Negative Politik: Zur Grundlegung der Politischen Philosophie aus der Daseinsanalytik und ihrer Bewährung in den Politischen Schriften Martin Heideggers 1933/34 [1 ed.] 9783428475858, 9783428075850


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German Pages 205 Year 1992

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Negative Politik: Zur Grundlegung der Politischen Philosophie aus der Daseinsanalytik und ihrer Bewährung in den Politischen Schriften Martin Heideggers 1933/34 [1 ed.]
 9783428475858, 9783428075850

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SIGBERT GEBERT · NEGATIVE POLITIK

Philosophische Schriften Band 7

Negative Politik Zur Grundlegung der Politischen Philosophie aus der Daseinsanalytik und ihrer Bewährung in den Politischen Schriften Martin Heideggers von 1933/34

Von

Sigbert Gebert

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gebert, Sigbert: Negative Politik : zur Grundlegung der politischen Philosophie aus der Daseinsanalytik und ihrer Bewährung in den politischen Schriften Martin Heideggers von 1933/34 I von Sigbert Gebert. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Philosophische Schriften ; Bd. 7) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07585-4

NE:GT

D25 Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Gennany ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-07585-4

Vorwort Vorliegende Arbeit versucht, das Bild des "unpolitischen" Heidegger durch einen Aufweis der Ansätze zu einer Bestimmung des Politischen in der Daseinsanalytik zu revidieren; nicht, um in ein anderes Extrem zu fallen und Heidegger als Politischen Philosophen zu postulieren, sondern um aus der Daseinsanalytik die hier angelegten Grundelemente jeder Politischen Philosophie zu erschließen, die u.a. Aufschluß über Heideggers politisches Eingreifen von 1933/34 geben, vor allem aber eine heutige Fruchtbarmachung fordern. Großen Dank schulde ich meinem philosophischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, der die Abfassung der Arbeit durch steten Rat und kritische Begleitung zuvorkommend förderte. Herr Prof. Dr. Rainer Hoffmann bestärkte mich seit Beginn meines Studiums in meiner philosophischen Ausrichtung und begleitete mich jahrelang mit freundschaftlichem Rat. Herr Dr. Hermann Mörchen hat kurz vor seinem Tod den ersten Teil der Arbeit kritisch durchgesehen und mir bereitwillig über seine persönlichen Kenntnisse des ''Fall Heidegger" Auskunft gegeben. Herrn Dr. Hermann Heidegger danke ich für die freundliche Gewährung der Einsicht in die wichtigen, noch unveröffentlichten Vorträge Martin Heideggers über "Die deutsche Universität" vom August 1934. Meine Frau Christiane gab den entscheidenden Anstoß, ein Philosophiestudium zu wagen. Ihr und meinen Eltern habe ich für ihre große Geduld und langjährige Förderung eines Doppelstudiums zu danken. Sigbert Gebert

Inhalt A. Einleitung .......................................................................................................................................

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§ 1. Der Weg einer angemessenen Bestimmung des Politischen bei Heidegger .................

11

§ 2. Andere Arbeiten .............................................................................................•.................

14

B. Grundlegung .................................................................................................................................. 21 I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung der Politik ..................... 21 § 3. Die Notwendigkeit der Seinsfrage unter besonderer BeJilcksichtigung der Grundbedingungen wissenschaftlicher Forschung ................................................................... 21 § 4. Die Aufgaben der Fundamentalontologie ...................................................................... 26

§ 5. Die Stellung der Fundamentalontologie in der Metaphysik .......................................... 28 § 6. Das formale Verhältnis von Fundamentalontologie und Politik .................................. 31 § 7. Die Forderung der Politik nach einem Rückgang in die Philosophie ........................... 32 II. Der Wesensbereich der Politik.................................................................................................. 37 § 8. Vorbegriff der Politik ausgehend von der aristotelischen Bestimmung ....................... 37 § 9. Die soziale Dimension: Mitsein als konstitutives Existenzial ..................................... 40 § 10. Vorblick auf das Problem des Handeins ........................................................................ 44 § 11. Das Wesen der Freiheit .................................................................................................... 46 a) Die traditionellen Begriffe der Freiheit ...................................................................... 47 b) Freiheit und Entborgenheit ......................................................................•.................. 48 c) Der Vollzug der Freiheit (formal) .............................................................................. 49 d) Der Rückgang in das Wesen der Freiheit ................................................................... 53 e) Freiheit und Politik ...................................................................................................... 55 111. Der eigentliche Vollzug der Freiheit .....................................................................•................. 56 § 12. Die Unfreiheit des Daseins ............................................................................................. 56 § 13. Die Befmdlichkeit der Angst als Möglichkeit der urspJilnglichen Erschließung der Daseinsganzheit als Sorge ............................................................................................... 60 § 14. Die existenziale Möglichkeit eines Ganzseinkönnens des Daseins im Sein zum

Tode ................................................................................................................................. 62

8

Inhalt

§ 15. Der Gewissensruf als ausgezeiclmetes Pbllnomen der Rede .......................................... 66 § 16. Das existenziale Schuldigsein des Daseins .................................................................... 69 § 17. Die eigentliche Existenz als vorlaufende Entschlossenheit .......................................... 71

§ 18. Die Zeitlichkeit als Sinn der Sorge ................................................................................ 75 § 19. Der volle Geschehenscharakter des Daseins als geschichtliches .................................. 79 IV. Ergänzende Wiederholung der Analyse unter explizit politischem (metonto1ogischem) Gesichtspunkt ................................................................••......................................................... 82

§ 20. Der Begriff der Politik .................................................................................................... 82 § 21. Freiheit und Macht .......................................................................................................... 86 a) Das uneigentliche Machtphänomen ............................................................................ 87 b) Freiheit als eigentliche politische Möglichkeit ......................................................... 88 c) Das ursprtlngliche Phänomen der Macht.................................................................... 89 d) Freiheit und Macht als Grundbegriffe der Politik ..................................................... 91

§ 22. Die Frage der Ethik .•..••.••..........••..••................•.......•........•...............•.............................. 93 a) Gerechtigkeit als Grundbegriff der Politik ................................................................ 93 b) Ethik als Erste Philosophie (E. Levinas) .................................................................... 95 c) Kritische Anmerkungen .............................................................................................. 100 d) Heideggers Verortung der Ethik .............•.•...................................................••........... 102

§ 23. Existenzialer Entwurf eines eigentlichen politischen Handeins ................................... 106 a) Existenzialanalyse und Politik ................................................................................... 106 b) Das Übergangsgeschehen vom Man zur Eigentlichkeil ............................................ 108 c) Die Stellung der Institutionen ...........................•........................................................ 111 C. Die Reform der Unlversitlt als Möglichkeit eigentlicher Politik ............................................ 117

§ 24. Der existenzielle politische Ansatz Heideggers ............................................................ 117 I. Universitlit, Wissenschaft und Zeitgeschehen ......................................................................... 119

§ 25. Die Situation der Universitlit .......................................................................................... 119 a) Die Idee der Humbo1dt-Universitlit und ihre faktische Auflösung ........................... 119 b) Reformbestrebungen in der Weimarer Republik ........................................................ 122 c) Der Lebenszusammenhang Universitlit in seiner derzeitigen Lage ........................... 128

§ 26. Die geistige Situation der Zeit ........................................................................................ 132 a) Geschichtliches und philosophisches Bewußtsein .................................................... 132 b) Philosophie und Weltanschauung .............................................................................. 137

§ 27. Die Aufgabe der Weckung einer Grundstimmung ........................................................ 141 a) Wissenschaft und Philosophie als Fragen aus einer Grundstimmung ...................... 141 b) Kulturdiagnosen als Deutungen der Zeit ................................................................... 142 c) Die formale Struktur der tiefen Langeweile .......•....................................................... 143

Inhalt

9

d) Die Weclrung der tiefen Not als Aufgabe der zeitgenössischen Philosophie und Politik .......................................................................................................................... 146 § 28. Philosophie als die ursprünglichste Möglichkeit der Existenz .................................... 149

II. Die politischen Ziele Heideggers im Ausgang von der Rektoratsrede ..........•....•...........•.••.... 150 § 29. Das Wesen der deutschen Universität ............................................................................ 151

§ 30. Das Wesen der Wissenschaft ...................•...................................................••................. 155 a) UngenUgen der umlaufenden Wissenschaftsbegriffe ................................................. 155 b) Die Macht des Anfangs •.............•.........•...............••..•...................................•..........•... 157 c) Entscheidende Wandlung der Wissenschaft in der Gegenwart ................................. 160 § 31. Die Umgestaltung der Universität ..............................•...•..••.••.......................••.•......•...... 165

a) Die Aufgaben der Lehrer und die institutionelle Absicherung ihrer Erziehung ...... 165 b) Die Hoffnung auf die Studenten ........................•••.....................................••............... 170 c) Der Arbeitsdienst .............................................. ..•••......•..•.....•...•...............•..•.........••.... 171 d) Der Wehrdienst ..............•............................................................................................. 172 e) Der Wissensdienst ....................................................................................................... 173

f) Die Zusammengehörigkeit der drei Bindungen als das ursprungliehe Wesen der Wissenschaft .........................................................•.................•.................................... 175 g) Die Umgestaltung der Körperschaften .................•...........••.•....•................................. 177 § 32. Notwendige Bedingungen der Selbstbehauptung .......................................................... 178 a) Warnung vor Eile ...............•............••..........•............................................................... 178 b) Ein veränderter Begriffvon Wissen und Arbeit ........................................................ 178 c) Die Kampfgemeinschaft von Lehrern und Studenten ................................................. 182 d) Die Stellung des FUhrers •..................................••....................................................... 183 e) Der Wille zur Selbstbehauptung ................................................................................ 186 § 33. Die Verwirklichungschancen von Heideggers politischen Vorstellungen .................. 188 a) Die Situation von 1933ß4 .......................................................................................... 188 b) Ausblick ...................................................................................................................... 195

Literatur ............................................................................................................................................. 199

A. Einleitung § 1. Der Weg einer ~emeßenen Bestimmung des Politisclu?n bei Heidegger

Schon wieder eine Arbeit über "Heidegger und die Politik"! Das Aufstöhnen des von diesem Thema in den letzten Jahren mit Büchern und Artikeln überschwemmten Interessierten ist verständlich, zumal die Diskussion der letzten Jahre zwar einige geschichtliche Neuigkeiten an den Tag brachte, ihr philosophischer Ertrag aber letztlich gegen Null tendiert. Was Heidegger phikJsophisch zu seinem politischen Engagement von 1933 bewegte, liegt trotz der ausgeuferten Literaturproduktion noch immer weitgehend im Dunkeln.1 Dieses Manko hat seine Ursache im unsystematischen Herausgreifen einzelner Aspekte der Geschehnisse von 1933. Obwohl Heidegger selbst sein politisches Eingreifen weder in den Reden und Aufsätzen von 1933/34 noch in den späteren Äußerungen abgetrennt von seiner Philosophie sah und damit den naheliegenden Hinweis auf eine angemessene Herangehensweise an dieses Thema implizit selbst gab, fehlt bis heute der Versuch einer systematischen Entfaltung einer Politischen Philosophie aus Heideggers Frühschriften, die als Nebenprodnkt auch Heideggers politisches Engagement zu klären vermag. Als Nebenprodukt, weil der Versuch einer Grun~ legung der Politischen Philosophie letztlich nicht auf die nur philosophiehistorische Untersuchung von Heideggers Rektorat zielt, sondern auf eine Neubestimmung der Politik überhaupt. Der eigentliche Ausgangspunkt vorliegender Arbeit ist denn auch die lu?utige desolate Situation der Politischen Philosophie und Politik. Während einige Autoren in letzter Zeit von Heideggers Spätwerk aus Stellung zu politischen Problemen zu beziehen suchen, geht vorliegende Arbeit davon aus, daß die Grundlegung einer Politischen Philosophie zunächst von Heideggers Frühschriften aus geleistet werden muß. Ich verstehe darunter die Schriften vor 1933, die sichtrotz anbahnender "Kehre" auf fundamentalontologischem Boden bewegen. Mit dieser Beschränkung ist auch die Gefahr vermieden, Ansätze der späteren Arbeiten Heideggers in seine Politischen Schriften hineinzulesen. Dies ist zwar nicht unmöglich, verfälscht aber möglicherweise Heideggers wichtigste Gründe für sein Eingreifen von 1933. Die Einbeziehung der Schriften von 1933/34 ist erforderlich, zum einen aufgrund des naheliegenden Einwands, daß eine Philosophie, die sich politisch getäuscht habe, keine tragfähigen Ansätze zu einer Politischen Philosophie bieten könne, zum anderen, weil Heidegger sich hier konkret politisch 1 Vgl. Pöggeler, 1985,29.

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A. Einleitung

äußert. Die Grundlegung der Politischen Philosophie im philosophischen Frühwerk erfährt in den Politischen Schriften Heideggers ihre Umsetzung in die existenzielle Praxis. Die bisherigen Arbeiten zur Politischen Philosophie Heideggers haben den Anspruch, den Heidegger mit "Sein und Zeit" verband, nicht ernst genommen. Heidegger will in "Sein und Zeit" die Fundamentalontologie ausarbeiten, die allen regionalen Ontologien vorausliegt Damit ist notwendigerweise auch der Anspruch der Fundierung einer Politischen Philosophie verknüpft. Wenn Heidegger 1933 ins politische Geschehen eingreift, ist es mehr als naheliegend, daß dies aufgrund seines mit diesem Anspruch verbundenen Denkens geschieht. 2 Die beliebte Vorgehensweise, von 1933 her rückblickend die politischen Implikationen von "Sein und Zeit" aufzuweisen, weil "Sein und Zeit" angeblich keine Ansatzpunkte für eine Politische Philosophie biete, ist methodisch und sachlich verfehlt. Von Heideggers frühen Schriften aus eine neue Grundlegung der Politischen Philosophie anzustreben, erfordert ein immanentes Vorgehen. Traditionelle Kriterien zur Beurteilung von Heideggers Beitrag zur Politik dürfen dann aber zumindest zunächst nicht herangezogen werden, soll doch von Heideggers Position aus die Grundlegung geleistet werden, die den traditionellen politischen Theorien erst ihren Platz zuweist. Allgemein besteht bei Heideggers Werk das Problem, daß es sich aufgrund seines "Universalitätsanspruchs" auf einen "von außen" nicht kritisierbaren Standort begibt. Jede nicht-immanente Kritik muß sich dann vorwerfen lassen, noch nicht in die zu denkende Sache gelangt zu sein, während sich der immanent Vorgehende dem Vorwurf der Kritiklosigkeit aussetzt. 3 Heidegger hat, was gern als Immunisierungsstrategie abgetan wird, betont: "daß das Wesentliche immer unbeweisbar bleibt, genauer: außerhalb von Beweisbarkeit und Unbeweisbarkeil liegt. Beweisbares (im Sinne der formal-logischen Errechnung, abgelöst von der 2 In diesem Sinne schreibt er am 19.09.33: "Von meiner eigensten Arbeit(...) bin ich z. Zt. ganz weit weg, wenngleich ich jeden Tag spUre, wie das tägliche Handeln sich daraus nährt u. dahin drängt." (HB 74) 3 Dieses Dilemma ist inzwischen auch in der Soziologie klar gesehen worden. 'Theorien mit Universalitätsanspruch sind leicht daran zu erkennen, daß sie selbst als ihr eigener Gegenstand vorkommen. (...) Damit sind (... ) bestimmte Sektionen der klassischen Wissenschaftstheorie außer Kraft gesetzt; so vor allem alles, was mit unabhängiger Bestätigung(...) des Waluheitsanspruchs der Theorie zu tun hat. Man wird also immer sagen können, ich hätte in den falschen Apfel gebissen( ...)." (Luhmann, 1984, 9) "Gemessen an den Standarderwartungen der klassischen Wissenschaftstheorie in Hinsicht auf 'intersubjektiv zwingende Gewißheit"' ergibt sich "ein Moment der Unsicherheit, der Relativität, ja der Willkür." (a.a.O., 655) Das letztere gilt aber auch ftlr die als selbstverständlich angesehenen Argumentationsmaßstäbe, etwa die intersubjektive Überprüfbarkeit. ''Es gibt (...) keine kontextunabhängige Entscheidung zwischen unterschiedlichen Geltungsansprüchen (... )." (Luhmann, 1990, 667) Luhmann fordert deshalb (hier in der Tradition Husserls) die Umstellung von Was· auf Wie-Fragen. (Ebd. 668) Er stellt dabei auf die leitenden Unterscheidungen ab. Heidegger thematisiert mit den Stimmungen hingegen den Ursprung der Wahl einer Unterscheidung und sieht (wie letztlich aber auch Luhmann, der implizit ftlr seine "Kybernetik des Beobachtens zweiter Ordnung" schließlich nicht nur anderes, sondern auch sachgemäßeres Beobachten postuliert) bevorzugte Stimmungen. V gl. auch 36, Anm. 22.

§ 1. Der Weg einer angemessenen Bestinunung des Politischen

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Grundentscheidung und Grundhaltung menschlichen Seins) ist hinsichtlich der Wesentlichkeil schon verdächtig." (GA 34, 78) Eine Philosophie läßt sich nicht beweisen, sondern bewahrheiten. "Wie und vor wem und wann und wo und wie weit, das weiß nur jeder selbst. Darin allein besteht die geheimnisvolle 'Wirkung' einer Philosophie,- wenn sie überhaupt wirkt." (GA 34, 45) Extrem, im Vorgriff auf die noch aufzuweisende Bedeutung der Stimmung formuliert,4 heißt das: Entweder man kommt stimmungsmäßig in die zu denkende Sache Heideggers und erweckt "nach außen" den Anschein affirmativer Kritiklosigkeit oder beurteilt Heidegger von traditionellen Kriterien aus, womit sein Denken mehr oder weniger dem Totalverdikt verfällt. Der Ort, von dem aus Heideggers Philosophie geprüft werden könnte, ist zur Zeit nicht sichtbar, so daß sich die Kritik, die "von bisher vertrauten Fundamenten her ihr kritisches Richteramt ausübt, (...) der offensichtlichen Gefahr aussetzt, einen ursprunglieberen Phänomenbereich mit den Kriterien und Maßstäben eines weniger ursprünglichen(...) zu messen."5 Die Gefahr "affirmativer Kritiklosigkeit" scheint mir geringer als die der Verfehlung eines ursprünglichen Phänomenbereichs, der im Nachvollzug von Heideggers Philosophie erschlossen werden kann. Der erste Teil der Abhandlung will eine Politische Philosophie aus den frühen Schriften Heideggers grundlegen. Das erste Kapitel behandelt Fragen des Verhältnisses von Fundamentalontologie und Politik, um die Angewiesenheil der letzteren auf eine philosophische Bestimmung zu verdeutlichen, und zeigt, wie die Politik diese von sich aus fordert. Eine Politische Philosophie hat den für sie thematischen Bereich der Politik in seinen wesenhaften Strukturen aufzuweisen. Ihre erste Frage muß sein: Was ist Politik? Im zweiten Kapitel wird deshalb der zunächst nur undifferenziert genannte politische Bereich nach seinen Grundelementen durchleuchtet und vorläufig zu bestimmen gesucht. Die Bestimmung des politischen Bereichs bleibt ein erster Frageschritt. An ihn schließt sich die Frage nach dem 'Wie" einer wesensgerechten ''Entsprechung" des Menschen zu diesem Bereich an, die Frage nach einem eigentlichen politischen Vollzug des Daseins, der existenzial aufzuweisen ist. Das dritte Kapitel zeigt so, wie die das Handeln, damit auch die Politik ermöglichende Freiheit vom Menschen eigentlich vollzogen werden kann.

4 Vgl. 105f.; auch§§ 26, 27; jetzt auch Held. 1991. 5 Blust, 1987, 62f.. "Luhmanns Herausforderung der Philosophie" (Spaemann) iohnte es allerdings, angenommen zu werden. Luhmann selbst fragt: " Kann , man alles, was ist, auf eine Differenz 'grtlnden'?" und stellt fest: "Hier hätte man mit Heidegger zu diskutieren." (Luhmann, 1987, 310) Beschränkungen gegenüber Heideggers Ansatz zeigt Luhmanns Konzept allerdings schon beim zentralen Problem des Todes. Vgl. Lohmann, 1987, besonders 177ff.

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A. Einleitung

Das vierte Kapitel nimmt die genannten Fragen noch einmal auf, um die bisher in enger Anlehnung an Heideggers Vorgehensweise erhaltenen Resultate in den ausdrücklichen politischen (metontologischen) Zusammenhang einzubringen, bestimmt zunächst den Begriff der Politik und behandelt die für ihn entscheidenden Phänomene der Freiheit und Macht. Da auch die Gerechtigkeit oft als Grundbegriff der Politik genannt wird, gebietet die Frage der Ethik eine ausführlichere Untersuchung, die u.a. Klarheit über den Status von Aussagen über ein eigentliches Handeln bringt, das sich nicht mehr an Werten orientieren kann, sondern eine Negative Politik initiiert. "Negativ", weil diese Politik keine "überzeitlichen", positiven Kriterien fiir ein politisches Handeln mehr kennt und sich heute vor allem als Kritik betätigt. Die Bezeichung "Negative Politik" ist also nicht abwertend gemeint,6 sondern orientiert sich an der Handlungsweise einer eigentlichen Politik, die abschließend in ihren Grundzügen zu entwerfen ist. Der zweite Teil behandelt den existenziellen politischen Ansatz Heideggers, der über eine Reform der Universität ins politische Geschehen eingreifen will. Im ersten Kapitel werden Heideggers Gedanken zu Universität, Wissenschaft und Zeitgeschehen vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Ideen zur Universitätsreform nachgezeichnet. Dabei zeigt sich u.a. die in "Sein und Zeit" behauptete existenzielle Verwurzeltheil der Existenzialanalytik. Im zweiten Kapitel werden anhand der erhaltenen Ergebnisse Heideggers politische Ziele von 1933 in Orientierung an seiner Rektoratsrede diskutiert. Eine Bewertung der Chancen ihrer Durchsetzung und der Relevanz von Heideggers politischem Denken für heute beschließt die Arbeit. § 2. Andere Arbeiten

Eine umfangreiche Literatur hat sich dem Thema "Heidegger und die Politik" besonders in den letzten Jahren angenommen. Viele Arbeiten beschränken sich allerdings auf die geschichtlichen Ereignisse des Rektorats von Heidegger und tragen wenig zur Aufklärung der Politischen Philosophie Heideggers bei. Nur einige wenige Arbeiten versuchen, ausgehend von "Sein und Zeit" Ansätze zu einer Politischen Philosophie sichtbar zu machen und von den frühen Schriften her Heideggers Entscheidung von 1933 zu verstehen. 7 6 Schwan, 1989, 210, spricht kritisierend von einer "negativen Politischen Philosophie" bei Heidegger, ohne deren "positiven" Sinn zu erahnen. 7 Ich verzichte auf die Diskussion der polemischen und Heidegger verzerrt wiedergebenden Arbeiten, da sie sachlich unergiebig bleibt. Ich verkenne nicht, daß hinter der Ungerechtigkeit der unsachlichen Angriffe sich in manchen Arbeiten eine tiefe Betroffenheit vom Geschehen im nationalsozialistischen Deutschland zeigt. Heideggers Handeln von 1933 muß uns in der Tat immer wieder Anlaß sein, der politischen Verstrickung Heideggers und deren Bezug zu seiner Philosophie nachzugehen. VordergrUndige Polemik verhindert aber gerade, die Fragwürdigkeit, in der jedes politische Handeln steht, zu sehen und Heideggers Handeln in seinem Irrtum produktiv aufzunehmen. Es gilt, den gern zitierten und wenig ernst genommenen Satz Max Webers- "daß, wer mit der Politik (...) sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und daß ftlr sein

§ 2. Andere Arbeiten

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Den für vorliegende Arbeit wichtigsten Beitrag in dieser Richtung stellt Hermann Mörchens "Macht und Herrschaft im Denken von Heidegger und Adorno"8 dar. Mörchen thematisiert hier in chronologischer Reihenfolge u.a. "Stadien der Reflexion von Macht und Herrschaft bei Heidegger". Zu Recht betont er, daß es sich hierbei "nicht um ein Spezialthema, sondern um einen bisher kaum wahrgenommenen Hauptaspekt des Heideggerschen Denkens (...)" (24) handelt. Als einer der wenigen sieht er, daß es zur Entwicklung einer Politischen Philosophie aus Heideggers Denken nicht gilt, "von Sonderuntersuchungen wie der Werkanalyse oder der Kritik des technischen Zeitalters auszugehen, sondern von der Hermeneutik des Daseins selbst." (32) Denn aus dieser allein, in ihrem Rückgang auf die Grundstrukturen der Existenz, "läßt sich das Wesen und die fundamentale Bedeutung der Phänomene 'Macht' und 'Herrschaft' verstehen, - auch ihrer politischen Aspekte, die von Heidegger nicht eigens thematisiert werden." (32) Die ganze Problematik von Macht und Herrschaft wird erst sichtbar, wenn die Erstreckung des Politischen in den Bereich der geistigen Grundentscheidungen "erkannt und anerkannt ist; oder richtiger: wenn gesehen wird, daß es selber in diesem Bereich entspringt." (17) Mörchen zielt nicht auf eine Politische Philosophie. Sein Ansatz führt ihn jedoch zwangsläufig zur herausragenden Stellung des Todes im Leben. "Der Tod ist die unbezweifelbare Wahrheit der Macht; in ihm kommt die Wahrheit zur Macht. Und zwar nicht erst am Ende, sondern von Geburt an, so daß wir, als die wesenhaft Sterblichen, immer schon in der Möglichkeit sind, zur Wahrheit der Macht zu kommen, und sie (im 'Vorlaufen') eigens ergreifen können, statt uns von der Unwahrheit der Macht verblenden zu lassen." (182) Vom Tod als der Übermacht über die menschlichen Möglichkeiten (34, 182) lassen sich "Kriterien berechtigter und unberechtigter Herrschaft" (182f.) herleiten.9 Vorliegende Arbeit versucht, einen Schritt in der von Mörchen aufgewiesenen Richtung weiterzugehen. Methodisch korrekt ist die Vorgehensweise von K. Harries, "Heidegger as a Political Thinker", 10 der von "Sein und Zeit" her die Rektoratsrede zu verstehen sucht. Er sieht, daß schon in "Sein und Zeit" die Eigentlichkeit und Entschlossenheit nicht als solipsistisches Unternehmen verstanden wird, sondern an das Volk rückgebunden bleibt (651), bezieht allerdings die Analyse des Mitseins nicht in seine Überlegungen ein. Die Rektoratsrede verdeutliche die Ansätze von "Sein und Zeit" und fülle die (vermeintliche) Leere der Entschlossenheit (647) Handeln es nicht wahr ist, daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil" (Weber, 1973, 178)- am Beispiel Heideggers in seiner ganzen Tragik, in der der politisch Handelnde immer wieder steht, sichtbar zu machen, anstatt in der selbstgerechten Haltung des "so etwas kann uns nicht passieren" die politische Stellungnahme Heideggers oberflächlich abzuurteilen. Vgl. auch 190, Anm. 86; eine ausftlhrliche Literaturzusammenstellung zum Thema "Heidegger und die Politik" fmdet sich bei Kettering, 1988. 8 Mörchen, 1980. 9 Vgl. auch die Fortftlhrung dieses Ansatzes in Mörchen, 1989, 185ff. 10 Harries, 1976.

16

A. Einleitung

mit dem Hinweis auf die "erd- und bluthaften Kräfte eines Volkes". (655) Aufgrund der fehlenden Textbasis betrachtet Harries das Thema der Führerschaft in der Rektoratsrede als neu, sieht jedoch deutlich, daß Heideggers Verständnis von Führerschaft auf seiner Analyse der Entschlossenheit beruht. (652) Neben diesen Verbindungen zu "Sein und Zeit" vergißt er zudem nicht, auf den Zusammenhang der Rektoratsrede mit Heideggers Wissenschaftskonzeption hinzuweisen. (654f.) Harries zeigt so in aller Kürze wichtige Aspekte von Heideggers friihem politischem Denken auf. Zu hinterfragen wäre allerdings u.a. sein Ergebnis, daß Heidegger den Pluralismus zugunsten der Einheit unterdrücke. (669)11 Auch M. Blitz ("Heidegger's Being and Time and the Possibility of Political Philosophy" 12) versucht, von "Sein und Zeit" aus Ansätze zu einer Politischen Philosophie zu finden, sieht allerdings schwere Mängel der Heideggerschen Analyse. Heidegger versuche vom Volksbegriff her die politische Gemeinschaft zu fassen, während umgekehrt erst die politische Gemeinschaft dem Volk zu seiner ontologischen Funktion verhelfe. (255) Wie wir im folgenden sehen werden, sieht Heidegger die politische Gemeinschaft und das politische Handeln jedoch aus dem Mitseinscharakter des Daseins entspringen. Der Zusammenschluß über ein Volk zur politischen Gemeinschaft ist dann aber nur eine Möglichkeit politischer Vergemeinschaftung. 13 Als beachtenswerten Einwand bringt Blitz desweiteren vor, daß "the decisive political entity is justice". (256) Heideggers Analyse von Ganzheit, die sich auf das einzelne Dasein beschränke, sei nicht in der Lage, die Ganzheit der Gesellschaft zu fassen. (148f., 256f.) Ontische Begriffe würden den Status von moralischen und politischen Möglichkeiten besser zeigen. (258) Wir behandeln das damit angeschnittene Thema, die Gerechtigkeit als möglichen Grundbegriff der Politik, unter § 22. Die klassische deutschsprachige Arbeit zu unserem Themenkomplex, A. Schwans "Politische Philosophie im Denken Heideggers",14 entwickelt diese ausgehend von der Abhandlung "Der Ursprung des Kunstwerks" (1935) und späteren Schriften, die außerhalb des uns interessierenden Zeitraums liegen. Der Ausgangspunkt vom ''Werk der Wahrheit" eröffnet fruchtbare Perspektiven, hat allerdings zur Folge, daß die eigentliche Grundlegung des Politischen aus der Verfassung des Daseins unbeachtet bleibt. So behauptet nach Schwan Heidegger zwar, das Mitsein sei gleichursprünglich mit dem In-der-Welt-sein, behandle es aber nur im defizienten Modus der Alltäglichkeit und "nur als mitgängig mit dem ln-der-Welt-sein". (83) "Der Sozialcharakter des menschlichen Daseins bei Heidegger kennt also nicht das Phänomen des Anspruchs des Menschen(...) auf Hilfe, Beistand und Mitverantwortung an den Mitmenschen und umgekehrt.

11 Schünnann, 1982, zeigt von den Spätschriften her die Unhaltbarkeit dieser These. (Vgl. ebd.,

24)

12 Blitz, 1981. 13 Vgl. 80, Arun. 15. 14 Schwan, 1965.

§ 2. Andere Arbeitm

17

Insoweit bliebe in der Sicht Heideggers das Mitsein des Anderen lediglich ein zufälliges Auch-mit-da-sein, das mich nichts angeht. Der Andere wird erst bedeut· sam, und zwar als Da-sein, sofern er kraft der Übernahme einer Funktion im Werk mir zugeordnet ist und ich ihm zugeordnet hin." (85)15 Damit begibt sich Schwan der Möglichkeit, den Ursprung des Politischen aus der Grundverfassung des Daseins offenzulegen. Schon am Anfang seiner Arbeit gibt er eine Definition der Politischen Philosophie, die Begriffe wie "Herrschaft" und "Handeln" ohne Frage nach ihrem Ursprung benutzt. ( 10) Die Meinung Schwans, die Schriften von 1933 würden erst aus dem späteren philosophischen Denkweg ganz verständlich (100), 16 ergibt sich aus seinem nur beschränkt richtigen Ausgangspunkt vom "Werk der Wahrheit". Eine weit verbreitete Argumentationsstrategiel7 vertritt Schwan hinsichtlich Heideggers politischem Engagement, nämlich die Annahme zweier politischer Grundstellungen Heideggers. "Die erste Grundstellung besagt: Wenn die Geschichte schicksalhaft von Irrnis durchzogen ist, dann kommt es darauf an, möglichst 'groß', möglichst entschieden, möglichst gewalttätig zu irren. Je klarer die Entschlossenheit zum festumrissenen, geprägten Werk, desto unheimlicher die Irre, desto vernehmlicher aber darin gerade auch ·das Geschehen der Wahrheit. Solche Entschlossenheit können jedoch immer nur wenige aufbringen und durchhalten."l8 Hieraus folge Heideggers Bejahung des Führerstaats. Nach der Erfahrung des Totalitarismus trete eine zweite Grundstellung hervor: die "Abkehr von der Politik unserer Zeit in allen ihren Formen überhaupt" und die Sicht aller politischen Strömungen als gleichartig.l9 Diese Argumentationsstrategie vertreten mit anderer Bewertung eine Reihe von Arbeiten. H. Köchler ("Skepsis und Gesellschaftskritik im Denken Martin Heideggers"20) sieht in "Sein und Zeit" einen gesellschaftskritischen Impuls, bilden doch die Existenzialien die Grundlage für ein Ideal eigentlichen Daseins, das einen dezidiert normativen Anspruch enthalte, womit Heidegger die deskriptiv15 Aus dieser funktionalistischen Auffassung des Anderen folge dann das Plädoyer fUr den Führerstaat Vgl. zur Unangemessenheil dieser Deutung: Pöggeler, 1974, l23f. 16 Bestätigung konnte er hierin fmden, als er die Erde-Welt-Struktur in der Rektoratsrede entdeckte. (Schwan, 1965, 96) Die damals noch unbekannte erste Ausarbeitung des Kunstwerkaufsatzes zeigt jedoch, daß Heidegger auch diese Struktur schon vor Abfassung der Rektoratsrede aufgewiesen hatte. Vgl. 163. 17 Thomä, 1990, 474ff., unterscheidet acht Grundpositionen zum Problem des Zusammenhangs von Heideggers Philosophie und dem Nationalsozialismus. Da die Kompilation aller Stellungnahmen zu diesem Thema außerhalb des ''Erkenntnisinteresses" vorliegender Arbeit liegt, sei auf die dortige Zusammenstellung verwiesen. 18 Schwan, 1976,92. 19 Ebd., 94.

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2 Köchler, 1978. 2 Gebcrt

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A. Einleitung

phänomenologische Ebene verlasse. Heidegger begreife das Dasein als sich verwirklichen wollende Individualität, die selbst Maßstäbe der Eigentlichkeil aufstelle. Ein eigentliches Dasein solle vollzogen, nicht eine formale Erkenntnis gewonnen werden, während der späte Heidegger dieses Verhältnis umkehre. (99f.)"Leider erwies sich jedoch diese 'Eigentlichkeit' als eine letztlich formale Kategorie, als Schema für ein Pathos der 'Ursprünglichkeit', das nicht an einen bestimmten Inhalt gebunden war, sondern sich in seiner emotiven Stimulation erschöpfte." (IOOf.) Die Ausformung eines nicht reflektierten Willens zur Eigentlichkeit verkehre die ursprüngliche Intention des Fragens ins Gegenteil. Durch das Scheitern des "selbstgewählten Seinkönnens" komme Heidegger zur späteren (angemessenen) Konzeption der "Gelassenheit" als einer Möglichkeit fundamentaler Gesellschaftskritik ohne vorschnelle Konkretion. (137f.) Auch Vietta ("Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik"21) sieht zwei Grundstellungen Heideggers. Die Rektoratsrede stelle auf den Willen ab, während Heidegger in den Jahren 1936-38 in solchem Denken und Sprechen selbst eine Form der Machenschaft entdecke. (12)22 Heidegger unterschätze die Entfremdungsproblematik. (12) Damit einher geht eine Abwertung von "Sein und Zeit" als "Ausdruck der Epochengeschichte". '"Angst', 'Furcht', 'Sorge', nicht etwa Liebe oder Hoffnung, bestimmen die Daseinsanalyse von 'Sein und Zeit'." (18) Die partielle Richtigkeit vorstehender Interpretationen soll nicht bezweifelt werden. Einen tiefen Bruch zwischen zwei Grundstellungen Heideggers vermag ich jedoch nicht zu sehen. Vorliegende Arbeit zeigt, daß jede Politische Philosophie, also auch die von Heideggers Spätwerk, aus der Grundverfassung des Daseins, die in den frühen Schriften aufgewiesen wird, entspringt und daß Heideggers Ansatz bezüglich des politischen Handeins auch im Frühwerk der einer

21 Vietta, 1989. 22 So schon Palmier, 1968, der ähnlich wie Vietta die politischen Schriften im Zusammenhang mit der Frage nach der Technik sieht. Die spätere Kritik der Metaphysik bedeute auch die Überwindung der Texte von 1933/34. (Ebd., 104) Vietta sieht Heidegger 1938 in seinem Vortrag "Die Zeit des Weltbildes" Selbstkritik an der Rektoratsrede Uben. Diese "Kritik" betont jedoch gerade die Kontinuität von Heideggers Denken. Heidegger schreibt (in einer unveröffentlichten Arunerkung): "Die hier vollzogene Besinnung auf die Wissenschaft steht nicht im 'Widerspruch' zu dem, was 'Die Selbstbehauptung der deutschen Universität' (1933) sagt u. fordert." (Vietta, 32) Dann die, so Vietta, "Iaitische Auseinandersetzung mit der eigenen Rektorotsrede": (32) Heidegger: "Jene Rede geht auf das Wesen der n(eu)z(ei)tl(ichen) Wissenschaft u. d.h. auf Descartes nicht ein". Er betont jedoch sogleich: "Aber die 'metaphysische' Grundstellung, aus der in jener Rede die 'Selbstbesinnung' vollzogen wird, ist die.dbe, aus der die vorliegende Besinnung auf die 'neuzeitliche Wissenschaft' sich vollzieht." (32) Noch im Spiegelgespräch bekräftigt Heidegger: "Ich wUrde heute noch und heute entschiedener denn je die Rede von der 'Se1bstbehauptung der deutschen Universität' wiederholen, freilich ohne Bezugnahme auf den Nationalismus. An die Stelle des 'Volkes' ist die Gesellschaft getreten. Indes wäre die Rede heute ebenso in den Wind gesprochen wie damals." (Antwort, 1988, 86); vgl. auch GA45,4.

§ 2. Andere Arbeiten

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Negativen Politik war. U. Guzzoni ("Bemerkungen zu Heidegger 1933"23) konstatiert zu Recht: "So eindeutig ist die Umkehr vom Führer zum Hirten ja vielleicht doch nicht.(... ) Sicherlich- die 'wissende Entschlossenheit zum Wesen des Seins' unterscheidet sich von der später gedachten 'Gelassenheit zu den Dingen'. Aber soweit diese Dinge für Heidegger nur Dinge zu sein vermögen aus der 'fernen Ankunft des Wesens des Seins selbst', so daß das Denken seine höchste Aufgabe darin sehen muß, jener Ankunft entgegenzuwarten, stehen sowohl 'Entschlosssenheit' wie 'Gelassenheit' unter einem Geheiß und Anspruch, sind sowohl der geistige Führer von 1933 wie der vorbereitend-wartende Denker der späteren Jahre Gebrauchte des Seins." (78f.) Bei allen nicht zu vernachlässigenden Unterschieden - "was bleibt, ist, daß hinter der Differenz von Entschlossenheit und Gelasssenheil eine Parallelität der radikalen Inanspruchnahme aufscheint( ...)" (79), und dieser Aspekt betrifft das Wesentliche.

23 Guzzoni. 1986.

B. Grundlegung I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung der Politik § 3. Die Notwendigkeit der Seinsfrage unter besonderer Berücksichtigung der Grundbedingungen wissensclwftlicher Forschung

Heidegger sieht sein Hauptanliegen, die Seinsfrage, als allen anderen Sachgebieten vorgelagert an. Die rechtverstandene Ontologie soll unter anderem den Wissenschaften, zu denen sich im Bereich der Sozialwissenschaften die Politikwissenschaft zählt, ihr Fundament geben. Zum Erweis dieser herausragenden Stellung der Ontologie gilt es zunächst, "Notwendigkeit, Struktur und Vorrang der Seinsfrage" (SZ 2) aufzuzeigen. 1 Den Nachweis der Notwendigkeit der Seinsfrage, der Frage nach dem Sinn von Sein, beginnt Heidegger in "Sein und Zeit" mit der Besprechung dreier Vorurteile, die die Seinsfrage für überflüssig erklären. Das erste Vorurteil kennt das Sein (die Seiendheit) als allgemeinsten und leersten Begriff, der keine weitere Erörterung erfordert, obwohl doch diese Bestimmung vollkommen unklar bleibt und den Begriff im Dunkeln beläßt. (SZ 3) Statt die höchste Allgemeinheit zum Problem zu erheben, folgert man aus ihr lediglich die Undefmierbarkeit des Seins, da es als Allgemeinstes weder aus höheren Begriffen abgeleitet noch durch niederere dargestellt werden kann. Dieser richtige Gedanke beantwortet aber nicht die Frage nach dem Sinn von Sein, sondern hält nur fest, das das Sein kein Seiendes ist. Dadurch wird das Sein aber noch rätselhafter und fragwürdiger. (SZ 4) Das dritte Vorurteil hingegen schneidet mit dem Hinweis auf die Selbstverständlichkeit des Seins jede weitere Frage ab, macht doch jedes Verhalten zu Seiendem ganz selbstverständlich vom Sein Gebrauch und versteht es. "Allein diese durchschnittliche Verständlichkeit demonstriert nur die Unverständlichkeit. (... ) Daß wir je schon in einem Seinsverständnis leben und der Sinn von Sein zugleich in Dunkel gehüllt ist, beweist die grundsätzliche Notwendigkeit, die Frage nach dem Sinn von 'Sein' zu wiederholen." (SZ 4) Zuvor gilt es jedoch, die Seinsfrage, die durch die Vorurteile ins Dunkle gehüllt ist, allererst in ihrer Struktur durchsichtig zu machen.

1 Zum Folgenden vgl. die ausfUhrliehen Erläuterungen von von Herrmann, 1987, 21-150.

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B. I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung

Jede Frage ist als Suchen vom Gesuchten her geleitet, auf das es hinfragt Die Frage zielt auf ihr Gefragtes, aber nicht auf das Gefragte überhaupt, sondern nach ihm unter einer bestimmten Hinsicht, dem Erfragten im Gefragten. Das Gefragte der Seinsfrage ist das Sein, von dem her die Frage ihre vorgängige Leitung empfängt, was sich im Faktum der erwähnten durchschnittlichen Verständlichkeit, in der sich der Mensch bewegt und aus der die Frage erwächst, äußert. Die Seinsfrage zielt auf das Sein unter der Hinsicht seines Sinns. Der Sinn von Sein ist ihr Erfragtes. Alles Fragen nach etwas muß bei etwas anfragen, hat ein Befragtes. Da Sein Sein von Seiendem besagt, ergibt sich als Befragtes der Seinsfrage das Seiende. (SZ 5f.) Doch welches Seiende soll als Befragtes der Seinsfrage fungieren, und wie muß der Zugang zu diesem Seienden gewählt werden, damit es sein Sein unverfälscht wiedergibt? Wie ist eine solche Wahl überhaupt möglich? Und auch die Weise, in der das Sein in den Blick genommen wird, das Verstehen und die begriffliche Fassung seines Sinns, verlangen Aufklärung. (SZ 7) Alle diese Verhaltungen gehören zum Fragen und sind so Seinsmodi des Fragenden. Das Seiende, das fragt, sind wir je selbst. Heidegger faßt dieses Seiende terminologisch als Dasein. "Ausarbeitung der Seinsfrage besagt demnach: Durchsichtigmachen eines Seienden - des fragenden - in seinem Sein. Das Fragen dieser Frage ist als Seinsmodus eines Seienden selbst von dem her wesenhaft bestimmt, wonach in ihm gefragt ist - vom Sein." (SZ 7) Die Seinsfrage zeigt eine eigentümliche Struktur der Rück- und Vorbezogenheit, da sie auf das Dasein als fragendes zurückbezogen und das Dasein in seinem unausdrücklichen Seinsverständnis schon auf das Sein vorbezogen ist. Das Dasein hat einen besonderen Bezug zur Seinsfrage und wird sich nach weitergehenden Überlegungen als zu Befragendes der Seinsfrage erweisen. (SZ 8) Zugleich kündigt sich der Vorrang der Seinsfrage vor anderslaufenden Untersuchungen an, bewegt sich doch jede Fragestellung als Seinsmodus des Daseins immer schon unausdrücklich in einem Seinsverständnis. Dieser Vorrang läßt sich auch von den Wissenschaften her begründen. Wissenschaften kommen auf, wenn sich der Blick vom praktischen Umgang mit dem Seienden, der dieses unausdrücklich in seinem Sein versteht und es in einem natürlichen, vorwissenschaftliehen Verständnis verschiedenen Gebieten zuweist, auf das Seiende selbst wendet und das Seiende in seiner ihm eigenen Seinsverfassung ohne irgendwelche sonstigen Absichten rein als das Seiende, was es ist und wie es ist, enthüllen will. Das Seiende soll als es selbst dem enthüllenden Befragen entgegenstehen, als es selbst zum Gegenstand werden. Wissenschaft zeichnet sich durch Vergegenständlichung aus. (GA 25, 26f.) Diese macht die im vorwissenschaftliehen Seinsverständnis unausdrücklich verstandene Seinsverfassung des zu untersuchenden Seienden thematisch. "Das Wesen der Vergegenständlichung liegt im ausdrücklichen Vollzug des Seinsverständnisses, in dem die Grundverfassung des Seienden verständlich wird, das Gegenstand werden soll." (GA 25, 28)

§ 3. Die Notwendigkeit der Seinsfrage

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Zur Bestimmung der Grundverfassung eines Seienden gehört die Kenntnis des Sachgebiets, dem es zugehört."Die Genesis einer Wissenschaft vollzieht sich in der Vergegenständlichung eines Gebiets des Seienden, und das sagt: in der Ausbildung der Seinsverfassung des betreffenden Seienden." (GA 25, 28) Mit ihr bilden sich die Grundbegriffe des jeweiligen Sachgebiets, die die Erforschung des Seienden erst ermöglichen. "Grundbegriffe sind die Bestimmungen, in denen das allen thematischen Gegenständen einer Wissenschaft zugrundeliegende Sachgebiet zum vorgängigen und alle positive Untersuchung führenden Verständnis kommt." (SZ 1) Die Grundbegriffe übernehmen die Wissenschaften zunächst von der vorwissenschaftlichen, alltäglichen Auslegung und Abgrenzung eines Sachgebiets. Sie vollziehen so die Ausbildung der Vergegenständlichung meist naiv, d.h. sie werden sich ihrer nicht als solcher bewußt. (SZ 9/GA 25, 29) Während sie selbst ihre Hauptaufgabe in der Erforschung des in seiner Seinsverfassung enthüllten Seienden sehen und die konkreten Untersuchungen am Gegenstand in sicherer und exakter Manier abwickeln, bleiben sie hinsichtlich ihrer Grundbegriffe unbestimmt und oberflächlich. Obwohl die Forschung auf allgemeine Begriffe wie Leben, Geschichte, Natur nicht verzichten kann, vermeidet sie es, diese Allgemeinheiten genauer zu klären, da diese sich, im Gegensatz zu den durch sie bestimmten Gegenständen, nicht mit den Methoden der betreffenden Wissenschaft klären lassen. Der eigentliche Fortschritt der Wissenschaften liegt aber nicht in ihren positiven Resultaten, sondern in der Besinnung auf ihre Grundbegriffe, die neue Wesenseinsichten zeitigt oder ihnen überhaupt erst ein Fundament legt. Die wissenschaftlichen Methoden sind für diese Aufgabe offensichtlich weder zuständig noch geeignet, erforschen sie doch das Seiende in seinem seienden Zusammenhang, nicht aber die Seinsverfassung des Seienden, auf die die Grundbegriffe abzielen. (GA 25, 34f.) Die ausdrückliche Bestimmung der Grundbegriffe und damit die Grundlegung einer Wissenschaft erfordert eigenständige Forschungen, die mit den sonstigen Wissenschaften als wissenschaftliche Verhaltungen die Vergegenständlichung, aber nicht den Gegenstand teilen. "Grundlegung der Wissenschaften von Seiendem ist Ausbildung des in ihnen je schon notwendig gelegenen vorontologischen Seinsverständnisses zur Erforschung und Wissenschaft des Seins, zur Ontologie. (GA 25, 36) Im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften, die das Seiende vergegenständlichen, vergegenständlicht die Ontologie das Sein. Und da sich die Wissenschaften nicht auf das All des Seienden, sondern jeweils auf ein bestimmtes Sachgebiet beziehen, thematisiert die ontologische Forschung die Seinsverfassung der jeweiligen Region des Seienden. In jeder Wissenschaft liegt so latent eine Regionalontologie. (GA 25, 36) Die regionalontologischen Untersuchungen ihrerseits sind geleitet von einem Verständnis des Seins überhaupt, bedarf doch die Vergegenständlichung möglicher Weisen des Seins einer Kenntnis der Bedeutung des Seins im Ganzen, des Sinns von Sein. Die Seinsfrage klärt die Bedingung der Möglichkeit regionalontologischer Forschung und damit auch der

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B. I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung

positiven Wissenschaften. Radikal gefaSte Wissenschaft und rechtverstandene regionalontologische Forschung fordern die Erörterung der Seinsfrage als der Fundamentalfrage überhaupt. Die Seinsfrage hat einen sachlich-wissenschaftlichen, einen ontologischen Vorrang. (SZ 11) Dieser Vorrang ist nicht der einzige. Das zeigt sich, wenn in Fortsetzung der Analyse der Wissenschaften eine ursprünglichere Seinsmöglichkeit des Daseins freigelegt wird. Den Sinn einer Wissenschaft sieht Heidegger nicht in deren logischer Bestimmung "als das Ganze eines Begründungszusammenhanges wahrer Sätze", (SZ 11) die die Wissenschaft von ihren Resultaten her versteht, sondern im Begreifen der Wissenschaft als erkennendes Verhalten des Daseins. Als Verhaltung des Daseins muß die Seinsart der Wissenschaft von dessen Sein her gefaSt werden. (SZ 11, 357/GA 25, 18) Die Wissenschaften sind ausgezeichnete Seinsarten des Daseins, die aus den natürlichen Verhaltungen des Daseins zu Seiendem erwachsen. Die Vorwissenschaftlichen Verhaltungen verstehen das Seiende schon immer (unausdrücklich) in seinem Sein. Seinsverständnis zeichnet das Dasein gegenüber allem anderen Seienden aus. "Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ontologisch ist." (SZ 12) Diese Auszeichnung beruht auf der eigentümlichen Seinsverfassung des Daseins, dem es "in seinem Sein um dieses Sein selbst geht". (SZ 12) Darin liegt, daß das Dasein sich zu sich selbst verhält und sich in seinem Sein versteht, ohne dieses Seinsverständnis theoretisch ausbilden zu müssen. Das eigene Sein des Daseins, sein "Wesen", zu dem es sich immer schon irgendwie verhält, nennt Heidegger terminologisch "Existenz". Das Wesen des Daseins, das nicht als sachhaltiges Was gefaSt werden kann, liegt darin, "daß es je sein Sein als seiniges zu sein hat.( ...) Das Dasein versteht sich selbst immer aus seiner Existenz, einer Möglichkeit seiner selbst, es selbst oder nicht es selbst zu sein." (SZ 12) Das Dasein kann seine Möglichkeiten selbst wählen oder sie sich von anderen, etwa von der Tradition oder der Erziehung, vorgeben lassen. Das den Existenzvollzug führende Verständnis nennt Heidegger das existenzielle, das nicht eigens die Kenntnis der Existenzstruktur benötigt. Das ausdrückliche Fragen nach dem Zusammenhang der einzelnen Strukturmomente der Existenz, die Heidegger als Existenzialien faßt, hält sich in einem existenzialen Verstehen. Eine existenziale Analytik des Daseins ist nur möglich, weil sich das Dasein vorontologisch-existenziell schon immer selbst versteht. Die ontologische Selbstauslegung des Daseins greift auf ein Vorverständnis der Existenzialität, des Zusammenhangs der Existenzstrukturen, zurück. Ein Vorverständnis der Existenzialität als der Seimverfassung des Daseins setzt aber schon das Verständnis von Sein überhaupt voraus. Auch die ontologische Thematisierung des Daseins scheint, wie die Regionalontologien von anderem Seienden, nur möglich, wenn der Sinn des Seins im Ganzen geklärt ist. (SZ 12f.)

§ 3. Die Notwendigkeit der Seinsfrage

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Wissenschaft hatte Heidegger bestimmt als .eine mögliche Weise des Daseins, sich zu Seiendem zu verhalten. Das Seinsverständnis des Daseins erschließt mit der Existenz, dem eigenen Sein, gleichursprünglich Welt und das Sein des innerweltlichen Seienden. Alle Wissenschaften mit den ihnen vorgelagerten Regionalontologien sind als existenzielle Verhaltungen wesenhaft mit dem Existenzverständnis verknüpft. Die Wissenschaften und Regionalontologien können nur thematisieren, was mit dem Existenzvollzug unausdrücklich schon immer verstanden ist, und sind folglich in der ontischen Struktur des Daseins, die ein vorontologisches Seinsverständnis auszeichnet, fundiert und motiviert. (SZ 13) "Daher muß die Fundamentalontologie, aus der alle andem erst entspringen können, in der existenzialen Analytik des Daseins gesucht werden." (SZ 13) Das Dasein zeigt sich als mehrfach ausgezeichnetes Seiendes. Vor anderem Seienden hat es als ontischen Vorrang seine eigentümliche Seinsverfassung, die Existenz. Die Existenz schließt ein vorontologisches Selbstverständnis ein, so daß sich auch ein ontologischer Vorrang des Daseins ergibt. Mit seinem Existenzverständnis ist dem Dasein aber gleichursprünglich alles nicht-daseinsmäßige Seiende erschlossen. Das Dasein bekundet einen ontisch-ontologischen Vorrang, ist es doch als dasjenige Seiende, das existiert, die ontische, als existierendes Seinsverständnis die ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologie. (SZ 13) "Das Dasein hat sich so als das vor allem anderen Seienden ontologisch primär zu Befragende erwiesen." (SZ 13) Wie steht nun aber die geforderte Daseinsanalytik, die Heidegger als Fundamentalontologie bezeichnet, zur Fundamentalfrage nach dem Sein? "Wenn die Interpretation des Sinnes von Sein Aufgabe wird, ist das Dasein nicht nur das primär zu befragende Seiende, es ist überdies das Seiende, das sich je schon in seinem Sein zu dem verhält, wonach in dieser Frage gefragt wird." (SZ 14f.) Das Dasein versteht, indem es sich zu Seiendem, darunter sich selbst, verhält, schon immer dessen Sein und damit implizit Sein überhaupt. Der gesuchte Sinn von Sein ist dem Dasein vorontologisch erschlossen und in jeder seiner Verhaltungen unausdrücklich verstanden. Das Dasein steht als zu Befragendes der Seinsfrage ihr nicht gleichgültig, neutral gegenüber, sondern verhält sich schon immer zu ihrem Gefragten, dem Sein. "Die Seinsfrage ist dann aber nicht anderes als die Radikalisierung einer zum Dasein selbst gehörigen wesenhaften Seinstendenz, des vorontologischen Seinsverständnisses." (SZ 15) Seinsfrage und Daseinsanalytik sind eng verbunden. Die Daseinsanalytik ist nicht eine Regionalontologie wie andere, die erst nach einer vorgängigen Klärung der Seinsfrage zureichend angegangen werden kann. Ihre Ausarbeitung dient vielmehr der Beantwortung der Seinsfrage. Die Daseinsanalytik hat als Untersuchung der Seinsverfassung des Daseins, der Existenz, als Ziel die ontologische Klärung des vorontolgischen Seinsverständnisses, damit des Sinns von Sein überhaupt. Sie ist als Fundament aller Regionalontologien die Fundamentalontologie, die zur Fundamentalfrage hinführt und notwendig zu ihr gehört. Die Seinsfrage ist als Verhaltung des Daseins selbst eine Existenzmöglichkeit Da das Dasein sich mit der Erschließung der Existenzialität der Existenz selbst

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B. I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung

durchsichtig wird, d.h. seinen ihm eigenen Wesenszug, das Selbstverständnis als Verstehen seines Seins und, untrennbar damit verbunden, des Seins überhaupt, ausdrücklich vollzieht, stellt das daseinsanalytische Fragen eine vor allem anderen wissenschaftlichen oder außcrwisssenschaftlichen Tun ausgezeichnete Existenzweise dar. Ihr eigentliches Ziel, die Seinsfrage, erweist sich so im existenziellen Vollzug (ontisch) vorrangig gegenüber anderen Untersuchungen. (SZ 13f.) Die Notwendigkeit der Seinsfrage hat sich damit sowohl von den Grundbedingungen wissenschaftlicher Forschung (ontologisch) als auch vom Dasein (ontisch) her gezeigt. Da Wissenschaft aber selbst als eine Möglichkeit des Daseins entspringt, zeigt sich der ontische Vorrang der Seinsfrage als der entscheidende. Die Begründung und Grundlegung der Wissenschaften stellt nicht die Hauptaufgabe der Daseinsanalytik dar. "Es kann Wissenschaften geben, nur weil und nur wenn es Philosophie gibt. Aber die Begründung dieser, d.h. die Aufgabe, ihren Grund abzugeben, ist weder die einzige noch die vornehmliebste Aufgabe der Philosophie. Sie durchgreift vielmehr das Ganze des menschlichen Lebens (Daseins) auch dann, wenn es keine Wissenschaften gibt (...)." (GA 29/30, 33) Die Daseinsanalytik soll helfen, daß das Dasein zu sich selbst- u.a. als politische Existenz - findet und die Wissenschaft zu ihrer eigentlichen Aufgabe, der Hilfe bei dieser Selbstfmdung bringen.2 § 4. Die Aufgaben der Fundamentalontowgje3

Das Dasein hat sich als zu Befragendes der Seinsfrage erwiesen. Damit wird die Frage nach der rechten Zugangsart zu diesem Seienden virulent. Obwohl wir je selbst das Dasein sind und uns immer schon zu uns selbst verhalten, kann der vorontologischen Selbstauslegung des Daseins nicht unbesehen gefolgt werden. "Das Dasein hat vielmehr gemäß einer zu ihm gehörigen Seinsart die Tendenz, das eigene Sein aus dem Seienden her zu verstehen, zu dem es sich wesenhaft ständig und zunächst verhält, aus der 'Welt'." (SZ 15) Das Weltverständnis, das Verstehen des Vorhandenen, gibt dem Dasein den Leitfaden seiner eigenen Auslegung vor, "in seinem eigenen Seinsverständnis liegt das, was wir als die ontologische Rückstrahlung des Weltverständnisses auf die Daseinsauslegung aufweisen werden." (SZ 15f.) Diese verfehlte Selbstauslegung wirkt auf das Verständnis der jeweiligen Existenzmöglichkeiten zurück. Das Dasein kennt maDigfache Seinsarten, die es wissenschaftlich oder auch nichttheoretisch, wie etwa in der Kunst, thematisieren kann. Orientiert sich das Dasein in seinen Auslegungen an seinem Weltverständnis, so verfehlen diese die dem Dasein eigene existenziale Struktur. Eine existenziell ursprünglich ergriffene Möglichkeit kann sich so in der existenzialen Auslegung selbst mißverstehen. Die existenziale Ursprünglichkeit wissenschaftlicher 2 Vgl. 130f. 3 Vgl. zum Folgenden von Hemnann, 1987. 151·277.

§ 4. Die Aufgaben der Fundamentalontologie

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und sonstiger Auslegungen des Daseins läßt sich erst nach der durchgeführten Analytik des Daseins prüfen. Keine Idee über Sein und Wirklichkeit, und sei sie noch so selbstverständlich, darf unkritisch in die Daseinsanalytik übernommen werden. "Die Zugangs- und Auslegungsart muß vielmehr dergestalt gewählt sein, daß dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann." (SZ 16) Die Daseinsanalytik will die wesenhaften Strukturen, die jedes Dasein bestimmen, aufweisen. Der Zugang zum Dasein darf dann aber nicht von einer herausragenden Existenzmöglichkeit aus gesucht werden, in der sich das Dasein nur zuweilen, manches Dasein vielleicht nie befindet, sondern es ist von der Seinsart auszugehen, in der sich jedes Dasein zunächst und zumeist hält, der durchschnittlichen Alltäglichkeit. Die Analyse bleibt dabei immer auf die Seinsfrage hin orientiert und beabsichtigt keine vollständige Ontologie des Daseins, die etwa zur Ausarbeitung einer Anthropologie zu fordern wäre. (SZ 16f.) In einem ersten Schritt bestimmt die Daseinsanalytik die Strukturen der Existenz, woran anschließend der Sinn der Existenz als Zeitlichkeit aufgewiesen und dieser Nachweis an einer wiederholenden Interpretation der im ersten Schritt aufgezeigten Strukturen bewährt wird. Mit dem Aufweis der Zeitlichkeit als Sinn des Seins des Daseins kann die Frage nach dem Seinsverständnis überhaupt angegangen werden. Heidegger will zeigen, "daß das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist. ( ...) Um das einsichtig werden zu lassen, bedarf es einer ursprüngliclum Explikation der Zeit ab Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit ab Sein des seinverstehenden Daseins." (SZ 17) So wie das Seinsverständnis seinen Ort im seinverstehenden Dasein hat, so kann der Sinn von Sein überhaupt, die Zeit, nur aus dem Sinn der Existenz, der Zeitlichkeit. aufgeklärt werden. Wenn das Sein aus der Zeit begriffen werden soll, kann zeitlich nicht in der Zeit seiend besagen. Das Sein alles Seienden, auch das des Unzeitlichen und des Überzeitlichen, ist zeitlich oder, wie Heidegger bezüglich des nicht-daseinsmäßigen Seienden sagt, temporal bestimmt. (SZ 18f.) Die temporale Bestimmtheit des Seins muß für jede Seinsweise des Seienden erst ausgearbeitet werden. Die Seinsfrage läßt sich nicht in einem einzigen Satz beantworten und als erledigt beiseite legen. "Die Antwort gibt ihrem eigensten Sinne nach eine Anweisung ftir die konkrete ontologische Forschung, innerhalb des freigelegten Horizontes mit dem untersuchenden Fragen zu beginnen - und sie gibt nur das." (SZ 19) Indem sie der Forschung einen neuen Leitfaden vorschlägt, fordert sie dazu auf, die verschiedenen Seinsbereiche neu zu durchforschen. In "Sein und Zeit" ist primär die Seinsweise des Daseins und deren Sinn, die Zeitlichkeit, Thema. Politik als ein Geschehen des Daseins bzw. Mitdaseins läßt sich so in den wesentlichen Zügen aus "Sein und Zeit" grundlegen. Die Zeitlichkeit als Sinn der Existenz "ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Geschichtlichkeit als einer zeitlichen Seinsart des Daseins selbst ( ... )." (SZ 19) Als Seinsart des Daseins kann die Geschichtlichkeit nicht vom Seienden her gefaSt werden und liegt so vor dem herkömmlichen Begriff der Ge-

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B. I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung

schichte als weltgeschichtliches Geschehen. "Geschichtlichkeit meint die Seinsverfassung des 'Geschehens' des Daseins als solchen, auf dessen Grunde allererst so etwas möglich ist wie 'Weltgeschichte'(...)." (SZ 20) Mit dem Begriff der Geschichtlichkeil wird das Augenmerk auf die existenzial zu bestimmende Vergangenheit des Daseins gelenkt. ''Das Dasein ist je in seinem faktischen Sein, wie und 'was' es schon war. Ob ausdrücklich oder nicht, iJt es seine Vergangenheit." (SZ 20) Diese ist ihm in seinem Seinsverständnis erschlossen, und zwar so, daß es sich von den überlieferten Möglichkeiten her versteht, in denen es aufwächst. Traditionspflege oder auch Geschichtswissenschaft, die sich nicht notwendig ausbilden müssen, können das vorontologische Verständnis der Vergangenheit ausdrücklich zu ihrem Thema machen. (SZ 20) Wie alle Verhaltungen des Daseins ist auch die Forschung durch Geschichtlichkeit bestimmt. Als geschichtliches kommt jedes Fragen zu sich selbst, wenn es seine Notwendigkeit und jeweilige Form aus seiner Geschichte begreift. "Die Ausarbeitung der Seinsfrage muß so aus dem eigensten Seinssinn des Fragens selbst als eines geschichtlichen die Anweisung vernehmen, seiner eigenen Geschichte nachzufragen, d.h. historisch zu werden, um sich in der positiven Aneignung der Vergangenheit in den vollen Besitz der eigensten Fragemöglichkeiten zu bringen." (SZ 20f.) Das historische Fragen muß sich jedoch davor hüten, unbesehen der Tradition bei ihrer Auslegung der Vergangenheit zu folgen. Neben der ontologischen Rückstrahlung seines Weltverständnisses verfällt das Dasein meist der Tradition, von der es sich seine Seinsmöglichkeiten vorgeben läßt. In solch unkritischer Übernahme gerät das Überkommene zur Selbstverständlichkeit und verschüttet den Zugang zur ursprünglichen Vergangenheit. Eine existenzial ursprüngliche Forschung hat die Verdeckungen der als selbstverständlich übernommenen Tradition rückgängig zu machen. Heidegger fordert auf zu einer Destruktion der Tradition, die keine Ablehnung oder Verwerfung beinhaltet, sondern im Rückgang auf die ursprünglichen Erfahrungen die positiven Möglichkeiten und damit die Grenzen der jeweiligen Fragestellung aufweist, die wiederum das mögliche Untersuchungsfeld absteckt. (SZ 21f.) ''Erst in der Durchführung der Destruktion der ontologischen Überlieferung gewinnt die Seinsfrage ihre wahrhafte Konkretion. In ihr verschafft sie sich den vollen Beweis der Unumgänglichkeit der Frage nach dem Sinn von Sein und demonstriert so den Sinn der Rede von einer 'Wiederholung' dieser Frage."(SZ 26) Diese methodische Anweisung gilt für jedes Fragen, das sich existenzial ursprünglich ergreift. § 5. Die Stellung der Fundamentalontologie in der Metaphysik

Die Daseinsanalytik will keine vollständige Ontologie des Daseins geben. (SZ 17) Genauer: Es ist überhaupt nicht ihre Aufgabe, die Möglichkeiten des Da-

§ 5. Die Stellung der Fundamentalontologie in der Metaphysik

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seins im einzelnen aufzuzeigen und zu untersuchen. Die Fundamentalontologie gibt die Grundlage für entsprechende Untersuchungen- nicht mehr und nicht weniger. Der Vorwurf an Heidegger, die politische Dimension in "Sein und Zeit" nur unzureichend ausgearbeitet bzw. vernachlässigt zu haben, verkennt den Status der Fundamentalontologie, die "nur" die Grundstrukturen des Daseins in Orientierung an ihrer Grundfrage nach dem Sinn von Sein überhaupt aufdeckt, von denen aus dann allerdings Einzeluntersuchungen zu den verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten des Menschen gefordert sind. "Sein und Zeit" bietet die Möglichkeit und fordert die Durchführung entsprechender Untersuchungen: ''Philosophie ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der Hermeneutik des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es ent:springt und wohin es zurückschlägt." (SZ 38, 436) Dieser Satz, der Heidegger so wichtig war, daß er ihn zweimal hinschrieb, verdeutlicht die Notwendigkeit des Rückschlags des philosophischen Fragens in die Existenz.4 Die Daseinsanalytik ist das erste, notwendige Stadium des philosophischen Fragens, ohne das sich die weitergehenden Untersuchungen verlaufen müßten. Die "universale phänomenologische Ontologie" geht aus von der Selbstauslegung des Daseins, die auf die Grundstrukturen der Existenz führt. Aus der Seinsverfassung des Daseins, der Sorge, entspringt alles philosophische Fragen. Als echtes Fragen führt die Selbstauslegung auf den Ausgangspunkt des Fragens, die Sorge, zurück, die sie in ihrem zeitlichen Sinn aufdeckt. Dabei zeigt sich, daß es dem Dasein "in seinem Sein um dieses Sein selbst geht". (SZ 12) Das philosophische Fragen fordert dann aber, sofern es in die Seinsverfassung des Daseins zurückschlägt, diese als solche zu ergreifen, sich in seinem Sein um sein Sein zu sorgen. Echt ergreifen kann sich das Dasein aber nur, wenn es um die aus seiner Seinsverfassung entspringenden Möglichkeiten weiß, wenn es sich eigentlich um die Möglichkeiten seiner Existenz sorgt. Das philosophische Fragen endet nicht mit dem Aufweis der Sorgestruktur, sondern fragt aufgrund dieses Aufweises nach den verschiedenen Möglichkeiten des Daseins. Erst dann wird es zur Metaphysik. '"Was die Fundamentalontologie angeht, ist vor allem zu beachten, daß gerade die Radikalität und Universalität dieser zentralen Problematik und sie allein dazu führt, einzusehen, daß diese Probleme zwar zentral, aber eben deshalb in ihrer Wesentlichkeil nie die einzigen sind. Anders gesagt: Die Fundamentalontologie erschöpft nicht den Begriff der Metaphysik." (GA 26, 199)5 Die Fundamentalontologie hat als ihr eigenstes Thema die Frage nach dem Sein überhaupt. "Da es Sein nur gibt, indem auch schon gerade Seiendes im Da ist, liegt in der Fundamentalontologie latent die Tendenz zu einer ursprünglichen metaphysischen Verwandlung, die erst möglich wird, wenn Sein in seiner vollen Problematik verstanden ist." (GA 26, 199) Die "Antwort" auf die Seinsfrage 4 V gl. SZ 13: "Die existenziale Analytik ihrerseits aber ist letztlich existentiell, d.h. ontisch verwurzelt." 5 Vgl. KM 225.

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B. I. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologischen Bestimmung

vollendet nicht die Philosophie, sondern stößt sie auf das Seiende in seiner (vielfältigen) Totalität. "Die Möglichkeit, daß es Sein im Verstehen gibt, hat zur Voraussetzung die faktische Existenz des Daseins, und diese wiederum das faktische Vorhandensein der Natur. Gerade im Horizont des radikal gestellten Seinsproblems zeigt sich, daß all das nur sichtbar ist und als Sein verstanden werden kann, wenn eine mögliche Totalität von Seiendem schon da ist." (GA 26, 199) Das Seiende "Mensch" versteht Sein. In der Fundamentalontologie liegt die noch "eingehüllte" Frage: "läßt sich die Ontologie ontologisch begründen oder bedarf sie auch hierzu eines onti3chen Fundamentes, und welches Seiende muß die Funktion der Fundierung übernehmen?" (SZ 436) Wenn die faktische Existenz des Daseins das faktische Vorhandensein der Natur zur Voraussetzung bat, dann könnte es sein, daß die Natur letztlich die Ontologie fundiert. 6 "Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer eigentümlichen Problematik, die nun das Seiende im Ganzen zum Thema bat." (GA 26, 199) Das Seiende im Ganzen ist nichts anderes als das Seiende in seiner Vielfältigkeit, in seinen verschiedenen Bereichen, die von den Regionalontologien durchforscht werden. Das regionalontologische Fragen "liegt im Wesen der Ontologie selbst und ergibt sich aus ihrem Umschlag, ihrer metabole." (GA 26, 199) Deshalb bezeichnet Heidegger jetzt die regionalontologische Problematik als Metontologie. Die Metontologie ist nur aufgrund und nach der Durchführung der Fundamentalontologie möglich. "Gerade die Radikalisierung der Fundamentalontologie treibt den genannten Umschlag der Ontologie aus dieser selbst hervor." (GA 26, 200) Damit ergibt sich: Die Fundamentalontologie "ist 1. Analytik des Daseins und 2. Analytik der Temporalität des Seins. Diese temporale Analytik ist aber zugleich die Kehre, in der die Ontologie selbst in die metaphysische Ontik, in der sie unausdrücklicb immer steht, ausdrücklich zurliekläuft" (GA 26, 201) Die temporale Analytik bewegt sich in einem Vorverständnis des Seienden in seiner Totalität, auf das sie im Verlauf ihrer Durchführung als ihre Voraussetzung stößt und sich durchsichtig zu machen gedenkt. Die Fundamentalontologie schlägt um in die Metontologie. "Fundamentalontologie und Metontologie in ihrer Einheit bilden den Begriff der Metaphysik." (GA 26, 202) Metaphysik in diesem positiven Sinn ist "die jeweilige Konkretion der ontologischen Differenz, d.h. die Konkretion des Vollzugs des Seinsverständnisses. Mit anderen Worten: Philosophie ist die zentrale und totale Konkretion des metaphysischen Wesens der Existenz." (GA 26, 202) Philosophie vollzieht das Seinsverständnis ausdrücklich und konkretisiert die verschiedenen Bedeutungen des Seins gemäß der Vielfältigkeit des Seienden. ''Totale Konkretion der Metaphysik" beißt nicht, daß eine vollständige Ausarbeitung der Metaphysik als ihre Vollendung möglich wäre, sondern, daß alle Bereiche des Seienden vor dem 6 Folgerichtig plant schon GA 24, 33 ein Kapitel über "Das ontische Fundament der Ontologie". Die Bedeutung dieser Frageperspektive zeigt die Relevanz der ''Erde" im späteren Werk, die jetzt ausdrücklich neben die 'Welt" tritt.

§ 6. Das formale Verhältnis von Fundamentalontologie und Politik

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Hintergrund der Fundamentalontologie immer neu zu durchforschen sind, weil ihre Grundbegriffe, die aus der Existenz entspringen, wesensmäßig in der Fragwürdigkeit verbleiben. Philosophie kann als Sache des endlichen Daseins nie zum Abschluß kommen. "Die Endlichkeit der Philosophie besteht nicht darin, daß sie an Grenzen stößt und nicht weiter kann, sondern darin, daß sie in der Einfachheit ihrer zentralen Problematik einen Reichtum birgt, der je wieder ein neues Wachwerden fordert." (GA 26, 198) Einen Bereich der Metontologie stellen die verschiedenen Möglichkeiten des Daseins dar. "Im Bezirk des metontologisch-existenziellen Fragens ist auch der Bezirk der Metaphysik der Existenz (hier erst läßt sich die Frage der Ethik stellen)." (GA 26, 199) Soweit das existenzielle Fragen das Seiende "Mensch" in seiner Seinsverfassung, die Existenz, betrifft (und nicht das auch existenzielle Fragen nach dem Vorhandenen, Zuhandenen ...),ist der Bezirk der Metaphysik der Existenz angesprochen, in den die Frage nach einer Ethik, aber auch die nach der Politik gehört. Die Fundamentalontologie geht folglich nicht auf die konkreten Möglichkeiten des Menschen ein. Diese sind Themen des metontologischen Fragens. Politik als eine Möglichkeit der Existenz kann kein Thema der Daseinsanalytik sein. Diese stellt jedoch die Grundlagen bereit, aufgrund derer eine Ausarbeitung einer Politischen Philosophie, einer Metontologie der Politik, möglich wird. § 6. Das formale Verhältnis von Fundamentalontologie und Politik

Rein formal läßt sich das Verhältnis von Fundamentalontologie und Politik nach den allgemeinen Ausführungen leicht charakterisieren. Politik als menschliche Verhaltung kann zu einem eigenständigen Sachbereich, einer Wissenschaft, ausgebildet werden. Die Politikwissenschaft ist als Vergegenständlichung des politischen Sachgebiets der ausdrückliche Vollzug des das alltägliche Verhalten tragenden politischen Verständnisses. In ihr liegt latent eine Metontologie, die Politische Philosophie, die die Seinsverfassung ihres Sachgebiets, dessen Grundbegriffe und die zu seiner Durchforschung zu fordernden Methoden thematisiert. Die ontologische Besinnung auf die Seinsverfassung des Politischen wird geleitet von einem Verständnis von Sein überhaupt. Die Fundamentalontologie als Ausarbeitung der Seinsfrage klärt die Bedingungen der Möglichkeit einer Philosophie der Politik und damit der Politikwissenschaft Sie legt so den Grund einer angemessenen Interpretation des Politischen. Als solche dient sie zugleich zur Korrektion der politischen Kategorien und Grundbegriffe, kann doch selbst ein existenziell ursprüngliches politisches Verhalten keine existenzial angemessene Begrifflichkeil garantieren. Den von der politischen Tradition zur Kennzeichnung des politischen Bereichs und politischen Verhaltens verwandten Begriffen liegt möglicherweise die ontologische Rückstrahlung des Weltverständnisses, die unsachgemäße Übernahme des Überkommenen oder sach-

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fremder Einfluß7 zugrunde, die sie die Seinsverfassung des Politischen verfehlen ließen. Eine unzutreffende Wesensbestimmung der Politik hätte jedoch Folgen fiir die Umgrenzung ihres Bereichs. 8 Zur Versicherung ihrer existenzialen Ursprünglichkeit muß die Politik die Daseinsanalytik heranziehen. Als Seinsart des Daseins ist auch die Politik geschichtlich bestimmt. Das Fragen nach dem Politischen hat diesen Wesenszug der Seinsverfassung seines Gebiets ausdrücklich zu machen und sich durch Aneignung seiner Vergangenheit, d.h. mittels einer Destruktion der Tradition des politischen Denkens, zu seiner höchsten Fragemöglichkeit zu bringen. Methodisch verfehlt wäre eine Abgrenzung des politischen Bereichs und Verhaltens nach traditionellen Kriterien und die von ihnen ausgehende Bewertung von Heideggers möglichem Beitrag zur Politik. Umgekehrt müssen von der Daseinsanalytik her die politische Dimension bestimmt und an einer fundamentalontologisch fundierten (metontologischen) Ausarbeitung einer Politischen Philosophie die Angemessenheil der traditionellen politischen Kategorien gemessen werden. Gegebenenfalls ist aufzuzeigen, warum sich die Politische Phiosophie an ihrem Gegenstand versehen mußte. Dann lassen sich aber auch erst mit dem fundamentalontologischen Aufweis der politischen Dimension des Daseins Heideggers politische Schriften angemessen interpretieren. Jede andere Vorgehensweise verfehlt die zentrale Thematik und bewegt sich in Randbezirken. § 7. Die Forderung der Politik nach einem Rückgang in die Philosophie

Das formale Verhältnis von Fundamentalontologie und Politik ergab sich aus den allgemeinen Ausführungen zur Grundlegung einer Wissenschaft. Heidegger fordert jedoch bezüglich der Einzelwissenschaften bzw. des Forschers den umgekehrten Weg. "Philosophische Erkenntnis kann aber nur dann fiir seine [des Forschers] positive Wissenschaft relevant und fruchtbar werden und ist es nur dann im echten Sinne, wenn er innerhalb der eigenen( ...) Problematik an die Grundbegriffe seiner Wissenschaft stößt, und wenn ihm dabei die Angemessenheil der traditionellen Grundbegriffe (...)fraglich wird. Dann kann er aus den Forderungen seiner Wissenschaft heraus( ...) zurückfragen nach der ursprünglichen Seins7 Heidegger gibt hierzu in seinem Vortrag "Phänomenologie und Theologie" bezüglich der Theologie als Wissenschaft ein Beispiel. Die Bestimmung des Gegenstandsgebiets der Theologie als Wissenschaft von Gott (nach dem Wortbegriff), als der Beziehung Gottes zum Menschen (philosophisch-historisch, d.h. religionswissenschaftlich) oder auch ihre Umgrenzung als Wissenschaft religiöser Erlebnisse (psychologisch) läßt sich ihre Begrifflichkeil von einem allgemeinen Wissenschaftsbegriff, von Philosophie, Historie und Psychologie vorgeben, verfehlt damit ihre spezifische Positivität und den Maßstab der Evidenz ihrer Ergebnisse, die aus der Theologie selbst erwachsen müssen. (WE 59f.) 8 So wird etwa die Natur seit der Neuzeit durch den naturwissenschaftlichen, mathematischen Entwurf ihrer Seinsverfassung auf ihre mathematische Grundstruktur beschränkt, die von nun an umgrenzt, was überhaupt zur Natur zählt, was Natur ist. (GA 25, 3lf.; SZ 362f.)

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verfassung des Seienden, das Gegenstand bleiben und neu wenkn soll. Die so erwachsenden Fragen treiben methodisch über sich selbst hinaus, sofern das, was sie erfragen, nur ontologisch zugänglich und bestimmbar ist." (WE 67) Die Notwendigkeit einer Neubestimmung der Politik läßt sich, sofern sie eine wirkliche ist, nicht von außen dekretieren, sondern kann nur aus ihr selbst erwachsen. "Die Zweifel an ihrem Sinn, an ihrer wissenschaftlichen Möglichkeit kommen denn auch nicht nur von außen, sondern wo diese Wissenschaft fruchtbar ist, stellen sie sich ihr selbst.'>9 Nun fällt es nicht weiter schwer, aufgrunddes heutigen Versagens der Politik bei drängendsten Problemen eine Neubesinnung auf ihre Grundlagen einzufordern, wie es auch allerorten geschieht. Das Versagen der Politik und der sie thematisierenden Kategorien ist allerdings nichts für die heutige Zeit Typisches, sondern seit eh und je der Grund für die Reflexion der Politischen Philosophie. Sie erlebt insbesondere in Krisenzeiten einen Aufschwung, wenn mit den politischen Ordnungen die überlieferten Kategorien fraglich werden. Die Politische Philosophie läßt sich geradezu als Krisenwissenschaft oder als zeitkritische Wissenschaft kennzeichnen. "Politikwissenschaft als Zeitkritik (geht) stets über das Faktische der Verhältnisse hinaus und sucht nach Wegen, eine bessere, vernünftigere politische Ordnung für die Menschen zu entwerfen."IO Das Aufblühen in Krisensituationen und die Suche nach neuen Wegen sind charakteristische Merkmale der Politischen Philosophie. Doch die der heutigen Krise zugrundeliegende Problematik scheint neuartig. Die Politische Philosophie der Vergangenheit hatte immer einen klar ausmachbaren Gegner, dessen Weltentwurf ein alternatives Konzept entgegengesetzt wurde. Die bisherigen Umstürze der Politischen Philosophie waren Bewegungen gegen die herrschenden Strömungen der Zeit. Als Gegenbewegungen blieben sie innerhalb des vorgegebenen Problemrahmens.ll Zumindest die Situation in den fortgeschrittenen Industriestaaten erlaubt heute aber keine deutliche Unterscheidung der traditionellen Gegner mehr. Die noch üblichen Kategorien zur Abgrenzung, wie rechts, links, konservativ, liberal oder sozialistisch, haben ihre ursprüngliche Bedeutung völlig verloren und sind angesichts der verschwommenen Positionen nicht mehr aussagefähig. Alle politische Richtungen eint heute die Hilflosigkeit gegenüber der technischen und wirtschaftlichen Dynamik, die über alle Ideologie- und Systemgrenzen hinweg die politischen Aktivitäten reaktiv an Sachzwänge bindet. Die traditionelle Politische Philosophie konnte noch glauben, die anstehenden Probleme durch eine der herrschenden Ideologie entgegengesetzte 9 Hennis, 1977. 2. 10 Berg-Schlosser u.a., 1981, 5. Sie kann allerdings auch affirmativ oder apologetisch verfahren.

(Ebd.)

11 So bewegt sich der letzte große, durch Marx initiierte Umsturz der Politischen Philosophie sowohl theoretisch (Marx' Gegenstellung zu Hege! und zur kapitalistischen Ökonomie) als auch faktisch (Zentralverwaltungswirtschaft statt Marktwirtschaft) innerhalb der traditionellen Problemstellungen. 3 Gebert

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Problemlösungsstrategie bewältigen und mit globalen Programmentwürfen die Weichen der Zukunft stellen zu können. Die Reaktion auf die Krisensituation ging in aktive Gestaltung der Zukunft über. Heute ist der Spielraum, den ökonomische, ökologische, politische und soziale Zwänge offenlassen, viel zu klein geraten, die Großstrukturen mit ihren komplexen Vernetzungen zu unübersehbar, als daß realisierbare, zukunftsgestaltende Gesamtentwürfe noch möglich wären. Die Politik ist heute froh, wenn sie die anstehenden Probleme ohne Zusammenbruch der Lebensgrundlagen in die Zukunft verschieben kann. Der entscheidende, existenzielle Grund im Ausgang von Heidegger "Antworten" auf politische Fragen zu suchen, liegt im Versagen der Politischen Philosophie begründet, die faktische Hilflosigkeit der Politik angesichts dieser Situation so zu verarbeiten, daß ein Ausweg aus der Dichotomie von politischem Allmachtsund Ohnmachtsglauben sichtbar wird. Die faktische Hilflosigkeit als eine prinzipielle Ohnmacht des Menschen gegenüber der allmächtigen Systemlogik zu propagieren stellt lediglich die Gegenposition zu dem fortdauernden, wenn auch vorsichtiger formulierten Glauben an die Allmacht der subjektiven oder kommunikativen Vernunft dar. 12 Die heutige Politische Philosophie geht von ungenügend geklärten Positionen und Kategorien aus die Probleme an.

12 Eder. 1988, versucht in seinen "Studien zur sozialen Evolution der praktischen Vernunft", diesem Dilemma zu entkommen. Er bringt folgende Kritik an den Exponenten der soziologischen Theorie an: "Weder hat Luhmann die der Autopoiesis vorgelagerten Prozesse der Produkticn """Gesellschaft noch hat Habermas die gesellschaftlichen Lernprozessen zugrundeliegende gesellschaftliche Praxis analysiert. Was diesen Theorien verlorengeht, ist eine substanzielle Vorstellung der Produktion von Gesellschaft. Was ilmen fehlt, ist ein soziologisch gehaltvoller Begriff der Praxis." (291) Der interessante Gegenvorschlag Eders lautet, "im Umgang mit der Natur die objektiven Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Praxis zu lokalisieren, die den spezifischen Pfad der sozialen Evolution der praktischen Vernunft festlegt." (322) Den. Umgang mit der Natur zeigt er an der "symbolischen Praxis des Opfers" auf, die "zugleich ein gesellschaftliches Verhältnis zur Natur wie eine spezifische Struktur kommunikativer Beziehungen in der Gesellschaft repräsentiert" (180) und reproduziert. Eder zieht eine für die traditionelle soziologische Theorie vernichtende Folgerung: "Nicht (...) die Unterscheidung von traditional und modern, sondern die Differenz zwischen der cmnivoren und der vegetarischen, zwischen der vertrauten und der unvertrauten Modeme (...) erlaubt die angemessene Rekonstruktion der spezifischen Logik moderner Vergesellschaftung. Erst diese Differenz macht eine Theorie der sozialen Evolution der Modeme möglich." (218) Diese Differenz zieht sich sowohl durch traditionale wie moderne Gesellschaften. Die heute politisch wesentliche Frage der Ökologie entscheidet sich dann aber nicht an den sichtbaren Fronten. "Die Ambivalenz der Modeme reproduziert sich in der ökologischen Bewegung." (252) Eder wagt einen verblüffenden Ausblick: "Die Naturkostbewegung ist dabei jener interessante Fall, der eine mögliche, in der Ökologiebewegung selbst miterzeugte Alternative zur ökologischen Bewegung darstellt." (252) Wie "Prozesse der Produktion von Gesellschaft" vor der Autopoiesis liegen sollen, ist mir allerdings unklar. Eder führt "nur'' ein neues inhaltliches Kriterium der Reproduktion der Gesellschaft ein. Im Unterschied zu Luhmann sieht er damit eine zentrale Differenz, durch die sich die Gesellschaft reproduziert. Und im Unterschied zu Luhmann, der zwar die "Ausstiegsmöglichkeit" sieht, aber nur einen rationaleren Umgang mit den zur VerfUgung stehenden Mechanismen für möglich hält, (Luhmann, 1989, 29) sieht Eder "zwei grundlegende evolutionäre Optionen offen" und will mit seiner Arbeit "die Verteilung der symbolischen Macht zugunsten der vegetarischen Kultur verändern". (A.a.O., 212) Er stützt sich so weder auf eine mehr oder weniger unausweichliche Systemlogik noch auf eine allein auf sich gestellte Vernunft.

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Dieses Ungenügen zeigt sich besonders deutlich bei der eigensten Aufgabe der Politischen Philosophie, der Wesensbestimmung des Politischen. Angesichts der Vielfalt der vorgeschlagenen Definitionen droht der Blick für das Eigentümliche der Politik verlorenzugehen, gelten doch als Wesenbegriffe des Politischen "das Gute, Gemeinwohl, Verwirklichung des guten Lebens aller Bürger, Macht, Herrschaft, Konflikt, Ordnung des Staates, Machtbeschränlrung, Partizipation, Demokratisierung, Freiheit, Lebenssicherung, Frieden, gesellschaftliches Handeln, Klassenkampf, soziales Handeln und viele andere mehr."l3 Klassifizierungen lösen dieses Wirrwarr kaum, denn eine Einteilung in zweck(Gemeinwohl, Freiheit, Demokratie), mittel- (Macht, Herrschaft) oder problemorientierte Politikbegriffe (Thematisierung von Konflikten mit verschiedenen Ansätzen, etwa Klassenkampf, Freund-Feind-Beziehunf) 14 oder die Unterteilung in Policy (Inhalt), Politics (Prozeß) und Polity (Form) 1 läßt die Frage, was diese verschiedenen Begriffe eint, offen. Die Sorge der Politikwissenschaft gilt zudem mehr ihrer Abgrenzung von anderen Sachgebieten und der Operationalisierbarkeit ihrer Begriffe, so daß die dazu notwendige Wesensbestimmung als unumgängliches Übel erscheint und untersachfremde Kriterien zu geraten droht. Typisch dafür ist Max Webers Kritik an zweckorientierten Politikbegriffen, daß sie keine Abgrenzungskriterien liefern könnten, hat es doch ''keinen Zweck gegeben, den politische Verbände nicht gelegentlich( ...), keinen, den alle(... ) verfolgt hätten. " 16 Max Weber selbst umgeht eine genauere Wesensbestimmung, indem er in der "Gewaltsamkeit" lediglich ein ftir das Wesen des Politischen unentbehrliches Mittel sieht, 17 weil auch die mittelbezogenen Politikbegriffe mit ihren häufigsten Kriterien Macht und Herrschaft sich in jeder sozialen Beziehung finden können und so nicht zur Abgrenzung taugen. Für die problembezogenen Politikbegriffe gilt dasselbe. 18 Carl Schmitt hat folgerichtig eine eigene politische Sphäre als abgrenzbaren Bereich geleugnet: "das Politische kann seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen menschlichen Lebens ziehen (...); es bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen."l9

Erst von der Daseinsanalytik aus (insbesondere der Thematisierung der Stimmungen und des Man) könnte aber die Frage, warum sich das in der Geschichte vorherrschende und in der Eßkultur repräsentierende Naturverständnis konstituiert, angegangen werden. Sie zeigt auch die Schwierigkeiten der "Aufklärung". 13 Druwe, 1987, 393. 14 Rohe, 1983, 350f. 15 Druwe, 1987, 394f. 16 Weber, 1964, 39f. 17 Ebd.; 1973, 176. 18 Rohe, 1983, 351.

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Doch die ungelöste Abgrenzungsproblematik bricht immer wieder auf: Das Bemühen der Politikwissenschaft "um die Defmition ihres Gegenstandes, die Sorge um Abgrenzung von anderen Diziplinen (...)ist nichts der Sache Äußerliches sondern angemessener Ausdruck ihrer Lage. "2° Diese Lage äußert sich in der Zersplitterung in zumindest drei wissenschaftstheoretischen Ansätzen (normativ-ontologisch, empirisch-analytisch, historisch-dialektisch),21 die sich in erbitterten Polemiken gegenseitig Ideologie schimpfen.22 Da alle Kontrahenten vorgeben, von Politik zu reden, gilt es erneut, die Frage nach dem Wesen der Politik zu stellen. Geht die Frage aber nach dem Wesen, so ist die Abgrenzungsproblematik, die Frage, ob Politik ein eigenes Sachgebiet darstellt, zweitrangig. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Interesse nach Operationalisierharkeit muß eine philosophische Bestimmung der Politik möglichst weit gehalten werden, um nicht schon im Ansatz einem durch die Tradition verengten Begriff des Politischen zu verfallen. Erst wenn der Wesensbereich der Politik durchforscht ist, kann die Frage nach möglichen Abgrenzungskriterien oder deren Sinnlosigkeit angegangen werden. Die Notwendigkeit einer fundamentalontologisch fundierten Neubestimmung des politischen Handeins ist so keineswegs eine abstrakt philosophisch deduzierte, sondern entspringt aus Grundproblemen von Politik, Politikwissenschaft und Politischer Philosophie.

19 SchrniU, 1963,38. 20 Hennis, 1977,2. 21 Stanunen, 1983, 3