Neid und Politik: Eine neue Lektüre des gnostischen Mythos 9783666550218, 9783525550212, 9783647550213


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Neid und Politik: Eine neue Lektüre des gnostischen Mythos
 9783666550218, 9783525550212, 9783647550213

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Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments In Verbindung mit der Stiftung »Bibel und Orient« der Universität Fribourg/Schweiz herausgegeben von Max Küchler (Fribourg), Peter Lampe, Gerd Theißen (Heidelberg) und Jürgen Zangenberg (Leiden)

Band 79

Vandenhoeck & Ruprecht

Takashi Onuki

Neid und Politik Eine neue Lektüre des gnostischen Mythos

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55021-2 ISBN 978-3-647-55021-3 (E-Book)

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. – Printed in Germany. Druck und Bindung: Ç Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt Inhalt Inhalt Vorwort ................................................................................................

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Einführung...........................................................................................

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Kapitel I. Poetik und Philosophie des Neides in der Antike ............... 1. Neid und Eifersucht im Alten Testament ........................... 1.1 Der Neid bei der Verteilung der Güter und Werte ........................................... 1.2 Die Eifersucht bezüglich der Exklusivität des Verhältnisses und der Treue ......................... 1.3 »Außer mir gibt es keinen Gott.«....................... 2. Der Neid im Neuen Testament ........................................... 3. Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte ............................................................... 4. Die Gnosis und der gnostische Mythos.............................. 5. Methodologisches: Zur »historischen Religionspsychologie« ..........................

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Kapitel II. Der Neid in gnostischen Mythen ....................................... 1. Negative Theologie und Theogonie ................................... 2. Der Fehltritt der Sophia...................................................... 3. Der Neid des Demiurgen .................................................... 3.1 Der Neid auf den Stärkeren................................ 3.2 Der Neid als Missgunst, die anderen die eigenen Güter vorenthält .............................. 4. Die Schöpfung des Menschen durch den Demiurgen ........ 4.1 Die Melothesia des psychischen Menschen....... 4.2 Der leuchtende Mensch...................................... 5. Das Kommen des Offenbarers ........................................... 5.1 Die Schlange als »Lehrerin« .............................. 5.2 Andere Offenbarer außer der Schlange ............. 5.3 Satan, der im Paradies Adam beneidet: eine frühjüdische und frühchristliche Tradition . 6. Zusammenfassung ...........................................................

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Inhalt

Kapitel III. Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides ........................................................... 1. Das Selbstverständnis der Gnostiker: »Die von der Welt Beneideten« ....................................... 2. Die Realität der Gnostiker................................................ 2.1 Das noch im Neid gefangene Dasein ............... 2.2 Das Wesen, das den Neid schon überwunden hat ................................................ 3. Die eschatologische Ethik ................................................ 3.1 Die individuelle Eschatologie .......................... 3.2 Die universalgeschichtliche Eschatologie ....... 4. Die Überwindung des Neides: Eine tiefendynamische Integration................................... 4.1 Der Unterschied zur stoischen und zur frühjüdischen Affektlehre ................... 4.2 Die tiefendynamische Integration: Die Entmythologisierung und ihr Ermöglichungsgrund ........................................ 4.3 Der Text des Mythos als Offenbarung .............

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Kapitel IV. Gnosis und Politik (der syrisch-ägyptische Typ) ............ 1. Neid und Politik in der hellenistischen Geistesgeschichte ............................................................. 1.1 Frühes Griechentum ......................................... 1.2 Hellenistisches Judentum und Frühchristentum ........................................ 2. Die römische Herrschaft und ihre Ideologie .................... 2.1 »Pax Romana« und Kaiserkult ........................ 2.2 Herrschaftsideologie und Neid ........................ 3. Die Antithese der Gnosis.................................................. 3.1 Thesen von Max Weber und Hans Kippenberg ...................................... 3.2 »Das königlose Geschlecht« ............................ 4. Zusammenfassung ............................................................

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Kapitel V. Gnosis und Politik (der manichäische Typ) ..................... 1. Mani und Manichaica....................................................... 1.1 Mani ................................................................. 1.2 Der Manichäismus im Westen ......................... 1.3 Der Manichäismus im Osten............................

164 164 164 167 170

131 131 137 142 142 146 154

Inhalt

2.

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Der manichäische Mythos und der Neid .......................... 2.1 Eine Rekonstruktion des Mythos ..................... 2.2 Aussagen über den Neid .................................. Affinität zur Politik .......................................................... 3.1 Mani ................................................................. 3.2 Der östliche Manichäismus .............................. Die mythologische Begründung für die politische Beteiligung des Manichäismus (Zusammenfassung).......

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis .......................................... 1. Pro und Contra zur These Max Webers ........................... 2. Vorschlag für die gegenwärtige Sozialphilosophie ..........

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Nachwort ...........................................................................................

203

Literatur .............................................................................................

207

Stellenregister ....................................................................................

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3.

4.

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Vorwort Vorwort Vorwort In den Jahren 1997 und 1998 erschien eine japanische Übersetzung der NagHammadi-Codizes (NHC) mit den folgenden vier Teilbänden: Band I: Erlösungsmythen, Band II: Evangelien, Band III: Predigten und Briefe, Band IV: Apokalypsen im Verlag Iwanami. Die Ausgabe umfasst zwar keine Gesamtübersetzung dieser gnostischen Bibliothek, enthält aber fast alle wichtigen Einzelschriften. Für die Übersetzung einiger dieser Schriften war ich verantwortlich, so für »Das Apokryphon des Johannes« (NHC II,1; III,1; IV,1 und den Papyrus Berolinensis Gnosticus 8502,2), »Die Hypostase der Archonten« (II,4), »Vom Ursprung der Welt« (II,5), »Das Evangelium nach Philippus« (II,3), »Tractatus Tripartitus« (I,5), »Der Brief an Rheginus« (»Die Abhandlung über die Auferstehung«, I,4), »Das Zeugnis der Wahrheit (IX,3), »Die Paraphrase des SƝem« (VII,1), »Die Apokalypse des Adam« (V,5). Der Neid in den gnostischen Mythen ist eines der Themen, das mich seit vielen Jahren interessiert. Dies zeigte sich noch klarer, während ich mich mit der Übersetzung und Kommentierung der oben genannten Schriften befasste und reizte mich schließlich zu einer thematischen Behandlung. Im Herbst 2006 fand ein Symposium zur »Psychologie der urchristlichen Religion« in Heidelberg statt, das im Rahmen eines Jahresprojekts des Heidelberger Altertumswissenschaftlichen Kollegs von Herrn Prof. Dr. Gerd Theißen (Heidelberg) und Frau Prof. Dr. Petra von Gemünden (Augsburg) organisiert wurde. Die beiden luden mich zu einem Vortrag ein – eine Chance für mich, die ich gerne wahrnahm. Meine Gedanken fasste ich unter dem Titel »Der Neid in der Gnosis« zusammen. Dieser Vortrag wurde im Symposiumsband, »Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums« (G. Theißen und P. von Gemünden [Hg.], Gütersloh 2007, 321–342) veröffentlicht. Im Anschluss an das Heidelberger Symposium hielt ich im Wintersemester 2006 an der Universität Tokio ein Oberseminar zum selben Thema und diskutierte dieses Problem mit meinen Studentinnen und Studenten. Gleichzeitig bot mir der Iwanami-Verlag an, mich an der Vorlesungsreihe »Bürgerseminar« zu beteiligen. Aus den bereits bestehenden schriftlichen Vorlagen entstand dann ein Buch, das 2008 unter dem gleichen Titel wie das vorliegende Buch auf Japanisch erschienen ist. Ich habe mich bei meinen Ausführungen um Allgemeinverständlichkeit bemüht, zugleich ist meine Herangehensweise wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet.

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Vorwort

Dem ersten Kapitel liegt mein Vortrag zugrunde, den ich auf dem Heidelberger Symposium im Jahr 2006 gehalten habe. Das vierte Kapitel und das Schlusskapitel basieren ebenfalls auf Vorträgen, die ich bei anderen Gelegenheiten gehalten habe. Ich habe sie für die vorliegende Veröffentlichung jedoch weitgehend überarbeitet. Alle anderen Kapitel wurden für die Veröffentlichung in der Reihe des Iwanami-Verlags neu abgefasst. Im Rückblick auf die Entstehungsgeschichte habe ich eine interessante Entdeckung gemacht, die mir eine ganz neue Sicht auf die Texte eröffnete: Im Laufe meiner Beschäftigung mit dem Neid in den gnostischen Mythen des syrisch-ägyptischen Typs ging mir der politische Charakter des Neides in der Gnosis zunehmend auf. Daraus eröffnete sich ein neuer Weg, sowohl diesen Typ der Gnosis als auch den manichäischen in deren jeweiligen politischen Kontext soziologisch zu verorten. Diese Lesart gestattete es, eine Verbindung zur Gnosistheorie Max Webers herzustellen, die mich bereits in meiner frühen Studienzeit faszinierte. Zum Schluss möchte ich einige Worte des Dankes aussprechen. Ich widme dieses kleine Buch Herrn Prof. Dr. Gerd Theißen als Zeichen meiner herzlichen Dankbarkeit für seine langjährige Freundschaft und Unterstützung. Er hat mir schon beim Symposium 2006 in Heidelberg empfohlen, aus meinem mündlichen Vortrag ein Buch zu machen. Das konnte ich hier verwirklichen. Frau Prof. Dr. Petra von Gemünden hat mir immer wieder bei der Beschaffung der in Japan schwer zugänglichen Quellen und der Forschungsliteratur geholfen. Ebenso begleitete sie die von Frau Lic. theol. Maria Zinsstag (Basel) korrigierte deutsche Fassung dieses Buchs. Fast ein Jahr lang war Frau Lic. theol. Maria Zinsstag mit der sprachlichen Korrektur der von mir erstellten ersten deutschen Übersetzung beschäftigt. Auch mein Freund Prof. Dr. Peter Müller (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) nahm sich trotz vielseitiger anderweitiger Verpflichtungen Zeit für die sprachliche Verbesserung der vorliegenden Veröffentlichung. Bei der Formatierung der Druckvorlage war mir Herr stud. theol. Rasmus Nagel (Heidelberg) eine große Hilfe. Herr Thomas Büttner, M.A. (Heidelberg) kontrollierte und verbesserte aufgrund seiner japanologischen und sinologischen Kenntnisse meine Transkription der chinesischen KanjiSchriften. Bei allen hier Genannten bedanke ich mich für ihre Hilfe ganz herzlich. Sayama bei Tokio, Juli 2010

Takashi Onuki

Einführung Einführung Einführung Jedermann steht ohne Weiteres dazu, dass er jemanden hasst. Zu seinem Neid aber steht niemand gerne. Man flüchtet sich lieber in alle möglichen Ausreden.

Plutarch (ca. 46 bis ca. 120 n.Chr.) vertritt diese Meinung im Traktat »Über den Neid und Hass« (Plut., mor. 537D). Er gehörte philosophisch zu den Mittelplatonikern und war die letzten dreißig Jahre seines Lebens Priester des Apollotempels in Delphi. Auf Geist und Politik seiner Zeit übte er einen nicht geringen Einfluss aus. Seine scharfe Beobachtung trifft auf jede und jeden zu. Das Glück anderer Menschen beleidigt den Neider. Sein eigenes Glück will er nicht mit anderen teilen. Der Neid ist unter allen menschlichen Affekten der trübste. Im Traktat »Über die Bruderliebe« meint Plutarch, es sei unmöglich, dass Geschwister in jeder Hinsicht gleichgestellt seien, und sagt das Folgende: Denn schon nur die natürlichen Gaben sind nicht gleich. Auch die Unterschiedlichkeit des Schicksals eines jeden verursacht Neid und Eifersucht. Diese sind die Krankheit und das Unheil, die uns am meisten beschämen. Sie zerstören nicht nur Familien, sondern auch den ganzen Staat. Man muss deshalb auf die Unterschiede unter Brüdern möglichst Acht geben und sich, wenn sich solche Unterschiede bemerkbar machen, um ihre Heilung bemühen (Plut., mor. 484C–D).

Interessanterweise wird hier auf die politische Relevanz des Neides hingewiesen: Der Neid kann »nicht nur Familien, sondern auch den ganzen Staat« zerstören. Denn für denjenigen, der durch das Glück anderer Menschen beleidigt wird und die anderen nicht an seinem eigenen Glück teilhaben lassen will, geht es in erster Linie um die Verteilung von Macht, materiellen Gütern, Nachkommenschaft, guten Ruf usw. Die Verteilung des Glücks in diesem Sinne ist die Aufgabe der Politik. Der Neid ist der »politischste« aller menschlichen Affekte. Außer Plutarch haben auch viele Dichter und Denker seit der Antike bis in die Gegenwart über den Neid nachgedacht. Wie stand aber die Gnosis, eine der mächtigsten Geistesbewegungen der Spätantike, diesem Affekt gegenüber? Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe des vorliegenden Buches. Im Folgenden seien zur Erleichterung der Lektüre die allerwichtigsten Punkte jedes Kapitels im Voraus zusammengefasst. Das erste Kapitel »Poetik und Philosophie des Neides in der Antike« gibt einen Überblick darüber, wie der Neid im hebräischen Denken des Alten

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Einführung

Testaments auf der einen Seite, im Neuen Testament und im Hellenismus auf der anderen Seite behandelt und erörtert wird. Von beiden Bereichen hat die Gnosis vieles übernommen. Auf dieses Geben und Nehmen kommen wir aber erst in Kapitel II eingehender zu sprechen. In Kapitel I geht es vorerst nur um eine grobe Skizze. Besonders für die hellenistische Geistesgeschichte müssen wir uns darauf beschränken, die generellen Entwicklungslinien im Hinblick auf die Behandlung der Affekte einschließlich des Neides aufzuzeigen. Nun hat es aber wenig Sinn, so allgemein von »der Gnosis« zu sprechen, weil die einschlägigen literarischen Quellen sehr zahlreich sind. Sie lassen sich auch in Bezug auf ihre Denkweise in zwei Gruppen unterscheiden: In eine mythologische Gruppe, für die der Gebrauch von Erlösungsmythen bezeichnend ist, und in eine andere, die eher philosophische Termini benutzt. Selbst innerhalb der mythologischen Gnosis hat schon H. Jonas drei Typen unterschieden: »den iranisch-manichäischen Typ (den östlichen Typ)«, »den syrisch-ägyptischen Typ (den westlichen Typ)« und einen Mischtyp (die Mandäer). Das vorliegende Buch folgt dieser Typologie von H. Jonas und stellt in Kapitel I den Mythos des Apokryphon des Johannes als den Idealtyp des »syrisch-ägyptischen Typs« vor. Der methodische Ansatz dieses Buches wird zum Schluss des ersten Kapitels erläutert werden. Das Thema »Neid« könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass wir uns immer wieder mit psychologischen Analysen beschäftigen würden. Das vorliegende Buch bietet allerdings keine psychologische Analyse im engeren Sinne des Wortes, es untersucht also nicht die »Seele« der Gnostiker. Es liegt uns in dieser Untersuchung vielmehr daran, die gnostischen Aussagen über den Neid, die nicht nur in Mythen, sondern auch in verschiedensten anderen literarischen Gattungen zu finden sind, in ihren historischen und kulturellen Kontext zu stellen und vom subjektivinneren Sinn aus, den die Gnostiker mit ihren Aussagen verbinden, verstehbar zu machen. G. Theißen, dem dieses Buch gewidmet ist, nennt dieses methodische Vorgehen in seiner neuen Monographie, »Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums«1, »Historische Psychologie« (oder genauer: »historische Religionspsychologie«). Ich selbst stütze mich für das vorliegende Buch auf die Methode der verstehenden Soziologie M. Webers, wie ich das schon für mein Buch »Jesus. Geschichte und Gegenwart«2 getan habe, und entwickle sie weiter. Das vorliegende Buch hat nicht den historischen Jesus, sondern die Gnosis zum Ge————— 1

G. Theißen, Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007. 2 T. Onuki, Jesus. Geschichte und Gegenwart, BThSt 82, Neukirchen-Vluyn 2006. Englische Version: Jesus’ Time. The Image Network of the Historical Jesus, Foreword by Gerd Theissen, Emory Studies in Early Christianity, Deo Publishing, Blandford Forum UK 2009.

Einführung

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genstand. Ganz am Schluss erhebe ich zwar einen Einwand gegen die These M. Webers über das Verhältnis der Gnosis zur Politik und korrigiere sie. Der verstehenden Soziologie selbst, dem methodischen Ansatz also, auf den er seine Religionssoziologie im Ganzen aufbaut, stimme ich jedoch voll zu. Kapitel II »Der Neid in gnostischen Mythen« ist eine möglichst umfassende Zusammenstellung der mythologischen Aussagen über den Neid, die sich in der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs finden. Die meisten wichtigen Texte unserer Untersuchung gehören zu den Nag-Hammadi-Schriften. Es gibt aber noch viele andere Texte, die uns interessieren. Die in ihnen enthaltenen Mythen varieren sehr, so dass man sie nicht alle auf den gleichen Nenner bingen kann. Das zwingt uns zu einer idealtypischen Vorgehensweise: Wir nehmen den in Kapitel I vorgestellten Mythos des Apokryphon des Johannes als Maßstab und greifen eine bestimmte Anzahl von Hauptmotiven (Topoi) heraus, die sich auch in anderen Mythen relativ stabil wiederfinden. An diesen immer wiederkehrenden Motiven arbeiten wir die dem Neid zugewiesene mythologische Rolle heraus. Die beiden ersten Hauptmotive sind einerseits die negative Theologie, die ganz am Anfang des Mythos mit allen möglichen negativen Substantiven und Adjektiven unendlich entfaltet wird, und andererseits die Theogonie. Dort wird über den höchsten Gott unter anderem gesagt, dass er neidlos (aphthonos) sei. Der gnostische Mythos nimmt dabei mit Sicherheit alles auf, was in der griechischen Philosophie seit Platon und im späteren Hellenismus über die »Güte« und »Neidlosigkeit« Gottes gesagt und zur Tradition geworden ist. In dieser Tradition galt als der wichtigste Grund, warum Gott überhaupt die sichtbare Welt erschaffen habe, seine »Güte«, d.h. seine »Neidlosigkeit«. Der gnostische Mythos verlegt diese traditionelle Topik an den Ort, wo der höchste Gott innerhalb der Welt des Lichts (Pleroma), die der Entstehung der sichtbaren Welt weit vorausliegt, die niedrigeren Gottwesen (Äonen) hervorbringt (emaniert). Mit der »Neidlosigkeit« erklärt der gnostische Mythos, wie sich der höchste Gott zu solch einem Emanationsakt entschließen konnte. Die nächste Szene, in der der Neid eine wichtige Rolle spielt, ist der Fehltritt der Sophia, der niedrigsten weiblichen Gottheit des Pleromas. Dieser Fehltritt hat die Geburt Jaldabaoths zur Folge, der eine Missgeburt ist. Dieser erschafft nun die sichtbare Welt. Er tritt die Herrschaft über sie an und sagt: »Ich bin ein neidischer Gott und es gibt keinen anderen Gott außer mir« (Jes 45,5; 46,9 usw.), denn er weiss noch nichts von der Welt des Lichts oberhalb seiner eigenen. Er behält außerdem die »Lichtkraft«, die er ohne es zu wissen von seiner Mutter Sophia geerbt hat, für sich allein, und lässt die ihm untertanen Archonten keinen Anteil daran haben. Jaldabaoth verkörpert somit zwei Arten von Neid: einerseits den Neid gegen denje-

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Einführung

nigen, der mächtiger als er selbst ist, und andererseits die Missgunst, denn er gibt anderen nichts von dem, was er selbst besitzt. So ist er geradezu eine Personifikation des Neides. Eines der wichtigsten Themen des gesamten Werkes »Moralia« von Plutarch ist die Frage, wie die erste Art des Neides überwunden werden kann. Die zweite Art des Neides, die Missgunst, ist das genaue Gegenteil der Neidlosigkeit, die in der hellenistischen Philosophie seit Platon als Teil der Güte Gottes und als letzter Grund für seine Erschaffung der Welt angesehen wird. Mit Sicherheit thematisiert der gnostische Mythos diese zwei wichtigen Punkte der hellenistischen Diskussion, wobei Jaldabaoth im Gegensatz zum Gott der hellenistischen Philosophie geradezu die Verkörperung von Neid und Missgunst ist. Ein weiteres für unsere Problemstellung wichtiges Motiv ist die Szene, in der der erste Mensch von Jaldabaoth erschaffen wird und ein Offenbarer aus der Welt des Lichts zu ihm herunter kommt. Jaldabaoth schafft zwar mit seinen Archonten den psychischen Menschen, kann ihn aber nicht aufrichten. Er lässt sich durch einen Ratschlag der als seine Untertanen verkleideten Boten aus der Welt des Lichts täuschen und bläst seinen Hauch in den Menschen hinein (Gen 2,7). Genau in diesem Moment wird Jaldabaoth die bis dahin in ihm wohnende Lichtkraft von Sophia weggenommen und geht in den ersten Menschen über. Dank ihr steht dieser auf und wird zu einem leuchtenden Wesen, das Jaldabaoth bei weitem übertrifft. Jaldabaoth sieht es und beneidet ihn. Er nimmt Adam gefangen, führt ihn weiter hinunter in die materielle Welt und sperrt ihn dort ins »Paradies« ein. Jaldabaoth bedeckt ihn erst dort mit Fleisch, erschafft ein Weib und leitet sie an zum Geschlechtsverkehr. So soll sich die Lichtkraft in Adam in möglichst viele Einzelkörper zerstreuen. Aber wieder kommt ein Offenbarer aus der Welt des Lichts und weckt in Adam die wahre Erkenntnis (griechisch gnôsis). Als Jaldabaoth das sieht, wird er erneut neidisch auf Adam. In dieser Szene nimmt der gnostische Mythos sicher Bezug auf eine tradionelle Vorstellung, die sich in den alttestamentlichen Apokryphen, in jüdisch-rabbinischen Schriften und auch bei den frühen Kirchenvätern findet: die Vorstellung vom Satan, der im Paradies Adam beneidet. Dabei wird der Satan mit der Schlange in Gen 3 identifiziert. Er beneidet Adam, der von Gott maßlos geliebt wird und verführt ihn zum Nehmen und Essen der verbotenen Frucht. In den meisten gnostischen Mythen ist das Verhältnis aber gerade umgekehrt: Die Schlange ist die Offenbarerin. Sie weckt in Adam und Eva die wahre Erkenntnis, indem sie beide von der Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse essen lässt. Der alttestamentliche Gott aber, der es ihnen verbietet, ist kein anderer als Jaldabaoth, die Personifikation des Neides. Der Gegenstand seines Neides ist eben Adam. So zeigt sich in den gnostischen Mythen des syrisch-ägyptischen Typs deutlich, dass der Neid in jedem Hauptmotiv vorkommt und eine für die

Einführung

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Entwicklung des Mythos sehr wichtige Rolle spielt. Der Neid ist das Strukturprinzip des Mythos. In Kapitel III »Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides« wird eine entmythologisierende Interpretation der in Kapitel II gesammelten Aussagen über den Neid versucht. Diese Aussagen finden sich fast alle in den gnostischen Mythen und sind deshalb als mehr oder weniger mythologisch anzusehen. Um aus ihnen die Daseinshaltung und das Selbstverständnis der gnostischen Erzähler oder Leserinnen und Leser zu eruieren, ist eine Entmythologisierung nötig. Dafür eignet sich der Neid, den Jaldabaoth gegen den ersten Menschen Adam hegt, bestens. Der erste Mensch Adam ist der Archetyp des Menschen. Indem er dank der Lichtkraft Jaldabaoth übertrifft und indem der Ruf des Offenbarers aus der Welt des Lichts in ihm die wahre Selbsterkenntnis erweckt, ist Adam sogar der Archetyp des Gnostikers. Adam, der von Jaldabaoth, dem Herrscher dieser Welt, beneidet wird, befindet sich in der gleichen Lage, wie die Gnostiker, die sich als »Die vom Herrscher der Welt Beneideten« verstehen. Hier kommt, um mit G. Theißen zu sprechen, ein »psychomythischer Parallelismus«3 zum Tragen. Empfinden denn die Gnostiker selber keinen Neid mehr? Das ist leider nicht der Fall. Das zeigt sich im Mythos dort, wo der erste Mensch Adam von Jaldabaoth und den ihm untertanen Archonten zunächst als ein »psychischer Mensch« (d.h. noch ohne Bedeckung mit Fleisch) erschaffen wird. Sie alle geben nämlich Adam etwas von ihrer jeweiligen Fähigkeit mit. Dabei werden ihm auch verschiedene, von Dämonen beherrschte Affekte eingepflanzt. Der Neid zählt dazu. So ist Adam, der nachher im fleischlichen Körper gefangen genommen wird, der Archetyp des Menschen in seinem gegenwärtigen Dasein auf Erden. Auch die Gnostiker befinden sich mit ihrem Körper aus Fleisch mitten im realen Leben. Insofern zählt der Neid zu den Affekten, die im Inneren der Gnostiker selbst unvermeidlich verwurzelt sind. Der gnostische Mythos erörtert nur ganz am Rande das »Hier und Jetzt« der Gnostiker und die Frage nach der richtigen Lebensführung bis zum Ende der Welt. Um ihren jeweiligen Mythos auf das reale Leben anzuwenden haben die Gnostiker eine ganze Reihe verschiedener literarischer Gattungen wie Predigten, Abhandlungen, Briefe, Spruchsammlungen, liturgische Formeln, Psalmen usw. produziert. Selbstverständlich sind die neuen Paraphrasierungen viel direkter auf die Gegenwart der Leserinnen und Leser bezogen als die ursprünglichen Mythen. Das Problem des Neides wird sehr häufig thematisiert. Dabei macht sich eine eigenartige ethische Spannung bemerkbar: Als solche, die schon jetzt zur Erkenntnis des wahren ————— 3

G. Theißen, Erleben und Verhalten, 520.

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Einführung

Selbst gelangt sind, haben die Gnostiker – so lautet ihr Selbstverständnis – bereits den Neid überwunden und hinter sich gebracht. Solange sie aber noch in Fleisch und Blut in dieser Welt zu leben haben, bleiben sie an den Neid gebunden und haben die Aufgabe, ihn zu überwinden. Daraus ergibt sich eine eigenartige eschatologische Ethik. Die Gnostiker sind keinesfalls a priori zum Heil bestimmt. Vielmehr gilt: Das richtige Verhalten entscheidet über Heil und Unheil. Was bedeutet denn die Überwindung des Neides, die die Gnostiker schließlich erlangen sollen? In einem Wort gesagt: Sie sollen die ursprüngliche Neidlosigkeit des höchsten Gottes wieder erreichen! Dabei nennt der gnostische Mythos den höchsten Gott wiederholt »den ersten Menschen«. Damit ist jedoch nicht der erste von Jaldabaoth erschaffene Mensch Adam gemeint. Jaldabaoth erschafft vielmehr diesen psychischen Archetyp Adam unbewussterweise nach dem Modell des höchsten Gottes, der der »erste Mensch« ist. Das heißt: Der höchste Gott ist der Archetyp für den psychischen Adam, also gleichsam der Archetyp des Archetyps. Ja, noch mehr: Die Entstehung Jaldabaoths selber und ihre Ursache, der Fehltritt seiner Mutter Sophia, gründen ja letztlich im Akt des höchsten Gottes, der sich selbst in der Lichtquelle spiegelt und zum Subjekt und Objekt der Selbstbeobachtung entfaltet. Der ganze gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs stellt idealtypisch betrachtet nichts anderes dar als eine große kosmologische Kreisbewegung: Sie beginnt mit der Selbstentfaltung des höchsten Gottes, entwickelt sich immer weiter nach unten und erreicht schließlich den Moment der Schöpfung des ersten Menschen Adam und seiner Gefangennahme im Gefängnis des Leibes. Dann bewegt sie sich wieder nach oben, um an den Ausgangspunkt zurückzukommen. Am Anfang dieser ganzen Kreisbewegung steht der höchste Gott. Dieser ist zugleich »der erste Mensch« und, wie wir gesehen haben, für den realen Menschen der »Archetyp des Archetyps«. Deshalb kann man diese ganze Kreisbewegung des Mythos als eine sprachliche Verobjektivierung dessen ansehen, was im Inneren des Menschen geschieht. Der »psychomythische Parallelismus« (G. Theißen) ist nicht allein bei der Erschaffung des Archetyps Adam durch Jaldabaoth, sondern im ganzen gnostischen Mythos erkennbar. Dieser durchgehende Parallelismus macht es möglich, den gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs psychologisch zu entmythologisieren. Von hieraus betrachtet ist auch Jaldabaoth, die Personifikation des Neides, Teil der psychischen Realität der Gnostiker selber. Das Ziel, den Neid zu überwinden, können die Gnostiker nur dann erreichen, wenn sie diese ihre eigene Realität wahrnehmen und sie durchleben. Das heißt: Der Neid kann nur »tiefendynamisch« integriert werden. Diese Position ist grundlegend verschieden von der der Stoa, für die es nicht nur den Neid, sondern

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alle Affekte überhaupt auszurotten gilt. Wie schon früher erwähnt, ist im syrisch-ägyptischen Typ der Gnosis der Neid das Strukturprinzip des Mythos. Für die Menschen, die diesen Typ des Mythos geformt und tradiert haben, ist deshalb die Überwindung ihres eigenen Neides eine wichtige Aufgabe. In Kapitel IV, »Gnosis und Politik (der syrisch-ägyptische Typ)«, stellen wir die Erkenntnis von Kapitel III über den Neid im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs in den historischen und kulturellen Kontext der damaligen Welt. Dabei werden wir auf die sehr interessante Tatsache stoßen, dass die politische Relevanz des Neides in der griechischen Kultur schon sehr früh thematisiert worden war. Lange vor dem bereits erwähnten Plutarch beschäftigten sich Herodot (Historien, III, 80,3) und Platon (rep. 571Aff und leg. 694AB u.a.) ausführlich damit. Später ist es Philo von Alexandrien, der Schrifsteller und Denker des hellenistischen Judentums, der das Problem des Neides wieder aufnimmt. In seinen Erörterungen über den Weisen, das gemeinsame Gut und die Politiker spielt es eine große Rolle. Dazu kommt, dass im zweiten Jahrhundert n.Chr. die Gnosis ihre Blüte erreichte und die sogenannte Pax Romana am stabilsten war. Die Pax Romana war freilich in Wirklichkeit nichts anderes als die Weltherrschaft der Römer (Imperium Romanum). Uns interessiert aber weder ihre militärische noch ihre realpolitische, sondern ihre ideologische Seite. Die Herrschaft der Römer über die Provinzen war von Anfang an durch eine bestimmte Ideologie unterstützt, die nicht nur durch die Kaisermacht selbst, sondern auch durch die Intellektuellen vertreten wurde und großen politischen Einfluss hatte. In der sprachlichen Formulierung dieser Ideologie lässt sich, wie wir an der betreffenden Stelle in Kapitel IV (Abs. 2) zeigen werden, eine bestimmte Schablonisierung feststellen, in der auch der Neid eine Rolle spielt. Dabei ist die neidlose politische Herrschaft ein Ideal, das seit den alten Griechen unerfüllt geblieben ist. Dieses Ideal sei aber jetzt durch das römische Reich, d.h. durch die Pax Romana, endlich zur Vollendung gekommen. Auch die zeitgenössischen Schulphilosophien seit dem Mittelplatonismus unterstützen die Herrschaftsideologie des römischen Reiches mit ihrer Lehre, die den ganzen Kosmos als einen monarchischen Staat ansieht. Der gnostische Mythos jedoch karikiert die Ideologie der römischen Kaiserherrschaft und stellt sie mit Jaldabaoth als Verkörperung des Neides sozusagen auf den Kopf. Im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs verbirgt sich also unter veränderten Vorzeichen ein überaus starkes Interesse daran, wer die politische Macht innehat. Soziologisch betrachtet ist dieses Interesse das Spezifikum der Gnosis dieses Typs (H. Kippenberg). Es findet sich nicht nur in den Mythen, sondern auch in den unterschied-

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lichsten Texten anderer Gattungen. Es hat die Topik »das königlose Geschlecht« gebildet. Diese entspricht eindeutig dem Selbstverständnis der Gnostiker, denn sie sind »die wahren Könige« und »diejenigen, die die Herrscher bald beherrschen werden«! Sie kennen außerdem die traditionellen Aussagen über den Zusammenhang von Politik und Neid. – Man hat gesagt: »Der wahre König soll den Neid überwinden.« »Richtig«, sagen die Gnostiker, »wir haben zwar schon jetzt aufgrund der wahren Erkenntnis den Neid hinter uns gebracht, sind aber immer noch unterwegs, um ihn endgültig zu überwinden.« Man hat auch gesagt: »Für jeden herrschenden Politiker ist der Neid der anderen unvermeidbar.« »Richtig«, sagen die Gnostiker, »wir werden eben von der Welt und ihrem Herrscher beneidet!« »Die von der Welt Beneideten« – das ist das Selbstverständnis der Gnostiker schlechthin. Hier geschieht ein Rollenwechsel: Dem römischen Reich, das die Gnostiker de facto sowohl entmilitarisiert als auch entpolitisiert und in seine feste Herrschaftsordnung eingegliedert hat, fällt nunmehr die Rolle des »Neiders« (Jaldabaoth) zu, während die Gnostiker die Rolle der »Beneideteten« bekleiden. In keiner Gruppe aber des syrisch-ägyptischen Typs finden sich Ansätze, politisch gegen die bestehende Herrschermacht zu protestieren oder sogar der Versuch, die Herrschaftsordnung zu verändern. Ihre Angehörigen wollen vielmehr gerade durch ihren Rückzug in einen nicht politischen Raum politisch wirken. Im Manichäismus, den wir in Kapitel V, »Gnosis und Politik (der manichäische Typ)«, behandeln, verhält sich die Sache gerade umgekehrt. Der Manichäismus entstand am Anfang des dritten Jahrhunderts n.Chr. im Perserreich der Sassaniden und verbreitete sich sehr rasch im Westen bis in den Mittelmeerraum und im Osten bis ins Reich der Uiguren und nach China. Die manichäischen Schriften, die sogenannten Manichaica, die während der Ausbreitung des Manichäismus an vielen Orten entstanden, sind sehr zahlreich und schwer überschaubar. Ihnen allen liegt ein für sie typischer Mythos zugrunde. Im manichäischen Typ des Mythos ist der Neid im Unterschied zum syrischägyptischen Typ kein Strukturprinzip des Mythos, denn die Grundstruktur des manichäischen Mythos entspricht der zoroastrischen Religion. Der auffälligste Unterschied zum syrisch-ägyptischen Typ ist ferner die sehr aktive Beteiligung an der Politik. Das Bild, das sowohl die Europäer als auch die Asiaten heute vom Manichäsimus haben, beschränkt sich normalerweise auf den Manichäsimus, der sich früh und bis in die Spätantike im Mittelmeerraum verbreitet hat, der sich also von seinem Ursprungsort aus gesehen nach Westen ausgebreitet hat. Aber für die Geschichte des Manichäismus ist seine Ausbreitung nach Osten ebenso wichtig. Während des ganzen Prozesses der Verbreitung nach Osten fällt seine Affinität zur

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Politik auf. Mani, dem Begründer der neuen Religion, gelang es, selber den politischen Schutz von Schapur I (Regierungszeit 242–273 n.Chr.) zu bekommen. Nach China kam der Manichäismus 694 n.Chr., als Jitian-wuhou (☂⮸㷵⚝) aus der Wu-Zhou (㷵⛷)-Dynastie an der Regierung war. Seitdem wurde er zwar ab und zu durch die jeweilige Dynastie geschützt, aber immer wieder in politische Machtstreitigkeiten verwickelt und schließlich verboten. Ins Uigurenreich drang er Mitte des achten Jahrhunderts n.Chr. und verbreitete sich unter den oberen Schichten des Reiches. Danach wurde er auch hier in politische Streitereien verwickelt und verfolgt, konnte aber Ende des achten Jahrhunderts n.Chr. (795) als Staatsreligion wieder einen neuen Aufschwung erleben. Das Uigurenreich wurde Mitte des neunten Jahrhunderts n.Chr. gezwungen, nach Westen zu wandern. Es bildete in der Tarim-Ebene mit Einschluss von Turfan das sogenannte »westliche Uigurenreich«. In den ersten zwei Jahrhunderten seines Bestehens war dort der Manichäismus Staatsreligion. Was uns am meisten interessiert, ist die mythologische Begründung, die den Manichäern eine solche aktive politische Beteiligung überhaupt ermöglicht hat. Bekanntlich beginnt der manichäische Mythos der zoroastrischen Lehre entsprechend mit den zwei Prinzipien von »Licht« (dem Guten) und »Finsternis« (dem Bösen), die schon am Uranfang einen absoluten Gegensatz bildeten. In einer kosmologischen Tragödie wurden sie miteinander vermischt. Diese Vermischung führte sowohl zur Entstehung des sichtbaren Kosmos als auch zur Schöpfung des Menschen. Deswegen besteht alles in dieser Welt, Menschen, Tiere und Pflanzen, aus einer Mischung von »Licht« und »Finsternis«. Die zwei Prinzipien werden in einem kosmologischen Geschehen aber wieder voneinander getrennt. Das Licht wird aus der Finsternis »gefiltert« und geht an seinen ursprünglichen Ort zurück. Erst dann wird auch das Heil der einzelnen Menschen vollendet. Die Eschatologie der Manichäer ist also »universalgeschichtlich«. Wichtig ist, dass sich in der mythologischen Sichtweise der Manichäer auch die politische Macht der realen Welt leicht und eindeutig auf die Seite des »Lichts« stellen kann! Sie kann nämlich die Aufgabe übernehmen, die in der »Finsternis« gefangen gebliebenen »Lichtfunken« zu befreien, zu sammeln und die »Finsternis« zu vernichten. Damit wird die politische Herrschaft mythologisch legitimiert! Im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs hat die reale politische Macht keine Wahl, sie muss sich mit Jaldabaoth identifizieren. Jaldabaoth aber ist die Verkörperung von Neid und Unwissenheit. Es ist deshalb für die politische Macht ausgeschlossen, sich wie im manichäischen Mythos auf die Seite des »Lichts« zu stellen und sich am Prozess der Trennung von »Licht« und »Finsternis« und an der Sammlung des »Lichts« aus der »Finsternis« mitten in der irdischen Welt zu beteiligen.

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Im Schlusskapitel, »Neuzeit-Diskussion und Gnosis«, zeigen wir auf Grund der Ergebnisse von Kapitel IV und V, wo unsere Sicht der politischen Einstellung der Gnosis von Max Weber abweicht, und wo sie mit ihm übereinstimmt. M. Weber hat im Kapitel über Religionssoziologie in seinem monumentalen, postum von seiner Frau Marianne herausgegebenen Werk »Wirtschaft und Gesellschaft« (1. Aufl. 1921, Kap. V, §10), ganz allgemein die antike Gnosis unter Einschluss des Manichäismus als Erlösungsreligion der Intellektuellen definiert, die sich entweder erzwungen oder freiwillig »von politischem Einfluss und politischer Betätigung« abgewandt haben. Diese Definition Webers bewährt sich unserer Ansicht nach zwar für die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs, nicht aber für die Gnosis des manichäischen Typs. Insofern ist Webers These korrekturbedüftig. Aber die unterschiedliche politische Einstellung der beiden Typen hängt ja aufs Engste mit der Struktur des jeweiligen Erlösungsmythos zusammen. Die durch den Mythos zum Ausdruck gebrachte Erlösungsidee einerseits und die Lebensführung einschließlich der politischen Stellungnahme andererseits sind in einem bestimmten »Ethos« untrennbar miteinander verbunden. Indem wir den Unterschied zwischen den beiden Typen herausarbeiten, unterstreichen wir auch diesen Zusammenhang. Die Zusammengehörigkeit von Erlösungsidee und Lebensführung ist aber eine Grundthese der Religionssoziologie Webers. Ihr stimmen wir voll zu. Zum Schluss möchten wir auch einen Beitrag liefern zur Diskussion über die Neuzeit, die in der gegenwärtigen Sozialphilosophie stattfindet. Nach H. Blumenberg, »Legitimität der Neuzeit I: Säkuralisierung und Selbstbehauptung«4, besteht das Wesen der Säkuralisierung in der europäischen Neuzeit darin, dass sie dem Trieb des »Menschlichen« zur Selbstbehauptung und Veränderung der Welt zu seinem Recht verholfen hat. Die gnostische Weltflucht der Spätantike sei ein denkbar großer Gegensatz dazu gewesen. Sie sei schlechthin das gewesen, was man überwinden musste. Augustin habe zwar auf der Schwelle von der Spätantike zum Mittelalter versucht, sie zu überwinden. Er sei aber unverändert in seiner manichäischen Denkstruktur verharrt und habe schlussendlich die »Gnosis nur verpflanzt«. Die Säkuralisierung der europäischen Neuzeit sei deshalb gleichsam ein »zweiter Versuch«, die Gnosis zu überwinden. Darin besteht nach Blumenberg die Legitimität der Neuzeit. H. Blumenberg hat mit dieser These der Diskussion über die »Neuzeit« und »Gegenneuzeit« einen neuen Anstoß gegeben. Wir können hier nicht auf ihre Einzelheiten eingehen. Aber es ist nicht zu übersehen, dass mit dem übermäßigen und undifferenzierten Gebrauch des Begriffs »Gnosis« eine —————

4 H. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit I: Säkuralisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a.M. 1974.

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gewisse Verflachung einhergeht. Mit »Gnosis« ist immer die Gnosis gemeint, die Augustin in Auge hatte, also der Manichäismus. Zudem setzt man dabei stillschweigend voraus, dass der Manichäismus weltflüchtig, nicht politisch oder gar apolitisch gewesen sei. Das vorliegende Buch weist in Kapitel V nach, dass gerade das Gegenteil der Fall war. Der Manichäismus entsprach damit durchaus den ihm eigenen mythologischen Voraussetzungen. Der »Gnosis«-Begriff in der sozialphilosophischen Diskussion über die Neuzeit bedarf deshalb der Klärung. Wir würden außerdem gut daran tun, die Struktur des jeweiligen Mythos selbst besser zu erfassen und vom Weberschen Gesichtspunkt aus genauer zu analysieren, wie der Mythos mit der alltäglichen Lebensführung der Gnostiker, die ihn formten und tradierten, zusammenhängt. Noch ein Wort zu den Zitaten aus den antiken Schriften: Die NagHammadi-Schriften zitieren wir im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, grundsätzlich nach Nag Hammadi Deutsch, 2 Bände, hg.v. H.-M. Schenke/H.-G. Bethge und U.U. Kaiser, Berlin 2001 und 2003. Das vorliegende Buch ist die deutsche Wiedergabe des japanischen Originals, das 2008 im Verlag Iwanami (Tokio) erschienen ist. Dort zitieren wir die Nag-HammadiSchriften immer nach ihrer japanischen Übersetzung: Nag-HammadiSchfriften I–IV.5 Um dieser japanischen Übersetzung zu entsprechen, muss die deutsche Übersetzung in vielen Fällen manchmal mehr, manchmal weniger verändert werden. Dasselbe gilt übrigens auch für Zitate aus den altund neutestamentlichen Apokryphen, Philo und anderen jüdischen Schriften, Plutarch und weiteren klassischen Schriftstellern: Grundsätzlich werden die jeweiligen deutschen Übersetzungen, soweit sie vorhanden sind, respektiert, aber je nach Bedarf im Wortlaut verändert, ohne dass immer darauf hingewiesen wird. Wir wollen allzu kleine und komplizierte Anmerkungen zu Gunsten einer guten Lesbarkeit des Buches vermeiden.6 —————

5 I: Erlösungsmythen, II: Evangelien, III: Predigten und Briefe, IV: Apokalypsen, Tokio 1997– 1998. Es gibt daneben andere Gesamtausgaben: The Coptic Gnostic Library, 5 Vols, Leiden 2000; Écrits gnostiques, La bibliothèque de Nag Hammadi, éd. par J.-P. Mahé/P.-H. Poirier, Paris 2007; Bibliothèque copte de Nag Hammadi, Quebec 1977ff. 6 Zitate aus der Bibel erfolgen grundsätzlich nach der neuesten Auflage der Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift: Gesamtausgabe, Stuttgart 62007, dort, wo es nötig ist, mit Veränderungen von T. Onuki. Auch die Abkürzung der einzelnen Bücher richtet sich nach derselben Ausgabe. Die Abkürzung der alt- und neutestamentlichen Apokryphen, Philo und anderen jüdischen Schriften erfolgt nach dem Abkürzungsverzeichnis der »Theologischen Realenzyklopädie«, S.M. Schwertner (Hg.), Berlin 21994, XXIII–XXVI. Die Schriften der griechisch-römischen Autoren werden möglichenfalls nach dem Abkürzungsverzeichnis vom »Neuen Pauly. Enzyklopädie der Antike«, Band 1, H. Cancik/H. Schneider, (Hg.) Stuttgart/Weimar 1996, XXXIX–XLVII abgekürzt. Die deutschen Übersetzungen der Werke von Plutarch stammen immer von T. Onuki.

Kapitel I. Poetik und Philosophie des Neides in der Antike Poetik und Philosophie des Neides in der Antike Neid und Eifersucht im Alten Testament

1. Neid und Eifersucht im Alten Testament Im alttestamentlichen Hebräisch heißt das Wort für Neid oder Eifersucht qin’Ɨ. Es zählt zu den Nomen, die im Alten Testament neben »Gott« und »Herr« am häufigsten vorkommen. Die verbale Form ist qƗnƗ’. Wenn man alle Verbformen wie Partizip, Infinitiv usw. mitzählt, gibt es noch beträchtlich mehr alttestamentliche Belege für dieses Wort. Sie lassen sich grob in zwei Bedeutungsfelder unterteilen. Zum einen bezeichnet qin’Ɨ den Neid, der mit der Verteilung der materiellen Güter oder der geistigen Werte unter den Menschen zu tun hat. Zum anderen handelt es sich um die Exklusivität und Treue des Bundesverhältnisses zwischen dem Volk Israel und Jahwe. Für beide Verwendungsarten erörtern wir zunächst einige repräsentative Texte: 1.1 Der Neid bei der Verteilung der Güter und Werte Nach Gen 26,12–14 wird Isaak, der Sohn Abrahams und der Vater Jakobs, reich und seine materiellen Güter mehren sich. Das weckt den Neid der Philister, in deren Nachbarschaft er lebt. (1)1 Isaak säte in diesem Land [sc. Gerar] und er erntete in diesem Jahr hundertfältig. Der Herr segnete ihn; der Mann wurde reicher und reicher, bis er sehr wohlhabend war. Er besaß Schafe, Ziegen und Rinder und zahlreiches Gesinde, sodass ihn die Philister beneideten (Gen 26,12–14).

In Gen 29 begegnet Jakob Laban wieder, dem Bruder seiner Mutter, und nimmt dessen zwei Töchter, Lea und Rahel, zur Frau. Jakob selber liebt Rahel und erbittet sie von Laban zur Frau. Laban aber greift zu einer List und gibt ihm zuerst Lea. Erst eine Woche später gibt er ihm auch Rachel. Lea gebiert einen Sohn: »Als der Herr sah, dass Lea zurückgesetzt wurde, öffnete er ihren Mutterschoß, Rahel aber blieb unfruchtbar. Lea wurde schwanger und gebar einen Sohn. Sie nannte ihn Ruben« (V.31). Lea be————— 1 Um der nachfolgenden Rückverweise willen werden die Zitate aus dem Alten Testament nummeriert.

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kommt noch drei weitere Söhne, Simeon, Levi und Juda. Nun ist in 30,1–2 von Rahels Neid wegen der Kinder die Rede: (2) Als Rahel sah, dass sie Jakob keine Kinder gebar, wurde sie neidisch auf ihre Schwester. Sie sagte zu Jakob: Verschaff mir Söhne! Wenn nicht, sterbe ich. Da wurde Jakob zornig auf Rahel und sagte: Nehme ich etwa die Stelle Gottes ein, der dir Leibesfrucht versagt? (Gen 30,1–2)

Gen 37–48 bilden bekanntlich eine zusammenhängende Erzählung, die sogenannte »Josef-Geschichte«, mit Josef, dem letzten Sohn Jakobs, als Hauptperson. Sie beginnt mit Josefs Träumen: (3) Israel (Jakob) liebte Josef unter allen seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch in hohem Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen Ärmelrock machen. Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder, hassten sie ihn und konnten mit ihm kein gutes Wort mehr reden. Einst hatte Josef einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, hassten sie ihn noch mehr. Er sagte zu ihnen: Hört, was ich geträumt habe. Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen. Eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe. Da sagten seine Brüder zu ihm: Willst du etwa König über uns werden oder dich als Herr über uns aufspielen? Und sie hassten ihn noch mehr wegen seiner Träume und seiner Worte. Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: Ich träumte noch einmal: Die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich tief vor mir. Als er davon seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sagte zu ihm: Was soll das, was du da geträumt hast? Sollen wir vielleicht, ich, deine Mutter und deine Brüder, kommen und uns vor dir zur Erde niederwerfen? Seine Brüder waren neidisch auf ihn, sein Vater aber vergaß die Sache nicht (Gen 37,3–11).

Josef wird danach von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft, wird jedoch dort zum »Herrn für das ganze Haus des Pharaos und zum Gebieter über ganz Ägypten« (Gen 45,8). Als sein Vater und seine Brüder wegen einer Hungersnot in Palästina nach Ägypten flüchten, gibt Josef sich ihnen zu erkennen und verzeiht den Brüdern ihre frühere Tat. Diese Erzählung ist so bekannt, dass wir es bei dieser groben Skizze belassen können. Beim Neid der Brüder ging es um die väterliche Liebe. Nach Num 11 leidet das von Ägypten ausgezogene Volk Israel unter Mangel an Nahrung. Es bereut den Auszug und beklagt sich bei Jahwe. Jahwe lässt siebzig Älteste aus dem Volk an dem Geist, der auf Mose ruht, Anteil haben. Sofort geraten sie alle miteinander in prophetische Verzückung. Über zwei von ihnen, Eldad und Medad, führten Josua und Mose ein Gespräch:

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(4) Ein junger Mann lief zu Mose und berichtete ihm: Eldad und Medad sind im Lager in prophetische Verzückung geraten. Da ergriff Josua, der Sohn Nuns, der von Jugend an der Diener des Moses gewesen war, das Wort und sagte: Mose, mein Herr, hindere sie daran! Doch sagte Mose zu ihm: Wirst du meinetwegen neidisch? Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte! (Num 11,27–29)

Josuas Neid bezieht sich auf den prophetischen Geist. Dieser ist ein besonderes, von Gott gegebenes Charisma. An ihm erkennt man den Führer. Josua, »der von Jugend an Moses Diener gewesen war«, kann es nicht ertragen, dass der Geist außer ihm auch anderen geschenkt wird. Mose hingegen meint, niemand würde mehr über den Mangel an Nahrung klagen, wenn das ganze Volk aus charismatischen Führern bestünde. Normale Menschen würden sich um Nahrung kümmern. Seien aber alle zu religiösen Virtuosen mit prophetischem Geist geworden, so löse sich das Problem von selber. Aber so einfach war es doch nicht: Laut Ps 106,16 beneidete das Volk Mose und seinen Bruder Aaron um ihrer charismatischen Führung willen. In 1Sam 18 geht es darum, dass Saul David eine Audienz gewährt und ihn in seine Armee aufnimmt. David trägt bei jedem Feldzug einen Sieg davon. Saul stellt ihn an die Spitze seiner Krieger, beginnt aber bald, David seinen Erfolg zu neiden: (5) Als sie nach Davids Sieg über den Philister heimkehrten, zogen die Frauen aus allen Städten Israels König Saul singend und tanzend mit Handpauken, Freudenrufen und Zimbeln entgegen. Die Frauen spielten und riefen voll Freude: Saul hat Tausend erschlagen, David aber Zehntausend. Saul wurde darüber sehr zornig. Das Lied missfiel ihm und er sagte: David geben sie Zehntausend, mir aber geben sie nur Tausend. Jetzt fehlt ihm nur noch Königswürde. Von diesem Tag an war Saul gegen David voll Argwohn (1Sam 18,6–9).

Die kursiv gesetzte Wendung »voll Argwohn« ist im hebräischen Text nicht qin’Ɨ, sie lautet stattdessen ǥǀyƝn/ ǥǀwƝn. Dieses Wort kommt aus derselben Wurzel wie Jayin, »Auge«, und bedeutet »böser, ärgwöhnischer Blick«. Mit diesem Blick kann ein Mensch den anderen verfluchen und ihm ein Unheil antun. ǥǀyƝn/ ǥǀwƝn ist insofern deutlich aktiver als Neid (qin’Ɨ). In der Tat versucht Saul in der unmittelbar darauf folgenden Szene, David an die Wand zu spießen, allerdings ohne Erfolg. Im letzten Text (5) fürchtet sich Saul davor, dass er bald von David seiner Königswürde beraubt werden würde. Der politische Charakter der Sache liegt auf der Hand. Auch der Neid in den Beispielen (1) bis (4) ist insofern politisch, als es in allen Fällen um die Verteilung materieller Güter oder immaterieller Werte wie der väterlichen Liebe und des prophetischen Geistes geht.

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Weiter kämen auch die Geschichte von »Kain und Abel« (Gen 4,1–16) und die Begebenheit in Gen 27,1–40 in Frage, wo Jakob mit Hilfe eines Linsengerichts Esau den Erstgeburtssegen raubt. Das Wort »Neid« kommt zwar nicht vor, inhaltlich geht es aber beide Male um Neid.

1.2 Die Eifersucht bezüglich der Exklusivität des Verhältnisses und der Treue Eine andere, von der soeben vorgelegten deutlich zu unterscheidende, weniger politische Verwendungsweise von qin’Ɨ ist da feststellbar, wo es um die Exklusivität des Bundes und um die Treue zwischen Jahwe und dem Volk Israel geht. Wir ziehen es hier vor, das hebräische Wort mit »Eifersucht« statt mit »Neid« wieder zu geben, da das Alte Testament das exklusive Verhältnis zwischen Jahwe und Israel gerne mit der ehelichen Treue und der sexuellen Liebe vergleicht. Die meisten Belege für die Exklusivität des Bundes finden sich in den Büchern Exodus bis Deuteronomium, gehören also in die Geschichte der Wüstenwanderung Israels, das unter Moses Führung aus Ägypten ausgezogen ist. In den folgenden Texten (6) bis (10) verbieten entweder Gott oder Mose dem Volk Israel, die Götter fremder Völker oder ihre Götzenbilder zu verehren und ihre Töchter zu heiraten. (6) Für dich [sc. das Volk Israel] soll es vor meinem [sc. Jahwes] Angesicht keine anderen Götter geben. Du sollst dir kein Gottesbild machen. ... Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, Jahwe, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott (Ex 20,3–5). (7) Du darfst dich nicht vor einem anderen Gott niederwerfen. Denn Jahwe trägt den Namen Ɲl qannƗ’; ein »eifersüchtiger Gott« ist er (Ex 34,14). (8) Jahwe sprach zu Mose: Der Priester Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, hat meinen Zorn von den Israeliten abgewendet dadurch, dass er bei ihnen seinen meiner Eifersucht gleichen Eifer zeigte. So musste ich die Isareliten nicht in meiner leidenschaftlichen Eifersucht umbringen (Num 25,10–11). (9) Jahwe wird sich weigern, ihm (d.h. einem Israeliten, der sich von Jahwe abwendet und fremden Göttern folgt und dient) zu verzeihen, er wird schnauben vor Zorn und Eifersucht gegen einen solchen Menschen. ... Jahwe wird seinen Namen unter dem Himmel auslöschen (Dtn 29,19–20). (10) Sie wecken seine [sc. Jahwes] Eifersucht durch fremde Götter, durch gräuliche Wesen reizten sie ihn zum Zorn. ...und er [sc. Jahwe] sagte: ... Sie haben meine Eifersucht geweckt durch einen Gott, der kein Gott ist, mich zum Zorn gereizt durch ihre Götter aus

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Luft. So wecke ich ihre Eifersucht durch ein Volk, das kein Volk ist, durch ein dummes Volk reize ich sie zum Zorn (Dtn 32,16.19–21).

Diese Zitate zeigen, dass Jahwe sich am besten durch den Ausdruck Ɲl qannƗ’ (siehe (7)) charakterisieren lässt. Dieser Ausdruck ist im Pentateuch fest verwurzelt und kommt oft vor: Dtn 4,24; 5,9; 6,15; Jos 24,19; Nah 1,2 u.a. Die sexuelle Konnotation von Jahwes Eifersucht kommt in Ez 16,33.41– 42 am deutlichsten zum Ausdruck: (11) Jede Dirne bezahlt man; du [sc. Jerusalem] aber hast all deinen Liebhabern Geschenke gegeben und sie bestochen, damit sie von überall kamen, um mit dir Unzucht zu treiben. ... So mache ich deiner Unzucht ein Ende. Keinem wirst du mehr Dirnenlohn zahlen. Wenn ich meinen Zorn an dir gestillt habe, wird meine Eifersucht aufhören, gegen dich zu wüten. Ich werde Ruhe haben und mich nicht mehr ärgern (Ez 16,33.41–42).

1.3 »Außer mir gibt es keinen Gott.« Ein weiterer alttestamentlicher Satz, der im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs häufig kombiniert mit der soeben besprochenen Formel »ein eifersüchtiger Gott« zitiert und Gott, dem Schöpfer der sichtbaren und materiellen Welt in den Mund gelegt wird, ist: »Außer mir gibt es keinen Gott.« Dieser Satz kommt am häufigsten in Jes 44–46 vor: (12) So spricht Jahwe, Israels König, sein Erlöser, Jahwe der Heere: Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott. Wer ist mir gleich? Er soll sich melden, er tue es mir kund und beweise es mir. ... Ihr seid meine Zeugen: Gibt es einen Gott außer mir? (Jes 44,6–8) (13) Ich bin Jahwe und sonst niemand; außer mir gibt es keinen Gott (Jes 45,5). (14) Es gibt keinen Gott außer mir; außer mir gibt es keinen gerechten und rettenden Gott (Jes 45,21). (15) Ich bin Gott und sonst niemand, ich bin Gott und niemand ist wie ich (Jes 46,9).

Jes 40–55 sind im Alten Testament, wie es uns vorliegt, ein Teil des Buches Jesaja. In der Forschung werden sie von Kapiteln 1–39 unterschieden und »Deuterojesaja« genannt, weil sie nicht die Worte des Propheten Jesaja (8. Jh.v.Chr.) enthalten, sondern Worte eines anderen, anonymen Propheten. Sie werden außerdem manchmal auch von Kapiteln 56–66, dem »Tritojesaja« unterschieden. Sie zeugen von der Hoffnung auf Befreiung aus dem babylonischen Exil (587–539 v.Chr.). Theologisch vertreten sie, genauso

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wie die erste Schöpfungsgeschichte ganz am Anfang des Alten Testaments (Gen 1,1–2,4a), einen deutlich monotheistischen Glauben, wie die vier oben angeführten Sätze eindeutig zeigen. Vom monotheistischen Judentum kann man erst für die Zeit des babylonischen Exils sprechen. Die vorexilische Religion Israels war im Unterschied dazu »henotheistisch«. Für das monotheistische Judentum ist Jahwe allein Gott, es erkennt keinen anderen Gott an. Für die vorexilische henotheistische Religion Israels war es dagegen selbstverständlich, dass andere Völker ihre eigenen Götter hatten und verehrten. Das Volk Israel wollte unter all den Göttern nur einen, nämlich Jahwe, als seinen Gott verehren. Das meint der weiter oben zitierte Text (6): Für dich (das Volk Israel) soll es vor meinem [sc. Jahwes] Angesicht keine anderen Götter geben (Ex 20,3). Dieser Satz steht bekanntlich am Anfang des mosaischen Dekalogs. Er besagt aber nur, dass es »für dich«, d.h. für das Volk Israel, keinen anderen Gott als Jahwe geben soll, bestreitet aber nicht grundsätzlich die Existenz der anderen Götter. Hier muss erneut beachtet werden, dass der sogenannte Pentateuch (Genesis bis Deuteronomium) das Endprodukt eines sehr langen Prozesses ist, in dem alte und vielfältige Überlieferungen Israels gesammelt und mehrmals redaktionell zusammengestellt und überarbeitet worden sind. Das erklärt auch den äußerst verwirrenden Befund, dass schon ganz am Anfang des Buches Genesis der erst im sechsten Jahrhundert v.Chr. entstandene Monotheismus zum Tragen kommt, während im mosaischen Dekalog in Ex 20, wo die Erzählung des Pentateuchs weiter fortgeschritten ist, Sätze stehen, die vom viel älteren Henotheismus zeugen. Der henotheistische Gott Jahwe wird eifersüchtig, wenn das Volk Israel andere Götter verehrt. Das ist der Sinn der abgrenzenden Wendung in Ex 20,3: »Für dich [sc. das Volk Israel]« soll es keine andere Götter geben. Dieselbe Abgrenzung erkennen wir auch in allen anderen Texten (6) bis (11). Beim monotheistischen Gott Deuterojesajas fehlt sie. Das Problem ist hier schon auf eine andere Ebene verlagert, die die Exklusivität der Bundestreue zwischen Jahwe und Israel transzendiert, nämlich auf die Exklusivität des »Gottseins« Jahwes. Im Monotheismus behält Gott das »Gottsein« und die Weltherrschaft für sich allein, er kann es nicht ertragen, auch andere Götter daran Anteil haben zu lassen. Diese Missgunst ist genauso politisch wie der Neid, der in den Texten (1) bis (5) in Bezug auf die Verteilung der Güter und Werte zum Tragen kommt. In der Antike bedeutete nämlich die militärische und politische Niederlage eines Volkes vor seinen Feinden auf Erden auch, dass seine Götter im Himmel den Göttern des Feindes unterlegen waren. Bei den Juden des babylonischen Exils war das nicht der Fall. Auf Erden erlitten sie zwar eine militärische und politische Niederlage, aber im Himmel hatte ihr Gott Jah-

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we alle Götter der Welt besiegt. Er ist Alleinherrscher. Deshalb wurde das babylonische Exil so gedeutet, dass der monotheistische Gott Jahwe sein eigenes Volk durch seinen Feind Babylonien geschlagen hatte, denn das von ihm erwählte Volk hatte immer wieder den Bund mit ihm übertreten, genauso wie eine untreue Frau ihren Mann verrät. Mit dieser »Theodizee des Unheils« haben die exilierten Juden ihre militärische und politische Katastrophe überwunden. Man könnte zusammenfassend sagen, dass Jahwe zwar seine »Eifersucht« gegenüber seiner untreuen Frau überwunden habe, dass er es aber jetzt nicht mehr ertragen könne, dass es andere Götter gebe und dass auch sie am Gottsein Anteil hätten. Er ist jetzt ein neidischer Gott. Dass der jüdische Monotheismus insofern einen politischen Sinn hat, ist kaum bestreitbar. Der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs macht sich über diese politisch-ideologische Konnotation des jüdischen Monotheismus lustig.

2. Der Neid im Neuen Testament Der Neid im Neuen Testament Im Neuen Testament spielt der Neid im Zusammenhang mit der Verteilung von Gütern und Werten eine wichtige Rolle. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32), das sicher auf den historischen Jesus zurückgeht, vergibt der Vater dem jüngeren Sohn, der das von ihm vorzeitig geerbte Vermögen verschleudert hat und zu ihm zurückgekommen ist, bedingungslos und empfängt ihn mit einem Festmahl. Der ältere Sohn sieht das, wird zornig und will nicht ins Haus hineingehen (V.28). Es versteht sich von selbst, dass sein Zorn auch Neid enthält. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–15) stammt auch vom historischen Jesus. Insgesamt fünfmal werden die Arbeiter angestellt und zwar zu verschiedenen Tageszeiten: frühmorgens, um neun Uhr vormittags, um zwölf, um drei und fünf Uhr nachmittags. Am Ende des Tages wird allen Arbeitern gleich viel, ein Denar, bezahlt. Dann murren die Arbeiter, die den ganzen Tag über gearbeitet haben. Der Herr des Weinbergs erwidert ihnen, »Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. ... Ich will dem letzten ebensoviel geben wie dir. ... Oder bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin?« (Mt 20,13–15) Für »neidisch« steht hier im griechischen Text die Wendung »ophthalmos ponƝros«, d.h. »ein böses Auge«. Wörtlich übersetzt lautet die Frage: Oder ist dein Auge böse geworden? Die Evangelienforschung weist darauf hin, dass wir es hier mit einem Volksglauben zu tun haben: Der Blick eines Menschen hat eine aktive magische Kraft und kann seinem Gegenüber – seien es Menschen, Tiere, Lebewesen oder NichtLebewesen – ein Unheil antun. Der kulturanthropologischen Forschung zufolge ist die Vorstellung vom »bösen Auge« so alt wie die menschliche

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Geschichte und lässt sich bis in die Gegenwart hinein durch alle Zeiten und Kulturen hindurch finden. Es ist ein Auge des Neides. Man muss immer auf Beschädigungen, die es hervorrufen kann, aufpassen. Verschiedene Amulette und Gebärden, wie sie noch heute in der Mittelmeerwelt gebräuchlich sind, haben zum Zweck, vor dem bösen Auge zu schützen. Die blauen Säume des Obergewandes und des Gebetsschals hatten diese Wirkung (Mt 9,20 sic). Die Abbildungen des Geschlechtsorgans und obszöne Gebärden wurden für geeignet gehalten, das böse Auge abzulenken und seinen Blick abschweifen zu lassen.2

Die Vorstellung vom »bösen Auge« hat ihren Ursprung im Neid bezüglich der Verteilung von Gütern und Werten. In einer Agrargesellschaft mit einfacher Reproduktion, wie sie in der Antike in den Mittelmeerländern bestand, bleibt die Gesamtmenge der Güter und Lebensmittel, über die die ganze Gesellschaft verfügen kann, immer gleich und kann nicht vergrößert werden. Deshalb geht es immer nur um ihre Verteilung. Ist ein Mann plötzlich reich an Gütern und Lebensmitteln geworden, so konnte das nur auf Kosten der anderen geschehen, d.h. dadurch, dass er sie ihres Anteils beraubt hat. Der Neid, der daraus entsteht, kann die soziale Bindung der Menschen untereinander zerreißen, sei es in der Gesellschaft, sei es in einer kleineren Gemeinschaft. Der Neid, der eigentlich passiven Charakters ist, kann sogar aktiv dem Anderen ein Leid zufügen wollen. »Das böse Auge« ist wie ein Etikett, das einem für die soziale Bindung und Wohlfahrt gefährlich gewordenen Neider angeklebt wird. Diese Etikettierung hat die Funktion sozialer Sanktionierung.3 »Das böse Auge« als Bild für den gesteigerten und aktiv gewordenen Neid kennt auch Plutarch. Auf seine Sicht des Neides werden wir in Abschnitt 3 zu sprechen kommen. Hier sei nur seine Aussage über den bösen Blick in den »Tischreden« angeführt. Freilich greift der Neid tiefer als andere Affekte in den Geist des Menschen ein und verseucht den Körper mit dem Bösen. Nehmen wir einmal an, dass die Menschen, die so tief durch den Neid ergriffen worden sind, jemanden anblicken. Ihr Auge schöpft aus ihrem Geist die böse Kraft des Neides, denn es ist mit dem Geist am nächsten verwandt, und greift den Mann wie mit einem Giftpfeil an. Deshalb ist es meiner Meinung nach weder unerwartet noch unglaublich, dass ihr Auge auf den Menschen, der durch es angeblickt wird, eine Wirkung hat. ... Das, was ich soweit gesagt habe, erklärt, warum die sogenannten Amulette uns vor dem Neid schützen. Ihre merkwür-

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2 Malina, B.J./Rohrbaugh, R.L., Social-Science Commentary on the Synoptic Gospels, Minneapolis 1992, 125. 3 J.H. Elliott, Matthew 20:1–15: A Parable of Invidious Comparison and Evil Eye Accusation, BThB 22, 1992, 52–65, hier bes. 55 und 61.

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

dige Figur zieht den bösen Blick auf sich und lenkt ihn ab. Deshalb fügt der böse Blick dem, der durch ihn gefangen genommen worden ist, weniger Unheil zu (Plut., mor. 681F–682A).

Das »böse Auge« wird um der sozialen Bindung und Wohlfahrt der Gemeinschaft willen ausgeschlossen. Damit zeigt sich die politische Implikation des Neides sehr deutlich. Auch Jesus, der das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg erzählt, kennt die Vorstellung vom »bösen Auge« und schließt es aus dem von ihm verkündeten »Reich Gottes« aus. Das »böse Auge« kommt noch zweimal in den Evangelien vor: Das Auge gibt dem Körper Licht. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge böse ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein (Mt 6,22–23). Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, böses Auge, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein (Mk 7,21–23).

Mk 7,21–23 geht nach der opinio communis der Forschung nicht auf den historischen Jesus zurück, sondern reflektiert die Sicht der nachösterlichen Gemeinde. Hier ist schon der Einfluss der hellenistischen Philosophie, besonders der stoischen Affektlehre deutlich erkennbar, die die verschiedenen Laster katalogisiert hat. Ein gleichartiger Lasterkatalog mit Einschluss des Neides findet sich auch mehrmals in den paulinischen Briefen (Gal 5,21.26; Röm 1,29 u.a.), den Pastoralbriefen (1Tim 6,4; Tit 3,3 u.a.) und den katholischen Briefen (1Petr 2,1) und klingt auch bei den apostolischen Vätern nach (1Clem 3,2; 35,5; 2Clem 4,3). Bei Paulus kommt der Neid nicht nur als Teil des traditionellen Lasterkatalogs vor. Er spielt eine Rolle für die soziale Dimension der Glaubensgemeinschaft. Nach Paulus versuchen die »falschen Brüder«, die sich in die Gemeinde in Galatien »eingeschlichen hatten«, um sich Paulus widerzusetzen und sie zur jüdischen Beschneidung zu zwingen (Gal 2,4), nichts anderes als die Gemeindemitglieder dazu zu bringen, »miteinander zu streiten und einander zu beneiden (allƝlois phthonountes Gal 5,26). Eben deswegen »bemühen sie sich um euch (d.h. die Gemeindeglieder) inständig« (Gal 4,17–18). Der Ausdruck »sich um ... inständig bemühen« enthält im griechischen Text das Wort zeloǀ, das manchmal synonym mit phthoneǀ (beneiden) gebraucht wird. Nach einer beachtenswerten Theorie denkt Paulus, dass in der gegenwärtigen Lage die Gemeinde in Galatien durch das Verhalten der Gegner gestört und abtrünnig gemacht worden ist. Er sieht die Ursache darin, dass sie »dem bösen Auge« der Gegner ausgesetzt war. Dieses habe »die unvernünftigen Galater verblendet (ebaskanen)« (Gal

Der Neid im Neuen Testament

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3,1). 4 Ein Gegensatz zu ähnlichen Gegnern ist auch dann vorausgesetzt, wenn Paulus in Phil 1,15 redet: »Einige verkündigen Christus zwar aus Neid und Streitsucht, andere aber in guter Absicht«. Für Paulus ist der Neid eine Macht, die die kirchliche Gemeinschaft zerreißt. Eine andere wichtige Aussage über den Neid macht Paulus in Röm 10,19 und Röm 11,11.14. Die drei Stellen bilden vom Kontext her eine zusammenhängende Aussage und gehören zum Schlussteil des Abschnitts Röm 9– 11, wo das eschatologische Schicksal der Juden, die das Evangelium Christi abgelehnt haben, intensiv besprochen wird. Röm 10,19 ist dabei ein Zitat aus dem letzten Teil des weiter oben angeführten alttestamentlichen Textes Nr. 10 (Dtn 32,215). Paulus legt ihn in Röm 11,11.14 neu aus: Die Juden nahmen zwar an Christus Anstoß, aber gerade »durch ihr Versagen kam das Heil zu den Heiden, um sie selbst neidisch zu machen (parazƝlǀsai)« (Röm 11,11). Durch diesen Neid sollen wenigstens einige Angehörige des jüdischen Volkes gerettet werden (Röm 11,14): »Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Heiden reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt« (Röm 11,12). Auch hier hat der Neid ganz deutlich mit der Verteilung von Gütern und Werten (Heil) zu tun: Die Erwählung durch Gott gehörte ursprünglich zu den Juden. Aber sie geht jetzt auf die Heiden über. Die Juden sollen neidisch sein, weil ihr eigenes Gut mit anderen geteilt wird. Zusammenfassend kann festgestellt werden: Im Neuen Testament dominiert der Neid bezüglich der Verteilung der Güter und Werte, während der Neid bezüglich der exklusiven Treue zwischen Gott und Menschen (den Glaubenden) selten vorkommt. Vom Neid in diesem letzteren Sinne spricht nur 1Kor 10,22. Dort wird gesagt, dass es »die Eifersucht (parazƝloǀ) des Herrn wecken« würde, wenn die Glaubenden gleichzeitig Gäste am Tisch des Herrn und am Tisch der Dämonen wären. Das erinnert uns an den »eifersüchtigen Gott« Jahwe im Alten Testament.6 Keine der bisher angeführten neutestamentlichen Stellen über Neid oder Eifersucht wird in den gnostischen Mythen zitiert. Die gnostischen Mythen nehmen, soweit ich weiß, nur auf Mk 15,10 (Mt 27,18) wiederholt Bezug. Dort wird gesagt, dass die Hohepriester Jesus aus Neid an Pilatus ausgeliefert hätten.7 Judas sei nur ein vom Neid manipuliertes Werkzeug gewesen. ————— 4

J.H. Elliott, Matthew 20:1–15, BThB 22, 1992, 52–65, hier bes. 56 und 61. Vgl. oben 25f. 6 Vgl. die Texte Nr. 6 bis 11 in Abs. 2. 7 Vgl. dazu A.C. Hagedorn/J.H. Neyrey, »It was out of envy that they handed Jesus over«, (Mark 15,10): The Anatomy of envy and the Gospel of Mark, JSNT 69, 1998, 15–56. Die Autoren versuchen anhand des kulturanthropologischen Models G.M. Fosters von »anatomy of envy« nachzuweisen, dass Mk 15,10 kein isoliertes Logion ist, sondern viele dem zweiten Evangelium eigentümliche Themen einschließlich des Messiasgeheimnisses zusammenfasst. 5

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

Wir werden später sehen, dass diese Sicht häufiger in den manichäischen Schriften als in der syrisch-ägyptische Gnosis vorkommt und dabei eine eigenartige Umdeutung erfährt.8

3. Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte Wir werfen jetzt einen Blick auf die hellenistischen Schulphilosophen. Wie definieren Platon und die Akademiker, Aristoteles und die Peripatetiker, Zenon und die Stoiker die Affekte des Menschen?9 Wie behandeln sie vor allem den Neid? Wie der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs auf sie Bezug nimmt, werden wir erst im nächsten Kapitel im Einzelnen untersuchen. Hier beschränken wir uns darauf, in groben Zügen Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen den Schulen nachzuzeichnen und zwar anhand von Ciceros »Gespräche[n] in Tusculum«. Cicero schrieb dieses Werk in Form eines Berichts über ein Gespräch, das zwei anonyme Personen (A und B) in Tusculum geführt hatten. Eine davon (B) ist ein Sympatisant der Stoiker und vertritt ihre Affektlehre folgendermaßen: Er [sc. der Weise] richtet die Schärfe seines Blickes derart auf alle Richtungen, dass er immer einen Ort erblickt, wo er ohne Ärger und Angst sich wird aufhalten und die zufällige Lage, wie immer sie ihm das Schiksal zubereitet, angemessen und ruhig wird ertragen können. Wer dies tut, wird nicht nur frei von Kummer sein, sondern auch von allen übrigen Leidenschaften. Ein Geist, der von diesen frei ist, führt zur vollkommenen und unbedingten Glückseligkeit. Wird er aber aufgehetzt und weggerissen von der unverletzten und sicheren Einsicht, so verliert er nicht nur seine Beständigkeit, sondern auch seine Gesundheit (Cic., Tusc. IV, 38).10 Kummer und die übrigen Leidenschaften sind, wenn sie groß geworden sind, sicherlich verderblich. Also bergen sie schon einen großen Teil ihrer Gefährlichkeit, sobald sie entstanden sind. Sie treiben sich nämlich selbst an, sobald man einmal die Vernunft preisgegeben hat; die Schwäche gibt sich selbst nach, gleitet unversehens ab zur Tiefe und findet keinen Ort mehr, wo sie standhalten kann (Cic., Tusc. IV, 42).11

Für die Stoiker gilt es alle Leidenschaften auszurotten (extirpare) (Cic., Tusc. IV, 43). Zenon, der Begründer dieser Schule, definierte die Leiden————— 8

Vgl. die Psalmen des Herakleides in C.R.C. Allberry (Hg. und Übers.), A Manichaean PsalmBook, part II, Stuttgart 1938, S.195, Z. 23 und C. Schmidt/H.J. Polotsky (Hg. und Übers.), Kephalaia I, Stuttgart 1940, S. 12, Z. 29–31. Vgl. auch Kap. 4, Abs. 2.2. 9 Die folgende Darstellung verdankt viel E. Milobenski, Der Neid in der griechischen Philosophie, KPS 29, Wiesbaden 1964. 10 Übersetzung: Cicero, Gespräche in Tusculum, übers. v. O. Gigon, München/Zürich 51984, 275. 11 Ebd., 277–279.

Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte

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schaft als »eine von der Vernunft abgewandte naturwidrige Bewegung des Geistes« (Cic., Tusc. IV, 47). Die Leidenschaft wird dann weiter in die vier großen Leidenschaften und ihre jeweiligen Unterarten unterteilt. Hierüber berichtet zum Beispiel Diogenes Laertius: »Die oberste Stellung unter den Leidenschaften nehmen, wie Hekaton im zweiten Buch Von den Leidenschaften und Zenon in seiner Schrift über die Leidenschaften sagen, vier Gattungen ein: Schmerz, Furcht, Begierde, Lust«.12 Der Neid wird normalerweise als eine Unterart des Schmerzes angesehen. Der Gesprächspartner B weist von der stoischen Position aus die Affektlehre der Peripatetiker als nicht zutreffend zurück. Kurz gesagt billigten die Peripatetiker den Leidenschaften teilweise eine gewisse Nützlichkeit zu und lehrten nicht ihre Ausrottung, sondern ihre Kultivierung. Der Gesprächspartner B fasst das so zusammen: Auch die anderen Unterarten des Kummers sind nach ihrer Behauptung nützlich: das Mitleid um Hilfe zu bringen und das Unglück der ungerecht Leidenden zu erleichtern. Der Neid und sogar die Missgunst seien nicht unnütz, wenn einer sieht, dass er nicht dasselbe erreicht hat wie ein Anderer oder ein Anderer dasselbe wie er. Wer ferner die Angst unterdrückt, der wird alle Gewissenhaftigkeit aus dem Leben entfernen, die am größten sei bei denen, die die Gesetze, Behörden, die Armut, die Schande, den Tod und den Schmerz fürchten. Dies wollen sie freilich so verstehen, dass man diese Leidenschaften zurückschneiden müsse, aber sie völlig ausreißen, das sei, sagen sie, erstens unmöglich und zweitens nicht einmal nötig. In allen Dingen sei das Mittelmaß (mediocritas) das beste (Cic., Tusc. IV, 46).13

Dasselbe sagt auch Seneca in seinen »Briefen über Ethik an Lucilius«: »Ist es besser, beherrschte Leidenschaften zu haben oder gar keine? Das hat man oft gefragt: wir Stoiker vertreiben sie, die Peripatetiker mäßigen sie« (Sen., ep. 116,1). In Bezug auf viele Leidenschaften wird das Mittelmaß zwischen zu viel und zu wenig (auf Griechisch: metriopatheia) angestrebt. Aristoteles, der Schulbegründer, definiert den Neid wie folgt: Klar ist aber auch, wofür, wem gegenüber und in welcher Disposition man Neid empfindet, da ja der Neid eine Art Kummer ist über ein offensichtliches Wohlergehen, das Gleichgestellten durch besagte Güter (sic) zuteil wird, nicht damit einem selbst etwas zufalle, sondern derentwegen. Neid empfinden werden solche, die Gleichgestellte haben oder zu haben scheinen. »Gleichgestellt« meine ich im Sinne der Herkunft, der Verwandtschaft, des Alters, der Wertvorstellungen, der Reputation und des Vermögens; ferner solche, denen nur weniges dazu fehlt, alles zu besitzen. Daher sind die, welche Großes vollbringen und mit Glück gesegnet sind, neidisch, denn alle,

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12 Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen VII, 110, übers. von P. Apelt, Hamburg 21967, 58. 13 Übersetzung: Cicero, Gespräche in Tusculum, übers. v. O. Gigon, 281–283.

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

bilden sie sich ein, nähmen ihnen das, das ihnen gehöre (Aristot., rhet. 1387b22– 30).14

Neid wird unter »Gleichgestellten« empfunden. Diese Definition des Neides fasst Aristoteles mit einem seit alter Zeit bekannten Spruch zusammen: Neidisch ist »Töpfer gegen Töpfer«.15 Welcher Meinung waren aber die Akademiker? Nach Cicero führen sie ein Schattendasein. Darüber lässt er den Gesprächpartner B in »Gespräche in Tusculum« zu seinem Partner A Folgendes sagen: Siehst Du, welche Zurückhaltung die Akademiker geübt haben? Sie sagen durchaus nur, was zur Sache gehört. Den Peripatetikern antworten die Stoiker. Meinetwegen mögen sie sich gegenseitig hinschlachten, denn mir kommt es nur darauf an, zu suchen, was der Wahrheit am nächsten kommen mag (Cic., Tusc. IV, 47).16

Ungefähr zwei Jahrhunderte nach Cicero äußern sich die Akademiker des Mittelplatonismus aber ganz anders als hier. Im Grundriss der platonischen Philosophie (Didaskalikos), den Alkinoos Mitte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. als Lehrbuch der Schule verfasst hat, gibt es einen Abschnitt über die Ethik, der die Affektlehre einschließt. Darin finden sich die folgenden Darlegungen: Bei den Leidenschaften ergibt sich eine Ungleichmäßigkeit, wenn die Mäßigkeit in ein Zuviel oder Zuwenig übergeht. Zum Beispiel: Wer nicht zürnt, auch wenn seine Eltern verleumdet werden, wäre [ein affektloser (apathƝs) Mensch] ein Mensch, der noch nicht das Mittelmaß der Affekte (metriopathƝs) erreicht hat. Umgekehrt hat auch derjenige, der in allen zufälligen Umständen zürnt, es noch nicht erreicht, wäre vielmehr gerade das Gegenteil davon. Wer nicht traurig ist, auch wenn seine Eltern gestorben sind, wäre ein Affektloser (apathƝs), während derjenige, der durch die Trauer niedergeschlagen wird, ein mit Affekten Überladener, der noch nicht das Mittelmaß der Affekte erreicht hat, wäre. Wer über den Tod seiner Eltern mit Maß Trauer empfindet, hat das Mittelmaß der Affekte erreicht. Wer über alles übermäßig Furcht empfindet, ist ein Feigling, wer dagegen vor nichts Angst hat, ist ein Unüberlegter. Nur derjenige, der mit Maß sowohl Kühnheit als auch Angst hat, ist tapfer. Es steht auch mit anderen Affekten genauso. Bezüglich der Leidenschaften ist es am besten, das Mittelmaß zu behalten, wobei das Mittelmaß die Mitte ist zwischen zuviel und zuwenig. Die Tugend ist deshalb das Mittelmaß, das uns in Bezug auf die Leidenschaften die Mäßigkeit beibehalten lässt (Alkinoos, 184,20–36).17

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Aristoteles, Rhetorik, übers. von G. Krapinger, Stuttgart 1999, 106f. Aristoteles, rhet. 1381b16 und 1388a16; Zitat aus Hesiod, erg. 25. 16 Übersetzung: Cicero, Gespräche in Tusculum, übers. v. O. Gigon, 283. 17 Übersetzung von Onuki nach der Textedition: Alcinos, Enseignement des Doctrines de Platon, texte établi par J. Whittaker, Paris 1990. Ebenso im Folgenden. 15

Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte

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Unter den Leidenschaften gibt es zwei Sorten, eine wilde und eine moderate. Moderate Leidenschaften sind diejenigen, die dem Menschen von Natur aus notwendig (anagkaia/-on) und passend (oikeia/-on) angeboren sind. Sie sind es insofern, als sie das Maß halten. Ist aber einmal eine Ungleichmäßigkeit eingetreten, so werden sie falsche Leidenschaften. Zu den moderaten Leidenschaften gehören Lust, Trauer, Zorn, Mitleid und Scham. Dass man über das, was der Natur des Menschen entspricht, Lust und über dessen Gegenteil Trauer empfindet, ist passend für den Menschen. Auch der Zorn, mit dem man gegen seine Gegner einen Gegenangriff macht und sie wegtreibt, ist eine für den Menschen notwendige Leidenschaft. Das Mitleid passt zur Menschenliebe und die Scham ist eine Leidenschaft, die dafür nützlich ist, von schändlichen Dingen wegzukommen (Alkinoos, 186,14–24; Danach folgen Sätze über die wilden Leidenschaften).

Die Nützlichkeit bestimmter Leidenschaften und das »Mittelmaß der Affekte« klingt ziemlich peripatetisch. Man kann deshalb sagen, dass hier die Affektlehre der Peripatetiker beinahe unverändert aufgenommen worden ist. Plutarch, von dem schon die Rede war, gehörte philosophiegeschichtlich zum Mittelplatonismus derselben Zeit wie Alkinoos. Im umfangreichen Sammelwerk »Moralia« sind zahlreiche Abhandlungen enthalten, die verschiedene Affekte zum Thema haben. Auch der Neid wird dabei direkt oder indirekt behandelt, zum Beispiel in »Über das sich selbst Loben, ohne Neid hervorzurufen«, »Über die Beherrschung des Zorns« und »Über den Neid und Hass«. Auch in einigen Kapiteln von »Große Griechen und Römer« (Pelopidas, Nikias u.a.) wird der Neid ab und zu thematisiert. Interessanterweise handelt es sich dabei nie um Neid im Sinne von Missgunst, die anderen nichts von eigenen Gütern und Werten geben will, sondern um den Neid auf einen Anderen, um den es besser bestellt ist. Plutarch definiert diesen Neid philosophisch, lässt es aber nicht dabei bewenden, sondern gibt auch praktische Ratschläge darüber, wie man mit ihm umgehen und ihn überwinden soll. Im Kern empfiehlt er Maßhalten im Trachten nach Ehren und Werten. Die Ähnlichkeit mit den Peripatetikern ist offensichtlich. Indem er dabei als Beispiel verschiedene Politiker und Militärs nennt, zeigt Plutarch auch den politischen Charakter des Neides deutlich. Wie aber beurteilte Platon, der Schulbegründer der Akademiker, selber die menschlichen Affekte, vor allem den Neid? Diese Frage behandelt er in seinen Werken an zwei wichtigen Stellen, Phaidros 246A–247B und Timaios 29E. In Phaidros 246A–247B geht es zunächst um die Unsterblichkeit der Seele. Danach wird der eigentliche Charakter der Seele erörtert. Die Seele wird mit einem befiederten Gespann und seinem Führer verglichen. Pferde und Führer der Göttergespanne sind alle gut und guter Abkunft. Aber bei der menschlichen Seele ist von den beiden Pferden nur das eine von guter Abstammung, das andere aber schlecht. Damit wird die Lenkung des Ge-

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

spanns notwendigerweise schwierig und mühsam (Plat., Phaidr. 246A–B). Infolgedessen muss sich die Seele mit ihren Flügeln in die Höhe, in den Bereich der Götter, hinaufschwingen: Der große Herrscher im Himmel, Zeus, seinen geflügelten Wagen lenkend, zieht nun als der erste aus, alles anordnend und versorgend, und ihm folgt die Schar der Götter und Geister, in elf Zügen geordnet. ... Viel Herrliches nun gibt es zu schauen und zu begehen innerhalb des Himmels, wozu der seligen Götter Geschlecht sich hinwendet, jeder das Seinige verrichtend. Es folgt aber, wer jedesmal will und kann: denn Neid ist verbannt aus dem göttlichen Chor (Plat., Phaidr. 246E–247A).18

Wenn sie an den äußersten Rand des Himmels gekommen sind, fahren die Wagen (Seelen) der Götter darüber hinaus, wenden und schauen, auf dem Rücken des Himmels stehend, den äußersten Bereich an. Für den Wagen der menschlichen Seele ist dieser Weg voller Mühe. Die Götter wollen es jedoch keinesfalls verhindern, dass eine menschliche Seele ihrem Marsch folgen würde. Denn unter den Göttern gibt es keinen Neid. Es ist für uns wichtig, dass hier der Neid die Missgunst ist, die anderen nichts von den eigenen Werten geben will. Im Kontext von Timaios 29E geht es um die Schöpfung der sichtbaren Welt. Nach Timaios, Sokrates’ Gesprächspartner, muss der Demiurg, als er diese Welt als »das Schönste unter dem Gewordenen« schuf, als Modell etwas Beharrliches, Dauerhaftes, Unveränderliches und nur durch die Vernunft Erkennbares gebraucht haben. Danach stellt Timaios folgende, den Grund der Schöpfung der Welt betreffende Frage: Geben wir denn an, aus welchem Grund der Schöpfer das Enstehen und dieses Weltall schuf. Er war gut; in einem Guten erwächst nimmer und in keiner Beziehung irgendwelcher Neid. Von ihm frei, wollte er, dass alles ihm möglichst ähnlich werde. Wer dies als den hauptsächlichen Ursprung des Entstehens und der Welt von weisen Männern übernimmt, der tut das wohl mit dem größten Recht. Indem nämlich der Gott wollte, dass alles gut und nach Möglichkeit nichts schlecht sei, so nahm er also alles, was sichtbar war und keine Ruhe hielt, sondern in ungehöriger und ordnungsloser Bewegung war, und führte es aus der Unordnung zur Ordnung, da ihm dieser Zustand in jeder Beziehung besser schien als jener (Plat., Tim. 29E–30A).19

Auch hier ist der Neid mit der Missgunst identisch, die anderen nichts von den eigenen Werten geben will. Solche Missgunst fehlt bei Gott, dem Schöpfer. Er hat es anderen nicht verweigert, an seinem eigenen Gut, dem ————— 75. 39.

18

Übersetzung von F. Schleiermacher und D. Kurz in: Platon Werke Bd. 5, Darmstadt 42005,

19

Übersetzung von H. Müller/F. Schleiermacher in: Platon Werke Bd. 7, Darmstadt 42005, 37–

Pathoslehre und Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte

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geordneten Sein, teilzuhaben. Aus diesem Grund wurde die Welt als das Schönste unter dem Gewordenen geschaffen. Der Mensch muss sich, so wird in Timaios weiter gesagt, immer darum bemühen, das Göttliche in sich selbst in Ordnung zu halten (Plat., Tim. 90C). Er soll nach Möglichkeit Gott ähnlich werden, so die »kurze Zusammenfassung« der platonischen Philosophie20. Deshalb muss der Mensch von der Missgunst befreit werden, die anderen das eigene Gut vorenthält. Soweit ich weiß, hat Philo von Alexandrien, ein jüdischer Denker im Umkreis des Mittelplatonismus im ersten Jahrhundert n.Chr., Platons Gedanken über den Neid (die Missgunst) am stärksten übernommen. Er erwähnt den Neid in verschiedenen Einzelschriften: »Über die Weltschöpfung«, »Über die Landwirtschaft«, »Über Joseph«, »Über Abrahams Wanderung«, »Über die Flucht und das Finden«, »Über die Namensänderung«, »Über die Träume«, »Über das Leben des Mose«, »Über den Dekalog«, »Über die Tugenden«, »Über Belohnungen und Strafen«, »Über die Freiheit des Tüchtigen«, »Über das betrachtende Leben«, »Über die Unvergänglichkeit der Welt«, »Gegen Flaccus«, »Gesandtschaft an Caligula«. Dabei geht es in erster Linie immer um die Missgunst, die anderen nichts von eigenen Gütern geben will. Auch die Schöpfung der Welt durch Gott im Alten Testament wird aus seiner Freiheit von Neid in diesem Sinne begründet. Dazu zitiert Philo eben Timaios 29E. Freilich thematisiert er auch den Neid auf einen besser gestellten Anderen. Das beste Beispiel dafür ist »Gegen Flaccus«. Flaccus war der Statthalter Roms in Ägypten und beneidete Agrippa I, der von Caligula zum jüdischen »König« ernannt wurde.21 Philo redet trotzdem m.E. im Unterschied zu Plutarch überwiegend vom Neid im ersten Sinne. Dieser Unterschied ist so auffällig und deutlich, dass wir im Folgenden kurzerhand vom »philonischen Typ« und »plutarchischen Typ« sprechen werden.22 Philo beweist zugleich deutlich, dass das hellenistische Judentum seiner Zeit die Diskussion der hellenistischen Schulphilosophien über die Affekte (v.a. den Neid) gut kannte. In den alttestamentlichen Apokryphen, vor allem in den vom hellenistischen Judentum beeinflussten Schriften wie »Das vierte Makkabäerbuch«, »Die Testamente der Zwölf Patriarchen«, »Das Leben von Adam und Eva«, »Weisheit Salomos«, »Die griechische Baruch————— 20

W. Jäger, Scripta Minora, Band 2, Roma 1960, 471. Vgl. dazu P. v. Gemünden, Affektbeherrschung und Herrshaftsausübung. Soziologische und psychologische Überlegungen zu dem in »Gegen Flaccus« geschilderten Judenprogrom, in: dies., Affekt und Glaube. Studien zur Historischen Psychologie des Frühjudentums und Urchristentums, NTOA 73, Göttintgen 2009, 94–117. 22 A.C. Hagedorn/J.H. Neyrey, »It was out of envy that they handed Jesus over«, 19, 30–31 bezeichnen den »philonischen Typ« als »envying down« und weisen auf weitere antike Tradition hin, die dafür das griechische Wort zƝlos »jealousy« anwendet. 21

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

Apokalypse« u.a. ist der Einfluss der Affektlehre der hellenistischen Schulphilosophien, besonders der Stoiker, deutlich zu erkennen. Die geistigen Strömungen des frühen Judentums waren schon zur Zeit, in der diese Schriften zur Entstehung kamen, sehr vielfältig. Etwas später zeigen einige Schriften des Talmuds zwar kaum hellenistischen Einfluss, vertreten aber eine eigene Sicht der Affekte unter Einschluss des Neides. Der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs hat viel Stoff nicht allein aus den hellenistischen Schulphilosophien, sondern auch aus der Überlieferung der Rabbiner übernommen. Im Einzelnen gehen wir dem aber erst im nächsten Kapitel nach. Im nächsten Abschnitt zeichnen wir vorerst die Grundzüge der Gnosis und ihres Mythos nach.

4. Die Gnosis und der gnostische Mythos Die Gnosis und der gnostische Mythos Das Wort »Gnosis« ist ein gewöhnliches Substantiv aus dem Griechischen und bedeutet »Erkenntnis«. Im vorliegenden Buch wird es als historischer Begriff gebraucht. Es bezeichnet eine religiöse Bewegung, die in der Spätantike (2.–3. Jh.n.Chr.) im Mittelmeerraum unter der römischen Herrschaft (vor allem im Osten: Syrien und Ägypten) und im vorderen Orient in Mesopotamien unter der Herrschaft der Perser (Sassaniden) entstand und sich von dort aus in der ganzen Welt verbreitete. Manchmal verwendet man den Ausdruck »Gnostizismus«. Bedeutungsmäßig besteht kein großer Unterschied zur »Gnosis«. Beide Begriffe werden jedoch zu wenig differenziert gebraucht. Man hat es hier nämlich mit einer religiös-geistigen Bewegung zu tun, die sich in mehrere »Schulen« verzweigt und unterschiedlich entwickelt hat. Unter den »Schulen« herrschte ein ständiges Geben und Nehmen mythologischer Gedanken und Vorstellungen. Auch organisatorisch kam es immer wieder zu Zusammenschlüssen und Trennungen. Nicht nur die Konturen der einzelnen Schulen bleiben deshalb verschwommen. Auch die Gnosis als religiös-geistige Bewegung bleibt amorph. Will man trotzdem einmal versuchen, die Kosmologie und Anthropologie, die den verschiedenen Schulen als Tiefenstruktur zugrunde liegt, zu eruieren, so könnte man sie in den folgenden drei, höchst abstrakten, Sätzen zusammenfassen: (1) Der Mensch ist im Grunde genommen der höchste Gott; es gibt nichts, was den Menschen transzendiert. (2) Das eigentliche Selbst des Menschen, das ursprünglich im »Lichtbereich« oberhalb der sichtbaren und materiellen Welt existierte, ist von dort aus in diese Welt der »Finsternis« gefallen und ist jetzt hier im Gefängnis des Leibes gefangen.

Die Gnosis und der gnostische Mythos

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(3) Um dieser Gefangenschaft zu entkommen, ist es für den Menschen unentbehrlich, aus der Unwissenheit zu erwachen und zur Erkenntnis (Gnosis) über sein wahres Selbst zu gelangen. Der gnostische Mythos ist die sprachliche und erzählerische Verobjektivierung dieser Tiefenstruktur. Diese Verobjektivierung geschieht ihrerseits nicht in einem Leerraum, sondern in einem bestimmten religions-, geistesund kulturgeschichtlichen Kontext, abhängig von der jeweiligen gnostischen Schule. Jede gnostische Schule nimmt einzelne Gedanken, Motive und Vorstellungen aus ihrer Umwelt in ihren Mythos auf und organisiert sie neu. Aus dieser Kontextgebundenheit ergibt sich eine bestimmte Typologie des gnostischen Mythos. Sehr bekannt ist die dreigliedrige Typologie, die H. Jonas in seinem Buch, »Gnosis und spätantiker Geist«23 unter diesem Gesichtspunkt entwickelt hat: der syrisch-ägyptische Typ, der iranischmanichäische Typ und der Mischtyp der Mandäer. Diese Bezeichnungen sind mit Vorsicht zu gebrauchen: Der »syrischägyptische Typ« wird auch »der westliche Typ« genannt, weil Syrien und Ägypten vom Iran aus gesehen im Westen liegen, während der »iranischmanichäische Typ« »der östliche Typ« genannt wird, weil der Iran von Syrien und Ägypten aus gesehen im Osten liegt. Beide Bezeichnungen wecken den Eindruck, als ob es hier um eine geographische Unterscheidung ginge, aber dieser Eindruck täuscht. Wäre dem so, müsste der Manichäismus auch zum »syrisch-ägyptischen Typ« (dem westlichen Typ) gezählt werden, weil er sich, wie die koptisch-manichäischen Schriften zeigen, nicht nur bis nach Syrien und Ägypten verbreitet hat, sondern bis in den Westen des Mittelmeerraums, wie es aus den Schriften Augustins, der in Karthago wirkte, und aus dem von den römischen Kaisern wiederholt proklamierten Verbot des Manichäismus eindeutig hervorgeht. Warum unterscheidet H. Jonas trotzdem den »syrisch-ägyptischen Typ« (den westlichen Typ) vom »iranisch-manichäischen Typ« (den östlichen Typ)? H. Jonas unterscheidet die beiden Typen im Wesentlichen auf Grund ihrer Struktur. Im Mythos des »syrisch-ägyptischen Typs«, der unter dem Einfluss des Platonismus und der hellenistischen Philosophie steht, beginnt alles monistisch innerhalb der Welt des Lichts. Der Mythos des »iranischmanichäischen Typs« ist wegen des Einflusses des Zoroastrismus dualistisch struktuiert. Der Konflikt zwischen »Licht« und »Finsternis« steht deshalb am Anfang. Das ist der Kern von H. Jonas’ Typologie. Das vorliegende Buch folgt —————

23 H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Band I: Die mythologische Gnosis, FRLANT 51, Göttingen 1934, 31964; Band II: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie, 1. Hälfte, FRLANT 63, Göttingen 1954, 21966, 1. und 2. Hälfte, K. Rudolph (Hg.), FRLANT 159, Göttingen 1993.

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

ihr der Bequemlichkeit halber. Die Bezeichnung »syrisch-ägyptischer Typ« wird also nicht im geographischen, sondern im strukturellen Sinn gebraucht. Dass die Unterscheidung aufgrund ihrer Struktur für die beiden Typen angemessen ist, wird dieses Buch unter anderem noch nachweisen. Die Kapitel I–III werden den gnostischen Mythos des syrischägyptischen Typs, das Kapitel IV den iranisch-manichäischen zum Gegenstand der Untersuchung machen, wobei der syrisch-ägyptische Typ aus zwei Gründen den größten Platz einnimmt: erstens, weil er unser Thema, den Neid, viel ausführlicher als die anderen Typen thematisiert, und zweitens, weil im Vergleich zum iranisch-manichäischen Typ, der praktisch nur aus dem Manichäismus besteht, zum syrisch-ägyptischen Typ eine ganze Reihe verschiedener Schulen gehören, die bereits durch Irenäus von Lyon, »Gegen die Häresien« (Mitte des 2. Jh.n.Chr.)24 und Hippolyt von Rom, »Widerlegungen aller Häresien« (Anfang des 3. Jh.n.Chr.)25 bekannt waren: Zu ihnen gehören die Valentinianer (darunter auch die westliche und die östliche Schule), die Basilidianer, die Barbelo-Gnostiker, die Sethianer, die Naassener u.a. Die Amorphie und Unklarheit der historischen Konturen sind beim syrisch-ägyptischen Typ viel größer als beim iranisch-manichäischen. Dazu kommen die 1945 neu gefundenen Nag-Hammadi-Schriften. Obwohl einige von ihnen unseres Erachtens schon unter manichäischem Einfluss stehen, gehören die meisten Schriften mythologisch betrachtet zum syrischägyptischen Typ. Die Titel aller Nag-Hammadi-Traktate seien hier um der Klarheit der nachfolgenden Darlegung willen aufgelistet mit Einschluss der im seit 1896 bekannten Papyrus Berolinensis Gnosticus 8502 (abgekürzt: BG) enthaltenen Traktate. Kodex (NHC)/Traktat Titel

I,1 I,2 I,3 I,4 I,5

Das Gebet des Apostel Paulus Der Brief des Jakobus Evangelium Veritatis Der Brief an Rheginus (Die Abhandlung über die Auferstehung) Tractatus Tripartitus

II,1 II,2 II,3

Das Apokryphon des Johannes Das Evangelium nach Thomas Das Evangelium nach Philippus

—————

24 Irenäus von Lyon, Adversus haereses/Gegen die Häresien I-V, Griechisch-LateinischDeutsch, übers. v. N. Brox, FC 8, Freiburg i.Br. 1993–2001. 25 Deutsche Übersetzung: G.K. Preysing, BKV 40, München 1922.

Die Gnosis und der gnostische Mythos

II,4 II,5 II,6 II,7

Die Hypostase der Archonten Vom Ursprung der Welt Die Erzählung über die Seele Das Buch des Thomas

III,1 III,2

Das Apokryphon des Johannes Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes (Das ägyptische Evangelium) Eugnostos Die Weisheit Jesu Christi (Die Sophia Jesu Christi) Der Dialog des Erlösers

III,3 III,4 III,5 IV,1 IV,2

Das Apokryphon des Johannes Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes (Das ägyptische Evangelium)

V,1 V,2 V,3 V,4 V,5

Eugnostos Die Apokalypse des Paulus Die (erste) Apokalypse des Jakobus Die (zweite) Apokalypse des Jakobus Die Apokalypse des Adam

VI,1 VI,2 VI,3 VI,4 VI,5 VI,6 VI,7 VI,8

Die Taten des Petrus und der zwölf Apostel Die BrontƝ – Vollkommener Verstand Authentikos Logos Das Verständnis unserer großen Kraft Platon, Politeia 588A–589B Über die Achtheit und Neunheit Ein (hermetisches) Dankgebet Asklepios

VII,1 VII,2 VII,3 VII,4 VII,5

Die Paraphrase des SƝem Der zweite Logos des großen Seth Die Apokalypse des Petrus Die Lehren des Silvanus Die drei Stelen des Seth

VIII,1 VIII,2

Zostrianus Der Brief des Petrus an Philippus

IX,1 IX,2

Melchisedek Die Ode über Norea

41

42

Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

IX,3

Das Zeugnis der Wahrheit

X,1

Marsanes

XI,1 XI,2 XI,2a XI,2b XI,2c XI,2d XI,2e XI,3 XI,4

Die Auslegung der Erkenntnis Valentinianische Abhandlung Gebet zur Salbung Lehrstück zur Ersten Taufe Weiteres zur Taufe Gebet zur Eucharistie Gebet zur Eucharistie Allogenes Hypsiphrone

XII,1 XII,2 XII,3

Die Sextussprüche Evangelium Veritatis (Fragment) Fragment

XIII,1 XIII,2

Die dreigestaltige Protennoia Vom Ursprung der Welt (Fragment)

BG,1 BG,2 BG,3 BG,4

Das Evangelium nach Maria Das Apokryphon des Johannes Die Weisheit Jesu Christi (Die Sophia Jesu Christi) Die Tat des Petrus

Die dem syrisch-ägyptischen Typ zugehörigen Mythen sind so vielfältig, dass wir bei der Analyse der aus ihnen gesammelten Aussagen über den Neid nicht jeden einzelnen Mythos nacherzählen können. Wir werden vielmehr zu einer Art idealtypischer Analyse und Darlegung gezwungen. Das heißt konkret: Wir stellen zuerst den Idealtypus des gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs vor und entnehmen ihm einige Hauptmotive (Topoi/Loci). Die aus verschiedenen Texten gesammlten Aussagen über den Neid werden wir dann so analysieren, dass wir sie jeweils einem bestimmten Hauptmotiv zuweisen werden. Fürs Erste lässt sich die Tiefenstruktur des gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs folgendermaßen zusammenfassen: Mitten im Pleroma, das voll von göttlichen Wesen (Äonen) ist, entsteht ein Bruch. Dieser führt weiter zur Entstehung des Schöpfergottes im Bereich der »Finsternis«. Durch ihn wird das sichtbare All geschaffen und in ihm der Mensch als ein Wesen, das aus Seele und Fleischkörper besteht. Schließlich kommt ein Funke des göttlichen Lichts in den seelischen und

Die Gnosis und der gnostische Mythos

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fleischlichen Menschen hinein und wohnt in ihm, ohne dass der Schöpfergott dies bemerkt. Das gehört zur Strategie der Welt des Lichts, die nun den verloren gegangenen Lichtteil zurückholen und den Bruch restaurieren will. Das Heil des einzelnen Menschen (Gnostikers) besteht darin, sein wahres, der Welt des Lichts zugehöriges, Selbst zu erkennen, ihm entsprechend zu leben und nach dem leiblichen Tod durch den vom Schöpfergott beherrschten Bereich hindurch in die ultramundane Welt des Lichts zurückzukehren. Das Apokryphon des Johannes (NHC II,1, III,1; IV,1; BG,2) gilt nach der opinio communis der Forschung als Idealtypus. Es lässt diese Tiefenstruktur in der Erzählhandlung und auf der Textoberfläche am deutlichsten erkennen. Das sei hier in groben Zügen vorgestellt. »Apokryphon« bedeutet »das Verborgene«. In der Tat erscheint am Anfang dieser Schrift Jesus Christus, der Auferstandene, dem Johannes, einem der zwölf Apostel, und belehrt ihn im Geheimen. Dementsprechend zeigt sich Jesus Christus am Schluss der Schrift wieder Johannes und warnt ihn davor, weiterzugeben, worüber er ihn belehrt hat. Der Inhalt der geheimen Belehrung Jesu Christi, die durch diese beiden Szenen gerahmt wird, findet sich im Mythos, wobei festzustellen ist, dass im Mythos zwar der Name »Christus« und sein kurzer Dialog mit Johannes vorkommen, dass aber beide für die Erzählhandlung des Mythos deutlich sekundär sind. Nach der opinio communis der Forschung wurden die Rahmendialoge durch eine sekundäre christliche Redaktion verfasst. Dem uns vorliegenden, christlich überarbeiteten Apokryphon des Johannes muss deshalb eine Grundschrift vorgelegen haben, die ursprünglich, vom Christentum unabhängig, wohl im Bereich des hellenistischen Judentums entstanden war. Der Mythos ist deshalb von der hellenistischen Schulphilosophie vom Platonismus und Stoizismus, und vom jüdischen Monotheismus geprägt. Die Grundschrift entstand wahrscheinlich um die Mitte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. Sie kam aber im Laufe der Zeit mit dem Christentum in Berührung und wurde christlich überabeitet. Daraus enstand das Apokryphon des Johannes in seiner uns vorliegenden Gestalt. Der Mythos der Grundschrift entwickelt sich der Vertikalachse entlang, von oben nach unten. An ihrer Spitze steht der höchste Gott allein. Ganz unten in der Tiefe liegt ein Abgrund voll vom Wasser der Finsternis. Der Mythos spricht aber nicht von Anfang an davon, sondern erst, als die Erzählung schon ziemlich fortgeschritten ist, und auch dann nur nebenbei, so dass die Leserinnen und Leser des Mythos sein Vorhandensein kaum ernst nehmen. Auf jeden Fall hat der Abgrund keine prinzipielle Bedeutung. Der höchste Gott steht im Bereich des Lichts, der die sichtbare Welt einschließlich der Gestirne transzendiert. Von der Entstehung der sichtbaren und materiellen Welt ist erst sehr viel später die Rede. Der Mythos entfaltet zuerst ausführlich die sogenannte Negative Theologie, indem er unzählige negative Adjektive aufeinander folgen lässt: »un-

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

sichtbar«, »nicht mit Namen nennbar«, »nicht mit der Hand berührbar«, »unmessbar«, »nicht zeitlich begrenzt«, »weder männlich noch weiblich« usw. Eine Ausnahme ist die positive Bezeichnung »der erste Mensch«, die dem höchsten Gott als Beiname beigelegt wird. Das wird allerdings nicht immer deutlich ausgedrückt. Die Art und Weise der Aussage ist unterschiedlich je nach Kodex. Trotzdem ist es unübersehbar, dass der höchste Gott nichts anderes als ein Mensch ist. Die Erzählhandlung bringt so den ersten Grundsatz der Gnosis zum Ausdruck, dass der Mensch im Grunde genommen der höchste Gott ist. Als Erstes spiegelt sich der höchste Gott in der ihn umgebenden Lichtquelle. Er schaut sein eigenes Spiegelbild an, was uns an den NarzissMythos erinnert. Gleichzeitig haben wir es hier mit der mythologischen Darstellung einer Idee zu tun, die die antike Philosophie von Aristoteles bis zum Mittelplatonismus durchzieht: Die höchste Vernunft (Denkkraft) macht sich selbst zum Gegenstand ihres Nachdenkens. Begrifflich ausgedrückt beginnt der höchste Gott sich selbst in Subjekt und Objekt auszudifferenzieren. Das Spiegelbild fließt dann von der Lichtquelle weg und verselbständigt sich zu einem Gottwesen namens »Barbelo«. Barbelo ist ein(e) Doppelgänger(in) des höchsten Gottes, ist deshalb genauso wie dieser androgyn, erscheint allerdings genauer genommen eher weiblich als männlich. Der Name »Barbelo« wird bewusst dem Jargon entlehnt und ist deshalb sprachlich nicht genau erklärbar. Nun schaut Barbelo den höchsten Gott an und bittet ihn, weitere Gottwesen entstehen zu lassen. Der höchste Gott, auch »der unsichtbare jungfräuliche Geist« genannt, ist einverstanden. Sofort realisiert sich sein Wille. Dieser Ablauf in drei Schritten wird mehrmals wiederholt. So entstehen zuerst die vier weiblichen Gottwesen, »die erste Erkenntnis«, »die Unvergänglichkeit«, »das ewige Leben« und »die Wahrheit« als Emanation des höchsten Gottes, anschließend die vier männlichen Gottwesen, »der eingeborene Sohn« (mit dem Beinamen »Christus«), »die Vernunft«, »der Wille« und »das Wort«. Obwohl es im Text nicht ganz eindeutig gesagt wird, kann man wohl vermuten, dass die vier weiblichen und die vier männlichen Gottwesen jeweils ein »Paar« bilden. Sie alle sind Gottwesen, aber im Unterschied zum höchsten Gott und Barbelo geschlechtliche Wesen. Darum sind sie weniger göttlich. Anschließend entstehen noch zahlreiche andere, niedrigere, ebenfalls geschlechtliche Gottwesen im Bereich des Lichts. Das niedrigste dieser Gottwesen ist »Sophia« (Weisheit), eine weibliche Gottheit. Sophia macht dann einen Fehler: Obwohl sie keinen männlichen Partner hat, hat sie große Lust, den höchsten Gott zu »erkennen«. Ihre unangemessene Lust wird nicht erfüllt. Aber Sophia ist immerhin ein Gottwesen. Insofern kann ihre einmal gehegte Lust nicht ganz gestaltlos bleiben. So wird sie gleichsam von sich selbst schwanger und gebiert eine Missgeburt na-

Die Gnosis und der gnostische Mythos

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mens Jaldabaoth. Erschrocken wegen seines grotesken Aussehens wickelt Sophia ihn in Wolken ein und wirft ihn hinab, damit die anderen Gottwesen ihn nicht erblicken. Der hinunter geworfene Jaldabaoth, der noch nichts von seiner eigenen Herkunft weiß, stellt mitten in den Wolken seinen Thron auf, setzt sich darauf und schickt sich an, sich einen Herrschaftsbereich zu erschaffen. Dabei handelt es sich hier gleichsam um die Schöpfung einer »Mittelwelt«, denn es gibt auf der einen Seite, über ihm, ja schon die Welt des Lichts, von der er allerdings noch nichts weiß, und auf der anderen Seite kommt die Erzählung später darauf zu sprechen, dass weiter unten in der Tiefe die materiell-irdische Welt entsteht. In der Mittelwelt werden nun nacheinander verschiedene, Jaldabaoth untertane Mächte erschaffen, die in Wirklichkeit die sieben Planeten und der Tierkreis sind, denn Jadabaoths Mittelwelt ist identisch mit dem Makrokosmos der hellenistischen Astronomie. Den sieben Planeten und dem ganzen Tierkreis werden jedoch unverständliche Namen, die dem Jargon entlehnt sind, gegeben wie »Athoth«, »Harmas«, »Asthaphaios«, »Kalila Oumbli«, »Abiressia«, »Harmoupiael«, »Belias« u.a. Sie werden auf diese Weise dämonisiert. Nachdem er alle ihm untertanen Mächte beisammen hat, proklamiert Jaldabaoth, der oberste Herrscher (Archon), der immer noch nichts von der oberen Welt des Lichts weiß: »Ich bin ein neidischer (eifersüchtiger) Gott. Außer mir gibt es keinen Gott.« Dies ist eindeutig eine Kombination der beiden oben angeführten Formeln aus dem Alten Testament.26 Mit Jaldaoabth ist also kein anderer als Jahwe, der Gott des Alten Testaments, gemeint. Den jüdischen Monotheismus und Schöpfungsglauben kann man kaum radikaler provozieren. Jaldabaoth wohnt als Sohn der Sophia immerhin ein Funke der Göttlichkeit, »die Lichtkraft«, inne. Von der Welt des Lichts aus betrachtet bedeutet dieser Funke, dass durch den Fehltritt der Sophia ein Teil des Lichts in der Unterwelt verlorengegangen ist. Deswegen schickt sich die Welt des Lichts nun an, den verlorenen Teil des Lichts zurückzuholen. Zu diesem Zweck offenbart der höchste Gott sein leuchtendes »Bild« auf dem Wasser der Finsternis im Abgrund, der ganz tief unten liegt. Nun hat der höchste Gott, wie schon bemerkt, den Beinamen »der erste Mensch«. Deshalb müssen wir uns vor Augen halten, dass sein »Bild« hier eine menschliche Gestalt hat! Jaldabaoth und seine Mächte erschaffen nun in ihrer Mittelwelt einen Menschen nach dem Bild, das sie unten im Wasser der Finsternis gesehen haben, während sie immer noch nichts von der oberen Welt des Lichts wissen. Sie wollen deshalb auch das Bild beherrschen. Das ist eine gnostische Parodie von Gen 1,26: »Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.« Genau mit diesen Worten habe Jaldabaoth seinen Mächten die ————— 26

Vgl. die Texte (6)–(11) und (12)–(15) in Abs.1.

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

Erschaffung des Menschen vorgeschlagen. Der so von ihnen erschaffene Mensch, dem jeder von ihnen eine seiner Fähigkeiten schenkt, kann nicht aufstehen. Er hat außerdem noch keinen fleischlichen Leib. Erst später wird der Mensch ins Gefängnis des Leibes eingesperrt werden. Deshalb nennen wir den Menschen an dieser Stelle den »psychischen Menschen«. In diesem Augenblick erscheint aus der Welt des Lichts »der eingeborene Sohn« (auch »Autogenes«, d.h. »der selbst Geborene«, und »Christus« genannt) mit vier Begleitern. Sie haben sich als Jaldabaoths Mächte verkleidet und schlagen ihm vor: »Blase deinen Hauch in die Nase des Menschen. So wird er aufstehen.« Das ist klar wieder eine gnostische Parodie, diesmal von Gen 2,7: »Da formte Gott, Jahwe, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.« Jaldabaoth lässt sich täuschen und tut es. In dem Augenblick wird er der »Lichtkraft« beraubt, die in ihm wohnt, ohne dass er es weiss. Zusammen mit dem Hauch geht sie in den psychischen Menschen über. Dieser steht sofort auf und wird riesig groß, so dass Jaldabaoth und seine Mächte zu ihm hinaufblicken müssen. Der psychische Mensch, der erste Mensch, Adam, beginnt zu leuchten, sein Licht ist blendend. Als Jaldabaoth das sieht, ist er ganz bestürzt und beneidet Adam. Jaldabaoth und seine Mächte nehmen den psychischen Menschen gefangen und schleppen ihn hinunter, um ihn ins »Paradies« in der Welt der Finsternis einzusperren. Von diesem Punkt an spielt sich alles Weitere nicht mehr in der Mittelwelt ab, sondern in der darunter liegenden Welt der Materie. Dort bedecken Jaldabaoth und seine Mächte den psychischen Menschen mit Fleisch. Sie lassen ihn schlafen, schaffen aus ihm ein Weib und belehren beide über den Zeugungsakt. Das hat zum Zweck, die Zahl der Menschen zu vermehren und dadurch die »Lichtkraft« zu zerstreuen, damit es für die Welt des Lichts schwieriger wird, sie wieder zu sammeln. Auf diese Weise hat der Mensch als Erstes aus der Mittelwelt den psychischen Teil, als Zweites aus der Welt des Lichts einen Funken der »Lichtkraft« und als Drittes aus der Welt der Finsternis den materiellen, fleischlichen Leib bekommen. So ist er ein dreiteiliges Wesen. Seine Dreiteiligkeit entspricht dem Makrokosmos, der, von oben nach unten, auch aus diesen drei Bereichen, der Welt des Lichts, der Mitte und der Finsternis, besteht. Die folgende Figur stellt die Parallelität von Mikrokosmos (Mensch) und Makrokosmos schematisch dar:

Die Gnosis und der gnostische Mythos

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Der äußerste weiße Kreis stellt die ultramundane Welt des Lichts dar, der dicke schwarze Kreis den achten Himmel und der Fixstern den Sitzplatz Jaldabaoths, der innere hellgraue Teil die Mittelwelt (der Reihe nach, von oben nach unten, den siebenten bis zum ersten Planetenhimmel) und schließlich der dunkelgraue Kreis mit dem menschlichen Leib die Welt der Materie und des Fleisches. Der kleine weiße Kreis ganz in der Mitte soll zeigen, dass dem Menschen ein Funke des Lichts innewohnt. Auch andere hellenistische Philosophien, vor allem die stoische, sehen Mikrokosmos und den Makrokosmos parallel. Beide bestehen in diesen Philosophien aber nur aus zwei Teilen, Seele und Leib, in der obigen Figur wären dies der hellgraue und der dunkelgraue Teil innerhalb des dicken schwarzen Kreises. Für die Stoiker gibt es außerhalb des dicken schwarzen Kreises buchstäblich »nichts«. Alles ist im Kreis eingeschlossen. Der gnostische Mythos fügt dagegen den äußersten, hellen Kreis für die Welt des Lichts als transzendentes Prinzip neu dazu und baut das Ganze in eine dreistufige Struktur um. Soviel zur Anthropologie und Kosmologie, wie sie der Mythos des Apokryphon des Johannes in Abgrenzung gegen das Alte Testament auf der

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

einen Seite und gegen die hellenistischen Philosophien auf der anderen Seite zum Ausdruck bringt. Das Heil der einzelnen Menschen (der Gnostiker) wird in der Erkenntnis (Gnosis) des göttlichen Wesens, das in jedem wohnt, und im Auszug aus dieser Welt gesucht. Die sichtbare materielle Welt und ihre Geschichte sind ein Gefängnis. Sie sollen am kommenden Ende des Alls zusammen mit der individuellen Persönlichkeit des Menschen aufgelöst werden.

5. Methodologisches: Zur »historischen Religionspsychologie« Zur »historischen Religionspsychologie« Es ist angebracht, am Schluss dieses einleitenden Kapitels auch ein paar Worte über das methodische Vorgehen dieses Buches zu verlieren. Dabei muss das neue Werk von G. Theißen, »Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums« 27 erwähnt werden. Die Fragestellung des vorliegen Buches geht auf einen Vortrag zurück, den ich während des von G. Theißen im Zusammenhang mit dem genannten Werk durchgeführten internationalen Symposiums in Heidelberg (4.–6. Oktober 2006) unter dem Titel »Psychologie der urchristlichen Religion« gehalten habe.28 G. Theißens Werk ist sehr umfangreich und hat nicht nur das Neue Testament, sondern auch die nachneutestamentlichen Schriften von den apostolischen Vätern bis zu den gnostischen Texten zum Gegenstand seiner Untersuchung. Er behandelt die gnostischen Texte sehr eingehend, im Unterschied zu den meisten Neutestamentlern, die sie üblicherweise nur im Anhang erwähnen. G. Theißen vertritt die Ansicht, dass die prophetische Religiosität und der ethische Radikalismus der Jesusbewegung zu dessen Lebzeiten erst aufgrund und in Verbindung mit der mystischen Religiosität der Gnosis auch später weiterbestehen konnten. Methodologisch definiert G. Theißen seine Position als »Historische Psychologie«, genauer genommen, als speziell auf Religion angewandte »historische Religionspsychologie«, die er in Gegenüberstellung zur Experimentalpsychologie genauer umreißt. Die Unterscheidung zwischen Historischer Psychologie und Experimentalpsychologie geht nach G. Theißen auf W. Wundt (1832–1920) zurück. W. Wundt war einerseits Begründer der Experimentalpsychologie. Er war aber andererseits auch überzeugt, dass man mit Experimenten nur momentane Prozesse des seelischen Lebens erfassen kann. Alle höheren Erscheinungen wie Ethos und Religion waren für ihn ————— 27

S. o. Einführung, Anm.1. Der Vortrag liegt jetzt gedruckt vor: T. Onuki, Der Neid in der Gnosis, in: G. Theißen/P. von Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erfoschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007, 321–342. 28

Zur »historischen Religionspsychologie«

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Gegenstand der »Historischen Psychologie«. G. Theißen schließt sich, forschungsgeschichtlich gesehen, an diese »Historischen Psychologie« W. Wundts an. Er stellt dabei fest, dass sich die »Historische Psychologie« und die Experimentalpsychologie methodisch an zwei Punkten grundsätzlich voneinander unterscheiden: Die Experimentalpsychologie sammelt empirische Daten, die es ihr erlauben, »Gesetzmäßigkeiten« zu erkennen und Erscheinungen zu »erklären«. Für die Historische Psychologie aber ist es unmöglich, Menschen der Vergangenheit zu interviewen oder mit ihnen Experimente und Messungen durchzuführen. Sie kann also keine empirischen Daten sammeln, sondern ist auf die nachträgliche Interpretation zufällig erhaltener Quellen angewiesen. Dadurch wird ihre Methodik notwendig zu einer hermeneutischen. In dieser Hinsicht kommt sie der Psychoanalyse nahe, die Träume, Mythen, Riten u.a. interpretiert. Die Psychoanalyse kann im Unterschied zur Historischen Psychologie jedoch auch auf empirische Daten zurückgreifen. Insofern ist die Grenze zur Empirie für die Historische Psychologie schärfer als für die Psychoanalyse. Außerdem bemüht sich die Historische Psychologie nicht darum, aus Experimenten und empirischen Daten Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und sie zu »erklären«. Vielmehr bemüht sie sich darum, aus den historischen Quellen die Bedeutung des menschlichen Erlebens und Verhaltens der Vergangenheit zu eruieren und sie im Kontext der geschichtlich und kuturell bedingten Regeln verständlich zu machen. Die Historische Psychologie ist in diesem Sinne »kontextuell« und ihre Methode ist »ideographisch«. Konkret heißt das, dass sie Ereignisse und Zustände chronologisch ordnet und dadurch ihren Sinn »erklärt«. Die »Erklärung« wird hier zu einer narrativen. G. Theißen meint, dass die Experimentalpsychologie und die Historische Psychologie trotz dieser Unterschiede voneinander lernen können. Es ist heute an der Zeit, beide einander wieder näher zu bringen. Sie können voneinander lernen. So hat die empirische Psychologie durch viele Experimente die Geschichtlichkeit unseres Lebens herausgearbeitet, indem sie z.B. den Anteil des Erlernten und Kulturellen selbst bei elementaren Vorgängen wie dem Ausdruck von Gefühlen bestimmt hat. Gleichzeitig stieß sie auf vorkulturelle Gegebenheiten, die wir auch in der Vergangenheit voraussetzen dürfen und die einen allgemeinen Möglichkeitsraum eröffnen, innerhalb dessen sich menschliches Leben bewegt.29

Hat die empirische Psychologie nachgewiesen, dass unser seelisches Leben mit dem Erlernten und Kulturellen zusammenhängt, so kann die Historische Psychologie selbstverständlich davon Gebrauch machen. Beweist die empirische Psychologie umgekehrt durch Experimente, dass unser seelisches Leben von Faktoren bestimmt ist, die von Kultur und vom Erlernen unab————— 29

G. Theißen, Erleben und Verhalten 18.

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

hängig sind, so kann die Historische Psychologie auch davon Gebrauch machen, da diese Faktoren notwendigerweise das Erleben und Verhalten der Menschen in der Vergangenheit bestimmt haben. G. Theißen spricht dann von »historischer Religionspsychologie«, wenn die Historische Psychologie, die so mit der heutigen empirischen Psychologie im Dialog steht, auf die Erforschung der Religion angewandt wird. So ist seine Methodik am genauesten beschrieben. Auf der anderen Seite ist heutzutage in der westlichen Geschichtswissenschaft, vor allem im Gebiet der Erforschung der Antike und des Mittelalters, die sogenannte »mentalitätsgeschichtliche« Forschung vorherrschend. Ihr Einfluss ist auch in Japan deutlich zu spüren. Die »Mentalität« bezeichnet dabei kollektive Einstellungen und Gefühle der Menschen. Für G. Theißen geht die historische Religionspsychologie über die Mentalitätsgeschichte hinaus und zwar aus vier Gründen: Erstens verdient es die Religion, dass man sie zu einem eigenen Thema macht, während ihre Besonderheit nicht wahrgenommen wird, wenn sie nur als Teil einer »allgemeinen Mentalität« behandelt wird. Zweitens behauptet die historische Religionspsychologie, dass auch individuelles Erleben und Verhalten relevant ist. Charismatiker wie Johannes der Täufer, Jesus und Paulus haben nicht nur kolletive Verhaltens- und Erlebnismuster ihrer Zeit übernommen, sondern ihrerseits prägend auf sie eingewirkt. Drittens sind auch Gedanken und Ideen Gegenstand der historischen Religionspsychologie, während sich Mentalitätsgeschichte vor allem auf halbbewusste Gefühle und Einstellungen konzentriert. Viertens gestaltet die Religion nicht nur die Kultur, sondern akualisiert auch biopsychische Möglichkeiten des Menschen, die bisher verschüttet geblieben sind. G. Theißen meint, dass diese vier Aspekte in der allgemeinen Methodik der Mentalitätsgeschichte nicht gebührend beachtet werden können, und stellt folgende These auf: Religionspsychologie ist daher mehr als Geschichte religiöser Mentalitäten, aber sie ist weniger als historische Anthropologie, zu der auch Sozial-, Wirtschafts-, Literatur-, und Kulturgeschichte gehören. Das spezifisch psychologische Interesse besteht darin, nach der subjektiven Bedeutung der untersuchten Phänomene zu fragen: »Die Psychologie sollte analysieren, was ein bestimmtes Verhalten für den Akteur bedeutet und wie diese Bedeutung zu Stande kommt.« Die Frage nach der Bedeutungskonstitution ist in der Bestimmung der Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten enthalten.30

Hier wird erkennbar, dass der Gegenstand der »historischen Religionspsychologie« nicht mehr die »Psyche« (Seele) des Menschen im engeren Sinne, sondern sein ganzes Erleben und Verhalten ist. So wie die heutige empirische Psychologie eine Wissenschaft des menschlichen Erlebens und Verhal————— 30

G. Theißen, ebd., 21. Hervorhebung von Onuki.

Zur »historischen Religionspsychologie«

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tens ist, ist es auch die »historische Religionspsychologie«. Ihre Hauptaufgabe besteht konkret darin, den Sinn, den der Mensch als Akteur mit seinem eigenen Erleben und Verhalten verbindet, und dessen Konstitutionsprozess zu analysieren und dadurch sein Erleben und Verhalten im historischen Kontext verständlich zu machen. G. Theißen bezeichnet die so verstandene »historische Religionspsychologie« als bisher vernachläßigtes Randgebiet der Forschung, das es jetzt zu erschließen gilt. Er vermutet selber, dass nicht wenige Einwände gegen seine neue Methodik geäußert werden und nennt die fünf wichtigsten, um sie jeweils im Voraus sorgfältig zu widerlegen. Wir brauchen hier seine Argumention nicht in allen Einzelheiten wiederzugeben. Für unseren eigenen Versuch, den gnostischen Mythos vom Aspekt des Neides her zu analysieren, treffen alle Einwände offensichtlich daneben. Der Verdacht des Defizits der Quellen ist dadurch widerlegt, dass der gnostische Mythos viele Schriften produziert hat und dadurch eine unwahrscheinlich große Schatzkammer für die psychologische – vor allem tiefenpsychologische – Analyse ist. Es sei hier nur an C.G. Jung erinnert. Gegen den Verdacht der textwissenschaflichen Naivität sei hier nur ein Gegenbeweis vorgelegt: Die Offenbarung, die dem Mythos zufolge von der Welt des Lichts her kommt, kommt auf der Ebene der Kommunikation zwischen dem Erzähler des Mythos und seinen Leserinnen und Lesern gerade durch den Text des Mythos selbst zu denselben. Hier kann man von einem Parallelismus zwischen der innertextlichen Erzählhandlung des Mythos und dem außertextlichen Leseakt sprechen. Welche psychologische Wirkung übt der Text dabei auf die Leserinnen und Leser aus? Gerade diese Frage versucht das vorliegende Buch in Kapitel III, Abschnitt 4 zu beantworten. Sowohl der Verdacht des Anachronismus als auch der Verdacht des Reduktionismus erweisen sich als unbegründet, nimmt man einmal die rege Diskussion der hellenistischen Schulphilosophen über die Affekte zur Kenntnis. Mit dem Verdacht der Trivialität verhält es sich ebenso. Die heutige Religionswissenschaft, sagt G. Theißen, folgt allzu gerne der Mode der »cultural studies« und schätzt religiöse oder mystische Erlebnisse sehr gering ein. Auch die traditionelle kirchliche Theologie ist a priori skeptisch gegenüber jedem religiösen Erlebnis, das nichts mit dem »Wort Gottes« (K. Barth) zu tun hat. Für sie muss unser Versuch, den gnostischen Mythos und in ihm ausgerechnet den »Neid«, zum Thema zu machen, noch fraglicher sein. Auch die historisch-kritische Bibelexegese muss vom alten Vorurteil befreit werden, das jegliche psychologische Exegese für verdächtig hielt. Freilich muss die Art der Interpretation nach wie vor zurückgewiesen werden, die sich einfach in die personae dramatis einfühlt und die Leerstellen bezüglich ihrer Gefühle selber ausfüllt – bekanntlich ist die biblische Erzählung voll von solchen Leerstellen, wie es E. Auerbach, »Mimesis« (1.Aufl. 1946) ausge-

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Poetik und Philosophie des Neides in der Antike

zeichnet nachgewiesen hat. Wie aber steht es mit der Forschung, die im Rahmen der alt- und neutestamentlichen »Ethik« oder »Anthropologie« zu den Themen »Geist«, »Psyche«, »Fleisch«, »Leib«, »Freude«, »Zorn«, »Trauer« usw. schon über lange Zeit geleistet worden ist? Ist sie nicht auch eine Art »psychologische« Forschung? Ein psychologischer Bezug ist auch bei den jetzt immer zahlreicher werdenden Forschungen mit »pragmatischem« Ansatz offensichtlich, die einerseits an die antike Tradition der Rhetorik, andererseits an die »linguistische Wende« der gegenwärtigen Philosophie anschließen. Gerade die pragmatische Wirkung auf den Leser oder Zuhörer war schon immer ein wesentlicher Teil der Affektlehre seit Aristoteles’ »Rhetorik«. Es liegt auf der Hand, wie haltlos das lehrbuchmäßige moderne Vorurteil ist, das die Psychologie für die Bibelexegese tabuisiert hat. Die gegenwärtige Bibelwissenschaft ist schon längst darüber hinausgewachsen. Das vorliegende Buch geht in aller Ruhe seinen eigenen Weg. Im nächsten Kapitel II wird es konsequent philologisch anhand verschiedener gnostischer Texte Aussagen über den Neid sammeln und die mythologische Rolle, die sie in den Hauptszenen des gnostischen Mythos spielen, herausarbeiten. Erst im darauf folgenden Kapitel III werden wir versuchen, sie zu entmythologisieren. Unsere Entmythologisierung nähert sich teilweise der existentialen und tiefenpsychologischen Interpretation, bringt aber die vielfältigen Theorien der gegenwärtigen Psychologie, mit denen G. Theißen ständig im Dialog ist, nicht zur Anwendung, da der Autor dieses Buches darüber einfach nicht genügend informiert ist. In Kapitel IV und V wird allerdings versucht, den subjektiven Sinn, den die Gnostiker mit den Aussagen über den Neid in ihrem jeweiligen Mythos verbunden haben, in seinem politischen und kulturellen Kontext verständlich zu machen. Damit entsprechen wir dem Kernpunkt der »historischen Religionspsychologie«, wie wir sie oben umrissen haben. In diesem Aspekt stimme ich dieser neuen Methodik gerne zu, denn ihr Hauptanliegen scheint mir, trotz anderer Wortwahl, im Wesentlichen identisch zu sein mit meiner eigenen methodischen Position, die ich 2006 folgendermaßen umrissen habe: In dieser Hinsicht folgt das vorliegende Buch der Methode der verstehenden Soziologie Max Webers. Sein Name wird leider im Bereich der neueren Sozialwissenschaften nur noch selten genannt. Aber für das vorliegende Buch, das ein neues Licht auf Worte, Taten und Tod Jesu als eines historischen Individuums werfen will, bleibt die Methode Max Webers, die bei der Analyse des sozialen Verhaltens eines bestimmten Individuums ansetzt, um den inneren Sinn, den es mit diesem verbindet, zu verstehen und diesen in einem weiteren Schritt in den (historischen) Kausalnexus des sozialen Verhaltens einzugliedern, die am besten geeignete Mehode.31

————— 31

T. Onuki, Jesus. Geschichte und Gegenwart, 19f (mit Ergänzung in Klammer).

Kapitel II. Der Neid in gnostischen Mythen Der Neid in gnostischen Mythen Negative Theologie und Theogonie

1. Negative Theologie und Theogonie Gnostische Mythen beginnt meistens mit der Feststellung, dass es einen Gott gibt, den es nicht gibt. Mit diesem Paradox drückt der Erzähler des jeweiligen Mythos aus, dass der höchste Gott ein absolut transzendentes Wesen ist. Menschliche Ausdrucksmöglichkeiten reichen nicht aus, um diesen Gott zu beschreiben, die traditionellen Formulierungen der verschiedenen Religionen und philosophischen Schulen ebensowenig wie die Versuche der Gnostiker selber. Deutlicher Ausdruck des Dilemmas, etwas beschreiben zu müssen, das nicht beschrieben werden kann, ist die negative Theologie, die am Anfang des Mythos entfaltet wird. Ein negatives Adjektiv folgt dem andern, ermüdend und scheinbar endlos. Zu den repräsentativen Texten gehören das Apokryphon des Johannes BG 22,16–25,9 par., Tractatus Tripartitus NHC I 52,6–54,40, und die Weisheit Jesu Christi NHC III 94,14–95,18par.1 Für unser Vorhaben genügt es, den wichtigsten Teil des ersten Textes zu lesen.2

§ 1 Das Apokryphon des Johannes BG 22,16–24,6 par. [Die Einheit], da sie der einzige Ursprung, über dem [kein] anderer Ursprung [existiert, ist] Gott [und] Vaters des Alls, [der] Heilige, der Unsichtbare, der über dem All [ist], der [als] seine Unvergänglichkeit existiert, als reines Licht, in das kein Auge schauen kann. Er ist der Geist. Es ist nicht richtig, ihn als einen Gott oder etwas Derartiges zu denken, denn er ist mehr als ein Gott. Er ist ein Ursprung, vor dem kein Ursprung ist, denn nichts existiert vor ihm. Auch braucht er sie (plur.3) nicht. Er braucht nicht das Leben, da er ewig ist. Er braucht nichts, da er nicht vollendet werden kann, – so dass ihm nicht etwas fehlte und er vollendet werden müsste –, sondern er ist immer ganz Vollendung. Er ist Licht.

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»BG« bezeichnet den Papyrus Berolinensis Gnosticus 8502 und »NHC« die Nag-HammadiCodices. Danach folgen die Kodexnummer in römischer Ziffer und die Seiten- und Zeilenzahl in arabischer Ziffer. »Par.« weist auf Paralletext(e) hin. Vgl. dazu die Tabelle in Kap. I, S.40ff. 2 Zur Vereinfachung der Rückverweise sind alle gnostischen Texte, die im Folgenden angeführt werden, mit § nummeriert. 3 Ergänzung von M. Waldstein in: Nag Hammadi Deutsch, 1.Band, 104.

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Der Neid in gnostischen Mythen

Er ist grenzenlos, da niemand vor ihm ist, um ihn zu begrenzen. Er ist der Unerforschliche, da niemand vor ihm ist, um ihn zu erforschen. Er ist der Unermessliche, da niemand ihn gemessen hat, so als ob er vor ihm wäre. Er ist der Unsichtbare, da niemand ihn gesehen hat. Er ist der Ewige, da er immer existiert. Er ist der Unaussprechliche, da niemand ihn erfasst, um von ihm zu sprechen. Er ist der Unnennbare, da niemand vor ihm ist, um ihm einen Namen zu geben.

Das ist nur ein kleines Beispiel einer solchen Häufung von Negationen. Erwartungsgemäß wird auch Gottes »Neidlosigkeit« (griechisch aphthonos) erwähnt. Dafür verwendet der Mythos allerdings nicht einen festen terminus technicus, sondern beschreibt sie sinngemäß. Im Apokryphon des Johannes findet sich ein typisches Beispiel: § 2 Das Apokryphon des Johannes BG 25,19–22par. Er ist der, der sich im vollkommenen Licht selbst allein anstrebt. Er wird das reine Licht, die unermessbare Größe betrachten. Er ist der Ewige als derjenige, der die Ewigkeit gibt; das Licht als derjenige, der das Licht gibt; das Leben als derjenige, der das Leben gibt; der Selige als derjenige, der die Seligkeit gibt; die Erkenntnis als derjenige, der Erkenntnis gibt; der immer Gute als derjenige, der Gutes gibt, als derjenige, der Gutes tut – nicht dadurch, dass er besitzt, sondern dadurch, dass er gibt –; das Erbarmen, das sich erbarmt; die Gnade, welche Gnade – nämlich das unermessliche Licht – gibt.

Die Missgunst, die anderen nichts von den eigenen Gütern und Werten geben will, ist, wie ich in Kapitel I gezeigt habe, eine der beiden Grundtypen des Neides. Deshalb können wir diesen Paragraphen am Anfang des Apokryphon des Johannes so deuten, dass der höchste Gott neidlos sei. Diese Aussage deutet ferner auf das Hervorkommen weiterer Gottwesen hin, die an seinen Gütern Anteil haben werden. Davon erzählt ein späterer Paragraph BG 26,15–27,8par.: Der höchste Gott spiegelt sich in der ihn umgebenden Lichtquelle und schaut sein eigenes Bild an. In dem Moment wird sein »Denken« (Ennoia) lebendig und tritt aus der Lichtquelle heraus in Erscheinung. So entsteht Barbelo. Auf Barbelos Bitte hin lässt der höchste Gott weitere niedrigere Gottwesen (Äonen) ausströmen. Hier haben wir es mit der gnostischen Theogonie zu tun. Der Tractatus Tripartitus benutzt philosophische Kategorien, um die gnostische Theogonie zu erzählen, meint aber sachlich dasselbe. Sie beginnt damit, dass der höchste Gott über sich selber nachdenkt.

Negative Theologie und Theogonie

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§ 3 Tractatus Tripartitus NHC I 54,40–55,27 Er ganz allein ist es, der sich erkennt hinsichtlich der Art seines Seins, seines Aussehens, seiner Größe und seiner Beschaffenheit. Und sofern er vermag, über sich selbst nachzudenken (noein), sich zu sehen, sich zu benennen, sich selbst zu begreifen, ist er es, der existiert als Verstand (nous) für sich selbst, als Auge für sich selbst, als Mund für sich selbst, als Gestalt (morphƝ) für sich selbst. Und er ist zugleich das, was er erkennt (noein), was er sieht, was er spricht, was er begreift.

Das Nachdenken des höchsten Gottes ist gleichsam eine Art »Embryo« in ihm. Er gebiert diesen aus sich selbst. Das beeinträchtigt aber sein eigenes Sein nicht, denn er ist »eine Quelle, die nicht schwächer wird durch das Wasser, das reichlich aus ihr quillt« (60,13–15). Die Ähnlichkeit in der Vorstellung mit der vorhin genannten Stelle im Apokryphon des Johannes (BG 26,15–27,8par.) ist offensichtlich. Der höchste Gott erleidet keinen Verlust dadurch, dass er niedrigere Gottwesen hervorbringt. Dadurch, dass er sie an seinem eigenen Sein Anteil nehmen lässt, wird er selber reicher. Die folgenden zwei Paragraphen legen dies deutlich dar: § 4 Tractatus Tripartitus NHC I 60,1–34 Sie [sc. die Äonen des Pleromas des Vaters] waren im ewigen Gedanken. Denn der Vater ist wie ein Gedanke für sie und wie ein Raum. ... [Er brachte] heraus die, die [in] ihm [waren]. Aber er bleibt, [wie] er ist, [weil er] eine Quelle [ist], die nicht schwächer wird durch das Wasser, das reichlich aus ihr quillt. Solange sie im Gedanken des Vaters waren, das heißt solange sie in der Tiefe verborgen waren, kannte die Tiefe zwar sie, sie aber vermochten ihrerseits nicht, die Tiefe, in der sie waren, zu erkennen. ... Das heißt: Sie waren zwar bei dem Vater, waren aber nicht für sich selbst da, sondern hatten ihr Sein nur wie einen Samen. Damit wird deutlich, dass sie existierten wie ein Embryo.

§ 5 Tractatus Tripartitus NHC I 53,5–20 Im eigentlichen Sinne des Wortes ist er allein der Gute, der ungezeugte Vater und der vollkommen Mangellose. Er ist nämlich derjenige, der angefüllt ist von all seinen Erzeugnissen, allen Tugenden und allem, was wertvoll ist. Und er hat etwas noch Größeres, nämlich die Neidlosigkeit, auf dass erfunden werde, wie er, der da hat, alles, was er hat, auch hingibt, ohne dass das Maß überschritten werden könnte und keinen Verlust durch das, was er gibt, erleidet, wie er reich ist an dem, was er gibt, und befriedigt ist durch das, was er schenkt.

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Der Neid in gnostischen Mythen

Die »Neidlosigkeit« im Paragraphen 5 lautet im koptischen Text »timintatboone«, d.h. »Abwesenheit des bösen Willens«. Etymologisch geht dieser Ausdruck auf dieselbe Wurzel zurück wie »das böse Auge« in Mt 20,15, von dem schon in Kapitel I, Abschnitt 2 die Rede war. Hier liegt er allerdings in negierter Form (at-) vor. Das koptische Wort bedeutet hier, wie der Kontext deutlich zeigt, die Abwesenheit der Missgunst als diejenige, die sich weigert, anderen etwas von den eigenen Gütern zu geben. Der höchste Gott ist in diesem Sinne neidlos und wird auch »der Gute« genannt. Dieselbe Neidlosigkeit des höchsten Gottes wird im nächsten Paragraphen noch deutlicher ausgedrückt. § 6 Tractatus Tripartitus NHC I 70,19–31 Alle, die dem Vater Lobpreis spenden, besitzen ihre Zeugungen ewiglich. Sie zeugen entsprechend der gegenseitigen Hilfe, wobei die Hervorbringungen grenzenlos und unermesslich sind; und es gibt keinen Neid vom Vater auf die, die aus ihm hervorgegangen sind, weil sie etwas ihm Ähnliches und Gleiches zeugen; er ist es ja, der in allen ist, zeugend und sich offenbarend.

Auch die Weisheit Jesu Christi nennt als Grund, warum der höchste Gott die anderen Gottwesen hervorbringt, seine Güte und Liebe. Zu beiden gehört die Neidlosigkeit. § 7 Die Weisheit Jesu Christi NHC III 96,19–97,12par. Der Geist, der ist, war ein Hervorbringer, der eine Kraft hat, hervorzubringen und Gestalt zu geben, damit der große Reichtum, der in ihm verborgen ist, erscheine. Wegen seiner Güte und seiner Liebe wollte er von sich selbst Früchte hervorbringen, damit er nicht nur sich selbst in seiner Güte , sondern damit andere Geister aus dem Geschlecht, das nicht wankt, Leib und Frucht, Glanz und Ehre in Unvergänglichkeit hervorbrächten dank seiner unendlichen Gnade.

Die bisher angeführten Paragraphen 2–7 stehen am Anfang des jeweiligen gnostischen Mythos. Sie erzählen von der »Vorzeit«, der Protologie, und geben inhaltlich gesehen den Grund an, warum der höchste Gott die unteren Gottwesen ins Dasein gerufen hat. Der Grund liegt in seiner Neidlosigkeit. Der höchste Gott monopolisiert das Sein nicht, sondern lässt auch die anderen Gottwesen daran teilhaben. Andere Texte sprechen zwar ebenso von der Neidlosigkeit des höchsten Gottes, meinen aber damit etwas Anderes: Gott ist neidlos in dem Sinn, dass er sich nicht weigert, sich selbst den anderen Gottwesen zu offenbaren und sie zur Erkenntnis seiner selbst zu führen. In diesen Texten wird

Negative Theologie und Theogonie

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manchmal der Schlussteil des Mythos vorweggenommen, ja darüber hinaus auch das, was nicht mehr innerhalb des Mythos erzählbar ist, sondern nur als Erwartung formuliert werden kann. Die Eschatologie kommt mit ins Spiel. § 8 Tractatus Tripartitus NHC I 61,20–62,33 Während das Kind aber in der Form eines Embryo existiert, hat es, was es braucht, auch wenn es seinen Erzeuger noch nie gesehen hat. Deswegen haben sie [sc. die Äonen] die einzige Aufgabe, nach ihm [sc. dem höchsten Gott] zu suchen, weil sie einerseits begreifen, dass er existiert, andererseits aber herausfinden wollen, was es ist, das existiert. Aber weil der Vater vollkommen gut ist, gilt: Wie er ihnen nicht ewig zugemutet hat, dass sie nur in seinem Denken existieren, sondern es ihnen auch verliehen hat, dass sie selbst existieren, so wird er es ihnen auch gnädig gewähren, dass sie erkennen, was es ist, das existiert, das heißt, den, der sich ewiglich selbst erkennt. […] wie , die hier gezeugt werden, wenn sie geboren werden, im Lichte sind, um die Eltern zu sehen, die sie gezeugt haben. Der Vater hat alles hervorgebracht, wie man ein kleines Kind hervorbringt, wie den Tropfen einer Quelle, wie die Blüte eines [Weinstocks], wie eine junge Knospe von […], die alle noch der [Ernährung], des Wachstums und der Makellosigkeit bedürfen. Er hielt sie [sc. die Erkenntnis] aber zurück für eine günstige Zeit. Er, der schon im Anfang an sie gedacht hatte, besaß sie zwar von Anfang an und sah sie, aber er verschloss sie vor denen, die zuvor aus ihm hervorgekommen waren. Nicht aus Neid geschah das, sondern damit die Äonen ihre Makellosigkeit nicht gleich im Anfang empfingen, damit sie nicht entrückt würden in die Herrlichkeit beim Vater und bei sich selbst dächten, dass sie dies (Sein) aus sich heraus hätten. Sondern wie es ihm gefallen hatte, ihnen zu gewähren, dass sie überhaupt ins Dasein kommen, ebenso wird es ihm gefallen, ihnen zu gewähren, dass sie makellos werden. Als es ihm gefiel, gab er ihnen die vollkommene Einsicht in die ihnen erwiesene Güte.

§ 9 Tractatus Tripartitus NHC I 125,27–126,9 Er legte den Mangel auf den, der in Zeiten und Fristen bleibt [sc. der Sohn als Soter], zur Ehre seines Reiches der Fülle (d.h. des Pleromas). Weil sie unwissend über ihn sind, hat sein Hervorbringen einen Grund in seinem Wohlgefallen […] von ihm. Wie der Empfang der Erkenntnis über ihn eine Offenbarung seiner Neidlosigkeit und die Offenbarung des Reichtums seiner Güte ist – das ist die zweite Herrlichkeit –, so wurde er einerseits als Ursache der Unkenntnis erfunden, andererseits als Erzeuger der Erkenntnis.

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Der Neid in gnostischen Mythen

§ 10 Evangelium Veritatis NHC I, 18,31–19,10 Was den Unbegreiflichen und Undenkbaren betrifft, den Vater, ihn, der vollkommen ist, ihn, der alles geschaffen hat, so ist alles in ihm und alles bedarf seiner. Obgleich er ihre Vollendung in sich behalten und sie ihnen, dem All, nicht gegeben hatte, war der Vater nicht neidisch (missgünstig). Was für ein Neid (Missgunst) ist es denn, der zwischen ihm und seinen Gliedern bestehen könnte? […] Vater. Er behält ihre Vollendung bei sich und gibt sie ihnen nur in der Rückkehr zu ihm, mit Erkenntnis und Vollendung. Er ist es, der alles geschaffen hat; und in ihm befindet sich alles; und alles bedurfte seiner.

Den Paragraphen 8–10 ist gemeinsam, dass der höchste Gott zwar die niedrigeren Gottwesen aus sich selbst hervorgebracht hat, sich selbst aber ihnen zunächst nicht erschlossen hat. Das ist jedoch nicht aus Neid (Missgunst) geschehen, sondern auf Grund eines weitsichtigen, ja gleichsam pädagogischen Plans. Hätten die unteren Äonen von Anfang an die vollkommene Erkenntnis des Vaters erhalten, wären sie hochmütig geworden. Um das zu vermeiden, werden sie zuerst der Welt der Finsternis, der Unkenntnis und des Mangels ausgesetzt. Erst nachher können sie wieder zum höchsten Gott zurückkommen. Erst nach der Rückkehr werden sie »vollendet« werden. Wann geschieht diese Vollendung? Zunächst dann, sagt der Mythos, wenn der höchste Gott einen Offenbarer aus der Welt des Lichts zum Lichtfunken schickt, der im irdischen Menschen Adam eingesperrt ist. Auf diesen Topos kommen wir in Abschnitt 5 dieses Kapitels »Das Kommen des Offenbarers« eingehender zu sprechen. Durch diese Offenbarung gibt sich der höchste Gott dem ersten Menschen und damit auch den Gnostikern zu erkennen. Darin zeigt sich seine Neidlosigkeit. Das ist die Pointe der drei Paragraphen 8–10. Der kursiv gesetzte Teil im Paragraphen 8 aber erwähnt diese Neidlosigkeit, von der gemäß der Erzählperspektive des Mythos erst sehr viel später die Rede sein soll, schon am Anfang in ein und demselben Satz neben der Neidlosigkeit, die der höchste Gott beim Hervorbringen der unteren Äonen zeigt. Im ersten Teil des Satzes: »Aber weil der Vater vollkommen gut ist, gilt: Wie er ihnen nicht ewig zugemutet hat, dass sie nur in seinem Denken existieren, sondern es ihnen auch verliehen hat, dass sie selbst existieren« – handelt es sich um die Theogonie im Rahmen der Protologie. Im zweiten Teil des Satzes: »so wird er es ihnen auch gnädig gewähren, dass sie erkennen, was es ist, das existiert, das heißt, den, der sich ewiglich sich selbst erkennt« – handelt es sich um die eschatologische Erwartung der Gnostiker auf die Zukunft hin. Protologie und Eschatologie sind in ein und demselben Satz miteinander verschmolzen! Im Paragraphen 10 geschieht dasselbe. Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten, die den gnostischen Mythos zum ersten Male lesen, diese Aussagen verwirrend finden.

Negative Theologie und Theogonie

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Somit haben wir die meisten Aussagen über den Neid aus dem ersten Akt des gnostischen Mythos gesichtet, den wir auch als »Negative Theologie und Theogonie« bezeichnen. Vielleicht haben wir einige übersehen, was aber im Großen und Ganzen am Befund nichts ändert. Wie geneigte Leserinnen und Leser erkennen, nimmt der gnostische Mythos die traditionsreiche Diskussion über den Neid in der hellenistischen Geistesgeschichte seit Platon durchaus auf: Bei Gott und den Göttern gibt es keinen Neid. Im Blick auf Platon sei noch einmal an das Zitat aus Timaios 29E erinnert.4 Dort wird gesagt, der Demiurg sei gut und »in einem Guten erwächst nimmer und in keiner Beziehung irgendwelcher Neid.« Diese Neidlosigkeit war der Grund, warum er das All erschaffen hat. Außerdem wird gesagt: »Von ihm (Neid) frei, wollte er, dass alles ihm möglichst ähnlich werde.« Hier wird einfach vorausgesetzt, dass das Sein an sich gut sei. Der Demiurg weigert sich nicht, das Gute, das er genießt, auch mit anderen zu teilen. Darin besteht seine Freiheit vom Neid. Aufgrund dieser Neidlosigkeit konnte er das All ins Dasein rufen. Die oben erwähnten Paragraphen 2–7 nehmen diese platonische Theorie in den Topos der gnostischen Theogonie auf, um zu erklären, warum sich der höchste Gott überhaupt dazu anschickte, aus sich selbst die niedrigeren Gottwesen (Äonen) hervorzubringen. Im Zitat aus Platon, Phaidros 246E–247A5 war auf dem Hintergrund der Frage nach dem Ermöglichungsgrund der transzendentalen Erkenntnis des Menschen (wie in Phaidon und Menon) davon die Rede, dass die menschliche Seele, noch bevor sie in die verschiedenen menschlichen Körper komme, mit einem befiederten Gespann dem Marsch der Götter folge und sich in den Himmel hinaufschwinge, um den Bereich außerhalb des Alls, d.h. die Ideenwelt, anzuschauen. Da es eine solche menschliche Seele gebe, sei es unmöglich für die Götter, sie aus Neid daran zu hindern. »Denn Neid ist verbannt aus dem göttlichen Chor.« Die Paragraphen 8–10 aus den gnostischen Texten bezeichnen es als Neidlosigkeit des höchsten Gottes, dass er sich nicht weigert, die niedrigeren Äonen an der Erkenntnis seiner selbst teilhaben zu lassen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Paragraphen stillschweigend auf die Phaidros-Stelle Bezug nehmen. Wie steht es nun mit Aristoteles? Es erscheint mir als wahrscheinlich, dass die soeben erwähnte Pointe in den Paragraphen 8–10 auch seine Aussage in Buch I der Metaphysik bewusst aufnimmt: Die Götter sind nicht neidisch darauf, dass die Menschen »die Wissenschaft der Weisheit« (Philosophie) betreiben als etwas, das ihnen zusteht. Aristoteles zitiert dabei das alte Sprichwort: »Viel lügen die Dichter«. Zu den Dichterlügen gehört für ihn die Ansicht, die Götter seien von Natur aus neidisch. Seiner Meinung ————— 4 5

Siehe Kap. I, Abs. 3. Siehe Kap. I, Abs. 3.

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Der Neid in gnostischen Mythen

nach kann kein Neid Teil des göttlichen Wesens sein (Aristot., metaph. 982b28–983a2). Es ist klar, dass sich Aristoteles damit Platons Aussage in Timaios 29E (»In einem Guten [sc. Gott] erwächst nimmer und in keiner Beziehung irgendwelcher Neid«) anschließt. Bei Aristoteles ist außerdem die Definition des Neides in Rhetorik 1387b25–296 wichtig. Ihr zufolge erwächst Neid vor allem unter Gleichen und Ähnlichen. Auch mit dieser Aussage nimmt Aristoteles den anschließenden Satz aus Platons Timaios 29E auf: »Von ihm (Neid) frei, wollte er (Gott), dass alles ihm möglichst ähnlich werde.« Auch Aristoteles scheint der Meinung zu sein, dass die göttlichen Wesen vom Neid im Sinne seiner eigenen Definition frei sind. Sicher ist, dass eben dieses Argument bei Platon und Aristoteles im Paragraphen 6 bewusst aufgenommen wird, wenn gesagt wird: »Es gibt keinen Neid vom Vater auf die, die aus ihm hervorgegangen sind, weil sie etwas ihm Ähnliches und Gleiches zeugen.« Aristoteles sagt ferner in Buch XII der Metaphysik über das Nachdenken des Göttlichen (der höchsten Vernunft) über sich selbst das Folgende: Die Vernunft (noƝsis) an sich aber geht auf das an sich Beste, die höchste auf das Höchste. Sich selbst erkennt die Vernunft in Ergreifung des Intelligiblen (to noƝton), denn intelligibel wird sie selbst, den Gegenstand berührend und erfassend, so dass Vernunft und Intelligibles dasselbe sind (Aristot., metaph.1072b18–21).7 Sie [sc. die göttliche Vernunft] denkt über sich selbst nach. Ihr Denken ist das Denken des Denkens (noƝseǀs noƝsis). Da also das Erkannte und die Erkenntnis nicht verschieden sind unter allen nichtstofflichen Dingen, so werden sie dasselbe sein; Erkenntnis und Erkanntes sind ein Einziges (Aristot., metaph. 1074b30–1075a5).8

Dieses göttliche »Denken des Denkens« wird später beim Mittelplatoniker Alkinoos eklektisch mit der platonischen Ideenlehre kombiniert: Die erste Vernunft [sc. der Vater des Alls] ist die beste. Deshalb muss auch der Gegenstand ihres Denkens der beste sein. Es gibt aber kein Besseres als diese Vernunft. Daraus folgt: Diese Vernunft denkt an sich selbst und an ihr eigenes Denken für ewig. Dieses Wirken der Vernunft ist die Idee (Alkinoos, Didaskalikos 164,27–31).9 »Der erste Gott« [sc. der Vater des Alls] hat diese Welt als das »beste Kunstwerk« geschaffen, indem er die Ideen als Vorbilder anschaute. Der Demiurg hat sich angeschickt, die Welt zu schaffen, denn er war ein gutes Wesen (Alkinoos, Didaskalikos 167,4–15).

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Siehe Kap. I, Abs. 3. Übersetzung: Aristoteles’ Metaphysik, neubearb. u. übers. v. H. Bonitz, Hamburg 21984, 257. 8 Ebd., 259–261. 9 Übersetzung von T. Onuki. 7

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Alkinoos wirkte zur Zeit, als die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs in voller Blüte stand (Mitte des 2. Jh.n.Chr.). Für ihn ist das Nachdenken der höchsten Vernunft über sich selbst das Gleiche wie Platons Idee (und auch im Plural: Platons Ideen) und wird zum Modell der Schöpfung der Welt durch den Demiurgen (d.h. den ersten Gott). Man sollte beachten, dass dabei die Schöpfung der Welt letztendlich im Gut-Sein Gottes begründet ist. Dementsprechend heisst es in 164,36–165,4: »Gott ist gut. Als Grund aller Guten gibt er jedem Ding das Gute gemäß seiner Empfänglichkeit«. In all diesen Aussagen folgt Alkinoos immer Platon, Timaios 29E. Alkinoos spricht zwar in diesem Zusammenhang nicht wie Platon von der »Neidlosigkeit« Gottes. Man darf aber annehmen, dass sie im Gut-Sein Gottes enthalten ist. Plotin, der Begründer des Neuplatonismus, sagt im Traktat »Der Abstieg der Seele in die Leibeswelt« das Folgende: Im Gegensatz zu all diesen Stellen, wo er [sc. Platon] das Eintreten der Seele in den Körper verwirft, preist er aber im Timaios den Kosmos (und meint damit diese irdische Welt) und nennt ihn einen »seligen Gott«, und vom Schöpfer in seiner Güte sei ihm die Seele gegeben, auf dass diese Welt geistbegabt sei, denn geistbegabt sollte sie sein, das aber war nicht möglich ohne die Seele; zu diesem Ende also entsandte Gott die Seele in das All, zu diesem Ende aber auch zu einem jeden von uns, um der Vollkommenheit des Alls willen; denn es sollten alle Arten von Wesen, die in der geistigen Welt waren, auch in der sinnlichen vorhanden sein (Plot., Enneaden IV, 8,1).10

Auch im Traktat »Gegen die Gnostiker« wird sachlich dasselbe gesagt: Wenn man nun in diese Seele den Körper hineinsetzt, wobei die Weltseele nicht affiziert wird, sondern nur dem andern zu eigen gibt, wenn das einzelne etwas fassen kann (denn Neid darf im Reich der Götter nicht sein), so muss man ordnungsgemäß überlegen und ihr auch soviel Kraft zugestehen, dass dadurch die Körperlichkeit, die an sich nicht schön ist, an der Schönheit, soweit sie ihr denn vergönnt war, Teil erhalten konnte (Plot., Enneaden II, 9,17).11

Die Paragraphen 2, 4 und 6 aus den gnostischen Texten nehmen diese Diskussion in der hellenistischen Schulphilosohpie auf. Paragraph 6 zeichnet ziemlich genau das nach, was Aristoteles über das Nachdenken der höchsten Vernunft über sich selbst sagt. Wenn im Apokryphon des Johannes BG 26,15–27,8par. davon die Rede ist, dass sich der höchste Gott in der immer reichlich ausströmenden Lichtquelle (vgl. § 4) spiegelt und sein eigenes —————

10 Übersetzung: Plotins Schriften, Bd.Ia: Text und Übersetzung der Schriften 1–21 der chronologischen Reihenfolge, übers. v. R. Harder, Hamburg 1956, 131 (Hervorhebung von Onuki). 11 Übersetzung: Plotins Schriften, Bd.IIIa: Text und Übersetzung der Schriften 30–38 der chronologischen Reihenfolge, übers. v. R. Harder, Hamburg 1964, 155 (Hervorhebung von Onuki).

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Der Neid in gnostischen Mythen

Bild betrachtet, ist das eine mythologische Umbildung des gleichen Sachverhalts. Ein weiterer Paragraph aus dem Tractatus Tripartitus sei in diesem Zusammenhang hinzugefügt. Es ist die Fortsetzung des oben erwähnten Paragraphen 5: § 11 Tractatus Tripartitus NHC I 53,21–33 Dieser [sc. der Vater] ist nun so beschaffen und von solcher Art, und dieser Große ist von solcher Größe. Es gibt von Anfang an keinen anderen bei ihm; keinen Ort, in dem er sich befindet, oder aus dem er gekommen ist, oder in den er zurückkehren wird; keine Urform, derer er sich bei seinem Wirken als Vorbild bedient; keine Mühe, die er hat als Begleiterscheinung dessen, was er tut; keine Materie (hylƝ), die ihm vorgegeben ist und aus der er schafft, was er schafft.

Dieser Paragraph, besonders der kursiv gesetzte Satz, ist im Rahmen der Negativen Theologie wahrscheinlich eine Antithese gegen Aussagen, wie sie z.B. der oben erwähnte Alkinoos macht: »Der erste Gott hat diese Welt als das beste Kunstwerk geschaffen, indem er die Ideen als Vorbilder anschaute« (Didaskalikos 167,4–15). Platons Aussage in Timaios 29E hat allerdings nicht nur auf die Gnosis, sondern auch auf den Schöpfungsglauben des hellenistischen Judentums und des frühen Christentums einen sehr großen Einfluss ausgeübt. Zuerst sei Philo von Alexandrien genannt. Er nimmt im Traktat »Über die Weltschöpfung« zweimal auf diese Stelle in Timaios Bezug, um zu erklären, warum Gott die Welt erschaffen hat: Eine göttliche Kraft aber ist auch die weltschöpferische, die als Quelle das wahrhaft Gute hat. Denn wenn einer die Ursache erforschen will, warum eigentlich dieses All geschaffen wurde, so scheint er mir das Ziel nicht zu verfehlen, wenn er behauptet – was übrigens auch schon einer der Alten gesagt hat (Platon, Tim. 29E) – gütig sei der Vater und Schöpfer; deshalb hat er seine vollkommene Natur nicht der Materie vorenthalten (ouk ephthonƝsen), die aus sich selbst nichts Edles ist, aber die Fähigkeit besitzt, alles zu werden. Denn von selbst war sie ungeordnet, eigenschaftslos, leblos, ungleich, voll Verschiedenartigkeit, Disharmonie und Missklang; sie empfing aber ihre Veränderung und Umwandlung in die vorzüglichen Gegensätze, in Ordnung, Beschaffenheit, Beseeltsein, Gleichheit und Gleichartigkeit, Harmonie und Wohlklang und alle anderen Eigenschaften der besseren Art (Philo, Op 21–22).12

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12 Übersetzung: Philo von Alexandria: Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. I, L. Cohn/I. Heinemann/M. Adler/W. Theiler (Hg.), Berlin 21962, 33f, Hervorhebung von T. Onuki.

Negative Theologie und Theogonie

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Es könnte aber einer nach dem Grunde fragen, weshalb der Mensch das letzte Stück der Weltschöpfung sei, denn nach allen anderen Werken hat ihn der Schöpfer und Vater geschaffen, wie die heiligen Schriften erzählen. Diejenigen nun, die tiefer in den Sinn der Gesetze eingedrungen sind und ihren Inhalt möglichst gründlich erforschen, geben als Grund an, dass Gott den Menschen durch die Gewährung der Vernunft, die ja die beste Gabe war, mit sich selbst verwandt machte und deshalb auch alles übrige ihm nicht missgönnen wollte (oude ephthonƝsen), dass er also für ihn als das ihm verwandteste und liebste Geschöpf alles in der Welt vorher bereitstellte, weil er wollte, dass ihm gleich nach seiner Erschaffung keines der Dinge fehle, die zum Leben und zum guten Leben notwendig sind (Philo, Op 77).13

Philo zitiert auch an mehreren Stellen Platons Aussage in Phaidros 247A »denn Neid ist verbannt aus dem göttlichen Chor« und ändert die Formulierung jeweils leicht. So urteilt er in »Über die Einzelgesetze« II, 249 gegen diejenigen, die das Sabbatgesetz nicht beobachten wollen: »Gleichermaßen soll des Todes schuldig sein, wer den heiligen Sabbat, soweit es an ihm liegt, entweiht. Denn gerade umgekehrt sollte man den unheiligen Werken und Körpern Weihe verleihen, um einen Wandel zum Besseren herbeizuführen, da »Neid« (Missgunst), wie einmal jemand gesagt hat, »ausserhalb des Götterreigens wandelt.« 14 Philo ist der Meinung, dass der Neid um des Guten für alle willen überwunden werden muss. Damit wird schon das Problem der politischen Relevanz des Neides angeschnitten. Auf dieses Problem gehen wir aber erst in Kapitel IV ausführlicher ein. Auch in »Über die Freiheit des Tüchtigen« 13 empfiehlt Philo den Unwissenden das Erlernen der Weisheit, denn sie ist das der ganzen Menschheit gemeinsame, höchste und göttliche Gut, das für jedermann zugänglich ist. Zur Begründung zitiert er das Wort des »hochheiligen Platon« in Phaidros 247A: »Neid hat im göttlichen Chor keinen Platz.« Philo spricht auch sonst sehr häufig von Gottes Neidlosigkeit. Er enthält seine eigenen Güter anderen nicht vor, sondern lässt sie daran Anteil haben. In »Über Abrahams Wanderung« 182–183 findet sich die Aussage: »Diese (d.h. die göttliche Macht) ist aber vornehmlich die Güte (agathotƝs), die den die Tugend und das Schöne hassenden Neid von sich gewiesen hat, aber die Gnade (charitas) erzeugt, durch die das Nichtsein zum Sein (genesis) gelangt.« 15 Auch hier ist der Zusammenhang zwischen der Neidlosigkeit Gottes mit der Schöpfung der Welt offensichtlich. In »Über Abraham« 203– 204 wird gesagt, Gott halte aus Güte und Menschenfreundlichkeit den Neid von sich fern und gebe auch seine Freude und Heiterkeit denen, die würdig ————— 13

Ebd., 54. Hervorhebung von Onuki. Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. II, 178. Hervorhebung von T. Onuki. 15 Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.V, 200f. 14

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Der Neid in gnostischen Mythen

seien, sie zu empfangen. In »Über Belohnungen und Strafen« 168 wird schließlich die Qualität der Güte Gottes, die den Neid ausschließt, mit der Metapher »aus unversiegbaren Quellen (fliessend)« beschrieben. Die Affinität zur Metapher im Apokryphon des Johannes BG 26,15–27,8par. und Tractatus Tripartius NHC I 60,1–34 (§ 4) sticht ins Auge. Nicht zuletzt ist auch der folgende Paragraph aus Augustin, Widerlegung gegen den »Grundschrift« genannten Brief Manis 25 in diesem Zusammenhang beachtenswert: Daher bleibt es Euch [sc. den Manichäern] nur übrig anzuerkennen, dass Gott die Lichterde aus nichts geschaffen hat. Aber ihr würdet kaum daran glauben. Konnte jedoch Gott aus nichts ein großes, aber niedrigeres Wesen als Gott selber schaffen, so konnte er, da er gut ist (quia bonus est) und das Gute keinem anderen neidisch vorenthält (nulli bono invidet), auch ein weiteres Mal etwas Gutes schaffen, das niedriger als das erste ist. So konnte er weiter zum dritten Mal etwas Gutes schaffen, das niedriger als das zweite ist. Schließlich konnte er alles einschließlich des niedrigsten Guten in der Schöpfung in eine Ordnung bringen, indem sich das Ganze nicht ins Unzählige und Unfeste zerstreute, sondern als ein Begrenztes konstruiert wurde. Für euch gibt es keinen Weg mehr, euren äußerst blasphemischen Behauptungen zu entkommen, solange ihr nicht zugesteht, dass Gott die Lichterde aus nichts geschaffen hat.16

Der manichäische Mythos wird in Kapitel V eingehend behandelt werden. Hier sei nur der kursiv gesetzte Satz beachtet. Augustin gibt hier nicht die Überzeugung der Manichäer wieder, sondern legt seine eigene Ansicht dar. Diese fußt auf der Ontologie und Theologie, wie sie sich vom Mittel- zum Neuplatonismus hin entwickelt hat. Interessant für uns ist, dass auch bei Augustin der höchste Gott aus seiner Neidlosigkeit heraus die ihm unterstellten guten Wesen nacheinander erschafft. Die Parallelität zum Anfang des gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs, wo sich die Negative Theologie (einschließlich der Neidlosigkeit des höchsten Gottes) in die Theogonie hinein entfaltet, ist bestechend, aber nicht verwunderlich; denn der gnostische Mythos dieses Typs beruht, – auf der strukturellen Ebene des Denkens, wie die philologisch äußerst exakte Untersuchung von H.J. Krämer gezeit hat17 – auf einem regen Geben und Nehmen zwischen den gnostischen Strömungen und dem Platonismus von Platon bis Plotin. Das Ergebnis dieses Abschnitts lässt sich in folgenden drei Punkten zusammenfassen: —————

16 Übersetzung von T. Onuki nach der Textausgabe in R. Jolivet/M. Jourjon (Hg.), Six Traités Anti-Manichéens, Oeuvres de Saint Augustin 17 (BAug), Paris 1961, 377–507, hier 454. 17 H.J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, Amsterdam 1967.

Der Fehltritt der Sophia

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(1) In der hellenistischen Geistesgeschichte gehört es seit Platon zum philosophischen Topos, Gottes Neidlosigkeit als Teil seiner Güte anzusehen. Das bedeutet, dass Gott sein eigenes Gut (Sein und Erkenntnis) anderen nicht vorenthält, sondern es an sie verteilt. Auch der Grund der Schöpfung der Welt durch den Demirgen wurde in seiner Güte gesucht. (2) Diese Sicht war sowohl dem späten Judentum (Philo) als auch dem frühen Christentum (Augustin) bekannt. Von beiden wurde sie für die Begründung des Schöpfungsglaubens nach Genesis 1 gebraucht. (3) Der gnostische Erlösungsmythos bedient sich dieses Topos der griechischen und hellenistischen Philosophie, wenn auch in unterschiedlichem Maße, je nach Schriftstück. Während dort Gottes »Güte« und »Neidlosigkeit« als Grund für die Schöpfung der Welt gilt, versetzt der gnostische Mythos diese in den Anfangsteil, der von der Negativen Theologie geprägt ist. Damit will er erklären, warum der Gott der Welt des Lichts aus seinem Inneren heraus die anderen Gottwesen (Äonen) überhaupt hervorbringen konnte, worauf also die göttliche Emanation (Theogonie) gründet.

2. Der Fehltritt der Sophia Der Fehltritt der Sophia In der Kosmologie der Schultradition vom Mittel- bis zum Neuplatonismus entsteht alles dadurch, dass aus einem höheren Wesen, angefangen mit dem höchsten Gott, in kontinuierlicher Weise ein niedrigeres Wesen hervorgeht. Die sichtbare Welt wird in der Verlängerung dieses Prozesses als »das beste Werk« Gottes, ja als sein »eingeborener Sohn« erschaffen.18 Im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs entsteht sie dagegen aus einem Bruch in der Welt des Lichts selbst. So besteht eine gravierende Diskontinuität zwischen der Welt des Lichts und der sichtbaren Welt. Mythologisch wird dieser Bruch meistens als Erzählung vom Fehltritt der Sophia gestaltet. Die sichtbare Welt wird erst durch ihre Missgeburt, Jaldabaoth, erschaffen. Sophias Fehltritt ist eine der wichtigsten Hauptszenen des gnostischen Mythos dieses Typs. Im Hinblick auf den »Neid«, das Thema des vorliegenden Buches, sind jedoch einige wichtige Varianten erkennbar. Das Apokryphon des Johannes, das in Kapitel I, Abschnitt 4 als Idealtypus des gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs vorgestellt wurde, schildert die Szene folgendermaßen:

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Alkinoos, Didaskalikos, 167,4–15.41–46.

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§ 12 Das Apokryphon des Johannes BG 36,16–38,14par. Unsere Mitschwester, Sophia (die Weisheit), die ein Äon ist, dachte einen Gedanken aus sich selbst. Sie wollte das [Abbild] aus sich selbst in Erscheinung bringen durch das Denken des Geistes [sc. des höchsten Gottes] und die erste Erkenntnis, obwohl der Geist nicht zugestimmt und nicht zustimmend genickt hatte, und auch ihr Gatte, der männliche jungfräuliche Geist, nicht mit ihr zusammen zugestimmt hatte. Aber sie war ohne ihren Gatten, als sie sich selbst zustimmend zunickte, ohne die Zustimmung des Geistes und das Wissen ihres eigenen Gatten. Als sie wegen der geschlechtlichen Lust, die in ihr war, herausschwoll, konnte ihr Gedanke nicht unwirksam bleiben, und ihr Werk kam hervor, ohne vollkommen zu sein, fremd in seiner Erscheinung, da sie es ohne ihren Gatten gemacht hatte. Es glich der Erscheinung der Mutter nicht, da es eine andere Gestalt hatte. Sie sah es in ihrer Erwägung, weil es die Prägung einer anderen Erscheinung annahm und das Gesicht einer Schlange und das Gesicht eines Löwen besaß. Seine leuchteten mit Feuer. Sie warf es (das Werk) weg von sich, aus diesen Orten heraus, dass keiner der Unsterblichen es sehen möge, da sie es in Unwissen (sic) geboren hatte. Sie verband eine leuchtende Wolke mit ihm und setzte einen Thron in die Mitte der Wolke, damit niemand es sehen möge außer dem heiligen Geist, der Leben (Zoe) genannt wird, die Mutter aller Lebendigen. Sie gab ihm den Namen Jaldabaoth.

Der Neid wird nicht erwähnt. Der Fehltritt der Sophia geschieht vielmehr wegen »der geschlechtlichen Lust, die in ihr war«. Der Bezug auf die Lust ist im Mythos der ptolemäischen Schule, einem Zweig der valentinianischen Schule, noch deutlicher. In der Erzählung von Sophias Fehltritt tritt eine ganze Reihe menschlicher Affekte personifiziert auf.19 Dadurch wird die Erzählung zu einer Art »zum Mythos erweiterte Affektlehre«. Die Hypostase der Archonten (NHC II,4) nimmt diese Szene des Apokryphon des Johannes auf und führt als neue Motive »einen Vorhang« und »einen Schatten« unter diesem ein. Vom Neid ist allerdings auch hier keine Rede. § 13 Die Hypostase der Archonten NHC II 94,4–19 In den oberen Äonen, die keine Grenze haben, wohnt die Unvergänglichkeit. Sophia, die die Pistis genannt wird, wollte allein, ohne ihren Gefährten, ein Ding erschaffen. Und ihr Werk wurde ein himmlisches Abbild. Es existiert ein Vorhang zwischen denen, die nach oben gehören, und den Äonen, die unten sind. Und es entstand ein Schatten unter dem Vorhang. Und jener Schatten wurde Materie. Und jener Schatten wurde stückweise zur Seite geworfen. Und seine Form wurde ein Werk aus Materie

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Vgl. bei Irenäus, Gegen die Häresien I,2,2–4.

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gleich einer Missgeburt. Er nahm Gestalt an aus dem Schatten. Er wurde eine eigenmächtige Bestie von Löwengestalt [sc. Jaldabaoth]. Androgyn ist er, wie ich [sc. Eleleth als die fiktive Erzählerin] zuvor gesagt habe, denn er ist aus der Materie hervorgegangen.

Die Schrift »Vom Ursprung der Welt« (NHC II,5) vereinigt die Paragraphen 12 und 13 und bildet daraus eine Erzählung, die den Neid zum Gegenstand einer prinzipiellen Erörterung macht. Diese Schrift thematisiert den Neid am ausführlichsten, nicht nur unter den Nag-Hammadi-Schriften, sondern auch unter allen uns bisher bekannten gnostischen Texten. Der betreffende Paragraph ist etwas lang. Trotzdem zitiere ich ihn ungekürzt:20 § 14 Vom Ursprung der Welt NHC II, 98,11–100,14 A Als aber die Natur der Unsterblichen aus dem Unendlichen [sc. dem höchsten Gott] vollendet worden war, ging aus der Pistis eine Gestalt hervor, die man »Sophia« nannte. Sie [sc. Sophia] hegte einen Willen. Daraus entstand ein Werk, das dem Licht glich, das im Anfang existierte. Und sogleich trat ihr [sc. der Pistis Sophia] Wille in Erscheinung als etwas, das wie der Himmel aussah, das eine unausdenkbare Größe besaß, das sich zwischen den Unsterblichen (Äonen) und denen befand, die später nach ihnen wie < ... > entstanden, das ein Vorhang war, der die Menschen und die Himmlischen trennte. B des Äons der Wahrheit aber gibt es keinen Schatten, denn das unermessliche Licht ist überall in ihm. Was aber außerhalb von ihm ist, ist Schatten. Man nannte es »Finsternis«. Aus ihr trat eine Macht in Erscheinung als Herrscher über sie. Den Schatten aber nannten die Kräfte, die nach ihnen entstanden waren, »das grenzenlose Chaos«. Aus ihm spross [jegliches] Geschlecht der Götter hervor, […] zusammen mit dem ganzen Ort. [Der Schatten] folgte deshalb dem ersten Werk und trat im Abgrund in Erscheinung aus der Pistis, über die wir gesprochen haben. C Da nahm der Schatten wahr, dass es einen gab, der stärker war als er. Er wurde neidisch und nachdem er schwanger geworden war von sich selbst, gebar er sogleich den Neid. Von dem Tag an trat das Prinzip des Neides in allen Äonen und ihren Welten in Erscheinung. Jener Neid aber wurde als Missgeburt erfunden, in der kein Geist war. Er entstand wie ein Schatten in einer großen wässrigen Substanz. Dann entstand aus dem Schatten der Zorn. Dieser wurde aber in einen Teil des Chaos hinuntergeworfen.

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20 Um der nachfolgenden Rückverweise willen ist der Text in Unterparagraphen A, B, C ... gegliedert.

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D Seit dem Tag trat eine wässrige Substanz in Erscheinung. Und das, was darin eingeschlossen war, floss heraus. Es wurde offenbar im Chaos. Wie bei einer Frau, die ein Kind gebiert, all ihr Unnützes herausfällt, so war auch die wässrige Materie, die aus dem Schatten entstanden war, in einen Teil des Chaos hineingeworfen worden. Die Materie entstand nicht aus dem Chaos, sondern blieb im Chaos, und zwar in einem Teil von ihm. E Als das aber geschah, da kam die Pistis und erschien über der Materie des Chaos, die weggeworfen worden war wie eine Missgeburt, denn in ihr [sc. der Missgeburt] war kein Geist. Denn dies insgesamt [sc. das Chaos] ist eine grenzenlose Finsternis und ein grundloses Wasser. F Als die Pistis aber sah, was auf Grund ihres Fehltritts entstanden war, geriet sie in Erschütterung. Ihre Bestürzung brachte ein fürchterliches Produkt ans Licht. Es floh aber ins Chaos hinein. Sie aber wandte sich zu ihm und hauchte im Abgrund, der unterhalb aller Himmel ist, in sein Gesicht. G Als aber die Pistis Sophia wollte, dass jene Missgeburt, die keinen Geist besaß, eine Gestalt empfinge und auch über die Materie und alle ihre Kräfte herrsche, da trat zuerst ein Archon aus den Wassern in Erscheinung. Er hatte eine Löwengestalt und war mannweiblich. Er hatte in sich eine große Macht, wusste aber nicht, woher er stammte. Als die Pistis Sophia jedoch sah, wie er sich in der Tiefe der Wasser bewegte, sagte sie zu ihm: »Jüngling setze über zu diesen Orten – was die Übersetzung von »Jaldabaoth« ist.

Der Hergang der Erzählung ist in diesem Paragraphen enorm schwierig zu verfolgen. Das liegt unter anderem an der schlechten koptischen Übersetzung des griechischen Originals. Trotzdem lässt sich eine einigermaßen kohärente Logik erkennen, wenn man eine Aussage aus dem Paragraphen 13 mit in Betracht zieht. Zuerst brachte der höchste Gott, »der Unendliche«, im Pleroma die »Unsterblichen«, d.h. die niedrigeren (Äonen), zur Vollendung, wahrscheinlich in hierarchischer Ordnung (A). Im nächsten Schritt verfolgte die Pistis, ein weibliches Gottwesen, ihren eigenen Plan ohne Zustimmung des höchsten Gottes (s.o. § 13: »Sophia, die die Pistis genannt wird, wollte allein, ohne ihren Gefährten, ein Ding erschaffen«) und ließ aus sich ein niedrigeres Wesen fließen. Das war im Rückblick schon ein Fehltritt der Pistis (F). Das so entstandene niedrigere Wesen wurde »Sophia« (A) oder »Pistis Sophia« (G) genannt. »Pistis Sophia« hatte ihrerseits auch einen eigenen Willen und wollte nun ein Werk, das dem von Anfang an existierenden Licht (das ist: dem höchsten Gott) gleicht, in Erscheinung treten lassen. Halb ist es ihr gelungen, halb ist es fehlgeschlagen. Ihr Werk wurde ein riesig großer Vorhang, der die obere Welt des Lichts vom unteren Bereich trennte. Dort liess sie den »Schatten« (das ist: die »Finsternis« und das »Chaos«) des Vorhangs entstehen. Der »Schatten« war deshalb nicht von Anfang an da, son-

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dern er entstand erst aufgrund der Fehlleistung der Pistis Sophia und deshalb im Grunde genommen aufgrund des früheren Fehltritts der Pistis (B). Der »Schatten« (die »Finsternis«) war auch ein Wesen mit eigenem Willen. Er merkte, dass es ein oberes Wesen (das ist: die Welt des Lichts) gab, und beneidete es. Der »Schatten«, ein weibliches Wesen, wurde schwanger von sich selbst und gebar sogleich den »Neid«, eine Missgeburt (C). Aus dem »Schatten« wurde gleichzeitig auch die »Materie« als Missgeburt (»eine wässrige Substanz«) geboren, wurde aber in das Chaos hineingeworfen (D). Pistis kam nun zur »Materie«. Ihr Anblick jedoch erschütterte die Pistis. Ihre Erschütterung verselbständigte sich zu einem Wesen namens Jaldabaoth. Dieser floh in die Tiefe des »Chaos« hinunter. Die Pistis folgte ihm nach und hauchte ihm ins Gesicht, wohl um ihren eigenen Fehltritt wieder gutzumachen (E–F). Aber die Pistis Sophia, gleichsam die erste Missgeburt der Pistis, wollte, dass das Wesen, das sich im tiefsten Boden des »Chaos« bewegte, zum Herrscher über die »Materie« und alle Mächte der Finsternis wurde. Sie rief es an, um es zu sich kommen zu lassen. Aus ihrem Ruf entstand der Name »Jaldabaoth« (G). Es ist ein Spezifikum der gnostischen Ökologie und Morphologie, dass Mythen der bereits existierenden Schulen übernommen und »präzisiert«, d.h. »verkompliziert« werden. Im vorliegenden Paragraphen ist es besonders mühsam, den ganzen Komplex aufzulockern und seine Logik zu erkennen. Wir müssen hier zuerst beachten, dass das weibliche Subjekt des Fehltritts verdreifacht wird: (1) die Pistis, (2) die Sophia oder Pistis Sophia und (3) der Schatten (ein femininum). Die Sache wird noch komplizierter, wenn dieselbe Schrift »Vom Ursprung der Welt« etwas später Astaphaios, einem Jaldabaoth untertanen Archonten, den weiblichen Beinamen »Sophia« beilegt (NHC II 101,34–102,1; 103,1). Dazu gebären alle drei weiblichen Wesen in unseren Paragraphen eine Missgeburt: Die Pistis gebiert durch den Ausfluss die Sophia (2), Sophia (2) ihrerseits gebiert den großen »Vorhang« und dessen »Schatten« und dieser »Schatten« schließlich gebiert den »Neid« und die »Materie«. Das vorliegende Buch hat bis zu dieser Stelle immer vom »Fehltritt der Sophia« als einer der Hauptszenen des gnostischen Mythos des syrischägyptischen Typs gesprochen. Das war aber immer im idealtypischen Sinne gemeint. In »Vom Ursprung der Welt« wird die entsprechende Szene äußerst kompliziert erzählt. Hier ist das unmittelbare Subjekt des »Neides« der »Schatten«. Die Ursache für seinen Neid ist, »dass es einen gibt, der stärker ist als er« (C). Hier ist also von den beiden Grundtypen des Neides der »plutarchische Typ« thematisiert, d.h. der Neid darauf, dass ein Anderer ein größeres Gut genießt. Das steht in deutlichem Gegensatz zu dem, was wir in Abschnitt 1 über die »Negative Theologie und Theogonie« gesagt

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haben. Dort herrschte der »philonische Typ« des Neides vor, der anderen das eigene Gut vorenthält. Beachtenswert ist ferner die Aussage im Unterparagraphen C: »Von dem Tag an trat das Prinzip des Neides in allen Äonen und ihren Welten in Erscheinung.« Das kann nur bedeuten, dass sich das Prinzip des Neides seitdem auch im oberen Bereich des Lichts verbreitet hat. Der aus einem mehrfachen Fehltritt zustandegekommene Fehltritt könnte sich nun zu einem Prinzip verselbständigen, das auch unter den Unsterblichen »innerhalb des Äons der Wahrheit« wirkt und den Bruch vergrößert. Das ist der Grund, warum im »Vom Ursprung der Welt« die Pistis (nicht die Pistis Sophia) in jeder Beziehung, sei es expressis verbis, sei es stillschweigend, als Hauptakteurin im Heilsdrama wirkt.21 Sie fühlt sich verantwortlich für das ganze Ereignis und arbeitet deshalb unablässig auf die Restauration der Welt des Lichts hin. Der Neid als »eine Missgeburt, in der kein Geist war« (C, E), ist seinerseits eine Verselbständigung des Neides des »Schattens« (s.o. § 3). Er verkörpert sich in Jaldabaoth. Jaldabaoth ist damit die Verkörperung und Personifikation des »Neides« überhaupt. In Abschnitt 3 und 4 wollen wir das weiter ausführen und dazu weitere Texte beiziehen.

3. Der Neid des Demiurgen Der Neid des Demiurgen Jaldabaoth, der Demiurg in der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs, wird auch mit verschiedenen anderen Namen bezeichnet: »Samael« (ein blinder Gott), »Saklas/Sakla« (ein Dummkopf), »Archigenetor« (der Schöpfer), »Protarchon« (der erste Herrscher), »Pantokrator« (der Herrscher des Alls), »Kosmokrator« (der Herrscher des Kosmos) u.a. Der gnostische Mythos schildert diesen Schöpfergott als Personifikation des Neides schlechthin. Er verkörpert in sich die beiden Grundtypen des Neides, den plutarchischen und den philonischen. Wir betrachten zuerst den plutarchischen Typ genauer: Jaldabaoth beneidet einen Größeren und Stärkeren, der über ihm existiert. 3.1 Der Neid auf den Stärkeren Wie seine Beinamen deutlich zeigen, wird Jaldabaoth als dummer und unwissender Herrscher geschildert. Im Apokryphon des Johannes verbindet sich der eben entstandene Jaldabaoth sofort mit der »Unwissenheit«. Diese ————— 21

Vgl. NHC II 102,31–34; 103,28–32; 104,26–35; 107,17–22; 113,5–10.

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»Unwissenheit« ist im Mythos ein weibliches Wesen und bildet mit Jaldabaoth zusammen wohl ein »Paar« (BG 39,4–6par.). Deswegen bleibt Jaldabaoth in »unwissender Finsternis« (II, 11,10) über die »Lichtkraft«, die er von seiner Mutter Sophia bekommen hat, und auch über die Welt des Lichts, die höher ist als seine Mutter (BG 46,2–3). Er schickt sich an, als »erster Schöpfer« (Archigenetor) den ganzen sichtbaren Kosmos zu erschaffen. Er bringt gleichzeitig die »Sieben« (die Planeten) oder die »Zwölf« (den Tierkreis) und eine unzählige Menge von Engeln und Mächten hervor und wird zum Herrscher des sichtbaren Alls (Pantokrator, Kosomokrator, Protarchon). Die folgenden Paragraphen schildern alle wie er voller Hochmut ist, nachdem er seine Herrschaftsordnung fertig gestellt hat: § 15 Das Apokryphon des Johannes NHC II 11,15–22 Der Herrscher, der schwach ist, hat drei Namen. Der erste Name ist Jaldabaoth, der zweite ist Saklas, der dritte ist Samael. Er ist frevlerisch in seiner Unwissenheit (aponoia), die in ihm ist, denn er sprach: »Ich bin Gott, und es gibt keinen anderen Gott außer mir«, denn er ist unwissend über seine Stärke, den Ort [sc. den Pleroma], von dem er gekommen ist.

§ 16 Das Apokryphon des Johannes NHC II 13,5–13 Als er [sc. Jaldabaoth] aber die Schöpfung und die Schar der Engel um sich sah, die aus ihm entstanden waren, sprach er zu ihnen: »Ich bin ein neidischer (eifersüchtiger) Gott, und es gibt keinen anderen Gott außer mir.« Indem er das aber verkündete, gab er den Engeln unter ihm ein Zeichen, dass es einen anderen Gott gibt. Denn wenn es keinen anderen gäbe, auf wen wäre er neidisch?

§ 17 Die Hypostase der Archonten NHC II 86,27–87,4 Ihr Höchster [sc. Jaldabaoth] ist blind. [Wegen seiner] Macht und Überheblichkeit [und] Unwissenheit hat er mit seiner […] gesagt: »Ich bin Gott und niemand [außer mir].« Als er dies sagte, sündigte er gegen [das All], und diese Rede reichte hinauf bis zur Unvergänglichkeit. Und siehe, eine Simme kam aus der Unvergänglichkeit, die sprach: »Du irrst, Samael«, das heißt: »Gott der Blinden«. Seine Gedanken waren nämlich blind.

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§ 18 Die Hypostase der Archonten NHC II 94,19–95,5 Er [sc. Samael] öffnete seine Augen und sah die große grenzenlose Materie. Und er wurde hochmütig und sagte: »Ich bin Gott und es gibt keinen anderen außer mir«. Als er dies sagte, sündigte er gegen das All. Eine Stimme aber kam von oberhalb der angemaßten Selbstherrschaft und sprach: »Du irrst, Samael«, das heißt: »Gott der Blinden«. Und er sprach: »Wenn es etwas anderes vor mir gibt, es soll sich mir offenbaren!« ... Der [androgyne] Archon schuf sich einen großen Äon, eine Größe, die [keine] Grenze [hat]. Er gedachte aber sich selbst Söhne zu erschaffen, und er erschuf sich sieben Söhne, alle androgyn wie ihr Vater. Und er sagte zu seinen Söhnen: »Ich bin der Gott des Alls!«

§ 19 Vom Ursprung der Welt NHC II 103,2–14 Als sich aber die Himmel samt ihren Kräften und ihrer ganzen Einrichtung gefestigt hatten, da überhob sich der Archigenetor und ließ sich verehren vom ganzen Heer der Engel. Und alle und ihre Engel lobpriesen und verherrlichten ihn. Er aber freute sich in seinem Herzen und rühmte sich immerfort, indem er zu ihnen sagte: »Ich bedarf niemandes.« Er sagte: »Ich bin Gott und kein anderer existiert außer mir.« Als er das aber sagte, da versündigte er sich gegen alle Unsterblichen.

In all diesen Paragraphen wird eine Aussage aus Deuterojesaja zitiert: »Es gibt keinen anderen Gott außer mir« (Jes 44,6; 45,5.21; 46,9). Vom Neid ist nur im Paragraphen 16 die Rede. Wie in Kapitel I, Abschnitt 1,3 dargelegt, hat sich der Monotheismus des alttestamentlichen Glaubens erst zur Zeit Deuterojesajas vollständig gefestigt. Das erwähnte Zitat ist wie ein Schlagwort für den monotheistischen Glauben. Wird in diesem Zusammenhang Gottes Neid erwähnt, denkt man verständlicherweise an den philonischen Typ: Jahwe kann es nach seinem Aufstieg zum einzigen Gott nicht ertragen, anderen Anteil an seinem »Gottsein« zu geben. Jaldabaoth ist in der Tat eine Karikatur Jahwes. Auch er verkörpert den Neid des philonischen Typs. Darauf kommen wir gleich noch eingehender zu sprechen. Es ist nun höchst interessant, dass der Paragraph 16 in eine andere Richtung weist, indem er vor das Zitat aus Deuterojesaja das Zitat aus Ex 20,2 setzt: »Ich bin ein eifersüchtiger Gott«. Damit wird auch das Zitat aus Deuterojesaja deutlich mit dem Neid in Zusammenhang gebracht. Dieser Paragraph fährt außerdem kommentierend fort: »Indem er das aber verkündete, gab er den Engeln unter ihm ein Zeichen, dass es einen anderen Gott gibt. Denn wenn es keinen anderen gäbe, auf wen wäre er neidisch?« Dadurch wird klar, dass es sich bei Jaldabaoths Neid um Neid auf einen Stärkeren handelt, der über ihm im Pleroma des Lichts existiert, um Neid auf den

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höchsten Gott also. Dieser Sinnzusammenhang ist auch in den Paragraphen 17–19 implizit vorausgesetzt. Sie alle bezeichnen Jaldabaoths hochmütige Rede als »Sünde« gegen die Welt des Lichts: »Als er dies sagte, sündigte er gegen das All« (§ 17, 18), »Als er das aber sagte, da versündigte er sich gegen alle Unsterblichen« (§ 19). In der uns vorliegenden Szene wird also in erster Linie der Neid des plutarchischen Typs thematisiert. Bei näherer Überlegung klingt das alles jedoch etwas seltsam: Jaldabaoth weiß doch noch gar nichts von der Welt des Lichts über ihm. Was bedeutet es denn, dass er trotzdem schon jetzt einen höheren Gott beneidet? Gerade hier ist der vorhin erwähnte, kommentierende Satz aus dem Paragraphen 16 äußerst wichtig. Der Erzähler des Mythos schreibt hier einen Kommentar für seine Leserinnen und Leser. Der Satz steht deshalb nicht mehr innerhalb, sondern außerhalb des Mythos. Er gehört zur Strategie des Erzählers, der den Leseakt seiner sich außerhalb des Textes befindenden Leserinnen und Leser beeinflußen will. Textlinguistisch gesagt handelt es sich um die pragmatische Wirkung des Mythos. Welche pragmatische Wirkung aber will der Erzähler dieser Paragraphen erreichen? Er will den Leserinnen und Lesern vor Augen führen, dass Jaldabaoth lächerlich ist. Warum beneidet Jaldabaoth etwas, was er noch gar nicht gesehen hat? Diese Frage ist verständlich. Es wäre aber naiv, möchte man sie dadurch beantworten, dass man sich in Jaldabaoth als eine dramatis personae einfühlt und die »psychologischen« Lücken auf der Textoberfläche des Mythos füllt.22 Viel wichtiger ist, dass Jaldabaoth hier, vom Gesichtspunkt der Leserinnen und Leser aus betrachtet, eben gerade den Neid auf einen unbekannten Stärkeren verkörpert und repräsentiert. Der Neid auf einen Stärkeren, den man noch nicht einmal gesehen hat, und die Angst, dass vielleicht ein anderer auftreten wird, der einen übertrifft – beides kennzeichnet zu allen Zeiten die tiefenpsychologische Realität der politischen Machthaber. Hier sei noch einmal an Aristoteles’ Definition erinnert: »Neid empfinden werden ... ferner solche, denen nur weniges dazu fehlt, alles zu besitzen. Daher sind die, welche Großes vollbringen und mit Glück gesegnet sind, neidisch, denn alle, bilden sie sich ein, nähmen ihnen das, was ihnen gehöre. (Aristot., rhet. 1387b25–30).23 Die Strategie des Erzählers im Paragraphen 16 ist also die, Jaldabaoth vor den Leserinnen und Lesern lächerlich zu machen. Hinweise aus »Der zweite Logos des großen Seth« (NHC VII,2) untermauern diese Behauptung. Diese gnostische Schrift ist bereits tiefgreifend verchristlicht worden. Sie besteht aus Erläuterungen zu verschiedenen Szenen des gnostischen Mythos. Das erläuternde Subjekt »Ich« ist mit »Christus« identifiziert (NHC VII ————— 22 23

Vgl. Kap. I, Abs.5, S.51. Vgl. Kap. I, Abs.3, S.33.

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65,18; 69,21). Die Erläuterungen selber werden außerhalb des Mythos gemacht. § 20 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 53,27–33 Und dann kam ein Ruf vom Kosmokrator an die Engel: »Ich bin Gott und es gibt keinen anderen außer mir!« Ich lachte aber freudig, als ich seinen eitlen Ruhm wahrnahm.

§ 21 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 64,18–65,1 Ja, zum Lachen war dieser Archon [sc. Jaldabaoth] selbst, da er sagte: »Ich bin Gott und es gibt keinen, der größer ist als ich. Ich allein bin der Vater, der Herr ist; und es gibt keinen anderen außer mir. Ich bin ein neidischer (eifersüchtiger) Gott und ich bringe die Sünden der Väter über die Kinder bis in die dritte und vierte Generation« – als ob er dadurch mich und meine Brüder überwältigt hätte, die wir doch sündlos bei ihm sind und nicht gesündigt haben. Und so überwanden wir seine Lehre, weil er befangen ist in eitlem Ruhm und nicht übereinstimmt mit unserem Vater. Und so – durch unsere Freundschaft – hielten wir seine Lehre nieder, weil er aufgeblasen ist in eitlem Ruhm und nicht übereinstimmt mit unserem Vater. Ja, zum Lachen war es, ein Gericht über sich selber und falsche Prophetie.

»Der zweite Logos des großen Seth« wiederholt in NHC VII 62,27–64,17 die Wendung »zum Lachen war NN, als ob er dadurch mich und meine Brüder überwältigt hätte, die wir doch sündlos bei ihm sind und nicht gesündigt haben« formelhaft sechsmal. An die Stelle von NN werden der Reihe nach Adam, Abraham mit Isaak und Jakob, David, Solomo, die zwölf Propheten und Mose gesetzt. Darin spiegelt sich das Selbstverständnis der Gnostiker (»Ich und meine Brüder«) wieder, die diese Schrift produziert haben. Sie sind »stärker« als diese alttestamentlichen Gestalten, geschweige denn als Jaldabaoth, der mehr als alle »zum Lachen ist«. Auf dieses Selbstverständnis der Gnostiker kommen wir in Kapitel IV zurück. Die entsprechende Szene findet sich auch in der »Hypostase der Archonten« und »Vom Ursprung der Welt«. Auch sie sprechen von Jaldabaoths Neid auf einen »noch nicht bekannten Stärkeren«. Anschließend konkretisieren sie aber diesen Neid als Neid auf einen »Stärkeren vor Augen«. Auch hier sagt Samael (Jaldabaoth) hochmütig »Es gibt keinen anderen Gott außer mir.« Als die Welt des Lichts das hört, sendet sie das weibliche Gottwesen »Zoe« (Leben) aus. Dieses bläst seinen Hauch gegen Samaels Gesicht. Der Hauch wird zu einem »Engel wie Feuer«, bindet Samael und wirft ihn in die Tiefe des Abgrundes hinab (Die Hypostase der Archonten NHC II 95,5–13). Sabaoth, einer der sieben Söhne Jaldabaoths, zeigt beim

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Anblick der Kraft des feurigen Engels Reue und verurteilt seinen Vater und seine Mutter (das ist: die Materie). Die Welt des Lichts setzt diesen Sabaoth in den siebten Himmel über seinen Vater, um ihn zum Herrscher über die Mächte des Chaos (NHC II 95,13–25) zu machen. Sie belehrt ihn auch über die »Achtheit«, d.h. die Welt des Lichts (NHC II 95,26–96,3). Dann fährt die Erzählung fort: § 22 Die Hypostase der Archonten NHC II 96,3–15 Als Jaldabaoth ihn [sc. Sabaoth] aber in dieser großen Herrlichkeit und dieser Höhe sah, beneidete er ihn. Und der Neid wurde zu einem androgynen Werk. Und dies war der Ursprung des Neides. Und der Neid brachte den Tod hervor. Der Tod aber brachte seine Kinder hervor und setzte ein jedes von ihnen über seinen Himmel ein. Alle Himmel des Chaos füllten sich mit ihren Zahlen.

»Vom Ursprung der Welt« deckt sich vom Paragraphen 19 (NHC II 103,2– 14) an bis NHC II 106,29 mit der Hypostase der Archonten NHC II 95,5– 96,3. Es ist fast dieselbe Erzählung. Aber es ist nicht mehr »Zoe«, sondern »Pistis«, die Samael (Jaldabaoth) bindet und seinen Sohn Sabaoth belehrt, denn sie will ihren früheren Fehltritt mit allen Mitteln wieder gutmachen. In der »Hypostase der Archonten« wird Sabaoth, der Reue gezeigt hat, die »Achtheit« offenbart. Aber in »Vom Ursprung der Welt« wird Sabaoth viel konkreter belehrt. Die Belehrung handelt davon, dass »ein unsterblicher lichter Mensch existiert vor Samael« (NHC II 103,19–20), wobei mit »ein unsterblicher lichter Mensch« der höchste Gott gemeint ist. § 23 Vom Ursprung der Welt NHC II 104,2–17 [Er] [sc. Sabaoth] pries sie, weil sie ihnen Kenntnis über den unsterblichen Menschen und sein Licht gegeben hatte. Die Pistis Sophia aber streckte ihren Finger aus und goss über ihn Licht von ihrem Licht zur Verurteilung seines Vaters. Als Sabaoth nun Licht empfangen hatte, erhielt er große Macht über alle Kräfte des Chaos. Seit jenem Tage wurde er »der Herr der Kräfte« (d.h. Jahweh Zebaǀth) genannt. Er begann, seinen Vater, die Finsternis, und seine Mutter, den Abgrund, zu hassen. Es erfasste ihn Ekel vor seiner Schwester und dem Gedanken des Archigenetor, der sich auf den Wassern hin- und herbewegte (Gen 1,2). Wegen seines Lichtes aber fingen alle Mächte des Chaos an, ihn zu beneiden. Und als sie in Aufregung geraten waren, führten sie einen großen Krieg in den sieben Himmeln.

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Der Neid in gnostischen Mythen

§ 24 Vom Ursprung der Welt NHC II 106,19–29 Als der Archigenetor des Chaos nun seinen Sohn Sabaoth sah und die Herrlichkeit, in der er sich befand, und als er sah, dass er erwählt war vor allen Gewalten des Chaos, da wurde er neidisch. Und als er dabei zornig wurde, da erzeugte er den Tod aus einem Tod. Der wurde über den sechsten Himmel eingesetzt. Sabaoth war ja von jenem Ort entrückt worden. Und so wurde die Zahl der sechs Mächte des Chaos wieder voll. Daraufhin vereinigte sich der Tod, da auch er mannweiblich war, mit seiner eigenen weiblichen Natur und zeugte sieben mannweibliche Kinder.

Zu »allen Mächten des Chaos«, die im Paragraphen 23 Sabaoth beneiden, gehören auch die anderen Glieder der »Sieben« außer Sabaoth. Ihr Neid ist der Neid unter Geschwistern. In den Paragraphen 22 und 24 beneidet Jaldabaoth nicht einen »noch nicht bekannten Stärkeren«, sondern einen »Stärkeren vor Augen« und zwar keinen anderen als seinen eigenen Sohn Sabaoth. Jaldabaoths Neid hier ist der Neid eines Vaters, der von seinem eigenen Sohn übertroffen wird. Hat der Erzähler, der diesen Mythos gestaltet, konkrete politische oder militärische Aufstände an den Kaiserhöfen von Palästina, Syrien, Ägypten und Rom vor Augen? Noch können wir diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Aber alles weist schon stark auf Politik. In der Tat wird mit dem Zitat aus Deuterojesaja, das dem hochmütigen Jaldabaoth in den Mund gelegt wird, ganz allgemein die römische Kaiserherrschaft karikiert. In Kapitel IV, Abschnitt 3 werden wir diese Behauptung eingehender belegen. An dieser Stelle geht es uns darum, die mythologischen Aussagen in den obigen Paragraphen mit der Diskussion über den Neid in der zeitgenössischen hellenistischen Geistesgeschichte zu vergleichen. Wir interessieren uns vor allem dafür, wie im Rahmen der Ethik und Psychologie über den Neid diskutiert wird. Das Sammelwerk »Moralia« von Plutarch ist eine große Schatzkammer für diese Diskussion. Wir haben den Neid, der sich auf einen Anderen richtet, der mehr Güter und Werte als man selbst genießt, bereits »den plutarchischen Typ« genannt.24 Plutarch erörtert diesen Neid aufgrund vieler Fallbeispiele und konkreter historischer Ereignisse und schlägt den Leserinnen und Lesern praktische Maßnahmen zu seiner Überwindung vor. Dabei wird nicht nur der Neid auf die politische Karriere, sondern auch der Neid unter Geschwistern (vgl. § 23!) thematisiert. Obwohl dies alles sehr aufschlussreich ist, können wir aus Platzmangel seine Argumentation nicht so ausführlich wiedergeben, wie wir das für die gnostischen Texte getan haben. Wir treffen vielmehr eine Auswahl der wichtigen Stellen und stellen jeweils zusammenfassend ihren Inhalt vor. ————— 24

Vgl Kap. I, Abs.3, S.37.

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Im Traktat »Wie ist aus Feinden ein Nutzen zu ziehen?« wird gesagt: »Die menschliche Natur wird immer begleitet von Siegesbegier (philoneikia), Eifersucht (zƝlotypia) und Neid (phthonos)« (Plut., mor. 91E). Der Neid wird besonders als »der Gefährte der eitlen Menschen« (Plut., mor. 91F; Zitat aus Pindaros) bezeichnet. Am nützlichsten ist es, all diese Leidenschaften zu tilgen, sie in Richtung Feinde hin zu kanalisieren und sie dadurch von Freunden und Verwandten nach Möglichkeit fern zu halten. Als historisches Beispiel wird ein Politiker namens Demus angeführt. Dieser habe nach dem Sieg seiner Partei im Bürgerkrieg der Insel Kios vorgeschlagen, nicht alle Feinde zu vernichten, denn das sei die beste Maßnahme, einen späteren Streit innerhalb der Siegerpartei zu vermeiden. Etwas später heisst es: »Diese Leidenschaften schädigen die Freunde umso weniger, wenn sie auf Feinde abgelenkt werden. Dann muss man einander nicht so beneiden, wie Hesiod sagt: Töpfer gegen Töpfer, Dichter gegen Dichter.25 Man wird auch nicht neidisch darauf, dass sich Nachbarn, Verwandte oder Geschwister eifrig um Reichtum bemühen und ihn glücklicherweise kriegen« (Plut., mor. 92A). Im Traktat »Über die Ruhe der Seele« wird als die beste Methode für die Bewahrung der Seelenruhe empfohlen, nicht nach oben zu den besser Gestellten hinauf, sondern zu den weniger gut Gestellten hinab zu blicken (Plut., mor. 470B). Weiter wird gesagt: »Jeder von uns ist aus Leichfertigkeit daran gewöhnt, nicht um sich selbst sorgend, sondern immer nach rechts und links schauend zu leben. Und die unserer Natur innewohnende Leidenschaft des Neides (to dyszƝlon) und der Eifersucht (to baskanon) ist so groß, dass wir uns nicht so sehr über die eigenen, schon vorhandenen Güter freuen, als dass wir vielmehr durch die Güter, die anderen zugefallen sind, beleidigt werden« (Plut., mor. 471A). Im Traktat »Über die Bruderliebe« finden sich folgende Einsichten und Ratschläge: »Den Ehrgeizigen sind Neid (phthonoi) und Eifersucht (zƝlotypiai) auf diejenigen, die größere Ehre als sie selbst haben, angeboren. Um dagegen Maßnahmen zu treffen, ist es am nützlichsten, dass Geschwister nicht in derselben Sache um Macht und Ehre miteinander wetteifern, sondern in jeweils verschiedenen Sachen« (Plut., mor. 486A–B). – »Für diejenigen, die wegen ihres angeborenen Charakters nicht ohne Neid (aphthonos) sehen können, dass ihre Brüder Macht und Ehre gewinnen, ist es deshalb nötig, ihren eigenen Wunsch und Ehrgeiz von dem der Brüder möglichst fern zu halten. So können sie sich über einander freuen, statt voneinander beleidigt zu werden« (Plut., mor. 486D). – »Die Jüngeren vermeiden die Älteren, weil sie sich von ihnen beneidet oder zu Unrecht verkleinert fühlen, während die Älteren für immer an ihrem Vorrecht fest————— 25

Hes., erg. 25–27.

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halten und sich vor den Jüngeren fürchten, als ob deren Aufstieg sie ihres eigenen Vorrechts berauben würde« (486F–487A). Zum Schluss ist auch Pelopidas 25 in »Große Griechen und Römer« interessant. Als Pelopidas, ein Feldherr der Athener, im Triumph zurückkehrte, beneidete ein Redner ihn und schmiedete Pläne, seinen Ruhm herabzusetzen. Aus diesem Beispiel wird dann geschlossen: Es sei ein allgemeiner Trost für die Neider, denjenigen, der so angesehen ist, dass sie sich gar nicht mit ihm messen können, auf jede erdenkliche Weise schlechter als andere erscheinen zu lassen. Wie man sieht, handelt es sich hier ohne Ausnahme immer um den Neid auf einen Anderen, dem es besser als einem selbst geht. Dieser Neid ist identisch mit dem des Jaldabaoth, der für die Gnostiker der Paragraphen 16, 20 und 21 »zum Lachen« ist. Ist es denkbar, dass die Erzähler dieser Paragraphen die von Plutarch repräsentierte hellenistische Sicht über den Neid kannten? Diese Frage ist nicht sicher zu beantworten. Es ist auch nicht nötig, hier ein direktes oder indirektes Abhängigkeitsverhältnis der einen von den anderen vorauszusetzen. Beim Neid des plutarchischen Typs handelt es sich offensichtlich um etwas Universales, das von Zeit und Raum unabhängig ist und einem Archetyp der Tiefenpsychologie nahekommt. Ganz sicher ist allerdings, dass insbesondere die Paragraphen 16 und 21 in der hochmütigen Selbsterhebung Jaldabaoths zwei Schlagwörter des alttestamentlichen Glaubens miteinander verbinden: das Schlagwort des Henotheismus: »Ich bin ein eifersüchtiger Gott«26 und das Schlagwort des Monotheismus: »Es gibt keinen anderen Gott außer mir«.27 Duch diese »In-Eins-Setzung« wird der Sinn des ersten Schlagworts: »Ich bin ein eifersüchtiger Gott« verändert. Anders als im Alten Testament verlangt Jaldabaoth nämlich nicht nur, dass die Welt ihn im Unterschied zu den anderen Göttern allein verehrt. Vielmehr monopolisiert er das Gott-Sein für sich allein. Der Neid wird derselbe wie im zweiten Schlagwort: »Es gibt keinen anderen Gott außer mir«. Es ist der Neid, der das Gott-Sein für sich allein beansprucht und keinem Anderen Anteil daran gibt. Deshalb ist das ursprünglich henotheistisch gemeinte Adjektiv »eifersüchtig« im ersten Schlagwort jetzt genauer mit »neidisch« zu übersetzen. Demzufolge erklärt sich Jaldabaoth mit dem Zitat aus Ex 20,2 auch als »ein neidischer Gott«. So wird er buchstäblich zur »Verkörperung des Neides«. Er verkörpert beide Typen des Neides in einem, sowohl den plutarchischen Typ als auch den philonischen. Das ist nun im nächsten Abschnitt eingehender zu belegen.

————— 26 27

Vgl. Kap.I, Abs.1,2. Vgl. Kap.I, Abs.1,3.

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3.2 Der Neid als Missgunst, die anderen die eigenen Güter vorenthält Das Apokryphon des Johannes schildert die Szene der Einsetzung der Unterarchonten durch Jaldabaoth folgendermaßen: § 25 Das Apokryphon des Johannes NHC II 11,4–15 Er [sc. Jaldabaoth] setzte auch sieben Könige ein über die sieben Himmel, jeder entsprechend einem Firmament des Himmels, und fünf über die Tiefe des Abgrundes, damit sie herrschten. Er gab ihnen Anteil an seinem Feuer, aber er entsandte nichts von der Lichtkraft, die er von seiner Mutter genommen hatte, denn er ist unwissende Finsternis. Als das Licht sich mit der Finsternis vermischt hatte, brachte es die Finsternis zum Leuchten. Als aber die Finsternis sich mit dem Licht vermischt hatte, verfinsterte sie das Licht und es wurde weder hell noch dunkel, sondern schwach.

§ 26 Das Apokryphon des Johannes BG 42,10–43,6 Jaldabaoth, der Sakla ist, der so vielgestaltig ist, dass er sich so, wie er will, in jedem Gesicht zeigen kann, teilte ihnen etwas von seinem Feuer mit, das ihm gehört, und von seiner Macht. Von dem reinen Licht aber, das er von der Mutter weggezogen hatte, und von der Kraft gab er ihnen nichts. Aus diesem Grund wurde er Herr über sie. Wegen der Herrlichkeit, die in ihm ist von der Kraft des Lichtes seiner Mutter, ließ er sich Gott über sie nennen. Dadurch wurde er seinem Ursprung, aus dem er entstanden war, ungehorsam.

Der erste Satz im Paragraphen 25, »Er setzte auch sieben Könige ein über die sieben Himmel, ... und fünf über die Tiefe des Abgrundes« setzt die Astronomie der hellenistischen Zeit voraus. »Sieben« und »fünf« bedeuten, dass hier die zwölf Tierkreisbilder in 7 + 5 verteilt werden. Die zwölf Tierkreisbilder, Widder, Stier, Zwillinge usw., sitzen auf der Ekliptik, d.h. auf der scheinbaren Bahn der Sonne, die sich ergibt, wenn die jeweilige Position der Sonne von der Erde her auf die Oberfläche der Kugel des Fixsternfirmaments projiziert wird. Die Ekliptik verschiebt sich vom Äquator des Fixsternfirmaments, der Neigung der Rotationsachse der Erde folgend, um 23 Grad 27 Minuten. Das hat zur Folge, dass bei der winterlichen Sonnenwende, von der nördlichen Hemisphäre der Erde aus betrachtet, fünf Tierkreisbilder – angefangen mit dem, in dem die Sonne gerade ist, – unterhalb des himmlischen Äquators liegen. Nach einer einleuchtenden Hypothese bezieht sich der Paragraph 25 darauf, wenn es heißt: »Er setzte ... fünf über die Tiefe des Abgrundes.«28 —————

28 S. Giversen, Apocryphon Johannis. The Coptic Text of the Apocryphon Johannis in the Nag Hammadi Codex II, Copenhagen 1963, 212. Vgl. auch T. Onuki, Gnosis und Stoa. Eine Untersuchung zum Apokryphon des Johannes, NTOA 9, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1989, 64.

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Der anschließende Teil vom Paragraphen 25 findet sich unter den vier Versionen des Apokryphon des Johannes nur in den sogenannten Langversionen (NHC II,1 und IV,1). Jaldabaoth hatte von seiner Mutter Sophia eine »Lichtkraft« bekommen, war sich aber dessen nicht bewusst. Er ist ein Mischling aus Licht und Finsternis. Die Finsternis wurde durch diese Mischung heller, während das Licht dunkler und schwächer wurde. Selbst diese schwächer gewordene »Lichtkraft« teilte Jaldabaoth nicht mit seinen Unterarchonten. Er gab ihnen nur Anteil an seinem »Feuer«. Dieselbe Aussage wird auch im Paragraphen 26 gemacht. Dieser findet sich in allen vier Versionen. Das bedeutet, dass die Langversionen die Aussage sowohl im Paragraphen 25 als auch im Paragraphen 26 wiederholen und sie betonen. Dass die Gestirne Feuer seien, gehört zur opinio communis aller Schulen der antiken Astronomie und Philosophie. Es war aber die stoische Schule, die dem Feuer eine ganz wichtige, kosmologische und theologische Bedetung beimaß. Von Zenon (335–263 v.Chr.), dem Begründer der Schule, ist folgendes Wort überliefert: Die Sonne, der Mond und die anderen Gestirne haben Vernunft (noeron) und Denkkraft (phronimon). Ihre Substanz ist Feuer und zwar ein schöpferisch wirkendes Feuer (pyr technikon). Denn es gibt zwei Sorten von Feuer. Das eine ist ein nicht schöpferisch wirkendes Feuer. Es verändert Nahrung in Körperkraft. Das andere ist das schöpferisch wirkende Feuer. Das befindet sich in Pflanzen und Tieren und ist für ihr Wachsen und ihre Selbsterhaltung nötig. Dieses Feuer ist die Natur (physis) und die Seele. Das Wesen der Gestirne ist derartiges Feuer.29

Auch Aetius (1.–2. Jh. n.Chr.), ein eklektischer Doxograph und ein Zeitgenosse der syrisch-ägyptischen Gnosis, berichtet über die Stoiker das Folgende: Die Stoiker behaupten dies: Gott ist ein Wesen mit Vernunft und ein schöpferisch wirkendes Feuer. Er schickt sich methodisch zur Weltschöpfung an. Auch die Welt und Gestirne sind Götter. Aber oberhalb dieser aller steht die leitende Vernunft (nous, auch hƝgemonikon genannt). Sie befindet sich im Äther.30

Diese Theorie der Stoiker ist allen zeitgenössischen Philosophen und ihren Schulen bekannt. Es gibt deshalb unzählige Zeugnisse für sie.31 Für uns ist wichtig, dass die beiden Paragraphen 25 und 26 eben dem höchsten Prinzip dieser stoischen Theorie widersprechen und den Pantheismus der Stoiker zurückweisen. Der Erzähler des Apokryphon des Johannes meint: Die Ge—————

29 Stoicorum Veterum Fragmenta (= SVF) I, J. von Arnim (Hg.), 1903, Nachdruck Stuttgart 1978, Fr. 120. 30 SVF II, 1903, Nachdruck Stuttgart 1979, Fr. 1027. 31 Vgl. dazu T. Onuki, Gnosis und Stoa, 67ff.

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stirne sind natürlich Feuer. Darin haben die Stoiker Recht. Die Gestirne sind aber keine »Götter«, sondern nur Untertanen des dummen und unwissenden Demiurgen. Außerdem hat dieser ihnen zwar Anteil an seinem »Feuer« gegeben, nicht aber an der ihm innewohnenden »Lichtkraft«. Er ist ein missgünstiger und neidischer Herrscher. Nicht das »Feuer« der Stoiker, sondern die transzendente »Lichtkraft« ist das höchste Prinzip. Es ist ein Funke, der von der ultramundanen Welt des Lichts in die sichtbar-materielle Welt hinunter gefallen ist und der deshalb einst wieder in die Welt des Lichts zurückzuholen ist. Der Neid, den Jaldabaoth in dieser Szene verkörpert, gehört zum philonischen Typ, der anderen keinen Anteil an seinem eigenen Gut geben will. Der Gegensatz zur »Neidlosigkeit« des höchsten Gottes der Welt des Lichts, der nacheinander die niedrigeren Gottwesen ins Dasein gerufen und ihnen ohne Missgunst Anteil an seinem eigenen Gut, d.h. am Sein an sich, gegeben hat, ist offensichtlich und mit Sicherheit vom Erzähler des Mythos beabsichtigt. Indem er vom Gegenteil spricht, thematisiert er mit Jaldabaoth Gottes Neidlosigkeit, die in der hellenistischen Geistes- und Philosophiegeschichte seit Platon als wichtiger Bestandteil von Gottes Güte und als der Grund seiner Schöpfung der Welt gilt. Wie Philo von Alexandrien diese Tradition seit Platon weiterführt, ist schon in Abschnitt 1 dieses Kapitels erörtert worden. Den philonischen Typ des Neides sollte man genauer genommen »den platonischen Typ« nennen. Für Philo stellt die Neidlosigkeit Gottes das Ziel dar, dem sich der Mensch in ständiger Nachahmung anzunähern hat. Daraus entsteht bei Philo eine spezielle Lehre über den »Weisen«: »Wie das Naturgesetz wahrhaft ist und alles offenbart, so ist auch der Geist des Weisen zu dessen Nachahmung gebührendermaßen verpflichtet, zur Verehrung der Wahrheit und ohne jeden Trug zu sein ebenso wie alles, worüber er belehrt worden ist und was anderen zum Nutzen dienen kann, nicht aus Missgunst zu verbergen« (Philo, VitMos II, 128).32 – »Neid zieht nicht in die Gemüter von Weisen ein, und da er nicht vorhanden ist, lassen sie andere an ihrem Glücke teilnehmen« (Philo, Virt 223).33 – »Der Neid wohnt von der Tugend getrennt« (Philo, SpecLeg I, 320).34 Das Gegenteil des Weisen ist Kaiser Gaius (Caligula). Selbst die Halbgötter hatten nur Anspruch auf ihre persönliche Verehrung, nicht auf die der übrigen. Gaius aber wollte sich, von Neid und Gier getrieben, die Verehrung aller Halbgötter, ja selbst ihre Gottheit, aneignen (Philo, LegGai 80). Auch Sueton berichtet, dass Gaius geschrien habe: »Einer soll der Herrscher, einer der König sein!« (Suet., Cal. 22,1). Caligula ist ein Gott, der es ————— 32

Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.I, 327f. Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.II, 376. 34 Philo von Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung Bd.II, 99. Übersetzung T. Onuki. 33

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nicht ertragen kann, anderen Anteil an seinem eigenen Gott-Sein zu geben. Er gleicht in seinem Schrei dem gnostischen Demiurgen Jaldabaoth, der wie er schreit: »Es gibt keinen anderen Gott außer mir.« Beide Schreie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Von hier aus betrachtet, wird die politische Konnotation des kursiv gesetzten Satzes im Paragraphen 26 klar: »deswegen also ließ er (Jaldabaoth) sich Gott ... nennen.« Das Apokryphon des Johannes spielt hier wahrscheinlich auf die Selbstvergötterung einiger römischer Kaiser an. Auf dieses Problem werden wir in Kapitel IV eingehender zu sprechen kommen. Als Ergebnis der Anschnitte eins bis drei können wir folgende drei Punkte nennen: (1) Der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs gestaltet den Demiurgen Jaldabaoth äußerst bewusst als die Personifikation des Neides schlechthin. Er vereinigt in sich sowohl den plutarchischen als auch den philonischen (platonischen) Typ des Neides. (2) Innerhalb des Mythos selbst ist die »Personifikation des Neides« in Jaldabaoth das genaue Gegenteil der »Neidlosigkeit« des höchsten Gottes. (3) Im geistesgeschichtlichen Kontext außerhalb des Mythos karikiert der Erzähler mit diesem Bild von Jaldabaoth den alttestamentlichen Monotheismus auf der einen Seite und die von den Stoikern vertretene Kosmologie auf der anderen Seite. Er will zwei Gegner auf einmal niederschlagen, sozusagen »zwei auf einem Schlag«. Hier sei nur noch eines ergänzt: Jaldabaoth, die Verkörperung des Neides schlechthin, ist Herrscher über die Welt der Mitte und die Welt der Finsternis. Deshalb wird der Neid auch zum Prinzip dieser zwei Bereiche. Das geschieht so, dass der Neid mythologisch als »Macht« personifiziert und den sieben Unterarchonten Jaldabaoths zugewiesen wird. Im Apokryphon des Johannes NHC II 12,22–23 und NHC II 15,20–21 wird der Neid dem »sechsten Archon Adonein« als dessen weibliche Eigenschaft zugewiesen. In »Vom Ursprung der Welt« NHC II 101,32 heißt der weibliche Name von Eloaios, einem der sieben Söhne Jaldabaoths, »Neid«. Auch in NHC II 106,30 ist der erste ihrer sieben männlichen Namen »Neid«. Im Gegensatz dazu lautet in NHC II 107,7–8 der erste männliche Name der sieben androgynen Unterarchonten Sabaoths »der Neidlose«. Das erklärt sich daraus, dass es sich hier um Sabaoth handelt, der Reue gezeigt hat und von seinem Vater Jaldabaoth beneidet wird.35 ————— 35

Vgl. oben § 22–24.

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4. Die Schöpfung des Menschen durch den Demiurgen Die Schöpfung des Menschen durch den Demiurgen 4.1 Die Melothesia des psychischen Menschen Nachdem der Demiurg Jaldabaoth alle Unterarchonten (Gestirne) und ihre Mächte erschaffen hat, fängt er an, den Menschen zu erschaffen. Der Anstoß dazu kommt allerdings aus der Welt des Lichts, die Jaldabaoths Augen ein »Bild« offenbart. Dieser Vorgang wird im Apokryphon des Johannes BG 47,14–48,5par. als Selbstoffenbarung des höchsten Gottes geschildert, dessen Abbild sich im dunklen Wasser des Abgrundes spiegelt. Dabei sei daran erinnert, dass der höchste Gott auch den Beinamen »der erste Mensch« trägt. Das ist, wie schon erwähnt, eines der wenigen positiven Prädikaten unter den meist negativen Adjektiven im Rahmen der Negativen Theologie zu Beginn des Mythos.36 Das bedeutet, dass das Abbild des höchsten Gottes das Bild eines Menschen ist. Es hat menschliche Gestalt! Es ist freilich durchaus so, dass in anderen Schriften die Offenbarung des »Bildes« nicht als Selbstoffenbarung des höchsten Gottes, sondern eines niedrigeren Gottwesens beschrieben wird, zum Beispiel als Selbstoffenbarung der »Unvergänglichkeit«37, der »Pistis«38, oder auch der »Barbelo«.39 Aber diese Varianten ändern nichts am Tatbestand, dass – ob nach dem Bild des höchsten Gottes oder dem der niedrigeren Gottwesen – Jaldabaoth den psychischen, materiellen Menschen in jedem Fall nach dem Bild des Menschen, wie es im höchsten Gott präsent war, erschafft, denn der Mythos des syrisch-ägyptischen Typs setzt stillschweigend voraus, dass auch die niedrigeren Gottwesen in der Welt des Lichts als Selbstentfaltung des höchsten Gottes genau so wie dieser Menschengestalt haben. Jaldabaoth und seine sieben Unterarchonten erschaffen als »Kerker«, in dem das »Bild« gefangen gesetzt wird, einen psychischen Menschen und geben ihm etwas von ihrer jeweiligen Fähigkeit. Die Langversion des Apokryphon des Johannes macht speziell in dieser Szene einen großen Einschub (NHC II 15,29–19,2) und erzählt, wie der psychische Mensch aus verschiedenen Gliedern zusammengestellt wird (melothesia/meloqesiva). Die Zahl der Dämonen (Engel), die daran beteiligt sind, beträgt insgesamt dreihundertfünfundsechzig. Auch die vier Kardinalleidenschaften, Lust, Begierde, Trauer und Furcht, werden dabei dem psychischen Menschen ————— 36

Vgl. Kap. I, Abs.4, S.43. Die Hypostase der Archonten NHC II 87,11–88,10. 38 Vom Ursprung der Welt NHC II 103,28–32; 107,17–34. 39 Das Apokryphon des Johannes NHC II 14,19–24. 37

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Der Neid in gnostischen Mythen

durch »die vier anführenden Dämonen« eingepflanzt. Der Neid ist ein Unterbegriff der »Trauer«.

§ 27 Das Apokryphon des Johannes NHC II 18,14–19,2 Sie [sc. Onorthochrasaei] ist wahrhaft die Materie, denn durch sie werden die vier anführenden Dämonen ernährt: Ephememphi gehört zur Lust, Joko zur Begierede, Nenentophni zur Trauer und Blaomen zur Angst. Die Mutter aller ist Esthensis-OuchEpi-Ptoe. Aus diesen vier Dämonen entstehen Leidenschaften: aus der Trauer entstehen Neid, Eifersucht, Schmerz, Aufruhr, Wehen, Reue, Sorge, Erniedrigung und so fort; aus der Lust aber entstehen großes Übel, leerer Stolz und ähnliche Dinge; aus der Begierde entstehen Zorn, Wut und Bitterkeit, bittere Liebe, Unersättlichkeit und ähnliche Dinge; aus der Furcht aber entstehen Entsetzen, Kriecherei, Pein und Scham. Alle diese sind in einer gewissen Weise nützlich, aber auch schlecht. Die Einsicht in ihre Wahrheit ist Anaro, die das Haupt der stofflichen Seele ist, denn sie ist die »sieben Wahrnehmungen« der Ouch-Epi-Ptoe.

Alle diese Eigennamen sind dem Jargon entlehnt. Offensichtlich ist diese Aufzählung von der stoischen Lehre geprägt. Die Nachsilbe –chrasaei in Onorthochrasaei stammt vom griechischen Wort krasis »Mischung« (vgl. NHC II 21,1par.) und deutet auf die stoische Lehre von der Mischung der Eigenschaften hin. »Esthensis-Ouch-Epi-Ptoe« ist mit Sicherheit eine rein phonetische, allerdings nicht ganz korrekte Wiedergabe des griechischen Ausdrucks »ai[sqhsi~ oujc ejpi; ptoh« (»Wahrnehmung nicht im Zustand der Erregung«). Schlagwortartig ist damit die Apathie-Lehre der Stoiker zusammengefasst. Nach ihr sollte die Leidenschaft ganz ausgerottet werden und der stoische Weise sollte ohne leidenschaftliche Erregung leben.40 Das Apokryphon des Johannes aber sagt: »Alle diese sind in einer gewissen Weise nützlich, aber auch schlecht.« Damit werden die zuvor aufgezählten Leidenschaften als teilweise »nützlich« betrachtet. Das ist nicht mehr stoische Affektlehre, sondern entspricht vielmehr der peripatetischen Sicht, die einigen Affekten Nützlichkeit zuerkannte.41 Es liegt nahe, dass diesem Paragraphen so etwas wie ein Exzerpt zugrundeliegt, in dem die Affektlehren der beiden Schulen, der Stoiker und der Peripatetiker, bereits eklektisch miteinander vermischt worden waren. Aber der Redaktor, der den Paragraphen 27 des Apokryphon des Johannes als Teil des großen Einschubs NHC II, 15,29–19,2 an seine jetzige Stelle gesetzt hat, tut noch ein weiteres, ————— 40 41

Vgl. Kap.I, Abs.3, S.32. Vgl. Kap.I, Abs.3, S.32.

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indem er hier alle aufgezählten Leidenschaften auf einen »dämonischen« Ursprung zurückführt und sie damit alle herabsetzt. Sein Anliegen widerspricht dem ihm wohl vorliegenden Exzerpt.42 Der Neid wird in der Szene, in der die Glieder des psychischen Menschen zusammengestellt werden, nur als ein Unterbegriff der »Trauer« erwähnt und spielt für die Struktur des Mythos selbst keine wichtige Rolle. Das geht auch aus der Tatsache hervor, dass die zwei Kurzversionen des Apokryphon des Johannes (BG und NHC III,1) ohne diese Szene auskommen. 4.2 Der leuchtende Mensch Der psychische Mensch aber, den Jaldabaoth und seine Unterarchonten unter grossem Kraftaufwand zusammengestellt haben, kann nicht aufstehen. Die Erzählung geht folgendermaßen weiter: § 28 Das Apokryphon des Johannes NHC II 19,10–20,5 Alle Engel und Dämonen arbeiteten, bis sie den psychischen Leib erschaffen hatten. Aber ihr Werk war lange Zeit völlig untätig und unbeweglich. Als die Mutter die Macht zurückgewinnen wollte, die sie dem ersten Herrscher gegeben hatte, flehte sie zum Metropater des Alls (d.h. dem höchsten androgynen Gott), dessen Erbarmen groß ist. Seinem heiligen Plan gemäß sandte er die fünf Erleuchter auf den Ort der Engel des ersten Herrschers herab. Sie berieten ihn mit der Absicht, die Macht der Mutter zurückzuholen und sagten zu Jaldabaoth: »Blase mit dem Hauch, der in dir ist, in sein Gesicht hinein, und sein Leib wird sich erheben.« Da blies er mit seinem Hauch, der die Macht der Mutter ist, in sein Gesicht hinein. Er wußte es nicht, da er in Unwissenheit ist. Die Macht der Mutter ging hinein, aus Altabaoth (Jaldabaoth) heraus in den psychischen Leib hinein, den sie nach dem Bild dessen, der von Anfang an war, gemacht hatten. Er bewegte sich, und der Leib wurde stark und leuchtete. Sofort wurden die übrigen Gewalten neidisch, weil er [sc. der psychische Mensch] durch sie alle entstanden war und sie dem Menschen ihre Macht gegeben hatten und seine Einsicht größer war als die derer, die ihn gemacht hatten und größer als die des ersten Herrschers.

—————

42 Des Näheren bei T. Onuki, Critical Reception of the Stoic Theory of Passions in the Apocryphon of John, in: T. Rasimus/I. Dunderberg/T. Engberg-Pedersen (Hg.), Stoicism and Early Christianity, Peabody, Mas. (im Druck).

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Der Neid in gnostischen Mythen

Auf diese Weise wird die »Lichtkraft« (die Macht der Mutter), die bisher in Jaldabaoth wohnte, aus ihm herausgeholt. Sie geht in den psychischen Menschen über. In dem Augenblick steht er auf. Es ist deutlich, dass diese gnostische Umdeutung von Gen 2,7 die biblische Erzählung auf den Kopf stellt. Gleichzeitig wird auch eine Antithese gegen die hellenistische Anthropologie aufgestellt, es sei die Psyche (Seele), die den Menschen zu einem aufrechten Lebewesen mache. Das Apokryphon des Johannes behauptet, dass ein Prinzip, das die Psyche überragt und transzendiert, den Menschen aufrichtet, die »Lichtkraft« aus dem transmundanen Pleroma. Erst dank dieser Kraft steht der psychische Mensch auf und leuchtet. Seine Kraft zur Einsicht ist stärker als die seines Schöpfers, des ersten Herrschers. Jaldabaoth fängt an, ihn zu beneiden. Dieselbe Szene findet sich noch einmal im Evangelium nach Philippus. Dort wird allerdings der erste psychische Mensch Adam genannt, während die die Psyche überragende und transzendierende Kraft als »Geist« bezeichnet wird. § 29 Das Evangelium nach Philippus 80 (NHC II 70,22–34) Die Seele Adams ist aus einem Hauch entstanden. Ihr Paargenosse ist der Geist. Es war seine Mutter, die ihm diesen Geist gegeben hatte. Als er sich mit dem Paargenossen vereinigt hatte, sprach er Worte, die zu hoch für die Mächte waren. Deswegen beneideten sie ihn. ...

Jaldabaoths Neid hier gehört zum plutarchischen Typ. Er beneidet einen Anderen, der größere Güter als er selbst genießt. Genauer genommen liegt die Ursache für Jaldabaoths Neid darin, dass sein eigenes Geschöpf größer und stärker als er selbst geworden ist. Insofern gleicht sein Neid hier dem Neid, den er in den Paragraphen 22–24 auf Sabaoth, seinen Sohn empfand, als dieser höher gestellt wurde als er selbst. Von diesem Neid getrieben, nehmen Jaldabaoth und seine Unterarchonten den leuchtenden Adam gefangen und sperren ihn in die weiter unten liegende Welt der Materie ein. Das beweist, dass Jaldabaoths Neid in dieser Szene mit der Erzählhandlung des Mythos aufs Engste und untrennbar verbunden ist. Er spielt eine für den Mythos unentbehrliche Rolle. Außerdem lässt sich an dieser Szene auch aus psychologischer Sicht etwas Wichtiges beobachten. G. Theißen hat dafür den Ausdruck »psychomythischer Parallelismus« geprägt.43 Adam, der psychische Mensch, wird in dieser Szene als der erste Mensch erschaffen. Er ist der Archetyp des Menschen überhaupt. In ihm soll jeder Mensch sich selbst wiederfinden. Des————— 43

G. Theißen, Erleben und Verhalten, 520.

Das Kommen des Offenbarers

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halb gewinnt das Ereignis archetypische Bedeutung, dass die »Lichtkraft« jetzt in ihn hineinkommt und ihn leuchten lässt und dass Jaldabaoth, der sie verloren hat und schwach geworden ist, ihn jetzt beneidet. Besonders im kursiv gesetzten letzten Satz vom Paragraphen 28 »(weil) seine Einsicht größer war als die derer, die ihn gemacht hatten und größer als die des ersten Herrschers« können wir eine Reflexion des Selbstverständnisses der Gnostiker sehen, die diesen Mythos produziert und rezipiert haben. Jaldabaoths Neid auf den leuchtenden Adam ist derselbe Neid, den der Herrscher dieser Welt auf die Gnostiker empfindet, die die göttliche »Lichtkraft« entdeckt haben, die in ihrem eigenen Selbst wohnt. Der Demiurg Jaldabaoth ist ja der Herrscher der sichtbar-materiellen Welt. Als vom Herrscher der Welt und seinen Untermächten Beneideteten, so kann man schließen, verstehen sich die Gnostiker des syrisch-ägyptischen Typs. Im gnostischen Mythos dieses Typs gibt es noch einen anderen Topos, in dem Jaldabaoths Neid auf den ersten Menschen Adam erwähnt wird. Es ist die Szene, in der ein Offenbarer aus der Welt des Lichts zu ihm und seiner Frau Eva kommt. Zuvor muss Adam allerdings mit einem fleischlichen Leib bedeckt werden und ein fleischlicher Mensch geworden sein.

5. Das Kommen des Offenbarers Das Kommen des Offenbarers Der erste Mensch wird im »Paradies« in der unteren Welt der Finsternis gefangen genommen und mit Fleisch bedeckt. Bis dahin bestand er aus zwei Teilen, der Psyche und der Lichtkraft. Erst jetzt wird er zu einem dreiteiligen Wesen. Das traditionelle Menschenbild des Hellenismus war dichotomisch (es unterschied Psyche und Leib). Im Unterschied dazu ist das gnostische Menschenbild trichotomisch. Es unterscheidet Lichtkraft, Psyche und Leib. Das entspricht der Dreischichtenstruktur des Makrokosmos, der aus der Welt des Lichts, der Mitte und der Finsternis besteht, die konzentrisch angeordnet sind.44 Den fleischlichen Leib nennt das Apokryphon des Johannes »das Grab des Gebildes des Leibes« (BG 55,10–11par.), »Fessel der Materie/des Vergessens« (BG 55,12–13par.) und »die erste Trennung« (BG 55,15par.). Im Gegenzug sendet die Welt des Lichts einen Offenbarer zu Adam und Eva, um sie zu ihrem wahren Selbst zu erwecken. Der gnostische Mythos erzählt davon in Form einer »revolutionären« Umdeutung von Gen 3,1–7. Das Positive wird ins Negative umgedeutet und umgekehrt. Die Texte lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Die einen bewerten die Schlange in ————— 44

Vgl. die Figur S.47.

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Der Neid in gnostischen Mythen

der Genesis positiv und zeigen sie als Offenbarerin der wahren Erkenntnis, die anderen lassen andere Offenbarer als die Schlange auftreten.

5.1 Die Schlange als »Lehrerin« § 30 Die Hypostase der Archonten NHC II 89,31–90,14 Die geistige Frau kam aber [in] Gestalt der Schlange, der Unterweiserin. Und sie [belehrte sie (sc. Adam und Eva)] und sprach: »Was war es, das [er zu] euch [gesagt hat]? Von jedem Baum im Paradies wirst du essen, aber [von dem Baum] der Erkenntnis des Guten und des Bösen, iss nicht?« (Gen 2,17) Die fleischliche Frau sprach: »Er hat nicht nur gesagt, »Esst nicht«, sondern: »Berührt ihn nicht, denn an dem Tag, an dem ihr von ihm essen werdet, werdet ihr des Todes sterben!« (Gen 3,3).« Und die Schlange, die Unterweiserin, sagte: »Ihr werdet nicht des Todes sterben, denn er sagte euch dies, weil er neidisch ist. Vielmehr werden eure Augen sich öffnen, ihr werdet sein wie die Götter und wissen, was böse und was gut ist.« Und die Unterweiserin wurde von der Schlange hinweggenommen und ließ sie [sc. die Schlange] zurück – diese war jetzt nur ein Erdenwesen. Und die fleischliche Frau nahm vom Baum, aß und gab ihrem Mann.

§ 31 Vom Ursprung der Welt NHC II 118,24–119,19 Dann kam der, der weiser ist als sie [sc. die sieben Unterarchonten] alle, der, den man »Tier« genannt hat. Und als er das Abbild ihrer beider Mutter, Eva, sah, sagte er zu ihr: »Was hat Gott da zu euch gesagt: ›Esst nicht von dem Baum der Erkenntnis? ‹« (Gen 2,17) Sie sagte: »Er hat nicht nur gesagt: ›Esst nicht von ihm‹, sondern auch: ›Berührt ihn nicht, damit [du (sic) nicht] stirbst‹« (Gen 3,3). Er sagte zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Ihr werdet [nicht] des Todes [sterben. Er weiß] nämlich, dass, wenn ihr von ihm esst, euer Verstand nüchtern werden wird und ihr wie Götter sein werdet, weil ihr den Unterschied kennt, der zwischen den bösen Menschen und den guten besteht. Er hat euch das nämlich gesagt, weil er neidisch ist, damit ihr nicht von ihm esst.« Eva aber vertraute den Worten des Lehrers. Sie schaute hinauf zum Baum. Sie sah, dass er schön und prächtig war und fand Gefallen an ihm. Sie nahm von seiner Frucht, sie aß, gab auch ihrem Gatten, auch er aß. Da wurde ihr Verstand aufgetan. Als sie nämlich gegessen hatten, erstrahlte ihnen das Licht der Erkenntnis. Als sie die Scham angelegt hatten, erkannten sie, dass sie ausgeschlossen gewesen waren von der Erkenntnis. Als sie nüchtern geworden waren, sahen sie, dass sie nackt

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waren und liebten einander. Als sie die Tiergestalt derjenigen sahen, die sie erschaffen hatten, ekelten sie sich vor ihnen. Sie kamen zu großer Erkenntnis.

Die beiden Paragraphen 30 und 31 gleichen sich sehr. Wahrscheinlich liegt der Paragraph 30 dem Paragraphen 31 zugrunde. Beidemal wird die Schlange »Unterweiserin« oder »Lehrer(in)« genannt. Im Paragraphen 31 wird sie auch als »Tier« bezeichnet. Eine bedeutende Theorie vermutet hier ein Wortspiel: Im Aramäischen heißt »Schlange« তewyƗ, während »Lehrer(in)« তaweyƗ (abgeleitet aus dem Partizip des Verbs »lehren«) heisst. Zuerst wurden die beiden Wörter aufgrund der phonetischen Ähnlichkeit miteinander verbunden. Tauscht man außerdem bei তewyƗ »Schlange« w mit y aus, so ergibt sich daraus Aramäisch তeywƗ, »Tier«.45 Diese Theorie überzeugt, weil es in »Vom Ursprung der Welt« weiter vorne, in NHC II 114,2–4 heißt: »Die Deutung für ›das Tier‹ ist ›der Lehrer‹. Es wurde nämlich klüger erfunden als sie [sc. die Mächte der Welt] alle.« In beiden Paragraphen spielt die Schlange eine sehr positive Rolle als »Unterweiserin« der wahren Erkenntnis. Im Paragraphen 30 ist die wahre Offenbarerin zwar genauer genommen die »geistige Frau«, die für eine bestimmte Zeit die Gestalt der Schlange angenommen hat. Sobald die »geistige Frau« ihre Aufgabe vollendet hat und in die Welt des Lichts zurückkehrt, wird die Schlange als »Erdenwesen« zurückgelassen. Der Inhalt aber der Offenbarung, welche die »Unterweiserin« Adam und Eva übermittelt, ist in beiden Paragraphen identisch: Das Verbot des alttestamentlichen Gottes, nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen (Gen 2,17; 3,3), ist begründet in seinem Neid. Der Gott des Alten Testaments wird hier als ein Gott geschildert, der das Wissen über Gut und Böse nur für sich allein beansprucht und nicht bereit ist, anderen Anteil daran zu geben. Das gehört zum Neid des philonischen Typs.

§ 32 Das Zeugnis der Wahrheit NHC IX 47,14–48,7 Was ist das für ein Gott? Zuerst missgönnte [er] Adam vom Baum der Erkenntnis zu essen und zweitens sprach er: Adam, wo bist du (Gen 3,9) ? Gott aber hat keine Voraussicht, das heißt, er wusste zuerst nicht Bescheid. [Und] danach sprach er noch: Lasst uns ihn [aus] diesem Ort hinauswerfen, damit er nicht vom Baum des Lebens esse und ewig lebe. So hat er sich selbst als missgünstiger Neider offenbart. Was ist dieser also für ein Gott? Groß nämlich ist die Blindheit derer, die lesen und es nicht verstehen. Und er sprach: Ich bin der neidischer Gott. Ich will die Sünden der Väter über die Kinder bringen bis in die dritte und vierte Generation (Ex 20,5).

————— 45 A. Böhlig, Die koptisch-gnostische Schrift ohne Titel aus Codex II von Nag Hammadi, Berlin 1962, 73f.

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Der Neid in gnostischen Mythen

In diesem Paragraphen wird Jahwe, der alttestamentliche Gott, noch mehr als in den Paragraphen 30 und 31 als neidischer Gott beschrieben, der anderen seine Erkenntnis über Gut und Böse vorenthält. Die »Unterweiserin« wird nicht erwähnt. Unmittelbar davor jedoch, in NHC IX 47,3–6, heißt es: »Und die Frau sprach: Die Schlange ist es, die mich aufgeklärt hat. Und er (Jahwe) verfluchte die Schlange und nannte sie Verleumder (Diabolos).« Dahinter steckt eine frühjüdische Tradition, die die Schlange in Gen 3,1–7 mit dem Satan (Teufel) identifiziert. Darauf kommen wir im nächsten Abschnitt (5,3) zu sprechen. Paragraph 32 deutet nicht die Erzählung in Gen 3,1–7 selbst, sondern vielmehr diese frühjüdische Tradition komplett um, indem er betont, dass es nicht so ist. Die von euch »Satan« genannte Schlange ist vielmehr die Offenbarerin der wahren Erkenntnis. Auch das nächste Beispiel, Paragraph 33, zeigt, wie der gnostische Mythos diese frühjüdische Anschauung aufnimmt. Der Paragraph 33 ist eine fast unmittelbare Fortsetzung vom Paragraphen 31.46 § 33 Vom Ursprung der Welt NHC II 120,12–121,14 A Damals machten die Mächte die Erfahrung, dass wahrhaftig einer, der stark ist, vor ihnen ist. Doch sie begriffen nichts, außer dass sie [sc. Adam und Eva] ihr Gebot nicht gehalten hatten. Sie brachten einen großen Neid in die Welt hinein, nur wegen des unsterblichen Menschen. B Als die Archonten sahen, dass er [sc. Adam] zu einer anderen Erkenntnis gekommen war, da wollten sie ihn auf die Probe stellen. Sie versammelten alles Vieh und zwar Tiere der Erde und die Vögel des Himmels. Sie brachten sie zu Adam, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Als er sie sah, gab er den Geschöpfen der Archonten Namen (Gen 2,19–20). C Sie [sc. die Archoten] gerieten in Verwirrung, dass Adam nüchtern geworden war aus aller Angst (oder Unkenntnis?). Sie versammelten sich, hielten Rat und sagten: »Siehe, Adam ist wie einer von uns geworden, so dass er den Unterschied zwischen Licht und Finsternis kennt. Jetzt aber, damit er nicht verleitet werde wie beim Baum der Erkenntnis und auch noch hingehe zum Baum des Lebens (Gen 2,9; 3,22), von ihm esse, unsterblich werde, [Herr] werde, uns verachte, [uns] und unsere ganze Herrlichkeit gering [schätze] und danach [uns und unsere] Welt verurteile, – kommt, lasst uns ihn hinabwerfen aus dem Paradies auf die Erde, den Ort, aus dem er hervorgebracht worden ist, damit er von jetzt an nicht mehr fähig sei, etwas besser zu verstehen als wir.« Und so warfen sie Adam heraus aus dem Paradies samt seiner Frau.

————— 46

dert.

Um der nachfolgenden Rückverweise willen ist § 33 in Unterparagraphen A, B, C ... geglie-

Das Kommen des Offenbarers

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D Und das, was sie getan hatten, genügte ihnen noch nicht, sondern sie fürchteten sich immer noch. Sie gingen zum Baum des Lebens, versahen den Weg zu ihm mit großen Schrecknissen, nämlich mit feurigen Lebewesen, die »Cherubin« genannt wurden, und stellten ein flammendes Schwert zwischen sie, das fortwährend ganz furchtbar kreiste, damit niemals einer von den Erdenmenschen hineingehe zu jenem Ort. Danach beneideten die Archonten noch immer Adam, ...

Der erste Satz vom Unterpragraphen A: »Damals machten die Mächte die Erfahrung, dass wahrhaftig einer, der stark ist, vor ihnen ist« nimmt die Aussage wieder auf, die dieselbe Schrift bereits in NHC II 107,31–34 gemacht hat: »Denn er (Jaldabaoth) war in Furcht geraten, dass sie erkennen könnten, dass ein anderer vor ihm existiert und dass sie ihn (Jaldabaoth) verachten könnten.« Jaldabaoths Furcht bekommt hier Recht. Seine Unterarchonten erkennen, dass es in der Welt des Lichts einen »Starken« gibt, der Jaldabaoth übertrifft, nämlich den höchsten Gott. Aber auch sie fangen alle an, »den unsterblichen Menschen« (d.h. den höchsten Gott) sehr zu beneiden. Dieser Neid gehört zum plutarchischen Typ, der sich auf denjenigen richtet, der stärker und besser ist als man selber. Neid desselben Typs zeigt sich auch im Wort der Unterarchonten im Unterparagraphen C »damit er [sc. Adam] von jetzt an nicht mehr fähig sei, etwas besser zu verstehen als wir.« Das sagen die Unterarchonten, nachdem sie Adams Fähigkeit bewundert haben, allen ihren Geschöpfen Namen zu geben. Dieser Erzählzusammenhang setzt eine interessante Interpretation von Gen 2,19–20 im zeitgenössischen Judentum voraus. Gott war vor den Engeln auf diese Fähigkeit Adams so stolz, dass die Engel Adam beneideten. Diese traditionelle Interpretation legen wir im Abschnitt 5,3 näher dar. Hier sei lediglich vermerkt, dass der allerletzte Satz des vorliegenden Paragraphen »Danach beneideten die Archonten noch immer Adam« sich dieser Interpretation anschließt und den Neid der Archonten auf Adams Intelligenz beschreibt. 5.2 Andere Offenbarer außer der Schlange Neben den angeführten Paragraphen, die die Schlange von Gen 3 als »Unterweiserin« für Adam und Eva auftreten lassen, gibt es auch Texte, die diese Funktion anderen Offenbarern zuweisen. Repräsentativ dafür ist das Apokryphon des Johannes.47

————— 47

Um der nachfolgenden Rückverweise willen ist § 34 in Unterparagraphen A und B gegliedert.

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Der Neid in gnostischen Mythen

§ 34 Das Apokryphon des Johannes BG 57,8–58,7 A Der Baum aber, der von ihnen [sc. Jaldabaoth und seine Unterarchonten] als Baum der »Erkenntnis von Gut und Böse« (Gen 2,9.17) bezeichnet wird, ist die Epinoia des Lichtes. Sie gaben in Bezug auf sie das Gebot, nicht von dem Baum zu essen, das heißt, nicht auf sie zu hören. Denn das Gebot wurde gegen ihn [sc. Adam] erlassen, damit er nicht nach oben zu einer Fülle [sc. dem Pleroma] blicke und sein Entblößtsein von seiner Fülle erkenne. Ich aber stellte sie [sc. Adam und Eva] wieder her, so dass sie aßen. B Ich [sc. Johannes] sagte zu ihm: »Christus, war es nicht die Schlange, die sie [sc. Eva] belehrte?« Er lächelte und sagte: »Die Schlange belehrte sie über die Zeugung in Lust, Befleckung und Verderben, weil diese ihr [sc. der Schlange] nützlich sind.«

Offensichtlich handelt es sich auch hier um eine gnostische Umdeutung von Gen 3,1–7, die das Positive und das Negative auf den Kopf stellt. Auch hier ist Jahwe, der Gott des Alten Testaments, ein neidischer Gott, der dem Menschen (Adam) die Erkenntnis von Gut und Böse vorenthält und das Verbot (Gen 2,17) erlässt. Aber der Schlange wird im Unterschied zu den Paragraphen 30–32 eine negative Rolle zugewiesen: Sie ist eine Verkörperung Jaldabaoths. Sie lehrt das Menschenpaar den Zeugungsakt, damit sich die Zahl der fleischlichen Menschen vermehrt und die Lichtkraft, die jetzt Adam innewohnt, unter sie alle zerstreut wird. Damit wird es für die Welt des Lichts schwieriger, sie wieder einzusammeln. Für Jaldabaoth aber ist es »nützlich« (B). Wer offenbart denn hier Adam und Eva die wahre Erkenntnis? Die Antwort lautet nach dem uns vorliegenden Text: Es ist das »Ich« im letzten Satz vom Unterparagraphen A: »Ich aber stellte sie (Adam und Eva) wieder her, so dass sie aßen.« Mit diesem »Ich« ist, wie der Unterparagraph B zeigt, »Christus« gemeint, denn das Apokryphon des Johannes ist in seiner Rahmenhandlung (NHC II 1,1–2,25 und 31,27–32,9par.) als Dialog zwischen dem auferstandenen Christus und seinem Jünger Johannes gestaltet. In unserem Paragraphen tritt diese Rahmenhandlung etwas unvermittelt wieder in den Vordergrund. Wir haben allerdings schon in Kapitel I, Abschnitt 4 auf den sekundären Charakter dieser Rahmenhandlung hingewiesen. In der Redaktionsstufe, in der der Mythos des Apokryphon des Johannes noch keine Rahmenhandlung hatte, muss das »Ich« auf die »Epinoia des Lichtes« (A) bezogen gewesen sein, die in dieser Szene als Offenbarerin auftritt. Die »Epinoia des Lichtes« ist in Wirlichkeit aber Barbelo. Barbelo wiederum ist das erste Abbild und die erste Doppelgängerin des höchsten Gottes (vgl. die Erläuterung zu § 2). Barbelo hat unter anderen den Beinamen »die Pronoia des Alls« (BG 27,10–15par.). Das griechische Wort »Pronoia« bedeutet

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»Vorsehung« (lat.: providentia). Die Pronoia wiederum wirkt in der uns vorliegenden Szene der Offenbarung für Adam und Eva im Gefängnis als »Epinoia«, d.h. als »Fürsorge im Nachhinein«. Das heißt, dass Barbelo stets das handelnde Subjekt ist. Sie plant das Heilsdrama an Stelle des höchsten Gottes im Voraus und ist auch von hinten her für seine Durchführung besorgt. In der vorliegenden Szene ist sie identisch mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, zeigt sich aber etwas später in NHC II 23,24– 35par. als Offenbarerin »in Gestalt eines Adlers« auf dem Baum der Erkenntnis. Was den Neid angeht, ist im Paragraphen 34 keine Rede davon, dass Jaldabaoth und seine Unterarchonten den/die OffenbarerIn – sei es die Epinoia, sei es Christus – beneideten. Der Grund dafür liegt darin, dass das Apokryphon des Johannes schon bei der Erschaffung des psychischen Menschen Adam48 den Neid Jaldabaoths und seiner Unterarchonten erwähnt. Jaldabaoths Neid richtet sich dort zwar nicht auf einen Offenbarer, sondern auf den psychischen Adam, der ihn nunmehr übertrifft, aber das macht keinen wesentlichen Unterschied. Das Apokryphon des Johannes nimmt in dieser Hinsicht genauso wie hinsichtlich der negativen Bewertung der Schlange von Gen 3 unter den gnostischen Mythen eine Sonderstellung ein. Insofern kann man es schwerlich als den Idealtypus des gnostischen Mythos bezeichnen. Üblicherweise erwähnen die gnostischen Mythen Jaldabaoths Neid im Zusammenhang mit dem Kommen des Offenbarers. Liest man den Paragraphen 34 innerhalb der vorgegebenen Rahmenhandlung des Apokryphon des Johannes, erscheint Christus nicht nur dem Jünger Johannes als der Auferstandene, sondern schon in uralter mythologischer Zeit auch dem fleischlichen Menschenpaar Adam und Eva als der erste Offenbarer. Im Unterschied dazu gibt es unter den bereits weitgehend verchristlichten gnostischen Mythen auch Texte, die Christus als einen erst später auf die Erde gekommenen Offenbarer schildern. Auch auf diesen Christus richtet sich der Neid Jaldabaoths und seiner Mächte. § 35 Das Zeugnis der Wahrheit NHC IX,32,23–33,9 Denn der Menschensohn zog ihre Erstlingsgaben an und ging hinab zur Unterwelt. Und er vollbrachte viele Krafttaten und erweckte die Toten in ihr. Und die Herrscher der Welt der Finsternis waren neidisch auf ihn, weil sie keine Sünde an ihm fanden. Vielmehr beseitigte er ihre anderen Werke unter den Menschen, wie er zum Beispiel den Krüppeln, den Blinden, den Lahmen, den Stummen, den von Dämonen Besessenen Heilung schenkte. Und er wandelte auf den Wassern des Meeres.

————— 48

Vgl. Kap II, Abs. 4,2.

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Der Neid in gnostischen Mythen

Mit dem »Menschensohn« hier ist mit Sicherheit Jesus Christus gemeint. Der Satz »die Herrscher der Welt der Finsternis waren neidisch auf ihn« nimmt womöglich Bezug auf Mk 15,10. § 36 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 56,21–57,7 Als ich im Herabkommen war, sah mich niemand, denn ich veränderte meine Gestalt, indem ich das Aussehen jeweils wechselte. Und deswegen, als ich bei ihren Pforten war, nahm ich ihr Aussehen an: Denn leise zog ich an ihnen vorüber. Und ich sah die Orte und fürchtete mich nicht und wurde nicht zuschanden, denn ich war unbefleckt. Und ich redete mit ihnen, weil ich mit ihnen durch die Meinigen verbunden war, und ich zertrat ihre Hartnäckigkeit und den Neid. Und das Feuer löschte ich. Dies alles aber tat ich wegen meines Willens, um das zu vollenden, was ich nach dem Willen des Vaters oben wollte.

§ 37 Die zweite Apokalypse des Jakobs NHC V 55,15–27 Denn du [sc. Jakob] bist nicht ein Erlöser und Helfer von Fremden. Du bist der Erleuchter und Erlöser der Meinen – jetzt auch der Deinen. Du sollst offenbaren und ihnen allen Gutes bringen. Dich [sollen sie] bewundern wegen [aller] deiner Krafttaten. Du bist es, den die Himmel selig preisen. Auf dich soll der neidisch sein, [der sich] den Namen »der [Neidische]« gegeben hat.

Ein anderer Übersetzungvorschlag des letzten Satzes lautet: »der sich den Namen »Dein Herr« gegeben hat. Wir ziehen ihm die oben angegebene Übersetzung vor wegen des Motivs des Neides, das einen Sinnzusammenhang mit dem unmittelbar vorausgehenden Satz bildet.49 Etwas unklar beibt allerdings, ob und wieweit man den »Herrenbruder« Jakob, der hier mit »du« angeredet wird, einen Offenbarer wie Jesus (»Ich«) nennen darf. Gerade diese Unklarheit weist auf einen entscheidenden Punkt für das Verständnis des gnostischen Mythos hin. Es ist weder immer möglich noch nötig, die einzelnen Gnostiker und Offenbarer – sei es im Sinne der Uroffenbarung, sei es im Sinne der späteren kontinuierlichen Offenbarung – klar voneinander zu unterscheiden. Sowohl die einzelnen Gnosiker als auch die Offenbarer sind Teil der Welt des Lichts. Die ersteren als Träger der in der Welt der Finsternis und ins Leib-Gefängnis zerstreuten »Lichtkraft«, die letzteren als Gesandte und Beauftragte für die Sammlung und Rückführung der »Lichtkraft«. Für den ersten Menschen, den psychischen und den fleischlichen, gilt dasselbe. Daraus ergibt sich die Feststellung, dass der Neid, —————

49 Wir ziehen außerdem der an sich möglichen Wiedergabe »der Eifersüchtige« bewusst »der Neidische« vor. Zur Begründung vgl. Kap. II, Abs. 3,1: S.71.

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den der Herrscher der Welt auf den ersten Menschen Adam und den Offenbarer richtet, sich genauso auch auf die Leserinnen und Leser des Mythos selbst richtet. Wie schon gegen Ende von Abschnitt 4,2 bemerkt, verstehen sich die Gnostiker als »die von der Welt Beneideten«. Hier setzt die Entmythologisierung des gnostischen Mythos im Wesentlichen an. Darauf kommen wir aber erst im nächsten Kapitel zu sprechen.

5.3 Satan, der im Paradies Adam beneidet: eine frühjüdische und frühchristliche Tradition Hinter den Paragraphen 32 und 33, die die Schlange von Gen 3,1–7 zur »Unterweiserin« für die wahre Erkenntnis umdeuten, steckt, wie gesagt, eine für das Frühjudentum charakteristische Vorstellung. Man kann sie als »Satan, der im Paradies Adam beneidet« charakterisieren. Auch hinter dem Paragraphen 34 verbirgt sich dieselbe Vorstellung, die daraus erwachsen ist, dass die Sündenfallgeschichte von Gen 3 immer wieder nacherzählt worden ist. Ihre Interpretationsgeschichte reicht von den alttestamentlichen Apokryphen über die Schriften des rabbinischen Judentums bis zu den altchristlichen Kirchenvätern. Im Folgenden seien nur einige wichtige Belege angeführt. Die ersten drei gehören zu den alttestamentlichen Apokryphen. (1) Das Leben Adams und Evas 12–16 12,1Und aufseufzend sprach der Teufel: »O Adam, meine ganze Feindschaft und mein Neid und mein Schmerz richtet sich auf dich, weil ich deinetwegen vertrieben und meiner Herrlichkeit beraubt worden bin, die ich im Himmel inmitten der Engel hatte, und deinetwegen auf die Erde hinabgeworfen bin.« 2Da antwortete Adam: »Was habe ich dir getan, 3oder was ist meine Schuld gegen dich? Wenn du von uns nicht geboren (?) oder verletzt worden bist, warum verfolgst du uns?« 13,1Da antwortete der Teufel: »Adam, was sagst du da zu mir? Um deinetwillen bin ich vertrieben worden. 2Als du geformt wurdest, bin ich von dem Angesicht Gottes verstoßen und fernab der Gemeinschaft der Engel geschickt worden. Als Gott den Lebenshauch dir eingeflößt hat und dein Gesicht und dein Abbild zum Ebenbild Gottes gemacht wurde, brachte dich Michael herzu und ließ dich im Angesicht Gottes anbeten, und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam, ich habe dich zu unserem Ebenbild und Abbild gemacht. 14,1Und Michael ging hinaus und rief alle Engel und sprach: Betet das Ebenbild Gottes des Herren an, wie es Gott der Herr geboten hat. 2Und er, Michael, betete als erster an und rief mich und sprach: Bete das Ebenbild Gottes, Jehovas, an. 3Und ich antwortete ihm: Ich habe keine Veranlassung, Adam anzubeten. Und ich sprach zu ihm: was drängst du mich? Ich werde nicht jemanden anbeten, der geringer und später entstanden ist als ich; in der Schöpfung bin ich früher als er. Bevor jener entstand, war ich

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schon geschaffen. Er muss mich anbeten. 15,1Als das die übrigen Engel hörten, wollten sie ihn (ebenfalls) nicht anbeten. 2

Und Michael sprach: Bete das Ebenbild Gottes an. Wenn du aber nicht anbetest, wird dir Gott der Herr zürnen. 3Und ich sprach: Wenn er mir zürnt, werde ich meinen Sitz über die Gestirne des Himmels setzten und dem Höchsten ähnlich sein. 16,1Und Gott der Herr wurde zornig auf mich und schickte mich mit meinen Engeln weit weg von unserer Herrlichkeit, und deinetwegen sind wir in diese Welt hinaus vertrieben worden von unseren Wohnungen und sind auf die Erde geworfen worden, 2 und sofort wurden wir vom Schmerz erfüllt, weil wir solch großer Herrlichkeit beraubt wurden, 3und wir litten Schmerz über solch große Freude und Wonne. 4Und mit List umgarnte ich deine Frau und bewirkte, dass du durch sie von diesen Freuden und Wonnen vertrieben wurdest, gleich wie ich von meiner Herrlichkeit vertrieben wurde.«50

Das Leben Adams und Evas ist wohl in der Zeit von Ende des ersten Jahrhundert v.Chr. bis Mitte des ersten Jahrhunerts n.Chr. entstanden. Der vorliegende Paragraph geht von der Voraussetzung aus, dass der Satan ursprünglich ein Oberengel und mit seinen Unterengeln zusammen bei Gott im Himmel war. Das gehört zum selben Vorstellungskreis, der sich schon in Ijob 1–2 findet, zur Vorstellung der himmlischen Versammlung der Engel vor Gottes Angesicht. Nach unserem Paragraphen zwang Gott die Engel Adam anzubeten, nachdem er ihn nach seinem eigenen Bild und Gleichnis erschaffen hatte. Der Satan lehnte das ab und wurde deswegen mit seinen Unterengeln vom Himmel auf die Erde verbannt. Dass dieselbe Vorstellung auch hinter Jesu Wort in Lk 10,18 steckt, ist wohl bekannt.51 Vorstellungsgeschichtlich hängt sie auch mit der Auslegungsgeschichte von Jes 14,12– 15 zusammen: »Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte. Zu Boden bist du geschmettert, du Bezwinger der Völker. Du aber hattest in deinem Herzen gedacht: Ich ersteige den Himmel; dort oben stelle ich meinen Thron auf, über den Sternen Gottes; auf den Berg der Götterversammlung setze ich mich, im äußersten Norden. Ich steige weit über die Wolken hinauf, um dem Höchsten zu gleichen. Doch in die Unterwelt wirst du hinabgeworfen, in die äußere Tiefe.« Die Vulgata übersetzt »Strahlender Sohn der Morgenröte« mit »lucifer, qui mane oriebaris«. Aufgrund dieser Übersetzung wurde der Satan schon früh auch »Lucifer« genannt.

—————

50 Übersetzung von O. Merk/M. Meiser, in: Das Leben Adams und Evas, JSHRZ Band II, Güterloh 1998, 795–798. 51 Vgl. dazu unter anderen T. Onuki, Jesus. Geschichte und Gegenwart, 47–51.

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(2) Die griechische Baruch-Apokalypse 4,8 Und ich sprach: »Ich bitte dich, erkläre mir: Welches ist das Holz, das den Adam verführte?« Und es sprach der Engel: »Der Weinstock ist es, den der Engel Samael pflanzte, durch den Gott, der Herr, erzürnt wurde. Und er verfluchte ihn und seine Pflanze, weshalb der Herr dem Adam nicht erlaubte, nach ihm zu greifen. Und darum verführte ihn der Teufel aus Neid durch seinen Weinstock.«52

Die griechische Baruch-Apokalypse ist ungefähr im zweiten Jahrhundert n.Chr. entstanden. In diesem Paragraphen wird der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse in Gen 3 als Weinstock spezifiziert und der Teufel, der Adam verführte, mit Samael identifiziert. Eine ähnliche Vorstellung findet sich auch in den jüdisch-rabbinischen Schriften.53 Samael wurde schon in den Paragraphen 15 und 17 erwähnt. Auch Jaldabaoth, der von seinem Sohn Sabaoth übertroffen wurde, wurde »Samael« genannt. (3) Weisheit Salomos 2,21–24 Dieses überlegten sie [sc. die Gottlosen], und sie irrten sich; denn ihre Bosheit hatte sie blind gemacht. Und sie erkannten Gottes Geheimnisse nicht. Auch hofften sie nicht auf einen Lohn für Integrität, und sie hielten nichts von einem Ehrenpreis für Seelen ohne Tadel. Denn Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen, und er hat ihn zum Ebenbild seiner eigenen Ewigkeit gemacht. Aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt. Es erproben ihn aber die, die seines Teils sind.54

Die Weisheit Salomos ist ungefähr im ersten Jahrhundet v.Chr. entstanden und gehört, wie der Titel zeigt, zur jüdischen Weisheitsliteratur. Der vorliegende Paragraph bildet den Schluss des zweiten Kapitels, der über die Lebensanschauung der Gottlosen berichtet. Obwohl der Name Adam nicht expressis verbis genannt wird, handelt es sich ganz offensichtlich um den Neid, den der Satan auf Adam empfand, der von Gott nicht nur seine Ebenbildlichkeit, sondern auch Unvergänglichkeit bekommen hatte. Im späteren Judentum war der kursiv gesetzte Satz besonders bekannt: »Aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt.« Oben, im Paragraphen 22 (Die Hypostase der Archoten NHC II 96,3–15) und im Paragraphen 24 (Vom Ursprung der Welt NHC II 106,19–29), war davon die Rede, dass der Neid, den Jaldabaoth auf Sabaoth hegte, weil er über ihn gestellt worden war, den Tod hervorbrachte. Auch diese Paragraphen gehen auf diese Stelle aus der Weisheit Salomos zurück. ————— 52 Übersetzung von W. Hage, in: Die griechische Baruch-Apokalypse, JSHRZ V, Gütersloh 1974, 25. 53 TPsJ Gen 3,6; Yalq Gen25; DevR Dtn 11. 54 Übersetzung: D. Georgi, Weisheit Salomos, JSHRZ III, Güterloh 1980, 409.

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In den rabbinischen Schriften (vom 2. Jh.n.Chr. an) lässt sich die Tradition vom »Satan, der im Paradies Adam beneidet«, auch verfolgen. Die folgenden zwei Paragraphen gehören zum babylonischen Talmud. (4) Sanhedrin 59b Rabbi Jehuda ben Tema sagte: Der erste Mensch lag im Garten Eden zu Tische, und die Dienstengel brieten für ihn Fleisch und kühlten für ihn Wein. Da erblickte ihn die Schlange und sah ihn in seiner Herrlichkeit und wurde neidisch auf ihn.55

Weiter wird berichtet, dass das Fleisch, das die Dienstengel für Adam brieten, vom Himmel heruntergefallen war, was zum Thema eines langen Gesprächs wird. Kurz gesagt geht es darum, dass Gott Adam ein so königliches Wonneleben schenkte, dass die Schlange ihn beneidete. Allerdings wird hier die Schlange nicht eindeutig mit dem Satan (Teufel) identifiziert. (5) Pirqe Rabbi ben Eli’ezel 13,7b.19 Neid, Begierde und Ehrsucht bringen den Menschen aus der Welt (sic). Die Dienstengel sprachen vor Gott: Herr aller Welten, was ist der Mensch, dass du ihn kennst, der Mensch gleicht dem Hauch (Ps 144,3–4), nicht ist auf Erden seinesgleichen (Ij 41,25). Er sprach zu ihnen: Wie ihr mich preist unter den Oberen, so bekennt er meine Einzigkeit bei den Unteren. Und nicht bloß dies. Könnt ihr hintreten und Namen nennen für alle Geschöpfe? Sie traten hin und vermochten es nicht. Sofort trat Adam hin und nannte Namen für alle Geschöpfe, wie es heißt Gen 2,20: Und der Mensch benannte alles Vieh usw. Als die Dienstengel das sahen, sprachen sie: Wenn wir nicht mit dem Rat über Adam kommen, dass er vor seinem Schöpfer sündigt, werden wir seiner nicht Herr werden. Und Samael [sc. der Satan] war der vornehmste Fürst im Himmel; während die heiligen Tiere und die Seraphien 6 Flügel hatten, hatte Samael 12 Flügel. Er nahm seine Schar, und sie fuhren hinab, und er sah alle Geschöpfe, die Gott geschaffen, und fand keines, das so schlau war, Böses zu tun, wie die Schlange.56

Unmittelbar darauf wird Eva verführt. In diesem Paragraphen ist Gott selber, der Schöpfer Adams, vor allen anderen Dienstengeln stolz auf Adams Intelligenz, weil er alles auf Erden benennen konnte. Dadurch wird das Sündenfallereignis in Gen 3 als Satans (Samaels) Gegenmaßnahme erklärt, der Adam beneidet, weil er geliebt wird. Es ist sicher, dass, wie schon bemerkt, der Paragraph 33 dieselbe traditionelle Anschauung voraussetzt. ————— 55 56

Bill. IV/2 (51969), 1127 (mit einer leichten Änderung von Onuki). Bill. IV/2 (51969), 1127f (mit einer leichten Änderung von Onuki).

Das Kommen des Offenbarers

99

Schließlich hat sich die Vorstellung vom »Satan, der im Paradies Adam beneidet« über den jüdischen Bereich hinaus auch unter den altchristlichen Kirchenvätern verbreitet. Sie hat allerdings dabei verschiedene neue Interpretationen erfahren. So kannte zum Beispiel Irenäus, Bischof zu Lyon (um 180 n.Chr.), der sein ganzes Leben der Widerlegung der Gnosis des syrischägyptischen Typs widmete, eine Tradition desselben Typs wie im Paragraphen (4): (6) Irenäus, Darlegung der apostolischen Verkündigung 16 Dieses Gebot [sc. Gen 2,16–17] hat der Mensch nicht festgehalten, sondern er hat Gott nicht gehorcht, irregeleitet von dem Engel, der wegen der vielen Vorteile, die Gott den Menschen gewährt hatte, ihn beneidend und scheel zuschauend, sowohl sich selbst zugrunde richtete als auch den Menschen sündig machte, indem er ihn überredete, dem Gebote Gottes gegenüber ungehorsam zu sein. ... Nun hat Gott die Schlange, die den Widersacher in sich trug, verflucht. Dieser Fluch traf sowohl das Tier selbst als auch den in ihm eingenisteten versteckten Engel, den Satan. Den Menschen aber entfernte er von seinem Angesicht, indem er ihn dann auf dem zum Paradies führenden Weg wohnen ließ. Denn den Sünder nimmt das Paradies nicht auf.57

Weiter sagt Tertullianus (gest. 220 n.Chr.) in Kapitel 5 seines Traktats »Über den Neid«, der Satan sei bereits dann beleidigt worden und habe Neid auf den ersten Menschen empfunden, als Gott diesem, seinem Ebenbild, alles anvertraut habe. Auch in »Über Eifersucht und Neid« 4 von Cyprianus von Karthago (gest. 258 n.Chr.) wird Satans Neid darauf zurückgeführt, dass er sah, dass der Mensch als Gottes Ebenbild erschaffen worden war. Wegen seines Neides habe der Satan dann den Menschen der ihm von Gott geschenkten Unvergänglichkeit beraubt. Es besteht kein Zweifel daran, dass dahinter der oben erwähnte Paragraph (3) aus der Weisheit Salomos 2,21–24 steht. Von Basilius dem Großen von Cäsarea (gest. 379 n.Chr.) ist uns eine Predigt überliefert, die den Titel »Über den Neid« trägt. Sie erörtert den Neid philosophisch und theologisch sehr tiefgreifend. In Kapitel 4 bespricht sie den Neid der Juden auf Jesus (Mk 15,10) eingehend und sagt, dass dahinter der Satan stecke und dass dieser selbst wegen seines Neides von Gott abgefallen sei. Nach der »Großen Katechese« 6,2–3 von Gregorius von Nyssa (gest. 395 n.Chr.) bekam der Satan unter den Engeln noch vor der Schöpfung der Welt die Aufgabe, den unteren Bereich zu verwalten. Er konnte es aber später nicht ertragen, dass aus der ihm untergebenen Natur durch eine mystische Kraft ein Wesen entstand, das Gottes Ebenbild war. Er wurde deswegen neidisch. In den »Homilien zur Genesis« von Johannes ————— 57

Übersetzung von N. Brox, FC 8/1, Freiburg i.Br. 1993, 43.

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Der Neid in gnostischen Mythen

Chrysostomus (gest. 407 n.Chr.) entbrannte Satans Neid deswegen, weil Adam als Gottes Ebenbild auf Erden »wie ein Engel« war (16,1) und Gott für ihn »so viel wie unsagbare Wonnen« bereitet hatte (19,3). Dabei wird der Satz aus der Weisheit Salomos 2,24: »Aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt« immer wieder zitiert (1,2; 16,4; 22,2; 46,5). Eznik von Kolb, der armenische Kirchenvater, sagt in seiner Schrift (um 430 n.Chr.) »Wider die Irrlehre« 1,12: »Und nun bezeichnen wir als den Anfang des Bösen den Neid, und zwar den Neid über die höhere Ehrung des Menschen durch Gott und leiten das Böse aus dem Ungehorsam her.«58 Schließlich sei auf Petrus Chrysologus’ (gest. 450 n.Chr.) Predigten über das Lukas-Evangelium 39 hingewiesen. Bezüglich des Gleichnisses vom verlorenen Sohn sagt er: »Der Neid ließ ihn [sc. den älteren Sohn] nicht eintreten. Denn der Neid ist ein altes Übel, die erste Sünde, ein altes Gift, das Gift der Welt, die Ursache des Todes. Er war es, der im Anfang selbst die Engel aus dem Himmel warf und sie hinabschleuderte in die Tiefe. Er war es, der den Stammvater unseres Geschlechtes vom Paradies ausschloss.«59 Aufgrund des bisher Gesagten können wir die folgenden sechs Thesen aufstellen: (1) Der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs setzt in der Szene der Schöpfung des ersten Menschen60 und des Kommens des Offenbarers zu ihm61 die Vorstellung vom »Satan, der im Paradies Adam beneidet« voraus, die sich von den frühjüdisch-außerkanonischen Schriften des Alten Testaments über die rabbinischen Schriften bis zu den altchristlichen Kirchenvätern verfolgen lässt. (2) In der traditionellen Vorstellung ist die Schlange von Gen 3,1–7 fast immer identisch mit dem Satan und sie ist das Subjekt des Neides, während der erste Mensch Adam, der als Gottes Ebenbild besondere Gunst genießt, das Objekt des Neides ist. (3) In den meisten gnostischen Mythen wird dieses Verhältnis jedoch gerade umgekehrt. Die Schlange ist die Offenbarerin, die Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen und zum wahren Selbst erwachen lässt, während Jahwe, der Gott des Alten Testaments, der das ————— 58

Übersetzung von S. Weber in: Ausgewählte Schriften der armenischen Kirchenväter I, BKV 57, München 1927, 49. 59 Übersetzung von G. Böhmer, Des Heiligen Petrus Chrysologus Erzbischofs von Ravenna Ausgewählte Predigten, BKV 43, München 1923, 214. P. Müller hat mich in diesem Zusammenhang mündlich darauf hingewiesen, dass diese Interpretationstradition später auch im Islam aufgenommen wurde. Ich bin hier nicht im Stande, auf dieses Problem einzugehen. 60 Vgl. Abs. 4,2 dieses Kapitels. 61 Vgl. Abs. 5 dieses Kapitels.

Zusammenfassung

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Verbot erlassen hat, das Subjekt des Neides ist. Er wird jetzt Jaldabaoth genannt. Das Objekt seines Neides sind Adam und Eva, die nunmehr erwacht sind und ihr wahres Selbst erkannt haben. (4) Dadurch wird das Verbot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen (Gen 2,17; 3,3) zum Ausdruck des Neides, den Jaldabaoth, der Demiurg, deswegen empfindet, weil Adam nunmehr zur wahren Erkenntnis gelangt ist. Jaldabaoth ist ein neidischer Gott, der die Erkenntnis von Gut und Böse für sich allein behalten will und sie den Menschen vorenthält. Er verkörpert hier den Neid des philonischen Typs. (5) Jaldabaoths Neid ist offensichtlich bewusst in Kontrast gesetzt zur Neidlosigkeit des höchsten Gottes der Welt des Lichts, der sich nicht weigert, sich den niedrigeren Gottwesen (Äonen) und auch dem irdischen Menschen im Gefängnis des Körpers zu offenbaren, damit sie ihn erkennen. Wie bereits in Bezug auf Paragraphen 8–10 vermerkt, war die Neidlosigkeit des höchsten Gottes in dieser Hinsicht in der Szene des Hervorkommens der unteren Äonen am Anfang des Mythos angedeutet worden.62 Erst in der Szene, in der der Offenbarer kommt, wird sie jedoch offensichtlich. Dazu kommt, dass die Neidlosigkeit, die darin besteht, anderen die höchste Erkenntnis nicht vorzuenthalten, als Vorstellung schon auf Platon (Tim. 29E) und Aristoteles (metaph. 982b28–983a,2) zurückgeht. (6) Wegen des »psychomythischen Parallelismus« ist der erste Mensch der Archetyp jedes einzelnen Menschen und der Offenbarer, der zu ihm kommt (die Uroffenbarung), ist ein Modell für das Erwecktwerden zur wahren Erkenntnis, das an jedem einzelnen Gnostiker geschehen soll. Daraus folgt weiter: Den Neid, den Jaldabaoth und seine Unterarchonten auf Adam und den Offenbarer empfinden, empfinden sie auch auf die einzelnen Gnostiker. In der Folge verstehen sich die Gnostiker als »die von der Welt Beneideten«.

6. Zusammenfassung Zusammenfassung Als wichtiges Ergebnis des zweiten Kapitels ist festzuhalten, dass der »Neid« im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs kein nebensächliches Motiv, sondern das Strukturprinzip schlechthin ist. Er taucht in fast allen für die Erzählhandlung des Mythos sehr wichtigen Szenen auf und spielt eine mythologisch unentbehrliche Rolle. Als solche Szenen gelten:

————— 62

Vgl. oben S.57f.

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Der Neid in gnostischen Mythen

(1) Die Negative Theologie und Theogonie: Beim höchsten Gott fehlt jeglicher Neid. Er ist neidlos. (2) Der Fehltritt der Sophia: Der Neid des »Schattens« wird zu einem Prinzip. (3) Der Neid des Demiurgen 1: Er beneidet unbekannterweise den höchsten Gott. (4) Der Neid des Demiurgen 2: Er ist ein missgünstiger Gott, der die eigenen Güter anderen vorenthält. (5) Die Schöpfung des Menschen: Der Demiurg beneidet Adam, der ihn selbst übertroffen hat. (6) Das Kommen des Offenbarers: Der Demiurg beneidet Adam, der zur wahren Erkenntnis erweckt wird.

Kapitel III. Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides Das Selbstverständnis der Gnostiker: »die von der Welt Beneideten« Woher kommt der Mensch? Das ist die Kernfrage der meisten gnostischen Mythen des syrisch-ägyptischen Typs. Sie beantworten diese Frage mit einer Erzählung, die sich sozusagen von oben nach unten entfaltet. Sie beginnt mit der Selbstdifferenzierung des höchsten Gottes, beschreibt dann die Entstehung des Menschen aus drei Teilen, Leib, Psyche und göttlichem Kern (Licht) und erzählt davon, wie er anschließend in der Welt der Finsternis eingekerkert wird. Wohin aber geht der Mensch? Um diese Frage zu beantworten, müsste man gerade in der umgekehrten Richtung davon erzählen, wie der Mensch aus dem Gefängnis befreit wird und wieder in die Welt des Lichts hinaufsteigt. Der gnostische Mythos zeigt allerdings wenig Interesse daran, derart von der Befreiung des Menschen und von seiner Rückkehr in die Welt des Lichts zu erzählen. Das Apokryphon des Johannes, das als dessen Idealtypus gilt, kommt zwar nach dem Schluss des Mythos im engeren Sinne auch auf diese Frage zu sprechen (BG 64,13–71,2par.), widmet ihr aber weniger als ein Achtel des ganzen Werkes. Die meisten gnostischen Schulen stellten sich aber notwendigerweise die Frage, was für eine Zeit ihr eigenes »Jetzt« sei, was für ein Leben sie in der vorgegebenen Welt zu führen haben und was für ein Ende diese haben werde. Diese Fragen beantworten sie weniger im Mythos selbst als in verschiedenen anderen literarischen Gattungen wie Predigt, Traktat, Brief, Logiensammlung, liturgische Formeln, Psalmen usw.. In diesen wenden sie die Aussage ihres jeweiligen Grundmythos auf ihr reales Leben an, indem sie ihn nacherzählen. Diese angewandten Nacherzählungen sind viel zahlreicher als die Mythen im engeren Sinne und sind viel direkter auf das Jetzt der Leserinnen und Leser ausgerichtet. Diese Anwendung geschieht schon außerhalb des Mythos, so dass man sagen kann, dass hier schon eine erste Entmythologisierung stattfindet. Dieses Kapitel untersucht, wie dabei der Neid behandelt wird.

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

1. Das Selbstverständnis der Gnostiker: »die von der Welt Beneideten« Das Selbstverständnis der Gnostiker: Am wichtigsten ist die Tatsache, dass die Gnostiker sich als »die von der Welt Beneideten« verstehen. Dieses Selbstverständnis geht auf den Neid zurück, den Jaldabaoth im Mythos auf den ersten Menschen Adam und den aus der Welt des Lichts zu ihm kommenden Offenbarer empfindet.1 Es gibt nun aber auch Texte, die dieses Selbstverständnis der Gnostiker außerhalb des Mythos behandeln. Dazu gehören die folgenden Paragraphen 38–41: § 38 Vom Ursprung der Welt NHC II 123,32–124,322 A Ich will aber zu den Hauptpunkten kommen, die den unsterblichen Menschen [betreffen]. Ich werde [darüber] sprechen, aus welchem Grunde alle die Seinigen hier sind. B [Als] viele Menschen entstanden waren aus [dem Einen (sc. Adam)], der aus der Materie entstanden war, und als die Welt schon mit ihnen angefüllt war, da übten die Archonten die Herrschaft über sie aus. Das bedeutet: Sie hielten sie nieder in Unwissenheit. C Welches ist die Ursache? Diese ist es: Weil der unsterbliche Vater weiß, dass ein Mangel entstanden war mitten aus der Wahrheit und oben in den Äonen und ihrer Welt, deswegen sandte er, als er die Archonten des Verderbens außer Kraft setzen wollte durch ihre Gebilde [sc. ihr Werk], eure himmlischen Ebenbilder in die Welt des Verderbens, das sind die arglosen, kleinen, seligen Geister. Sie sind nicht fremd für die Gnosis. D ... (Auslassung) ... E Sobald sie in der Welt des Verderbens in Erscheinung treten, werden sie zuerst das Wesen der Unvergänglichkeit enthüllen – zur Verurteilung der Archonten und ihrer Kräfte. F Als die Seligen nun in Gebilden der Mächte in Erscheinung traten, da wurden sie [sc. die Archonten] neidisch auf sie. Infolge des Neides aber mischten die Mächte ihnen ihren Samen bei, um sie zu beflecken, ohne es jedoch zu können. G Als nun die Seligen leuchtend in Erscheinung traten, zeigten sie sich dabei verschieden, und jeder einzelne von ihnen offenbarte von seinem Land aus seine Gnosis für die Kirche, die unter den Gebilden des Verderbens in Erscheinung getreten ist. Es fand sich, dass sie [sc. die Kirche] jeglichen Samen hat infolge des Samens der Mächte, der ihr beigemischt worden war.

————— 1

Siehe Kap. II, Abs.4 und 5. Um der nachfolgenden Rückverweise willen ist dieser Paragraph in Unterparagraphen A, B, C ... gegliedert. Die Auslassung stammt von T. Onuki. 2

Das Selbstverständnis der Gnostiker:

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Im Unterparagraphen A meldet sich der Verfasser von »Vom Ursprung der Welt« in der ersten Person Singular selber zu Wort, um das neue Thema vorzustellen. Er tut das in unmittelbarer Fortführung des vorausgehenden Satzes: »Möge es für euch bis hierher genügen! Danach werden wir besonders auf unsere Welt eingehen, damit wir die Erörterung über ihren Zustand und ihre Einrichtung sorgfältig zum Ziele führen« (NHC II 123,24–28). Auch in »Welches ist die Ursache?« und »eure himmlischen Ebenbilder« im Unterparagraphen C finden wir dasselbe Vorgehen: Der Verfasser kommuniziert mit seinen Leserinnen und Lesern außerhalb des Mythos und spricht sie direkt an. Dass die Gnostiker sich als »die von der Welt Beneideten« verstehen, ist deutlich erkennbar im Unterparagraphen F: »Als die Seligen nun in Gebilden der Mächte in Erscheinung traten, da wurden sie [sc. die Archonten] neidisch auf sie.« »Die Seligen« ist genauso wie »die arglosen, kleinen, seligen Geister« im Unterparagraphen C eine Selbstbezeichnung der Gnostiker. Mit »die Mächte« sind umgekehrt die Herrscher der Welt gemeint. Sie wollten »infolge des Neides« der Gemeinschaft der Gnostiker »ihren Samen beimischen«, konnten es aber nicht (F). Sie konnten es dagegen bei der »Kirche« tun. Deswegen wird im Unterparagraphen G gesagt: »Es fand sich, dass sie [sc. die Kirche] jeglichen Samen hat infolge des Samens der Mächte, der ihr beigemischt worden war.« Die »Kirche« hier ist offensichtlich eine andere als die Gemeinschaft der Gnosiker. Gemeint ist mit Sicherheit die institutionalisierte Kirche (Großkirche) ihrer Zeit, die sich als die rechtgläubige bezeichnete. Vom Standpunkt des Verfassers dieses Paragraphen aus gesehen erscheint sie als Kirche, die sich der vorgegebenen Welt angepasst hat und die deshalb nicht von ihr beneidet wird. Derselbe Sachverhalt lässt sich auch in der Apokalypse des Petrus (NHC VII,3) beobachten. In dieser Schrift ist die Verchristlichung der Gnosis schon weit fortgeschritten. Die christlichen Gnostiker, die sie verfasst haben, nennen sich nach Mt 10,42; 18,6 u.a. auch »die Kleinen« (NHC VII 78,22 u.ö.).

§ 39 Die Apokalypse des Petrus NHC VII, 76,27–77,16 Manche Leute, die kein Mysterium kennen, reden über Dinge, von denen sie nichts wissen. Aber sie werden sich brüsten, dass das Mysterium der Wahrheit exklusiv bei ihnen ist. Und hochmütig werden sie anfangen, {...} neidisch zu sein auf die unsterbliche Seele, die Gott [sc. dem höchsten Gott] gewidmet worden ist. Denn jede Gewalt, Macht und Kraft dieser Äonen wünscht mit diesen [sc. unsterblichen Seelen] seit der Schöpfung der Welt zu sein, damit die, die nicht existieren, durch die, die existieren, Ehre erwiesen bekommen, obwohl sie sich selbst vergessen haben. Obwohl sie alle-

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

zeit begehrten, selbst unauflöslich zu werden, konnten sie nicht von ihnen gerettet oder auf den Weg gebracht werden.3

Im Anfang heißt es: »Manche Leute, die kein Mysterium kennen, reden über Dinge, von denen sie nichts wissen. Aber sie werden sich brüsten, dass das Mysterium der Wahrheit exklusiv bei ihnen ist.« Wer damit gemeint ist, wird etwas später deutlich gesagt: »Da werden aber andere sein, von denen, die sich außerhalb unserer Zahl befinden, die sich selbst Bischof nennen – und auch Diakone – als ob sie ihre Autorität von Gott empfangen hätten, während sie unter das Urteil der ersten Plätze fallen. Das sind die Kanäle ohne Wasser.« (NHC VII 79,22–31). Sie sind hier das Subjekt des »Neides«. Sie sind neidisch auf »die unsterbliche Seele, die Gott [sc. dem höchsten Gott] gewidmet worden ist«, d.h. auf die Gnostiker. Später wird deutlich, dass auch die Mächte der Welt zu den Neidern gehören. Die Gnostiker werden nach ihrem eigenen Selbstverständnis ihrer »unsterblichen Seele« wegen beneidet, die »unauslöschbar« ist. Die »unsterbliche Seele« ist hier, wie der Kontext deutlich zeigt, nicht die vom Demiurg herkommende »Psyche«, sondern das transzendente und göttliche Wesen, das aus der Welt des Lichts gekommen ist. Das Selbstverständnis der »von der Welt Beneideten« findet sich schließlich auch im Tractatus Tripartitus. In dieser Schrift ist es nicht die Sophia, sondern der »Logos«, ein männlicher Gott, der einen Fehltritt begeht. Aus dem »Fehltritt des Logos« entstehen unterhalb der Welt des Lichts die mittlere Welt, die »das Pleroma des Logos« genannt wird und die Welt der Materie, die weiter unten liegt. Die Welt des Lichts und die mittlere Welt werden anschließend in die materielle Welt hineinkopiert. Dieser Sachverhalt wird folgendermaßen dargelegt: § 40 Tractatus Tripartitus NHC I 103,13–29 Der ganze Bestand der Materie ist dreigeteilt. Die [ersten] Kräfte, die der geistige Logos unter Einbildung und Hochmut hervorgebracht hatte, [die] setzte er in die erste, geistige Ordnung. Diejenigen nun, die diese in der Herrschsucht hervorgebracht hatten, die setzte er in das Land der Mitte, weil es herrschsüchtige Kräfte sind, damit sie Herr seien und mit Zwang und Gewalt über die untere Einrichtung herrschten. Diejenigen aber, die aus dem Neid und der Eifersucht entstanden waren und alle übrigen Erzeugnisse von solcher Bestimmung, die setzte er in eine dienende Ordnung [...].

—————

3 Hier weitgehend nach der englischen Übersetzung in: The Coptic Gnostic Library, Vol.4, Leiden 2000, 233.

Die Realität der Gnostiker

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Innerhalb der materiellen Welt existiert auf diese Weise neben der »geistigen Ordnung« und dem »Land der Mitte« auch die »dienende (d.h. sklavische) Ordnung«.4 Die wichtigsten Merkmale der untersten Ordnung (auch »die linke Ordnung« genannt) sind Neid und Eifersucht. Beide richten sich auf die »Kirche« der Gnostiker. Dabei ist zu beobachten, dass, wenn der nächste Paragraph von »Kirche« spricht, anders als in den Paragraphen 38 und 39 nicht die rechtgläubige Großkirche, sondern die Gemeinschaft der Gnostiker gemeint ist. § 41 Tractatus Tripartitus NHC I 121,38–122,12 Bezüglich der Menschen und Engel aus der linken Ordnung, d.h. über ihren Weg sei gesagt: Er führt in die Irre, nicht nur weil sie den Herrn verleugnet und bösen Rat wider ihn gehalten haben, sondern weil ihr Hass, ihre Eifersucht und ihr Neid auch gegen die Kirche gerichtet sind. Und das ist der Grund für die Verdammung derer, die ins Wanken geraten sind und sich haben hinreißen lassen, die Kirche auf die Probe zu stellen.

2. Die Realität der Gnostiker Die Realität der Gnostiker Das Selbstverständnis der Gnostiker erschöpft sich freilich nicht darin, dass sie »die von der Welt Beneideten« sind. Sie sind sich vielmehr durchaus bewusst, dass sie an das reale Dasein mit Psyche und Körper gebunden sind und insofern vom Neid in ihrem Inneren nicht frei sind. Von diesem Bewusstsein spricht der Mythos in der Szene der Melothesia des psychischen Menschen, wo ihm Jaldabaoth und seine Unterarchonten auch den Neid einpflanzen.5 Auch die anderen gnostischen Schriften sprechen davon. Interessant ist dabei allerdings, dass sie gleichzeitig erkennen lassen, dass die Gnostiker den Neid bereits überwunden haben. 2.1 Das noch im Neid gefangene Dasein Die gegenwärtige Gebundenheit an den Neid ist in den folgenden Paragraphen erkennbar. —————

4 Dazu Näheres bei T. Onuki, Das Drei-Schichten-Prinzip im »Tractatus Tripartitus«, in: »I sowed Fruits into Hearts« (Odes Sol. 17:13). Festschrift for Professor Michael Lattke, P. Allen/M. Franzmann/R. Strelan (Hg.), Strathfield/Australia 2007, 157–176. 5 Vgl. Kap. II, Abs.4,1.

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

§ 42 Die Weisheit Jesu Christi BG 105,14–106,9 Ihr wurdet gesandt durch den Sohn, der gesandt wurde, damit ihr erleuchtet werdet und euch losreißt vom Vergessen der Mächte und damit das schmutzige Treiben, das aus dem ist, der mit dem ist, das aus ihrem Fleischlichen kam, durch euch nicht mehr erscheine. Und ihr werdet auf ihre Vorsehung [sc. ihren Plan] treten!

In diesem Paragraphen ist der Neid unter den mit »euch« angeredeten Gnostikern noch gegenwärtig. Angesichts dieser Realität wird vor dem »schmutzigen Treiben« gewarnt, das aus dem Fleischlichen der Mächte gekommen ist. Damit ist wohl der Geschlechtsverkehr gemeint.6 Der nächste Paragraph 43 erzählt das Gleichnis vom Mann, der eine Frau heiratet, die bereits aus ihrer früheren Ehe Kinder hat und der mit ihr weitere Kinder zeugt. Auch hier sind die fleischliche Lust und der Neid miteinander verbunden. Zur selben Schrift gehört auch der übernächste Paragraph 44. § 43 Authentikos Logos NHC VI 23,7–34 Wie [nun ein Mann eine Frau heiratet], die schon Kinder hat, und die wirklichen Kinder [des Mannes] – die nämlich, die aus seinem [Samen entstanden] sind – die Kinder der Frau »unsere Brüder« nennen, so wurde auch die geistige Seele, als sie in den Leib hinabgeworfen wurde, zum Bruder der Begierde, des Hasses und des Neides – kurzum zum Bruder der materiellen Seelen. Vorausgesetzt nämlich, der Leib ist aus der Begierde hervorgegangen und die Begierde aus dem materiellen Wesen, so ist folglich die Seele ihnen [sc. den materiellen Seelen] zum Bruder geworden. Gleichwohl sind sie Stiefkinder; sie können nicht den Mann beerben, sondern werden allein ihre Mutter beerben. Wenn aber die Seele mit den Stiefkindern erben will – denn das Erbgut dieser Stiefkinder sind die hochmütigen Leidenschaften, die Sinneslüste des Lebens, hasserfüllter Neid, Prahlerei, Geschwätzigkeit, anklagende Reden ...

§ 44 Authentikos Logos NHC VI 30,27–31,7 Dies nun sind die Speisen, mit denen uns der Teufel auflauert: Zunächst wirft er Traurigkeit in dein Herz, bis du tief betrübt bist, und wegen einer Kleinigkeit dieses Lebens packt er uns mit seinen Giften. Und darauf folgt die Begierde auf ein Gewand, und du brüstest dich mit ihm; und darauf folgen Geldgier, Prahlerei, Hochmut, Neid, der anderen Neid beneidet, ein schöner Körper, Raub (?); das Schlimmste von all diesen Dingen ist jedoch die Unwissenheit und die Bequemlichkeit.

————— 6

The Coptic Gnostic Library Vol. 3, 135–137 braucht für »Treiben« den Ausdruck »rubbing«.

Die Realität der Gnostiker

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Beachtenswert ist hier, dass unter den katalogartig aufgezählten Lastern nur nach dem Neid der Relativsatz »der anderen Neid beneidet« (koptisch oukoh efkoh ekekoh) zur Erklärung eingeschoben wird. In einer Art Kettenreaktion erzeugt eine Sorte Neid eine andere Sorte Neid, oder der Neid des einen ruft den Neid des anderen hervor. 2.2 Das Wesen, das den Neid schon überwunden hat Das Selbstverständnis der Gnostiker als diejenigen, die bereits den Neid überwunden haben, lässt sich in den folgenden Paragraphen erkennen: § 45 Evangelium Veritatis NHC I 42,12–23 So sind sie, die etwas aus der Höhe von der unermessbaren Größe besitzen, ausgestreckt nach dem einen einzigen und zwar dem Vollkommenen, der für sie da ist. Und sie gehen nicht hinab zur Unterwelt, noch haben sie Neid oder Murren, noch gibt es Tod in ihnen. Vielmehr ruhen sie in dem, der in ihnen ruht.

§ 46 Das Evangelium nach Philippus 61c (NHC II 65,27–33) Wer der Welt entkommen ist, ist nicht länger festzuhalten, denn er war in der Welt. Er ist offensichtlich erhaben über die Begierde des [und] über die Furcht. Er ist Herr über die [Begierde]. Er ist dem Neid überlegen.

§ 47 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 58,28–59,9 Zittern ergriff das Chaos der Erde, denn es wurden erlöst die Seelen, die sich unten im Schlaf befanden. Und sie wurden erweckt: Sie wandelten öffentlich umher, nachdem sie den unverständigen Neid und die Unkenntnis bei den toten Gräbern abgelegt hatten, den neuen Menschen angezogen hatten und jenen seligen und vollkommenen Sohn des ewigen, unerreichbaren Vaters und des grenzenlosen Lichtes – welcher ich bin – erkannt hatten.

§ 48 Das Zeugnis der Wahrheit NHC IX 73,3–6 Er ist frei. Er ist nicht neidisch und von allen, von aller Unverschämtheit und Missgunst entfernt, denn groß ist ihre [Macht ...]

All diese Paragraphen kann man so lesen, dass sie die Freiheit von Neid bei den Gnostikern als gegenwärtig schon realisiert darstellen. Sie wird beson-

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

ders in den Paragraphen 45–47 durch die Erkenntnis des wahren Selbst, das aus dem höchsten Gott gekommen ist (§ 45), oder durch die des Offenbarers, der es zu erkennen gibt (§ 47), begründet. Im Paragraphen 46 wird die Freiheit von Neid ausgedrückt als das »der Welt-Entkommen-Sein« oder, um den existentialistischen Terminus zu gebrauchen, als »Entweltlichung«. Der Paragraph 48 gehört zu einer sehr stark beschädigten und schwer rekonstruierbaren Stelle. Es scheint aber, dass auch hier von der gegenwärtigen Neidlosigkeit dessen die Rede ist, der bereits das wahre Selbst erkannt hat.

3. Die eschatologische Ethik Die eschatologische Ethik Aus allem bisher Gesagten ergibt sich folgendes Bild: Hier ist die Welt, die grundsätzlich vom Neid geprägt ist, dort die Freiheit vom Neid, die sich mit der Erkenntnis des wahren Selbst bereits jetzt verwirklicht. Die Gnostiker befinden sich dazwischen. Dieses »Zwischen«-Dasein führt zu einer ausgeprägten eschatologischen Ethik. Sie behält die Spannung der beiden Realitäten zwar zunächst bei, verlegt sie aber auf die Zeitachse und erwartet ihre Auflösung am Ende der Zeit. Diese eschatologische Erwartung gibt es in zwei Ausprägungen. Zum einen wird erwartet, dass die Neidlosigkeit der Gnostiker dann vollendet wird, wenn ihr inneres göttliches Wesen bei ihrem körperlichen Tod dem Gefängnis des Leibes entkommt und in die Welt des Lichts zurückgeht. Diese Erwartung nennen wir die »individuelle Eschatologie«. Zum anderen wird aber erwartet, dass der Neid als solcher vernichtet wird, wenn die sichtbar-materielle Welt der Finsternis als Ganze bald ausgelöscht wird. Diese Erwartung nennen wir die »universalgeschichtliche Eschatologie«, wobei mit »Universum« das All gemeint ist. 3.1 Die individuelle Eschatologie Ein typisches Beispiel für die individuelle Eschatologie ist der folgende Paragraph aus dem Apokryphon des Johannes. Nachdem ihm der ganze Mythos erzählt worden ist, fragt Johannes in der ersten Person Singular, ob die Seelen aller Menschen ins reine Licht hineingerettet werden. Daraufhin erklärt der fiktive Erzähler des Mythos, der auferstandene Jesus Christus, ihre verschiedenen Schicksale. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Erklärung außerhalb des Mythos erfolgt. Wir zitieren nun aus ihr den Paragraphen über »das unerschütterliche Geschlecht«:

Die eschatologische Ethik

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§ 49 Das Apokryphon des Johannes BG 64,13–66,13par. Da sagte ich: »Christus, werden die Seelen aller im reinen Licht weiter leben? Er sagte zu mir: »Du bist in eine Betrachtung großer Dinge eingetreten, so wie sie anderen schwer zu erklären sind außer denen, die aus jenem unerschütterlichen Geschlecht stammen. Diejenigen, auf die der Geist des Lebens kommt, nachdem sie sich mit der Macht verbunden haben, werden gerettet werden. Sie werden vollkommen und werden würdig sein, in diese großen Lichter einzutreten. Sie werden nämlich würdig sein, dort von aller Bosheit und von allen Versuchungen der Schlechtigkeit gereinigt zu werden, da sie ihr Herz an nichts hingeben außer dieser unvergänglichen Versammlung und ihr Augenmerk gewiss auf sie richten werden ohne Zorn oder Neid, ohne Furcht oder Begierde oder Übersättigung. Von all diesen werden sie nicht erfasst, noch von irgendeinem unter ihnen, außer dem Fleisch, dessen sie sich bedienen, während sie erwartungsvoll Ausschau halten, auf dass sie herausgebracht und in die Würde des ewigen, unvergänglichen Lebens und des Rufs aufgenommen werden, da sie alles erdulden und alles ertragen, damit sie den Wettkampf vollenden und das ewige Leben erben.«

Die nachfolgenden Paragraphen sind, wenn auch nicht so deutlich wie der Paragraph 49, in diesem Zusammenhang zu lesen, denn jeder von ihnen verspricht seinen jeweiligen Leserinnen und Lesern, die er mit »euch« anspricht, für die Zukunft die Überwindung des Neides.

§ 50 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 60,3–12 Aber ihr werdet immerdar siegreich sein: in Krieg und in Kämpfen, in einer Spaltung, die Neid und Wut verursacht. Aber in der Geradheit unserer Liebe sind wir fehllos, lauter und gut, weil wir eine Erinnerung an den Vater in einem unaussprechlichen Mysterion besitzen.

§ 51 Der Dialog des Erlösers NHC III 138,11–20 Judas sagte: »Siehe, die Archonten sind über uns. Sind sie es nun, die Herr sein werden über uns?« Der Herr sagte: »Ihr seid es, die Herr sein werdet über sie! Aber erst wenn ihr euch des Neides entledigt haben werdet, dann werdet ihr euch kleiden mit Licht und eingehen ins Brautgemach.«

Das »Brautgemach« am Schluss vom Paragraphen 51 ist ein Begriff, der in den gnostischen Schulen des syrisch-ägyptischen Typs ursprünglich für die Valentinianer charakteristisch war. Nach einer viel beachteten Theorie war

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

es ein Sterbesakrament.7 Trifft das zu, ist hier gemeint, dass der einzelne Gnostiker bei seinem körperlichen Tod durch diesen Ritus in seine transzendente Heimat in der Welt des Lichts zurückgeht. Übrigens deckt sich dieser Paragraph teilweise mit dem Evangelium des Judas, das vor kurzem weltweit große journalistische Aufmerksamkeit erregt hat. Dort ist Judas im Gegensatz zum Neuen Testament, das ihn »den Veräter« nennt, der Repräsentant der Gnostiker schlechthin und weiß als Einziger der Zwölf, dass Jesus der Offenbarer aus der Welt des Lichts ist. Das Evangelium des Judas endet damit, dass Judas nach seinem körperlichen Tod in die Welt des Lichts aufsteigt. In der folgenden Szene wird sein Aufstieg angekündigt: § 52 Das Evangelium des Judas 46 Judas sprach: »Meister, ist mein Same vielleicht Archonten unterworfen?« ...Jesus antwortete und sprach zu ihm: »Du wirst der Dreizehnte sein und du wirst verflucht sein von den anderen Geschlechtern, und du wirst zur Herrschaft über sie kommen. In den letzten Tagen werden sie deinen Aufstieg zum heiligen Geschlecht verfluchen.«8

Die zwei nachfolgenden Paragraphen 53 und 54 werden in der Forschung für valentinianisch gehalten. Inhaltlich handelt es sich um eine Paränese, in der eine führende Person der Schule ihren Glaubensgenossen empfiehlt, untereinander des Neides zu entsagen. § 53 Die Auslegung der Erkenntnis NHC XI 15,19–38 [Der, der neidisch ist, bringt] seine Glieder gegen [einander auf. Wenn] er [nicht] neidisch ist, [wird er nicht] entfernt sein von einem anderen [Glied. Nehmt an das] Gute, das wir sehen. [Wir haben einen] Bruder – [er] achtet uns, [als ob er] selbst es wäre –, der den verherrlicht, [der uns] die Gnade [gibt]. Es ziemt sich also für jeden von uns, dass er sich das Geschenk zunutze mache, das er von [Gott] empfangen hat und dass wir nicht neidisch seien, wissend, dass der Neidische ein Anstoss ist für seinen [Bruder], oder einer, der sich selbst zerstört bezüglich der Gabe und unwissend ist über Gott. Es ziemt sich für ihn, sich zu freuen [und zu] frohlocken und teilzuhaben an der Gnade und dem Geschenk. Da hat einer prophetische Gabe. Habe teil an ihr ohne zu zweifeln! Bedränge nicht deinen Bruder in Neid, noch […]

—————

7 H.-J. Gaffron, Studien zum koptischen Philippusevangelium unter besonderer Berücksichtigung der Sakramente, Diss. theol. Bonn 1969, 218; Vgl. auch G. Theißen, Erleben und Verhalten, 526. 8 Vgl. Das Evangelium des Judas, R. Kasser/M. Meyer/G. Wurst (Hg.), Washington, D.C. 2006, 32f.

Die eschatologische Ethik

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§ 54 Die Auslegung der Erkenntnis NHC XI 17,25–38 Woher weißt du, [ob nicht du] es bist, der unwissend ist über die Brüder? [Du] nämlich bist unwissend, wenn du [sie hasst] und wenn du neidisch bist auf sie. [Du wirst nicht] die Gnade empfangen, die in [ihnen] ist, – solange du sie nicht in Übereinstimmung mit dem Geschenk des Hauptes sehen willst. Es ziemt sich für dich, für die Glieder zu danken und zu [bitten], dass dir die Gnade gegeben werde, die jenen gegeben wurde. Reich nämlich ist der neidlose Logos und gütig. Er verteilt immer die Geschenke an seine Leute ohne neidisch zu sein gemäß [...].

Der »Logos« am Schluss vom Paragraphen 54 zählt im Mythos der Valentinianer – darunter besonders der Ptolemäer – zu den transzendenten Gottwesen, die in der Welt des Lichts ganz oben situiert sind.9 Hier ist also zu beachten, dass dieser Logos nicht identisch ist mit dem Logos, der bereits im Paragraphen 40 vorkam und der einen Fehltritt beging. Hier wird der weitaus höher situierte Logos als »der neidlose Logos« bezeichnet, der seinen Leuten immerzu Geschenke verteilt, »ohne neidisch zu sein«. Substanziell ist das gleichbedeutend mit der Aussage, die innerhalb der Negativen Theologie und Theogonie über den höchsten Gott gemacht worden ist, dass dieser neidlos sei. In dem uns vorliegenden Paragraphen begründet diese Neidlosigkeit des höchsten Gottes im Rahmen einer eschatologischen Paränese eine Gemeindeethik. 3.2 Die universalgeschichtliche Eschatologie Will man erzählen, wie das ganze sichtbare Universum am Ende verschwindet, wird die Erzählweise im Unterschied zur individuellen Eschatologie gezwungenermaßen wieder mehr oder weniger mythologisch. Soweit mir bekannt ist, gibt es zwei Texte, die in diesem Rahmen von der Vernichtung des Neides sprechen. Der eine ist die Paraphrase des SƝem. Diese Schrift erzählt einen Mythos mit einer fiktiven Rahmenhandlung. In ihr zeigt sich der Offenbarer Derdekeas und belehrt SƝem im Geheimen über alles. Der Inhalt des Mythos konzentriert sich im Gegensatz zum üblichen gnostischen Mythos10 auf die Frage, wie der im Gefängnis des Leibes eingekerkerte Mensch aus der Welt der Finsternis heraus kommen und in die Welt des Lichts zurückkehren kann. Umgekehrt werden aber alle Erklärungen ausgelassen, wie die Finsternis überhaupt entstanden ist und wie der Mensch durch seinen Leib in ihr gefangen worden ist. Der Mythos geht von der Voraussetzung aus, dass es ganz oben den Bereich des »grenzenlosen ————— 9

Vgl. Irenäus, Gegen die Häresien I 1,1. Vgl. den Anfang dieses Kapitels.

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

Lichtes«, unten die Welt der Finsternis und dazwischen, in der Mitte, den Bereich des »ungezeugten Geistes« gibt. Der folgende Paragraph 55 gehört zum Schlussteil der Schrift, wo Derdekeas das Ende der gesamten Schöpfung ankündigt. § 55 Die Paraphrase des SƝem NHC VII 43,29–45,20 Nachdem mein Aufenthalt auf der Erde zu Ende sein wird und ich zu meiner Ruhe aufgestiegen sein werde, wird eine große, schlimme Verirrung über die Welt kommen, und viele Bosheiten nach der Zahl der Gestalten der Physis (Natur). Schlimme Zeiten werden kommen. Und wenn die Zeit der Physis ihrem Ende nahe sein wird, wird Finsternis auf der Erde herrschen. Die Zahl wird klein werden. Und ein Dämon von Feuergestalt wird in der Kraft von (...) herabkommen. Er wird den Himmel spalten und sich in der Tiefe des Ostens niederlassen. Denn die ganze Schöpfung wird erschüttert werden; und die verirrte Welt wird in Unruhe geraten. Viele Orte werden wegen des Neides der Winde und der Dämonen versinken. ... Und am letzten Tage werden die Gestalten der Physis und die Winde und alle ihre Dämonen ausgelöscht werden. Sie werden zu einem finsteren Klumpen werden, wie sie es im Anfang waren.

Die Vernichtung des Neides im Rahmen der universalgeschichtlichen Eschatologie wird zweitens im Schlussteil von »Vom Ursprung der Welt« thematisiert. Es geht dort um die endzeitliche Auflösung des ganzen sichtbaren Universums: § 56 Vom Ursprung der Welt NHC II 126,32–127,5 Und sein [sc. des Archigenetor] Himmel wird herabstürzen und sich spalten. Sein […] wird auf die Erde herabstürzen, [und die Erde wird] sie (plur.) [nicht] tragen können. Sie werden [herab]stürzen in den Abgrund, und der Abgrund wird zerstört werden. Das Licht wird [die] Finsternis [vernichten] und wird sie vertilgen. Sie wird sein wie etwas, das nie gewesen ist. Und das Werk, das die Finsternis zur Folge hatte, wird sich auflösen, und der Mangel wird ausgerissen werden mit seiner Wurzel bis hinab zu der Finsternis. Und das Licht wird nach oben zu seiner Wurzel zurückkehren.

Hier wird der Neid zwar nicht direkt erwähnt. Aber die Wendung »das Werk, das die Finsternis zur Folge hatte« bezieht sich auf das Ereignis, das sich im Uranfang aus dem »Neid« ergeben hat.11 Dieser Paragraph 56 beschreibt ————— 11

Vgl. § 14 in Kap II.

Die eschatologische Ethik

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also das Ende des Alls. Mit ihm zusammen wird auch der Neid ausgelöscht werden. Zum Schluss bleibt die Frage, wie wesentlich diese eschatologische Ethik für das Heil der Gnostiker überhaupt ist. Entscheidet sie über ihr Heil und ihr Schicksal? Zur Beantwortung dieser Frage bietet der Schlussteil von »Vom Ursprung der Welt« einen so guten Anhaltspunkt, wie man ihn sich nur wünschen kann. Der Schluss dieser Schrift lautet folgendermaßen:

§ 57 Vom Ursprung der Welt NHC II 127,14–17 Denn es ist notwendig, dass ein jeder an den Ort zurückgeht, von dem er hergekommen ist. Jeder einzelne wird nämlich durch seine Handlung und seine Erkenntnis seine wahre Natur offenbaren.

Wird hiermit gesagt, dass für die Gnostiker ihre Handlung und Erkenntnis gleichsam nur ein Epiphänomen ist, das zwar ihre von vorneherein für das Heil determinierte »Natur« hinterher »offenbart«, aber diese »Natur« als solche nicht ändert? Wenn man den vorliegenden Paragraphen so liest, würde das heißen, dass die Gnostiker aufgrund ihrer prädestinierten »Natur« gerettet werden, während ihre Handlung und Erkenntnis nicht der Grund, sondern nur ein Anlass des Heils sind. In der Tat behaupteten einige Kirchenväter wie Irenäus, Hippolyt, Epiphanius usw., die sich der Widerlegung der Gnosis verschrieben hatten, dass die Gnostiker »physei sǀzomenoi« seien. Aus unseren Ausführungen hat sich jedoch ein anderes Bild ergeben. Die Gnostiker führen ein »Zwischen«-Dasein und sind sich der Spannung zwischen dem immer noch in ihrem Inneren bestehenden Neid und der mit der Erkenntnis des wahren Selbst bereits gegebenen Freiheit von ihm durchaus bewusst. Vom Gesamten ihrer eschatologischen Ethik aus betrachtet, können wir uns der Ansicht der Antihäresiologen der alten Kirche nicht anschließen. Vielmehr gilt, dass Handlung und Erkenntnis über Heil und Unheil der Gnostiker entscheiden. Dasselbe drückt die Schrift Authentikos Logos so aus: »Denn der Tod und das Leben liegen vor einem jeden: Welches von diesen beiden man also will, wird man für sich erwählen« (NHC VI 24,10–13). Freilich steht hinter dieser Aussage die traditionelle »Zwei-Wege-Lehre«, wie ein flüchtiger Vergleich mit Didache 1–5 ergibt. Die Schrift Authentikos Logos will aber etwas anderes als die Didache sagen, obwohl sie sich derselben Worte bedient: Für die Gnostiker entscheidet die Ethik über Heil und Unheil. Für diese gnostische Ethik ist es entscheidend, wie man sich gegenüber dem Neid verhält. Wie schon mehrfach bemerkt, ist »Vom Ursprung der Welt« die Schrift, die nicht nur unter den Nag-Hammadi-Schriften, sondern unter allen uns erhaltenen gnostischen Texten überhaupt den Neid am inten-

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

sivsten thematisiert.12 Nur sie hat einen Schluss wie den vorliegenden Paragraphen 57. Damit ist erwiesen, wie wichtig die Aufgabe der Überwindung des Neides für die Gnostiker ist.

4. Die Überwindung des Neides: Eine tiefendynamische Integration 4.1 Der Unterschied zur stoischen und zur frühjüdischen Affektlehre Die Überwindung des Neides: eine tiefendynamische Integration Was bedeutet aber genau und konkret genommen die Überwindung des Neides, die die Gnostiker erstreben sollen? Bezüglich ihres Selbstverständnisses, den Neid bereits überwunden zu haben, heißt es wiederholt: »Er [sc. der Gnostiker] ist dem Neid überlegen« (§ 46), »Sie [sc. die Gnostiker] hatten den unverständigen Neid und die Unkenntnis bei den toten Gräbern abgelegt« (§ 47) und » Er [sc. der Gnostiker] ist von aller Missgunst entfernt« (§ 48). Im Rahmen der eschatologischen Ethik wird über die Gnostiker weiter gesagt: »Sie werden ohne Neid sein« (§ 49), »wenn ihr euch des Neides entledigt haben werdet« (§ 51) und »(Der Neid) wird sich auflösen.« Beim flüchtigen Lesen bekommt man den Eindruck, dass hier eine radikale Ausrottung des Neides empfohlen würde. Wäre dem so, gäbe es bezüglich der Überwindung des Neides keinen Unterschied zwischen Gnostikern und Stoikern. Als Einzige unter den verschiedenen Schulphilosophien der hellenistischen Zeit, die über den Neid diskutierten, forderten diese die radikale Ausrottung der Affekte.13 Für sie galt: »Alle Erregungen sind Affekte und alle Affekte Erregungen«.14 Aus jeder Erregung des »führenden Teils« (to hƝgemonikon) der Seele folgt genauso wie aus der »Unwissenheit« ein böses Fehlurteil. Die Affekte entstammen dem Fehlurteil, das das Gleichgültige (adiaphoron) für etwas Wichtiges hält. So gehören bei den Stoikern die Affekte über die Psychologie im engeren Sinne des Wortes hinaus in den Rahmen der kognitiven Theorie. Darin zeigt sich »der schroffe Intellektualismus«15 der Stoiker. Aber gerade hier sei nochmal an den Paragraphen 27 aus dem Apokryphon des Johannes erinnert. Es handelt sich um die nur den Langversionen eigentümliche (eingeschobene) Szene, in der der psychische Mensch von Jaldabaoth und seinen Unterarchonten aus verschiedenen Körperteilen ————— 12

Vgl. oben S.67. Siehe Kap. I, Abs.3. 14 SVF I 206; III 378. 15 M. Pohlenz, Die Stoa I. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 51978, 144.147. 13

Die Überwindung des Neides: eine tiefendynamische Integration

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zusammengestellt wird. Dort ist der Neid einem der vier Kardinalaffekte, der Trauer, als Unterbegriff zugewiesen. Die Trauer wird ihrerseits unter die Herrschaft des »Nenentophni«, eines der führenden Dämonen, gestellt. »Nenentophni« steht wiederum, zusammen mit den drei Dämonen »Ephememphi«, »Joko« und »Blaomen«, die jeweils über Lust, Begierde und Furcht herrschen, unter der Führung der Materie, ihrer »Mutter«. Diese »Mutter« wird mythologisch personifiziert und »Esthensis Ouch-Epi-Ptoe« genannt, was eine rein phonetische und zugleich kryptische Wiedergabe des Schlagwortes der stoischen Apathielehre »ai[sqhsi~ oujc ejpi; ptoh/`«, d.h. »Wahrnehmung nicht im Zustand der Erregung« ist. Wichtig für uns ist nun, dass der Erzähler der Langversion des Apokryphon des Johannes im uns vorliegenden Paragraphen gerade dieses Grundpostulat der Stoiker dämonisiert hat! Das beweist eindeutig, dass er der intellektualistischen Definition der Affekte durch die Stoiker und ihrem Plädoyer für die Ausrottung aller Affekte nicht ohne Weiteres zustimmt. Damit wird die Frage noch dringender: In welchem Sinne sollen die Gnostiker die Affekte (unter ihnen auch den Neid) überwinden? Bevor wir zur Beantwortung dieser Frage einen Schritt weiter gehen, ist auch die Affektlehre des frühen Judentums in Betracht zu ziehen. Außer im soeben erwähnten Paragraphen aus dem Apokryphon des Johannes (§ 27) ist der Neid auch sonst häufig dämonisiert worden. Er wird von den »Mächten« (§ 42), dem »Teufel« (§ 44) und den »Dämonen« (§ 55) eingeblasen. Das erinnert uns sehr stark an die Vorstellung vom »Satan, der im Paradies Adam beneidet«. 16 Das Judentum der hellenistischen Zeit hat sich eine Hierarchie der verschiedenen Dämonen mit dem Satan an der Spitze vorgestellt. Es hat diese Vorstellung mit der Affektlehre der hellenistischen Schulphilosophien, insbesondere mit derjenigen der Stoiker verbunden. Diese Kombination ist vor allem im 4. Makkabäerbuch und in den Testamenten der Zwölf Patriarchen deutlich erkennbar. Das 4. Makkabäerbuch ist in der ersten Hälfte des ersten Jahrheunderts n.Chr. entstanden. Der Titel deutet dauaf hin, dass es inhaltlich genauso wie in den 1.–3. Makkabäerbüchern um den Makkabäerkrieg geht, den die Juden des zweiten Jahrhunderts n.Chr. gegen die Seleukiden von Syrien führten, um von ihnen unabhängig zu werden (167–140 v.Chr.). In der Tat treten als Hauptakteure sieben Brüder und ihre Mutter auf, die alle im Krieg den Märtyrertod sterben. Für den Autor ist dies alles aber nur Material für sein Hauptanliegen, das darin besteht, nachzuweisen, dass die Vernunft die Affekte beherrschen kann und soll. Vor allem die ersten drei Kapitel bieten eine stark philosophisch anmutende Darlegung, die grundsätzlich der stoischen Affektlehre folgt und unter anderem auch den Neid erwähnt (4Makk 1,27; 2,15). Im Unterschied zu den Stoikern aber wird die Ausrottung der ————— 16

Vgl. Kap. II, Abs.5,3.

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

Affekte für unmöglich erklärt. Empfohlen wird stattdessen ihre Beherrschung durch die fromme Vernunft.17 Der Ton ist philosophisch und es ist keine Verbindung der Affektlehre mit der Dämonologie erkennbar. Die Testamente der Zwölf Patriarchen sind ein Sammelwerk, dessen Ursprung wahrscheinlich im zweiten Jahrhundert v.Chr. liegt. Es muss seitdem mehrmals redaktionell bearbeitet worden sein, so dass in seiner uns vorliegenden Gestalt wenigstens teilweise auch eine christliche Hand am Werk gewesen sein muss. Die zwölf Söhne Jakobs, des Erzvaters Israels, halten ihren Kindern, bevor sie selbst sterben, jeweils eine Abschiedsrede. Die zwölf Traktate werden deshalb nach den zwölf Söhnen benannt, haben aber alle weitgehend die Paränese über verschiedene Affekte wie Neid und Zorn oder das Erfahrungswissen über Laster wie Hochmut und Geldgier oder Tugenden wie Verstand, Herzensreinheit, Erbarmen und Keuschheit zum Inhalt. Dabei werden die Affekte im Unterschied zum 4. Makkabäerbuch deutlich mit dem Satan oder den Dämonen in Verbindung gebracht. Im Weiteren seien davon nur die zwei Stellen angeführt, die den Neid am intensivsten thematisieren. (1) Testament Simeon 4,2–9 Denn ich [sc. Simeon, der zweite Sohn Jakobs] trauerte mehr als alle, weil ich die Schuld an Josephs Verkauf trug. Als wir dann nach Ägypten herabzogen und er mich wie einen Spion binden ließ, erkannte ich, dass ich gerechterweise das litt und haderte nicht. Doch Joseph war ein guter Mann und hatte in sich Gottes Geist; mitleidig und barmherzig trug er mir das Böse nicht nach, sondern liebte mich mit den Brüdern. Hütet euch nun, meine Kinder, vor aller Eifersucht (zƝlos) und allem Neid (phthonos) und wandelt in Einfalt des Herzens, damit Gott euch Gnade und Ehre und Segen auf eure Häupter gebe, wie ihr an Joseph seht. Die ganze Zeit über machte er uns keine Vorwürfe betreffs dieser Angelegenheit, sondern liebte uns wie seine Seele und ehrte uns über seine Söhne und schenkte uns allen Reichtum und Vieh und Frucht. Und ihr, meine Kinder, liebt jeder seinen Bruder mit gutem Herzen, dann wird der Geist des Neides (phthonos) von euch Abstand nehmen. Denn zornig macht dieser die Seele, und er schädigt den Leib. Zorn und Krieg bereitet er dem Denken; und zum Blutvergießen reizt er die Einsicht und zum Aufruhr führt er die Gesinnung. Und Verwirrung bringt er der Seele und Erzittern dem Leib. Denn selbst im Schlaf besucht und verzehrt ihn ein böser Eifer (zƝlos), und mit unreinen Geistern verwirrt er seine Seele und bringt dem Leib Verwirrung, und durch Tumult

—————

17 Vgl. dazu P. von Gemünden, Der Affekt der GXLRKSWOKC und der PQOQL. Affektkontrolle und soziale Identitätsbildung im 4. Makkabäerbuch mit einem Ausblick auf den Römerbrief, in: Das Gesetz im frühen Judentum und im Neuen Testament, Festschrift für Ch. Burchard zum 75. Geburtstag, D. Sänger/M. Konradt (Hg.), Göttingen 2006, 55–74, jetzt abgedruckt in: dies., Affekt und Glaube, 118–137.

Die Überwindung des Neides: eine tiefendynamische Integration

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schreckt er aus der Ruhe den Verstand, und als böser und giftiger Geist, so erscheint er den Menschen.18

(2) Testament Gad 4,1–5,3 Hütet euch nun, meine Kinder, vor dem Hass. ... Denn der Hass macht mit dem Neid auch gemeinsame Sache gegen die Erfolgreichen. Hört und sieht er ihr gutes Fortkommen, wird er immer krank. Wie die Liebe auch die Toten lebendig machen will und die dem Tode Verfallenen zurückrufen will, so will umgekehrt der Hass die Lebenden töten und die, die in einer Kleinigkeit sündigten, nicht leben lassen. Denn der Geist des Hasses wirkt durch den Kleinmut mit dem Satan in allen Angelegenheiten zusammen zum Tode der Menschen. Der Geist der Liebe jedoch wirkt in Langmut zusammen mit dem Gesetz Gottes zur Rettung des Menschen. Schlecht ist der Hass, denn er hält es beständig mit der Lüge, redet gegen die Wahrheit. Und das Kleine macht er groß, und das Licht bietet er als Finsternis dar. Das Süße nennt er bitter und lehrt Verleumdung und Zorn und Krieg und Übermut und alle Ausnutzung von Bösem und füllt das Herz mit teuflischem Gift. Das sage ich euch aus Erfahrung, meine Kinder, damit ihr den Hass ausstoßt und euch der Liebe des Herrn zuwendet. Die Gerechtigkeit treibt den Hass aus, die Demut tötet den Neid.19

In (1) wird die Josephsgeschichte von Gen 37–4820 vom Gesichtspunkt des Neides aus aufgenommen. Es lässt sich leicht feststellen, dass Neid (phthonos) und Eifersucht (zƝlos) fast synonym gebraucht werden. Beide werden in der Tat auch sonst in den Testamenten der Zwölf Patriarchen fast immer ohne Bedeutungsunterschied und miteinander austauschbar gebraucht. Für uns ist der Befund wichtiger, dass »der Geist des Neides«, der über den Neid und die Eifersucht herrscht, genauso wie der »böse und giftige Geist« oder die »unreinen Geister«, als eine selbstständige Macht außerhalb des Menschen vorgestellt und dem »Geist Gottes« dualistisch gegenübergestellt wird. Genauso steht es auch mit dem »Geist des Hasses« im Testament Gad (2). Auch das Testament Ruben 3,5 spricht vom »Geist der Lüge in Verderben und Neid (Eifer)«, das Testament Juda 13,3 vom »Geist des Neides (Eifer) und der Hurerei« und das Testament Dan 1,6 vom »Geist des Neides und der Prahlerei«. Mit diesen Aussagen sind fast immer entweder der Satan selbst (auch Belial oder anders genannt) oder die ihm untertanen Dämonen gemeint. Sie sind dabei als Mächte gedacht, die den Menschen von außen her packen und beherrschen, – um es mit einem terminus techni————— 18 Übersetzung von J. Becker, Die Testamente der Zwölf Patriarchen, in: JSHRZ III, Gütersloh 1974, 42f. 19 Ebd., 108f. 20 Vgl. Kap. I, Abs.1,1,(3).

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Die Entmythologisierung und Überwindung des Neides

cus der Bibelwissenschaft zu sagen, als »metaphysische« Mächte. Die Affekte – darunter auch der Neid – werden folglich für etwas gehalten, das der Satan und seine Unterdämonen in den Menschen von außen her einblasen. Wir haben es hier mit einem »heterodynamischen« Verständnis der Affekte zu tun. 21 Das menschliche Herz ist ein Schlachtfeld, auf dem der »Geist Gottes« mit dem »Geist Satans« kämpft. Der tiefer liegende Grund dafür, dass beide Geister als Mächte gedacht werden, die den Menschen von außen angreifend her packen, liegt letztlich im biblischen Schöpfungsglauben, der hier fest beibehalten wird. Gott ist als Schöpfer für den Menschen, sein Geschöpf, unendlich transzendent. Deshalb ergreift auch der »Geist Gottes« den Menschen von außen her. Sehr wahrscheinlich ist auch der Satan, der von Gott vom Himmel auf die Erde hinabgestoßene Engel,22 als eine selbstständige Macht gedacht, die außerhalb des Menschen existiert. Liegt nun die Sache im Frühjudentum so, dann müssen wir fragen: Steht es auch so beim gnostischen Mythos, der den Neid, wie wir gesehen haben, ebenso unter die Herrschaft des Satans und seiner Unterdämonen stellt? Die Antwort lautet entschieden: Nein. Jaldabaoth und seine Unterarchonten sind im gnostischen Mythos letztendlich nichts anderes als eine tiefenpsychologische Realität der einzelnen Menschen einschließlich der Gnostiker. Um diese Aussage zu begründen, ist allerdings eine Entmythologisierung der gnostischen Aussagen über den Neid nötig. 4.2 Die tiefendynamische Integration: Die Entmythologisierung und ihr Ermöglichungsgrund Ist es überhaupt möglich, die mythologischen Aussagen über den Neid in den gnostischen Texten zu »entmythologisieren«, d.h. als Ausdruck dessen auszulegen, was im Innersten des Menschen vor sich geht? Wir meinen ja, aber warum? Wie ist es möglich? Der Grund dafür ist unseres Erachtens der, dass der höchste Gott an der Spitze der Welt des Lichts im Grunde nichts anderes als der Mensch ist. Wir haben bereits seit Kapitel II, Abschnitt 4: »Die Schöpfung des Menschen durch den Demiurgen« mehrmals darauf hingewiesen, dass der höchste Gott der Welt des Lichts auch »der erste Mensch« oder einfach »der Mensch« heißt. Dies ist eines seiner ausnahmsweise positiven Prädikate im Rahmen der Negativen Theologie am Anfang des Mythos. Diese Bezeichnung wird aber auch außerhalb der Negativen Theologie wiederholt gebraucht. Zunächst seien die wichtigsten Belege angeführt: ————— 21 22

Zum Begriff »Heterodynamik« der Affekte vgl. G. Theißen, Erleben und Verhalten, 50. Vgl. Kap. II, Abs. 5,3.

Die Überwindung des Neides: eine tiefendynamische Integration

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§ 58 Das Apokryphon des Johannes NHC II 6,2–10par. Das ist die Fünfheit von Äonen des Vaters, d.h. des ersten Menschen. Das ist das Bild des unsichtbaren Geistes. Das ist die Pronoia (Vorsehung), die Barbelo ist, und das Denken und die Vorerkenntnis und die Unvergänglichkeit und das ewige Leben und die Wahrheit. Das ist die mannweibliche Fünfheit, die Zehnheit der Äonen, nämlich der Vater.

Dieser Paragraph ist Teil der gnostischen Theogonie, die aus der Neidlosigkeit des höchsten Gottes eine ganze Reihe von unteren Gottwesen ableitet. Er fasst die ersten fünf Emanationen aus dem höchsten Gott zusammen. Der höchste Gott wird eindeutig »der erste Mensch« genannt. Ein wenig früher, bei BG 27,19–20par., wird allerdings von der ersten Emanation Barbelo gesagt: »Sie ist die erste Ennoia (das erste Denken), sein [sc. des höchsten Gottes] Bild. Sie wurde ein erster Mensch.« Das heißt: »Der erste Mensch« (ein erster Mensch) ist auch die Bezeichnung für Barbelo. Das ist aber nicht weiter verwunderlich, weil Barbelo ja ein Abbild des höchsten Gottes selbst ist. § 59 Das Apokryphon des Johannes BG 47,14–48,5par. Eine Stimme kam zu ihr [sc. Sophia]: »Es existiert der Mensch und der Menschensohn«. Der erste Herrscher, Jaldabaoth, hörte. Er dachte, dass die Simme nicht etwas [von oben] Gekommenes sei. Der heilige und vollkommene Vater, der erste Mensch, [belehrte] sie (plur.) über sich selbst in menschlicher Erscheinung. Der Selige offenbarte ihnen seine Erscheinung.

Hier handelt es sich um die Szene, in der sich der höchste Gott auf der Oberfläche des Wassers im Abgrund der Finsternis in seiner leuchtenden Gestalt offenbart, gleich nachdem Jaldabaoth mit der Erstellung des ganzen Systems fertiggeworden ist und seine Weltherrschaft hochmütig proklamiert hat: »Ich bin ein neidischer Gott. Es gibt keinen anderen Gott außer mir« (BG 44,14– 15par.). Das auf dem Wasser der Finsternis erscheinende Abbild des höchsten Gottes hat notwendigerweise die Gestalt des Menschen. Nach dem Modell dieser Menschengestalt schaffen nun Jaldabaoth und seine Unterarchonten den psychischen Menschen.23 In diesem Paragraphen wird der höchste Gott (Vater) unmissverständlich als »der erste Mensch« bezeichnet. Umgekehrt meint »der Mensch« auch den höchsten Gott. »Der Menschensohn« heißt, wenn man den koptischen Text wortwörtlich wiedergibt, »der Sohn des Menschen« und meint den »einziggeborenen Sohn« (Christus; BG 30,4par.), der aus dem höchsten Gott und Barbelo hervorgekommen ist. ————— 23

Vgl. Kap. II, Abs. 4,1.

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Dieses Motiv wiederholt sich neben dem Apokryphon des Johannes in verschiedenen anderen Schriften und in verschiedenen Varianten: § 60 Vom Ursprung der Welt NHC II 103,15–104,3 Als nun die Pistis die Gottlosigkeit des großen Archonten sah, geriet sie in Zorn. Sie war unsichtbar und sagte: »Du irrst dich, Samael.« – Das bedeutet: »der blinde Gott.« – »Ein unsterblicher lichter Mensch existiert vor dir. Dieser ist es, der sich in euren Gebilden offenbaren wird. Er wird dich zertreten, wie Töpferton zertreten wird. ... Als aber Sabaoth, Jaldabaoths Sohn, den Ruf der Pistis gehört hatte, pries er [sie. Er] verurteilte den Vater [und die Mutter] infolge des Wortes der Pistis. [Er] pries sie, weil sie ihnen Kenntnis über den unsterblichen Menschen und sein Licht gegeben hatte. (fortgesetzt durch § 23 oben)

§ 61 Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes (Das ägyptische Evangelium) NHC III 58,23–59,4 Und nach der Einrichtung [der Welt] sprach Sakla zu seinen [Engeln:] Ich, ja ich bin ein [neidischer] Gott, und ohne mich ist nichts [entstanden. Denn er vertraute] auf seine Natur. Da kam eine Stimme aus der Höhe und sagte: Der Mensch existiert und der Sohn des Menschen.

§ 62 Der zweite Logos des großen Seth NHC VII 52,30–53,17 Und es gab eine Flucht ihres [sc. des Kosmokrators und seiner Untertanen] Verstandes betreffs dessen, was sie über mich [sc. den Offenbarer] beschließen sollten, weil sie dachten, dass es die ganze Größe ist, und weil sie falsches Zeugnis auch über den Menschen und über die ganze Größe der Ekklesia (der Lichtwelt) gaben. Sie konnten sie nicht erkennen, nämlich den Vater der Wahrheit, den Menschen der Größe. ... Aber sie, die Archonten, die zum Ort des Jaldabaoth gehören, offenbaren den Umlauf der Engel – nach dem die Menschheit schon immer suchte –, damit sie den Menschen der Wahrheit nicht kennen.

»Der unsterbliche Mensch«, d.h. der höchste Gott, war auch schon im Paragraphen 33 gemeint: »Damals machten die Mächte die Erfahrung, dass wahrhaftig einer, der stark ist, vor ihnen ist.« (Vom Ursprung der Welt NHC II 120,12–14). Auch der »Mensch«, der ebenfalls in »Vom Ursprung der Welt« NHC II 113,8 und 115,8 erwähnt wird, bezeichnet sehr wahrscheinlich den höchsten Gott.

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In all diesen Paragraphen wird der Grundsatz der Gnosis ausgedrückt: Der Mensch ist der höchste Gott. Es gibt absolut nichts, was den Menschen transzendiert. Die gnostischen Texte – nicht nur die des Mythos, sondern überhaupt alle – sind allerdings übervoll von dualistischen Termini und Akteuren wie Licht gegen Finsternis, Geist gegen Fleisch, Gottwesen der Welt des Lichts gegen den dummen Demiurgen samt seinen Untertanen. Deshalb kann für flüchtige Leserinnen und Leser schnell der Eindruck entstehen, dass der Mensch ganz in der materiellen Welt gefangen sei, während die Welt des Lichts für ihn äußerst schwer erreichbar und ganz transzendent sei. Dass aber der Mensch tief in die materielle Welt gesunken und in ihr gefangen ist, bedeutet nichts anderes, als dass er von seinem wahren Selbst abgefallen ist. Das wahre Selbst des Menschen ist eben gerade der höchste Gott. Darum wird der höchste Gott »der Mensch« oder »der erste Mensch« genannt. Es ist zwar wahr, dass die reale Menschheit auf Erden mit Adam beginnt, den der Demiurg zusammen mit seinen Unterarchonten erschaffen hat. Als sie aber Adam schufen, nahmen sie das Abbild, das den höchsten Gott selbst offenbarte, zum Modell. Das heißt, dass der höchste Gott der Archetyp Adams ist, der seinerseits der Archetyp des irdischen Menschen ist. Der höchste Gott ist deshalb der Archetyp des Artchetyps. Auf der anderen Seite aber lautet seit dem Alten Testament der Grundsatz des Schöpfungsglaubens, dass der Mensch ein Geschöpf ist und dass Gott der Schöpfer und für den Menschen unendlich transzendent ist. In schroffem Gegensatz dazu vertritt die Gnosis einen absoluten Anthropozentrismus. Sie lehnt den traditionell-biblischen Schöpfungsglauben von Grund auf ab. Um den manchmal äußerst komplizierten und undurchsichtigen gnostischen Mythos zu verstehen, muss man in Bezug auf diesen Punkt ganz vorsichtig sein. Indem er seine eigene Menschengestalt offenbart und den Demiurgen dazu bringt, nach ihrem Modell einen psychischen Menschen zu schaffen, greift der höchste Gott entschieden in die Erzählhandlung des Mythos ein. Damit beginnt die Strategie der Welt des Lichts, die Kraft des Lichts, die damals wegen des Fehltritts der Sophia verlorengegangen ist und jetzt in Jaldabaoth wohnt, zurückzuholen. Warum aber macht Sophia überhaupt einen Fehltritt? Dafür kann man keinen anderen Grund finden, als dass der uranfänglichen Selbstdifferenzierung des höchsten Gottes eine ganze Reihe von Emanationen von niedrigeren Gottwesen folgte, so dass der Abstand zu der untersten Gottheit Sophia allzu groß geworden war. Das heißt: Die letztliche Ursache der Zerstreuung des Lichtes in die einzelnen Menschen liegt nicht im Fehltritt der Sophia, sondern sehr viel früher darin, dass der höchste Gott im Uranfang begann, sich in Subjekt und Objekt des Denkens (mythologisch: des Sich-Selbst-Anschauens) zu differenzieren. Der Fehltritt der Sophia ist nur eine wichtige Zwischenstation in der großen Abstiegsbewegung und Zerstreuung des Lichtes. Der gnostische Mythos des syrisch-

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ägyptischen Typs schildert, um es idealtypisch auszudrücken, die kosmologische Kreisbewegung des Lichtes, die mit der Selbstdifferenzierung des höchsten Gottes beginnt, sich dann stetig nach unten entwickelt (egressus), bis sie zur Schöpfung Adams, des Archetyps, und zur Zerstreuung des Lichtes gelangt. Hier wendet sie sich wieder nach oben, um in die Anfangslage zurückzukommen (regressus).24 Diese kosmologische Kreisbewegung findet im gnostischen Mythos selbst einen ganz deutlichen Ausdruck. Einige typische Beispiele seien angeführt:

§ 63 Das Apokryphon des Johannes BG 34,19–36,15par. Aus der Vorerkenntnis und dem vollkommenen Verstand, durch Gott und durch das Wohlgefallen des großen unsichtbaren Geistes und mit dem Wohlgefallen des Selbsterzeugten (Autogenes), entstand der erste vollkommene wahre Mensch. Das ist die erste Offenbarung. [...] Er gab ihm den Namen »Adam« und setzte ihn über den ersten Äon, bei dem großen göttlichen Selbsterzeuger (Autogenetor), dem Gesalbten25, bei dem ersten Äon, Harmozel; und seine Mächte waren mit ihm. Da gab ihm der Unsichtbare [sc. Geist] eine unüberwindbare geistige Macht. Er [sc. Adam] sprach: »Ich verherrliche und preise den unsichtbaren Geist, denn deinetwegen ist das All entstanden und in dich wendet sich das All zurück. Ich aber preise dich und den Selbsterzeugten (Autogenes) und die drei Äonen, den Vater und die Mutter und den Sohn, die vollkommene Macht.« Er [sc. der unsichtbare Geist] setzte seinen [sc. des Adams] Sohn Seth über das zweite Licht, Oroiael. In den dritten Äon wurde der Same des Seth gesetzt, die Seelen der Heiligen, die ewig sind, im dritten Licht, Daveithe. In den vierten Äon wurden die Seelen derer gesetzt, die ihre Vollkommenheit erkannten, aber nicht sofort, sondern erst dann umkehrten, nachdem sie eine Weile gezögert hatten. Sie werden bei dem vierten Licht Eleleth bleiben, das sie mit sich verbunden hat, und den unsichtbaren Geist verherrlichen.

Dieser Paragraph steht fast am Schluss der Theogonie des Apokryphon des Johannes und unmittelbar vor der Szene des Fehltritts der Sophia (BG 36,16–37,10par.). Dabei ist der Adam dieses Paragraphen nicht mit dem psychischen Adam, der sehr viel später von Jaldabaoth und seinen Unterarchonten geschaffen wird (BG 48,10–51,1par.), zu verwechseln. Der Adam dieses Paragraphen existiert früher als der psychische Adam, er ist gleichsam dessen präexistentes Modell in der Welt des Lichts. Die eben zitierte Szene gehört mit Einschluss dieses Adams noch an den Anfang des Mythos. ————— 24 25

Vgl. oben Kap. I, Abs.4, S.42. Beziehungsweise »Guten« oder »Christus«.

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Aber überraschenderweise erwähnt dieser Paragraph in seiner zweiten Hälfte Seth, Adams Sohn, und dessen Nachkommenschaft. Außerdem wird auch von denen gesprochen, »die ihre Vollkommenheit erkannten, aber nicht sofort, sondern erst dann umkehrten, nachdem sie eine Weile gezögert hatten.« Das ist ein sehr seltsamer Satz, der hier isoliert steht und sich gar nicht kontextimmanent verstehen lässt. Er nimmt schon den Schlussteil des Apokryphon des Johannes vorweg, wo außerhalb des eigentlichen Mythos die verschiedenen eschatologischen Schicksale der Menschen besprochen werden (BG 64,13–71,1par.; NHC II 30,11–31,27). Das bedeutet, dass hier nicht nur das Ende des eigentlichen Mythos, sondern das Ende der ganzen Schrift vorweggenommen und in den Anfang des Mythos hineinversetzt wird. Die Eschatologie wird in die Protologie hineintransponiert. Das ist nur möglich, weil sich der Erzähler des Mythos schon hier jener großen Kreisbewegung (egressus und regressus) des Lichtes bewusst ist! Das zeigt der in unserem Zitat kursiv gesetzte Ausspruch des präexistenten Adam: »denn deinetwegen ist das All entstanden und in dich wendet sich das All zurück.« »Das All« meint hier die Welt des Lichts (das Pleroma) als Ganzes, in der die Zahl der Gottwesen erst jetzt voll wird. Die nächsten drei Paragraphen 64–66 stammen alle aus dem Tractatus Tripartitus. Hier ist in unmissverständlichen Worten davon die Rede, dass das aus dem höchsten Gott (Vater) hervorgegangene All einschließlich der Gnostiker nicht von Anfang an an der vollkommenen Erkenntnis und am Guten Anteil haben solle, sondern zuerst »die unteren Orte durchziehen« müsse, indem es den Tod als »das große Übel« und alle anderen Übel, die aus ihm entstünden, kennenlerne. Das sei zudem »der zuvor geplante Heilsplan der Liebe des Vaters«. Soweit bekannt, findet sich außer dieser Aussage nichts Vergleichbares über die Kreisbewegung, die von der Welt des Lichts ausgeht und wieder dorthin zurückläuft. § 64 Tractatus Tripartitus NHC I 95,2–16 Deswegen sind sie [sc. die Bewohner der mittleren Welt] Leidenschaften – denn Leidenschaft ist ein Leiden –, weil sie nicht Erzeugnisse aus der Übereinstimmung des Pleromas sind, sondern schon aus dem (Logos), der den Vater oder die Übereinstimmung mit seinem All und Willen noch nicht empfangen hatte. Es war nützlich für den zukünftigen Heilsplan, weil ihnen bestimmt war, dass sie die unteren Orte durchziehen müssten, ohne dass aber die Orte ihren Einzug sogleich und schnell zu ertragen vermöchten, außer wenn sie einzeln erscheinen. Ihr Einzug aber wäre notwendig, weil alles durch sie vollendet werden sollte.

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§ 65 Tractatus Tripartitus NHC I 107,27–108,13 Dies ist es, was der Geist in seiner Voraussicht bestimmt hat, nämlich dass der Mensch dieses große Übel kennenlernt, welches der Tod ist, der seinerseits die vollständige Unwissenheit über das All ist, dass er auch alle jene Übel kennenlernt, die aus diesem Übel entstehen, und dass er nach den Begierden, die in diesen obwalten, und nach den Sorgen endlich von dem größten Gut, nämlich von dem ewigen Leben, empfängt, welches in der vollkommenen Erkenntnis des Alls und in der Teilhabe an allem, was gut ist, besteht. Wegen der Übertretung des ersten Menschen kam der Tod zur Herrschaft und wurde zum Gefährten aller Menschen, um sie zu töten, gemäß der Offenbarung seiner Herrschaft, die ihm eigen ist, solange sie ihm [zur] Herrschaft gegeben ist, wegen zuvor geplanten Heilsplans der Liebe des Vaters.

§ 66 Tractatus Tripartitus NHC I 126,28–127,5 Was diejenigen anbelangt, an die er [sc. der höchste Gott] gedacht hatte, dass sie die Erkenntnis und die Güter, die in ihr sind, erlangen sollten, so war es der Plan der Weisheit des Vaters, dass sie die bösen Dinge kosten und sich in dem Kampf mit ihnen üben sollten, nach Art einer kurzfristigen [..., auf dass sie die guten Dinge] bis in [alle] Ewigkeit [genössen]. Dabei tragen sie den Unterschied zu ihren Widersachern, die fortwährende Zurückweisung und die Anklage durch sie als einen Schmuck und ein wunderbares Zeichen der Erhabenheit, das sichtbar werden sollte.

Der höchste Gott, von dem die kosmologische Kreisbewegung ausgeht, ist »der erste Mensch«, damit auch »der Archetyp des Archetyps« für die realen Menschen unter Einschluss der Gnostiker selbst. Aus diesem Grund kann man diese Kreisbewegung ohne Weiteres als eine sprachliche und mythologische Verobjektivierung dessen verstehen, was im Inneren des Menschen vor sich geht. »Der psychomythische Parallelismus« (G. Theißen) beschränkt sich nicht auf das Kommen des Offenbarers zum psychischen Adam, dem Archetyp. Er kommt vielmehr im ganzen gnostischen Mythos zum Tragen. Darin liegt der eigentliche Grund, warum man den gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs psychologisch entmythologisieren kann. Hier sei noch einmal an die Zusammenfassung von Kapitel II26 erinnert: Der »Neid« kommt bei diesem Typ des gnostischen Mythos in fast allen für die Erzählhandlung wichtigen Szenen vor und spielt eine mythologisch unentbehrliche Rolle. Er bildet das Strukturprinzip des Mythos. Obwohl alles mit dem neidlosen höchsten Gott begonnen hatte, ist der Neid wegen des Fehltritts der Sophia zu einem Prinzip geworden und hat sich in Jaldabaoth buchstäblich »verkörpert«. Nicht nur dieser Prozeß, sondern auch ————— 26

Oben S.101.

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Jaldabaoth selbst, der durch die Existenz eines Stärkeren beleidigt wird, sein eigenes Gut anderen vorenthält und sein eigenes Geschöpf Adam beneidet, weil dieser ihn an Intelligenz übertroffen hat, spiegeln die psychische Realität der Gnostiker wider. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet erschöpft sich die psychische Realität der Gnostiker nicht in der Beschreibung der verschiedenen Arten von Neid, die, wie schon in Abschnitt 2 bemerkt, mit anderen Affekten und Lastern wie Hass, Lust, Geldgier, Hochmut, Zorn usw. verbunden werden. Vielmehr gilt, dass der Neid als Strukturprinzip des Mythos, vor allem aber Jaldabaoth selbst, die Verkörperung des Neides schlechthin, einen Teil der psychischen Realität der Gnostiker abbilden. Denn sowohl Jaldabaoths Entstehung als auch seine Weltherrschaft gehören zu den wichtigen Wendepunkten, die sich auf jener großen kosmologischen Abstiegsbewegung (egressus), die mit der Selbstdifferenzierung des höchsten Gottes begonnen hatte, herausgebildet haben. Die umgekehrte Bewegung, die wieder auf den höchsten Gott hinläuft (regressus), beweist, dass die Gnostiker das endgültige Ziel der Überwindung des Neides in der Rüchkehr zur Neidlosigkeit des höchsten Gottes sehen. Sie sind nicht wie die Stoiker auf die Ausrottung des Neides aus. Sie versuchen ihn vielmehr dadurch zu überwinden, dass sie ihn einmal »durchziehen«. Um mit G. Theißen und P. von Gemünden zu sprechen, geht es ihnen um die »tiefendynamische«27 Integration des Neides. Als Auslegung des gnostischen Mythos ist das allerdings nicht absolut neu, sondern in der Substanz mit dem identisch, was schon C.G. Jung zu seiner Zeit mit dem Begriff »Individuation« zum Ausdruck gebracht hat. Nach ihm bedeutet das Hervorgehen der unteren Gottwesen aus dem Selbstbewusstsein des höchsten Gottes nichts anderes, als dass das menschliche Bewusstsein aus dem Ozean des Unbewussten hinaufsteigt. »Ich bin ein neidischer Gott; es gibt keinen anderen Gott außer mir« – diese hochmütige Proklamation, die Jaldabaoth ohne das Wissen um das obere Wesen macht, bildet gerade den Höhepunkt des menschlichen Selbstbewusstseins und symbolisiert die Angst des Ego. Die Rückholung des einst in die »Welt der Finsternis« verloren gegangenen »Lichts« ist mit dem tiefenpsychologischen Prozess identisch, in dem das Selbst(Ego)bewusstsein des Menschen seinen Gegensatz, das Unbewusste, wieder integriert. Daraus ergibt sich eine neue Ganzheit: das wahre Selbst, das gößer als das alte Ego ist.28

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27 Vgl. dazu G. Theißen, Erleben und Verhalten, 50, Anm.5; P. von Gemünden, Affekte und Affektkontrolle im antiken Judentum und Urchristentum, in: Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, G. Theißen/P. von Gemünden (Hg.), Gütersloh 2007, 249–270, jetzt abgedruckt in: dies., Affekt und Glaube, 309–328. 28 Vgl. dazu T. Onuki, Heil und Erlösung. Studien zum Neuen Testament und zur Gnosis, Tübingen 2004, 418ff.

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4.3 Der Text des Mythos als Offenbarung Ein Problem ist noch offen: Auf welche Weise wollten die Gnostiker des syrisch-ägyptischen Typs die tiefendynamische Überwindung des Neides erreichen, wenn dies tatsächlich ihre Aufgabe war? Hatten sie andere Mittel dazu als die Lektüre des Mythos? Diese Frage ist für uns deshalb unumgänglich, weil zum Beispiel die Testamente der Zwölf Patriarchen als Mittel für die Überwindung des »Geistes des Neides« neben den Tugenden wie »Furcht Gottes«, »Geduld«, »Demut« und »Gerechtigkeit« einige sehr konkrete Rituale wie »Fasten« und »Gebet« empfehlen. Im Testament Simeon wird gesagt: »Zwei Jahre peinigte ich in der Furcht des Herren meine Seele durch Fasten. Da erkannte ich, dass die Erlösung vom Neid durch Gottesfurcht geschieht« (3,4). Ähnliche Rezepte wurden auch im frühen Christentum empfohlen. Zum Beispiel empfiehlt Johannes Chrysostomus in seinen vielfältigen Schriften neben den Worten der Bibel Gebet (v.a. das Vaterunser), Fasten und Eucharistie als wirksame Mittel für die Überwindung des Neides.29 Wurden solche Rituale auch unter den Gnostikern des syrischägyptischen Typs praktiziert? Es ist leider sehr schwer, diese Frage mit Sicherheit zu beantworten, denn wegen des absoluten Mangels an einschlägigen Quellen ist es bedauerlicherweise ganz allgemein schwierig, die Art und Weise der realen Lebensführung der Gnostiker zu ermitteln. Man kann freilich für bestimmte Schulen mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass sie einige Rituale praktizierten. Zum Beispiel hatten die Valentinianer außer Taufe, Salbung und heiligem Kuss, wie schon oben bemerkt (§ 51), das »Brautgemach« als ihr Spezifikum. Aber wir wissen nicht, ob sie auch für die Überwindung des Neides ein spezielles Ritual besaßen. Trotzdem kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein solches Ritual kannten, prinzipiell sehr klein ist. Für die Gnostiker muss die Lektüre ihres jeweiligen Erlösungsmythos das wirksamste und wichtigste Rezept dafür gewesen sein, den Neid in ihrem Inneren integrativ zu überwinden. In der Tat legt Irenäus, der beste Informant über die vielfältigen Gnostikerschulen bis zum zweiten Jahrhundert n.Chr., davon folgendermaßen Zeugnis ab: Andere lehnen das alles [sc. Salbung u.a.] ab und vertreten den Standpunkt, dass man das Mysterium der unaussprechlichen und unsichtbaren Kraft nicht durch sichtbare und vergängliche Dinge begehen darf und das der undenkbaren und köperlosen Kräfte nicht durch wahrnehmbare und körperliche Dinge. Die vollkommene

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29 Näheres dazu bei Th. Nikolaou, Der Neid bei Johannes Chrysostomus. Unter Berücksichtigung der griechischen Philosophie, Bonn 1969, 66–69.

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Erlösung ist eben die Erkenntnis der unsagbaren Größe. (Gegen die Häresien I, 21,4)30

Die Lektüre des Mythos als solche ist das konkreteste und wichtigste Rezept für die Überwindung des Neides. Das ist nicht verwunderlich, bedenkt man, was der Mythos eigentlich ist. Der Mythos will seinem Rezipienten keine objektiv wahre Erklärung der Welt geben, sondern alles in der vorhandenen Welt in einen Sinnzusammenhang ordnen und in ein symbolisches Universum verwandeln, in dem der Mensch »wohnen« kann. Der Rezipient wird durch das Hören oder – bei den gnostischen Mythen, die wohl von Anfang an weitgehend als sogenannte Kunstmythen mit einer bestimmten pragmatischen Strategie geschrieben wurden – durch die Lektüre des Mythos zu einem neuen Welt- und Selbstverständnis geführt. Um es mit einem terminus technicus der gegenwärtigen Philosophie nach der »linguistischen Wende« zu sagen, ist der gnostische Mythos eine auf die Pragmatik orientierte Aussage. Wie wir schon mehrmals festgestellt haben, kommen im gnostischen Mythos immer wieder Offenbarer aus der Welt des Lichts zum Menschen, der mitten in der Welt der Finsternis sein wahres Selbst vergessen hat. Wo und wie kommt eine solche Offenbarung zu einzelnen Leserinnen und Lesern? Nirgendwo anders als im Text des Mythos, den er gerade liest! Im Akt des Lesens geschehen zwei Dinge parallel zueinander: auf der einen Seite die Interaktion, die innerhalb des Mythos, d.h. textintern, zwischen dem ersten Menschen Adam und dem Offenbarer stattfindet, auf der anderen Seite die Interaktion, in welcher die sich außerhalb des Mythos befindenden Leserinnen und Leser mit dem Text stehen. Man kann insofern über den »psychomythischen Parallelismus« (G. Theißen) hinaus auch vom »Parallelismus zwischen Leseakt und Mythos« sprechen. Der »Neid« ist das Strukturprinzip des gnostischen Mythos des syrischägyptischen Typs. Das bedeutet, dass der Neid für die Gnostiker dieses Typs ein großes Problem war. Aber für dessen Überwindung im Sinne der tiefendynamischen Integration gibt es kein effektiveres Rezept als die Lektüre des Mythos selber. Denn die Offenbarung, von der der Mythos spricht, kommt gerade im Text des Mythos zu Leserinnen und Lesern.31 Waren sich aber die Gnostiker dieses zirkulären Sachverhaltes bewusst? Das erscheint fraglich. Es ist zwar richtig, dass der gnostische Mythos, der auf dem Neid als Strukturprinzip aufgebaut ist, diesen durch die tiefendynamische Integration überwinden will. Das ist offensichtlich die pragmatische Wirkung, die der gnostische Mythos de facto anvisiert und wohl auch verwirklicht. Nun gilt aber, dass nicht alles, was objektiv de facto, d.h. der Sache nach ————— 30

Nach der Übersetzung von N. Brox, FC 8/1, 281. Vgl. dazu schon H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Bd. II, 151, »Darum ist der erweckende und belehrende ‘Ruf’ nichts anderes als Mitteilung des Mythos selbst…«. 31

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geschieht, auch subjektiv, dem Bewusstsein der betroffenen Person nach geschieht. Es gibt manche Dinge, die an uns einfach schon geschehen sind, bevor wir es bemerken. Dasselbe dürfte auch mit der tiefendynamischen Integration des Neides durch den gnostischen Mythos der Fall sein. Sie ist also als eine Wirkung zu verstehen, die von der Tiefenstruktur des gnostischen Mythos im Innersten der Leserinnen und Leser hervorgerufen wird. Auch vom texttheoretischen Gesichtpunkt aus betrachtet ist die Wirkung der Tiefenstruktur des Textes nicht identisch mit der Wirkung seiner Oberflächenstruktur. Es scheint, dass der gnostische Mythos durch seine Oberflächenstruktur dem unmittelbaren Bewusstsein seiner Leserinnen und Leser den Neid aufzeigt, den Jaldabaoth und seine Unterarchonten auf den ersten Menschen Adam und auf den zu ihm kommenden Offenbarer empfinden. Mit anderen Worten werden die Gnostiker als Leserin unf Leser des Mythos dazu geführt, sich selbst als diejenigen zu verstehen, die eben von Jaldabaoths Neid und dem seiner Unterarchonten betroffen sind. Sie sind »die von der Welt Beneideten«.32 Trifft unsere bisherige Beobachtung zu, ist zu fragen: Wieweit kann man sowohl dieses Selbstverständnis, das der gnostische Mythos des syrischägyptischen Typs dem unmittelbaren Bewusstsein der Leserinnen und Leser vermittelt, als auch die sozialen Interaktionen, die sich durch die Produktion, Tradition und Rezeption des Mythos unter den Gnostikern entfaltet haben, in ihrem historischen und kulturellen Kontext verstehbar machen? Mit dieser Frage sind wir am Kernpunkt der historischen Religionspsychologie (G. Theißen) angelangt. Diese Frage zu beantworten ist die Aufgabe des nächsten Kapitels.

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Vgl. Abs.1 dieses Kapitels.

Kapitel IV. Gnosis und Politik (der syrisch-ägyptische Typ) Gnosis und Politik (der syrisch-ägyptische Typ) Neid und Politik in der hellenistischen Geistesgeschichte

1. Neid und Politik in der hellenistischen Geistesgeschichte Wie schon in der Einführung erwähnt, ist der Neid der »politischste« aller menschlichen Affekte. Der Neid ist so alt wie die Politik. Das Nachdenken über ihn ist ebenso alt wie die Diskussion über Macht und Politik. Es gibt deshalb bereits einige geistesgeschichtliche Studien darüber. Für die europäische Geistesgeschichte liegt uns die umfangreiche Untersuchung von H. Schoeck, »Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft« (Freiburg/München 1966) vor. Schoeck lenkt, wie der Untertitel des Buches deutlich zeigt, seine Aufmerksamkeit auf die politische Relevanz des Neides. Man kann sich allerdings bei ihm nicht des Eindrucks erwehren, dass die Berücksichtigung der Antike zu kurz gekommen ist. Die Gnosis wird nicht einmal erwähnt. Tatsächlich aber wurde in der griechisch-römischen Geistesgeschichte schon vor der Gnosis rege über die politische Relevanz des Neides diskutiert. Daraus ergab sich sozusagen eine traditionelle »Neid-Theorie«. Dieses Kapitel hat die Aufgabe, die gnostische Sicht des Neides in ihrem Kontext zu verorten. 1.1 Frühes Griechentum Wir beginnen mit Herodot, dem »Vater der Geschichtsschreibung«. Er wurde im fünften Jahrhundert v.Chr. geboren, unmittelbar vor Beginn des Perserkriegs (492–449 v.Chr.), in dem die Griechen dreimal gegen die Achämeniden zu Felde zogen. Er lebte ungefähr bis in die Zeit des peloponnesischen Kriegs, den die Athener und die Spartaner um die Herrschaft über Griechenland länger als ein Vierteljahrhundert gegeneinander führten (431–404 v.Chr.). Seine »Historien« sind nicht nur für die Kenntnis der Chronologie des Kriegs, sondern auch für die Geschichte der persischen Politik eine sehr kostbare und wichtige Quelle. Buch III zufolge herrschte nach dem Tod Kambyses’ II (522 v.Chr.) sieben Monate lang ein Magier namens Smerdis. Er gab sich als Sohn Kyros’ II (Regierungszeit 559–530 v.Chr.) aus und nahm sogar dessen Namen an. Otanes, einer der nach Herkunft und Vermögen Reichsten im damaligen Persien, deckte jedoch zusammen mit sieben Sympathisanten – darunter auch dem späteren Dareios

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II (Regierungszeit 522–486 v.Chr.) – die wahre Herkunft Smerdis’ auf und verbannte ihn (III 66–79). Auf diesen Bericht folgt eine Diskussion darüber, welches neue politische System nun eingeführt werden solle. Demokratie, Oligarchie und Monarchie werden vorgeschlagen. Schließlich einigt man sich auf die von Dareios vertretene »vollkommene Monarchie« (III 81–83). Zuvor aber schlägt Otanes die Demokratie vor (III 80) mit der Begründung, dass alle bisherigen Monarchien, einschließlich die der Perser (Achämeniden), vor allem vom Neid geprägt gewesen seien. Auch wenn man den Allerbesten zu dieser Stellung [sc. Alleinherrschaft] erhebt, würde er seiner früheren Gesinnung untreu werden. Selbstüberhebung befällt ihn aus der Fülle von Macht und Reichtum, und Neid (phthonos) ist dem Menschen von Anfang schon angeboren. Mit diesen Eigenschaften besitzt er aber auch schon alle anderen Laster. Aus Selbstüberhebung und Neid begeht er viele Torheiten. Freilich sollte gerade ein Alleinherrscher ohne alle Missgunst sein, besitzt er doch alle Güter. Aber sein Verhalten gegen seine Mitbürger ist gerade das Gegenteil. Er beneidet die Besten um ihr bloßes Dasein und Leben, er freut sich über die schlechtesten Bürger und ist gern bereit, auf Verleumdungen zu hören.1

Der Vater Kambyses’ II war Kyros II. Dieser ist auch als Befreier der Juden aus dem babylonischen Exil bekannt (Jes 44,28; 45,1). Herodot beschreibt in I 95–130 die Lebensgeschichte Kyros’ II von seiner Geburt und Erziehung bis zur Thronbesteigung und in I 46–94 und 141–216 seine Eroberungskriege gegen Lydien, Ionien, Babylonien und die Massageten. Zwischendurch macht er eine Bemerkung über das ihm vorliegende Quellenmaterial: »Von hier sucht unsere Untersuchung zu ermitteln, wer dieser Kyros war, der das Reich des Kroisos vernichtete, und wie die Perser sich zum Herrn von Asien aufschwangen. Ich will diese Geschichte so schreiben, wie sie einige Perser erzählen, sofern sie die Taten des Kyros nicht übertreiben wollen, sondern die Wirklichkeit schildern. Ich wäre jedoch in der Lage, über die Geschichte des Kyros noch drei andere Darstellungen nachzuweisen« (I 95). 2 Herodot bezeugt hier eindeutig, dass schon zu seiner Zeit Überlieferungen im Umlauf waren, die Kyros’ Taten übertrieben und verherrlichten. Xenophon übernimmt offensichtlich solche Traditionen in seinem Werk »Kyrupädie« (Die Erziehung des Kyros). Nach der opinio communis der Forschung ist die »Kyrupädie« eher ein Enkomion für Kyros als eine historisch glaubwürdige Berichterstattung über seine Person und Taten. Insofern ist es mit dem anderen Enkomion Xenophons, dem »Agesilaos«, vergleichbar. Die »Kyrupädie« könnte gleichsam als dessen erweiterte Version be————— 1 Übersetzung nach: Herodot, Historien, Bd. I, übers. v. J. Felix, München/Zürich 41988, 437 (mit Veränderung von T. Onuki). 2 Ebd., 95.

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zeichnet werden.3 Kyros ist hier der »Wohltäter« (euergetƝs) seines eigenen Volkes als auch der von ihm eroberten Völker (VIII 2,1–2.9.10.12). Seine »guten Taten« (euergesia: VIII 7,13) und »Menschenliebe« (philanthrǀpia: VIII 2,1; 4,7–8) werden immer wieder geschildert. Xenophon zitiert außerdem ein zu seiner Zeit geflügeltes Wort, das Kyros zugeschrieben wurde: »Es wird ein Wort von ihm überliefert, welches besagt, dass die Pflichten eines guten Hirten und eines guten Königs gleich seien« (VIII 2,13). Für uns ist das Buch VIII besonders wichtig. Es berichtet, wie Kyros seine Herrschaft neu aufbaute und wie er die Mannschaft und Offiziere ausbildete, wie er die eroberten Völker behandelte und wie er sein eigenes Leben gestaltete. Die Beschreibung hat zum Zweck, die verschiedenen Tugenden von Kyros, vor allem seine politische Begabung, hervorzuheben. Demnach weiß Kyros vor allem sehr genau um die politische Relevanz des Neides. Er benutzt ihn äußerst geschickt, indem er darauf achtet, dass seine hohen Minister nicht durch enge Freundschaft miteinander, sondern dass alle vielmehr einzeln direkt mit ihm selbst verbunden sind. Darüber hinaus traf Kyros eine Anordnung mit Gesetzeskraft, dass bei allem, was in einem Rechtsstreit und in einem Wettkampf der Entscheidung bedurfte, diejenigen, die die Entscheidung benötigen, sich über die Auswahl der Richter verständigen sollten. Selbstverständlich bemühten sich beide Parteien um die jeweils besten und die ihnen besonders gewogenen Richter. Die unterlegene Partei beneidete (ephtonei) aber die Sieger um ihren Erfolg und haßte die Richter, die gegen sie entschieden hatten. Die siegende Partei dagegen behauptete von sich, mit gutem Recht zu siegen, so dass sie glaubte, niemandem Dank zu schulden. Auch die Menschen, die den Wunsch hatten, unter Kyros’ Freunden die erste Stelle einzunehmen – wie es auch sonst in den demokratischen Staaten der Fall ist –, wurden neidisch (epiphthonos) aufeinander, so dass die meisten eher den Wunsch hegten, sich gegenseitig aus dem Weg zu räumen, als dass sie im Blick auf ihr gemeinsames Wohl zusammenarbeiteten (Xen. Kyr. VIII 2, 27–28).4

Nach Xenophon (VIII 7,6–28) hält Kyros seinem Sohn Kambyses unmittelbar vor seinem eigenen Tod eine Abschiedsrede. Auch hier spricht Kyros über den Neid: Wenn du also versuchst, noch andere Menschen zu gewinnen, die dir helfen sollen, deine Herrschaft zu erhalten, dann fang zuerst bei deiner Verwandtschaft an. ... Lasst also die wertvollen Möglichkeiten, die die Götter allen Brüdern zur Festigung ihrer natürlichen Bindungen gegeben haben, nie unbenutzt, sondern baut darauf unverzüglich noch weitere Werke der Zuneigung; und so wird eure Liebe niemals von anderen

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3 Vgl. dazu T. Onuki, Sammelbericht als Kommunikation. Studien zur Erzählkunst der Evangelien, WMANT 73, Neukirchen-Vluyn 1997, 101–103. 4 Übersetzung nach Xenophon, Kyrupädie, übers. v. R. Nickel, München 1992, 579–581.

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übertroffen werden. Für welchen anderen Menschen ist denn ein mächtiger Bruder ein so wertvoller Besitz wie für den Bruder? Welchem anderen Menschen wird wegen eines bedeutenden Mannes so viel Achtung erwiesen wie einem Bruder? Bei wem wird man dieselbe Scheu haben, ihn ungerecht zu behandeln, wie bei dem, dessen Bruder eine einflussreiche Persönlichkeit ist? Darum soll ihm niemand schneller gehorchen und bereitwilliger zur Seite stehen als du. Denn niemandem geht sein Glück oder sein Unglück so nahe wie dir. Auch daran musst du denken: Bei wem könntest du dadurch, dass du ihm einen Gefallen tust, mehr Gewinn erwarten als bei ihm? Welchen stärkeren Verbündeten könntest du gewinnen, wenn du ihm hilfst? Was ist schändlicher, als den Bruder nicht zu lieben? Was ist schöner, als den Bruder mehr als alle anderen Menschen zu achten? Nur wenn ein Bruder bei seinem Bruder die erste Rolle spielt, mein Kambyses, entsteht bei den anderen Menschen kein Neid (oude phthonos epikneitai) (Xen. Kyr. VIII 7,14–16).5

Im ersten Paragraphen (VIII 2,27–28) bindet Kyros die einzelnen hohen Minister direkt an seine eigene Person, indem er unter ihnen den Neid aufeinander schürt und sie dadurch voneinander trennt. Im letzten Paragraphen belehrt Kyros dagegen seinen Sohn darüber, wie er als politischer Machthaber den Neid der »anderen Menschen«, d.h. des ihm untertanen Volkes, vermeiden kann. Es gibt kaum ein klareres Zeugnis für die politische Relevanz des Neides. Wie gesagt hier wird nicht das wirkliche Verhalten des historischen Kyros II beschrieben. Vielmehr äußert Xenophon seine eigene Meinung und vielleicht auch die der Intellektuellen im Griechenland seiner Zeit. Unser nächster Zeuge ist Platon. Er wusste um die Tradition, die Kyros II verherrlichte. Im Werk »Nomoi« (Gesetze) Buch III gibt es einen Abschnitt, in dem er die Monarchie der Perser und die Demokratie der Athener miteinander vergleicht und den Vorteil einer Mischung beider Herrschaftsordnungen aufzeigt. Platon lässt dabei »den athenischen Gast« zwar von der Gefahr der extremen Monarchie der Perser reden, vegisst dabei aber nicht, als Ausnahme Kyros II als idealen, neidlosen Monarchen zu schildern. Hören wir also. Als nämlich die Perser zur Zeit des Kyros noch mehr die rechte Mitte zwischen Sklaverei und Freiheit hielten, da wurden sie zuerst selber frei und dann auch Herr über viele andere. Denn da die Herrscher den Beherrschten an der Freiheit Anteil gaben und sie zur Gleichheit hinführten, waren die Krieger mit ihren Befehlshabern enger befreundet und zeigten sich kampfesmutiger in den Gefahren; und wenn es andererseits unter ihnen einen verständigen Mann gab, der Rat zu erteilen fähig war, so konnte er, da der König nicht neidisch (phthoneros) war, sondern Redefreiheit gewährte und diejenigen ehrte, die über etwas Rat zu erteilen wussten, die Fähigkeit seines Denkens der Allgemeinheit zugute kommen lassen, und so gedieh alles bei

————— 5

Ebd., 645–647 (mit Veränderung von T. Onuki).

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ihnen durch Freiheit, Freundschaft und Gemeinsamkeit der Vernunft (Plat., leg. 694A–B).6

In Buch V desselben Werkes wird außer der Pflicht gegenüber Freunden, der Familie und dem Staat auch erörtert, welcher Charakter erforderlich ist, damit der Mensch glücklich werde. Vom Neid wird gesagt, dass er über Glück und Unglück des einzelnen Menschen entscheide und darüber hinaus die Politik eines ganzen Staates beeinträchtigen könne: Jeder soll bei uns [sc. den Athenern] nach dem Sieg in der Tugend trachten, doch ohne Missgunst (aphthonos). Denn ein solcher Mann wird die Staaten fördern, indem er selber darum wetteifert und die anderen nicht durch Verleumdungen herabsetzt. Der Missgünstige (phthoneros) dagegen, der durch Verleumdung anderer sich die Überlegenheit sichern zu müssen glaubt, richtet einerseits selber weniger Anstrengungen auf die wahre Tugend, andererseits versetzt er seine Mitbewerber in Mutlosigkeit, weil sie zu Unrecht getadelt werden, und indem er dadurch den ganzen Staat ungeübt im Wettkampf um die Tugend macht, macht er ihn für seinen Teil kleiner an gutem Rufe (Plat., leg. 731A–B).7

Auch im neunten Buch der »Politeia« spricht Sokrates am Anfang lange und ausführlich über die Tyrannei und erwähnt als ihr erstes Merkmal den Neid: Und nun werden wir dem Mann [sc. Tyrann] auch das noch zuteilen müssen, was wir auch vorher schon sagten, dass er nämlich gerade wegen seiner Macht mehr und mehr neidisch, treulos, ungerecht, freundlos, frevelhaft, gottlos, aller Schlechtigkeit Pfleger und Beschützer werden muss und dass er aus allen diesen Gründen mehr als sonst jemand selbst unglückselig ist und auch diejenigen, die ihm nahestehen, zu solchen macht (Plat., rep. 580A).8

Wie Aristoteles in seiner »Rhetorik« (1387b25–29) den Neid definiert, haben wir schon gesehen.9 Dort wurden unter denjenigen, die schnell neidisch werden, auch die Menschen genannt, denen nur noch wenig dazu fehlt, alles zu besitzen. Dazu gehört der politische Machthaber. Besonders der Tyrann neigt dazu, sich einzubilden, dass alle anderen ihm das nähmen, was ihm eigentlich zustünde. Zu guter Letzt ist auch hier das Sammelwerk »Moralia« von Plutarch eine wahre Fundgrube, was die Verwandtschaft von Neid und Politik betrifft. Zuerst zitiere ich in voller Länge die Stelle, die ich schon in der Einführung ————— 6

Übersetzung nach Platon, Werke VIII 1, übers. v. K. Schöpsdau, Darmstadt 1977, 195–197 (mit Veränderung von Onuki). 7 Ebd., 293 (mit Veränderung von T. Onuki). 8 Übersetzung nach Platon, Werke Bd.4: Politeia, übers. v. F. Schleiermacher, Darmstadt 41971, 751. 9 Vgl. Kap. I, Abs.3; Kap. II, Abs.3,1.

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dieses Buches erwähnt habe. Sie erinnert insofern an Kyros’ Abschiedsrede bei Xenophon, als sie den Neid unter Brüdern behandelt: Die Armen zu Feinden der Wohlhabenden zu machen (Euripides ,,Die phönizischen Frauen« 539) hat nicht allein mit Geldgewinn oder -verlust zu tun. Vielmehr gilt allgemein: Hand in Hand mit der Ungleichheit geht die Veränderung, mit der Gleichheit dagegen die Stabilität. Alle Ungleichheit trägt deshalb die Gefahr in sich, unter Brüdern einen Streit hervorzurufen. Es ist sicher unmöglich, dass Brüder in jeder Hinsicht gleich sind. Denn schon nur die natürlichen Gaben sind nicht gleich. Auch die Unterschiedlichkeit des Schicksals eines jeden verursacht Neid und Eifersucht. Diese sind die Krankheit und das Unheil, die uns am meisten beschämen. Sie zerstören nicht nur Familien, sondern auch den ganzen Staat (ouk oikiais monon alla kai polesin olethrious). Man muss deshalb auf die Unterschiede unter Brüdern möglichst Acht geben und sich, wenn sich solche Unterschiede bemerkbar machen, um ihre Heilung bemühen. Deshalb ist demjenigen, der Brüder hat, vor allem dieser Rat zu geben: Er soll seine eigenen Brüder an dem, worin er als überlegener gilt, Anteil haben lassen, seinen Ruhm mit ihnen teilen und sie in seinen eigenen Freundeskreis aufnehmen. Ist der Mann fähiger und redegewandter als seine Brüder, so soll er seine Redegewandtheit für sich selbst und auch für seine Brüder benutzen. Als Zweites soll er sich den Brüdern gegenüber weder hochmütig erheben noch ihnen seine Verachtung zeigen. Vielmehr soll er sie respektieren und seinen eigenen Charakter auf den ihren einstellen, so dass seine Überlegenheit bei ihnen keinen Neid verursacht. Auf diese Weise soll er die Brüder an den guten Umständen, die er gerade genießt, Anteil haben lassen und so einen Ausgleich schaffen. Dazu ist es nötig, Maß zu halten in seinen Gedanken. Lucullus zum Beispiel erlaubte es sich nicht, früher als sein Bruder zum Amt zu kommen, obwohl er älter als sein Bruder war. Er ließ so seine eigene Chance fahren und wartete vielmehr auf eine andere, ihm und seinem Bruder gemeinsame (Plut., Über die Bruderliebe 12 = mor. 484C–D).

Plutarch gibt auch sonst viele praktische Ratschläge, wie man den Neid der anderen vermeiden kann und führt zahlreiche Beispiele aus seiner Zeit an. Sie haben meistens mit Politikern, Militärs und Rednern zu tun. Das Beispiel des Politikers Demus im Traktat »Wie ist aus Feinden ein Nutzen zu ziehen?« wurde schon erwähnt. 10 Im Traktat »Wie lobt man sich selbst, ohne Neid hervorzurufen?« erklärt Demosthenes, der größte Redner Athens (384–322 v.Chr.), dass er nur im Auftrag des Volkes von Athen handle: »Es gelang ihm, Neid zu vermeiden, indem er in seine Rede über sich selbst auf äußerst geschickte Weise Lob für die Zuhörer mischte« (Plut., mor. 542B). Im Anschluss an dieses Beispiel empfiehlt Plutarch, dass man nicht alle Verdienste für sich in Anspruch nehmen solle, sondern sie teils dem Zufall, teils den Göttern zuschreiben solle, falls man gezwungen werde, sich selbst zu loben. Das beste Beispiel dafür ist Python von Ainios. Als er nach der ————— 10

Vgl. Kap. II, Abs.3,1.

Neid und Politik in der hellenistischen Geistesgeschichte

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Ermordung seines Feindes zurückkam, fanden sich in der Menge, die ihn begeistert empfing, einige, die auf ihn neidisch waren. Daraufhin soll er gesagt haben: »Ihr Athener, das war das Werk einer Gottheit, ich habe ihr nur meine Hand geliehen« (ebd., 542E). Ebenso wird empfohlen, sich nicht sofort eigener Verdienste zu rühmen, sondern sie zunächst einmal aus dem eigenen Leben und Charakter zu erklären. Werde das Lob der Leute trotzdem überschwänglich und komme dem Neid nahe, so sei es empfehlenswert, zu erklären, man sei nicht Gott: »Denn der Neid pflegt demjenigen, der ein überschwängliches Lob zurückweist, ohne Vorbehalt etwas Großartiges zuzusprechen und demjenigen, der Lüge und Eitelkeit ablehnt, ein wahres Lob nicht zu missgönnen« (ebd., 543D). In »Große Griechen und Römer« wird von Nikias (470–413 v.Chr.), dem führenden Politiker und Offizier in Athen nach Perikles’ Tode, berichtet, er habe genau gewusst, dass die Menge immer die Redegewandten und Verständigen ausnutze, ohne ihnen ganz zu vertrauen. »Deshalb schrieb er seine Verdienste nicht seiner eigenen Weisheit oder Fähigkeit oder dem eigenen Mut, sondern einem Glücksfall zu, um so unter dem Deckmantel des göttlichen Willens den Neid zu vermeiden« (Nikias 6).11 1.2 Hellenistisches Judentum und Frühchristentum Die Diskussion über den Neid in der griechischen Geistesgeschichte wurde im vom Hellenismus beeinflussten Judentum und Frühchristentum fortgesetzt. Philo von Alexandrien nahm wiederholt auf Platons Wort »denn Neid ist verbannt aus dem göttlichen Chor« (Plat., Phaidr. 247A) Bezug und wandte es mit kleinen Veränderungen im Wortlaut auf sein eigenes Bild des Weisen an.12 Er spricht nicht vom »göttlichen Chor«, sondern von den »Gemütern der Weisen«: »Neid zieht nicht in die Gemüter der Weisen ein«.13 Die Neidlosigkeit des Weisen bedeutet konkreter, dass er seine Güter mit anderen teilt, oder – mit anderen Worten –, dass er zum Allgemeinwohl beiträgt. Philo betont die politische Relevanz des Neides, indem er sein Gegenteil, die Neidlosigkeit, und ihre Wirkungen beschreibt. Vieles, was er schreibt, muss in diesem Sinne verstanden werden. Hier zwei Beispiele: Gegen Ende von »Über die Belohnungen und Strafen« wird gesagt, dass die Strafen Gottes zur Warnung dienen sollen und deshalb nicht das totale —————

11 Vgl.auch »An einen ungebildeten Herrscher« 1 (Plut., mor. 771E): Theopompus, der König von Sparta, setzt unter sich fünf Ephoren ein. Seine Frau wirft ihm vor, er würde damit seinen Kindern weniger hinterlassen, als er selber geerbt hat. Daraufhin antwortet Theopompus, »Nein, um so besser, weil sicherer«, denn er vermeide dadurch Neid und Gefahr. 12 Vgl. Kap. II, Abs.3,2. 13 Philo, Virt 223; Praem 87.

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Verderben zum Ziel haben. Denn Gott sei einem liebevollen Vater ähnlich. Es werde bald der Augenblick kommen, wo diejenigen, denen er unerwarteterweise vergeben habe und die Freiheit geschenkt habe, aus Hellas und von den Inseln und Festländern der ganzen Welt, wo sie jetzt zerstreut seien, in einem Land der Verheißung gesammelt würden, genauso wie es damals beim Auszug aus Ägypten geschehen sei. Sie seien bisher auf unwegsamen Abwegen gewandert, kämen aber jetzt auf eine erhöhte Straße. Auf dieser Straße würden sie gehen, geführt von einer unsichtbaren und übermenschlichen Erscheinung, bis sie Gottes Wohlgefallen fänden (Philo, Praem 163–167). Philo fährt fort: Nach ihrer Rückkehr aber werden die Städte, die eben noch in Trümmer lagen, wieder aufgebaut werden, die Wüste wird bevölkert werden und die unfruchtbar gewordene Erde wird zur früheren Fruchbarkeit zurückkehren; die glücklichen Verhältnisse der Väter und Vorfahren werden geringfügig erscheinen im Vergleich zu dem gegenwärtigen Überfluss, der sich, wie aus unversiegbaren Quellen, durch die Gnade Gottes ergießen und jedem einzelnen wie allen insgesamt reichen Segen bringen wird, an den kein Neid herantritt (Philo, Praem 168).14

In »Über die Einzelgesetze« II 249 wird Folgendes gesagt über den, der den Sabbat übertritt: Gleichermaßen soll des Todes schuldig sein, wer den heiligen Sabbat, soweit es an ihm liegt, entweiht. Denn gerade umgekehrt sollte man den unheiligen Werken und Körpern Weihe verleihen, um einen Wandel zum Besseren herbeizuführen, da »Missgunst«, wie einmal jemand gesagt hat, »außerhalb des Götterreigens wandelt (Plat., Phaidr. 247A).« Wenn aber jemand gar das Geweihte zu entstellen und seines heiligen Gepräges zu berauben sich erdreistet, so beweist er damit eine Rücksichtslosigkeit ohne Grenzen (Philo, SpecLeg II 249).15

Möglicherweise fällt die logische Verbindung zwischen dem kursiv gesetzten Satz und dem unmittelbar darauf folgenden Zitat von Platon, »da Missgunst, wie einmal jemand gesagt hat, außerhalb des Götterreigens wandelt«, nicht sogleich ins Auge. Bei genauerem Zusehen wird jedoch klar, dass Philo hier gleichsam seine »politische Theologie« vorlegt: Gott vergönne es selbst »den unheiligen Werken und Körpern«, dass sie auf unterschiedliche Weise »zum Besseren«, d.h. »zum Heiligen« verwandelt werden und so eine Art Weihe verliehen bekommen. Gott sei nicht missgünstig und enthalte anderen Dingen seine Heiligkeit nicht vor. Gott habe die Welt schließlich deshalb erschaffen, weil er neidlos sei und das eigene Gut anderen nicht vorenthalte.16 Die so entstandene Welt habe Gott außerdem als »sehr gut« ————— 14

Übersetzung: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. II, 425. Ebd., 178. 16 Vgl. Kap. II, Abs.1, S.62ff. 15

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bejaht (Gen 1,31). Daher seien die Menschen verpflichtet, jedes Ding in der Welt, was auch immer es sei, zu weihen und auf unterschiedliche Weise zu verbessern. Es sei immer und überall die Aufgabe der Politik, das zu verbessern, was säkular und nicht ohne Weiteres gut ist. Gott, der Schöpfer der Welt, neide es seinem Geschöpf nicht, wenn es durch politische Handlungen der Menschen geweiht und geheiligt werde. Deshalb wage ich zu behaupten, dass Philos Sicht des gemeinsamen Wohls, ja seine politische Theologie, trotz des hellenistischen Einflusses im Grunde genommen in der biblischen Schöpfungstheologie verwurzelt ist. Es ist deshalb kein Wunder, dass Philo die Mystiker nicht mochte. In »Über die Einzelgesetze« Buch I gibt es mehrere kritische Aussagen über die Mystiker. Eine davon lautet: Ferner schließt der Gesetzgeber noch das Weihen- und Mysterienwesen und ähnlichen wahnwitzigen Schwindel aus der heiligen Gesetzgebung aus, da er es nicht für richtig hält, dass Menschen, die in einer solchen Gemeinschaft aufgewachsen sind, verzückte Schwärmereien mitmachen, an mystischen Fabeln hängen und die Wahrheit missachten, Dingen aus dem Bereiche des nächtlichen Dunkels nacheilen und sich über das hinwegsetzen, was des Tageslichtes würdig ist. »Keiner von Moses Jüngern und Anhängern soll also in Mysterien einführen oder eingeführt werden; beides, das Lehren wie das Erlernen von Mysterien, ist keine geringe Sünde. Denn wenn diese schön und förderlich sind, warum, ihr Eingeweihten, versteckt ihr euch in tiefer Finsternis und nützet so nur drei oder vier Menschen, statt allen zu helfen, indem ihr auf offenem Markte eure nützlichen Lehren vortraget, damit allen die freie Teilnahme an einem besseren und glücklicheren Dasein ermöglicht würde; denn der Neid wohnt von der Tugend getrennt (Philo, SpecLeg I 319–321).17

Wenn auch nicht häufig, so spricht Philo doch deutlich über das Leben von Politikern. Im ersten Buch »Über die Träume« erwähnt er in der allegorischen Auslegung von Gen 37,3.31 (Eintauchen von Josephs Festkleid in Ziegenblut) das Leben eines Politikers, der ständig offiziellen und öffentlichen Angelegenheiten nachjagt. Philo sagt dort: »Es ist aber auch der Neid ein starker und schwer abzuwehrender Feind, der immer mit den sogenannten Wohltaten (eupragiai) zugleich heranwächst und dem man nicht leicht entgehen kann« (Philo, Som I 223). Im dritten Buch »Über die Einzelgesetze« blickt Philo auf seine eigene bisherige Laufbahn zurück und sagt, dass er gerade in der Lebensphase, in der er sich in die Philosophie und das Nachdenken über die Welt vertiefen wollte, plötzlich auf denkbar große Schwierigkeiten gestoßen sei. Er habe den Neid, der das Gute hasse, auch selber erfahren. Infolgedessen sei er »in die weite Flut der politischen Sorgen gestürzt« worden, aus der er fast nicht mehr habe auftauchen können —————

17 Übersetzung: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. II, 99. Veränderung von Onuki.

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(Philo, SpecLeg III 3). In der Tat wurde Philo als Mitglied der berühmtesten Familie im damaligen Alexandrien um der dortigen Juden willen direkt mit der Politik des Römischen Reiches konfrontiert. Ein Beisipiel dafür ist die Audienz bei Gaius Caligula, an der er als Mitglied einer Gesandtschaft teilnahm. Auch Flavius Josephus, ein Zeitgenosse von Philo und, wie dieser, ein Jude, wurde in den Strudel der Politik hineingerissen. Am Anfang des Jüdischen Kriegs (66–70 n.Chr.) war er ein Führer der Aufständischen, lief aber zu den Römern über, nachdem er den Kampf in Jotapata auf der jüdischen Seite als Einziger überlebt hatte. Deshalb wurde er am Ende des Kriegs in Rom ehrenvoll empfangen, und zum Lohn wurde ihm erlaubt, den Namen der Flavier zu tragen. In Rom schrieb er seine beiden bekannten Geschichtswerke »Der jüdische Kieg« und »Die jüdischen Altertümer«. Beim letzteren handelt es sich um eine fortlaufende Geschichte des jüdischen Volks. Darin wird noch einmal von Sauls Neid gegen David18 erzählt. Zuerst erzählt Josephus die Episode in 1Sam 22,11–19, wo Saul so brutal wurde, dass er Ahimelech und alle seine Angehörigen, die David bei sich versteckt hatten, bis auf einen ermordete. Josephus fährt fort: Denn so lange sie [sc. die Menschen] sich im Privatleben befinden und mit Glücksgütern nicht gesegnet sind, sind sie gut und bescheiden, weil sie ihrem Naturtrieb nicht folgen können und nicht nach Willkür zu schalten wagen. Auch verlegen sie sich dann mit allem Eifer auf die Förderung der Gerechtigkeit, da sie überzeugt sind, dass Gott an allem Anteil nimmt, was die Menschen tun, und dass er nicht nur gegenwärtige Werke, sondern auch schon lange vorher die Gedanken durchschaut, aus denen diese entstehen. Sobald sie dagegen zu Macht und Würde gelangt sind, legen sie alle ihre Sitten und Gebräuche, wie der Schauspieler die Maske, ab und kehren Waghalsigkeit, Übermut und Verachtung aller göttlichen und menschlichen Einrichtungen hervor. Und obwohl es ihnen dann am besten anstände, sich der Frömmigkeit und Gerechtigkeit zu befleißigen, da ihre Gedanken und Werke der allgemeinen Aufmerksamkeit ausgesetzt sind, benehmen sie sich in allen Stücken so übermütig, als ob Gott sie nicht mehr sehe oder sich sogar vor ihrer Macht ängstige. Und wenn sie dann auf irgend ein Gerücht hin etwas fürchten oder hassen oder auch, wenn es ihnen so passt, unvernünftig lieben, so meinen sie, das sei erprobt, wahr und Gott wie den Menschen wohlgefällig. An die Zukunft aber denken sie nicht und ehren zunächst die, die für sie schwere Mühen bestanden haben, später aber beneiden sie dieselben. Ja, wenn sie jemandem zu einer hohen Würde verholfen haben, nehmen sie ihm diese nicht nur später wieder, sondern trachten ihm auch wegen derselben nach dem Leben, und das infolge bösartiger und verleumderischer Anschuldigungen, die so

————— 18

Vgl. Kap. I, Abs.1.1.

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ungeheuerlich sind, dass man sie kaum glauben mag. Strafwürdige Vergehen aber ahnden sie nicht, wüten vielmehr ohne jede Untersuchung und bloß auf Verleumdungen und falsche Anschuldigungen hin nicht etwa gegen die, bei welchen es erforderlich ist, sondern gegen wen sie eben können, sogar durch Verhängung der Todesstrafe. Alles das hat Saul, der Sohn des Kis, der zuerst die Hebräer als König regierte, nachdem die Herrschaft der Vornehmsten und die Regierungsform der Richter abgeschafft waren, uns klar bewiesen, da er dreihundert Priester und Propheten wegen seines Verdachtes gegen den Achimelech töten, die Stadt derselben von Grund aus zerstören ließ und das Heiligtum Gottes seiner Priester und Propheten beraubte, auch nicht einmal ihre Heimatstadt verschonte, wo nach ihnen andere hätten ausgebildet werden können (Josephus, Ant VI 263–268).19

»Sie ehren zunächst die, die für sie schwere Mühen auf sich genommen haben, später aber beneiden sie dieselben. Ja, wenn sie jemand zu einer hohen Würde verholfen haben, nehmen sie ihm diese nicht nur später wieder, sondern trachten ihm auch wegen derselben nach dem Leben« – Josephus dachte möglicherweise an die Terrorherrschaft, die die römischen Kaiser, angefangen mit Gaius Caligula, auch über ihren eigenen Hof ausübten. Nicht zuletzt sei noch auf einen weiteren Zeitgenossen von Philo und Josephus hingewiesen, Klemens, Bischof zu Rom. In seinem ersten Konrinterbrief (96/97 n.Chr.) räumt er der Besprechung des Neides viel Platz ein und zwar schon am Anfang des Briefes (Kap. 3–6). Der ganze Brief hat das Ziel, einen Aufruhr innerhalb der korinthischen Gemeinde zu beruhigen. Die jüngeren Gläubigen wollten nämlich die Presbyter verbannen (vgl. Kap. 3,3; 21,6; 57,1). Der Verfasser sieht die tiefste Ursache für den Aufruhr eben im Neid (phthonos) oder in der Eifersucht (zƝlos)20 und führt dafür viele Beispiele aus dem Alten und Neuen Testament und auch aus der nahen und fernen Zeitgeschichte an. Alle diese Beispiele werden dann in einem einzigen Satz zusammengefasst: »Eifersucht (Neid) und Streit haben große Städte zerstört und große Völker ausgerottet« (1Clem 6,4). Auffallend ist die sachliche und sprachliche Nähe von Klemens’ Formulierung zum schon erwähnten Satz von Plutarch: »Diese [sc. Neid und Eifersucht] sind die Krankheit und das Unheil, die uns am meisten beschämen. Sie zerstören nicht nur Familien, sondern auch den ganzen Staat (ouk oikiais monon alla kai polesin olethrious)«.21 Klemens und Plutarch sind beinahe Zeitgenossen, konnten sich aber unmöglich kennen oder aufeinander Bezug nehmen. Das ————— 19

Übersetzung nach Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, übers. v. H. Clementz, Bd. I, Köln 1899, 368f, mit Paragraphenzählung nach Flavii Josephi Opera recognovit Benedictus Niese (Editio minor), Berlin 1888–1895, Marixverlag Wiesbaden 22006, 282f. 20 Im Kontext werden phthonos und zƝlos abwechselnd, aber ohne Bedeutungsunterschied gebraucht. 21 Plutarch, »Über die Bruderliebe« 12; mor. 484C–D.

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bedeutet, dass wir es hier mit allgemein formalisierter Sprache zu tun haben. Die seit dem Altertum, seit Herodot laufende Diskussion über die politische Relevanz des Neides ist inzwischen zur festen Redewendung geworden, die anscheinend zur Zeit von Klemens schon allgemein gebräuchlich war. Im Weiteren nimmt Klemens stillschweigend auch auf den bekannten Satz der Weisheit Salomos 2,24 Bezug: »Aber durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt« (1Clem 3,4). 22 Dieser Satz scheint seinerseits zu einer festen Redewendung in der jüdischen Tradition geworden zu sein. Bei Klemens von Rom kommen die hellenistischen und die jüdischen Redewendungen über den Neid zusammen.

2. Die römische Herrschaft und ihre Ideologie Die römische Herrschaft und ihre Ideologie 2.1 »Pax Romana« und Kaiserkult Sowohl Philo als auch Plutarch waren in ihrer Sicht der politischen Relevanz des Neides direkt oder indirekt durch die Herrschaft des Römischen Reiches geprägt. Plutarch, ein Grieche und einer der größten Gebildeten seiner Zeit, war bestens bewandert in der Geschichte der Politik des Römischen Reiches. Klemens von Rom betrachtete den Neid als eine der Ursache für den Märtyrertod von Petrus und Paulus (1Clem 5). Wie aber verstand das römische Kaisertum selbst seine Herrschaft? Wie sahen die politisch einflussreichen Gebildeten sie? Wir nehmen die Antwort vorweg: Beide Sichtweisen wurden in formalisierter Redeweise ausgedrückt. Bei beiden spielte der Neid eine wichtige Rolle. Stellt man die Frage, wie die politisch mächtigen Römer der Kaiserzeit ihre eigene Herrschaft verstanden haben, so ist es unumgänglich, sich mit der »Pax Romana« und den mit ihr verbundenen Vorstellungen auseinanderzusetzen. Meines Erachtens war Plinius der Große (23/24–79 n.Chr.) einer der frühesten Vertreter dieser Vorstellung. Auch er war ein Zeitgenosse von Philo, Josephus, Plutarch und Klemens. In Buch XXVII seines monumentalen, umfangreichen Werks »Naturkunde« beschreibt Plinius voller Bewunderung die Vielfalt der Pflanzen und Bäume an verschiedenen Orten der ganzen damals bekannten Welt: Und andere [sc. Pflanzen kommen] außerdem von anderen Orten, daher und dorther, zum Wohle des menschlichen Geschlechts auf der ganzen Erde, und zwar unter der unermesslichen Herrlichkeit des römischen Friedens (immensa Romanae pacis majestate), die nicht nur die Menschen verschiedener Länder und Völker miteinander

————— 22

Vgl. Kap. II, Abs.5,3.

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bekanntgemacht, sondern die auch dazu geführt hat, dass die Berge und die in die Wolken ragenden Gipfel und ihre Erzeugnisse und Pflanzen miteinander in einem lebendigen Austausch stehen. Möchte doch, ich bitte darum, dieses Geschenk der Götter von ewiger Dauer sein! Es hat so sehr den Anschein, dass sie die Römer der Menschheit gleichsam als zweites Licht geschenkt haben (Plin., nat. 27,3).23

In diesem Gedankengang werden die Römer als diejenigen verherrlicht, die als Erste im ganzen Mittelmeerraum Frieden geschaffen haben. Nach Toru Yuge, dem namhaften Forscher für die römische Geschichte in Japan (1924–2006), hat diese Überzeugung ihren Ursprung in der Verherrlichung der Unterdrückung der Volksaufstände, zum Beispiel durch Augustus oder Vespasian. Daraus entwickelte sich aber im Laufe der Zeit die Ansicht, dass der Friede, der damals im ganzen Mittelmeerraum herrschte, erst von den Römern geschaffen worden sei. Tatsächlich war dieser Friede, objektiv betrachtet, der Beherrschung der Welt durch die Römer zu verdanken. Die Pax Romana (der römische Friede) war somit das Gleiche wie das Imperium Romanum (die römische Weltherrschaft). Die charismatische Führung durch Augustus spielte dabei kaum eine Rolle. Dass der römische Friede de facto der römischen Weltherrschaft entsprach, hatte auch schon Tacitus in seinen Werken mehrfach thematisert. Die feste Wendung »Pax Romana« war vor allem im zweiten Jahrhundert n.Chr. verbreitet und beschrieb den durch die römische Weltherrschaft hergestellten, allgemeinen und relativ dauerhaften Frieden. Gleichzeitig hörte man auf, Altäre für die weibliche Gottheit »Pax Romana« zu bauen. Stattdessen wurden an vielen Orten in den römischen Provinzen Altäre für die Göttin »Roma« errichtet. Sie waren meistens mit dem Kaiserkult verbunden und galten als wichtiger Ausdruck der Treue gegenüber der römischen Herrschaft.24 Mit dieser mit dem Kaiserkult aufs Engste verbundenen »Pax Romana« wurde Philo um des Wohls der Juden in Alexandrien willen konfrontiert. Auch das zeitgenössische Christentum und die Juden in Palästina und Kleinasien waren gezwungen, ihr ihren Tribut zu zollen. Für den Kaiserkult sind für uns Gaius Caligula (Regierungszeit 37–41 n.Chr.) und Domitian (81–96 n.Chr.) besonders wichtig. Zunächst wollen wir einige Berichte von außenstehenden Gebildeten über ihr Benehmen und ihre Selbstvergöttlichung zur Kenntnis nehmen. Über Caligula schreibt Sueton in »Die Kaiserviten«: Da rief er [sc. Caligula]: »Einer soll der Herrscher, einer der König sein!« Und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich das Diadem aufgesetzt und den Prinzipat in

—————

23 Übersetzung nach: Plinius, Naturkunde: Bücher XXVI/XXVII, übers. v. R. König/G. Winkler, München 1983, 125–127 (mit Veränderung von T. Onuki). 24 T. Yuge, Art. Der römische Friede, in: Heibonsha Große Enzyklopädie, Bd. 15, Tokio 1985, 1233 (japanisch).

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Gnosis und Politik (der syrisch-ägyptische Typ)

die Herrschaft eines Königs umgewandelt. Doch man erinnerte ihn daran, dass er schon weit über dem Rang von Fürsten und Königen stehe; also begann er, für sich seitdem Würde zu beanspruchen, wie sie einem Gott zusteht. ... Einige begrüßten ihn sogar als »Iupiter Latiaris«. Er stiftete auch einen Tempel allein für seine Gottheit, bestellte eigens Priester und ließ sich streng ausgesuchte Opfertiere darbringen. Im Tempel stand ein Bild, das seinem Portrait ähnelte und ihn lebensgroß darstellte; täglich legte man ihm das gleiche Gewand um, das auch er trug. Gerade die reichsten Leute versuchten eines der Priesterämter zu erhalten, indem sie um seine Gunst buhlten und sich gegenseitig durch Höchstgebote überboten (Suet., Cal. 22).25

Sueton berichtet im selben Werk von Vitellius, der schließlich Statthalter in Syrien wurde, dass er ein großer Schmeichler gewesen sei und als erster begonnen habe, Gaius Caligula mit einer fußfälligen Verehrung (procumbens) wie einen Gott zu verehren. 26 Die fußfällige Verehrung vor dem König ist persischen Ursprungs. Das geht aus Xenophons »Kyrupädie« (proskyneǀ; IV 4,13; V 3,18; VIII 3,14 u.a.) klar hervor. Nach Dio Cassius’ »Römische Geschichte« (LIX 24,3) waren die Senatoren verpflichtet, die Proskynese selbst vor Gaius’ leerem Stuhl im Kapitol zu vollziehen. Im Matthäus- und Lukasevangelium gibt es eine ähnliche Szene, in der Jesus, noch vor Beginn seiner öffentlichen Verkündigung, die Versuchung des Satans zurückweist. Der Satan fordert dort von Jesus, sich vor ihm niederzuwerfen und ihn anzubeten (Mt 4,9/Lk 4,7). Nach einer interessanten Hypothese handelt es sich hier um eine mythologische Umbildung von Gaius’ Selbstvergöttlichung. 27 Außerdem berichtet Josephus sowohl im »Jüdischen Krieg« (II 184–203) als auch in den »Jüdischen Altertümern« (XVIII 256–309), dass Caligula einmal geplant habe, sein eigenes Standbild in den Jerusalemer Tempel zu stellen. Das sei ihm aber schließlich misslungen. Einer weiteren, bedeutenden Hypothese zufolge bezieht sich die Aussage von Mk 13,14: »Wenn ihr aber den unheilvollen Gräuel an dem Ort seht, wo er nicht stehen darf – der Leser begreife –, dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen« eben auf die Krise, die in Folge von Gaius’ Plan entstanden war.28 Auch Philo wusste um diese Caligula-Krise.29 Wahrscheinlich hat er die Proskynese vor Caligula mit eigenen Augen gesehen. 30 Seinem Bericht ————— 25

Übersetzung nach C. Suetonius, Die Kaiserviten, übers. v. H. Martinet, München 1997, 473–

475.

26

Vgl. ebd., 797 (Vitellius 2). G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1989, 218–222. 28 Ebd., 136–145. 29 Philo, LegGai 197–337. 30 Philo, LegGai 116. 27

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zufolge hat Caligula ihm und der jüdischen Gesandtschaft bei der Audienz, die »das Blut gefrieren ließ«, gesagt: Ihr seid also die Gottesverächter, die nicht glauben, ich sei ein Gott, ich, der ich schon bei allen anderen anerkannt bin, sondern ihr glaubt an den für Euch unnennbaren Gott! (Philo, LegGai 353).31 Das mag wahr sein: Ihr habt geopfert, aber einem anderen Gott, wenn es auch für meine Person gewesen ist. Was hilft das, ihr habt ja nicht mir geopfert (Philo, LegGai 357).32 Sie (die Gesandtschaft) scheinen mir weniger schlechte als armselige Menschen zu sein, Dummköpfe, die nicht glauben wollen, dass mir eines Gottes Natur gehört (Philo, LegGai 367).33

Nicht zuletzt bringt Philo Gaius’ Selbstvergöttlichung mit dem Neid in Verbindung. Der nächste Paragraph ist schon einmal kurz erwähnt worden:34 Damit wollte er [sc. Gaius] den Unterschied zu den Halbgöttern ausdrücken, der darin lag: Jeder von ihnen hatte seine eigenen Ehrungen und keinen Anspruch auf die der übrigen. Er selbst aber wollte sich die Ehrungen aller zusammen, ja mehr noch, deren Träger selbst mit neidischer Gier aneignen (Philo, LegGai 80).35

Domitians Selbstvergöttlichung wird von Sueton so geschildert: Er [sc. Domitian] zeigte sich von gleicher Arroganz, als er eine Verfügung im Namen seiner Prokuratoren diktierte; er begann nämlich so: »Unser Herr und Gott (dominus et deus noster) befiehlt, dass Folgendes zu geschehen habe.« Seitdem war es üblich, dass man ihn sogar in Briefen und im Gespräch so nannte. Auf dem Kapitol durften nur goldene und silberne Statuen aufgestellt werden. Sie mussten auch ein bestimmtes Gewicht haben (Suet., Dom. 13).36

Das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung des Johannes, wurde unmittelbar vor Beginn der Christenverfolgung durch Domitian geschrieben. Dort wird Gott immer wieder als »unser Herr und Gott« bezeichnet. 37 Ganz offensichtlich übernimmt der Autor dieser Schrift damit Domitians Selbstbezeichnung und wendet sie auf Gott an. ————— 31

Übersetzung: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. VII, 261f. Ebd., 263. 33 Ebd., 264f. 34 Vgl. Kap. II Abs. 3,2. 35 Übersetzung: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. VII, 196 (mit Veränderung von Onuki). 36 Übersetzung nach C. Suetonius, Die Kaiserviten, übers. v. H. Martinet, 913. 37 Apk 4,8.11; 11,17; 15,3; 16,7; 21,22. 32

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2.2 Herrschaftsideologie und Neid Soweit sind wir den Berichten über zwei Kaiser, Caligula und Domitian, gefolgt. Sie beschreiben allerdings nur das äußerlich sichtbare, individuelle Verhalten. Wünschenswerter wären aber Belege, die zeigen, dass es eine politische Ideologie gab, die die römische Weltherrschaft grundsätzlich legitimierte. Die schon erwähnte Aussage Plinius’ des Großen über die »Pax Romana« ist zwar wichtig, aber doch nur das Wort eines – wenn auch politisch einflussreichen – Privatmannes. Für eine gleichsam »offizielle« und überindividuelle Proklamation der römischen Herrschaftsideologie lässt sich meines Erachtens nur ein Beispiel finden. Dank seines Umfangs und seiner Qualität ist es aber das beste Zeugnis, das man sich wünschen kann. Es ist die Mahnrede, die Macro, der Chef der Leibgarde und Oberbefehlshaber der Praetorianerkohorten, anlässlich seiner Thronbesteigung an Caligula richtet. Philo gibt sie wieder in der Schrift »Die Gesandtschaft an Caligula« (43–51). Macro wusste nicht, dass seine Frau ihn verraten und mit Caligula geschlafen hatte. Es gelang ihr, ihn zu täuschen. Er verteidigte Caligula immer gegen Tiberius, der seine Eignung als Thronnachfolger bezweifelte, und half ihm, auf den Thron zu kommen. Aber bald nach seiner Thronbesteigung ließ Caligula Macro umbringen. Darüber berichtet außer Philo auch Sueton38. Macros Ermahnung, von der Philo berichtet, sei hier in ihrer ganzen Länge wiedergegeben: Du [sc. Caligula] darfst nicht wie einer der Anwesenden, aber auch nicht wie einer der übrigen Menschen sein, nicht beim Schaupsiel, nicht beim Konzert, nicht bei all den anderen Vergnügungen für die Sinne, sondern du musst in all deinen Lebensäußerungen so weit erhaben sein, wie du auch durch die Höhe deiner Stellung ihnen entrückt bist. Denn das wäre unangebracht, wenn der Princeps, der Herr über Land und Meer, von Gesang, Tanz, Witz und Spott oder Ähnlichem überwältigt würde, vielmehr nicht immer und überall an seine Herrscherrolle dächte, wie es ein Schäfer und Hirt tut, und von allem, was sich in Wort oder Tat darbietet, nur das auf sich bezöge, was zur Förderung dient. ... Wenn du Vorführungen im Theater, auf dem Sportplatz oder auf der Rennbahn beiwohnst, dann achte nicht auf das Geschehen, sondern auf das moralisch Förderliche im Geschehen, und stelle folgende Überlegung an: Wenn einige sich so sehr mit einer Tätigkeit abgeben, die dem Menschenleben keinen Nutzen bringt, sondern den Zuschauern allein Spass und Freude verschafft, so dass die Künstler gerühmt und bewundert werden, unter feierlicher Verkündigung Geschenke, Ehren und Kränze erhalten, was muss da der leisten, der für die höchste und größte Kunst zuständig ist? Die größte und vornehmste Kunst aller Künste aber ist die Kunst, einen Staat zu lenken (hƝgemonia). Im Vertrauen auf sie wird jeder fruchtbare Acker

————— 38

Philo, LegGai 32–42; 52–62, Suet. Cal. 12,23,26.

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in der Ebene und im Bergland bebaut. Jedes Meer wird gefahrlos von Lastschiffen durchfahren zum Austausch der Güter, die die Länder einander anbieten in ihrem Wunsch nach gemeinsamen Verkehr. Sie empfangen, was sie brauchen und liefern dafür ihren Überschuss. Denn Missgunst (phthonos) hat nie Macht über die ganze Welt erlangt, auch nicht über große Teile von ihr, die Gesamtheit Europas oder Asiens. Wohl aber kriecht sie heran wie eine Giftschlange und versteckt sich in engen Schlupfwinkeln, in einem einzelnen Menschen, einem einzelnen Haus oder, wenn sie einmal sich zu stark fühlt, einer einzigen Stadt. Aber den größeren Umkreis eines Volkes oder Landes fällt sie nicht an, besonders seitdem ihr, das Geschlecht der Augusti, die Herrschaft bis in die fernsten Winkel wirksam in die Hände nahmt. Denn was an Schädlichem wuchern und in unserer Mitte hervortreten wollte, das hat euer Haus über die Grenzen der äußersten Erde hinaus und in die Winkel des Tartarus gejagt. Was aber an Segen- und Nutzbringendem auf manche Art verbannt war, das hat es von den Enden der Erde und des Meeres in die Welt, die wir bewohnen, zurückgeholt. Das alles zu regieren, ist einer Hand, der deinen, anvertraut. Die Natur (physis) hat dich also hoch oben auf die Kommandobrücke gestellt und hat dir das Steuerruder in die Hand gedrückt. So steuere das gemeinsame Schiff der Menschheit sicher und sei über nichts fröhlicher und vergnügter, als deinen Untertanen Gutes zu tun (euergetein). Andere Leute haben andere Dienste, die sie ihren Städten als Privatmenschen zu leisten haben. Des Herrschers (archǀn) ureigener Dienst ist es, gute Maßnahmen für seine Untertanen zu treffen, seine Maßnahmen recht in die Tat umzusetzen und Wohltaten freigebig mit Großmut von Hand und Herz auszustreuen, außer wenn im Hinblick auf eine ungewisse Zukunft Zurückhaltung geboten ist (Philo, LegGai 43–51).39

Dieser Text weist auf etwas Wichtiges hin und erlaubt, einige grundlegende Folgerungen zu ziehen. (1) Als erstes beachte man den kursiv gesetzten Satz: »Im Vertrauen auf sie [sc. die Kunst, einen Staat zu lenken] wird jeder fruchtbare Acker in der Ebene und im Bergland bebaut. Jedes Meer wird gefahrlos von Lastschiffen durchfahren zum Austausch der Güter, die die Länder einander anbieten in ihrem Wunsch nach gemeinsamem Verkehr. Sie empfangen, was sie brauchen und liefern dafür ihren Überschuss.« Die sachliche und sprachliche Nähe zur Aussage Plinius’ des Großen sticht sofort ins Auge: »Und andere [sc. Pflanzen kommen] außerdem von anderen Orten, daher und dorther, zum Wohle des menschlichen Geschlechts auf der ganzen Erde, und zwar unter der unermesslichen Herrlichkeit des römischen Friedens (imensa Romanae pacis majestate), die nicht nur die Menschen verschiedener Länder und Völker miteinander bekanntgemacht, sondern die auch dazu geführt hat, dass die Berge und die in die Wolken ragenden Gipfel und ihre Erzeugnisse und Pflanzen miteinander in einem lebendigen Austausch stehen.« Unter Verwendung ähnlicher Phrasen reden beide von dem, was wir heute ————— 39 Übersetzung: Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.VII, 186–188. Veränderung von T. Onuki.

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»Globalisierung« nennen, denn die »Pax Romana« förderte den Warenaustausch unter den verschiedenen Ländern und Völkern und ermöglichte ihr wirtschaftliches Wachstum! »Globalisierung« und »Wachstum der Weltwirtschaft« gibt es nicht erst seit heute. Beides gehörte schon in der Spätantike zum Konzept der römischen Weltherrschaft. (2) Ebenso sticht der zweite kursiv gesetzte Satz ins Auge: »Wohl aber kriecht sie [sc. Missgunst] heran wie eine Giftschlange und versteckt sich in engen Schlupfwinkeln, in einem einzelnen Menschen, einem einzelnen Haus oder, wenn sie einmal sich zu stark fühlt, einer einzigen Stadt.« Klemens von Rom sagte, wie schon erwähnt, dasselbe: »Eifersucht (Neid) und Streit haben große Städte zerstört und große Völker ausgerottet« (1Clem 6,4). Etwas später als Klemens formuliert auch Plutarch den uns schon gut bekannten Satz: »Diese [sc. Neid und Eifersucht] sind die Krankheit und das Unheil, die uns am meisten beschämt macht. Sie zerstören nicht nur Familien, sondern auch den ganzen Staat« (Plut., mor. 484C–D). Die römische Herrschaftsideologie, wie sie hier von Macro repräsentiert wird, setzt also die allgemein anerkannte These voraus, dass Neid und Missgunst unter Umständen den ganzen Staat zerstören können. Diese Sicht der politischen Relevanz des Neides ist also die Gleiche, wie sie die griechischen Gebildeten seit Herodot vertreten haben, wobei diese einen von Neid gänzlich freien Herrscher immer nur als Ideal, nie aber als tatsächlich existierend angesehen haben. Demgegenüber will Macro angeben, dass dieses Ideal gerade durch die Weltherrschaft der Augusti verwirklicht und vollendet worden sei! Der römische Kaiser aus diesem Geschlecht sei für alle Untertanen ein »Wohltäter« (euergetƝs), ein »Schäfer und Hirt«, der ebenso gut wie der alte Perserkönig Kyros II sei (Xen., Kyr. VIII 2,13).40 Das Unheil, das aus dem Neid erwachse, sei vom Haus der Augusti schon jetzt »über die Grenzen der äußersten Erde hinaus und in die Winkel des Tartarus gejagt« worden. Natürlich wusste Macro genau, wieweit Caligula von diesem Ideal entfernt war. Deshalb mussre er ihm diese lange Mahnrede halten. Macro beschrieb dann aber nur das Ideal der römischen Kaiserherrschaft, das unanhängig von den Unterschieden zwischen den einzelnen Kaisern gilt. Genau darin besteht die politische Ideologie, die die Weltherrschaft der Römer grundsätzlich legitimiert. Das entspricht H. Kippenbergs Feststellung: »Rom verband wiederum auch von sich aus mit einem solchen Verwaltungsschema ideologische Momente: weil Griechen und Barbaren nicht fähig waren, eine gerechte Ordnung zu realisieren, war es ewiger Auftrag an das Imperium Romanum, den Völkern Recht und Frieden zu bringen. Roms Kriege waren bella iusta im Dienste der pax romana.«41 ————— 40

Vgl. S.132f. H. Kippenberg, Versuch einer soziologischen Verortung des antiken Gnostizismus, Numen XVII, 1970, 211–231, hier bes. 218. 41

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(3) Schließlich verdient das kursiv gesetzte Wort »die Natur« (physis) unsere besondere Aufmerksamkeit: »Die Natur (physis) hat dich [sc. Caligula] also hoch oben auf die Kommandobrücke gestellt und hat dir das Steuerruder in die Hand gedrückt.« Welche Natur ist hier gemeint? Wohl kaum die Natur im Sinne der natürlichen Dinge, die dem Menschen vorgegeben sind. Denn von der Führung dieser Natur hängt es ab, ob ein römischer Kaiser als »Steuermann« die ideale Herrschaft über die ganze Welt ausüben kann, was eine äußerst ernste Sache ist. Die hier gemeinte Natur muss deshalb Ausdruck einer bestimmten »Theologie der Natur« sein, die selbst Teil der römischen Herrschaftsideologie ist und sie stützt. Wir finden dieselbe Erwartung in einem kleinen, auf Griechisch verfassten Werk »Über die Welt« (Peri kosmou). Es wurde früher fälschlicherweise Aristoteles zugeschrieben.42 Es ist eine eklektische Schrift, die die peripatetische Position mit der stoischen und auch mit der mittelpatonischen verbindet. Schon 1844 hat E. Zeller sie als »ein merkwürdiges Denkmal des Eklekticismus« bezeichnet.43 Als ihre Entstehungszeit lässt sich spätestens das Ende des ersten Jahrhunderts n.Chr. vermuten.44 In dieser Schrift wird ein Verständnis der Natur erkennbar, das die Vorstellung in Macros Mahnrede erhellen kann. Ihr wichtigstes Charakteristikum besteht darin, dass sie den ganzen Kosmos als einen monarchischen Staat beschreibt. Der Autor führt zuerst aus, wie das Universum aufgebaut ist und erklärt alle möglichen Phänomene, wobei er im Großen und Ganzen den allgemein gültigen Ansichten der späthellenistischen Astronomie und Physik folgt. Seine Beschreibung der »von Menschen bewohnten Welt« von Indien im Osten bis Britannien im Westen, vom Don im Norden bis Madagaskar (?) im Süden und die naturhistorische Darstellung des außerhalb der Menschenwelt liegenden Niemandslandes und Ozeans ist teilweise sehr ähnlich wie bei Plinius dem Großen und in Macros Warnung (Kap. 2–4). Im Anschluss daran wird die Natur, die so unendlich viele Unterschiede und Gegensätze enthält und sie doch alle in eine organische und funktionierende Einheit integriert, in Analogie zu den Städten und Staaten gesetzt. Auch diese seien Organismen, die von Unterschieden und Gegensätzen geprägt seien wie reich und arm, jung und alt, stark und schwach, gut und böse usw. und sie gleichzeitig alle in eine funktionierende Einheit integrieren. Diese organische Einheit wird ferner auch mit einem Maler verglichen, der seine Farben mischt, oder mit einem Kom————— 42

P. Gohlke verteidigte noch 1952 den aristotelischen Ursprung in seiner Übersetzung: Aristoteles an König Alexander: Über die Welt, Paderborn 21952. 43 E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 3. Teil, 1 Abteilung: Die nacharistotelische Philosophie, 1. Hälfte, Leipzig 51923, Nachdruck Darmstadt 2006, 670. 44 Vgl. ebd., 664–670.

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ponisten, der komponiert (Kap. 5). Gott selbst wohne allerdings weder im Weltall noch in irgendeinem Phänomen. Er ruhe vielmehr in einer Höhe, die alles transzendiere. Die Lenkung und Herrschaft des ganzen Universums und seiner Phänomene überlasse er einer allem innewohnenden »Dynamik« (dynamis). Ein sichtbares Abbild davon, wie Gott auf diese Weise über den Kosmos herrsche, sei die Art, wie die alten Perserkönige geherrscht hätten. Auch sie hätten konkrete politische Angelegenheiten ihren hohen Staatsdienern überlassen. Bei ihnen habe der Grundsatz »Le roi règne mais il ne gouverne pas«45 gegolten. Auf diese Weise wird der ganze Kosmos in Analogie zum absoluten monarchischen Staat verstanden, auf dessen höchstem Sitz Gott als der transzendente Monarch sitzt. Daher wurden auch von den alten Denkern einige weitergeleitet dazu, dass diese ganze Welt voller Götter sei, alles, was unsern Augen erscheint und unserm Gehör und allen Sinnen, eine Behauptung, die wohl der göttlichen Allmacht ihre Ehrfurcht bezeugt, aber nicht der Wirklichkeit entspricht. Denn Gott ist wirklich Erhalter und Schöpfer aller Dinge, die nur irgendwie in dieser Welt vollendet werden, aber er unterzieht sich dabei nicht der Arbeit, wie ein Geschöpf, das selber Hand anlegen und sich abquälen muss, sondern er bedient sich einer unerschöpferlichen Kraft (dynamis), durch die er auch das scheinbar Fernste beherrscht.46

Die Stoiker waren die Ersten, die den Kosmos als Organismus verstanden. Die Vernunft (das HƝgemonikon), die ihn leitet und ihn zu einem Lebewesen macht, wurde philosphisch »Logos«, mythologisch »Zeus« und physisch »Feuer« genannt. Das göttliche Gesetz, mit dem sie das All lenkt, wurde auch als »Natur« (physis) bezeichnet. »Gemäß der Natur zu leben« (homologoumenos tƝi physei zƝn: Zenon) bedeutete, gemäß dem göttlichen Gesetz zu leben.47 Diese Weltanschauung der Stoa ist bis in die späthellenistische Zeit hinein zum allgemeinen Gedankengut geworden und hat sich in verschiedenen Varianten weit verbreitet. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann man sagen, dass Paulus diese allgemein bekannte Sicht des Kosmos und sogar der Gesellschaft als Organismus teilte, wenn er die christliche Kirche als »Leib Christi« bezeichnete. Im europäischen Mittelalter wurde die monarchische Gesellschaft immer noch als Organismus angesehen, was beispielsweise aus Grimms’ Hausmärchen »Ungleiche Kinder Evas«48 klar hervorgeht. Es gilt jedoch zu beachten, dass in der stoischen Weltanschauung alles innerhalb der Welt beginnt und endet. Sowohl die führende Vernunft (das HƝgemonikon) als auch die »Natur« (physis) sind ein innerweltliches Prinzip. ————— 45

Vgl. H. Kippenberg, Versuch, 218. Übersetzung von. P. Gohlke, Aristoteles an König Alexander: Über die Welt, 54. 47 Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa I, 116–118. 48 KHM 180. 46

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Anders verhält es sich in der Schrift »Über die Welt« (Peri kosmou). Hier ist Gott gegenüber der Welt absolut transzendent und ruht gelassen in der ultramundanen Höhe und Stille, indem er die Lenkung des Weltalls der »Dynamik« (dynamis) überlässt, die in ihm wirkt. Diese Sicht lässt sich nicht mehr mit der traditionellen stoischen Kosmologie begründen. Sie erinnert vielmehr an das kosmologische System des Mittelplatonikers Alkinoos. 49 Nach seiner Kosmologie ist »der erste Gott« gegenüber der Welt absolut transzendent. Er bewegt sich selbst nicht, sondern bewegt alles durch die »Vernunft (nous) des ganzen Kosmos«, mit anderen Worten, durch die »Vernunft der Weltseele«. Diese steht unter ihm. Sie verwaltet und lenkt die ganze Natur, die wir kennen, während »der erste Gott« als »der unbewegte Beweger« den ganzen Kosmos transzendiert (Didaskalikos 164,18–27; 165,1–4). Die Formulierung vom »unbewegten Beweger« ist eindeutig von Aristoteles (metaph. 1071b4 u.a.) beeinflusst. Das zeigt, dass die Schrift »Über die Welt« (Peri kosmou) in der Tat »ein merkwürdiges Denkmal des Eklekticismus« (E. Zeller) ist, in dem die stoische Sicht des Kosmos und der Gesellschaft als Organismus nicht nur mit der peripatetischen, sondern auch mit der mittelplatonischen Position verbunden worden ist. Nach Kippenberg ist dieser Eklektizismus allerdings kein Selbstzweck, sondern eine »antike Philosophie unter den politischen Bedingungen der Kaiserzeit.« Darin wird die politische Ordnung der römischen Kaiserherrschaft positiv bewertet und »zum Interpretament des größeren Staates, nämlich des Kosmos« gemacht. 50 In Einklang damit steht auch der Befund, dass der Autor dieser Schrift mit einer fiktiven Widmung von Aristoteles für seinen Schüler Alexander beginnt: »Und ich glaube, dass es auch Dir [sc. Alexander] als dem obersten Führer wohl ansteht, an der großartigen Forschung Anteil zu nehmen und nicht gering zu denken von der Weltweisheit, sondern auch von solchen Gaben die schönsten Früchte zu ernten.« (Kap.I)51 Die Schrift »Über die Welt« erhellt für uns auch den Begriff der »Natur« in Macros Mahnrede. Hinter dem Begriff der »Natur« bei Macro steht offensichtlich eine schon ziemlich fest geprägte »Theologie der Natur«. Die Naturkonzeption in Macros Sinne entspricht nicht nur der stoischen »Natur« und der »Vernunft (nous) des ganzen Kosmos« von Alkinoos, sondern vor allem auch der »Natur«, von der in der Schrift »Über die Welt« immer ————— 49

Vgl. Kap.II, Abs.1. Zitate bei H. Kippenberg, Versuch, 217. 51 E.R. Goodenough, The Political Philosophy of Hellenistic Kingship, in: Yale Classical Studies 1, 1928, 55–102 hat aus bis dahin kaum beachteten Fragmenten der spätpythagoreischen Schultradition (v.a. Diotogenes und Ecphantus) eine »offizielle Philosophie der Königsherrschaft der Zeit« eruiert: »This is the philosophy of state which thrust itself irresistibly upon the Roman imperator«(100). Goodenough reiht zwar auch Plutrach und Philo unter den Einfluss dieser Philosophie der Königsherrschaft ein (94ff), erwähnt aber die Schrift »Über die Welt« nicht. Vgl. H. Kippenberg, Versuch, 226f. 50

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wieder die Sprache ist. Sie ist »die göttliche Natur« (hƝ theia physis), die »von einer einzigen Bewegung aus als der Urbewegung ihre Kraft (dynamis) weiter (gibt) an die folgenden Bereiche und von ihnen wieder bis in die fernsten, bis sie das All durchläuft.« (Kap. 6).52 Macros Aussage über die »Natur« liegt eine gleichartige Sicht der Natur zugrunde. Darin wird die Vorstellung erkennbar, dass die römische Kaiserherrschaft auf dem göttlichen Gesetz beruhe, das den ganzen Kosmos durchziehe, und dass sie deshalb mit ihm übereinstimme und es verkörpere. Zum Schluss bleibt noch die Frage, wie Philo als Autor von Macros Mahnrede zur römischen Ideologie der Kaiserherrschaft steht. Wir werden sehen, dass Philo zwar eine »Theologie der Natur« vertritt, die gleich strukturiert ist wie die von Macro, dabei aber den absolut transzendenten Gott an der Spitze der kosmischen Monarchie durch den Schöpfergott der Bibel ersetzt. In der Schrift »Über den Dekalog« 60–61 wird der biblische Schöpfergott zunächst als »der Unerschaffene und Ewige«, der »die Zügel in der Hand hält und das ganze Weltall zum Heile lenkt« bezeichnet. Anschließend wird gesagt: Wie nun einer, wenn er die Ehren, die dem Großkönig gebühren, den Satrapen, seinen Statthaltern, erwiese, nicht nur sehr töricht erscheinen, sondern auch leichtsinnig Gefahren für sich heraufbeschwören würde, da er das, was dem Herrn zukommt, Dienern gewährt, ebenso steht es mit dem, der das Erschaffene mit den gleichen Ehren bedenkt wie den Schöpfer, er soll wissen, dass er der törichteste und ungerechteste aller Menschen ist, weil er Ungleichen Gleiches gewährt, nicht zur Ehre der Niedrigstehenden, sondern zur Herabsetzung des Höherstehenden (Philo, Decal 60– 61).53

Der »Großkönig« am Anfang des Zitats ist der Großkönig der persischen Monarchie. Wie in Abschnitt 1,1 dieses Kapitels schon erwähnt, nahm bei den alten Griechen die Diskussion über das politische System seit Xenophon und Platon immer wieder auf die persische Monarchie Bezug. Offensichtlich ist Philo in dieser altgriechischen Tradition wohl bewandert. Aufgrund dieses Wissens zieht er Parallelen zwischen der persischen Monarchie und dem jüdischen Verständnis der Beziehung von Schöpfer und Geschöpf. Diese Parallelität wird am Schluss derselben Schrift noch mehr betont. Zuvor wird die Frage gestellt, warum alle zehn Gebote des Dekalogs (Ex 20,1–17) bloß apodiktisch formuliert seien, ohne Strafmaßnahmen im Übertretungsfall anzugeben. Mit der Antwort auf diese Frage beschließt Philo seine Schrift: ————— 52 53

Übersetzung bei P. Gohlke, Aristoteles an König Alexander: Über die Welt, 60. Übersetzung bei Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. I, 384.

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Denn den Dienern und Statthaltern Gottes kommt es ähnlich wie den Befehlshabern im Kriege zu, gegen Fahnenflüchtige, die den Platz des Gerechten (Gottes) verlassen, mit Strafen vorzugehen; dem großen Herrscher selbst aber gehört die Fürsorge für die allgemeine Sicherheit des Alls, ihm, dem Wächter des Friedens, der alle Segnungen des Friedens allen und allen Orten und allezeit neidlos (aphthonos) in reichen Maßen spendet. Denn in Wahrheit ist Gott ein Herr des Friedens, seine Diener aber die Führer der Kriege (Philo, Decal 178).54

Offensichtlich will Philo keinen anderen irdischen König mit dem persischen Großkönig vergleichen. Der biblische Schöpfergott ist es, der mit ihm in Analogie gesetzt werden muss. Das führt uns gleich zur Frage: Wie soll, nach Philo, die irdische Herrschaft aufgebaut sein? Er ist der Ansicht, dass die Demokratie am besten ist. Über sie äußert er sich an vielen Stellen.55 Wir führen davon das Schlusswort der Schrift »Über die Einzelgesetze« an: Denn was hienieden mangelhaft ist, hat die Ungleichheit (anisotƝs) gestiftet, was aber in rechter Ordnung ist, die Gleichheit (isotƝs), die innerhalb des Weltganzen, um es recht genau auszudrücken, als Wohlordnung erscheint, innerhalb der Städte als die bestgeordnete, vor allen Verfassungen ausgezeichnete Volksherrschaft (Demokratie), im Körper als Gesundheit und in der Seele als Tugendhaftigkeit; und andrerseits ist ja die Ungleichheit die Ursache von Krankheiten und Lastern (Philo, SpecLeg IV 237).56

Wie man sieht, werden hier das Weltganze, Städte, Körper und die Seele parallel gesehen. Das beweist, dass Philo die Sicht des Kosmos als Organismus kannte. »Gleichheit« (isotƝs) bedeutet hier die organische Zusammengehörigkeit. Wir haben bisher wiederholt darauf hingewiesen, dass Philo entschieden den Neid ablehnt, der anderen die eigenen Güter vorenthält. Der Grund dafür wird jetzt klar: Weil Neid und Missgunst die organische Zusammengehörigkeit zerstören, von der hier die Rede ist. Für Philo ist es die »Natur«, die die Menschen das Gegenteil lehrt. Als Beispiel nennt er das Neumondfest, bei dem die Sonne ihr Licht wieder dem Mond schenkt, so dass der Mond seinerseits dem menschlichen Auge seine eigene Schönheit zeigen kann. Dazu sagt Philo weiter: Darin scheint mir eine wohlverständliche Mahnung zu Biedersinn und Menschenliebe zu liegen, dass nämlich die Menschen niemals ihr Eigentum vorenthalten, sondern dem Beispiel der seligen und glücklichen Wesen am Himmel folgen, die Missgunst aus ihrer Seele verbannen und ihr Eigentum öffentlich der Allgemeinheit dienstbar machen und den Würdigen zur Verfügung stellen sollen (Philo, SpecLeg II 141).57

————— 54

Ebd., 409. Philo, Agr 45, Conf 108, Abr 242, Virt 180, Imm 176. 56 Übersetzung bei Philo von Alexandria. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd.II, 312. 57 Ebd., 145. 55

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Alles Unentbehrliche und Nützliche verdanken die Menschen der »Natur«. »Fruchtbarer Ackerboden, gut gewässertes, durch Quellen, Quellflüsse, Ströme und Jahresregen getränktes Gelände, wohlgemilderte Luft mit ihrem belebenden Hauch, die unzähligen Arten der Saat- und Fruchtpflanzen«. – Hat ein Mensch dies alles erfunden und erzeugt? Philo antwortet: Die zeugende Natur hat nun ihren eigenen Besitz dem Menschen nicht vorenthalten, sie hat in ihm wegen seiner Befähigung zum Denken und zur Einsicht das erste aller sterblichen Wesen erblickt, hat ihn daher um seines Adels wegen auserwählt und ihm Anteil an ihrem Besitz gegeben. Dafür sollen wir Gott, der uns zu Gaste geladen, loben und verehren, da er uns in Wahrheit die ganze Erde als gastlichen Herd zur Verfügung stellt, bedeckt nicht nur mit allem Notwendigen, sondern auch mit dem, was uns ein behagliches Leben ermöglicht (Philo, SpecLeg II 173).58

Vom Gesichtspunkt des biblischen Schöpfungsglaubens aus betrachtet erkennen wir die logische Kohärenz der ersten Hälfte des Zitats mit der zweiten nicht ohne Weiteres. In der ersten Hälfte erscheint die »Natur« als das göttliche und intelligente Subjekt, während in der zweiten Hälfte plötzlich und unvermittelt »Gott« als Schöpfer der ganzen Erde genannt wird, wie wenn vorher keine Rede von der »Natur« gewesen wäre. Dies kann meines Erachtens nur so erklärt werden, dass der Schöpfergott der zweiten Hälfte, der gut biblisch anmutet, »der erste Gott« ist, während die »Natur« der ersten Hälfte »der zweite Gott« ist, der dem ersten untersteht. In »Leben Mosis« II, 128 nennt Philo die »Natur« das intelligente »Naturgesetz«.59 Es zeigt sich dieselbe kosmologische Struktur wie im Mittelplatonismus, den Alkinoos vertritt. Wenn diese Betrachtung zutrifft, ist umgekehrt die Frage zu stellen, ob es denkbar wäre, dass die »Theologie der Natur«, die Macros Mahnrede zugrunde liegt, nicht vom »historischen Macro« selbst, sondern von Philo stammt, der sie angeblich aufgeschrieben hat. Es liegt auf der Hand, dass sie von beiden vertreten wird, sowohl vom historischen Macro als auch von Philo.

3. Die Antithese der Gnosis Die Antithese der Gnosis Welchen Platz nahmen nun die Gnostiker in der Geschichte der Diskussion über Neid und politisches System ein und wie standen sie zur zeitgenössi————— 58 59

Ebd., 155f. Vgl. Kap. II, Abs. 3,2, S.81.

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schen römischen Herrschaftsideologie? Dieser Frage wollen wir jetzt nachgehen. 3.1 Thesen von Max Weber und Hans Kippenberg Will man die Beziehung der Gnosis zur Politik bedenken, kann man nicht umhin, sich mit der bekannten These M. Webers auseinanderzusetzen. Er hat sie in seinem postum von seiner Frau Marianne herausgegebenen opus magnum »Wirtschaft und Gesellschaft«60 dargelegt, genauer im Kapitel über die Religionssoziologie (Kap.V). Die für uns wichtigsten Aussagen Webers sind die folgenden drei: Ebenso aber sind die vorderasiatischen Erlösungslehren des Manichäismus und der Gnosis beide ganz spezifische Intellektuellenreligionen, sowohl was ihre Schöpfer wie ihre wesentlichen Täger und auch was den Charakter ihrer Erlösungslehre angeht.61 Eine Erlösungsreligiosität entwickeln sozial priviligierte Schichten eines Volkes normalerweise dann am nachhaltigsten, wenn sie entmilitarisiert und von der Möglichkeit oder vom Interesse an politischer Betätigung ausgeschlossen sind. Daher tritt sie typisch dann auf, wenn die, sei es adligen, sei es bürgerlichen herrschenden Schichten entweder durch eine bürokratisch-militaristische Einheitsstaatsgewalt entpolitisiert worden sind, oder sich selbst aus irgendwelchen Gründen von der Politik zurückgezogen haben, wenn also die Entwicklung ihrer intellektuellen Bildung in ihre letzten gedanklichen und psychologischen inneren Konsequenzen für sie an Bedeutung über ihre praktische Betätigung in der äußeren diesseitigen Welt das Übergewicht gewonnen hat.62 Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, sei es mystagogischen, sei es prophetischen Charakters und ebenso die vom Laienintellektualismus getragenen, orientalischen und hellenistischen, sei es mehr religiösen, sei es mehr philosophischen Erlösungslehren, sind (soweit sie überhaupt sozial priviligierte Schichten erfassen), fast ausnahmslos Folgeerscheinung der erzwungenen oder freiwilligen Abwendung der Bildungsschichten von politischem Einfluss und politischer Betätigung.63

Webers These hat großen Einfluss auf die spätere Erforschung der Gnosis gehabt. Als Beispiel sei hier zuerst auf H. Jonas »Gnosis und spätantiker Geist«64 hingewiesen. Diese Studie hat zwar mit der existenzialen Interpretation der Gnosis anhand der Begriffsapparate von M. Heidegger Epoche —————

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1921, 51972. Ebd., 305. 62 Ebd., 306. 63 Ebd., 306f. 64 S.o. Kap. I, Anm.23. 60 61

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gemacht, gibt sich aber, was die soziologische Verortung der Gnosis angeht, in der Einführung einfach damit zufrieden, Webers These zuzustimmen.65 Unter der neueren Forschung gibt K. Rudolph in »Die Gnosis«, einem international anerkannten Standardwerk für die gegenwärtige Gnosisforschung, Webers These seine Zustimmung.66 H. Kippenberg hat als einziger Religionswissenschaftler versucht, Webers These einen Schritt weiter zu entwicklen. In einer Reihe von Aufsätzen, die er seit 1970 bis in die frühen achziger Jahre des vorigen Jahrhunderts veröffentlicht hat, versuchte er, die antike Gnosis soziologisch zu verorten.67 H. Kippenberg hat dabei auch die Erträge der zeitgenössischen Erforschung der Nag-Hammadi-Schriften, der jüdischen Apokalyptik und des Urchristentums ausreichend berücksichtigt. Er hat erkannt, dass auch in diesen Forschungsbereichen – zum Beispiel bezüglich der Entstehung der jüdischen Apokalyptik und des Urchristentums – die Entpolitisierung der intellektuellen Schichten oft als ein wichtiger soziologischer Faktor genannt wird. Daraus zieht er den Schluss, dass Webers These für die Erklärung des spezifisch Gnostischen nicht ausreiche.68 Die soziologische differentia specifica, die die Gnosis von »den damals gängigen Weltinterpretationen« unterscheidet, scheint ihm »gerade die unterschiedliche Wertung politischer Macht zu sein.«69 Nach seiner Meinung widersetzt sich die Gnosis in ihrer Wertung der politischen Macht »der offiziellen Staatsphilosophie der hellenistischen Zeit.« 70 Hier nimmt H. Kippenberg Bezug auf die durch die pseudoaristotelische Schrift »Über die Welt« repräsentierte Philosophie, auf die Kosmologie also, die den ganzen Kosmos in Analogie zum monarchischen Staat als Organismus versteht. Nach H. Kippenberg kannte nicht nur Philo, sondern auch Plutarch diese »offizielle Staatsphilosophie71 genau.« Welche Mittel benutzt die Gnosis, um der offiziellen Herrschaftsideologie des Römischen Reiches zu widersprechen? H. Kippenberg zeigt auf, dass sie die römische Weltherrschaft mit Jaldabaoth karikiert und bloßgestellt hat. Für die Gnostiker ist die Behauptung des Römischen Reiches falsch, seine Weltherrschaft sei durch das das Weltall lenkende, göttliche Gesetz hervorgebracht worden und stehe deshalb mit ihm in Übereinstimmung und sei sein Abbild oder seine Verkörperung. Für sie ist die römische Herrschaft eben gerade mit Jaldabaoths Herrschaft identisch, der des göttli————— 65

H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I, 69f. K. Rudolph, Die Gnosis, 31990, 320. 67 Außer der in Kap. IV., Anm. 41 angegebenen Arbeit: Intellektualismus und antike Gnosis, in: W. Schulchter (Hg.), Max Webers Studie über das antike Judentum. Interpretation und Kritik, Frankfurt a.M. 1981, 201–218; Gnostiker zweiten Ranges: Zur Institutionalisierung gnostischer Ideen als Anthropolatrie, Numen XXX, 1983, 146–173. 68 H. Kippenberg, Intellektualimus und antike Gnosis, 208. 69 H. Kippenberg, Versuch, 215. 70 Ebd., 227. 71 Ebd., 226–228. 66

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chen Prinzips beraubt worden ist! Es ist daher unmöglich, die römische Herrschaft von der den ganzen Kosmos lenkenden höchsten Vernunft (nous, pneuma) aus zu legitimieren. Wir können H. Kippenbergs Ansicht soweit voll und ganz zustimmen. Sie ist für uns aber immer noch ergänzungsbedürftig und -fähig. Darauf, dass mit Jaldabaoth als »Verkörperung des Neides« die römische Kaiserherrschaft karikiert und bloßgestellt wird, hat dieses Buch schon mehrmals hingewiesen. 72 Hier sei nochmal an den Paragraphen 26 (das Apokryphon des Johannes BG 42,10–43,6) erinnert. Dort wird Jaldabaoth als der geschildert, der aufgrund der ihm unbewusst (!) innewohnenden »Lichtkraft« hochmütig wird und »sich selbst Gott nennen« lässt. Im Paragraphen 28 (das Apokryphon des Johannes NHC II 19,10–20,5) wird weiter erzählt, wie ihm die »Lichtkraft« weggenommen wird. Obwohl H. Kippenberg auf diese Szene nicht einmal hinweist, gäbe es keinen besseren Beleg für seine These. Eine andere Tatsache wiegt noch schwerer. Wie bisher schon öfters erwähnt, proklamiert Jaldabaoth: »Ich bin ein neidischer Gott; Es gibt keinen anderen Gott außer mir.« Das ist ein Zitat aus Deuterojesaja (44,6; 45,5.21; 46,9). In diesem Zusammenhang wird Jahwe, der Gott des Alten Testaments, vor den Leserinnen und Lesern bloßgestellt. Beachtenswerter ist aber, dass eine außerkanonische Schrift mit dem Titel »Martyrium und Himmelfahrt des Propheten Jesajas« dasselbe Zitat aus Deuterojesaja einem römischen Kaiser in den Mund legt, um ihn bloßzustellen: Er benimmt sich in dieser Welt ganz willkürlich, verhält sich wie der Geliebte [sc. Messias] und sagt: Ich bin Gott; Es gibt keinen anderen, der mir gleicht. Alle Menschen der Welt glauben an ihn, bringen ihm Opfer und dienen ihm, indem sie sagen: Das eben ist Gott; Es gibt keinen Gott außer ihm (4,6–8).73

Vor dem zitierten Abschnitt wird das endzeitliche Kommen »Belials, des Königs dieser Welt« prophezeit. Belial (Satan) wird auch »der Mörder seiner eigenen Mutter« genannt (4,2). Damit ist Nero gemeint, der von 54– 68 n.Chr. regierte.74 Das bedeutet, dass der kursiv gesetzte Satz: »Ich bin Gott; Es gibt keinen anderen, der mir gleicht« im Sinne des Autors als Aussage von Nero über sich selbst gelesen werden kann. Die Entstehungs- und Traditionsgeschichte der Schrift »Martyrium und Himmelfahrt des Propheten Jesajas« ist äußerst kompliziert. Die Mehrheit ————— 72

Vgl. besonders Kap. II, Abs.3,2. Die Schrift »Martyrium und Himmelfahrt des Propheten Jesajas« war ursprünglich auf Griechisch verfasst, ist aber am besten in einer äthiopischen Übersetzung erhalten. Unsere Übersetzung fußt auf der englischen von R.H. Charles, The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament, Oxford 1913, Vol. II, 155–162. Eine deutsche Übersetzung von C.D.G. Müller findet sich in W. Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen, Band II, Tübingen 51989, 547–562. 74 Zur Ermordung seiner Mutter Agrippina durch Nero vgl. Suet. Nero 34. 73

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der Forscher betrachtet Kapitel 1–5 als ursprünglich jüdisches Werk (Martyrium Jesajas), während Kapitel 6–11 vermutlich christlichen Ursprungs sind. Die Entstehungszeit der ersten Hälfte des Buches (Kap. 1–5) fällt wahrscheinlich auf die zweite Hälfte des ersten Jahrhunderts n.Chr. Das besagt, dass im Judentum im Umfeld des gnostischen Mythos schon eine Interpretation existierte, die den Satz aus Deuterojesaja einem römischen Kaiser in den Mund legte und ihn so zu einem Interpretament seiner Selbstvergöttlichung machte. Wahrscheinlich war sie schon bis zu einem gewissen Grad zu einer festen Redewendung geworden, so dass jede Leserin und jeder Leser sie gleich verstehen können sollte. Ein weiterer Textbefund, mit dem man H. Kippenbergs These ergänzen und verstärken kann, ist die fest geprägte Wendung über »das königlose Geschlecht«, die im gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs immer wieder gebraucht wird. Im nächsten Abschnitt betrachten wir sie genauer. 3.2 »Das königlose Geschlecht« Die Apokalypse des Adam (NHC V, 5) ist eine eindeutig gnostische Schrift. Sie zeigt zwar eine enge Berührung mit dem Judentum, enthält aber fast nichts Christliches. In der zweiten Hälfte dieser Schrift treten insgesamt dreizehn »Königreiche« auf und legen ihre jeweilige Sicht des »Erleuchters« (phǀstƝr) und seiner Herkunft dar. Als Letztes kommt »das königlose Geschlecht« zu Wort: § 67 Die Apokalypse des Adam NHC V 82, 19–83,4 Das königlose Geschlecht aber sagt: »Gott hat ihn erwählt aus allen Äonen. Er hat in ihm eine Gnosis vom Unbefleckten der Wahrheit entstehen lassen. Er, der große Erleuchter (phǀstƝr), sagte, dass er aus einem fremden Reich aus Luft gekommen sei, [aus einem] großen Äon. Und [er ließ das] Geschlecht jener Menschen erleuchten, die er sich erwählt hatte, so dass sie den ganzen Äon erleuchteten.

»Das königlose Geschlecht« ist offensichtlich eine Selbstbezeichnung der Gnostiker. Diese Selbstbezeichnung wird in den folgenden Paragraphen jeweils leicht variiert: »ein vollkommenes Geschlecht«, »das Geschlecht, das keine Könige hat«, »das Geschlecht, über das keine Herrschaft ist« oder »die vollkommenen Königlosen«. Diese Varianten hängen jedoch nur von Wortwahl oder Satzbau ab und verweisen deshalb auf das Gleiche.

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§ 68 Vom Ursprung der Welt NHC II 124,32–125,14 Dann erschuf der Erlöser [eine Einheit] aus ihnen [sc. den Gnostikern] allen. Und die Geister der einen [erweisen sich zwar als] erwählt und selig, aber von unterschiedlicher Erwählung, und zahlreiche andere sind königlos und erhabener als jeder, der vor ihnen war. Folglich gibt es vier Geschlechter. Drei sind es, die gehören zu den Königen der Achtheit. Das vierte Geschlecht aber ist ein vollkommenes ohne König und oberhalb von den anderen. Denn diese werden eingehen zu dem heiligen Ort ihres Vaters, und sie werden zur Ruhe kommen in Erquickung und ewiger unaussprechlicher Herrlichkeit und unaufhörlicher Freude. Sie sind aber als Unsterbliche schon jetzt Könige im sterblichen Bereich. Sie werden die Götter des Chaos und ihre Kräfte verurteilen.

§ 69 Vom Ursprung der Welt NHC II 127,5–14 Und die Herrlichkeit des Ungezeugten wird in Erscheinung treten und alle Äonen erfüllen, wenn die Prophetie und die Kunde von denen, die Könige sind, offenbar wird und unter denen in Erfüllung geht, die »vollkommen« genannt werden. Die aber, die nicht vollkommen waren im ungezeugten Vater, werden ihre Herrlichkeiten in ihren Äonen und in den Königreichen der Unsterblichen empfangen. Sie werden aber niemals zur Königlosigkeit gelangen.

§ 70 Die Hypostase der Archonten NHC II 97,1–13 [Dann] wird jener [sc. der Geist der Wahrheit] sie belehren über alle Dinge. Und er wird sie salben mit dem Salböl des ewigen Lebens, diesem Salböl, das ihm gegeben wurde aus dem Geschlecht, das keine Könige hat. Dann wird von ihnen das blinde Denken vertrieben werden. Und sie werden den Tod der Mächte zertreten. Und sie werden zum grenzenlosen Licht aufsteigen, diesem Licht, wo dieser Same ist. Dann werden die Mächte ihre Zeiten hinter sich lassen. Und ihre Engel werden über ihre Zerstörung weinen. Und ihre Dämonen werden über ihren Tod trauern.

§ 71 Eugnostos NHC III 75,12–23par. Nach ihm [sc. dem Abbild des höchsten Gottes] offenbarte er [sc. der höchste Gott] eine Menge von Selbstentstandenen (Autogenes)75, gleich alt und gleich stark, voll

—————

75 Die Übersetzung bei Nag Hammadi Deutsch I, S.347: »eine Menge von allen gegenübertretenden Selbstentstandenen«. Gemeint ist wohl, dass der höchste Gott eine Menge der »Selbstent-

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Glanz und unzählbar, die »das Geschlecht, über das keine Herrschaft von den vorhandenen Herrschaften ist« genannt werden. Aber die ganze Menge an dem Ort, über den keine Herrschaft ist, wird »Kinder des ungewordenen Vaters« genannt.

§ 72 Der Dialog des Erlösers NHC III 138,11–20 Judas sagte: »Siehe, die Archonten sind über uns. Sind sie es nun, die Herr sein werden über uns?« Der Herr sagte: »Ihr seid es, die Herr sein werdet über sie! Aber erst wenn ihr dem Neid entsagt, dann werdet ihr euch kleiden mit Licht und eingehen in den Hochzeitssaal.«

§ 73 Naassener bei Hippolyt, Widerlegungen aller Häresien V 8,1–2 Wer sagt, dass das All aus Einem besteht, irrt; wer sagt, aus Dreien, der hat die Wahrheit und gibt die richtige Erklärung vom Weltall. Denn eine ist die selige Natur des seligen Menschen aus der Höhe, des Adamas, eine die sterbliche in der Tiefe, eine das königlose (abasileutos) Geschlecht, das emporstrebt, ...

§ 74 Naassener bei Hippolyt, Widerlegungen aller Häresien V 8,29–30 Es gibt keinen Hörer dieser Geheimnisse außer den vollkommenen Gnostikern. Diese sind der gute und rechte Boden, von dem Moses sagt: »Ich will euch in das schöne und gute Land führen, in das Land, das von Milch und Honig fließt.« Milch und Honig sind das, durch deren Genuss die Vollkommenen königlos werden und an der Fülle (Pleroma) teilhaben. Das ist die Fülle, durch die alle gewordenen Wesen vom Ungewordenen erschaffen wurden und von der sie erfüllt sind.

Die Schrift »Vom Ursprung der Welt« und die Hypostase der Archonten wurden bereits mehrmals als Belegtexte angeführt. Der Paragraph 72 aus dem Dialog des Erlösers ist identisch mit dem Paragraphen 51weiter oben. »Eugnostos« (NHC III,3; V,1) wird hier zum ersten Mal angeführt und ist mit der Weisheit Jesu Christi (NHC III,4; BG,3) weitgehend deckungsgleich. Zum Paragraphen 71 findet sich eine Parallele in der Weisheit Jesu Christi NHC III 99,14–100,3par. Beide Male handelt es sich um eine Szene, in welcher der höchste Gott der Welt des Lichts das präexistente Selbst der Gnostiker hervorbringt. Die Bezeichnung »Naassener« in den Paragraphen 73 und 74 stammt wohl aus dem hebräischen Wort für »Schlange« ————— standenen« (griechisch und koptisch: Autogenes) hervorgehen lässt und dass sie jetzt vor seinem Angesicht stehen.

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(nƗতƗsch). Da keine direkte Quelle dieser Gnostikergruppe vorliegt, wird dem Bericht des Antihäresiologen Hippolyt (2. Jh.n.Chr.) gefolgt. Am meisten beschäftigt die Frage, warum die Gnostiker sich selbst »das königlose Geschlecht« genannt haben. Die Formulierung im Paragraphen 68 gibt darauf eine eindeutige Antwort: »Sie sind aber als Unsterbliche schon jetzt Könige im sterblichen Bereich«. Dieser Satz nimmt ganz klar auf die Gegenwart der Gnostiker Bezug. Sie sind »schon jetzt« die »unsterblichen Könige«, sie sind die wahren Könige! Deshalb stehen sie unter keiner Herrschaft mehr, wie der Paragraph 71 bezeugt. Außerdem findet sich im Paragraphen 69 der merkwürdige Ausdruck: »die Prophetie und die Kunde von denen, die Könige sind«. Dabei handelt es sich hier wohlgemerkt nicht um eine Prophetie bzw. Kunde, die von »den Vollkommenen«, d.h. den Gnostikern, erst verkündet werden soll, sondern die »unter ihnen in Erfüllung gehen« muss. Meines Erachtens ist damit das Bild des idealen Königs gemeint, wie es in der griechischen Geistesgeschichte seit Herodot vertreten worden ist und in der politischen Theologie des hellenistischen Judentums und des Früchristentums diskutiert wird. Die römische Herrschaftsideologie nimmt dieses Ideal für sich in Anspruch! »Nein« – widersprechen die Gnostiker – »Das Ideal ist unter uns, dem königlosen Geschlecht, zur Erfüllung gekommen, denn wir sind schon jetzt mitten in diesem Bereich des Sterblichen die wahren vollkommenen Könige.« Die Paragraphen 68 und 69 gehören zur Schrift »Vom Ursprung der Welt«. Nicht nur unter den Nag-Hammadi-Schriften, sondern auch unter allen uns bekannten gnostischen Texten thematisiert diese den Neid am intensivsten. Der Autor dieser Schrift weiß dabei genau, dass die »Neidlosigkeit« immer eine conditio sine qua non im traditionellen Bild des idealen Königs gewesen ist. Auch im Paragraphen 72 wird gesagt, dass die Gnostiker, wenn sie ihren inneren Neid überwunden haben werden, Herren über die Herrscher dieser Welt sein werden. Das bedeutet, dass die Überwindung des Neides selbst ein politischer Akt ist. Sie bleibt zwar weiterhin eine Aufgabe für die Gnostiker. Diese verstehen sich aber als schon jetzt »von der Welt beneidet«,76 weil sie schon jetzt »die wahren vollkommenen Könige« sind. Dass sich kein König dem Neid der anderen entziehen kann, war seit dem griechischen Altertum für diejenigen, die über die Beziehung von Neid und Politik nachdachten, immer selbstverständlich.

————— 76

Vgl. Kap. III, Abs.1.

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4. Zusammenfassung Zusammenfassung Wir fassen das Ergebnis dieses Kapitels zusammen: (1) Das römische Kaiserreich verstand sich seiner Herrschaftsideologie entsprechend als die neidlose Herrschaft, die seit der klassischen Zeit der alten Griechen immer das politische Ideal war. Im römischen Kaiserreich habe diese sich endlich verwirklicht. Die Träger des gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs kannten diese Ideologie. (2) Sie widersetzten sich dieser Herrschaftsideologie: Sie stellten den römischen Kaiser, ihren Repräsentanten, bloß und karikierten seine Selbstvergöttlichung. Mit dem Bild Jaldabaoths schilderten sie ihn gar als »Verkörperung des Neides«. Ein Interpretament dafür übernahmen sie aus dem hellenistischen Judentum, welches das Wort aus Deuterojesaja »Es gibt keinen anderen Gott außer mir« dem römischen Kaiser (Nero) in den Mund gelegt und ihn so bloßgestellt hatte. (3) Sie verstanden sich als »die wahren vollkommenen Könige« und deshalb auch als »das königlose Geschlecht«, das unter keiner Herrschaft mehr steht, ferner als diejenigen, »die über die Herrscher dieser Welt Herren werden«. Als solche hätten sie zwar noch den Neid in ihrem eigenen Inneren zu überwinden. Sie würden aber schon jetzt als »die wahren Könige« von der Welt beneidet. (4) Auf diese Weise wagten sie einen radikalen Rollentausch. Die Herrschaft der Römer, die sie entmilitarisiert, entpolitisiert und in ein festes Herrschaftsystem eingebunden hat, spielt die Rolle des Neiders (Jaldabaoth!), während den Gnostikern selbst die Rolle der »Beneideten« zufällt. Dieser Rollentausch findet allerdings nur auf der mythologischen oder gedanklichen Ebene statt. Bei keiner der zahlreichen und vielfältigen Gruppen der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs und bei keinem ihrer bekannten oder anonymen Begründer ist, soweit bekannt, der Versuch zu erkennen, an der politischen Macht Teil zu haben. Der Gegensatz zu den Manichäern ist in dieser Hinsicht tatsächlich sehr groß, wie das nächste Kapitel zeigen wird. Auf die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs trifft die Schlussfolgerung H. Kippenbergs durchaus zu: Die Gnostiker verkünden die Unwandelbarkeit der Welt und der Gesellschaft. Sie etablieren sich als eine meta-politische Elite, die allein den Weg zur Erlösung weiß. Ihr Ziel ist nicht die revolutionäre Verwandlung gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern die Zerstörung des falschen Scheines, der die politische Ordnung als Vernunftsordnung ausgibt. So hat die gnostische Botschaft ideologiekritische Implikationen.77

————— 77

H. Kippenberg, Versuch, 231.

Zusammenfassung

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G. Theißens Antwort auf die Frage, warum die Gnosis vor allem innerhalb des Christentums und zumal nach dem Trajan-Reskript (ca. 110 n.Chr.), das das nomen ipsum des Christseins als strafbar erklärte, zur Blüte gekommen sei, zielt in die gleiche Richtung: Eine solche Rechtslage musste Formen des Christentums Auftrieb geben, die unauffällig waren und Verstellung und Verleugnung tolerierten. Die Gnosis war solch eine privatisierende Religionsform. Viele Gnostiker bejahten zwar das Martyrium, andere aber fühlten sich berechtigt, ihre Identität verborgen zu halten. Einige lehnten das Bekenntnis vor den Behörden ab und erlaubten eine äußerliche Beteiligung an heidnischen Kulten mit innerer reservatio mentalis. Die gnostische Variante des Christentums war daher sozial viel leichter lebbar als das »normale« Gemeindechristentum. Gnostiker konnten sich vor einer ablehnenden Öffentlichkeit »verbergen«. Daher ist es kein Zufall, dass seit dem Trajansreskript (ca. 110 n.Chr.) die Gnosis im Christentum aufblühte.78

————— 78

G. Theißen, Erleben und Verhalten, 505.

Kapitel V. Gnosis und Politik (der manichäische Typ) Gnosis und Politik (der manichäische Typ) Mani und Manichaica Für den Manichäismus ist im Gegensatz zur Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs eine aktive politische Beteiligung charakteristisch. Sein Begründer Mani lebte im Perserreich der Sassaniden im dritten Jahrhundert n.Chr. Die politische Beteiligung der Manichäer begann schon sehr früh. Mani selbst war politisch sehr aktiv. Der kultur- und religionsgeschichtliche Kontext war durch den Zoroastrismus, die traditionelle Staatsreligion des Reiches, bestimmt. Wieweit kann man den manichäischen Mythos, der oft »die Vollendung des gnostischen Mythos überhaupt« genannt wird, in seinem politischen und kulturellen Kontext verstehbar machen?

1. Mani und Manichaica 1.1 Mani Über Manis Leben gibt es drei zusammenhängende Überlieferungen. Die älteste ist der Kölner Mani-Kodex. 1 Dieser griechische Kodex wurde in Ägypten gefunden und stammt vermutlich aus dem vierten bis dem fünften Jahrhundert n.Chr. Sein denkbar kleines Format (4.4 x 3.5 cm) legt nahe, dass ihn höchstwahrscheinlich manichäische Kaufmänner als Vademekum auf ihren Handelsreisen mitgenommen haben. Wie dem auch sei, inhaltlich handelt es sich um eine Biographie Manis, die die späteren Manichäer angeblich aus den Überlieferungen seiner ersten Jünger redaktionell zusammengestellt haben. Die anderen zwei Überlieferungen sind von späteren, nicht manichäischen Gelehrten in ihre bibliographischen Werke aufgenommen worden. Das eine ist das syrische Scholienbuch, das Ende des achten Jahrhunderts n.Chr. vom nestorianischen Gelehrten Theodor bar Konai in Syrien verfasst worden ist.2 Das andere ist das sogenannte »Fihrist« (Ver————— 1

L. Koenen/C.R. Römer (Hg. u. Übers.), Der Kölner Mani-Kodex, über das Werden seines Leibes, Opladen 1988. 2 Theodor bar KǀnƯ, Liber Scholiorum I (pars prior), CSCO 55, scriptores syri tomus 19, ed. Addai Scher, Louvain 1960; Liber Scholiorum II (pars posterior), CSCO scriptores syri, tomus 66, ed. Addai Scher Paris-Leipzig 1912; Livres des Scolies I (recension de Séert), Mimrè I-V, CSCO 431, scriptores syri, tomus 187, transl. par R. Hespel/R. Draguet, Louvain 1981; Livres des Scolies II

Mani und Manichaica

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zeichnis der Wissenschaften), das der islamische Gelehrte An Nadim gegen Ende des zehnten Jahrhunderts n.Chr. auf Arabisch verfasst hat.3 Soweit es sich aus diesen drei Überlieferungen historisch erschließen lässt, war wohl schon Pattak (griechisch Pattikios; arabisch Futtak), Manis Vater, mit der traditionellen Religion der Perser nicht mehr zufrieden. Er siedelte nach Babylonien über, das damals noch unter der Herrschaft des Partherreiches stand. Dort schloss er sich einer asketischen Sektenbewegung an. Sein Sohn Mani wurde ca. 216 n.Chr. in Seleukia-Ktesiphon, etwas stromabwärts vom heutigen Bagdad, geboren. Die Sektengemeinde, an die Mani sich mit seinem Vater anschloss, bestand laut dem Kölner Mani-Kodex aus Elchasaiten. Sie waren Teil der Taufbewegung, die sich seit dem ersten Jahrhundert n.Chr. auf der Grenze zwischen dem Judentum und Urchristentum entwickelt hatte.4 Nach der Überlieferung empfing Mani die erste Offenbarung, als er zwölf Jahre alt war, und trat aus der Taufsekte aus. Über seinen anschließenden Werdegang gibt es zwar Überlieferungen, aber sie sind so unterschiedlich, dass man nicht mehr weiß, ob und wieweit sie historisch glaubwürdig sind. Auf jeden Fall betont An Nadim in seinem Bericht, dass Mani vierundzwanzig Jahre alt war, als er die zweite Offenbarung bekam und begann, seine eigene Religion öffentlich zu verkünden. Das sei sogar ausgerechnet am selben Tag geschehen wie die Thronbesteigung Schahpuhrs I. (Regierungszeit 242–273 n.Chr.). Im Laufe der Zeit erhielt Mani bei ihm Audienz und bekam die Erlaubnis, seine Lehre in dessen Herrschaftsbereich zu verkündigen. Die Genehmigung Schahpuhrs I. galt auch unter seinem Nachfolger Ohrmuzd (273/274 n.Chr.). Unter Bahram I. (274–277 n.Chr.) aber wehte ein anderer Wind. Die Religion Manis wurde verboten und verfolgt. Mani wurde 276 n.Chr. hingerichtet. Der Überlieferung nach wurde er geschunden und gekreuzigt. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich Mani schon sehr jung der etablierten alten Religion (dem Zoroastrismus) entzog und sich einer »neuen Religion«, der Taufbewegung, die sich schon früh am Rande des Zoroastrismus entwickelt hatte, anschloss, dass er aber bald auch aus dieser austrat, um selbst eine »neue neue Religion« zu verkünden.5 Seine Religion, ————— (recension de Séert), Mimrè VI-XI, CSCO 432, scriptores syri, tomus 188, transl. par R. Hespel/R. Draguet, Louvain 1982. 3 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und seine Schriften. Ein Beitrag zur Geschichte des Manichäismus. Aus dem Fihrist des Abnj’ Ifaradsch Muhammad ben Ishakal-WarrƗk, bekannt unter dem Namen Ibn Abi Ja‘knjb an NadƯm, im Text nebst Übersetzung, Commentar und Index zum ersten Mal herausgegeben, Leipzig 1862, Nachdruck Osnabrück 1969; B. Dodge, The Fihrist of alNadim: a tenth century survey of Muslim culture, 2 vols, Colombia UP, New York 1970. 4 Der für diese Bewegung charakteristische Taufritus hatte die Funktion, religiöse Unreinheiten zu beseitigen. Außer den Urmandäern, der Qumrangemeinde, den Elchasaiten usw. gehörte möglicherweise auch Johannes der Täufer ursprünglich zu ihr. 5 Viele Begründer der »neuen neuen Religionen« in Japan seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben eine ähnliche Laufbahn. Auch sie gaben sich nicht mehr mit den traditionellen

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der Manichäismus, ist in der Tat dualistisch und erweckt dadurch den Eindruck, weltflüchtig zu sein, was aber täuscht. In Wirklichkeit war schon bei Mani, dem Begründer der »neuen neuen Religion« selbst, das Bestreben nach einer aktiven politischen Beteiligung offensichtlich.6 Der Erlösungsmythos, den Mani selbst verfasst hat, ist leider nicht erhalten. Mani verfasste viele Schriften und ihre Titel sind weitgehend bekannt: »Schahpuhrakan« (Schahpuhr I. gewidmet, Prophetenlehre und Eschatologie), das »Große Evangelium« (ein Kommentar zum Neuen Testament), »Schatz des Lebens« (Verteidigung der manichäischen Kirche), das »Buch der Geheimnisse« (Widerlegungen anderer Religionen), die »Pragmateia« (Legenden), das »Bilderbuch«, das »Buch der Riesen« (Fabeln), außerdem Psalmen und Gebete. Aber ihren Inhalt (jeweils in Klammer kurz angegeben) kann man nur fragmentarisch aus bruchstückhaften Resten späterer Übersetzungen oder aus Zitaten bei späteren Autoren rekonstruieren.7 Es ist außerdem bekannt, dass Mani viele Briefe an seine Jünger und Gemeinden an vielen Orten geschrieben hat. Bekannt ist darunter vor allem die sogenannte »Epistula Fundamenti«, deren Inhalt aus ihrer Widerlegung durch Augustin8 weitgehend rekonstruierbar ist. Aber trotz dieser indirekten Informationen ist es unmöglich, den originalen Mythos, den Mani selber verfasst haben muss, in einer kohärenten Form zu ermitteln. Will man also den manichäischen Mythos in seiner möglichst ursprünglichen Form lesen, so ist diese nur synthetisch aus zwei Gruppen indirekter Quellen rekonstruierbar: Zum einen aus Schriften, die während der Verbreitung des Manichäismus nach Osten und Westen von den Manichäern selbst an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten verfasst worden sind, und zum anderen aus Dokumenten oder Widerlegungen, die nichtmanichäische Beobachter über die Manichäer geschrieben haben. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über die Schriften beider Gruppen gegeben, indem der Manichäismus nach seiner geographischen Verbreitung grob in den nach Westen und den nach Osten gewanderten aufgeteilt wird. Diese Zweiteilung dient freilich nur der Bequemlichkeit der Darstellung, hat aber keine grundsätzliche Bedeutung. Außerdem wird aus Platzgründen ————— Religionen wie dem Schintoismus oder dem Buddhismus zufrieden und wechselten deshalb zu den »neuen Religionen«, die weitgehend zwischen der Meiji-Restauration (1867) und der Niederlage Japans im zweiten Weltkrieg 1945 entstanden waren, traten aber bald wieder aus ihnen aus und begründeten jeweils ihre »neuen neuen Religionen«. Manis religiöser Werdegang ist ähnlich. 6 Der erste Eindruck der Weltflucht einerseits und die aktive Beteiligung an der Politik andererseits, dieses Nebeneinander, weist auch eine Analogie zur Sekte Aum auf, die sich, noch vor ihrem Sarin-Anschlag 1995, am staatlichen Wahlkampf beteiligt hatte und gescheitert war. 7 Vgl. dazu z.B. W.B. Henning, The Book of Giants, in: ders., Selected Papers II, Leiden/Téhéran-Liège 1977, 115–135 und allgemein M. Tardieu, Le Manichéisme, Paris 1997, 43–61. 8 Contra epistulam Manichaei quam vocant Fundamenti/Contre l’Épitre de Mani dite »du Fondement«, in: Six Traités Anti-Manichéens, trad. R. Jolivet/M. Jourjon, Desclee de Brouwer 1961, 377–507.

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auf eine eingehende Erklärung der einzelnen Schriften und Autoren verzichtet. Es beschränkt sich vielmehr auf eine Art Auflistung. 1.2 Der Manichäismus im Westen Der von Persien aus nach Westen gewanderte Manichäismus wird in die Manichäer in Syrien, Palästina, Ägypten, Griechenland, Rom und Nordafrika unterteilt. Zu den Schriften, die in diesen Ländern von den Manichäern selbst geschrieben wurden, zählt außer dem schon erwähnten Kölner Mani-Kodex auch der sogenannte »Mani-Fund«, der 1929 im Sumpfgebiet im unteren Nil gemacht wurde.9 Seine Kodizes bestehen aus insgesamt ca. zweitausend Blättern (viertausend Seiten) und enthalten: (1) »die Kephalaia (Hauptstücke) des Lehrers [sc. Manis]«, (2) eine Homiliensammlung, (3) ein Psalmenbuch, (4) eine Sammlung der Briefe Manis, (5) die »Kephalaia der Weisheit Manis meines Herrn« u.a. (insgesamt sieben Schriften).10 Darunter wurde (3) damals vom amerikanischen Manuskriptensammler Ch. Beatty gekauft und befindet sich nach vielem Hin und Her jetzt in Dublin. Für die zweite Hälfte gibt es bereits eine Textedition mit englischer Übersetzung.11 Die erste Hälfte ist bis jetzt weder ediert noch übersetzt worden. Die anderen Kodizes wurden nach Berlin transportiert, gingen aber während des Kampfes um Berlin am Ende des zweiten Weltkriegs teilweise spurlos verloren. Vom erhalten gebliebenen Rest liegt uns zwar für (2) sowohl der koptische Text als auch die deutsche Übersetzung vor12, für (1) sind die Editions- und Übersetzungsarbeit noch im Gange.13 Inhaltlich ist (2) eine Sammlung von in manichäischen Gemeinden gehaltenen Predigten, (3) eine Sammlung von Psalmen für die Rezitation und (1) eine Sammlung von Nacherzählungen und Erläuterungen des Mythos und der Lehre des Manichäismus. Keine der Schriften legt also den manichäischen, geschweige denn den originalen Mythos selbst dar. Die Kodi—————

9 Vgl. C. Schmidt/H.J. Polotsky, Ein Mani-Fund in Ägypten. Originalschriften des Mani und seiner Schüler, Berlin 1933. 10 Dazu Näheres vgl. bei S.N.C. Lieu, Manichaeism in Mesopotamia and the Roman East, Leiden 1994, 64–78. 11 C.R.C. Allberry, (ed. and transl.), A Manichaean Psalm-Book, part II, Manichaean Manuscripts in the Chester Beatty Collection Vol. II, Stuttgart 1938. 12 H.J. Polotsky/H. Ibscher (Hg. und Übers.), Manichäische Homilien, Manichäische Handschriften der Sammlung A. Chester Beatty Bd. I, Stuttgart 1934. 13 C. Schmidt/H.J. Polotsky (Hg. und Übers.), Kephalaia Bd. I, Manichäische Handschriften der staatlichen Museen Berlin, Stuttgart 1940; A. Böhlig (Hg. und Übers.), Kephalaia, zweite Hälfte, Lieferung 11/12, Stuttgart 1966; W.-P. Funk, Kephalaia I, zweite Hälfte, Lieferung 13/14, Stuttgart 1999, Lieferung15/16, 2000.

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zes sind aber wegen ihres Alters (4. Jh.n.Chr.) für dessen Rekonstruktion sehr wichtig und unentbehrlich. Außer den genannten original manichäischen Quellen gibt es nur noch indirekte Zeugnisse von außenstehenden Beobachtern. Einige wurden aus bibliographischem Interesse aufgeschrieben, die meisten aber mit polemischem Zweck. Wir beschränken uns auf relativ zusammenhängende und wichtige Quellen. Unter den auf Syrisch verfassten Quellen ist das Scholienbuch von Theodor bar Konai, von dem schon die Rede war, für uns am wichtigsten, denn es gibt den manichäischen Mythos in einer ziemlich zusammenhängenden Form wieder. In den Schriften Ephraems des Syrers (gest. 373 n.Chr.) »Gegen die Häretiker« und »Hymnen gegen die Häretiker« findet sich auch eine Widerlegung Manis. Auch in der Chronik Michaels, des Erzbischofs der syrischen (jakobitischen) Kirche in Antiochien im zwölften Jahrhundert n.Chr., ist ein Abschnitt der Widerlegung der Lehre der Manichäer gewidmet.14 Auf Griechisch verfasste Quellen gibt es eine ganze Menge. Als von Christen stammendes Zeugnis ist ein Pastoralbrief sehr bekannt, der unmittelbar vor 300 n.Chr. von einem anonymen alexandrinischen Bischof an die Gemeinden seiner Diözese gerichtet wurde. Mit seinem Brief verurteilt der Bischof die Lehre der Manichäer als ein »Gräuel« (bdelygma). Der Brief ist sehr kurz, aber sehr wichtig, weil er nachweist, dass der Manichäismus kaum ein Vierteljahrhundert nach Manis Hinrichtung bis nach Ägypten gelangt und schon eine große Gefahr für die dortige christliche Kirche geworden ist.15 Die Schnelligkeit der Verbreitung des Manichäismus nach Westen ist wirklich erstaunlich. In der ersten Hälfte des anschließenden vierten Jahrhunderts n.Chr. wurde das antimanichäische Werk Acta Archelai geschrieben. Der Verfasser Hegemonius war wohl syrischer Herkunft. Er muss dieses Werk aufgrund selbst gesammelter, vertrauenswürdiger Überlieferungen über den Manichäismus verfasst haben. Arkelaus, die Hauptperson seiner Darstellung, ist ein katholischer Bischof, der es wagt, eine öffentliche Disputation mit Turbo, einem Jünger Manis, und sogar auch mit Mani selbst zu führen und dabei den Sieg davonträgt. Das ursprüngliche griechische Manuskript ist bis auf wenige Bruchstücke verloren gegangen. Als Ganzes ist es nur noch in einer lateinischen Übersetzung erhalten.16 Als weitere Zeugnisse aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts n.Chr. liegen vor: Cyrillus von Jerusalem »Katechesen« 6,17 Serapion von Thmuis (Ägypten) »Streitschrift gegen die Manichäer«18, Didymus der Blinde »Ge—————

A. Adam, (Hg.), Texte zum Manichäismus, KlT 175, Berlin 21969, 79–81. Vgl. Ebd., 52–54. 16 Hegemonius, Acta Archelai, GCS 16, Ch. H. Beeson (Hg.), Berlin 1906. 17 A. Adam, Texte zum Manichäismus, 58f. 18 Ebd., 59. 14 15

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gen die Manichäer« (in lat. Übersetzung erhalten), Titus von Bostra »Gegen die Manichäer« (in syr. Übersetzung vollständig erhalten).19 Epiphanius von Salamis, der im Anschluss an Irenäus und Hippolyt von Rom für die Widerlegung einer ganzen Reihe häretischer Sekten das umfangreiche Werk »Panarion« (Arzneikasten) verfasste, widmete das ganze 66. Kapitel den Manichäern.20 In der Mitte des fünften Jahrhunderts n.Chr. widerlegte Theodoretus von Cyrus (Nordsyrien) im ersten Buch seines Werkes »Kompendium häretischer Erfindungen« (Hareticarum fabularum compendium) den Manichäismus.21 Auch Severus, Erzbischof zu Antiochien im Anfang des sechsten Jahrhunderts n.Chr., hielt eine lange Predigt (Nr. 123) zur Widerlegung des Manichäismus.22 Außerdem ist eine Anzahl verschiedener Verfluchungsformeln erhalten, die die Manichäer mit Gottes Fluch belegen. Sie sind fast alle anonym verfasst und stammen aus dem sechsten bis dem neuten Jahrhundert n.Chr.23 Unter den von nichtchristlichen Autoren stammenden Zeugnissen ist zuallererst Alexander von Lykopolis’, »Über die Lehrsätze der Manichäer«24 zu nennen. Der Verfasser Alexander war ein Neuplatoniker und wirkte gegen Ende des dritten Jahrhunderts n.Chr. Sein Werk ist auch wichtig, weil es über den manichäischen Mythos in einer zusammenhängenden, wenn auch in einer zur philosophischen Argumentation neigenden Form berichtet. Es beweist außerdem genauso wie der vorhin erwähnte Hirtenbrief des anonymen Bischofs von Alexandrien eindeutig, dass der Manichäismus schon Mitte des dritten Jahrhunderts n.Chr. nicht nur bis Ägypten und sogar bis zum Mittellauf des Nils hinauf gelangt war, sondern offensichtlich auch einen sehr großen sozialen Einfluss ausübte, so dass ein Neuplatoniker ihn nicht übergehen konnte. Auch der Neuplatoniker Simplikius widerlegt in Kapitel 27 seiner »Einführung ins Handbuch der Ethik des Epiktetos« (6. Jh.n.Chr.) die Manichäer. 25 Im bekannten Wörterbuch der byzantinischen Zeit »Suidas« (10. Jh.n.Chr.) findet sich auch ein Artikel über Mani (»Manes«). Unter den lateinischen Zeugnissen sind natürlich die antimanichäischen Schriften Augustins am wichtigsten: De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum (2 Bücher, 387/9 n.Chr.); De libero arbitrio (3 ————— 19 20

Ebd., 60. Epiphanius of Salamis, The Panarion (sects 47–80), transl. F. Williams, Leiden 1994, 219–

308.

21

A. Böhlig (Hg. u. Übers.), Die Gnosis III, Zürich/München 1980, 137f. F. Cumont, Recherches sur le Manichéisme I-III, Bruxelles 1908–1912 (hier bes. II). 23 A. Adam, Texte zum Manichäismus, 93–103. 24 Alexander of Lycopolis, An Alexandrian Platonist against Dualism. Alexander of Lycopolis’ Treatise »Critique of the Doctrines of Manichaeus«, transl. by P.W. Van der Horst and J. Mansfeld, Leiden 1974; Alexander de Lycopolis, Contre la doctrine de Mani, trad. par A, Villey, Paris 1985; A. Böhlig (Hg. u. Übers.), Die Gnosis III, 130–137. 25 A. Adam, Texte zum Manichäismus, 71–74. 22

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Bücher, 388/95 n.Chr.); De Genesi contra Manichaeos (2 Bücher, 388/9 n.Chr.); De vera religione (um 390 n.Chr.); De utilitate credendi (um 391 n.Chr.); De duabus animabus (um 392 n.Chr.); Acta seu disputatio contra Fortunatum Manichaeum (392 n.Chr.); Contra Adimantum (394 n.Chr.); Contra epistolam quam vocant fundamenti (397 n.Chr.); Contra Faustum Manichaeum (33 Bücher, 397/400); De actis cum Felice Manichaeo (2 Bücher, 398 n.Chr.); De natura boni (399 n.Chr.); Contra Secundinum Manichaeum (399 n.Chr.). 26 Die zuerst genannte Schrift De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum bietet vor allem sehr kostbare Informationen darüber, wie die manichäische Lebensführung mit ihrem Mythos zusammenhängt.27 Ebenso wie griechische sind auch lateinische Verfluchungsformeln erhalten. Sie sind in der Länge sehr unterschiedlich und stammen weitgehend aus der Zeit vom Ende des vierten bis dem siebenten Jahrhundert n.Chr.28 Darunter findet sich auch eine Verfluchungsformel, die im Namen einer Synode der lateinischen Kirche (Synode zu Braga 561 n.Chr.) verfasst wurde. Übrigens wurde das erste Edikt eines römischen Kaisers, das den Manichäismus verbot, dreiundzwanzig Jahre nach Manis Tod am 31. März 297 n.Chr. (nach anderer Ansicht 302) von Diokletian erlassen. Die Manichäer wurden darin »das uns widrige persische Geschlecht« (Persica adversaria nobis gens) genannt.29 Ungefähr zur gleichen Zeit war der Beginn der großen Christenverfolgung. Am 2. März 327 n.Chr. erließ Valentinian I das Edikt, das die Manichäer aus Rom auswies (mit Strafgeld und Konfiskation) und am 8. Mai 381 n.Chr. erließ Theodosius I das Edikt, das die Todestrafe über die Manichäer verhängte (Cod. Theod. XVI 5,7; Erneuerung am 31. März 382 n.Chr.). Am 12. Februar 405 n.Chr. wurden die zuvor erlassenen Edikte gegen die Manichäer von Honorius erneuert. Am 23. Oktober 425 n.Chr.wies Valentinian III die Manichäer aus Rom aus. Sie durften sich der Stadt nur bis auf 100 km nähern. 428 n.Chr. verbot Thedosius II den Aufenthalt der Manichäer in Rom. 445 n.Chr. erneuerte Valentinian III die zuvor erlassenen Edikte gegen die Manichäer und 527 n.Chr. wiederholte Justinian I dasselbe unter Einschluss der Apostaten.

1.3 Der Manichäismus im Osten Für die Quellen, die im Osten von den Manichäern selbst stammen, sind als Erste die Turfan-Schriften zu nennen. Die Ausgrabung der Grabhügel von ————— 26 Nach B. Altaner/A. Stuiber, Patrologie. Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter, 8. Aufl., Freiburg i.Br. 1978, 427. 27 Vgl. Abs. 4 dieses Kapitels und Abs. 1 des nächsten Kapitels, bes. S.199. 28 A. Adam, Texte zum Manichäismus, 90–93. 29 Ebd., 83.

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Turfan (chin. Tulufan ⚟淾埒) und der Schlossruinen von Gaochang (浧㢛 ♳⩝) hatte mit der russischen Expedition im 18. Jh. begonnen. Weitere Expeditionen folgten bis zur offiziellen Ausgrabung durch die Volksrepublik China 1975. Dabei wurden viele archäologische und kunsthistorische Funde freigelegt. Dazu gehören auch die mittelpersischen, mitteltürkischen und sogdischen Schriftstücke, die zu Beginn des 20. Jh. von der deutschen Ausgrabungsmannschaft gefunden wurden. Darunter waren auch manichäische Schriften. Sie bestehen aus verschiedenen literarischen Gattungen wie Texte für die Katechese, Hymnen, Gebete, rituelle Formeln usw. Sie sind allerdings sehr fragmentarisch. Sie wurden, soweit ich weiß, nach Berlin gebracht. Bald begann man, sie zu edieren, angefangen mit F.W.K. Müller, »Handschriften-Reste in Estrangelo-Schrift aus Turfan, ChinesischTurkistan I–II« (Berlin 1904). Aber nach dem Beitrag von F.C. Andreas, »Mitteliranische Manichaica aus Chinesisch-Turkestan« (Berlin 1932– 1934)30 wurde die Arbeit wegen des zweiten Weltkriegs unterbrochen. W. Sundermann hat sie 1981 wieder aufgenommen. Heute sind folgende Texte zugänglich: Berliner Turfantexte IV (Kosmologie und Parabel), XI (Manichäische Kirchengeschichte), XV (Parabelsammlung), XVII (Homilien). Die ganze Arbeit ist, soweit mir bekannt, noch nicht abgeschlossen.31 Fast parallel zur Ausgrabung in Turfan wurde auch mo gao ku (嘺浧䴮) in Dun huang (㟵䏛) bis 1915 insgesamt dreimal von Engländern (M.A. Stein), Franzosen (P. Pelliot) und Japanern (Otani-Expedition) untersucht. Unter den unzähligen Schriften (Dun huang-Schriften), deren Existenz dabei erst entdeckt wurde, war eine auf Altchinesisch verfasste Rolle enthalten. Sie trägt den Titel »Moni guangfo jiao fayi lue yi juan« (㛸⻋⏘⅞ 㟨㽤⎏䟴₏り: »Kompendium der wahren Lehre Manis des Lichtbuddha). Es handelt sich sicher um eine Übersetzung aus einer Vorlage. Da das Datum der Übersetzung und der Name des Übersetzers angegeben sind, wissen wir, dass die Rolle aus dem achten Jahrhundert n.Chr. stammt. Sie wird seitdem abgekürzt »Fo-fayi-lue« (㽤⎏䟴) und auf Deutsch »Londoner Hymnenrolle« genannt, weil sie jetzt im British Museum aufbewahrt wird (Br. L. Or. Stein 2659). Ihr Inhalt besteht aus fünfundzwanzig Hymnen. Nach M. Tardieu ist sie »eine Adaption der parthisch-manichäischen Poesie

—————

30 Aus dem Nachlass,W.B. Henning (Hg.), Sonderausgabe aus den SPAW.PH, 1932 X, 1933 VII, 1934 XXVII, Berlin 1932–1934. 31 W. Sundermann (Hg.), Berliner Turfantexte IV, Berlin 1993, XI 1981, XV 1985, XVII 1992; Vgl auch ders., Mittelpersische und parthische kosmogonische und Parabeltexe der Manichäer, Berlin 1973. Über die türkischen Quellen gibt es übrigens auch eine Studie eines Japaners: T. Moriyasu, Die Geschichte des uigurischen Manichäismus an der Seidenstraße. Forschungen zu manichäischen Quellen und ihrem geschichtlichen Hintergrund, Wiesbaden 2004.

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auf das Milieu der buddhistischen und gegenwärtigen Kultur« des damaligen China.32 Außerhalb des Manichäismus gibt es einige Zeugnisse und Berichte von arabisch schreibenden Moslems. Das wichtigste darunter ist das schon erwähnte Fihrist (Ende des 10. Jh.n.Chr.) von An Nadim. Es gibt den manichäischen Mythos in einer ebenso gut zusammenhängenden Form wieder wie Theodor bar Konai und steht deshalb an Wichtigkeit diesem in nichts nach. Weiter liegt das Zeugnis Mas‘udis vor, dem großen Gelehrten, der in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts n.Chr. wirkte. Er bereiste nicht nur die arabischen Länder, sondern auch Iran und Indien. Er gelangte bis ans Kaspische Meer und verfasste aufgrund seiner Erfahrungen und Informationen ein enzyklopädisches Riesenwerk »Informationen der Zeit« (AkhbƗr al-zamƗn; 30 Bücher). Obwohl dieses Werk selbst zerstreut wurde und verlorenging, sind von ihm Exzerpte wie »Die goldene Wiese« (Murnjj al-dhahab) erhalten. Darin findet sich ein Bericht über die Manichäer in Zentralasien, auf den wir später zurückkommen werden. Auch der persische und moslemische Gelehrte Biruni, der in der ersten Hälfte des elften Jahrhunderts n.Chr. wirkte, hinterließ eine Menge Schriften über Astronomie, Mathematik, Geographie, Pharmazie, Mineralogie, Philosophie usw. Darunter kommen für uns zwei Werke in Frage, zum einen die »Chronologie der orientalischen Völker«, die über Kalender und Festtage verschiedener Völker von Griechenland bis China berichtet, und zum anderen das sogenannte »Indienbuch« (um 1030), das er aufgrund seiner Erfahrungen und Informationen verfasste, die er auf seiner Reise nach Indien mit Sultan Mahmud über die Religion und Wissenschaft der Inder gewonnen hatte. In diesen zwei Werken kommt Biruni unter anderem auch auf die Manichäer zu sprechen.33 Außerdem geht auch Schahrastani, ein sunnitischer (AschǥarƯ) Theologe (1076–1153), in seinem Werk über die religiösen und philosophischen Sekten auf die Manichäer ein.34

2. Der manichäische Mythos und der Neid Der manichäische Mythos und der Neid 2.1 Eine Rekonstruktion des Mythos Es ist nun angebracht, anhand der direkten oder indirekten Zeugnisse und Berichte, die sich inner- und außerhalb des Manichäismus finden lassen, den manichäischen Mythos in seiner möglichst ursprünglichen Form zu ————— 32

M. Tardieu, Le Manichéisme, 69f. A. Adam, Texte zum Manichäismus, 26. 34 A. Böhlig, Die Gnosis III, 149–156. 33

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rekonstruieren. Die wichtigsten Quellen dafür sind die Berichte zweier nichtmanichäischer Gelehrter: das Scholienbuch von Thedor bar Konai und das Fihrist von an Nadim. Es ist zwar möglich, aber nicht einfach, sie durch andere Quellen zu ergänzen. Erstens deswegen, weil die Eigennamen sehr häufig an die Namen angeglichen wurden, die in den einheimischen und traditionellen Religionen des Ortes, an den der Manichäismus gerade gelangt war, schon vorhanden waren. Das hat zur Folge, dass sich die Namen der dramatis personae des Mythos je nach Quelle ändern. Deshalb ist bei der Zuordnung Vorsicht geboten. Zweitens sind die Quellen, die zur Ergänzung bereit stehen, meistens fragmentarisch. Deswegen ist es oft sehr schwierig zu beurteilen, was in ihnen erzählt wird und welchem Topos sie im Ganzen des Mythos zuzuweisen sind. Aus diesen Gründen bleibt der Mythos, selbst wenn er mit solchen Ergänzungen rekonstruiert wird, im Grunde ein hypothetisches Gebilde, also ein Idealtypus. Man kann nicht sagen, wie er wirklich gelautet hat und wieweit er auf den historischen Mani selbst zurückgeht. Im Folgenden sei ein solcher Idealtypus vorgelegt. Die Rekonstruktion fußt weitgehend auf der von K. Rudolph schon vorgelegten35, hat aber zugleich einige Unklarheiten, die meines Erachtens bei ihm noch vorhanden sind, beseitigt und verbessert. Um der Bequemlichkeit der folgenden Rückverweise willen sei sie nach Paragraphen nummeriert. §1 Im Anfang war ein prinzipieller Gegensatz von Licht (Gut) und Finsternis (Böse). Dieser Gegensatz ist weder ableitbar noch erklärbar. Das Reich des Lichts liegt im Norden und sein Herrscher wird mit verschiedenen Namen genannt wie »Vater der Größe«, »König des Paradies des Lichts« usw. Sein Wesen manifestiert sich durch fünf Hypostasen: Vernunft, Denken, Einsicht, Nachdenken und Überlegungen. Sie werden auch »Glieder« oder »Äonen« (Welten) genannt. Viele andere Äonen oder Lichtwelten umgeben den höchsten Gott. §2 Die im Süden liegende Finsternis wird auch Hyle (Materie) genannt und hat einen König (Satan) an der Spitze. Es gibt auch hier fünf »Welten«: Rauch, Brand, glühender Wind, Wasser und Dunkelheit. Sie alle werden von Dämonen bewohnt und jeweils von einem von ihnen beherrscht. §3 Innerhalb der Mächte des Finsternis (Hyle) entsteht ein Aufruhr. Infolgedessen geraten sie an die Grenzen des Reiches des Lichts. Dann werden sie von Neid erfüllt und beginnen einen Krieg mit dem Reich des Lichtes. Damit fängt das zweite Stadium des Mythos an, die Vermischung der zwei Prinzipien. Mit Hilfe dreier »Berufungen« bereitet sich ————— 35

K. Rudolph, Die Gnosis, 359–362.

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der Gott des Lichts auf den Kampf mit der Finsternis vor. Diese bilden das Gundgerüst des nachfolgenden kosmischen Dramas. §4 Durch die erste »Berufung« kommen die drei göttlichen Wesen, der »Große Geist« (Sophia), die »Mutter der Lebenden« und der »Urmensch« (pers.: Ohrmazd) hervor. Der Urmensch ist mit fünf Elementen ausgerüstet, Feuer, Wind, Wasser, Licht und Äther, die auch »Rüstung« oder »Söhne« genannt werden. Der Urmensch steigt nieder, kämpft mit der Finsternis, wird aber besiegt. §5 Durch eine zweite »Berufung« rettet der König des Lichts den besiegten Urmenschen. So wird der »Große Baumeister« oder der »Lebendige Geist« (pers. Mithra) hervorgerufen. Dieser bringt seinerseits fünf Söhne (Götter) hervor. Einer davon ist der »Licht-Adamas«. Dem Lebendigen Geist gelingt es, den unten gefangenen Urmenschen zu erwecken und ihn zurückzugewinnen. §6 Seine fünf »Glieder« bleiben aber noch in der Finsternis gefangen. Um sie zu befreien, fängt der Lebendige Geist an, den sichtbaren Kosmos zu schaffen. Er besiegt zuerst die Archonten, die die fünf Glieder des Urmenschen verschlungen haben, und benutzt ihre Körper als Stoff zur Schöpfung der Welt. Aus diesem Stoff werden je nach dem, wieviel Licht verschlungen worden ist, die Gestirne einschließlich der Sonne und des Mondes und die Erde geschaffen. Daraus entsteht der Kosmos als eine große Mischung (corpus mixtum) von Licht und Finsternis. Um die Ordnung im Kosmos zu erhalten, fangen die fünf Söhne des Lebendigen Geistes an zu wirken. Sie stellen jeweils einen Teil unter ihren Schutz. Der Kosmos wird in zehn Himmelsgewölbe und acht Erdteile unterteilt. §7 Im nächsten Schritt muss der Kosmos wie ein Riesenrad gedreht werden, damit die Teile des Lichts aus der Finsternis befreit, ja gleichsam aus ihr heraus »gefiltert« werden. Das geschieht mit Hilfe einer dritten »Berufung«. So ruft der höchste Gott den »Dritten Gesandten« hervor. Sein Aufenthaltsort ist die Sonne. Seine Töchter sind die »Zwölf Lichtjungfrauen«, d.h. der Tierkreis. Der Dritte Gesandte beginnt den Kosmos zu drehen und aus Natur, Feuer, Wind und Wasser heraus die Teile des reinen Lichts einzusammeln. Die so eingesammelten Teile des Lichts gehen an der »Säule der Herrlichkeit«, d.h. der Milchstraße, entlang bis in den Mond. Ist der Mond voll davon (Vollmond), schickt er die Teile des Lichts weiter zur Sonne und nimmt selbst wieder ab bis zum Neumond. Die Teile des Lichts gehen von der Sonne aus weiter in den neuen Äon (Welt) zurück, der vom Lebendigen Geist geschaffen worden ist. §8 Einige Archonten der Finsternis sind noch unbesiegt. In ihnen sind die Teile des Lichts weiterhin eingekerkert. Um ihrer Befreiung willen bedient sich der Dritte Gesandte diesmal eines recht erotischen Manövers.

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Er ist androgyn und zeigt sich den lüsternen männlichen Archonten in der Figur einer schönen jungen, ja nackten Frau. Sie können ihre Lust nicht beherrschen und ejakulieren. Der Dritte Gesandte zeigt sich nun den lüsternen weiblichen Archonten in der Figur eines jungen nackten Mannes. Auch die weiblichen Archonten können sich nicht beherrschen und gebären Missgeburten. Aus dem Samen der männlichen Archonten, die auf das trockene Land gefallen sind, kommen Pflanzen, aus den ins Meer gefallenen ein Ungeheuer hervor. Das Ungeheuer wird vom LichtAdamas besiegt. Genauso werden die auf das trockene Land gefallenen Missgeburten der weiblichen Archonten zu verschiedenen Dämonen und ernähern sich von Früchten der Pflanzen. Dadurch werden die in den Pflanzen enthaltenen Teile des Lichts in den Körpern der Dämonen gespeichert. Durch ihren Geschlechtsverkehr entsteht die Tierwelt. Auf diese Weise sind die Teile des Lichts sowohl in Pflanzen als auch in Tieren und auch in Dämonen enthalten. Daraus ergibt sich ein eigenartiger Animismus, ein Spezifikum der manichäischen Kosmologie, der an späterer Stelle behandelt wird. §9 Die Finsternis fürchtet sich davor, dass die Teile des Lichts vollständig zurückgeholt werden. Als Gegenmaßnahme gegen den Dritten Gesandten erschafft sie nun einen fleischlichen Menschen. Das Dämonenpaar Saklas (männlich, auch Asaklun genannt) und Nebroel (weiblich) entsteht. Beide haben Geschlechtsverkehr, um nach dem Modell des androgynen Dritten Gesandten das erste Menschenpaar Adam und Eva zu schaffen. Dazu hat Saklas vorher alle anderen Dämonen verschlungen, so dass nun alle Teile des Lichts, die bis dahin in jenen enthalten waren, in ihm allein gesammelt sind. Alle diese Teile des Lichts gehen jetzt in Adam und Eva über, was bedeutet, dass unter allen irdischen Lebewesen die Teile des Lichts im ersten Menschenpaar am dichtesten vorhanden sind. §10 Auch die Welt des Lichts beginnt einen Gegenangriff. Sie ruft durch den Dritten Gesandten den »Glanz-Jesus« hervor. Er wird zu Adam geschickt, offenbart ihm alles und schenkt ihm Erkenntnis über das Heil. Damit scheitert der Plan der Welt der Finsternis wieder. Um auch die ganze aus Adam entstandene Menschheit zu retten, ruft der GlanzJesus seinerseits den »lichten Verstand« (nous; pers. das große MannjhmƝd) hervor. Dieser ist der Vater aller Apostel und kommt mit seiner Botschaft zur Menschheit, um sie zu erlösen. Durch den »lichten Verstand« erkennt die menschliche Seele sich selbst. §11 So wird die menschliche Seele befreit und kann jetzt in ihre Heimat zurückgehen. Die Seele aber, die noch nicht zu ihrem wahren Selbst erweckt ist, muss sich in immer neuen Lebewesen auf Erden verkörpern, bis sie endlich gerettet wird, was vielleicht erst am Ende des Universums

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der Fall sein wird. Das Ende kommt, wenn die Rückgewinnung der Teile des Lichts weitgehend abgeschlossen ist. §12 Um die Rückgewinnung innerhalb der Geschichte der sichtbarirdischen Welt fortzusetzen, kommen aus der Welt des Lichts Offenbarer (Apostel) in verschiedener Gestalt, je nach Zeit und Ort, herab. Im Alten Testament zählen dazu Seth, Noah, Enoch, Sem und Abraham, in Indien Buddha, in Persien Zoroaster und in Palästina Jesus. Nach Griechenland wird Paulus gesandt. Von Manis Standpunkt aus betrachtet sind diese Apostel schon alle gekommen. Mani selbst ist ihre Vollendung und »Besiegelung«. §13 Wenn das Ende des Universums kommt, wird der »Glanz-Jesus« als König erscheinen und das Endgericht über die Welt halten. Das ganze Universum wird durch einen Weltbrand vernichtet werden. So werden die allerletzten Teile des Lichts gereinigt werden. Die Hyle (Materie) wird gebunden werden. Weitere Maßnahmen werden getroffen, damit kein neuer Kosmos entsteht. Auf diese Weise wird der Urzustand wiederhergestellt und gefestigt werden. Die manichäische Protologie besteht also darin, dass sie die zwei absolut gegensätzlichen Prinzipien »Licht« (Gut) und »Finsternis« (Böse) einfach voraussetzt und aus ihrer Vermischung, gleichsam aus einer kosmologischen Tragödie, die Entstehung des sichtbaren Universums und des Menschen ableitet. Deshalb ist das gegenwärtige Universum samt allem Bestehenden ein corpus mixtum. Das zeichnet das »Jetzt« der Manichäer aus. Die zwei Prinzipien werden aber bald in kosmischem Ausmaß wieder voneinander getrennt und das eingesammelte (gefilterte) Licht kehrt in seinen Urzustand zurück. Erst dann ist die Erlösung der einzelnen Menschen (Manichäer) vollendet. Das ist ihre eschatologische Erwartung. Die ganze Geschichte des Universums wird als Vermischungs- und Trennungsprozess der zwei Prinzipien »Licht« und »Finsternis« verstanden, die beide gleiches Gewicht haben. Darin zeigt sich der große Einfluss der traditionellen Lehre des Zoroastrismus. Der hier rekonstruierte manichäische Mythos nimmt die zoroastrische Sicht als Grundlage und baut darauf ein eigenes mythologisches System auf, indem er Elemente der griechischen Philosophie, des Judentums (Altes Testament) und des Christentums (Neues Testament) aufnimmt. So entsteht ein eigentümliches mythologisches System mit einer erstaunlichen logischen Geschlossenheit. Außerhalb des Mythos entwickelten die Manichäer eine Gemeindeordnung, die zwischen Klerikern (Erwählten/electi) und Laien (Hörern/auditores) hierarchisch unterschied und beide verschiedenen Gesetzen unterstellte. Dies alles mutet sehr buddhistisch an. In der Tat könnte der Buddhismus dafür Modell gestanden sein. Alles in allem ist das System des Manichäismus der Höhepunkt der spätantiken

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Gnosis. In Bezug auf die systematische und logische Geschlossenheit kommen ihm meines Erachtens nur zwei andere gleich: Plotin und Origenes, beide Zeitgenossen Manis. Insofern kann man den Manichäismus als Höhepunkt des »spätantiken Geistes« (H. Jonas) überhaupt bezeichnen. Es ist nicht verwunderlich, dass die beiden Neuplatoniker, Alexander von Lykopolis und Simplikius, wohl auf seine Systematik neidisch wurden und ihn deshalb mit so großer Vehemenz widerlegten. 2.2 Aussagen über den Neid Welche Rolle spielt nun der Neid im soeben rekonstruierten manichäischen Mythos? Er wird nur einmal im Paragraphen 3 erwähnt. Es handelt sich dabei um den Neid, den die Mächte der Finsternis (Hyle) gegen das Reich des Lichts hegen. Er ist die erste Ursache (causa actionis), die über eine Reihe von Zwischenereignissen zur Vermischung von Licht und Finsternis führt. Für diesen Neid gibt es in den koptischen Manichaica zwei Belegtexte. Einer davon ist Psalm 263 im Manichäischen Psalmenbuch, in dem die manichäische Gemeinde in der ersten Person Singular als »Ich« folgendermaßen zum »heiligen Vater« im Reich des Lichts und zu »meinen Bräutigam«, d.h. Jesus, betet: § 75 Das manichäische Psalmenbuch 263 Lass mich, Heiliger Vater, dein Bild (eikǀn) wieder sehen, das ich sah, noch bevor die Welt (kosmos) geschaffen wurde, noch bevor die Finsternis begann, Neid (phthonos) gegen deinen Äon zu hegen. Wegen des Bildes wurde ich für mein Reich ein Fremdling. Ich habe dessen Wurzel abgeschnitten und bin siegreich in die Höhe emporgestiegen. Reinige mich bitte, mein Bräutigam, Erlöser, mit deinem Wasser, […] voll von Gnade (charis). Ich bin der Menge entflohen.36

Ein anderer Belegtext ist Kapitel 73 aus Kephalaia. Soweit mir bekannt ist, denkt dieser Text in den koptischen Manichaica am intensivsten über den Neid nach und legt seine Wirkungen dar. Das Kapitel ist sehr lang und trägt den Titel »Über den Neid (phthonos) der Hyle«. Das Subjekt des Neides ist in der Tat immer die »Hyle«. Es folgt zunächst nur der Teil, der in der Erzählhandlung des manichäischen Mythos eine Entsprechung hat:

————— 36

C.R.C. Allberry, A Manichaean Psalm-Book II, 79, 24–31.

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§ 76 Kephalaia 73 Wiederum sprach der Apostel [sc. Mani] zu seinen Jüngern: (1) Der ganze Neid ist die erste Natur (physis), die in den Welten der Finsternis entstand. (2) In diesem Neid […] in ihm, der Urmensch […] ihr Gift, […] ihre Schlechtigkeit. Seine Gewänder [sc. Rüstung] [...] sie hat sie (plur.) abgeschnitten, gezogen [...] (3) sie hat das erste Bild (eikǀn) des Gesandten beneidet (phthonein), das er ihr offenbart hat in der Höhe droben in seiner Gestalt, die sie gesehen hat. Sie hat das Siegel und das Bild des Fleisches geschaffen und den Charakter jenes Bildes in das Fleisch gelegt, ihr eigenes Erzeugnis. – (4) Das dritte Mal hat sie Adam beneidet (phthonein), den ersten Menschen, sie hat von ihm Kraft genommen und sie erzeugt aus einer [Rippe des Fleisches (?)] des Adam. – (5) Das vierte Mal hat sie beneidet (phthonein) alle Erstgeborenen und Urväter Christi, des Seligen (makarios), der der Vater aller Apostel ist. Seine [Geduld] aber hat sie beneidet (phthonein) am Holz des Kreuzes (stauros).37

In diesem Paragraphen werden die wichtigen Wendepunkte der Erzählhandlung des manichäischen Mythos jeweils mit dem Neid der Hyle in Zusammenhang gebracht. Der Text selbst nennt den Neid viermal expressis verbis. Aber ganz am Anfang (1) wird gesagt: »Der ganze Neid ist die erste Natur (physis), die in den Welten der Finsternis entstand«. Damit muss genauso wie im Paragraphen 75 der Neid gemeint sein, den die Finsternis im Uranfang gegen das Reich des Lichts gehegt hat. Zählt man auch diesen Neid mit, ist hier insgesamt fünfmal (1) bis (5) vom Neid die Rede. Vergleicht man das mit den Paragraphen des im vorigen Abschnitt rekonstruierten Mythos, so entspricht (1) dem urangfänglichen Neid der Finsternis § 3, (2) dem Neid gegen den Urmenschen § 4, (3) dem Neid gegen den Dritten Gesandten § 8–9, (4) dem Neid gegen den ersten Menschen Adam § 9–10, und schließlich (5) dem Neid gegen alle Offenbarer und Erweckten § 12. Für (3), den Neid gegen den Dritten Gesandten, gibt es auch im Bericht von Alexander von Lykopolis »Über die Lehrsätze der Manichäer« einen weiteren Beleg: Es erscheine aber in der Sonne ein Bild [sc. des Dritten Gesandten], derart, wie die Gestalt des Menschen ist, und die Hyle habe aus Neid aus sich heraus den Menschen gemacht entsprechend ihrer Vermischung mit der ganzen göttlichen Kraft und so habe auch er etwas von der Seele. Besonders trage die Gestalt dazu bei, dass mehr als die anderen sterblichen Lebewesen der Mensch an der göttlichen Kraft Anteil habe; denn er sei ein Bild göttlicher Kraft.38

Meines Erachtens lässt sich in den erhaltenen Quellen keine weitere NeidAussage, die mit der Erzählhandlung des Mythos direkt zusammenhängt, ————— 37 38

C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, 178,25–179,12. A. Böhlig, Die Gnosis III, 132. Ergänzung und Veränderung von Onuki.

Der manichäische Mythos und der Neid

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finden. Es gibt allerdings einige Aussagen, die zwar keine im engeren Sinne mythologische Relevanz aufweisen, die aber das Selbstverständnis der Manichäer als »die von der Hyle (Materie, dem Satan) Beneideten« ausdrücken. Das Kapitel 73 der Kephalaia handelt im an den Paragraphen 76 unmittelbar anschließenden Teil vom Neid der Hyle auf die »Väter der Gerechtigkeit«, auf Mani, der zur letzten Generation der Gesandten gehört, und auf seine »ganze Gemeinde und die ganze Versammlung der Katechumenen« (179,12–21). Auch in den Manichäischen Homilien ist immer wieder vom Neid des Satans auf Mani die Rede. Dem nächsten Paragraphen zufolge ist der Tod Schahpuhrs I., der Mani die Verkündigung seiner neuen Religion erlaubte und ihn schützte, ein Werk des Satans, – wenn die vorgeschlagene Ergänzung des Textes zutrifft: § 77 Die Manichäischen Homilien 91,4–9 Wieviel Länder habe ich durchforscht, wieviel Städte, [indem ich] meine Tochter [suchte], die ich liebe; bis […] mich traf in den Jahren des Königs Schahpuhr. [Der Satan] wurde neidisch und raffte ihn schnell hinweg. Sein Sohn setzte sich die Krone aufs Haupt an seiner Statt […] mir sehr während seiner Regierung, indem […]39

Wegen der letzten Lücke ist nicht mehr auszumachen, ob mit »Sein Sohn« Ohrmuzd (273/274 n.Chr.) oder Bahram I. (274–277 n.Chr.) gemeint ist. Wäre der Letztere gemeint, könnte man die vorausgehende Lücke etwa so ergänzen: »und verhielt sich mir gegenüber feindselig.« Aber dieselben Manichäischen Homilien sprechen an anderer Stelle (42,11–16) von der Thronbesteigung Ohrmuzds. Wäre deshalb auch hier Ohrmuzd gemeint, könnte man lesen: »und war mir freundlich gesinnt«. Auf jeden Fall erklärt des Satans Neid, warum Mani so »schnell« seinen größten Helfer verlieren musste. Auch sonst finden sich Aussagen, dass es der Satan sei, der die Herrscher dieser Welt aus Neid die Manichäer verfolgen lasse (76,13–15; 78,10). Interessanterweise wird auch Judas’ Verrat in diesem Zusammenhang wiederholt erwähnt, wobei Judas im Anschluss an Mk 15,10/Mt 27,18 als Werkzeug des Neides der Schriftgelehrten gegen Jesus bezeichnet wird.40 Aber hinter beiden, sowohl Judas als auch den Juden, steht der Satan und manipuliert sie.41 Umgekehrt wird vom Neid auch als von einem Laster gesprochen, das in jedem Menschen, solange er aus der materiellen Welt stammt, wohnt. Auch ————— 39

H.J. Polotsky/H. Ibscher, Manichäische Homilien, 91,4–9. C.R.C. Allberry, A Manichaean Psalm-Book, part II, S.195, Z.23. 41 C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, S,12, Z.29–31. 40

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die Manichäer selbst sind nicht frei von ihm, solange sie mit Fleisch und Körper in dieser Welt leben, d.h. Teil der Mischung von Licht und Finsternis sind. Das Kapitel 129 der Kephalaia thematisiert den Neid in diesem Sinne (allerdings sehr lückenhaft). Ähnlich steht es auch mit dem Kapitel 165, das den Titel trägt: »Der Neid (phthonos) existiert in fünferlei Gestalt« und diese Behauptung ausführlich begründet. In Kapitel 63 ist vom »Neid, der vom Neid stammt« die Rede.42 Das Kapitel 86 gibt ein Gespräch Manis mit einem geistig unstabilen Gläubigen wieder. Darin wird auch der Neid besprochen. Ein manichäisches Fragment aus Turfan (T III 260 c R II) erwähnt den Neid auch in diesem Sinne.43 Soweit der Überblick über die manichäischen Quellen – hauptsächlich die koptischen – unter dem Aspekt des Neides. Man könnte den Eindruck bekommen, dass hier der Neid stärker als im Mythos des syrischägyptischen Typs mit dem Grundgerüst des Mythos verbunden wäre. Diesen Eindruck könnte vor allem der Paragraph 76 erwecken. Aber beide Kronzeugen des manichäischen Mythos, das Scholienbuch von Theodor bar Konai und das Fihrist von An Nadim, erwähnen den Neid nicht. In den von ihnen berichteten Versionen des manichäischen Mythos lässt sich keine Szene finden, in der die Handlung der Akteure auf der Seite der Finsternis mit dem Neid begründet wird. Es ist zwar richtig, dass im Paragraphen 3 des vorher rekonstruierten Mythos die Finsternis auf das Licht neidisch wird, indem sie in seine Nähe gerät. Aber gerade hier haben wir es mit einer Ergänzung zu tun, die erst aufgrund vom Paragraphen 75 möglich ist (vgl. v.a. den kursiv gesetzten Satz). Die Möglichkeit, dass der manichäische Originalmythos den Neid überhaupt erwähnt, stützt sich nur auf diesen Topos. Die Möglichkeit, dass auch in anderen Topoi eine bestimmte Handlung des jeweiligen Akteurs der Macht der Finsternis aus Neid erklärt wird, ist theoretisch von vornherein klein. Denn der Neid ist im manichäischen System ein Teil des Prinzips der Finsternis, das mit dem Licht von Anfang an, d.h. prinzipiell (in principio!), nichts zu tun hat, sozusagen ein »Außenprinzip« bleibt und ihm mit gleichem Gewicht gegenübersteht. Dieses »Außenprinzip« entsteht nicht wie im syrisch-ägyptischen Mythos aus einem Bruch, der im Inneren der Welt des Lichts selbst stattgefunden hat (vgl. oben § 13). Deswegen kann auch der Neid kein inneres Strukturprinzip des Mythos werden. Genauer gesagt kann er die Handlung der Akteure der Macht der Finsternis nicht von innen her begründen. Das zeigt sich ganz eindeutig daran, dass selbst im Paragraphen 76 in allen Einzelszenen die Hyle, eins der zwei von vornherein existierenden Urprinzipien, unverändert das Subjekt des Neides bleibt. Als These kann deshalb jetzt formuliert wer—————

42 C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, S.156, Z.32f; Vgl. auch § 44: »Neid, der anderen Neid beneidet«. 43 F.C. Andreas, Mitteliranische Manichaica aus Chinesisch-Turkestan, 196; A. Böhlig, Die Gnosis III, 115.

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den: Im manichäischen Texten bildet der Neid im Unterschied zu Texten des syrisch-ägyptischen Typs44 kein Strukturpzinzip des Mythos. Es ist zwar wahr, dass das Selbstverständnis der Manichäer als »die von der Hyle (Materie, dem Satan) Beneideten« mit dem der Gnostiker des syrisch-ägyptischen Typs als »den von der Welt Beneideten«45 in Parallele steht. Auch die Manichäer sind sich, wie schon bemerkt, ähnlich wie die Gnostiker des syrisch-ägyptischen Typs46 des Neides in ihrem eigenen Inneren durchaus bewusst. Aber dieser Neid übt seine Kraft nur insofern aus, als der Mensch mit seinem Körper und Fleisch unter der Herrschaft des Außenprinzips, der Hyle, steht. Keine, weder eine bewusste noch eine unbewusste Bemühung um eine tiefendynamische Integration des Neides, wie sie in der syrisch-ägyptischen Gnosis angestrebt wird, ist bei den Manichäern erkennbar, den zahlreichen Quellen zum Trotz. Der Eindruck, dass ihr Menschenverständnis ziemlich optimistisch sei, beruht wohl auf demselben Grund.

3. Affinität zur Politik Affinität zur Politik Es wurde bisher mehrfach darauf hingewiesen, dass der Manichäismus in Bezug auf die politische Beteiligung seiner Glieder ganz anders denkt als die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs. Erst jetzt kann dies anhand der Quellen nachgewiesen werden. Das Bild, das sich die meisten Forscher nicht nur in Japan, sondern auch in den westlichen Ländern vom Manichäismus machen, beschränkt sich oft auf den nach Westen gewanderten Manichäismus. Diesem Manichäismus haftet außerdem immer der Verdacht einer Irrlehre an, der vor allem durch die zahlreichen Edikte der römischen Kaiser gegen ihn47 bestärkt wird. In diesem Zweig des Manichäismus findet man fast nichts, was auf eine aktive Beteiligung an der Politik hindeutet. In schroffem Gegensatz dazu ist für den nach Osten gewanderten Manichäismus eine sehr aktive politische Anteilnahme charakteristisch. Sie beginnt schon mit Mani, dem Begründer selbst, und lässt sich in der ganzen Verbreitungsgeschichte nach seinem Tod über Vorder- und Zentralasien bis nach China hinein erkennen. Aber es gibt für diesen Zweig des Manichäismus viel weniger Quellen als für den nach Westen verbreiteten. Dazu kommen noch die großen Schwierigkeiten mit den in den Quellen verwendeten Sprachen. Diese Sprachbarriere erschwert den Zugang. ————— 44

Vgl. Kap. II, Abs.6. Vgl. Kap. III, Abs.1. 46 Vgl. Kap. III, Abs.2,1. 47 Vgl. Abs.1,1 dieses Kapitels. 45

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3.1 Mani Es ist sicher, dass Mani von der Universalität – oder, um es mit einem Modewort auszudrücken, von der »Globalität« – seiner neuen Religion überzeugt war. Diese Überzeugung Manis ist überall erkennbar, z.B. im folgenden Turfan-Fragment (M 5794): »Alle bisherigen Religionen waren für nur ein Land und nur eine Sprache. Meine Religion ist dagegen auf alle Länder ausgerichtet und mit allen Sprachen ausdrückbar und auch in den entferntesten Ländern lehrbar«.48 Man kann annehmen, dass Mani aufgrund dieser Überzeugung seine erste Missionsreise nach Osten wohl entlang der Handelsstraße ins heutige Aserbaidschan unternommen hat. Das war der Weg, den den nachneutestamentlichen Thomasakten (Mitte des 2. Jh.n.Chr.) zufolge der Apostel Thomas schon einmal bis nach Indien gegangen war. M. Tardieu weist das pathische Fragment aus Turfan M 48 einer Zwischenstation auf dieser ersten Missionsreise zu. Der Inhalt des Fragments lautet nach Tardieu folgendermaßen: (Dieses Fragment) erzählt, wie es Mani gelang, einen buddhistischen König von Turan zu seiner neuen Religion zu bekehren. Angesichts der Menge schwebte er zuerst in der Luft. Sein fiktiver Gesprächspartner wurde dadurch zum Glauben an die wahre Weisheit geführt. Daraufhin erklärte Mani dem König seinen Missionsplan. »Kaum hatten es der König und die Adligen gehört, freuten sie sich darüber. Sie nahmen den Glauben auf und wurden dem Apostel und seiner Religion freundlich gesinnt.« Auch einige aus der königlichen Familie und vom Könighof haben sich bekehrt. Als Mani zum Abschied nochmals in der Luft schwebte, sah es der König und warf sich auf die Knie.49 Aber Mani rief ihn und holte ihn zu sich. Der König von Turan stieg dann selber in die Luft auf, kam Mani entgegen und sagte, ihn küssend, »Du bist der Buddha!«50

Das ist natürlich eine Legende. Sie bringt aber gut zum Ausdruck, wie aktiv sich Mani, der Begründer der neuen Religion, um eine politische Kontaktaufnahme bemühte. Mani ging danach nach Persien zurück und erhielt bei Schahpuhr I. in Susa Audienz. Das Buch Kephalaia beginnt mit Manis Auftritt und lässt ihn selbst erzählen, wie es zu dieser Audienz kam und welche Folgen sie hatte. Von derselben Audienz ist auch in Kephalaia Kapitel 76 die Rede. Aber dort ist die Legendenbildung weiter fortgeschritten. So habe die Audienz in kurzer Zeit insgesamt dreimal und dies sogar auf die Einladung des Großkönigs hin stattgefunden. ————— 48

Nach M. Tardieu, Le Manichéisme, 32. Vgl. dazu die »fußfällige Verehrung« gegenüber Caligula: oben Kap.IV, Abs. 2,1. 50 M. Tardieu, Le Manichéisme, 28. 49

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§ 78 Kephalaia 1 In dem Jahre aber, da der König Ardaschir starb und sein Sohn Schahpuhr König wurde, da [sandte] er [nach mir]. Ich fuhr von dem Lande der Inder nach dem Lande der Perser, vom Lande Persiens wiederum kam ich nach dem Lande Babylon, Mesene und Susiana. Ich erschien vor dem König Schahpuhr, er empfing mich in großer Ehre und erlaubte mir, dass ich wanderte in [seinen Gebieten und] predigte das Wort des Lebens. Ich verbrachte weitere Jahre in [mit] ihm im Gefolge, viele Jahre in Persien, im Land der Parther bis hinauf nach Adiabene und den Grenzbezirken des Gebietes des Reiches der Römer.51

§ 79 Kephalaia 76 [Wieder] geschah es zu einer Zeit, als unser Herr, der Mani und [unser] Phoster [sc. Erleuchter] in [der Stadt] Ktesiphon saß, da erkundigte sich der König Schahpuhr nach ihm und ließ ihn zu sich rufen; da machte sich unser Herr auf und ging zu Schahpuhr, dem König. Dann wandte [er] sich und kam wiederum in seine Gemeinde. Als er kurze Zeit verbracht hatte, indem er da saß, bevor längere Zeit verstrichen war, da erkundigte sich der König Schahpuhr wiederum nach ihm, sandte und rief ihn: Da wandte er (Mani) sich und ging wieder zu Schahpuhr, dem König; er sprach mit ihm und verkündete ihm das Wort Gottes. Wiederum wandte er sich und kam in die Kirche. Noch das dritte Mal erkundigte sich der König Schahpuhr nach ihm und rief ihn. Da wandte er sich wiederum zu ihm. – Da antwortete einer seiner Jünger, Aurades mit Namen, Sohn des Kapoles, und sprach zu unserem Phoster: O bitte, Herr Mani, gib uns zwei Manis, die dir gleichen, indem sie herabkommen in deiner Weise. Gut sind sie und ruhig und barmherzig, und es wandeln die Jünger in Gerechtigkeit wie Du, […] je ein Mani wird bleiben bei uns wie Du [und geht zu] Schahpuhr, dem König, indem sein [Herz] überzeugt ist [und verkündigt es] ihm.52

Von Manis Audienz bei König Schahpuhr I. berichtet auch An Nadim in seinem Fihrist. Der legendäre Charakter hat sich hier noch mehr verstärkt. Die Einzelheiten der Audienz sind auch etwas anders. Bevor Mani seine Zusammenkunft mit Schahpuhr hatte, durchreiste er ungefähr vierzig Jahre lang die Länder, und lud nach seiner Rückkehr FƯrnjz, den Bruder des Schahpuhr ben Ardaschir, zur Annahme seiner Lehre ein. FƯrnjz vermittelte auch die Einführung Manis bei seinem Bruder Schahpuhr. Und, fügen die Manichäer hinzu, er trat bei ihm ein, während auf seinen Schultern wie zwei Lampen von Licht strahlten. Als ihn Schahpuhr erblickte, erwies er ihm hohe Achtung und Mani wuchs in seinen Augen an Ansehen, obwohl er den Entschluss gefasst hatte, sich seiner zu bemächtigen und ihn zu töten. Als er ihm aber gegenüberstand, ergriff ihn Scheu vor ihm, und

————— 51 52

C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, 15,27–16,2. Ebd., 183,11–33.

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er freute sich über ihn und fragte ihn, was er [sc. Schahpuhr] ihm [sc. Mani] brächte, ja er versprach ihm sich zu ihm bekehren zu wollen. Mani bat ihn um eine Menge Angelegenheiten, unter anderem, dass seine Schüler in Persien und allen übrigen Ländern seines Reiches Achtung genießen sollten und dass sie überall, wohin sie wollten, sich begeben könnten. Schahpuhr gewährte ihm alles, um was er bat. Auch hatte Mani bereits die Inder, Chinesen und die Bewohner von ChurƗsƗn zur Annahme seiner Lehre aufgefordert und in jedem Bezirk einen seiner Schüler zurückgelassen.53

Wie kann man die Angabe ganz am Anfang: »Bevor Mani seine Zusammenkunft mit Schahpuhr hatte, durchreiste er ungefähr vierzig Jahre lang die Länder« mit Manis Lebenslauf koordinieren? Darüber wurde in der Forschung viel diskutiert. Auf Einzelheiten wollen wir hier nicht eingehen.54 Aber An Nadim berichtet an einer anderen Stelle, dass der vierundzwanzigjährige Mani seine zweite Offenbarung am selben Tag wie die Thronbesteigung Schahpuhrs I bekam und seine Verkündigung begann.55 So gerechnet müsste die Regierung Schahpuhrs mindestens vierzig Jahre und mehr gedauert haben. Das stimmt aber mit den historischen Tatsachen nicht überein. Es würde auch bedeuten, dass Mani bei der Audienz bei Schahpuhr I. wenigstens vierundsechzig Jahre alt war, also schon ein Mann am Anfang des Lebensabends. Aber nach dem Paragraphen 78 aus Kephalaia fand die Audienz »In dem Jahre aber, da der König Ardaschir starb und sein Sohn Schahpuhr König wurde« statt. Mani kam extra für diese Audienz »von dem Lande der Inder« nach Susa zurück. Außerdem wird gesagt, dass er auch nach der Audienz »viele Jahre in Persien, im Land der Parther bis hinauf nach Adiabene und den Grenzbezirken des Gebietes des Reiches der Römer« für die Mission verbracht habe. Der Bericht vom Paragraphen 78 erscheint als historisch wahrscheinlicher als der von An Nadim. Mani widmete Schahpuhr I. eine Schrift, die als Titel seinen Namen trägt: »SchahpuhrakƗn«. Damit erwies er seinen großen Respekt vor diesem König. Er verlor aber nach seinem Tod den Machtkampf gegen die traditionelle Magiergruppe mit dem Obermagier Kartir an der Spitze und wurde nach einem Verhör hingerichtet. Nach einer Überlieferung soll er sich bis zum allerletzten Augenblick dadurch verteidigt haben, dass er einen eigenhändigen Brief von Schahpuhr I. vorlegte.56 Im Paragraphen 79 sagte ein Jünger halb im Spaß zu Mani: »O bitte, Herr Mani, gib uns zwei Manis, die dir gleichen.« Kephalaia 76 lässt Mani im an diese Episode unmittelbar anschließenden Teil einen Rückblick auf seinen ganzen bisherigen Verkündigungsweg machen. Zum Schluss antwor—————

53 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 85 (Ergänzung und orthographische Veränderung von Onuki). 54 Vgl. dazu den Kommentar von G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 150–156. 55 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 84. 56 H.J. Polotsky/H. Ibscher, Manichäische Homilien, 48.

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tet Mani dem Jünger mit einer Gegenfrage: »Wenn nun zwei Manis in die Welt gekommen wären, welcher Ort würde sie tragen können oder welches Land würde sie aufnehmen können?« Denn – so meint Mani – sein Auftreten hat bisher überall große Verwirrung und Unruhe hervorgerufen.57 Sehr formelhaft und wiederholt betont Mani, dass jedes Land zwar Könige, Eparchen, Heerführer, Kaiser usw. zu tragen vermöge, seine Verkündigung aber nicht aufnehmen könne. Die Ursache dafür sei: »Die Kräfte, die Herr sind über die Welt, haben gesät ihren Neid in das Herzen der Könige und Anführer.«58 Es wäre zu naiv, derartige Sätze als Zeichen für die manichäische Weltflucht zu lesen. Denn auch der unerwartet schnelle Tod Schahpuhrs gilt, wie wir gesehen haben, für Mani und für die Manichäer als Satans Werk aus Neid (§ 77). Solche Äußerungen zeigen vielmehr ihre Ambivalenz gegenüber der politischen Macht. Diese wiederum setzt ein starkes Interesse für die Politik voraus. 3.2 Der östliche Manichäismus Fasst man die an die Frühphase anschließende Verbreitung des Manichäismus nach Osten nach den Angaben Fihrists59 zusammen, ergibt sich ungefähr folgendes Bild. Bahram I. begann nach der Hinrichtung Manis die Manichäer im ganzen Reich zu verfolgen. Die Manichäer flüchteten über den Fluss Oxus (heute Amu-Darja), der in den Aralsee einmündet, hinaus und ließen sich in Sogdonien (Transoxonien) mit Samarkand als Hauptstadt nieder. Dies alles geschah wohl im dritten Jahrhundert n.Chr. Später, um 570 n.Chr., trennte sich die manichäische Gemeinde in Sogdonien von der Hauptgemeinde in Babylon, da diese nicht bereit war, anderswo als in Babylon eine Gemeinde mit eigenem Vorsteher (Imam) anzuerkennen. Die selbstständig gewordene Gemeindemitglieder wurden »DunjƗwarier« gennant.60 Die manichäischen und sogdsprachigen Kaufleute verbreiteten ihre Religion von Samarkand aus bis nach Zentralasien und China. Um 730 n.Chr. machte ein Vorsteher namens Mihr der Spaltung der DunjƗwarier und der babylonischen Hauptgemeinde ein Ende und vereinigte beide Gemeinden. Kurz danach schloss sich ein Mann namens ZƗdhurmuz den Manichäern an. Er trennte sich jedoch bald wieder von ihnen und bildete eine eigene Sekte. Er setzte vor seinem Tod einen Mann namens ————— 57

C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, 188,4–6. C. Schmidt/H.J. Polotsky, Kephalaia I, 186,31–187,1. 59 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 97–100. 60 Sie werden im zwölfbändigen »Reisebericht über den Westen vom Großen Tang-Reich« (⮶ ➟導⩮岧) von Xuan zang (䘓⯧ 602–664 n.Chr.) mit 㙟挲恚 erwähnt. 58

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MiklƗs zum Nachfolger ein. Dabei gab es wiederum eine Gemeindespaltung wegen Fragen des Fastens und der Hierarchie. Die Spaltung zwischen den MihrƯja und den MiklƗsƯja blieb bis in die Mitte des neuten Jahrhunderts n.Chr. ungefähr ein Jahrhundert lang bestehen. Inzwischen war die politische Vorherrschaft in Vorder- bis Zentralasien von den Persern über die moslemische Dynastie der Umaiyaden an die Abbasiden übergegangen. An Nadim berichtet von einigen hohen Beamten der Umaiyaden im Zweistromland, die den teilweise aus Transoxonien zurückgekommenen Manichäern sehr freundlich gesonnen und behilflich waren.61 Inzwischen war der Manichäismus über die Uighuren auch bis nach China gelangt. 694 n.Chr. trat der erste manichäische Missionar am Hof der Kaiserin Jitian-wuhou (☂⮸㷵⚝) aus der Wu-Zhou (㷵⛷)-Dynastie auf. 719 n.Chr. wurde auf Verlangen des Vizekönigs von Turkestan in Beijing (Peking ▦ ℻ ) unter der Regierung Kaisers Xuanzong ( 䘓 ⸦ 721–756 n.Chr.) eine manichäische Kirche gebaut. 731 bestellte derselbe Kaiser ferner eine chinesische Übersetzung der manichäischen Lehrhymnen. Daher stammt die Rolle »Moni guangfo jiao fayi lue yi juan« (㛸⻋⏘⅞㟨㽤⎏䟴 ₏り: »Kompendium der wahren Lehre Manis des Lichtbuddha; dt.: »Londoner Hymnenrolle«), von der schon die Rede war.62 Die Uighuren waren im Gegensatz zu den Chinesen (Tang) von jeher dem Manichäismus zugewandt. Sie sind Teil der alttürkischen Stämme, die ursprünglich auf dem Plateau der Mongolei lebten, später aber in Richtung Turkestan gewandert waren. Die alttürkischen Stämme schlossen sich zusammen und bildeten den Nomadenstaat Göktürks (chinesisch: Tujue 䴐☴). 744 n.Chr. wurde das Haupt der Uighuren, eines der zusammengeschlossenen Stämme, zum Khan (türkisch qaghan, chinesisch ♾㻦) ernannt. Damit entstand das erste Uighurenreich auf dem Plateau der Mongolei. In der Forschung wird dieses ursprüngliche Reich im Unterschied zum »WestUighurenreich«, das später nach der Wanderung in den Westen entstand, auch »Ost-Uighurenreich« genannt. Das Ost-Uighurenreich hat in seinem Territorium einige befestigte Städte gebaut, um die herrschenden Schichten dort anzusiedeln. Es hat außerdem aufgrund der Schrift von Göktürks, der alttürkischen Schrift, und auch der von den sogdischen Kaufleuten überlieferten Schrift eine eigene Uighurenschrift entwickelt und gleichzeitig von ihnen den Manichäismus übernommen. Zur Rezeptionsgeschichte des Manichäismus bei den Uighuren gibt es in Japan eine Reihe von Untersuchungen von T. Moriyasu.63 Dazu kommen auch andere Untersuchungen japani————— 61

G.Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 98. Eine Ausführug über den historischen Kontext dieser chinesischen Übersetzung findet sich bei Y. Yabuki, Der Manichäismus, Tokio 1935 (japanisch). 63 Vgl. oben Kap. V., Anm. 31 und außerdem ders., Four Lectures at the Collège de France in May 2003. History of Manichaeism among the Uighurs from 8th to the 11th Centuries in Central 62

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scher Forscher über Zentraleurasien.64 Fasst man unter Zuhilfenahme dieser Untersuchungen die Rezeptionsgeschichte des Manichäismus bei den Uighuren in einer Zeittafel zusammen, so präsentieren sich die wichtigsten Daten folgendermaßen: Der zweite Khan, Gelei (囪╡65 747–759 n.Chr.), schickte bei einem Aufruhr, der gegen das Ende der Regierungszeit Kaisers Xuanzong (s.o.) stattfand (755–763 n.Chr.), seine Armee zur Verstärkung des Tang-Kaisers und trug 757 zur Rückgewinnung von Chang’an (栆⸘) und Luoyang (㾪椌) bei. Der dritte Khan, Mouyu (䓮剌66 759–779 n.Chr.), fiel 762–763 n.Chr. in Tang ein und nahm am Anfang Partei für die Aufständischen, trat aber später zur kaiserlichen Seite über. Er lernte dabei in Luoyang einen manichäischen Missionar kennen und bekannte sich selbst zum Manichäismus. Er nahm beim Rückzug vier manichäische Mönche mit und genehmigte den Manichäismus offiziell in seinem eigenen Land. Seitdem verbreitete dieser sich unter den oberen Schichten der Uighuren. Über diesen Prozess der Einführung und Genehmigung des Manichäismus durch den Khan Mouyou berichten die Kara-Balgasun-Inschriften. Nach Y. Yabuki bezeichnen die »Tujue-Schriftenreste« den Khan Mouyou als »Verkörperung Manis«. 67 Derselbe Khan reichte 768 n.Chr. beim Tang-Kaiser dieser Zeit einen Antrag für den Bau eines manichäischen Tempels für die Manichäer in China ein. Der Antrag wurde genehmigt und die Genehmigung 771 n.Chr. erneuert. Der vierte Khan, Dagan (拣㄁68), kam durch einen Putsch an die Macht. Er begann sofort, die Manichäer und Sogdianer zu verfolgen, um die Handelsbeziehung mit dem Tang-Reich aufrecht zu erhalten. Unter der Regierung des fünften und sechsten Khan setzte sich die Verfolgung fort. 795 n.Chr. hörte die Dynastie des Yaghlagar-Stammes, der das OstUighurenreich bis dahin beherrscht hatte, wegen der blutlosen Revolution durch Huaixin (㑟≰69: den siebten Khan), auf. An ihre Stelle trat nun die Dynastie des Stammes Ediz. Zu dieser Zeit lebte der Manichäismus wieder auf. Einer Quelle zufolge waren seitdem immer manichäische Mönche dabei, sooft eine uighurische Delegation nach Tang kam.70

————— Asia, in: Silk Road and World History, COE-Programm des 21. Jh., Universität Osaka, Forschungsbericht 2002–2003, Vol. 3, 23–111. 64 H. Komatsu (Hg.), Geschichte der Zentralasien, Tokio 2000; J. Miyawaki, Geschichte der Mongolei. Vom Auftreten der Nomadenvölker bis zum Staat Mongolei, Tokio 2002. (alle japanisch). 65 Offiziell: 喀㷵Ⲑ拯; türkisch: Teƾride bolmiú il itmiú bilge. 66 Offiziell: 喀券ㆉ┮; türkisch: Teƾride ǥut bolmiú il tutmiú alp. 67 Y. Yabuki, Der Manichäismus und asiatische Religionen, Tokio 1988, 50 (japanisch). 68 Offiziell: 㷵券㒟┮; türkisch: Alp ǥutluƥ bilge. 69 Türkisch: Teƾride uluƥ bolmiú alp ǥutluƥ külüg bilge. 70 Y. Yabuki, Der Manichäismus und asiatische Religionen, 53.

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807 n.Chr. bauten die Uighuren in Henanfu (㽂◦ㄫ᧹Luoyang 㾪椌) einen manichäischen Tempel. Der anschließende achte Khan, Baoyi (≬券71), ließ die Kara-Balgasun-Inschriften erstellen, die in chinesischer, sogdischer und uighurischer Schrift geschrieben sind und über die Geschichte der Einführung des Manichäismus ins Uighurenreich berichten. Das Ost-Uighurenreich aber ging 840 n.Chr. wegen innerer Unruhen und Angriffe der demselben nordtürkischen Stamm angehörigen Kirgisen während der Regierungszeit des zwölften Khans zugrunde. Damit verlor der Manichäismus in China die Stütze der Uighuren. In China befahl Kaiser Wuzong (㷵⸦) sofort, als ob er schon lange darauf gewartet hätte, die manichäischen Tempel zu schließen, Mobilien sowie Immobilien in Beschlag zu nehmen und die Bücher zu verbrennen (843 und 845 n.Chr.). Ein Teil der tragenden Schichten des zugrunde gegangenen OstUighurenreiches wanderte ins östliche Gebiet des Tianshan ( ⮸ ⼀ )Gebirges und eroberte die Oasenstädte in der Tarim-Ebene wie Beschbalik, Karaschahr, Turfan und Kucha. So entstand 849 n.Chr. das sogenannte West-Uighurenreich. Dieses Reich bestand bis in die zweite Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts n.Chr. und ernannte für die ersten zwei Jahrhunderte den Manichäismus zur Staatsreligion. Danach wendete es sich allerdings wieder dem traditionellen Buddhismus zu. Dabei wurde auch der manichäische Tempel, der bis dahin im Schloss Gaochang (浧㢛)72 war, zu einem buddhistischen umgebaut. Die Turfan-Schriften, von denen in Abschnitt 1,3 dieses Kapitels die Rede war, wurden entweder nach Turfan gebracht oder dort geschrieben, während der Manichäismus noch Staatsreligion war. Nach dem Bericht Fihrists (An Nadim) wiederholte sich übrigens die Flucht der Manichäer aus Mesopotamien noch einmal, als Muktadir der Kalif der Abbasiden-Dynastie war (908–932 n.Chr.). Die Manichäer flohen genauso wie damals im dritten Jahrhundert n.Chr. aus Persien ins ostiranische Gebiet Chorasan. An Nadim schreibt, dass es zu diesem Zeitpunkt in Samarkand in Transoxonien nur noch fünfhundert Manichäer gegeben habe. Außerdem habe ein moslemischer Statthalter in Chorasan ein Massaker an den manichäischen Flüchtlingen geplant. Der Bericht An Nadims geht anschließend so weiter: Da sandte der Beherrscher Chinas zu ihm, ich [sc. An Nadim] glaube, es war der Fürst der Tagazgaz, mit der Meldung: In meinen Ländern sind dreimal mehr Muslime als in deinen Ländern Anhänger meiner Religion, und schwor ihm, wenn er einen von

————— 71

Türkisch: Ay teƾride ǥut bolmiú alp bilge. In der deutschen Forschungsliteratur wird das sehr uneinheitlich angegeben, z.B. »Koscho« oder »Chotscho«. K. Rudolph, Die Gnosis, 266; H.-J. Klimkeit, Manichaean Art and Calligraphy, Leiden 1982 (passim). Woher das kommt, ist mir unklar. Auf jeden Fall entsprechen beide Angaben der japanischen Aussprache, nicht aber der chinesischen. 72

Zusammenfassung

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diesen töte, so werde er für ihn die ganze Gemeinde töten, die Moscheen zerstören und in allen Ländern Leute aufstellen, die den Muslimen auflauerten und sie umbrächten.73

Es war G. Flügel, der 1862 den Bericht Fihrists über die Manichäer erstmals sogar mit einem sehr ausführlichen Kommentar versehen ins Deutsche übersetzt hat. Auch bezüglich dieses Paragraphen, vor allem des Gebietsnamens Tagazgaz, hat er sehr gründlich untersucht, welches Land damit gemeint war und wo es lokalisiert gewesen sein kann. Flügel ist schließlich zur Vermutung gekommen, »dass es zwischen Tibet und China liege und im Norden von dem Lande der Kirgisen begrenzt werde, also vorzugsweise das heutige Thianschan Nanlu umfasse.«74 Flügel hat außerdem die Tagazgaz mit den »Tagargar« identifiziert, von denen ein Zeitgenosse An Nadims namens Mas‘udi in seinem Werk »Goldene Wiese« Kapitel 15 spricht: Diese [sc. Tagargar] haben die Stadt Kusan [sc. Kucha] inne, die ein Königreich zwischen Churasan [sc. Chorasan] und den Ländern von China bildet. Und unter den türkischen Horden und ihren einzelnen Zweigen gibt es in der gegenwärtigen Zeit, d.i. im Jahre 332 (das ist 943 n.Chr.) keine tapferere, keine zahlreichere und keine besser regierte als diese. Sie alle ... Ihr religiöser Glaube ist der der Manichäer und außer ihnen gibt es keinen türkischen Stamm, der sich zu diesem Glauben bekannte.«75

Der Ort, den Flügel den Tagazgaz oder »Tagargar« zugewiesen hat, stimmt genau mit dem in der späteren Forschung sogenannten West-Uighurenreich überrein. Nach An Nadim nannte der Herrscher der Tagazgaz den Manichäismus »meine Religion«. Wie gesagt wurde dieser Ort, d.h. die Oasenstadt Turfan, anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts n.Chr. mit den Schlossruinen Gaochang ausgegraben und archäologisch untersucht, wobei unter anderen Dingen auch zahlreiche manichäische Schriften gefunden wurden. Die scharfe Schlussfolgerung Flügels war dem allem um vierzig Jahre voraus.

4. Die mythologische Begründung für die politische Beteiligung des Manichäismus (Zusammenfassung) Zusammenfassung Die politische Beteiligung einer Religion ist nicht nur von der Religion her, sondern auch von der Politik her zu bedenken. Was den Manichäismus angeht, ist sowohl bei der Schutzpolitik Schahpuhrs I. ihm gegenüber als auch bei der des dritten Khan des Uighurenreiches Mouyu ein Zusammen————— 73 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 106, Orthographische Veränderung und Hervorhebung von T. Onuki. 74 G. Flügel, ebd., 397 (Anm. 399). 75 G. Flügel, ebd., 387f (Anm. 386). Orthographische Veränderung von T. Onuki.

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Gnosis und Politik (der manichäische Typ)

hang mit ihrer eigenen Erweiterungs- und Sicherheitspolitik erkennbar. Beide Reiche waren jeweils im Begriff, ihren Herrschaftsbereich zu erweitern. Da muss die neue Religion der Manichäer für sie nützlich gewesen sein. Ihre Schutzpolitik hat zwar nach dem Tod des jeweiligen Herrschers schnell in eine Politik der Verfolgung umgeschlagen. Dazu müssen mehrere nicht nur religiöse Faktoren beigetragen haben wie das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein einer traditionellen Staatsreligion, das komplizierte Verhältnis des Staates zum Manichäismus, zu einer »neuen« oder »neuen neuen Religion«, usw. Zugleich können wir nicht übersehen, dass im Fall des Manichäismus dessen äußerst geschlossenes mythologisches System geradezu eine aktive Beteiligung an der Politik begründet und ermöglicht haben muss. Warum kann man das so sagen? Um die Antwort vorwegzunehmen: Als wichtigste Grund ist zu sehen, dass in diesem System Licht und Finsternis von Anfang an in einem absoluten Gegensatz stehen und füreinander als Außenprinzip bestehen bleiben. Der Gegensatz und die Vermischung dieser zwei Prinzipien entwickeln sich zwar auch hier der Vertikalachse entlang von oben nach unten und schließen verschiedene Ereignisse mit kosmologischen Ausmaßen ein. Diese kosmologischen Ereignisse finden aber auch auf der jeweiligen Horizontalebene statt. Die niedrigste Ebene ist die irdische Welt. Gerade auf dieser niedrigsten Ebene aber hat sich die Mischung aus Licht und Finsternis am weitesten verbreitet. Eben deshalb muss die Arbeit, die darin besteht, das zerstreute Licht von der Finsternis zu trennen, aus ihr heraus zu »filtern« und zurückzuholen, buchstäblich »global« durchgeführt werden. Jede reale politische Macht kann sich sehr wohl diese Aufgabe selbst zuweisen, indem sie sich als Freundin des »Lichts« versteht, die die Aufgabe hat, die in der »Finsternis« gefangenen Lichtfunken zurückzuholen und somit die »Finsternis« zu vernichten. Es sei hier nochmals an die Szene von Manis Audienz bei Schahpuhr I erinnert. Nach dem Fihrist-Bericht freute sich der König so über das Gespräch mit Mani, dass er ihn fragte »was er [sc. Schahpuhr] ihm [sc. Mani] brächte.« Das ist in diesem Zusammenhang höchst bedeutsam. Im mythologischen System des Manichäismus kann sich auch die reale politische Herrschaft eindeutig auf die Seite des »Lichts« stellen. Diese Selbstverortung wird für die politische Macht umso leichter, als die zwei Urprinzipien am Anfang des Mythos mythologisch als zwei »Reiche« mit ihrem jeweiligen König beschrieben werden, »das Reich des Lichts« mit dem »König des Paradieses des Lichts« und das Reich der Hyle mit dem Satan als König.76 In der Tat berichtet Augustin, dass die Manichäer der folgenden Ansicht waren: »Für das Reich des Lichts gibt es Grenzen, ————— 76

Vgl. Abs.2,1, § 1–2 dieses Kapitels.

Zusammenfassung

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in die das feindselige Geschlecht einbrechen könnte.«77 Gibt es eine politische Macht, die sich bei einer solchen Behauptung nicht auf die Seite des »Reiches des Lichts« stellen würde? Auf jeden Fall fehlt beim manichäischen Mythos jegliche Dämonisierung der politischen Macht. Der Manichäismus hat freilich eine eigene Eschatologie. Dort ist vom Ende des Universums die Rede. Nach Fihrist soll das Ende der Welt ein Brand sein, der 1468 Jahre lang dauern wird. Die sichtbare Welt wird letztlich verbrannt werden.78 Der Weltenbrand wird aber gleichzeitig die Trennung des »Lichts« von der »Finsternis« vollenden. Bis zu dieser Vollendung muss durch die ganze Weltgeschichte, ja durch die ganze Universalgeschichte hindurch die »globale« Mission, die die ganze sichtbar-irdische Welt zum Gegenstand hat, erfüllt werden. Dafür ist, menschlich betrachtet, endlose Zeit nötig. Während dieser unwahrscheinlich langen Zeit kann die reale politsche Macht ihre Herrschaft mit ihrer Teilnahme an der Trennung des »Lichts« von der »Finsternis« legitimieren. Das bedeutet, dass die politische Macht in der manichäischen Eschatologie in der Welt zeitlich nicht begrenzt ist. Der Gegensatz zum Mythos der syrisch-ägyptischen Gnosis liegt auf der Hand. Zwar spricht auch der Mythos dieses Typs dualistisch von Licht und Finsternis. Beide werden aber hier auf der Vertikalachse verteilt und erwecken, anders als im manichäischen Mythos, fast keine Vorstellung einer horizontal-räumlichen Ausdehnung. Außerdem beginnt das Böse im »Licht«, d.h. in der höchsten Gottheit selbst. Es entsteht aus dem Bruch in ihr selbst. Auch die Trennung und Rückgewinnung des in der »Finsternis« verloren gegangenen »Lichts« geht auf der Vertikalachse in Form einer Rückkehr nach oben ins Reich des Lichts vor sich. Nehmen wir jetzt einmal an, dass eine bestimmte politische Macht, die in der realen Welt ihre Herrschaft ausübt, einen gnostischen Mythos des syrisch-ägyptischen Typs liest. Wo ist ihr Platz im Mythos und mit welcher dramatis personae kann sie sich identifizieren? Offensichtlich kann sie es nur mit Jaldabaoth. Es ist für sie ausgeschlossen, sich selbst auf die Seite des Lichts zu stellen und sich als diejenige zu verstehen, die für seine Befreiung und Rückgewinnung ausgesandt ist. Ein solches Selbstverständnis ist von der Struktur des Mythos her nicht möglich. Gerade umgekehrt ist es im manichäischen Mythos. Die Einstellung gegenüber der realen Politik ist in der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs und im Manichäismus deshalb so gegensätzlich, weil sowohl ihre Begründung als auch ihre Sinngebung je nach Mythos unterschiedlich sind. —————

77 Augustin, De moribus Manichaeorum, 26: scilicet regnum [sc. lucis] habuisse quosdam fines suos, qui possent invadi a gente contraria. Oeuvres de Saint Augustin 1:1re série: opuscules II, trad. p. B. Roland-Gosselin, 292. 78 G. Flügel, Mani. Seine Lehre und Schriften, 90.

Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis Pro und Contra zur These Max Webers

1. Pro und Contra zur These Max Webers Wir haben anhand der Quellen soweit wie möglich untersucht, wie die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs (Kap. IV) und wie der Manichäismus (Kap. V) der politischen Macht ihrer Zeit gegenüberstanden. Die Ergebnisse sind sehr gegensätzlich. Die meisten Gnostikerschulen des syrischägyptischen Typs haben zwar die Freiheit von der römischen Herrschaft zu ihrem Hauptanliegen erklärt, begnügen sich aber damit, diese als Betrügerin zu entlarven und haben dabei keine Hoffnung auf eine Veränderung der gegebenen Weltordnung. Auf ein politisches Engagement, das auf eine Veränderung hinarbeiten würde, verzichten sie von vornherein. Für den Manichäismus ist dagegen eine aktive Teilnahme an der Politik charakteristisch. Von hier aus wollen wir noch einmal einen Blick auf M. Webers These zu Gnosis und Politik werfen. Zunächst seien aus seiner in Kapitel IV, Abschnitt 3,1 angeführten These zwei Paragraphen noch einmal zitiert: Ebenso aber sind die vorderasiatischen Erlösungslehren des Manichäismus und der Gnosis beide ganz spezifische Intellektuellenreligionen, sowohl was ihre Schöpfer wie ihre wesentlichen Träger und auch was den Charakter ihrer Erlösungslehre angeht.1 Die vorderasiatischen Erlösungsreligionen, sei es mystagogischen, sei es prophetischen Charakters und ebenso die vom Laienintellekualismus getragenen, orientalischen und hellenistischen, sei es mehr religiösen, sei es mehr philosophischen Erlösungslehren, sind (soweit sie überhaupt sozial priviligierte Schichten erfassen), fast ausnahmslos Folgeerscheinung der erzwungenen oder freiwilligen Abwendung der Bildungsschichten von politischem Einfluss und politischer Betätigung.2

Wir müssen beachten, dass beide Paragraphen jeweils mit »die vorderasiatischen Erlösungslehren des Manichäismus und der Gnosis« und »die vorderasiatischen Erlösungsreligionen« beginnen. Damit ist eindeutig erwiesen, dass M. Weber, wenn er von der »Gnosis« spricht, in erster Linie an den Manichäismus denkt. In der Phrase »die vorderasiatischen Erlösungslehren ————— 1 2

M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 305. Ebd., 306f.

Pro und Contra zur These Max Webers

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des Manichäismus und der Gnosis« sind »die Gnosis« und »der Manichäismus« geradezu synonym gebraucht. Warum ist das so? Es ist eine Tatsache, dass die Gnostikerschulen, die aus den indirekten Berichten der Antihäresiologen wie Irenäus, Hippolyt von Rom, Epiphanius von Salamis usw. erkennbar sind, also die Valentinianer, Basilidianer, Barbelo-Gnostiker, Ophiten, Naassener, Simonianer usw., zur Zeit Webers schon längst bekannt und gründlich untersucht worden waren, wie zum Beispiel durch A.v. Harnack. M. Weber kannte diese Studien sicherlich. Warum also richtet er sein Hauptaugenmerk gerade auf den Manichäismus? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns daran erinnern, dass zur Zeit, als M. Weber die erwähnte These im Kapitel V für Religionssoziologie in »Wirtschaft und Gesellschaft« vorlegte (1921), die Forschenden der Orientalistik in Europa, vor allem aber in Deutschland voller Begeisterung waren über den Fund in Turfan und der Edition der dort gefundenen Manichaica.3 Dieser Fund muss damals eine große Sensation gewesen sein für die in der Forschung Tätigen und für die gehobenen Bildungsschichten, genauso wie es später der Fund der Nag-Hammadi-Schriften (1945) und der Qumran-Schriften (1947) war. Bis dahin bezeichnete »die Gnosis« die christlichen Gnostikerschulen, die durch die Valentinianer oder Basilidianer vertreten waren. Sie wurde außerdem als »akute Säkularisierung (d.h. Hellenisierung) des Urchristentums« (A.v. Harnack) definiert.4 Das entsprach damals der opinio cummunis. Jetzt aber wurde die Gnosis neu für eine spätantike Religion orientalischen Ursprungs gehalten. Zu dieser neuen Sicht haben sicher auch die mandäischen Schriften beigetragen, die fast zur selben Zeit erneut vorgestellt, richtig ediert und übersetzt wurden.5 Die Szene aber beherrschten damals eindeutig die manichäischen Schriften aus Turfan. Ein gutes Beispiel dafür ist die Johannesforschung R. Bultmanns, des großen Sterns der neutestamentlichen Wissenschaft und Theologie des zwanzigsten Jahrhunderts n.Chr. überhaupt. Sein Kommentar zum Johannesevangelium, den er 1937 bis 1941 geschrieben hat, ist bis heute berühmt als typischer Versuch einer existentialen Interpretation des Neuen Testaments. Bultmann hat sich aber ungefähr zwanzig Jahre lang darauf vorbereitet. Eine seiner Vorarbeiten ist der Aufsatz »Die Bedeutung der neuerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen für das Verständnis des Johannesevangeliums« (1925).6 In diesem Aufsatz hatte Bultmann auf ————— 3

Vgl. Kap. V, Abs.1,3. A.v. Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd.I: Die Entstehung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 1886, 41909, Nachdruck Darmstadt 1964, 243. 5 Vor allem: M. Lidzbarski, Das Johannesbuch der Mandäer, Giessen 1915, Nachdruck Berlin 1966; Ders., Mandäische Liturgien, Göttingen 1920–1921, Nachdruck 1970; Ders., GinzƗ. Der Schatz oder Das große Buch der Mandäer, Göttingen 1925, Nachdruck 1978. 6 R. Bultmann, Die Bedeutung der neuerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen für das Verständnis des Johannesevangeliums, ZNW 24, 1925, 100–146; Abdruck in: R. Bultmann, 4

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis

zahlreiche Sätze in den Manichaica aus Turfan hingewiesen, die inhaltlich und formell zu den Jesusworten im Johannesevangelium in Parallele stehen, vor allem zu den Worten, mit denen sich Jesus als himmlischer Erlöser offenbart, zum Beispiel »Ich bin das Licht der Welt« (8,12) oder »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben« (14,6). Bultmann stellte die Hypothese auf, dass diese Jesusworte im Johannesevangelium auf eine zusammenhängende schriftliche Quelle zurückgehen müssten, die er »Offenbarungsredenquelle« nannte. Nach Bultmann setzte diese Quelle einen mächtigen gnostischen Mythos, den er »den gnostischen Erlösermythos« nannte, voraus und wurde aufgrund ihrer verfasst. Bultmanns Hypothese ging noch weiter. Er meinte, der Verfasser des Johannesevangeliums habe zwar die »Offenbarungsredenquelle« als Vorlage benutzt, den zu Grunde liegenden »gnostischen Erlösermythos« aber »entmythologisiert«, damit er seine eigene positive Botschaft in seinem Evangelium zur Geltung bringen könne. Die Methode, mit der Bultmann diese positive Botschaft des Johannes auslegt, ist seine existentiale Interpretation mit dem Begriffsapparat Heideggers. Der »gnostische Erlösermythos«, der so entmythologisiert worden war, lautete nach Bultmanns Rekonstruktion folgendermaßen: Der auf der Erde gefangenen Seele bringt der vom Himmel kommende Gesandte Offenbarung über ihren Ursprung, ihre Heimat und die Rückkehr in diese. In irdischmenschlichem Gewand erscheint der Gesandte, in Glorie steigt er empor. Diesem soteriologischen Mythos läuft parallel eine kosmologischer: die Gestalt des Gesandten entspricht der Gestalt des himmlischen Urmenschen, der in der Vorzeit aus der Himmelwelt in die Materie hinabstieg, von ihr überwältigt und gefangen wurde. Indem nun die Gestalt des Gesandten an die des Urmenschen angeglichen wurde, erschien auch der Gesandte in seiner irdischen Erscheinung als gefangen und bedrängt, und sein Emporstieg ist auch seine eigene Erlösung; er ist der erlöste Erlöser [sc. salvator salvatus]. Wiederum ist das Schicksal des Urmenschen nichts anderes als das Schicksal der einzelnen Seele; die Erlösung der Seelen ist die Befreiung des Urmenschen und damit das Ende der irdischen Welt, deren Entstehung und Bestand durch die Bindung der Lichtteile des Urmenschen in die chaotische Materie ermöglicht wurde.7

Vergleicht man dies mit dem vorher von uns rekonstruierten Mythos des Manichäismus8, so wird klar, dass Bultmanns »gnostischer Erlösermythos« nur dessen leichte Bearbeitung ist. Mit seiner Hypothese gehörte Bultmann forschungsgeschichtlich gesehen zur religionsgeschichtlichen Schule. Diese Schule entsprang einer For————— Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, E. Dinkler (Hg.), Tübingen 1967, 55– 104. 7 R. Bultmann, Exegetica, 59. Lateinische Ergänzung von T. Onuki. 8 Vgl. Kap. V, Abs.2,1.

Pro und Contra zur These Max Webers

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schungsrichtung, die vor allem vom klassichen Philologen R. Reitzenstein (1861–1931) und den Neutestamentlern J. Weiß (1863–1914) und W. Bousset (1865–1920) vertreten wurde. Sie gehörten zur liberalen Theologie und wollten frei von orthodox- dogmatischen Voraussetzungen sein. Sie öffneten den Text des Neuen Testaments vor dem weiten Horizont der Religionsund Geistesgeschichte der Mittelmeerwelt und des Orients der Spätantike und versuchten, verschiedene Motive, Vorstellungen und Formulierungen im Neuen Testament aus den Parallelen, die sich in diesem Horinzont finden liessen, entwicklungsgeschichtlich abzuleiten. Der Begriff der »Gnosis« oder des »Gnostizimsus« im Sinne dieser Schule war nicht immer streng definiert. Er war vielmehr ein Inbegriff für alle möglichen mythologischen Traditionen. In der Tat hat Reitzenstein selbst einmal erklärt: »Es gibt im strengen Sinne keine gnostische Religion, nur verschiedene Grade eines Synkretismus, dessen wichtigster Bestandteil iranisch ist.«9 Die religionsgeschichtliche Schule war im zweiten Jahrzehnt bis in die Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts am stärksten vertreten und hatte großen Einfluss. Später, durch den Fund der Nag-Hammadi-Schriften 1945, erlebte die Gnosisforschung eine große Wende. Seitdem sind manche Theorien dieser Schule einschließlich Bultmanns »gnostischem Erlösermythos« kritisch überprüft und teilweise widerlegt worden. Aber es ist hier nicht auf Einzelheiten der einschlägigen Forschungsgeschichte einzugehen.10 Vielmehr ist die historische Tatsache wichtig, dass auch M. Webers Gnosis-Begriff unter dem Einfluss der religionsgeschichtlichen Schule stand. Sein opus magnum »Wirtschaft und Gesellschaft« wurde 1921 postum von seiner Frau Marianne herausgegeben. Zur selben Zeit hatte sich R. Bultmann ganz der Untersuchung der Manichaica aus Turfan verschrieben. Zurück zu M. Webers These über die Gnosis: Für ihn ist die Gnosis eine Erlösungsreligion und wird durch den vorderasiatischen Manichäismus vertreten. Dabei definiert er sie als eine Bewegung der entpolitisierten Intellektuellen, die dann am stärksten wirke, wenn jene »von der Möglichkeit oder vom Interesse an politischer Betätigung ausgeschlossen sind« oder »sich selbst aus irgendwelchen Gründen von der Politik zurückgezogen haben.« 11 Die Gnosis sei eine Bewegung der Bildungsschichten, die sich erzwungen oder freiwillig »von politischem Einfluss und politischer Betätigung« abgewandt hätten.12 Leider ist M. Webers These zu widersprechen. Gerade der Manichäismus, dem sein Hauptaugenmerk galt, war nicht eine Bewegung derer, die sich ————— 9

R. Reitzenstein, Die iranischen Erlösungsmystherien, Bonn 1921, 146. Vgl. dazu vor allem C. Colpe, Die religionsgeschichtliche Schule. Darstellung und Kritik ihres Bildes vom gnostischen Erlösermythus, FRLANT 78, Göttingen 1961; H.-M. Schenke, Der Gott »Mensch« in der Gnosis, Göttingen 1962. 11 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 306. 12 Ebd., 307. 10

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis

»von politischem Einfluss und politischer Betätigung« abgewandt hatten. Die Manichäer waren von Anfang an politisch interessiert und in der Geschichte ihrer weltweiten Verbreitung tatsächlich mehrmals an der Politik beteiligt. Der Manichäismus lässt sich nicht in die Schablone der »gnostischen Weltflucht« hineinpressen. Damit stellen wir freilich keine absolut neue These auf. Dieselbe Ansicht ist in der bisherigen Foschungsgeschichte wenn auch nur von wenigen Forschern schon vertreten worden, zum Beispiel von H.J.W. Drijvers. Nach ihm hat für die Manichäer das Göttliche deutlich mit der vorgegebenen materiellen und physischen Welt zu tun und ist im ganzen Kosmos »fast handgreiflich vorhanden.« Daraus ergeben sich das manichäische Selbstverständnis, mit dem Schicksal der Welt verbunden zu sein, und ihre asketische Ethik. In dieser Hinsicht zeigt der Manichäismus eine auffallende Parallelität zum Asketismus, der von jeher im syrischen Christentum erkennbar war. Beiden ist der geistige Heroismus gemeinsam, mitten in Chaos und Verwirrung der Welt das wahre Menschsein verwirklichen zu wollen. Die den Manichäern eigentümliche aktive Beteiligung am Weltgeschehen weicht von der üblichen These, die die Gnosis im Allgemeinen als weltflüchtig oder -ablehnend bezeichnet, deutlich ab.13 Damit wird freilich nicht bestritten, dass es gnostische Schulen gibt, für die die Abwendung von politischem Einfluss und politischer Betätigung, also die Entpolitisierung, charakteristisch ist. Dazu gehört die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs. Die vorher zitierte Definition M. Webers trifft auf diesen Typ der Gnosis voll und ganz zu. Deshalb kann man sagen, dass bei M. Webers These zwischen dem Begriff der Gnosis und dem Inhalt ihrer Lehre eine Verwechslung stattgefunden hat. Sein Gnosis-Begriff meint die »vorderasiatische Gnosis«, d.h. den Manichäismus, während seine inhaltliche Definition nur auf die Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs zutrifft. Dieselbe Verwechslung droht auch bei Kippenberg stattzufinden, wenn er die beiden Typen der Gnosis nicht genügend voneinander unterscheidet. Im vorliegende Buch wird aber nicht nur die unterschiedliche politische Einstellung in der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs und im Manichäismus herausgearbeitet, sondern auch der mythologische Grund für diesen Unterschied. Dieser liegt darin, dass die mythologische Verortung der irdischen herrschenden Macht und damit auch die Motivation und Sinngebung für die politische Beteiligung jeweils anders sind.14 Hier zeigt sich deutlich, dass die Vorstellung vom Heil – so absurd einem der Mythos, der sie beschreibt, auf den ersten Blick erscheinen mag – mit der alltäglichen Lebensweise unter Einschluss der Teilnahme an der Politik und mit einem bestimmten Ethos in engem Zusammenhang steht. Das war – daran sei hier —————

13 Vgl. H.J.W. Dijvers, Athleten des Geistes. Zur politischen Rolle der syrischen Asketen und Gnostiker, in: J. Taubes (Hg.), Gnosis und Politik, München 1984, 109–120. 14 Vgl. den Schluss von Kap. V.

Pro und Contra zur These Max Webers

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erneut erinnert – M. Webers Grundtheorie. Aufgrund dieser Theorie hat er in seinem Werk »Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« (1. Aufl., 1905, 2. bearb. Aufl., 1920)15 herausgearbeitet, wie die puritanische Glaubenslehre einschließlich der Prädestinationslehre, die in der ganzen christlichen Dogmengschichte als eine der abstraktesten gilt, eine Ethik der innerweltlichen Askese hervorgerufen hat, und wie der Reichtum, der sich daraus ergab, zur Entstehung des frühen Kapitalismus geführt hat. Deswegen soll der gegenwärtige bürgerliche Kapitalismus den mit einer solchen verinnerlichten Ethik verbundenen Geist nicht verlieren – das wäre M. Webers Gedanke gewesen. Aufgrund derselben Theorie hat er ferner in »Das antike Judentum« (1920)16 gezeigt, wie der Glaube (Theodizee) des Propheten Jeremia, der die Katastrophe des babylonischen Exils des jüdischen Volks als Jahwes Strafe für seine Übertretung des Bundes uminterpretierte, die Kraft in sich trug, die Nationalkrise zu überwinden. Diese prophetische Kraft sei auch wirksam in der paulinischen Theologie des Kreuzes und präge heute noch wegen des Pauluszentrismus des protestantischen Glaubens die Ethik der deutschen bürgerlichen Gesellschaft in der Neuzeit. So könnte man M. Webers Gedanken weiterführen.17 Die auf diese konkreten Einzelstudien angewandte Grundtheorie Webers ist schließlich im Kapitel V in »Wirtschaft und Gesellschaft«: Religionssoziologie, vor allem in §10 »Die Erlösungswege und ihr Einfluss auf die Lebensführung«, mit vielen idealtypischen Thesen wie den vorher zitierten Paragraphen vorgelegt worden. »Dass eine Veränderung innerhalb der Weltanschauung einen – mitunter radikalen – Wandel in der Praxis auslöst, ist eine der Grundeinsichten in Max Webers Studien der religiösen Systeme in ihrem jeweiligen sozialen und historischen Kontext. M. Weber wollte insbesondere zeigen, wie grundlegende theologische Vorstellungen die ethische Haltung der Gläubigen beeinflussen.«18 Die Teilnahme an der Politik im Manichäismus ist ein sichtbarer Nachweis für die Richtigkeit von M. Webers Grundtheorie. Ein anderer Nachweis dafür ist die Affinität des Manichäismus zum Handel und seine NichtAffinität zur Landwirtschaft. Sein eigenartiger Animismus führt dazu, dass sich der Manichäismus vor der Landwirtschaft scheut. Wie im Paragraphen 8 seines rekonstruierten Mythos19 zu sehen ist, sind Teile des Lichts in alle Tiere, Pflanzen und sonstigen Dinge auf der Erde zerstreut worden und in —————

Abdruck in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen 51963, 17–206. Abdruck in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III, Tübingen 41966, 1–400. 17 Dazu vgl. Y. Ueyama, Religion und Wissenschaft. Zwischen Judentum und Christentum, Tokio 2005, 139, 147f (japanisch). 18 G.G. Stroumsa, Die Gnosis und die christliche »Entzauberung der Welt«, in: Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik, W. Schluchter (Hg.), Frankfurt a.M. 1985, 486–508, hier bes. 499. 19 Vgl. Kap, V, Abs. 2,1. 15 16

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis

ihnen enthalten. Deshalb wird in Acta Archelai gesagt, die Manichäer seien davon überzeugt gewesen, dass wer auf der Erde laufe, die Seele (d.h. die Teile des Lichts) der Erde, wer seine Hand bewege, die Seele der Luft beschädige.20 Wer durch Landwirtschaft Getreide oder Gemüse züchte, könne nicht umhin, die Pflanzenseele zu beschädigen. Nach seinem körperlichen Tod werde er selbst zur Pflanze und werde beschädigt werden. Es stehe gleich auch mit dem, der Vögel oder Mäuse beschädige. Es gebe nur einen einzigen Weg, dieser Seelenwanderung zu entkommen: Man müsse den Erwählten (electi) Essen zum Opfer bringen, damit die darin enthaltenen Teile des Lichts von ihnen »gefiltert« und eingesammelt werden könnten. Erst so würde dem die »Sünde« vergeben werden, der die Teile des göttlichen Lichts durch die Landwirtschaft beschädigt habe. Deshalb ist die Landwirtschaft für die manichäische Berufsethik nur ein unvermeidliches Übel. Auch nach Augustins Bericht in seinen Psalmenpredigten 140,12 waren die Manichäer davon überzeugt, dass im All des Universums »ein Funke der höchsten und wahren Gottheit« gebunden sei. Dieses gebundene Licht nannten sie »das Lichtkreuz«, denn das Licht sei und bleibe an den Kosmos gekreuzigt und warte auf die kommende Erlösung aus ihm. Die Landwirtschaft beschädige »das Lichtkreuz« sehr, der Handel – ja sogar der Wucher – aber nicht.21 So wird der Handel in diametralem Gegensatz zur Landwirtschaft zu einer göttlichen Berufung. Es ist kein Zufall, dass es hauptsächlich sogdische Kaufleute waren, die den Manichäismus von Transoxonien auf der Seidenstraße entlang nach Osten verbreiteten, sondern dieses Denken war zutiefst im manichäischen Mythos verwurzelt. Auch die weltweite Mission des Manichäismus war im Mythos selbst begründet. Zu allen Zeiten und an allen Orten bietet die »Globalisierung« in erster Linie dem Handel eine Chance. Auf diese Weise hat sich zu M. Webers These sowohl ein Pro als auch ein Contra ergeben.

2. Vorschlag für die gegenwärtige Sozialphilosophie Vorschlag für die gegenwärtige Sozialphilosophie Außer M. Weber gibt es noch ein anderes Beispiel dafür, dass die allzu schnelle Gleichsetzung der Gnosis mit dem Manichäismus eine Unsauberkeit in der Argumentation verursacht. Sie zeigt sich in einer Reihe von Ar-

————— 20 21

Hegemonius, Acta Archelai, GCS 16, Ch.H. Beeson (Hg.), Berlin 1906, 15–17. Vgl. A. Adam, Texte zum Manichäismus, 64.

Vorschlag für die gegenwärtige Sozialphilosophie

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beiten von H. Blumenberg über die Neuzeit, angefangen mit dem Buch »Legitimität der Neuzeit I: Säkularisierung und Selbstbehauptung«.22 Darin kommt Blumenberg auf Augustins Prädestinations- und Sündenfallslehre zu sprechen und bezeichnet beide als »die nicht überwundene, sondern nur transponierte Gnosis.« 23 Diese Ansicht ist in der Foschung schon vor und auch nach ihm oft vertreten worden. Als neuere Beispiele seien G. Stroumsa24 und etwas früher A. Adam25 und A. Böhlig genannt.26 Die Originalität Blumenbergs besteht aber darin, das Problem in den größeren Rahmen der Säkularisierung der europäischen Gesellschaft zu stellen und zu erörtern. Nach Blumenberg lag das Wesen der in der europäischen Neuzeit vor sich gegangenen Säkularisierung der Gesellschaft in der Befreiung des Triebs des »Humanen« zur Selbstbehauptung. Der »theologische Absolutismus« der Scholastik, die das europäische Mittelalter beherrscht hatte, habe so sehr die Souveränität Gottes betont, dass er in »die vom Humanen isolierte Verhärtung« 27 geraten sei. Das Wesen der neuzeitlichen Säkularisierung, i.e. die »Selbstbehauptung« des Humanen, sei »der Gegenzug der Rückholung der verlorenen Antriebe, der neuen Konzentration auf das Interesse des Menschen an sich selbst.«28 Viel früher als die Scholastik hätte die Gnosis noch vor Beginn des Mittelalters gegen Ende der Spätantike eine weltflüchtige Einstellung vertreten und einen denkbar großen Gegensatz zu einer solchen Selbstbehauptung des Menschlichen gebildet. Sie sei gerade das gewesen, was es zu überwinden gälte. Augustin habe zwar auf der Schwelle von der Spätantike zum Mittelalter ihre Überwindung versucht und sei auch subjektiv vom Gelingen dieser Überwindung überzeugt gewesen. Dennoch sei seine Denkstruktur eine ins Christentum »transponierte« Gnosis gewesen. Deshalb sei die Säkularisierung, die die europäische Neuzeit nach dem Ende des Mittelalters gekannt hatte, gleichsam als »die zweite Überwindung der Gnosis« 29 zu verstehen. »Legitimität der Neuzeit« beweise die Überwindung dessen, was es zu überwinden galt. Damit formulierte H. Blumenberg eine —————

22 H. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit I: Säkularisierung und Selbstbehauptung, Frankfurt a.M. 1974. 23 H. Blumenberg, ebd, 156. 24 C.G. Stroumsa, König und Schwein. Zur Struktur des manichäischen Dualismus, in: J. Taubes (Hg.), Gnosis und Politik, 141–153. 25 A. Adam, Der manichäische Ursprung der Lehre von den zwei Reichen bei Augustin, TLZ 77, 1952, 385–390. 26 A. Böhlig, Zu gnostischen Grundlagen der Civitas-Dei-Vorstellung bei Augustin, ZNW 60, 1969, 291–295, abgedruckt in ders., Gnosis und Synkretismus, 1. Teil, WUNT 47, Tübingen 1989, 127–134. 27 H. Blumenberg, Legitimität der Neuzeit I, 209. 28 H. Blumenberg, ebd., 209. 29 H. Blumenberg, ebd., 144.

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis

Antithese gegen E. Vögelin, J. Taubes, K. Löwith u.a., die die europäische Neuzeit als ein gnostisches Zeitalter definiert hatten.30 In der »Selbstbehauptung des Humanen« zur Weltveränderung, von der H. Blumenberg spricht, müssen nun notwendigerweise auch das Selbstständigwerden und die Autonomie des »Politischen« gegenüber dem »theologischen Absolutismus« des Mittelalters auf der einen Seite und der gnostischen Weltflucht, die seit dem Ende der Antike unüberwunden geblieben war, auf der anderen Seite enthalten sein. H. Blumenbergs These hat nämlich auch eine politologische Relevanz, insofern als das politische Handeln des Menschen zur Veränderung der Welt seine Legitimität aus der Überwindung der gnostischen Weltflucht und -ablehnung erhält. Von denen, die sich mit H. Blumenbergs These auseinandergesetzt haben, interessiert hier O. Marquard.31 Nach O. Marquard ist die Neuzeit gegengnostisch geprägt durch eine »Positivierung der Welt durch Negativierung der Weltfremdheit.« 32 Die Neuzeit sei ein »Zeitalter der Neutralisierung« (C. Schmidt), das die Heilseschatologie, die die vorgegebene Weltordnung als eine vergehende negativ bewertet habe, unwiederbringlich enteschatologisiert habe. Eine typische Erscheinung dieser Neutralisierung und Enteschatologisierung sei die Theodizee von Leibniz gewesen. Bei ihm habe sich der weltfremde Gott Marcions und des Manichäismus in einen »weltklugen Gott«, den »bestmöglichen Gott der bestmöglichen Welt«, verwandelt. Diesem Gott entspreche wiederum der Politikbegiff Bismarcks, der die Politik als die »Kunst des Möglichen« definiert habe.33 Soweit schließt sich O. Marquards Argument, wie er selbst sagt, H. Blumenberg locker an. Er unterscheidet sich aber von H. Blumenberg durch die These, dass schon eine »Gegenneuzeit« aufgetaucht sei und sich der Neuzeit widersetze. Diese Gegenneuzeit sei charakterisiert durch die »Entneutralisierung, die die Heilsfrage wieder stellt und die Eschatologie – parasitär zur Neuzeit – wieder einführt.« Damit ist konkret »die revolutionäre Geschichtsphilosophie« gemeint. »Das ist die Wiederkehr der gnostischen Eschatologie: die Rache der zweimal überwundenen Gnosis an ihrer zweiten Überwindung.« O. Marquard nennt es »das gnostische Rezidiv.« 34 Jetzt werde die Weltfremdheit durch die Negativierung der Welt wieder positiv bewertet. Aber für diese rezidive Gnosis gebe es keine Zukunftschance: Die durch das »gnostische Rezidiv« definierte Politik verabschiedet den – für die neuzeitliche Politik essentiellen – Bestmöglichkeitsgedanken durch das – gegenneuzeitliche – Alles-oder-nichts-Prinzip: man braucht auf die Welt, die sowieso zu Ende geht,

————— 30 Zur These Blumenbergs vgl. auch T. Onuki, Heil und Erlösung, 408–411. 31 O. Marquard, Das gnostische Rezidiv als Gegenneuzeit. Ultrakurztheorem in lockerem Anschluß an Blumenberg, in: J. Taubes (Hg.), Gnosis und Politik, 31–36. 32 O. Marquard, ebd., 33. 33 O. Marquard, ebd., 34. 34 O. Marquard, ebd., 35.

Vorschlag für die gegenwärtige Sozialphilosophie

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keine Rücksicht zu nehmen; so bedeutet – ich wiederhole es – »Gnosis als Politik« den Einbruch der Weltfremdheit in das Politische, oder: die Weltfremdheit zum Prinzip des Gegenteils der Weltfremdheit zu machen, und das – ich wiederhole und unterstreiche es – kann nicht gutgehen.35

Man sieht deutlich, wie das Pendel in der Neuzeit-Diskussion mit Blumenberg in der Mitte angelangt ist und jetzt schon wieder um den halben Weg zurückschwungen ist. Bei E. Vögelin war das »gnostische Rezidiv« die Defintion für die Neuzeit als Ganze. Blumenberg hat dieselbe Neuzeit als die »(zweite) Überwindung der Gnosis« definiert. Marquard geht sozusagen den halben Weg zurück zu Vögelin und macht das »gnostische Rezidiv« zur Definition der »Gegenneuzeit.« Auf weitere Einzelheiten der Diskussion über die Neuzeit und Gegenneuzeit wollen wir nicht eingehen. Uns liegt vielmehr am fragwürdigen Gebrauch des Gnosisbegriffs in dieser Diskussion. Was vor allem Blumenberg mit »Gnosis« bezeichnet, ist in erster Linie die Gnosis, wie wir sie durch Augustins Augen kennen, also der Manichäismus. H. Blumenberg erörtert die Gnosis freilich auch in anderen Aufsätzen.36 In ihnen behandelt er unter den Nag-Hammadi-Schriften das Apokryphon des Johannes eingehend, wobei er aber den strukturellen Unterschied zwischen dem Mythos des syrisch-ägyptischen Typs und dem des Manichäismus außer Acht lässt. Er setzt den Manichäismus mit der Gnosis als Ganzer gleich. An einer Stelle bezeichnet er zwar den Mythos, in dem der Demiurg wie Jaldabaoth im Apokryphon des Johannes auftritt – nach unserer Terminologie den syrisch-ägyptischen Typ – als den »Grundmythos der Gnosis«. Aber unmittelbar danach schreibt er, Augustin habe mit ihm zu kämpfen gehabt und dagegen seine Lehre über den Sündenfall und den freien Willen des Menschen als »Gegenmittel« oder »Abwehr« eingesetzt, wobei dieser Einsatz zu einer »Umbesetzung der Funktionsstelle des Demiurgen« geführt habe.37 Im Lichte dessen, was das vorliegende Buch herausgearbeitet hat, ist klar, dass hier dieselbe Verwechslung wie bei Weber eingetreten ist. Sie ist eine Folge aus der Gleichsetzung des Manichäismus mit der Gnosis als Ganzer. Der gnostische Mythos des syrisch-ägyptischen Typs wird promiscue mit dem manichäischen behandelt. Außerdem wird stillschweigend vorausgesetzt, dass der Manichäismus apolitisch, entpolitisiert und weltflüchtig gewesen sei. Es ist auch nicht angemessen, wenn O. Marquard in engem Anschluss daran sagt: »so bedeutet ... ›Gnosis als Politik‹ den Einbruch der Weltfremdheit in ————— 35

O. Marquard, ebd., 36. H. Blumenberg, Grundmythos und Kunstmythos, in: ders., Arbeit am Mythos, Frankfurt a.M. 3 1984, 192–238; Leibgefängnis und Weltkerker, in: ders., Höhlenausgänge, Frankfurt a.M. 1989, 227–234. 37 H. Blumenberg, Grundmythos und Kunstmythos, 220f. 36

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Schluss: Neuzeit-Diskussion und Gnosis

das Politische, oder: die Weltfremdheit zum Prinzip des Gegenteils der Weltfremdheit zu machen.« Das entspricht wenigstens dem Manichäismus in keiner Weise. Der Manichäismus war weder weltflüchtig noch entpolitisiert. Im Gegenteil, er war eine Religion, die immer eine Affinität zur Politik aufwies und nach politischer Teilnahme strebte. Die Epoche der Forschung, die die Gnosis mit dem Manichäismus gleichsetzte, ist schon längst vorbei. Die Gnosis-Diskussion im Bereich der Sozialwissenschaft und -philosophie ist in ihrem Gebrauch des Gnosisbegriffs erneuerungsbedürftig. Außerdem gilt es, der Struktur des gnostischen Mythos selbst näher zu kommen und den inneren Zusammenhang, der zwischen ihr und der politischen Haltung der betreffenden Gnostiker besteht, genau zu analysieren – hier vom Weberschen Standpunkt aus.

Nachwort Nachwort Nachwort Im vorliegenden Buch wurde in Kapitel IV und Kapitel V das Thema »Gnosis und Politik« jeweils aus der Perspektive des syrisch-ägyptischen und des manichäischen Typs erörtert. Kapitel IV hat dabei den syrischägyptischen Typ idealtypisch behandelt, weil seine Mythen so vielfältig sind.1 Historisch betrachtet gab es aber viele unterschiedliche Gnostikerschulen, die diesem Typus zuzurechnen sind. Außerdem veränderte sich manchmal sowohl der Mythos als auch das Lehrsystem innerhalb derselben Schule im Laufe der Zeit. Diese Veränderung lässt sich, um mit H. Jonas zu sprechen, im Großen und Ganzen als Übergang »von der mythologischen Gnosis zur philosophisch-mystischen Gnosis« 2 beschreiben. Dieser Übergang kann vom zweiten auf das dritte Jahrhundert n.Chr. am deutlichsten nachgewiesen werden. In Folge dessen lehnten sich diejenigen Schulen, die sich im zweiten Jahrhundert n.Chr. noch mythologisch ausgedrückt hatten, an das Lehrsystem des Mittel- und Neuplatonismus an und entwickelten eine auffällige morphologische Ähnlichkeit zu diesem.3 Dieser Übergang blieb selbstverständlich auch für die Einstellung der betreffenden Gnostikerschulen zur Politik nicht ohne Folge. Denn abhängig von der Veränderung des Mythos und des Lehrsystems wandelte sich auch die Auffassung vom Demiurgen, der ja die sichtbare Welt erschaffen hat und sie gegenwärtig auch beherrscht. Damit veränderte sich natürlich auch die Einstellung gegenüber der Politik und der realen Welt überhaupt. Die Auffassung vom Demiurgen begann sich schon bei den Valentinianern, einer der für das zweite Jahrhundert n.Chr. repräsentativen Gnostikerschulen, zu wandeln. Der Demiurg wurde bei ihnen, anders als bei anderen mythologischen Schulen, nicht eindeutig negativ bewertet. Die Ptolemäer, eine Untergruppe der valentinianischen Schule, stellten sich nach Irenäus, »Gegen die Häresien« I,5,3, vor, dass der Demiurg die sichtbar-materielle Welt auf Veranlassung seiner Mutter Aachmot4 erschuf. Auch das Ereignis seiner Entstehung selbst, nämlich dass die Sophia ihn hervorgebracht hatte, ————— 1

Vgl. meine Ausführungen in Kap. I, Abs. 4. H. Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Bd. II,1: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie, Göttingen 1954, 21966. 3 H. Jonas, ebd., 157. 4 Eine andere Seinsphase der Sophia, der untersten Gottheit des Pleromas. 2

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Nachwort

wird im Unterschied zu anderen mythologischen Gruppen nicht mit dem verbreiteten Topos »Fehltritt« bezeichnet. Hier ist unverkennbar eine Tendenz vorhanden, den Demiurgen und die von ihm erschaffene Welt gleichsam zu »rehabilitieren«. Unübersehbar ist auch, dass diese Tendenz mit der Sicht des zeitgenössischen Mittel- und Neuplatonismus Schritt hält. Unter den mythologischen Gnostikerschulen besaßen nach H. Jonas die Valentinianer die »mystische Potenzialität«5 am meisten. Nach der opinio communis der Forschung ist der Tractatus Tripartitus (NHC I,5) in den Kreisen der Valentinianer entstanden, und zwar in deren Spätphase (2. Hälfte des 3. Jh.n.Chr.). Das vorliegende Buch hat diese Schrift wiederholt als Beleg für den gnostischen Mythos des syrischägyptischen Typs angeführt. Aber darüber hinaus ist in ihr der Übergang von der Mythologie zur philosophisch-mystischen Gnosis weit vorangekommen. Der Akteur, der den »Fehltritt« begeht, wird nicht mehr wie in der mythologischen Gnosis »Sophia«, sondern »Logos« genannt. Sowohl seine Entstehung als auch sein Wagnis seien nicht ohne Zustimmung des »Vaters« (d.h. des höchsten Seins) des Pleroma geschehen. Deshalb solle der Logos für sein Wagnis nicht getadelt werden, als ob es ein »Fehltritt« gewesen sei (NHC I 77,6–7). Im unteren Bereich kommt ferner ein Demiurg hervor und erschafft die ganze sichtbare Welt, die »Oikonomia« genannt wird. Es wird dann gesagt, dass alles, was in ihr vorhanden ist und vor sich geht, zwar unter der Herrschaft des Demiurgen steht, in Wirklichkeit aber von dem heiligen und unsichtbaren Geist geführt wird, der ihn im Geheimen leitet (NHC I 101,4–5). Was für eine Einstellung gegenüber Gesellschaft und Politik ergibt sich aus dieser Sicht der Welt und des Demiurgen? Bezüglich dieser Frage ist neuerdings I. Dunderberg nach einer Analyse des Tractatus Tripartitus zu folgendem Ergebnis gekommen: The political stance in the Tripartite Tractate is, thus, twofold: on the one hand, lust for power is of dubious origin, but, on the other, it is considered necessary for the administration of oikonomia. This double stance does not really encourage »rebellion against wordly authority«, a view often regarded as the typically gnostic attitude to society. (…) It is argued in it (id. Tripartite Tractate) that lust for power was made useful by the Logos; that lust for power is, therefore, sine qua non in the oikonomia forseen by the Father.6

————— 5

H. Jonas, ebd., 157. I. Dunderberg, Lust for Power in the Tripartite Tractate (NHC I,5), in: Coptica-GnosticaManichaica. Mélange offerts à W.-P. Funk/L. Painchaud/P.-H. Poirier (Hg.), Québec/Louvain/Paris 2006 (BCNH Etudes 7), 237–257, hier bes. 256 (Auslassung von R. Nagel). Myth, Lifestyle, and 6

Nachwort

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Dieser Schlussfolgerung möchte ich nur noch einen Punkt hinzufügen: Der hier beschriebene Wandel hin zu einer positiveren Einstellung zur Gesellschaft und zur realen Politik beschränkt sich prinzipiell nicht auf die Valentinianer. Gute Beispiele dafür sind die Schriften »Zostrianus« (NHC VIII,1) und »Marsanes« (NHC X). Beide stammen von den sogenannten Sethianern. Daran besteht kein Zweifel, weil in beiden Schriften häufig die dieser Schule eigentümlichen Termini wie z.B. » Barbelo« und gelegentlich auch die Selbstbezeichnung »heiliger Same des Seth« vorkommen. Auf der anderen Seite gehört ja auch das Apokryphon des Johannes (NHC II,1; III,1; IV,1; BG 8502) zu dieser Schule. Dort stellen der Demiurg und die von ihm erschaffene sichtbar-materielle Welt aber, wie schon wiederholt aufgezeigt, eindeutig das Prinzip des Bösen dar. Anders in den Schriften »Zostrianus« und »Marsanes«: Hier sind zwar ebenfalls mythologische Aussagen zu finden, die die sichtbar-materielle Welt und ihren Schöpfer negativ bewerten. Aber im Großen und Ganzen scheinen beide Schriften zu einer eher positiven Einstellung zu Politik und Welt zu tendieren. Dazu lässt sich beispielsweise bei »Marsanes« eine aufschlussreiche Passage anführen: Das ganze [sinnlich wahrnehmbare] Wesen gleicht nun dem [intelligiblen Wesen] und dem Wesenlosen. [Ich (Marsanes)] habe doch die ganze Verderbtheit des ersteren und die Unsterblichkeit des letzteren erkannt. Ich habe Unterscheidungen vorgenommen und bin bis an das Ende der sinnlich wahrnehmbaren und einzelnen Welt, d.h. an den ganzen Bereich des unkörperlichen Wesens, gelangt. Und er7 erkannte die intelligible Welt, indem er durchforschte, ob diese wahrnehmbare Welt wert ist, als ganze gerettet zu werden. (NHC X 5,14–26).8

Leider ist der koptische Text sehr wahrscheinlich verderbt und daher schwer zu übersetzen. Trotzdem ist soviel klar, dass die Möglichkeit der Errettung der sinnlich wahrnehmbaren Welt im Ganzen eine Erwägung wert ist. Welche Haltung gegenüber der Gesellschaft und Politik ist daraus zu folgern? Denkbar ist nur diejenige, die der Schlussfolgerung I. Dunderbergs aus dem Tractatus Tripartitus mehr oder weniger nahekommt. Sowohl »Zostrianus« als auch »Marsanes« sind späte Vertreter der sethianischen Schule. Die Urfassungen dieser Texte sind wohl zwischen der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts n.Chr. und – spätestens – der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts n.Chr. entstanden. Beide weisen schon ————— Society in the School of Valentinus, Columbia UP, New York 2008 konnte noch nicht berücksichtigt werden. 7 Wohl durch »ich« zu ersetzen, Marsanes meint hier wohl sich selbst. 8 Vgl. die Übersetzungen: P.-H. Poirier/J.D.Turner, Marsanès (NH X), in: Ecrits gnostiques. La bibliothèque de Nag Hammadi, J.-P. Mahé/P.-H. Poirier (Hg.), Paris 2007, 1444–1445, W.-P. Funk, Marsanes (NHC X), in: Nag Hammadi Deutsch 2, H.-M. Schenke/H.-G. Bethge/U.U. Kaiser (Hg.), Berlin 2003, 721.

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Nachwort

eindeutige Einflüsse der platonischen Schulphilosophie auf.9 Das bedeutet, dass auch die Sethianer in der Entwicklung von der mythologischen Gnosis hin zur philosophischen Mystik ziemlich weit vorangeschritten sind. Hat sich die Haltung zu politischer Beteiligung auch innerhalb der Gnosis des syrisch-ägyptischen Typs gewandelt, als sie von der mythologischen Stufe auf die der philosophischen Mystik überging? Diese Frage ist im vorliegenden Buch kaum gestellt worden. Ihr möchte ich, wenn mir noch die Zeit dazu gegeben sein wird, in einer anderen Arbeit nachgehen, und zwar in der Untersuchung derjenigen Nag-Hammadi-Schriften und einiger anderer Primärtexte, deren Behandlung ich in diesem Buch nur oberflächlich streifen konnte.

—————

9 Es besteht opinio commnunis der Forschung darüber, dass »Zostrianus« diejenige Schrift ist, auf die sich Plotin mit seiner Schrift »Gegen die Gnostiker« (Enneades II,9) bezieht. Aber es ist unsicher, ob sich Plotin wirklich auf die Version des »Zostrianus« bezieht, die uns in NHC VIII,1 vorliegt.

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Stellenregister

Stellenregister Stellenregister

I Altes Testament Genesis

20,3–5

25

1,1–2,4a

27

20,5

89

1,2

75

34,14

25

1,26

45

1,31

138

Numeri

2,7

14,46,86

11,27–29

24

2,9

90,92

25,10–11

25

2,16–17

99

2,17

88,89,92,101

Deuteronomium

2,19–20

90,91

4,24

26

2,20

98

5,9

26

3

14,91,93,95,97,98

6,15

26

3,1–7

87,90,92,92,100

29,19–20

25

3,3

88,89,101

32,16

26

3,9

89

32,19–21

26

3,22

90

32,21

31

4,1–16

25

26,12–14

22

Josua

27,1–40

25

24,19

29,31

22

30,1–2

23

1.Samuel

37–48

23,119

18,6–9

24

37,3

139

22,11–19

140

37,3–11

23

37,31

139

Ijob

45,8

23

2

96

41,25

98

26

Exodus 20,1–17

152

Psalmen

20,2

72,78

106,16

24

20,3

27

144,3–4

98

218

Stellenregister

Jesaja 1–39

26

46,9

13,26,72,152

56–66

26

14,12–15

96

40–55

26

Ezechiel

44,6

72,157

16,33

26

44,6–8

26

16,41–42

26

44,28

132

45,1

132

45,5

13,26,72,157

45,21

26,72,152

Nahum 1,2

26

II Alttestamentliche Apokryphen Leben Adams und Evas

Testament Juda

Kap.12–16

13,3

95

Griechische Baruchapokalypse 4,8

97

Testament Dan 1,6

119

Testament Gad

4. Makkabäerbuch

4,1–5,3

1,27

117

2,15

117

Testament Ruben 119

Testament Simeon

119

Weisheit Salomos

Testamente der Zwölf Patriarchen 3,5

119

2,21–24

97,99

2,24

100,142

Martyrium und Himmelfahrt des Propheten Jesajas 1–5

158

3,4

128

4,2

157

4,2–9

118

4,6–8

157

6–11

158

III Neues Testament Matthäusevangelium

20,1–15

28,29

4,9

144

20,13–15

28

6,22–23

30

20,15

56

9,20

29

27,18

31,179

10,42

105

18,6

105

Markusevangelium 7,21–23

30

219

Stellenregister 13,14

144

3,1

31

15,10

31,94,99,179

4,17–18

30

5,21

30

5,26

30

Lukasevangelium 4,7

144

10,18

96

Philipperbrief

15,11–32

28

1,15

15,28

28

1. Timotheusbrief

Johannesevangelium

6,4

8,12

194

14,6

194

31

30

Titusbrief 3,3

Römerbrief 1,29

30

1. Petrusbrief

9–11

31

2,1

10,19

31

11,11

31

11,12

31

11,14

31

30

30

Offenbarung des Johannes 4,8

145

4,11

145

11,17

145

1. Korintherbrief

15,3

145

10,22

16,7

145

21,22

145

31

Galaterbrief 2,4

30

IV Kirchenväter Augustin(us) Widerlegung gegen den »Grundschrift« genannten Brief Manis Kap. 25

64

Psalmenpredigten 140,12

198

Basilius der Große von Cäsarea (Kappadokien) Über den Neid Kap. 4

99

1. Clemensbrief 3,2

30

De moribus Manichaeorum/Über die manichäische Lebensführung

3,3

141

3,4

142

Kap. 26

3–6

141

5

142

191

6,4

141,143

21,6

141

35,5

30

220 57,1

Stellenregister

Irenäus

141

Darlegung der apostolischen Verküngung

2. Clemensbrief 4,3

30

Kap. 16

99

Cyprianus von Karthago

Gegen die Häresien

Über die Eifersucht und Neid

I,1,1

113

Kap. 4

I,2,2–4

66

99

Didache Kap. 1–5

115

I,5,3

203

I,21,4

128f.

Johannes Chrysostomus

Eznik von Kolb

Homilien zur Genesis

Wider die Irrlehre

1,2

100

16,1

100

Gregorius von Nyssa

16,4

100

19,3

100

Große Katechese

22,2

100

46,5

100

1,12

6,2–3

100

99

Hegemonius

Petrus Chrysologus

Acta Archelai S. 15–17

Predigten über das Lukasevangelium 198

Kap. 39

100

(Seitenzahl nach Beeson)

Tertullianus

Hippolyt(us)

Über den Neid

Widerlegungen aller Häresien V,8,1–2

160

V,8,29–30

160

Kap. 5

99

V Jüdisches Schrifttum Josephus Flavius

Philo von Alexandrien

Antiquitates Judaicae/Jüdische Altertümer

De Opificio Mundi/Über die Weltschöpfung

VI 263–268

140f.

§ 21–22

62

XVIII, 256–309

144

§ 77

63

De bello Judaico/Jüdischer Krieg II, 184–203

144

Quod Deus sit Immutabilis/Über die Unveränderlichkeit Gottes §176

153

221

Stellenregister De Agricultura/Über die Landwirtschaft § 45

De

153

Confusione Linguarum/Über Verwirrung der Sprachen

§ 108

die

153

De Migratione Abrahami/Über Abrahams Wanderung § 182–183

63

Quod Omnis Probus Liber sit/Über die Freiheit des Tüchtigen § 13

63

Legatio ad Gaium/Gesandtschaft an Caligula § 32–42

146

§ 43–51

146f.

§ 52–62

146

§ 80

81,145

De Somniis/Über die Träume

§ 116

144

I, 223

139

§ 197–337

144

De Abrahamo/Über Abraham

§ 353

145

§ 203–204

63

§ 357

145

§ 242

153

§ 367

145

De Vita Mosis/Über das Leben Mosi II, 128

81,154

De Declogo/Über den Dekalog § 60–61

152

§ 178

153

De Specialibus Legibus/Über die Einzelgesetze

Rabbinisches Schrifttum Devarim Rabba Dtn 11

97

Pirqe Rabbi ben Eli’ezel 13,7b,19

98

Sanhedrin 59b

97

I, 319–321

139

I, 320

81

Targum Pseudo-Jonathan

II, 141

153

Gen 3,6

II, 173

154

II, 249

63,138

III,3

140

IV, 237

153

De Virtutibus/Über die Tugenden § 180

153

§ 223

81,137

De Praemiis et Poenis/Über Belohnungen und Strafen § 87

137

§ 163–167

138

§ 168

138

97

Yalqut Shim’oni Gen 25

97

222

Stellenregister

VI Griechisch-römische Literatur Alexander von Lykopolis Über die Lehrsätze der Manichäer 169,178

Dio Cassius Römische Geschichte

Alkinoos

LIX,24,3

Grundriss der platonischen Philosophie/ Didaskalikos (Seiten- und Zeilenzahl nach Whittaker)

Diogenes Laertios

144

Leben und Meinungen berühmter Philosophen

164,18–27

151

164,27–31

60

164,36–165,4

61

165,1–4

151

167,4–15

60,62,65

Phönizische Frauen/Phoenissae

167,4–46.41–46

65

539

184,20–36

34

186,14–24

35

VII,110

33

Euripides 136

Herodot Historien

Aristoteles

I,46–94

132

I,95

132

60,101

I,95–130

132

1071b4

151

I,141–216

132

1072b18–21

60

III,66–79

132

1074b30–1075a5

60

III,80

132

III,80,3

17

III,81–83

132

Metaphysica 982b28–983a2

Rhetorik 1381b16

34

1387b22–30

34

1387b25–29

60,135

1387b25–30

73

1388a16

34

Cicero Gespräche in Tusculum/Tusculanae Disputationes IV,38

32

IV,42

32

IV,43

32

IV,46

32

IV,47

32

Hesiod Werke und Tage/erga 25

34

25–27

77

Platon Phaidros 246A–B

36

246A–247B

35

246E–247A

36,59

247A

63,137,138

Politeia/Res Publica 571A

17

223

Stellenregister 580A

135

Timaios 29E

542E

137

543D

137

35,36,37,59,60,

Tischreden

61,62,101

681F–682A

29E–30A

36

90C

37

Gesetze/Nomoi/Leges 694AB

17,135

731AB

135

An einen ungebildeten Herrscher 771E

Nikias 132

Pelopidas

Naturkunde/Naturalis Historia XXVII,3

137

Große Griechen und Römer 6

Plinius der Große

30

25

78

142f.

Pseudo-Aristoteles Plotin(us)

Über die Welt/Peri kosmou/De mundo

Abstieg der Seele in die Leibeswelt

Kap.1

Enneades IV,8,1

Kap.2–4

149

Kap.5

150

Kap.6

152

61

Gegen die Gnostiker Enneades II,9,17

206

151

Seneca

Plutarch(us)

Briefe über Ethik an Lucilius/Epistulae

Moralia

116,1

33

Wie ist aus Feinden ein Nutzen zu ziehen? 91E

77

91F

77

92A

77

Über die Ruhe der Seele

Simplikius Einführung ins Handbuch der Ethik des Epiktetos Kap.27

470B

77

471A

77

Über die Bruderliebe

169

Stoicorum Veterum Fragmenta I,120

80

I, 206

116

484C–D

11,136,141,148

II,1027

80

486A–B

77

III, 378

116

486D

77

486F–487A

78

Kaiserviten

Über den Neid und Hass 537D

11

Wie lobt man sich selbst, ohne Neid hervorzurufen? 542B

Sueton(ius)

136

Caligula 12

146

22

143f.

22,1

81

224

Stellenregister

23

146

VIII 2,1

133

26

146

VIII 2,1–2

133

Domitianus 13

145

Nero 34

157

VIII 2,9

133

VIII 2,10

133

VIII 2,12

133

VIII 2,13

133,148

VIII 2,27–28

133,134

Vitellius

VIII 3,14

144

2

VIII 4,7–8

133

VIII 7,6–28

133

144

Xenophon Kyrupädie/Cyropaedia IV 4,13

144

V 3,18

144

VIII 7,13

133

VIII 7,14–16

134

VII Gnostische Schriften Nag-Hammadi-Codices (NHC) Evangelium Veritatis I 18,31–19,10

58

I 42,12–23

109

Tractatus Tripartitus

II 6,2–10par.

121

II 11,4–15

79

II 11,10

71

II 11,15–22

71

II 12,22–23

82

II 13,5–13

71 83

I 52,6–54,40

53

II 14,19–24?

I 53,5–20

55

II 15,20–21

82

I 53,21–33

62

II 15,29–19,2

83,84

I 54,40–55,27

55

II 18,14–19,2

84

I 60,1–34

55,64

II 19,10–20,5

85,157

I 60,13–15

55

II 21,1par.

84

I 61,20–62,33

57

II 23,24–35par.

93

I 70,19–31

56

II 30,11–31,27

125

I 77,6–7

204

II 31,27–32,9par.

92

I 95,2–16

125

I 101,4–5

204

I 103,13–29

106

I 107,27–108,13

126

Evangelium nach Philippus II 65,27–33 (Spruch 61c) 109 II 70,22–34 (Spruch 80) 86

I 121,38–122,12

107

Hypostase der Archonten

I 125,27–126,9

57

II 86,27–87,4

I 126,28–127,5

126

II 87,11–88,10

83

II 89,31–90,14

88

Apokryphon des Johannes II 1,1–2,25

92

71

II 94,4–19

66

II 94,19–95,5

72

II 95,5–13

74

225

Stellenregister II 95,5–96,3

75

II 95,13–25

75

Weisheit Jesu Christi (Sophia Jesu Christi)

II 95,26–96,3

75

III 94,14–95,18par.

53

II 96,3–15

75,97

III 96,19–97,12par.

56

II 97,1–13

159

II 99,14–100,3par.

160

Vom Ursprung der Welt

Dialog des Erlösers

II, 98,11–100,14

67f.

II 101,32

82

III 138,11–20

111,160

II 101,34–102,1

69

II 102,31–34

70

II 103,1

69

Apokalypse des Adam

II 103,2–14

72,75

V 82,19–83,4

II 103,15–104,3

122

Authentikos Logos

II 103,28–32

70,83

VI 23,7–34

108

II 104,2–17

75

VI 24,10–13

115

II 104,26–35

70

VI 30,27–31,7

108

II 106,19–29

76,97

II 106,29

75

II 106,30

82

Die zweite Apokalypse des Jakobus V 55,15–27

94

158

Paraphrase des SƝem VII 43,29–45,20

114

II 107,7–8

82

Der zweite Logos des großen Seth

II 107,17–22

70

VII 52,30–53,17

122

II 107,17–34

83

VII 53,27–33

74

II 107,31–34

91

VII 56,21–57,7

94

II 113,5–10

70

VII 58,28–59,9

109

II 113,8

118

VII 60,3–12

111

II 114,2–4

84

VII 62,27–64,17

74

II 115,8

122

VII 64,18–65,1

74

II 118,24–119,19

88

VII 65,18

73f.

II 120,12–14

122

VII 69,21

73f.

II 120,12–121,14

90

VII 79,22–31

106

II 123,24–28

105

II 123,32–124,32

104

II 124,32–125,14

159

II 126,32–127,5

114

II 127,5–14

159

II 127,14–17

115

Das heilige Buch des großen unsichtbaren Geistes (Das ägyptische Evangelium) III 58,23–59,4

122

VII, 76,27–77,16

159

105f.

VII 78,22

105

VII 79,22–31

106

Zeugnis der Wahrheit IX 32,23–33,9

93

IX 47,14–48,7

90

IX 73,3–6

89

Marsanes X 5,14–26

Eugnostos III 75,12–23par.

Apokalypse des Petrus

205

226

Stellenregister

Auslegung der Erkenntnis

15,27–16,2 (Kap. 1)

183

XI 15,19–38

112

156,32–33 (Kap. 63)

174

XI 17,25–38

113

178,25–179,12 (Kap. 73) 178 179,12–21 (Kap. 73)

179

Papyrus Berolinensis Gnosticus 8502 (BG)

183,11–33 (Kap. 76)

183

186,31–187,1 (Kap. 76)

185

Apokryphon des Johannes

188,4–6 (Kap. 76)

185

22,16–24,6 par.

53

Kap. 86

180

22,16–25,9 par.

53

Kap. 129

180

25,19–22par.

54

Kap. 165

180

26,15–27,8par.

54,55,60,64

27,10–15par.

92

Manichäisches Psalmbuch (Seiten- und Zeilenzahl nach Allberry)

27,19–20par.

124

79,24–31 (Kap. 263)

30,4par.

121

195,23 (Psalmen des Herakleides)

34,19–36,15par.

124

32,179

36,16–37,10par.

124

36,16–38,14par

71

Manichäische Homilien (Seiten- und Zeilenzahl nach Polotsky/Ibscher)

39,4–6par.

71

42,11–16

179

42,10–43,6

79,157

48

184

44,14–15par.

121

76,13–15

179

46,2–3

71

78,10

179

47,14–48,5par.

83,121

91,4–9

179

48,10–51,1par.

124

55,10–11par.

87

55,12–13par.

87

55,15par.

87

177

Manichäische Fragmente aus Turfan T III 260 c R II

180

M48

182

M5794

182

57,8–58,7

92

64,13–66,13par.

111

Fihrist (Seitenzahl bei G. Flügel)

64,13–71,1par.

125

84

184

64,13–71,2par.

103

85

184

Weisheit Jesu Christi (Sophia Jesu Christi)

90

191

106

189

105,14–106,9

Mas‘udis

108

Evangelium des Judas

Goldene Wiese

46 (Seitenzahl des Tchacos-Codex) 112

Manichäische Schriften und Zeugnisse über die Manichäer Kephalaia (Seiten- und Zeilenzahl nach Schmidt/Polotsky) 12,29–31 (Kap. 1)

32,179

Kap. 15

189

Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Band 95: Martina Janßen / Stanley F. Jones / Jürgen Wehnert (Hg.)

Frühes Christentum und Religionsgeschichtliche Schule

Band 89: Eric K.C. Wong

Evangelien im Dialog mit Paulus

Eine intertextuelle Studie zu den Synoptikern Festschrift zum 65. Geburtstag von Gerd Lüdemann. 2011. ca. 220 Seiten, gebunden Mit einem Geleitwort von Eduard Lohse ISBN 978-3-525-53037-5 2011. 218 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53977-4 Band 87: Christian Wetz

Band 92: Joseph Verheyden / Tobias Nicklas / Andreas Merkt (Hg.)

Ancient Christian Interpretations of „Violent Texts“ in The Apocalypse In Cooperation with Mark Grundeken 2011. ca. 180 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53976-7

Band 91: Michael Bachmann

Von Paulus zur Apokalypse – und weiter Exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studien zum Neuen Testament 2011. ca. 590 Seiten mit 15 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53398-7

Band 90: Dieter Sänger (Hg.) Gerhard Sellin

Allegorie – Metapher – Mythos – Schrift Beiträge zur religiösen Sprache im Neuen Testament und in seiner Umwelt 2011. 306 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55020-5

Eros und Bekehrung Anthropologische und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu »Joseph und Aseneth« 2010. 256 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-54007-7

Band 86: Florian Herrmann

Strategien der Todesdarstellung in der Markuspassion Ein literaturgeschichtlicher Vergleich 2010. VIII, 407 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55011-3

Band 85: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Quellen zur Geschichte des Partherreiches Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 3: Keilschriftliche Texte, Aramäische Texte, Armenische Texte, Arabische Texte, Chinesische Texte 2010. VIII, 512 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53388-8

Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments Band 84: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

Band 80: Darina Staudt

Quellen zur Geschichte des Partherreiches

Monotheistische Formeln im Urchristentum und ihre Vorgeschichte bei Griechen und Juden 2011. ca. 360 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55015-1

Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 2: Griechische und lateinische Texte, Parthische Texte, Numismatische Evidenz 2010. X, 639 Seiten mit 62 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53387-1

Der eine und einzige Gott

Band 78: Gerd Theißen

Von Jesus zur urchristlichen Zeichenwelt

Band 83: Ursula Hackl / Bruno Jacobs / Dieter Weber (Hg.)

„Neutestamentliche Grenzgänge“ im Dialog 2011. ca. 230 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55023-6

Quellen zur Geschichte des Partherreiches

Band 77: Ulrich Mell

Textsammlung mit Übersetzungen und Kommentaren. Bd. 1: Prolegomena, Abkürzungen, Bibliografie, Einleitung, Indices, Karten, Tafeln 2010. CXLIII, 256 Seiten mit 77 Abb. und 5 Karten, gebunden ISBN 978-3-525-53386-4

Band 82: Stefan Schreiber

Weihnachtspolitik Lukas 1-2 und das Goldene Zeitalter 2009. 174 Seiten mit 8 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-53392-5

Band 81: Georg Schelbert

ABBA Vater Der literarische Befund vom Altaramäischen bis zu den späten Midrasch- und HaggadaWerken in Auseinandersetzung mit den Thesen von Joachim Jeremias 2011. 413 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-55029-8

Christliche Hauskirche und Neues Testament Die Ikonologie des Baptisteriums von Dura Europos und das Diatessaron Tatians 2010. 340 Seiten mit 38 Abb. und 5 Tab., geb. ISBN 978-3-525-53394-9

Band 76: Timo Glaser

Paulus als Briefroman erzählt Studien zum antiken Briefroman und seiner christlichen Rezeption in den Pastoralbriefen 2009. 376 Seiten mit 6 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-53389-5

Band 75: Peter Lampe / Helmut Schwier (Hg.)

Neutestamentliche Grenzgänge Symposium zur kritischen Rezeption der Arbeiten Gerd Theißens 2010. 248 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-53393-2