereich des Oberkörpers. Von Rummel, Habitus 404f.; Peter Heather, The Goths (Oxford 1996) 311. Von Rummel, Habitus 276f., zwar auf bildliche Darstellungen bezogen, dann aber auch auf die Archäologie ausweitend. – Die Peplostracht ablehnend zuletzt Florian Gauß, Völkerwanderungszeitliche ,Blechfibeln‘. Typologie, Chronologie, Interpretation (RGA Erg. Bd. 67, Berlin/New York 2009), z. B. hier 50, jedoch anders argumentierend mit der Gegenüberstellung von paarigen Fibeln und Einzelfibeln (s. u. und vgl. meine Rezension in: Bonner Jahrbücher 209 [2009] 443–451). 18 Z.B. Max Martin, ,Mixti Alamannis Suevis‘? Der Beitrag der alamannischen Gräberfelder am Basler Rheinknie, in: ­Probleme der frühen Merowingerzeit im Mitteldonauraum, ed. Jaroslav Tejral (Spisy Archeologického Ústavu AV ČR Brno 19, Brno 2002) 195–223, hier 206; Max Martin s. v. Fibel und Fibeltracht, in: RGA, 2. Aufl. 8 (Berlin/New York 1994) 541–582, hier 543–549; in diesem Sinne auch noch jüngst Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet. 19 Volker Bierbrauer, Zu den Vorkommen ostgotischer Bügelfibeln in Raetia II, in: Bayerische Vorgeschichtsblätter 36 (1971) 131–165, hier 140, 144f.; so auch noch Volker Bierbrauer, Archäologie und Geschichte der Goten vom 1.–7. Jahrhundert. Versuch einer Bilanz, in: Frühmittelalterliche Studien 28 (1994) 51–171, hier 144. 20 Hinweis hierauf zuletzt: Quast, Völkerwanderungszeitliche Frauengräber 237–315, hier 279 und in diesem Sinne weiter argumentierend: 278–286. Für den diesbezüglichen Gedankenaustausch bin ich Dieter Quast (RGZM Mainz) dankbar. 16 17

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Zwei Nekropolen im reichsinternen Westen Auch wenn ich mich noch in der Einleitung befinde, ist es angebracht, hier in einem kurzen Exkurs auf zwei reichsinterne Befunde einzugehen, auf jene in Angers und Sacca di Goito,21 eben unter den schon angesprochenen Aspekten: paarige Schulterfibeln als soziales Distinktionsmerkmal einer Oberschicht, die Einbindung deren Trägerinnen in eine neue Elite des habitus barbarus, dies ferner verbunden mit dem Problem einer Zuwanderung oder als Ausbreitung einer Mode und schließlich eben die entscheidende Frage nach einer eventuellen ,Stammestracht‘. Ein direkter Bezug der in beiden Nekropolen Bestatteten als Zuwanderer aus dem reichsexternen Osten lässt sich im Folgenden gesichert erweisen und damit auch ein Bezug auf die Intension dieser Studie. Angers „Gare St. Laud’Angers“ (unteres Loiregebiet): Acht Gräber in einer größeren, noch nicht vollständig (?) ergrabenen römischen Nekropole (2.–5. Jahrhundert), nord-südlich (!) orientiert und möglicherweise in Randlage. Vier Frauengräber enthielten kleine Blechfibelpaare in Schulterlage (Abb.  3A, 1–4; Gräber 134, 155, 156, 159), zu denen nur noch je ein Spinnwirtel (134, 156) und ein Tongefäß (159) gehören. Wie schon Florian Gauß richtig bemerkte,22entsprechen die Blechfibeln jenen aus der jüngeren Phase der Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur, stammen also sehr wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, noch bevor beide Kulturgruppen23 ihr Ende finden (C3-jung/ C3/D1: vgl. zum Beispiel Abb. 7A–B).24 Ob es sich bei den in Angers Bestatteten um Goten handelte, ist für das, worum es mir hier geht, letztlich nebensächlich, ebenso wie die von Anderen geäußerte Vermutung, dass es sich bei ihnen vielleicht um angeworbene Söldner für das mobile Feldheer unter dem Praefectus Sarmatorum gentilium gehandelt haben könnte.25 Wichtiger ist die Tatsache, dass zum einen Zuwanderer, jedenfalls die Frauen, wegen ihrer zu Lebzeiten getragenen Zweifibeltragweise, die auch von der bestattenden Gemeinschaft respektiert wurde ,Fremde in der Fremde‘ blieben und dennoch mit der römischen Bevölkerung gemeinsam beerdigt wurden (Friedhofsgemeinschaft). Sacca di Goito bei Mantova (Südostlombardei): Eine kleine spätrömische Nekropole mit 38 Gräbern, alle nord-südlich (!) orientiert, von denen 28 Gräber Beigaben enthielten: Außer Kleidungszubehör auch Schmuck, sowie Ess- und Trinkgeschirr aus Ton, Glas und Metall, worüber man in den bislang erschienenen Vorberichten noch keinen vollständigen Überblick gewinnt.26 Hier interessieren nur die Frauengräber mit der paarigen Schultertragweise, immerhin sechs, davon dreimal mit kleinen Blech Die wenig bekannten Bestattungsplätze ausführlich behandelt bei Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 402–408. Gauß, ‚Blechfibeln‘ 395f. – Der knappe Vorbericht: Jean Brodeur/Maxime Mortreau/J.H. Yvinec, Présences d’auxiliaires sur le site d’Angers. Mise en perspectives au travers des fouilles d’Angers, in: Militaires barbares dans l’armée ­romaine en ­Occident. XXIIe Journées Internationales d’Archéologie Mérovingienne (Bulltin de Liaison 25, 2001) 9–12. Zu den Paralle­ len: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 402f.; Anna Mastykova, Le costume féminin de la civilisation de ­Černjahov avec des fibules en tôle métallique, in: Barbaren im Wandel. Beiträge zur Kultur- und Identitätsumbildung in der Völkerwanderungszeit, ed. Jaroslav Tejral (Spisy Archeologického Ústavu AV ČR Brno 26, Brno 2007) 201–217, hier 201. 23 Obgleich der Begriff ,Kulturgruppe‘ (auch archäologische Kultur) zuletzt von Teilen der Forschung kritisiert wurde, benütze ich diesen dennoch weiterhin als Hilfsmittel wissenschaftlicher Kommunikation: z. B. Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 368 mit Anm. 12. Hinzufügen möchte ich mit Bezug auf die Rezension von Sebastian Brather zu meiner Monographie von 2008 (beides genannt in Anm. 10): Er betont – wie bekannt – dass ,Kulturgruppen‘ „zwar kulturelle und historische Realität [widerspiegeln], aber wegen ihres analytischen Charakters und wegen ihrer Großräumigkeit keine ethnischen Hintergründe [reflektieren] […]. Bierbrauer sieht die ,historische Realität‘ archäologischer Kulturen jedoch einzig in ihren ethnischen Zusammenhängen“ (S. 439). Auch hier ist der Gegensatz unserer beiden Positionen nicht so krass wie es scheint, heißt es doch bei mir weiter: „Es wäre aber denkbar, dass die Archäologie klar unterscheidbare Kulturgruppen erkennen kann; sollte dies der Fall sein, so wäre zu fragen, ob diese dennoch in eine historische Realität überführt werden und den historischen Befund präzisieren können?“ und zuvor wurde betont, dass die „diesbezüglichen Chancen […] a ­priori extrem schlecht [sind]“, wenn der historische Forschungsstand unbefriedigend ist (S. 28); vgl. auch Anm. 10. Auf die Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur bezogen bin ich entgegen Brather jedoch der Meinung, dass dies bei ihr möglich ist (vgl. Anm. 54). 24 Zur Chronologie vielmals Jaroslav Tejral und Volker Bierbrauer: z. B. in Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 378; ­Bierbrauer, Ethnos 28f.; zuletzt Jaroslav Tejral, Einheimische und Fremde. Das norddanubische Gebiet zur Zeit der Völker­ wanderung (Spisy Archeologického Ústavu AV ČR v Brno 33, Brno 2011) 15–24; vgl. Anm. 54 (vor allem für die Kaiserzeit). 25 Nachweise in diesem Sinne: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 402 mit Anm. 83. 26 Die an entlegenen Stellen publizierten Informationen sowie die Literatur zu den hier erwähnten Frauengräbern bei ­Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 404–406. 21 22

Anmerkungen zur Aussagekraft paariger Schulterfibeln im östlichen Barbaricum (4. bis 7. Jahrhundert)

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fibeln: Grab 21427 enthält dazu noch eine Armbrustfibel mit umgeschlagenem rhombischen Fuß als Drittelfibel sowie einen Bronzearmreif mit tierkopfartigen Enden und einen Nomadenspiegel vom ­alano-sarmatischen Typ (Abb. 3B, 1–5), eine Blechkanne und einen Bronzekessel (Altstück); Grab 206 mit Goldblechappliken (Abb. 3B, 9–13), dazu ein Tonkrug und Grab 238 (Abb. 4, 1–2). Ferner mit Schulterfibeln: Grab 210 mit einer Blechfibel zusammen mit einer Armbrustfibel mit festem Nadelhalter und einem Brozearmreif (Abb. 3B, 6–8). Hinzu kommen noch zwei weitere Fibelpaare (Armbrust­ fibeln mit rhombischem umgeschlagenem Fuß) in den Gräbern 10 (Abb. 4A, 3–4) und 23, in letzterem wieder mit einem Spiegel vom alano-sarmatischen Typ (Abb. 4A, 5–7). Einzelfibeln desselben Typs fanden sich im Brustbereich (?) in den Gräbern 226 (Abb. 4A, 8) mit einer Glasflasche, einem Tonkrug, einer glasierten Tonschüssel und einem Bernsteinwirtel und 218 (Abb. 4A, 9); ein dritter Spiegel vom ­alano-sarmatischen Typ gehört zu Grab 221 (Abb. 4A, 11, ohne Kenntnis von Beifunden). Bedauerlich ist, dass über die Männergräber fast nichts bekannt ist.28 Die Frauengräber gehören in denselben Zeitraum wie jene in Angers und auch die Fibeltypen finden ihre Entsprechungen in der Černjachov-Sântana de Mureş-­Kultur, die Armbrustfibeln vor allem im Verbreitungsgebiet der Sântana de Mureş- Kultur. Im Vergleich zu Angers kann man an einem eingewanderten größeren Personenverband in das spät­ römische Umfeld der Südostlombardei nun nicht mehr zweifeln, weil die Zahl der Individuen mit der Zweifibeltragweise viel zu groß ist. Akkulturationsprozesse sind hier genauso wenig erkennbar wie in Angers. Dem im Einzelfall mitgegebenen Ess- und Trinkgeschirr ist in diesem Sinne keine Relevanz beizumessen, weil schon in den Herkunftsgebieten üblich und dieses in Sacca di Goito nur durch einheimisches ersetzt wurde. Wie schon betont, ist die mangelhafte Kenntnis der Inventare der Männergräber sehr bedauerlich, ebenso die Unkenntnis der Sterbealter aller genannten Individuen und das Fehlen von DNA- und Strontiumisotopenanalysen. Ob die Spiegelbeigabe auf mitgewanderte Alano-Sarmaten schließen lässt oder ob sie schon auf im Verbreitungsgebiet der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur erfolgte ,Nomadisierungsprozesse‘ hinweist, sei hier offen gelassen.29 Wie in Angers handelt es sich auch in Sacca di Goito um ,Fremde in der Fremde‘, die auch dort als solche wegen der paarigen Schulterfibeln erkennbar blieben (s. u.). Damit gelangt man nach meiner Auffassung in die Nähe dessen, was man im Kontext der Diskussion um die ethnische Interpretation vor dem Hintergrund von ,Selbst- und Fremdwahr­nehmung‘30 als ,Identität‘31 bezeichnet. Bei der Interpretation der Befunde auf der Südkrim und im Bosporanischen Reich wird hiervon wieder die Rede sein. Sind die in Angers und Sacca di Goito Bestatteten ,Fremden‘ „problemlos“ (s. o) in den habitus ­barbarus einzuordnen und somit klare Zeugnisse für eine „neue Elite“? Trifft die Einschätzung von Rummels zu, dass „die paarigen Schulterfibeln zwar als soziales Distinktionsmerkmal anzusehen [­seien], aber nicht als Teil einer konservativen Stammestracht“?32 Unstrittige Merkmale für eine Zu­ gehörigkeit zu einer Oberschicht sind für die Frauen in Angers und Sacca di Goito nicht erkennbar, auch nicht mit Blick auf ihre Herkunftsgebiete. Hinzu kommt, dass sie in der ,Fremde‘ ihre ange­ stammte ,Zweifibeltracht‘ beibehielten. Nur mit zwei Nekropolen ist die These vom habitus barbarus reichs­intern grundsätzlich natürlich nicht angreifbar, aber zumindest diskussionswürdig, was ich mit

Die zum Teil hohen Grabnummern sind darauf zurückzuführen, dass diese Gräber zusammen mit der direkt westlich ge­ legenen langobardenzeitlichen Nekropole ausgegraben wurden, die die spätrömischen Bestattungen teilweise überlagert. 28 Nur in einer Fußnote werden zwei Männergräber ohne Grabnummern erwähnt, eines mit einer Zwiebelknopffibel und eines mit einem ,Militärgürtel‘: Marco Sannazaro, Goti a Goito? Considerazioni su reperti riconducibili alla cultura Černjachov/ Sîntana de Mureş nell anecropoli di Sacca di Goito (Mantova), in: Archeologia e storia delle migrazioni. Europa, Italia, Mediterraneo fra tardo età romana e alto medioeveo, ed. Carlo Ebanista/Marcello Rotili (Atti del Convegno internazionale di studi, Cimitile–Santa Maria Capua Vetere, 17–18 giugno 2010, Cimitile 2011) 181–196, hier 192, Anm. 43; unter vielen Vorberichten ist dieser der ausführlichste, auch für die Fibeln. 29 Näher ausgeführt: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 407f. 30 Aus der Fülle der Literatur z. B. Walter Pohl, Identität und Widerspruch: Gedanken zu einer Sinngeschichte des Frühmittelalters, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des Frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 23–35, hier 27. 31 Der Kürze wegen zur ,Identität‘: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 376 mit Anm. 30 und 386 mit Anm. 55; vgl. auch Anm. 35–38. 32 Von Rummel, Habitus 404f. 27

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weiteren Beispielen hier aus Platzgründen nicht weiter verfolgen kann.33 Aber wie verhält es sich damit im ­östlichen B ­ arbaricum bzw. im reichsexternen Osten, auf den meine Studie ausgerichtet ist? Bevor ich hierauf eingehe, ist es sinnvoll, noch in aller Kürze auf die Bewertungen zur Kleidung, auch zur paarigen Schultertragweise, in der jüngeren Forschung hinzuweisen, die rückschauend auch für Angers und Sacca di Goito relevant sind. Dabei wird deutlich, losgelöst vom habitus barbarus, dass die Diskrepanz zur ,traditionellen‘ Forschung gar nicht so groß ist. Der Authentizität wegen seien die beispielhaft ausgewählten Stellungnahmen in Zitatform wiedergegeben, ohne den gesamten Kontext, dem sie entnommen sind, einzuschließen. Bewertung der Kleidung in der jüngeren Forschung Philipp von Rummel: „Während diese Arbeit traditionelle Bilder daher kritisch betrachtet, soll die hohe Bedeutung von Kleidung als Ausdrucksmittel persönlichen und kollektiven Selbstverständnisses nicht bestritten werden. Kleidung besaß in der Spätantike – wie in anderen Zeiten und Regionen auch – eine weit über die reine Gewandfunktion hinausgehende Bedeutung“.34 – Sebastian Brather: „Identitäten werden oft in der Kleidung demonstriert […] und Bestattungen waren eine wesentliche Gelegenheit, performativ Zugehörigkeit und Abgrenzung, d. h. Identitäten zum Ausdruck zu bringen. Allerdings sind die wechselseitigen Zusammenhänge nicht eindeutig – weder Kleidung noch Grab geben unmittelbare Hinweise auf Identitäten“.35 – Sebastian Brather: „Kleidung ist ein Zeichenträger par excellence. Da sie unmittelbar am Körper getragen wird, bietet sie sich als Mittel von Zuordnung und Abgrenzung besonders an. Kleidung vermag Differenzen und Identitäten augenfällig zu zeigen“.36 – Michael ­Kulikowski im Zusammenhang mit der „Selbstwahrnehmung der Barbaren sowie ihren Kriterien für ihre eigene Identität“: „Doch wie sieht es mit der Kleidung aus? Kleidung besitzt und besaß immer schon eine ausgesprochen wichtige Funktion für die Definition von Identität und Andersartigkeit. Gerade, weil sie sofort sichtbar ist, hat Kleidung eine emblematische Funktion für diejenigen, die in der Lage sind herauszulesen, was ein bestimmtes Kleidungsstück oder eine Kombination aus mehreren Kleidungsstücken aussagt.“37 Die archäologische Nachweisbarkeit ist jedoch, wie er im Kontext von „Archäologie, Identität, Ethnizität“ betont, eine höchst schwierige und dies „obwohl wir sicher sein können, das einige Kleidungsstücke identitätsstiftend waren oder Andersartigkeit signalisierten – Zugehörigkeit oder Ausschluss […].“38 Der Sinngehalt von Identität (Zugehörigkeit und Abgrenzung; Andersartigkeit) ist gleichsam der gemeinsame Nenner, der diese Wertungen kennzeichnet. Dies und noch mehr fasst Sebastian Brather völlig zutreffend zusammen: „Die Frage nach der Herkunft zielt auf die Unterscheidung von ,Einheimischen‘ und ,Fremden‘. Die Archäologie sieht sich dabei zwei zentralen methodischen Problemen gegenüber. Zum einen geht es darum, ,fremde‘, d.h. von anderswo stammende Personen verlässlich von der Vgl. etwa die Ausführungen von Rummels zu ,Ostgermanische Trachtmerkmale‘: Das Frauengrab von Castelbolognese (Italien): Der Grabfund mit seiner Datierung in das zweite Viertel des 5. Jahrhunderts, ebenfalls aus Oberitalien (Emilia) mit einem Silberblechfibelpaar an den Schultern wird mit Bezug auf mich ausführlich diskutiert: „Das Beispiel von Castelbolognese gemeinsam mit anderen Blechfibelgräbern im Westen [widerspricht] nicht der vertretenen These, dass es keine ethnisch gebundenen ,Trachten‘ gegeben hat. Dieser These ist die Ausbreitung einer Mode [sic] als gleichwertiges [sic] Interpretationsmodell zur Seite zu stellen“ mit der abschließenden Feststellung: „Zu dem Grab von Castelbolognese sei an dieser Stelle lediglich festgehalten, dass hier keineswegs ,zweifellos‘ [mit Bezug auf Bierbrauer] eine eingewanderte Ostgermanin gleich welchen Stammes zu fassen ist. Noch sind zu viele Fragen offen [sic], die gegen eine zu starke interpretative Fixierung auf ein Modell sprechen“, von Rummel, Habitus 323–331, hier 331. Man spürt die Nähe zu Angers und Sacca di Goito, aber noch viel mehr das Spannungsfeld, in dem sich der Autor bewegt und auch sein Ringen um Antworten. 34 Von Rummel, Habitus 8. 35 Sebastian Brather, Kleidung, Bestattung, Identität. Die Präsentation sozialer Rollen im frühen Mittelalter, in: Zwischen Spätantike und Frühmittelalter, ed. Sebastian Brather (RGA Erg. Bd. 57, Berlin/New York 2008) 237–273, hier 237. 36 Sebastian Brather, Kleidung, Grab und Identität in Spätantike und Frühmittelalter, in: Das Reich der Vandalen und seine (Vor-) Geschichten, ed. Guido M. Berndt/Roland Steinacher (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 13, Wien 2008) 283–293, hier 283; ähnlich Sebastian Brather, Von der ,Tracht‘ zur ,Kleidung‘. Neue Fragestellungen und Konzepte in der Archäologie des Mittelalters, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 35 (2007) 185–206, hier 185. 37 Michael Kulikowski, Die Goten vor Rom (Darmstadt 2009) 65. 38 Kulikowski, Goten 67. 33

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bloßen ,Objektwanderung‘ zu unterscheiden. Zum anderen ist zu untersuchen, ob und wenn ja, welche Aspekte der Sachkultur für den Zeitgenossen identitätsrelevant waren, also gezielt zur Demonstration von Zugehörigkeit und Abgrenzung benutzt wurden. Ungeachtet aller methodischen Probleme besteht angesichts der zahlreichen Informationen in spätantiken und frühmittelalterlichen Schriftquellen kein Zweifel daran, dass es seinerzeit sowohl eine beachtliche Mobilität von Personen und Gruppen gab als auch, dass ethnische Identität politisch handelnde Gruppen zusammenhielt. Die historisch relevante Frage stellt aber für die Archäologie zugleich ein analytisches Problem dar. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Unterscheidung zwischen 1. der (geographischen) Herkunft von Personen oder Gruppen und 2. deren (ethnisch benannter) politischer Zuordnung und Identität. Letzteres macht ethnische Zuschreibungen aus, die subjektiv und situationsspezifisch sind – und nicht als prinzipielle und ubiqui­ täre Charakterisierungen ganzer Gesellschaften gelten dürfen“ (kursiv beim Autor).39 Die reichsinternen Fallbeispiele von Angers und Sacca di Goito finden sich in dem, was Brather ausführt, durchaus ebenso wieder, wie meine folgenden Ausführungen zum reichexternen Osten. 2. DIE ,ZWEIFIBELTRACHT‘ IM ÖSTLICHEN BARBARICUM Mit dem östlichen Barbaricum bzw. mit dem reichsexternen Osten beziehe ich mich auf die ­Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur im 4. Jahrhundert und in der Zeit um 400 sowie auf die Krim und die Halbinseln Kertsch und Taman im 5. bis 7. Jahrhundert (Bosporanisches Reich). Diese ­Regionen spielen bei von Rummel, entsprechend dem Titel seiner Monographie, keine Rolle. Die Černjachov-­ Sântana de Mureş-Kultur wird von ihm nur am Rande einbezogen, wenn es um die Probleme der Genese bzw. Herkunft der Zweifibeltrageweise geht (s. o.), also um die „vor-völkerwanderungszeitliche[n] Vorläuferformen von ,Zweifibeltrachten‘ im Römischen Reich“, verbunden mit der wichtigen Fragestellung „ob es im spätantiken Reich ,Zweifibeltrachten‘ gab oder ob diese ein gänzlich fremdes, ,eingewandertes‘ Kleidungsmodell repräsentierten“.40 Besonders diese fragestellende Gegenüberstellung gehört zur Zielsetzung meiner Studie: Die Beurteilung der Zweifibeltragweise in den genannten außerrömischen Gebieten im Osten, sowohl regional als auch „situationsspezifisch“, „die jeweilige historische und kulturelle Situation“ mit einschließend (Brather: s. o.) und dies über einen langen Zeitraum hinweg. Es bleibt aber bei der zentralen Frage, gleich ob reichsintern oder reichsextern: Lässt sich die ,Zweifibeltracht‘ im Sinne von Rummels nur auf ein „soziales Distinktionsmerkmal“ beschränken oder war sie doch auch „Teil einer konservativen Stammestracht“? Oder im Sinne von Brather im Kontext seiner Kritik an der Denomination von ,Tracht‘: „Aus dieser Perspektive [Kleidung statt Tracht: V. B.] erweist sich der Begriff ,Tracht‘ als misslich. Denn mit ihm sind zwei entscheidende Vorstellungen verbunden: Dauer und Normierung. Beides lässt sich aber nicht einfach a priori voraussetzen, sondern kann im Ergebnis eingehender Untersuchungen festgestellt werden“.41 Genau hierum geht es und dabei kommt der „Dauer und Normierung“ besondere Bedeutung zu.

Sebastian Brather, Bestattungen und Identitäten. Gruppierungen innerhalb frühmittelalterlicher Gesellschaften, in: Archaeo­ logy of Identity – Archäologie der Identität, ed. Walter Pohl/Mathias Mehofer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 17, Wien 2010) 26–49, hier 39f. Diesem Zitat lässt sich noch ein weiteres hinzufügen, dessen Sinngehalt auch meiner Studie zugrunde liegt (wie auch schon älteren meiner Arbeiten, dies trotz aller Missverständnisse): „Nichtsdestotrotz liegt in der Hinwendung zu Einzelmerkmalen eine Chance, subjektiven Zuschreibungen der Zeitgenossen näher zu kommen. Ethnische Gruppen benutzen zur Abgrenzung ausgewählte Symbole, um ,eindeutige‘ Zuordnungen zu erreichen. Die verwendeten Zeichen können beliebig sein – jedenfalls in dem Sinne, dass alles zum Zeichen werden kann, wenn es denn den gewünschten Zweck zu erreichen verspricht. Es kommt dabei auf die jeweilige historische und kulturelle Situation [sic] an, denn das bestehende Verhältnis zu ›den Anderen‹ entscheidet über geeignete Merkmale. In diesem Kontext gilt es, auf die ›richtigen‹, d. h. plausiblen und wirksamen Zeichen der Abgrenzung zu setzen“ (kursiv beim Autor): Sebastian Brather, Archäologische Kulturen und historische Interpretation(en), in: Fluchtpunkt Geschichte. Archäologie und Geschichtswissenschaft im Dialog, ed. Stefan Burmeister/Nils Müller-Scheeßel (Tübinger Archäologische Taschenbücher 9, Münster/ New York/München/Berlin 2011) 207–226, hier 217. 40 Von Rummel, Habitus 249 (das Zitat bezogen auf die diesbezügliche Aussagekraft der Bildquellen), aber auch an anderen Stellen ähnlich formuliert. 41 Brather, Von der ‚Tracht‘ 203. 39

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Die ,Zweifibeltracht‘ in der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur In der Diskussion um eine mögliche Herkunft der ,Zweifibeltracht‘ – diese Bezeichnung auch bei von Rummel42 – aus dem Barbaricum und somit auch aus der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur (vgl. 141) stützt sich von Rummel auf die Monographie von Magdalena Tempelmann-Mączyńska mit ihren Verbreitungskarten (1989), die zwangsläufig veraltet sind43, aber von von Rummel weiterhin als repräsentativ angesehen werden.44 Dies ist für die Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur aber längst nicht mehr der Fall (s. u.). Von Rummel ist der Meinung, dass „der Ursprung […] von zwei an den Schultern getragenen Fibeln mit dritter Zusatzfibel nicht, zumindest nicht angesichts des derzeitigen Forschungsstandes, ohne weiteres im Bereich der Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur gesucht werden [darf]“ und kommt zu dem grundsätzlichen Schluss, dass „der Ursprung der Zweifibeltracht derzeit nicht sicher zu lokalisieren [ist], sollte es denn überhaupt nur eine einzige Ursprungsregion gegeben haben“.45 Die ,dritte Zusatzfibel‘ – hier urteilt von Rummel völlig richtig – kommt für die Černjachov-Sântana de ­Mureş-Kultur jedoch nicht in Betracht, da sie nur extrem selten belegt ist. Wie noch deutlich werden wird, geht es allein entweder um Fibelpaare oder um Einzelfibeln, letztere regelhaft nicht vergesellschaftet mit den Fibelpaaren. Nach Florian Gauß ist wegen des häufigen Vorkommens einer Einzelfibel die paarweise Schultertragweise somit nicht kennzeichnend.46 Dies ändert aber nichts daran, dass letz­ tere als Konstante in stets gleicher Fundlage die Frauenkleidung ungleich stärker prägt als die Einzel­ fibel in häufig unterschiedlichen Fundpositionen, worauf am Beispiel zweier Nekropolen in der Sântana de Mureş-Kultur noch näher eingegangen wird (146–148). Insgesamt gesehen ist man somit zu Recht der Meinung, dass die paarige Schultertragweise die Frauenkleidung in stärkerem Maße kennzeichnet als die Einzelfibel.47 Weil die Genese der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur auf die Südostverlagerung der Wielbark-Kultur aus den Gebieten westlich der unteren Weichsel am Ende der älteren und zu Beginn der jüngeren Kaiserzeit zurückgeht, also nach meiner Meinung im Wesentlichen die Südost­ expansion von Goten widerspiegelt,48 ist ein kurzer Blick auf die Tragweise und Funktion der Fibeln in der ­Wielbark-Kultur während der älteren Kaiserzeit angezeigt: ein Fibelpaar an den Schultern und eine dritte Fibel in Brustmitte (Abb. 5A, 1–3).49 Wichtig zu wissen wäre natürlich, ob textilkundliche Untersuchungen Aufschluss über die Zuordnung der Fibeln zu bestimmten Gewändern erlauben. Dies wurde nur für die Wielbark-Kultur versucht,50 nicht aber, soweit mir bekannt, für die Černjachov-­Sântana de Mureş-Kultur, von einer Ausnahme abgesehen (s. u.). Die Lage der Fibelpaare auf den Schultern könnte man am plausibelsten im Sinne von Max Martin mit einem peplosartigen Gewand erklären, da eine Heftfunktion für einen Mantel bzw. mantelartigen Umhang, zumindest in dieser meist hohen Fund­ Von Rummel, Habitus z. B. 282f. Magdalena Tempelmann- Mączyńska, Das Frauentrachtzubehör des mittel- und osteuropäischen Barbaricums in der römischen Kaiserzeit (Kraków 1989). 44 Von Rummel, Habitus 282. 45 Von Rummel, Habitus 282f. 46 Gauß, ‚Blechfibeln‘ 49f. 47 Z. B. Mastykova, Le costume 202, 209. 48 Volker Bierbrauer, Archäologie, hier 87–105; im Wesentlichen angezweifelt von Sebastian Brather, Ethnische Interpreta­ tion in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen (RGA Erg. Bd. 42, Berlin/New York 2004) 255–268. Vgl. Anm. 52. 49 Tempelmann-Mączyńska, Frauentrachtzubehör 65–77; Małgorzata Sajkowska, Proba rekonstrukcji stroju kobiecego w ­kulturze wielbarskiej we wczesnym okresie wpływów rzymskych, in: Problemy kultury wielbarskiej, ed. Tadeusz ­Malinowski (Słupsk 1981) 245–262. 50 Zuletzt immer noch die Studie von Jerzy Maik, Zastosowanie tkanin w odzieźy ludności kultury wielbarskiej, in: Problemy kultury wielbarskiej, ed. Tadeusz Malinowski (Słupsk 1981) 217–233; untersucht wurden aber nur sieben Frauengräber; erkannt wurden drei Gewandungsteile: Hemd, Kleid und Mantel aus Wolle, leider ohne jeweils übereinstimmende Ergebnisse zu den Fibeln; so auch Tempelmann-Mączyńska, Frauentrachtzubehör 73; vgl. auch die Untersuchung von A. Sikorski an 17 Individuen aus der Nekropole von Kowalewka in Großpolen mit 496 Gräbern, die zu keinen weiterführenden Ergebnissen hinsichtlich der Zugehörigkeit der Fibeln zu bestimmten Gewändern führte: Andrzej Sikorski, Tkaniny z cmentarzyska ludności kultury wielbarskiej w Kowalewku, in: Tomasz Skorupka, Kowalewko 12. Cmentarzysko birytualne ludnósci kultury wielbarskiej (od połowy I w. n. e. do początku 3 w. n. e) (Poznán 2001) 451–465 (englische Zusammenfassung: 494), zu den Lagebefunden: 233–239. – Die kürzlich erschienene Monographie von Jerzy Maik, Włókiennictwo kultury wielbarskiej (Łodź 2012) bezieht sich ausschließlich auf Textilanalysen. Für Auskünfte danke ich Wojciech Nowakowski (Warszawa) und Andrzej Kokowski (Lublin). 42 43

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position des Fibelpaares (Abb. 5A, 2–3), wenig wahrscheinlich ist. Die in der Wielbark-Kultur der älteren Kaiserzeit noch übliche Drittfibel, meist in Brustmitte, aber leicht variierend mit der Spirale oft nach oben (Abb. 5A, 1–3), ist schwieriger zu beurteilen. In Betracht käme eine Verschlussfunktion für einen Mantel bzw. mantelartigen Umhang (s. u.).51 Wie zuvor schon erwähnt, ist das Kleidungszubehör hinsichtlich der Fibeln in der Černjachov-Kultur ab der Stufe C2 (um die Mitte des 3. Jahrhunderts) und in der Sântana de Mureş-Kultur ab der späten Stufe C2 (im letzten Viertel des 3. Jahrhunderts oder erst gegen 300) anders zusammengesetzt: entweder ein Fibelpaar oder eine Einzelfibel (s. u.). Wie diese bemerkenswerte Veränderung in der Kleidung am Übergang von der älteren zur jüngeren Kaiserzeit zu erklären ist, weiß ich nicht. Dies ist auch deswegen auffallend, weil, jedenfalls nach meiner Auffassung, die Hauptmasse der Träger der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur grosso modo aus dem Verbreitungsraum der Wielbark-Kultur der älteren Kaiserzeit stammt.52 Bevor ich mich der Trageweise der Fibeln in der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur zuwende, sei noch kurz auf die Polyethnie in beiden Kulturgruppen hingewiesen, wobei ich mich hinsichtlich der Aussagekraft zur Trageweise der Fibeln auf die Grabformen als maßgebliche ethnische Indikatoren beschränke. Sowohl diese, als auch das, was andere archäologische Befundebenen53 betrifft (Grabund Beigabensitte; religiöses Brauchtum etc.), ist mit einer Fülle an Literatur hinreichend erfasst und inter­pretiert worden. Trotz der erwähnten Polyethnie bilden nach bei weitem fächerübergreifender Forschungsmeinung Osthrogoten die ethnisch (und politisch) dominante Bevölkerungsgruppe in der hauptsächlich in der Ukraine verbreiteten Černjachov-Kultur (Abb. 5B).54 Auf der Befundebene lassen sich hinsichtlich der Polyethnie insbesondere noch Sarmaten und Alanen nachweisen: Ihnen ordnet man vor allem die Nischengräber und Katakombengräber(Kammergräber) zu, die Germanen bzw. Goten seit alters her fremd waren.55 So wären also schon hier Akkulturationserscheinungen zu erwarten und somit auch, dass Frauen mit ihrer ,Zweifibeltracht‘ in Nischen- und Katakombengräbern bestattet wurden. Dies ist von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen aber nicht der Fall. Zu diesen Ausnahmen zählt das Nischengrab 12 von Kaborga IV und das Katakombengrab 9 von Belen’koje an der Schwarzmeerküste, wo beide Grabformen mit Abstand am häufigsten belegt sind (Abb. 6).56 Dies gilt es im Gedächtnis zu behalten, wenn von der Südkrim und von den Halbinseln Kertsch und Taman die Rede sein wird, wohin umfangreiche Abwanderungen nach dem Erlöschen der Černjachov-Kultur erfolgten (Abb. 5B). Über deren Enddatierung ist viel geschrieben worden. Nach weit überwiegender Forschungsmeinung bricht diese Kulturgruppe als ganzheitliches Kulturphänomen in C3-jung bzw. C3/D1 ab, also am Ende des 4. Jahrhunderts und in der Zeit um 400. Wesentlich spätere Enddatierungen bis um die Mitte des 5. Jahrhunderts bilden die Ausnahme und überzeugen nicht, weil teilweise gemischt argumentierend. Diese dritte Fibel ist in der Regel von einem anderen Typ als die paarigen Schulterfibeln und auch kleiner und fragiler. Zur etappengeschichtlichen Südostverlagerung der Träger der Wielbark-Kultur: Bierbrauer, Archäologie, passim; Andrzej Kokowski, Vorschlag zur relativen Chronologie der südöstlichen Kulturen des Gotenkreises (Die Forschungsergeb­nisse zur Masłomęcz-Gruppe in Polen), in: Die Sîntana-de Mureş-Černjachov-Kultur, ed. Gudrun Gomolka-Fuchs (Bonn 1999) 179– 209; Andrzej Kokowski, Die Masłomęcz-Gruppe. Ihre Chronologie und Beziehungen innerhalb des gotischen Kulturkreises – Ein Beispiel für den kulturellen Wandel der Goten im Verlauf ihrer Wanderungen, in: Bericht der Römisch-­Germanischen Kommission 78 (1977) 641–833; Volker Bierbrauer, Die ethnische Interpretation der Sîntana-de ­Mureş-Černjachov-Kultur, in: Die Sîntana-de Mureş-Černjachov-Kultur, ed. Gudrun Gomolka-Fuchs (Bonn 1999) 211–238, zum Kleidungszubehör: 216–218, 225f. 53 Dies mit Bezug auf Frauke Stein mit der klaren Unterscheidung von zwei Interpretationsebenen: einerseits die ,Fund-Ebene/ zivilisatorische Ebene‘, die an das sogenannte Sachgut gebunden ist und andererseits die ,Befund-Ebene‘, die je nach Fragestellung interpretativ weit über die ,Fund-Ebene‘ hinausgeht. Im Unterschied zu dieser öffnet die ,Befund-Ebene‘ weitergehende Spielräume auch für ethnische Interpretationen, die freilich durch die ,Fund-Ebene‘ weiter gestützt werden können. Von Frau Stein mehrfach ausgeführt, sei nur auf eine ihrer Arbeiten verwiesen: Frauke Stein, Ergebnisse zur Interferenz zwischen Franken und Romanen im frühen Mittelalter anhand der Gräberfelder bei Audun-le-Tiche (F. Dép. Moselle), in: Grenzen ohne Fächergrenzen. Interdisziplinäre Annäherungen, ed. Bärbel Kuhn/Martina Pitz/Andreas Schorr (St. Ingbert 2007) 403–438, hier 403–406 mit Anm. 5. 54 Vgl. die Literaturübersicht: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 374, auch mit ablehnenden Stimmen. 55 Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 374 mit Anm. 25; zur problematischen Trennung von Sarmaten und Alanen: ­Bierbrauer, Ethnos 19–24, 56–102; Bierbrauer, Sîntana de Mureş-Černjachov-Kultur 221–225. 56 Nachweise: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 375 mit Anm. 26–27; Tejral, Einheimische 47–52; Bierbrauer, Sîntana de Mureş-Černjachov-Kultur 225–228. 51 52

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Möglich ist, dass nach Abwanderung des Hauptteiles der Träger der Černjachov-Kultur noch mit weiteren kleineren Migrationen bis in D1 (vielleicht sogar bis in D2a) zu rechnen ist (zur chronologischen Übersicht: Abb. 7).57 Es ist wichtig hervorzuheben, dass die erwähnte Enddatierung ausschließlich aus dem archäologischen Material heraus erfolgte, auch wenn auf Schriftquellen Bezug genommen wurde.58 Hinsichtlich der Sântana de Mureş-Kultur59 (Abb. 8) verhält es sich nicht wesentlich anders. Die ethisch dominante Bevölkerungsgruppe ist trotz der auch hier zu konstatierenden Polyethnie die der Terwingi-Vesi (Westgoten). Die Polyethnie bezieht sich auf die indigenen dakisch-karpischen und ­sarmatischen Bevölkerungsgruppen. Trotz gelegentlich nachweisbarer Siedelgemeinschaften mit ­Goten (zum Beispiel in Bârlad-Valea Seacă: s.u.) sind Akkulturationserscheinungen auf der Befundebene ­zwischen Goten sowie ,Dako-Karpen‘ und Sarmaten kaum nachweisbar (Grab- und Beigabensitte; ­religiöses Brauchtum etc.). Die größte Gemeinsamkeit bezieht sich noch auf die Beigabe einheimischen Geschirrs.60 Somit liegt ein ähnlicher Befund wie in der Černjachov-Kultur vor, was wiederum für eine vergleichsweise hohe Homogenität der beiden Kulturgruppen spricht.61 Die Fallstudie: Mihălăşeni Weil mittlerweile modern ediert, gehört die Nekropole von Mihălăşeni (Bezirk Botoşani) in der ­moldawischen Tiefebene zu den größten und in jeder Hinsicht aussagekräftigsten Gräberfeldern in der ­Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur: 91 Brandgräber und 429 Körpergräber.62 Der Anteil der Brandgräber (17,5 Prozent) ist auffallend gering im Vergleich zu einer weiteren nunmehr vollständig publizierten Nekropole, der von Bârlad-Valea Seacă mit 295 Brand- und 252 Körpergräbern (s. u.).63 Aus diesem Grund wurde Mihălăşeni als Fallstudie ausgewählt. Jeweils zwei Fibeln sind in 48 Körpergräbern überliefert: 41 in Schulterlage und knapp darunter (Abb. 9A–B) gehörten nach Şovan zu einem peplosartigen Gewand64 (Abb. 12, 5), mitgerechnet zwei leicht gestörte Gräber (347, 378). Möglicherweise sind noch zwei weitere hier einzuordnen, mit einer Lage der zweiten Fibel etwas unterhalb der rechten Schulter (297: Abb. 10, 1; 309). Nur eine einzige Bestattung (123) fällt durch drei Fibeln auf: ein Blechfibelpaar wiederum an den Schultern, dazu eine dritte Fibel mit umgeschlagenem Fuß wohl in Beckenlage. Die „Dreifibeltracht“ erinnert an die Wielbark­ kultur, wo sich die dritte Fibel jedoch in Brustmitte befindet (s. o.: Abb. 5, 1–3) und vermutlich einem mantelartigen Umhang zuzuordnen ist. Nimmt man noch diese drei Gräber (297, 309, 123) hinzu, so beläuft sich die Zahl der Frauen mit Fibelpaaren an den Schultern auf 44. Bleiben noch vier Gräber mit zwei Fibeln in unterschiedlichen Fundpositionen: beide Fibeln an der rechten Schulter (167) und im Bereich des unteren Oberkörpers (181), sodann eine Fibel an der linken Schulter und die andere zwischen den Knien (305) und eine Fibel an der rechten Schulter und die andere dicht darunter (389). Ein weiteres Grab mit zwei Fibeln ist weitgehend gestört (378). Dies zuletzt zusammengefasst bei Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 378–382, einschließlich der Chronologie: hier Abb. 7A nach Kokowski, Masłomęcz-Gruppe 700, Abb. 40, Abb. 7B nach Michael Schmauder, Oberschichtgräber und Verwahrfunde in Südosteuropa im 4. und 5. Jahrhundert. Zum Verhältnis zwischen dem spätantiken Reich und der barbarischen Oberschicht aufgrund der archäologischen Quellen 1: Text (Archeologia Romanica 3, Bukarest 2002) 26, Abb. 26; Bierbrauer, Ethnos 29–31; zuletzt Tejral, Einheimische 27–47. 58 Dies entgegen der Meinung von Gauß, ‚Blechfibeln‘, passim. 59 Erstmalige vollständige Zusammenstellung der 950 Fundorte mit Verbreitungskarte: Florin Petrescu, Reperturiul monumentelor archeologice de tip Sântana de Mureş-Cerneahov de pe teritoriul României (Bucureşti 2002), hier 72, Taf. 1. 60 Der Kürze wegen vgl. die Übersichten bei Bierbrauer, Sîntana de Mureş-Černjachov-Kultur 229–233; Bierbrauer, ­Archäologie 121–133; zuletzt: Florin Petrescu, Cultura Sântana de Mureş-Cerneahov. Arheologieşi Istorie, in: Zwischen der Steppe und dem Reich. Archäologische Studien für Radu Harhoiu zum 65. Geburtstag, ed. Andrei Măgureanu/Erwin Gáll (Bucureşti 2010) 41–78; Petrescu, Repertoriul. 61 Dies wird bezweifelt, so z. B. von Brather (vgl. Anm. 48) und Gauß, ,Blechfibeln‘, u. a. 119, 131–133, 136, 145. 62 Octavian Liviu Şovan, Necropola de tip Sântana de Mureş Černjachov de la Mihălăşeni (Jud. Botoşani) (Târgovişte 2005). – In den Brandgräbern fanden sich keine Fibeln. 63 Vasile Palade, Aşezarea şi necropola de la Bârlad-Valea Seacă secolele III–IV (Bucureşti 2004). 64 So auch Mastykova, Le costume 209 (type peplum); Şovan, Necropola 326 (hier zwar als Mantel bezeichnet, in der näheren Beschreibung aber als zweiteiliges Gewand zu verstehen, was sich auch aus Abb. 12, 5 ergibt). – Diese und alle weiteren Angaben zur Lage der Fibeln, auch der Einzelfibeln, nach Şovan, Necropola 203–205, 325–328 mit Tabellen 2–4 (mit Korrekturen zu Tabelle 3 nach dem Studium der Grabpläne in meinen Ausführungen); vgl. auch Anm. 64. 57

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Einzelfibeln kommen in 46 Gräbern vor, von denen jedoch 15 gestört sind, also außer Betracht ­bleiben. So sind nur 31 Bestattungen auswertbar mit folgenden Befunden: 13 mal lag die Fibel an der linken Schulter oder nur wenig darunter (Abb. 10B, 1) und 11 mal an der rechten Schulter oder nur ­wenig darunter (Abb. 10B, 2), viermal im Becken (Abb. 11A, 1) und einmal oberhalb des Beckens (Abb. 11B, 2). Wichtig sind nun vier Gräber, bei denen eine Einzelfibel in Schulterlage keineswegs gesichert ist: Gräber 28, 71, 126 und 268, bei denen jeweils eine Schulterpartie gestört ist, also sich dort auch noch eine zweite Fibel befunden haben könnte, womit sich die Vorkommen zur ,Zweifibeltracht‘ dann auf 48 erhöhen würden. Zwei weitere Gräber bleiben außer Betracht: Lage der Fibel am Südrand der Grabgrube (289) und neben dem linken Oberarm (443). So stehen 44 bzw. eventuell 48 Bestattungen mit einer paarigen Schultertragweise 31 bzw. vielleicht 35 Gräbern mit einer einzelnen Fibel gegenüber, also mit einem deutlichen Überwiegen der ,Zweifibeltracht‘. Diese Angaben stehen im Widerspruch zu Florian Gauß in seinem Bemühen, die ,Zweifibeltracht‘ als wenig aussagekräftig einzustufen.65 Es kommt hinzu, dass der mögliche Bezug einer Einzelfibel (an der rechten Schulter) zu einem Männergrab auf Grund der Beifunde nicht gesichert ermittelbar ist. Während auch Şovan die paarige Schultertragweise – wie schon erwähnt – einem Peplos zuordnet (Abb. 12, 5), ergibt sich aus seiner Rekonstruktionszeichnung zum weiblichen Kleidungszubehör (Abb. 12) eine Verwendung der Einzelfibel zum Heften eines mantelartigen Umhanges (Abb. 12, 1), eines langen Schleiers (Abb. 12, 2–3) und zum Verschluss eines Mantels (Abb. 12, 6). Diese funktionalen Zuordnungen werden nicht begründet, und so mag dieses Schaubild als nur eine der in Betracht kommenden Möglichkeiten dienen.66 Bemerkenswerte Akkulturationserscheinungen sind nicht nachweisbar, sieht man von ,dako-karpischer‘ Keramik ab (Fundebene).67 Auf der Befundebene wären dies Nischengräber, die man gewöhnlich Sarmaten zuordnet (s. o.). Şovan glaubt zwei solche Gräber erkennen zu können (92, 488), was aber höchst zweifelhalft ist.68 Träfe dies zu, so wäre eine der beiden Frauen in einem Nischengrab beigesetzt worden (488). In Bârlad-Valea-Seacă (Bezirk Vaslui) im mittleren Moldaugebiet ist eine weitere große Nekropole gut ediert: Bei 547 Bestattungen ist der Anteil der Brandgräber mit 295 außerordentlich hoch im Vergleich zu den 252 Körpergräbern. Im Unterschied zu den Brandgräbern von Mihălăşeni ohne Fibeln ist die häufige Mitgabe von nicht dem Feuer ausgesetzten Fibeln bemerkenswert, immerhin 19 einzelne Fibeln und sogar einmal ein Fibelpaar. In den Körpergräbern findet sich die paarige Schultertragweise bei 18 Bestattungen und jeweils zwei Fibeln in vier Gräbern an völlig unterschiedlichen Lagepositionen,69 dazu zwei gestörte Gräber, ebenfalls mit jeweils zwei Fibeln. Einzelfibeln, insgesamt 26, liegen zehnmal an der rechten Schulter, fünfmal an der linken; sieben Gräber sind gestört, und in vier Gräbern lagen die Einzelfibeln nicht an den Schultern.70 Hinsichtlich klar fassbarer Akkulturationserscheinungen mit Sarmaten wären auf der Befundebene wieder die Nischengräber von Interesse, für die Palade elf Vorkommen nennt, besonders die beiden Bestattungen 361 und 364;71 wie in Mihălăşeni handelt es sich auch hier nicht um ,echte‘ Nischengräber, so wie beispielsweise in Kaborga IV, Grab 12 (Abb. 6, 1) oder in Eski-Kermen, Grab 315 (Abb. 20B).

Gauß, ,Blechfibeln‘ 47f.: paarige Schulterlage 41 mal, Einzelfibeln 42 mal; er verließ sich auf die Tabellen 2 und vor ­allem 3, in denen die von mir zuvor erwähnten Besonderheiten zu den Einzelfibeln nicht berücksichtigt sind, die sich aus den Grabplänen ergeben (vgl. Anm. 64). 66 Dieses Schaubild bezieht sich offensichtlich nicht allein auf die Befunde in Mihălăşeni, weil es so viele Blechfibeln dort gar nicht gibt, schon gar nicht mit diesen Fundlagen im Grab. Von Şovan, ebd. 330, nicht näher erläutert, hat er sich vermutlich auf Befunde in anderen Nekropolen bezogen. 67 Şovan, Necropola 332f. 68 Şovan, Necropola 316 (ohne Querschnitte!); auch die zahlreichen Gräber mit einer mehr oder weniger breiten und schrägen seitlichen Abdachung sind nicht als Nischen zu bezeichnen; es handelt sich um wenig höher gelegene ,Bankette‘, auf denen auch Tongeschirr deponiert wurde. 69 Palade, Aşezarea: Gräber 96 (an der rechten Schulter und beim linken Oberschenkel), 212 (an der linken Schulter und beim unteren rechten Oberarm), 232 (an der rechten Schulter und beim unteren rechten Oberarm), 531 (an der linken Schulter und am rechten Grabgrubenrand). 70 Zweimal beim rechten Knie (24, 84), einmal bei der rechten Hand (546) und einmal am linken Grabgrubenrand (494). 71 Palade, Aşezarea 154. 65

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Fasst man die Befunde zu den Fibeln in Mihălăşeni und Bârlad-Valea-Seacă zusammen, so ergibt sich als ausschlaggebende Konstante die Zweifibeltragweise an den Schultern. Dies kann für die Einzelfibeln nicht mehr gesagt werden, bei denen sich eine Tragweise entweder an der linken oder rechten Schulter ergibt (darunter auch Männergräber?), dazu noch völlig abweichende Fundlagen im Grab. Im Gegensatz zur ,Zweifibeltracht‘ (Peplos oder Mantel) weiß man über deren funktionale Zuordnung zu ­einem Gewandungsteil nichts (mantelartiger Umhang, schulterlanger ,Schleier‘: Heften?). Obgleich – wie schon erwähnt – Akkulturationserscheinungen zwischen ,Dako-Karpen‘72 und Sarmaten einerseits und dem was gewöhnlich mit der ,ostgermanischen‘ Komponente in der Sântana de Mureş-Kultur (Westgoten) verbunden wird, auf der Befund- und Fundebene grosso modo kaum erkennbar sind,73 bleiben die Einzelfibeln in funktionaler Hinsicht dabei der größte Unsicherheitsfaktor. Diese wurden auch von den freien Dakern im Sinne von Ion Ioniţă, falls körperbestattet wurde, im Bereich des oberen Brustkorbes und im Halsbereich getragen.74 Da bei den ,Dako-Karpen‘ aber die Brandbestattung die Regel ist, ist also nicht auszuschließen, dass zumindest in Bârlad-Valea-Seacă in dem einen oder anderen Brandgrab eine indigene Frau (im Einzelfall auch ein Mann) mit einer Einzelfibel beerdigt wurde.75 Aber auch dies ist spekulativ, weil die ,typischen‘ Gräberfelder der Sântana de Mureş-Kultur – wie schon meist in der Wielbark-Kultur – weiterhin birituelle sind. Diese Problemebene wird hier nicht weiterverfolgt, weil sie essentiell nichts zur ,Zweifibeltracht‘ beiträgt und Aussagen zur Tragweise der Einzelfibeln ohnehin spekulativ bleiben müssen. Unter den tausenden Grabfunden in der Černjachov-Sântana de Mureş-Kultur befinden sich nur wenige, die man durch herausgehobene Merkmale auf der Befund- und Fundebene einer Oberschicht zurechnen kann,76 so wie dies im 5. Jahrhundert beispielsweise in der donauländisch-ostgermanischen Koine der Fall ist. Im Gegensatz hierzu sind zum Beispiel in den pannonischen Nekropolen der Typen Csákvár und Szabadbattyán aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts zahlreiche Frauen mit paarigen Schulterfibeln aus Eisen und Bronze bestattet, deren Grabausstattungen keinerlei ,Oberschichtmerk­ male‘ aufweisen,77 dies eben ganz im Gegensatz zu den bekannten ,Prunkgräbern‘ vom ,Typ‘ Unter­ siebenbrunn. Letztere gehen auf Vorbilder aus dem Osten zurück, vor allem aus dem Bosporanischen Reich (S. 154f.). Kriterien, die am ehesten in der Černjachov-Kultur auf ein der Oberschicht zuzuordnendes Grab hindeuten, sind die reichhaltigen Beigaben von Ess- und Trinkgeschirr, so wie im Grab 132 eines Mädchens aus Velikaja Bugaevka, eine Černjachov-Nekropole etwa 40 km südlich von Kiev (Abb. 13).78 Am Beispiel dieses Grabfundes mit zwei Armbrustfibeln und einer Gürtelschnalle aus Bronze (Abb. 14B; sowie mit einem auch ansonsten typischen Černjachov-Inventar) ging Oleg Petrauskas ausführlich auf die Funktion der beiden Fibeln ein, eben auf die Schließfunktion für ein peplosartiges Gewand oder auf die Heftfunktion auf einem mantelartigen Umhang (,chalat‘).Es ist meines Wissens die einzige Studie, in der man sich für die Černjachov-Kultur anhand eines gut dokumentierten Grabes so detailliert mit dessen Rekonstruktion befasst hat. Mit guter Kenntnis der Literatur wägt ­Petrauskas ab ­zwischen

Die ethnisch aussagekräftige Trennung zwischen Dakern und Karpen, immer wieder versucht in der rumänischen Forschung, ist auch heute auf archäologischem Wege nicht gesichert möglich: So schon Volker Bierbrauer in: Historische Zeitschrift 233 (1981) 648–652, anlässlich der Rezension von Gh. Bichir, Archeology and History of the Carpi (BAR Supplementary Series 16, Oxford 1976). 73 Bierbrauer, Sântana de Mureş Černjachov-Kultur 230f. 74 Ion Ioniţă/VasileUrsachi, Văleni o mare necropolă a Dacilor liberi (Iaşi 1988) 99–104. 75 Zu dieser Nekropole gehört eine von ,Ostgermanen‘ (Goten) und ,Dako-Karpen‘ (und Sarmaten: z. B. ein Spiegel vom sarmatischen Typ und Haus 6) gemeinsam bewohnte Siedlung: Palade, Aşezarea 44–84. 76 Vgl. z. B. Boris Magomedov, Körpergräber in der Černjachov-Sîntana de Mureş-Kultur, in: Eurasia Antiqua 10 (2004) 281–331, hier 298–300; Magomedov setzt etwas andere Akzente mit Bezug auf meine von ihm zitierte Studie von 1989 und zwar mit Blick auf das Ess- und Trinkgeschirr. 77 Zuletzt Volker Bierbrauer, Zur archäologischen Nachweisbarkeit der ,Alatheus-Safrax-Gruppe‘ in Pannonien, in: Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen – Nuclei spätantik-frühmittelalterlichen Lebens?, ed. Michaela Konrad/ Christian Witschel (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Abhandlungen. Neue ­Folge, Heft 138, München 2011) 113–140, hier 125–130; Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 424–434. 78 Oleg Petrauskas, Pochovannja bagatoj divčinki na mogilniku černjachovskoj kultury Velikaja Bugaevka, in: Archeologija Davnich Slov’jan (Kiev 2004) 165–181. 72

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den beiden oben genannten Meinungen von Martin79 und Bierbrauer80 sowie von E. ­Chajredinova (für die Krim),81 die meiner ursprünglichen Interpretation (Heftfunktion: s. o. S. 139) folgt (Abb. 1B; 21B) (s. u.). Letztlich entscheidet Petrauskas sich für die Schließfunktion eines Kleides (,odjag‘), zu dem auch die Schnalle gehörte, also für die Peplostracht (Abb. 14A, C).82 Dies mag so sein, aber es wird ­wieder deutlich, wie unterschiedlich die Forschung über die Funktion der an den Schultern und im ­oberen Brustbereich getragenen Fibeln urteilt.83 3. DIE ,ZWEIFIBELTRACHT‘: SÜDKRIM UND DIE HALBINSELN KERTSCH UND TAMAN (5.–7. JAHRHUNDERT) Es ist unstrittig, dass nach dem Ende der Černjachov-Kultur gegen Ende des 4. Jahrhunderts und in der Zeit um 400 (s. o.; Phasen C3/D1 und D1: Abb. 7) Abwanderungen sowohl nach Westen als auch nach Osten erfolgten (Abb. 5B): auf die Südkrim und in das Bosporanische Reich (Nordostkrim und die Halbinseln Kertsch und Taman: Abb. 15); am Rande einbezogen werden noch das Donmündungsgebiet mit Tanais und die Nekropole von Djurso bei Novorossysk (Abb. 15A). Das in bestimmten Fällen bei Migrationen tragfähige Axiom, dass das Kulturgefüge (Befund- und Fundebene) des Auswanderungsraumes mit dem des Einwanderungsraumes übereinstimmt,84 kommt auch hier zur Geltung: Das, was die Černjachov-Abwanderer kennzeichnet, erscheint in den Einwanderungsgebieten gleichsam erstmals als neu und fremdartig, so eben auch die ,Zweifibeltracht‘. Bemerkenswert ist jedoch, dass mit Blick auf das erwähnte Axiom nun die Grabform – als konstitutives Merkmal im Kulturgefüge genauso wichtig wie die Kleidung – rasch an Bedeutung verlor: Die Einwanderer wurden nämlich bereits überwiegend von den sie bestattenden Gemeinschaften in Kammergräbern (­Katakomben) und Nischengräbern beigesetzt. Dies war in der Černjachov-Kultur nur selten der Fall (s. o.: Abb. 6). Kammergräber (zum Beispiel Abb. 11B; 25, 1), besonders jene mit einem T-förmigen Dromos (Abb. 4B; 21A; 21, 1; 24, 1) und Nischengräber (Abb. 6, 1; 20B) sind seit alters her kennzeichnend für bestimmte steppennomadische Bevölkerungsgruppen, nach mehrheitlicher Meinung der russischen und ukrainischen Forschung Kammergräber für Alanen und Nischengräber für Sarmaten, Vgl. Anm. 18. Vgl. Anm. 19. 81 Ělsara Chajredinova, Kostjum barbarov veko po materialam mogil’nika u sela Lučistoje, in: Sto let Černjahovskoj kul’ture (Kiev 1999) 203–230, hier 206–214; Ělsara Chajredinova, Rekonstrukcii ženskogo kostjuma barbarov jugo-zapadnogo Krima V-VIII vv., in: Materialy po Archeologii, Istorii i Etnografii 12,2 (2006) 585–601; Elsara Chajredinova, Die Tracht der Krimgoten im 6. und 7. Jahrhundert, in: Unbekannte Krim. Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden, ed. Thomas Werner (Heidelberg 1999) 84–93; vgl. auch Anmerkung 108. 82 Petrauskas, Pochovannja 179. 83 Kommt man mit einer Unterscheidung weiter, wenn man – wie im Kontext der Wielbark-Kultur angedeutet – zwischen einer hohen Lage der beiden Fibeln auf den Schultern (Peplos?) und einer deutlich tieferen im Brustbereich (Heftfunktion?) differenziert? 84 Vgl. z. B. Roland Prien, Archäologie und Migration. Vergleichende Studien zur archäologischen Nachweisbarkeit von Wanderungsbewegungen (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 120, Bonn 2005) 41f., 47, 304f., 315f.; auch Prien betont „die Geschwindigkeit, mit der sich ein im archäologischen Material beobachteter Kulturwandel vollzieht: Je abrupter er vonstattengeht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser durch Migration hervorgerufen wurde“ (316). Vgl. kritische Einwände von Sebastian Brather zu Bierbrauer, Ethnos in seiner Rezension, in: Germania 85 (2007) 162–165, auch zu obigem Zitat: die dort formulierte These „ist praktisch kaum zu verifizieren, weil – wie Prien zu Recht bemerkt – archäologische Chronologien aus prinzipiellen methodischen Gründen kaum ausreichend ,genau‘ sein können“; es lässt sich aber trefflich darüber streiten, was ausreichend ,genau‘ ist, also auch über den von mir gewählten Befund des Zeitraumes vom Ende des 4. Jahrhunderts bis in die Zeit um 400. Brather ist zu Recht der Meinung, dass „es keine allgemeinen Kriterien [gibt], anhand derer eine Migration kleinerer oder größerer Gruppen eindeutig nachzuweisen und damit von anderen Entwicklungen zu unterscheiden wäre“ (kursiv beim Autor), fährt dann aber gleichfalls einschränkend fort, dass es „jeweils der eingehenden Untersuchung des historischen Einzelfalls [bedarf]“ (a. a. O. 164); genau dies ist nach meiner Meinung bei diesem Migrationsvorgang der Fall (situationsspezifisch: s. o. S. 143). Aus der Fülle der Literatur zur Migrationsproblematik und zudem von mir erwähnten Axiom z. B. Dieter Quast, Communication, Migration, mobility and trade explanatory models for exchange processes from the Roman Iron Age to Viking Age, in: Foreigners in Early Medieval Europe: Thirteen International Studies on Early Medieval Mobility, ed. Dieter Quast (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 78, Mainz 2009) 1–26, hier 8–15. 79 80

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wobei für diese so klare (ethnische) Trennung erhebliche Zweifel angebracht sind. So sollte man vorsichtigerweise besser von ,Alano-Sarmaten‘ sprechen.85 Diese machten bei weitem den Hauptteil der Bevölkerung aus, auf den die Černjachov-Abwanderer als deutliche Minderheit trafen, in den Städten, namentlich in Bosporos (Kertsch), zusätzlich noch mit einer weiter zurückreichenden, auf späthellenistischen Wurzeln beruhenden Bevölkerung.86 Die erstaunlich rasche Teilakkulturation (Grabformen) bei den mehrheitlich gotischen Einwanderern bietet jedoch einen interpretativ aussagekräftigen Zugang für die Bewertung der ,Zweifibeltracht‘, dies auch dann weiterhin für das 5. bis 7. Jahrhundert. Hierauf wird erst in den Schlussbetrachtungen eingegangen (S. 157). Auf die Darstellung des Migrationsvorganges – Abwanderungen aus der Černjachov-Kultur und Einwanderungen in die neuen Siedelgebiete – wird verzichtet, aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er archäologisch rekonstruierbar ist.87 Die diesbezüglichen Schriftquellen setzen bekanntlich erst später ein, sowohl für die Tetraxitischen Goten im Bosporanischen Reich als auch für die Krimgoten (Prokop).88 Es wird nicht möglich sein, für die neuen Siedlungsgebiete ein statistisch ähnlich aussagekräftiges Bild für die ,Zweifibeltracht‘ und die Einzelfibeln aufgrund gesicherter Befunde zu erarbeiten, so wie dies für die Sântana de Mureş-Kultur etwa mit Mihalaşeni und Barlăd-Valea Seacă möglich war. Hierfür fehlt die breite Grundlage modern edierter und vollständig ergrabener großer Nekropolen. Es sind nur wenige, aber die Berücksichtigung der Grabformen lässt bereits Einblicke auf den Grad der jeweiligen Nomadisierung zu, auch für die dazugehörigen Siedlungsgemeinschaften. Südkrim: 1. Skalistoje mit 794 Grabkomplexen (mit mehr als 1195 Bestattungen), soweit beurteilbar mit 392 Kammergräbern mit Dromos (mit und ohne seitliche Nischen), 36 Nischengräbern und nur drei ,Erdgräbern‘ (Flachgräber), letztere wie in der Černjachov-Kultur üblich. Die Belegungsspanne reicht vom Ende des 4. Jahrhunderts bis zum Anfang des 8. Jahrhunderts, wobei die Kammergräber schon zum ältesten Nekropolenteil gehören.89 – 2. Lučistoje (nordwestliche Nekropole) mit bislang 295 Grabkomplexen (2007) mit 147 Kammergräbern, 133 Flachgräbern (,Erdgräbern‘) und 15 Nischengräbern. Die Belegungsspanne erstreckt sich vom Ende des 4. Jahrhunderts bis in das 10. Jahrhundert, auch hier die Kammergräber bereits im ältesten Nekropolenteil; ediert sind die ersten 42 Grabkomplexe.90 – 3. Suuk-Su mit 200 Grabkomplexen (mit 363 Bestattungen) mit nur sieben Kammergräbern und drei Nischengräbern, aber mit 74 sogenannten Steinkistengräbern (mit bis zu 15 Bestattungen, die dem Spätteil der Nekropole angehören) und vor allem 96 Flachgräbern (mit 138 Bestattungen). Die Belegung reicht Hierauf gehe ich nicht ein, weil vom Thema meines Betrages zu weit wegführend; Ausführlich hierzu Bierbrauer, Ethnos 56–102; ,Alano-Sarmaten‘: Bierbrauer, Ethnos 122 (mit Bezug auf Michel Kazanski). 86 Bierbrauer, Ethnos 112–123. 87 Ausführlich Bierbrauer, Ethnos 106–123; Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 382–399. 88 Bierbrauer, Ethnos 24–26. Zu der von mir zu wenig berücksichtigten Kritik an den Textstellen von Prokop und damit auch als Rahmen archäologisch-historischer Forschung zuletzt: Stefan Albrecht/Michael Herdick/Rainer Schreg, Neue Forschungen auf der Krim, in: Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transforma­ tion am Nordrand des Byzantinischen Reiches, ed. Stefan Albrecht/Falko Daim/Michael Herdick (Monographien des ­Römisch-Germanischen Zentralmuseums 113, Mainz 2013) 471–491, besonders 471f.; Stefan Albrecht, Quellen zur Geschichte der byzantinischen Krim (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 101, Mainz 2012) 258. 89 E. A. Vejmarn und A. I. Ajbabin, Skalistinskij mogil’nik (Kiev 1993); Karl von der Lohe, Das Gräberfeld von Skalistoje auf der Krim und die Ethnogenese der Krimgoten. Die Frühphase (Ende 4. bis Anfang 6. Jahrhundert), in: Die Sîntana de Mureş-Černjachov Kultur, ed. Gudrun Gomolka-Fuchs (Bonn 1999) 33–58; Bierbrauer, Ethnos 117–121. 90 Aleksandr I. Ajbabin/Ėlsara A. Chajredinova, Das Gräberfeld beim Dorf Lučistoje. 1: Ausgrabungen der Jahre 1977, 1982– 1984 (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 83, Mainz 2009); zahlreiche weitere Grabkomplexe über die hier publizierten hinaus wurden von Herrn Ajbabin und Frau Chajredinova mehr oder minder ausführlich ver­ öffentlicht, so auch in dieser Monographie, zu der es im Vorwort (S. IX) heißt: Der 1. Band enthält auch Kapitel „die sich auf alle [in Vorbereitung befindlichen Bände] beziehen. Hier werden sowohl die Besonderheiten der Konstruktion aller untersuchten Gräber und Kammergräber charakterisiert, als auch die Typologie der Fundobjekte, die als chronologische Indikatoren gelten, erarbeitet und die relative und absolute Chronologie jeder Gruppe gleichzeitiger geschlossener Fundkomplexe begründet“, was immerhin den größten Teil der Arbeit ausmacht (S. 9–76); hierfür kann man den renommierten Archäologen aus Simferopol nur dankbar sein. Zu den chronologischen Vorstellungen, die – von Ausnahmen abgesehen – ab dem späten 5. Jahrhundert zeitlich akzelerierend dann um rund hundert Jahre und teilweise noch mehr von denen der mitteleuropäischen Forschung abweichen, zuletzt: Volker Bierbrauer, Goten im Osten und Westen: Ethnos und Mobilität am Ende des 5. und in der 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts aus archäologischer Sicht, in: Kölner Jahrbuch 43 (2010) 71–111, hier 77 mit Anm. 46; Bierbauer, Ethnos 119f.; von der Lohe, Das Gräberfeld 34–37. 85

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nach meiner Meinung vom letzten Drittel des 5. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts, also hier ohne Nachweise für die Einwanderergeneration.91 – 4. Amalyk-dere mit bislang 75 Kammer- und 14 Nischengräbern sowie sechs Flachgräbern. Die Belegungsspanne erstreckt sich vom Ende des 4. Jahrhunderts bis in das 7. Jahrhundert, ebenfalls mit Kammergräbern im ältesten Friedhofsteil.92 – 5. Eski-Kermen mit Altgrabungen (1928–1929, 1933) und neueren Untersuchungen (1978–1982; 2003; 2006) mit Kammer- und Nischengräbern sowie Flachgräbern, die wohl in die Zeit zwischen dem Ende des 6. Jahrhunderts bzw. der Zeit um 600 bis in das 9. Jahrhundert datieren.93 Die Nekropolen des 3.–4. Jahrhunderts vom ,Typ‘ Inkerman und vom ,Typ‘ Aj-Todor bleiben unberücksichtigt, weil sie mit den Abwanderern aus der Černjachov-Kultur nichts zu tun haben.94 Bosporanisches Reich: Mit Abstand am aussagekräftigsten und auch am bekanntesten ist ­Pantikapaion (Bosporos; Kertsch) mit seinen Nekropolen am Nordhang des Mithridates-Berges (1904), vor allem durch die Grabanlagen in der Gospital’naja-ulica (Hospitalstraße). Leider ist die Dokumentation, der Zeit entsprechend, vielfach unbefriedigend, was sowohl die Grabformen, als auch und vor allem die Zusammensetzung und Geschlossenheit der Grabinventare in den Kollektivgräbern betrifft. Dies gilt auch für weitere Fundplätze auf der Kertscher Halbinsel und auf Taman.95 Nun zur Analyse der genannten Nekropolen, stets bezogen auf die Zielsetzung meiner Studie. Die Südkrim Skalistoje: Zur Einwanderergeneration (C3/D1; D1) gehören die Kammergräber mit T-förmigem ­Dromos 421, Bestattung 1 und 485, Bestattung 4, jeweils mit Fibelpaaren auf den Schultern (Abb. 4B, 1–6). Einzelfibeln fanden sich in den Bestattungen 2 (rechte Schulter) und 4, gleichfalls im Kammergrab 421 (Abb. 16, 1–3) sowie im Doppelnischengrab 481 mit einer Bogenfibel (und einem Nomadenspiegel mit Zentralöse und einem prismatischen Knochenanhänger), die sich beim rechten Ellenbogen fand, also in einer unüblichen Lage wie zum Beispiel in Mihalaşeni (s. o. Sarmatin?). Abgesehen von einer Einzelfibel (?) vom Typ Prša-Levice im vermutlich gestörten Kammergrab 190 aus der Mitte und dem dritten Viertel des 5. Jahrhunderts sind Fibelpaare ab dieser Zeit bis in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts bzw. bis in die Zeit um 600 belegt: Kammergrab 420 mit Bestattung 1 (Abb. 16, 13–14) und 3 (Abb. 16, 4–9) und Kammergrab 449 (Abb. 16, 10–12). Fünf Befunden mit der ,Zweifibeltracht‘ stehen zwei mit einer Einzelfibel gegenüber.96 Im Vergleich mit anderen Nekropolen auf der Südkrim wurden in Skalistoje nur wenige Frauen mit der ,Zweifibeltracht‘ beigesetzt. Die zu dem Bestattungsplatz gehörende Siedelgemeinschaft ist die am stärksten nomadisch-indigen geprägte, was auch am Beispiel der Grabformen deutlich wird (s. o.). Diese, eben die Kammergräber und Nischengräber, sind auf der Krim schon im 3./4. Jahrhundert längst heimisch (,Alano-Sarmaten‘). Dies gilt auch für einzeln

Vgl. Anm. 99. Zusammenfassender Bericht: Magdalena Maczyńska/Alexandr G. Gercen/Sergej Čornyš/Sergej Lukin/Agnieszka Urbaniak † /Jan Bemmann/Katharina Schneider/Ireneusz Jakubczyk, Das frühmittelalterliche Gräberfeld Amalyk-dere am Fuß des Mangup-Plateaus, in: Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transformation am Nordrand des Byzantinischen Reiches, ed. Stefan Albrecht/Falko Daim/Michael Herdick (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 113, Mainz 2013) 125–145; ferner im Gräberfeld noch ein Brandgrab und drei Pferdebestattungen. Die Nekropole ist weitgehend antik und modern gestört und wird deshalb in meine Auswertungen nicht einbezogen. 93 Ėl’zara A. Chajredinova, Ausgrabungen in der Nekropole am Hang des Tafelberges Ėski Kermen in den Jahren 2006–2008, in: Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transformation am Nordrand des Byzantinischen Reiches, ed. Stefan Albrecht/Falko Daim/Michael Herdick (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 113, Mainz 2013) 271–334. 94 Bierbauer, Ethnos 112–117; vgl. auch Anm. 97. 95 Literaturnachweise zu den Nekropolen im Bosporanischen Reich: Bierbauer, Ethnos 25f. mit Anm. 93, 106–111 (­russisch-ukrainische Literatur und zahlreiche Studien von Michel Kazanski). 96 Vejmarn/Ajbabin, Skalistinskij mogil’nik; weil es sich um Rettungsgrabungen (1959/1960) handelte, ist oftmals die Lage der Beigaben nicht dokumentiert, und es kommt hinzu, dass die Qualität der Monographie modernen Ansprüchen kaum genügt; Literaturhinweise zu den hier genannten Gräbern finden sich in der vorzüglichen Studie von Karl von der Lohe, Das Gräberfeld. 91 92

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getragene Fibeln: Sie wurden von Frauen und Männern getragen, von beiden aber nur sehr selten.97 Um Wiederholungen zu vermeiden, sei auch darauf hingewiesen, dass die Blechfibeln mit triangulärer und halbrunder Kopfplatte (zum Beispiel Abb. 16) ab dem letzten Drittel des 5. bis in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts wegen Konstruktionsdetails auf und an der Kopfplatte eine Eigenheit der Werkstätten auf der Krim waren.98 Suuk-Su: In den Grabformen ist diese Nekropole weit weniger nomadisch geprägt als alle anderen Bestattungsplätze auf der Südkrim: 96 Flachgräber mit 138 Bestattungen (gelegentlich mit Mann/Frau, dazu ein Kind), nur sieben Kammergräber und drei Nischengräber. Die 74 sogenannten Steinkistengräber (mit bis zu 15 Bestattungen) gehören zum jüngsten Friedhofsteil; spärlich ausgestattet und ohne Fibeln bleiben sie hier außer Betracht. Hinsichtlich der Fibeln ergab die Durchmusterung der drei Publikationen von N. I. Repnikov folgenden aufschlussreichen Befund:99 23 Bestattungen mit Zweifibeltragweise steht nur eine Bestattung mit einer Fibel gegenüber (Grab 32).100 Es handelt sich um 15 Fibelpaare mit triangulärer oder halbrunder Kopfplatte und um sechs gegossene Fibelpaare, die typologisch hier nicht weiter differenziert werden, dazu zwei weitere vom sogenannten Dnjepr-Typ, diese – wie zu erwarten – mit ungleichen Exemplaren.101 Auf die Grabformen verteilt bedeutet dies: In 14 Flachgräbern (von 96) fanden sich die Fibelpaare an den Schultern bzw. wenig darunter (zum Beispiel Abb. 17A), in Kammergräbern immerhin fünfmal (von 7: zum Beispiel 17B–C) und zweimal in Nischengräbern (von 3). Die Belegung in Suuk-Su setzt, entgegen sehr viel späteren Datierungsvorschlägen, meiner Meinung nach wohl schon im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts ein, auch mit dem Horizont der Blechfibeln (mit unterschiedlichen Schnallentypen).102 Lučistoje (nordwestliche Nekropole): Ediert sind auf vorbildliche Weise die ersten 42 Grabkomplexe. Aufgrund zahlreicher Veröffentlichungen, die ebenfalls Aleksandr I. Ajbabin und Ělzara A. ­Chajredinova zu verdanken sind, sind weitere Grabkomplexe mit Fibeln bekannt. Höchst aufschlussreich ist bereits der Befund in den 42 Grabkomplexen mit Trennung der stratigraphisch übereinander liegenden Bestattungsschichten, für die das Kammergrab 10 als Beispiel erwähnt sei: Bestattungsschicht II (von oben nach unten) mit den Bestattungen 5 und 4 (Abb. 18A–B), Bestattungsschicht IV mit Bestattung 14 und Bestattungsschicht V (die unterste) mit der gestörten Bestattung 17 eines Säuglings (Abb. 19A–B); die Fibelpaare liegen in Höhe des oberen Brustkorbes (zum Beispiel Abb. 18A).103 Mit Einschluss der Kammergräber 36, 38 und 42 ergeben sich elf Bestattungen mit Fibelpaaren und keine mit einer Einzelfibel. Von den an anderer Stelle erwähnten und abgebildeten Grabinventaren seien noch zwei hier angeführt und zwar mit gegossenen und kerbschnittverzierten Fibeln mit Spiralrankendekor: 1. Bestattung 1 aus Kammergrab 77 (Abb. 20A) mit einem Fibelpaar des Typs Udine-Planis, Variante 2, der auf Vorkommen im italischen Ostgotenreich zurückgeht, aber wegen bestimmter Spezifika (Kopfplattenknöpfe mit Vgl. etwa die Durchsicht von Igor N. Chrapunov, Mogil’nik Družnoje (III–IV vv. našej eri). The cemetry of Drooznoye (3rd–4th centuries) (Lublin 2002); vgl. Anm. 94 und ferner ergänzend die kurz informierenden Beiträge in deutscher Sprache (mit Nachweis der Originalliteratur) über die Nekropolen von Ust‘-Al’ma, Levadki, Družnoe, Neisatz, Džurg-Oba (Belegung bis zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts: hier 46f. mit Abb. 25), Suvlu-Kaja, in: Die Krim. Goldene Insel im Schwarzen Meer. Griechen – Skythen – Goten, ed. Landschaftsverband Rheinland/LVR-LandesMuseum Bonn (Darmstadt 2013) 290–379. 98 Längst bekannt, wird zuletzt nochmals darauf verwiesen: Bierbrauer, Goten im Osten 85–88; zur von mir vertretenen Chronologie: vgl. Anm. 90; zur Konstruktion ausführlich: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld Taf. 1–3. 99 N. I. Repnikov, Nekotorye mogil’niki oblasti krimskich gotov, in: Izvestija Archeologičeskoj komissi 19 (1906) 1–80 (Gräber 1–93); N. I. Repnikov, Nekotorye mogil’niki oblasti krymskich gotov, in: Zapiski Odesskogo Občšestva istorii i drevnostej 27 (1907) 101–148 (Gräber 94–188); N.I. Repnikov, Razvedki i razkopi na južnom beregu Kryma i v ­Bajdarskoj doline v 1907 godu, in: Izvestija Archeologičeskoj komissii 30 (1909) 99–126 (Gräber 189–200). Eine systematische Strukturanalyse liegt bis heute nicht vor; erste wenig befriedigende Versuche genannt bei Bierbrauer, Ethnos 117, Anm. 335. 100 Die Angaben bei Gauß, Blechfibeln 506f., treffen nicht zu: Bierbrauer, in: Rezension zu Gauß, in: Bonner Jahrbücher 209 (2009) 445. 101 Blechfibeln mit triangulärer Kopfplatte in den Grabkomplexen: 46, 56 (zwei Gräber), 59, 61, 67, 77, 89, 91; mit halbrunder Kopfplatte: 5, 90, 124, 169, 196, 198; gegossene Fibeln: 28, 86, 87, 154, 155, 162 und 55, 131 vom ,Dnjepr-Typ‘. 102 Vgl. Anm. 90; so auch: von der Lohe, Gräberfeld 41–45; zum irrtümlichen chronologischen Bezug byzantinischer Bronzemünzen auf die Frauengräber im Kammergrab 56 und 77: Bierbrauer, Goten im Osten 87; umfassend: Ajbabin, Archäologie und Geschichte 213–243. 103 Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld; auf die Typenangaben der hier abgebildeten Fibeln und ihrer Analogien wird verzichtet: vgl. dort 17–28. 97

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­ lmandinrundeln) in bosporanischen Werkstätten, wohl in Kertsch, hergestellt werden.104 2. Ein Fibel­ A paar vom Typ Kertsch in Bestattung 12 (Kleinkind) aus Kammergrab 54 (Abb. 19C), das in den Zeitraum vom Ende des 5. bis in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts gehört und ohne Vorbilder aus dem Donauraum nicht denkbar ist, dann aber wiederum für bosporanische Werkstätten kennzeichnend ist.105 Bei der Durchsicht der beiden Monographien von A. I. Ajbabin106 und demselben zusammen mit Frau Chajredinova107 sowie einer weiteren Studie von Frau Chajredinova108 wird deutlich, welche Bedeutung Lučistoje insgesamt und hier bezogen auf die Fibeln zukommt. Die folgende Zusammenstellung bezieht sich somit nur auf kurze Angaben über die Anzahl der Fibeln in einer Bestattung, Angaben über ihre Lagepositionen im Grab fehlen meistens und, wenn doch ersichtlich, liegen sie im Schulterbereich (vgl. zum Beispiel Abb. 1B; 18A; 20A). Es handelt sich um 18 Kammergräber mit 23 Fibelpaaren unterschiedlicher Typen.109 Das Vorkommen einer einzelnen Fibel ist nicht belegt. Die Zahl der Bestattungen mit Fibeln war noch wesentlich größer und man ist gespannt auf weitere Veröffentlichungen.110 Der bislang überblickbare Befund zu Lučistoje ist bereits eindrucksvoll: 21 Kammergräber mit 34 Fibelpaaren, von denen einige wenige ungleich zusammengesetzt sind. Auch in Lučistoje sind Grabkomplexe mit Fibeln vom Ende des 4. und Anfang des 5. Jahrhunderts belegt, darunter zwei (ungleiche) Fibeln im Kammergrab 58 (mit Lage beidseits des rechten Oberarmes: Abb. 11B). Bemerkenswert sind ferner einzeln vorkommende Fibeln, weil sie Männern zugeordnet werden können: so im Kammergrab 52 (beim linken Oberarm) und im Kammergrab 55 (im Becken).111 Eski Kermen: Veröffentlichungen der Altgrabungen, darunter jene von N. I. Repnikov 1932 (62 Gräber), lassen nur sehr eingeschränkte Einsichten zu dieser wichtigen Nekropole zu. Dies gilt auch für die 1978 bis 1982 untersuchten 164 Grabkomplexe, darunter 75 Kammergräber, 32 Flachgräber, 30 in den Felsen geschlagene Gräber und drei Grüfte, von denen viele antik beraubt waren. Aber auch von diesen sind nur zwei nicht beraubte Grabkomplexe veröffentlicht: das Nischengrab 315 und das Kammergrab 257 mit neun Bestattungen und drei völlig zerstörten (Abb. 21A). Wieder lagen die Fibelpaare an den Schultern, sowohl im Nischengrab (Abb. 20B) als auch im Kammergrab mit den Frauenbestattungen 6 und 5 (Abb. 21 B–C). Ein Anhänger in Bestattung 6, der aus der Hälfte eines Solidus von Herakleios (629-641) gefertigt wurde, verweist darauf, dass die ,Zweifibeltracht‘ (und bestimmte Typen von Adlerkopfschnallen) noch während der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts getragen wurde.112

Bierbrauer, Goten im Osten 79f.; der Kürze wegen wird immer wieder auf diese Arbeit verwiesen (mit Nachweis der Originalliteratur); für die gegossenen kerbschnittverzierten Fibeln ist die folgende Studie maßgeblich: Irina P. ­Zaseckaja, ­Datirovka i proishoždenie pal’catyh fibul Bosporskogo nekropolja rannesvednevekovogo perioda, in: Materialy po ­Arheologii, Istorii i Ethnografii Tavrii 6 (1998) 394–478. 105 Bierbrauer, Goten im Osten, 84f. 106 Alexandr Illyč Ajbabin, Archäologie und Geschichte der Krim in byzantinischer Zeit (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 98, Mainz 2012). 107 Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld. 108 Ělzara Chajredinova, Byzantinische Elemente in der Frauentracht der Krimgoten im 7. Jahrhundert, in: Byzanz – Das Römerreich im Mittelalter. Teil 3: Peripherie und Nachbarschaft, ed. Falko Daim/Jörg Drauschke (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 84, 3, Mainz 2010) 59–94; ferner: dies. Ženskij kostjum s južno krymskimi ­orlinogolovymi prjažkami, in: Materialy po Arheologii, Istorii i Etnografii 7 (2000) 91–133. 109 Kammergräber (mit Angabe der Bestattung, soweit bekannt, in der Klammer angegeben): 43 (4), 46a (4), 77 (1; Abb. 20A), 54 (12 [Abb. 19C] 13, 16, 20), 100 (1); 122A (17), 154 (2), 176, 181, 186 (3,12), 207, 216, 229, 232 (9), 238 (6,12), 240, 257 (5), 268 (5,8). 110 Vgl. den Abschnitt Fibeln: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld 17–28. 111 Alexandre Ajbabin/Ělzara Khairedinova, Les ensembles clos de la phase initiale de la nécropole de Loutchistoe en Crimée, in: L’Occident romain et l’Europe central au début de l’epoque des Grandes Migrations, ed. Jaroslav Tejral/Christian Pilet/ Michel Kazanski (Spisy Archeologického Ústavu AV ČR 13, Brno 1999) 275–308, hier 278, Abb. 5, 1–7, und 278–282, Abb. 8, 1–16; vgl. Auch Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld 49 mit Abb. 26. 112 Vgl. Anm. 93 (mit Forschungsgeschichte);Alexandr I. Ajbabin, Die mittelalterliche Siedlung auf dem Plateau Ėski ­Kermen, in: Die Höhensiedlungen im Bergland der Krim. Umwelt, Kulturaustausch und Transformation am Nordrand des Byzantinischen Reiches, ed. Stefan Albrecht/Falko Daim/Michael Herdick (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 113, Mainz 2013) 165–231, hier 187–190; Ajbabin, Archäologie und Geschichte 147, Abb. 66; Ajbabin/ Chajredinova, Das Gräberfeld 60, Abb. 28, 62, Abb. 29 (Stratigraphie). 104

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Bosporanisches Reich Die meisten Informationen für die Fibeln liefert die Kertscher Nekropole am Nordhang des ­Mithridates-Berges in der Gospital’naja ulica (Hospitalstraße). Die Forschungsgeschichte findet sich bei I. P. ­Zaseckaja.113 Von ihr stammen auch die beiden maßgeblichen Publikationen für die zweite Hälfte des 4. bis zur Mitte des 5. Jahrhunderts114 und zeitlich anschließend bis um die Mitte des 6. Jahrhunderts, zwar bezogen auf die Typologie, Datierung und Herleitung gegossener kerbschnittverzierter Fibeln, aber mit Einschluss der Grabinventare.115 Das 6. Jahrhundert und die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts werden ausschnitthaft erfasst durch die Vorlage und Bearbeitung der Adlerkopfschnallen.116 Weitere Überblicke verschaffen die Arbeiten von M. Kazanski.117 Auf dieser Grundlage ergibt sich ein repräsentatives Bild zu den Kertscher Grüften: stets Fibelpaare und, soweit bekannt, mit ihrer Lage in Schulterhöhe oder im oberen Brustbereich, so zum Beispiel bei dem Blechfibelpaar im Kammergrab 154/1904, Bestattung 2 (Abb. 22B) oder bei dem Blechfibelpaar in 165/1904, Bestattung 3 (Abb. 22A, 5–6). Beide Kammergräber repräsentieren beispielhaft den ältesten Zeithorizont (C3/D1; D1) aus der Zeit um 400 bis in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts: Im Kammergrab 165/1904 jeweils Blechfibelpaare in den Bestattungen 6, 10 und 3 (Abb. 22A), im Kammergrab 154/1904 ein Blechfibelpaar in Bestattung 2 (Abb. 22B). Etwa gleichzeitig sind die beiden Einzelfibeln (?) aus den Kammergräbern 145/1877 (Abb. 22C, 2) und 145/1904, dieses mit vermischten Inventaren (Abb. 22C, 3); noch älter (C3) ist zum Beispiel das Fibelpaar mit umgeschlagenem Fuß aus dem Kammergrab 179/1904, Bestattung 2 (Abb. 22C, 1).118 Ab der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts tragen die Kertscher Frauen gegossene kerbschnittverzierte Fibeln, beginnend zum Beispiel mit dem Fibelpaar aus Grab 19/1904 (Abb. 23, 1) und gefolgt von Fibeln, die in die Zeit vom Ende des 5. bis um die Mitte des 6. Jahrhunderts gehören (Abb. 23, 2–5. 7–8). Auf Fragen der Chronologie und der Herleitung der Fibeltypen (mittlerer und östlicher Donauraum; ostgotisches Italien) sowie deren Übernahme durch bosporanische Goldschmiede gehe ich hier nicht ein, auch nicht für die Gürtelschnallen.119 Zu den jüngsten Befunden gehört auch das Kammergrab 78/1907 (Abb. 24, 1) mit vier Bestattungen mit Fibelpaaren. Die Belegung setzt ein mit Bestattung 4 aus der Mitte des 5. Jahrhunderts oder bald danach (Abb. 24, 3); es folgen die Bestattungen 8 (Abb. 24, 4) und 1 (Abb. 24, 2) sowie 12 (Abb. 24, 5) aus der Zeit um 500 bis um die Mitte des 6. Jahrhunderts.120 In Kertsch ist man nun noch mehr als auf der Südkrim mit dem Phänomen von Oberschichtgräbern konfrontiert, wozu man nur auf die Grüfte vom 24. Juni 1904 zu verweisen braucht.121 Auf der Grundlage weit zurückreichender Traditionen der bosporanischen und alano-sarmatischen Führungsschicht, auch als ,bosporanische Kultur der Hunnenzeit‘ bezeichnet, übernehmen nun auch Tetraxitische Goten Irina P. Zaseckaja, Materialy Bosporskogo nekropolja vtoroij poloviny IV-pervoj poloviny V vv. n. e., in: Materialy po Arheologii, Istorii i Ethnografii Tavrii 3 (1993) 23–104, hier 23–38. 114 Zaseckaja, Materialy. 115 Zaseckaja, Datirovka. 116 Irina P. Zaseckaja, On the chronology of eagle-head buckles from the necropolis of Bosporus and South-Crimean burial grounds of the early medieval period (6th–early 7th centuries AD), in: Ancient Civilizations from Skythia to Siberia. An ­International Journal of Comparative Studies in History and Archaeology 10, 1–2 (2004) 77–137 (weitgehend identisch mit ihrer auf Russisch publizierten Studie: zitiert bei Bierbrauer, Goten im Osten 77, Anm. 48). 117 Michel Kazanski, Goty na Bospore Kimmerijskom, in: Sto let Černjahovskoj kul‘ture (Kiev 1999) 277–299; Michel ­Kazanski, Le Bosphore Cimmerien, in: Des Goths aux Huns. Le Nord de la Mer Noire au Bas-Empire et à l’époque de Grandes Migrations, ed. Mark Shchukin/Michel Kazanski/Oleg Sharov (BAR International Series 1535, Oxford 2006) 168–187; Michel Kazanski, Les Germains orientaux au nord de la Mer Noire pendant la seconde moitié du Ve s. et au VIe s., in: Materialy po Arheologii, Istorii i Etnografii Tavrii 5 (1996) 324–337; Igor O. Gavrituhin/Michel M. Kazanski, Bospor, Tetraksity i severnij Kavkas po vtoroj polovine V–VI vv., in: Archeologičeskie vesti 13 (2006) 297–344. Auf weitere Literatur mit Nennung und gelegentlichen Abbildungen ,fibelführender‘ Gräber wird verzichtet, die überdies meist auch in den Anmerkungen 113–117 genannt wird. 118 Anstelle von zahlreichen Einzelnachweisen verweise ich auf Bierbrauer, Ethnos 108–111 und Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 390–392. 119 Ausführlich: Bierbrauer, Goten im Osten. 120 Ausführlich: Zaseckaja, Datirovka 430–433 mit Tafeln 13–16; ferner Kazanski, Les Germains Abb. 8–9. 121 Zasekaja, Materialy 50–73 (Nr. 72–212); Alexandr Ajbabin, I Goti in Crimea (secoli V-VII), in: I Goti (Milano 1994) 114– 124 (mit guten Farbaufnahmen). – Für die Südkrim vgl. z. B. die Kammergräber 2/1996 und 189/2007 von Almalyk-dere: Anm. 92. 113

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diese prunkvollen Beigabensitten, die nicht zuletzt in kostbarem Kleidungszubehör (Prunkgewänder mit Goldflitterbesätzen etc.) sichtbar werden. Neue Aktualität erfährt diese Thematik durch die 2001 wieder aufgenommenen Grabungen in der Nekropole von Džurg-Oba im Südosten der Kertscher Halbinsel mit 42 Kammer- und 19 Flachgräbern und zwar durch die beiden Kammergräber 29/2007 und 40/2008. Teilweise altberaubt, war eine der beiden Bestattungen im Kammergrab 29 ungestört (Abb. 25, 1–2) und sie hätte mit ihrem Inventar (Abb. 25, 3) genauso gut in Kertsch gefunden werden können. Verwiesen wird hier nur auf die Silberblechfibeln, die für Werkstätten auf der Krim kennzeichnend sind: Die beiden größeren Exemplare (11, 9 bzw. 11, 7 cm lang) lagen, leicht versetzt zueinander, neben der linken Kinnpartie (Schulterhöhe: Abb. 25, 2: Nr. 10) bzw. im oberen rechten Brustbereich (Abb. 25, 2: Nr. 9) und die dritte kleinere Fibel (Abb. 25, 7: Nr. 7; Länge 7,0 cm) fand sich an der linken Schulter (nach dem Ausgräber „im Bereich des Gürtels“).122 Leider wird weder im Text noch anhand der Abbildungen deutlich,123 ob sich die größere Blechfibel Nr. 9 (und die kleinere Nr. 7) auf der Goldkette mit Anhängern und/oder auf dem Goldflitterbesatz fand; jedenfalls trug die Dame Bordüren am Ober- und Unterarm wiederum mit oval bzw. rund angeordnetem Goldflitter. Liegt hier eine ähnliche Situation wie im Frauengrab von Hochfelden vor (S. 139; Abb. 2)? Die Bestattung im Kammergrab 29 ist meiner Meinung nach in die Mitte des 5. Jahrhunderts zu datieren, jedenfalls noch in eine Zeit bevor gegossene kerbschnittverzierte Fibeln im Bosporanischen Reich üblich wurden (vgl. die etwa zeitgleiche Bestattung 4 im Kammergrab 78/1907 von Kertsch: Abb. 24, 3).124 Die in dem antik beraubten Kammergrab 40 verbliebenen Inventarteile eines Doppelgrabes eines Mannes und einer Frau erweisen auch dieses als Prunkgrab, unter anderem mit einem Silberblechfibelpaar aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts.125 Die Übernahme der Prunkgrabsitte durch Goten ab der Zeit um 400, in der Černjachov-Kultur zuvor noch unbekannt, führt auch zu vergleichbaren Bestattungen im Donauraum, besonders in Pannonien und darüber hinaus bis hin nach Gallien; ohne wechselseitige personale Mobilität (,offene Räume‘) im 5. Jahrhundert ist dies kaum erklärbar.126 Die zuvor immer wieder deutlich gewordene Konstellation der Bestattung von Frauen mit der ,Zweifibeltracht‘ in Kammer- und auch Nischengräbern kennzeichnet nun auch Befunde in Tanais an der Donmündung, tief im rein steppennomadisch geprägten Osten (Abb. 15A): in der westlichen Nekropole der Stadt das Kammergrab 3/1990 mit einem Blechfibelpaar im oberen Brustbereich (Abb. 26, 1–12) und das Nischengrab 43/1985 mit einem Armbrustfibelpaar (Abb. 26, 13–17), beide aus der Zeit um 400 bzw. aus dem ersten Drittel des 5. Jahrhunderts. In Flachgräbern fanden sich, wohl noch in C3/D1 gehörend, Armbrustfibelpaare: 18/1985 und 24/1982 (Abb. 26, 18–24). Auf weitere Grabfunde und auch auf Siedlungsfunde mit Blechfibeln gehe ich nicht ein, beide sind wichtig für die wechselvolle Geschichte der Stadt. Vermutlich spielen dabei auch Abwanderer aus der Černjachov-Kultur eine Rolle.127 Gleiches nimmt man auch für die große Nekropole von Djurso bei Novorossijsk an der Nordostküste des Schwarzen Meeres (Abb. 15A) mit 525 Gräbern und 16 Pferdebestattungen an, die von der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts bis ins 8. Jahrhundert belegt wurde. Bereits 1974 erforscht, liegen nur drei Vorberichte vor. Da sie aber auf die Frühphase des 5. Jahrhunderts ausgerichtet sind, kennt man immerhin die Inventarzusammensetzungen für zahlreiche Frauengräber mit Silberblechfibeln: Sie liegen stets als Paare in Schulterhöhe.128

Zuletzt: Alexander Ermolin, Das Gold der Nekropole von Džurg-Oba, in: Die Krim. Goldene Insel im Schwarzen Meer. Griechen–Skythen–Goten, ed. Landschaftsverband Rheinland/LVR-LandesMuseum Bonn (Darmstadt 2013) 352–361. 123 Vgl. auch Alexander L. Jermolin, Krovavo-zolotoj stil ,klauzone‘ v juvelirnych izdelijach Bospora (po materialam ­nekropolja Džurg-Oba), in: Bosporskij fenomen. Iskusstvo na periferii antičnogo mira. Materialy meždunarodnoj naučnoj konferencii (Sankt Petersburg 2009) 70–77. 124 Spätere Datierung für Džurg-Oba bei Tejral, Einheimische 326. 125 Ermolin, Das Gold 355–361. 126 ,Offene Räume‘: Bierbrauer, Ethnos 124–129. 127 Literaturhinweise bei Bierbrauer, Ethnos 102–106; Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 382–384, 394; Tejral, Einheimische passim, besonders 162, 296f. 128 Bierbrauer, Ethnos 110f. 122

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4. SCHLUSSBETRACHTUNGEN Angeregt wurde meine Studie nicht zuletzt durch Philipp von Rummel und zwar durch seine Feststellung, dass „die paarigen Schulterfibeln als soziales Distinktionsmerkmal anzusehen [sind], aber nicht als Teil einer konservativen ,Stammestracht‘“129 Diese grundsätzliche Wertung bezieht er auf die reichs­ internen Befunde im Kontext des habitus barbarus, konkret auf das Aufkommen einer ,neuen Elite‘ in Konkurrenz zu der traditionellen Führungsschicht. Die ,neue Elite‘ ist nach von Rummel gekenn­ zeichnet vor allem durch „die Kleidung der militärischen Führungsebene“, deren Aussehen ,barbarisch‘ war. ­Bezieht sich dies wesentlich auf Männer, sind die (dazugehörigen) Frauen aber nicht auszuschließen: „In der weiblichen Kleidung mit paarigen Schulterfibeln ist möglicherweise sogar eine Gewandform zu fassen, die sich im besonderen unter den reichen Frauen des Militäradels ausbreitete und vielleicht ganz bewusst auf Vorlagen aus den Grenzregionen […] rekurrierte. Diese Mode war durchaus ,unrömisch‘ […]“130 , auch wenn sie dann im Rahmen der ,neuen Elite‘ sozusagen ,römisch‘ wurde. Der Bezug zum Reichsexternen bleibt bei von Rummel dennoch existent, zumindest als Problem131. Dieser Aspekt wurde von mir mit zwei reichsinternen Beispielen angesprochen: Angers und Sacca di Goito. Die dort Bestatteten, in Sacca di Goito immerhin ein größerer Personenverband, stammten aus dem Bereich der Sântana de Mureş-Kultur. Sie waren einerseits gewiss keine Angehörigen einer Oberschicht, was weitere zahlreiche reichsinterne Beispiele, zum Beispiel in Pannonien, bekräftigen, und sie wurden andererseits in der ,Fremde‘ noch mit ihrer angestammten, in der Sântana de Mureş-Kultur beheimateten ,Zweifibeltracht‘ bestattet. Um Missverständnisse zu vermeiden: An die Stelle der von von Rummel benutzten Bezeichnung ,paarige Schulterfibeln‘ habe ich außer im Titel ,Zweifibeltracht‘ gesetzt, weil – wie ausgeführt – ein gesicherter Bezug von zwei Fibeln zu einem bestimmten Gewand nicht erweisbar ist (Peplos; mantelartiger Umhang). Die ,Zweifibeltracht‘ im reichsexternen Osten Die soweit wie möglich ausführlich beschriebenen Befunde werden in diesen Schlussbetrachtungen auf das Wesentliche reduziert zusammengefasst und Schritt für Schritt ausgewertet. 1. In der Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur des 3./4. Jahrhunderts ist die ,Zweifibeltracht‘ die kennzeichnende Konstante, was für das Vorkommen von Einzelfibeln wegen stark variierender Grablagen nicht zutrifft. Bereits hier ist man mit dem Problem ethnischer Interpretation konfrontiert: Wer waren die Trägerinnen der ,Zweifibeltracht‘? Die indigenen Bevölkerungsgruppen scheiden aus: ,­Dako-Karpen‘ und Sarmaten sowie Alanen war die ,Zweifibeltracht‘ regelhaft fremd. Die Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur wird nach fächerübergreifender Forschungsmeinung durch Terwingi-Vesi (Westgoten) und Greutungi-Osthrogoti (Ostgoten) geprägt, auch wenn dies immer wieder bezweifelt wird. Wegen der dennoch nicht bestreitbaren Polyethnie wären beiderseitige Akkulturationsvorgänge zu erwarten. Erkennbar wären sie am besten auf der Befundebene: also die Bestattung von Frauen mit der ,Zweifibeltracht‘ in Nischen- und Kammergräbern, die man gewöhnlich mit Sarmaten und Alanen verbindet. Dies ist aber nur höchst selten der Fall und somit ein Hinweis darauf, in den Trägerinnen der ,Zweifibeltracht‘ Gotinnen zu sehen. Einen Unsicherheitsfaktor bilden dabei jedoch Frauengräber mit nur einer Fibel. Kennzeichnende Merkmale für eine Oberschicht fehlen; hierfür käme allein die reiche Versorgung mit Ess- und Trinkgeschirr in Betracht. 2. Nach dem Untergang der Černjachov-Kultur am Ende des 4. Jahrhunderts und in der Zeit um 400 finden umfangreiche Migrationen nicht nur nach Westen,132 sondern auch nach Osten statt: auf die Südkrim und in das Bosporanische Reich. Folgt man der ethnischen Interpretation der ­Černjachov-Kultur, so waren die Emigranten im Wesentlichen Ostgoten (dazu vermutlich noch mitgewanderte ­Sarmaten und Alanen). Für die ,Zweifibeltracht‘ – nun die Regel – eröffnen sich damit neue weiterführende 131 132 129 130

Von Rummel, Habitus 404f. Ebd. 400. Vgl. S. 139. Bierbrauer, Ethnos 56–113.

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Interpretations­grundlagen: Sie war erstens in den Einwanderungsgebieten zuvor unbekannt und ­erscheint hier erstmals neu und fremdartig und zweitens befinden sich Goten nun hier erstmals in einer deut­ lichen Minderheit gegenüber indigenen Bevölkerungsgruppen aus Sarmaten und Alanen. Verbindende Kriterien zwischen Auswanderungsraum und Einwanderungsgebieten bleiben auf der Befundebene in erster Linie die ,Zweifibeltracht‘ und deutlich nachgeordnet die steppennomadischen Grabformen, weil ­Kammer- und Nischengräber in Verbindung mit der ,Zweifibeltracht‘ in den Auswanderergebieten nur selten belegt sind. Auch in den Einwanderungsgebieten verbindet man üblicherweise Nischengräber mit Sarmaten und Kammergräber mit Alanen, dies schon seit dem 3./4. Jahrhundert, besonders auf der Krim. Bei aller schon erwähnten Problematik dieser Zuordnung (,Alano-Sarmaten‘) sind die Kammergräber, vor allem mit T-förmigem Dromos, wegen ihrer weit zurückreichenden Genese noch am ehesten mit Alanen verbindbar und sie bleiben im 5.–7. Jahrhundert weiterhin die dominante Grabform. 3. Es ist also die erwähnte deutliche Minderheitenkonstellation, in der sich nun die Goten befinden, die Präzisierungen zur ,Zweifibeltracht‘ ermöglicht: Anders als noch in der Černjachov-Kultur waren deren Trägerinnen nun sehr viel mehr ,Fremde in der Fremde‘ und zwar in einer steppennomadisch geprägten ,alano-sarmatischen‘ Umwelt, wobei die Art und Weise der Integration der Goten, Frauen wie Männer,133 von besonderem Interesse ist. Bemerkenswert ist somit die außerordentlich rasche ­Akkulturation bei der Übernahme der steppennomadischen Grabformen durch Goten und zwar schon zur Zeit der Einwanderergeneration: Die Trägerinnen der ,Zweifibeltracht‘ wurden von den sie bestattenden Gemeinschaften mehrheitlich in Kammergräbern, gelegentlich auch in Nischengräbern, beigesetzt, also im Wesentlichen von ,Alano-Sarmaten‘ und zwar auf deren ,eigenen‘ Nekropolen im Sinne von Friedhofsgemeinschaften. Hieraus darf man auch auf gemeinsame Siedlungen schließen und auf ein enges Miteinander beider Bevölkerungsgruppen. Eigene Bestattungsplätze wurden von den Zugewanderten nicht angelegt. Noch bemerkenswerter ist, dass dieser Befund auch nach der Mitte des 5. Jahrhunderts derselbe bleibt: So könnte man annehmen, dass der Akkulturationsprozess im Laufe der Zeit weiterfortschreitet, also die ,Fremden‘ immer mehr zu ,Einheimischen‘ werden, mithin auch ihre ,Zweifibeltracht‘ auf­ geben. Genau dies ist nicht der Fall: Die ,Zweifibeltracht‘ wird auf der Südkrim bis in die erste ­Hälfte des 7. Jahrhunderts unverändert weiter getragen, also weit über zweihundert Jahre hinaus! Beim gegen­ wärtigen Editions- und Forschungsstand ist eine allmähliche Aufgabe der ,Zweifibeltracht‘ nicht feststellbar. Im Bosporanischen Reich verhält sich dies anders: Dort ist der Traditionsstrang wesentlich kürzer, endet er doch spätestens und zwar auffallenderweise ziemlich abrupt um die Mitte des 6. Jahrhunderts, umfasst also ,nur‘ rund 150 Jahre.134 Hinsichtlich der Integration von Goten in die steppennomadische Umwelt wären auf der Grundlage der ,Gräberarchäologie‘ noch weitere Aspekte zu beachten: Nicht nur der unterschiedlich hohe Anteil von Goten in den unterschiedlich stark geprägten nomadischen Friedhofs- und Siedelgemeinschaften, sondern auch die Frage nach gotischen ,Familienarealen‘, wie sie sich in Lučistoje und Kertsch an­ deuten. 4. Anders als in der Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur kommt es nun erstmals zur klaren Erkennbarkeit von Gräbern einer Oberschicht und dies auch schon zur Zeit der Einwanderergenera­tion und der ersten im Lande lebenden Generation, sowohl auf der Südkrim, aber noch deutlicher im Bosporanischen Reich. Die Impulse zu deren Herausbildung wurden genannt. Sie bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die reichsinternen Gebiete im 5. Jahrhundert, wo sie auch zur ,neuen Elite‘ im Sinne von ­Rummels beitragen, nach meiner Auffassung weniger durch die Ausbreitung einer Mode als durch personale ­Mobilität.

„War ethnische Identität eine Domäne der Frauen?“ fragt S. Brather bei seiner Rezension zu Bierbrauer, Ethnos, in: Bonner Jahrbücher 209 (2009) 440; natürlich nicht: Bierbrauer, Vom Schwarzmeergebiet 396, Anm. 72 134 Die Gründe sind mir unklar: Bierbrauer, Goten im Osten passim, besonders: 80f., 98f. 133

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5. FAZIT Spätestens nach den Migrationen der Černjachov-Bevölkerung, im Wesentlichen Goten, in die neuen Siedelgebiete auf der Südkrim und im Bosporanischen Reich lässt die Interpretation der ,Zweifibeltracht‘ keinerlei Zweifel mehr zu. Besonders auf der Südkrim wird sie über mehr als zweihundert Jahre getragen: Die Frauen der gotischen Minderheit tragen sie zu Lebzeiten und werden mit ihr auch bestattet. Die zu erwartenden Akkulturationserscheinungen inmitten einer dominierenden steppennomadischen Umwelt aus ,Alano-Sarmaten‘ bleiben auf deren Grabformen beschränkt. In der in den letzten Jahren vermehrt geführten Diskussion um die Verwendung der Begriffe ,Tracht‘ und ,Kleidung‘ und insbesondere über deren Aussagekraft wird – alles in allem und unbenommen der Diskussion um die ethnische Interpretation – ein gemeinsamer Nenner deutlich: „Identität“ mit ihren vielen Facetten, darunter vor allem Zugehörigkeit und Abgrenzung sowie persönliches und kollektives Selbstverständnis. So wird von Sebastian Brather nicht zu Unrecht auf den allzu oft zu wenig reflektierten Gebrauch des Begriffes ,Tracht‘ anstelle von ,Kleidung‘ verwiesen. Im Kontext dieser Kritik heißt es dann aber auch, dass mit ,Tracht‘ „zwei entscheidende Vorstellungen verbunden [sind]: Dauer und ­Normierung. Beides lässt sich aber nicht einfach a priori voraussetzen, sondern kann im Ergebnis eingehender Untersuchungen festgestellt werden“135 (Grundsätzlich ist dies nicht zu bezweifeln, und ich nehme für mich in Anspruch, für den reichsexternen Osten solche „eingehenden Untersuchungen“ angestellt zu haben. „Dauer und Normierung“ sind die entscheidenden Merkmale, die die Befunde kennzeichnen. Nicht nur dies: Auch „Identität“ sowie „Zugehörigkeit und Abgrenzung“ wurden hinlänglich deutlich und dies eben auf dem Hintergrund einer spezifischen „historischen und kulturellen Situation“.136 Alles dies – so glaube ich gezeigt zu haben – liegt vor. Was nun? Ich meine, dass unter den geschilderten Umständen – und nur bei diesen – ,Tracht‘ und ,Kleidung‘ nicht weit auseinanderliegen. Wen dies dennoch stört, so habe ich nichts dagegen hier ,Tracht‘ durch die längere (umständlichere) Bezeichnung zu ersetzten: ,meist paarige Fibeln, die zu einem bestimmten Kleidungsteil (Peplos; mantelartiger Umhang) gehören‘. Wie dem auch sei: Ganz im Sinne Brathers (und Anderer) trifft dann auf die dargelegten Befunde ebenso zu: „Kleidung ist ein Zeichenträger par excellence“ und „bietet sich als Mittel von Zuordnung und Abgrenzung besonders an. Kleidung vermag Differenzen und Identitäten augenfällig zu zeigen“.137 Zu guter Letzt ist natürlich nochmals auf die von Philipp von Rummel eingangs zitierte Feststellung zurückzukommen, dass „die paarigen Schulterfibeln zwar als soziales Distinktionsmerkmal anzusehen [sind], aber nicht als Teil einer konservativen ,Stammestracht‘“. Wie immer man dies ,reichsintern‘ in der fachinternen Diskussion beurteilen mag, so führte der ,reichsexterne‘ Befund nach meiner Auffassung zu einem eindeutigen Ergebnis, insbesondere im 5. bis 7. Jahrhundert: Maßgebend ist nicht überwiegend oder gar regelhaft der soziale Aspekt, sondern die „konservative Stammestracht“, wobei „konservativ“ gut zu dem passt, was zuvor zur ,Tracht‘ ausgeführt wurde; „Dauer und Normierung“ ­seinen nochmals hervorgehoben. Ganz anders verhält es sich mit dem Begriff „Stamm“. Weil im Rahmen der fächerübergreifenden ­Diskussion dieser Begriff längst der Vergangenheit angehört, braucht hierzu nichts mehr gesagt zu ­werden. Dies gilt jedoch nicht für die schon angesprochene und stets aufs Neue zu hinterfragende Identität, die sich freilich aus der ethnischen Interpretation archäologischer Befunde und Funde nicht völlig herauslösen lässt: „Der Identitätsbegriff beinhaltet die Vorstellung von einer Kontinuität des Identischen über die Zeit hinweg“ schrieb Walter Pohl. Bei aller damit verbundenen hochkomplexen und vielschichtigen Problematik fährt Pohl dann fort: „Worin liegt aber bei den Völkern des Frühmittelalters überhaupt diese Kontinuität? Eine Antwort liegt auf der Hand: im Volksnamen. […]. Dennoch gaben die Volksnamen während der Jahrhunderte des Frühmittelalters eine festen Anhaltspunkt ethnischer Identität“,138 was dann weiter präzisiert wird, sowohl in dieser Studie als auch in anderen Arbeiten Pohls139 137 138 139 135 136

Brather, Von der ,Tracht‘ 203. Vgl. S. 143. Vgl. S. 142. Pohl, Identität 31. Hier ist vor allem die immer wieder zitierte Studie zu nennen: Walter Pohl, Telling the difference: Signs of ethnic identiy, in: Strategies of Distinction. The Construction of Ethnic Communities, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 2, Leiden/Boston/Köln 1998) 17–69.

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(und vielen seiner Historikerkollegen). Auf diese Weise bei den Volksnamen angelangt, kommen unweigerlich die von mir genannten auf den Prüfstand: Terwingi-Vesi und Greutungi-Ostrogothi für das 3. und 4. Jahrhundert, sowie Goten auf der Krim und Tetraxitische Goten im Bosporanischen Reich. Kurzum: Klar ist, dass Letztere, und auf die kommt es mir besonders an, erst im 6. Jahrhundert genannt werden (vor allem Prokop)140, andere germanische gentes aber nicht, auch nicht für das 5. Jahrhundert. Klar ist auch, dass grosso modo an ,Alano-Sarmaten‘ nicht zu zweifeln ist. Die Völkernamen von Goten, die ich auf die geschilderten archäologischen Befunde bezogen habe, mag man (wieder) anzweifeln. Aber was soll man an deren Stelle setzen, ohne in eine historische Anonymität abzurutschen? Eine mir lieb gewonnene, schon fast ein halbes Jahrhundert zurückliegende Bezeichnung ist jene: „Goten, die im Osten blieben“141. Zum Beschluss nochmals Philipp von Rummel in einer Studie von 2010, in der er „Empfehlungen […] für den Umgang der Archäologen mit der ethnischen Interpretation [gibt]“, so auch zur „Bedeutung von Kleidung als historischer und somit auch archäologischer Quelle. Sie kann auf vielfältige ­Weise soziale und politische [sic] Identitäten ausdrücken […]“.142 Damit würde der zuvor eng begrenzte Interpretations­rahmen nun doch weiter geöffnet und zwar im Sinne meiner Studie, falls von Rummel mit „politischer Identität“ das meint, was ich zuvor ausgeführt habe.143

Bierbrauer, Ethnos 24–26; vgl. auch Anm. 88. Gustav Karlsson, Goten die im Osten blieben, in: Studia Gotica, ed. Ulf Erik Hagberg (Stockholm 1970) 165–174 (mit Nachweis von gotischen Sprechern bzw. dem Nachweis vom Nachleben gotischer Sprachreste bis in das 18. Jahrhundert). 142 Philipp von Rummel, Gotisch, barbarisch oder römisch? Methodologische Überlegungen zur ethnischen Interpretation von Kleidung, in: Archaeology of Identity/Archäologie der Identität, ed. Walter Pohl/Mathias Mehofer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 17, Wien 2010) 51–77, hier 77. 143 Bei aller Berechtigung, die eigenen Positionen mit Nachdruck zu vertreten, bemüht der Autor sich in dieser Studie darum, ,Brücken zu bauen‘ zwischen den Kontrahenten im Rahmen der ethnischen Interpretation; diese selbstreflektierende Nachdenklichkeit findet sich auch in der Einleitung zu seiner Monographie. Vgl. von Rummel, Gotisch 16. 140 141

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Abb.1 A St. Sulpice, Grab 97. – B 1 Lučistoje: Kammergrab 268, Bestattung 8; 2 Kammergrab 38, Bestattung 17. – Ohne Maßstab.

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Abb. 2. Hochfelden; Länge der Silberblechfibel (2) 8,3 cm – Ohne Maßstab.

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Abb. 3. A, 1–4: Saint Laud d’Angers, Gräber 159, 134, 156, 155. – B Sacca di Goito: 1–5 Grab 214; 6–8 Grab 210; 9–13 Grab 206. – Ohne Maßstab.

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Abb. 4. A Sacca di Goito: 1–2 Grab 238; 3–4 Grab 10; 5–7 Grab 23; 8 Grab 226; 9 Grab 218; 10 Grab 214; 11 Grab 221. – B Skalistoje: 1–3 Kammergrab 421, Bestattung 1; 4–6 Kammergrab 485, Bestattung 4. – Ohne Maßstab.

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Abb. 5. A Frauentracht in der Wielbark-Kultur (B2/C1). – B Die Černjachov-Kultur im 4. Jahrhundert mit Abwanderungen nach ihrem Ende auf die Südkrim, ins Bosporanische Reich und in den Donauraum (Pfeile); die Kartierung der Sântana de Mureş-Černjachov-Kultur westlich des Pruth auf dem Stand von 2002; vgl. Abb. 8.

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Abb. 6. 1 Kaborga, Nischengrab 12; 2 Belen’koje, Kammergrab 9. – Ohne Maßstab.

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Abb. 7. Chronologie-Systeme nach A. Kokowski (A) und M. Schmauder (B).

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Abb. 8. Fundstellen der Sântana de Mureş-Kultur im 4. Jahrhundert.

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Abb. 9. Mihălăšeni: A Grab 127; B Grab 514. – Ohne Maßstab.

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Abb. 10. Mihălăšeni: A Grab 297; B 1 Grab 279; 2 Grab 47. – Ohne Maßstab.

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Abb. 11. A Mihălăšeni, Grab 380. – B Lučistoje, Kammergrab 58. – Ohne Maßstab.

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Abb. 12. Rekonstruktion des Kleidungszubehöres der Frau (nach Şovan, Necropola 330).

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Abb. 13. Velikaja Bugaevka, Grab 132.

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Abb. 14. Velikaja Bugaevka, Grab 132: A Lagebefunde des Fibelpaares und der Schnalle. – B Fibelpaar und Gürtelschnalle. – C Rekonstruktion des Kleidungszubehöres, des Schmuckes und des Gehänges mit Cypraea an Kleid und Mantel (nach Petrauskas, Pochovannja 179). – Ohne Maßstab.

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Abb. 15

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Abb. 16. Skalistoje, Kammergrab 421: 1–2 Bestattung 2; 3 Bestattung 4; – Kammergrab 420: 4–9 Bestattung 3. – Kammergrab 449: 10–12. – Kammergrab 420: 13–14 Bestattung 1. – Ohne Maßstab.

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Abb. 17. Suuk-Su: A Grab 89. – B Kammergrab 46, Bestattung 2. – C Kammergrab 56, Bestattung 5. – Ohne Maßstab.

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Abb. 18. Lučistoje: Kammergrab 10, Bestattungsschicht II: A Bestattung 5. – B Bestattung 4. – Ohne Maßstab.

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Abb. 19. Lučistoje: A Kammergrab 10, Bestattungsschicht IV, Bestattung 14. – B Kammergrab 10, Bestattungsschicht V, Bestattung 17. – C Kammergrab 54, Bestattung 12. – Ohne Maßstab.

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Abb. 20. A Lučistoje, Kammergrab 77, Bestattung 1. – B Eski-Kermen, Nischengrab 315. – Ohne Maßstab.

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Abb. 21. Eski-Kermen, Kammergrab 257: A Kammerplan. – B Bestattung 6. – C Bestattung 5. – Ohne Maßstab.

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Abb. 22. Kertsch: A Katakombe 165/1904: 1 Plan; 2–3 Bestattung 6; 4 Bestattung 10; 5–6 Bestattung 3. – B Katakombe 154/1904, Bestattung 2. – C 1 Katakombe 179/1904, Bestattung 2; 2 Katakombe 145/1877; 3 Katakombe 145/1904. – Ohne Maßstab.

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Abb. 23. Kertsch, Katakomben: 1 19/1904; 2 78/1907, Bestattung 12; 3 1977, Bestattung 1; 4 180/1904, Bestattung 7; 5–6 152/1904 (obere Bestattung); 7–10 Grab von 1875 (Dolgaja Skala). – Ohne Maßstab.

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Abb. 24. Kertsch, Katakombe 78/1907: 1 Plan; 2 Bestattung 1; 3 Bestattung 4; 4 Bestattung 8; 5 Bestattung 12. – Ohne Maßstab.

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Abb. 25. Džurg-Oba, Kammergrab 29: 1 Plan; 2 Bestattungsplan mit großem Blechfibelpaar (Nr. 9–10) und kleiner Blechfibel (Nr. 7); 3 Grabinventar. – Ohne Maßstab.

Anmerkungen zur Aussagekraft paariger Schulterfibeln im östlichen Barbaricum (4. bis 7. Jahrhundert)

Abb. 26. Tanais: 1–12 Kammergrab 3/1990; 13–17 Nischengrab 43/1985; 18–21 Grab 18/1985; 22–24 Grab 24/1982. – Ohne Maßstab.

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Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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Hans-Werner Goetz

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen? Zu Kontinuität und Wandel des Barbarenkonzepts in der fränkischen Historiographie Die verbreitete Tendenz, den zu Recht verdächtig gewordenen Begriff der ,Germanen‘ durch ,Barbaren‘ zu ersetzen – und damit letztlich eine Ideologie gegen eine andere auszutauschen –, mag Anlass sein, in diesem Band für einen Jubilar, der sich wie kein anderer um die frühmittelalterliche Ethnogenese verdient gemacht hat, noch einmal die Frage nach der Bedeutung des frühmittelalterlichen Barbarenbegriffs aufzugreifen. Dieses Problem ist schon mehrfach behandelt worden: für die Spätantike bereits 1976 von Gerhart Ladner1 und umfassend in der Dissertation und in den Aufsätzen von Alain Chauvot,2 für die Transformationszeit und das frühe Mittelalter, nach überblicksartigen Kurzdarstellungen von Lieven Van Acker3 und William Jones,4 in jüngerer Zeit von Elke Ohnacker, der es unter Anwendung soziologischer Theorien vor allem um die Frage der Einbeziehung der ehemaligen Barbaren in die römische Zivilität geht,5 und zuletzt von Ian Wood, mit leichter Konzentration auf die Rechtsquellen.6 Unter dem Titel „Wer sind [nicht: wer waren] eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen“ soll hier ein etwas anderer Akzent mit der Frage gesetzt werden, wie die ,Barbaren‘ in den Barbarenreichen selbst mit diesem Begriff umgegangen sind und was ,Barbar‘ in den Augen der schreibenden Bewohner der Barbarenreiche genauer bedeutet, ist ein solches Verständnis doch ebenfalls ein Faktor der Ethnogenese wie auch der Transformation der Antike zum Mittelalter. In diesem Rahmen können dazu, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit, allerdings nur einige wenige Akzente gesetzt werden. Dabei werde ich mich vornehmlich auf das Frankenreich und hier auf die fränkische Historiographie konzentrieren, doch ist vorab ein kurzer Rückblick auf die Spätantike, vor allem die spätrömisch-christliche Tradition, als Grundlage der frühmittelalterlichen Autoren, notwendig. Wenn ich das richtig sehe, bleibt der Begriff selbst schon in der Antike meist undefiniert: ­Barbaren grenzen sich einfach von den Römern (und Griechen), nicht zuletzt durch ihre Kulturlosigkeit, ab. Bei Ammianus Marcellinus sind sie schlicht die Gegner der Römer, jenseits wie auch diesseits der ­Grenzen Gerhart B. Ladner, On Roman Attitudes toward Barbarians in Late Antiquity, in: Viator 7 (1976) 1–26. Ladner geht es, wie auch der Titel sagt, allerdings mehr um die römische Einstellung gegenüber Barbaren als um das Barbarenbild. 2 Alain Chauvot, Opinions romaines face aux barbares au IVe siècle ap. J.-C. (Collections de l’Université des Sciences ­Humaines de Strasbourg. Études d’archéologie et d’histoire ancienne, Paris 1998), der, wie viele weitere Arbeiten, ebenfalls stärker die Einstellung der Römer gegenüber Barbaren und das Verhältnis zwischen Römern und Barbaren als das Barbarenbild betrachtet, sowie ders., Les ‚barbares‘ des Romains. représentations et confrontations. Études réunies par A. Becker et H. Huntzinger (Metz 2016). Auch Cristina Ricci, I barbari a Roma nella Weltanschauung di Agostino e di Gregorio Magno, in: Romanobarbarica. Contributi allo studio dei rapporti culturali tra mondo latino 18 (2006) 339–350, untersucht nicht das Barbarenbild, sondern die Deutung der Barbareneinfälle bei beiden Autoren. 3 Lieven Van Acker, Barbarus und seine Ableitungen im Mittellatein, in: Archiv für Kulturgeschichte 47 (1965) 125–140, ist allerdings stärker den mittelalterlichen Belegen gewidmet. 4 William R. Jones, The Image of the Barbarian in Medieval Europe, in: Comparative Studies in Society and History 13 (1971) 376–407, zum Frühmittelalter ebd. 387-391 (Ndr. in: Medieval Ethnographies. European Perceptions of the World Beyond, ed. Joan-Pau Rubiés [The Expansion of Latin Europe, 1000–1500, 9, Farnham/Burlington 2009] 347–378, zum Frühmittelalter 358–363). 5 Elke Ohnacker, Die spätantike und frühmittelalterliche Entwicklung des Begriffs barbarus. Ein interdisziplinärer Versuch der Beschreibung distinktiver und integrativer gesellschaftlicher Konzepte (Soziologie 41, Münster/Hamburg/London 2003). 6 Ian Wood, The term ,barbarus‘ in fifth-, sixth-, and seventh-century Gaul, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und ­Linguistik 41 (2011) 39–50. Das Folgende berührt sich tatsächlich vielfach übereinstimmend mit Woods Ausführungen, auch wenn ich die Akzente etwas anders setze. 1



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Hans-Werner Goetz

des Imperiums.7 An einer Stelle stellt Ammian sie der römischen Tugend gegenüber.8 ­Ansonsten zeichnen sie sich (traditionell) durch ihre Wildheit (feritas)9 und ihre Wut (furor)10 wie auch durch ihre Widerborstigkeit (contumacia)11 aus. Eine etymologische Erklärung gibt zwei J­ahrhunderte ­später ­Cassiodor: „Der Barbar (barba-rus) aber heißt so nach seinem Bart (barba) und nach dem Land (rus), weil er nie in der Stadt gelebt hat, sondern wie wilde Tiere bekanntlich immer auf den Äckern wohnt.“12 Das ist etymologisch so falsch, dass es nicht einmal Isidor von Sevilla aufgegriffen hat, aber es ist nichtsdestotrotz bezeichnend. Barbaren sind für Cassiodor also die ,Bartträger vom ­Lande‘, die sich nicht rasieren, denen somit die urbanitas, die städtische Kultur (und Bildung) fehlt und die deshalb wilden Tieren gleichen.13 Das abwertende antike Barbarenkonzept bleibt, wie schon Jones betont hat,14 auch bei den römischen Christen erhalten:15 Ambrosius etwa bezeugt ihre Wut (­furor)16 und ihre Wildheit,17 Augustin,18 Hieronymus,19 Orosius,20 Salvian, sogar mit identifizierendem 7

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Die Kämpfe im Osten nennt Ammian schlicht bella barbarica: Ammianus Marcellinus, Res gestae XXVI, 5, 15 (ed. Wolfgang Seyfarth/Liselotte Jacob-Karau/Ilse Ulmann, Leipzig 1978) Band 2, 12. Selbst Gallien erscheint ihm als partes ut barbarae (ebd. XV, 11, 1, Band 1, 64). Insgesamt verwendet Ammian den Barbarenbegriff 186 mal. Zum Barbarenkonzept Ammians vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 74–89, die zu Recht feststellt, dass Barbaren für Ammian vor allem die Feinde der Römer sind, und Chauvot, Opinions romaines 383–406, der Ammians Barbaren ausschließlich außerhalb des Reichs ansiedelt. Vgl. auch Wood, Barbarus 40, zum Codex Theodosianus. Ammianus Marcellinus, Res gestae XV, 4, 3, ed. Seyfarth/Jacob-Karau/Ullmann, Band 1, 44: nisi qua uetus illa Romana uirtus et sobria iter composuit latum barbaris et natura locorum et caeli inclementia refragante. Vgl. ebd. XVI, 12, 2, Band 1, 89: barbara feritas; ebd. XX, 4, 6, Band 1, 189. Ebd. XXX, 10, 3, Band 2, 157: furor barbaricus. Ebd. XVII, 13, 10, Band 2, 127: cohors praetoria ex aduerso Augustum cautius stipans resistentium pectora moxque ­terga fugientium incidebat et cadentes insuperabili contumacia barbari non tam mortem dolere quam nostrorum laetitiam ­horrendo stridore monstrabant. Cassiodor, Expositio psalmorum. Ps. 113, 1 (ed. Mark Adriaen, CCSL 98, Turnhout 1958) 1029: Barbarus autem a barba et rure dictus est, quod numquam in urbe uixerit, sed semper ut fera in agris habitasse noscatur. Zur mangelnden Bildung vgl. auch den Brief König Athalarichs an den römischen Senat: Barbarenkönige beherrschten die Grammatik nicht: Cassiodor, Variae IX, 21 (ed. Åke J. Fridh, CCSL 96, Turnhout 1973) 371f.: Grammatica magistra verborum [...]. Hac non utuntur barbari reges. Jones, Image 381–387 (Ndr. 352–358). Das Barbarenbild entfernte sich damit allerdings von der tatsächlichen Durchmischung (so ebd. 357). Bei Tertullian ist barbarus noch mehrfach den Griechen gegenübergestellt. Zu den christlichen Stimmen des 4. Jahrhunderts bis zu Hieronymus und Rufinus vgl. Chauvot, Opinions romaines 429–459: Die Christen verlieren durch die Religion nicht ihr römisches Barbarenbild (ebd. 459). So auch Ricci, Barbari 349, zu Augustin und Gregor dem Großen. Nach ­Ladner, Roman Attitudes 21f., mussten die Christen ihren anti-barbarianism überwinden, was sich bei Orosius und Salvian bereits andeute (ebd. 23). Gregor der Große sei der erste gewesen, der Barbaren als Menschen anerkannt habe (ebd. 25), habe aber keine moralischen Kriterien mehr für das Verhältnis von Römern und Barbaren angelegt (ebd. 26). Bei seinem Zeitgenossen Gregor von Tours ist das, wie gleich noch auszuführen ist, allerdings ganz anders. Zur christlichen Sicht der griechischen Chronisten vgl. Friedhelm Winkelmann, Die Bewertung der Barbaren in den Werken der oströmischen Kirchenhistoriker, in: Das Reich und die Barbaren, ed. Evangelos K. Chrysos/Andreas Schwarcz (VIÖG 29, Wien/Köln 1989) 221–235, dem es in erster Linie allerdings um den Nachweis „apokalyptischer Modelle“ geht. Vgl. Ambrosius, Exameron III, 5, 22 (ed. Karl Schenkl, CSEL 32,1, Prag/Wien/Leipzig 1896) 74: barbaricus furor. Zu Ambrosius vgl. Chauvot, Opinions romaines 435–440. Ambrosius, De Abraham I, 2, 8 (ed. Karl Schenkl, CSEL 32, 2, Prag/Wien/Leipzig 1897) 501–638, hier 508: etsi natura ferus ac barbarus. Vgl. später Salvian von Marseille, De gubernatione Dei VII, 17, 77 (ed. Georges Lagarrigue, Salvien de Marseille, Oeuvres, Band 2, Sources Chrétiennes 220, Paris 1975) 484: Numquid hoc beatus apostolus de barbaris ac feris gentibus dixit? Vgl. Augustinus, De civitate Dei XVIII, 37 (ed. Bernhard Dombart/Alfons Kalb, CCSL 48, Turnhout 1955) 632: In Ägypten gab es vor Moses keine ,Lehre’: Verum, quod fatendum est, non quidem in Graecia, sed in barbaris gentibus, sicut in ­Aegypto, iam fuerat ante Moysen nonnulla doctrina, quae illorum sapientia diceretur. Zum Barbarenkonzept Augustins vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 108–118. Hieronymus, Commentarii in Ezechielem VIII, 26, 15–18 (ed. François Glorie, CCSL 75, Turnhout 1964) 353: in Graecis ­Latinisque et barbaris historiis legimus [...]; ebenso ders., Commentarii in Danielem II, 8, 4a (ed. François Glorie, CCSL 75A, Turnhout 1964) 852, zu Darius: Quod autem Darius iste rex potentissimus et ditissimus fuerit, tam Graecae quam Latinae ac barbarae narrant historiae (und öfter). Zum Barbarenbild des Hieronymus vgl. Chauvot, Opinions romaines 440–446. Vgl. Orosius, Historiae adversum paganos VII, 42, 1f. (ed. Marie-Pierre Arnaud-Lindet, Paris 1990–1991), Band 3, 123, zur Barbarenherrschaft in Spanien: Anno ab Vrbe condita MCLXV Honorius imperator, uidens tot oppositis tyrannis nihil aduersum barbaros agi posse, ipsos prius tyrannos deleri iubet. [...] Sensit tunc demum respublica et quam utilitatem in Romano tandem duce receperit, et quam eatenus perniciem per longa tempora barbaris comitibus subiecta tolerarit. Zum Barbarenkonzept des Orosius vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 119–126; Wood, Barbarus 40f.; Hans-Werner Goetz,

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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Wir-Bezug,21 später Eugippius,22 Boethius23 und viele andere24 grenzen sie traditionell von Griechen und Römern ab. Konkretisiert ist etwa für Orosius das Donaugebiet ebenso Barbarenland25 wie Gallien,26 sind die wilden Skythen,27 die Goten,28 die Völker Asiens,29 Thrakiens30 und Afrikas31 sämtlich Barbaren.32 Die Gegner Marc Aurels (Markomannen, Quaden, Vandalen, Sarmaten, Sueben und ganz Germanien) erscheinen ihm als gentes inmanitate barbarae.33 Das Barbarenbild des Orosius ist − entgegen manchen Ansichten34 − somit noch weithin traditionell.35 Barbaren sind gesetzlos, trunksüchtig

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Die Geschichtstheologie des Orosius (Impulse der Forschung 32, Darmstadt 1980) 126–135; ders., Orosius und die Barbaren. Zu den umstrittenen Vorstellungen eines spätantiken Geschichtstheologen, in: Historia. Zeitschrift für Alte Geschichte 29 (1980) 356–376. Salvian von Marseille, De gubernatione Dei V, 8, 36f., ed. Lagarrigue 340: Tam longe enim est ut haec inter Gothos b­ arbari tolerent ut ne Romani quidem, qui inter eos uiuunt, ista patiantur. Itaque unum illic Romanorum omnium uotum est, ne umquam eos necesse sit in ius transire Romanum. Vna et consentiens illic Romanae plebis oratio, ut liceat eis uitam quam agunt agere cum barbaris. Vgl. ebd. VII, 7, 27, ed. Lagarrigue 450; mehrfach VII, 2, 7f., ebd. 434–436; VII, 12, 50, ebd. 464–466: nomine barbaram dicione Romanam. III, 1, 2, ebd. 186, hebt Salvian die Barbaren von den „Unsrigen“ ab: Quaeritur itaque, cum haec ita sint, si totum quod in hoc mundo est cura et gubernaculo et iudicio Dei agitur, cur m ­ elior multo sit barbarorum condicio quam nostra. Zum Barbarenkonzept Salvians vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 100– 108; Wood, Barbarus 41f. Vgl. Eugippius, Commemoratorium de uita sancti Seuerini I, 4 (ed. Philippe Régerat, Sources Chrétiennes 374, Paris 1991) 176–178: Hoc barbarorum intrinsecus consistentium, qui cum Romanis foedus inierant, custodia seruabatur artissima ­nullique ingrediendi aut egrediendi facilis licentia praestabatur; II, 1, ebd. 178–180: Die autem tertio, cum sacrificii uespertini sollemnitas impleretur, facto subito terrae motu ita sunt barbari intrinsecus habitantes exterriti, ut portas sibi Romanos cogerent aperire uelociter. Vgl. Boethius, Commentarii in librum Aristotelis Peri hermeneias (editio secunda) 1, 1 (ed. Karl Meiser, Leipzig 1880) 21: nam cum Romanus, Graecus ac barbarus simul videant equum, habent quoque de eo eundem intellectum quod equus sit et apud eos eadem res subiecta est, idem a re ipsa concipitur intellectus, sed Graecus aliter equum vocat, alia quoque vox in equi significatione Romana est et barbarus ab utroque in equi designatione dissentit. Vgl. etwa, um nur noch einige Beispiele zu nennen, Prosper von Aquitanien, Chronicon (Epitome Carthaginiensis, ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Berlin 1892) 496: tunc ille Antichristus generis humani inimicus, qui corda regum mox fidei rudimenta suscepta nove quaestionis callida inventione subvertit [...], agnitus atque prostratus in regno Romano ulterius locum non inveniens in barbaras se transfudit nationes, apostolicum quasi testimonium proferens: ad Romanos missi eramus, sed quia indignos se verbo dei iudicaverunt, conversi sumus ad gentes. Theoderichs Briefe richten sich (nach der − eventuell von Cassiodor hinzugefügten, im Text nicht wiederholten Anrede − gelegentlich an Universis barbaris et Romanis per Pannoniam constitutis Theodericus rex; vgl. Cassiodor, Variae III, 24, ed. Fridh 114. Zum Barbarenkonzept in den Variae Cassiodors vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 89–94. Orosius, Historiae adversum paganos I, 2, 54, ed. Arnaud-Lindet, Band 1, 25: Nunc quidquid Danuuius a barbarico ad mare Nostrum secludit expediam. Ebd. VII, 24, 2, Band 3, 62: Gallias iam dudum a barbaris occupatas per multa et grauia proelia deletis tandem hostibus ad perfectum liberauit. Ebd. I, 4, 2, Band 1, 43, zu Ninus: a meridie atque a Rubro mari surgens, sub ultimo septentrione Euxinum pontum ­uastando perdomuit, Scythicamque barbariem, adhuc tunc inbellem et innocentem, torpentem excitare saeuitiam, uires suas nosse, et non lacte iam pecudum sed sanguine hominum uiuere, ad postremum uincere dum uincit edocuit. Ebd. VII,28,29, Band 3, 79: Mox Gothorum fortissimas et copiosissimas gentes in ipso barbarici soli sinu, hoc est in ­Sarmatarum regione, deleuit. Ebd. I, 11, 4, Band 1, 59 (zu Asien): Isdem temporibus, Perseus a Graecia in Asiam transuectus est: ibi barbaras gentes graui diuturnoque bello domuit et nouissime uictor nomen subiectae genti dedit: namque a Perseo Persae sunt uocitati. Ebd. VII, 34 9, Band 3, 95: Interea cum Theodosius in Oriente subactis barbarorum gentibus Thracias tandem ab hoste liberas reddidisset et Arcadium filium suum consortem fecisset imperii [...]. Ebd. VII, 36, 10, Band 3, 105: Barbari quorum magnam multitudinem Gildo ad bellum deduxerat, defectu militum destituti, in diuersa fugerunt. Als einen Barbaren bezeichnet Orosius, ebd. VII, 35, 11, Band 3, 99, auch Arbogast: uir barbarus, animo, consilio, manu, audacia potentiaque nimius. An dieser Stelle unterscheidet Orosius wiederum zwischen den praesidia der Römer und den auxiliae barbarorum (die Arbogast zusammenzog). Ebd. VII, 15, 8, Band 3, 49: Nam cum insurrexissent gentes inmanitate barbarae, multitudine innumerabiles, hoc est Marcomanni, Quadi, Vandali, Sarmatae, Sueui atque omnis paene Germania. Für Gregor den Großen, Dialogi III, 26, 2 (ed. Adalbert de Vogüé, Sources Chrétiennes 260, Paris 1979) 366, sind die Langobarden später ebenso Barbaren wie die Bulgaren (ebd. IV, 27, 12, Sources Chrétiennes 265, Paris 1980, 94). Vgl. etwa Kurt Arthur Schöndorf, Die Geschichtstheologie des Orosius (Diss., München 1952) 98–101. Anders Adolf ­Lippold, Rom und die Barbaren in der Beurteilung des Orosius (Diss., Erlangen 1952); Goetz, Orosius 126–135. Der Barbar kann Christ, aber nicht Römer werden; vgl. Lippold, Rom 69. Anders Ohnacker, Spätantike Entwicklung 124f., die von einem „Aufbrechen des ‚klassischen‘ Dualismus von Römern und Barbaren“ spricht.

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und lieben Gelage.36 Nach der berühmten und viel diskutierten Athaulf-Rede (die tatsächlich Orosius’ Gedankenwelt entspricht) kann es für Orosius keinen Barbarenstaat geben, weil Barbaren sich nicht Gesetzen unterwerfen lassen, ohne die kein Staat Bestand hat.37 Der Staat kann demnach nur römisch sein; Barbaren können darin allenfalls Herrschaft ausüben, aber selbst das ist weit vom Ideal des Orosius entfernt. Der römische Christ Orosius bewertet die Barbaren (ebenso wie seine Zeitgenossen) folglich ausgesprochen negativ und beklagt, dass die Heermeister im Osten wie im Westen, Rufinus und Stilicho, die Barbaren begünstigten.38 Leichte Nivellierungen sind seiner Apologetik geschuldet, zeigen zumindest aber eine gewisse, in das Mittelalter hinüberwirkende Auflockerung des traditionellen Konzepts an, indem Barbaren zwar weiterhin den Römern gegenübergestellt werden, diese in einzelnen Aspekten aber auch übertreffen können: Wie später Salvian von Marseille, erklärt bekanntlich auch Orosius, dass einige Römer lieber in armer Freiheit unter Barbaren als steuerzahlend unter Römern leben wollten,39 um nämlich seine These der Besserung der Zeiten durch das Christentum zu untermauern: Die Barbaren − die zudem zur Landwirtschaft übergegangen sind − schützten jetzt das Reich bzw. Spanien und träten hier nicht feindlicher auf als früher die Römer.40 Bei Salvian führt das bekanntlich zu einer herben Moralkritik an den Römern, die besser sein müssten als die Barbaren, es aber nicht sind:41 Beide sind Orosius, Historiae adversum paganos II, 7, 3, ed. Arnaud-Lindet, Band 1, 99: Barbari, ueluti ad epulas inuitati, primum ebrietate uincuntur, mox reuertente Cyro uniuersi cum adulescente obtruncantur. 37 Ebd. VII, 43, 5f., Band 3, 128f.: fieret nunc Athaulfus quod quondam Caesar Augustus; at ubi multa experientia probauisset neque Gothos ullo modo parere legibus posse propter effrenatam barbariem neque reipublicae interdici leges oportere, sine quibus respublica non est respublica, elegisse saltim ut gloriam sibi de restituendo in integrum augendoque Romano nomine Gothorum uiribus quaereret habereturque apud posteros Romanae restitutionis auctor, postquam esse non potuerat immutator. 38 Ebd. VII, 37, 1, Band 3, 106f.: Interea cum a Theodosio imperatore seniore singulis potentissimis infantum cura et ­disciplina utriusque palatii commissa esset, hoc est Rufino orientalis aulae, Stiliconi occidentalis imperii, quid uterque egerit, quidue agere conatus sit, exitus utriusque docuit, cum alius sibi, alius filio suo affectans regale fastigium, ut rebus repente turbatis necessitas reipublicae scelus ambitus tegeret, barbaras gentes ille inmisit, hic fouit. Der Tod von 30000 Barbaren im Gallischen Krieg Cäsars stört Orosius nicht im geringsten (ebd. VI, 8, 5, Band 2, 184). 39 Ebd. VII, 41, 7f., Band 3, 122: Quamquam et post hoc quoque continuo barbari exsecrati gladios suos ad aratra conuersi sunt residuosque Romanos ut socios modo et amicos fouent, ut inueniantur iam inter eos quidam Romani qui malint inter barbaros pauperem libertatem quam inter Romanos tributariam sollicitudinem sustinere. Quamquam si ob hoc solum barbari Romanis finibus inmissi forent quod uulgo per Orientem et Occidentem ecclesiae Christi Hunis, Sueuis, Vandalis et Burgundionibus diuersisque innumeris credentium populis replentur, laudanda et adtollenda misericordia Dei uideretur, quandoquidem, etsi cum labefactione nostri, tantae gentes agnitionem ueritatis acciperent quam inuenire utique nisi hac occasione non possent. Zu Salvian vgl. unten Anm. 42. 40 Ebd. VII, 41, 2/4, Band 3, 121: Inruptae sunt Hispaniae, caedes uastationesque passae sunt: nihil quidem nouum, hoc enim nunc per biennium illud quo hostilis gladius saeuiit, sustinuere a barbaris, quod per ducentos quondam annos ­passae ­fuerant a Romanis, quod etiam sub Gallieno imperatore per annos propemodum duodecim Germanis euertentibus ­exceperunt. [...] Quae cum ita sint, illud tamen clementia Dei, eadem pietate qua dudum praedixerat, procurauit ut – ­secundum euangelium suum quo incessabiliter commonebat: ‚cum uos persecuti fuerint in una ciuitate, fugite in aliam‘ –, quisque egredi atque abire uellet ipsis barbaris mercennariis ministris ac defensoribus uteretur. 41 Salvian von Marseille, De gubernatione Dei IV, 12, 57f., ed. Lagarrigue 278/280: Sed esto, inquit aliquis, peccatores et mali simus; certe, quod negari non potest, meliores barbaris sumus, et hoc ipso utique manifestum est quod non respicit res humanas Deus, quia, cum meliores simus, deterioribus subiugamur. An meliores simus barbaris iam uidebimus; certe, quod non dubium est, meliores esse debemus, et hoc ipso utique deteriores sumus, si meliores non sumus qui meliores esse debemus. [...] Ita et nos, qui Christiani et catholici esse dicimur, si simile aliquid barbarorum impuritatibus facimus, grauius erramus; IV, 13, 62f., ebd. 282: Itaque quia nonnulli inrationabile atque absurdum arbitrantur ut aut deteriores aut non multum etiam meliores barbaris iudicemur, uideamus, ut dixi, aut quo modo aut quibus barbaris. Ego enim ­praeter eos tantummodo Romanorum quos paulo antea nominaui, ceteros aut omnes aut paene omnes maioris reatus dico et ­criminosioris uitae esse quam barbaros. Vgl. VI, 10, 53, ebd. 396: Quanta autem uitia Romanorum sint, quibus barbarae gentes non inquinantur, licet hactenus satis dixerim, addam tamen multa quae desunt. Die schamlosen Barbaren sind nicht so schamlos wie die Römer: VII, 6, 23f., ebd. 446/448: ac perinde, etiamsi inter impudicos quis barbaros uiuat, magis tamen pudicitiam sequi debet, quae sibi expedit, quam impudicitiam, quae impuris hostibus placet. Sed quid accedit ­insuper ad mala nostra? Inter pudicos barbaros impudici sumus! plus adhuc dico: offenduntur barbari ipsi impuritatibus nostris; VII, 23, 107, ebd. 506: Et quae esse, rogo, Romano statui spes potest, quando castiores ac puriores barbari quam Romani sunt? Vgl. auch Ladner, Roman attitudes 24. Nach Ohnacker, Spätantike Entwicklung 106f., bildet für Salvian daher nicht mehr die römische civilitas, sondern die katholische lex divina das Abgrenzungskriterium: Die Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei werde nicht mehr ethnisch, sondern religiös definiert. Die „christliche Komponente“ (ebd. 107) bedeutet bei Salvian allerdings noch nicht eine Trennung von Barbaren und Christen (oder Katholiken); vielmehr bleibt der 36

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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ungerecht, treulos, leidenschaftlich, schamlos und unrein, haben also die gleiche Verdorbenheit oder Lasterhaftigkeit. Barbaren sind genauso schlecht, aber nicht genauso elend, weil die Sünden der Römer stärker wiegen; das Leben aller Barbaren ist zwar lasterhaft, aber nicht genauso schuldig, weil sie Gott und das Gesetz nicht kennen.42 Römer flöhen sogar zu den überall herrschenden Feinden, um bei den Barbaren die römische Menschlichkeit zu suchen, weil sie die barbarische Unmenschlichkeit bei den Römern nicht mehr ertragen könnten; so würden selbst diejenigen, die nicht flöhen, gezwungen, Barbaren zu sein.43 Hier liegt nun tatsächlich ein Wandel in der Konzeption vor, wenn − bei aller Abgrenzung und nach wie vor negativen Einstellung − auch die Römer angesichts ihres Lebenswandels zu Barbaren werden können. Alles hat sich umgekehrt: Einst waren die Römer stark, jetzt sind sie kraftlos; einst ­waren sie gefürchtet, jetzt fürchten sie [die anderen]; einst zahlten die Barbaren Steuern, jetzt zahlen wir sie den Barbaren.44 Natürlich wertet Salvian das als Gottesstrafe an den verkommenen Römern.45 Am Barbarentum der Barbaren ändert das alles allerdings nichts, weder für Orosius noch für Salvian: Römer können Barbaren werden bzw. barbarisch handeln, aber diese können niemals Römer werden.46 Gleichzeitig kündigt sich daneben − nicht erst im 7. Jahrhundert, wie man gemeint hat −,47 wenngleich noch sehr zaghaft, bereits ein weiterer Wandel im Barbarenkonzept an, der im Mittelalter dann immer stärker hervortreten sollte, nämlich die religiöse Deutung des Barbarenbegriffs als Heiden, die Barbaren (nicht mehr nur von den Römern, sondern auch) von den Christen abhebt.48 Für Eusebius von

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Römer-Nichtrömer-Gegensatz auch bei Salvian bestimmend, doch ist die römische Kultur nicht mehr durchweg moralisch überlegen. Vgl. richtig Wood, Barbarus 42: „Nevertheless, here was a reading in which, while the barbarians might still be ‚Other‘, they nevertheless had qualities that the Christian Roman could admire.“ Salvian, De gubernatione Dei IV, 14, 65–69, ed. Lagarrigue 284–288: Remota ergo legis praerogatiua quae nos aut ­nihil omnino adiuuat aut etiam iusta animaduersione condemnat, uitam barbarorum atque nostrorum studia, mores, uitia ­comparemus. Iniusti sunt barbari et nos hoc sumus; auari sunt barbari et nos hoc sumus; infideles sunt barbari et nos hoc sumus; cupidi sunt barbari et nos hoc sumus; impudici sunt barbari et nos hoc sumus; omnium denique improbitatum atque impuritatum sunt barbari et nos hoc sumus. Sed responderi fortasse possit: Ergo si pares uitiositate barbaris sumus, cur non sumus etiam uiribus pares? Cum enim similis sit improbitas atque idem reatus, aut tam fortes deberemus esse nos quam sunt illi, aut certe tam inualidi quam nos sumus illi esse deberent. Verum est; ac per hoc superest ut illi ­nocentiores sint qui infirmiores. Quomodo hoc probamus? Scilicet quia, ut superius locuti sumus, omnia ex iudicio deum facere ­monstrauimus. [...] Sed eadem, inquis, mala etiam barbari agunt et non sunt tamen tam miseri quam nos sumus. Hoc ergo interest quod, si eadem agant barbari quae nos agimus, nos tamen maiore offensione peccamus. Possunt enim nostra et barbarorum uitia esse paria, sed in his tamen uitiis necesse est peccata nostra esse grauiora. [...] omnium denique gentium ­barbarorum uita uitiositas. Sed numquid eundem reatum habent illorum uitia quem nostra? [...] Et quid mirum si hoc barbari ita credunt, qui legem et deum nesciunt, cum maior ferme Romani nominis portio ita aestimet, quae peccare se nouit? Am allerschlimmsten aber sind die römischen Häretiker: Vgl. V, 3, 14, ebd. 320: Omnes autem isti de quibus loquimur, aut Wandali sunt aut Gothi; nam de Romanis haereticis, quorum innumera multitudo est, nihil dicimus, neque aut Romanis eos aut barbaris comparamus, quia et infidelitate Romanis sunt deteriores et foeditate uitae barbaris turpiores. Ebd. V, 5, 21–23, ed. Lagarrigue 328/330: Inter haec uastantur pauperes, uiduae gemunt, orfani proculcantur, in tantum ut multi eorum, et non obscuris natalibus editi et liberaliter instituti, ad hostes fugiant, ne persecutionis publicae adflictione moriantur, quaerentes scilicet apud barbaros Romanam humanitatem, quia apud Romanos barbaram inhumanitatem ferre non possunt. Et quamuis ab his ad quos confugiunt, discrepent ritu, discrepent lingua, ipso etiam, ut ita dicam, corporum atque induuiarum barbaricarum foetore dissentiant, malunt tamen in barbaris pati cultum dissimilem quam in Romanis iniustitiam saeuientem. Itaque passim uel ad Gothos uel ad Bacaudas uel ad alios ubique dominantes barbaros migrant. [...] Et hinc est quod etiam hi qui ad barbaros non confugiunt, barbari tamen esse coguntur. Ebd. VI, 18, 98, ed. Lagarrigue 428: Fortissimi quondam Romani erant, nunc sine uiribus; timebantur Romani ueteres, nos timemus; uectigalia illis soluebant populi barbarorum, nos uectigales barbaris sumus: uendunt nobis hostes lucis usuram, tota admodum salus nostra commercium est. Ebd. VII, 5, 22, ed. Lagarrigue 446: Sed adhuc tamen addimus, scilicet quod multi haec agunt hodie etiam inter hostes siti et cotidiano discrimine ac timore captiui, cumque ob impurissimam uitam traditi a Deo barbaris fuerint, impuritates tamen ipsas etiam inter barbaros non relinquunt. Vgl. ebd. VII, 6, 25, ed. Lagarrigue 448: Et miramur si terrae uel Aquitanorum uel nostrorum omnium a deo barbaris datae sunt, cum eas quas Romani polluerunt fornicatione, nunc mundent barbari castitate? Allerdings würden auch die einst so tugendhaften Barbaren inzwischen von der römischen Unmoral angesteckt (ebd. VII, 20, 84f., ed. Lagarrigue 490/492). Vgl. ebd. V, 6, 26, ed. Lagarrigue 330, zu den Bagauden: Ac sic actum est ut, latrociniis iudicum strangulati homines et necati, inciperent esse quasi barbari, quia non permittebantur esse Romani. Vgl. Jones, Image 387 (Ndr. 358), zu Gregor von Tours (vgl. unten Anm. 77); Wood, Barbarus 49, mit Berufung auf Eugen Ewig. Wood, ebd. 49f. verweist selbst auf Vorläufer im 5. Jahrhundert. Eine stärker christlich inspirierte Wahrnehmung der Barbaren betont auch Wood, Barbarus; vgl. ebd. 42f. zu Sidonius Apollinaris.

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Cäsarea ist Origenes ein Heide (paganus), der die gentilia studia der Griechen erlernt hatte und zum ­ritus religionis barbarum neigte.49 Hier scheint die Wertung bereits umgedreht, werden die Griechen − im Gegensatz zu Christen − zu Heiden und Barbaren. Hieronymus betont, dass die Masse der − hier gegenüber den Christen zusammengefassten − Römer und Barbaren noch nicht an Gott glaubte,50 und Orosius parallelisiert Barbaren und Ungläubige (infideles).51 Dass man eine Barbarin zur Christin machte, erscheint noch Prosper von Aquitanien eher als bemerkenswerter Sonderfall.52 Der Antichrist, so schreibt er (oder sein Epitomator) in seiner Chronik, habe das Christenvolk vielmehr den Barbaren unterworfen, so dass es sich zu ihnen bekehrt und von Christus trennt.53 Ein gänzlich neues (religiöses) Barbarenkonzept ist das jedoch noch nicht. Bei vielen Belegen bleibt es vielmehr unsicher, ob unter Barbaren tatsächlich bereits Nichtchristen verstanden werden, wenn etwa Augustin von Barbarenvölkern in Afrika spricht, denen das Evangelium noch nicht gepredigt wurde54 − das sind eben noch heidnische Barbaren, die erst jetzt begannen, den christlichen Glauben anzunehmen −, oder wenn Orosius den Heermeister Saulus einen barbarus et paganus dux nennt.55 Für Orosius steht der Christ (Alarich) den Römern zumindest näher als der unersättlich grausame, „heidnische Barbar und wahre Skythe“ (Radagais)56 − und doch sind beide noch gleichermaßen Barbaren. Als bei Alarichs Einnahme Roms die Barbaren durch die Stadt streiften, forderte ein mächtiger Gote, ein Christ, wie Orosius betont, Gold und Silber von einer alten Nonne, die ihm den Schatz des heiligen Petrus zeigte.57 Eusebius von Caesarea, Historia ecclesiastica (in der lateinischen Übersetzung des Rufinus) VI, 19, 7 (ed. Theodor ­Mommsen, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 9/2, Leipzig 1908) 561: Origenes e ­contrario, cum esset paganus et gentilibus, id est Graecorum studiis eruditus, ad ritum religionis barbarum declinavit, quo se conferens omne illud praeclarum ingenium filosoficis litteris expolitum vitiavit atque corrupit, dum vitam ­quidem tamquam Christianus et impius agit, doctrinae vero et eruditionis Graecorum praefulgidum lumen ineptis et fabulosis ­narrationibus occupavit. Vgl. ebd. VI, 19, 8, ed. Mommsen 561: ex quibus omnibus secreta quaecumque et mystica apud Graecos habentur, adsumens ritui barbaro et superstitionibus Iudaicis coaptavit ac filosoforum gloriam ad dogmata ­externa et peregrina convertit. 50 Hieronymus, Commentarii in IV epistolas Paulinas 1 (Migne, PL, 26, Paris 1884), 472 A: alii qui nec carne nec spiritu circumcisi sunt, qualis fuit Nabuchodonosor et pharao, de hodie barbararum et Romanarum gentium multitudo, quae non credunt in deum. 51 Orosius, Historiae adversum paganos III, 20, 6, ed. Arnaud-Lindet, Band 1, 173 (im Bericht über sein eigenes E ­ ntrinnen aus der Barbarengefahr): Cum tamen, si quando de me ipso refero ut ignotos primum barbaros uiderim, ut infestos ­declinauerim, ut dominantibus eblanditus sim, ut infideles praecauerim, ut insidiantes subterfugerim. Nach ebd. VII, 37, 5, Band 3, 108, ist es „Sitte der Barbaren“, ihren Göttern römisches Blut zu opfern, weil sie Heiden sind: Hic, supra hanc incredibilem multitudinem indomitamque uirtutem, paganus et Scytha erat, qui, ut mos est barbaris huiusmodi gentibus, omnem Romani generis sanguinem diis suis propinare deuouerat. 52 Prosper von Aquitanien, De gratia Dei et libero arbitrio liber contra Collatorem 21, 2 (Migne, PL, 51, Paris 1861) 271, zu Coelestin: Nec vero segniore cura ab hoc eodem morbo Britannias liberavit, quando quosdam inimicos gratiae solum suae originis occupantes, etiam ab illo secreto exclusit Oceani, et ordinato Scotis episcopo, dum Romanam insulam studet servare catholicam, fecit etiam barbaram Christianam. 53 Prosper von Aquitanien, Chronicon (Epitome Carthaginiensis), ed. Mommsen 496: consueto illo inimicus auxilio, ut et populum Christianum barbarae dicioni subiectum ad ipsum quasi convertens a Christo separet et ut omnino sibi barbaros devinxissent, predicant apud se esse tantum unum deum, unam fidem, unum baptisma, ceterorum, qui ab eis foris sint, debere babtismum iterari. Demgegenüber schließt Ladner, Roman Attitudes 24f., mit Berufung auf Prosper, De vocatione gentium 2, 16 (Migne, PL, 51, Paris 1861) 701 A, Prosper habe die Barbaren in die heilsgeschichtliche Rolle des Imperium integriert. 54 Augustinus, ep. 199, 12, 46 (ed. Alois Goldbacher, CSEL 57, Wien 1911) 284: sunt enim apud nos, hoc est in Africa ­barbarae innumerabiles gentes, in quibus nondum esse praedicatum euangelium ex his, qui ducuntur inde captiui et ­Romanorum seruitiis iam miscentur, cotidie nobis addiscere in promptu est. 55 Orosius, Historiae adversum paganos VII, 37, 2, ed. Arnaud-Lindet, Band 3, 107. 56 Ebd. VII, 37, 9, Band 3, 109: quorum unus Christianus propiorque Romano et, ut res docuit, timore Dei mitis in caede, alius paganus barbarus et uere Scytha, qui non tantum gloriam aut praedam quantum inexsaturabili crudelitate ipsam caedem amaret in caede, et hic iam sinu receptus Italiae Romam e proximo trementem terrore quassabat. Vgl. Wood, Barbarus 40. 57 Orosius, Historiae adversum paganos VII, 39, 3–5, ed. Arnaud-Lindet, Band 3, 114: Discurrentibus per Vrbem barbaris, forte unus Gothorum, idemque potens et Christianus, sacram Deo uirginem iam aetate prouectam, in quadam ecclesiastica domo repperit, cumque ab ea aurum argentumque honeste exposceret, illa fideli constantia esse apud se plurimum et mox proferendum spopondit ac protulit; cumque expositis opibus adtonitum barbarum magnitudine pondere pulchritudine, ignota etiam uasorum qualitate intellegeret, uirgo Christi ad barbarum ait: ,haec Petri apostoli sacra ministeria sunt, praesume, si audes; de facto tu uideris, ego quia defendere non ualeo neque tenere audeo‘. Dem schließt sich die berühmte Szene an, in der Römer und Barbaren gemeinsam Hymnen singend mit diesen Schätzen durch Rom zogen (ebd. VII, 39, 9, Band 3, 115: hymnum Deo Romanis barbarisque concinentibus publice canitur). 49

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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Barbaren können also Christen sein, unterscheiden sich aber weiterhin von den Römern. Im Gegensatz zur schlimmen Vergangenheit beweise die christliche Gegenwart, so schreibt Orosius, „daß unter ­Barbaren und Römern, die ihren Schöpfer und Herrn anrufen und sich ihm mit solchem Glauben an das Sakrament zuwenden und die Evangelien bewahren“, Bündnisse herrschen, „wie sie einst nicht einmal die Natur zwischen Eltern und Kindern bewahren konnte.“58 Barbaren können Christen, aber nicht ­Römer werden,59 für Orosius ebensowenig wie für Salvian, der mehrfach zwischen (nur) zwei Arten von Barbaren, nämlich Heiden und Häretikern, unterscheidet.60 Sie sind zwar Menschen, die an der Bildung teilhaben, ihr (zudem falsches, häretisches) Wissen aber von den römischen Lehrern erhalten haben.61 Das entschuldigt sie gewissermaßen.62 Christentum wiederum beendet folglich nicht ihr Barbarentum. Barbaren bleiben auch nach der Bekehrung Barbaren, selbst wenn sie Märtyrer sind: Bei den Christenverfolgungen Athanarichs, so Orosius, starben viele Barbaren!63 Orosius und, weit mehr noch, Salvian haben aber auch bereits ein enges Zusammenleben von ­Römern und Barbaren in den Blick genommen,64 wie es in den frühmittelalterlichen Reichen dann, jetzt unter barbarischer Herrschaft, gang und gäbe war. Das wirft die hier zu ver­folgende ­Frage auf, wie sich die (einstigen) Barbaren bzw. die Autoren in diesen Reichen nach dem Unter­gang der ­Römerherrschaft denn selbst im Spiegel der Barbarenterminologie betrachtet ­haben. Halten sie, die weiterhin auf römischen Quellen aufbauen, sich auch selbst weiterhin für ,Barbaren‘ (was angesichts des römischen Barbaren­bildes eigentlich kaum anzunehmen ist)? Bisher ­wurde hier hauptsächlich auf die barbari in den Rechtskodifikationen verwiesen und eine ‚Neutralisierung‘ des Begriffs angenommen, der eine Integration des eigenen Volks erlaubte.65 Ich sichte demgegenüber Ebd. III, 23, 67, Band 1, 188: quibus indubitatissime probatur [...] quia nunc inter barbaros ac Romanos creatorem et dominum suum contestantes tantam fidem adhibita in sacramentum seruant euangelia, quantam tunc nec inter parentes ac filios potuit seruare natura. 59 Vgl. zum 4. Jahrhundert Chauvot, Opinions romaines 459: Barbaren verlieren ihr Barbarentum nicht durch die Religion. 60 Vgl. Salvian von Marseille, De gubernatione Dei IV, 13, 61, ed. Lagarrigue 282: Duo enim genera in omni gente omnium barbarorum sunt, id est aut haereticorum aut paganorum; ebd. IV, 14, 67, ed. Lagarrigue 286 (oben Anm. 42); ebd. V, 2, 5, ed. Lagarrigue 314: Interim quia duo superius barbarorum genera uel sectas esse memorauimus, paganorum atque ­haereticorum, quia de paganis iam, ut arbitror, satis fecimus, de haereticis quoque, ut causa poscit, subiciamus. Vgl. Wood, Barbarus 41f. 61 Salvian von Marseille, De gubernatione Dei V, 2, 8, ed. Lagarrigue 316: Barbari quippe homines, Romanae immo potius humanae eruditionis expertes, qui nihil omnino sciunt nisi quod a doctoribus suis audiunt, quod audiunt hoc sequuntur; ac sic necesse est eos, qui totius litteraturae ac scientiae ignari sacramentum diuinae legis doctrina magis quam lectione cognoscunt, doctrinam potius retinere quam legem. Laktanz, Divinae institutiones II, 5, 7 (ed. Samuel Brandt, CSEL 19, Prag/Wien/Leipzig 1890) 115, wundert sich nicht, wenn die unerfahrenen Barbaren irren (nämlich im Glauben), wo doch selbst die Philosophen der Stoa meinen, dass alles Himmlische in der Zahl der Götter liege: sed quid mirum si aut barbari aut inperiti homines errant, cum etiam philosophi Stoicae disciplinae in eadem sint opinione, ut omnia caelestia quae mouentur in deorum numero habenda esse censeant? 62 Salvian, De gubernatione Dei VI, 7, 35, ed. Lagarrigue 384/386: Rursum ergo necesse est redeamus ad illud quod saepe diximus: quid simile apud barbaros? [...] Quibus illi etsi, utpote pagani, uterentur, minore tamen culpa sacrae offensionis errabant, quia, etsi esset impuritas uisionis, praeuaricatio tamen non erat sacramenti. 63 Orosius, Historiae adversum paganos VII, 32, 9, ed. Arnaud-Lindet, Band 3, 86: Praeterea Athanaricus, rex ­Gothorum, Christianos in gente sua crudelissime persecutus, plurimos barbarorum ob fidem interfectos ad coronam martyrii ­sublimauit; quorum tamen plurimi in Romanum solum non trepidi, uelut ad hostes, sed certi, quia ad fratres, pro Christi confessione fugerunt. Vgl. ebd. VII, 33, 10, Band 3, 90, zur Ansiedlung (christlicher) Goten auf römischem Boden unter Kaiser Valens: Gothi transito Danuuio fugientes, a Valente sine ulla foederis pactione suscepti, ne arma quidem, quo tutius barbaris crederetur, tradidere Romanis. 64 Orosius betont mehrfach die ,Eingemeindung‘ der Barbaren in das Imperium. Vgl. etwa Historiae adversum paganos V, 1, 14, ed. Arnaud-Lindet, Band 2, 85: Olim cum bella toto Orbe feruebant, quaeque prouincia suis regibus suis legibus ­suisque moribus utebatur, nec erat societas adfectionum, ubi dissidebat diuersitas potestatum; postremo solutas et barbaras gentes quid tandem ad societatem adduceret, quas diuersis sacrorum ritibus institutas etiam religio separabat? Vgl. ­Salvian von Marseille, De gubernatione Dei V, 8, 36f. (oben Anm. 21). Vgl. auch Hydatius, Chronicon prol. 4 (ed. Alain Tranoy, Sources Chrétiennes 218, Paris 1974) 102, (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Berlin 1894) 14: sed quoniam in cuiusdam studii sui scriptura dixisse eum constat debacchantibus iam in Romano solo barbaris omnia haberi permixta atque confusa. 65 Vgl. Van Acker, Barbarus 128 zur Lex Salica; Wood, Barbarus 44f, vor allem zum ‚Liber Constitutionum‘ des Burgunderkönigs Sigismund von 517, mit dem Ergebnis, Burgunder, Westgoten und Franken „were prepared to call themselves barbari“ (ebd. 45). Jones, Image (387–392, Ndr. 358–363, zum Frühmittelalter) übergeht die Frage bzw. stellt sie hinter die Identifikation der Barbaren mit Heiden zurück. Ohnacker, Spätantike Entwicklung, ,löst‘ sie mit dem Verweis auf die Einbeziehung der Barbaren in die „Zivilität“. 58

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Hans-Werner Goetz

(nach Ohnacker und Wood) dazu noch einmal die erzählenden Quellen, vor allem aus dem Frankenreich. Betrachtet man daraufhin zunächst die Werke Gregors von Tours66 (die Ohnacker in ihrer Disserta­ tion ganz außer Acht lässt), dann fällt zunächst einmal auf, wie sparsam Gregor mit dem Barbaren­ begriff umgeht, den er in den Historien 12 mal (davon die Hälfte in einem einzigen Kapitel)67 und in den Viten vierzehnmal verwendet. Auch Gregor zeigt noch eine ‚römische Mentalität‘, wenn er die Gewohnheit, Honigwein (bzw. ein Gemisch aus Absinth, Wein und Honig) zu trinken, als mos barbarorum deklariert. Tatsächlich geht es hier allerdings um einen Franken aus Rouen, dem Gregors Lieblingsfeindin ­Fredegunde einen solchen − vergifteten − Trunk anbietet.68 Der aristokratische Romane Gregor, so scheint es, kann die Franken folglich immer noch als Barbaren betrachten, ohne sie allerdings als solche zu bezeichnen.69 Er lässt sie (in Gestalt Chlodwigs) lediglich durch die Burgunder (in Gestalt König Gundobads) als wilde Barbaren charakterisieren.70 Auffällig bleibt in beiden Episoden der negative Kontext. Bei den übrigen Belegen ist es häufig wieder unklar, wer mit den Barbaren konkret gemeint ist. Sie widersprechen diesem Befund jedoch nicht. In Kapitel III,15 (mit sechs barbarus-Belegen) geht es um einen Senatorensohn Attalus, einen Neffen des Bischofs Gregor von Langres, der verknechtet worden ist und im Pakt zwischen Theuderich und Childebert als Geisel in den Dienst eines offenbar vornehmen und wohlhabenden Barbaren in der Trierer Gegend, also doch wohl ebenfalls eines Franken, gegeben wird.71 Im Folgenden wird nicht nur dieser Herr mehrfach „Barbar“ genannt − Barbaren können also Herren und Herren können Barbaren sein −,72 sondern wenn auch dies solis für Gregor der Begriff der Barbaren für den Sonntag ist73 oder wenn er Auspizien als consuetudo barbarorum betrachtet, dann grenzt sich Zu Gregors (mangelnder) Abgrenzung von Franken und Romanen vgl. Hans-Werner Goetz, Die germanisch-romanische (Kultur-)Synthese in der Wahrnehmung der merowingischen Geschichtsschreibung, in: Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, ed. Dieter Hägermann/Wolfgang Haubrichs/ Jörg Jarnut (RGA Erg. Bd. 41, Berlin/New York 2004) 547–570, zu Gregor 551–557. 67 Gregor von Tours, Historiae III, 15 (ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, Hannover 1951) 112–116. Ein weiterer Beleg ist ein Zitat des römischen Autors Renatus Profuturus Frigeretus; ebd. II, 9, ed. Krusch/Levison 56: Qui, praemissis agminibus, dum cum patre resederet, ab Hispania nuntii commeant, a Gerontio Maximum unum e clientibus suis imperio praeditum atque in se cometatu gentium barbararum accinctum parari. Zu Gregor und den folgenden Beispielen vgl. kurz bereits Wood, Barbarus 47f. („the designation of certain groups within Francia as barbari looks forward to one development in the seventh century“). 68 Gregor von Tours, Historiae VIII, 31, ed. Krusch/Levison 399: Ein Franke aus Rouen beschuldigt Fredegunde der Untaten, die ihn daraufhin zum convivium einlädt; als er ablehnt, bietet sie ihm zumindest einen Trunk an: Quo expectante, accepto poculo, bibit absentium cum vino et melle mixtum, ut mos barbarorum habet; sed hoc potum venenum inbutum erat. 69 Franken dürften auch mit den Barbaren gemeint sein, die Eufrasius beköstigte, der Bistumsanwärter auf den Stuhl von Clermont, der von Juden Geld nahm und den König damit bestechen wollte, anstatt die Armen zu erquicken: ebd. IV, 35, ed. Krusch/Levison 167, zum Tod des Bischofs Cautinus von Clermont: ut scilicet, quod meritis optinere non poterat, praemiis optineret. Erat quidem elegans in conversatione, sed non erat castus in opere, et plerumque inebriabat barbaros, sed rare reficiebat egenos. 70 Ebd. II, 32, ed. Krusch/Levison 79 (zu dem von Chlodwig bedrängten Gundobad): Habebat tamen secum virum inlustrem Aredium, strinuum atque sapientem, quem ad se arcessitum, ait: ‚Vallant me undique angustiae, et quid faciam ignoro, quia venerunt hi barbari super nos, ut, nobis interemptis, regionem totam evertant‘. Ad haec Aredius ait: ‚Oportit te lenire feritatem hominis huius, ne pereas. Nunc ergo, si placit in oculis tuis, ego a te fugire et ad eum transire consimulo, cumque ad eum accessero, ego faciam, ut neque te neque hanc noceant regionem.‘ Diese Wertung übernimmt von Gregor später wörtlich der Liber historiae Francorum 16 (Fassung A) (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 264f. 71 Gregor von Tours, Historiae III, 15, ed. Krusch/Levison 112: Multi tunc fili senatorum in hac obsidione dati sunt, sed orto iterum inter reges scandalum, ad servicium publicum sunt addicti; et quicumque eos ad costodiendum accepit, servus sibi ex his fecit. Multi tamen ex eis per fugam lapsi, in patriam redierunt, nonnulli in servitio sunt retenti. Inter quos Attalus, nepus beati Gregori Lingonici episcopi, ad publicum servitium mancipatus est custusque equorum distinatus. Erat enim intra Treverici termini territurio cuidam barbaro serviens. 72 Ebd. 113: Tunc locatum secum hominem quendam, ait: ‚Veni mecum et venunda me in domo barbari illius, sitque tibi ­lucrum praetium meum, tantum liberiorem aditum habeam faciendi id quod decrevi‘; ebd. 114: Vocaverat enim barbarus ille multos parentum suorum ad aepulum, inter quos erat et gener eius, qui acceperat filiam illius; ebd. 115: Erat enim barbarus ille, qui haec agebat, dominus eorum de Remense urbe veniens, hos inquirens, et repperisset utique in via, si nox obstaculum non praebuisset; ebd. 116: Secutusque est et barbarus, iterum inquirens puerus; sed inlusus a presbitero, regressus est. 73 Ebd. 113: Et ille: ‚Ecce enim dies solis adest‘ – sic enim barbaries vocitare diem dominecum consueta est –, ‚in hac die vicini atque parentes mei invitabuntur in domo mea.‘ 66

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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­ regors christliche Mentalität hier zugleich von den heidnischen, antiken Römern ab. Durchgeführt G werden die Auspizien allerdings von den Scharen des (sonst nicht weiter bekannten) Claudius, der im Auftrag des Frankenkönigs Guntchramn gegen den des Königsmordes beschuldigten Eberulf zieht.74 Der Befund scheint eindeutig: Für den Romanen Gregor können noch die Franken bzw. Nichtromanen im (längst christlichen) Frankenreich Barbaren sein. Aber zum einen nennt er sie nicht explizit Barbaren, zum andern (und vor allem) handelt es sich stets um einzelne Gruppen, denen Gregor gleichzeitig eine unchristliche Denk-, Sprech- und Handlungsweise vorwirft. Wenn er angesichts der Bedrohung des Klosters Latta (Ciran-la Latte bei Loches) zwei Gruppen unterscheidet, von denen eine die Klöster ausstattet, die andere sie beraubt, Letztere von den belagerten Mönchen aber als Barbaren angesprochen werden,75 so handelt es sich zwar auch hier sicherlich um Franken – Gregor spricht nur von „Feinden“ –, naheliegender aber scheint eine andere Deutung: dass für Gregor nämlich gewissermaßen all diejenigen Barbaren sind, die zum Beispiel (grundsätzlich) Klöster bedrängen. Ähnlich lassen sich aber auch die zuvor zitierten Belege interpretieren. Damit würde sich ein Wandel des Barbarenbegriffs (weniger zum Heiden, wohl aber) in Abgrenzung zu christlich-ethischen Kriterien hin verstärken.76 Gregors Viten bestätigen ein solches Verständnis, auch wenn es erneut zumeist ganz unklar bleibt, wer mit den als Barbaren Bezeichneten konkret gemeint ist.77 Einmal sind es Hunnen,78 in einem Fall handelt es sich um das Heer Chlodomers, das in barbarischem Wüten in Burgund einfiel,79 ein anderes

Ebd. VII, 29, ed. Krusch/Levison 347: Guntchramn schickt Claudius gegen Eberulf. Claudius verlangt vom Ortsgrafen von Châteaudun [Dunensem castrum] 300 Krieger, mit denen er nach Tours zieht: Et cum iter ageret, ut consuetudo est barbarorum, auspicia intendere coepit ac dicere sibi esse contraria, simulque interrogare multis, si virtus beati Martini de praesenti manifestaretur in perfidis, aut certe, si aliquis iniuriam in eum sperantibus intulisset, si protenus ultio sequeretur. Jones, Image 358, sieht „(T)his transition from a cultural to a religious meaning“ erst mit Gregor beginnen. 75 Gregor von Tours, Historiae IV, 48, ed. Krusch/Levison 185: Cum ad eum unus cuneus hostium adventaret et fluvium, qui propinquus est, transire disponeret, ut monastirium spoliaret, clamaverunt monachi dicentes: ‚Nolite, o barbari, nolite huc transire; beati enim Martini istud est monasterium‘. Vgl. Wood, Barbarus 47f.: „Not surprisingly he condemns the looters of a monastery as barbarian.“ 76 Wenn Rudolf Buchner in seiner Gregorausgabe (FSGA 2, Darmstadt 1955) 164, Anm. 2, ausdrücklich vermerkt, dass der Begriff, wie in der Lex Salica, „technischer Ausdruck für den Nichtrömer, hier den Franken“ ist und „oft keinen abschätzigen Nebensinn“ hat, dann wird man dies angesichts der römischen Tradition daher bezweifeln dürfen. 77 Vgl. Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum 59 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 1,2, Hannover 1885) 79 (528f.): In Nantes gibt es zwei Märtyrer, Rogatianus und Donatus sowie den Bekenner Similinus (den dritten Bischof von Nantes): Igitur cum supra dicta civitas tempore Chlodovechi regis barbarica vallaretur obsidione, et iam sexaginta dies in hac aerumna fluxissent, media fere nocte apparuerunt populis viri cum albis vestibus, radiantibus cereis, a basilica beatorum martyrum egredi; et ecce alias chorus huic similis de basilica procedere antestitis Similmi. Die (nicht näher zu identifizierenden) Feinde ziehen erschreckt ab. Vgl. ders., Liber de virtutibus s. Iuliani 30, ed. Krusch, ebd. 126 (576): Aiunt enim: ‚Sufficiat tibi, Iuliane, nos propria virtute torquere; ut quid reliquos provocas? quid invitas extraneos? Ecce Martinum Pannonicum inimicum iugiter nostrum, qui tres a nostris cavernis repulit mortuos. Adest Privatus ex Gabalis, qui oves suas barbaris, nostra instigatione commotis, tradere noluit. Advenit Ferreolus collega tuus ex Viennensibus, qui nobis in te supplicium, incolis praesidium misit. Die Barbaren sind hier also Fremde, die von außen kommen. Vgl. auch Liber de virtutibus s. Martini II, 59, ed. Krusch 179 (629): Eine freigelassene Frau wird von ihrem Herrn erneut an Barbaren verkauft (Simile est huic et illud, quod mulier post emeritam libertatem rursum a patroni filiis barbaris venundatur), aber durch ein Wunder behindert und deshalb wieder in die Freiheit entlassen und dann vom heiligen Martin durch ein zweites Wunder geheilt. Vom servus eines Barbaren handelt auch ders., Liber vitae patrum 5, 1, ed. Krusch 227 (677): Hic enim servus fertur fuisse cuiusdam barbari. 78 Ders., Liber in gloria martyrum 12, ed. Krusch 46 (496), zu einem Wunder während eines Angriffs der Hunnen auf die Stadt Vasatinsis (Bazadois), bei dem sie als Feinde die Dörfer/Gehöfte verwüsteten, die Häuser niederbrannten, Äcker, Wein­ stöcke und Vieh vernichteten: Hostis vero in circuitu depopulabat villae, domos tradebat incendio, agros vineasque, pecora intromissa, vastabat; sed sacerdoti bono opere insistenti celeriter virtus divina adfuit. Una nocte visum est ipsi barbarorum regi, quasi psallentes homines in vestimentis albis, accensis cereis, circuire muros urbis. Barbaren sind die Hunnen auch für den Verfasser der Vita Aniani ep. Aurelianensis 9 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 3, Hannover 1896) 114, aus dem 8. Jahrhundert. 79 Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum 30, ed. Krusch 56 (506): Nach dem Tod des Frankenkönigs Chlodomer verwüstet das Heer Burgund: Tempore, quo, interfecto Chlodomere rege Francorum, se exercitus reparans Burgundiam ­devastabat, in quadam basilicam reliquiae iam dicti apostoli cum Saturnini martyris tenebantur. Accensaque basilica, cum iam tegnorum moles dirueret, pauperes ac senes, quos barbaries reliquerat, flebant, dicentes: ‚Vae nobis, qui tantorum pignorum hodie caremus auxilia; nec nobis ultra spes praesentis vitae manebit, ei haec deperierint.‘ Ein Mann aus Tours rettet die Reliquien aus den Flammen. 74

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Mal um das Heer Theuderichs, das den Bischof von Clermont bedrohte.80 Wieder können auch die Franken Barbaren sein. In Anwesenheit des Königs Theudebert, so berichtet Gregor im ,Liber in gloriam confessorum‘, sollte der Priester Arboast auf Befehl des Königs am Grab des heiligen Maximin schwören, dass seine Anschuldigungen gegenüber einem Franken wahr seien. Dieser „Barbar“ schnaubte unwillig, konnte bald aber die Kraft des Heiligen loben, als nämlich der Priester, der zuvor am Heiligengrab gelobt hatte, der Heilige solle ihn erschlagen, falls er nicht die Wahrheit gesagt habe, auf dem Rückweg verunglückte.81 Gregor steht auf Seiten der − durch den Heiligen erwiesenen − Wahrheit, selbst gegen den eigenen Priesterstand. „Barbar“ ist der Franke dennoch. Aber auch die Heiden sind erneut Barbaren: In Köln, so berichtet Gregor, gab es ein (heidnisches), ausgeschmücktes Heiligtum (fanum), in dem die Barbaren sich bis zum Erbrechen vollfraßen und volltranken und Idole als Götter verehrten, das der heilige Gallus dann aber in Brand steckte.82 Dass Gregor (und seine Zeitgenossen) barbarus in neutralem Sinn gebraucht haben und aus diesem Grund auch die Franken als Barbaren bezeichnen konnten, wie immer wieder behauptet wird, ist angesichts des dargelegten Befundes schwerlich einleuchtend. Entscheidender ist vielmehr erneut das Verhalten: Fasst man die verstreuten Belege zusammen, dann verwüsten Barbaren das Land (und verschonen allenfalls Arme und Alte),83 sie plündern und bestechen Bischöfe,84 sind feindlich, angriffslustig und heimtückisch,85 tragen lange Haare und einen Bart86 und sind von einer cruda rusticitas (und somit völlig ungebildet),87 und sie bedrohen den Kirchenschatz!88 Eben das macht sie zu ,Barbaren‘! Ders., Liber de virtutibus s. Iuliani 23, ed. Krusch 124 (574): Gregors Oheim Gallus, der Bischof von Clermont, erfährt in jungen Jahren ein Wunder, als ihm die Barbaren, nämlich das Heer, seinen Besitz nehmen: Et quia saepius commemoravi, quale excidium Arvernae regioni rex Theodoricus intulerit, cum neque maioribus neque minoribus natu aliquid de rebus propriis est relictum praeter terram vacuam, quam secum barbari ferre non poterant. 81 Liber in gloria confessorum 91, ed. Krusch 356 (806): Et statim ponens manus super sanctum sepulchrum, dixit: ‚Huius sancti virtute oppraemar, si aliquid falsi loquor de his quae prosecutio mea contra hunc Francum insistit‘. Fremente autem barbaro et quasi contra sanctum Dei furibundo, egressi sunt de basilica. Cumque per viam pariter pergerent, subito ­dilapsus presbiter solo pessumdedit et mortuus est. Laudavitque deinceps barbarus virtutem sancti, cui prius ­detraxerat. 82 Ders., Liber vitae patrum 6, 2, ed. Krusch 231 (681), zum heiligen Gallus, von dem sich König Theuderich nie trennen konnte: Unde factum est, ut, eunte rege in Agripinam urbem, et ipse abiret simul. Erat autem ibi fanum quoddam diversis ornamentis refertum, in quo barbaries proxima libamina exhibens, usque ad vomitum cibo potuque replebatur; ibique et simulacra ut deum adorans, membra, secundum quod unumquemque dolor attigisset, sculpebat in ligno. Quod ubi sanctus Gallus audivit, statim illuc cum uno tantum clerico properat, accensoque igne, cum nullus ex stultis paganis adesset, ad ­fanum adplicat ac succendit. At illi videntes fumum delubri ad caelum usque conscendere, auctorem incendii quaerunt inventumque evaginatis gladiis prosequuntur. Ille vero in fugam versus, aulae se regiae condidit. Verum postquam rex quae acta fuerant, paganis minantibus, recognovit, blandis eos sermonibus linivit et sic eorum furorem inprobum m ­ itigavit. ­Referre enim saepe erat solitus vir beatus haec cum lacrimis et dicebat: ‚Vae mihi, quia non persteti, ut in hac causa ­finirer‘. Fungebatur [enim] eo tempore diaconatus officium. 83 Vgl. ders., Liber de gloria martyrum 30 (oben Anm. 79). 84 Zu Plünderungen vgl. ders., Liber de virtutibus s. Iuliani 23, ed. Krusch 124 (oben Anm. 80). 85 Vgl. ders., Liber de virtutibus s. Martini I, 14, ed. Krusch 147 (597): Idem his verbis retulit: ‚In cacumine castelli regionis Italiae quod dicitur Tertium oratorium beati Martini fundatum est. Ibique turri vicinae quotiens incursione b­ arbarorum per fraude hostis accederet nocturnis insidiis, quisquis de vigilantibus habuisset in turre lanceam aut spatam vel ­cultellum seu grafium protulisset ex theca, fere per horae spatium tale lumen reddebatur ex universo gladio, tamquam si illud ­ferrum ­verteretur in cereum. Et mox ex ipso signo custodes admoniti, magis intenti vigiliis, hostes latebrantes lapidibus ­exturbabant. Quod ope sancti Martini recto indicio reputat, qui vicinitate sua sibi devotis populis sedulam exhibuit praesentemque custodiam‘. Et hanc virtutem a supra dicto cognovimus. 86 Vgl. ders., Liber vitae patrum 20, 3, ed. Krusch 292f. (742f.), zum heiligen Leobardus: Erat enim dulcis alloquio, ­blandus hortatu, eratque ei sollicitudo pro populis, inquesitio pro regibus, oratio assidua pro omnibus eclesiasticis Deum ­timentibus. Verum non ille, ut quidam, dimissis capillorum flagellis aut barbarum dimissione plaudebat, sed certo tempore capillum tondebat et barbam. 87 Vgl. ders., Liber de virtutibus s. Iuliani 40, ed. Krusch 130 (580): Est autem in Turonico vicus cui Gaudiaco [Joué-lesTours] nomen est, in quo beati martyris reliquiae contenentur, qui cum magnis virtutibus crebro inlustretur, in periuribus tamen plerumque agitata ultione. Nam cum ibidem, quasi inimico humani generis suadente, periuraverit, ita ultio divina prosequitur, ut protinus aut in successione damni aut in amissione proximi aut in consumptione morbi manifesta patiscat; non tamen causam remanere inultam, martyr prorsus indulget, sed nec inibi tam ausu temerario periurat barbarorum ­cruda rusticitas. Auch hier ist nicht klar, wer die Barbaren sind. 88 Ebd. 44, ed. Krusch 131 (581): Pendebat autem super ipsum altare crux holocrysa, eleganti opere facta, et erat tam praeclara visu, ut eam putares ex auro esse mundissimo. Advenientibus vero barbaris, a quodam esse aurea aestimata 80

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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Erneut sind die Barbaren gewissermaßen alle, die den Kirchenschatz plündern oder sonstwie Böses tun. Auch für andere romanische Autoren des Frankenreichs bleiben Franken und andere Völker B ­ arbaren.89 90 91 Für Venantius Fortunatus sind sowohl die Burgunder als auch die Franken als auch die Thüringer ­Barbaren − Radegund stammt natione barbara de regione Thoringa92 –, die er von den ­Römern abhebt (wie Charibert),93 und auch Baudonivia übernimmt in ihrer kurz nach 600 entstandenen Radegundvita Venantius’ Charakterisierung im Wortlaut;94 selbst die kostbaren Kleider der Königin waren dennoch barbarisch:95 Radegunds hoher Stand bewahrt sie keineswegs vor ihrem Barbarentum. Für die Vita des Caesarius von Arles gegen Mitte des 6. Jahrhunderts ist der Westgotenkönig Alarich Arriana barbarus ­ äretikerattribut.) perversitate subversus, also ein häretischer Barbar.96 (Perversitas ist ein typisches H Eine andere, sprachliche Variante steuert Isidor von Sevilla bei: Wenn er verkündet, dass Adam, als er den Tieren Namen gab, weder Latein noch Griechisch noch irgendeine Barbaren­sprache, sondern Hebräisch sprach, dann sondert er die Barbarensprachen (damit aber auch deren ­Träger!) von den drei genannten Hochsprachen ab.97 Wie sieht es aber bei Autoren aus, die selbst dem barbarischen Volk angehören, denen man allerdings weder mehr mangelnde Bildung noch mangelnden Glauben vorhalten kann? Als Probe aufs Exempel mag hier zunächst Fredegar dienen, wenngleich er insgesamt nur neun Belege aufweist. Tatsächlich übernimmt auch Fredegar die römische Barbarenterminologie, etwa bei den spätantiken Germaneneinfällen,

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d­ irepta est et sinu recondita. At is qui eam sustulerat tanto subito pondere praegravatur, ut eam penitus sustenere non ­possit, statimque conpunctus virtute martyris ac paenitentia motus, de itinere transmissam loco sancto restituit. In seiner Vita des Germanus von Paris wird eine mulier barbara vom Heiligen am Martinstag geheilt: Venantius ­Fortunatus, Vita Germani episcopi Parisiensis 27 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 7, Hannover/Leipzig 1919) 388. Ders., ­Carmina App. 2 (Ad Iustinum), v. 83f. (ed. Friedrich Leo, MGH AA 4/1, Berlin 1881) 277, betrachtet in einer Aufzählung Germanen, Bataver, Basken und Briten als Barbaren. Der noch im 5. Jahrhundert schreibende Constantius, Vita Germani episcopi Autissiodorensis 28 (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 7, Hannover/Leipzig 1919) 272, charakterisiert den Alanenkönig Gochar mit den Worten: aviditate barbaricae cupiditatis. In seiner Vita Leobini 16 (ed. Bruno Krusch, MGH AA 4/2, Berlin 1881) 75, berichtet Venantius über den Krieg der ­Franken gegen die Burgunder und bei den Letzteren vom Ratschlag eines senex a barbaris. Venantius Fortunatus, Carmina 4, 26 (Epitaphium Vilithutae), ed. Leo 95: sanguine nobilium generata Parisius urbe / Romana studio, barbara prole fuit. Venantius Fortunatus, Vita Radegundis I, 2 (3) (ed. Bruno Krusch, MGH AA 4/2, Berlin 1881) 38: Beatissima igitur ­Radegundis natione barbara de regione Thoringa, avo rege Bessino, patruo Hermenfredo, patre rege Bertechario, in quantum altitudo saeculi tangit, regio de germine orta, celsa licet origine, multo celsior actione. Quae cum summis suis parentibus brevi mansisset tempore, tempestate barbarica Francorum victoria regione vastata, vice Israhelitica exit et migrat de patria. Ders., Carmina 6, 2 (De Chariberetho rege), ed. Leo 131: hinc cui barbaries, illinc Romania plaudit (und öfter). Zur strikten Trennung von Römern und Barbaren bei Venantius vgl. auch Wood, Barbarus 47. Hingegen wertet Joseph Szövérffy, À la source de l’humanisme chrétien médiévale: ,Romanus‘ et ,Barbarus‘ chez Vénance Fortunat, in: Aevum 45 (1941) 77–86, Venantius nach seinen Gedichten als den ersten Repräsentanten eines christlich-mittelalterlichen Humanismus, der die Barbaren nicht verachtet, sondern als Menschen betrachtet (ebd. 86). In den Schriften des Avitus von Vienne (MGH AA 6, 2) geht es eher um (sprachliche) Barbarismen als um Barbaren. Baudonivia, Vita Radegundis II I, 2 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 365. Ebd. I, 9, ed. Krusch 368: Illud quoque quam prudenter totum pro sua salute providebat inpendere, quotiens, quasi ­mavortem novum, lineum savanum, auro vel gemmis ornatum, more vestiebat de barbaro, a circumstantibus puellis si laudaretur pulcherrimum, indignam se adiudicans tali conponi linteolo, mox exuens se vestimento, dirigebat loco sancto, quisquis esset in proximo, et pro palla ponebatur divinum super altare. Vita Caesarii ep. Arelatensis 20 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 3, Hannover 1896) 464 (entstanden zwischen 542 und 549). Vgl. auch Jonas von Bobbio, Vita Columbani II, 23 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/ Leipzig 1902) 145, zum Schutz durch den Langobardenkönig Ariowald: Cumque ille quamvis a barbaro et Arrianae ­sectae ­credulum talia fari cernerent, poscent, ut supplimento publico, qualiter Romae ad sedem apostolicam venire queant, ­fulciantur. Isidor von Sevilla, Etymologiae XII, 1, 2 (ed. Wallace M. Lindsay, Oxford 1912, ND. Oxford 2007), Band 2, 33: Non autem secundum Latinam linguam atque Graecam aut quarumlibet gentium barbararum nomina illa inposuit Adam, sed illa lingua quae ante diluuium omnium una fuit, quae Hebraea nuncupatur. Von der gentilis lingua der Barbaren spricht später auch auch die Vita des Praeiectus von Clermont: Vita Praeiecti episcopi et martyris Arverni 20 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, Hannover/Leipzig 1910) 238: locum, quem Doroangus gentili lingua barbari vocitant), von der ­barbarica sua lingua Aethicus Ister, Cosmographia (ed. Otto Prinz, Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 14, München 1993) 231.

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und zwar selbst dort, wo er von seinen Vorlagen abweicht.98 Die Franken bezeichnet auch ­Fredegar nicht mehr unmittelbar als Barbaren, doch finden kriegerische Aktionen Fredegunds und dann Theuderichs ­ regor, gegen die anderen Teilreiche immerhin jeweils „nach barbarischem Ritus“ statt.99 Wie schon bei G so ist also auch hier weniger das Volk als vielmehr die Tat barbarisch. Ganz ähnlich charakterisiert die bald nach 523 entstandene Passio Sigmundi regis die Einfälle der Burgunder nach Gallien als more ­barbarico.100 Auch Fredegar und seine Zeitgenossen haben sich von den traditionellen Vorstellungen noch keineswegs völlig freigemacht. Barbaren (barbari) sind für die ‚Barbaren‘ jedoch vor allem die anderen ,Barbaren‘.101 So kann etwa Julian von Toledo in seiner ‚Historia‘ des westgotischen Königs Wamba am Ende des 7. Jahrhunderts die Franken und die Bewohner Galliens als Barbaren betrachten.102 Wo das eigene Volk barbarisch bleibt, wird das hingegen wieder moralisch umgewertet: Nach den bereits in die frühe Karolingerzeit gehörenden Miracula des Erzbischofs Austregisel von Bourges besteht das Heer des princeps Francorum Pippin, das gegen Eudo von Aquitanien zieht, aus Barbaren, die das Haus des heiligen Austregisel in Chabris (im Berry) niederbrannten.103 Erneut ist hier jedoch offenbar eher die Tat als die Herkunft barbarisch. Auch die ‚christliche‘ Variante hat sich in der Mitte des 7. Jahrhunderts noch nicht breit durchgesetzt, sondern tritt hinter die barbarische Herkunft zurück. Interessant ist eine Stelle der Vita Arnulfs von Metz aus der Mitte des 7. Jahrhunderts: Als ein Leprakranker den Heiligen um Speise und Kleidung bat, fragte dieser ihn, weil er Barbar war, ob er schon die Taufe empfangen habe.104 Dieser Barbar ist Fredegar, Chronicon II, 40 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 65, zu den römischen Kaisern des 3. Jahrhunderts, darunter Probus (Provos), der 31. Kaiser, der 6 Jahre und 4 Monate regierte und Gallias a barbaris occupatus ingenti virtute restituit; ebd. II, 48, ed. Krusch 69, zum Tod des Valens (aus Hier.): Der verletzte Valens rettet sich in ein Gehöft, quo persequentibus barbaris, et incinsa domo, sepulturaque caruit; ebd. II, 49, ed. Krusch 69, nach einer Zwischenbilanz der abgelaufenen Zeit (nach ganz vielen Zeitsystemen): Et quia deinceps varietatibus temporum et incursionibus barbarorum ita cuncta mixta sunt, ut gestorum veritas, quae istoriae inseri possit, ad plenum reperire non potest. Wegen der Barbareneinfälle gibt es weder eine klare Zeitordnung noch eine erkennbare historische Wahrheit. In den ersten beiden Fällen folgt Fredegar unmittelbar Hieronymus, im letzten Fall aber fügt er die Wendung seinerseits im römischen Sinn hinzu! Vgl. ebd. II, 50, ed. Krusch 71, zum 16. Jahr des Honorius (nach Hydatius): debaccantibus per Spanies barbaris; ebd. II, 53, ed. Krusch 75, zum Tod Valentinians unter Markian: Quarto regni anno princepis Marciano per duos barbarus Ageci familiaris Valentinianus imperator occidetur; ebd. III, 37, ed. Krusch 105 (aus Gregor 3, 15 oder 3, 18): Nepus beati Gregoriae Lingonici urbis episcopi Treverus cuidam barbaro serviens, ingenio Leones quidam ex cocis ipsius episcopi liberatur et reducitur. Zu Fredegars Barbarenkonzept vgl. Ohnacker, Spätantike Entwicklung 178–183, die bei Fredegar das Bewusstsein einer zivilisatorischen Überlegenheit gegenüber (anderen) Barbarenvölkern beobachten will. 99 Fredegar, Chronicon IV, 17, ed. Krusch 127f.: Eo anno Fredegundis cum filio Clothario regi Parisius vel reliquas ­civitates rito barbaro occupavit et contra filius Childeberti regis Teudeberto et Teuderico movit exercitum loco nominante ­Latofao; ebd. IV, 37, ed. Krusch 138: Anno 15. regni Theuderici, cum Alesaciones, ubi fuerat enutritus, preceptum patris sui ­Childeberti tenebat, a Theudeberto rito barbaro pervadetur. Unde placetus inter his duos regis, ut Francorum iudicio finiretur, Saloissa castro instituunt. Vgl. Wood, Barbarus 48f. 100 Passio Sigismundi regis 1 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 333 (nach Fredegar III, 17): Tiberius hatte eine Burg am Rhein erbaut, nach der die Bewohner ‚Burgundofarones‘ und bis heute ‚Burgundiones‘ heißen: Qui ­tempore Valentiniani imperatoris egressi de ipsis burgis, Gallias petierunt et more barbarico terras vel populos ­imperialibus dicionibus subiugatas invaserunt, regemque ex suo genere levato nomine Gunduico, Romanos Galliarum, quos ab ipsorum conspectibus fuga non celavit, gladiatorum manus interfecit; paucisque relictis suis dicionibus subiugatis, ipsique eorum dominationi contempti sunt. 101 Vgl. auch die Belege bei Wood, Barbarus 49 („The idea that the barbarus could be a hostile neighbour is, however, one that recurs.“) 102 Julian von Toledo, Historia Wambae regis 29 (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 5, Hannover/Leipzig 1910) 524f.: Tanta enim virtute animi atque constantia circumpositas barbarorum gentes non solum non extimuit, sed contempsit, ut etiam adhuc intra Gallias positus in locum qui Canaba nuncupatur, cuncto exercitui quod feliciter exissent relatione ­gratifica satisfaceret omnes ab eo statim loco absolveret. Vgl. Van Acker, Barbarus 129. 103 Vita et miracula Austregisili episcopi Biturigi II, 5 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 202, wohl aus der zweiten Hälfte des 7. oder vom Beginn des 8. Jahrhunderts: barbari de ipso exercitu ad prefatam domum venerunt, ut eam igni succenderent. Vgl. Wood, Barbarus 49. 104 Vita Arnulfi 11 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 436: Cumque erga illum secundum mos suum solitam inpenderet pietatem, sciscitare voluit, quia barbarus erat, si sacra unda babtismatis ablutus fuisset. Repente ille: ‚Nequaquam‘, ait, ‚domine mi, nam infelix ego abiectus a populo, et quis mihi gratiam babtismi tribuit? Tum isdem inquid: ‚Ne verearis, frater, possibile est. Tantummodo crede in Christo, et erit Domini voluntas, ut geminam, id est animae et corporis tui, capias medelam‘. 98

Wer sind eigentlich die Barbaren in den Barbarenreichen?

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also ungetaufter Heide,105 aber nicht deshalb Barbar, weil er noch nicht getauft ist, denn Arnulf hält es mit seiner Frage ja für möglich, dass er Christ ist, sondern er ist nur deshalb nicht getauft, weil er nach seinen eigenen Worten als Aussätziger außerhalb der Gemeinschaft lebt. An seinem Barbarentum würde der Glaube also nichts ändern. Nach der Vita Landiberts von Utrecht/Traiectensis „zeigte sich das himmlische Licht und erleuchtete wie ein Sonnenstrahl jenes Barbarengebiet“, als man dort „den Gestank des Götzendienstes verließ“,106 und ganz ähnlich äußert sich die Vita des Eligius von Noyon aus dem 7. Jahrhundert: Flandern, Friesen und Suevi sind Barbaren, die bekehrt wurden und ihre Götzen verließen, so dass der ganze Teil dieses Barbarenlandes (barbaries) vom himmlischen Licht erleuchtet wurde.107 Hier bleibt zwar offen, ob sie dennoch Barbaren bleiben, doch hat sich der Barbarenstatus mit der Bekehrung anscheinend noch keineswegs untrennbar verflüchtigt. Heiden sind auch die wilden ­Barbaren der Vita des Eptadius aus dem 8. Jahrhundert, denen sich der Heilige mit seinen lammfrommen Predigten näherte.108 Auch Beda verknüpft Heidentum mit barbarischer Wildheit, wenn die Begleiter des Angelsachsenmissionars Augustin aus Angst vor „dem barbarischen, wilden, ungläubigen Volk, dessen Sprache sie nicht einmal kennen“, lieber umkehren wollten.109 Der (heidnische) Unglaube bildet dabei allerdings nur ein Kriterium. Der angelsächische Christ Caedwalla von Northumbrien ist für Beda barbarischer und wilder als der Heide Penda von Mercia: Auch angelsächsische Christen können animo ac moribus barbarus sein.110 Das urteilt, unabhängig von der Religion und von der Ethnie, erneut, wie bei Gregor, nach moralischen Kriterien. Als Ergebnis dieses kurzen Überblicks über ein scheinbar längst ‚abgegrastes‘ Thema sei deshalb festgehalten: 1. Der Begriff barbarus wird in den sogenannten Barbarenreichen, so scheint es, zwar seltener verwendet als zuvor, das Weiterwirken des römischen, ethnisch-kulturellen Barbarenkonzepts mit (negativer) Abgrenzung von den Römern wirkt, bei grundsätzlich individueller Bedeutung, wie Ian Wood zu Recht betont,111 aber weit länger unverändert fort als oft angenommen,112 bei den spätantiken christ­ lichen Autoren wie noch bei den Autoren der Nachfolgereiche, und das ist nicht ausschließlich auf die Spannbreite des Begriffs zurückzuführen, auf die Ohnacker mit Recht verweist.113 Vgl. Wood, Barbarus 49. Vita Landiberti ep. Traiectensis vetustissima 10 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 6, Hannover/Leipzig 1913) 364: Sicque demum, ut quasi caelitus lumen ostendebat et inlustrabat ut radius solis partis illius barbarorum. Abiecto itaque fetore idolatriae, odorem suavissima quasi ex aromatibus aspargebat. Nach Krusch gehört diese älteste Vita noch dem 8. Jahrhundert an. 107 Vita Eligii episcopi Noviomagensis II, 3 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1912) 696f.: Sed Flanderenses atque Andoverpenses, Fresiones quoque et Suevi et barbari quique circa maris litora degentes [...] pars ­maxima trucis et barbari populi, relictis idolis, conversa est ad verum a Deum Christoque subiecta; sicque demum factum est, ut quasi caelitus lumen ostensum aut radius quidam solis erumpens totam partis illius barbariem inlustraret. 108 Vita Eptadii presbyteri Cervidunensis 10 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 3, Hannover 1896) 190: Non tantum ­catholicis, verum etiam paganis ac ferocissimis barbaris, more leonum furentes, cum superbia magna captivus persequentes adveniebant orationibus suis, sicut agnus mitissimus suis sanctis reddebat alloquiis. 109 Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum I, 23, 2 (ed. André Crépin [Introduction]/Michael Lapidge [text ­critique]/Pierre Monat/Philippe Robin [Traduction], Sources Chrétiennes 489–491, hier 489, Paris 2005) 194: Qui cum ­iussis ponti­ficalibus obtemperantes memoratum opus aggredi coepissent iamque aliquantulum itineris confecissent, ­perculsi ­timore inerti redire domum potius quam barbaram feram incredulamque gentem, cuius ne linguam quidem n­ ossent, adire cogitabant, et hoc esse tutius communi consilio decernebant. 110 Ebd. II, 20, 2, ed. Lapidge 396: Quo tempore maxima est facta strages in ecclesia uel gente Nordanhymbrorum, maxime quod unus ex ducibus, a quibus acta est, paganus, alter quia barbarus erat pagano saeuior. Siquidem Penda cum omni Merciorum gente idolis deditus et Christiani erat nominis ignarus; at uero Caedualla, quamuis nomen et professionem haberet Christiani, adeo tamen erat animo ac moribus barbarus. 111 Wood, Barbarus 48: „The implications of all this are that the historian talking about the barbari has to assess the use of the descriptor in each individual source before making any judgment as to whether or not it implies ‘Otherness’ or inferiority.“ 112 Nicht mehr ethnisch, aber deutlich kulturell geprägt sind die auf sieben Rubriken verteilten Eigenschaften, die der ‚Liber glossarum‘ des 9. Jahrhunderts, auf den mich dankenswerterweise David Ganz aufmerksam gemacht hat, unter dem Eintrag barbarus anführt und die − durchweg abwertende − Begriffe der Rohheit (obtunsus, incomptus, rudis), Unerfahrenheit (inperitus), Ungebildetheit (incultus, indoctus, inpolitus), Unordentlichkeit (inordinatus), Verächtlichkeit (abiectus) und Grässlichkeit (horridus, sordidus, uulgaris) umschließen. Die Handschrift ist digital einsehbar unter: http://gallica.bnf.fr/ ark:12148/btv1b8454685f/f84.image. 113 Zusammenfassend Ohnacker, Spätantike Entwicklung 237f. Demgegenüber betont Van Acker, Barbarus 130, „daß sich mit der Erweiterung der Grenzen des abendländischen Reiches auch der Begriff ,barbarus‘ verschob“, eine Feststellung, 105 106

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2. Ebenso wenig hat der Barbarenbegriff seine negativen Konnotationen abgeworfen, wie vielfach behauptet wird,114 damit man auch das eigene Volk (mit der römischen Terminologie) weiterhin als Barbaren kennzeichnen kann.115 Bei Gregor (und seinen Zeitgenossen) mögen der (fortgesetzte) ­Römer-Barbaren-Gegensatz und die Klassifizierung auch von Franken (allerdings nirgends: der Franken) als Barbaren, trotz ihres (gefeierten!) Christentums und seines reichsfränkischen Bewusstseins, noch aus einer ,romanischen‘ Identität erwachsen sein, bei den Zeitgenossen Fredegars hingegen nicht mehr. 3. Die neue, religiöse, im weiteren Verlauf dann verbreitete Dimension, die Abgrenzung der B ­ arbaren nicht mehr von den Römern, sondern von den Christen, fasst bis zum 9. Jahrhundert tatsächlich erst ­allmählich Fuß,116 zumal die Barbaren auch nach ihrer Bekehrung Barbaren bleiben, bei spätantiken ­Autoren (wie Orosius und Salvian)117 wie noch im frühen Mittelalter: Noch im 9. Jahrhundert kann die Vita Wandregisili von „den wilden, unmenschlichen und kürzlich christlich gewordenen Barbaren­ völkern“ schreiben.118 Die Folgerung, dass „die barbarischen gentes durch den simplen Akt der Konversion zum Katholizismus [...] von den Quellen nicht mehr als Barbaren bezeichnet“ werden, wie Ohnacker meint,119 ist schlichtweg falsch. 4. Noch triumphiert das traditionelle Barbarenkonzept über das christliche, das sich vielmehr in anderer, subtilerer Weise bemerkbar macht, nämlich in einer moralischen (Um-)Wertung, die nicht erst im Spätmittelalter durchgreift, wie Jones meint:120 Schon bei Salvian können Römer schlechter sein als Barbaren, bei Gregor von Tours verdrängt die moralische Dimension geradezu die ethnische: more barbarico kennzeichnet sich weder mehr (nur) aus der Herkunft noch (vornehmlich) aus der Religion, sondern aus der (frevelhaften) Tat. Nicht die Franken usw. sind Barbaren, sondern solche, die unchristlich handeln. Es ist wohl gerade dieser Konzeptwandel, der eine Einbindung des eigenen Volkes in das Barbarenkonzept erlaubt, und nicht die Einbeziehung in die Zivilität oder gar eine zivilisatorische Überlegenheit der „christlichen civilitas römischer Tradition“.121 Römertum, Barbarentum und Christentum wären dann auch im ‚barbarischen‘ Barbarenkonzept eine (gewisse) Symbiose eingegangen − wenn auch nicht in der bis heute fortwirkenden, relativierenden Weise wie noch 2012 in einem Themenheft einer populären, französischen, archäologischen Zeitschrift, das die Burgunder ihren Lesern als „die süßesten aller Barbaren“ präsentiert.122



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die wohl einer Erklärung bedürfte. Festzuhalten scheint mir aber, dass bei aller „Verschiebung“ das traditionelle Konzept weiterwirkte. Ein Begriffswandel, wie Wood ihn herausstellt, soll damit nicht abgestritten werden. Vgl. Wood, Barbarus 39: „the meaning of barbarian in the period of the establishment of the successor states was fluid“; ebd. 48: „The sixth century, then, saw the notion of barbarian explode.“ Vgl. etwa Van Acker, Barbarus 128 und 132, mit einer weit verbreiteten Ansicht. Dem widerspricht letztlich Van Ackers eigene Folgerung (ebd. 128), dass „die mittelalterlichen Autoren von den Römern das Wort so völlig übernommen [hätten], daß sie bei der Benennung barbarus sehr bald von ihrem eigenen Standpunkt oder von dem der handelnden Personen ausgingen“. Wood, Barbarus 50, hält das Aufgreifen des Barbarenbegriffs in einem positivem Sinn durch die Barbaren selbst für eine kurze Übergangserscheinung: „Gradually the older overtones of disparagement came to dominate once more.“ Ohnacker, Spätantike Entwicklung, vernachlässigt diesen Aspekt weitgehend, Van Acker, Barbarus, bietet dafür vor allem spätere Belege. Zum 7. Jahrhundert vgl. Wood, Barbarus 49. Nach Jones, Image 388 (Ndr. 359) hat sich die Identifikation des Barbaren mit dem Heiden am Ende des 7. und am Beginn des 8. Jahrhunderts überall durchgesetzt. Zusammenfassend hat die romanisch-germanische Vermischung „the purely religious meaning“ des Begriffs gefördert (ebd. 405, Ndr. 376). Tatsächlich bildet sie zu dieser Zeit aber nur eine, noch marginale Abgrenzungsmöglichkeit des Begriffs. Daher ist es nicht oder nur sehr bedingt richtig, dass die spätantiken christlichen Autoren die katholisch getauften Barbaren bereits in die zivilisierte Gesellschaft zu integrieren vermochten, wie Ohnacker, Spätantike Entwicklung 131f. meint, die eine „prinzipielle Offenheit für Assimilation“ beobachten will. Vita Wandregisili 16 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, Hannover/Leipzig 1910) 21: Dicam, ut in tam ferocis vel emanis barbaras gentes nuper christianas, more monachele se cum vel leviter increpari prosternebat usque ad terram , et veniam petibat? Ohnacker, Spätantike Entwicklung 248. Jones, Image 405 (Ndr. 376f.). Wood, Barbarus 47f., bezeichnet diesen Aspekt (bei Gregor) zu Recht als wenig über­ raschend. Um so erstaunlicher ist es aber, dass er bislang unterbewertet wurde. So Ohnacker, Spätantike Entwicklung 255. Lucie Steiner/Justin Favrod, Les Burgondes, ,les plus doux des Barbares‘, in: Archéothéma. Revue d’histoire et d’archéologie 25 (2012) 4.

Die Franken und ihre Geschichten

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Die Franken und ihre Geschichten In Veröffentlichungen zur Geschichte der Spätantike und des frühen Mittelalters, lassen sich in den letzten Jahren immer häufiger Hinweise auf eine Wiener Schule finden, die von Herwig Wolfram begründet wurde. Damit werden die Arbeiten an der Erforschung ethnischer Prozesse und der Geschichte ethnischer Identität in Spätantike und frühem Mittelalter zusammengefasst, die in Wien seit mehreren Jahrzehnten mit großem Engagement durchgeführt werden. Leider ist das Etikett auch verwendet worden, um recht pauschal die verschiedenen Entwürfe, methodischen Ansätze und auch Gegenstände der Arbeiten von Herwig Wolfram, seiner Mitarbeiter und Schüler als eine Art Doktrin zusammenzufassen, von der man sich dann leicht distanzieren oder abgrenzen kann. Beim Lesen solcher Darstellungen bekommt man oft den Eindruck, dass diese „Wiener Schule der Strohmänner“ aus sehr vielen Mitgliedern, aber kaum eigenen und neuen Forschungsansätzen besteht. Jeder, der wie ich das Privileg hatte, in Wien mit Herwig Wolfram zu studieren und zu arbeiten, kann über eine solch statische Sicht seiner wissenschaftlichen Arbeit und Impulse nur den Kopf schütteln. Walter Pohls Beitrag zu diesem Band gibt einen differenzierten Überblick über das halbe Jahrhundert der Arbeit an Ethnogenese, ethnischen Identitäten und Ethnizität in Spätantike und frühem Mittelalter in Wien, in dem er auch zeigt, wie Herwig Wolfram und seine Schüler versucht haben, auf Kritik einzugehen, Herausforderungen anzunehmen, methodische und inhaltliche Fragen zu verfeinern, verändern und erweitern.1 Dabei ging es nie um die Aufrechterhaltung oder die Verteidigung eines Modells, sondern um die Weiterentwicklung von Entwürfen und um die Erprobung neuer Wege. Die Verbreiterung des methodischen Spektrums war von Anfang an eine Notwendigkeit, da ja recht unterschiedliche Gegenstände, Themen und Kontexte erforscht wurden. Dafür ist schon Herwig Wolframs 1979 veröffentlichte Geschichte der Goten ein gutes Beispiel.2 Häufig wird diese Arbeit als eine Anwendung und Weiterführung der Ansätze von Reinhard Wenskus’ Stammesbildung und Verfassung dargestellt.3 Wer die beiden recht umfangreichen Werke vergleicht, wird allerdings gar nicht so viele Gemeinsamkeiten finden, was sich vor allem aus der unterschied­ lichen Wahl des Gegenstandes erklärt. In Wolframs Studien zu den Goten geht es nicht in erster Linie um die Stammesbildung frühmittelalterlicher gentes, sondern um eine Erforschung der Geschichte der Goten bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, was er selbst auch versuchte, mit dem neuen Titel für die 3. Auflage, die 1990 erschien, zu unterstreichen4. Die Studie wollte nicht ein allgemeingültiges ­Modell zur Erforschung einer frühmittelalterlichen Stammesbildung entwickeln, sondern die historischen Spielräume für die Etablierung und Formierung jener sozialen und politischen Verbände, die in Antike und Mittelalter als Goten bezeichnet werden, ausloten. Ihre Geschichten wurden dabei „den Quellen gemäß als Abfolge von Spaltungen und neuen Zusammenschlüssen: als offene Prozesse mit mehrfachen Brüchen und Neuansätzen“ erforscht.5 Mit dem Begriff der Ethnogenese wollte Herwig Wolfram nicht das Modell anbieten, sondern ein Werkzeug, um die unterschiedlichen Verläufe in der Umgestaltung und Neugestaltung der politischen und ethnischen Landschaft des weströmischen Imperiums zu unter­suchen. Die konsequente Historisierung gotischer Ethnogenesen zeigte vor allem, wie verschieden und vielfältig ethnische Prozesse allein im Fall gotischer Identitäten waren. Herwig Wolfram selbst begann das 1 2



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Siehe den Beitrag von Walter Pohl, Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung, in diesem Band. Herwig Wolfram, Geschichte der Goten. Entwurf einer historischen Ethnographie (München 1979), 3. und 4. Auflage unter dem Titel: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts (München 31990 und 42001). Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961, 21977). Siehe Anm. 2. Vgl. Walter Pohl, Von der Ethnogenese zur Identitätsforschung, in diesem Band, bes. S. 18, mit dem Zitat aus Wolfram, Goten 22.

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Spektrum der Möglichkeiten zu erweitern, indem er etwa die „hunnische Alternative“ untersuchte, die unter anderem gotischen Gruppen andere Bedingungen der Integration in ein größeres soziales und ­politisches Umfeld bot als das römische Imperium. Und er regte auch bald nach Beginn der achtziger Jahre seinen Schüler Walter Pohl an, mit Awaren und Slawen im frühen Mittelalter weitere Alternativen zu untersuchen, die auch die Entwicklung neuer Wege notwendig machten.6 Dabei war von Anfang an klar, dass sich weder auf Awaren noch auf Slawen ein gotisches Modell der Ethnogenese anwenden lassen würde. Es entstand weniger eine Schule, sondern eine Werkstätte, in der ständig neue Wege und Zugänge diskutiert, entwickelt, erprobt, Positionen überdacht, und manchmal auch verändert wurden. Von früh an arbeiteten dabei auch Forscher mit, die nicht in Wien studiert hatten, wie etwa Patrick Geary und Ian Wood, die mit ihren Fragen und Ansätzen wieder neue Perspektiven erschlossen und einbrachten.7 Für den jungen Studenten, der daran teilnehmen durfte, war Herwig Wolframs Neugier, Experimentierfreudigkeit, und Offenheit eine ständige Quelle der Inspiration und Motivation, aber sie mag für den älteren und etablierten Historiker vielleicht sogar noch wichtiger sein. In dem Titel zu meinem Beitrag – die Franken und ihre Geschichten – steckt auch eine Anspielung auf diese ständige Bereitschaft zum Dialog, zum Aufgreifen neuer Ideen und Überdenken eigener Posi­ tionen. Es ist eine Variation des Titels des „kleinen Gotenbuches“ von Herwig Wolfram, in dem er in der Reihe Beck Wissen auf etwas mehr als hundert Seiten die Goten und ihre Geschichte behandelte.8 Die erste Auflage erschien 2001, und Herwig Wolfram drückte in seinem Titel auch eine neue Fragestellung aus, die sich aus der intensivierten Reflexion und Arbeit an dem Verhältnis von Text und Identität im frühen Mittelalter ergeben hatte.9 „Der Akzent verschob sich von einer Geschichte der Goten zu den Goten und ihrer Geschichte. Oder mit anderen Worten, die historische Darstellung der gotischen Geschichte wurde mit der Untersuchung der Auffassung verbunden, die die Goten und ihre Zeitgenossen von ihrer Geschichte hatten.“10 Damit rückten die Fragen der Deutung und Bedeutung ethnischer Identität stärker ins Zentrum. Das war zum einen die Frage, mit welchen Vorstellungen und Ordnungen der sozialer Welt ethnische Identitäten und Ethnizität verbunden werden konnte. Dazu kam, wie sich diese Bedeutungen im Laufe der Zeit, und vor allem im Kontext der Umgestaltung der römischen Welt von der Spätantike zum frühen Mittelalter veränderten. Das führte wiederum zu der Frage nach der Virulenz von ethnischen Identitäten und Ethnizität. Wann, wie und warum wurde ethnische Identität wichtig? Was waren die Alternativen zu dieser Vorstellung und Ordnung der sozialen und politischen Welt? Wie beeinflusste die Interdependenz, Interaktion, und Konkurrenz verschiedener Formen sozialer Identität die Geschichte ethnischer Identitäten und die Vorstellung einer in Völkern gegliederten Welt? Die Historisierung ethnischer Identität als eine Form von sozialer Identität unter anderen, die in manchen Kontexten wichtiger, in anderen aber weniger wichtig sein konnte, lenkte die Aufmerksamkeit auch stärker auf die Frage der Historisierung von Identitätsprozessen.11 Das wiederum ließ den Begriff der Ethnogenese in den Hintergrund treten, bei dem der Focus auf ethnische Identität auch schon eine gewisse Bedeutung ­dieser Form sozialer Identität gegenüber anderen Formen suggerierte. Herwig Wolfram hat diese Entwicklung von der Ethnogenese zur Identitätsforschung nicht nur mitgetragen, sondern durch eigene Arbeiten aktiv mitgestaltet.12 Gleichzeitig waren seine früheren Arbeiten durch die Dynamik ihrer Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 (München 1988). Siehe etwa Patrick Geary, Ethnic identity as a situational construct in the Early Middle Ages, in: Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 113 (1983) 15–26; ders., The myth of nations: the medieval origins of Europe (Princeton 2003); Ian Wood, Ethnicity and the ethnogenesis of the Burgundians, in: Typen der Ethnogenese unter besonderer Berücksichtigung der Bayern 1, ed. Herwig Wolfram/Walter Pohl (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., Denkschriften 201, Veröffentlichungen der Kommission für Frühmittelalterforschung 12, Wien 1990) 53–69. 8 Herwig Wolfram, Die Goten und ihre Geschichte (München 22005). 9 Siehe dazu Pohl, Von der Ethnogenese, in diesem Band S. 32. 10 Wolfram, Goten und ihre Geschichte 7. 11 Siehe dazu grundlegend den Entwurf eines methodischen Profils zur Erforschung ethnischer Identität im frühen Mittelalter: Walter Pohl, Introduction: Strategies of identification. A methodological profile, in: Strategies of identification: Ethnicity and religion in early medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Turnhout 2013) 1–64. 12 Siehe zum Beispiel Herwig Wolfram, Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter (München 2005), in denen Wolfram manche seiner früheren Veröffentlichungen überarbeitete; siehe oben Anm. 5. Wolframs Offenheit gegenüber neuen Ansätzen und seine Bereitschaft, an seinen Ergebnissen weiterzuarbeiten ist von Forschern, denen es stärker 6 7



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Fragestellungen auch immer wieder wichtige Grundlagen und Ergebnisse, auf die er sowie andere ­weiter aufbauen konnten. Für die „Franken und ihre Geschichte“ ist besonders eine Studie wichtig, die schon 1967 zu den ­lateinischen Königs- und Fürstentiteln bis zum Ende des achten Jahrhunderts erschien.13 Darin untersuchte Wolfram in den Titeln der post-römischen Könige und Fürsten die Strategien, mit denen sie die Übernahme der Herrschaft in den ehemals römischen Provinzen legitimierten. Durch die Aneignung, Anpassung, Gestaltung und Umgestaltung von Herrschertiteln untersuchte er darin die verschiedenen und sich wandelnden Legitimationsstrategien als Ergebnis einer ständigen Kommunikation – ­einer Kommunikation zwischen Herrschern und den Individuen und sozialen Gruppen, die sie regierten (oder regieren wollten), aber auch wie diese Bemühungen um die Deutung und Bedeutung von Titeln durch die Interaktion und den Austausch mit anderen Reichen und Institutionen beeinflusst und definiert wurden. Die Prozesse, die Wolfram dabei erforschte, erinnern durchaus auch an aktuelle soziologische ­Modelle, in denen Identität nicht als statisches Identifikationsangebot oder gar essentialistisch definiert wird, sondern als Vorstellung und soziale Ressource, die Bezugspunkt und Resultat einer ständigen Kommunikation ist.14 Ihre Gestaltung und Umgestaltung lässt sich in den Bemühungen, Verhandlungen und Auseinandersetzungen untersuchen, die sich in Akten der Selbstzuordnung, kollektiver Repräsentation und Außenwahrnehmung abzeichnen.15 Allerdings ging es Wolfram in seinen Studien zur Intitulatio nicht in erster Linie um Identitätspro­ zesse, sondern um die Aneignung und Umgestaltung römischer Grundlagen politischer Legitimation in den Nachfolgereichen des westlichen Imperiums, die sich in dem Anspruch auf einen Titel und der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung des Anspruchs abzeichnete. Die Spielräume dieser Verhandlungen wurden aber nicht nur von dem Verhältnis der unmittelbar an diesen Verhandlungen Beteiligten definiert. Auch die Wahrnehmung und Anerkennung von Ansprüchen anderer politischer und sozialer Akteure und Institutionen konnten eine Rolle für Erfolg oder Misserfolg spielen, politische Ansprüche durchzusetzen. Dabei konnte Wolfram zeigen, wie souverän und flexibel die ‚barbarischen‘ Könige, ihre Berater und Kanzleien sich in einer sich ständig wandelnden Welt diplomatisch zu behaupten verstanden. Sie waren durchaus in der Lage, sich in verschiedenen Kontexten – gegenüber dem römischen Imperium, ihren Heeren, der barbarischen oder römischen Bevölkerung in ihren Reichen – auch unter­ schiedlicher Legitimationsstrategien zu bedienen. Dabei stellte sich auch heraus, dass die ethnische ­Legitimation von Herrschaft zwar in manchen Kontexten verwendet, aber in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des weströmischen Reichs deutlich seltener als der absolute Herrschertitel rex war. Indem er die Flexibilität und Vielfalt dieser Strategien, ihre römischen Grundlagen und die Spielräume ihrer Aneignung und Umgestaltung untersuchte, bot schon die Studie zu den Herrschertiteln wie später auch die zur Geschichte der Goten grundlegende Ergebnisse und Ausgangspunkte für eine komplexere und vor allem differenziertere Sicht auf politische Legitimation an der Wende von Antike und Mittel­ alter. Darauf konnte man auch für die Frage nach der relativen Bedeutung ethnischer Identität im Verhältnis zu anderen Formen sozialer Identität aufbauen. Das ist vor allem für die Geschichte fränkischer Identität wichtig. Wie Wolfram schon erkannte, war die Verwendung des Frankennamens zur politischen Legitimation im ethnisch und sozial äußerst heterogenen regnum der Merowinger ein besonders komplexes Problem, vor allem nachdem Chlodwig seine Herrschaft über fast ganz Gallien ausgedehnt hatte und ein Gebiet regierte, in dem viele soziale Identitäten eine Rolle spielten. Wolfram unterschied daher mehrere Bedeutungen des Frankennamens, in dem die gemischte Bevölkerung der ehemaligen römischen Provinzen in einem regnum Francorum lebte. Die Franken Chlodwigs, aber auch diejenigen aus anderen fränkischen Königreichen am Rhein, die um Differenzierung als Polarisierung ging, durchaus registriert worden, siehe dazu den Kommentar von Guy Halsall, ­Barbarian Migrations and the Roman West (Cambridge 2007) 15f.: „It should be noted, however, that Wolfram is a much more intellec­tually agile scholar than some of his critics make him, demonstrating a much greater willingness and ability to change his mind than some of his key opponents.“ 13 Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien/Köln/Graz 1967). 14 Vgl. dazu den Beitrag von Patrick Geary in diesem Band. 15 Zu Definition von Identität siehe Pohl, Strategies of identification, 2-3 mit weiterer Literatur, und den Beitrag von Patrick Geary in diesem Band.

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Chlodwig unter seine Herrschaft brachte, waren als fränkische Gemeinschaften Teile der Gesamtbevölkerung dieses regnum Francorum.16 Dass die frühen Merowinger sich als reges Francorum präsentierten, ist allerdings nicht belegt. Der Titel ist als Selbstbezeichnung erst aus den letzten Jahrzehnten des sechsten Jahrhunderts überliefert. Wolfram merkte das an, schloss aber seine Verwendung auch in den Generationen davor aufgrund seiner Beobachtungen zu anderen post-römischen Reichen, wo der ethnische Königstitel ja ebenfalls neben dem häufiger gebrauchten absoluten Königstitel rex überliefert ist.17 Die geringe Zahl der erhaltenen königlichen Selbstaussagen erlaubt darüber kein eindeutiges Urteil. Doch legen Wolframs Beobachtungen gemeinsam mit neueren Studien zu den Grundlagen der ­Etablierung merowingischer Herrschaft nahe, dass die merowingischen Könige beim Gebrauch eines ethnischen Königstitels besonders vorsichtig und zurückhaltend waren. Das lässt sich vor allem aus der im Vergleich zu anderen post-römischen Königen seiner Zeit unterschiedlichen Legitimationsgrundlage der Herrschaft Chlodwigs erklären. Während die zeitgenössischen reges ihre Herrschaft über die ehemaligen weströmischen Provinzen durch Verträge mit dem Imperium legitimierten, beruhte Chlodwigs Stellung als Herrscher in Gallien vor allem auf Verträgen mit den verschiedenen Eliten der Regionen und Städte, die er in sein Reich eingliederte.18 Die Gebiete, die Chlodwig nach und nach unter seine Herrschaft brachte, waren schon weitgehend vom römischen Imperium unabhängige Machtblöcke, in denen die lokalen Eliten mit den lokalen oder regionalen Machthabern ihre eigenen „little Romes“ etabliert hatten.19 Die erfolgreiche Etablierung der Herrschaft über diese hochmilitarisierten Gebiete Nordgalliens und Nordwestgalliens war einer der wichtigsten Faktoren für Chlodwigs Aufstieg zum Herrscher Galliens. Wie Stefan Esders kürzlich betonte, setzte sich Chlodwig in diesen Gebieten aber weniger durch militärische Eroberung als „durch den Abschluss von Verträgen und gegen die Zu­ sicherung weitgehender Autonomie“ durch. 20 Die politische Eingliederung dieser Machtblöcke erfolgte dabei „nach Art einer erweiterten Militäradministration“ 21, mit der sich Chlodwig als Herrscher „einer militärisch konstituierten Monarchie“ etablierte. 22 Das war auch im Fall der „Eroberung“ des römischen regnum des Syagrius ausschlaggebend, das Chlodwig 486 annektierte.23 Syagrius folgte in der Regierung der Gebiete im Norden um Soissons seinem Vater Aegidius, der zunächst als magister militum eingesetzt worden war, ab 461 dann aber ein weitgehend unabhängiges „little Rome“ im Norden Galliens regierte.24 Drei Generationen später bezeichnete der Geschichtsschreiber Gregor von Tours Syagrius folgerichtig als rex Romanorum.25 Über Wolfram, Intitulatio I, 215; aufbauend auf Erich Zöllner, Die politische Stellung der Völker im Frankenreich (VIÖG 13, Wien 1950), und Eugen Ewig, Volkstum und Volksbewußtsein im Frankenreich des 7. Jahrhunderts (Darmstadt 1969). 17 Wolfram, Intitulatio 76–79; Walter Pohl, Christian and barbarian identities in the early medieval West: Introduction, in: Post-Roman Transitions: Christian and Barabarian Identities in the Early Medieval West, ed. ders./Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 14, Turnhout 2013) 1–46, hier 15; Roland Steinacher, Who is the barbarian? Considerations on the Vandal royal title, in: ebd. 437–485, und den Beitrag von Walter Pohl in diesem Band, S. 27. 18 Stefan Esders, Rechtliche Grundlagen frühmittelalterlicher Staatlichkeit: Der allgemeine Treueid, in: Der frühmittelalter­ liche Staat – Europäische Perspektiven, ed. Walter Pohl/Veronika Wieser (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16, Wien 2009) 423–432. ders., Nordwestgallien um 500. Von der militarisierten spätrömischen Provinzgesellschaft zur erweiterten Militäradministration des merowingischen Königtums, in: Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500, ed. Mischa Meier/Steffen Patzold (Roma aeterna 3, Stuttgart 2014) 339–361. 19 Peter Brown, The Rise of Western Christendom: Triumph and Diversity, A.D. 200–1000 (Oxford 32013) xxiii-xxx und 123–41, von dem auch die Formulierung „little Romes“ stammt (xxvii) [3. Auflage mit einem neuen Vorwort], Halsall, Barbarian migrations 320–370; Walter Pohl, Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration (Stuttgart 22005) 30–39 [2., überarbeitete Auflage]; Herwig Wolfram, Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter (Berlin ³2017) Kap. IX. 20 Esders, Nordwestgallien um 500, 351. 21 Ebd., 360 22 Ebd., 351. 23 Siehe dazu Matthias Becher, Chlodwig I.: Der Aufstieg der Merowinger und das Ende der antiken Welt (München 2011) 149–152. 24 Zu Aegidius siehe Penny MacGeorge, Late Roman Warlords (Oxford 2002) 82–110; Halsall, Barbarian migrations 263; Jörg Jarnut, Gregor von Tours, Frankengeschichte II, 12. ‚Franci Egidium sibi regem adiscunt‘. Faktum oder Sage? in: Ethno­genese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung, ed. Karl Brunner/Brigitte Merta (VIÖG 31, Wien 1994), 129–134. 25 Gregor von Tours, Historiae II, 27 (ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 1, 1 Hannover 1951) 71. 16

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die Eingliederung der römischen Gebiete und Truppen in die militärisch konstituierte Monarchie ­Chlodwigs hat der eine Generation vor Gregor schreibende byzantinische Geschichtsschreiber Prokop ­einen interessanten Bericht hinterlassen. Zunächst hätten sich die Franken mit den Arborychern, mit ­denen Prokop vermutlich die verbliebene Bevölkerung und das Heer des ehemaligen tractus ­Aremoricanus meint, vereinigt und wären so zu großer Macht gelangt. Ihrer Herrschaft hätten sich weitere römische Truppenverbände unterstellt, dabei aber ihre Traditionen, Gesetze, ja sogar militärischen Ordnungen, Uniformen und Feldzeichen behalten und ihren Nachkommen, die zur Zeit Prokops lebten, weitergegeben hätten.26 Schon Eugen Ewig hat auf die Bedeutung dieser Bedingungen für die Etablierung merowingischer Herrschaft aufmerksam gemacht und darin den Grund gesehen, dass im Merowinger­reich die gesamte freie männliche Bevölkerung den Militärdienst leisten musste oder d­ urfte.27 Das war ein wichtiger Unterschied zu den anderen Nachfolgereichen des weströmischen ­Imperiums, in denen der exercitus meist ethnisch definiert war und die Zugehörigkeit zum Heer mit der Zugehörigkeit zur gens der Burgunder oder Goten verbunden wurde. Auch das lag an den Modalitäten der ­Integration dieser Gruppen, die ja zunächst als Föderaten des römischen Imperium angeworben wurden, um als ­burgundische oder gotische Truppen der römischen Armee die Provinzen zu schützen, in die sie geschickt oder in denen sie stationiert wurden.28 Ihre Anführer übernahmen zunächst die Funktion von römischen Militärs, und zunehmend auch die Regierung über die Gebiete. Im Zuge der Integration der barbarischen Föderaten als gotische, burgundische Truppen des Imperiums ent­wickelte sich auch nach dem Ende des weströmischen Reichs eine Art Aufgabenteilung zwischen der römischen Zivil­bevölkerung und den barbarischen Truppen. Das ist am deutlichsten im italischen Königreich ­Theoderichs des Großen belegt.29 Nach dem Tod Theoderichs im Jahr 526 forderte sein Nachfolger und Enkelsohn Athalarich die römische Bevölkerung in verschiedenen Regionen auf, seine Herrschaft durch einen Eid anzuerkennen.30 Im Gegenzug versprach er, alle Versprechen seines Großvaters einzuhalten und garantierte seinen römischen Untertanen, dass die Goten auch weiter ihre militärischen Aufgaben (labores bellicos pro communi utilitate) wahrnehmen würden.31 Das heißt natürlich nicht, dass imperiale Legitimation für Chlodwig gar keine Rolle gespielt hat. Die imperiale Anerkennung seiner Herrschaft mit der Verleihung des Patriziats nach seinem Sieg über die Westgoten im Jahr 507, das ihn aus römischer Sicht mit dem burgundischen König Gundobad und dem Herrscher Italiens Theoderich gleichstellte, verband er mit einem adventus in Tours, in dem er in prächtigen Gewändern und mit einem Diadem geschmückt in die Stadt einzog.32 Jedoch hatte Chlodwig Prokop, De bello Gothico I, 12, 9-19 (ed. Henry B. Dewing, Procopius, History of the Wars, Loeb Classical Library 107, vol. 3, Cambridge-Mass. 1916, ND 2000) 118–122; siehe dazu die Diskussion in Esders, Nordwestgallien 344–350. 27 Eugen Ewig, Die Merowinger und das Frankenreich. Mit Literaturnachträgen von Ulrich Nonn (Stuttgart 2011) 61f. 28 Siehe dazu Kingdoms of the Empire: the integration of Barbarians in Late Antiquity, ed. Walter Pohl (The Transformation of the Roman World 1, Leiden/New York/Köln 1997); Pohl, Völkerwanderung 144–64, ders., ,Per hospites divisi‘. Wirtschaftliche Grundlagen der langobardischen Ansiedlung in Italien, in: Römische Historische Mitteilungen 43 (2001) 179–226; Wolfram, Reich und die Germanen; vgl. auch die Diskussion in Halsall, Migrations 178–85 und 283–302; Walter Goffart, Barbarian tides (Philadelphia 2006); und die neue Perspektive auf die rechtlichen Grundlagen bei: Stefan Esders, Die Integration der Barbaren im Lichte der römischrechtlichen Abtretung (,cessio‘) fiskalischer Forderungen. Ein Beitrag zur Entstehung des nachrömischen Privilegienzeitalters, in: Expropriations et confiscations dans lʼEmpire tardif et les royaumes barbares. Une approche régionale, ed. Pierfrancesco Porena/Yann Rivière (Collection de l’École francaise de Rome 470, Rome 2012) 29–47. 29 Wolfram, Goten 284–305. 30 Stefan Esders, Sacramentum fidelitatis. Treueidleistung, Militärorganisation und Formierung mittelalterlicher Staatlichkeit (Bochum 2003, Berlin 22009) 70–78. 31 Cassiodor, Variae VIII, 3 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 12, Berlin 1894, ND 1981) 233–234, hier 234: Quod si vos, ut opinamur, libenti animo similia feceritis, harum portitores sub obtestatione divina vobis fecimus polliceri iustitiam nos et aequabilem clementiam quae populos nutrit, iuvante domino custodire et Gothis Romansique apud nos ius esse commune nec aliud inter vos esse divisum, nisi quod illi labores bellicos pro communi utilitate subeunt, vos autem habitatio quieta civitatis Romanae multiplicat. Vgl. ebd., VIII, 4, 5, 6 und 7, ed. Mommsen 234–236; zum Treueid im gotischen Königreich allgemein siehe Esders, Sacramentum fidelitatis 58–85, zur Arbeitsteilung schon zur Zeit Theoderichs siehe Wolfram, Goten 289–305; Halsall, Barbarian migrations 284–93 und nun Ulrich Wiemer, Odovaker und Theoderich. Herrschaftskonzepte nach dem Ende des Kaisertums im Westen, in: Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500, ed. Mischa Meier/Steffen Patzold (Roma aeterna 3, Stuttgart 2014) 293–338, hier 301f. 32 Gregor von Tours, Historiae II, 38, ed. Krusch/Levison 88–9; Becher, Chlodwig, 216-7; Wolfram, Intitulatio I. 213; ders., Reich und die Germanen Kap. IX; siehe auch The battle of Vouillé, 507 CE: where France began, ed. Danuta Shanzer/Ralph 26

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vermutlich davor einen Brief an die Bischöfe in den Gebieten des von ihm eroberten Westgotenreiches geschickt, in denen er ihnen den Schutz ihrer Interessen versprach und auch neue Befugnisse zugestand, diese Interessen zu verteidigen.33 Erst nach der Festigung seiner Stellung in den ehemaligen römischen Provinzen begann Chlodwig gegen andere fränkische Kleinkönige im Nordosten Galliens vorzugehen.34 Unser einzig erhaltener Bericht darüber stammt von dem etwa drei Generationen nach den Ereignissen schreibenden Gregor von Tours, wobei immer wieder die Verwandtschaft Chlodwigs mit den anderen fränkischen Königen betont wird. Von fränkischer Solidarität findet sich darin allerdings keine Spur. Die verschiedenen Geschichten wirken eher wie Anekdoten zu der scherzhaften Etymologie in der Historia Augusta, in der der Name der Franken von ihrer Gewohnheit abgeleitet wird, „lachend die Treue zu brechen (frangere)“.35 Ausführlich erzählt Gregor, wie der trickreiche Chlodwig nach und nach die naiven und manchmal sogar etwas einfältig dargestellten Könige gegen andere Mitglieder ihrer Familien und/oder ihrer Eliten ausspielt, was jedes Mal mit dem Tod der Beteiligten und der Übernahme der Herrschaft durch ­Chlodwig endet.36 Gregor beendet diese Episoden mit der Bemerkung, dass Chlodwig mit der Beseitigung der anderen Könige, von denen einige, aber nicht alle, seiner nächsten Verwandten gewesen sein sollen, seine Herrschaft über ganz Gallien (regnum suum per totas Gallias) ausgebreitet habe. In Gregors letzter Geschichte über Chlodwig vor dem Bericht über dessen Tod versucht der König noch mögliche Konkurrenten aufzuspüren. Bei einer Versammlung solle er geklagt haben, dass er nun wie ein Fremdling unter Fremden ohne seine parentes und deren Unterstützung dastehe. „Aber er sprach dies nicht aus Schmerz über den Tod derselben, sondern aus List, ob sich vielleicht noch einer fände, den er töten könnte.“37 Dafür schien Chlodwig aber nicht mehr genug Zeit geblieben zu sein. Schon im nächsten Satz berichtet Gregor vom Tod des Königs in Paris und seiner Bestattung in der Kirche der heiligen Apostel. Die Erinnerung an andere fränkische Könige und ihre Familien scheint aber damit nicht ausgelöscht worden zu sein. Gregor selbst berichtet über einen möglichen Nachfahren dieser Könige. Einige Jahre nach dem Tod Chlodwigs behauptete ein gewisser Munderich, parens regius zu sein, und forderte damit den Nachfolger Chlodwigs im östlichen Teilreich, Theuderich, heraus. Nach Gregor soll er gesagt haben: „Was habe ich mit König Theuderich zu schaffen? Der königliche Thron gebührt mir genauso gut wie ihm. Ich werde ausziehen und mein Volk (populus meus) sammeln und mir von ihm huldigen lassen (exegam sacramentis ab eis), daß Theuderich wisse, ich bin ein König so gut wie er.“38 Munderich scheint es tatsächlich für einige Zeit gelungen zu sein, genug Leute zu finden, die ihm den Treueid (sacramentum fidelitatis) schworen, um Theuderich herauszufordern. Der König musste immerhin gegen Munderich und seinen populus ein Heer aufbieten, dessen Anführer, Aregisel, den Prätendenten, allerdings auch nur mit einer List, besiegen konnte. Nachdem sich Munderich mit seinen Leuten im castrum von Vitry verschanzt hatte, wurde er durch falsche Versprechen und sogar einen Eid herausgelockt und ermordet. Wie Walter Goffart vor einiger Zeit bemerkte, ist das eine der wenigen Episoden in Gregors Zehn Bücher Geschichten, die Gregor heroisch stilisierte.39 Als Munderich den Betrug bemerkt, durchbohrt er den eidbrüchigen Aregisel mit seinem Speer und richtet danach mit seinem Schwert ein großes Blutbad unter seinen Feinden an bevor er selbst „seinen letzten Atem aushauchte“.40 Daraufhin berichtet Gregor noch, dass Munderichs Besitz für den Fiskus eingezogen wurde, erwähnt

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Mathisen (Boston/Berlin 2012), besonders die Beiträge von Ian Wood, Arians, catholics, and Vouillé, ebd. 139–49, und Ralph Mathisen, Clovis, Anastasius and political status in 508 C.E., ebd. 79–110, mit der Bibliographie in Anm. 5 und 6. Sebastian Scholz, Die Merowinger (Stuttgart 2015) 55–58. Becher, Chlodwig 251–8. Historia Augusta, Firmus, Saturninus, Proculus et Bonosus 13 (ed. David Magie, Historia Augusta, Loeb Classical Library 263, vol. 3, Cambridge-Mass. 1932, ND 2006) 408. Gregor von Tours, Historiae II, 40–42, ed. Krusch/Levison 89-93. Gregor von Tours, Historiae II, 42, ed. Krusch/Levison 93 (ed. und übers. Rudolf Buchner, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte 3, Darmstadt 82000) 141. Gregor von Tours, Historiae III, 14, ed. Krusch/Levison 110, übers. Buchner 161. Walter Goffart, Conspicuously absent: Martial heroism in the Histories of Gregory of Tours and its likes, in: The World of Gregory of Tours, ed. Kathleen Mitchell/Ian Wood (Leiden 2002) 367–393. Gregor von Tours III, 14, ed. Krusch/Levison 112, übers. Buchner 161.

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aber nichts von der Beseitigung anderer Familienmitglieder, vor allem der Kinder, die Munderich in seinen Verhandlungen mit Aregisel ausdrücklich zu schützen versucht. Wie Heike Grahn-Hoek vorgeschlagen hat, könnte einer der überlebenden Nachkommen Munderichs der spätere Metzer Bischof Gundulf gewesen sein.41 In seiner vita, die allerdings erst aus dem Hochmittelalter überliefert ist, wird er ausdrücklich als der Sohn desjenigen Munderich bezeichnet, den König Theuderich habe töten lassen.42 Grahn-Hoek identifiziert den Metzer Bischof Gundulf mit dem Onkel Gregors, der als dux Gundulf in Gregors Geschichte mehrmals erwähnt wird, 43 was wiederum die heroische Stilisierung der Geschichte erklären könnte. Die Frage, warum die ‚gesta Munderici’ in Gregors Geschichten überliefert sind, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Auch wenn eine solche Darstellung früher fränkischer Geschichte in Gregors Geschichten sonst nie vorkommt,44 kann man sich gut vorstellen, dass im Gallien des sechsten Jahrhunderts eine Reihe ähnlicher Erinnerungen und Geschichten an fränkische reges und reguli zur Zeit Chlodwigs oder davor kursierten, die nicht in der ‚offiziellen‘ merowingischen Königsgenealogie berücksichtigt wurden.45 Auch das mag dazu beigetragen haben, dass die frühen merowingischen Könige dem Frankennamen zur Legitimation ihrer Herrschaft in Gallien eher auswichen. Nach der Etablierung seiner Herrschaft per totas Gallias regierte Chlodwig eine militärisch konstituierte Monarchie, die sich nicht nur zu bedeutenden Teilen aus nicht-fränkischen Truppen zusammensetzte. Es kamen auch neue fränkische Verbände hinzu, die vermutlich ihre eigene Auffassung von ihrer fränkischen Geschichte und Identität hatten. In den wenigen Briefen, die uns von Chlodwigs erhalten sind, präsentiert er sich jedenfalls nicht als rex Francorum. Einzig in einem Brief Theoderichs des Großen, der in den Variae des Cassiodorus überliefert ist, wird Chlodwig als rex Francorum angesprochen. Allerdings hat Herwig Wolfram auch gezeigt, dass Theoderich der Große seine Vorrangstellung im Westen nicht nur mit seinem patricius-­ Titel unterstrich, sondern auch mit dem absoluten Königstitel rex ohne ethnischen Denominator.46 Die Ansprache Chlodwigs als rex Francorum scheint also vor allem mit dem Anspruch Theoderichs auf seine Vorrangstellung gegenüber dem rex Francorum zusammenzuhängen. Jedoch hat sich Chlodwig ebenso wie Theoderich um imperiale Anerkennung bemüht und nach der Eroberung des tolosanischen West­gotenreichs auch erreicht.47 Und auch wenn er keinen Cassiodor als Berater an seiner Seite hatte, so kann man doch davon ausgehen, dass die lokalen und regionalen Eliten Galliens, mit denen ­Chlodwig schon seit seinem Herrschaftsantritt zusammenarbeitete, genauso gut um die Bedeutung der feinen Unter­schiede der Titulatur Bescheid wussten.48 Jemand, der mit Chlodwig von Beginn seiner Herrschaft an zusammenarbeitete, war Remigius von Reims. In seinen Briefen adressierte er den König aber nicht als rex Francorum, sondern als rex und betonte dabei auch, wie wichtig es für die Stabilität der Regentschaft Chlodwigs sei, eine aequidistante Position zu allen verschiedenen sozialen und ethnischen Gruppen einzunehmen. Chlodwig möge mit

Heike Grahn-Hoek, Gundulfus subregulus – eine genealogische Brücke zwischen Merowingern und Karolingern, in: DA 59 (2003) 1–47. 42 AA SS Julii Tom. 4 (Paris 1868) 159–164, hier 160; zum Text und der Frage inwieweit er ältere Traditionen überliefert siehe Grahn-Hoek, Gundulfus 15–17 mit weiterer Literatur. 43 Grahn-Hoek, Gundulfus 18–25 und 33–40, zum dux Gundulf in Gregors Geschichten: Gregor von Tours, Historiae VI, 11, ed. Krusch/Levison 281, und VI, 26, ed. Krusch/Levison 294. 44 Zu Gregors Darstellung der frühen fränkischen Geschichte siehe Helmut Reimitz, History, Frankish identity and the ­Framing of Western Ethnicity 550–850 (Cambridge 2015) 51–73. 45 Noch im achten Jahrhundert wurde der durch Gregor und später in der Fredegar-Chronik weiter ausgebauten Merowingergenealogie mit Faramund noch ein weiterer König hinzugefügt. Eine der wenigen Spuren zu alternativen merowingischen Genealogien findet sich in einer Königsliste einer St. Gallener Handschrift (Cod. Sang. 732, pp. 154–155), die zwar erst aus der Karolingerzeit überliefert ist, aber mit Dagobert I. schließt. Siehe auch Walter Pohl, Genealogy: a comparative perspective from the early medieval West, in: Meanings of Community in Medieval Eurasia, ed. Walter Pohl/Christina Lutter/Eirik Hovden (Leiden/New York 2016) 232–269, hier 242–244; Reimitz, History, Frankish Identity 216–217 und zur Vielfalt der Geschichten im spätantiken Gallien, ebd. 74–87. 46 Wolfram, Intitulatio I. 142; Wolfram, Goten 284-88. 47 Siehe oben Anm 32. 48 Siehe dazu: Gallien in Spätantike und frühem Mittelalter. Kulturgeschichte einer Region, ed. Steffen Diefenbach/Gernot Müller (Millennium Studien 43, Berlin 2013). 41

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Sorgfalt und Klugheit als caput populorum regieren.49 Auch der eigentlich im regnum der burgun­ dischen Könige amtierende Bischof von Vienne, Avitus, riet dem frischgetauften rex Chlodwig, als princeps gentium allen verschiedenen Individuen und Gruppen im regnum gleichermaßen Gerechtigkeit zukommen zu lassen.50 Es scheint, dass es zunächst die Identifikation des merowingischen regnum von außen war, die das Reich und seine Könige als fränkisch definierte und sie vor allem Ausdruck alter und neuer politscher und kultureller Hierarchien war. Aus italisch-ostgotischer Sicht hatte der Frankenkönig Chlodwig eben nicht denselben Rang wie Theoderich und aus byzantinischer Sicht waren die Franken die Nachfolger der germanischen Barbaren, wie die Berichte des byzantinischen Geschichtsschreibers Prokop zeigen.51 Und auch die Fortsetzer der christlichen Weltchronik des Eusebius/Hieronymus folgen zumeist der ­römisch-imperialen Sichtweise ihrer Vorgänger auf die Geschichte ihrer Zeit, indem sie das Mero­ wingerreich durch die Franci oder ihre reges Francorum repräsentieren.52 Doch in Gallien selbst blieb das zunächst eher die Ausnahme und auch die Könige legitimierten ihre Herrschaft nicht durch eine zentrale Aneignung fränkischer Identität. Mit der Etablierung mero­ wingischer Herrschaft über (fast) ganz Gallien zeichnet sich ein Bruch in der Geschichte der fränkischen Identität ab, der auch wichtige Auswirkungen auf ihre weitere Geschichte hatte. Daraus ergaben sich recht weite Spielräume für die Identifikation der Franken und der Aneignung des Frankennamens durch verschiedene Gruppen und Individuen, die ihn mit unterschiedlichen Interessen und Konzeptionen verbanden. Die Koexistenz – und zunehmend Konkurrenz – verschiedener Konzeptionen führte nicht nur zur Etablierung eines Diskurses über fränkische Identität. Es entstand auch ein reiches Repertoire an Identifikationsressourcen, das wiederum größere Spielräume zur Aneignung und Neugestaltung fränkischer Identität bot und so ihren Erfolg und ihre dauerhafte Behauptung ermöglichte. Die Spielräume für die Deutung und Bedeutung des Frankennamens, die sich durch die Identitäts­ politik der frühen merowingischen Könige ergaben, scheinen sich in den letzten Jahrzehnten des sechsten Jahrhunderts besonders stark verändert zu haben. Erst aus dieser Zeit sind uns mehrere Belege überliefert, dass nun auch die Könige zunehmend ihre Herrschaft als reges Francorum legitimierten. Der älteste genauer datierbare Beleg stammt aus dem Jahr 585, in dem der Enkel Chlodwigs Guntram sein Edikt als rex Francorum erließ.53 Die erhaltenen merowingischen Kapitularien davor verwenden alle nur den rex-Titel in der Intitulatio. Der Trendwechsel zeichnet sich etwa zur selben Zeit auch in der diplomatischen Korrespondenz mit anderen Reichen ab. In einer Gruppe von Briefen an die Kaiser und Amtsträger des byzantinischen Imperiums, die zwischen 584 und 590 zu datieren sind,54 verwendete der Neffe und designierte Nachfolger Guntrams, Childebert II., in den ersten zwei von vier Briefen zunächst den Titel rex ohne ihn mit dem Frankennamen zu verbinden. In den anderen beiden tituliert er sich allerdings als rex Francorum. Die Briefe sind uns in der als Epistolae Austrasicae überlieferten Briefsammlung erhalten, in der auch Briefe der früheren merowingischen Könige erhalten sind, nicht

Epistolae Austrasicae 1 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE Merowingici et Karolini aevi 1, Berlin 1892) 112. Avitus, Epistulae 46 (ed. Rudolf Peiper, MGH AA 6, 2, Berlin 1883) 75–77; siehe den Kommentar und die englische Übersetzung von Danuta Shanzer/Ian N. Wood, Avitus of Vienne, letters and selected prose (Liverpool 2002) 362–369; und die Diskussion des Briefs von Uta Heil, Chlodwig, ein christlicher Herrscher. Ansichten des Bischofs Avitus von Vienne, in: Chlodwigs Welt. Organisation von Herrschaft um 500, ed. Mischa Meier/Steffen Patzold (Roma aeterna 3, Stuttgart 2014) 67–90. 51 Antonio Kaldellis, Ethnography after Antiquity. Foreign lands and peoples in Byzantine literature (Philadelphia 2013) 21–24. 52 Reimitz, History, Frankish identity 75f., mit Anm. 8. 53 Edictum Guntchramni (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia 1, Hannover 1883) 10–12, hier 10. Die Praeceptio Chlotharii (ebd. 18–19) ist mit Stefan Esders nicht als ein Dekret Chlothar I., sondern erst Chlothars II. zu sehen, vgl. dazu Stefan Esders, Römische Rechtstradition und Merowingisches Königtum. Zum Rechtscharakter politischer Herrschaft in Burgund im 6. und 7. Jahrhundert (Göttingen 1997) 88–108. 54 Epistulae Austrasicae 25, 28, 31, 33, ed. Gundlach 138, 140, 141, 142. Eine genauere Datierung der Briefe scheint nicht möglich. Gundlach, der die Briefe für die Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica edierte, datierte sie auf das Jahr 584. In der neuesten Edition und italienischen Übersetzung von Malaspina (Il Liber ­epistolarium della cancelleria ­austrasica: sec. V-VI, ed. Elena Malaspina, Biblioteca di cultura romanobarbarica 4, Roma 2001) 181, sind sie in das Jahr 587 datiert. Vgl. zu einer Zusammenfassung der Debatte Bruno Dumézil, La reine Brunehaut (Paris 2008) 575–592. Ich danke Thomas Lienhard, der mit Bruno Dumézil eine französische Übersetzung vorbereitet, für seine Hilfe. 49 50

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zuletzt der Brief Theudeberts I. an den byzantinischen Kaiser Justinian, in der sich der merowingische König als der mächtigste Herrscher der ehemaligen westlichen Provinzen präsentiert.55 So wie in diesem Schreiben wurde auch in keinem anderen Brief der merowingischen Könige vor Childebert II. der Frankenname in der Intitulatio verwendet. Genau zu der Zeit, als sich die Frankenkönige zunehmend des Frankennamens bedienten, um ihre Herrschaft und Ansprüche zu legitimieren, schrieb auch Gregor von Tours seine Zehn Bücher Geschichten.56 In Gregors Darstellung zeichnet sich diese Trendwende auf den ersten Blick allerdings nicht ab. Im Gegenteil. In einem langen und langatmigen Kapitel zur Herkunft der Franken und ihrer Könige zeigt er, dass sie keine lange in die Vergangenheit reichende Geschichte haben.57 Erst ab dem vierten Jahrhundert lassen sich mehr Nachrichten zu den Franken finden, aber auch diese stellt er nicht zu einer kohärenten Geschichte zusammen, sondern listet sie als verstreute Nachrichten verschiedener römischer Geschichtsschreiber auf. Auch in anderen Erzählungen, bemerkt Gregor am Ende dieses Kapitels, könne man wenig über die Geschichte der Franken vor ihrer Ankunft am Rhein erfahren. Verlässliche Nachrichten über Könige wären erst für die Zeit nach ihrer Ansiedlung in den Gebieten am Rhein erhalten.58 Auch nachdem Gregor in seiner Diskussion der Quellen zur fränkischen Frühgeschichte gezeigt hat, dass sich darin eben keine prestigereiche, lange in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte der Franken und ihrer Könige findet, entwickeln auch die darauffolgenden Bücher ein äußerst unscharfes Bild fränkischer Identität. Wie Martin Heinzelmann und Walter Goffart betont haben, kommen die Franken in seinen umfangreichen Geschichten kaum vor.59 Man könnte sogar sagen, dass die Franken in seinen Zehn Büchern gar nicht vorkommen. Es sind recht verschiedene Gruppen oder Individuen, die Gregor als Franken erwähnt: etwa die Franken der Stadt Tournai,60 die merowingische Königsfamilie,61 oder ein als genere Francus bezeichneter Botschafter, der gemeinsam mit einem cives von Clermont eine Gesandtschaftsreise unternimmt, ebenso wie das Heer oder auch nur Teile davon, wie etwa Un­ruhe­ stifter im Heer Chlothars.62 Die verschiedenen Rollen und Funktionen, die Franken in der merowingischen Gesellschaft spielten, entsprachen sicherlich weitgehend der von Gregor und seinen Zeitgenossen erlebten sozialen Realität. Es ist allerdings auffällig, dass Gregor in seinen Zehn Büchern Geschichten fränkische Identität nicht als einen gemeinsamen Bezugspunkt dieser verschiedenen Gruppen, Individuen, Rollen und Funktionen Epistulae Austrasicae 20, ed. Gundlach 133. Dieselbe Intitulatio in Epistulae 18 und 19, ed. Gundlach 131f., zu ­Theudebert siehe Scholz, Merowinger 88-96, Fritz Beisel, Theudebertus magnus rex Francorum. Persönlichkeit und Zeit (Idstein 1993), Roger Collins, Theodebert I, ,Rex Magnus Francorum‘, in: Ideal and reality in Frankish and Anglo-Saxon society. Studies presented to J. M. Wallace-Hadrill, ed. Patrick Wormald/Donald Bullough/Roger Collins (Oxford 1983) 7–33, und Matthias Springer, Theudebert, in: RGA, 2. Aufl. 30 (Berlin/ New York 2005) 455–459. 56 Siehe nun A Companion to Gregory of Tours, ed. Alexander C. Murray (Leiden/Boston 2016); vgl. auch die Beiträge in The World of Gregory of Tours, ed. Kathleen Mitchell/Ian N. Wood (Leiden/Boston/Cologne, 2002) und den hervorragenden Überblick und die Diskussion zu der vor 2000 erschienenen Literatur von Steffen Patzold im Anhang der achten Edition der Übersetzung von Rudolf Buchner. Vgl. Gregor von Tours, Zehn Bücher Geschichten, ed. Buchner 477–491. 57 Gregor von Tours, Historiae II, 9, ed. Krusch/Levison 52–58. 58 Eugen Ewig, Trojamythos und fränkische Frühgeschichte, in: Die Franken und die Alemannen bis zur ,Schlacht von ­Zülpich‘ (496/97), ed. Dieter Geuenich (RGA Erg. Bd. 19, Berlin/New York, 1998) 1–30, der schon erkannte, dass Gregor hier die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Auffindungen von Informationen über die fränkische Frühgeschichte diskutiert (hier 10). Siehe dazu auch ders., Zum Geschichtsbild der Franken und den Anfängen der Merowinger, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, ed. Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 54, Stuttgart, 2001) 43–58, zu meiner Deutung der Stelle Reimitz, History, Frankish identity 52–57, vgl. auch die Diskussion in Magali Coumert, Origines des peuples. Les récits d’origine des peuples dans le Haut Moyen Âge occidental (550-850) (Collection des Études Augustiniennes, Série Moyen Âge et Temps Modernes 42, Paris 2007) und Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identität und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 7, Berlin 2006), die Gregor eher gallorömischen Traditionen verpflichtet sehen als in Auseinandersetzung mit alternativen oder konkurrierenden Auffassungen der Geschichte. 59 Walter Goffart, The Narrators of Barbarian History (A.D. 550–800): Jordanes, Gregory of Tours, Bede, and Paul the ­Deacon (Notre Dame-Ind. 2005), und Martin Heinzelmann, Die Franken und die fränkische Geschichte in der Perspektive der Historiographie Gregors von Tours, in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (Wien 1994) 326–344. 60 Gregor von Tours, Historiae X, 27, ed. Krusch/Levison 519. 61 Siehe zum Beispiel Gregor von Tours, Historiae III, 11, ed. Krusch/Levison 107; ibid. IV, 14, ed. Krusch/Levison 146. 62 Gregor von Tours, Historiae, IV, 40, ed. Krusch/Levison 172. 55

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anbietet. Wie ich anderer Stelle ausführlicher versucht habe zu zeigen, hängt damit auch seine langwierige Diskussion der Quellen zur fränkischen Frühgeschichte zusammen, die ja schließlich zeigt, dass man in den vorhandenen Quellen eben nichts über die Herkunft der Franken oder gar eine Herkunftsgeschichte finden könne.63 Das wird aber auch in Gregors Darstellung über Ereignisse deutlich, die auch in anderen Quellen berichtet werden. Während für die erhaltenen Chroniken aus dem fünften und sechsten Jahrhundert, die Gregor teilweise gekannt und benutzt hat, die Politik der merowingischen Könige und vor allem ihre Auseinandersetzungen mit anderen Mächten als die der Franci und der reges Francorum beschrieben werden, verwendet Gregor in seiner Darstellung dieser Ereignisse den Frankennamen nicht.64 Auf solche Beobachtungen aufbauend hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur ein breiter ­Konsens etabliert, Gregors Geschichten eben nicht als Geschichte der Franken zu verstehen, auch wenn das nach wie vor der Titel der meisten Übersetzungen seines Geschichtswerks in moderne Sprachen ist.65 Es sind in den letzten Jahrzehnten auch einige hervorragende Studien durchgeführt worden, die zeigen, wie sehr Gregors Geschichten, so wie seine anderen Werke, von seinen Bemühungen geprägt sind, durch sie eine christliche Vision für seine Gesellschaft zu entwickeln und verbreiten.66 Das muss allerdings nicht bedeuten, dass die wenigen und wenig zusammenhängenden Stellen, in denen Gregor den Franken­namen verwendet, zeigen, dass ihm die Bedeutung und vor allem die zunehmende Bedeutung des Franken­ namens für politische Legitimation und Integration gleichgültig war. Es ist eher wahrscheinlich, dass der mit den Höfen und Eliten Guntrams als auch Childeberts II. bestens vernetzte Gregor diesen Prozess mit Besorgnis beobachtete und sich seine Darstellung der Franken und ihrer Geschichten genau dagegen richtete. Die zunehmende Bedeutung fränkischer Identität sah er als Bedrohung für seine Vision einer christlichen Gesellschaft, die allein und konkurrenzlos die Grundlage politischer und sozialer Integration in seinem regnum sein sollte. Eine der wenigen Stellen in seinen zehn Büchern, in denen Franken als handelndes Kollektiv vorkommen, ist ein gutes Beispiel für Gregors Haltung. Als der der König des nordwestlichen Teilreichs um Soissons, Chilperich, im Jahr 577 eine audientia versammelt hatte, um Bischof Praetextatus von Rouen wegen Hochverrats zur Verantwortung zu ziehen, wollten die bei der Versammlung anwesenden Franci den Bischof aus der Kirche zerren um ihn zu steinigen.67 Chilperich, sonst der bête noire Gregors, macht dabei endlich einmal etwas richtig. Er verbot den Franci jede Einmischung in die Staatsaffäre, die er vor

Reimitz, History, Frankish Identity 52–57. Vgl. Chronica Caesaraugustana a. 541 (ed. Theodor Mommson, MGH AA 11, Berlin 1894, ND 1981) 221–223, hier 223, mit Gregor von Tours, Historiae, III, 29, ed. Krusch/Levison 125; Chronica Caesaraugustana a. 507, ed. Mommsen 223 mit Gregor von Tours, Historiae II, 37, ed. Krusch/Levison 87; Johnannes von Biclaro, Chronicon, a. 585 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Berlin, 1894, ND 1981) 217, mit Gregor von Tours, Historiae, VIII, 30, ed. Krusch/Levison 396; Johannes von Biclaro, Chronicon, a. 587, ed. Mommsen 218 mit Gregor von Tours, Historiae, VIII, 45, ed. Krusch/Levison 411; Johannes von Biclaro, a. 589, ed. Mommsen 218 mit Gregor von Tours, Historiae, IX, 31, ed. Krusch/Levison 450; Chronica Gallica a. 511 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Berlin 1894) 665, mit Gregor von Tours, Historiae, II, 37, ed. Krusch/Levison 88. 65 Wie schon von Walter Goffart, From ,Historiaeʻ to Historia Francorum and back again. Aspects of the textual history of Gregory of Tours, in: Religion, culture and society in the Early Middle Ages. Studies in honour of Richard Sullivan, ed. Thomas F.X. Noble/John J. Contreni (Kalamazoo-MI 1987) 55–76 bemerkt. Obwohl das in der Forschung mittlerweile allgemeiner Konsens ist, werden Gregors Historiae nach wie vor als ,History of the Franks‘, ,Histoire des Francs‘, ,Storia dei Franchi‘ etc. publiziert, verkauft und zitiert. Immer wieder findet sich auch der lateinische Text als Historia Francorum zitiert, obwohl die aktuelle Edition von Bruno Krusch, Wilhelm Levison und Wilhelm Holtzmann, die 1951 erschien, als ,Decem libri historiarum‘ veröffentlicht wurde. 66 Martin Heinzelmann, Gregor von Tours (538–594). ,Zehn Bücher Geschichte‘: Historiographie und Gesellschaftskonzept im 6. Jahrhundert (Darmstadt 1994); Goffart, Narrators 112-234; Adriaan H. B. Breukelaar, Historiography and episcopal authority in sixth-century Gaul. The Histories of Gregory of Tours interpreted in their historical context (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 57, Göttingen 1994); Brown, Rise of Western Christendom 154-65; Peter Brown, Introduction, in: The World of Gregory of Tours, ed. Kathleen Mitchell/Ian Wood (Leiden 2002) 1–28; Peter Brown, The Ransom of the Soul. Afterlife and Wealth in early Western Christianity (Cambridge-Mass. 2015) 149–179, und zuletzt die Beiträge von Martin Heinzelmann und John Kitchen in: A Companion to Gregory of Tours, ed. Alexander Murray (Leiden/ Boston 2016). 67 Gregor von Tours, Historiae V, 18, ed. Krusch/Levison 217; siehe dazu: Michael Glatthaar, Der Edictus Chilperichs I. und die die Reichsversammlung von Paris (577), in: DA 73 (2017) 1–74, bes. 29–32. 63 64

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allem mit den anderen Bischöfen zu verhandeln hatte.68 Aber Gregor ging es nicht um eine randalierende Gruppe von Franken. Seine Befürchtungen betrafen eher den Anspruch dieser Gruppe, als fränkische Eliten die politische Zukunft des Merowingerreichs in einer wichtigen Rolle mitzugestalten. Solche Tendenzen beobachtete Gregor nicht nur in Chilperichs Reich. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Gregor die Geschichte über den Prozess gegen Bischof Praetextatus erst nach dem Tod Chilperichs im Jahr 584 verfasst hat und dabei vor allem auf Ereignisse und Entwicklungen reagierte, die er in den Reichen Guntrams und Childeberts erlebte.69 Wie schon erwähnt sind uns für Guntram und Childebert genau für die Zeit nach 584 die ältesten Belege für die Intitulatio merowingischer Könige als reges Francorum überliefert.70 Die von vielen modernen Forschern zu Recht betonte geringe Bedeutung fränkischer Identität und Geschichte in Gregors Zehn Büchern Geschichte scheint also vor allem mit seiner Erfahrung ihrer zunehmenden Bedeutung zusammenzuhängen. Seine Geschichten sollten helfen, die Spielräume der frühen Merowingerzeit zu erhalten und fränkische Identität als immer wichtiger werdenden Bezugspunkt der politischen und sozialen Integration im Merowingerreich zu dekonstruieren. Ein wesentlicher Katalysator für den Prozess, gegen den Gregor anschrieb, dürften die Auseinandersetzungen zwischen den Enkeln Chlodwigs, Sigibert I., Chilperich und Guntram, nach dem Tod ihres Bruders Chariberts im Jahr 567 gewesen sein.71 In ihrer Konkurrenz um Legitimation und Herrschaftsgebiete begannen sie sich mehr und mehr auch um ‚internationale’ Anerkennung zu bemühen. Dazu gehörte etwa die großartige Inszenierung der Hochzeit Sigiberts I. mit der westgotischen Prinzessin Brunhild, für die man sogar den Dichter Venantius Fortunatus an den austrasischen Königsholf holte.72 Wie Stefan Esders unlängst gezeigt hat, intensivierte Sigibert aber auch seine diplomatischen Beziehungen zum byzantinischen Imperium.73 Dort bemühte man sich nach der langobardischen Invasion Italiens ebenfalls um ein besseres Verhältnis zu den merowingischen Königen. Während wie schon kurz erwähnt die Franken bei Prokop noch als die barbarischen Nachfolger der Germani erschienen, entwickelte man genau zu dieser Zeit in Byzanz ein positiveres Bild der Franken. Der Geschichtsschreiber Agathias ­stellte die Franken als durchaus zivilisiert dar. So betont der Fortsetzer Prokops, dass die Franken ­diesselbe Religion wie die Byzantiner hatten, ähnliche Gesetze, komplexe Mechanismen und Institutionen zur Konfliktlösung. Bis auf ihre durchaus gepflegte äußere Erscheinung waren die Franken den Byzantinern in vielem sehr ähnlich.74

Zu dem Prozess siehe die Diskussion in Esders, Römische Rechtstradition 443-7, Philippe Buc, The Dangers of Ritual: Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory (Princeton 2009) 88–106; Bernhard Jussen, Patenschaft und Adoption im frühen Mittelalter: künstliche Verwandtschaft als soziale Praxis (Göttingen 1991) 177–198; Glatthaar, Edictus Chilperichs I. 69 Zur Diskussion um den Zeitraum oder Zeitpunkt der Abfassung siehe den Überblick und die Diskussion von Alexander C. Murray, The composition of the Histories and its bearing on the political narrative, in: A Companion to Gregory of Tours, ed. Alexander Murray (Leiden/Boston 2016) 63–101. 70 Siehe oben S. 208f. 71 Stefan Esders, Gallic politics in the Sixth Century, in: A Companion to Gregory of Tours, ed. Alexander Murray (Leiden/ Boston 2016) 429–461; Ian N. Wood, The Merovingian Kingdoms, 450–751 (London 1994) 88–101; Eugen Ewig, Die fränkischen Teilungen und Teilreiche (511–613), in: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien 1 (Beihefte der Francia 3,1, München 1976) 114–171. 72 Zur Hochzeit Sigiberts and Brunhild vgl. Erin T. Dailey, Queens, Consorts, Concubines. Gregory of Tours and the ­Merovingian Elite (Leiden 2015) 80–117; Dumézil, Brunehaut 113–130; zum Gedicht Judith George, Venantius ­Fortunatus. A Latin Poet in Merovingian Gaul (Oxford 1992) 153–157; und Oliver Ehlen, Venantius-Interpretationen. Rhetorische und generische Transgressionen beim neuen Orpheus (Stuttgart 2011) 221–256. 73 Stefan Esders, ,Avenger of all perjuryʻ in Constantinople, Ravenna, and Merovingian Metz. St Polyeuctus, Sigibert I, and the division of Charibert’s Kingdom in 568, in: Western Perspectives on the Mediterranean. Cultural Transfer in Late ­Antiquity and the Early Middle Ages, 400–800 AD, ed. Andreas Fischer/Ian N. Wood (London 2014) 17–40. 74 Agathias, Histories II, 3 (ed. und übers. Joseph D. Frendo, Corpus Fontium Historiae Byzantinae 2A, Berlin 1975) 11. 68

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Dass dieses revidierte Bild der Franken ein Ergebnis der intensivierten diplomatischen Beziehungen zwischen den verschiedenen merowingischen Königen und dem byzantinischen Imperium war, hat schon vor längerer Zeit Averil Cameron vorgeschlagen.75 Dabei nahm sie auch an, dass einige der Informationen, die Agathias verwendete, von Mitgliedern der merowingischen Gesandtschaften ­stammten, von ­denen die diplomatische Bühne auch gern zu ihrer Darstellung als gute Christen und legitime Nachfolger der römischen Herrschaft in Gallien genutzt wurde. Vor dem Hintergrund der zunehmenden ­Konkurrenz und Konfrontation der verschiedenen merowingischen Könige trugen die inten­sivierten ­diplomatischen Beziehungen mit dem Imperium aber auch zu einer neuen Akzeptanz des Franken­namens bei; und das nicht nur bei den merowingischen Gesandten, denen man als Franken einen attraktiven Platz in der Geschichte und Gegenwart anbot, sondern auch bei ihren Königen, die sich in ihrer Konkurrenz zueinander gegenüber Byzanz aber auch gegenüber ihren Eliten als reges Francorum präsentierten und legitimierten.76 Die zunehmende Bedeutung des Frankennamens in den letzten Jahrzehnten des sechsten Jahrhunderts lässt sich aber nicht nur aus den Beziehungen zum Imperium und anderen Mächten erklären. Auch in der merowingischen Welt selbst spielte die Konkurrenz und Intensivierung der Auseinandersetzungen zwischen den merowingischen Königen für diesen Prozess eine wichtige Rolle.77 Die bella civilia, die für Gregor von Tours zu den schlimmsten Übeln seiner Zeit gehörten, hatten auch zu der Formierung einer neuen selbstbewussten militärischen Elite beigetragen.78 Auf ihre Loyalität waren die Könige nicht nur angewiesen, um gegeneinander Heere aufmarschieren zu lassen. Sie spielten auch bei der Verhandlung von Konflikten oder ihrer Vermeidung eine wichtige Rolle. Dabei mussten die Rekrutierung eines Heeres und seine Aussendung gegen das Reich eines anderen merowingischen Königs nicht unbedingt zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Heeren führen.79 Die dramatischen Auswirkungen durchziehender Truppen beschreibt Gregor an mehreren Stellen und sie waren manchmal schon Grund genug, um Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien zu beginnen.80 Manchmal wurde versucht, einer militärischen Auseinandersetzung auszuweichen, da Koalitionen nicht hielten, man die eigene Machtbasis überschätzte und/oder die Stärke des Gegners unterschätzte.81 Bei anderen Gelegenheiten versuchten die Eliten am Hof sogar schon einzugreifen, bevor noch ein Heer aufgeboten wurde. Nachdem Grenzposten Chilperichs von Truppen seines Neffen, des austrasischen Königs Childebert II., an einer Brücke niedergemacht worden waren, wollte Chilperich ein Heer gegen seinen Neffen sammeln. Er ließ sich aber von dem Vorschlag seiner Ratgeber, einem consilium bonorum überzeugen, an Childebert zunächst eine Gesandtschaft zur Verhandlung von Kompensationsleistungen abzusenden.82 Aber es kam auch zu tatsächlichen Kampfhandlungen, die von Gregor als verlustreiche Kämpfe beschrieben werden. In den Auseinandersetzungen zwischen Chilperich und Sigibert I. wird sogar ­Chilperichs Sohn ­Theudebert getötet.83 Auch nach der militärischen Eskalation der Konflikte spielten die Mitglieder der merowingischen Elite eine wichtige Rolle. Nachdem Chilperich im Vertrauen auf seine Stärke und auf ein Bündnis mit Averil Cameron, Agathias on the early Merovingians, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, Classe di ­Lettere e Filosofia 2, 37 (1968) 95–140, hier 136–139; Gunther Gottlieb, Die Nachrichten des Agathias aus Myrina über das Christentum der Franken und Alemannen, in: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz 16 (1969) 149–158; vgl. dazu auch Kaldellis, Ethnography after Antiquity 21–25, der meint, dass der Frankenexkurs des Agathias vor allem dazu diente, dem römischen Publikum einen Spiegel vorzuhalten, was aber auch als ergänzender Gedanke zu den Ausführungen Camerons verstanden werden könnte. 76 Vgl. dazu ausführlicher: Helmut Reimitz, Pax inter utramque gentem. The Merovingians, Byzantium and the history of Frankish identity, in: East and West in the Early Middle Ages. The Merovingian Kingdoms in a Mediterranean Perspective, ed. Stefan Esders/Yaniv Fox/Yitzhak Hen/Laury Sarti (Cambridge, im Druck). 77 Esders, Gallic politics; Mark Widdowson, Merovingian partitions. A ,genealogical charterʻ?, in: Early Medieval Europe 17 (2009) 1–22; Wood, Merovingian kingdoms 88–111 und Ewig, Teilungen. 78 Brown, Ransom of the Soul 152–154; Laury Sarti, Eine Militärelite im merowingischen Gallien. Eingrenzung, Zuordnung und Definition, in: MIÖG 124 (2016) 271-295. 79 Vgl. dazu Ian N. Wood, Land tenure and military obligation in the Anglo-Saxon and Merovingian kingdoms: the evidence of Bede and Boniface in context, in: Bulletin of International Medieval Research 9–10 (2005) 3–22, hier 12–15. 80 Gregor von Tours, Historiae IV, 48, ed. Krusch/Levison 184–185. 81 Gregor von Tours, Historiae III, 23-4, ed. Krusch/Levison 122–123. 82 Gregor von Tours, Historiae VI, 19, ed. Krusch/Levison 288. 83 Gregor von Tours, Historiae IV, 50, ed. Krusch/Levison 187. 75

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seinem Neffen Childebert sein Heer gegen seinen Bruder Guntram entsandte, kam es zur Verwüstung und Plünderung weiter Landstriche. Die Schlacht in der Nähe von Bourges endete mit großen Verlusten. Gregor berichtet von siebentausend Toten auf beiden Seiten.84 Darauf zog Guntram – auf ein iudicium Dei hoffend – selbst gegen Chilperich und vernichtete den größten Teil des Heeres seines Bruders. Die darauf folgenden Friedensverhandlungen wurden aber wieder von Gesandten der Könige geführt. Ergebnis war das Versprechen der Könige, „dass der Teil, der die Grenzen des anderen überschritten hatte, dem anderen Buße zahlen sollte“. Die Fragen, wer welche Kompensation und an wen zu leisten hatte, sollten dann wieder von den Bischöfen und anderen Großen behandelt werden (sacerdotes vel seniores populi iudicarent).85 So verheerend die Auswirkungen der bella civilia der Zeit Gregors für Teile der Bevölkerung des Merowingerreichs gewesen sein mussten, sie trugen paradoxerweise auch zur sozialen Kohärenz des Merowingerreichs bei. Durch sie trafen zahlreiche Mitglieder der Eliten regelmäßig aufeinander und versuchten dabei, Lösungen zu finden, die den Interessen ihrer Könige, ihren eigenen und denen ­ihrer Leute entsprach.86 Für diesen Interessensausgleich brauchte man aber auch eine Vorstellung einer Gemeinschaft, die über die Horizonte der jeweiligen Interessensgruppen hinausging. Und genau dafür scheint auch der Frankenname zur Zeit Gregors immer wichtiger geworden zu sein. In Gregors Zehn Bücher Geschichten findet sich davon kaum eine Spur, was angesichts seiner Bemühungen, die Rolle des Christentums als den einzig entscheidenden Faktor der sozialen und politischen Integration seiner post-römischen Gesellschaft zu betonen, wenig verwunderlich ist. In der eben erwähnten Stelle über den Krieg Chilperichs gegen Guntram marschiert der burgundische König im Vertrauen auf ein iudicium Dei gegen das Heer seines Bruders. Allerdings überliefert uns Gregor an einer Stelle in seinen Geschichten auch einen Hinweis auf den Gebrauch des Frankennamens als Ausdruck bzw. Legitimation von politischen Konsens in den merowingischen Königreichen. Im Jahr 587, drei Jahre nach dem Tod Chilperichs, schlossen der merowingische senior Guntram und sein Neffe, Childebert II., in Andelot einen Vertrag, in dem die seit Jahrzehnten strittigen Gebietsaufteilungen und Besitzansprüche endgültig geklärt werden sollten. Alles, „was unter ihnen Streit auslösen könnte“, sollte bereinigt werden. In die Beratung wie den Beschlüssen waren auch die sacerdotes et proceres eingebunden.87 Gregor von Tours war beim Abschluss des Vertrags ebenfalls anwesend, und verbrachte sogar noch den Abend mit Guntram, um mit ihm gemeinsam zu essen und sich in vertraulicher Atmosphäre weiter auszutauschen.88 Gregors Geschichtswerk ist auch die einzige Quelle, die uns den Vertrag von Andelot überliefert und es spricht vieles dafür, dass Gregor – ganz in der Tradition des ersten Autors einer Kirchengeschichte Eusebius – sich dabei an den Wortlaut des Vertrags hielt.89 Dafür spricht auch die Formulierung iudicium Francorum, das der Vertrag als Grundlage für eine der Regelungen erwähnt.90 In dem Text, den Gregor selbst verfasst hat, findet sich ein solches iudicium Francorum sonst nicht. Dabei erwähnt er iudicia durchaus in mehreren Zusammenhängen, wie etwa ein iudicium cum senioribus vel laicis vel clericis und ein iudicium civium, das den Konflikt zwischen Sichar und Chramesind beenden sollte,91 oder auch ein iudicium episcoporum, auf das sich der Bischof Pappolus von Chartres stützte, um seine Zuständigkeit in einem Rechtsfall zu beweisen.92 Die letzte 86 87 88 89

Gregor von Tours, Historiae VI, 31, ed. Krusch/Levison 299f. Gregor von Tours, Historiae VI, 31, ed. Krusch/Levison 300. Wood, Land tenure 15f. Gregor von Tours, Historiae IX, 20, ed. Krusch/Levison 434–439; siehe Scholz, Merowinger 145f. Gregor von Tours, Historiae IX, 20, ed. Krusch/Levison 441. Anna Drabek, Der Merowingervertrag von Andelot aus dem Jahr 587, in: MIÖG 78 (1970) 34–41, zu Eusebius und der ­Inserierung von Dokumenten siehe schon Arnaldo Momigliano, The origins of ecclesiastical history, in: ders., The ­Classical Foundations of modern historiography (Berkeley/Los Angeles,/London 1990) 132–156. 90 De civitatibus vero, hoc est Burdegala, Lemovecas, Cadurcus, Benarno et Begorra quae Gailesvinda germana domnae Brunichilde, tam in dote quam in morganegyba, hoc est matutinale donum, in Francia veniens certum est adquisisse, quas etiam per iudicium gloriosissimi domni Gunthchramni regis vel Francorum, superstitibus Chilpericum et Sgyberthum ­regem, domna Burnichildis noscitur adquisisse ita convenit, … Gregor von Tours, Historiae IX, 20, ed. Krusch/Levison 437, zum iudicium Francorum siehe nun François Bougard, Du ‘jugement des Francs’ au ‘jugement de l’armee’ ou l’ombre de Velleius Paterculus, in: Faire lien. Aristocratie, réseaux et échanges compétitifs. Mélanges en l’honneur de Régine Le Jan, ed. Laurent Jégou et al. (Paris 2015) 259–267. 91 Gregor von Tours, Historiae V, 48 und VII, 47, ed. Krusch/Levison 258 und 366. 92 Gregor von Tours, Historiae VII, 17, ed. Krusch/Levison 338. 84 85

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Helmut Reimitz

Instanz für alle solche Fragen war für Gregor aber das iudicium Dei oder iudicium futurum, und es ist sicher kein Zufall, dass er besonders im letzten seiner Zehn Bücher seinen Lesern nahe legt, bei allen ihren Entscheidungen an dieses iudicium zu denken.93 Während in dem von Gregor selbst formulierten Text ein iudicium Francorum nicht zu finden ist, spielt es an einigen Stellen der etwa zwei Generationen nach Gregor entstandenen Fredegar-Chronik eine wichtige Rolle für die politische und soziale Stabilität im Merowingerreich. Wie ich an anderer Stelle ausführlicher dargestellt habe, bemühten sich die Kompilatoren der Chronik um die Gestaltung einer Geschichte, in der, entgegen Gregors Darstellung, nun die wichtige Rolle der Franken und ­fränkischer Identität für das merowingische Königreich betont wird.94 Dabei schrieben sie nicht nur gegen Gregors Auffassung von der Rolle der Franken in der merowingischen Welt an, sondern schrieben Gregors Geschichten auch um. In ihrer Wiederschrift der ersten sechs Bücher Gregors interpolierten sie nicht nur die prestigereiche Herkunft der Franken von den trojanischen Helden, sondern gaben auch ­anderen gentes wie Burgundiones, Thoringi, Saxones etc. ein weit stärkeres Profil als Subjekte und Objekte der Geschichte.95 Darauf aufbauend erhalten in dieser Chronik die Franken auch eine wichtige Rolle für die soziale und politische Integration des Königreichs in der jüngeren fränkischen Geschichte und in dem Teil der Erzählung, den die Kompilatoren unabhängig von einer Vorlage gestalteten. Die Gestaltung der ältesten erhaltenen Redaktion der Chronik fand vermutlich im Kontext des ­pippinidischen Netzwerks bald nach dem missglückten Grimoald-Coup in den 660er Jahren des ­siebten Jahrhunderts statt. Jedoch scheinen auch ältere Schichten in dem erhaltenen Text durch, die sich mit den Interessen und Perspektiven von aristokratischen Netzwerken im austrasischen und burgundischen König­reich verbinden lassen, deren Mitglieder teilweise auch die Nachkommen der ­sacerdotes et ­proceres waren, die den Vertrag von Andelot mitverhandelten.96 Während aber im Vertrag von ­Andelot das ­iudicium Francorum Ausdruck eines Konsenses des Königs mit den Franken ist (iudicium ­Gunthramni regis vel Francorum) erscheint es in der Fredegar-Chronik als eine vom Königtum unabhängige Institution. In den Konflikten der Söhne Childeberts II., Theudebert und Theuderich II., die sich als Nachfolger ihres Vaters das austrasisch-burgundische Königreich geteilt hatten, vereinbarten die beiden Könige, ein iudicium Francorum einzuberufen, das ihren Streit entscheiden sollte.97 Als beide drei Jahre später tot waren, und der König des nordwestlichen Teilreichs, Chlothar II., gegen das von der Großmutter der verstorbenen Könige, Brunhild, regierte Reich marschierte, bot Chlothar ebenfalls an, sich einem iudicium Francorum zu unterwerfen.98 Brunhild ging darauf nicht ein. Sie vermutete vielleicht schon, dass sie die Unterstützung der meisten Großen in Austrasien und Burgund verloren hatte. Doch das iudicium Francorum wurde ohnehin offensichtlich, als die Heere Chlothars und Brunhildes aufeinandertrafen. Das Heer Brunhilds und ihres von ihr schnell noch auf den Thron gehobenen Ur­ enkels, Sigibert (II.), verließ auf ein vorher verabredetes Zeichen das Schlachtfeld.99 Das war weder ein spontaner Entschluss noch war es eine Entscheidung, die die Anführer des Heeres Sigiberts und ­Brunhilds allein getroffen hatten. Die Machtübernahme Chlothars im austrasisch-burgundischen König­ reich war in den Verhandlungen zwischen verschiedenen aristokratischen Netzwerken in Austrasien, Burgund und Neustrien und über diese auch mit Chlothar über längere Zeit vorbereitet worden. Einen solchen Verlauf hätte auch Gregor von Tours kaum als Gottesentscheid darstellen können. In der Fredegar-Chronik ist die Grundlage des Erfolgs aber nicht nur das geschickte Netzwerken der austrasischen oder burgundischen Großen, sondern vor allem die gemeinsame Verantwortung, die sie als Franken für das Wohl und die Stabilität des Königreichs haben. Diese Verantwortung tragen Mitglieder der merowingischen Eliten auch noch nach der Machtübernahme Chlothars.100 Sie wird in der Chronik Z.B. Gregor von Tours, Historiae X, 15, 16 und 17, ed. Krusch/Levison, 505, 507, 509. Zur eschatologischen Ausrichtung von Buch 10 siehe Heinzelmann, Gregor von Tours 123. 94 Reimitz, History, Frankish identity, Kapitel 7. 95 Reimitz, History, Frankish identity 222–231. 96 Reimitz, History, Frankish identity 190-199. 97 Fredegar, Chronicae IV, 37, ed. Krusch 138. 98 Fredegar, Chronicae, IV, 40, ed. Krusch 140. 99 Fredegar, Chronicae, IV, 42, ed. Krusch 141. 100 Z.B bei der Schlichtung eines Streits zwischen Chlothar II. und seinem Sohn Dagobert, Fredegar, Chronicae IV, 53, ed. Krusch 147; zur Befreiung der Frau Rotharis Gundeperga, einer parens Francorum, durch einen fränkischen Gesandten: Fredegar, Chronicae IV, 71, ed. Krusch 156. 93

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mit einer die regionalen und lokalen Horizonte übergreifenden Vorstellung und Rolle von fränkischer Identität verbunden, in denen Mitglieder der Eliten ihre politische Verantwortung zur Sicherung des Friedens und zur Bewahrung der Integrität des regnum Francorum wahrnehmen. Das heißt natürlich nicht, dass die Fredegar-Chronik uns die wahre Rolle fränkischer Identität in den Merowingerreichen überliefert, die von Gregor von Tours davor unterdrückt wurde. Ebenso wie bei Gregors Zehn Bücher Geschichten ist auch die Gestaltung merowingischer und fränkischer Geschichte in der Fredegar-Chronik von sehr spezifischen Interessen geprägt. Die Konzeption fränkischer Identität in der Chronik spielt darin eine wichtige Rolle, um einen alternativen Fokus politischer und sozialer Integration zum merowingischen Königtum zu artikulieren. Das passt nicht nur gut zu dem Kontext der ältesten erhaltenen Redaktion der Chronik im pippinidischen Umfeld nach dem gescheiterten Versuch Grimoalds, die pippinidische Familie mit der merowingischen Königsfamilie zu verbinden.101 Ebenso ließ sich die Rolle der burgundisch-austrasischen Großen bei der Absetzung ihrer Königin Brunhild aus dieser fränkischen Verantwortung rechtfertigen. Diese spezifische Aneignung und Gestaltung fränkischer Identität scheint aber auf eine zunehmende Bedeutung des Frankennamens aufzubauen, die schon Gregor von Tours mit großen Unbehagen beobachtete, und die er mit seinen Geschichten zu relativieren versuchte. Was sich im Vergleich der beiden Texte abzeichnet, ist allerdings nicht die Durchsetzung einer ­Deutung und Darstellung von Geschichte gegenüber einer anderen. Gerade in der Zeit, in der die älteste erhaltene Version der Fredegar-Chronik geschrieben und abgeschrieben wurde, ist die weite Verbreitung von Gregors Geschichten (wenn auch in einer gekürzten Fassung) im Merowingerreich in einer ungewöhnlich hohen Anzahl merowingischer Handschriften gut dokumentiert.102 Meine Beobachtungen sollten eher dabei helfen, den Anfang der ständigen Aneignung und Neudeutung fränkischer Geschichte und Identität und damit ihrer Dynamik besser zu verstehen. So konnte der Vergleich der Fredegar-­Chronik mit den Geschichten Gregors vielleicht illustrieren, dass die Chronisten Themen und Fragen behandelten, die auch Gregor von Tours beschäftigten – allerdings mit einer deutlich anderen Akzentuierung und Gestaltung der Rolle fränkischer Identität. Gregor nutzte die in der frühen Merowingerzeit geschaffenen Spielräume, um fränkische Identität als gemeinsamen Bezugspunkt politischer und sozialer Integration zu dekonstruieren. Dabei versuchte er diese Spielräume für die Entfaltung einer gemeinsamen christlichen Identität zu erhalten. Darauf konnten auch die Chronisten der Fredegar-Chronik aufbauen. Das unscharfe und vielfältige Profil fränkischer Geschichte, das Gregor vermittelte, bot ihnen wiederum weite Spielräume zur Gestaltung ihrer Konzeption fränkischer Identität. Aber sie nutzten dafür nicht nur die Spielräume, die Gregor überlieferte, sondern auch jene der frühen Merowingerzeit, indem sie sich nicht mit einer zentralen königlichen Aneignung fränkischer Identität auseinandersetzen mussten und fränkische Identität als alternativen Fokus politischer und sozialer Integration zum merowingischen Königtum entwarfen. Das wiederum erleichterte die Koexistenz und Konkurrenz zweier so unterschiedlicher Entwürfe wie der Historiae Gregors und der Fredegar-Chronik im Merowingerreich. Sicherlich veränderten sich in diesem Prozess die Spielräume für die Entfaltung der Vision Gregors. Wie die reiche und vielfältige Überlieferung seiner Geschichten zeigt, blieben sie allerdings weit genug für ihre Zu diesem Kontext der Kompilation der erhaltenen ältesten Redaktion, siehe Ian N. Wood, Fredegar’s fables, in: Historio­ graphie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (Wien 1994) 358–366, vgl. aber auch Andreas Fischer, Rewriting History: Fredegar’s Perspectives on the Mediterranean, in: Western Perspectives on the Mediterranean. Cultural Transfer in Late Antiquity and the Early Middle Ages (400–800), ed. Andreas Fischer/Ian N. Wood (London 2014) 55–76, zum Grimoald Coup siehe auch Matthias Becher, Der sogenannte Staatstreich Grimoalds. Versuch einer Neubewertung, in: Karl Martell in seiner Zeit, ed. Jörg Jarnut (Sigmaringen 1994) 119–147; Thilo Offergeld, Reges pueri. Das Königtum Minderjähriger im frühen Mittelalter (Hannover 2001) 253–257; Stefanie Hamann, Zur Chronologie des Staatsstreichs Grimoalds, in: DA 59 (2003) 49–96. 102 Heinzelmann, Gregor von Tours 123; Martin Heinzelmann/Pascale Bourgain, L’œuvre de Grégoire de Tours. La ­diffusion des manuscrits, in: Grégoire de Tours et l’espace gaulois, ed. Nancy Gauthier/Henri Galinié (13e supplement à la ­Revue Archéologique du Centre de la France, Tours 1997) 273–317; Pascale Bourgain, Gregorius Turonensis ep., in: La ­trasmissione dei testi latini del medioevo. Medieval texts and their transmission, ed. Paolo Chiesa/Lucia Castaldi (­Millenio ­medievale 50, Strumenti e studi NS 8, Firenze 2005) 152–161; zur Überlieferung von Gregors Werken siehe dies., The works of Gregory of Tours. Manuscripts, language and style, in: A Companion to Gregory of Tours, ed. ­Alexander C. ­Murray (Leiden/Boston 2016) 141–190, hier 143–158, für die merowingische Sechs Buch Fassung der Historien, vgl. Reimitz, History, Frankish identity 133–165. 101

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weitere Aneignung und Gestaltung und die Entstehung neuer alternativer Entwürfe zu ihnen sowie auch zur Fredegar-Chronik. Die daraus resultierenden Reflexionen, Deutungen, und Neudeutungen ­fränkischer Identität erlauben uns die Geschichte fränkischer Identität als einen offenen Prozess der ständigen ­Kommunikation zwischen Identifikation, Akzeptanz dieser Identifikation und Wahrnehmung von Anderen zu rekonstruieren. Was sich dabei abzeichnet, ist nicht die Durchsetzung einer Konzeption fränkischer Identität, sondern vor allem die historischen Spielräume, in denen sich die wechselhafte Geschichte der Franken und ihrer Geschichten analysieren lassen.

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Ancient History at Carolingian Tours Alcuin of York’s poem on hearing of the Danish attack on Lindisfarne in June 793 (Carmen 9) has long been famous as one of the earliest records of a Danish raid on the British Isles.1 Interpretation of it has focused on the nature of the evidence it supplies, despite the fact that Alcuin was not an eyewitness and the poem is actually singularly uninformative. Only a dozen or so of the 240 lines of the poem describe “the pagan warband [who] arrived by ship from the ends of the earth” (Qua pagana manus, veniens a ­finibus orbis). The remainder of the poem offers reflections on sin and why God has permitted mankind’s sufferings and the fall of many empires. Alcuin invokes the historical examples of ­Babylon, Persia, Alexander the Great, Rome, Jerusalem destroyed by the Roman army (led by Titus), the ­Gothic invasion of Italy, the Huns ravaging in Gaul, the advance of the Saracens, and the conquest of Spain by the Arabs. Some of these were conceivably inspired by the Chronicon of Eusebius-Jerome, for Alcuin may even have seen Charlemagne’s court copy.2 A further source of information might have been the world Chronicle that forms Chapter 66 of Bede’s De ratione temporum, a Northumbrian text, but one also widely circulated within Carolingian Francia.3 Yet these historical examples are as highly allusive in Alcuin’s poem as they are in the chronicles that were his possible sources of information. In using such examples to full effect, one wonders whether Alcuin expected his audience to have fuller know­ledge in order to appreciate the import of his allusions. Similarly, what were Ermold the Black’s ­expectations when he offered a description of the royal aula at Ingelheim? It was apparently decorated with a series of ruler portraits, from Ninus of the Assyrians, Phalaris of Sicily and Cyrus of the Persians to the Roman emperors Augustus, Constantine and Theodosius, as well as the Frankish rulers Charles Martel, Pippin III and Charlemagne.4 It is with the availability of such fuller knowledge and the understanding of ancient empires in ­particular that I am concerned in this paper. I also want to pursue the specific questions that more recent work on history and history writing in the early middle ages have raised, not least the work memorably articulated at the Zwettl conference of 1993 presided over by Herwig Wolfram,5 and the many con­fe­ rences in Vienna convened by the Institut für Mittelalterforschung under Walter Pohl’s leadership in which Herwig’s intellectual children and grandchildren have been so active.6 My interest is ­consequently 1



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Alcuin, Carmen 9 (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini aevi Carolini 1, Berlin 1988) 229–235, at 234 line 195 and compare Epistolae nn. 18–22 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE Karolini aevi 2, Berlin 1895) 49–60. See also Peter Godman, Poetry of the Carolingian Renaissance (London 1983) 126–139, at 137. The Lindisfarne raid of 793 was apparently not the first sighting of Danes in England, for the Anglo-Saxon Chronicle records a raid on the south coast in 787. Leiden, Universiteitsbibliotheek, Scaliger 14: see Rosamond McKitterick, Glossaries and other innovations in Carolingian book production, in: Erik Turning over a New Leaf: Change and Development in the Medieval Book, ed. Erik Kwakkel/ Rosamond McKitterick/Rodney Thomson (Studies in Medieval and Renaissance Book Culture, Leiden 2012) 21–78. Faith Wallis, Bede. The Reckoning of Time (Translated Texts for Historians, Liverpool 1999) lxxxv-xcii, and Rosamond McKitterick, Perceptions of the Past in the Early Middle Ages (The Conway Lectures in Medieval Studies, Notre Dame 2006) 36–37. See also James Palmer, The ends and futures of Bede’s ‘De temporum ratione’, in: Bede and the Future, ed. Peter Darby/Faith Wallis (Farnham 2014) 139–160. Ermold the Black, In honorem Hludowici (ed. Edmond Faral, Poème sur Louis le Pieux et épitres au roi Pépin, Paris 1964) 162–164. Historiographie im Frühmittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien 1994). See for example Integration und Herrschaft. Ethnische Identitäten und soziale Organisation im Frühmittelalter, ed. Walter Pohl/Maximilian Diesenberger (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 3,Wien 2002); Vom Nutzen des Schreibens. Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz ed. Walter Pohl/Paul Herold (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 5, Wien 2002); Die Suche nach den Ursprüngen von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004); Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Frühmittelalterliche Hagiogra-

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more than just what was available in Carolingian Europe in the eighth and ninth centuries. Rather my focus is on how texts of ancient history might have been read, and the difference knowledge of ancient history might have made to contemporary political understanding. The deliberate work of preservation implied by the fifth-century Puteanus Livy copied at Tours c. 800, certainly indicates respect for a classical inheritance and even what appear to be deliberate efforts at salvage,7 but Carolingian engagement with the ancient past was more active than that. Annotations help a little to give some insight into how texts were read, but two further categories of evidence indicate how we might establish that ancient history was part of the mental intellectual landscape and imaginative understanding of at least some Carolingian scribes and scholars. I would further suggest that they intended through their work to communicate that understanding to a wider audience. I am referring to the packaging of ancient history with other texts in historical compilations, and to epitomes. There is furthermore, one particular manuscript, Leiden VLQ 20, on which I wish to focus. But first I should like to make some general remarks about knowledge of the past and of historical texts in the Carolingian world.8 The remarkable quantity and variety of the composition and compilation of history in Latin Europe in the early middle ages is a well known phenomenon. Recent work has highlighted the immediate ­political and cultural contexts of many individual works, such as the Frankish annals, Einhard, Nithard, Notker Balbulus, Frechulf of Lisieux, Regino of Prüm,9 as well as the possible motives of their authors and compilers for writing at all. The implications of the presentation of particular incidents, emphases, and themes in many texts has altered our appreciation of their narratives, and these are highly relevant when considering new Carolingian historical writing, or for that matter Italian, Spanish, Syriac, Irish, Anglo-Saxon and Byzantine narratives, and their reception and reworking.10 The use of older histories to create new works, as well as the invocation of older historiographical exempla, is a particularly effective strategy in early medieval historiography.11 A preoccupation of recent work has been the degree to which the historical narratives and ­miscellanies produced during the early middle ages reflect interdependent and competing communal identities across the Mediterranean and early medieval Europe.12 A text, even if addressing a more distant past, needs not only to be considered in the political context of its own time but may be designed to address particular issues. The Zwettl conference of 1993 and work done since has especially highlighted how historio­ graphy could function as polemic as well as offering particular visions of community and understandings of empire. Thanks to the work of scholars such as Mayke de Jong, we are in a stronger position phie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/ Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 18, Wien 2010). 7 Livy, Third Decade, Paris, BnF lat. 5730; see Elias A. Lowe, Codices Latini Antiquiores V (Oxford 1950) n. 562. The Tours copy is Vat. Reg. lat. 762, Elias A. Lowe, Codices Latini Antiquiores I (Oxford 1935) n. 109. On both codices see Leighton D. Reynolds, Texts and Transmission. A Survey of the Latin Classics (Oxford 1983) 208–210 and Rosamond McKitterick, The Carolingians and the written word (Cambridge 1989) 152–154. 8 I here draw on, as well as pursue further, some initial remarks I made in Rosamond McKitterick, Reading Roman history in the early middle ages, in: Discovery and Distinction in the Early Middle Ages: Studies in Honor of John J. Contreni, ed. Stefan Stofferahn/Cullen Chandler (Medieval Institute Publications Kalamazoo, Michigan 2013) 3–21. 9 Rosamond McKitterick, Charlemagne: The Formation of European Identity (Cambridge 2008) 7–43 on the Annals and Einhard, and the references there assembled; Janet L. Nelson, Public histories and private history in the work of Nithard, in: Speculum 60 (1986) 251–293; Simon MacLean, Kingship and Politics in the Late Ninth Century. Charles the Fat and the End of the Carolingian Empire (Cambridge 2003) 199–229, Simon MacLean, History and Politics in Late Carolingian and Ottonian Europe. The Chronicle of Regino of Prüm and Adalbert of Magdeburg (Manchester 2009); Graeme Ward, Lessons in leadership: Constantine and Theodosius in Frechulf of Lisieux’s Histories, in: The Resources of the Past in Early Medieval Europe, ed. Clemens Gantner/Rosamond McKitterick/Sven Meeder (Cambridge 2015) 68–86. 10 A useful survey is The Oxford History of Historical Writing 2, 400-1400, ed. Sarah Foot/Chase F. Robinson (Oxford 2012) and see my brief remarks in Rosamond McKitterick, History and Memory in the Carolingian World (Cambridge 2004) 1–2, 273–283. 11 See Matthew Innes, The classical tradition and Carolingian historiography: encounters with Suetonius, in: International Journal of the Classical Tradition 3 (1997) 265–282. 12 Scott F. Johnson, One creation, many identities: universal historiography in Greek and Syriac, 9th to 12th centuries, in: Historiography and Identity Towards the End of the First Millennium – A Comparative Perspective, ed. Helmut Reimitz/ Rutger Kramer/Graeme Ward (Historiographies of Identity 4, Vienna, forthcoming).

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to understand the relevance of biblical typology.13 How divine favour might manifest itself is a further theme that has emerged.14 History’s didactic function and the exempla, moral or admonitory, offered by humans in the past were indeed things early medieval authors understood. But history could also inspire and shape an imaginative understanding and sympathy with the past, to provide a crucial context for understanding one’s place in the world, and to entertain its audiences.15 The past is, after all, packed with wonderful stories. In the eighth and ninth centuries it is self evident that readers and writers of history could ­potentially be in dialogue with a multifaceted past and the entire history of the world since its ­creation. This comprised not only the biblical past and the histories of the empires of the Assyrians, ­Medes, Persians, Egyptians, Greeks and Romans, but also the history of Christianity, the Christian church and its saints, bishops, and martyrs. It included all the cultural inheritance of that world as well. For the Carolingians this was both Latin texts and material translated from Greek, Hebrew and Syriac into Latin. What did the Franks and Carolingians scholars do with the facts and figures of the past? On what texts in particular could they draw for their knowledge? How did they address the different emphases, contradictions and biases they encountered? What might have prompted them to reproduce or reshape this information? Why did they copy it? How was it used? There is no simple answer to any of these questions but they have to be asked in the light of a single fact: that many of these older histories, in greater or lesser detail, were known in the Carolingian world. Indeed, the earliest manuscript of such authors or texts as Ammianus Marcellinus, Caesar, ­Quintus Curtius Rufus, Eutropius, Florus, Frontinus, the Historia Augusta, Lucan, the Notitia dignitatum, ­Sallust, Statius, Suetonius, Tacitus, Valerius Maximus is an early medieval one, and it was in the ­Carolingian ­period that many copies of ancient history as well as other classical texts were produced and further disseminated.16 It is important to acknowledge that classical texts in themselves were actually ­historical monuments and offered knowledge of and about individual protagonists in the ancient world. In this ­respect it is not just a text like the Aeneid that is crucial but also the works of Cicero, especially his speeches and letters, and the other authors whose letters and allusions created a world to which ­Carolingian scholars thereby had access. Ancient history as I have explained elsewhere was not only recorded in the classical narratives of Greek and Roman history by such authors as Quintus Curtius Rufus, Dares Phrygius, Caesar, Livy, ­Pompeius Trogus and the Epitome by Justinus, Sallust, Suetonius, Tacitus, Velleius Paterculus and ­Virgil, the later epitomes and continuations by Florus, Aurelius Victor, Eutropius and the Scriptores Historiae Augustae, and the continuation of Tacitus by Ammianus Marcellinus, essential as all these became for the understanding of the classical past in the early middle ages.17 An understanding of the many empires of the ancient world was also incorporated into histories of the early Christian church, including Eusebius-Rufinus’s Historia ecclesiastica, the Historia ecclesiastica tripartita of Cassiodorus-­ Epiphanius, Josephus’s Jewish wars and Jewish antiquities written in Flavian Rome, Orosius’s Seven books of history against the pagans and of course the Chronicon of Eusebius-Jerome. Many elements from these histories were subsequently integrated into universal chronicles such as those of Frechulf of

Mayke de Jong, Carolingian political discourse and the biblical past: Hraban, Dhuoda, Radbert, in: Resources of the Past in Early Medieval Europe, ed. Clemens Gantner/Rosamond McKitterick/Sven Meeder (Cambridge 2015) 87–102. 14 See The Uses of the Past in the Early Middle Ages, ed. Yitzhak Hen/Matthew Innes (Cambridge 2000), especially the chapter by Mayke de Jong, The empire as ecclesia: Hrabanus Maurus and biblical historia for rulers, in: ibid. 191–226. 15 I have addressed some of this in Rosamond McKitterick, History and its Audiences (Cambridge 2000) and Rosamond McKitterick, The pleasures of the past: history and identity in the early middle ages, in: Early Medieval Europe 22 (2014) 388–405. 16 See Reynolds, Texts and transmission, and Bernhard Bischoff, Paläographie und frühmittelalterliche Klassikerüberlieferung, in: La cultura antica nell’Occidente latino dal VII all’XI secolo (Settimane 22, Spoleto 1975) 59–85 and id., Das benediktinische Mönchtum und die Überlieferung der klassischen Literatur, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 92 (1981) 164–190, both published in English translation in Bernhard Bischoff, Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, trans. Michael Gorman (Studies in Palaeography and Codicology, Cambridge 1994) 115–133 and 134–160. 17 McKitterick, Reading Roman history. 13

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Rosamond McKitterick

Lisieux, Ado of Vienne and Regino of Prüm.18 These post-classical texts inherited a strong understand­ ing of the complexity and diversity of antiquity in which religion played a crucial role. In the Chronicon of Eusebius-Jerome, Assyrians, Persians, Greeks, Macedonians and Romans, and the fortunes of secular rulers, were interwoven with religious events and ideas. Gradually the ­Chronicle’s narrative focusses on the Roman empire and the summary of Christian events against the backdrop of a succession of emperors and their campaigns. Early medieval manuscripts of the Chronicon of Eusebius, translated and continued by Jerome, present a dramatic visual confirmation of the triumph of Rome.19 The text, which runs from Abraham to 378 AD, is set out in columns, with the years since Abraham and Olympiads as well as regnal years of kings, judges, archons, and emperors. Events recorded on a highly selective basis in the relevant column, whether pertaining to [Medes. Persians] Assyrians, Hebrews, Scythians, the Argives or Greeks of Argos, Athenians, Macedonians and Egyptians. The historical map created by the extraordinary layout of this text was apparently taken over from the late antique ­exemplars.20 Even so, scribes brought their own perceptions of the importance of particular aspects of a text to the task of copying. The moment of Troy’s Fall, for example, takes up almost the entire page in Scaliger 14, a book possibly owned by Charlemagne himself. This book’s scribe was also so concerned with Rome’s history that he extended the Chronicon with detail from Eutropius’s Breviarium ab urbe condita and continued his brief record of events up to 645. History manuscripts, such as Scaliger 14, Leiden Voss. Lat. 110 or Merton College’s Coxe 315, offer obvious reflections of a reader’s and scribe’s responses to an exemplar, even if only at the level of its reproduction, rearrangement, and extension into later periods for further readers. To illustrate this further let me turn now to Tours. Among the classical texts written at Tours in the ninth century, three history books are particularly famous.21 The first of these is Livy, BAV reg. lat. 762 copied from a fifth-century exemplar apparently written in scriptura continua with little or no ­punctuation and no word separation. The earlier quires of this codex, especially those written by the scribes Gisularus and Aldo were copied letter by letter, but the later portions, written by the scribes ­Fredegarius, Ansoald and Theogrimus, appear to have adapted the text for Frankish readers, and ­Ansoald was particularly assiduous in supplying ninth-century punctuation. The other two history books were Suetonius, Lives of the Twelve Caesars, Paris, Bibiothèque nationale de France lat. 6115, and Quintus Curtius Rufus and other texts, now in Leiden. Leiden Universiteitsbibliotheek Voss. Lat. Q 20 (hereafter VLQ 20) is a substantial and generously proportioned codex. It measures 266 mm x 218 mm (218 mm x 155 mm) and is for the most part written in long lines, with 32-33 lines to a page, in a Tours minuscule dated by Bernhard Bischoff to the second and third quarters of the ninth century. The scribe’s particular trait was to use uncial ‘N’ and half-uncial ‘a’ occasionally, and his abbreviations are limited to a line above to indicate omitted ‘m’, the ‘-us’ and ‘ur’ abbreviation symbols, the nomina sacra and standard short forms for words like sanctus, episcopus, presbyter and the like.

Ado of Vienne, Chronicon, PL 123 cols 23–138 (reprint of Paris 1561 edition); Freculph, Chronicon (ed. Michael I. Allen, Frevlfi Lexoviensis episcopi Opera Omnia, CCCM 169, Turnhout 2003); Regino of Prüm, Chronicon (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 50, Hannover 1890). 19 I have explored this in fuller detail in Rosamond McKitterick, Transformations of the Roman past and Roman identity in the early middle ages, in: The Resources of the Past in Early Medieval Europe, ed. Clemens Gantner/Rosamond ­McKitterick/ Sven Meeder (Cambridge 2015) 225–244. 20 Chronici canones, Latini verti adauxit ad sua tempora produxit S. Eusebius Hieronymus (ed. John Fotheringham, London/Oxford 1923); Eusebius Werke, 7/1: Die Chronik des Hieronymus (ed. Rudolf Helm, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 47, Berlin 21956) and the digital version of Merton College Oxford, Coxe 315 available on http://image.ox.ac.uk/show?collection=merton&manuscript=ms315 (consulted 23rd January 2015); Printed versions from Joseph Scaliger’s edition onwards - Thesaurus temporum : Eusebij Pamphili Caesareae Palaestinae Episcopi Chronicorum canonum omnimodae historiae libri duo, interprete Hieronymo, ex fide vetustissimorum codicum castigati. Item auctores omnes derelicta ab Eusebio, & Hieronymo continuantes (Leiden 1606) - have endeavoured to reproduce the layout offered in the fifth century. 21 Bernhard Bischoff, Palaeography and the transmission of classical texts in the early middle ages, Appendix: Classical ­manuscripts written at Tours in the ninth century; Classical manuscripts wrongly attributed to Tours, in: id., Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, trans. Michael Gorman (Studies in Palaeography and Codicology, Cambridge 1994) 133. 18

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The Tours manuscript is usually only referred to by modern scholars for the text of Q. Curtius Rufius’s History of Alexander it contains. This copy of the Historia Alexandri magni is one of five extant from the Carolingian period alone, three others of which come, like the Tours codex, from the Loire region and belong to the same branch of the text family.22 Curtius is only one of a number of ­portrayals of Alexander. Curtius himself, moreover, was responding to stories and texts in circulation in his day about Alexander. One instance of Curtius’s particular choices is the way in which he dealt with Alexander’s anger, a theme that imbues the entire epic. Curtius portrays Alexander’s rages as uncontrollable. On Alexander’s gracious treatment of Darius’s mother, for instance, he offers the opinion: ‘indeed, if he had been able to maintain this self control to the end of his life … in this way he might have completely mastered his arrogance and anger (equidem hac continentia animi si ad ultimum ­vitae ­perseverare potuisset …sic vicisset profecto superbiam et iram). In the narrative on Tyre, Curtius ­comments: [Alexander] did not hold back his anger, which he never controlled in any way (Non tenuit iram, cuius alioqui potens non erat ). Then a terrible sight proved the king’s rage to the victors: two thousand, whom the king’s rage was inadequate to slaughter, hung there, fixed to crosses (Triste deinde spectaculum victoribus ira praebuit regis: II milia in quibus occiendis defecerat rabies, crucibus affixi …pependerunt.) Curtius claims that Alexander’s desire overcame his common sense in his plan to reach the Ganges in India, and his withdrawal is presented as a tantrum. At Susa, Curtius emphasizes the physical aspect of Alexander’s rage as he leapt down snarling from the tribunal (desluit inde frendens de tribunale). Curtius highlights the disgraceful episode about the murder of Clitus by Alexander after the siege of Gaza, when Alexander ‘filled with utter rage, fuelled by drink (ingentem iram conceperat), by making a specific reference to Achilles’ anger. Alexander was allegedly descended from Achilles on his mother’s side, and Curtius draws other parallels between Achilles and Alexander in the latter’s career. Curtius, like Diodorus, appears to have worked with what Judith Maitland has described as a vulgate tradition. She suggests that Curtius’s principal source was Hesias rather than Cleitarchus, in which the theme of anger is deeply embedded, and comparisons, not always favourable, are drawn with Achilles. As Maitland comments in summing up the series of examples she analyses, on which I have drawn here, Alexander ‘exhibits feral behaviour; he becomes like a wild beast, he leaps, pounces and snarls, he is beside himself’.23 Curtius’s essentially hostile portrayal of Alexander is not the only representation of Alexander in this manuscript however. The Tours book comprises two codicological units. The first of these occupies fols 1-8 and forms one quire. Although also from Tours, and written in the later ninth or tenth century, it was attached to the second portion at a later stage. Nevertheless it is of relevance to the second portion of the codex as another instance of epitomizing activity at Tours, for it contains selected extracts usually described as from Book II of the Chronicle of Fredegar that have as their principal focus the history of the Franks. The extracts are not in the same order as Fredegar’s Chronicle, but include II cc 1-6 (but from Jerome’s Chronicle), II c. 7, from Dares Phrygius and Book II, cc 56-57 taken from the Chronicle of Hydatius. These portions, moreover, are carefully signalled in an incomplete and partly illegible ‘Contents’ page at the beginning of the fragment as extracts from Jerome’s Chronicon. The subsequent sections are then headed as Books about the Kings of the Assyrians and the captivity of Troy and the beginning of the Romans, and Dares Phrygius, Historia de origine Francorum.24 In addition to Quintus Curtius Rufus, Historiae Alexandri Magni libb. III-X and Iulius Valerii Epitoma, the second portion of the manuscript (f. 9-144) also contains Ps.-Alexandri Magni et Dindimi regis Bragmanorum epistulae mutuae; Alexandri Magni epistula ad Aristotelem de itinere suo et de situ Indiae; a text described as ‘ex Orosii Historiis excerpta’ (actually an Epitome of Orosius’ Histories); and finally Isidorus Hispalensis, Chronicon. Reynolds, Texts and Transmission 148–149. I am indebted in these paragraphs to the posthumously published Judith Maitland, ΜΗΝΙΝ ΑΕΙΔΕ ΘΕΑ: Alexander the Great and the anger of Achilles, in: East and West in the World Empire of Alexander. Essays in Honour of Brian Bosworth, ed. Pat Wheatley/Elizabeth Baynham (Oxford 2015) 1–20. My sister sent me her article to read some months before she died in 2012. I have also reproduced her translations of Curtius Rufus from the edition of Edmund Hedicke, Q. Curti Rufi Historiarum Alexandri Magni Macedonis libri qui supersunt (Leipzig 1908) but see also Q. Curtius Rufus Historiae (ed. Carlo M. Lucarini, Berlin 2009). 24 Roger Collins, Die Fredegar-Chroniken (MGH Studien und Texte 44, Hannover 2007) 112–113. 22 23

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Rosamond McKitterick

Alexander’s letter to Aristotle about India is generally agreed to have been a Latin translation made by the seventh century from the original Greek.25 Another version was made in the tenth century. The letter describes the defeat of Porus and the great treasures of his palace. Alexander then marches to the Caspian Gates with his army to explore India, and pursues Porus further. There follow many stories which literally become the stuff of later legends: the pool of salt water that frustrated the thirsty army; the adventures of the army, with some eaten by hippopotami, and the night of terrors when monsters emerge from the sweet water the army had found.26 The army survived, despite the many frustrations and the unprecedented successes. Alexander is portrayed as restless, curious, courageous. Ever anxious to hear the oracle about his lordship over the entire world, he ventures beyond the boundaries visited by any known mortal. Alexander’s supposed letter to Aristotle about India reinforces the narratives of Curtius as well as that contained in the Orosius Epitome as we shall see, not least his own martial valour and support of his army which enabled him to become the king of kings. The rationale for writing about India is expressed in a phrase entirely in keeping with much of the convictions that supported the Carolingian ­Renaissance, namely, that whenever a man learns something about a new subject, it increases his learning and his ­understanding. The exchange of letters with Dindimus king of the Brahmins, serves to enhance the ­notion of a king who enjoyed learning. The catalogue of the virtues of the Brahmins, all juxtaposed with their contrasting western aspects, makes them sound like the inhabitants of Paradise. Discord and vice are criticized and Alexander’s religion is criticized for its pagan belief in many gods. Alexander to Dindimus is made to concede that the Brahmans must be the only good men in existence, but then adds that the wish to d­ estroy everything that makes men human is sheer folly. Ostensibly extolling the virtues of the east, the letters emerge as advocates for the west.27 I shall leave consideration of the historical miscellany as a whole to one side for the moment, but the company kept by the Orosius ‘excerpts’ needs to be borne in mind, not least when we come to consider the emphasis emerging in this Leiden Epitome. Hitherto overlooked, little attention has ever been given to the number of folios the Leiden Epitome of Orosius’s history occupies or what these ‘extracts ‘ might comprise. It is in fact a fluent Epitome, fols 129v-140v, with some very clever cutting and summarizing to create a distinctive brief history from Ninus the Assyrian to Alaric the Visigoth from the material ­Orosius offers. Robert Evans and I have discussed this Orosius Epitome in detail elsewhere, so here I wish simply to emphasise its codicological context, for the way in which the Orosius was epitomised makes it fully in accord with the themes developed by the other texts in the VLQ 20 collection.28 Orosius’s chapters on Alexander in Book 3 of his Histories offer a narrative of Alexander’s campaigns; the epitomizer included far more detail from these chapters than from any other section of Orosius’s history. Orosius anchors his narrative to Roman chronology, ab urbe condita, and makes no effort to disguise Alexander’s ruthlessness in consolidating his position. The narrative portrays ­Alexander’s suppression of a rebellion of the Greeks and his massacre of the Thebans. Any survivors were sold into slavery. Alexander waged war in Illyricum and Thrace, and he killed all his nearest male relatives. Orosius had been fond of statistics, offering numbers of infantry, ships and cavalry. He had also drawn on Justinus for accounts of battles and the numbers of warriors fighting or slaughtered, ­especially in the campaigns against the Persians and King Darius. Like Curtius, Orosius had commented on Alexander’s insatiable fury that carried him to Cilicia, Rhodes and Egypt, where he founded ­Alexandria. Orosius described how all the East fell into Alexander’s hands and thus the Macedonian power, and Alexander acquired great wealth. Thereafter Alexander proceeded to subjugate India and fight Porus the Indian king. Alexander travelled still further, to Ocean, or the edge of the world, itself. David J.A. Ross, A check-list of manuscripts of three Alexander texts: the Julius Valerius ‘Epitome’, the ‘Epistola Aristotelis’ and the ‘Collatio cum Dindimus’, in: Scriptorium 10 (1957) 127–132. 26 George Cary, The Medieval Alexander (Cambridge 1956); Richard Stoneman, Legends of Alexander the Great (London 1994). 27 Compare Rüdiger Schnell, Liber Alexandri Magni: Die Alexandergeschichte der Handschrift Paris Bibliothèque Nationale n.a.l. 310 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, München/Zürich 1989). 28 Rosamond McKitterick and Robert Evans, A Carolingian epitome of Orosius from Tours, Leiden UB VLQ 20, in: Historiography and Identity Towards the End of the First Millennium – A Comparative Perspective, ed. Helmut Reimitz/Rutger Kramer/Graeme Ward (Historiographies of Identity 4: Vienna, forthcoming). 25

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Alexander is certainly presented as a valiant and hugely successful warrior who crushed many cities in Asia, laid Syria waste, uprooted Tyre, stripped Cilicia bare, enslaved Cappadocia, placed Egypt in bondage, and conquered Rhodes and the provinces which lie under the Taurus mountains. He subdued many more peoples: Parthians, Drangae, Evergetae, Parimae, Parapameni, Adaspii and others in the Causcasus region. As Orosius wryly commented, Alexander’s cruelty to his own people was no less than that to his enemies, for he killed many members of his own family and there is the notorious murder of Cleitus at a banquet that is so prominent a feature also of Curtius’s narrative. Alexander’s taste for human blood, whether of his enemies or his friends, was never slaked. He always thirsted for fresh gore and he died at Babylon while still thirsting for blood but drank poison instead. He also killed Callisthenes and others because they would not honour him as a god. The Tours epitomizer retained nearly all Orosius’s narrative. He omitted only a few details – some of the details of the battle against the Persians, the visit to the temple of Jupiter, and the consultation of the oracle. There is only one sentence on his keeping of Darius’s wife, mother and daughter in captivity. The paragraph on the wars being waged elsewhere while Alexander was rampaging in the east (18,1-4) and the long moralizing section at the end of Book 20 and into Book 21 with its comparisons with Rome were also excluded. The inclusion of nearly all the Alexander narrative from the original is in great contrast to the rest of this epitome. No other incident or protagonist is left so intact; elsewhere the text is drastically selective and reduced. The Babylonian and Roman history frames the history of Alexander; the compiler used Orosius’s text to place Alexander in the historical imagination and understanding of the world on a more general level. The epitomizer offers still another reading of Alexander’s career, but one that is in accord with the version offered by Curtius and the ‘Alexander letters’. The Tours compilation, therefore, is not merely an example of the preservation of classical and late antique texts, but the representation of a ruler from antiquity as a complex combination of inspiration and warning. Kingship carries with it responsibility. Hubris is a constant danger to those exercising or aspiring to power. Human emotions, especially anger and cruelty, are addressed within the moral ­compass of kingship.29 The Leiden codex from Tours therefore is an Alexander dossier. But for whom and why was it ­compiled? Its compilation naturally raises questions about the knowledge and reception of the Alexander stories, the Aristotle and King Dindimus letters, and Greek history in the Carolingian world. Such ­topics need to be considered alongside the transmission of Quintus Curtius Rufus and the ­Epitome in the Tours manuscript in which Orosius describes Alexander as “a whirlpool of suffering and ill wind for the East”. In the Epitome text it is Alexander’s monstrous behaviour that is stressed beside his ­achievements. ­Alcuin himself sent the correspondence between Alexander and Dindimus to Charlemagne along with a copy of the supposed letters between Paul and Seneca. The surviving ­witness to that gift is now in B ­ russels.30 That particular collection shows not only another perspective on ­Alexander but hints at e­ arlier copies of the Alexander texts at Tours as part of its corpus of ancient ­history texts. A further instance of how Alexander’s story could be adapted for a contemporary audience is also evident in the Old English version of the letter from Alexander to Aristotle on the wonders of India, associated with the group of texts emanating from the translation enterprise led by King Alfred the Great, in which the translator underlined, partly by lexical choices, Alexander’s positive qualities as a leader of his army and as an exemplary figure of kingship.31

For a wider context on see Anger’s past. The social uses of an emotion in the middle ages, ed. Barbara Rosenwein (Ithaca 1998). 30 On Brussels, Bibliothèque royale MS 2839-2842’, see Yitzhak Hen, Alcuin, Seneca, and the Brahmins of India - an early ‘mirror of princes’ from the time of Charlemagne, in: Religious Franks: Religion and Power in the Frankish Kingdoms. Studies in Honour of Mayke de Jong, ed. Rob Meens/Dorine van Espelo/Bram van den Hoven van Genderen/Janneke ­Raaijmakers/Irene van Renswoude/Carine van Rhijn (Manchester 2016), 148–161; cf. Paris BnF lat 7886, and see also Alcuin, Carmina LXXXI for the dedication poem, ed. Dümmler 300. 31 Omar Khalaf, The old English letter of Alexander to Aristotle: monsters and hybris in the service of exemplarity, in: English Studies 94 (2013) 993–998. 29

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Rosamond McKitterick

These two different uses of Alexander as exemplar and warning may point to the possibility that the Tours dossier in Leiden VLQ 20 was designed to instruct a secular leader. It needs to be remembered that another extant Carolingian copy of Curtius, BnF lat 5716, was actually written for a Count ­Conrad in the Loire region by the scribe Haimo.32 Was VLQ 20 also once destined for a politically active ­abbot or bishop, secular magnate, or even a prince, mindful of the dangerous effect power could have on kings? The date of the manuscript’s production in the second or third quarter of the ninth century places it in the most difficult years of the reign of Louis the Pious, the beginning of Charles the Bald’s reign and the regime at Tours of Count Adelard and his replacement by Count Vivian.33 Could it even be a book ­commissioned from the scribes of Tours for presentation to the young king Charles the Bald? If so, could it tell us something of contemporary perceptions of the young king’s character? Nothing in the manuscript, apart from its contents and the implications of these texts can permit more than enticing speculation. Yet even at a general level, the Alexander dossier created in this manuscript offers a salutary reminder of the lessons history could offer. It also underlines how a Carolingian scribe and compiler could direct his readers in a very particular way to understand the fine line between leadership and ­tyranny, and the wider historical context in which the exercise of kingship should be understood.

Konrad Müller, Q. Curtius Rufus Geschichte Alexanders der Großen (München 1954); Reynolds, Texts and Trans­mission 148–149; Emile Chatelain, Les classiques latins 2 (Paris 1894–1900), plate 188.2; McKitterick, History and memory 28–29. 33 For the political context see Mayke de Jong, The penitential state. Authority and atonement in the age of Louis the Pious, 814–840 (Cambridge 2009) and Paul Edward Dutton/Herbert Leon Kessler, The Poetry and Paintings of the First Bible of Charles the Bald (Ann Arbor 1997) 21–44. 32

Staging integration in Bavaria, 791–793

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Staging integration in Bavaria, 791–793 Re-reading Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas, I came upon the following insightful judgement: „Zwei Jahre lang blieb Karl der Große in Regensburg und Umgebung: noch nie hatte er sich so lange auf einem Platz aufgehalten wie zwischen Herbst 791 und 793. Erst in dieser Zeit wurde Bayern tatsächlich wieder ein Regnum des Frankenreichs.“1 My paper, offered in gratitude for Herwig ­Wolfram’s work and inspiration over many years, pursues a line of thinking that judgement opened up. Some 800 years after Charles’s stay at Regensburg, a court audience in London heard this: “All the world’s a stage, and all the men and women merely players./ They have their exits and their entrances …”.2 The ‘Staging’ in my title evokes for German-speaking medievalists, at any rate since 1993, I­nszenierung – the public display and communication of power-relations according to unwritten ‘rules of the game’ to be inferred by historians from narratives of action in which power-players have their ­exits and their entrances, and rulers are involved often, as directors or directed.3 The evidence for Charles’s stagings in 791–3, poor compared with Althoff’s rich tenth- and eleventh-century narratives, offers the benefits of varied genres, and not only written forms. A closer look at often sketchy Acts, of disparate length, exposes more complicated plots and sub-plots, and plots of the political kind, with men, and women too, playing parts in no sense mere. To connect Charles’s successive stagings is to claim a ­coherent series of actions and meanings in what Shakespeare might have understood as history plays. The exit of Tassilo from the Bavarian scene and the entrance of the Avars constitute the prologue. The “delivery of Bavaria into Charles’s hand … without battle and in the absence of all strife” was ­represented by a contemporary as proof that God was fighting for Charles, “just as He did for Moses and the Israelites when Pharaoh was engulfed in the Red Sea”.4 The man-made violent reality of a translatio regni was translated into Biblical terms as God’s intervention – part of a pattern of repeated responses to solicitations by His people. The action proper continued in Regensburg in 791. The army that assembled there that summer was diverse, “a most exceptionally powerful force gathered [drawn] from throughout his entire realm and with accumulated provisions”;5 and it was large, “a countless multitude”, a Christian people intent on revenge “against the most arrogant people of the Avars”.6 Charles was drawn eastwards, Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas (Berlin 1987) 189: “For two whole years, Charlemagne stayed in Regensburg and its environs. Never yet had he taken up residence for so long in one place as he did between autumn 791 and autumn 793. During this period, Bavaria really did for the first time become a regnum of the Frankish empire again”. I am very grateful to Maximilian Diesenberger and Bernhard Zeller for their editorial patience and help, and to Paul Fouracre, Simon MacLean and Alice Rio for keeping me on track. 2 Shakespeare, As You Like It, Act II, scene 7. 3 Gerd Althoff, Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993) 27–50; repr. in: id., Spielregeln der Politik im Mittelalter (Darmstadt 1997) 229– 257; Rituals of Royalty: Power and Ceremonial in Traditional Societies, ed. David Cannadine/Simon Price (Cambridge 1987); Althoff, Demonstration, 232, notes differences between anglophone and German-speaking historiography. See ­further ­Stuart Airlie, Narratives of triumph and rituals of submission: Charlemagne’s mastery of Bavaria, in: Transactions of the Royal Historical Society 6th Series 9 (1999) 93–119; repr. in: id., Power and Its Problems in Carolingian Europe (Farnham 2012) chapter 3. 4 Annales Petaviani s.a. 788 (ed. Georg H. Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 17: pugnavit omnipotens Deus pro domno rege Karolo sicut fecit pro Moyse et filios Israel quando demersus fuit Farao rubro mari. 5 Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 791 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895) 89: Comparatis … ex omni regno suo quam validissimis copiis et commeatibus congregatis. 6 Annales Laureshamenses s.a. 791 (ed. Georg H. Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 34; also Fragmentum Annalium Chesnii s.a. 791 (ed. Georg H. Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 34: … propter nimiam malitiam et intolerabilem quam fecerunt Avari contra sanctam ecclesiam vel populum christianum. 1



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along the Danube, towards wider encounters accompanied, inevitably, by more risks of reversals. He then returned to Regensburg, to inhabit Tassilo’s former palace and de facto capital. The plot of the present paper is a drama confined – more or less – within the classical unities of ­action, space and time. The action: the integration of Bavaria; the place (generously defined): Regensburg and its woody and watery environs; the time (stretched a little): late summer 791 to autumn 793. There are five Acts: the Litanies of September 791 and the role of Fastrada the council of July 792 the revolt of Pippin son of Himiltrude7, late summer/autumn 792 the assembly of early 793 the canal-project in the summer/autumn of 793 ACT I: LITANIES AT REGENSBURG, SEPTEMBER 791 An almost unique, and certainly uniquely personal, letter of Charles survives in a formulary collection. Formulae as a genre are usually stripped of all specifics, but in the formulary copy of this letter, though names are omitted, one or two very interesting specifics have been left in, and these point unerringly to the recipient: Queen Fastrada.8 First, Charles passed on news from “our beloved son”, who in context must be Pippin of Italy, about Italian border-regions and about a successful campaign further north when, on Charles’s orders, Pippin’s army had moved into Avar territory on 23 August, and gone on to win a great victory in which a list of anonymised fideles had done outstanding service. Then, Charles described ‘three days of litanies’ which he and his army had performed “so that God will grant us a ­successful expedition”. Here dates have been left in: “Monday 5th September and Tuesday and Wednes­ day”. This performance involved fasting and almsgiving on the part of several categories of people, ­clergy of different ranks, and laity: large numbers, evidently. Staging would require a lot of organiza­ tion.9 Of course such acts had been performed before.10 Charles’s father Pippin had reminded Bishop Lull of Mainz that God had sent “tribulation to punish our sins” but then sent the wondrous consolation of a tremendous harvest: the king suggested that every bishop perform thanksgiving litanies in his diocese (these sound like processions) without fasting, but with everyone giving alms and feeding the needy.11 A letter (preserved in the same formulary collection as the letter to Fastrada), sent by the Anglo-­ Saxon ­cleric Cathwulf to Charles in c. 775 reminded the king of God’s blessings on him (including his “­exaltation to the honour of the glory of the realm of Europe”), warned that famine and pestilence were the ­consequences of rulers’ injustice (citing the contemporary examples of Duke Waifar and King Desiderius), and advised the establishment of an annual fast in honour of the Trinity and the public ­celebration of the mass of St Michael (Michaelmas, 29 September) and the mass of St Peter (29 June) “for the king and the army of the Christians”.12 These were injunctions Charles had taken to heart. In 7



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To call Pippin ‘the Hunchback’ is to follow highly tendentious and later sources and to ignore the silence of contemporary ones. Calling him ‘son of Himiltrude’ has the great benefit of being both well-evidenced and directly relevant to 792. Charles to Fastrada, Variorum Carolo magno regnante scriptae Ep. 20 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Epistolae Karolini aevi 2, Berlin 1895) 528-529; Wilhelm Levison, Das Formularbuch von Saint-Denis, in: NA 41 (1919) 283–304; Joanna Story, Cathwulf, kingship and the royal abbey of Saint-Denis, in: Speculum 74 (1999) 1–21; Alice Rio, Legal Practice and the Written Word (Cambridge 2008) 142–144. Cf. Hubert Mordek, Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal und die Hungersnot der Jahre 778/779, in: DA 61 (2005) 1–52, at 6 and nn. 24, 25. Fragmentum Annalium Chesnii, s.a. 791, ed. Pertz 34: ad Reganesburg pervenit, ibi ­exercitum suum coniunxit. Ibique consilio peracto Francorum, Saxonum, Frisinum, disposuerunt propter nimium ­malitiam et intolerabilem quem fecerunt Avari contra sanctam ecclesiam vel populum christianum… iter peragendi cum Dei ­adiutorio… Perrexerunt ad Anisam fluvium [the river Enns] properantes; ibi constituerunt letanias faciendi per triduo. They were already prescribed in the Book of Tobit 12, 8: Bona est oratio cum ieiunio, et elemosyna magis quam thesauros auri recondere; Mordek, Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal 41, n. 177. Capitularia 1, n. 17 (ed. Alfred Boretius, MGH LL, Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883) 42; Mordek, Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal 10, n. 41. Mary Garrison, Letters to a king and biblical exempla: the examples of Cathuulf and Clemens Peregrinus, in: Early ­Medieval Europe 7 (1998) 305–328.

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March 779, the king with his bishops’ agreement had decreed prayers, fasting and alms-giving during a severe famine in Francia.13 In early 786, Charles had announced one- or two-day litanies and Pope ­Hadrian had sent orders “into all our lands, those lying under the domination of the holy Roman Church…, [and] Christian peoples far beyond your royal dominion”, decreeing three-day litanies on 23, 26 and 26 June and asking Charles to make them happen.14 The two-fold aim of both king and pope had been to give thanks to God for bringing peoples to the Faith (significant numbers of Saxons accepted baptism in 785) and beseeching God to drive away pestilence and avert the threats presented by fearsome portents throughout 786 (a serious rebellion had broken out the previous year and been savagely crushed).15 The Franks were not the only people seeking ways to appease an angry God. According to a contemporary Bavarian chronicler: “The year 786 began with a great earthquake. In May there was a great cold and deep snow; birds dropped out of the sky, rivers ran blood-coloured. When this plague reached Bavaria, Duke Tassilo with the advice of Bavarian bishops and other wise men of the land had ordered a general fast throughout the entire land: everyone including the prince himself had to fast, and to scatter ashes on his bare head, to go barefoot and do public penance in church, and to make confession. Then the plague ceased.”16 The public performance of supplication, penance and thanksgiving was not merely medieval. ­Almost exactly 700 years later, on Christmas Day 1596, “in the bleak midwinter of a second consecutive year of harvest-failure”, the Privy Council of Queen Elizabeth I of England mandated that clergymen e­ njoin all householders to observe public prayer, fasting and alms-giving on Wednesday and Friday evenings throughout the realm, and that churchwardens in 9,000 parishes certify, in “a campaign of general ­hospitality”, “who attended public prayers of repentance; how much food was saved by fasting; what was given to the poor in alms; and whether anyone wavered in their obedience”.17 The regime, and many locals of the middling sort, were concerned for the poor, but there was also fear of public disorder: there were riots in Kent, and the Mayor of London reported to the Privy Council the “utter discouragement of the common people”. Churchwardens’ presentments surviving for the archdeaconry of Bucking­ hamshire show that in nearly two-thirds of the 191 parishes the campaign was implemented.18 How different was Bavaria from Buckinghamshire? Of course deep Christianization had not got so far in Bavaria, after only a century of internal mission, as it had in late Elizabethan England after a thousand years. Nevertheless Tassilo’s predecessors had encouraged proselytizing; Tassilo himself in the early 770s had summoned church councils and engaged in close contacts with the papacy, and ardently promoted monastic foundations thereafter, especially in south-western Bavaria.19 Arn, Bavarian-born, and an oblate to the church of Freising, moved to St-Amand in Francia in 778, which he could have done only on Charles’s say-so, and became abbot there in 782. From 785, he was bishop of Salzburg: for both Charles and Tassilo, an ‘ideal candidate as go-between’.20 By 790, Arn was energetically promoting the production of records of church property, and of books and sermons, and in Charles’s Bavarian stagings, Mordek, Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal, passim. Codex Carolinus 76 (ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE 3, Epistolae Merowingici et Karolini aevi 1, Berlin 1892) 607–608; see also Michael McCormick, The liturgy of war in the early middle ages: Crises, litanies and the Carolingian monarchy, in: Viator 15 (1984) 1–23, and id., Eternal Victory: Triumphal Rulership in Late Antiquity, Byzantium and the Early Medieval West (Cambridge 1986) 359–360. 23 June was the Vigil of St John’s Day, 26 June was St Paul’s day, 28 June the Vigil of St Peter’s day. 15 Annales Laureshamenses s.a. 786, ed. Pertz 32; Annales Nazariani s.a. 786 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, H ­ annover 1826) 23–31, 40–44, at 41–43; Fragmentum Annalium Chesnii s.a. 786, ed. Pertz 33; Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 785, ed. Kurze 71. See also next note. 16 Sigmund Riezler, Ein verlorenes bairisches Geschichtswerk des achten Jahrhunderts, in: Sitzungsberichte der königlichen bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.–hist. Klasse 1 (München 1881) 247–291; Ernst Klebel, Eine neuaufgefundene Salzburger Geschichtsquelle, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 61 (1921) 123–143; Matthias Becher, Eid und Herrschaft (Sigmaringen 1993) 50, n. 188. 17 Steve Hindle, Dearth, fasting and alms: the campaign for general hospitality in late Elizabethan England, in: Past & Present 172 (2001) 44–86, esp. 44, 46–48, 52–53, 61–73. 18 Hindle, Dearth 64, “almost certainly an underestimate”, since some churchwardens’ accounts suggest certificates were compiled but failed to survive in the archdeaconry papers. 19 Wolfram, Geburt 109–163. 20 Airlie, Narratives of triumph 104. 13 14

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a natural integrator.21 My suggestion here is that, given social and economic conditions, religious motivations, and available technologies showing similarities and continuities over relevant spaces and times, the level of compliance achieved in late eighth-century Bavaria was not wholly dissimilar to that in late sixteenth-century Buckinghamshire. The recipient of Charles’s letter of September 791, and organizer of the litanies in possibly the third week of that month, evidently at Regensburg, was Charles’s queen – anonymised in the manuscript but well known to historians: Fastrada. The letter was addressed thus: Dilecte nobis et valde amabili coniuge nostrae ill. regine: to our beloved and most loving wife … the queen. We desire by this letter to send a loving greeting to you [tibi] in the Lord, and, through you, to our darling daughters [dulcissimis filiabus nostris] and to the rest of our fideles who are staying with you [tecum commorantibus].22 After a fairly detailed military report, the king continued: We for our part have observed three days of litanies, beginning on Monday 5 September and then on Tuesday and Wednesday. We besought God … to grant us peace and well-being and victory… And our bishops ordained that those not prevented from abstaining by infirmity, old age or youth should abstain from wine and meat; and if men wanted to buy themselves out [of these obligations] they should be free to drink wine, the greater and those with more wealth to give one solidus a day, the less wealthy according to their means, and a man who could not give more but wanted to drink wine to give at least 1 penny. Alms, though, everyone had to give, according to his good will and ability. Each bishop had to say a special mass… and each cleric, if he knew his psalms well, had to sing 50, and to walk barefoot while performing the litanies. This was what the bishops ordered, and we all complied with it, God helping, and carried it out. And therefore it is our will that, along with [blank]… and [blank]…. and the other fideles, you should consider [considerare debeas – a second-person singular] how the same litanies should be performed there [at Regensburg]. As for yourself, according to what your ill-health allows, we leave [all the above] to your judgement. And we have been surprised that no messenger and no letter from you has reached us … [?since we set out] from Regensburg. And so we want you to write more often to us about your health and about whatever else you decide. And again we send you much greeting in the Lord. Whatever else is uncertain, the queen’s assignment is clear: she is entrusted with prime respon­ sibility for ‘the litanies’ – in fact a shorthand for prayers, fasting and alms-giving – believed to bring “a happy and successful outcome to the war”, and requiring co-operation from bishops, priests, the king’s fideles, lay and ecclesiastical (the community of St. Emmeram, and its scribes were surely i­nvolved), and the participation of a great many others. The ranking of contributors by wealth, and equivalences for wine-drinkers’ buy-outs, replicate the combination of the economic and symbolic in the provisions of Herstal, March 779, and imply a similar mindset on the part of knowledgeable officials directly ­answerable to the queen.23 She could hardly have been given more important duties, as far as Charles was concerned. In 785 at the Eresburg, and again in 787 at Worms, Charles had arranged for Fastrada and her four step-sons and three step-daughters, together with, in 787, her first daughter by Charles (born probably

Donald A. Bullough, Charlemagne’s ‘men of God’, in: Charlemagne: Empire and Society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 136–150, at 146–147; Maximilian Diesenberger, Sermones: Predigt und Politik im frümittelalterlichen Bayern (Wien 2015). 22 My translation draws heavily on that of Paul David King, Charlemagne. Translated Sources (Kendal 1987) 309–310, which to my mind captures the personal in the political. 23 See below, and cf. the queen’s responsibilities for feeding and ensuring seemly conduct (an estate-manager ­summoned to court to be quizzed on his accounts must abstain from drink – a potu abstineat – until matters are cleared, and those responsible for accommodating missi or legationes at the palace must ensure all is done honorifice) as hinted at in the ­Capitulare de Villis Imperialibus (= Capitularia 1, n. 32) 16, 27, 47, 58, ed. Boretius 84–85, 87–88, see further D ­ arryl Campbell, The Capitulare De villis, the Brevium exempla, and the Carolingian court at Aachen, in: Early Medieval ­Europe 18 (2010) 243–264; cf. Hinkmar, De ordine palatii 13, 19, 22 (ed. Thomas Gross/Rudolf Schieffer, MGH Fontes iuris Germanici, Hannover 1980) 56, 68, 72, 74 on which see Janet L. Nelson, Aachen as a place of power, in: Topographies of Power, ed. Mayke de Jong/Frans Theuws (Leiden 2001) 217–240, at 226–232, arguing for a date late in Charles’s reign for Adalard’s work. 21

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between 784 and 786), to be assembled with him as a family.24 Both occasions were impressive shows of dynastic strength. In the early summer of 791, the family-members with Charles and Fastrada at ­Regensburg were similar to the previous family line-up. Louis, now thirteen, was girded with a sword by his father, in a coming-of-age rite that very publicly projected the most powerful impression yet of the dynasty’s vitality.25 Then Louis went with his father to fight the Avars. By September, Fastrada at ­Regensburg was presiding over the rest of the royal family together with those members of the court who had not gone on the Avar campaign. These must have included the owners of the two names blanked in the manuscript – evidently the queen’s leading counsellors at this point.26 As Charles, encamped 200 km away down the Danube, dictated his letter to Fastrada, he could ­precisely foresee the liturgical performances she would stage, and no less precisely envisage her fronting these as conscientious nurturer and guardian of the offspring of her predecessors Himiltrude and Hildegard, and mother of two daughters but no sons. Here was a model royal family, united within itself, uniting realms. At the same time, as a stand-in for her husband, Fastrada, in the civitas and the palace that had been Tassilo’s, projected to Franks and Bavarians alike the irreversible replacement of Tassilo’s ruling family and court by Charles’s, his litanies and victories by Charles’s. The scene at Regensburg manifested divine approval in present and future. Charles worried, nevertheless, over Fastrada’s health. The previous year, she had suffered from toothache, visited the shrine of St. Goar and been cured.27 In September 791 she was suffering again from this or another malady, perhaps enduring another bout of agony during the litanies’ performance.28 If so, she staged not just a public triumph, but a kind of private triumph of her own. ACT II: THE JULY COUNCIL, 792 Charles, returning from his first Avar campaign, stayed at Regensburg through the winter of 791–2, and the early months of 792, with Fastrada, the royal daughters, Pippin son of Himiltrude, and perhaps the Young Charles. In 792, “there was no campaign”.29 The non-event must have caused contempo­raries some surprise, given that “in the 90 years or so from the death of Pippin of Herstal in 714 and the end of the Saxon Wars in 803/4, you could count on the fingers of one hand the summers in which the Frankish army did not take the field”.30 There had been no campaign in 790 either, but instead, prolonged residence at the palace of Worms and efforts to negotiate with Avar chieftains: reasons that foreshadow what occurred in 792, and indicate a points-switch that was under way, even had the palace of Worms It is very likely that in 785 and again in 787, Fastrada was evidently pregnant, and that each pregnancy aroused speculation as to the consequences of her giving birth to a son. That both babies turned out to be girls averted new complications over the succession, as Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter (Stuttgart 2009) 103, shrewdly remarks. Existing questions remained, though, and perhaps became more pressing. See below. 25 Louis was soon ordered to return to Regensburg “and stay with Queen Fastrada until his father’s return”: Astronomer, Vita Hludowici imperatoris 6 (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64, Hannover 1995) 300–301; see on youthful Carolingians as trainee war-leaders, Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit (MGH Schriften 44, Hannover 1997) 244–245, nn. 177, 178. 26 One may have been Bishop Sindpert, who attested a document at Regensburg on 1 September, and died on the 29th; see Carl Hammer, ‘Pippinus rex’: Pippin’s plot of 792 and Bavaria, in: Traditio 63 (2008) 235–272, at 257, with n. 78, and 261. 27 See Franz Staab, Die Königin Fastrada, in: Das Frankfurter Konzil 1, ed. Rainer Berndt (Mainz 1997) 183–217, at 199–200, for hagiographic and charter evidence that Fastrada was suffering from toothache in August 790, and was cured on a visit to the shrine of St. Goar: Wandalbert of Prüm, Miracula Sancti Goaris 12 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15/1, Hannover 1887) 367; DD Kar. I. 165 (ed. Engelbert Mühlbacher, MGH DD Karolinorum 1, Hannover 1906) 222–224. 28 Achim Thomas Hack, Codex Carolinus: päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert (Päpste und Papsttum 35, Stuttgart 2006) (i) 326, n. 568. Was Charles now wondering if Fastrada would or could (or even should) have more children? See Janet L. Nelson, The siting of the council at Frankfort, in: Das Frankfurter Konzil von 794. Kristallisationspunkt ­karolingischer Kultur. Akten zweier Symposien (vom 23. bis 27. Februar und vom 13. bis 15. Oktober 1994) anläßlich der 1200-Jahrfeier der Stadt Frankfurt am Main, 1: Politik und Kirche, ed. Rainer Berndt (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 80, Mainz 1997) 149–165. 29 Annales regni Francorum s.a. 792 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895) 92: Eodem anno nullum iter exercitale factum est. 30 Herwig Wolfram, An den äußersten Grenzen des Reiches. Die karolingische Markenorganisation von der Ostsee bis zur Adria, in: Conversio Bagoariorum et Carantanorum, ed. Herwig Wolfram (Ljubljana/Laibach 2013) 246–273, at 247–248. 24

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not burned down near the end of 790.31 Charles also had very good reasons for his decision in 792, and not only the negative ones that signs of crop failure had already appeared, that the Avars’ recent defeat had left them “thirsting for revenge”, and that very considerable numbers of Saxons and Frisians in the north were unreconciled to Frankish rule. Ever a careful military planner and avoider of needless risks, Charles had very positively grasped the scale of the Avar threat, and decided to take time to prepare in depth for the next Avar campaign. He concentrated efforts that summer on summoning a host to ­construct a pontoon bridge across the Danube, to maximize his forces’ mobility.32 The loss of some of those summoned, who were “coming by boat” and slain when Saxons and Frisians attacked out of the blue, did not alter Charles’s decision to remain at Regensburg.33 Charles was sensitive to the political and often military consequences of religious dispute. Adoptionist heresy preached in the Pyrenees by Bishop Felix of Urgel, was showing signs of diffusion into Aquitaine and Septimania.34 Heresy and heretics therefore loomed large on the agenda of the “big council” Charles summoned to Regensburg in July 792.35 To it came from Aquitaine and Septimania Charlemagne’s son Louis, abbot Benedict of Aniane and abbot Atto of St-Hilary’s Poitiers; from Italy, king Pippin36 and Bishop Paulinus of Aquileia; from Bavaria itself a strong contingent including Arn of Salzburg, Atto of Freising and Waltric of Passau, and key abbots; and two of Charlemagne’s closest counsellors and trouble-shooters, Angilbert and Theodulf. Felix himself was haled before the council, where he confessed error. There was also discussion of the Greek council that had been held at Nicaea in 787 to restore the veneration of icons, but to which no Frankish clergy had been invited. Charles and his advisers resented the snub, and reflected ruefully on the pope’s reception of Nicaea’s decrees. Angilbert was charged with taking Felix to Rome to present the penitent to the pope, and also with taking a first draft (prepared by Theodulf) of Charles’s response to Nicaea. “And Charles again sent Pippin and Louis with an army to Benevento.”37 Across the years 787–94, Charles’s political and diplomatic sights never ceased to include Francia, but for the meantime, his focus was on Bavaria and strategically-linked Italy, and to a lesser extent Byzantium. Historians often stress, rightly, basic continuities of principle and ­policy throughout Charles’s reign.38 Yet one of his most notable traits was a capacity to switch ideas in new directions ad hoc, in response to new conjunctures. Max Weber metaphorically called such ­switches ‘pointsmen’. Charles also deployed human pointsmen – Angilbert, Theodulf – who effected redirections in person or through texts.39

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Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 790, ed. Kurze 87. See below, note 38. Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 792, ed. Kurze 93. Annales Mosellani s.a. 792 (ed. Johann Martin Lappenberg, MGH SS 16, Hannover 1859) 498. See now Florence Close, Uniformiser la Foi pour unifier l’Empire (Brussels 2011) 83–100. On Adoptionism, see John Cavadini, The Last Christology of the West: Adoptionism in Spain and Gaul, 785–820 (Philadelphia PA 1993). For risks of the heresy’s diffusion in the 790s, see Cullen J. Chandler, Heresy and empire: the role of the adoptionist controversy in Charlemagne’s conquest of the Spanish March, in: International History Review 24 (2002) 505–527. Annales regni Francorum s.a. 792, ed. Kurze 90; Annales Maximiniani s.a. 792 (ed. Georg Waitz, MGH SS 13, Hannover 1881) 22: synodum magnam. Annales Guelferbytani s.a. 792 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 45; see Ildar H. Garipzanov, Annales Guelferbytani: Changing perspectives of a local narrative, in: Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Frühmittelalterliche Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn-Bruck (Wien 2010) 123–138, esp. 131–132, with the attractive suggestion that the annals for 791–793 were written “at the palace of Regensburg”. Annales Guelferbytani s.a. 792, ed. Pertz 45. For Charles’s concerns in Italy, see Kasten, Königssöhne 262. According to the Astronomer, as n. 21 above, Charles directed Louis from Regensburg first to Aquitaine, and only then to Italy “with as large a force as he could muster” to support Pippin of Italy; Louis spent Christmas (792, pace Kasten’s ‘793’) at Ravenna, and the two brothers then “invaded and ravaged” Benevento. Annales Guelferbytani s.a. 792, ed. Pertz 45, places Charles’s sending of his sons to Italy “again” before the revolt of Pippin son of Himiltrude. See for instance, Dieter Hägermann, Karl der Große (Berlin/München 2000), and, with a more specific emphasis, Paul Fouracre, Carolingian justice: the rhetoric of improvement and contexts of abuse, in: Frankish History. Studies in the ­Construction of Power, ed. Paul Fouracre (Farnham 2013) chapter 11. On pointsmen, see Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie 1 (Tübingen 1920) 252. See Michael Mann, The Sources of Social Power 1 (Cambridge 1987) 22–28. The metaphorical ‘types’ should be thought about along with with real-live eighth-century types.

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The Bavarians and the military men assembled from several regna at the Regensburg council ­witnessed the burning of adoptionist writings.40 Staging the condemnation of heresy in this way was calculated to leave an indelible impression on all those witnesses. Charles was inspired by the law and action of Christian Roman emperors. Charles had begun to see himself as their successor, and his reach as extending, like theirs, from the Ebro to the Danube, and from the Rhine to the Tiber. Felix’s itinerary mirrored the extent of that reach. Charles had become adept at constructing shared memories. ACT III: THE REBELLION OF PIPPIN SON OF HIMILTRUDE The conjuratio headed by Charles’s eldest son was one of the two big rebellions and most serious ­crises of the reign.41 Its exact date is debatable: “during the summer”, “in the autumn”, “while the king was wintering”.42 Late summer/early autumn sounds likely. As to where: here are several pointers to ­Regensburg as the epicentre. Notker’s testimony is late, and a good yarn, but he sets the scene of the plot firmly in St Peter’s cathedral in Regensburg very near the palace, and describes how Fardulf, a Lombard cleric who hid under the altar and overheard the conspirators, then gained access to Charles in the palace via the good offices of the queen’s women.43 Altogether more sober, and datable to 791–2, is an entry in the list of persons to be prayed for in a Bavarian Sacramentary, probably produced at the behest of Bishop Adalwin of Regensburg who succeeded Suintbert (+29 Sept 791) pre-mortem on 22 July 792. The list runs: Karalus rex, Fastraat regina, Pippinus rex, Ludiuuic rex, Hrodrud, Adaluni episcopus [Regensburg], Atto [Freising], Pipinus rex, Karalus, Arn, Uualtrih eps [Passau; and two other Bavarian bishops]. Carl Hammer, whose brilliant detective-work I draw on, calls these “odd jottings in a dis­carded mass-book”, identifies the second Pippinus rex as the son of Himiltrude and the untitled “­Karalus” as the eldest son of King Charles by Hildegard, and explains the ordering of the list in terms of “un­ certainty ­regarding the older brothers’ territorial claims, as compared with those of the younger Pippin and ­Louis”.44 Another explanation might be the timing of entries in whatever jottings preceded the list: the first five names (Charlemagne, Fastrada, Pippin of Italy, Louis of Aquitaine, and Rotrude) were perhaps of those present at the July council, those of the older two brothers belonging to some later occasion (perhaps a return from a military mission?). True, nothing is known of the Young Charles’ whereabouts in these critical months, but the mention of him in Adalwin’s list could conceivably mean that he was present in Regensburg in autumn 792, in other words that Charlemagne had wished to stage, there and then, and yet ‘again’, a united family front. Yet that very staging exposed a terrible rift. Whatever occurred during summer or autumn, a moment came when Pippin son of Himiltrude felt that the risk from the offspring of Hildegard had become intolerable – and also removable. The most contemporary evidence is in the Lorsch Annals, and it was surely as clear as it could be to a public versed in Old Testament history: Pippin’s plot was aimed “against the life of the king and of his sons by a lawfully wedded wife, for they intended to kill the king and those sons and Pippin sought to reign in the king’s place, like Abimelech in the days of the Judges of Israel, who slew his brothers, 70 men, upon one stone, and reigned in the place of his father Gideon but with wickedness and not for long”.45 Annales Maximiniani s.a. 792, ed. Waitz 22. On Christian Roman Emperors ordering the burning of heretical books, key references are Codex Theodosianus 16. 5. 66, and Codex Justinianus 1.1.3.1. See further Daniel Sarefield, Book burning in the Christian Roman empire: transforming a pagan rite of purification, in: Violence in Late Antiquity: Perceptions and Practices, ed. Harold A. Drake (Aldershot 2006) 287–296, and id.,The symbolics of book burning: the establishment of a Christian ritual of persecution, in: The Early Christian Book, ed. William E. Klingshirn/Linda Safran (Washington D.C. 2007) 159–173. I am very grateful to my London colleague Simon Corcoran for these references. See further the thoughtful observations of Rosamond McKitterick, History and Memory in the Carolingian World (Cambridge 2004) 218–220. 41 Janet L. Nelson, Opposition to Charlemagne (German Historical Institute Lecture for 2008, London 2009). 42 Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 792, ed. Kurze 91; Annales Mosellani s.a. 792, ed. Lappenberg 498; Einhard, Vita Karoli magni 20 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover 1911) 25. 43 Notker, Gesta Karoli II, 12 (ed. Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ., NS 12, Berlin 1959, ND München 1980) 71–72. Of available translations of the passage about Fardulf as seen by the women, my favourite is Carl Hammer’s: “a shorn tramp, clumsy and acting strangely, clad only in shirt and pants”, Hammer, ‘Pippinus rex’ 263. 44 Hammer, ‘Pippinus rex’ 261 and n. 98. 45 Annales Laureshamenses s.a. 792, ed. Pertz 35, Et in ipso anno inventum est consilium pessimum, quod Pippinus filius regis, ex concubine Himiltrude nomine genitus, contra regis vitam seu filiorum eius qui ex legitima matrona geniti sunt …, 40

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According to Judges 9: 1–5, Abimelech’s key supporters were “his mother’s brothers”. On a close reading of the Annals’ syntax, it also appears that Pippin acted closely with someone else, and it’s p­ ossible to infer that that someone was his mother. Himiltrude made an unexpected come-back on the political stage as she, and, we can infer from the Scriptural hint, her brothers, and her son at last ­confronted not only Charles himself, but the sons of Hildegard, who were also the stepsons and protégés of Fastrada.46 These royal women, dead or alive, were the poles around which politics revolved. ­Historians have ­suspected, without being able to prove, pre-existing rivalries between the women’s natal families, but such rivalries are to be expected. Himiltrude’s son found himself, perhaps for the first time for a long time, in a position to resolve his problems at a stroke: the Lorsch Annals make no distinction between present and absent sons of Charles’s lawfully wedded wife Hildegard, and the implication is that all three of her sons were together with their father in the palace of Regensburg. This scenario can’t help reminding a British historian of 5 November 1605 when Guy Fawkes and his fellow-conspirators planned to kill King James VI and I, his heir apparent Henry and younger son Charles, and the entire elite, by blowing up the Houses of ­Parliament at the session’s ceremonial opening.47 The son of Himiltrude’s Guy Fawkes moment pre­sented itself in late summer 792: a unique opportunity to kill the king, together with his sons by H ­ ildegard, and perhaps their closest supporters, in, as it were, one big bang. The plot’s betrayal, as in the case of Guy Fawkes and his associates, doomed conspirators to grizzly deaths. Charles was able, very quickly it seems, not just to suppress the plot, but to organize public judgement and punishments. “The whole Christian people”, including presumably those Franks and ­Bavarians assembled to work on the pontoon bridge, “judged and sentenced both Pippin and those who had consented with him to loss of inheritance and life”.48 “Some were hanged, some beheaded, some flogged and exiled”; “Some were put to the sword as guilty of treason, some were hanged – punished with such deaths for the very crime they had planned”.49 The Lorsch Annals register a significant qualification: “On some this sentence was carried out; but as for Pippin, since the king did not want him to be put to death, the Franks judged that he must bow himself to God’s service…”.50 In so judging, on Charles’s orders, his fideles were reproducing the fate of Tassilo and his sons.51 Tonsuring and monastic confinement conveyed a powerful message of equivalence between Tassilo and Pippin: both of them were guilty of treason, saved from death only by Charles’s clemency, and the claims of both to full member­ship of the dynasty were flawed, in Pippin’s case by his mother’s having been repudiated, in Tassilo’s by being Carolingian only on his mother’s side. They were, to borrow Stuart Airlie’s devastating epithet, “nearly men”.52

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quia voluerunt regem et ipsos occidere, et ipse pro eo quasi Abimelech in diebus iudicum Israel regnare, qui occidit fratres suos septuaginta viros supra petram unam, et regnavit pro Gedeone patre suo, cum malitia tamen et non diu. Nelson, Opposition 9–13. The plan was that James’s daughter Elizabeth, then aged 9, would then be installed as a Catholic monarch, and provided with a retrospectively Catholic upbringing. Guy Fawkes and his associates, had they succeeded, would have dominated the new Elizabeth’s regime. Annales Laureshamenses s.a. 792, ed. Pertz 35: Sed Carolus rex, cum cognovisset consilium Pippini et eorum qui cum ipso erant, coadunavit conventum Francorum et aliorum fidelium suorum ad Reganesburuge, ibique universus christianus populus qui cum rege aderat, iudicaverunt et ipsum Pippinum et eos qui consentanei eius errant in ipso consilio nefando, ut simul hereditate et vita privarentur. Annales qui dicuntur Einhardi s.a. 792, ed. Kurze 93; Annales Mosellani s.a. 792, ed. Lappenberg 498: primogenitus filius nomine Pippinus, ex concubine eius Himiltrude natus, in tanto scelere inventus est, ut regnum sibi patris, patrem et fratrem occidens, fraude subripere deliberaret. Cuiquam plures ex nobilissimis iuvenibus seu senioribus Francorum sociati, ab eodem rege reperti atque alii suspensi, alii decollati, alii flagellati atque exiliati sunt; et ita de aliquibus adimpletum est. Annales Laureshamenses s.a. 792, ed. Pertz 35: Nam de Pippino filio, quia noluit rex ut occideretur, iudicaverunt Franci ut ad servitium Dei inclinare debuisset; quod et ita factum est, et misit iam clericum in monasterio. Et iterum ibi [i.e. at Regensburg] demoravit. For the aftermath of 788, see Maximilian Diesenberger, Dissidente Stimmen zum Sturz Tassilos III, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philip Shaw (Wien 2006) 105–120, esp. 112. Stuart Airlie, The Nearly Men: Boso of Vienne and Arnulf of Bavaria, in: Power and Its Problems in Carolingian Europe, ed. Stuart Airlie (Farnham 2012), chapter 11. I am grateful to Simon MacLean for the suggestion that contemporaries in Bavaria saw parallels between Tassilo and Pippin son of Himiltrude.

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ACT IV: THE 793 ASSEMBLY IN REGENSBURG. In autumn 792, “bishops, abbots and counts and many other fideles” had stood firmly by him [Charles], and “he knew who they were”.53 From the fact that Charles’s sons by Hildegard steered clear of ­Regensburg in 793, Carl Hammer infers that matters were not settled quickly or definitively.54 That is quite possible, but not incompatible with the suggestion that Charles himself kept them at a distance while he staged another event in Bavaria for his own political benefit: the exemplary rewarding of those who had remained faithful and had co-operated in the exemplary punishment of the conspirators. Charles wintered in Regensburg and stayed there during the early months of 793. The Lorsch Annals record an exceptional winter assembly:

ipso hieme iterum fecit rex conventum apud Reganesburg et cum cognovisset fideles suos, episcopos, abbates et comites, qui cum ipso ibi aderant, et reliquum populum fidelem, qui cum Pippino in ipso consilio pessimo non erant, eos multipliciter honoravit in auro et argento et sirico et donis plurimis.55

In all the accounts of political relationships in Charlemagne’s reign, this is one of the most telling in its fulsome comments on the rewards of fidelity: multipliciter honoravit…. After Charles’s close-run thing, a spectacular staging of dynastic confidence and elite solidarity was called for. Dona plurima as well as rewarding fidelity past were to induce more of it in the future, from people, especially in ­Bavaria, who had stayed loyal to Charles and the sons of Hildegard. High-value, even exotic, gifts to the fideles required an assembly, and an invited audience, the glitter of bullion and objects made of gold or silver, the sheen of silk in garments or bolts. His capacity to assemble and distribute dona plurima in 793 showed a certain bravado. His own and his dynasty’s success in overcoming intra-familial conflict were parts of a virtuous circle: loved by the Lord, he showed his gratitude in being a cheerful giver. Charles’s coinage reform is generally dated to the winter of 793–4. In it propagandistic, economic and moral purposes were clearly blended. “New pennies”, according to the regime’s own instructions in June 794, were to be “of pure silver and full weight”, that is, consisting of 1.7 gr. of silver, a significant increase on pre-reform issues.56 This recoinage, though unlike those of later times not involving a fullscale recall of current coins, with demonetization of pre-reform coins so that they were no longer legal tender, nevertheless testified to the regime’s achieving of its own goals. Were new pennies unveiled in some ritualised coinage-launch at this assembly (or any other), I wonder? Who benefited? Charles’s recoinage, like other medieval renovationes monetae, was a form of taxation, because the king, through his officers at local mints, took a substantial cut every time old pennies were handed in and new ones issued.57 But if the ruler was the prime beneficiary, others also benefited: coin-users, from potentiores to small-scale traders and peasants.58 In largely agrarian ­economies, consecutive years of crop-failure caused (and cause) serious famine, and Christian regimes could readily see alms-giving as a redistributive measure: hence the real parallel between the sixteenth-­ century ­Elizabethan regime’s seriousness about generalized alms-giving in the famine of 1596 and what Charles’s regime repeatedly attempted, first in 779, and thereafter when famines recurred. In their own rather spasmodic ways, these were both welfare states, responsive to general need and local clamores.

Annales Laureshamenses s.a. 793, ed. Pertz 35. Hammer, ‘Pippinus rex’, 241. 55 Annales Laureshamenses s.a. 793, ed. Pertz 35: That winter the king again held an assembly at Regensburg; and when he had known who were the faithful men, the bishops, abbots and counts, who had been there [i.e. at Regensburg] with him, and the rest of the faithful ones who had not supported Pippin in that most wicked plot, he rewarded them many times over with gold and silver and silk and large numbers of gifts. 56 Council of Frankfurt (= Capitularia 1, n. 28) 5 (ed. Alfred Boretius, MGH LL, Capitularia regum Francorum 1, Hannover 1883) 74. See Simon Coupland, Charlemagne’s coinage: ideology and economy, in: Charlemagne: Empire and Society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 211–229. 57 Rory Naismith, Kings, crisis and coinage reforms in the mid-eighth century, in: Early Medieval Europe 20 (2012) 291–332. 58 Michael Hendy, From public to private: the western barbarian coinages as a mirror of the disintegration of late Roman state structures, in: Viator 19 (1988) 29–78, esp. 72, 75: “… the state was still represented… but … the private factors of social function and market-exchange … were now also present”. 53 54

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Under normal conditions, however, and in “a society based on favour”,59 distribution of the profits of coinage reform was highly discriminatory, and targeted towards those who served the regime. Charles knew very well who his servants were, and how they had preserved him in 792: they were potentiores, but through them benefits cascaded to local officials and fighting men, and alms were channeled to the desperate. Directly or indirectly, coinage reform benefited the faithful. Bullion-shortage or recession, however, cannot be considered a crisis in the sense that political crisis, out of the blue, had come close to toppling Charles in 792.60 The dona plurima at Regensburg in 793 represented a key moment of crisis-management and crisis-resolution: a stage in, and staging of, Bavaria’s integration into Charles’s realm of realms, or re-integration – since Frankish rulers had wielded or claimed hegemony over B ­ avaria since the seventh century. Can the connection between crisis and coinage reform be more precisely dated? Ildar Garipzanov proposes in a forthcoming article a new dating-fork for the coinage reform that brought in the 1.7 gr. ­penny: between autumn 792 and autumn 793. He has identified, in a manuscript precisely dated to ­October 793, images which show new pennies associated with apt legal texts. He thus convincingly argues for mid-October 793 as the terminus ante quem for the reform coinage, revising Grierson’s ­argument for 793/4. The reform, whatever the exact date of its introduction, brought the king increased income in coin.61 Events had moved very fast after the crushing of Pippin’s revolt in Bavaria late in 792. Charles’s rapid response to rebellion, and also, more gradually, to ongoing famine, was to stage in the first half, say, of 793 an impressive show of power displayed, first, in the capacity to distribute wealth at a single key moment, and then, to generate more, and more gradually, whether in coin or bullion or return gifts. These measures reaffirmed, at the same time, the dynasty’s legitimacy and its authority. Garipzanov thus re-connects crisis (political and social) and coinage reform as cause and effect. ACT V: THE CANAL PROJECT Charlemagne’s project for a canal to link the river Rednitz, an affluent of the Main (and thence the ­Rhine) and the river Altmühl, an affluent of the Danube, is documented in a number of contemporary texts, ­including both the Annales regni Francorum and the Annales qui dicuntur Einhardi (in anglophone ­historiography often treated as versions of the Annales regni Francorum).62 The more nearly See, interrogatively, Paul Fouracre, The use of the term beneficium in Frankish sources: a society based on favour?, in: The Languages of Gift in the Early Middle Ages, ed. Wendy Davies/Paul Fouracre (Cambridge 2010) 62–88, giving a qualified ‘yes’. 60 Naismith, Kings, crisis and coinage reforms, considers ‘crisis’ in terms of large economic trends rather than specific ­political contexts. 61 Ildar H. Garipzanov, Regensburg, Wandalgarius and the novi denarii: Charlemagne’s monetary reform revisited, in: E ­ arly Medieval Europe 24 (2016) 58–73. I am very grateful to Ildar Garipzanov for sharing with me new evidence for the date of Charles’s monetary reform, rectifying some numismatic misapprehension on my part, and exchanging thoughts on the ­implications of redating the reform for Charles’s integration of Bavaria into his extended realm. See further Ildar H. ­Garipzanov, Metamorphoses of the early medieval signum of a ruler in the Carolingian world, in: Early Medieval ­Europe 14 (2006) 419–456, at 452: “metaphorically speaking, coins were tiny ‘metallic royal diplomas’… propagating royal authority”; and also the same author’s path-breaking: Ildar Garipzanov, The Symbolic Language of Authority in the Carolingian World (c. 751–877) (Brill’s Series on the Early Middle ages 16, Leiden 2008) esp. 27–38. 62 Annales regni Francorum s.a. 793, ed. Kurze, 92: Rex autumnali tempore de Reganesburg iter navigio faciens usque ad ­fossatum magnum inter Alcmana et Radantia pervenit ibique missi apostolici cum magnis muneribus praesentati sunt. The king in ­autumn-time made a journey from Regensburg with boats to the great ditch between the rivers Altmühl and Rednitz, and there papal envoys were presented [to him] with large gifts…. Thence via the Rednitz he reached the Main by a boat journey, and celebrated Christmas at St. Kilian at Wurzburg. [794] Easter was celebrated at Frankfurt. Cf. Annales qui dicuntur Einhardi, ed. Kurze 93, 96: Et cum ei persuasum esset a quibusdam, qui id sibi compertum esse dicebant, quod si inter Radantiam et Alcmonam fluvios eismodi fossa ducerentur, quae esset navium capax, posse percommode a Danubio in Rhenum navigari, quia horum fluviorum alter Danubio, alter Moenio miscetur, confestim cum omni comitatu suo ad locum venit ac magna hominum multitudine congregate totum autumni tempus in eo opera consumpsit. Ducta est itaque fossa inter praedictos fluvios duum milium passuum longitudine, latitudine trecentorum pedum; sed in cassum. Nam propter iuges pluvias et terram, quae palustris erat, nimio humore naturaliter infectam opus, quod fiebat, consistere non potuit; sed quantum interdiu terrae a fossoribus fuerat egestum, tantum noctibus humo iterum in locum suum relabente subsidebat…. And when [the king] had been persuaded by certain men who claimed to be expert in this matter, that if ditches capable of 59

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c­ ontemporary Lorsch Annals give different details.63 The so-called Annales Guelferbytani, with local information, apparently from Regensburg, uniquely mention the Sualafeld as the project’s general ­location and uniquely report, later in 793, the dragging of boats across land, then travelling by river to Frankfurt.64 This was not staging failed but staging salvaged. The historicity of Charlemagne’s project has been confirmed, and deepened, by recent archaeological discoveries.65 They include tracing in detail the subsoil and basic geology of the area, which has proved to be uniquely suited to a project involving the making of ditches and embankments and perhaps, too, the construction of a series of ponds with dykes between them. These findings convinced the researchers that the project could have succeeded, had not various contingencies, including exceptional rainfall, ­dictated otherwise. The team’s most spectacular find in excavations some 700 m. north-east of the ­modern village of Graben were eight oak piles, 24–32 cm. across, and between 150 and 180 cm. in length, sunk into the side of the excavated western side canal-bank in a way calculated to halt the ­slippages of soil described in the annals quoted above. These oak piles were substantial enough to give tree-ring datings, which coincide on a felling-date of summer-to-autumn 793. These finds amply ­corroborate the textual evidence for the project, and, most importantly, its date. For a project on such a scale, which it’s been estimated employed 6,000 men for some three months, there were some prerequisites. Paolo Squatriti, in a refreshingly wide-ranging comparative paper, ­considered Charlemagne’s project along with three others datable to the ‘long’ eighth century: the ­Danevirk in Jutland, Offa’s Dyke in Anglo-Saxon Mercia, and the Bulgar khan Omurtag’s Great Fence of Thrace. Squatriti, after carefully considering possible military and defensive purposes (including the fixing of boundaries) behind these enterprises, proposed that the common feature was instead a political one: in each case an ambitious ruler sought to enhance his power by mobilizing men and commandeering their labour on a scale hitherto unknown in northern Europe.66



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carrying boats were to be dug out between the rivers Rednitz and Altmühl, it would be possible to navigate very readily between the Danube and the Rhine since one of those rivers flowed into the Danube and the other into the Main, he came without delay to this place, and his whole court with him, and after he had gathered a great multitude of men, spent the entire autumn on this project. Thus a ditch was dug between the afore-mentioned rivers which was 2,000 paces [i.e. some 10,000 ft] in length and 300 ft wide. But in vain. For because of the continual rain and the bogginess of the land which was in the nature of things (naturaliter) completely waterlogged, the work that was being done could not hold firm, given the excessive wetness, and as much of the earth as was excavated by the diggers during the day slid back again and sank into the soil during the night…. He returned to Francia and celebrated Christmas at St Killian on the banks of the river Main, but he spent Easter at Frankfurt on the same river, where he had also wintered. See Achim Hack, Der Bau des Karlsgraben nach den Schriftquellen, in: Großbaustelle 793. Das Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel/Falko Daim/Stefanie Berg-Hobohm/Lukas Werther/Christoph Zielhofer (Mainz 2014) 53–63, for an excellent presentation of all the relevant texts, and, on the ‘versions’ of the Annales regni Francorum, Roger Collins, The ‘Reviser’ revisited. Another look at the alternative versions of the Annales regni Francorum, in: After Rome’s Fall. Narrators and Sources of early Medieval History. Essays presented to Walter Goffart, ed. Alexander C. Murray (Toronto 1998) 191–213. For further details, see Janet L. Nelson, Evidence in question: Dendrochronology and early Medieval historians, in: Entre texte et histoire: études d’histoire médiévale offertes au professeur Shoichi Sato, ed. Osamu Kano/Jean-Loup Lemaître (Paris 2015) 227–249. Annales Laureshamenses s.a. 793, ed. Pertz 35: Et domnus rex cum apud Reganesburg iterum celebrasset pascha, et in estivo tempore voluisset cum navibus venire in Francia, et aliquem fossatum iussisset facere inter duo flumina, id est ­inter Alcmona et Ratanza, et ibi multum demorasset …. Rex tamen, Christo adiuvante, de eodem loco navigio pervenit ad Franconofurt, et ibi ipsum hiemem resedit. On these annals, see Roger Collins, Charlemagne’s imperial coronation and the Annals of Lorsch, in: Charlemagne. Empire and Society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 52–70. Annales Guelferbytani s.a. 793, ed. Pertz 45: Karolus resedit Reganespuruc; inde transmisit scara sua ubi necesse fuit; post haec egrediens navigio pervenit in Sualafeld ad fossatum magnum; hieme inchoante cum illis navibus et per terram tractis et per flumina venit ad Franchonofurt, et ibi hiemavit. On the annals in this near-contemporary source, see ­Garipzanov, Annales Guelferbytani, who convincingly suggests the author was a Regensburg cleric. The 793 annal of the Annales Mosellani, ed. Lappenberg 498, probably written in the region of Trier, continues with a uniquely grim account of famine (location unspecified but familiar to the author), which puts Charles’s decision to move north by boat in a different context. See Collins, Charlemagne’s coronation 56–57. Großbaustelle 793. Das Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel/Falko Daim/Stefanie Berg-Hobohm/Lukas Werther/Christoph Zielhofer (Mainz 2014). I am very grateful to Falko Daim for discussing the 793 project with me and for sending me a copy of this book, to which I am indebted for much that follows. My thanks also go to Lukas Werther for interesting email conversations. Paolo Squatriti, Digging ditches in early Medieval Europe, in: Past & Present 176 (2002) 11–65.

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Squatriti’s theoretical inspiration came from James C. Scott’s Seeing Like a State: rulers, Scott argued, in order to make their demands acceptable, embarked on huge projects to demonstrate and ­enhance their authority. The main precondition, then, was an ideology of state-building, together with a distinctive rulership style.67 Two features distinguish Charles’s project from the rest, however. In the first place, it and its political context were well-documented at the time, whereas the textual sources in the other three cases are next to non-existent. Second, and still more important, Charles’s project ­demonstrably relied on pre-existing practices and developments of complex engineering technology: it was, in short, about a lot more than digging ditches. Charles was certainly interested in riverine traffic, not least in a year of serious famine in a number of localities. His legislation at Frankfurt in 794 ­included price-regulations, and, as noted, he instituted a coinage reform with public welfare in mind. More ­generally, he was concerned about economic performance on his own estates, and on the lands of others, especially those who held benefices from him.68 In the early 790s, Charlemagne also had military aims in view, as problems crowded in on the margins of the realm, and at its heart. The campaigns of the early 790s had proved the value of waterborne forces and pontoon bridges. In 793, to bring the entire court in boats from Regensburg to the site of the canal was a practical decision. It was also a propaganda exercise, for enhanced legitimacy was never far from Charlemagne’s mind. The arrival at the digging-site of papal envoys bearing large gifts is unlikely to have anything other than staged and managed by Charles. It was part of an altogether bigger effort to display power and amplify prestige. By contrast, the prayers and penances that had played a part in creating conditions for victory over the Avars in 791 are unmentioned in any of the sources for 793. Sometimes seeing like a state meant seeing that things could happen naturaliter. In December 793, Charles decided to cut his losses and stop groping in wintry murk, and to shift his centre of operations, his capital under construction (pending the completion of Aachen) from Regensburg to Frankfurt. By then, and for some time after, the canal retained value for waterborne traffic, as demonstrated in the court’s journey northwards in boats late in 793, not in disarray but in managed withdrawal. The multidisciplinary researches of ­recent years have strengthened not just scholars’ admiration for Charles’s stylishly bold project, but their confidence in its feasibility, ‘had nature’, to quote Horace, “expelled with a pitchfork, not kept coming back”. The exceptional attention paid to the project by contemporary and near-contemporary writers attests Charles’s political success in the short-to-medium term. This was a pointsman project that left a huge mark on the landscape, visibly and ideologically. EPILOGUE Staging integration in Bavaria was an urgent requirement for Charles in the early 790s. It was driven by an immediate agenda: demonstrating military and technological resources to impress Bavarians – and others. The removal from the scene of Tassilo had not silenced dissident voices any more than ­removing Felix from Regensburg to Rome quelled heresy in the west. The lavish gifts dispensed in early 793 stopped mouths with gold, and overlaid memories with prospects of new triumphs. By December 793, Charles was heading north for Frankfurt where he had decided to hold a great council of many ­provinces, with a whole new audience. Here, in June 794, where dissent and heresy were rejected, new pennies issued, measures taken to alleviate famine, old norms affirmed, Tassilo publicly repented and Squatriti, Digging 16–18, 20, 40–41, and with specific reference to Charles, 49–51, 64–55, stresses the ideological; see James C. Scott, Seeing Like a State (New Haven CT 1998); cf. Chris Wickham, Overview: production, distribution and ­demand II, in: The Long Eighth Century. Production, Distribution and Demand, ed. Inge L. Hansen/Chris Wickham (Leiden/Boston/Köln 2000) 345–377, esp. 347–356. For rulership ‘style’ (as distinct from ‘institution’) as an important dimension of medieval politics at all levels, see Timothy Reuter, The medieval German Sonderweg, in: Kings and Kingship in Medieval Europe, ed. Anne J. Duggan (King’s College London Medieval Studies 10, London 1993) 179–211; repr. in: Timothy Reuter, Medieval Polities and Modern Mentalities, ed. Janet L. Nelson (Cambridge 2010) 388–412, at 411. See also Jean-Pierre Devroey, Ordering, measuring, and counting: Carolingian rule, cultural capital, and economic performance in western Europe 750–900 (2009), available online at Jean-Pierre Devroey Université libre de Bruxelles PAPERS, http:// difusion.ulb.ac.be/vufind/Record/ULB-DIPOT:oai:dipot.ulb.ac.be:2013/124981/Holdings. 68 Adriaan Verhulst, The Carolingian Economy (Cambridge 2002) 128–129; Darryl Campbell, The Capitulare de Villis 243–264. 67

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renounced “all rights and allodial property in the duchy of the Bavarians which belonged to him, his sons and his daughters”. With his and his family’s fate finally sealed, Bavarian integration into Charles’s realm was well under way. There were other good reasons for the shift of priorities elsewhere from 793 onwards. First, Charles’s plan since the late 780s had been to develop Aachen as a capital of a multi-regnal empire in the ­making. Second, Charles had devised strategies for the conciliation of Bavarian elites and recruited proconsular figures to run the Bavarian regnum, once new priorities took him elsewhere. Third, and in a pragmatic yet positive sense naturaliter, Franks and Bavarians and others were increasingly capable of co-­ operation – through intermarriage, especially between Franks and Bavarians; through the smoothing of intergenerational transfers of responsibilities in the region’s families; through ecclesiastical and lay elites sharing the benefits of devolved power at regional level; and through firmly identifying themselves with Charles’s regime.69 That Charles seldom returned to Bavaria, and never after 805, was a back-handed tribute to his strategic vision. The effects were for the long term. Bavaria could be run without Charles on the spot. It could be run without theatre of the Regensburg kind. But it could not be run without stagings of the more routine kind: of synods and local courts that were actually assemblies with their own laws and rituals, embedded in Bavarian tradition, a Frankish institutional overlay, and a Carolingian style that was to prove durable. The Regensburg stagings nevertheless marked a foundational, and crucial, stage in the process of integration. “Rites take place because, and only because, they find their raison d’être in the conditions of existence and the dispositions of agents [...]”.70 It was in those two-and-a-bit years at Regensburg that Charles experimented with ruling from a capital, staging rites, and assembling together old and new agents of power who represented power back to themselves as audience, that “Bavaria actually became again a regnum of the Frankish Empire”.71

Warren C. Brown, Unjust Seizure. Conflict, Interest, and Authority in an Early Medieval Society (Ithaca NY 2001), passim; Susan Reynolds, Empires: a problem of comparative history, in: Historical Research 79 (2006) 151–165, esp. 162–163; Stuart Airlie, The Cunning of Institutions, in: The Long Morning of Medieval Europe, ed. Jennifer R. Davis/Michael ­McCormick (Aldershot 2008) 267–271; and Jennifer R. Davis, Charlemagne’s Practice of Empire (Cambridge 2015), esp. chapter 5 (forthcoming). 70 Pierre Bourdieu, The Logic of Practice, trans. Richard Nice (Cambridge 1990) 96. 71 As above, note 1. 69

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Drei Aspekte räumlicher Ordnungsvorstellungen in Bayern um 800 Quid est homo?* 1. EINLEITUNG Unter den Quellen, deren Analyse wesentlich zum Verständnis der bayerischen Geschichte des frühen Mittelalters beitrugen, zählt die Conversio Bagoariorum et Carantanorum zu den wichtigsten. Sie wurde von Herwig Wolfram erstmals 1979 in einer kritischen Ausgabe vorgelegt und seitdem mehrfach wieder aufgelegt.1 Dieser Text versuchte die Ansprüche der Salzburger Kirche auf das durch Raab, Donau und Drau gebildete ,pannonische Dreieck‘, zu legitimieren, indem er diesen Raum als Teil Karantaniens darstellte, „dessen Zugehörigkeit zur bayerischen Kirche niemand bezweifeln konnte.“2 Dies wurde mithilfe einer Vielzahl von Quellen bewerkstelligt, die durch eine geschickte Auswahl und gelungene Modifikationen in ein überzeugendes Narrativ geformt wurden. Eine in der Vorlage geschilderte ­Reise des Hl. Rupert, die bei Lorch an der Enns endete, wird in der Version der Rupertgeschichte in der ­Conversio ad fines Pannonię inferiores ausgedehnt, um den Anspruch auf das untere Pannonien vom Beginn der Salzburger Geschichte an zu verdeutlichen.3 Um die Ansprüche zu festigen, wurde auch die Fließrichtung der Drau um 90 Grad gedreht und floss daher von Norden nach Süden. Damit bekam die Drau ein Westufer und „machte die traditionelle Pannonia inferior zwischen Drau und Save zur ­Pannonia orientalis.“4 Somit war der Missionsauftrag des Bischofs Theoderich für „das Gebiet der Karantanen und ihrer Nachbarn“ leichter auf das von Salzburg beanspruchte Pannonien, deren Bewohner hier als Nachbarn bezeichnet werden, erstreckbar. Diese geographische Umorientierung wurde dabei nicht einmal vom Autor der Conversio erfunden, sondern er konnte sich auf ältere Literatur, wie den Kosmographen von Ravenna, beziehen.5 Überhaupt keinen Widerspruch sah man offenbar auch darin, dass im Schiedsspruch Karls des ­Großen zwischen Salzburg und Ravenna im Jahr 811 die Drau richtig ein Nord- und Südufer aufwies.6 Sowohl Rupert als auch seine Nachfolger sollen entweder persönlich oder durch ihre Priester im u­ nteren ­Pannonien erfolgreich missioniert haben. Während Rupert dort die Saat des Glaubens verbreitet habe, soll Arn im Gefolge von Virgil Priester nach Karantanien und ins untere Pannonien zu den dort an­ sässigen Fürsten und Grafen gesandt und zahlreiche Kirchen errichtet haben.7 Die Verbreitung des Glaubens erstreckt sich in der Conversio also regelmäßig auch in den pannonischen Raum. Die implizit konstruierte geographische Nachbarschaft erleichterte dabei die Erzählung von einer gleichförmig auf beide Regionen erfolgten Christianisierung. 1 Disputatio Pippini regalis et nobilissimi juvenis cum Albino scholastico (ed. Wilhelm Wilmans, in: Zeitschrift für deutsches Altertum 14, 1869) 530–555, hier 532. 1 Herwig Wolfram, Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien. Mit Zusätzen und Ergänzungen (2., gründlich überarbeitete Auflage, Ljubljana/ Laibach 2012). 2 Wolfram, Conversio Bagoariorum 28f. 3 Conversio 1, ed. Wolfram 58. Vgl. den Kommentar zu c. 1, ebd. S. 88. 4 Wolfram, Conversio 160. Vgl. Helmut Reimitz, Liturgical frontiers in Carolingian Pannonia, in: The Transformation of Frontiers. From Late Antiquity to the Carolingians, ed. Walter Pohl/Ian Wood/Helmut Reimitz (The Transformation of the Roman World 10, Leiden/Boston/Köln 2001) 189–207, hier 191f. 5 Wolfram, Conversio 160. 6 DD Kar.I. 211 (ed. Engelbert Mühlbacher, MGH DD Karolinorum 1. Die Urkunden Pippins, Karlmanns und Karls des Großen, Hannover 1906) 282f. 7 Conversio 8, ed. Wolfram 70. *

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Der Anlass für die Erstellung der Conversio lag darin, den ostfränkischen König Ludwig den ­Deutschen für den Standpunkt der Salzburger Kirche in der Auseinandersetzung mit Methodios zu gewinnen, der gemeinsam mit Kyrill bereits bei den Mährern missioniert hatte. Ein Übergreifen der griechischen Lehre auf Pannonien sollte unbedingt verhindert werden. Anlässlich der Regensburger Synode von 870 wurde die Conversio daher Ludwig als Denkschrift überreicht.8 Vergleichbare Programmschriften/Konzepte lagen im 9. Jahrhundert wahrscheinlich in einer größeren Zahl vor, als sie heute überliefert sind, die meisten allerdings in einer weniger aufwendigen Gestaltung, mit einem nicht so bedeutsamen Empfänger und ohne eine feierlichen Übergabe. Diese Faktoren hatten im Vorfeld selbstverständlich Einfluss sowohl auf die Originalität und Homogenität des Textes als wohl auch auf die graphische Gestaltung des nicht überlieferten originalen libellus, die andere Denkschriften oft vermissen lassen. Meist liegen überhaupt nur mehr oder weniger überarbeitete Kompendien vor, die gleichsam eine Vorstufe zu einer Darstellung wie der Text von 870 bildeten. Das mindert den Wert solcher Kompendien für die Forschung keineswegs, denn sie bezeugen noch viel direkter die gedanklichen Aneignungsprozesse, die die Entstehung solcher Denkschriften und Konzepte begleiteten.9 Man kann durchaus davon aus­ gehen, dass auch für die Erstellung der Conversio zunächst Material gesammelt, zusammengestellt und teilweise schon exzerpiert wurde. Solche textuellen Hinterlassenschaften sind daher weniger geglättet und deutlicher von ihren Vorlagen abhängig und graphisch wenig ausgefeilt. Dennoch sollten sie eine vergleichbare Funktion erfüllen wie die Salzburger Denkschrift aus dem Jahr 870: die Etablierung des eigenen Standpunktes und die Durchsetzung spezifischer Interessen. Im Folgenden sollen drei Beispiele aus dem frühmittelalterlichen bayerischen Raum untersucht ­werden, die wie die Conversio Bagoariorum et Carantanorum von der Idee getragen wurden, sich e­ inen bestimmten Raum gedanklich anzueignen. Im ersten Fall handelt es sich um die Aufwertung des e­ igenen Raumes, im zweiten um die Orientierung im Raum, im dritten Beispiel um die Eingliederung eines neu gewonnenen Gebietes. In allen drei Fällen zeigen sich verschiedene Raumkonzepte, wurden unterschiedliche Strategien verwendet und jeweils andere Textgenres zur Gestaltung der Kompendien oder des Textes herangezogen. Zusätzlich verdeutlichen sie einen sehr unterschiedlichen Grad der Ausarbeitung der jeweiligen Aneignungsstrategie. Jeder dieser Texte bediente sich verschiedener räumlicher Ordnungsmodelle, um seine Ansicht durchzusetzen. Keiner kann der Conversio in ihrer historischen Bedeutung den Rang ablaufen, aber sie ergänzen das bisher gewonnen Bild der bayerischen Frühgeschichte. 2. DIE SALZBURGER VERSION DER NOTITIA GALLIARUM Als sich der bayerische Episkopat 870 mit Ludwig dem Deutschen in Regensburg zu Beratungen traf, hatte sich der langjährige Kanzler des Königs, Grimald, kurz davor nach Sankt Gallen zurückgezogen. Er hat seine umfangreiche Bibliothek mitgenommen, die er dem Kloster nach seinem Ableben 872 vermachte.10 Darunter befand sich sein persönliches Handbuch, in dem er im Laufe seiner Karriere als Kaplan in der Hofkapelle unter Ludwig dem Frommen und als Kanzler Ludwigs des Deutschen Texte versammelte, die er in seinem Amt gut gebrauchen konnte.11 Unter diesen Texten findet sich die Notitia Galliarum, ein Werk, das an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert entstand und ursprünglich die Kirchenprovinzen der Gallia auflistete.12 Dieser Text wurde im frühen Mittelalter mehrfach kopiert und verschieden adaptiert.13 In der Version des Grimald-Codex werden als Besonderheit die ­civitates 8 9



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Zum Kontext der Entstehung vgl. Wolfram, Conversio 28–38. Vgl. dazu Maximilian Diesenberger, Der Cvp 420 – die Gemeinschaft der Heiligen und ihre Gestaltung im frühmittel­ alterlichen Bayern, in: Lʼhagiographie mérovingienne à travers ses réécritures, ed. Monique Goullet/Martin Heinzelmann, Christiane Veyrard-Cosme (Beihefte der Francia 71, Ostfildern 2010) 219–248, hier 221f. Vgl. Bernhard Bischoff, Bücher am Hofe Ludwigs des Deutschen und die Privatbibliothek des Kanzlers Grimalt, in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte 3 (Stuttgart 1981) 187–212. Sankt Gallen, Stiftsbibliothek 397. Vgl. Uwe Grupp, Der Codex Sangallensis 397 − ein persönliches Handbuch Grimalds von St. Gallen?, in: DA 70, 2 (2014) 425–463. Albert Lionel Frederik Rivet, The Notitia Galliarum: some questions, in: Aspects of the Notitia Dignitatum, ed. ­Roger Goodnurn/Philip Bartholomew (British Archeological Reports, Suppl. Series 15, Oxford 1976) 119–141. Jill Harries, Church and State in the Notitia Galliarum, in: The Journal of Roman Studies 68 (1978) 26–43. Notitia Galliarum (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora 1, Berlin 1892) 552–612; (ed. Paul Geyer et al., Itineraria et alia geographia, CCSL 175, Turnhout 1965) 380–406.

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der provincia Baioariorum aufgelistet, was ihren Nutzen am Hof Ludwigs des Deutschen erhöhte. Entstanden ist diese Fassung der Notitia aber eine Generation früher am Metropolitansitz der bayerischen Kirchenprovinz, was einerseits die Kopie des Textes in einer Salzburger Handschrift aus der Zeit Erzbischof Adalrams nahelegt.14 Andererseits spricht das Verzeichnis selbst für eine Entstehung des ­Textes unter Erzbischof Arn von Salzburg. Im bayerischen Zusatz steht Salzburg als metropolis civitas an der Spitze der bayerischen Kirchenprovinz, gefolgt von den civitates Regensburg, Passau, Freising, Neuburg und Säben. Die Entstehung dieses Eintrages ist erst ab 798 möglich, als Arn von Salzburg in Rom von Papst Leo III. das Pallium erhielt. Daniel Carlo Pangerl bezeichnet die Notitia Galliarum als ­konzeptionelle Grundlage für die Errichtung des Metropolitansystems und Karl dem Großen als seinen Initiator und legt damit eine zeitnahe Entstehung dieser Liste nahe.15 Tatsächlich erscheint in der Notitia die civitas Nova, also Neuburg, das Bistum, das am Ende des 8. Jahrhunderts von Bischof Sintpert geleitet wurde.16 Am 20. April 798 sandte Leo III. ein Schreiben an den bayerischen Episkopat, darunter auch an Sintpert episcopus ecclesiae Niwinburcgensis, in dem er die Bischöfe unterrichtete, Arn das Pallium verliehen zu haben und sie zum Gehorsam aufforderte.17 Die betroffenen Bischöfe kamen aus Säben, Freising, Regensburg, Passau und Neuburg. Das sind genau jene Episkopate, die auch im Zusatz der Notitia Galliarum erwähnt werden. Aber dabei handelte es sich nur um eine Momentaufnahme, denn bereits am 11. April 800 bezeichnete Leo III. in einem weiteren Schreiben an die bayerischen Bischöfe Sintpert als epicopus Stafnensis aecclesiae, also als Bischof der Kirche von Staffelsee.18 Damit wurde in der älteren Forschung entweder eine Verlegung des Bischofsitzes Neuburg nach Staffelsee behauptet oder auch nur die Erwähnung eines wichtigen Nebensitzes des Bistums argumentiert.19 In einer allerdings sehr spät überlieferten, zu neun Kanones verdichteten Kurzversion der Tripel­ synode von Reisbach, Freising und Salzburg ist im Jahr 799 noch von Simpertus Newburgensis die Rede.20 Wie auch immer die Zusammenhänge zwischen Neuburg und Staffelsee gewesen sein mögen, nach Auskunft der allerdings späteren Translatio sancti Magni schied das Bistum Neuburg in den ­ersten Jahren des 9. Jahrhunderts aus dem bayerischen Metropolitansprengel aus und wurde Augsburg zugeschlagen.21 Dies geschah noch vor dem Tod Sintperts im Jahr 807, der einige Jahre auch in Personal­ union Bischof von Augsburg gewesen war. Der bayerische Zusatz zur Notitia Galliarum wurde also sehr wahrscheinlich zwischen 798 und 807 angelegt, wenn wir der Bezeichnung Sintperts als episcopus Niwinburgensis folgen wollen, dann kommen sogar eher die Jahre 798/99 als Entstehungszeit infrage. Berücksichtigt man andere Handschriften, die im Vorfeld oder zum Zeitpunkt der Installation Arns zum Erzbischof angelegt wurden, dann ist eine Kompilation des Textes um 798 sehr wahrscheinlich.22 Dafür gibt die Salzburger Version selbst Hinweise. Als einzige listet sie nämlich die römischen Kirchen auf und stellt sie sogar an die Spitze des gesamten Textes. So fanden Rom, Ravenna, Grado, Aquileia und Paris, BN, Nouv. acq. lat. 452; zur Handschrift vgl. Bernhard Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, Teil I: Die bayrischen Diözesen (Wiesbaden 31974) 153. Zum Inhalt vgl. Roger E. Reynolds, The Notitia Galliarum: an unusal Bavarian version, in: Readers, Texts, and Compilors in the Earlier Middle Ages. Studies in Medieval Canon Law in Honour of Linda Fowler-Magerl, ed. Martin Brett/Kathleen C. Cushing (Farnham/Burlington 2009) 3–14. 15 Daniel Carlo Pangerl, Die Metropolitanverfassung des karolingischen Frankenreichs (MGH Schriften 63, Hannover 2011) 152–159. 16 Notitia Galliarum, ed. Mommsen 594. 17 Epistolae selectae pontificum Romanorum 3 (ed. Karl Hampe, MGH EE 5, Berlin 1894) 58. 18 Epistolae selectae pontificum Romanorum 5, ed. Hampe 60. 19 Siehe die Belege dazu bei Thomas Groll, Bischof Sintpert in seiner Zeit, in: Der heilige Bischof Sintpert – der fast vergessene Dritte im Bunde. Katalog zur Sonderausstellung im Diözesanmuseum Sankt Afra, 14. September – 21. Oktober 2007, ed. Melanie Thierbach (Augsburg 2007) 8–17, hier 13f. Literaturangaben zu unterschiedlichen Lokalisierungsversuchen des Bistums Neuburg siehe Pangerl, Metropolitanverfassung 119, Anm. 484. 20 Notitia concilii Rispacensis 8 (ed. Albert Werminghoff, MGH LL Concilia aevi carolini 2, 1, Hannover/Leipzig 1906) 214f., hier 215. Zur Datierung der Tripelsynode auf den 20.01.799 vgl. Heinrich Berg, Quellenkundliche und prosopographische Studien zur Kirchengeschichte des österreichischen Raumes im Frühmittelalter (unpubl. Diss., Wien 1986) 28–43. Zu alternativen Datierungsansätzen siehe Pangerl, Metropolitanverfassung 206f., Anm. 264. 21 Translatio sancti Magni (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 4, Hannover 1841) 425–427, hier 425. 22 Siehe dazu Maximilian Diesenberger, Sammeln und Gestalten – Erinnern und Vergessen. Erzbischof Arn von Salzburg und die Ursprünge des Salzburger Episkopats, in: Die Suche nach den Ursprüngen, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Ge­ schichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 171–189. 14

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Mailand Aufnahme in diesen Text.23 Dann erst folgen die drei gallischen Provinzen Lyons mit ihren civitates, mit der die ursprüngliche Version der Notitia Galliarum eigentlich beginnt. Diese Hinwendung zu Rom ist unmittelbar im Zusammenhang mit der Erhebung Salzburgs zum Metropolitansitz in Bayern zu sehen. Denn in dieser bayerischen Version präsentiert die Notitia eine Kirchenorganisation, die ihre Legitimität von Rom aus bezog. Gerade für den Salzburger Metropoliten war eine solche Darstellung um 800 von großer Bedeutung, musste doch zu dieser Zeit der römische Bischof Leo dem bayerischen Episkopat in Erinnerung rufen, dem neu bestellten Metropoliten gehorsam zu sein.24 Spuren von einem Beharren der bayerischen Bischöfe an der herkömmlichen gleichrangingen Ordnung zeigen sich gerade anlässlich der Reisbacher Synode, an der Arn erstmals als Erzbischof auftrat. Im Zuge einer Schenkung, die während der Synode vorgenommen wurde, reihte der unbekannte Schreiber die anwesenden ­Bischöfe in der Zeugenliste ihrem Amtsalter nach und nicht entsprechend der neuen hierarchischen Ordnung mit dem Erzbischof an der Spitze.25 Und auch in der späteren Kurzversion der Reisbacher ­Synodalakten erscheint Arn erst als zweiter in der Liste der anwesenden Bischöfe.26 Offenbar konnte oder wollte sich der Salzburger Erzbischof bei dieser Synode bzw. in diesen Texten nicht an die Spitze des versammelten Episkopats setzen. Auf alle Fälle waren mahnende Worte aus Rom vonnöten. Eine Gelegenheit, Leo persönlich über den Widerstand des bayerischen Episkopats zu unterrichten, hatte der bayerische Metropolit in dieser Zeit zur Genüge: Arn hatte den römischen Bischof nicht nur 798 in Rom getroffen, wo er das Pallium erhielt, sondern geleitete diesen 799 von Paderborn zurück nach Italien, wo er Leo, Paulinus von Aquileia, Petrus von Mailand und einigen nicht genannten Kirchen­fürsten Grüße von Alkuin bestellen sollte, also jenen Metropoliten, deren civitates auch in der bayerischen Version der Notitia Galliarum aufscheinen.27 Im Zuge dieser Zusammenkünfte hatte Arn mit dem römischen Bischof auch über die Pläne der Kirchenorganisation diskutiert, die schon seit ­Gregor II. vorlagen. In seinem Schreiben an den bayerischen Episkopat nimmt Leo III. deutlich darauf Bezug.28 Gleichzeitig fertigte ein Salzburger Schreiber eine sorgfältige Abschrift des Briefes Gregors II. an den bayerischen Episkopat über diese Pläne zur Organisation der bayerischen Kirchenprovinz an und fügte diese einer Sammlung von Briefen Gregors des Großen hinzu.29 Arns Diskussionen mit Leo über die bayerischen Verhältnisse sind in Salzburg gut dokumentiert. Die Liste der provincia Baioariorum selbst wurde der secunda provincia Germania angegliedert, die in der Salzburger Version aber aus den civitates der provincia prima besteht. Köln und Tongeren (eigentlich Lüttich) werden im Gegensatz zur Vorlage als die beiden civitates der ersten germanischen Provinz aufgelistet. Die Bevorrangung Kölns könnte auf die besonderen Beziehungen Arns mit Erz­ bischof Hildebold von Köln zurückgehen. Gemeinsam hatten die beiden Erzbischöfe Leo III. im Jahr 799 nach Rom zurück geleitet. Nur wenig später wurde das Kloster Mondsee von Karl dem Großen unter die Jurisidiktion des Kölner Erzbischofs gestellt.30 Die Salzburger Version der Notitia Galliarum lichtet also Verhältnisse um 800 ab, und zwar aus einer Salzburger Perspektive. Viele Abweichungen gegenüber den anderen Versionen sind so erklärbar, nicht aber alle Eigentümlichkeiten dieses Textes: Dass Vienne in der Liste als Meninsis bezeichnet wird, gibt eher über die Nachlässigkeit des Kompilators oder seiner Vorlage Auskunft, als über ein spezifisches Notitia Galliarum (Salzburger Version) (ed. Roger E. Reynolds, The Notitia Galliarum: an unusal Bavarian version, in: Readers, Texts, and Compilors in the Earlier Middle Ages. Studies in Medieval Canon Law in Honour of Linda Fowler-­ Magerl, ed. Martin Brett/Kathleen C. Cushing, Farningham–Burlington 2009) 11–14, hier 11. 24 Epistolae selectae pontificum Romanorum 5, ed. Hampe 61; vgl. Stephan Freund, Von den Agilolfingern zu den ­Karolingern. Bayerns Bischöfe zwischen Kirchenorganisation, Reichsintegration und Karolingischer Reform, 700-847 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 144, München 2004) 195f. Vgl. Epistolae selectae pontificum Romanorum 4, ed. Hampe 60, wo Leo von der provincia Baiwariorum spricht. 25 Die Traditionen des Hochstifts Freising 181 (ed. Theodor Bitterauf, Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF 4, München 1905) 173. 26 Notitia concilii Rispacensis, ed. Werminghoff 215. Vgl. dazu Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (Wien 1987) 208. 27 Alkuin, Epistola 186 (ed. Ernst Dümmler, MGH, EE 4, Berlin 1895) 312f. 28 Epistolae selectae pontificum Romanorum 5, ed. Hampe 61. 29 Vgl. Diesenberger, Sammeln und Gestalten 176–178. 30 Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (Österreichische Geschichte 378– 907, Wien 1995) 190f. 23

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Desinteresse.31 Die verwirrende Gestaltung der dritten Provinz von Lyon verdeutlicht seine Unkenntnis der Verhältnisse in den weit entfernten Regionen Bretagne und Maine.32 Dass die Namen der benachbarten provincia Sequanorum mit wenigen Ausnahmen nicht dem tatsächlichen Stand um 800 entsprechen, geht wahrscheinlich auf sein Desinteresse zurück.33 Die Aufnahme von Konstanz, Eichstätt und Augsburg in die provincia Germania secunda verdeutlicht seine Kenntnisse über die Nachbarprovinz, mit der man eine gemeinsame Geschichte teilte.34 Grundsätzlich ist kein klar strukturiertes Organisationsprinzip erkennbar, das von einer größeren ­Perspektive aus geleitet wurde. Die Salzburger Liste in ihrer überlieferten Form diente daher keinesfalls als Vorlage für einen am Hof entwickelten Organisationsplan einer Metropolitanstruktur, könnte aber durch eine solche angeregt worden sein. Für einen am Hof erstellten Text mangelt es ihr an einer ­korrekten Wiedergabe aller Kirchenprovinzen. Vielmehr handelte es sich um ein Dokument, das eine ­regionale Perspektive wiedergibt. Der Blick fokussiert auf die eigene Kirchenprovinz, auf ihre Nachbarn und Verbündeten und wird daher an den Rändern unschärfer oder weist an manchen Stellen sogar blinde Flecken auf. Eine genaue Wiedergabe aller civitates in den aus Salzburger Perspektive peripheren ­Kirchenprovinzen war nicht notwendig. Bedeutsam war nur, dass die Liste in den groben Zügen richtig und vor allem (wieder)erkennbar war. Eine zu große Umgestaltung und Veränderung des Textes hätte seine Erkennbarkeit und damit letztlich auch seine Nutzbarkeit (und Glaubwürdigkeit) eingeschränkt. Welche Maßstäbe bei der Auswahl der einzelnen Städte und Bischofssitze angelegt wurden, ist oft schwer zu bestimmen. Eine exakte Wiedergabe aller Daten war aber nicht das entscheidende Kriterium. Darüber hinaus lichtete der Text schon bald nach seiner Entstehung nicht mehr die tatsächlichen Verhältnisse in der bayerischen Kirchenprovinz ab, behielt aber trotzdem ihre legitimierende Funktion.35 Für die Salzburger war es entscheidend, die bayerische Kirchenprovinz in ein größeres Ganzes einzufügen, um ihre Gleichrangigkeit mit den „gallischen“ Provinzen zu demonstrieren. Ein alter, weit verbreiteter, prestigeträchtiger und vielleicht sogar am Hof verwendeter Text bot die ideale Grund­ lage, um die Sichtbarkeit der bayerischen Kirche unter den anderen zu erhöhen und ihre spätantiken bzw. frühchristlichen Wurzeln zu demonstrieren. So bezeichnet der unbekannte Kompilator den neuen ­Metropolitansprengel nicht nur als provincia Baioariorum, sondern auch als Noricus Ripensis super Danubium sive Noricus Mediterranea.36 In den Jahren der Etablierung der Metropolitanstruktur und angesichts der bestehenden Wider­ stände der Suffragane gegen den Salzburger Erzbischof verdeutlichte die Salzburger Version der Notitia ­Galliarum, dass der bayerische Episkopat unter der Führung Salzburgs in dem großen und alten Verbund der gallischen Kirchen angekommen war. Die Aufnahme der italienischen Diözesen an die Spitze der Liste machte zudem klar, dass damit nicht nur eine Eingliederung in eine nun von Franken dominierte Kirchenlandschaft gemeint war, sondern dass diese Metropolitanstruktur von Rom legitimiert und angeführt wurde. 3. DIE HANDSCHRIFT DES WESSOBRUNNER GEBETS Aus dem Kloster Wessobrunn ist eine Handschrift überliefert, die wie das persönliche Handbuch ­Grimalds von einer Person über eine längere Zeitspanne hinweg mit verschiedenen Texten angereichert wurde.37 Der Codex wurde von einer Hand aus dem bayerisch-alemannischen Raum kontinuierlich ­angelegt und kurz nach 814 fertiggestellt. In einer kurzen Chronik, die das schmale Kompendium von 98 (gezählt 99; Bl. 8 ist verloren) Blättern auf fol. 99v abschließt, wird der Tod Karls des Großen und 33 34 35

Reynolds, The Notitia Galliarum 10. Notitia Galliarum (Salzburger Version), ed. Reynolds 11. Notitia Galliarum (Salzburger Version), ed. Reynolds 13. Notitia Galliarum (Salzburger Version), ed. Reynolds 12. Vgl. Paris, BN, Nouv. acq. lat. 452, wo sie gemeinsam mit einer Kompilation liturgischer und kanonischer Texte überliefert ist, die in Salzburg im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts im Zuge der Reformbemühungen Ludwigs des Frommen entstand. Siehe auch Rom, Città del Vaticano, BAV, Reg. lat. 407: gemeinsam mit der Collectio duorum librorum ist die ­Notitia auch Bestandteil einer Mischhandschrift aus dem Umkreis Sankt Gallens aus dem dritten Viertel des 9. Jahrhunderts. 36 Notitia Galliarum (Salzburger Version), ed. Reynolds 12. 37 München, BSB, Clm 22053. 99 gezählte Blätter (1 Blatt Verlust), bestehend aus 5 Teilen: Vgl. Bischoff, Südostdeutsche Schreibschulen 1, 20. 31 32

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die Übernahme der Herrschaft durch Ludwig angezeigt.38 Die Handschrift besteht aus fünf Teilen, die sehr unterschiedliche Texte überliefern.39 Der erste Teil beginnt mit der Inventio sanctae crucis, die mit den ersten farbigen Darstellungen der Kreuzauffindungslegende im nordalpinen Raum versehen wurde, reicht über die Schrift De situ terrae sanctae des Theodosius bis hin zu kleinen biblischen Schriften und theologischen Kommentaren, die meist als Exzerpte Aufnahme in dieser Sammlung fanden.40 Der zweite Abschnitt (foll. 22-66) überliefert eine Sammlung von meteorologisch-geographischen Texten, die aus unterschiedlichen Quellen zusammengesetzt wurde und mit dem berühmten ­Wessobrunner Gebet seinen Abschluss findet. Der unbekannte Kompilator verwendete Isidors Etymo­ logiae, die Dimensuratio provinciarum und auch die Notitia Galliarum als Vorlage. Die kleineren ­topographischen Texte starten auf fol. 57v mit Exzerpten aus Isidors Etymologiae 15, 15, wo über De mensuris agrorum die Rede ist. Nach einem einleitenden Satz, was überhaupt messbar ist, geht Isidor auf die partes des orbis ein, um von diesen über die Provinzen, Regionen bis auf die kleinsten messbaren Einheiten zu kommen. Der Kompilator aber identifiziert die partes gleich als Assia, Affrica und ­Euruppa, in denen sich Provinzen befinden, wie die Galliga et Germania, Equitania et Italia et Spania und wie die Alamannia et Baiuuaria.41 Gleich zu Beginn lässt der Kompilator also sein Interesse an den beiden letztgenannten Regionen erkennen. Danach folgt er dem Text Isidors über die Maßeinheiten ­weiter und geht danach kurz auf das Kapitel De itineribus über (15, 16, 1-3), um dann mit einem Abschnitt der Dimensuratio provinciarum über die Germania, Retia, ager Noricus fortzufahren.42 Danach ergänzt er Informationen über die Donau aus Isidors Etymologiae 13, 21, 28.43 Der Autor setzt schließlich Istria mit Peigiria gleich und den Ister mit Danobius. Daraufhin folgt ein eigenständiger Text, in dem der Autor eine etymologische Deutung des Bayern­ namens wiedergibt: Baucueri ex proprie ethimologia origo vocabulorum lingue nomen sumpserunt. Baugo bedeute nämlich bei ihnen corona, ver aber bedeute vir, so wird aus dem baucver ein coronatus vir. „Und deshalb wird jene Nachkommenschaft in der Ableitung ihrer eigenen Sprache coronati viri­ genannt.“ Diese Herleitung des Bayernnamens aus einem namengebenden Eponym ist die ­einzige, die aus dem frühen Mittelalter überliefert ist. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine ge­lehrte ­Konstruktion, die, obwohl sie zweifach darauf hinweist, dass die Erklärung des Namens aus dem ­Bayerischen selbst stammt, nicht aus dem Althochdeutschen abzuleiten ist. Das trifft vor allem auf die Gleichsetzung baugo = corona zu, die sich allenfalls aus dem angelsächsischen beág herleiten lässt.44 Über diese Deutung des Bayernnamens wurde in der altgermanistischen Forschung viel diskutiert, eine zufriedenstellende Erklärung wurde aber bis heute nicht gefunden. Es mag sein, dass mancher zeit­ genössischer Leser, wie von Teilen der Forschung vorgeschlagen, unter dem vir coronatus einen Geschorenen, also einen Mönch vermutete, und eine Anspielung auf den 788 zum Mönch geschorenen Tassilo erkannte, ist ansprechend, kann aber nicht nachgewiesen werden.45

München, BSB, Clm 22053, fol. 99v: DCCCXV Indictione VIII in isto anno XXI. Cal. Maii. Pascha et in eodem anno ­defuncto gloriosissimus Carolus rex et constitutus fuit filius eius Hluduvigus rex in regnum suum. 39 Clm 22053, foll. 1–21, 22–66, 67–76, 77–92, 93–99. 40 Clm 22053, foll. 1r–21r. 41 Clm 22053, fol. 58r. 42 Clm 22053, fol. 59v; vgl. Dimensuratio provinciarum § 19 (ed. Alexander Riese, Geographi Latini Minores, Heilbronn 1878, 2. Nachdruck Hildesheim/Zürich/New York) 9–14, hier 12. 43 Isidor von Sevilla, Etymologiae 13, 21, 28 (ed. W.M. Lindsay, Oxford 21987): Danubius Germaniae fluvius vocari fertur a nivium copia quibus magis augetur. Iste est qui in Europa plus omnibus habet famam. Idem et Ister, quia dum per ­innumeras vadit gentes, mutat et nomen et maiores sibi ambiendo colligit vires. Oritur a Germanicis iugis et occidentalibus partibus barbarorum, pergens contra orientem: sexaginta in se fluvios recipit: septem ostiis in Pontum influit. 44 Siehe dazu Norbert Wagner, Zu den geographischen Glossen der Wessobrunner Handschrift Clm 22053, in: Althochdeutsch 1: Grammatik, Glossen und Texte, ed. Herbert Kolb/Rolf Bergmann/Heinrich Tiefenbach/Lothar Voetz (Heidelberg 1987) 508–531, hier 26. 45 Conrad Hofmann, Über die Herleitung des Namens Baier, in: Germania. Vierteljahrsschrift für deutsche Alterthumskunde 7 (1862) 470–475, hier 472. 38

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Nachdem der Autor über die Bayern berichtete, fährt er mit der Dimensuratio provinciarum § 20 über die Gallia comata fort.46 Schließlich folgen zwei Listen, die er selbständig zusammengestellt hat. Die eine ist betitelt: Hec nomina de variis provintiis,47 die andere bezeichnete er als De ­civitatibus.48 In ­beiden Listen setzte er neben die lateinische Bezeichnung ihre althochdeutsche Entsprechung. Manche Entsprechungen sind heute nachvollziehbar, wie Hybernia. scottono lant, oder Germania. ­franchonolant. In manchen Fällen bietet der Autor zwei Bezeichnungen an: Italia. lancpartolant. ­Ausonia auh ­lancpartolant oder Equitania. uuasconolant. Uascea. uuascun. Aber schon die Auflösung des letzten Beispiels macht Schwierigkeiten. Folgende Gleichsetzungen sind ebenfalls in ihrem jeweils zweiten Teil schwer zu interpretieren. Das Paar Domnoniam. Prettonolant ist klar, während Bruteri. prezzun einige Fragen aufwirft. Callia. Uualholant ist ohne Schwierigkeiten zu verstehen. Chortonicum. auh.uualholant aber nicht. Ein Chortonicum sucht man vergeblich in den geographischen Traktaten des frühen Mittelalters. Es findet sich aber im ersten Dialog des Sulpicius Severus. Dort wird Martins Schüler Gallus aufgefordert über den Heiligen zu erzählen. Dieser gibt sich bescheiden:

„Ich bin zwar einer solchen Bürde nicht gewachsen, allein die Beispiele des Gehorsams, die Postumianus soeben angeführt hat, zwingen mich, die mir zugedachte Aufgabe nicht zurückzuweisen. Aber bei dem Ge­ danken, daß ich als Gallier vor Aquitaniern sprechen soll, überkommt mich die Furcht, mit meiner bäurischen Ausdrucksweise euer allzu feines Ohr zu beleidigen. Gleichviel, ihr werdet mir, Gurdonicum hominem, zuhören, der ohne eitles Phrasengeklingel redet. Habt ihr nämlich zugestanden, daß ich ein Schüler Martins bin, so müßt ihr es auch gelten lassen, daß ich, seinem Beispiel entsprechend, unnützes Wortgepränge und Redeschmuck verachte“. „Sprich keltisch oder, so du lieber willst, gallisch“, fiel ihm da Postumianus ins Wort, „wenn du nur endlich von Martinus erzählst. Ich glaube jedoch, daß es dir, selbst wenn du stumm wärest, nicht an Worten gebräche, wenn es gilt, mit beredtem Munde über Martinus zu sprechen …“49

Ohne Mühe konnte der Leser des Textes den Unterschied zwischen Aquitanien und Gallien, zwischen dem Keltischen und Gallischen vergegenwärtigen und bei der seltsamen Selbstbezeichnung als homo Gordonicus eine ihm unbekannte Bezeichnung für Gallien vermuten. Tatsächlich war diese Bezeichnung schon vielen Kopisten des Textes unklar: die Varianten reichen von Gurdonicum, Gorgonicum bis zu Gorthonicum. Auch die Sprachwissenschafter boten unterschiedlichste Deutungen zu diesem Begriff an: sie werteten diese Selbstaussage als eine sonst Herkunftsbezeichnung aus Gallien, als verderbte Lesung von Turonicum (Tours), oder als Ortsbezeichnung von Gortona, dem heutigen Sancerre. Andere legten eine Assoziation mit gurdus nahe oder aber auch von coturnus.50 Was auch immer die korrekte Lesart bietet, im Codex Veronensis, der ältesten Überlieferung, dessen Abschrift in Bayern um 800 zur Verfügung stand,51 findet sich die Variante Gorthonicum, die dem Chorthonicum der Wessobrunner Handschrift doch recht nahe kommt. Der Kompilator unserer Handschrift oder der Autor seiner Vorlage ließ also sehr unterschiedliche Informationen in seinen Text einfließen, auch wenn es nur gelehrtes Wissen war. Für manche anderen Einträge sind wohl vergleichbare Quellen anzunehmen. Die Gleichung Cyuuuari.suapa hat die Phantasie ganzer Generationen von Philologen beflügelt, wurde aber immer noch nicht zufriedenstellend 48 49

Clm 22053, fol. 61r. Vgl. Dimensuratio provinciarum § 20, ed. Riese 12. Clm 22053, foll. 61r–62v. Clm 22053, foll. 62v–63r. Sulpicius Severus, Dialogus I, 27 (ed. Karl Halm, CSEL 1, Wien 1866) 179: Ego plane, inquit Gallus, licet impar sim tanto oneri, tamen relatis superius a Postumiano obedientiae cogor exemplis, ut munus istud quod imponitis, non recusem: sed dum cogito, me hominem Gallum inter Aquitanos verba facturum, vereor ne offendat vestras nimium urbanas aures sermo rusticior. Audietis me tamen ut Gurdonicum hominem, nihil cum fuco aut cothurno loquentem: nam si mihi tribuitis Martini me esse discipulum, illud etiam concedite, ut mihi liceat exemplo illius inanes sermonum phaleras et verborum ornamenta contemnere. Tu vero, inquit Postumianus, vel Celtice; aut, si mavis, Gallice loquere, dummodo iam Martinum loquaris. Ego autem profiteor, quia, etiamsi mutus esses, non defutura tibi verba, quibus Martinum quamvis facundo ore loquaris … 50 Zu den verschiedenen Interpretationen vgl. Paul Grosjean, Gurdonicus, gort(h)onicus, un terme à rayer des dictionnaires gaulois et latins, in: Archivum Latinitatis Medii Aevi 24 (1954) 117–126. Alderik H. Blom, Lingua gallica, lingua celtica: Gaulish, Gallo-Latin, or Gallo-Romance?, in: Keltische Forschungen 4 (2009) 7–54, hier 11–16. 51 Verona, Biblioteca Capitolare, Cod. XXXVIII (36); vgl. München, UB, Cod. 4° 3. Siehe dazu auch Maximilian ­Diesen­berger, Framing the Sacramentary of Prague: Munich, University Library, Ms. 4° 3 and its context, in : The Prague S ­ acramentary. Culture, Religion, and Politics in Late Eighth-Century Bavaria, ed. ders./Rob Meens/H.G.E. Rose (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 22, Turnhout 2016) 59–76. 46 47

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aufgelöst.52 Die Liste ist aber auch sehr nachlässig ausgeführt worden. Ispania mit beneventonolant gleichzusetzen geht wohl auf einen Zeilensprung beim Abschreiben der Vorlage zurück. Trotzdem ­wusste der Kompilator in seiner Umgebung sehr gut Bescheid. Dass die Pannonia den mittleren Teil der Donau umgibt, ist richtig beobachtet, dass dort Uuandoli leben, ebenfalls. Wir werden darauf zurückkommen. Im Verlauf des Textes erwähnt der Autor erneut Arnoricus, wohl für Ager Noricus, und setzt es mit peigiro lant gleich. Er schließt mit den Paaren Istrię. paigira. Ister. Danobia an, die er aus Isidors Etymologiae zusammenfügte.53 Nun wollte er sich offenbar über dort lebende gentes äußeren. Zunächst schrieb er Sclavuus et avarus. In den nächsten beiden Zeilen hatte er schon Palestina und iudeonolant hoc est / circa hierosolima verzeichnet, als er bemerkte, dass er noch mehr Material zum vorigen Eintrag hatte. Deswegen ergänzte er nun die Zeile von Sclavus et avarus (jeweils in Singular) mit huni et ­uuinida (im Plural). Die nächste Zeile war mit dem ersten Teil des Palästina-Eintrags blockiert. In der Zeile darauf konnte er noch uuandali. huni plazieren und in der Zeile danach, die er, nachdem er sein Versehen bemerkt hatte, frei gelassen hatte, vollendete er den Eintrag mit: et citta auh uuandoli. Insgesamt unterschied er also zwischen Slawen und Awaren, die er jeweils mit Wenden und Hunnen gleichsetzte, wenn man die Gegenüberstellung als Chiasmus begreifen kann. Die Hunnen und Skythen werden daran anschließend auch noch mit den Wandalen gleichgesetzt.54 Die darauf folgenden Einträge folgen mehr oder weniger Isidors Etymologiae, wobei diese manchmal nur als Anregung für eigene gedankliche Verknüpfungen dienten: Anstelle der regio Aegypti ­Thebaica bei Isidor schreibt der Autor: Thebaida illa patria inde fuit mauricius.55 Die Liste der civitates ist weitaus kürzer als jene der Provinzen. Sie startet mit einem sehr kurzen Exzerpt der Notitia Galliarum, das mit Lyon beginnt. Der Text bietet sowohl eine Ableitung aus dem Lateinischen (Luctuna) als auch das ahd. Liutona, das sich in keiner Abschrift der Notitia Galliarum findet, wohl aber in einem süddeutschen Glossar aus dem 9. Jahrhundert, wo ein Schreiber vermerkt: Lugdunum: quod in lingua nostra dicitur liutana.56 Die Aufnahme Lyons könnte durch den in dieser Metropole residierenden Bayern Leidrad motiviert gewesen sein. Dann folgen Straßburg, Speyer und Worms, die in der Notitia Galliarum zur Provincia Germania ­prima zählen, deren metropolis civitatis Mainz in der Wessobrunner Handschrift jedoch keine Berücksichtigung fand.57 Dafür wird noch Köln aufgenommen, gefolgt von Constantinopoli. costantinuses puruc und Neapolis. Civitas nova. Danach kehrt der Kompilator ein letztes Mal auf bayerische Verhältnisse zurück. Norica setzt er mit reganespuruc gleich. In der nächsten Zeile folgt allerdings ein Allofia, das neben radasponsa steht. Darunter die Paare Betfagia. Pazauua / Valvicula.salzpuruc. Damit endet die Liste. Wie schon bei manchen Provinznamen versammelte der Kompilator mehrere Bezeichnungen für eine civitas. In diesem Fall sind es zwei Bezeichnungen für Regensburg. Während Reganespuruc der ältere Namen ist, taucht Radaspona früh in der Vita Haimhrammi Arbeos von Freising auf, in der er der urbs eine besondere Bedeutung zumaß.58 Sie wird als locus amoenus beschrieben, ihre steinernen Fundamente, ihre herausragende Lage und ihr Alter machen sie zu einem würdigen Zentrum Bayerns, in dem Herzog Theodo die Missionare Emmeram (und Rupert) empfing. Um die Besonderheit des ehemaligen römischen castrum zu erhöhen, verwendete Arbeo offenbar einen alternativen, romanisierten Namen anstelle des geläufigen althochdeutschen Regensburg. Die Bezeichnung dürfte schon vorhanden gewesen sein, war aber in der schriftlichen Hinterlassenschaft bisher nicht verwendet worden. Wenn Ludwig Rübekeil, Diachrone Studien zur Kontaktzone zwischen Kelten und Germanen (Österreichische Akademie der Wissenschaften, philosophisch–historische Klasse, Sitzungsberichte 699, Wien 2002) 387–394; Vgl. Wagner, Zu den geographischen Glossen 519–523, mit ausführlichen Literaturangaben. 53 Isidor von Sevilla, Etymologiae 14,4,16–17. 54 Siehe dazu auch Roland Steinacher, Wenden, Slawen, Vandalen. Eine frühmittelalterliche pseudologische Gleichsetzung und ihre Nachwirkungen, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 329–353, hier 332f. 55 Isidor von Sevilla, Etymologiae 15, 1, 35; vgl. Clm 22053, fol. 62v. 56 München, BSB, Clm 14747, fol. 90v; vgl. Wagner, Zu den geographischen Glossen 528. 57 Clm 22053, fol. 62v. 58 Albrecht Greule, Radaspona, Castra Regina, Reganesburg. Wie unsere Stadt zu ihren Namen kam, in: Kriegsende und Neubeginn. Mit einem Sonderteil Papst Benedikt XVI., ed. Konrad Maria Färber (Regensburger Almanach 2005. Regensburg 2005) 80–87. 52

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man der Vita Hrodberti ein höheres Alter attestieren möchte, wozu es gute Gründe gibt, dann kann dieser Name aus der Salzburger Romanitas stammen. Denn auch die Rupertlegende kennt die Bezeichnung ­Radesbona für Regensburg. Zudem erläutert Virgil im selben Text den antiken Namen der Stadt ­Iuvavum.59 Die Bischöfe der späten Agilolfingerzeit waren offensichtlich sehr bemüht, die antiken ­Wurzeln Bayerns besonders hervorzuheben. Dass Regensburg als Norica bezeichnet wird, ist ungewöhnlich. Sehr wahrscheinlich hat der unbekannte Kompilator den Provinznamen Noricum, der allerdings erst am Ende des 8. Jahrhunderts für Bayern, vor allem in der Salzburger Version der Notitia Galliarum aufkommt und beim Autor selbst (Ager Noricum = Peigirolant!) als Synonym für Bayern verwendet wurde,60 mit der Femininendung – a ausgestattet, wie er etwa auch Lugdunum zu Luctuna machte, um damit anzuzeigen, dass Regensburg die „Hauptstadt“ Noricums, also Bayerns ist. Warum die Liste nicht die anderen bayerischen Bischofs­ sitze erwähnte, ist nicht nachzuvollziehen. Um die Bezeichnungen Allofia, Betfagia und Valvicula ist viel gerätselt worden. Komplizierte Verschleifungen von lokal gebräuchlichen Bezeichnungen für die genannten Orte sind nicht zu vermuten. Es ist eher anzunehmen, dass eine Liste von biblischen ­Orten mit der Aufzählung der bayerischen Bischofssitze vermengt wurde. Allophyla, und Betphage sind aus der Bibel bekannt. Auch Valvicula könnte als verschriebenes Vallicula eine biblische Entsprechung finden.61 Insgesamt ist der geographische Abriss in der Handschrift des Wessobrunner Gebets ein origineller, aber oft auch nachlässiger Versuch, aus älteren Texte eine geographische Ordnung mit einem Schwerpunkt auf Bayern zu gewinnen. Manche der Verschreibungen, Zeilensprünge und in Unordnung ge­ ratenen Listen dürfen allerdings nicht dem Schreiber angelastet werden, sondern gingen auf seine Vorlagen zurück. Im Zusammenhang mit der Dimensuratio provinciarum wird das besonders deutlich. Der Kompilator hatte offensichtlich eine fehlerhafte Abschrift zur Verfügung, die anstelle [...] a meridie iugis Alpium [...] ein unverständliches [...] a meridie iugis achemei [...] wiedergibt, das sich nun auch im Wessobrunner Codex findet.62 Aber schon der bayerische Kopist konnte damit wenig anfangen und fügte hinzu: sic est vocabula montis.63 Er versuchte durchaus das Beste aus seinen Texten zu machen. Trotzdem blieb sehr viel Unverständliches zurück. Eine genauere Herkunft des Kompendiums zu bestimmen, ist paläographisch nicht möglich. Es gehört zu einer kleinen Gruppe von Handschriften, für die Bernhard Bischoff die Diözese Augsburg als Herkunftsgebiet identifiziert, Augsburg selbst und Benediktbeueren aber als Entstehungsorte ausdrücklich ausschloss.64 Im geographischen Abschnitt der Handschrift des Wessobrunner Gebets taucht der Name Augsburg erst gar nicht auf, stattdessen wird Regensburg hervorgehoben. Bernhard Bischoff hat eine Herkunft des Codex aus dem gut dokumentierten Skriptorium Regensburg zwar ebenfalls zurückgewiesen. Ein Interesse an der ehemaligen Herzogsstadt ist aber im Clm 22053 ebenso bezeugt wie in einer anderen Handschrift aus dieser Gruppe. Ein Codex aus Wolfenbüttel überliefert die Annales Guelfybertani, für dessen Anlage derselbe Schreiber verantwortlich zeichnete, der auch die Handschrift des Wessobrunner Gebets zusammenstellte.65 In den Annalen wurde die Anwesenheit Karls des Großen in Regensburg nach 788 genauer notiert (791, 792, 793 und 803) als in allen anderen Texten.66 Die Vita Hrodberti episcopi Salisburgensis 4 (Radesbona) und 6 (Iuvavum) (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 6, Hannover/Leipzig 1913) 140–162, hier 158 und 160. 60 Vgl. auch Paulus Diaconus, Historia Langobardorum III, 30 (ed. Ludwig Bethmann/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878) 12–187, hier 109. Siehe Richard Heuberger, Natio Noricorum et Pregnariorum. Beiträge zur Frühgeschichte der Baiern und der Alpen-Romanen, des Eisacktales und des Vintschgaus, in: Veröffentlichungen des Ferdinan­ deum 10 (1930) 1–52, hier 22–28. Helmut Reimitz, Grenzen und Grenzüberschreitungen im karolingischen Mitteleuropa, in: Grenze und Differenz im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Helmut Reimitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 1, Wien 2000) 105–166, hier 125f. 61 Wagner, Zu den geographischen Glossen 530f. 62 Clm 22053, fol. 60r. Vgl. Dimensuratio provinciarum § 18, ed. Riese 12. 63 fol. 60r. 64 Bischoff, Südostdeutsche Schreibschulen 1, 18f. 65 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 67.5 Aug 8°; Annales Guelferbytani (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 22–31 und 45f. 66 Annales Guelferbytani aa. 791, 792, 793 und 803, ed. Pertz 45. Vgl. dazu die Annales regni Francorum aa. 791, 792, 793 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895) 86, 90, 92. Siehe dazu Ildar H. Garipzanov, Annales Guelferbytani: Changing perspectives of a local narrative, in: Zwischen Niederschrift und Wiederschrift: Früh59

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Errichtung des bayerischen Metropolitansprengels mit Salzburg an der Spitze findet dagegen keine Erwähnung. Das Desinteresse an der neuen Metropolitanstruktur lichtet sich auch in der civitates-Liste der Wessobrunner Handschrift ab, in der Regensburg gegenüber Passau und Salzburg öfter erwähnt und auch an die Spitze gestellt wurde. Darüber hinaus interessierte sich der Schreiber der Annalen für Be­lange im Elsass, was ebenfalls eine Entsprechung in der civitates-Liste findet, wo von allen verzeichneten Bischofsitzen der Notitia Galliarum neben Lyon und Köln nur Straßburg, Speyer und Worms Aufnahme fanden.67 Ildar Garipzanow hat darauf hingewiesen, dass der spiritus rector der Annales Guelfybertani über Informationen aus Hofkreisen verfügte, und hat daher eine Entstehung in Regensburg vermutet.68 Tatsächlich ist eine Herkunft des Codex aus Regensburg für die vermuteten Kontakte nicht notwendig, denn auch die bayerischen Bischöfe waren eng mit den Hofkreisen verbunden. Das ist für Arn von Salzburg eindeutig nachgewiesen, aber auch bei Bischof Sintpert von Neuburg zu belegen, der ein M ­ andat 69 Karls des Großen an Arn anlässlich der Tripelsynode von 799 übermittelte. Neuburg als Entstehungsort der Handschriftengruppe ist in der Literatur öfter in die Diskussion eingebracht worden.70 Es spricht ­einiges dafür, dieser Spur zu folgen. Zunächst war Sintpert in den frühen 790er Jahren Abt von Murbach. Das könnte das Interesse am Elsass, das in der civitates-Liste der Wessobrunner Handschrift und an den Einträgen zum Kloster Murbach in den Annales Guelfybertani erkennbar ist, erklären.71 Sintpert war zudem als Bischof für Augsburg und dann auch für Neuburg (bzw. Staffelsee) zuständig. Als ­Bischof von Neuburg erhielt er auch wie die anderen Suffragane Salzburgs den Brief Leos III. am 20. April 798. Die civitas nova erscheint in der Salzburger Version der Notia Galliarum als Teil des ­bayerischen Metropolitan­sprengels. In der civitates-Liste der Wessobrunner Handschrift ist nicht direkt von Neuburg die Rede, aber durchaus von einer civitas nova, die mit neapolis gleichgesetzt wird.72 Für eine Entstehung in Neuburg könnte auch eine vielleicht vom selben Schreiber in die ­Wessobrunner Handschrift kopierte Freilassungsurkunde sprechen, die zwischen 788 und 801 ausgestellt wurde und in der von einem Ort namens Hesilinloh die Rede ist.73 Ein solcher ist sowohl im Münchener Raum bezeugt als auch in unmittelbarer Nähe von Neuburg nördlich der Donau.74 Für eine Entstehung der Handschrift in Neuburg spricht auch das Interesse des Schreibers an der ­Donau, die er in seiner Kompilation mehrfach erwähnt und die als Orientierungsachse dient: 1. Als deutlich wahrnehmbare Südgrenze erscheint die Donau in der Beschreibung der Germania in der ­Dimensuratio (60r). 2. Danach folgen die Informationen aus Isidors Etymologiae über die Donau (60rv). 3. Anschließend kommt die Gleichsetzung von Istria und peigira. Ister entspricht der Donau, die ihren Namen vom Schnee hat. Dann beginnt die Etymologie des Bayernnamens (60v). 4. Bei der folgenden Beschreibung der Provinzen Illyricum und Pannonien, die erneut mit den drei Kontinenten beginnt, ist die Donau die Nordgrenze (61r).75 Der Fluss dient hier als eine Orientierungsachse. 5. In der Liste der Provinzen wird die Lage Pannoniens im Verhältnis zur Donau definiert (61v). 6. Der Ager Noricus ist

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mittelalterliche Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn-Bruck (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 15, Wien 2010) 123–137, hier 131. Garipzanov, Changing perspectives 129f. Vgl. Clm 22053, fol. 62v. Garipzanov, Changing perspectives 131. Karoli regis mandatum ad Arnonem (ed. Albert Werminghoff, MGH LL Concilia 2/1, Hannover/Leipzig 1906) 213f., hier 214. Vgl. Albert Werminghoff, Zu den bayerischen Synoden am Ausgang des achten Jahrhunderts, in: FS Heinrich Brunner zum siebzigsten Geburtstag dargebracht von Schülern und Verehrern (Weimar 1910) 39–55, hier 43. Hubert Mordek, ­Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta: Überlieferung und Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse (MGH Hilfsmittel 15, München 1995) 974f. Vgl. dazu Bernhard Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken, 2: Die vorwiegend Österreichischen Diözesen (Wiesbaden 1980) 268f. Garipzanov, Changing perspectives 129–131. Clm 22053, fol. 62v. Vgl. Cyril Edwards, The Beginnings of German Literature. Comparative and Interdisciplinary ­Approaches to Old High German (Rochester-NY 2002) 41–61, setzt nicht nur diese civitas nova mit Neuburg gleich, sondern auch das davor gelistete costantinuses puruc mit Konstanz. Clm 22053, fol. 66v. Siehe dazu Reinhard H. Seitz, Zur Lokalisierung des Ortes ,Heselinloh‘ aus der Handschrift des ,Wessobrunner Gebets‘ Clm 22053. Zugleich ein Beitrag zu Bischof Simpert und zum Bistum Neuburg an der Donau, in: Verein für Augsburger Bistumsgeschichte. Jahrbuch 40 (Augsburg 2006) 59–65. Dimensuratio 18, ed. Riese 12.

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das Bayernland, das auch Istria heißt. Ister ist ein anderer Name für die Donau (62r). Diese Gleich­ setzung schien dem Kompilator besonders wichtig zu sein. Für Neuburg an der Donau war der Fluss aber nicht nur als Orientierungsachse sondern auch als namengebendes Element für Bayern von besonderer Bedeutung. Unglücklicherweise sind die Quellen über Neuburg, das um 800 als Bischofsitz im bayerischen ­Metropolitansprengel erscheint und dann daraus wieder verschwindet, sehr spärlich. Aber vielleicht liegt gerade darin der Anlass zur Anlage der Wessobrunner Handschrift, die in ihrem geographischen Teil von Anfang an Alamannia et Baiuuaria prominent positioniert (58r) und später auch peigirolant und suapa erwähnt, ohne aber auf die aktuellen Diözesanstrukturen in beiden Regionen einzugehen. Die Ursprünge eines Bischofssitzes Neuburg sind unklar. In der Forschung werden die Bischöfe ­Manno und Odalhart, die im Zuge einer Gebetsverbrüderung der bayerischen Bischöfe und Äbte anlässlich der Synode von Dingolfingen allerdings ohne Angabe des Bischofsitzes genannt werden, als ­Bischöfe von Neuburg identifiziert.76 Wenn das zutrifft, dann ist eine Gründung der Diözese Neuburg zur Zeit Odilos als Kontrapunkt zur Etablierung Eichstätts sehr gut vorstellbar.77 Nach dem Sturz ­Tassilos dürfte Sintpert in Personalunion sowohl Augsburg als auch Neuburg als Bischof geleitet haben. Noch kürzer war ihre Zugehörigkeit zum bayerischen Metropolitansprengel, aus dem sie vor 807 wieder ausgegliedert und Augsburg unterstellt wurde. Falls die Zuordnung der Handschriftengruppe zu Neuburg stimmt, dann wurde sie in einer Zeit angelegt, in der der eher unbedeutende Bischofssitz durch die Aufnahme in den bayerischen Metropolitanverband für kurze Zeit Bedeutung erlangte hatte, die er spätestens im Jahr 807 wieder verlor. In dieser Periode sammelten die Schreiber Material, das dabei half, den Standort dieser civitas in der bayerischen Kirchenlandschaft zu bestimmen und zu stärken. In der schwierigen Lage am Grenzgebiet des alemannischen-bayerischen Raumes und in Anbetracht der geringen Position im Vergleich mit den anderen bayerischen Diözesen besann sich der Kompilator auf die Bedeutung der Donau als Orientierungsachse für mehrere Regionen im Allgemeinen und für das peigirolant im Besonderen. Mit Hilfe etymologischer Erklärungen, die er bei Isidor fand, konnte er sein Argument bekräftigen. Indem er im Zuge seiner Ausführungen eine Deutung des Bayernnamens bot, versuchte er, die Ursprünge der ­Bayern mit der für Neuburg so bestimmenden Donau zu verbinden. Auf diese Weise hatte er Argumente gesammelt, um die zentrale Position des Bischofsitzes Neuburg zu legitimieren. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch die Aufnahme des Wessobrunner Gebets am Ende des geographischen Abschnitts zu verstehen. Der Text ist eines der ältesten erhaltenen althochdeutschen poetischen Werke, das im Rahmen der Taufvorbereitungen verwendet wurde. Abgesehen von seiner ursprünglichen Verwendung im sächsischen (?) Missionsfeld, sollte er im Kontext des geographischen Abschnitts die sprachliche und theologische Kompetenz der Kleriker am Bischofssitz Neuburg vermitteln.78 Vielleicht ist der Zeitpunkt der Ent­stehung des geographischen Abschnitts noch genauer zu bestimmen. Als Arn von Salzburg seine ­Diözesanstruktur 798 nach Rom meldete, wurde Sintperts bayerische Diözese als ecclesia ­Niwinburcgensis bezeichnet, wenig später jedoch als Stafnensis aecclesiae. Diese Umbenennung geht sehr wahrscheinlich auf Ini­tiative Sintperts zurück, der das Zentrum seiner bayerischen Diözese mehr im Süden gelegen sah als im Norden.79 Der Vorzug Staffelsees gegenüber Neuburg wurde von den Neuburgern, die ihre Ansprüche als Bischofsitz durch Arns Pläne vorerst bestätigt sahen, sicherlich nicht gutgeheißen und konnte sie zur Erstellung der Wessobrunner Handschrift motiviert haben. Die Handschrift des Wessobrunner Gebets ist ein umfangreiches Kompendium, dessen Texte im Laufe mehrere Etappen zusammengestellt wurden. In diesem Sinne hat es nicht nur eine thematische Ausrichtung, sondern spiegelt das Interesse seines Kompilators an verschiedenen Themen wider, die Notitia de pacto fraternitatis episcoporum et abbatum Bawaricorum (ed. Albert Werminghoff, MGH LL Concilia 2/1, ­Hannnover/Leipzig 1906, ND 1997) 97. 77 Gottfried Mayr, Bemerkungen zu den frühen kirchlichen Verhältnissen im westlichen Oberbayern. Zur historischen Einordnung der ‚Stafnensis aecclesia‘ von 800 n. Chr., in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 75 (2012) 1–93, hier 42f. Carl I. Hammer, From Ducatus to Regnum. Ruling Bavaria under the Merovingians and Early Carolingians (Haute Moyen Age 2, Turnhout 2007) 62, Anm. 25. 78 Clm 22053, fol. 65v–66r; vgl. Elisabeth Reinhardt, Das Wessobrunner Gebet und die Missionierung Bayerns, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 67 (2004) 1–12. 79 Mayr, Bemerkungen zu den frühen kirchlichen Verhältnissen 49–53. 76

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für ihn bzw. für sein Umfeld von Bedeutung waren. Es ist gut vorstellbar, dass der geographische ­Abschnitt zu einem Zeitpunkt entstand, als Neuburg kurzfristig Teil der re-strukturierten bayerischen Kirchenlandschaft wurde. Solche Ereignisse wurden durch verschiedene Maßnahmen begleitet, um die Gemeinschaft auf eine neue Situation vorzubereiten bzw. um nach Außen für etwaige Diskussionen gerüstet zu sein. Die im geographischen Abschnitt versammelten Texte zeugen daher von gedanklichen Aneignungsprozessen innerhalb einer Gemeinschaft und dienten nicht zur Repräsentation nach Außen, wie es bei der Conversio der Fall war. 4. DIE WIEDERSCHRIFT DER VITA HAIMHRAMNI Die Eingliederung neuer Gebiete in einen größeren Verband war immer mit großem Aufwand ver­ bunden. Die Öffnung des pannonischen Raumes für die Missionierung und wirtschaftliche Erfassung nach den Siegen über die Awaren in den 790er Jahren wurde zunächst von einem triumphalistischen Ton getragen, unter den sich aber bald kritische Töne mischten.80 Es mangelte an geeignetem Personal, um die an­sässige Bevölkerung angemessen zu missionieren und im Zuge der Missionierung das Land erfolgreich wirtschaftlich zu erschließen.81 Die Probleme der Erschließung diskutierten Bischöfe anlässlich eines conventus an einem unbekannten Ort an den Ufern der Donau und waren auch Thema in Hofkreisen.82 Spannungen zwischen großen Erwartungen und berechtigtem Zweifel hat es aber auch in den Klöstern gegeben, die hauptsächlich für die Aufgabe der Erschließung des Landes verantwortlich waren. Hier mussten Ressourcen bereitgestellt und geeignetes Personal rekrutiert werden, um die erfolgreiche ­Integration neuer Ländereien zu gewährleisten. Im Fall des Klosters Sankt Emmeram in Regensburg lässt sich dieser Prozess besonders gut beobachten. Im Jahr 808 schenkten die Brüder Wirut, Gisalmar und Wentilmar dem Kloster Sankt Emmeram Land bei den loca Avarorum, die wahrscheinlich im Herrschaftsgebiet des Awarenkhans Theodor lagen. Dieses für Regensburg scheinbar erfolgreiche Engagement im Osten hatte jedoch seine Schattenseiten. Khan Theodor hatte sich bereits 805 an Karl den Großen gewandt, da er sich von Slawenverbänden bedroht fühlte.83 Ein Jahrzehnt nach dem großen Sieg gegen die Awaren war der Osten nicht so befriedet, dass ein systematischer Ausbau des Landes gesichert war. Das bedingte im Großen wie im Kleinen Probleme der Integration des pannonischen Raumes, was auch einen Grund darstellte, warum in den letzten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts die Zuständigkeit für die Christianisierung gegen die Ansprüche Methods diskutiert werden musste. Für Regensburg nach 808 war es aber ein Problem, sich im Osten dauerhaft zu etablieren. Eine Affiliation im Ostland zu gründen und dauerhaft zu besiedeln, stieß in Sankt Emmeram auf Widerstände. In diesem Zusammenhang ist eine Neufassung der Lebensbeschreibung des Heiligen Emmeram entstanden. Es handelt sich dabei um eine liturgische Überarbeitung, die für die Nachtoffizien genutzt werden sollte.84 Sie weicht deutlich von der Vorlage ab, indem der Heilige durchaus die Awaren christianisiert haben soll, was in Arbeos Text eben nicht der Fall war.85 Emmeram erklärte sich sogar zu ihrem Bischof. Außerdem wirkte er im regnum der Wandalen. Damit sind Slawen gemeint, die schon der Schreiber der Handschrift des Wessobrunner Gebets in Pannonien verortete. Der Autor der Wessobrunner Handschrift und jener der überarbeiteten Lebensbeschreibung des Emmeram verfügten über dieselben Informationen über den Osten, wenngleich der Regensburger genauer B ­ escheid Stuart Airlie, Narratives of triumph and rituals of submission: Charlemagne’s mastering of Bavaria, in: Transactions of the Royal Historical Society 9 (1999) 93–119. 81 Conventus ad ripas Danubii a. 796 (ed. Albert Werminghoff, MGH LL Concilia 2/1, Hannover/Leipzig 1906) 172–176. Reimitz, Liturgical frontiers 199–204. 82 Alkuin, Epistola 111, ed. Dümmler 159–162. 83 Annales regni Francorum a. 805, ed. Kurze 119f. Vgl. Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr. (München 22002) 322. 84 Maximilian Diesenberger, Repertoires and strategies: hagiography, in: Strategies of identification. Ethnicity and Religion in Early Medieval Europe, ed. Walter Pohl/Gerda Heydemann (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 13: Identities in the Latin West, Turnhout 2013) 209–232, hier 224–227. 85 Arbeo von Freising, Vita et passio sancti Haimhrammi martyris/Das Leben und Leiden des Heiligen Emmeram 4–6 (ed. und übers. Bernhard Bischoff, Erlangen 1953) 12–14; Antiphonae et Responsoria de Haimrammo (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 525f. 80

Drei Aspekte räumlicher Ordnungsvorstellungen in Bayern um 800

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wusste. Er berücksichtigte das Erstarken der slawischen Verbände, die die Awaren unter Druck setzen konnten, indem er mehrfach vom regnum Wandalorum sprach. Die jüngsten Ereignisse im pannonischen Raum waren den Mönchen in Sankt Emmeram offenbar so bedeutsam, dass direkte Widersprüche zur Vita Haimrammi Arbeos in Kauf genommen wurden. Tatsächlich ist die liturgische Version gemeinsam mit der ältesten erhaltenen Kopie von Arbeos Text überliefert, bei der aber auch schon beim Bericht von Emmerams Predigtreisen bei den Galliern, die durch Wandali ersetzt wurden.86 In diesem Fall hatten politische Entwicklungen gegenüber dem vorliegenden hagiographischen ­Narrativ Vorrang. Der Autor fasste die Taten Emmerams typologisch auf. Damit konnte die Geographie seines Wirkens auf rezente Bedürfnisse angepasst werden. In den Augen des Regensburger Autors und seines Auftraggebers lag kein Unterschied zwischen dem Wunsch Emmerams, die Awaren zu missionieren, den er in Arbeos Text gegenüber dem agilolfingischen Herzog äußerte, und der Behauptung, er hätte es getan in der liturgischen Version vom Beginn des 9. Jahrhunderts.87 Die Aussage der liturgischen Version, Emmeram habe die Absicht gehegt, bei den Awaren ein Kloster zu gründen, sollte sich nun unter seinen Nachfolgern erfüllen. Die Antiphonae und Responsoria wurden von den Mönchen von Sankt Emmeram wechselweise am Festtage des Heiligen gesungen. In diesem identitätsstiftenden Akt verinnerlichte die Gemeinschaft die neue Ausrichtung der Klosterpolitik. Anders als in der Version des Arbeo war der Handlungsspielraum der Regensburger nun nicht mehr auf Bayern beschränkt, sondern dehnte sich in den Osten aus, wo für die Nachfolger Emmerams neue Aufgaben warteten. Während in Arbeos Text die urbes um die Enns zerstört und der Ennswald mit seinen wilden Tieren ein unüberwindliches Hindernis für die fragilitas humana war, entwarfen die Antiphonae und Responsoria einen Missionsraum, in dem die Scharen der Heiden dem Heiligen entgegenströmen.88 In Arbeos Text erkannte Emmeram Bayern als fruchtbares Land mit reichen Vorkommen an Wein, Eisen und Silber.89 In den Antiphonae folgt diese Beschreibung, nachdem sich der Heilige dazu bekannt hatte, die Awaren zu missionieren.90 Die Szenographen beider Versionen blendeten im feierlichen Akt dieses hohen Festtages ineinander. Die Imagination der Räume war flexibel, doch die Orientierung blieb stabil. Jeder wusste, dass es nun galt, die neu gewonnen Gebiete in der ehemaligen Avaria zu besiedeln. 5. ZUSAMMENFASSUNG Die drei Fallbeispiele verdeutlichen unterschiedliche Strategien für die Anpassung und Integration überlieferter Ordnungen an veränderte Verhältnisse. Während die Salzburger Version der Notitia Galliarum die Erhöhung der bayerischen Kirchenprovinz dokumentiert und damit auch die Salzburger Ansprüche auf den Metropolitansitz festigt, sollte der geographische Abschnitt der Wessobrunner Handschrift dem Diözesansitz Neuburg Anknüpfungspunkte für die bayerische Kirchenlandschaft und Orientierungshilfe in einer schwierigen Situation bieten. Die liturgische Wiederschrift der Vita Haimrammi aber half den Fokus der Gemeinschaft Sankt Emmerams auf das Missionsfeld zu richten. Alle drei Kompilationen verwendeten vorhandene Texte, um ihre Ziele zu erreichen. Die Auswahl und Komposition der Texte war zwar oft nachlässig, aber an entscheidenden Punkten präzise genug, um ihren Sinn zu erfüllen, wie es die Salzburger Version der Notitia Galliarum zeigt. Die Verwirrungen in den Namenslisten der Wessobrunner Handschrift mögen auf Irrtümer zurückgehen, aber oft war das Spiel der Ähnlichkeiten durchaus beabsichtigt. Wenn die bayerischen Bischofssitze mit biblischen Orten gleichgesetzt wurden, dann hatte dies durchaus auch einen positiven Effekt. Die Ambiguität der Texte eröffnete Möglichkeiten. Der zeitgenössische Leser könnte durchaus im Namen Valvicula für Salzburg das heutige Wals erkannt haben, auch wenn diese Identifizierung vom Schreiber gar nicht beabsichtigt war.91 In der Conversio ist das weniger der Fall, wurde der Text doch für den Hof verfasst, wo Paris, BN, Lat. 2290 A, fol. 46v–78r; vgl. Vita vel passio Haimhrammi episcopi et martyris Ratisbonensis 6 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 477 . 87 Arbeo, Vita Haimrammi 6, ed. Bischoff 14; Antiphonae, ed. Krusch 526. 88 Arbeo, Vita Haimhrammi 5, ed. Bischoff 12; Antiphonae, ed. Krusch 525. 89 Arbeo, Vita Haimhrammi 6, ed. Bischoff 14. 90 Antiphonae, ed. Krusch 525. 91 Siehe dazu die Angaben bei Wagner, Zu den geographischen Glossen 530. 86

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gelehrte Männer ihre prüfenden Blicke darauf warfen. Welche Aussagen für das Publikum akzeptabel waren, hing von vielen Faktoren ab. Die liturgische Überarbeitung der Vita Haimhrammi verdeutlicht, dass es dabei durchaus möglich war, eine Erzählung geradezu in ihr Gegenteil zu verkehren, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Trennlinie zwischen dem, was der Heilige einst tat und dem, wie er in der jeweiligen Gegenwart vielleicht handeln würde, konnte leicht verwischen. Obwohl manches gelehrte Wissen nicht weiter tradiert oder rezipiert wurde, wie es zumindest aus der Perspektive einer ausgedünnten Quellenlage für die Bayern-Etymologie aussieht, haben andere Ele­ mente dieser Texte durchaus Einfluss auf nachfolgende Generationen gehabt. Dass in der Salzburger Version der Notitia Galliarum die bayerische Provinz in spätantiker Tradition auch als Noricus Ripensis super Danubium sive Noricus Mediterranea bezeichnet wird, begründet eine Noricum-Tradition, die im Lauf des 9. Jahrhunderts stärker aufgenommen wurde. In den Wiederschriften der bayerischen Heiligen­ leben vom ersten Viertel des 9. Jahrhunderts und in den Freisinger Urkunden wird Bayern schon alternativ als Noricum bezeichnet.92 In den Annales Fuldenes vom Beginn des 10. Jahrhunderts sind die Bayern schon selbstverständlich Norici. Hingegen wird sich kein Gallier jemals als Chordonicus bezeichnet haben. Doch seine Konsequenz, angeeignetes Wissen auch einzusetzen, kann dem Autor nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ein Verweis auf die hochangesehenen Dialoge des Sulpicius Severus werden jeden zeitgenössischen Kritiker verstummen haben lassen. Die Aneignung des Vergangenen wurde nicht nach überall gleich objektivierbaren Maßstäben vorgenommen, sondern wurde jeweils neu bestimmt. Keineswegs war dabei aber die Wahl und Kombination einzelner Motive oder Textelemente beliebig, sondern sie folgten Regeln, die vom Autor und seinem Umfeld bestimmt wurden. Letztlich aber hing es von den herrschenden Kräfteverhältnissen und der Durchsetzungskraft von Persönlichkeiten ab, welche Texte bzw. welche Ordnungselemente sich durchsetzen konnten und welche nicht. Der geographische Abschnitt der Wessobrunner Handschrift ist weitgehend vernachlässigt worden, weder die Etymologie des Bayernnamens noch die um das Motiv der Donau geordneten Texte haben Rezipienten gefunden. Die Salzburger Version der Notitia Galliarum hat ihre Dienste offenbar erfolgreich geleistet. Der Widerstand der Suffragane gegen die Bevorrangung Salzburgs war bald kein Thema mehr. Die Karriere Arns von Salzburg als einer der bedeutendsten Ratund Ideengeber Karls des Großen und als der gestaltenden Kraft in der Geschichte des mitteleuropäischen Raumes war unaufhaltsam. Dies hat Herwig Wolfram in zahlreichen Arbeiten deutlich gemacht.

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Vita Corbiniani episcopi Baiuvariorum retractata 8 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 6, Hannover/Leipzig 1913) 594–635, hier 607.

Karl der Große und seine Vision – Archäologische und historische Schlaglichter

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F a l k o D a i m , S t e fa n A l b r e c h t , J é r é m i e C h a m e r o y , P e t e r E t t e l , D o m i n i k H e h e r , P é t e r P r o h á s z k a , L u k a s W e rt h e r

Karl der Große und seine Vision – Archäologische und historische Schlaglichter

PROLOG Wer war Karl der Große?1 Ohne Frage einer der hervorragendsten Männer des europäischen Früh­ mittelalters. Ein Mann von unerhörter Tatkraft, der das Charisma hatte, Menschen um sich zu scharen, die ihm halfen, das Frankenreich zu einer westeuropäischen Macht auszubauen und ein umfassendes Reformprogramm durchzuführen. Fuhr er auf Sicht und nutzte dabei günstige Gelegenheiten, die sich ihm boten (wie dies heute die meisten Politiker tun) oder hatte er für sein Leben eine Vision? Der vorlie­ gende Versuch zu Ehren Herwig Wolframs will zeigen, dass sich eine Reihe von Entscheidungen Karls des Großen zu einem dahinter liegenden Plan addieren. Karl dürfte eine konkrete Vision gehabt haben, den Anspruch, ein neuer Konstantin zu sein, möglichst weitgehend umzusetzen und die damit verbun­ dene Verantwortung für das Reich seines großen Vorbilds zu übernehmen. Zur Person Karls des Großen gibt es ein gewaltiges Schrifttum, darunter das 1949 erschienene Buch Heinrich Fichtenaus, des Lehrers unseres Jubilars und das in Vielem nach wie vor gültige monumen­ tale Werk ,Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben‘.2 Anlässlich seines 1200. Todestages im Jahr 2014 erschien eine Reihe von bedeutenden Werken, von denen die Monographien von Johannes Fried und Stefan Weinfurter genannt werden sollen.3 Unsere kleine Studie führt Forschungen des Römisch-­ Germanischen Zentralmuseums und seiner engsten Kooperationspartner zusammen. Obwohl von funda­ mentaler Bedeutung für das Thema, müssen die karolingische Architektur und Kunst ausgeblendet wer­ den, ebenso wie die Eingliederung Bayerns in das Frankenreich, die Ausschaltung der Langobarden und Sachsen sowie die Kriege auf der iberischen Halbinsel. Dass die Archäologie zur Beurteilung der Person Karls des Großen einen wichtigen Beitrag ­leisten kann, bedarf heute keiner großen Begründung mehr. Archäologische Funde sind Zeugnisse von mensch­ lichen Tätigkeiten, von Monumenten mit ihren Botschaften, Architektur mit hoher Symbolkraft, Gräber mit sorgfältig gewählten Beigaben, aber auch weggeworfene Reste, Überbleibsel von irgend­welchen Aktivitäten, die gleichwohl Auskunft geben können, wie die Menschen gelebt und gedacht haben. ­Historische Lebensbilder des Frühmittelalters ohne Archäologie sind heute zumindest unvollständig, wenn nicht sogar unmöglich.

Wir danken besonders Jessica Schmidt und Lena Kornprobst (Redaktion Wien) für die Redaktion des vorliegenden Bei­ trags. Vielen Dank auch Walter Pohl und seinen MitarbeiterInnen für wichtige Anregungen und Ergänzungen. 2 Heinrich Fichtenau, Das karolingische Imperium. Soziale und geistige Problematik eines Großreiches (Zürich 1949), bes. 35–54; Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 1–5, ed. Wolfang Braunfels/Helmut Beumann/Bernhard Bischoff (Düsseldorf 1965–1967). 3 Johannes Fried, Karl der Große. Gewalt und Glaube (München 2013); Stefan Weinfurter, Karl der Große. Der heilige ­Barbar (München 2013). 1

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Falko Daim, Stefan Albrecht, Jérémie Chameroy, Peter Ettel, Dominik Heher, Péter Prohászka, Lukas Werther

Karl der Grosse und das Heilige Land (Dominik Heher) Zwei Tage vor seiner Kaiserkrönung in Rom am Weihnachtstag des Jahres 800 erhielt Karl der Große Besuch von einer Gesandtschaft des Patriarchen von Jerusalem. Wie so oft schweigen die Quellen zum politischen Zweck der diplomatischen Mission und konzentrieren sich auf die Performanz des Aktes und die mitgebrachten Geschenke. Im vorliegenden Fall ist die selektive Wahrnehmung nur allzu gut nachvollziehbar: Die Gesandten sollen Karl die Schlüssel des Heiligen Grabes, des Kalvarienberges und Jerusalems sowie eine Fahne feierlich übergeben haben (benedictionis causa claves sepulchri Dominici ac loci calvariae, claves etiam civitatis et montis cum vexillo detulerunt).4 Der hochgradig symbolische Akt hat die Forschung immer schon fasziniert und zu verschiedensten Deutungen geführt, die von der Annahme der offiziellen Errichtung eines fränkischen Protektorats im Heiligen Land bis zur Reduktion auf die Vergabe von Ehrenzeichen ohne realpolitische Implikationen reichen.5 Es liegt fern, im Rahmen dieser wenigen Zeilen eine fundierte und konkrete Neubewertung des Ereignisses formulieren zu wollen, doch soweit wir die Vorgeschichte und die Konsequenzen der Gesandtschaft aus den Quellen ­erschließen können, scheint die Wahrheit, wie so oft, in der Mitte zu liegen. Die Ambiguität symboli­ scher Akte ist schließlich eine ihrer größten Stärken:6 Die Annahme der Symbole durch Karl wird durch­ aus als Bereitschaft für die Übernahme einer wie auch immer gearteten, wohl bewusst nicht definierten, Verpflichtung für die Christen des Heiligen Landes gedeutet worden sein, ohne dass hieraus ein formaler Rechtsanspruch abgeleitet worden sein muss. Diplomatischer Austausch Die Gesandtschaft von 800 war nicht der erste diplomatische Kontakt zwischen Karl dem Großen und dem Heiligen Land. Die erste abbasidische Delegation hatte König Pippin bereits 768 empfangen.7 Es scheint sich hierbei jedoch um einen singulären Besuch gehandelt zu haben, dessen Zweck unbekannt bleiben muss. Eine Intensivierung der Kontakte setzte erst 797 ein, als eine Gesandtschaft Karls des Großen am Hof des Kalifen Hārūn ar-Raschīd in Bagdad empfangen wird. Die Ziele und Ergebnisse der Gespräche sind auch hier nicht belegt; die Mission ging erneut nur wegen der erhaltenen Geschenke in die Geschichte ein. Verständlicherweise, denn der Kalif hatte den Diplomaten den berühmten Elefanten mit Namen Abul Abbas als Geschenk mitgegeben; der Dickhäuter sollte nach einer mehrjährigen Reise aber erst 803 in Aachen eintreffen.8 Schneller war die unmittelbare Gegengesandtschaft des Kalifen, die Karl bereits 801 erreichte9. Mitten in diese Aktivitäten fällt auch der Beginn der diplomatischen Missionen des Jerusalemer Patriarchen: 799 wird ein Mönch im Auftrag des Patriarchen in Aachen empfangen, der Reliquien vom Grab Christi und Segnungen überbringt. Möglicherweise sollte der Mönch Karl lediglich über den Amtsantritt des neuen Patriarchen Georg informieren oder Dank für (in den Quellen aber erst später belegten) Hilfsleistungen Karls für die Christen im Heiligen Land bekunden. Die merkliche Eile weist aber eher darauf hin, dass sich der Patriarch mit einer gewissen Dringlichkeit in die laufenden Verhand­ lungen zwischen Karl und dem Kalifen einschalten wollte: Karl verabschiedet den Jerusalemer Mönch bereits Anfang 800 mit einer Gegengesandtschaft unter dem Pfalzpriester Zacharias, der wiederum nach Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenses Maiores et Einhardi ad a. 801 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895, ND 1950), hier 112; Die Annales qui dicuntur Einhardi, ebenda 113, lassen die Schlüssel zur Stadt weg. 5 Michael Borgolte, Der Gesandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 25, München 1976), hier 67–76; vgl. ebd. 3–5 mit älte­ rer Literatur zu den verschiedenen Positionen. 6 Frank Rexroth, Rituale und Ritualismus in der historischen Mittelalterforschung. Eine Skizze, in: Mediävistik im 21. Jahr­ hundert, ed. Hans-Werner Goetz (Paderborn/München 2003) 391–406, hier 406. 7 Borgolte, Gesandtenaustausch 40–45. 8 Achim T. Hack, Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten (Badenweiler 2011). 9 Borgolte, Gesandtenaustausch 46–61. 4



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g­ etaner ­Mission im Heiligen Land, begleitet von den beiden Mönchen vom Ölberg und dem Sabas­ kloster, bereits zu Weihnachten 800 zu Karls Krönung in Rom stößt.10 Auch der weitere diplomatische Verkehr bezeugt die Einbeziehung Jerusalems in die Überseepolitik (nunmehr Kaiser) Karls des Großen. Um 802 begibt sich der Gesandte Radbert zunächst mit Geschen­ ken zum Patriarchen, bevor er nach Bagdad weiterzieht. Diplomaten des Kalifen – eventuell bereits eine direkte Gegengesandtschaft – sind 803 in Bayern belegt. Im selben Jahr überwinden auch wieder Gesandte des Patriarchen das Mittelmeer und treffen Karl im Oktober in Salzburg. 807 erreicht eine gemeinsame Diplomatengruppe des Kalifen und des Patriarchen das Frankenreich, unter der Leitung eines gewissen ʿAbd Allāh sowie der Mönche Felix und Georg. Letzterer, cui patria Germania est, wie die Reichsannalen vermerken,11 hatte es zum Abt des lateinischen Klosters (i.e. das monasterium ­sancti Petri et sancti Pauli in Besanteo12) auf dem Ölberg gebracht. Ob die Mission koordiniert war oder nur aus praktischen Gründen gemeinsam reiste, muss offenbleiben. Auch ihre konkreten Ziele bleiben einmal mehr im Dunkeln, erneut ganz im Gegensatz zu den mitgeführten Geschenken: diesmal erhielt Karl vom Kalifen ein von den Zeitgenossen bewundertes Prunkzelt. Möglicherweise ging es in der Tat nur mehr um einen formalen und feierlichen Abschluss der Verhandlungen der letzten Jahre, zumal die Zeit des intensiven diplomatischen Austauschs mit dem Kalifat damit auch endete. 808 (?) erreichten die Gesandten Agamus und Roculphus (die noch im Folgenden eine Rolle spielen werden) Karl den Großen mit weiteren Nachrichten aus Jerusalem, bevor auch hier der Kontakt für mehrere Jahre nicht mehr belegbar ist.13 Sinn und Zweck von Karls Überseepolitik Wie mehrfach erwähnt, schweigen die fränkischen Quellen über die Agenden der jeweiligen Gesandt­ schaften, von denen die arabischen Autoren nicht einmal Notiz nahmen. Einer der Verhandlungspunkte wird aber Karls Verantwortung für die Christen im Heiligen Land gewesen sein. Einhard hält in seiner Vita Karoli (cap. 27) fest, dass sich sein Kaiser auch um die Gläubigen jenseits des Meeres gekümmert habe.14 Aus dem Capitulare Missorum Aquisgranense Primum erfahren wir von konkreten Berechnun­ gen für Almosenzahlungen an Jerusalem zum Zwecke der Reparatur der dortigen Kirchen Ende 810.15 Den konkreten Anlass mögen hier die Übergriffe gegen christliche Klöster und Kirchen infolge der Machtkämpfe nach dem Tod Hārūn ar-Raschīd 809 geboten haben, von denen man in Aachen durch die Gesandten Agamus und Roculphus gewusst haben könnte. In ähnlicher Weise mag Karl bereits in den Jahren seit 797 gewirkt haben, zumal die Verhandlungen mit dem Kalifen und dem Patriarchen zumin­ dest zeitlich mit einer Phase der Unsicherheit der christlichen Einrichtungen zusammenfielen, die wie­ derholt Plünderungen durch arabische Banditen zu erleiden hatten. Einer der verheerendsten Überfälle galt 797 dem Sabaskloster, doch auch andere monastische Einrichtungen waren wiederholt betroffen.16 Borgolte, Gesandtenaustausch 6–76. Georg war ursprünglich auf den Namen Egilbald getauft worden. Annales regni Francorum, ad a. 807, ed. Kurze 123. 12 The Basel Roll: Critical Edition and Translation (ed. Michael McCormick, in: ders., Charlemagne’s Survey of the Holy Land. Wealth, Personnel, and Buildings of a Mediterranean Church between Antiquity and the Middle Ages. With a Critical Edition and Translation of the Original Text, Washington, D.C. 2011) 199–237, hier 206 Z. 23; vgl. Karl Schmid, Aachen und Jerusalem, Ein Beitrag zur historischen Personenforschung der Karolingerzeit, in: Das Einhardkreuz. Vorträge und Studien der Münsteraner Diskussion zum arcus Einhardi, ed. Karl Hauck (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, 3. Folge 87, Göttingen 1974) 1–142, hier 138; McCormick, Survey 76–81. 13 Borgolte, Gesandtenaustausch 76–92; Sode hält die zugrundeliegenden Quellen für Fälschungen und stellt damit die ­Faktizität der Gesandtschaft in Frage, vgl. Claudia Sode, Jerusalem – Konstantinopel – Rom. Die Viten des Michael ­Synkellos und der Brüder Theodoros und Theophanes Graptoi (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 4, Stuttgart 2001) hier 180–185. 14 Einhard, Vita Karoli Magni 27 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover/Leipzig 1911, ND 1965) 31f.: Circa pauperes sustentandos et gratuitam liberalitatem, quam Greci eleimosinam vocant, devotissimus, ut qui non in patria solum et in suo regno id facere curaverit, verum trans maria in Syriam et Aegyptum atque Africam, Hierosolimis, Alexandriae atque Cartagini, ubi Christianos in paupertate vivere conpererat, penuriae illorum conpatiens pecuniam mittere solebat; ob hoc maxime transmarinorum regum amicitias expetens, ut Christianis sub eorum dominatu degentibus refrigerium aliquod ac relevatio proveniret. 15 Capitularia Regum Francorum 64 (ed. Alfred Boretius, MGH LL Capitularia 1 Hannover 1883, ND 1960) 152–154, hier § 18, 154: De elemosina mittenda ad Hierusalem propter aecllesias Die restaurandas. 16 McCormick, Survey 161–163; Borgolte, Gesandtenaustausch 17–30. 10 11

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Falko Daim, Stefan Albrecht, Jérémie Chameroy, Peter Ettel, Dominik Heher, Péter Prohászka, Lukas Werther

Es bleibt zu klären, weshalb sich das Jerusalemer Patriarchat ausgerechnet an den weit entfernten Frankenkönig wandte, um einen Unterstützer für die monastischen Gemeinschaften des Heiligen ­Landes zu erwirken. Zunächst mangelte es an Alternativen, zumal sich das Byzantinische Kaiserreich mit dem Kalifat in permanentem Kriegszustand befand. Dies machte nicht nur ein Einwirken des B ­ asileus im Heiligen Land so gut wie unmöglich, sondern öffnete gewissermaßen die Tür für fruchtbare Verhand­ lungen zwischen dem Kalifen und Karl, zumal auch dessen mehr oder weniger offen ausgetragenen Konflikte mit Konstantinopel erst mit dem Frieden von Aachen 812 ein Ende finden sollten und man mit den Umayyaden auf der Iberischen Halbinsel noch einen weiteren Feind teilte. Von einer (v.a. mone­ tären) Involvierung des fernen Frankenherrschers in die Belange der Christen des Heiligen Landes hatte Hārūn ar-Raschīd keine politisch unangenehmen Konsequenzen zu befürchten. Im Gegenteil konnte er von der sich hochschaukelnden Konkurrenz zwischen Karl und Byzanz nur profitieren. Auch aus ganz pragmatischer Sicht war Karl für das Patriarchat Jerusalem näher als man vermuten würde, zumal es unter der Christenheit des Heiligen Landes auch lateinische Gemeinschaften gab,17 die teils auch aus dem Frankenreich stammten:18 In einem Konvent, der sich dem Dienst am Heiligen Grab verschrieben hatte, stammten 17 der 26 Sanctimonialen aus Karls Reich19. Vor allem aber dürfte das Kloster der hll. Petrus und Paulus am Ölberg einen hohen Anteil an fränkischen Mönchen gehabt haben.20 Wenn die Berichte vom ersten handfesten Streit um den filioque-Zusatz zwischen den Mön­ chen des griechischen Sabasklosters und des lateinischen Ölbergklosters echt sind,21 scheint in letzterem das fränkische Element sehr stark gewesen zu sein: Denn in einem Brief an Papst Leo III. klagen die Mönche vom Ölberg darüber, dass der Sabas-Mönch Ioannes ihnen, den „Franken“, vorgeworfen habe, einem Irrglauben anzuhängen, wenn sie behaupteten, der Heilige Geist ginge vom Vater und vom Sohn aus. Da sie die Formel in dieser Art aber sogar in Karls Pfalzkapelle in Aachen so gehört hätten, wollten sie den Papst um Aufklärung bitten22. Es sei hier auch an den fränkischstämmigen Abt Georg erinnert (s.o.). Aufgrund von Verbindungen der Ölbergmönche zu Bischof Arn von Salzburg und Alkuin von York meinte K. Schmid, dass „sich unter den in Jerusalem lebenden fränkischen Pilgermönchen auch solche befunden haben, die zur Hofgesellschaft Karls des Großen Kontakte hatten.“23 Karl selbst sah sich offenbar zu dem Engagement im Heiligen Land sowohl aus ideologischer als auch spiritueller Sicht in Verantwortung. Spätestens mit der Kaiserkrönung 800 hatte er auch den An­ spruch der Schirmherrschaft über die Christenheit übernommen. Zum Erbe Konstantins des Großen und Justinians I. gehörte eben auch die Levante und das wohltätige Wirken der beiden römischen Kaiser im Heiligen Land war allgemein bekannt. Zudem war der fränkischen Elite die Rolle Jerusalems auch aus eschatologischer Sicht klar: Hier würde dereinst der letzte römische Kaiser sein Szepter an Gott abgeben und damit das Jüngste Gericht einleiten. Die Begeisterung für Jerusalem schlug sich entsprechend in Von insgesamt mindestens 406 Mönchen und Nonnen, die um 810 in Jerusalem greifbar sind, stammten knapp 60 aus dem Westen. Vgl. McCormick, Survey 59. 18 Zum Folgenden s. nun auch Michael Borgolte, Karl der Große – sein Platz in der Globalgeschichte, in: Europa in der Welt des Mittelalters. Ein Colloquium für und mit Michael Borgolte, ed. Tillmann Lohse/Benjamin Scheller (Berlin/Boston 2014) 241–265, hier 258–260. 19 Basel-Rotulus, ed. McCormick Z. 22 – 23, 206: Monasteria puellarum xxvi, de imperio domni Karoli quae ad sepulchrum Domini seruiunt Deo sacratas xvii; vgl. Borgolte, Gesandtenaustausch 98; McCormick, Survey 162–163 Anm. 28; Schmid, Aachen und Jerusalem 138–139. 20 Vgl. McCormick, Survey 76–81. 21 Sode, Jerusalem 163–202, hält den Streit in Jerusalem für erfunden; die Quellen seien erst in jener Zeit gefälscht worden, als die filioque-Frage nach der Mitte des 9. Jh. eskalierte. Hingegen halten Borgolte, Gesandtenaustausch 101–107, Bernd Oberdorfer, Filioque. Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems (Göttingen 2001) 146–147, Peter Gemein­ hardt, Die Filioque-Kontroverse zwischen Ost- und Westkirche im Frühmittelalter (Arbeiten zur Kirchengeschichte 82, Berlin/New York 2002) 140–146; A. Edward Siecinski, The Filioque. History of a Doctrinal Controversy (Oxford 2010), hier 96–100, und zuletzt McCormick, Survey 165–180 die Berichte für authentisch. 22 Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae 7 (ed. Karl Hampe, MGH EE V: Epistolae Carolini Aevi III, Berlin 1899) 1–84, hier 64: Iohannes, qui fuit de monasterio sancti Sabae, quem Theodulus iguminus servus vester scit, ipse levatus est super nos decendo, quod Franci, qui sunt in monte Oliveti, ­haeretici sunt. Vgl. Schmid, Aachen und Jerusalem 132–34. Die Vita Michaelis Syncelli 56 verbindet den filioque-Zusatz zwar unmissverständlich mit den „Franken“ (Φράγγοι), nimmt aber auf keinen konkreten Konflikt in Jerusalem Bezug. Vgl. The Life of Michael the Synkellos. (ed. Mary B. Cunningham, Belfast Byzantine Texts and Translations 1, Belfast 1991). 23 Schmid, Aachen und Jerusalem 135. 17

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Karls kaiserlicher Selbstdarstellung nieder: Die Panegyrik – beispielhaft sei hier Angilberts Ecloga ad Carolum regem genannt24 – setzt ihn König David gleich25 und mit guten Argumenten wurde behauptet, dass sich die Vorstellung der Grabeskirche sowohl in Karls Bauprogramm (Aachener Pfalzkapelle)26 als auch in seiner Münzprägung27 spiegelt (siehe dazu den Beitrag von Jérémie Chameroy). Und auch Karls Thron könnte aus Marmorspolien aus dem Heiligen Land zusammengesetzt worden sein. Der Marmor ist ostmediterraner Herkunft und zweifellos als antike Produktion anzusprechen. Nach dem Urteil von Sven Schütte ähneln sie drittverwendeten antiken Marmorplatten in der Jerusalemer Grabeskirche. Zu­ dem deutet der Umgang mit den Platten bei gleichzeitiger Inkaufnahme ästhetischer Mängel auf eine Wertschätzung hin, die sich nicht allein mit dem Materialwert erklären lässt.28 Könnten die Marmorplat­ ten nicht zu den Geschenken (reliquiae de sepulchro Domini) der Jerusalemer Gesandtschaft von 799 gezählt haben?29 Folgen und Nachspiel Der faktische Niederschlag der Interventionen Karls im Heiligen Land ist schwer abzuschätzen. Dass es sich um sehr konkrete Maßnahmen gehandelt haben dürfte, unterstreicht ein heute in der Universitäts­ bibliothek Basel aufbewahrter, aus drei Pergamentblättern bestehender Rotulus, der – obgleich schon lange bekannt – erst kürzlich seine gebührende Würdigung in Form einer Monographie durch Michael McCormick erfahren hat.30 Bei dem Dokument handelt es sich um das Fragment einer Abschrift der offen­bar für Karl den Großen angefertigten Auflistung der Kirchen und Klöster im Bereich Jerusalem, die auch Anzahl und Rang der jeweiligen Gemeinschaften, die Abmessungen von vier Gotteshäusern sowie die Ausgaben des Patriarchats inklusive der Abgaben an die muslimischen Herrscher verzeichnet. In ähnlicher Weise wie Karl der Große die Kirchen des Frankenreichs inventarisieren ließ,31 ging er also im Heiligen Land vor. Es ging um die konkrete Erhebung der christlichen Gemeinden und der Einschät­ zung ihres realen Bedarfs. Eine solche Maßnahme ist nur nachvollziehbar, wenn Almosen nicht nur ­sporadisch und willkürlich überbracht wurden, sondern durchaus eine gezielte Verteilung der Subven­ tionen angedacht war. Bei der Liste dürfte es sich auch nicht um eine Abschrift älterer Datensammlun­ gen handeln, zumal auch jene Klöster vermerkt sind, für die man keine Daten erheben ­konnte.32 Karl hatte also eine Kommission zum Zwecke der Bestandsaufnahme ins Heilige Land geschickt. ­Michael McCormick vermutet, dass der oben erwähnte Jerusalem-Rückkehrer Roculphus, den er mit einem andern­orts belegten Hruoculf identifiziert, der bereits im Frankenreich ähnliche Aufträge erfüllt hatte, mit der Aufgabe betraut worden war33. Wenngleich kein Gradmesser für den tatsächlichen Umfang von Karls Interventionen im Heiligen Land, ist es doch bemerkenswert, dass schon in den 60er Jahren des 9. Jahrhunderts ein Hospiz in ­Jerusalem nach dem Kaiser benannt ist34 und schon bald Legenden über angeblich von ihm gegründete Angilberti carmina § 2 (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae latini aevi Carolini 1, Berlin 1881), hier 360–363, bes. 360. Hubert Herkommer, Typus Christi – Typus Regis. König David als politische Legitimationsfigur, in: König David – ­biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt, ed. Walter Dietrich/Hubert Herkommer (19. Kolloquium (2000) der Schweizerischen Akad. d. Geistes- und Sozialwissenschaften, Freiburg/Stuttgart 2003) 383–436, hier 409–411; Schmid, Aachen und Jerusalem 122–123 (mit älterer Literatur). 26 Schmid, Aachen und Jerusalem; McCormick, Survey 192; Hans Karl Siebigs, Neuere Untersuchungen der Pfalzkapelle zu Aachen, in: Einhard. Studien zu Leben und Werk, ed. Hermann Schefers (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommis­ sion, N.F. 12, Darmstadt 1997) 95–137, hier 107–108 (mit Literatur). 27 Victor H. Elbern, Der eucharistische Kelch im frühen Mittelalter (Berlin 1964) 117–125; vgl. McCormick, Survey 188–191 zur Diskussion von Elberns These. 28 Sven Schütte, Der Aachener Thron. In: Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos. Katalog der Ausstellung in zwei Bänden, ed. Mario Kramp (Mainz 2000) 213–222. Bedauerlicherweise ist die im Artikel angekündigte Monogra­ phie zum Thron m.W. noch nicht erschienen. 29 Annales regni Francorum, ad a. 799, ed. Kurze 108; vgl. Schütte, Thron 220. 30 McCormick, Survey. 31 McCormick, Survey 155–156. 32 McCormick, Survey 157–158. 33 McCormick, Survey 166–167; 170–173. 34 Borgolte, Gesandtenaustausch 96 mit den Quellen. Ausführlicher McCormick, Survey 81–91. 24 25

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Kirchen kursiert sein müssen.35 Neugründungen unter muslimischer Herrschaft sind wenig wahrschein­ lich, könnten aber durchaus Renovierungstätigkeiten reflektieren. Wahrscheinlich sind es diese Legen­ den, die ab dem späten 10. Jahrhundert (Chronik des Benedikt von St. Andrea am Monte Soratte36) schließlich auch zur weit verbreiteten und literarisch häufig verbreiteten Annahme sogar einer persön­ lichen Pilgerfahrt Karls des Großen ins Heilige Land führten.37 Das Engagement der Karolinger im Heiligen Land starb nicht mit Karl dem Großen. Auch sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme empfing Gesandtschaften des Patriarchen von Jerusalem (826) und des Kalifen al-Ma‘mūn (831). Erneut dürfte es vor allem um die finanzielle Unterstützung der Christen in Palästina gegangen sein, zumal einiges dafür spricht, dass die Bestandsaufnahme Karls des Großen in eben jener Zeit kopiert wurde.38 Die Ingelheimer Goldmünze Karls des Grossen (Jérémie Chameroy) Die 1996 bei Rettungsgrabungen in Ingelheim zutage gekommene Goldmünze Karls des Großen (Abb. 1), die in Gewicht, Durchmesser und Feingehalt einem etwas leichten Solidus entspricht,39 gewährt uns einen seltenen Einblick in die Darstellungskonzepte des neuen Kaisers. An die tradi­ tionelle reichsrömische Kaiserdarstellung anknüpfend, zeigt das Münzbildnis Karls des Großen eine nach rechts gewandte Büste mit dem Lorbeerkranz und dem auf der rechten Schulter mit einer Bro­ sche zusammengehaltenen Paludamentum. In einer bisher unbekannten Zusammensetzung vereint die Legende charakteristische Elemente der früh- bzw. spätrömischen Zeit mit frühmittelalterlichen Komponenten: Neben dem unter Konstantin eingeführten Titel D(ominus) N(oster) stellt sich Karl der Große als IMP(erator) mit der höchsten Befehlsgewalt über das Heer, als AUG(ustus) in der Tradition der römischen bzw. byzantinischen Kaiser und schließlich als REX F(rancorum) ET L(angobardorum) dar. Die Rückseite zeigt ein monumentales befestigtes Stadttor wohl als Symbol für die in der Um­ schrift erwähnte Stadt Arles, in der die Münze geprägt wurde. Die gesamte Gestaltung der Gold­ münze orientiert sich offensichtlich an antiken Münzvorbildern, wobei in den 320er Jahren emittierte Bronze­münzen Konstantins des Großen und seiner Söhne (Abb. 2) am nächsten kommen. Auffällige Ähnlichkeiten weist die Darstellung des Stadttores mit den späteren Kleinbronzen des Usurpators Magnus Maximus (383–388) (Abb. 3) auf. Von zentraler Bedeutung für die Interpretation der Ingelheimer Goldmünze ist der Zeitpunkt ihrer Prägung. Dabei dürfte sie mit der Datierung der bekannten Bildnispfennigen Karls des Großen,40 die eindeutige Parallelen mit der Ingelheimer Goldmünze zeigen (Abb. 4), eng verbunden sein. Die Konstantin Porphyrogennetos, De Administrando Imperio (ed. Gyula Moravcsik/Romilly J. H. Jenkins, CFHB 1, ­Washington D.C. 1966), hier 108. 36 Il Chronicon di Benedetto monacho di S. Andrea del Soratte (ed. Giuseppe Zucchetti, Fonti per la Storia d’Italia 55, Rom 1920) 3–187. 37 Friedrich Wolfzettel, Byzanz im lateinisch-französischen Mittelalter oder Literaturgeschichte der Bemächtigung, in: Das Mittelalter 6 (2001) 83–108. 38 McCormick, Survey 182–183. 39 Gewicht: 4,18 g, Durchmesser: 19 mm, Feingehalt: ca. 91% Gold (nach der Methode des spezifischen Gewichtes). Siehe die ersten Berichte zu der Münze: Peter-Hugo Martin, Eine Goldmünze Karls des Großen, in: Numismatisches Nachrich­ tenblatt 8 (1997) 351–355, hier 351–352; Bernd Kluge, Ein Ingelheimer Goldmünzfund von 1996, in: Archäologie in Deutschland 1 (1999) 34–37, hier 36. 40 Philip Grierson, Money and Coinage under Charlemagne, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, 1: Persönlich­ keit und Geschichte, ed. Helmut Beumann (Düsseldorf 1965) 501–536, hier 518–524 datiert sie in die Jahre 806–814 (auch weitere Rs.-Typen: Tempel, Schiff, Werkzeuge für die Münzprägung). Bernd Kluge, Nomen imperatoris und Christiana Religio. Das Kaisertum Karls des Großen und Ludwigs des Frommen im Licht der numismatischen Quellen, in: 799 Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, ed. Christoph Stiegema/Matthias Wemhoff (Mainz 1999) 82–90, hier 82; Bernd Kluge, Am Beginn des Mittelalters. Die Münzen des karolingischen Reiches 751 bis 814 – Pippin, Karlmann, Karl der Große. Das Kabinett 15 (Berlin 2014) 30–31. Auch für diese Münzen wurde nach antiken Münzvorbildern eifrig gesucht (u. a. Büste des Trajan, des jungen Caracalla, siehe dazu Michael Matzke, Antikenrezeption am Beispiel der Münzen Karls des Großen, in: Geldgeschichtliche Nachrichten 176 (1996) 264–273, hier 270–271). 35

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Vorderseite der Silberdenare zeigt das gleiche Profil mit Lorbeerkranz und Paludamentum umgeben von der Kaiser- und meistens auch Königstitulatur. Für die Rückseite sind unterschiedliche Typen bekannt, unter anderem das Stadttor mit dem Prägeort als Aufschrift. Frappierend ist vor allem die stilistische Verwandtschaft der Rückseite der Ingelheimer Goldmünze und dem in Arles geprägten Bildnispfennig (Abb. 5) – eine Verwandtschaft, die auf die Arbeit desselben Münzstempelschneiders und womöglich eine zeitnahe Prägung beider Stücke schließen lässt.41 Doch die große Seltenheit aller Bildnismünzen Karls des Großen (34 Silberdenare und 1 ­Solidus42) wirft einige Zweifel auf, ob diese Stücke von der Krönung Karls des Großen am 25. Dezember 800 bis zu seinem Tod am 28. Januar 814 die einzigen Münzen waren, die innerhalb dieser 13 Jahre geprägt und als frisches Geld in Umlauf gebracht wurden. Eine spätere Datierung dieser Münzen zwischen der Anerkennung des Kaisertitels Karls des Großen durch den byzantinischen Kaiser (Juli 812) und ­Januar 814 würde die Seltenheit der kaiserlichen Bildnismünzen durch die kurze Ausgabe­ zeit (1,5 Jahre) in diesem Fall leicht erklären.43 Jedoch wäre die spätere Erscheinung des Kaisertitels auf den Münzen kaum in Einklang zu bringen mit den Urkunden, die seit 801 die Hauptelemente der Kaisertitulatur Augustus bzw. imperator Romanum, wenn auch nicht systematisch bzw. nicht einheit­ lich, immer wieder aufführen.44 Trotz ihrer engen stilistischen Verwandtschaft mit Bildnisdenaren aus Arles (vgl. Abb. 1 und 5) wurde sogar die Hypothese aufgestellt, die Goldmünze aus Ingelheim als posthume Festprägung seines Sohnes Ludwigs des Frommen zu interpretieren.45 Vielmehr weist die Seltenheit der Bildnismünzen auf den außergewöhnlichen Charakter dieser ­kaiserlichen Gold- bzw. Silberprägungen hin, die größtenteils zum Anlass der Krönung emittiert worden sein dürften.46 Da Goldmünzen seit dem 7. Jh. als unregelmäßig bzw. in geringem Ausmaß geprägte Stücke nur noch eine Nebenrolle in der Münzwirtschaft spielten, könnte die Ingelheimer Goldmünze als kaiserliches Andenken und Geschenk betrachtet werden, die an hohe Vertreter des Königreiches bei der Krönung verteilt wurden. Ob die Prägung von Goldmünzen im Westen nach wie vor als kaiserliches Vorrecht betrachtet wurde, mag dahingestellt bleiben. Seit Theudebert I. (534–548) und noch bis Childericus II. ca. 67547 haben merowingische Könige Goldmünzen auf ihren eigenen Namen emittiert. Auch Karl der Große ließ schon als König Gold in Italien prägen; doch auf den 774–781 in Lucca geprägten Goldmün­ zen48 scheint die äußerst vereinfachte drapierte und barhäuptige Frontaldarstellung Karls des Großen noch weit entfernt von den römischen Vorbildern (Abb. 6). Erst die Goldmünze aus Ingelheim sowie die Bildnispfennige zeigen, wie sehr sich Karl der Große um die Wiederbelebung des römischen Kaiser­tums bemühte, und sowohl von den byzantinischen (Kaiser im frontalen Brustbild mit Krone, langem Kreuz, Kreuzglobus) als auch von den fränkischen Vorbildern (Profilbüste mit Diadem) Martin, Goldmünze 354. Nicht selten wurde in der Antike dieselben Münzstempel für Gold und Silber benutzt. Bernd Kluge, Die Bildnispfennige Karls des Großen, in: Moneta Mediaevalis. Studia numizmatyczne i ­historyczne ­ofiarowane Profesorowi Stanisławowi Suchodolskiemu w 65. rocznicę urodzin, ed. Ryszard Kiersnowsky/Stefan K. ­Kuczyński/ Marta Męclewska/Mariusz Mielczarek/Borys Paszkiewicz (Warszawa 2002) 367–377, hier 369–373; Simon Coupland, Charlemagne’s coinage: ideology and economy, in: Charlemagne. Empire and society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 211–229, hier 223–224. 43 Grierson, Money and Coinage 524; Jean Lafaurie, Les monnaies impériales de Charlemagne, in: Comptes rendus de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres (1978) 154–176, hier 166–168; Philip Grierson/Mark Blackburn, Medieval European Coinage 1: The Early Middle Ages (5th–10th centuries) (Cambridge 1986) 209–210; Martin, Goldmünze 353. 44 Steffen Patzold, Die Kaiseridee Karls des Großen, in: Karl der Große. Orte der Macht, ed. Frank Pohle (Aachen 2014) 152–159, hier 153–154. Die Behauptung, Karl der Große hätte in der Münzprägung keine Änderung seines Titels vorge­ nommen, können wir nicht nachvollziehen, auch nicht die Bemerkung, die Denare mit Kaisertitel und Bildnis Karls des Großen wären „wohl nicht als Zahlungsmittel im Umlauf“ gewesen (Patzold, Kaiseridee 155 u. Anm. 23). 45 So Kluge, Ingelheimer Goldmünzfund 36–37; Kluge, Bildnispfennige 375–376, der bei der Prägung der Ingelheimer Gold­ münzen von einem posthumen Vs.-Stempel mit Rs.-Stempel der Denarserie Karls des Großen ausgeht. Diese H ­ ypothese stützt sich auf stilistische Kriterien insbesondere auf Ähnlichkeiten zwischen den Bildnissen Karls des Großen und ­Ludwigs des Frommen sowie auf Fundzusammenhänge. 46 Grierson, Money and Coinage 524: „special coinage struck only in 801 to celebrate the coronation?“; Kluge, Nomen ­imperatoris 87, nimmt für die Serie mit dem Prägeort als Legende eine über einen längeren Zeitraum verteilte Prägung an, die auch nach dem Tod Karls des Großen fortgesetzt worden wäre. 47 Grierson/Blackburn, Medieval European Coinage 472. 48 Kluge, Beginn des Mittelalters 158–159, Nr. 255. 41 42

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­ bstand nahm. Vielmehr versuchte er, das neue Kaisertum direkt an eine als originell bzw. authentisch A empfundene reichsrömische Kaiserdarstellung zu verknüpfen, indem er sich bewusst an die antikisie­ rende Vorlage der belorbeerten Büste anlehnte.49 Für das Frankenreich bedeutete die Prägung von Bildnismünzen aus Gold bzw. Silber nicht nur die Wiedereinführung von Porträts auf Münzen nach einer Pause von ca. 125 Jahren, sondern eine Rückkehr zu dem Ursprung des christlichen R ­ eiches. Hiermit präsentierte sich Karl der Große als Erbe Konstantins. Franken und Byzantiner an der Adria bis zum Vertrag von Aachen 812/13 (Dominik Heher) Nach der Eroberung Ravennas durch die Langobarden 750/51 waren die letzten byzantinisch kontrol­ lierten Territorien rund um die obere und mittlere Adria auf die Inseln und Lidi der venezianischen ­Lagune sowie auf Istrien und Dalmatien beschränkt. Die Herrschaft Konstantinopels war hier jedoch schon seit dem 7. Jahrhundert eher nomineller Natur – zu sehr war Byzanz mit der Landnahme der ­Slawen am Balkan und der Expansion der Araber beschäftigt gewesen, als dass man sich um die west­ liche Peripherie intensiver bemühen hätte können. Die Insel- und Küstensiedlungen blieben ihrerseits von ihren Nachbarn (Langobarden bzw. Slawen) weitgehend unbehelligt.50 Die Situation änderte sich rasch, als das Langobardenreich im Jahre 774 von den expandierenden Franken übernommen wurde. Das nächste Ziel waren die angrenzenden byzantinischen Besitzungen. Um 788 übernahmen die Franken die Herrschaft über Istrien und damit den letzten Festlandbesitz ­Konstantinopels.51 Die Lagunensiedlungen waren für die Truppen Karls des Großen weniger leicht zu erreichen. Die Machtübernahme sollte hier subtiler vonstattengehen, zunächst durch wirtschaftlichen Druck gegen die schon damals stark vom Handel abhängigen Venezianer,52 in einem weiteren Schritt durch das Gewinnen von Sympathisanten innerhalb der venezianischen Elite.53 Sowohl in Venetien als auch in Dalmatien erwiesen sich vor allem Bischöfe, wie etwa der Patriarch Fortunatus von Grado als geeignete Verbündete der Karolinger bei der Durchsetzung ihrer Interessen.54 Bald trugen die Bemü­ hungen der Franken Früchte, als sich ihr Parteigänger Obelierius gemeinsam mit seinem Bruder Beatus zum dux von Venedig putschte (803/4).55 Dieselbe Strategie glückte auch in Dalmatien und um den Percy E. Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit 751–1190 (Neuauflage unter Mitarbeit von Peter Berghaus, Nikolaus Gussone, Florentine Mütherich) (München 1983), hier 39–40. 50 Einen ausgezeichneten Überblick über die im Folgenden nur kurz behandelten Themen bietet jüngst Francesco B ­ orri, ­L’Adriatico tra Bizantini, Longobardi e Franchi. Dalla conquista di Ravenna alla pace di Aquisgrana (751–812), in: ­Bullettino dell’istituto storico italiano per il medio evo 112 (2010) 1–56 (mit umfangreichen Literaturangaben). 51 Den sicheren Terminus ante quem markiert ein Brief Karls des Großen aus dem Jahre 791, in dem er einen dux de Histria nennt. Vgl. Epistolae Variorum Carolo magno regnante scriptae 20 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Berlin 1895) 528. Margetić geht davon aus, dass Istrien bereits seit der Zeit von Papst Gregor II. (715–731) weitgehend autonom war. Vgl. Lujo Margetić, L’Istria bizantina ed alcuni problemi del placito di Risano, in: Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začelki slovenske etnogeneze 1, ed. Rajko Bratož (Ljubljana 2000) 81–95, hier 91. Die Langobarden versuchten zwar ihre Herrschaft auf Istrien auszudehnen, aber es gibt keine Anzeichen für eine tatsächliche Eroberung, wie sie beispielsweise De Vergottini annimmt. Vgl. Giovanni de Vergottini, Venezia e l’Istria nell’alto medio evo, in: Atti e memorie della Società istriana di archeologia e storia patria 65 (NS 13) (1965) 97–119, hier 102. Zur Diskussion: Borri, L’Adriatico 34, der sich selbst nicht festlegt. 52 So ordnete Karl 785 in einem Brief an Papst Hadrian I. (Codex Carolinus 86 [ed. Wilhelm Gundlach, MGH EE 3, Epistolae Merowingici et Karolini Aevi 1, Berlin 1892] 469–657, hier 622–623) an, sämtliche venezianische Kaufleute aus der Pentapolis und dem ehemaligen Exarchat zu vertreiben. Auch der Aufstieg von Comacchio zu einem nennenswerten Konkurrenten dürfte sich durch fränkische Protektion erklären lassen: Sauro Gelichi, ‚… castrum igne combussit …‘: Comacchio tra antichità ed alto medioevo, in: Archeologia Medievale 33 (2006) 19–48, hier 35–37; Gherardo Ortalli, The other possible Venice: Comacchio and control of the upper Adriatic (AD 715–932), in: Mare et Litora. Essays presented to S. Karpov, ed. Rustam Shukurov (Moskau 2009) 191–199, hier 197. 53 Hierzu zuletzt Borri, L’Adriatico (mit Literatur). 54 Borri, L’Adriatico 33; vgl. Luigi A. Berto, La ‚Venetia‘ tra Franchi e Bizantini. Considerazioni sulle fonti, in: Studi ­Veneziani 38 (1999) 189–202, hier 190–191. 55 Johannes Diaconus, Historia Veneticorum (ed. Luigi A. Berto, Fonti per la storia dell’Italia medievale 2, Bologna 1992) 106–108. Vgl. Antonio Carile, La presenza bizantina nell’alto Adriatico fra VII e IX secolo, in: Antichità Altoadriatiche 27 (1985) 107–129, hier 124–125. 49

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J­ ahreswechsel 805/806 sehen wir die duces Obelierius und Beatus von Venedig, den dux Paulus von Zadar sowie Donatus, den dortigen Bischof, am Hof Karls des Großen in Diedenhofen, von dem sie sich in ihren Ämtern bestätigen ließen.56 Die Byzantiner ihrerseits hatten seit der Mitte des 8. Jahrhunderts ihre Macht in Griechenland und am südlichen Balkan wieder sukzessive konsolidieren können. Auf die Rückeroberung von ­Thessalonike 78357 folgte die Errichtung der Themata Kephallonia,58 Peloponnesos59 und ­Dyrrhachion.60 – Die Adria war damit erneut ins Blickfeld Konstantinopels gerückt und Kaiser Nikephoros I. (802–813) war entschlossen, den fränkischen Avancen die Stirn zu bieten. Im Frühjahr 806 stieß zum ersten Mal nach mindestens 70 Jahren wieder eine byzantinische Flotte in die Gewässer der Adria vor.61 Die Hauptagenda ihres Kommandanten, des patrikios Niketas,62 waren Friedensverhandlungen mit König Pippin von Italien. 63 Niketas nutzte die Zeit aber auch, um die byzantinische Oberhoheit über Venedig wiederherzustellen: Obelierius wurde formal als byzantinischer Beamter eingesetzt und mit der Würde eines spatharios ausgestattet. Zur Sicherheit wurde sein Bruder Beatus als Geisel nach Konstantinopel geschafft.64 Bereits 808/9 erscheint eine weitere byzantinische Flotte unter dem Kom­ mando des strategos von Kephallonia (Cefalaniae praefectus) in der oberen Adria.65 Die Ziele waren dieselben wie zwei Jahre zuvor, doch nun scheiterte die Erneuerung des Friedensvertrages mit König Pippin von Italien. Die Gründe hierfür sind unklar. Fränkische Quellen behaupten, dux Obelierius habe die Verhandlungen sabotiert,66 während Johannes Diaconus Pippin des Vertragsbruchs bezichtigt.67 In jedem Fall eskalierte die Situation und 810 lancierte Pippin den ersten militärischen Angriff auf die Lagunensiedlungen, konkret gegen das auf dem Lido gelegene Malamocco, wo sich seit 742 das poli­ tische Zentrum der Lagune befand.68 Die fränkischen Annalen berichten von einem kompletten Sieg,69 die venezianischen Quellen hingegen von der geglückten Verteidigung.70 Vermutlich ist der Version in De Administrando Imperio der Vorzug zu geben, derzufolge der Abzug der fränkischen Truppen durch Tributzahlungen erkauft wurde.71

Die Reichsannalen mit Zusätzen aus den sog. Einhardsannalen (ed. Reinhold Rau, in: Quellen zur karolingischen Reichs­ geschichte 1. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 5, Darmstadt 1995) 9–155, hier 82. 57 Theophanes, Chronographia I, 6274–6275, (ed. Carl de Boor, Berlin 1883) 456–457. 58 Schriftlich belegt ab 808/9, doch fünf Siegel (Georges Zacos/Alexander Veglery, Byzantine Lead Seals I/1–3 (Basel 1972): nn. 919a–c [Bd. 1], 2657 [Bd. 2] und 3200 [Bd. 3]) datieren ins 8. Jh.; vgl. Dionysos Zakythinos, Le thème de Céphalonie et la défense de l’occident, in: L’hellénisme contemporain, 2ème serie, 8/4-5 (1954) 303–312; Peter Soustal, Nikopolis und Kephallonia (Tabula Imperii Bizantini 3, Wien 1981); Pavlos E. Niavis, The Reign of the Byzantine Emperor Nicephorus I., A.D. 802–811 (Historical Monographs 3, Athen 1987) 74–76, nimmt eine Gründung erst im frühen 9. Jh. an. 59 Antoine Bon, Le Péloponnèse byzantin jusqu’en 1204 (Paris 1951) 89. 60 Jadran Ferluga, Sur la date de la création du thème de Dyrrhachium, in: Actes du XIIe Congrès international des études byzantines (Belgrad 1964) 83–92, hier 92; Ewald Kislinger, Dyrrhachion und die Küsten von Epirus und Dalmatien im frühen Mittelalter – Beobachtungen zur Entwicklung der byzantinischen Oberhoheit, in: Millennium 8 (2011) 313–352, hier 337–339. 61 Annales regni Francorum, ad a. 806, ed. Kurze 122; Reichsannalen, ad a. 806, ed. Rau 84.Vgl. Roberto Cessi, Le origini del ducato veneziano (Neapel 1951), hier 180; Carile, Presenza Bizantina 126–127; Borri, L’Adriatico 46. 62 Johannes Diaconus, Historia II, 25, ed. Berto; zu dem nun einsetzenden intensiven diplomatischen Austausch zwischen Franken und Byzantinern via Venedig vgl. Telemachos C. Lounghis, Les Ambassades byzantines en Occident. Depuis la fondation des états barbares jusqu’aux croisades, 407–1096 (Athen 1980), hier 159–163. 63 Annales regni Francorum, ad a. 807, ed. Kurze 122-125; Reichsannalen, ad a. 807, ed. Rau 86. 64 Johannes Diaconus, Historia II, 26, ed. Berto 110. Vgl. Antonio Carile, La formazione del ducato veneziano, in: Le Origini di Venezia, ed. Antonio Carile/Giorgio Fedalto (Bologna 1978) 11–250, hier 42; Donald M. Nicol, Byzantium and Venice. A Study in Diplomatic and Cultural Relations (Cambridge 1988) 15. 65 Annales regni Francorum, ad a. 809–810, ed. Kurze 127-133; Reichsannalen ad a. 809–810, ed. Rau 90, 94. 66 Annales regni Francorum, ad a. 809, ed. Kurze 127f.; Reichsannalen ad a. 809, ed. Rau 90. 67 Johannes Diaconus, Historia II, 2, ed. Berto 94. 68 Johannes Diaconus, Historia II, 17, ed. Berto 102; vgl. Cessi, Venezia ducale I 153. 69 Annales regni Francorum, ed. Kurze 130; Reichsannalen, ad a. 810, ed. Rau 96. 70 Johannes Diaconus, Historia II, 27, ed. Berto 110–112 und Origo Civitatum, ed. Cessi: Origo Civitatum Italie seu ­Venetiarum. Chronicon Altinate et Chronicon Gradense (ed. Roberto Cessi, Fonti per la Storia d’Italia 72, Rom 1933) 92–98. 71 Konstantin Porphyrogennetos, De Administrando Imperio, ed. Moravcsik, 118–120. 56

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Falko Daim, Stefan Albrecht, Jérémie Chameroy, Peter Ettel, Dominik Heher, Péter Prohászka, Lukas Werther

Der ungelöste Konflikt führte zu einer weiteren Intensivierung der diplomatischen Beziehungen ­zwischen Konstantinopel und Aachen. 810 sollte eine byzantinische Gesandtschaft unter dem s­ patharios Arsaphios mit Pippin über Dalmatien und Venetien verhandeln.72 Der König von Italien war indes ver­ storben und seine Krone an dessen Vater Karl den Großen zurückgefallen. Die nunmehr nötig gewor­ denen direkten Verhandlungen mit Karl machten einen weiteren offenen Konflikt virulent: Karl wollte sein am Weihnachtstag 800 angenommenes Kaisertum endlich auch von byzantinischer Seite bestätigt wissen.73 Den Reichsannalen zufolge sei Karl im Gegenzug bereit gewesen, auf seine Ansprüche auf die venetischen Lagunensiedlungen zu verzichten.74 Einhards Vita Karoli Magni erwähnt diesen Verzicht nicht explizit und behauptet, das Frankenreich habe nach dem Vertrag von Aachen totam Italiam um­ fasst. Karl habe jedoch Istrien, Liburnien und Dalmatien an Konstantinopel abgetreten.75 Beide Quellen zusammen dürften aber durchaus so zu verstehen zu sein, dass die Küsten und Inseln der Adria in der Tat den Byzantinern überlassen wurden. Karl wird klar gewesen sein, dass er diese Gebiete gegen die wiedererstarkte byzantinische Flotte ohnehin nur mit größten Schwierigkeiten hätte kontrollieren ­können.76 Vor kurzem erst hatte die byzantinische Gesandtschaft etwa ihren Aufenthalt in Venedig ge­ nutzt, um dort den konstantinopeltreuen Agnellus Particiacus als dux einzusetzen und damit eine Phase intensivierter politischer und künstlerischer Beziehungen zwischen Venedig und Konstantinopel einge­ läutet. Die Chancen auf eine Einigung verbesserten sich noch während Arsaphiosʼ Rückreise nach Konstan­ tinopel: Kaiser Nikephoros I., für den die Anerkennung Karls Kaisertitels nie zur Diskussion ge­standen hatte, war im Kampf gegen die Bulgaren gefallen. Der Thron war unter dubiosen Umständen77 an ­Michael I. übergegangen, der angesichts seiner eigenen schwachen Position und der Bedrohung durch die ­Bulgaren durchaus Interesse an einer Einigung mit Karl hatte.78 Michael war daher mit der An­erkennung von Karls Kaisertitel einverstanden. Eine byzantinische Delegation akklamierte Karl im Sommer 812 in griechischer Sprache als Imperator und Basileus (more suo, id est Graeca lingua, laudes ei ­dixerunt, ­Imperatorem eum et Basileum appellantes).79 Der Putsch Leons V. (813–820) gegen Michael I. sowie der Tod Karls des Großen (814) machte eine baldige Erneuerung des Vertrags notwendig. Erst im Spätherbst 815 wurden die Vereinbarungen zwischen Leon V. und Ludwig dem Frommen finalisiert.80

Annales regni Francorum, ad a. 810, ed. Kurze 133; Reichsannalen, ad a. 810, ed. Rau 96; vgl. Nicol, Venice and B ­ yzantium 17–18. 73 Peter Classen, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums (Sigmaringen 1985), hier 93. 74 Annales regni Francorum, ad a. 810, ed. Kurze 133; Reichsannalen, ad a. 810, ed. Rau 96: [...] memoratas legationes ­audivit, pacemque cum Niciforo imperatore et cum Abulaz rege Hispaniae fecit. Nam Niciforo Venetiam reddidit. 75 Einhard, das Leben Karls des Großen (ed. Reinhold Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte I, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 5, Darmstadt 1995) 163–211, hier 184, betreffend die Ausmaße des Reiches von Karl dem Großen nach dem Vertrag von Aachen: Die Franken besaßen [...] Italiam totam, quae ab Augusta Praetoria usque in Calabriam inferiorem [...] post quam utramque Pannoniam et adpositam in altera Danubii ripa Daciam, Histriam quoque et Liburniam atque Dalmaciam, exceptis maritimis civitatibus, quas ob amicitiam et iunctum cum eo foedus Constantinopolitanum imperatorem habere permisit.. Vgl. Cessi, Venezia ducale I 160-161. 76 Classen, Karl der Große 94. 77 Georg Ostrogorsky, Geschichte des Byzantinischen Staates (Handbuch der Altertumswissenschaften 12, München 31963) 163–165. 78 Robert Browning, Byzantium and Bulgaria. A Comparative Study across the Early Medieval Frontier (London 1975) 49–50; Steven Runciman, A History of the first Bulgarian Empire (London 1930) 59–68; Daniel Ziemann, Vom Wander­ volk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter (7.– 9. Jahrhundert) (Kölner Historische Abhandlun­ gen für das Historische Seminar I, Band 43, Köln/Weimar/Wien 2007) 247–258 und 263–285. 79 Annales regni Francorum, ad a. 812, ed. Kurze 136f.; Reichsannalen, ad a. 812, ed. Rau 100; vgl. Theophanes, Chronogra­ phia I, ed. de Boor 494. Zu verschiedenen Aspekten des Kaisertitels Karls des Großen siehe u.a. Peter Classen, Romanum gubernans Imperium, in: DA 9 (1952) 103–131. Zum Kaisertitel Karls des Großen s. auch Intitulatio II. Lateinische Herr­ scher- und Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram (MIÖG, Erg. Bd. 24, Wien/Köln 1973) 32ff. und zuletzt (zum Augustus-Titel) Jürgen Strothmann, Das Augustusnomen Karls des Großen und das karolingische Imperium, in: Namenkundliche Informationen 103/104 (2014) 267–287. 80 Annales regni Francorum, ad a. 813–815, ed. Kurze 137-143; Reichsannalen, ad a. 813–815, ed. Rau 102–108; Classen, Karl der Große 96. 72

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Karls Kanal (Peter Ettel, Lukas Werther, Falko Daim) Die Reste eines rätselhaften Bauwerks – Bayerns größtes Bau- und Bodendenkmal – lassen sich im Ort Graben, südlich von Nürnberg, bestaunen und zeigen schlaglichtartig die Bedeutung der Binnenschiff­ fahrt im Frühmittelalter. 793 ließ Karl der Große hier einen etwa 3 km langen Kanal anlegen (Abb. 7), der den Rhein mit der Donau verbinden und damit die mitteleuropäische Wasserscheide überwinden sollte (Abb. 8). Ingenieurtechnisch raffiniert, nutzte er eine günstige topographische Situation: Die ­Bäche Rezat und Altmühl, von denen der erste in den Main fließt, der zweite in die Donau, kommen sich hier sehr nahe und sind nur durch einen niedrigen Geländerücken getrennt. Zugleich konnte die Rezat den Kanal an seinem höchsten Punkt mit Wasser speisen.81 Für den Historiker ist die Fossa Carolina nur eine Fußnote der Geschichte. Die Reichsannalen berich­ ten unter dem Jahr 793 vom Besuch päpstlicher Gesandter, denen Karl die Baustelle zeigte. Deren nach Karls Tod 814 von einem unbekannten Autor verfasste stilistische und inhaltliche Überarbeitung, die sogenannten Einhardsannalen, wusste schon vom Scheitern des Projekts und seinen Gründen: „Denn bei dem anhaltenden Regen und da das sumpfige Erdreich schon von Natur zu viel Nässe hatte, konnte die Arbeit keinen Halt und Bestand gewinnen, sondern wie viel Erde bei Tag von den Grabenden herausge­ schafft wurde, soviel setzte sich wieder bei Nacht, indem die Erde wieder in ihre alte Stelle einsank.“82 Trotz kluger Planung des Bauvorhabens hatten die auftretenden bautechnischen Probleme demnach nicht gemeistert werden können, was durchaus glaubhaft erscheint, in der Forschung aber kontrovers diskutiert wurde.83 Doch auch wenn der Kanal nie wirklich vollständig in Betrieb ging, gedieh er zumin­ dest so weit, dass man das Konzept und die praktische Umsetzung (geo-)archäologisch studieren und so­ mit die Angaben der sogenannten Einhardsannalen mit Bodenarchiven kontrastieren und ergänzen kann. Da wären zunächst die Rahmenbedingungen des Bauvorhabens: War das Umfeld des Kanals am Ende des 8. Jahrhundert bereits dicht besiedelt und woher könnten die Arbeitskräfte gekommen sein? Griff der Kanal einen bestehenden Verkehrskorridor auf oder entstand er in einem infrastrukturell schwach erschlossenen Raum? Dann zum Kanal selbst: Wie war er hydrotechnisch konzipiert? Wie breit und wie tief sollte die Fahrrinne sein, war die Uferböschung befestigt? Wie weit war das Bauprojekt vorange­ schritten und wo traten Probleme auf? Was für Materialien verwendete man, wie wurden sie verarbeitet und wie hoch ist der Arbeitsaufwand einzuschätzen? Diese Mosaiksteine lassen sich zu einem facetten­ reichen Lebensbild zusammenfügen, das schlaglichtartig einige Monate des Jahres 793 beleuchtet. Die (Geo-)Archäologie und ihre Nachbardisziplinen haben in den vergangenen Jahrzehnten ein um­ fangreiches Instrumentarium entwickelt, mit dem auch die schwierigeren unter diesen Fragen beantwor­ tet werden können. Seit 2012 widmet sich ein interdisziplinäres Forschungsprojekt der Fossa Carolina.84 Geoarchäologische und geophysikalische Untersuchungen mündeten 2013 in eine erste Grabungs­ kampagne, die sensationelle Ergebnisse erbrachte. Bereits 2014 konnten die laufenden Forschungen im Museum für Antike Schifffahrt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums und in einem bunten Be­ gleitband vorgestellt werden.85 Die Wanderausstellung wurde danach auch in München, Treuchtlingen und Schwabach gezeigt. Besonders bedeutsam ist die nur selten anzutreffende chronologische Übereinstimmung von archäo­ logischen und schriftlichen Quellen – die präzise dendrochronologische Datierung der 2013 e­ rgrabenen Bauhölzer des Kanals in den Spätsommer und Herbst 793 deckt sich genauestens mit dem Bericht der ­ essungen karolinger­zeitlichen Annalen.86 Mit Hilfe von Bohrungen, Grabungen und geophysikalischen M Christoph Zielhofer/André Kirchner, Naturräumliche Gunstlage der Fossa Carolina, in: Großbaustelle 793 – Das Kanal­ projekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel et. al. (Mainz ²2014) 5–8. 82 Annales regni Francorum, ad. a. 793, ed. Kurze 92–96; übersetzt nach: Reichsannalen, ed. Rau 63. 83 Achim Hack, Der Bau des Karlsgrabens nach den Schriftquellen, in: Großbaustelle 793 – Das Kanalprojekt Karls des ­Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel et al. (Mainz ²2014) 53–62, hier 54f. 84 DFG SPP 1630: Häfen von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter (http://www.spp-haefen.de/de/die-projekte/ fossa-carolina/) (letzter Zugriff 04.11.2016). 85 Großbaustelle 793 – Das Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel et al. (Mainz ²2014). 86 Lukas Werther/Christoph Zielhofer/Franz Herzig/Eva Leitholdt/Michael Schneider/Sven Linzen/Stefanie Berg-Hobohm/ Peter Ettel/André Kirchner/Stefan Dunkel, Häfen verbinden. Neue Befunde zu Verlauf, wasserbaulichem Konzept und 81

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konnte die Fahrrinne auf fast 3 km Länge exakt verortet werden.87 Die Fahrwasserbreite des Kanals be­ trug gut 5 m, die Fahrwassertiefe unter 1 m, was für zeitgenössische Wasserfahrzeuge aber völlig aus­ reichend war (Abb. 9).88 Der Stabilisierung der Kanalränder dienten Holzeinbauten aus Eichenpfählen, die im Jahr 793 in den wenig standfesten Untergrund eingerammt worden waren – jeder Beilhieb ist auf ihrer Oberfläche noch heute erkennbar. Verschiedene (geo-)archäologische Befunde bestätigen jedoch, dass diese Einbauten ihrem Zweck nicht überall in gewünschtem Maße nachkamen: genau wie die soge­ nannten Einhardsannalen berichten, fand sich in der Fahrrinne verschiedentlich zurückgerutschtes Aus­ hubmaterial aus der Bauzeit. Trotz intensiver Forschungen fehlt bislang der eindeutige Beleg eines voll ausgebauten Anschlusses des Kanals an die natürlichen Gewässer Rezat und Altmühl.89 Während an der Altmühl trotz intensiver Untersuchungen auf einer Strecke von über 700 Metern Belege für eine künst­ liche Fahrrinne ausstehen, ergab eine im September 2016 abgeschlossene Ausgrabung im nördlichsten Abschnitt ein anderes Bild: dort fanden sich Reste des Kanals bis unmittelbar an den rezenten Rezatlauf, die Fahrrinne verjüngt sich jedoch massiv und Holzeinbauten waren nur teilweise vorhanden.90 Die Aus­ wertung der Grabungen verspricht eine Antwort auf die Frage, ob dieser Bauabschnitt fertiggestellt oder möglicherweise in einem Zwischenstadium aufgegeben wurde – und damit einen weiteren Bezugspunkt zur schriftlichen Überlieferung. Eine schwierige Frage betrifft natürlich das Motiv, welches Karl bewog, den Kanalbau anzuord­ nen. Die Reichsannalen gehen darauf nicht ein. Karl und sein Umfeld waren aber offensichtlich stolz auf das Projekt: Obwohl es für 793 gewiss viel zu berichten gegeben hätte, vermeldet der Annalist im ­Wesentlichen nur, der König sei im Herbst „zu Schiff von Regensburg zu dem großen Graben zwischen Altmühl und Rednitz [gekommen, wo] sich Boten des Papstes mit großen Geschenken ein[gefunden hatten].“ Danach sei Karl wieder per Schiff nach Würzburg gefahren, um dort Weihnachten zu f­ eiern.91 ­Diese Zeilen werfen nicht nur ein Licht auf die zeitgenössische Wahrnehmung und ,Vermarktung‘ des ambitionierten Vorhabens, sondern auch auf seinen infrastrukturellen Rahmen. Ganz offensichtlich ­waren die angrenzenden Fließgewässer bereits vor dem Kanalbau in vollem Umfang befahrbar und ­wurden von Karl intensiv genutzt – möglicherweise so intensiv, dass die Idee entstand, den Übergang über die Nahtstelle der Europäischen Hauptwasserscheide dauerhaft für den Schiffsverkehr zu erleich­ tern. Die sogenannten Einhardsannalen berichten dazu, Karl der Große sei von irgendwelchen Leuten, Verlandung des Karlsgrabens, in: Häfen im 1. Millennium AD. Bauliche Konzepte, herrschaftliche und religiöse Ein­ flüsse, ed. Thomas Schmidts/Martin Vučetič (RGZM Tagungen 22, Mainz 2015) 151–185; Janet L. Nelson, Evidence in ­question: dendrochronology and early medieval historians, in: Entre texte et histoire: études d‘histoire médiévale offertes au ­professeur Shoichi Sato, ed. Osamu Kano/Jean-Loup Lemâitre (Paris 2015) 227–249. 87 Christoph Zielhofer/Eva Leitholdt/Lukas Werther/Andreas Stele/Jens Bussmann/Sven Linzen/Michael Schneider/­Cornelius Meyer/Stephanie Berg-Hobohm/Peter Ettel, Charlemagne’s summit canal: an early medieval hydro-engineering project for passing the central European watershed, in: PLOS ONE 9/9 (2014) (http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/ journal.pone.0108194) (letzter Zugriff 04.11.2016); André Kirchner/Christoph Zielhofer/Lukas Werther/Michael ­Schneider/ Sven Linzen/Dennis Wilken/Tina Wunderlich/Wolfgang Rabbel/Cornelius Meyer/Johannes Schmidt/Birgit Schneider/­ Stefanie Berg-Hobohm/Peter Ettel, A multidisciplinary approach in wetland geoarchaeology. Survey of the missing s­ outhern canal connection of the Fossa Carolina (SW Germany), in: Quaternary International (2017) (https://doi.org/10.1016/j. quaint.2017.12.021) (letzter Zugriff 09.01.2018). 88 Lars Kröger, Früh- und hochmittelalterliche Binnenschiffe in Mitteleuropa. Ein Überblick zum aktuellen Stand der ­Forschung, in: Přehled výzkumů 55,2 (2014) 91–123; Lukas Werther/Lars Kröger, Medieval Inland Navigation And The Shifting Fluvial Landscape Between Rhine And Danube (Germany), in: Post Classical Archaeologies 7 (2017) 65–96, hier 75f. Lukas Werther/Lars Kröger/André Kirchner/Christoph Zielhofer/Eva Leitholdt/Michael Schneider/Sven Linzen/ Stefanie Berg-Hobohm/Peter Ettel, Fossata Magna – Kanäle des 1. Jahrtausends n. Chr. und ihr Erkenntnispotential für die Hafenforschung, in: Häfen im 1. Millennium AD. Standortbedingungen, Entwicklungsmodelle und ökonomische Vernet­ zung, ed. Sven Kalmring/Lukas Werther (RGZM Tagungen 31, Mainz 2017) 61–80, hier 73f. 89 Kirchner/Zielhofer/Werther/Schneider/Linzen/Wilken/Wunderlich/Rabbel/Meyer/Schmidt/Schneider/Berg-Hobohm/ Ettel, A multidisciplinary approach. 90 Sven Linzen/Michael Schneider/Stefanie Berg-Hobohm/Lukas Werther/Peter Ettel/Christoph Zielhofer/Johannes Schmidt/ Jörg Fassbinder/Dennis Wilken/Annika Fediuk/Stefan Dunkel/Ronny Stolz/Hans-Georg Meyer/Sebastian C. Sommer, From magnetic SQUID prospection to excavation – investigations at Fossa Carolina, Germany, in: AP 2017: 12th Inter­ national Conference of Archaeological Prospection. 12th-16th September 2017, University of Bradford, ed. Benjamin Jennings/Christopher Gaffney/Thomas Sparrow/Sue Gaffney, (Oxford 2017) 144–145; Lukas Werther, Karlsgraben doch schiffbar? Aktuelles aus der Landesarchäologie, in: Archäologie in Deutschland 5 (2017) 41–42. 91 Annales regni Francorum, ad a. 793, ed. Kurze 92–94; Reichsannalen, ed. Rau 61.

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„welche die Sache zu verstehen behaupteten, überzeugt worden, daß, wenn zwischen Rednitz und ­Altmühl ein schiffbarer Graben geführt würde, man ganz bequem von der Donau in den Rhein fahren könnte […]“92 Offensichtlich bestand bei einigen ein erhebliches Interesse daran, die Verkehrsverbin­ dung zwischen den westlichen und südöstlichen Teilen des Karolingerreiches zu verbessern – und zwar mit immensem Aufwand und Personaleinsatz. Angesichts der Tatsache, dass Karl erst wenige Jahre zuvor Herzog Tassilo III. entmachtet und Bayern dem Fränkischen Reich einverleibt hatte, scheint dies plausibel.93 Darüber hinaus befand man sich mitten im „achtjährigen Awarenkrieg“, der nach der Zäh­ lung Einhards von 788 bis 796 dauerte und Truppentransporte wie Nachschub nötig machte.94 Allgemein gesprochen sollte der Kanal „die Mobilität des Königs noch erhöhen“ (Johannes Fried).95 Er agierte „selbst auf allen Schauplätzen des riesigen Reichs und jenseits einer Grenzen“ und musste „deshalb zen­ trale Ressourcen mobilisieren“ und sie „relativ schnell über weite Entfernungen verfügbar machen“.96 Dabei dürften die Awarenkriege eine besondere Rolle gespielt haben.97 Was aber Karl letztlich veran­ lasst hat, die Awaren zu bekämpfen und im Ergebnis ihr Reich zu zerstören, ist nicht völlig klar. Ihr gewaltiger Schatz, der nach Aachen gebracht worden war, ließ Einhard die Awarenkriege als die er­ folgreichsten der Herrschaft Karls preisen,98 doch war das Streben, die Reichskasse aufzufüllen, sicher nicht der wichtigste Beweggrund. Auch die Missionierung der awarischen Völkerschaften im Karpaten­ becken stand wohl nicht im Vordergrund, eher noch die Ablenkung der karolingischen Opposition in Bayern und die Beruhigung auch höchster Kritiker in den karolingischen Eliten.99 Könnte es sein, dass die Wiedergewinnung der ehemals römischen Provinz Pannonien für Karl den Großen ein besonderes Ziel war? Ein Indiz dafür könnte sein, dass er sich nach dem Zerfall des Awarenreiches mit der Anbin­ dung der Gebiete des früheren Römerreichs begnügte, die Gebiete östlich der Donau jedoch sich selbst oder den Bulgaren überließ. Die Rekonquista Pannoniens Exkurs: Der letzte Rest vom Awarenschatz (Falko Daim, Stefan Albrecht, Péter Prohászka) Für Karls Biographen Einhard geriet der Krieg gegen die Awaren (788–796 und noch spätere Aus­ einandersetzungen) zu den größten Erfolgen des Königs. Seit 568, also fast 250 Jahre lang, hatten sie das Karpatenbecken und seine Randbereiche beherrscht.100 Zahlreiche Schriftquellen, vor allem für die Frühzeit bis 626 und das Ende ihres Reiches, sowie unzählige archäologische Funde – etwa 70 000 Annales regni Francorum ad a. 793, ed. Kurze 93–95; Reichsannalen, ed. Rau 63. Dazu Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung (Wien 1987), hier 253260; Paolo Squatriti, Digging Ditches in Early Medieval Europe, in: Past and Present 176 (2002) 11–65. 94 Walter Pohl, Die Awaren: ein Steppenvolk in Mitteleuropa, 567–822 (München ²2002) 312–323. 95 Fried, Karl der Große 194. 96 Ludger Körntgen, Der Karlsgraben im Rahmen von Königsherrschaft und Kaisertum Karls des Großen, in: Großbaustelle 793–Das Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau, ed. Peter Ettel/Falko Daim/Stefanie Berg-Hobohm/ Lukas Werther/Christoph Zielhofer (Mainz ²2014) 113–120, hier 119. 97 Weinfurter, Karl der Große 123: „Um sein gewaltiges Heer rasch und ausreichend mit Nachschub zu versorgen, sollte 793 eine durchgehende Wasserstraße vom Rhein bis zur Donau angelegt werden. Um das zu erreichen, bedurfte es eines Kanals, der die Flüsse Rednitz und Altmühl miteinander verband (Fossa Carolina).“ 98 Siehe S. 268ff. 99 Karl Brunner, Oppositionelle Gruppen im Karolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichts­ forschung 25, Wien/Köln 1979), hier 63; Pohl, Awaren, hier 319 f.. 100 Eine unübertroffene Geschichte der Awaren: Pohl, Awaren. Zur Archäologie der Awaren: Csanád Bálint, Die Archäologie der Steppe. Steppenvölker zwischen Volga und Donau vom 6. bis zum 10 Jh. (Wien 1989), hier 147–192; Falko Daim, Avars and Avar archaeology. An introduction, in: Regna and Gentes. The Relationship between Late Antique and Early ­Medieval Peoples and Kingdoms in the Transformation of the Roman World, ed. Hans-Werner Goetz/Jörg Jarnut/Walter Pohl (Transformation of the Roman World 13, Leiden/Boston/Köln 2003) 463–570; Eric Breuer, Byzanz an der Donau. Eine Einführung in Chronologie und Fundmaterial zur Archäologie im Frühmittelalter im mittleren Donauraum/Chro­ nological studies to early-medieval findings at Danube region. An introduction to Byzantine art at barbaric cemeteries. (Archaeological Introductions 2, Tettnang 2005); Bodo Anke/László Révesz/Tivadar Vida, Reitervölker im Frühmittelalter: Hunnen – Awaren – Ungarn (Archäologie in Deutschland, Sonderh. Plus 2008, Stuttgart 2008). 92 93

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Grabinventare, einige Schatzfunde und einige Siedlungen – ermöglichen es, die kulturhistorischen Ent­ wicklungen sowie von Verbindungen zu den Nachbarn und der mediterranen Welt zu verfolgen. Die Awaren verstanden sich als Steppenreiter, auch noch im 8. Jahrhundert, obwohl zu diesem Zeitpunkt ihr Land schon mit vielen kleinen Siedlungen überzogen war, und das Nomadisieren, eine an trockene Regionen angepasste Wirtschafts- und Lebensform, höchstens in ihrer kollektiven Erinnerung Realität war. Zu ihrem Ideal des berittenen Kriegers gehörte die Bewaffnung mit Pfeil und Bogen sowie Schwert oder Säbel. Ihre bewundernswerte Gewandtheit zu Pferde, gepaart mit taktischem Geschick und ­ihrer Fähigkeit, sich über große Entfernungen zu verständigen, machten sie zu gefürchteten Gegnern. Bis zum Schicksalsjahr 626, als sie gemeinsam mit den Persern erfolglos versuchten Konstantinopel einzunehmen, hatten sie mit verbündeten slawischen Stämmen fast den gesamten Balkan unter ihre Kontrolle gebracht. Die Folgen ihrer Niederlage vor den theodosianischen Landmauern waren Un­ ruhen im Awaren­reich und der Abzug von größeren Bevölkerungsgruppen. Wie die Konsolidierung der ­awarischen Macht danach gelang, ist unklar. Gab es einfach in der Umgebung keinen passenden An­wärter für die Ablöse (Walter Pohl)101 oder hatten die Bulgaren unter Khan Kuvrat oder eine andere mit ihnen verbundene osteuropäische Macht die Hand im Spiel? Die archäologische Fundgruppe der goldenen ,Pseudoschnallen‘ könnte ein Hinweis darauf sein.102 Nach den archäologischen Befunden ­kamen die Awaren offenbar nach der Mitte des 7. Jahrhunderts in ruhigere Gewässer. Das archäolo­ gische Fundgut wirkt einheitlicher, es dürfte somit keine miteinander konkurrierenden Gruppen mehr gegeben haben. Mit der raffiniert inszenierten Entmachtung Herzog Tassilos III. durch Karl den Großen 788, zogen jedoch neue Gewitterwolken auf. Während des Gerichtsverfahrens in Ingelheim, für das Tassilo noch­ mals aus dem Kloster geholt wurde, war einer der Vorwürfe, er habe mit den Awaren paktiert. Dies trifft auch sicher zu, gehörte es doch zu den wichtigsten Pflichten eines Herrschers, mit den umliegenden Entitäten Frieden zu verabreden und sich für den Notfall abzusichern. Der mit großem propagandistischen Aufwand, mit dreitägigen Bittgängen und Messen, vorbereitete Feldzug Karls gegen die Awaren 791 diente sicher dazu, Eindruck bei der antikarolingischen Opposition in Bayern zu machen.103 Aber war das der einzige Grund für den aufwändigen Kriegszug? Welche Rolle spielte die Missionierung der Awaren und die Obsorge für die wohl weitgehend isolierten christlichen Gemeinden in Pannonien? Nach dem vorläufigen Ende des Krieges 796 hielt man noch im Heerlager an der Donau eine Synode ab, um die Missionierung im besiegten Awarenreich vorzubereiten.104 Da­ bei knüpfte man an frühere, wenn auch erfolglose, Versuche an. Rupert von Worms, der von Herzog ­Theodo 695/696 nach Bayern eingeladen worden war, hier Kirchen zu bauen, war schon unterwegs in das Awarenland, kehrte jedoch in Lorch (Enns) um und wählte dann doch Salzburg zu seiner Wirk­ stätte.105 Hatte er ursprünglich die Einrichtung eines Bistums in Lorch für die Awarenmission geplant? Etwas später, wohl nach 711/712, war Emmeram nur durch ein explizites Verbot Herzog Theodos davon ­ abaria abzuhalten, als Missionar in das Awarenland zu gehen.106 Man könnte auch meinen, dass der Ort S (Savaria, Steinamanger, Szombathely) für Karl den Großen von Bedeutung gewesen sei, wo nach ­Sulpicius Severus der fränkische Reichsheilige St. Martin von Tours (316/317–397) geboren worden war. 107 Die sogenannten Einhardsannalen berichten nämlich, Karl sei von seinem Kriegszug 791 über Pohl, Awaren 274. Falko Daim, Die Materialität der Macht. Drei Fallstudien zum awarischen Gold, in: Arm und Reich – Zur Ressourcenver­ teilung in prähistorischen Gesellschaften, ed. Harald Meller et. al. (8. Mitteldeutscher Archäologentag, Halle/Saale 2016) 623–636; Falko Daim/Levente Samu, Pseudoschnallen und Totenfeste. Tagung Budapest 2016 (in Druck). vgl. István Bóna, Az Avar Birodalom végnapjai. Viták és új eredmények, in: Honfoglalás és régészet, ed. László Kovács (Budapest 1994) 67–75, hier 68–70. 103 Brunner, Oppositionelle Gruppen 63. 104 Pohl, Awaren 319f.; Wolfram, Geburt Mitteleuropas. 105 Wolfram, Geburt Mitteleuropas 120f. 106 Wolfram, Geburt Mitteleuropas 121. 107 Zuletzt Tamás Adamik, The life of St. Martin of Tours through the lens of Sulpicius Severus’ works, in: Saint Martin and Pannonia – Christianity on the Frontiers of the Roman World, ed. Endre Tóth/Tivadar Vida/Imre Takács (Ausstellungs­ katalog, Pannonhalma 2016) 13–28, bes. 13 und 15. Zum Abstecher von 791 vgl. u.a. Bruno Judic, Le culte de saint Martin dans le haut Moyen Age et l’Europe Centrale, in: Sveti Martin Tourski, kot simbol evropske kulture/Saint Martin de Tours, symbole de la culture européenne, ed. Jasmina Arambaŝic (Ljubljana 2008) 32–44, hier bes. Anm. 33. 101 102

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Sabaria nach Hause zurückgekehrt, während das Hauptheer die Nordroute entlang der Donau gewählt habe. 108 Und sicher gab es in Sabaria wie auch in anderen Orten im Awarenreich des 8. Jahrhunderts christliche Gemeinden. Besonders deutlich zeigt sich ein lebendiges Christentum am Westende des Plattensees in der Keszthely-Gruppe (vormals ,Keszthely-Kultur‘), auch wenn es Hinweise dafür gibt, dass am Ende des 7. Jahrhunderts oder zu Beginn des 8. Jahrhunderts die Verbindung in das Byzan­ tinische Reich und nach Italien abgerissen ist. Das modern gegrabene Gräberfeld von Lesencetomaj gestattet es, die Veränderungen der Schmuckformen mit und ohne religiöser Bedeutung von der Früh­ awarenzeit bis in das frühe 9. Jahrhundert zu verfolgen.109 Auch im 8. Jahrhundert finden sich hier Kreuz­ anhänger, einer davon mit Glaseinlagen, und Scheibenfibeln mit Pfauendarstellungen.110 Im Gräberfeld von ­Zamardi, unweit von Keszthely, fanden sich in drei Gräbern je zwei Bronzekreuze, die offenbar auf dem Sarg oberhalb der Bestatteten montiert waren.111 Doch die Exkursion nach Sabaria, die Walter Pohl zu Recht als einen Umweg bezeichnete,112 wird außer in den sogenannten Einhardannalen nirgends notiert. Deren jüngste Handschriften und Hand­ schriftenfragmente, die auch den hier interessierenden Teil umfassen, stammen aus dem letzten Viertel des 10. Jahrhunderts. Zweifel an der Reise nach Sabaria lässt gerade der älteste Textzeuge, der Poeta Saxo, ein anonymer sächsischer Dichter des späten 9. Jahrhunderts aus Corvey aufkommen, der sich auf die Einhardschronik stützt und ihr sehr eng folgt, aber ad a. 791 just und vor allem diese Sabariaepisode auslässt.113 Angesichts dessen, dass die Einhardsannalen auch andere spätere Zusätze kennen, wäre auch hier an eine spätere Ergänzung zu denken, die die Martinsverehrung Karls unterstrichen hätte – wenn denn wenigstens eine kleine Anspielung darauf erhalten wäre, dass Karl gekommen wäre, in Sabaria den Geburtsort des hl. Martins zu verehren. Solche Hinweise gibt es aber nicht, auch spätere urkund­ liche Erwähnungen einer Sabaria 860 oder 984 geben keinen Hinweis darauf, dass es hier bereits eine Martinsverehrung gegeben hätte. Erst die Kreuzfahrer suchten in Sabaria, was sie aber bei Pannonhalma lokalisierten, den Geburtsort Martins.114 Karls Abstecher nach Sabaria wird also nicht mit dem Martins­ kult zu verbinden sein. Wie sich Karl die Organisation seiner Herrschaft in den eroberten Landen vorstellte, können wir nur anhand der späteren Ereignisse erahnen. Sicher ist, dass seine Interessen an den Grenzen des früheren Pannonien endeten. 805 erscheint ein getaufter awarischer Fürst Theodor, capcanus, princeps Hunorum, vor Karl und ersuchte ihn, ihm das Land inter Sabaria et Carnuntum zu überlassen, da er wegen der slawischen Angriffe in seinen bisherigen Wohnsitzen nicht bleiben könne. Bald darauf starb Theodor, worauf der Khagan einen seiner optimates sandte und um die Würde bat, die der Khagan immer bei den „Hunnen“ hatte. Tatsächlich übertrug ihm Karl wieder die Oberherrschaft über das gesamte Gebiet.115 Diese Regentschaft dürfte sich in der Praxis jedoch nicht durchgesetzt haben. 811 schickte Karl noch­ mals ein fränkisches Heer „in die pannonischen Länder, um den Streitigkeiten mit Hunnen und Slaven ein Ende zu machen.“ Die Exponenten der Streitparteien, canizauci princeps Avarum et tudun et alii primores ac duces Sclavorum, wurden nach Aachen zitiert.116 Ob die ,Kopfwäsche‘ erfolgreich war, ist nicht bekannt. 822 kam das letzte Mal eine awarische Gesandtschaft in das Frankenreich. Anlässlich des Reichstags in Frankfurt empfing Kaiser Ludwig der Fromme Vertreter aus den östlichen Teilen des Pohl, Awaren 317. Ágota Perémi, The cemetery of Lesencetomaj, in: Saint Martin and Pannonia – Christianity on the Frontiers of the Roman World, ed. Endre Tóth/Tivadar Vida/Imre Takács (Ausstellungskatalog, Pannonhalma 2016) 143–144. 110 Perémi, Lesencetomaj 144; Tivadar Vida, Christianity in the Carpathian Basin during late antiquity and the early middle ages, in: Saint Martin and Pannonia – Christianity on the Frontiers of the Roman World, ed. Endre Tóth/Tivadar Vida/Imre Takács (Ausstellungskatalog, Pannonhalma 2016) 93–106, bes. 103. 111 Edith Bárdos/Eva Garam, Das awarenzeitliche Gräberfeld in Zamárdi-Rétiföldek 1 (Monumenta avarorum archaeologica 9, Budapest 2009) 182, Tafel 199, 1; Edith Bárdos/Eva Garam, Das awarenzeitliche Gräberfeld in Zamárdi-Rétiföldek 2 (Monumenta avarorum archaeologica 10, Budapest 2014), 187f., Tafel 205, 213; Vida, Christianity 104. 112 Pohl, Awaren 317. 113 Matthias Tischler, Einharts ,Vita Karoli‘. Studien zur Entstehung. Überlieferung und Rezeption (Hannover 2001) 605–609; Jürgen Bohne, Der Poeta Saxo in der historiographischen Tradition des 8.–10. Jahrhunderts. (Frankfurt a. M. 1965) 26–28. 114 In der Beschreibung der Ankunft des Godfrey am Hofe Kolomans in Pannonhalma. Vgl. Gilo of Paris, Historia Vie Hiero­ solimitane (ed. Chris W. Grocock/Elizabeth Siberry, Oxford Medieval Texts, Oxford 1997) 50. 115 Annales regni Francorum, ad a. 805, ed. Kurze 119f.; Reichsannalen, ed. Rau hier 80–82. 116 Annales regni Francorum, ad a. 811, ed. Kurze 135; Reichsannalen, ad a. 811, ed. Rau 98. 108 109

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­ eiches, vor allem der ,Ostslaven‘ und der Awaren aus Pannonien.117 Mit der administrativen Neuord­ R nung des karolingischen Ostlandes 828 war das Schicksal des awarischen Tributärfürstentums wohl endgültig besiegelt.118 Wieso das Awarenreich so rasch und ohne große Schlachten kollabierte, ist nicht ganz klar. Vermut­ lich war die Elite ebenso gespalten wie die ungarische während der Transformation des Stämmebundes in ein christliches, mittelalterliches Reich im 10. und 11. Jahrhundert. Ein Teil der awarischen Aristo­ kratie wird für die Annahme des Christentums gewesen sein, wie dies zur selben Zeit in Bulgarien ge­ schah. Viele Traditionalisten werden dies vehement abgelehnt haben. Große Kreuze auf einigen Schalen des Schatzes von Sânnicolau Mare (Nagyszentmiklós) könnten zeigen, dass christliche Symbole in der awarischen Elite akzeptiert wurden. Allerdings ist die Datierung dieser Objekte und auch die historische Deutung des Schatzes als ehemaliger Besitz des awarischen Khagans nicht unumstritten (zweite Hälfte 8. und/oder Anfang 9. Jahrhundert).119 Jedenfalls zerfiel die awarische Herrschaft fast ohne Zutun der Franken. Die Bulgaren könnten dabei eine Rolle gespielt haben, doch ist das sehr umstritten. Bald, spä­ testens zwei Generationen danach, kamen die ersten ungarischen Krieger in das Karpatenbecken, aber das ist eine andere Geschichte. Vermutlich gab es für Karl den Großen vier Beweggründe für die Awarenkriege: (1) Für einen römischen princeps und (seit 800) imperator Pannonien als ehemals römische Provinz zurückzugewinnen. (2) Die Unterstützung der christlichen Gemeinden in Pannonien, die Missionierung der Awaren. (3) Die Beruhigung der Adelsopposition in Bayern. (4) Den Erwerb der awarischen Schätze könnte man als willkommenen Beifang betrachten. Exkurs: Der letzte Rest vom Awarenschatz120 „Alles Geld und die seit langer Zeit angehäuften Schätze fielen in die Hände der Franken, kein Krieg, soweit Menschengedenken reicht, brachte diesen so viel Reichtum und Macht. Denn während man sie bis dahin beinahe als arm ansehen konnte, fand sich nun in der Königsburg eine solche Masse Gold und Silber, und in den Schlachten fiel so kostbare Beute an, dass man mit Recht glauben durfte, die ­Franken hätten gerechterweise den Hunnen das geraubt, was diese früher andern Völkern ungerechterweise ge­ raubt hatten.“121 Für Einhard war es die gewaltige Beute, welche die Awarenkriege auszeichnete. Ein von Oberitalien vorgetragenes Kommandounternehmen unter der Führung eines Slawen Woynimir hatte 795 das Herrschaftszentrum geplündert (es ist weiterhin umstritten, wie man sich den „Hring“ vorzu­ stellen hat). Angeblich waren 15 vierspännige Ochsenkarren notwendig, um die große Menge an Gold, Silber, Seide und Waffen nach Aachen zu bringen. Ein Jahr später war Markgraf Erich von Friaul per­ sönlich erfolgreich. Auch dieses Mal gelangte das Raubgut in die Residenz Karls. Woher hatten die Awaren all den Reichtum? Handelte es sich wirklich um Beute aus der Zeit, als sie mit ihren Verbündeten die byzantinischen Städte und Festungen am Balkan plünderten und vom Kaiser in Konstantinopel Jahrgelder erpressten? 122 Dies ist sehr unwahrscheinlich, immerhin lag ­diese – aus awarischer Sicht – erfolgreiche Zeit am Ende des 8. Jahrhunderts rund 200 Jahre zurück! ­Handelte es sich um die üblichen Geschenke, wie man sie im diplomatischen Verkehr bekam? Das kön­ nen wir als s­ icher annehmen, doch kommen all die weiteren Repräsentationsmittel eines königlichen Hofes dazu, und hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Der Goldschatz von Sânnicolau Mare (­Nagyszenmiklós) mit seinen – bloß – 10 kg reines Gold mag hier anregend wirken. Annales regni Francorum, ad a. 822, ed. Kurze 157-159; Reichsannalen, ad a. 822, ed. Rau 128–130 Annales regni Francorum, ad a. 828, ed. Kurze 174-176; Reichsannalen, ad a. 828, ed. Rau 150–154. 119 Der Goldschatz von Sânnicolau Mare (ungarisch: Nagyszentmiklós) – The Treasure of Sânnicolau Mare (Hungarian: ­Nagyszentmiklós), ed. Falko Daim et al. (Römisch-Germanisches Zentralmuseum Tagungen 25, Mainz 2015); Csanád Bálint, Der Goldschatz von Nagyszentmiklós/Sânnicolau Mare. Bemerkungen zum Forschungsstand, in: Der Goldschatz von Sânnicolau Mare (ungarisch: Nagyszentmiklós) – The Treasure of Sânnicolau Mare (Hungarian: Nagyszentmiklós), ed. Falko Daim et al. (Römisch-Germanisches Zentralmuseum Tagungen 25, Mainz 2015), 1–8; Daim, Materialität 629–631. 120 Teils wörtlich nach Daim, Materialität 629–634. 121 Einhard, Vita Karoli magni 13, 15, ed. Rau 183. 122 Pohl, Awaren bes. 58–162, 237–287. 117 118

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Doch was stellte Karl mit der Beute an? Die Fränkischen Reichsannalen berichten von der Frei­ giebigkeit Karls. Einen großen Teil davon ließ Karl dem Papst in Rom bringen, „den Rest schenkte er vornehmen Geistlichen und Weltlichen und seinen übrigen Getreuen.“123. Von der Verteilung des Schat­ zes erzählt auch eine weitere Quelle, die Lorscher Annalen: „Der Herr König dankte dem Allmächtigen dafür und verteilte eben diesen Schatz unter Kirchen und Bischöfen, unter Äbten und Grafen, desglei­ chen belohnte er auf erstaunliche Weise aus diesem Schatz all seine Getreuen.“124 Von dem nach Aachen gebrachten Awarenschatz ist nichts erhalten – vielleicht mit einer Ausnahme: Bereits 1932 gelangte ein nur 35 mm hohes und 36 mm breites Silberdöschen mit ovalem Deckel in das Archäologische Museum Madrid und wurde 1980 von A. M. Jiménez Garnica publiziert. Es war in Sorpe (Prov. Lérida, Spanien) am Südfuß der Pyrenäen gefunden worden. Am Ende des 8. Jahrhun­ derts lag dieser Ort in der von den Franken eingerichteten karolingischen Mark. Die mitteleuropäische Forschung nahm erst durch Mechthild Schulze-Dörrlamm davon Notiz.125 Vom technischen Standpunkt aus ist der Körper des Döschens von eher bescheidener Qualität. Der ovale, durchbrochen gearbeitete Deckel ist jedoch ein kleines Kunstwerk. Er zeigt den Kopf eines Kaisers im Profil, mit Diadem und runder Kaiserfibel. Hinter dem Haupt ist eine schwungvolle Ranke zu sehen, vor dem Antlitz ist ein Teil des Bildfeldes ausgebrochen. Der umlaufende Seitenstreifen zieht nach unten leicht ein und zeigt eine Folge gegenständiger Palmetten. Auffallend ist ein massiver Haken an dem rechten Rand des Deckels, dessen frühere Funktion lange übersehen wurde, denn wie erst kürzlich dargelegt, handelt es sich bei dem Deckel zuvor um die linke Hälfte einer Mantelschließe, wie sie im Awarenreich in der letzten ­Periode vor dessen Zerstörung durch die Heere Karl des Großen gebräuchlich waren – allerdings ohne die Kaiserportraits (Abb. 10).126 Zwei österreichische Beispiele stammen aus dem Gräberfeld von Wien 11 – Csokorgasse, Gräber 629/A und 647 (Abb. 11). Das Motiv eines Kaisers im Profil ist im spätawarischen Fundgut allerdings nicht außergewöhnlich. Manche Kaisermotive sind so stark stilisiert, dass die Darstellung kaum zu erkennen ist, so z. B. auf einer Schnalle, die in Leobersdorf (Bez. Baden, Österreich), Grab 69, gefunden worden ist (Abb. 12). Vorbilder für die awarischen Nachschöpfungen könnten Gürtel gewesen sein, die nachweislich von den Byzantinern als diplomatische Geschenke verwendet worden sind. Ein besonders prächtiger, ver­ goldeter Silberbeschlag wurde 2004 in Szeged-Kiskundorozsma (Kom. Csongrád, Ungarn) gefunden (Abb. 13). Da er aus 138 feinsten Einzelteilen zusammengesetzt wurde und diese in mediterraner Tradi­ tion stehende Herstellungsart für die Awaren des 8. Jahrhunderts nicht belegt ist, handelt es sich bei dem Kaiserbeschlag vermutlich um ein byzantinisches Original.127 Dass die Mantelschließe von Sorpe ebenfalls aus dem Byzantinischen Reich stammt, ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dazu steht sie den bekannten awarischen Mantelschließen zu nahe, während entsprechende Vergleichsbeispiele aus dem Gebiet des Byzantinischen Reiches fehlen. Vor allem die Palmettenreihe auf dem Seitenstreifen kommt auf awarischen Agraffen und Riemenzungen vergleichs­ weise häufig vor, nicht jedoch in Byzanz. Im Ergebnis ist somit anzunehmen, dass die silbervergoldete – wohl awarische – Mantelschließe von Sorpe im Zuge der 791 begonnenen fränkischen Kriegszüge gegen die Awaren in den Westen ge­ kommen ist. Ein ,getreuer‘ Krieger könnte sie als seinen Anteil erhalten und dann in die karolingische Mark gebracht haben. Sollte dies zutreffen, wäre der Agraffenteil von Sorpe der letzte erhaltene Rest der gewaltigen Beute Karl des Großen.

Annales regni Francorum, ad a. 796, ed. Kurze 98-100; Reichsannalen, ad a. 796, ed. Rau 98. Annales Laureshamenses ad a. 795 (ed. Georg Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 19–39, hier 36. 125 Mechthild Schulze-Dörrlamm, Bemerkungen zu den jüngsten Elementen des Schatzes von Nagyszentmikl´s und zum Zeit­ punkt seiner Deponierung, in: Antaeus 31/32 (2010) 127–142, hier 138–141 mit Abb. 11. 126 Péter Prohászka/Falko Daim, Der Kaiser auf der Mantelschließe: Zum Deckel der frühmittelalterlichen Dose von Sorpe, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 55 (2015) 563–578. 127 Falko Daim/Jérémie Chameroy/Susanne Greiff/Stephan Patscher/Peter Stadler/Tobias Bendeguz, Kaiser, Vögel, Ranken­ werk – byzantinischer Gürteldekor des 8. Jahrhunderts und ein Neufund aus Südungarn, in: Byzanz – Das Römerreich im Mittelalter, 3: Peripherie und Nachbarschaft, ed. Falko Daim/Jörg Drauschke (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 84, 3, Mainz 2010) 277–330. 123 124

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EPILOG Fraglos trägt Karl der Große seinen Beinamen zu Recht. Das Programm für das Frankenreich, welches er mit seiner Berater- und Machtgruppe entwickelte, war von bewundernswerter Weitsicht geprägt, vor allem was seine Bildungs- und Wirtschaftsreformen betrifft. Er war ein geschickter Stratege, der sich plötzlich ergebende Chancen ergriff, Schwächen anderer, auch der eigenen Verwandten, ausnützte. Er war skrupellos und konnte brutal sein. Einhard stellte fest: „Die Franken hat jeder gern zum Freund, aber nicht als Nachbarn.“ Rückschläge nahm er hin und ließ sich nie entmutigen. Aber lässt sich aus sei­ nem Handeln eine Vision für sein Herrschertum erkennen? Der vorliegende Beitrag versucht, mehrere Aktions­felder Karls zu beleuchten und ein Muster zu finden, welches hilft, die gestellte Frage zumindest hypothetisch zu beantworten. – Die Christen im Heiligen Land lagen Karl sehr am Herzen, wie sein Biograph Einhard berichtet, und auch anderenorts ist von Almosen an Jerusalem die Rede. Freilich könnte man den Grund dafür in den vielen Franken sehen, die sich z.B. als Mönche in Palästina aufhielten. Der Rotulus, den Karl anfertigen ließ, ein Inventar der Kirchen und Klöster in Jerusalem und Umgebung, mit Angaben zu Personal und Budget, lässt sich damit allerdings schwer erklären. Offenbar bestand zwischen Hārūn ar-Raschid und Karl dem Großen tatsächlich eine Übereinkunft, auf Grund ­deren der Franke eine Art Patronanz über die christlichen Gemeinden im Kalifat ausübte. Die vielen wechselseitigen Gesandtschaften werden so verständlich, auch die Schlüssel für das Heilige Grab, den Kalvarienberg und Jerusalem selbst, die der Patriarch Karl anlässlich der Kaiserkrönung im Jahr 800 überbringen ließ. Gleiches gilt für ein persönliches Geschenk Hārūns: Der Elefant Abul Abbas (sinniger Weise der Name des Gründers der Abassidendynastie), wurde mühsam entlang der nordafrikanischen Küste und dann über das Mittelmeer nach Aachen gebracht, wo er 803 eintraf. Der Dickhäuter fand zwei Mal Erwähnung in den Reichsannalen, so wichtig wurde er genommen. – Besonders aussagekräftig ist auch die Goldmünze Karls, die 1996 in Ingelheim gefunden worden ist. Sie ist nicht byzantinischen Münzen nachempfunden, wie die Prägungen Theudeberts, son­ dern orientiert sich an antiken Vorbildern. Am nächsten steht sie Bronzemünzen Konstantins und seiner Söhne aus den 320er Jahren. Während die Rückseite ein Stadttor zeigt, eventuell das der Stadt Arles, wo die Münze geprägt worden ist, sieht man auf der Vorderseite Karl im Profil, mit Lorbeerkranz und einer umlaufenden Inschrift, die ihn als Dominus Noster, Imperator, Augustus und Rex Francorum et Langobardorum ausweist. Der Titel Dominus Noster war von Konstantin dem Großen eingeführt worden, Imperator meint besonders die oberste Heeresgewalt, Augustus entspricht der römischen Tradition, Rex ist ein frühmittelalterliches Novum. Unsere Goldmünze hat große Ähnlichkeit mit Bildnispfennigen, vor allem denen aus Arles, die eventuell sogar von demselben Münzstempelschneider stammen, der auch die Goldmünze geschaffen hat. Sämtliche Bildnismünzen Karls dürften aus den Jahren nach der Kaiserkrönung stammen, eventuell sogar erst aus den Jahren 812-814, also nach der formalen Anerkennung des Kaisertitels durch die ­Byzantiner. So ließe sich die extreme Seltenheit der Bildnismünzen erklären. In jedem Fall ver­ weist sie eindeutig auf Konstantin den Großen, was freilich nicht zwingend bedeutet, dass sich Karl als dessen Erbe präsentieren wollte. Spannend ist der freie Umgang mit dem Vorbild, das für seine Zwecke angepasst wurde, statt es einfach zu imitieren. – In der zweiten Hälfte des 6. und im frühen 7. Jahrhundert verlor Konstantinopel fast die gesamte Balkanhalbinsel an die awarischen und slawischen Eroberer. Nur kleine Enklaven verblieben dem Byzantinischen Reich. Ähnlich war die Situation in Italien nach der Übernahme durch die Langobarden nach 568. An der oberen Adria waren danach noch Istrien und die vorgelagerten Inseln – zumindest formal – in byzantinischer Hand. Dies änderte sich nach der Eroberung des italienischen Langobardenreichs durch Karl den Großen im Jahr 774. Seine Krieger besetzten Istrien, die Inseln waren für die Franken jedoch schwerer erreichbar. Hier versuchten sie – teils sehr erfolgreich – durch wirtschaftlichen Druck und politische Einflussnahme Boden zu gewin­ nen. Gleichzeitig gelang es Konstantinopel, die Kontrolle über große Teile Griechenlands wie­ derzugewinnen. So sandte Kaiser Nikephoros im Jahr 806 seine Dromonen in die Adria, wohl um Friedensverhandlungen mit König Pippin, einem Sohn Karls des Großen, aus einer Position

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militärischer Stärke führen zu können. Gleichzeitig wurde die Oberhoheit über Venedig wieder­ hergestellt. Eine zweite Intervention der Byzantiner 808/809 war offenbar weniger erfolgreich. So unternahm Pippin 810 einen ersten Vorstoß auf Malamocco, das damalige politische Zentrum der Region. Vermutlich erkauften sich die Lagunensiedlungen den Abzug der Franken. Nach dem Tod Pippins mussten die Verhandlungen direkt mit Karl dem Großen geführt werden. Dieser wollte die formale Anerkennung seiner Kaiserwürde und war nach den Reichsannalen dafür bereit, auf Gebietsansprüche zu verzichten. Für Kaiser Nikephoros war ein zweiter Kaiser undenkbar. So war es für Karls Bestrebungen ein Vorteil, dass Nikephoros im Kampf gegen die Bulgaren den Tod fand. Sein Nachfolger Michael I. wollte Frieden mit den Franken und stimmte einer Akklamation Karls in Latein und Griechisch als Imperator und Basileus nach den Verhandlungen zum Vertrag von Aachen 812 zu. Dafür stellten die Franken ihre Versuche ein, die Inseln der oberen Adria und Dalmatiens in ihre Abhängigkeit zu bringen. – Für das Jahr 793 berichten die Reichsannalen, Karl hätte zwischen den Bächen Rezat und Alt­ mühl, einen Kanal anlegen lassen, und er hätte die Baustelle päpstlichen Gesandten gezeigt. Auch heute noch ist in Graben, südlich von Nürnberg, ein gewaltiges Bodendenkmal zu bestaunen, die Reste dieses Prestigeprojekts Karls des Großen. Die Fossa Carolina sollte die Wassersysteme des Rheins und der Donau verbinden und den Schiffsverkehr zwischen dem fränkischen Kernland und Bayern einfacher und bequemer gestalten. Umstritten in der Forschung war, ob das Kanalprojekt Karls des Großen letztlich erfolgreich war oder gar ein kapitaler Fehlschlag, berichten doch die sogenannten Einhardsannalen, Grundwasser und Regenfälle hätten die Arbeiten zunichte gemacht. Um hier Klärung zu bringen, läuft seit 2012 ein großes interdisziplinäres Forschungsprojekt. Mittels geoarchäologischer Untersuchungen, geophysikalischen Prospektionen und gezielten Grabungen konnten tatsächlich wesentliche Einblicke in das technische Konzept und viele Konstruktionsdetails gewonnen werden. Offenbar hatten die Ingenieure das Vor­ haben geschickt geplant, doch kam man mit den schwierigen Bodenverhältnissen nicht zurecht. Die Grabungsergebnisse sind noch nicht abschließend ausgewertet, doch scheinen sie die Angaben der Ein­ hardsannalen zu bestätigen: Das Bauvorhaben musste vor der Zeit eingestellt werden. Welche Gründe mag es gegeben haben, hier zu investieren? Fünf Jahre zuvor, 788, war es Karl ­gelungen, seinen Neffen Herzog Tassilo III. zu entmachten und Bayern dem Frankenreich einzuver­ leiben. Noch im selben Jahr begann Karl den mehrjährigen Krieg gegen die Awaren, deren Reich im Karpatenbecken er letztendlich zerstörte. Doch 793, das Jahr, in dem der Bau des fränkische RheinMain-Donau-Kanal durchgeführt wurde, war der Erfolg der Awarenkriege noch nicht absehbar und die Franken hatten an mehreren Stellen (nicht nur auf der iberischen Halbinsel und in Sachsen) Rückschläge zu verkraften. Sowohl um die Anbindung Bayerns an das Frankenreich zu verstärken, als auch wegen der Notwendigkeit, Truppen und Nachschub nach Pannonien zu führen, war eine Optimierung der Ver­ kehrsverbindung wünschenswert. Wo immer es möglich war, zog man den Wasserweg vor. Reisen und der Warentransport auf Schiffen oder Kähnen waren weniger beschwerlich, schonender für die Güter und auch billiger als mit Hilfe von Fuhrwerken oder Pferden. – Die Awaren beherrschten das Karpatenbecken fast 250 Jahre lang, von 568 bis in die Zeit Karls des Großen. Ihr Reich umfasste völlig unterschiedliche Kulturlandschaften, ihre Gräberfelder und Siedlungen finden sich im ehemals römischen Pannonien sowie zwischen Donau und Theiss und östlich davon. Die völlig unterschiedliche Vorgeschichte spiegelt sich in vielfältiger Weise im awarenzeitlichen Fundgut. Bis 626 pflegten sie eine Art Konfliktökonomie, plünderten die byzantinischen Siedlungen, Städte und Festungen am Balkan und erpressten Subsidien bis zu einem Gegenwert von fast einer Tonne Gold pro Jahr. Ihr Versuch, gemeinsam mit den Persern Konstantinopel einzunehmen, misslang aber und stürzte das Awarenreich in eine veritable Krise. Möglicherweise stand das Karpatenbecken im mittleren Drittel des 7. Jahrhunderts unter einem starken Einfluss der Bulgaren in Osteuropa. In der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts sehen wir eine Konsolidierung und eine gewisse Vereinheitlichung der awarischen Kultur mit teils regen

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Beziehungen in den Mittelmeerraum. Im 8. Jahrhundert beschränken sich diese offenbar auf diplo­matische Kontakte, ein Warenaustausch mit dem ,Ausland‘ lässt sich nicht erkennen. Unmittelbar nach der Absetzung Tassilos III. und der Übernahme Bayerns beginnt Karl der Große den Awarenkrieg, der von seinem Biographen Einhard als der größte Erfolg der Regierungszeit des fränkischen Königs gepriesen wird. Dies wird mit dem Erwerb des awarischen Schatzes begründet, der die vormals geradezu armen Franken reich gemacht hätte. Im Zuge eines Kommandounternehmens, das von Oberitalien vorgetragen worden ist, wurde 795 das Herrschaftszentrum der Awaren geplündert und die Kostbarkeiten – Gold, Silber, Seide, Waffen – auf 25 vierspännigen Ochsenkarren nach Aachen gebracht. Zumindest ein Teil des Schatzes wurde an befreundete Herrscher, Gefolgsleute und verdiente Krieger verteilt, und auch der Papst wurde beschenkt. Vermutlich konnte kürzlich ein winziges Silber­ objekt aus der Awarenbeute identifiziert werden. Der Deckel eines Silberdöschens, das in Sorpe, am Südfuß der Pyrenäen gefunden worden ist, also in der karolingischen Mark, stellt tatsächlich die Hälfte einer Mantelschließe dar, wie wir sie nur von den Awaren kennen. Der Goldgewinn war aber kaum das primäre Motiv des späteren Kaisers, die Awaren anzugreifen, eher noch die Christianisierung der Awaren, derentwegen 796 im Heerlager an der Donau eine Synode abgehalten wurde. Wenn man aber berücksichtigt, dass nach der Beseitigung der awarischen Herrschaft lediglich das heutige Westungarn in die fränkische Grafschaftsorganisation eingegliedert wurde, könnte die Rekonquista Pannoniens ein wichtiges Motiv für die Awarenkriege dargestellt haben. Der vorliegende Beitrag behandelte nur einige Facetten einer überaus k­ omplexen Thematik, doch weisen die hier versammelten Einzelstudien in eine Richtung. König Karl dürfte seine Kaiserkrönung mit langer Hand vorbereitet haben. Aber es ging ihm wohl nicht ­darum, bloß den Titel zu erwerben. Er hat sein römisches Kaisertum ernst genommen, sorgte sich für die ­Christen im Heiligen Land und ergriff alle Chancen, die Souveränität des Römischen Kaisers über die verloren gegangenen Teile des Reiches wiederherzustellen. Inwieweit Karls Vorbild der große Konstantin persönlich war, ist nicht eindeutig, obwohl die Goldmünze ein Indiz dafür darstellt. Aber zumindest das römische Kaisertum mit seinem globalen Anspruch stand wohl im Zentrum seiner persönlichen Vision. War es das, was Karl den Großen angetrieben hat?

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Abbildungen

Abb. 1 Goldmünze Karls des Großen, geprägt in Arles. – (Museum bei der Kaiserpfalz Ingelheim, Aufnahme durch Volker Isenhardt)

Abb. 2 Bronzemünze des Konstantin I. (306-337), geprägt in Trier. – (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, O.33250)

Abb. 3 Bronzemünze des Magnus Maximus (383-388), geprägt in Aquileia. – (Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18255504, Aufnahme durch Reinhard Saczewski)

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Abb. 4 Denar Karls des Großen, geprägt in Arles. – (Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18202750, Aufnahme durch Lutz-Jürgen Lübke)

Abb. 5 Denar Karls des Großen, geprägt in Arles. – (Musée des Beaux Arts de Lyon, Aufnahme durch Vincent Borrel)

Abb. 6 Goldmünze Karls des Großen, geprägt in Lucca. – (Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Objektnummer 18202710, Aufnahme durch Lutz-Jürgen Lübke)

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Abb. 7 Luftbild des Karlsgrabens im Winter 1985 mit Grabungsfläche 2013 (Punkt). (BLfD Luftbildarchiv, Aufnahmedatum 19.02.1985, Archivnr. 7130/27, Filmnr. 3840a/37).

Abb. 8 Lage des Karlsgrabens in Mitteleuropa. Grenzverläufe nach Putzger-Atlas 2002. Basisdaten Geländemodell SRTM-GDEM © NASA 2009, CCM River and Catchment Database © European Commission 2007.

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Abb. 9 Modell der Kanalkonstruktion im Bereich des Grabungsschnittes 2013 (links) und Dokumentation eines Bauholzes mit Bearbeitungsspuren (rechts).

Abb. 10 Silberdöschen von Sorpe, Prov. Lérida (Spanien).

Abb. 11 Mantelschließe, Gräberfeld von Wien 11 – Csokorgasse, Gräber 629/A und 647.

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Abb. 12 Spätawarische Bronzeschnalle, vergoldet, aus Leobersdorf, Bez. Baden (Österreich), Grab 69.

Abb. 13 Gürtelbeschlag aus Szeged, Kiskundoroszma, höchstwahrscheinlich byzantinscher Produktion.

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D av i d G a n z

Charlemagne in the margin: a new testimony to his reputation from a Carolingian schoolroom1 For early medieval readers Virgil provided the model of Latinity which was widely studied. The ­grammarian Marius Victorinus stated that authority depends on poets like Virgil and the antiquarii, those who wrote histories.2 At Charlemagne’s court the court poets imitated Virgil, most notably in reviving the epic form, as Dieter Schaller has shown.3 Alcuin’s attitude to Virgil was expertly studied by Louis Holtz.4 Lines of Virgil are used by Alcuin in his De Dialectica to illustrate particular sorts of argument A specie, A differentia, A contrariis, A consequente, ab adjunctis, ab effectis, a majore interrogativa, imperativa, deprecativa, vocativa5 but this follows the practice of Isidore Etymologiae II which in turn draws on the examples provided by Cassiodorus in his Institutiones. Yet it is important to recognize that Virgil supplied the standard examples for these rhetorical figures. The surviving book of the epic in praise of Charlemagne which we call Karolus Magnus et Leo Papa is rich in Virgilian echoes, it presents contemporary events as a continuation and a renewal of the founding of Rome.6 Ermoldus Nigellus composed a similar epic about Louis the Pious.7 Moduin, later bishop of Autun wrote of the importance of the publica carmina, and of the celebration of the renaissance of golden Rome and civilization of antiquity: “poetry is now what our masters hold in special affection.”8 Virgil was repeatedly quoted in Carolingian verse and in Carolingian exegesis.9 40 Carolingian manuscripts containing Virgil have survived: 8 from the first half of the century, 15 from the mid-century and 15 from the end, with 4 fragments.10 In the words of Louis Holtz: “Ces ­manuscrits carolingiens de Virgile sont de véritables éditions scolaires et c’est sans doute là leur trait le plus caractéristique.”11 When Virgil was read in the ninth century the text was generally read from glossed manuscripts, sometimes with fairly simple word glosses, but sometimes with s­ubstantial 1



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I am grateful to Mme M. P. Dion for allowing me to consult Valenciennes BM 407, to Hildegund Müller for her generous assistance with the deciphering and interpretation of the glosses, to Stephen Gersh and Paul Dutton for advice about the references to Eriugena, and to Maximilian Diesenberger for reminding me that Herwig Wolfram had explored the context of Notker’s story of the iron Charlemagne. None of these are responsible for errors in this paper. Cf., Anonymus ad Cuimnanum, Expossitio Latinitatis I (21va) (ed. Bernhard Bischoff/Bengt Löfstedt, CCSL 133D, ­Turnhout 1992) 1: Auctoritate secundum veterum lectionum dicta, id est, aut secundum poetas ut fuit Virgilius et alii. Dieter Schaller, Vergil und die Wiederentdeckung des Epos im frühen Mittelalter, in: Medioevo & Rinascimento 1 (1987) 75–100; Dieter Schaller, Karl der Große im Licht zeitgenössischer politischer Dichtung, in: Karl der Grosse und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa 1: Wissen und Weltbild, ed. Paul Leo Butzer/ Max Kerner/ Walter Oberschelp (Turnhout 1997) 193–219. Louis Holtz, Alcuin et la réception de Virgile au temps de Charlemagne, in: Einhard. Studien zu Leben und Werk, ed. Hermann Scheffers (Darmstadt 1997) 67–80. Alfred Ebenbauer, Carmen Historicum. Untersuchungen zur historischen Dichtung im karolingischen Europa (Vienna 1978) 301–303 documents hostility to Virgil in Alcuin’s writings. Alcuin, De Dialectica (ed. Jacques Paul Migne, PL 101) 975. Karolus Magnus et Leo Papa (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini aevi Carolini 1, Berlin 1881) 366–379. Ermoldi Nigelli Carmina (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini aevi Carolini 2, Berlin 1884) 1–91. Modoinus, Ecloga (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini aevi Carolini 1, Paris 1881) 382–391, at 387: Crede, satis gratas dominis consistere Musas. For references to passages of Virgil Pierre Courcelle, Lecteurs païens et lecteurs chrétiens de l’Enéide (Mémoires de ­l’académie des inscriptions et belles lettres, 4/1: Les témoignages littéraires, Paris 1984). They are listed and briefly described by Birger Munk Olsen, L’étude des auteurs classiques latins aux XIe et XIIe siècles, 2 (Paris 1985) 673–826. Louis Holtz, La redécouverte de Virgile aux VIIIe et IXe siècles d’après les manuscrits conservées, in: Lectures médiévales de Virgile (Collection de l’Ecole française de Rome 80, Rome 1985) 9–30, at 17. For the textual importance of these ­manuscripts Robert A. Kaster, The Text of Virgil in the Ninth Century (New York 1990), his Harvard dissertation of 1975.

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c­ ommentary derived from Servius, involving elaborate accounts of mythology and early history, to­ gether with ­explanations of Virgilian usage and comments on metre.12 The manuscripts are scholarly editions because of their glosses and the occasional record of variant readings. The majority of the glosses derive from the Virgil commentary of Servius, but sometimes glosses refer to contemporary concerns. In dealing with Servius, as with every other medieval survival of ancient scholarship, one is ­simul­taneously dealing with multiple witnesses to a single text and with a set of manuscripts each of which is a unique witness to a unique text, the creative act of a scribe/reader/editor both preserving and creating. Discussions of Servius have seldom noted that in the text edited by Georg Thilo and Heinrich Hagen there is a clear Christian reference. On Aen IV, 200 Vigilem sacrificaverat ignem excubias divum quod significat sine intermissione fieri sacrificia, ad quem excubare per diem et noctem necesse sit, ut dicimus cottidie in officio esse.13 The daily prayers of the office are thought to have been established in the fourth century, this reference makes it clear that the text of Servius has been interpolated.14 Of the forty Carolingian Virgil codices 22 survive with a complete text recording a more ancient and lost textual tradition. Some copy Servius with the text. Non Servian scholia are found in manuscripts in Montpellier, Med Lat H 253 (copied in North Eastern France), Paris BN Lat 7928 (copied in the region of Reims), Bern 165 (copied at Tours), and Oxford Bodleian Library Auct. F. 2 8. (copied in the Paris region).15 The best studied of these is Bern 165 which was copied at St Martin’s Tours in the second quarter of the ninth century and given to the monastery of St Martin by the deacon Berno, gregis Beati Martini levita with the stipulation that his cousin Arbertus should have use of it.16 He uses his name in a gloss on Georg 3, 147 : sic enim dicimus est mihi nomen Bernoni est mihi nomen Bernonis, est mihi nomen Bern.17 The Bern glosses contain excerpts from Servius Auctus made by a scribe who usually selected only the extra scholia not in his text of genuine Servius. The excerpts were made with great liberty. Corrupt passages were freely emended, sometimes correctly, sometimes to a text which bore not the faintest resemblance to the original.18 The glossators perhaps had access to an ancient set of scholia for they use the expression ut supra diximus as opposed to impersonal dictum est used by the compiler of DS. But the glosses also contain a number of contemporary references. Interpretations are taken from Nonius and the readings are shared with the earliest manuscript of Nonius, now in Leiden, copied at Tours. The fourth scholiast used Festus and Macrobius. The Bern glosses contain several Christian statements: On Ec 8 17 almum aut sanctum quod in ­nostris litteris invenitur.19 Georgics IV, 7 verba ista christiana plane desunt.20 and at Georgics IV, 493 ridiculosa gentilitatis fingit falsa.21 The best account of a Carolingian Virgil manuscript is Silvia Ottaviano, Il Reg. Lat. 1669: Un’edizione di Virgilio d’Età Carolingia, in: Miscellanea Bibliothecae Apostolicae Vaticanae 16 (Studi e Testi 458, Vatican 2009) 259–324. 13 Servius Honoratus, Commentarius in Vergilii Aeneida IV, 200 (ed. Georg Thilo/Hermann Hagen, Servii Grammatici qui feruntur in Vergilii carmina commentarii 1, Leipzig 1881) 499. 14 Thilo, Praef. to Severius Honoratus, In Vergilii carmina commentarii 1, lxvii 15 Charles Murgia, Prologomena to Servius, 5: The Manuscripts (University of California Publications in Classical Studies 2, Berkeley 1975). On Virgil glosses Michael McCormick, Five Hundred Unknown Glosses from the Palatine Virgil (The Vatican Library MS Pal. Lat. 1631) (Studi e Testi 343, Citta del Vaticano 1992) 24–31. 16 The best account of the manuscript remains John Joseph Savage, The Scholia in the Virgil of Tours, Bernensis 165, in: Harvard Studies in Classical Philology 36 (1925) 91–164 with 3 plates. Otto Homburger, Die illustrierten Handschriften der Bürgerbibliothek Bern (Bern 1962) 80–82 with a superb colour plate of the opening of the Eclogues in red and black capitalis with an elaborate interlace initial on f. 2r. Cf. Beat Matthias von Scarpatetti et al., Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, 2: Die Handschriften der Bibliotheken Bern bis Porrentruy (Zürich 1983) 669–671. The manuscript can now be viewed online at http://www.e-codices.unifr.ch/de 17 Scholia Bernensia ad Vergilii Bucolica atque Georgica (ed. Hermann Hagen, Leipzig 1867) 994; Savage, The Scholia 6. At Aen IX, 593 the fifth hand uses the name Luidramnus in a similar way ibid 106. 18 Thilo, Praef. to Severius Honoratus, In Vergilii carmina commentarii 1, lxv. 19 Savage, The Scholia 114; Scholia Bernensia, ed. Hagen, 989. 20 Scholia Bernensia, ed. Hagen, 709. 21 Hagen, Scholia Bernesia, 981. 12

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The Dacians mentioned by Virgil in Book II of the Georgics as a people whose invasions do not ­trouble the learned man, are identified with the Vikings Daci esse illi qui et Nortmanni on Georg II, 497.22 Virgil offered an alternative model of experience, an alterity, an other with which they could define what Herwig Wolfram called the ‘Wir-Bewusstsein’. Virgil described a range of virtues, but they were pagan virtues, fabula mixed with historia and transformed into art. Any reader of the City of God would inevitably encounter Virgil as the spokesman for the earthly city, and because his readers lived in that earthly city and succumbed to its values, they found Virgil congenial. So Alcuin and Odo of Cluny had to be warned in dreams that Virgil leads to Hell,23 even as poets used book VI of the Aeneid to describe a Christian Hell. Virgil gave early medieval authors the most powerful pictures of the world they had lost, be it Arcadian pastoral or Roman glory: he offered cosmology and the chance to overhear the Gods. The possibility to explore, in reading Virgil, what a Christian poet was not, to understand difference and to dialogue with the past, is preserved for us in the remarkable manuscript from St Amand which is the subject of my paper. Valenciennes BM 407 is a large volume of 232 folia with 29 lines to the page which was copied by several scribes in North Eastern France in the third quarter of the ninth century, and has several strata of glosses, both marginal and interlinear.24 One of the glossators notes variant readings, for example Aen III, 341 notes in margin in a large hand alius liber Que tamen et puero est, more commonly the glossators write vel or alius. Many of the explanatory glosses derive from Servius, but on f. 56 verso, on Aen I, 52 on the story of Paris he has noted hoc autem non dicit Servius twice. The longer glosses explain classical references often starting Fabula est…. The glossator, or the source, expresses literary judgement: Bene dicit is frequent. Silvia Ottaviano has found glosses on Minerva and Teucer in Valenciennes 407, which derive from Remigius of Auxerre. Among the non-Servian glosses some identify a source: Augustine, Jerome, Solinus, Macrobius, Isidore and Bede. In some cases these names seem to identify the source of the information, rather than a particular passage which is being quoted. The reference to Bede De Naturis Rerum does not ­correspond to anything in that text, the references to Augustine’s sermon on Virgil and Jerome’s mention of a l­etter which made him feel as rich as Croesus also suggest the glossator is recalling something he or his ­teacher knew, rather than quoting from a text. The glosses compare pagan religious practices to Christian beliefs, and occasionally quote s­ cripture. We learn that the ancients believed that the movement of the stars revealed the ordering of human events. The behavior of Roman deities is compared to that of angels who comfort the mortals to whom they appear, so that men can hear their message without fear. (f. 154v) Free will and necessity are also discussed. Virgil’s reference to fate triggers a reference to fallen man’s compulsion to sin unless helped by Christ’s grace, with a reference to a Psalm verse used as a prayer. (f. 156r) In his grammatical explanation of the use of bina two by two Servius had provided a reference to a letter of Cicero, the glossator replaced that with a reference to Noah putting the animals into the ark. (f. 156v) In discussing the eating of the backs of the sacrificial oxen he explains that the sacrifice was to purge, and he compares this to Christians who believed they would be purged in taking the sacraments on Sundays. (f. 157r) The glossator defines superstitio as being both positive and negative in classical texts and describes the worship of the golden calf by the Israelites as a superstitio, and goes on to say that apud nos among Christians, superstitio is negative. (f. 157r)

Hagen, Scholia Bernensia, 993. Vita Alcuini (ed. Wilhelm Arndt, MGH SS 15, Hanover 1887) 185–186; John of Salerno, Vita Sancti Odonis (ed. Jacques Paul Migne, PL 133) 49. 24 Olsen, L’étude des auteurs classiques latins 776. The manuscript may be viewed on line at http://www.europeanaregia.eu/ en/manuscripts/valenciennes-bibliotheque-municipale-ms-407/en. 22 23

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In the account of Lydia the glossator mentions Croesus, king of Lydia and in describing his wealth he quotes a phrase of Boethius on the wealth of Cyrus, followed by a comment from Jerome. (f. 162r) Perhaps the strangest reference comes in the middle of an explanation of the use of bread and baskets to a sacrifice. The gloss reads there were not as many silver vessels there as uncle Fulco used to display at the Easter ceremony. Can this be a reference to Archbishop Fulco of Reims 883–900, the patron of Hucbald and Remigius according to Flodoard?25 The author has assembled an account of a Roman triumph which does not depend on any obvious source, and reveals his interest in Roman practice. (f. 29r) Most remarkable is the glossator´s explanation of why Virgil said that the Roman empire would be without end but also said that the kingdoms would perish, quoting Augustine. Was it the Roman empire, or as Servius had suggested, the empire of the barbarians? As in other passages there is an apparent contradiction which the glossator tries to explain. Augustine’s sermon reads: “A certain poet of theirs has introduced Jupiter speaking, and he says of the Romans; ‘For these I set no bounds in space or time, but have given empire without end’ (Aeneid I, 278–9). Most certainly truth makes no such answer. This empire, which thou hast given ‘without end’, is it on earth, or in heaven? On earth assuredly. And even if it were in heaven, yet ‘heaven and earth shall pass away’. Those things shall pass away which God Himself has made; how much more rapidly shall that pass away which Romulus founded! Perhaps if we had a mind to press Virgil on this point, and tauntingly to ask him why he said it; he would take us aside privately, and say to us, ‘I know this as well as you, but what could I do who was selling words to the Romans, if by this kind of flattery I did not promise something which was false? And yet even in this very instance I have been cautious, when I said, I assigned to them an empire without term of years.’ When he spoke in truth he was not silent as to its ruin; when in flattery, he promised that it should abide for ever.“26 Hercules is compared to the children of Israel worshipping the golden calf. Roman sacrifices to ­purify the community are compared to the expiation of Christian sacraments. The appearances of R ­ oman gods are compared to the appearances of biblical angels. Free will and necessity in classical and patristic thought are contrasted. No other Carolingian Virgil manuscript contains glosses which reveal an attempt to understand Virgil and his world by comparing it to the world of the glossator. Orpheus is treated as a philosopher who led men to civil society (civilem conversationem) and that was why his music calmed lions and moved trees. But the most remarkable reference is a brief passage in which Clausus, one of the leaders of the tribes which allied with Turnus, is compared to Charlemagne, whose appearance was so distinctive that it was not necessary to ask from someone who had never seen him who was Charles.27 Virgil had described

Flodoard, Historia Remensis ecclesiae IV, 9 (ed. Martina Stratmann, MGH SS 36, Hannover 1998) 401–402: Hucbaldum sancti Amandi monachum, virum quoque disciplinis sophiis nobiliter eruditum, accersivit et ecclesiam Remensem preclaris illustravit doctrinis. Hucbald supposedly returned to St Amand in 906. Cf. Peter Christian Jacobsen, Flodoard von Reims (Leiden 1978) 6ff.; Gerhard Schneider, Erzbischof Fulco von Reims 883–900 und das Frankenreich (München 1973). 26 Augustinus, Sermo 105 (ed. Jacques Paul Migne, PL 38) 623: Poeta illorum quidam induxit Jovem loquentem, et ait de Romanis, His ego nec metas rerum, nec tempora pono: Imperium sine fine dedi. Non plane ita respondet veritas. Regnum hoc, quod sine fine dedisti, o qui nihil dedisti, in terra est, an in coelo? Utique in terra. Et si esset in coelo, Coelum et terra transient Transient quae fecit ipse Deus; quanto citius quod condidit Romulus? Forte si vellemus hinc exagitare Virgilium, et insultare, quare hoc dixerit; in parte tolleret nos, et diceret nobis: Et ego scio; sed quid facerem qui Romanis verba vendebam, nisi hac adulatione aliquid promitterem quod falsum erat? Et tamen et in hoc cautus fui, quando dixi, ,Imperium sine fine dedi,ʻ Jovem ipsorum induxi, qui hoc diceret. Non ex persona mea dixi rem falsam, sed Jovi imposui falsitatis personam: sicut Deus falsus erat, ita mendax vates erat. Nam vultis nosse quia ista noveram? Alio loco, quando non Jovem lapidem induxi loquentem, sed ex persona mea locutus sum, dixi: Non res Romanae perituraque regna. Videte quia dixi peritura regna. Dixi peritura regna, non tacui. Peritura, veritate non tacuit: semper mansura, adulatione promisit. 27 Notker, Gesta Karoli II, 17 (ed. Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ., NS 12, Berlin 1959, ND München 1980) 81–84. Ecce habes quem tantopere perquisisti. Gaston Paris, Histoire poétique de Charlemagne (Paris 1865) 40 wrote of “la scène si ­caractéristique que décrit le moine de et qui, dans le fond du moins est évidemment un récit (peut-être un chant) populaire.” In his translation of Notker Lewis Thorpe quoted verses composed by Lord Macaulay in 1856 retelling this story, inspired by his reading of Antonio Panizzi’s Essay on the Romantic Narrative Poetry of the Italians (London 1830) 123, where Panizzi quoted this passage from Notker and asked “Is not this evidently taken from poetical effusions?”. Einhard and Notker, Two Lives of Charlemagne (trans. Lewis Thorpe, Harmondsworth 1969) 176–177. 25

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Clausus as ‘equal to a mighty host himself’.28 In explaining this Charlemagne is used as a point of ­reference: the gloss reveals his reputation. Here Charlemagne becomes an epic figure, as he was for the Poeta Saxo and for Notker Balbulus. Notker tells how during the siege of Pavia Desiderius repeatedly asked the noble Otker which of the approaching warriors was Charlemagne “And Otker said ‘You will see what he is like when he comes.’… But as the emperor drew nearer the gleam of the arms turned the darkness into day, a day darker than any night to the beleaguered garrison. Then could be seen the iron Charles, helmeted with an iron helmet, his hands clad in iron gauntlets his iron breast and Platonic shulders protected with an iron breastplate: an iron spear was raised on high in his left hand: his right always rested on his unconquered sword…All who went before him, all who arched by his side, all who followed after him and the whole equipment of the army imitated him as closely as possible.” The road from the historical Charlemagne to the legendary hero has a shortage of early signposts: so it is good to find a schoolmaster who regarded Charlemagne as magnus, the title which Einhard had justified and so made mandatory. Charlemagne was of such a terrifying appearance, vultuosus, that there was no need for someone who had never seen Charlemagne to ask who was Charles: no one could ­mistake him for anyone else. Nam adeo uultuosus erat ut non expediret interrogari ab eo qui eum ­numque viderat quis Karolus esset. The word was used by Prudentius Peristefanon X, 171 and by Martianus Capella II, 127, and glosses to Prudentius explain vultuosus as terribilis vel tristis29 and tristis tortos oculos. Vultuosus is the term for the splendor imperii. To quote Herwig Wolfram, “Die Sage vom ‘­Eisernen Karl’ erzählt von der heillosen Furcht, die mit dem splendor armorum des ankommenden Imperators die Feinde überfällt.”30 Herod and Constantine were also praised for this splendor31: “Der Glanz der ­Augen erscheint vom übernatürlichen Heile erfüllt, das Gottes himmlischer Glanz gleichsam in den Herrscher verpflanzt hat.”32 The scholar who wrote this gloss was able to bridge the gulf between ­Virgil´s ­heroes and Charlemagne: he placed Charlemagne among those heroes. He may have known the story of ­Charlemagne at Pavia, he certainly believed that Charlemagne was incomparable. Notker was not alone in recording tales about an epic hero: the author of this gloss shared Notker’s belief in his epic greatness. Herwig Wolfram long ago recognised the quasi divine power embodied in the ruler, and the need to explore the history of the words which convey this power. The St Amand glossator brings a further confirmation of quite how far sighted Wolfram was: readers of Virgil found a place for their own stories in seeking to understand his epic. And it is no accident that the memory of Charlemagne finds a place not only beside the epic of Aeneas, but beside a discussion of the life of earthly empires. Non Servian Glosses in Valenciennes BM 40733 f. 2r (Ec I, 6): Inmerito cum enim alii imperatores post mortem templa et honores divinos ­promerunt enim Iste non solum post mortem sed etiamque in vita huiusmodi honore donatus est Unde Oratius Praesenti tibi maturos largimur honores. Cf. Servius Ec I, 7, p. 5–6. f. 3r (Ec I, 66): Britanni dicunt quasi brutanni quod bruti et servi sunt. Ut ait Solinus finis esset orbis ora Gallici litoris, nisi Britannia pro sui maginitudine vicem alterius orbis repraesentaret34

Aen VII, 707: magnique ipse agminis instar. Cod. Bern 264, p. 125. 30 Herwig Wolfram, Splendor Imperii. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich (MIÖG, Erg. Bd. 20/3, Graz/Köln 1963) 145. Cf. Iudic 5, 31: sicut sol in ortu suo splendet. 31 Rufinus, Historia Ecclesiastica II, 10 (ed. Theodor Mommsen, Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, 9/1: Eusebius Werke 2, 1, Leipzig 1905) 127–131, quoting Josephus, Antiquitates 19, 343 (ed. Benedikt Niese, Flavii Iosephi Opera 4, Berlin ²1955) 269. 32 Wolfram, Splendor 134. 33 This edition reproduces the orthography of the manuscript, except where it is evidently wrong. I am particularly grateful to Hildegund Mueller for her generous assistance with this transcription and with the interpretation of the glosses, which can barely be read even with a magnifying glass. 34 Cf. Scholia Bernesia, ed Hagen, 988 from Bern 165. 28

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f. 8v (Ec V, 20): Crudelia quae acceleraverunt mortem Dapnidis.35 Apud antiquos enim credebatur in motu siderum dispositio eventus hominis mortalis. f. 10v: Nam relictis prudentibus rebus de mundi origine subito ad fabulas transitum fecit. Sed d­ icimus aut exprimere eum voluisse sectam Epicurei que rebus seriis semper inserit voluptates. Aut fabulis ­plenis admirationis puerorum corda mulceri nam fabule cause delectationis invente sunt. Servius, Ec 6, 41 p. 71 f. 17 bis recto quotes Iohannes Scottus on uinum vero a suo nomine Greco appellavit. Iohannes ­scottus Inoncur grece cur dicitur uva latine 36 f. 23v: Sicut machrobius dicit…ad antipodes ventus frigidus est.pertransiens redditur nobis calidus qu illis fuerat frigidu s37 Macrobius is also quoted on the meaning of the zodiac, as in John the Scot’s glosses on Boethius Opuscula Sacra. f. 28v (Ge II, 115): Sabea Arabica et Panchaia idem est sicut autem beatus Hieronimus dicit due sunt sabeae, quarum una vicina est iudee et scribitur persin Ipsa est et Panchaia Altera vero est ultra India et scribitur persade De qua propheta dicit Venundabunt eos sabeis genti longinque38 f. 29r (Ge II, 145): consuetudo erat Romanorum ut triumphans albis equis currui iunctis ad ­Capitolium veheretur album taurum vel albam ovem illuc immolaturus. Unde ab alba ove ovare et ovatio dicitur.39 Euntem autem illum praecedebant senatus simul et captivi pilleati qui libertate dari ..herant. Illi autem qui interficiendi errant vinctis post tergum manibus eum sequebantur. Milites vero hinc et inde ­comitabantur.Cum quo etiam carnifex vel servus sedebat incurru qui tangens illum dicebat ei Memento te esse hominem.40 f. 35r (Ge II, 498): Quidam peritura regna barbarorum accipiunt sicut Servius. Ne poeta eorum regna periture dicat de quibus alibi dicit ‘Imperium sine fine dedi.’ Beatus vero Augustinus ita intelligit quod veritatem rei hoc loco volens nolens prosequutus sit et regna Romanorum peritura dixerit quia regnum illorum periculis subiacebat sicut et alia. Alias vero ubi eorum imperium eternum esse dixit, adulando eum fuisse locutum manifestat, et dicit quod si aliquis Virgilium interogaret quare ista dixerit Utique responderet ‘Quid facerem nisi Romanis verba venderem’?41 f. 54v (Ge IV, 492): Grece tirannum pro rege posuit. Nos vero illum vocamus tirannum qui invasor est aliene possessionis.42 f. 54v (Ge IV, 491): Hoc ideo fingitur quia philosophus fuit et sua exhortatione perduxit homines ad civilem conversationem f. 88r (Aen III, 341): Alius liber Que tamen et puero est beside Etqua tamen puero est This variant is not recorded by Mynors. Servius Honoratus, In Vergilii Bucolica et Georgica commentarii V, 23 (ed. Georg Christian Thilo, Servii Grammatici qui feruntur in Vergilii carmina commentarii 3/1, Leipzig 1887) 57 = Solinus XXII. 36 Cf. OINOS vinum, Iohnannes Scotus, Annotationes in Marcianum (ed. Cora E. Lutz, Medieval Academy of America, Cambridge-Mass. 1939) 7. 37 Macrobius Ambrosius Theodosius, Commentarii in Somnium Scipionis II, 5 (ed. James Willis, Ambrosii Theodosii ­Macrobii Commentarii in somnium Scipionis, Leipzig 1963) 110–116, at 113. 38 Hieronymus, Hebraicae Quaestiones in libro Geneseos 10, 7 (ed. Paul de Lagarde/Germain Morin/Marcus Adriaen, CCSL 72, Turnhout 1959) 12. 39 Cf. Servius, Aen IV, 543, ed. Thilo/Hagen 561: unde et ovatio dicta. 40 A very similar gloss to Ge II, 148 is found in the eleventh century Paris BNF Lat 7930 and printed by Murgia, Prologomena 147: Erat autem consuetudo romanorum ut triumphans sederet in curru ubi erant albi equi vincti et albi tauri vel albi oves ducebantur, unde dicitur ovatio, id est gaudium. Senatus enim cum captivis qui errant reseruandi praecedebant, qui rasis capitibus pilleati errant et virgas albas ferebant in manibus. Illi autem qui interficiendi erant sequebantur currum vinctis post terga minibus. Comitabantur quoque milites et cum eo sedebat carnifex qui eum tangendo dicebat ei: memento te hominem esse. Cf. Hieronymus, Epistula 39 (ed. Isidor Hilberg, CSEL 54, Wien 1910) 298: in similitudinem triumphantum quibus in curru retro comes adhaerebat per singulas adcalmationes civium dicens; hominem te memento. 41 Augustinus, Sermo 105, ed. Migne, PL 38, 623: quare hoc dicit; in parte tolleret nos et diceret nobis: et ego scio, sed quid facerem qui Romanis verba vendebam nisi hac adulatio promitterem quod falsum erat? Augustine is quoted in glosses in Vat Reg Lat 1669 (Ottaviano, Il Reg. Lat. 1669, 293). 42 Cf. Sedulius Scotus, In Donati artem maiorem (ed. Bengt Löfstedt, CC CM 40B, Turnhout 1977): Tyrannus apud grecos in bono accipitur id est rex unde virgilius atque iuvat dextram tetigisse tyrannus apud latinos vero in malo ponitur id est invasor aliarum substantiarum. 35

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f. 135r (Aen VI, 724): totus iste locus Platonicum dogma continet . Philosophi dicunt due esse sine qua nulla res … et quibus omnia compraehenduntur, id est motus et status, quod Graeci ON ANEOY dicunt id est quibus sine43 sub… nihil est Motus ergo est in quattuor elementis. Status in deo. Deus autem est divinus summus et vivificator spiritus44 qui secundum opinionem philosophorum infusus ­quattuor ­elementis creat omnia45 animalia, quod tamen vera philosophia repudiat. Absit enim ut pars dei ­subiaceat miseriis et passionibus quibus subiectam constat esse animam. f. 150v (Aen VII, 637) quotes Isidore (Etym XVIII, 4, 5) on classica sunt cornua que vocandi causa erant facta f. 151v (Aen VII, 707) Ecce Clausus + adri + comitatur Turnum Ecce adest Clausus de prisco sanguine ..s ipse Clausus magnum agmen instar magni agminis erat Sicut de magno Karolo data est comparatio: Nam adeo uultuosus erat ut non expediret interrogari ab eo qui eum numque viderat quis Karolus esset.46 f.154v (Aen VIII, 33) beside visus eum tenuisse: Sic etiam quotiens angelos apparuisse mortalibus legimus prius confortati sunt ab angelo cum ait ad eos nolite timere ut ille ad quem mittebatur serena mente posset audire qui ab angelo dicebantur47. Nam hoc quod dicit de deo figmentum est. f. 156r (Aen VIII, 133) volentem: Volebam quidem venire sed ut venirem fata impuserunt (? impulserunt). Voluntas enim utitur in necessitatem. Nam et nos antequam peccemus liberum ­arbitrium habemus utrum peccemus necne Sed postquam peccaverimus non est nostre opis aut f­ acultatis ut ­surgamus nisi adiuti gratia Dei. Unde et sancta cotidie precatur ecclesia ‘de necessitatibus meis eripe me domine’. (Ps 24, 17). Necessitatem appellat quia surgere non possumus postquam in peccatum ­decidimus nisi adiuti gratia Christi. f. 156r (Aen VIII, 159): Unde est ‘Et aquae qui super celo sunt laudent nomen Domini’ (Ps 148, 4–5) Nam aquae ille historialiter vicine sunt firmamento et ministrant lumen sideribus sicut virecta que igni nostro lumen ministrant. Nam ligna qui incenduntur quis dicit esse sine? aquas tamdiu ignis ardet quamdiu aqua lumen ministrat quia elementa. omnia mixta sunt Quod in Beda de Naturis rerum invenes.48 f. 156v (Aen VIII, 166): ‘Ille mihi insignem faretram’: Deditque mihi ille anchises pater tuus ­discedens ‘insignem faretram’ deditque mihi ‘licias sagittas’ dedit etiam ‘clamidem intertextam’ auro. Deditque mihi bina frena aurea qui habet nunc meus Pallas. Bina nolunt auctores dicere de duobus sed de pluribus Unde et in Genesi De animantibus vero mundis bina bina inferes in arcam (Gen 6, 19; 7, 15). Nam bis duo iiii Bis duo bis octo. Ergo de his rebus que plurales numeri sunt debemus dicere bina Non litteras duas … debemus dicere sed binas quia plurales sunt …ere Nec de pluralire duas non debemus dicere.49 ων ανευ ου = sine quibus non. Cf. Iohannis Scotti Eriugenae, Periphyseon (ed. Inglis Patrick Sheldon-Williams, Scriptores Latini Hiberniae 7, Dublin 1968) 96–98. Locus siquidem et tempus inter omnia, quae creata sunt, computantur. In his namque duobus totus mundus, qui nunc est, consistit, et sine quibus esse non potest. Ideoque a Graecis dicuntur ων ανευ το παν, id est, quibus sine universitas esse non valet. Omne enim, quod in mundo est, moveri tempore, loco definiri necesse est; et locus ipse definitur, et tempus movetur; Deus autem nec movetur, nec definitur. 44 Summus et vivificator spiritus Cf. Gregorius Magnus, Homiliae in Evangelia VII, 4 (ed. Raymond Étaix, CCSL 141, ­Turnhout 1999) 50; Beda Venerabilis, In Marci evangelium expositio I, 1 (ed. David Hurst, CCSL 120, Turnhout 1960) 441; Beda Venerabilis, in Lucae evangelium expositio I, 3 (ed. David Hurst, CCSL 120, Turnhout 1960) 80. 45 Servius, Aen VI, 724, ed. Thilo/Hagen 99: ergo deus est quidam spiritus divinus, qui per quattuor infusus elementa gignit universa. 46 Karolus Magnus is used by Ademar, Chronicon Aquitanicum et Francicum or Historia Francorum II, 1 (ed. Pascale ­Bourgain, CCCM, Turnhout 1999) 75; Liutprand Antapodosis V, 30 (ed. Paolo Chiesa, Liudprandi Cremonensis Opera omnia, CCCM 156, Turnhout 1998) 1-150, at 141. Sedulius Scotus, Carmen 22 (ed. Jean Meyers, CCCM 117, Turnhout 1991) 44. Karl Ferdinand Werner, Karl der Große oder Charlemagne. Von der Aktualität einer überholten Fragestellung (München 1995). 47 Cf. Beda, In Lucae Evangelium I, 12, ed. Hurst 24: quia sicut humanae fragilitatis est spiritalis creaturae visione turbari, ita et angelicae benignitatis est, paventes de aspectu suo mortales mox blandiendo solari. Ps.-Bede in Matt IV, in: PL 92, ed. Migne 129: Et in Veteri et in Novo Instrumento hoc semper observandum est quod quando angustior aliqua apparuerit visio, primum timor pellatur, ut sic mente placita possint quae dicuntur audiri. 48 Cf. Beda, De Natura Rerum IV: de elementis, but the text seems closer to Beda, Commentarius in Genesim I, 1. 49 Cf. Servius, Aen VIII, 168, ed. Thilo/Hagen 224: ,bina‘ enim secundum Ciceronem non dicuntur nisi de his quae sunt numeri tantum pluralis. Nam Cicero per epistolam culpat filium dicens male eum dixisse ‘direxi litteras duas’ cum litterae quotiens epistolam significant, numeri tantum pluralis sint. Contra epistolas binas non dicimus sed duas. 43

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f.157r (Aen VIII, 180): Onerantque dona laborate Cereris. Quod se canistris canistra appellat illa vascula que fiunt virgis vel qualibet vascula cum quibus carnes boum ministrabantur. Non enim tot vasa argentea illic erant quot Folco solebat auunculus exibere in Paschalis sollemnitate. Sed super panem fortasse ponebant carnibus canistra et forte hoc est quod ait Onerantque dona laborate Cereis canistris. fortasse enim talis erat ritus sacrificii et sic exposcebat illa sollemnitas. Vel est Ipallage pro eo quod est onerant canistra donis laborate Cereris Sed praeceptoriplus placuit superior sensus. f. 157r (Aen VIII, 183): Sineicdochicos est accipiendum non solum tergo sed et aliis carnibus ­vescebantur sicut homines fame consumpti. Et ‘lustralibus extis’ vescebantur lustralibus aut ­pinguibus aut etiam lustralibus qui exta de quinquenali bove transacto lustro fiebant vel quia post lustrum ­offerebantur vel etiam lustralibus id est purgatoriis et expiatioriis Sicut illi credebant non ut essent sed quod putabantur vel perpetui et longi et maximi et ‘lustralibus extis’. Nam ut nos credimus lustrari ­purgari et expiari dominica sumendo sacramenta50 sic illi putabant expiari immolativis carnibus. Ait rex Evandrus ‘postquam exempta’ est ‘fameset postquam compressus estamor edendi. O Troiane hospes non imposuit nobis vana superstitio has dapes’. Quas dis exibemus ‘ex more’. ‘Non ­imposuit’ etiam ‘nobis vana superstitio hanc aram tanti numinis ignara ipsa superstitioveterum deorum’. ­Superstitio …illas et in bonam et in contrariam partem ponebatur… . (? ergo) non sine causa addidit vana aut superstitio quasi ignara veterum deorum subaudis sed certa religio. Vana enim illa superstitio esset si ipsi forent ignari veterum deorum et tantum Herculi qui conparatione aliorum deorum quasi modernus sacrificarent filiis Israhel fuit superstitio quando derelicto et deserto vitulum adoraverant. Aput nos superstitio in contrariam imponitur partem. f. 162r (VIII, 479): Nam et Virgilius ipsam patriam id est Tyrreniam Lidiam appellat a Lido qui in Meonia remansit. Ait namque in Georgicis ‘Et ingens Lidia’. Nam et Chroesus rex Lidorum fuit. Adeo ditissimus ut Cyro regi paulo ante formidabilis 51 fuerit sed post et ipse circum ex…. Hinc Hieronimus de cuiusdam libro gratulans Adeo ait mihi placuit Chroesi divitias haberem…eiactem.52 The Valenciennes manuscript has a final colophon on f. 228 Desiderata tenens ut nata littora gaudet Gaudeo sic libri corpus transnasse Maronis

Dominica sacramenta: Augustinus, Epistola 93, 11 (46) (ed. Karl-Detlef Daur, CCSL 31A, Turnhout 2004) 174; Beda Venerabilis, De templo Salomonis liber 21 (ed. Jacques Paul Migne, PL 91) 735–808, at 799. 51 Boethius, Philosophiae Consolatio II, 2 (ed. Ludwig Bieler, Anicii Manlii Severini Boethii Philosophiae Consolatio, CSEL 94, Turnhout 21984) 20: Cyro paulo ante formidabilem mox deinde miserandum. 52 Hieronymus, Epistola 60, 11 ad Heliodorem (ed. Isidor Hilberg, S. Eusebii Hieronymi opera 1, Epistulae 1, CSEL 54, Wien/ Leipzig 1996) 562: feci ergo quod voluit, et brevi libello, amicitias nostras aeternae memoriae consecravi. Quo suscepto, Croesi opes, et Darii divitias se vicisse iactabat. Illum oculis, illum manibus, illum sinu, illum ore tenebat. Cf. Hieronymus, De viris illustribus 75 (ed. Jacques Paul Migne, PL 23) 722. 50

Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum

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R i c h a r d C o rr a d i n i

Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum In Zeiten markanter gesellschaftlicher Konflikte und Umbrüche und der politischen Fragmentierung des fränkischen Imperiums waren die Intellektuellen gefordert, Lösungsstrategien zu entwickeln. Dafür waren nicht nur rasch anwend- und umsetzbare politisch-pragmatische Texte nötig, sondern auch die Entwicklung langfristiger Perspektiven, die es erlaubten, Vergangenes und Zukünftiges in den aktuellen Erfahrungshorizont einzubinden. Zeitforschung, wie sie in Chroniken, Kalendern oder komputistischen und kosmologischen Abhandlungen begegnet, stellt für solche Anforderungen gute Ressourcen bereit, hilft sie doch, nachhaltige Zukunftskonzepte und damit brauchbare Weltdeutungen zu entwerfen. Die forschungsleitende These dieses Beitrages besteht darin, der spannungsreichen Divergenz nachzuspüren, die sich aus den kurzen Amplituden in der politisch-sozialen Wahrnehmung des karolingischen Reformexperiments einerseits und langfristigen Perspektiven durch den Rückgriff auf intellektuelle Ressourcen andererseits zu ergeben schienen. Offenkundig hatte sich in den 820er- und 830er-Jahren ein hoher moralischer Erwartungsdruck in die Gesellschaft eingenistet, den das von Karl dem Großen begonnene und von seinem Sohn ehrgeizig fortgeführte Reformprogramm ausgelöst hatte. In der Zeit Ludwigs des Frommen nun scheint ein Effekt greifbar zu werden, der den Nukleus jeder Reform auszumachen scheint: Die ambitionierten Kräfte der Erneuerung überdehnten die kohäsiven Strukturen, die die Reformer eigentlich zu etablieren suchten.1 Im Jahr 829, in einer schwierigen Zeit, kam der junge Walahfrid auf Empfehlung seines Mentors Grimald an den Hof Ludwigs des Frommen in Aachen. Als Berater des Kaisers, als Hofpoet und Gelehrter zählte der Reichenauer zu jener Elite, die die kommenden beiden Jahrzehnte mitgestaltete.2 In 1



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Neben den aus dem internationalen DFG-ANR-project: La productivité d’une crise: Le règne de Louis le Pieux (814−840) et la transformation de l’Empire carolingien/Produktivität einer Krise: Die Regierungszeit Ludwigs des Frommen (814–840) und die Transformation des karolingischen Imperium (Hludowicus-Project): http://www.flsh.unilim.fr/Rech/ hludowicus/presentation_de.html entstehenden Bänden, die sich mit den Reformen unter Ludwig dem Frommen auseinandersetzen, vgl. ferner aus der unüberblickbar gewordenen Literatur zu diesem Thema: die Artikel in den beiden Sammel­ bänden Carolingian Culture: Emulation and Innovation, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1994) und The New Cambridge Medieval History Volume 2, c. 700–c. 900, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1995); ferner Rosamond McKitterick, The Carolingians and the Written Word (Cambridge 1995); dies., The Frankish Church and the Carolingian Reforms. 789−895 (Studies in History 2, London 1977); Mayke de Jong, The Penitential State: Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840 (Cambridge 2009); Steffen Patzold, Die Veränderung frühmittelalterlichen Rechts im Spiegel der ‚Leges‘-Reformen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, in: Rechtsveränderungen im politischen und sozialen Kontext mittelalterlicher Rechtsvielfalt, ed. Stefan Esders/Christine Reinle (Neue Aspekte der europäischen Mittelalterforschung 5, Münster 2005) 63–99; ders., Eine ,loyale Palastrebellion‘ der ,Reichseinheitspartei‘? Zur Divisio imperii von 817 und zu den Ursachen des Aufstands gegen Ludwig den Frommen im Jahre 830, in: Frühmittelalterliche Studien 40 (2006) 43−77; Donald A. Bullough, Carolingian Renewal. Sources and Heritage (Manchester 1991); Sita ­Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39, Köln/Wien 2011); Paul Lehmann, Das Problem der karolingischen Renaissance, in ders., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze 2 (Stuttgart 1959) 109−138; Clavis patristica pseudepigraphorum medii aevi, ed. Johannes Machielsen (CCSL 3A, Turnhout 2003), mit ausführlicher Bibliographie; Bruno Reudenbach, Rectitudo als Projekt: Bildpolitik und Bildungsreform Karls des Großen, in: Artes im Mittelalter, ed. Ursula Schaefer (Berlin 1999) 283−308. Zu Biographie und Werk Walahfrids siehe u.a.: Walter Berschin, Walahfrid Strabo und die Reichenau. ,Augia felix‘ (Spuren 49, Marbach 2000); Arno Borst, Mönche am Bodensee, 610−1225 (Sigmaringen 1997) 48−66; Max Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1: Von Justinian bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts (München 1911) 302−315; Karl Langosch/Benedikt Konrad Vollmann, Walahfrid Strabo, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon 10 (Berlin/New York 31999) Sp. 584−603; Franz Brunhölzl, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 1: Von

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ihrem Buch ,The Pentitential State‘ hat Mayke de Jong auf die Verbindung zwischen der politischen ­Krisensituation während der Regierungszeit Ludwigs des Frommen, die vom generationsbedingten Konflikt der karolingischen Dynastie nach dem Tod Karls des Großen 814 ausging, und den theologischen Reaktionen auf sie hingewiesen.3 Die aus dieser Situation resultierende Herausforderung bestand für Intellektuelle wie Walahfrid darin, sich im zunehmend labilen politischen Rahmen zu positionieren und Gemeinschaftsvisionen zu entwerfen. Auf dem Spiel standen die Integrationsmodelle des fränkischen Imperiums.4 Dabei kam der ecclesia gentium als ein in der Vergangenheit wurzelndes und in die Zukunft weisendes Korrektiv symbolische Bedeutung zu, deren Erfolg nicht zuletzt durch die adäquate Interpretation historischer, astronomischer und visionärer Ereignisse garantiert werden sollte. Bereits wenige Jahre nach der Buße Ludwigs des Frommen 822 hatte Walahfrid mit einem in kunstvolle Hexameter gegossenen Text für Aufsehen gesorgt. Was sein Reichenauer Mitbruder ­Wetti in ­seiner Todesnacht am 4. November 824 in einer Vision sah, war tatsächlich unerhört: Während ­seiner Reise durch eine vergilisch gefärbte Unterwelt trifft Wetti auf einen, der einst König von Italien war: ­Contemplatur item quendam lustrata per arva, / Ausoniae quondam qui regna tenebat et altae / ­Romanae gentis, fixo consistere gressu, […]. Eine Bestie reißt ihm, während sein übriger Körper sonst unberührt bleibt, die Genitalien weg. Aus dem Akrostichon wird klar, dass es sich dabei um den Imperator Karl den Großen handelt.5 Der Wetti begleitende Engel erklärt ihm, der große Kaiser werde, obwohl er zu

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Cassiodor bis zum Ausklang der karolingischen Erneuerung (München 1975) 345−358, 557−559; Courtney Booker, A new prologue of Walahfrid Strabo, in: Viator 36 (2005) 83−106; Leopold Eigl, Walahfrid Strabo. Ein Mönchs- und Dichterleben (Wien 1908); Günter Bernt, Walahfrid Strabo, in: LMA 8 (1997) 1937−1938; Friedrich von Bezold, Kaiserin Judith und ihr Dichter Walahfried Strabo, in: Historische Zeitschrift 130 (1924) 377−439; Karl Bosl, Wala(h)frid Strabo, in: Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte, ed. Karl Bosl/Günther Franz/Hans Hubert Hofmann (21975) Sp. 3017; André Jundt, Walafrid Strabon. L’homme et le théologien (Cahors 1900); Theodor Fehrenbach, Walahfrid Strabo, Abt der Reichenau (838−849), in: Hegau 19 (1974) 105−120, wiederabgedruckt in: Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters, ed. Hans-Dieter Stoffler (Reichenau 31989) 57−73; Emil Madeja, Aus Walahfrid Strabos Lehrjahren, in: Studien und Mitteilungen Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 40 (1920) 251−256; Wilhelm Wattenbach/ Wilhelm Levison/Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 6 (Weimar 1990) 779−783; Adolf Ebert, Walahfrid Strabo, in: Allgemeine Geschichte der Literatur des Mittelalters im Abendlande (Leipzig 1880) 145−165; ders., Zu der Lebensgeschichte Walahfrid Strabo’s, in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, philol.-hist. Classe 30, Leipzig 1898) 100−112; Wilhelm Wattenbach, Walahfrid Strabo, in: Allgemeine Deutsche Biographie 40 (1896) 639−640; M.M. Hildebrandt, The External School in Carolingian Society (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 1, Leiden 1992) 49−71, 95−97; Alice L. Harting-Correa, Walahfrid Strabo’s Libellus de Exordiis et Incrementis Quarundam in Observationibus Ecclesiasticis Rerum: A Translation and Liturgical Commentary (Mittellateinische Studien und Texte 19, Leiden 1996) 6−12; Paul Klopsch, Die karolingische Bildungsreform im Bodenseeraum, in: Geistesleben um den Bodensee im frühen Mittelalter, ed. Achim Masser/Alois Wolf (Freiburg 1989) 65−85; Hans-Dieter Stoffler, Der Hortulus des Walahfrid Strabo. Aus dem Kräutergarten des Klosters Reichenau (31989) 57−73; Philipp Schaff, History of the Christian Church 6: Mediaeval Christianity. A.D. 590−1073 (Oak Harbour 1997) § 169; Dieter Geuenich, Beobachtungen zu Grimald von St. Gallen, Erzkapellan und Oberkanzler Ludwigs des Deutschen, in: Litterae Medii Aevi. FS für Johanne Autenrieth zu ihrem 65. Geburtstag, ed. Michael Borgolte/Herrad Spilling (Sigmaringen 1988) 55−68. Mayke De Jong, Power and humility in Carolingian society: The public penance of Louis the Pious, in: Early Mediaval Europe 1 (1992) 29–52; dies., Sacrum palatium et ecclesia: L’autorité religieuse royale sous les Carolingiens (790–840), in: Annales: Histoire, Sciences Sociales 58 (2003) 1243–1269; vgl. Courtney M. Booker, Past Convictions: The Penance of Louis the Pious and the Decline of the Carolingians (Philadelphia 2009); Egon Boshof, Ludwig der Fromme (Darmstadt 1996). Janet L. Nelson, History-writing at the Courts of Louis the Pious and Charles the Bald, in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien/München 1994) 435–442; Helmut Reimitz, Nomen Francorum obscuratum. Zur Krise der fränkischen Identität zwischen der kurzen und langen Geschichte der ‚Annales regni Francorum‘, in: Völker, Reiche, Namen im Mittelalter, ed. Matthias Becher/Stefanie Dick (MittelalterStudien 22, Paderborn 2011) 279−296; ders., The Art of Truth. Historiography and Identity in the Frankish World, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philip Shaw (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 12, Wien 2006) 87−104; Eric J. Goldberg, Struggle for Empire: Kingship and Conflict under Louis the German, 817–876 (Ithaca 2006); McKitterick, The Carolingians and the Written Word. Walahfrid Strabo, Visio Wettini vv. 446−465 (ed. Ernst Dümmler, Walahfridi Strabi carmina, MGH Poetae latini aevi ­Carolini 2, Berlin 1884) 301−334, hier 318. Vgl. Visio Wettini (Die Visionen Wettis). Einführung. Lateinisch-deutsche Ausgabe und Erläuterungen (ed. Hermann Knittel, Heidelberg 32009); Walahfrid Strabo, Visio Wettini (ed. and transl. David A. Traill, Walahfrid Strabo’s Visio Wettini: Text, Translation, and Commentary, Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 2, Bern 1974); vgl. auch Theodor Klüppel, Reichenauer Hagiographie zwischen Walahfrid und Berno,

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Lebzeiten gerecht war, die Glaubenslehre gefördert und die sacra plebs beschützt habe, für seine libido bestraft.6 Karl der Große begegnet in der Visio in doppelter Funktion: als ein sündhafter König Italiens und vertikal als CAROLUS IMPERATOR, der in der Abfolge der Verse in seine Rolle hineinwächst. Mit appellativer Rhetorik entwirft Walahfrid neben der Kritik an Karl dem Großen und den korrupten Amtsträgern − womit direkt auf die von Ludwig dem Frommen im Jahr 823 erlassene ,Admonitio ad omnes regni ordines‘ reagiert wird, in der die klerikalen und säkularen Eliten zur Korrektur ihres Verhaltens angehalten werden − das Bild einer globalen gesellschaftlichen Krise, die aus dem sich zu­ spitzenden Konflikt zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen resultieren würde.7 Die Situa­ tion eska­lierte bekanntlich, als der Kaiser von seinen älteren, sich durch die Erbfolgeregelung von 829 benachteiligt fühlenden Söhnen inhaftiert wurde und die damit verbundenen bürgerkriegsartigen Aus­ einandersetzungen die fränkische Gesellschaft zutiefst erschütterten. Eine schwere pestilentia ­suche daher, so folgert Walahfrid, die Menschheit heim.8 Diese Epidemie fand auch in zeitgenössischen Geschichts­quellen Erwähnung. Beängstigende astronomische Zeichen, begleitet von einer Kette von Naturkatastrophen, Epidemien und Hungersnöten, wurden noch zu Lebzeiten Karls des Großen in der ,Aachener astronomisch-komputistischen Enzyklopädie von 809‘, aus der Walahfrid ausgiebig in sein Handbuch exzerpierte,9 besonders aber seit den 820er-Jahren, etwa in den Reichsannalen oder in Einhards Karlsbiographie, die von Walahfrid redaktionell in den 840er Jahren bearbeitet wurde, minutiös dokumentiert und spielten als Interpretationsanleitung des göttlichen Heilsplanes eine immer wichtigere

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mit einem Geleitwort von Walter Berschin (Sigmaringen 1980); Ernst Dümmler, Die handschriftliche Ueberlieferung der lateinischen Dichtungen aus der Zeit der Karolinger, in: NA 4 (1879) 87−159, 239−322 und 511–582, hier 270−273. Eine Neuedition von Heitos Visio Wettini bereitet zur Zeit Richard Matthew Pollard vor; vgl. Richard M. Pollard, ­Nonantola & Reichenau: A new manuscript of Heito’s ,Visio Wettiniʻ and the foundations for a new critical edition, in: Revue ­Bénédictine 120 (2010) 243−294. Vgl. zum Poeten Walahfrid v.a.: Alf Önnerfors, Walahfrid Strabo als Dichter, in: Die ­Abtei Reichenau, ed. Helmut Maurer (Bodensee-Bibliothek 20, Sonderbd. 5, Sigmaringen 1974) 83−113; ders., Philologisches zu Walahfrid Strabo, in: Mittellateinisches Jahrbuch. Internationale Zeitschrift für Mediävistik 7 (1972) 41−92; Walter Berschin/Tino Licht, Metrorum iure peritus. Walahfrid Strabo als Metriklehrer, in: Mittellateinisches Jahrbuch 44 (2009) 377−393; Erich Kleinschmidt, Zur Überlieferung der Visio Wettini im 9. Jahrhundert, in: DA 30 (1974) 199−207; Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter 3 (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittel­alters 10, Stuttgart 1991) 272−303; Joseph Jurt, Frühmittelalterliche Visionsliteratur vor Dante: Walahfrid Strabos Visio Wettini, in: Ex nobili philologorum officio. FS für Heinrich Bihler zu seinem 80. Geburtstag, ed. Dietrich Briesemeister/Axel Schönberger (Berlin 1998) 25−45; Peter K. Stein, Poésie antique et poésie néo-antique sous les règnes de ­Charlemagne, Louis le Pieux et Louis le Germanique: L’exemple de Walahfrid Strabo, La représentation de l’antiquité au moyen âge, ed. Daniele Buschinger/André Crépin (Wien 1982) 7−27; Paul von Winterfeld, Die Dichterschule St. Gallens und der ­Reichenau unter den Karolingern und Ottonen, in: Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur 5 (1900) 341−361, wiederabgedruckt in: Paul von Winterfeld, Deutsche Dichter des lateinischen Mittelalters (München 1913) 402−422; erneut in: Mittellateinische Dichtung. Ausgewählte Beiträge zu ihrer Erforschung, ed. Karl Langosch (Darmstadt 1969) 131−154; Joseph König, Über Walafried Strabo von Reichenau, in: Freiburger DiözesanArchiv 3 (1868) 317–464; ders., Walafrid Strabo und sein vermeintliches Tagebuch, in: Freiburger Diözesan-Archiv 15 (1882) 185−200; Konrad Plath, Zur Entstehungsgeschichte der Visio Wettini des Walahfrid, in: NA 17 (1892) 261−279; S.T. Collins, Sur quelques vers de Walafrid Strabon, in: Revue bénédictine 58 (1948) 145−149; Bernt, Walahfrid; Klaus-Gunther Wesseling, Walahfrid Strabo, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 23 (1998) 169−176; ­Manitius, Geschichte 302−315; Dümmler, Überlieferung 270−286, 580−581. Siehe u.a. Paul E. Dutton, The Politics of Dreaming in the Carolingian Empire (Regents Studies in Medieval Culture, Lincoln 1994); Peter Dinzelbacher, Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie (Darmstadt 1989); ders., Vision und Visionsliteratur im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 23, Stuttgart 1981); Peter Godman, Poets and Emperors: Frankish Politics and Carolingian Poetry (Oxford 1987) 130–134. Walahfrid, Visio Wettini vv. 339−362, ed. Dümmler 315. Vgl. ebd. 762−768, ed. Dümmler 328; Admonitio ad omnes regni ordines (ed. Alfred Boretius, MGH Capitularia 2, 1, Hannover 1883) n. 150, 303−307. Walahfrid, Visio Wettini vv. 785−790, ed. Dümmler 328−329. Libri computi V, 10 (ed. Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, Teil 3, Hannover 2006) 1054–1334, hier 1277−1279: a. 760, 764, 787, 807, 810 (2 Ereignisse), 811, 812; vgl. Annales regni Francorum a. 806, 807 (5 Ereignisse), 810 (4 Ereignisse), 812 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895) 122−123, 133, 137; Annales Regni Francorum inde ab a. 741 usque ad 829, qui dicuntur Annales Laurissenses Maiores et Einhardi a. 764 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895) 23; Lothar Boschen, Die Annales Prumienses. Ihre nähere und ihre weitere Verwandtschaft (Düsseldorf 1972) 21−22. Vgl. Jens Frederik Schroeter, Spezieller Kanon der zentralen Sonnen- und Mondfinsternisse, welche innerhalb des Zeitraums von 600 bis 1800 n. Chr. in Europa sichtbar waren (Kristiania/Oslo 1923).

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Rolle.10 Jene die Deutung astronomischer Konstellationen begleitende Spannung, die sich einerseits zwischen der nervösen Bereitschaft, sie als eschatologische Vorzeichen zu interpretieren, andererseits der Skepsis gegenüber jeglicher Prognostik und schließlich der wissenschaftlichen Beobachtung ent­ faltete, wird etwa in der Vita Hludowici des Astronomus artikuliert. Der Autor versuchte, die bedrohliche Wirkung des im Jahr 837 beobachteten Halleyschen Kometen, den der Kaiser als unheilvolles prodigium deutete, mit dem Hinweis auf Jeremias 10, 2 zu entkräften: A signis caeli ne timueritis, que pavent gentes, was den Kaiser dazu veranlasste, das kosmische Phänomen als von Gott gesandtes ­Zeichen umzudeuten, das die Menschen an ihre Säumigkeit erinnern und sie veranlassen soll, nach dem Besseren zu streben.11 Auch Walahfrid stimmte in jenen polyphonen Chor ein, der auf das fragile Gleichgewicht zwischen menschlicher und kosmischer Geschichte hinwies. Die göttlichen Zeichen, die in der Visio Wettini aufgeführt werden und in Heitos Version als signa a Deo denuntiata bezeichnet werden,12 müssten be­obachtet und korrekt interpretiert werden. Ein besonderes Dossier, das sich mit diesem Problem, mit dem Verhältnis von Geschichte und Kosmologie, von Mikro- und Makrokosmos beschäftigt, ist in Walahfrids Vademecum erhalten, einem vielschichtigen Kompendium, das heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen mit der Signatur 878 aufbewahrt wird.13 Durch kluge Kombination und Selektion, Kommentierung und Erweiterung von Texten aus der Spätantike über Beda Venerabilis bis hin zu rezenten Gelehrten wie Alcuin und Hrabanus Maurus komponierte Walahfrid in den Jahren 825−849 mit Unterstützung zahlreicher Schreiber eines jener Handbücher, in denen die antiken septem artes liberales als Fundamente für die karolingische Bildungsreform reorganisiert wurden.14 Sein Handbuch, das Texte Z.B.: Annales regni Francorum a. 817, 818, 820, 824, 828 (2 Ereignisse), ed. Kurze 145, 149, 154, 164, 176; vgl. prodigia quaedam in ebd. a. 823, ed. Kurze 163−164; Einhard, Vita Karoli magni 32 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover/Leipzig 1911) 36; Nithard, Historiarum libri IV, III, 5 (a. 842) (ed. Ernst Müller, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [44], Hannover/Leipzig 1907) 35−37; Astronomus, Vita Hludowici imperatoris 62 (ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64, Hannover 1995) 278−555, hier 544 (a. 840); vgl. auch ebd. 58, 59, ed. Tremp 518−522, 528. Vgl. D. Justin Schove/Alan Fletcher, Chronology of Eclipses and Comets AD 1−1000 (Woodbridge 1984) 187−188; Theodor von Oppolzer, Canon der Finsternisse (Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, ­math.-nat. Kl. 52, Wien 1887) 196−197. 11 Astronomus, Vita Hludowici imperatoris 58 (a. 837), ed. Tremp 522: ‚Non alium‘, inquit, ‚timere debemus praeter illum, qui nostri et huius creator est syderis. Sed eius clementiam non satis mirari et laudare possumus, qui nostram inhertiam, cum simus peccatores et inpenitentes, talibus ammonere dignatur inditiis. Quia ergo et me et omnes communiter hoc tangit ostentum, omnes pro posse et sapere ad meliora festinemus, ne forte misericordiam illo praerogante et nostra inpenitudine inpediente, nos illa inveniamur indigni‘. 12 Vgl. Heito, Visio Wettini 24 (ed. Ernst Dümmler, Walahfridi Strabi carmina, MGH Poetae latini aevi Carolini 2, Berlin 1884) 267−275, hier 274. 13 Die Handschrift kam mit dem Nachlass der Bibliothek von Aegidius Tschudi (1505−1572) im Jahr 1768 in die Stiftsbibliothek St. Gallen. Zur Handschriftenbeschreibung siehe v.a.: Bernhard Bischoff, Eine Sammelhandschrift Walahfrid Strabos (Cod. Sangall. 878), in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftenkunde und Literaturgeschichte 2 (Wiesbaden/Stuttgart 1967) 34–51; Gustav Scherrer, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen (Halle 1875) 307–309; Wesley M. Stevens, Walahfrid Strabo’s Study of the Computus (Turnhout 2016); ders., Walahfrid Strabo: A Student of Fulda, in: ders., Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995) X, 13–20; ders., A ninth-century manuscript from Fulda: Canonici Miscellaneous 353, in: ders., Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995) VII, 9–16; ders., Computus-Handschriften Walahfrid Strabos, in: ders., Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995) XI, 363–381; Richard ­Corradini, ZeitNetzWerk. Karolingische Gelehrsamkeit und Zeitforschung im Kompendium des Walahfrid Strabo (Habilitationsschrift, Wien 2014); Paul Lehmann, Ein Bücherverzeichnis der Dombibliothek von Chur aus dem Jahre 1457, in: ders., Erforschung des Mittelalters 2. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze (Stuttgart 1959) 171−185, hier 180; Peter Ochsenbein/Karl Schmuki, Bibliophiles Sammeln und historisches Forschen: der Schweizer Polyhistor Aegidius Tschudi (1505–1572) und sein Nachlass in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Führer durch die Ausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen (1. Dezember 1990 bis 2. November 1991) (St. Gallen 1991); Aegidius Tschudi und seine Zeit, ed. Katharina ­Koller-Weiss/Christian Sieber (Basel 2002); Johannes Duft, Aegid Tschudis Handschriften in der Stiftsbibliothek St. ­Gallen, in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte = Revue d’histoire ecclésiastique suisse 53 (1959) 125–137. 14 Bernhard Bischoff und Wesley M. Stevens haben in ihren paläographischen Analysen festgestellt, dass an der Erstellung von Walahfrids Kompendium mindestens siebzehn weitere Schreiber beteiligt waren: Bischoff, Sammelhandschrift; ­Wesley M. Stevens, Fulda scribes at work: Bodleian Library manuscript Canonici Miscellaneous 353, in: ders., Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995) VI, 287–317; ders., Computus-Handschriften 364f.; ders., Walahfrid Strabo 14. 10

Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum

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zur Grammatik, Rhetorik, Dialektik und Poetologie, zu Kosmologie, Astronomie, Komputistik, ­Kalendarik, Prognostik, Zeitrechnung und Geschichte, zu Geographie und Geoponie, zu Theologie ­sowie zur Medizin verband, zählt damit zu jenen Kompendien, die exemplarisch die Erneuerung und Systematisierung der Wissensressourcen dokumentieren. Die Wissenschaften wurden in der ersten ­Hälfte des 9. Jahrhunderts nicht nur zu immer deutlicher ausdifferenzierten Einzeldisziplinen weiterentwickelt, sondern avancierten zu einem Instrument moralischer, politischer, intellektueller und spiritueller Korrektur der Gesellschaft, die, so die These des Beitrages, dabei helfen konnten, den seismischen Schwingungen sozialer Veränderungen zu begegnen, da sie auf komplexem strukturellem Niveau Langzeitperspektiven zu entwerfen erlauben. Im Jahr 827 war der damals etwa achtzehnjährige Walahfrid nach Fulda entsandt worden, um bei ­Hraban seine auf der Reichenau begonnene Ausbildung fortzusetzen.15 Als frühesten Teil seines Handbuchs vollendete der junge Reichenauer Gelehrte in Form von Korrekturen hier die Abschrift von ­Hrabans knapp zuvor − im Jahr 820 − fertiggestelltem Liber de computo, einem Lehrbuch, das sich perfekt in das karolingische Reformprogramm einfügte.16 Bereits in der Admonitio generalis von 789 und zwanzig Jahre später nochmals bei einer komputistischen Synode in Aachen hatte man ja die Initiative ergriffen, die vielfältigen Zeitrechnungsmethoden zu vereinheitlichen und Rechenfehler zu korrigieren.17 Der Fokus dieser Bemühungen liegt auf einer dichotomischen Logik von Zeit: einerseits die Zu Walahfrids Jahren in Fulda vgl. auch Irmgard Fees, War Walahfrid Strabo der Lehrer und Erzieher Karls des ­Kahlen?, in: Studien zur Geschichte des Mittelalters. Jürgen Petersohn zum 65. Geburtstag, ed. Matthias Thumser/Annegret Wenz-Haubfleisch/Peter Wiegand (Stuttgart 2000) 42–61; Eleanor S. Duckett, Carolingian Portraits: A Study in the Ninth Century (Ann Arbor 1962) 121−160, hier 122–123; dies., Walahfrid Strabo of Reichenau, in: dies., Carolingian Portraits: A Study in the Ninth Century (Ann Arbor 1962) 122−123; Alfred Cordoliani, Les manuscrits de comput ecclesiastique de l’abbaye Saint-Gall du VIIIe au XIIe siècle, in: Revue d’Histoire de l’Eglise Suisse 49 (1955) 161–200, hier 179−181; ders., L’evolution du comput ecclesiatique à Saint-Gall du VIIIe au XIe siècle, in: Revue d’Histoire de l’Eglise Suisse 49 (1955) 288−323; Brigitte Englisch, Die Artes liberales im frühen Mittelalter (5.–9. Jh.). Das Quadrivium und der Komputus als Indikatoren für Kontinuität und Erneuerung der exakten Wissenschaften zwischen Antike und Mittelalter, Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beihefte 33 (Stuttgart 1994) 397–398. 16 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, pp. 178–240; vgl. Oxford, Bodleian Library Canonici misc. 353, fol. 2r–53v; Edition: ­Hrabanus Maurus, Liber de computo (ed. Wesley M. Stevens, CCCM 44, Turnhout 1979) 163−331. Hraban hatte selbst bereits bei der Komposition von De computo auf die naturwissenschaftlichen Traktate von Beda Venerabilis zurückgegriffen, ferner auf die Etymologiae und De natura rerum von Isidor von Sevilla und die Naturalis historia von Plinius. Er benutzte wahrscheinlich Alcuin von Yorks Annalis libellus und die Kompendien der ,Aachener astronomisch-komputistische Enzyklopädie‘, die auf die Synode von 809 reagierten, diverse komputistische argumenta und den Osterzyklus des Dionysius Exiguus. Handschriftenbeschreibungen: Stevens, A ninth-century manuscript from Fulda 9–16; ders., Walahfrid Strabo 13–20; ders., Fulda scribes at work 287–317. Editionen: Libri computi, ed. Borst; Der karolingische Reichskalender und seine Überlieferung bis ins 12. Jahrhundert (ed. Arno Borst, MGH Libri memoriales 2, 1−3, Hannover 2001); zur ­Veroneser Version des Liber annalis, Berlin, Deutsche Staatsbibliothek − Preußischer Kulturbesitz Phill. lat. 1831, ca. 793/800, siehe Kerstin Springsfeld, Alkuins Einfluß auf die Komputistik zur Zeit Karls des Großen (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beihefte 48, Düsseldorf 2002) 91−104; Gordon Leff, Alcuin of York (ca. 730−804), in: Karl der Große und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa. Charlemagne and His Heritage. 1200 Years of Civilization and Science in Europe, 2: Mathematisches Wissen. Mathematical arts, ed. Paul Leo Butzer/Max Kerner/Walter Oberschelp (Turnhout 1998) 3−9; zu Alkuin ferner: Donald A. Bullough, Alcuin. Achievement and Reputation (being part of the Ford lectures delivered in Oxford in Hilary Term 1980. Education and society in the Middle Ages and Renaissance 16, Leiden 2004). Dionysios Exiguus, Libellus de cyclo magno paschae DXXXII annorum (ed. Bruno Krusch, Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie. Die Entstehung unserer Zeitrechnung [Abhandlungen der preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1937/38]) 63–74. Daniel McCarthy, The Emergence of Anno Domini, in: Time and Eternity. The Medieval Discourse, ed. Gerhard Jaritz (International Medieval Research 9, Turnhout 2003) 31–53; Arno Borst, Die karolingische Kalenderreform (MGH, Schriften 46, Hannover 1998) 177–178; Gustav Teres, Time computations and ­Dionysius Exiguus, in: Journal of the History of Astronomy 15 (1984) 177–188; Maria Rissel, Rezeption antiker und patristischer Wissenschaft bei Hrabanus Maurus: Studien zur karolingischen Geistesgeschichte (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 7, Bern 1976); Clavis patristica, ed. Machielsen 278−284. Vgl. Boschen, Die Annales ­Prumienses 245f.; zu den Handschriften von Hrabans De computo vgl.: Stevens, A ninth-century manuscript from Fulda 9–16; ders., Walahfrid Strabo 13–20; ders., Fulda scribes at work 287–317; vgl. Wesley M. Stevens, Introduction to Hrabani ,De ­computo liber’, in: Rabani Mauri Martyrologium, De computo, ed. ders., CCCM 44 (Turnhout 1979) 163–331, hier 190f. 17 Admonitio generalis (789) (ed. Hubert Mordek/Klaus Zechiel-Eckes/Michael Glatthaar, Die Admonitio generalis Karls des Großen, MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 16, Hannover 2012); Capitula de quibus convocati compotistae interrogati fuerint, responsiones quoque eorum, quales et ordine quo reddite fuerint, hic pariter ostenduntur (809) (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Berlin 1895) 565–567; (ed. Arno Borst, Schriften zur ­Komputistik 15

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zyklische Zeitlinie, die das Wunder von Gottes Schöpfung symbolisiert, andererseits die individuelle, selektive Zeit, die auf mutabilitas beruht. Beide Zeiten korrespondieren mit astronomischen Konstellationen, sie sind geschaffen und wandelbar.18 In vielen seiner häufig als Exzerpte in das Vademecum integrierten Quellen − etwa den Historiae des Orosius, dem Chronographen von 354, der Chronik des Rufinus/Eusebios von Caesarea oder der ­Kirchengeschichte Cassiodors − thematisiert Walahfrid einen Katastrophenhorizont als eine parallele Welt von Zeichen, die durch eine starke Kohärenzlogik mit den mit ihnen assoziierten historischen Ereignissen verbunden ist.19 Astronomische Zyklen, Himmelszeichen, Sonnen- und Mondeklipsen, ­Kometen und Naturkatastrophen, wie Erdbeben oder Überschwemmungen, sind mit menschlichen ­Kalamitäten wie Seuchen, Hungersnöten, Bürgerkriegen, Gewalt und Tod in einer unauflöslichen ­Kohärenzlogik verbunden und stehen in direktem Verhältnis zum devianten moralischen Verhalten der Gesellschaft. im Frankenreich von 721 bis 818, MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21, 3, Hannover 2006) 1034– 1053. Vgl. Giles Brown, Introduction: the Carolingian Renaissance, in: Carolingian culture: emulation and innovation, ed. ­Rosamond McKitterick (Cambridge 1994) 1–51; Otto Herding, Zum Problem des Karolingischen ,Humanismus‘ mit besonderer Rücksicht auf Walahfrid Strabo, in: Studium Generale 1 (1948) 389−397. 18 Vgl. dazu grundlegend Arno Borst, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas (Berlin 1990); ders., Alkuin und die Enzyklopädie von 809, in: Science in Western and Eastern Civilization in Carolingian Times, ed. Paul L. Butzer/Dietrich Lohrmann (Basel/Boston/Berlin 1993) 53–78; ders., Das Buch der Naturgeschichte. Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments (Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1994, 2, Heidelberg 1994); ders., Kalenderreform; ders., Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818 (MGH, Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21, 1–3, Hannover 2006); Wesley M. Stevens, Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995); ders., Ars computi quomodo inventa est, in: Zwischen Niederschrift und Wiederschrift: Hagiographie und Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 18, Wien 2010) 29−66; ders., A present sense of things past: ,Quid est enim tempus?‘, in: Time and Eternity. The Medieval Discourse, ed. Gerhard Jaritz/Gerson Moreno-Riaño (International Medieval Research 9, Turnhout 2003) 9−28; AnnaDorothee von den Brincken, Historische Chronologie des Abendlandes. Kalenderreform und Jahrtausendrechnungen. Eine Einführung (Stuttgart 2000); Bruce Eastwood, Ordering the Heavens: Roman Astronomy and Cosmology in the ­Carolingian Renaissance (Leiden 2007); Bruce Eastwood/Gerd Grasshoff, Planetary diagrams for Roman astronomy in medieval ­Europe, ca. 800−1500 (Transactions of the American Philosophical Society 94, 3, Philadelphia 2004); Brigitte Englisch, Zeiterfassung und Kalenderproblematik in der frühen Karolingerzeit. Das Kalendarium der Hs. Köln DB 83-2 und die Synode von Soissons 744 (Instrumenta 8, Stuttgart 2001); Time and Eternity. The Medieval Discourse, ed. Gerhard Jaritz (International Medieval Research 9, Turnhout 2003); Springsfeld, Alkuins Einfluß; Peter Verbist, Duelling with the Past: Medieval Authors and the Problem of the Christian Era, c. 990−1135 (Studies in the Early Middle Ages 21, Turnhout 2010); ders., Over chronologie en intellectuele geschiedenis: middeleeuwse auteurs en hun correcties op de christelijke jaartelling (circa 990−1135), in: Madoc: tijdschrift over de Middeleeuwen 17 (2003) 208−214; Faith Wallis, Bede: The Reckoning of Time (Liverpool 1999); Dáibhí Ó Cróinín, Early Irish History and Chronology (Dublin 2003); Stephen C. McCluskey, Astronomies and Cultures in Early Medieval Europe (Cambridge 1998); Immo Warntjes, The Munich Computus: Text and Translation. Irish Computistics between Isidore of Seville and the Venerable Bede and its Reception in Carolingian Times (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beihefte 59, Stuttgart 2010); Georges Declercq, Anno Domini. The Origins of the Christian Era (Turnhout 2000); August Strobel, Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 121, Berlin 1977); Pia Hecht, Computus Ecclesiasticus – Die Festrechnung der Kirche (Norderstedt 2007); Ideologisierte Zeit. Kalender und Zeitvorstellungen im Abendland von der Antike bis zur Neuzeit, ed. Wolfgang Hameter/Meta Niederkorn-Bruck/Martin Scheutz (Querschnitte. Einführungstexte zur Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte 17, Wien 2005); Gertrud Bodman, Jahreszahlen und Weltalter. Zeit und Raumvorstellungen im Mittelalter (Frankfurt am Main 1992); Rudolf Wendorff, Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewusstseins in Europa (Opladen 1980); Nadja Germann, De temporum ratione. ­Quadrivium und Gotteserkenntnis am Beispiel Abbos von Fleury und Hermanns von Reichenau (Studien und Texte zur Geistes­geschichte des Mittelalters 89, Leiden 2006); Computus and its Cultural Context in the Latin West, AD 300–1200. Proceedings of the 1st International Conference on the Science of Computus in Ireland and Europe, Galway, 14−16 July, 2006, ed. Immo Warntjes/Dáibhí Ó Cróinín (Studia traditionis theologiae. Explorations in Early and Medieval Theology 5, Turnhout 2010); Alden A. Mosshammer, The Easter Computus and the Origins of the Christian Era (Oxford 2008); Alfred Cordoliani, Contribution à la Littérature du comput ecclésiastique au moyen âge, in: Studi Medievali, Ser. 3, 1 (1960) 107–137; 2 (1961) 169–173; John J. Contreni, Counting, Calendars, and Cosmology: Numeracy in the Early Middle Ages, in: ders., Learning and Culture in Carolingian Europe: Letters, Numbers, Exegesis, and Manuscripts (Variorum ­Collected Studies Series, Ashgate 2011) III; Bruno Krusch, Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie. Der 84-jährige ­Osterzyklus und seine Quellen (Leipzig 1880). 19 Vgl. Richard Corradini, Approaches to History. Walahfrid’s parallel universe, in: Historiography and Identity towards the End of the First Millennium, ed. Helmut Reimitz (in Vorbereitung).

Wissenschaft und Zeitdiagnose. Zur Transformation antiken Wissens in Walahfrid Strabos Vademecum

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Schon in dem um 700 verfassten, in das Vademecum aufgenommenen Traktat De natura rerum des Beda Venerabilis werden Kometen und Sonnenfinsternisse als Vorzeichen des Todes eines Fürsten und des darauffolgenden Regierungswechsels, von Epidemien, Kriegen, Unwettern oder Hitzewellen interpretiert.20 In Walahfrids Exzerpten aus den Consularia, einem Abschnitt des Chronographen von 354, der in Mommsens Edition unter dem Titel ,Excerpta Sangallensia‘ als eine parallele Serie der Fasti Vindobonenses begegnet, findet man etwa den Tod Kaiser Justinians I. am 14. November 565 und die Thronerhebung Justins II. am 22. Dezember verbunden mit der Beobachtung eines Sterns, der wie eine Fackel brennt: Quattuor decies proconsul Basilius eo anno apparuit in caelo stella ardens sicut facula et mortuus est Iustinianus imp. et levatus est Iustinus imp. XI. kl. Ianuarias.21 Eigentlich fand das Ereignis im 24. Jahr nach dem Konsulat des Anicius Faustus Albinus Basilius (a. 541) statt, des letzten west­ römischen consul ordinarius, der nicht Imperator war. Die Zeichen als Elemente der kosmologischen Zeit stehen dabei in direktem Verhältnis zum devianten moralischen Verhalten der Gesellschaft und begleiten, umrahmen und steuern die soziale Zeit. Sie formen eine Matrix, ein Interpretationsinstrument, das die Menschen zur Umkehr anleiten soll. Insgesamt bilden die historiographischen Exzerpte in Walahfrids Handbuch ein selektives Dossier über die otherworld von Prodigien, die als Teil der göttlichen Vorhersehung und der kosmischen Zyklen die menschliche Geschichte begleitet.22 Bereits die erste dieser von ihm als Excerptum ex chronica Horosii rubrizierten Consularia entnommene Nachricht zum Jahr 390 ist charakteristisch für Walahfrids Auswahl. Sie betrifft das Jahr nach dem triumphalen Einzug des Kaisers Theodosius I. und seines Sohnes Honorius in Rom: Ualentiniano V et Neuterio conss. signum apparuit in caelo quasi columna pendens per dies XXX.23 Der Eintrag, der in das fünfte Konsulatsjahr des eponymen Konsuls, des weströmischen Kaisers Valentinian II. – eigentlich war es sein viertes Konsulat − und das erste des oströmischen ­Praefectus praetorio Fl. Neoterius datiert wird, initiiert, mit der von politischen Rückschlägen geprägten Epoche der Kaiser Valentinian II. und Theodosius I. beginnend, eine series calamitatum, die mit ­narrativer Kargheit und kondensierter Sprache das Panorama einer von Zeichen begleiteten permanenten Krise über einen Zeitraum von knapp zwei Jahrhunderten bis hin zur − mit dem Ausbruch einer ­Epidemie verbundenen − Ermordung des Langobardenkönigs Alboin aufspannt. Dabei wird der ­Fokus auf die Geschichte der römischen Kaiser und der reges Italiae gerichtet. Während aber in parallelen St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, pp. 242–262, hier p. 253: Cometę sunt stellę flammis crinitę, rapente nascentes, regni ­mutationem, aut pestilentiam, aut bella, vel ventos, aestusve portendentes; Beda Venerabilis, De natura rerum 24 (ed. Charles W. Jones, CCSL 123, Bedae Venerabilis opera, pars 1: Opera didascalia, Turnhout 1975) 174–234, hier 216. Vgl. Astronomus, Vita Hludowici imperatoris 58 (a. 837), 59 (a. 838), ed. Tremp 518−522, 528; vgl. Isidor von Sevilla, De ­natura rerum 26, 13 (ed. Jacques Fontaine, Bibliothèque de l’école des hautes études hispanique 28, Bordeaux 1960) 164−327, hier 273; Calvin B. Kendall/Faith Wallis, Bede: On the Nature of Things and on Times (Translated Texts for Historians, Liverpool 2010); Springsfeld, Alkuins Einfluß 195ff., 219ff., 261ff.; Eva-Maria Engelen, Zeit, Zahl und Bild. Studien zur Verbindung von Philosophie und Wissenschaft bei Abbo von Fleury (Philosophie und Wissenschaft 2, Berlin 1993) 39−42. 21 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, pp. 303−305, hier 304; Excerpta Sangallensia, Consularia Italica, Chronographus anni CCCLIIII. (Fasti Vindobonenses priores et posteriores, gem. mit Anonymus Valesianus) (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. 1, Berlin 1882) 249−339, 298−336, hier 335. Zur komplexen Entstehungsgeschichte und handschriftlichen Überlieferung des Chronographen von 354 siehe die Editionseinleitungen in: Das Kalenderhandbuch von 354. Der Chronograph des Filocalus 1 und 2 (ed. Johannes Divjak/Wolfgang Wischmeyer, Wien 2014); Roman Imperial Chronology and Early-Fourth-Century Historiography. The Regnal Durations of the so-called ,Chronica urbis Romae‘ of the ,Chronograph of 354‘ (ed. Richard W. Burgess, Stuttgart 2014); Corradini, ZeitNetzWerk Kapitel 3. 2. Vgl. Borst, Kalenderreform 464−465; Richard W. Burgess, The Chronograph of 354: its manuscripts, contents, and history, in: Journal of Late Antiquity 5 (2012) 345−396; Richard W. Burgess/Michael Kulikowski, Mosaics of Time. The Latin Chronicle Traditions from the First Century BC to the Sixth Century AD I: A Historical Introduction to the Chronicle Genre from its Origins to the High Middle Ages (Turnhout 2013) Kap. 1. 22 Vgl. Mischa Meier, Das andere Zeitalter Justinians: Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Hypomnemata 147, Göttingen 2004). 23 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 303; Excerpta Sangallensia, ed. Mommsen 298; ältere Edition: Excerptum ex Chronica Horosii: (ed. Giovanni Battista de Rossi, Document inédit pour servir à l’histoire des siècles IV, V et VI, in: Bullettino di archeologia cristiana 5 [1867] 17–23); vgl. Consularia Constantinopolitana a. 389 (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. 1, Berlin 1882) 197−247, hier 245. Vgl. Oswald Holder-Egger, Untersuchungen über einige annalistische Quellen zur Geschichte des fünften und sechsten Jahrhunderts II, in: NA 1 (1876) 213−368, hier 232−233; Borst, Kalenderreform 464−465. 20

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­ exten, etwa der Chronica Gallica und in Marcellinus Comes’ Chronik, die beide auf spätantiken ­Quellen T ­beruhen, die inhärente Verbindung zwischen der Herrschaft des Theodosius und den Himmelszeichen, die sie überschatteten, transparent gemacht wird, wird in Walahfrids Exzerpt das prodigium aus seinem breiteren historischen Kontext isoliert, damit aber wesentlich deutlicher in das stereotype Gerüst der calamitates eingefügt.24 Im letzten Eintrag der Excerpta Sangallensia wird die Ermordung des langobardischen Königs ­Alboin auf den 25. Mai des sechsten Jahres post consulatum Justins II. gesetzt, womit man auf das Jahr 571/572 käme: VI. p.c. Iustini Augusti eo anno occisus est a suis Albida rex Langobardorum VIII. kl. Iun., et fuit hominum nimia mortalitas.25 Ähnlich datiert Marius von Avenches in seiner Chronik Alboins Tod ins sechste Konsulatsjahr Justins, Agnellus von Ravenna auf den 28. Juni des sechsten Herrscherjahres von Justin II., die Origo gentis Langobardorum in dessen drittes Jahr in Italien, womit man ins Jahr 571 käme.26 In der Historia des Paulus Diaconus wird das Ereignis drei Jahre und sechs Monate nach dem Italienzug angesetzt, während es in der Chronik des Johannes von Biclaro ins siebente Jahr Kaiser ­Justins datiert wird.27 Das exakte Todesdatum Alboins ist nicht eindeutig festzustellen. Die von Walahfrid verwendete Namensform Albida ist singulär.28 Diese Beispiele sind symptomatisch für die historiographischen Exzerpte im Handbuch Walahfrids. Mit seiner Auswahl einer Kette von prodigia, die den Zusammenhang von kosmischen Katastrophen und menschlicher Geschichte aufdecken, konstruiert der Reichenauer eine nüchtern karge, kondensierte und symbolhafte Sprache von Prädestination und Vorzeichenhaftigkeit, die als fatale Achse durch die Jahrhunderte gezogen wird. Mit dieser Serie reproduziert der Hofpoet Ludwigs des Frommen nicht nur römische Geschichte als Vorbild, sondern entwirft auch ein Gegenbild zum von ihm postulierten politischen Ideal des fränkischen Imperiums – eine Argumentationslinie, die auch in der Visio Wettini und in De imagine Tetrici begegnet.29 Die politische Geschichte Italiens kann als ein Mahnmal und Korrektiv gelesen werden. Insgesamt bildet also der Umstand, dass Walahfrid dem spätantiken Chronographen Marcellinus Comes, Chronicon ad a. DXVIII (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. 2, Berlin 1894) 37−108, hier 62; Chronica Gallica (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. 1, Berlin 1882) 615−666, hier 648. 25 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 305; Excerpta Sangallensia/Chronographus anni CCCLIIII., ed. Mommsen 336. Zu Alboin siehe Walter Pohl, The Empire and the Lombards: treaties and negotiations in the sixth century, in: Kingdoms of the Empire: The Integration of Barbarians in Late Antiquity, ed. Walter Pohl (Leiden 1997) 75–134; Wilfried Menghin, Die Langobarden (Stuttgart 1985) 94−103. Die Nachricht a. 390 steht ebenso in der vollständigen Überlieferung der Rezension A des Anonymus Cuspiniani in der Handschrift Wien, Österreichische Nationalbibliothek lat. 3416 (ca. 1480). Vgl. die Fragmente in Bern, Burgerbibliothek 108, die vor die Orosiushandschrift Bern, Burgerbibliothek 128 (9. Jahrhundert) gebunden sind und möglicherweise mit den Fragmenten in Walahfrids Kompendium inhaltlich zusammenhängen. Vgl. Adam Franz Kollár, Analecta monumentorum omnis aevi Vindobonensia 1 (Wien 1761) 945–948. 26 Marius von Avenches, Chronica (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII 2, Berlin 1894) 225−239, hier 238; Agnellus von Ravenna, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis 96 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Langob. et Ital. sec. VI−IX, Hannover 1878) 265−391, hier 339: Igitur imperante Iustino II. anno 6. nepos Iustiniani, Alboin rex Langobardorum a suis occisus est in palatio suo, iussu uxoris suae Rosmundae, 4. Kal. Iulias [...]; Origo gentis Langobardorum 5 (ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878) 1−6, hier 4−5: Regnavit Albuin in Italia annos tres, et occisus est in Verona in palatio ab Hilmichis et Rosemunda uxore sua per consilium Peritheo. Vgl. Walter Pohl, Origo gentis Langobardorum, in: I Longobardi e la storia. Un percorso attraverso le fonti, ed. Francesco Lo Monaco/Francesco Mores (Roma 2012) 105−121; ders., Origo gentis Langobardorum, in: La trasmissione dei testi latini del medioevo (Te.Tra) 1, ed. Paolo Chiesa/Lucia Castaldi (Firenze 2004) 317−320. 27 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum II, 28 (ed. Ludwig Bethmann/Georg Waitz, MGH SS rer. Langob., Hannover 1878) 12−187, hier 87−89; Johannes von Biclaro, Chronica (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII 2, Berlin 1894) 207−220, hier 213. 28 Hermann Fröhlich, Rezension zu Norbert Wagner, Ostgermanisch-alanisch-hunnische Beziehungen bei Personennamen, in: Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters, ed. Rudolf Schützeichel (Bonn 1979) 11−33, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven 61 (1981) 441−442: als gepidische Namensform. 29 Kurt Smolak, Bescheidene Panegyrik und diskrete Werbung: Walahfrid Strabos Gedicht über das Standbild Theoderichs in Aachen, in: Karl der Große und das Erbe der Kulturen, ed. Franz-Reiner Erkens (Berlin 2001) 89−110; Hartmut Hoffmann, Die Aachener Theoderichstatue, in: Das erste Jahrtausend. Kunst und Kultur im werdenden Abendland an Rhein und Ruhr 1, ed. Victor H. Elbern (Düsseldorf 1962) 318−335; Michael W. Herren, The De imagine Tetrici of Walahfrid Strabo: edition and translation, in: Journal of Medieval Latin 1 (1991) 118−139; Felix Thürlemann, Die Bedeutung der Aachener Theoderich-Statue für Karl den Großen (801) und bei Walahfrid Strabo (829). Materialien zu einer Semiotik visueller ­Objekte im frühen Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 59 (1977) 25−65. 24

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mehrfach Exzerpte entlieh, einen weiteren wichtigen Anhaltspunkt, der Anlage des Kompendiums die Funktion einer chronologischen Reflexion auf grundlegende Parameter der karolingischen correctio einzuräumen. Michele Renée Salzman argumentierte: „In its presentation of Christian leadership, and in the kind of information recorded, the Codex-Calendar attempts (perhaps for the first time in the fourth century) to place the church as an institution on a par with the dominant secular institutions.“30 Einige der Texte des Chronographen präsentieren ein triumphalistisches Gemälde sowohl des christlichen Glaubens (römische Märtyrer, römische Bischöfe, Kalender, Osterfesttafeln) als auch vor allem der paganen, römischen Geschichte in einem, wobei die christlich geprägten Abschnitte IX und XI−XIII möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt wurden.31 Johannes Divjak argumentiert schlüssig: „Da sich in diesem Jahreskalender Heidnisches mit Christlichem mischt, und für viele Interpreten ein Potpourri von solchen Texten unvorstellbar war, versuchte man immer wieder, die ‚heidnischen Texte‘ zu entschärfen, um sie − nach moderner Meinung − für das Christentum erträglich zu machen.“32 Mit diesem Aspekt des Textes, eine Balance zwischen kirchlicher und weltlicher Macht zu verdeutlichen, konnte er auch noch in der Zeit Ludwigs des Frommen und seiner Söhne von Interesse sein. Für die Rezeption des Chronographen von 354 im 9. Jahrhundert machte Wolfgang Eric Wagner daher einen weiteren Grund wahrscheinlich.33 Karl der Kahle konnte in den in dieser Quelle überlieferten Natales caesarum Elemente imperialer memoria finden. Die neu aufgegriffene Tradition Karls des Kahlen, nicht nur für Verstorbene, sondern bereits für Lebende anniversaria – etwa für seinen Geburtstag und die Tage seiner Königssalbungen − einrichten zu lassen, werden bereits in Urkunden aus den 850er-Jahren greifbar.34 Eine Reantikisierung dieses Zweiges der karolingischen Dynastie im Sinne ­eines antik inspirierten Herrscherkultes ist dabei – zumal Karl intellektuell und kulturell deutliche Bezüge zu Rom und Byzanz anstrebte – unübersehbar, konnte man doch mit der Adaption des Chronographen gerade auch an das Prestige der Epoche Kaiser Konstantins des Großen anschließen und damit ein „bislang ungenutztes Terrain für die dynastische Verherrlichung“35 adaptieren, das ihm in der wechselhaften Konkurrenzpolitik der 850er- bis 870er-Jahre gewiss nützen konnte.36 Die Abschrift Walahfrids, der sich als Tutor Karls des Kahlen in den Jahren 829−838 in Aachen aufhielt und möglicherweise in der Hofbibliothek ein Exemplar des Chronographen finden konnte, legt eine Spur für diese Suche nach einem antik inspirierten Herrscherkult und einer römisch-imperialen Vergangenheit offen, wobei dieser Eindruck von seinem Auswahlverfahren bestätigt wird.37 Walahfrid integrierte, zumeist in Exzerpten, Michele Renée Salzman, On Roman Time: the Codex-Calendar of 354 and the Rhythms of Urban Life in Late Antiquity (Berkeley/Los Angeles/Oxford 1990) 58. 31 Salzman, On Roman Time 13: „As we shall see, because of its recorded holidays, the Calendar of 354 is a rich source information about late Roman paganism.“ Vgl. ebd. 59: „The Codex-Calender of 354 is the product of a fourth-century ­Roman concerned with providing information about the dominant contemporary institutions in the imperial capital.“ ­Theodor Mommsen, Über den Chronographen vom J. 354, in: Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 2 (1850) 547–693, wiederabgedruckt in: ders., Gesammelte Schriften, 7: Philologische Schriften (Berlin 1909) 536–579, hier 536. 32 Johannes Divjak, Der sogenannte Kalender des Filocalus, in: Textsorten und Textkritik, ed. Adolf Primmer/Kurt Smolak/ Dorothea Weber (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der Lateinischen Kirchenväter 21. Sitzungsberichte der phil-hist. Kl. 693, Wien 2002) 19−38, hier 21. 33 Wolfgang Eric Wagner, Walahfrid Strabo und der Chronograph von 354, oder: Wie Karl der Kahle darauf kam, Anniversarien für seinen Geburtstag zu stiften, in: Gestiftete Zukunft im mittelalterlichen Europa. FS für Michael Borgolte zum 60. Geburtstag, 2: Stiftungen, ed. Wolfgang Huschner/Frank Rexroth (Berlin 2008) 193−213; vgl. Nikolaus Staubach, Rex christianus. Hofkultur und Herrschaftspropaganda im Reich Karls des Kahlen (Köln 1981/1993). 34 Vgl. z.B.: MGH DD Ka II 147 (a. 852) Marmoutier, 162 (a. 854) Macon; vgl. auch MGH DD Ka II 236, 239, 246, 247, 355, 364. 35 Wagner, Walahfrid Strabo 204; vgl. Salzman, On Roman Time 4, 72−73. 36 Vgl. Ernst H. Kantorowicz, Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship (University of California Publications in History 33, Berkeley/Los Angeles 1946) 67; John Michael Wallace-Hadrill, A Carolingian renaissance prince. The emperor Charles the Bald, in: Proceedings of the British Academy 64 (1978/1980) 155−184; ­Janet L. Nelson, Charles the Bald (The Medieval World, London 1992) bes. 181−220; Rosamond McKitterick, Charles the Bald (823–877) and his library: the patronage of learning, in: dies., Frankish Kings and Culture in the Early Middle Ages (­Variorum Collected Studies Series 477, Aldershot 1995) V, 28–47. 37 Vgl. Fees, Walahfrid Strabo 42–61; Nelson, History-writing 435–442; Philippe Depreux, Prosopographie de ­l’entourage de Louis le Pieux (781–840) (Sigmaringen 1997) 393–394, no. 270; Harting-Correa, Walahfrid Strabo’s Libellus 8; Matthias M. Tischler, Die ,Divisio regnorum‘ von 806 zwischen handschriftlicher Überlieferung und historiographischer Rezeption, 30

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lediglich einige der römisch-paganen und chronikalen Abschnitte aus dem Chronographen, so die ­Imagines planetarum VII cum laterculo horarum noxiarum communium bonarum (pp. 240−241), die Effectus XII signorum (p. 241), die Disticha de mensibus (pp. 302−303), die Epitome chronicon – ­Chronica urbis Romae (pp. 303 und 305) und eine Parallelreihe der Consularia Italica – Fasti Vindobonenses (pp. 303−305), verzichtete hingegen auf alle christlich motivierten Teile, die Depositiones episcoporum Romanorum, den Laterculus episcoporum Romanorum, die Depositiones martyrum, den Liber generationis und die Ostertafeln. Durch diese Rezeption werden nicht nur die antike Vergangenheit, sondern – damit verbunden − auch antike Chronologie, Astronomie und Astrologie als Inter­ pretationsmodus der Geschichte transformiert.38 Paläographisch ist der Abschnitt pp. 303−305 der Phase W IV zuzuweisen, also wahrscheinlich in Aachen und/oder auf der Reichenau in den 830er-Jahren entstanden. Auf die Präsenz dieser Kalenderhandschrift auf der Reichenau verweisen die Bilder in ­Biblioteca Apostolica Vaticana Reg. lat. 438 (Reichenau, Mitte oder 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts), dem Martyrologium des Wandalbert von Prüm, die der höchstwahrscheinlich von der Reichenau stammende Illustrator dem spätantiken Kalender entnommen hat.39 Die Reichenauer Bibliothekskataloge enthalten keinen eindeutigen Beleg für die Existenz einer Abschrift des Chronographen.40 Deutet also einiges ­darauf hin, dass Walahfrid auf der Reichenau und in Aachen auf Exemplare des Chronographen von 354 zurückgreifen konnte, so ist dennoch nicht zu belegen, in welcher Form ihm diese Abschriften vorlagen. Walahfrids Exzerpte bilden, gemeinsam mit dem ebenfalls in den 830er-Jahren in Lorsch angefertigten komputistisch-astronomischen Codex BAV Pal. lat. 834 (Fasc. I), der auf fol. 42v allerdings ausschießlich die Effectus XII signorum enthält, den ältesten erhaltenen Textzeugen des Chronographen.41 Der um 825 in Aachen oder Metz entstandene Codex Leiden, Universiteits­bibliotheek ms. Voss. Q. 79 mit Aratos’ Phainomena in der lateinischen Übersetzung des Claudius ­Caesar Germanicus enthält 39 astronomische Miniaturen sowie auf fol. 93 eine Planisphäre, die allerdings, wie Bruce Eastwood gezeigt hat, zwar aus einem ähnlichen Formenreservoir schöpften, jedoch nicht in direkter Verwandtschaft zum Kalender des Chronographen stehen.42 Sowohl die in ihrer Form letztlich nicht rekonstruier-

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in: Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, ed. Brigitte Kasten (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 29, Köln/Weimar/Wien 2008) 193−258, hier 238; Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige, 1: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle (MGH Schriften 16, 1, Stuttgart 1959) 72−73; Borst, Mönche am Bodensee 59−60; Egon Boshof, Karl der Kahle – novus Karolus magnus? in: Karl der Große und das Erbe der Kulturen, ed. Franz-Reiner Erkens (Akten des 8. Symposiums des Mediävistenverbandes Leipzig 15.−18. März 1999, Berlin 2001) 135−152; Salzman, On Roman Time 131−135, 179−183. Vgl. Eastwood, Ordering the Heavens 14: „The sort of issues presented to Carolingian scholars by these Roman sources make clear how far beyond the limits nof computus they pushed the boundaries of cosmological and astronomical understanding.“ Vgl. Wilhelm Pohlkamp, Memoria Silvestri. Zur frühen Erinnerungs- und Verehrungsgeschichte des Tagesheiligen vom 31. Dezember, in: Nomen et fraternitas: FS für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, ed. Dieter Geuenich/Uwe Ludwig/Thomas Schilp (RGA Ergänzungsband 62, Berlin 2008) 249−296, hier 251; Henri Stern, Le calendrier de 354: étude sur son texte et ses illustrations (Bibliothèque archéologique et historique 55, Paris 1953). Bischoff, Sammelhandschrift 44; Paul Gerhard Schmidt, Karolingische Autographen, in: Gli autografi medievali. Problemi paleografici e filologici. Atti del convegno di studio della Fondazione Ezio Franceschini, Erice 22 settembre−2 ottobre 1990, ed. Paolo Chiesa/Lucia Pinelli (Spoleto 1994) 139−148, hier 141; vgl. Theodor Mommsen, Über den Chronographen vom Jahr 354, 536–579. Reginbert-Kataloge von 821/822 und 835−842: Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, 1. Die Bistümer Konstanz und Chur, ed. Bernhard Bischoff (München 1918) 240−252 und 257−262; vgl. Karl Preisendanz, Reginbert von der Reichenau. Aus Bibliothek und Skriptorium des Inselklosters, in: Neue Heidelberger Jahrbücher NF (1952/53) 1−49; Matthias M. Tischler, Reginbert-Handschriften, mit einem Neufund in Kloster Einsiedeln, in: Scriptorium 50 (1996) 175−183. Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen) 3, aus dem Nachlass herausgegeben von Birgit Ebersperger (Wiesbaden 2014) n. 6560f. Das Leidener Fragment geht auf eine Vorlage aus dem 6. Jahrhundert zurück. Bruce S. Eastwood, Origins and contents of the Leiden Planetary Configuration (Ms. Voss. Q. 79, fol. 93v): an artistic astronomical schema of the early middle ages, in: ­Viator 14 (1983) 1−40, wiederabgedruckt in: ders., The Revival of Planetary Astronomy in Carolingian and Post-­Carolingian Europe (Aldershot 2002) 1−47; ders., Ordering the Heavens 146−147; vgl. Meyer Schapiro, The ­Carolingian Copy of the Calendar of 354, in: The Art Bulletin 22, 4 (December 1940) 270−272; Ranee Katzenstein/Emilie ­Savage-Smith, The Leiden Aratea: Ancient Constellations in a Medieval Manuscript (Malibu-California 1988); Cornelis Lambertus Verkerk, Aratea. A review of the literature concerning ms. Vossianus lat. q. 79 in Leiden University Library, in: Journal of Medieval History 6 (1980) 245−287; Marion Dolan, The Role of illustrated Aratea Manuscripts in the Transmission of Astronomical Knowledge in the Middle Ages (Pittsburgh 2007); Salzman, On Roman Time 263−264; Marco Mostert/Richard

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bare(n) Originalversion(en) Ω aus dem 4. Jahrhundert als auch der vor allem in der älteren Forschung ange­nommene, kürzlich aber in seiner vornehmlichen Bedeutung als ältester karolingischer Textzeuge zurecht angezweifelte Codex Luxemburgensis, eine Kopie von Ω aus dem 9. Jahrhundert, sind ver­ loren und nur mehr in fünfzehn Teilabschriften erhalten, wobei die vollständigsten Versionen, die insgesamt siebzehn Abschnitte dokumentieren, sämtlich neuzeitlichen Codices entstammen.43 Die exzellenten neuen Editionen des Chronographen von Johannes Divjak und Wolfgang Wischmeyer sowie von Richard Burgess erlauben, die komplexe und disparate Überlieferung dieses Textes besser untersuchen zu können.44 Trotz der dünnen Überlieferungslage des Chronographen liegt der Schluss nahe, dass er spätestens in karolingischer Zeit in Überlieferungszweigen, Auszügen und Textensembles unterschiedlichen Umfangs verbreitet wurde. Das Layout der auf pp. 303−305 kopierten historischen Notizen, die Walahfrid unter der Rubrik Excerptum ex chronica Horosii zusammenfasste, zeigt, dass er sie als kompilatorische Einheit begriff, was eventuell bereits auf die von ihm konsultierte Vorlagehandschrift zurückgehen könnte, die möglicherweise einzelne Textcluster des Chronographen, eventuell in Kombination mit Orosius, enthielt.45 Bis ins Jahr 493 entsprechen Walahfrids Notizen, mit Ausnahme jener zu 428, 443, 455 und 467, den von Oswald Holder-Egger aus unterschiedlichen römisch-italienischen Quellen rekonstruierten ­Ravennatischen Annalen bzw. ihren Ableitungen und wurden von Mommsen als parallele Serien der Mostert, Using astronomy as an aid to dating manuscripts. The example of the Leiden Aratea planetarium (Leiden, UB, Vossius Q79), in: Quaerendo 20 (1990) 248−261; Bernhard Bischoff, Aratea, Bilderhandschrift (Ms. Voss. Lat. Q. 79), 2: Kommentar zum Aratus des Germanicus Ms. Voss. Lat. Q. 79, Bibliotheek der Rijksuniversiteit Leiden (Luzern 1989); Florentine Mütherich, Book illumination at the court of Louis the Pious, in: Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814−840), ed. Peter Godman (Oxford 1990) 593−604. Vgl. auch St. Gallen, Stiftsbibliothek 250, pp. 447−522: Aratus latinus; Anton von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (­Monasterium Sancti Galli 3, St. Gallen 2008) 449−454, n. 120. 43 Weitere Handschriften neben den oben genannten: Bern, Burgerbibliothek 108 (Fragment, IX./X.); Cesena, Biblioteca ­Malatestiana S. XXI. 5, fol. 68r (Italien, 1/3 9. Jahrhundert, darin Marginalnotiz 10. Jahrhundert); Tübingen, Universität­ bibliothek Md. 2 (Süddeutschland, ca. 1404−1450); Biblioteca Apostolica Vaticana Pal. lat. 1370, fol. 79r−100r (Süddeutschland, Ulm/Nürnberg, ca. 1472); Darmstadt, Stadtbibliothek ms. 266 (Süddeutschland, 15. Jahrhundert); Salzburg, Studienbibliothek Cod. V2, G 81−83 (Süddeutschland, 15. Jahrhundert); Wien, ÖNB lat. 3416, fol. 1r−70r (Wien, ca. 1500); Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique lat. 3558 (7543−7549), fol. 190r−211r (ca. 1560−71); Berlin, Deutsche Staatsbibliothek − Preußischer Kulturbesitz lat. 2° 61, fol. 231r−237r (ca. 1604); Amiens, Bibliothèque municipale 467 (ca. 1607−20); eine der vollständigsten Versionen des Chronographen enthält die Edition, die der Gelehrte Nicolas-Claude Fabri de Peiresc um 1620 (BAV Barb. lat. 2154), vermutlich unter Verwendung des Codex Luxemburgensis, erstellt hat, der allerdings spätestens nach dem Tod Peirescs am 24. Juni 1637 verschwunden ist, dessen Inhalt aber aufgrund eines im selben Codex erhaltenen Briefes des Gelehrten an Kardinal Girolamo Aleandro vom 18. Dezember 1620 erschließbar ist (fol. 104r−140r); Konzeptschrift: BAV Vat. lat. 9135 (ca. 1620); dabei ist allerdings unklar, ob die Auswahl der Texte, die Peiresc in seine Edition integrierte, auf ihn selbst zurückgeht, oder ob die nicht edierten Teile bereits in seiner Vorlage gefehlt haben. Die Texte in der Beschreibung des Luxemburger Codex und in Peirescs Edition sind darüberhinaus nicht ­deckungsgleich und weisen eine andere Anordnung auf. Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique lat. 3358 (7524−7555), fol. 156r−189r (Kopie des Wiener Codex für die Bollandisten, 1688) wechselte aus dem Besitz des luxemburgischen Staatssekretärs Jean Brenner von Nalbach, in dessen Besitz sich um 1560 auch der karolingische Codex Luxemburgensis befunden haben soll, in den des Karl Langius; vgl. Burgess, The Chronograph of 354, 356. 44 Das Kalenderhandbuch von 354, ed. Divjak/Wischmeyer; vgl. Roman Imperial Chronology, ed. Burgess: introduction; Klaus Gamber, Codices liturgici latini antiquiores 1 (Freiburg 21968) n. 90, 122−123; Salzman, On Roman Time 253−256; Wolfgang Wischmeyer, Die christlichen Texte im sogenannten Filocalus-Kalender, in: Textsorten und Textkritik, ed. Adolf Primmer/Kurt Smolak/Dorothea Weber (Veröffentlichungen der Kommission zur Herausgabe des Corpus der Lateinischen Kirchenväter 21. Sitzungsberichte der phil.-hist. Kl. 693, Wien 2002) 45−57; Divjak, Kalender 19−38; Burgess/­Kulikowski, Mosaics of Time Kap. 1; Gerhard Binder, Der Kalender des Filocalus oder der Chronograph vom Jahre 354 (Meisenheim 1970); ders., Der Kalender des Filocalus, in: Der Kalender. Aspekte einer Geschichte, ed. Wilhelm Geerlings (Paderborn 2002) 61−95; Ralf Behrwald, Die Notitia und der Chronograph von 354. Die Stadt als Museum?, in: ders., Die Stadt als Museum − Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike (KLIO, Beiträge zur Alten Geschichte, Beihefte, Neue Folge 12) 201−205; Theodora Hantos, Art. Chronograph vom Jahre 354, in: Lexikon für Theologie und Kirche 2 (2006) 1187−1188. Methodologisch inspirierend ist der Artikel: Ian N. Wood, Chains of chronicles: the example of ­London, British library ms. add. 16974, in: Zwischen Niederschrift und Wiederschrift. Frühmittelalterliche Hagiographie und ­Historiographie im Spannungsfeld von Kompendienüberlieferung und Editionstechnik, ed. Richard Corradini/Maximilian Diesenberger/Meta Niederkorn-Bruck (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 18, Wien 2010) 67–77. 45 Mommsen, Über den Chronographen 563–564; Burgess, The Chronograph of 354, 371; Divjak, Kalender 33−34; Salzman, On Roman Time 3−4.

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Consularia Italica ediert. Die Exzerpte changieren dabei zwischen Rezension A und B der nur fragmentarisch erhaltenen, von Johannes Cuspinian erstmals edierten, allerdings erst posthum 1553 publizierten Fasti Vindobonenses priores (für die Jahre 44 v. Chr.–403 n. Chr. und 455–493 mit Fortsetzung bis 527) und Fasti Vindobonenses posteriores (für die Jahre 44 v. Chr.–397 n. Chr., 439–455 und 495–539), deren Lücken für die Jahre 390–473 allerdings durch Walahfrids Exzerpte ergänzt werden können.46 Walahfrids Vorlage ist dabei nach Holder-Egger identisch mit der für den nach Wien gezogenen ­Nürnberger Gelehrten Dr. Johannes Fuchsmagen in den 1480er Jahren angefertigten Handschrift des Anonymus Cuspinianus, Wien, Österreichische Nationalbibliothek lat. 3416, in der das Textcluster ­Liber generationis-Epitome-Fasti consulares, ähnlich wie bei Walahfrid, mit der Rubrik Incipit ­chronica Horosii versehen werden, was für diesen Textverbund den terminus ante quem 418 erweist.47 Die ­Fasti-Fragmente Bern, Burgerbibliothek 108 aus dem späten 9. Jahrhundert sind interessanterweise vor die Orosiushandschrift Bern, Burgerbibliothek 128 (9. Jahrhundert) gebunden.48 Sowohl die Wiener Handschrift als auch Walahfrid integrierten beide Konsular-Serien, wobei sie in erster in zwei ­Kolumnen getrennt, bei Walahfrid aber ineinander verschmolzen wurden. Allerdings zeigt sich, dass Walahfrids Text in den überlappenden Passagen häufig bessere Lesarten als die Wiener Handschrift hat. Im Eintrag a. 390 gibt die Passage per dies XXX mit per dies viginti wieder, ein Fehler, der vermutlich auf eine Zwischenüberlieferung verweist, die per dies XX enthalten hat.49 Richard Burgess hat daher vermutet, dass die korrumpierten Stellen in den Wiener Fasti auf ein ­Exemplar ω2 zurückzuführen seien, das nach dem Original Ω und dem zu Walahfrid führenden ω1 liegt.50 Einige der Veränderungen können aber auch auf Cuspinian zurückgehen. Schon Henri Stern hat zu zeigen versucht, dass Walahfrids Exzerpte aufgrund der Varianten in den Disticha de mensibus auf eine ältere Vorlage zurückgehen müssen als jene des Wiener Codex und die mit dem Codex Luxem­ burgensis zusammenhängenden Überlieferungen.51 Aber auch Walahfrids Exzerpte weisen an vielen Stellen ­korrumpierte Lesungen auf, die möglicherweise schon auf die von ihm konsultierte Vorlage zurückzuführen sind. Ebenso an die spätantike Vergangenheit schließen die unmittelbar folgenden, auf dem zunächst noch freien Blatt pp. 306/307 von Walahfrid nachgetragenen Auszüge aus Cassiodors Kirchengeschichte an, die neben Naturkatastrophen vor allem die durch kosmologische prodigia vorbereitete Kreuzesvision Kaiser Konstantins thematisieren und damit das Prestige der konstantinischen Zeit aufgreifen. Dabei taucht das Kreuz als Symbol auf, etwa in Form von drei Erscheinungen eines Kreuzzeichens in der Zeit Kaiser Julians.52 Alle historischen Exzerpte in Walahfrids Handbuch zeigen, dass eine die zyklischen Zeiten des ­Kalenders und der Osterfestberechnung kontrastierende Struktur das von Gewalt, Habgier und Eigennutz geprägte menschliche Handeln begleitet, dass schlechte Herrscher etwa vom Blitz getötet ­werden oder die Folge von Bürgerkriegen Hungersnot und Pest sind. Insgesamt eignen sich die historischen Exzerpte im Handbuch als ein pädagogisch-konzeptueller Leitfaden durch die Geschichte, der in ­Krisenzeiten Holder-Egger, Untersuchungen 232−234; Kollár, Analecta 945–948. Holder-Egger, Untersuchungen 233−234. 48 Die beiden Lagen enthalten den Kalender für Dezember mit der letzten Zeile des Distichs und die Fasti consulares für die Jahre 509 v. Chr.−264 n. Chr. Der Entstehungsort des Fragments ist unbekannt; sie befand sich in Besitz von Bischof ­Werinharius von Straßburg (1001–1028), der es der Kathedralbibliothek S. Maria in Straßburg vermachte. 49 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 303; Excerpta Sangallensia, ed. Mommsen 298. 50 Burgess, The Chronograph of 354, 370: „This exemplar of CVpr had obviously broken into at least two parts. The first part, down to 403 CE, is perfectly intact and shows no sign of underlying damage. The remaining part is best regarded as a single block that lost its front and back (404–455 and 494−ca. 575). The middle portion of that block, from 455 to 493, on the other hand, survived, but in a highly damaged state. The text for the years down to 403 carries over onto fol. 51v and continues twelve lines down from the top of the left-hand column. After a gap of three blank lines the text for 455 begins with the second historical entry for that year.“ 51 Stern, Le calendrier 17−19; Burgess, The Chronograph of 354, 379. 52 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, pp. 306−307 und 378; Cassiodor/Epiphanius scholasticus, Historia ecclesiastica tripartita I, 4; V, 5; V, 50; VI, 3; VI, 43; VII, 15; VII, 22; X, 6 (ed. Walther Jacob/Rudolf Hanslik, CSEL 71, Wien 1952) 15−17, 220, 300−301, 313−314, 365−366, 408−409, 418−420, 589−592; Walter Jacob/Rudolf Hanslik, Historia Tripartita: Die handschriftliche Überlieferung der sogenannten Historia tripartita des Epiphanius-Cassiodor (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 59, Berlin 1954); vgl. Desirée Scholten, The History of a Historia Manuscript transmission of the Historia Ecclesiastica Tripartita by Epiphanius-Cassiodorus (MA thesis, Utrecht 2010). 46 47

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für den jungen Herrscher Karl den Kahlen ein moralisches Korrektiv bilden konnte. In dieser Hinsicht stellten die Historiae adversus paganos des Orosius eine perfekte Quelle für Walahfrid dar, erzählen sie doch eine unauflösliche Verkettung von menschlichem Fehlverhalten und Naturkatastrophen.53 In ­selektiver Knappheit kopierte er 51 Passagen aus allen sieben Büchern in chronologischer Reihen­ folge, die Erdbeben, Unwetter, Epidemien, Kriege sowie seltsame Begebenheiten und Vorbedeutungen, ­Träume, Engelserscheinungen wiedergeben. So zitiert er etwa den Bericht von zwei Erdbeben in Buch III, 3: eines in der Region Achaia im Jahr 378 vor Chr., bei dem die Städte Ebora und Helike völlig zerstört wurden, und eines in Konstantinopel im Jahr 396 nach Christus. Die beiden Ereignisse werden in Orosius’ Text mit einem die divergenten Zeiten überspannenden Satz verbunden: Anno ab urbe condita CCCLXXVI saeuissimo terrae motu Achaia uniuersa concussa est et duae tunc ciuitates, id est Ebora et Helice, abruptis locorum hiatibus deuoratae. At ego nunc e contrario poteram similia in diebus nostris apud Constantinopolim, aeque modo principem gentium, praedicta et facta sed non ­perfecta narrare, cum post terribilem denuntiationem conscientiamque mali sui praesciam subter commota funditus terra tremeret et desuper fusa caelitus flamma penderet, donec orationibus Arcadii principis et populi Christiani praesentem perditionem Deus exoratus auerteret, probans se solum esse et conseruatorem humilium et punitorem malorum.54 Die Phrase praedicta et facta, sed non perfecta verdeutlicht die theologische Dimension von Orosius’ Denken: er verwendet die beiden Katastrophen als apologetisches Mittel, um eine klare Differenz zwischen der Zeit vor und der Zeit nach Christus zu argumentieren. Einerseits stellten Naturkatastrophen immer schon einen integralen Bestandteil von Gottes universellem Plan dar, andererseits aber sind die prognostischen Zeichen während der tempora ­christiana immer seltener und weniger dramatisch geworden. Walahfrid ordnet in seinen ­Exzerpten die beiden Ereignisse hingegen streng chronologisch an und verschiebt das Erdbeben zur Zeit des ­Arcadius nach einen Ausschnitt aus Buch VII, 32 (auf p. 391), weshalb auch der Verbindungssatz At ego − ­praesciam ausfällt.55 Die Problematik zeitlicher Divergenz und Differenz kann auch anhand von Walahfrids Notiz eines Erdbebens im Jahr 849 aufgeworfen werden. Unmittelbar nach Exzerpten aus den Consularia, die der paläographischen Phase W IV zuzuzählen sind, nützte der Gelehrte nach einer Leerzeile die letzten ­Zeilen von p. 305 für eine Nachricht, die ebenso in der Interpretationslogik von Bestrafung versus Versöhnung gelesen werden kann. Schrift und Tinte sind in diesen Zeilen feiner und blasser, und, obgleich die Schrift dem vorangehenden Teil zeitlich sehr nahe ist, scheint sie doch etwas später hinzugefügt worden zu sein. Der Anfang der Nachricht ist eindeutig zu identifizieren: Anno ab incarnatione ­Domini DCCCXXXXVIIII. terr motus maximus factus est post primum gallorum cantum […]. Beim Versuch, die das Tagesdatum präsentierende Stelle in der dritten Zeile lesbar zu machen, wurde das Pergament im 19. Jahrhundert durch Reagenzflüssigkeit beschädigt, was die Lesung einzelner Wörter deutlich erschwert. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass Walahfrid selbst an dieser Stelle bereits Korrekturen auf Rasur vorgenommen hat. Nicht eindeutig zu identifizieren ist, ob es sich um: XII. Kl. Martias oder Maias, also den 18. Februar oder den 20. April 849, handelt. Möglicherweise hat, worauf kürzlich auch Michael I. Allen hingewiesen hat, Walahfrid hier den heute unidentifizierbaren ursprünglichen Paulus Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII (ed. Carl Zangemeister, CSEL 5, Wien 1882); (ed. franz. MariePierre Arnaud-Lindet, Orose, Histoires [Contre les Païens], Tome I−III, Paris 1990−1991); vgl. Hans-Werner Goetz, Die Geschichtstheologie des Orosius (Impulse der Forschung 32, Darmstadt 1980); ders., Historiographisches Zeitbewußtsein im frühen Mittelalter. Zum Umgang mit der Zeit in der karolingischen Geschichtsschreibung, in: Historiographie im ­frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien/München 1994) 158–178; Peter van Nuffelen, Orosius and the Rhetoric of History (Oxford 2012); Dorothea Koch-Peters, Ansichten des Orosius zur Geschichte seiner Zeit (­Studien zur klassischen Philologie 9, Frankfurt am Main 1984); vgl. die exzellente Studie zur St. Galler Orosiushandschrift 621: Heidi Eisenhut, Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621 (Monasterium Sancti Galli 4, St. Gallen 2009) 68−75. 54 Orosius, Historiae III, 3, ed. Zangemeister 146; ed. Arnaud-Lindet 1, 143. 55 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 381: Anno ab urbe condita trecentesimo septuagesimo sexto sevissimo terrę motu Achaia concussa est universa et duae tunc civitates, id est Tebora et Elice, abruptis locorum hiatibus devoratae sunt; p. 391: ­Arcadii Caesaris temporibus apud Constantinopolim subter commota funditus terra tremuit desuper fusa caelitus flamma pependit, donec orationibus ipsius Arcadii principis et populi Christi presentem perditionem Deus exoratus avertit, probans se solum esse et conservatorem humilium et punitorem malorum. Orosius, Historiae VII, 32, ed. Zangemeister 512−513; ed. Arnaud-Lindet 3, 85−86. 53

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Monatsnamen zu Mart(ias) korrigiert, die in einem weiteren Redaktionsschritt ein weiteres Mal zu vermutlich Mai(a)s durch s mit Abkürzungsstrich auf Rasur von t umgeschrieben wurde. Das s ist dunkler und könnte von Walahfrid selbst ebenso stammen wie von einer späteren, Walahfridesken Hand. Ebenso dürfte eine Walahfridsche Korrektur beim Wochentag vorliegen, der von Theodor Mommsen und ­Giovanni Battista De Rossi als die Saturn.s gelesen wurde − wobei wahrscheinlich eine Verbesserung aus die Saturn.s vorliegt − und die Stelle möglicherweise grammatikalisch besser mit die Saturni, sed aufzulösen wäre.56 Andererseits verwendet Walahfrid die Saturnis, etwa in den ­Consularia-Exzerpten auf p. 304.57 In westfränkischen Quellen, etwa den Annalen von St-Bertin, Fleury und Flavigny, wird ein Beben zu den in diesem Jahr allerdings auf einen Montag fallenden zwölften Kalenden des März vermerkt.58 Hat Walahfrid also das Ereignis als Augenzeuge aufgezeichnet oder doch eine westfränkische Quelle kopiert, und wurden dann Datum sowie Wochentag nachträglich von ihm selbst oder von anderer Hand von möglicherweise die secunda oder die Lunae zu die Saturnis korrigiert? Oder handelt es sich um eine in zeitgenössischen alemannischen und bayerischen Annalenwerken, hier allerdings ohne Tagesangabe, erwähnte Katastrophe, wobei Walahfrid das Datum nachgebessert hat? Diese auch in der alemannischen Annalistik begegnende Nachricht beweist jedenfalls, dass bis zum Jahr 849 am Vademecum gearbeitet wurde. In den Annales Alamannici wird das Ereignis gar mit dem Tod Walahfrids in Verbindung gebracht.59 In Walahfrids Notiz findet sich ferner keine Lokalisierung des Erdbebens, und auch jene die Dauer des Bebens vermeldende Zahl ist beschädigt und kann mit X oder XI aufgelöst werden. Die Tinte in der entsprechenden Zeile auf der Recto-Seite (p. 304) ist nicht nur in dem von der Reagenzflüssigkeit betroffenen Teil dunkler als die umgebende Kontextschrift, die ebenso Phase W IV entstammt, sondern auch bei den ersten drei Buchstaben von Iustiniani. Dies bedeutet, dass die Phrase Iustiniani augusti anno Longoba- von Walahfrids eigener Hand wegen der Rasur auf der Rückseite neugeschrieben bzw. übergeschrieben wurde, ein Umstand, der die These der Rasur des Tagesdatums stützt. Der zweite Teil der Nachricht, der die Nachbeben schildert, ist sowohl paläographisch als auch durch die dunklere Tinte und Interpunktion vom ersten Teil etwas abgesetzt und später – möglicherweise zum selben Zeitpunkt wie die Korrekturen in Zeile 3 der Notiz und die Überschreibung auf p. 304 − hinzugefügt worden zu sein: et postea, per intervalla tamen, sep. Es ist allerdings nicht eindeutig aufzulösen, ob sich die letzte Zeile: Kl. Iun. ipso anno primo mane die sabbato accidit – wie zumeist interpretiert wird − auf das Ende der Nachbeben am ebenfalls auf einen Samstag fallenden 1. Juni beziehen soll, oder ob damit doch eher ein neuer Satz beginnt. Die letzten beiden Zeilen sind frei geblieben; mit der nächsten Seite, auf der Exzerpte aus Cassiodors Historia tripartita einsetzen, beginnt eine neue Lage. Das hieße allerdings, der letzte Satz wäre nicht mehr fertiggestellt worden, und das Ereignis, auf das sich Walahfrid bezöge, wäre nicht mehr zu rekonstruieren. Möglicherweise sollte ein Michael I. Allen, Rezension von Heidi Eisenhut, Die Glossen Ekkeharts IV. von St. Gallen im Codex Sangallensis 621. Monasterium Sancti Galli, Bd. 4. St. Gallen: Verlag am Klosterhof, 2009, in: Journal of Medieval Latin 23 (2013) 346–353; De Rossi, Excerptum 17; Bischoff, Sammelhandschrift 45, Anm. 27. 57 Vgl. zu die Saturnis auch Henry Fynes Clinton, Fasti romani. The civil and literary chronology of Rome and ­Constantinople from the death of Augustus to the death of Justin II (Oxford 1845) 197 (https://ia600401.us.archive.org/31/items/ fastiromanicivil01clinuoft/fastiromanicivil01clinuoft.pdf); Burgess, The Chronograph of 354, 366; Allen, Rezension ­Heidi Eisenhut 352; Mommsen, Chronica minora 1, 32; De Rossi, Excerptum 17; Noctes Gallicanae, Épitaphes AE 1892, 31 (http://www.noctes-gallicanae.fr/Epitaphes/epitaphes.htm); William H. Withrow, The Catacombs of Rome. The Catacombs of Rome and Their Testimony Relative to Primitive Christianity 3, 1, 685 (London 1888) (http://www.gutenberg. org/files/47532/47532-h/47532-h.htm); Simeon D. Ehrlich, ‘Horae’ in Roman Funerary Inscriptions (PhD The University of Western Ontario, Electronic Thesis and Dissertation Repository, Paper 471, 2012: http://ir.lib.uwo.ca/cgi/viewcontent. cgi?article=1681&context=etd) 128, 230; Sacha Stern, Calendars in Antiquity: Empires, States, and Societies (Oxford 1962, 22012) 320−322. 58 Annales Bertiniani a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 419–515, hier 443; Annales ­Flaviniacenses et Lausonnenses, Annales Lausonnenses a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 3, Hannover 1839) 149–152, hier 152; Annales Floriacenses a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 254–255, hier 254. 59 Vgl. Annales Alamannici a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz/Ildefons von Arx, MGH SS 1, Hannover 1826) 19−60, hier 50: Terrae motus. Walachfredus obiit; Annales Weingartenses a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz/Ildefons von Arx, MGH SS 1, Hannover 1826) 65−66, hier 66: Terrae motus. Walahfredus obiit; Annales Sangallenses maiores a. 849 (ed. Georg Heinrich Pertz/Ildefons von Arx, MGH SS 1, Hannover 1826) 72−85, hier 76: Terrae motus. Walachfredus abba obiit. = St. Gallen, Stiftsbibliothek 915, p. 204.

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weiteres Beben erwähnt werden.60 Erinnert sei daran, dass der Reichenauer zweieinhalb Monate später, am 18. August, in der Loire den Tod fand. Die Erdbebennachricht passt jedenfalls in die Reihe der Kalamitäten, reflektiert sie doch in kondensierter Form die Semantik der Bestrafung. Freilich sind Erdbeben, zumal sie in der unmittelbaren Umgebung stattfinden, aufzeichnungswürdige Ereignisse per se. Im Kontext des Vademecums gewinnt die durch mehrfache Korrektur erstellte Nachricht allerdings doch eine über ihren Aktualitätswert hinausgehende Bedeutung. Gewiss war der frühere Hofpoet über die prekäre Situation des karolingischen Imperiums besorgt. Konnte in der aufgelisteten Kette von Erdbeben auch dieses aktuelle Ereignis in Walahfrids Perspektive nur eine Bestrafung bedeuten, so bestand doch, wie aus den Orosius-Exzerpten hervorgeht, die Hoffnung, dass Gebete des Herrschers und der christlichen Gemeinde Gott versöhnen und eine Vernichtung abwenden könnten. Die metatextuelle Verknüpfung mit der römischen Vergangenheit, die in den in Walahfrids Quellenbuch aufgenommenen historiographischen Texten in intensiver Weise hergestellt wird, wird durch die Integration eines römisch beeinflussten Kalenders in das Vademecum auf pp. 324a–327a verstärkt. Die Form dieses calendarium ist ungewöhnlich: Es wird nicht, wie üblich, eine Seite für jeden einzelnen Monat verwendet, sondern die Monate werden nach der gemeinsamen Anzahl der Monatstage, respektive der gleichen Kalenden, Nonen und Iden gruppiert. Dieser Kalender rekurriert nicht auf die in der ,Aachener komputistischen Enzyklopädie von 809‘ propagierte Kalender-Form, sondern auf den liturgischen Kalender, der in Fulda verwendet wurde, der seinerseits auf römischen Vorbildern beruht.61 Auch zu Bonifatius und zum Echternacher calendarium des angelsächsischen Missionars Willibrord in Paris, Bibliothèque Nationale de France lat. 10837, angelegt zwischen 703 und 709, bestehen Parallelen.62 Der dies natalis des Willibrord zum 6. November und jener des Bonifatius am 5. Juni wird vermerkt.63 Arno Borst weist Form und Stil des Kalenders der rheinfränkischen Fassung A zu, deren Lorscher Archetypus nicht mehr erhalten ist. Folglich argumentierte Borst gegen Bischoff, dass Walahfrids Kopie erst um Vgl. Burgess, The Chronograph of 354, 366. Editionen des calendarium: (ed. Sirka Heyne, Studien zur Mainzer und Fuldaer Liturgiegeschichte. Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 73, Mainz 1996) 55−64; (ed. Emmanuel Munding, Die Kalendarien von St. Gallen, 1: aus XXI Handschriften, neuntes bis elftes Jahrhundert. Texte und Arbeiten 1, Abt. Beiträge zur Ergründung des älteren lateinischen christlichen Schrifttums und Gottesdienstes 36, Beuron 1948) 6, 19f., 36, der den Kalender K2 St. Gallen zuordnet; (ed. Arno Borst, Der karolingische Reichskalender und seine Überlieferung bis ins 12. Jahrhundert, MGH Libri memoriales 2, 1−3, Hannover 2001). Vgl. Bischoff, Sammelhandschrift 42f.; Borst Reichskalender 1, 226; ders., Kalenderreform 308; Eastwood, Ordering the Heavens 1−29; vgl. die beiden anderen Überlieferungsträger aus dem 9. Jahrhundert: Frankfurt, Universitätsbibliothek Barth. 32, fol. 1ra−3vb (Fulda); BAV Pal. lat. 1448, fol. 63r−68v (Mainz); Edition: ed. Heyne 35−43 und 65−78. Vgl. ferner das Fragment Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität A I 2, 31 mit einem Agius von Corvey zugeschriebenem Kalendar mit Computus aus dem 10/11. Jahrhundert; dazu Ute Schwab, Agius von Corvey. Ein Fragment seines ,Computus‘ und die Überlieferung der altsächsischen Bibelepik, in: Architectura poetica. FS für Johannes Rathofer zum 65. Geburtstag, ed. Ulrich Ernst/Bernhard Sowinski (Köln/Wien 1990) 29−43; Klaus Gugel, Welche erhaltenen mittelalterlichen Handschriften dürfen der Bibliothek des Klosters Fulda zugerechnet werden? Teil II. Die Fragmente aus Handschriften (Fuldaer Hochschulschriften 23b, Frankfurt 1996) 12; vgl. Boschen, Annales ­Prumienses 34−55, nach dem Grundstock in der Handschrift Madrid, Biblioteca Nacional 3307, fol. 7r−20v (Murbach, um 820, = Leithandschrift der Aachener komputistischen Enzyklopädie von 809); vgl. Monza, Biblioteca Capitolare F. IX. 176, fol. 11v−17r; BAV Reg. lat. 309, fol. 6r−12v; Borst, Reichskalender 1, 429−1633; vgl. auch Borst, Schriften 3, 1103; ders., ­Alkuin; Bianca Kühnel, The End of Time in the Order of Things: Science and Eschatology in Early Medieval Art (Regensburg 2003); Wilhelm Neuss, Ein Meisterwerk der karolingischen Buchkunst aus der Abtei Prüm in der Biblioteca Nacional zu Madrid, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft ser. 1, 8 (1940) 37−64; Eric M. Ramirez-Weaver, Carolingian Innovation and Observation in the Paintings and Star Catalogues of Madrid, Biblioteca Nacional, Ms. 3307 (New York 2008) 355−359, 363−367, 383−386; Eva-Maria Engelen, Zahl und Bild. Studien zur Verbindung von Philosophie und Wissenschaft bei Abbo von Fleury (Philosophie und Wissenschaft 2, Berlin 1993) 68. 62 Auf fol. 34v−40r; vgl. The Calendar of St. Willibrord (ed. Henry A. Wilson, Henry Bradshaw Society 55, London 1918); Borst, Kalenderreform 189–192, 393. 63 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 326. Vgl. Stevens, Walahfrid Strabo 17: „At Boniface’s monastic foundation at Fulda, the ninth century abbots and masters taught both Christian doctrine whose orthodoxy never failed and a cosmology which was never publicly challenged: the world was a globe, the universe a sphere, and all was in God’s own hand. His notebook shows that Walahfrid continued to collect materials on these subjects later at Aachen and at Reichenau. He added Bede’s De temporibus and took up the question basic to any calendar – when does it begin? To Bede’s and Hraban’s account of the annus mundi, the year of creation, he added three more accounts and noted the conflicts and the confusion which would result if anyone tried to use them.“ 60 61

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830 am Aachener Hof entstanden sein kann, als ihm ein Exemplar des Lorscher Archetypus zugänglich war.64 Damit ist die Kopie des Reichenauer Gelehrten aber auch verwandt mit jener Version des ­Kalenders, der direkt auf die komputistischen Bemühungen Alcuins aus der Zeit der Aufarbeitung jener Forderungen zurückgeht, die in der Admonitio generalis formuliert worden waren.65 Walahfrids hagiographisches Material ist dabei knapp gehalten, er kopierte lediglich die Namen der Heiligen, überging hingegen völlig die Einträge zur biblischen Geschichte, zur Schöpfungsgeschichte, zu den rezenteren Kirchweihen, aber auch beispielsweise den Reichenauer Gründungsheiligen Pirmin. „Dabei verlegte er lediglich das Fest des Karolingerheiligen Arnulfus vom 16. August, wo es auch im Aachener Muster­ kalender D stand, auf den 18. Juli.“66 Die Textform der Aachener Fassung D des Kalenders ist dabei am besten in der Leithandschrift α der Siebenbuchversion der Aachener astronomisch-komputistischen Enzyklopädie von 809/12 Madrid, Biblioteca Nacional 3307, fol. 5r−6v und 79r−80v erhalten, die in Murbach um 820 kompiliert worden ist (D1).67 Da Walahfrid spätestens während seines Exils in Speyer vermutlich Zugang zur Murbacher Bibliothek hatte, könnte er den Kalender der Madrider Handschrift gesehen haben. In ihrer eschatologischen Programmatik korrespondieren die eben skizzierten Abschnitte mit ­weiteren Texten in Walahfrids Handbuch. Bedas De temporibus (pp. 243, 262−276) und die Chronica de VI ­aetatibus mundi (pp. 277−284), die Walahfrid (Phase W III und IV) mithilfe der Schreiber J und K unmittelbar an Bedas kosmologischem Traktat De natura rerum (pp. 242−262) anschließend kopierte, ­bilden das chronologische Rückgrat des Handbuchs, durch das die historiographischen Exzerpte interpretatorische Tiefe erhalten. Die Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte der Chronica de VI ­aetatibus ­mundi, die, beginnend mit Adam, die sechs Weltzeitalter zusammenfasst, ist nicht eindeutig zu eruieren.68 66 67 68 64 65

Borst, Reichskalender 1, 77. Arno Borst, Der Streit um den karolingischen Reichskalender (MGH Studien und Texte 36, Hannover 2004) 7, 116. Borst, Reichskalender 1, 77. Borst, Reichskalender 1, 178−179. Vollständige Edition mit Handschriftenbeschreibung der Chronica de VI aetatibus mundi: Die ostfränkische Ahnentafel von 807 (ed. Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21, 2, Hannover 2006) 951–1008; ältere Editionen, nur jeweils einige Handschriften im Editionstext berücksichtigend: Laterculus Bedanus generationum regnorumque cum continuatione carolingica altera (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 13, Berlin 1898) 346–354; (ed. Petrus Lambeck, Commentariorum de augustissima bibliotheca Caesarea ­Vindobonensi liber 1, Wien 1665) 395–398 (403); (ed. Adam Franz Kollár, Analecta monumentorum omnis aevi Vindobonensia 1, Wien 1761) 602−608; (ed. André Duchesne/François Duchesne, Chronicon breve a mundi exordio usque ad annum Christi DCCCX. Ex vetusto codice ms. Bedae de Ratione temporum, qui fuit ecclesiae seu monasterii sancti Dionysii in Francia, Historiae Francorum Scriptores T. 3. A Car. Martello Pippini r. fratre, usque ad Hugonis et Roberti regum tempora, Paris 1634) 125−129; Chronicon breve a mundi exordio usque ad annum Christi DCCCX (ed. Migne, PL 94) 1173−1180B; wird Einhard zugeschrieben in der von Petrus Lambeck nach der Handschrift Wien, ÖNB lat. 387 angefertigten Edition, wiederabgedruckt in: Abbreviatio chronicae (ed. Migne, PL 104) 607A–610C; Chronica de sex ­aetatibus mundi (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 256: nur die letzten Zeilen aus der sexta ­aetas ediert nach Wien, ÖNB lat. 387. Vgl. beispielsweise: Paris, BNF lat. 4860 (Reichenau, um 900), ein historiographisches ­Kompendium (mit den Chroniken von Eusebius/Hieronymus, Prosper Tiro, Cassiodor, Jordanes gemeinsam mit Bedas ­Texten), Hrabanus’ De computo liber, annalistischen Texten (Annales s. Albani Moguntini, Annales Augienses), komputistische argumenta (siehe dazu weiter unten die Besprechung der Handschriften der ,Aachener komputistischen ­Enzyklopädie von 809/12‘); Paris, BNF lat. 5543 (Fleury, 9. Jahrhundert); Wien, ÖNB lat. 387 (Salzburg, ca. 818), mit ­einem ­Martirologium excarpsatum cum alpha betis, tabulae paschales (zwei große Zyklen, Jahre 1–1063) mit annalistischen notae, ediert als: Annales Salisburgenses (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 89−90 (vgl. ­München, Bayerische Staatsbibliothek clm 15818, fol. 97r–144v, Salzburg, um 835), mit komputistischen Texten und ­Bedas De natura rerum als liber III; München, BSB clm 210 (Salzburg/Regensburg, ca. 820), Zwillingshandschrift von Wien, ÖNB lat. 387, mit Ostertafeln und Annales s. Emmerami Ratisponensis minores (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826) 93−94; Annales s. Emmerami minores (ed. Georg Waitz, MGH SS 13, Hannover 1881) 47−48; gemeinsam in einem Kompendium mit Chroniken siehe z.B.: Bern, Burgerbibliothek 83 (Hautvillers/Rheims, 10. Jahrhundert); Bruxelles, Bibliothèque royale de Belgique lat. 5413–5422 (Nordfrankreich, ca. 900); Montecassino, Archivio dell’abbazia 3; Bamberg, Staatsbibliothek Hist. 3 (Halberstadt, ca. 1000); Avignon, Bibliothèque municipale 175 (Frankreich?, 1. Viertel 9. Jahrhundert); Roma, Biblioteca Casanatense 641 (Montecassino, ca. 811); vgl. Peter Verbist, In duel met het verleden. Mideleeuwse auteurs en hun chronologische correcties op de christelijke jaartelling (ca. 990−1135) (Diss., Leiden 2003) 180, 269; Leopold Delisle, Les manuscrits des fonds Libri et Barrois à la Bibliothèque Nationale (Paris 1888) 61−62; Fritz Saxl, Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften 2, Die Handschriften der Nationalbibliothek in Wien, in: Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist.

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Sie ist aus Bedas Chronica maiora oder Chronica minora und den Chroniken Isidors von ­Sevilla ­kompiliert, aber höchst eigenständig formuliert und in den Berechnungen einiger Regierungsjahre von ihren Vorlagen abweichend.69 Die in zweiundvierzig Textzeugen − davon acht aus dem bayerischalemannischen Raum − erhaltene Chronica, deren Ursprung in Northumbria zu suchen sein dürfte, wurde im Verband mit Bedas Werken und vor allem den polymorphen Kompendien der in ihrem Grundbestand im Jahr 809 entworfenen ,Aachener astronomisch-komputistischen Enzyklopädie‘ im karolingischen Raum verbreitet.70 Vermutlich kam auch ein Exemplar der Chronik um 807 nach Aachen oder Lorsch, wo der ursprüngliche Textbestand der Fassung α kopiert und erweitert wurde (mit annus praesens 807 in den erhaltenen Textzeugen).71 Unmittelbar vor Textbeginn der Chronik, in der letzten Zeile von p. 277 vermerkte Walahfrid als Titel Excerptum de libro Albini magistri, und weist damit die folgenden Seiten als Auszug aus einem heute nicht mehr identifizierbaren Werk des großen Aachener Hofgelehrten aus. In dem ebenfalls Alcuin zugeschriebenen, einflussreichen komputistischen ,Veroneser Jahrbuch von 793‘, das unter dem Titel ,Libellus annalis‘ in einer Haupthandschrift und zahlreichen Teilhandschriften und Auszügen erhalten ist, findet man die Chronica nicht, sodass sie als direktes Vorbild ausscheidet.72

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Kl. 1925/26-2/1927 (Heidelberg 1925–27) 79–81; Stevens, Computus-Handschriften 374−376; Meta Niederkorn-Bruck, Das Sanctorale Salzburgs um 800. Liturgie zwischen Norm und Praxis, 2 Bde. (Habilitationsschrift, Wien 2000); dies., Das Salzburger historische Martyrolog aus der Arn-Zeit und seine Bedeutung für die Textgeschichte des ,Martyrologium Bedae‘, in: Erzbischof Arn von Salzburg, ed. Meta Niederkorn-Bruck/Anton Scharer (VIÖG 40, Wien 2004) 155−171, hier 158; John McCulloh, Martyrologium excarpsatum. A new text from the early Middle Ages, in: Saints, Scholars, and Heroes. Studies in Medieval Culture in Honour of Charles W. Jones 1, ed. Margot H. King/Wesley M. Stevens (Collegesville/ Minn. 1979) 179–237; Ildar Garipzanov, The Carolingian abbreviation of Bede’s world chronicle and Carolingian ­imperial ‘genealogy’, in: Hortus Artium Mediaevalium 11 (2005) 291−298; Clavis patristica, ed. Machielsen 66; George H. Brown, The preservation and transmission of Northumbrian culture on the continent: Alcuin’s dept to Bede, in: The Preservation and Transmission of Anglo-Saxon Culture. Selected Papers from the 1991 meeting of the International Society of Anglo-Saxonists, ed. Paul E. Szarmach/Joel T. Rosenthal (Studies in Medieval Culture 40, Kalamazoo 1997) 159–176; Charles Beeson, The manuscripts of Bede, in: Classical Philology 42 (1947) 73–87; Joanna Story, Carolingian ­Connections: Anglo-Saxon England and Carolingian Francia, c. 750–870 (Aldershot 2003). Isidor von Sevilla, Chronica maiora et minora (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 11, Chronicorum minorum sec. IV. V. VI. VII. 2, Berlin 1898) 391−494; Isidor von Sevilla, Chronica minora, in: Etymologiarum sive originum libri viginti V, 39 (ed. Wallace M. Lindsay, Oxford 1911, repr. 1966) s.p.; Beda Venerabilis, Chronica maiora (ed. Theodor Mommsen, Beda, De temporum ratione 66, MGH AA 13, Berlin 1898) 223–327; ders., De temporum ratione [66]: Chronica maiora (ed. Charles W. Jones, CCSL 123 B, Bedae opera VI, Opera didascalia 2, Turnhout 1977) 241–544, hier 462−544; ders., De temporibus [16–22], Chronica minora (ed. Charles W. Jones, CCSL 123 B, Bedae opera VI, Opera didascalia 2, Turnhout 1977) 579–611; vgl. Charles W. Jones, Bede as Early Medieval Historian, in: Mediaevalia et Humanistica 4 (1946) 26–36. Isidor-Handschriften im alemannischen Raum: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek Aug. perg. 167 (­Reichenau, 9. Jahrhundert); Paris, Bibliothèque Nationale de France lat. 4860 (Reichenau, um 900); St. Gallen, Stiftsbibliothek 133 (St. Gallen, Anfang 9. Jahrhundert); St. Gallen, Stiftsbibliothek 237 (St. Gallen, 9. Jahrhundert). Libri computi, ed. Borst 3, 1054–1334; Dorothy Whitelock, ,After Bede‘ (Jarrow Lectures 1960) 41f., argumentiert, dass die komputistischen Texte Bedas zu den ersten zählten, die im fränkischen Reich verbreitet wurden. Vgl. Beeson, ­Manuscripts of Bede; Rosamond McKitterick, The Carolingian renaissance of culture and learning, in: Charlemagne: ­Empire and ­Society, ed. Joanna Story (Manchester 2005) 151−166; John J. Contreni, The Carolingian renaissance: ­education and ­literary ­culture, in: The New Cambridge Medieval History 2, c. 700–c. 900, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1995) 709–757, bes. 741f., 751f.; Matthew Innes/Rosamond McKitterick, The writing of history, in: ­Carolingian ­Culture: ­Emulation and Innovation, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1994) 193–220, hier 199−200; Herding, Problem; Louis Holtz, Alcuin et la renaissance des arts libéraux, in: Karl der Große und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, 1: Wissen und Weltbild. Charlemagne and his Heritage. 1200 Years of Civilization and Science in Europe, 1: Scholarship, Worldview and Understanding, ed. Paul Leo Butzer/Max Kerner/Walter Oberschelp (Turnhout 1997) 45−60; Mary D. Garrison, The emergence of Carolingian Latin literature and the court of Charlemagne (780−814), in: Carolingian Culture: Emulation and Innovation, ed. Rosamond McKitterick (Cambridge 1994) 111−140. Ältester Textzeuge der Fassung α ist Roma, Biblioteca Casanatense 641 (olim B IV 18), fol. 45r–46v (Montecassino, 811– 812); weiters: Avignon, Bibliothèque municipale 175 (ev. Gellone, ca. 815); Bruxelles, Bibliothèque royale de Belgique lat. 5413−5422 (ev. Reims, ca. 850); Montecassino, Archivio della Badia 3 (Benevent, vor 879); Bamberg, Staatsbibliothek Ms. Hist. 3 (E III. 14) (Halberstadt, ca. 1000). Das um 793 geschriebene Veroneser komputistische Lehrbuch (Libellus annalis) ist in Berlin, Deutsche Staatsbibliothek – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Phill. lat. 1831, fol. 115r–125v, aus Verona um 800 erhalten. In derselben Handschrift befindet sich auf fol. 91r–99v Bedas De natura rerum; vgl. Alcuin, Opusculum sextum de cursu et saltu lunae ac bissexto 1–2, 4 (ed. Migne, PL 101) col. 981–993, und das um 776 von Alcuin verfaßte komputistische Werk Calculatio Albini magistri (ed. Migne, PL 101) col. 999–1002; vgl. Borst, Karolingische Kalenderreform 55; ders., Alkuin 61f.; vgl.

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Möglicherweise bezieht sich dieser Titel aber auch auf den gesamten folgenden Abschnitt pp. 277−305, der komputistische argumenta mit Exzerpten aus dem Chronographen von 354 verbindet.73 Auf p. 278 wird sie mit dem für die recensio β der ,Aachener astronomisch-komputistischen Enzyklopädie‘ am häufigsten verwendeten Titel Adbreviatio chronicae rubriziert. Im Kontext von Walahfrids Handbuch, in das sie in einer Version β integriert wurde, bietet die ­Chronik vor allem eine genealogische Tafel, in der die Geschichte einerseits nach den biblischen ­generationes der Patriarchen, Richter und Könige, bzw. nach dem Modell der Hieronymuschronik anhand von Regierungs­jahren der Herrscher strukturiert wird, andererseits bildet die Berechnung der anni mundi, also des Schöpfungsalters der Welt, das chronologische Grundgerüst.74 Als drittes Ordnungsprinzip wird die Einteilung der Geschichte nach dem von Augustinus und Hieronymus im 4. Jahrhundert entworfenen Modell der sex aetates als Folie darübergelegt, um die Chronologie biblischer Geschichte mit jener antiker Reiche vergleichen zu können. Dieses Modell fand über die Rezeption bei Isidor und Beda Eingang in die frühmittelalterliche Historiographie. Die Chronica de VI aetatibus mundi, die diese Zeit-Konzepte von Augustinus bis Beda reflektiert, ist somit ein Beispiel einer Langzeit-Perspektive, die eine tiefgreifende Reorganisation der Zeitwahrnehmung in der karolingischen Epoche ermöglichte. Die Chronica verwendet dabei in Anlehnung an Beda die Berechnung der biblischen Patriarchen­ generationen secundum Hebraicam veritatem und korrigiert damit die Version der griechischen ­Septuaginta und der lateinischen Vulgata. Die prima aetas dauert von der Erschaffung Adams bis zur Sintflut, umfasst zehn Generationen und 1656 Jahre, die zweite aetas von Noah bis Abraham enthält ebenso zehn Generationen und 292 Jahre, die dritte bis David 942 Jahre, die vierte bis zum Babylonischen Exil enthält 473 Jahre. Die fünfte aetas beginnt mit König Kyros II. von Persien, der mit dem Ende der Babylonischen Gefangenschaft assoziiert wird, und wird, abweichend von Beda, mit 580 Jahren gezählt.75 Damit leitet die Geschichte des biblischen Reichs zu jener des persischen und in der Folge des griechischen und schließlich des römischen bzw. später byzantinischen Reichs über. Den Wendepunkt bildet die Geburt Christi im 42. Regierungsjahr von Kaiser Octavianus Augustus. Die sexta aetas listet die römischen und byzantinischen Imperatoren von Tiberius bis Justinian II. auf und fügt unmittelbar eine Genealogie der karolingischen Herrscher vom maior domus Pippin II. bis Karl dem Großen an. Damit wird nicht nur die biblische und antike Vergangenheit in die zeitgenössische Geschichte integriert, sondern auch die karolingische Herrschaft als imperiale Nachfolge legitimiert und eine klare Kontinuitätslinie hergestellt. Dem vielfältigen und heterogenen historischen Datenmaterial wird so der Eindruck von Stabilität und Sinnhaftigkeit verliehen. Als Climax karolingischer Machtentfaltung wird Karls Alleinherrschaft in den beiden Schlusssätzen der Chronik thematisiert: Et a Carlo et Carlomanno usque ad Carlum fiunt anni IIII. Et inde domnus Carolus solus regnum suscepit, et Deo protegente gubernat usque in praesentem annum feliciter, qui est annus regni eius XLII., imperii autem VIIII.76 Mit dieser triumphalistischen, an die Apprecatio einer Herrscherurkunde erinnernden Phrase, mit der man ins Jahr 809 kommt, wird die karolingische imperiale Herrschaft legitimiert.77 Karl der Große wird in eine Reihe mit David und Augustus gestellt, die ebenfalls jeweils am Ende einer aetas standen, und dadurch mit dem sozialen Kapital sowohl des Königs von Israel und Juda als auch jenes römischen Imperators ausgestattet, der zur Zeit der Geburt Christi regierte. Zudem konnte die ­Parallele des 42. Regierungsjahres des Augustus und des annus praesens dem Frankenherrscher zu denken ­geben. Diese chronologische Verbindung eines karolingischen Herrschers mit der Geburt Christi und dem ­Beginn der Schöpfung, die dem Genre der Annalistik verpflichtet ist, erhält ihre dichte Beschreibung

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­ ontecassino, Archivio dell’abbazia 3 (ca. 874); Paris, BNF lat. 7530, fol. 280v–281r (Montecassino, 2. Hälfte 8. JahrhunM dert) mit einem Kapitel aus De temporum ratione. Springsfeld, Alkuins Einfluß 82. Zu den Überlieferungsgruppen und Textzeugen siehe Borst, Schriften 2, 959−970; Corradini, ZeitNetzWerk. Vgl. Beda Venerabilis, De temporum ratione 66, ed. Jones 464 und ders., De temporibus 21, ed. Jones 606: 588 Jahre. Vgl. dazu Masako Onashi, The annus Domini and the sexta aetas: problems in the transmission of Bede’s De temporibus, in: Computus and its Cultural Context in the Latin West, AD 300−1200. Proceedings of the 1st International Conference on the Science of Computus in Ireland and Europe, Galway, 14−16 July 2006, ed. Immo Warntjes/Dáibhí O Cróinín (Studia traditionis theologiae 5, Turnhout 2010) 190−203; Verbist, Duelling with the Past. St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 283; Chronica de VI aetatibus mundi, ed. Borst 1006. Die Versionen der recensio α der Chronica zeigen, dass sie ursprünglich a. 807 (= A.M. 4759) fertiggestellt worden war. Vgl. Borst, Schriften 2, 951; Variante in St. Gallen, Stiftsbibliothek 732, p. 153: das 43. bzw. 10. Jahr.

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dadurch, dass der Satz an eine stereotype Zeitserie angehängt wird. Mit ihrer stereotypen Grammatik verdeutlicht die Chronica auf prägnante Weise das Konzept der translatio imperii. 809 ist aber auch das Jahr eines weiteren wichtigen Ereignisses in der Geschichte der Zeitrechnung: Auf Initiative Kaiser Karls wurde in Aachen eine Synode abgehalten, die der Lösung der damals akut gewordenen komputistischen Probleme gewidmet war. Diese Synode, die deutliche Impulse auf die Zeitrechnung des 9. Jahrhunderts ausübte und deren Ergebnisse den Anstoß zu der in zahlreichen Handschriften erhaltenen ,Aachener astronomisch-komputistischen Enzyklopädie‘ gaben, dürfte auch die Niederschrift von Walahfrids Kompendium maßgeblich beeinflusst haben.78 Die Ergebnisse der in fünf vollständigen Handschriften erhaltenen Aachener Synode, die von Dümmler als ,Capitula de ­quibus convocati compotistae interrogati fuerint‘ ediert wurden, bilden einen zentralen Aspekt der karolingischen renovatio und correctio.79 Die Chronica wurde bereits in die früheste Redaktion der in der Folge entwickelten Kompendien der Aachener Enzyklopädie von 809 als Kapitel I, 5 eingearbeitet und in diesem kontextuellen Umfeld rasch verbreitet.80 Die bedanische Annus-mundi-Datierung, mit der das Schöpfungsalter der Welt auf 3952 v. Chr. ­korrigiert wird, greift der letzte Satz der Chronica auf p. 283 auf: Sunt autem totius summae ab origine mundi anni usque in praesentem annum ĪĪĪĪDCCLXI.81 Beda hatte ja in seinen Zeittraktaten die nach den biblischen generationes berechneten Weltzeitalter secundum Hebraicam veritatem gegen konkurrie­ rende Modelle gestellt, die etwa nach der Vulgata oder der Septuaginta rechneten und auf andere Ergebnisse kamen – v.a. Hieronymus, der in seiner Chronik die Weltschöpfung auf das Jahr 5199 vor Christur datierte. In Hrabans De computo – im Vademecum auf p. 215 – findet man, etwas abweichend, als Inkarnationsjahr secundum Hebraicam veritatem 3956 vor Chr. wie auch 5198 secundum Septuaginta interpretes.82 Ähnlich wie in der Chronik wird auch in diesem Text ein annus praesens festgehalten: Das siebente Regierungsjahr von Ludwig dem Frommen ist annus mundi 4776 nach der Hebräischen Bibel, 6019 nach der Septuaginta, also das Jahr 820, in dem Hraban seinen Zeittraktat vollendete. Die unterschiedlichen Annus-mundi-Rechnungen präsentiert auch die auf p. 284 unmittelbar der Chronica de VI aetatibus mundi angehängte Computatio ab Adam usque ad nativitatem Christi, die ebenso in einige der Überlieferungen der Aachener komputistischen Enzyklopädie Eingang gefunden hat.83

Zur Handschriftenliste der Enzyklopädie siehe v.a. Borst, Schriften 3, 1070−1086. Madrid, Biblioteca Nacional 3307 (L. 95) (Murbach/Metz/Prüm, ca. 820); BAV Val. lat. 645 (St-Quentin?, 9. Jahrhundert); BAV Reg. lat. 309 (St-Denis, 9. Jahrhundert); Monza, Biblioteca Capitolare f. 9. 176 (Niederrheingebiet, 9. Jahrhundert); Paris, BNF nouv. acqu. lat. 456 (Auch, 12. Jahrhundert); Genève, Bibliothèque Publique et Universitaire lat. 50 (Massay, 9. Jahrhundert); Paris, BNF lat. 12117 (11. Jahrhundert); BAV Reg. lat. 1038 (Südfrankreich, 10. Jahrhundert); Exzerpte in: St. Gallen, Stiftsbibliothek 397 (St. Gallen, 9. Jahrhundert); London, British Library Harley 3091 (Nevers, 9. Jahrhundert); Wien, ÖNB lat. 1815 (­Reichenau, 9. Jahrhundert); St. Gallen, Stiftsbibliothek 184 (St. Gallen, 9. Jahrhundert); Heidelberg, Universitätsbibliothek Salemitanus IX b (Reichenau, 10. Jahrhundert); BAV Vat. lat. 644 (St. Gallen, 10./11. Jahrhundert); BAV Reg. lat. 226 (Südfrankreich, 10. Jahrhundert); Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Aug. perg. 166 (Bayern, 11. Jahrhundert); Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Fragmentum Augiense 91 (Reichenau, 11. Jahrhundert). 79 Capitula de quibus convocati compotistae interrogati fuerint, responsiones quoque eorum, quales et ordine quo reddite fuerint, hic pariter ostenduntur, ed. Borst. Die fünf vollständig erhaltenen Handschriften sind: Paris, BNF lat. 2796 (Nordfrankreich, um 815), Paris, BNF nouv. acq. lat. 1613 (Tours, nach 825), Paris, BNF nouv. acqu. lat. 1615 (Loiretal, um 830), Bruxelles, Bibliothèque Royale de Belgique lat. 9581−9595 (Nordostfrankreich, nach 875), Oxford, Bodleian Library Bodley 309 (Vendôme, um 1070). Vgl. Borst, Kalenderreform 318−319; ders., Alkuin und die Enzyklopädie von 809, in: Science in Western and Eastern Civilization in Carolingian Times, ed. Paul L. Butzer/Dietrich Lohrmann (Basel/Boston/ Berlin 1993) 53–78; Wesley M. Stevens, Sidereal Time in Anglo-Saxon England, in: ders., Cycles of Time and Scientific Learning in Medieval Europe V (Variorum Collected Studies Series, CS 482, Aldershot 1995) 125–152, hier: 134f.; Patrick McGurk, Carolingian Astrological Manuscripts, in: Charles the Bald: Court and Kingdom. Papers based on a Colloquium held in London in April 1979, ed. Margaret T. Gibson/Janet L. Nelson (London 1981) 317–321; McCluskey, Astronomies 134–140. 80 Zu den Handschriften siehe Borst, Schriften 2, 967−969. 81 In St. Gallen, Stiftsbibliothek 732 konsequenterweise: A.M. 4762. Vgl. auch St. Gallen, Stiftsbibliothek 70, 109, 225, 238, 1399a. 82 Vgl. die komputistischen argumenta auf pp. 284–292. Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Aug. perg. 167, fol. 21r–22r: basiert auf Beda, De temporibus 16, 6, ed. Jones 600f., und De temporum ratione 66, ed. Jones 463: CCXCII statt CCXCVI. 83 Computatio ab Adam usque ad nativitatem Christi (ed. Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, Teil 3, Hannover 2006) 1122−1123. Vgl. etwa München, BSB clm 14456 (Regensburg, um 817). 78

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Walahfrid kopierte die Chronica, die mit dem annus praesens 809 endet, in den 820ern, unterließ es aber − wie auch die meisten Parallelversionen −, die Chronik zu aktualisieren und bis in seine eigene Zeit fortzuführen, wodurch die historische Perspektive offenbleibt.84 Eines der offensichtlichen Modelle für die Chronica kann man in Walahfrids Zeitbuch einige Seiten vorher finden: auf Bedas De natura ­rerum, einen Text, der ebenso als Buch VII in einige der Kompendien der Aachener Enzyklopädie Eingang gefunden hat, folgt auf pp. 262–276 eine Abschrift seines De temporibus, dessen Kapitel 17–22, ­Cursus et ordo temporum, eine Chronik der sechs Weltzeitalter darstellen.85 Bedas historische Genea­ logie beginnt mit der Weltschöpfung, und wird bis in seine eigene Gegenwart geführt, bis zu den byzantinischen Kaisern Leontios (695–698) und Tiberios II. (III.) (698–705).86 Beda schließt seine Chronologie mit einem eschatologischen Satz, der zeigt, wie stark er von Augustinus beeinflusst ist: Tiberius dehinc quintum agit annum indictione prima. Reliquum sextae aetatis deo soli patet.87 Der semantische Gehalt des Satzes wird in Walahfrids Abschrift allerdings nicht eindeutig wiedergegeben, sondern verschwimmt mit den angrenzenden Phrasen: Tiberius de hic quintum agit annum indictione88 prima. Reliquum89 Sextę ętatis Deo soli patet.90 Der Schreiber K, der den Text in Walahfrids Handbuch übertrug, ergänzte noch um den allerdings fragmentarisch gebliebenen Satz: Constantinus filius Eraclii91 menses VI92 […].93 Möglicherweise dachte er dabei an Konstantin III. (Flavios Herakleios Neos Konstantinos), der einige Jahrzehnte früher regierte − nämlich als Mitkaiser von 613–641, sechs Monate als Alleinherrscher 641 − und verwechselte ihn vermutlich mit dessen Sohn Konstans II. (Flavios Herakleios Konstantinos, 641−668/69). Gewiss aber missinterpretierte er das Explizit von Bedas Text, welches das Ende der Zeit offen lässt. Anders als Beda endet die Kurzchronik auch nicht mit der septima aetas, also der eschatologischen Zukunft, sondern mit der sexta aetas. In Kapitel 96 seines Liber de computo wiederholt auch Hrabanus Maurus dieses Konzept einer Langzeit-Perspektive – es beginnt mit dem augustinischen Zitat: ,VI. Sexta, quę nunc agitur, aetas, nulla generationum vel temporum serie certa, sed ut aetas decrepita, ipsa totius saeculi morte consu. Has erumnosas plenasque laboribus mundi ętates quique felici morte vi. VII. Septima iam sabbati perennis aetate suscepti. VIII. Octavam beatę ­resurrectionis aetatem, in qua semper cum Domino regnent, exspecta. Ad quam nos feliciter sua Vgl. andere Überlieferungsträger der Chronica de VI aetatibus mundi, z.B. Berlin, Deutsche Staatsbibliothek − Preußischer Kulturbesitz Phillipps 1832, fol. 78v; Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire H. 306: beide mit einem aktualisierten annus praesens 831. Ein der Chronica ähnliches Konzept der chronologischen Ordnung nach den sex aetates wurde in der Claudius von Turin zugeschriebenen Chronik (annus praesens 814) verwendet: Claudius von Turin, Brevis chronica (ed. Migne, PL 104) 917C−926B. Die Brevis chronica überspringt aber in der sexta aetas die Zeit zwischen der incarnatio Christi und dem annus praesens 814. Claudius war wie Walahfrid Hofpoet an Ludwigs des Frommen Hof. Vgl. Michael Gorman, The commentary on Genesis of Claudius of Turin and biblical studies under Louis the Pious, in: Speculum 72, 2 (1997) 279–329; Michael I. Allen, The Chronicle of Claudius of Turin, in: After Rome’s Fall: Narrators and Sources of Early Medieval History. Essays presented to Walter Goffart, ed. Alexander C. Murray (Toronto 1998) 288–319; Ildar H. Garipzanov, The Symbolic Language of Authority in the Carolingian World (c. 751−877) (Brill’s Series on the Early Middle Ages 16, Leiden 2008) 297−300. Vgl. Computatio a. CCCCLII, additamentum I ad: Chronographus anni CCCLIIII. (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. 1, Berlin 1882) 149−153. Die Computatio (Inc.: Adam cum esset annorum ducentorum triginta, genuit Seth [...]) befindet sich unter anderem in der Orosius-Handschrift St. Gallen, Stiftsbibliothek 621 (St. Gallen, 9. Jahrhundert), pp. 3−4 (wegen Ausfall des ersten Blattes Inc.: [...] quasi de uno loquitur [...]). 85 Vgl. Brigitte Englisch, Realitätsorientierte Wissenschaft oder praxisfernes Traditionswissen? Inhalte und Probleme mittel­ alterlicher Wissenschaftsvorstellungen am Beispiel von De temporum ratione des Beda Venerabilis, in: Dilettanten und Wissenschaft: Zur Geschichte und Aktualität eines wechselvollen Verhältnisses, ed. Jürgen Maas/Elisabeth Strauß (Philosophie und Repräsentation 4, Amsterdam 1996) 11−34. 86 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, pp. 271–276, hier p. 271. 87 Beda, De temporibus 22, ed. Jones 611; vgl. Isidor, Etymologiae V, 39, ed. Lindsay s.p.: Residuum sextae aetatis tempus Deo soli est cognitum. Peter Darby, Bede and the End of Time (Studies in Early Medieval Britain, Farnham 2012) Kapitel  1 und 2. 88 Verbessert aus in durch darüber geschriebenes dictione von Hand W (IV). 89 Zwischen reli und quum Lücke von einem Buchstaben. 90 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 276. Die Satzinitialen und die Rasur scheinen zu zeigen, dass der Sinn des Satzes nicht ganz verstanden wurde. Vgl. z.B. Augustinus, De civitate dei libri viginti duo XXII, 30 (ed. Bernhard Dombart/Alphons Kalb, CCSL 47–48, Turnhout 1955) 865−866. 91 Verbessert aus Eracli durch angehängtes i. 92 Wahrscheinlich nachgetragen; dunklere Tinte, ev. von anderer Hand. 93 St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 276. 84

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gratia pervenire ipse concedat qui cuncta tempora creaverat, et aeternitate semper manet perenni, trinus et unus omnipotens Deus, qui est benedictus in saecula. Amen.‘94 Auch hier findet man ein der Chronica ähnliches Konzept, dass das Ende der Zeit nicht vorhersehbar ist. Das in Walahfrids Handbuch gesponnene Wissensnetz, das dem Menschen seine vielfältige Eingebundenheit in das Verhältnis von Mikro- und Makrokosmos erläutert, war Teil des sozialen Kapitals der karolingischen Gesellschaft und vermochte dabei zu helfen, den Diskontinuitäten und seismischen Schwingungen sozialer Veränderungen zu begegnen. Die in das Handbuch integrierten historiographischen, komputistischen und kalendarischen Texte konnten dazu beigetragen, die Leser für das poly­ morphe Wesen von Zeit und Geschichte zu sensibilisieren. Sie erkannten, dass Zeit den Menschen in drei Formen begegnet: in Form der menschlichen Geschichte, die von Veränderungen, Katastrophen und Konflikten gekennzeichnet ist – in der Zeit der Festtage, Märtyrer und Heiligen, die als Zeichen für Gottes kontinuierliches Wirken in der Geschichte interpretiert werden können – und in der nach Zahl und Maß geordneten Zeit von Gottes Schöpfung, symbolisiert durch die Gestirne und deren zyklische Bewegung durch den Zodiak. Alle drei Zeitqualitäten, die Walahfrid in seinem Handbuch kombiniert, müssten aber gemeinsam gelesen werden, um ein adäquates Bild der erlebten Geschichte zu erhalten und die zeitgenössische Geschichte in die semantische Struktur der Eschatologie und somit in ein multi­ dimensionales Netzwerk von Zeit-Relationen einzuordnen. Poesie, Geschichte und die Kenntnis des Kosmos – als neu organisierte Wissensformationen − wurden dabei zu Walahfrids Instrumenten einer auf das korrekte Verständnis der göttlichen Ordnung der Dinge ausgerichteten Gegenwartsauslegung.

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St. Gallen, Stiftsbibliothek 878, p. 239−240; Hrabanus Maurus, De computo 96, ed. Stevens 320−321.

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Richard Corradini

Romanische, langobardische, transalpine und hybride Personennamen im regnum Italiae des 9. Jahrhunderts.

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Wolfgang Haubrichs

Romanische, langobardische, transalpine und hybride Personennamen im regnum Italiae des 9. Jahrhunderts. Onomastische und historische Reflexionen zu oberitalienischen Namenbeständen Eine der erstaunlichsten Vorgänge und vielleicht auch Paradoxien des frühen Mittelalters ist die weit­ gehende Germanisierung der Namenwelt, während doch auf fast allen anderen Gebieten sich römisch-­ lateinisches Erbe in erheblichem Maße durchsetzte.1 Was das bedeutet, auch für eventuelle Identitäten, ist weder bei den Sprachwissenschaftlern, noch bei Historikern wirklich ausdiskutiert.2 Das liegt zum großen Teil daran, dass die materialen Namenbestände des frühen Mittelalters in Europa nur in Ansätzen aufgearbeitet sind und daher bisher weder eine intensive Gesamtanalyse noch ein intensiver Vergleich von Regionen möglich war.3 Im Einzelnen bestehen nämlich im Germanisierungsgrad und in der Be­ wahrung romanischer Benamungsgewohnheiten erhebliche Unterschiede.4 Mit Herwig Wolfram war immer wieder zu besprechen, was es mit den in hoher Anzahl im Verbrüderungsbuch von St. Peter (a. 784) zu Tage kommenden romanischen Personennamen auf sich hat, denen in den Urkunden etwa ­Romani possessores, aber auch abhängige Romani und Latini entsprechen, was mit den in Ortsnamen wie ­Traunwalchen, Walchensee und Wals = Vicus Romaniscus bei Salzburg enthaltenen romanischen Perso­ nengruppen mit bairisch-germanischer Bezeichnung, den ‚Walchen‘, während doch sonst ‒ abgesehen von Tirol und dem bairischen Alpenraum ‒ sich das neue Element, das Element der ­Bajuwaren kräftig und früh durchsetzt.5 Eine der Regionen, in der sich die Paradoxie der Mischungen von ­germanischen 1



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Vgl. hierzu Wolfgang Haubrichs, Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen Personen­ namensystems in der Romania, in: Zur Bedeutung der Namenkunde für die Romanistik. Romanistisches Kolloquium 12, ed. Wolfgang Dahmen/Otto Winkelmann/Wolfgang Schweickard/Michael Metzeltin/Johannes Kramer/Günter Holtus (­Tübingen 2008) 87–140. Das Thema der Germanisierung der Namenwelt und der wechselnden Widerstandskräfte da­ gegen ist eines der Hauptthemen der Forschergruppe ,Nomen et gensʻ, gespiegelt z.B. in: Akkulturation: Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, ed. Dieter Hägermann/Wolfgang Haubrichs/ Jörg Jarnut (Berlin/New York 2004). Vgl. z.B. mit weiterer Literatur Wolfgang Haubrichs, Differenz und Identität ‒ Sprache als Instrument der Kommunikation und der Gruppenbildung im frühen Mittelalter, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Wien 2012) 23–38. Vgl. die Ansätze dazu in den Arbeiten der Forschergruppe ,Nomen et gensʻ (vgl. Anm. 1): Nomen et gens. Zur historischen Aussagekraft frühmittelalterlicher Personennamen, ed. Dieter Geuenich/Wolfgang Haubrichs/Jörg Jarnut (Berlin/New York 1997); Person und Name. Methodische Probleme bei der Erstellung eines Personennamenbuchs des Frühmittelalters, ed. Dieter Geuenich/Wolfgang Haubrichs/Jörg Jarnut (Berlin/New York 2002); Name und Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und kulturelle Gruppenzugehörigkeiten ihrer Träger, ed. Dieter Geuenich/Ingo Runde (Hildesheim 2006); Hans-Werner Goetz/Wolfgang Haubrichs, Personennamen in Sprache und Gesellschaft. Zur sprach- und geschichtswissenschaftlichen Auswertung frühmittelalterlicher Namenzeugnisse auf der Grundlage einer Datenbank (mit Beispielartikeln), in: Beiträge zur Namenforschung NF 40 (2005) 1–50, 121–215; Dies., Namenentwicklung und Namengebung in Ober- und Unterschichten des frühen 9. Jahrhunderts in der Ile-de-France, in: Namenkundliche Informationen 103/104 (2014) 110–204. Vgl. Haubrichs, Hybridität und Integration 122–124; ders., Die Namenwelt der Eidliste von St. Paul. Sprachwissenschaft­ liche und onomastische Beiträge zur Struktur. Herkunft und Zeitstellung, in: Verwaltete Treue. Ein oberitalienisches Origi­ nalverzeichnis (breve) mit den Namen von 174 vereidigten Personen aus der Zeit Lothars I. [und Ludwigs II.], ed. Stefan Esders/Wolfgang Haubrichs (MGH, Studien und Texte, Hannover, im Druck). Wolfgang Haubrichs, Baiern, Romanen und Andere. Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau während des frühen Mittelalters, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006) 395–465; englische, revidierte Fassung: Baiovarii, Romani and others. Language, names and groups south of the river Danube and in the eastern Alps during the Early ­Middle Ages, in: The Baiuvarii and Thuringi. An Ethnographic Perspective, ed. Janine Fries-Knoblach/Heiko Steuer with John Hines (Woodbridge 2014) 23–81; Peter Wiesinger, Die zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand der Ortsnamen­

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und romanischen PN am stärksten fassen lässt, ist Oberitalien, mit dem die Namenwelten Salzburgs,6 Tirols7 und der Churer Raetoromania8 wohl auch zusammenhängen.9 Den phantastisch vielfältigen, stark von originaler Überlieferung geprägten Namenbeständen dieser Regionen, dem Gegensatz von ehemals langobardischem regnum Italiae und ehemals byzantinischen Gebieten im 9./10. Jahrhundert sei der folgende methodisch orientierte Versuch gewidmet, aus den ­Namen und ihrer sprachlichen Natur kleine, aber vielleicht doch unverächtliche historische Erkennt­ nisse zu ziehen und damit den Dialog mit den Nachbarwissenschaften, der Herwig Wolfram so am Herzen liegt, auch hier fortzusetzen. Ein Beispiel dafür, wie aus sprödestem Material Funken zu schlagen sind, ließe sich etwa bei der Frage der personalen Identität und Identifizierung anbringen.10 Früh im 9./10. Jahrhundert zeigen sich in Oberitalien ‒ die Gründe werden später erörtert werden ‒ ganz massive, von Notaren gesteuerte Be­ strebungen, Personen näher zu charakterisieren durch Vatersnamen, Berufsbezeichnungen oder sogar Beinamen:11 z.B. Ursus Bibiaquam („Trinkwasser“) Johannes Cantamissam(„Sing die Messe“) Andreas Perdilupum („Tötʼ den Wolf“) Leo Zoppo („der Hinker“) Dominicus negociator q.v. Vulpio (d.i. ein Kaufmann namens „Fuchs“)

integrate. Eine lautchronologische Studie zur Sprach- und Siedlungsgeschichte in Bayern, Österreich und Südtirol, in: Interferenz-Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart, ed. Wolfgang Haubrichs/ Heinrich Tiefenbach (Saarbrücken 2011) 163–246; ders., Die Romanen im frühmittelalterlichen bayerisch-österreichischen Raum aus namenkundlicher und sprachwissenschaftlicher Sicht, in: Walchen, Romani und Latini. Variationen einer nach­ römischen Gruppenbezeichnung zwischen Britannien und dem Baltikum, ed. Walter Pohl/Ingrid Hartl/Wolfgang Haubrichs (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 21, Wien 2017) 87–112; Christa Jochum-Godglück, Walchen-Siedlungs­ namen und ihre historische Aussagekraft, in: Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria, ed. Hubertus Fehr/Irmtraut Heitmeier (St. Ottilien 2012) 197–217; Wolfgang Haubrichs, Von Zirl bis Zürich, in: Archivio per l’Alto Adige 106/07 (2012/13) 421–434. 6 Vgl. Haubrichs, Baiern 415–429 und Anhang 451–465; ders., Romanische und bairische Personennamen im Salzburger Verbrüderungsbuch, in: Libri Vitae. Gebetsgedenken in der Gesellschaft des Frühen Mittelalters, ed. Dieter Geuenich/Uwe Ludwig (Wien/Köln/Weimar 2015) 405–440. Ein bisher noch nicht bemerktes Beispiel für die anthroponymischen Bezie­ hungen Salzburgs zu Oberitalien liefert der ausgesprochen seltene, aber im Salzburger ,Liber confraternitatum‘ 3x vorkom­ mende geogene Name Coranzan(us) [p]: Nr. 4 Adal-prand < wgerm. *-branda „Schwert“ (vgl. Nr. 16, 17, 67, 69, 70, 76, 77, 84, 85, 113, 145, 148, 154, 157, 174, 175) Nr. 6 Adel-perto < germ. *-berhta „leuchtend“ (vgl. Nr. 27, 37, 38, 75, 89, 98, 102, 103, 112, 138, 143, 144, 153) Nr. 33 Appo < wgerm. *Abbo Nr. 42 Ari-paldo < *-balda „kühn“ (vgl. Nr. 116) Nr. 122 Pere-deo < wgerm. *berān „Bär“ Nr. 123 Perte-fuso < germ. *berhta- „glänzend“ (vgl. Nr. 124) Nr. 136 Pil-icho < wgerm. *bil(l)a- „Schwert“ 3. Germ. [g] > [k], lgb. geschrieben : Nr. 138 Rachi-perto < germ. *ragi- (Kurzform), *ragina- „(göttlicher) Rat, Macht“ Nr. 147 Rot-childo < *-gelda- „vergelten“ Nr. 153 Tachi-perte < wgerm. *dagi- „Tag, leuchtend“ (vgl. Nr. 154)

In der Mehrzahl der Fälle steht freilich die Graphie ; immerhin bleibt vor velarem Vokal in roma­ nischer Umgebung die okklusive Qualität von [g] damit auch richtig bezeichnet. Ein weiteres spezifisch langobardisches Merkmal ist – im Unterschied zum Althochdeutschen – die Bewahrung der germanischen Diphthonge [ai] und [au], die sich im Althochdeutschen im 8. Jahrhundert zu [ē, ei] bzw. [ō, ou] wandeln:37 4. germ. [ai]: Nr. 10 [ah]istulfo < germ. *haifsti- „Streit“ Nr. 65 Gaido < wgerm. *gaida- „Pfeilspitze“ In einer Mehrzahl der Fälle ist germ. [ai] in rom. Lautsubstitution durch [a] ersetzt: Nr. 66 Gari-maro < wgerm. *gaira- „Ger, Kampf-Speer“ Nr. 73 Graffi-lado < *Graipa-laida- zu germ. *graipa- „greifen“ + *-laid-eja „leiten führen“ Nr. 78 Lagi-perto < germ. *laika- „Kampfspiel“ Nr. 158 Teude-lasio < germ. *-laika- „tanzen, spielen“ Transalpine germanische PN der Zuwanderer aus dem Norden des fränkischen Reiches kann man erkennen an der Durchführung ahd. Lautwandels, z.B. [ai] > [ê] in *Gair- > Gēr-bert- oder Umlaut [a] > [e] in *Hari- > Here-bert. 5. germ. [au]: Nr. 43 Arni-gauso < *-gauta „Gaute“ (vgl. Nr. 63) Nr. 45 Aude-fredus < germ. *auda- „Besitz, Reichtum“ (vgl. Nr. 44) Nr. 46 Aus-ari < germ. *aus- „Glanz, leuchten“ Nr. 47 Austre-fuso < germ. *austra- „Osten“ Nr. 68 Gauso < germ. *Gauta- „Gaute“ (vgl. Nr. 67, 69) Germ. [eu] bleibt (wieder anders als im Althochdeutschen) vor [a, o] (auch mit der gesenkten ­Variante [eo]) erhalten, so in *leuda- ,Volk‘ (Nr. 111–113) und *þeuda- ,Volk‘ (Nr. 158), wird aber vor [i] palata­ lisiert zu [iu], so in liudi- < *leudi- „Volk“ (Nr. 114–116).38 In anderen Fällen wird germ. [eu] durch [e] in romanischer Lautsubstitution ersetzt, wie auch in it. tedesco < theudisco. Die langobardischen phonetischen Eigenheiten sind in den PN der Eidliste auch nach Erlöschen der gentilen Sprache fossil erhalten geblieben, so dass an der Herkunft der Liste aus dem ehemaligen ­regnum Langobardorum nicht zu zweifeln ist39. Braune/Reiffenstein, Althochdeutsche Grammatik 1 § 47–49; Bruckner, Die Sprache der Langobarden § 27–30 (mit Miss­ deutung der Substitution von [ai] durch [a]); Francovich Onesti, Vestigia 142; Haubrichs, Langobardic personal names 218f. 38 Braune/Reiffenstein, Althochdeutsche Grammatik 1 § 47–49; Bruckner, Die Sprache der Langobarden § 31f.; Francovich Onesti, Vestigia 142, 206f.; Haubrichs, Langobardic personal names 218. 39 Zum allmählichen Erlöschen der langobardischen Sprache im späteren 8. Jahrhundert vgl. Haubrichs, Langobardic per­ sonal names 210–222; ders., Sprache und Schriftlichkeit 161–167, 175–188; Der gelegentlich zu hörende Einwand, dass 37

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Seit dem 8. Jahrhundert sind die germanischen und romanischen PN aber auch von romanischem Lautwandel erfasst worden, der es erlaubt, die Liste in das 9. Jahrhundert zu datieren und in Nordit­ alien zu lokalisieren. Die triviale spätlateinische Senkung von [u] > [o], [i] > [e] wie etwa in Nr. 45 Aude-­fredus < -*friþu- „Frieden“40 bzw. der allgegenwärtige Lautersatz von germ. [þ] (geschrieben ) durch [t] wie in Nr. 159 Teudo < *þeuda „Volk“ (vgl. Nr. 158, 160) kann hier übergangen werden.41 Ins 8./9. Jahrhundert zu setzen ist in der Italoromania der Schwund finaler, vor allem dentaler Konso­ nanten, der in der Liste von St. Paul, aber auch z.B. in Piacenza schon weit fortgeschritten ist:42 Nr. 44 Au-fredo < *Aut-fredNr. 58 Deusdedi < Deusdedit Nr. 78 Gun-fredo < *Gunt-fred- (vgl. Nr. 76, 77) Nr. 89 Hil-pert < *Hild-pertNr. 105 Lan-fredo < *Lant-fred- (vgl. Nr. 104) Nr. 112 Leo-perto < *Leot-pert- (vgl. Nr. 111, 113) Nr. 115 Liu-palde < *Liut-pald- (vgl. Nr. 116) Nr. 143 Ri-perto < *Rīh-pertNr. 114 Roi-pert < *(H)reuw-pertNr. 145 Ro-prande < *(H)rōd-prandMan wird sich fragen, warum bei den germanischen PN der finale Schwund nicht auch im Auslaut stattfindet. Die Erklärung ist einfach: die meisten PN sind in der ,langueparlée‘ längst romanisiert, enden also gar nicht mehr auf Konsonant, sondern je nach morphologischem Typ längst auf -o (Leo-perto) oder -i, -e (Ro-prande). Die im 8. Jahrhundert noch häufigen ‚germanischen‘ Schreibungen ohne vokalische Endung (also undekliniert) sind sicherlich hier ‒ etwa bei Nr. 89 Hil-pert oder Nr. 114 Roi-pert ‒ nur noch traditionelle Schreibungen.43 Außerordentlich wichtig für die Lokalisierung der Liste ist die galloromanische Sonorisierung stimmloser Verschlusslaute (Tenues) zwischen Vokalen44 (vgl. z.B. lat. lacus > it. lago):

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damit das Langobardische, wenn auch vielleicht zum Schluss nur noch als Eliten- und/oder Haussprache, angeblich unge­ wöhnlicherweise ca. 200 bis 230 Jahre die Einwanderung von a. 568 überlebt hätte, scheint mir angesichts der zahlreichen über noch längere Zeiträume von der Mehrheitssprache nicht völlig aufgesogenen Kleinsprachen nicht stichhaltig. Auch fortgeschrittenere Akkulturationsphänomene, wie sie auf den Feldern von Kleidung, Sitten, Religion und teilweise Recht für die Langobarden festzustellen sind, sind kein Gegenbeweis. Akkulturation schreitet auf verschiedenen Feldern in durch­ aus verschiedenem Umfang und auch in durchaus verschiedener Geschwindigkeit fort. Vgl. Wolfgang Haubrichs, Differenz und Identität. Vgl. Elise Richter, Beiträge zur Geschichte der Romanismen 1 (Halle1934) § 26f.; Heinrich Lausberg, Romanische Sprach­ wissenschaft 1 (Berlin 21963) § 158–162. Vgl. Heinrich Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft 2 (Berlin 21967) § 305; Bruckner, Die Sprache der Langobarden § 93; Francovich Onesti, Vestigia 145; ferner Wolfgang Haubrichs, Der ,Nameʻ der Thüringer, in: Die Frühzeit der Thürin­ ger. Archäologie, Sprache, Geschichte, ed. Helmut Castritius/Dieter Geuenich/Matthias Werner (RGA Erg. Bd. 63, Berlin 2009) 83–102, hier 90–92. In n. 122 Pere-deo zeigt die Eidliste noch die langobardische Entwicklung von germ. [þ] > [d] in germ. *þewa- > -deo. Wilhelm Meyer-Luebke, Grammatica storica della lingua italiana e dei dialetti toscani [edizione italiana] (Torino 21964) § 138f.; Veiko Väänänen, Introduction au Latin vulgaire (Paris 31981) 66–70; Gerhard Rohlfs, Grammatica storica della lingua italiana e dei suoi dialetti 1: Fonetica (Torino 1966) § 299f. In den italienischen Originalurkunden beginnt dieser Schwund, zu dem auch die anlautenden Konsonanten der Zweitelemente germ. PN beigetragen haben werden, mit den zwanziger und dreißiger Jahren des 8. Jahrhunderts, steigt allmählich an, um dann im 9. Jahrhundert die Überhand über die formellen Varianten zu gewinnen: Haubrichs, Langobardic personal names 218. Vgl. auch im lombardisch-emilianischen ,Glossario di Monza‘ aus dem Anfang des 10. Jhs. clama omo < *clamat homo: Arrigo Castellani, I più antichi testi italiani. Edizione e commento (Bologna 1973) 43, Z. 34.Vgl. dazu z.B. in Auswahl aus den Originalurkunden von Piacenza ChLA2 LXIV (2003) n. 1 a. 816 Vvalfri < *frid, Deusdei < DEUSDEDIT; n. 37 1. H. 9. Jh. Lanfrit < *Land-; n. 39 a. 855 Vvifrit < *Wic-; LXV (2004) n. 3 a. 858 Gaiperti < *Gaid- oder *Gair-; n. 4 a. 860 Lubalde < *Lud-; n. 7 a. 866 Gumfredi filio ­quondam Gumperti < *Gund-; Gaiperto presbiter < *Gaid-; n. 9 a. 870 Leuperti < *Leud-; LXVIII (2006) n. 21 a. 835 ­Zeugen Uuarnefri und Ermefri mit Schwund des Endkonsonanten, wobei das Resultat dann als lat. Genetiv neu interpretiert wurde. Für ein norditalienisches Verstummen auch finaler Konsonanten (im absoluten Auslaut) sprechen auch Fälle (Anm. 42) wie in Piacenza a. 816 Vualfri, a. 835 Uuarnefri und Ermefri, die clama < clamat im ,Glossario di Monza‘ entsprechen. Zur galloromanischen Sonorisierung, die auch Oberitalien umfasste, vgl. Peter Stotz, Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters 3: Lautlehre (München 1996) § 116, 3; 159; 184; 204; Meyer-Lübke, Grammatica storica § 111, 15; Rohlfs,

Romanische, langobardische, transalpine und hybride Personennamen im regnum Italiae des 9. Jahrhunderts.

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[p] > [b]: nicht in der Eidliste, vgl. aber Abollenaris notarius a. 844 Mailand45 [t] > [d]: Nr. 94–97 Ladini < Latini [k] > [g]: Nr. 39 Arde-rigo < *rīkaNr. 48 Berte-rigo < *rīkaNr. 62 Far-ago < -ACU Nr. 98 Lagi-perto < *laikaDass in den romanisch überformten germanischen PN früher entlehnte Namen vorliegen, zeigt deut­ lich die Sonorisierung von [k]. In anderen (später übernommenen) Fällen nämlich, wie oben gezeigt, bleibt [k] erhalten, ohne romanische Sonorisierung zu erfahren; es wird vielmehr in der 2. Lautverschie­ bung zu [χ] verschoben, um später palatalisiert zu werden: so Nr. 158 Teude-lasio < *-laika. In anderen Belegen wird *rīka- entsprechend zu -ris(s)io, ris(s)i.46 Man sieht: Norditalien geht bei der Sonorisierung mit der Galloromania und mit der Raetoromania; dies spricht entschieden für die Entstehung der Eidliste in diesem Raum. Auch der gelegentlich vorkommende intervokalische Schwund von [g]47, verbreitet in der Galloro­ mania und im nördlichen Italien, spricht für diese Lokalisierung: Nr. 63 Freauso < *Fregauso

Grammatica Storica § 207; Lothar Wolf/Werner Hupka: Altfranzösisch. Entstehung und Charakteristik. Eine Einführung (Darmstadt 1981) § 86–93; Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft § 360–365; Väänänen, Introduction au Latin 56–58; Giulia Petracco Sicardi, Medio latino e volgare nelle carte Bergamasche: Considerazioni linguistiche, in: Bergamo e il suo territorio nei documenti altomedievali, ed. Mariarosa Cortesi (Bergamo 1991) 81–87, hier 81. Im oberital. ,Glossario di Monza‘ aus dem frühen 10. Jh. finden sich ebenfalls sonorisierte Formen, z.B. mandegare < manducare: Castellani, Testi italiani 43 Z. 31, 47f., 54f. Zu den Verhältnissen in lgb. PN vgl. Bruckner, Sprache der Langobarden § 79 Anm. 3 (mit Hinweis auf „die in den oberital. Dialekten übliche Erweichung des inlautenden c in g“). Vgl. einige oberitalienische Beispiele des 9. Jahrhunderts, z.B. a. 824 or. Reggio Ada-rig-ulus: Julius Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechts­ geschichte ­Italiens 4 (Innsbruck 1874) n. 9, a. 827 cop. Turin Donado < -ato, Arde-rigo, Eme-rigo: ebd. n. 10, a. 849 or. Piacenza Senadori < -ator-: Carte S. Antonino Piacenza, ed. Falconi n. 22: vor a. 890/91 or. Piacenza in Traditionsnotizen, die wahrscheinlich Sprechlatein wiedergeben, mehrfach lado < lato; ferner a. 919 or. sogro meo, sogero < socero: François Bougard, Pierre de Niviano, dit le spolétin, sculdassius, et le gouvernement du comté de Plaisance à l’époque carolingienne, in: Journal des Savants (1996) 291–337, hier nn. 16, 27; in den Mailänder Urkunden z.B. a. 844 or. Abollenaris < Apoll-; a. 845 or. D ­ eodado < -dato; a. 847 or. Lubesinus > Lupicinus; a. 853 Vidali < Vitalis und nodarius; a. 867 or. Deusdadi < -dati usw.: Natale, Museo diplomatico nn. 74, 78, 80, 89, 103, 113, 119; dazu zwei schon ältere toponymische Beispiele bei Max Pfister, Sonorisierungserscheinungen in der galloromanischen und italoromanischen Toponomastik vor dem Jahre 900, in: Philologie der ältesten Ortsnamenüberlieferung, ed. Rudolf Schützeichel (Heidelberg 1992) 311–331, hier 327: a. 772 (cop. a. 843) Glesialba < *Ecclesia alba für Ghisalba (Bergamo); a. 765 or. Bei Mailand ubi Turriglas nominatur < *Turriculas; ferner ders., Dal latino della Gallia cisalpina agli idiomi romanzi dell’Italia settentrionale, in: Italia Settentrio­ nale: Crocevia di idiomi Romanzi, ed. Emanuele Banfi/Giovanni Bonfadini/Patrizia Cordin/Maria Iliescu (Tübingen 1995) 189–217, hier 194f. mit dem Beleg a. 772 kop. 843 fundo Leucade, d.i. Locate Bergamasco. 45 Natale, Museo Diplomatico n. 74. 46 Einige oberitalienische Beispiele aus Piacenza: a. 842 or. Gaide-ris, a. 843 or. Gaide-rissi, a. 843 or. Rode-risi, a. 858 or. Tede-rissi, a. 866 or. Gaide-rissi (Carte S. Antonino di Piacenza, ed. Falconi nn. 15, 18, 19, 26, 28). Vgl. Bruckner, Sprache der Langobarden § 79 Anm. 2; Francovich Onesti, Vestigia 144, 228f. (*laika-), 230 (*rīka-); Haubrichs, Langobardic personal names 219. 47 Vgl. Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft § 403 (lat. Augustu > oberit. agóst > aóst); Väänänen, Introduction au latin vulgaire 57f. Zu lgb. PN vgl. Bruckner, Sprache der Langobarden § 81 Anm. 3 (mit falscher Analogie zum Aleman­ nischen); Francovich Onesti, Vestigia 143; Haubrichs, Langobardic personal names 218. Da germ. [au] romanisch > [o] ­monophthongiert wird, bezieht sich der Fall n. 63 Freauso auf den intervokalischen Schwund von [g] vor [o]. Im Evan­ geliar von Cividale findet sich roteausus < *Rotegausus: Conrad L. Bethmann, Die Evangelienhandschrift zu Cividale, in: NA 2 (1877) 111–128, hier 123; dazu einige oberitalienische Beispiele aus Piacenza: a. 827 or. Ale-seus < *-segus, a. 855 or. Seu-fredus < *Segu-; Raim-bertus, Ram-pertus < *Ragin-; Maim-berti < *Magin-; a. 856 or. Rain-bertus; a. 862 or. Ram-­perti: Carte S. Antonino di Piacenza, ed. Falconi nn. 9, 24, 25, 27. Vgl. auch für Rätien Haubrichs, Die Personen­ namen 163: um 820 Aus-, Aost-anus < August-anus, oder a. 825 Mailo < *Mag-ilo usw.

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Wolfgang Haubrichs

Nicht möglich ist es, die eben geschilderten lautlichen Eigenheiten der Eidliste nur dem (wohl ein­ zigen) Schreiber zuzuweisen.48 Gewiss hat er Verschriftungsgewohnheiten auch germanischer PN ge­ kannt. Doch kann man keine einheitliche Verschriftungsnorm erkennen. Gerade weil der Schreiber der Eidliste verschiedenen, auch morphologischen Normen (neben undeklinierten PN auch flektierte mit Endungen auf -o, -e, -i)49 folgte und verschiedene phonetische Ergebnisse (Lautersatz wie [a] für germ. [ai], -lasio für -laiχa < *-laika; Sonorisierungen; Schwund der Endkonsonanten; Schwund des inter­ vokalischen [g] etc.) aufzeichnete, müssen wir von einer annähernden Sprachrealität der Aufzeichnung ausgehen. Ziehen wir ein vorläufiges Fazit der onomastischen und linguistischen Analyse: 1) Die PN der Eidliste von St. Paul zeigen vor allem langobardische und romanische, aber keine transalpinen Eigenheiten. 2) Das statistische Verhältnis zwischen PN romanischer Herkunft und PN germanischer Herkunft und die Befunde bei den Hybridnamen entsprechen am ehesten den Verhältnissen in der west­ lichen Emilia. 3) Onomastisch-lexikalische Eigenheiten (vor allem die mailändischen und ravennatischen Heili­ gennamen Ambrosius und Apollinaris) und regionaler Sprachwandel (Sonorisierung und inter­ vokalischer g-Schwund) legen eine Lokalisierung in Norditalien nahe. Eine Lokalisierung in die Toskana ist dagegen ausgeschlossen. 4) Der jüngste romanische Lautwandel, der sich in der Liste aufweisen lässt (fortgeschrittener und teilweise erneut spezifisch norditalienischer Schwund auslautender Konsonanten, auch bei ger­ manischen PN), weist auf eine Datierung ins mittlere 9. Jahrhundert. Gelungen ist freilich auch prosopographisch die Identifizierung einiger Amtsträger, welche die Loka­ lisierung in die westliche Emilia und eine Datierung in die 30er/40er oder sogar 50er Jahre zu bestätigen scheinen, was an anderer Stelle auszuführen ist.50

Vgl. zum Schreiber der Eidliste von St. Paul Stefan Esders, in: Esders/Haubrichs, Verwaltete Treue, Abschnitt II, 5f. Zu diesem Nebeneinander von klassisch lateinisch, romanisch und germanisch unflektierten Namenformen vgl. Giulia ­Petracco Siccardi, La lingua e le formule delle carte Piacentine altomedievali, in: Le carte private della cattedrale di ­Piacenza, ed. Paola Galetti/Giulia Petracco Sicardi (Parma 1978) 107–187; Esders/Haubrichs, Die Namenwelt Abschnitt 1, bei Anm. 23. 50 Vgl. dazu Haubrichs, Die Namenwelt, Abschnitt 4 und Esders/Haubrichs, Verwaltete Treue (Schlussabschnitt). 48 49

Sprache als Quelle historischer Forschung.

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Sprache als Quelle historischer Forschung. Überlegungen zur Aneignung des Raumes in der slavischen Frühgeschichte Der Mangel an schriftlichen Quellen zur frühesten Zeit der Slaven und damit auch zur Frage nach ihrer Herkunft hat bereits Generationen von Wissenschaftlern veranlasst, die Erkenntnisse an Forschungs­ objekten anderer Disziplinen jenseits der Geschichtswissenschaft im engeren Sinn zu Rate zu ziehen, dabei häufig auch unter dem Einfluss außerwissenschaftlicher Prämissen. Soweit es politische Ziele betraf, lief dies auf eine Instrumentalisierung der Geschichtswissenschaft und ihrer Nachbardisziplinen wie Archäologie und historische Linguistik hinaus mit dem Ziel, neuzeitliche Grenzen auf der Grund­ lage vermeintlich historisch nachgewiesener Ansprüche zu begründen.1 Von dem Feld der Wissenschaft sind dafür naturgemäß Versuche der Archäologie prädestiniert, protoslavische Kulturgruppen zu iden­ tifizieren und somit eine vermeintlich lange und regional zu definierende slavische Vorgeschichte zu rekonstruieren.2 Im Grunde aber ist Slavizität gar keine archäologisch, ja noch nicht einmal eine histo­ risch, fassbare Größe, sondern eine Frage der Sprache. Insofern hat sich der Ansatz des Sprachwissen­ schaftlers Jürgen Udolph, eine slavische ,Urheimat‘ nicht auf der Grundlage vermeintlicher historischer Ansprüche oder vermuteter kultureller Eigenheiten zu rekonstruieren,3 sondern die Suche nach der Her­ kunft der Slaven mit Hilfe von sprachlichen Zeugnissen durchzuführen, als angemessen und fruchtbar erwiesen. Udolph hat die Gewässernamen, darunter die einfachsten appellativischen Hydronyme, als die ältesten sprachlichen Zeugnisse identifiziert und auf diese Weise eine recht kleine Region am nörd­lichen Rand des Karpatenbogens „etwa zwischen Zakopane und der Bukowina“ als eine Gegend kartiert, in der Menschen Objekte in ihrer Umwelt mit Benennungen versahen, die dem slavischen Wortschatz entstammen.4 Damit war ein überzeugender sprachwissenschaftlicher Beitrag zur Frage nach der slavischen ,Ur­ heimat‘ erbracht, ohne aber zu verhindern, dass weitere, anderslautende Thesen weiterhin vorgebracht wurden. Die Gründe für den Mangel an einer breiteren Wirkung von Udolphs Thesen mögen in der strikt linguistischen Beschränkung des Autors selbst, aber zumeist auch der slavischen Sprachwissen­ schaft insgesamt und insbesondere der Onomastik liegen. Denn was bis heute von Seiten dieser Diszi­ plinen fehlt, ist der konkrete – und vor allem auch umgesetzte – Versuch, den Faden der Entwicklung aus ­Udolphs Frühphase weiterzuspinnen, das heißt zu rekonstruieren, wie und mit welchen Begleit­ erscheinungen sich die slavische Sprache relativ rasch über ganz Osteuropa verbreiten konnte, wobei als ,rasch‘ die Zeitspanne zwischen der ersten schriftlich bezeugten Wahrnehmung der Slaven durch die Dabei ist etwa zu denken an die Pariser Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg mit ihren Versuchen, ethnischhistorische Kriterien für die Grenzziehungen der nach der Auflösung der Imperien neu entstandenen Staaten anzuwenden, weiter an die Volks- und Kulturbodenforschung als Bestandteil der deutschen Ostforschung mit entsprechenden Gegen­ reaktionen in der polnischen Westforschung, oder an die mit territorialen Ansprüchen verbundene Forderung deutscher Vertriebenenverbände auf Verwirklichung des ,Rechtes auf Heimat‘. 2 Man vergleiche dazu den kenntnisreichen Überblick über die einschlägige Forschung bei Dittmar Schorkowitz, Die Her­ kunft der Ostslaven und die Anfänge des Kiever Reiches in der postsowjetischen Revision, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 48 (2000) 569–601. 3 Einen kurzen Überblick über die Thesen zur slavischen ,Urheimat‘ seit dem 19. Jahrhundert samt der Schilderung des ­neueren Forschungsstandes allerdings ohne Erwähnung der Thesen Udolphs gibt Sebastian Brather, Archäologie der west­ lichen Slawen: Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa (Berlin-New York ²2008) 52–55. 4 Jürgen Udolph, Die Landnahme der Ostslaven im Lichte der Namenforschung, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 29 (1981) 321–336, hier 324; ders., Studien zu slavischen Gewässernamen und Gewässerbezeichnungen: Ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat der Slaven (Heidelberg 1979). 1



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Byzantiner an der unteren Donau im frühen 6. Jahrhundert einerseits und der Ankunft der ostslavischen Slovenen in der Region um den Ilmensee im nördlichen Russland im 8. Jahrhundert andererseits gelten kann. Dieser negative Befund für die slavistische Onomastik negiert nicht die verschiedenen, allerdings meist regional begrenzten, Forschungsansätze, die im Weiteren noch gewürdigt werden, die aber nur vereinzelte Mosaiksteine eines Ganzen hervorgebracht haben und sich noch nicht dafür eignen, für ­dieses Ganze ein darstellbares Bild zu entwerfen.5 Natürlich kennt man einige Rahmenbedingungen und Entwicklungslinien der Ausbreitung slavisch sprechender Menschen – allerdings genau genommen nur in der Peripherie des gesamten Expansions­ raumes, worüber die schriftkundigen Nachbarn berichteten. So weiß man von der Existenz der ­Sklavinien auf dem Boden des Byzantinischen Reiches, man erfährt etwas von der Einbeziehung slavischer Grup­ pen in die Expansion der avarischen Herrschaft, man kennt Samo, den vermeintlich ersten slavischen Herrscher, und man kann sich am Beispiel der actores Taliup und Sparuna und ihrer Leute vorstellen, wie Slaven unter bairischer oder fränkischer Aufsicht angesiedelt und in das System der Grundherr­ schaft integriert wurden. Aus der Sprachwissenschaft wurde die sich ebenfalls auf die Peripherie bezie­ hende Erkenntnis beigefügt, dass die mit dem Element slov- gebildeten Ethnonyme wie Slověne, Slováci usw. vor allem in den Randgebieten des gesamtslawischen Sprachgebietes lokalisiert sind. Allgemein wird zur Erklärung eine Herleitung von *sluti/slov- ,heißen‘ (dazu z.B. russisch slovo ,Wort‘) bevorzugt für die Bezeichnung einer Gemeinschaft, die sich gut verständigen kann, die miteinander kommuniziert. Diese Nomination scheint auch von dem Kontrast von Verständigung und Nichtverstehen determiniert zu sein, denn sie korrespondiert mit der slavischen Bezeichnung derjeniger, mit denen man sich offenbar sprachlich nicht verständigen konnte, die gleichsam stumm waren, also den Němci, gebildet zu němъ ,stumm‘, eine Bezeichnung, die noch heute für die Deutschen gebraucht wird.6 Allerdings erfährt man, wenn man einmal von den kargen Aussagen der Namenliste des Bayeri­ schen Geographen7 absieht, im Grunde nichts über Verlauf und Umstände der slavischen Expansion in das ­östliche Europa, es sei denn, man greift auf die Informationen zurück, die von den ältesten, dann eigenen, slavischen Chronisten vermittelt werden und die anzeigen, dass diese sich sehr wohl für die slavische und damit für ihre eigene Frühgeschichte interessierten.8 Klassisches Beispiel dafür ist die Er­ zählung von der Ausbreitung der Slaven von der Donau her, wie sie in der altrussischen ,Erzählung der vergangenen Jahre‘ enthalten ist. Der Chronist Nestor wusste vom Ursprung der Slaven an der Donau, „wo jetzt das Ungarische Land ist und das Bulgarische“, dass sie von dort auseinandergegangen seien „und sie nannten sich mit eigenen Namen, (je nachdem,) wo sie siedelten, an welchem Ort; wie (zum 5



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Einen dieser wertvollen Mosaiksteine bilden die Studien des Slavisten Helmut Jachnow über die Gewässernamen bei den Elb- und Ostseeslaven und insbesondere in Brandenburg und die darin beschriebenen Resultate einer „rekonstruktiven Onomastik“ als Beitrag zur semantisch-funktionalen Auswertung des Namenschatzes. Siehe Helmut Jachnow, Gewässer­ namen als Indikatoren soziokultureller Befindlichkeit elb- und ostseeslavischer Ethnien, in: Slavistische Linguistik 1995. Referate des XXI. Konstanzer Slawistischen Arbeitstreffens, Mainz 26.-29.9.1995, ed. Wolfgang Gierke (München 1996) 144–161; ders., Gewässernamen und Weltwahrnehmung der slavischen Ethnien bei ihrer Landnahme in Brandenburg seit dem 6. Jahrhundert, in: Von grammatischen Kategorien und sprachlichen Weltbildern – Die Slavia von der Sprachge­ schichte bis zur Politsprache. FS für Daniel Weiss zum 60. Geburtstag, ed. Tilman Berger/Markus Giger/Sibylle Kurt/Imke Mendoza (Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband 73, München/Wien 2009) 273–291. Ernst Eichler, Zur Genese des Slaven-Begriffs und zur slavischen Ethnonymie, in: Akkulturation. Probleme einer germa­ nisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, ed. Dieter Hägermann et. al. (Berlin/New York 2004) 61–67; Jerzy Dowiat, ,Swoj‘ i ,obcy‘ [,Fremd‘ und ,eigen‘], in: Kultura polski średniowiecznej X-XIII w., ed. Jerzy Dowiat (Warszawa 1985) 303, glaubt, dass der Name zweifellos ein Gefühl der Bindung dokumentiert, wozu auch die Gegenüberstellung zu den niemcy zählt, und stützt daher die Deutung der ,Slaven‘ als ,eigene‘ Leute. Eine, allerdings nicht vollständige, Übersicht über weitere Thesen zur ursprünglichen Bedeutung von slovene gibt Carsten Goehrke, Frühzeit des Ostslaventums (Darmstadt 1992) 6f. , der das Ethnonym auf eine patronymische Wortbildung Slovenin zurückführt. Man vergleiche die umfassend kommentierte Edition des Bayerischen Geographen bei Aleksandr Nazarenko, Nemeckie latinojazyčnye istočniki IX-XI vekov. Teksty, perevody, kommentarij [Lateinischsprachige Quellen des 9.-11. Jh. aus Deutschland. Texte, Übersetzungen, Kommentare] (Moskva 1993) 7–51; vgl. auch Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm: ein Quellenbuch mit Erläuterungen, ed. Erwin Herrmann (München 1965) 220f. Sebastian Brather, Archäologie der westlichen Slawen 334, stellt dagegen das Fehlen von Migrationstheorien mit Äußerun­ gen zu ,Urheimat‘ und ,Inbesitznahme‘ des Landes in der slavischen Mythologie fest und äußert sich skeptisch in Bezug auf den Informationswert der sagenhaften Überlieferung der Ursprünge der Dynastien – der Piasten bei den Polen und der Přemysliden bei den Böhmen.

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Beispiel die einen) kamen und siedelten an einem Fluss namens Morava und nannten sich Morava, und andere nannten sich Čechen. Und siehe, auch diese sind Slaven: die Weißen Kroaten, die Serben, die Karantanen. Denn als die Volochen über die Donauslaven kamen und unter ihnen siedelten und ihnen Gewalt antaten, da (gingen) jene Slaven (von dort weg und) kamen und siedelten an der Weichsel und nannten sich Ljachen, und von jenen Ljachen nannten sich die (einen) Poljanen; andere Ljachen (aber sind) die Liutizen, andere die Mazovšanen und wieder andere die Pomoranen. Ebenso kamen auch die­ selben Slaven und siedelten am Dnepr und nannten sich Poljanen, andere aber Derevljanen, weil sie in Wäldern siedelten. Andere aber siedelten zwischen der Pripjat’ und Dviná und nannten sich Dregovičen. Andere siedelten an der Dviná und nannten sich Poločanen, des Flüsschens wegen, das in die Dviná fließt mit Namen Polota; von ihm nannten sich die Poločanen. Die Slovenen aber siedelten rings um den Ilmensee und sie nannten sich mit eigenem Namen und machten eine Stadt und nannten sie N ­ óvgorod. Andere aber siedelten an der Desná und am Sejm und an der Súla und nannten sich ­Séver’. Und so ging das slavisch sprechende Volk auseinander, und deswegen wurde auch die Schrift die ‚­slavische‘ ge­ nannt.“9 Wenn man – unabhängig von den möglichen Intentionen des Autors der ,Erzählung‘10 – für den am Anfang des 12. Jahrhunderts so beschriebenen weiten Siedlungsraum zwischen der Donau und Nord­ russland von ursprünglichen natürlichen Bedingungen ausgeht, die von nur dünn besiedelten Wäldern und Sümpfen sowie wenigen Gebirgszügen dominiert wurden, dann muss dieser Naturraum Schritt für Schritt von slavisch sprechenden Menschen erschlossen worden sein: nicht als Ganzes, sondern in Form der Inbesitznahme von Land Stück für Stück (oder: Raum für Raum), sodass besiedelte Landschaften entstanden, in denen sich politische Einheiten bildeten und konsolidierten – die von der ,Erzählung‘ ­namentlich benannten Stämme (altrussisch Sg. plemja). Den Anfang dieses Prozesses könnten die ältes­ ten Nachrichten über die Slaven aus der Mitte des 6. Jahrhunderts erfassen, auch wenn aus den Schilde­ rungen von Jordanes, Prokop und Maurikios Strategikon kaum etwas über mögliche Raumvorstellungen der Slaven zu erfahren ist.11 Allenfalls mag man bei Jordanes herauslesen, dass sich slavische Gruppen per varias familias et loca unterschieden,12 dann bei Prokop, dass sie weit von einander entfernt wohn­ ten und häufig ihre Wohnsitze wechselten,13 und schließlich bei Maurikios, dass sie in schwer zu durch­ dringenden Wäldern, Flüssen, Sümpfen und Seen lebten.14 Zu letzterem passt noch Prokops Nachricht, dass sie Flüsse, Nymphen und andere Gottheiten verehrten und ihnen insgesamt Opfer darbrachten, „denen sie dann ihre Weissagungen entnehmen“. Was in diesen Zusammenhängen als ,slavisch‘ bezeichnet wurde, differenzierte sich offenbar in eine Vielzahl von verschiedenen eher kleinen Gruppen, die sich je nach Bedarf an dem zum Leben Notwen­ digen in größeren Räumen bewegten oder auch vor Ort sesshaft blieben, die dabei Neues ebenso wie dessen sprachliche Bezeichnungen adaptierten, sich für kürzere oder längere Dauer zu größeren Ver­ bänden zusammenschlossen und auch wieder trennten. Auf die Ausbreitung bestimmter Lebensformen und schließlich auch sprachlicher Systeme des Slavischen bezogen wäre zur Kennzeichnung dieses Phänomens der Begriff „schleichende Sickerwanderung“ anzuwenden, den Carsten Goehrke für die 9



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Zitat nach: Die Nestorchronik. Die altrussische Chronik, zugeschrieben dem Mönch des Kiever Höhlenklosters Nestor, in der Redaktion des Abtes Silv‘estraus dem Jahre 1116, rekonstruiert nach den Handschriften Lavrent‘evskaja, Radzivilovskaja, Akademiceskaja, Troickaja, Ipat‘evskaja und Chlebnikovskaja (ed. und übers. von Ludolf Müller, ­ ­München 2001) 6–7. Zuletzt glaubt Eduard Mühle, Die Slaven im Mittelalter (Berlin 2016) 44, in Bezug auf die im Folgenden zitierte Verbrei­ tungserzählung der Slaven in der altrussischen „Erzählung der vergangenen Jahre“, geschichtspolitische Absichten aus der Zeit des Großfürsten Vladimir Monomach (gestorben 1125) zu erkennen. Die griechischen Berichte über die frühen Slaven sind in russischen bzw. polnischen Editionen mit entsprechenden Über­ setzungen erschienen – vgl. Testimonia najdawniejszych dziejów Słowian. Seria Grecka, zeszyt 2: Pisarze z V - X wieku [Die ältesten Zeugnisse zur Geschichte der Slaven. Griechische Reihe, Heft 2: Schriftsteller des 5.-10. Jh.] (ed. Alina Brzóstkowa u.a. Wrocław u.a. 1989); Svod drevnejšich pis’mennych izvestij o slavjanach. Tom I (I-VI vv.) (Corpus testimoniorum vetustissimorum ad historiam slavicam pertinentium. Volumen primum: I-VI saecula) (ed. L. A. Gindin / G. G. Litavrin, Moskau 1991). Jordanes, Getica, V, 34 (Theodor Mommsen, MGH AA 5, 1, Berlin 1882) 53–138 hier 62. Prokopios von Caesarea, De bello Gothico VII, 14 (ed. Gerhard Wirth, Procopius Caesariensis Opera Omnia 2, Leipzig 1963) 357. Das Strategikon des Maurikios (ed. George T. Dennis, Corpus Fontium Historiae Byzantinae 17, Wien 1981) 371–389.

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Ostslaven benutzt und darunter die bis in die Neuzeit zu beobachtende Bewegung kleiner und kleinster Siedlergruppen in Neuland hinein versteht.15 Man kann auch diesen Befund mit einem mittelalterlichen, aber erst zu Beginn des 12. Jahrhunderts entstandenen schriftlich niedergelegten Landnahme-Mythos kontrastieren, der sich aber auf die west­ lichen Slaven, genauer gesagt auf die Tschechen oder Böhmen bezieht.16 Es geht um die Chronik des Cosmas von Prag, der aus der Rückschau auf vier oder fünf Jahrhunderte vorangehender Entwicklung ein Erklärungsmodell für die zu seiner Zeit als selbstverständlich geltende Herrschaft der Přemysliden­ dynastie entwarf, in das er auch die dem Beginn der Přemyslidenherrschaft zeitlich noch vorangehende Zugehörigkeit der Bewohner zum Land Böhmen einschloss. Zu diesem Zweck verband er den Akt der Namengebung für das Land mit der faktischen Inbesitznahme unter der Führung des Ältesten namens Boemus: „Wer auch immer sie waren, die in diese einsamen Gebiete (solitudines) kamen und deren Zahl unbekannt ist, sie suchten Siedlungsräume (loca humanis habitationibus oportuna). Nachdem sie Berge, Täler und die Wildnis (montes, valles, tesqua) mit scharfem Blick geprüft hatten, errichteten sie, wie ich annehme, die ersten Wohnsitze (sedes) in der Umgebung des Berges Řip (circa montem Rip) zwischen den Flüssen Eger und Moldau [...]. Dann sprach der Älteste, den die anderen gewissermaßen zu ihrem Herren bestimmt hatten, zu seinen Gefolgsleuten [...]: ,Da nun aber dieses so große und so schöne Ge­ biet (regio) euch gehört, denkt darüber nach, wie der geeignete Name für dieses Land (nomen terrae) lauten soll.’ Alle aber, quasi wie durch eine göttliche Eingabe belehrt, fragten: ,Und wie sollen wir einen besseren und geeigneteren Namen finden, als, da du, Vater, Boemus heißt, das Land Boemia heißen soll?’ Darauf küsste der Senior, bewegt durch die Worte seiner Gefährten, den Boden (terram), vor Freude darüber, dass er nach seinem Namen heißen sollte (eam ex suo nomine nuncapari).“17 Wie auch immer sich die Inbesitznahme von Land vollzog, man darf mit Sicherheit annehmen, dass es eine Binnensegmentierung der größeren Stammes-Gemeinschaften gab, die sich bis heute in einer großen Zahl18 von zum Teil noch gut sichtbaren Burgwallanlagen widerspiegelt. Solche Befestigungen dienten der Verteidigung und – vermutlich – der Speicherung der Ernte, die im Rahmen des zu der Burg gehörenden Siedlungsgebietes eingebracht wurde. Seine Bewohner waren die in der Terminologie der altrussischen Quellen als rody bezeichneten Verwandtschaftsverbände. Es ist aber, wie schon ange­deutet, darüber hinaus damit zu rechnen, dass Individuen und kleinere Gruppen, wo immer dies möglich war, weiter vordrangen in unbewohnte Gebiete und die Stammesgrenzen ausweiteten – oder den Kontakt zu den anderen verloren. Diese Form der Wanderung scheint charakteristisch gewesen zu sein für die Ostslaven, was schon den führenden russischen Historiker an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Vasily Ključevskij, zu der Feststellung veranlasste, die Geschichte Russlands sei die Geschichte von Kolonisation.19 Tatsächlich war es aber die erwähnte Form von Sickerwanderung, wodurch die heran­ wachsende Kiever Rus’ neues Land gewann, eher nicht in Form planmäßiger Kolonisation, sondern als Ergebnis der Versuche von einander folgenden Generationen, sich neue, sicherere Existenzgrundlagen anzueignen. Es ist völlig offensichtlich, dass man Genaueres über diesen Prozess aus zeitgenössischen schrift­ lichen Quellen des Mittelalters nicht erfahren wird, weil diese schlichtweg nicht existieren. An diesem Befund werden auch mögliche zukünftige archäologische Funde nichts ändern. Dennoch ist es natür­ lich vollkommen legitim, sich ein Bild zu machen, das freilich auf Rekonstruktionen basieren muss, dabei zum Teil auf den regressiv angewandten Beobachtungen aus späteren Epochen, in denen bei­ spielsweise die Sickerwanderung bezeugt ist. Zu einem solchen Vorgehen gehört stets auch der Blick Carsten Goehrke, Russland. Eine Strukturgeschichte (Paderborn 2010) 33–43. Den Begriff ,Landnahme‘ benutzte Jörg K. Hönsch im Untertitel seiner Geschichte Böhmens. Vgl. ders., Geschichte ­Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart (München 1987); Jachnow, Gewässernamen und Weltwahr­ nehmung, verknüpft die Landnahme mit der „Raumorientierung“ (S. 273f.) und konzentriert sich dabei auf die sprachliche Aneignung durch Namen („Nomen proprium und Landnahme“, S. 274–277). 17 Cosmas, Chronica Boemorum I, 2 (ed. Berthold Bretholz, MGH SS rer. Germ., NS 2, Berlin 1923) 6f. 18 Schorkowitz, Die Herkunft der Ostslaven 578, spricht von allein 1.500 befestigten Siedlungen des 9.–13. Jh. auf ost­ lavischem Gebiet. Eine Karte mit einer Vielzahl von Lokalisierungspunkten findet sich bei Eduard Mühle, Die städtischen Handelszentren der nordwestlichen Ruś. Anfänge und frühe Entwicklung altrussischer Städte (bis gegen Ende des 12. Jahr­ hunderts) (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 32, Stuttgart 1991). 19 Christian Lübke, Östliches Europa (Kolonisationen), in: Migrationen im Mittelalter. Ein Handbuch, ed. Michael Borgolte (Berlin 2014) 181–192, hier 183. 15 16

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über die ­disziplinären Grenzen hinweg, der die Anwendung ähnlicher Fragestellungen in ganz anderen Zusammenhängen anzeigt. Parallele Grundüberlegungen dazu stammen vor allem aus der Raum­ soziologie und der von ihren Repräsentanten vorgenommenen Analyse des Entstehens und der Konsti­ tuierung von Räumen durch soziales Handeln, aber auch der Formen des Handelns in Abhängigkeit von der Beschaffenheit der Räume.20 Im Rahmen des spatial turn der vergangenen beiden Jahrzehnte sind solche Denkmodelle auch auf die Geschichtswissenschaft übertragen worden,21 die allerdings in ihren regionalen Spezialisierungen wie der Osteuropäischen Geschichte und vor allem in der Geschichte Ostmitteleuropas als einer durch spezifische Strukturen geprägten Geschichtsregion bereits Anwendung gefunden hatten.22 In Leipzig, wo sich das Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kul­ tur Ostmitteleuropas (seit Jahresbeginn 2017 Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa) befindet, wurden zudem über Jahrzehnte von dem namenkundlichen Zweig der – vor allem slavistischen – Linguistik onomastische, hauptsächlich toponymische, Analysen für bestimmte Areale23 durchgeführt sowie in einer langen Reihe von monographischen Publikationen veröffentlicht.24 Viel größere Aufmerksamkeit hat aber tatsächlich die Soziologie des Raumes auf sich gezogen.25 Als grundlegend für die aktuelle Beschäftigung mit dieser Thematik, die mit den Folgen der gegen­ wärtigen Migrationsbewegungen in Europa noch an Aktualität gewinnen wird, können Schriften von Michel Foucault über ,andere Räume‘26 und Henri Lefebvre27 aus den 60er Jahren angesehen werden. In Lefebvres Buch ,Le droit à la ville‘, erschienen im zeitlichen Zusammenhang der Pariser Unruhen von 1968, ist erstmals von der „Raumaneignung“ die Rede (appropriation de l’espace), und das von dem in marxistischer Tradition formulierte „Recht auf Stadt“ (right to the city) ist inzwischen zu einem internationalen Schlagwort im Kampf gegen Kommerzialisierung und Gentrifizierung des urbanen Rau­ mes geworden.28 Von hier haben sich auch konkrete Ansätze für die Angewandten Wissenschaften und für anwendungsbezogene Forschung entwickelt. So steht in einem kürzlich von Studenten der TU Graz erarbeiteten und im Internet publizierten ,Mini-Lexikon architektonischer Grundbegriffe‘ die „Raum­ Unter der Berücksichtigung neuester Techniken (,Cyberspace‘) und Phänomene (,Virtuelle Räume‘) schildert beispiels­ weise Martina Löw „Die Konstitution von Raum“ oder „Die Entstehung von Raum in der Wechselwirkung zwischen Handeln und Strukturen“, siehe die entsprechenden Kapitel in: dies., Raumsoziologie (Frankfurt am Main 2001). 21 Jürgen Osterhammel, Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistorie und historische Geographie, in: Neue Poli­ tische Literatur 43,3 (1998) 374–397; Karl Schlögel, Die Wiederkehr des Raumes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Juni 1999. 22 Stefan Troebst, Vom ,spatial turn‘ zum ,regional turn‘? Geschichtsregionale Konzeptionen in den Kulturwissenschaften, in: Dimensionen der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. FS für Hannes Siegrist zum 60. Geburtstag, ed. Matthias Middell (Leipzig 2007) 143–159; Frithjof Benjamin Schenk, Der ,spatial turn‘ und die Osteuropäische Geschichte, in: Themen­ portal Europäische Geschichte (2006): URL: http://www.europa.clio-online.de/2006/Article=167. 23 Man vergleiche zum Beispiel: Ernst Eichler, Zur Erforschung onomastischer Areale in den slawischen Sprachen, in: Zeit­ schrift für Slawistik 22/4 (1977) 469–475, hier 469: „Unter einem onomastischen Areal verstehen wir die Verbreitung einer bestimmten Gruppe von Eigennamen, die auf Grund gemeinsamer Besonderheiten der Sprachstruktur eine solche Gruppe konstituieren.“ 24 Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte, 41 Bde. (Halle/Saale 1956–1960, Berlin 1961-2007). Im Gegensatz zu der in der vorangehenden Anmerkung zitierten Definition orientiert sich ein großer Teil der Bände dieser Reihe aber an den Grenzen administrativer Einheiten, in der Regel von (Land-)Kreisen. 25 Von der Vielzahl an entsprechenden Publikationen sei hier nur eine Auswahl in deutscher Sprache in zeitlich umgekehrter Reihung genannt: Martina Löw, Space Oddity. Raumtheorie nach dem Spatial Turn, in: sozialraum.de Ausgabe 1/2015 (2015), URL: http://mail.sozialraum.de/space-oddity-raumtheorie-nach-dem-spatial-turn.php; Jan Wehrheim, Der Fremde und die Ordnung der Räume (Opladen 2009); Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, ed. Jörg Döring/Tristan Thielmann (Bielefeld 2008); Martina Löw/Silke Steets/Sergej Stoetzer, Einführung in die Stadtund Raumsoziologie (Opladen 2007); Markus Schroer, Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums (Frankfurt/Main 2006); Martina Löw, Raumsoziologie (Frankfurt am Main 2001); Regina Bormann, Raum, Zeit, Identität. Sozialtheoretische Verortungen kultureller Prozesse (Wiesbaden 2001). 26 Michel Foucault, Des espaces autres. Hétérotopies (Conférence au Cercle d’études architecturales, 14 mars 1967), in: ­Architecture, Mouvement, Continuité 5 (1984) 46–49. In deutscher Sprache: Von anderen Räumen, in: Raumtheorie: Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, ed. Jörg Dünne/Stephan Günzel (Frankfurt am Main 2006) 317–329. 27 Henry Lefebvre, Le droit à la ville (Paris 1968); deutsch: Das Recht auf Stadt (Hamburg 2016); außerdem Henry Lefebvre, Production de l’espace (Paris 1974); englisch: The Production of Space (Oxford 1991). 28 Man vergleiche insbesondere die Homepage der auf Hamburg konzentrierten einschlägigen Aktionsgruppen unter der ­Adresse http://www.rechtaufstadt.net/netzwerk. 20

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aneignung“29 explizit neben den „Begegnungszonen“ und dem „Energieausweis“ und dokumentiert ihre Bedeutung nicht nur für Soziologen, sondern auch für Architekten sowie Raum- und Stadtplaner. Zwar steht bei all dem die Gegenwart als Ergebnis jüngerer Entwicklungen im Vordergrund der Be­ trachtung, doch warfen Foucault und Lefebvre auch einen Blick zurück in die weitere Vergangenheit. Insbesondere Lefebvre deutete in seiner ,Production de l’espace‘ einige Vorstellungen über die frühesten „elementaren Formen der Aneignung der Natur“ an, die auf anthropologischen Forschungen beruhen. In seinem Verständnis waren es Jäger, Hirten und Nomaden, die ihre Spuren – ähnlich einem Spinnennetz – in Form der von ihnen benutzten Pfade in der Natur hinterließen und die weitere Nutzung vorberei­ teten, wobei auch Plätze entstanden, die „markiert, gemerkt und benannt wurden“. Dann, so Lefebvre, „einmal angemessen markiert und ausgerichtet, impliziert jeder soziale Raum eine Überlagerung be­ stimmter Beziehungen auf Geflechte von benannten Plätzen, von lieux-dits.“ 30 Was Lefebvre allerdings nicht ausdrücklich erwähnte, ist die Tatsache, dass die von ihm festgestellten, durch den geschilderten Vorgang erzeugten, verschiedenen Formen von Raum prädestiniert dafür sind, namentlich bezeichnet zu werden. Es sind dies: „1. Zugängliche soziale Räume für den gewöhnlichen Gebrauch: Straßen, denen Reiter oder Herden folgen, Wege, die zu den Feldern führen, usw. Ihr Gebrauch ist verbindlich geregelt – durch anerkannte Regeln und praktische Verfahren. 2. Grenzen und verbotene Regionen – Räume, zu denen der Zugang entweder eingeschränkt (für Verwandte und Freunde) oder absolut (für Nachbarn und Feinde) verboten ist. 3. Ständige oder zeitweilige Wohnorte. 4. Knotenpunkte, also zumeist Plätze des Transits und der Begegnung; oft ist der Zugang zu ­ihnen ­außer zu bestimmte Gelegenheiten ritueller Bedeutung verboten – wie zum Beispiel Kriegserklä­ rungen.“31 Das Beispiel der Überlegungen Lefebvres zu frühen Phasen des soziologischen Raumes, in denen auch ein Netz von „lieux-dits“ entsteht, wurde hier bewusst etwas ausführlicher dargestellt, da sich ­erstens der von ihm benutzte Terminus der „Raumaneignung“ zur Übertragung auf historische Verhält­ nisse sehr gut zu eignen scheint und weil zweitens seine Thesen brandaktuell sind. In Bezug auf die Kategorie ,Raum‘ in der soziologischen Forschung kann darüber hinaus hier nur angedeutet werden, dass sie von einer Vielzahl namhafter Autoren und Klassiker der Philosophie analysiert worden ist: von Bourdieu über Lotman, Heidegger, Simmel und Durkheim bis zu Kant und Descartes, um nur einige zu nennen.32 Im Folgenden soll es nun um den Versuch gehen, frühen Wahrnehmungen und Vorstellungen vom eigenen Raum und von dessen Reichweite auf der Grundlage sprachlicher Befunde auf die Spur zu kommen. Es geht also um eine Art mental mapping, wie es sich als Summe einer Vielzahl von in der Landschaft verorteten, sprachlich in Form von Namen bezeichneten, Objekten zusammensetzen könnte. Der Fokus soll dabei auf die Linguistik gelegt werden, die in Bezug auf die zu befragenden Disziplinen jenseits der engeren Geschichtswissenschaft zweifellos die wichtigste Rolle einnimmt, weil sie in der Lage ist, sprachliche Zeugnisse, die in schriftlichen Quellen überliefert sind, zu analysieren. Überwie­ gend handelt es sich um Namenmaterial, das in der Regel erheblich älter ist als die Quellen und das auch in der Lage sein sollte, Informationen über die Zeit seiner Entstehung zu vermitteln.

Maximilian Schade, Raumaneignung, in: Mini-Lexikon architektonischer Modebegriffe, URL: http://minilexikonarchitektonischer-modebegriffe.tugraz.at/index.php/modebegriffe/raumaneignung/ 30 Lefebvre, The Production of Space 117f., 193. In Bezug auf das Mittelalter offenbart Lefebvre ein ziemlich einfaches Verständnis der damaligen Verhältnisse (ebd. 164): „There is no doubt that medieval society – that is, the feudal mode of production, with its variants and local peculiarities – created its own space. Medieval space built upon the space constituted in the preceding period, and preserved that space as a substrate and prop for its symbols; it survives in an analogous fashion itself today. Manors, monasteries, cathedrals – these were the strong points anchoring the network of lanes and mainroads to a landscape transformed by peasant communities“. 31 Lefebvre, The Production of Space 193. 32 Eine Liste der „Klassiker der Raumthematik“ findet sich im Internet unter der Adresse http://www.european-spaces.eu/ klassiker-der-raumthematik/ 29

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Um die Entstehungssituation zu verstehen, sollte man sich in die Lage der benennenden Individuen versetzen und dabei deren sprachliche Voraussetzungen berücksichtigen.33 Dieser Ansatz geht letztlich auf Wilhelm von Humboldt zurück, der die Theorie der „sprachlichen Weltsicht“ formulierte. Dem­ nach ist Sprache neben ihrer Funktion als Mittel der Kommunikation auch ein Instrument zur Erschaf­ fung eines inneren Weltbildes, das aber nur in einer bestimmten Sprachgemeinschaft Gültigkeit hat. Da die einzelnen Sprachen ihre Begriffe unterschiedlich bilden, beeinflussen sie auch die Erkenntnis je anders, sodass die Schlussfolgerung gilt, dass „mehrere Sprachen in der That mehrere Weltansichten sind“,34 die aber nur als „Unterschiede in der ,Blickrichtung‘ auf die Welt“ und nicht als grundverschie­ den verstanden werden dürfen, da ansonsten Übersetzungen zwischen den Sprachen gar nicht möglich wären.35 Die sprachliche „Weltansicht“ ist also kein universelles kognitives Phänomen, aber auch kein rein indivi­duelles. „Sie wird aus der Summe der Kenntnisse (und der entsprechenden Wissenstypen) und der Gesamtheit der in dieser Sprache fixierten Vorstellungen der Sprachträger gebildet. So verstan­ den hat das Humboldt’sche Modell viele Gemeinsamkeiten mit dem Weltbegriff, der in der modernen ­Linguistik verwendet wird.“36 Im Konzept des Weltmodells wird der Sprache eine besonders große Rolle zuerkannt: Jede Sprach­ gemeinschaft konstruiert ihr eigenes Weltmodell, indem sie die Realität auf spezifische Weise glie­ dert und die einzelnen Fragmente spezifisch benennt. Die Gesamtheit aller sprachlichen Erscheinungen macht das sprachliche Weltmodell aus, das jedem Sprachträger „zwangsläufig und unreflektiert mitge­ geben“ wird und das die Welt unter „Einschaltung“ von wertenden Einstellungen interpretiert, denen das kollektive Wissen seiner Gemeinschaft zugrunde liegt. Denn die Träger einer Sprache erwerben mit ihren Strukturen zugleich auch entsprechende konzeptuelle Strukturen inklusive der Werturteile, die im Langzeitgedächtnis der Sprachträger als Phraseologismen gespeichert sind, bei denen es sich um bereits „vorformulierte Interpretationen“ handelt, in die Bilder und Symbole eingeflossen sind, welche die Wahrnehmung der Realität beeinflussen.37 Der russische Germanist Dimitrij Dobrovol’skij und die deutsche Sprachwissenschaftlerin ­Elisabeth Piirainen haben in ihren gemeinsamen Studien zu Phraseologismen38 ein anthropozentrisches bzw. anthropo­metrisches Prinzip als grundlegend für das Verständnis des sprachlichen Weltmodells beschrie­ ben. Eine parallele Positionierung des Individuums findet sich in den Arbeiten des Frankfurter Ethno­ logen Klaus Müller, der für frühe Formen menschlicher Gesellschaftsentwicklung vom „Selbstwert­ verabsolutierungsprinzip“ spricht, das nicht nur für die Menschen selbst gelte, sondern auch für ihre Lebensumstände, ihre Gewohnheiten, ihre gesamte Kultur. Nur die eigene Art zu leben erscheine ihnen als die vernünftige, allein vertretbare Möglichkeit menschlicher Seinsverwirklichung. Zu dieser Einstel­ lung gehört insofern ein räumlicher Aspekt, als eine strikte Unterscheidung des eigenen Lebensbereichs, der Endosphäre, von der Exosphäre stattfinde – eines Raumes, aus dem das Abweichende, Fremde, Menschenunwürdige und Unzivilisierte stammt.39 Ich folge hier der Erklärung dieses Komplexes durch Ana Cletiu, Bemerkungen zur semantischen und konzeptionellen Struktur des kognitiven Weltmodells, in: Zeitschrift der Germanisten Rumäniens 6 (1997) 35–37. 34 Wilhelm von Humboldt, Ueber den Nationalcharakter der Sprachen (Bruchstück, wahrscheinlich 1822), in: Wilhelm von Humboldt, Werke in fünf Bänden, 3: Schriften zur Sprachphilosophie, ed. Andreas Flitner/Klaus Giel (Darmstadt 2010) 64–81. Mit Blick auf Namen als eine Unterkategorie von Sprache ist im 19. Jahrhundert auch zu beachten: Johann ­Jacob Egli, Nomina geographica (Leipzig 1893) Vorwort und 133: „Die geographische Namengebung, als der Ausfluß der ­geistigen Eigenart je eines Volkes oder einer Zeit, spiegelt sowohl die Kulturstufe als auch die Kultureinrichtung der ver­ schiedenen Völker wider“, und es kann „in den Ortsnamen nur wenig von dem großartigen Eindruck gewahr werden, den eine poetische Natur auf das empfängliche Gemüt des Menschen machte.“ Der Hinweis auf Egli findet sich bei Stanisław Rospond, Slawische Namenkunde 1: Die slawischen Ortsnamen (Heidelberg 1989) 227. 35 Dimitrij Dobrovol’skij, Kognitive Aspekte der Idiom-Semantik. Studien zum Thesaurus deutscher Idiome (Tübingen 1995) 63. 36 Cletiu, Bemerkungen 35; von der „Weltwahrnehmung“ spricht Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung. 37 Virginija Masiulionytë, Elster als Symbol im deutschen und im litauischen phraseologischen Weltmodell. Eine kontrastive Untersuchung, in: Kalbotyra 57 (2007) 170–176. 38 Dimitrij Dobrovol’skij/Elisabeth Piirainen, Zum Weltmodell einer niederdeutschen Mundart im Spiegel der Phraseologie, in: Niederdeutsches Wort 32 (1992) 137–169; dies., Symbole in Sprache und Kultur. Studien zur Phraseologie aus kultur­ semiotischer Perspektive (Bochum 1996). 39 Klaus E. Müller, Einführung, in: Menschenbilder früher Gesellschaften. Ethnologische Studien zum Verhältnis von Mensch und Natur (Frankfurt/Main-New York 1983) 13–69.; ders., Grundzüge des menschlichen Gruppenverhaltens, in: Biologie 33

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Diese Grundkonstellation, das gegensätzliche Nebeneinander von Endosphäre und Exosphäre und damit auch von Eigen und Fremd, ist von Bedeutung für die Formierung der Identität, die sich, wie eine Vielzahl von Untersuchungen verschiedener Forschungsdisziplinen in jüngster Zeit herausgestellt haben, eben immer nur durch die Gegenüberstellung mit der Alterität herausbildet. „Ich kann nur dann im eigentlichen Sinn Bewusstsein von mir haben, wenn ich dabei ein anderes als mich selbst in mein Bewusstsein aufnehme. Das Bewusstsein des ego setzt die Wahrnehmung des Anderen – alter – voraus“. So beschreibt der Freiburger Sprachwissenschaftler Wolfgang Raible dieses Phänomen, und an anderer Stelle führt er kurz und prägnant aus: „Ohne Bewusstsein des Anderen gibt es kein Bewusstsein von sich selbst“.40 Unter Berücksichtigung dieses sich gegenseitig Bedingens von ego und alter sowie der schon zuvor beschriebenen Ausgangsüberlegungen verschiedener Forschungsdisziplinen kann davon ausgegangen werden, dass sich auch in sprachlichen Zeugnissen, in bestimmten Bezeichnungen und Namen, eine mehr oder weniger bewusste Paarigkeit verbirgt, die sich auch auf die Konstruktion von Räumen und ihre Abgrenzung voneinander auswirkt. Dies koinzidiert mit Überlegungen des englischen Philosophen des 19. Jahrhunderts John Stuart Mill, denen der Marburger Germanist Wilhelm Bondzio vor einigen Jahren eine Reminiszenz widmete.41 Eine solche sprachliche Paarigkeit kann sich, so Mill, in ihrer ­Relativität zeigen, nämlich so, dass ein Name „implies in its signification the existence of another ­object“. Mills weitere Charakterisierung, dass „its signification cannot be explained but by mentioning another“, mag zwar unserem heutigen Verständnis beispielsweise von Völkernamen nicht entsprechen, ihrer Ent­ stehungssituation und Benennungsmotivation dürfte sie jedoch durchaus angemessen sein. Es handelt sich gewissermaßen um eine komplementäre Antonymie, die sich beispielsweise in den Bezeichnungen von „uns“ und den „Anderen“ zeigt, dabei in den hier behandelten Zusammenhängen am deutlichsten in der schon erwähnten, wenn auch nicht völlig unstrittigen Deutung des Namens der Slaven, der das Verständnis des gesprochenen Wortes (slavisch slovo ,Wort‘) meint. Dementsprechend steht „slavisch“ komplementär zu nemec, was ursprünglich gar nicht den „Deutschen“ meinte, sondern alle Fremden, die im Sprachkontakt mit den Slaven offenbar als „stumm“ erschienen. Eine solche Paarigkeit, die auf sprachliche Unterschiede zurückzuführen ist, die zugleich aber auch eine Komplementarität ausdrückt, ist aus der Zeit des Landesausbaus im hohen und späten Mittelalter durch die Neu- und Umbenennung von ländlichen Siedlungen bezeugt.42 Diese von einem auf Siedlungsfragen spezialisierten Mittelalterarchäologen behandelte Thematik zeigt die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit an. In dem behandelten Fall der Kom­ plementarität der Zunamen ,Groß‘ und ,Klein‘ und der Paarigkeit von ,Wendisch‘ und ,Deutsch‘ in zeitweilig zweisprachigen Landschaften ist das Phänomen leicht erkennbar. In vielen weiteren Fällen aber kann solch eine Bestandsaufnahme nur von Spezialisten durchgeführt werden und wäre demnach eine Aufgabe der historischen Linguistik und Onomastik. Allerdings wird man auf der Suche nach einschlägiger Literatur nicht nur für diesem Spezialfall eher wenig fündig, und mit dem Leipziger ­Slavisten Ernst Eichler43 ist ein Förderer gerade solcher Studien sowie kompetenter Gesprächspart­ ner für ­Historiker im Jahr 2012 verstorben. Seine österreichische Kollegin, Isolde Hausner, hatte Ernst Eichler in einem Kolloquium anlässlich seines 80. Geburtstages zumindest nominell, das heißt im Titel ihres Beitrages, ausdrücklich als „Namenforscher über Grenzen und Räume“ gewürdigt.44 Auch wenn

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von Sozialstrukturen bei Tier und Mensch, ed. Rudolf Schenkel/Christian Vogel/Hansjürgen Müller-Beck (Göttingen 1983) 93–112. Wolfgang Raible, Alterität und Identität, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 110 (1998) 7–22, hier 7 und 15. Wilhelm Bondzio, John Stuart Mill und die Relativität von Substantiven. Eine wissenschaftshistorische Reminiszenz, in: Wahlverwandtschaften – Valenzen, Verben, Varietäten. FS für Klaus Welke zum 70. Geburtstag, ed. Hartmut E. H. Lenk/ Maik Walter (Germanistische Linguistik 188–189, Hildesheim 2007) 183–194. Man vergleiche dazu die Analyse dieses Phänomens durch Eike Gringmuth-Dallmer, ,Deutsch‘ und ,Wendisch‘ – ,Groß‘ und ,Klein‘. Zur siedlungsgeschichtlichen Aussage von Ortsnamen mit unterscheidenden Zusätzen in der Mark Branden­ burg, in: Onomastica Slavogermanica 19 (1990) 77–89. Karlheinz Hengst, In memoriam Ernst Eichler, in: Namenkundliche Informationen 101/102 (2012/13) 492–501. Isolde Hausner, Ernst Eichler, ein Namenforscher über Grenzen und Räume. Slawika im Altdeutschen Namenbuch Öster­ reich (ANB), in: Namenkunde als Beruf(ung). Festvorträge zum 80. Geburtstag von Ernst Eichler, ed. Peter Ernst (Wien 2012) 33–52; allerdings kommen die beiden Begriffe, ,Grenzen‘ und ,Räume‘ darin nicht vor.

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die konkreten Forschungsbezüge zu den beiden im Titel genannten Signalworten ,Grenzen und Räume‘ dann im Text nicht erläutert werden, unterliegt es keinem Zweifel, dass Ernst Eichler gerade auf die­ sem Forschungsfeld bahnbrechende Wege beschritt, indem er die historische slawistische Namenkunde mit arealen siedlungsgeschichtlichen Fragestellungen verknüpfte, allerdings stets mit einer Begrenzung auf den altsorbischen Sprachraum. Dieser aber, wie auch der altpolabische und altpomoranische, also insgesamt derjenige der Elb- und Ostseeslaven, stellt insgesamt gesehen zweifellos das namenkundlich am besten erfasste Teilgebiet der Slavia dar und ermöglicht daher eine entsprechende kultursemiotische Auswertung in historischer Perspektive, wie sie etwa Helmut Jachnow in Bezug auf die Gewässernamen durchgeführt hat.45 Die darüber hinausgehende Zusammenführung einzelner slavischer Sprachräume als Aufgabe der slavischen Onomastik hat Eichler stets propagiert. Der Intention nach sollte sie in einem wissenschaft­ lichen Unternehmen zum Zuge kommen, das angesichts seiner hoch gesteckten Ziele vielleicht niemals realisiert werden wird. Es handelt sich um die Idee, einen umfassenden Slawischen Onomastischen Atlas (SOA) und damit ein Werk zu schaffen, das „nicht nur der slawischen Linguistik (besonders der Lexikologie, Wortbildung und Phonologie), sondern auch der Archäologie, der mittelalterlichen Geschichte, der historischen Geographie und der Volkskunde neue Erkenntnisse aus den Namen, einer bisher nur sporadisch ausgeschöpften Quelle, bieten wird.“46 Der Plan zur Erarbeitung diese Mammut­ werkes geht schon auf den IV. Internationalen Slavistenkongress 1958 in Moskau zurück. Als Haupt­ aufgabe wurde die Darstellung des urslavischen Namenerbes in typologischer Hinsicht, also der Fort­ setzung der Namentypen in den Einzelsprachen, formuliert. Damit war eine Verteilung der Arbeiten auf die Repräsentanten dieser Einzelsprachen verbunden, und es wurden eine Reihe von monographischen Untersuchungen zu einzelnen Namentypen in bestimmten Regionen angestoßen. Die politische Wende von 1989 mit ihren weitreichenden Folgen für die Forschungsstruktur der slavischen Länder bedeutete jedoch einen tiefen Einschnitt in die Planungen, sodass selbst die 1996 noch angekündigte Kartogra­ phierung in Form einer Probelieferung nicht verwirklicht werden konnte. So musste Eichler schon im Jahr 2003 etwas resignierend feststellen, dass davon keine Rede sein könne, dass sich in der Slavistik jemand konzentriert der Sammlung, Erklärung und Etymologie der Stammes- und Landschaftsnamen, die ja untrennbar miteinander verbunden seien, gewidmet hätte.47 Es besteht jedoch kein Anlass, die Frage nach ,Neuen Wegen der Frühmittelalterforschung‘, die nicht nur auf eine Bilanz, sondern auch auf die Perspektiven abzielt, mit einer negativen Feststellung zu be­ enden. Zumindest sollte dieser Beitrag mit den Hinweisen auf die verschiedenen methodischen Zugänge zur slavischen Frühgeschichte dazu beitragen, diese als Denkmodelle anzuwenden. Dass aber auch über die Modelle hinaus konkrete Anwendungsmöglichkeiten durchaus vorhanden sind, soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden. Diese sind aber, was einschränkend vorangeschickt werden muss, nicht das Ergebnis einer umfassenden systematischen und vergleichenden Recherche, sondern entstammen eher zufälligen Beobachtungen in den Quellen und in der Forschungsliteratur, die das Deutungspotential sprachlicher Phänomen für die Siedlungsgeschichte aber erkennen lassen. Am Anfang soll eine mit der Frage nach der Identität zusammenhängende Beobachtung stehen, die zu der Feststellung passt, dass verschiedene Sprachen auch unterschiedliche Weltmodelle bedingen. So hat eine Analyse der slavischen (und auch baltischen) Märchen und Volksmärchen den Befund er­ bracht, dass dort stets gefragt wird: „Von welcher Abstammung (rodu-plemeni) bist du, von welchem Vater, welcher Mutter (otca-materi)?“, wobei sprachlich ein doppelter Asyndeton (Sippe-Stamm, Vater-­ Mutter) zum Tragen kommt.48 Es wird also niemals gefragt ,Wie heißt du?‘, und das ,woher‘ zielt nicht auf die räumlich-lokale Herkunft, sondern auf die verwandtschaftlich-soziale. Man kann darin Spuren einer im Vergleich zum deutschen Sprachraum größeren Bedeutung slavischer Verwandtschafts­gruppen

Jachnow, Gewässernamen als Indikatoren; ders. Gewässernamen und Weltwahrnehmung. Ernst Eichler, Slawische Namengeographie: Der Slawische Onomastische Atlas, in: Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 2. Halbband und Registerband, ed. Ernst Eichler u.a., (Berlin 1996) 1106–1121, hier 1106. 47 Ernst Eichler, Völker- und Landschaftsnamen im deutsch-slavischen Berührungsgebiet. Zu Stand und Perspektiven, in: Völkernamen – Ländernamen – Landschaftsnamen. Protokoll der gleichnamigen Tagung im Herbst 2003 in Leipzig, ed. Ernst Eichler/Heinrich Tiefenbach/Jürgen Udolph (Leipzig 2004) 33–41, hier 34. 48 Georg Siegmund Keller, Das Asyndeton in den balto-slavischen Sprachen (Heidelberg 1922) 15. 45 46

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entdecken, die sich auch in der großen Zahl an Verwandtschaftsbezeichnungen widerspiegelt.49 Die Wertschätzung der über den engeren Familienkreis hinausgehenden Verwandtschaft konnte für die An­ gehörigen eines anderen Weltmodells, nämlich für im Rahmen des Landesausbaus aus dem Westen in die slavischen Gebiete gekommen Individuen, einen überraschenden Konflikt zeitigen, indem sich beispielsweise ein scheinbar ordnungsgemäß geregelter und urkundlich dokumentierter Landkauf als ungültig erwies. Denn nach altem slavischen Recht musste dafür die Zustimmung eines großen Kreises von erbberechtigten Personen eingeholt werden, was sich sogar auf ungeborene Nachkommen erstreck­ te.50 Auf die Kategorie der Namen übertragen könnte dies einen Zusammenhang mit der großen Zahl von patronymischen Ortsnamen im slavischen Sprachbereich anzeigen, die der älteren Siedlungsge­ schichte zugeordnet werden. Wenn wie bei diesem Beispiel der Wortschatz die Existenz eines bestimmten gesellschaftlichen ­Phänomens nachweist, dann kann auch das Gegenteil, also das Fehlen eines konkreten Sachverhaltes, vermutet werden, wenn ursprünglich keine entsprechende Bezeichnung für diesen existierte, sondern erst bei Bedarf entlehnt wurde. Für den deutsch-slavischen Kontaktbereich könnte man auf den ersten Blick einen solchen Fall in Bezug auf die deutsche Entlehnung des Wortes ,Grenze‘ aus dem Slavischen annehmen. In der Lautung grenize, greniz wurde es ins Spätmittelhochdeutsche übernommen,51 was aber nicht etwa bedeutet, dass man im Deutschen bis dahin keine Grenze kannte. Das neu entlehnte Lexem ersetzte mit dem einheimische mark allerdings ein Wort, das auch die Konnotation ,Grenzraum‘ besaß, während die slavischen Worte grań und granica eher die Kontaktlinie meinten, die Kante oder Ecke eines Ackers beispielweise, die man durch aufgestapelte Gegenstände kennzeichnete. Entlehnungen darf man also, wenn auch nicht uneingeschränkt, als Indiz für das vorherige Fehlen bestimmter gesellschaftlicher, kultischer oder auch ideeller Phänomene verstehen. So zeigen die im Slavischen gebrauchten Herrschertitel wie župan, pan, knjaz und korol die Übernahme von den anders­ sprachigen, turksprachigen und germanischen, Nachbarn an – ein Befund, der mit dem Bericht Prokops über die angeblich ,demokratische‘ Lebensweise der Slaven korrespondiert. Demnach müsste auch die gesellschaftliche Differenzierung durch die Entstehung des Adels als eine dem slavischen Weltmodell im Grunde widersprechende Entwicklung angesehen werden, denn ein entsprechender sozialer Termi­ nus Adel fehlt im mittelalterlichen slavischen Wortschatz. Die zunächst bei den Bulgaren gebrauchte und bald in den altrussischen Quellen erscheinende Bezeichnung bojar (zuerst boljarin) ist wohl auf eine türkische Wurzel zurückzuführen,52 und das spätere polnische szlachta als Adelsbezeichnung ist von dem deutschen Wort ,Geschlecht‘ abgeleitet. Was das Slavische stattdessen auszeichnete, war ein sprachlich durch die entsprechenden Termini ausgedrücktes System von Altersklassen, das sich deut­ lich vor allem in der alt/jung-Klassifizierung der Mitglieder der altrussischen Gefolgschaft widerspie­ gelt (staršaja družina — mladšaja družina), aber auch in der allgemeinen Hochschätzung der Ältesten (starejšiny) bei allen Slaven und in der Bezeichnung der Knechte als otrocy ,Knaben‘.53 Für die soziale Differenzierung wurden aber auch Farben genutzt, wie am Beispiel der černye ljudi deutlich wird, der als ,Schwarzleute‘ bezeichneten Masse der bäuerlichen, zum Teil aber auch städtischen, Bevölkerung in der Rus’. Man vergleiche dazu die Studie von Mieczysław Szymczak, Nazwy stopni pokrewieństwa i powinowactwa rodzinnego w historii i dialektach języka polskiego [Bezeichnungen für die Grade der Blutsverwandtschaft und Verschwägerung in der Geschichte und den Dialekten der polnischen Sprache] (Warszawa 1966), der für das Polnische 538 Verwandtschaftsbe­ zeichnungen für 64 Verwandtschaftsgrade zählt. Angaben dazu bei Dana Štefanová, Erbschaftspraxis, Besitztransfer und Handlungsspielräume von Untertanen in der Gutsherrschaft. Die Herrschaft Frýdlant in Nordböhmen, 1558–1750 (Wien/ München 2009) 86, Anm. 149, die für die tschechischen Verhältnisse auf die Bezeichnungssammlung von Josef Macek verweist. 50 Peter Donat/Heike Reimann/Cornelia Willich, Slawische Siedlung und Landesausbau im nordwestlichen Mecklenburg (Stuttgart 1999) 137, Anm. 226 f. mit Verweis auf die westpommerschen und schlesischen Quellen aus dem 13. Jahrhundert. 51 Franz Miklosich, granĭ, in: ders., Etymologisches Wörterbuch der slavischen Sprachen (Wien1886); Erich Berneker, ­Slavisches etymologisches Wörterbuch 1 (Heidelberg 1908-1913) 346. 52 Maks Fasmer, Russisches etymologisches Wörterbuch 1 (Heidelberg 153); dazu die russische Fassung: Maks Fasmer, Ėtimologičeskij slovarʹ russkogo jazyka – v četyrech tomach 1 (Moskau 1964) 203f., hält unter allen zweifelhaften ­Theorien eine Herleitung von alltürkisch bai ,reich, edel‘ + är ,Mensch‘ unter Einfluss von slavisch bol- ,besser, mehr‘ für am wahr­ scheinlichsten. 53 Knud Rahbeck Schmidt, Soziale Terminologie in russischen Texten des frühen Mittelalters (bis 1240) (Kopenhagen 1964) 44–103 ausführlich zur družina sowie S. 496f. zum Terminus otrok. 49

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Zur sprachlichen Aneignung gehören auch die für die Wohnplätze benutzten Termini. Etymologisch weisen die slavischen Bezeichnungen für das Dorf indogermanische Verwandtschaft auf, so die ältesten bezeugten vьsь (polnisch wieś, vgl. lat. vicus)54 und sedlo (urslavisch *sedlo *Siedlung, aber auch *selo ,Acker‘)55. Das sicher überlieferte Wort für eine Mikroregion, zugleich für die Nachbarschaftsgemeinde, ist das polnische Wort opole (zu pole ,Feld‘), das zwar im Sinne einer administrativ erfassten Einheit erst seit dem Spätmittelalter erscheint. Allerdings sind mehrere Ortsnamen Opole (z.B. Oppeln in Schlesien) viel älter und zeigen die Existenz der ebenso bezeichneten ältesten slavischen territorialen Einheiten an, die vielleicht eine Größe von 100 bis 200 qkm hatten.56 In der Völkerliste des Bayerischen Geographen begegnet man auch einer Gemeinschaft der Opolini, die zwanzig dieser civitates umfasst haben soll.57 In den als opole bezeichneten kleineren gesellschaftlichen Einheiten traten mit dem beginnenden Burgen­ bau neben die offenen Siedlungen befestigte Plätze, die in allen Slavinen durchgängig als gorod, gród, hrad u.ä. bezeichnet wurden, das heißt mit einem Terminus, der – wie das deutsche Wort Garten – in den indogermanischen Sprachen einen umzäunten Platz meint. Einige Grundzüge von Benennungssituationen und -motivationen generell im Slavischen, die in ihrer Gesamtheit bis in die Gegenwart reichen, hat der polnische Linguist Stanisław Rospond in seiner ,Slawi­ schen Namenkunde‘ systematisch zusammengetragen.58 Demnach genügten den ersten Besiedlern eines Raumes ganz einfache und demnach anderorts wiederkehrende Bezeichnungen wie ,bei uns‘ oder ,am Bach‘,59 doch trat später wegen der notwendig werdenden Kommunikationsfunktion eine Toponymisie­ rung ein, das heißt eine Stabilisierung als Ortsname. Von den möglichen Benennungsmotiven, die auch über die von Rospond hauptsächlich betrachtete Kategorie der Ortsnamen hinaus verallgemeinerbar sind, sollen hier davon diejenigen behandelt werden, welche die slavische Frühzeit betreffen, nämlich: 1. vorslawisches Erbe (von schon anwesenden Bewohnern übernommene Namen); 2. natürliche Spezi­ fika (Charakteristika des Bodens, Vorkommen bestimmter Pflanzen oder Tiere usw). Dagegen gehören die beiden weiteren Motive zu der Phase der Konsolidierung und Neuorientierung in den angeeigneten Räumen und können hier vernachlässigt werden, nämlich 3. individuelle oder kollektive Beziehungen zum Ort sowie mit den Menschen zusammenhängende Besonderheiten materieller oder geistiger Art; 4. mit sozialen oder kulturellen Neuerungen verbundene Namen (z.B. Christentum).60 In Bezug auf 1.) das vorslawische Erbe geht es um Namen, die von den Slaven im Moment ­ihrer ­Ankunft von den in dem bestimmten Gebiet lebenden Menschen im Sprachkontakt übernommen ­wurden – hauptsächlich Namen der alteuropäischen Hydronymie wie Elbe (tschechisch Labe) oder ­Saale (­tschechisch Sála, polnisch Soława). Für den elb- und ostseeslavischen Sprachraum, aber wohl über diesen hinaus verallgemeinerbar, hat Helmut Jachnow eine kleine Zahl solcher Namen ebenso festgestellt wie die geringe Vertretung semantisch nicht transparenter, rein identifikatorischer Namen, und dieses Phänomen sicher zurecht damit begründet, dass solche Namen nur dort Verwendung fanden, „wo eine unverzügliche identifikatorische Funktion des Namens unumgänglich war (beispielsweise in der interethnischen Kommunikation über große Flüsse).“61 2.) Die natürlichen Spezifika wie auffällige Bodenbeschaffenheit, prägende Gewässer oder das Vor­ kommen bestimmter Pflanzen oder Tiere machen die Masse der Benennungen aus, nicht nur der Orts-, sondern auch der Landschaftsnamen (und über sie zum Teil der Bewohnernamen oder Ethnonyme), der Berg- und Gewässernamen und schließlich der Flurnamen. Wenn man sich in die Situation der Aneig­ nung eines siedlungsleeren (oder nur dünn bewohnten) Raumes versetzt, kommen aus dem besonders Fasmer, Ėtimologičeskij slovarʹ russkogo jazyka Bd. 1, 305. Fasmer, Ėtimologičeskij slovarʹ russkogo jazyka Bd. 3, 596; am Beispiel der karantanischen Ortsnamen werden diese Ortsnamen in einem Kapitel ,Morphologisches‘ behandelt von Heinz-Dieter Pohl, Die ,Slavia submersa‘ in Österreich: ein Überblick und Versuch einer Neubewertung, in: Linguistica XLV – Ioanni Orešnik septuagenario in honorem oblata 1 (Ljubljana 2005) 129–150, hier zitiert nach http://wwwg.uni-klu.ac.at/spw/oenf/FS_Oresnik.pdf, S. 8 f. 56 Gerard Labuda, Opole, in: Mały Słownik kultury dawnych Słowian [Kleines Wörterbuch der Kultur der alten Slaven], ed. Lech Leciejewicz (Warschau 1990) 276f. 57 Nazarenko, Nemeckie latinojazyčnye istočniki IX-XI vekov 14 und 50. 58 Rospond, Slawische Namenkunde, Bd. 1. 59 Rospond, Slawische Namenkunde, Bd. 1, 219. 60 Gegenüber Formulierung und Reihenfolge bei Rospond, Slawischen Namenkunde, Bd. 1, 220, leicht veränderte Wieder­ gabe. 61 Jachnow, Gewässernamen als Indikatoren 152. 54 55

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intensiv erforschten altsorbischen Sprachgebiet folgende frühe Landschaftsnamen in Betracht, die sich auf natürliche Besonderheiten beziehen62: Dobna (zu aso. *dob’ny ,schön, anmutig‘, wohl primär ein Bachname), Glomaci (wohl zu tschechisch hlomoz ,Getöse, Lärm‘, auch ,See‘), Längwitz (zu slavisch *Lǫkavica zu lǫka ,Wiese, Wiesenland, Wiesenbach‘), Mezumroka (altsorbisch *mesu ,zwischen‘ und *mroka ,Sumpf‘), Siusili (altsorbisch *Žuželi ,Käfergegend‘), Tucharin (zu altsorbisch *tuchly ,modrig, muffig‘), Zerwisti (zu altsorbisch *čirv ,Insekt‘, ,Schildlaus‘), Citici (zu altsorbisch sit ,Binse‘), Zliwini (altsorbisch *Sliv’na oder *Slivina ,Pflaumenbaumgegend‘). Diese Beispiele zeigen zugleich an, dass Landschaftsnamen nicht separat von anderen Namen in ihrem Raum betrachtet werden dürfen, mit ­denen sie in Verbindung stehen und ein ganzes System bilden, ja, dass sie Einfluss auf die Ethnonyme der dort siedelnden Gemeinschaften haben.63 Von den in diesem Gebiet bezeugten Ethnonymen ist derjenige der Sorben besonders alt (Dervanus64 dux gente Surbiorum65, um 631/32) und entspricht mit seiner Etymologie dem Deutungsschema der ­hohen Bedeutung von Verwandtschaftsverbänden (zu slavisch *srb ,Verwandter, Verbündeter‘66). Zu den älteren Raumnamen zählen Bildungen auf -ici. Sie sind ursprüngliche Bewohnernamen, davon in dem Untersuchungsgebiet ,Saale- und Mittelebegebiet‘67: Coledici (zu slavisch kol-/chol- ,Geschlecht, Generation, Abgespaltenes‘), Neletici (patronymisch zu einem Personennamen *Nelet), Nizici (ob Be­ deutung ,stromabwärts – der Elbe‘?), Nudzici (ob zu altsorbisch *nudza ,Not‘), Quezici (Etymologie un­ sicher), Citici, Zitice (evtl. beide zu slavisch sit ,Binse‘), Chu(n)tici (Deutung unsicher). Ebenso werden die Bewohnernamen auf -jane als bildungsmäßig alt angesehen, wie Besunzane (eventuell zu altsorbisch bъzъ ,Holunder‘?), Milzane (ob vorslavisch?) und Nisane (aso *Nižane ,Bewohner der Niederung‘).68 Zu diesen Namen gehören in formaler Hinsicht auch einige der oben erwähnten Ethnonyme, die in der altrussischen ,Erzählung‘ bezeugt sind. Wie an den Landschaftsnamen gezeigt werden kann, eigneten sich die in das betreffende Gebiet ein­ wandernden Gruppen die Umgebung ihrer Wohnstätten sprachlich dadurch an, dass sie natürliche Be­ sonderheiten mit Appellativen bezeichneten und sprachlich so verallgemeinerten, dass diese sich dann in vielen Fällen zu Namen verfestigten. In der ursprünglich appellativischen Benennung aller natür­ lichen Objekte im Raum liegt auch der Grund dafür, dass die Namen für Gewässer, Berge oder Wälder häufig mit recht einfachen Namen versehen sind: sie entstanden nämlich unmittelbar aus Appellativen und bilden somit die älteste Schicht von slavischen Namen. Den gleichen Prinzipien folgte sicher auch die Entstehung einer Kategorie von Namen, die zwar für die ,rekonstruktive Onomastik‘ der slavischen Frühzeit bisher nicht herangezogen wurde und wegen ihres besonderen Charakters wohl auch in Zukunft keine bedeutende Rolle dafür spielen wird, die aber hier dennoch Erwähnung verdient: Es handelt sich um die Flurnamen, die – im Unterschied zu den häufiger administrativ und damit urkundlich erfassten Ortsnamen und weiteren Namentypen – fast ausschließlich erst aus viel späterer Zeit überliefert sind, im Vergleich zu den Ortsnamen einem schnellen Wandel unterliegen oder überhaupt nur für kurze Zeit in

Dazu insgesamt: Hans Walther, Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9.Jahrhundets (Berlin 1971), besonders 313. Näheres zu den Erwähnungen und möglichen Etymologien findet sich bei Ernst Eichler, Völker- und Landschaftsnamen im altsorbischen Sprachgebiet, in: Lětopis Instituta za serbski ludospyt w Budyšinje, Reihe A, č. 13/a 2 (1966) 1–32 (alphabetische Reihenfolge). 63 Ernst Eichler, Völker- und Landschaftsnamen 38: „Vor allem muss man sich vor Augen führen, dass das Benennungsobjekt, nämlich ein ‚Volk‘, ein Stamm, eben ein Ethnos – in enger Verbindung mit dem Raum steht, den das Ethnos beherrscht, ihn verändert und zur weiteren Existenz benötigt.“ Eichler verwies in diesem Zusammenhang auch auf die schon von Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen ,gentes‘, (Köln/Graz 1961), hervorge­ hobene Bedeutung von zentralen Symbolen des Ethnos und schränkte ein, dass die Motive der Nomination, wobei auch mythische Elemente hinzutreten, in vielen Fällen nicht mehr bekannt sind. 64 Dieser Personenname ist wohl wie das Ethnonym derevljane und der Drawehn (Höhenzug im östlichen Niedersachsen) zu slavisch drevo ,Holz, Wald‘ zu stellen. Siehe dazu auch Oleg Nikolaevič Trubačev, Sclavania na Majne v merovingskuju i karolingskuju ėpochu. Relikty jazyka, in: Issledovanija po slavjanskoj dialektologii. Sbornik k 85-letiju S.B. Bernštejna (Moskva 1995) 11–35. 65 Fredegar, Chronica IV, 68 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888) 1–193, hier 155. 66 Eichler, Völker- und Landschaftsnamen 21. 67 Dazu insgesamt: Walther, Namenkundliche Beiträge. 68 Die Deutungen der Namen folgen Eichler, Völker- und Landschaftsnamen. 62

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Gebrauch sind.69 So, wie Lefebvre sich dies für die früheste Aneignung eines Raumes durch Entstehen eines Netzes von benannten Plätzen vorstellte, geht auch die spezialisierte Flurnamenforschung davon aus, dass „die Namen [...] die Landschaft“ überziehen und „dabei netzartig ein auf benannte Richt­ punkte bezogenes verbindliches Koordinatensystem zur Orientierung im Raum“ bilden, „das durch die Komponenten Raum (Ort), Zeit und Benutzergruppe determiniert wird“. Allerdings entsteht ­dieses ­Koordinatensystem durch die Überlagerung „vieler individueller oder familiengebundener Namen­ felder“, sodass „der Namenschatz der einzelnen Mitglieder des Kommunikationssystems, das sich auf dieses Koordinatensystem beruft, nicht identisch sein muss.“70 Im Unterschied zu Lefebvres „Spinnen­ netz“ als Folge der Tätigkeit von Jägern, Hirten und Nomaden sind die Flurnamen eher einer späteren Phase der stetigen Nutzung von Ackerbau- und Weideflächen zuzurechnen. Im Unterschied zu den Gewässern kam den Bergen, wie Stanisław Rospond feststellte, bis auf wenige Ausnahmen, im Mittelalter keine Bedeutung zu, die sich an den Oronymen ablesen ließe.71 Das formelle und semantische Motiv der Namengebung ist bei den Oronymen stereotyp und es dominieren einfache Benennungen wie ,Berg, Höhe‘, (slavisch gora, chlъmъ, kopa).72 Auffällig sind auch einige metaphori­ sche Bedeutungen wie polnisch Półka, Warzecha, Pościel und Stół (,Brett‘, ,Kochlöffel‘, ,Bett(zeug)‘, ,Tisch‘) sowie Bildungen zu baba oder děd (,Großmutter‘, ,Großvater‘), wie zum Beispiel tschechisch Praděd (,Altvater‘). Zu den Bergnamen, die auf das Mittelalter zurückgehen, gehören derjenige des schon in der böhmisch-slavischen Frühgeschichte bedeutenden Berges Řip, worin sich ein mytholo­ gischer Hintergrund (,Rippe‘) ebenso verbergen dürfte wie hinter dem slowenischen Berg Triglav, der angesichts der in der slavischen Gentilreligion mehrfach bezeugten Dreiköpfigkeit einer Gottheit sicher mehr bedeutete als die Absicht, die charakteristische, aus drei Gipfeln bestehende Erscheinungsweise des Berges zu bezeichnen. Ganz sicher belegt ist die kultische Bedeutung auch schon in vorslavischer Zeit für den schlesischen Berg Zobten, den Thietmar von Merseburg erwähnte.73 In Bezug auf die Gewässernamen wird in der Forschung die besondere Bedeutung für die früheste Phase des Slaventums und damit für die ältesten Sprachschichten übereinstimmend betont.74 Unter allen benannten Objekten hob Rospond die Gewässernamen wegen ihres hohen Alters hervor und bezeich­ Mit dem Problem der Auswertung von Flurnamen in historischer Perspektive hat sich zuletzt vor allem der Leipziger ­Namenforscher Christian Zschieschang beschäftigt, so in seiner Dissertation ,Das Land tuget gar nichts‘. Slaven und ­Deutsche zwischen Elbe und Dübener Heide aus namenkundlicher Sicht (Leipzig 2004) 105–112 = Kapitel VII/1 (Flur­ namen – Definition und Funktion in Sprache und Gesellschaft); außerdem ders., Zur Rolle von Flurnamen in der Kultur­ landschaft und der Kulturlandschaftsforschung, in: Namen und Kulturlandschaften, ed. Barbara Aehnlich/Eckhard Meineke (= Onomastica Lipsiensia 10, Leipzig 2015) 375–397; Flurnamen, in: Sorbisches Kulturlexikon, ed. Franz Schön/Dietrich Scholze (Bautzen 2014) 125–127. Überblick zum Stand der internationalen Forschung: Rudolf Šrámek, Geschichtliche Entwicklung der Flurnamen an exemplarischen Beispielen: Slavisch, in: Namenforschung, Name Studies, Les noms ­propries. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 2. Halbband (Berlin/New York 1996) 1462–1468. Šrámek äußert sich grundsätzlich positiv im Hinblick auf den Wert der Flurnamen „als Zeugen der Landnahme und Besiedlungstätigkeit“ (S. 1464f.: in den Flurnamen enthaltene Hinweise auf Bodengewinnung und Rodungstätigkeit), hat aber eher die spätere Epoche des Landesausbaus im Sinn. 70 Zschieschang, ,Das Land tuget gar nichts‘ 106, unter Berufung auf Wolfgang Kleiber, Die Flurnamen. Voraussetzungen, Methoden und Ergebnisse sprach- und kulturhistorischer Auswertung, in: Handbücher zur Sprach- und Kommunikations­ wissenschaft, 2,2: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung (Berlin/ New York 1985) 2130–2141, hier 2132. 71 Rospond, Slawische Namenkunde, Bd. 1, 256: „Es ist eine Tatsache, dass nur wenige Berge in früheren Zeiten eine be­ sondere Wichtigkeit zukam und ihre Namen oft in relativ junger Zeit entstanden sind. Die Schönheit der Berge war noch nicht entdeckt, erst die Renaissancezeit hat allmählich Verständnis dafür gewonnen. Man ging nicht gern auf die Berge, die von Aberglauben umwoben und mit bösen Berggeistern bevölkert waren.“ Allgemein zu Forschung und Forschungsstand in Bezug auf die Oronymie: Heinz-Dieter Pohl, Berg- und Gebirgsnamen: Slavisch, in: Namenforschung, Name Studies, Les noms propries. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 2. Halbband (Berlin/New York 1996) 1524–1531, der ebenfalls auf das Problem der jungen (oder spät überlieferten) Bergnamen eingeht (1526). 72 Rospond, Slawische Namenkunde, Bd. 1, 246. 73 Stanisław Rosik, Mons Silensis – axis mundi. Góra Ślęża między historią a fenomenologią [Mons Silensis – axis mundi. Der Berg Ślęża zwischen Geschichte und Phänomenologie], in: Sacrum pogańskie – sacrum chrześcijańskie. Kontynuacja miejsc kultu we wczesnośredniowiecznej Europie Środkowej, ed. Krzysztof Bracha/Czesław Hadamik (Warszawa 2010) 179–192. 74 Allgemein: Jürgen Udolph, Slavische Gewässernamengebung, in: Namenforschung, Name Studies, Les noms propries. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 2. Halbband (Berlin/New York 1996) 1539–1548. 69

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nete die Hydronomie als ,linguistische Paläontologie‘ und die urslavische Hydronymie als Gebilde der slavischen Urheimat.75 Hydronyme standen jedenfalls häufig, und nicht nur im Slavischen, am Anfang der Namengebung eines Raumes, sodass eine Entwicklung „vom Hydronym zum Choronym“ und „vom Hydronym zum Ethnonym“ beobachtet werden kann, wie Albrecht Greule feststellte.76 Tatsächlich sind die Ethnonyme slavischer Stämme häufig von Flussnamen abgeleitet, wie schon die altrussische ,Erzäh­ lung‘ über diejenigen der Mährer (zur March/Morava) und der Poločanen (zur Polota) wusste. Weitere bekannte Beispiele dieser Kategorie sind die Namen der Wislanen (zur Weichsel/Wisła), der Bužanen (zum Bug), der Zirzipanen (slavisch Črespeniane, zur Peene), der Polaben (zur Elbe), der Heveller (zur Havel), der Sprewanen (zur Spree) oder der Abodriten (zur Oder), wobei die vier letztgenannten Fluss­ namen auf alteuropäische bzw. germanische Wurzeln zurückgehen. Anders als das Gros der mit den Gewässernamen befassten Linguisten hat sich Helmut Jachnow nicht vorrangig für die Morphologie interessiert, sondern für die Benennungsmotive und – für unseren Zusammenhang wichtig – für den soziokulturellen Entstehungskontext, ja für die Rolle der Hydronyme in einem „konzeptuellen Landschaftsentwurf“.77 Auf seine 1996 veröffentlichten grundsätzlichen Über­ legungen zu den elb- und ostseeslavischen Gewässernamen sowie die 2009 vorgelegte systematische, auf den Gewässernamen beruhende Analyse der „Weltwahrnehmung der slavischen Ethnien bei ihrer Landnahme in Brandenburg seit dem 6. Jahrhundert“78 soll daher abschließend etwas ausführlicher ein­ gegangen werden. Die von den landnehmenden Slaven für die Namengebung getroffene Auswahl von determinierenden Merkmalen der Gewässer sieht Jachnow eingebettet in die spezifische Wahrnehmung der Welt der Gemeinschaft: „Die Auswahl von Merkmalen als Distinktoren war natürlich nicht will­ kürlich, sondern reflektierte die Wahrnehmung der Welt durch Sprecher eines ganz bestimmten sozio­ kulturellen Status, wie überhaupt onymische Systeme als Produkte menschlichen Geistes immer auch Reflexe der Beschaffenheit des namengebenden Soziums sind. Die rekonstruktive Onomastik kann also einen gewissen Beitrag zur Aufdeckung der kognitiven Interessen von Menschen in ihren soziokultu­ rellen Etappen leisten.“79 Damit steht Jachnow in Übereinstimmung mit den Zugängen anderer For­ schungsdisziplinen zur Aneignung des Raumes. Die Namengebung ist demnach als ein Produkt der Gemeinschaft aufzufassen, denn „der Namenproduzent verfolgt beim Nominationsprozess deutlich das Interesse des Namenbenutzers. Der Hörer wirkt folglich bei der Herausbildung des proprialen Systems mit.“80 Der damit angesprochenen „soziokommunikativen Relevanz“ der elb- und ostseeslavischen Ge­ wässernamen hatte sich Jachnow schon einige Jahre zuvor gewidmet und sieben „Relevanzbereiche“ identifiziert, in denen Gewässer ihre Bedeutung als wichtige „Örtlichkeiten des Sichereignens“ und als „Konstituenten des Existenzmilieus“ offenbaren, nämlich in Wirtschaft, Siedlung, Verkehr, Verteidi­ gung, Orientierung im Raum, Religion und ästhetischem Empfinden. Die von Jachnow durchgeführte Analyse des brandenburgischen Gewässernamenbestandes, wie er seit 1996 in Band 10 des Brandenburgischen Namenbuches vorliegt,81 im Hinblick auf die Verwen­ dung „stabiler Distinktoren“ für die Benennungen ergab schließlich ein deutliches Übergewicht von 213 Fällen der visuellen (und auditiven) Wahrnehmung der Gewässer (des gesamten Spektrums ­ihrer Eigenschaften) und ihrer Umgebung (Flora und Fauna) gegenüber anderen Benennungsmotiven, die für ­sozial- und kulturgeschichtliche Rückschlüsse eine größere Aussagekraft hätten. Diese sind: 1. Be­ nennung nach (möglicherweise) kultisch-mythologischen Konzepten (5 Fälle) 82, 2. Benennung nach Rospond, Slawische Namenkunde, Bd. 1, 230. Albrecht Greule, Flussnamen als Gebiets- und Personennamen, in: Völkernamen – Ländernamen – Landschaftsnamen. Protokoll der gleichnamigen Tagung im Herbst 2003 in Leipzig, ed. Ernst Eichler/Heinrich Tiefenbach/Jürgen Udolph (Leipzig 2004) 43–51, hier 45 und 47, vorwiegend mit Beispielen aus dem germanischen und Romanischen. Aus dem Slavischen: Doxani zur Dosse, Zpriauuani zur Spree, Vucrani/Ukranen zur Ucker, Polaben zur Labe/Elbe. 77 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 276. 78 Die vollständigen Angaben finden sich oben in Anm. 5. 79 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 275. 80 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 276. 81 Reinhard E. Fischer, Die Gewässernamen Brandenburgs (Brandenburgisches Namenbuch 10, Weimar 1996). 82 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 286. Es handelt sich um die Namen Döwien (zu *deva ,Jungfrau, ­Mädchen‘), Malgast (zu Personenname *Malogost), Maxze (zu *mok ,nass‘, evtl. zum Gott Mokoš), Modelitz (evtl. zu *modla ,Götzenbild‘) und Schwante (zu *svąt-/svęt- ,heilig‘). Die Biber-Flüsse (4 Fälle) hat Jachnow der „gewässeraffinen Fauna“ zugeordnet. Zu beachten wären aber für den kultischen Bereich in anderen Slavengebieten solche Flussnamen wie 75 76

Sprache als Quelle historischer Forschung.

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wirtschaftlicher Bewertung (8 Fälle), 3. Benennung nach wirtschaftlicher Bewertung und visuell wahr­ nehmbaren relativ stabilen Distinktoren (10 Fälle), 4. Benennung nach Einzelpersonen und Tätigkeits­ appellative (4 ­Fälle).83 Mit Blick auf die einige Jahre zuvor postulierte Bedeutung der sieben Relevanzbereiche, die – mit Ausnahme des ästhetischen Empfindens – eine gewisse Erwartungshaltung in Bezug auf Informationen zur Wirtschaftsstruktur und zur sozialen Organisation in der ersten Phase von slavischer Raumaneig­ nung weckte, ist dieses Ergebnis eher enttäuschend, zumal die zeitliche Einordnung der Namen ange­ sichts der teilweise spätmittelalterlichen oder sogar frühneuzeitlichen Ersterwähnungen unsicher ist. Der Autor selbst hat diesen Befund dadurch relativiert, dass er den zahlreichen auf visuell und auditiv wahrnehmbaren Distinktoren beruhenden Fällen „Raumorientierungsfunktion“ zuspricht und als ein Resultat seiner Analyse feststellt, dass „die starke Berücksichtigung visueller Momente im gesamten Gewässernamen-Korpus einmal mehr zeigt, dass sich die menschliche Primärkognition vornehmlich über den visuellen Kanal vollzieht“.84 Angesichts der Konzentration auf den Flusslauf selbst und seine direkte Umgebung ist dieses Raumverständnis jedenfalls eng und zeigt nur sehr begrenzt die Einbin­ dung der Gewässernamen in ein Netz von Namen im Raum an. Schließlich ist auch die in komparativer Absicht vorgebrachte Feststellung Jachnows zu hinterfragen, es sei auffällig, „dass bei der deutschen onymischen Erfassung der Gewässer – anders als bei der slavischen – die Umsetzung der unmittelbar sinnlichen Wahrnehmung der Gewässer in deren Bezeichnung nicht mehr absolut dominiert.“85 Denn gemeint ist das auf das slavische hydronymische System zeitlich nachfolgende deutsche System im brandenburgischen Raum, und der Vergleich ist insofern problematisch, als es sich um verschiedene Epochen und daher völlig anders geartete sozio-ökonomische Bedingungen handelt. Das wird an den Beispielen für eine Reihe von Typen deutlich, die Jachnow im deutschen System feststellt, nicht aber im Slavischen, wie Färberteich, Walkmühlenfließ, St. Clawes See, Amtssee, Luisenquelle, Templiner See, die vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit geprägt wurden. Für den Historiker bleibt daher die Erkenntnis, dass die von der Linguistik und Namenforschung zur Verfügung gestellten Befunde noch weiterhin vornehmlich einzelne Kategorien von Namen be­ treffen, und dass die darauf beruhenden Analysen die entsprechenden Teilergebnisse liefern. Den Wert der sprachlichen Überlieferung in Form des Namenschatzes, aber auch des allgemeinen Wortschatzes, mindert das aber nicht. Auch wenn der Slavische Onomastische Atlas als Gesamtwerk noch lange Zeit ein Desiderat bleiben wird, werden weitere Spezialuntersuchungen doch die Möglichkeit eröffnen, die Ergebnisse der Analysen verschiedener Namentypen in bestimmten Räumen komparativ zu verifizieren und zu kombinieren. Dabei sollte auch die Berücksichtigung der im ersten Teil dieses Beitrages vorge­ stellten Modelle der Raumaneignung behilflich sein.

russisch Medvedica, Volčec, Byk, Korova, Kobylka, Koza und polnisch Wieprz, Wrona (sowie eventuell auch russisch Bober und polnisch Bóbr), die allesamt Tiernamen enthalten. Siehe dazu Rospond, Slawischen Namenkunde, Bd. 1, 220f., mit Verweis auf den tschechischen Namenforscher Pavel Trost, der schon 1936 darauf hinwies, dass im gesamten slavischen Raum der Glaube verbreitet war, in einem Gewässer sitze ein Geist, und dass solch ein Wassergeist Tiergestalt haben und nicht nur als Fisch, Kröte oder Schlange, sondern auch als Kalb, Pferd o.ä. erscheinen könne. Siehe Pavel Trost, Der bloße Tiername als Gewässerbezeichnung, in: Zeitschrift für Ortsnamenforschung 12,2 (1936) 89–90. 83 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 286, dort die Kategorien D, E, G und H. 84 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 288. 85 Jachnow, Gewässernamen und Weltwahrnehmung 290.

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Christian Lübke

Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann.

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Peter Štih

Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann. Zu den Hintergründen der Christianisierung in Karantanien und Pannonien EINFÜHRUNG Die Christianisierung der Karantanen folgte ihrer politischen Unterwerfung unter die Bayern bzw. ­Franken (vor dem Sommer 743) und reicht zurück in die Zeit kurz nach der Mitte des 8. Jahrhunderts. Damals sandten die Bayern mit der Genehmigung des Frankenkönigs Pippin den aus dem heimischen Fürstengeschlecht stammenden Cheitmar zurück zu den Karantanen, die ihn als ihren Fürsten einsetzten (um 752 bis um 769). Mit dem neuen Fürsten, der fast zehn Jahre als Geisel in Bayern verbracht hatte und dort zum christlichen Glauben bekehrt worden war, kam nach Karantanien auch der erste Priester: Maioranus. Er war Cheitmars persönlicher Kaplan und setzte den karantanischen Fürsten in Verbindung mit dem Salzburger Kloster St. Peter, wo Maioranus geweiht worden war. Zuvor hatte Papst ­Zacharias (741–752) Karantanien dem Bistum Salzburg unterstellt und damit kirchenrechtlich die Türe für die Salzburger Tätigkeit in diesem slawischen Fürstentum geöffnet, was auch von seinen Nachfolgern Stephan II. (752–757) und Paul I. (757–767) bestätigt wurde. Die Entscheidung Roms überging dabei die Ansprüche Aquileias, das noch am Ende des 6. Jahrhunderts die Metropolitangewalt über die Bistümer Binnennorikums im Gebiet des späteren Karantaniens ausübte, und machte den Weg frei für den Streit, der mit einem Kompromiss und der kirchlichen Teilung Karantaniens entlang der Drau erst im Jahre 811 durch den persönlichen Einsatz Karls des Großen gelöst wurde. Aber trotz der päpstlichen Legitimation und Cheitmars Verbindungen mit Salzburg, woher auch sein Taufpate Lupo stammte, vergingen noch einige Jahre, bis die erste von Bischof Virgil (746/47–784) gesandte Gruppe von Salzburger Missionaren nach Karantanien kam. Als episcopus missus leitete die Gruppe Modestus (um 757 bis um 763), der in Karantanien auch die ersten Kirchen weihte. Freilich verlief die Christianisierung auch in Karantanien nicht reibungslos und dauerte mit ihren Höhen und Tiefen, die durch den Widerstand der antichristlichen, antifürstlichen und antibayerischen Opposition zugleich geprägt waren, einige Jahrzehnte. Salzburger Missionare kamen noch zu Zeiten von Virgils Nachfolger, dem ersten Salzburger Erzbischof Arn (785–798–821) ins Land. Im Unterschied zu Karantanien begann in Pannonien die Bekehrung der dortigen Awaren, Slawen und anderer Gruppen parallel zur politischen Unterwerfung unter die Franken. Bischöfe, die im Jahre 796 den entscheidenden Feldzug des fränkischen Heeres unter der Leitung von Karls Sohn Pippin begleiteten, legten bereits im Feldlager an der Donau die Hauptrichtlinien der Bekehrung fest, wobei sie Katechese und Taufe in den Mittelpunkt stellten. Zugleich teilte Pippin Pannonien kirchlich zwischen Salzburg und Aquileia längs der Drau, was im Jahre 803 von Karl dem Großen bestätigt wurde. Die hoch angesetzten Missionsziele wurden jedoch nicht erreicht, und es vergingen einige Jahrzehnte, bis Pannonien sich nach dem Ende der Antike wiederum dem Christentum öffnete. Diese Durchdringung war verknüpft mit dem aus Neutra/Nitra geflüchteten slawischen Fürsten Priwina, der in den vierziger Jahren des 9. Jahrhunderts mit Unterstützung Ludwigs des Deutschen seine Herrschaft am Plattensee etablierte; und erst zu dieser Zeit wurden in der Provinz östlich der Raab und nördlich der Drau, die unter die kirchliche Gewalt des Salzburger Erzbischofs fiel, die ersten Kirchen geweiht.1 Zur Einführung in die Problematik der Christianisierung in Karantanien und Pannonien siehe: Heinz Dopsch, Die Zeit der Karolinger und Ottonen, in: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, 1: Vorgeschichte – Altertum – Mittelalter. 1. Teil, ed. Heinz Dopsch/Hans Spatzenegger (Salzburg 21983) 157–228, hier 174–190; ders., Das Erzbistum Salzburg und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Salzburger Slawenmission, in: Karantanien und der Alpen–Adria–Raum im Frühmittelalter, ed. Günther Hödl/Johannes Grabmayer (2. St. Veiter Historikergespräche, Wien/Köln/Weimar 1993) 101–150; ders., Rupert, Virgil und die Salzburger Slawenmission, in: 1000 Jahre Ostarrîchi –

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DIE KARANTANENMISSION ALS EPOCHE Die Christianisierung der Karantanen, die von Zeitgenossen wie Paulus Diaconus als slawisches Volk, gens Sclavorum, bezeichnet wurden,2 ist das erste Beispiel der Christianisierung eines slawischen ­Volkes überhaupt. Damit eröffnete sich für die westliche Kirche ein Tätigkeitsfeld, das in mancher Hinsicht neu war und sowohl einen bahnbrechenden als auch experimentellen Charakter hatte. Erstmals in der Geschichte musste man in einer geistig-kulturellen Bewegung höchsten Ranges die Sprach­ barriere ­zwischen romanischen und germanischen Idiomen einerseits und der slawischen Sprache andererseits überwinden. Zum ersten Mal musste die Kirche beginnen, auf allen für die Christianisierung notwendigen Ebenen, in einer von den profansten bis zu den sublimsten Ausdrucksformen reichenden Spannbreite, Slawisch zu sprechen. In Anlehnung an die Lexik der karantanischen Slawen mussten Missionare eine christliche Verkündigungsterminologie neu schaffen, damit den Angesprochenen die radikal neuen Inhalte des christlichen Glaubens überhaupt nähergebracht werden konnten. Denn es war – wenn wir Hans Eggers paraphrasieren3 – eine Revolution der ganzen slawischen Vorstellungswelt erforderlich, damit das Vaterunser überhaupt verstanden werden konnte. Es handelte sich nicht nur um das Übersetzen der christlichen Grundbegriffe, sondern auch darum, abstraktes theologisches Denken und dessen feine begriffliche Gliederung auszudrücken.4 Dabei standen den Missionaren in benachbarten und verwandten slawischen Idiomen keine Vorbilder zur Verfügung, an die sie sich hätten anlehnen können. Auf jeden Fall eine durchaus schwierige Aufgabe. Die Schaffung der ersten slawischen christlich-kirchlichen Terminologie, in der alte Wörter völlig neue Inhalte bekamen und aufgrund welcher neue Ausdrücke gefunden werden mussten, hatte weitreichende Auswirkungen. Die Geschehnisse in Karantanien beeinflussten zweifellos das Werk der slawischen Apostel Konstantin und Method, die im 9. Jahrhundert den Grundstein zum Altkirchenslawischen legten und die erste slawische Schriftsprache formten, die langfristig das östliche und südöstliche europäische Christentum und die dortige slawische

seine christliche Vorgeschichte. Mission und Glaube im Austausch zwischen Orient und Okzident, ed. Alfred Stirnemann/ Gerhard Wilfinger (Pro Oriente 19, Innsbruck/Wien 1997) 88–139; ders., Zwischen Salzburg, Byzanz und Rom. Zur ­Missionierung Pannoniens im 9. Jahrhundert, in: Christentum in Pannonien im ersten Jahrtausend, ed. Robert Müller (Zalaegerszeg 2002) 267–294; Bogo Grafenauer, Pokristjanjevanje Slovencev, in: Zgodovina Cerkve na Slovenskem, ed. Metod Benedik (Ljubljana 1991) 29–60; Hans-Dietrich Kahl, Der Staat der Karantanen. Fakten, Thesen und Fragen zu einer frühen slawischen Machtbildung im Ostalpenraum (7.–9. Jh.) (Ljubljana 2002) 222–291; ders., Streifzüge durch das Mittelalter des Ostalpenraumes. Ausgewählte Abhandlungen (1980–2007), ed. Rajko Bratož/Peter Štih (Dela I. razreda Slovenske akademije znanosti in umetnosti 37 – Zbirka Zgodovinskega časopisa 36, Ljubljana 2008) 235–387; Milko Kos, Conversio Bagoariorum et Carantanorum (Razprave Znanstvenega društva v Ljubljani 11,3, Ljubljana 1936) 18–109; Walter Pohl, ,Das sanfte Joch Christiʻ: Zum Christentum als gestaltende Kraft im Mitteleuropa des Frühmittelalters, in: Karantanien und der Alpen–Adria–Raum im Frühmittelalter, ed. Günther Hödl/Johannes Grabmayer (2. St. Veiter Histo­ rikergespräche, Wien/Köln/Weimar 1993) 259–280; Brigitte Wavra, Salzburg und Hamburg. Erzbistumsgründung und Missionspolitik in karolingischer Zeit (Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens 179, Berlin 1991) 142–200; Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. Österreichische Geschichte 378–907 (Wien 1995) 122–124, 224–232; ders., Salzburg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien/München 1995) 193–336; ders., Les Carantaniens, le premier peuple slave baptisé, in: Clovis: histoire et mémoire 2. Actes du Colloque international d’histoire de Reims 1996, ed. Michel Rouche (Paris 1997) 279–287; ders., Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien. Herausgegeben, übersetzt, kommentiert und um die Epistola Theotmari wie um Gesammelte Schriften zum Thema ergänzt von Herwig Wolfram (Dela I. razreda Slovenske akademije znanosti in umetnosti 38 – Zbirka Zgodovinskega časopisa 44, Dritte, gründlich überarbeitete Auflage, Ljubljana/Laibach 2013). 2 Paulus Diaconus, Historia Langobardorum V, 22 (ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [48], Hannover 1878, ND 2005) 194; Siehe auch Conversio Bagoariorum et Carantanorum 3, 4 (ed. Fritz Lošek, Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theotmar von Salzburg, MGH Studien und Texte 15, Hannover 1997) 100–105; Peter Štih, The Middle Ages between the Eastern Alps and the Northern Adriatic. Selected Papers on Slovene Historiography and Medieval History (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450, 11, Leiden/Boston 2010) 111. 3 Hans Eggers, Deutsche Sprachgeschichte, 1: Das Althochdeutsche und das Mittelhochdeutsche (Reinbek 21986) 197. 4 Irene Wiehl, Untersuchungen zum Wortschatz der Freisinger Denkmäler. Die christliche Terminologie (Slawistische Beiträge 78, München 1974) 8.

Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann.

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Kultur prägte.5 Nicht nur in der Geschichte der Kirche, sondern auch in der slawischen Sprach­geschichte war die Annahme des Christentums ein herausragender und sogar entscheidender Vorgang. Daher ist die Christianisierung der Karantanen als ein Ereignis von europäischer Bedeutung zu verstehen.6 Dabei ist nicht zu übersehen, dass auch die Hauptquelle, die über die Christianisierung in ­Karantanien und Pannonien berichtet – die berühmte Salzburger Conversio Bagoariorum et Carantanorum aus dem Jahre 870 – eine Besonderheit darstellt. Herwig Wolfram, der sie vor kurzem neuerlich herausgab, übersetzte und ausführlich kommentierte, bezeichnete sie vor mehr als drei Jahrzehnten zutreffend als „Weißbuch“, dessen Verfasser zum Schutz der Salzburger Interessen sehr gut „mit der Wahrheit lügen“ konnte und somit die Bekehrungsgeschichte in Karantanien und Pannonien zugunsten von Salzburg monopolisierte.7 Ihre Darstellung der Bekehrung, in der laut Ian Wood Missionsgeschichte als Rechtsgeschichte dargestellt sei, hat in der frühmittelalterlichen Bekehrungsliteratur weder ein entsprechendes Vorbild noch Parallelen und Nachahmer; ihre Form ist etwas Besonderes und Außergewöhnliches zugleich, spezifisch war aber auch der vorgesehene Adressatenkreis.8 GENTILRELIGION UND CHRISTENTUM Nicht weniger als für Missionare stellte die Bekehrung auch eine Herausforderung für Einzelne und ­Gemeinschaften mit gentilreligiösen Vorstellungen dar. Die Annahme des Christengottes, die lediglich auf einer persönlichen Ebene möglich war, bedeutete nicht nur eine religiöse Handlung, sondern ­hatte auch umfassende Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge. Mit der Ankunft christlicher Missionare in eine heidnische Umgebung trafen zwei grundverschiedene religiöse Konzepte auf­einander. Für einen in heidnischer Denkart verwurzelten Menschen waren die Vorstellungen des monotheistischen und allumfassenden Christentums mit einem und einzig wahren Gott, der erst im Jenseits Heil bringt, völlig fremd. Für polytheistische Gentilreligionen war es völlig selbstverständlich, dass jedes Volk seine eigenen Götter hatte, deren Wirken auf das eigene Volk und Land begrenzt war. Außerhalb ihres eigenen Gebietes waren diese Götter in der Regel nicht mehr ,zuständig‘. Jene Gebiete gehörten anderen Göttern und deswegen streben Gentilreligionen nicht nach Missionierung, wie dies bei Religionen mit Anspruch auf universelle Gültigkeit imminent ist.9 Folglich stimmten bei heidnischen Völkern mit gentilreligiösen Vorstellungen ethnische und politische Grenzen mit religiösen Grenzen überein, und die Religion bildete einen Bestandteil ihrer gentilen Identität, was sich mit der Annahme des universellen Christentums wandelte.10 Wie alle drei Fassungen der Vita des Bischofs Otto I. von Bamberg (1102–1139), Apostels der ­Pommern, anschaulich illustrieren, betrachteten heidnische Slawen in Stettin den Christengott, der in ­einer der Fassungen einfach „deutscher Gott“, Teutonicus deus, genannt wird, lediglich als Gentilgott ­ihrer deutschen Nachbarn und hielten das Christentum für deren Gentilreligion.11 Als es nach einer ­Seuche in der Stadt zu einer Glaubenskrise kam und der alte Kult wieder aufgenommen wurde, ver­

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Zu den Verbindungen zwischen den Freisinger Denkmälern und der literarischen Überlieferung der Brüder von ­Thessalonike siehe Ivan Grafenauer, Karolinška kateheza ter izvor Brižinskih spomenikov in Čina nadъ ispovȇdająštiimь sę (Razprave Znanstvenega društva v Ljubljani 13/2, Ljubljana 1936) 84–108. Kahl, Streifzüge 235. Herwig Wolfram, Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien (Wien/Köln/Graz 1979); ders., Einleitung oder Lügen mit der Wahrheit – Ein historio­graphisches Dilemma, in: Historiographie im frühen Mittelalter, ed. Anton Scharer/Georg Scheibelreiter (VIÖG 32, Wien 1994) 11–25; ders., Conversio (2013) 28–33. Ian Wood, The Missionary Life. Saints and the Evangelisation of Europe, 400–1050 (Harlow 2001) 145, 171–173, 248. Gustav Mensching, Soziologie der Religion (Bonn 1947) 27; Hans-Dietrich Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage im ­deutschen Mittelalter. Ausgewählte Studien 1953–2008 (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages 450–1450, 4, Leiden/Boston 2011) 200–202; Rainer Christoph Schwinges, Wider Heiden und Dämonen – Mission im Mittelalter, in: Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters, ed. Hubert Herkommer/Rainer Christoph Schwinges (Basel 2006) 9–32, hier 14. Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 292. Ebbo, Vita Ottonis episcopi Babenbergensis III, 1 (ed. Rudolf Köpke, MGH SS 12, Hannover 1856, ND 1995) 859; Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 203–205, 227f.; Lutz E. von Padberg, Christianisierung im Mittelalter (Darmstadt 2006) 153f.

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weigerte der höchste heidnische Priester aus Furcht vor dem mächtigen Christengott die Genehmigung zum Abriss der St. Adalbert-Kirche, die Bischof Otto I. am Ort des dem Triglaw geweihten Tempels erbauen lassen hatte. Stattdessen ließ er den Bau des den heidnischen Göttern gewidmeten Altars neben dem Altar des Christengottes errichten. „Künftig brachte man Gott auf dem einen Altar Opfer dar, auf dem anderen den Dämonen, und zwar mit gleichem Eifer für beide, außer dass die angestammte Gewohnheit des Götzendienstes das Volk geneigter machte, den Götzen zu opfern“.12 Laut einer anderen Version habe zwar alles einigermaßen anders ausgesehen und neben der christlichen Kirche sei auch noch ein heidnischer Tempel gebaut worden.13 Aber abgesehen von den Unterschieden deutet dieses Beispiel darauf hin, dass im Gegensatz zum monotheistischen Christentum, dessen Gott keinen anderen Gott neben sich duldete und für sich eine absolut monopolistisch-exklusive Stellung verlangte, poly­ theistische Gentilreligionen bereit waren, neben den eigenen alten Göttern auch den Christengott zu verehren, der sich als mächtig genug erwies, dass seine Macht auch die Grenzen seines ,Wirkungsbereiches‘ überschritt.14 Gentilreligionen waren diesbezüglich wesentlich toleranter als das Christentum, und auch wenn sie den Christengott nicht in ihr Pantheon aufnehmen konnten, konnten sie ihn neben den eigenen Göttern tolerieren. Vor diesem Hintergrund lassen sich zumindest das rudimentäre Überleben des Christentums und ­dessen Gemeinschaft in Karantanien von der Spätantike bis in die Zeit einer erneuten Evangelisierung in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts verstehen, als in die neugegründete Klosterkirche in Molzbichl bei Spittal an der Drau der Kult des während der ostgotischen Herrschaft lebenden Diakons Nonnosus nebst seinem Grabstein und seinen Reliquien übernommen wurde.15 Gleiches gilt für das Christentum in der Avaria unter der Leitung von sacerdotes terrae istius, clerici und clerici inlitterati bevor die Bischöfe, die im Jahre 796 das fränkische Heer nach Pannonien begleiteten, an der Donau die Richtlinien der Bekehrung festlegten.16 Dieses innerhalb des gentilreligiösen Awarenkhaganats offenbar ­ziemlich isolierte Christentum könnte aus römischer Zeit überlebt haben, aber es kann auch später ­importiert worden sein, etwa mit Gefangenen oder Überläufern. So lebte der Langobarde Aio, der 776 in die Avaria floh, wo er 20 Jahre verbrachte, bevor er zurückkehrte, unter den Awaren gewiss als Christ.17 Gleichzeitig weist die Erwähnung analphabetischer Kleriker und mit ihnen zusammenhängender Un­regelmäßigkeiten bei der Taufe auf ein weiteres Phänomen hin, das mit der Tätigkeit der Kirche in ­einer isolierten gentilen Umgebung in Zusammenhang steht: Die christliche Religion wurde gewissermaßen barbarisiert und atomisiert. Ihre Träger waren ungenügend ausgebildete oder sogar völlig ungebildete Personen, was ohne geeignete Verbindung mit den kirchlichen Zentren, ohne entsprechende Infrastruktur und ohne strukturierte Hierarchie zur Deviation christlicher Lehre und religiöser Riten führte. Es ist vorstellbar, dass isolierter christlicher Glaube auf diese Art und Weise von christlicher Lehre abwich, im L ­ aufe der Zeit immer unorthodoxer wurde, dadurch aber auch aufgeschlossener für verschiedene heidnische Einflüsse. Damit tendierte er zum Synkretismus, der im Frühmittelalter kein seltenes Phänomen war.18 Eventuell überlebte auch in Karantanien Christentum in dieser Form. Laut der zwar erst im 12. Jahrhundert niedergeschriebenen Legende vom bekehrten und bekehrenden Fürsten Vita Ottonis Babenbergensis episcopi auctore monacho Prieflinigensi III, 5 (ed. Rudolf Köpke, MGH SS 12, Hannover 1856, ND 1995) 899; ähnlich Herbord, Dialogus de vita Ottonis episcopi Babenbergensis III, 16 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [33], Hannover 1868) 130. 13 Ebbo, Vita Ottonis episcopi Babenbergensis III, 1, ed. Köpke 859. 14 Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 296f. 15 Der heilige Nonnosus von Molzbichl, ed. Karl Amon (Das Kärntner Landesarchiv 27, Klagenfurt 2001); vgl. dazu Stefan Eichert, Frühmittelalterliche Strukturen im Ostalpenraum. Studien zu Geschichte und Archäologie Karantaniens (Aus Forschung und Kunst 39, Klagenfurt 2012) 321. 16 Conventus episcoporum ad ripas Danubii a. 796 (ed. Albert Werminghoff, MGH Conc. 2/1, Concilia aevi Karolini 1/1: 742–817, Hannover/Leipzig 1906, ND 1997) 172–176. 17 Zur Biographie Aios siehe: Harald Krahwinkler, Friaul im Frühmittelalter. Geschichte einer Region vom Ende des fünften bis zum Ende des zehnten Jahrhunderts (VIÖG 30, Wien/Köln/Weimar 1992) 137–142; Harald Krahwinkler, ,…in loco qui dicitur Riziano…ʻ. Zbor v Rižani pri Kopru leta 804 / Die Versammlung in Rižana/Risano bei Koper/Capodistria im Jahre 804 (Koper 2004) 122f. Zum awarenzeitlichen Christentum im Pannonien siehe auch Walter Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567–822 n. Chr. (München 1988) 204f.; Hrvoje Gračanin, Južna Panonija u kasnoj antici i ranom srednjovjekovlju (od konca 4. do konca 11. stoljeća) (Zagreb 2011) 264f. 18 Einige Beispiele siehe bei Kahl, Staat der Karantanen 286–289. 12

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Domitian, der sich in letzter Zeit immer mehr als eine historische Persönlichkeit zu erweisen scheint,19 soll in Millstatt in Oberkärnten eine ecclesia, que primitus [...] demonibus fuit addicta stehen, also eine ursprünglich den Götzen geweihte Kirche. Das lässt sich auch in der Weise verstehen, dass es sich um eine heidnisch-christliche synkretistische Kirche handelte, d. h. um eine frühchristliche, später dem Christentum entfremdete Kirche, deren kultische Reinigung und (Wieder-)Einweihung Domitian beauftragt haben soll.20 GRUNDSÄTZE UND ZIELE DER MISSION Die Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen sich Missionare bei der Verbreitung des christ­lichen Glaubens stellen mussten, waren enorm: Sie mussten interkulturelle Kommunikation her­stellen, kulturelle Unterschiede überwinden, neue Werte vermitteln und gewissermaßen ständig die Über­legenheit des Christengottes beweisen. Maßgebliche Orientierung für ihre Tätigkeit boten Grundsätze, die Augustinus (als Bischof 395–430) formuliert und Papst Gregor der Große (590–604) ergänzt hatte und die künftig die christliche Mission bis zu den Kreuzzügen entscheidend bestimmten. Gemäß diesen Grundsätzen verfolgte jede Mission zwei Ziele: Das eine, negative Ziel, die sogenannte ,Tatmission‘, strebte die Ausrottung des Heidentums (exstirpatio) an, das nach der interpretatio christiana einzig und allein als Werk des Teufels galt; deshalb war der Gebrauch aller Mittel erlaubt, einschließlich der Gewalt und der Todesstrafe als deren äußerster Form. Das andere, positive Ziel, die sogenannte ,Wortmission‘, betraf die Pflanzung bzw. die Annahme (plantatio) des neuen Glaubens, die nur freiwillig durch innere geist­ liche Wandlung und durch Belehrung, Überzeugung, Ermahnung usw. zu erreichen sei; Nötigung wurde nur indirekt zugelassen – z. B. in Form von sozialer Isolierung oder Vermögensbeschränkungen – und lediglich im äußersten Fall.21 Darüber hinaus mussten Missionare Strategien und Methoden entwickeln, die dem jeweiligen Umfeld, in dem sie tätig waren, angepasst waren und auf elementarer Ebene von den politischen Umständen abhingen.22 Wenn die Mission der fränkischen Eroberung und Unterwerfung folgte, wie im Falle Karantaniens und des awarischen Pannonien, verfolgte sie auch politische Ziele und genoss entsprechende politische Unterstützung. Einbeziehung in die christliche Gemeinschaft bedeu­ tete nämlich die Übernahme fundamentaler ethischer Prinzipien für das Zusammenleben und damit das beste Mittel der Integration in das Reich, in dem christlich-kirchliche Normen die Grundlage der Gesellschaftsordnung bildeten, was sich sehr deutlich in der Admonitio generalis von 789 widerspiegelt.23 SPRACHLICHE KOMMUNIKATION ALS VORAUSSETZUNG DER BEKEHRUNG Im Falle einer Sprachbarriere war die erste Aufgabe der Missionare, sprachliche Kommunikation herzustellen. Gebrauch der Vernakularsprachen war die notwendige Voraussetzung jeder Bekehrung, die als einzige Erfolg überhaupt ermöglichte, obwohl nicht zugleich schon gewährleistete.24 Blancidius, ein Siehe Anm. 98. Hans-Dietrich Kahl, Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen Oberkärntens (Vorträge und Forschungen Sonderband 46, Stuttgart 1999) 94 (Quellenedition). Siehe dazu Andrej Pleterski, Eine heidnisch-christliche synkretische Kirche in Millstatt?, in: Carinthia I 187 (1997) 201–212; vgl. jedoch Kahl, Staat der Karantanen 287–289. Zu einem weiteren möglichen Beispiel von Synkretismus in diesem Raum siehe ders., Streifzüge 259. 21 Siehe dazu allgemein: Schwinges, Wider Heiden und Dämonen 17–27. Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung anderer Reli­gionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.–12. Jahrhundert) 1 (Berlin 2013) 63–106; Arnold Angenendt, Credo. Die Taufe als Sakrament des Glaubens in der Mission, in: Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter, 1: Essays, ed. Christoph Stiegemann/Martin Kroker/Wolfgang Walter (Petersberg 2013) 53–66; Lutz E. von Padberg, Das Christentum als missionierende Religion. Missionskonzepte von Bonifatius bis ins späte Mittelalter, in: ebenda 130–138. 22 Wood, Missionary life 256. 23 Admonitio generalis (ed. Hubert Mordek (†)/Klaus Zechiel-Eckes (†)/Michael Glatthaar, MGH Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi 16, Hannover 2012) 180–239; Padberg, Christianisierung 83. 24 Vgl. Stephan Müller, Mission und die Volkssprache. Entwicklungen der deutschen Sprach- und Textkultur im Kontext der Christianisierung, in: Credo. Christianisierung Europas im Mittelalter, 1: Essays, ed. Christoph Stiegemann/Martin Kroker/ Wolfgang Walter (Petersberg 2013) 111–120, hier 112f.; Angenendt, Credo 62f. 19 20

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bald nach 800 im slawischen Gebiet des ostalpinen Raumes wirkender Priester-Missionar, der entweder im Dienste Aquileias oder Salzburgs stand, war aufgrund seiner Unkenntnis der slawischen Sprache von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sein ausführlicher Brief an Freunde in Italien offenbart zwar eine rhetorisch gebildete Person, die das kultivierte Umfeld ihrer Heimat vermisst und mit Schwierigkeiten „diesseits der Donau, unter dem dichten Tannenwald der slawischen Berge“ konfrontiert ist, enthält aber kein Wort über seine missionarische Tätigkeit, was eben mit seiner sprachlichen Inkompetenz zusammenhängt.25 Adalbert-Vojtěch von Prag (956–997), dessen Muttersprache das Slawische seiner böhmischen Heimat war, hatte vor, ausgerechnet aus sprachlichen Gründen auf die Missionierung bei den baltischen Pruzzen zu verzichten und die slawischen Liutizen zu bekehren, aber er wurde vom ­Märtyrertod ereilt.26 Die Bedeutung der Kenntnis der Vernakularsprache für eine erfolgreiche Bekehrung war dem Mönch Boso, dem späteren ersten Bischof von Merseburg († 970), der bei den Sorben missionierte, bewusst. Er hatte zwar Slawisch gelernt, aber anscheinend nicht gut genug: Die ihm anvertrauten Slawen verstanden nämlich Kyrie eleison als ukrivolsa, das heißt „die Erle steht im Busch“, obwohl Boso ihnen die Bedeutung erklärt haben soll.27 Der bereits erwähnte Bischof Otto I. von Bamberg, der in seiner Jugend Slawisch gelernt haben soll, als er zehn Jahre am Hofe des polnischen Fürsten Władysław I. Herman (1079–1102) in Gnesen verbrachte, soll die Sprache so gut beherrscht haben, „dass man ihn nicht für einen vir Teutonicus gehalten hätte, wenn man ihn in der Barbarensprache reden hörte“.28 Auch für die Salzburger Priesterschaft, die für die Missionierung der Slawen und Awaren im bayerischen Ostland zuständig war, war die Beherrschung der Vernakularsprachen notwendig, obwohl lediglich von Erzbischof Adalram behauptet werden kann, dass er in slawischer Sprache predigen konnte.29 Aus einem ganz anderen Blickwinkel erläutert der Bericht Helmolds von Bosau über das Wirken des Abdoritenfürsten Gottschalk (nach 1043–1066) die Bedeutung guter sprachlicher Kommunikation. Dieser im Lüneburger Kloster St. Michael erzogene christliche Fürst mit bewegter Biographie30 begann nach dem Zusammenbruch des heidnischen Liutizenbundes mit einer intensiven (Wieder-)Bekehrung seines Landes, wobei er in seinem Eifer häufig selbst in der Kirche das Wort ergriff, um die „geheimnisvollen Worte“ der Bischöfe und Priester „in slawischer Sprache“ verständlicher wiederzugeben.31 Neben der bereits erwähnten Bedeutung adäquater Sprachkenntnisse weist das Beispiel auch auf die unübersehbare Rolle der schon getauften einheimischen Herrscher bei der Verbreitung des Christentums unter ihren Leuten hin, mit deren Fühlen und Denken sie besser vertraut waren als landfremde Geist­ liche. Außerdem sicherten ihnen ihre herrscherliche Stellung und ihr Vorbild größeren Einfluss. Ähnlich wie Gottschalk kann man sich auch den karantanischen Fürsten Cheitmar im 8. Jahrhundert vorstellen. Appendix ad Alcuini epistolas 2 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Epistolae Karolini aevi 2, Berlin 1895, ND 1994) 484–490. Zur Frage der Identität des Blancidius siehe Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2 (Berlin/Leipzig 8 1954) 151f. und Anm. 2 auf S. 152; Franz Zagiba, Die Missionierung der Slaven aus »Welschland« (Patriarchat Aquileja) im 8. und 9. Jahrhundert, in: Cyrillo-Methodiana. Zur Frühgeschichte des Christentums bei den Slaven 863–1963, ed. Manfred Hellmann/Reinhold Olesch/Bernhard Stasiewski/Franz Zagiba (Köln/Graz 1964) 274–311, hier 285 und 287; Arnulf Kollautz, Awaren, Franken und Slawen in Karantanien und Niederpannonien und die fränkische und byzantinische Mission, in: Carinthia I 156 (1966) 232–275, hier 233; Lothar Waldmüller, Die ersten Begegnungen der Slawen mit dem Christentum und den christlichen Völkern vom VI. bis VIII. Jahrhundert. Die Slawen zwischen Byzanz und Abendland (Enzyklopädie der Byzantinistik 51, Amsterdam 1976) 546; Rajko Bratož, Vpliv oglejske cerkve na vzhodnoalpski in predalpski prostor od 4. do 8. stoletja (Zbirka Zgodovinskega časopisa 8, Ljubljana 1990) 52; Krahwinkler, Friaul 164 und Anm. 259. 26 Brun von Querfurt, Vita sancti Adalberti episcopi et martyris 26 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 4, Hannover 1841, ND 1982) 609. 27 Thietmar, Chronicon II, 37 (ed. Robert Holtzmann, MGH SS rer. Germ. NS 9, Berlin 1935, ND 1996) 85–86; dazu zuletzt Matthias Hardt, Kirchenorganisation oder Aufstand: Die Christianisierung von Sorben, Elb- und Ostseeslawen in O ­ ttonenund Salierzeit, in: Schwertmission. Gewalt und Christianisierung im Mittelalter, ed. Hermann Kamp/Martin Kroker (Paderborn/Wien 2013) 53–66, hier 59f. 28 Vita Ottonis Babenbergensis episcopi auctore monacho Prieflinigensi I 2, ed. Köpke 884. 29 Carmina Salisburgensia 1, 18–21 (ed. Lukas Wolfinger, Die sogenannten ,Carmina Salisburgensiaʻ und der Clm. 14743, in: Quellen zur Salzburger Frühgeschichte, ed. Herwig Wolfram, VIÖG 44 – Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Erg. Bd. 22, Wien/München 2006) 179–261, hier 188–191; Lukas Wolfinger, ibid., 179–261, hier 244f.; Wolfram, Conversio (2013) 185. 30 Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 190–194. 31 Helmold von Bosau, Cronica Slavorum I, 20 (ed. Johann Martin Lappenberg/Bernhard Schmeidler, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [32], Hannover 1937) 42. 25

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Er genoss ebenso eine klösterliche Erziehung im Ausland (Herrenchiemsee in Bayern) und wurde zu einem brennenden Christen, der ebenfalls allgemeine Erwartungen der Kirche erfüllte und sich wie ­andere christliche Fürsten an die Spitze der Mission stellte, mit der sein Volk bekehrt wurde.32 Auch war Cheitmar, der aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Bayern zweifelsohne zweisprachig war, sehr gut imstande, geheimnisvolle Worte der Salzburger Missionare in seiner slawischen Muttersprache zu erklären. Eine weitere Möglichkeit zur Herstellung sprachlicher Kommunikation war der Einsatz von ­Dolmetschern. Dieser Methode bedienten sich Missionare vor allem zu Beginn ihrer Tätigkeit. Gut bekannt ist die Episode, die mit den Anfängen der römischen Mission des Augustinus († 605?) und seiner Begleiter bei König Æthelberht von Kent zusammenhängt. Den Missionaren, die Papst Gregor der ­Große im Jahre 596 zu dem „barbarischen, wilden und ungläubigen Volk“ der Angelsachsen sandte, „dessen Sprache sie nicht beherrschen“, schlossen sich unterwegs fränkische Dolmetscher an.33 Auch Emmeram, der sich gegen Ende des 7. Jahrhunderts auf den langen Weg von Poitiers nach Pannonien machte, um das „robuste Volk“ der Awaren zu bekehren, musste schon nach seiner Ankunft in Germanien bzw. Alemannien wegen der Unkenntnis der dortigen Sprache die Hilfe eines Dolmetschers in Anspruch nehmen.34 Sein alemannischer Vorgänger Gallus hatte keine solchen Probleme: Sein Lehrer Columban beauftragte ihn gerade deswegen mit der Missionierung im Bregenzer Raum, weil er die Sprache der dortigen Bewohner beherrschte.35 Es ist wohl möglich und gut vorstellbar, dass sich auch die ersten Salzburger Missionare in Karantanien zu Beginn ihres Wirkens der Hilfe von Dolmetschern bedienten. Verhältnismäßig viele Missionare hatten romanische Namen, was darauf hindeutet, dass sie aus den Reihen der gut dokumentierten Salzburger Romanen rekrutiert worden waren.36 Romanische Namen trugen schon Cheitmars Taufpate Lupo und dessen Neffe Maioranus, der als erster Priester-Kaplan mit Cheitmar aus Bayern nach Karantanien kam. Romanische Namen hatten sowohl Modestus, der Leiter der ersten Gruppe von Salzburger Missionaren, der in Karantanien zwischen (ca.) 757 und 763 als Chorbischof des Salzburger Ordinarius die ersten Kirchen weihte, als auch Latinus, ein Priester aus seinem Gefolge.37 Anderseits waren die Karantanen, die sie bekehren sollten, wie jede frühmittelalterliche gens ein polyethnischer Verband, in den auch einheimische, norische Romanen einbezogen waren.38 Diese ­altansässige romanische bzw. romanisierte Bevölkerung, die vor allem durch Sprache und christlichen Glauben bestimmt wurde, schaffte es, trotzt der Einbeziehung in die karantanische Gentilgemeinschaft zumindest bis zu einem gewissen Grad ihre Identität innerhalb des slawischen und heidnischen Um­feldes zu bewahren. Eindeutige Zeugnisse dafür sind aus dem Wort Vlahi (Walchen) gebildete Kärntner Ortsnamen, mit denen Slawen – ähnlich wie vor ihnen schon Germanen und nach ihnen auch Ungarn39 – die romanische Bevölkerung bezeichneten, sowie Kristendorf/Kršna vas im Jauntal, das in einem Umfeld mit starker antiker Tradition und mehr oder weniger in der Nähe von Orten mit den aufschlussreichen Conversio Bagoariorum et Carantanorum 4, 5, ed. Lošek 102–109. Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum I, 23 und 25 (ed. Günter Spitzbart secundum editionem quam paraverant Bertram Colgrave et Roger A. B. Mynors, Darmstadt 21997) 76, 80. 34 Arbeo, Vita vel passio Haimhrammi episcopi et martyris Ratisponensis 3 (ed. Bruno Krusch, Arbeonis vitae ­sanctorum Haimhrammi et Corbiniani, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [13], Hannover 1920) 31; Joachim Jahn, Ducatus B ­ aiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 35, Stuttgart 1991) 41. 35 Wettinus, Vita Galli 6 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, ND 1997) 260; Walahfrid Strabo, Vita Galli 1 6 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, ND 1997) 289. 36 Wolfram, Conversio (2013) 131; ders., Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum, in: Walchen, ­Romani und Latini. Variationen einer nachrömischen Gruppenbezeichnung zwischen Britannien und dem Balkan, ed. ­Walter Pohl/ Ingrid Hartl/Wolfgang Haubrichs (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 21, Wien 2017) 27–57, hier 46–49. Über die salzburgische Romania siehe auch Franz Hörburger, Salzburger Ortsnamenbuch (Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde Erg. Bd. 9, Salzburg 1982) 33–47; Fritz Moosleitner, Die Merowingerzeit, in: Ge­schichte Salzburgs. Stadt und Land, 1: Vorgeschichte – Altertum – Mittelalter, ed. Heinz Dopsch/Hans Spatzenegger (Salzburg 21983) 105–120, hier 112–114; Heinz Dopsch, Zum Anteil der Romanen und ihrer Kultur an der Stammesbildung der Bajuwaren, in: Die Bajuwaren. Von Severin bis Tassilo 488–788, ed. Hermann Dannheimer/ders. (Korneuburg 1988) 47–54. 37 Conversio Bagoariorum et Carantanorum 4, 5, ed. Lošek 102–109. 38 Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 50f.; Kahl, Staat der Karantanen 79–136, vor allem 100–110; Štih, Middle Ages 110–116. 39 Wolfram, Die frühmittelalterliche Romania 40f. 32 33

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oppositionellen Namen Sloweniach/Slovenje und Pfannsdorf/Banja ves lag, als auch ­archäologisches Material mit dem bereits erwähnten Nonnosus-Stein an der Spitze.40 Auf die Dauer verloren diese Altsiedler in Integrations- und Akkulturationsprozessen ihre romanische Sprachidentität, denn in späteren Zeiten sind in Kärnten nur Sprecher deutscher und slowenischer Sprache bekannt, aber in der Mitte des 8. Jahrhunderts könnte sie noch bewahrt gewesen sein, zugleich müssen sie aber auch die Sprache der damals herrschenden Slawen gesprochen haben. Es ist nicht auszuschließen, ja es scheint sogar sehr plausibel, dass die ersten aus romanischem Umfeld stammenden Salzburger Missionare ausgerechnet mithilfe dieser romanischen, zweisprachigen und christlichen (altansässigen) Karantanen den Kontakt mit der Slawisch sprechenden heidnischen Bevölkerung herstellten, oder einen solchen zumindest erleichterten. Aus dem Kreise dieser zweisprachigen Nachkommen alter Christen könnte Modestus auch die ersten einheimischen Geistlichen geweiht haben.41 Ansonsten werden die ersten karantanischen Priester mit slawischen Namen erst um die Mitte des 9. Jahrhunderts im Verzeichnis der Geistlichen aus Karantanien (Nomina presbiterorum de Carantana) erwähnt, das in den Reichenauer Liber Vitae eingetragen wurde.42 MISSION UND DIE ANFÄNGE DES EINHEIMISCHEN SLAWISCHEN SCHRIFTTUMS Zugleich mit der Herstellung sprachlicher Kommunikation war die erste Aufgabe der Missionare das Übersetzen der grundlegenden religiösen Texte. Aus dem slawischen Umfeld des Ostalpenraumes stammt aus diesem frühesten Zeitalter der Bekehrung, vielleicht schon aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert, die Vorlage des Vaterunsers (Paternoster), das in zwei spätmittelalterlichen Abschriften erhalten ist: in der Klagenfurter Handschrift, die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Rateče/ Ratschach bei Kranjska Gora/Kronau in Oberkrain entstand, und in der Handschrift von Castelmonte bei Cividale del Friuli aus dem Ende des 15. Jahrhunderts.43 Die Bitte adveniat regnum tuum, die in beiden Vaterunsern als pridi bogastvo tvoje („dein Reichtum komme“) übersetzt wurde, kann nämlich nach überzeugender Erklärung von Ivan Grafenauer nur in der Zeit entstanden sein, als die Sprache der Alpenslawen den vom Namen Karls des Großen abgeleiteten Begriff kraljestvo (Königreich) bzw. kralj (König) noch nicht kannte.44 Nebst der Absage an den Teufel und dem Taufbekenntnis des Glaubens an die Heilige Dreifaltigkeit, die im dritten Freisinger Denkmal erhalten sind,45 stellen das Vaterunser, als das wichtigste christliche Gebet, und das Apostolische Glaubensbekenntnis (Credo) mit den wichtigsten Glaubensinhalten, das in slowenischer Sprache in beiden erwähnten spätmittelalterlichen Abschriften zusammen mit dem Vaterunser überliefert ist, jene grundlegenden Texte in einheimischer Sprache dar, die jeder Christ schon bei der Taufe kennen musste.46 Milko Kos, Slovenska naselitev na Koroškem, in: Geografski vestnik 8 (1932) 101–142, hier 106; Eberhard Kranzmayer, Ortsnamenbuch von Kärnten 1: Die Siedlungsgeschichte Kärntens von der Urzeit bis zur Gegenwart im Spiegel der Namen (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 50, Klagenfurt 1956) 41f.; ders., Ortsnamenbuch von Kärnten, 2: Alphabetisches Kärntner Siedlungsnamenbuch (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 51, Klagenfurt 1958) sub vocibus Kristendorf, Pfannsdorf, Sloweniach; Eichert, Strukturen 320–322; Peter Štih, Begegnung, Akkulturation und Integration am Berührungspunkt der romanischen, germanischen und slawischen Welt, in: Akkulturation im Mittelalter, ed. Reinhard Härtel (Vorträge und Forschungen 78, Ostfildern 2014) 235–294, hier 254–257. 41 Damit und mit der vermittelnden Rolle der alten romanischen Bevölkerung hat schon vor dem Zweiten Weltkrieg Ivan ­Grafenauer, O pokristjanjevanju Slovencev in početkih slovenskega pismenstva, in: Dom in svet 2 (1934) 350–371, 480– 503, hier 357, gerechnet. Vgl. auch Kahl, Staat der Karantanen 109. 42 Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau (ed. Johanne Autenrieth/Dieter Geuenich/Karl Schmid, MGH Libri memoriales NS 1, Hannover 1979) 108 (Facsimile); Karl Schmid, Das Zeugnis der Verbrüderungsbücher zur Slawenmission, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 126 (1986) 185–205, hier 190f.; Peter Štih, Die Integration der Karantanen und anderer Alpenslawen in das fränkisch-ottonische Reich. Einige Beobachtungen, in: Carinthia I 204,1 (2014) 43–59, hier 57f. 43 Nikolai Mikhailov, Jezikovni spomeniki zgodnje slovenščine. Rokopisna doba slovenskega jezika (od XIV. stol. do leta 1550) (Trst 2001) 51–55, 65–67, 79–81, 106–108. 44 Ivan Grafenauer, Poglavje iz najstarejšega slovenskega pismenstva, in: Časopis za slovenski jezik, književnost in ­zgodovino 8 (1931) 68–102, hier 73–86. Vgl. auch France Tomšič, Podoba najstarejše pisne slovenščine, in: Slavistična revija 11 (1958) 19–34, hier 21. 45 Brižinski spomeniki/Monumenta Frisingensia. Znanstvenokritična izdaja (ed. Darko Dolinar/Jože Faganel, 3. vervollständigte Ausgabe, Ljubljana 2004) 43–45, 60, 117–119 (deutsche Übersetzung). 46 Ivan Grafenauer, Karolinška kateheza 13; ders., Literarno-zgodovinski spisi (Ljubljana 1980) 176. 40

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Die Freisinger Denkmäler sind die wichtigsten Texte der ältesten christlichen Kultur bei den Slawen.47 Zwei Beichtgebete (Freising I und III) und eine Bußpredigt (Freising II), die um das Jahr 1000 in einen Codex Freisinger Provenienz (clm 6426) eingetragen wurden, sind die ältesten slawischen Texte in lateinischer Schrift überhaupt.48 Laut allgemeiner Auffassung reicht ihre Vorlage zumindest in die Mitte des 9. Jahrhunderts zurück, das heißt in die Zeit vor der Übersetzungstätigkeit von Konstantin und Method.49 Trotz zahlreicher offener Fragen und Meinungsverschiedenheiten verbinden die meisten Argumente – sowohl sprachliche als auch geschichtliche – die Freisinger Denkmäler mit dem (Ober) Kärntner Raum und damit mit der Bekehrung der Karantanen bzw. mit der kirchlichen Praxis bei den Karantanen und mit der damals von ihnen gesprochenen Sprache.50 Irene Wiehls grundlegende Analyse des Wortschatzes der Freisinger Denkmäler im Hinblick auf die christliche Terminologie zeigt, dass sie Bezeichnungen für fast alle christlichen Grundbegriffe enthalten.51 Der größte und wichtigste Teil dieser Begriffe kam durch Umprägungen schon vorhandener Wörter zustande, die überwiegend der Alltagsprache sowie dem heidnisch-religiösen und rechtlichen Umfeld entstammten. Außerdem konnte Wiehl feststellen, dass mehr als ein Drittel der religiösen Termini Neubildungen sind, „in denen die fruchtbare Einwirkung des Christentums auf die altslavische Sprache offenbar wird. Der geringe Anteil von Fremdund Lehnwörtern unter ihnen gibt ein Zeugnis für die geistige Leistung der Übersetzer“.52 Überdies lassen sich „alle fremdsprachlich beeinflußten Wörter (etwa die Hälfte des gesamten religiösen Wortschatzes) aus dem Althochdeutschen und Lateinischen erklären“,53 wobei der hohe Anteil des Althochdeutschen bei der Entstehung der slawischen christlichen Terminologie durch die bayerische Herkunft karantanischer Missionare gut erklärbar ist. Der Inhalt der Freisinger Denkmäler weist eindeutig darauf hin, dass sie für Bedürfnisse der Belehrung über den Glauben und über christliche Bräuche entstanden. Anderseits bezeugen sie auch die Grenze, welche die slawische Sprache der Einheimischen in der Kirche erreichen durfte, denn der Bereich des Gottesdienstes war ihr verweigert. Ausgerechnet in diesem Punkt zeigt sich der größte Unterschied zum späteren Wirken von Konstantin und Method in Mähren und Pannonien, wo sie die schriftlich fixierte und normierte Sprache makedonischer Slawen auch in die Liturgie einführten, wobei sie freilich in Konflikt mit der Doktrin der drei heiligen Sprachen gerieten.54 Brižinski spomeniki/Monumenta Frisingensia, ed. Dolinar/Faganel 36–45, 48–64, 78–119 (deutsche Übersetzung). Zu Codex clm 6426 siehe: Natalia Daniel, Handschriften des zehnten Jahrhunderts aus der Freisinger Dombibliothek. ­Studien über Schriftcharakter und Herkunft der nachkarolingischen und ottonischen Handschriften einer bayerischen Bibliothek (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 11, München 1973) 114–139; Dieter Kurdorfer, ­Zgodovinski in literarni pomen rokopisa z »Brižinskimi spomeniki«, in: Zgodovinski časopis 59 (2005) 7–21. 48 Mit Ausnahme von vier Wörtern, die um 880 als Glossen blind in clm 14008 eingetragen wurden. Fotografie mit Transkrip­ tion in: Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm. Ein Quellenbuch mit Erläuterungen (ed. Erwin Herrmann, Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17, München 1965) 143f. Zum Codex clm 14008 (Collectio canonum Dionysio-Hadriana), der um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Italien (Rom) entstand und von Papst Johannes VIII. 880 an Method nach Mähren gesandt worden sein soll und später in den Besitz des ­Regenburger Klosters St. Emmeram gelangte, siehe Wilhelm Wattenbach/Wilhelm Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 4: Die Karolinger vom Vertrag von Verdun bis zum Herrschaftsantritt der Herrscher aus dem sächsischen Hause. Italien und das Papsttum (bearb. von Heinz Löwe, Weimar 1963) 477; Daniel, Handschriften 114 und Anm. 75; Bernhard Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolinger­zeit 1: Die bayerischen Diözesen (Wiesbaden 31974) 225f. 49 Grafenauer, Karolinška kateheza 100–102; Wiehl, Untersuchungen 128; Christian Hannick, Die älteste slavische Kirchenterminologie, in: Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze / Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese 2, ed. Rajko Bratož (Situla 39 – Razprave I. razreda Slovenske akademije znanosti in umetnosti 18, Ljubljana 2000) 801–808. 50 Milko Kos, Srednjeveška kulturna, družbena in politična zgodovina Slovencev. Izbrane razprave (Ljubljana 1985) 53–107; Heinz-Dieter Pohl, Zur Sprache der Freisinger Denkmäler. Beziehungen zwischen der Sprache der Freisinger Denk­ mäler und den Ortsnamen Oberkärntens und Osttirols alpenslawischer bzw. slowenischer Herkunft, in: Zbornik Brižinski ­spomeniki (Dela II. razreda Slovenske akademije znanosti in umetnosti 45, Ljubljana 1996) 311–321; Marko Snoj/Marc L. Greenberg, O jeziku slovanskih prebivalcev med Donavo in Jadranom v srednjem veku (pogled jezikoslovcev), in: ­Zgodovinski časopis 66 (2012) 276–305, hier 298–300. 51 Wiehl, Untersuchungen 126–128. 52 Wiehl, Untersuchungen 126. 53 Wiehl, Untersuchungen 127. 54 Christian Hannick, Die byzantinischen Missionen, in: Die Kirche des früheren Mittelalters, ed. Knut Schäferdiek (Kirchengeschichte als Missionsgeschichte 2/1, München 1978) 279–359, hier 357. 47

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BEKEHRUNG VON OBEN Eine der wichtigsten Methoden erfolgreicher Mission ganzer Völker (und nicht mehr einzelner Menschen wie im Frühchristentum) war Bekehrung von oben.55 Zuerst musste die politische Führung bekehrt werden, deren zentrale Figur der König oder der Stammesfürst war. Sobald sich die politische Elite für den Wechsel entschied und die Taufe empfing – was oft aus Opportunismus erfolgte, denn die Annahme des Christentums war die Voraussetzung für politisches Überleben –, war das religiöse Schicksal der betroffenen Gemeinschaft besiegelt und die Christianisierung im Grunde genommen entschieden. Einerseits wurde auf diese Art ein Exempel geschaffen, das sich auf alle anderen sozialen Gruppen und Schichten auswirkte, andererseits verfügte die bekehrte Elite über militärische Macht und andere Mittel, mit denen sie die Mission unterstützen und nötigenfalls beschützen konnte. Zahlreiche Beispiele in der europäischen Geschichte – von Chlodwig bei den Franken und Widukind bei den Sachsen bis zu Boris bei den Bulgaren, Knut bei den Dänen, Wenzel bei den Böhmen, Stephan bei den Ungarn oder Gottschalk bei den Abodriten – bezeugen den Erfolg dieser Methode, die den Umständen entsprechend angepasst auch bei Christianisierung der Karantanen und Awaren angewandt wurde. Cacatius und Cheitmar waren schon als Prinzen – als Geiseln – getauft worden, bevor sie als Fürsten eingesetzt wurden und bevor die ersten Missionare ins Land kamen. In ähnlicher Weise hatte bei den Awaren einer der drei höchsten Fürsten, der Tudun, samt seiner Begleitung die Taufe in Aachen zeitgleich mit der Unterwerfung unter Karl den Großen erhalten, noch ehe die Bischöfe, die das fränkische Heer nach Pannonien begleiteten, an der Donau die Richtlinien der Awarenmission festlegten.56 Etwas später ließen sich auch der Kapkan und der Khagan taufen. Walter Pohl wies darauf hin, dass der bekehrte Khagan ein Widerspruch in sich selbst war, denn die Annahme einer neuen universellen Religion vernichtete die sakral-gentile Tradition, die der höchste awarische Fürst verkörperte. Offenbar verkraftete die awarische Identität keine christliche Reinterpretation. Das christlich-awarische Modell erwies sich als ungenügend attraktiv, und der Versuch mit dem bekehrten Khagan und dem christlichen Khaganat scheiterte im ­Laufe gut zweier Jahrzehnte.57 Im Allgemeinen verlief die Bekehrung des awarisch-slawischen ,Wilden Ostens‘ in Pannonien nicht den großen Erwartungen gemäß. Die euphorische Stimmung, die bei den Franken nach ihren siegreichen Feldzügen in das Zentrum des Khaganats in den Jahren 795 und 796 zu spüren ist,58 teilten auch die Organisatoren der dortigen Mission, in deren ideellen Hintergrund uns durch Alkuins Korrespondenz und durch das Protokoll der Bischofssynode „an den Ufern der Donau“ ein selten gebotener Einblick gewährt wird.59 Doch bald stellte sich heraus, dass die hochgesteckten politischen und kirchlichen ­Ziele, gute Christen sozusagen wie am Fließband zu produzieren, eine zu große Belastung für die Kirche darstellte, der es, wie das Beispiel des Blancidius zeigt, an Missionaren mangelte, die der Sprache der Einheimischen kundig waren. In Salzburg, wo man im Jahre 870 mit den Erfolgen der Karantanenmission prahlte und alle in Karantanien wirkenden Missionare namentlich aufzählen konnte, konnte man sich in den ersten Jahrzehnten der Missionierung in Pannonien mit praktisch gar nichts rühmen. Außer dass ihnen Pippin und Karl der Große ein großes Gebiet um den Plattensee zugeteilt hätten, und dass Arn den dortigen Missionsbischof Theoderich geweiht und eingesetzt habe, konnten sie weder einen einzigen Missionar noch eine neu geweihte Kirche nennen. Das mit großem Eifer begonnene Unternehmen scheiterte und wurde erst durch Priwinas Ankunft vor dem Bankrott gerettet. Erste Erfolge bei der Bekehrung Pannoniens verbuchte Salzburg nämlich erst um die Mitte des 9. Jahrhunderts, nachdem der kurz davor getaufte slawische Fürst von Neutra/Nitra dort angekommen war und den Raum herrschaft Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900 (Stuttgart/Berlin/Köln 32001) 421; Schwinges, Wider Heiden und Dämonen 15; Herwig Wolfram, Karantanen, in: RGA 16 (Berlin/New York 2000) 239–242, hier 239; Goetz, Wahrnehmung anderer Religionen 94f. 56 Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829 qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi a. 795, 796 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [6], Hannover 1895, ND 1950) 97–98; Pohl, Awaren 318f. 57 Pohl, Awaren 205; ders., ,Das sanfte Joch Christiʽ 274; Wolfram, Conversio (2013) 114. 58 Rhythmus de Pippini regis victoria Avarica (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae Latini medii aevi 1, Poetae Latini aevi ­Carolini 1, Berlin 1881, ND 1997) 116–117; Einhard, Vita Karoli Magni 13 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover/Leipzig 1911) 15–16. 59 Alcuin, Epistolae 99, 107, 110–113, 184 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Epistolae Karolini aevi 2, Berlin 1895, ND 1994) 143–144, 153–154, 156–166, 308–310; Conventus episcoporum ad ripas Danubii a. 796, ed. Werminghoff 172–176. 55

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lich organisiert hatte.60 Das war von entscheidender Bedeutung, denn ohne herrschaftliche Strukturen waren Bekehrung von oben und kirchliche Durchdringung nicht möglich. MISSIONARE ALS GÄSTE Für eine erfolgreiche Bekehrung war von nicht geringer Bedeutung, dass die Missionare von den zu bekehrenden Menschen eingeladen wurden: Dass sie also weder als Eindringlinge kamen noch ohne Zustimmung oder sogar gegen den Willen der politischen Führung wirkten, wie das am deutlichsten das Beispiel des Adalbert-Vojtěch von Prag und seiner Mission bei den Pruzzen zeigt.61 Die Salzburger Mission in Karantanien begann mit der Bitte Cheitmars an Bischof Virgil, er möge persönlich populum ­gentis illius besuchen, um ihn im Glauben zu bestärken. Obwohl Virgil der Aufforderung nicht nachkam, auch nicht, als Cheitmar einige Jahre später seine Bitte wiederholte, kamen die Salzburger M ­ issionare nach Karantanien im Geiste dieser Einladung.62 Sie kamen also als Gäste, das heißt laut Gastrecht genossen sie Gastfreundschaft (hospitalitas) und Schutz (munt) ihres Gastgebers und wirkten im Einklang mit ihm.63 Hätte man ihnen auf irgendeine Art und Weise geschadet oder sogar nach dem Leben getrachtet, hätte man die Regel des gefahrlosen Aufenthalts gebrochen, worauf etwa nach bayerischem Stammesrecht hohe Geldstrafen standen.64 Die Missionare in Karantanien wirkten also unter fürstlichem Schutz und daher in einer für sie ziemlich sicheren Umgebung. Hätte sich einer von ihnen bei der Bekehrung der Karantanen den Märtyrertod erhofft, war er – wie schon der unter den Donauslawen im 7. Jahrhundert tätige Amandus, der vergeblich die Märtyrerkrone ersehnte65 – gewiss fehl am Platz. Eine der Konsequenzen des erhöhten Sicherheitsgefühls war, dass Missionare ihre Lebensgewohnheiten und ihr Aussehen nicht ändern und sich der Umgebung, in die sie gerieten, nicht anpassen mussten. Das hätte Lebuin um das Jahr 700 fast mit dem Leben bezahlt, als er sich den Sachsen im Priestergewand mit dem Vortragekreuz und dem Evangeliencodex in der Hand präsentierte,66 während Adalbert von Prag, als er bemerkte, dass ihn die Pruzzen anschauten, als ob er nicht von dieser Welt wäre, seine Klerikertracht ablegte, sich die Haare und einen Bart wachsen ließ, wie das bei den Einheimischen üblich war. Aber auch diese Akkommodation konnte ihm das Leben nicht retten.67 MISSION UND SOZIALE ANPASSUNG Die Ankunft der Missionare und die damit verbundene religiöse Wende stellte für heidnische Gentil­ gemeinschaften eine harte Bewährungsprobe dar. Nicht nur, dass nicht alle Heiden den Gang durch ­Augustinus’ ,Tür des Glaubens‘ und das Betreten des Taufbeckens anstrebten, man konnte ihnen nur schwer das an sich schwierige theologische Problem des dreifaltigen Gottes nahebringen und erklären, warum man mit der Annahme des neuen Gottes auf die alten verzichten muss, sie sozusagen verraten und sie als Teufels Werk betrachten muss, was zu erheblichen Loyalitätskonflikten führte. Der Friesen­fürst Radbod († 719) war sicherlich nicht der einzige, der lieber mit seinen Vorfahren in der

Conversio Bagoariorum et Carantanorum 10–13, ed. Lošek 118–135; Wavra, Salzburg und Hamburg 193; Pohl, ,Das sanfte Joch Christiʻ 275; Wolfram, Conversio (2013) 174–176, 191–197, 203–208. 61 Padberg, Christianisierung 141–143. 62 Conversio Bagoariorum et Carantanorum 5, ed. Lošek 106–109; Zu populus gentis illius und zu den Anfängen der Salzburger Mission in Karantanien siehe Wolfram, Conversio (2013) 126–132. 63 Jürgen Weitzel, Gast, -recht, -gericht, in: LMA 4 (Stuttgart/Weimar 1999) 1130–1131; ders., Fremde, -nrecht, in: LMA 4 (Stuttgart/Weimar 1999) 909–910; Christian Lübke, Fremde im östlichen Europa. Von Gesellschaften ohne Staat zu verstaatlichen Gesellschaften (9.–11. Jahrhundert) (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 23, Köln/Weimar/Wien 2001) 123–144. 64 Lex Baiwariorum IV, 31, 32 (ed. Ernst Schwind, MGH LL nat. Germ. 5/2, Hannover 1926, ND 1997) 335–337. 65 Vita Amandi episcopi 16 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 5, Hannover/Leipzig 1910, ND 1997) 440; Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 1 (Leipzig 1922) 301–304; Wood, Missionary life 40. 66 Vita Lebuini antiqua 6 (ed. Adolf Hofmeister, MGH SS 30/2, Leipzig 1934, ND 1976) 793–794. 67 Brun von Querfurt, Vita sancti Adalberti episcopi et martyris 26, ed. Pertz 609. Zu Überlebensstrategien von Missionaren siehe Wood, Missionary life 258–261. 60

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Hölle ­gewesen wäre als alleine im Himmelreich, und er weigerte sich, die Taufe zu empfangen.68 Die Annahme des Christengottes bedeutete nebst religiöser Bekehrung auch Annahme neuer ethischer und moralischer Standards, Kulturmuster und Verhaltensnormen. Die im Dekalog kodifizierte Gesellschaftsordnung bildete zusammen mit der Buße im Diesseits und dem Versprechen der Belohnung im Jenseits die Grundlage für die durch die Kirche sanktionierte Ethik, deren Erfüllung die heidnische Lebens­ weise vollkommen verwandelte. Die Forderung nach einem Leben im Einklang mit christlicher Ethik im Rahmen der Kirche war allgegenwärtig, und diesbezügliche Befehle, Anweisungen und Warnungen betrafen geradezu alle. Auf diese Weise wurde eine Reihe alter Praktiken verboten, wie heidnische Bestattung mit entsprechendem Kult, Vielweiberei, Promiskuität und überhaupt alles, was im Gegensatz zur christlichen Auffassung von Heirat und Ehe stand. Obligatorisch wurden der Bau von Kirchen und die Leistung des Zehents, das Fasten und die Beichte, die Verehrung der Heiligen und die Beachtung der kirchlichen Feiertage sowie der Messbesuch an Sonntagen. Insbesondere mit der Durchsetzung des Sonntags als „Tag des Herrn“ (dies Domini > dominica), an dem bäuerliche Arbeit verboten war, bekam das Leben einen stabilen und gefestigten Rhythmus.69 In der Praxis bedeutete sich der neuen Religion zuzuwenden und die Lebensweise zu ändern, viele Schwierigkeiten und Widerstände zu überwinden. Eine gute Vorstellung von den großen Veränderungen, welche die christliche Religion für die heidnischen Gemeinschaften mit sich brachte, geben die Responsa Nicolai papae ad consulta Bulgarorum aus dem Jahr 866. Es handelt sich um eingehende Antworten des Papstes Nikolaus I. (858–867) auf einen nicht überlieferten Fragenkatalog des Bulgarenkhans Boris-Michael, der kurz zuvor die Taufe aus Konstantinopel empfangen hatte und sich dessen Einfluss durch Anlehnung an Rom zu entziehen suchte.70 Welche Tiere ein Mensch essen darf, ob man ein Amulett tragen und magische Steine verwenden darf, ob man für die heidnischen Vorfahren beten darf, ob Frauen Hosen tragen dürfen, ob ein Christ zwei Frauen haben darf – diese und andere Fragen illustrieren die Lebensverhältnisse heidnischer Gemeinschaften sowie die alltäglichen Probleme, die sie nach der Konversion zu lösen hatten.71 Die Lebensroutine zu ändern und nach christlichen Grundsätzen zu leben, war gewiss nicht einfach, und die Gläubigen mussten schon von allem Anfang an ständig ermahnt werden, was recht und was falsch, was Sünde und was ein gutes Werk sei. So enthält schon das erste Freisinger Denkmal einen Katalog von Sünden, die jeder Gläubige beichten muss, wie Meineid, Lüge, Diebstahl, Neid, Schändung, Unzucht, üble Nachrede, Missachtung von Sonntag, Weihnachten und Fasten. Das zweite Freisinger Denkmal zählt unter „Satans Werke“ (heidnische) Opfer, Verleumdung des Nächsten, Diebstahl, Totschlag, Wollust, Meineid und Feindschaft, während gute Werke diejenigen taten, die „speisten den Hungrigen, tränkten den Durstigen, beschuhten den Barfüßigen, kleideten den Nackten, besuchten den Kranken im Namen Gottes, wärmten den Frierenden, führten den Fremden unter ihr Dach, besuchten die in Kerker und in eiserne Fesseln Gelegten, und trösteten sie im Namen Gottes“.72 MISSION, MACHT UND GEWALT Mit der neuen Religion änderte sich auch das Verhältnis zwischen den Trägern der Gesellschaftsmacht, denn die sozialen Gruppen, welche die gentile sakral-religiöse Sphäre beherrschten, verloren ihren Einfluss und wurden gesellschaftlich marginalisiert. Das war sicherlich einer der Gründe für die Aufstände, Vita Vulframni episcopi Senonici 9 (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 5, Hannover/Leipzig 1910, ND 1997) 668; Padberg, Christianisierung 59. 69 Dazu ausführlicher Štih, Integration 53–58. 70 Daniel Ziemann, Vom Wandervolk zur Großmacht. Die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter (7.–9. Jh.) (Kölner Historische Abhandlungen 43, Köln/Weimar/Wien 2007) 356–389. 71 Responsa Nicolai papae ad consulta Bulgarorum 33, 43, 51, 59, 62, 79, 88 (ed. Ernst Perels, MGH EE 6, Epistolae Karolini aevi 4, Nicolai I. papae epistolae, Berlin 1925, ND 1995) 580–581, 583–584, 586, 588, 589–590, 594, 596. Siehe: Ivan Dujčev, Die Responsa Nicolai I. papae ad consulta Bulgarorum, in: FS zum 200-jährigen Bestand des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Wien 1 (Wien 1949) 343–362; Lothar Heiser, Die Responsa ad consulta Bulgarorum des Papstes Nikolaus I., 858–867 (Trierer theologische Studien 36, Trier 1979) 35–49, 68–99 (mit deutscher Übersetzung der Responsa: 400–488); Ziemann, Vom Wandervolk zur Großmacht 380–389. 72 Brižinski spomeniki/Monumenta Frisingensia, ed. Dolinar/Faganel 48, 52, 54; deutsche Übersetzung: 111, 113, 117. 68

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die in den sechziger Jahren des 8. Jahrhunderts in Karantanien ausbrachen. Dreimal im Abstand von sechs Jahren widersetzte sich die dortige Opposition mit Gewalt den religiösen und gesellschaftlichen Veränderungen. Cheitmar schaffte es zweimal, aus eigener Kraft die Aufstände niederzuschlagen, nach seinem Tod im Jahre 769, der vielleicht mit dem Aussterben des Fürstengeschlechtes zusammenhängt, brach der dritte, heftigste und zugleich erfolgreichste Aufstand aus. Die Opposition, die drei Jahre an der Macht blieb, bewirkte, dass die Geistlichen nach Bayern zurückkehren mussten und die Missionierung zum Stillstand gebracht wurde.73 Es ist gut vorstellbar, dass unter diesen Umständen die aus der Anfangszeit der Bekehrung stammenden Kirchen, welche die vertriebene Religion und das damit verknüpfte Regime symbolisierten, zerstört wurden.74 In Salzburg bezeichnete man die Aufstände in Karantanien mit dem Wort carmula; mit einem Begriff also, der eher in das politische als in das reli­ giöse Vokabular gehört. In der bayerischen Rechtssprache stand das Wort für einen Aufstand gegen die legitime Macht75 und in Bayern bezeichnete man damit sowohl Aufstände von Pippins Sohn Bernhard in Italien, vom unterpannonischen Fürsten Liudewit sowie des Mährerfürsten Rastislav.76 Die Aufstände in Karantanien wurden demzufolge in erster Linie als eine politische und nicht als eine religiöse Handlung verstanden. Erst durch den Feldzug des bayerischen Herzogs Tassilo III. im Jahre 772 kam alles wieder ins rechte Gleis, als er die Karantanen besiegte.77 In Regensburg wurde Tassilos Sieg über die Karantanen – übrigens sein einziges militärisches Unterfangen überhaupt – verglichen mit der Zerstörung der Irminsul, des sächsischen heidnischen Heiligtums, durch Karl den Großen.78 Ein gewisser Clemens peregrinus – möglicherweise ein gescheiterter Karantanenmissionar irischer Herkunft79 – rief am Vorabend von Tassilos karantanischem Triumph den bayerischen Herzog zum Kampf gegen die Heiden, die „nicht an Gott glauben, sondern Götzen anbeten“, auf und bat Gott, er möge ihm den Sieg schenken, wie einst Konstantin dem Großen.80 „Um das ungläubige Geschlecht der Slawen auf den Weg der Wahrheit zu führen“, gründete Tassilo III. im Jahre 769 das Kloster Innichen nahe der Drauquelle, dicht an der bayerisch-karantanischen Grenze und versuchte durch verstärkte Missionsaktivitäten die Verhältnisse in Karantanien auf friedliche Weise zu regeln.81 Zu Gewalt griff er erst, als die Geschehnisse nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten. Dabei könnte seine Entscheidung für den Militäreinsatz in Karantanien dadurch beschleunigt worden sein, dass der neue Papst Hadrian I. (772–795) zu Pfingsten desselben Jahres dessen Sohn Theodo in Rom getauft und gesalbt hatte.82 Der Knabe war, wie Herwig Wolfram betonte, der erste nichtkönigliche und nichtkarolingische Prinz, dem ein Papst das Sakrament der Taufe spendete.83 Für das Prestige des christlichen Fürsten, dessen Dynastie die höchste kirchliche Conversio Bagoariorum et Carantanorum 5, ed. Lošek 106–109; Wavra, Salzburg und Hamburg 167f.; Wolfram, Conversio (2013) 129–132. 74 In diesem Sinne schon Kahl, Streifzüge 126. 75 Lex Baiwariorum II, 3, ed. Schwind 294; Jahn, Ducatus Baiuvariorum 472; Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 280. 76 Annales Sancti Emmerami Ratisponensis maiores a. 818, 819 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 1, Hannover 1826, ND 1976) 93; Excerpta Aventini ex Annalibus Iuvavensibus antiquis derivati a. 854 (ed. Harry Bresslau, MGH SS 30/2, Leipzig 1934, ND 1976) 744. 77 Auctarium Garstense a. 772 (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9, Hannover 1851, ND 1983) 563. 78 Annales Sancti Emmerami Ratisponensis maiores a. 772, ed. Pertz 92; Annales Iuvavenses maximi a. 772 (ed. Harry ­Bresslau, MGH SS 30/2, Leipzig 1934, ND 1976) 732. 79 Salzburger Formelbücher und Briefe aus Tassilonischer und Karolingischer Zeit (ed. Bernhard Bischoff, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 4, München 1973) 19f.; Kahl, Streifzüge 351. 80 Epistolae variorum Carolo Magno regnante scriptae 1 (ed. Ernst Dümmler, MGH EE 4, Epistolae Karolini aevi 2, ­Berlin 1895, ND 1994) 496–497; Heinz Löwe, Karolingische Reichsgründung und der Südosten. Studien zum Werden des Deutschtums und seiner Auseinandersetzung mit Rom (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 13, Stuttgart 1937) 54f. 81 Tiroler Urkundenbuch 2,1: Die Urkunden zur Geschichte des Inn-, Eisack- und Pustertals bis zum Jahr 1140 (ed. Martin Bitschnau/Hannes Obermair, Innsbruck 2009) 30f. Dazu zuletzt Herwig Wolfram, Die Bekehrung des ,ungläubigen Geschlechts der Slawenʻ – einmal ohne Salzburg, in: Archivwissenschaft Geschichte. FS für Wilhelm Wadl zum 60. Geburtstag, ed. Barbara Felsner/Christine Tropper/Thomas Zeloth (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 106, Klagenfurt am Wörthersee 2014) 153–163, hier 153–155. 82 Annales Admuntenses a. 772 (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9, Hannover 1851, ND 1983) 572; Annales sancti ­Rudberti Salisburgenses a. 772 (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9, Hannover 1851, ND 1983) 769; Jahn, Ducatus ­Baiuvariorum 469–471; Löwe, Karolingische Reichsgründung 51f. 83 Wolfram, Grenzen und Räume 89. 73

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Legitimation erhalten hatte, war die Vorherrschaft der heidnischen Opposition in ihm unterstehendem Karantanien jedenfalls nicht akzeptabel. APOSTASIE Es ist durchaus möglich, dass Tassilos Intervention in Karantanien mit dem Apostatenrecht begründet und legitimiert wurde. Ähnlich wie in anderen vergleichbaren Situationen galt auch im Falle der ­Karantanen, dass eine gens ab dem Augenblick, als die Führungsschicht mit dem Fürsten an der Spitze die Taufe erhielt, bekehrt war. Mit der Taufe, die als Sakrament ein irreversibler Akt ist, wurde der Betreffende auch zum Mitglied der Kirche. Dies bedeutete auch die Unterordnung unter ihre Jurisdiktion, wobei der Abfall vom Glauben – zurück in das Heidentum oder in die Häresie – einen schwerwiegenden Verstoß gegen die kirchliche Disziplin darstellte. Zur Unterdrückung der Apostasie, d.h. für den Wiedereintritt derjenigen, die das Taufgelübde gebrochen hatten, zurück in den Schoß des christlichen Glaubens und der Kirche, waren alle Mittel erlaubt, einschließlich der Todesstrafe. Deshalb war, was uns auf den ersten Blick als Schwertmission erscheint, oft in Wahrheit innerkirchliche Disziplinierung.84 Hans-Dietrich Kahl versuchte gerade mit diesem Motiv, auf das auch Matthias Becher hinwies, die Eskalation der Gewalt in den Sachsenkriegen Karls des Großen nach 778 zu erklären. Durch ihren Aufstand unter der Führung Widukinds und durch ihren Abfall vom christlichen Glauben brachen die Sachsen nicht nur die Treue, sondern wurden auch Apostaten. Damit war Karl der Große formell berechtigt zum gewaltsamen Vorgehen, denn Apostasie war das schwerste aller denkbaren Verbrechen und schlimmer als das Festhalten am Heidentum.85 In ähnlicher Weise versuchte auch Matthias Hardt einige Gewalttaten bei der Rechristianisierung der Liutizen und anderer Elbslawen im 11. Jahrhundert zu erklären.86 Gleichermaßen könnte auch Tassilos Militäreinsatz in Karantanien kirchenrechtlich mit Apostatenrecht legitimiert werden, obwohl der Apostatendiskurs bei der Rechtfertigung des heidnischen Blutvergießens nicht besonders üblich gewesen zu sein scheint.87 Die Frage ist auf jeden Fall weiterer Untersuchungen wert. Wie auch immer alles verlief, durch Tassilos Sieg war die karantanische Opposition besiegt; die ­Frage, ob sie auch endgültig beseitigt wurde, bleibt allerdings offen. Knapp fünfzig Jahre später schloss sich nämlich dem Aufstand des unterpannonischen Fürsten Liudewit, der auf benachbarte Völker ä­ ußerst integrativ wirkte, auch ein Teil der Karantanen an, während der andere Teil dem fränkischen Regime treu blieb.88 Berichte über gottlose Slawen, impii Sclavi, die im Jahre 820 nach fast hundert Jahren erneut die Maximilianzelle im salzburgisch-bayerischen Pongau niedergebrannt hätten, und über die Zerstörung einer St. Michaels-Kirche,89 lassen annehmen, dass sich dieselben heidnischen Kräfte hinter die Aufständischen stellten, die schon zu Cheitmars Zeiten Widerstand geleistet hatten. Jedenfalls wurden Konflikte zwischen Heiden und Christen in Karantanien noch nach der Mitte des 9. Jahrhunderts zu Zeiten des Chorbischofs Osbald (nach 836–um 863) dokumentiert.90 Der innere Zwiespalt, der erstmals mit den Anfängen der Christianisierung greifbar ist, könnte die karantanische Gesellschaft auf Dauer geprägt haben. Schwertmission. Gewalt und Christianisierung im Mittelalter, ed. Hermann Kamp/Martin Kroker (Paderborn/Wien 2013). Zur Apostasie allgemein siehe Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 318–323, 502–513. 85 Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 264f.; 332f., 381–384; Matthias Becher, Der Prediger mit eiserner Zunge. Die Unterwerfung und Christianisierung der Sachsen durch Karl den Großen, in: Schwertmission. Gewalt und Christianisierung im Mittelalter, ed. Hermann Kamp/Martin Kroker (Paderborn/Wien 2013), ed. Hermann Kamp/Martin Kroker 23–52, hier 42f. 86 Hardt, Kirchenorganisation oder Aufstand 64–66. 87 In diesem Sinne Hermann Kamp, Einleitung, in: Schwertmission. Gewalt und Christianisierung im Mittelalter, ed. ­Hermann Kamp/Martin Kroker (Paderborn/Wien 2013) 9–22, hier 20. Aber zugleich ist zu betonen, dass z.B. Wipo, Gesta Chuonradi II. imperatoris 33 (ed. Harry Bresslau, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [61], Hannover/Leipzig 1915, ND 1993) 52, den Feldzug Konrads II. gegen die Liutizen im Jahre 1035 ausgerechnet damit rechtfertigte, dass sie zu Apostaten wurden (Liutizi…quique olim semichristiani, nunc per apostaticam nequitiam omnino sunt pagani). Vgl. Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 509; Herwig Wolfram, Konrad II. 990–1039. Kaiser dreier Reiche (München 2000) 241. 88 Annales regni Francorum a. 819, 820, ed. Kurze 151–153. 89 Salzburger Formelbücher 1 2, 4, ed. Bischoff 28f. 90 Monumenta historica ducatus Carinthiae 3, 23 (ed. August von Jaksch, Klagenfurt 1904) 10f.; Excerptum de Karentanis [1] (ed. Fritz Lošek, Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theotmar von Salzburg, MGH Studien und Texte 15, Hannover 1997) 136–137; Wolfram, Conversio (2013) 215f. 84

Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann.

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MISSION UND INTEGRATION Erneuter Unterwerfung Karantaniens durch Tassilos Sieg folgte verstärkte Integration, die am deut­ lichsten durch die Einsetzung des karantanischen Fürsten nach bayerischem Geschmack signalisiert wurde.91 So wurde Waltunc eingesetzt, und durch seine Bitte an Virgil, er möge neue Priester senden, wurden die unterbrochenen Verbindungen mit Salzburg wieder hergestellt. So trafen in den zwölf Jahren bis zum Tod des Bischofs im Jahre 784 weitere sechs Gruppen von Priester-Missionaren ein.92 Das bedeutendste Ergebnis dieser verstärkten missionarischen Tätigkeit war die Gründung des Klosters in Molzbichl bei Spittal an der Drau, das nicht nur das erste Kloster im heutigen Kärnten, sondern im gesamten slawischen Herrschaftsbereich war. Die dortige mit Marmorausstattung reich verzierte Kirche war höchstwahrscheinlich Nonnosus geweiht, dem lokalen Heiligen und Diakon zu Zeiten der Gotenherrschaft.93 Seine Reliquien samt Grabstein wurden von einem unbekannten Ort der ursprünglichen Huldigung in das neue Missionszentrum übertragen, dessen Gründung in letzter Zeit einem lokalen slawischen Machthaber (Domitian?) zugeschrieben wird und nicht mehr dem bayerischen Herzog ­Tassilo III.94 Es ist nicht auszuschließen – jedoch auch nicht zu beweisen – dass für die Bedürfnisse der verstärkten missionarischen Tätigkeit ausgerechnet in Molzbichl jene religiöse Texte entstanden bzw. in die slawische Sprache der Einheimischen übersetzt wurden, die uns in späterer Abschrift unter dem Namen Freisinger Denkmäler bekannt sind.95 Die verstärkte geistige und kulturelle Integration nach dem Jahre 772 spiegelte sich auch in der Art der Präsentation der karantanischen sozialen Elite wider. Das neue Selbstverständnis fand Ausdruck im Bau von Eigenkirchen, die mit Flechtwerksteinen und anderer Marmorausstattung dekoriert waren und die sich aus Kostengründen nur die höchste Gesellschaftsschicht leisten konnte. Mit diesen prestigeträchtigen Kirchen demonstrierte die karantanische Führungsschicht ihr Bekenntnis zur neuen Religion und damit auch ihre Loyalität zu den bayerisch-agilolfingischen und danach fränkisch-karolingischen Herren, nicht zuletzt aber auch den eigenen herrschaftlichen Glanz und ihre hohe soziale Stellung.96 Die Kärntner Artefakte mit Flechtwerkornamentik sind somit ferne Zeugen einer tiefen religiösen, kulturellen und politischen Transformation Karantaniens unter seinen letzten Fürsten und zugleich ein Niederschlag von Integrationsprozessen, welche die Oberschicht der karantanischen Gesellschaft schon vor dem Ende des 8. Jahrhunderts erfasst haben. Mit der Inschrift des Kirchenstifters in St. Peter am Bichl ist diese soziale Gruppe sogar aus der Anonymität herausgetreten. Auf einem Architravfragment der dortigen Kirche, die schon früher für ihre hochwertigen Artefakte mit Flechtwerkornamentik bekannt war, ist ein Teil einer Inschrift mit zwei Namen erhalten: [O]tker–Radozla[v]. Möglicherweise verbirgt sich hinter diesem Doppelnamen des Stifters der Kirche – sie befindet sich nur knapp vier Kilometer westlich der Karnburg, die höchstwahr Eine verstärkte Verbindung mit Bayern hatte das Ende des awarischen Einflusses in Karantanien zur Folge, was gut mit dem archäologischen Befund korrespondiert, dass in Karantanien keine awarischen Funde vorhanden sind, die in die Zeit nach 770 datiert werden könnten: Erik Szameit, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Frage nach den Wurzeln frühmittelalterlicher Kulturerscheinungen im Ostalpenraum, in: Neues aus Alt-Villach 31 (1994) 7–24, hier 23; Paul Gleirscher, Karantanien. Das slawische Kärnten (Klagenfurt 2000) 118; Stefan Eichert, Die frühmittelalterlichen Grabfunde Kärntens. Die materielle Kultur Karantaniens anhand der Grabfunde vom Ende der Spätantike bis ins 11. Jahrhundert (Aus Forschung und Kunst 37, Klagenfurt 2010) 161. 92 Conversio Bagoariorum et Carantanorum 5, ed. Lošek 106–109. Zur Chronologie der Salzburger Karantanenmissionen unter Virgil siehe Wolfram, Conversio (2013) 130–132. 93 Kurt Karpf, Heiliger Nonnosus, heiliger Tiburtius, bittet für uns! Die Bedeutung Molzbichls und seiner Heiligen, in: Der heilige Nonnosus von Molzbichl, ed. Karl Amon (Das Kärntner Landesarchiv 27, Klagenfurt 2001) 145–172; Eichert, Strukturen 51–55. 94 Eichert, Strukturen 54; Wolfram, Bekehrung 158f. 95 Andrej Pleterski, Über Ort und Entstehungszeit der Freisinger Denkmäler aus archäologischer Sicht, in: MIÖG 104 (1996) 41–57. 96 Kurt Karpf, Repräsentation und Kirchenbau. Zur Ausstattung karantanischer Eigenkirchen im 8./9. Jahrhundert, in: ­Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze / Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese 2, ed. Rajko Bratož (Situla 39 – Razprave I. razreda Slovenske akademije znanosti in umetnosti 18, Ljubljana 2000) 711–730; ders., Slawische Fürsten und bairischer Adel. Das frühmittelalterliche Karantanien am Schnittpunkt zweier Kulturen, in: Hortus artium medievalium 8 (2002) 209–222. 91

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scheinlich der Sitz der karantanischen Fürsten war – der letzte, im Jahre 828 abgesetzte Karantanenfürst, der in der Conversio Bagoariorum et Carantanorum mit dem Namen Etgar genannt wird.97 Dieser ­Gruppe könnte auch Domitian zuzuordnen sein, der nach einer späteren Legende die Einheimischen um den Millstättersee zum Christentum bekehrt, dort die erste Kirche (Kloster) gegründet und das Heidentum ausgerottet haben soll. Lange galt dieser ,Fürst‘ als legendäre Erfindung der Millstätter Mönche des 12. Jahrhunderts. Doch könnte die Entdeckung eines ihm zugeschriebenen Inschriftenfragments darauf hinweisen, dass Domitian eine historische Persönlichkeit war, die als lokaler Machthaber in der Zeit Karls des Großen bei der Durchsetzung des Christentums in seiner Umgebung aktiv mitwirkte.98 Der Priester Ingo hingegen war mit Sicherheit eine historische Persönlichkeit, die vor mehr als ­dreißig Jahren Herwig Wolfram aus der Reihe der sagenhaften karantanischen Fürsten zu retten vermochte.99 Ingo wirkte in Karantanien vor dem Ende des 8. Jahrhunderts zu Zeiten des Bischofs Arn, der im Jahre 785 Virgils Nachfolger und 798 erster Salzburger Erzbischof und bayerischer Metropolit wurde. Bevor Arn auf Befehl Karls des Großen im Jahre 799 Theoderich als Chorbischof für die ge­samte salzburgische Sclavinia ordinierte, die neben Karantanien auch das awarische Pannonien nördlich der Drau umfasste, war Ingo der führende Missionar in Karantanien gewesen.100 In der Conversio Bagoariorum et Carantanorum wurde Ingo, der eine derartige Autorität genoss, dass seine Befehle auch dann befolgt wurden, wenn er lediglich ein „Pergament ohne Buchstaben“, carta sine litteris, gesandt hatte, verbunden mit der Erzählung über das Gastmahl, bei dem getaufte Knechte aus goldenen Gefäßen aßen, während ihre heidnischen Herren wie Hunde vor der Tür ihre Nahrung einnehmen mussten und sich daraufhin schleunigst über den Glauben belehren ließen und die Taufe empfingen.101 Die Erzählung nimmt sich biblische Motive zum Vorbild und ist in ähnlichen Formen auch aus anderen Quellen bekannt. Bereits Sycharius, der Gesandte des Frankenkönigs Dagobert I., soll die Freundschaft mit dem König der Slawen Samo abgelehnt haben, weil es nicht möglich gewesen sei, dass „Christen und Diener Gottes mit Hunden ein Bündnis schließen können“, und der mährische „König“ Zwentibald soll ebenfalls den böhmischen Fürsten Bořiwoi wie einen Hund am Boden bedient haben, worauf er von Methodius die Taufe empfing.102 Bei der Erzählung über Ingos Gastmahl handelt es sich in erster Linie um eine literarische Parabel über Reinheit und Besonderheit des Christentums und damit höchstwahrscheinlich um eine fiktive Geschichte.103 Von unserem Standpunkt aus ist sie deswegen interessant, weil sich darin die Missionierungsmethode der indirekten Nötigung widerspiegelt (compellere intrare; Lukas 14, 23).104 Augustinusʼ Imperativ der freiwilligen Annahme des mit innerer Bekehrung verbundenen Glaubens stellte ein hochgestecktes Ideal dar, und wer nicht bereit war das von Alkuin propagierte „sanfte Joch Christi und seine süße Last“, leve Christi iugum et onus suave (Matthäus 11,30), zu tragen,105 musste wissen, dass das Festhalten am Heidentum Ausgrenzung, Prestigeverlust oder Verarmung mit sich brachte.106 Franz Glaser, Inschrift karantanischer Kirchenstifter, in: Archäologie Österreichs 10/1 (1999) 19–22; Kahl, Staat der ­Karantanen 53; Štih, Integration 48, 52; Etgar: Conversio Bagoariorum et Carantanorum 10, ed. Lošek 120; Zum mög­ lichen angelsächsischen Ursprungs des Namens: Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 298. 98 Franz Glaser, Eine Marmorinschrift aus der Zeit Karls des Großen in Millstatt, in: Carinthia I 183 (1993) 303–318; ders., Domicianus dux. Eine historische Persönlichkeit in Millstatt zur Zeit Karls des Großen, in: Studien zur Geschichte von Millstatt und Kärnten. Vorträge der Millstätter Symposien 1981–1995, ed. Franz Nikolasch (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 78, Klagenfurt 1997) 137–150; Franz Nikolasch, Domitian von Millstatt – Erfindung oder Wirklichkeit?, in: Carinthia I 191 (2001) 103–141; Kahl, Der Millstätter Domitian 87–93. Skeptisch bzw. ablehnend: Karl Forstner, Das paläographische Umfeld des sogenannten Domitianfragments, in: Studien (wie oben), ed. Franz Nikolasch 231–240; Johann Tomaschek, Die Legende vom Herzog Domitian, dem ,ersten Gründerʻ von Millstatt, in: Carinthia I 190 (2000) 143–164; Wolfram, Conversio (2013) 153f. 99 Wolfram, Conversio (1979) 96–102. 100 Wolfram, Conversio (2013) 151–157. 101 Conversio Bagoariorum et Carantanorum 7, ed. Lošek 112–115; Milko Kos, Carta sine litteris, in: MIÖG 62 (1954) 97– 100. 102 Fredegar, Chronicae IV, 68 (ed. Bruno Krusch, SS rer. Merov. 2, Hannover 1888, ND 1984) 154; Slawisch-germanische Beziehungen, ed. Herrmann 163. Siehe auch Pohl, ,Das sanfte Joch Christiʻ 271. 103 Wolfram, Conversio (2013) 156f. 104 Kahl, Heidenfrage und Slawenfrage 483–564. 105 Alcuin, Epistolae 111, ed. Dümmler 159–162. 106 Schwinges, Wider Heiden und Dämonen 24. 97

Als die Kirche Slawisch zu sprechen begann.

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DER SLAWENZEHENT Alkuin verwendete das biblische Sinnbild vom ,sanften Joch Christi‘ in seinem Brief an den Hof­ kämmerer Meginfrid und brachte es in Verbindung mit der Frage des Zehents bei der Bekehrung der Sachsen. Auch in seiner Korrespondenz mit Arn und Karl dem Großen verwies er auf die abschreckende Wirkung des Zehents: Es sei besser, auf ihn zu verzichten, als den Glauben zu verlieren (melius est ­illam amittere quam fidem perdere);107 man solle ein predicator pietatis, non decimarum exactor sein.108 Inwiefern sich seine Warnung bei der Christianisierung Pannoniens auswirkte, ist schwer zu sagen. Im Protokoll der Bischofssynode ad ripas Danubii aus dem Jahre 796, an der sich auch Patriarch ­Paulinus von Aquileia und (wahrscheinlich) Bischof Arn von Salzburg beteiligten, die sehr gut mit Alkuins Ansichten vertraut waren, wird die Frage des Zehents mit keinem Wort angesprochen.109 Jedoch ist später in der Erzdiözese Salzburg in Kärnten und Steiermark der besondere Slawenzehent, decima ­Sclavorum, bezeugt, der fixiert und beträchtlich niedriger war als der kanonisch variable Zehent.110 Er galt mindestens bis in die Zeit des Erzbischofs Gebhard (1060–1088), der ihn abgeschafft haben soll.111 Nach herrschender Meinung werden dessen Anfänge ausgerechnet mit der Bekehrung der pannonischen Awaren und Slawen in Verbindung gebracht, obwohl er im Gebiet des Patriarchats von Aquileia südlich der Drau nicht bezeugt ist.112 Anderseits weist die Bestimmung der Synode von Tribur aus dem Jahr 1036, laut der „alle Slawen den Zehent leisten sollen wie andere Christen“, darauf hin, dass sich die Ausnahme nicht nur auf den ostalpin-pannonischen Raum beziehen sollte.113 Es ist also gut möglich, dass der Slawenzehent in Hinsicht auf die geringere Wirtschaftskraft eingeführt wurde, welche die Eintreibung des kanonischen Zehenten nicht zuließ.114 Dennoch schließt diese zweite Möglichkeit die erste nicht aus, sie begründet sie sogar: Der Slawenzehent könnte durchaus als Beispiel für die Anpassung der Missionspraxis an die gegebenen sozialen Verhältnisse und wirtschaftlichen Möglichkeiten verstanden werden. Ähnlich verfuhr ungefähr zur selben Zeit das fränkische Regime unter dux Johannes in ­Istrien; dieser zweigte den Zehent, den die Istrier der Kirche leisteten, drei Jahre lang für jene heidnischen ­Slawen ab, die er kolonisiert und in den Territorien der Städte und Kastelle angesiedelt hatte.115 Dadurch erleichterte er ihnen das Überleben in der Anfangsphase ihrer Ansiedlung, als sie ihre eigenen Wirtschaftsbetriebe erst errichten mussten, wie auch immer sie aussahen. 109 110

Alcuin, Epistolae 110, ed. Dümmler 157–159. Alcuin, Epistolae 107, ed. Dümmler 153–154. Conventus episcoporum ad ripas Danubii a. 796, ed. Werminghoff 172–176. Der Unterschied ist deutlich beschrieben in einer Admonter Traditionsnotiz um 1175 (Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark I 585, ed. Joseph Zahn, Graz 1875, 550f.): Que sit distantia seu differentia inter decimarum consuetudinariam [= Sclavorum, Anm. P.Š.] et acquisitoriam in ista ecclesia sciendum. Gebehardus archiepiscopus cum primum susceperat Salzburgensem episcopatum, homines ecclesie istius et singulis hobis non plus decimarum quam L manipulos sillingis et L avene et pondus lini quod dicitur shote, vel agnum solvere consueverunt quantuscumque illis fructus perveniret, et hec dicitur decima consuetudinaria […]. Confortato autem archiepiscopo Gebehardo et successore ipsius Chunrado iustam decimam per omnem episcopatum reddi vel dari exegerunt, scilicet de omnibus bonis tam pecudum quam fructuum ­decimam partem, et hoc dicitur decima acquisitoria […]. 111 Catalogus praesulum Salisburgensium (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 11, Hannover 1854, ND 1994) 20; Vita ­Gebehardi archiepiscopi Salisburgensis (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 11, Hannover 1854, ND 1994) 25; Vita ­Gebehardi et successorum eius (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 11, Hannover 1854, ND 1994) 36; Heinz Dopsch, ­Gebhard (1060–1088). Weder Gregorianer noch Reformer, in: Lebensbilder Salzburger Erzbischöfe aus zwölf Jahrhunderten. 1200 Jahre Erzbistum Salzburg, ed. Peter F. Kramml/Alfred Stefan Weiß (Salzburg Archiv 24, Salzburg 1998) 41–62, hier 43f. 112 Zur Problematik des Slawenzehents siehe Pavle Blaznik, Podložniške obveznosti do zemljiškega gospostva, in: ­Gospodarska in družbena zgodovina Slovencev 2 (Ljubljana 1980) 241–278, hier 254; Sergij Vilfan, La cristianizzazione delle ­cam­pagne presso gli Slavi del sud occidentali:organizzazione, resistenze, fondo sociale, in: Cristianizzazione ed organizzazione ecclesiastica delle campagne nell‘alto medioevo: espansione e resistenze (Settimane 28, Spoleto 1982) 889–923, hier 849 und Anm. 13 (mit älterer Literatur); Heinz Dopsch, Die Zeit der Karolinger und Ottonen 163 und Anm. 47. Die Landkarte mit Orten, in denen der slawische Zehent dokumentiert ist, liefert Otto Kronsteiner, Die Slawen in Österreich. Karten und Kommentar (Die Slawischen Sprachen 55, 1997) Karte 4. 113 Concilium Triburiense 6 (ed. Ludwig Weiland, MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum 1, Hannover 1893, ND 2003) 88; Wolfram, Konrad II. 329. 114 Vilfan, Cristianizzazione 849. 115 Placitum Rizianense, ed. Krahwinkler 78; Krahwinkler, ,…in loco qui dicitur Riziano…ʻ 143f.; Štih, Begegnung 272f. 107 108

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RÉSUMÉ Eine der großen historischen Folgen des Christentums war, dass das slawische Mitteleuropa im Frühmittelalter zu einem Teil Westeuropas wurde. Die Annahme des Christentums bedeutete für Einzelne und ihre Gemeinschaften die politische Legitimation seitens der fränkischen Könige und Kaiser und öffnete den Weg ihrer Integration in die Gesellschaft, in der christlich-kirchliche Normen zur Grundlage der Gesellschaftsordnung wurden. Ohne Taufe hätten Priwina und ähnliche slawische Häuptlinge keine Aussichten auf glänzende Karrieren gehabt, die sie im bayerischen Ostland unter den karolingischen Herrschern machten, und sie hätten sich nicht in die dortige fränkisch-bayerische Elite integrieren können.116 Die erste slawische gentile Gemeinschaft, die das Christentum aufnahm, waren die Karantanen. Ihre Bekehrung begann knapp nach der Mitte des 8. Jahrhunderts und damit öffnete sich für die katholische Kirche ein völlig neues Tätigkeitsfeld. Zum ersten Mal musste sie die slawische Sprache sprechen, in der die christliche Verkündigungsterminologie neu geschaffen werden musste. Diese schwie­ rige Aufgabe stellte eine große Herausforderung sowohl für die Missionare als auch für die heidnischen Karantanen dar. Die Annahme des Christengottes bedeutete nicht nur die religiöse Konversion, sondern brachte auch weitreichende gesellschaftliche Veränderungen mit sich, von denen viele – wie beispielsweise die Annahme des christlichen Kalenders – noch heute unseren Lebensrhythmus bestimmen. Die breitere Perspektive gewährt uns beim Verständnis der Unterschiede zwischen den Gentilreligionen und dem Christentum und bei der Berücksichtigung der Missions-Grundprinzipien zumindest bis zu einem gewissen Grad den Einblick in den Hintergrund der Christianisierung in Karantanien und Pannonien. Damit können wir die Gesellschaftszustände und Transformationen, mit denen die dortigen Gemeinschaften und deren Mitglieder konfrontiert werden mussten, besser verstehen. Zugleich wäre das nicht möglich – das gilt insbesondere für Karantanien und etwas weniger für Pannonien, wo das spätere ­Wirken von (Konstantin und) Method dennoch beträchtliche Spuren hinterließ – ohne die heraus­ragende Quelle, die auf eine besondere Art und Weise über die Anfänge der Bekehrung in Karantanien und ­Pannonien berichtet: die 870 in Salzburg geschriebene Conversio Bagoariorum et Carantanorum, die als einzige ausführlichere Informationen über eine slawische Gentilgemeinschaft für die Zeit vor dem Ende des 8. Jahrhunderts bringt. Herwig Wolfram wies vor kurzem darauf hin, wie die Bekehrungsgeschichte der Karantanen ohne dieser Quelle aussehen würde, und das Resultat wäre ziemlich dürftig.117

Štih, Integration 47–51. Wolfram, Bekehrung.

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Die Umgestaltung der karolingischen Welt

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Die Umgestaltung der karolingischen Welt EINLEITUNG Wer bei einer Veranstaltung, wozu er selbst den Anlass bietet, das Wort ergreift, weckt beim Publikum die vielfach begründete Sorge, nun einem endlosen Rückblick inklusiver multipler Danksagungen aus­ geliefert zu werden. Diese Sorge ist unberechtigt; unaufgeforderte Rückblicke in eigener Sache zählen nicht zum Repertoire des Verfassers,1 und Danksagungen werden zumeist privat erledigt. Vielmehr soll, obwohl bloß unvollständig und skizzenhaft, jedenfalls nur an einigen Beispielen versucht werden, über die zeitliche Erweiterung der am Institut für Mittelalterforschung betriebenen Studien nachzudenken. Vielleicht ist auch einiges überholt, was unter den Anwesenden Rudolf Schieffer wohl am besten beur­ teilen konnte. Schon der Titel ,Die Umgestaltung der karolingischen Weltʻ stammt nicht vom Verfasser. Vor einiger Zeit bezeichnete Richard Corradini in einer Diskussion mit Rosamond McKitterick, deren Schüler Charles West 2013 ein schönes Buch zum Thema veröffentlicht hat,2 als nächstes Forschungs­ ziel ,The Transformation of the Carolingian Worldʻ. Corradini hat seine Forderung auf englisch formu­ liert. Er bedachte in seinem bekannt jugendlichen Eifer jedoch nicht, dass er damit in manchen über­ seeischen Kreisen eine ähnliche Verwirrung stiften könnte,3 wie dies bereits mit ,The Transformation of the ­Roman Worldʻ so erfolgreich gelungen ist, seitdem Lynn T. White im Jahre 1966 einen UCLA-Sam­ melband unter dem Titel veröffentlichte. Auch hat Corradini selbst an einer Publikation mitgewirkt, die von Stefan Esders und Philippe Depreux herausgegeben wird und die ,Umgestaltung des Karolinger­ reichsʻ ausdrücklich im Titel führt.4 Wie der Titel ist auch das Thema nicht neu. Um nur ganz wenige Beispiele zu nennen: Heinrich ­Fichtenau gab 1984 seinen großartigen ,Lebensordnungen des 10. Jahrhundertsʻ den Untertitel ,Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreichʻ. Gerd Althoff und Hagen Keller haben ihr Buch ,Heinrich I. und Otto der Großeʻ mit dem Untertitel ,Neubeginn auf karolingischem Erbeʻ ver­ sehen, und Hagen Keller hat sich dem Thema ,Die Ottonen und Karl der Großeʻ gewidmet. In seinem umfangreichen Werk ,Deutschland − Frankreich. Die Geburt zweier Völkerʻ beschäftigte sich CarlRichard Brühl ausführlich mit dem Gegenstand. Bernd Schneidmüller hat bereits 1979 gezeigt, dass sich hinter der Berufung auf die Tradition der Karolinger zumeist die beabsichtigte Umgestaltung ihrer Welt verbirgt. Ein gutes Beispiel bieten dafür, wie noch zu zeigen sein wird, die Politik Konrads II. und das Bild, das sein Biograph Wipo davon zeichnete. Schließlich haben sich auch die ,Wienerʻ – allen voran Walter Pohl in zahlreichen Veröffentlichungen – bereits ausführlich mit der Umgestaltung der karolingischen Welt befasst.5 Richard Corradini lieferte selbst umfangreiche Untersuchungen der Über­ Siehe dagegen Pohl/Rychterová oder die von Giuseppe Albertoni, Trient, gestaltete Intervista in: Herwig Wolfram, Origo. Ricerca dell’origine e dell’identità nell`Alto Medioevo, übers. Giuseppe Albertoni (Labirinti 112, Trento 2008) 47−78. 2 Charles West, Reframing the Feudal Revolution. Political and Social Transformation between Marne and Moselle, c. 800−c.1100 (Cambridge 2013). 3 Diese Bemerkung gilt allerdings nicht für die Einladung von Helmut Reimitz, University of Princeton, und die maßgebliche Unterstützung von Patrick Geary, Institute for Advanced Study, Princeton, wo der Verfasser am 20. November 2014 an der University of Princeton den Einleitungsvortrag zu einem gleichnamigen Workshop hielt, der am 21. November 2014 zum Thema ,The Transformation of the Carolingian Worldʻ stattfand. Beiden Freunden sei herzlichst für diese unvergessliche Zeit gedankt. 4 Siehe La productivité d’une crise: Le règne de Louis le Pieux (814−840) et la transformation de l’Empire carolingien, ed. Stefan Esders/Philippe Depreux (im Druck) und The Transformation of the Roman World, ed. Lynn T. White (UCLA, Center for Medieval and Renaissance Studies, Contributions 3, Berkeley/Los Angeles 1966). 5 Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 30, 1−2, Stutt­ gart 1984); Gerd Althoff/Hagen Keller, Heinrich I. und Otto der Große (Persönlichkeit und Geschichte 122/123, Göttingen 1



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lieferungsgeschichte der Annales Fuldenses und bereitet noch umfangreichere Studien über die von Walahfrid Strabo vor.6 Bernhard Zeller hat zum Thema einen sehr gehaltvollen Aufsatz vorgelegt und noch manches in seiner Schublade,7 in die er den Verfasser dankenswerter Weise Einblick gewährte. Dieser hat, abgesehen von seiner und Karl Brunners Bearbeitung der Herrscher- und Fürstentitel des 9. und 10. Jahrhunderts, für den 3. Band von The New Cambridge Medieval History das Kapitel ,Bavaria in the tenth and early eleventh centuriesʻ beigetragen und mit der deutschen Fassung den Band ,Salz­ burg, Bayern, Österreichʻ beendet. Außerdem handelte seine frühe Untersuchung des nichtköniglichen Herrschertums nicht zuletzt von der Periode, da wichtige karolingische Institutionen umgestaltet, ja grundlegend verändert wurden.8 Von den von Walter Pohl gegründeten und zumeist auch herausgegebenen Forschungen zur Ge­ schichte des Mittelalters sind zwischen 2000 und 2017 nicht weniger als einundzwanzig Bände er­ schienen, von denen fünf ausschließlich hoch- und spätmittelalterliche Themen behandeln. Wer die anderen sechzehn Bände genau durchliest, wird aber ebenfalls entdecken, dass ,Grenzüberschreitungenʻ aus dem Frühmittelalter gang und gäbe sind.9 Die Anregung, es mit der ,Umgestaltung der karolingi­ schen Weltʻ zu versuchen, kann daher nur heißen, die Erweiterung der Thematik plakativ als deutlich wahrnehmbares Programm zu formulieren, und dies wäre auf zweierlei Weise zu rechtfertigen: Zum einen würde der bereits vor der Haustür einsetzenden Marginalisierung entgegen gewirkt, wonach die ,Wienerʻ bloß Frühmittelalter-Spezialisten seien und für die Erforschung des ,eigentlichenʻ Mittelalters weder ­Interesse zeigten noch die nötige Kompetenz besäßen. Zum andern könnte ihr methodischer, auf dem Studium der Handschriften gegründeter Ansatz ,Text und Identitätʻ – erweitert um die gesamt­ europäische Dimension – auch für die spätere Zeit fruchtbar gemacht werden.10 So würden auf jenem viel beackerten Feld neue Fragestellungen entwickelt und neue Einsichten parallel oder konträr zur herkömmlichen Reichsgeschichte gewonnen werden. Auch sind die Ergebnisse der wertvollen Unter­ suchungen von Carl-Richard Brühl noch nicht vollständig aufgearbeitet, wie sich am Beispiel seiner

1985); Hagen Keller, Die Ottonen und Karl der Große, in: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000) 112−131; Carlrichard Brühl, Deutschland − Frankreich. Die Geburt zweier Völker (Köln/Wien 1990, 21995). Bernd Schneidmüller, Karolingi­ sche Tradition und frühes französisches Königtum (Frankfurter Historische Abhandlungen 22, Wiesbaden 1979). Siehe nicht zuletzt die ausgezeichnete und umfassende Untersuchung von Walter Pohl, Staat und Herrschaft im Frühmittelalter. Überlegungen zum Forschungsstand, in: Staat im Frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (For­ schungen zur Geschichte des Mittelalters 11, Wien 2006) 9−38. 6 Zu den Annales Fuldenses siehe Richard Corradini, Überlegungen zur sächsischen Ethnogenese anhand der Annales ­Fuldenses und deren sächsisch-ottonischer Rezeption, in: Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des Frühen Mittelalters, ed. Walter Pohl (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8, Wien 2004) 211−231; Richard Corradini, Die Annales Fuldenses – Identitätskonstruktionen im ostfränkischen Raum am Ende der Karolingerzeit, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philipp Shaw (Forschungen zur Ge­schichte des Mittelalters 12, Wien 2006) 121−136; Zu Walahfrid Strabo siehe Richard Corradini, Langzeitperspektiven in der Krise. Das Zeitarchiv des Walahfrid Strabo, in: La productivité d’une crise: Le règne de Louis le Pieux (814−840), et la trans­ formation de l’Empire carolingien, ed. Stefan Esders/Philippe Depreux (im Druck); Richard Corradini, ZeitNetzWerk. Karolingische Gelehrsamkeit und Zeitforschung im Kompendium des Walahfrid Strabo (Habilitationsschrift, Wien 2014). 7 Bernhard Zeller, Die Liudolfinger als fränkische Könige? Überlegungen zur sogenannten Continuatio Reginonis, in: Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philipp Shaw (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 12, Wien 2006) 137−151. 8 Karl Brunner, Die fränkischen Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, in: Intitulatio II. Lateinische Herrscherund Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram (MIÖG, Erg. Bd. 24, Wien/Köln 1973) 179−340, hier 188−191; Herwig Wolfram, Einleitung; Lateinische Herrschertitel im neunten und zehnten Jahrhundert; Schlusswort, in: Intitulatio II. Lateinische Herrscher- und Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, ed. ders. (MIÖG, Erg. Bd. 24, Wien/Köln 1973) 7−178 und 549−556; Herwig Wolfram, Bavaria in the tenth and early eleventh centuries, in: The New Cambridge Medieval History, 3: c. 900−c.1024, ed. Timothy Reuter (Cambridge 2000) 293−309; Herwig Wolfram, Salz­ burg, Bayern, Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit (MIÖG, Erg. Bd. 31, Wien/München 1995) 380−398; Herwig Wolfram, The Shaping of the Early Medieval Principality as a Type of Non-Royal Rulership, in: Viator 2 (1971) 35–51. 9 Siehe etwa Herwig Wolfram, Sprache und Identität im Frühmittelalter mit Grenzüberschreitungen, in: Sprache und Identität im frühen Mittelalter, ed. Walter Pohl/Bernhard Zeller (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 20, Wien 2012) 39−59. 10 Siehe Texts and Identities in the Early Middle Ages, ed. Richard Corradini/Rob Meens/Christina Pössel/Philipp Shaw (For­ schungen zur Geschichte des Mittelalters 12, Wien 2006).

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Behandlung des theodiscus/teutonicus-Themas zeigen ließ.11 Genug Stoff für weitere Studien bietet die Kritik, die Susan ­Reynolds, Brigitte Kasten und Steffen Patzold an der herkömmlichen Lehre von ­einem voll ausgebildeten ­karolingischen Lehnswesen vorgebracht haben.12 Allerdings hat Karl Brunner schon in den frühen 1970er Jahren gerne mündlich den Titel von François Louis Ganshofs berühmtem Buch ,Quʼest-ce que la féodalité?ʻ zu ,Où-est-ce que la féodalité?ʻ abgewandelt. Ebenso wäre nach dem Bei­ spiel von Michael Mitterauer, der die Bedeutung des Lehnswesens für die Namengebung untersuchte,13 dessen Auswirkungen auch auf andere und bisher weniger oder schon seit längerer Zeit nicht mehr erforschter Gebiete, wie etwa der Urkundenformeln, zu bedenken. Oder man könnte den methodischen Ansatz Rudolf Schieffers, die Geschichte der Karolinger in Generationen darzustellen,14 auch auf die postkarolingische Epoche anwenden. Dabei würde etwa herauskommen, dass Konrad II. und seine ,un­ verzichtbare Gefährtinʻ Gisela vermutlich zwei verschiedenen Generationen angehörten.15 Das ist zwar an sich keine überwältigende Erkenntnis, würde aber vielleicht erklären, warum die Zeitgenossen mit der Frühgeschichte Giselas so wenig zurechtkamen und so viele chronologisch-biologische Ungereimt­ heiten produzierten.16 Wie weit aber lässt sich die Umgestaltung einer Welt zurückverfolgen? Systematisch ist das nicht möglich, weil jede Transformation die Funktion von Zeit ist, die Zeit aber ist das Handeln der Menschen, wie einst Isidor von Sevilla schrieb. Und das tempus est actus humani kennt selbstverständlich keine Unterbrechung. Trotzdem sprechen wir von einer Epoche, wörtlich von einem Moment, da die Zeit und demnach auch die actus humani gleichsam den Atem anhalten und innehalten, um sich womöglich auf einen Wechsel der einzuschlagenden Richtung vorzubereiten. Daher ist es pragmatisch sehr wohl mög­ lich, nach dem Beginn einer Umgestaltung zu fragen. So nahm die Transformation der Römischen Welt sicher schon in der ,Weltkrise des dritten Jahrhunderts nach Christus‘ ihren Anfang.17 Ebenso drängte die ,soziale und geistige Problematik eines Großreichsʻ, so der Untertitel von Heinrich Fichtenau, Karo­ lingisches Imperium, bereits tief im 9. Jahrhundert auf die Veränderung von herkömmlichen Ordnungen und Strukturen. Kein Wunder, dass Stefan Esders und Philippe Depreux diesen Gedanken erfolgreich aufgreifen konnten.18 Und wann endet eine Transformation? Spätestens mit Beginn der nächsten, womit ein perfekter Zirkelschluss vollzogen wäre. Aber das gilt für viele unserer Begriffe wie etwa auch für die viel diskutierte Ethnogenese. Selbstverständlich erfasst die Umgestaltung einer Welt alle Bereiche des menschlichen Lebens, so dass sich ihre Erforschung nicht bloß auf die Geschichte von Verfassung und Institutionen beschränken darf. Weil aber davon in den Texten am meisten zu finden ist, mag damit begonnen werden. Man fragt sich, was die Zeitgenossen von der Umgestaltung der karolingischen Welt und auf welche Weise wahrgenommen haben. Vgl. Brühl, Deutschland − Frankreich 181−242, mit Herwig Wolfram, Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter (München 2005) 241−262. 12 Brigitte Kasten. Das Lehnswesen – Fakt oder Fiktion?, in: Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven, ed. Walter Pohl/Veronika Wieser (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16, Wien 2009) 331−356; Steffen Patzold, Das Lehnswesen (München 2012); Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted (Oxford 1994); Vgl. dazu etwa Matthias Becher, Die subiectio principum. Zum Charakter der Huldigung im Franken- und Ostfrankenreich bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts, in: Staat im Frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (For­ schungen zur Geschichte des Mittelalters 11, Wien 2006) 163−178, hier 164; Herwig Wolfram, Karl Martell und das frän­ kische Lehenswesen. Aufnahme eines Nichtbestandes, in: Karl Martell in seiner Zeit, ed. Jörg Jarnut/Ulrich Nonn/Michael Richter (Beihefte der Francia 37, Sigmaringen 1994) 61−78. Überarbeitung in: Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 123−141. 13 Michael Mitterauer, Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte (München 1993) bes. 320−323; ders., ,Senioris sui nomineʻ. Zur Verbreitung von Fürstennamen durch das Lehenswesen, in: MIÖG 96 (Wien 1988) 275−330. 14 Rudolf Schieffer, Die Karolinger (UTB 411, Stuttgart 1992, 42006). 15 Herwig Wolfram, Konrad II. (990−1039). Kaiser dreier Reiche (München 2000, ²2016) 65 mit Anm. 4 (möglicher Genera­ tionenunterschied). Zur comes necessaria siehe Wipo, Gesta Chuonradi II. imperatoris 4 (ed. Harry Bresslau, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [61], Hannover/Leipzig 31915, ND 1993) 25. 16 Wolfram, Konrad II. 49−59. 17 Isidor von Sevilla, Etymologiarum sive originum libri XX (ed. Wallace Martin Lindsay, 1 und 2, Oxford 1911), hier I, 44, 5; Herwig Wolfram, Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie (München 52009) 53. 18 Siehe oben Anm. 4 und Heinrich Fichtenau, Das Karolingische Imperium. Soziale und geistige Problematik eines Groß­ reiches (Zürich 1949). 11

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DIE UNTEILBARKEIT DER REICHE UND DIE REGNA-STRUKTUR Bevor sie noch Könige geworden waren, teilten die Karolinger das Frankenreich 741 nach dem Tod Karl Martells. Aber diese Teilung zwischen Karlmann I. und Pippin III. (I.) wurde ebenso bald hinfällig wie die Teilung zwischen den Pippinsöhnen von 768. Karls des Großen Divisio regnorum wurde überhaupt nie verwirklicht und das Gleiche gilt für die meisten Teilungspläne des 9. Jahrhunderts in Ost und West. In gleicher Weise erübrigten sich Teilungen im ostfränkisch/deutschen Reich, wo von Karl III. dem Dicken bis Konrad I. und von Otto II. bis einschließlich Heinrich III. kein Herrscher, wenn überhaupt, mehr als einen einzigen erbberechtigten Sohn hinterließ. Wie bereits die angeblich geheiligten merowingischen Erbteilungen nicht selten auf Widerstand stießen, nahmen auch für die Karolinger im 9. Jahrhundert die Schwierigkeiten zu, die Teilungen gegenüber dem Adel besonders der regionalen Regna und sei­ nen Spitzenleuten durchzusetzen. Gleichzeitig wurde die aktive Beherrschung des Gesamtreiches durch einen einzelnen Karolinger nicht mehr möglich.19 Unbeschadet der Diskussion, ob der Regnum-Be­ griff bereits im 9. und 10. Jahrhundert einen transpersonalen Bedeutungsinhalt besaß oder nicht,20 steht doch sein Bedeutungsumfang außer Streit: Die Quellen unterschieden drei Arten von Regna. Regnum bedeutete erstens das karolingische Gesamtreich, zweitens das westfränkische, das ostfränkische oder das langobardisch-italienische Teilreich und drittens einen Reichsteil, eine politisch-regionale Einheit, der ein vornehmlich nach gemeinsamem Recht lebendes Volk den Namen gab. Die Großen mussten von den Karolingern ganz allgemein am Reichsregiment beteiligt werden; umso mehr stand ihnen die politische Mitwirkung in den Regna vom Typ III zu.21 Aus dem Wettkampf um Königsnähe, Macht und Einfluss gingen dabei, wie vor allem Karl Brunner gezeigt hat, die Repräsentanten der erfolgreichsten Adelsgruppen als ,Zweite nach dem Königʻ hervor. Die Diplome und andere den Königen nahe­stehende administrativen Quellen bezeichneten solche Großen, selbst wenn sie an der Spitze eines Regnum stan­ den, jedoch niemals anders denn als ihre Stellvertreter, als comites und erst in der Spätzeit auch als marchiones.22 Nicht selten musste ein solcher gräflich-markgräflicher Mandatsträger königliche Auf­ gaben übernehmen, wenn die karolingische Reichsgewalt gegenüber den Bedrohungen durch Wikinger, Ungarn und Sarazenen versagte oder sich überhaupt aus bestimmten Regionen zurückgezogen hatte. Auf diese Weise waren Graf Odo von Paris und andere Fürsten im Jahre 888 zwar als Franken, aber als Nichtkarolinger zu einem fränkischen Königtum gelangt, weil mit der Absetzung und dem Tod Kaiser Karls III. dessen Regna „des gesetzmäßigen Erbes entbehrten“ und „nicht mehr auf einen natürlichen (= karolingischen) Herrn warteten“.23 Zu den vornehmsten Regna vom Typ III zählten Aquitanien und Bayern. Wie Aquitanien wurde Bayern 741 noch nicht in die Erbteilung zwischen Karlmann I. und Pippin III (I.) einbezogen und besaß schon unter den Agilolfingern den anerkannten Rang eines Regnum.24 So schwer erkrankt, dass er sich von der Herrschaft zurückziehen musste, hatte Herzog Theodo in gut merowingischer Art Bayern in drei oder vier Herrschaftsbereiche geteilt, weil er ebenso viele Söhne hatte. Er tat dies nach 712 und vor 716, wurde wieder gesund, überlebte die Hälfte seiner Erben, und auch die andere Hälfte bestand bald Fichtenau, Karolingisches Imperium 287–297; Brühl, Deutschland − Frankreich 329−341 und 461f.; Ian Wood, Kings, kingdoms and consent, in: Early Medieval Kingship, ed. Peter H. Sawyer/Ian N. Wood (Leeds 1977, ND 1979) 6–29, hier 10−17 (Widerstand in merowingischer Zeit). 20 Pohl, Staat und Herrschaft 9−38 (vgl. oben Anm. 5), und Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung von ,Staatʻ und ,Herr­ schaftʻ im frühen Mittelalter, in: Staat im Frühen Mittelalter, ed. Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11, Wien 2006) 39−58. 21 Thegan, Die Taten Kaiser Ludwigs (Gesta Hludowici imperatoris) 7 und 9 (ed. und übersetzt Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [64], Hannover 1995) 188 und 190, versteht das Herrschaftsgebiet Ludwigs des Frommen, das dieser nach dem Tode des Vaters übernahm, als regna. Siehe dazu auch Regino von Prüm (wie Anm. 23). − Siehe zum folgenden Goetz, Wahrnehmung von ‚Staat‘ und ‚Herrschaft‘ bes. 46−48 mit Anm. 39, der Karl Ferdinand Werner zustimmt und ­dessen entsprechende Arbeiten zitiert. Vgl. Brunner, Fürstentitel 188−191; Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 380f. mit Anm. 252; Brühl, Deutschland−Frankreich bes. 304−329. Annales Fuldenses a. 888 (ed. Friedrich Kurze/Heinrich Haefele, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [7], Hannover 21891, ND 1993) 116: in Europa vel regno Karoli. 22 Karl Brunner, Oppositionelle Gruppen im Karolingerreich (VIÖG 25, Wien/Köln 1979) 27−35. 23 Regino von Prüm, Chronica a. 888 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [50], Hannover 1890, ND 1989) 129f. 24 Herwig Wolfram, Intitulatio I. Lateinische Königs− und Fürstentitel bis zum Ende des achten Jahrhunderts (MIÖG, Erg. Bd. 21, Wien/Köln 1967) 166−169 und 181−184; Brühl, Deutschland−Frankreich 157 mit Anm. 457. 19

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nur mehr aus dem Herzog Hucbert, so dass die Teilung vom Beginn des 8. Jahrhunderts gegenstandlos wurde.25 Danach stellte sich das Problem für Bayern bis 788 nicht mehr und wurde wie in Aquitanien oder in Alemannien/Schwaben auch unter den Karolingern niemals wirklich aktuell. Allerdings blieb das bereits 781 zu einem karolingischen Königreich aufgestiegene Aquitanien in der, allerdings nie ver­ wirklichten Divisio regnorum von 806 als Einheit erhalten, während Bayern wie Alemannien/Schwaben nach dem Willen Karls des Großen entlang der Donau geteilt werden sollten.26 Dagegen sah Kaiser ­Ludwig der Fromme in der Ordinatio imperii von 817 vor, dass seine jüngeren erbberechtigten Söhne Pippin und Ludwig der Deutsche jeweils als Könige ungeteilte regionale Regna erbten. Der Kaiser bestimmte für den einen Sohn Aquitania et Wasconia et marka Tolosana tota und für den anderen ein ungeteiltes Bayern, das heißt unter Einschluss des Nordgaus, den Karl der Große 806 noch nach älteren Vorbildern abtrennen wollte. Der Teilungsplan von 839 sah zwar wieder die Zuordnung des Nordgaus zu einem ducatus Austrasiorum vor.27 Diese Divisio wurde aber ebenfalls niemals verwirklicht. So blieb Bayern weiterhin ungeteilt, sieht man von den Jahren zwischen 865 und 876 ab, in denen der Königs­ sohn Karlmann als Vorgriff auf sein Erbe das Land östlich des Inns besetzt hatte.28 Pippin von Aquita­ nien und Ludwig von Bayern bezeichneten bereits zu Lebzeiten ihrer Väter ihr Königtum nicht nach dem Namen des Reiches, sondern nach dem des Volkes und haben jeweils als rex Aquitanorum oder rex Baiovariorum geurkundet.29 Was bedeutet dieser Befund für die Unteilbarkeit des Reiches? Sie kam nicht bloß durch die Launen der Natur oder, wie die mittelalterlichen Autoren schrieben, durch Gottes unerforschlichen Ratschluss zustande. Aber eine große Theorie sollte man dahinter nicht vermuten. DIE MARKEN Wie im Karolingerreich wurden auch in den Nachfolgereichen Grenzorganisationen gegenüber den ,auswärtigenʻ Völkern eingerichtet. Die Markenorganisation besitzt daher wie das Lehnswesen euro­ päische Dimensionen, weshalb etwa Vergleiche zwischen der französisch-spanischen Grenze mit For­ mationen im heutigen Niederösterreich möglich und nötig sind. Die karolingischen unterschieden sich jedoch fundamental von den ,klassischenʻ, den ottonischen und salischen Marken allein schon hin­ sichtlich ihrer Größe. So war die bayerische plaga orientalis, wohl das Ostarrîchi des 9. Jahrhunderts, sicher mehr als 20, wenn nicht 30mal größer als das Ostarrîchi der frühen Babenberger. Allerdings war deren Mark ungleich besser herrschaftlich organisiert als ihre riesige Vorgängerin. Die karolingischen Marken bestanden sowohl aus Grafschaften in selbständigen Grenzgebieten wie aus den von Grafen verwalteten Grenzgebieten der einzelnen Regna. In beiden Formationen blieben halbautonome gentile Herrschaftsbereiche unter abhängigen, zumeist duces genannten Fürsten nicht bloß erhalten, sondern hatten wesentliche politisch-militärische Aufgaben für die Könige wahrzunehmen. Eine Großmark wie das Bayerische Ostland erlangte derartig große politisch-militärische Macht, dass auf ihrer Grundlage das Königtum Karlmanns und vor allem seines Sohnes Arnulf entstehen konnte.30 Die ungleich klein­ Joachim Jahn, Ducatus Baiuvariorum. Das bairische Herzogtum der Agilolfinger (Monographien zur Geschichte des Mit­ telalters 35, Stuttgart 1991) 98−107; Herwig Wolfram, Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. 378−907 (Wien 1995, ND 22003) 81−93. 26 Divisio regnorum a. 806, 2f. (ed. Alfred Boretius/Victor Krause, MGH Capit. 1, n. 45, Hannover 1883, ND 1984) 126−130, hier 127; BM2 = Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii 1 (751−918) (neubearb. von Engelbert Mühlbacher, vollendet von Johann Lechner, Innsbruck 21908. Mit Vorwort, Konkordanztabellen und Ergänzungen von Carlrichard Brühl und Hans H. Kaminsky, Hildesheim 1966) 1338c: 817 VII. 27 Ordinatio imperii a. 817, praef. und 2f. (ed. Alfred Boretius/Victor Krause, MGH Capit. 1, n. 136, Hannover 1883, ND 1984) 270−273. Zur ersten Abtrennung des Nordgaus von Bayern siehe Herwig Wolfram, Das Fürstentum Tassilos III., Herzogs der Bayern, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 108 (Salzburg 1968) 157−179, hier 160 mit Anm. 17. Zum Teilungsplan von 839 siehe Annales Bertiniani a. 839 (ed. Georg Waitz, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [5], Hannover 1883) 21; Vgl. Conversio (ed. Wolfram) = Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzbur­ ger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien, ed., übersetzt, kommentiert von ­Herwig Wolfram und um die Epistola Theotmari wie um Gesammelte Schriften zum Thema ergänzt (Ljubljana/Laibach 32013) 259f. 28 Wolfram, Grenzen und Räume 162. 29 Jan Dhondt, Études sur la naissance des principautés territoriales en France (Brügge 1948); Wolfram, Intitulatio I. 221−224 und Intitulatio II. 105. 30 Wolfram, Grenzen und Räume 251−259. 25

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räumigeren ottonisch-salischen Marken waren und blieben dagegen zur Gänze Grafschaften und Marken und konnten bald territoriale Markgrafschaften werden, in denen es keine von Grafen kontrol­ lierte gentile Fürsten mehr gab. In diesen Markgrafschaften wurden erstmals ordentliche Bischofssit­ ze errichtet und sogar eigene, mitunter selbst erzeugte Heilige und Märtyrer verehrt, wie der irische ­Königssohn Koloman in der Mark Österreich.31 Der für den Süden geprägte Satz Otto Brunners „Mark ist werdendes Land“ hatte, wie Christian Lübke betonte, jedoch bis ins 12. Jahrhundert keine Gültigkeit an der unteren Elbe.32 Im Jahre 983 hatten die Liutizen und ihre slawischen Verbündeten die inzwischen eingerichteten sächsischen Marken samt den dazu gehörigen Bischofssitzen zerstört und an deren Stelle gentil-heidnische Strukturen in neu-alter Form errichtet.33 UMGESTALTUNG UND AUFGABE DER FRÄNKISCHEN IDENTITÄT Die Regna von Typ II und ganz besonders III wirkten als wesentliche Motoren der verfassungsge­ schichtlichen Veränderung. Dies hat schon vor Jahrzehnten Jan Dhondt für das westfränkisch-franzö­ sische Königreich und dessen territorialen Fürstentümer gezeigt. Eine dieser Veränderungen war die Renaissance einer gentilen fränkischen Identität in der vom westfränkischen König Karl III. (dem keines­wegs Einfältigen) unter Einschluss Lothringens gebildeten Francia media zwischen Rhein und Seine, während gleichzeitig die fränkische Identität aus weiten Gebieten des Frankenreichs verschwand. Der Prozess lässt sich mit dem Rückzug der Romanitas aus weiten Gebieten des spätantiken Römer­ reichs vergleichen. Für Notker Balbulus gehörte es der Zeit Karls des Großen an und lag daher weit in der Vergangenheit zurück, dass sich „Gallier und Aquitanier, Häduer und Hispanier, Alemannen und Bayern ausgezeichnet fühlten, wenn sie nur den Namen von Knechten der Franken führen durften“. Der Rückzug der fränkischen Identität hinterließ selbstverständlich keine politischen Vakua, deren Ent­ stehung die einzelnen Regna verhinderten. Zugleich ermöglichte der Prozess der ,Entfrankungʻ das Werden von neuen ethnisch-territorialen Identitäten.34 Ein viel beachtetes Beispiel bietet das Werden der Deutschen, deren Name sich zwar linguistisch bis auf das Bibelgotische zurückführen lässt, der sich jedoch historisch unmittelbar vom mittellateinischen Adjektiv theodiscus, ,zum Volk gehörigʻ, her­ leitete. Als die ,zum Volk gehörigeʻ Sprache ist das Wort 786 erstmals für das Angelsächsische belegt und steht zunächst für einzelne oder die germanischen Volkssprachen insgesamt. Als das Adjektiv in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts zum Volksnamen und mit teutonicus gleichgesetzt wurde, waren damit zunächst die Bewohner der bayerischen Regna, die Bayern und die vorwiegend slawischen Völ­ ker des Bayerischen Ostlandes, gemeint. So kam es, dass *theudō in der Bedeutung ,(fremdes) Volk im eigenen Landʻ nach der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert sowohl ins Altrussische wie ins Ungarische entlehnt wurde. Heute noch sind die Slowenen und die Slowaken, das heißt diejenigen Slawen, die im Laufe ihrer Geschichte keinen Sondernamen entwickelt haben, im Ungarischen die tótok (Sing. tót); sie bildeten das nichtmagyarische Volk im einstigen ungarischen Königreich. Erst rund hundert Jahre nach dieser Entlehnung aus dem Bayerischen liegt der Zeithorizont der frühesten Verwendung von theodiscus/ teutonicus als Bezeichnung der Deutschen.35 Um die Mitte des 10. Jahrhunderts hatte hingegen ein ­Liudprand von Cremona für die Gesamtheit der ostfränkischen Völker noch keinen Namen, sondern musste sie einzeln als Bayern, Schwaben, Franken und Sachsen aufzählen.36 Aber auch die slawische Conversio, ed. Wolfram 258−273, bes. 272f. und 340−350; Herwig Wolfram, Besprechung von Andrea Stieldorf, Marken und Markgrafen. Studien zur Grenzsicherung durch die fränkisch-deutschen Herrscher (MGH Schriften 64, Hannover 2012), in: Unsere Heimat 83, 1−2 (2012) 121−125. 32 Siehe Wolfram, Konrad II. 224 mit Anm. 3, zu Otto Brunner, Land und Herrschaft (Wien 51965, ND Darmstadt 1973) 201f. (Zitat). 33 Christian Lübke, Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an) 1−5 (Berlin 1984/88), hier nn. 220−226; 3, 15−25. 34 Wolfram, Intitulatio II. 131; Brühl, Deutschland−Frankreich 169−171, sieht den Begriff ,Entfrankungʻ kritisch. Zum Zitat siehe Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni imperatoris I, 10 (ed. Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ., NS 12, Berlin 1959, verbesserter ND 1980) 13. 35 Wolfram, Gotische Studien 241−262, bes. 261f. 36 Liudprand von Cremona, Antapodosis II 5, in: Liudprand von Cremona, Opera (ed. Josef Becker, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [41], Hannover 1915, ND 1993) 39. 31

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Fremdbezeichnung für die Deutschen als Němci ist zunächst, das heißt kurz vor 880, für die Bewohner der bayerischen Regna entstanden. Damals hat die byzantinische Reichskanzlei den slawischen Aus­ druck übernommen und Bayern als das Land der Nemitzii bezeichnet.37 DIE HERSTELLUNG INTERREGNALER BINDUNGEN Die Entstehung neuer ethnischer Verbände, die sich sowohl an der Bildung neuer Volksnamen, wie auch an der veränderten Übernahme traditioneller vorrömischer Identitäten, wie etwa der der Aquitanier und Karantanen, ablesen lässt,38 wurde in den einzelnen Regna vom Adel getragen. Seine keineswegs konfliktfrei erreichte Bereitschaft,39 sich dem jeweils übergeordneten Reich vom Typ II anzuschließen, entschied während des 10. und 11. Jahrhunderts über Fortbestand und Umfang des westfränkisch/ französischen und ostfränkisch/deutschen Reiches. Der Herstellung interregnaler Bindungen diente ­neben anderen Faktoren in traditioneller Weise die königliche und fürstliche Heiratspolitik und das Lehnswesen. Dessen frühe systematische Formierung wurde zwar jüngst mit guten Gründen in ­Frage gestellt.40 Aber die Vorgänge auf dem Lechfeld, wo Karl der Große mit dem Bayernherzog 787 ­einen brüchigen Frieden schloss, wurden vom gleichzeitig schreibenden Hibernicus exul als vasallitische Unter­werfung Tassilos III. interpretiert, eine Auffassung, die auch die kaum jüngere annalistische Überlieferung teilte.41 Damit ist „die politische Auffassung in hofnaher Umgebung um 790 [bezeugt], dass Herzöge zu Vasallen gemacht und Herzogtümer als königliches Benefizium ausgegeben werden können“. In seiner Divisio regnorum von 806 erinnerte Karl der Große daran, er habe einst Tassilo mit den Nordgauer Königshöfen Lauterhofen und Ingolstadt belehnt.42 Im 9. Jahrhundert wurden Lehns­ bindungen eingesetzt, um langobardische, bretonische, awarische und slawische Fürsten, duces, nicht Herzöge, zu Vasallen der Frankenkönige zu machen. Ihre Herrschaften und Regna galten als Teile des Karolingerreiches.43 Wahrscheinlich im Jahre 870 hob der Mährerfürst Zwentibald den ältesten Sohn Arnulfs von Kärnten aus der Taufe und gab ihm seinen Namen. Dadurch wurde das Band der Gevatter­ schaft, der compaternitas, zwischen dem Vater und dem Taufpaten des kleinen Zwentibold geknüpft und eine familiaritas geschaffen, die nachweisbar als Motiv für die 890 faktisch notwendige Abtretung ­Böhmens an den Mährerfürsten gedeutet wurde. Zwentibald dürfte aber schon früher auf diese Ver­ bindung gepocht haben. Seit 870 bestand eine erbitterte Feindschaft zwischen ihm und der im donau­ ländischen Bayerischen Ostland höchst aktiven Familie der Wilhelminer. Überlebende Angehörige der ­Familie stellten sich unter den Schutz König Arnulfs und wurden dessen Lehensleute. Zwentibald ver­ langte mit zwei Gesandtschaften von Arnulf die Beendigung dieser Verbindung und reagierte auf die Ablehnung mit einem verheerenden, das Donauland hart treffenden Rachefeldzug. Arnulf hatte offen­ kundig die Lehensbindung über die aus einer compaternitas stammenden Verpflichtung gestellt. Mit ­Hilfe des Lehnsrechts wurde aber auch versucht, die auseinanderstrebenden Teilreiche und Reichsteile an den höchstrangigen karolingischen König zu binden. Ja, die Vergabe von Lehen diente dem Ausgleich und der Versöhnung sogar innerhalb der Königsfamilie.44 Selbst noch die Ereignisse um den Bonner Vertrag von 921 haben westfränkische Interpreten in diesem Sinne verstanden und den ostfränkischen Wolfram, Gotische Studien 242, 251f., 260f. und 286. Herwig Wolfram, Die frühmittelalterliche Romania im Donau- und Ostalpenraum, in: Walchen, Romani und Latini, ed. Walter Pohl/Ingrid Hartl/Wolfgang Haubrichs (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 21, Wien 2017) 27–57, hier 30 mit Anm. 19f. und 34 mit Anm. 53. 39 Siehe Zeller, Liudolfinger 144f. und 147. 40 Siehe oben Anm. 12. 41 Jahn, Ducatus Baiuvariorum 537f.; Hibernicus exul (ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae 1, Berlin 1881) hier bes. v. 95, 399 (Karl schenkt Tassilo ein prächtiges Ross) und vv. 102f., 399: Ast ego servitium vobis per saecula solvo./Sic fatus regis cum dono ad castra recessit. Hinweis von Maximilian Diesenberger. 42 Kasten, Lehnswesen 346f; Divisio regnorum a. 806, 2, ed. Boretius 127. 43 Siehe die Aufstellung mit Quellennachweisen in Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 168f. mit Anm. 382–388. Zur Terminologie siehe Conversio, ed. Wolfram 304f. 44 Zu Regino von Prüm, Chronica a. 890, ed. Kurze 134, siehe Conversio, ed. Wolfram 294f.; Zu Annales Fuldenses a. 884, ed. Kurze/Haefele, S. 110–112, siehe Wolfram, Grenzen und Räume 255–259; Annales Fuldenses a. 871, ed. Kurze/Haefele 73 und 74. 37 38

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König Heinrich I. als ,Mannʻ des westfränkischen Königs Karl III. des Einfältigen bezeichnet.45 Hein­ rich I. war seinerseits bemüht, das Lehnswesen zur Gewinnung und Sicherung seiner Königsherrschaft innerhalb des ostfränkischen Reichs zu verwenden und setzte damit die karolingische Tradition fort.46 Unbeschadet des Umfangs lehnsrechtlicher Bindungen an den Herrscher des ostfränkisch-deutschen Reichs waren dagegen um das Jahr 1000 die Regna der Polen und Ungarn eigenständige Königreiche geworden. Obwohl Böhmen lehnsrechtlich stärker in das Frankenreich integriert war, unterschied sich dieses Fürstentum tatsächlich kaum von den königlichen polnischen und ungarischen Nachbarn, deren Widerstand, Lehnsträger des Reichs zu werden, aber auf Dauer erfolgreich war. Als der ostfränkisch/ deutsche Herrscher Heinrich II. ,vom Hörensagenʻ erfuhr, dass der Polenfürst Bolesław Chrobry im Frühjahr 1003 Prag eingenommen hatte und von den Einwohnern auch zum böhmischen Fürsten ge­ wählt worden war, verlangte er die Fortsetzung der böhmischen Vasallität, ut ius antiquum poscit. Aber Bolesław Chrobry lehnte jede Lehnsbindung und selbstverständlich auch die für Böhmen, geschweige denn für Polen, ab.47 DAS DOPPELT GETEILTE FRÄNKISCH-KAROLINGISCHE ERBE Unbeschadet der Entstehung neuer Völker blieben die karolingische wie die fränkische Tradition eine geschichtsmächtige politische Theorie. Allerdings wurden das karolingische Erbe einerseits zwischen den Reichen in West und Ost geteilt und andrerseits nicht selten die karolingische von der fränkischen Tradition getrennt. Gegen Ende der Salierzeit bezeichneten deutsche Texte die Westfranken und wer­ denden Franzosen als Karolingi im Unterschied, ja Gegensatz zu den Ostfranken oder Deutschen.48 Die Kapetinger konnten daher mit einigem Recht, wenn auch nicht unwidersprochen, den reditus regni Francorum ad stirpem Karoli als „Rückkehr“ zu den karolingischen Ursprüngen Frankreichs verkün­ den.49 Jedenfalls hielt sich die Theorie, wonach beide Reiche in West und Ost weiterhin Teile des einen Frankenreichs seien. Otto von Freising, der unter Karolingi wie Merovei, wie wir heute, die beiden Herrscherfamilien verstand,50 diskutierte die Frage, ob Otto der Große als primus rex Teutonicorum gel­ ten könne, und kommt zu dem Schluss, dass dies richtig sei, sofern man das regnum Teutonicorum als Teil des Reichs der Franken verstehe.51 Während aber Otto von Freising nicht wusste, welche Sprache die Franken hatten, bevor die einen nach Gallien zogen und dort Romanisch lernten und die anderen am Rhein wie in Germanien blieben und die deutsche Sprache annahmen,52 besaß sein älterer Zeitge­ nosse William von Malmesbury noch oder schon wieder genauere Kenntnisse über ihre germanischen Ursprünge. Indem er Beda mit Jordanes und eigenen Beobachtungen verband, konnte William nicht nur Angeln, Sachsen und Jüten, sondern auch Vandalen, (West)Goten und Normannen zu den Germanen zählen. Daher waren für den am Ausgang der Salierzeit schreibenden Autor auch die ursprüngliche Sprache der Franken und die der Angelsachsen miteinander verwandt, weil beide Völker aus Germanien stammten.53 Aufgrund dieser Kriterien schloss William: Weil Karl der Große die rechtsrheinische Volks­ sprache sprach, seien die Deutschen im Recht, die sich selbst Franken und diejenigen, die als Franken gelten, Golwala (Welschgallier) antiquo vocabculo quasi Gallos nennen.54 47 48 45 46

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Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 123f. und 145; Wolfram, Intitulatio II. 126−129. Gerd Althoff/Hagen Keller, Heinrich I. und Otto der Große, bes. 65−81; Wolfram, Konrad II. 28. Conversio, ed. Wolfram 331f. Dem in Anm. 3 erwähnten Workshop steuerte Robert Bartlett, St Andrews, eine Aufstellung der Karolingi-Stellen bei, wovon hier in alphabetischer Reihenfolge dankbar zitiert werden: Annales Altahenses maiores a. 1043 (ed. Edmund von Oefele, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [4], Hannover 21890, ND 1997) 32; Annalista Saxo a. 893 (ed. Klaus Naß, MGH SS 37, München 2006) 589 (Karolingi – Teutonici); Ekkehard von Aura, Chronicon universale aa. 920 und 1037 (ed. Georg Waitz, in: MGH SS 6, ed. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1844) 181 (Karolingi – orientales Franci) und 195. Siehe unten Anm. 71f. Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus V 23 und VI 17 (ed. Adolf Hofmeister, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [45], Hannover/Leipzig 1912, ND 1984) 250 und 276f. Siehe Brühl, Deutschland−Frankreich 720f., zu Otto von Freising, Chronica IV, 3; V, 35; VI, 17 ed. Hofmeister 187, 259, 276f. Vgl. Wolfram, Konrad II. 35. Brühl, Deutschland – Frankreich 217, zu Otto von Freising, Chronica IV 32, ed Hofmeister 225. Siehe Brühl, Deutschland − Frankeich 217; William of Malmesbury, De gestis regum Anglorum I, 68 (ed. William Stubbs, Rolls Series 90, 1−2, London 1887/1889, ND Vaduz 1964) 1, 70. Siehe Brühl, Deutschland − Frankeich 120f.; zu William of Malmesbury: De gestis regum Anglorum I 68, 1, 70.

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Mit König Heinrich I. wurde die Herrschaft über das ostfränkische Reich nicht bloß von der ­karolingischen stirps regia, sondern auch von den Franken getrennt und auf einen Sachsen übertragen. Das heißt, auf den Repräsentanten eines Volkes, dessen heidnische Vorfahren von Karl dem Großen und den Franken auf nicht gerade sanfte Art behandelt worden waren. Daher wäre zu fragen, ob man in Sachsen die Gegenwart als Veränderung der karolingischen Vergangenheit wahrnahm und wie man beides beurteilte. Im 15. Kapitel des 1. Buches seiner Sachsengeschichte handelt Widukind von Corvey vom ,Großen Karlʻ. Dieser habe in seiner Weisheit erwogen, das edle Nachbarvolk nicht im heidnischen Irrglauben zu belassen, sondern auf den Weg der Wahrheit zu führen. Durch sanfte Überredung und militärische Gewalt sei ihm dieses Vorhaben gelungen. Nach Widukinds fast richtiger Zählung brauchte er dazu 30 Jahre. Karl ließ eben nicht locker, und aus den sächsischen Bundesgenossen und Freun­ den der Franken wurden durch den christlichen Glauben ihre Brüder; ja Franken und Sachsen bildeten als Christen ein Volk, eine einzige gens. Man sieht, Gentilismus allein gibt keine tragfähige politische Grundlage, es bedarf dazu auch des Christentums. Mit seiner Beurteilung des Sachsenkrieges und der Berechnung dessen jahrzehntelanger Dauer folgte Widukind älteren Vorgängern und reduzierte nur die von ihnen dafür berechneten 33 auf 30 Jahre. Rudolf von Fulda hatte den Gedanken in seiner Translatio s. Alexandri, angeregt vom Enkel des sächsischen ,Widerstandskämpfersʻ Widukind, bereits in der Mitte des 9. Jahrhunderts formuliert. Der Poeta Saxo erweiterte zur Zeit Arnulfs von Kärnten diese Interpre­ tation und stellte Karl wegen der Bekehrung der Sachsen in eine Reihe mit den Aposteln und den von ihnen missionierten Völkern.55 Diesen Gedanken griff noch Friedrich Barbarossa in seinem Diplom vom 8. Januar 1166 auf, als er Aachen anlässlich der kurz zuvor erfolgten Heiligsprechung Karls großzügig privilegierte.56 Soweit ging der Mönch Widukind zwar nicht. Aber ein Menschenalter – 30 Jahre – sanf­ ter Überredung zeugt doch von einem wahrlich übermenschlichen Langmut Karls. Oder war es doch militärische Gewalt, die Karl sein Ziel mit schwerwiegenden politischen, rechtlichen und sozioökono­ mischen Folgen erreichen ließ? Auch auf diese Frage gab Widukind von Corvey eine ebenso deutliche wie allerdings versteckte Ant­ wort, die er zur Sicherheit einem Außenstehenden und ohne Nennung Karls des Großen in den Mund legte. Ein Gesandter des westfränkischen Königs Karl III. des Einfältigen und daher karolingischer Parteigänger bemerkte, unter Ludwig dem Frommen seien die Reliquien des heiligen Veit nach Sachsen übertragen worden. Seither sei die Macht der Franken im Abnehmen, die der Sachsen im Zunehmen begriffen, so dass nicht nur Germanien und Gallien, sondern auch ganz Europa davon erfasst werde. Auf diese Weise sei aus der Sklavin Sachsen eine Freie, aus einer Zinspflichtigen die Herrin über viele Völker, gentes, geworden.57 Eine derartige tiefgreifende Veränderung führte Widukind demnach nicht auf innerweltliche geschichtliche Ereignisse zurück, sondern begründete sie mit dem Wirken seines Stiftsheiligen Veit. Auch überbrückte der Autor die Abkehr des ostfränkischen Reiches von den Franken mit dem traditionellen Hinweis, diese und die Sachsen bildeten nun ohnehin ein einziges Volk. Tatsäch­ lich kleidete sich Otto der Große als Franke und gestaltete seine Kaiserpolitik als Fortsetzung der Karls des Großen.58 Der Sitz im Leben der Widukind-Stelle liegt bereits nach dem Sieg über die Ungarn 955 und nach 962, da Otto I. in Rom die Kaiserkrone empfangen hatte; ein Ereignis, wozu sich der Autor in sprechen­ des Schweigen hüllte und das er nicht erwähnte. Galten bisher die Karolinger seit Karl Martell als Her­ ren und Beschützer Europas, sind es nun Heinrich und sein Sohn Otto. Bahnte sich seit dem Amtsantritt Zum Gentilismus siehe Walter Pohl, Gentilismus, in: RGA 11 (Berlin etc. 21998) 91−101, hier 93−95. Siehe Wilhelm Wattenbach/Wilhelm Levison/Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger 1−6 (Weimar 1952−1990) hier Bd. 6, 711−714 und 862−867, bes. 866; zu Rudolf von Fulda = Translatio s. Alexandri (ed. Bruno Krusch, in: Die Überbringung des H. Alexander von Rom nach Wildeshausen durch den Enkel Widukinds 851. Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse 4, Göttingen 1933) 423−436, hier c. 3, 425f.; Poeta Saxo (ed. Paul von Winterfeld, MGH Poetae 4, 1, Hannover 1899, ND Berlin 1964) 1−71, hier a. 803, IV vv. 112f. und 122 (33 Jahre), S. 48 und V, vv. 662−695, bes. vv. 677−688, S. 70f. 56 DD. F. I., n. 502 = Die Urkunden Friedrichs I. (ed. Heinrich Appelt u. a., MGH DD regum et imperatorum Germaniae 10, 2, Hannover 1979) 430−434. 57 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae I 34 (ed. Paul Hirsch/Hans-Eberhard Lohmann, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [60], Hannover 1935, ND 1977) 48. 58 Brühl, Deutschland−Frankreich 807 s. v. Fortsetzung des abendländischen Kaisertums und fränkisch-karolingische Tradi­ tion. 55

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Hadrians I. 772 die Anrede Karls des Großen als neuer Constantin an, wie ihn etwa auch Poeta Saxo als solchen feierte,59 wurde nun Otto der Große dem Karolinger zusammen mit dem gemeinsamen antiken Vorbild gleich gestellt: „Weil unser Sohn [...] Otto, der Allerkaiserlichste von allen Kaisern, als Dritter nach (Karl und) Constantin die Römische Kirche ganz besonders erhöht hat“, begründete Johann XIII. am 20. April 967 die Errichtung der Erzdiözese Magdeburg, „haben wir gestattet, dass sie den anderen Metropolen nicht nachstehen, sondern zusammen mit den ersten als erste und mit den alten als alte un­ erschüttert bestehen soll.“60 Der Satz, dass Constantin unde Karl den Sachsen ihr Recht gegeben hätten, stand zwar ausdrücklich erst im Vorwort des Sachsenspiegels Eikes von Repgow,61 war aber möglicher­ weise älteren Ursprungs. Sowohl Konrad II. (1024−1039) wie sein Vorgänger Heinrich II. (1002−1024) mussten das Recht der Sachsen bestätigen, bevor sie die Sachsen als Könige anerkannten.62 Kaiser geworden, wies Konrad jedoch den Herzog von Sachsen, einen Grafen und einen Markgrafen in ­einem Mandat an, die „Grausamkeit“ des Sachsenrechts zu mildern, ohne allerdings Karl den Großen zu er­ wähnen. Das sächsische Recht ließe nämlich zu, dass die unfreien Unterschichten wie „das dumme Vieh” behandelt würden.63 Anders als die konservativen Sachsen nahmen Konrad II. und seine Umgebung eine wesentlich prag­ matischere Haltung gegenüber den Unfreien ein, die tatsächlich keine undifferenzierte Masse bildeten noch jemals gebildet hatten. Schon die karolingische Gesetzgebung wandte sich an servi, die mit Lehen ausgestattet (geehrt) und gemeinsam mit ihren Herren als schwerbewaffnete und daher lebenslang trai­ nierte Reiter zum Kriegsdienst verpflichtet waren.64 Es war aber nicht vor Konrad II., dass ein Herrscher einem seiner unfreien Leute die Hufe eines Edelfreien nicht nur schenkte, sondern dem Empfänger darüber auch ein Diplom ausstellen ließ. Für diese Kaiserurkunde vom 8. Mai 1034 intervenierten die Kaiserin Gisela, der junge König und Bayernherzog Heinrich III. und der aus Bayern stammende Erz­ bischof Pilgrim von Köln. Ihr Empfänger war ein Pabo, der seinerseits am Beginn des Weges stand, der vom servus imperatoris zu den bayerischen Reichs- und Herzogsministerialen des 12. Jahrhunderts führte. Wie Pabo scheinen auch alle anderen mit Schenkungen und Urkunden bedachten Dienstleute Konrads in Bayern zu Hause gewesen zu sein. Wenn dem so gewesen ist, wäre zu fragen, ob neben der unterschiedlichen Entwicklung der deutschen und französischen Unfreiheit nicht auch zwischen der ­ministerialischen Formierung in Bayern und der im übrigen Deutschland zu differenzieren sei. Falls diese Beobachtung zutrifft, könnte man sie damit erklären, dass das Ausmaß der Unfreiheit im Deutsch­ land des 10. und 11. Jahrhunderts nirgends so groß war wie in Bayern. Ebenso könnten herkömmliche Sondergruppen, wie die mit eigenem Recht ausgestatteten Barschalken, oder neugebildete Verbände, wie eben die königlichen Dienstmannen, bewirkt haben, dass den bayerischen Unfreien bereits zu einem früheren Zeitpunkt bessere Aufstiegsmöglichkeiten zur Verfügung standen als anderswo.65 Konrads Mandat an die sächsischen Würdenträger von 1027−1029 bedeutete einen kaiserlichen Ein­ griff in ein ,Volksrechtʻ und wurde auch von Wipo als solcher gesehen. Allerdings habe Konrad nicht nur den Sachsen, sondern auch den Bayern „die Zügel des Gesetzes“ auferlegt. Diese Maßnahmen erinnern an Karls des Großen Versuch, nach der Kaiserkrönung die leges populi sui zu verbessern und zu vereinheitlichen, wobei er freilich, wie Einhard resignierend feststellte, nicht viel erreichte.66 Aber es Eugen Ewig, Das Bild Constantins des Großen in den ersten Jahrhunderten des abendländischen Mittelalters, in: Ders., Spätantikes und frühmittelalterliches Gallien 1 (Beihefte der Francia 3, 1, München 1976) 72–113, hier 101−104. Siehe Wattenbach/Levison/Löwe, Geschichtsquellen 6, 866, zu Poeta Saxo V vv. 662 ff.; 4, 70. 60 Papsturkunden 896−1046, 1: 896–996 (ed. Harald Zimmermann, Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissen­schaften, philologisch-historische Klasse, Wien 21988) hier 1, 348; Herwig Wolfram, Constantin als Vorbild für den Herrscher des hochmittelalterlichen Reiches, in: MIÖG 68 (Wien/Köln 1960) 226–243, hier 226f. 61 Siehe Wolfram, Constantin 240; zu Sachsenspiegel, Textus Prologi (ed. Karl August Eckhardt, MGH LL, Fontes iuris 8, Hannover 1966) 16. 62 Wolfram, Konrad II. 77 und 354f. 63 Wolfram, Konrad II. 355 mit Anm. 109, zu DD. Ko II., n. 130, in: Die Urkunden Konrads II. (ed. Harry Bresslau, MGH DD regum et imperatorum Germaniae 4, Berlin 1909, ND 2001) 175f.: Mandat von 1027/1029 an den Herzog von Sachsen, einen Grafen und einen Markgrafen. 64 Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 154 mit Anm. 320, nach Capitulare missorum 4(ed. Alfred Boretius/Victor Krause, MGH Capit. 1, n. 25, Hannover 1883, ND 1984) 67. 65 Wolfram, Konrad II. 193f. 66 Wipo, Versus pro obitu Chuonradi imperatoris v. 8, in: Wipo, Gesta, ed. Bresslau 62; Einhard, Vita Karoli Magni c. 29 (ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [25], Hannover/Leipzig 61911, ND 1965) 33. 59

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war Karls Sachsenrecht, das der Salier für grausam und barbarisch hielt, ohne den Gesetzgeber zu nen­ nen. Das ist umso bemerkenswerter, als Konrads Biograph Wipo über dessen Mainzer Königskrönung am 8. September 1024 schrieb: „Wäre leibhaftig der große Karl mit dem Szepter erschienen, das Volk hätte nicht froher sein, sich nicht mehr freuen können über die Wiederkehr eines solchen Mannes, als über dieses Königs (Konrad) erste Reise (vom Wahlort Kamba zum Krönungsort Mainz).“ 67Auch findet Wipo bei der Schilderung des eigentlichen Königsumritts Gelegenheit, Karl den Großen zu erwähnen: Zunächst sei Konrad nach Aachen gezogen, wo sich der „von den früheren Königen und vor allem von Karl errichtete Erzstuhl des Reiches befindet“. Nach diesem Aufenthalt, der an Ottos III. Besuch bei dem Kaiser in Aachen erinnert,68 habe Konrad sofort unermüdlich für den größten Nutzen des Reiches gewirkt und rasche Erfolge erzielt, so dass kein Zweifel bestand, seit Karl dem Großen habe es keinen des Königtums würdigeren Herrscher gegeben. Daher kam das Sprichwort auf: „Konrads Sattel trage die Steigbügel Karls.“ Wipo, der auch poetische Ambitionen hegte, war die volkstümliche Form des Sprichworts nicht elegant genug, so dass er es in die Verse goss: „Konrad drückt die Steigbügel Karls des Königs.“69 Konrad II. war zwar nicht selbst, aber über seine Gemahlin Gisela und die westfränkischen Karo­ linger mit Karl dem Großen verwandt.70 Wipo meinte, man müsse bloß „nach der zehnten die vierte Generation” zählen, um Giselas Herkunft von Karl dem Großen zu bestimmen. Entfernt erinnert diese Zählung an Matthaeus 1, 1–17, der die Reihe der Vorfahren Christi in dreimal 14 Generationen glie­ dert. Jedenfalls war die Bedeutung Karls des Großen für die Legitimität der salischen Königsherrschaft einem Otto von Freising sehr wohl bewusst. Karl Ferdinand Werner nahm an, Otto sei während seiner Pariser Studienzeit vom werdenden kapetingischen reditus regni Francorum ad stirpem Karoli angeregt worden.71 Tatsächlich schreibt Otto seinem Urgroßvater Heinrich III., den er bezeichnender Weise „den Sohn der Gisela“ nennt, das Verdienst zu, die kaiserliche Würde, die lange Zeit „dem Samen Karls“ entfremdet war, auf den „edlen und alten Spross Karls“ zurückgeführt zu haben.72 Für Heinrich III. bildete dagegen das Herrscherpaar Theophanu und Otto II. „die Urheber seines Geschlechts“.73 Ja, dass Mathilde, die Tochter der beiden, die Frau des lothringischen Pfalzgrafen Ezzo wurde, empfanden Zeitgenossen als Skandal, obwohl der Bräutigam seinerseits ein Nachfahre der ­Karolinger und als Herr Aachens Bewahrer der karolingischen Tradition war. Manche erklärten sich das Unmögliche sogar damit, Ezzo habe die Braut ihrem Bruder Otto III. im Trictrac abgewonnen. Allerdings war Otto III. zur Zeit der Eheschließung Ezzos zwischen 990 und 993 ein zehn- bis dreizehn­ jähriger Bub und weder ein vollwertiger Spielgegner noch politisch voll handlungsfähig. Ein seriöserer Beobachter, der zwar auch von der allgemeinen Missbilligung der Eheschließung wusste, meinte aber, allein die beachtliche Mitgift Mathildes habe verhindert, dass „der ihr von höchsten Vorfahren ange­ borene Rang Schaden litte”.74 Besaß ottonisches Geblüt demnach einen Rang, der selbst noch den der karolingischen Herkunft übertraf? Bernhard Zeller hat aufgrund der Continuatio Reginonis gezeigt, dass 69 70 71

Wipo, Gesta 3, ed. Bresslau20f. Stefan Weinfurter, Karl der Große. Der heilige Barbar (München 2013) 35f.; Brühl, Deutschland – Frankreich 606. Wipo, Gesta 6, ed. Bresslau28f. Wolfram, Konrad II. 49f. Karl Ferdinand Werner, Die Legitimation der Kapetinger und die Entstehung des ,Reditus regni Francorum ad stirpem ­Karoliʽ, in: ders., Structures politiques du monde franc (VIe−XIIe siècles). Études sur les origines de la France et de lʼAllemagne (Variorum Reprints, London 1979) VIII. Erstdruck: Die Welt als Geschichte 12 (Stuttgart 1952) 203–225, hier 221. Vgl. oben Anm. 36. 72 Siehe Werner, Die Legitimation 204; zu Otto von Freising, Chronicon VI 32, ed. Hofmeister 297. 73 Wolfram, Konrad II. 47 mit Anm. 96. 74 Wolfram, Konrad II. 343; Wolfhere, Vita Godehardi episcopi Hildesheimensis prior 34 (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 11, Hannover 1854, ND 1994) 167–196, hier 192 (Sophie); Stefan Weinfurter, Heinrich II. (1002−1024). Herrscher am Ende der Zeiten (Regensburg 1999, 32002) 197 mit Anm. 75f.: Fundatio monasterii Brunwilarensis 6 (ed. Hermann Papst, Die Brauweiler Geschichtsquellen, in: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 12, Hannover 1874) 147–192, hier 158; vgl. ebd. 6, ed. Papst 162, und Thietmar von Merseburg, Chronicon IV, 60 (ed. Robert Holtzmann, MGH SS rer. Germ., NS 9, Berlin 1935, ND 1996) 200 (Mathilde). Zur Art des Spieles siehe Antje Kluge−Pinsker, Schach­ spiel und Trictrac. Zeugnisse mittelalterlicher Spielfreude aus salischer Zeit (Römisch-Germanisches Zentralmuseum, ­Monographien 30, Sigmaringen 1991) 55–58. Zur Eheschließung Ezzos 990/93 siehe Helmuth Kluger, Propter claritatem generis. Genealogisches zur Familie der Ezzonen, in: FS Odilo Engels (Kölner Historische Abhandlungen 39, Köln 1993) 223–258, hier 235 und 239. 67 68

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die Ottonen gegenüber den westfränkischen Karolingern gleichsam als die besseren, an Karl den Großen und ­Ludwig den Frommen unmittelbar anknüpfenden Karolinger auftraten.75 Und Heinrich II., der letzte Kaiser aus dem sächsischen Herrscherhaus, nahm 1003 mit seiner Devise renovatio regni Francorum bewusst eine karolingische Tradition auf und verwendete wie sein Großonkel Otto I. in Italien den frän­ kisch-langobardischen Königstitel Karls des Großen.76 Wipo aber ging es weniger um Genealogie und politische Theorie als um die Taten seines Helden. Daher begründete der Biograph den Karls-Vergleich nicht mit genealogischen Spekulationen, sondern mit Konrads II. zupackender und rasch erfolgreicher Politik, die andere, weniger Gutgesinnte der Hilfe des Teufels zuschrieben. Auch fällt in Wipos Widmungsbrief an Heinrich III. der vielzitierte Satz, der Vater des Herrschers „habe einen heilsamen Schnitt in das Staatswesen, nämlich in das Römische Reich, getan”. Zumeist lässt man diesem Satz sofort die zweite Aussage Wipos folgen, wonach Heinrich III. den Schnitt mit vernünftigen Maßnahmen geheilt habe. Eine Feststellung, die den Adressaten nicht nur ehren, sondern auch über den Vater stellen sollte.77 Selbstverständlich ist es methodisch richtig, die Stelle als ganze zu sehen, um der Intention des Autors gerecht zu werden. Andrerseits ist es ebenso wichtig, dass Wipo im Herrschaftsbeginn Konrads eine Zäsur, wenn nicht einen Bruch mit der ottoni­ schen Politik, etwa mit dem „Königtum der Konflikte” Heinrichs II.,78 erkannte. Und dieser ,Schnittʻ war ,heilsamʻ, obwohl es dem Sohn gelang, das ,Heilsameʻ wieder zu heilen. Zugegeben, eine etwas komplizierte Rhetorik, die doch an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Konrads Politik war ebenso neu wie einschneidend, aber sie wurde durch das Beispiel Karls des Großen ermöglicht und legitimiert und in ihren Übertreibungen durch die Klugheit des Sohnes korrigiert.79 Wie aber benützte Konrad die Steigbügel Karls in der Praxis? Ein ganz konkretes Beispiel bildet der Einsatz der Placita, der Gerichtsurkunden, der protokollierten Gerichtsverfahren.80 Wie sich etwa am berühmten Placitum von Rižana/Risano bei Koper/Capo d`Istria von 804 zeigen lässt,81 hat Karl der Große solche öffentlichen Verfahren eingesetzt, um vorher beige­ legte Rechtsstreitigkeiten mit verteilten Rollen öffentlich durchzuspielen, wobei vorweg ein Mitwirken­ der den Part des Verlierers zugewiesen erhielt. Das so erzielte Gerichtsurteil, worüber die gewinnende, fast immer geistliche Partei eine Notitia anlegte, war im Unterschied zu einer Herrscherurkunde un­ scheltbar. Folglich konnten Placita in keiner Weise angefochten werden, wodurch auch der Einsatz von Zweikämpfern ausgeschlossen wurde. Da Otto der Große jedoch genau dieses archaische Rechtsmittel in Italien wieder eingeführt hatte, wollten vor allem die italienischen Kirchen ihre Rechte durch Placita sichern und ließen ihre Herrscherurkunden lieber in den Scrinia, wenn es zum Streit kam. So dienten Placita weiterhin nach karolingischem Vorbild zur Beilegung von Konflikten. Knapp nach seiner Kaiser­ krönung im Jahre 1027 ließ Konrad II. hintereinander zwei solche formale Gerichtsverfahren abhalten, das erste noch in Italien, das zweite in Bayern.82 Und wie dienten die Steigbügel Karls der theoretischen Politik Konrads?

Zeller, Liudolfinger 140 und 148. Weinfurter, Heinrich II. 79−81; Brigitte Merta, Die Titel Heinrichs II. und der Salier, in: Intitulatio III. Lateinische Herr­ schertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram/Anton Scharer (MIÖG, Erg. Bd. 29, Wien/Köln 1988) 163–200, hier 165. Wolfram, Intitulatio II 171 und 173. 77 Wolfram, Konrad II. 69: Der Teufel hat Konrad II. geholfen. Siehe Wolfram, Konrad II. 337, zu Wipo, Epistola ad regem Heinricum = Wipo, Gesta, ed. Bresslau 3 f.(heilsamer Schnitt). 78 Weinfurter, Heinrich II. 186–205. 79 Wolfram, Konrad II. 337. 80 Vgl. Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (MIÖG, Erg.Bd. 23, Wien/Köln 1971) 279 s. v. Gerichtsurkunde. 81 Harald Krahwinkler, Friaul im Frühmittelalter. Geschichte einer Region vom Ende des 5. bis zum Ende des 10. Jahrhun­ derts (VIÖG 30, Wien/Köln/Weimar 1992) 199–243; Harald Krahwinkler, ,… in loco qui dicitur Riziano…‘. Die Versamm­ lung in Rižana/Risano bei Koper/Capodistria im Jahre 804 (Knjižnica Annales 40, Koper 2004). 82 Weinfurter, Heinrich II. 81; Wolfram, Konrad II. 349–352. 75 76

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TRANSPERSONALITÄT, INSIGNIEN UND RITUALE Die Dynastiewechsel des 10. und 11. Jahrhunderts wurden mit Berufung auf die karolingische Tradition zu überbrücken versucht, so dass die Theorie eines bis über die Zeit Karls des Großen zurück reichen­ den Kontinuums entstand. Wer aber diese Theorie konsequent zu Ende denkt, kommt zur Einsicht, das Reich, sei es das kaiserliche der Römer oder das königliche der Franken, besitze eine transpersonale Existenz. „Transpersonale ‚Staatlichkeitʻ war in dieser Zeit nur über die Vorstellung vom römischen oder vom fränkischen Reich denkbar.“ Mag sein, dass die Gesandten des rebellischen Pavia Konrads II. berühmtestes Diktum, die Schiffsmetapher, kaum so gehört haben, wie Wipo sie niederschrieb. Aber dass Konrad den Gedanken vertrat, die Herrschaft sterbe nicht mit dem Herrscher, wie das Schiff nicht untergehe, wenn der Steuermann abtritt, hat Parallelen. Im Sommer 1027 ließ der eben zum K ­ aiser gekrönte Herrscher in einer Gerichtsnotiz niederschreiben, das Reichsgut gehöre dem „Thron des ­Reiches“. Damit war der Aachener Steinthron Karls des Großen gemeint, den Wipo als „Erzstuhl des ganzen Reiches“ bezeichnete. Er fügte hinzu, was die Zeit Heinrichs II. schon über Otto den Großen gesagt hatte, dass keiner nach dem ersten karolingischen Kaiser jener Insignie würdiger gewesen sei als Konrad. Wipo baute seine Biographie so auf, dass die Thronmetapher im Kapitel vor der Schiffs­ metapher steht und somit beide Aussagen über die Transpersonalität von Konrads Reichsverständnis unmittelbar aufeinander folgen.83 Seit Heinrich II. und Konrad II. begannen die Reichsinsignien für die Transpersonalisierung des Reiches zu stehen. Beide Herrscher besaßen zwar wie die früheren Kaiser und Könige mehrere Kronen als persönliches Eigentum, von denen sie einige an geistliche Institutionen schenkten. Konrad II. hat es noch 1027 seinem Vorgänger darin gleichgetan, dass er „die Insignien, die er in Rom bei der Erlangung der Herrschaft” trug, nach Cluny sandte. Andrerseits ging Heinrich II. dem Salier in einer wichtigen Ent­ scheidung voraus. Er hinterließ seiner Witwe Kunigunde königliche Insignien, regalia insignia, die sie ihrerseits dem neugewählten König Konrad zur Bestätigung, corroboratio, übergab.84 Das heißt, diese Herrschaftszeichen blieben nicht mehr Eigentum des jeweiligen Herrschers oder seiner Erben, sondern repräsentierten das Reich, ja waren das Reich.85 Entgegen Albrecht Dürers berühmtem Bild, das Karl den Großen mit der Wiener Reichskrone zeigt, stellt sich Wipo die Wiederkehr des Kaisers „mit dem Szepter“ vor. Wie die Reichskrone selbst war es kaum eine karolingische Tradition, die die Erhaltung der wohl ottonischen Insignie und des Reichskreuzes aus der Zeit um 1030 bestimmte.86 Es sei denn, die vom westfränkischen Karolingerkönig Lothar 978 aus Aachen weggeführten regia insignia waren schon karolingischer Herkunft und mussten von Otto II. ersetzt werden, so dass der Herrscher die ­Wiener Reichskrone in ihrer wesentlichen Gestalt anfertigen ließ.87 Zur Schau gestellt wurden die Insignien vor allem bei der Erstkrönung der Herrscher, bei einer ­Zeremonie, die zumeist mit einer Salbung verbunden war. Konrad II. wurde vom Mainzer Erzbischof in dessen Kathedrale gesalbt und setzte damit eine karolingische, allerdings nicht ungebrochene Tradition fort. Zum einen erfolgte die Weihe des Saliers nicht in Aachen, mag auch diese Abweichung von der Tradition sehr rasch korrigiert worden sein.88 Zum andern war die Salbung ostfränkischer Könige keine Selbstverständlichkeit. Als die Karolinger die merowingischen Könige von der Herrschaft verdräng­ ten, benötigten sie ein sichtbares, bereits mancherorts erprobtes Zeichen göttlicher Gnade, um eine neue stirps regia gründen zu können. Die unbestrittene Salbung Pippins I. und seiner Söhne Karl und Karlmann II., die Papst Stephan II. am 28. Juli 754 in St. Denis vollzog, erfüllte diesen Zweck.89 Das Sakramentale bewirkte aber auch, dass seit dem Regierungsantritt Karls des Großen und Karlmanns II. 768 die Legitimationsformel Dei gratia und ihre Varianten regelmäßig ein Element des Herrscher­ Siehe Wolfram, Konrad II. 340f., zu Wipo, Gesta 6 und 7, ed. Bresslau 28 und 30. Zum Vergleich Ottos des Großen mit Karl dem Großen siehe Thietmar, Chronicon II, 45, ed. Holtzmann 92f. 84 Wolfram, Konrad II. 161f. 85 Herwig Wolfram, Splendor Imperii. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich (MIÖG, Erg. Bd. 20, 3, Wien/Köln 1963) 154. 86 Wolfram, Konrad II. 162–171; Wipo, Gesta 3, ed. Bresslau 20; vgl. oben Anm. 58. 87 Herwig Wolfram, Überlegungen zur Datierung der Wiener Reichskrone, in: MIÖG 78 (Wien 1970) 84–93, hier 91 mit Anm. 32, zu Richer von Saint-Remi, Historiae III 71 (ed. Hartmut Hoffmann, MGH SS 38, München 2000) 208. 88 Zu Wipo, Gesta 3f., ed. Bresslau 20–24 und 25, siehe Wolfram, Konrad II. 64–68 und 74–76. 89 Schieffer, Karolinger 59f. (Pippin auch 751 gesalbt) und 62. 83

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titels in administrativen Texten bildeten.90 Während aber weder einer der Karolinger noch einer ihrer nichtkarolingischen Nachfolger diesen Hinweis auf das Gottesgnadentum seiner Herrschaft unterließ, unterblieb die Salbung im Ostfrankenreich von Ludwig dem Deutschen bis einschließlich Heinrich I. Auch Konrad I. dürfte nicht gesalbt worden sein, wenn Carlrichard Brühl recht gesehen hat.91 Dagegen ist es sicher, dass Otto der Große 936 nach der Setzung auf dem Karlsthron in Aachen die Salbung emp­ fing.92 Damit war der altkarolingische Brauch, den bereits Hinkmar von Reims für die westfränkischen Könige in einem Ordo festgeschrieben hatte,93 auch unbestritten im ostfränkisch/deutschen Reich auf Dauer eingeführt. Warum jedoch mit Ludwig dem Deutschen 826 die bayerische und seit 833 ostfränkische Tradition der Nichtsalbung begründet wurde und es zu einer in West und Ost unterschiedlichen Entwicklung kam, bedarf noch einiger Überlegungen. Fest steht nur, dass sie nichts mit einer Art von antiklerikaler Politik östlich des Rheins zu tun hatte. Die Entscheidung Ludwigs des Frommen, seinen gleichnamigen Sohn 826 ohne Salbung als König nach Bayern zu senden, könnte vielleicht familiengeschichtliche Gründe gehabt haben. Und Ludwig der Fromme hatte nachweisbar ein langes Gedächtnis, was die eigene ­Familiengeschichte betraf. So motivierte der Kaiser 814 die Entfernung seiner ,liederlichenʻ ­Schwestern vom Hof mit dem mehr als zwei Generationen zurückliegenden Familienskandal um Hiltrud und Odilo. Daher war dem Kaiser sicher auch bewusst, dass die Salbung der Söhne oppositioneller Fürsten einst gleichsam als Waffe gegen die karolingische Hauptlinie eingesetzt werden sollte und auch wurde. Vom eben erst zum Papst gewählten Hadrian I. verlangte 772 der Langobardenkönig Desiderius, die Söhne des verstorbenen Karlmann II. zu salben, um die divisio, die Spaltung, des Frankenreichs zu erreichen oder, genauer, zu erhalten. Ihre Mutter war mit den beiden Kindern nach dem Tod ihres Mannes zu Desi­ derius nach Pavia geflohen. Tatsächlich salbte der Papst zu Pfingsten desselben Jahres 772 aber Theo­ do, den ersten Sohn des Bayernherzogs und Halbkarolingers Tassilo III. Dieses Ereignis hatte wie der Familienskandal von 741 mit Bayern zu tun, das nun 826 Ludwig dem Deutschen anvertraut wurde.94 Denkbar, obgleich weniger wahrscheinlich wäre, dass die päpstliche Salbung von 754 als Heiligung aller Nachkommen Pippins und seiner Söhne aufgefasst werden konnte, so dass spätere Salbungen nicht unbedingt nötig erschienen. Nach der Nota de unctione Pippini von St. Denis habe Papst Stephan II. jeden exkommuniziert, der einen anderen als einen Nachfahren der von ihm Gesalbten zum Franken­ könig wählte.95 So lässt Notker Balbulus den Großen Karl sagen, „solange aus seinem Geschlecht auch nur einer von der Länge eines Schwertes zu finden sei, soll er über die Franken oder vielmehr über ganz Germanien herrschen.“96 Bleibt aber immer noch die Frage offen, warum die Auffassung von einer dauerhaften karolingischen ,Ursalbungʻ nur östlich des Rheins, in ,Germanienʻ, vertreten worden wäre. Die Legitimationsformel ist Teil des Herrschertitels. Daher noch einige Worte zum starken Nachwir­ ken der karolingischen Titelformen. Im September 813 hatte Karl der Große seinem Sohn Ludwig dem Frommen den „kaiserlichen Namen“ verliehen,97 woraus mit divina ordinante providentia imperator augustus die Intitulatio Name Legitimationsformel Funktionstitel hervorging, die von nun an sowohl den abendländischen Kaisertitel bestimmte wie mit rex statt imperator augustus die regulären Titel der Könige der westfränkisch/französischen und ostfränkisch/deutschen Teilreiche mit wenigen Ausnah­ men festlegte. Karls Ausgleich mit Byzanz von 812 bedingte auch seinen und den Verzicht seiner kaiser­ 92 93 94

Wolfram, Intitulatio I. 216. Brühl, Deutschland – Frankreich 404 mit Anm. 304f. (Konrad I.) und 422f. (Heinrich I.). Widukind, Res gestae Saxonicae II 1, ed. Hirsch/Lohmann 66. Arnold Angenendt, Salbung, in: RGA 26 (Berlin etc. 22004) 336 links. Annales Admutenses a. 772 (ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9, Hannover 1851) 572: Tassilo Carenthiam subiugavit, et Theodo filius eius Romae baptizatus est. Diese späte Nachricht dürfte die Salbung als Taufe missverstanden haben: siehe Siegmund Riezler, Über ein verlorenes bayrisches Geschichtswerk des 8. Jahrhunderts (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-philol. Klasse 1881/1, München 1881) 247–291, hier 255 und 261: Theodo filius ­Thessaloni in Italiam ad avum Desiderium ducitur, inde Romam, ungitur quinquagenalibus. Siehe Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 370 Anm. 243. Eindeutig ist die Salbung der beiden Karlssöhne Pippin und Ludwig 781 überliefert: siehe Liber pontificalis XCVII (ed. Louis Duchesne, Paris 21955) 488. 95 Siehe Wattenbach/ Levison/ Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen 2, 163 mit Anm. 6, zu Clausula de Pippino = Nota de unctione Pippini (ed. Georg Waitz/Wilhelm Wattenbach u.a., MGH SS 15, Hannover 1887, ND 1992) 1. 96 Siehe Goetz, Wahrnehmung 49 mit Anm. 57, zu Notker, Gesta Karoli II, 12, ed. Haefele, 71. 97 Annales Fuldenses a. 813, ed. Kurze/Haefele 158. 90 91

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lichen Nachfolger bis auf Otto II., dem Gemahl der Byzantinerin Theophanu, den Römernamen im Titel zu führen.98 Erst unter den späteren Saliern traten Änderungen auf.99 Waren dafür nur der Investiturstreit oder nicht auch die Theorie von der Translatio Imperii auf die Deutschen verantwortlich?100 CONCLUSIO Zum Abschluss seien als Stichwörter noch einige Themen und Fragen genannt. Wie und wo wurde aus dem Namen Karls des Großen die slawische (korol`) und ungarische (kiralis) Würdebezeichnung für den König? Was sagen die Linguisten zur Theorie von Henrik Birnbaum, dass korol´ nicht vom Substantiv Karolus, sondern von einem erschlossenen Adjektiv *Karolius abgeleitet wurde, um einen nach karolingischem Vorbild großköniglichen knyaz, Fürsten, zu bezeichnen?101 Die gegen Ende des 10. Jahrhunderts einsetzende Kirchen- und Klosterreform erinnert an Bemühungen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen. Waren etwa die bayerischen Reformer um Wolfgang von Regensburg (972−994) und Abraham von Freising (957−994) sich dessen bewusst? 102 Ein derartiges Anknüpfen an die Karolingerzeit würde die Überlieferungsgeschichte der berühmten Freisinger Denkmäler nahelegen. Die drei slawischen liturgischen Fragmente gehören der Zeit Abrahams an, gehen aber auf Vorlagen des 9. Jahrhunderts zurück.103 Auch wurde der aus dieser Zeit stammende, auf fünfzig Prozent ermäßigte Slawenzehent nach wie vor eingehoben und erst 1036 auf der Synode von Tribur unter Konrad II. ab­ geschafft.104 Trotz der unverändert grundlegenden Studie von Adolf Hofmeister über die Markgrafen im italisch-langobardischen Königreich, ist dem Verfasser – es mag seine Schuld sein – immer noch nicht ganz klar, warum die oberste Gruppe des Laienadels südlich der Alpen die marchiones und nördlich der Alpen die duces bildeten? Die Funktionsbezeichnung marchio fügte sich jedenfalls besser in die karolingisch-königliche Politik ein, die sich gegen die herzoglichen duces richtete.105 Oder, wie weit geht die ottonische Heeresreform auf die Karolingerzeit zurück? Diese Reform überwand die Grenzen der einzelnen, inzwischen entstandenen Herzogtümer,106 deren Bedeutung und Einheit mit Ausnahme von Bayern und Sachsen jedoch eher abnahm? Jedenfalls setzte schon ein Capitulare von 811 als alte Gewohnheit für das Heeresaufgebot sowie für dessen Verpflegung und Ausrüstung Grenzen fest, die rein geographischen Gesichtspunkten folgten und keine Rücksicht auf Regna oder sonstige politische Ordnungen nahmen.107 Würden nicht auch Predigt-Handschriften lohnende Einsichten vermitteln, ­wobei an die Forschungen Max Diesenbergers über diese bisher wenig beachtete karolingerzeitliche Quellen­ gattung anzuknüpfen wäre?108 Oder, wie sehr waren zwischen 950 und 1050 die literarische Erziehung der weiblichen und ihre Koedukation mit den hauptsächlich für den geistlichen Stand bestimmten männlichen Angehörigen der Oberschicht dem 9. Jahrhundert verpflichtet? So ermöglichte es der hohe Wolfram, Intitulatio II. 553. Merta, Die Titel Heinrichs II. und der Salier 182–191; vgl. Klaus Lohrmann, Die Titel der Kapetinger bis zum Tod Ludwigs VII., in: Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert, ed. Herwig Wolfram/Anton Scharer (MIÖG, Erg. Bd. 29, Wien/Köln 1988) 201–256. 100 Werner Goez, Translatio imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mit­ telalter und in der frühen Neuzeit (Tübingen 1958). 101 Herwig Wolfram, The Shaping of the Early Medieval Kingdom, in: Viator 1 (Los Angeles etc.1970) 1–20, hier 6f. 102 Vgl. Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 396–398. 103 Vgl. Harald Krahwinkler/Herwig Wolfram, Der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, in: Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region, ed. Andreas Moritsch/Harald Krahwinkler (Klagenfurt/Laibach/Wien 2001) 89–122, hier 112–116. 104 Wolfram, Konrad II. 330. Allerdings wusste Berchtold von Kremsmünster (Bernardus Noricus) noch am Beginn des 14. Jahrhunderts von der decima Sclavorum, wie seine Schlimmbesserung in der von ihm in den Codex Fridericianus ­kopierten Gründungsurkunde von Kremsmünster beweist: siehe Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 357 und 375. 105 Vgl. Wolfram, Konrad II. 207f. 106 Karl Ferdinand Werner, Heeresorganisation und Kriegführung im deutschen Königreich des 10. und 11. Jahrhunderts, in: ders., Structures politiques du monde franc (VIe−XIIe siècles). Études sur les origines de la France et de l`Allemagne (Variorum Reprints, London 1979) 791–843, hier bes. 809–813. 107 Vgl. Wolfram, Salzburg, Bayern, Österreich 177f. 108 Maximilian Diesenberger, Predigt und Politik im frühmittelalterlichen Bayern. Arn von Salzburg, Karl der Große und die Salzburger Sermones-Sammlung (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 58, Berlin 2015). 98 99

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Bildungsgrad der Damen, dass etwa Gisela ihren Sohn Heinrich die Buchstaben lehrte, damit der zu­ künftige König die schriftlichen Rechte und Gesetze der verschiedenen Völker studieren und sie unter­ scheiden könne. Nicht zuletzt wegen ihrer Bildung übertrafen die ottonisch-frühsalischen Frauen, die an politischen Entscheidungen mitwirkten oder sie selbstständig trafen, die karolingischen Damen an Zahl und Ansehen bei weitem. Außerdem hatten letztere nicht den besten Ruf, wie die bayerische Herzogin Liutpirc oder die Königinwitwe Bertrada, deren Reisediplomatie nach dem Tode König Pippins zwar Frieden stiftete, aber Papst Hadrian I. wegen der Einbeziehung Pavias mit Entsetzen erfüllte.109 Hatte die allgemeine Heiligenkreuz- und Marienverehrung der Jahrtausendwende karolingische Wurzeln?110 War für die damals zur Obsession gesteigerte Inzestfurcht und das daraus abgeleitete Inzestverbot nur die Kirche verantwortlich?111 Oder ein ganz anderes karolingisches Erbe: Die Hubenverfassung, die Dreifelderwirtschaft und der Roggenanbau, worauf Michael Mitterauer besonders aufmerksam gemacht hat,112 setzten sich begünstigt von einer Wärmeperiode erfolgreich durch. So wurde die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln wesentlich verbessert, deren Zahl gegen die erste Jahrtausend­ wende rasch zunahm. Männer der Oberschicht erlebten ein Längenwachstum, das dem heutiger Zeiten nahekommt. Der zunehmende Wohlstand äußerte sich nicht zuletzt in einer der Barockzeit gleichenden Bauwut. Neue Einsichten könnten vielleicht erzielt werden, würde man die in den Nachfolgereichen unter­schiedliche Entwicklung fürstlicher Macht erneut untersuchen, vorausgesetzt man findet und ­formuliert die entsprechenden neuen Fragestellungen. So stand das westfränkische Fürstentum an der Wiege französischer Kultur, Literatur und vor allem der französischen, ja europäischen Kirchenreform. Die Gottesfrieden-Bewegung wurde von der aquitanischen Kirche ins Leben gerufen. Cluny wurde weder von einem Kaiser noch einem König, weder von einem Papst noch einem Bischof gegründet, sondern von Wilhelm dem Frommen, dem ersten von Gottes Gnaden dux Aquitanorum.113 Wichtig wäre es auch, sich mit „Forschungen über Urkundenformeln“ im Sinne Heinrich Fichtenaus neu zu befassen. Wie Berent Schwineköper bereits vor Jahren gezeigt hat, enthalten die Pertinenzformeln gerade dann eine Menge historischer Informationen, wenn sie nicht formelhaft bleiben. Die Notitia Arnonis überlie­ fert für die erste Schenkung Herzog Theodos an den heiligen Rupert eine Pertinenzformel, in der das Wort alpes, Almen, nicht im ,richtigenʻ Ablativ steht, was sowohl die Realität der Schenkung wie ihre wirtschaftliche Bedeutung vermittelt. Schwineköper hat die Formel bis zur Zeit Ottos I. untersucht; eine Fortführung der Untersuchung lässt daher einiges erwarten.114 Die Liste der möglichen Themen ist zwar lang, aber dennoch unvollständig und enthält ohne Zweifel trotzdem Fragen, die bereits weitgehend beantwortet sind, und unvollständig sind insgesamt die ange­ stellten Überlegungen. Was immer aber auch in Zukunft erforscht wird, es soll in klarer und verständ­ licher Sprache, in einer guten, strukturbewussten Erzählung vermittelt werden. In diesem Sinne sei zu guter Letzt doch in aller Öffentlichkeit des toten Lehrers in besonderer Verbundenheit gedacht und ihm von Herzen gedankt. Für Heinrich Fichtenau zählte die Historie als Teil der Rhetorik oder Grammatik zu den ,Sieben Künsten für den Freienʻ, zu den septem artes liberales. Ars aber habe mit Kunst und diese wiederum mit Können zu tun, worüber der Lehrer wahrlich verfügte.115 Wolfram, Konrad II. 55f. und 295f.; Wipo, Tetralogus vv. 161–163, in: Wipo, Gesta, ed. Bresslau 80 (Erziehung Heinrichs III.); Einhard, Vita Karoli Magni c. 11, ed. Holder-Egger 14;Wolfram, Grenzen und Räume 88 (Bertrada). 110 Wolfram, Konrad II. 177–179 und 183. 111 Wolfram, Konrad II. 64f. 112 Michael Mitterauer, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs (München 52009) 17–28 und 42–69. 113 Wolfram, Konrad II. 348 mit Anm. 66 (Bauwut). Zur Geschichte des Fürstentums vgl. etwa Wolfram, Das Fürstentum Tassilos III. 157–179. Wolfram, The Shaping of the Early Medieval Principality 35–51, bes. 50. 114 Heinrich Fichtenau, Forschungen über Urkundenformeln, in: MIÖG 94 (Wien/Köln 1986) 285–340. Siehe etwa die Unter­ suchung einer Pertinenzformel in Wolfram, Grenzen und Räume 350–356. Berent Schwineköper, Cum aquis aquarumque decursibus. Zu den Pertinenzformeln in Herrscherurkunden bis zur Zeit Ottos I., in: FS Helmut Beumann, ed. Kurt-Ulrich Jäschke/Reinhard Wenskus (Sigmaringen 1977) 22–56; Notitia Arnonis 1, ed. Fritz Lošek (Quellen zur Salzburger Frühge­ schichte, ed. Herwig Wolfram, VIÖG 44 = Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Ergänzungsband 22, Wien/Salzburg 2007) 9–178, hier 72, oder ed. Fritz Lošek, Notitia Arnonis und Breves Notitiae (Mitteilungen der Gesell­ schaft für Salzburger Landeskunde 130, Salzburg 1990) 5–192, hier 80. 115 Herwig Wolfram, Heinrich Fichtenau als Mensch und Lehrer, in: Urkunden – Schriften – Lebensordnungen: neue Beiträge zur Mediävistik. Vorträge der Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung aus Anlass des 100. Ge­ burtstages von Heinrich Fichtenau (1912–2000) (Wien, 13.–15. Dezember 2012), ed. Andreas Schwarcz/Katharina Kaska (Wien 2015), 337–344. 109

Nach 887/888: Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionen in der sogenannten Collectio Sangallensis

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Nach 887/888: Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionen in der sogenannten Collectio Sangallensis Bei der sogenannten Collectio Sangallensis handelt es sich um eine frühmittelalterliche Formularsammlung, die heute im Wesentlichen in vier Handschriften aus dem 10. Jahrhundert überliefert ist. Zwei Codices, nämlich Wien, Österreichische Nationalbibliothek 1609 (die vielleicht aus dem bayerischen Raum stammt), und München, Bayerische Staatsbibliothek clm. 19413 (aus dem Kloster Tegernsee) gehen vermutlich auf eine gemeinsame Vorlage zurück. Sie beinhalten die ausführlichste Version der Sammlung, die in der Forschung, wenn auch mit Vorbehalten, als die ,vollständige‘ Fassung verstanden und deshalb als Grundlage für alle bisherigen Editionen herangezogen wurde.1 Zürich, Zentralbibliothek, Rheinaugiensis 131, aus dem Kloster Rheinau, und Paris, Bibliothèque Nationale, lat. 10757, aus Süddeutschland, enthalten Teile der durch die beiden Leithandschriften repräsentierten Sammlung. Zudem bieten sie weitere, zumindest teilweise St. Galler Formulare.2 In ihrer Langversion setzt sich die Collectio Sangallensis aus mehreren Teilen zusammen: Teil 1 besteht aus zwei auch anderswo überlieferten Lehrbriefen des St. Galler Mönches und Dichters Notker Balbulus an Salomo, seinen Schüler und Freund, der im Jahr 890 Bischof von Konstanz und Abt des Steinach-Klosters wurde;3 Teil 2 bietet fünf Herrscherurkunden; Teil 3 Privaturkunden, die vornehmlich ein Kloster betreffen; Teil 4 Briefe aus einer bischöflichen Korrespondenz und Teil 5 persönliche Briefe Notkers an den schon genannten Salomo sowie an dessen älteren Bruder Waldo, der ebenfalls ein Schüler Notkers in St. Gallen gewesen war und ab 883 als Bischof von Freising wirkte.4 Ernst Dümmler sah den in der Königskanzlei tätigen Salomo als Autor bzw. Kompilator der Formular­ sammlung, die er deshalb im Jahr 1857 unter dem Titel ,Das Formelbuch des Bischofs Salomo III. von Konstanz‘ veröffentlichte.5 Karl Zeumer konnte Dümmlers Einschätzung nicht folgen und edierte die Sammlung im Jahr 1886 in den MGH Formulae Merowingici et Karolini aevi als ,Collectio Sangallensis Salomonis III. tempore conscripta‘.6 Zeumer vermutete Notker Balbulus als Schöpfer der Sammlung und konnte diese Hypothese mit ­Parallelen zu anderen Werken des St. Galler Mönches, aber auch zu den von diesem selbst geschriebenen Urkunden stützen.7 Die jüngere Forschung ist Zeumer in dieser Einschätzung im Wesent­lichen gefolgt. Ja, Wolfram von den Steinen und Pascal Ladner konnten die Zuschreibung des Werkes an Notker in ihren Studien noch weiter erhärten.8 Erst in jüngster Zeit hat Alice Rio Zweifel an dieser Lehrmeinung geäußert und in diesem Zusammenhang zu Recht auf die in der älteren Forschung stellenweise etwas 1 2



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Karl Zeumer, Ueber die alamannischen Formelsammlungen, in: NA 8 (1883) 473–553, hier 506f. Kleinste Ausschnitte bildet auch die Handschrift Colmar, Archives du Haut-Rhin, Grand Document n. 139 aus dem 10. Jahrhundert. Zur handschriftlichen Überlieferung vgl. Ernst Dümmler, Das Formelbuch des Bischofs Salomo III. von Konstanz aus dem neunten Jahrhundert (Leipzig 1857) XXIII-XXXIII; Zeumer, Ueber die alamannischen Formelsammlungen 505; Collectio Sangallensis Salomonis III. tempore conscripta (ed. Karl Zeumer, MGH LL Formulae Merowingici et Karolini aevi, Hannover 1886) 390–437, hier 390f.; Wolfram von den Steinen, Notkers des Dichters Formelbuch, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 24 (1945) 449–490, hier 451f.; Pascal Ladner, Die Welt Notkers des Dichters im Spiegel seiner Urkunden, in: DA 41 (1985) 24–38, hier 26; Alice Rio, Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages. Frankish Formulae, c. 500–1000 (Cambridge 2009) 152f. sowie 241–271. Die Briefe bieten einen Abriss der patristischen und späteren kirchlichen Literatur. Vgl. Ladner, Welt 27. Rio, Legal Practice 152-158. Dümmler, Formelbuch 1–163. Collectio Sangallensis, ed. Zeumer 390–437. Zeumer, Formelsammlungen 537. Von den Steinen, Formelbuch 463–470; Ladner, Welt 35f.

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leichtfertige Beweisführung zugunsten Notkers aufmerksam gemacht.9 Doch sind damit die zahlreichen von Zeumer, von den Steinen und Ladner gesammelten, inhaltlichen wie stilistischen Bezüge, Indizien und Anklänge, die in mehreren Teilen der Sammlung auf Notker verweisen, nicht vom Tisch. Mehrere Stücke der Sammlung lassen sich aufgrund von internen Merkmalen (Datierungselementen, in den Urkunden genannten Personen, in den Dokumenten erwähnten oder angedeuteten Ereignisse) einigermaßen datieren. Sie stammen alle aus dem Zeitraum von ca. 870 bis etwa 890, wobei einige der Privaturkunden die älteste und die Herrscherurkunden die jüngste Schicht repräsentieren.10 Die Ent­ stehungsweise der Collectio Sangallensis ist nicht mehr mit Sicherheit zu klären, doch gibt es Indizien, dass die einzelnen Teile getrennt voneinander erstellt wurden und zu einem späteren Zeitpunkt (even­ tuell auch in mehreren Stufen) miteinander vereinigt wurden.11 Der Anlagezeitpunkt der Collectio Sangallensis wurde in der Forschung mit durchaus plausiblen Argumenten mit der Entstehung ihres in allen genannten Handschriften enthaltenen jüngsten Teiles, den fünf wahrscheinlich in die Zeit um 890 zu datierenden Herrscherurkunden gleichgesetzt.12 In weiterer Folge wurde die Entstehung der Sammlung mit der Einsetzung von Salomo als St. Galler Abt und ­Konstanzer Bischof im selben Jahr in unmittelbarer Verbindung gesehen. Nach Wolfram von den S ­ teinen stellte Notker die Formularsammlung für Salomo an, als ein „Erinnerungsgeschenk an den Schüler von einst, ein Denkmal ihrer an Spannungen und Fährnissen reichen Freundschaft – ein D ­ enkmal für ­manche Irrung des Jüngeren, aber auch für die immer gleiche Treue und Bereitschaft des Älteren –: Eine Huldigung an den neuen Herrn“.13 Um eine solche Interpretation nachvollziehen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass es sich bei den in der Collectio Sangallenis enthaltenen Texten nicht einfach um anonymisierte Originalurkunden und Briefe handelt, sondern vielmehr um Neubearbeitungen und zum Teil sogar Neuschöpfungen, für die nur sehr bedingt Vorlagen im engeren Sinn ausgemacht werden können. Nicht zuletzt die fünf Herrscherurkunden am Beginn der Sammlung wurden in der älteren diplomatischen Forschung als nicht kanzleimäßig erkannt. Karl Zeumer stellte in seinem 1883 im Neuen Archiv erschienenen Aufsatz über die alemannischen Formularsammlungen fest, „dass der Verfasser dieser Formeln nur eine sehr geringe, oberflächliche Kenntnis von Königsurkunden gehabt haben kann. Die einfachsten feststehenden Regeln des Kanzleigebrauchs der damaligen Herrscher waren ihm völlig unbekannt“.14 Harry Bresslau fällte im zweiten Band seines Handbuchs der Urkundenlehre für Deutschland und Italien ein ähnliches Urteil: „Die ersten fünf Formulare für Königsurkunden sind […] frei erfunden. Sie lehnen sich weder an bestimmte Urkunden, noch im allgemeinen an den Kanzleigebrauch der Zeit an und sind hauptsächlich dadurch von Interesse, dass sie zeigen, wie wenig man im Kloster St. Gallen imstande war, eine Königsurkunde ohne Vorlage zu entwerfen“.15 Wenngleich schon Zeumer die Möglichkeit einer absichtlichen Modifizierung echter Urkundenformulare in Betracht zog,16 änderte sich die Einschätzung derselben erst im Lauf der Zeit. Zu einer grundlegenden Neubewertung trug vor allem von den Steinen bei. Er betrachtete die Formulare weniger als „Stilmuster“, sondern als „Denkmuster“: „Er [Notker] will an ein paar wichtigen praktischen Beispielen Rio, Legal Practice 157f. Vgl. Von den Steinen, Formelbuch 450, der folgende „wahrscheinliche Datierungen“ vorschlägt: Teil 1 (Notatio, d.h. Lehrbriefe): 885, Teil 2 (Königsurkunden) 890, Teil 3 (Privaturkunden Grundstock) 870-873 bzw. nach 881 (Privaturkunden Nachträge), Teil 4 (Bischöfliche Korrespondenz): 877-878, Teil 5 (Notkerbriefe) 879-884-889. 11 Zeumer, Formelsammlungen 507, ging davon aus, dass die Briefsammlung den Stamm bildete, mit dem zunächst die Formulare für die Königsurkunden vereinigt und dann erst die anderen Teile hinzugefügt wurden. Die Pariser Handschrift, die eben diese beiden Teile beinhaltet, betrachtete er folglich als eine frühere Redaktion der Sammlung; vgl. auch Zeumer, Formelsammlungen 536 12 Walter Schlesinger und Eduard Hlawitschka ventilierten eine Spätdatierung des Werkes in die Zeit König Konrads I. und das Jahr 912 (Todesjahr Notkers), doch brachten sie für ihre Annahme keinerlei Argumente vor. Vgl. Walter Schlesinger, Die Grundlegung der deutschen Einheit im frühen Mittelalter, in: ders., Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters 1 (Göttingen 1963) 269; Eduard Hlawitschka, Lotharingien und das Reich (Schriften der MGH 21, Stuttgart 1968) 212. Vgl. diesbezüglich schon kritisch Wolfgang Eggert, Zu Kaiser- und Reichsgedanken des Notker Balbulus, in: Philologus 115 (1971) 71–80, hier 78. 13 Von den Steinen, Formelbuch 118. 14 Zeumer, Formelsammlungen 509; vgl. Ladner, Welt 29. 15 Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Frankreich 2 (Leipzig 21912) 239. 16 Zeumer, Formelsammlung 509. 9



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zeigen, wie der Herrscher sein göttliches Amt in der Kirche vorbildlich und richtig ausübe“.17 In der Tat zeigt das erste Formular den Herrscher bei der Erhebung und Einsetzung eines geeigneten Bischofs, das zweite beim Vollzug einer Schenkung an einen Bischofssitz, das dritte beim Bestätigen eines klöster­ lichen Immunitätsprivilegs und der freien Abtwahl, das vierte bei der Erhebung einer Kapelle zu einem Kloster, das fünfte schließlich bei einem Gütertausch mit einem seiner Vasallen.18 Pascal Ladner verstand die Formulare weniger als Reflexionen über ein ideales Herrschertum denn als „exemplarische Weisungen“ Notkers an Salomo, mit denen Letzterer „über die Eigenschaften und Aufgaben verschiedener Amtsträger, verschiedener Stände“ eingeführt werden sollte.19 So stehen in den Formularen 1-2 der Bischof und seine Welt im Mittelpunkt, in den Formularen 2-4 das Kloster, der Abt und die Mönche, und im letzten Formular 5 das Verhältnis des Herrschers zum im Vasallen repräsentieren populus Christianus: „Bischöfe, Äbte, Mönchsgemeinschaft, Volk und der alle überragende Herrscher, dies sind die Fixpunkte im Weltbild Notkers … dies sind die Größen, deren rechtmäßiges Verhalten er urkundenmäßig knapp, in kanzleiwidrigen Formulierungen dafür umso frappanter dem Hofkapellan und Abt-Bischof Salomo gleichsam exemplarisch vor Augen führen wollte“.20 Die fünf Formulare von Herrscherurkunden wurden aber nicht nur als an Salomo gerichtete allgemeine Denkmuster und exemplarische Weisungen gelesen, sie wurden auch mit der bewegten politischen Situation zur Zeit ihrer mutmaßlichen Entstehung um 890 in Verbindung gebracht. Als die fünf Formulare erstellt wurden, lagen die Absetzung und der Tod Kaiser Karls III. sowie der Zerfall seines Großreiches in mehrere Regna erst wenige Jahre zurück. Der neue ostfränkische König Arnulf von Kärnten regierte auch über Alemannien und stattete alemannische Große und Kleriker, denen beim Herrschaftswechsel große Bedeutung zugekommen war, mit ausgedehnten Schenkungen aus.21 Doch gab es in Alemannien auch Gegnerschaft gegen den neuen Herrn. Diese formierte sich um den (durch Arnulfs Nachfolgeregelung von 889) zurückgesetzten, illegitimen Karl-Sohn Bernhard. Dessen Revolte wurde aber schon im Keim erstickt. Im Frühsommer des Jahres 890 kam König Arnulf nach Alemannien und entmachtete die offenbar nicht allzu zahlreichen, aber umso prominenteren Unterstützer dieses Aufstandsversuches. Neben einem Priester Isanrich handelte es sich dabei einerseits um den damals vielleicht mächtigsten alemannischen Großen, den über mehrere Grafschaften gebietenden Udalrich (IV.) aus der mit den Karolingern versippten Familie der Gerolde und andererseits um den ebenfalls durch edle Herkunft herausragenden St. Galler Abt Bernhard.22 Während Graf Udalrich, wenn auch erheblich ,zurechtgestutzt‘, noch im selben Jahr die Gunst des Herrschers wiedererlangte, wurde statt Bernhard Salomo, ein Mann von Arnulfs Vertrauen, als Abt des Steinach-Klosters und Bischof von Konstanz installiert. Das Jahr 890 brachte also nicht nur einen ehemaligen Klosterschüler an die Spitze des St. Galler Konventes, sondern auch die neuerliche Unterstellung des Steinach-Klosters unter die Konstanzer Bischofsherrschaft, von der sich die Mönchsgemeinschaft im Verlauf des 9. Jahrhunderts mühevoll emanzipiert und gelöst hatte. Der neue Abtbischof hatte zwar durchaus St. Galler ,Stallgeruch‘, seine Einsetzung ohne eigentliche Wahl (die dann 892 nachgeholt wurde) und die Personalunion mit dem Konstanzer Bischofssitz sorgte aber für erhebliche Nervosität und Unruhe. Nach von den Steinen und Hannes Steiner sei diese brisante Situation der Anlass für die Entstehung von Ratperts Casus sancti Galli gewesen, die Letzterer als „kunstvolle Streitschrift für die klösterlichen 19 20 21

Von den Steinen, Formelbuch 459. Ladner, Welt 28. Ladner, Welt 35. Ladner, Welt 35-36 (Zitat 36). Nach Auskunft der Regensburger Fortsetzung der Annales Fuldenses hatte Karl III. den Alemannen vornehmlich die Sorge für sein Reich anvertraut; vgl. Annales Fuldenses, Cont. Rat. a. 887 (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [7], Hannover 1891) 115: quibus maxime negotium sui regni habebat commissum. Vgl. auch Rudolf Schieffer, Karl III. und Arnolf, in: FS für Eduard Hlawitscha zum 65. Geburtstag, ed. Karl Rudolf Schnith/Roland Pauler (Münchener Historische Studien. Abteilung Mittelalterliche Geschichte 5, Kallmünz 1993) 133–149, hier140. 22 Ratpert, Casus sancti Galli 34 (ed. Hannes Steiner, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 75, Hannover 2002) 236f. Zu Udalrich vgl. Hans-Werner Goetz, Typus einer Adelsherrschaft im späten 9. Jahrhundert: Der Linzgaugraf Udalrich, in: St. Galler Kultur und Geschichte 11 (1981) 132–173; Michael Borgolte, Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 2, Sigmaringen 1986) 255–266.

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Freiheiten und die Autonomie St. Gallens gegenüber dem Konstanzer Bischof“ interpretierte.23 Vielleicht sollte man die Formulare für Herrscherurkunden in der Collectio Sangallensis, die sich ja nicht zuletzt um Immunität von Bistümern und Klöstern und um die Bestellung von geeigneten Bischöfen und Äbten drehen, ebenfalls stärker vor diesem Hintergrund lesen. Sollten sie ihrem mutmaßlichen Empfänger Salomo in der Zeit unmittelbar nach seiner Einsetzung als Abtbischof eventuell für die St. Galler Sorgen und Begehrlichkeiten sensibilisieren? Jedenfalls würde es sich ins Bild fügen, dass Arnulf dem Kloster St. Gallen auf Bitten von Abt Salomo in den Jahren 892/93 in mehreren Urkunden Immunität, Königsschutz, freie Abtwahl und das Inquisitionsrecht bestätigte.24 Die Interpretation der Formulare für Herrscherurkunden in der Collectio Sangallensis erfolgte in der Forschung bislang vornehmlich auf der Grundlage ihres Inhalts, während der diplomatischen Seite wohl nicht zuletzt wegen des verheerenden Urteils durch Zeumer und Bresslau mit wenigen Ausnahmen vernachlässigt wurde. Gerade die stark kritisierten Abweichungen von jeglicher Kanzleimäßigkeit fordern aber dazu heraus, über ihre historischen Hintergründe und Implikationen nachzudenken. In diesem Zusammenhang erweisen sich die Intitulationen der fünf Urkunden, aber auch die Bezeichnungen des Herrschers in den Signum-Zeilen der Dokumente als zentral. Es handelt sich im Fall der vorliegenden Sammlung um „Selbstaussagen“, die den Herrschern vom Verfasser der Sammlung in den Mund gelegt wurden und somit zu einem gewissen Grad seine Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionen in den schwierigen Jahren um 890 erkennbar werden lassen. In vier der fünf Formulare, nämlich in den Nummern 1, 2, 4 und 5 werden – in den einzelnen Handschriften variierend – ein Ludwig und ein Karl als Könige genannt bzw. durch entsprechende Initialen angedeutet, wobei diese beiden Herrscher aufgrund inhaltlicher und formaler Indizien mit Ludwig dem Deutschen und seinem Sohn Karl III. identifiziert werden können.25 Ludwigs bzw. Karls Königsherrschaft erscheint also in den Formularen für zukünftige Könige grundlegend und bis zu einem gewissen Grad auch als vorbildhaft. Dies zeigt sich auch daran, dass bei der Abfassung und Formulierung dieser fünf fiktiven Herrscher­ urkunden offenbar ausschließlich auf im Stiftsarchiv St. Gallen aufbewahrte Diplome dieser beiden ­Regenten zurückgegriffen wurde. Diese Urkunden wurden aber nur sehr bedingt herangezogen: Vielfach wurden sie nur bruchstückhaft verwendet, wobei die entsprechenden Formular- und Formelsplitter bunt gemischt in die Formulierungen des Verfassers eingebaut wurden. Nicht alle Urkundenteile waren davon gleichermaßen betroffen: Einflüsse echter Urkunden zeigen sich vor allem im Protokoll, am Beginn des Kontexts, namentlich in der Arenga, und dann auch im Eschatokoll. Formular 126 nennt Ludwig den Deutschen in der Intitulatio rex Germaniae, mit einem nicht urkundlichen Titel also, der etwa in den Annales Bertiniani, vor allem aber auch in Notkers Gesta Karoli und in seiner Fortsetzung des Chronicon Erchanberti für diesen Herrscher bezeugt ist. In der Signumzeile der Urkunde wird diese Germania praktisch mit der kanzleimäßigen orientalis Francia gleichgesetzt, in der Datumszeile schließlich wird diese Königsherrschaft als imperium interpretiert und damit zu einem gewissen Grad auch „imperialisiert“.27 Diese Konzeption findet in Formular 2 eine gewisse Fortsetzung, in dem die Mehrzahl der Handschriften im Gegensatz zu Zeumers Edition, die hier der Pariser Handschrift folgt, wieder Ludwig als Hannes Steiner, Ratpert, in: Historisches Lexikon der Schweiz (Version vom 2. 9. 2010): http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/ d/D12209.php. Vgl. auch Steiner, Einleitung zu Ratpert, Casus sancti Galli 19–24. 24 DD. Arn. 103, 110, 111 = Arnolfi Diplomata (ed. Paul Kehr, MGH DD Regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3, Berlin 1940) 149–152, 162–164. 25 Während in der Wiener, der Münchner und der Züricher Handschrift in den Intitulationen tendenziell häufiger Ludwig genannt wird, überwiegt in der Pariser Handschrift Karls Name. Vgl. Anhang. n. 1: Intitulatio: Hludowicus bzw. H., Hl. in allen Handschriften; Signumzeile: Hludowici in Zürich, Hl. in Wien und ­München, K. in Paris. n. 2: Intitulatio und Signumzeile: H. bzw. Hl. in Wien, München und Zürich, K. in Paris. n. 3: N. in allen Handschriften außer Zürich, wo nichts steht; keine Signumzeile. n. 4: Karolus bzw. K. in Wien, München, Zürich und Paris; keine Signumzeile. n. 5: Intitulatio: Karolus bzw. K in Zürich und Paris, Leerstelle in Wien; Signumzeile: K in allen Handschriften. 26 Zum Folgenden vgl. den Anhang dieses Beitrags. 27 Herwig Wolfram, Lateinische Herrschertitel im neunten und zehnten Jahrhundert, in: Intitulatio II. Lateinische Königs- und Fürstentitel im neunten und zehnten Jahrhundert, ed. ders. (MIÖG, Erg. Bd. 24, Wien/Köln/Graz 1973) 37f. mit Anm. 95. 23

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Aussteller nennen. In der entsprechenden Intitulatio wird der Herrscher zunächst ohne jeglichen Zusatz rex bezeichnet, in der Signum-Zeile hingegen mit augustus. Dabei wird dieser Ehrentitel durch den zusätzlichen Titel des rector der Franken, Schwaben, Bayern, Thüringer, Sachsen sowie durch die Bezeichnung Bändiger bzw. Bezwinger der barbarischen Völker weiter ausgeführt und ,erklärt‘. In Formular 3, dem einzigen für eine Kaiserurkunde, findet sich im Unterschied zu den übrigen Formularen in sämtlichen Handschriften kein Herrschername, sondern nur ein N für ,nomen‘ oder vielmehr ,nomen nominandum‘ (bzw. ein Leerraum). Aus dem Kontext des Formulars wird aber deutlich, dass es sich beim kaiserlichen Aussteller um einen Sohn Kaiser Ludwigs des Frommen handeln muss. Zwar kämen dadurch eigentlich nur Lothar I. oder Karl der Kahle in Frage, doch verweist der offenkundig auf St. Gallen und seine Geschichte bezogene Inhalt der Urkunde wiederum auf Ludwig den Deutschen.28 Diese Deutung wird dadurch gestärkt, dass das Eschatokoll der Urkunde nicht ausgeführt wurde, sondern dass mit den Worten et reliqua ut supra auf Formular 2 verwiesen wird. Der Kaiser wird dadurch gewissermaßen als ,ostfränkischer Kaiser‘ definiert. Hierzu eine ergänzende Bemerkung: In mehreren St. Galler Privaturkunden der 840er- bis 860erJahre, die allesamt aus dem Thurgau stammen, wird Ludwig der Deutsche nicht als rex, König, sondern als imperator bezeichnet.29 Zumindest eine dieser Urkunden, die von einem nichtklösterlichen, ,lokalen‘ Presbyter-Schreiber verfasst wurde, stammt aus der – und betrifft die – engere Heimat Notkers und seine(r) Familie im Raum von Wil, Uzwil und Jonschwil.30 Eine weitere Urkunde wurde vom St. Galler Mönch Werinbert geschrieben, der mit guten Gründen mit dem in der Widmung von Otfrids von ­Weißenburgs Liber evangeliorum erwähnten Träger dieses Namens identifiziert wurde – damit aber auch mit dem gleichnamigen Sohn von Notkers Ziehvater Adalbert, den Notker in seinen Gesta Karoli als maßgebliche Quelle für sein Werk nennt.31 In ebendiesen Gesta Karoli bezeichnet ­Notker Ludwig den Deutschen einmal nicht nur als rex, sondern als rex vel imperator, der über die ­ganze Germania und ihre Provinzen sowie die benachbarten Völker im Norden und Osten (Pannoniarum a­ tque omnium septentrionalium nationum) herrscht.32 Es ist also vor allem das idealisierte Bild vom Königtum Ludwigs des Deutschen, das im familiären und heimatlichen Umfeld Notkers gepflegt wurde und das in den Formularen der Collectio Sangallensis durchschimmert. Es ist ein die Germania, ihre Völker, aber auch deren unmittelbare östliche Nachbarn umfassendes, hegemoniales und dadurch auch imperiales Königtum. Es ist ein Königtum, das, wie ­Herwig Wolfram im zweiten Band der ,Intitulatio‘ gezeigt hat, als „Vielvölkerherrschaft“ in der Tradi­ tion des Kaisertums Karls des Großen gesehen wird, der in Notkers Gesta Karoli als rector et imperator plurimarum nationum verstanden wird.33

Die Narratio des Formulars, mit der die klösterliche Immunität bestätigt wird, zielt auf die im 9. Jahrhundert elaborierte klösterliche Version der St. Galler Vergangenheit ab. Demnach hätte das Kloster seit alters her das Recht der freien Abtwahl [Pippin?] besessen und wäre dem Konstanzer Bischof nur in kanonischen Angelegenheiten unterstellt und verpflichtet gewesen. Später habe ein Bischof [Sidonius von Konstanz, 746–760] mit üblen Machenschaften vom Herrscher [Pippin?] die Unterjochung des Klosters unter die Bischofskirche erwirkt. Ein neuer Herrscher [Ludwig der Fromme] habe aber die alten Freiheiten wieder hergestellt. Vgl. die auf Vorarbeiten Wettis und Gozberts aufbauenden, von Walahfrid Strabo verfassten Viten der Klosterpatrone Gallus und Otmar, vor allem Vita sancti Galli II, 10; II, 14-15 (ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover/Leipzig 1902) 280–337, hier 320, 323f.; Ratpert, Casus sancti Galli 2 [5]–6 [16], ed. Steiner 150–184. Zur Entstehung der ,Haustradition‘ vgl. auch Steiner, Einleitung zu Ratpert, Casus sancti Galli 25–47. 29 W. 212, W. 227, W. II. Anh. 3, W. 542, W. 578. Zur Datierung von W. 212 in die Zeit Ludwigs des Deutschen vgl. Michael Borgolte, Chronologische Studien an den alemannischen Urkunden des Stiftsarchivs St. Gallen, in: Archiv für Diplomatik 24 (1978) 54–202, hier 169, 174f. sowie Chartae Latinae Antiquiores. Facsimile-Edition of the Latin Charters. 2nd Series: Ninth Century CIV, ed. Peter Erhart/Karl Heidecker/Bernhard Zeller (Dietikon-Zürich 2011) n. 28. Zur möglichen Datierung von W. 227 und W. II. Anh. 3 in dieselbe Zeit vgl. ebd. nn. 25 und 39. 30 W. 578. Vgl. aber auch W. 227, W. II Anh. 3. 31 W. 212; Notker, Gesta Karoli magni imperatoris I, 34 und II, 1 (ed. Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ. NS 12, Berlin 1959) 48f. Vgl. Wolfgang Haubrichs, Nekrologische Notizen zu Otfrid von Weißenburg. Prosopographische Studien zum sozialen Umfeld und zur Rezeption des Evangelienbuchs, in: Adelsherrschaft und Literatur, ed. Horst Wenzel (Beiträge zur älteren deutschen Literaturgeschichte 6, Bern 1980) 7–113, hier 69f.; Rupert Schaab, Mönch in Sankt Gallen (Vorträge und Forschungen, Sonderband 47, Ostfildern 2003) 77 Anm. 251. 32 Notker, Gesta Karoli magni imperatoris II, 11, ed. Haefele 67. 33 Notker, Gesta Karoli magni I, 26, ed. Haefele 35. 28

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Dieses hegemonial-imperiale Königtum ist aber auch das Königtum, das in der Collectio Sangallensis als Leitbild für die Herrschaft Arnulfs von Kärnten angedeutet wird: Wird in der ,namen­ losen‘ Kaiserurkunde von Formular 3 Ludwig der Deutsche als Aussteller greifbar, so ist es am Ende der Dispositio, die offensichtlich auf das königliche Eingreifen in St. Gallen und die Einsetzung Salomos im Jahr 890 anspielt, Arnulf.34 Auch Formular 4, in der in den Handschriften A1 und A2 Ludwig der Deutsche, in B und C sein Sohn Karl III. in der Intitulatio genannt wird, steht ganz in dieser gedanklichen Linie. Schon der Umstand, dass der Aussteller ohne jeglichen Zusatz rex und nicht etwa imperator genannt wird, ist auffällig, zumal die Pariser Handschrift (C) ja zwei weitere, den übrigen fünf Formularen vorangestellte Urkundentexte für Kaiserurkunden Karls III. bietet35. Zudem wird in Formular 4 in Hinblick auf das Eschatokoll mit dem Vermerk et reliqua, das wohl wie in Formular 3 als et reliqua ut supra zu verstehen ist, auf die ersten beiden Formulare verwiesen. Nur Formular 5 scheint das Herrschaftsbild und die Herrschaftskonzeption eines imperialen, ostfränkischen Königtums der ersten vier Formulare zu konterkarieren, wird doch in der Intitulatio dieses Stückes Karl III. als ex Dei constitutione et antiquorum regum propagatione rex Alamanniae bezeichnet wird, d.h. „auf Gottes Weisung und als Nachkomme der alten Könige König Alemanniens“.36 Ein alemannischer Königstitel ist in den karolingischen Herrscherurkunden freilich nicht belegt, allerdings in der Datumsformel einiger St. Galler Privaturkunden. Schon nach der Divisio Regnorum von 806 wurden einige dieser Dokumente nicht mehr nur nach Kaiser Karl dem Großen, sondern auch nach dessen Sohn König Pippin datiert, dem nach Karls Tod auch Alemannien zufallen sollte.37 Ebenso wurden ein paar Urkunden sowohl nach Kaiser Ludwig dem Frommen als auch nach dem jungen König Karl (dem Kahlen) datiert, nachdem Letzterem auf dem Wormser Hoftag von 829 ein alemannischer Reichsteil zugewiesen worden war.38 Als rex Alamannorum bzw. rex in Alamannia erscheint aber erst der junge Ludwig der Deutsche in den Datumsformeln von St. Galler Privaturkunden in den Jahren nach seiner Herrschaftsüber­ nahme in ­Alemannien 833/34.39 Eventuell ist dieser alemannische Königstitel in Analogie zu Ludwigs Vor allem das Ende der Dispositio wurde auf dem Hintergrund der Einsetzung Salomos III. als Abt von St. Gallen ge­ lesen: Sollten Abt und Mönche streitsüchtig oder widerspenstig sein, werde ihnen der Herrscher irgendeinen von seinen ­Kapellänen, Bischöfen oder Vasallen vorsetzen, der ihren Ungehorsam zu zähmen vermag oder der sie, falls sie sich nicht bessern wollten, in alle Winde zerstreuen soll: hoc procul dubio scientes, quia, si querulosi aut contradictores i­nventi ­fuerint, aliquem de capellanis aut episcopis seu vasallis meis talem eis superimponam, qui aut eorum contumaciam ­edomet, aut, si etiam sic corrigi noluerint, quod absit, ex meo illos praecepto ad exemplum cunctorum in omnem v­ entum dispergat. Vgl. Ladner, Welt 29–34. Vielleicht spielt aber auch Formular 1 mit seiner Beschreibung des ,idealen‘ Bischofs als ­eines einheimischen, von freier und edler Abkunft und in den kirchlichen Schriften sowie im Kirchenrecht bewanderten ­Kanonikers auf Salomo an: Si inter ipsos canonicos ingenui et nobiles homines divinae auctori tatis eloquiis et s­ inodalium ­decretorum c­onstitutis instructi et bonis moribus adornati fuerint inventi, per consensum sacrorum ordinum et natu ­maiorum ­nobiliumque laicorum qui dignus ex eis electus fuerit, ad nostrae serenitatis deducatur aspectum, ut per nostram comprobationem clericis et monachis et omni populo acceptus et honorabilis habeatur. 35 Karl wird in Formular Add. n. 2 divina favente gratia imperator genannt, in Formular Add. n. 3 divina ordinante ­providentia triumphator et imperator augustus. Die Signum-Zeile lässt nicht nur die enge Verbindung zu Ludwig dem Deutschen ­erkennen, sondern auch, dass das Kaisertum als zusätzliche Würde zum Königtum betrachtet wird. Vgl. Formular Add. 2: … anno 5. domini K. post mortem patris sui Hludvici, in Francia, Alamannia, secundo regni eius in Burgundia, ­imperatoriae vero dignitatis et apostolicae benedictionis primo. Man muss die beiden zusätzlichen Herrscherurkunden-Formulare aber nicht mit den ebenfalls in der Pariser Handschrift, allerdings an anderer Stelle überlieferten Privaturkundenformulare ­Collectio Sangallensis Add., nn. 4 und 5, ins Jahr 894 datieren. Doch dürften die beiden Formulare aufgrund ihrer singulären Überlieferung doch als Zusätze bzw. Nachträge der fünf anderen zu verstehen und eventuell mit der Kaiserkrönung Arnulfs im Jahr 896 in Zusammenhang zu sehen sein. 36 Übersetzung nach Thomas Zotz, Ethnogenese und Herzogtum in Alemannien (9.-11. Jahrhundert), in: MIÖG 108 (2000) 48–66, hier 58. 37 Vgl. W. 191: anno XL regnante domno Karolo et secundo domni regis Pippini; W. 197: regnante anno septimo domino imperatore et Pippino anno primo regnante; W. 199: anno XXXVI Caroli regis et imperii eius VIII, regni quoque Pippini in Alemannia III; W. 201: regnante domno nostro Carolo rex Frangorum et Langobardorum et anno VIIII imperator et gubernator Romanorum et anno tercio regni domni Pippini regis; W. 202: anno Karoli regis atque imperatoris XLI et II Pippini regis. 38 W. 330, W. 337, W. 343. 39 W. 346-W. 351, W. 355, W. 356, W. 358, W. 361-W. 365, W. 367, W. 369, W. 371, W. 375, W. 377, W. 378, W. 397, W. 403. 34

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b­ ayerischem Herrschertitel zu sehen. Auf alle Fälle ist bemerkenswert, dass er zu einem Zeitpunkt aufkommt, als sich der Herrscher in seinen Königsdiplomen, im Übrigen zum ersten Mal in seiner ersten Urkunde für St. Gallen, mit dem absoluten rex-Titel bezeichnete und seine Regierungsjahre nach seiner Herrschaft in orientali Francia zu zählen begann.40 – Herrscherliche Selbstaussage Ludwigs des Deutschen und regionale Interpretation seiner Herrschaft in Alemannien klaffen also bis in die Zeit um 840 auffällig auseinander, danach verschwindet der Alemannien-Bezug Ludwigs des Deutschen allmählich aus den St. Galler Privaturkunden. Ähnliches lässt sich auch in der Regierungszeit von Ludwigs Sohn Karl III. erkennen, der schon zu Lebzeiten seines Vaters als königlicher Prinz in Alemannien präsent war, nach dessen Tod zum ­alemannischen Teilkönig aufstieg und so die weitere Entwicklung einer alemannisch-karolingischen Identität beförderte. Gerade in Alemannien selbst wurde Karl, der sich in der offiziellen Selbstaussage seiner Urkunden von Anfang an rex ohne jegliche Bereichsbeschränkung nannte, als alemannischer König betrachtet. Wie ein in die Jahre 876-879 datierter Gedenkbuch-Eintrag im Reichenauer Liber Vitae deutlich macht, wurde er damals bereits am vorläufigen Ende einer Reihe von Königen gesehen, die über seinen Vater Ludwig den Deutschen, dessen Halbbruder Karl den Kahlen und über Pippin von Italien bis zum alemannischen Dux Gottfried und zu dem Merowinger-König Dagobert zurückeichte.41 Nach Karls völlig unerwartetem, glücklichem und vor allem rasantem Aufstieg zum Kaiser und Herrscher über das ganze ehemalige Reich Karls des Großen in den frühen 880er-Jahren musste zwischen seinem regionalen und auf die Alamannia bezogenen Königtum und seiner neuer Stellung als „Universalerbe Karls des Großen“ vermittelt werden.42 Gerade Notkers vielschichtigen Gesta Karoli, in denen ja auch imperiale Vergangenheit zu einem gewissen Grad regionalisiert und ,alemannisiert‘ wurde, könnte man auch unter diesem Aspekt lesen. Ebenso scheint sich in den fünf Formularen für Herrscherurkunden der sogenannten Collectio Sangallensis diese Spannung zwischen dem größeren, ostfränkischen und dem kleineren, alemannischen Rahmen abzubilden. Für einen im Formular 5 propagierten eigenen König, wie ihn die Alemannen zeitweise im jungen Ludwig dem Deutschen und in Karl III. erblickt bzw. anfänglich gehabt hatten, war unter Arnulf kein Platz. Den Alemannen blieb freilich das ebenfalls im Formular 5 prominent erwähnte eigene Regnum, das nun zwar einen eigenen König entbehrte, aber noch immer eine res publica konstituierte, die einen eigenen populus, nach Herwig Wolfram also eine „politisch handlungsfähige Korporation“43 hatte. Dieses alemannische Regnum und sein populus haben in einem im Stiftsarchiv St. Gallen auf­ bewahrten, undatierten, aber zwischen Januar 893 und Februar 896 zu datierenden Originalmandat ­Arnulfs eine Entsprechung, das an die mächtigen alemannischen Grafen Adalbert, Bertolt, Burkhard und Udalrich sowie an cunctis regni istius primatibus gerichtet ist. Arnulf befahl mit diesem Mandat, dass dem Kloster St. Gallen, dem er davor Immunität und das Inquisitionsrecht bestätigt hatte, in allen Grafschaften bei allen Rechtsstreitigkeiten durch den gebannten Eid Recht zu schaffen sei.44 Interessant ist nun, dass diese Urkunde mit Paul Fridolin Kehr in Hinblick auf Format, Siegelanbringung und Schrift als nicht kanzleigemäß einzustufen ist, wobei Schrift und Inhalt zudem auf St. Gallen deuten.45 Aber auch die Form des Mandats weist einen von Kehr und der späteren Forschung nicht D. L.d.D. 13 = Ludowici Germanici Diplomata (ed. Paul Kehr, MGH DD Regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 1, Berlin 1934) 15f. 41 Vgl. Zotz, Ethnogenese 58f; Alfons Zettler, Karolingerzeit, in: Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, 1/1: Von der Urzeit bis zum Ende der Staufer, ed. Meinrad Schaab/Hansmartin Schwarzmaier (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart 2001) 297–356, hier 305f.; Dieter Geuenich/Jens Lieven, Karl III., Alemannien und die Reichsteilungen Ludwigs des Deutschen. Zu einem unbeachteten Karolingereintrag im Verbrüderungsbuch von Pfäfers, in: Die Baar als Königslandschaft, ed. Volkhard Huth/R. Johanna Regnath (Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg im Breisgau 77, Ostfildern 2010) 211–226, bes. 225f. 42 Schieffer, Karl III. 134. 43 Wolfram, Expansion und Integration 253. 44 Vgl. D. Arn. 110 (Bestätigung von Immunität und Inquisitionsrecht, 6. Jänner 893) und D. Arn. 111 (Mandat, undatiert). Terminus ante quem ist die Kaiserkrönung Arnulfs am 22. Februar 896. Zu den genannten Grafen vgl. Borgolte, Grafen; zu Udalrich vgl. Hans-Werner Goetz, Typus einer Adelsherrschaft im späteren 9. Jahrhundert: Der Linzgaugraf Udalrich, in: St. Galler Kultur und Geschichte 11 (1981) 1–43; zu Adalbert nun auch Alfons Zettler, Adalbert der Erlauchte. An­ näherungsversuch an einen spätkarolingischen Fürsten, in: Die Baar als Königslandschaft, ed. Volkhard Huth/R. Johanna Regnath (Ostfildern 2010) 177–209. 45 Einleitung zu D. Arn. 111. 40

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b­ eachteten St. Gallen-Bezug auf. Die untypische, ja nach einer ersten Recherche einzigartige, Invocatio In nomine Dei et domini nostri Iesu Christi stimmt gemeinsam mit der folgenden Intitulatio und Legitimationsformel mit jener von Formular 2 der Collectio Sangallensis wortgenau überein.46 Es ist meines Erachtens nach wahrscheinlicher, dass die Formulare der Collectio Sangallensis dem Arnulf-Mandat zeitlich vorausgehen, als dass umgekehrt dieses nicht kanzleimäßige Stück, noch dazu als einzige Arnulf-Urkunde, für die Verfassung der Formulare herangezogen worden wäre. Unter Voraussetzung dieser Annahme ließe sich die bislang aus inhaltlichen Erwägungen vermutete Entstehung der Formulare in den frühen 890er-Jahren auch auf formaler Ebene erhärten.47 Das würde bedeuten, dass die Formulare für Herrscherurkunden schon bald nach ihrer Entstehung – und nicht erst wie bislang bekannt, in der Ottonen-Zeit48 – bei der Anfertigung von St. Galler Empfängerausfertigungen als ,Steinbruch‘ für stilistische Anleihen (Stichwort Invocatio), aber eben auch als Denkmuster (Stichwort regnum und populus Alamanniae) Verwendung fanden. Auf alle Fälle demonstriert das Arnulf-Mandat, wie im ostfränkischen Bereich seit dem ausgehenden 9. Jahrhundert Elemente ,regionaler Diskurse‘ durch die immer häufiger werdenden Empfängerausfertigungen in das privilegierte Medium der Kaiser- und Königsurkunden gelangen konnten.49

Weitere Bezüge zeigen sich auch in Formular 1: So ist die Bezeichnung Regino für Regensburg erstmals in den DD. Arn. 11, 73 und 81 für St. Gallen bezeugt. 47 Eine sichere Verwendung eines Privaturkunden-Formulars der Collectio Sangallensis bietet W. 713 aus dem Jahr 897, deren Pönformel nach n. 19 der Sammlung verfasst wurde. 48 Vgl. D. O.I. 26 = Ottonis Diplomata, in: DD Conradi I., Heinrici I., et Ottonis I. (ed. Theodor Sickel MGH DD regum et imperatorum Germaniae 1, Hannover 1879–1884) 112f., das über weite Strecken nach Collectio Sangallensis, n. 2 formuliert wurde. 49 In diesem Zusammenhang ist auch auf das D Arn. 103 (892 VII 2), ed. Kehr 150-152, hinzuweisen. Von diesem ist ein Salomo III. zugeschriebener Entwurf erhalten geblieben. Dieses stellt aber kein eigentliches Kanzleikonzept dar und ist deshalb auch nur bedingt ,kanzleigemäß‘. Dennoch wurde dieses Konzept vom Ingrossator Aspert E als Grundlage für die Ausfertigung der Reinschrift herangezogen. Vgl. dazu, neben den Ausführungen Kehrs in den MGH, Michael Tangl, Der Entwurf einer Königsurkunde aus Karolingerzeit, in: NA 25 (1900) 345-359. – Zur Sache allgemein vgl. Mark ­Mersiowsky, Towards a reappraisal of Carolingian sovereign charters, in: Charters and the Use of the Written Word in Medieval Society, ed. Karl Heidecker (Turnhout 2000) 15–25, bes. 22–25; ders., ,Carta edita, causa finita?‘ Zur Diplomatik Kaiser Arnolfs, in: Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, ed. Franz Fuchs/Peter Schmid (München 2002) 271–374, bes. 320–326; Mark Mersiowsky, Die Urkunde in der Karolingerzeit. Originale, Urkunden­ praxis und politische Kommunikation 1 (MGH Schriften 60, Wiesbaden 2015) 200–215. 46

Nach 887/888: Herrscherbilder und Herrschaftskonzeptionen in der sogenannten Collectio Sangallensis

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ANHANG1 1 In nomine sanctae et individuae Trinitatis. Hludowicusa/Hl./H. rex Germaniae.2 Si erga loca ab ­anterioribus nostris divino cultui mancipata et servos Dei in eisdem commanentes liberalitas ­nostra aliquid beneficiorum contulerit, mercedem nobis ob hoc a Deo credimus rependendam et prolem ­nostram post nos feliciter regnaturam.3 Et idcirco omnes fideles nostri et filiorum nostrorum, presentes scilicet et futuri, cognoscant, quod venerabilis vir N. ill. aecclesiae praesul precibus quibus ausus est 4 serenitati nostrae suggessit, quia […] Ut autem haec5 concessio nostra firmitatis suae diuturnum obtinere possit vigorem6, placuit nobis7 eam propria manu roborare et anuli nostri impressione munire. Signum Hludowici b/H(l)c/K d serenissimi regis in orientali Francia. Data Kal. Mai. anno imperii eius 5. Actum Regino8 curte publica in regione Baioariorum, anno ab incarnatione Domini 9 qualicumque, indictione quavis. 2 In nomine Dei et domini nostri Iesu Christi. H(l)e/K f. divina favente clementia rex.10 Quicquid ad loca sancta impendiorum conferre curaverimus, Deum nobis pro hoc remuneratorem promereri ­confidimus. Et ideo fideles nostros scire volumus,11 quod ill. venerabilis episcopus ecclesiae ill. per f­amiliares ­celsitudinis nostrae pietatem nostram flagitare confisus est, ut […] usque ad nostram praesentem audientiam et diiudicationem.12 Et si quisquam de vicinis ex sua ­hereditatula ad eundem sanctum locum aliquid tradiderit, hoc ipsum eidem inmunitatis tuitioni ­subiaceat. Et ut haec largitatis nostrae13 constitutio firmum apud posteros suae perfectionis tenorem ­obtinere ­valeat, manu propria insignire eam voluimus et nostrae imaginis anulo consignari 14 ­praecepimus. Signum H(l)g/K h. serenissimi augusti 15 rectoris Francorum, Suevorum, Baioariorum, Turingorum, Saxonum domitorisque barbarum nationum.16 Ego N. ad vicem N. archicapellani recognovi i. Data Kal. Aug. anno et indictione ut supra. 3 In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti. N.j divina largiente clementia imperator augustus.17 Notum sit omnibus fidelibus nostris, quia vir reverentissimus N. abba coenobii, quod dicitur N. […] ­detulit nobis quoddam gloriosissimi genitoris nostri H(l). imperatoris praeceptum, in quo continebaur, qualiter idem monasterium ab antiquis temporibus a regibus potestatem ac privilegium haberet, ut ipsi fraters inter se abbatem eligerent et nulli hominum nisi regibus subiecti esse deberent […] donec ­quibusdam machinationibus, immo surreptionibus apud avum nostrum N. […] episcopus ipsi ecclesiae idem monasterium subiugaret […] B. B. c A. d C. e A, B. f C. g A, B. h C. i recognofeci C. j deest B. a

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hoc procul dubio scientes, quia, si querulosi aut contradictores inventi fuerint, aliquem de ­capellanis aut episcopis seu vasallis meis talem eis superimponam, qui aut eorum contumaciam edomet, aut, si etiam sic corrigi noluerint, quod absit, ex meo illos praecepto ad exemplum cunctorum in omnem v­ entum dispergat. Reliqua ut supra. 4 H k./K(arolus)l divina ordinante clementia rex. […] Actum in castro et reliqua. 5 K(arolus)m ex Dei constitutione et antiquorum regum propagatione rex Alemanniae. Scire volo omnes in regno nostro degentes, quia […] Et ut nullus ministerialis vel procurator rei publicae eidem homini de ipsis rebus aliquam molestiam per qualecumque machinationem audeat inferre, ne populus noster per malivorum hominum occulta et nobis incognita molimina abhorrescat a nobis. […] Actum Rotwila curte regali. Signum K. clementissimi regis. Data die ill. Ego itaque S. ad vicem V. archicappelani recognovi.

A. B, C. m B, C; deest A. k l

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Die Textgestaltung folgt im Wesentlichen der Edition Zeumers in den MGH. A1 = Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 1609; A2 = München, Bayerische Staatsbibliothek clm. 19413; B = Zürich, Zentralbibliothek, Rheinaugiensis 131; C = Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 10757. Vgl. [Notker], Gesta Karoli Magni II, 11, ed. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ. NS 12, Berlin 1959) 67: Erat ­itaque Hludowicus, rex vel imperator totius Germanię Rhetiarumque et antiquę Francię nec non Saxonię, Turingię, Norici, ­Pannoniarum atque omnium septentrionalium nationum, statura optimus […] Vgl. D. Karl III. 98: Schenkung in der villa Röthis. Vgl. auch Kehr, DD. Karl III., S. LVI-LVII. Geht vermutlich auf ein verlorenes Diplom Karls III. für St. Gallen zurück. Vgl. Kehr DD. Karl 98 (ed. Paul Kehr, MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2, Berlin 1937) LVI-LVII. Vgl. D. Karl III. 98: Schenkung in der villa Röthis. Geht vermutlich auf ein verlorenes Diplom Karls III. für St. Gallen zurück. Vgl. Kehr DD. K. III., LVI-LVII. Vgl. D. Karl III. 98. Vgl. DD. Arn. 11, 73, 81 D. Karl III. 38ff. D. Arn. 111 (?). D. Karl III. 136 (886 VI 9). D. Arn. 111 (?). D. Karl III. 2 (877 IV 15). D. Arn. 25 (888 V 29): anuloque imaginis nostrae. D. Karl III. 98. Vgl. [Notker], Erchanberti Breviarium Continuatio, ed. Georg H. Pertz (MGH SS 2, Hannover 1829) 329: Frater autem eius, gloriosissimus Ludovicus rex, suscepit totam Germaniam, id est totam orientalem Franciam, Alamanniam sive Rhaetiam, Noricum, Saxoniam, et barbaras nationes quam plurimas. […] Ludovicus autem, Germaniae rex […] Ludovicus igitur, rex Germaniae, […]. D. Karl III. 140 (Chartular für St. Seine/F).

Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch.

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Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch. Dieses Thema hier aufzugreifen geht unmittelbar auf das Referat des Jubilars und dessen Ermunterung zurück. Es stellt sich nämlich die Frage, ob die ostfränkischen Herrscher gesalbt waren und wenn, ­welche von ihnen überhaupt eine Salbung empfangen hatten. Auf der Suche nach der Vorgeschichte des Salbungsverzichts Heinrichs I. beherrschte die übertriebene Skepsis Percy Ernst Schramms einer ostfränkischen Salbungstradition gegenüber lange das Feld; welche Gründe und Vorstellungen diese minimalistische Sicht Schramms bedingt hatten, bleibe hier unberücksichtigt. Nach Schramm war Ludwig der Deutsche „ungesalbt“1, und Ludwig „sah bezeichnenderweise davon ab, bei seinen Lebzeiten in dieser Hinsicht etwas für seine Söhne…zu tun“.2 Karl der Dicke sei erst 880 vom Papst in Ravenna gesalbt worden; desgleichen habe Arnulf erst bei seiner Kaiserkrönung die Salbung empfangen; das heißt, bei Ludwigs des Frommen ostfränkischen Enkeln und Urenkeln sei es höchstens durch päpstliche Vermittlung und Spendung zu Salbungsakten gekommen. Die Salbung und Krönung Zwentibolds im Jahre 895 ließ sich freilich nicht in Zweifel ziehen,3 im Falle Ludwigs des Kindes scheute Schramm nicht, „gegen die Annahme eines kirchlichen Akts“ zu argumentieren.4 Mit dieser skeptischen Haltung in der Salbungsfrage ging die eher geringe Einschätzung der erhaltenen Quellen zur ,Staatssymbolik‘ der ostfränkischen Herrscher einher;5 solch ein Urteil stellte aber viel zu sehr auf die Herrschaftsrepräsentation Lothars I. und vor allem Karls des Kahlen als Maß aller Dinge ab und missverstand völlig die am ostfränkischen Hof gegenüber dem Übermaß an luxuriöser Herrschaftsrepräsentation (vor allem Karls des Kahlen) eingenommene Haltung. Schramm, der selbst bei Neubearbeitung seiner Beiträge äußerst zurückhaltend in der Revision einmal gefasster Ansichten war,6 reagierte auf die einer ostfränkischen Salbungstradition viel aufgeschlossenere Position Carl Erdmanns, die dieser bereits 1938 im zweiten Jahrgang des Deutschen Archivs entwickelt hatte,7 vorsichtig reserviert. Von Heinrich I. zeitlich zurückschreitend kam Erdmann im Anschluss an die sicher bezeugte Salbung und Krönung bei Konrad I., Ludwig dem Kind und Zwentibold auf die Frage zu sprechen,8 ob „die vorausgehenden ostfränkischen Könige wirklich ungesalbt“ waren.9 Er sah das Ausbleiben einer Salbung bei Ludwig dem Deutschen und dessen Söhnen (bis auf Karl den Dicken) mit dem Fehlen des päpstlichen Konsekrators im Zusammenhang: „Man schob also die Salbung auf bis zu passendem Zusammentreffen mit dem Papste“.10 Anders sei die Entwicklung im Westreich verlaufen, wo mit Karl Percy Ernst Schramm, Salbung und Krönung bei den Ostfranken bis zur Thronbesteigung König Heinrichs I. (919). Mit Ausblicken auf die Zeugnisse ihrer ,Staatssymbolik‘, in: ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters 2 (Stuttgart 1968) 287–305, hier 292. Dazu unten 387f. 2 Ebd. 293. 3 Ebd. 297–299, hier 298. 4 Ebd. 300. 5 Dagegen Eric Joseph Goldberg, Struggle for Empire: Kingship and Conflict under Louis the German, 817–876 (Ithaca/ London 2006) 52, Anm. 107. 6 So hielt Percy Ernst Schramm, Die Krönung im 9. und 10. Jahrhundert, in: ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters 2 (Stuttgart 1968) 140–248, der überarbeiteten Fassung von ders., Die Krönung bei den Angelsachsen und Franken von 878 bis um 1000, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonische Abteilung 23,1 (1934) 117–242, hier 173–175 und 225ff., etwa weiterhin an der irrigen Ansicht von der Abhängigkeit des ersten englischen vom Judith Ordo (173–75 u. 225ff.) fest. 7 Carl Erdmann, Der ungesalbte König, in: DA 2(1938) 311–340. 8 Ebd. 312–313. 9 Ebd. 313. 10 Ebd. 314f. 1

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dem Kahlen die Salbung durch die ,eigenen‘ Bischöfe üblich geworden sei. Zur Zeit Arnulfs habe sich diese Praxis, wie das Beispiel Zwentibolds zeige, auch im ostfränkischen Reich durchgesetzt. Erdmann fasste dieses Zwischenergebnis seiner Untersuchung dahingehend zusammen, „daß die ostfränkischen Könige bis zum Ende des 9. Jahrhunderts die Königssalbung nicht aufgegeben hatten, sondern sie bei Gelegenheit vom Papste einholten. Man kann zugeben, daß sie sich nicht sonderlich beeilten und daß eine Vermischung der päpstlichen Königsweihe mit der Kaiserkrönung in der Logik der Entwicklung lag. Als aber Ostfranken im Jahre 900 zur erzbischöflichen Königsweihe überging, bedeutete das nur eine Verschiebung hinsichtlich der weihenden Person und damit des Zeitpunktes, nicht aber eine Neuaufnahme des Weihegedankens überhaupt.“11 Gegenüber diesem Standpunkt Erdmanns überrascht die Feststellung des fast 70 Jahre später ­schreibenden Simon MacLean: „Despite the importance of consecration to Carolingian rule, the first ­solid ­evidence for the consecration of an East Frankisch/German ruler does not appear until the ­inauguration of Conrad I in 911.“12 Doch dann wendet er sich vier Diplomen des zum Kaiser gekrönten und gesalbten Karls des Dicken und einer Privaturkunde zu,13 die einschlägige Anniversarstiftungen ent­halten, und folgert: „Taken together, these five documents, all of which survive as originals, constitute the ­earliest evidence both for the anointing of an east Frankish king and for its commemoration.“14 Da zwei der fünf Urkunden den Anniversartag nennen, nämlich das Fest der Erscheinung des Herrn (6. ­Januar), stellt MacLean die Frage, bei welcher Gelegenheit und in welchem Jahr Karls Salbung stattfand. Er kommt, eine Anregung Kehrs aufnehmend und weiterführend, gegen die bisherige Forschung, die darin die Salbung zum König von Italien Anfang 880 durch den Papst in Ravenna sah,15 zu dem Schluss, dass damit nicht eine bestimmte Salbung, sondern „a symbolic celebration invoked for ideological or ceremonial reasons“ gemeint gewesen sei,16 allerdings entfernt sich eine derart weitgespannte Deutung von dem unmittelbaren Vorbild solcher Anniversarstiftungen in den Diplomen Karls des Kahlen, die sich immer auf bestimmte Ereignisse bezogen. Es fragt sich, und hier kann nicht mehr als eine Vermutung geäußert werden, ob Karls erste ­consecratio (Salbung) nicht am 6. Januar 877 erfolgt ist. Vorausgegangen war ihr der Tod Ludwigs des Deutschen (28. August 876) und die Verhandlungen von Karl und dessen Brüdern über die endgültige „Teilung des väterlichen Reichs“17. In eine solche hypothetische Abfolge der Ereignisse scheint der angenommene Salbungstermin mit seinen vielfältigen und reichen symbolischen Bezügen zu passen.18 Zudem lässt sich bei Karls Rivalen der Spätzeit seiner Herrschaft und späteren Nachfolger Arnulf wahrscheinlich ein ähnliches Vorgehen beobachten. Weitere Salbungsakte standen mit der Kaiserkrönung Karls III. (12.2.881)19 und möglicherweise mit der Übernahme der Herrschaft im westfränkischen Reich (885) in Verbindung.20 Spätestens damit war, wenn das Modell von Erdmann zutreffen sollte, der Übergang zur bischöflichen ,Königsweihe‘ gegeben wie auch ein Anknüpfen an die Praxis Karls des Kahlen, Herrschaftserweiterungen, hinzugewonnene Reiche oder Reichsteile, durch einen Salbungs- und Krönungsakt zu markieren. Erdmann, Der ungesalbte König 318–319. Simon MacLean, Kingship and Politics in the Late Ninth Century, Charles the Fat and the End of the Carolingian Empire (Cambridge 2003) 145. 13 DD Karl III., 129, 132, 147, 153 (ed. Paul Kehr, MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2, Berlin 1937) 206–207, 210–212, 237–238, 246–248 und die Anniversarstiftung Chadolts von Novara für Kaiser, sich und seinen Bruder Liutward: Le carte dello Archivio Capitolare di Santa Maria di Novara, vol. I (729–1034), ed. Ferdinando Gabotto et al. (Biblioteca della Società Storica Subalpina 78, Novara 1913) 18–20 (Nr. 14). 14 MacLean, Kingship 146. 15 Vgl. etwa Theodor Schieffer, Karl. III, in: Neue Deutsche Biographie 11 (Berlin 1977), 181-184. Rudolf Schieffer, Die Karolinger (Stuttgart 1992) 178. 16 MacLean, Kingship 153. 17 Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit (MGH Schriften 44, Hannover 1997) 543 und ebenda die Feststellung: „Im Gegensatz zu ihren Vettern aus dem Mittelreich und dem Westfrankenreich traten die Söhne König Ludwigs des Deutschen ohne eine förmliche Krönung die Königsherrschaft an.“ 18 Das Wenige, was über das Itinerar der Zeit bekannt ist, widerspricht nicht einer solchen Annahme. 19 Vgl. Notker, Breviarium Erchanberti (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 330: … a pontifice Roman ode thesauro sancti Petri apostoli corona capiti imposita ad imperium consecratus et Augustus Caesar appellatus… . 20 Zu letzterer und der Rolle Geilos von Langres siehe MacLean, Kingship 127 und 149. 11

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Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch.

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Dass auch Arnulf nicht erst im Rahmen seiner Kaiserkrönung gesalbt wurde (896), könnte wieder das eher versteckte Zeugnis einer Urkunde andeuten.21 Die Schenkung des Klosters Lobbes an die bischöf­ liche Kirche von Lüttich enthält eine Anniversarstiftung für Arnulfs Vater Karlmann – dessen Todes­ tages am 22. September soll in Lobbes und in Lüttich durch Almosen und Gebete gedacht werden – und eine solche für Arnulf: Zu dessen Lebzeiten soll des Tages der Königserhebung gedacht, danach, so impliziert der Text, die Erinnerung des Todestages gefeiert werden.22 Die einschlägige Bestimmung lautet: similiterque nostri eo die, quo divina praeordinante misericordia ad dignitatem regiam promoti sumus, annuatim tam in Laubiensi quam in Leodiensi ecclesia habeatur obitusque vitae nostrae in aevo memoria celebretur. Der Tag, an dem Arnulf durch göttlich vorherbestimmte Barmherzigkeit zur königlichen Würde befördert wurde, bleibt hier ungenannt, was umso erstaunlicher anmutet, als hinter dem Diktat der nur in neuzeitlichen Abschriften überlieferten Urkunde eine Kanzleikraft stand, die Kehr bestimmen konnte. Doch lässt sich der verblüffende Mangel vielleicht dahingehend aufklären, dass der fragliche Tag eben jener der Ausstellung der Urkunde, der 15. November 889 war.23 Arnulf war zwei Jahre davor, im November 887, an die Herrschaft gekommen. Die Formulierung selbst erwähnt zwar nicht wörtlich eine Salbung, lässt eine solche aber auch nicht ausschließen.24 Die Annahme einer solch christlichen Prägung des Herrschaftsbeginns würde bekräftigt durch die im Juni 888 nach Mainz einberufene Synode, in deren erstem Kapitel das Gebet für König Arnulf und dessen Gemahlin im Mittelpunkt stand,25 sowie durch die weiteren Synoden mit dem Höhepunkt des Konzils von Tribur (Anfang Mai 895).26 Am Rande sei in die Erörterung der Salbungsfrage bei den ostfränkischen Karolingern ein Faktor einbezogen, der sich gleichsam wie selbstverständlich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, nämlich der des Berichthorizonts von historiographischen Quellen. Wann war ein Ereignis erzählenswert? Erklärt der Mangel an einschlägigen Nachrichten, das Schweigen einer Quelle schon das Fehlen des Tatbestands; das heißt im gegenständlichen Fall, wenn nichts über Salbungsakte berichtet wurde, gab es diese also auch nicht? Oder liegt die Erklärung eher in der unterschiedlichen Wahrnehmungs­schwelle der Autoren sowie in deren absichtsvoller Formung des Stoffes. Ein Erzbischof, der selbst ordines verfasst und kompiliert hatte, wie Hinkmar von Reims, nahm Salbungen anders wahr und berichtete darüber ausführlicher als ein dem Geschehen fernstehender Chronist.27 Was Stoffgestaltung betrifft, ist vor dem Hintergrund unserer Fragestellung das Beispiel Reginos von Prüm instruktiv. Wenn Regino in seiner Weltchronik von der Kaiserkrönung Karls III. oder ­Arnulfs berichtet, geschieht dies in der Art, Karl bzw. Arnulf wurde (durch Krönung) zum Kaiser erwählt/ gemacht (cum magna gloria imperator creatus est/ a Formoso [...] coronatus imperator creatur).28 In ähnlicher Weise heißt es zur Königserhebung Ludwigs des Kindes: anno dominicae incarnationis D. Arn. 64 vom 15. November 889. Es handelt sich um die einzige von den insgesamt 15 Gebetsstiftungen Arnolfs für sich und seine Vorfahren, die seine ­Königserhebung thematisiert. Vgl. die Übersicht von Franz Fuchs, Arnolfs Tod, Begräbnis und Memoria, in: Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, (ed. Franz Fuchs/Peter Schmid, Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Beiheft 19, München 2002) 416–434, hier 424f. mit Anm. 44 – 45. 23 Vgl. Anton Scharer, The king’s voice: on the expression of personal concern in early medieval diplomas, in: ders., C ­ hanging Perspectives on England and the Continent in the Early Middle Ages (Variorum Collected Studies Series 1042, Farnham 2014) XI, 14. Zum Herrschaftsübergang von Karl III. auf Arnulf siehe jetzt MacLean, Kingship 194–198. Gegen den 15. November dürfte nicht das verfälschte Originaldiplom Karls III. DD. Karl III. 172, ed. Kehr 278–280 vom 17. November 887 sprechen; es sei auf Kehrs Vorbemerkung (ebd.) verwiesen, worin er in Erwägung zieht, dass zu den Rasuren nicht nur die Signumzeile Karls III., sondern „vielleicht auch eine solche Arnolfs“ zählten. 24 Würdigung des Aspert C, von dem das Diktat herrührt, als eines „Schreibers von Schwung und Eigenart“ durch Kehr XIX. 25 Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 875–911 (ed. Wilfried Hartmann/Isolde Schröder/Gerhard Schmitz, MGH Concilia 5, Hannover 2012) 255. Man beachte, dass „die letzte General- oder Provinzialsynode im Ostfrankenreich“ zwanzig Jahre davor (868) in Worms stattgefunden hatte; ebd. 254 Anm. 1. 26 Siehe besonders die Praefatio der Vulgata-Fassung der Kanones von Tribur in Konzilien, ed Hartmann/Schröder/Schmitz 343–345 und den zusammenfassenden Überblick von Wilfried Hartmann, Kaiser Arnolf und die Kirche, in: Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, ed. Franz Fuchs/Peter Schmid (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Beiheft 19, München 2002) 221–252, hier 237–252. 27 Siehe etwa Annales Bertiniani a. 869 (ed. Félix Grat/Jeanne Vielliard/Suzanne Clémencet, Paris 1964). 28 Regino, Chronicon (ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. [50], Hannover 1890) 117 und 144 zu a. 881 bzw. 896. Siehe dagegen Notker, Breviarium Erchanberti, oben Anm. 19. 21 22

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Anton Scharer

DCCCC proceres et optimates [...] ad Foracheim in unum congregati Ludowicum [...] regem super se creant et coronatum regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.29 (Die in Forcheim versammelten Großen und Adeligen wählen/machen Ludwig zum König über sich und erheben den Gekrönten und mit dem k­ öniglichen Ornat bekleideten auf den Gipfel der Herrschaft.) Es scheint so, als würde im ­Zusammenhang der Kaiser- und Königserhebung die Salbung in Reginos Wahrnehmung keine Rolle spielen. Besser gesagt: Sie fand in den erwähnten Fällen keine besondere Beachtung, was nicht be­deutet, dass Regino sie ­generell ignoriert hätte. Denn bei der Schilderung von Bosos von ­Vienne Aufstieg zur Königsherrschaft erwähnt er sehr wohl die Salbung durch Erzbischof Aurelianus von Lyon und andere Bischöfe.30 Nun handelte es sich hier um den Griff nach der Macht durch einen Nicht-­ Karolinger, der zwar als Mann einer Karolingerin und ehemaliger Schwager Karls des Kahlen mit dem herrschenden Geschlecht in Verbindung stand, aber der Legitimierung (durch die Salbung) besonders bedurfte. Und diese Konstellation war entscheidend, wie auch in Bezug auf die Königserhebung Pippins des Jüngeren, der einzigen anderen Gelegenheit, bei der Regino selbständig inunguere gebrauchte.31 Wo es ein Defizit an Legitimierung auszugleichen galt, figurierte also die Salbung prominent in Reginos Schilderung, beim Herrschaftswechsel in der regierenden Familie dagegen verschwand sie aus dem Blickfeld, ohne dass dies aber als Indiz für ihr Fehlen zu werten wäre. Der bisher gewonnene Eindruck, ob und wann Regino eine Salbung registrierte, lässt sich noch durch eine weitere Beobachtung vertiefen, und zwar im Vergleich Reginos mit einer westfränkischen Annalenkompilation aus dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts, den Annales Vedastini.32Während nämlich Regino die Erhebung Zwentibolds zum ­König von Lothringen auf einer Reichsversammlung zu Worms 89533 folgendermaßen schildert, dass Arnulf in quo conventu omnibus assentientibus atque collaudantibus Zuendibolch filium regno Lotharii prefecit, heißt es dazu in den Annales Vedastini filiumque suum rex Arnulfus in praesentia Odoni regis nomine ­Zuendebolchum benedici in regem fecit eique concessit regnum quondam Hlotharii,34 womit ganz klar eine Salbung gemeint war. Auch bei anderer einschlägiger Gelegenheit folgen die Annales ­Vedastini ­diesem Sprachgebrauch,35 was erneut die besondere Perspektive und Wahrnehmungsschwelle von ­Regino aufzeigt. Eine ähnliche Beobachtung allgemeiner Natur lässt sich in einem verwandten Feld machen, der Salbungs­tradition der angelsächsischen Könige. Im Folgenden geht es nur um den Vergleich, nichts ­weiter. Die Könige der Mercier waren seit dem 8. Jahrhundert gesalbt; sehr wahrscheinlich kann man eine Salbung Æthelbalds (716–757) aus mehr oder weniger versteckten Andeutungen der Urkunden ­dieses Herrschers, der Bonifatius-Korrespondenz und der Vita des hl. Guthlac erschließen, sicher bezeugt ist eine solche 787 für Ecfrith, den Sohn Offas, und für Ceolwulf (822)36. Auch der Northumbrerkönig Eardwulf war gesalbt (796), und bei den Westsachsen reichte die Salbungstradition vermutlich zu Ecgberht, wenn nicht zu Beorhtric ins späte 8. Jahrhundert zurück. Sie wird fassbar in urkundlichen, synodalen und liturgischen Zeugnissen, die sich vielleicht auf Ecgberht und Æthelwulf beziehen lassen wie auch der erste englische Ordo, bei dem es sich in erster Linie um einen Salbungsritus handelt. Zudem war Alfred gesalbt und gegen Ende seiner Herrschaft entstand ein weiterer Ordo, der sog. ,langobardische‘ Ordo, der bei Salbung und Krönung von Edward dem Älteren Verwendung fand (8. Juni 900), woran sich wiederum der zweite englische Ordo wahrscheinlich für Æthelstans Salbung

Regino, Chronicon a. 900, ed. Kurze 147f. . Regino, Chronicon a. 879, ed. Kurze 114: Lugdunum ingressus ab Aureliano eiusdem urbis metropolita et aliis pontificibus in regem super prefatum Burgundiae regnum inunguitur. 31 Regino, Chronicon a. 749 , ed. Kurze 43 und die päpstliche Antwort auf Burchards und Fulrads Mission iussit (sc. papa) Pippinum regem creari et sanctae unctionis oleo inungi. 32 Man vergleiche auch die markanten Unterschiede in der Art und Weise, wie Notker und Regino von der Kaiserkrönung Karls III. berichten. Siehe oben Anm. 19 und 28. 33 RI 1908a und Regino, Chronicon, ed. Kurze 143. 34 Annales Vedastini a. 895 (ed. Bernhard v. Simson, MGH SS. rer. Germ. in us. Schol. [12], Hannover/Leipzig 1909) 75. 35 Etwa im Falle der Kaiserkrönung Karls des Kahlen zu 876 (Annales Vedastini, ed. Simson 40), die Königserhebung ­Ludwigs III. und Karlmanns zu 879 (ebd. 45), Odos zu 888 (ebd. 64) und Karls des Einfältigen betreffend zu 893 (ebd. 73). 36 Nachweise bei Anton Scharer, Herrschaft und Repräsentation. Studien zur Hofkultur König Alfreds des Großen (MIÖG, Erg. Bd. 36, Wien/München 2000) 11–38, bes. 26ff. 29 30

Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch.

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und Krönung (4. September 925) anschloss37. Die Salbungstradition im angelsächsischen England ist also rekonstruierbar aus einer Kombination von einigen wenigen direkten historiographischen Nachrichten, indirekten Hinweisen und Andeutungen aus urkundlicher und synodaler Überlieferung sowie aus den liturgischen Quellen, den einschlägigen Ordines. Ein ähnliches, wenngleich viel dichteres und vielfältigeres Quellenspektrum charakterisiert die westfränkischen Verhältnisse der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Verglichen damit schienen nach der herrschenden Lehre die entsprechenden Zeugnisse aus dem ostfränkischen Reich spärlicher zu fließen, vor allem was liturgische Quellen zur Herrscher­ initiation betrifft. Doch gerade in diesem Bereich hat Eric Goldberg neue Perspektiven eröffnet und die Position von Schramm entschieden in Frage gestellt.38 Zunächst verwies er auf eine Handschrift vornehmlich liturgischen Inhalts aus dem Umkreis des Bischofs Baturich von Regensburg, BSB Clm 14510 (fol. 1–75) und auf die darin enthaltenen Laudes;39 die Datierung dieser Regensburger Handschrift auf 826/27 erfolgte auf Grund der Laudes,40 in denen nach Papst, Kaiser Ludwig dem Frommen und dessen Söhnen und Königen noch besonders Ludwig der Deutsche akklamiert wird.41 Der Codex enthält außerdem weiteres relevantes Material, nämlich eine Benedictio super principem und daran anschließend eine Benedictio regalis,42 die nach Goldberg wahrscheinlich „during a formal crowning of Louis as king of Bavaria“ verwendet wurden.43 Es handelt sich um einzelne Benediktionen, aber keinen zusammenhängenden Ordo, auch fehlt ein Salbungsgebet,44 allerdings weisen die Texte sehr wahrscheinlich zumindest in die Nähe einer Initiationszeremonie,45 besonders unter Berücksichtigung des Umstands, dass laut Jackson eine auch hier vorkommende Formel (Deus inenarrabilis auctor ­mundi), die schließlich in das „coronation ritual“ einfloss,46 bereits bei Pippins des Jüngeren Salbung durch Papst Stephan II. verwendet worden sein dürfte;47 zudem legt eine darin gebrauchte Wendung (eum /sc. regem/ [...] sapientiae tuae rore perfunde) einen möglichen Bezug zur Salbung nahe. Einerseits ist vorstellbar, dass die hier enthaltenen Benediktionen, die bis auf ein Gebet48 schon aus älteren fränkischen Überlieferungsträgern bekannt waren, bei allen möglichen passenden Gelegenheiten verwendet worden sind,49 anderseits können sie im Einklang mit der Überlieferungslage sehr früher ­Ordines gewissermaßen ‚fragmentarisch‘ auf uns gekommen sein,50 indem nur einzelne der die Formeln enthaltenden schedae dem Kopisten vorlagen, und deuten deshalb nicht nur sie selbst, sondern auch in ihrem Fortwirken auf einen Salbungskontext. Auf die besonderen Überlieferungsbedingungen und Anton Scharer, A new second ‘English’ ordo, in: ders., Changing Perspectives on England and the Continent in the Early Middle Ages (Farnham 2014) IX. 38 Siehe Eric J. Goldberg, Struggle for Empire bes. 51–54. 39 Ebd. 51f. 40 Bernhard Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken der Karolingerzeit 1: Die bayrischen Diözesen (Wiesbaden ³1974) 205f.; ders., Bücher am Hofe Ludwigs des Deutschen und die Privatbibliothek des Kanzlers Grimalt, in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte 3 (Stuttgart 1981) 187–212, hier 187 mit Anm. 2 und Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen) 2, aus dem Nachlass herausgegeben von Birgit Ebersperger (Wiesbaden 2004) 260 Nr. 3224. 41 Die Spitze gegen den Mitkaiser Lothar ist unverkennbar; Goldberg, Struggle 52 meint dazu: „By describing all of Louis the Pious’s sons as kings (reges) and only Louis the Pious as emperor they (sc. Laudes) flagrantly ignored the Ordinatio imperii and Lothar’s status as co-emperor.” 42 Zuletzt ediert als Ordo 3: Royal texts in the Collection of Sankt Emmeram, in: Ordines coronationis Franciae. Texts and Ordines for the Coronation of Frankish Kings and Queens in the Middle Ages 1, ed. Richard A. Jackson (Philadelphia 1995) 66–68. 43 Goldberg, Struggle 52. 44 Cornelius Adrianus Bouman, Sacring and Crowning. The Development of the Latin Ritual for the Anointing of Kings and the Coronation of an Emperor before the 11th Century (Groningen/Djakarta 1957) 71: „The earliest liturgical texts of the sacring are those found in the Benedictional of Freising and in the Sacramentary of Angoulême...“ 45 Ordines coronationis Franciae, ed. Jackson 24: “It is possible that Ordines III (sc. der fragliche), IV, IX and XII also contain formulas that were pronounced at early rituals of royal anointing”. 46 Ebd. 23. 47 Ebd. 23f. 48 Zu Deus qui victrices Moysi manus vgl. Bouman, Sacring and Crowning 93 Anm. 1. 49 Bouman, Sacring and Crowning 91 erwähnt etwa „at the reception of the prince in a church or abbey, or whenever the king assisted at a religious function“. 50 Vgl. die Überlegungen bei Bouman, Sacring and Crowning 71 und 75 zu den schedae. 37

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-faktoren liturgischer Texte allgemein, der auf Salbung und Krönung bezüglichen im Besonderen kann in dieser Skizze nicht näher eingegangen werden.51 Auch zeigen die in Clm 14510 tradierten Benedik­ tionen, dass die Entwicklung in Bayern und im zukünftigen ostfränkischen Reich nicht der anderer regna hinterherlief und mit Bischof Baturich, der 833 zum Erzkapellan aufstieg, Ludwig der Deutsche einen auf diesem Gebiet erfahrenen Berater zur Seite hatte.52 Damit sind die Zeugnisse für Ludwig den Deutschen und sein näheres Umfeld nicht erschöpft. Es sei an die Synode von Mainz (Oktober 847) und das einleitende Schreiben von Hrabanus Maurus er­ innert, „in dem“ u.a. „die gesamte in Mainz versammelte Geistlichkeit aufgefordert wird, für den König und seine Familien in allen Kirchen und Klöstern zu beten“.53 Selbst wenn es sich bei den einschlägigen Formulierungen um die Wiederverwendung von Textbausteinen der Reichssynoden des Jahres 813 handelt:54 Diese hatten einem gesalbten und gekrönten König und Kaiser gegolten; umso weniger ist ersichtlich, warum der aktuelle Gebrauch sich auf einen ungesalbten König beziehen sollte. Mag die Gebets­verpflichtung die von Laudes und Benediktionen genährte Vermutung stärken, bleibt noch ein Ordo zu erwähnen, der auf Ludwig den Deutschen und dessen Frau Hemma bezogen wurde. Es handelt sich um einen vier Formeln umfassenden karolingischen „Ordo für die Krönung eines Herrscherpaares“, der nach paläographischer Beurteilung des einzigen Überlieferungsträgers im „Westen des ostfrän­kischen Reiches“ um 850/875 aufgezeichnet wurde und nach Inhalt wie sprachlicher Stilisierung eher eine Sonderstellung einnimmt.55 Die sehr sorgfältige und vorsichtige Würdigung Elzes versuchte Goldberg stärker in einen historischen Zusammenhang zu bringen und sah diesen in dem Oktober 871 geplanten Italienzug Ludwigs des Deutschen;56 allerdings fragt sich, ob eine solche Deutung noch mit der paläographischen Datierung der Handschrift vereinbar ist.57 Der angesprochene, sehr kurze und in vielfacher Hinsicht rätselhafte Krönungsordo enthält keine der „so beliebten Exempel aus dem Alten Testament“ und auch keinen Hinweis auf eine Salbung;58 vielleicht weil Ludwig der Deutsche schon gesalbt war. Hinzukommt, dass eine weitere aus Bayern stammende liturgische Handschrift, das sog. Bendictionale aus Freising, BSB Clm 6430, eine Benedictio regis in regno enthält, bei der es eindeutig um eine Salbung samt Salbungsgebet geht.59 Der fragliche Teil der Handschrift aus Freising wird um 900 oder Anfang des 10. Jahrhunderts datiert und ist „dem Schriftbefund zufolge in Freising entstanden“,60 also vermutlich gegen Ende von Waldos Episkopat. Dieser Umstand, auf den wir noch zu sprechen kommen, hat bislang kaum die entsprechende Beachtung gefunden. Aber zurück zu dem Ordo: Er umfasst vier Formeln, und zwar die hier erstmals belegte Salbungsformel Unguantur manus iste [...]61, gefolgt von Prospice omnipotens deus hunc gloriosissimum regem serenis obtutibus […], einer umfangreichen, Es sei pauschal auf Bouman, Sacring and Crowning und Jacksons Einleitung zu Ordines coronationis Franciae 11ff. verwiesen. 52 Zu Baturich siehe Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige, 1: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle (MGH Schriften 16, 1, Stuttgart 1959) 168–172; Goldberg, Struggle for Empire 51–54 (mit Bezug zur genannten Handschrift); Wilfried Hartmann, Ludwig der Deutsche (Darmstadt 2002) 134f.; Boris Bigott, Ludwig der Deutsche und die Reichskirche im Ostfränkischen Reich (826–876) (Historische Studien 470, Husum 2002) 161ff. 53 Hartmann, Ludwig der Deutsche 194 in Bezug auf Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843–859 (ed. Wilfried Hartmann, MGH Concilia 3, Hannover 1984) 160 (Nr. 14). 54 Ebd. 194f. mit Anm. 365. 55 Reinhard Elze, Ein karolingischer Ordo für die Krönung eines Herrscherpaares, in: Bulletino dell’Istituto storico Italiano per il Medio Evo e Archivio Muratoriano 98 (1992) 417–423, hier 418.Nach der Edition von Elze (auf 423) findet sich dieser Ordo auch in Ordines coronationis Franciae 80f. Anm. 4. 56 Goldberg, Struggle for Empire 308–309. 57 Elze, Ein karolingischer Ordo 418: „Die Lage, welche den Ordo enthält, ist um die Mitte, der Ordo wohl im dritten Viertel des 9. Jahrhunderts … geschrieben.“ Die paläographische Bestimmung nach Bernhard Bischoff. 58 Ebd. 420. 59 Ordines coronationis Franciae, ed. Jackson 69–72, nach Jackson, Ordo IV: Royal Texts in the Benedictional of Freising. 60 Siehe zuletzt besonders die Ausführungen Günter Glauches in: Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die Pergamenthandschriften aus dem Domkapitel Freising 2: Clm 6317–6437 (Catalogus ­codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis III/2,2, Wiesbaden 2011) 290–292, hier 292. Davor Bischoff, Schreibschulen 1 114 und zur liturgischen Interpretation: The Benedictionals of Freising, ed. Robert Amiet (Henry Bradshaw Society 88 for the years 1951 and 1952, Maidstone 1974) 49ff. 61 Vgl. dazu Ordines coronationis Franciae 69 und Bouman, Sacring and Crowning 107–109. 51

Die Salbung bei den ostfränkischen Königen. Ein Versuch.

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gebetsartigen Benediktion,62 die „invariably formed part of the accession liturgy, as a prayer to be pronounced at the anointing ceremony or at least in close connexion with that nucleus of the service“.63 Im Unterschied zu anderen ,blessing formulas‘ weist Prospice immer eindeutig auf einen Salbungskontext, besonders nachdrücklich in Kombination mit Unguantur, auch dürfte dieses Gebet vermutlich bereits bei Pippins Salbung gesprochen worden sein.64 Von daher könnte schon der Zusammenhang mit der darauf folgenden Formel Deus inenarrabilis auctor mundi bestanden haben,65 die mit der Rubrik Item alia benedictio super regem et populum eingeleitet wird. Den Abschluss bildet die mit Item benedictio regis einbegleitete, zahlreiche alttestamentarische Beispiele heranziehende Formel Benedic, domine, hunc regem nostrum, die bereits in der St. Emmeramer Benedictio super principem in verwandter Form figuriert hatte.66 Das heißt zusammenfassend: Zwei der vier Formeln teilt das Freisinger Benedictionale zumindest in vergleichbarer Weise mit der Regensburger Handschrift. Mögen auch unterschiedliche Vorlagen verwendet worden sein, für die Überlieferung liturgischer Texte keine Seltenheit, und die Freisinger Gebetsschlüsse genetisch früher liegen,67 sieht man darin ein nicht zu unterschätzendes Zeichen der Kontinuität in einem, nein dem ostfränkischen Salbungsritus, der sich in seinen konservativen Zügen von der westfränkischen Entwicklung abhebt.68 Wie gelangte dieser Salbungsritus in die Freisinger Handschrift? Darüber kann einstweilen nur spekuliert werden. Die Antwort dürfte wahrscheinlich in der Person Bischof Waldos liegen. Ohne dessen Biographie im Einzelnen hier auszubreiten,69 genügt der Hinweis auf die Karriere bei Hof als Kapellan Karls III.,70 die dem aus einflussreicher schwäbischer Familie71 Stammenden den Weg zum Bischofsamt ebnete. Waldo ist nach Fleckenstein „durch die Vermittlung seines Oheims (sc. des Bischofs Salomo II. von Konstanz) über Witgar, den ersten Erzkapellan Karls III., in dessen Kapelle gelangt“, und es sei „wahrscheinlich, daß er (sc. Waldo), der 884 zum Bischof von Freising erhoben wurde, seinen Bruder (sc. Salomo, den späteren Salomo III. von Konstanz) in die Kapelle nachgezogen habe.“72 Waldo, der seine Ausbildung in St. Gallen erhalten hatte, ist seit Ende 880 in der Kanzlei belegt73, und im Juni 884 wird er in der Rekognitionszeile einer Urkunde Karls III. für die Kirche von Lüttich bereits Bischof genannt.74 Aus dem Fall Karls III. und Aufstieg Arnulfs zum Königtum erwuchs Waldo kein Nachteil. Als Bischof von Freising wird er mit Arnulf schon vor dessen Griff nach der Macht bekannt gewesen sein; immerhin erhielt er von Arnulf 889 die Abtei Kempten75 und bis zu Arnulfs Ende waren die Beziehungen eng.76Aus dem Naheverhältnis Waldos zum Hof Karls III., Arnulfs und Ludwig des Kindes wird man schließen dürfen, dass der im Freisinger Benedictionale überlieferte Ordo der für die Salbung der ostfränkischen Karolinger gebräuchliche war. Wenn er nicht bereits für Ludwigs des Deutschen Salbung verwendet wurde, sind vor allem Karls III. Salbung (vielleicht 6. Januar 877) und jene Arnulfs Bouman, Sacring and Crowning 107. Siehe auch ebd. 91: „The sources suggest…that from the time Frankish kings started to be anointed, the prayer Prospice was reserved for the accession ritual.“ 63 Ebd. 90. 64 Jackson, Ordines coronationis Franciae 24. 65 Siehe oben 387, Bouman, Sacring and Crowning 75 und die Abfolge der beiden Formeln im Sakramentar von Angoulȇme: Ordines coronationis Franciae 58f. (Ordo II A). 66 Ordines coronationis Franciae 67 (Ordo III 1 β). 67 Bouman, Sacring and Crowning 99 Anm. 2 zu per dominum (III) und quod ipse prestare dignetur (IV). 68 Vgl. Bouman 109, bes. die folgende Feststellung: „In the Western part of the Empire Unguantur as well as Prospice lost their prestige at an early date.“ 69 Josef Maß, Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit. Die Bischöfe Arno (854–875), Arnold (875–883) und Waldo (884–906) (Studien zur altbayerischen Kirchengeschichte 2, München 1969) 20–57 und 68–101. 70 Fleckenstein, Hofkapelle I 193f. 71 Maß, Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit 30–35. 72 Fleckenstein, Hofkapelle I 193f. 73 Nach einer Zwischenstation nicht bei Witgar, wie Fleckenstein gemeint hatte, sondern bei Liutbert von Mainz, so Maß, Bistum Freising 45f., in dessen Begleitung Waldo am Reichstag von Ravenna Anfang 880 teilgenommen haben soll, ebd. 46f. Über Waldos Wirken in der Kanzlei Karls d. Dicken ebd. 51ff. 74 DD Karl III. 104, ed. Kehr 167–168 vom 26.6.884. Über Waldos Tätigkeit in der Kanzlei Kehr in der Einleitung zu DD Karl III., ed. Kehr XXIII–XXIV. 75 Vgl. Maß, Das Bistum Freising in der späten Karolingerzeit 81f. und Wilfried Hartmann, Kaiser Arnolf und die Kirche 232, der freilich darin Arnulfs besonderes Bemühen um jene, „die ihm am Beginn seiner Herrschaft fern gestanden hatten“ sieht. 76 Siehe zusammenfassend Josef Maß, Das Bistum Freising im Mittelalter (München 1986) 94–95 und 359. 62

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(möglicherweise 15. November 887) als Gelegenheiten seines Gebrauchs auszumachen. Das konservative Gepräge und die sehr stark der Tradition verhaftete Gestalt des Salbungsritus mag zum einen erklären, warum er bisher so wenig Beachtung fand; zum anderen liegt die mögliche Erklärung in der generell konservativen Ausrichtung des ostfränkischen Hofes bzw. der ostfränkischen Höfe in Fragen der Herrschaftsrepräsentation, in bewusster Abgrenzung zu Karl den Kahlen, um es auf eine Kurzformel zu bringen. Für dieses Phänomen seien zwei hofnahe Zeugnisse allerdings nur kursorisch angeführt,77 die ­Annales Fuldenses oder ostfränkischen Reichsannalen und Notkers Gesta Karoli. In den Annales Fuldenses wird zu 876 über Karls den Kahlen Rückkehr aus Italien (von der Kaiserkrönung) berichtet und dazu kritisch angemerkt, er habe einen neuen Dresscode angenommen, denn an Sonn- und Festtagen pflege er nun zur Kirche zu gehen gekleidet in eine Dalmatica, die bis zu seinen Knöcheln reiche, d.h. ein Diviti­ sion, darüber einen Loros gewickelt, der bis zu den Füßen herabhing, und sein Haupt in eine seidenes Tuch mit Diadem darüber gehüllt: Denn alle Gewohnheiten der Könige der Franken verachtend hielt er „griechischen Prunk für den besten“.78 Komplementär zu dieser Kritik betonen die von Notker im Auftrag Karls III. zwischen 884/5 und 887 verfassten Gesta Karoli unter Berufung auf Karl den Großen und Ludwig den Deutschen die Vorzüge der einfachen fränkischen Tracht79 und des Eisens gegenüber Gold.80 Damit ist die Stimmungslage bei Hof andeutungsweise erfasst. In einem solchen Kontext darf es nicht weiter überraschen, dass die Salbungszeremonie nicht im Scheinwerferlicht stand; gleichwohl waren die ,ostfränkischen‘ Karolinger, wie wir besonders am Beispiel Ludwigs des Deutschen, Karls III. und Arnulfs zu skizzieren versucht haben, gesalbte Könige. Der Traditionsbruch Heinrichs I. lässt sich also nicht leugnen. Aber auch Ottos I. Salbung und Krönung in Aachen bedeutete, wie immer man die Problematik der Widukindschen Schilderung veranschlagt,81 nicht einfach ein Anknüpfen an die ostfränkische Salbungstradition, sondern vor allem eine schöpferische Neuaufnahme dessen, was Karl der Kahle in seiner Herrschaftsrepräsentation geschaffen hatte.

Eine eingehendere Darstellung würde den Rahmen dieser Skizze sprengen und soll einer zukünftigen Publikation vorbe­ halten sein. 78 Annales Fuldenses (ed. Friedrich Kurze, MGH SS. rer. Germ. in us. schol. [7], Hannover 1891) 86. Die Bestimmung der beschriebenen Gewandstücke folgt der Deutung von Josef Deér, Byzanz und die Herrschaftszeichen des Abendlandes, in: ders., Byzanz und das abendländische Herrschertum, ed. Peter Classen (Vorträge und Forschungen 21, Sigmaringen 1977) 42–69, hier 47. 79 Vgl. u.a. Notker Balbulus, Gesta Karoli magni imperatoris (ed. Hans F. Haefele, MGH SS. rer. Germ., NS 12, Berlin 1959) II cc. 5, 8, 17, 53, 60 und 86ff. 80 Notker, Gesta II, 17 und 18, ed. Haefele 81ff. (der eiserne Karl) und 88f. (Ludwig der Deutsche); letzteres Beispiel mit direkter Anrede an Karl III. Vgl. auch den Nachruf Reginos auf Ludwig den Deutschen: Regino, Chronicon, ed. Kurze 110 zu 876 plus diligens ferri rigorem quam auri fulgorem. 81 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae (ed. Ekkehart Rotter/Bernd Schneidmüller, Stuttgart 1981) II c. 1, 104–108. 77

Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag.

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Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag. Herwig Wolfram sprach in seinem Vortrag, mit dem er das zu seinen Ehren abgehaltene Symposium ­fulminant abschloss, beiläufig das Phänomen an, dass sich bei dem unter den Franken, Ottonen und ­Saliern zur Anwendung gebrachten Krönungsritus hinsichtlich der Salbung des Herrschers Kontinuitäten feststellen lassen, aber auch auffallende Unterbrechungen. So unterblieb dieser altkarolingische Brauch bei den Ostfranken von Ludwig dem Deutschen (826–876) bis zu Ludwig dem Kind (900–911) sowie später bei dem Franken Konrad I. (911–918) und dem Liudolfinger Heinrich I. (919–936). Unter den Ottonen fand er mit Otto I. dem Großen (936–973) wieder Eingang in die Krönungszeremonie, womit das Ritual, das von Erzbischof Hinkmar von Reims (845–882) für die westfränkischen ­Könige im Krönungs-Ordo festgeschrieben worden war, 936 auf das ostfränkisch/deutsche Reich überging. Der Ritus lebte dann in den drei folgenden Generationen, bei Otto II. (973–983), Otto III. (983–1002) ­sowie Heinrich II. (1002–1024) fort, und 1024 kam es nach dem Aussterben der männliche Linie der ­Liudolfinger zu einem weiteren Transfer auf eine neue Dynastie, als der Mainzer Erzbischof den Salier Konrad II. (1024–1039) salbte. Wie Wolfram betonte, war das Ritual ursprünglich von Pippin I. eingeführt worden, um der Karolingischen Dynastie ‒ der verdrängten Merowingischen gegenüber ‒ eine sakrale Dimension zu verleihen. Aus der kunsthistorischen Perspektive der Verfasserin kann der Einsatz der Salbung als Teil einer grundsätzlichen Nutzung des Ersten Testaments durch die Herrscher als Referenzrahmen gesehen werden. Umgekehrt wurden die Könige respektive Kaiser aus diesem Rahmen – um bei diesem Bild zu bleiben – auch wieder verdrängt, wenn die Kirche ‒ dem Herrscher die sakrale Dimension absprechend ‒ diesen für sich allein beanspruchte: so geschehen in der ersten Hälfte der 840er Jahre, also gleichzeitig mit der Aufspaltung des Frankenreichs in drei Teile durch den Vertrag von Verdun. Dazu passt, dass Ludwig der Deutsche und seine Nachkommen nicht mehr gesalbt wurden. Wenn Otto I. 936 die Salbung wieder erhielt und sich diese dadurch als Teil des Krönungsrituals nicht nur für seine Nachkommen, Otto II. und Otto III., sowie für den Nachkommen seines Bruders, also für Heinrich II., sondern sogar darüber hinaus etablierte, so konvergiert das damit, dass sich Otto der Große generell in dem angesprochenen Referenzrahmen des Ersten Testaments wieder zu positionieren vermochte. Die zweite Verdrängung der Herrscher aus diesem erfolgte etwa zweihundert Jahre nach der ersten: im Vorfeld des Investiturstreites, als Rom das Reichskirchensystem auszuhebeln begann. Da die Verfasserin auf das Phänomen der Usurpation des Referenzrahmens und der Verdrängung aus diesem schon mehrfach eingegangen ist,1 genügt in der Folge eine grobe Skizze. So sei hier kurz auf einige prominente Beispiele aus dem Bereich der visuellen Medien eingegangen.

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Martina Pippal, Distanzierung und Aktualisierung in der Vivianbibel. Zur Struktur der touronischen Miniaturen in den 40er Jahren des 9. Jahrhunderts, in: FS für Hermann Fillitz (Aachener Kunstblätter 60, Aachen 1994) 61–78; dies., Theologie und Tagespolitik – Zur Buchmalerei in Tours im 9. Jahrhundert (Mitteilungen der Gesellschaft für Vergleichende Kunstforschung, Wien 1996) 9–15; dies., The temple of Jerusalem as the domus ecclesiae in the Carolingian period. The real and ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic art, in: Studies in Honor of Bezalel Narkiss on the Occasion of his Seventieth Birthday (Jewish Art Journal of the Center for Jewish Art, The Hebrew University of Jerusalem 23,24, 1997/98) 67–78; dies., Kunst des Mittelalters – Eine Einführung. Von den Anfängen der christlichen ,Kunst‘ bis zum Ende des Hochmittelalters (Wien/Köln/Weimar 32010) 160–165, 166f., 174f., 185f., 188–190, 197f., 205–207, 215–219; dies., Das Sakramentar Heinrichs II. Handschrift Clm 4456 der Bayerische Staatsbibliothek, München (Gütersloh/München 2010) 29–38, 51–124; dies., Die Wiener Schatzkammer. Genom des Heiligen Römischen Reiches?, in: … das Heilige sichtbar machen. Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ed. Ulrike Wendland (Halle an der Saale 2010) 433–447.

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Die Selbstplatzierung im angesprochenen Referenzrahmen des Alten Bundes wird im Zuge der ­Karolingischen Renovatio bereits beim ursprünglichen Einband (Paris, Bibliothèque National) des Dagulfpsalters (Wien Österr. Nationalbibliothek, Cod. 1861)2 greifbar. Einband und Handschrift sind gleichzeitig, zwischen 783 und 795, in der Hofwerkstatt in Aachen hergestellt worden und waren, wie ein darin erhaltener Widmungsbrief belegt, als Geschenk für Papst Hadrian I. (772–795) konzipiert. Es war also der Papst, den der ‒ die renovatio imperii und damit die Kaiserwürde erstrebende Herrscher ‒ mit diesem Werk zu adressieren beabsichtigte, was allerdings nie realisiert wurde. Das Elfenbeinrelief, das auf der Vorderseite des Deckels montiert war (Abb. 1: links), zeigt König David, wie er im Kreis seiner Musiker die Psalmen singt (unten) und wie er den Auftrag gibt, diese niederzuschreiben (oben). Damit ist nicht nur der (damals dafür gehaltene) Verfasser des Gebetskonvoluts dargestellt, vielmehr setzte sich Karl der Große durch die Themenwahl mit König David gleich, insofern er, Karl, die Herstellung einer Abschrift der Psalmen in Auftrag gegeben hatte. Hinsichtlich der folgenden Jahre der karolingischen Renaissance muss der Hinweis genügen, dass in der Auseinandersetzung Aachens mit dem Nicänum II das Erste Testament in anderer Hinsicht zum Referenzrahmen wurde, konnte man sich doch durch Bezugnahme darauf mittels einer (temporären) Bilderabstinenz von Ostrom abgrenzen: Dass Christus im ,Kuppel‘-Mosaik des Aachener Münsters3 ­ursprünglich wahrscheinlich nicht dargestellt war (sondern seine Wiedergabe erst in der Zeit Kaiser Friedrichs I. Barbarossa erfolgte), ist bekannt. Ebenso, dass Theodulf von Orléans nach seinem Rückzug vom Aachener Hof in der Apsiskalotte seiner 806 geweihten Privatkapelle in Germigny-des-Prés anstelle des thronenden Christus die Bundeslade mit den beiden Cherubim (Ex 27, 17–21; 1 Kön 8, 1–13) und zwei diese bewachende Engel darstellen ließ. Dieses typologische Umschreiben Gottes konvergiert mit dem Vorbehalt gegenüber der Wiedergabe Christi, wie sie die Libri Carolini artikulieren, wonach die Bundeslade nicht mit den Bildern (um die es ja in Nikaia ging) verglichen werden könne, da diese „auf Anordnung Gottes“ (cf. Ex 26, 1–37) und nicht „aufgrund der Willensentscheidung irgendeines Künstlers“ hergestellt worden sei4. Auch wenn der Hof in Aachen damals bereits zur Herstellung von Bildern, auch der Darstellung Christi, zurückgekehrt war (weil das Medium ,Bild‘ für die Umsetzung der politischen Pläne unverzichtbar war), ist Theodulfs Vorbehalt den Bildern gegenüber nicht als ­Antithese zum Hof zu verstehen, sondern vielmehr als ein aktiver Akt des Sich-Einschreibens in das Erste Testament, das mit den Absichten des (von Theodulf ja über lange Zeit wesentlich mitgeprägten) Hofes parallel ging. Derartige Identifikationen waren am Karolingerhof gang und gäbe und führten grundsätzlich dazu, dass dem Herrscher die von Wolfram angesprochene sakrale Aura erwuchs. Als Lichtpunkt, von dem sich diese auszubreiten begann, kann unschwer die durch Pippin I. eingeführte Salbung verstanden werden. Es ging ihm und seinen Söhnen eben nicht nur darum, das weströmische Reich in politischer Hinsicht wieder auferstehen zu lassen, sondern auch darum, dieses in und mit und durch ein Volk zu errichten, das im Sinne des Ersten Testaments als ein von Gott begleitetes und geliebtes verstanden wurde. Hierher gehört auch des Engagement Karls des Großen um die Schriftreform und die emendatio der Bibel, was in der allseits bekannten Überreichung des in Tours perfektionierten Bibelexemplars an Papst Leo III. während der Kaiserkrönung Karls zu Weihnachten des Jahres 800 in Rom sein äußeres Zeichen fand. Nicht Bibeln sind im Hochmittelalter die meist produzierten Codices, sondern Evangeliare und Evangelistare. Die Herstellung von Vollbibeln hat daher immer einen Sitz in der jeweiligen (kirchen-) politischen Situation. Indem Karl der Große die Verantwortung (so jedenfalls die von ihm angestrebte Außenperspektive) für die Unversehrtheit des Wortes Gottes übernahm, optierte er sich in den Klerus hinein. Mehr als das: Er beanspruchte in diesem die Rolle des primus inter pares. Die oben schon erwähnte Verdrängung des Herrschers aus dem Referenzrahmen des Ersten Testaments bahnte sich bald nach dem Tod Karls des Großen (814) an. Quellen berichten, dass Abt Hilduin von Saint-Denis (814 [bezeugt], † 855/861) in den 820er Jahren in einem Ornat auftrat, der mit Glöckchen und Granatäpfelchen besetzt war, wie wir das vom Hohepriester des Alten Bundes her 2



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Jean Hubert/Jean Porcher/Wolfgang Fritz Volbach, Die Kunst der Karolinger von Karl dem Großen bis zum Ausgang des 9. Jahrhunderts (Universum der Kunst, München 1969) Abb. 208; 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, ed. Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff 611. Hermann Schnitzler, Das Kuppelmosaik der Aachener Pfalzkapelle, in: Aachener Kunstblätter 29 (1964) 17–44. Libri Carolini II, 26 (ed. Ann Freeman, MGH Conc. II, Suppl. 1, Hannover 1998) 286.

Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag.

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k­ ennen (cf. Ex 28, 32–35; 39, 23–27; Lv 16, 2 14f). In dieser Ver-Kleidung führte Hilduin als ,Erz­ kaplan‘ (ja als eine Art fränkischer Papst) bei Synoden die Schar der fränkischen Bischöfe an. In den 840er Jahren gelang dem fränkischen Klerus der nächste Schritt: Die Position über den ­Herrscher zu beanspruchen. Der Vergleich zweier Vollminiaturen in zwei Vollbibeln, die im Skriptorium von St. Martin in Tours 840 respektive 843/45 geschrieben und illustriert wurden, zeigt diesen Verdrängungsprozess: Basis der inhaltlichen Wende war eine formale. Beide zusammen möchte ich unter dem Begriff ,theologische Wende‘ subsumieren. Ähnliches geschah im dritten Viertel des 9. Jahrhunderts auch in der erzbischöflichen Elfenbein-Schnitzwerkstatt in Metz, das ja 843 zum Lotharii Regnum kam und ab 870 zum Ostfrankenreich gehörte. An beiden Orten wurde die ,Grammatik‘ des Bildes (Miniatur, Relief) verändert, indem der unter Karl dem Großen aus politischen Gründen reanimierte und nach ­dessen Tod noch kurz forcierte Bildtiefenraum durch den ‒ schon im 4. Jahrhundert eingeführten ‒ ,Schichtenraum‘ ersetzt wurde. Die Darstellungen der heilsgeschichtlichen Ereignisse glichen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Szenen einer Theateraufführung auf einer Guckkastenbühne, die vom Betrachter quasi aus dem ,Zuschauerraum‘ heraus verfolgt werden können, vielmehr drang das Heilsgeschehen fortan in den Betrachterraum ein. Zugleich eignete sich die neue ,Grammatik‘ besser für die Kommunikation komplexer Inhalte, mithin auch der Glaubenswahrheiten der Kirche. Ich konzentriere mich im Folgenden auf Tours. Vergleicht man die beiden Exodusbilder der Grand­ val- (um 840, London, British Library, Sign. Add. Ms. 10546, fol. 25v; Abb. 3)5 und der Vivianbibel (um 845, Paris, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 1, fol. 27v; Abb. 4)6, erweist sich die Rolle Moses als verschieden: Auf der älteren Miniatur ist der eben vom Sinai Zurückgekehrte groß und aktiv. Mit ausholender Gestik verlautbart er das auf dem Sinai empfangene göttliche Gesetz. Die Israeliten, mit den Leviten an der ­Spitze, hören zu. In der jüngeren Vivianbibel sind Moses und Josua an den ­linken Rand gedrängt. Im Zentrum steht die Übernahme der Gesetze durch die Priesterschaft. Moses ist zum Handlanger ­degradiert, dessen sich Gott am Sinai bedient hat. Dominant ist Aharon, der Hohe­priester, der jetzt, anders als in der ­Grandvalbibel, als Priester gekleidet ist. Er trägt einen Ornat, der das christliche Messkleid (Alba, Tunicella, Kasel) mit der Gewandung des alttestamentlichen Hohepriesters (­tintinnabula [Goldglöckchen; Ex 28,33–34] am Saum, superhumerale [Schulterschmuck, liturgischer Kragen; Ex 28,6–14]) verquickt. Folglich ist hier der fränkische Klerus als Empfänger und Hüter des ius divinum das Hauptthema. Die stilistischen und inhaltlichen Neuerungen der Vivianbibel haben eine gemeinsame Stoßrichtung: Die Kirche, die sich selbst als ,Schrein‘ des göttlichen Willens und damit quasi als eine neue Bundeslade versteht, erhebt den Anspruch, dem Herrscher überlegen zu sein. Adressat der Vivianbibel war der Herrscher selbst: Die Mönche von Saint-Martin überreichten die Handschrift zu Weihnachten 845 dem Westfrankenkönig Karl dem Kahlen im Martinskloster, der damit ein Danaergeschenk empfing. Die Mönche waren mit ihrem Herrscher unzufrieden, weil dieser den abgetakelten Feldherrn Vivian, um jenen eine Sinekure zu verschaffen, als Laienabt des Klosters eingesetzt hatte. Damit hatte Karl der Kahle gegen das alte Recht des Klosters, seinen Abt selbst zu wählen, verstoßen. Das prachtvolle Geschenk weist also den Herrscher (und offenbar auch den intellektuell wohl als unbedarft zu imaginierenden Laienabt) auf subtile Art zurecht. Der Einzelfall verweist auf eine allgemeine Situation. Dass fortan die Salbung der Herrscher unterblieb, erscheint aus dieser Perspektive logisch. Als bei der Krönung des Liudolfingers Otto I. des Großen zum König des Ostfrankreichs im Jahr 936 der altkarolingische Salbungsritus wieder aufgegriffen wurde, war das nur der Anfang einer Rück­ eroberung der verlorenen Position im Referenzrahmen des Ersten Testaments. Diese gelang Otto dem Großen 962 bei seiner Kaiserkrönung mittels der Krönungsinsignie und des Krönungsornates. Die Reichskrone7 (Wien, Weltliche Schatzkammer; Bügel und Kreuz später; die Kolbenperlen und Pendilien [Gehänge] verloren, auf Abb. 4 von der Autorin rekonstruiert) zeigt den Herrscher mittels der Emailplaques auf den Diagonalplatten nicht nur als von Gott eingesetzten Herrscher (Darstellung des Pantokrators), sondern stellt ihn zugleich in eine Reihe mit den Königen des Ersten Testaments: David, Salomon

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Hubert/Porcher/Volbach, Kunst der Karolinger Abb. 123–125; Hermann Fillitz, Das Mittelalter 1 (Propyläen Kunstgeschichte, Berlin 1969) Abb. 31; Otto Pächt, Buchmalerei des Mittelalters (München 1984) Tafel XI; Pippal, Distanzierung 65. Hubert/Porcher/Volbach, Kunst der Karolinger Abb. 126–129; Fillitz, Mittelalter Abb. 32; Pippal, Distanzierung 65. Hermann Fillitz, Die Schatzkammer in Wien. Symbole abendländischen Kaisertums (Salzburg/Wien 1986) 35.

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und Hiskia (2 Kön 20, 1–6). Darüber hinaus definiert die Krone Otto I. aber auch als Aharon, nämlich durch die großen Stirn- und Nackenplatten (Abb. 5), die mit drei mal vier Edelsteinen besetzt sind. Damit ist auf die Brusttasche (Orakeltasche; Vulgata: rationale; Ex 28, 15–30), die der alttestamentlichen Hohepriester trug, angespielt, wo die Edelsteine selbstredend die zwölf Stämme Israels symbolisierten (Ex 25, 7; 28, 4, 15–30). Damit setzte sich Otto der Große wieder an die Spitze der Hierarchie, wobei sein Amt durch den Rekurs auf die ‒ im Auftrag Jahwes eingesetzte ‒ Priesterschaft eine sakrale Dimension erhielt, die über jene bei Karl dem Großen auszumachende noch hinausging. Dass der Kaiser durch die Krönungszeremonie in den Stand der Kleriker aufstieg, ist ja auch daran ablesbar, dass er dabei einen priesterlichen, konkret: bischöflichen Ornat trug. Die In-Eins-Setzung von Kaisertum und Amt des Hohepriesters betonte der Sohn Ottos I. des ­Großen, Otto II. (967 [Mitkaiser]/973–983), zusätzlich, indem er den Krönungsornat durch einen mit Glöckchen besetzten Gürtel8 bereicherte. Das Objekt selbst ist verlorenen, aber durch einen Stich von Johann Adam Delsenbach von 1790 überliefert (Abb. 2). Dass die Schellen auf den Saumbesatz des hohepriesterlichen Ornates anspielen, versteht sich von selbst. Der neue Gürtel lässt damit an Abt Hilduins Selbstdefinition denken. In den 970er Jahren stach aber der Kaiser wieder die Kirche aus. König Heinrich II. aus der bayrischen Liudolfingerlinie tritt dann in dem von ihm in Auftrag gegebenem sogenannten Sakramentar Heinrichs II. (St. Emmeram, wohl 1002 ff.; München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4456)9 wieder als Moses auf (fol. 11r; Abb. 7): Die Lokalheiligen Ulrich (Uodalricus) und Emmeram stützen seine Arme, während er von Christus gekrönt wird und von Engeln Lanze und Schwert in die Hände gelegt bekommt. Diese sustentatio des Herrschers durch hohe geistliche Würdenträger war Teil des Krönungszeremoniells und mag bei diversen festlichen Anlässen wiederholt worden sein. Selbstredend rekurriert der Unterstützungsgestus auf die Schlacht gegen die Amalekiter (Ex 17, 7–13), bei der Aharon und Hur die Arme des um den siegreichen Ausgang des Kampfes betenden Moses hochhielten. Die Aussage ist klar: Während seiner Herrschaft, jetzt als König, in Zukunft aber als Kaiser, wird ­Heinrich II. erfolgreich sein, so lange ihn die Kirche, insbesondere der lokale Klerus, der sich in ­Emmeram, dem Patron des Regensburger Klosters, und im Augsburger Bischof Ulrich (923–973) wieder erkennen kann, unterstützt. Zugleich versucht die Miniatur die alte Hierarchie wieder zu etablieren: Der Herrscher (der in der Miniatur wesentlich größer dargestellt ist als die flankierenden Heiligen, sogar als Christus und die beiden Engel) besetzt das Zentrum, auf das der Klerus ausgerichtet ist. Dessen Aufgabe ist es – so die Miniatur – das Zentrum zu stärken. Aharon ist wie in der Grandvalbibel (Abb. 3) Moses’ Diener. Zusammenfassend zeigt sich: In der jüngeren der beiden Touronischen Bibeln war Moses Aharon gegenüber verblasst. Otto I. und Otto II. waren mittels der Reichskrone und des schellenbesetzten Gürtels der Krönungsinsignien gleichsam in Aharons Sandalen gestiegen. Heinrich II. wechselte wieder in jene des Moses, dabei aber volle geistliche und weltliche Macht beanspruchend. Auch bei Konrad II. war die erwähnte Salbung kein isoliertes Phänomen. Bekanntlich ließ er den ursprünglichen Bügel der Reichskrone durch einen neuen, wohl prunkvolleren ersetzen, der durch Perlenbesatz prominent seinen Namen zeigt. Zwar nimmt der Bügel als Typus, wie Hermann Fillitz betonte, auf den römischen Helm Bezug, dessen ungeachtet kann das Aufstecken des neuen Bügels so verstanden werden, dass sich der Salier das ikonologische Programm der ottonischen Krone (Einsetzung durch Gott, Identifikation mit den Königen des Ersten Testaments, Kaiser als Hohepriester, seine Untertanen als das auserwählte, von Gott begleitete und geliebte Volk) anverwandelte. Nur noch ein kleiner Ausblick: Im Investiturstreit werden es die auf Seiten des Papstes stehenden Klöster sein, die die Produktion von Vollbibeln an sich reißen. Dass eine dieser Pandekten als Geschenk an Heinrich IV. ging, lässt sich als Schuss vor dessen Bug verstehen, durch den sich der Herrscher aber bekanntlich nicht einschüchtern ließ.

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Fillitz, Schatzkammer in Wien 25. Pippal, Das Sakramentar Heinrichs II. 29–38, 51–124.

Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag.

Abb. 1. Elfenbeineinband des Dagulf-Psalters

Abb. 2. Reichsschwert (Zeremonienschwert)

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Abb.3. Moutier-Grandval-Bibel

Abb.4. Vivian-Bibel

Zur Verortbarkeit der Herrschersalbung im Referenzrahmen ,Erstes Testament‘. Ein Diskussionsbeitrag.

Abb. 5 Reichskrone

Abb. 6 Reichskrone, Stirnplatte

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Abb. 7. Sakramentar Heinrichs II.

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Abkürzungsverzeichnis AASS Acta Sanctorum CCCM Corpus Christianorum, continuatio mediaevalis CCSL Corpus Christianorum, series latina CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum DA Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Erg. Bd. Ergänzungsband FS Festschrift/Festgabe LMA Lexikon des Mittelalters MGH Monumenta Germaniae Historica   AA Auctores antiquissimi  DD Diplomata  EE Epistolae  LL Leges   LL nat. Germ. Leges nationum Germanicarum  SS Scriptores   SS rer. Germ. in us. schol. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi   SS rer. Germ., NS Scriptores rerum Germanicarum, Nova series   SS rer. Langob. Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum   SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum Migne, PL Patrologia Latina, cursus completus (ed. Jacques-Paul Migne, Paris 1843ff.) MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde ND Nachdruck/Neudruck NS Nova Series RGA Reallexikon für Germanische Altertumskunde VIÖG Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

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Abkürzungsverzeichnis

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Abbildungsnachweis Beitrag Bierbrauer: Abb. 1 A, 1–6: M. Martin, in: Andres Furger/Carola Jäggi/Max Martin/Renata Windler, Die Schweiz zwischen Antike und Mittel­alter (Zürich 1996) 187, Taf. 197; Abb. 1 B, 1–2: Elsara Chajredinova, Die Tracht der Krimgoten im 6. und 7. Jahrhundert, in: Unbekannte Krim. Archäologische Schätze aus drei Jahrtausenden, ed. Thomas Werner (Heidel-berg 1999) 207, Abb. 13 a–b. – Abb. 2: Bernadette Schnitzler/Béatrice Arbogast/Annette Frey, Les trouvailles mérovingi-ennes en Alsace,1: Bas-Rhin (Kataloge Vor- und Frühgeschichtlicher Altertümer Band 41,1, Mainz 2009) 173, Abb. 149. – Abb. 3 A – B, 1–12: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 22, 1–4; Abb. 3 B, 13: Sannazaro, Goti a Goito? Abb. 3. – Abb. 4 A: Sannazaro, Goti a Goito? Abb. 4, 6, 8; Abb. 4 B: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 14, 1–9. – Abb. 5 A: Sajkowska, Proba 258, Abb. 3; Abb. 5 B: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 1. – Abb. 6: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 6. – Abb. 7 A–B: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 7. – Abb. 8: Petrescu, Reperturiul 72, Taf. 1. – Abb. 9 A: Şovan, Necropola Taf. 71; Abb. 9 B: Şovan, Necropola Taf. 273–274. – Abb. 10 A: Şovan, Necropola Taf. 163; Abb. 10 B, 1: Şovan, Necropola Taf. 155; Abb. 10 B, 2: Şovan, Necropola Taf. 29. – Abb. 11 A, 1: Şovan, Necropola Taf. 214; Abb. 11 A, 2: Şovan, Necropola Taf. 268. – Abb. 12: Şovan, Necropola Taf. 389. – Abb. 13: Petrauskas, Pochovannja 166, Abb. 2. – Abb. 14 A–C: Petrauskas, Pochovannja Abb. 3, 5, 9. – Abb. 15 A–B: Bierbrauer, Ethnos 103, Abb. 14; 112, Abb. 15. – Abb. 16: 1–2 Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 14, 4–5; 3 Bierbrauer, Ethnos 69, Taf. 5,5; 4, 6–9 Bierbrauer, Ethnos 93, Taf. 29, 1; 93, Taf. 29, 3–6, 9; 5, 10–14 Vejmarn/Ajbabin, Skalistinskij mogil’nik Abb. 71, 80, 73. – Abb. 17 A: Merowingerzeit –Europa ohne Grenzen. Archäologie und Geschichte des 5. bis 8. Jahrhunderts (Berlin 2007) 75, Abb. 4; Abb. 17 B: Bierbrauer, Goten im Osten 109, Abb. 12,1; Bierbrauer, Ethnos 93, Abb. 7–13; Abb. 17 C: Bierbrauer, Goten im Osten 109, Abb. 12, 7–11. – Abb. 18 A: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld Taf. 29, 36–39; Abb. 18 B: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld Taf. 35. – Abb. 19 A: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräberfeld Taf. 46–48; Abb. 19 B: Ajbabin/Chajredinova, Das Gräber­feld Taf. 50–51, 53; Abb. 19 C: Bierbrauer, Goten im Osten 107, Abb. 10, 1–3. – Abb. 20 A: Ajbabin, Archäologie und Ge­schichte 102, Abb. 43; Abb. 20 B: Ajbabin, Die mittelalterliche Siedlung 188, Abb. 24. – Abb. 21 A: Ajbabin/­Chajredinova, Das Gräberfeld 60, Abb. 28; Abb. 21 B: Ajbabin, Die mittelalterliche Siedlung 190, Abb. 26; Abb. 21 C: Ajbabin/­Chajredinova, Das Gräberfeld 62, Abb. 29. – Abb. 22 A: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 14, 10–16; Abb. 22 B: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprob-leme Abb. 18, 4–7; Abb. 22 C: Bierbrauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 18, 1–2; 19, 1. – Abb. 23: Bierbrauer, Goten im Osten 102, Abb. 5; 106, Abb. 9. – Abb. 24: Zaseckaja, Datirovka 431, Abb. 10,1; 470, Taf. 13–14, 16. – Abb. 25,1–2: Ermolin, Das Gold 356f., Abb. 5–6; Abb. 25 C: Tejral, Einheimische und Fremde 327, Abb. 255. – Abb. 26: Bier-brauer, Ethnische Interpretationsprobleme Abb. 13, 1–17; Abb. 20, 1–7.

Beitrag Daim et al: Abb. 1: Aufnahme durch Volker Iserhardt. – Abb. 2: Aufnahme durch Jérémie Chameroy. – Abb. 3: Aufnahme durch Reinhard Saczewski. – Abb. 4: Aufnahme durch Lutz-Jürgen Lübke. – Abb. 5: Aufnahme durch Vincent Borrel. – Abb. 6: Aufnahmen durch Letzu-Jürgen Lübke. – Abb. 7: – Fotograf: O. Braasch. – Abb. 8: Grafik: L. Werther. – Abb. 9: Grafik: F. Herzig/ L. Werther. – Abb. 10: – Falko Daim, Die Materialität der Macht. Drei Fallstudien zum awarischen Gold, in: Arm und Reich – Zur Ressourcenverteilung in prähistorischen Gesellschaften, ed. Harald Meller/Hans Peter Hahn/Reinhard Jung/Roberto Risch (8. Mitteldeutscher Archäologentag, Halle/Saale 2016) 623–636, hier 632, Abb. 4. – Abb. 11: Falko Daim, Archäologische Zeugnisse zur Geschichte der Wiener Raumes im Frühmittelalter, in: Wiener Geschichtsblätter 36, 4 (1981) 175– 197, hier 189, Abb. 8. – Abb. 12: Falko Daim, Die Materialität der Macht. Drei Fallstu-dien zum awarischen Gold, in: Arm und Reich – Zur Ressourcenverteilung in prähistorischen Gesellschaften, ed. Harald Meller/Hans Peter Hahn/Reinhard Jung/Roberto Risch (8. Mitteldeutscher Archäologentag, Halle/Saale 2016) 623–636, hier 633, Abb. 6. – Abb. 13: – Falko Daim, Die Materialität der Macht. Drei Fallstudien zum awarischen Gold, in: Arm und Reich – Zur Ressourcenverteilung in prähistorischen Gesellschaften, ed. Harald Meller/Hans Peter Hahn/Reinhard Jung/Roberto Risch (8. Mitteldeutscher Archäologentag, Halle/Saale 2016) 623–636, 634, Abb. 7.

Beitrag Pippal: Abb. 1–4 und 7: Wikimedia Commons; Abb. 5–6: Martina Pippal.

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Abbildungsnachweis

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Jones, CCSL 123 B, Bedae opera VI, Opera didascalia 2, Turnhout 1977) 241–544; Bede: The Reckoning of Time (ed. Faith Wallis, Translated Texts for Historians, Liverpool 1999). Beda Venerabilis, De temporibus [16–22] = Chronica minora (ed. Charles W. Jones, CCSL 123 B, Bedae opera VI, Opera didascalia 2, Turnhout 1977) 579–611. Beda Venerabilis, De natura rerum (ed. Charles W. Jones, CCSL 123, Bedae Venerabilis opera, pars 1: Opera didascalia, ­Turnhout 1975) 174–234. Beda Venerabilis, De templo Salomonis (ed. Jacques Paul Migne, PL 91) 735–808. Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica gentis Anglorum (ed. André Crépin [Introduction]/Michael Lapidge [text critique]/ Pierre Monat/Philippe Robin [Traduction], Sources Chrétiennes 489–491, Paris 2005). Beda Venerabilis, Historia ecclesiastica (ed. Bertram Colgrave/R. A. B. Mynors, Oxford 1969); (ed. Günter Spitzbart ­secundum editionem quam paraverant Bertram Colgrave et Roger A. B. Mynors, Darmstadt 21997); (ed. J.E. 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Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21, 2, Hannover 2006) 951–1008; ältere Editionen, nur jeweils einige Handschriften im Editionstext berücksichtigend: Laterculus Bedanus generationum ­regnorumque cum continuatione carolingica altera (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 13, Chronica minora 3, Berlin 1898) 346–354; (ed. Petrus Lambeck, Commentariorum de augustissima bibliotheca Caesarea Vindobonensi liber 1, Wien 1665) 395–398 (403); (ed. Adam Franz Kollár, Analecta monumentorum omnis aevi Vindobonensia 1, Wien 1761) 602–608; (ed. André Duchesne/François Duchesne, Chronicon breve a mundi exordio usque ad annum Christi DCCCX. Ex vetusto codice ms. Bedae de Ratione temporum, qui fuit ecclesiae seu monasterii sancti Dionysii in Francia, Historiae F ­ rancorum Scriptores T. 3. A Car. Martello Pippini r. fratre, usque ad Hugonis et Roberti regum tempora, Paris 1634) 125–129; Chronicon breve a mundi exordio usque ad annum Christi DCCCX (ed. Jacques Paul Migne, PL 94) 1173–1180B; wird Einhard zugeschrieben in der von Petrus Lambeck nach der Handschrift Wien, ÖNB lat. 387 angefertigten Edition, wieder­ abgedruckt in: Abbreviatio chronicae (ed. Jacques Paul Migne, PL 104) 607A–610C; Chronica de sex aetatibus mundi (ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 2, Hannover 1829) 256: nur die letzten Zeilen aus der sexta aetas ediert nach Wien, ÖNB lat. 387. Chronici canones, Latini verti adauxit ad sua tempora produxit S. Eusebius Hieronymus (ed. John Fotheringham, London/ Oxford 1923). Chronicon breve a mundi exordio usque ad annum Christi DCCCX (ed. Jacques Paul Migne, PL 94) 1173–1180B. Il Chronicon di Benedetto monacho di S. Andrea del Soratte (ed. Giuseppe Zucchetti, Fonti per la Storia d’Italia 55, Rom 1920) 3–187. Chronik von Zuqnīn (trans. 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Berthold Bretholz, MGH SS rer. Germ., NS 2, Berlin 1923). Clavis patristica pseudepigraphorum medii aevi (ed. Johannes Machielsen, CCSL 3A, Turnhout 2003). Claudius Gordianus Fulgentius (Fulgentius von Ruspe), Ad Trasamundum libri tres (ed. Johannes Fraipont, Sancti Fulgentii episcopi Ruspensis opera, CCSL 91, Turnhout 1968) 97–185. Claudius von Turin, Brevis chronica (ed. Jacques Paul Migne, PL 104) 917C–926B. Computatio a. CCCCLII, additamentum I ad: Chronographus anni CCCLIIII (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica minora 1, Berlin 1882) 149–153. Computatio ab Adam usque ad nativitatem Christi (ed. Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721 bis 818, Teil 3, Hannover 2006) 1122–1123. Concilios visigóticos e hispano-romanos (ed. José Vives, Madrid 1963). Concilium Carthaginense (ed. Charles Munier, Concilia Africae A. 345–525, CC SL 149, Turnhout 1974). Constantius, Vita Germani episcopi Autissiodorensis (ed. Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. 7, Hannover/Leipzig 1919) 225–283. Consularia Italica (ed. Theodor Mommsen, MGH AA 9, Chronica Minora 1, Berlin 1892, ND 1981) 249–336. Curtius Rufus, Historiarum Alexandri Magni Macedonis libri qui supersunt (ed. Edmund Hedicke, Leipzig 1908). Dell’ historia ecclesiastica di Piacenza 1 (ed. Pietro Maria Campi, 1651). Die Traditionen des Hochstifts Freising (ed. Theodor Bitterauf, Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF 4, München 1905). Dimensuratio provinciarum (ed. Alexander Riese, Geographi Latini Minores, Heilbronn 1878, 2. ND Hildesheim/Zürich/New York) 9–14. Dionysios Exiguus, Libellus de cyclo magno paschae DXXXII annorum (ed. Bruno Krusch, Studien zur christlich-mittelalterlichen Chronologie. Die Entstehung unserer Zeitrechnung. Abhandlungen der preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1937/38) 63–74. DD Arnolfi (ed. Paul Kehr, MGH DD Regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3, Berlin 1940). DD Conradi I., Heinrici I., et Ottonis I. (ed. 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Literaturverzeichnis

Personennamenregister Abraham, Bf. v. Freising, 371 Adalbert, Notkers Ziehvater, 377 Adalbert, alemannischer Graf, 379 Adalbert-Vojtěch, Bf. v. Prag, 344, 349 Adaloald, langob. Kg., 113, 122-6 Adalram, Ebf. v. Salzburg. 241, 344 Adalwin, Bf. v. Regensburg, 231 Ado von Vienne, Ebf. v. Vienne, 220 Aegidius, weström. Heermeister, 204 Æthelbald, Kg. v. Mercia, 386 Æthelberht, Kg. v. Kent, 120f., 345 Æthelstans, Kg. v. Wessex, 386 Æthelwulf, Kg. v. Wessex, 386 Aetherius, Bf. v. Lyon, 118 Aetius, westrom. Heermeister, 30 Agathias, oström. Historiker und Dichter, 211f Agilulf, langob. Kg., 117, 122-6 Agnellus Particiacus, venez. Doge, 262 Agnellus, Bf. V. Ravenna, 81, 294 Akakios, Patriarch v. Konstantinopel, 60 al-Ma’mūn, abbasidischer Kalif, 258 Alarich I., westgot. Kg., 30, 43f., 46-57, 192, 197 Alarich II., westgot. Kg., 27, 77 Alboin, langob. Kg., 293f. Alexander der Große, 217, 221-4 Alfred der Große, Kg. v. Wessex, 223, 386 Aletheus, Usurpator in der Stadt Sitten, 119 Alkuin, 217, 223, 242, 256, 279, 281, 290, 302f., 348, 354f. Amalaberga, Nichte Theoderichs d. Gr., 62 Amalasuntha, Tochter Theoderichs d. Gr., 59, 61, 67, 71, 74 Amal(a)frida, Schwester Theoderichs d. Gr., 69, 73, 82 Ambrosius, Bf. v. Mailand, 87, 188 Ammianus Marcellinus, Geschichtsschreiber, 80, 187, 219 Anastasius I., Ks., 60, 62f., 65, 67-72, 74 Anastasius II., Patriarch von Antiocheia, 101 Angilbert v. Saint Riquier, Hofkapellan Karls des Großen, 230, 257 Anselm, Abt v. Nonantola, 312f., 316 Antala, maurischer Anführer, 92 Aratos von Soloi, griech. Autor, 296 Arbeo, Bf. v. Freising, 246, 250f., Arcadius, Ks., 46, 63 Aregisel, Heerführer Theoderichs, 206f. Aridius, Bf. v. Lyon, 118 Arn, Ebf. v. Salzburg, 227, 230, 239, 241f., 248f., 252, 256, 339, 354f. Arnulf von Kärnten, Kg., 361, 363, 365, 375f., 378f., 383f., 385f., 389f. Arnulf, Bf. v. Metz, 198f. Arsaphios, spatharios, 262 Astronomus, Biograph Ludwigs des Frommen, 290 Athalarich, ostgot. Kg., 59-61, 188, 205 Athanagild, westgot. Kg., 66 Athanarich, Anführer der Westgoten, 16, 193

Atto, Bf. v. Freising, 230f. Atto, Bf. v. Poitiers, 230 Augustinus von Hippo, 281f., 304, 306, 343 Augustinus, Ebf. v. Canterbury, 120, 345, 349, 354 Augustus, Ks., 217, 304 Aurasius, Bf. v. Toledo, 110 Aurelian, Ks., 80 Aurelianus, Ebf. v. Lyon, 386 Aurelius Viktor, Geschichtsschreiber, 219 Austregisel, Ebf. v. Bourges, 198 Avitus, Bf. v. Vienne, 68, 70f., 208 Baian, Avarenkhagan, 64 Basiliscus, Usurpator bzw. Ks., 59 Baturich, Bf. v. Regensburg, 38. Baudonivia, merowingische Hagiographin, 197 Beatus, venez. Doge, 260f. Beda Venerabilis, 33, 120f., 199, 285f., 290, 293, 302-6, 364 Belisar, Feldherr unter Ks. Justinian I., 73, 83 Benedikt von Aniane, 230 Beorhtric, Kg. v. Wessex, 386 Beremod, Großvater Eutharichs, 59 Bernhard, Sohn Pippins v. Italien, 351 Bernhard, illegitimer Sohn Karls III., 375 Bernhard, Abt v. St. Gallen, 375 Bertetrude, Frau Chlothars II., 119 Bertha, Tochter Chariberts I., Frau Æthelberhts von Kent, 120 Berthram, Bf. v. Le Mans, 119 Bertrada, Frau Pippins d. Jüngeren, Mutter Karls d. G ­ roßen, 372 Blancidius, Priester-Missionar, 343, 348 Boethius, 189, 282, 284 Bolesław Chrobry, poln. Fürst, 364 Bonifatius, Bf., Missionar, 301, 386 Bonifatius, röm. General, 30 Bonifatius III., Papst, 103 Bonifatius IV., Papst, 103f., 120f., 124 Bonifatius V., Papst, 120 Bonosus, comes Orientis, 100f., 105 Boris I., bulg. Khan, 348, 350 Bořiwoi, böhm. Fürst, 354 Boso, Bf. v. Merseburg, 344 Boso von Vienne, Kg. v. Niederburgund, 386 Bourdieu, Pierre, 328 Braulio, Bf. v. Saragossa, 135 Brunhild/Brunichilde, fränk. Kgin., 116f., 120, 123, 127, 129, 131, 211, 214f. Brunner, Karl, 9, 358-360 Brunner, Otto, 15, 362 Cacatius, karant. Fürst, 348 Caesarius, patricius in Cartagena, 111

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Personennamenregister

Caesarius von Arles, 197 Candidianus, Patriarch von Grado/Aquileia, 124 Candidus Arianus, 35 Cassiodor, 16, 18, 59-62, 67, 71, 82, 188, 207, 219, 279, 292, 298, 300 Cathwulf, angelsächs. Kleriker, 226 Ceolwulf I., Kg. v. Mercia, 386 Charibert I., fränk. Kg., 120, 197, 211 Cheitmar, karant. Fürst, 339, 344f., 348f., 351f. Childebert I., fränk. Kg., 194, 211-3 Childebert II., fränk. Kg., 116, 208-10, 212-4 Childerich I., fränk. Kg., 77 Childerich II., fränk. Kg., 259 Chilperich I., fränk. Kg., 67, 70, 76, 116, 133, 210-13 Chintila, westgot. Kg., 135 Chlodomer, fränk. Kg., 195 Chlodwig/Clovis, fränk. Kg., 62, 65, 68-70, 72, 74, 194, 203-8, 211, 348 Chlothar I., fränk. Kg., 209 Chlothar II., fränk. Kg., 116-123, 125, 127, 130f., 133, 135, 214 Chosrau II., sassanid. Großkg., 100, 108 Cicero, Marcus Tullius, 219, 281 Claudius Claudianus, Dichter, 46-8, 50f., 54 Clemens peregrinus, 351 Columbanus/Columban von Luxueil, 118, 124, 129, 131, 345 Constantius I., Ks., 80 Constantius II., Ks., 86 Cosmas von Prag, 326 Cottanas, oström. General, 101 Cyrila, arianischer Patriarch, 84 Dagobert I., fränk. Kg., 119f., 135, 354, 379 Dannenbauer, Heinrich, 15 Dareios, pers. Großkg., 80 Dares Phrygius, 219, 221 De Saussure, Ferdinand, 37 Desiderius, langob. Kg., 226, 283, 370 Desiderius, Bf. v. Vienne, 117, 131 Diodorus, Bf. v. Tarsos, 221 Dioscurus, Diakon, 60 Domitian von Millstatt, 343, 353f. Donatus, Bf. v. Zadar, 261 Dumézil, Georges, 14 Eadbald, Kg. v. Kent, 121f. Eardwulf, Kg. v. Northumbria, 386 Ecfrith, Kg. v. Mercia, 386 Ecgberht, Kg. v. Wessex, 386 Edward der Ältere, Kg. v. Wessex, 386 Einhard, 218, 255, 262, 265, 268, 270, 272, 283, 289, 366 Eleutherius, Exarch v. Ravenna, 125 Eliade, Mircea, 14 Eligius, Bf. v. Noyon, 199 Emmeram, 246, 250f., 266, 345, 394 Epiphanius, Bf. v. Pavia, 67 Ermanarich, got. Kg., 59 Erich von Friaul, 268 Erikson, Erik, 36f. Ermenberga, Tochter Witterichs, 116 Ermoldus Nigellus, 279

Ervig, westgot. Kg., 114 Etgar, karant. Fürst, 354 Eudo von Aquitanien, 198 Eudocia, Tochter Valentinians III., 66, 88f. Eugenius, oström. Usurpator bzw. Ks., 46 Eugenius, Metropolit Karthagos, 85 Eugippius, 189 Eunapius, 43, 45f., 51-4 Eurich, westgot. Kg., 77 Eusebius von Cäsarea, 191f., 208, 213, 217, 219f. Eusebius von Nicomedia, 35 Eutharich/Eutharicus Cilliga, Amalasunthas Mann, 59-61, 71f. Eutropius, Geschichtsschreiber, 219f. Ezzo, lothring. Pfalzgraf 367 Fallmerayer, Jacob Philipp, 55f. Farulf, dux Kg. Chlotars II., 119 Fastrada, Frau Karls des Großen, 226, 228f., 231f. Felix III., Papst, 91 Felix von Urgell, 230f., 236 Flavius Ardaburius Aspar, Konsul in Karthago, 76 Flavius Neoterius, 293 Flodoard, 282 Fortunatus, Patriarch v. Grado, 260 Foucault, Michel, 327f. Frechulf von Lisieux, 218f. Fredegar, 27, 116, 122, 126, 133-5, 197f., 214-6, 221 Fredegund, Frau Chilperichs I., 194, 198 Freud, Sigmund, 36f. Friedrich I. Barbarossa, Kg., Ks., 365, 392 Frontinus, Sextus Julius, röm. Schriftsteller, 219 Fulco, Ebf. v. Reims, 282 Fulgentius von Ruspe, 79 Gallus, Missionar, 345 Geary, Patrick, 20f., 202 Gebhard, Ebf. v. Salzburg, 355 Geilarith, Sohn Gentos, 91 Geiserich/Gaiseric, vand. Kg., 66, 72f., 75, 78-81, 86-92 Gelimer, vand. Kg., 72, 75-8, 82f., 86, 88f., 92 Gensimund, 61 Gento, Sohn Geiserichs, 87, 90-2 Georg, Patriarch von Jerusalem, 254 Georgios, oström. Präfekt, 101 Gildo, Feldherr, Usurpator, 87 Gisela von Schwaben, 359, 366f., 372 Glycerius, Ks., 67 Godagis, Sohn Gentos, 90f. Godas, vandalischer Statthalter auf Sardinien, 82 Godegisel, Bruder Gundobads, 68 Goffart, Walter, 16, 23-26, 30, 206, 209 Gottfried, alemannischer dux, 379 Gottschalk, Abdoritenfürst, 344, 348 Graus, František, 14f., 18, 20 Gregor I., der Große, Papst, 104, 108, 116, 120f., 124, 128, 131, 242, 343, 345 Gregor II., Papst, 242 Gregor, Bf. v. Langres, 194 Gregor von Tours, 33, 39, 68f., 76, 131, 134, 194-6, 198-216 Gregorovius, Ferdinand, 57

Personennamenregister

Grimald, Kanzler Kg. Ludwigs des Deutschen, 240, 243, 287 Grimoald der Ältere, fränk. Hausmeier, 214f., Gunderich, Bruder Geiserichs, 88f. Gundiok, burgund. Kg., 67 Gundobad, burgund. Kg., 67-72, 74, 77, 194, 205 Gundomar, westgot. Kg., 109, 117 Gundowald, Usurpator im Frankenreich, 95 Gundulf, Bf. v. Metz, 207 Guntram/Guntchramn, frank. Kg., 195, 208, 210f., 213 Gunthamund, vand. Kg., 78f., 91f. Hadrian I., Papst, 227, 351, 366, 370, 372, 392 Heito, 290 Hall, Stuart, 37 Hārūn ar-Raschīd, abbasidischer Kalif, 254-6, 270 Heidegger, Martin, 328 Heinrich I., Kg., 364f., 370, 383, 390f. Heinrich II., Kg., Ks., 364, 366, 368f., 372, 391, 394 Heinrich III., Kg., Ks., 360, 366-8 Heinrich IV., Kg., Ks., 394 Hemma, Frau Ludwigs des Deutschen, 388 Hengist, dux der Angeln, 28 Herakleios der Ältere, Exarch von Karthago, Vater ­Herakleios‘, 105 Herakleios, Ks., 102, 105-14, 118f., 123-7, 129-35, 153 Hermenegild, Usurpator, 95 Herminafrid, thüring. Kg., 62 Herodot, 80f. Hieronymus, 47, 51, 54, 188, 192, 208, 304f. Hildebold, Ebf. v. Köln, 242 Hildegard, Frau Karls des Großen, 229, 231-3 Hilderich, vand. Kg., 79, 89-92 Hilduin von Saint-Denis, Erzkaplan Ludwigs des F ­ rommen, 392-4 Hiltrud, Frau Odilos, Mutter Tassilos, 370 Himiltrude, Frau Karls des Großen, 226, 229, 231f. Hinkmar von Reims, 370, 385, 391 Höfler, Otto, 14, 25 Homer, 47, 52, 54 Honorius, Papst, 120f., 135 Honorius, Kaiser, 46, 293 Hopf, Karl, 57 Horaz, 236 Hormisdas, Papst, 60, 72 Horsa, dux der Angeln, 28 Hrabanus Maurus, 290, 306, 388 Hucbald von St. Amand, 282 Hucbert, bayr. dux, 361 Humboldt, Wilhelm von, 329 Hunerich, vand. Kg., 27, 75, 78, 82-92 Hunimund, sueb. Kg., 61 Husrav/Kusrav, Sohn Kavads, 62f. Hydatius, 221 Hypatios, Heermeister, 63 Ingo, Missionar, 354 Isidor von Sevilla, 18, 27, 110, 112, 115, 121, 131, 134f., 188, 197, 221, 224, 246, 248f., 279, 282, 285, 303f., 359 Johannes II., Patriarch von Konstantinopel, 60 Johannes, Exarch von Ravenna, 125

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Johannes, fränkischer dux in Istrien, 355 Johannes Cuspinian, 298 Johannes Diaconus, 261 Johannes Scottus Eriugena, 284 Johannes von Biclaro, 294 Johannes von Compsa, dux von Neapel, 125 Johannes von Nikiu, 105 John Locke, 36f. Jordanes, 16-8, 23, 27, 29, 59, 66, 82, 89, 325, 364 Jucundus, arianischer Patriarch, 90 Julian, Ks., 298 Julian von Toledo, 198 Julius Caesar, 13, 219 Julius Nepos, 66f. Justinian I., Ks., 30, 60, 63-7, 72-4, 83, 89, 92, 113, 209, 256, 293 Justinian II., Ks., 304 Justinus I., Ks., 59-63, 65, 71-4, 294 Justinus II., Ks., 64, 293f. Justinus, Kirchenvater, 219, 222 Justus, Ebf. v. Canterbury, 120f. Karl der Große, Kg., Ks., 217, 220, 223, 225-237, 23942, 247f., 250, 252-277, 279-89, 304f., 339, 346, 348, 351f., 354f., 357-72, 377-9, 390, 392-4 Karl der Jüngere, Sohn Karls d. Gr. Karl der Kahle, Kg., Ks., 224, 295, 299, 377-9, 383f., 386, 390, 393 Karl III. der Dicke, Kg., Ks., 360, 375f., 378f., 383-5, 389f. Karl III. der Einfältige, Kg., 362, 364f. Karl Martell, 217, 360, 365 Karlmann I., Hausmeier, Sohn Karl Martells, 360 Karlmann II., Bruder Karls des Großen, Sohn Pippins I, 369f. Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen, 361, 362, 385 Kavad, pers. Großkg., 62f. Kleitarchos, Historiker, 221 Kniva, got. Kg., 18 Knut der Größe, dän. Fürst, 348 Konrad I., Kg., 360, 370, 383f., 391 Konrad II., Kg., Ks., 357, 359, 366-9, 371, 391, 394 Konstantin der Große, Ks., 52, 217, 256, 258, 260, 270, 272, 283, 295, 298, 351, 366 Konstantin III., Ks., 306 Konstans II., Ks., 98, 306 Kunigunde, Frau Heinrichs II., 369 Kuvrat, protobulg. Khan, 266 Kyrill/Konstantin, 240, 340, 347, 356 Kyros II., pers. Kg., 217, 304 Leander, Ebf. v. Sevilla, 128 Lebuin, Missionar bei den Sachsen, 349 Lefebvre, Henri, 327f., 335 Leidrad, Bf. v. Lyon, 246 Leo I., Papst, 60 Leo III., Papst, 241f., 248, 256, 279, 392 Leon V., Ks., 262 Leontios, Ks., 306 Leontios, Kämmerer Phokas‘, 105 Leovigild, westgot. Kg., 130 Libanius, griech. Rhetor, 44 Liberius, patricius, 70

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Personennamenregister

Livius, Titus, 219f. Liudewit, unterpannonischer Fürst, 351f. Liudprand von Cremona, 362 Liutpirc, Frau Tassilos III., 372 Liuva II., westgot. Kg., 116 Lothar I., Ks., 377, 383 Lothar, westfränk. Kg., 369 Lotman, Juri, 328 Ludwig der Deutsche, Kg., 240f., 339, 361, 370, 376-9, 383f., 387-91 Ludwig der Fromme, Kg., Ks., 224, 229-31, 240, 244, 258f., 262, 267, 279, 287-9, 294f., 305, 361, 365, 368, 370f., 377f., 383, 387 Ludwig das Kind, Kg., 383, 385f., 389, 391 Ludwig von Bayern, Kg., 361 Lukan, 219 Lupo, Taufpate Cheitmars, 339, 345 Macrobius, 280f., 284 Magnus Maximus, Usurpator, 258, 273 Maioranus, Kaplan Cheitmars, 339, 345 Malalas, Johannes, 66, 69, 72, 92 Malchus, Geschichtsschreiber, 59 Manno, Bf. v. Neuburg, 249 Marc Aurel, Ks., 189 Marcellinus Comes, Geschichtsschreiber, 66, 69, 294 Marius von Avenches, Geschichtsschreiber, 294 Marius Victorinus, Geschichtsschreiber, 35, 279 Martianus Capella, Geschichtsschreiber, 283 Marx, Karl, 37 Mathilde, Tochter Ks. Ottos II., 367 Maurikios, Ks., 100, 103, 116, 126, 325 Mebodes/Mehbod, General des pers. Großkg. Kavad, 63 Mellitus, Missionsbischof, 121 Method, 240, 250, 340, 347, 354, 356 Michael I., Ks., 262, 271 Mill, John Stuart, 330 Modestus, Missionar, 339, 345f Moduin, Bf. v. Autun, 279 Mommsen, Theodor, 81f. Mühlmann, Wilhelm Emil, 12 Munderich, Thronprätendent gegen Theoderich, 206f. Nero, Ks., 87 Nestor, Geschichtsschreiber, 324 Nikephoros I., Ks., 261f., 270f. Niketas, Neffe Herakleios‘ des Älteren, 105 Niketas, patrikios, 261 Nikolaus I., Papst, 350 Nithard, Geschichtsschreiber, 218 Nonius Marcellus, 280 Nonnosus von Molzbichl, Diakon, 342, 346, 353 Notker Balbulus, 218, 231, 283, 362, 370, 373-7, 379, 390 Obelierius, venez. Doge, 260f. Odalhart, Bf. v. Neuburg, 249 Odilo, bayr. Dux, 249, 370 Odo von Cluny, 281 Odo von Paris, 360 Odoaker, 59, 66-8, 77, 86 Offa, Kg. v. Mercia, 235, 386 Olybrius, röm. Senator, 67

Omurtag, bulg. Khan, 235 Orestes, Heermeister, Vater von Romulus Augustulus, 59 Origenes, 192 Orosius, 188-93, 200, 219, 221-3, 292, 297, 299, 301 Osbald, Chorbischof, 352 Otfrid von Weißenburg, 377 Otto I. der Große, Kg., Ks., 357, 364-6, 368-70, 372, 390f., 394 Otto II., Kg., Ks., 360, 367, 369, 371, 391, 394 Otto III., Kg., Ks., 367, 391 Otto I., Bf. v. Bamberg, 341f. Otto von Freising, 364, 367 Pappolus, Bf. v. Chartres, 213 Paul I., Papst, 339 Paulinus II., Patriarch von Aquileia, 230, 242, 355 Paulus, dux von Zadar, 261 Paulus Diaconus, 27, 29, 62, 103, 122f., 294, 340 Penda, Kg. v. Mercia, 199 Peter von Dover, Abt des Peters- und Paulsklosters in Canterbury, 120 Petrus von Mailand, 242 Phalaris, Tyrann auf Sizilien, 217 Philostorgios, arianischer Kirchenhistoriker, 51 Phokas, Ks., 100-7, 111, 116, 122f., 125f., 133 Pilgrim, Ebf. v. Köln, 366 Pippin I. von Aquitanien, Kg., 361 Pippin II. der Mittlere/von Herstal, 198, 229, 304 Pippin III. der Jüngere, Kg., 217, 226, 254, 339, 360, 369f., 372, 386f., 389, 391f. Pippin, Kg. v. Italien, 226, 230f., 261f., 270f., 339, 348, 351, 378f. Pippin der Bucklige, 226, 229, 231-4 Pirmin, 302 Praetextatus, Bf. v. Rouen, 210f. Priskos von Panion, Geschichtsschreiber, 79f. Priskus, Philosoph, 54 Priwina, slaw. Fürst, 339, 348, 356 Probus, Ks., 80 Prokop von Caesarea, 29f., 62, 65f., 72f., 74, 79, 82f., 87, 89, 92, 150, 159, 205, 208, 211, 325, 332 Prosper von Aquitanien, Geschichtsschreiber, 192 Prosper Tiro, Geschichtsschreiber, 59, 81, 88 Prudentius, Dichter, 283 Quintus Curtius Rufus, 219-24 Radagais, got. Heerführer, 192 Radbod, fries. Fürst, 349 Radegund, Frau Chlothars I., 197 Raos, vand. Anführer, 28 Raptos, vand. Anführer, 28 Rastislav, mähr. Fürst, 351 Ratpert von St. Gallen, 375 Regino von Prüm, 218, 220, 385f. Rekkared, westgot. Kg., 112 Remigius, Bf. v. Reims, 207 Remismund, sueb. Kg., 64 Rikimer, Heermeister, 77 Rodulfus, herul. Kg., 62 Romulus Augustulus, 59, 66 Rothari, langob. Kg., 26

Personennamenregister

Rotrud, Tochter Karls des Großen, 231 Rudolf von Fulda, Geschichtsschreiber, 365 Rufinus, Prätorianerpräfekt, 46-9, 51, 57, 63, 190 Rupert, Bf. v. Worms und Salzburg, 239, 246, 266, 372 Sallust, 219 Salomo II., Bf. v. Konstanz, 389 Salomo III., Bf. v. Konstanz, 373-6, 378, 389 Salvian von Marseille, 188, 190f., 193, 200 Samo, fränk. Kaufmann, Reichsgründer, 324, 354 Sapor I., pers. Kg., 80 Saulus, Heermeister, 192 Schlesinger, Walter, 15 Schmidt, Ludwig, 11 Sebeos, armen. Bf., 100, 102 Secundus, Bf. v. Trient, 124 Senarius, comes patrimonii Theoderichs, 62 Sergius, Patriarch von Konstantinopel, 108 Sigibert I., fränk. Kg., 211f. Sigibert II., fränk. Kg., 214 Sigismund, Sohn Gundobads, 67f., 70-2, 74, 77 Sintpert, Bf. v. Neuburg, 241, 248f. Sisebut, westgot. Kg., 109-117, 123-5, 127, 130f., 133 Smaragdus, Exarch, 103, 105, 124 Statius, Publius Papinius, 219 Stephan I., ung. Kg., 348 Stephan II., Papst, 339, 369f., 387 Stilicho, Heermeister, 46f., 49, 190 Sueton, 219f. Suintbert, Bf. v. Regensburg, 231 Sulpicius Severus, 245, 252, 266 Sundrarit, langob. Dux, 125 Syagrius, röm. Herrscher in Nordgallien, 204 Syagrius, Bf. v. Autun, 116 Tacitus, Publius Cornelius, 19, 219 Tassilo III., bayr. dux, 225-7, 229, 232, 236, 244, 249, 265f., 271f., 351-3, 361, 363, 370 Theodelinde, Frau Agilulfs, 113, 124f. Theoderich der Große, ostgot. Kg., 18, 27, 59-62, 64-74, 77, 82, 205, 207f. Theoderich I., westgot. Kg., 59 Theoderich II., westgot. Kg., 64, 88 Theoderich, Missionsbischof, 239, 348, 354 Theoderich, Sohn Geiserichs, 87, 89f. Theoderich Strabo, 59 Theodo I., bayr. dux, 246 Theodo II., bayr. dux, 266, 360, 372 Theodo III., bayr. dux, 351, 370 Theodohad, ostgot. Kg., 72f. Theodor, awar. Khan, 250, 267 Theodora, 83 Theodosius I. der Große, Ks., 46, 76, 87, 217, 244, 293f. Theodosius II., Ks., 63 Theodulf von Orléans, 230, 392 Theophanu, Frau Ottos II., 367, 371 Theudebert I., fränk. Kg., 73, 196, 209, 212, 214, 259, 270 Theudebert II., fränk. Kg., 116f., 120, 122f., 127 Theuderich I., fränk. Kg., 117, 194, 196, 198, 206f. Theuderich II., fränk. Kg., 116-8, 120, 122f., 127, 131, 214 Thiudimir, Vater Theoderichs, 59, 61

Thiudimund, Bruder Theoderichs, 61 Thrasamund, vand. Kg., 68f., 72-4, 79, 82, 91f. Tiberios I., Ks., 76, 103, 304 Tiberios II. (III.), Ks., 306 Titus, Ks., 217 Totila, ostgot. Kg., 29 Tuluin, ostgot. General, 61 Tzazon, vand. General, 82 Udalrich IV., alemann. Graf, 375, 379 Ulrich, Bf. v. Augsburg, 394 Valamir, Onkel Theoderichs, 61 Valentinian I., Ks., 76 Valentinian II., Ks., 293 Valentinian III., Ks., 66, 72, 89-91 Valerius Maximus, Schriftsteller, 219 Venantius Fortunatus, 197, 211 Velleius Paterculus, Geschichtsschreiber, 219 Vergil, 48, 219, 279-86 Vespasian, Ks., 80 Victor von Vita, 75, 78, 80-91 Vidimir, Onkel Theoderichs, 61 Virgil, Bf. v. Salzburg, 239, 247, 339, 349, 353f. Vitalianus, oström. Konsul, 60 Viterich, Vater Eutharichs, 59 Vivian von Tours, 224 Waifar, aquit. Dux, 226 Walahfrid Strabo, 287-307, 358 Waldo, Bf. v. Freising, 373, 388f. Waltrich, Bf. v. Passau, 230 Waltunc, karant. Fürst, 353 Wamba, westgot. König, 198 Weber, Max, 10, 38, 230 Wenskus, Reinhard, 10-30, 33, 201 Wenzel, böhm. Fürst, 348 Werinbert, St. Galler Mönch, 377 Wetti, 288 Widukind, sächs. Fürst, 348, 352 Widukind von Corvey, 365 William von Malmesbury, 364 Willibrord, Missionar, 301 Wipo, 357, 366-9 Witgar, Erzkapellan Karls III., 389 Witigis, ostgot. Kg., 74 Witterich, westgot. Kg., 109, 116f., 122-4 Władysław I. Herman, poln. Fürst, 344 Xerxes, pers. Großkg., 80 Yazgird I., pers. Großkg., 63 Zacharias, Papst, 339 Zenon, Ks., 59f., 64-6, 69, 73, 91 Zinkeisen, Johann Wilhelm, 56f. Zöllner, Erich, 9f., 17 Zosimus, Geschichtsschreiber, 46, 50-6 Zwentibald/Svatopluk I., mähr. Fürst, 354, 363 Zwentibold, loth. Kg., 383f., 386

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